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MinHEILUNGEN DES INSTITUTS

l'ÜB

OESTEßREICHISCHE

GESCHICHTSFORSCHUNG.

UNTER MITWIRKUNG VON

TH. RITTER v. SICKEL und H. RITTER v. ZEISSBERG

HEDIQmX VON

K l^ÜHLBAGHER. XXL BAND.

INNSBRUCK.

VERLAG DER VITA G N E R ' SCHEN UNIVERSITÄTS-BUCHHANDLUNG 1891.

I

1/5-

DRUCK DER WAGNER'SCHEN UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI.

y

Inhalt des XII. Bandes.

Seite Studien zu den Traditionsbücliem von S. Emmeram in Regensburg. Von

Berthold Bretholz 1

Die älteren Immunitäten für Werden und Corvei. Von Wilhelm

Erben 46

Wien in den Jaliren 1276 bis 1278 und K. Rudolfs Stadtrechts-Privilegien.

Von OswaldRedlich 55

Karl rV. und die Witteisbacher. Von TheodorLindner . . . 64 Das Gefecht bei St. Michael und die Operationen des Erzherzogs Johann

in Steiermark 1809. Von H. v. Z wiedineck-Südenhor st . 101 Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. Von Th. v. Sickel. Erster

Theil 209

Die sogenannte Brevis nota über das Lyoner Concil von 1245. Von

M. Tangl 246

Ueber die Beziehungen zwischen englischen und böhmischen Wicüfiten

in den beiden ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts. Von

J. Loserth 254

Aus dem Berichte eines Franzosen über den Wiener Hof in den Jahren

1671 und 1672. Von A. F. Pribram 270

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. Von Th. v. Sickel. Zweiter

Theil 369

Amalrich L, König von Jerusalem (1162 1174). Von Reinhold

Röhricht . 432

Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. Von Oswald

Redlich 494

Thierstrafen und Thieriirocesse. Von Karlv. Amira . . . . 545 Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corve^-^ i. J. 1147 und die

Purpururkunden Coi-veys von 1147 und 1152. Von Th. Ilgen . 602 Das Gerichtsprotokoll der kön. Freistadt Kaschau in Ober-Ungarn aus den

Jahren 1556—1608. Von Dr. F. v. Krones 618

Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien. Von Karl

Uhlirz 639

VI

Seite Kleine Mittheilungen:

Eine ungedruckte Urkunde Friedrichs I. und ein bisher unbekannter

Zug desselben ins Königreich Burgund. Von P. Scheffer-

Boichorst 149

Drei Briefe des Johannes Bugenhagen. Von R. Thommen . . 154 Die sphragistische Sammlung des A. H. Kaiserhauses. Von Julius

V. Schlosser 297

Wo fand der erste Zusammenstoss zwischen Hunnen und Westgothen

statt? Von Raimund F. Kaindl 304

Zur Datirung von St. 4061. Von Loersch 311

Die Reste des Archivs des Klosters S. Cristina bei Olonna. Von

Sickel 505

Zwei Notizen aus der Trierer Stadtbibliothek. Von H. V. Sauerland 507 Zur erbköniglichen Politik der ersten Habsburger. Von S. Herz-

berg-Fränkel 647

Aus dem Wiener Stadtarchiv. Von KarlUhlirz . . . 652

Zwei Initialen eines Wiener Grundbuchs aus dem Jahre 1389. Von

Karl Schalk 655

Literatur:

Das Wettiner-Jubiläum in der histor. Literatur (Woldemar Lippert). 160

Annalen der deutschen Geschichte im Mittelalter. HL Abth. : An- nalen des deutschen Reiches im Zeitalter der Ottonen und Salier. I. Bd., Von der Begründung des deutschen Reichs durch Hein- rich L bis zur höchsten Machtentfaltung des Kaiserthums unter Heinrich lU. von G. Richter und H. Kohl (E. v. Ottenthai) . 181

M. Manitius, Deutsche Geschichte unter den sächsischen und salischen

Kaisem (911 1125) (E. v. Ottenthai) 181

Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften

herausgegeben von Max Perlbach (Dietrich Schäfer) . . . 185

H. Simonsfeld, Beiträge zum päpstlichen Kanzleiwesen im Mittel- alter und zur deutschen Geschichte im 14. Jahrh. (M. Tangl) . 187

Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Im Auftr. der Gesellsch. f.

pommer. Alterihumsk. ges. u. hrsg. durch Lic. 0. Vogt (R. Thommen) 191

Rikskansleren Axel Oxenstiemas Skrifter och Brefvexling. Utgifna at Kongl. Vitterhets-, Historie- och Antiqvitets-Akademien 11 (Senare Afdelningen) (Dietrich Schäfer) 193

Zu Hefele - Knöpfler's Conciliengeschichte V. und VL Eine Replik.

(P. Scheffer-Boichorst) 201

Oesterreichische Kunst-Topographie. I. Bd. : Herzogthum Kärnten. Herausgegeben von der k. k. Central-Commission für Erforschung und Erhaltung von Kunst- und historischen Denkmalen (S. La- schitzer) 314

The Musical Notation of the Middle Ages exemplified by Facsimiles of Manuscripts written between the tenth and sexteenth centuries inclusive. Prepared for the merabers of ,the plainsong and mediaeval music society* (Guido Adler) 342

vn

Seite

Dr. Georg Wolfram, Die Reiterstatuette Karls des Grossen aus der

Kathedrale zu Metz (J. v. Schlosser) 343

Aktenstücke zur Geschichte des deutschen Reiches unter den Königen Rudolf I. und Albrecht I. Gesammelt von A. Fanta, F. Kalten- brunner, E. v. Ottenthai. Mitgetheilt von F. Kaltenbrunner. (Mittheilungen aus dem vaticanischen Archive, hg. von der k. Akademie der Wissenschaften 1. Bd.) (Arnold Busson) . . 345

Lindner Theodor, Deutsche Geschichte unter den Habsburgern und Luxemburgern (1273—1437). 1. Bd. Von Rudolf von Habsburg bis zu Ludwig dem Baiern (A. Huber) 350

Wilhelm Heyd, Beiträge zur Geschichte des deutschen Handels.

Die grosse Ravensburger Gesellschaft (Ed. Heyck) . . .351

Archivlehre. Grundzüge der Geschichte, Aufgaben und Einrichtung

unserer Archive von Franz von Löher (A. Budinszky) . . 354

Die historischen Programme der österreichischen Mittelschulen für

1890 (S. M. Prem) 355

Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich. Herausg. von einer Commission der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, bearbeitet von Dr. J. Escher und Dr. P. Schweizer. 1. Bd. (741—1234) (Oswald RedHch) 509

Urkundenbuch der Stadt Basel. Herausg. von der historischen und antiquarischen Gesellschaft zu Basel. 1. Bd. (751 1267) be- arbeitet durch Rudolf Wackemagel und Rudolf Thommen (Oswald Redlich) 509

Eduard Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwal- tungsorganisation Baiems. 1. Bd. Vom Ende des 12. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts (Luschin v. Ebengreuth) . . . 519

Heüigkreuz und Pfalzel, Beiträge zur Baugeschichte Triers von

W. Effmann (A. Riegl) 527

F. V. Pichl, Kritische Abhandlungen über die älteste Geschichte

Salzburgs (J. Jung) 658

Cesare Paoli, II libro di Montaperti (An. MCCLX). Documenti di Storia Italiana pubblicati a cura della r. Deputazione sugli Studi di Storia Patria per le provincie di Toscana, deirUmbria e delle Marche. Tomo IX. (H. v. Voltelini) 658

Dr. Camillo Henner, Beiträge zur Organisation und Competenz der

päpstlichen Ketzergerichte (J. Loserth) 661

Der Bilderkreis zum wälschen Gaste des Thomasin von Zerclaere, nach den vorhandenen Handschriften untersucht und beschrieben von Adolf von Oechelhaeuser (Alois Riegl) 664

Neuwirth Josef, Peter Parier von Gmünd, Dombaumeister in Prag

und seine Familie (Dr. Ad. Horcicka) 665

Mensi Freiherr von. Die Finanzen Oesterreichs von 1701 bis 1740.

Nach archivalischen Quellen dargestellt (K. Schalk) . . . 669

Krones Fr. R. v., Tirol 1812 1816 und Erzherzog Johann von Oesterreich, zumeist aus seinem Nachlasse dargestellt (S. M. Prem) 670

Notizen 363

vm

Seite

Bericht über die 31. Plenarversamlung der bist. Kommission bei der

kgl. bayer, Akad. der Wissenschaften 194

Bericht Ober die neunte Plenarsitzung d. badischen histor. Kommission 197 Das Istituto Austriaco di studii storici in Rom .... 200 Bericht der Centraldirection der Monumenta Germaniae . . . 672 Bericht über die zweiunddreissigste Plenarversammlung der histori- schen Kommission bei der kgl. bayer. Akademie der Wissen- schaften 676

Bericht über die wis8enschaft;lichen Unternehmungen der Gesellschaft;

ftir Rheinische Geschichtskunde 679

Bericht der historischen Kommission der Provinz Sachsen . . 683

Personalien 208

Studien zu denTraditionsbücliern YonS.Emmeram

in Eegensburg.

Berthold Bretholz.

I. Die Reihe der S. Emmeramer Traditionsbücher.

Wenn auch Traditionsbücher in den bairisch-österreichischen Klö- stern in der Zeit vom 9. bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert vor- kommen, so hat sich doch noch nirgends, auch nicht in den bedeu- tendsten Stiftern, eine Fortführung dieser Bücher während des ganzen Zeitraums, also durch fünf Jahrhunderte hindurch nachweisen lassen. Vielmehr ist bei den einzelnen Gruppen einerseits der Zeitpunkt des Beginnes und Abschlusses, andererseits die Dauer der Unterbrechungen innerhalb der äussersten Grenzen sehr verschieden. So hört beispiels- weise die Reihe der Freisinger Traditionscodices, welche mit der ältesten derartigen Sammlung, dem Codex des Kozroh, aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts beginnt, verhältnissmässig früh auf, während wiederum die beiden Brixener Traditionsbücher, die den vereinzelten Fall einer Fortführung bis ins 14. Jahrhundert zeigen, eigentlich erst mit dem Ende des 10. Jahrhunderts einsetzen. Die Gruppen der Salzburger und Passauer Traditionen sind noch kürzer und zeigen vor allem be- träch thche Lücken. Für Jahrzehnte, ganze Regierungen und noch längere Abschnitte ist der Strom der Traditionen unterbrochen. Red- lich hat bereits in seiner Untersuchung über „Bairische Traditions- bücher und Traditionen"!) diese auffallende Erscheinung aus der Ent- stehungsweise der Bücher selbst erklärt. Indem nämlich die Traditions- codices zum gi-osseren Theile sich als von Zeit zu Zeit vorgenommene summarische Abschriften nach gesammelten Einzelaufzeichnungen dar- stellen, konnten bei solcher Zusammenstellung leicht Lücken entstehen,

') La Mittheil. d. Instituts f. österr. Geschichtsforschung 5, 41. MittheUungen XU. 1

2 B r e t li 0 1 z.

wofern in gewissen Perioden die Uebertragung der Vorlagen in das Traditionsheft vernachlässigt wurde; und dies ereignete sich nur zu Ott, da in Wirklichkeit nicht überall und zu jeder Zeit die für die Entstehung solcher Sammlungen noth wendigen Bedingungen vorhanden waren. Nur bei einer Gruppe trifft dieser Grund nicht zu, bei der der Regensburger Traditionsbücher; ihre lückenhafte U eberlief erung ist zum kleinsten Theil auf mangelhafte Anlage und unvollständige Sammlung, sondern in erster Linie auf die trümmerhafte Erhaltung der Bücher zurückzuführen. Der heutige Bestand deckt sich nicht mit dem einstmaligen und wie bei anderen Quellen dürfte auch hier der Versuch einer Reconstructiou der Reihe nicht ohne Werth sein.

Die Reihe der Traditionsbücher aus dem Kloster S. Emmeram zu Regensburg besteht aus fünf Gliedern , von denen jedes ein selbstän- diges Ganzes bildet oder wenigstens einst bildete, denn zwei derselben sind bis auf einen minimalen Rest zu Grunde gegangen, so gleich der erste Theil.

1. Das Fragment der ältesten Sammlung. In dem Codex des k, 1). Reichsarchivs in München (S. Emmer. 5 Va)» den wir als viertes Glied später zu besprechen haben werden, findet sich als fol. 9 14 ein Ternio beigebunden, der uns ein Bruchstück der ersten im Kloster angelegten Traditionen Sammlung darstellt. Er enthält blos zwölf Urkunden ^). Die älteste Nr. 1 gehört der Zeit des ersten Bischofs von Regensburg und Abtes von S. Emmeram (das bis Ende des 10. Jahrhunderts Kathedralkloster gewesen), Gawibald, an, der 739 7G1 regierte, die jüngste, Nr. 6, ist genau datirt: 822 April 22; damals stand Bischof Baturich (817 848) dem Kloster vor: also frühestens während dessen Regierung könnte die Sammlung entstanden sein. Von den übrigen zehn Urkunden, die nicht in chronologi- scher Ordnung aufeinanderfolgen, gehören sieben dem 8. und drei dem 9. Jahrhundert au-). Die letzte Eintragung ist unvollständig; der Schluss stand auf dem ersten Blatte der nächsten Lage, die uus aber mit allen etwa nachfolgenden spurlos verloren gegangen ist. Das ganze Heft ist von eiuer Hand geschrieben ^) ; wir haben hier Abschriften nach den Uriginalaufzeichnungen vor uns.

') Die ersten zehn sind {j^edruckt in Pez, Thesaurus anecdotovum novissimus 13, 81—87; besser in K. Roth, Beiträge zur Sprach-, üeschichts- und (Jrtsfor- Bchung 3, 97 tt'., wo auch n. 11 und 12 abgedruckt sind. -) Bis auf drei und die unvollendet« letzte sind alle Urkunden genau, datirt: Der Zeit Bischof Sind- berts (7.5Ü— 791) gehören an: Nr. 8 (77G Juli 10), Nr. 5 (778), Nr. 4 (791 Sep- tember 1), Nr. 7 (77(j— 788) und Nr. II; Bischof Adalwins (792-817): Nr. 2 und 3 (792 Juli 22), Nr. 9 (8{)H September 14) und Nr. 10 (814 März 10). «) Die

IStndieu zu den Traditionsbüclieni von S. Emmerai.i in Regensburg. 3

Ueber den einstmaligen Umfang dieser ersten Sammlung lassen sich aus den erhaltenen Blättern keinerlei Folgerungen ziehen; dass wir den Anfang des Codex vor uns haben, ergibt sich auch daraus, dass die einzelnen Urkunden die Nummern I XII tragen, die ur- sprünglich sind. Einen Anhaltspunkt für die Existenz eines selbstän- digen Codex, von dem diese Blätter die letzten Trümmer bilden, glaube ich zunächst iu dem ältesten Bücherverzeichnis von S. Emmeram zu finden; es ist ein einzelnes Blatt, das als fol. 17 dem Evangeliencodex der Hof- und Staatsbibliothek iu München (Cod. lat. n. 14222) bei- gebunden wurde; es stammt aus dem 10. Jahrhundert. Unter anderen Büchern ist hier auch ein , liber kartularum " verzeichnet, womit unser Traditionsbucli in seiner ursprünglichen Gestalt gemeint sein dürfte 1) Die vielen Nadelstiche am Buge der erhalteneu Blätter zeigen nur, dass dieses Heft schon mehrmals seinen Platz gewechselt hat. Mit dem Codex, dem es nunmehr beigefügt ist, steht es aber doch schon länger im Zusammenhang, als seit dem Anfang des 16. Jahrhun- derts, da dieser, wie Koth meint, in seinen jetzigen Einband ge- bracht wurde. Auf der Kückseite des letzten Blattes, fol. 14 nämlich, ist am Eande eine Liste von Namen einer grossen Censualenfamilie von einer Hand des 12. Jahrhunderts notirt, die sich in einer uuge- druckten Urkunde Nr. 581 des Codex 5V2 ^^^^ ^ol. 113' aus der Zeit des Abtes Engilfrid (1132 1143) wiederfinden. Damit ist für die Zertrümmerung des Buches ein terminus ad quem gegeben. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts war bereits der Codex zerfallen, die einzelnen Lagen waren lose, und auf die Blätter wurden beliebige Notizen und Eintragungen gemacht, denn ausser jenen Namen findet sich noch am unteren Eande des genannten Blattes von einer zweiten Hand gleichfalls des 12. eTahrhunderts ein kurzer Traditionsakt ver- zeichnet. Dass aber damals dieses Heftchen nicht wie jetzt zu Beginn des Codex, sondern ziemlich weit rückwärts lag, erkennt man aus einer Ziffer, die sich auf fol. 13 am unteren Eande vorfindet (es ist wohl 138) und die ich mit einer alten Foliiruug des Codex 5V2 in Zusammen- hang bringe, und dass es etwa eine Zeitlang sogar eine letzte Lage bil- dete, dafür spräche das schlechte Aussehen der Schlussseite, die ganz abgewetzt ist. Soviel wird aber sicher sein, dass dieses älteste S. Em-

von Roth 98 und 127 gemaclite Unterscheidung von i,zwei oder drei Händen'" ist ganz unbegründet ; der Wechsel der Tintenfarbe allein ist hier, wie bei so vielen Fällen in Uikundenbüchem unwesentlich und unverwerthbar.

1) Dieses Bücherverzeichnis ist gedruckt und mit anderen späteren derselben Klosterbibliothek besprochen von Schm eller, Ueber Bücherkataloge des 15. und früherer Jahrh. Serapeum 1841.

Bretholz.

möi^4W«ii= IWitUiUttbuch Uli Klor»fc«?r «elbst und spätestena zu Beginn 4^ 13. J^lu-huiitlfcsi'to iMsPstörfc wurde; diese zunächat vieileiclit noch Uböii'^iihüiido l'hrtttiiiche wird durch weitere Analogien gesichert. Ver- a^iüboii wii vui^autig die l'uterisuchuiig über den einstmaligen Um- t^g didcitm C'üdtui Ujud weuduu wir uuw der wichtigen Frage zu. wann diütttu L'udtii» Wühl (Ui^vlt^gt wurde und weltheni Bitächote er seine iiiiUsUjhuug voi-^hiiikfc. Viele L'iuubvUide weisen aai die Zeit ßarancha hm, dw ii\h Abc.biBwhoi' ?oä SX7— 84i> Bisthuui und Blostjer Leitete. Bt^ dii) ätiuhüti^ Ui'kundb iXm Juhj^ ^"li^ ^U» berminus a quo angibt, wuidu aühuiA Luidur liU»»b $ivb iit?r woitoare BeAveäs nicht auf

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Es ist firu! ArKcil, wiliI (l('i)riii^rii v<ir|,';lrnlil»iU', »In' niii f.iiii^» .ItiJjl /ehnto IVülici' iiimI ulli-nlin^'H iiiil, iiorli ii'iclilmlitjjfi'rtiii (V|i(,l,in'in,l im nahen Fnii.sin;^ <l<'r Diiicon Ko/.ndi iiun^cCnliil, liii,U,(< «lif^WOW »^'"1

lectarioluiri tnuliljrjiiutri uüjik! (•oncunihiociiiu ", wi« «irt w«hl Aill/Ur gu- nannt hat. AnamotH W<!rl( \tMfi iU>.u /wcil/«ii Th<ijl ftjn«w Oodö« (l<irt Münchner KeichHarchivM ('S, Einmer, f»'/;,) und j«l- nitm \n Ht'<\n'\i% mimI Ausstattung, in der ganzen Anhtg«? <miliejfcjii;|j« prU^'/htlt^e HttM)M))u»»t^ von Urkunden In /wei Mnehern ; da« er»f/<i enihfjjt 108, t\m //W«iU 45 Nummern 'j. Mit Jk-eht wurde gewagt, ihia» der 'iru/(d dM<»«r H<5)»<i)- dung nicht leü;ht erHichtlieh iKn; dmu diu J] rUnmUtn Hiud wn4tr chrono- logisch, noch local, oöch aa/dj tnmmi iri^duA ttrUmnihnnth mi/'h\k'hm Oefeichtspunkt ge^/rdnet, <;rfij/rjgt djib/rr b)/>««, aw «1« r«i« üi/iw«*'- liche», ganz zufäilige>» Monuitti 7M lUittkim, äua Huh ttfut im VftiiUtrm Verlaufe auch ak nxih/;li/ig<;rj4 «irrgeU?« wird, J/;h l/iidt^ iw ^oii^*(tuUtn keine eigentliche eJngehen«ie ('^)At*,x\tt*^'hmhnnii^ , atfu/Utcn ifwUhm Dtir. M-a-. für die aJlgemeJ/j.e.c F'>y<'i d<-f V,(AJt\. .is-./ nnA AiAiu/t s/.,,, Belang i>rt.

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4 Bretholz.

meramer Traditionsbuch im Kloster selbst und spätestens zu Beginn des 12. Jahrhunderts zerstört wurde; diese zunächst vielleicht noch überraschende Thatsache wird durch weitere Analogien gesichert. Ver- schieben wir vorläufig die Untersuchung über den eiustmaligen Um- fang dieses Codex und wenden wir uns der wichtigen Frage zu, wann dieser Codex wohl angelegt wurde und welchem Bischöfe er seine Entstehung verdankt. Viele Umstände weisen auf die Zeit Baturichs hin, der als Abtbisehof von 817 848 Bisthuiu und Kloster leitete. Dass die sechste Urkunde das Jahr 822 als terminus a quo angibt, wurde schon erwähnt. Leider lässt sich der weitere Beweis nicht auf so nüchterner Grundlage, wie sie Zahlen bieten, aufbauen ; wir müssen uns auf das Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung begeben , indem wir mit inneren Gründen operiren. Kedlich hat den allgemeinen Satz ausgesprochen, dass der Aufschwung eines Klosters, die Eegierung tüchtiger Bischöfe auch gewöhnlich durch die Anlage von Traditions- büchern gekennzeichnet sei (S. 41).

Ohne deswegen etwa jedem tüchtigen Klostervorsteher die Anlage eines Traditionscodex zumutheu zu wollen, dürfen wir auf den Zustand S. Emmerams zur Zeit Baturichs doch hinweisen. Er selber ein Schüler der Klosterschule von Fuld vielleicht in der Zeit, als sie unter Hra- bans Leitung stand , hat in Kegensburg zu litterarischer Thätigkeit allenthalben angeregt. Unter ihm erst erhielt die dortige Schreibschule eine grössere Bedeutung, indem er die Mönche zu grösseren Arbeiten dieser Art veraulasste ; wir haben noch jetzt eine Anzahl von Codices, die er anlegen oder abschreiben Hess. Reger Sinn und gutes Ver- ständnis für Schriftwerke müssen aber vorausgesetzt werden, um die Führung eines Traditionsbuches in verhältnismässig so früher Zeit und in so vollkommener Weise, wie es in S. Emmeram gleich von Anfang der Fall war, annehmen zu dürfen. Sodann stimmt der rein praktische Zweck, der der Anlage eiues Traditionsbuches immer zu Grunde liegt, sehr wohl zu dem Eifer dieses Bischofs, Güter und Rechte, die dem Kloster in der letzten Zeit eutfremdet worden waren, wieder zu gewinnen M- Soweit ist der Beweis aus dem Fragment selbst und auf Grund allgemeiner Gesichtapunkte zu führen ; ins rechte Licht wird aber unsere doppelte Hypothese, dass der Codex inhaltsreicher war und unter 15. Baturich entstanden ist, erst durch die Betrachtung und Prüfung des nächstfolgenden Gliedes der Reihe, das uns unversehrt überkommen ist, gestellt.

') Y^]. über die Regierung B. Baturichs und über die litterarischen Ar- beiten im Kloster in dieser Zeit: Jänners Geschichte der Bischöfe von Regena- biug I, \i)U H'.

Studien zu den Ti-aditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. 5

2. Der Traditionscodex des Diacons Anamot.

Es ist eine Arbeit wohl derjenigen vergleichbar, die um einige Jahr- zehnte früher und allerdings mit noch reichhaltigerem Material im nahen Freising der Diacon Kozroh ausgeführt hatte dieses Col- lectariolum traditionum atque concambiorum", wie es sein Autor ge- nannt hat. Anamots Werk bildet den zweiten Theil eines Codex des Münchner Keichsarchivs (S. Emmer. 5V3) und ist eine in Schrift und Ausstattung, in der ganzen Anlage einheitliche prächtige Sammlung von Urkunden in zwei Büchern; das erste enthält 108, das zweite 45 Nummern 1). Mit Recht wurde gesagt, dass der Grund dieser Schei- dung nicht leicht ersichtlich sei ; denn die Urkunden sind weder chrono- logisch, noch local, noch nach einem irgend erkennbaren sachlichen Gesichtspunkt geordnet, es erübrigt daher bloss, an ein rein äusser- liches, ganz zufälliges Moment zu denken, das sich uns im weiteren Verlaufe auch als naheliegend ergeben wird. Ich biete im Folgenden keine eigentliche eingehende Codexbeschreibung, sondern erwähne nur, was für die allgemeinen Fragen der Entstehung und Anlage von Belang ist.

Der Sammlung der Traditionen des ersten Buches geht ein Re- gister voran und sodann die bekannte Widmung, in der Anamot auch Zweck und Plan der Arbeit mit wenigen bezeichnenden Worten an- gibt und die überschrieben ist : Excellentissimo domino A episcopo Ana- motus humillimus famulus. Der Name des Bischofs, von dem jetzt nur der Anfangsbuchstabe „A* zu lesen ist, war einst ausgeschrieben, wurde aber später radirt; der palaeographische Befund jedoch, will sagen, die ganz unbedeutenden Spuren von Schäften, die sich allen- falls noch erkennen lassen, und die Grösse der radirten Stelle ergeben mit absoluter Sicherheit, dass ursprünglich hier nur Ambrichoni " und nicht Asperto " zwischen diesen beiden Namen ist zu entscheiden gestanden haben kann, und zwar wie alles übrige in Majuskel- buchstaben mit Minium. Heute heisst es allgemein, Anamots Werk sei dem Bischof Aspert gewidmet gewesen, also auch unter ihm ent- standen'^). Mabillon, der erste, der diesen Codex zu wisseu schaftlichen Zwecken beschreibt, sagte dagegen: „praeclarus est codex traditionum scriptus ab Anamoto dicatusque Ambriconi episcopo "3). Daran hat

1) Gedruckt in Pez , Thesaurus anecd. nov. I 3, 193 und Migne Patrol. lat. 129, 900. 2) So nicht nur in Wattenbachs G. Qu. 1,271 und Dümmler, Ostfr.

Reich 2, 480, sondern auch in specielleren Werken, Janner, Gesch. d. Bisch, v. Regensb. 1, 252, Redlich, Ueber bair. Trad. 9, der aber das Werk doch schon um 890 begonnen sein lässt. ") Iter Germ, in Veterum analect. Ed. 11 (1723) 10.

ß B r e t h o 1 z.

sich Pez allerdings in bescheidenster Form, aber auch ohne irgend welchen positiven Grund, zu rütteln erlaubt, indem er den Worten Mabillons, die er wörtlich anführt, „vcl ut nobis videtur Asperto epis- copo" als persönliche Ansicht anfügt, sofort aber seine Unsicherheit eingesteht mit der Clausel: certe „A. epo." cui Anamodus hoc illustre monumcntum dicavit, utramque admittit^). Gleichwohl hat Pez' Ver- muthung mehr Anklang gefunden als Mabillons Behauptung, wie in allgemeinen Geschichtswerken, so in specielleren Arbeiten, und ob- gleich Koth, wie es schien, einen ganz unzweifelhaften Beweis dafür brachte, dass A. in Ambricho aufzulösen sei, musste er sich, ohne dass sein Grund zurückgewiesen wurde, also lediglich wegen seiner Abtrünnigkeit, jüngst von Janner einen Verweis gefallen lassen 2). Unserer Deutung des Buchstaben ,,A" entsprechend war Anamot doch schon unter der Kegierung B. Ambrichos (864 891) mit diesem Werke beschäftigt, denn ihm war es gewidmet. Da trat, bevor noch die Arbeit beendet war, im Jahre 891 der Tod des B. Ambricho ein. Aspert wurde als Nachfolger gewählt. Bis zu Nr. 145 war die Samm- lung gediehen, als dies geschah. Deshalb aber das Werk unvollendet zu lassen hatte keinen Sinn, der Diacon setzte es also fort; aber wie bis nun Anamot seinem B. Ambricho zu Willen dasselbe ausführte, so sollte das Folgende dem Nachfolger, dem nunmehrigen Bischof Aspert gewidmet sein. Dies wurde durch den Beginn eines zweiten Buches srekeunzeichnet. Schliesslich schien es dem Autor doch einfacher, dem Bischof Aspert das ganze Werk zu widmen, und so erklärt sich die Tilgung des Namens Ambricho in der Widmungszeile bis auf den mit dem Worte Aspert gemeinsamen Buchstaben „A". Dass aber „As- perto" statt dessen doch nicht eingesetzt wurde, hat seinen guten Grund in der völlig missglückten Rasur der Stelle, auf der sich neue Buchstaben kaum schön ausgenommen hätten.

Nicht minder deutlich spricht der Inhalt der beiden Bücher für die Ansicht, dass das Werk unter Ambricho begonnen und fortge- führt, unter Aspert nur fortgesetzt wurde. Die Hauptmasse in beiden Büchern bilden Urkunden aus der Zeit B. Ambrichos. die im ersten nur stellenweise durch Stücke aus noch früherer Zeit unterbrochen werden. Traditionen des B. Aspert finden sich überhaupt erst am Schlüsse des zweiten Buches ; es sind die Nummern 37 40 und 42 45, während Nr. 41 wieder ein Nachtrag aus der Zeit des Vorgängers ist.

') In den Observationes praeviae zum Thesaurus pag. LXXXIT. ^) Roth

188 wollte auf dem Blatte 71^ unter den drei zwar radirten aber doch entziffer- baren Zeilen: In nomine etc. AB gesehen haben, das in Ambricho aufzulösen wäre; thatsächlich sind diese zwei Buchstal)en nicht zu erkennen.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Enimeram in Kegensburg. 7

Xebeu der Zeit haben wir auch die Art der Anlage dieses Col- lectariolum zu prüfen und wollen hiebei besonders jenen Nachtragungen aus der Zeit der Vorgänger B. Ambrichos, die sieh im ersten Buche finden, Beachtung schenken. Unter ihnen begegnen uns nämlich Ur- kunden, die den drei unmittelbar vorangegangenen Bischöfen, also Adahvin, Baturich und Erchaufrid angehören i). Wir fragen, was wohl die Veranlassung zu diesen Einschiebseln, der Grund ihrer Aufnahme in die Traditionssamraluug B. Ambrichos gewesen sei.

Zunächst wird man constatiren, dass sie hier nachgetragen wur- den, weil sie wohl bei einer früheren Zusammenstellung zufällig oder absichtlich übergangen worden waren; eine genauere Prüfung ergibt nun aber auch, dass ein grosser Theil dieser Nachtragungen sich für ein Traditionsbuch des Klosters S. Emmeram eigentlich nicht eignet. Sie haben entweder keine Beziehung auf dieses Stift, oder sind keine eigent- lichen Traditionen im weitesten Sinne des Wortes. Sehen wir zwei der Nach- träge von B. Adalwin an : Nr. 2 und 45 betreffen Traditionen, die an das Kloster S. Salvator an der Eezat im Schwalfeldgau , dessen Abt eben auch der jeweilige Kegensburger Bischof war, gemacht worden waren. Nicht anders verhält es sich mit Nr. 69 aus der Zeit Batu- richs, einer Urkunde, die das Kloster Schönau, eine Commende des Bisthums Kegensburg, berührt; und so finden wir auch weiter zwei Urkunden Nr. 7 und 39 aufgenommen, die Schenkungen an das Kloster Mondsee enthalten, das eine Zeit lang gleichfalls im Abhängigkeits- verhältnis von Kegensburg stand-). Wenn ferner in einem Tausch- vertrag aus der Zeit B. Erchanfrids in Nr. 14 als gebender und em- pfangender Theil lediglich S. Petrus und nicht auch S. Emmeramus, wie sonst, genannt erscheint, so muss man sagen, dass eben dieses Geschäft nur der einen, nicht aiich der anderen Kathedralkirche zu- gute kam 3). Nr. 76 sodann ist ein Concambium zwischen den Bi- schöfen Erchanfrid von Kegensburg und Hartwich von Passau, aber hier tauscht Erchanfrid Güter „proprietatis suae" und erhält als Com- pensation solche „ad suum proprium tenendum". Man ersieht aus

1) Von B. Adalwin (792—816) finden sich darunter: Nr. 2 (vom J. 810), Nr. 45 und 70 (vom J. 814); von B. Baturich (817—848): Nr. 3 (vom J. 819), Nr. 67, 77, 80 und 81 (vom J. 822), Nr. 7 und Nr. 12 (vom J. 829), Nr. 72 (vom J. 833), Nr. 69 und 71 (vom J. 834) und Nr. 73 (vom J. 837); schliesslich ohne genaue Datirung von B. Erchanfrid (848—864): Nr. 14, 39, 60, 74, 76, 83; beim letzten Stücke steht in der Ueberschrift zwar Ambricho, Erchanfrid im Texte der Urkunde ist wohl massgebender. «) Nur das eine Stück Nr. 7 findet sich

auch im Mondseer Traditionsbuch, aber erst von einer Hand des 12. Jahrh. ein- getragen, vgl. Hauthaler, Der Mondseer Codex traditionum in Mittheil. d. Inst. 7, 238^9. ■'') Ueber das Verhältnis der beiden Kirchen vgl. Janner 1, 122.

g B r e t h 0 1 z.

diesen Fällen, dass Anamot, von dem auch behauptet wird, dass er gar nicht Mönch zu S. Emmeram gewesen i), mit seiner Sammlung den Zweck verfolgte, die Urkunden des Bisthums respective der Bischöfe und nicht allein die der Abtei 8. Emmeram zusammenzustellen. Dem gegenüber erscheint der Charakter des ältesten Codex, von dem wir das Fraoroent von zwölf Urkunden besitzen, als der eines ausschliess- liehen S. Emmeramer Traditionsbuches. Die Schenkungen, die hier verzeichnet sind, gelten alle ausnahmslos der „ara S. Emmerami", sie ist meistens allein genannt nur einmal findet sich auch S. Peter miterwähut und dürften lediglich dem Archiv des Klosters entnommen sein, wogegen Anamot für sein Collectariolum noch aus anderen Ar- chiven, besonders dem in S. Peter verwahrten, geschöpft zu haben scheint. Allerdings lassen sich nicht alle nachgetragenen Urkunden unter diesen Ausnahmstitel subsummiren ; es ist eine Reihe von Stücken darunter, die sich auf S. Emmeram beziehen, dann sind sie aber in anderer Beziehung ungewöhnlich. Die dritte Urkunde aus der Zeit B. Adalwins Nr. 70 „Traditio Eihpaldi abbatis ad Sezpah'' ist bei- spielsweise durch die Fassung auflTällig^'). Die subjectiv gefasste Ver- mächtnisurkunde des Abtes Eihpald ist zweimal unterbrochen durch die Erzählung der nach Eihpalds Tode erfolgten Investitur, dann folgt ein Zusatz , in dem mitgetheilt wird, dass der Traditor noch bei Leb- zeiten vom Bischof um ein Zugeständnis gebeten worden war, schliess- lich eine dreifache Zeugenreihe je mit Bezug auf die verschiedenen Stadien und eine doppelte Datirung, einmal mit Bezug auf die Ueber- ffabe, dann auf die Investitur. Wir haben bei Anamot nicht mehr die ursprüngliche Originalurkunde, sondern eine Compilation des ersten Textes mit einer Reihe von nachträglichen Zusätzen. Einige andere dieser Nachtragungen sind wiederum keine eigentlichen Geschäftsurkun- den im Sinne einer Tradition oder eines Concambium, sondern darauf bezügrliche Akte und ProtocoUe. So ist Xr. 3 betitelt: de marca ad Champa, ein Instrument über die am 14. Dezember 819 durch B. Ba- turich amtlich d. h. in Anwesenheit des gräflichen Missus vorgenom- mene Rückeinziehung eines S. Emmeram gehörigen und ihm unrecht- mässig entfremdeten Gebietes; so berichtet Nr. 12 über den Vorgang, wie ein ehemals zwischen B. Baturich und einem Abt Sigismund ge- schlossenes Concambium wieder rückgängig gemacht werden konnte; Nr. ß7 ist zwar überschrieben: „Traditio Rihpaldi abbatis'^, ist aber in Wirklichkeit die Darstellung des langwierigen Prozesses zwischen

') Janner 1, 252 Anm. 6. ") Deshalb auch von Ficker, Urkundenlehre

1, 278 besprochen.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. 9

dem Klorfter und den Verwandten des Traditors, und endlich ist Nr. 81 „Traditio Andarbodi archipresbyteri", die urkundliche Aufzeichnung über die im Placitum erwiesene Kechtsgiltigkeit einer Schenkung. Es bleiben dann nur wenige Stücke übrig, bei denen nicht eine Absonderlichkeit in dieser oder jener Kichtung die Ausschliessung aus dem ersten Tra- ditionscodex von S. Emmeram erklären würde, und für die dann die allgemeine schon von Redlich angeführte Thatsache herhalten muss, dass , oft spätere Traditionssammlungen Nachträge aus früheren Zeiten bringen, aus denen doch selbst schon eine Sammlung vorlag*^ (S. 56.). Wenn nicht gleichsam als Nachträge zum ersten Bande, dann wäre diese Auswahl von Urkunden aus der Zeit vor Ambricho im Co- dex Anamots kaum zu erklären. Und diese Wahrnehmungen veran- lassen eben die Vorstellung, dass der Codex des Anamot nur als eine unmittelbare, wenn auch nach anderem Plane und anderen Gesichts- punkten augelegte Fortsetzung des ältesten Traditionsbuches von S. Em- meram anzusehen ist, das heute nur als ein Fragment vorliegt, ehe- mals aber die imposante Urkundenmasse von der Zeit des ersten Regensburger Bischofs Gawibald bis auf Erchanfrid, in Zahlen ausge- drückt von 739 864, enthalten haben dürfte.

3. Die Reste eines Traditionsbuches des Bischofs Tuto

(894—930).

Es mag wie gesagt zunächst auffallend erscheinen, dass im Kloster S. Emmeram, wo doch nachweislich für die Bibliothek grosse Sorge getragen wurde, ein so bedeutender Verlust, wie der des ältesten Tra- ditionscodex, entstehen konnte. Nun, wir werden noch andere Be- obachtungen machen, die uns zur Genüge darin bestärken, dass sich diese Fürsorge auf die Traditionsbücher des Klosters nicht erstreckt hat. Der Grund hievon scheint darin zu liegen , dass diese Bücher überhaupt nicht in der Bibliothek aufbewahrt wurden; in den zwei grossen Bücherkatalogen, von denen der eine 1347, der andere 1501 ausgearbeitet wurde i) , wird keines angeführt , wie ihnen auch ein Kennzeichen der eigentlichen Bibliotheksbücher abgeht, nämhch der Haken am Einband zum Durchziehen der Kette . }nit der der Codex am Pulte festhing; es waren also keine „libri catenati", wie der Bib- liotheksausdruck lautete.

Die Traditionsbücher waren eben keine Bibliotheksbücher; ihrer rechtlichen Natur nach gehörten und gehören sie ins Archiv, das wir uns aber in der alten Zeit nur als einen unselbständigen Theil der

0 Vgl. S. 3 Anm. 1.

10 B r c t h 0 1 z.

Kanzlei vorstellen können. Hier in der Schreibstube oder sonstwo werden sie ihren Platz gefunden haben, so lange sie für die laufen- den Geschäfte noch werth und wichtig waren; aber uacli einer ge- wissen Zeit war deren Aufbewahrung zwecklos gewordeu, für das gute alte Pergament fand man leicht Verwendung. So ist denn ein zweites Traditionsbuch, das des Bischofs Tuto, zertrümmert worden und zwar so vollkommen, dass nur durch einen glücklichen Zufall einige Blätter desselben wieder zum Vorschein gekommen sind.

Von den Einbänden werthloser „Chartekeu" löste Bibliothekar Ge- meiner nach seinem eigenen Berichte im Jahre 1811 zwei Blätter mit Ti-aditionsnotizen des Bischofs Tuto ab^). Nachher fand man noch eines und so besitzen wir nun im ganzen drei Doppelblätter, die in München im Archiv des „historischen Vereins von und für Oberbaiern" unter „Archivalien 6086^" aufbewahrt werden, woselbst ich dieselben dank der freundlichen Vermittlung mehrerer Mitglieder gesehen habe. Die drei Doppelblätter gehörten zwei aufeinander folgenden Lagen au und zwar so, dass das eine als drittes Doppelblatt des einen, die an- deren beiden als zweites und viertes des nächsten Quaternio anzu- sehen sind. Demgemäss ist die ßeihe der auf diesen sechs Blättern niedergeschriebenen Urkunden oft unterbrochen. Ihr Aussehen ent- spricht ganz der Jahrhunderte langen Verwendung derselben als ßücherumschlag. Die Blätter tragen keinerlei Foliirung, dagegen die einzelnen Urkunden Nummern, und hiebei überrascht uns die hohe Zalil derselben. Das erste Stück ist bereits Nr. 100 und kann docli spätestens dem Jahre 900 angehören, denn die Urkunden auf den fol- genden Blättern sind zum Theil datirt und zeigen genaue chrono- logische Anordnung. Es ist nicht denkbar, dass aus den ersten sechs Jahren der Regierung B. Tutos (894—930) sich bereits eine so grosse Zahl von Urkunden angesammelt habe.

Da müssen wir auf den Codex des Anamot zurückkommen. Es wurde früher erwähnt, dass im zweiten Buche desselben mit den Nr. 37 40 und 42 45 eine Sammlung der Traditionen unter Bischof Aspert begonnen wurde. Aber diese Sammlung ist nicht abgeschlos- sen ; nicht etwa deshall) , weil uns acht Urkunden für die fast drei-

') »Ueber ein gefundenes Frapfinent. eines alten unedirten S. Emmeramer Traditionscodex* in Aretins »Beiträge zur Geschichte und Litteratur^ 9, 1052. üebcr das etwas raysteriöse Vcrscliwinden und Wiederauf'fiuden derselben und das plötzliche Auftauchen eines dritten zugehörigen Blattes berichtet ausführlich Roth in seinen Beiträgen Heft 4, 97, wo er zugleich die Urkunden in sehr guten Drucken veröffentlicht hat, Rieds Abdrücke derselben im Codex dipl. Ratisbon. vervollständigend und verbessernd.

Sfndien zu don Traditionsliüchevn von S. Emmeram in Kesfensburg. \ \

jährige Kegieruugsdauer eine zu geringe Zahl scheinen, sondern weil die letzte Nr. 45 am Schluss der Rückseite des 165. Blattes mitten im Text abbricht. Pez' Behauptimg, dass ein letztes Blatt ausgeschnitten sei, ist ganz unbegründet i). Ich bemerke dagegen, dass mit diesem 165. Blatte zugleich der 12. Quaternio aus so vielen Lagen besteht das ganze Werk Auamots abschliesst. Der Schluss der Urkunde Nr. 45 dürfte vielmehr auf dem ersten Blatte einer neuen Lage ge- standen haben, in der zugleich die ürkundenabschriften aus der Zeit Tutos begannen, so also, dass der Codex des Tuto sich unmittelbar au das Werk Anamots anschloss und die Urkunden weiter gezählt wur- den. Ob diese Fortsetzung zunächst auch von Anamot geführt wurde, kann man nicht sagen. Der spätere Theil, aus dem wir die Blätter haben, zeigt vielmehr eine wesentlich andere Anlage. Wir haben schon erwähnt, dass, soweit sich dies aus den spärlichen Ueberresten ersehen lässt, die Urkunden chronologisch geordnet waren. Sodann sind mehrere Schreiber mit der Eintragung betraut. Besonders bei den Stücken des ersten Blattes Nr. 109^ 112 und wiederum Nr. 116 und 117 wechseln die Hände mehrfach, während die Stücke auf den beiden weiteren Blättern Nr. 126—128, 131 135, Schluss von 136 139 höchstens drei verschiedene Schriften aufweisen. Jede Urkunde hatte eine üeberschrift und eine Nummer, beides oft nachträglich dazu- geschrieben. Die Ausstattung nun, die Grösse und das Format der Blätter erinnern gleichfalls an den Codex des Anamot. Nach unserer Annahme über das Verhältnis der beiden Sammlungen wäre die Ent- stehungszeit der letzteren, Avelche die Urkunden Tutos enthielt, vollkom- menbestimmt. Der Codex müsste zu Beginn derEegierung des Bischofs begonnen und von Zeit zu Zeit von verschiedenen Schreibern fortgeführt worden sein. Auch hier werden wir blos Abschriften nach den Ori- ginalakten und nicht etwa unmittelbare Eintragungen annehmen dürfen, mögen auch ziemlich häufig Correcturen und Nachtragungen einzelner Buchstaben, und in einem Falle sogar in Nr. 134 eine Nachtragung der Mancipiennamen am unteren Rande mit Leerlassuug einer Zeile im Texte sich zeigen. Wir haben für diplomatische Untersuchung zu o;erinffes Material.

Die letzte Urkunde auf diesen Blättern ist Nr. 139 und trägt die •Ldireszahl 901; dass der Codex gerade mit diesem Blatte abgeschlossen habe, ist allerdings unwahrscheinlich ; wie weit aber die Sammlung ge- reicht hat, ob etwa die Urkundenmasse aus der Zeit des Bischofs Tuto allein

') 286: »Desunt seqnentes paiiculi versus oh folium ultimum c codice ex- cisum".

\2 Biet holz.

bis 930, oder gar auch die seiner unmittelbaren Nachfolger aus der Zeit 930 975 einstens zusammengestellt war, ist nicht zu entscheiden. Eoth hat übrigens einmal die Vermuthung ausgesprochen, es könnten andere Trümmer des Codex auf Einbänden der bischöflichen Bibliothek zu Regeusburg sich entdecken lassen; meines Wissens ist dieser An- regung noch nicht Folge geleistet worden ^).

4. Der Liber traditionum saec. X XIII.

Liber traditionum, dies ist die ursprüngliche Bezeichnung des Quartbandes im k. b. Reichsarchiv in München (S. Emmer. 57^ ^It Z. 32), wie sie in Majuskelbuchstaben auf dem oberen Deckel zur Zeit des Einbindens, etwa zu Anfang des 16. Jahrhunderts geschrieben wurde. Er stimmt in seiner äusseren Erscheinung vollkommen mit dem Codex, der den Anamot enthält, überein. Dieser Band, dem das Fragment des ältesten Traditionsbuches als fol. 0 14 beigebunden ist, zählt, einige miteingeheftete Blättchen nicht mitgerechnet, 195 durchaus be- schriebene Blätter, die ungefähr 900 Traditionen vom Jahre 975, dem •Regierungsantritt des Abtes Ramwold, bis 1235, dem Todesjahre des Abtes Berthold IL enthalten. Es sind fast durch geheuds nur Urkunden und Aktaufzeichnungen über Rechtsgeschäfte der genannten Art, die das Kloster S. Emmeram betreffen -).

Von dieser ürkundenmasse ist bis nun nur ein Theil edirt. Zuerst brachte B. Pez 3) eine Auslese , zusammen 206 Stücke , von der be- gründeten Ansicht ausgehend, man müsse zuerst die Urkunden be- kannt machen, ,,quae lucem aliquara rebus historicis afferre possint" (Praef. pag. LXXXII). Nach einem andern Princip traf dann ein zweiter Bearbeiter dieses Codex, der ehemalige k. b. Archivrath Wittmann, eine Auswahl^); er druckte 280 weitere Urkunden ab, die wichtige Orts- und Personennamen enthielten oder ,, unsere Kenntnisse von den da- maligen Volkszuständen zu vervollständigen oder zu berichtigen ge- eignet sein könnten". So vollkommen ist übrigens die Auswahl weder von Pez noch von Wittniann getroffen worden, dass man nicht noch viele Akte fände, die in der einen oder anderen Hinsicht für die For- schuug vonintere&se wären: sind doch von den etwas mehr als 900 Ur-

') Vgl. die Nachricht über die Verschleppung bair. Archivalien in neuester Zeit, Verh. des hist. Vereins f. N. -Baiera 19, 178 und N. Arch. f. d. Gesch. K. 2, 440. -) Ausnahmen bilden bloss Cod. ^'r. 5!)4 Abschrift einer Littera Papst

Innocenz II. (1137 März 26) J. L. 7832 und Nr. 765 einer Urkunde B. Leos von Regennburg (t 1265). ') Thes. anecd. noviss. I 3, 81 flF. *) Quellen und

Erörterungen zur bairischen und deutschen Geschichte 1, l ff.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. J^ß

künden fast die Hälfte unbekannt ! Stellt man sich aber auf den Stand- punkt des Diplomatikers und will man dieses Traditionsbuch für die Lehre der Privaturkundeu verwerthen, dann ist an und für sich mit diesen fragmentarischen Editionen nicht gedient, die übrigens mit zu denen gehören dürften, von denen Redlich allerdings ohne Namen zu nennen bemerkt, dass sie fast alles zu wünschen übrig lassen. Es stellen sich aber auch dem Versuch, diesen Traditionscodex zu be- arbeiten, mannigfache Schwierigkeiten entgegen, wie schon aus einer kurzen Charakteristik denn eine genaue Beschreibung hätte an diesem Orte keine Berechtigung erhellen wird. Der Codex ist näm- lich, wie er sich uns heute darstellt, ein völliges Durcheinander ein gi'ossartiges Beispiel von Verwirrung, und man begreift es, dass ßoth, der auch diesem Theil einige Aufmerksamkeit geschenkt hat^) und sich eingehender damit beschäftigen wollte, unwillio- die Arbeit abbricht . , . „konnte ich doch selbst bei längerer Durchforschuug der Handschrift keinen leitenden Eadeu durch die greuliche Unord- nung finden".

Die Ursache dieses heutigen Zustandes ist eigenthümlich genuo-. Nicht, dass etwa unregelmässige Eintragung, Mangel au chrouoloo-ischer Folge die Hauptschwierigkeit bilden ; diesem, fast möchte man sao-en, selbstverständlichen Uebel, sowie dem Umstand, dass die Lagen und Blätter stark verbunden sind, lässt sich schliesslich bis zu einem o-e- wissen Grade abhelfen; aber eine unheilbare Beschädigung hat der Codex dadurch erlitten, dass viele Blätter älterer Lae-en verloren o-e- gangen sind, indem man sie aus ihrem früheren Zusammenhang heraus- riss , dann durch Waschen oder Radiren die erste Schrift entfernte und die mit neuen Eintragungen beschriebenen Blätter in anderen Zu- sammenhang brachte, ohne dass die dadurch entstandenen Lücken irgend- wie ersetzt worden wären. Das geschah aber nicht nur mit einzelnen Blättern, sondern mit ganzen Lagen, und man kann sich nun vor- stellen , welch ungemein grosse Zerstörung und Verwirrung hiedurch geschaffen wurde. Man hat augenscheinlich durch einen längeren Zeit- raum im Kloster S. Emmeram für die Aufzeichnungen von Traditionen fast nie mehr neues Pergament verwendet, sondern Blätter älterer Hefte durch Tilgung der ursprünglichen Schrift hiefür präparirt. So sind auch manche Blätter palaeogTaphisch ganz interessant, denn die Tilgung, die theils durch Waschen, theils' durch Radiren, vielleicht auch hie

') 3, 97; übrigens hat er aus demselben das werthvolle Verzeichnis der Bi- schöfe von Regensburg und Aebte von ö. Emmeram, das sich im Codex tbl. 5 und 7 befindet, zuerst abgedruckt 4, 42—50.

14 Bretholz.

und da durch Behandlung mit Säuren (wenigstens möchte die dunkel- braune Färbung mancher Seite diesen Gedanken nahe legen) erreicht wurde, ist sehr ungleich ; in der Mehr/ahl der Fälle ist sie so vollkommen, dass man kaum eine Spur der ursprünglichen Schrift entdecken kann, oft genug sind aber mehrere Worte der alten Urkunde leicht zu lesen, Uebrigens bleibt als untrügliches Kennzeichen für rescribirtes Perga- ment die Rauhheit desselben oder auch eine ungleiche Färbung, deut- licher gesagt, ein schmutziges Aussehen des Blattes i). Unter den ver- schiedenartigen Beschädigungen, die das Buch erlitten hat, ist diese, da dadurch viele ältere Urkunden vei-loren gegangen sind, für uns am bedauerlichsten. Die Menge der verlorenen Blätter lässt sich zum Theile Avenigstens durch Yergleichung der moderneu Foliirung (es sind deren zwei: eine aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts in der Mitte des oberen Blattrandes und die andere in der Ecke daselbst, vielleicht erst von llath Wittmann angebracht) mit einer viel älteren, die sich aller- dings nur fragmentarisch auf manchen Blättern am unteren Bande in der rechten Ecke erhalten hat, coustatiren; die meisten Ziffern der- selben sind aber durch eine weitere Art der Beschädigung dieses Codex, durch das Beschneiden der Blattränder, verloren gegangen; man ersieht jedoch aus den Ueberresten , dass diese Foliirung zweifellos einer an- deren und älteren Anordnung der Lagen und Blätter ihre Entstehung verdankt. Wir bemerken schliesslich auch noch Ziffern in der Mitte des unteren Randes mancher Blätter, die eine Zählung der Lagen an- deuten. Die höchste Ziffer ist 26 uud in Wirklichkeit constatireu wir heute eben so viele Lagen im Codex, aber dieselben sind so ungleich au Umfang und so künstlich uud äusserlich zusammengestellt, dass man in dieser Zählung gar kein System ünden kann.

Unsere Handschrift beginnt eigentlich erst mit der dritten Lage f<»l. 15 22, denn die zweite fol. IJ 14 ist das Fragment des ältesten Traditionscodt'X und die erste fol. 1 8 gehört in ihrer jetzigen Form nicht der ursprünglichen Anlage au, sondern ist zur Zeit des Einbin- dens, etwa zu Beginn des 16. Jahrhunderts, mit Benützung von Per- gamentblättem anderer Lagen entstanden. Das äusserste Doppelblatt

') Kur in einem Ti-aditionsbuch einer anderen Gruppe ist mir eine ebenso behandelte Lage vorgekommen; der Salzburger Codex des Erzbischofs Friedrich (Cod. Nr. 339 des H. H. u. St.-Arch. in "Wien) zeigt gleichfalls von fol. 5—10 durchaus radirtes Pergament, und die Urkunden Nr. 11 20- stehen also auf Hasur, was hiemit zur Beschreibung des Codex bei Hauthaler »Die Salzburger Traditionacodices des 10. und 11. Jahrhunderts' in Mittheil. d. Instit. 3, 71—73 nachgetragen wird; dass darunter auch nur Traditionen standen, scheint aus ein- zelnen noch erkenubai'en Worten duixhaus wahrscheinlich.

Studien zu den Tvaditionsbüchern von S. Erameram in Regensburg. 15

l'ol. 1/8, das aus der siebenten Lage entnommen ist, bildet den Um- schlag für den Ternio fol. 2 7 , der, durchaus von einer Hand des beginnenden 16. Jahrhunderts geschrieben, folgende Theile entljält: fol. 2 4 ein theihveises Verzeichnis über die im Codex enthaltenen Urkunden, fol. 5 den Katalog der Aebte von S. Emmeram, fol. 6 Ur- kundenabschriften Nr. 6 14 und fol. 7 den Katalog der Bischöfe von Kegensburg. Diese Blätter zeigen durchaus aufgerauhtes Pergament, an mehreren Stellen lässt sich auch deutlich noch die frühere Schrift erkennen. Schon K.oth, der wenigstens diese erste Lage untersucht hat, sagt: ,es standen Schenkungen aus dem 12. Jahrhundert da** (4, 4G). Doch das ist nicht ganz richtig und bedarf einer präciseren Bestimmung. Die Blätter stammen nicht aus einer und derselben Lage, sondern es gehörten fol. 4 und wahrscheinlich auch 5 ursprünglich der fünften an, also dem ältesten Theile des Codex, der noch Urkunden aus dem Ende des 10. Jahrhunderts enthält, was, wie es sich aus inneren Gründen ergibt, so auch durch die Uebereinstimmung in Schrift imd Linienschema äusserlich erwiesen wird. Auf dem Doppelblatte 3/6 lässt sich auf der Kückseite von fol. 6 eine Urkunde fast noch vollkom- men entziffern, die der Zeit des Abtes Engilfrid 1132 1143 angehört. So bieten uns gleich die ersten Blätter ein Bild der regellosen Ver- bindung der Lagen und Blätter, die den Codex im gauzen charakterisirt. Die Frage, die uns nun zu beschäftigen hat, ist die nach der Ent- stehungszeit. Zu diesem Behufe müssen wir den Beginn des Codex näher betrachten. Die vierte, fünfte und sechste Lage euthalten durch- aus nur Urkunden aus der Zeit des ersten selbständigen Abtes von S. Emmeram, Eamwold, der vom Jahre 975—1001 dem Kloster vor- stand. Wir nehmen hiebei eine Arbeitstheilung der Art wahr, dass im wesentlichen drei Schreiber selbständig und jeder in seiner Weise mit einer gewissen Sorgfalt ein Heftchen anlegte und zu Ende führte ; erst der letzte von ihnen liess sich gegen Schluss seines Heftes von anderen Schreibern unterstützen. Dabei sind alle drei Lagen sehr verschieden in ihrem Aussehen. Der erste Quaternio fol. 15—22 mit den Nr. 32 49 (Pez Nr. 1 1 28) bildet in Schrift (nur das letzte Stück ist von einer zweiten Hand), Liniament und Ausstattung ein einheitliches Ganzes, es stellt sich als eine Keiuschrift dar, wofür denn auch die schön geformten, grossen, die Breite von 4 Zeilen umfassenden und mit rother Farbe ausgefüllten Initialbuchstaben bei jeder einzelnen Urkunde sprechen. Die folgende Lage ist ein Ternio fol. 23—28 mit den Nr. 50—79 (Pez Nr. 29 36 und Wittmann 1—17, einige sind ungedruckt). Von der vorhergehenden unterscheidet sie sich in mehreren Punkten; die Sclirift durchaus eine und dieselbe Hand zeigt diesmal einen

16 B retholz.

schwerftilligen Charakter, ist aber mit der des vorigen Theiles gleich- zeitig; sodann fehlt die Einheitlichkeit im Liniament; jedes Doppelblatt hat andere Zeilenzahl. Dagegen bleibt, wie die Schrift, so auch die Ausstattung durch die ganze Lage gleich. Die üeberschriften dieser dreissig Stücke, der Anfang derselben, die Ankündigungsformel für die Zeugen, gelegentlich auch noch andere Stellen sind mit Minium ge- schrieben und mit grüner Farbe breit belegi; also eine verhältnis- mässig seltene und auffallende Ausstattung, die auch auf diese Lage beschränkt geblieben ist. Dass in der nächsten, fünften Lage mit den Codexnummern 80 102 ^) vor allem die Schrift häufiger wechselt, wurde schon gesagt; dass iu diesen Quaternio zwei Blätter, fol. 32 und 33, nicht hineingeboren und schliesslich auch nicht zu einander passen, also aus verschiedenen Lagen zufälhg hier eingebunden wurden, macht uns nur aufmerksam, dass hier wieder eine Lücke ist, die wir durch Einfügung der schon erwähnten fol. 4 und 5 richtig auszufüllen glauben ; nicht immer ist die Reconstruction so schnell hergestellt. In seiner Ausstattung zeigt der Ternio nichts auffallendes ; es ist die ein- fachste von den drei Lagen.

Trotz der Verschiedenheit der Hände zeigen sich bei diesen kalli- graphischen Zügen durchaus die Merkmale der Schrift des späten 10. Jahrhunderts, so in den Formen der Mittelschäfte, die im allge- meinen noch immer spitzig und nach liuks abgebogen auslaufen, ferner darin, dass die Oberlängen noch merkhche Verdickung und ebenso wie die Unterlängen nur gauz unbedeutende Spuren von Ansatzstrichen zeigen; das noch spärliche Vorkommen von „e" mit der Schlinge und das nur vereinzelte Erscheinen von rundem „s" am Ende der Worte macht gleichfalls eine spätere Zeitgrenze unwahrscheinlich. Eine der- artige Reinschrift setzt natürlich eine gewisse Fähigkeit und regen Sinn für Anlage von Schriftwerken voraus; nun ist aber S. Emmeram zur Genüge als eine Stätte bekannt, wo die Sckreibekunst seit den Zeiten Karlrf des Grossen geübt wurde, wo Copiren und Abfassen von Büchern zu den hauptsächlichsten Beschäftigungen der Mönche gehörte. Gerade aus der Zeit des Abtes Ramwold und seines Gönners und Freundes, des Bischofs Wolfgaug, sind uus mehrere Belege für die schriftstelle- rische und wissenschaftliche Bethätigung im Kloster erhalten-). Neben diesem allerdings wichtigsten Moment der Zeitbestimmung aus der Schrift kommt noch eine Reihe innerer Gründe in Betracht, die eben-

') Die davon bei Pez oder Witt manu gedruckten Stücke sind aus chrono- logi.schen Gründen an verschiedenen Orten eingereiht. «) Vgl. hierüber .lanner

1, 373 ff.

Stnclien zn den Traditionshücliem von 8. Emmeram in Kegensburg. "[7

falls für diese Entstehungszeit sprechen. Fragen wir zunächst nach der möglichen Yeraulassung für die Anlage eines solchen Werkes. Es ist bekannt, dass S. Emmeram ursprünglich ein Kathedralkloster war, und vollständig unter der Leitung des jeweiligen Bischofs von Eegens- burg stand, der zugleich Abt von S. Emmeram war. Diesem Zu- stande, der mancherlei Mishelligkeiten zur Folge hatte und durch den das Mönchwesen besonders litt, machte der Bischof Wolfgang (972 994) ein Ende. Er berief seinen Freund Kamwold aus S. Maximin in Trier, machte ihn zuerst zum Probst, bald aber 975 zum selbständigen Abte des Klosters S. Emmeram. Gleichzeitig mit der Nominirung eines eigenen Abtes und der Loslösung des Klosters vom Bisthum wurde nothwendigerweise auch eine Abrennung der Güter vorgenommen ^). War nun auch anfangs das Verhältnis zwischen Bisthum und Kloster oder sagen wir richtiger zwischen Bischof Wolfgang und Abt Ramwold ein durchaus friedliches, ja freundschaftliches, so lag es doch im Interesse der Mönche, gegenüber den Kanonikern, die von Haus aus mit dieser That ihres Bischofs nicht zufrieden waren, fortan ihren Besitz und die ihnen zu Theil werdenden Schenkungen an Land und Leuten in Evi- denz zu halten. Aus der Persönlichkeit des Bischofs sowohl als des Abtes, aus den historischen Ereignissen, mit einem Worte aus der Lage der Verhältnisse lässt es sich begreifen, dass gerade schon unter Ram- wold der Gedanke gefasst wurde, ein Traditionsbuch, das ausschliess- lich für den Besitz des Klosters bestimmt war, anzulegen und fortzu- führen 2). Kommen wir nun auch noch auf einen ganz äusserlichen Umstand, der aber doch sehr in die Wagschale fällt; ich habe schon von der Ausstattung gesprochen und kann noch hinzufügen, dass kein Theil des ganzen Codex je wieder mit soviel äusserem Schmuck aus- gefühi't würde, wie gerade die ersten drei Hefte, die die Urkunden des ersten Abtes Ramwold enthalten. Während der Regierungszeit des Abtes ist die Ausführung einer solchen Arbeit viel wahrscheinlicher, als in späterer Zeit, so und so viele Jahre nach seiuem Tode, wo man mit den Nachtragungen lediglich einen praktischen Zweck ver- folgte.

') Wir sind über diese Verhältnisse quellenmässig nicht genügend unter- richtet vgl. Janner 1, 358 fF. -) Es scheint, dass wir nicht oft in der Lage sind die unmittelbare Veranlassung für die Entstehung dieser Bücher nachzu- weisen; beim Mondseer Traditionscodex hat Hauthaler (»Der Mondseer Codex tra- ditionum'^ in den Mittheil. d. Instit. 7, 225) den Grund für die Entstehung der Sammlung unter Abt Hitto (878 894) darin gefunden, dass ihm durch Ueber- weisung der Aljtei im Jahre 883 als Abt eine bestimmtere und festere Stellung zuerkannt wurde.

MittheiluDgen XII. 2

18

B r e t h 0 1 z.

Was Kedlich schon über die Anlage dieses Theiles gesagt hat, dass nämlich die von c. 970—1050 erhaltenen Traditionen alle erst nachträglich in den Codex abgeschrieben sind (p. 27), in dem Sinne nämlich der Gegenüberstellung von nachträglicher Zusammenstellung und unmittelbarer Eintragung, dafür ergibt sich ein untrügliches, wenn auch absonderliches Kennzeichen. Es wurde schon bemerkt, dass die achtzehn Urkunden des ersten Heftes mit prächtigen Initialen beginnen ; hiebei hat sich der Schreiber, wenn ich so sagen darf, einen Scherz erlaubt : Ab initio enim . . . beginnt die erste Urkunde Nr. 32 (Pez Nr. 11 ff.), Bona ex autiquis . . . die zweite, Cognoscat igitur ... die dritte, und so geht es in alphabetischer Ordnung ohne jeden Sprung fort, selbst die littera K erscheint mit fraglicher Berechtig-ung in dem Incipit : Karta pandente . . . , bis die achtzehnte Urkunde mit dem An- fange : Sapienti usi . . . die Lage abschliesst. Die anfangs naheliegende Erwartung, irgendwo im Codex die Fortsetzung zu finden, bestätigte sich nicht und das Blatt 34, wo allerdings eine Urkunde Nr. 96 mit ähnlich ausgeführter Initiale ,¥" erscheint, gehört gewiss nicht zu dieser Anlage. Schliesslich braucht man deshalb nicht an einen Ver- lust mehrerer Blätter zu denken, die schöne Arbeit gedieh eben nicht weiter.

Ich glaube nicht, dass jemand in dieser Eigenthümlichkeit ii-gend welchen besonderen Sinn und Zweck, etwa eine Controlle wird erblicken wollen; es ist nichts mehr und nichts weniger als ein geistloses Spiel des Schreibers, das uns aber recht zu Statten kommt. Denn es ist wohl ganz ausgeschlossen, dass man sich im Kloster bei der Ausstel- lung der Einzelurkunden von einem derartigen Gedanken leiten Hess; der Scherz ist doch überhaupt nur bei einer Zusammenstellung in einem Buche bemerkbar. Damit ist aber von vornherein die Annahme einer nachträglichen Eintragung sicher; was sich über das Verhältnis der Vorlagen und Abschriften zu einander daraas ergibt, darüber später. Also einerseits Anfertigung des Codex zu Lebzeiten des Bischofs, anderer- seits nicht unraittell)are Eintragung, sondern planmässige Zusammen- stellung von Zeit zu Zeit.

Verfolgen wir den weiteren Verlauf der Eintragungen, so nehmen wir wahr, dass dieselben zunächst in chronologisch genauer Folge fort- geführt sind. An die Aktaufzeichuungen aus der Zeit Kamwolds reihen sich die seiner Nachfolger. Von Abt Wolfram, der 1001 die Leitung des Klosters übernahm, aber schon 1006 abgesetzt vnirde, sind nur zwei kurze Eintragungen, Nr. 103 und 104, vorhanden^). Die sicherlich

') M. G. öö. 1,04. Die Annaleu von 8. Emmeram zum Jahre 1006 : »Wolf-

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg. \ 9

unruhige Kegierung, hervorgerufen durch den Gegensatz zwischen den Bestrebungen der Mönche die erlangte Selhstäudiglceit zu wahren, und dem Wunsch der Kanoniker und des Bischofs es war damals Geb- hard I. (995 1023) den ehemaligen Einfluss auf das Kloster wiec'er zu erlangen, war der Vermehrung des Klostergutes nicht förderlich. Sehr reichhaltig ist dagegen das Material unter Abt Eicholf oder Ki- chold (beide Schreibweisen finden sich im Codex), der von 1006 1028 das Kloster leitete. Eine genaue Grenze aber zwischen den Eintra- gungen der Akte zweier aufeinander folgender Aebte anzugeben, ist man bei diesem Codex nur sehr selten in der Lage. Es wird mit den Stücken des neuen Abtes keine neue Lage begonnen, kein Abschnitt, nicht einmal der üebergang durch eine üeberschrift kenntlich ge- macht. Wo wir plannitässige nachträgliche Sammlung der Akte vor- aussetzen können, stützt man sich am besten auf den Wechsel der Hände. Leider constatirt man gerade bei diesem Codex, wie auch Redlich ^) schon hervorgehoben hat , bei den Traditionen der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts fortwährenden Wechsel von Hand, Tinte und Zug, wo gleichwohl wegen anderer Umstände spätere Nachtragung stattgefunden haben muss. Somit bleibt uur übrig, aus dem Inhalt der Urkunde auf die Zugehörigkeit zu schliessen; bei den kurzen in- haltsarmen Kotizen ist eine genaue Bestimmung überhaupt nicht mög- lich, und man muss sich bescheiden anzugeben, in welchem Stücke der eine Abt zum letzten Male und in welchem sein Nachfolger zum ersten Male genannt wird. Eicholfs Traditionen beginnen also in der sechsten Lage und reichen noch in die achte hinein, wahrscheinlich bis Nr. 188 auf fol. 56. Die einzelnen Hefte und Blätter zeigen aber nicht mehr die Einheitlichkeit in der Anlage, wie der frühere Theil unter Ram- wold. Vor allem fehlt eine auffälligere gleichmässige Ausstattung, höchstens haben die meisten Stücke kleine rothe Anfangsbuchstaben. Eine grössere Zahl von Schreibern theilt sich in die Arbeit, mit einan- der abwechselnd und sehr ungleich stark beschäftig-t ; wir beobachten, dass von mancher Hand viele, von einer andern nur wenige Akte ge- schrieben sind; auch im Liniament zeigt sich keine Kegelmässigkeit. Die verschiedenen Hände schreiben aber durchaus eine feste schöne Minuskel. Sprächen allerdings solche Momente sehr für unmittelbare

rammus iniuste deponitur et Richotfus substituitur*. Hier, wo Wittmann Cod. n. 104 Ed. n. 82 als einen Nachtrag aus der Zeit des Abtes Rupert (1070—1095) bezeichnet, und in anderen Fällen, wo ich mit der Einreihung der einzelnen un- datirten Stücke bei Pez oder Wittmann mich nicht einverstanden erkläre, bin ich gleichwohl nicht in der Lage, meine Gründe in diesem Aufsatz zu detailliren. ») 29 Anra. 3.

2'

20 B r e t h 0 l z.

Eintragung, so ersieht man schon aus dem Zusätze „bonae memoriae" bei den Abtnamen in einzelnen Urkunden, dass wir es wohl nur mit späteren Zusammenstellungen zu thun haben.

Eigentlich sind die ersten zehn Lagen bis fol. 75 verhältnismässig gut erhalten, aus den einzelnen Quaternionen fehlen allerdings Blätter, doch die Schichtung der Lagen ist die ursprüngliche und manche Lücke lässt sich leicht ausfüllen. Aber hier beginnt das eigentliche Chaos und umfasst die folgenden sieben Lagen. Sie vollkommen zu recon- struii-en wird wohl kaum je möghch werden. Es kann nun nicht blosser Zufall sein, dass gerade in der Zeit, in der die an und für sich schlecht überlieferte Abtreihe ^) dieses Klosters gleichsam ganz im Sande verläuft, auch der Traditionscodex die grösste ünordnimg aufweist. Es ist die Zeit der Eegierung der Aebte Pabo, Eeginhard und Engilfrid von 1095 1143, in welcher Pabo dreimal nach langwierigen Pro- cessen gegen seine Gegenäbte zur Regierung gelangt. Dieser Theil des Codex ist in seiner äusseren Erscheinung das wahrhaftige Spiegel- bild der Zeitperiode, der er seine Entstehung verdankt: alles in Ver- wirruno-, eine Menge von Urkunden auf radirtem oder gewaschenem Pergament, daher ältere Stücke getilgt, für ungiltig erklärt, oifenbar auch ganze Blätter eliminirt. Hier wechseln auch protokollarische Notizen mit nachträghchen Abschriften und der Grundsatz, in chrono- logischer Folge einzutragen, wird und muss unter solchen Umständen ganz ausser Acht gelassen worden sein.

Mit dem Tode Pabo's und dem Regierungsantritt seines Nachfol- gers, des Abtes Berthold L (1143—1149), herrscht in S. Emmeram wieder vollkommene Ruhe und Ordnung. Die Hefte, die die Urkun- den dieses Abtes enthalten, ül)erraschen uns durch Einheitlichkeit und Sauberkeit; die Schrift ist durchaus gleichmässig und sorgfältig; die Anfangsbuchstaben sind wiederum grosse mit Minium ausgefüllte Ini- tialen. Nach fast fünfzigjähriger Unterbrechung durch die inneren Wirren fand man jetzt auch wieder in der Schreibstube Müsse zum Arbeiten. Von nun an haben wir ausschliessUch nur nachträgliche Sammlungen. Der Schlusstheil des Codex von fol. 139 angefangen, ist auch wieder weniger lückenhaft, nur hat hier eine leicht zu ver- bessernde Verschiebung der Lagen unter einander stattgefunden. Die richtige Folge wäre nämlich die, dass sich au fol. 154 104 fol. 139 153 als Schluss anreihten. Die Lagen befanden sich auch wirklich

') Den letzten Versuch, dieselbe wieder herzustellen, danken wir P. Bened. Braunmüller: .Die Reihe der Aebte von Ö. Emmeram in Regensburg* in Studien u. Mittheil. a. d. Bened.-Orden 4, 118.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg:. 21

einmal in dieser Ordnung, wie sich aus der unteren Foliirung zeigt. Der Grund dieser Verschiebung ist unwesentlich, die sechs Lagen fol. 154 194 haben kleineres Format, während fol. 139 153 dieselbe Grösse hat, wie der ganze vorhergehen de Theil des Codex.

In diesen letzten Lagen haben wir, von einzelnen Nachträgen aus früherer Zeit und falsch eingefügten Blättern abgesehen, zunächst die Sammluug der Urkunden der Aebte Adalbert I. (1149 1177) und Be- rengar II. (1177 1201), die sehr umfangreich ist und daher auf ziem- licher Vollständigkeit beruhen wird, in den Blättern 160 194. Dieser Theil ist auch in palaeographischer Hinsicht sehr interessant ; es wech- seln nämlich mehrmals cursive und feste Bücherschrift, jede von ganz ausgesprochenem Charakter und doch von demselben Schreiber ge- schrieben. Denn der Uebergang von der einen Schriftart in die an- dere ist ganz allmählich und mitten in einer Urkunde vorgenommen, so bei Nr. 788 (Wittmann n. 186) auf fol. 165; da sieht man, wie die kleinen Buchstaben sich dehnen, die runden Formen gerader, da- gegen die spitz auslaufenden Schäfte gleichmässig und unten stumpf werden und durch Ansatzlinien eine Abgrenzung erhalten. Einige Worte hindurch dauert dieses Schwanken, dieser Uebergang und in der folgenden Zeile haben wir die ganz andere Schriftform in ihrer Vollkommenheit ausgebildet; einige Zeilen lang hält dieser Charakter an und wandelt sich dann in der umgekehrten Weise wieder in die Cursive um.

Weniffer Einheitlichkeit zeigt dann der Schlusstheil fol. 139 153 wie in Schrift, so auch im Inhalt. Waren nämlich ursprünglich diese Lagen für den Schluss der Urkundenabschriften des genannten Abtes Berengar IL und solche seines Nachfolgers Eberhard IL (1201 1217) bestimmt, so hat man hierin keine genaue h^cheidung gemacht und auch noch Stücke Bertholds IL (1219 1235) eingeschoben, dessen Traditionsheft wir sofort in dem nächsten Codex kennen lernen werden. Es fehlt uns mithin nur noch der zwischen Eberhard und Berthold von 1217 bis 1219 regierende Abt Udalrich IL Auch dessen Urkun- den begann man abzuschreiben ; auf der Kückseite des letzten Blattes fol. 153 hat man den Anfang in sehr kenntlicher Weise gemacht, denn die Urkunde Nr. 756 (Wittmann Nr. 280) daselbst ist mit einer auffallend schönen Initiale „I" begonnen; die beiden folgenden Num- mern 757 und 758 (ungedruckt) gehören auch noch ihm an und dann haben wir noch die ersten Worte eines weiteren Stückes, das aber der Schreiber nicht mehr vollendet hat. Schliesslich best man auf diesem Schlussblatte quer über die Seite geschrieben die Notiz: „Et ego Ul- ricus Scolaris Schirliugarii (Lücke) diligenter manda[vi]", doch könnte

22 B r e t h 0 1 z.

ich nicht feststellen, wer dieser Ulricus war. Das ganze Aussehen dieser Seite zeigt, dass sie längere Zeit ohne Schutz die letzte gewesen ist, und wir werden daher in dieser Lage den wirklichen Abschluss dieses Codex zu erkennen haben.

5. Der Codex traditionum saec. XIII et XIV.

Unter diesem Titel befindet sich in der Hof- und Staatsbibliothek zu München (Cod. 14992 alt Z. 19) das letzte Glied der Gruppe. In- soweit mir die Litteratur bekannt ist, warZirngibl, als er im Jahre 1800 seine , Abhandlung über den Exemptionsprozess des Gotteshauses S. Em- meram mit dem Hochstift Eegensburg 994 1325 ■' verfasste^), der letzte, der diesen Codex beachtete; seither scheint dieses reichhaltige Buch, das für die Geschichte des Klosters, für dessen wirthschaftliche Verhältnisse viel wichtiges ürkundenmaterial enthält, unbeachtet ge- blieben zu sein. Es ist ein in Pergamentblätter eingeschlagener Folio- band mit 87 Blättern, in dem Pergament- und Papierlagen bereits wechseln. Vorgeheftet sind dem eigentlichen Codex zwei selbständig entstandene Lagen ; die eine , ein Quaternio , dem aber zwei Blätter fehlen, erinnert in der Grösse seiner Pergamentblätter durchaus an den Codex 5 V2 1 dessen Fortsetzung er auch inhaltlich bildet. Die zweite Lage, die aus fünf kleinen Octavblättchen besteht, ist das Fragment einer eigenen Sammlung von Urkunden, die durch die Aufschi'ift: Qua- ternus rescripti privilegiorum infirmarie sub Haertwico infirmario, näher bestimmt wird.

Die folgenden neun Lagen von fol. 12—64 bilden den eigent- lichen Codex, doch kommen als Schluss noch zwei Quaternionen hinzu, die wieder verschiedenes Format haben. Immer und immer wieder zeigen sich auch in diesem Buche grössere und kleinere Lücken und aus einer älteren li'oliirung der Blätter lässt sich schon ersehen, dass derselbe einst statt 87 folia deren 130 enthalten hat.

Die im Codex sich vorfindenden Urkunden umfassen die Eegie- rungszeit der Aebte von Berthold II. (1219 1235) bis auf Adalbert IL (1324 1358). Von letzterem finden sich allerdings nur Stücke aus den ersten Jahren bis 1329, aber dieser Abschluss ist bezeichnend, denn er flillt zusammen mit der Beendigung des mehr als drei Jahr- hunderte dauernden Processes des Klosters gegen die Ansprüche des bischöflichen Stuhles, der durch das päpstliche Breve Johanns XXII. vom 12. Januar 1327 entschieden wurde^). Mit ihrem Beginne schliesst sich dagegen die Sammlung unmittelbar an die des vorigen Codex an.

') Erschieuea in deu .Verhandlungen der bair. Akad. der Wissenschaften* 1, 1803. ■') Janner 3, 170.

Studien zu den Traditionsbücliern von S. Emroeram in Regensburg. 23

Nun zeigt sich aber sehr bald, dass dieses als Codex traditionum bezeichnete Werk eigentlich einen falschen Namen trägt. Die Haupt- masse der in diesem Buche verzeichneten Urkunden sind eigentlich förmliche Abschriften, wobei man sich gelegentlich mit Kegesten auch begnügte, somit haben wir es der Anlage nach mit einem Copialbuche zu thun, in das aber nicht die bunte Menge der Urkunden eingetragen wird, sondern nur eine bestimmte Art. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, betreffen sie nämlich Vergabungen von Klostergut gegen jähr- liche Zinsleistung an verschiedene Personen, und somit würde nach unserer Terminologie die Bezeichnung eines liber ceusualis " für diese Sammlung eher passen i). Der Aussteller dieser Urkunden ist der je- weilige Abt des Klosters, so dass wir hier die Copien der im Kloster ausgestellten und ausgegebenen Urkunden vor uns haben, also ein Copialbuch des Auslaufs.

Die Benennung Codex traditionum, die sich auf dem Umschlag selber vorfindet, ist aber trotzdem nicht ganz willkürlich; im ersten Quaternio finden sich in der That noch mehrere Stücke, die reine Traditionen sind , so Nr. 1 eine donatio , Nr. 2 eine traditio von Censualenfamilien. Die ganze grosse Veränderung in den Kechts- anschauungen und Eechtsformen , die im Verlaufe der letzten zwei Jahrhunderte eingetreten , lässt sich- darin erkennen , wenn man be- obachtet, dass im 11. und 12. Jahrhundert für die Uebergabe von Per- sonen zur Zinsleistung kurze Notizen im Traditionsbuch als das ein- zige Zeugnis genügten, während im 13- über dieselbe Handlung förm- liche Urkunden mit Siegel und Zeugen ausgefertigt werden.

Neben den Traditionen treten aber sehr bald Aufzeichnungen an- derer Art heiTor; so treffen wir ein Verzeichnis von Lehen und Ein- künften des Klosters, bei einer Urkunde haben wir den Fall, dass die Tradition eines Gutes an das Kloster und die Vergabung desselben von Seiten des Klosters vereinigt sind ; hierin eben liegt die Verwandtschaft des Traditionsbuches mit dieser Sammlung; ohne dass es ausdrücklich gesagt wird, mag es sich oft so verhalten, dass die Güter, die den Personen als Zinsgut überlassen werden, zugleich von ihnen an das Kloster tradii-ter Besitz sind. Je weiter wir im Codex aber vorrücken, desto ausschliesslicher erscheinen diese reinen Vergabungsurkuuden. So bildet zeitlich und inhaltlich dieser Codex die Fortsetzung und den

') Daher dürfte auch dieser Codex in dem Katalog des Fnrstabtes Kraus, der als »Bibliotheca principalis et mon. ord. s. Bened. ad s. Emmer.* 1748 zusammen- gestellt ist, gemeint sein, wenn daselbst II. pag. 2 Nr. 534 citirt wird : Liber censualis mon. s. Emmer. Ratisb. continens redditus et proventus ac jura om- nium ac singulorum praediorum et possessionum monasterii antea dicti.*

24 B r e t li o 1 z.

Abschluss der Traditionsbücher von S. Emmeram. Es ist, als sollte der An- fang dieses Codex uns noch den Kampf, der zwischen Traditionsbuch und Copialbuch entstand und zum Nachtheil des ersteren ausging, vorführen.

II. rel)er doppelte Fassungen und Aiisfertiffiniffen ans dem S. Emnieramer Traditionscodex.

In diesen Büchern ist nun ein massenhaftes Material au urkund- lichen Aufzeichnungen überliefert; es dürfte in einer Gesammtedition die Zahl von 1400 Xunimern fast erreicht werden. Allerdings ist das- selbe sehr ungleich vertheilt, und auf die älteste Zeit ungefähr von der Mitte des achten bis zur Mitte des neunten Jahrhunderts entfällt nur ein kleiner Bruchtheil. Ln wesentlichen ist es jenes Dutzend Ur- kunden aus dem ältesten Traditionsbuch darunter zwei Drittheile noch dem 8. Jahrhundert augehörig wozu dann noch Stücke aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts kommen, die sich theils imKe- gensburger Copialbuch i) oder als von uns schon hervorgehobene Nachträge im Codex des Anamot vorfinden. Bietet sodann der Codex des Auamot für drei Jahrzehnte der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts eine ür- kundenmasse von fast ein und einem halben hundert Stück, so haben wir im 1 0. Jahrhundert mit Ausnahme der wenigen Urkunden aus der ersten Kegierungszeit Bischof Tutos nichts. Erst mit dem letzten Viertel desselben erhalten wir im S. Emmeramer Traditionsbuch eine durch lange Zeit gleichmässig reichlich fliessende Quelle.

Für die diplomatische Forschung ist dieses Material noch wenig benützt worden. Redlich hat ihm selbstverständlich die Berücksichti- gung angedeihen lassen, die in seiner das ganze bairische Urkunden- gebiet umfassenden Arbeit einem Theile gewährt werden konnte uud hat dadurch zu Specialuntersuchungen angeregt. Eine eingehende Untersuchung des Urkundenmaterials des Klosters S. Emmeram müsste nun freilich am geeignetsten im Anschluss an eine Gesammtedition ge- schehen ; da könnteu denn auch bekannte Grundsätze au neuem Mate- riale geprüft werden, da könnte mau in Folge der Aehnhchkeit und Verwandtschaft des Stoffes zu schon bekannten Folgerungen und Schlüssen gelangen und diese hiemit bekräftigen. In diesen kurzen Beiträgen aber wollen wir nur einige Beobachtungen wiedergeben, die, wie uns scheint, allgemein interessant und verwerthbar sind. Ich gehe von jenem Theile des Codex traditionum saec. X XIV aus, dem wir wegen seiner mehrfachen Eigenthünilichkeiten schon früher besondere Aufmerksamkeit schenken mussten, also von der Gruppe der Ramwold-

') Cod. S. Emmer. ö'/s im Münchner R. Arch. fol. 1—70,

»Studien zu den Traditionsbücheni von 8, Emmeram in Regensburg. 25

Urkunden. Es fiel uns in den drei Heftcheu einmal die .prächtige im f^anzen Codex nie mehr wiederkehrende Ausstattung auf, sodann im ersten noch, um es hier kurz zu sagen, die alphabetisch geordneten Anfänge. Daraus muss man aber nothwendig schliessen, dass diese Ab- schriften unmöghch genau mit den Origiualaufzeichnuugen überein- gestimmt haben; mindestens diese Eingänge müssen Zuthaten des Codexschreibers sein. Die Frage nach der Grenze dieser Verschieden- heit zwischen Vorlage und Abschrift, nach dem Verhältnis zwischen beiden liegt somit nahe genug. Es ist ganz zufällig, dass wir hier den Nachweis führen können, dass vollkommene Umarbeitung stattge- funden hat. Bei Vergleichung der Urkunden der Kamwoldhefte unter einander zeigt sich nämlich, dass fünf Stücke des ersten Heftes im zweiten wieder vorkommen, sie decken sich inhaltlich, aber sind im Wortlaut verschieden, es sind dies:

Cod. Nr. 40 und 65 Traditio Gozperti (Beil. I)

41 54 Perehtoldi II) 42 53 Gotascalchi III)

43 50 V Adalhardi IV) 44 51 eiusdem V).

Es sind bis zu gewissem Grade Duplicate, aber vergebens würde man versuchen, die verschiedenen Erklärungen, die für mehrfache Ausfertigungen oder Doppelurkunden bis nun gegeben wurden, auf diese Fälle anzuwenden. Ficker hat uns an einer Keihe von Beispielen die verschiedenartigen Veranlassungen für Ausstellung neuer Urkun- den vorgeführt 1) ; später hat noch v. Buchwald ausgeführt 2) dass ge- legentlich zu unlauteren Zwecken ungleiche Doppelurkunden denn von den mehrfachen gleichlautenden Verbriefungen können wir hier ganz absehen ausgefertigt wurden. Aber wir bemerken, dass in allen diesen Fällen die Verschiedenheit der beiden Fassungen auf ein Plus oder Minus in dem neuen Stücke besclu'änkt ist; von dieser bestimmten Zuthat oder Auslassung abgesehen, bleibt der Haupttheil des Stückes im übrigen identisch. Dagegen zeigen die fünf Urkunden- paare aus S. Emmeram durchaus abweichenden Text bei gleichem In- halt ; es sind im wesentlichen die nämlichen Gedanken in verschiedene Worte und Sätze gekleidet. Dies liesse etwa noch die Vermuthung auflvommen, dass eben in der formellen Gestaltung der beiden Fassun- gen der Grund der doppelten Ausfertigung liege ; Brunner '^) hat ja

1) Zusammenfassend Urkundenlehre I. 157— 159. ") Bischofs- und Fürsten- urkunden 430. 3) 2ur Rechtsgeschichte der romanischen und germanischen Urkunde 213.

op; Br et bolz.

aus dem fränkischen Urkundengebiet Beispiele gebracht, dass über ein und dasselbe Rechtsgeschäft Charta und ^S'otitia ausgestellt wurden. Da wir aber nur Notitiae in dieser Zeit haben, so könnten die bei- den Fassungen etwa zw ä verschiedenen Stadien der Handlung ent- sprechen. Abgesehen davon, dass Fertigung von Doppelakten von diesem Gesichtspunkt aus im Stadium der Xotitia fast widersinnig wäre, lässt sich auch bei noch so genauer Prüfung aus dem Wortlaut keinerlei Beziehunsr auf eine bestimmte Phase des Geschäftsverlaufes erkennen, auch nicht bei Xr. 41 und 54, wo allerdings Janner zwischen Delegation sbrief und Uebergabsbrief geschieden hat^).

Schon das muss bei den Doppelurkunden des Emmeramer Codex auffallen, dass sie nicht zerstreut vorkommen, dass nicht zufällig hier der eine, dort ein anderer Fall sich findet, sondern dass wir gleich einer geschlossenen Gruppe begegnen.

Ich sehe nun dieselben an als gleichwerthige doppelte Akte, die durch zweimalige selbständige Bearbeitung einer und derselben Vorlage von zwei verschiedeneu Schreibern entstanden sind. Es sind eigentlich -nicht Doppelurkunden, sondern doppelte Ueberarbeitungen. Versuchen wir daher durch Vergleichung der einander entsprechenden Stücke uns die gemeinsame Vorlage in ihrer ursprünglichen Form zu recon- struiren, so nehmen wir bald wahr, dass diese von den uns über- kommenen Fassungen wesentlich verschieden gewesen sein muss. Denn die Texte zeigen keinen gemeinsamen Kern an Worten, keinen gleichen Bau und entsprechende Disposition und diese Ungleichheit erstreckt sich auf die ganze Urkunde ausgenommen die Zeugenreihe; in dieser, und auch dies ist ein Beweis, dass die Fassungen sich auf ein und dasselbe Stadium beziehen, sind aber nicht allein die Namen vollkommen gleich, sondern sie folgen auch in der nämlichen Ordnung auf einander; be- zeichnenderweise ist aber nur in einem Falle die Formel für die Zeugen- einführung in den parallelen Stücken identisch. Nicht so klar und einfach steht es mit den in einigen dieser Traditionen vorkommenden Maneipieunamen ; eigentlich hätte man auch hierin vollkommene Ueber-

') I, 343. Man braucht aber blos den Hauptsatz aller formelhaften Wen- dungen entkleidet aus jedem der beiden Stücke herauszuziehen, um die Gleich- werthigkeit beider Fassungen klar zu sehen:

Nr. 41. ... Perahtolt . . . tiadidit in j Nr. 54. Perehtold . . . tradidit ad s.E. inanum Arponi.s . . . proprietatis ... ut | in manum Ariponis . . . predium . . . ut idem Arpo ... in ius et vestituram s. E. i ii.em Aripo traderet et vestiret ad aram presentare . . . non differret. Tunc . . . \ ». patronis, quod ita factum est cum Arpo cum manu prenotate domne ... 1 manu predicte matrone et filii eius Hein- et filii illius Heinrici tradidit. ] rici.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensburg.

27

einstimmung erwarten dürfen; diese constatiren wir aber nur in einem Falle, bei Kr. 40 und 65. In Nr. 41 und 54 werden beiderseits die vier „servi cum uxoribus ac liberis" nicht namentlich angeführt. Bei dem vierten Paar Nr. 43 und 50 sind die zehn Mancipieu zwar in der ersten, nicht aber in der zweiten Fassung genannt, wo es nur all- gemein heisst: mancipia decem probabilia. Das scheint mir nun im Zusammenhang zu stehen mit dem eigenthümlichen Verhältnis, das in den correspondirenden Stücken Nr. 44 und 51 bei den Mancipien- nanien obwaltet. Sowohl 43/50 als 44/51 betreffen Schenkungen des- selben Adalhard. Die gleiche Zeugenreihe in ^ir. 44 und 51 macht uns zunächst sicher, dass auch diesmal nur eine und dieselbe Hand- lung gemeint sein kann. Die Texte selber zeigen zwar keinerlei Wider - Spruch, aber sie sind doch in ihrer Ausführlichkeit mehr als sonst von einander verschieden ; das ist unwesentlich, wie sich noch zeigen wird ; auffallend und einer Erklärung bedürftig ist hingegen, dass die Na- men der Mancipien sich nicht decken. Diese Namen in Nr. 51 sind überdies in den leergebliebenen Eaum von anderer Hand oder in anderem Ductus erst später nachgetragen. Eben weil dieselben nicht gleichzeitig mit dem Text geschrieben sind, kann man in der Verän- derung der Mancipien auch nicht den etwaigen Grund der Neuausfer- tigung sehen ; aber folgender Vorgang dürfte das Verhältnis erklären i). Wir haben für die beiden Traditionen zwei Vorlagen anzunehmen, in denen ganz entsprechend der erstmaligen Verfügung des Traditors auch jene Mancipiennamen enthalten waren, die uns in Nr. 43 und 44 über- liefert sind; auf Grund dieser Vorlagen wurden die beiden Akte Nr. 43 und 44 im ersten Heft vom Schreiber A ausgearbeitet. Nach- her erfolgte durch Adalhard eine Veränderung in den zugehörigen Un- freien und zwar derart, dass acht der zu Eegiupoldinchova (Nr. 43) gehörenden Mancipien dem Gute Skiri (Nr. 44) zugewiesen wurden. In den Vorlagen selbst war es keineswegs corrigirt, als ein zweiter Schreiber

1) Der leichteren

Uebersi

cht 1

b alber

stell

e ich die Namen

der Maucipioi

zusammen :

Nr. 43: Adalpreht

Nr.

50

. ß

Nr.

44:

Uuillipato

Nr.

51

: Adalpreht

Alpiz

•rH

Alpheri

Linpili

Eiigilfrit

■1

Alauuich

Diotprcht

Uspirn

a

Folchsuind

Pernhart

Uuaupui'c

M

Lantolt

Perehtolt

Perahtolt

Alpheri

Alpi^

Tiorprelit

'o

i

n

Dietrih

Engilfrid

Liutker

Engiluuar

Kuodlouhe

Pernhart

Adalpreht

Trutmuot

Trutmuot

Euotpiriü

Uuaupurc

28 B r e t h 0 1 z.

B sich daran maclite , dieselben neuerdings zu bearbeiten : ibm war aber die Thatsache des Umtausches bekannt, als er das Stück Nr. 50 schrieb wie meines Erachtens diese Leute weit mehr gewusst haben, als wir ihnen zuzumuthen wagen. B. war es also bekannt, dass die Namen der Vorlagen nicht mehr die richtigen waren; das erste Mal half er sich damit, dass er statt der Namen die allgemeine An- gabe ,,mancipia x probabilia" machte; bei Nr. 51 aber, wo er der Vor- lage gegenüber in derselben Lage war, liess er zunächst Eaum frei, um sie nach eingezogener Erkundigung nachzutragen.

Kommen wir nun wieder auf die Hauptfrage, das Verhältnis der Texte unserer Akte zu der Vorlage zurück. Wir haben bisher gesehen, dass Zeugennamen immer, Mancipiennamen nicht mehr so consequent, aber im Falle der Aufzählung genau und ausführlich abgeschrieben wurden. In den Titeln, Attributen und Epitheta der Personen, in den Bezeich- nungen der Ortschaften besteht nun eine Ungleichheit, die beweist, dass die Schreiber sich nicht nach Vorlagen richteten, sondern nach eigenem Wissen diese Zuthaten machten. Adalhard wird in Nr. 43 als liber et predives urbis Eegie negotiator ", in der zweiten Fassung Nr. 50 lediglich als ,quidam ingenuus vir" vorgeführt und in der Ueberschrift daselbst als „centurio" bezeichnet. Berthold der Traditor in Nr. 41/54 heisst hier marchio comes " , dort de Orientah Francia comes " ; es lohnt kaum, alle Varianten aufzuzählen, nur mit Rücksicht auf Ortsnamen sei beispielsweise hervorgehoben, dass der Zusatz zu Ezzinga ,prope fluvium Alchmona" nur in der einen Fassung Nr. 40 steht, oder dass nur in Nr. 43 Reginpoldinchova als in pago Tuonah- gouue in comitatu Paponis " gelegen bezeichnet wird. Diese Verschie- denheiten sind begreiflich und übrigens nicht sehr bedeutend. Auffal- lender ist, dass meistens die an der Handlung mitbetheiligten Vögte nicht nur nicht gleichmässig aufgezählt werden, sondern in der einen Fassung genannt, in der andern übergangen werden i). Die Erklärung

') Nr. 41 : in manum videlicet abb. Ramuuoldi et advocati sui Hauuarti

^i^. 42 : in manum . . . Eamuoldi abb. et adv. sui faramunti in presentia totius congi-egatioiiis monachorum.

Nr. 43 : in manum ven. episcopi Uuolf- kangi et Kamnnoldi abbatis eorumque advocatoruni liuerinharti et Faramunti.

Nr. 44: in manum seil. Ramuoldi abb. et advocatoruni suorum Ymmonis et Hauuarti presentibus etiam fratribus.

Nr. 54: accipiente Ramuuoldo abb.

Nr. 53 : presente abbate Hamuoldo cum omni congregatione.

Nr. 50 : . . . tradidit in manus eius- dem episcopi et abbatis et Uuerinharti advocati ...

. . . e contra . . . accepit retradente episcopo et abbate advocati manu . . .

Nr. 51:

Studien zu den Traditionsbücliern von S. Emmeram in Regensburo'. 29

durch ungenaue Wiedergabe ist in diesen Fällen, wo es sich um ein Wort, respective einen Namen handelt, ganz unwahrscheinlich und es zwingt uns diese Wahrnehmung zur Behauptung, dass die Vorlagen diese Formel nicht enthalten haben und dass das, was in den Ur- kunden steht, nur aus der Erinnerung der Schreiber geschöpft sein kann. Erwähnt wurde bereits, dass die Formel der Zeugeneinführung eben- falls verschieden lautet, mithin in der Vorlage gefehlt hat. Grehen wir nun über auf die Hauptformeln, aus denen sich der Context zu- sammensetzt. Die Urkunden beginnen mit einer Publicationsformel und zwar pflegt der Schreiber der zweiten Keihe mit „Notum sit" oder „noverint" anzufangen, während der erste, dessen Urkunden mit ver- schiedenen Buchstaben beginnen müssen, absonderliche Anfänge sti- lisirt; aber auch hier constatirt man leicht, dass nur mit verschie- denen Worten dasselbe gesagt sein soll; so hebe ich hervor, dass bei Nr. 40 als Zeitpunkt der geschehenen Tradition des Gozpert beige- fügt wird, priusquam monachus fieret, was in Nr. 65 lautet: tempore monachice conversationis ; oder wir linden in einer Fassung Bemer- kungen hinzugefügt, die auf zufällige Kenntnis der Umstände und Verhältnisse schliessen lassen, so in Nr. 41: „eo quod magna detine- retur infirmitate, qua füngitur", dem in Nr. 54 nichts entspricht. Gewöhnlich wird nun vermittelst des Verbums „tradidit" derUebergang zur Dispositio gemacht, woran der Name des Heiligen, dem die Schen- kung vermacht wird, sich anschliesst, aber auch dieser Ausdruck „ad s. Emmeramum" erscheint in allen möglichen Spielarten. Die Privat- urkunde hat eben keinen so festen Bau und keine so bestimmte Dis- position und Anordnung ihrer Theile, wie die Königsurkunde und so zeig-t sich z. B. in der Anwendung der Pertinenzformel, die sich an den Namen des geschenkten Gutes anschliesst, auch wieder die möglichste Unregelmässigkeit. Die Formel findet sich überhaupt nur in wenigen Stücken, was als Beweis dienen könnte, dass sie den Vorlagen im allgemeinen abging oder höchstens in ganz kurzer Fassung darin er- wähnt war, etwa so, wie sie sich in Nr. 41 und 54 fast gleichlautend findet: cum mancipiis et omnibus rebus ad hoc iuste respicientibus (Nr. 41) cum mancipiis omnibusque rebus (Nr. 54). Den Fall, dass sich nur in einem der Parallelstücke eine Pertinenzformel findet, nicht aber in dem andern, zeigt Nr. 44 gegenüber Nr. 51. Andererseits ist wohl beachtenswerth, dass sich bei Nr. 40 und 65 in den beider- seitigen Pertinenzformeln fast ganz die nämlichen Ausdrücke finden, aber in verschiedener Verbindung und darunter Bezeichnungen, die nicht gewöhnlich sind, wie sagina oder niarca silve, woraus allerdings in Nr. 65 marca, silvis entstanden ist. Hier scheint doch wieder die

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Vorlage das eine und andere Wort enthalten zu haben. In derselben Urkunde findet sich sodann die Bestimmung, dass die fünf Mancipien erst nach Gozperts, des Traditors, Tode einen Zins zu zahlen haben und zwar 5 Denare entweder in Münze oder in Wachs; man könnte sicher sein, dass eine derartige Bedingung auch schon in der Vorlage enthalten war, und doch stimmt der Wortlaut in beiden Fassungen nicht vollkommen. An eventuellen anderen noch auftretenden Formeln, wie etwa die Poenformel, liesse sich nur dasselbe wahrnehmen. Fassen wir nunmehr die einzeluen Beobachtungen zusammen, so ist das Er- gebnis, dass wir als Vorlage ganz kurze auf das wesentliche beschränkte Notizen anzunehmen haben, nach denen unsere doppelten Urkunden völlig fi'ei ausgearbeitet sind. Wir haben aber auch eine solche Ori- ginalnotitia in getreuer Abschrift erhalten; Nr. 56 und 80 nämlich (Beil. VI) decken sich vollkommen im Wortlaut, können daher nach unserer Erklärung nur doppelte Copien der Vorlagen ohne weitere Ueberarbeitung vorstellen. Wie ist nun die Fassung dieses Stückes? Es beginnt mit einer geläufigen Publication: „Cognitum sit dei fide- libus", woran sich mit quod eingeleitet die Widmung reiht; der Tra- ditor hat allerdings Attribute, er ist religiosus nobilisque, dagegen finden sich beim Namen des Gutes keinerlei Ortsbestimmungen : La- gadeoödorf cum omnibus inibi maneutibus ; weder Pertinenz- noch Poenformel, sondern nur noch die Zeugennamen, die eingeleitet sind lediglich mit dem Schlagwort: festes. Das ist also ein Beispiel, wie wir uns diese Vorlagen vorzustellen haben, wobei natürlich auch in der beschränkteren oder ausführlicheren Fassung eine Verschieden- heit bestanden haben kann. Derartige Vorlagen haben wir walrr- scheinlich für alle in den drei Kamwoldheften überlieferten Urkunden anzunehmen ; es sind eben die Notitiae testium ebenso hier in Eegens- burg im allgemeinen Gebrauch, wie an anderen Orten und bei anderen Gruppen. Und wenn Redlich ganz richtig beobachtet hat, dass gerade unter Abt Eamwold neben den „gewöhnlichen Formen des Aktes ein- zelne Stücke erscheinen, die man wohl als Urkunden (notitiae) be- zeichnen kann" . . . ,.niit Arengeu , die an alte vor hundert Jahren viel gebrauchte Formeln anklingen" . . . , so glaube ich gezeigt zu haben, dass nicht nur die Arengeu, sondern die ganzen Fassungen bloss für das Traditionsheft bestimmt waren, den Originalaufzeichuungen aber nicht zu theil wurden; aber es war keineswegs Regel, den Akt umzuarbeiten, wenn man ihn ins Traditionsbuch eintrug, sondern mehr eine Art Stilübung und Stilprube; es bleibt ja gauz interessant, dass man in S. Emmeram eine so gute Kenntnis der alten Urkunden- formeln noch besass. Uebrigeus als blossen Schulzweck wollen wir

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die Sache auch nicht hinstellen ; die Umbildung geschah aus gutem Grunde. Denn gleichwie man zur Verschönerung des Codex Initialen zeichnete, Buchstaben, Worte, ja ganze Zeilen mit rothen und grünen Farben belegte, Eigenthümlichkeiten, die doch der Vorlage gewiss nicht zukamen , ebenso konnte ein Mönch in alterthümlichen , sinnigen Arengen, in Formelkram und Wortschwall ein würdiges Verzierungs- mittel sehen. Mehr bedeutet es aber nicht.

Eine andere eigenthümliclie Erscheinung an diesen Stücken Ijietet uns vielleicht die Möglichkeit, über die Entstehungsart dieser Heftchen eine Ansicht zu gewinnen und gleichzeitig einen ungefähren Einblick in das Archiv wesen des Klosters. Es muss nämlich aufiällen, dass die einander entsprechenden Urkunden in beiden Heften sich in umge- kehrter Keihenfolge an einander schliessen, man könnte sagen, in dem einen Heft in aufsteigender, im anderen in abfallender Reihe, also die Stücke Nr. 40, 41, 42, 43, 44 entsprechen

65, 54, 53, bO, 51. Das mag vielleicht Zufall sein, aber es liesse sich andererseits nicht unschwer eine Erklärung dafür geben. Waren die Vorlagen als einzelne Pergamentblättchen in irgend einem Behältnis übereinander liegend gesammelt, so mussten sie in Folge der Benutzung durch den ersten Schreiber in der der ursprünglichen Auf- einanderfolge entgegengesetzten weggelegt werden, wie das jedermann aus eigener Uebung kennt; das oberste Stück Nr. 40, das der Be- arbeiter A zuerst von dem UrkundenstoaS in die Hand nahm, kam nun zu Unterst zu liegen, darüber Blatt Nr. 41 und so fort, und der Schreiber B hatte die Vorlagen natürlich in der umgekehrten Ordnung; eine kleine Unregelmässigkeit ist hiebei vorgekommen, Nr. 50 und 51 haben ihren Platz gewechselt; ich erinnere aber daran, dass dies die zwei Stücke sind, in denen der zweite Bearbeiter die neuen Mancipien- namen einzusetzen hatte; die Urkunde, in der er die Namen auslässt resp. durch das ,,mancipia decemprobabilia" ersetzt, fasste er früher ab, als die, wo er wirklich die veränderten Namen nachgetragen hat.

Mit dieser verkehrten Folge hängt noch zweierlei zusammen. Wir bemerken, dass in dem einen Heftchen die Gruppe geschlossen er- scheint, Nr. 40 44, in dem anderen aber zwischen 50 und 51 eine Urkunde und zwischen 54 und 65 mehrere Urkunden erscheinen, die der erste Bearbeiter nicht aufgenommen hat; und wir müssen uns weiter auch fragen, warum die übrigen dreizehn Urkunden des ersten Heftes, das ja Nr. 32—49 umfasst, nicht auch im zweiten Heft vor- kommen und umgekehrt viele des zweiten im ersten fehlen ; mit einem Worte, warum die Coincidenz nicht vollkommen ist. Dass zunächst vom ersten Bearbeiter nicht alle Vorlagen berücksichtigt wurden, lässt

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sich schon daraus ersehen, dass er Nr. 40 mit den Worten anfängt: Isdem vero nobilis Gozpertus", während wir weder einer Urkunde dieses Mannes noch seinem Namen vorher begegnen. Der Grund aber, dass im zweiten Heft neue Traditionen hinzugekommen sind, scheint ziemlich einftich ; neu ist z. B. Nr. ,52, das ist aber eine Traditio einer ancilla Teotpurc; neu sind Nr. 54 64 und 66—79 (damit schliesst das zweite Heft) und auch diese sind, Nr. 55 und 56 ausgenommen, durchaus Traditionen von Personen und nicht von Gütern, Wir sehen, dass die beiden Schreiber einen verschiedenen Plan gehabt haben: der erste wählte sich lediglich die Schenkungen von Grundstücken und legte solche, welche Personenübergabe betrafen, bei Seite; die durch ihn bearbeiteten Vorlagen scheint er, da ihre Erhaltung nunmehr un- nütz war, überhaupt aus der Sammlung ausgeschieden zu haben; nur einige wenige hat er vielleicht zufällig aus Versehen, vielleicht aus Absicht in die Gruppe der noch aufzubewahrenden Vorlagen gelegt; so wurden sie mit den übrigen erhalten. Nach Verlauf einer ge- wissen Zeit, aber sicher noch unter der Kegierung Kamwolds, wurden wiederum die vorhandenen Akte, deren Zahl sich doch auch wieder vermehrt hatte, in ein neues Heftchen zusammengeschrieben. Diesmal machte der Schreiber keine Unterscheidung in dem ihm vorliegenden Material, sondern überarbeitete oder copirte, wie wir mit Kücksicht auf Nr. 46 = Nr. 80 sagen müssen, sämmtliche Vorlagen i). Aber auch diese Zusammenstellung umfasste nur das Material bis zu einem ge- wissen Zeitpunkt und so kam es noch ein drittes Mal unter Eamwold zu einer Uebertragung der Einzelakte in ein gemeinsames drittes Heft, das uns aber nicht mehr in seinem m-sprünglichen Bestand erhalten ist, sondern zu dem nur die Codex Nr. 80—86, 96 100 und 102 ge- hören. Wiederum hat man sich auf Schenkungen von liegendem Be- sitz beschränkt, Traditionen von Personen kommen nicht vor. Ihrer ganzen Fassung nach müssen auch diese als Bearbeitungen der ur- sprünglichen Vorlagen im Gegensatz zu wörtlichen Abschriften ange- sehen werden.

Darunter findet sich nun auch eine Urkunde, die vielleicht die

') Die Annahme, dass wie Nr. 56 auch die übrigen Stücke des zweiten Heftes getreue Abschriften der Vorlagen seien , ist unwahrscheinlich , denn die zweiten Fassungen jener Doppelstücke sind keineswegs immer kürzer und ein- facher als die ersten, z. B. Nr. 65 ; auch spricht dagegen, dass Angaben, deren Andeutung wenigstens in der Vorlage vorauszusetzen ist, hie und da in der zweiten Fassung ganz fehlen, schliesslich raüsste man dann eine Fassung und iStilisirung der Uriginalakte annehmen, die bald weitläufig, bald möglichst präg- nant, also ganz imgleichmässig war, was ganz unwahrscheinlich ist.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmerani in Regensburg. 33

wichtigste der in diesem Traditionsbuch enthaltenen noch unedirten Urkunden ist, ebensowohl historisch beachtenswerth, wie nicht minder für den Diplomatiker von Interesse, und die dennoch von Pez und Wittmann übergangen wurde; es ist die , Traditio Heinrici ducis et Judithe matris eins' (Beil. VII). Pez wäre zu entschuldigen, denn er mochte sich erinnert haben , aus dem S. Emmeramer Copialbuche, das den ersten Theil jenes Codex öVa des k. b. Reichsarchivs bildet, der aucli das Werk Anamots enthält, eine sachlich fast gleich werthige Urkunde als „Traditio venerandae ac sanctimoniaKs faeminae Juditae" abgedruckt zu haben. Uns erscheint es aber gerade wichtig, von einer Urkunde zwei verwandte Fassungen zu besitzen^).

Das Verhältnis zwischen den beiden Fassungen und der Grund der doppelten Ausfertigung ist in diesem Fall ganz anders, als in den vorhergegangenen. In der ersten Urkunde gibt Judith das Gut Eiterhofen dem Kloster unter Vorbehalt eines lebenslänglichen Nutz- genusses für ihren Bruder Ludwig und sich. Nach dem Text der zweiten Urkunde des Traditionsbuehes ist Ludwig bereits als verstorben anzunehmen. Judith wiederholt darin die Schenkung, überlässt aber das Gut sofort an S. Emmeram, verzichtet also jetzt auf den ihr bei der früheren Abmachung bedungenen Nutzgenuss; daher die neuer- liche Beurkundung. Nicht in dem thatsächlichen Verhältnisse, sondern in der formalen Verschiedenheit der beiden Urkunden liegt aber sodann eine Eigenthümlichkeit dieser Doppelurkunde. Die erste Fassung ist nämlich objectiv, die zweite dagegen subjectiv, eine in dieser Periode an und für sich seltene Erscheinung, erklärlich allenfalls dadurch, dass

') Aus der Fassung des Traditionsbuches ergibt sich zugleich unzweifelhaft, dass Ludwig Judiths Bruder und nicht ihr Sohn gewesen i&t. Wir müssen selbst- verständlich die Urkunde als besseren Zeugen anerkennen, als den einheimischen und fast gleichzeitigen Schriftsteller Arnold , der von diesem Akte spricht und die Worte gebraucht: Judita . . . pro se suisque filiis Hludowico atque Hein- rico (MG. SS. 4. 571). Wenn also Braunmüller (Verh. des bist. Vereins f. Nieder- baiern 17. 135 Anm. 1) und Janner (1. 361 Anm. 1) den Wortlaut der bisher allein bekannten Urkunden mit Rücksicht auf die Stelle bei Arnold in dem Sinne auszulegen suchten, dass Ludwig als Bruder Heinrichs genannt sei, so geschah es nicht ganz ohne Grund. Unrichtig und missverstanden scheint mir aber, wenn sie Arnold als Zeugen auch dafür anführen, dass die Schenkungsurkunde der Herzogin Judith von B. Gebhard von Regensburg gefälscht sei. Der Satz, auf welchen sie sich berufen, ,,hanc quoque sententiam preposuerunt judices atque optimates, affirmantes traditionis conplacitationem hujusce a Gebehardo Imbri politano antistite violatam esse", soll nicht bedeuten, dass Gebhard die „Ur- kunde gefälscht" hat, sondern nur, dass er das Rechtsgeschäft, die Bedingungen desselben verletzt habe; vgl. auch Hirsch, Jahrbb. unter Heinrich IL 2, 21 G.

Mittheiluugen XII. 3

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ja Judith keine Privatperson ist und für Urkunden fürstlicher Per- sönlichkeiten die Analogie der Form der König.surkunde gesucht wurde. Aber für den Diplomatiker ist es wichtig wahrzunehmen, dass es hiefür kein Gesetz gibt, dass rechtlich die Notitia der Carta vollkommen gleich steht.

In textlicher Hinsicht scheint hier doch nur eine sehr geringe Anlehnung zu bestehen ; die Pertinenzformel ausgenommen sind allen- falls einzelne Worte identisch, aber eine durchgehende Benützung der ersten Fassung ist nicht ersichtlich; nur die fast vollkommene Iden- tität der Zeugennamen in beiden Stücken ist noch aujBFallend. Dass man nämlich bei der Wiederholung der Schenkung dieselben Zeugen zuzog, lässt sich wohl auch sonst finden, aber die Einhaltung derselben Keihenfolge scheint mir doch für Benützung der Vor Urkunde zu spre- chen, wobei es danu allerdings zweifelhaft wird, ob bei der zweiten Handlung die Zeugen überhaupt anwesend waren. Gerade in dieser Beziehung bietet uns ein dritter Fall aus unserem Traditionsbuch, der auch seine besonderen Eigenthümlichkeiten hat, einigen Aufschluss.

Als Nr. 132 und 135 (Beil. VIII) begegnen uns im Codex zwei Traditionen einer Matrone Pilifrida, d. h. wieder doppelte Fassung und doch in anderer Art. Die beiden Urkunden sind inhaltlich nicht ganz o-leich; durch die erste Entschliessung, der Nr. 132 seine Abftissung verdankt, tradirte Pilifrida ihren Besitz zu Oriliheim und Pietunprunna mit einer Anzahl dazu gehöriger Mancipien. Darnach ,,post haec" übergab sie noch eine Mühle „in loco Alaraspah" und fügte schliess- lich noch eine Schiffswerfte in „Smidimuliu" dazu. Dass dies alles durch eine einzige Handlung und nicht getrennt zu verschiedenen Zeiten tradirt wurde, dafür möchte die Einheitlichkeit der Zeugenreihe sprechen ; ganz sicher ist es deshalb nicht, wie sich noch zeigen wird. Die zweite Urkunde ist nun sachlich bedeutend erweitert; zwar der Beginn, die Formel der Publication, die der Schenkung ist vollkommen gleich und diese Uebereinstimmung dauert bis zur Anführung der zu den beiden erstgenannten Orten gehörigen Unfi-eien ; es werden in der zweiten Fassung mehr genannt und dieselben genauer mit den Familien- mitgliedern namentlich augeführt i).

Der in der ersten Fassung noch vor der Aufzählung der Namen eingeschaltete Satz über die Zmsleistung der Mancipien findet sich in

') Hiebei ist zu bemerken, dass manche Worte, besonders die Verwandt- schaftsbezeichnung, den Namen in starken Kürzungen gleichzeitig übergeschrieben sind, und ausserdem am Rande Nachtragungen sich finden; im Druck sind diese in runden Klammern eingeschlossen.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmerom in Ee^ensburg. 35

der zweiten Fassung an einer anderen Stelle, zugleich mit einer kleinen aber bezeichnenden Variante im Ausdruck ^). Sodann wird aber an der Disposition und dem Wortlaute der ersten Fassung festgehalten, nur bei der Schenkung der Mühle drei, bei der der Schiffsladestätte ein unfreier hinzugefügt. Nunmehr folgt aber ein bedeutendes Plus in der zweiten Urkunde; erstlich kommt eine neue Tradition von Gütern in loco . . . Suuant hinzu mit einer Anzahl von Hörigen, zweitens ein allgemeiner Passus betreffs der Sicherung des Besitzes gegen jede Usurpation und nun die Zeugenreihe. Diese enthält 24 Na- men; hievon sind die ersten 13 neu. die übrigeu aber decken sich bis auf einen , der wahrscheinlich überseheu wurde , mit den Namen der Zeugenreihe der ersten Fassung ganz vollkommen. Soviel über das thatsächliche Yerhältniss der beiden Texte; wir wollen nun ver- suchen, deren Entstehung aus dem Verlaufe der Handlung zu veran- schaulichen. Die Gleicliheit der Disposition, die gi'ossentheils wörtliche üeberednstimmung beweist hier, dass wir im Codex Abschriften haben ; dass diese erst geraume Zeit nach der Handlung entstanden sind, er- gibt sich daraus, dass in beiden Stücken Pilifrida mit dem Zu- satz „bonae memoriae" genannt erscheint. Somit sehen wir von den Abschriften ab und prüfen die Entstehung ihrer Vorlagen, der Einzelakte.

Aus der Vergleichung der beiden Zeugenreihen erhellt, dass die von Nr. 135 eigentlich eine Compilation aus zwei Gruppen von Zeugen ist, die bei zwei verschiedenen Handlungen zugegen waren, daher denn auch die gauze Fassung von Nr. 135 zwei zeitlich auseinanderliegende Handlungen zusammenfassen muss. Die erste Handlung war die, durch welche die Matrone Pilifrid jene Güter schenkt, die uns in Nr. 132 aufgezählt sind, in der zweiten um eine unbestimmbare Zeit späteren Handlung tradirte dieselbe Pilifrida das Gut im Orte Suuant. Aber gelegentlich dieser zweiten Tradition nahm sie auch eine Veränderung, Richtigstellung und theilweise Vermehrung der zur ersten Schenkung gehörenden Mancipien vor. Das ereignete sich häufig und daraus er- klären sich die Correcturen in den Urkunden =^); anstatt aber auch

') Die Mancipien sollen das debitum servitutis in derselben Weise leisten, wie es gescbehen ist :

(1. Fassung) usque ad illam diem, qua haec eadem traditio facta est (2. Fassung) tradita sunt (sc. mancipia). Die Aenderung war nothwendig, weil der Zeitpunkt der Uebergabe des Gutes und der in der zweiten Fassung genannten zugehörigen Mancipien, die ja von denen der ersten verschieden sind, sich nicht deckten. ^) Redlich

S. 18 f. gibt ein interessantes Beispiel dieser Art aus Freising.

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diesmal die erste Aufzeichnung zu verbessern, machte man lieher mit möglichster Beibehaltung des Wortlautes der ersten Urkunde eine neue verbesserte Abschrift derselben, fügte aber unmittelbar an den Context (also vor dem Schlussprotocoll) den Akt über die zweite Handlung gleich an, die allein in jenem Zeitpunkte vorgenommen worden war, samt den hiebei fiingirenden Zeugen Tagini Petto; erst jetzt schrieb mau die Zeugen , die der ersten Handlung beigewohnt hatten, nach der Vorlage dazu: Odalscalh Etih^).

Würden wir nur die Aufzeichnung Nr. 135 kennen, so müssten wir nach dieser Fassung annehmen, dass Pilifrida alle diese Güter in einem Male tradirt habe und dass alle diese 24 Personen gleichzeitig Zeugen dieser umfassenden Handlung waren. Nach der Auffassung jenes Urkundenschreibers ist also blos von Wichtigkeit, den Gegen- stand der Schenkung, die Bedingungen, die Zeugen genau zu ver- zeichnen, die Form, in der dies geschieht, ist dagegen gleichgiltig und selbst eine Cumulirung verschiedener Handlungen in einen Akt hat nichts aufTälliges. Zeitbestimmungen fehlen ja bekanntlich meistens in diesen kurzen Aufzeichnungen und dieser Fall scheint zu beweisen, dass es gar nicht mehr darauf ankommt, den Zeitpunkt einer oder das zeitliche Verhältniss mehrerer Handlungen zu einander zu be- rücksichtigen.

Wir haben aus unseren Betrachtungen nicht allein ersehen können, wie die Privaturkunde im 10. und 11. Jahrhundert gleichsam auf das tiefste Niveau einer urkundlichen Aufzeichnung herabfällt, sondern auch, dass sich damals bei den Zeitgenossen mit diesem Worte kein fester Begriif verbindet. Das Pergamentblättchen, auf das die Notitia zum ersten Mal geschrieben wurde, hat keineswegs einen grösse- ren Werth, als ein anderes, auf dem nach beliebiger Zeit eventuell mit anders lautenden Worten, genau derselbe Sachverhalt niederge- schrieben wurde. Unter solchen Verhältnissen und Anschauungen konnte die Selbständigkeit der Notitia nicht lange währen und so bildet sich ein summarisches Verfahren aus, indem im Traditionsbuch unmittelbar die Aufzeichnungen gemacht werden. Es ist aber ganz merkwürdig, wie auf der anderen Seite neben dieser vollständigen Ver- nachlässigung der Form die genaue Kenntnis derselben doch nie schwindet. Abgesehen davon, dass in anderen Gruppen die Urkunde nie bis zum protokollarischen Akt gesunken zu sein scheint, auch im

') Dass sie nur abgeschrieben sind und nicht etwa auch diesmal zugezogen wurden und anwesend waren, ergibt sieb wohl daraus mit Sicherbeit, dass die Zeugen wieder in derselben Reilienfolge wie in Nr, 132 aufoezäblt werden.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensbnrg. 37

Kegeusburger Traditionsbuch stösst mau mitten iiuter Äktaufzeichnuugen doch wieder auf Abschriften zweifellos ausgefertigter Exemplare. Eine solche begegnet uns im Traditionsbuch als Nr. 238 fol. 62''; es ist wie sie sich selber bezeichnet, eine ,,Complacitatio" des Abtes Burchard von S. Emmeram mit den Leiiten von Keut, dem vierten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts angehörend. Zunächst fällt sie durch die Schrift auf; es ist nämlich die erste Zeile in verlängerter Schrift, der übrige Text mit deutlicher Nachbildung von Urkundenschrift geschrieben ; da diese Art graphischer Darstellung der Stücke in diesem Codex nur ganz vereinzelt vorkommt, so darf vielleicht angenommen werdeu, dass der Abschreiber in Nachbildung der Vorlage zu dieser Schriftform ge- kommen ist; denn dass überhaupt ein wörtlich gleichlautendes Ori- ginal vorhanden gewesen, dafür spricht der Umstand, dass dieselbe Urkunde auch in dem schon genannten Copialbuch als Nr. 26 fol. 25 in gleicher Fassung sich findet^). Dieses Stück zeigt wieder eine reich- haltigere Stilisirung und Anwendung der üblichen Formeln, beginnt sogar mit einer Invocation. Daraus muss mau denn schliessen, dass eine eigentliche Verdrängung der Notitia nicht stattgefunden hat, dass selbst in der Zeit, da die Traditionsbücher bereits die Form des reinen Aktes, der protokollarischen Buchung zeigen, gleichwohl Ur- kundenfertigung im Gebiete der Privaturkunde bestand. Es ist ein Nebeneinandergehen verschiedener Formen, wobei es fraglich bleibt, ob innnere Gründe für die Wahl dieser oder jener Form bei den ein- zelnen Eechtsgeschäften massgebend waren. Uebrigens nicht erst jetzt, schon ein und ein halbes Jahrhundert früher können wir in den Ur- kunden aus Kegensburg diese Thatsache constatiren. In der Urkunden- sammlung Anamots aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts be- gegnen wir Fassungen sehr verschiedener Art, wenn man will, Cartae und Notitiae bunt untermischt. Es ist damals, wie anderwärts auch, im Kloster S. Emmeram das Tauschgeschäft uoch immer wie in alter Zeit die „fructuosa ac nimium utilis consuetudo inter homines" und Tauschurkunden (commutationes) die häufigsten. Wie die Sache selbst, so hat sich auch die Form aus früherer Zeit erhalten ; es war die Aus- fertigung zweier gleichlautender Urkunden, von denen jeder Partei ein Exemplar gebührte, üblich; das sind daher auch Cartae. In Freising nun hat man ausnahmslos diese Form bis in das dritte Decennium des 10. Jahrhunderts zu wahren verstanden, viel länger als im übrigen Baiern-). Nicht so in S. Emmeram; da unterscheiden wir nach dieser

') Damach gedruckt von Pez, Thes. anecd. I 3, Cod. dipl. Ratisponense 77. 2) Redlich p. 14, 15,

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Richtung obgleicli es durchaus Urkunden über Rechtsgeschäfte zur Zeit des Bischofs Ambricho sind schon vier Gruppen, und die mindest zahlreichste ist die, bei welcher lediglich die Doppelausfertigung behufs Sicherung angewendet wird; immerhin sehen wir, dass dieser Modus noch in Uebung ist und so lautet auch die betreffende Formel ziem- lich constant: „ut stabile perraaneat in futuro a posterisque melius credatur, placuit duas cartulas pari teuore conscripfcas exhibere". Häufiger tritt zu dieser Formel noch die firmatio durch die Zeugen ; einen Unter- schied im Zwecke beider, wie er etwa in der einen und anderen Ur- kunde angedeutet zu sein scheint, finden zu wollen, wäre wohl ver- fehlt i). IDie reichhaltigste Gruppe ist aber die, in der Zeugen allein vorkommen und viertens gibt es eine nicht unbedeutende Zahl von Stücken, bei denen weder das eine noch das andere ei-wähnt wird.

Diese Wandlungen sind um so auffallender, als wir in denselben Urkunden Anamots einmal in Nr. 96 den Satz finden, dass derartige Rechtsgeschäfte „cum cartulis et testibus" geschlossen werden sollen^). Schon in der Zeit zwischen 864 und 891 erscheint die Zeugenurkuude gesetzhch normirt. Also um hundert Jahre früher als in Freising voll- zieht sich, nach unseren Quellen zu schliessen, der gleiche Vorgang, die Verdrängung der Carta durch die Notitia, in S. Emmeram.

1) So heisst es in Nr. 21 vom Jahre 879: Denique ut insolubilior esset haec traditio, placuit ex utraque parte testibus norico more auribus tractis affir- mare, quorum etiam uomina, ne quis error posteros invaderet congruum duximus asscribi", und später nach der Namenreihe : „et ut nullum omnino ioret ab utris- que partibus impedimentum, placuit duas assignari cartulas". -) ,,Quoniam

nimium fructuosa inter mortales iam olim consuetudo inoleverat commutandi videlicet quasdam res pro utrarum utilitate partium, praecellentissima regum sanxit dementia inter ecclesiasticarum rerum facultates licenter idem fieri et usque ad quinque hobarum supplementum cum cartulis actes- tibus ita constare.'* Diese Bestimmung erhalt übrigens aus einer anderen Urkunde Nr. 13 in folgender Weise eine Vervollständigung: „haec autem numero expleto si quaelibet commutatio desideretur perficienda haud aliter quam prae- cepto anuloque praefatae magnitudinis firmetur".

Beilagen.

I. Traditio G-ozperti adhuc ca- nonici^). Isdem vero nobilis Gozpertus una cum manu fratris et advocati sui Vualdchuon nominati priusquara mo- nachus fieret tradidit Christi martyri Emmerammo et usui fratrum in loco

Traditio . . . M

Notum sit Omnibus ^) hec compe- rientibus '^), quod qaidam nobilis cle- ricus Gozpertus tempore mouachice^) conversationis '^), quando se commen-

') Cod. trad. fol. 26 n. 05 (Pez n. 30) ; der übrijje Theil der Ueberschriffc ist

') Cod. trad. fol. 18 u. 40. (Pez n. lü.) | weggeschnitten. «) Auf Rasur.

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emraeram in Regensburg.

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Ezzinga prope fluvium Alchmona: hobam 1 cum omnibus utilitatibus ad eandem hobam rite attinentibus id est curtilibus, piscationibus, marca silv^, sagina, aquis aquarumve decur- sibus, pascuis, exitibus et reditibus, mancipiis quoque -V- ita nominatis: Liohtuni cum uxore Vuirdiga eorum- que filiis Heriprant, Perahtrat, Vuola- purc; eo tarnen teiiore, ut quamdiu prelatus Gozpertus vivat, sine censu fratribus deserviant; postobitumautem eius tarn ipsi quam sequens poste- ritas eorum singuli quot annis per- solvant ad altare s. Emmerammi^) denarios -V", sive totidem denario- rum c^re precium. Et isti sunt tes- tes: Dietrih, Puolo, Gotapold, Pur- chart, Diethart, Aamalpreht, Altraan, item Altman.

IL Traditio Perehtoldi marchi comitis 2). Karta pandente breviter si placet denuntiamus , qualiter Perahtolt de Orientali Francia comes unacum con- iuge sua Helicsuinda eo quod magna detineretur infirmitate quafungitur^), tradidit in manum Arponis vassali sui quicquid proprietatis habere di- noscebatur in loco Tsininga dicto cum mancipiis et omnibus rebus ad hoc iuste respicientibus, sed et servos ' IUI ' de Amartal cum uxoribus ac libei'is eorumque substantiis, ut idem Arpo h^c sine aliqua dilatione in ius et vestituram s. Emmerammi presentare ac firmiter roborare non diflförret. Tunc memoratus Arpo pariter cum manu prenotat^ domn^ su§ et filii illius Heinrici tradidit eandem pro- prietatem Ysininga ad s. dei athle-

dav[it] ^) mancipari, tradidit ad altare s. Emmerammi fratrumque usui cum m[a]nu ^) Vualdchuonis fratris sui et adhuc advocati hobam unam ad Ez- zinga sitam cum curtile, exitibus et reditibus, piscatio[nibus] i), marca, silvis, pascuis, sagina, aquis aqua- rumve decursibus, omnibus rebus iure et legitime ad h^c pertinentibus et mancipia -V* nulli-) hoc contradicente, id est Liehtuni cum uxore sua Vuir- diga, tribusque filiis: Heriprant, Pe- i'ahtrat, Vuolapurc nominatis hac com- placitatione, ipso vivente sine censu ut alii officiales fratribus serviendum, post eius vero obitum tarn illos quam posteritatis eorum progenies "V" de- narios vel eorum in c^ra precium ad aram huius sancti presignatam an- nuatim persolvendos. Huius tradi- tionis testes sunt: Dietrih, Puolo, Gotepolt, Purchart, Dietrat, Amapreht, Altman, item Altman.

Traditio Perehtoldi comiti^). Notum sit dei fidelibus, qualiter Perehtold marchio comes cum manu Heilisuind^ coniugis sue tradidit ad s. Emmerammum in manum Ariponis vasallis sui accipiente Kamuoldo ab- bate, fratribus serviendum tale pre- dium, quicquid habuit ad Ysaninga cum mancipiis omnibusque rebus, in- super et quattuor servos de Amar- tala cum uxoribus et liberis omni- que eorum substancia potestative et pei-petualiter monachis habendum, nee quisquam vel eius heredum aut prin- cipum sive presulum ius et licitum habeat illis subripiendum ; ea vero ratione, ut idem Aripo traderet et vestiret ad aram sancti supradicti pa- tronis ; quod ita factum est cum manu predicte matron^ et filii eius Hein- rici comitis: id quoque expetivit, ut

') Folgt kleine Rasur, darunter stand früher -V-. ») Cod. trad. fol. ISi' n.41. (Pezn. 20.) ») ^^ Rande von gleicher Hand nachgetragen.

') Durch Beschneidung des Randes sind die ergänzten Buchstaben verloren ge- gangen. -) Hs. 3) Cod. trad. fol. 23*' n. 54. (Pez n. 33.)

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tarn Emmerammum et ad servitmm monachorum cleo inibi famulantium, et ut inde pauperes ac peregrini victu et vestitu consolarentur vel recrea- rentur, in manum videlicet abbatis Kamuuoldi et advocati sui Hauuarti ea tarnen firmitate, ut nulli deinceps licitum sit cob^redum suorum aut pontificum seu reliquorum sibi invi- dentium hanc eandem traditionem in- fringere sive aliqua direptione vio- lare. Et isti sunt testes: Noppo, Uualdcliuon, Dietrih, Gozpreht. Ymmo, Hauuart, Eupo, Amalprebt, Engildeo, Isrel, Engilpold, ödalpreht, Erchan- frid, Eatpot, Eparliart, Nithart.

III. Traditio Got as calchi i). Legitimus igitur et christianissimus Gotschalcb nomine tradidit s. Emrae- vammo suisque servitoribus videlicet monachis ibidem conversantibus talem locum unius patell^, qualem de suis coh^redibus sibimet in partem habere dinoscebatur, infra salinamBauuarien- sem, quam vulgo conprovinciales Hai solentnuncupare pro remedio sui suae- que coniugis et filiorum ceterorum- que karissimorum suorum absque ullius personaeretardatione in manum sine dubio Eamuoldi abbatis et ad- vocati sui Faramunti in presentia totius congregationis monachorum. Isti sunt testes: Papo, Maganus, Odalscalch, Hiltarich, Eupo, Erchanpold, Eihpolt.

IV. Complatitatio Adalhardi et uxoris eius ac Heistolfi filii eorum^). Monet divina pietas omnes scire desiderantes presentes atque futuros, qualiter quidam über et predives urbis Eegi^ negotiator nomine Adal- hart tradidit s. athlet^ dei Emme- rammo suisque monachis ibidem fa-

>) Cod. trad. fol. 19 n. 42. (Pezn. 21.) 2) que über der Zeile von gleicher Hand nachgetragen. ^) Cod. trad. fol. 19

n. 43. (Pez n. 22.)

de reditu eius loci pauperes et pe- regrini victu et vestitu procurentur. Isti sunt testes: Noppo, Vualdchuon, Dietrih, Gozpreht, Ymmo, Hauuart, Eupo , Amalpreht , Engildeo , Isrel, Enginpold, Ödalpreht, Erchanfrid, Eat- pot, Eparhart, Nidhart.

[Tra]ditio Ko[tasc]alhi [et f]ili sui ').

Noverit fidelitas piorum. quomodo quidam vir religiosus -) nomine Ko- tascalt tradidit talem portionem 3), sicut ille habuit unius sartaginis in torritorio*), quod est nuncupatum Hai, ad altare s. Emmerammi et servito- ribus altaris illius presente abbate Eamuoldo cum omni congregatlone sine contradictione ullius cum pote- stativa manu pro remedio anim^ su^ et ipsius mulieris et istorum, quo- rum noiiiina hie sunt recitata : Eegi- nolt, Ellanpurc, G-otascalc, Eeginhilt, Ödalscalc, item Gotascalc. Et isti sunt testes per aures tracti: Papo, Maga- nus, f^dalscal, Hiltrih, Eupo, Erchan- polt, Eihpolt.

Traditio Adalhardi cuiusdam centurionis^). Noverint sane dei fideles presentes et futuri, qualiter quidam ingenuus vir Adalhart pactionem fecit cum TJuolfgango presule venerando et ab- bate Eamuoldo aliis fratribus in mo-

«) Cod. trad. fol. 23»» n. 531 (Pezn. 32); die Ueberschrift, die am Rande in drei kurzen Zeilen steht, ist zum Theil weg- geschnitten. *) li auf Rasur. ^) Die drei letzten Worte auf Rasur. ■•) Hs. '-) Cod. trad. fol. 23 n. 50. (Pez n. 29.)

Studien zu den Traditionsbüchern von S. Emmeram in Regensbuvg.

41

luulantibus tale predium quäle in loco Eeginpoldinchoua in pago Tuo- iiolicouue in comitatu Paponis vide- batur habere cum Omnibus ad hoc iu.3te pertinentibus nemine contra- dicente cum mancipiis "X* quorum nomina hoc in loco videntur inserta: Adalpreht et uxor eins Alpiz (cum filiabus tribus) ^), filius Engilfrit, Ös- pirn, Uuanpurc, Perahtolt, Tiorpreht, Liutker, Pernhavt. Trutmuot, ea vide- licet stabilitate, ut eins uxoi- Liup- uuar eorumque filius Heistolf po- testative hoc habeant in usura fruc- tuarium usque dum vivant; et post amborum vitam in ius predicti sancti et sicut ante notatum est monachis in servitium. Econtra accepit iam dictus Adalhai't de deputata prebenda eorundem monachorum locum unum Skiri habens vocabulum cum omni consueta Servitute ipsi Adalhardo fine- tenus tantummodo deserviendum ac deinceps in pristinum redigendum. Haec tali stabilitate roborata in ma- num venerabilis episcopi TJuolfkangi et Eamuuoldi abbatis eorumque ad- vocatorum Uuerinliarti et Faramunti, annuentibus etiam fratribus et con- laudantibus testimonio confirmabant. Et isti sunt testes: Papo urbis pre- fectus, Ymmo, Lioparto, Aripo, Pazrih, Ouuaman , Ilualtheri , Oto , Penzo, üuoluold,

V. Traditio eiusdem Adal- har di ^).

Noverint etiam omnes christianae religionis amatores tarn presentes quam et futuri, qualiter idem Adalhart pru- denter venturam ac perennem pro- spiciens remunerationem tradidit b. dei martyri Emmerammo suisque fa- mulis ibidem degentibus pro requi^ ipsius anime et filii sui Lantperti caeterorumve karissimorum suorum

-J Die eingeklammerten Worte stehen über der Zeile cf. n. 135 p. 44 n. 1. ^) Cod. trad. fol. 19«> n. 44, (Fez n. 23.)

nasterio s. Emmerammi: id est pre- dium quicquid habuit ad Reginpol- dinchouun et mancipia "X* probabilia tradidit in raanus eiusdem episcopi et abbatis et Vuerinharti advocati, ea scilicet ratione post obitum suum et LiHpun uxoris auq et Heistolfi filii sui vitam nemine contradicente per- petualiter ad s. Emmerammum fra- tribusque in commune. Econtra in recompensationem accepit retradente episcopo et abbate advocati manu quic- quid fratres habuerunt ad Scirin omni integritate rerum, hoc pacto ad finem solius vit§ su^ et se defuncto mox fratribus revertendum. Huius pac- tionis testes sunt: Papo urbis pre- fectus, Ymmo, Lioparto, Aripo, Pazrih, Ouuiiaman, Uualtheri, Oto, Penzo, Vuoluold.

Traditio eiusdem ^).

Notum sit dei fidelibus, quod idem Adalhart supradictus pro remedio anim^ su^ et Lantperti filii sui ceterorumve sibi coherentium tradidit ad s. Em- merammum fratribu.s ad usum tres hobas ad Scirin dicta et mancipia, id est: Adalpreht, Liupili, Dietpreht, Pernhart, Perehtolt, Alpiz, Engilfrid, Ruodlouhe, Trutmuot, Vuanpurc^)

') Cod. trad. fol. 23 n. .51. (Pez n. .30.) '-') Von id est an wahrscheinlich von an- derer Hand in den ursprünglich leer ge- bliebenen Raum später eingetragen.

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B r e t h 0 ] z.

potestative possidendum. Huius tra- tionis vestituram filius eius supra- dictus Heistolf presentavit ad aram. Testes traditionis: Ymmo. Uuerin- hart, Erchanprebt, Hauuart, Hiltrih, Nithart, Uuiso, Eazi, Liuthart, Rihholt, Sintcoz.

talem pioprietafein qualem eorundem dei famulorum rebus contiguam ha- bere videbatur in loco Skiri cum omni Integritate id est curtilibus et aedi- ficiis, agris pratis mancipüs decem ita nominatis : Uuillipato , Alpheri, Alauuih, Folclisuind , Lantolt , item Alpheri, Dietrih, Engiluiiar, Adal- preht, Ruotpirin in manum scilicet Eamuoldi abbatis et advocatorum suo- rum Ymmonis et Hauuarti presenti- bus etiam fratribus perpetualiter sibi deserviendum. Et isti sunt testes: Ymmo, Vuerinhart, Erchanprebt, Ha- uuai't, Hiltrih, Nithart, Vuiso, Razi, Liutliart, Eihholt, Sintcoz. |

VI. Traditio Rihholf'i cuiusdam secularis viri^).

Cognitum sit dei tidelibus, quod quidam Rihholf religiosus nobilisque homo tradidit s. martyri Emmerammo in perpetuam proprietatem Laga- deosdorf cum Omnibus inibi manentibus. Testes : Solomon ^) , Gundhart, Liutfrid^), Ödalpreht, Gruntpreht, Conzo, Polo, Isrel, Leoparto, Raffolt.

1) Cod. trad. fol. 24^ n. 56 und fol. 29 n. 80. (Pez n. 35.) Die Ueberschrift hat nur Nr. 56. -') in Nr. 80 : Salamon. ■'') In Nr. 80 : Liutft-it.

YJl. Traditio vener an de ac sanctemonialis femine Ju- ditei). Agnoscat igitur omnium fidelium industria, qualiter venerabilis patrona ac sanctimonialis faemina Judita nun- cupata memor inmarescibilis remune- rationis et eterne beatitudiuis, tra- didit una cum manu filii sui Hein- rici ducis ad s. Emmerammum et ad servitium monachorum talem pro- prietatem, qualem frater eius Hludu- vicus in loco Eitarahoue sibi ser- viendo in potestate habuit cum Om- nibus rebus ad eundem locum iuste et legitime pertinentibus ; hoc est: curtem cum edificiis et reliquis cur- tilibus, villis et casis, veneis ac vini- toribus et aureariis , agris, pascuis, silvis, aquis, piscationibus, molendi- nis mobilibiis etimmobilibus, exitibus

') Pez, Thes. anecd. I. 3 (Jod. dipl. Ratisp. 62,

Traditio Heinrici ducis et Ju- dith^ matris eius^). Noverit omnium fidelium pr^- sentium videlicet et futurorum indu- stria qualiter ego J u d i t a pro re- medio anim^ me^ et parentum meorum cogitans tradidi ad dei servitium et s. Emmerammi martyins tale predium, quäle visa sum habere in loco qui dicitur Eitarhoua cum manu filii mei Heinrici ducis Bauuariorum cum omnibus ad ean- d e m curtem iure et legitime pertinentibus, agris, pascuis, villis et casis, vineis acvini- toribus et aurariis, silvis, aquis, piscationibus, molen- dinis, mobil ib US et inmobil i- bus, quesitis et inquirendis, exitibus et reditibus, manci- püs quoque utriusque sexus et omnino omnibus ut dixi ad eun-

1) Cod. trad. fol. 35 n. 100 xmgedruckt.

Studien zu den Traditionslnichern von S. Emraerani in T>egensbui-(

et reditibus, quesitis et inquireu- dis omnique legitima cautione man- cipiis utriusque sexus et reliqua om- nia ut supra dictum est, tradidit memorata domna ad altare s. Emme- ranimi et ad commune servitium mo- nachorum in manus Uuolfgangi epis- copi et advocati sui Faramundi, ea quoque tenore , ut ipsa domna et frater eius Hluduuicus in servitium habuerint et utantur usque ad finem vite sue. Post amborum vero obi- tum provenerit et redierit ipse locus in ius et servitium ecclesie et fra- trum cum omni integritate sine om- nium contradictione. Huius tradi- tionis testes sunt per aures tracti : Sarhilo comes, Tlieomar, Tagini, Anno, Uualtheri, Timo, Papo, Ködperlit, En- gilmar, Egilolf, Tuoto, Orendil, Tsan- rib, Uuirunt, Leoparto, Uuicbram, Ogo, Odalrih, Heinprebt, Gotedieo, Eeginprebt , Purcbart. Vestituram huius rei Timo presentaverat ad aram s. Emmerammi et fratribus; presen- tes quoque tunc aderant: Eihherus prepositus, Uualtherus decanus, Job, Amanoldus, Adalpertus et ceteri omnes.

dem locum iuste pertinentibus, et sicui frater mens Hludouuicus in ul- timis vit^ suae temporibus ad usus pro- prios possedit venerabilis viri Uuolf- gengi episcopi et Faramundi advocati sui; ea scilicet ratione, ut monachi ibidem deo et s. mar- tyri eius Emmerammo servientes ad communem utilitatem perpetualiter eandem curtem possideant. Si vero aliquis episcoporum per futura tem- pora succedentium ad suum, quod fieri non credo, privatum servitium redi- gere vel vassallis suis ad beneficium dare temptaverit, heres meus sicut reliqua sibi derelicta h^reditario iure et banc curtem possideat. Et ut haec traditio in perpetuum semper firma permaneat bos testes qui ea viderunt fieri et audierunt subscribere fecimus more legali per aures at- tracti Sarhilo comes, Teomar, Tagani, Anno, Uualtheri, Timo, Papo, Rödpreht, Engilmar, Egilolf, Tuoto, Orendil, Ysan- rih, Uuiront, Licoparto, Ögo, ödalrich, Heinpreht, Gotidieo, ßeginpreht, Purachart, Uuiram^).

I 1) Wiram entspricht wohl dem Wich- 1 ram der Vorurkunde.

VIIL Die beiden Fassungen der traditio Pilifride^).

Notum sit vobis tam presentibus quam futuris, qui huiusmodi rem scire debetis, qualiter quedam bon§ memorie matrona nomine Piliurida'^) tradidit ad s. Emmerammum cum manibus advocatorum suorum Gotopoldi et Diemonis in manus domni abbatis Ribholdi et advocati sui Magononis quicquid proprietatis habebat in locis Oriliheim et Pietunprunna nuncu- patis, addita et una cuiusdam Ironis hoba cum omnibus ad ipsa loca iuste pertinentibus

Nr. 132 I Nr. 135

ad haec tradiderat super altare eius- I et cum mancipiis utriusque se- dem predicti s. martyris Enunerammi xus quorum nominahictcnen- utriusque sexus mancipia, quorum tur^); Iro et uxor eius Hiltigunt nomina hie infrascripta tenentur ; ea | e t filius eius Iro et frater eius Diet-

1) Cod. trad. n. 132 (Fez n. 65) und n. 135 (ungedmckt). -') rida auf Rasur ;

Nr. 135 hatPilifrid; anderweitige beachtenswerthe Varianten im gemeinEamen Text finden sich nicht, auch die Ueberschrift Traditio PiHfride lautet in beidtMi gleich. 3) Hieher gehören wohl zwei Nachträge , die am rechten und linken Rande in gleicher Höhe mit dem Text geschrieben sind : hec mancipia pertinent ad Pietun- prunna I Hizelam et filiam eius Liuzwib cum omni posteritate earum.

44

B r e t h 0 1 z.

videlicet ratione, ut eisdem mancipüs hart, Kihhart et filia eins Hilti-

et Posterität! eorum sub eodem equi-

tatis tenore quo usque ad illam diem

qua hec eadem traditio facta est, de-

bitum servitutis solverant fratribus

huius monasterii post liinc solvere

liceret. Hec sunt nomina mancipio-

rum : Iro cum uxore et cum filiis,

Enci cum uxore et cum filiis, Adal-

hart cum uxore et cum filiis, Uual-

trat cum filiis, Perolt cum filiis et

uxore Fridagart, Lantprelit filius Adal-

pero, Uuolfmar cum uxore, Perhgart,

Hiltipurc, Ratpurc, Uuasmöt, Uuisunt

cum una filia, Amaluuib cum filiis,

Helmpreht cum sorore, Odalburc, Liu-

busta cum filiis, Rihhart soror sua,

Uuerda et filias suas Hiltamerga,

Uuerda, Razo.

Post h^c tradidit ad usum fratrum unum molendinum, quod est situm

iuxta fluviolum Luttaraha nominatum in loco Alaraspah dicto

cum tribus mancipüs :Peroltetuxor eius Hiltigart et filia eius Ribhilt. Huic siquidem traditioni adiunxit unam, qua nobis tradidit locum ad

onerandas naves aptum teutonice Ladastat dictum flumini scilicet conti-

guum, quod dicitur Vilisa in vico Smidimulni nuncupato,

cum ujio servo Ratkero. Item eadem matrona tradidit ad s. Emmerammum

m e r i a , Uuerda (f.) ^), Engilpreht, Adalmot (fil. eius), Engilmot (et f.), Rihbil fc (et f.), Ysanrih (et f.), Hunger (et f.), A dal hart (uxor eius), Per- draht, Hiltigunt (fil. eius), Uuolfkart (fil. eius), Pero (fil. eius), Uuasamot, Uuisunt, üuilligart (fil. eius). H(^c mancipia pertinent ad Orilinheim: Amalfrid et uxor eius Fridigart et filius eius Amalfrit et frater eius Uuirunt et filia eius Rihtrut, Diet- pirc, Heripolt, Uuolfmar, Pero, Erin- hilt, Folcrat, Uualtrat, Peromot, Go- tafrid, Uualtpreht, Dietpolt. Hilta- purc, Uuisunt, Uuerda, Regin- preht, Uuezala.

Huius rei festes sunt hi: Ödal- scach, Hartuuic, Aribo, Diemo, Röd- preht, Peranhart, Odalpreht, Aribo, Pecili, Durinchart, Tagini, Etih.

tale predium quäle habuit in loco, qui nominatus est Suuant cum -IIII' servis cidallariis et uxoribus eorum et filiis, quorum nomina hie tenen- tur; Peranhai-f et uxor eius Vicihha et filia eius Vicihha et Adalpurc filius eius, Hai-tnit et Uuisunt et Manolt et Turine et Trumuot et Erchanpreht, Diotpolt, Gumpolt et uxor eius Perh- gart et filius eius Ceizpreht et filia eius Liutpurc et Geza, Uuolfmar et uxor eius Liutpurc et filia eius Diot- rat, Adalpero. Isti sunt qui singuli debent solvere decem nummos : Uuol- uolt et uxor eius Rötgart et fil. eius Hiltigart et Gerhilt et Helmpurc et Rihpurc et fil. eius Engilpero et EllinrihetPerhtmunt,Muotuni,Uuerda,

') Die eingeklammerten Buchstaben und Worte stehen in der Handschrift über dem unmittelbar vorhergehenden Namen,

Studien zu den Traditionsbüchern von s. Emmeram in Regeusburg. 45

Alarun et fil. eius Dietmar et Chuon- rat et Erclianpreht , Liupista et fil. eius Perlitolt et Sigipreht et fil. eius Heiza et Alarun, Albrih, Uualtrat et fil. eius Hirzpurc, Hiltipurc, Frida- gart et fil. eius Euodolf et fil. eius Gerpurc et Eilipurc, Adalpret, Folc- rat, Perlitrat, Sigipreht et uxor eius Uuentilmut et fil. eius Eatkart et Hiltipurc et üuiba, Sigipolt et uxor eius Trutpirc et fil. eius Eahbilt et Kerunc et Arndt et Teganheri et Starcbolf, Teganlieri et uxor Hada- purc, Uuillirat et uxor Gepabilt et fil. Prunuuart et Sahbo , Hiltuni et uxor, Uuatila et fil. Ysanpirin, Folc- mar, TJualtpreht, Pezala, Hizala, Gunt- preht et fil. eius Inima, Liubisit et uxor eius Suuza et fil. eius Chuuiza et Liuza. H^c autem traditio ita facta est, ut prenomiuatis mauci- cipiis et posteritati eoruni sub eodem equitatis tenore quo usque adillanidiem, qua tradita sunt ad s. Emmerammuni d e - bitum servitutis solverant fra- tribus huius nionasterii post- hinc solvere liceret. Etuthocpro cautela subnectamus, si episcopus aut aliqua potens persona de supradictis prediis et mancipiis servitio fratruni subtraliere conetur, proximus heres prenominat^ matron^ hoc in suam po- testatem recipiat, usque in illum diem, quo id s. Emmerammo proprium ius restituere possit. Isti sunt testes: Tagini, Lanzo, Hadamar, Einuuic Ta- gini, Uuerinhart, ödalrih, Gotti, Voccho, Uuinicho , Gariheri , Hauuart , Petto, Odalscalhc, Hartuuic, Aribo, Diemo, Eötpreht, Per an hart, Ödalpreht, Aribo, Pecili, Du- rinchart, Etih.

Die älteren Immiinitäten für Werden nnd Corvei.

Von

Wilhelm Erben.

Das Kloster Werden hat eine Reihe von Schutz- und Immuni- tätsverleihungen aus der Zeit der Karolinger und Ottonen aufzu- weisen. Aber nur eine von diesen Urkunden, die von Ludwig III. er- theilte (Mühlbacher, Eegesten der Karolinger Nr. 1512), liegt im Original vori); dagegen sind jene Karl des Grosseu, Arnolfs, Heinrich I. und Otto III. (Reg. 380, 1753 und Mon. Germ. DH. 26, DO. III. 17) in Nachzeichnungen erhalten, welche zur Zeit Heinrich IL im Kloster angefertigt wurden, jene Zwentibolds und Otto I. endUch durch den im 12. Jahi'h. geschriebenen liber privilegiorum. Aus dieser Zahl können wir vor allem das Karl dem Grossen zugeschriebene Diplom ausscheiden; im Widerspruch mit dem, was wir über die älteste Ge- schichte des Klosters wissen, zeigt sich dasselbe in i'ormeln und Pro- tokoll durchaus als werthlose, ohne echte Vorlage hergestellte Fälschung. Die Schenkung von Lothusa mag, da sie auch in der vita Liudgeri erwähnt wird ^), auf Wahrheit beruhen. Dagegen ist das Kloster keines- falls schon unter Karl dem königlichen Schutz übergeben worden; vielmehr behielt dasselbe zunächst den Character der Familienstiftung, welcher nach einander die Verwandten des Stifters, die Bischöfe Hil- degi-im von Chälons, Gerfi'id und Altfrid von Münster und Hildegrim von Halberstadt als Aebte vorstanden 3). Erst der zuletzt geuannte Hildegrim IL machte diesem Verhältnis ein Ende, indem er das Kloster

') Wenn Diekamp, Suppl. zum Westf. ÜB. 44 u. 290, auch dieses Diplom zu den Nachzeichnungen rechnet, so ist er hiezu durch den Irrthum von Stumpf (Wirzb. Immunitäten 1, .31 n. 55) verleitet worden, den schon Sickel (KU. in Abb., Text 169) berichtigt hat. Mühlbachers Regesten der Karolinger citiere ich fernerhin nach den Nummern mit der Sigle Reg. -) Mon. Germ. SS.

2, 411. 8) Vgl. Diekamp Vitae s. Liudgeri, Geschichtsqu. des Bistums Münster

4, XI-XIV.

t)ie älteren Immunitäten für Werden und Coi-vel. 47

dem König comineudirte. Infolge dessen ertlieilte nun Ludwig III. im J, 877 dem Kloster Königsschutz und Immunität, befreite es von dem in Neuss zu entrichtenden Zoll und verlieh den Mönchen das Kecht, nach dem Tode Hildegrims den Abt aus ihrer Mitte zu erwählen.

Soweit lassen die Worte der Originalurkunde Ludwig III. keinen Zweifel über den Vorgang, schliessen somit auch die Echtheit des Karl dem Grossen zugeschriebenen Diploms aus. Aber in einem Punkte muss doch auch das Präcept Ludwigs genauer geprüft werden. Durch die Worte „coram advocato quem abbas constituerit" wäre dem Abt das Kecht der Vogtwahl zugesprochen worden, eine Begünstigung, die sich zwar vereinzelt auch in karoliugischen Urkunden findet i), gerade in unserem Fall aber kaum Glauben verdient. Denn die Worte „quem abbas constituerit, si quid est" sind, ebenso wie in der Narratio die Stelle „et nostrae defensionis tuitioni" nicht nur aufKasar geschrieben^), sondern rühren offenbar von anderer Hand her, als der übrige Con- text und trotz der gi-ossen Sorgfalt, welche auf Nachahmung der ur- sprünglichen Schrift verwandt ist, verrathen doch die geraden Schäfte der t, m und n, die ümbieguug der Schäfte nach rechts, sowie die stark unter die Zeile sinkenden s und f den dem 10. Jahrh. ange- hörenden Schreiber. Wahrscheinlich wurde also auch in Werden das Kecht der Vogtwahl nicht dem Abte zugestanden, sondern dem König vorbehalten, sowie in Neuenheerse, welches wenige Jahre vorher durch Liuthard von Paderborn dem Schutz des Königs übergeben worden war3). In den Immunitäten der folgenden Herrscher bis auf Otto I. findet sich zwar keine Erwähnung von der Ernennung des Vogtes durch den König, aber auch, dass die Wahl des Vogtes dem Abte zustände, ist nirgends ausgesprochen^). Dagegen beginut mit dem D. Otto II. vom J. 983 eine Keihe von Urkunden, welche in ganz ungewöhnlicher Weise das Kecht der Vogtsernennung durch den Abt, das sonst als Anhängsel anderweitiger Bestimmungen erscheint, zum ausschliesslichen Inhalt habenä); demgemäss hat auch in der im J. 985 ertheilten Im- munitätsbestäticmng Otto III., die sich sonst wörtlich an die unter Arnolf festgestellte Fassung anschliesst, der Satz quem abbas consti- tuerit Aufnahme gefunden. Vor dem J. 985 also, vielleicht schon 983 werden an dem Original Ludwig III. jene Interpolationen vorgenommen

») Vgl. Waitz, VG. 2. Aufl. 4, 469 n. 4. -') Vgl. KU. in Abb., Text 164.

3) Vgl. das D. Ludwig des Deutschen (Reg. 1444) mit den Worten coram advo- cato a nobis constituto. ■*) coram advocato eorum, si quid ad inquirendum est aut corrigendum, inquiratur aut comgatur in den DD. Arnolfs, Heinrich I. und Otto I., advocatus eorum super eis iustitias agat in jenem Zwentibolds. ») DO. n. 290, DO. III. 151 und DH. II. Stumpf, Reg. 1315.

4jSi Er b e 11.

worden sein, deren Zweck es war, die Ernennung des Vogts durch den Abt als ein altes Eecht des Klosters erscheinen zu lassen,

Dass das D. Ludwig III. der Kanzlei Arnolfs vorgelegt worden ist, unterliegt keinem Zweifel, denn die über Gerichtsbarkeit des Vogtes und Befreiung vom Zoll handelnden Sätze sind, wenn auch in etwas verbesserter Fassung i) , doch fast wörtlich in das D. Arnolfs über- gegaugen. Im übrigen aber erweist sich die Fassung des Amolf- diploms, der sich dann die Inimuuitätsbestätigungen Heini-ich I., Otto I. und Otto III. anschliessen , als unabhängig. Sie enthält eine Reihe von Bestimmungen über den Genuss von Zehnten, über Befreiung vom Kriegsdienst und Einschränkung der Gewalt des Diöcesaubischofs, welche sich in dem D. Ludwig III. nicht finden und welche im Verein mit den im Eingang erwähnten Umständen der üelierlieferung den Ver- daclit der Fälschung wachrufen. Da jedoch alle diese Urkunden mit tadellosem Protokoll versehen sind, so kann kein Zweifel sein, dass ihnen echte Diplome der betreffenden Hen-scher zu Grunde liegen, die wie die Nachzeichnungen erweisen, auch als Schreibmuster für die Fälschungen verwendet worden sind.

Stimme ich soweit mit der bisherigen Auffassung dieser Diplome iiberein -), so möchte ich im folgenden versuchen, die echten Bestand- theile derselben von den falschen zu scheiden. Als Handhabe hiefür bietet sich einerseits das nicht durch Nachzeichnung, sondern durch Copialbuch überlieferte DO. I. 5, andrerseits die Immunitätsverleihung Arnolfs für Corvei und Herford (Reg. 1720), auf deren Zusammen- liang mit jener für Werden schon Mühlbacher aufmerksam gemacht hat.

DO. I. 5 unterscheidet sich zunächst durch die einfache Fassung des über die Zehnten handelnden Satzes „ubicumque dominicatos mansos habuerint, ex rebus que ibidem adquiruntur, decimas dent ad portam mouasterii nee alibi eas dare cogantur" von den übrigen Diplomen der Reihe, die denselljen Passus durch mannigfaltige Zusätze erweitert und stärker betont haben ■^) ; noch mehr aber zeichnet sich DO. I. 5 aus durch das Fehlen der Stelle „abbas iUius plane possidere", die nicht nur die anstössigsten Bestimmungen in sich vereinigt, sondern

') Vgl. Sickel, KU. in Abb., Text 169 f. ") Vgl. die Bemerkungen von

Sickel zu DH. 26 und DO. II. 290 und jene voi' Mühlbacher zu Reg. 1753. •'') Nach nee schieben alle drei Nachzeichnungen die Worte ein: a nemine pe- nitus ; ex rebus que ibidem adquiruntur ersetzen sie durch : in quocümque sint episcopio seu prefectui'a ... in omni regno a deo nobis coUato ; das D. Hein- richs lässt ausserdem nacli decimas folgen : quas alii episcopis solvunt, jenes Ar- nolfs statt dessen : quas alias episcopi toUunt und nach cogantur den Satz : sed sub nutu abbatis eiusdem monasterii in perpetuura permansura conaistant.

Die älteren humnnitäten für Werden nnd Corvei. . 49

auch den natürlicheu Zusam menhang der Sätze ad elegendum abbatein inter se potestatem eoncedimus, quatinus eos melius delectet . . . exorare " in gewaltsamer Weise unterbricht i). Bei so gro.ssen Differenzen ist es nicht zulässig, DO. I. 5 ebenso zu beurtheilen, wie die durch Nach- zeichnungen überlieferten Immunitäten; vielmehr drängt sich sofort die Vermnthuug auf, dass DO. I. 5 von der Verunechtung, welche die anderen Diplome dieser Keihe erfahren haben, verschont geblieben und dass uns hi^r auch die ursprüngliche Fassung der anderen Immuni- täten für Werden erhalten geblieben ist. Diese Annahme bestätigt der Umstand, dass die durch DO. L 5 repräsentirte Fassung, soweit sie nicht aus dem oben besprochenen D. Ludwig III. genommen ist, wörtlich mit dem D. Arnolfs für Corvei und Herford übereinstimmt. Bevor ich jedoch diese Immunitätsurkunde mit jenen für Werden vergleiche, wird es nothwendig sein, in kurzem die früheren Corveier Immunitäten zu besprechen. Schon im J. 823 hatte Corvei von Lud- wig dem Frommen Schutz und Immunität erhalten (lieg. 755); die Fassung dieses D. ist ziemlich genau in dem Ludwig des Deutscheu (Reg. 1328), ganz wörtlich in jenem Karl III. (Reg. 1599) wiederholt worden. Die genannteu Diplome verleihen dem Kloster ausser den wesentlichen Bestandtheilen der Immunität auch das Recht, mit fi-eien Leuten Gut und Hörige zu tauschen. Auf diesen Punkt scheint man wenn nicht etwa ein Versehen der Kanzleibeamten vorliegt in Corvei besonderen Werth gelegt zu haben; denn dasselbe Recht wird mit den gleichen Worten auch in der von Ludwig dem Frommen er- theilten Gründungsurkunde (Reg. 754) und der ihr nachgebildeten Be- stätigung Ludwig des Deutschen (Reg. 1327) ausgesprochen; hier wird auch das Recht der Abtswahl ertheilt, das in den Immunitätsurkuuden fehlt. Strittig ist, ob neben diesen beiden dem Kloster von Ludwig dem Frommen ertheilten imd von den Nachfolgern bestätigten Di- plomen noch ein' drittes anzunehmen ist, welches die ausdrückliche Befreiung vom Kriegsdieust zum Inhalt hatte. Die Gründe, welche Roth für diese Annahme geltend gemacht hat, scheinen mir nicht zwingend -) ; trotzdem kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die

') Vgl. Formulae imp. n. 4 (Mon. Germ. Formulae 291). -) Der Be-

weisführung von Roth (Beueficiahveseu 405 , Feudalitilt 23<)') hat sich Wilmans (Westf. KU. 1, 18G) angeschlossen; aber die Worte der ti-auslatio s. Viti (SS. 2, 579) »Eodem die remisit d. imp. eidem abbati omne servitium" lassen noch nicht auf ein im J. 815 ertheiltes Privileg schliesseu, das wohl imter den damaligen Umständen, da kaum der Entschluss zur Klostergründung gefasst war, kaum er- lassen werden konnte, auf jeden Fall aber in den Diplomen des J. 823 erwähnt worden wäre. Vgl. Wailz. Y(\. 2. Aufl. 4, nn2 n. 2 und ^liilillnicher Heg. 5(17''. Mittbeiluiigfii XII. 4

50 E r b 0 n.

Befreiung vom Kriegsdieust. auf -welchem Wege immer dieselbe auch erworben sein mag, dem Kloster Corvei schon seit den Zeiten Ludwig des Frommen zukam. In einem an den Bischof von Paderborn ge- richteten Mandat (Reg. 89ö) erklärt Ludwig d. Fr., dass es gegen seinen Willen geschehe, wenn die Corveischen Unterthaneu, freie oder unfreie, von den Grafen zum Kriegsdienst gezwungen würden. In dem dieser Sache gewidmeten D. Karl III. (Reg. 1 702) wird berichtet. Ludwig d. Fr. habe gleich bei Begi'üudnug des Klosters gestattet, ut neque abbates illius loci neque homines eorrnn cuiuscumque conditionis in expeditionem umquam ire deberent, sed liceret eis . . . utilitates eccle- siae providere ... et regiis interdum legationibus exequendis . . . ope- ram dare". Karl schränkt diese Begünstigung in Anbetracht der drohenden Gefahren ein, indem er blos zwanzig vornehme unter- thaneu des Klosters vom Kriegsdienst befreit, und nur falls der Abt eine Gesandtschaft ausser Landes zu führen habe, eine grössere Anzahl derselben; demnach sind die übrigen Stiftsleute, wenigstens soweit sie nicht zum Gefolge (populus) jener nobiles gehörten, unter Karl III. zum Kriegsdienst verpflichtet gewesen. Für friedlichere Zeiten abei- versprach der Kaiser schon jetzt die Rückkehr des alten Zustandes.

Es passt sehr gut in diesen Zusammenhang, wenn in dem D. Arnolfs , auf das wir nunmehr zurückkommen können , wieder allen Vornehmen die Befreiung zugestanden wird, von den homines infe- rioris conditionis aber nur jenen , die zu Gesandtschaften im Auftrag des Königs oder zum Nutzen des Klosters gebraucht würden. Die Ver- fügungen Karls waren also wesentlich gemildert worden, und doch waren die alten Rechte des Klosters nicht völlig hergestellt, nicht jeder Anspruch des Königs auf Heranziehung der Stiftsleute zur Heeres- folge aufgegeben. Diesem Zustande entspricht wohl auch das Mandat Arnolfs (Reg. 1881), obwohl dasselbe vielleicht mit Absicht in ziem- lieh unklaren Ausdrücken gehalten ist^). Ich sehe somit keinen Grund, an der Echtheit des diesbezüglichen in dem D. Arnolfs enthalteneu Satzes (sed nee prefatus peragendam) zu zweifeln , umsoweniger als in der folgenden Immunität, dem I). Ludwig IV. (Reg. 1938) au der- selben Stelle wie in jener Arnolfs wieder die volle Befreiung vom Kriegsdienst ausgesprochen ist 2),

') Aus den Worten plus iusto echliesst Mülilbacher, dass keine allgemeiue Befreiung beabsirbtigt war; die Stelle jue quisquam . . . milites quöque modo ini- qua districtione ... in expeditionem . . . coai-tari praesumat* könnte auf das Ciegeu- theil gedeutet werden ; die Berufinig auf die Bestimmungen und Präcepte der Vorgänger gibt keine Entscbeidung, da nicbt gesagt ist, welche Hen-scher biemit gemeint sind. ) Da sieb eine Scheidung zwischen den homines nobiles und

Die älteren Immunitäten für Werden unrl Corvei. 5|

Icli habe diesen Punkt klarzustellen gesucht, weil er einer von jenen ist, in welchen das J). für Corvei-Herford von dem für Werden abweicht, ohne dass hieraus ein Verdachtsgrund geschöpft werden könnte. Es ist bezeichnend tür das Verhältniss der beiden Urkunden, dass in der letztgenannten statt der besprochenen Stelle, die auf Wer- den keine Anwendung finden konnte, jene aus der VU. entnommenen Sätze über Gerichtsbarkeit des Vocrtes und Zollfreiheit einffeschaltet worden sind. Sehen wir von diesen Differenzen, sowie von einigen anderen Stellen, namentlich den auf das Nonnenkloster Herford be- züglichen ab, welche ebenfalls in ein D. für Werden nicht aufgenom- men werden konnten i), so ist die Uebereinstimmung des D. für Corvei- Herford mit der in DO. I. 5 erhaltenen Fassung des D. Arnolfs für Werden so gross, dass sie nur durch die Annahme eines für beide Diplome benützten Conceptes erklärt werden kann^). Diese Thatsache bildet nicht nur eine Bestätigung dessen, was ich über die ursprüng- liche Fassung der Werdener Immunitäten gesagt habe, sie ermöglicht zugleich jene Theile des Corveier Diploms auszuscheiden, welche durch Fälschung in dieselbe eingefügt worden sind. Als solche ergeben sich die Sätze Deiude supradicta scriptum habetur " ; , sicut in regia concedi coenobüs " und Ad extremum beneficium pertinebant ". Be- trachten wir dieselben als interpolirt, dann entfallen die bedenklichen, gegen den Bischof von Paderborn gerichteten Bestimmungen , die wiederholten Berufungen auf Capitularien und Synodaldeerete, endlieh die Schenkung der Fischzucht in Methriki, die auch in der nächsten Nachurkunde, dem D. Ludwig IV., nicht erwähnt wird. Dagegen zeigt die Uebereinstimmung mit DU. I. 5, dass der Satz über die Zehnten, »Preterea quod serviatur" hier wie in den Werdener Inuuunitäteu zu den echten Bestandtheilen zu zählen ist.

•len übrigen Stit'tsuuterthanen, wie ich glaube, auch aus dem D. Karl lll. ergilit, ferner die vassalli auch in dem Mandat Aniolfs genannt werden, so erscheint mir die von Mühlbacher beanstandete Gegenüberstellung von vassalli nobiles und inferioris conditionis ganz unbedenklich.

') Dies sind die Sätze ,nec non et mouasterium puellaruni Hathuwi^ und »et sauctimonialibus liceat« ; ebensogut wie diese Sätze hätte auch das, was über Präcepte der Vorgänger in dem D. für Corvei und Herford gesagt ist, in dem D. für Werden wegbleiben oder doch geändert werden sollen : denn Werden be- sass kein älteres D. als jenes von Ludwig III. '^) Die Daten der beiden Di-

plome (887 Dezember 11 und 888 August 23) liegen einander nahe genug, um die Annahme zu rechtfertigen, dass das Concept von Reg. 1720 noch vorhanden war, als die Kanzlei den Auftrag erhielt, Reg. 1753 auszufertigen. Da übrigens Corvei im Jiuii 888 ein zweites D. erhalten hat (Reg. 1745), so könnte mög- licherweise auch Reg. 1720 erst damals ausgefolgt sein. Ueber ähnliche Fälle vgl. jetzt Bres.slau UL. fUO fl".

4*

Diesem Uml'auge des königlielieu Priiceptes für Corvei und Her- ford entspricht vollkommen die Bestätigiing, welche das Mainzer Concil im folo-enden Jahre den Klöstern erfcheilte: die Bischöfe sichern nicht nur den Besitzstand der Klöster, sie bestimmen auch . ut nullus epi- scopus Padrabrunnensis aliquam ex eis vel accipiat vel exposcat por- tionem ", und sie nennen unter ihren Gütern und Einkünften ausdrück- lich die Zehnten : qu^eunque ... vel in agris, vel in familiis, vel in decimis eis constant esse collata " ^). Meine Ansicht wird nicht erschüttert durch den Umstand, dass die von Ludwig IV. ertheilte Immunität für Corvei (Keg. 1038) den Satz über die Zehnten wieder auslässt. Liegt hier eine offenbare Absieht vor, so wird eine neuerliche Einsprache des Paderborner Bischofs die Veranlassung hiezu gegeben haben; wol als Entschädigung für diesen Verlust ist in derselben Urkunde den Mön- chen Markt- und Münzrecht in der villa Horohusun verliehen worden. Aber schon unter Konrad I. hat Corvei seinen alten Anspruch auf die Zehnten wieder durchgesetzt. Das von diesem König ertheilte Diplom DK. 14 zeigt, obwohl von Simon D. in seiner bündigen Weise abge- fasst, doch deutliche Spuren von der Benützung der Immunität Ar- nolfs und hat dieser auch die Bestimmung über die Zehnten ent- nommen, die fortan in einer Keihe von Nachurkunden wiederholt worden ist-).

Ausserdem scheint aber SD. noch eine zweite Corveier Urkunde vor sich gehabt zu haben. Es ist kaum Zufall, dass die Anfangs wortc der Arenga: „Convenit nostrae regali celsitudini" jenen in einer Ur- kunde Ludwig des Deutscheu für Corvei : Conveuit regiae dignitati " so nahe kommen, die Corroboratio beider Stücke aber fast wörtlich über- einstimmt. Mühlbacher hat auch dieses Diplom (Reg. 1456) als Fäl- schung bezeichnet ; nur das Protokoll desselben, das sich mit Ausnahme des unter Ludwig dem Deutschen noch nicht ü])lichen Incarmitions- jahres als unbedenklich erweist, führt er auf echte Grundlage zurück. Der eine für diese Beurtheilung massgebende Grund, nämlicli der, dass der Bezug der Zehnten erst unter Konrad I. verliehen worden sei, wird einigermassen abgeschwächt, wenn, wie ich erwiesen zu haben glaube, die Zehntrechte schon zu dem ursprünglichen Inhalt des Arnolfdiploms gehört haben; ssind dieselben schon im J. 887 anerkannt worden, so verringern sich auch die Bedenken gegen die Zuerkennung der Zehnten durch ein Diplom des J. 873, zumal sich Arnolf auch in diesem Punkte auf die Verfügungen seiner Vorgänger beruft''). Was aber die nn-

«) Erhard CD. Westfaliae 1, 28. s) Die Fassung von DK. 14 kehrt

wieder in DH. 3, DO. I, 3, DO. II, 81 und DU. III. 169. s) Dass der Satz .quod

Die iiltorPii Immmiitäteii i'iir W'tnili'ii im<I Corvoi. 53

IvHUzleiinässige Ftissimg uubeluugt, so liesse sie sich einerseits durch direkte Benutzung einer Pa])sturkunde, des im J. S82 dem Kloster Corvei ertheilten Privilegs Hadrian IL i), erklären, andrerseits vielleicht durch die besonderen Umstände, unter denen das Diplom zu Stande o-ekommen ist. Der ö-anze Inhalt und insbesondere der Schlusssatz zeigen, da^s der Ausfertigung der ürkinide ein Rechtsstreit zwischen dem Kloster und den betheiligten Bisehöfen vorausgegangen war; ist dem so, dann darf an das hierüber ertheilte Diplom nicht der strengste Massstab angelegt werden, denn wir haben es nicht mit einer könig- lichen Verleihung, sondern mit einer Urkunde über einen vor dem König ü-eführten Process zu thun. Ziehen wir in Betracht, dass zu Aachen eine grössere Zusammenkunft zur Berathung geistlicher und weltHcher Angelegenheiten stattgefunden hat, bei welcher wahrscheinlich auch eine päpstliche Gesandtschaft zugegen war '•^), duss ebenda für Lamspringe eine Urkunde ertheilt worden ist, die auch diesem Kl; ster einen An- theil an den Zehnten sichert, und überdies noch andere Unregelmässig- keiten mit dem D. für Corvei gemein hat (Reg. 1455)=^), so erscheint doch die Möglichkeit, dass auch der Context von Reg. 1456 auf echter Grundlage beruht, nicht ausgeschlossen.

Die Zehntrechte des Klosters Corvei sind also vielleicht schon von Ludwig d. D., sicher gleichzeitig mit jenen Herfords von Arnolf an- erkannt worden. Aber es ist wohl zu beachten, dass hier und in den folgenden Immunitäten nur die Zehnten von dem Erträgnis der Eigen- güter erwähnt werden, nicht aber jene von incorporirten Kirchen^).

ab exordio constrnctionis eornndem nionasteriorum a nostris antecessoributi consti- tutum est* oder docli ein ähnlich lautender in dem echten Arnolfdiplome ge- standen, schliesse ich daraus, dass auch die Werdener Immunitäten eine ent- sprechende Wendung enthalten: quod aliis quoque monachorum coenobiis con- cessum constat.

'1 Jafte-Löwenfeld Keg. 2947; über die Echtheit vgl. Diekamp , Suppl. 43 n. --'82. -) Die Instruction für den päpstlichen Gesandten Paulus von Ancona

(Jaife-L. Reg. 2976) ist im J. 873 ausgestellt worden und zwar bevor die Kunde vom Tod des Erzbischofs Adalwin von Salzburg (gest. 873 Mai 14, M. G. Necr. 2, 135 u. SS. 9, 505) nach Rom gelangte ; Paulus wird also wol noch im Sommer an den Hof Ludwigs gekommen sein, der im Juni zu Aachen weilte. ^) Auch hier findet sich das lucarnationsjahr und im Text die Erwähnung des Papstes. *) »decimae de dominicatis eiusdem monasterii mansis* und weiterhin »de domi- nicatis mansis vel nunc habitis vel post adquireudis* in Reg. 1456 für Corvei; »de dominicalibus mansis eiiisdem. monasterii decimae* in den Corveier Immuni- täten des lO.Jahrh. ; »ubicumque casas vel cortes habuerint, ex rebus quas ibidem suis laboribus adquirunt, decimas dent ad portam monasterii* in Reg. 1720. Erst in dem D. Heinrich II. St. 1318, dessen Fassung von den ottonischen Im- munitäten unabhängig, dagegen von jener Ludwig des Fr. beeinflusst ist, werden neben den decimae auch die decimales ecclesiae genannt .

54 1'^ !■ 1' p n-

Dies wird iiainentlicli für die Kritik des D. Ludwig des D. vom J, 85o (Reg. 1465) und des demselben nachgebildeten von Otto 1. (DO. 1. 153) zu beachten sein, auf deren Besprechung ich hier nicht eingehen kann, obwohl sie sich auch in anderer Hinsicht mit Reg. 1720 und zwar mit den interpolirten Stellen dieses Diploms berühren ') ; denn erst, sobald die einschlägigen Diplome des 11. und 12. Jahrh. entsprechend geprüft sein werden, wird sich ein sicheres Urtheil über alle die Zehnten betreffenden Diplome für Corvei und Herford fälleu lassen ^).

') ad eorum (episcoporum) mansionatica daretur, quod in capitularibus ante- cessorum nostrorum prescriptum habetur in Reg. 1365, episcopi . . . nou exigant maiores sumptus ad sua mansionatica quam primnin statutum fuerat et in capi- tulari libro scriptum habetur in Reg. 1720. '■') Vgl. besonders die Bemer-

kungen von iSickel zu DO. 1. 153.

Wien in den Jahren 1276 bis 1278 und K. Rudolfs Stadtrechts-Privilegien.

Von

Oswald Redlich.

Die vielfacheu Erörterungen, die sich an die beiden bekannten Wiener Stadtrechts-Privilegien K. Kudolfs I. vom Jahre 1278 knüpften, sind durch die Untersuchung Riegers zu einem gewissen Abschluss geführt worden!). Rieger stellte die üeberlieferungsverhältnisse beider Urkunden so weit als möglich fest, zeigte, dass der Inhalt des aus allen Copien kritisch herzustellenden Textes wirklich und genau in dem erhaltenen Umfang den Originalen angehören konnte und ange- hört hat ; er legte dar, dass die Zeugenreihe der Urkunde vom 24. Juni 1278, welche zu diesem Zeitpunkt unmöghch ist, einer früheren Hand- lung, etwa aus der ersten Hälfte des Jahres 1277 entspricht, während erst nach der Verui-theilung Paltrams im Mai 1278 die Zufügning der Artikel 29 bis 33 im reichsstädtischen Privileg erfolgte. Rieger machte es endlich sehr wahrscheinlich, dass die Bestätigung des Leopoldinums von 1221, so wie sie inhaltlich das Reichstadt- Privileg vom 24. Juni

») Beiträge zur Kritik der Wiener StadtrecMs- Privilegien, Programm des Wiener Franz Josef- Gymnasiums 1879. Den Ergebnissen Riegers haben z. B. Winter in Mitth. des Instituts 1, 318 und Huber, Gesch. Oesterreichs 1, 610 Anm. 1 vollkommen beigestimmt. Die Urkunden sind zuletzt gedruckt von Tomaschek in Geschichtsquellen d. Stadt Wien I 1, 42 flf. Es ist vielleicht für eine künf- tige Ausgabe der Wiener l'rivilegien nicht ohne Nutzen darauf hinzuweisen, dass im Archiv des Schlosses Aistersheim westl. Wels das Fragment eiues Privilegien- codex der Stadt Wien aus dem 14. Jahrhundert sich befindet (vgl. Böhm in Oesterr. Notizenblatt 1851 S. 92) und dass die fUrstl. Dietrichstein' sehe Bibliothek in Nikolsburg eine Handschrift des 14. Jahrh. mit Wiener Stadtrechtsurkunden besitzt, welche Dudik in Oesterr. Archiv 39, 504 in freilich ungenügender Weise beschrieben hat. Ich wurde durch Burckhardts verdienstliches Handbuch der deutschen Archive auf diese Handschriften aufmerksam.

F,ß K (• il i 1 l' ll.

voraussetzt, iu der Tliat auch später, am 2ö. Juni 1278, gegeben ward. Nach all dem Avar jedenfalls die Echtheit und ünY(^rfälschtheit der beiden Urkunden wol endgiltig festgestellt.

Nach zwei Seiten jedoch blieb noch Anlass zu weiterer Forschung.

Zunächst galt es, noch bestimmtere Klarheit über jenes fi*ühere Stadium zu gewinnen, auf das wir durch besagte Zeugenreihe geführt werden. Tomaschek war iu seinen Untersuchungen über die Privi- legien i) zur Ansicht gelanget, Kudolf habe im Jahre 1277 deu Wienern ihre Freiheiten bestätigt, doch in einer nicht recht genügenden Form, nicht in förmlichen und feierlichen Urkunden; erst 1278 seien -for- mell beglaubigte und von der königlichen Kanzlei regelmässig ausge- fertigte, mit dem königlichen Siegel versehene Urkunden " ausgestellt worden. Ficker, der durch seine Beiträge zur Urkundenlehre eine be- friedigende Deutung der Zeugenreihe erst möglich gemacht, dachte au eine erste Ausfertigung, also eine förmliche Bestätigung im .T. 1277 -). Kieger nahm dann wieder einen Entwurf, eine . vorläufio-e Puncta- tion" an, während die förmliche und feierliche Beurkundung erst 1278 stattgefimden habe, wobei dann die Handlungszeugen einfach zugefügt worden seien ^).

Um hier zu einem bestimmteren Ergebniss zu gelangen, muss uns diese Zeugenreihe selbst die nächste Auskunft geben. Es erscheint in ihr Bischof Leo von Kegensburg, der am 12. Juli 1277 starb. Irgend eine auf Wiens Stadtrec-hte bezügliche Handlung unter ^litthätigkeit oder doch Anwesenheit Bischof Leos muss also vor diesem Zeitpunkt geschehen sein, möchte auch ihre Beurkundung, was ja an sich mög- lich wäre, erst später erfolgt sein. Andrerseits wird unter den Zeugen der Graf Heinrich von Fürsteuberg genannt, der frühestens im Jänner 1277 nach Wien kam ^). Noch mehr, Albrecht und Hartmanu, des Königs Söhne, trafen erst im Juni 1277 in Wien ein. mit ilmen Bischof Heinrich von Basel •^). Ebenso kam jetzt zum erstenmal Herzog Albrecht von Sachsen'^), und luu dieselbe Zeit erschienen auch wieder in Wien Pfalzijraf Ludwio;^) und Bischof Heinrich von Trient, der aus

') Zuletzt in Geschic-litsiiu. der Staclt ^\'ion l 1 Kinloitung XLVill H'. -) Boi- triigo 1, 253 und 2, 490 f. •'') Beiträge /.ur Kritik der Wiener Stadtrechts-

Privilegien 24. Daselbst if-t übrigens der richtige Text der Zeugenreihe herge- stellt, wonach auch der Druck Tomascheks zu verbessern ist. ■*) . Wie Riezler im Fürstenb. ÜB. 1, 253 im Hinblick auf diesen Fall bemerkte. ^) Vgl. Koi)p, Keichsgesch. 1, 182 W. Kübel im Histor. Jahrbuch 9, 4()7. •■•) Er ist wol am 23. Juni schon in Wien, vgl. Hasse, Schleawig-Holstein-Lauenburg. Reg. 2, 211. ') Zuerst am 8. Juli unter den Zeugen der Urkunde Rudolfs fiir Laa, Winter, L'rkiindl. Beiträge zur Kechtsgcsch. ober- und niederösterr. Städte

Wien in di'u J. \27H 127S u. K. Kmlolf's tStadtveclits-rriviletrien. Ö7

Rom zurückgekehrt war^). Diese Reilie von Zeugenscliaften schiebt somit jene Handhmg oder die Beurkundung unzweifelhaft in den Juni oder in die erste Hälfte Juli des Jahres 1277. Es stimmt damit überein, wenn wir eben im Juni und Juli von den 39 Zeugen 24 mit Sicher- heit in Wien nachweisen können, Meinhard von Tirol mit einiger Wahrscheinhchkeit^^). Von den übrigen Persönlichkeiten würde die Anwesenheit einiger österreichischer und steirischer Herren, die zwar sonst nicht bezeugt ist, an sich keineswegs auffallen. Aber es bleiben noch ein paar Zeugen, bei denen eine derartige Annahme doch nicht mehr zulässig ist. Graf Friedrich von Leiningen erscheint zuletzt am 22. Mai in "Wien und ist jedenfalls Ende Juli am Rhein»). Graf Al- bei-t von Görz ist nm- bis Ende Jänner bei Hofe nachweisbar^). Und sind nun diese beiden, wie es allen Anschein hat, im Juni und Juli nicht in Wien gewesen, so zeigt es sich damit im Zusammenhang auch nicht mehr bedeutungslos, wenn jene österreichischen und steirischen Herren auch alle längstens nur bis in den Mai am Hofe weilen und dann verschwinden, ohne wieder bei den vielfachen Gelegenheiten, die sich ergäben, genannt zu werden 5). Legt das nicht die Verrauthung ungemein nahe, dass dieser Theil der Zeugenreihe einem früheren Sta- dium in der Entstehungsgeschichte der Urkunden angehört, als die übrige Mehrzahl? Ist dies der Fall, dann können wir in diesen den

■29, wonach Reg. der Pfalzgr. am Khein Ö. 58 zu ergänzen. Ludwig war Vtis m die zweite Hälfte Jänner in Wien gewesen.

1) Böhmer, Keg. Rudolf 386 vom 12. Juli; Heinrirh war bis gegen Ende Jänner in Wien gewesen, vgl. Egger, Bischof Heinrich 11. vonTrient. Innsbrucker Gymnasialprogr. 1885 S. 7. ^) Meinhard urkundet nach freundlicher Mit-

theilung von Prof. Ludwig Schönach am 27. Mai 1277 in Bozen und am 15. Juli zu Sterzing, dazwischen fällt Rudolfs Auftrag an ihn vom 1. Juli, das Kloster Neustift zu schützen (Böhmer, Reg. Rud. 1177); man könnte darnach immerhin Meinhards Anwesenheit in Wien zu Ende Juni, Anfang Juli annehmen. Sollte dies infolge neuen Materials sich als unmöglich herausstellen, so würde dann auch Meinhard, der im Jänner 1277 in AVien war, der folgenden Kategorie von Zeugen angehören. ^) Fürstenberg. ÜB. 5, 171». Am 11. Aug. 1277 erlässt

Friedrich von Leiningen eine Aufforderung zum Städtetag in Mainz, Strassb. l'B. 2, 38, früher schon hatte König Rudolf den Grafen mit seiner Vertretung in Uezug auf die Landft-iedensbestrebungen betraut und darüber an Erzbischoi' Werner von Mainz geschrieben, Bodmann, Cod. epist. 3H, vgl. dazu v. d. Ropp, Werner von Mainz 119. '>) Nach Urkunde vom 24. Jan. 1277, Schumi, Archiv fiir

Heimatkunde (Krains) 1, 239. ^) Es sind dies die Grafen von Pfannberg und

Ortenburg, die Herren von Pettau, Stubenberg, Hertnid und Herrand von Wil- ilonie, Leutold und Albero von Kuenring, der von Meissau, Konrad Landschreiber von Oesterreich. Der Markgraf von Burgau und der jüngere Markgraf von Baden lassen sich ausser durch unsere Urkunde überhaupt nicht in Wien nach- weisen.

5S Redlich.

ersten Monaten von 1277 angehörenden Zeugen nur die Zeugen einer Handlung erblicken, die wir uns etwa als vorläufigen Abschluss der Berathungen über Inhalt und Form der Wiener Stadtrechts-Privilegien vorzustellen haben. Für die Zeugen aber, welche dem Juni oder Juli 1277 zugehören, bleibt dann wol nur die Zeugschaft bei der Beur- kundung übrig. Jedenfalls hat es die Betrachtung der Zeugenreihe sehr wahrscheinlich gemacht, dass nach dem Vorausgehen vorbereiten- der Schritte um die Mitte des Jahres 1277 ein abschliessenderes Sta- dium in der Vorgeschichte der beiden Privilegien eingetreten ist^).

Die unzweifelhafte Sicherheit, dass dieses letzte Stadium in der That die förmliche Beurkundung der Stadtrechts-Privilegien gewesen ist, gibt uns König Rudolf selbst in einer Urkunde vom lo. August 1277. Hier verleiht Eudolf der Stadt Eggenburg alle Rechte und Freiheiten, quibus civitas Wiennensis a Romanis imperatoribus et regibus nostris predecessoribus et a nobis ac Austi-ie ducibus dinoscitur libertata -). Diese Stelle beweist wol ohne weiteres, dass Rudolf bereits vor dem 18. August 1277 die Freiheiten Wiens urkundlich und förmlich be- stätigt hat. Und wenn dem so war, so haben wir mit dieser Confir- mation jedenfalls die besprochene Zeugenreihe in Zusammenhang zu bringen, mit ihr fällt dann auch die Bestätigung in den Juni oder Anfang Juli 1277.

Inhaltlich wird diese erste Ausfertigung ganz den Urkunden vom 24. und 25. Juni 1278 entsprochen haben, mit der Ausnahme, dass natürlich gegenüber der erstem der Artikel 29 über Paltram und die folgenden ja offenbar nachträglich zugefügten Bestimmungen über Marktrecht fehlten und dass gegenüber der Bestätigung des Leopoldi- num noch nicht jene Arenga vorhanden war, welche in unverkenn- barer Weise die im allgemeinen erprobte Treue der Wiener im Gegen- satz zum Verrate Paltrams preist^). Dafür, dass im übrigen aber der In- halt dieser ersten Bestätigung von 1277 der Erneuerung von 1278 entsprochen hat, spricht wol ausser der inneren Wahrscheinlichkeit auch^noch folgendes. Man hätte doch kaum die Zeugenreihe des reichs- städtischen Privilegs so ohne weiteres einfach herüber genommen, wenn es eben doch nicht im ganzen die gleiche Urkunde geblieben wäre. AVeiter beruft sich Rudolf in der Bestätigung der Privilegien für Wiener Neustadt vom 22. Noveml)er 1277 auf die forma iuris civitatis Wien- nensis. nach der die Wiener Neustädter ihren Gerichtsstand haben

') Für difsou ganzen Fall vj^l. die Erörterungen Fickers über nicliteinheit- liclie Zengenreihon und Datirungen in Mittheil, des Instituts 1, 21 ff. -') Winter,

Urkundl. Beiträge zur Rechtsgesch. ober- und niederösterr. Städte 31. ') Aehn- lich schon Tomaschek a. a. 0. XLIX.

Wien in den J, 1276—1278 u. K. Rudolfs Ötadtrechts-Privilegien. 59

sollen, eine Wendung, die ebenso in den folgenden Bestätigungen von 1281 und 1285 wiederkehrt, also wol zeigt, dass diese forma vor und nach dem 22. November 1277 dieselbe geblieben war.

Im Juni oder Juli 1277 hatte also König Kudolf der Stadt Wien Privilegien von wesentlich demselben Umfang ertheilt, wie dieser uns' in den Urkunden von 1278 überliefert ist.

Es ist ein Ergebniss, deshalb von Bedeutung, weil es für das Ver- hältniss Eudolfs und Wiens erst die richtige Grundlage der Beurthei- kmg bietet, Obwol ja schon lange feststand, dass irgendwie eine Handlung im Jahre 1277 den Urkunden von 1278 vorausgieng, so sind die historischen Folgerungen daraus noch nie gezogen worden 1). Nur Lorenz, der, wie man weiss, die Urkunden so wie sie uns überliefert sind, für spätere Entwürfe der Wiener Rathspartei unter Herzog Albrecht ansah, hat der Consequenzen Erwähnung gethan, die sich aus der Annahme der Echtheit der Urkunden ergeben, freilich nur, um dadurch diese Annahme selbst gewissermassen ad absurdum zu führen: „bekanntlich empörten sich Paltram und seine Söhne, weil Rudolf die Reichsfreiheit und Rathsrechte nicht bestätigt hatte; weil sie sich empörten, wurden sie verurtheilt und weil ihre Verurtheilung zu einer Bedingung der Ertheilung des reichsstädtischen Privilegiums gemacht wurde, darum konnte auch das Privilegium nicht vor der Zeit der Verurtheilung vorhanden gewesen sein." Wäre dies letzte der Fall, „so brauchten sich offenbar die Wiener nicht zu empören und Paltrara nicht verurtheilt zu werden". Also kann natürlich das Auskunftsmittel der Rückdatirung der Handlung nicht gebraucht werden, also sind die Urkunden in dieser Gestalt nicht echt^). Nun sind sie aber doch eben in dieser Gestalt als echt erwiesen worden. Es wird demnach noth- wendig sein, unter diesem neuen Gesichtspunkt das Verhältniss der Stadt Wien zu Rudolf auch einer neuen Beurtheilung zu unterziehen und es dürfte sich zeigen, dass sich so doch alles noch besser in- einanderfügt.

') Man nahm einfach die Echtheit der Urkunden an, beachtete ihre Vor- geschichte nicht weiter und konnte dann in ihnen allerdings nichts anderes er- blicken, als einen Versuch Rudolfs, das wichtige Wien unmittelbar vor dem Kriege mit Ottokar sich geneigt zu machen. Diese Annahme wird unmöglich, wenn Rudolf eben schon ein Jahr früher wesentlich diesellH>n Urkunden ausge- stellt hat; und jener Artikel über Paltram, den die Neuausfertigung von 1278 mehr hat, muss nunmehr gerade als die eigentliche Veranlassung derselben her- vortreten. Dies soll die folgende Darstellung erweisen, '^) Lorenz, Ueber den Unterschied von Reichsstädten und von Landstädten in Wiener SB. 89. b'D.

60 K e (1 1 i <• h.

Rudolf war im October 1276 imauflialtsain bis vor Wieu vorge- druugen. Die kleiueren Städte Ober- und Uuterösterreichs hatteu sieli ohue Gegenwehr dem römischen König unterworfen. Wieu aber leistete tapferen und hartnäckigen Widerstand. Vom 18. October an lag Ku- dolf mehr als fünf Wochen vor der Stadt, ohne sie mit Waffengewalt bezwingen zu können. Wien war durch König Ottokar von Böhmen von jeher begünstigt, in seiner inneren Entwicklung nie gehemmt worden, Ottokar hatte die Stadt neu befestigt und hatte ihr el)en noch im selben Jahre nach grossen Bränden sein besonders hilfi-eiches Wolwollen bewiesen ^). Andrerseits hatte Ottokar von den Bürgern Wiens sich zwar huldigen lassen, so dass damit ihre Reichsunmittel- barkeit verloren gegangen, hatte aber im übrigen in keiner Weise in die durch die Privilegien Kaiser Friedrichs II. von 1237 und 1247 gewährte freiere und selbständige Stellung des Eathes eingegriffen^). So waren die herrschenden Bürger in ihrem Streben nach politischer Selbständigheit nicht gestört worden, und auch die unteren Klassen fanden sich unter dem Regimente Ottokars wol zufrieden. Zudem w^ar die Geistlichkeit, wie grösserntheils in Oesterreich, dm"ch zahlreiche Begünstigungen für Ottokar sehr eingenommen. Nun kam der römi- sche König. Was hatte Wien von ihm zu gewärtigen? Wol das, was er am oO. October der Stadt Tuln, die sich ihm schnell und freudig ergeben hatte, verbriefte: da die Stadt unmittelbar an das Reich gehört, soll sie, wen immer wir dem Lande Oesterreich vor- setzen werden, nur diesem unterstehen, ganz so, wie sie dem Reiche verbunden ist. Das heisst, solaus'e der König im Lande ist. steht die Stadt unmittelbar unter dem König, ist reichsunniittelbar ; kommt ein Laudesfürst, so wird sie ebenso landesfürstlich^).

Dagegen wehrte sich Wien oder doch vor allem die herrsehenden Männer der Stadt, an ihrer Spitze der mächtige und einflussreiche Paltram vor dem Friedhofe. Sie kämpften weniger für Ottokar als für sich selbst. Neben ihnen war eine reichsfreundliche Partei, die nach dem steierischen Reimchrouisten bestand^), anfangs wol unbedeu-

») Vgl. Contin. Vindobon. SS. fl, 706, 707. -') Vgl. Lorenz a. a. 0. 65 ft'.

•'•) Die höchst beraerkenswerthe Stelle des Tulner Privilegiums lautet : Item cum oivitas sepedicta immediate vespiciat impcrium, volumub et in specialis gratie ar- gumentum ijisis concedimus, ut quonicumque terro Austrie prefecerimus, oidem et nulli eius sutfraganeo pareat ipsa oivitas eo ordiue et forma quibus ipsi im- perio est astrieta. Winter, Urkundl. Beiträge 27. Die Stelle ist jedenfalls auch bezeichnend für das, was den Geist Rudolfs noch vor Ausgang des Krieges von J276 erfüllte. Unausgesprochen liegt in diesen Worten doch schon der (iedanke, der sechs Jahre später zur Wirklichkeit ward. *) Ed. Seemüller in Mon,

Germ. Deutsche Chron. 5. 188.

^\'ien hl den J. 1276—1278 n. K. Rurlolfs Stacltrechts-Pnvilt^gieu. ßj

tend. Als sich aber im Laufe der iJelageruug Mangel an Lebens- mitteln zeigte, die Bedrängnisse des Krieges sich mehrten und Unzu- friedenheit und Widersetzlichkeit um sich griff, fand sie einen Bundes- o-enossen an dem „povel", wie der ritterliche Sänger die Handwerker und gemeinen Leute verächtlich nennt. Zwar war diese Strömung nicht mächtig genug, um die Uebergabe der Stadt zu erzwingen, doch aber scheint sie die Anknüpfung von Verhandlungen mit Eudolf be- wirkt zu haben. Denn solche setzt doch der neunte Artikel des mit Ottokar geschlossenen Friedens vom 21. November 1276 voraus: Ru- dolf nimmt Paltram und den Stadtschreiber Konrad, sowie die ganze Stadt Wien zu Gnaden an, alle gegen die Stadt ergangenen Sentenzen werden widerrufen, dagegen sollen der Stadt Freiheiten, Privilegien und Vorrechte vollständig gewahrt bleiben i). Das waren die Bedin- gungen, unter denen sich Wien ergab, nachdem die Unterwerfung Ottokars einen weiteren Widerstand doch nicht mehr räthlich machte. In den letzten Tagen des Novembers zog Rudolf in Wien ein 2).

Die Währung: der Freiheiten und Privileo-ien Wiens bedeutete na- türlich ihre ausdrückliche Bestätigung durch Rudolf. Was der steierische Reimchronist in die Tage vor der Uebergabe der Stadt zusammen- drängt, das wird in der That in den nächsten Monaten geschehen sein: do wurden üz gelesen die besten die man häte an der Wien^er rate, daz die kgemeu überein umbe groz und umbe chlain, swaz man in solde machen sieht an ir gewonheit und ii- reht bessern und iteiiiweu. Der kunic in daz bi sinen triwen von dem ersten hinz dem lesten müest verhant- vesten vergewissen und bestatten, e si immer iht getreten daz sin wille waere. Aus diesen Vorlagen der Bürgerschaft und den Besprechungen im königlichen Rate ^) giengen endlich die Stadtrechts-Privilegien hervor,

I) Mon. (ievra. LL. 2, 408. Auch die steier. Reiuudironili meldet ;nis- drikklich die Bestätigung der Privilegien als Bedingung der Uebergabe. -) Dass Wien erst nach dem Friedensschluss vom 21. November die Thore öttnete, zeigte schon Huber, (jesch. UesteiTeichs 1, 602 Aniu. 1 ; seine Gründe die ausdrück- liche Angabe der besten Quellen und die Thatsache, dass Kudolf noch am 28. Nov. in castris ante Wiennam uvkiindet, können noch besonders durch den Hin- weis auf Artikel 9 des Friedens vermehrt werden. Die gegentheilige Ansicht von Lorenz, Deutsche Gesch. 2,145, beruht auf der Reimchronik 188 f., die ihrerseits durch die Erzählung des Chron. Colmar. S8. 17, 248 beinttiisst war. Diese schiefe Auflassung bedingt denn auch des Reimchronisten übrige Darstellung der Wiener Vorgänge , die eben nur darnach beurtheilt und vcvweithct werden kann. 3) Zu der Annahme eines allmäligen Zustandekommens der Urkunden schon in der Natur der Sache liegend bringt die frühere Ausführung über die Zeugen- reihe einen weiteren Beweis.

ßo R e d 1 i c h.

wie sie König Kudolf um die Mitte des Jahres 1277 förmlich und Jeierlich bestätigte und verbriefte.

Wiens Wünsche wareu erfüllt, eine weitere Entwicklung der Stadt im Sinne eines reichsunraittelbaren Gemeinwesens von politischer Be- deutuuo- schien durch die Urkunden gesichert. Und doch war es in kurzer Zeit wieder Paltram vor dem Friedhof, der mit Ottokar ge- heime Verbiudungen anknüpfte, mit allen Unzufriedenen in Oester- reich und Steier in Beziehung trat und ein Mittelpunkt jener gefähr- lichen Verschwörung ward, die im Sommer 1278 im Verein mit einem AngTiff des Böhmenkönigs Rudolf verderben sollte. Für Paltram und seine Mitverschwornen in Wieu konnte es sich nur darum handeln, das schon Errungene festzuhalten für alle Zeiten. Und da schien ihnen Kudolf jedenfalls viel gefährlicher , als nach ihrer Erfahrung Ottokar. Denn die Absicht Rudolfs, Oesterreich seinen Söhnen zuzuwenden, Hess sich nunmehr schon recht gi-eifbar merken: im Lauf des Jahres 1277 waren die ausgedehnten Kirchenlehen von Salzburg, Freising und Passau, welche die babenbergischen Herzoge innegehabt, den Söhnen des Kö- uio-s übertragen worden. Und ein Herzog im Lande war eben nach den Erinnerungen aus des streitbaren Friedrich Zeit so viel wie der Kampf gegen die Keichsunraittelbarkeit der Stadt. Dazu gesellte sich die Unzufriedenheit mit dem neuen Regiment, dessen Steuerdruck be- sonders auch die Städte traf und die Sehnsucht nach den guten Zeiten König Ottokars wachrief. Es wii-d nicht zum kleinsten Theile gerade dies letztere Motiv gewesen sein, welches Paltram aus den Reihen der Wiener Biirger seine Anhänger verschaffte.

Ein Gelingen dieser verrätherischen Pläne hätte für Rudolf höchst gefährlich, ja verderl)lich werden können. Allein die Verschwörung wurde Ende April oder Anfangs Mai 1278 entdeckt ' ). Die Hauptschuldigen, Hein- rich von Kueuring, dann Paltram, sein Bruder und seine Söline wurden des Hochverrathes schuldig erkläi-t, ilire Güter eingezogen ; sie entkamen nur durch die Fkicht der Strafe. Auch manche andre angesehene Wiener Bürger waren in die Sache verwickelt-). Im ganzen und grossen

') Durch eine mir erst kürzlich bekannt gewordene Urkunde K. Rudolfs vom ly. Mai 1278 (Copie im Landesarchiv zu Graz, aus Orig. im Consistorial- arch. zu Salzburg) wird der bisher zwischen Ifi. April und IG. Juni begrenzte Zeitraum für die Entdeckung beträchtlich verengert. Kudolf schenkt nemlich am 19. Mai dem Chunrad von Himberg, Landscbreiber von Steiermark, ob seiner Verdienste einen Weinberg gen. Gannzz und einen andern in ürinzing, quas Bal- Irammo «luondam civi Wiennensi cum ceteris bonis suis propter indevocionis aue proterviam sentencialiter abiudicavimns iic nobis attraximuH.

") Die Bürger, welche 1281 an Rudolfs Sohn Albrecht als Reichsverweser die HnldigungHbriefe mit der ausdrücklichen Krklfirinig ausstellon, jede Bezit^hung

Wien in den J. 1276— 1278 u. K. Rudolfs Stadtrechts-Privilegien. 63

freilicli war die Stadt doch wol Kiidolf treu geblieben und von einer allgemeinen Verschwörung und Empörung Wiens darf man nicht spre- chen 1). Aber eine Saat von Misstraueu zwischen dem König und der Stadt war ausgestreut, und demgemäss handelte Rudolf, vorsichtig und drohend. Er that es in dem für die Stadt empfindlichsten Punkte. Als er vor einem Jahre Wien die Stadtrechtsprivilegien verliehen hatte, war dies geschehen ohne Einschränkung. Jetzt traf er im Hinblick auf die jüngsten Vorgänge eine Bestimmung, wie sie vielleicht beispiellos dasteht bei derartigen Urkunden, wenn auch ihr Gedanke unausge- sprochen wol jeder Verleihung zu Grunde liegt. Die Gültigkeit und Dauer der von dem Reiche der Stadt Wien gewährten Rechte, also vor allem die Reichsunmittelbarkeit und die damit zusammenhängende innere Selbständigkeit, sollte abhängen von dem Wohl verhalten der Büro-er: würden sie in irgend eine Verbindung mit dem geächteten Paltram und seinem Geschlechte treten, so sollen dadurch allein schon, ipso fiicto, diese Rechte verfallen und verloren sein. Es wurden die Urkunden in neuer Ausfertigung hergestellt und diese Bestimmung einfach au den letzten Artikel des früheren Textes angehängt, mit ihr zugleich noch einige inarktrechtliche Verfügungen, zu deren nachträg- licher Aufnahme sich da eine willkommene Gelegenheit fand. Die Ein- leitung des einen Privilegs wurde benützt, um die in Gefahi- und Em- pörung bewährte Treue der Wiener zu preisen, welche belohnt werden soll. Konute dies immerhin mit Rücksicht auf die im ganzen ja ruhige Haltung der Stadt gesagt werden, so waren es im Grunde doch nur schöne Worte und nahmen in Wesenheit dem neuen Artikel 21* nichts von seiner drohenden Schärfe, mit der er eines Tages Sehuldige und Unschuldige, die ganze Stadt, treffen und ihre Freiheit und selbstän- dige Bedeutung; vernichten konnte.

Dies war die Bedeutung der uns allein erhaltenen Neuausfertigung der Wiener Stadtrechtsurkunden vom 24. und 25. Jnni 1278. Zehn Jahre später ging das Schicksal Wiens in Erfüllung. Die Drohung des Artikels 29 ward unter der eisernen Hand des neuen Laudesfürsteu, des Herzogs Albrecht, zur That und Wirklichkeit, die Empörung der Wiener uearen den Heizou', der von ihrer Reichsunmittelbarkeit nichts wissen wollte, endete mit dem vollständigen Verzicht der Stadt auf alle und jede ihr von König Rudolf verlieheneu Privilegien.

zu Paltram vermeiden zu wollen (GQ. der Stadt Wien 1 1, i>'.}), dürfen sicherlich als bei der A'erschwörung Paltrams betheiligt nugenommen werden, wie dies schon Lorenz in Wiener SB. 4(', 77 that. ') Dies verbietet denn doch der Eingang der Urkunde vom 2."j. .luni 1278; auch Weiss, Gesch. d. Stndt Wien I, lo7 ist dieser Ansicht.

Karl W. und die Witteisbacher.

Von

Theodor Lindner.

^ Frauduleutus eteuiiu caesax Babariain dolosis uequitiis seinper impugnavit*. so zeichuet der Verfasser der Jahrbücher von Matsee das Verlialten Karls IV. gegen die Baiernfürsten, Und wie der Zeitge- nosse haben viele Geschichtsschreiber bis auf den heutigen Tag ge- nrtheilt, auch ihnen galt Karls Handlungsweise als ein schändliches Gewebe von List, Bosheit und Betrug, Natürlich, dass es dem Kaiser nicht an Vertheidigern gefehlt liat, aber diese, wie der vortreffliche Pelzel und Palacky, konnten als parteiisch gelten, und obgleich sich in neuerer Zeit eine günstigere Auffassung des grossen Luxemburgers Bahn bricht, wird doch gerade sein Vorgehen gegen die Baiern noch immer als Ausfluss grandsätzlicher Feindschaft und persönlicher Ge- hässigkeit angesehen.

Vielleicht wii'd eine Betrachtung ohne Voreingenommenheit mit ruhiger Erwägung des thatsächlichen und aeteumässigen Ganges der Dinge zu einem andern Ergebniss führen und zeigen, dass die Schuld auf beiden Seiten mindestens gleich vertheilt lag, ja dass tue Baiern seliger die Ursache waren, wenn .sie von einem Verlust nach dem an- dern betroffen wurden, dass üie selber den Kaiser veranlassten, ilmen das Schicksal zu bereiten, welches sie trat. Es liegt mir wahrlich die Absicht fern, eine Bettung Karls IV. zu schreiben; was sollte mich auch dazu bewegen? Ein unmittelbar persönliches Interesse an jeuen Vorgängen kann heutzutage nur ein liaier empfinden, welcher es mit Beeilt beklagen darf, dass der Luxemburger seinem Fürstenhause den Bang abhef und die Aussicht auf eine grosse Zukunft abschnitt, aber es ist anzuerkennen, dass sich der neueste Geschichtsschreiber Baierus von solchen Empfindungen nicht zur Ungerechtigkeit verleiten Hess.

Karl IV. unrl die Wittelsbacher. 65

obschon Eiezler die Beziehungen Karls zu den Witteisbachern auch etwas einseitig beurtlieili

Ich will nicht noch einmal Alles im Einzelnen erzählen, denn das hiesse fast die gesamte Geschichte Karls IV. schreiben. Ich be- schränke mich darauf, einen üeberblick über die Entwicklung zu geben ; nur an einzelnen Stellen, wo es mir nöthig erscheint, verweile ich etwas länger, so namentlich bei dem Schlussabschuitt, dem Streite um Brandenburg. Da ich auf die allbekannten Darstellungen von We- runsky, Kiezler, Huber u. s. w. verweisen kann, enthalte ich mich meist einzelner Quellennachweise, um eine flüchtige Skizze nicht mit zu viel Ballast zu beschweren.

Dem Kaiser gerecht zu werden ist deswegen schwer, weil das Auge, seine ganze Kegierung überschauend, naturgemäss an dem End- ergebniss haften bleibt, und so entsteht leicht die Vorstellung, es sei von Anfang an gewollt, vorbereitet und mit zäher Geschicklichkeit festgehalten schliesslich erreicht worden. Die Erwerbung der Mark Brandenburg gilt in der Regel als das Ziel, welches sich Karl schon in den ersten Jahren seiner HeiTschaft stellte und in seinem Geiste nie aufgab. Wäre das richtig, dann müsste allerdings der Stab über ihn o-ebrochen werden. Aber berechtigt zu solcher Annahme etwas anderes als die Thatsache, dass er das Land schliesslich an sicli brachte? Es lässt sicli fi'eilich nicht urkundlich widerlegen, dass er eine solche Absicht stets gehegt habe, aber ebensowenig ist sie zu be- weisen; für beides fehlen uns sichere Zeugnisse. Man wird daher besser thun, nicht zu viel vorauszusetzen, sondern einfach den Lauf der Er- eignisse zu verfolgen und jedes für sich in seinem eigenen Zusammen- hange zu begreifen.

Das Königthum Karls ist aus der Feindscliaft gegen die Witteis- bacher hervorgegangen und unzweifelhaft lud er durch die Art, in welcher er es erwarb, eine schwere Schuld an dem Deutschen Reiche auf sich. Aber er konnte sich mit dem Rechte der Selbstvertheidigung entschuldigen, sicli beklagen, wie das luxemburgische Haus durch Kaiser Ludwig, der ihm die Krone und den Sieg über Habsburg ver- dankte, nur Undank, Beeinträchtigung und mit dem schnöden Raube Tirols noch Verunehrung erlitt; er hatte nicht Unrecht, wenn er von einer weiteren Regierung Ludwigs Schlimmeres befürchtete i). Doch mag man darüber denken, wie man will; dass Karl, sobald er ein- mal als Gegeukönig aufgetreten war, Ludwig zu stürzen suchte, war

') Vgl. lueiue Deutsche Geschichte uuter den Habsburgem und Luxem- burgern I, 468 ff.

Mittheilungen XII. 5

(^^ L i n fl n e i*.

uatürlicli. JDeösen i)lötzliclier Tod verscliaflte ihm unerwartet schnell die allgemeine Anerkennung, aber nur deswegen, weil die Söhne des Gestorbenen nicht sofort den Kampf gegen ihn aufnahmen, ihm kost- bare Zeit liessen, sich im Reiche festzusetzen.

Karl bekriegte sie zunächst nicht weiter und täuschte damit die Hoffnungen der Kurie, welche erwartete, dass er an ihnen die Eache der Kirche vollziehen, sie von Land und Leuten treiben werde. Seine Stellung war dadurch eine sehr schwierige, weil er die Gunst des Papstes noch nicht entbehren konnte, aber keineswegs beabsichtigte, sich zum Vorkämpfer päpstlicher Ansprüche aufzuwerfen. Er blieb sonach in selbständiger zuwartender Haltung.

Es o-ab für die Witteisbacher zwei Wege: entweder schleunigst eine Verständigning mit dem Gegner zu suchen oder ihn mit allem Nachdruck zu bekämpfen. Sie wählten das letztere, und dass sie Karls KöniD"thum als nicht zu Recht bestehend betrachteten, wird ihnen Nie- mand verargen. Fassten sie ihre ganze Macht zusammen, so konnten sie schon dem Böhmen die Spitze bieten, denn ihre Besitzungen um- klammerten das Reich au allen vier Ecken. Wollten sie Karl nicht anerkennen, so mussten sie ihm einen andern König entgegenwerfen, und da ihnen vier Kurstimmen, die pfälzische, die brandenburgische, die mainzische des Erzbischofs Heinrich, die Theilstirnme Sachsen- Lauenburgs zur Verfügung standen, war eine Neuwahl, die als recht- mässig gelten konnte, zu macheu. Das richtigste wäre gewesen, wenn der älteste Sohn des Kaisers, Ludwig von Brandenburg, selbst als König auftrat; deun obgleich er sich dann selber wählen' musste, er konnte übrigens auch seinen Bruder als Kurfürsten von Branden- buro- vorschieben kam doch alles nur auf die Macht an. Selbst wenn man einen andern deutschen Fürsten erhob hätten die Baiern nur damals schnell gehandelt! Aber der abenteuerliche Plan, König- Eduard IIL von England heranzuziehen, kostete neue Zeit, verstärkte schliesslich nur Karls Stellung, nährte dessen Feindschaft und raubti^ die Möglichkeit, luit ihm rechtzeitig vortheilhaite Verliandlnug(>ii an- zuknüpfen.

Erst jetzt, wo es schon zu spät war, suchten die Baiern ihren Schwager ^Tarkgraf Friedrich von Meisseu zur Annahme des König- thums zu bewegen. Karl erweckte ihnen, da sie ihm Trotz boten, in- zwischen aller Orten Schwierigkeiten, aber er war auch bereit, ein Abkommen zu treffen, welches zu vermitteln Herzog Albreeht von Oesterreich übernahm. Nach den Gelübden, welche der König in Avignon abgelegt, durfte er eigentlich nicht mit den Baiem verhandeln, und als er daher dem Papste vorher Mittheilnng machte, that er es in der

Karl IV. nnd die Wittelsbacher.

ß7

Absicht, sein Eutgegeiikomnien zu begründeu uud bei der Kurie einen Ausgleich vorzubereiten i). Indessen die Zusammenkunft in Passau nahm den übelsten Verlauf: leideu schaftlich trat Ludwig gegen den Widersacher auf, weil dieser die englischen Umtriebe durch Anschläge auf Holland abgewaudt hatte. Doch fuhr Karl fort, in Avignon in seinem Sinne zu wirken; er erreichte gegen Ende des Jahres, dass die Ehe seines Bruders Johann Heinrich mit Margaretha Maultasch von Tirol kirchlich getrennt werden sollte, und erleichterte dadurch einen künftigen Ausgleich mit Ludwig, da die Scheidung auch die Ansprüche des böhmischen Prinzen auf Tirol aufhob-).

Vorläufig war jedoch Kampf die nächste Losung. Ein merkwür- diges Zwischenspiel brachte das Auftreten des falschen Waldemar in der Mark. Dass Karl an der Aufstellung des Betrügers betheiligt war, ist nicht wahrscheinlich, aber er zauderte nicht, sie auszunützen und ging selbst in die Mark, um die Empörung mit seiuem königlichen Namen zu rechtfertigen. Vor dem von Ludwig vertheidigten Frank- furt vollzog er feierlich die Belehnung Waidemars, deren Urkunde zu Heinersdorf ausgestellt wurde, und gebot allen Landesbewohnern Ge- horsam und LTnterwerfung. Doch auch jetzt scheint er Verhandlungen nicht verschmäht zuhaben, denn da er und Ludwig im December 1348 zu gleicher Zeit in Dresden anwesend waren an dem Hofe des Meissner Markgrafeu, der sich inzwischen das ihm angebotene Gegenkönigthum durch Kar] liatte abkaufen lassen, so lieg-t nahe, eine Verabreduno- an- zunehmen. Als eine Aussöhnung nicht erfolgte, wusste der Markgraf keinen andern Ausweg, als den schon abgenützten Gedanken, einen Gegenkönig aufzustellen. Die Auswahl war nicht mehr- gi-oss und Ludwig musste nehmen, wen er fand; seine mit Günther abo-eschlos- senen Verträge machen durchaus den Eindruck, dass ihm der Pl.m. den Schwarzburger autzuwerfen, schnell durch den Kopf fuhr und er nur in der Verlegenheit nach ihm griff. Er wollte auf jeden Fall Karl Hindernisse in den Weg werfen: das weitere mochte die Zeit bringen.

Es ist bekannt genug, Avie nun die Wahl Günthers erfolgte, der zwar in Frankfurt seinen Sitz nahm, aber, weil er die Hilfe seiner Förderer abwartete, die schönste Zeit ungenützt verstreichen Hess. Karl dagegen sicherte sich durch Verträge seine Freundschaften uud ver-

legte Günther den Weg nach Aachen, zog durch die Heii'at mit Anna

deren Vater, Pfalzgraf Iludolf, auf seine Seite und griff endlich seinen

') Vgl. Riedel II, 2, 260. '■) Als Bittsteller wird zwar Jolianu allein oe- iinnnt, al.er der KTiniiT innss ducli weniosfens claruin «r^wusst haVieii.

5*

gg L i n d n e 1'.

Gegner an, nachdem er ihn vergeblich zu Friedensverhandlungen zu bewegen gesucht. Die folgenden Einzelheiten sind nicht recht klar. Karl selbst meldete seinen Freunden, dass Günther, Ludwig von Brandenburg, ■Heinrich von Mainz und Pfalzgi'af Kuprecht nach Eltville geflohen seien, wo er sie belagert und bezwungen habe, während nach anderen Nach- richten Ludwig erst, als Karl schon vor der Feste lagerte, herbeikam, doch nicht um zu kämpfen, sondern um Frieden zu schliessen. Jeden- falls führte nicht der kriegerische Erfolg Karls allein die Entscheidung herbei, denn er kam seinen Feinden in jeder Weise entgegen. Na- mentlich gegen Günther handelte er sehr anständig, während dessen Wähler des Verrathes an ihrem Opfer beschuldigt wurden.

Doch uns können hier nur die mit den Baiern vereinbarten Ver- träge beschäftigen!). Karl schloss in allgemein gehaltenen Urkunden mit sämmtlichen baierischen Herzögen Frieden und bestätigte ihnen alle ihre Länder und Rechte, ohne sie im Einzelnen zu bezeichnen. Die Hauptsache war natürlich die brandenbm'gische Frage. Nach allem Vorangegangenen und den übernommenen VerbindKchkeiten gegen die Freunde Waidemars konnte Karl vorläufig den falschen Markgrafen nicht sofort und vollständig aufgeben, auch nicht den Baiern den markgräflichen Titel ertheilen. Bestimmte Versprechen, die Mark ihnen zurückzustellen, hat er auch gewiss nicht gegeben, aber er bereitete schon die Möglichkeit vor, vielleicht verwies er sie bereits auf den einzuschlagenden Rechtsweg. Er verhiess, dem hochgebornen Wälde- rn ar, Markgrafen von BrandenlDurg, seinem lieben Schwager und Für- sten" keinen Beistand zu leihen, wenn Ludwig gegen ihn Krieg führen wolle. Er gestattete also Ludwig, sieh die Mark zu erobern, hielt ihn aber in Abhängigkeit, wie er es noch tbun musste; doch duldete er daneben, dass dieser sich nach wie vor Markgraf von Brandenburg nannte. Dagegen legte Karl den Streit um Tirol alsbald bei, indem er für sich und seine Erben die Rechte auf Kärnthen, Tirol und Görz aufgab und den Titel dieser Länder Ludwig ertheilte. Zugleich versprach er seine guten Dienste zur Lösung des Kii'chenbannes , zu welchem Zwecke er selbst mit Ludwig nach Aviguon gehen wollte. Ludwig im Namen seiner Familie erkannte dafür den Luxemburger als König an und versprach, die Reichskleinodien nach der Befi-eiung von den Kirchenstrafen ihm auszuliefern.

Karl, welcher der Ansicht sein durfte, dass die Witteisbacher ihm den Krieg aufgezwungen, den Thronstreit zwecklos verlängert hätten, zeigte sich gleichwohl zur Nachgiebigkeit bereit, soweit er für den Augen-

') Vgl. Steinherz und Weizsäcker in den Mitth. VIEI, 105 ff.

Karl IV. nml die Wittelsbaclicr. fiQ

blick geheu konnte. Er vermied einen weiteren Kampf und machte seinen Gegnern grössere Zugeständnisse, als sie ihm. Denn er ver- laugte von ihnen nur die Anerkennung, welche sie ihm kaum noch versagen konnten, und wagte es wiederum, dem Papste gegenüber, obschon mit Vorsicht, selbständig aufzutreten. Clemens war tief ver- stimmt ; als ihm Karl sofort seine baldige Ankunft zusammen mit dem Baiern meldete, schrieb er ilim zurück, die gegenwärtigen Zustände im Reiche machten rathsam, dort zu bleiben.

Es besteht nun die Meinung, Karl habe durchaus nicht die Ab- sicht gehabt, die märkische Sache ehrlich zu erledigen; Ludwig habe sich bald veranlasst gefühlt, wegen Beeinträchtigung seiner Rechte durch den Köqig die Kurfürsten anzurufen, aber Karl durch den erfolg- ten Spruch sich nicht abhalten lassen, in der Mark von neuem feind- lich gegen Witteisbach aufzutreten. , Während er die eine Hand dem versöhnten Gegner ans Herz drückte, winkte er mit der andern schon hinter seinem Rücken wieder einen Feind herbei " i). Ich denke, da- mit wird dem König Unrecht gethan. Die Neueren sehen der Lösung einer so schwierigen Frage ungeduldiger entgegen, als es damals Ludwig that, und würdigen nicht genug Karls Lage, der doch nicht Hals über Kopf zu den Baiern übergehen und allein ihre Interessen zur Richt- schnur nehmen konnte. Er bahnte vielmehr die Wendung, welche er nehmen wollte, allmählich an. Es handelte sich um einen Rechts- streit, der bereits einmal entschieden worden, und daher war es nicht so leicht, ihn nun im entgegengesetzten Sinne durchzuführen; am wenig- sten konnte das Karl mit einem blossen Wort thun.

In der Mark hatte die allgemeine Lage inzwischen keine wesent- liche Aenderung erlitten; die gegen die Witteisbacher Verbündeten hielten weiter zusammen und schlössen Verträge über Ausnützung und Theilung der Beute. Die Nachrichten über den Friedensschluss zwischen Karl und Markgraf Ludwig, unerwartet vde sie waren, riefen gewaltige Aufregung hervor, da Niemand Avusste, was dabei über die Mark be- stimmt worden sei. Ludwig der Römer, welcher den abwesenden Bruder vertrat, machte daher Städten und Ständen den Vorschlag, beim Könige selbst anzufragen , ob die Mark den Baiern verbleiben solle ■'^). Es scheint, dass er schon auf guten Bescheid rechnete.

Karl ging jetzt noch über seine den Baiem an sich schon gün- stige Haltung hinaus. Am 11. August in Köln verkündigte nämhch Pfalzgi-af Rudolf den mit seinen kurfürstlichen Genossen gefundenen Spruch: Kaiser Ludwig habe dem Markgrafen Ludwig von Branden-

') So Riezler lU, 17; ähnlich Werunsky II, 198 ti'. ■') Riedel 11,2,258.

70 L i n il n e r.

bürg alle seine Freiheiten bestätigt und Karl sie ihm auch versehrieben ; der K()nig solle seine Zusagen nicht üljertreten, und thäte er das, solle es Ludwig keinen Schaden bringen i). Der Sinn war also der: es wurde die Thatsache festgestellt, dass Kaiser Ludwig seinem Sohne die Mark verliehen und dass Karl letzterem alle seine Kechte bestätigt habe, also auch die Mark. Wenn aber Waldemar damals wirklich noch lebte, so war Ludwigs Verleihung eine ungiltige und die neue Ver- briefung durch Karl konnte sie auch nicht bekräftigen, während im entgegengesetzten Falle sie es that. Des Markgrafen Schicksal hing also daran, ob Waldemar echt war oder nicht; erkannte nun der König diesen weiter fälschlich an, so that das dem Rechte des Witteis- bachers an sich keinen Abbrach. Der Spruch war also Ludwig durch- aus günstig und wahrte gerade alle seine Rechte. Mehr konnte Karl vor der Hand nicht thun, denn dass Pfalzgraf Rudolf nach und mit seinem Willen handelte, beweisen zur Genüge Person, Ort und Zeit und wenn er selbst gleich darauf den Märkern schrieb: „er erkenne nur Waldemar an und nach dessen Tode die Sachsen und An- haltiner: wer ihnen etwas anderes sage, thue Unrecht an ihm 2), so war das nur der Ausdruck der vorläufig unveränderten Rechtslage, mit welchem auch Kurfürst Rudolf zufrieden war, da er dauernd im besten Ein- vernehmen mit dem Köniofe blieb. Aber wohlbemerkt: Karl füffte diesem Schreiben keine Aufmunterung für Waldemar gegen Ludwig bei, dem freie Hand blieb, sein Glück zu versuchen. An die Märker erging auch die Aufforderung, zusammen mit Herzog Rudolf und den anderen Fürsten Machtboten au den Hof nach Böhmen zu schicken, also ein weiterer Schritt vorwärts.

Mittlerweile hatten die Baiern einen Bundesgenossen gefunden in dem thatenlustigen Könige Waldemar IV. von Dänemark und LudAvig errang in der Mark manche Erfolge, schon begannen Herren und Städte sich ihm wieder zuzuwenden. Den Feinden, deren Mittel er- schöpft waren, sank darob der Muth und sie neigten zu einem Schied- sprache, den König Magnus von Schweden fällen sollte. Wahrschein- lich schlug ihn die askanische Partei vor, da er ihr alter Freund war and sie sich vom deutschen Könige nichts gutes mehr versprach; sie machte damit den Versuch, dem von Karl zu erwartenden Entscheide zuvorzukommen. Ludwig seinerseits schloss den Vertrag wohl nur zum Scheiu ; er wie seine Gegner mussten bereits wissen , dass der König für die nächsten Tage eine Versammlaug nach Bautzen ange- setzt hatte; denn am 2. Februar wardejene Verabredung getroffen, am 7.

') Riedel II, 2, 261; nur ein Auszug ist erhalten. ^ Riedel U, 2, 261.

Karl IV. iinil ilie Wittelsliacher. 7|

sind die Verliaudlungeu in Bautzen bereits im vollen Gange. Ludwig war also jedenfalls unteri'ichtet, da.ss für ihn die günstigste Wendung eincretreten , Kaid nun entschlossen war, die einst in der Notli er- «mflFene Politik aufzAigeben. Einige Tage später, Anfang Februar 1350, trafen zu Bautzen Karl und die Witteisbacher nebst Freund- schaft und Anhang zusammen, und der König legte seinen Streit mit den Baiern einem Fürstengericht vor, welches Pfalzgi-af Kudolf leitete. Er verfuhr ganz so, wie zu Anfang: wie er auf Grund eines Rechts- spruches Waldemar anerkannt, wollte er jetzt auch auf dem Rechts- wege von seinen Verpflichtungen gegen die früheren Bundesgenossen loskommen, sie ins Unrecht setzen. Er handelte also äusserlich dem Rechte gemäss und fand so persönliche Deckung: ein solches Gericht konnte er nicht gut früher im Reiche einsetzen, sondern alter Ge- wohnheit folgend verlegte er es an einen Ort, der seiner Lage nach als zuständig gelten durfte.

Auf Grund des bekannten Spruches belehnte der Kernig Ludwig und seine beiden Brüder mit den Marken zu Brandenburg und Lau- sitz und dem Kurrechte, ebenso ertheilte er dem Markgrafen Kärnten und Tirol nebst Zubehör. Zugleich versprach er, sich zu bemühen, ,als ob es sein eigen Ding wäre", dass die Brüder bis Michaelis aus dem Banne kämen, sollte es nicht glücken, doch seine Anstrengungen fortzusetzen. Acht Tage nach Ostern wollte Karl in Nürnberg des Reiches Füi-sten urtheilen lassen, ob der zu diesem Zwecke vorzuladende Waldemar wirklich der todtgeglaubte sei; kämen die Fürsten und Waldemar nicht, so würde Ludwig dennoch all seines Rechtes theil- haftig.

Ludwig beeilte sich nun , den Boten Karls die Reich skleinodieu auszuliefern; der Nürnberger Tag fand wirklich statt, und da weder Waldemar noch von dessen Partei Jemand erschien, wurde die Sache endgiltig zu Ludwigs Gunsten erledigt. Karl ging also ganz untadel- haft zu Werke; er verzichtete sogar auf die Niederlausitz, welche ihm Waldemar abgetreten hatte. Das Zugeständniss Tirols mochte ihm schwer genug fallen und Johann Heinrich hat es seinem königlichen Bruder sehr übel genommen. Obgleich Karl den Baiern zur Erobe- rung der Mark nicht mit den Waffen half, fuhr er fort, sie mit seinen Briefen und Befehlen zu unterstützen^).

Gleichwohl hat Karl weder bei Markgraf Ludwig noch bei der Nachwelt Dank gefunden, was freilich bei ersterem menschlich zu ver-

0 Weninskv II, 338 legi; sich KarlB späteres Verhalten nach seiner vorge- fassten Meinung sehr sonderbar zurecht.

r.t L j n fl n e r.

stehen ist. Neuer Streit zwischen ihnen erhob sich, aber man mus.s erwägen, dass die verquickten Rechtsverhältnisse jener Zeit immer Stoff' zur Unzufriedenheit gaben und nicht so einfach zu schlichten waren. Karl fühlte sich freilich nicht veranlasst, fortan lediglich und allein den Baiern dienstwillig zu sein, aber er konnte vielfach auch für sie nicht mehr thun, als er that, ohne sich seinen sonstigen Aufgaben und Zwecken zu entziehen und sich selber Feindschaften zu erwecken. Jedenfalls hatten Rudolf von Sachsen und die anderen Herren von der Waidemarschen Partei viel mehr Grund, über den König zu klagen, als die Baiern. Ludwig hat sich nachher beschwert, dass Karl ihn nicht vom Banne freimachte. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass Karl nach den Bautzener Verträgen deswegen den Papst anging i), aber vergeblich, da man in Avignon den alten Hass bewahrte; er- neuerte man doch nochmals den Bann gegen Ludwig. Ueberdies war Papst Clemens mit seinem ehemaligen SchützHng aufs höchste unzu- frieden und schlug ihm sogar die Romfahrt ab. Später, als Ludwig selbst immer neue Schwierigkeiten verursachte, mag Karl allerdings seine Bemühungen für ihn eingestellt haben, doch Hess er es die Witteisbacher nie empfindeu, dass sie im Kirchenbann standen, suchte davon, wie er wohl gekonnt hätte, nie Nutzen zu ziehen.

Die Zwistigkeiten hörten nicht auf, durch verschiedene Verhält- nisse veranlasst, nicht allein durch Karls bösen Willen. In Tirol hatte Ludwig viel Unfrieden mit dem Bisthum Trient und dem Patriarchat von Aquileja, welchem seit October 1350 Karls unehelicher Bruder Nico- laus vorstand, auf den er auch Rücksichten zu nehmen hatte, dann hielt Karl vormals in Oberitalien erworbene Rechte fest. Einen an- dern Streitpunkt bildeten Reichspfandschaften, dann die Stadt Donau- wörth, in deren Besitz sich Ludwig vom Könige gehemmt meinte und wohl auch mit Recht, aber Karl war ihr gegenüber durch frühere Ver- heissungen gebunden. Ueber die Einzelheiten sind wir nicht genau unterrichtet, aber sollte Ludwig immer das schuldlose 0]iferlamm ge- wesen sein und in allen diesen Fragen ganz allein Recht gehabt haben V Der hauptsächlichste Streit aber folgte aas den inneren Verhältnissen der wittelsbachischen Familie.

Entgegen den Bestimmungen des Vaters zerlegten die Söhne zu wiederholten Malen ihre Lande, so dass sie schliesshch 1353 vier re- gierende Familien bildeten. Ludwig der ältere überliess. die Mark Brandenburg seinen Brüdern Ludwig dem Römer und Otto, wogegen er Oberbaiern erhielt. Während Albrecht und im Allgemeinen auch

<) Vgl. Werunsky, Excerpta 76 n. 255.

Karl IV, und die Witt eil »acher. 73

Stephan zn Karl liielteu, wurde Ludwig der ältere immer feindseliger zu ihm. Ausser früherem Groll bewirkten das die pfälzischen Ange- legenheiten.

Nach dem Tode Kudolfs leitete sein kraftvoller aber selbstsüchtiger Bruder Euprecht I. das pfälzische Haus. Sein Neffe und künftiger Erbe Ruprecht IL hatte für die Absicht, den baierischen Vettern in Branden- burg Hilfe zu leisten, durch lange Gefangenschaft büsseu müssen und erst nach fünf Jahren bewirkte König Karl seine Freilassung. Es scheint, dass die Baiern weniger eifrig waren und so das schlechte Verhältniss zu den Pfälzern noch verschlimmerten.

Nun beanspruchte Ludwig auf Grund früherer Verträge Antheil an Kudolfs Erbschaft, obgleich er vorher Karl und dessen Gemahlin Anna gegenüber verzichtet hatte i). Annas Heimsteuer war auf Be- sitzungen in der Oberpfalz angewiesen, Karl hatte für die Befreiung Ruprechts dem sächsischen Herzoge eine beträchtliche Summe auf böhmische Herrschaften zugesagt, auch sonst dem verstorbenen Pfalz- grafen Geld geliehen. Dafür trat ihm Ruprecht einen grossen Theil der nördlichen Oberpfalz ab, welchen Karl dann mit Böhmen vereinigte. Gewiss ein schöner Erwerb, der Ludwigs Eifersucht erregen konnte. Indem Karl dem ihm auf engste verbündeten Pfalzgrafeu auch das alleinige Kurrrecht zusprach, erlitten die Witteisbacher Hausverträge eine weitere Beeinträchtigung. Ganz richtig: Karl ging eben den Gang, welchen ihm sein Interesse vorschrieb, und kreuzte dabei den Ludwigs, Ihn leitete Eigennutz, aber sollte er um Ludwigs willen, dem er wahrhaftig in keiner Weise zu Dank verpflichtet war, nicht auch seinen Vortheil suchen und seine Rechtstitel geltend machen? Ohnehin stand jener mit seinem bittern Hass gegen Karl allein in der Fa- milie. Schon dachte er gegen den König, den er als abgefeimten, treulosen Lügner betrachtete, weil er ihm nicht die Versprechen ge- halten, das Schwert zu ziehen, aber für einige Zugeständnisse gab er nach und versprach Karl den ungehinderten Durchzug durch seine Lande nach Italien. Am 1. August 1354 erfolgte zu Sulzbach der Friedensschluss , der freilich nicht das gegenseitige Misstrauen hob? vermied doch Karl bei seiner Romfahrt auf dem Hin- und Rückwege, Ludwigs Lande zu berühren. Daher mag auch die Rücksicht auf die Alpenpässe, welche er gar nicht benützte, nicht der alleinige Grund gewesen sein, welcher den König zur Friedfertigkeit bewog.

Als Kaiser war es Karls erste Sorge, die AVahl des deutschen

0 Huber, Regesten Reichssachen 144; es ist das ein allgemeiner Verzicht, bezüglich auf Rudolfs Erbeinsetzung vom 4. März 1349.

74 L i n d n e r.

Königs durch flic Goldene Bulle zu regeln. Durch sie wurde endgiltig dem buierischen Zweige der Witteisbacher das Kurrecht abgesprochen, und auch darin ist ein Zeichen von Karls Todfeindschaft gegen jenen erblickt worden. Das dürfte ebenfalls nicht ganz zutreffen '). Ur- sprünglich hatten Baieru und Pfälzer gleichmässig das Wahlrecht in Anspruch genommen: unter dem Einfluss der Siebenei-theorie Hess sich jedoch für das Gesamthaus nur Eine Stimme behaupten, über deren jedesmalige Abgabe zwischen Baieru und Pfalz mancherlei Streit ge- pflogen und mancherlei Verträge geschlossen wurden. Für das Reich, für eine stetige Regelung der Königswahl lag unzweifelhaft das Be- dürfuiss vor, feste, nicht dem Familienbelieben und dem unausbleib- lichen Familienzwiste ausgesetzte Bestimmungen zu haben. Ein AVechsel der Stimmen zwischen beiden Häusern hätte solche nicht ergeben, man braucht nur an so zweifelhafte Vorgänge denken, wie es eben die Wahlen Eduards von England und Günthers gewesen waren ging auch bei der Spaltung der Baiern in mehrere Linien kaum an. Dass Karl sich für die Pfälzer entschied, lag nicht allein an seiner Freundschaft zu ihuen, sondern entsjirach auch den Verhältnissen. Wenn fortan nur ein Herzog von Baiern oder ein Pfalzgraf wählen sollte, so erlaubte die Stellung, welche der letztere in Folge seiner Würde im Reich einnahm, durchaus nicht, ihn der Kur zu entkleiden, und überhaupt Avar ein Zustandekommen des wichtigen Gesetzes nur denkbar , wenn Ruprecht Kurfürst wurde. Der baierischen Familie verblieb zudem die brandenburgische Kurwürde, und deren augen- blickliche Inhaber hatten <^egen die Ordnung der Dinge nichts ein- zuwenden. Was konnten demnacli die Baiern von Karl Anderes verlangen ?

Dass es manchen wackem Baiem gab, den der Umschwung im Reiche mit Zorn erfüllte, der mit Schmerz sah, wie der wittelsbachische Löwe von dem böhmischen zurückgedräng*t wurde, ist trotzdem leicht zu verstehen und die Anschauungen des Annalisten von Matsee wur- den sicherlich von Anderen getheilt 2). Ein Kampf mit dem Kaiser mochte daher Vielen willkommen sein, und ein solcher brach auch aus. Karl hatte von dem Regensburger Bischof Burg und Herrschaft Donaustauf an sich gebracht, zum Schrecken der baierischen Herzöge und der ganzen Umgegend. Bekanntlich war Karl stetig bemüht, innerhalb des Reiches und namentlich in der Nachbarschaft von Böhmen Erwerbuni>en zu machen . und er erbitterte damit die Fürsten , wie

') Das giebt auch Riezler III, 47 f. zu. 2) Das sieht man auch aus Hein-

rich von Rebdorf 544.

Karl IV. unrl die Witfelsl>acber. 75

später hesouders die Wettiuer. Dass er dabei die sclilechte Absiclii hatte, alle die Fürsten zu verderben, wird sich wohl nicht behaupten lassen; er wollte möglichst allenthalben im Keiche Fuss fassen, av;is für die Erstarkung- der königlichen Gewalt nur vortheilhaft sein konnte, zugleich und vielleicht stand ihm das in erster Stelle traf er so nutzbare Geldanlagen. Dass er dazu berechtigt war, dürfte unbestreit- bar sein. Eine absonderliche Bosheit oder tief angidi^gte listige Pläne üfegen die Baiernfürsten schloss also der Kauf Uouaustaufs kaum in sich; der gute Wirthschafter kam ihnen in einem vorzüglichen Ge- schäft zuvor, doch war ihre Aufregung darüler auch gerecltfertigt, Herzog Albrecht wollte den Vermittler des Kaufes, seinen ehemaligen Vitzthum Peter Ecker dafür züchtigen, und diesem kam Karl zu Hilfe, jedenfalls, um sich zugleich Donanstauf zu sichern. Doch ein friedlicher Vergleich, welcher dem Herzoge Allirecht von Oesterreich den Schieds- spruch übertrug, erstickte die Kriegsflamme, uud obgleich dann die Fehde wirklich ausbrach, machte Albrecht l)ald mit Karl Frieden. Die Witteisbacher kamen eben durch eigene Schuld, durch Uneinigkeit und planloses Handeln nicht vorwärts. Der ältere Ludwig klammerte sich in seinen fortwährenden Verlegenheiten an Oesterreich, Stephan verschluss seinen Groll in sich, Albrecht wurde bald durch die hollän- dischen Verhältnisse vorwiegend in Anspruch genommen, während der Kömer und Otto im Fahrwasser der kaiserlichen Freundschaft ver- harrten.

Der Tod Ludwigs des altern im September 1361 und der seines Sohnes Meiuhard im Januar 1363 wurde für die Baiern Ursache zu neuem Zwiste. Herzog Rudolf bemächtigte sich mit kühnem Angriff Tirols ij, auf welches die gesammten Witteisbacher Ansprüche machten,

') Ich benütze die Gelegenheit, hier einige kurze Bemerkungen einzulegen. Ich kann mich nicht überzeugen, dass die Urkunde vom 2. Sept. 1359, mittelst welcher Margaretha Tirol den österreichischen Herzögen vermachte, wirklich an diesem Tage ausgestellt ist. Meiner Ansicht nach ist sie erst nach Meinha,rds Tode geschrieben; Rudolf hatte ja Siegel und Kanzlei der Margaretha sofort zu seiner Verfügung. Ich will alle die vortrefflichen (Jründe, welche für die frühere Ausfertigung vorgebracht worden sind, nicht noch einmal eriirtern; mich be- stimmt hauptsächlich der Umstand, dass der Inhalt so ganz genau auf die durch Meinhards Tod geschaffene Lage passt, welche sich vorher nicht berechnen Hess. Die von Rudolf am 21. Mai 1360 abgegebene Erklärung, aufweiche Riezler III, r,R be.sonderes Gewicht legt, scheint mir keinen zwingenden Beweis zu erbringen, da sie dasselbe über die Grafschaft ßurgund besagt. Viele Schwierigkeiten hat die Bündnissurkunde vom 31. December 1361 gemacht, welche neuerdings Steinherz 604 ff. auf den 31. März 1362 verlegen will. Ich denke, die Sache ist recht einfach : vnr haben in ihr eine Neuausfertigung des früher geschlossenen Bündnisses, in welcher Meinhard und Kasimir von Polen hinzugefügt sind. Die

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■während Herzog Stephan entgegen den bestehenden Hausverträgeu Oberbaiern in Besitz nahm und so tlie Einheit der Familie sprengte. Er handelte im Einverständniss mit den Pfalzgrafen, welche des Kaisers Feindschaft gegen Herzog Rudolf auszunützen gedachten, doch lag ihnen wohl hauptsächlich nur daran, sich die Forderungen, welche sie noch an den gestorbenen Ludwig hatten , sicher zu stellen. Stephan traten jedoch die eigenen Brüder entgegen, nämlich Ludwig der Römer, welcher aus Brandenburg herbeieilte, und Otto; entzog ihnen jener Meiuhards Erbschaft, so wollten sie ihm mit gleicher Münze vergelten. Am 18. März nahmen Ludwig und Otto den erstgebornen Sohn des Kaisers, Wenzel, und sonstige Erben in ihre Brüderschaft und Erb- schaft auf, so dass diese, wenn sie selbst ohne männliche Erben stür- ben, die Mark und die Lausitz erhalten sollten. Die Wahrscheinlich- keit, dass beide ohne männliche Erben dahinscheiden würden, war freilich nicht gross, da der Römer zwar noch kinderlos, aber seit wenigen Jahren in zweiter Ehe vermählt und erst 33 Jahre alt war, Otto wenig mehr als zwanzig Jahre zählte. Er wurde gleichzeitig ver- lobt mit des Kaisers fünfjähriger Tochter Elisabeth, der einzigen, über deren Hand Karl verfügen konnte. Die beiden Brüder brachten, ab- gesehen von der Schädigung der Familie, kein persönliches Opfer; Otto gewann die Aussicht auf eine reiche, vornehme Frau und auf einige weitere Vortheile : ob auch Ludwig eine Belohnung erhielt, geht aus den Verträgen nicht hervor. Er befand sich in sehr schlechten Geld- verhältnissen; die Mark war so gründlich abgewirthschaftet, dass er schon vorher üire Verwaltung auf drei Jahre dem klugen Magdeburger Erzbischof Dietrich übertragen hatte i).

Theilnahme Meinhards hat von jeher besondem Anstoss erregt (vgl. auch Riez- 1er III, 61); seit seiner im October 1362 erfolgten Flucht aus Baiern hatte er freie Hand und es ist nicht zu verwundem, dass er nun bei Rudolf und Ungarn durch engsten Anschluss Unterstützung suchte. Im November steht Rudolf mit ihm in Verbindung (vgl. Huber, Vereinigung Tirols 215 n. 260); um diese Zeit mag die Neuausfertigung auf alter Grundlage erfolgt sein. Der ursprüngliche Text ist enthalten in König Ludwigs Erklärung von 1367 bei Du Mont Corps dipl. 2a, 67; nur fehlen hier Datum und Zeugen. Obgleich das Original ver- loren war, so hat doch die ungarische Kanzlei eine Abschrift besessen, \vie na- türlich. Die neu ausgestellte Urkunde trägt aller Wahrscheinlichkeit nach das alte, echte Datum; ob auch die Zeugen einfach herüber genommen sind, lässt sich kaum entscheiden. Da Herzog Friedrich am 10. December 1362 starb, wird dies Schrittstück vor diesem Tage ausgestellt sein. Uebrigens bestätigt auch der Wortlaut des Briefes, mit welchem Margaretha am 3. Februar 1363 in das Bündniss an Stelle ihres gestorbenen Sohnes trat, durchaus meine Auffassung.

3) Tlieuner, Der Uebergang der Mark Br. etc., Diss. Berlin 1887, hat diese Verhältnisse sehr klar und verständig behandelt.

Karl IV. \mA die Wittelsbaclier. 77

Die grosse Frage ist nur, ob Karl damals den Brüdern ver- sprochen hat, ihnen für die Gewinnung Oberbaierns Beistand zu leisten. Eine Urkunde ist darüber nicht vorhanden. Die beiden Brüder ge- lobten dem Kaiser als König von Böhmen Beistand gegen Jeden, der ihn in seinen Fürstenthümerii und Kechten schädigen werde, und es ist nach dem damaligen Brauche zuverlässig anzunehmen, dass er ihnen eine entsprechende Gegenurkuude gab. Auf sie spielt offenbar später Markgraf Otto an, wenn er behauptete, der Kaiser habe ihnen in be- siegelter Urkunde den Schutz ihrer Lande in Brandenburg, Lausitz und Baiern zugesagt. Gemeiniglich hat man das so gedeutet, dass er ihnen eine gewisse Zusage gegeben, zur Erlangung ihres oberbaierischeu Erbes behilflich zu sein'). Sicherlich erkannte er mit den Worten, dass er sie in ihren Besitzungen in B a i e r n schirmen wollte , ihre Erbschaftsrechte an, da sie dort sonst nichts besassen , aber er über- nahm nicht die Verpflichtung, ihnen den Besitz zu erkämpfen, sonst würde Otto mehr davon zu sagen wissen. Vermuthlich wurden die Brüder auf den Rechtsweg gewieseu, wie auch spätere Aeusserungeu Karls schliessen lassen, denn ob die anderen Familienmitglieder den einst von Ludwig dem altern mit dem Römer und Otto geschlossenen Erbvertrag anerkannten, ist sehr zweifelhaft, da die Vermehrung der Erbschaf tsraasse durch Tirol ohnehin die Sache weitschichtiger machte. Ludwig der ältere hatte seinen Verwandten nie ein Anrecht an letz- teres Land eingeräumt, gleichwohl beanspruchten sie es jetzt. "Wahr- scheinlich liess der Kaiser auch die Tiroler Frage offen, den Erfolg des bevorstehenden Waffeuganges abwartend. Es ist zu beachten, dass Pfalzgraf Ruprecht, Herzog Stephan und sein Sohn Friedrich alsbald die kaiserliche Urkunde, welche den über Brandenburg geschlossenen Vertrag genehmigte, mit ihrer Zeugenschaft bekräftigten-); sie waren also einverstanden und müssen demnach l)eruhigende Zusi( herungei» erhalten haben, oder wetteiferten mit den anderen im Buhlen um Karls Gunst. Für gehoffte Entschädigung in Oberbaiern und Tirol gaben sie selber die unsichere Aussicht auf Brandenburg auf. Unter allen Umständen errang Karl einen schönen Erfolg, den aus purem Edelmuth abzuweisen er sicherlich nicht verpflichtet war. Es konnte nicht seine Sache sein , die Wittelsbaclier über ihre Thorheit aufzu- klären und abzulehnen, was sie ihm fi'eiwillig darbrachten. Sie er- 11 löglichten ihm durchaus eine Politik freier Hand.

Herzog Stephan, verbündet mit seinem Bruder Albreclit, der auch nicht leer ausgehen wollte, und unterstützt von PfalzgTaf Ruprecht

1) So auch Riezlev III, 73. ») Riedel II, 6, 95.

Yg 1; in einer

und Jinro-gnif l^Viedrich von Kürnljerg, versuchte' im Herbste Tirol zu erobern, doch trotz einiger glücklichen Wuifcnthaten v^urde der Haupt- zweck nicht erreicht. Wieder wandte er sich an den Kaiser, der wohl versprach, Ludwig und Otto abzuhalten, während des Streites um Tirol Oberbaiern zu beanspruchen, doch Tirols wegen keine Zusage machte. Denn er trug Anderes im Sin]i. Bald darauf, im Februar 1364, er- folgte der berühmte Friedensschluss zu Brunn, Karl belehnte Herzog Rudolf mit Tirol in Rücksicht auf die nahe A'erwandtschaft mit Mar- »aretha und dgren Bestimmung-. Die Baiern waren gewiss arg ent- täuscht und sahen sich in ihrer Rechnung betrogen. Aber bestimmte Zusicherungen hatten sie nicht erhalten, und man muss sagen, dass die Entscheidung, welche der Kaiser über Tirol traf, das Recht nicht verletzte, so sehr sie seinem persönlichen Vortheil diente. Wie heillos zerrüttet die wittelsbachischen Familienzustände waren, zeigte sich bald darauf, indem Ludwig und Otto unter A'erzichtleistung auf Tirol mit dem Oesterreicher einen Kriegsbund gegen Stephan schlössen. Karl hat dazu seine Genehmigung gegeben, denn kurz \orher theilten unter seinem Beirath die Brüder ihre braudenljurgisehen Lande und später- hin bestimmte er, was Markgi-af Otto von dem väterlichen Erl)e in Oberbaiern gewinne, solle auch dem Bruder zu gute kommen. Ks scheint demnach, als ob auch diese Brüder nicht recht einig waren, aber dass Karl ihre Zwietracht künstlich hervorgerufen oder genährt, wie manche Forscher wissen wollen, ist <lurch nichts erwiesen; die letztere Verfügung spricht sogar dagegen.

Am 17. Mai 1365 starb Ludwig der Römer. Da Otto thatenlos verharrte, behielt Stephan Oberbaiern unangefochten. Karl mischte sich in diese Dinge nicht weiter, ebensowenig in den nachfolgenden Krieo- um Tirol, wie er in ähulichen Fällen bei fürstlichen Streitig- keiten eine abwartende Stellung einnahm. Uui Otto zu seinem Rechte zu verhelfen, hätte er selber die Waffen ergreifen müssen, da Stephau Oberbaiern mit Einwilligung der dortigen Stände vollkommen in Be- sitz hatte. Da-s er damit dem Baiernlande am übelsten gedient hätte, ist klar, aber wir wissen auch nicht, dass er nachher irgendwie ver- sucht hat, Otto voi-zuschieben, um die Herzöge zu beunruhigen, was er kaum unterlassen hätte, wenn wirklich sein eigentlicher und einziger Zweck war, die Baiern fortwährend zu bedrängen oder sie unter einan- der zu verhetzen.

Otto stand damals in bester Freundschaft zur kaiserlichen Familie, bei welcher er sich oft und lange aulhielt. Der erblose Tod l^udwigs ver- mehrte allerdings die Aussicht, dass die Mark dereinst an das luxem- buro-ische Haus fallen köune. und seitdem ihm endlieh 1361 in Weu/el

I

Kart IV. und die Witfelsbacher. 7q

ein tSolm geboren werden, trachtete Karl mit noch grötiserem Eifer danach, seine Hausmacht zu vermehren. Trotzdem nöthigen die Ab- machungen, welche er mit Otto traf, in keiner Weise zu der Annahme, dass er beabsichtigte, durch sie die künftige Erwerbung der Mark noch bei Lebzeiten Ottos vorzubereiten. Das Land befand sich ncch immer in trostlosen Verhältnissen und die krieo-erischeu ünternehmuno-en in Baiern mochten das fürstliche Vermögen noch mehr angegriffen haben- Ob es dem jungen Fürsten gelingen würde, die ßegierung des ihm nun ganz anheimgefallenen Landes mit Erfolg zu führen, war erst ab- zuwarten, und er scheint sich selbst nicht die Kraft zugetraut zu haben. Wie er und Ludwig es schon drei Jahre vorher in ihrem Abkommen mit dem Magdeburger Erzbischofe gehalten , so üljertrug Ot.o im October 13(35 auf sechs Jahre das Landesregiment dem Kaiser, der einen Rath aus Fremden ernannte. Otto war mit Karl befreundet, dessen künftiger Schwiegersohn; nichts war demnach natürlicher, als dass er sich in seiner Verlegenheit ihm anvertraute, und ebenso, dass Karl dem künftigen Manne seiner Tochter Beistand und Beirath leistete. Hatte doch auch seiner Zeit Ludwig der ältere in schwierigen Ver- hältnissen dem Herzoge Albrecht von Oesterreich die Verwaltung Ober- baierns auf drei Jahre anvertraut und Niemand hat daraus den Schluss gezogen, dass Albrecht das Land an sich reissen wollte.

Durch den vorzeitigen Tod des Herzogs Rudolf war die älteste Tochter Karls, Katharina, zur Wittwe geworden. Karl, der wie die anderen Fürsten seiner Zeit die Verlobungen seiner Kinder zu einem politischen Geschäft machte und einen förmlichen Schacher damit trieb, wünschte den ältesten Bruder des Verstorbenen in gleicher Weise an sich zu fesseln. Da aber Herzog Albrecht nicht gut seine verwittwete Schwägerin heii-atheu konnte, so wurde ihm die junge Elisabeth, die Braut Ottos, bestimmt, denn dieser konnte nun durch Katharina des Kaisers Schwiegersohn werden. Wie Karl erklärt, hat Otto selbst diesen Wunsch ausgesprochen, und es lässt sich leicht denken, dass der Mark- gi-af es vorzog, die junge schöne Frau, welche ihm gleichalterig war und mit der er die Ehe sofort vollziehen k(jnnte, heimzuführen, statt des ihm zugesagten achtjährigen Kindes. Zu bedauern war bei diesem Handel vielleicht Katharina, denn nach einem Rudolf war dieser Otto, an den sie gekettet wurde, kaum ein ihr zusagender Ehemann. Aber Karl war ein listiger Rechner : da Katharina in der ersten Ehe kinder- los geblieben, so erwartete er, dass sie, das vierimdzwanzigjährige Weib, in der zweiten Ehe ebenso unfruchtbar sein würde! D.is ist in der That von neueren Geschichtsschi-eibern behauptet worden.

hn folgenden Jahre verkaufte Ottr» die Niederlausitz an Karl. Das

gQ fj 1 n d n e r.

Laud war Klngst verpfändet, an eine Auslösung durch brandenbur- gisches Geld nicht zu denken, und Karl bezahlte sehr anständig auf Heller und Pfennig, so dass dem Markgrafen ein hübscher, barer üeber- schuss blieb. Eines sonderlichen Zwanges wird es für Otto demnach kaum bedurft haben ^) : auch seine niederländischen Besitzungen ver- kaufte er damals an den Bruder Albrecht-).

Als Karl seine zweite Romfahrt antrat, gebar seine Gemahlin Elisabeth einen Sohn, Sigmund, 1370 kam noch ein dritter Knabe, Johann, also ein neuer Antrieb für ihn, seinen Besitz zu mehren. Der lange gehegte Plan, Otto die Mark zu entreissen, soll demnach iu ihm nun erst recht Stärke und Kraft gewonnen haben. Wir kommen damit zu dem Schluss des langen Schauspiels. Mehr noch als h-gend ein anderes Werk Karls gegenüber den Baiern ist die Erwerbung der Mark als Ausfluss bösartiger Treulosigkeit, verbunden mit roher Gewalt, betrachtet worden. Sie bietet die meisten Schwierigkeiten für Erkennt- uiss und Urtheil, denn die Nachrichten sind abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel dürftig und unzusammenhängend. Die Haupt- person, Markgraf Otto selbst, ist mehr die leidende als die handelnde, er steht weit zurück im Hintergründe und von seineu Absichten und Gedanken erfahren wir wenig genug. Der Streit um die Mark ist zugleich eingehüllt in eine weitverzweigte politische Verflechtung, welclie grosse liäthsel birgt.

Die wesentliche Frage ist die : vod welcher Seite wurde der Bruch zwischen Markgi-af und Kaiser veranlasst, wer von beiden trug die Schuld daran oder wirkten andere Einflüsse ein?

Wir erinnern uns, dass Otto im October 13G5 dem Kaiser die Verwaltung der ]\lark aul' sechs Jahre übertrug. Karl setzte einen Kath ein, an dessen Spitze Graf Heinrich von Schwarzburg stand, und des Grafen wie der anderen Bevollmächtigten Namen finden sich in den meisten Urkunden, welche der Markgraf iu der Folgezeit erlassen hat. Doch ergingen sie unter seinem Namen und Siegel, er selbst nahm seit 1367 seinen ständigen Sitz in der Mark und blieb also wenig- stens äusserlich der Kegent des Landes, und es ist kaum auzuuehmen, dass er ganz willenlos jenem Beirathe unterworfen war. Im Herbste 1368, also ehe die sechs Jalire abgelaufen Avaren und während der Kaiser in Italien verweilte, tritt eine Aeuderuug ein; jene von Karl

I) Hcholz, Erwerbung der Mark Brandenburg (lurch Karl IV., Diss., Breslau 1874 y. IJt will freilich die spätere Aussage Uttos, der Kaiser habe sich mit Ge- walt seines Landes untei-wundeii und darauf eine Brücke bauen lassen, mit diesem Kauf in Verbindung bringen. Vgl. darüber unten. -) Allgemeine Deutsche

Biogi-aphie XXIV, 665.

Itarl IV. and die Witteisbacher. gj[

ernannten Männer verscliwinden aus den markgräfiichen Urkunden, an ihrer Stelle stehen andere Käthe, unter ihnen der Hofmeister Klaus von Bismarck. Zugleich beginnt der Markgraf eine grössere politische Thätigkeit zu entfalten zu Gunsten des Dänenköuigs Waldemar und des Braun Schweiger Herzogs Magnus; er tritt in Gegnerschaft zu den Herzögen von Mecklenburg und Pommern i). In einem Vertrage dieser Zeit verpflichtet er sich für seine rechten Erben ", aber er nennt sie nicht-).

Ende 13G8 also geht mit Otto eine Veränderung vor sich, und nichts wäre wichtiger, als ihre Gründe zu erkennen. Gab ihm die Abwesenheit des Kaisers dazu Antrieb und Muth? Ohnehin wirkte damals auf ihn nicht der dem Kaiser dienstwillige Einfluss eines Maffde- burger Erzbischofs, denn der dortige Stuhl war erledigt und der vom Papste auf Karls Wunsch ernannte neue Erzbischof Albrecht IL von Sternberg hielt erst im Dezember 1368 seinen Einzug ^). Doch ein Mann von so geringer Begabung und Leistungsfähigkeit, wie Otto war, handelte kaum, wenn ihn nicht Andere vorwärts drängten.

Zu der Zeit, als Otto sein Kegiment umgestaltete, oder kurz vor- her gab es in der Mark Unruhen. Am 18. November 1368 schrieb ihm nämlich Papst Urban V. einen zärtlichen Brief, sein Beileid aus- sprechend „de suscitatis in tuo marchionatu adversitatibus " ; es sei an- zunehmen, dass „die gegen ihn Rebellirenden ihren Aufruhr erhoben hätten wegen des Krieges, welchen Ottos eigene Verwandten gegen die geliebten Söhne, die Herzöge von Oesterreich, führten"^). Das heisst doch nichts anders, als dass der Kaiser, der damals mit dem Papste zusammen in Rom war und ganz auf des Markgrafen Ergeben- heit rechnete wie er auch den Habsburgern hold gesinnt war, ver- muthete, die Störungen in der Mark seien durch die Baiern hervor- gerufen. Der Schiuss ist kaum zu kühn, dass diese „Rebellen" den Umschwuug in der Landesverwaltung bewirkten, die Abwesenheit des Kaisers benützend. Die Märker sahen die fremde Herrschaft uns-ern, und so werden sie dem Markgrafen die neuen Räthe aufgedrungen haben. Schon Ludwig der Römer wurde von dem märkischen Adel gezwungen, die Landesregierung nach dessen Willen zu gestalten &).

Als der Kaiser im August 1369 aus Italien zurückkehrte, fand er sehr bedenkliche Zustände vor. König Kasimir von Polen, besorgt, weil durch den im Juli 1368 erfolgten Tod des Herzogs Bolko von

') Scholz 21 fF. 2) Am 10. November 1368; Sudendorf III n. 393.

'■') Städtechroniken VII. Magdebnrcr 258. ") Steinherz a. a. 0. 624. ^) Thenner 24 ff.

AUttheilungeu XII. 6

§^ L i n d n e r.

Schweidnitz - Jauer dessen schlesisclie Herzogtliüiner und die Nieder- lausitz an die Luxemburger gefallen waren , hatte im Februar 1369 mit Ludwig von Ungarn ein Bündniss gegen Karl gemacht. Dieser erfuhr in Italien die böse Nachricht und suchte die beiden Gegner zu trennen, indem er für seinen Sohn Wenzel eine der unehelichen Töchter Kasimirs, welche der Papst legitimiren sollte, begehrte ! ') Wenzel war verlobt mit Elisabeth, der Nichte Ludwigs, welche bisher als die Erbin Ungarns angesehen wurde. Wahrscheinlich hatte jedoch inzwischen Ludwig seine erste Tochter erhalten-), so dass Elisabeths Hand nicht mehr so viel bedeutete, wie früher, und Karl ganz gern seinen Erst- gebornen fruchtbringender verheiratet hätte. In Ungarn nahm man die Sache sehr übel und verlangte die Aufhebung der frühereu Verlobung, welche auch Anfang 1370 erfolgte^). In diesem Zerwürfniss mit Un- garn kam Karl über die Alpen, und gleich darauf fuhren die beiden Pfalzgrafen und die Herzöge Friedrich und Stephan die Donau hinab nach Pressburg, wo sie am 13. September 13()9 mit König Ludwig Bündnisse schlössen. Bekannt ist von den auf Witteisbacher Seite ge- gebenen Urkunden nur die der Pfalzgrafen. Sie schliessen den Ver- trag zum Schutz ihres gegenwärtigen und künftigen Besitzes und wollen dem Könige und dessen Bruder beistehen gegen jedweden Au- greifer, doch nur innerhalb der Nachbarschaft ihrer Gebiete. Sie nehmen aus Kaiser Karl, „dominum nostrum gratiosum", das Eeich und alle baierischen Herzoge, Entsprechend lautet der Gegenbrief Lud- wigs, von welchem auch eine gleiche für Herzog Albrecht von Baiern- Holland ausgestellte Versicherung vorliegt; er nimmt dabei nur König Kasimir von Polen aus^). Gewiss gab es noch Urkunden für die an- deren Baiern.

Die räumliche Bestimmung und Begrenzung der zu leistenden Hilfe zeigt, dass die Verbündeten nur an Gegner dachten, welche sowohl mit Ungarn, wie mit Baiern grenzten. Das thaten nur der Kaiser und die Oesterreicher. Gegen letztere hatten sich ja auch Ludwig und die Baiern schon einmal, 1367, vereinigt, aber jetzt schlössen die Baiern bei ihrer Rückkehr aus Ungarn mit den Habsburgern Tirols wegen einen ohnehin schon vorbereiteteu Frieden ab, in welchem sie das Land gegen eine grosse Entschädigung aufgaben.

Trotz des Vorbehalts über den Kaiser kann demnach nur an Karl als Gegner gedacht sein, und es ist vielleicht nicht allzu spitzfindig.

*) Steinherz 574 ft'. -') Da Ende 1371 Ludwig bereits zwei Töcliter

hatte, mu88 die ältere spätestens 1369 geboren sein. In den über diese Sache ge- wechselten Schriftstücken findet sich keine Andeutung davon. ^) Steinherz 577. ■•) Huber, Reg. RS. 500, Suppl. RS. 738, 73!i.

Karl IV. lind die Witteisbacher. p,^

zu bemerken, dass nicht auch seine Söhne und das Königreich Böhmen ausgenommen werden. Hat nun Ludwig die Witteisbacher oder haben diese den König gesucht? Ich denke, das letztere war der Fall, da sonst wohl die Ptalzgrafen nicht die weite Fahrt gemacht hätten. Was bestimmte sie nun, einen Schritt zu unternehmen, der Karl nicht ver- borgen bleiben konnte , und selbst wenn ihm der gemachte Vorbe- halt gezeigt wurde, seinen Verdacht erregen musste? Mau sagt ge- wöhnlich: sie wollten Brandenburg ihrem Hause retten. Aber in den Urkunden steht kein Wort weder von der Mark noch von Otto, von dem auch sonst nirgends verlautet, dass er schon damals dem Bunde beitrat. Und sollte König Ludwig ein besonderes Verlangen verspüren, um dieses weit entfernte Land mit dem Kaiser zu kriegen? Hm lockte vielmehr die Aussicht, den mächtigen Kachbar, mit welchem er zer- fallen war, zu beschäftigen, um seine Absichten in Italien ungestört verfolgen zu können.

Eäthselhaft ist vor allem die Theilnahme des Pfalzgrafen Kuprecht und fügen wir gleich hinzu sein ganzes Verhalten in der Folge- zeit. Gerade auf ihn gibt König Ludwig fortwährend besonders viel und auf ihn nimmt er bei den späteren Verhandlungen mit Karl sorg- liche Kücksicht. Dass den thatkräftigen Pfalzgrafen nicht die Inter- essen des Gesamthauses Witteisbach bestimmten, ist mehr als wahr- scheinlich, denn früher hatte er sich um solche wenig genug gekümmert. Wenn er sich an dem Streit um Tirol und Oberbaiern betheiligte, so geschah das, weil er auf die Hinterlassenschaft des älteren Ludwig An- sprüche hatte, doch das Schicksal Brandenburgs, von dem er für sich und seine Nachkommen nichts zu erhoffen hatte, beunruhio-te ihn kaum. Es war ja auch keineswegs als schon verloren zu betrachten, da Otto noch Kinder erzeugen konnte. Zu dem Bündniss trieb ihn vielmehr die eifersüchtige Gegnerschaft gegen den Kaiser, welche er seit mehreren Jahren hegte. Nicht gerade, dass er den Thron be- gehrte oder Karl von ihm herunterstossen wollte; seine Politik stellte sich nicht einen scharf umrissenen Plan, sondern den Kern noch nebel- hafter Entwürfe bildete die Begierde, seiue eigene Macht um jeden Preis zu mehren und den Kaiser dazu willfährig zu machen. Mit ihm machte auch Erzbischof Gerlach von Mainz Partei, und was s'ms diesen die augenblickliche Lage Brandenburgs an? Es ist gesagt worden, sie wollten dem luxemburgischen Hause nicht zwei Kurstimmen über- lassen. Da sie jedoch den Vertrag von 1363 ohne Vorbehalt bestätigt hatten, müsste ihnen diese Sorge erst später gekommen sein. Nach- her hat man allerdings dieses Verhältuiss im Reiche übel ver-

6'

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merkt ^), aber es ist nicht anzunehmen, dass es schon damals, wo noch alles in weiter Ferne lag, besonders erwogen wurde. Eben weil dem Bunde mehr ein allgemeines Unbehagen über Karl, als ganz bestimmte Pläne zu Grunde lagen, erwies er sich nachher so wenig haltbar.

Anders steht es mit den Baieru ; sie mögen von vornherein haupt- sächlich an die Mark gt dacht haben. Unter ihnen trat seit einiger Zeit als thatkräftige, an Entwürfen reiche Persönlichkeit der Herzog Friedrich hervor, der zweite Sohn Stephans II,, viel bedeutender als seine Oheime, seine Brüder und Vettern. Im Sommer 1368 hatte er auf Seite der Visconti, seiner Verwandten, den Kaiser in Italien be- kämpft, schliesslich Ende August den Frieden vermittelt, nachher an dem Angriffe gegen Tirol theilgeuommen.

Es ist nicht undenkbar, dass Friedrich im stillen Einvernehmen mit Bernabo Visconti handelte und Karl hat das späterhin geradezu dem Papste augedeutet. War der Kaiser in Deutschland beschäftigt, so konnte er in Italien nicht eingreifen, aber der kluge Gewalthaber von Mailand mochte auch weiter denken. Gefährlicher als der Kaiser war König Ludwig von Ungarn, dem Italien nicht weniger am Herzen lag, als die slavischen Länder, und der sich allzeit erbot, dem Papste gegen die Visconti zu helfen. Gelang es, Ludwig gründlich mit Karl zu verfeinden, seine Thätigkeit von der Lombardei ab nach Deutsch- land zu lenken, dann konnte Mailand sich ungetrübter Euhe erfi-euen. So waren die Fäden des Netzes, welches den Kaiser fangen sollte, mannigfach und wunderbar zusammengetragen.

Wollte man Karl in Verlegenheit setzen, lag es ohnehin nahe genug, ihn mit Markgraf Otto oder dessen Lande zu verfeinden, und weiteres konnte sich dann ergeben. Die Unruhen in der Mark kamen zur rechten Zeit, aber es bleibt ungewiss, ob sie selbständigen Ur- sprunges oder von den Baiern angestiftet waren.

Zurückgekehrt fand der Kaiser die Aenderungen in der Mark vor, welche er seinerseits den baierischen Umtrieben zuschrieb. Er machte dafür jedenfalls den Markgrafen verantwortlich, der zwischen Scylla und Charybdis sass, zwischen dem zürnenden Schwiegervater und dem unbotmässigen Adel seines J^andes. Leider fehlt uns jede Kenntniss, wie es in dieser Zeit zwischen Karl und Otto stand und jede Spur von etwaigen Verhandlungen zwischen ihnen. Die neuen l^äthe blieben in Aemtern und Thätigkeit, und Karl hatte daher Grund zu zürnen uud sich vorzusehen.

') Loserth in Mittheü. d. V. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen, IG. Jahrg. S. 172.

Karl IV. und die Wittelsljacher. 85

ImFehruar 1370 eilte er in die Lausitz, kaufte dort das an der Oder oberhalb von Frankfurt gelegene Städtchen Fürstenberg, befestig-te es und baute eine durch ein Kastell wohlverwahrte Brücke über den Strom. Als Landesherr der Lausitz hatte er zum Kaufe und zur Be- festigung das Eecht; die Brücke berührte indessen am jenseitigen Ufer Ottos Land, doch konnte sich der Kaiser auf das ihm übertragene Recht der Verwaltung berufen^). Der Brückenbau war im Augenblick vielleicht mehr gegen Polen berechnet, als gegen die Mark, doch war er auch für diese bedrohlich, wenn es mit dem Kaiser zu Feindschaft kam. Daher erregte die Massregel gewaltiges Aufsehen, ein Zeichen, dass bereits Schlimmes befürchtet wurde ^).

Karl traf noch andere Vorkehrungen, welche au sich gerecht- fertigt waren. Am 14. Mai zu Guben Hess er sich von den pommer- schen Herzogen Bogislaw und Kasimir gegen zugestandene Vortheile Beistand geloben für den Fall, dass Otto über seine Lande anders ver- fügen wolle, als er zu Gunsten der kaiserlichen Kinder getlian^).

Dorthin nach Guben kam auch auf Aufforderung des Kaisers Herzog Magnus von Braunschweig. Karl hatte schon vor längerer Zeit den Kurfürsten von Sachsen zugesichert, das Herzogthum Lüne- burg solle nach dem Tode des Herzogs Wilhelm als erledigtes Lehen an sie fallen. Wilhelm erklärte jedoch 1367 Herzog Magnus mit der Kette von Braunschweig zu seinem Erben, der auch nach Wilhelms Tode im November 1369 das Land in Besitz nahm, ohne die erneuten Verfügungen Karls zu Gunsten der Wittenberger zu beachten. Mit Magnus hatte Markgraf Otto noch zu Lebzeiten Wilhelms Verträge geschlossen, den letzten am 8. April 1369, in welchem er ihm ausser anderen Dingen auf drei Jahre Beistand zum Schutze seiner Lande zusicherte, wofür der Lüneburger das Gleiche versprach^). Jetzt nun in Guben wurden sicherlich mit Wissen des Kaisers mehrere Urkunden für Magnus ausgestellt und ihm übergeben. In der einen erklären die Söhne Karls, Wenzel und Sigmund : da ihr lieber Schwager und Bruder" Otto sich vormals mit der Mark Brandenburg und mit ihnen als seinen rechten Erben, falls er ohne Erben stürbe, mit Magnus verbündet hätte, so verpflichten auch sie sich, Magnus zur Behauptung seiner Herrschaften zu Braunschweig und Lüneburg behilflich zu sein

0 Otto hat später darin einen Eingriff gefunden: so hat er sich mit ge- wald underwunden unser lande und buwet daruf eyne brücken wider unczer und unczer lande willen; Riedel 11, 2,509. Ueber die Deutung, welche Scholz 19 dem ersten Satze giebt, siehe oben S. 80. Auf die finanzielle Seite, welche Scholz 30 stark betont, möchte ich weniger Gewicht legen. -) Beness 405.

3) Riedel II, 2, 503 f. ^) Sudendorf III n. 410.

Qg L i n d 11 e r.

und zwar gleich mit der Lausitz und nach Erfordern auch mit dem Königreich Böhmen, und wenn Brandenburg an sie fällt, auch mit der Mark. Entsprechend gelobt Magnus, sie in der Lausitz, in den ])öhmi- schen Landen und gegebenen Falles auch in Brandenburg zu unter- stützen ^). Er verhiess aber auch, wenn Otto seinen mit den kaiser- lichen Kindern geschlosseneu Erbvertrag bräche oder änderte, das nicht zu gestatten, vielmehr zu verhindern.

Gleichzeitig erklärten Markgraf Johann Heinrich von Mähren und Erzbischof Johann von Prag: da der Kaiser sie für den Fall vorzeitigen Todes seinen Söhnen zu Vormündern gesetzt, würden sie als solche die Verträge erfüllen.

In diesem Vorgange hat man eine besonders arge List des Kaisers erblickt, er habe damit, um Magnus von Otto abzuziehen, sein Kecht auf Lüneburg durch eine Hinterthür anerkannt. Doch vom Kaiser steht in den Urkunden kein Wort, und Karl ist bald darauf, Ende Juni, wie in der Folge nachdrücklich gegen den Herzog für die Sachsen eingetreten. Die Sache liegt wohl vielmehr so : der entgegenkommende Theil ist Magnus, welcher Wenzel uud Sigmund als Eechtsnach folger Ottos anerkannte, allerdings in der Hoffnung, sich den Kaiser geneigt zu machen. Da jene unmündig waren, hatten die Verträge augenblick- lich gar keine Bedeutung und auch an sich wurde die Rechtsfrage um Lüneburg dadurch nicht berührt, ob Wenzel oder ein anderer Reichs- fürst Magnus als rechtmässigen Landesherrn betrachtete, da das Ur- theil allein dem Kaiser zukam. Xur wenn Karl starl) und eigentlich auch erst, nachdem Otto ohne Erben abgegangen, erlangten die Ver- einbarungen Bedeutung und auch vielleicht für Magnus Werth, und dieseii kleinen Vortheil hat ihm Karl allerdings zugestanden, ohne sich von seinem bisherigen Verhalten ablenken zu lasseu. Für die Gegenwart war Magnus mehr der Gebende, als der Empfangende. Ganz ähnlich hat Karl später gehandelt, als er AVenzel dem Mainzer Erzbischofe Adolf versprechen liess, ihn nie zu bekriegen-). Immer- hin mag Magnus die üeberzeugung gewonnen haben, der Kaiser werde nicht selber die Waffen gegen ihn führen; Karl hat sich auch meist besrnüfft. die Rechtssätze festzustellen, aber sie durchzufechten überliess er den Betheiligten.

Damals in Guben vermittelte der Kaiser auch eine Süline zwischen

') Sudendorf III n. 25 ft". Ein solcher Vertrag zwischen Magnus und Otto ist übrigens nicht bekannt ; wahrscheinlich wurde diese Form jetzt nur gewählt, um trotz Otto einen Vertrag über die Mark von Seiten der kaiserlichen Kinder zu ermöglichen. '-) Meine Geschichte des Königs Wenzel I, 37.

Karl [V. und die Witfelsbacber. g7

Erzbischof Albrecht von Magdeburg und dem einflussreichen Hofmeister Klaus von Bismarck^). Wie es scheint, wurden dort sehr weitschich- tige Berathungen gepflogen.

Jedenfalls überwarf sich Karl noch nicht völlig mit seinem Schwie- gersohne, denn dieser kam darauf nach Prag, wo er am 23. Juni eine Verfügung Karls bezeugte und seineu Ehepact mit Katharina näher feststellen liess: auch unter dem Diplom, welches am 1. August die Einverleibung der Lausitz in Böhmen l:)ekräftigte, steht sein Name 2).

Inzwischen setzte das l>randenburgische Landesregiment daheim seine Thätigkeit fort; entweder konnte also Otto nicht des Kaisers Willen durchsetzen oder er war noch nicht recht entschlossen, sich von ihm loszusagen, oder er wollte ihn täuschen.

Karl hatte mittlerweile auch im Keiche Schritte zu seiner Siche- runo- o'ethan. Durch seinen Kauzler, den er mit dem kaiserlichen Siegel nach Nürnberg schickte, liess er dort am 23. April LS70 mit Augsburg, Ulm und anderen schwäbischen Städten ein gegenseitiges Schutzbündniss für seine Lebenszeit, auch darüber hinaus im Namen seines Sohnes Wenzel bis zur Wahl eines neuen Königs abschliessend). Um den Baiern einen Bundesgenossen abspenstig und sich zum Freunde zu machen, warb er bei Herzog Albrecht von Baiem-Holland, der an dem Bunde mit Ungarn betheiligt war, um dessen Tochter Johanna für seinen Sohn Wenzel und fand bereitwilligstes Entgegenkommen. Wahrscheinlich bestimmten ihn dazu nicht allein die baierischen Ver- wickelungen ; Albrecht konnte auch gute Dienste leisten in dem Streite, welcher damals im Westen des Kelches Karls Bruder Wenzel in An- spruch nahm. Auf persönlichen Zusammenkünften und durch ge- leistete Vermittlungen suchte Karl nachher ein besseres Einverstäud- niss mit dem Pfalzgrafen und dem Erzbischofe von Mainz zu schafi'en^), Kuprecht lag eben in einem grossen, laugdauernden Kriege mit Graf Walram von Sponheim, welchen der Kaiser begünstigte'^). Ueberhaupt standen die Dinge am Khein so uufriedlich, dass der Pfalzgraf vor- läufig dort genug zu thun hatte. Es gelang wohl nicht, alle Spannung zu beseitigen, wie daraus zu schliessen ist, dass die beiden Kurfürsten der Hochzeit Wenzels fern blieben, aber ganz feindlich können sie sich auch nicht gestellt haben. Es blieb das halbe, unklare, unehr- liche Verhältniss.

') Mark. Forsch. XI, 215. ^) Huber, Reg. 4853, 4854, 4863. 3) Vgl.

mein Buch über das Urkundenwesen Karls IV. u. s. w. 194. ^) Huber, Reg.

4877, 4880, 4881. ^) Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 3914, 3918 fiF.; Chron.

Mog. 20—24; ferner Huber, Reg. 6346 ff., 4884.

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L i inl u e r.

Bei Gelegenheit der Hochzeit, welche am 29- September in Nürn- berg stattfand, soll nun zwiscben Karl und seinem Schwiegersöhne der verhängnissvolle Zusammenstoss erfolgt sein. Leider berichtet nur Otto darüber, verworren und halb welimüthig. In der öffentliclieu Erklärung, welche er am 10. Juni des folgenden Jahres gegen Karl erliess, er- zählt er: ,Er hat uns freundlich zu sich geladen in die Reichsstadt Nürnberg mit seinen Briefen und sandte uns Graf Heinrich von Schwarz- buro- entgegen als Geleitsmann; wir kamen dort zu ihm ganz bereit- willig und liessen alle unsere anderen Geschäfte unterwegs, da wir sein Gebot ungern unbeachtet lassen wollten. Als wir zu ihm kamen und dachten, dass wir mit ihm fröhlich sein sollten, da Avollte er uns enterbt haben bei unserem Leben ; da wir das nicht zugestehen wollten, sandte er seineu Rath in unsere Herberge und liess uns von seinet- wegen entsagen, was wir gegen das Reich und gegen ihn von des Reiches wegen nicht verschuldet haben oder ungern verschulden wollten, und wir wären ihm gerne gerecht geworden sofort vor des Reiches Kurfürsten um seiner Ansprache willen "i).

Er kam, „um fröhlich zu sein", aber plötzlich aus heiterer Luft soll den Armen der Donnerschlag getroffen haben, während er doch selbst zugiebt, dass er schon vorher mit dem Kaiser Späne hatte. Sollte Karl nicht vielleicht beabsichtigt haben, in Nürnberg die Sache aus- zutragen? Zu diesem Zwecke wird Herzog Friedi-ich geladen sein, dessen Anwesenheit recht auffallend ist. Warum sollte sonst der Kaiser Otto gegenüber erst in Nürnberg offene Karte bekannt haben? Man kann sagen : er war erst jetzt Herzog Albrechts sicher, aber abgesehen davon, dass er wohl schon vorher auf diesen rechnen durfte, war Al- brechts Beistand doch nicht von so entscheidender Wichtigkeit. Ich denke daher, Karl wollte in Gemeinschaft mit der ganzen Familie oder eines massgebenden Theiles derselben sich mit Otto auseinandersetzen. Wie der Markgi-af erzählt, stellte Karl seine Forderungen auf: er wollte Otto bei seinem Leben enterben. Was ist damit gemeint ? Un- klar ist der Ausdruck jedenfalls. Immer ist darunter verstanden wor- den: Karl forderte sofortige und l)edingungslose Abtretung der Mark. Ich weiss doch nicht, ob das so sicher ist. That er es wirkhch, so wird er Entschädigung geboten haben, wie er sie dann selbst als Sieger reich- lichst gewährte, also etwa Kauf vorgeschlagen haben, wie er es vorher mit der Lausitz gehalten-'). Doch sollte er nicht vorher nochmalige

') Riedel II, 2, 510. *) Das Chron. Mogunt. 28 erzählt zu 1371, Karl habe Otto ein anderes Land als Entschädigung angeboten. Doch ist es fraglich, ob der Verf. wirklich Genaueres erfuhr und nicht die Zeiten durcheinander wirft.

Karl [V. uud die Witteisbacher. 89

Auerkennimg des Erbvertrages und weitereu Bestand der Uebereinkunft, welche ihm die Regierung der Mark noch für längere Zeit zugestand, beo-ehrt haben? Wäre es undenkbar, dass Otto schon das als eine „Enterbung bei seinem Leben" bezeichnete, als er später seine Be- schwerde über Karl begründen wollte ? Wenn der Kaiser in der That die alsbaldige Uebergabe der Mark heischte, was hielt den Markgrafen davon ab, das später mit klaren Worten zu sagen ? Er beklag-te sich nachher in demselben Schriftstück: er könne nicht wissen, was der Kaiser meine uud wessen er sich zu ihm versehen habe ; nun, klarerer Wein hätte ihm doch nicht eingeschenkt werden können!

Da Otto des Kaisers Willen nicht that, liess ihm dieser „ent- sagen"! Eine Kriegserklärung ist damals sicherlich nicht erfolgt, wie der weitere Verlauf zeigt, also über eine scharfe Drohung, über eine Aufkündigung der persönHchen Freundschaft kam es kaum hinaus. Er will sich dann erboten haben, vor den Kurfürsten zu Recht zu stehen ; wir werden später sehen, wie Karl selbst vergeblich diese Forderung stellte. Aber er macht einen Vorbehalt: er habe nichts gegen den Kaiser von Reichswegen gethan. Ganz richtig, denn den Erbver- trag, der allerdings Reichssache war, hatte er noch nicht umgestossen, und die Vereinbarung, welche Karl die Regierung der Mark zusprach, war nur eine Privatsache, betraf also Karl nicht in seiner Eigenschaft als Kaiser. Deswegen lehnte vielleicht Karl das Ansinnen ab, die Sache vor die Kurfürsten zu bringen , weun er wirklich ablehnte. Denn Ottos unklare Worte lassen auch die Deutuug zu: er wäre bereit gewesen, die Kurfürsten anzurufen, aber sie enthalten nicht mit zwingender Gewissheit, dass er sich zum wirklichen Antrag erhob und noch weniger, dass der Kaiser ihn abschlug.

Vielleicht wird mir vorgehalten werden: willkürliche, Worte zer- pflückende Kritik ! Ich muss mir das gefallen lassen, aber was bleil)t übrig, wenn ein in Dunkel gehüllter Vorgang erklärt werden soll! Ich denke mir den Gang so: Karl begehrte genauere Einhaltung der Verträge, Zurücknahme der erfolgten Veränderungen und Herstellung des früheren Standes, vielleicht mit einiger Verschärfung desselben. Was Otto bewog, darauf nicht einzugehen, ist allerdings ungewiss 9, aber sein Neffe Friedrich mag ihn aufgestachelt, für sich gewonnen haben. Er mag ihn in die grosse gegen das luxemburgische Haus bestehende

1) Man könnte denken, dass er auch mit seiner Gattin Katharina schon in das Missverhältniss getreten war, welches später bestand fRiezlcr I[[, 108), und die vorhergegangene Sicherung ihrer Leibzucht (oben S. 87) liesse sich damit in Verbindung bringen, aber das hiesse vielleicht, das Gras wachsen hören.

90 L i 11 d n e r.

Verschwörung eingeweiht, ihm die Hilfe der ganzen wittelsbachischen Familie und Ungarns in Aussicht gestellt haben. Und Otto mochte an seinen märkischen Adel denken, der auch dem Kaiser feind wai-. Das stimmte Alles so schön, dass der schwache Gesell sich Mutli ein- blasen liess.

Gewiss ist, dass erst die Nürnberger Tage Kaiser und MarkgTaf entzweiten, und mehr als wahrscheinlich, dass Otto erst jetzt sich in die Arme seiner Verwandten warf, die ihn vorher so schmählich be- handelt hatten. Die bisher unbestimmte Gegnerschaft zwischen den Häusern Witteisbach und Luxemburg gewann nun feste Gestalt und die ßaiern erhielten für ihre Wünsche und Bestrebungen einen greif- baren Gegenstand.

Noch vergeht einige Zeit, ehe weitere Schritte aus beiden Lagern kund werden. Neuere Forscher betrachten allerdings das grosse Bünd- niss, welches zu Bamberg am 28. November geschlossen wurde ^), als ein Zeichen der sich erweiternden Verschwörung. Nämlich die Pfalz- gTafen, die baierischen Herzöge, die Markgrafen von Meissen, Burg- graf Friedrich von Nürnberg, die Bischöfe von Bamberg und Eichstedt vereinten sich auf vier Jahre zum Schutz ihrer Lande gegen Eaub, Brand und unrecht Widersagen. Doch liegt nichts weiter vor als ein gewöhnliches Bündniss ohne politischen Hintergrund, dem Friedens- bedürfniss entsprechend. Dass es nicht gegen den Kaiser gerichtet war , verbürgen nicht nur seine Bestimmungen , sondern auch die Theilnahme des Burggrafen Friedrich von Nürnberg. Warum hätte man nicht auch Markgraf Otto aufgenommen , wenn die Einigung seinem Schutze galt? Es ist sogar' nicht unmöglich, dass die Verein- barung mit Willen und Wissen Karls geschah, denn am 2. Februar des folgenden Jahres trat er selbst in diesen Landfrieden ein und verknüpfte mit ihm die Städte Nürnberg, Weissenburg, Rotenburg, Windsheim, mit denen er selbst verbündet war, und seine eigene Stadt Eger-). Eher liesse sich verrauthen, dass die Einung vom 28. No- vember ursprünglich einen Gegenzug gegen Karls Bündniss mit den schwäbischen Städten vom 23. April bedeutete, da Karl letzteres in eben diesen Tagen, am 6. December, in einen Landfrieden umwandelte, an dessen Spitze er Graf Ulrich von Helfenstein stellte ^). Aber da- gegen spricht, dass manche der Theilnehmer der Verbindung vom 28. November mit dem schwäbischen Bunde nichts zu thun hatten. Mit den Meissner Markgrafen stand ohnehin Karl damals noch nicht

0 Huber, Reg. R.-S. 507. ') Huber, Reg, 4933. ^) Huber, Reg.

R.-S. 518.

I\arl LV. un<l die Witfelsbai-her. 91

schlecht; Friedricli war Hoclizeitsgast und ihm und seinen Brüdern Balthasar und Wilhelm zeigte sich Karl damals hold^).

Die schwierige Lage des Kaisers wurde durch einige Todesfälle erleichtert. Am 5. November starb König Kasimir von Polen, mit dem nie eine dauernde Freundschaft bestanden hatte. Sein Reich ging über an Ludwig von Ungarn, der freilich auch des Kaisers Feind war, aber für den Augenblick war es vorth eilhafter, statt zwei bedeutender Feinde nur Einen zu haben. Foleu unter der Herrschaft Ludwigs, dessen grosse Politik ihre Ziele in ganz anderer Richtung suchte, drohte mit geringeren Gefahren, als unter dem einheimischen, unter- nehmungslustigen Kasimir, der wahrscheinlich in Brandenburg unmittel- bar eingegiifPen und dem Kaiser die Kriegsführuug gewaltig erschwert hätte-). Es starb ferner am 19. December Papst Urban V., welcher mit dem Kaiser zuletzt sehr wenig zufrieden gewesen war, während sein Nachfolger Gregor XL die freundlichsten Gesinnungen hegte. Endlich erlag am 12. Februar 1371 Erzbischof Gerlach seinem Leiden und Karl benutzte die Freundschaft mit dem Papste, um das wichtige Erz- bisthum an einen ihm ergebenen und verwandten Mann, Johann von Luxemburg, zu bringen. Der böhmische Chronist Beness erblickte in dem Hinscheiden dieser drei Männer geradezu einen Eingriff des Him- mels zu Gunsten seines geliebten Herrschers.

Noch ein anderer Todesfall war für die brandenburgische Ange- legenheit von einiger Bedeutung, der des Herzogs Rudolf IL von Sachsen am 6. December 1370. Die Herrschaft ging über an seinen Bruder Wenzel und seinen Neffen Albrecht, und Markgraf Otto be- nutzte den wohl unvermuthet eingetretenen Wechsel und die dadurch entstehende Verwirrung, um mit ihnen anzuknüpfen. Denn seine Räthe, unter ihnen Klaus von Bismarck, vereinbarten mit den beiden Her- zögen am 10. Januar 1371 einen Vertrag über gemeinsames Verhalten bei einer Königswahl , der sehr bedenklichen Inhalt hatte ^) , dessen Urkunde sich in München befindet, also später von Otto nicht mit dem Brandenburger Landesarchiv ausgeliefert, vielleicht sogar schon damals dorthin geschickt wurde. Auffallender Weise nennen sich die beiden Herzöge nicht von Lüneburg, wozu sie gutes Recht hatten, und erwähnen ihre Ansprüche auf dieses Herzogthum gar nicht. Merk- würdig stark werden Verwandtschaft und Nachbarschaft hervorgehoben. Irgend ein absonderliches Spiel steckt dahinter, doch an jenem Tage waren bereits die kaiserlichen Befehle unterwegs, welche Lüneburg an

») Huber, Reg. 4884, 4892, öuppl. 731-2. -) öteinherz 588 fasst die

Lage anders auf. ^) Huber, Reg. R. -ö. 519.

92 L i n d n e r.

Wenzel wiesen i), und fortan hielten die Wittenberger und die Luxem- burger zusammen. Am 31. März schlössen dann Wenzel und Albrecht einen Kriegsbund gegen Magnus mit Erzbischof Albrecht von Magde- burg; den dritten Theil der Kriegsbeute soll , unser Oheim, der Mark- graf von Brandenburg," erhalten-). Was -wollte Otto mit diesem Kriege gegen seinen bisherigen Freund? Denn dass die Sachsen und der Erzbisehof sich von Karl ab zu ihm gewendet hätten, folgt aus dem Vertrage keineswegs : im Gegentheil, am 17. April erkannte zu Prag Herzog Albrecht von Sachsen Wenzel als rechtmässigen Erben Ottos an und die Herzöge verkauften dem Kaiser das wichtige Mühlberg an der Elbe ^). Machte Otto einen letzten verunglückten Versuch, Karl zu begütigen?

Herzog Friedrich von Baiern begann nun ernstliche Rüstungen. Am I.Januar 1371 gewann er Erzbischof Piligi'im von Salzburg, welchen Verdruss über die Oesterreicher ihm als Bundesgenossen zuführte; später verliess er Baiern, um über Oesterreich, Ungarn und Krakau nach der Mark zu eilen^).

Wahrscheinlich sind mehrere Verträge sein Werk^). Am 6. März bekundete Erzbischof Piligrim in Laufen ein Kriegsbündniss mit Ste- phan und dessen Söhnen Friedrich und Johann. Da der Gegenbrief denselben Tag und Ort zeigt, so dürfte der Vertrag früher vereinbart sein. König Ludwig war bis gegen Ende März in Ofen^), und auch ihn wird Friedrich aufgesucht haben. Denn Ludwig hat mit Stephan, Friedrich und Johann ein besonderes Bündniss abgeschlossen, in welchem er ihnen für ihren Krieg um Brandenburg Hilfe zusagte 7). Ausser- dem besass Karl später die Abschrift eines Buudbriefes Ludwigs mit mit den Baiern, in welchem er nicht ausgenommen war«), wie doch die Erstlingsurkunde vom 13. September 1369 bedingte. Gewiss ver- mittelte Friedrich auch das Bündniss PiligTims mit Ludwig, welches bald darauf am 13. April zu Noua in Dalmatien, wohin Ludwig ge- zogen war, zum Abschluss kam 9). Dagegen scheint zwischen Otto von

•) Vom 24. December, Huber, Eeg. 4924. -') Riedel U, 2, 507 ; vgl. Suden- dorf IV n. 144, 150. Uebrigens schloas Albreclit scbon am 11. Mai mit Magnus Frieden, Sudendorf IV n. 165. '') Pelzel II, 837. ^) Für das folgende Stein- herz 586 S. ^) Am 3. Februar war er noch in Baiern, wo er für seine bevor- stehende Abwesenheit einen Verweser ernannte; Reg. Bo. IX, 255; er ist also später abgereist. «) Fejer IX, 4, 330 tf. ; Ludwigs Brief vom 9. März für Re- gensburg (Reg. Bo. a. a. 0.) hängt wohl kaum mit diesen Dingen zusammen. 7) Das folgt aus seiner Urkunde vom 2. Juli 1371, Huber, Reg. R.-S. 534, Mon. Hung. bist. Acta ext. HI, 10. «) Riedel II, 2, 527 f. ») Steinherz 627; Piligrims Gegenbrief hat gleichen Tag und Ort. Ludwig nahm darin Ruprecht und sämmtliche baierische Herzüge aus.

Karl IV. und die Wittelsbacliei-. C)^

Brandenburg und Ludwig kein Vertrag bestandeu zw haben ^), was dem üngarukönige später den Eückzug erleichterte; vielleicht be- absichtigte Friedrich gar nicht, seinem Oheim den Besitz der Mark zu garantiren.

Am 15. April fasste endlich Otto sich das Herz, seine Absichten offen und unzweideutig auszusprechen, indem er den Ständen der Neu- mark erklärte, nach seinem Tode sollten sie Herzog Friedrich als ihren reciiten Erbherrn anerkennen^). Geraume Zeit verging wieder, ehe er sein offeues Manifest gegen den Kaiser erliess; das geschah erst am 10. Juni von Stendal aus. Als Rechtsgrund, welcher den Erbvertrao- mit Luxemburg ungiltig mache, stellte er hin : der Kaiser habe nicht, wie er mündlich verheissen , den Herzog Stephan dazu bewogen , die Briefe über die Huldigung der Märker herauszugeben. Noch manche Klagen fügte er hinzu: der Kaiser habe die Schutzversprechen, welche er einst Ludwig dem Römer und ihm gegeben, nicht gehalten, dann in seinem Lande eine Brücke gebaut. Nachdem er den in Nürnbero- entstandenen Zwist geschildert, wie oben bereits erwähnt, fährt er fort : , Solche L'rung und Ungnade hat uns der Kaiser oft und mannig- faltig erzeigt, obgleich wir ihm treu waren, so dass wir nicht wissen können, wie er es meint und wessen wir uns zu ihm zu versehen haben, da er uns später durch unsern eigenen Rath, den wir zu ihm sandten, zum zweiten Male hat entsagen lassen, so dass wir seine Ge- walt und Ungnade fürchten müssen". Daher erkennt er Herzog Fried- rich als seinen rechten Erbfolger an. „Sollte der Kaiser Briefe vor- bringen, welche ihm von uns gegeben sein sollen und gegen die gegenwärtige Anordnung sind, so sollen sie machtlos sein, da der Kaiser die Briefe, die er uns gegeben hat, und die Worte, die er uns gelobt hat, nicht vollzogen und gehalten hat "3).

Dass Ottos Gründe nichts verfangen, dass er einen Rechtsbruch beging, bedarf keiner Erörterung. Wunderlich genug macht er Karl zum Vorwurf, worauf er doch allein die Berechtigung seiner neuen Ordnung begründete, dass dieser Stephan nicht zur Herausgabe der Briefe bewogen. Bezeichnend ist dann, wie er über den Inhalt seines Erbvertrages mit den Luxemburgern hinwegschlüpft. Lidesseu ein

*) Meines Wissens sagt nur Beness, dass Otto sich mit Ludwig verbündete, was ja mittelbar aucb richtig ist.. In den späteren Verhandlungen Ludwigs mit Karl wird nie von Otto geredet, auch dem Papste gegenüber spricht Karl immer von den Baiem. Der Markgraf war eben nichts, als ein Werkzeug seiner Ver- wandten. 3) Riedel II, 2, 508. Ob Friedrich schon damals da war, ist mir nicht ganz gewiss ; zuerst nrkundet er in der Mark am 7. Mai, Riedel I, 9, 382. 3) Riedel II, 2, 509.

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L i n cl n e r.

Eeclitsbrucli kauu ausreicheud eutschuldigt sein : ob der Uttos es war, Avill icli uach dem Gesagten uiclit weiter erörtern. Er sagt, er habe nach den Xiirnberger Voigäugen noch mit Karl verhandelt; leider wissen wir darüber sonst nichts. Aber Krieg hat der Kaiser erst an- gesagt, nachdem der Markgraf alle Brücken hinter sich abgebrochen; am 21. Juni erliess Karl von Prag aus seine kurzgefasste Kriegs- erklärung des Vertragsbruches wegen. Er lag zur selben Zeit an schwerer Krankheit darnieder, so dass man im Reiche seinen Tod er- wartete. Er fürchtete, seine Feinde möchten nun auf der ganzen Linie losschlao-en, und suchte daher sofort dem Pfalzgrafen Ruprecht als seinem „offenbaren Feinde- Gegner zu erwecken. Es lässt sich recht deutlich erkennen, wann Karl die aufregenden Xachrichten zukamen: am 12. Mai schickte er nach dem Elsass den Befehl, die schädlichen Leute zu fassen ; am 23. Juni, zwei Tage nach der Kriegserklärung an Otto, beo-reift er in die gleiche Weisung Ruprecht mit ein, am 30. October ist in ähnlichen Briefen von ihm nicht mehr die Rede i). Ruprecht trieb noch immer seinen Sponheimer Krieg weiter und nahm auch andere Fehden in Angriff: um die Mark kümmerte er sich nicLt.

Im Juh erschien Karl mit einem Heere in der Mark, doch kam es nicht zu grossen Kriegsthaten und er zog bald wieder ab, weil Könio- Ludwig in Mähren rüsten liess und Erzbischof Piligrim in die böhmische Oberpfalz einbrach-). Am 16. October kam zu Pirna ein Waffenstillstand bis Pfingsten 1373 zu Stande. Ihn bekundeten Otto, Stephan und dessen drei Söhne ; sie nahmen in ihn auch den üngarn- könio- und den Salzburger auf, doch thaten sie das wohl auf eigene Hand-). Bischof Ludwig von Bamberg und die W^ettiner waren auch des Kaisers Gegner geworden, weil letztere sich durch dessen grosse Erwer- bungen in ihren Landen beschwert fühlten, vielleicht auch den Lockungen ihres Vetters Friedrich folgend, doch gingen auch sie den Stillstand ein. Des Pfalzgi-afen Ruprecht gedenken die Urkunden nicht; er war also ganz unbetheiligt geblieben.

Ob der Kaiser oder die Baiern der AVaffenruhe bedürftiger waren, lässt sich bei den dürftigen ^S'achrichten nicht übersehen; wenn es aber richtig ist, dass die Baiern Ludwig und Piligrim hineinzogen, ohne

') Huber, Reg. 4965, 4976, 5002. -) Steiuherz 588. Die Beziehungen

Karls und Ottos zu Pommern und Mecklenburg sind hier und im Folgenden über- gangen, da sie für die Hauptfrage wenig bedeuten und von Scholz ausführlich besprochen sind. ^) Vgl. Steinherz 590; auch die Aeusserungen des Kaisers

bei Riedel 11, 2, 528 lassen erkennen, dass der Stillstand nur zwischen ihm -.ind den Baiem vereinbart worden. Leber den Bericht des Chron. Mog. 28 siehe oben ."<. 88.

Karl IV.. und die Wittelsbachel\ 95

dazu bevoUmäclitigt zu sein, so spriclit das uiclit für die Stärke ihrer Sache, da sie dauu. um* dem Verlangen Karls folgten. Jedenfalls hing ihre ganze Hoffnung an Ludwig, und daher bemühte sich Karl mit be- währter Meisterschaft, den König von ihnen zu trennen. Zustatten kam ihm, dass Papst Gregor XL, um Hilfe gegen Bernabo zu erlangen, aufs eifrigste für deu Frieden wirkte und deswegen den Patriarchen Johann von Alexandrien au Kaiser und König absandte 3).

Im Winter begann Karl Werbuugen au dem ungarischen Hof, unterstützt von der ihm günstigen Partei, deren Haupt Herzog Wla- dislaw von Oppeln war. Er Hess dem Könige den Vorsehlag eines Ehebündnisses zwischen ihren Kindern unterbreiten, der bei Ludwig- geneigtes Gehör fand, doch verlangte er, Karl möge die ßaiern, die ihm dafür sein Kecht leisten sollten, in Freundschaft annehmen. Der Kaiser betonte sofort sein Recht auf Brandenburg, aber erbot sich, darüber mit den Baiern vor den Kurfürsten oder ihrer Mehrheit recht- lich zu verhandeln 2). üeber die Eheschliessung zwischen Maria, der zweiten Tochter Ludwigs , und Sigmund , dem zweiten Sohne Karls, kam man Mitte März in Breslau leicht ins Eeine, obgleich sich Lud- wig Bedenkzeit bis zum 24. Juni vorbehielt ; die einzige Schwierigkeit bildete der Streit mit den Witteisbachern, denen sich Ludwig für ver- pflichtet erachtete. Der Kaiser verabredete mit den ungarischen Ge- sandten, am 15. August solle zwischen ihm und den Baiern in einer persönlichen Zusammenkunft der Handel geschlichtet werden, bis dahin gegenwärtige Stand bleiben ; er beschwor feierlich , Ludwigs Reiche und Herrschaften nicht anzutasten, und forderte von dem Könige das gleiche^). Froh meldete er dem Papste, Alles sei glücklich erledigt^). Doch so schnell ging die Sache nicht. König Ludwig, unter dem Einflüsse Herzog Stej^han des jüngeren von Baiern, welcher an seinem Hofe weilte, und der Karl abgeneigien ungarischen Partei, begehrte erst eine persönliche Besprechung. Karl lehnte den Wunsch nicht ab und stellte die Ansetzung der Zeit in des Königs Ermessen, der Pfing- sten, den 16. Mai vorschlugt). Ehe jedoch diese letzte Botschaft an- kam, hatte Karl Prag bereits verlassen und den päpstlichen Legaten ersucht, die Angelegenheit zu erledigen. Patriarch Johann, der vor- her in Dresden die Wettiner zu beschwichtigen suchte"), brachte nach Ofen die Vorschläge : Karl sei zur Zusammenkunft bereit, sobald Lud- wig die Tractate über die Ehe und den gegenseitigen Friedensstand

') Huber, Reg. P. 130; wahrsclieinlich war der Legat schon in Bautzen

bei Karl. -') Dobner, Mon. bist. Bo. 11. 382 ff. ; vgl. Steinherz 6151}'. •') Dobner

386 f., 393 f. *) Huber, Reg. P. 131. ■') Dobner 388, 393. «) Lo- serth a. a. U. 180 1'.

( )(; L i n d n e r.

bestätigt habe, was vor dem 15. August geschehen sollte. Doch möchte der König geloben, den Baiern nicht zu helfen, sobald sie sich einem Eechtsspruche nicht unterwerfen wollten. Wenn nämlich, wie zu er- warten, eine frenndschat^liche Vermittlung Ludwigs nichts erreichte ^j, so würde ein Kechtsspruch der Kurfürsten oder ihrer Mehrheit ent- scheiden; für den Fall, dass dies die Baiern ablehnten, sollte jede Partei zwei Schiedsrichter ernennen, wenn auch diese sich nicht einig- ten, der Papst darüber sprechen.

Dem Kaiser mochte die Zusammenkunft wenig erwünscht sein; ausserdem hatte er bereits den Pfalzgrafen Kuprecht, auf welchen ihm am meisten ankam, zur persöulicheu Besprechung eingeladen; einigte er sich mit ihm friedlich, wollte er gleich nach Brandenburg gehen, sonst dem Kardinal sofort Nachricht geben-).

Der Ausbruch des Kampfes zwischen den Städten und dem Grafen Eberhard von Wirtemberg nöthig*te Karl nicht minder zur schnellen Fahrt ins Reich, als seine persönlichen Angelegenheiten, namentlich die Nothlage seines Bruders, des Herzogs Wenzel von Brabant. In Würzburg und Mainz pflog er weitschichtige Berathungen ; Euprecht, welcher dorthin mit den drei kurfürstlichen Erzbischöfen kam, nahm jedenfalls gegen den Kaiser keine ausgesprochen feindselige Haltung ein und verweilte mehrere Wochen bei Hof •^), über Brandenburg wurde jedoch offenbar keine Einigung erzielt; die Regelung der Brabanter Verhältnisse nahm lange Zeit in Anspruch und erst Ende Juli kehrte Karl nach Böhmen zurück.

Der Legat Johann verlebte inzwischen sorgenvolle Tage in Ofen, denn König Ludwig bestand bei aller Geneigtheit zum Kaiser, welche er sonst an den Tag legte, auf der persönlichen Besprechung. Die Entfernung Karls erschwerte den brieflichen Verkehr und die dring- lichen Schreiben des Legaten blieben lange Zeit ohne Autwort. Der König legte noch immer grosses Gewicht auf Pfalzgi-af Ruprecht, von dem man auch bei Hofe eine hohe Meinung hatte. Der Herzog von Teschen, av elcher von Ofen aus Karl nachgeeilt war, holte ihn erst in Mainz ein und brachte Ende Mai seinen Bescheid zurück, er wolle am 24. Juni in Trentschiu Ludwig treffen. Da der Kaiser diesen Plan nicht ausführen konnte, sandte er den Prager Erzbischof nach Ungarn, wo mittlerweile Herzog Stephan die Absicht der Baiern kundgethan,

») Steiiiherz 5SI4 bezweifelt, dass Karl Ludwig als Scliiedsrichter vorge- schlagen habe. Das ist auch nicht geschehen, denn Karl spricht an der be- treffenden Stelle (Riedel II, 2, 528) nur von „tractare amicabiliter", was in der Stellung Ludwigs zu beiden Parteien begründet war. -) Dobner395. 3) jjuber, Reg. 5042a (dazu Chron. Mog. 30), 5054, 5103.

Karl IV. und die Wittelsbachev. 97

vor dem Legaten in Wien darzuthun. Ludwig setzte dafür den 15. Juli an, viel zu früh, da der Kaiser trotz der Beschleunigung seiner Rück- kehr bis dahin nicht eintreffen konnte. Dazu trat eine neue ungün- stige Verwicklung, indem Ludwig der veuetianischen Verhältnisse wegen mit den 0 esterreichern zerfiel und sogar Krieg drohte i).

Erzbischof Johann lirachte den Vorschlag, auf einem Reichstage in Nürnlierg den Streit zu schlichten, wo der Kaiser zugleich den drin- genden Forderungen des Papstes gegen Bernabo genügen wollte. Er erbot sich auch zu einer persönlichen Zusammenkunft mit Ludwig, welche jedoch bis Anfang Oktober hinausgeschoben wurde, da der Ungar anderweitig in Anspruch genommen war. Die Baiern schlugen nunmehr den Rechtsweg ab, weshalb dann auch der dem Papste be- reits angekündigte Reichstag in Nürnberg unterblieb; Ludwig ver- harrte jedoch dabei, er könne vor einem Friedensschluss mit Baiern die Verträge mit Karl nicht zum Vollzug kommen lassen 2).

Die Baiern hatten ihren Zweck erreicht und glücklich die Eini- gung der beiden Herrscher, welche schon fast vollendet war, vereitelt, gegenseitige Mssstimmung erzeugt. Sie verfolgten diese Politik auch, als am 4. October an der böhmisch-ungarischen Grenz? wirklich der Kongress stattfand, zu welchem Karl, Ludwig, die Meissner Markgrafen, Pfalzgraf Ruprecht, die baierischen Herzöge, der Patriarch Johann und wohl auch die Oesterreicher zusammentraten-^). Der Kaiser schlug vor, den Waffenstillstand auf zwei Jahre zu verlängern, verlangte aber von Ludwig das Versprechen, den Baiern, wenn sie ihn brächen, nicht zu helfen. Der König machte seine Zusage von der gleichen Erklärung des Pfalzgrafen abhängig, welcher sie jedoch ablehnte. Der einzige Erfolg war, dass der gefährdete Frieden zwischen Oesterreich und Un- garn bewahrt blieb.

Karl wandte sich sofort an den Papst und trug ihm den Gang der Dinge vor^). Der seiner sonstigen Politik nicht entsprechende Schritt zeigt, wie besorgt er der Zukunft entgegensah. Er mach re Gregor darauf auf- merksam, wie das Verhalten Ludwigs, welcher Reichsfürsten vom Reiche ab und an sich ziehe, nothwendig zum Kriege führen müsse, einem Kriege, der nur den Feinden Ungarns und denen der gesammten Christenheit förderlich sein werde. Da Otto durch seinen Eidbruch und durch seine Untreue ffeoren den Lehnsherrn ohnehin jedes Recht auf die Mark verwirkt habe, möge der Papst die Kurfürsten anweisen, durch ihren Rechtsspruch den Streit um die Mark zu erledigen, damit nicht nach dem Tode des Kaisers

') Dobner ,396 ff. ^) Dobuer 400 ff. ») Steinherz 595. Für Ruprechts Anwesenheit lassen seinp Eegosfon K;inm. *) Riedel II, 2, 527 ff.

Mittheilungeu XI. 7

Qg L i n d n e r.

oder Ottos das braiidenburgisclie Kurrecht fraglich sei und so das Reich in Verwirrung gerathe. Der Papst möge femer dem Markgrafen und den Märkern befehlen, die früher eingegangenen Verpflichtungen zu halten, auch den Erzbischof von Salzburg zum Gehorsam gegen den Kaiser zwingen. Doch er richtete an Gregor auch das Verlangeu, die an Reiehsfürsten (in anderen Angelegenheiten) ergangenen Vor- ladungen vor die Kurie zurückzunehmen; selbst unter diesen Verhält- nissen suchte er soweit möglich ein unmittelbares Eingreifen des Papstes zu vermeiden.

Gregor hatte zu derselben Zeit, in welcher der Congress statt- fand, bereits den Erzbischof von Salzburg mtt Strafe bedroht und unter der Einwirkung seiner Weisungen wird es geschehen sein, wenn Herzog Friedrich und seine Familie zugleich im Namen Ottos sich am 4. No- vember bereit erklärten, die vom Kaiser angebotene Verlängerung des Waffenstillstandes anzunehmen, doch wies sie Karl jetzt zurück i).

Es glückte dem Kaiser, sich mit den Wettinern zu versöhneu, Erzbischof Piligrim fügte sich den päpstlichen Weisungen, König Lud- wig stürzte sich in einen Krieg mit den Venetianeru und Hess die Baiern fallen, Pfalzgraf Ruprecht hatte am Rhein alle Hände voll zu thun, der Papst beharrte in seiner Zuneigung zu Karl, so dass die früher drohenden Gefahren mit Beginn des neuen Jahres 1373 sich zerstreuten. Otto und Friedrich blieben allein auf sich angewiesen, und wenn letzterer sich von seinem Vetter die Altmark verpfänden Hess, so drohte Otto die Gefahr der Enterbung bei lebendigem Leibe, die er vom Kaiser gefüi'chtet hatte, nun von seinen Verwandten. Als Karl im Juni mit Heeresmacht in die Mark einbrach, leisteten Fried- rich und Otto zwar Widerstand, aber Mitte August schlössen sie den Frieden, durch welchen die Mark in den unmittelbaren Besitz Karls kam. Dass der Preis, welchen Karl zahlte, ein sehr hoher war, ist allsemeiu anerkannt, und die Baiern machten schliesslich noch ein gutes Geschäft, da sie bei der Zerfahrenheit ihrer Familie kaum in) Stande gewesen wären, die Mark zu behaupten oder wenigstens aus ihr rechten Nutzen zu ziehen. Sie verloren allerdings so den letzten grossen Erwerb aus der Zeit, in welcher ihr Geschlecht den Kaiser- thron einnahm, aber für Tirol, für die Lausitz und für die ^lark trugen sie reiche Entschädigungen an Geld davon. Wäre nur ihi- Haushalt nicht das Fass der Danaiden gewesen !

*) Am 8. Nov. war der Legat in Bamberg, Steiuherz 633, Herzog Friedrich damals in Baiern, Reg. Bo. IX, 286. Dass Karl die Urkunde zurückwies, schliesse ich daraus, dass das Original in München liegt. Auch die sonstigen bekannten Verhilltniase beweisen es.

Karl IV. und die Wittelsbacher. 99

Karl hat den Wittelsbachern keinen Groll nachgetragen, sondern gerade den, welcher ihm die meisten Schwierigkeiten gemacht hatte, den Herzog Friedrich reichlichst mit seiner Gunst bedacht. Allerdings verband er damit den Zweck, ihren Widerstand gegen die Wahl Wen- zels zu beseitigen, aber er that an ihuen fast mehr, als dazu erfor- derlich war. So blieb bis zu seinem Tode das Einvernehmen der beiden Häuser ein gutes.

Uebersieht man noch einmal den Gang der Dinge, so wird man, so schwer es ist, die Einzelheiten zu erkennen, doch zugeben müssen, dass die er&te Ursache des Zerwürfnisses von Otto ausging, oboleich nicht er persönlich, sondern die Märker sie herbeiführten. Er Hess sich nachher von seineu Verwandten ins Schlepptau nehmen, wurde vielleicht wider Willeu ein Werkzeug ihrer ursprünglich auf eine Aen- derung des ganzen Reichsstandes gemünzten Pläne. Karl traf wie ihm das zukam, rechtzeitig Vorkehrungen, und selbst wenn er wirk- lich von Otto die sofortige Ueberlassung der Mark forderte, so ist dieser Schritt erklärlich aus seiner ganzen bedrohten Lage. Immer ist er bereit, die Sache rechtlich zum Austrage zu bringen, aber die Baiern entzogen sich seinen Vorschlägen, weil die Rechtsfrage durchaus gegen sie sprach. Es ist wohl die Meinung ausgesprochen wordeji, sie hätten sich einem Spruch der Kurfürsten nicht fügen können, weil Karl die Mehrheit auf seiner Seite hatte. Aber welches Schiedsgericht sollte er ihnen anbieten, als das der Kurfürsten ? und er ist sogar darüber hinaus gegangen, denn er konnte auf die Gerechtigkeit seiner Sache vor jedem Schiedsrichter rechnen. Aber so standen auch die Kurfürsten nicht, dass sie unter allen Umständen, mochten die Sachen liegen, wie sie wollten, sich für den Kaiser ausgesprochen hätten. Böhmen und Bran- denburg wären natürlich ausser Betracht geblieben. Von den welt- lichen Kurfürsten war Ruprecht auf baierischer Seite und woo- also den Sachsen auf. Alles hing demnach au den geistlichen Kurfürsten, von denen Mainz allerdings als unbedingt kaiserlich zu betrachten ist, aber Kuno von Trier und Friedrich von Köln waren mit nichten blinde Anhänger des Kaisers, so dass von ihnen Gerechtigkeit zu er- warten war.

Soll ein Sündenbock für die Fehler, welche Otto und seiue Fa- milie machten, gefunden werden, so ist es nicht Karl, sondern Ru- precht. Er erscheint als derjenige, welcher aus eigenem Interesse die Baiern in das Abenteuer hineiulockte , sie darin festhielt und dann sitzen Hess; ihn trifft noch grössere Verantwortlichkeit, als Ludwig von Ungarn.

100 L i n d n e 1-.

Karls Politik gegen die Baiern ist demnach in ihrer Gesamtheit keine grundsätzlich feindliche. Sie selbst zwangen ihn oft genug, gegen sie einzuschreiten, und es wäre übermenschliches von ihm ver- langt gewesen, ihr Auftreten ruhig hinzunehmen. Er geht sicher seiner Wege, benützt, wie das jeder Staatsmann thuu muss und wird, die sich ihm darbietenden Mittel zur Vertheidigung und sucht gelegentlich die Abwehr auch im Angriff. Immer das Wesentliche berechnend und kalt erwägend, trifft er die erforderlichen Massnahmen und benutzt geschickt die Fehler und Schwächen der sich über ihr Vermögen täuschenden Gegner.

Trotzdem hat der Brandenburger Handel schlimme Früchte ein- getracfen: indem der Kaiser die erforderlichen Geldsuramen von den Reichsstädten erpresste, rief er den grossen Städtebund hervor, welcher die Herrschaft seines Sohnes so ausserordentlich erschwerte.

Das Gefecht bei St. Michael und die Operationen des Erzherzogs Johann in Steiermark 1809.

Von

H. V. Zwiedineck-Südenhorst.

Man entbehrt noch immer einer gründlichen, auf umfassender Detailkenntnis beruhenden Geschichte des Krieges von 1809; weder den Ansprüchen des Militärs, noch denen des Geschichtsschreibers, die sich vielfach berühren und decken, ist bis jetzt genüge geleistet worden. Es ist das um so auffallender, da sowohl das technische Moment der Organisation und Vei-wendung der Kriegsmittel , wie auch das psychologische des Charakters der Führer und der sich im Kampfe messenden Völker in diesem Kriege ganz ungewöhnliche und ausserordentlich belehrende Erscheinungen bietet. Mehr als ein- mal war die Entscheidung zweifelhaft, der augenblicklich siegreiche Theil in Gefahr, seine Erfolge mit einem Schlag wieder zu verlieren; daher gewährt die genaue Untersuchung der Umstände, durch welche die bekannten und feststehenden Ereignisse hervorgerufen worden sind, das höchste Interesse, und werden die Fragen nach der Möglichkeit dieser oder jener anderen Wendung, welche hätte eintreten und den Verlauf der ganzen Handlung dieses kriegerischen Dramas hätte um- gestalten können, immer von Neuem aufgeworfen und mit Eifer be- sprochen werden.

Es ist möglich, dass sich einst die Ueberzeugung befestigen wird, dass die Schicksale der sogenannten Armee von Innerösterreich, welche Erzherzog Johann befehligte, keinen wesentlichen Einfluss auf die end- liche Niederlage Oesterreichs genommen haben; heute wird dies kaum mit Bestimmtheit behauptet werden können : die Beziehungen der beiden Obercommanden zu einander und zum kaiserlichen Kabinet, die Mis- verständnisse , welche zwischen den beiden leitenden Persönlichkeiten

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Z w i e d i n e c k - !S ü rl e 11 h 0 r s t.

eingetreten sind, enfbehren noch der völligen Aufklärung. Es wird deshalb vielleicht gerechtfertigt erscheinen, wenn in dem vorliegenden Aufsatze der Versuch gemacht wird, an einem einzelnen Falle, an einer bisher wenig beachteten Episode des Krieges den Nachweis zu liefern, dass es bei Vermeidung einer einzigen groben Ungeschicklichkeit höchst wahrscheinhch zu einer selbständigen und nicht bedeutungslosen Action der Armee des Erzherzogs Johann in der Zeit zwischen den Schlachten von Aspem und Wagram hätte kommen können.

Als die Armee des Erzherzog.^ Johaun sich bereits auf dem Kück- zuge aus Italien befand, zu welchem sie durch die Durchbrechung der österreichischen Stellung in Baiern und die Zurückdrängung des Ge- neralissimus Erzherzog Carl von der Donau nach Böhmen veranlasst worden war^), erhielt der Erzherzog die Nachricht, dass ihm die Di- vision des F.-M.-L. Eranz Ereiherrn v. Jellacic zugetheilt worden sei, die ursprünglich in losem A^erbande mit dem VI. Armeecorps des F.-M.-L. v.Hiller seit dem Ausbi-uche der Feindseligkeiten die Be- stimmung gehabt hatte, den Zusammenhang zwischen der Hauptarmee und der Armee von Inner Österreich aufrecht zu erhalten. Jellacic hatte schon im Eeldzuge von 1805 das Unglück gehabt, mit 4000 Mann in Vorarlberg die Waffen strecken zu müssen; er war dann in denKuhe- stand versetzt worden, man nahm jedoch, als er 1809 sich wieder zur aktiven Dienstleistung erbot, keinen Anstand, ihm ein Commando, ja sogar ein sehr wichtiges anzuvertrauen, das voraussichtlich zu selb- ständigen Entschlüssen genötigt sein musste.

Von der Hauptarmee des Erzherzogs Carl sowie vom Corps Hiller durch das rasche Vorgehen der Franzosen getrennt, musste sich die Division Jellacic über Rosenheim nach Salzburg zurückziehen, wo sie am 29. April anlangte. Sie bestand damals noch aus 3 Brigaden: Brigade General Legisfeld: Warasdiner Kreuzer 2 Bat.

Landsvehr Salzburger 2 Bat. , Judenburger 1 Bat.

, General Ettingshausen : Eszterhazy 3 Bat.

De Vaux 2 Bat. ^)

1 6 pf. Batterie. General Provencheres'«): Freiwillige Österr. Landwehr 3 Bat.

O'Eeilly Chevauxlegers 8 Escadrons.

1 6 pf Batterie.

') Von einer Erörterung der Nothwendigkeit dieses Rückzuges muss hier abgesehen werden. '•') In der Ordre de bataille, welche Stutterheira mittheilt,

sind die Regimenter Eszterhazy und De Vaux mit 3 Bataillons verzeichnet, 1 Bat. De Vaux stand in Tirol. '') Carl Dollmayer v. Provencheres.

Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. 103

Salzburg war nicht zu lialten ; Jellacic musste die Stadt, während seine Arrieregarde mit Truppen der, französisch-bairischen Division Deroi in ein Gefecht geriet, verlassen und schlug sein Hauptquartier am 30. April zu Golling auf. Hier fasste er den für ihn verhängnissvollen Entschluss, die ganze Brigade Provencheres bis auf 3 Züge O'Reilly- Chevauxlegers zu entlassen und zur Hauptarmee abzucommandiren. Er hatte keinen Auftrag dazu, glaubte jedoch dadurch einen besonderen Beweis von kluger Voraussicht und Opferwilligkeit zu geben. Er hat die Gründe, die ihn zu diesem Schritte bewogen, einige Tage darnach dem General Ettingshausen auseinandergesetzt, aus dessen Lebenserinne- rungen ich im Anhange I jenen Abschnitt mitzutheilen in der Lage bin, der sich auf die Schicksale der Division Jellacic vom 30. April bis zum 26. Mai bezieht i).

Am 7. Mai erhielt Jellacic die Zutheilung zur Armee des Erzher- zogs Johann. In dem Berichte, welchen der Hauptmann de Lort des Generalquartiermeisterstabes an diesem Tage an den Chef des General- stabes der Armee von Innerösterreich Oberst Graf Nugent abgehen liess, wird die Stellung der Division durch die Punkte St. Gilgen, Lueg, Abtenau, Filzensattel, Dienten fixirt^). De Lort ei-wähnt der Deta-

1) Konstantin Ettinghausen, geb. 22. Sept. 1760 zu Bingen am Rhein, Sohn eines kurmainzischen Beamten, war für den geistlichen Stand bestimmt, folgte jedoch seinem sehnlichen "Wunsche, in die kaiserliche Armee einzutreten, indem er sich 1778 in Wien freiwillig zum Regimente Kaiser-Hussaren assentiren liess, in welchem er vom Gemeinen an alle Chargen durchmachte, bis er am 1. No- vember 1786 auf Befehl des Kaisers Josef zum Lieutenant ernannt wurde. Am I.Februar 1789 erhielt er den Rang eines Oberlieutenauts, wurde Adjutant Wurm- sers, 1792 Rittmeister, 1793 Major, k. k. österreichischer und Reichs - Flügel- adjutant. In Folge besonderer Auszeichnung vor dem Feinde wurde er am 26. Juni 1797 ausser der Tour zum Oberstlieutenant, am 26. November 1800 zum Obersten bei Erdödv-Hussaren befördert; im Jänner 1808 wurde er Generalmajor und Brigadier. Nach dem Feldzuge von 1809, in welchem er wegen eines schweren rheumatischen Leidens kriegsuntauglich geworden ist, musste er in den Pen- sionsstand treten, liess sich aber noch mehrmals zu besonderen theils militärischen, theils politischen Geschäften verwenden. Am 25. Februar 1812 war ihm der erb- ländische, 1815 der ungarische Adel verliehen worden. Er starb am 11. März 1826 in Wien und hinterliess 6 Kinder, darunter 3 Söhne : Andreas, den nachmals zu grosser Berühmtheit gelangten Professor der Mathematik und Physik, Sigismund der 1856 als General starb, und Karl, der noch gegenwärtig als Hofrath in Pen- sion zu Graz lebt und dessen Güte ich die Benützung der Memoiren seines Vaters verdanke, die als ein wichtiger Beitrag zur Kriegsgeschichte und zur Kenntnis der militärischen Zustände Oesterreichs von 1778 bis 1810 der Veröffentlichung in ihrer Gesammtheit in hohem Grade werth wären. '^) Der Bericht befindet

sich im Original unter den Beilagen, welche Erzherzog Johann seiner bis 1816 reichenden Lebensbeschreibung angeschlossen hat. Se. Excellenz Herr Graf von

J()4 Z w i e d i u e c Iv - 1> ü d e ii li o r a i.

chiniug der Brigade Provenclieres wegen der in den Gebii-gen sieh er- gebenden Schwierigkeit der Verpflegung, setzt jedoch hinzu, dass der Divisions-Commandant ihr sofort Contreordre nachgesendet habe und dass dem Cavallerie-Eegimente und der Batterie aufgetragen worden sei, sich nach Rottenmann zu dirigiren. Von der österreichischen Land- wehr nahm er an, dass dieselbe sich auf dem Boden ihrer Heimat auf- gelöst haben dürfte, da Napoleon bereits die Absicht geäussert hatte, die Landwehren nicht als reguläre Truppen behandeln zu wollen. Am Tage nach der Capitulation von Wien hat Napoleon bekanntlich die Auflösung der gesammten österreichischen Landwehr befohlen und den- jenigen Wehrraännern, welche unter den Waffen bleiben und in frau- zösche Hände fallen sollten, schwere Strafen angedroht. Die Contre- ordre für die Brigade Provencheres kam zu spät, hat dieselbe offenbar nicht mehr erreichen können, da der Vormarsch einzelner französischer Abtheilungen gegen die Grenzen von Steiermark die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Jellacic und Hiller aufhob. Vom 7. Mai ist auch ein Schreiben des Kaisers Franz an Erzherzog Johann aus Bud- weis datirt ^) , in welchem die Hoff'nung ausgedrückt wird , dass sich Wien so lange werde halten können, bis die Hauptarraee wieder an das rechte Donauufer übergehen werde. Ob dies bei Krems oder anderswo zu bewerkstelligen sei, könne man noch nicht beurtheilen. Die Division Jellacic, deren Stärke im grossen Hauptquartier mit 10.000 Mann angenommen wurde, während de Lort sie auf 7000 be- rechnete, habe gegenwärtig die Eingänge nach Tirol zu vertheidigen, sei jedoch im Weiteren auf die Befehle des Erzherzogs angewiesen.

Durch Feldzeugmeister Fr. v. Kerpen, General-Commandanten von Innerösterreich, erfuhr der Erzherzog aus einem Berichte d. d. Graz 9. Ma' 2), dass Jellacic in Radstat angelangt sei. Hiller habe sich bis St. Polten zurückgezogen. Wenn er weiter zurückgehe, werde Steier- mark von Maria Zell aus offen dastehen. Kassen, Hauptquartiere, Bagage, Spitäler und Depots des V. und VL österreichischen Armee- Corps seien nebst 2400 Kriegsgefangenen unvermuthet in grösster Un- ordnung über Altenmarkt hereingebrochen. Die an dieselben ange- schlossenen Versprengten verbreiten Schrecken in der Bevölkerung, die willkürlichen Vorspanns-Erpressungen seien der guten Stimmung der Gebirgsbewohner, welche Kerpen zur Formirung des Landsturmes

Meran hat mir die Einsicht in den handschriftlichen Xachhiss seines durchlauch- tigsten Vaters, soweit sich derselbe auf dessen Operationen in Innerösterreich be- zieht, gestattet, wofür ich nicht unterlassen kann, auch an dieser Stelle meinen aufrichtigsten und ergebensten Dank auszusprechen.

') Oräfl. Meran'sches Archiv. '-') Ebendaselbst.

Das Gefecht bei St. Michael n. d. Opevat. cl. Erzh. Johann in Steieiui. 105

aneifern sollte, nicht wenig naehtheilig ; er könne sich von dem Land- stürme nicht den gewünschten Erfolg versprechen.

Erzherzog Johann hatte einen Augenblick daran gedacht, seine Armee zu theilen, dem Banus Graf Ignaz Gyulay mit 21 Bataillonen, 35 Escadronen und der innerösterreichischen Landwehr die Vertheidi- gung von Kärnten und Krain zu überlassen und sich selbst mit 17 Bataillons und 18 Escadi'ons nach Tirol zu ziehen; dann hätte Chasteler mit Jellacic Nord -Tirol und Salzburg zu decken gehabt, während der Erzherzog eine Centralstellung eingenommen haben würde, von welcher aus er sowohl nach Norden, als nach Süden hätte aus- brechen und entweder Napoleon oder dem Vicekönig von Italien in den Rücken fallen können. Hormayr^) begeistert sich für diesen Plan und bedauert, dass er sehr bald wieder fallen gelassen wurde. Es ge- hört nicht zur Aufgabe dieser Abhandlung, denselben näher zu unter- suchen, nur die Bemerkung möge gestattet sein, dass der Erzherzog» als er ihn erwog, den Berichten des Generalissimus zufolge noch au den Zusammenhang zwischen Hiller und Jellacic glauben musste, dass anderseits Hormayr in der Aufstellung der günstigen Wirkimgen, welche die Theilung der Armee von Innerösterreich hervorgebracht haben würde, auf Marmonts Vormarsch gegen Kroatien und Krain vergisst. Die erste Anordnung, welche Erzherzog Johann am 3. Mai an Jellacic ergehen liess, verlangte von diesem noch die Behauptung der salz- burgischen Gebirge und des Ennsthales. Sie musste jedoch eiueAen- derung erfahren, als die unter des Erzherzogs Commando stehenden Truppen, von der Armee des Vicekönigs heftig gedräDgt, unter ver- lustvollen Gefechten bis Tarvis zurückgegangen waren und das Gefecht bei Wörgel (13. Mai) das Zusammenwirken der Division Jellacic und Chastelers vereitelt hatte. General Ettingshausen war am 12. Mai bis St. Johann im Pongau, am 13. nach Saalfelden vorgerückt, hatte den Hochfilzen, die Pässe Lufteustein und Hirschbühel besetzt, durfte sieh jedoch nicht weiter von dem Gros der Division entfernen, weil ihm Jellacic mit Beziehung auf einen ausdrücklichen Befehl Erzherzogs Johann, seine Kräfte zusammenzuhalten, die Weisuug gegeben hatte, , seine Vertheidigung nicht zu weit auszudehnen". Von einer Opera- tion Ettiugshausens gegen den Eücken der im Unterinnthal vorgehen- den Baiern war dabei nicht die Rede gewesen. Chasteler hatte den verfehlten Zug nach Wörgel unternommen, ohne von der Stellung der Division Jellacic genauere Kenntnis» und ohne sich von der Möglich- keit eines Eingreifens derselben überzeua-t zu haben.

') Geschichte Andreas Hofeis 2. Aufi. 1845.

106 Z w i e d i n e c k - S y (.1 e n h 0 r s t.

Erzherzog Johann war schon am 16. Mai von dem Unfälle bei Wörgl unterrichtet und entschlossen, von der Vertheidigung der weit auseinanderliegenden Gebirgsstrassen und Pässe abzusehen und sich in Steiermark durch Heranziehuno; aller vereinzelten Heeresabtheilungfem die ihm unterstanden , eine neue actionsfähige Armee zu bilden. Er berichtete in diesem Sinne an den Kaiser i). Indem er den Zustand der Armee schilderte, hob er hervor, dass dieselbe namentlich an Offi- zieren grosse Verluste erlitten habe. Die Mannschaft sei ermüdet, die Bespannung elend. Alles in Allem habe er 26.000 Mann, in viele , Parteien" getheilt, und dürfe sich daher in kein ernstliches Gefecht einlassen. Er nehme seinen Kückzug längs der Drau nach Marburg; Banus Gyulay gehe nach Laibach. Jellacic sei nach Graz beordert. Von letzterem langte am 17. Mai die Meldung von dem Gefechte bei Wörgl und dem dadurch notwendig gewordenen weiteren Bückzug seiner Division auf steirischen Boden an 2), Ettingshausen war am 18. Mai wieder in St. Johann. Er hatte von den Tirolern mehrfache Aufforderungen erhalten, ihnen zu Hilfe zu kommen, konnte denselben jedoch, ohne sich einer unzweifelhaften Insubordination schuldig zu machen, unmöglich nachkommen.

Der Erzherzog gab Jellacic von Villach aus den Befehl , seinen Eückzug fortzusetzen und die Eichtung auf der kürzesten Linie * nach Graz zu nehmen, indem er ihm zugleich seine eigenen Absichten deut- lich erkennen Hess und seine Ankunft für den 25. Mai in Pettau an- zeigte^). Er hatte vom Generalissimus Erzherzog Carl ein vom 13. Mai datirtes Schreiben erhalten, welches ihm anzeigte, dass sein Bruder am 15. d. M. bei Korneuburg über die Douau gehen wolle, die Höhen des Kahlenberges zu gewinnen, den Feind anzugreifen und Wien zu ent- setzen. In Wien sei F.-M.-L. Dedovich mit 5000 Mann gestanden,

') Entwurf des Schreibens im Gräfl. Meran'schen Archiv. -) Ueber diesen

Rückzug hat Hormayr in seinem »Andreas Hofer* eine lange Tirade voll von Vorwürfen gegen Jellacic losgelassen. Sie sind gänzlich unbegründet. JellaoiÖ durfte den Weisungen des Erzherzogs zufolge und seiner eigenen Sicherung wegen nicht an der Verbindung mit Chasteler festhalten. Seine Bestimmung war eine andere und ausserdem die Gefahr sehr nahe , dass er schliesslich im mittleren Pinzgau eingespeiTt oder zur Flucht ins Zillerthal genöthigt worden wäre. Frei- lich, wenn man glaubt, dass die Vereinigung möglichst vieler Truppen in Tirol dem Feldzug eine andere Wendung hätte geben können, wäre für Jellaöic der Zug nach Westen wichtiger gewesen, als die Rücksicht auf die Bewegungen der Armee des Erzherzogs Johann. General Ettingshausen hat nach dem Erscheinen des Hormayr'schen Buches in einem besonderen , von seiner Lebensgeschichte unabhängigen Aufsatze die von Hormajr aufgeworfenen Fragen behandelt und dessen Angritte zurückgewiesen. ^) Gräfl. Meran'sches Archiv, siehe Anh. II.

Das Gefeclit bei ^t. Michael u. d. Operat. d. Erzli. Johann in Steierm. 107

wozu noch 6 Wiener Freibataillone, die Brigaden Nordmann und Mesko gekommen seien. Ausser diesen sei Hiller nebst dem noch übrigen Theil des Corps Erzherzog Ludwig und dem II. ßeservecorps nach dem Spitz dirignrt gewesen. Die Auen und Donauinseln waren von 2 Ba- taillonen Gradiskauer und 10 Bataillonen Landwehr besetzt. Er hatte gehofft, dass sich die Stadt 4 Tage bis zu seiuer Aukunft werde halten können. Die Käumung, die am 12. erfolgt sein soll, sei ihm unbe- greiflich. Er könne dem Erzherzog nur diese Verhältnisse mittheileu „und müsse es seiner Einsicht und Klugheit überlassen, für das ge- meinschaftliche Beste die zweckmässigsten Massregeln zu ergreifen" i). Erzherzog Johann war bereits im Begriffe, dies zu thuu. Er kannte die Thatsache der Capitulation von Wien und konnte aunehmen, dass der Uebergang der Hauptarmee auf das rechte Donauufer zum min- desten verschoben worden sei. Er war sich weiter bewusst, dass es ihm mit den Mitteln, welche ihm augenblicklich zur Verfügung stan- den, nicht gelingen könne, den Marsch des Vizeköuigs in der Rich- tung nach Wien aufzuhalten. Er konnte jedoch hoffen, wenn er sich gesammelt und verstärkt habe, wieder die Initiative ergreifen und einen nicht unbeträchtlichen Theil der französischen Streitkraft auf sich ziehen zu können. Es musste dies um so wichtiger werden, wenn es seinem Bruder gelang, mittlerweile einen glücklichen Schlag gegen Napoleon auszuführen.

Er hielt an diesen Erwägungen fest, auch als er durch das merk- würdige Handschreiben des Kaisers vom 15. Mai, Nieder-Hollabrunn, überrascht wurde -). Dies trug ihm nämlich ohne irgendwelche Be- ziehung auf die Willensmeinuug des Generalissimus , dem doch die Disposition über die gesammte österreichische Armee übergeben war, auf, sich sofort über Salzburg an den Inn und an die Donau zu wen- den und in Verbindung mit dem II. Armeecorps des F.-Z.-M. Graf Kollowrath, der die Richtung von Budweis nach Linz zu nehmen habe, die Verbindung Napoleons mit dem deutschen Reiche " abzuschneiden. Der Erzherzog vermochte der optimistischen Darstellung der bedrängten Lage der Napoleon'schen Armee geringen Glauben zu schenken, hatte jedoch eine nur zu bestimmte Kenntnis seiner eigenen Schwäche. In den beiden Schreiben, welche er auf dem Marsche von Völkermarkt

') Ebendaselbst. ^) Original im gräfl. Meran'schen Archive. Siehe An-

hang III. Es lässt sich nicht feststellen , an welchem Tage das Handschreiben dem Erzherzoge zugekommen ist. In seinen späteren Aufzeichnungen nimmt er den 18. Mai an ; dem Schreiben an Erzherzog Carl vom 24. zufolge wäre es erst zwei Tage vorher (22.) an ihn gelangt. Das Schriftstück selbst trägt die Signatur : Fräs. 21.

108

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und Lavamünd aus an Jellacic sandte i), wird die Vereinigung mit ihm als das Wichtigste bezeichnet, was er jetzt anzustreben habe. Jellacic sollte an den Gebirgspässen Beobachtungsposten aufstellen, welche ihn über alle Vorgänge beim Feinde in Kenntnis setzen könn- ten, bei dessen Annäherung sich aber sofort zurückzuziehen hätten. Die Besetzung der Pässe würde auch dazu beitragen, den Feind über die Absicht des Erzherzogs, alle seine Kräfte zu vereinigen, so lange als möglich zu täuschen. Der Wortlaut der Anordnungen ging aber mit voller Klarheit dahin, dass Jellacic die Verbindung mit diesen Be- obachtuugsposten nicht gänzlich aufzugeben, sondern dieselben all- mählig an seine Arrieregarde heranzuziehen habe. Der Erzherzog nimmt auch an, dass die aus zwei Infanterie- und einem Cavallerieregimente bestehende französische Abtheilung, welche über Maria-Zeil hereinge- brochen und bis Wegscheid gekommen sei, sich ihm bei Brück in den Weg stellen könne. Sollte ihm dieselbe so stark vorkommen, dass er sie nicht werfen könne, so schlug er ihm den Weg von Leoben über den Diebsweg nach Frohnleiten vor. Auf das mögliche Vorgehen einer Colonne des Vizekönigs von Klagenfurt über .Judenburg wird eben- falls aufmerksam gemacht. „Zeit ist nicht zu verlieren" sind die inhaltsschweren Worte, welche an diese Bemerkung geknüpft werden.

Das Schreiben aus Völkermarkt enthält den Satz, dass der Erz- herzog - eine Abtheilung von Klagenfurt nach St. Veit abgesendet habe, um jede Bewegung de.^ Feindes auf dieser Strasse zu beobachten". Diese Vorkehrung war gewiss von grösster Bedeutung. Die Rückzugslinie dieser Abtheilung konnte, wenn sie sich mit Jellacic in Beziehung setzen sollte , nur die Eeichsstrasse sein , welche von St. Veit über Friesach, Unzmarkt, Judenburg, Knittelfeld nach St. Michael führt. Der Erzherzog konnte keine andere im Auge haben. Von dieser Ab- theilung ist jedoch nirgends mehr die Rede. Es lässt sich kaimi etwas Anderes aunehmeu, als dass die Anordnung des Erzherzogs aus Maugel an Verständnis nicht ausgeführt wurde, dass die Abtheilung, wenn sie überhaupt nach St. A^eit gekommen ist, sich von dort wieder auf die Hauptmacht zurückgezogen hat. Da von der Armee des Vizekönigs am 20. Mai erst zwei Cavallerie - Regimenter und einige Infanterie- Abtheilungen, am 21. vier Divisionen in Klageufurt eingerückt waren 2), so muss die Strasse von St. Veit nach Friesach am 19. und 20. noch vollkommen frei gewesen sein, es gab also kein militärisches Hindernis

•) Die Entwürfe von des Erzherzogd eigeuer Hand im gräfl. Meran'schen Archive. Siebe Anhang IV, V. -) Aelschker, Geschichte Kärntens II.

t)as Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. 1()9

für jenes Detacliement, seinen Weg auf demselben zu nehmen. Seine Anwesenheit hätte wahrscheinlich zur Verlangsamung des französischen Vormarsches beigetragen, denn der Vizekönig konnte nicht wissen, wen er vor sich habe.

lieber die Stärke der Macht, welche Jellacic in das Murthal bringen konnte, durfte Erzherzog Johann selu' günstige Vorstellungen haben. F.-Z.-M. V. Kerpeu hatte ihm am 18. Mai aus Graz i) gemeldet, dass sich an den Grenzen von Steiermark und Oberösterreich 5 Bataillone Landwehr und 1 Bataillon Eeuss-Greitz -) in Stellung befanden, dass er das Commando über dieselben „auf Vorschlag des FML. Jellacic" dem Oberstlieutenaut Graf Plunquet vom 4. österr. Landwehr-Bataillon 0. W. W. verliehen und denselben au gewiesen habe, die Verbindung mit dem FML. Jellacic und Lippa (in Brück) zu unterhalten". Diese combinirte Brigade musste von Jellacic, wenn er die Sachlage und die Absichten des Erzherzogs auffasste, nach Graz mitgebracht wer- den. Leider hat sie ein ganz anderes, klägliches Schicksal gehabt. Es bestand allerdings die Absicht, die Landwehr, sobald sich Jellacic ziu'ückgezogen haben würde, aufzulösen und den Landsturm nach Hause zu entlassen 3); doch sollte vorher noch der Versuch gemacht werden, aus den Landwehrmännern, welche sich dazu willig zeigten, Freibataillone zu formiren. Der Erzherzog behielt sich vor, über den Landsturm in Graz persönlich zu verfügen ; die flüchtigen nieder- östen-eichiscben Landwehrmänner, über deren Exzesse und Strassen- räubereien Freiherr v. Hingenau geklagt hatte, Hess er zusammenfangen und in Kasernen sperren, um sie der verdienten Strafe zuzuführen.

Für die Verpflegung der Division Jellacic gab der Erzherzog strenge Aufträge, namentlich lag ihm die Herbeischafi'ung der Schuhe sehr am Herzen, welche Jellacic am 26. Mai in Graz vorzufinden gewünscht hatte ^). Für diesen Tag hatte er dem FZM. v. Kerpen seine Ankunft daselbst angekündigt. Der Erzherzog hatte die Richtung nach Pettau aufgegeben und sich direkt über den Eadl nach Graz gewendet, um Jellacic näher zu sein und seine Vereinigung mit ihm früher bewerk- stelligen zu können. Es ist daher begreiflich, dass er nach seiner An- kunft in der steirischen Hauptstadt mit voller Beruhigung dem An- märsche dieses Heereskörpers entgegensah und seine strategischen Be- rechnungen darauf stützte. Er sprach sich am 24. Mai einem Abge-

') Original im gi-äfl. Meran'schen Archiv. Siehe Anhang VI. ^) Das-

selbe hatte zur Division Dedovich des IV. Armee-Corps Fürst Rosenberg gehört und war auf dem Rückzi.ige nach Steiermark versprengt worden. ^) Freih.

V. Hingenau an Erzh. Johann Graz 21. Mai. Gräti.Meran'sches Archiv. '') Erzh. Johann an FZM. v. Kerpen Eibiswald 22. Mai. Gräfl. Meran'sches Archiv.

•[ j^f) Z M- i e d i 11 e c k - S li d e n h 0 r s t.

sandten des Kaisers gegenüber^), der ihn mündlich von der Lage der Hauptarmee unterrichtete, dahin aus, dass er gesonnen sei, wenn er stark gedrückt werde, sich nacli der Vereinigung mit Jellacic. , was er nicht zweifle-', nach Ungarn zurückzuziehen, die Insurrection aufzu- nehmen und wieder vorzugehen. Sehr ausführlich berichtet er an den Generalissimus über seinen Kückzug-), indem er zugleich begründet, warum er den Befehl des Kaisers vom 15. Mai nicht habe befolgen können. Ueber den Marsch des Vizekönigs war er nicht vollständig aufgeklärt, er vermutete wohl, dass eine Colonne desselben durch das Murthal über Judeuburg ziehen werde, aber nicht, dass sich dort be- reits die Hauptmacht auf dem Marsche nach Wien befand. Nach einer genauen Aufzählung der Streitkräfte, die er noch zur Verfügung habe, besprach er die Aufgaben, welche er sich zur Lösung stellen könne. Er nahm an, dass der Banus Gyulay, der mit 10 Bataillonen Linie, 13 Bataillonen Landwehr und 8 Escadronen in Laibach stand, in Ver- bindung mit der kroatischen Insurrection und dem General Stoichevich gegen Marmont ausreichen werde; er selbst hoffte mit Jellacic und Albert Gyulay, der 10 Bataillone Linie, 2 Bataillone Landwehr und 2 Escadrons in Pettau sammelte und wiederherstellte, 17 18.000 Mann zusammenzubringen, die endlich noch durch 10.000 Mauu des FML. Chasteler verstärkt werden konnten, wenn dieser den Auftrag des Erz- herzoo-s, vom Pusterthale aus nach In u erÖsterreich vorzubrechen, zur Ausführuno- zu bringen vermochte. Mit Allem, was er zusammenraffen konnte, wollte er von Fürstenfeld oder sogar noch von Graz aus die Bichtung nach Oesterreich nehmen. Er hat die Strassen über Aspang nach Neustadt, über denSemmeriug und über Maria-Zeil nach St. Polten im Aucre. Wenn er auf diesem Wege Alles angreife, was vor ihm stehe, so werde Napoleon gezwungen sein, gegen ihn zu detachiren und die gegen den Generalissimus in Verwendung kommende Macht einigermassen zu schwächen. Als Grundbedingung für das Gelingen seiner Operationen sieht er die volle Uebereinstimmung derselben mit den Vorgängen der Hauptarmee an. An Chasteler ging ebenfalls am 24. Mai von Graz aus folgende Weisung des Erzherzogs ab : Ich ver- einige mich den 27. bei Graz mit Jellacic, was gegen ihn steht, ist mir unbekannt, sammeln sie Alles auf ein<'n Klumpen und brechen sie durch, am besten wäre es durch das Puöterthal nach Spital, von da über den Katschberg nach St. Michael, dann über Murau nach Juden- burg und die Stub- oder Kleinalpe in die Gebirge des Grazer Kreises, wo sie dann zu mir stossen können "3)

') Der Erzherzog nennt ihn in einem Schreiben an den Kaiser von demselben Tage .Lenrs'. -) Siehe Anh. ^'II. ") Entwurf im gräfl.Meran'schen Archiv.

l)as Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. W'l

Indessen war die Division Jellacic am 21. Mai in Schladming angelangt. Sie marschirte am 22. bis Staiuach, am 23. bis Rotten- mann, am 24. bis Mautern. Die Marschleistungen der ersten 3 Tage entsprechen den Anforderungen, welche durchschnittlieh bei nor- malen Verhältnissen gestellt werden, nur die 40 km des 24. können als Ergebnis grösserer Anstrengung bezeichnet werden. Wenn Jellacic begriffen hätte, dass es für ihn darauf ankam, unter allen Umstäudeu vor der im Murthal zu erwartenden französischen Colonne in St. Mi- chael und Leoben anzulangen, so musste er am 22. Liezen, am 23. Wald zu erreichen trachten, dann wäre er am 24. mit Leichtigkeit in Leoben eingetroffen. Es war ganz gleichgiltig, ob er dabei eine grössere Anzahl Marodeurs und einige Bagagewagen zurückliess , wenn er nur die Hauptmassen seiner Bataillone vorwärts brachte. Gewalt- und Nachtmärsche waren ihm damit immer noch nicht zugemutet. Auch musste es ihm klar sein, dass alle Detachirungen keinen Zweck mehr hatten, dass er vielmehr an sich zu ziehen hatte, was nur immer im Bereiche seines Commandos stand. Aus der Erzählung Ettingshausens entnehmen wir, dass ihn das Schreiben des Erzherzogs Johann vom 19. aus Völkermarkt, welches von der Aufstellung von Beobachtungs- posten an den Pässen sprach, in Verlegenheit gesetzt und endlich ver- anlasst hat, seine 2 besten Landwehr-Bataillone nach Mandling und Aussee zurück zu schicken. Dies beweist, dass er die Auseinander- setzungen des Erzherzogs, welche ein ganz deutliches Bild der Situation gaben, nicht verstanden hat. Von den Truppen Plunquets hat er nur das Bataillon Reuss-Greiz an sich gezogen. Die anderen überliess er sammt seiner eigenen Landwehr ihrem Schicksale, über welches er nicht im Unklaren sein konnte, da er vom Erzherzoge selbst auf die Wahr- scheinlichkeit des Erscheinens einer französischen Colonne auf der Strasse von Judenburg nach Brück aufmerksam gemacht war.

Am 24. war Jellacic von der Ankunft von 6000 Franzosen m Kuittelfeld liereits unterrichtet. Er hatte nunmehr die Gewissheifc, dass er schon zu viel Zeit auf dem Marsche versäumt, die Landwehr in seinem Rücken unnütz zerstreut hatte. Letztere musste den Weisungen des Erzherzogs entsprechend, da sie sich nicht mehr mit ihm ver- einigen konnte, beordert werden, sich bei Annäherung des Feindes in die Hochthäler zurückzuziehen und dort den Augenblick abzuwarten, wo sie irgendwo freie Bahn finden würde. Plunquet hätte seine Kräfte zusammenziehen und die Strasse über den Rottenmanner Tauern ein- schlagen, sich mit 7 Bataillonen, die er zusammenbrachte, bei Juden- burg durch die jedenfalls schwachen französischen Etappen durch-

tl2

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sclilagen und die Stubalpe erreichen können. Er hat jedoch gar keine A^erhaltungsmassregel bekommen.

Statt die Truppen , wie sie am 24. Nachmittags standen, rasten zu lassen und mit ihnen noch in der Nacht aufzubrechen, Hess Jellacic die Arrieregarde an diesem Tage noch au die Tete rücken eine /wecklose Ermüdung und bezog Cantonuemeuts, durch welche das rechtzeitige Antreten am nächsten Morgen voraussichtlich in Frage gestellt sein musste. Aus Ettingshausens Bericht geht hervor, dass noch eine Reihe von Ungenauigkeiten in der Befehlsertheilung und Missverständnisse dazu beigetragen haben, dass die Division statt um p, Uhr erst um 14 ^ ühr morgens in Bewegung kam. Für den Marsch

von Mautern nach Leoben standen zwei Wege offen: der weitere, in die Nähe der von Knittelfeld anrückenden Franzosen fuhrende, auf der Reichsstrasse (sogenannten Salzstrasse) über St. Michael, der nähere auf einer ganz guten Kohlstrasse " von Traboch über Edling und Trofajach, oder direct ül^er St. Peter. Die Infanterie konnte auf dem letzteren um 9 oder 10 Uhr Vormittag in Leoben anlangen, Geschütz und Fuhrwerk über Edling und Trofajach jedenfalls im Laufe des Nachmittags. Möglich, dass dieses verloren gegangen wäre. 7000 Manu Linieutruppen, die noch fast gar nicht im Feuer gestunden waren, hätten aber ohne Verlust am 25. Abends in Brück eintreffen oder den Diebsweg nach Frohnleiten einschlagen können. Jellacic wurde auf die Abzweigung der StraSbC von Traboch aufmerksam gemacht, er

Das Gefecht bei St. Micliael n. ct. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. \\^^

öchhig sie trotzdem nicht ein. Seine Erwägungen sind von Ettings- liausen aufgezeichnet worden.

So kam es, dass die Patrouillen der Division Jellacic und der fran- zösischen Division Serras um 9 Uhr Vormittag au der StrassenkreuzuDg von St. Michael mit einer Pünktlichkeit zusammentrafen , die nicht besser hätte verabredet werden können.

Der Vizekönig hatte (wahrscheinlich in Judenburg) in Erfahrung gebracht, dass Jellacic noch auf dem Marsche narh Leoben begriifen sei, und sich entschlossen, ihn anzugreifen i). Das am weitesten vor- geschobene Corps Grenier^) wurde beauftragt, sich so rasch als mög- lich des Knotenpunktes von St. Michael zu bemächtigen.

Die Division Serras (11 Bat., 4 Esc.) brach am frühen Morgen des 25. Mai von Knittelfeld auf, ihr folgte die Division Dirutti (Du- rutte), von welcher etwa 7 8 Bataillons an diesem Tage in Verwen- dung kamen, und eine Cavallerie-Brigade : die Kegimenter Friaire und Delacroix.

Als Jellacic sich von der Ankunft des Feindes überzeugt hatte, Hess er die Brigade Ettingshausen auf einer am rechten Ufer der Liesing bis zur Mur sich erstreckenden Platte, welche mit einer ziemlich steilen Böschung gegen Westen abfällt, Stellung nehmen, indem er nament- lich auf die Deckung der rechten Flanke gegen das Gebirge (die öst- lichen Abhänge der Sekkauer Alpen, deren höchste Erhebung der Zinken bildet) bedacht war*^). Ettingshausen vertritt die Ansicht, dass

*) Als Quelle für die Vorgiinge auf fi-anzösischer Seite dienen die »Memoirea et coiTespondance politique et militaire du Prince Eugene, publies, annotis et mis an ordre par A. du Cassc* Paris 1859. Tome cinquieme. Die Darstellung der Gefechte von St. Michael stimmt fast durchaus wörtlich mit dem betreffen- den Abschnitte in De Laborde's: »Precis historique de la guerre en 1809«. ■') In den Memoiren des Vizekönigs findet sich (T. V. p. 124) die Bemerkung, Grenier sei am 23. bei Judenburg auf eine österreichische Colonne (,se com- posent de pajsans et de chasseurs du loup. de 3 bataillons de Lusignan venus du Tyrol avec 6 pieces de cauon, precedes de 300 chevaux*) gestossen. ,Ce petit corps 86 rejeta dans la montagne, et opera sa jonction avec le corps du g^neral Jellachich*. Nach unseren Quellen lässt sich nicht bestimmen , was Grenier eigentlich gesehen hat, jedenfalls nicht 3 Bat. Lusignan, da 2 Bat. dieses Regi- mentes noch im Juni unter General Buol auf dem Brenner standen, wahrschein- lich auch nicht G Geschütze oder gar 300 Reiter. ») Für den Verlauf des Gefechtes war bis jetzt ausser der früher erwähnten französischen Quelle die Darstellung in dem Werke: »Das Heer von Innerösterreich* (l.Aufl. 1817) mass- gebend. Dieselbe deckt sich bis auf wenige Worte mit der vom Erzherzog Jo- hann 1810 verfassten »Besf^hreibung des Feldzuges 1809*, deren im gräfl. Meran- schen Archive befindliche Handschrift ich, soweit meine Aufgabe reicht, mit dem Texte Hormayrs im »Heer von Innerösterreich* verglichen habe. Es vnrd seiner- MittheiluDgen XII. a

W^ X w i e d i n e c k - S ü d e n ii o r s f.

dem Kampfe bei St. Michael nicht mehr auszuweichen war, dass der- selbe jedoch nur als Deckung des Abmarsches nach Leoben geführt werden konnte. Der erste Angidff der Franzosen war nämlich bald zurückgewiesen, das Gefecht wurde nur durch eine Kanonade hinge- halten. General Serras war zur Erkenntnis;? gekommen, dass er allein nicht stark genug sei, um die zur Vertheidigung sehr geeignete Po- sition Jellacie's zu nehmen, und wartete das Herankommen der Divi- sion Durutte ab.

Um 11 Uhr (nicht „apres cette heure", wie er an Napoleon be- richtet), erschien der Vizekönig auf dem Kampfplätze und übernahm das Commando.

Mittlerweile hatte Jellacic aber auch die Brigade Legisfeld auf die Platte vor St. Michael gezogen, so dass er die Liesing, über welche nur eine einzige Brücke in das Dorf führte, im Kücken hatte. Durch das Dorf und auf der Strasse durch das sich bis zu einem Engpasse verkleinernde Murthal ging der einzige Weg nach Leoben am linken Ufer der Mur. Ein anderer von geringer Breite, der am rechten Ufer nach Göss und zum Eingänge in den Diebsweg führt, war auf einer südlich von der Michaeler Platte befindlichen Brücke zu erreichen.

Aus Ettingshausens Eizählung geht hervor, dass während der Gefechtspause, welche nach dem ersten französischen Angriff einge- treten ist, die Zurücknahme einzelner Bataillons über die Brücke nach St. Michael möglich gewesen wäre ^), Thatsächlich hat Ettingshausen

zeit notwendig werden , diese Vergleichung auf das ganze Werk auszudehnen. Mir ist es klar geworden , dass die Arbeit des Erzherzogs dem Verfasser des »Heer von Inneröstereich* (Hormayr) vorgelegen hat, dass sie von letzterem jedoch nicht in allen ihren Theileu benützt wurde. Grössere Partien der Handschrift fehlen im gedruckten Texte, doch nicht in dem hier zu berücksichtigenden Ka- pitel. Als eine neue Quelle tritt nunmehr Ettingshausens Bericht hinzu. Zur weiteren Ergänzung dienen die Bemerkungen des Erzherzogs Johann in seinen späteren Memoiren (Anhang X). Die Notizen des Pfarrers von St. Michael P.Leon- hard Lachmayr, welche Wichner in seinem Aufsatze „Eine obersteirische Pfarre zur Zeit der französischen Invasion" (Mitth. des bist. Ver. f. Steiermark XXHI) veröffentlichte, enthalten manche Unrichtigkeiten, so die Behauptung, dass bei Maidstein (zwischen St. Michael und Traboch) der erste Zusammenstoss stattge- funden habe, dass Jellaöic am Tage des Gefechtes noch um 8 Uhr im Bette ge- legen sei, oder gar, dass er von der Kavallerie keinen hinreichenden Gebrauch gemacht habe. Mit 3 Zügen konnte er wohl keine grossen Unternehmungen ausführen. Wertvoll ist die Bemerkung, dass erst um 4'/o ühr Nachm. der Feind überlegen war, sowie dass nach dem ersten Ziisammenstoss am ^Morgen der Rück- zug nach Leoben hätte angetreten werden können.

•) Laborde meint sogar, Jellaöic hätte den grösseren Theil seines Coi-ps noch über Traboch retten können, wenn er sich darauf beschränkt hätte, die französische Avantgarde durch Ettingshausen aufzuhalten.

t)as Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. \ 15

die Bagage auf diesem Wege nach Leoben vorausgeschickt. DerKück- zug war zwar nicht ohne bedeutende Verluste, aber immerhin in guter Ordnung ausführbar, denn die Murenge hinter St. Michael entzog die Truppen, welche dieselbe erreicht hatten, dem Feinde, der wohl nach- drängen, aber die Marsch-Colonne nicht von den Seiten beunruhigen konnte. Es hat nämlich mehrere Stunden gedauert, bis der Vize- könig seine Vorbereitungen zu dem allgemeinen Angriffe auf die Platte, auf welcher Jeilacic seine ganze Division ohne jegliche Keserve aus- einandergezogen hatte, zum Abschluss bringen konnte. Er dirigirte die Brigade Roussel mit 5 Bataillonen an seinen linken Flügel, der auf den Höhen beim „Dolmayer" den rechten Flügel Jellacic's zu um-

VorderLcuisacli/

gehen hatte. Nach Ankunft der Division Durutte wurde noch ein Bataillon des 23. Regimentes der Brigade Eoussel zur Unterstützung geschickt. Serras blieb mit 6 Bataillonen im Centram vor der Platte, hinter ihm bildeten 3 Bataillone 2?>^^ eine zweite Angriffslinie. General Desaix hielt mit dem ganzen 102. Regiment in der Reserve. Die beiden Cavallerie-Regimenter füllten die Lücke zwischen den Divisionen Serras, Durutte und der Reserve. 2 Bataillone 62^1' waren bei St. Stefan über die Mur gegangen und konnten auf schlechtem aber kurzem Wege die Brücke beim Anderlbauer eiTeicheu. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese bei dem letzten Sturme auf die Platte mitgewirkt und dazu bei- getragen haben, die zurückweichenden Oesterieicher an der Liesing- brücke abzufangen.

8"

W^ 2 w i e tt i n e c k - S ü d e n ii o v s t.

Ettingsliauseii machte Jellacic auf die Gefahr aufmerksam, iu welche die Division bei einer Rückwärtsbewegung geraten müsse, so- lange sie die Liesing im Rücken habe. Jellacic behauptete, eben aus diesem Grunde dürfe er nicht zurückgehen, sondern müsse den Ein- bruch der Nacht dazu abwarten. Er mutete sich also zu, das Gefecht mindestens 7 8 Stunden ohne grossen Nachtheil fortsetzen zu können. Aus seinem Centrum wollte er nichts herausnehmen, dagegen 2 Ba- taillone vom rechten Flügel über die Liesing zurückgehen und die hinter derselben liegenden Höhen besetzen lassen. Dies war offenbar nicht melir ausführbar, weil Roussel's Bataillone sie bereits festhielten. Ettingshausen war eben im Begriffe, mit einer noch nicht zur Ver- wendung gelangten Compagnie ein Rideau hinter St. Michael zu be- setzen, von dem aus das Debouche gesichert werden konnte, als der französische Angriff begann. Der Vizekönig hatte Zeit genug gehabt, sich von der Schwäche der vor ihm stehenden lang gestreckten In- fanterie-Linie zu überzeugen, seine eigenen Kräfte reichten dagegen vollständig aus, um gleichzeitig mit der Ueberflügelung bei Brunn auch einen Frontalangriff gegen die Platte auszuführen. Er gelang augen- blicklich. Ein einziger Sturm, von einer Cavallerie-Attaque begleitet'), warf die ganze Division und zwang sie, da sie keinen Rückhalt hatte, zur Flucht. Diese gelang jedoch nur einem kleinen Theile, höchstens 2000 Manu, die sich in der grössten Unordnung und Auflösung aller Verbände nach Leoben und Brück retteten. Ettingshausen, der mit Recht um das von Jellacic aus der Division entlassene Cheva-ixlegers- Re^iment klagt, mit welchem man dem feindlichen Stosse hätte wirk- sam beoecjnen können, hat die Einzelheiten dieser Flucht anschaulich sreschildert Jellacic wollte auch keinen Versuch des Widerstandes bei Ijeoben mehr machen, sondern gab nur die Direction nach Graz.

Der grösste Theil der Division wurde gefangeu, offenbar bevor er noch die Brücke über die Liesing, die ja auch bald durch ineinander- gefahrene Wagen gesperrt gewesen sein mochte, passirt hatte. Die Verlustliste im „Heer von InnerösteiTeich " zählt an Todten: Oberoffiziere 5, Gemeine 421, Pferde 7,

Verwundeten: 23 1114 11

Gefangenen: 72 4891

Vermissten: ,. 50

Summa: Oberoffiziere 100, Gemeine 6476, Pferde 18.

') Bei dem Umstände, dass die Böschung zur Platte genommen werden muss+e, eine schöne Reiterleistuug, welche es rechtfertigt, dass der Vizekönig in einem Brief an .seine Fraii vom 2b". Mai (0" Ihr Morgens in 8t. Michael) der

Das Gefecht Ijei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann iu Steienu. | j^ 7

Die französische Quelle zählt 800Todte, 1200 Verwundete, 4270 Ge- i'Hugene (darunter 70 Offiziere), 2 Geschütze, 1 Fahne.

Die Division Serras war um 7 Uhr Abends in Leoben. Durutte biwakirte auf dem Schlachtfelde.

Eine unausbleibliche Folge des Vorrückens der Franzosen nach Brack war die Waffeustreckung der Landwehr-Bataillone, welche Oberst- lieutenant Plunquet comuiandirte. Sie wäre wohl auch dann einge- treten, wenn die Division Jellacic entkommen wäre. Denn die Frage, ob es möglich gewesen wäre, die ganze Truppe in die höheren Ge- birgsthäler zurückzuziehen und den Moment abzuwarten, in welchem sich nach dem Abmarsch des Vizekönigs nach Wien die Gelegenheit zu einem Durchbruche quer über das Mur- oder Mürzthal ergeben hätte, lässt sich nicht beantworten. Einer halben Compagnie Cillicr ist es gelungen, sich bis nach Kroatien durchzuschlagen. Für mehrere hundert, vielleicht tausend Mann, die sich zuletzt in Rottenmaun ge- sammelt hatten, dürfte die Verpflegung in der Tauern- oder Schwaben- gruppe unmöglich geworden sein. Dazu kam, dass die Landwehr, wenn sie endlich doch gefangen worden wäre, in der Gefahr stand dezimirt zu werden. Die Schmähungen, welche Hormayr gegen Plun- quet schleudert, sind daher jedenfalls ungerechtfertigt.

Erzherzog Johann erfuhr am 26. Mai gleichzeitig mit der Nachricht des Sieges von Aspern auch das Schicksal der Division Jellacic. Seine Hoffnung, wieder zu selbständigen Operationen schreiten und dadurch auf den Gang der Ereignisse an der Donau einwirken zu können, war vernichtet. Er sprach zwar in dem Schreiben an Erzherzog Carl 1) die Erwartung aus, er werde sein Corps bis auf 20.000 Mann bringen können, es waren jedoch nur wenige gesclilossene Verbände, sondern grösstenteils neu formirte schwache Bataillone zu seiner Verfügung. Die Division Jellacic wäre der Kern seiner Macht geworden, im Be- sitze derselben hätte er seine Absicht, unabhängig von der Haupt- armee in der Richtung nach Neustadt zu operiren, mit Nachdruck vertreten und wäre dadurch dem Befehle des Generalissimus, das Vor- dringen des Vizekönigs und dessen Verbindung mit Napoleon zu hin- dern, möglichst nahe gekommen^).

Am Jclarsten spricht sich die traurige Konsequenz der Niederlage

»süperbes charges-« der beiden Regimenter besondere Erwähnung thut. (Corre- spondance p. 233.)

') Entwurf im grätl. Meran'schen Archiv , undatirt, dem Texte nach aus St.. Gotthard 1. oder 2. Juni. Anhang VIIF. ") Nach Wertheimer, »Ge-

schichte Oesterreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert/* n. Barrel wurde dieser Befehl am 25. Mai ausgefertigt.

WQ Z w i e <1 i n e c k - S ü d e n h u r s t.

bei St. Michael in dem Schreiben des Erzherzogs Johann an den Palatin Erzherzog Joseph aus^), das unter dem ersten Eindrucke der Unglücksnachricht geschrieben zu sein scheint. Hier wird ausdrücklich erklärt, dass der Verlust der Division Jellacic den Abmarsch von Graz nothwendig gemacht und den Erzherzog gezwungen habe, sich mit anderen Kräften zu verbinden.

Als der Erzherzog in den fünfziger Jahren mit Zugrundelegung seiner zahlreichen Tagebücher und der von ihm aufbewahrten Akten- stücke und Concepte zu der Ausarbeitung seiner Memoiren schritt, die bis zum Jahre 1816 abgeschlossen vorliegen, beschäftigte er sich ein- 'gehend mit dem Ereignisse von St. Michael 2). Wir erfahren aus seinen Bemerkungen, dass Jellacic den Hauptmann De Lort, seinen General- stabs-Chef, nach Graz gesendet hatte, wo er sich am 25. Mai, also am Tage des verhängnissvollen Zusammentreffens, beim Armee-Comman- danten meldete. Dem Erzherzog war dies sehr unangenehm, da er wusste, dass Jellaßic einer energischen und sachverständigen Leitung bedurfte. Die Ausweichung von Traboch über St. Peter nach Leobeu hielt der Erzherzog noch am 25. für ganz gut ausführbar, die Auf- stellung vor St. Michael für gänzlich fehlerhaft. Wenn Jellacic hin- gegen so rasch als möglich die Liesing zwischen sich und den Feind gebracht, die Brücke bei St. Michael abgebrochen und den Ort ver- rammelt hätte, konnte er auch nach dem Zusammentreffen mit der Avantgarde der Division Serras den Rückzug nach Leoben sichern. Nur eine Truppe, welche stark genug gewesen wäre, den Marsch des Vizekönigs nach Wien aufzuhalten, durfte sich ihm entgegenstellen. Diese Voraussetzung konnte jedoch bei Jellacic unmöglich zutreffen. Die Folge des ohne Ueberlegung angenommenen Gefechtes musste eine Niederlage sein, welche für die Absichten des Erzherzogs, wie er noch- mals betont, grossen Einfluss hatte.

Zur Vertheidigung der Haltung des FML. Jellacic scheinen sich nicht viele Federn in Bewegung gesetzt zu haben. Er selbst hat, so viel mir bekannt geworden, keinen Schritt zu seiner Rechtfertigung gethan, sondern sich damit begnügt, den offiziellen Bericht zu beein- flussen, den Hauptmann De Lort über die selbständige Thätigkeit der Division vom 1. bis 26. Mai abstattete^). Wir wissen, dass dieser, der als Generalstabs-Chef der Division fungirt hatte, am Tage des Ge- fechtes von St. Michael sich in Graz befand, dass er sich bei seiner Darstellung nur auf die Mittheiluugen Anderer gestützt haben kann.

') Entwurf im gräfl. Merau'sclien Archiv. Anhang IX. ") Die darauf

Bezug nehmende Stelle gibt Anhang X. ■>) Anhang XL

Das Gefecht bei St. Michael u. d. Üperat. d. Krzh. J ohanu iu Steierm. 1 19

Es wird keine gewagte Annalime sein, wenn wir den FML. Jellaeic selbst als die Quelle ansehen, aus welcher er dabei geschöpft hat. Auffallend sind die Unrichtigkeiten, welche De Lort's Bericht aufweist. Zunächst die Behauptung, dass Jellaeic bis zu dem Augenblicke, als er mit den Vortruppen des Vizeköuigs zusammenstiess, keine Meldung von dem Anmärsche der Franzosen auf der Strasse von Knittelfeld erhalten habe. Aus der Erzählung Ettingshausens geht das Gegentheil hervor. Unrichtig ist es, dass die feindliche Avantgarde bei St. Michael „aufgestellt" gewesen sei, als Jellaeic herankam, unrichtig auch die Angabe der Tageszeit des Zusammentreffens. Es ist ganz unmöglich, dass die Truppen, die um 5 Uhr von Mautern aufgebrochen sein sollen, erst um „Mittag" in St. Michael angelangt waren. Was soll man erst zu der Behauptung sagen, dass die geschlagene französische Avant- garde „eine Stunde weit" verfolgt wurde? Dann hätte doch minde- stens eine weitere Stunde vergangen sein müssen, bis die Spitzen der französischen Kolonnen wieder an der Liesing anlangten. Während dieser zwei Stunden hätte das Gros der Division doch die Brücke über die Liesing passirt haben und gegen Leoben abmarschirt sein können. Auch das Verhältnis zwischen den im Kampfe Getödteten und Vei-wundeten und den Gefangenen stimmt durchaus nicht mit den genaueren Angaben auf französischer und österreichischer Seite. Neu ist auch die Behauptung, dass ein unter dem Kommando des Majors Verner stehendes Bataillon (Judenburger Landwehr?) die Aufgabe gehabt habe, die Flanke der Division gegen Westen zu decken. Es ist immerhin möglich, dass dieser Major, der am 25. über die Stubalpe nach Graz zog, in der Lage gewesen wäre, eine Meldung an Jellaeic gelangen zu lassen; dass er dazu beauftragt ge- wesen, ist unwahrscheinlich. Er hat jedenfalls im Sinne des Ober- kommandos gehandelt, wenn er jede Berührung mit dem Feind vermeidend den nächsten Weg nach Graz einschlug. Er konnte sehr gut der Meinung sein, dass Jellaeic schon auf dem Wege nach Brück war, als er die Reichsstrasse bei Judenburg kreuzte. Zur Ent- lastung des FML. Jellaeic trägt der Bericht von de Lort gewiss nicht bei, aber er gibt den Beweis, dass dieser unglückliche Truppenführer auch nach den traurigen Erfahrungen, die er gemacht hatte, über den Zusammenhang der Ereignisse, denen seine Division zum Opfer ge- fallen ist, sich keine klare Eechenschaft zu geben vermochte.

Es erübrigt noch eine Frage zu beantworten: Ob es dem Erz- herzog möglich gewesen wäre, Jellaeic im Murthale aufzunehmen, oder sogar mit ihm vereint sich dem Vormarsche des Vizekönigs zu wider- setzen ? Sie kann mit Entschiedenheit verneint werden. Die Truppen,

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die nach starken und beschwerlichen Märschen am 23. in Preding. am 24. in Graz angelangt waren, konnten am 25. nicht bei St. Michael, nicht einmal in Brück stehen. Sie waren auch nicht in der Ver- fassung, sich sofort gegen einen übermächtigen Feind, der im sieg- reichen Vordringen begriffen war, zu schlagen. Somit wai- es auch gänzlich ausgeschlossen, dass der Erzherzog die Vereinigung der Armee des Vizekönigs mit der französischen Hauptarmee bei Wien verhindern konnte. Sein Plan, erst nach der Vereinigung mit Jellacic und mit den Truppen der ungarischen lusurrection die Initiative wieder «zu er- greifen, war der allein richtige. Dieser wurde daher auch im weitereu Verlaufe des Feldzuges vom Erzherzoge wiederholt befürwortet, leider ohne die Billigung des Generalissimus zu erhalten i).

Von militärischen Fachmännern wurde auf Grund der vorstehen- den Darstellung und nach genauen eigenen Studien im Terrain die Ansicht aufgestellt, dass es für Jellacic schwer geworden wäre, das ZusammentreflFen mit dem Feinde bei St. Michael gänzlich zu ver- meiden. Die Marschleistungen seiner Division am 22., 23. und 24. Mai seien im Ganzen genügend gewesen, bei dem Umstände also, dass die Entfernung von Schladming bis St. Michael 110 Kilom. und die von Klagenfurt bis dahin 115 Kilom, betrug, beide Heereskörper also in den bezeichneten 3 Tagen eine nahezu gleichgrosse Strecke zurückzu- legen hatten, sei das Zusammentreffen an dem Kreuzungspunkte mit Notwendigkeit eingetreten, Dasss durch ausserordentliche Marsch- leistungen, welche von allen bedeutenden Feldherren gefordert wurden und häufig gefordert werden müssen die Feldzüge des Prinzen Eugen geben davon viele Beispiele das traurige Schicksal der Di- vision Jellacic abgewendet werden konnte, ist aber kaum zu leugnen, Selbst in dem Falle jedoch, als letztere am 24. Abends nicht weiter als bis Mautern gelangt sein konnte, war sie nach der Anschauung der Sachverständigen noch zu retten. Dazu war einerseits ein mög- lichst zeitlicher Aufbruch am Morgen des 25., sowie eine Theilung der Truppen erforderlich. Das Gros musste sofort den Weg über Trofaiach nach Leoben einschlagen, während ein Detachemeut, etwa eine schwache combinirte Brigade bei St, Michael Stellung zu nehmen und ein hin- haltendes Gefecht zu liefern hatte, welches noch vor dem. Eintreffen

') Ich werde Gelegenheit haben, in einer besonderen Arbeit über den Feld - z u g d e s E r z h e r z 0 g s .1 0 h a n n i n U n g a r n die betreffenden Unterhandhmgeu eingehend zu besprechen.

Das Cieferlif l»ei St. Michael u. d. Openit. d. Erzh. Johann in 8teierm. \ 2 1

der Division Durutte abgebroclien werden konnte. Jedenfalls wäre dann das Gros völlig unangefochten nach Leoben und weiter nach Bruck und Graz gelaugt. Wenn Jellacic es der „Waffenehre" der österreichischen Armee schuldig zu sein glaubte, den Kampf mit dem überlegenen Gegner aufzunehmen und bis zur sinkenden Nacht fort- zuführen, so war seine Auffassung jedenfalls eine sehr irrige und sein Verhalten im offenen Widerspruche mit den Weisungen, welche er vom Erzherzog Johann erhalten hatte. Aus den vorliegenden Be- richten lässt sich aber überhaupt uicht nachweisen , welche Beweg- gi-ünde ihn bei seinen Massnahmen geleitet haben, man wird sich doch genötigt finden, das Urteil des Erzherzogs anzuerkennen, welcher den Eeldmarschall-Lieutenaut als tapfereu Soldaten, jedoch als ungeeignet zur Leitung selbständiger Unternehmungen bezeichnete.

Anhang.

I.

Aus der Selbstbiographie des Generalmajors Konstantin ton Ettingshausen.

Am 29. April vor Anbruch des Tags langten wir nach neuern Rück- zugs-Ordres vor Salzburg an hier war der Feldinarschallieutenant Jel- lachich, der wegen dem Andringen des Feindes nach der bestandenen In- struction des 6ten Armee Coi-ps den Befehl zum weitern Rückzug gab die Arriöre garde focht noch in der Stadt, ich hatte mich jenseits der Stadt mit dem Regiment Devaux aufgestellt, um die Arrieregarde nothigen falls zu unterstützen, wenn sie der Feind auf dem Wege nach Golling ver- folgen sollte.

Am 30ten April zu Golling lautete der Divisions Befehl des Fml Jellachich folgender Massen: Der Umstand, dass die Cavallerie und die österreichi- schen Landwehren zum Dienst der Armee in das Ennsthal abgeschickt werde, erfordert eine andere Brigade Eintheilung: deren zu folge erhält Herr General Baron Legisfeld (der sich in Salzburg an die Division an- geschlossen hatte) die Warasdiner Kreuzer, die Landwehr und die 3 Züge Cavallerie, die noch hier bleiben, und commandirt in gegenwärtigen Um- ständen die Arrieregarde.

Herr General Ettingshausen behält wie bisher Eszterhazy und Devaux und die Batterie nebst Reserve Munition zur Brigade das Regiment Eszterhazy giebt eine Division nach Abtenau, welche gleich nach dem Ab- kochen sich hier wegen weiterer Instruction anmeldet, und noch heute dahin marschirt ; es wird um 3 Uhr heute Nachmittag bis Werfen marschirt.

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Am l^^en May machte der Fml Jellachich seine weitere Haupt Dispo- sition zu Werfen bekannt dies war die erste in ein nahes Detail der A'^ertheidigruig eingegangene Belehrung schon der Eingang sprach dafür es hiess : In der dermaligen Lage der Sachen beschränkt sich unsere Defension auf die hartnäckigste Vertheidigung der Gebirgs Gegenden von Salzburg diese kann nur durch muthvolle Behauptung der verschiedenen Pässe erzielt werden, denn der Verlust von einem dieser Pässe zieht mehr oder weniger jenen aller anderen nach sich, und versetzt uns in die grösste Gefahr, umg-ancren zu werden. Nach der angegebenen Besetzungs Art der

O O O CD CD

Pässe hiess es : auf diese Weisse ist der Haupt Zugang nämlich das Salza Thal so zu sagen hermetrisch gesperrt.

Herr Oberst von Siegenfeld besorgt den Vorposten Dienst, alle Eapporte gehen an ihn, der sie dann weiters an Herrn Generain v. Legisfeld be- fördern wird.

Zur Besetzung des 4ten Zugangs, wie auch des 5^^^ wird eine Di- vision Devaux nach Bischofshofen , eine nach St. Johann, und eine nach Lendt detachirt. Von Bischofshofen detachirt die dortige Division eine Compagnie nach Mühlbach, welche die Posten gegen die Dienten zu be- sorgen hat die nach Lendt kommende Division detachii-t eine Com- pagnie zur Besetzung und Verrammlung der Enge zwischen Embach und Eschenau, und besetzt gleichfalls den sogenannten Filzensattel.

Von dem andern Bataillon von Devaux kommen 3 Compagnien nach Wagrain, und 3 Compagnien nach Hüttau en Eeserve zu stehen. Am Schluss heisst es:

Mein Quartier werde ich morgen in Eadstatt nehmen, wohin HeiT General Ettingshausen , das Eegiment Eszterhazy, der Eest der Artillene und Cavallerie verlegt werden Eszterhazy wird morgen von Gasthaus aus auf dem Wege von Hüttau nach Eadstatt eine Compagnie über St. Martin nach Annaberg detachiren, welche dort als Soutien der in der Abtenau stehenden Division bleiben wird ... und endlich: Im Gebirgs Kriege kommt alles darauf an, jede feindlichen Bewegungen oder Ereignisse bei Zeiten zu erfaln-en, damit man schnelle Gegen Massregeln zu ergreifen Zeit habe. Nirgends hat ein Officier mehr Gelegenheit als im Gebirgs Kriege von seinem Muth, Einsicht und Gegenwart des Geistes Beweisse zu geben, und sich auszuzeichnen ül>erall bietet die Beschaffenheit des Terrains Aufstellung und Eesourcen dar, die ein geschickter Anführer zu benutzen weiss um mit geiinger Macht eine feindliche Ueberzahl auf zu halten. Der Ausdruck »Umgangen, Tourniren« hat im Gebirge keinen Sinn weil der Umgehende selbst umgangen ist, wenn man ihm nur mit Ent- schlossenheit entgegen geht.

Ich erfuhr nun vom Feldmarschallieutenant Jellachich die Ursache, wamm er das Chevauxlegers Eegiment Orellyi mit dem General Proven- cheres zur Armee zurückgeschickt habe. Er sagte mir, dieser General habe ihm den Antrag dazu gemacht und sich auf die Gründe gestützet, dass in den engen Pässen von Cavallerie kein Vortheil zu ziehen, diese wegen Mangel an Fourage darin schwer, ja wohl in die Länge gar nicht subsistiren zu machen sey, das Eegiment hingegen der Armee, die wie man hörte, sehr viel gelitten hätte, einen ei-wünschten Zuwachs bringen, ihr

Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in yteienu. 123

wesentliche Dienste leisten, mithin zum besten des Staats dort weit mehr beitragen könne, als hier dass der Feldmarschallieutenant sich aber ein unverkennbares grosses Verdienst um den Staat erwerben würde, wenn er, ohne Befehl dazu zu haben, aus eigener Ueberzeugung der Armee dieses Eegiment abgeben, seinen Biedersinn und seine Uneigennützigkeit dadurch öffentlich beweisen, und ein seltenes Beyspiel von Patriotismus und Entsagung jeder Eigenliebe darstellen würde. --- Der Feldmarschal- lieutenant bemerkte, dass er zwar mehrere Gründe gefunden habe, welche ihm diesen Schritt, so viel Schönes und Gutes er auch immer auf seiner Seite haben möge, wiederrathen hätten, z : B : dass er zwar seine Stellung dermalen in den Gebirgs Pässen habe, es aber zu hoffen und zu erwarten sei , dass unsere Armee so bald als möglich wieder die Offensive ergreifen, \\är sohin aus den Pässen wieder in die Ebene rücken würden, wo er dann das Eegiment wieder selbst nöthig hätte dass es ihm für die Verpflegung des Eegiments nicht bang sei; dass er weder wisse, wohin er das Eegiment zu instradiren habe, um ohne Zeitverlust zur Armee zu stossen, weder sicher sei, ob dieser eigenmächtige Schritt den Gesinnungen des Generalissimus entspreche, und ob er mit unvorhergesehenen Dispo- sitionen sich nicht kreutzen würde dass er sich aber au die Geschichte erinnert habe, die er schon einmal mit der Cavallerie erlebt, und für den gegenwärtigen Fall blos den Endzweck vor Auge gehabt habe, das beste und nüzlichste zu wählen, und den General Provencheres daher mit dem Chevauxlegers Eegiment zur Armee abgeschickt, und hier nur die einige Züge behalten hätte. Weder Er noch ich hatten uns damals, ohnge- achtet wir das Unglück der Armee bey Eegensburg bereits erfahren hatten, vorgestellt, dass der Feind Wien schon beschossen, und am l iten May in Besitz genommen habe. Wie wunderbar das Geschick sich fügte, meine Frau und Kinder, die ich recht gut in Wien zu placieren dachte, und die in Erlau recht ruhig geblieben wären, wenn ich sie dort belassen hätte, waren in einer grössern Gefahr, als ich, der ich vor den Feind ausgerückt war sie mussten das Bombardement in Wien aushalten, und im Keller sich vor den Bomben ihr Leben sichern.

Am 12ten May erlaubte mir der Fml. Jellachich, gegen Tyrol eine Diversion zu machen ich war in St. Johann im Ponggau, als ich von demselben am I4ten folgenden Auftrag erhielt . . . Eadstatt am 13 May 809 Nachts um 12 Uhr. Diesen Augenblick erhalte ich durch einen mir zu- geschickten Courier aus Tyrol die Nachricht, dass es den Tyrolem gelungen hat, den Pass Strub wieder zu erobern und den General Deroi, welcher, und nicht Wrede, in Tyrol einfiel, empfindlich zu schlagen, welches dem Herrn Generain aus der Ursache berichte, um das Gros der Truppen nicht weiter vorzubringen, mit Patrouillen aber und respective Streifzügen sich von dem geschehenen noch mehr zu überführen, und Nachrichten ein- zuholen.

Das Judenburger Bataillon ist demnach sogleich nach Schladming, die übrigen Truppen aber nach erfolgter Bestäftigung und Eückkehr der ausgesendeten Patrouillen einrücken zu machen. Nur wird 1 Division von Devaux in St. Johann verbleiben, wovon V^ Compagnie nach Bischofs- heim zu schicken sein wird. Das Landwehr Bataillon Salzburger aber

i24 Z wieil i iie ck- Sil d •' ii li or st.

bleibt noch weiter zur Deckung ihres Landes dort, und wird zweckmässig vertheilet. Jellachich Fml.

Ich bin indessen nach Saalfelden vorgerückt, um auch mit wenigem wo möglich den Endzwek zu befördern aber noch den nämlichen Tag erhielt ich dort nachstehende Ordre:

Nach Eröffiiung Sr kaiserlichen Hoheit des E: H: Johann, welcher schon ziemlich in unserer Nähe ist, solle ich mein Coi-ps nicht vereinzeln, sondern die Kräfte beisammen halten , weil es geschehen könne, dass Er sich an mich anschliesse, oder mich an sich ziehe auch hätte ich ihm fleissig Nachrichten nach Villach zu ertheilen.

Diesem Befehle und meinem bisherigen Grundsatze getreu gedenke ich auch dies zu thun, und dahero muss ich dem Gros die Schranken bis Taxenbach und Saalfelden, das ist, denen Spitzen desselben setzen und finden der Herr General was zu avanturiren, so kann dies lediglich mit einer Compagnie, oder mit weniger vne verabredet geschehen, das Juden- burger Bataillon, so in St. Johann heute geblieben, wünsche ich, wenn es nicht höchst vonnöthen, morgen schon hieher zu haben, weil ich mit denen Bataillons die Besetzung von Ischl erzielen, und unsere 3 Kreutzer Compagnien an mich ziehen möchte.

Ich bin ganz Begierde, etwas von Tyi'ol zu erfahi-en, und wünsche gleich den eingefleischtesten Tyrolern, dass die Bayern Schläge abgeholet haben, und zurück gewiesen werden. Unsere Operation möchte ich doch auch nicht über 3 Tage erstrecken, d: i: Von morgen angefangen darum brav marschirt; ich wünsche gute Verrichtung.

Jellachich Fml.

Den Tag darauf erhielt ich schon wieder folgendes Schreiben: Rad- statt am 15 May 809. Ich muss Euer Hochwohlgebohrn mit dem be- kannt machen, was mir des E: H: Johann k. Hoheit von Daniele unterm 1 iten dieses schreiben. Ich möchte nemlich meine Vertheidigung nicht zu weit ausdehnen, und mich blos auf das Salzburger Gebirgsland, die Communication mit Tyrol und Deckung Kärntens nämlich des Thauren beschränken.

In dieser Hinsicht sehen wohl der Herr General, dass ich mich mit dem grösten Theil meines Coi-ps nicht nach Tyi'ol begeben kann, weil Se k. Hoheit ausdrücklich befehlen, mich beisammen zu halten, weil es sein kann, dass er sich an mich schliessen oder mich an sich ziehen werde, um mit ver- sammelten Kräften dem Feinde zu begegnen.

So heiss als ich auch wünschte, Theil an der Operation ausser der Flanke der Deckung zu nehmen, so fürchte ich doch, indem ich Theil an der nachbarlichen Geschichte nehme, mich von den ersten Pflichten und Auf- trägen zu entfernen, um so mehr, da der Feind eine Patrouille, wobei auch 1 Officier seyn soll, zwischen Abtenau und Schutt herein geschickt, die uns belauschet, und ohnfehlbar uns von der Seite was auf den Hals schicken möchte. Ich glaube also, dass damit, was Euer hoch Wohl- gebohren bishero gethan haben, alles gethan ist, was man thun konnte

wobei es auch zu verbleiben hat, mit dem alleinigen Bemerken, dass

zu unserer eigenen Sicherheit und zur Aufmunterung der Landes Vertheidiger eine Division von Devaux in Luftcnstein aufzustellen wäre, die den Feind

t)as Gedeckt tei St. Michael u. rl. Operat. d. Erzh. Johann in »Steierm . j[ 25

bedi'oht, ihn harcellirt, durch vorpoussirte Patrouillen beunruhigt, dabei aber auf ihre eigenen Flanken sehen muss, um nicht aufgehoben zu wer- den. Nur der Fall, den die Umstände Ihnen in Ihrer gegenwärtigen Stel- lung auf eine kurze Zeit herbeiführeten, dass Sie was wesentlich und sicher gutes leisten könnten, darf Ausnahme bringen.

Ich befehlige unter einem noch ein Salzburger Landwehr Bataillon nach Bischofshofen um im Falle, dass die vorgeschikten Truppen rükkehren, jene Gegend nicht unbesezt zu lassen, welche Besetzung, wie schon vorhin bestimmt worden, aus einer Division Devaux und denen 2 Landwehr Ba- taillons, dann den Schützen des Landes und im schlimmsten Fall aus dem Landsturm bestehen wird. Jellachich Fml.

Ich hatte die Hochfilzen, den Pass Luftenstein und den Pass Hirsch- bühel besezt, und schickte häufige Patruillen aus. Meine Tendenz ging nur dahin, feindlichen Streifereien vorzubeugen und ernsthafteren Be- wegungen des Feindes Besorgnisse zu geben, es hielt mich aber die be- stimmte Beschränkung obiger Befehle ab, selbst etwas ernsthaftes zu unter- nehmen, was ohne weitere Entfernung von unserm eigenen Corps nicht unternommen werden konnte indessen war aber auch das Corps des Feldmarschallieutenants Chasteler bereits zerstört.

Die Kachricht davon kam mir durch meine Patrouillen und durch das Aviso des H. Fml: Jellachich zu, welcher mir am 16. May schrieb: Wenn Ihnen nicht eher die Zerstörung des Fml: Chasteleri sehen Corps bewusst gewesen wäre, als mir, so würde Sie die Nachricht davon eben so er- schüttern, als mich diesen Augenblik der Eintritt der zersprengten H. Staabs Officiers von Lusignan und mehrern andern erschüttert hat hieraus sehen der Herr General, dass von dem Augenblick an alles Detachiren nichts mehr helfe, dahero werden Euer Hochwohlgebohni die exponirten und vorpoussirten Posten blos durch Landwehrn mit kleiner Mischung des regulairen Militärs ob- serviren lassen, sich hingegen mit der Brigade einstweilen auf die Eng Pässe Eschenau und Dienten beschränken, das Gros aber in die Aufstel- lung gegen St. Johann und Bischofshofen zurückziehen. Kurz wir wer- den uns nach den bisher beobachteten Grund,:ätzen bis auf 1 Bataillon Devaux, was ich dort belassen werde, gar bald concentriren.

Jellachich Fml.

Ich musste nun diesen Befehl in Vollzug setzen und trat am 1 'jten May meinen Eükmarsch nach St. Johann an. Es war mir hart, dass ich den Bitten, Wünschen und Zudringlichkeiten der Tyroler, mit Macht vorzu- rücken, nicht entsprechen konnte ich musste das nemliche Verlangen des H. Generalcommissairs Hofrath Joseph Fr. Pichel einer Diversion über Luftenstein durch den Pass Strub in Rüken des Feindes, welches er von Mittersill am 1 7*^" May 5 Uhr Morgens an mich machte, unerfüllt lassen.

Zu St. Johann traf ich am IS^e» folgende Zuschrift an: Eine Estaffeite bringt mir in diesem Augenblik folgende Nachricht aus Brixen von Baron Hormayer vom lö^en »es zeigt sich nunmehr ziemlich klar, dass die Vorgänge im Unter Innthal nicht auf Insbruk gemeint , sondern vielmehr ein Versuch sind, die T}Toler durch Mordbrennerei zurük zu schrecken, vorzüglich aber eine Demonstration, damit Marchall Lefebre und der Krön-

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prinz mit besserem Erfolge gegen Euer Excellenz zu agiren in den Stand gesezt werden etc.

Uebrigens hat es bei dem Itereits anbefohlenen sein Verbleiben.

Jellachich Fml.

P : S : In diesem Augenblik komt Euer hoch und Wohlgebohrn Ad- jutant mit der officiellen Nachricht von Seiten des Feldmarschallieuten. Lippa, dass der Feind Maria Zell foreirt habe, und sich hei'v\^äi'ts befinde. Eadstatt am 17 May 809 um 9 Uhr Abends.

Fe] dmarschallieutenant Jellachich schrieb mir den 19tenMay um 1 Uhr nach Mittemacht wie folgt: Euer Hochwohlgebohren werden mit Empfang dieses alle Ihre Ti*uppen dergestalt an sich ziehen, dass Sie dieselben um 9 Uhr Abends am 2üten d: in Marsch setzen können, um sodann mit dem ganzen ohne Zeitverlust sich hieher zu begeben, wo zur nämlichen Zeit alle Truppen meiner Division samt der Landwehre sich versammeln werden.

Der Befehl Sr k. Hoheit des E. H. Johann ist, dass alle nur mögliche Aerarischen Civil Gassen nemlich bei Wegmauth, Kreis Aemtern, Pfleg- gerichten, herrschaftlichen Domänen die bei solchen vorhandenen Aerarischen Gelder gegen einzulegende Quittung, welches Euer Hochwohlgebohrn soweit es thunlich ist, in Ihrer Gegend veranlassen wollen.

Ihre entferntesten Posten müssen mittelst Courier einberufen werden die lezte Abtheilung Ihi'er Truppen muss den Weg an den tauglichen Stellen verrammeln, ruiniren, alle Brücken zu grund richten, mit einem Worte dem Feinde alle nur erdenkliche Hindernisse in den Weg legen.

Jellachich Fml.

Wenn ich mir die Mühe gab, alle die obersichtlichen officiellen Piecen auf zu zeichnen, so geschah es theils, um mich vor etwaigem Voinvurf zu sichern, als wäre ich etwa aus eigenem Willen nicht tiefer in Tyrol ein- gedrungen — theils um das Andenken des verstorbenen Feldmarschall- lieutenants Baron Jellachich gegen so viele beleidigende und verläumde- rische Ausfälle, die sich einige Schriften, woranter sich jene der Geschichte des Andreas Hofer Leipzig und Altenburg F: A: Brockhaus 1817 am meisten auszeichnet, gegen ihn erlaubten, da, wo er keinen Vorwnirf ver- dient, zu rechtfertigen. Wir marschirten den 21 May nach Schlacbiing. 22 nach Steinach. 23 nach Rottenmann. 24 nach Mautern, unterwegs, den Ort, wo, weiss ich mich nicht mehr zu erinnern, hatte der Fml. Jellachich die Depesche erhalten, dass Se k. Hoheit der E. H. Johann nicht zweifeln, dass der Feldmarschallieutenant die wichtigen Salzburger Pässe nicht werde unbesezt gelassen haben ! ! ! Jellachich fand sich in der grössten Verlegen- heit — er ergriff den Entschluss, den Versuch zu machen, wenn der Feind die Pässe etwa noch nicht in Besitz genommen hätte, sie wieder besetzen zu lassen. Er beorderte daher seine 2 besten und stärksten Landwehr- Bataillons (wenn ich nicht irre, so waren es die Cillier und Judenburger) nach Mandling und Aussee, \xm dies zu versuchen ich lese in einer Brochure, dass er den Oberstlieutenant Plunkett mit 1 Bataillon Linien- Truppen 400 Mann stark und Landwehr an den Pässen im Ennsthale zurückgelassen habe. Die Landwehre muss wohl die nämliche gewesen sein, die ich eben genannt habe. Von Plunkett und den 400 Mann Linien- Truppen ist mir nichts bekannt, indessen stelle ich es nicht in Abrede, weil es ohne mein Wissen hätte geschehen können eben so wenig ist

Das Gefeciit bei St. MicLael u. d. Opevai. d. Evzh. Johann in Steiemi. \2l

mir bekannt, dass diese zurückgeschickten Landwehren je wieder zu uns gekommen wären, und oh sie die Pässe noch zur rechten Zeit erreicht haben, oder vom Feinde entwafihet wurden. Ich hätte diesen Umstand abermals nicht berührt, wenn er nicht auch einen Bejtrag zur Verminde- rung der Stärke der Division bei St. Michael geliefert hätte.

Am 24^^611 erfuhr ich Abends vom Peldmarschallieutenant Jellachich, dass er Nachricht habe, der Feind sei 6000 Mann stai'k zu Knittelfeld angekommen, habe 400 Mann Cavallerie bei sich, und vor Knittelfeld seine Vorposten. Er erwarte den 25ten noch 6000 Mann Verstärkung nach Knittelfeld, weswegen der Feldmarschallieutenant seine Avantgarde bis St. Michael vorpoussire, um hinter derselben, den 2 5^^" durch St. Michael nach Leoben marschiren zu können.

Es traf sich, dass gerade an diesem Abend (24ten) Major Zsemsey von den Warasdiner Creuzer reconvalescirt, und sich in meiner Gegenwart beim Fml. persönlich mit der Bitte meldete, dass ihm als ältester Major das Bataillons Commando der Creuzer gegeben werden wolle, welches in der Avantgarde des Csorich vom nemlichen Regiment war, und dass Zsemsey auch dadurch statt Czorich der Commandant der Avantgarde werde.

Jellachich bewilligte dies, und befahl, dass Zsemsey den 25^^" in der fi'üh um 3 Uhr sich mit der Avantgarde nach St. Michael in Marsch setzen und dort Position fassen solle.

Kaum war Zsemsey nach Kammern fort, wo die Avantgarde aufge- stellt war, als ihm der Befehl nachgeschickt wurde, nicht zu St. Michael sondern vor St. Michael auf der Strasse gegen Knittelfeld Posto zu fassen. Auf meine Bemerkung, dass die Avantgarde früher aufbrechen sollte, erwiderte der Feldmarschallieutenant , dass es bei der sehr ermüdeten Truppe deswegen nicht möglich sei, weil er die Arrieregarde diesen Abend als Avantgarde vorgeschoben habe, und die anderen Truppen, wie ich wisse, auch erst um 3 Uhr Nachmittag sehr ermüdet eingerukt seien. Wäre die Avantgarde aber von den andern Truppen der Division beordert worden, so wären sie doch immer weniger ermüdet gewesen, als die Arrieregarde, die wenigstens eine Stunde weiter zu marschiren hatte, und auf diese Art hätte die Avantgarde eher aufbrechen können. Wären wir aber alle, sobald die Nachricht, dass der Feind zu Knittelfeld sei, gleich aufgebrochen, so wären wir wohl dem Unglück bei St. Michael entgangen. Aber es scheint, dass Jellachich seinen Feind zu gering schätzte, und in dem augenblicklichen Aufbrechen an dem nemlichen Abend keine Art Furcht vermuthen lassen wollte.

Ein anderer Zufall machte, dass gerade am 24^^^ ein der Truppe besonders wohlwollender Herr dieselbe in die umliegenden Oerter einbe- quartirt, was Jellachich aus Schonung zuliess, weil die Truppen auf dem bisherigen Marsch immer gelagert waren. Aus dieser Dislocirung er- folgte am 25ten der Aufbruch später als sonst er war um YgS Uhr anbefohlen so viel ich weiss und mich noch erinnere, war die Arriere- garde und das Bataillon Eeuss G-reitz in Kahlwang die Truppe in Mautern, und die Avantgarde samt Eszterhazy in Kammern und Seitz. Die Ausrükung geschah sohin am 25'ten ungleicli und als das Bataillon ßeuss Greitz nicht zur gehörigen Zeit bei Ehrenau ankam, so schickte ich auf Befehl des Fml. den Lieutenant Graf Eumpf von Devaux, der als Or-

I <>g y, VC 1 0 (1 i n e c !< - f> ü i1 o n 1i o r s t.

donanz Officier da war, zu Eszterhazy, dass die 2 Bataillons nicht eher aufbrechen sollen, bis Devaux von Mautern bei ihnen anlange, damit die Haupt Truppe ordentlich forrairt werde. Eumpf vollzog diesen Auftrag, hatte aber aus irriger Meinung den nemlichen Befehl der Avantgarde ge- bracht, die er mehr als eine Stunde herwärts St. Michael einholte, halten machte, und er dann wieder zurück ritt. Jellachich und ich waren früher fortgeritten beim Durchreiten durch das Regiment Eszterhazy befahl Jellachich dem Obersten Ekart, einen berittenen Officier nach Trofajach zu schicken, wohin der Major D'Assante mit dem iten Bataillon des Regiments schon einige Tage vorher detachirt war, um demselben zu sagen, dass er gleich mit seinem Bataillon nach Leoben marschiren und zur Division ein- rücken solle. 87 Pferde, die er von Vorderberg nach Leoben su bringen beauftragt war, solle er, wenn er sie etwa noch nicht beisammen hätte, durch die nach Vorderberg detachirte Compagnie seines Bataillons besorgen und nach Leoben nachbringen lassen. Ich bemerke diesen Umstand des- wegen, damit daraus deutlich hervorgehe, dass Jellachich wusste, dass man über Trofajach nach Leoben marschiren konnte, wenn er dies mit seiner Division, um dem Feinde auszuweichen, hätte thun wollen.

Wir ritten weiter fort, um früher zur Avantgarde zu gelangen, denn wir hatten bei Eszterhazy erfahren, der Major Zsemsey sei anstatt um 3 Uhr erst um VgS Uhr aufgebrochen, also damals, als Jellachich und ich von Ehrenau aufgebrochen waren. Natürlicher Weisse war Jellachich darüber sehr aufgebracht, diese unerwartete Verspätung musste denselben auf die Besorgnis führen, dass daraus unangenehme Folgen entstehen könnten eine Strecke weiter trafen wir mit dem Lieutenant Graf Rumpf zusammen, der ohnehin schon erzürnte Feldmarschallieutenant wurde es noch mehr, als er den Fehler vernahm, dass Rumpf die ohnehin um 1 Vo Stun- den zu spät aufgebrochene Avantgarde halten machte. Wir setzten uns nun in Galopp, um so schleunig als möglich diesen neuen Aufenthalt zu redressiren. Wir kamen sehr bald bei: der Avantgarde an, und der Feld- marschallieutenant sezte sie gleich wieder in Marsch.

Mithin ergaben sich an diesem Morgen schon einige Vorfälle, welche zu einer ßedenklichkeit Stoff darboten es scheint, als wollte alles dazu beitragen, den Feldmarschallieutenant zu dem Entschluss zu bewegen, es nicht mehr darauf ankommen zu lassen, sich unnöthiger Weisse in eine Gefahr zu begeben aber es scheint auch, dass eine solche Marsch Ver- änderung gar nicht in seinen Willen lag. Das durch Rumpf veranlasste Halten der Avantgarde fiel dem Major Zsemsey nicht zur Last; der Zeit- Verlust hievon mag keine halbe Stunde ausgemacht haben wohl aber fiel ihm das spätere Aufbrechen zur Last wäre er um 3 Uhr aufge- brochen, so hätte ihn Graf Rumpf schon bei St. Michael angetroffen. Dass ich dem Major Zsemsey den Abend vorher, wie ihm Jellachich befahl, um 3 Uhr aufzubrechen, in dessen Gegenwart den Eath gab, lieber noch fi-üher aufzubrechen, will ich nur nebenbei bemerken.

Der Major entschuldigte sich damit, dass die Mannschaft des zur Avantgarde beorderten Bataillons gegen 300 Mann erst zur Mittemacht ermüdet eingetroffen sei, wodurch er gezwungen worden wäre, ihnen ein Paar Stunden Ruhe zu gönnen, weil er ohne sie zu schwach gewesen sein würde.

Das Gefecht 1)pi St. Michael n. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. l29

Jellachich verwies ihm dieses ernstlich, indem er dies hätte zeitlich melden sollen, damit er ihm von Etzterhazy die nöthige Verstärkung an- gewiessen hätte ich erinnere mich noch der Worte: Sie werden un- glücklich sein, wenn diese Verspätung üble Folgen haben sollte, die der Feldmarschallieut : dem Major sagte, Jellachich und ich eilten abermals weiter den Orellyischen Jägern befahl er, schneller zu marschiren, eine Patrouille aber gleich nach St. Michael und weiter gegen den Feind vor- zuschicken, denn auch dies hatte der Major Zsemsey zu thun unterlassen abermals ein Umstand mehr von Bedeutung, der zum Nachdenken An- lass gab.

Zwei Gemeine von der Orellyischen Patrouille waren eher an den ersten Häussern von St. Michael angelangt, als Jellachich und ich und von diesen 2 Mann kam nach einem gegebenen Schuss auf den Feind einer uns entgegen gesprengt., mit der Meldung, dass der Feind da sei ein Bauer, der eben vorbei ging, sagte, der Feind habe bereits mit einem Theil die Strasse von Leoben eingeschlagen. Der Feldmarschallieutenant bezweifelte dies , weil unsere Lager-Ausstecker mit Oberlieutenant Eoth- kirch vom General Quartier Meister Stab kurz vorher diesen Weg nach Leoben vorausgeritten sein mussten (was gar kein Grund war) besonders aber, weil noch vor weniger Zeit eine Estaffette vom Bruker Kreis Secretaire Azula bei dem Fml. angekommen, und diesen Weg passirt war, vom Feind aber gar nichts wahrnahm. Der Fml. nahm daher an, dass eine Patrouille des Feindes ebenfalls in dem nemlichen Augenblick ankomme, wie wir indem der Feind wohl nicht gleich mit der Truppe, ohne uns vorher eine Patrouille entgegen zu schicken, anrüken würde. Aber eine kleine Strecke weiter sahen wir, dass es keine Patrouille, sondern wenigstens ein De- tachement vom Feinde war.

Ehe ich weiter fortfahre, will ich die Depeche des Kreis Secretairs Azula wörtlich anführen, denn da ich sie zu Pferd dem Fml. vorlas, steckte ich sie ein, und habe sie in originali behalten, weil keine Eede mehr davon war.

An Se Excellenz den k. k. H. Fml. Freiherm v. Jellachich in Mautern. Nach verlässlichen Nachrichten sind heute um IOV2 ^^' 400 Chasseurs und 5000 Mann Infanterie in Knittelfeld eingeruckt, mit der Bemerkung, dass noch 5000 gleich nachfolgen.

Die Vorposten des Feindes reichen bis St. Lorenzen und noch weiter herab bis an die Lorenzer Brücke der Bot, der diese Nachricht brachte, passirte die feindlichen Vorposten.

In Leoben fürchtet man heute Nachts noch die Feinde zu erwarten.

Verpflegung für das Corps Euer Excellenz ist hier gesorgt.

Ich eile dieses Euer Excellenz in Ehrfurcht zu berichten, und geharre in tiefster Ehrfurcht Euer Excellenz gehorsamster Diener Joseph v. Azula k. k. Kreis Secretair von Brück, vertatur.

Im Falle einer Gefahr, wenn der Feind wirklich mit einer Ueber- macht drohen sollte, kann nach der hohen Einsicht Euer Excellenz die Route über Trofajach, Vordernberg, Tragöss, Katharein in das Mürzthal, in die Stanz über Weitz nach Gratz eingeschlagen werden •).

•) Ein sehr beschwerlicher Umweg, auf welchem die Division keinesfalls vor der Armee des Vizekönigs in das Mürzthal (1)pi Kn]ifenberg) gelangt wäre, Mittheilungen XII. 9

1 30 /i w i e d i n e c k - S y d e n h o r s t.

Datirt war das Schreiben Leobeu am 23^^eii May 1809 um loVg Uhr Abend. Ich muss hier die Bemerkung machen, dass der 23^^ wohl ei}i Schreibfehler sein mochte, den die Eile veranlassen konnte, denn sonst wäre es nicht zu begreifen, wie die Estaffette zu erst den 25ten in der Früh zwischen 6 und 7 auf dem Weg zwischen St. Michel und Mautern in des Fml. Hände gelangte, da sie von Leoben, wenn sie am 24^^en um IOV2 ^^^ Abend expedirt wurde, noch zeitlicher hätte anlangen sollen, als sie anlangte.

Wäre ich nicht gegenwärtig gewesen, wie die Estaffette ankam, ?o würde ich die Nachricht, welche sie enthielt, für die nemliche gehalten haben, welche der Eml. mir am 24*6^1 Abends mittheilte; sie war bis auf einige 1000 Mann mit jener übereinstimmend.

Auch diese Bestätigung der ersten Nachricht vermochte den Fml. nicht, eine andere, oder die von Azula vorgezeichnete Route einzuschlagen. Er sagte vielmehr, er habe ja schon zu Ehrenau über die Sache nach- gedacht und die Gründe gegen einander abgewogen das Resultat sei, wenn der Feind uns in Weg kommen würde, ihn ohne weiters zurück zu werfen, dazu sei er stark genug und es könnte höchstens nach seiner Meinung ein Scharmützel zwischen den Avant oder Arriere Garden ab- setzen — und wäre der Feind früher als wir auf der Strasse von Leoben, was nicht denkbar sei, so käme er zwischen 2 Feuer. Uebrigens habe er Canonen und fahrende Bagage bei sich, die vielleicht in den Gebirgs- Wegen nicht allenthalben durchkommen könnten, und wolle dem Feind nicht etwa Muth machen, ihn gerade in den engen Gebirgen auf eine oder die andere Art zu benaehtheiligen oder daran zu hindern, dass er nach dem bestehenden Befehl Sr k. Hoheit des E. H. Johann zeitlich genug in Grätz ankomme endlich wisse er auch nicht, ob der Feind, der nach der Eröffnung des Fml. Lippa Herr von Maria Zell war, um sich etwa mit den Truppen der Italienischen Armee zu vereinigen, mit ihm in den Gebirgen zusammen treffen könnte, wo man dann doch mit ihm sieh schlagen müsste.

Auf den obbesagten Schuss eilten wir eine kleine Strecke näher und sahen, dass der Feind herauf marschire. Fast zur nämlichen Zeit langten die Orellyi Chevauxlegers an, die sich vorläufig mit dem Feind engagirten, bis die Avantgarde des Majors Zsemsey 1 Bataillon Creuzer auch Theil daran nahm. Zum Glück kam meine Brigade an. Nun war es ent- schieden, dass man, ohne sich förmlich zu schlagen, hier nicht vorüber marschiren konnte sich wieder gegen Mautern zurück zu ziehen, wenn es auch ohne Gefahr und Nachtheil noch thunlich gewesen wäre, würde gegen des Fml. Ehrgeiz gewesen seyn. Der Feind war stärker, als ihn der Fml. vermuthete wir waren augenscheinlich schwächer. Die Arriere- garde war weit zurück und 1 Bataillon Eszterhazy in Trofajach. Der Fml. schickte eine Abtheilung Creuzer und Tyroler Jäger i) auf eine uns rechts gelegene Anhöhe, um von selber während dem Gefechte, und wenn der Terrain vor uns behauptet wurde, bis zur Ankunft der Arrieregaixle zur Sicherheit unserer rechten Flanke Herr zu sein dann auch, um von dieser Anhöhe die feindliche linke Flanke beschiessen zu können. Bis

') AN'ann diese zur Division JellacJic gekommen sind, ist nicht aufgeklärt.

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i">as Gefecbt bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Jobann in Steierm. \^{

unsere Abtheilung hinauf kam, fielen mehrere Schüsse bereits von selber herab aber der Feind wurde von da vertrieben, und einige Franzosen wurden als Gefangene von da herabgebracht. Der Fral. fand nöthig, später dieses Detachement zu verstärken, so dass es bis zu einem, und endlich gar zu 2 Bataillons angewachsen war. So viel von dieser Anhöhe. Von meiner Brigade musste 1 Bataillon von Eszterhazy mit dem Obersten B. Ekard und ] Bataillon von Devaux auf den linken Flügel vor St. Michael mit diesen ging der Feldmarschallieutenant selbst, mir gab er den rechten Flügel zu besorgen. Ich Hess das Oberstlieutenants Bataillon von Eszterhazy mit Oberstlieut. Hirsch und 1 Bataillon Devaux so aufmarschiren, dass sie auf der rechten Flanke obiger 2 Bataillons einen Haken bildeten aber der Fml. , der mit seinen 2 Bataillons in ein starkes Feuer ge- rieth, Hess gleich das Bataillon von Devaux noch von mir abrufen, und zog es in seine Linie, so dass mir nur das Oberstlieut. Bataillon von Eszter- hazy verblieb. Die Bataillons des linken Flügels fingen nun eben an, vor dem feindlichen heftigen Andringen und Feuer zu weichen, als ich mit dem 3^^^ Bataillon von Eszterhazy augenblicklich auf die feindliche linke Flanke los stürmte und den Feind sogleich in die tiefer liegende Gegend hinab warf wodurch das gefahrvolle Gefecht entschieden und für izt beendigt war. Wir waren nun Meister von der Platte, die eine Art von Amphitheater bildete. Auf dieser Platte Hess der Fml. die Bataillons aufmarschiren, und theilte sein Geschütz am Kande derselben ein.

Noch ehe ich obbesagten Angrifi" begann, meldete mir mein Adjutant, dass der Feind sich auf der obigen rechten Anhöhe links ziehe, wodurch er, wenn er herabkäme, mir im Eüken sein würde. Ich schickte daher den Adjutanten zu dem eben auch angekommenen General Legisfeld, und Hess ihn davon verständigen, der dann mit dem ,3fen Bataillon vonUeuss Greitz und 400 Mann von E. Carl i) die Eeserve bildete.

Nachdem ich das Gefecht entschieden hatte, verfügte ich mich auf den linken Flügel zum Feldmarschallieutenant, um seine weiteren Gesin- nungen zu erfahren. Wir hatten das Dorf St. Michael und die Strasse

unseres Marsches nach Leoben nun im Rücken , der durch St. Michael laufende Bach Liesing ist nicht anders als blos über die Brücke zu pas- siren links hatten wir die Muhr auf allen Seiten Gebirg und An- höhen — durch das Defilee der hinter uns liegenden mussten wir passiren, wenn wir nach Leoben wollten. Zuvor aber durch das enge Dorf und die Brücke der Liesing, die hinter uns flose. Ueber die Muhr hatten wir links ebenfalls eine Brücke, die auf den Weg nach Göss führt, worauf man den Diebsweg eher erreicht, als auf unserer Hauptstrasse.

Der Feldmarschallieutenant behielt durch die Couronnirung der Platte mit seinen Truppen nur eine kleine Eeserve - die Canonen spielten noch fort. Ich untersuchte auf Geheiss des Feldmarschallt. unsem rückwärtigen Terrain, weil wir keine genaue Kenntniss davon hatten unser linker Flügel musste, da er ohnehin das meiste gelitten hatte, und der Feld- marschallieutenant nicht eher abrücken wollte, bis die Arriöregarde ange- kommen sein würde, verstärkt werden. 3 schwache Compagnien bekamen den Befehl, sich über der Muhr aufzustellen; mir vertraute Jellachich nun

'J \'orher nicht erwähnt.

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den linken Flügel an, und den rechten dem General B. Legisfeld. Icli konnte mir nicht vorstellen, dass man das 3^6 Bataillon von Eszterhazy auch noch auf die rechte Anhöhe schicken würde, wodurch der Abmarsch der Division natürlicher Weisse erschweret wurde.

Der Feind hatte unsere Position, so wie wir die seinige, ganz vor Augen. Er konnte unsere indessen doch noch hesser einsehen , wie wir seine, weil selbe sich bald rückwärts einbog.

Ich veranlasste gleich nach der eingenommenen Position, dass die Bagage hinter uns ihren Marsch nach Leoben fortsezte, der Feind gab einige Canonen Schüsse auf sie, machte aber keinen Schaden.

Als nun die Arrierengarde ankam, Hess Jellachich auch diese in die Front einrüken, ohne von den andern Truppen einige heraus zu ziehen. Dies war eigentlich der erste Hauptfehler alle vorhergegangenen Schritte, welche vortheilhafter hätten gemacht werden können, rechne ich demFeld- marschallieutenant nicht als absolute Fehler an denn sie haben ihre gute und ihre schlimme Seite der jetzige war aber gegen den Zweck, und zog das gefolgte Unglück nach sich.

Ich hatte den Feldmarschallieutenant darauf aufmerksam gemacht, und ihm zweimal bemerkt, dass wir hinter uns die Brücke hätten, die wir passiren müssten, wie dies bei einem mächtigen schnellen Angriffe des Feindes möglich sein würde, ohne Gefahr oder Deroute? Er entgegnete, eben aus dieser Betrachtung sehe er sich bemüssigt , seine ganze Stärke hier auf zu stellen, um dem Feind bis zur eingebrochenen Nacht imponiren zu können, wo er dann gleich den Eückzug antreten würde, würde er ilm aber gleich jezt antreten, so würde der Feind alles anwenden können, um ihm den grösstmogiichen Abbruch zu thun ausserdem könne er die 2 Bataillons auf der rechten Anhöhe, die er schon 2 mal zum Herab- kommen beordert habe, die aber unbegreiflicher Weisse nicht herabkämen, nicht abandonniren. Ich machte ihm die Einwendung, dass wenn er schon die Nacht hier abwarten wollte, so sollte er doch wenigstens die hinter uns liegenden Anhöhen besetzen, um unter dem Schutze der dort aufgestellten Truppen und Canonen den Eükzug über die Brücke zu sichern, er entschuldigte sich mit der Unthunlichkeit , etwas aus der Front heraus zu ziehen, er werde die rtikwärtigen Hügel mit den 2 Ba- taillons besetzen, wenn sie von dem rechten Flügel herabkommen wüi'den.

Es war hart, diesem Commandanten seine eigenen Ideen zu rectifi- ciren man risquirte, dass er die reinste Ansicht über eine militärische Nothwendigkeit durch eine übel placirte Geringschätzung, so als wenn er sagen wollte, das weiss ich besser, wir haben nichts zu fürchten, von sicli stiess. Da aber die Truppen von der rechten Anhöhe immer noch nicht herabkamen, die Plänklerei vom Feinde fortgesezt wurde, Bewegungen auf dessen Seite im Gebirge zu bemerken waren, drang ich noch einmal in den Feldmarschallieutenant, er möge doch das hinter uns gelegene rechte Eideau (die Ansicht gegen den Feind angenommen), was uns so vor- theilhaft ansprach, nicht unbesezt lassen. Er trug mir endlich auf, eine seitwärts rükwärts gestandene Abtheilung, die er für eine Division hielt, am Eingang des Defilees auf das Eideau zu placiren, er werde noch mehrere Truppen zu diesem Ende nachschicken ich schickte meinen Adjutanten, diese Division abzuholen, es war aber nur eine Compagnie, weswegen ich

Das Gefecht bei St. Michael n. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. |3;-J

dies dem Fml. sogleich melden liess, und dem Hauptmann Schikengraber, der diese Compagnie commandirte, selbst dem Ort seiner Aufstellung an- deutete. Aber selbst diese Compagnie bestand nur aus 3 Zügen, womit der Hauptmann die Absicht zu erfüllen unvermögend war indessen konnte er wenigstens figuriren, bis die Üebrigen ankommen würden. War nun der Feind gerade in diesem Momente mit seiner Disposition zum Angi'ifife fertig geworden, oder sah er, dass man endlich ein Mittel er- greifen wolle, die Passage durch das Debouchee zu sichern, und dass er, wenn er den Vortheil in der Hand behalten wolle, keine Zeit zur Voll- ziehung dieser unserer Disposition lassen dürfe, hat ihn nur die Aufstel- lung, die ich auf dem Rideau angefangen hatte, allein zur schleunigen Attaque bewogen, oder hat Jellachich auch schon eine Abtheilung aus der Front herausgezogen, um sie auf das Rideau zu schicken alles dies ist mir unbewusst genug, der Feind griff an, und in einem Augenblik war die Aufstellung auf der Platte durchbrochen, flankirt, in Rücken genommen, und die ganze Division geworfen.

Bei meinem Herabkommen von dem Rideau traf ich, was sich ge- rettet hatte, zu meinem grössten Erstaunen auf einer Flucht an, wie sie im ersten Entstehen in ihrer Grässlichkeit zu sein pflegt. Kaum war ich imstande, zu meinem am Fusse des Hügels belassenen Pferde zu gelangen, und vor dem reissenden Schwalle aufzusitzen ich hätte letzteres wegen meinen Schmerzen in den Hüften gar nicht zu thun vermögt, wenn ich nicht einen vorübereilenden gemeinen Mann gezwungen hätte, anzuhalten, und mir aufs Pferd zu helfen, was meine Ordonanz nicht allein erschwingen konnte. So wie ich aufgesessen war, musste ich mich in dem Schwalle fortreissen lassen ich kam gerade dem General Legisfeld, und seinem Adjutanten dem Oberlieutenant Schindling von Devaux, dann dem Oberst B. Ekard und Major Tichy von Eszterhazy zur Seite, ohnweit hinter uns folgte der Feldmarschallieutenant Jellachich mit seiner Suite ich erfuhr nun während dem Forttrappiren, dass die gesammte Truppe plötzlich ge- worfen worden und dass meistens das anprellen der feindlichen Cavallerie an der augenblicklichen Deroute schuld war indessen schilderte jeder den Anfall des Feiiides auf eine andere Art. Die Tendenz des Feindes stürmte nur gegen die Brücke; daher eilte jeder von der Division um so mehr, um vor dem Feinde dahin zu gelangen wer später kam, war abgeschnitten. Leider geschah das, was ich zu vermeiden angerathen hatte und was unfehlbar zur rechten Zeit zu vermeiden war. Hier bestätigte es sich, wie schädlich es war, das Orellyische Chevauxlegers Regiment von der Division zur Armee geschickt zu haben. Wäre diese Cavallerie da gewesen, so wäre die Division einigen 100 Pferden nicht das schnöde Opfer geworden, selbst wenn die nemlichen Fehler begangen worden wären, die begangen wurden.

Was ich hier beschrieben habe, von dem Augenblik angefangen, wo ich die Compagnie auf den Rideau führte, bis zu jenem, wo ich zu meinem Pferde zurückgelangt bin, war alles das Werk von höchstens 10 Minuten.

Während der Flucht gab ich mir mehrmals Mühe, die Truppe zum Halten und Herstellen zu bringen ich rief dazu besonders den Major Tichy auf, ob er es mit seiner Manschaft, über die er sonst alles ver- mochte, zu vollziehen imstande sei ich befahl es aber es war noch

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nicht möglich, dieser Unordnung zu steuern, weil jeder die Cavallerie des Feindes zu nahe in seinen Fussstapfen befürchtete.

Selbst der Feldmarschallieutenant rief von rükwärts her, dass man es doch einmal zum halten und herstellen bringen möge. Endlich kam ein Zug von Frimont-Hussarn von Leoben uns entgegen diesen stellte ich auf einem kleinen Neben Platze an der Strasse auf, um den etwa an- prellenden Feind zu harceliren, denn die wenigen Orellyische Chevaux- legers waren meistens aus einander und von voraus fort nach Leoben, oder ohne Zusammenhang in der laufenden Truppe. Sobald dieser Zug Hussarn sich gezeigt hatte, trat neue Besinnung und Erhohlung in die fliehenden und nun fing zu erst der besonnene Rückzug an man suchte wenigstens den Körper, wozu man gehörte, und dachte wieder an höhere Pflicht.

Bei dieser Gelegenheit ereignete sich der bekannte heldenmüthige Zug des Corporaln Ladislaus Janos von Frimont Hussarn, der den Ent- schluss fasste, mit seiner eigenen Aufopferung in das bei einem Defilee aus umgeworfenen Pulverkarrn zerstreut gelegene Pulver seine Pistole abzu- feuern , um der andringenden feindlichen Cavallerie das Wegräumen des Pulverkarrns zu verwehren, und sich mit ihnen lieber in die Luft zu sprengen, als sie zum Nachtheil der Jellachichschen Retraite durch zu lassen, wodurch auch über 30 Mann blieben er selbst kam zwar ganz gesengt und stark verbrennt mit dem Leben davon.

Bis Leoben war ich imstand mit den heftigsten Schmerzen diesen forcirten Eitt auszuhalten. Denn sobald ich den Zug Hussarn aufgestellt hatte, war es möglich, neben der Truppe vorwärts zu kommen ich eilte daher auf Verlangen des Fml. so viel ich konnte nach Leoben, um dort an der Bi'ücke Vertheidigungs Anstalten zu treff'en ich trug dort dem Obersten B. Ekardt auf, seine übrig gebliebene Mannschaft theils gleich bei Leoben aufzustellen, theils dem Diebsweg zu zu eilen, um vor dem Feind in selben zu gelangen. Der Oberst benöthigte aber, wie er sagte, einiger Erhohlung, weil er durch eine kleine Kugel, die durch seinen Hut gegangen war, eine Kopferschütterung erhalten habe ich trug es also dem Major Tichy auf, der dann die Mannschaft auch gleich zu rangiren anfing. Dem Rittmeister von Orellyi Chevauxlegers, so wie dem Obersten Siegenfeld von dem Creutzer Regiment trug ich anf sich hintei- Leoben aufzustellen, eben so dem Obersten Bach von Devaux. Dieser sagte aber dass von seinem Regimente nichts übrig sei mithin war meine Bri- gade bis auf etwa 60 Mann von Eszterhazy verlohrn. Das Bataillon zu Trofajach war damals noch nicht angekommen, und schien der Gefangen- schaft nicht zu entgehen erst später als wir uns schon von Leoben nach Brück zurükgezogen hatten, kam dasselbe bei Leoben an wo es sich unter einem heftigen feindlichen Feuer den Weg über die schon durch unsere Anstalt grossen Theils abgetragene Brücke mit ansehnlichem Ver- luste erzwingen musste.

Diese Brücke war schwer zu deraoliren. Die Zeit war kurz, kein Werkzeug dazu bei Händen zu dem führte ein Seiten Weg an derMuhr auf noch kürzerer Route nach Brück. .Teilachich hatte meine Disposition geändert, die ich dem Major Tihy gab, und die 2 Canonen, die ich an der Brücke liatte aufliahren lassen , so wie den übrigen Rest nur weiter zu

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Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. J35

marschiren angewiesen, indem er keinen Widerstand mehr leisten könne. Major Tichy und der Zug Frimont Hussarn hatten den Befehl, nur so lang anzuhalten, bis die Brücke etwas abgebrochen sei die alsdann auch ihren Rückmarsch antraten.

Oberst Siegenfeld und Major Tichy machten mit ihren kleinen Resten die Arrieregarde alles war nach Grätz angewiesen. Von Leoben ritt ich mit Jellachich gegen Brück. Unterwegs waren meine Schmerzen nicht mehr zu Pferd zu ertragen, ich musste zu Fuss gehen. Dadurch marschirte alles schneller an mir vorbei, so dass ich endlich der lezte wurde, und wenn der Feind die Brücke herstellte, der nächste zur Gefangenschaft. Oberlieutenant Schindling entschloss sich aus Freundschaft, mich nicht zu verlassen er blieb bei mir es war schon Abend endlich kam noch ein einspänniger Officiers Bagage Wagen, der sich in Leoben verspätet hatte, der nahm mich auf und so langte ich in wahrhaft elendem Zustande zu Brück an. Dieser Wagen kam mir recht im Augenblick der höchsten Noth zu Hülfe, denn ich war damals so abgemartert, dass ich auch nicht mehr zu Fuss weiter konnte. Aber diese Hülfe dauerte nur bis Brück ich konnte länger nicht zur Last fallen, denn das Wagen Pferd hatte schon an der Officiers Bagage genug zu ziehen ich traf in Brück in der Dämme- rung auf den Obersten Bach, der mir sagte, der Feldmarschallieutenant Jellachich sei auf der Post ich fand ihn aber dort nicht, und mein Adjutant, den ich blessirter mit noch 3 andern blessirten Officiers antraf, sagte mir, der Feldmarschallieutenant sei bereits wieder weiter. Diese 4 Officiers Hessen sich eben zu ihrem weiteren Fortkommen die Post ein- spannen — ich wollte bis Fronleithen von der Parthie sein, es war aber kein Plaz mehr frei, und keine andere Gelegenheit mehr da, da alles von Brück weiter zurük zog, und ich befürchten musste, bei längerer Verzöge- rung dem Feinde endlich noch in die Hände zu fallen, so musste ich es abermals versuchen zu Fuss weiter zu gehen, denn auf mein Pferd konnte ich diesmal nicht mehr hinauf seit dem ich auf dem Wagen gesessen hatte, musste mich auch Schindling wieder verlassen, da er zu seinem Generain musste ich blieb sohin mit meiner Ordonnanz und meinem Reitknecht allein umsonst versuchte ich wiederhohlt, mich auf mein Pferd hinauf heben zu lassen ich konnte die Spaltung nicht mehr so weit erweitern, als es die Breite des Pferds erforderte, denn ich war in den Hüften wie steif, um eine seitwärtige Bewegung zu machen dies war immer der Fall, wenn ich nach einander einige mal auf und absitzen musste aber eine so anhaltende Strapatze wie an diesem Tage war ich noch nie aus zu halten bemüssigt zudem hatte ich den ganzen Tag noch nichts genossen, als das Frühstück, und etwas Brod und Branntewein. Vor Brück höhlten mich mein Adjutant und die Salzburger Landwehr- Officiers Lasser und Hofmann, so wie der blessirte Lieutenant Graf Rumpf von Devaux mit der Post Caleche ein , man machte mir Anerbietungen, dass einer von ihnen auf meinem Pferde reiten wolle, damit ich statt seiner fahi'en könne, und am Ende zwängten sich die .3 schmälsten zusammen, so dass ich in der Post Caleche einen Sitz bekam. Unterwegs sezte sich einer neben den Postilion, was doch noch erträglicher war ich war diesen Officiers unendlichen Dank schuldig. Als wir zu Fronleithen an- langten, wusste man nichts vom Fml. Jellachich es blieb mir nichts

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übrig, als mit den Officiers weiter bis Pekau zu fahren. Auf der ganzen Eoute trafen wir kleine Häuflein unserer Divisions Eeste an, die sich nach und nach unserer Arriöre garde anschlössen. Da ich keine Brigade mehr hatte, so suchte ich nur etwas Vorsprung zu gewinnen, um mich durch eine kurze Ruhe wieder soweit zu Kräften zu bringen, dass ich wieder zu Pferd sitzen könne. Da ich nun auch zu Pekau den Fml. nicht fand, meine Pferde noch zurük waren, ich durch das Fahren auf eine andere Art noch müder wurde, wenn ich auf meine Pferde warten wollte, es auch in der Nacht hätte möglich sein können, dass wir einander verfehlt hätten, wenn ich diese Ofticiers Gelegenheit auslasse, einer neuen Verlegenheit mich aussetzen könnte, und doch auch sonst keine Dienste wenigstens vor 12 Stunden Euhe zu leisten imstand gewesen wäre, so war ich Willens bis Grrätz mitzufahren, um den Erzherzog Johann von unserm Unglücke in die frühere Kenntniss zu setzen. Da aber der Oberlieutenant Szekuliz von Eszterhazy als Courier vorbei fuhr, von dem ich erfuhr, dass Jellachich ihn von Brück an Se k. Hoheit abgefertigt habe, dann selbst auch gleich wieder von Brück aufgebrochen sei, und bald in Pekau ankommen müsse, so fasste ich einen anderen Entschluss, und blieb bei den Vorposten des Erzherzogs, um da aus zu ruhen, und unsere Mannschaft, wie sie einzeln ankommen würde, zu sammeln, und die gewehrlose mit den Gewehren der Blessirten wieder dienstbar zu machen, was ich durch den Commandanten der Vorposten veranlasste. Hier wartete ich den Feldmarschallieutenant, dem ich auf den Posten, die ich passirte, von mir Nachricht hinterliess, und meine Pferde ab. Es war am 26*en May früh um 5 Uhr, als ich bey den Vorposten des E. H. Johann, welcher bereits zu Grätz sein Haupt- quartier hatte, an der Weinzirler Brücke anlangte. Ein Officier von Lu- signan Infanterie stand auf dem Piquet. Die ankommenden Versprengten wurden hier gesammelt, bis ein Commando von Grätz kam, welches auf Befehl des Erzherzogs dieses fortsezte.

Von dem ebenfalls mit der Post angekommenen General Legisfeld und Obersten Bach vernahm ich, der Fml. Jellachich habe zu Pekau die Arriere- garde abgewartet. Der mit dem Reste von Eszterhazy, wozu das ite Ba- taillon in der Nacht gestossen war, angekommene Oberst B. Ekardt hatte zu Pekau von Jellachich die Weisung erhalten, nach Grätz zu marschiren. Dies war nun meine Brigade sie waren alle in hohem Grade abge- mattet, und ich hiess sie ihren Marsch in die Stadt fortzusetzen; selbst wartete ich noch auf meine Pferde, die noch nicht angekommen waren. Gegen Abend kamen diese an und ich hatte mich in so Aveit erhohlt, dass ich in das Lager reiten konnte, welches zwischen dem Burg- und Paulus- Thor auf dem Glacis geschlagen war wo auch zur nemlichen Zeit der Fml. mit der Arrieregarde ankam.

Wir verfügten uns alle zu Sr k. Hoheit, höchstweiche unser Schicksal bedauerten. Diess ist die Geschichte dieser 2 Tage, getreu und wört- lich wahr geschildert.

n.

Erzherzoij Johann an FML. Barnn Jellachich.

Villach 17. Mai Abends 1809. Ich kann nichts als die getroffenen Anstalten des Herrn F. M.L. bil- ligen. Die Ereignisse in Tyrol waren mir schon bekannt. Vermög meiner

Das «irfccht bei St. Michael u. d. Operai. d. Er/h. Johnnn inSteierm. |37

lezt erhaltenen Nachrichten soll Wien am 13. capitulirt haben, von der Aufstellung der Armee S. Kais. H. des Generalissimus ist mir nichts be- kannt, so viel weis ich nur, dass F. M. L. Hiller sich von Wien über die Brücke zurückgezogen. Durch den Fall von Wien ist Ungarn offen, keine Brücke über die Donau besteht bis Comorn, unsere Aufstellung wird itzo so vorgeschoben, dass wir für unsere rückwärtige Verbindung besorgt sein müssen.

Diese Betrachtungen und die gelingen Kräfte die uns hier auf mehre- ren Punkten vertheilt zu Gebote stehn, die Ueberzeugung nur durch Ver- einigung aller derselben etwas Nützliches für den Staat wirken zu können, haben mich zu dem Entschluss bewogen, die itzige Aufstellung zu ver- lassen und auf einen Punkt mich mit allen zu vereinigen, ich trete Morgen mit Tages Anbruch meinen Eückmarsch durch das Drauthal an, werde den grössten Theil der in Krain stehenden Truppe und die Croatische Insui'- rection in der Gegend von Pettau an mich ziehen.

Der Herr F. M. L. werden daher ebenfalls ihren Rückzug gleich nach Empfang dessen antreten, und ihre Richtung auf der kürzesten Linie nach Graz nehmen, alle im Ensthal und gegen Oesterreich aufgestellten Ab- theilungen an sich ziehen worunter auch General Nordmann begriffen ist. In Gratz werden sie meine weiteren Befehle erhalfen, bis dahin die nöthigen Vorkehrungen treffen, damit, im Fall der Feind von Seite Oesterreichs eine Bewegung gegen Gratz machte, sie bei Zeiten davon Unterricht seien, um dann ihre Massregeln treffen zu können und sich mir zu nähern.

Bis 23. dieses glaube ich Pettau erreichen zu können.

Der F. M. L. Chasteler bleibt sich selbst überlassen in Tyrol zurück, da es nicht mehr an der Zeit ist, ihn herauszuziehen, auch, was zu ver- muthen ist, dass ihn das Volk nicht heraus Hess.

Für ihre Verpflegung während ihren Marsch werden sie Sorge tragen, 80 wie auch dass die in denen verschiedenen Oertern liegende Vorrathe aufgezehrt, oder wenigstens dem Landmann Preiss gegeben werden.

in.

Kaiser Franz an Erzherzog Johann.

Nieder-Hollabrunn d. 15. May 1809.

Lieber Herr Bruder Erzherzog Johann! Napoleon steht mit seiner Hauptmacht in der Gegend von Wien. Mein Herr Bruder Karl mit der Unsrigen bei Stammersdorf und hält das linke Donau-Ufer. Die französische Armee hat durch forcirte Märsche und Gefechte viel gelitten, ihre einzige Kommunikazionslinie mit dem deutschen Reiche und Frankreich ist bis nun das rechte Donau-Ufer. Sperrt man ihr diese, so befindet sie sich in der verderblichsten Lage, und ist für ihre Verwegenheit, ohne Rücksicht auf Flanken und Rücken in das Herz Meiner Staaten gedrungen zu sein, bestraft.

Ich befehle Euer Liebden daher die Richtung Hires Marsches mit Ihren Hauptkräften nicht nach Innerösterreich, sondern über Salzburg an den Inn gegen die Donau, aber auch nach Bayern zu nehmen, alle nach- rückenden Verstärkungen anzugreifen und zu zerstreuen. Feldzeugmeister Kollowrath steht mit 24000 Mann in Böhmen, und mit seinem Gros bei

138 Zwiedineck-Süflen hörst.

lluflweis, von wo er bereits gegen Linz vorgerückt sein, und auf das rechte Donau-Ufer eine Diversion machen wird. Geben sie ihm durch Vertraute die Richtung Ihres Marsches bekannt, damit er, wo nicht die Vereinigung mit Ihnen auf der Kommunikazionslinie des Feindes erzielen, doch nach eben der Richtung gegen ihn wirken könne. Den F. M. L. Chasteler können Sie auch zu obigem Zweck vei-wenden. Wird dieser erreicht, so ist in kurzer Zeit die französische Armee so geschwächt, dass sie nichts wesent- liches zu unternehmen im Stande sein wird. Unterdessen hält Mein Herr Bruder Karl die Haupt-Armee des Feindes bei Wien fest, detaschirt sie gegen irgend eine Seite, oder giebt sie irgend eine Blosse, so ist er fest entschlossen die Donau zu passiren und sie anzugreifen.

Franz m. p.

IV.

Erzh. Jolninn an FML. Jelluchich.

Völkermarkt Ut. Mai 18UV». Nachträglich zu meinem gegebenen Befehle wegen den von ihnen an- zutretenden Rückzuge muss ich noch folgendes bemerken. Die Höhle am Pass Lueg werden sie gewiss besezt gelassen haben, schwache Posten, blos um von den Bewegungen des Feindes benachrichtiget zu werden, wäre gut an dem Passe zu haben, die sich sogleich zurückziehen, als etwas vom Gegner anrticket, die Strasse über den Tauern werden sie hoffentlich ver- dorben haben, so wie auch den in Mauterndorf" gewesenen Obristen Ring befehligt haben, durch das Muhrthal zu ihnen zu stossen. Da sich kein Feind an allen Eingängen Steyermarks von Oesterreich aus blicken lässt, so wäre es gut dieselben durch kleine Abtheilungen jener Truppen, Land- wehren und dann durch den dort befindlichen Landsturm beobachtet und besezt zu lassen, und dieses um den Gegner nicht zu frühe unsern Ent- schluss zu verrathen, und um bei vielleicht nunmehr geschenden glück- lichen Schlag an der Donau im Besitze des Gebirges zu bleiben; ich bin seit Tarvis ruhig bis hieher gelanget, der Feind hat um diese Stunde Villach erreichet und wird nicht säumen nach allen Richtungen, folglich auch gegen Spital und den Katschberg, dann gegen Judenburg vorzusen- den, es wäre also nothwendig, den Commandanten bei diesen Pässen und jenen des Landsturmes die Weisung zu geben, dass im Falle der Feind gegen sie mit Uebermacht vorrückte, sich in die hohen Bergthäler und in den Waldungen zurückzuziehen , wo sie gewiss am sichersten sind und immer den Feind zwingen, überall Abtheilungen zurückzulassen um seine Verbindung zu sichern. Iliren Marsch müssen sie Gratz zu richten , ich habe von Clagenfurth eine Abtheilung nach St. Veit abgesendet, um jede Bewegung des Feindes auf dieser Strasse zu beobachten, diese wird sie immer von allem benachrichtigen: den \Z^^^ hatte Wien capitulii't, den 1 5^6" stand der Generalissimus zu Korneuburg , Napoleon soll über die Donau unterhalb Wien bei dem Lusthause im Prater gesezt sein, auf diese Art stehet er zwischen Ungarn und der grossen Oesterreichischen Armee, alle gegen den Semmering und Neustadt vorgestandenen feindlichen Ab- theilungen waren abgezogen vermuthlich zur Schlacht gegen Wien, täg- lich erwarte ich über ihren Ausgang Nachrichten, diese werden unsere

Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. rl. Erzh. Johann in Steierm. l ,S9

Entschlüsse bestimmen müssen, auf jedem Falle ist eine Vereinigung das wichtigste, und dieses mit allem dem was wir zusammenbringen können. Lassen sie ihrer Truppe auf dem Marsche an nichts fehlen.

V.

Erzh. Johann an FML. Jellachich.

Lavamund 19. Mai 180".).

Der Herr F. M. L. werden meinen gestrigen Courier hoffentlich er- halten haben. Auf meiner Seite hat sich nichts geändert, ich bin hier in Lavamund eingelangt, erst gestern Abend Hessen sich die ersten feind- lichen Posten in Clagenfurth sehen. F. M. L. Giulay hat Laybach besezt und sich gegen Neustädtl gezogen, um sich mit der Croatischen Insurrection zu vereinigen, F. M. L. Zach stehet auf der Strasse gegen Fiume, der Feind bis Oberlaybach vorgerückt.

Ein Courier aus Gratz bringet mir eben die Nachricht, dass der Feind 2 Regimenter Infanterie und 1 Cavallerie über Mariazell vordringe und liereits den 14. die Wegscheide erreichet hatte. F. M. L. Lippa befand sich mit dem wenigen was er bei sich hatte zu Brück.

Das wichtigste ist jezt unsere Vereinigung zu bewerkstelligen; unbe- kannt ist mir ob sie den Weg des Ennsthales oder jenen des Muhrthales eingeschlagen haben, ersterer führt sie auf Leoben, letzterer nach Juden- burg, ihnen bleiben die Wege über Brück und Rettelstein nach Gratz, wo sie gewiss auf den über Mariazell vorgerückten Feind stossen müssen, dann jener von Knittelfeld über die Kleinalpe nach Feistriz, endlich jener über die Stubalpe offen. Ich rücke morgen den 20. nach Mahrenberg, übermorgen den 21. über den Radi nach Eibeswald; unser Vereinigungs- punkt ist Gratz. Sollte der Feind im Besitz von Brück sein und solche Kräfte haben dass sie ihn nicht werfen können, so müssten sie die an- deren Wege, vielleicht auf den näheren von Leoben aus, der Diebsweeg genannt, einschlagen; allein das Fuhrwerk und Geschütz kann nur auf der Hauptstrasse oder über die Stubalpe gebracht werden. Zeit ist nicht zu verlieren es könnte sonst der Feind sie einhohlen, oder auch eine Colonne von Clagenfurth über Judenburg sich ihnen nähern. Lassen sie mir so oft wie möglich ihre Lage und was sie um unseren gemeinsamen Zweck zu erreichen zu unternehmen gedenken wissen, damit ich dann von meiner Seite zu unserer Vereinigung mitwirken könne. In Abschickung der Couriere beobachten sie alle Vorsicht damit sie nicht dem Feinde in die Hände ge- rathen oder zu grossen Umwegen gezwungen werden.

VI.

FZM. Kerpen an Erzherzog Johann.

Gratz, 18. Mai 1809-

Die Gränzen von Obersteyer sind durch aufgestellte Truppen von Ischl bis Semering besetzt, welche mit dem Herm F. M. L. Jellachich in Verbindung stehen.

Da nun gedachter Herr F. M. L. bei seiner Aufstellung zur Be- hauptung des Tauern und Erhaltung der Communication mit Tyi'ol sich

1 40 Z w i e d i n 0 e k - >S ü d e n h 0 r s t .

ausser seinen ihm dermalen zugewiesenen Truppen und Aufstellungen nicht mit denen von Ischel gegen Rottenmann stehenden befasset, F. M. L. Lippa aber zu Brück zu weit entfernt ist, um die ganze Strecke zu übersehen, so ist es nothwendig, dass die von Ischel bis Altenmarkt stehenden Truppen einen Commandanten erhalten um so mehr, als bei einem erfolgenden feindlichen Einfall der grösste Theil von hier getrennt wird. Ich habe demnach auf den Vorschlag des Hr. F. M. L. Jellachich die von Ischel bis Rottenmann aufgestellte Truppen, als 2 Baon Judenburger Landwehr mit ihren Depots, 1 Baon Reuss Greitz, welches seit dem Rückzug aus Oester- reich am Pirn stund, und nicht zu dem Corps des H. F. M. L. Jellachich gehören soll, 2 Cillier Landwehr Baons, 4 Comp. Oesterr. Landwehr, an dem H. Oberstlieutenant Graf Plunquet, Commandanten des 4. österr. Land- wehr Bons 0: W: W: übertragen und denselben angewiesen, die Verbin- dung mit dem H. F. M. L. Jellachich und Lissa (Lipa) zu unterhalten.

Da nun diese in Verbindung mit dem Herrn F. M. L. Jellachich stehende Truppen, an denen sich auch im Nothfalle die aus 5 Compagnien Oesterr. Landwehr, dem Frei-Baon, und den 2 Depots der Brucker Land- wehr-Baons bestehende Besatzung von Altenmarkt anschliessen, bei einem Rückzug in die Verbindung der Armee oder des Corps des F. M. L. Jellachich aufgenommen werden müsste, indem sie sonst ohne weitere Ver- haltungsbefehle bliebe, so ermangle ich nicht Euer Kaiserliche Hoheit hie- von die schuldigste Anzeige mit dem ehrfurchtsvollen Ersuchen zu erstatten, womit für diesen Fall dem Oberstlieutenant Plunquet die weitern Ver- haltungsbefehle gnädigst ertheilt werden wollen, indem ich ihn indessen für diesen Fall mit seinen Truppen an den H. F. M. L. Jellachich ange- wiesen habe ....

VIL

Erzh. Johann an Erzh. Carl,

Gratz, 24. Mai 18(»9. Euer Liebden werden gewiss meinen letzten Bericht bekommen haben alle mir erlassene Befehle sind mir richtig zugekommen. Erst vor zwei Tage erhielt ich ein Handbillet von Seiner Majestät dem Kaiser, worin er mir befiehlt, auf die Vertheidigung von Innerösterreich keine Rück- sicht zu nehmen, sondern nach Salzburg und weiter zu operiren, und mich mit Herrn Feldzeugmeister Kollowrath einzuvernelunen , der gegen Linz rückt das Handbillet lege ich hier in Abschrift bei. Euer Liebden mögen selbst nach ihrer Einsicht urtheilen , ob so ein Unternehmen aus- führbar seie; ich soll Innerösterreich biosgeben und nach Salzlnirg ope- riren, dazu sind vorläufige Anstalten, wegen den Unterhalt der Truppen nothwendig ; der Zuschub kann nur von Ungarn aus auf der Strasse durch Kärnten oder jener durch Brück und Rottenmax^n geschehen, da nun der Feind Posten zu Aspang, am Semmering, zu Mariazeil land allen anderen nördlichen Engpässen einerseits, andererseits zu Loitsch und Klagenfurth stehet, so müsste ich erst durch hinlänglich starke Abtheilungen meine Comunication decken, was würde dann mit der feindlichen aus Italien rüken- den Armee, die wenigstens jetzt 35 bis 40000 Mann stark ist, geschehen, ihr bliebe Ungarn völlig offen; Croatien von Seite Dalmatiens und Krains angegriffen, vrtlrde schwer mit seinen eigenen Kräften lange halten kömien.

Das Gefecht bei St. Michael u. rl. Operat. ä. Rrzli. .loliann m Steierm. \ji^{

Mir würde der Feind bald folgen, und ich dann zwischen zwei Feuer kommen. Folgende ist die Lage des Feindes. Marschall Lefevre stehet mit 15000 Bayern bei Salzburg, 10000 davon haben unter seiner Führung und jene des General Wrede Tyrol angegriffen , während De Eoi mit 1500 M. gegen die Scharnitz rückte, ersterer drang bis vor den Thoren von Iimspruck. Yon Seite Italiens rückt Fontaneila mit einigen tausend Mann über Trient Bozen zu, Eusca mit 2 bis 3000 Mann über Cadore Doblach zu. Die Hauptmacht des Feindes ist über die Ponteba und den Predil nach Kärnten eingedrungen; die Sperrpunkte, welche sich 20 Tage halten können, hinderten, dass er Geschütz und viel Cavallerie mit sich bringen konte, daher rückt er langsam vor, auch muss er nach allen Seiten- wegen als nach Judenburg, nach Spithal, gegen Mahrburg, gegen Krain- burg poussiren um unsere Aufstellung zu entdecken, daher ist seit meinem Rückzug von Villach kein Schuss gefallen. Gegen Prewald ist General Broussier gerichtet, dieser Posten hält noch, nach Triest bereits ein feind- liches Detachement gerückt. Vor Laibach stand noch nichtS; nur bei Krain- burg, Bischoffiack und Oberlaybach waren Patrouillen desselben gekommen. In Dalmatien scheint Stoichevich zurückgedrängt zu sein; die Türken in Bosnien spuken gewaltig, und bedrohen die ganze Gränze des Liccaner und Ottochaner Eegiments. Gegen Oesterreich stehet eine Abtheilung Eeichstruppen, Baadener bei Stadt Steyer, sind aber schwach ein gleiches ist bei Mariazell, Semmering und Aspang. Vor einigen Tagen streiften sie bis Wegscheide und Mürzzuschlag, in Neustadt sollten 2000 M. sein, eine Patrouille von 6 Mann war gegen Oedenburg vorgerückt, allenthalben streuen sie Proclamen Ungarn betreffend aus, wirklich empörende, ver- führerische jedoch aber trügerischen Inhalts Aufrufe an den Landsturm und die Landwehren, an die Lande etc. kurz es werden alle Triebfedern in Bewegung gesetzt, um durch Ueberredung und Furcht unsere Völker kleinmüthig zu machen, und unsere Kräfte zu vermindern. Meine Lage ist folgende.

F. M. L. Ignatz Giulay stehet bei Laibach, unter ihm F. M. L. Zach, (i. M. Gavasini, Marziani, Spleny, Mungatsy; er hat^) 10 B. 8 E. 13 LW.

Diess sind aber meistens geschwächte Truppen . . . Die Landwehrn haben bei Prewald sehr gut gethan, gehen aber, da sie sehen, dass ihre Anstrengungen den Feind nicht abschrecken, einzeln nach Hause. Die Croatische Insurrection ist dem F. M. L. Banus ganz angewiesen. Einige Theile stehen schon icli sähe in Mahrburg 1200 M. Infanterie unter Grafen Erdödy, die sehr gut aussahen.

General Stoichevich hat: 7 B. 1 E. 200 Pf.

Dazu die Massa des Gränzvolkes die 3*^ Bataillons sind aber nidit viel besser als die Massa selbst.

F. M, L. Chasteler stehet in Tyrol er hat bey Wörgl empfindlich verlohren, da er den General Wrede, der 10000 Mann hatte, mit 1 Ba- taillon Lusignan, etwas Jägern Tind 2 Klagenfurter Landwehi-bataillons an- griff. Diese Truppen wurden grösstentheils versprengt, und verlohren viel er hat aber noch 1 1 B. 5 Comp. 7 Esc. 3 L. B.

1) Die detailirte Aufzählung der einzelnen Bataillous uud Escadrons, welche das Schreiben enthält, wird liier weggelassen.

-^^ Z w i e cli n e c k - S ü f I e n h o r s f .

Diese werden bei 10000 Mann ausmachen dazu kommen noch einige brauchbare Schützen-Compagnien als z. B. 700 Mann unter dem Sand- wirth. Er hat unter sich General Marschall, Schmidt und Jenner. Er hatte alle seine Truppen von Kut'stein bis Koveredo an die Pässe ver- theilt, nun ziehet er sie zusammen, und stehet auf dem Brenner, zu Brixen und Botzen. Da er von mir getrennt ist, so sandte ich ihm den Befehl, alles auf einem Punkte zu sammeln, dann schnell gegen Lienz vorzurücken, durchzubrechen, da der Feind daselbst nicht viel hat, Spithal zu gewinnen, sich dann über den Katschberg nach St. Michael in Lungau zu werfen, längst dem Muhrthal Unzmarkt zu gewinnen, und von da über die Stub- alpen oder Leoben und Brück gegen Gratz und weiter, wo ich stünde, zu mir zu stossen, ich hoffe, dass er heraus konamen wird es ist die einzig mögliche Art,

F. M. L. Albert Giulay mit jenen Bataillons, die am meisten litten, 10 B. 2 E. 2 Lw. Er wird in allem 3000 Mann stark seyn ist aus der Stellung von Tar\'is über Krainburg, Cilly nach Pettau gerückt, wo er die Eegimenter Jellachich, ßeisky, Oguliner wieder in Ordnung bringen und ergänzen, dann zu mir stossen wird.

Strassoldo rückt zu mir, weil ich die Depots und 1 Bataillon habe und es ergänzen kann.

Die Mahrburger Landwehren sind grösstentheils, als sie durch ihre Heimath zogen, einzeln nach Hause gegangen.

Bei mir stehen 13 B. 26 E. 3 Lw. Depots von Strassoldo, Hohen- lohe - Bartenstein, Lusignan, St. Julien, die Reserve Escadrons. Ich rechne mein Corps auf 8600 M. ohne die Ergänzungen. Noch erhalte ich 1 Bon Lusignan, welche sich ins Tyrol gerettet, 2 Comp. Jäger mit dem Oberstl. Poldling, mehrere österr. Landwehrbatons, 1 Bon Reuss Greitz, 1 Brucker 2 Judenlturger Landwehr. Diese ergänzeich und ordne ich Bataillons weis.

Bis 26ten wird F. M. L. Jellachich mit mir geeinigt sein, er bringt Estherhazy 3 B. Warasdiner 2 De Vaux 2 Vg Oreilly 3 Züge 7^2 ^- 3 Züge.

So hoffe ich doch 17 bis 18000 Mann zu sammeln und zu ordnen.

(Folgt eine Aufzählung der Verluste an Generalen und Offizieren, Be- dauern des Mangels an Cavallerie, es sind 4 Regimenter mit nur 16 bis 1800 Köpfen, Absicht, die Landwehren in Freibataillons umzuwandeln.)

Euer Liebden Ermessen stelle ich es anheim beschliessen zu wollen, was ich unternehmen soll, um zur Begünstigung des Ganzen beizutragen; zwar habe ich den Feind, der mir auf dem Fusse folgt, vor mir, doch soll mich dies nicht abhalten zu handeln. Die Aufstellung Euer Liebden ist mir bekannt, ebenfalls jene der hungarischen Lisurrection. Ich hoffe hier bis 26 oder 28*6^ dieses bereit zu sein, und vom Feinde nicht be- unruhigt zu werden. Auf Salzburg jetzt zu rücken ist mir nicht möglich, 68 würde zu gewagt, und nur mich in dem Gebirge einer Niederlage aus- setzen, indem ich von allen Seiten mit dem Feinde zu thun bekommen würde. Folgendes kann ich unternehmen : entweder ziehe ich mich über

IJas Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in »Steierm. 1^4;i

Fürstenfeld zur Ungarischen Insurrection zurück, und sehe mit dieser vor- zurücken, oder ich gewinne ein paar Märsche und breche schnell nach. Oesterreich vor, dieses entweder über Aspang nach Neustadt, oder über den Semmering oder endlich über Mariazell nach St. Polten in diesem Falle müsste ich alles angreifen, was vor mir stehet, stets im Gebirge bleiben, da meine geringe Cavallerie mich in die Ebene zu wagen nicht erlaubt, um sicher dadurch Napoleon zu zwingen gegen mich zu detachiren, es ist ein gewagtes Unternehmen, der Feind wird gewiss mir von hier folgen , die Lande werden hier preissgegeben, Ungarn geöfihet , doch ich denke, dass wenn Napoleon durch Euer Liebden geschlagen wird, und durch unser Zusammenwirken sein Eückzug erschwert wird, alles das übrige dann sieh von selbsten ergiebt und die besezten Provinzen uns wieder ohne Mühe zufallen werden.

Euer Liebden Einsicht kann es nicht entgehen, dass hier eine ge- naue Uebereinstimmung erfordert wird. Ich sende daher dieses mittels Courier auf dem nächsten Wege, und bitte mir den Tag bestimmen zu wollen, wo ich mitwirken soll, alles werde ich wagen um zu dem Ganzen der Unternehmung beizutragen.

VIII.

Erzh. Johann an Erzh. Carl. Entwurf. Undatirt.

In mehreren Berichten habe ich Euer Liebden die Schilderung meiner Lage gemacht. Ich muss glauben, dass einige derselben Ihnen nicht zu- gekommen sind, und die hohe Wichtigkeit Ihrer Beschäftigung eidaubt wohl nicht, dass Euer Liebden die verschiedenen Berichte zusammen- nehmen um ein Urtheil über dasjenige zu fällen, was ich dermahlen zu leisten vermag.

Um die Lage besser darstellen zu können, glaube ich diese Uebersicht von weitem hernehmen zu müssen.

(Folgt eine gedrängte Wiederholung der Ereignisse in Italien. Man hat die italienische Armee des Feindes von vornherein zu gering veran- schlagt. Beim Rückzuge war die Stärke des Feindes die doppelte der österreichischen Armee. Die Detachirung einer Brigade gegen Dalmatien war unbedingt notwendig. Es bedurfte der Gewalt um die croatische In- surrection zusammenzubringen. Noch sei Macdonald und Marmont ge- trennt.)

Ich hofite durch die Vereinigung mit dem F. M. L. Jellachich mich hinlänglich zu verstärken um die Offensive zu ei'greifen. Dieser litt aber während seines Marsches durch ein hartnäckiges Gefecht bei Leoben einen sehr beträchtlichen Verlust. Heute wo ich alles bei St. Gotthardt ver- einige, werde ich folgende Regimenter und Battons haben

Strassoldo 3 Baons Hohenlohe 8 Escadrons

Lusignan 1 0 Reilly 1

Franz Jellachich ;i Ott 8

Szluiner 1 E. H. Joseph 8

Oguliner 2

j^44 Z w i e rl i n e c k - 8 ü <i p n h 0 r s t.

St. Julien

3

Alvintzy

3

Grenadiers

4

1. Banat

2

Esterhazy

3

De Vaux

1

Wai-asdiner

1

27 Bataillons 23 Escadrons

wozu ich auch 1 6 Escadrons von der Insurrection erwarte.

Diese Truppen sind gut gestimmt. Sie haben in jeder Gelegenheit heldenmüthig gefochten und werden es wieder thun. Auch diese Infanterie weiss, wie man sich gegen Kavallerie benehmen muss. Denn an der Piave, wo der Feind 8000 Pferde zum Gefecht brachte, unsere schwächere Kaval- lerie warf, bis Conegliano verfolgte und die Infanterie im Rücken nahm, hielte diese standhaft, griff die feindliche Cavallerie mit dem Bajonett und Plänklers an, und zwang sie wieder durch die Oeffnung zu fliehen, die sie gemacht hatten. Unsere Kavallerie hat auch immer die IJeberlegenheit, wenn sie nur halb so stark wie der Feind ist.

Allein durch zwei rühmliche Schlachten und mehrere blutige Ge- fechte sind meine Battons und Escadr. sehr geschmolzen. Euer Liebden wissen, was selbst die glücklichsten Gefechte gegen einen Ueberlegenen für Folgen haben. Unsere Regimenter haben gegen 40 todte und blessirte Offiziers. Ich werde also mit Inbegriff einiger kleiner Landwehr Batt. und der 2 Insurrections - Regimenter nur ungefähr 20000 Mann zusammen- Ijringen. Ich hoffte durch Behauptung der Gegend von Gratz und Brück die Kommunikation des Feindes mit seiner Italienischen Armee zu ver- hindern. Zugleich als 3 Divisionen desselben durch das Muhrthal herab- giengen, und eine 4^^^ über Mahrenberg kam, detachirte Xapoleon ein be- deutendes Korps durch das Mürzthal gegen meinen Rücken und machte einige Demonstrationen gegen Hungarn.

IX.

Erzh. Johunn an den Fulatin Erzh. Joseph.

Entwurf. Gräfl. Meran'sclies Archiv 1344.

Graz 26. Mai 1809.

Ich bin mit meinen Truppen vorgestern hier eingetroffen. Meine Ab- sicht war, meinen ermatteten Soldaten einige Erhohlung durch paar Rast- tage zu gewähren und zugleich die Ankunft des F. M. L. Baron Jellachich zu erwarten, um mich mit demselben den 27. d. zu vereinigen und dann nach Umständen zu handeln. Meine Truppen sind wirklich bis zur Stunde nicht beunruhigt worden, allein soeben erhalte ich mittels Courrier von F. M. L. Jellachich die unangenehme Kaohricht, dass er gestera bei St. Mi- chael angegriffen, und durch die Uebermacht des Feindes, welcher sein Centrum durchbrach, zu einem Rückzug gezwungen wurde, der durch das zu rasche Vordringen der feindlichen Cavallerie, welcher er keine entgegen- zustellen hatte, den Verlust von mehr als zweidrittel seiner beigehabten Truppen nach sich brachte. Dieser unerwartete Fall versetzt mich in die unabänderlifhe Lage mit meinem schwachen und sich kaum auf ToOOMann

Das Gefecht bei St. Michael u. d. Operat. d. Erzh. Johann in Steierm. ^45

belaufenden Corps, sammt den Eesten des F. M. JellacMch, welche nach seinem Bericht kaum 2000 betragen, meinen Rückzug über Fürstenfeld nach Körmend anzutreten um mich an die Insurrection anzuschliessen. Hätte das Corps des F. M. L. Jellachich die Vereinigung bewirkt, so würde ich im Stande gewesen sein etwas zu unternehmen nun muss ich trachten Zeit und die Vereinigung mit anderen Kräften zu gewinnen. Ich entstehe nicht von diesem meinem Entschluss E. L. in die Kenntniss zu setzen mit der Bitte mich von Ihren ferneren Dispositionen verständigen zu wollen. Ich glaube, dass meine Vereinigung mit der Insurrection grössere Vortheile bringen wird, als wenn ich unnütz Zeit verliere und vielleicht zu sehr vom Feinde gedruckt meine Truppen in ein neues Ge- fecht bringen müsste. E. L. wollen hievon Seiner Majestät dem Kaiser die Mittheilung machen mit dem Bemerken, dass ich so eben in Erfahrung bringe, dass jene französische Colonne, beiläufig 15000 Mann stark, welche dem F. M. L. Jellachich begegnete, und schlug, in eilenden Märschen über Brück in die Richtung von Wien fortzurücken bestimmt sei.

X.

Aus Erzherzog Johann's Memoirtn (geschrieben 1853 oder 1854). Gräflich Meran'sches Archiv.

Die Richtung meines Marsches nach Gratz hatte zur Absicht, mich daselbst mit F. M. L. Jellachich zu vereinigen und dadurch den Stand meiner Streitkräfte zu vermehren. Welche Wichtigkeit ich darauf sezte, beweisen meine wiederholten Befehle an gedachten F. M. L. zu eilen und sich in nichts einzulassen, ich hatte am 24. an Chasteler beiliegenden Befehl (1341, 1342^) gesendet. Die Disposition von eben diesem Tage bestätigt das Gesagte. Am 25. war M. Delort von F. M. L. Jellachich in Gratz eingetrofi^n, welcher mir den Stand des Corps (über 9000 M. guter Truppen) brachte, mir war seine Anwesenheit luiangenehm , als Vorstand des dortigen G. Stabes war seine Bestimmung seinen Generalen nicht zu verlassen um so mehr als ich Jellachich und seine Unentschlossenheit und Langsamkeit kannte. Ein braver Soldat vor dem Feinde, allein nicht ge- eignet selbständig zu handeln, ersteres hatte er bei Feldkh-ch 1799 letzteres 1805 bewiesen. Es war ein tüchtiger Offizier bei ihm notliwen- dig, um ihn zu leiten und seinen starken Eigensinn zu überwinden. Ich gab dem gedachten H. Delort, nachdem ich ihm meine Verwunderung über seine Ankunft bezeigte, den Befehl gleich zu Jellachich zurückzukehren, damit derselbe seinen Marsch beschleunige und sich in nichts einlasse, allein zu spät, am 25. fiel das Gefecht bei Michael vor, wo Jellachich gesprenget am 26. mit den Trümmern seines Corps zu Gratz ankam. Zu meiner Erzählung dieses Gefechtes bedarf es noch folgender Ergänzung: Jellachich zog laugsam in einer Colonne auf der Salzstrasse von Mautern auf Traboch heran, ihm folgte wie gar oft der Fall ist eine ansehnliche Abtheilung an Gepäcke, General Bach, welcher lange als Oberst des in Leoben gelegenen Regimentes Lattermann die Gegend genau kannte, ver- eint mit den Bewohnern machte Jellachich auf den Umweg bekannt, welcher

•) Diese Zahlen verweisen auf die den Memoiren beigelegten Schriftstücke. MittheiluDgen XJl. 10

\^Q Zwiedineck-Südenhorst.

ihn, wenn er die Strasse über Michael folgte, nach Leoben führte, er schlug ihm die Kohlstrasse über Edling liey Trofayach vorüber nach Leolien vor, auf dieser konnte ohne Hindernisse das Gepäck, die Wägen fortgeschaflPet, während die Truppe über die Einn nach St. Peter und Leoben noch einen kürzeren Weg einschlug, es konnte in jedem Falle eine Abtheilung auf der Strasse nach Michael rücken , deren Aufstellung aber nicht auf dem Felde vor, sondern nach Abbrechung der Brücke und Verrammlung des Ortes hinter derselben war und sich durch die Michaeler Au nach dem Häuselberg und Leoben zurückzog, wo dann die Brücke abgebrochen wer- den konnte um so mehr als bis dahin die über S. Peter und der Vorder- berger Strasse kommende Colonne längst angekommen sein konnte. Jellachich gab kein Gehör dem besseren Eath landeskundiger Männer und folgte dem längeren Weg. Von Morgens und Mittags 1 1 Uhr bis Abends 5 LTir 6 Stun- den mehr als nothwendig um Leoben zu erreichen. Um 5 Uhr geschah der feindliche Angriff. Noch war es möglich das Versäumte einzubringen allein da wäre freilich ein Theil des Gepäckes (welches doch späther verloren gieng) aufgeopfert worden, unaufgehalten durch Michael musste er Leoben zu gewinnen suchen statt diesem raarschirte er Michael im Rücken und Hess sich in ein Gefecht ein. Die Folge war seine Nieder- lage — aber für meine Absicht hatte es einen grossen Einfluss.

Es fragt sich, war man im Stande, sich dem nach Oesterreich ziehenden Vicekönig entgegenzustellen und die Wahrscheinlichkeit da seinen Marsch zu verhindern, dann musste es geschehen, wenn nicht und diess war der damalige Fall, ihm auszuweichen und den Zugang gegen Gratz zu sichern, einmal voiäibergezogen und durch das Mürzthal gegen den Semmering auf dem Marsch seinen Nachtrab beständig zu necken.

(l343ab) Am 20. erstattete ich meinen Bericht an den Generalissimus und theilte ihm die Bewegungen Marmonts mit ich hatte darüber vom H. M. L. Baillet die Mittheilung erhalten. An diesem Tage rückte Jellachich mit den Trümmern seines Corps in Gratz ein, Frohnleiten blieb besetzt.

XI.

Journal aber die Operationen der von dem f>. Arme-Corps defachirten Division des Herrn Feldtuarschcdl-Lientenant Baron Jellachich de Biixiin vom 1. Mai bis 26ten als den Tag, wo die Division mit der Armee S. K. Hoheit des E. H. Johann ver- einigt UHirde.

K. U..K. Kriegsarchiv in Wien 1809 VI. Corps 127/3.

Um diesen für uns so wichtigen Punkt (Leolien) bald möglichst zu erreichen, wurde befohlen am 25. Mai den Marsch um 2 Uhr Inih anzu- treten, er verzögerte sich leider bis 6 Ulir, und als unsere avantgarde gegen Mittag die Gegend von St. Michael erreichte, stiess sie daselbst auf den uns erwartend da aufgestellten Feind. Keine einzige Meldung hatte die Gegenwart desselben oder wenigstens sein Vordringen über Knitten- feld angezeigt, und Major Verner mit seinen 1200 Mann, statt seiner In- struction zu folgen, zog sich, uneingedenk, dass er unsere Flanque preis- gab, — über die Stub- Alpen nach Gratz, ohne daj geringste aviso von diesem unverantwortlichen Benehmen uns zukommen zu machen.

Die bei St ]\[ichael aufgestellte feindliche Avant -garde war ohnge- fähr 800 Mann stark, die uusrige bestand aus 3 Comp. Varasdiner Kreutzer,

Das Gefecht bei St. Michael u. d. üperat. d. Erzh. Johann in Steierm. J^47

und 1 Baon Esterhazy. Der Feind wurde augenblicklich angegriffen, mit dem Bajonnette über den Haufen geworfen und über eine Stunde verfolgt. Nun defilirte unsere zahlreiche Bagage, deren Zug wegen der vielen auf Wägen mitgeschleppten Marodeurs unendlich verlängert wurde, durch das Defilee von St. Michael , und die Truppe bezog nach und nach die vortheilhafte Stellung vor gedachtem Ort der Feind beschäftigte noch immer unsere mit 1 Baon. von Devaux renforcirte Avant-garde und wuchs zusehends zu einer bedeutenden Macht an es war nicht mehr Zeit mit dem Gros der Division Leoben zu gewinnen und bloss die Avant-garde im Gefecht zu erhalten, weil die Lage der Gegend dem Feind den Vor- theil gewährte, jede rückwärtige Bewegung, welche ausserdem durch ein Defilee gehen musste, augenblicklich zu übersehen und auf uns stürmend zu unserm gänzlichen Verderben zu benutzen. Man war also gezwungen sich mit äusserster Hartnäckigkeit zu schlagen; bis 6 Uhr abends hatten wir ohngeachtet der 4 fachen feindlichen Ueberzahl keinen Zoll breit Terrain verloren, wohl aber eine grosse Zahl Tapferer eingebüsst, der Feind litt nicht weniger, und als er endlich alles an sich gezogen, stürmte er unser schwach besetztes Centrum nach langer Gegenwehr und nachdem unsere Kartetschen viele Hunderte niedergestreckt hatten, wurden wir zum Rück- zug gezwungen, dieser musste um so ungünstiger ausfallen, da Alles was auf unserm rechten Flügel aufgestellt war , nothwendigerweise abge- schnitten werden musste , der Rest gewann nach und nach , und immer fechtend Leoben.

Das zu Trafayach detacliirt gewesene Baon. Esterhazy erhielt gleich bei Beginn des Gefechts den Befehl allsogleich nach Leoben zu marschiren und die Brücke auf der Muhr zu besetzen dieses Baon. verspätete sich, durch eine unglückliche üebereilung war gedachte Brücke bereits abge- tragen und als Major Assante bei Leoben ankam, fand er den Feind schon im Besitz der Vorstadt, und keine Brücke auf dem zu dieser Zeit äusserst reissenden Fluss in dieser verzweifelten Lage konnte er zwar längs dem linken Muhr-Ufer nach Brück marschiren, dieses brave Bataillon be- sann sich keinen Augenblick eine Division griff sogleich den Feind an und vertrieb ihn aus der Vorstadt , die übrigen strengten alle Mittel so an, dass sie es mitteist Bretter, Planken ecc. dahin brachten, ihre bei- habenden 2 Canonen über den Fluss zu bringen und so nach und nach sich in die Stadt zu ziehen ; es wurde die ganze Nacht durch ohne Rast über Brück, Rödelstein nach Frohnleiten marschirt, wo wir am 26^611 in iler Früh ankamen.

Unser Verlust in der gestrigen Affaire beträgt an Todten, Blessirten nicht weniger als 2000 Mann, gefangen und verniisst wurden fast eben so viel; was aber eben so erbärmlich als unrichtig ist, besteht in der Phrase der feindlichen Relation: »a St. Michel nous avons aneanti le corps d' armee du lieut : general Jellachich, au quel apres la defaite de Golling il etait encore reste 20.000 h. le general est bien puni des proclamations revolutionaires qu' il addressa aux tyroliens.«

:^Wir haben zu St. Michael das Armee-Corps des F. M. L. Jellachich vernichtet« (schon zu Golling war nach feindlicher Aussage dieses Corps vernichtet, um dennoch recht inconsequent zu bleiben, sollen wir, fi'üher vernichtet, nun auf einmal zwanzig Tausend Mann stark sein) »es waren

10*

148 Zwiedineck-Südenhorst.

ihm nach seiner bei Golling erlittenen Niederlage noch 20.000 Mann ge- hlieben. Dieser General ist wegen seiner aufrührerischen Proclamationen an die Tiroler hinlänglich bestraft.«

Der Feind hatte uns weder über Brück , noch über den Diebsweg verfolgt die Brücken von Frohnleiten, Rabenstein und Feistritz wurden abgetragen und am nämlichen Tage marschirten wir bis Gratz wo wir auf dem Glacis lagerten. Hier geschah also die Vereinigung der durch das hartnäckige und ruhmvolle Gefecht von St. Michael äusserst geschwächten Division des Hrn. F. M. L. Baron Jellachich mit der sogenannten Armee S. k, Hoheit des E, H. Johann, welche in der Schönau campirte und kaum 7000 Mann betrug.

Sigl. Gratz am 27^en Mai 80'.). (Oifenkundige Rückdatirung.)

Jos. de Lort m/p. Haiiptmann im General-Quartirmeister-Staab.

Kleine Mittlieihmgeii.

Eine uiiffcdruckte Urkunde Friedriclis I. und ein bisher unbekannter Zug desselben ins Königreich Burg und. lu der

Gallia Christ. XVI. Text 567 lieisst es: Anno 1284. 14 eal. Mall llwjo Vivariensls episcopus Tricastlnensl epl>>copo vldendas transcrlhendasque cxhlbet Friderlcl I. lltteraa de collaüs ah Armanno liufo bonls s. Jo- hannis haptlstae raletudlnarlo. Sched. Baluzlan. XIX. 62. Aus gleicher Quelle wird dieselbe Urkunde auch XVI. 556 angeführt. Den Wort- laut nun, der für die Regesta imperii 1125 1198 nicht entbehrt wer- den konnte, aus den Schätzen der Pariser Bibliothek zu erlangen, wandte ich mich an Herrn Collegen Loewenfeld, der sich in der französischen Hauptstadt sehr guter Verbindungen erfreut. Auf seine Bitte hatte dann kein Geringerer als Julien H a v e t selbst die grosse Güte, mir eine Abschrift zu besorgen. Leider ist die Vorlage eine höchst elende: inaiicalse cople du XVIIß siede hat Havet sie be- zeichnet, an Verlesungen ist kein Maugel , und noch zahlreicher sind die Lücken. Soweit es mir möglich war, habe ich gebessert und er- gänzt, und so folge denn der Text, doch ohne die ilin einschliessende Beglaubigung des Bischofs von St. Paul-trois-Chäteaux:

In nomine sanctae et individuae trinitatis. Fridericus divina fa- vente dementia imperator augustus.

Cum apud fontem totius bonitatis nihil irremuneratuni remaneat, praecipue aeternae beatitudinis incomparabile praemium nos consequi non dubitamus, si bonorum homiuum douationes , deo et sanctis eius pro remedio animarum suarum collatas, auctoritute nostra i])sis eccle- siis, quibus designatae sunt, perpetuo iure confirmamus, ne per revo- lutiouem temporum et decessiones et successiones hominum facta hu- niana citius a memoria deleantur futurorum. Eapropter notum facimus tam praesenti aetati, quam successurae ^) posteritati, quod nos diviuae

1) Abschrift: succcssirue.

J50 Kleine Mittheilungen.

reniimeratiouis intuitu ^) oinnia mobilia sive immobilia , ab Aruianuo EuiFo et frati-e suo Bertrando deo et hospitali saiicti Joauuis baptistae cousensu K.=^) Vivariensis episcopi libere et absolute eollata, eidem hospitali perpetuo possidenda sancimus et eodem tenore et ordiue, quo omnia liaec in privilegio ipsius episcopi denominata sunt et conscripta, DOS quoque, testimonium uostrae auctoritatis appouentes, ei dem 3) hos- pitali confirmamus et^) sigilli nostri impressione iussimus [corroborari], volentes et firmiter praecipientes, ue quisquam mortalium huic coufir- mationi aliquo ausu temerario praesumat obviare et [resistere. Quod] qui fecerit imperatoriae maiestatis [reus iudieetur] et pro tantis exces- sibus centum libras auri componat, dimidium caraerae, reliquam partem praedicto hospitali.

Huius rei testes sunt: Ludovicus episcopus Basiliensis, Cunradus comes [palatinus Rheni], Bertoldus dux de Zeringo, Hermannus [marchio de Badin], Hugo comes de Dagesburg^), comes Rubertus de Nassowe"),

Volmarius [comes de '^), Heinricus] comes de Dietze, Ludovicus

comes de Pirrette, Eaimundus comes saneti Aegidii, Amedeus comes Montis Biligardis, Humbertus de Bello Joco et [alii^) quam plures].

Signum domni Friderici Roraanorum imperatoris invictissimi.

Ego 9) Heinricus [cancellarius vice Viennensis archiepis-

copi^*^) et totius Burgundiae] archicancellarii recognovii^).

Acta sunt haec anno domiuicae incarnationis millesimo centesimo septuagesimo, indictione^-) vero III'\ regnante domno Friderico Roma- norum imperatore gloriosissimoi^^, anno regnieius XVIII. i*), imperiiXV, feliciter. Amen. Datum apud Givorz^^) in episcopatui^') [Lugdunensi].

So gleichgültig der Inhalt der Urkunde ist, so wichtig erscheint sie im Itinerar Friedrichs. Nach den Zeugen gehört sie offenbar in

') Abschrift: intuiti. '■') Raimtindux. ^) Abschrift: et. *) Ab-

schrift : confmumtes sigilli. ^) Abschrift : Diyeshurf/. ") Abschritt : Xa.-iso.

') Von den Grafen dieses Namens könnten in Betracht kommen: Castres, Metz und Saarwerden ^) Eine Linie blieb unbeschrieben. ") Abschrift:

Et Heinricus. ">) Eine Linie blieb unbeschrieben ; je nach deren Länge ist

vielleicht noch zu lesen : iwperialis aiilae cancellarius. Den Namen des Erz- kanzlers wage ich nicht zu ergänzen , denn ich weiss nicht, wann Wilhelm ge- storben und Robert ihm gefolgt ist. Gtims Ser. ep. 655 und Bresslau Urkun- denlehre I. 377 geben Daten, für welche ich vergebens nach den Belegen ge- sucht habe. Cf. Gallia Christ. XVI Text 85. ") Abschrift :, >vcw/«?Vff ^<. >2) Abschrift: indicto. '3) Abschrift: gloriossimo. '■«) Abschrift: Xlll. 1*') Abschrift: Guiorz. "") in einscopatu [Lugdunensi J. Das ist natürlich in keiner Weise auflallend; -saelmehr wäre es ganz verkehrt, wenn man in archi- episcopatu verlangen wollte. Parallelstellen finden sich z. B. bei Hüffer Die Stadt Lyon 45. 148.

Ungedr. Urk. Friedrichs I. u. unbek. Zug dess. ins Königr. Burgund. 151

den Südwesten des Reiches, und dann muss sie in die zweite Hälfte des Jahres 1170 gesetzt werden i). Aus der ersten haben wir zahl- reiche Urkunden, deren Zeugen nicht mit den unsrigeu stimmen, auch findet sich in den Gegenden, die Friedrich damals besuchte, keine Stadt oder Burg, deren Namen an den Ausstellungsort nur entfernt anklingt. Er lautet in der elenden Abschrift : apud Guiorz, womit ich Nichts anzufangen weiss; die Verschiebung des Punktes auf dem i er- giebt Girorz -), und wir erhielten Girors südlich von Lyon, am rechten Khoneufers). Pür ein Hospital in Viviers, d. h. für eine Localität am rechten Ufer des Rhone, ist die Urkunde ausgestellt; Raimund von St. Gilles^) und HuQibert von Beaujeu, zwei der Zeugen, sind Herren von jenseits des Rhone und der Saöne. Genug, bis mir eine bessere Deutung geboten wird, halte ich au Glcors fest, und alsdaun hat Kaiser Friedrich in der zweiten Hälfte des Jahres 1170^) einen Zug nach Bur- gund unternommen, der ihn weiter gen Westen führte, als wohl irgend- einen seiner Vorgänger.

Vielleicht ist es schon Anderen aufgefallen, dass wir von Januar bis Juli 1170 über die Aufenthaltsorte Friedrichs I. vortrefflich unter- richtet sind, nicht weniger als 15 Urkunden geben uns Auskunft*'), wo der Kaiser damals weilte, dass er dann aber verschwindet')

') Dem widerstreitet nicht das 18. Königs- und 15. Kaiserjahr, von denen dieses allerdings schon am 18. Juni, jenes gar schon am 9. März 1170 sein Ende erreicht hatte. Auch die zunächst vorausgehenden Urkunden, die der zweiten Hälfte des Juli 1170 angehören, tragen die gleiche Datirung, und die zunächst folgende, vom Februar 1171, stimmt wenigstens im Königsjahr noch mit der unsrigen überein. -) Bekanntlich gehören die Punkte auf dem i einer späte-

ren Zeit an, als unsere Urkunde. ^) Da nur der eine Bischof von Basel das

Diplom bezeugt, so könnte man vermuthen, dasselbe sei im Sprengel von Basel ausgestellt. Aber R. Thommen kennt keinen entsprechenden Ort in jener ihm so vertrauten Landschaft. Thommen leitete dann meine Aufmerksamkeit auf Ghors, und auch G. Hüffer, dem wir bekanntlich zwei treffliche Studien über die Geschichte Burgunds verdanken, glaubt Guiorz auf Givors deuten zu müssen. ^) Er ist der Graf von Toulouse. ^) Die Indiktion ist für die Zeitbestimmung

werthlos, denn die Kanzelei wechselte damals nicht, wie in den 80er Jahren, mit dem 24. September. «) St. 4105—4119. ') Nach St. 4120, dem Prutz

Kaiser Friedrich IL 183 sich angeschlossen hat, wäre der Kaiser allerdings im Herbst 1170 zu Vaucouleurs mit Ludwig VII. von Frankreich zusammengekommen. Aber sehr mit Recht hat Giesebrecht, Kaiserzeit V. 669, die Begegnung zu ^Mitte Februar oder Anfang März 1171 angesetzt, denn am I.Juni 1171 J.-L. 11894 spricht Papst Alexander III. de coUoquio, quod niiper cum F. dicto iinperafore habuiffsc di^fttoscitur (SC. L.'FraHcorum n'x). Vgl.S. 153 Anm. 1 1. Ebensowenig kann ich St. 4121 zustimmen. Danach wäre Friedrich I. am 18. Dezember 1170 in Merseburg ge- wesen; aber die aller Jahresdaten entbehrende Urkunde gehört nicht hierher.

j^52 Kleine Mittheilungen.

und erst Februar 1171 iu Kaiserslautern wieder auftaucht. Für einen Zug nach Burgund ist ein breiter Raum, und ein Besuch Burgunds würde vortrefflich erklären, wesshalb wir solange Zeit hindurch nicht ein einziges, am Hofe vollzogenes oder bekundetes Rechtsgeschäft für Deutschland nachweisen können.

Was aber hat den Kaiser nach Burgund geführt und zwar gerade in den äussersten Westen desselben, über den Rhone hinaus?

In den 60er Jahren des 12. Jahrhunderts machte Frankreich zu- erst energischere Versuche i), sich des westlichen Lyonnais zu bemäch- tigen. Die nächste Veranlassung, in die Verhältnisse dieses zum Reiche gehörenden Landes einzugreifen, scheint der Streit zweier Parteien ge- boten zu haben. Der Graf Gerhard von Mäcon, ein Vetter der Kaiserin Beatrix, kämpfte gegen den Grafen Guigo von Forez und Lyon; diesem zur Seite stand, zunächst wenigstens, der Edele Humbert von Beaujeu. Guigo nun blickte auf Ludwig VII. von Frankreich, als seinen natür- lichen Bundesgenossen. Gegen Gerhard und dessen Anhang rief er 1163 Ludwigs Hülfe an, denn seine Gegner ständen im BegriflF, die Grafschaft Forez, die doch zu Frankreich gehöre, dem Kaiserthum ein- zuverleiben-). Obwohl bis dahin von der Oberhoheit Franki-eichs Nichts verlautet hatte, Ludwig ging gern auf die Anschauungen des Hülfe- flehenden ein: im Herbste 1163 finden wir ihn zu Montbrisson, dem Hauptorte der Grafschaft Forez. Da ordnete er Angelegenheiten der Abtei Savigny; einer der vornehmsten Zeugen war Humbert von Beaujeu 3). Es schien wirklich an der Zeit, das.s von deutscher Seite Etwas geschähe, den Fortschritten Frankreichs zu steuern. Dieser Auf- gabe unterzog sich zunächst Rainald von Dassel, der grosse Staats- mann Friedrichs I., der im Sommer 1164 Burgund besuchte. Schon hatte er Werkleute geworben, um an der Grenze Festungen aufführen zu lassen; aber Graf Guigo von Forez trat dazwischen und vereitelte das Beginnen. Wir hr)ren nur noch, dass Rainald zur Unterstützung seiner Freunde viel Geld aufgewandt habe*).

Vielleicht hat damals Drogo, der Erwählte von Lyon, wenngleich auch er früher in den Schutz Frankreichs sich gestellt hatte ^), einen engeren Anschluss ans Reich gesucht. Das wäre für die streng-kirchliche Partei, der zum Aerger Rainald soeben den Gegenpapst Paschal III. aufge- stellt hatte, wäre dann für alle französisch (jesinnten ein ausreichen- der Grund gewesen, einen Anderen auf den erzbischöflichen Stuhl zu

') Zu allem Folgenden vgl. G. Hüffer Die Stadt Lyon und die Westhältte des Erzbisthums 49 flgg. ^) Brief des Grafen ap. Bouquet SS. XVI. 49 N. 161.

8) Hüffer a. a. 0. 57 Anm. 2. *) Brief Alexanders III. ap. Bouquet SS. XV-

S19 N. 139. 5) Brief Drogos ap. Bouquet SS. XVI. 88. N. 270.

Ungedr. Urk. Friedricha I. u. unbek. Zug dess. ins Königr. Burgund. ^53

erheben. Abt Guichard von Pontigny übernalim die Eolle. "Wie sehr er den Interessen der beiden Feinde des Eeiches entsprach, zeigt die Bestätigung, auf welche Papst Alexander III. nicht lange warten liess*), zeigt die Hoffnung, mit welcher ein Diplomat dem Könige von Frank- reich schmeicheln konnte: „wie es sich geziemt, Avird Guichard nach Kräften l>emüht sein, Stadt und Gebiet von Lyon Deinem ßeiche zu unterwerfen " ^). Ludwig VU. zögerte umso weniger, Guichards Partei zu ergi'eifen, als auch Guigo von Forez und Humbert von Beaujeu, Guichards Anhänger, sich ganz in den Dienst Frankreichs gestellt hatten^).

Beaujeu ist freilich nicht gleichen Sinnes geblieben: wir finden ihn im Bunde mit Erzbischof Drogo und besonders mit dem vornehm- sten Parteigänger des Kaisers in burgundischen Landen, mit Gerhard von Mäcon-^). Die drei überfielen zusammen den Herrn von Bugey ^) und trieben ihn so in die Enge, dass auch er sich in die rettenden Arme Ludwigs VII. warf^). Aber die Huldigung, welche er dem Könige anbot, kam nicht zum Vollzuge. Dagegen hat sich nun Guigo von Forez zum Lehensmanne Frankreichs bekannt^).

Das war im Jahre 1167 gewesen*^), und wenn nun auch unsere sehr dürftige üeberheferung verstummt, die geschilderten Verhält- nisse und deren weitere Entwicklung möchten doch der Grund ge- wesen sein, weshalb Kaiser Friedrich die erste Müsse benutzte, einen Zug nach dem äussersten Westen des Reiches zu unternehmen und seinen Fuss selbst über den Rhone zu setzen. Vielleicht gar darf mau die Thatsache, dass Friedrich in der zweiten Hälfte des Jahres 1170 den gefährdeten Theil des Lyonnais besuchte, mit einem Ereignisse aus dem Anfange des folgenden Jahres verbinden: damals kam Friedrich I. mit Ludwig VII. in Vaucouleurs zusammen '•*). Man hat vermuthet, dass Abt Pontius von Clairvaux, welchen wir schon bald nach Friedrichs Rückkehr aus Burgund, den 5. Februar 1171, am kaiserlichen Hofe finden 1"), die Begegnung beider Herrscher vermittelt habei^). Ist Pon-

0 Brief Alexanders III. ap. Bouquet XV. 851 N. 200. ^) Brief des Erz-

bischofs von Canterbury ap. Bouquet XVI. 125 N. 384. ■') Brief des Abtes

Stephan von Cluny ap. Bouquet XVI. 1.30 N. 398. Brief Humberts von Beaujeu ibid. 134 N. 407. *) Später erscheint Humbert noch zweimal auf kaiser-

licher Seite. Wir finden ihn zu Givors 1170 im Gefolge Friedrichs I., und wieder bezeugt er dessen Urkunden vom 20. August 1178. St. 4265. 4265a. ^) Sein

Land am linken Saöneufer. ") Dessen Brief ap. Bouquet XVL. 155 N. 465.

') Hüffer a. a. 0. 61 Anm. 4. *) Genauer: zwischen 1167 April 9 und 1168

März 30. ») Vgl.oben S. 151 Anm. 7. »») Giesebrecht Kaiserzeit V. 669.

1') Leider erst während der Correktur habe ich für die Zusammenkunft einige neue Daten gefunden; ich komme gelegentlich darauf zurück.

154 Kleine Mittheilungen.

tius etwa auch deshalb gekommen, weil der Kaiser schon von den Ufern des Khoue aus über Frankreichs Vordringen in Burguud Klage geführt hatte ? Für den Abt freilich war die Herstellung der Kirchen- einheit die Hauptsache.

Berliu. P. Scheffer-Boichorst.

Drei Briefe des Johannes Buaenhasen. Die nachfolgenden drei Briefe Bugeuhagens befinden sich in einem Bande der in der Basler Universitätsbibliothek aufbewahrten Briefsammlung (Codex G. 1. 31). Es sind Autographe. Da sie in dem von 0. Vogt veröffentlichten Brief- wechsel Bugenhagens (Stettin 1888) nicht aufgenommen worden sind, publiciere ich sie als Nachtrag zu demselben. Die notwendigen Er- läuterungen sind jedem einzelnen Briefe in Anmerkung beigegeben. Hier bemerke ich nur noch, dass das W. in der Daturazeile deshalb zu Witteberga ergänzt worden ist, weil Bugenhagen in den lateinisch verfassten Briefen mit Vorliebe diese Namensform gewählt hat (vgl, 0. Vogt Briefwechsel S. 21, 31, 59, 75, 93, 134 u. ö.).

I

Johmin Bufjenhar/en an Georg Spalatin. Witfenberr/ (1523 Juni 13) ')• Original in Briefband G. I. 31 fol. 87 in der Universitätsbibliothek zu Basel. Grratia Christi tecum. Gratias ago quas possum tibi, mi (xeorgi, quod liter^ me^ efficaces pro parochis Ulis apud te fuerunt. Neque enirn vellem plus curatum a te quam curatum video. Quandoquidem non sie illis consultum volui , ut non potius consuleretur ovibus , quibus sunt pre- ticiendi, qu^, si consenserint in hos pastores, habituri sunt, ut ex ipsis accepi, quod postulaverunt. Que conditio mihi usque adeo placet, ut, quando vix ex ^dibus meis ad te excesserant, doluerim in literis meis non fuisse adiectam. Sed h^c satis. Jam binas, Georgi optime, ad me de- disti literas, ut respondeam tuis mterrogationibus, in primis, qu^ sit tri- bulatio illa maxima ante iudicium, cum non solum ad hanc interrogationeni, verum etiam ad alias responderim iam dudum, ni fallor, binis literis, quas ad te tradidi Georgio custodi, Alioqui quare non vel mentionem fecissem

') Das hier angegebene Datum habe ich angenommen mit Rücksicht auf die Bemerkung Bugenhagens am Schlüsse über die Erkennung der Briefe Spa- latins durch seine Frau. Eine solche Anmerkung macht nur ein junger Ehe- mann. Dazu kommt , da.ss Spalatin an der Heirat Bugenhagens , welche am 1.3. Oktober 1522 stattfand (vgl. Briefwechsel S. 582), besondeni Antheil genommen vmd sie »mit einem goldenen Geschenk geziert hatte' (vgl. Vogt S. 0. Brief Bugenhagens an Spalatin vom 7. Novb. 1 522). Bugenhagen durfte also bei seinem Freunde und Gönner eine gewisse Empfänglichkeit für seine Schmeichelei voraus- setziMi. Andererseits deutet diese Anmerkimg darauf hin, dass seit jener Heirat überhaupt noch nicht viele Briefe zwischen beiden Männeni gewechselt worden sind , was ebenfalls dem gegebenen Ansatz zur weiteren Stütze dienen kann. Uebcr die Person des Gallus (S. 155 Z. 6) liisst sich hier nichts Genaueres sagen. In Bugenhagens Briefwechsel kommen zwei Personen dieses Namens vor, ein Karl Gallus (vgl. a. a. 0. S. 336 u. 346) und ein Nikolaus Gallus (ebend. S. 432 u. 501, dazu die Anm. auf S. 502), beide jedoch erst spät, nicht vor 1545. Eine Identificierung ist also nicht möglich.

Drei Briefe des Johannes Bugenhagen. 155

harum rerum, si aliud non licuisset in literis per parochos illos ad te datis? Aut certe cur non meminissem lUustrissimi principis nostri bene- ficentie cum acceperim iam sicut et ante decem aureos? Id qtiod tibi scripseram rogitans, ut per te benignitas atque liberalitas eins persuasum haberet me non fore ipsius gratie ingratum, me porro acturum, quod ago quantum per deum liceret. C^terum de Gallo non scripseram qui, ut ex eo audio, sex aureos accepit. Nihil horum ad te venit. Ego non sum mihi conscius unquam te interrogasse. ad quod non responderim. Dolco profecto et te fi'audari tua expectatione et meum in te, qui optime de me meritus es, perire officium, cui, ut non desuni, soleo aliquantum sui- furari temporis tam gravibus iam negociis occupatus, ut non dicam plu- rimis. Verum adhuc mihi persuadeo illas literas non ita intei'cidisse, quin quandoque et prope diem in tuas manus sint perventur^, si minus cum Georgio illo tuo expostulato qui non negabit sibi ad te datas. Yale. Atque, ut optime valeas, optat et uxor mea, qu^ iam a facie novit tuas literas, quas, dum a nunciis acceptas mihi oflFert, asserit sese a magistro Spu- latino mihi adducere literas. Iterum vale. Ex W[itteberga], sabbato post octavam corporis Christi,

Joannes Pomeranus tuus.

Habeo iam qu^dam de evangelio Luc^ I. et alia, qua non mittam nisi certo nuncio sciero ad te perventura, ne rursum nolüs fraus fiat etc.

Adresse: Magistro Georgio Spalatino domino ac fratri.

n.

Derselbe au denselben '). Wittenberg 1524 Juli 10. Original ebendort fol. 89.

Gratiam dei per Christum. Ecce mi Spalatine arduum negociiim lllu- strissimi quidem principis, sed non tam princij^is quam dei. Pastor cccle- si^ Beltzensis cupiens suis ovibus consultum per verbum dei invenit apud nie bonum et evangelicum virum, abbatem scilicet illum, quem vel nosti vel de quo ex me audiisti, qui preter morem abbatum in Pomerania c^pit predicare evangelium et passus est vincula, ita tarnen ut adversarios hodie pudeat facti, Modestissimiis est et preterea rebus gerendis et ad consu- lendum in civilibus quoque causis non parum commodus. Hunc, inquani, pastor Beltzensis invenit apud me et iam fere dimidio anno non cessat solicitare, ut eum su^ preficiat ecclesi^. Recusavit abbas aliquaradiu, ne videretur querere sua si non urgeretur ad hoc negocium, ne in hac causa aliquid tentaret non evangelicum, qui propter evangelium voluntari^ sese iam tradidit paupertati. Venit ergo nuper ad dominum Martinum idem pastor rogans, ut virum commendaret su^ ecclesi^, quod dominus Martinus

1) Der Name des Pfarrers von Beizig (Beltzensis) scheint nicht bekannt zu sein. Der von Bugenhagen gelobte Abt ist Johann Rolduaii, der dem Kloster Belbuck in Pommern, welches 1523 von Herzog Bogislav aufgehoben wurde, vor- gestanden hatte (vgl. Karl \'ogt, Joh. Bugenhagen. Leben und Schriften, Klber- feld 1867, ö. 10 und 89). Bolduan wurde dann wirklich Pfarrer in Beizig und von dort im Sommer 1528 nach Hamburg berufen (vgl. Vogt, Briefwechsel S. 81 und 586). Der vorliegende Brief liestätigt die Darstellung Vogts, J. B. Leben S. 30, Ueber Benedikt Pauli vgl. Vogt, Briefwechsel S. 81.

156 Kleine Mittheilungen.

fecit liaud gruvatim. Neque tarnen abbas vel sie voluit sese venditare alienis literis sed pergit eo et predicat ter inBeltz veritus, ne contemne- rent linguam Sassonicam qui nihil aliud «unt, quam Sassones. Benedictus Pauli dixit mihi multum illic laudatum tüisse virum et sese cupere, ut quam primum sit illic pastor. Hodie rursum rediit ad nos pastor Beltzensis requirens, ut istud oneris vir ille suscipiat. Non recusat onus. Hoc autem addidit pastor, quod cum consulibus et civibus suis hac de re egerit et hoc responsum dederint, placere scilicet optime hoc consilium et sese libenter volle quem princeps ipsis dederit, maxime vero quem no- minavi abbatem. Itaque Imnc maxima pars illic atque adeo fere omnes^) cupiunt. Quod vero principi non scribunt h^c causa est. Consultarunt, si principi aliquem presentent, tunc postea necessarium Ulis fore, ut pa- stori provideant de necessariis, si non satis liabeat. Ita omnia ubique eo spectant, ut careant pane corporis qui ad panem verbi dei distribuendum mittuntur. Sed viderit h^c deus. Oportet hie, mi Spalatine, per Opti- mum principem consuli iis, qui sibi consulere non possunt. Prudentiam istam, eorum stulticiam, quis non videt? Igitur pastor Beltzensis rogavit quam maxime, ut ista per te curarem, qu^ iam, mi Spalatine, te obsecro, Primum, ut per te Illustrissimus princeps intelligat gratitudinem viri de beneliciis acceptis et quod parochiam deserit ideo facere, ut per evange- lium melius consulatur Christi ovibus per istum abbatem.-) Si vero alii tradendam sciret ecclesiam, qui non tam in evangelium quam in seditionem spectaret, ut proh dolor nunc quidam sunt, se malle perpetuo pastorem manere utrumque insufficientem. Deinde ut nomine eins resignes, cuius resignationis testimonium ecce hie habes, quam mittit presentationem olim acceptam. Pr^terea ut ores, ut hie abbas illi ecclesi^ mittatur. Non igno- ramus, quod verbo dei princeps suis ecclesiis consultum velit et nos non habemus meliorem per quem illi ecclesi^ consulatur. Insuper et hoc te oro, ut si lit^c princeps admiserit, tu agas, ut fideiussor sis apud scriptores et mittas literas principis quotquot in hunc usum indigemus. Quicquid pecuniarum scripseris scriptores exigere. mittemus quam primum aut da- bimus cui commiseris. Agito, mi Spalatine, diligenter in hoc negocio primum dei, deinde principis, preterea et tuo et nostro, quod te decet. Vale.

Ex W[itteberga], altera post Kiliani MDXXIIII.

Joannes Bugenhagius Pomeranus tuus.

Am Rande: In literis non scribatur ille vir sub nomine abbatis sed nomine suo, quod est Joannes Boldewän etc. Suscipe, queso, et literas alias huius nuncii ncscio quam causam continentes, ut ad principem veniant etc.

Adresse: Non vulgaris eruditionis magistro (.leorgio Syndatino, Illu- strissimi Friderici Saxonum principis, electoris etc. a secretis , domino ac i'ratri nostro.

III.

Der!<elhe an denselben ^). Wittenberg 1.541 Frühjahr l.')44. Original ebendort fol. 108.

Gratiam dei per Christum. Usque adeo non recipis, qu^ tibi scribo

omnia, ut etiam non receperis literas, in quibus te meum oratorem ad

') Nach omnes fol fft nochmals hnnc durclK/csl riehen. -) ]'or si ein ausgestrichenes quod. *) Dieser Brief ist vornehmlich dadurch interessant, dass wir aus ihm ein

Drei Briefe des Johannes Bugenhagen. 157

Illustrissimum principem nostrum volui, ut meo nomine gratias ageres de nummo argenteo dato, id quod adhuc, nisi interim illas literas susceperis, te rogo. Opto coram deo principi nostro, ut fortis sit in deo. Non potest ignorare, quid deus sua benignitate pro nobis contra adversarios veritatis nunc nobis tacentibus operetur. Pergat nunc paterna dei de- mentia, quo voluerit. Evangelium redditum est mundo. Tantum grati simus, ut non cooperemur iis, qu^ scandalo sunt et evangelic^ officiunt veritati, dum interim deus sine nobis evangelium protnovet vel invitis portis inferorum. Nolo vero, ut pro me scribas ad consules nostros. Ego adhuc fero ista, ne scandalo sim evangelio. Rogavi autem senatum non semel, ut non me eligerent, ut me rursum electo alio meliore amitterent. Rogavi nuper pro concione totam ecclesiam sed adhuc frustra. Vellem enim eis consultum per alium. Non prosum liuic negocio. Quod si non dimiserint, faciam quod per deum possum. De victu viderit deus. Ego nisi nostri servarint promissa deseram istam domum el sacellanos et fa- miliam mihi gravem et ero episcopus quemadmodum erat Paulus apud Corinthios. Nihil ab eis accipiam ne habitationem quidem et serviam eis verbo, donec alium susceperint. Eligam vero eis diaconos sive sacellanos, quos ipsi nutriant, non ut nunc ego, nisi adeo bene evangelicos (ut nunc blasphematur isto nomine) inveniam, qui etiam suo labore sibi victum pa- rent et spiritualia serainent non acceptis carnalibus. Non tarnen, mi Spa-

neues und, soviel ich sehe, bisher nicht bekaiuites Mitglied der Familie des Re- formators kennen lernen. Es ist die Tochter Elisabeth. K. Vogt (Bugenhagens Leben S. 430 Anm. IJ macht, gestützt auf eine mir nicht zugängliche Schrift Mohnike's, folgende erwachsene Kinder Bugenhagens namhaft: eine Tochter Sara (+ 1563), eine zweite Tochter, welche Martha hiess, wie aus 0. Vogt, Briefwechsel S. 539 Anm. zu Nr. 270, erhellt (f 1560) und einen Sohn Johannes. Leider fehlt es bis jetzt vollständig an sonstigen Angaben , die auf diese dritte Tochter be- zogen werden könnten und dieser Mangel erschwert auch die Datierung des Briefes, der zudem überwiegend rein theologischen Inhalts ist. Einen terminus ad quem gibt die Adresse. Spalatin starb am 16. Januar 1545: der Brief muss also vor diesen Tag fallen. Ich habe, obwol etwas willkürlich, den Schluss des vorausgehenden Jahres angenommen. Aber der terminus a quo? Bei Bestimmung desselben habe ich raich\on folgender Erwägung leiten lassen. Angenommen, Elisabeth habe sehr jung, etwa 16jährig geheirathet, so erhält man mit Berück- sichtigung des terminus ad quem 1528 als ihr Geburtsjahr. Allein dieses Jahr wie auch 1527 sind wieder mit Rücksicht darauf, dass am 29. März 1529 ein totes Kind und am 31.Dezbr. 1527 der Sohn Johannes geboren wurden (vgl. die Anmerkung zu Nr. 1) als Geburtsjahr für Elisabeth ausgeschlossen. Bleibt noch der Zeitraum Sommer 1523 (vgl. die Bemerkung zu Nr. 1) bis Anfang 1527. Indessen dieser Zeitraum lässt sich noch verkürzen. Bugenhagen erwähnt nämlich in dem Briefe vom 14. Sept. 1524 (0. Vogt a. a. 0. S. 18 Nr. 8) nur seiner »Hausfi-au und jungen Son% der dann früh starb. Dieso Stelle beweist, dass Elisabeth damals noch nicht geboren war, und gestattet, unzweifelhaft den unter den gegebenen Annahmen möglichen Zeit- raum ihrer Geburt auf 1525 Frühjahr bis Anfang 1527 einzuschränken. Deni- gemäss erhält man als Jahr ihrer Verheirathnng 1541 beziehungsweise 1543 und damit für den Brief das gewählte Datum. Leider wollte es mir nicht gelingen, die Sätze dieses Briefes, in welchen Bugenhagen von einer Wahl spricht, die er nicht annehmen will, mit irgend einer uns überlieferten Begebenheit in einen befriedigenden Zusammenhang zu bringen, um sie auf diese Weise für die Da- tierung verwerten zu können. Deshalb sei hier auf dieselben besonders hinge- wiesen. Beiläufig bemerke ich noch*dass der Bräutigam Elisabeths Kaspar t'ru- ciger nicht mit dem bekannteren, dem Kreise der näheren Freunde Luthers angehörigen Theologen Kaspar C'ruciger, der auch in Bugenhagens Briefwechsel mehrfach vorkommt, verwechselt werden darf.

J58 Kleine Mittheiluugen.

latine, hie aliquid temere agam. Propter pecuniam non suscepi hoc onus sed propter conscientiam, quia electione civitatis cogebar, neque propter pecuniam, dum negatur, deseram ; ut enim illud, ita et hoc esset impium. Peeunia nunc congregatur a civibus in eum usum. Cives bene volunt negocio et adiuvare, ni fallor, cupiunt. Ego videbo, quid futurum sit, hactenus neglectus sum. Nunquam aliquid postulavi ab eis, postulavi vero, ut provideretur pauperibus, id quod nunc feliciter per deum procedit, de quo gaudeo. Non deest multis adfectus largiendi, peeunia autem deest, donee aliquorum excitet deus spiritum, ut ita succurrant pauperibus, quemadmodum olim per errorem missis illis papisticis. Tu igitur, mi Spalatine, pro me nihil scribito, non enim hoc haberet bonam speciem, utciunque hoc iuste exigere possemus , sed securus ipse cum me securo huius fabul^ esto inspector. Summa cura esto de negocio pastorali, de victu viderit ille, qui dixit : Hec omnia adiicientur vobis. Vale. Ex W| itte- berga], feria quarla post trinitatis.

Quod non statim respondi causa erat, quod non semper eram domi et domi preter quotidiana negocia adornabam nuptias futuras nostr^ Eli- zabeth^, de qua quandoque mihi scripsisti. Celebrabimus autem nuptias feria tertia meridie et tota die, qu^ erit ab ista die dies decimatertia. Sponsus igitur Casparus Crucinger Lipsensis et sponsa, mea Elizabeth, ego et uxor mea precamur, ut ad istas nuptias cum amicis , quos tecum ad- ducere volueris, nobis adesse velis. Ut tandem te videamus et si fieri possit aliquid ferin^ mittere non graveris. Ad decem mensas fere nobis cibus parandus est , habemus enim rationem carnalium spons^ amicorum quorum tarnen nullus aderit,

Dicentibus non permissurum deum fuisse, ut tot s^culis erratum sit, oppone primum veritatem verbi Christi et apostolorum, qui istos errores predixerunt et predixerunt incepturos statim post tempora apostolorum, ut videant adhuc diutius erratum quam vulgo putatui-, donec omnes errores in sentinam illam papisticam declinarent.

Deinde historias sacras, cur permiserit deus tot s^culis eri'are mun- dum, quoniam tandem vix octo relicti sunt reliquis diluvio perditis.

Cur permiserit errorem vitulorum aureorum , a quo nunquam resi- puerunt a tempore Hieroboam usque nunc; nam regnum decem tribuum abiectum est in Assyrios et nunquam reductum.

Cur permittat deus, ut impii semel abiecti nunquam resipiscant, nonne hoc adhuc durius possit videriV

Diuturnitas non efficit, ut erratum non sit, quandoquidem et diabolus adhuc errat.

Justus est deus, cur nos dilectionem veritatis non suscepimus, ut salvi fieremusV Vides et hodie non suscipi evaugelium oblatum, veremur adhuc graviores errores, nisi antevortat iudicium illud extremumV

Deus longa tempora non novit. Mille dies ante oculos eiustanquam dies hesterna, qu^ preteriit.

Expectandum co^cilium aiunt.

Interim moreris in peccato tue et ail diabolum vadis. Evaugelium creditum salvat.

Drei Briefe des Johannes Biigenhagen. 159

Hoc mihi nunc a deo offertur.

Non expectabo aliud ab illis, qui martyres Christi comburunt, qui manifeste teste toto mundo pro sua ambitione et cupiditate insaniuut in evangelium glorie magni dei. Satana agitantur contra Christum et post gloriabuntur se in spiritu sancto congregatos. Impietatis reus est et ex- c^cari timeat qui ipsos expeetandos sentit, dum Christus tanta miseri- cordia offert evangelium salutis.

An adhuc obscui'um est: Qui crediderit et baptizatur etc.?

An adhuc ignoramus traditiones humanas a deo in Esaia_, a Christo in Matth^o damnari?

Pr^terea Christus non accipit testimonium ab honiinibus. Jo. V.

Molsi et prophetis credendum non nostris truncis, qui ordinarium suum preferunt omnibus scripturis. Ad legem, inquit Esaias et ad testi- monium. Si non sie dixeritis, non erit vobis matutina lux etc. Jo. III. Qui de terra est, de terra loquitur. Qui de celo venit, super omnes est et quod vidit et audivit hoc testatm* et testimonium eins nemo accipit. Qui autem etc.

Ais eos dicere expectandum vel concilium vel congregationem aliquam honestam. Tu scilicet nondum vides congregationem honestam virorum et mulierum per totam Germaniam spiritu eongregatorum, qui bene sentiunt de evangelio, in primis illic, ubi evangelium persecutionem patitur, id quod et hodie miratus sum in literis cuiusdam ft^mint^, qui^ huc scripserat ex Holandia, cui ego doctrina nequaquam conferri possum? Hi omnes cla- mant erratum esse, hi omnes testimonio Spiritus, quod in pectore habent, admonent nos evangelii, quemadmodum olim Augustinus se monitum dicit. Et ego expectabo etc.?

Insignis et diabolica stulticia est nolle credere deo et velle credere honiinibus.

A d a g i u m P o m e r a n i.

Valent dei liter^ etiamsi non accedat sigillum Pape.

Atque adeo. Si addideris dei verbo, iam dei verbum non est. Adresse: Magistro Georgio Spalatino domino ac fratri nostro dilecto. Basel. R. Thommen.

Literatur.

Das Wettiner-Jubiläum in der historischen Literatur.

Unter der gi-ossen Zahl von Jubiläen des Jahres 1889 ragt als eines der bemerkenswei-thesten das der achthundertjährigen Wettinerherrschaft in der Mark Meissen hervor; war es doch überhaupt das erste Mal, dass eine solche Feier begangen werden konnte, da erst vor wenigen Jahren 0. Posse darauf hingewiesen hat, dass das Jahr 1089, in welchem Kaiser Heinrich IV. nach der Aechtung Ekberts II. die Mark Meissen an Graf Heinrich I. von Eilenburg verlieh, als das Anfangsjahr dieser Herrschaft zu gelten hat. Zahlreich und mannichfaltig ist die aus diesem Anlass ' entstandene Festschriftenliteratur, die hier besprochen werden soll ^).

Eine ziemliche Anzahl von Arbeiten betrifft einzelne Orte und Ge- biete, meist mit besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zu den Lan- desfürsten.

Hubert Er misch, Das Freiberger Stadt recht. Festgabe zum BOOjähi-igenßegierungsjubiläum des Hauses Wettin-). Leipzig, Giesecke und Devrient, 1889. 8*^. XGI u. 364 S. Wir erhalten hier ein Werk von sachkundigster Hand; wer war auch besser geeignet, eine solche Ar- beit zu unternehmen, als der Herausgeber des Freiberger Ui'kundenbuches, tler bei dessen Bearbeitung die Verhältnisse aufs genaueste kennen ge- lernt und manche Spezialuntersuchung schon dafür angestellt hatte? Die Wichtigkeit der Edition beruht darin, dass das Freiberger Stadtrecht neben den Aufzeichnungen von Altenburg und Zwickau die einzige in Meissen, Pleissner- und Osterland vorhandene derartige Codiflcation und unter diesen selbst die bedeutendste ist. Freiberg wurde Stadt zwischen 1185 und 1190, doch erst im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrh. geschah die schriftliche Fixierung des mündlich überlieferten Gewohnheitsrechts. Die Entstehung in jener Zeit kommt in der Bezeichnung des Landesherrn als Künig (nicht Markgraf, wie es später geändert wurde) zum Ausdruck; denn in dem Krieg zwischen Friedrich dem Freidigen und der ßeichsgewalt fiel Frei- berg 129C in König Adolfs Hand und blieb auch unter Albrecht bis 1307 königlich. E. untersucht dann den Zusammenhang mit andern Stadtrechten, der spärlich ist. Freiberger Recht galt nicht bloss für die Stadt und ihre

') Völlig werthlos, weil ganz unvollständig, ist der bei C. 8tange in Frauken- berg erschienene „Wcttiu-Katulog", 8", 28 S. , wovon noch nicht 3 (Seiten die histor. Lit. betretfen. -) Diese sich nieiat wiederholenden Titelzusätze sind

im folgenden nicht luitgegebeu, ausser wo sie selbst den Titel bilden ; auch 1889 ist stets weggelassen.

Literatur. ][g-^

Bannmeile, sondern auch für benachbarte Bergbaudistrikte ; einigen Städten \\Tirde es verliehen (Siebenlehn, Dippoldiswalde). Eingehend ist überHss. und Ausgaben gehandelt, woran sich textkritische Erörterungen anschliessen. Der letzte Einleitungsabschnitt bespricht die späteren Schicksale des Eechts, besonders die Aenderungen unter August und Johann Georg II. Der Text ist in sehr dankenswerther Weise bereichert durch fleissige Literatur- angaben über die einzelnen Rechtsbestimmungen und durch sorgfältige Re- gister nebst mhd. Wörterbuch. Das Facs. einer Seite der ältesten Hs. im Freiberger Rathsarchiv, welche die Grundlage für die Textgestaltung bil- dete, ist dem typographisch schön ausgestatteten Buche beigegeben.

Ed. Heydenreich und P. Knauth, Die Beziehungen des Hauses Wettin zur Berghauptstadt Freiberg (dargebracht von der Stadt Freiberg). Freiberg, Graz und Gerlach. 8". 83 S. Die Schrift, zerfällt in zwei Theile : l. Geschichte des sächsischen Bergbaues mit be- sonderer Beziehung auf das Haus Wettin und Freiberg S. 4 37. H, zeigt hierin, wie die Fürsten von Anfang an die Wichtigkeit des Bergbaues er- kannten, auf dessen Erträgen ihre Macht wesentlich mit beruhte. Früh regelten sie ihn durch Bergordnungen, die uns vom 14. Jahrh. an vor- liegen. Die Stadt und ihre Gruben blieben ihrem Werthe entsprechend bis zur Scheidung der ei-nestinischen und albertinischen Linie gemeinsam, wie dies zahlreiche Theilungsverträge bestimmen; erst 1485 brachte die Leipziger Theilung sie lediglich an die Albertiner. Die landesherrliche Münze zu Freiberg war die wichtigste des Landes; 1556 wurde sie nach Dresden, 1887 aber nach Freiberg zurückverlegt. Daneben bestanden noch andere Betriebsstätten, so schon seit dem 14. Jahrh. Schmelzhütten und Pochwerke. In diese Hütten musste von allen Funden ein Zehntel für den Landesherrn abgeliefert werden, auch sämmtliche andere Erzausbeute durfte von Privatbesitzern (die Fürsten verliehen schon früh kraft ihres Bergregals auch Privaten das Recht zu graben) nur an die fürstlichen Hütten verkauft werden. Als der Ertrag zurückging, scheuten die Fürsten auch Opfer nicht, um den Betrieb lebensfähig zu erhalten, verzichteten auf Vortheile und Berechtigungen, gewährten Zubussen, sorgten für technische Verbesserungen, guten Beamtenstand, zu dessen Ausbildung 1765 die be- rühmte Bergakademie gestiftet wurde, und für das materielle Wohl der Arbeiter. Dem wichtigen Freiberger Bergrecht traten später in Streit- fällen die Aussprüche des Bergschöppenstuhls ergänzend zur Seite. Ebenso wie auf das Bergwesen erstreckte sich die landesherrliche Fürsorge auf rein städtische Verhältnisse. Diese Gesinnung trug auch ihre Früchte, gerade Freiberg hat in schwerer Zeit durch besondre Treue sich ausge- zeichnet. Alle diese »Beziehungen des Hauses Wettin zur Stadt Freiberg in persönlicher, rechtlicher und politischer Hinsicht« schildert der zweite Theil. H. hat auch hier den von ihm bearbeiteten mittelalterlichen Ab- schnitt stofflich geordnet, während K. in der neueren Zeit (S. 57 83) einfach der Chronologie der Fürsten folgt; ausführlicher sind die Zeiten des dreiösigjährigeu Kriegs berührt. Beide Verfasser, besonders H. (ob- wohl hier und da seine Disposition eine straffere sein könnte) haben in ansprechender Weise sich ihrer Aufgabe entledigt und unter fleissiger Aus- nützung des ausgedehnten Materials ein anschauliches Bild der Beziehungen zwischen Herrscherhaus und Stadt gegeben.

Mittheilungen, XII. 11

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Festheft d es F r eibe rger Alte rthumsver eins zur Wettin - feier (Mitth. v. Freib. Alt.-Verein Heft 25). Freiberg, Gerlach. 8". VI und 96 S. Das Heft enthält ausser einer Anzahl kleiner Aufsätze und Notizen von Distel, Knautli, Kade, Ennisch, Gerlach (über Heinrichs des Frommen (jremahlin Katharina, Kurfürst Moritz, die kurfürstliche Grali- kapelle im Dom u. a.), einen längeren Aufsatz C. Richters über das Bier und die Brauverhältnisse Freibergs von der ältesten bis neuesten Zeit.

Erstes Jahrbuch des Erzgebirgs-Zw^eigvereins Chem- nitz. Chemnitz, Vereinsverlag. 8". VII u. 131 S. Von den 6 Auf- sätzen sind geschichtlich : Sophus Enge, Die Namen des Erzgebirges S. 1 1 fi, W. Zöllner, Die räumliche Ausbreitung des Erzgebirgischen Bergbaues im M.-A., S. 38— 49, der auf archivalisches Material gestützt Heydenreichs Festschrift ergänzt. Enge bespricht u. a. den unter König Heinrich II. vorkommenden Namen Miriquidui, der nicht dem ganzen Gebirge, sondern nur einem Theile der Nordseite (Gottleubathal etc.) gilt; die Südseite hiess Böhmer Wald, welcher Name sich orographisch bis ins 18. Jahrh. erhält. obviTohl daneben mehr und mehr die Benennung Erzgebirge auftritt, die zuerst (ifi. Jahrh.) nur montanisch-administrativ, wie Euge sagt, vorkommt.

Jahrbuch des Vereins für Chemnitzer Geschichte Heft VI. Chemnitz, May-Eöder. 8^. XXIX u. 184 S. Die eigentliche Festabhand- lung von P. Uhle, Frühere Festlichkeiten in Chemnitz zu Ehren des Hauses Wettin, schildert die Huldigungen der Stadt beim Eegierungsantritt eines neuen Herrschers, Besuch von Fürsten, Feste zu Ehren des Fürstenhauses, und bietet manche interessante Notiz, besonders für das 17. und 18. Jahrh. Von sonstigem Inhalt sei noch genannt : A. Mating-Sammler, Zur Geschichte der Schneider- und Tuchmacherinnung in Chemnitz; K. Kirchner, Streit um das Patronat über das Pfarramt an der Jakobikirche ; P. Uhle, Chr. Gottl. Heynes Ei'innerungen an seine in Chemnitz verlebten Jugendjahre (l>eleuchtet des berühmten Göttinger Philologen traurige Schulzeit).

C. A. Holzhaus, Herzog Heinrich der Fromme, derGrün- d er M a r i e n b e r g s. Ein Beitrag zur Geschichte des Erzgebirges. Ma- rienberg, Engelmann. 8^. 39 S. H. zeichnet, ohne tiefere Studien zu verrathen, ein Bild von Herzog Heinrich dem Frommen , geht dami auf den neuen Aufschwung des Silberbergbaues im Erzgebirge ein, der sich am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh. zeigt, und handelt über die Entstehung Marienbergs. 1519 hatte man auf der »wüsten Schletta« eine Silbergrube angelegt, die gute Ausbeute versprach, so dass Heinrich, der sich für den Bergbau interessierte, am 29. Apr. 1521 die Anlage einer neuen Bergstadt verordnete, die ihren Namen von der Jungfrau Maria be- kam und rasch emporblühte. Von dem 1536 erbauten hölzernen Kirchlein, das wegen seiner Kleinheit schon 1558 einem Neubau Platz machen musste, wird erzählt, es sei mit Schrauben wegbewegt worden (also schon nach Art des modernen amerikanischen Verfahrens). Freilich hielt sicli die Stadt nicht lange in diesen günstigen Verhältnissen; durch Eückgang des Erzertrags, mehrfache Heimsuchung durch Pest und Brände (am verheerendsten der vom 3. August 1610) wurde ihre Blüthe gebrochen, und bis heute hat sie den Höhepunkt iiicht wieder erreicht. Den Schluss bildet, die Schilderung der religiösen VerliäUiiisse unter Herzog Georg und Heinrich, das allmähliche Eindringen und die ufHcielle Einführuuij der Kefurmatiou

Literatur. J^g^

im Herzogthum Sachsen mit besonderem Bezug auf das Erzgebirge. Das Schriftchen bringt keine Bereicherung der Kenntnis des Erzgebirges ; auch was über Marienbergs Gründung gesagt ist, beruht auf bekannten Quellen. Zu berichtigen ist S. 6 die Angabe, Heinrichs Bruder Friedrich sei 1510 »privatisierend« in Rochlitz gestorben; er war Hochmeister des deutschen Ordens, ging ]507 in Ordensgeschäften nach Deutschland, behielt aber bis an seinen Tod die Würde und die wirkliche Leitung des Ordens. (Der- selbe Fehler findet sich bei Blochwitz, s. im folg.) Der Berg, an dessen Westseite Annaberg gegründet wurde, heisst der Pöhlberg, nicht Pielberg (S. 1 5), wie es vielleicht im Volksmunde ausgesprochen wird.

Alfred Mosch kau, Wettine r Besuche in Zittau und der südlichen Ober 1 aus itz. Zittau, Fiedler. 8°. VIII u. 42 S. M. will alle Notizen zusammenstellen, die sich auf persönlichen Verkehr vonWet- tinern mit der südlichen Oberlausitz, vorwiegend Zittau und dem herr- lichen, ruinengeschmückten Oybin, beziehen, was an und für sich wohl für eine kleine Schrift den Stoff abgeben und einen Beitrag zur Lokalgeschichte liefern konnte. Die Art aber, wie M. sich seiner Aufgabe entledigt hat, ist zu ungenügend. Als bemerkenswerthe Notiz es z. B. der Vergessenheit zu entreissen , welches junge Mädchen gelegentlich dem prinzlichen Be- suche Kaffee kochte (S. lo), ist lächerlich, und solcher Notizen bietet die Schrift noch manche. Wie klein muss der Verfasser von seinen Fürsten denken, wenn er solchen Tand als Festschrift zu veröffentlichen und einem Mitglied des HeiTScherhauses zu widmen wagte. Von Verstössen seien nur erwähnt S. 3 : Herzog Franz Carl von Sachsen-Lauenburg (ein Askanier !) wird als Wettiner betrachtet; nach S. 2 ist Johann Georg 1. bereits im Juli 16.34 »als Landesherr« vor Zittau erschienen, während erst am 1.5. Juni 1635 der Prager Friede ratifizieret wurde, der Johann Georg zum LandesheiTn der Lausitzen und damit Zittaus machte.

H. A. S t ö h r , D r e s d n e r h i s 1 0 r i s c h e s M e r k b ü c h 1 e i n , Dresden, Hackarath. kl. 8°. XII u. 226 S. St. giebt ßegesten zur Geschichte von Dresden und Umgegend; das Buch ist leider, zumal in den älteren Par- tien, sehr unzuverlässig, wie ein Auszug aus der Fehlerliste zeigt. Kaum glaublich mag es erscheinen^ dass unter den Quellen und Hilfsmitteln nicht ehimal Richters Verfassungsgeschichte von Dresden, die Mittheil, des Ver. f. Gesch. Dresdens, das Dresdner Urkundenbuch , Hilschers Sammler und noch eine grosse Menge von Monographien erscheinen, die bei einer solchen Arbeit, falls sie überhaupt einen Werth haben soll , zu beachten waren ; denn die Einzelabhandlungen kann nicht Jeder durchsehen, aber die Re- sultate in Regestenform zusammengestellt zu haben, wäre sehr schätzens- vverth. Zu S. 8 a. 1222 ist zu bemerken, dass alle diese älteren Zeit- angaben über die Eibbrücke wenig oder ungenügend verbürgt sintl. Zu S. 8 a. 1234: Heinrich der Erlauchte vermählte sich nicht 1249 mit Agnes von Böhmen, sondern wohl schon 1244, sicher vor 1247; sie stai'b nicht 1267, sondern lo. Okt. 1268. S. 9 a. 1270 »Dresden wird unter Heinrich dem Erlauchten Residenz« klingt, als sei es offiziell dazu erhoben worden, wovon gar nicht die Rede sein kann. AVas S. 9 a. 1283 über die Anerkennung Friedrichs des Freidigen als Pfalzgruf von Sachsen steht, ist verkehrt; von einer formellen Anerkennung findet sich nichts, den Titel führt Friedrich seit 1281. Ganz thöricht ist S. lo a. 1300 über

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Dresden und Friedrich den Kleinen. Zu S. 11 a. 1316, 1319: Dresden war seit 1315 (niclit 1316) in brandenburgischer Hand , es kam 1317 durch Verpfändung an Withego IL von Meissen, und von diesem 1319 an Friedrich den Freidigen zurück. Aus Meltzers Schrift (Mitth. d. Ver. f. Gesch. Dresdens VII) konnte St. lernen , dass die Kreuzschule nicht erst 1452 urkundlich vorkommt (S. 17), sondern urkundliche Zeugnisse für die erste Hälfte des 15. Jahrh. vorliegen, einige sogar für das 14. Jahrh. Vieles kaum zu Kechtfertigende ist breit aufgenommen, so S. 167 175 der ganze Krieg von 1870 und sogar dessen Vorgeschichte alles ohne Bezug auf Dresden ; ähnlich 1866 S. 155 159, 1864 S. 138 145 mit breiter Einführung in die dänisch-holsteinischen Verhältnisse; was er in der Einleitung über solche Partien vorbringt, ist nicht stichhaltig, denn da liesse sich schliesslich alles mit herbeiziehen. In der neuesten Zeit finden sich ferner zuviel Kleinigkeiten (gleichgiltige Personalnotizen u. a.), die für Dresdens Geschichte absolut nichtig sind, so 7. 8. 1874, 3. 11. 1875, 18. 3. 1879, 6. 2. 1883, 12. 3. 1885 u. s. w.

John A. Butler, Pen Pictures ofDresden's Past. Dresden, C. Tittmann. 8 °. VIII u. 1 1 7 S. B. behandelt einzelne Abschnitte aus Dresdens Vergangenheit, besonders Kunst- und Kulturgeschichtliches in leichtem Essaystil. Die Abschnitte sind: The house of Wettin; Once upon a time (über Dresdens Leben in früheren Jahrhunderten : unrichtig ist S. 13, dass Herzog Albrecht 1454 das Schiesshaus gegründet habe); A Chapter of Historical Scraps (Peters des Grossen u. a. Aufenthalt in Dres- den ; manches steht freilich nur in losem oder gar keinem Zusammenhang mit Dresden, S. 50 1. Miloradowitsch statt Mildor., 51 Vertrag von Poisch- witz statt Pleswitz); The Petes of Augustus the Strong; The Dresden Gallery; A. Chapter of Marvels (Porzellanerfindung, Geisterbeschwörer des vorigen Jahrhunderts) : A Chapter of Kings (mit Irrthümern und Mängeln des Urtheils; erwähnt sei nur S. 99, Markgraf Conrad habe Damaskus 1146 erobert und befestigt! 1148, nicht 1146, wurde Damaskus be- stürmt, nicht erobert, und Conrad nahm am syrischen Kreuzzug gar nicht theil, sondern an dem gleichzeitigen gegen die Wenden). ^)

Gustav Schübe rth, Gvozdec = Grossenhain. Ein Beitrag zur ältesten Geschichte des Hauses Wettin und der Mark Meissen. Grossen- hain, H. Starke. 8°. 34 S. Der Verfasser, der sich mit unverkennbarem Eifer der Erforschung der Grossenhainer Geschichte widmet, versucht hier zu erweisen, dass Grossenhain, früher bloss Hayn, auch Osseg, lat. Indago, identisch sei mit dem bei Cosmas a. 1087, 1088, 1123 erwähnten Gvozdec, das er weiter mit dem in einer Urk. Heinrichs HL 1045 genannten Guodezi

') Von der 1885 erschienenen zweiten Auflage der „Gesch. der Kgl. Haupt- und Residenzstadt Dresden" von M. B. Lindau (Dresden, R. v. Grumbkow, 8") i.st zur Wettinfeier eine billigere Volksausgabe (Titelauflage) in Einzellieferungen veranstaltet worden.

Meissen ist mit einer eigentlichen Festschrift nicht vertreten ; aber 1889 erschien eine Publikation , die die Stelle einer Festschrift vertritt : W. L o o s e , Alt-Meissen mit erklärendem Text. Meissen, Mosche, fol. 12 8. u. 48 Taf. Es sind Reproduktionen alter Ansicliten: die ganze Stadt, einzelne Strassen, Ge- bäude, Scenou des Volkslebens vergangener Tage. Der Text ist gut, mit Be- nutzung der neuesten Forschungen und des Quellenmaterials; Heft 5 enthält u. a. ein Facs. des Schuizbriefs Linnardt Torstensons vom 29. Oct. 1C42.

Literatur. 1^65

gleichsetzt. Diese Ansicht kann aber die Gewissheit, die Seh. ihr zu- erkennt, nicht beanspruchen. Die Burg wurde von König Wratislaw 1088 verlegt, den früheren Ort findet Seh. auf dem Kupferberg bei Grossenhain, den späteren an der Stelle des einstigen Schlosses an der Eöder; mit dieser Veränderung lässt sich aber der spätere Name Osseg (im 13. und 1 4. Jahrh.) nicht erklären, denn wenn die Bewohner den Namen der alten Burg Gvozdec für den neuen Platz am Eöderflusse nicht mehr passend fanden, so hätte ihnen dies doch alsbald und zwar am stärksten gleich bei der Neubesiedelung auffallen und der neue entsprechendere Name Osseg sogleich eintreten müssen, denn später war dies Gefühl der Verschieden- heit der alten und neuen Lage doch geschwunden; statt dessen kommt aber 1123 der alte Name Gvozdec noch vor und erst 1207 der angeblich eben durch die Verlegung bcAvirkte Ozzek. Auf das Zeugnis des Stadt- chronisten Seb. Mann von 1063, das durch nichts sonst gestützt ist, sollte ein Historiker, der quellenmässige Forschungen anstellt, kein besonderes Gewicht legen (S. 28, 32). Auch der alte Fehler, dass Friedrich der Freidige sich als den Freudigen (S. 2 und 33) bezeichnen lassen muss, könnte endlich aufhören und ebenso (wenigstens in einer fachwissenschaft- lichen Arbeit) seine gebissene Wange ausgeheilt sein! Dass prope urbem Missen auch auf einen Ort rechts der Elbe gehen kann, ist nicht zu leugnen, und wenn auch die Entfernung nicht unbeträchtlich ist, so wäre jene Be- zeichnung für Grossenhain doch ei'klärlich, da es in der Gegend keinen anderen namhaften Ort gab, der sich besser zur Ortsbestimmung eignete. Dass aber nicht auch irgend welche Stätte links der Elbe in der Meissner Gegend gemeint sein kann, ist doch unmöglich zu bestreiten; was ent- schieden für das linke Ufer spricht , ist der Umstand , dass sonst ange- nommen werden müsste (wie das Seh. thut), dass die Bölimen zweimal über die Elbe gingen, ein Hin- und Hermarschieren, das zumal bei der Schwierigkeit von Stromübergängen unwahrscheinlich ist^).

Ernst Eulitz, Schloss Waldheim in der Zeit von 1588 1716 eine Besitzung des Churhauses Wettin. Waldheim, C. G. Seidel. 8°. 46 S. Kloster Waldheim wurde 1404 von Dietrich von Beer- walde, Herrn von Kriebstein, gestiftet, kam aber in der Eeformationszeit in Verfall; die letzten 4 protestantisch gewordenen Mönche wurden ver- sorgt. (Lächerlich ist hier der Ausdruck: »Sie kehrten den Heiligen der alten Kirche den Rücken und studierten anstatt der Bullen des Papstes das Evangelium und den Katechismus«). 1549 kam das Kloster wieder an den Besitzer von Kriebstein," Georg von Carlowitz und blieb den Carlo- witzen, bis es 10. Juli 1588 der Hauptgläubiger dieses verschuldeten Ge- schlechts, Kurfürst Christian L, kaufte. Seitdem (S. 7) war es in landes- herrlicher Verwaltung. Christian wollte es bei seinen Jagden benützen und Hess deshalb einen grossen Umbau vornehmen, über den, wie über die Räumlichkeiten und ihre Eini'ichtung E. eingehend handelt. Nicht

') Gegen Flathes absprechende Kritik im Lit. Centralblatt bringt Seh. auch in einem Beilageblatt zu seiner Abhandlung nichts ausschlaggebendes vor. Auch Gustav Hey, Die Feste Gvozilec. N. Arch. f. Sachs. Gesch. XI, wendet sich gegen Seh. und zeigt, auf seine Kenntnis slavischer Sprachen gestützt, dass Gvozdec der Burgwart Wosize oder Woz ist. Er sucht Gvozdec auf dem Gohlberg bei Constappel an der Elbe.

Jgg Literatur.

uninteressant ist, was in 2. »Verwaltung und Benützung des Schlosses« über Befugnisse und Pflichten der Schlosspächter, ihre Streitigkeiten mit den umliegenden Dörfern über deren Verpflichtung zur Gesindestellung beigebracht ist. S. 32 f. spricht E. über die Verwendung als Jagdschloss und Wittwensitz. Lange stand es leer und verfiel, 1712 sollte darin eine Juchtenmanufaktur entstehen (S. 37), auch einem Tapetenfabrikanten wurden 1713 einige Bäume angewiesen. Die alte Klosterkirche wurde 1.592 in Gegenwart der Kurfürstin Sophie neu eingeweiht, doch auch sie ward wenig benützt ; 1716 wurde sie erneuert und erhielt einen eigenen Schloss- pfarrer, da es seit diesem Jahre eine zahlreiche Schlossgemeinde gab. 1716 hatte August der Starke, weil Landstreicher, Bettler, Arbeitslose, Kranke in Menge das Land heimsuchten, das Schloss zu einem Zucht-, Armen- und Waisenhause für das ganze Land bestimmt, und als Haupt- zuchthaus dient es noch heute dem Königreich Sachsen, während die an- deren Anstalten verlegt sind. Die Schrift, die auf archivalischem Material beruht, macht einen sorgfältigen und zuverlässigen Eindruck und giebt einen dankenswerthen Beitrag zur Geschichte einer oft genannten Oertlich- keit Sachsens.

Max Dittrich, Kloster Altzella und seine Ruinen, eine vergessene Fürstengruft. Nossen, E.Hensel. 8". 19 S. DerTitel- zusatz ist unnöthig; wenn Altzelle auch nicht zu häutig von Vergnügungs- reisenden besucht werden mag, vergessen ist es keineswegs. Das Schrift- chen ist ohne Werth; an die kurze historische Einleitung schliesst sich die Beschreibung des 1787 in seiner jetzigen Gestalt errichteten Mauso- leums, das die wenigen erhaltenen Grabmäler der in Altzelle bestatteten Wettiner enthält ; die Namen der andern einst dort nihenden sind auf einer Tumba im Mausoleum angebracht; schliesslich sind die spärlichen Mauer- reste im Park besprochen. An die historischen Fähigkeiten des Verfassers darf man keinen hohen Massstab anlegen; seine lateinischen Kenntnisse sind etwas unsicher. S. 6 spricht er von dem »wenig zuverlässigen Chro- nicon des Altzeller Mönches Johannes Kohte« ; Joh. Eothe aber ist der bekannte thüringische Chronist in Eisenach, die Altzeller Chronik gehört dem Leipziger Juristen Joh. Tylich an^).

P. Rocke, Die Sächsischen Landesfürsten und die Uni- versität Leipzig. Leipzig-Reudnitz, M. Hoffmann. s". 27 S. K. giebt ein dürftiges Excerpt aus verschiedenen Universitätsgeschichten, ohne irgend

>) Auch in einer anderen Festschrift Dittrichs steht es mit dem Latein nicht ganz sicher: Das Armeefest ziu- Feier des 800 j. Jnb. des Hauses Wottin. Zwickau, R. Zückler. 8". 59 8., mit Vorbemerkungen üher »die Betheiligung des kursächsischen Heeres an der Entsetzung von Wien 1683«, welche das Fest dar- stellte, das dann beschrieben ist. Dittrich hat noch eine dritte Festschrift ver- öftentHcht: Sachsens Königshaus im Wettiner Jubeljahr 1889, nebst einem An- hang: Die Fürstengrüfte zu Meissen, Freiberg und Dresden. Dresden, Albanus-Teich. 8^. 123 S. ,Die nachstehenden Blätter bilden keineswegs eine der amtlichen Fest- schriften* beginnt das Vorwort. Darüber kann man sich nur freuen, denn dies Stück Fabrikwaare ist kläglich. Die Biographien der jetzigen Glieder des Hauses sind ganz nichtssagend, von wirklicher Würdigung der Persönlichkeiten findet sich keine Spur. Auf Einzelheiten einzugehen lohnt nicht, für die Arbeitsweise das eine Beispiel, dass S. 88 die Kurfürstin Maria Josepha 8 Söhne 6 Töchter, S. 115 richtig 7 Söhne 7 Töchter hat.

I

Literatur. 167

welche selbständige Thiitigkeit. S. 3 7 druckt er mangelhaft die oft ge- druckte Urk. der Herzöge Friedrich und Wilhelm von 14-09 ah. Die päpstliche Bestätigung erfolgte nach seiner Uebersetzung durch ein Breve statt durch eine Bulle, der Unterschied beider Urkundengattungen ist ihm also nicht bekannt.

Eine Gruppe von Festschriften wendet sich nicht einer einzelnen Oertlichkeit zu, sondern betrachtet die sächsische Vergangenheit unter Be- rücksichtigung des ganzen Landes von anderen speziellen Gesichtspunkten.

H. F. von Criegeru, Der Leumund der Sachsen. Leipzig, 0. Spamer. 8°. 106 S. Die Idee, in Urtheilen nichtdeutscher oder nicht- sächsischer Personen jeden Standes aus alter und neuer Zeit ein Bild von Sachsen zu geben, kann auch historisches Interesse beanspruchen, voraus- gesetzt, dass der Verfasser über eine grosse Belesenheit verfügt und un- befangen genug ist, Ungünstiges nicht zu unterdrücken. Abschnitt 1 be- handelt das Land, das sich eines günstigen Leumundes erfreut, desgl. 2. die Leute; 3. bespricht die Mundart, 4. die Frauen, 5. und 6. Dresden und Leipzig. Manchem werden die Citate aus Tissots Reise ins Milliarden- land Erheiterung verschaffen; unseres Erachtens thut C. damit diesem ge- schmack- und urtheilslosen Buche, das bei vernünftigen Franzosen selbst nicht als sachverständig gilt, zu viel Ehre an. 7. der Staat ist kurz, 8. das Heer ausführlich bedacht. Die Dalimilstelle (S. 54) geht nicht auf Kämpfe König Johanns mit den Grossen, sondern auf den Heerzug der Meissner 1310 zur Unterstützung Heinrichs von Böhmen; Wilem Zajic ist eines der 1)ekanntesten Mitglieder des Herrenstandes, Wilhelm Zagjc von Waldek (von Hasenburg). Wariim C. nur den böhmischen Dalimil und nicht dessen verständlichere deutsche Bearbeitung nennt, ist unklar, und als älteres Zeugnis war das Chron. aul. reg. (ed. Loserth S. 283, 284) zu eitleren. Welchen Werth hat eine Stelle der Königinhofer Hs., wo C. sie als Fälschung Hankas kennt? Ueber die Sellnitzer Schlacht 1438 (S. ,5ß) konnte er besser als bei Theobald sich in Schlesingers Aufsatz (Mitth. d. Ver. f. Gesch. d. Deutseh. in Böhmen Bd. 20) unterrichten. Der letzte Abschnitt über das Fürstenhaus befriedigt wenig, da man Unbe- fangenheit vermisst. Das Meiste, was C. bietet, ist allbekannt; alles was irgendwie zur Charakteristik beiträgt, anzuführen, hätte ein dickleibiges Werk mit vielen Wiederholungen ergeben, aber grössere Vollständigkeit wäre doch zu erstreben gewesen. Um nur etwas anzuführen, sollten für das vorige Jahrhundert die Schriften Friedrichs d. Gr. ausgebeutet werden ; das Urtheil eines solchen Mannes, der Sachsen genau kannte, ist doch mehr werth, als manches andere aufgenommene. Die Histoire de mon temps z. B. enthält bei der Charakterisierung aller Staaten (Cap. l) einen zum Theil scharfen, aber zutreffenden Abschnitt über den Kurfürsten, Brühls Verwaltung, Heer und Land. Auch in der Geschichte des siebenjährigen Kriegs von Archenholtz, einem preussischen Offizier, wird die sächsische Armee und zwar gerade bei Gelegenheit des Unfalls von Pirna sehr aner- kennend beurtheilt.

Arnold Gädeke, Zur Feier des 800iährigen Regierungs- jubiläums des Hauses Wettin. Dresden, von Zahn und Jänsch. 8". 31 S. Gädekes Festrede im kgl. Polytechnikum zu Dresden entrollt in grossen Umrissen ein Bild von dem Entwicklungsgange Sachsens. Nicht

1 68 Literatur.

ein unbedingter Panegyrikus ist es eine Eigenschaft, die anderwärts oft unangenehm auflfallt, als hätten die betreffenden Verfasser gefürchtet, sonst ihre Loyalität bezweifelt zu sehen sondern eine vorurtheilsfreie Würdigung von Personen und Verhältnissen. Der Stand von Volksbildung, Wissenschaft und Kunst, die Entfaltung von Handel und Gewerbe, die po- litische Machtstellung, alles wird in knappen, treffenden Worten besprochen. Gr. will nicht Belehrung über die Hauptereignisse sächsischer (leschichte spenden; deren Kenntnis setzt er voraus; ihm kommt es darauf an, vor allem die kulturellen Errungenschaften und Fortschritte dieser 800 Jahre darzulegen.

Die Eigenart der Fürstenschulen. Zeugnisse über die Be- deutung der Fürstenschulen für die Ausbildung und Erziehung der Jugend. (Herausgegeben vom Verein ehemaliger Fürstenschüler.) Dresden, H. Morchel. S''. 46 S. Die drei vom Kurfürsten Moritz gestifteten Gelehrtenschulen Meissen (S. Afra), Grimma und das jetzt preussische Schulplorta, die als Fürsten- oder Landesschulen bekannt sind, nehmen noch heute eine be- sondere Stelhang unter den sächsischen und preussischen Gymnasien ein. Ihr abgeschlossener Charakter als Alumnate, die energische Betonung der klassischen Sprachen (besonders die eifrige Betreibung der lateinischen Versification), das System der Beaufsichtigung und Belehrung der untern Schüler durch die obem, sollen in dieser Schrift als noch lebensfähig er- wiesen werden, daher ist S. 5 16 die Eede des Eektors Wunder von Grimma über diesen Gegenstand abgedruckt. Im 2. Theil folgt eine lange Keihe von Zeugnissen über die Bedeutung der Schulen, die meist aus eigenen Aufzeichnungen beinihmter Fürstenschüler stammen; es seien nui' Namen, wie Pufendorf, Paul Gerhard, Emesti, Geliert, Eabener, Klopstock, Lessing, Fichte, Zachariä von Lingenthal, Nitzsch, L. Eanke, Ehrenberg, Lepsius unter einer grossen Zahl anderer bedeutender Männer hervor- gehoben.

Die Pflege derWissenschaften und schönen Künste durch sächsische Fürsten und Fürstinnen, Dresden, H. Hackarath, 8". 26 S. Der ungenannte Verfasser bietet keine neuen Ergebnisse, aber seine kleine Abhandlung hebt sich unter andern oeuvres de seconde main günstig ab durch die gewandte Art der Zusammenfassung des weitschich- tigen Stoffes, Auf Einzelheiten geht er nicht ein, nur in den Haupt- zügen wird die Entwicklung von Baukunst, Plastik, Malerei, Kunstgewerbe, Dichtkunst, Theater, Wissenschaft in sächsischen Landen angeführt, mar die Haupterscheiniongen werden mit wenigen Woa-ten skizziea-t. Der Wiener Kunsthistoriker, dessen bei dem Dürerschen Altarwerk in der Dresdner Galerie rühmend gedacht wird S. 1 2, schrieb sich Thausing. Die Sprache ist leider nicht frei von Mängeln^).

') So S. 8 : „es bemächtigte sich auch den übrigen Künsten (!) eine freiere Richtung", S. 16 „unter August überwiegten (I) mehr fi-anzösische Interessen", und die neuerdings so häufige Inversion in koordinierten Sätzen S. 6: „Die Re- liefs zeugen von lebendiger Erzählungsweise und zeichnen sich die Gestalten durch reiche Gewandung aus", S. 16 : „Das Gesangbuch war Johann Georg II. besonders lieb und benutzte er es vielfach zu Geschenken". Das gleiche findet sich auch bei Holzhaus, so S. 7 : „gegen 4000 Friesen wurden getötet und gelang es im Kampfe dem Heinrich", femer S. 6, 11, 26.

Literatur. 169

Paul Ar ras, Bilder aus der sächsischen Geschichte. Leipzig, Veit u. Co. 8". 136 S. A. will zur Erweckung und Belebung historischen Interesses beitragen und stellt zu diesem Zwecke eine Anzahl von Quellenstellen und ähnlichem zusammen (nach Art z. B. des brauch- baren Quellenbuchs für neuere Geschichte von Schilling) , Fremdsprach- liches in Uebersetzung, älteres Deutsch in moderner Umformung. Ueber die Ausscheidungen in einzelnen Stücken soll nicht mit A. gerechtet wer- den: er selbst sagt, er habe absichtlich nicht alles vollständig gegeben. Doch auch bei den vollständig gebrachten Stücken finden sich Abweichungen, die nicht durch die Uebersetzung oder Umformung der älteren Sprach- wendungen veranlasst sind, sondern sich als Ungenauigkeit herausstellen, wie Nr. 1 4 in dem Schreiben Kurfürst Friedrichs II. betreffs eines hussi- tischen Spions ; Nr. 1 o Erbhuldigung Leipzigs an Friedrich den Jüngeren 1410 ist unwichtig , hat keine Bedeutung erlangt , da Leipzig bei dem Stamme Friedrichs des Streitbaren blieb. Das wendische Vateninser (Nr. .52) wirkt mehr wie eine Kuriosität. Gegen die Auswahl der Stücke für die Neuzeit Hesse sich manches einwenden, so ist Nr. 66 die Stiftung der goldenen Amtskette für den Leipziger Rektor nicht von solcher Wichtig- keit, um in einer Quellenauslese zustehen: sollten ferner Pei-sonalien Auf- nahme finden, so fragt man sich, warum gerade Robert Schumann, Rietschel, Richard Hartmann, Ludwig Richter herausgegriffen sind.

E. Pfeilschmidt, Umschau über die Fürstendenkmäler des Hauses Wettin. Dresden, Albanus. 8*^. 23 S. Die kurze Zu- sammenstellung ist ohne geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Werth: der Verfasser will auch Gedenksteine und hervorragende Büsten berück- sichtigen, aber in letzter Hinsicht dürfte Vollständigkeit schwer eiTeichbar sein; hier ist sie nicht erreicht. Es hat auch keinen höheren Zweck, jeden Steinblock, der an ein Jagdabenteuer oder eine flüchtige Durchreise erinnert, zu beschreiben. Eine künstlerische Würdigung wichtiger Denk- mäler findet nicht statt, nicht einmal auf die bezügliche Literatur ist hin- gewiesen ^).

J. Bloch witz, Die Wettiner und ihre Länder ( in der Schrift des Dresdner Festausschusses : Die 8 00 jährige Wettiner-Jubelfeier. Dresden, Albanus, quer 4", 59 S. 21 Taf.). Bl. betrachtet erst den Entwicklungs- gang des Fürstengeschlechts mit Bezug auf die Wandlungen des Besitz- standes und darauf die einzelnen Hen'schaftsgebiete im Anschluss an das alte kursächsische Wappen ; es sind stets nur einige Bemerkungen geboten, um zu erklären, wann und auf welche Weise jedes Gebiet an die Wettiner kam bez. ihnen verloren ging, tmd dabei sind auch die Landansprüche der Wettiner, soweit sie im Titel und Wappen Ausdruck fanden, mit berück- sichtigt. Um einige Mängel zu berichtigen, sei zu S. 7 daran erinnert, dass Rudolf, Adolf, Albrecht und auch Heinrich VII. zu der Zeit, wo von ihm hier die Rede ist, nicht Kaiser, sondern nur Könige waren. Die Neu- ordnung der Beziehungen der Wettiner zum Reiche ist S. 8 unklar dar-

') Das Landeskomite für En-ichtung des König-Johann-Denkmals hat heraus- gegeben : Das Landesdenkmal zu Ehren des Königs Johann von Sachsen errichtet in Dresden 1889. Dresden, Blochmann und Sohn. 4». 22 S. Erst wird die Ent- stehung des Denkmals beschrieben, S. 19—22 folgt oine Erklärung des Werkes von dem Meister Jobannes Schilling selbst.

170 Literatur.

gestellt. Johann von T-uxemhurg war keineswegs schon im wirklichen Besitz «les Viöhniischen Thrones, sondern um die Erwerbung und Behaup- tung zu erleichtern, sah er sich als Keichsvikar veranlasst, die Wettiner durch Zugestehung der Erbansprüche aufMeissen und Thüringen von seinen Feinden abzuziehen. Ausser Herzog Karl S, :i\ war noch ein wenn auch unebenbüi-tiger Wettiner Herzog von Kurland: Moritz, der Marschall von Sachsen. S. 34 41 stehen Regentenlisten mit genauen Angaben über Geburt, Regierung und Tod, über die Uemahlinnen und Kinder. Wenn aber S. 35 sogar die Kachkommenschaft von Albrechts II. Bastard Apitz aufgeführt wurde, dui-fte ebenda Friedrich ohne Land, der Sohn Heinrichs, des legitimen ältesten Sohnes Albrechts, nicht fehlen, der bis 1314 in Schlesien lebte. Den. Schluss bilden Stammtafeln der Wettiner. Bl.'s Ab- handlung verarbeitet die Ergebnisse der neueren zuveiiässigen Arbeiten ül)er sächsische Territorialgeschichte; er hat seine Quellen (meist ohne sie zu nennen) in geschickter, Sachkenntnis verrathender Weise benutzt '^).

.Von Hilfsdisciplinen der Geschichte ist die Landeskunde mit werth- vollen Arbeiten vertreten:

P. E. Richter, L i 1 1 e r a t u r der Landes- und Volkskunde des Königreichs Sachsen (herausg. v. Ver. f. Erdkunde zu Dresden). Dresden, A. Huhle. 8''. VI u. 308 S. Richters Buch ist eine hochver- dienstliche Publikation, da seit Weinarts ähnlichen Arbeiten eine fast über- reiche Literatur auf diesem Gebiete entstanden ist, die ein Repertorium nöthig machte. Die Anregung ging von der Centralkommission für wissen- schaftliche Landeskunde von Deutschland aus: eine Anzahl von Dresdner Gelehrten sammelte den Stoff, dessen Zusammenstellung, Verbesserung und Ergänzung dem durch bibliographische Arbeiten bekannten Bibliothekar der kgl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden zufiel. Als Plan hatten die von der Centralkommission gegebeneu Normalbestimmungen zu gelten:

1. Bibliographie der Landeskunde und Litteratur und Geschichte derselben.

2. Landesvermessung, Karten, Pläne und Ansichten (chronologisch geord- net), 3. Gesammtdarstellungen und Reisewerke über das ganze Gebiet (chronoL), 4. Landesnatur, 5. Bewohner, 6. Landeskunde einzelner Bezirke und Ortschaftskunde. Die chronologische Anordnung der Schriften nach der Zeit ihres Erscheinens würde für das Auffinden beschwerlich sein, doch ein sehr sorgfältiges Register macht die Benützung bequem. Dass das Buch trotz der grossen darauf verwandten Mühe noch lückenhaft ist, ist leicht begreiflich, und der Verfasser selbst wäre wohl der Letzte, der sich das verhehlte; solche umfängliche Repertorien können nur allmählich mehr und mehr vervollkonminet werden, und das ist ja auch von diesem Buche zu erwarten. Dennoch ist mit unumwundenem Lobe anzuerkennen, dass es schon jetzt sehr werthvoU und für Arbeiten in sächsischer Landes- kunde ein unentbehrlicher Führer ist. Eine längere Reihe von Ergän- zungen hier aufzuzählen, verbietet der Raum, nur einige aber herauszu- greifen, hätte wenig Wei-th. weshalb ich davon absehe. Hoffentlich erfahrt das trotzdem höchst nützliche Buch bald eine ergänzende Neubearbeitung ilurch seinen besonders dazu berufenen Verfasser.

') An den Aufsatz schliessen sich S. 43 f. Angaben über das Wettinfest nebst recht mittelmässigen Skizzen des Festziigs ; in emem Nachtrag „Die Wettin- foier in Dresden" Ib" S. 6 Taf. beschreibt Blochwitz den Festverlauf.

\

Literatur. 171

Sophus Rüge, Die erste Landesvermessung des Kuv- staates Sachs en auf Befehl des Kurfürsten Christian L ausgeführt von Mathias Oeder 1586—1607 (herausg. v. d. Direktion des K. S. Haupt- staatsarchivs). Dresden, Stengel u. Markert. fol. 4 S. Einleitung, 1 7 Taf. in Lichtdruck. In der Entstehungszeit dieses Kartenwerks verfolgte man bei Landesaufnahmen nicht wie heute vorwiegend wissenschaftliche, son- dern rein praktische Zwecke. Die Karte sollte Verwaltungs- und Wirth- schaftszwecken dienen ; deshalb verzeichnete man ein möglichst getreues Bild der Oberfläche des Landes , gab an , wem ein Gebiet gehöre , die Grenzen der Güter, besondere Baulichkeiten u. s. w. Die Schwierigkeiten der Aufnahmen waren ganz ausserordentlich, da von Verwendung der Triangulation noch keine Rede sein konnte; auch Oeder hat nur mit Qua- drant, Kompass und Kette gearbeitet. Bereits unter Kurfürst August waren 1560 der Leipziger Professor Humelius und 1562 15 70 der Mark- scheider Georg Oeder mit Aufnahmen betraut; seit 1586 war Mathias Oeder, Markscheider zu Freiberg, damit beschäftigt. Von seinem Werke liegt das Original und eine gleichzeitige Copie von Balthasar Zimmermann im Dresdner Hauptstaatsarchiv. Christian 1. nennt es 1586 »eine Mappe unsers ganzen Landesumkreiss«, anderwärts heisst es »Lanttaffel oder Mappe«, auch »Ge- nerallandmappe«. An der Hand von Urkunden verfolgt R. die Angelegen- heit bis 1607; die schwierige, durch mancherlei aufgehaltene Arbeit war nicht ganz vollendet, als Oeder starb. Die Nachbildung ist nach der ge- nauen, gegen das Original um das Vierfache verkleinerten Copie gemacht, die mehrere Nachträge und auf Besitzwechsel bezügliche Aenderungen auf- weist. Die Ausführung ist farbig mit Flächenkoloril für die einzelnen Herrschaftsgebiete. Die Bodengestalt ist spärlich angegeben, die Bewässerung dagegen sehr sorgfältig, vor allem ist die Genauigkeit des Flussnetzes zu rühmen. Die verschiedenen Arten von Mühlen nebst Zahl ihrer Gänge, Weinberge sind bezeichnet, bei Dörfern Besitzer, Gerichtsbarkeit, Zahl der Bauern oder Häusler angemerkt. Die Karten bieten also kultur- und lämiliengeschichtlich ein reiches Material. Die Copie ist in einzelne Blätter zerschnitten: davon sind die Sectionen 1 8, Provinz Sachsen und Theile von Thüringen, hier nicht wiedergegeben, sondern mar die das Königreich betreffenden Blätter. Was nicht lesbar war (die Copie weist Spuren häutiger Benützung auf) hat R. nach dem Original oder andern gleichzeitigen Zeich- nungen des Archivs vervollständigt. Es fehlen Theile des Muldengebiets, das ganze Gebiet der Zschopau, der Zwickauer Mulde, das Vogtland; das übi-ige ist auf 1 7 Sectionen vorhanden. Ein vollständiges Namensverzeichnis aller Lokalitäten wäre eine wohl zu umfängliche Arbeit gewoi'den, doch ein Verzeichnis wenigstens der Ortschaften oder grösseren Ansiedlungen wäre dankenswerth gewesen (z. B. zur Ermittlung von später verschwun- denen Ortschaften) : Randziffern und Buchstaben hätten die Auffindung eines Namens in dem damit bestimmten Quadrat des betreffenden Blattes sehr leicht gemacht.

Hugo Friedemann. Das Königreich Sachsen. Vaterlands- kunde. Dresden, A. Huhle. 8*^. 228 S. F. handelt über die ältesten Bewohner , Allgemeines , orographische Verhältnisse (Elster-, Erz-, Eib- sandstein- , Lausitzergebirge , Tiefland) , hydrographische Verhältnisse, Meteorologisches, Fauna, Flora, Mineralien, Industrie, Handel, Schulbildung,

172 Literatur.

Vei-fassung und als letzten Haupttheil die topographische Beschreibung der 4 Kreishauptmannschaften. Das Buch ist allzu scharf beurtheilt worden von Rüge (Dresdner Anzeiger 1. 9. 1889); mit den stattlichen, amtlich veranstalteten Landeskunden der süddeutschen Staaten ist aber diese bescheidenere Leistung eines Einzelnen schlechterdings nicht zu vergleichen. Eine grosse Anzahl Mängel und Fehler sind unleugbar zu rügen: einige hat Rüge aufgezählt und eine Auslese aus der grossen Zahl, die mir aufgestossen sind, gebe ich hier. S. 1 3 „Im thüringischen Kriege 1293(!) 1315(!) hausten die Schaaren Kaiser (!) Adolfs im Lande"; S. 145 „1216 wird Dresden Stadt", das Anfangsjahr ist jedoch unbestimmbar, 1216 erscheint es schon als Stadt: zu S. 145 „12 70 wird Dresden Residenz«, ib. 1452 »erste urkundliche Envähnung der Kreuzschule« und S. 147 »Pirna 1249 als Heirathsgut an Heinrich den Erlauchten« vgl. das oben bei Stöhrs Buch darüber Bemerkte: S. 152 »Meissen 922 930 vom Kaiser (!) Heinrich L erbaut«, statt »um 928«, sicher nicht vor diesem Jahre ; »1127 dui'ch Konrad an die Wettiner«(!); neben der neuen S. Bennokirche sollte die ungleich wichtigere neue Fürstenschule nicht fehlen. S. 160 Grossenhain wird (von Grvozdec abge- sehen) zuerst 1197, 1205, 1207 ei-wähnt. S. 161 bei Lauenstein war das Altai-werk und die Bünau'sche Grabkapelle unbedingt zu nennen, da sie zu den berähmtesten Werken der Bildhauerkunst ssec. XVI ex. XVII. in Sachsen, ja in Deutschland gehören. S. 168 »Freiberg 1175 ge- gründet«, das Jahr ist gar nicht bestimmbar; Alisiedlungen bestanden schon vor 1162, von einer »Stadt« kann aber erst zwischen 1185 1190 die Rede sein. Es wui'de nicht 1297, sondern 1296 von König Adolf erobert. S. 169: Saida und Purschenstein (fi-üher übrigens Borsenstein) war im 13. Jahrh. meissnisch, kam 1300 wieder an Böhmen. Nicht für möglich hält man die Worte S. 175 »Neustadt am Schi-eckenberge, später 1501 durch Kaiser (!) Maximilian St. Annaberg nach der Kui-fürstin Anna (ü) genannt«. Bei Colditz S. 210 war als Besitzer das mächtige Herrengeschlecht zu envähnen und dass die HeiTSchaft unter Karl IV. böhmisches Lehen wui-de. S, 221: der Bautzner Dekan von St. Peter ist nicht » Bischof von Sachsen « ; diese Titulatur hat es nie gegeben ; seit 1763 besteht in Sachsen ein apostolisches Vikariat, von dessen Inhabern die meisten zugleich zu Bischöfen in partibus infidelium ernannt wm-den (von Argia, Pella, Rama, Corycus. Azotus. Cucusus) und auch das Dekanat zu St. Peter bekleideten. lieber die kirchliche Eintheilung und Ver- waltung, überhaupt über die Religionsverhältnisse in Sachsen musste mehr gesagt werden. Die zusammenhängenden, darstellenden Abschnitte sind fi*isch und anschaulich geschrieben, mit sichtlicher Liebe zum Gegen- stande, die auch den Leser angenehm berührt: besonders sind in dieser Hinsicht die Schilderungen von Land und Leuten, von Sitte, Lebensweise, Sprache u. s. w. hervorzuheben, so über das Erzgebirge, das Vogtland, die Heide u. a. (S. 8, 16, 21, 36, 158).^)

'j Für äusserst bescheidne Ausprüchf berechnet ist die dürftige Landes- kunde vom Königreich Sachsen von F. U. Metzner. Langensalza, Beyer u. S. 8°. V u. 69 S. 1 Karte, Historische Verstösse mangeln nicht, so geschah nach S. 20 die Erwerbung des Pleissnerlandes im Jahre 1230.

Literatur. 173

Von andei'en Hilfswissenschaften wird am stattlichsten die Diplomatik repräsentirt : ^)

Otto Posse, Die Hausgesetze der Wettine r bis zum Jahre 1480 (Festgabe der Eedaktion des Cod. dipl. Saxoniae regise). 109 Taf. in Lichtdruck. Leipzig, Literarische Gesellschaft (Vorhauers Nachf.). Fol. Der Begriff Hausgesetze ist hier in der Bestimmung Zachariäs (Deutsches Staats- und Bundesrecht) gefasst; es sind demgemäss aufgenommen Familienverträge , Erbverbrüderungen , Theilungsrezesse, Testamente, Lehnbriefe und Eeichsgesetze, die für die Hausverfassung der Wettiner und die Greschichte ihrer Länder von Einfluss waren ; von fürst- lichen Ehepakten sind nur einige wichtigere ausgewählt, da P. die gi'osse Menge der übrigen in einem Spezialwerke herauszugeben gedenkt. Der Einleitung und genauen Inhaltsverzeichnissen folgt auf .58 S. ein historischer Ueberblick, um den Zusammenhang darzulegen, in welchen die einzelnen Stücke gehören. Den Haupttheil bilden die Tafeln. P. hat sich im Hofe des Albertinums , des neuen Archivgebäudes in Dresden, eine photo- graphische Anstalt eingerichtet ; daher sind die Photographien mit höchster Sorgfalt ausgeführt, sodass die darnach gefertigten Lichtdrucke ausge- zeichnet gerathen konnten. Es ist denn auch ein palaeographisches Pracht- werk geschaffen worden. Nachgebildet (meist in Originalgrösse, einige verkleinert) sind 2 Stücke aus dem Dresdner Thietmar-Codex (fol. 120, 164), 1 aus einem Dresdner Copialbuch saec. XIV. und 94 Urkunden von dem Diplom Kaiser Heinrichs IV. 14. 2. 1090 (das den ersten wettinischen Markgrafen von Meissen nennt) bis zum Naumburger Schied 25. 6. 1486. Zahlreich sind deutsche Königs- und Kaisenirkunden ver- treten und da gerade diese von besonderem Interesse für die Diplomatik sind, sollen sie hier mit angeführt werden: Taf. 2 Heinrich IV. 14. 2. 1090; Taf. 3 Friedrich I. 1174 Bestätigung der Erbtheilung Markgraf Konrads; 4 Friedrich II. Sept. 1227 Eventualbelehnung mit Meissen; 5 Friedrich IL 30. 6. 1242 Eventualbelehnung mit Thüringen; 9a Rudolf I. 4. 1. 1278 Erbfähigerklärung Friedrichs von Dresden; 13b Rudolf I. 31. 8. 1290 Belehnung Kursachsens mit Brehna und Wettin; 22a König Johann von Bölimen als Reichsvikar 19. 12. 1310 Bestätigung der wettinischen Lande; 23 Ludwig der Bayer 23. 6. 1329 Bestätigung des Erbvertrags mit Hessen; 25 Karl IV. 6. 2. 1350 Gesammtbelehnung ; 26 Karl IV. 16. 2. 1350 Belehnung mit Eisenberg und Torgau, oberstem Gericht und Eeichsjägermeisteramt ; 27 dsgl. 17. 2. 1350 Bestätigung der Rechte und Privilegien; 28 dsgL 17. 2. 1350 Eventualbelehnung mit den fränkischen Landen; 29 dsgl. IS. 2. 1350 Belehnung mit Pfalz Lauchstädt; 31a dsgl. 4. 12. 1355 Privilegienbestätigung; 31 b dsgl. 29. 12. 1355 sächsische Successionsordnung ; 33 dsgl. 27. 12. 1356 sächsische goldene Bulle; 37 dsgL 25. 11. 1372 Erbeinigung mit Böhmen ; 39 dsgl. 13. 12. 1373 Bestätigung der Erbverbrüderung mit Hessen; 41 dsgL 10. 6. 1376 sächsische goldene Bulle ; 46 Wenzel 11. 10. 1383 Gesammtbelehnung; [61 Siegmund 19. 7. 1420 Gesammtbelehnung, Notariatsinstrument vom 19. 4. 1437]; 62 64 Siegmund 6. 1. 1423,

') Einzelne Facs. von Ui-k. werden mehrfach geboten, so bei Kümmel, Mennel, Donadini, Loobe, s. oben u. im folg.

174

Literatur.

1. S. 142;"), 14. S. 142(i Belehnung mit Kur und Herzogthum Sachsen; CT Siegmund 28- 7. 1434 Bestätigung der Erbverbrüderung mit Hessen ; 88 Friedrich III. 29. 6. 1465 Privilegienbestätigung; 108 Friedrich 111. 24. 2. 1 486 Gesammtbelehnung und Erbtheilungsbestätigung. Auch böhmische Könige sind vertreten (so 86 Georg von Podebrad 1459, 89 Wladislaw 1482); von sächsischen Schriftstücken seien nur die beiden Theilungs- vertrüge vom 10. 9. 1445 (Taf. 74 79) und vom 26. 8. 1485 (Taf.

93 107) hervorgehoben. Zu dem reichen Stoffe haben die Archive von

Dresden, Weimar, Altenburg, Wien (aus dem k. k. H. H. u. St.-Archiv die interessanten Concepte des Vertrags zwischen Meissen und Böluuen, die Eef. im N. Arch. f. Sachs. Gesch. X. veröffentlicht hat, auf Taf. 21, der Vertrag vom 1. 9. 1307 auf Taf. 19a), München und Pisa beigesteuert. Das Werk ist für den Historiker (verschiedene Urk. sind noch ungedruckt) wie besonders für den Diplomatiker und Palaeographen von Werth, leider wird sein der glänzenden Ausführung durch die Officin von Stengel und Mar- kert angemessener hoher Preis der Benützung hinderlich sein, da dersell)e nur grossen Bibliotheken die Anschaffung ermöglicht, so dass man daraus fast dem Herausgeber einen Vorwurf machen möchte.

Die Genealogie hat ihren Vertreter gefunden in: Gg. Eberh. Hofmeister, Das Haus Wettin von seinem Ur- sprünge bis zur neuesten Zeit in allen seinen Haupt- und Neben- linien nebst einer genealogischen Uebersicht der,. alten Markgrafen von Meissen, der alten Herzöge von Sachsen bis zum J. 1423, der alten Land- grafen von Thüringen bis zum J. 1247. Leipzig, 0. Spamer. Fol. XIII u. 21 S. H. schickt eine kurze Einleitung über die Gelangung der Wet- tiner zur Herrschaft voraus. Die Stammtafeln geben die alten Sachsen- herzöge bis zur Verleihung der sächsischen Kur an die Wettiner (Liudol- tinger, Billunger, Supplinburger, Weifen, Askanier), die Thüringer Landgrafen bis zum Anfall der Landgrafschaft an Meissen, die Meissner Markgrafen (Ekkehardiner, Orlamünder, Brunonen, Groitscher) ; dann kommt die eigent- liche Aufgabe : die Genealogie der Wettiner in grösstmöglicher Genauigkeit und Vollständigkeit. Die Tafeln verrathen ausserordentlichen Fleiss; ihre Anordnung ist übersichtlich. H. nimmt sämmtliche Glieder auf, giebt, soweit es möglich, für jedes genaue Geburts-, Vermählungs- und Todes- daten, fügt aber und darin besteht noch ein besonderer Werth dieser Tafeln eingehende Angaben über die territorialen Verhältnisse, die häufigen Gebietszersplitterungen und Besitzverschiebungen hinzu. Wie weit- verzweigt gerade die Wettiner waren, dafür als Beispiel nur die eine That- sache, dass es Haupt- und Nebenlinien 1690 nicht weniger als 19 gab. Den Schluss bilden die Herrscherhäuser von Belgien, Portugal und Gross- britannien, die auf Sachsen -Coburg zurückgehen. Dass in einem so um- fassenden Werke mit einer derartigen Menge von Daten und Angaben sich da und dort kleine Mängel finden, vermag den Werth nicht zu beeinträch- tigen. Taf. 5 fragt man sich, warum bei Sophie, der Tochter Markgral' Dietrichs von Landsberg, nicht erwähnt ist was doch gerade auch von allgemeinerem Interesse ist dass sie mit Konradin verlobt und formell vermählt war (s. Wegele Friedr. d. Freidige S. 9 1, 349, Ficker in dieser Zeitschrift IV, 4) und dann den Herzog Conrad von Glogau heirathete. Apitz oder Albrecbt, Landgraf Albrechts 11. Sohn von Kunigunde von

Literatur. 175

Eisenberg, starb nicht »um 1297«, tla er (nach Wegele a. a. 0. 13G f., 257) noch 1298, 1300, 1301 urkundlich vorkommt, 1306 war er schon gestorben. Als erfreulich ist auch die würdige Ausstattung in Papier und Druck zu bezeichnen.

Die Heraldik ist mehrfach nebenbei berücksichtigt worden ; zahl- reichen Schriften sind wie Stammbäume, so auch Wappenabbildungen bei- gegeben (bei Kämmel, Blochwitz, Donadini u. a,).

D. Freiherr von Biedermann, Die Wappen der Stamm- lande und Herrschaften d es Wettiner Fürstenhauses. Leipzig, M. Euhl. 8". 5 S. u. 1 Taf. fol. Der erläuternde Text enthält trotz seiner Knappheit mehrere Fehler. Zu Nr. ]: nicht 1244, sondern 1247 kam Thüringen an die Wettiner; Nr. 9 : »Pfalz-Sachsen erhielten die Kurfürsten 1423 verliehen« erweckt die Ansicht, als handle es sich um eine ganz neue Ervv^erbung: thatsächlich war aber schon Heinrich der Erlauchte und seine Nachfolger Pfalzgrafen von Sachsen, bis im 14. Jahrh. Titel und Land verloren ging, aber theilweise schon 1347, der Rest 1423 zurück- kam. Nr. 1 4 : Pleissnerland erhielt Albrecht nicht vom Kaiser Friedrich II. als Mitgift selbst, es wurde ihm nur für die Mitgift verpfändet; erst unter Ludwig dem Bayern verstummt der Anspruch des Reichs auf diese Ge- biete, die immer mehr mit Pfandschaften belastet worden vi^aren. Zu Nr. 1 8 : Altenburg sei nach Johann Friedrichs Aechtung nicht v^irklich in Besitz der Albertiner gekommen, ist zu bemerken, dass es thatsächlich in deren Besitz war; erst 15 54 gab es August den Ernestinern zurück. Die 76 kleinen Wappenbilder sind sauber ausgeführt. Nr. 62: Herrschaft Colditz hat als Helmkleinode einen Vogelflug und ein Hörn (so stellt es auch ilie Abbildung der Krubsacius'schen Sammlung, Msc. Dresd. J. 54 fol. 7 5 und 237, die Ref. eingesehen hat, dar), auf einem Siegel eines der berühmtesten Mitglieder dieses Geschlechts, des unter Karl IV. hervor- tretenden Thimo von Colditz (an einer Urk. Thimos im H. H. u. St.-Archiv Wien), erscheint . statt des Flügels ein Geweih.

Auch die Kunstgeschichte ist nicht leer ausgegangen :

E. A. Donadini, Das goldene Buch oder accurate Abbil- dungen der w e i t b e r ü h m t e n f ü r t r e f f 1 i c h e n Sächsischen Für- sten nach Lukas Cranach . . . etc. Dresden, W. Hoffmann. Schmal- fol. 22 Taf. Don. giebt auf 20 Tafeln (auch Titel und Schlussblatt sind künstlerisch ausgestattet) die Nachbildungen der Bilder von Wettinern in ganzer Figur von Heinrich I. von Eilenburg bis zu Johann Friedrich dem Mittleren, jedoch nicht alle; es fehlen manche wichtige, während andere unbedenklich wregbleiben konnten. Porträtwerth haben nur einige der späteren Bilder und selbst diese nicht unbedingt. Die Bezeichnung »nacli L. Cranach« ist einerseits sehr unbestimmt (es ist nicht einmal gesagt, welcher L. Cranach, und dann auch nicht, nach welchen Originalen), anderer- seits sehr kühn, da selbst für die späteren Bilder Cranachs Urheberschaft niclit sicher ist. Die Vorlage ist das unter Cranachs des Aelteren Namen gehende Sächsische Stammbuch, Msc. Dresd. E. 3, das alle geschichtlich bezeugten, wie sagenhaften sächsischen Fürsten nebst ihrer Familie vorführt. Die Reproduktion ist in der Hauptsache gelungen ; nicht oder doch nicht ganz getreu wiedergegeben sind die Gesichter von Koni'ad, Friedrich dem Frei- digen, Albrecht dem Beherzten, Georgs Sohn Friedrich, Moritz. Auch in

J76 Literatur.

den Reimen, die zu Häupten jeder Person stehen, finden sich Abweichungen: bisweilen scheint D. aus allzugrosser Aengstlichkeit einige Zeilen unter- drückt zu haben, da er sie wohl für zu freimüthig für eine Festschrift hielt, so bei Albrecht dem Stolzen 4 Zeilen über den Krieg gegen den Vater (im Codex fol. 65), ähnlich bei Friedrich dem Freidigen (Cod. fol. 73 V.) 1).

Arthur Mennell, Goldene Chronik der Wettiner. Leipzig, Literarische Gesellschaft. 22 S. u. 138 Taf. Fol. Die Einleitung zu den Tafeln giebt keinen zusammenhängenden Text, sondern neben vielen loyalen Redensarten theils einzelne Notizen, theils längere Ausführungen, die dem Laien zur Erklärung der Bilder wenig oder gar nichts bieten, und dem Fachmann ebenso wenig nützen, da für denselben manches überflüssig, anderes Fehlende dringend nöthig war. Wollte der Verfasser keine umfassende Erklärung der Bilder geben, so empfahl sich eine ein- fache Inhaltsübersicht mit kui'zer Angabe, was jedes Bild darstelle ohne weitere Erörterung, aber mit genauer Bezeichnung, woher es stammt. Der jetzige Text ist fast werthlos. Trefflich sind dagegen die von Stengel und Markert und Giesecke und Devrient ausgeführten Reproduktionen, in deren Anordnung und Auswahl aber auch nur allzu sehr historisches Verständnis vermisst wird. Das Buch ist nur ein interessantes, präch- tiges Bilderbuch, aber das konnte doch nicht bloss der Zweck eines so umfänglichen und theueren Werkes sein. Unter den Nachbildungen nennen wir Taf. 3 das schon oben erwähnte Facs. aus Thietmar, Taf. 6 und 7 Siegel von Markgraf Conrad bis zu König Albert, aber nicht von allen Fürsten, Taf. 6 konnten n. 7 u. S die lieiden minder wichtigen Siegel der Grafen von Brehna wegbleiben, wofür man lieber einige mit Unrecht weggelassene Markgrafen- und Kurfürstensiegel aufgenommen wünschte. Taf. 10 giebt eine Anzahl Münzen wettinischer Fürsten, 12 das Facs. der Seite der Manesseschen Liederhs. mit Heiniichs des Erlauchten Bild und Minne- liedern, 13 Facs. von Siegmunds Urkunde 6. 1. 1423. Zahkeich sind Porträts der Mitglieder des Herrscherhauses, femer alte Kai-ten, Pläne und Ansichten von Städten, Abbildungen einzelner Gebäude, geschichtlich werthvoUer Denkmäler, Grabstätten u. a. Schade um Mühe und Kosten der technischen Herstellung, wofür etwas Brauchbareres geschaffen werden konnte.

Ernst Lobe, Der Staatshaushalt des Königreichs Sachsen in seinen verfassungsgeschichtlichen Beziehvmgen und finanziellen Leistungen. Leipzig, Veit u. Co. s". Vni u. 272 S. Der Verfasser, ein höherer Vei-waltungsbeamter, der mit dem Stoff" vertraut ist, hat hier- mit ein für die Verfassungsgeschichte seit der Konstitution wichtiges Buch geliefert, wer-thvoll für den Historiker, den Statistiker und jeden, der be- rufen ist, praktisch am Staatsleben des Königreiches in Beamtenstellung oder als Mitglied der gesetzgebenden Köi-perschaften theilzunehmen. Das Hauptgewicht liegt auf der Darstellung der Entwicklung seit den dreissiger Jahren und gipfelt in der Betrachtung der gegenwärtigen Sachlage; wo es nöthig bez. möglich ist, sind knappe Bemerkungen ülier die Zeit vor der Konstitution vorausgeschickt. Nach einander werden durchgesprochen :

') Nilher kann hier nicht auf das Buch eingegangen werden ; über die Vor- lage, den Dresdener Bilderkodex, wird Ref. im N. Arch. f. Sachs. Gesch. XII handeln.

Literatur. 1?7

Der Staatshaushalt und das Bewilligungsrecht der Land es Vertretung, Staats- haushaltsetat, Staatsvermögen u. -schulden, Staatsfiskus, Beziehungen zum Könige und königlichen Hause , Verwaltung und Controle des Staats- haushalts, Finanzlage der einzelnen Zweige desselben ; am Schluss stehen 2 Tabellen: Ueberschüsse und Zuschüsse und Entwickelung von Staats- vermögen und -schulden 1834 1885, zuletzt ein sorgfältiges Sachregister. Die Darstellung beruht auf zuverlässigstem Material (Gesetzen, Landtags- akten, ständischen Schriften, Rechenschaftsberichten u. a.). Der sprach- liche Ausdruck bewegt sich trotz aller Kürze in verständlicher Klarheit, was bei diesem Stoffe doppelt anerkenuenswerth ist.

J. Tr. F. Ulbricht, Geschichte der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen (herausg. im Auftrage des K. S. Finanzministeriums von der Generaldirektion der Staatseisenbahnen). Dresden, C. Heinrich. 4^. 147 S. 4 Taf. Der Vorstand des statistischen Bureaus der Staatseisen- bahnen war die geeignete Persönlichkeit zur Behandlung dieses für moderne Kulturentwicklung hochwichtigen Gegenstandes. Steht doch Sachsen, was sein Eisenbahnnetz betrifft, auf dem eui'opäischen Continent mit an erster Stelle ; war es doch Sachsen, das zuerst in Deutschland eine grössere Bahnstrecke schuf: 1837 39 die Leipzig-Dresdner Eisenbahn. U. giebt zugleich also eine Jubiläums schriffc für das sächsische Eisenbahnwesen selbst. Das Buch, das die einzelnen Linien, die Entwicklung des Bahn- netzes, Betriebsangelegenheiten behandelt , kann hier nicht weiter be- sprochen werden; Karten, graphische Darstellungen und Tabellen erläutern und ergänzen den Text. Dem Werth für die neuzeitliche Kultur- und besonders Handelsgeschichte Sachsens entspricht die schöne Ausstattung^).

Den obigen zahlreichen Arbeiten reihen sich nun noch verschiedene Schriften an mit dem ausgesprochen populären Zweck, einer Gesammt- übersicht über die ganze sächsische Geschichte. Die Beste von ihnen, die deshalb nicht in eine Klasse mit den übrigen zusammengeworfen werden darf, ist die von

0. Kämmel, Ein Gang durch die Geschichte Sachsens und seiner Fürsten (künstlerisch ausgestattet von Historienmaler E. A. Donadini). Dresden, W. Hoffmann. Fol. HO S. Was K.'s Schrift auszeichnet, ist die Betonung allgemeiner Gesichtspunkte, die Be- rücksichtigung des Zusammenhangs der wettinischen Füi'stengeschichte und der meissnisch-sächsischen Ten'itorialgeschichte mit der Reichs- und Universalgeschichte. Recht gelungen sind die Ueberblicke über innere Zustände (Rechtspflege, Stellung der Fürsten, der einzelnen Stände, Städte- wesen, Wissenschaft und Kunst, Handel und Gewerbe) so S. 3, 9, l(j. 31, 53, 69, 75, 81, 97 u. f. Dabei ist die Ausdrucksweise gewählt und klar, die Anordnung geschickt, so dass dem Leser, soweit dies bei der gedrängten Schilderung möglich ist, ein gutes, abgerundetes Bild der betreffenden Zeit vor Augen steht. Ueberall zeigt sich, dass K. ein Dar- steller ist, der mit echt historischem Blick seinen Gegenstand erfasst und

') Noch eine zweite staatliche Einrichtung feierte im Jubeljahr ein eigenes Jubiläum : Sachsen war der erste Staat , der die Stenographie Gabelsbergers offiziell pflegte: vgl. hierüber ,, Festschrift zur öOjährigen Jubelfeier des Kgl. Steno- graphischen Instituts /AI Dresden'-. Dresden, JVleiuhukl u. S. 8". SU 8. 14 Taf.

Mittheüungen Sil. \2

178 Literatur.

ilin dann in geeigneter Fonn vorzuführen verstellt. Im Einzelnen freilicli lassen sich zahli'eiche Ausstellungen machen; Iiiihümer, Versehen sind nicht selten und zeigen, dass dem Verfasser die frühere sächsische Ge- schichte, besonders des Mittelalters, vor dieser Arbeit doch fern gelegen hat. Zu S. 5: die Eckardiner starben nicht 1047, sondern 24. Februar 1046 aus. S. ]ß: die Behauptung, dass die Wettiner sich »mit nüch- terner Ueberleguug der wiederholten Aufforderung der italienischen Ghibellinen, das Erbe der Hohenstaufen anzutreten, versagt hätten«, ist unzutreffend ; 1270/71 sind sie in der That darauf eingegangen, und noch 1296 kam Friedrich der Freidige nochmals darauf zurück (vergl. Wegele, Friedrich der Fi'eidige Anhang 11 und Jahi'buch der deutschen Dante- gesellschaft Bd. I, Bussen, in den Abhandlungen dem Andenken von Waitz gewidmet); nicht kluge, bedächtige Erwägung, sondern die Be- hindeiTing dui'ch innere Verhältnisse hielt sie ab. S. 17: Grossenhain erscheint schon mehrere Jahrzehnte vor 1234 als Stadt. S. 12 ist Alt- zelle 1162 gestiftet, S. 17 dagegen 1175. S. 19: ZschiUen wui'de 1278, nicht 12y9, Deutschordenskommende. S. 28: Bei der Sorgfalt, mit welcher K. die Fäden aufdeckt, die die Geschichte der Wettiner mit all- gemein deutschen und europäischen Angelegenheiten verknüpfen, vermisst man einen Hinweis auf die Bemühungen Herzog Wilhelms um die luxemr burgische Erbfolge 1440 1444. Die böhmische Oberlehnsherrlichkeit über Colditz etc. S. 29 hat mit dem Vertrag Friedrichs von Dresden 1289 auch nicht das mindeste zu thun, sondern geht auf Karl IV. zurück. S. 29: Durch Pius IL erfolgte nur die Citation Georgs von Podebrad, der Bann selbst am 8. 12. 1465 durch Paul IL S. 46 : Kurfürst Moritz' Gemahlin hiess Agnes, nicht Anna. S. 51: Auch unter August haben Jahrzehnte lang Verhandlungen mit Frankreich (allerdings ergebnisslos) geschwebt. S. 57: Die Behauptung, dass der Kanzler Krell ein Calvinist war, hätte K. nicht den orthodox-lutherischen Fanatikern jener und auch noch unserer Zeit nachschreiben sollen. S. 77: Dresden-Friedrichstadt wurde nicht von August dem Starken, sondern 16 70 von Johann Georg IL als Gemeinde Neustadt Ostra gegründet: Friedrichstadt wui'de sie, da Friedrich August d. St. manches für sie that, seit 1730 von den Be- wohnern, aber erst seit 1734 auch behördlich genannt. Zahlreiche Hlustrationen im Texte, einige Vollbilder, 1 Facs. (Urk. Heini'ichs IV. von 1090) und farbige Wappenabbildungen sind beigegeben. Freilich sind die Holzschnitte zum Theil recht mangelhaft, so dass das Buch ent- schieden unter der beträchtlichen Anzahl minderwerthiger Bilder leidet; manche sind geradezu schlecht, so z. B. S. 43 Johann der Beständige, 44 Georg der Bärtige. Bei der Nachbildung alter Bilder empfahl sich anzugeben, woher sie genommen sind, keine langen Citate, sondern kurz, wie z. B. S. 7 »aus Albinus Meissn. Chron. *, S. 8 das Bild Conrads »nach dem sächsischen Stammbuch« u. s. w. ^)

•) Zwei Schriften geben anstuhrlichere, populärgehalteue Biographien be- rühmter Wettiner: Paul Reichardt, Drei Fürsten aus dem Hause Wettin (mit einem kurzen Ueberblick über die Geschichte der Albertinischen Liniol Chemnitz und Leipzig, E. Pocke, 8". IV und 76 S. R. giebt Lebensbeschreibungen von Albrecht dem Beherzten, Moritz und .Johann Georg IIL Als Festschrift ist ferner anonym erschienen die 3. Aufl. von (A. Hopp e-Sey 1 er) Friedrich

Literatur. 179

Was sonst noch von Festschriften vorhanden ist. verdient keine spezielle Berücksichtigung und deshalb sollen nui- einige Bemerkungen allgemeinen Charakters Platz finden. Die Verfasser haben sich bestrebt, die einfachsten Grundbegriffe der geschichtlichen Entwickelung der Mark Meissen, des Kurstaates und Königreichs Sachsen unter wettinischem Szepter den weitesten Schichten des Volkes bekannt zu machen. Diese Absicht wies auf schlichte Darstellung hin, die sich von allem Fach- wissenschaftlichen geflissentlich fern hält. Eine solche Literaturgattung hat bekannter- und anerkanntermassen ihre gute Berechtigung; denn die eigentliche wissenschaftliche Literatur bleibt weitaus in den meisten Fällen auf einen engbegrenzten Kreis spezieller Forschungsgenossen beschränkt. Die Eesviltate aber, die die Fachwissenschaft findet, sollen nicht auf sie beschränkt bleiben, sondern wenn dies auch nm* allmählich geschehen kann der gesammten geschichtlichen Auffassung, zum mindesten der aller Gebildeten, zu gute kommen. Dies zu vennitteln ist die gute und edle Aufgabe populärer Geschichtsschreibung ; sie soll auf den Arbeiten der Fachhistoriker fussen, nicht fachwissenschaftlich, aber auch nicht unwissen- schaftlich sein. Hiergegen wird ft-eilich meist in der ärgsten Weise gefehlt. Die Verfasser glauben nur zu oft, dass der blosse gute Wille oder, wie im vorliegenden Falle, eine löbliche Vaterlandsliebe und loyale Gesinnung genüge; selbst andere weniger zu billigende Beweggründe mögen da oder dort mit ins Spiel gekommen sein. Ab und zu enthält auch das Vorwort als captatio benevolentiae das Eingeständnis der angeblich selbst geftihlten Mangelhaftigkeit. Doch alles das entbindet den Verfasser nicht, auch bei seinen bescheidenen Zeilen sich höchste Gewissenhaftigkeit und sorg- fältige Vorstudien zui- heiligen Pflicht zu machen, umso mehr als er fiir Leute schreibt, denen meist ein eignes Urtheil über das Gebotene ab- geht. Popularisieren ist daher nicht nur nicht leicht, sondern sogar recht schwierig, denn eine populäre Darstellung, die Nutzen bringen soll, vermag nur der zu schi-eiben, der den betreflenden Stoff" völlig beherrscht, i)

der Weise, Kurfürst von Sachsen. Bremen, M. Heinsius. S". VIIL und 128 S. mit dem Holzschnitt von Peter Vischers Denkmal dieses Fürsten.

') Es sollen hier nur die Titel aufgezählt werden : Regententafel des Kgl. Hauses Sachsen mit Darstellung der gleichzeitigen Regierungsdauer der deutschen Könige und Kaiser und der hauptsächlichsten Zeitereignisse. Leipzig, Giesecke u. Devrient, quer 8" (synchronistisches Schema). Festgabe des Säch- sischen Pestalozzi Vereins (Verf. 0. Langebacb). Leipzig, Klinckhardt, 8", 48 S. Auch eine wendische Festschrift ist in Bautzen bei Schmaler erschienen. P. Kunath, Kurze Geschichte unserer vaterländischen Fürsten aus dem Hause Wettin. Dresden, Huhle , 8", 32 S. (ganz ungenügend). Richard Kupfer, Wettins Fürsten von Markgraf Konrad d. Gr. bis König Albert. Leipzig, 0. Ruhl, 4", 31 S. (desgl.). Ernst Eckar dt, Sachsens Fürstenzug. Würzen u. Leipzig, C. Kiesler, 8», VIII u. 100 S. (trotz wiederholter Citate der Fachliteratur ganz ungenügend). Adolf K oh ut, Goldene Worte der Wettiner. Dresden, Hacka- rath, 8", VIII u. r,0 S. (Idee nicht übel, Ausführung ungenügend, dabei ebenso wie in der nächsten Schrift ein gutes Mass von sehr übel angebrachter Selbst- gefälligkeit in der Einleitung). A. Kohut, Ruhmesblätter des Hauses Wettin. Dresden-Striesen, P. Heinze, 8^ 63 S. (schlecht). G. W. C. S ch m i d t , Das Fürsten- haus Wettin. Dresden, Münchmeyer. 8», 48 S. (desgl.). (A. Siebenhaar V) Bilder aus der Geschichte des Hauses Wettin. Leipzig, Wallmann, S^, HO S. (desgl.). H. von Suekow, Das Königshaus Wettin. Dresden, P.Schmidt, 8", 32 S. (dsgl.). Ernst von Bert euch, Der goldene Faden in der Gesch. des Hauses Wettiu

12'

j^gQ Literatur.

Nachtrag.

In Jen letzten Wochen erscheint noch ein Werk, das im engsten Zu- sammenhang mit dem Wettinlest steht und deshalb noch zu erwähnen ist:

K. Freih. von Mansberg, Der mittelalterliche Turnier- zug zur 800jährigen Jubelfeier des Hauses Wettin. Darstel- lung der Theilnehmer in farl)igem Lichtdruck nebst erläuternden histo- rischen Xachweisen. Dresden, W. HofFmtmn, 1890, gr. l'ol. Im Festzug befand sich auch ein Eitterzug des 1 4. Jahrh. , Vasallen Landgraf Fried- richs des Ernsten, dessen Bedeutung ausser der wirklichen historischen Treue des ganzen Aufzugs darin bestand, dass die Personen selbst Mit- glieder jener alten, noch jetzt blühenden meissnischen, osterläjidischen, thüi'ingischen Geschlechter waren. Sie sollen hier sämmtlich dargestellt werden. Dem Eef. hat bisher nur die I. Lieferung vorgelegen. Ein aus- führlicher Text über Eitterthum und ritterliche Waffen geht den Tafeln voraus. Mit Eecht betont M. in der Einleitung die Ebenbürtigkeit des MA., dessen Blüthezeit mit der des Ritterthums zusammenfalle, mit andern Perioden, was seine Wichtigkeit für die Entwicklung deutschen Lebens betreffe. Darin ist ihm nur beizustimmen, überflüssig aber ist der pole- mische Ton; denn die Zeit, wo man auf das MA. als eine Zeit wüster Eohheit und Dummheit herabsah, ist doch seit über zwei Menschenaltern vorbei; man braucht nur an die M. G. und den allgemeinen Aufschwung, den wesentlich im Anschluss daran die m.-a. Geschichtsforschung genommen hat, zu erinnern. Auch die Erörterungen über die Berechtigung der Stan- desehre konnten als unnöthig wegbleiben. M. ist etwas überschwänglich im Lob des MA. und einseitig eingenommen gegen die Neuzeit. Niemand, der mit Eifer m.-a. Studien sich hingegeben hat, wird dem Eeiz gerade des MA. sich entziehen; muss aber, um eins zu erheben, das andre als erbärmlich hingestellt werden? Giebt M. »gefühlsarmen Gelehrten«, Leuten vom »Geschlecht moralischer Pygmäen« (S. 3) Schuld, dem MA. nicht ge- recht zu werden, so verfällt er in das andere Extrem. Manches wird bloss oder doch voi-wiegend dem Eitterthum zugeschrieben, wobei ganz andere Faktoren an erster Stelle zu nennen sind ; so wenn besonders dem Eitter- thum die Blüthe m.-a. Baukunst zugeschrieben wird, wofür ritterliche Freigebigkeit die Mittel geliefert habe. Eomanischer wie gotischer Bau- stil erreichten jedoch ihren Höhepunkt im Kirchenbau und hierin sind ge- rade die erhabensten Werke Ehrenmäler geistlicher oder bürgerlicher Unter- nehmungslust und Opfer-ivilligkeit. Nach M.'s Ansicht^tritt mit dem bürger- lichen Element das Handwerksmässige mehr hervor, das Vornehme, Gross- artige schwindet (S. 4); es genügt, dagegen die Namen des Ulmer und Strassburger Münsters, des Cölner und Stelansdomes zu nennen, die zwar in der Blütheperiode des Eitterthums entstanden, doch diesem ihren Bau nicht zu verdanken haben. M. bespricht dann kurz die Quellen iür die Kenntnis des ritterlichen Aeusseren im 14. Jahrhundert; er will (S. 7) nur den Eitter in Kampf- oder Turnierausrüstung behandeln, nicht die Hof-, Eeise- oder Haustracht. Darauf werden eingehend nach einander die

1089—1889. Wiesbaden, Bechtold u. Co., 8", 12 S., 2 Taf. (desgl.). Auch histo- rische Erzählungen, Predigten, Dichtungen u. dergl. giebt es zu Dutzenden, doch -würde selbst deren blosse Nennung nicht hergehören.

Liieratur. jgl

ritterlichen Trutzwaflfen (Schwert, Speer, Dolch, Beil, Kolheu, Hammer) besprochen, dann das Streitross und das ganze Reitzeug, ferner die ritter- lichen Schutzwaffen (Eisengewand, Harnisch etc.). Diese Abschnitte sind mit Sachverständnis und Kenntnis der Literatur geschrieben i) und durch treffliche Tafeln mit Abbildungen von Waffen und Reitzeug erläutert, die meist nach Originalen, z. Th. nach m.-a. Miniaturen gegeben sind: Taf. H enthält auch 4 Wettinersiegel von 1181 120ß. Die farbigen Tafeln des Ritterzugs zeigen je einen Ritter zu Ross nebst Knappen zu Fuss in porträtgetreuer Darstellung der betr. Personen. Historisch interessant ist der landschaftliche Hintergrund (jedem Ritter ist ein im Besitz der Fa- milie befindliches Schloss beigegeben), der nach Bildern von G. Hohneck vortrefflich ausgeführt ist; ebenso sind auch die figürlichen Darstellungen Meisterstücke an Sauberkeit und Eleganz des Farbendrucks. Die bisher erschienene Lieferung enthält die Geschlechter Einsiedel (mit Schloss Ge- nandstein a. d. Wyra), Schönberg (Purschenstein, Erzgebirge), Rex (Zehista b. Pirna), Pflug (Strehla a. d. Elbe), Kyaw (Hainewalde, Oberlausitz), Carlowitz (Hej^da b. Würzen) und zweimal Sahrer von Sahr (Dahlen b. Oschatz und Ehrenberg a, d. Zschopau) 2).

Dresden. WoldemarLippert.

Anualen der deutschen Geschichte im Mittelalter, III. Abtheil ung: Annalen des deutschen Keiches im Zeit- alter der Ottonen und Salier, I, Bd., Von der Begrün düng des deutschen Eeichs durch Heinrich I, bis zurhöchsten Machtentfaltung des Kaiserthums unter Heinrich III,, von G. Richter und H. Kohl, Halle a. S. 1890. 8«, 428 S. und eine Stammtafel.

M. Manitius, Deutsche Geschichte unter den säch- sischen und salischen Kaisern (911(!) 1125), mit einer Karte: das deutsche Reich beim Tode Ottos d. Grossen. Stuttgart 1889. 8°, 639 S.

Von diesen zwei den gleichen Zeitraum behandelnden Werken ist das erste ein zusammenfassendes Quellenbuch für das wissenschaftliche Studium der deutschen Geschichte, das andere ein Compendium, dessen Darstellung sich auch an weitere Kreise wendet- beide bilden so unwillkürlich eine gegen- seitige Ergänzung und Controlle.

') Im folg. sollen histor. Angaben über die einzelnen Geschlechter gegeben wer- den. 2) Gleichfalls nachträglich, aber vor der obigen schönen Publikation ist im selben Verlag ein anderes Bilderwerk erschienen : Erinnerungen an das Armeefest zur Feier der 800 j. ,Jub. d. Hauses Wettin 1889, gi-. foL, J Blatt mit Liste sämmt- licher-Theilriehmer und 9 Bl. farbige Gruppen und Einzelbilder, denen aber die gerühmten P]igenschaften der andern, Sauberkeit und Eleganz, abgehen; auch diese Bilder hätten einen gewissen militärgeschichtlichen Werth haben können, wenn sie die bei der Aufführung getreu nachgeschaffenen Uniformen der kur- sächsischen u. a Heere zur Zeit iles Kutsatzesvon Wieu auch ihrerseits getreu und deutlich vurtührten: stattdessen sind sie vielfach unklar und verschwfinunen. Ueber das Armeefest vgl. oben Anmerk. zu Dittrich,

182 Literatur.

- Es ist nicht zu läuguen, tlass für beide ein gewisses Bedürt'niss vor- lag. Namentlich die Annalen der deutschen Geschichte haben schon in den früheren, der fränkischen Zeit gewidmeten Bänden durch die bequeme, übersichtliche Zusammenstellung der wichtigsten Quellenstellen ich möchte sagen als eine Art Kegesten der Eegesta imperii in der neuen Auflage und durch ihre solide, tüchtige Arbeit mit Recht vielen An- klang gefunden, ihre practische Brauchbarkeit erprobt. Aber auch für eine zusammenhängende Darstellung der genannten Jahrhunderte fehlt es nicht an Kaum, sei es, dass sie einem wahrhaft inneren Drange entquillt, um ganz neue Auffassung und Ergebnisse der Quellen zum Gemeingut zu machen, oder dass sie sich auch das bescheidenere Ziel steckt, die jüngeren Darstellungen, wie die von Giesebrecht und Nitzsch, verbunden mit den geistreichen Andeutungen in Eanke's Weltgeschichte einer- und den breiten Ausführungen in den Jahrbüchern der deutschen Geschichte andrerseits, einer nochmaligen Ueberprüfung an der Hand der Quellen zu unterziehen. In letzterm Ealle, der beiläufig dem Standpunkte des Manitius'schen Werkes entsprechen dürfte, würde der Bearbeiter in einigen Jahren, sobald auch die Jahrbücher zur Geschichte Otto II. und III., Heinrich IV. und V. vor- liegen Averden, freilich in viel günstigerer Lage sein.

Anlage und Einrichtung der Annalen der deutschen Geschichte kann ich von den beiden frühern Bänden her als bekannt voraussetzen. Auf die kurze annalistische Angabe der wichtigsten politischen Ereignisse zur d. Geschichte folgen in den Noten, ebenfalls jahrweise, die wichtigeren Quellenbelege mehr oder minder in vollem Wortlaute, sowie Verweise auf Literatur und Kritik, gegebenen Falles in noch kleinerem Drucke Anmer- kungen zu den Anmerkungen. Wenn ein unkundiger Benutzer das Buch durchfliegt, möchte er den Eindruck empfangen, dass uns sehr wenige wichtige Thatsachen in sehr vielen Quellen überliefert seien; in Wirklich- keit kommt das Kaumverhältniss von Text und Noten auch davon her, dass die Verfasser nicht nur alles Detail, sondern auch alle Ereignisse, denen sie nicht ganz hervorragende Wichtigkeit zuerkannten, in die An- merkungen verbannten. Die Uebersichtlichkeit gewinnt durch diese Kürze und den lapidaren Stil des Textes allerdings, aber ich glaube, dann und wann doch auf Kosten der Brauchbarkeit; und wenn die Verfasser nach Aussage der Vorrede bei diesem Bande in der reichern Gestaltung des führenden Textes weiter gegangen sind als früher, so scheint mir an manchen Punkten da noch nicht des Guten genug geschehen zu sein. Bei den spärlichen Nachrichten über Heinrich I. hätte 922 doch das Coblenzer Concil, vielleicht auch 931 der Zug nach Lothringen erwähnt werden sollen (beide Ereignisse ganz übergangen); ein Plätzchen im Text hätte dann auch 937 die Gründung von S. Moriz zu Magdeburg (die viel weniger folgenreiche Stiftung Quedlin- burgs ist aufgenommen) verdient, ebenso die Vertreibung Heinrichs aus Lothringen 940, der Bruch Ottos mit Hugo von Franzien und der Zug Berengars nach Italien 945, die auch in den Belegen übergangene Affaire von Illertissen 954, der Zug gegen die Kedarier 957, die Erzählung der römischen Vorgänge 963 leidet an der Nichterwähnung der Flucht Jo- hannes XII. vor Ottos Ankunft; in den Text wäre auch aufzunehmen ge- wesen der grosse Kölner Tag 965 (eine Erwähnung der letzten Kämpfe und des Todes Wichmanns scheint nur aus Verseheu p. 105 ausgefallen

Literatur. 183

HU sein, da p. 106*^ die entsprechenden Belege vorkommen), ebenso 977 die Eestitution der Söhne Ragenars, 980 die Aussöhnung Ottos II. mit seiner Mutter, sowie die Uebertragung der italienischen Statthalterschait an sie 983, dann 997 die Ernennung Mathildens als Reichsstatthalterin für Deutschland was hat es sonst für einen Sinn, deren Tod 999 (p. 162) im Text anzumerken? Auch die Bestrebungen Ottos IIL, Rom zur Hauptstadt seines einheitlichen Reiches zu machen, möchte man an hervorragenderer Stelle, als unter den Belegen S. 169 angeführt sehen. Uelierrascht war ich, eine Reihe wichtiger Facta auch in den Noten nicht berücksichtigt zu finden, so die Neubegründung der Ostmark (976), die römischen Wirren 974 980, die Stellung der Theophanu zum Thron- wechsel in Frankreich 987 ff., das Yerhältniss derselben zu Kaiserin Adel- heid, die unteritalienischen Pläne Otto's IIL , den sogenannten Ganders- heimer Streit, den Umschlag in der Stellung des Willigis und in jener der deutschen Fürsten zu Ende der Regierung Ottos IIL, die Aufliebung des ßisthums Merseburg und den langwierigen Process, welchen Gregor V. deshalb gegen Erzb. Giseler anstrengte, etc. Wol ist dann der Ganders- heimer Streit p. 238^ zum J. 1021 recapitulirt, aber wer sucht hier die wichtigsten noch unter Otto III. fallenden Phasen? Da? sind aber Aus- nahmen; auch einzelne Flüchtigkeiten (z. B. dass S. 36 bei Birthen Otto selbst siegt; S. 54 die Einnahme von Laon gemeldet wird, das richtige in der Note; nach S. 62 im J. 951 die Römer richtiger in der Note sich weigerten, Otto in ihre Stadt aufzunehmen; S. 65 der König in Wirklichkeit H. Heinrich, Widukind III, 16 die Anklage gegen Erzb. Fried- rich erhob ; S. 85 Brun im Besitze Lothringens anerkannt worden sei imd ähnliches) beeinträchtigen den Werth des Buches nicht in empfindlicher Weise; im grossen und ganzen ist die Auswahl der in den Text aufge- nommenen Facta nur zu billigen. Auch den Belegen darf das Zeugniss nicht versagt werden, dass sie fast immer und an richtigem Punkte die wichtigsten Quellenstellen enthalten: nachzutragen wäre etwa 946 bei der Designation Liutolfs die Vita Uodalrici epi., 947 beim Tod Bertholds von Baiern das Chr. un. Suev., 951 für Adelheids Befreiung das Necr. Merse- burg., für 961 und 962 das Chronicon Benedicti de s. Andrea 968 der Bericht der Gesta epp. Camerac. über Ottos süditalienischen Kriegszug; S. 39 ist zu wenig beachtet, dass Widukind 11, 20. 21 ein Einschiebsel ist, 154** dürfte für die Geschichte der Normanneneinfälle der spätere Bericht des Adam von Bremen nicht gegen die älteren der Ann. Quedlinb. und Thietmars bevorzugt werden u. s. w. Dass sich in den Noten auch einzelne Irrthümer, Lücken und schiefe Deutungen einschlichen, ist bei einem solchen Werke ebenso begreiflich, als es dabei unmöglich war, in dem Ausmass der vollständig aufzunehmenden Quellenstellen den Ansichten und Wünschen Jedermanns gerecht zu werden. Ich übergehe daher, was hier nach der einen und nach der andern Richtung zu beanständen und zu bemerken wäre: nur ein^Detail möchte ich berühren. S. 66* wird für die Gründe des Liutolfischen Aufstandes nebeneinander auf Maurenbrechers Aufsätze über die Kaiserpolitik Ottos in der »Sybelschen Zeitschrift« und in den »Forscliungen« und auf das Buch desselben Autors über die deutschen Königswahlen vei-wiesen, und dazu liemerkt, dass Maurenbrechers Ansichten eine Stütze in den besten Quellen fänden. Das ist zum min-

184

Literatur.

desten zweuleiitig, <la Maurenbrechers letzte Arbeit eingestandenermassen eine Revision seiner früher aufgestellten Behauptungen enthält; welche Ansichten zurückgenommen werden sollen, ist zwar nicht positiv gesagt, sondern der Beurtheilung des aufmerksam vergleichenden Lesers über- lassen, aber, da nirgends mehr davon die Eede ist, dass Ottos Kaiser- politik antinational gewesen sei und Liutolf zum Aufstand getrieben habe, muss man annehmen, dass Maurenbrecher gerade den so allgemein be- kämpften Kernpunkt seiner früheren Ausführungen nun aufgegeben habe. Damit entfällt aber ganz wesentlich der Gegenstand der frühern Polemik, den schönen Ausführungen der letzten Arbeit Maurenlirechers wird man allerdings grösstentheils zustimmen können.

In der Vorrede wird die Hofihuug ausgesprochen, dass die Annalen, trotzdem die »mustergiltigen Jahrbücher der deutschen Geschichte« eine »wesentliche Grundlage dieses Werkes bilden«, als nicht der wissenschaft- lichen Selbständigkeit entbehrend erkannt werden mögen. Ich freue mich, diese Hoflnung als eine im grossen und ganzen gerechtfertigte beziehungs- weise erfüllte bezeichnen zu dürfen. Nur eine Gattung von Quellen und Quellenkritik muss ich davon ausnehmen, die der Urkunden. Ich berühre damit einen wunden Punkt dieses Werkes. In der Ausbeutung besonders der Kaiserurkunden ist über die Datirung nnd etwa die Intervention selten und kaum je über die bisherigen Darstellungen hinausgegangen; selbstän- dige Untersuchung und Beurtheilung auf diesem Gebiete ist mir kaum irgendwo begegnet. Umsomehr hätte aber die ganze neuere und neueste Literatur, wie sie insbesondere an Hand der neuen Diplomata-Ausgabe und der Kaiserurkunden in Abbildungen sich entwickelt hat, herangezogen werden müssen. Das ist aber nur ganz ungenügend geschehen. Die Ein- reihung der Urkunden in der Diplomata-Ausgabe ist allerdings eumeist acceptirt, auch Sickels Resultate über das Privilegium Ottonianum sind übernommen; das ist aber auch so ziemlich alles, Fickers epochemachen- den Beiträge zur Urkundenlehre sind nicht benutzt, auch wo es noch so am Platze gewesen wäre, wie z. B, bei den Ausstattungsurkunden lür Bamberg. Sickels Beiträge zur Diplomatik sind ignorirt, seine Erläute- rungen zu den Diplomen Ottos IL, die vielfach über das rein diplomatische hinausgehen, wohl S. 138 erwähnt, aber nicht eutsprechend ausgenützt. Ja es macht fast den Eindruck, als ob mit Vorliebe ältere Urtheile und Deutungen gegen die neuere Richtung, Avelche als Fortschritt doch nicht verkannt werden kann, angeführt würden. Gegenüber solchem Conserva- tivismus möge Dümmlers Neubearbeitung der Geschichte des ostfränkischen Reiches als leuchtendes Muster aufgestellt werden. Den Standpunkt der Annalen soll nur ein Beispiel kennzeichnen. Schon Dümmler erkannte, dass DO. I. 70 nach dem in jener Zeit für die Datirung massgebenden a. regni zu 945 einzureihen sei, so auch Sickel; indem der Herausgeber unserer Annalen die von Sickel in der Einleitung zu den DD. und im 8. Beitrag zur Diplomatik niedergelegten Grundsätze für die Beurtheilung der Datirungsfactoren ganz ignorirt, setzt er die Urkunde p. 48^ zu 944, weil die Datirungen jener Jahre verwirrt seien und weil die Urkunde per inverterventum Conrad! ducis ausgestellt ist, dessen Investitur nach der Bemerkung Flodoai-ds vielleicht 944 auf einem Tag zu Aachen (= Aus- stellungsort von DO. 70) erfolgte. Ist das Kritik? Ich schliesse mit

liiteratnr. l!^5

rlev Bemerkung, dass in iliesem nützlichen und verdienstliclien Buche die sächsische Zeit von Kohl, die salische von Richter bearbeitet ist.

Die Stellung, welche mir die »Deutsche Geschichte unter den sächsi- schen und salischen Kaisern von Manitius» in der historischen Literatur einzunehmen scheint, habe ich bereits angedeutet. Manitius ist sichtlich mit Eifer und Ernst an seine schwierige Aufgabe gegangen. Das Buch, welches urs]irünglich als Theil der von Prof. Zwiedineck-Südenhorst bei Cotta heraus- gegebenen Bibliothek deutscher Geschichte in Lieferungen, nunmehr auch als selbständiger Band erschienen ist, zeigt auf jeder Seite eingehende, wenn auch nicht immer vollständige Benutzung der Literatur, ohne dass sich der Verfasser von derselben ins Schlepptau nehmen Hesse. Vielmehr ist Manitius auf die bedeutenderen der zeitgenössischen erzählenden Quellen selbst zurückgegangen ; er schliesst sich denselben auch im Wortlaut seiner Erzählung vielfach an, ähnlich wie Giesebrecht in seiner Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Dadurch wird freilich der Reiz der Unmittelbarkeit vielfach erhöht, aber es liegt unter Umständen auch die Gefahr nahe, die richtige Oeconomie in der Mittheilung wichtigerer und minder bedeutsamer Thatsachen zu verlieren und die einheitliche auf kritischer Durchdringung aller Quellen beruhende Darstellung durch lose verknüpfte Auszüge aus den ein- zelnen Quellen zu ersetzen. Leider sind selbst dem Gelehrten, welchem wir so schöne Arbeiten philologischer Art über die Benutzung alter Klassiker und Kirchenschriftsteller bei den mittelalterlichen Historikern verdanken, sinnentstellende Uebersetzungsfehler nicht ganz erspart geblieben, so wenn S. 67 und 72 das Widukindsche armati und inermes schlechtweg mit »Mann« (l^= Bewaffnete) und Waffenlose (Krieger in der Schlacht!) wiedergegeben ist, oder die Gemahlin des Hex'zogs Karl von Lothringen S. 205 als dem Kriegerstand (statt Ritterstand) angehörig bezeichnet ist. Vollends be- denklich ist es, die Phrase desselben Autors, dass Heinrich L als Sachsen- herzog dieses Land zuerst libera regnavit potestate, S. 42 auf Besitz der vollen Landeshoheit in Sachsen zu deuten.

In der Auffassung der deutschen Geschichte dieser Jahrhunderte steht Manitius vielfach Giesebrecht nahe, ohne aber im Glanz der Diction und im einheitlichen wie aus einem Gusse geflossenen Aufbau der Er- zählung — diesen unbestreitbaren und unverwelklichen Vorzügen nament- lich des ersten Bandes von Giesebrechts wenn auch einseitigem Werke seinen Vorläufer zu erreichen. In vielen Punkten geht Manitius seinen eignen selbständigen Weg. Neben entsprechenden Verrauthungen fehlt es auch nicht an vielen Aeusserungen und Aufstellungen, deren Richtigkeit recht fragwürdig erscheinen dürfte. Aber ich will den Leser nicht noch- mals mit Einzelheiten quälen, am wenigsten einem Buche gegenüber, welches nach seiner ganzen Anlage das Hauptgewicht suf den allgemeinen Gang der Dinge legen soll, einem Werke gegenüber, welches naturgemäss es sich versagen muss, alle einzelnen Behauptungen kritisch zu belegen. Innsbruck, Juli 1890. E. v. Ottenthai.

Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften herausgegeben von Max Perlbach. Halle a. S., Max Niemejer 1890. LIX, 354 S. 4".

Anknüpfend an eine Aeusseruug Dudiks über die Wichtigkeit einer

\^Q Literatur.

genauen Prüfung der Ordensstatuten und ihrer nach und nach gemachten Zusätze legt der Hrsg. in der Einleitung zunächst dar, was bisher für Kenntnis der Ordensstatuten geschehen ist, um dann Bericht zu erstatten über seine eigene Thätigkeit. Für die neue Ausgabe (es gingen deren 4 von Einzeltexten voraus) hat der Hrsg, 31 Handsclmften benutzt: 4 la- teinische, 1 altfranzüsische, 2 3 mittelhoch- und mittelmitteldeutsche, 4 mittel- niederländische, 1 mittelniederdeutsche; von zwei weiteren Handschriften hat er Kenntnis, ohne sie für die Ausgal^e heranziehen zu können. Alle Handschriften, welche jünger sind als die Reformation Konrads von Erlichs- hausen (1441 49), sind als unwesentlich bei Seite gelassen; der Hrsg. weist deren 29 nach.

Eingehend untersucht der Hrsg. Entstehung und Quellen der Sta- tuten, das erste Mal, dass eine derartige Untersuchung systematisch und erschöpfend durchgeführt wird. Für drei von den vier Theilen der Statuten, für Prolog, Eegel und Gesetze, ist die lateinische Fassung die ursprüng- liche, ebenso für drei von den fünf Abschnitten der »Gewohnheiten«. Für die Eegel bildet die vornehmste Quelle die Regel der Tempelherren, ebenso für die Gewohnheiten und den grösseren Theil der Gesetze; doch kommen für die letzteren auch die Statuten des Dominikanerordens in Betracht, speciell für die Strafgesetze sind sie Quelle. An der Hand einer geschicht- lichen Darlegung über die Anfänge des Ordens weist Perlbach die all- mähliche Entstehung der Statuten nach. Die Ordensregel erfulu' eine feste Redaction 1244 oder bald nachher und zwar wird die Vermuthung wahr- scheinlich gemacht, dass Bischof Wilhelm von Modena, Cardinalbischof von Sabina, sie veranlasste. Die ursprüngliche Regel stimmte mit der Templer- regel überein. Aelter als die vorliegende Redaction der Ordensregel sind zumeist die Gewohnheiten, consuetudines. Sie sind wahrscheinlich um 1230 oder noch fi-üher entstanden. Auch hier lehnen sich die frühesten an die Templerstatuten an, sind vermehrt durch Beschlüsse der Geueralkapitel. Die Gesetze sind im Allgemeinen nach den Gewohnheiten zu verschiedenen Zeiten, doch vor dem Jahre 1264 entstanden. Vor diesem Jahre ist wohl das Ganze (Prolog, Eegel, Gesetze, Gewohnheiten) in der jetzigen Ordnung zusammengestellt.

Die Ausgabe füllt S. 13 118. Doch ist zu bemerken, dass jede einzelne Seite doppelt zählt, y^ Bogen umfasst, um so auf dem mit einem Blick übersehbaren Räume (2 neben einander liegenden Seiten) die fünf verschiedensprachlichen Fassungen dem Leser zugleich vorzuführen. Zweifel- los ein grosser Voi-theil, der nun aber doch wieder den Nachtheil im Ge- folge hat, dass die Lesarten (S. 167 229) völlig vom Texte getrennt sind. Ob es sich nicht hätte ermöglichen lassen, auch die Lesarten mit unterzubringen auf den Seiten des Textes? Allerdings würden die typo- graphischen Schwierigkeiten wohl erhebliche geworden sein. Dem Texte geht ein Ordenskalender vorauf, der, wie die Bemerkungen über die Tages- und Nachtlänge im Juni und December zeigen, kaum südlicher als Livland zusammengestellt ist. Es folgen dem Text liturgische Aufzeichnungen: Vigilien, Venien, Aufnahmeritual, Gebete und weiter die Gesetzgebung des Ordens nach Entstehung der Statuten bis auf den Meister Conrad von Erlichshausen ; das alles einzeln nur in einer, nirgends in allen fünf Sprachen erhalten. Die betr. Lesarten stehen S. 229 242. Weiter erhalten wir

Literatur. 187

noch neue Ausgaben der Narratio de primordiis ordinis Theutonici und der Visitationsurkunde der preussischen Ordenshäuser von Eberhard von Sayn und, au bisher ungedrucktem Material, Visitationsstatuten von 1334, ein Strafgesetzbuch in lateinischen Hexametern, eine Osterberechnung, eine Aufzeichnung über dies aegyptiaci (Unheilstage, an denen man nichts unter- nehmen soll) und eine Wochenlohnberechnung für ländliche Arbeiter in Preussen. Den Lesarten folgen die Register: ein solches zum Kalender, ein Namen- und ein Sachregister, und weiter auf 92 Seiten lateinische, tranzösische, niederländische, hochdeutsche, niederdeutsche Wörterverzeich- nisse. Eine Coneordanz der verschiedenen Ausgaben schliesst das Ganze.

Einwände gegen die Arbeit wüsste Kef. nur zwei, beide äusserlicher Art, zu machen. Hätte nicht in den Registern und Wörterverzeichnissen nach Seiten und Zeilen statt mit Hülfe von Abkürzungen für die ver- schiedenen Theile der Publication (es sind deren 23!) citiert werden sollen? Die gewählte Art des Citierens setzt, trotz der Uebersicht auf S. 244, eine Vertrautheit mit dem Inhalte des Bandes voraus, die man doch erst nach längerem Gebrauche erwirbt. Dann will dem Ref. die stets ge- brauchte Bezeichnung »holländisch« für die mittelniederländischen Texte nicht gefallen: die gebräuchliche Bezeichnung für die Sprache unserer ab- gesonderten Nachbarn ist doch »niederlän.lisch« oder »niederdeutsch« (vgl. Jan te Winkel bei Paul, Grundriss der germanischen Philologie 1,6 34 ff.). War es überhaupt nothwendig, die mittelniederländischen Texte von dem mittelniederdeutschen zu sondern, während die sämmtlichen 23 mittel- hoch- und mittelmitteldeutschen als »deutsch« zusammengefasst werden? Doch das sind Fragen, deren Beantwortung, wie sie auch ausfallen möge, in keiner Weisenden Werth von Perlbachs Arbeit beeinträchtigen könnte. Seine Leistung ist, das muss ohne Vorbehalt* ausgesprochen werden, eine geradezu staunenswerthe. Wir haben es hier zu thun mit einer Muster- publication ersten^ Ranges, von der jeder, der sie benutzt, scheiden wird mit aufrichtiger Bewunderung vor dem Fleiss, den Kenntnissen, der Umsicht, dem Scharfsinn und der Gewissenhaftigkeit ihres Bearbeiters. Perlbach war |längst bekannt als einer unserer .tüchtigsten- Editoren. Ref. wüsste sehr wenig, was seiner Arbeit an die Seite, nichts, was über sie gestellt werden könnte. In die Geschichtschreibung des deutschen Or- dens ist Perlbachs Namen für alle Zeiten fest eingefügt.

Tübingen. Dietrich Schäfer.

H. Simonsfeld, Beiträge zum piipstlicheu Kauzlei- wesen im Mittelal ter und zur deutschen Greschichte im 14 Jalirh. (Sitzungsberichte der philosophisch - philologischen und historischen Classe der k. b. Akad. d. Wissenschaften zu München 18iJÜ Bd. IL Heft 2. S. 218—284.)

Angeregt durch Bresslaus. Urkundenlehre hat S. den einst von Merkel beschriebenen Codex 275 des spanischen Collegs in Bologna und den Codex Cl. IV Nr. 30 der Bibliotheca Marciana in Venedig im Herbste des ver- gangenen Jahres einer kritischen Nachprüfung unterzogen, über die er in dem ersten •; Theile seiner Abhandlung eigehend berichtet.^ Noch vor S. hatte ich selbst für die Vorarbeiten zu der bereits vorbereiteten Edition

■[gX Literatur.

des vollständigen Liber Cancellariae (vgl. Mittheilungen 10, 404) beide Hs. untersucht. Indem ich mir ein näheres Eingehen auf S.'s Abhandlungen für die diesbezüglichen Arbeiten voi-behalte, glaube ich doch jetzt schon das Wesentliche , das sich mir aus einer Vergleichung meiner Aufzeichnungen mit den Ausführungen S.'s ergab, kurz hervorheben zu sollen.

Gegenüber den dürftigen und unzureichenden Nachrichten bei Merkel bedeutet S.'s Beschreibung der Bologneser Hs. einen unleugbaren Fort- schritt : er gibt eine vollständige Inhaltsangabe , eine richtigere Alters- bestimmung (13. nicht 14. Jahrb.) und sucht die Abfassungszeit desPro- vinziale genau zu ermitteln. Die Abfassungszeit der Hs. werde ich in einer demnächst in dieser Zeitschrift erscheinenden Abhandlung über das Tax- wesen der päpstlichen Kanzlei auf c. 12.S0 zu fixiren suchen und zugleich eine genaue Schriftvergleichung daranknüpfen. S.'s Versuch, die »Verab- fassung« des Provinciale »in der Form, wie es in unserer Hs. überliefert« ist, aus dem Fehlen eines Ki'etensischen Bisthums vor 1225 zu setzen, ist nicht ganz geglückt ist doch das viel näher liegende nach diesem Jahre ^) begründete Bisthum Lavant in der Liste bereits enthalten.

Dass in dem erzbischöflichen Obedienzeid die Namensinitiale des Erz- bischofs und der DiÖcesantitel eine Handhabe für die Zeitbestimmung bieten können, hat S. (S. 224) richtig betont. »Aber die Freude zer- rinnt«, bemerkt er, »wenn man aus Gams Series episcoporum ersieht, dass es im 13. Jahrh. nicht weniger als 3 Erzbischöfe von Taraeon ge- geben hat, welche mit B beginnen«. Die Freude kam nur in Gefahr zu zerinnen, weil S. übersah, dass an der betreffenden Stelle ja auch der Name des Papstes genannt ist »domino meo pape Cr.«, also Gregor, woraufhin die Irrfahrt in Gams sich schon merklich eingeschi'änkt haben würde. Ueberdies aber lautet die ganze Stelle: Ego R. archiepiscopus Taraconensis . . . fidelis et obediens ero . . . domino meo pape G(rego- rio). Es ist dies niemand anderer als Kaimund von Pennafort, der be- i'ühmte Mitarbeiter Gregors IX. an dessen Decretalensammlung. Das er- öffnet uns aber für die Entstehungszeit des Liber Cancellariae den bisher unbeachteten Gesichtspunkt, dass an der Curie gleichzeitig mit der Codi- ficirung des canonischen Eechtes auch die Aufzeichnung des Geschäfts- ganges, der Gewohnheiten und Formeln der päpstlichen Kanzlei Hand in Hand gegangen ist.

Dass S. endlich (S. 219) in dem Codex mehrere Stücke über das Lyoner Concil von »1241« vorkommen lässt, ist wohl nur ein Versehen, wie sie auch anderweitig unterlaufen sind.

Soviel über die Bologneser Hs., nun zum Codex Cl. IV. Nr. 30 der Bibliotheca Marciana in Venedig.

Zur Mittheilung eines kleinen Bruchstückes aus diesem Formelbuche bemerkt S. (S. 255 A. 2), dass »die vorliegende Handschrift vielleicht nicht einmal das Original« dieser Formelsammlung sei. Es sei mir ge- stattet, zunächst einige allgemeine Bemerkungen daran zu knüpfen.

Oi-iginal-Aufzeichnungen aus der "päpstlichen Kanzlei sind uns, so- weit bisher bekannt, nur in der Fortsetzung des von mir gefundenen Cod. XXXV. 69 der Bibliotheca Barberini in Rom erhalten, der von etwa

') Die seit 1225 vorbereitete (Jründung kam erst 1228 zum Absclduss.

Literatur. j_g9

1420 1560 Liber Cancellariae authenticus ist (vgl, Mittheilungen 10, 466 ; 11, 341). Alles andere ist nur in abgeleiteter Form auf uns gekommen, theils in officiellen Transsumpten, tbeils in privaten Kopien. Dabei handelt es sich vor allem darum, die officiellen, im Auftrag des Papstes oder Vice- kanzlers erlassenen und codificirten Verfügungen und Ordnungen der päpst- lichen Kanzlei und die in die officiellen Kanzleibücher aufgenommenen Formeln zu scheiden von der grossen Masse der rein privaten Formel- sammlungen. Zu ersteren gehören die Bologneser Hs. , die beiden Libri Cancellariae Dietrichs von Nieheim, die ßegulae, das Taxbuch, und nur sie beanspruchen in erster Linie unser Literesse. Zu den zahlreichen Hss. der letzteren Art zählen von Berard von Neapel, Eichard de Pofis und Thomas von Capua an wesentlich auch die von Meinardus (N. Arch. 10, 35 f.) besprochenen Formelbücher; auch in den verschiedenen Fonds der Bibliotheca Vaticana sowie in den Papierregistern ist mir eine ganze Reihe ähnlicher Hss. begegnet, wenn ich darauf auch lediglich bei der Suche nach officiellen Kanzleiaufzeichnungen zu achten hatte.

Eine Art Mittelstellung nimmt eine Gruppe von Hss. ein, als deren Vertreter ich den Cod. Paris, lat. 4163, Vindob. lat. 2188, ein den Papier- registern Clemens VL beigebundenes Formelbuch und eben auch den ersten bis fol. 53 reichenden Theil des in Eede stehenden Cod. der Bibliotheca Marciana kenne. Der officielle Ursprung ihres Inhalts ist nicht nachweis- bar: aber sie übermitteln uns wenn nicht gesatzte, so doch reichlich ein Jahrhundert hindurch in der päpstlichen Kanzlei geübte Gepflogenheiten betrefi"s der graphischen und sachlichen Ausgestaltung der Bullen. Eine weitere Eigenthümlichkeit besteht darin, dass sie kurzgefasste Anweisungen immer durch ein angefügtes Beispiel erläutern, und dass sie sich lediglich auf eine ganz bestimmte Art päpstlicher Briefe beziehen, nämlich auf bei der Curie von Seite einer klagbaren Partei anhängig gemachte Rechts- händel, deren Untersuchung und Austragung nun Schiedsrichtern anheim- gestellt wird; daher auch die beständig wiederkehrende Arenga »Con- questus est nobis« oder »Significavit nobis.« Sie sind, wie der Wiener Codex sich treffend selbst bezeichnet, ein Formelbuch der audientia litte- rarum contradictarum.

Dabei ist ganz eigenthümlich , dass in den verschiedenen Zeiten an- gehörenden Hss. der verbindende Text wesentlich derselbe bleibt, die ge- wählten Beispiele aber wechseln. So nennt der Pariser Codex als Beispiel für die Schreibweise des Papstnamens Bonifaz VIU. , das Formelbuch im Register Clemens VL Clemens, die venetianische Hs., wie S. selbst be- merkt, Bonifaz IX. Dementsprechend wechseln auch die Namen der in den Briefen genannten Personen. Daraus aber ergibt sich, dass der Codex der Bibl. Marciana nicht nur nicht das Original, sondern die jüngste und, wie ich hinzufügen kann, die schlechteste Copie ist und dass ferner der Versuch S.'s, durch die in den Beispielen genannten Namen zugleich mit dem Alter der Hs. auch das der Formelsammlung selbst zu bestim- men, irre gehen musste. In der That hat er auch um ein volles Jahr- hundert fehl gegriffen.

Dem angedeuteten Quellenverhältnis entsprechend ist denn auch die fragmentarische Edition (S. 225 f.) mangelhaft gerathen. Dazu kommt, dass S. das ganz identische Incipit, welches Delisle in seinem »Memoire

j9ö Literatur.

sur les aetes cV Innocent III.« S. 23 aus dem Pariser Codex Nr. 4163 mittlieilt tuid das in Winkelmanns »Sicilisclien und päpstlichen Kanzlei- ordnungen und Kanzleigebräuchen des 13. Jahrh.« S. 33 wieder abge- druckt ist, vollständig entgangen zu sein scheint. Eine Vergleichung müsste darauf aufmerksam gemacht haben, dass der hier ^gebotene Text infolge der schlechten Handschrift und der hinzutretenden Lesefehler neben dem üelisle's eine traurige Kelle spielt.

So ist S. 255, 3. Contextzeile v. u. floribus statt flexibus zu lesen; S. 256 Z. 6 factus est in epistolis statt sieut est in episcopis; Z. 22 litteram nominis domini pape nicht literam domini pape. S. 256 Z. 17 12 V. u. lautet bei S. : ubi dicit: Dilecto filio d debet esse talis D|vel'in^eadem linea vel in duabus. Ita quidem: Dat. Laterani vel Rome apud Sanctum Petrum, sie scilicet in una linea, vel: dat. Laterani kal. Januarii sie in una linea. Et: pontificatus nostri anno undecimo sit in alia. Was dies heisst? Es ist, wie ich fürchte, jedermann unverständlich; denn S. hat den ohnedies verderbten Text durch das zweimalige Verlesen von sit«zu*sic sowie durch den Schlusspunkt vor et pontificatus noch vollends entstellt. Der Sinn ist : Die Datirung soll womöglich in einer Zeile geschrieben oder derart abgetheilt sein, dass Tag und Ort in der einen und das Pontificats- jahr in der andern Zeile stehen. Das wird freilich erst klar, wenn man weiss, dass Z. 1 7 v. u. zwischen »vel« und »in« eine bedeutende Lücke aus- zufüllen ist: »tale D. seu huius forme et sie de similibus. Item nota, quod in Omnibus litteris apostolicis data tota debet esse« in eadem linea etc. Ein Blick in Delisle hätte dies gezeigt. Z. 8 v. u. Petrus, canonicus, epis- copus statt Petrus Cenet[ensis] episcopus, Z. 7 v. u. dicatur statt dicunt. Soweit reicht der Text bei Delisle. Aber auch weiter vermag ich ähn- liche Irrthümer nachzuweisen: S. 256 Z. 2 v. u. Idem statt Idus, es sind nämlich wieder die gleichen im vorhergehenden Vers durch Immo bezeich- neten Monate März, Mai, Juli und Oktober gemeint; in demselben Vers Februus st. Febrius; S. 257 Z. 9 vor scilicet eine grosse Lücke von nicht weniger als 23 Worten; S. 258 Z. 12 richtig audiende: Z. 13 fehlt nach auctoritate litterarum; Geradezu kläglich ist stellenweise die Interpunction. Zu S. 256 Z. 1 wäre aus Delisle zu ersehen gewesen, dass nach scribitur der Schlusspunkt jedenfalls besser angebracht ist als der Beistrich. Des sinnstörenden Schlusspunktes vor et pontificatus in Z. 14 v. u. ist bereits oben gedacht worden. Ebenso unrichtig ist die Interpunction S. 257 Z. 1 Isti versus sunt taliter intelligendi in ista dictione: Asin sunt quatuor litere statt: intelligendi: in ista dictione »Asin« sunt quattuor littere.

Denifle wäes einst in einer Abhandlung über die Begisterfrage (Arch. f. Lit. u. Kirch. Gesch. 2, 5l) auf die Höhe hin, welche die Kaiserdiplo- matik durch Genauigkeit und Sorgfalt der Einzelforschung erklommen, und schloss mit den Worten: »Auf keinem anderen Wege kann die päpst- liche Diplomatik dieselbe erreichen«. Mit flüchtig hingeworfenen Bemer- kungen und dem eiligen Abklatschen einiger Codexblätter ist ihr kaum ein Dienst geleistet.

Im 2. Theile seiner Abhandlung gibt S. werthvolle Ergänzungen zu dem im Arch. f. österr. Gesch. 62, 149 f. erschienenen Aufsatz von F. M. Mayer, »Beiträge zur Geschichte des Erzbisthums Salzburg. II. Ueber ein Formelbuch aus der Zeit des l^h-zbischofs Friedrich III.« und den dort

Literatur. \Q\

mitgetheilten Urkunden. So bezeichnet S. (ö. 24 1) seine Arbeit ja selbst, während er zur Zeit, als er den derselben zugrunde liegenden akademi- schen Vortrag hielt, jene Vorarbeit allerdings nicht kannte. Aus zwei mit dem Salzburger theilweise identischen Formelbüchern der k. Bibliothek zu München druckt er als Nr. 1 ' seiner Urkunden das bei Mayer 1. c. als Nr. 3 bereits veröfientlichte Stück wieder ab und gibt in den übrigen Beilagen und dem vorangehenden Commentar hauptsächlich neue Beiträge zur Stellung des Bischofs Nikolaus von Regensburg in dem damaligen kirchenpolitischen Kampfe. Wien. M. Tan^l.

Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Im Auftrage der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde ge- sammelt und hrsg. durch Lic. 0. Vogt. Stettin, L. Saunier, 1888. XX, 636 S.

Das Leben und Wirken Bugenhagens, eines der thätigsten Mitarbeiter und besten Freunde Luthers, ist schon mehrfach beschrieben worden und man wird sagen dürfen, dass die historisch-theologische oder besser theologisch- historische Forschung sowohl die wichtigeren Momente im äusseren Lebens- gang B.'s als auch seine innere Entwicklung, welche sich übrigens rascher und einfacher als bei irgend einem andern unter den bekannteren Refor- matoren vollzog, schon auf Grund des bisher bekannten Quellenmaterials hinreichend klar gestellt hat. Wird sich dieses so gewonnene Bild durch die jüngste Publikation wesentlich ändern? Ich glaube nicht. Allein heutzutage muss man sich überhaupt bei der Mehrzahl von Quellenpubli- kationen abgewöhnen zu fragen, ob sie uns ganz neue Gesichtspunkte für die historische Betrachtung der durch sie berührten Ereignisse aufnothigen. Genug, wenn sie uns neue Einzelheiten liefern, kleine Ungenauigkeiten berichtigen, vorhandene Lücken füllen oder auch nur die Beweisstücke zu schon bekannten Thatsachen in übersichtlicher und brauchbarer Form vor- legen. Diesen Standpunkt wird man daher auch bei der Beurtheilung des Buches von Vogt einnehmen müssen.

Die vorliegende Briefsammlung umfasst etwas über 300 Kummern. Es zeugt von der Umsicht des Verfassers, dass es ihm gelungen ist, nahezu ein Drittel bisher ungenügend publicirte oder ganz unbekannte Stücke zum Abdruck zu bringen. Durch sie wird unsere Kenntnis von B.'s per- sönlichen Beziehungen nicht unbeträchtlich erweitert. Ich verweise da z. B. auf die Briefe, welche sein intimes Verhältnis zu dem Fürsten Joachim von Anhalt , Herzog Albrecht von Preussen und Landgraf Philipp von Hessen beleuchten (die ersten und letzten sämmtlich unbekannt), oder auf die, welche er gemeinsam mit anderen verfasste, z. B. Nr. 53 mit Justus Jonas an den Kurfürsten von. Sachsen gerichtet, der selbst in der neuen Sammlung der Bi-iefe des Jonas fehlt. Um so mehr muss man bedauern, dass drei auf der hiesigen Universitätslnbliothek befindliche an Spalatin gerichtete Briefe übersehen worden sind. Diese Thatseche ist doppelt be- fremdend, da in B.'s Schrilten selbst sich deutliche Anhaltspunkte für seine Beziehungen zu Basel finden (vgl. die Vorrede zu seinen Annotationes in

192 Literatur.

librum psalmorura, die auch wie mehrere andere seiner Schriften in Basel gedruckt wurden) und da der Herausgeber doch auch die Strassburger Bibliothek für seine Zwecke ausbeutete. Ich publiciere diese Briefe an anderer Stelle dieses Heites.

Was dann die Anlage des Buches betrifft, so wird man sich mit den vom Herausgeber in der Vorrede bemerkten Editionsgrundsätzen einver- standen erklären können, namentlich damit, dass er die Briefe B.'s ganz, die an ihn gerichteten meistens nur auszugsweise wiedergegeben hat. Die erläuternden Anmerkungen sind mit Geschick und, soweit ich sie prüfen konnte, auch genau gemacht. Ich habe nur ein Versehen zu berichtigen S. 124 AI. 2, die Angabe über Oekolampads Tod, der nicht auf den 5. üez. , sondern den 23. Nov. fällt und nicht durch die Pest, sondern durch die in Folge einer Krankheit eingestretene Erschöpfung herbeigeführt war (vgl. Basler Chroniken 1, 138 Anm. 2).

Der Briefsammlung folgt vor den Eegistevn, denen jedoch etwas grössere Sorgfalt hätte zugewendet werden können ^), ein chronologisches Verzeichnis der Briefe, Schriften und bekannten Momente aus B.'s Leben. Diese Zu- sammenstellung von Eegesten zu seiner Biographie ist sehr zweckmässig, indem namentlich durch Verweise auf die Briefe der Zusammenhang zwischen einzelnen Briefen und den jeweiligen äusseren Umständen, unter denen sie entstanden, rasch ersichtlich wird. Unter den Werken wären noch die folgenden anzuführen gewesen 1. Ain warhafitigs vrtayl des bochgelerten Philippi Melanchthonis von D. Martin Luthers leer dem Cardinal und Pabst- lichen legaten gen Stügarten zugeschickt MDXXIIII. Ain schone Offen- barung des Endchrists durch Johan bugen. Pomeranum. 2. In IUI priora capita Evangelii secundum Matthaeum in schola Wittembergensi publice tractata per Doctorem Johannem Bugenhagium Pomeranum Nunc primum iussu auctoris excusa Wittembergae anno MDXLIII. Am Schluss Wittem- bergae per Josephum Klug anno MDLXIII (sie!). 3. Ain christlicher send- prieff An frow Anna geborne hertzogin von Stetin in pomern etc. Der- selbe gehört ins Jahr 1524 und sollte nicht fehlen, da er schon in der von dem Vater des Hrg. besorgten Biographie B.'s S. 90 Anm. 1, ange- führt ist, was bei den vorhergehenden Nummern nicht der Fall ist. Das- selbe gilt aber wieder von der Postilatio J. B. P . . . ad preces Georgii Spalatini sci'ipta 1541 (?) erwähnt in der Biographie S. G2 Anm. 1 und der hochdeutschen Ausgabe von der Erbarn Stadt Braunschwyg Christen- liche ordenunge a. d. Jahre 1531, erwähnt ebendort S. 281 Anm. 1, vgL Briefwechsel S. 586 zum 5. Septbr. 1528. Ferner wären folgende Ver- sehen zu verbessern, die S. 583 unter Juli 1525 angeführten Annotationes

') Ich kann das hier natürlich nur durch Stichproben beweisen, die Ueber- schrift lautet: Register im Text erwähnter Personen und üite. Nun linde ich z. B. auf S. 240 Braunschweig und Bremen, S. 241 Hildesheim, diese fehlen aber gänzlich im Register. Umgekehrt fehlt S. 240 unter den Zahlen ;s. v. Luther und Melanchthon. Kbenso findet sich auf S. 240 ein Autor von Svalenberg. Der steht im Register unter Schwalenberg. Da wäre doch ein Verweis am Platze gewesen. Aber die gibt es in diesem Register übei'haupt fast gar nicht. Aehn- lich steht S. 220 ein Gottschalk, Bischof zu Öchleswdg. Den findet man im Re- gister nur s. V. Ahlefeldt! Das ist doch ganz unzulässig. S. v. Lüneburg steht bloss S. 92. Aber S. 94 kommt es in noch wichtigerem Zusammenhang vor. Auf derselben S. 94 steht Riga-, |ehlt ganz im Register u. s. w.

Literatur. X9S

in epistolas Pauli sind schon früher mense Martio in Basel bei Adam Petri erschienen. Die Schrift vom Ehebruch (S. 596 zum 13. April 1539) fällt nicht ins Jahr 1540, sondern erst 1541. Unter dem 22. Febr. 1546 (S. 609) hätte der erste Abdruck der Leichenrede (Wittemberg durch Georgen Khaw anno MDXLVl) wohl Erwähnung verdient.

Diese Mängel thun jedoch dem Werte des Buches keinen Abbruch. Wer die Schwierigkeiten kennt, die sich der Anlegung einer solchen Samm- lung entgegenstellen , bei der man sich nicht wie bei einem Urkundeu- buch auf einen mehr oder weniger concentrierten Bestand von Schrift- stücken stützen kann, wird die Umsicht, mit welcher der Herausgeber ein weit zerstreutes Material einer sichern und leichten Benützung zugeführt hat, gerne anerkennen.

Basel. R. Thommen.

Eikskansleren Axel Oxenstiernas Skrifter och Bref- vexling. ütgifna af KongL Vitterhets-, Historie- och Antiqvitets- Akademien II (Seuare Afdelningen), 2. Stockholm, P. A. Norstedt u. Söners Forlag, 1889. X, 678. 8".

Dieser neue Band der Ausgabe von Axel Oxenstjernas Schriften (vgl. Mittheilungen XI, 181 ff.) gehört zur zweiten Abtheilung, Briefwechsel. Er bringt die Briefe des Hugo Grotius aus der ersten Hälfte des Jahr- zehnts, in dem dieser schwedischer Gesandter in Paris war, 1635 39. Voraufgeschickt sind zwei Briefe, die, der eine vom Febr. 1633, der andere vom Jan. 1634, noch aus Hamburg an den Kanzler geschrieben sind. Im ganzen enthält der Band 289 Briefe. Den Rest aus den Jahren 1640 45 wird ein zweiter Band (der dritte der ganzen Abtheilung) bringen. 3 4 Briefe haben Aufnahme gefunden, ohne direkt an Axel Oxenstjerna gerichtet zu sein. Sie stehen inhaltlich mit den übrigen in so engem Zusammenhang, dass sie nicht von ihnen zu trennen waren; eine Anzahl sind von Anfang an mit den an den Kanzler selbst gerichteten in denselben Sammlungen vereinigt worden. Die Adressaten dieser Briefe sind die Königin Christine, Johann Oxenstjerna, Johannes Salvius, Schering, Gustav Rosenhann und Peter Schmalz, der Sekretär des Kanzlers in Deutschland. Die allermeisten der in diesem Bande mitgetheilten Briefe finden sich schon in der Am- sterdamer Ausgabe von 1686/87: Hugonis Grotii epistolae quotquot repe- riri potuerunt. Die vorliegende Veröffentlichung hat aber vor der älteren den Vorzug, dass sie die Chiffren auflöst. Es geschieht das nach einem von Hugo Grotius' eigener Hand noch heute bewahrten Schlüssel, der in der Einleitung in der alphabetischen Ordnung, die ihm schon in der Zeit des Hugo Grotius gegeben worden ist, mitgetheilt wird. In den Briefen selbst werden die aufgelösten Stellen durch Sterne kenntlich gemacht; was in der Vorlage stand, erfährt man nicht. Auch sonst sind die Texte gegenüber der ersten Ausgabe vielfach verbessert worden. Zu bedauern ist, dass den einzelnen Briefen Regestenüberschriften , wie sie doch dem ersten Bxief bände der Publikation, wenn auch kurz, beigegeben waren, hier vollsständig fehlen, dass der Herausgeber mit erläuternden oder son- stigen Anmerkungen überhaupt aussei'ordentlich sparsam ist. Wir erhalten

Mittheilungen XII. 13

194 Literatur.

eigentlich. nicMs als den nackten Text. Bearbeiter des Bandes ist J. Fr. Ny- ström. Ein Register wird dem zweiten Bande von Grotius' Briefen bei- gegeben werden.

Tübingen. Dietrich Schäfer.

Bericht über die 31. Plenarversammlung der hist. Kom- mission bei der k gl. bayer. Akademie der Wissenschaften.

München im Oktober 1890. Die diesjährige Plenarversammlung der historischen Kommission fand vom 25. bis 27. Sept. unter der Leitung ihres Vorstandes, des Wirkl. Geh. Qberregierungsrates v. Sybel, statt. Die EröffiiungsreJe des Vorstands war dem Andenken der beiden hervorragen- den Mitglieder gewidmet, welche die Kommission seit ihrer letzten Plenar- versammlung verloren hat. Sie legte den Lebensgang v. Giesebrechts dar und seine Verdienste um Wissenschaft und Vatei'land, so wie insbesondere um die Kommission, deren Mitglied er von der Zeit ihrer Begründung und deren Sekretär er 27 Jahre lang gewesen ist, und erörterte eingehend und ausführlich den Charakter seines grossen Lebenswerkes, der Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Dann ging der Redner auf v. Döllinger über, rühmte die Theilnahme, die derselbe den Bestrebungen der Kommission viele Jahre hindurch bewährt hat, und vergegenwärtigte in lebhafter Schil- derung die Eindrücke, welche er seit 1856 bei oft wiederholten Begeg- nungen von seiner Persönlichkeit empfangen habe.

An den Verhandlungen der Plenarversammlung nahmen weiterhin Theil die ordentlichen Mitglieder: Wirkl. Geh. Rat v. Arneth aus Wien, Klosterpropst Freiherr v. Liliencron aus Schleswig, die Geh. Regierungs- räte Dümmler und Wattenbach aus Berlin , die Professoren ßaumgarten aus Strassburg, v. Hegel aus Erlangen, v. Kluckhohn aus Göttingen, V. Wegele aus Würzburg, die Professoren von Druffel, Heigel und Stieve, Oberbibliothekar Riezler und Prof. Cornelius, Verweser des Sekretariats der Kommission, von hier. Ausserdem wohnten die ausserordentlichen Mitglieder : Dr. Lossen , Sekretär der Akademie der Wissenschaften, und Dr. Quidde, von hier, den Sitzungen bei.

Seit der letzten Generalversammlung sind folgende Publikationen durch die Kommission erfolgt:

1 . Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Bd. XXL Geschichte der Kriegswissenschaften von Max Jahns. Abtheilung I und IL

2. Jahrbücher der deutschen Geschichte. Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich IV. und Heinrich V., von Gerold Meyer von Knonau. Bd. L 1056—1069.

3. Allgemeine deutsche Biographie. Bd. XXX Tind Bd. XXXI Heft 1. Andere Publikationen stehen für die nächste Zeit bevor.

Der Druck der Vatikanischen Akten zur Geschichte Kaiser Ludwigs des Bayern, herausgegeben von Oberbibliothekar Dr. Riezler, ist nach Ueberwindung der in den Vorjahren erwähnten Verzögerungen nunmehr fast vollendet. In den nächsten Monaten, sobald das von Dr. Joch- ner bearbeitete Register fertig gedruckt ist, wird das Werk erscheinen.

Von der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland

Literatur. ;[95

ist die Gesehiclite der Kriegswissenschafien von Max Jahns im Erscheinen begi'iffeu. Zwei Abtheilungen derselben sind im vergangenen Sommer aus- gegeben worden. Die Schlussabtheilung ist im Druck und wird demnächst vollendet sein.

Für die Hanse-Recessse ist Dr. Koppmann, Archivar der Stadt Rostock, fortwährend thätig. Der Schluss der Sammlung, die Jahre 1419 1430, erfordert noch zwei Bände, den 7. und 8. Der Herausgeber, der das Material bis zum Jahr 1428 bereits durchgearbeitet hat, hofft den Druck im Sommer 1891 beginnen zu könnsn.

Von den Jahrbüchern des deutschen Reichs ist zunächst die Umarlieitung des Bonnell'schen Buchs über die Anfänge des Karolin- gischen Hauses zu erwarten, welche Prof. Oelsner in Frankfurt übernommen hat, und deren Erscheinen er für 1891 in Aussicht stellen zu dürfen glaubt.

Für die deutschen Städte-Chroniken, herausgegeben durch Prof. V. Hegel, besteht das Hinderniss fort, welches durch die Abberufung des Dr. Hansen als Assistent an das k. Preussische historische Institut in Rom ei-wachsen ist. In Folge dessen können die dem Abschluss nahen Arbeiten für den 3. Band der niederrheinisch-westfälischen Chroniken noch nicht wieder aufgenommen werden. Dagegen hat Dr. Friedrich Roth in München die Bearbeitung der Augsburger Chroniken des 15. Jahrh. so weit gefördert, dass der Druck des 3. Bandes derselben demnächst be- ginnen kann und sein Erscheinen während des nächsten Jahres mit Sicher- heit zu ei-warten ist. Dieser Band wird die Chronik von Hektor Mülich 1448 87 nebst Zusätzen von Demer, Manlich, Walther und Rem ent- halten, ausserdem die Chronik des Clemens Sender. Das archivalische Material, Rechnungen, Briefbücher, Eatsdekrete u. s. w., wird in den An- merkungen verwerthet.

Die Herausgabe der älteren Serie der deutschen Reichs- tagsakten ist seit dem Tode Prof. Weizsäckers von Dr. Quidde über- nommen worden. Während des abgelaufenen Jahres waren die Arbeiten im wesentlichen darauf gerichtet, Lücken in der bisherigen Sammlung des handschriftlichen und gedruckten Materials für die Jahre l432 39 aus- zufüllen und so den nächsten Band, den 1 0. der ganzen Reihe , so bald als möglich druckfertig zu machen. Dagegen wurden die geplanten Reisen nach Frankreich, Belgien und England aufgeschoben, als für den nächsten Zweck nicht unentbehrlich. Neben dem Herausgeber, der im Januar seinen Wohnsitz nach München verlegt hat, war Dr. Heuer in Frankfurt in der bezeichneten Richtung thätig, some Dr. Schellhass, welcher, nachdem er seine im Vorjahre angetretene italienische Reise gegen Weihnachten be- endet und ihre Ergebnisse in Frankfurt verarbeitet hatte, noch im Früh- jahr 1890 ebenfalls nach München übersiedelte. Ausserdem Avurden einige Reste im Dresdner Archiv durch Dr. G. Sommerfeld, als gelegentlichen Hülfsarl)eiter, erledigt; eine Reise in die Schweiz, die Dr. Schellhass im August unternahm, brachte namentlich in Basel und Solothurn reiche Aus- beute ; und Dr. Heuer hat vor kurzem eine Reise in die preussische Rhein- provinz angetreten. Es wird daran gedacht, den 10. Band in zwei Bände zu theilen und würde es in diesem Fall vielleicht möglich sein, einen Band im Laufe des Jahres 1891 druckfertig zu machen.

13*

j9ß Literatur.

Für die jüngere Serie der deutschen Reichstagsakten hat der He- rausgeber Prof. V. Kluckhohn ausser dem bisherigen ständigen Mitarbeiter Dr. Wrede noch Dr. 0. Merx und Dr. Saftien herangezogen. Der früliere Mitarbeiter Prof. Friedensburg sandte Beiträge aus Rom, Mantua und Ve- nedig. Wie bisher erleichterten zahlreiche Staats- und Stadt - Archive die Arbeit, indem sie ihre Akten an die Universitsbibliothek zu Göttingen übersandten. Die grösste Förderung aber erfuhr das Unternehmen fort- dauernd von Seiten des k. u. k. Hof-, Haus- und Staatsarchivs zu Wien, aus welchem namentlich Dr. Gustav Winter Beiträge aus dem alten Reichs- erzkanzler-Archiv lieferte. Anderes Material fand Prof. v. Kluckhohn zu Arolsen, Salzburg und Innsbruck, Dr. Merx im Marburger Archiv. So liegt der Stoff für die Jahre 1520 24 nunmehr ziemlich vollständig vor, und kann die Hauptarbeit der nächsten Zeit auf die Redaktion des 1. Bandes gewandt werden, der mit dem Tag der Wahl Karls V. zum römischen König beginnen und seine Reise nach Deutschland und Krönung , dann den Wormser Reichstag umfassen soll. Der Beginn des Drucks wird für Ostern 1891 in Aussicht genommen.

An die jüngere Serie der deutschen Reichstags - Akten wird sich als »Supplement« eine Sammlung der Päpstlichen Nuntiaturbe- richte aus dem 16. Jahrhundert anschliessen , eine Bereicherung unseres Unternehmens , welche die Kommission dem wohlwollenden Ent- gegenkommen des k. preussischen Kultusministeriums verdankt, das dem preussischen historischen Institut zu Rom die Mitarbeit für unsere Zwecke verstattet hat. Da zusammenhängende Serien von Nuntiaturlierichten erst seit 1533 vorliegen, so will der Herausgeber Prof. Friedensburg in Rom mit diesem Zeitpunkt beginnen und in den 1. Supplementband die Be- richte des Peter Paul Vergerio von seinen beiden Sendungen nach Deutsch- land 1533 34 und 1535, weiter Berichte desselben aus Neapel 153r) und seines Stellvertreters Otonello Vida aus Deutschland 1536 38, so wie die seiner Nachfolger Aleander und Mignanelli bis zum Herbst 1539, dazu dann überall die Gegenschreiben der Kurie, soweit solche vorliegen, aufnehmen. Prof. Friedensburg hat ausser dem Vatikanischen Archiv auch die Archive zu Venedig, Parma, Florenz und besonders zu Neapel ausge- beutet, wo sich die umfangreichen und hochbedeuteuden Farnesinischen Papiere befinden. So sind für den 1. Band über 550 Nummern gesam- melt, darunter mindestens 500 Inedita, und ungefähr ebenso viel weitere in Anmerkungen zu verwerthende Aktenstücke. Dem Prof. Friedensburg hat sich als freiwilliger Mitarbeiter Dr. Heidenheim zur Verfügung gestellt und sammelt zur Zeit Nuntiaturberichte der Jahre 1545 1555.

Für die ältere Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Corre- spondenzen hat Prof. v. Bezold jetzt die Arbeit wieder aufgenommen und beabsichtigt zunächst zur Vervollständigung des Materials für den

3. Band der Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir die Staatsarchive zu München und Marburg zu besuchen. Auch wird eine Nachlese im Dresdner Archiv eiforderlich sein.

Für die ältere bayrische Abtheilung wird Prof. v. Druffel jetzt, nach Herstellung seiner Gesundheit, wieder thätig sein und den Druck des

4. Bands seiner Beiträge zur Reichsgeschichte beginnen lassen.

Was die vereinigte jüngere bayrisch-pfälzische Abtheilung betrifft, so

Literatur. 197

ist zwar Prof. Stieve persönlich noch nicht in der Lage gewesen, die Ar- beiten für den 6. Band der Briefe und Akten zur Geschichte des dreissig- j ährigen Kriegs energisch wieder aufzunehmen: dagegen hat sein Mitarbeiter, Dr. Karl MajT, mit grossem Eifer die Sammlung des Materials für die Jahre 1618 20 fortgesetzt, sowohl des gedruckten in den gleichzeitigen politi- schen Flugschriften und Zeitungen, als auch des archivalischen im Reichsarchiv und Staatsarchiv zu München. Diese Arbeit soll im kommendeii Jahr in München fortgesetzt und wo möglich nach Wien ausgedehnt werden.

Der Fortgang der allgemeinen deutschen Biographie hat theils durch die Schuld der Druckerei, theils durch die grosse Saumselig- keit einzelner Mitarbeiter eine bedauerliche Verzögerung erlitten, so dass im abgelaufenen Jahr nicht wie gewöhnlich 1 0, sondern nur 6 Lieferungen ausgegeben werden konnten; doch hoflPt die Eedaktion das Versäumte im nächsten Jahr theilweise wieder einzuholen. Der im allgemeinen in er- freulicher Weise sich erweiternde Kreis der Mitarbeiter hat einen empfind- lichen Verlust ei-fahren durch den unerwarteten Tod des Konsistorialrats Wagemann in Göttingen, an welchem das Unternehmen von seinem ersten Beginn an einen vortrefflichrn Berater und Mitarbeiter für das Gebiet der evangelischen Kirchengeschichte besessen hatte.

I

Bericht über die neuntePlenarsitzung der badischen historischen Kommission.

Karlsruhe, im November 1890. Die neunte Plenarsitzung der badi- schen historischen Kommission hat am 7. und 8. Nov. in Karlsruhe statt- gefunden. Derselben wohnten, unter dem Vorsitze ihres Vorstandes, Geh. Hofrat Winkelmann aus Heidelberg, die ordentlichen Mitglieder Geh. Rat Knies, Geh. Hofrat Schröder und Hofrat Erdmannsdörffer aus Heidelberg, Geh. Rat v. Holst, Geh. Hofrat Kraus und Prof. v. Simson aus Freiburg, Archivdirektor v. Weech, Archivrat Schulte, Archivassessor Obser und Geh. Hofrat Wagner aus Karlsruhe, Archivar Baumann aus Donaueschingen und Archivdirektor Prof. Wiegand aus Strassburg, sowie die ausserordentlichen Mitglieder Prof. Hartfelder aus Heidelberg, Prof. Roder aus Villingen und Diaconus Maurer aus Emmendingen und als Vertreter der Grossherzoglichen Staatsregierung der Präsident des Grossh. Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts, Wirkl. Geh. Rat Dr. Nokk, Geh. Rat Frey und Geh. Referendar Dr. Arnsperger bei. Das ordentliche Mitglied Geistl. Rat Prof. König aus Freiburg hatte sein Ausbleiben durch Unwohlsein ent- schuldigt.

Nachdem der Vorsitzende die neu ernannten Mitglieder Herrn Wiegand und Maurer begrüsst und der Sekretär der Kommission, Archivdirektor V. Weech, seinen Bericht über die Thätigkeit der Kommission während des verflossenen Jahres im allgemeinen vorgetragen hatte, wurden die Berichte über die einzelnen von der Kommission veranlassten wissenschaftlichen Unternehmungen erstattet.

Hofrat Erdmannsdöi-fler theilte mit, dass der Druck des 2. Bandes der Politischen Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden bis zum 18. Bogen vorgeschritten sei und nunmehr ohne Unterbrechung

j98 Literatur.

bis zum Schlüsse des Bandes werde fortgeführt werden. Bezüglich des 3. Bandes machte der in der voijährigen Plenarsitzung zum Mitherausgeber ernannte Archivassessor Obser die Mittheilung , dass die Arbeit an dem- selben soweit gediehen sei, dass der Beginn des Druckes sich unmittelbar an die Vollendung des 2. Bandes anschliessen könne. Der 2. Band wird die Zeit bis zum Rastatter Kongress umfassen, der 3., für welchen Dr. Obser im k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien eingehende, von der dortigen Verwaltung freundlichst geforderte Studien machte, voraussichtlich bis zum Jahr 1803 herabreichen.

Von den R e g e s t e n d e r P f a 1 z g r a fe n a. R h., welche unter Winkel- manns Oberleitung Universitätsbibliothekar Professor Dr. Wille in Heidel- berg beai'beitet, sind im Laufe des Jahres 1890 die Lieferungen 4 und 5 erschienen. Die 6. (Schluss-) Lieferung, welche Einleitung, Nachträge und Register enthält, wird im Laufe des Jahres 1891 ausgegeben werden. Von den Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Kon- stanz, deren Leitung Archivrat Schulte übernommen hat, ist die von Dr. Ladewig bearbeitete Lieferung 4 (bis 1293) seit der letzten Plenar- sitzung im Buchhandel erschienen. Dr. Ladewig arbeitet gegenwärtig noch an Vollendung der 6. Lieferung, welche Einleitung, Nachträge und Re- gister enthalten und den 1 . Band zum Abschlüsse bringen soll. Diese, sowie die von Dr. Müller bearbeitete 1. Lieferung des 2. Bandes werden im Laufe des Jahres 1891 versandt werden.

Von der durch Prof. Dr. Gothein in Bonn bearbeiteten Wirt- schaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzen- den Landschaften ist die 1. Lieferung der 1. Abtheilung, welche die Städte- und Gewerbegeschichte enthält, im Buchhandel erschienen. Von dieser Abtheilung, die ca. 48 Bogen umfassen soll, liegen bis jetzt 27 Bogen im Druck vor. Wie aus einem von Professor Gothein eingesandten und von Geh. Rat Knies verlesenen Berichte hervorgeht, beabsichtigt der Be- arbeiter im Laufe des nächsten Jahres die 2. Abtheilung, welche die Agrargeschichte enthält und im darauf folgenden die 3. die Verwal- tungsgeschichte und die statistischen Untersuchungen zum Abschlüsse zu bringen.

Der Text der von Direktor Dr. Thorbecke bearbeiteten Heidel- berger Universitätsstatuten des 16. IS. Jahrhunderts liegt in 43 Bogen gedruckt vor. Die Arbeiten an der Einleitung vmd dem Re- gister sind soweit vorgeschritten, dass dem Erscheinen des Werkes in den ersten Monaten des nächsten Jahres entgegengesehen werden darf.

Das Gleiche ist der Fall mit dem Werke des Archivrats Dr. Schulte: Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und der Reichskrieg gegen Frankreich 1683 1697, von welchem der Kommission eine Reihe von Druckbogen vorlag.

An der Bearbeitung des Topographischen Wörterbuchs des Grossherzogtums Baden hat Dr. Krieger eifrig weitergearbeitet, doch wird sich der Abschluss dieses Werkes, über dessen Fortgang v. Weech und Baumann berichteten, infolge der von der Kommission gewünschten Heranziehung noch weiterer Literatur und archivalischer Forschungen in fränkischen Archiven, sowie wegen der erst nachträglich in das Programm

Literatur. jf)<)

aufgenommenen ethymologisclien Worterklärungen mehr verzögern, als in der vorigen Sitzung angenommen werden konnte.

Der Druck der von Geh. Rat Knies bearbeiteten Physiok ratischen Koi'respondenz Karl Friedrichs von Baden wird im Januar 1891 beginnen und sodann ohne Unterbrechung fortgeführt werden.

Für die Regesten der Markgrafen von Baden war unter V. Weechs Oberleitung Dr. Fester thätig, der aus der gedruckten Literatur und den Beständen des Karlsruher General - Landesarchivs die Zahl der Regesten bis auf 4030 Nummern förderte, während Archivdirektor v. Weech selbst bei einem Besuche des k. k. Statthaltereiarchivs zu Innsbruck, sowie des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs zu Wien, wo er die freund- lichste Förderung seiner Arbeiten fand, 479 Regesten gewann. Für das Jahr 1891 ist der Besuch einer Reihe von Archiven durch Dr. Fester in Aussicht genommen.

Von den Quellen und Forschungen zur Geschichte der Abtei Reichenau ist das 1 . Heft : »Die Reichenauer Urkundenfälschungen, untersucht von Di\ Brandi« im Druck erschienen. Derselbe junge Ge- lehrte hat die Bearbeitung der Chronik des Gallus Öheim, welche das 2. Heft enthalten soll, übernommen.

Die Geschichte der Herzoge von Zäh ringen ist von Prof. Dr. Heyck in Freiburg soweit gefördert worden, dass der Kommission 18 Druckbogen vorgelegt werden konnten. Der durch ein Unwohlsein des Bearbeiters auf kurze Zeit unterbrochene Druck ist in diesen Tagen wieder aufgenommen worden und wird fortan ohne Unterbrechung zu Ende geführt werden.

Die Bearbeitung des ersten der Badischen Neujahrsblätter, deren Herausgabe die vorjährige Plenarsitzung beschlossen hatte, hat Gym- nasialdirektor Bissinger in Donaueschingen übernommen. Das Neujahrs- blatt für 1891 führt den Titel »Bilder aus der Urgeschichte des badischen Landes« und umfasst 60 Seiten mit 25 in den Text gedruckten Abbil- dungen. Bei dem Interesse, welches diesem Stoffe in den weitesten Kreisen entgegengebracht wird, und bei dem billigen Preise (l Mark) hoflPt die Kommission auf eine recht grosse Verbreitung dieses Blattes, dem fortan zu jedem Neujahr eine ähnliche Veröffentlichung aus der Geschichte des Grossherzoglieheu Hauses und des badischen Landes folgen soll. Die ersten fertig gestellten Exemplare des Neujahrsblattes konnten der Kommission vorgelegt werden.

Die Neue Folge der Zeitschrift für die Geschichte des Ober- rheins, deren 5. Band mit Nr, 13 der »Mitteilungen der badischen historischen Kommission« unter Schulte's Redaktion soeben zum Abschluss gelangt ist, wird infolge eines Uebereinkommens mit der elsass-lothringi- schen Regierung, ohne dass eine Erhöhung des Preises eintritt, eine Er- weiterung ihres Umfanges von 32 auf 40 Bogen erfahren, von denen 12 Bogen für Arbeiten, die sich auf das Elsass beziehen, zur Verfügung gestellt werden. Die Mittheilungen der badischen historischen Kommission werden wie bisher im durchschnittlichen Umfang von 8 Bogen jedem Bande der Zeitschrift ohne Preisberechnung beigegeben. Das ]. Heft des 6. Bandes befindet sich im Druck.

Der Dui-chforschung, Ordnung und Verzeichnung der Archive und

200 Literatur.

Kegist raturen der Gemeinden, Pfarreien, Körperschaften und Privaten des Grossherzogtums widmeten sich im Jahre 1890 in den 4 durch Baumann, Eoder, v. Weech und Winkelmann vertretenen Bezirken mit gleich grossem Eifer und Erfolg wie bisher 57 Pfleger. Im Ganzen liegen jetzt Berichte und Verzeichnisse von 1107 Gemeinden, 459 katholischen, 200 evangel. Pfarreien, 7 katholischen Landkapiteln, 24 Grundherrschaften, 5 Standesherrschaften, 4 weiblichen Lehr- und Er- ziehungsanstalten, 3 Gymnasien, 1 Alterthumsverein, 3 Hospitälern und 17 Privaten vor. Mit der Veröffentlichung der Pflegerberichte wird auch im Jahre 1891 fortgefahren werden. An Stelle des Geh. Hofrats Dr. Winkel- mann, der aus Eücksicht auf seine Gesundheit und andere dringende Ar- beiten verhindert ist, die Vertretung des 3. Bezirks weiter fortzuführen, tritt Prof, Hartfelder in Heidelberg.

Auf Antrag des Geh, Hofrats Dr. Winkelmann wurde die Sammlung der nachweislich in Mailand, wahrscheinlich aber auch in Genua und Avohl noch an anderen Orten vorhandenen Urkunden und Aktenstücke zur Ge- schichte de? Bandeis Verkehrs der oberitalienischen Städte mit den Städten des Oberrheins während des Mittelalters beschlossen und mit derselben Dr. Schulte beauftragt.

In Folge Allerhöchster Entschliessung vom 1. Jirni 1890 ist das Isti- tutoAustriaco di studii storici in Eomin ein neues Stadium ge- treten. Es sind für dasselbe in der Via della Croce 74 geeignete Localitäten gemiethet worden. Hofrath Th. v. Sickel hat sich Ende September nach Kom begeben, um das Institut einzurichten und in Person zu leiten. Zu- nächst sind Dr. Starzer, Privatdocent Dr. Wahrmund und Gjonnasialpro- fessor Dr. Friedwagner zu ordentlichen Mitgliedern ernannt worden. Als ausserordentliche Mitglieder haben sich die Landesstipendisten aus Böhmen Kollmann und Kratochvil angeschlossen. An Stelle von Prof. Friedwagner wird im Februar Prof. Werunsky aus Prag treten. Ausserdem werden für die zweite Hälfte des Studienjahres noch zwei Staatsstipendisten ernannt werden. Letzteren ist auch in diesem Jahre gestattet, von ihnen selbst gewählte Themata zu Itearbeiten. Zugleich haben sie sich aber an den gemeinsamen Arbeiten des Instituts zu betheiligen,

Waren für diese gemeinsamen Arbeiten bisher Partien aus der Ge- schichte Oesterreichs im Mittelalter ins Auge gefasst worden, so hat sich immer mehr herausgestellt, dass eine erschöpfende Behandlung derselben unmöglich ist, so lange nicht auch die grossen Schätze der beiden im Lateran befindlichen Archive, wie in Aussicht gestellt worden ist, zugäng- lich gemacht sein werden. Aus diesem Grunde war schon zu Beginn des Jahres 1889 die Anregung gegeben worden zu einem Thema aus der Ge- schichte Oesterreichs nach 1500 überzugehen, dabei aber auf die schon von anderer Seite begonnenen Forschungen Eücksicht zu nehmen, Prof, V. Ottenthai, welcher im letzten Winter den Vorstand des Instituts in Eom vertrat, hatte sich schon bei einem früheren Aufenthalte daselbst (1887 1888) über die Hauptbestände der im vat. Archive befindlichen diploma- tischen Acten des 1 n. Jahrhunderts orientirt und begann nun die beson- ders zu berücksichtigenden Nuntiaturberichte aus dem 16. Jahrhundert

Literatur. 201

einer vorläufigen Durchsicht zu unterziehen. Mit dieser Arbeit weiterhin lietraut legte Dr. Starzer seit dem December 1889 ein Eepertorium der lietreffenden Nuntiaturberichte an, aus dem sich unter andern ergab, dass hier noch reiche Ausbeute für die Geschichte Oesterreichs unter Maxi- milian II, in Aussicht steht. Da nach Mittheilung Prof. v. Ottenthals, welche in dem der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin am 23. Januar 1890 erstatteten ofhciellen Bericht über die Arbeiten des preussischen Instituts in Rom und in den Berichten der Görresgesellschaft ihre Bestätigung fanden, von diesen beiden Seiten die Jahre 1564 1576 nicht in das Arbeitsprogramm einbezogen waren, und da von den einzelnen Forschern, welche in der jüngsten Zeit das Material des vaticanischen Archivs für die Jahre 1564 1576 benutzt hatten, ein näheres Eingehen auf die Geschichte Oesterreichs unter Maximilian II. nicht zu erwarten war, wurde eben dieses Thema für die gemeinsame Arbeit von Sickel in Vorschlag gebracht und wurde diese Wahl vom h. Ministerium gutgeheissen. An der Hand der Notizen Ottenthals und der Starzer'schen Excerpte war schon in Wien der genaue Arbeitsplan entworfen worden, so dass die Sti- pendisten, nachdem Sickel die Erlaubnis zur Benutzung des betreuenden Materials erwirkt hatte, sofort nach ihrer Ankunft in Eom, d. h. in den ersten Tagen des October die ihnen übertragene Arbeit in Angriff nehmen konnten.

Zu Hefele-Knöpfler's Coiicilieugeschichte V. uud VI Eine Replik,

In dieser Zeitschrift IX. 356 364 habe ich den fünften Band der neuen Auflage von Hefele's Conciliengeschichte einer Kritik unterzogen. Wie ich zeigte, hat der Bearbeiter, A. Knöpfler, o, ö. Professor der Kirchen- geschichte an der Universität München, mehrere der für ihn wichtigen Werke entweder gar nicht oder in ungenügender Weise benutzt. Die Summe meiner Nachprüfung fasste ich dahin zusammen, »dass Knöpf- ler'n keineswegs überall das Lob echt deut'scher Gründ- lichkeit gebühre.« Wegen dieses Urtheils hat er nun ein Hochgericht über mich gehalten. Im Vorworte zum sechsten Bande entwirft er ein Bild von mir und meiner Kritik, das doch noch mehr Abscheu, als Mit- leid erregen muss. Schonungslos tadelt er mein hämisches Witzeln, meine nichts weniger als nobele Art, meine niedrigen Nörgeleien, ferner meine ungeschlachte, alle Regeln des Anstandes und der Klugheit hint- ansetzende Erregung, meine mehr in persönlichen Beleidigungen, als in wissenschaftlichen Erörterungen sich ergehende Kritik, meine zimpferliche Empfindsamkeit und krankhafte Eigenliebe u. s. w. ; ja nach Knöpfler gehöre ich zu den Thersitesnaturen, deren es auch in der literarischen Welt gebe. An Urkraft, wäe man sieht, lassen die Scheltworte meines Gegners nichts zu wünschen übrig. Prüfen wir, ob seine Beweisführung von gleicher Stärke ist! Doch liegt es mir fern, ihr in alle Einzelheiten zu folgen. Aus dem einleitenden Theile hebe ich nur zwei Proben hervor, um dann den »Haupt- und Angelpunkt«, gegen den »all das Gesagte nur Neben- dinge sin<l,« desto genauer zu untersuchen. Die beiden Beispiele aber wähle ich so, dass es nur ganz weniger Worte bedarf, um den Lesern zu

202 Literafur.

zeigen, mit welcher Leichtigkeit Knöpfler über meinen Charakter aburtheilt; zugleich wird sich aber auch dabei wieder ergeben, wie wenig »echt deutsche Gründlichkeit« die Sache meines Gegners ist.

»Für die Conciliengeschichte«, meint Knöpfler, »kann, es gleichgiltig sein, ob Nieheim, Nyem oder Kiem geschrieben werden soll, und doch hielt ich es für nothwendig, diese Frage zu berühren, wie ich es für an- gezeigt hielt, kurz über die Nepomukfrage zu orientiren, wiewohl dieselbe zu Concilien in keinerlei Beziehung steht u. s. w. Mag Schefi'er hierüber hämisch witzeln. Andere werden die Sache wohl anders ansehn.« Wo habe ich über die Aufnahme unnöthiger Einzelheiten der weiteren Historie, mit denen die Conciliengeschichte beschwert ist, in hämischer Weise gewitzelt? wo habe ich darüber auch nur gewitzelt? S. .356 schrieb ich: »wenn in einer Fussnote gesagt wird, dass nach Einigen nur das Fleisch, nicht auch die Gebeine Friedrichs in Antiochien beigesetzt seien, so wird freilich eine Bemerkung Hefele's, wonach die Leiche des Kaisers dort ihre Euhe ge- funden hätte, die Erörterung veranlasst haben ; aber für die Entwicklung wenn ich so sagen darf des synodalen Lebens ist sie so gleichgiltig, wie die erst von Knöpfler, nicht schon von Hefele berührte Frage, ob die That der Weiber von Weinsberg der Geschichte oder der Sage angehöre.« Wo ist wiederhole ich auch nur der Anflug einer hämischen Witzelei?

Wie manche andere, so hat Knöpfler auch eine Arbeit W. Meyer's angeführt, ohne sie ausgenützt zu haben. Nicht einmal der gereinigte Text von Papstbriefen, den Meyer's Publikation bietet, ist für ihn vor- handen. Das Datum eines der von Meyer veröfl'entlichten Schreiben be- stimmte er nach einem alten und schlechten Di'ucke^), und über die Ab- sender eines anderen hat er ganz verkehrte Anschauungen geäussert''^). Beide Irrthümer hält er auch jetzt noch fest, wie ich glaube, weil er auch jetzt die Abhandlung Meyer's noch nicht studirt hat. Doch kömmt ihm hier zu Statten, dass die falsche Datirung aus der alten Bearbeitung der Eegesta pontificum auch in die neue übernommen ist. Dahinter verschanzt er sich'^). Was dann die Frage nach den Absendern angeht, so wirft er

•) Ludewig Rel. Msc. IL 435. Ihm folgten Mansi, Watterich und Migne. Seine Quelle aber war derselbe Codex, ans dem W. Mejer schöpfte. Dieser nun bezeichnet Ludewig"s Datum ausdrücklich als einen IiTthum, und nicht blos er : schon fi'über hatte Winter ebenso gelesen, wie jetzt Meyer. Vgl. Forschnngeu z. deutschen Gesch. XIX. 61. 63. 74 und X. 647. ' ^) „oder ist Scheffer der Ansicht, die deutschen Bischöfe hätten in corpore zusammen genannten Brief geschrieben'.?' Allerdings bin ich der Ansicht, ganz in Uebereinstimmung mit Meyer, durch dessen Ausfiihrungen S. 73 meine frühere Auflassung als unrichtig beseitigt ist. Wie heute Meyer, sagten aber schon die Zeitgenossen Arnold von Lübeck und Radulf von Diceto , dieser : Teutonici regni tarn archiepiscopi quam episcopi, jener: epistola, signata bullis omnium episcoporum. Heisst es in meiner Rezension S. 362 : ,,es wäre doch ein eigenthümliches Geschäftsverfahren gewesen, wenn die Bischöfe, statt aus ihrer Mitte die vornehmsten Männer auszuwählen, die Collegen eines und desselben Sprengeis beauftragt hätten", so setze ich mich mit Meyer's Ausführungen keineswegs in Widerspruch, ich gehe nur einen Augen- blick auf Knöpfler's Ansicht ein: selbst für den lall, dass nicht alle Bischöfe geschrieben hätten, war mein Gedankengang, würde man doch eine andere Auswahl getroffen haben, als säramtliche Collegen eines und desselben Sprengeis. Wie sehr ich die ganze Auffassung Knüi)tlor's verwerfe, zeigten meine kurz vorauf- gehenden Worte, dass nach Meyer's Darlegung das Schreiben ,,in Wirklichkeit von allen deutschen Bischöfen erlassen sei". ^) Aehnlich macht er's noch

Literatur. 2Ctn

mir Nörgelei vor^). Und darauf fährt er fort: »Noch niedriger steht eine andere Nörgelei«. S. 560 Anm. 1 bemerkte ich, dass Knöpfler für die Datirung einer Gesandtschaft einen ungenügenden Grund vorgebracht habe. Es gebe aber ein entscheidendes Moment, fügte ich hinzu, »das Knöpfler ganz unpassender Weise übersah, nämlich die Zeugenschaft eines der Gesandten, die sich in päpstlicher Urkunde vom 18. März 1158 findet. Pflugk-Harttung Acta I. 225.« Dagegen erhebt sich nun Knöpfler: »Meine Vorrede, die bekanntlich immer erst nach Vollendung des Text- druckes geschrieben wird, ist vom 2. Februar 1886 datirt, und nun wirft mir Schefi'er vor, ich hätte ein Werk nicht benutzt, das auf dem Titel gleichfalls die Jahreszahl 1886 trägt!« Mit Verlaub, der erste Band von Pflugk-Harttung's Acta, den ich anführte, trägt auf dem Titel die deutlich ausgeprägte Jahreszahl 1881! So sehr fehlt esKnöpfler'n also an »echt deutscher Gründlichkeit«, dass er nicht ein- mal ein Beweismoment, aus welchem er »niedrige Nörgelei« seines Gegners darthun möchte, einer ruhigen Prüfung unterzieht!

»Doch all das Gesagte sind nur Nebendinge«, »der Haupt- und Angel- punkt« ist die Kritik, welche Knöpfler an meiner Datirung des Gelnhauser Eeichstages geübt hat. Ihretwegen soll ich aus Eand und Band gerathen sein, alles Anstandsgefühl und alle Klugheit verloren und eine krankhafte Eigenliebe und fast zimpferliche Empfindsamkeit verrathen haben. Ach, wenn Knöpfler doch gesehen und gehört hätte, wie fröhlich idh mit meinen Strassburger Seminaristen gelacht habe, als ich an dem von ihm gebotenen Beispiele zeigte, was im Allgemeinen und im Einzelnen bei einer chrono- logischen Untersuchung zu vermeiden sei! Wir waren ebenso heiter, wie ich es am nächsten Freitag mit meinen Berliner Seminaristen sein werde, wenn ich Knöpfler's neueste Enthüllungen über die Datirung des Reichs- tages bespreche.

In meiner Eezension bedauerte ich, eben mit Hinsicht auf unsere Controverse dass mein Buch über den letzten Streit Friedrichs I. mit den Päpsten »an einer Stelle nur eine flüchtige Benutzung erfuhr, und zwar

einmal, aber noch viel ungeschickter. Ich hatte ihm bemerkt, dass eine Corre- spondenz zwischen Friedrich I. und Hadrian IV., die er ohne jedes Bedenken auf- genommen hatte, von P. Wagner, Eberhard II. Bischof von Bamberg 120 133, längst als unecht erwie-en sei. Dagegen wendet er mm ein. die Correspondenz hätte er „stehen lassen", weil er dazu ,, geradeso berechtigt zu sein glaubte, wie der Herausgeber der zweiten Auflage von -äffe 's Regesten". Man sollte danach annehmen, Löwenfeld hätte die Beweisführung Wagner's zum Wenigsten nicht für zwingend erachtet. Wie aber wird man enttäuscht, wenn man Nr. 10575 aufschlägt ! Da ist dem Hegest nicht blos die übliche Warnungstafel vorgesetzt, nämlich das die Urkunden als Fälschungen bezeichnende Kreuz, .sondern es heisst auch ausdi'ücklich : ,,Epistolam in schola fictam esse probat Wagner I" Was mein Gegner noch hinzufügt, ist mir leider ganz unverständlich geblieben: nur unter der nicht zutreffenden Voraussetzung, dass er wenigstens einen leisen Zweite! gegen die Echtheit der Correspondenz angedeutet hätte, könnte es meines Enicli- tens einen Sinn haben.

') Aut die Gefahr, dass Knöpfler mit gleichem Tadel mich nochmals zu treffen suche , muss ich doch Einsprache dagegen erheben, dass ich nach i^^. VI gesagt haben soll, die Adresse nenne als Absender nur Wichmann von Magde- burg. Ich betonte vielmehr den Zusatz cum ■■^uis ftuffrot/ancis; ja , icli benutzte ihn gegen Knöpflers Darstellung !

204 Literatur.

gerade an einer Stelle, die den gestrengen Censor veranlasst, mich förm- lich an den Schandpfahl zu stellen«. Diese scherzhafte Wendung hat nun den ganzen Unwillen Knöpfler's en-egt, und ihr gegenüber meint er auf seine »durchaus sachlich gehaltene Darlegung« pochen zu sollen. » Z u r e c h t - richtung der Chronologie, gewaltsame Verschiebung der Thatsachen, luftiges Gebäude« sind nach Knöpfler also Aus- drücke einer »durchaus sachlichen Darlegung«^). Die beiden ersteren Vonvürfe wiederholt er auch in seiner Antikritik, jedoch das »luftige Gebäude« hat er jetzt bei Seite gelassen. Weshalb? Dieses vor allem musste die Vermuthung nahelegen. Knöpfler halte mich für einen nicht eben nüchternen Foi'scher, und da er nun hinzugefügt hatte, bei mir könne die falsche Datirung weniger auffallen, als bei meinen zahl- reichen Nachfolgern, so schien er mir doch auch keine besonders günstige Meinung über mein Fassungsvermögen zu äussei'n. Daher sagte ich, Knöpfler's Eaisonnement »könnte heissen, ich sei ein beschränkter und 2) phantastischer Kopf, der eigentliche Tadel treffe meine sonst ernster zu nehmenden Nachfolger«. Weil ich meiner Sache aber nicht sicher war, wagte ich noch eine andere Hypothese, und ich schloss dann: »Doch ge- nug der Vermuthungen«. Daraus macht Knöpfler nun: »Scheffer er- laubt sich, mii* förmlich Invectiven unterzuschieben: ich hätte ihn für einen beschränkten oder phantastischen Kopf erklärt. Ich frage , ist solch ein Benehmen noch eines deutschen Mannes, nicht zu sagen eines Gelehrten würdig?«

»Nun zur Sache!« lautet die wdrklich verständige Interjektion, die Knöpfler seiner pomphaften Frage folgen lässt.

Wie Knöpfler Y. 732 versichert, wäre Friedrich erst »anfangs des Jahres 1187« nach Deutschland zurückgekehrt; im weiteren Verlaufe hätte er den berühmten Reichstag von Gelnhausen gehalten. Dagegen behauptete ich, der Kaiser sei schon im August 1186 wieder in Deutschland nachzu- weisen, und im November hätte er die Fürsten zu Gelnhausen um sich versammelt. In einem Punkte hat Knöpfler mir nun stillschweigend zu- gestimmt : früher hatte er gegen meine Chronologie geltend gemacht, dass Friedrich noch am 11. Februar 1187 zu Pavia geurkundet habe; jetzt hat er eingesehen, dass er wenigstens an dieser Stelle meinen chronologischen Untersuchungen, wie auch Stumpfs Regesten nicht mit echt deutscher Gründlichkeit gefolgt war. Aber meine übrigen Zeitbestimmungen! Ich hatte gesagt, nicht Aveniger als vier Urkunden habe Friedrich I. schon im August 1186 zu Mühlhausen ausgestellt. Zwei davon sind uns nur in späteren Abschriften überliefert. St. 4463. 64. Knöpfler beseitigt sie, indem er schreibt: »Mühlhausen 26. Augiist ind. 5 = ii87«. Dass beide das Jahr 1186 tragen, dass Stumpf zu 4464 hinzufügt: »nach Pertz' Mit- theilung ex cop. saec. 15 mit ind. 4«, kommt für Knöpfler nicht in Be- tracht, und so werde ich auch umsonst ergänzen, dass mir von 4463 eine

') Ganz anderer Meinung war W. Ribbeck , der in der Hist. Zfsch. N. F. XXVIII. 136" die Kritik Knöpfior's eine aiimassendt' nannte. Auch mit ihm geht Knr)pfler nun furchtbar in's Gericht : nicht genug damit, dass er als ,,ein gewisser Ribbeck" angeführt wird , auch er ist eine „Thersitesnatur", und auch seine Rezension ist nur,, eine Enunciation haltloser Angiitt'e und persönlichster Rar.ciine". ■-') S. .361 Anm. 2 steht aus Versehen: ,, oder'" .statt „und".

Literatur. 205

Abschrift saec. 14 gleichfalls mitind. 4 vorliegt. Viel wichtiger sind St. 4465 und 66, weil wir deren Originale noch besitzen. Von der ersteren be- hauptet Knöpfler: »ohne Jahr, fällt also ausser Berechnung«. Da fehlt es meinem Gegner wieder an echt deutscher Gründlichkeit. St. 4465 heisst es: »ohne annus regni et imperii«, und damit ist still- schweigend erklärt: »annus incarnationis et üidictio« siud vorhanden. Sieht man nun den Druck ein, nämlich Stumpf Acta imp. 236 N. 172, so liest man: »Datum Mulihusen ao. dorn. ine. 1186 ind. 4. 7 kal. Septemb.« ^) Dem gegenüber schreibt Knöpfler: »ohne Jahr, iallt also ausser Berech- nung«. Ganz dasselbe Verhältniss wiederholt sich bei der zweiten Urkunde. Knöpfler hätte schon aus dem Regest ersehen können , dass nur anni regni et imperii fehlen; im Drucke bei Spon Hist. de Genfeve 11. 44 ed. in 4^ ni. 82 ed. in 8^ würde er gelesen haben: »Datum apud Mulen- husen ao. dom. itic. 1186 ind. 4. 6 kal. Septemb.«^^) Gleichwohl schreibt Knöpfler auch hier: »ohne Jahr«. Darf ich bei dieser Lage der Dinge die Arbeitsweise meines Gegners noch durch das schonende Wort: »Mangel an echt deutscher Gründlichkeit« kennzeichnen, bin ich hier nicht zu einem viel schärferen Urtheil verpflichtet? Doch weiter! St. 4469 trägt die Jahres-, Orts- und Tagesbezeichnung: »Acta sunt haec ao. dom. ine. 1186 ind. 5 ao. reg. :34 imp. 32, Datum apud Haselach 3 id. Novemb.« Hier be- hauptet nun Knöpfler, die Jahresdaten widersprächen einander. Zu 1186 soll Indictio 5 nicht passen. Ich kann wieder nur sagen: abermals ein bedauerlicher Mangel an Gründlichkeit! Denn wenn Knöpfler sich nur ein wenig in Stumpf 's Eegesten umgesehen hätte, so würde er gefunden haben, dass sein Satz »indictio 5^^1187« in Bezug auf den damaligen Ge- brauch der kaiserlichen Kanzlei doch einer, für unseren Fall sehr wichtigen Modifikation bedarf. Man begann zur Zeit nämlich die Indiktion mit dem 24. September^), mithin hob die fünfte Indiktion vom 24. September 1 186 an, und so ergiebt sich die schönste Uebereinstimmung, wenn »1186« auf das Ende des Jahres sich bezieht! Annus imperii 32 läuft vom 18. Juni 1186 bis 17- Juni 1187; also auch hier schönste Ueberein- stimmung mit 1 1 86 und Lidictio 5 , wofern man nur das Ende des Jahres festhält. Dann war annus regni 34 in Wahrheit am 9. März 1186 abgelaufen, aber nicht für die Kanzlei, die noch am 1 ü. Mai, am 9., am 22., am 27. Juni und wieder am 28. November 1186 das 34. Königsjahr zählt^). Wo sind also die Widersprüche ? Nirgends ; nur muss man wegen Indictio 5 die Zeit nach dem 24. September 1186 annehmen. Dazu passt

') ,,Nach dem Original im Staatsarchiv zu Turin." -) „Collata (sc. sententia) cum origiuali." «) Z. B. am 22. September 1 184 bediente sich der kaiserliche Notar noch der 2. Indiktion, am 29. schon der 3., dann wieder am 10., 24., 27., 30. Oktober, am 3., 4., 12., 16., 24. November, am 3. Dezember. St. 4385. 86. 87. 89. 91. 92. 93. 95. 9(j. 98. 99. 4400. Ol. Wenn dagegen in Urkunden vom 19 Oktober und 4. November, wie es scheint, nochmals die 2. Indiktion auftritt, so wird die Regel durch solche Ausnahmen keineswegs erschüttert. •») Dass Kaiser- und Königs-

jahre über den Endtermin hinaus noch Monate lang weitergezählt werden, kommt auch sonst mehrfach vor. Annus regni 13 z. B. war am 9. März 1165 abge- bauten, die Kanzlei aber blieb dabei, und zwar nicht blos das ganze Jahr 11G5, sondern noch l)is in die ersten Monate des folgenden Jahres. Da widerspricht die Berechnung der Wirklichkeit, entspricht aber dem Kanzleigebrauch und da- mit den übrigen Jaliresanffaben.

206 Literatur.

nun vortrefflich: »Datum apud Haselach 3 itl. Novemb.« ^) Kicht anders liegt die Sache bei den vor Allen wichtigen Urkunden 4471. 72: »Acta sunt haec ao. dorn. ine. 1186 ind. 5 ao. reg. 34 imp. 32. Datum apud Geylinhusin 4 kal. Decemb.« Da sind innerhalb der JahresbestimmuQgen aber auch gar keine Widersprüche 2), und ganz besonders herrscht zwischen ihnen und dem Monat die glücklichste Harmonie: November 1186. Aber nun meint Knöpfler, wenn ich ihn recht verstehe, dass selbst unter der Voraussetzung, alle Jahresangaben gi'ifFen vortrefflich in einander, für das Jahr der Beurkundung noch Nichts bewiesen sei. Ein Jeder nämlich, der nur einigermassen aufmerke, erkenne sehr bald die doppelte Datirung, eine der Handlung: Actum und eine der Beurkundung: Datum. Er will damit off"enbar sagen, die Jahresangaben, welche unter Actum zusammen- gefasst seien, hätten für das Datum keine Geltung, und wäre nun die Handlung auch mit einer Sicherheit, wie ich sie eben gegen Knüptter dar- gethan habe, dem Jahre 1 186 zuzuweisen, so brauche doch die Beurkundung darum nicht auch schon 1186 erfolgt zusein. Vielleicht begriffe ich jetzt, triumphirt Knöpfler, weshalb er gesagt habe: »der Kaiser Urkunde zu Geln- hausen am 28. November, aber ohne Jahr«. Nein, ob Knöpfler seine »Exegese« auch eine »schulgemässe« nennt, mir fehlt doch jedes Ver- ständniss für dieselbe. Und zu meinem Schmerze wird mir die Sache auch nicht klarer, wenn Knöpfler hinzufügt: »Scheffer scheint gar keine Ahnung davon zu haben, dass unter den Geschichtsforschern eine Controverse be- steht betreffs des urkundlichen Itinerars, wozu gerade obige Urkunden einen so schätzbaren Beitrag liefern. Wollte ich hämisch sein, wie Scheffer, so müsste ich sagen: aus Ficker's Beiträgen zur Diplomatik hätte er das Nöthige hierüber lernen können.« Wäre Knöpfler doch hämisch gewesen, hämisch bis zu dem Grade, dass er mir mit der Zahl des be- treffenden Paragraphen gedient hätte ! Ich meine : mit einem Paragi'aphen, aus dessen Lektüre mir einleuchten müsste, dass in den fraglichen Ur- kunden die Jahresangaben des Actum nicht auch auf das Datum zu be- ziehen seien. So denke ich immer nur an Paragraph 411 Bd. H S. 352: bei der feierlichen Datirung, d. h. eben in unseren Fällen^), besteht »fast ausnahmslose Uebereinstimmung zwischen den Jahresangaben des Actum und dem Datum«. Thatsächlich kannte Ficker aus der ganzen Regierung Friedi'ichs L nur ein einziges Beispiel, dass bei feierlicher Datierung die unter dem Actum angegebenen Jahresbestimmungen nicht auch für das Datum gegolten hätten. Nun bietet Knöpfler gleich drei »schätzbare Beiträge«; ich befürchte nur, dass Ficker sie mit vielem Danke ablehnen wird*).

Doch Knöpfler hat für die Folgerung, welche er aus den Urkunden zog, noch die schönste Bestätigung gefunden. Der Erzbischof von Mainz

') In der Urkunde selbst heisst es : Nuper idem Otto et Hermannus allo- dium in manus nostras apud Mulehusen posueiunt etc. *) Was das

Königsjahr angeht , ho meine ich natürlich auch hier : vom Standpunkte des kaiserlichen Notars, der das 34. über den 8. März hinausgezählt hat. ») Dass

in St. 4471 nicht die volle Form der feierlichen Datierung erscheint, dass da unter Actum nur das Jahr genannt ist , kann an der Sache Nichts ändern. *) Knöpfier beschäftigt sich auch noch mit der Datirung von St. 4470, aber diese Urkunde hal>e ich in meiner Rezension ganz ausser Betracht gelassen.

Literatur. 207

war bei deu Verhandlungen zugegen: das eine Mal ist er Fürbitter, das andere Mal Zeuge ; bei der Beurkundung sei er nicht zugegen gewesen, denn die Eecognition lautet: »Ego Johannes imp. aule cancellarius vice Cunradi archicp. etc.« So Knöptler, der damit einen geradezu epochemachenden Lehrsatz in die Diplomatik einführt. Und nicht bloss für diese ist das neue Axiom von umstürzender Bedeutung, welche Perspektiven er- öffnen sich nicht auch den politischen Combinationen ! Z. B. , unsere Herrscher weilten in Mainz, d. h. in der eigenen Stadt des Erzkanzlers: Oktober 11:33, April 11:38, Dezember 1152, April 116:3, Mai 1184, Oktober 1195^), und die Urkunden , welche sie da in Mainz ausstellen, sind sammt und sonders unterfertigt » Ich der Kanzler anstatt des Erz- kanzlers« ! Der Letztere ist offenbar immer vor dem herannahenden Kaiser davongelaufen, und da musste denn der Erstere als Stellvertreter seine Funktionen übernehmen! Die Geschichte der Erzbischöfe von Mainz ist doch in mancher Hinsicht umzugestalten; hoffentlich geht Niemand daran, ohne sich vorher mit dem Urkundenwesen nicht wenigstens etwas vertrauter gemacht zu haben, als Knöpfler. Er wird dann bestätigt finden, was bisher allgemein galt, was z. B. jüngst noch der Münchener Privat- dozent Gr. Seeliger Erzkanzler und Keichskanzeleien .35 so tormulirt hat: »Zahlreich sind die Fälle langen xiufenthaltes der Erzkanzler am Königs- hofe ohne Anzeichen ihres Zusammenhanges mit dem Kanzleiwesen« ^). Nach Knöpfler dagegen sind die Beziehungen des Erzkanzlers zu den Kanzleigeschäften so innig, dass der Kanzler nur dann für ihn eintritt, wenn er, der Erzkanzler, selbst abwesend ist!

Knöpfler beendet seine diplomatische Untersuchung mit einer Be- rufung auf das Urtheil competenter Richter, die darüber entscheiden soll- ten, »wer von uns beiden die Urkunden genauer angesehen und gewissen- hafter geprüft habe, wem es um Weiterförderung der Wissenschaft und wem es nur ums Eechthaben zu thun ist.« Indem ich mir noch einmal vergegenwärtige, dass Knöpfler gleich von zwei im Original vorliegenden und längst durch den Druck bekannten Urkunden, die mit Jahr und zu- gehöriger Lidiktion versehen sind, frischweg zu behaupten wagt: »ohne Jahr«; indem ich nochmals erwäge, dass er den Anfang der Indiktion, welcher für die Untersuchung seine Wichtigkeit hat, ebenso leichtfertig als unrichtig bestimmt; indem ich seine wunderlichen Ansichten über Actum und Datum der feierlichen Datirung, dann über das Wesen der Eecognition, indem ich diese Ansichten, deren Verkehrtheit er ohne besondere Mühe erkennen konnte, auch hier nicht ausser Acht lasse, meine ich unbedenklich seinen Appell an die Entscheidung berufener Kritiker unterschreiben zu können.

Am Schlüsse seiner ganzen Polemik erhebt sich Knöpfler zu der

•) St. 3286. 3375. 76. 3654. 3978. 79. 4374. 4966. In all' diesen Urkunden ist der Erzkanzler zugleich auch Zeuge. Das ist nach Knöpfler dann natürlich auf eine frühere Handlung zu beziehen. ^) Gerade der damalige Erzkanzler, Konrad

von Witteisbach, erscheint nur dann sozusagen als Träger der Eecognition, wenn die Kanzlei erledigt ist, so 1192 Februar 15: Ego Cuuradus Mogunt. sed. archiep. et Germ, archicanc. reo. vacante cancellaria. St. 4735, cf. 4766. 67. 77. 85. 87. Sobald ein neuer Kanzler ernannt ist, recognoscirt dieser wieder anstatt des Erzkanzlers. Vgl. auch noch St. 3971.

208 Personalien.

Apostrophe: »Ich fordere Scheffer feierlich auf, mir in den beiden vor- liegenden Bünden eine emzige Unwahrheit, ahsichtliche Verdrehung oder Entstellung der Thatsachen nachzuweisen«. Meine Antwort ist, dass ich dieser Aufforderung trotz all' ihrer Feierlichkeit nicht entsprechen Averde. Ich lehne es ab, Knöpfler'n das offenbar von ihm verlangte Leumunds- zeugnis auszustellen, denn in meiner Eezension habe ich seine Moral aber auch mit keiner Silbe berührt. Was ich ihm zum Vorwurf machte, war <ler Mangel an echt deutscher Gründlichkeit. Dass ich damit aber ein Unrecht begangen hätte, will mir heute am allerwenigsten emleuchten: ich danke meinem Gegner, dass er in seiner Antikritik eine Eeihe neuer, schlagender Belege für die Richtigkeit meines Tadels erbracht hat.

Berlin. P. Scheffer-Boichorst.

Personalien.

Am 8. Dec. 1890 feierte Prof. i. P. Albert Jäger, der erste Di- rektor unseres Instituts, seinen 90. Geburtstag.

Hofrat Th. v. Sickel wurde zum Associe etranger de l'Institut de France und zum wirklichen Mitglied der Accademia dei Lincei in Rom gewählt.

Ernannt wnrden : K. S c h a 1 k zum Castos, W. E n g e 1 m a n n zum Scriptor der städtischen Bibliothek in Wien, bei der auch H. Viebig als Volontär eintrat, J. Dona bäum zum Amanuensis, A. Sehne rieh zum Praktikanten der Universitätsbibliothek in Wien, 0. v. Falke zum Directorial- Assistenten am Kunstgewerbe-Museum in Berlin, M. Faber zum Official des Archivs im k. u. k. gemeins. Finanzministerium in Wien, St. Krzyzanowski zum Archivar der Stadt Krakau.

Am 16. März 1890 erlag Dr. Emil Wähle einem langwierigen Lungenleiden, das ihn schon Ende des Jahres 1888 genüthigt hatte, die Studien am Institut zu unterbrechen, ein tüchtiger junger Mann, an den sich bedeutende Erwartungen knüpfen durften.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III.

Von

Th. V. Sickel. Vorbemerkungen.

Zu Ende des vorigen Jahres ist der Druck des zweiten Bandes der Diplomata regum et imperatorum Germaniae wieder aufgenommen worden, dessen zweite Hälfte die Urkunden Otto III. und die mehr- fachen Kegister zu den Urkunden Otto IL und Otto III. enthalten soll. Bedarf es nun auch für die Diplome Otto III. mancher ausführ- licher Erläuterungen, für welche in der Edition selbst nicht Kaum vorhanden ist, so werden ich und mein jetziger Arbeitsgenosse Dr. W. Erben sowohl in der Auswahl als in der Behandlung einzelner Themata darauf Rücksicht zu nehmen haben, dass der früher an den Arbeiten der Abtheiluug betheiligte Dr. Paul Kehr bereits ein um- fangreiches Buch: Die Urkunden Otto III. (Innsbruck, Wagner, 1890) hat erscheinen lassen. Eine Reihe von Fragen finden wir von ihm erschöpfend und richtig beantwortet, brauchen sie also nicht wieder auf- zugreifen, sondern können uns begnügen in der Diplomata-Ausgabe auf die betreffenden Stellen seines Buches zu verweisen. Aber es ist doch nur ein Theil der uns obliegenden Arbeit, welchen Kehr uns ab- und vorweg genommen hat.

Kehr selbst will sein Buch nicht als abgeschlossene und in sich abgerundete Specialdiplomatik Otto III. betrachtet sehen. Aber angelegt ist es jedenfalls als Specialdiplomatik, was von einer Seite bereits dem- selben als Vorzug nachgerühmt ist und was ich selbst in gewissem Sinne willkommen geheissen habe ^). Und da Hess sich nun nicht

') Es ist in unsern Kreisen oft von solcher Arbeit als einer sehr wünschens- werthen die Rede gewesen. Aber sie in Angriff zu nehmen hat es uns stets an Zeit gefehlt. Alle welche der Abtheilung angehörten, glaubte i-ch anhalten zu Mittheilungeu XII. ü

210 Sickel.

alles das erledigen, was wir als Commeutar zu einzelnen Urkunden oder Urkundenreihen für nötliig erachten, so dass wir die von Kehr veröffentlichten Untersuchungen noch vielfach zu ergänzen haben. An- dererseits sind wir auch in zahlreichen Fragen zu andern Ergebnissen gelaugt und somit verpflichtet, Berichtigungen zu bieten. Doch wir werden in der einen wie in der andern Richtung Mass halten und uns auf das beschränken, was um der Edition willen zu sagen ist und in ihr nicht gesagt werden kann i).

Obwohl bereits Kehr im Vorwort Aufschlüsse über die Entstehung seines Buches gegeben hat, muss ich dieselben vom Standpunkte des Leiters der Abtheilung vervollständigen, um sowohl Kehr als andern gerecht zu werden. Ich verbinde damit einen weitern Zweck: dem Abschlüsse dessen nahe was ich übernommen habe, glaube ich auch einiges über den Gang der Arbeiten in den letzten Jahren und ins- besondere über meinen Antheil an denselben berichten zu sollen.

Eine Reihe von Jahren habe ich fast ausschliesslich der Aufgabe gelebt, welche mir von der Centraldirection der Monumenta Germaniae übertragen worden war. Mit der Veröffentlichung eines Programmes für die Vorarbeiten (1876) war doch nur der erste Schritt gethan. Es bedurfte noch angestrengter Arbeit und reiflicher Ueljerlegung, bis ich über alle Fragen der Urkundenkritik und der Urkundenedition schlüssig ward. Zu solchem Behufe habe ich etwa bis zum Juli 1884, in welchem die Herausgabe der DD. 0. I. vollendet vnirde, mich un- unterbrochen, in und ausserhalb Wien, an all den mannigfaltigen Ar- beiten deren es bedurfte persönlich betheiligt ^). Gewisse Fragen zu

müssen, ihre ganze Arbeitskraft auf möglichste Förderung der Edition zu richten. Die zu Gunsten Kehrs gemachte Ausnahme hat auch thatsächlich den Druck ver- zögert. Dazu kam für mich ein zweiter Grund, vorläufig von derartiger Arbeit abzusehen. Ich habe den Wunsch gehegt und hege ihn noch, dass die Köuigs- urkunden etwa eines Jahrhunderts (auf die Frage der richtigen Abgrenzung der Periode gehe ich hier nicht ein) systematisch behandelt werden mögen, aber erst nach Abschluss der Edition für das 10. Jahrhundert. Zu so umfassender Arbeit hat sich Kehr nicht entschliessen können, so oft er auch betreffs einzelner Merk- male auf die Urkunden der Vorgänger zurückgegriffen hat, und ich fürchte dass er andern die Lust zu solcher benommen hat, indem er einen Theil der Aufgabe bereits gelöst hat.

') loh will hier keine Anzeige und noch weniger eine Kritik des Kehr'schen Buches schreiben. Ich gehe dabei auch über zahlreiche gegen mich und gegen die von mir besorgte Diplomata-Ausgabe gerichtete Bemerkungen hinweg, ausser wenn ich sie mit Rücksicht auf die Diplome Otto III, aufzunehmen Anlass habe. -) Mein Antheil erstreckte sich bis auf die Redaction der Uebersicht der Urkunden, und nur die Anfertigung der weiteren drei Register habe ich damals H. Dr. von lleineinann und den andoni .Mitnvboitera überlassen.

firläuterungeii zu den Diplomen Otto IIT. 21 1

lösen hatte ich mir allein vorbehalten; in allen andern habe ich mir die letzte Entscheidung gewahrt. Dass ich so viel Zeit und Kraft auf die eine Arbeit verwenden konnte, verdankte ich vor allem dem Um- stände, dass sich meine amtliche und meine ausseramtliche Thätigkeit bis zu einem gewissen Grade deckten: auch als akademischer Lehrer fühlte ich mich berufen, die Diplom atik durch allseitige Beherrschung einer Kategorie von Urkunden fortzubilden und meine Schüler durch gemeinsame Beschäftigung mit eben diesem Stoffe zu Diplomatikern heranzubilden.

Doch mit der Zeit traten an mich als Lehrer und als Mann der Wissenschaft neue Aufgaben heran. Auch bedurfte es um die Edition in gleicher Weise fortzusetzen, nicht mehr so intensiven und steten Eingreifens von meiner Seite. So habe ich mich in den letzten Jahren auf das zu beschränken versucht, was dem Leiter einer Monu- menta- Abtheilung obliegt, darauf die Arbeiten der Gehilfen anzuordnen und zu überwachen und die letzte Revision des für den Druck be- stimmten Manuscriptes zu besorgen ^).

Allerdings habe ich dann doch wieder weiter gehen müssen, als Fanta, auf dessen Fleiss und Tüchtigkeit ich mich zu verlassen allen Grund hatte, erkrankte und starb. Kehr, der ihm als ständiger Mit- arbeiter folgte, war, obwohl er bereits seit einiger Zeit als Freiwilliger Fanta an die Hand gegangen war, noch nicht in alle Arten von Ar- beiten eingeweiht. Und fand ich auch in Uhlirz, welcher längst aus der Abtheilung ausgeschieden, aus Liebe zur Sache derselben seine freien Stunden widmete und welcher im steten Wechsel der Personen die Traditionen der Abtheilung aufrecht erhielt und vertrat, eine zuverlässige Stütze, so wurde ich doch mehr als ich vorausgesehen hatte in Anspruch genommen, als es galt, den schon begonnenen Druck der DD. 0. IL ohne Unterbrechung zu Ende zu führen. Ich fand daher keine Zeit mich schon der nächstfolgenden Aufgabe, der Bearbeitung der DD. 0. III. zuzuwenden.

Wie es sich mit der Sammlung des Materiales für Otto III. ver- hielt, werde ich später berichten. Zunächst wurde von demselben nur

k

•) In einem Punkte liabe ich selbst auf die Controle der Arbeiten mehr oder minder verzichten müssen. Ich kann meine Augen nicht mehr wie in früheren Jahren anstrengen und muss daher schwierigere Schrifteuuntersuchung und die Entscheidung über diese und jene palaeographische Frage zumeist meinen jüngeren Genossen überlassen. Ich lasse mir allerdings über alles berichten und auch das vorhandene Material behufs Nachprüfung vorlegen. Aber ich kann mich nicht mehr der Sicherheit des Urtheils rühmen, welche auf der steten Beschäfti- gung mit den Schriftdenkmälern beruht.

14*

212 Sickol.

heschränkter Gebrauch gemacht. Mehrere DD. 0. III. mussten als Nachurkunden von DD. 0. IL berücksichtigt werden, bevor letztere edirt werden konnten. Andere DD. 0. III. waren als von bereits unter Otto IL dienenden Notaren geliefert in die Untersuchungen über das Kanzleipersonal 0. IL einzubeziehen. Diese und andere Beziehungen zwischen den Urkunden des Vorgängers und denen des Nachfolgers ins 'Auge zu fassen uud zu verwerthen, das war eine der Aufgaben, welche Fanta zugewiesen worden war und um derentwillen er mit der Sichtung der DD. 0. III. beginnen musste. Und eben zu letzterer Arbeit hatte er den damals nach Wien gekommenen Kehr herangezogen, Musste nun Kehr nach seinem förmlichen Eintritt in die Abtheilung in erster Linie mir behilflich sein die Arbeiten über Otto IL zum Abschluss zu bringen, so übertrug ich ihm auf seine Bitten nebenbei das andere auf 0, III. bezügliche Pensum. Indem es ihn reizte einen Stoff selbständig und ohne alle Beihilfe zu bearbeiten, steckte er sich auch das am weitesten gehende Ziel. Er wollte nicht allein jedes einzelne Präcept nach den Kegeln unserer Edition druckfertig her- stellen, er wollte auch, was ich bisher mir vorbehalten hatte, die Keihenfolge feststellen, er wollte endlich eine zusammenhängende Dar- stellung des Kanzleiwesens liefern und sich so als Diplomatiker ein- führen. Seinem Vorhaben kam anfangs manches zu statten. Indem ich längere Zeit von Wien abwesend war, ejitfiel selbst die Möglichkeit meiner Einmischung in seine Arbeit. Später enthielt ich mich der- selben aus speciellem Grunde. Im Frühjahre 1888 hatte nämhch die Centraldirection auf meine Fürsprache hin Dr. Kehr gestattet, das der Abtheilung gehörige Material für eine Habilitationsschrift, welche sich dann zu einem Buche ei-weitert hat, zu verwerthen: diese Bestimmung der Arbeit Kehrs legte mir vollends Zurückhaltung auf. Stand es ihm dagegen frei von allen Arbeiten seiner Vorgänger, über welche ich mich gleich äussern werde, Gebrauch zu machen, so ist doch was er aus ihnen gemacht und in seinem Buche geboten hat, sein ausschliess- liches geistiges Eigenthum. Ihm allein gebührt dieses Verdienst, wäh- rend die Mängel und Fehler nicht ihm allein zur Last fallen.

Kehr sah sich jedoch in der Folge zur Einschränkung seines ur- sprünglichen Planes genöthigt. Solange er Mitglied der Abtheilung war, musste er den grössten Theil seiner Zeit auf die Drucklegung der DD, 0. IL verwenden , Hatte er sich dann frei gemacht, so zwangen ihn bald, wie er selbst berichtet, persönliche Verhältnisse Wien zu verlassen.

An seinem neuen Wohnorte war er auf die Excerpte, welche er sich gemacht liatto, angewiesen, konnte die in der Abtlieilung bereits

Erliiiitcrungcu zu den Diplumen Otiu IIF. 213

vorhandenen Abschriften und Vorarbeiten nicht von neuem zu Käthe ziehen und hatte nicht einmal Kenntniss von dem neuen nach und nach einlaufenden Material. Seine Arbeit hat darunter leiden müssen. Kehr hat nicht jede Einzeluntersuchunpf zum Abschluss zu bringen vennocht. Hatte er sich insbesondere vorgenommen die Reihenfolge der sämratlichen Urkunden festzustellen und hat er thatsächlich grosse Mühe auf die chronologischen Untersuchungen verwendet, so hat er dann doch in gerechter Würdigung der Sachlage (s. Vorwort IV.j sich begnügt an einem gewissen Punkte Halt zu machen. Bedauerlicher als dies finde ich eine Lücke in Kehrs Buche. In dem Entwürfe zu demselben, welchen er mir vorlegte, waren die Dictamiua gebührend berücksichtigt; in der Ausführung aber ist gerade dieses Thema zu kurz gekommen, oflFenl^ar weil dasselbe zu erschöpfen Auszüge nicht genügen, sondern immer wieder die vollständigen genauen Abschriften zu Eathe gezogen werden müssen. Ist also Kehr die Erlaubniss den Apparat der Abtheilung benutzen zu dürfen, nur eine Zeit lang zu statten gekommen und hat er, um sein Buch niederzuschreiben, sich vielfach mit Excei'pten und Listen behelfen müssen, so ist um so mehr, was er unter solchen Umständen geleistet hat, anzuerkennen.

Sagte ich schon, dass Kehr von den Vorarbeiten früherer Genossen abhängig war, so will ich hier ausführlicher berichten, wie diese ent- standen waren, wie es mit ihnen zu Kehrs Zeit bestellt war und was dann später noch nachgeholt worden ist. Am füglichsten knüpfe ich auch dabei an die wichtige Scheidung zwischen noch vorhandenen Originaldiplomeu und zwischen uns abschriftlich erhaltenen Urkunden an. Schon bei der ersten Durchforschung der Archive und Biblio- theken gingen wir darauf aus, die Originale im weitern Umfange zu bearbeiten : mindestens sollten sämmtliche von Konrad I. bis zu Otto III. copirt und beschrieben Averden, wo möglich sollten aber auch Vor- und Nachurkunden berücksichtigt werden. Wie nun das ganze Gebiet nörd- lich der Alpen dem sei. Foltz zugewiesen worden war i), hatte dieser bereits in den ersten Jahren des Bestandes der Abtheilung auch alle ihm zu Gesichte gekommenen Originaldiplome Otto III. abgeschrieben und nach Ingrossisten zu ordnen begonnen. Wenn nun Versuche der letzteren Art überhaupt erst in dem Grade gelingen als Material in

0 Allerdings hat er zuerst an mehreren Orten mit mir und unter meiner Leituug gearbeitet und in der Folge hat er sich an andern Orten der Beihilfe mehrerer Mitglieder des Wiener Instituts erfreut. Aber den weitaus grössern Theil der Ausbeute aus Deutschland hat er geliefert und er allein hatte damals üeberblick über den gesammten Vorrath gewonnen, so dass hier auch nur seine Leistungen zu erwähnen sind,

2t4 Sickol.

grösserm Umfange iu die Schriftvergleicliung einbezogen wird, so war Foltz Fehlgriffen um so melir ausgesetzt, als ihm das Material für und aus Italien noch unbekannt war, daher auch die Zusammensetzung der Kanzlei in den letzten Jahren Otto III. aus deutschen und italieni- schen Notaren und die immer mehr gesteigerte gegenseitige Beein- flussung der beiden Elemente ^). Den Urkundenvorrath Italiens haben

') Sagt Kehr 73, dass nach dem Ausscheiden des deutschen Notars Hildi- bald das Heribert untergeordnete Personal ausschliesslich aus Italienern bestanden habe, so stimmen wir dem, -wie Dr. Erben ausführen wird, nicht bei. Es möge mir gestattet sein, hier auf eine Bemerkung von Bresslau ürkundenlehre 1 , 300 zu erwidern. Bresslau, welcher zu allererst meinem Vorgange die namen- losen Schreiber behufs Unterscheidung zu bezeichnen gefolgt ist und demselben auch jetzt das Wort redet, missbilligt, dass ich selbst das einst von mir vor- geschlagene System in etwas modificirt habe. Mir liegt, often gestanden, da ich hier doch nur Namen fingire, nichts an consequentem Vorgehen. Ich lasse mich vielmehr durch praktische Rücksichten bestimmen. So bezeichnete ich um sie )-echt von ihren deutschen Genossen zu scheiden (vgl. die Erläut. zu den DD. , 0. IL, 18) die Notare der italienischen Kanzlei mit It. X. Heben sich aber in den letzten Jahren Otto III., als beide Kanzleien unter Heribert standen, die deutschen und die wälschen Notare kaum noch voneinander ab, so findet das meines Ermessens den rechten Ausdruck in der Bezeichnung von Her. A. u. s. w., welche übrigens innerhalb der Abtheilung bereits vor Kehrs Zeit in Vorschlag gebracht worden war. Ich mache es auch ganz von den jeweiligen Umständen ab- hängig, ob ich einem unter mehreren Kanzlern dienenden Notar denselben Namen belasse oder ihn umtaufe. Reden wir noch unter Otto III. von einem L(iutolf) J., so wollen -wir daran erinnern, dass dieser Mann schon unter Otto I., als Liutolf Kanzler war, thätig war. Dagegen habe ich LG., weil er unter Willigis eine hervorragende Rolle spielte, in der Folge WA. bezeichnet. Auch das scheint mir geringen W'erth zu haben, was z. B. Kehr S. 41 verlangt, dass jeder Notar nach dem Kanzler benannt werden solle unter dem er zuerst nachweisbar ist. In Anbetracht der hervorragenden Stellung, welche HA. unter dem Kanzler Hildibald eingenommen hat, ist es von sehr geringer Bedeutung, dass HA. schon unter dem vorausgehenden Kanzler Gerbert ein einziges auf ims gekommenes Diplom geschrieben hat. Ja ich scheue selbst davor zurück, einen voreilig ge- wählten und bereits in Curs gesetzten Namen durch einen entschieden richtigem zu ersetzen. Es hat mich selbst bein-t, dass ich ein Individuum zuerst LC. und dann LB. benannte (vgl. meine Beiträge 8, 155). Und ich möchte auch jetzt nicht Anlass zu allerlei Verwechslungen geben durch nicht unbedingt nothwen- diges Rütteln an den von Kehr für die Notare Otto III. gewühlten Bezeichnungen. Hält dieser seinen Her. C. für einen Italiener, so halten wir denselben schon ileshalb für einen Deutschen, weil er bereits unter dem Kanzler Hildibald thätig war. Wir müssten ihn demnach, wenn wir Kehrs Rathe folgen wollten, unter die Hildibald-Notare einreihen ; aber wir wollen solches Unheil nicht anstiften. Anders steht es allerdings damit, dass wir Kehrs HH. in zwei Personen zerlegen : da mnssten wir die Bezeichnungen HH. und HJ. wählon und mu^sten Kehrs HJ. umtaufen zu HK.

Erliiiitornngen zu den Diplomen Otto IIT. 215

wir aber erst spät genügend kennen gelernt. Hatte ich die Bearbei- tung desselben einst Laschitzer aufgetragen, so hatte ich schon zur Zeit, da dieser aus der Abtheilung ausschied, die Erfahrung gemacht, dass es Zeit und Geld verschwenden heisst, wenn man die Sammlungen dieses Landes planmüssig ausbeuten lassen will. Grade die für uns in Betracht kommenden Urkunden vertheilen sich auf zahlreiche Archive, deren gi'össerer Theil geistlichen Corporationen angehört. Die Zugäuglichkeit der letztern ist eine vielfach beschränkte ^). So habe ich später vorgezogen, in gewissen Kirchenarchiven gelegentlich arbeiten zu lassen. Allerdings blieb alle Mühe vergeblich, das eine und andere einst von Bethmanu eingesehene Stück wieder aufzufinden. Aber bis auf diese geringen Ausnahmen sind doch die Originale des 10. Jahr- hunderts für unsre Zwecke nochmals copirt und geprüft worden. War das nur nach und nach zu erzielen, so begreift sich, dass wir auch nur allmählig, was die Schreiber unter Heribert anbetrifft, klar zu sehen vermocht haben.

Im übrigen hatte Foltz auch sonst nicht immer das richtige ge- troffen. Das hatten TJhlirz, Fanta und Kehr durchschaut, wenn , sie einzelne Urkunden nachzuprüfen Anlass fanden. Aber zu einer ein- gehenden Vergleichung des gesammten Materials war es bis zum Herbst 1889 nicht gekommen 2).

Mit Fug und Recht hat sich Kehr, als er zuerst hier Ordnung machen wollte, nicht an jeden Ausspruch seiner Vorgänger gehalten. Aber nicht in der Lage, worüber er selbst sein Bedauern ausspricht, auf Originale in grösserer Anzahl zurückzugehen, musste er sich in den meisten Fällen doch an die bisherigen Bestimmungen halten.

Bevor ich mich über die von ihm betreffs der Originale gebotenen Ergebnisse äussere, berichte ich über den zweiten Theil des Apparats, Avelcher die nur abschriftlich erhaltenen Urkunden umfasst. Die dies- bezüglichen den Sendliugen der Abtheiluug ertheilten Weisungen macli- ten ihnen zur Pflicht, alle Copien zu verzeichnen und zu beschreiben.

I

•) Dass es seit 1876, in welchem Jahre Laschitzer für uns Italien bereiste, um vieles besser geworden ist, weiss ich aus eigener Erfahrung. Aber auch in jüng- ster Zeit ist es uns widerfahren, dass wir erst bei einem dritten oder vierten Versuche Zutritt zu einzelnen Archiven erwirkt haben. -) Als ich damals

gedrängt, wurde, Diplome Otto III. für die Eaiserurkunden in Abbildungen aus- zuwählen, habe auch ich mich an die bis dahin gewonnenen Ergebnisse gehalten. Machte ich deshalb (Text. S. 289) einen Vorbehalt, so bin ich doch in diesem nicht weit genug gegangen. Indem ich jetzt noch drei Praecepte Otto III. in die 11. Lieferung aufgenommen habe, habe ich zwei der vor .Tahren gethanenu Aussprüche zu berichtigen Anlass gehabt.

216 Hickcl.

aber nicht alle sofort abzuschreiben. Nur ältere Einzelcopien sollten ffleich an Ort und Stelle bearbeitet werden. Handelte es sich aber um Copien in Chartularen, welche wir nach Wien zugesandt erhalten konnten, so war es bequemer und minder kostspielig, die Chartulare am Sitze der Abtheilung auszubeuten. Auch wollte ich nicht Zeit und Mühe auf Copien verschwenden lassen, welche sich möglicherweise als abgeleitete und minderwerthige herausstellten. Zunächst genügte es, möglichst vollständigen Ueberblick über die mehrfachen Ueberlieferungs- formen zu gewinnen, um aus letzteren die relativ bessern auszuwählen, eine Arbeit, die sich mit Hilfe alter und neuer Reiseberichte und mit Hilfe der gedruckten Litteratur am besten in Wien verrichten Hess- Ob nun der ganze Vorrath von Abschriften einer Urkunde bekannt und verfügbar ist, das lässt sich in manchen Fällen nicht so leicht sagen und immer erst wenn man der ganzen betreffenden Herkunfts- gruppe und allen ihren Schicksalen nachgegangen ist. Alles das er- klärt, dass dieser Theil des Apparates erst mit der Zeit beschaflFt werden kann, und dass wir nicht allein bis wir zum Drucke schreiten, sondern selbst noch darüber hinaus, auf Vervollständigung desselben bedacht sein müssen. Es verhält sich also mit ihm ganz so wie mit dem ersten Theile. Erst in etwas vorgeschrittenem Stadium der Arbeit lassen sich manche Fragen beantworten; ja gewisse Fragen tauchen erst dann auf. Insbesondere wird es erst nach und nach ersichtlich, ob das Material quantitativ und qualitativ genügt oder ob noch weiteres, falls es vorhanden ist, herbeigeschaflFt werden muss.

Ist es nun zweifelsohne die Aufgabe des Leiters für Ergänzung oder Berichtigung des für die Edition benöthigteu Stoffes zu sorgen, so muss er doch, solange er eine Partie noch nicht selbst in Angriff nimmt, von seinen Gehilfen erst auf die von ihnen im Laufe der Arbeit wahrgenommenen Lücken oder Zweifel aufmerksam gemacht werden. An letzterem hat es Kehr, wie er das auf Otto III. bezügliche Material zu sichten und zu verwerthen begann, nicht fehlen lassen, und ich habe dann nicht unterlassen die erforderlichen Schritte zu thun. Und doch ist, solange Kehr der Abtheilnng angehörte, in dieser Richtung nicht genug geschehen. Indem er den Stand der Dinge nicht ganz übersah, hat er auch mich nicht hinläuglich aufgeklärt. Ja es ist ihm auch die eine und andere Bemerkung in unsern Papieren ent- gangen. Ich werde später zu zeigen haben, dass Kehr zu seinem eigenen Schaden die älteste Copie des von ihm S. 262 ausführlich besprochenen Diploms für Concordia unbeachtet gelassen hat. Ebenso hat er verabsäumt einem Winke zu folgen, welcher sich auf die Ur- kunden für Selz bezieht. Letztere waren uns einst partienweise nach

I

Erläuterungen zu den r)i])l()iiien Offo flT. 217

Wien gesandt worden. Da wir so nicht sämmtliche Ausfertigungen miteinander vergleichen konnten, suchte ich dies vor etwa 10 Jahren in Karlsruhe nachzuholen. Indem ich jedoch damals die Schreiber Otto III. noch nicht genügend kannte, sprach ich mich über die Mehr- zahl der Stücke mit gewissem Vorbehalt aus und bemerkte ausdrück- lich, dass, sobald die Untersuchunsren über das Kanzleipersonal Otto III. zum Abschluss gekommen seien, die ganze Selzer Gruppe nochmals zu prüfen sei. Dass solche Vorsicht geboten war, hat die jüngst statt- gefundene nochmalige Vergleichung dieser Urkunden bestätigt. Ich überlasse es Dr. Erben, welcher dieselbe durchgeführt hat, die dies- bezüglichen früheren und von Kehr wiederholten Angaben zu be- richtigen.

Dass Kehr sich über den Stand der Vorarbeiten nicht täuschte, bemerkte ich schon. Dass er in dem einen und dem andern Falle es unterliess, sich besser zu unterrichten, war die unausbleibliche Folge davon, dass er Wien zu verlassen und auf die Unterstützung der Ab- theilung zu verzichten genöthigt war. Seine unerwartete Abreise setzte übrigens auch mich in Verlegenheit. Wir konnten den von ihm der Abtheilung hinterlassenen Aufzeichnungen nicht genau entnehmen, wie weit er in seinen Untersuchungen gekommen war: seine Habilitations- schrift ging uns erst um Ostern 1889, sein Buch erst im Herbste zu. So konnten wir mit unserer Arbeit zunächst nur da einsetzen, wo, wie wir auf den ersten Blick erkannten. Kehr nicht zum Abschluss gelangt war. Ich wies so eine Eeihe von einzelnen Aufgaben H. Dr. Erben zu, welcher im November 1888 ständiges Mitglied der Abthei- lung wurde und die erste Zeit hindurch, da ich von Wien abwesend war, von H. Archivar Dr. Uhlirz weitere Anleitung erhielt. Stiessen diese meine Genossen auf viele Lücken und Mängel des Apparates, so war es nach meiner Heimkehr meine erste Sorge, hier Abhilfe zu schaffen. Ich erwähne hier nur was geschehen ist, um über die Originaldiplome, deren Beschreibungen und Bestimmungen am meisten zu wünschen übrig liessen, besser unterrichtet zu werden. Aus meh- reren deutschen Archiven hat man uns bereitwilligst die Urkunden nach Wien gesandt. Standen dem Hindernisse im Wege, so haben wir uns mit Facsimiles von grösserem Umfange beholfen. Die Vorräthe in Berlin und Dresden sind nochmals von Dr. Bretholz bearbeitet worden. Ich selbst revidirte und ergänzte in sieben Archiven Deutsch- lands die Arbeiten von Foltz, Auch in Italien wurde noch Nachlese gehalten i). Dank der uns überall gewährten Unterstützung ist es in

') Da der grössere Theü sowohl der Originale als auch der Copien ein

21S Sickel.

Jahresfrist gelungen, alle wahrnehmbaren Lücken auszufüllen ^). Sind wir also in günstigerer Lage als Kehr, so darf es nicht Wunder neh- men, dass wir seine Arbeit in manchen Einzelheiten und in mehrfacher Beziehung zu ergänzen und zu berichtigen haben. Zum Theil soll das, wie ich schon sagte, in der Edition geschehen. Bedarf es aber zusammenhängender Darlegung und eingehender Begründung, so ge- schieht dies füglich in diesen Erläuterungen zu deu Diplomen Otto IIL, welche jedoch auch mehr als Auseinandersetzungen mit TCehr bieten sollen.

Die ersten vier Capitel liabe ich niedergeschrieben. Dass ich mich hier fast ganz auf Erörterungen über Diplome bis zum Jahre 907 beschränkt habe, geschah weil ich mich bisher nur mit diesen ganz vertraut machen konnte. Da ich Wien wiederum verlasse, übernimmt H. Archivar Dr. Uhlirz und zwar mit Genehmigung des Localaus- schusses der Monumenta Germaniae die Leitung der weiteren Arbeiten. Hat nun Dr. Erben bereits mehrere Excurse vollendet, welche den meinigen folgen werden, so bleibt es ihm und Dr. ühlirz überlassen, zu bestimmen, inwieweit noch Erläuterungen zu den Diplomen der letzten Jahre hinzuzufügen sein werden.

Wien, August 1890. Sickel.

I. Die italienisclie Kanzlei bis zum Jahre 004.

Indem die Keihe der uns bekannten Diplome Otto HL für Italien erst mit dem J. 988 beginnt und wir bis dahin nichts von einer italienischen Kauzlei hören, wirft Kehr 55 die Frage auf, ob sich nach dem Tode Otto IL etwa der Vorgang wiederholt habe, welcher mit dem vorausgehenden Thronwechsel verbunden war, dass diese zweite Kanzleiabtheilung aufgelassen und erst nach Jahren wieder hergestellt wurde. Mir scheinen jedoch die Dinge in den J. 984 988 anders zu liegen als in den Jahren 972 977. Indem in den An- fängen Otto IL auch Italiener dann und wann Praecepte erbeten und

zweites Mal verglichen worden ist, werden in der Edition hänfifrer als bisher zu den einzelnen Stücken zwei unserer Fnchgenossen als Bürgen namhaft gemacht werden.

') Hiebei hat auch Dr. Kehr redlich mitgewirkt. Er hat in Marburg die dort aufbewahrten Originale wiederholt geprüft und uns die Ergebnisse mit- getheilt. Suchte er ferner auf mein Bitten eines in Hiilberstadt in Privatbesitze befindlichen Urkundenfragmentes habhaft zu werden, so konnte dasselbe bisher leider nicht aufgefunden werden.

Erliiiifernngpn zu rlen T)iplnmen OHo ITT. 219

dann von der deutschen Kanzlei ausgefertigte Diplome erhalten haben; unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Zeit lano^ letztere allein be- standen hat. Ein solches Argument gegen die Existenz einer italienischen Kanzlei wird sich aus den ersten Jahren Otto ITI. nicht beibringen lassen. Dass uns erst seit 088 Urkunden für Italiener vorliegen, ist kaum blosser Zufall. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass die da- malige vormundschaftliche Eegierung erst nach einiger Zeit den Versuch hat machen können, wieder in die Angelegenheiten Italiens einzugreifen und dieselben unter anderm auch durch Praecepte zu regeln i). So steht der Annahme nichts im Wege, dass es schon in den ersten Jahren Otto III. an dessen Hofe einen italienischen Kanzler gegeben habe, freilich ohne Gelegenheit zu finden seines Amtes zu walten, und dass es einer Wiederherstellung der italienischen Kanzlei im J. 988 nicht bedurft habe. Lässt sich da eine sichere Entscheidung nicht treffen, so hat sie auch für den Diplomatiker geringen Werth. Ihn muss es mehr interessiren zu wissen, ob und in welchem Grade in dem einen wie in dem andern Fall die Continuität der Geschäftsfüh- rung gewahrt worden ist.

Diese Frage hat auch Kehr mit Kecht ins Auge gefasst. Als für die Continuität sprechend führt er au, dass als erster Kanzler Otto III. seit dem J. 988 derselbe Adalbertus erscheint, welcher bereits Otto IL in gleicher Eigenschaft gedient hatte ~), und dass (nach Kehr zuerst in D. 69 vom April 991) als einziger ständiger Notar der italienischen Kanzlei It. L. auftritt, welcher bereits im J. 983 zu Verona der deut- schen Kanzlei bei Mundirung der DDO. II. 294, 296 behilflich ge- wesen war 3). Aber wie Kehr die Thätigkeit der italienischen Kanzlei bis zum J. 994 darstellt, würde es mit dem Zusammenhang sowohl was die Personen als was die Gebahrung anbetrifft, doch schlecht be- stellt gewesen sein. Adalbert soll sich nämlich ohne ständigen Notar

') Audi das einzige Actum deperditnm, welclies sich bis zum Mai 988 nachw'eisen lässt fs. Kelir 54 N. 1 und 58 N. 1), l^ann man füglicli zum J. 988 ansetzen. ^) Von ilim recognoscirt sind die DDO. ITI. 50, 53, 54, 56, 65.

Aber auch das erste für Italien ausgestellte D. 46 (Copie ohne Unterschriftzeile) werden wir hinzurechnen dürfen. Adalbert recognoscirte überdies, indem er im Winter von 989 zu 990 die Kaiserin nach Italien begleitete, die beiden uns erhaltenen Urkunden der Kaiserin (s. Kehr 54), die ich in der Folge als Th. 1 und Th. 2 citiren werde. Der Zeit nach gehören sie zwischen D. 56 und D. 65. 3) Dass in Folge der noch zu Lebzeiten Otto TT. eingetretenen Erledigung des Postens des Erzkanzlers, unter Otto ITI. in der Person des Bischofs Petrus von Como ein neuer ErzkanzTer auftritt, kommt hier nicht in Betracht, da der Erz- kanzler kaum auf die Wahl des Kanzlers und der Notare noch auf deren Ge- bahreu Einfluss genommen haben wird.

220 Sickel.

beliolfen haben, und nach Adalberts Eücktritt soll der Kanzlerposten nicht definitiv besetzt worden sein. Auf letzteren Punkt will ich erst später eingehen. Aber um einen Ueberblick über die hier in Betracht kommenden Urkunden zu bieten, gebe ich in Kürze an, wie sie unter- fertigt worden sind. D. 69 vom 18. April 991 und D. 97 vom 20. Juni 992 sind von Johannes Graecus, auf den ich zurückkomme, recosrnos- cirt worden, dann "DO. 100, 101 von Petrus cancellarius, der vielleicht identisch ist mit dem gleichnamigen Bischof von Asti. Mit derselben Datiruug (19. Juli 992) wie die letztern Stücke versehen, ist D. 99 für den eben genannten Bischof von Asti von dem deutschen Kanzler Hildibaldus unterfertigt worden. Erst aus dem September 994 liegt uns in D. 149 wieder ein Praecept für Italien vor: in ihm tritt bereits Heribert auf, welcher bis zum Tode des Kaisers der italienischen und dann auch der deutschen Kanzlei vorstand.

Ich kehre zu der Kanzlerperiode Adalberts zurück, um darzuthun, dass schon damals, was Kehr entgangen ist, It. L. einen grossen Theil der Arbeit besorgt hat, dass dieser, den auch ich als den einzigen 'ständigen Notar bis zum J. 992 oder 994 betrachte, der eigentliche Träger der Tradition gewesen ist, und dass er noch mehr als der bald aus der Kanzlei ausgeschiedene Adalbert den Zusammenhang mit dem Kanzleiwesen unter Otto IL gewahrt hat. Was die Beweisführung erschwert, hat bereits Kehr angedeutet. Mit einer Arbeitskraft glaubte man auskommen zu können und kam doch nicht mit ihr aus. Fand sich unter den Bittstellern aus Italien ein geeigneter Mann, so über- liess man es ihm gern das Praecept zu dictiren und zu mundiren i). Oder es halfen auch, wenn It. L. nicht an Ort und Stelle oder ander- weitig beschäftigt war, deutsche Notare aus '^). Des weitern werden

') Das gilt von dem Originale von D. 53. Jedoch stimme ich Fanta und Kehr fiO, welche das Stück It. H. beilegten, nicht bei. Der Ingrossator gehört zweifelsohne nach Cielo d' oro und hat Schulverwandtschaft mit It. H. ; überdies schreibt er ja nach dem von It. H. mundirten DO. II. J73: daher kommt seine Schrift der des einstigen Kanzleinotars so nahe. Das Eschatokoll dagegen be- trachte auch ich als vom Kanzler selbst geschrieben. *) Daher die diesen geläufigen Wendungen und Formeln in der einen und andern Urkunde. Jedoch beurtheile ich D. 65 anders als Kehr 61. Im Context ist ja, abgesehen von einem interpolirten Satze, nur die Arenga neu. Diese aber entspricht weit mehr dem Stile des It. L. als dem des deutschen Notars HF. Vom Eschatokoll spreche ich sogleich. Ich erledige hier auch DD. 97 und 154 (Kehr 62). Der grössere Theil des Contextes von D. 97 erinnert an die Dictate des It. J. und wird auf ein von der Partei eingereichtes Concept zurückgehn. Die Ausfertigung ist aber zweifelsohne von der deutschen Kanzlei besorgt worden. Dass diese auch noch unter Heribert Praecepte für italienische Empfänger licterte, wird diu-ch das

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 221

wir aber aacli in Anschlag bringen müssen, dass It. L. im Verkehre mit den deutschen Genossen manches von deren Art angenommen haben mag i), so gut wie der vielbeschäftigte deutsche Notar HP. von den Italienern beeinflusst worden ist. Ich betone dies namentlich um des Eschatokolles willen. Dass für dieses unter dem Kanzler Adalbert eine Norm aufgestellt worden ist, gebe ich Kehr zu. Stossen wir dann^aber in Copien auf Abweichungen oder auf Formeln der deut- schen Kanzlei, so möchte ich nicht in jedem Falle auf Mitvdrkung deutscher Schreiber schliessen. Grade It. L. konnte sich auch später so gut accommodiren wie er es in DDG. IL 294, 296 gethan hatte. Ueberdies bezeugt ja das ganz von ihm mundirte Griginal D. 101 (vgl. dazu das abschriftliche D. 99), dass er sich z, B. nicht scheute, das Epitheton gloriosissimus zu gebrauchen ^). So möchte ich auch das Eschatokoll von D. 65 It. L. nicht geradezu absprechen.

Jedenfalls werden wir sicherer gehen, wenn wir uns an die Con- texte halten. Nach Ausscheidung der Nachbildungen ^) sollen uns da allerdings aus den Jahren, in welchen ich abweichend von Kehr den It. L. als Kanzleinotar bezeichne, nur DD. 46, 56 und aus den folgen- den Jahren DD. 69, 70, 99—101 und Th. 2 verbleiben. Wir haben jedoch allen Grund, noch DO. IL 238 und Th. 1 in die Untersuchung einzubeziehen. Sind beide Urkunden der Theophanu vom Kanzler Adalbert unterfertigt und ist Th. 2 auch nach Kehr von It. L. ver- fasst, so liegt es doch nahe, Th. 1 ebenfalls als von ihm dictirt zu zu betrachten. Will ich mich ferner auf DO. II. 238 stützen, so habe ich zunächst zu sagen, dass ich die frühere Bezeichnung: ausserhalb der Kanzlei verfasst noch aufrecht erhalte. Erst nachdem wii- bei Be- arbeitung der DDG. III. den Stil des It. L. kennen gelernt haben, sehen wir uns veranlasst, ihm jenes Dictat beizulegen. Wir zählen ihn aber deswegen noch nicht den ständigen Mitgliedern der italieni- schen Kanzlei Ottos IL bei.

Original D. 154 bezeugt. Der König mag sich damals mit kleinem Gefolge nach Hohentwiel begeben haben, so dass der deutsche Notar HF. den Context von D. 154 schreiben musste.

') Dafür lässt sich auch die Form des Chrismon anführen, welche sich in dem Original von D. 101 und in der Copie von D. 99 findet. It. L. combinirt nämlich die damals von den deutschen Notaren beliebte Zeichnung mit den beiden sich kreuzenden Linien, welche in dem bisher von der italienischen Kanzlei vorgezogenem Labarum (vgl. KU. in Abb. 3, 27) die Initiale Chi bilden. '■') Kehr 138 sagt selbst, dass die deutsche Formel auf It. L. übergegangen sei. ^) Kehr 60 und 62. Ganz unbrauchbar für die Zwecke der Dictatuntersuchung ist der gefälschte Wortlaut von ü. 54.

222 Sickel.

Das erste Auftreten dieses Noturs iu DU. II. 238 fällt in die Zeit, da It. H. und It. 1. den Ton in der italienischen Kanzlei angaben. Da ist es nicht anders zu erwarten, als dass sich der Neuling mit dem Stile der damaligen Kanzleinotare vertraut gemacht haben und in ihre Fusstapfen getreten sein wird. Und so ist es It. L., wie ich schon sagte, welcher es vermittelt hat, dass sich die ersten Urkunden Otto III. für Italien im Dictat so eng an die Urkunden aus den letzten Jahren des Vorgängers anschliessen i).

Zeichnen sich nun diese durch Mannigfaltigkeit der Ausdrücke aus, so hebt sich von dem allgemeinen Grunde der Stil der Individuen nicht stark ab, und das gilt auch von It. L. Eigenthümlich ist ihm doch, dass er gewisse aus dem überlieferten Vorrathe ausgewählte Worte mit Vorliebe wiederholt: so efflagitare, praeceptalis, ubicumque, planities u. s. w., und dass er sich sehr oft des Participimn praesentis bedient. Ueber seine Proliibitivlormel ist zu bemerken dass, wenn seine Vorgänger hier episcopus einzuschalten begonnen hatten, er noch archiepiscopus hinzufügt, und zumeist die Reihenfolge dux (etwa auch .marchio) archiepiscopus episcopus (DD. 69, 70, 99) bietet. Mit dem jederzeit gebräuchlichen eo videlicet ordine (ea v. ratione) hebt er in DD. 70, 99. Sätze an. Seine Strafklausel weist mehrere Besonderheiten auf, z. B. inventus fuerit (Dö. II. 238, D. 69) oder componere cogatur (D. 72, Th. 2). Desgleichen die Corroborationsformel, wie in posterum (Du. IL 238, D. 69) oder cunctis statt omnibus (D. 46, cf. cunctis viribus in D. 56). In den Schlussformeln greift It. L. auch auf frühere Bestimmungen zm-ück (DD. 69, 101) -).

Sahen wir zuvor, dass pragmaticum schon unter Otto IL in die lateinische Urkuudensprache eingedrungen war, so fällt der häufige Gebrauch dieses Wortes in den Urkunden des It. L. auf. Ebenso ver- hält es sich mit cathedra. Nehmen wir dazu noch in memoria agi Petri (D. 69), so ist die Beeinflussung durch den Verkehr mit Johannes

') Aus den von Dr. Erben angelegten Wortregistern führe ich einige Belege für die Verwandtschaft des Dictates des lt. L. mit den Dictaten der früheren Notare (zu denen auch It. K. gehört) an, jedoch ohne alle Belegstellen aufzu- zählen: Quocirca in 0. II. 301, 302 und in U. III. 69, 99. Eo quod in 0. II. 299 und in Ü. III. 69, 70, 100. Pro tempore in 0. ü. 231, 286 und in 0. III. 46, 54, 69. I'rout (secundum quod) iuste et legaliter possumus (et valemus) in U. II. 231, 263 und in 0. III. 46, 50, 69. Pragmaticum in ü. II. 281, 288» und in 0. III. 56, 65. ( )ftersiones in 0. II. 242, in 0. III. 46. Nominative (nomina- tim) in O. II. 250, 268 und in U. III. 46, 101. Pravi homines in 0. IL 283, 288 und in 0. III. 97. Praeceptalis in 0. II. 173, 176 und in 0. III. 46, 50. Scriptio in 0. II. 242, 260 und in Th. 2. '■') Vgl. DO. 250», in dessen Zuweisung an

Otto II. ich wieder irre geworden bin.

firiäuterungen zu den Diplomen Otto III. 223

Graecus nicht zu verkeuneu i). Ich trage uoch als Lieblings weuduug dieses Notars nach : secundum praecepta (legem, morem) und als wenig- stens zweimal wiederkehrend dignae memoriae (DD. 46, 69), cernua prece (DD. 69, 101). Daran reilien sich absonderliche, wenn auch nur vereinzelte Ausdrücke, wie sortitis et insoi-titis (D. 46), quid plura und huius caduci honoris persona (D. 56), almus Petrus (D. 101) -). Ich schliesse diese Aufzählung mit der Bemerkung, dass sich auch DD. 46, 56 als von It. L. verfasst ergeben.

Habe ich diesen Notar bereits mit dem Griechen Johann, dem spätem Erzbischof von Piacenza, in Verbindung gebracht, so will ich diesen Gedanken noch etwas ausführen. It. L. begegnet uns zuerst im J. 980, als jener Johann der Kanzlei vorstand. Auf der gTOssen Versammlung zu Verona im J. 983 steht er in Verkekr mit der deut- schen Kanzlei. Nach Deutschland ist er möglicher Weise schon 984 mit der Kaiserin Theophanu und mit Johannes gezogen. Sobald die italienische Kanzlei im J. 988 ihre Thätigkeit aufnimmt, erscheint er als deren ständiger Notar. Er begleitet dann gleich dem Kanzler die Kaiserin Theophanu nach Italien. Mit beiden heimgekehrt arbeitet er fort für die Kanzlei, auch nachdem Adalbert ausgeschieden ist, und liefert die Urkunden, welche Johannes und Petrus unterfertigt haben.

Ueber den ersten Kanzler Adalbertus habe ich nur zu bemerken, dass ich die Identität desselben mit dem gleichnamigen Bischof von Brescia bezweitie ^). Die dortigen Bischof skatologe ^) lassen den Vor- gänger erst 995 sterben und setzen Adalbert an zu 996 1002 ; des- gleichen wird der Bischof Adalbert in Urkunden zuerst 996 erwähnt. Also könnte der Rücktritt des Kanzlers Adalbert im J. 991 nicht wie sonst mit sofortiger Beförderung zum Bischöfe zusammenhängen ^).

Erscheinen die Recognitionen der fünf folgenden Diplome für

1) Brocken griecliisclier Sprache eignen sich allerdings selbst deutsche Notare an: so nennt z. B. HH. den Gisiihar in D. 132 protopresul. -) Den

beiden Urkunden der Theophanu ist die Bezeichnung Otto II. als senior noster gemeinsam. ») Kehr 55. Vorsichtiger Bresslau 1, 344. *) Gradenigo

Brixia sacru praef., dann 151. Die Jahreszahlen sind allerdings, wie auch Odorici bemerkt, später eingetragen, haben sich aber bisher als richtig bewährt. ^) In Mitth. 1, 440 hat Zimerman aus einem Copialbuch DO. 220 für das Kloster Moninella bei Mantua vom 2G. Juli 996 veröffentlicht und hat dort die eine beschädigte Stelle ergänzend gedruckt missa petitione per Adalbertum cancel- larium nostrum. Bei nochmaliger Prüfung des Schriftbefundes hat sich Kehrs Vermuthung, dass hier Heribert zu verbessern sei, bestätigt, indem per Arbertum (Arber auf Ras'ur) z\x lesen ist.

224 Sickel.

Italien i) absonderlich, ho glaube ich sie nuch am ehesten durch den Hinweis auf die von Johannes Graecus gespielte Kolle deuten zu können '^).

Dieser aus Calabrien stammende Mann hatte sich frühzeitig an Otto II. oder an dessen Gemahlin Theophanu angeschlossen. Im J. 980 zum Kanzler für Itahen bestellt, begleitete er 982 den Kaiser in den Krieg, welcher so unglückhch endete. Wahrscheinhch zu Oapua, wo der Hof im Herbste 982 weilte, erhielt Johannes den Adalbertus zum Nachfolger in der Kanzlei und wurde mit der reichen Abtei Nonantula belohnt. In dem noch von ihm unterfertigten DU. II. 283 nennt ihn Otto archimandritam et consecretalem meum^) und erkläxt

») Von D. 70 ist das Eschatokoll nicht überliefert. ^) So gut wie die

Zeitgenossen (der (juedlinbiu-ger und der Hüdesheimer Annalist, ferner Thietmar) über diesen Mann berichtet haben, haben ihn auch unsere modernen Historiker (W'ilmans, üiesebrecht, Gregorovius) genügend beachtet, so dass ich neues über ihn kaum beizubringen habe. Aber ich glaube doch, dass die Nachrichten über ihn noch besser als bisher geschehen ist, zu sichten und mit andern iS achrichten zu verknüpfen sind, um diese Persönlichkeit und ihren Einüuss in das richtige Licht zu stellen. Hier will ich ihn zimächst bis zu seiner Abreise nach Byzanz verlblgen, um dann im (Japitel 4 auf ihn als Gegenpapst zurückzukommen. Bekanntlich finden sich urkundliche Daten zur Geschichte dieses Johannes vor- züglich in Campi Historia eccles. di Piacenza und in Tiraboschi Ötoria di Nonan- tola. Einige Ergänzungen zu dem ersteren Werk boten dann Poggiali Memorie stör, di Piacenza und Boselli Stoiie Piacentine. Aber was Campi und seine Nach- folger aus einzelnen Urkunden beigebracht haben, genügte mir nicht für meine Zwecke. Wandte ich mich desshalb nach Piacenza, so hatte ich das Glück, in dem dortigen Arciprete A. H. Tononi einen ebenso gefälligen als unterrichteten Herrn zu finden, welcher mir werthvolle Aufschlüsse gab, wofür ich ihm ver- bindlichsten Dank sage. Campi hat seiner Zeit vorzüglich das Archivio del capitolo della cattedrale ausgebeutet, in welchem sich auch die Mehrzahl der bischöflichen Urkunden des Mittelalters befindet. Dasselbe hat seit Campi keine Verluste erlitten und ist wohl geordnet. JSur nebenbei hat Campi das nicht minder reiche, aber vernachlässigte Archivio di S. Antonino benutzt. Erst Boselli, welcher früher Canonicus an dieser Kirche war und später an die Cathedrale versetzt wurde, hat fleissig in diesem zweiten Archiv gearbeitet und zwar auch noch nach der Veröftentlichung der Storie Piacentine. Und er hat dann dem Cathedral-Archiv unter andern Handschriften eine hinterlassen, welche enthält spogli e copie di carte antiche esistenti nell' Archivio di S. Antonino. Diese Sammlung bietet einigen Ersatz dafür, dass das betretfende Archiv verwahrlost ist, nicht einmal ein Repertorium besitzt, in Folge davon auch minder zugäng- lich ist. 3) Es ist ein Versehen von Bresslau 1, 333, dass er diese Worte auf den früheren Kanzler Gerbert bezieht. Auf diese Urkunde beruft sich, was Wilmans 96 N. 1 entgangen ist, Lebret. Mit dem Lobe, welches sich dort Johannes selbst spendet, verträgt sich sehr wohl die Aeusserung des Petrus Damiani (Epist. 2 ad Cadaloum): quin etiam cum imperatrice quae tunc erat, osceni negotii dicebatur habere mysterium.

Erlänteningen zu rlen Diplomen Ot.to HF. 225

ilin nur uugeru a uostro cubili et necessariis consciliis zu entlassen. So lange Otto IL lebte, scheint Johannes nicht wieder an den Hof gekommen zu sein. Aber sobald seine Gönnerin Theophanu zur Herr- schaft kam, vielleicht schon als diese nach Deutschland eilte, begab sich Johannes wieder an den Hof. Damit, dass er als erster Lehrer des jungen Königs bis zum J. 988, in welchem Bernward an seine Stelle trat, bezeichnet wird, stimmt überein, dass er in diesen Jahren nicht ein Mal in den Urkunden von ISonantula als anwesend erscheint. Dagegen muss er zu Ende des J. 988, als er nach dem Tode des Bischofs Sigulf von Piacenza zu dessen Nachfolger berufen wurde, sich behufs Ordination nach Piacenza begeben haben, denn bereits in einer am 3. Januar 989 zu Pavia ausgestellten Urkunde führt er den neuen Titel domnus Johannes archiepiscopus s. Placentinae aecclesiae et abbas monasterii s. Silvestri siti in Nonantula ^). Dass er sich hier und ebenso in der Folge Erzbischof nennen durfte, verdankte er der Gunst des P. Johann XV., welcher den Sprengel von Piacenza aus der Erz- diöcese von Kavenna ausschied und zum erzbischöflichen erhöhte -). Derselbe Papst ernannte, wie wir aus D. 69 ersehen, Johannes Graecus zum primicerius s. E. ecclesiae '^).

Kommt es mir darauf an, das Itinerar des Erzbischofs Johannes festzustellen, so muss ich von vorhinein die von ihm ausgestellten Urkunden in zwei Gruppen scheiden. Dass eine Urkunde in Johanns Namen und Auftrag angefertigt worden ist, besagt noch nicht, dass er an Ort und Stelle gewesen sei. Dies ergibt sich nur, wenn aus- drücklich von persönlicher Betheilig-ung an der Beurkundung und von Unterfertigung die Kede ist*). Wie nothwendig diese Scheidung ist, beweist folgender Fall. D. 150 aus Solingen vom 30. Sept. 994 nennt

') Der Vorgänger Sigulfus starb laut dem Neerol. s. Sabini Piacentini (N. Arcliiv 5, 441) am 8. Juli (988). Die Angabe der Ann. Quedlinb., dass Jo- hannes den damals in Piacenza erwählten Bischof verdrängt habe, steht meines Wissens vereinzelt da. *) Die betrettende Bulle wird vernichtet worden sein,

als P. Gregor V. dvn-ch JL. 3878 vom 7. Juli 997 die Verfügung seines Vorgängers mit den Worten widerrief : Phicentinam ecclesiam iniusto tibi a meo antecessore ablatam ac contra canones sub nomine archiepiscopatus locatam tibi tuisque successoribus refutantes in perpetuum. ^) Galletti Del primicerio verzeichnet ihn allerdings nicht als solchen. Aber Galletti's Reihe ist hier wie zu andern Zeiten unvollständig. Johannes ist einzuschalten zwischen dem von Galletti zu 986 genannten Petrus und dem in D. 278 vom J. 998 erwähnten Gregorius. ^) H. Tonini fand bisher in Piacenza nur ein einziges Original mit eigenhändiger Subscription des Erzbischofs, das Original der Urkunde vom 30. Sept. 990 (Campi 1, 279); sie ist in Capitalis rustica geschrieben und lautet: t Jobs di gra arciepus ss.

Mittheilungen XII. 15

22ß Sir.kol.

Johannes als Intervenienten, bezeugt also, dass er um diese Zeit in Deutschland weilte. Damit verträgt sich kaum ein Aufenthalt zu Pia- cenza am 10. Okt. 994, an welchem Tage in Piacenza im Namen des Erzbischofs eine Tauschui-kuude vollzogen wurde i), jedoch ohne alle Andeutung, dass derselbe gegenwärtig gewesen sei. Aus diesem Grunde mache ich hier von den gleichartigen Privaturkunden zunächst keinen Gebrauch, sondern stütze mich nur auf die, welche den Erzbischof als an t)rt und Stelle weilend erwähnen.

Am 13. März 990 führte Johannes auf Geheiss der Kaiserin Theophanu den Vorsitz in einem Gerichte zu Ravenua''^). Erscheint er dann schon am 18. Juni am Hofe zu Frankfurt 2), so hat er sich offenbar der heimkehrenden Theophanu angeschlossen. In den näch- sten Jahren wandert er zwischen Deutschland und Itahen hin und her. Am 30. September 990 und am 20. Jänner 991 hält er als Königsbote Gericht zu Piacenza. Am 18. April des letzteren Jahres recognoscirt er zu Merseburg D. 09 und am 20. Juni 992 zu Allstedt D. 97. Im folgenden Jahre weilte er vneder in seinem Sprengel. 994 erscheint er nochmals am Königshofe: in D. 150 vom 30. September wird er mit Adelheid, Willigis, Hildibald und Bernward von Würz- burg als Intervenient genannt. Waren um diese Zeit auch Herzog- Heinrich von Kärnten und Markgraf Hugo von Tuscien eingetroffen, so haben wohl wichtige Berathungen stattgefunden und so mögen damals Johannes und Bern ward mit einer Gesandtschaft nach Byzauz betraut worden sein.

Weder Wilmans noch Giesebrecht haben den Versuch gemacht, die äussersten Zeitgrenzen annähernd zu berechnen, innerhalb welcher diese Reise des Johannes anzusetzen sein wird. Auf den Zeitpunkt des Aufbruches kommt es allerdings, wie mir scheint, wenig an, wäh- rend es nicht unwichtig ist zu wissen, ob der Erzbischof von Piacenza erst kurz vor seiner p]rhebung auf den päpstlichen Stuhl aus dem Orient heimgekehrt war ^) oder ob er schon seit einiger Zeit in Italien weilte. Obwohl ich erst später auf die Geschichte des Gegeupapstes Johann XVI. einzugehen gedenke, erledige ich gleich hier die Frage der Zeit seiner Rückkehr und zwar im Anschluss an die Annahme von Boselli Stör. 1, 53, dass Johannes wahrscheinlich nach dem April 995 aufgebrochen und vor dem 30. November 996 wieder in Piacenza

') Campi gibt allerdings das Jahr 993 an. Aber das noch vorhandene Oi-iginal bietet, und zwar voll ausgeschrieben a. nongentesimo nonagesimo quarto. 2) Fantuzzi 1, 218. 3) D. 65, letztes Präcept des Kanzlers Adalbert. Johann

als Intervenient neben der hier zum ersten Male wieder genannten Kaiserin. *) iSo (iiesebrecht 1, 701.

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Eriänterungen zu den Diplomen Otto Ilt. 227

gewesen sei , eine Annahme , welche sich mit allen annalistischen Nachrichten verträgt, insbesondere auch mit der, dass der Bischof von Würzburg schon auf der Eeise nach Byzanz am 20. September 995 starb. Stützt sich nun Boseili auf urkundliche Daten, so bin ich dank der Güte des H. Tononi in der Lage, über die betreffenden Urkunden weitern Aufschluss zu geben.

Schon Campi erwähnt in Kürze zwei Tauschurkunden des Erz- bischofs vom Februar und vom Mai 995 ^). Führt dann Boseili, um den Zeitpunkt der Heimkehr des Erzbischofs zu berechnen, eine Ur- kunde des Archivs von S. Antonino, am ,30. November 996 zu Piacenza ausgestellt, an, so konnte die jetzt nicht aufgefunden werden, so dass wir uns an den Auszug derselben in der zuvor erwähnten Hand- schrift des Canonicus Boseili halten müssen. Die Datirung lautet hier: DCCCCXCVI tercius Otto imp. anno I. pridie cal. dec. indictione X. Die Fassung gleicht ganz der der Permutationes vom Februar und vom April 995, sowie zahlreicher gleichartiger Urkunden aus den vor- ausgehenden Jahren, so dass wir folgern müssen, dass das Original der Urkunde vom J. 996 ebenso wenig als die Originale der andern Urkunden von Johannes unterfertigt war, dass somit auch jene Urkunde nicht als Zeugniss für die Anwesenheit des Erzbischofs geltend gemacht werden kauu. Trotzdem glaube ich sie für das Itinerar desselben ver- wenden zu können. Des Auftrages des Erzbischofs zur Besichtiguug und Abschätzung der zum Tausch bestimmten Güter geschieht nämlich ausdrücklicli Erwähnung. Solcher Auftrag konnte füglich z. B. für das in Piacenza vollzogene und dort am 10. Oktober 994 beurkundete Geschäft vou Deutschland aus, wo sich Johann damals aufhielt, ertheilt werden, aber kaum solange derselbe in fernem und aus dem Verkehr so gut wie ausgeschlossenem Lande weilte. Darum verdient es Be- achtung, dass, während aus der Zeit bis zum April 995 zahlreiche, auf Geheiss des Johannes ausgestellte Urkunden vorliegen, zwischen dem April 995 und dem 30. November 996 eine Unterbrechung Platz ge- griffen zu haben scheint. In diesem Sinne stimme ich der Annahme von Boseili bei und folgere insbesondere aus den Daten der letzt- genannten Urkunden, dass Johannes bereits im November 996, also

') Auf ihn beruft sich dann Poggiali 3, 212, jedoch ohne wie in andern Fällen hinzuzufügen, dass er selbst die Urkunden eingesehen habe. Tononi fand die Originale beider im Capitelarchiv. Die erstere datirt vom 11. Februar, die zweite dagegen vom 9. April ; der 9. ist allerdings in Folge von Beschädigung des Pergaments nicht ganz sicher, was wohl auch erklären mag, dass Campi Mai statt April angegeben hat. Xach Tononi rede ich fortan vom April 995.

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22ß

Sittel.

Johannes als Intervenienten, bezogt also, dass er um diese Zeit in Deutschland weilte. Damit verträc sich kaum ein Aufenthalt zu Pia- cenza am V). Okt. 994, an welchn Tage in Piaceuza im .Namen des Erzbischofs eine Tauschm-kunde >llzogen wurde i), jedoch ohne alle Andeutung, dass derselbe gegenwrtig gewesen sei. Aus diesem Grunde mache ich hier von den gleichargen Privaturkunden zunächst keinen Gebrauch, sondern stütze mich m' auf die, welche den Erzbischof als an Ort und Stelle weilend erwähen.

Am 13. März 990 führte rohannes auf Geheiss der Kaiserin Theophanu den Vorsitz in eine. Gericht« zu Kavenna-i). Erscheint er dann schon am 18. Juni am lofe zu Frankfurt 3), so hat er sichj offenbar der heimkehrenden Theohanu angeschlossen. In den nächi sten Jahren wandert er zwisclu Deutschland und Itahen hiu uuc her. Am 30. September 990 i>d am 20. Jänner 991 hält er als Königsbote Gericht zu Piacenza. Am 18. April des letzteren Jahre recoo-noscirt er zu Merseburg D-i9 und am 20. Juni 992 zu Allstedt D. 97. Im folgenden Jahre weil er wieder in seinem Spreugel. 994' erscheint er nochmals am Künijhofe: in 1). IfX) vom 3(». September wird er mit Adelheid, Willigis.liildibald und Bernward von Würz- burg als Intervenient genannt Waren um diese Zeit auch Herzog Heinrich von Kärnten und Miugraf Hugo von Tuscien eingetrotfeu, so haben wohl wichtige Berat äugen stattgefunden und so mögeu damals Johannes und Bernwar» mit einer Gesandtschaft nach Byzanz betraut worden sein.

Weder Wilmans noch Gieibrecht haben den Versuch gemacht, die äussersten Zeitgrenzen annä3rnd zu berechnen, innerhalb welcher diese Keise des Johannes anzu'tzen sein wird. Auf den Zeitpunkt des Aufbruches kommt es allerdigs, wie mir scheint, wenig an, wäh- rend es nicht unwichtig ist zu /issen, ob der Erzbischof von Piacenza erst kurz vor seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl aus dem Orient heimgekehrt war^) oder)b er schon seit einiger Zeit in Italien weilte. Obwohl ich erst spät- auf die Geschichte des Gegeupapstes Johann XVI. einzugehen gedene, erledige ich gleich hier die Frage der Zeit seiner Rückkehr und zwar im Anschluss an die Annahme von Boselli Stör. 1, 53, dass Jiannes wahrscheinlich nach dem April 995 aufgebrochen und vor der 30. November 99G wieder in Piacenza

') Campi gibt allerdings da Jahr 993 an. Aber das noch vorhandene Original bietet, und zwar voll ausgehrieben a. nongentesimo nonagesimo quarto. 2) Fantuzzi 1, 218. 3) d, 65, letes Präcept des Kanzlers Adalbert. Johann

als Intervenient neben der hier an ersten Male -wieder genannten Kaiserin. *) So Giesebrecht 1, 701.

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ErlSntenmgen 711 «n Diplomen OUo \\\

gewesen sei , eine Annahme . Blehe sich mit a^i^u »^ Nachrichten verträgt, insbesouder auch mit der, d»s^ v\v\ ,^ Würzburg schon auf der Beise lach Byzanz au SiV ;^v»(^ starb. Stützt sich nun Boselli aukirkimdliclie Dafaai, sc» \. der Güte des H. Tononi in der Ige, über die befavflhi^ea weitern Aufschluss zu geben.

Schon Campi erwähnt in Hrze zwei Tauschuxkr;' bischofs vom Febniai- und vom %i 1>95 ^). Führt da;.^ den Zeitpunkt der Heimkehr desSrzbischofs zu Kvochaei. künde des Archivs von S. Antonin, am 30. Novenün r 096 t ausgestellt, an, so konnte die jett nicht autget'undon irerda wh' ims an den Au.szug derselln in der zuvor enH&afe Schrift des Canonicus Boselli haltt müssen. Die P .: la

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vom April 995, sowie zahlreicher »leichai-tiger Urkunden aus dt ausgehenden Jahren, so dass wi: folgern müssen, dass das Or» der Urkunde vom .J. V>96 ebenso .venig als die Originale der «im. Urkunden von Johannes unterfertjt war, dass somit auch jene UrkoA nicht als Zeugniss fm* die Anweseteit des Erzbischofs geltend geamik werden kann. Trotzdeui glaube h. sie für das Itiuerai* desselben ver- wenden zu können. Des Auftraes des Erzbischofs zur Besichtigung'. und Abschätzung der zum Tauschbestimmten Güter geschieht uamlkh ausdrücklich Erwähnung. Solchf Auftrag konnte füglich z. B. für das in Piacenza vollzogene und ort am 10. Oktober V>94 beurkundete Geschäft von Deutschland aus, waich Johann damals aufhielt, ertheilt werden, aber kaum solange ders<be in fernem und aus dem Verkehr so omt wie auscreschlosseuem Lade weilte. Darum verdient es Be-

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achtung, dass, während aus der 'At bis zum April 995 zahlreiche, auf Geheiss des Johannes ausgestelltt Urkunden vorliegen, zwischen dem April 995 und dem 30. Novembr 996 eine Unterbrechung Platz ge- griffen zu haben scheint. In di«em Sinne stimme ich der Annahme von Boselli bei und folgere iu&esondere aus den Daten der letzt- genannten Urkimden, dass Johanes bereits im November 996, also

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') Auf ihn beruft sich dann Pcgiali 3, 212, jedoch ohne wie in andern Fällen hinzuzufügen, dass er selbst di Urkunden eingesehen habe. Tononi fand die Originale beider im Capitelarchiv Die erstere datirt vom 11. Februar, die zweite dagegen vom 9. April; der 0. st allerdings in Folge von Beschädigung des Pergaments nicht ganz sicher, vs wohl auch erklären mag, dass Campi Mai statt April angegeben hat. NaclTononi rede ich fortan vom April 995.

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228 Sickel.

viele Monate vor seiner Erhebung zum Papste, aus dem Osten heim- gekehrt war.

Alles, was wir von ihm wissen, zeigt ihn als ehrgeizigen und eitlen Streber. Als die ihm offenbar sehr geneigte Theophanu das Kegiment führte, hat er mit ihrer Hilfe emporzusteigen versucht und hat er sich des Erfolges wohl sicher gefühlt. Dahin deute ich, dass er D. 69 unterfertigt hat J. dei gratia archiepiscopus et primicerius s. E. ecclesie, proto a secretis ac proto vestiarius Ottonis regis '), und zwar ohne daneben den Erzkanzler Petrus zu nennen. Bescheidener recognosciii er nach dem Tode der Theophanu D. 97 in der herkömm- lichen Weise Johannes archiepiscopus et cancellarius vice Petri Cumaui episcopi. Mit Recht bezweifelt Kehr 5G, dass er wirklicher Kanzler gewesen sei. Aber ich vermag seiner Erklärung der Thatsachen in einem Punkte nicht beizupflichten und halte sie in anderer Beziehung für nicht genügend. Verweist er '-) auf den Brauch in der italienischen Kanzlei, dass der zum Bischof emporgestiegene Kanzler sein Amt niedergelegt habe, so bringt er gar nicht in Anschlag, dass schon seit Jahren von dem seit Heinrich I. auch für die deutsche Kanzlei gelten- den Brauche abgewichen und Hildebald auch als Bischof Kanzler ge- blieben war. Und führt er die eigenthümliche Stellung, welche einige Jahre später Heribert einnahm, nämlich als Vorstand der vereinigten Kanzleien und zugleich Erzbischof von Köln, auf politische Motive zurück, so übersieht er, dass persönliche Bestrebungen eines Mannes wie des Johannes Graecus gegenüber einer Frau auf dem Throne ebenfalls wohl Erfolg haben konnten und hier wenigstens auf einige Zeit und bis sich Widerstand erhob, Erfolg hatten. Mich erinnert dieser Johannes an Liutward von Vercelli unter dem ebenfalls leicht zu beherrschenden Karl HI. Bekanntlich hat Liutward gleichfalls ein Diplom allein und ohne den damals noch als Erzkapellan anerkannten Witgar zu nennen recognoscirt ; er bahnte damit an, dass er zum Erzkanzler aufstieg. Johannes scheint mir in der Recognition von D. 69 schon einen Schritt weiter gegangen und sich nicht mit der Ignorirung des Erzkanzlers begnügt zu haben. Er prahlt nilmlich nicht allein gegen die Gewohnheit mit allen ihm zukommenden Titeln (dahin rechne ich auch proto vestiarius), sondern er legt sich auch einen bei, der ihm wohl noch nicht gebührte. Sollte nicht bis dahin proto a secretis eine dem Erzkanzler vorbehaltene Bezeiclinunjj fjewesen sein ? In DO. IL 255 nämlich vom J. i)8l heisst es von dem damaligen

') Leber den letzten Titel s. (Jalletti del veatarario ilella s, R. cbiesa 5. 2) Kehi-H dii'sbezügliche F.einerkimg gilt suwold DD. G9, 97 als auch DD. lüU, IUI.

Erläiiternnoren zn den Diplomen Otto TIT. 229

Erzkanzler Petrus von Pavia archicancellariu« et proto. Es ist ja be- greiflich, (lass Johannes, nachdem er Ijereits so viel erreicht hatte, sich nicht mehr wie in den Jaliren 1)80 '.)82 mit dem Kanzleramte begnügen mochte und mit Hilfe der Theophanu entvv^eder den bisherigen Erzkanzler zu verdrängen oder auch die herkömmliche Ordnung zu durcli brechen suchte. Und wissen wir auch nicht, weshalb damals Adalbert aus dem Kanzleramte ausgeschieden ist, so können wir uns wohl vorstellen, dass eine Vacanz dem Griechen Johannes, welcher ohnedies von früher her mit der Geschäftsführung vertraut war, eine willkommene Gelegenheit bot, seine persönlichen Pläne zu verfolgen. Aber er wird auf Widerstand gestossen sein und inzwischen seiner besten Stütze beraubt, mag er sich, als D. 97 auszufertigen war, augen- blicklich in die hergebrachte Ordnung gefügt haben. Das Kanzleramt verschmähte er zwar, aber er verliess deshalb nicht den Hof, an dem er noch immer seineu Vortheil wahrzunehmen hoffen konnte und an dem er noch immer in hohem Ansehen stand, Vermuthlich hat er auch mitgesprochen, als im J. 992 und dann wieder im J. 994 betreffs der italienischen Kauzlei Verfügiingen getroffen wurden, denn zu bei- den Malen weilte er am Hofe.

Es liegen nur etwa vier Wochen zwischen dem zweiten von Jo- hannes unterfertigten Praecepte und zwischen den von andern Männern recognoscirten DD. 99 101. Ich sagte schon, dass diese drei von It. L. gelieferten Urkunden ganz gleiche Datirung aufweisen, so dass es um so mehr auffallen muss, dass D, 99 für das Bisthum Asti von der deutschen Kanzlei subscribirt worden ist, während die beiden an- dern die später nicht wieder vorkommende Recognition Petrus can- cellarius advicem Petri episcopi et archicancellarii bieten. Eine sichere Erklärung des seltsamen Vorganges ist deshalb unmöglich, weil der eine in Rechnung kommende Factor eine durchaus unbekannte Grösse ist. Wer ist denn der hier recognoscirende Petrus? Identifieirt ihn Kehr mit dem Bischof Petrus von Asti, welcher eben in Person D. 99 erwirkte, so hat diese Annahme, wie ich gleich ausführen werde, vieles für sich, aber auch einiges gegen sich. Den Satz, dass ein Bischof nicht zum eigentlichen Vorstand der italienischen Kanzlei habe bestellt werden können, habe ich bereits bestritten. Ich werde also nicht daran Anstoss nehmen, was auch Kehr als zulässig betrachtet, dass ein Bischof cancellario nullo zur Recognition von Urkunden be- rufen worden sei. Dies vorausgesetzt, muss ich mich doch fragen, weshalb es der nur interimistisch an des Kanzlers statt fungirende Bischof unterlässt, sich seinen rechten Titel episcopus beizulegen und sich blos cancellarius, der er nicht ist, nennt, und zwar zu einer Zeit,

280 8 i ekel.

da sowohl Hiklibald als Johanues Graecus regelmässig ihre kirchlichen Titel führen. Schwerer wiegt die abweichende Kecognitiou in D. 90. Was Kehr nm sie begründet erscheinen zu lassen anführt, ist durch- aus unhaltbar. Er beruft sich nämlich auf ein Herkommen. Präcepte für einen Kanzler mit der Kecognition des andern Kanzlers versehen zu lassen. Nun ist jedoch solche Gepflogenheit selbst für das 11. Jahr- hundert, wie Kehr richtig bemerkt, noch nicht über allen Zweifel erhaben. Fragen wir aber, ^vie es in erster Linie geboten ist, nach Praecedeuzfällen, so gibt es deren aus dem Zeitalter der Ottoneu nicht, vielmehr sind alle zu Gunsten der Kanzler ausgestellte Urkunden von diesen auch unterfertigt worden. Ich zähle die betrefi'euden Diplome für Hildibald nicht auf, weil es genügt, auf die den italienischen Kanzlern Gerbert und Johannes ertheilten DDO. IL 206, 283 zu ver- weisen. Dieses Vorganges Avird sich Johannes wohl erinnert haben und noch mehr muss Hildibald gewusst haben, wie er in gleichem Falle gehandelt hatte: wie sollte man also bei Hofe darauf verfallen sein, das damalige Gesuch des Bischofs von Asti in anderer Weise zu erledigen? So muss ich auf andere Erklärung der Kecognition bedacht sein. Und ich entscheide mich um so mehr für die von Bresslau vorgeschlagene ^), da sie zutreffend erscheint, mögen wir den Bischof Petrus und den Kanzler Petrus identificiren oder nicht. Allerdings müssen wir dann eine andere Annahme mit in den Kauf nehmen, dass D. 99 nicht in einem Zuge entstanden sei, sondern die Vollendung sich bis zum Eintreffen des Hofes in Mühlhausen verzögert habe, wo dann ohne Rücksichtnahme auf die anders recognoscirten DD. 100, 101 zu D. 09 die gleichlautende Datiruugszeile nachgetragen worden sei. Dem habe ich noch eine Betrachtung hinzuzufügen. Der Aus- stellung von D. 100 (Bestätigung der Verträge mit Venedig) müssen längere Verhandlungen vorausgegangen sein. Es ist möglich, dass gerade sie neuen Anstoss gegeben haben, der Vacanz der italienischen Kanzlei wo möglich eine Ende zu machen, indem die Urkunden für Venedig bisher von dieser Kanzlei besorgt und beglaubigt

') Urkundenlehre 1, 344 N. 2. Wendet sich Kehr 58 N. 1 gegen diesen Vorschlag, so hat er Bresslaus Worte : schon einige Tage zuvor, übersehen. Nach Bresslau hat nicht allein die Handlung, sondern auch die in D. Ü9 vorliegende Beurkundung stattgefunden nach dem 20, Juni (D. 97, noch von Johannes reco- gnoscirt) und vor dem Tage, an welchem bestimmt wurde, dass in Zukunft die Präcepte ttir Italien von Petrus cancellariua zu unterfertigen seien, also zu einer Zeit, da in Folge der Weigerung des Johannes die Obliegenheiten eines Kanzlers femer auf sich zu nehmen, die italienische Kanzlei keinen Vorstand hatte und an ihrer statt die deutsche Kanzlei eintreten musste.

F]vln!itovuni,'»'n 7,11 ilcn Diplomen Otto TII. 231

worden waren. Ob nun ein Definitivum oder nur ein Provisorium er- zielt werden konnte, mochte als interne Angelegenheit betrachtet wer- den; genug wenn den Gesandten der Eepublick gegenüber der Schein gewahrt wurde. Und bei solcher Sachlage ist es am ehesten begreiflich, dass wenn augenblicklich der rechte Mann, d. h. ein Italiener von Ansehen, nicht an Ort und Stelle war, der zufällig anwesende Bischof von Asti auserwählt wurde und sich bereit finden Hess, als Kanzler einzutreten. Nur dass er sich nicht als Bischof bezeichnet, bleibt auf- fallend, so dass insofern der Gedanke an einen andern Petrus noch immer seine Berechtigung behält.

In dem einen Punkte, das wiederhole ich, stimme ich Kehr bei, dass man nach dem Ausscheiden des Adalbertus das Amt nicht definitiv besetzt, sondern sich, so gut es eben ging, beholfen hat. Wie schwer es hielt, bei dem geringen Verkehr mit den Angehörigen des italieni- schen Eeichs unter ihnen denjenigen zu finden, welcher sich zum Kanzler eignete und vertrauenswürdig erschien, wird auch dadurch bezeugt, dass man die Entscheidung noch zwei Jahre hinzog und schliesslich in Heribert einen deutschen Geistlichen zum Kanzler für Italien bestellte. Ist D. 140 vom 29. September 904 die erste oder eine der ersten von Heribert recognoscirten Urkunden, so wird seine Ernennung ebenfalls auf der Versammlung beschlossen worden sein, auf die ich S. 226 hinwies.

II.

Der letzte Aufenthalt der K. Theopliaim in Italien.

Seit dem Erscheinen des betrefiPenden Theiles der Jahrbücher des deutschen Eeichs (1840) galt es als ausgemacht, dass die Kaiserin Theophanu ihre letzte Eeise nach Italien zu Ausgang des J. 988 an- getreten, das Weihnachtsfest 988 bereits in Eom gefeiert und dann mindestens bis in den April 990 in Italien geweilt habe. Was die Zeit des Aufljruchs aus Deutschland anbetrifft, so stützte sich Wilmans (a. a. 0. 65) anf die Worte, mit denen die Ann. Hildesh. die Nach- richten für das J. 989 beginnen: Theophanu . . . Eomam perrexit ibidemque natalem domini celebravit, denn damit sei, wie auch durch die Eintragungen zu den J. 984, 1001, 1002 bezeugt werde, unser Weihnachten 988 gemeint; letzteres Jahr passe überdies besser als 989 zu der Epistola Gerberti VI. D. oder nach der Zählung in der neuesten von Havet besorgten Ausgabe zu der Epist. 160. Die Dauer des Aufenthalts der Kaiserin in Italien berechnete Wilmans gleich

232 S i c k e 1.

seinen Vorgängern aus den Daten folgender Urknnden: 1) Th. urkundet am 2. Jänner 090 zu Koni für S. Vincenzo am Volturuo; 2) des- gleichen am 1. April 990 zu Eavenua für Farfa; 3) iussione d, Theo- phanu imperatricis sitzt der Erzbischof Johann von Piacenza am 13. März 990 in Kavenna zu Gericht, womit allerdings noch nicht die Anwesenheit der Kaiserin bezeugt ist, aber doch, dass sie damals Herrscherrechte in Italien ausgeübt hat ^),

Als ich zuerst Anlass hatte mich mit der Frage zu be^häftigeu, wann Theophanu Deutschland verlassen habe, erschien mir das von Wilmans gewonnene Ergebniss recht annehmbar. Hatte doch auch Havet aus jenem Gerbertbriefe, obwohl er ihn ganz anders deutete und verwerthete als seine Vorgänger, herausgelesen, dass die Kaiserin den Winter 988/9 in Italien verlebt habe. Zu solcher Annahme passten auch einige Nebenumstände. Dass der Hof sich im August 988 nach dem Süden begeben und bis zum 21. Oktober an den Ufern des Bodensees geweilt hatte, legt den Gedanken nahe, dass sich Theo- phanu bis hierher von ihrem Sohne habe begleiten lassen. Finden wir dann um Ostern des folgenden Jahres den Bischof Gebhard von Konstanz in Eom 2), so konnte mau annehmen, dass er sich dem Ge- folge der Kaiserin angeschlossen habe. Und auch den Günstling der letzteren, den Abt Johann von Nonantola, den wir zuvor (S. 225) auf Schritt und Tritt verfolgt haben, war ich geneigt als ihren Keise- begleiter zu betrachten. Sahen wir nämlich, dass dieser den im Laufe des J. 988 erledigten bischöflichen Stuhl von Piacenza erhielt und dann noch vor Ablauf des Jahres von dem Papste Johann XV. die ausserordentliche Auszeichnung erwirkte, dass der Sprengel von Pia- cenza aus der Erzdiöcese von Kavenna ausgeschieden und in einen erzbischöfiicheu umgewandelt wurde, so Hessen sich diese Erfolge am ehesten durch persönliche Verwendung der Kaiserin zu Johanns Gun- sten erklären.

Bedenklich machten mich jedoch die DDO. III. 53, 54 (für

') Muratori SS. V\ 484. Reg. di Farfa 3, 114 no. 436. Fantuzzi 1, 218 no. 67. Mit der 3. Urkinide vergleiche man die von mir S. 226 an- gcfvihrten vom 30. September 990 und vom 20. Jänner 991, in denen sich Johann nicht mehr auf Weisung der Kaiserin beruft, sondern raissus d. Uttonis regis nennt. Indem Kehr S. 53 die Urkunden der Kaiserin citirt, bezeichnet auch er es in der Note als irrthümlich, dass Wilmans und nach ihm Giesebrecht den Antritt der Reise zu 988 setzen. Aber er tritt den Beweis für den andern Ansatz, dessen es doch noch bedarf, nicht an. -) Er erwirkte dort am 25. April das

Privilegium JL. 3831 fiir das Kloster Petershauseu. Die Vita Gebehardi in SS. 10, 587 lässt den Bischof nur orationis causa nach Rom reisen.

EvläntPiun,:,'rn zu den Diplomen Otto III. 233

Cielo rl' oro und für Parniii, beide aus Quedlinburg vom 5. April 080) und D. 5(-> (für Montecassino aus Ingelheim vom 23. Juli), indem sie die Intervention der Theophanu erw^ähnen und von dem Kanzler für Italien Adalbertus recognoscirt worden sind. Beide Angaben beweisen allerdings an und für sich noch nicht die Anwesenheit der l)etreffen- den Personen am Ort und zur Zeit der Ausstellung. Aber mit der Kecognition, um von ihr zuerst zu reden, hat es hier seine eigene Bewandtuiss. Der Schriftbefund von D. 53 für Cielo d'oro drängt uns die Annahme auf, dass das ganze Eschatokoll von der Hand des Adalbertus stamme; er müsste also damals in Quedlinburg und nicht im Gefolge der Kaiserin, falls diese schon in Italien weilte, gewesen sein. Das verträgt sich nun kaum mit einer andern Annahme. Die zwei S. 232 angeführten Theophanu - Urkunden bezeugen, dass die Kaiserin die Befugniss hatte und ausübte, unter eigenem Namen Prae- cepte zu ertheilen, welche den im Namen des Königs ausgestellten gleichAverthig waren. Zu solchem Behufe uiusste sie den Kanzler und Notare in ihrem Gefolge haben. In der That sind die beiden Diplome mit der Unterschrift des Adalbertus versehen und erweisen sich auch als Dictate der italienischen Kauzlei. Ist danach nicht zu bezweifeln, dass Adalbertus im Winter von 080 zu 000 mit der Kaiserin in Italien weilte und andererseits nicht, dass er noch im April zuvor in der deutschen Pfalz in Person seines Amtes waltete, so würde sich ergeben, dass die Kaiserin zu Beginn des Aufenthalts in Italien den Kanzler noch nicht bei sich gehabt, sondern ihn erst später habe nachkommen lassen. Und zu einer analogen Folgerung werden wir genöthigt, wenn wir näher auf die Intervention der Theophanu in den DD. 53, 54, 56 eingehen. Diese konnte sehr wohl aus der Ferne erfolgen, durch Briefe, welche die in den drei Urkunden als alleinige Fürbitterin ge- nannte Theophanu den Petetenten mitgegeben haben mochte. Aber, wenn die Kaiserin bereits im Süden Aveilte und von Anbeginn ihrer Keise an zu Urkunden ermächtigt war, warum sollten sich die Mönche von Cielo d'oro u. s. w. der Mühe unterzogen haben, sich mit ihren Gesuchen an den Hof in Deutschland zu wenden? So wird es frag- lich, ob Theophanu in dem ersten Jahre ihres Aufenthalts in Italien bereits mit der HeiTschergewalt ausgestattet gewesen ist, welche sie in dem zweiten Jahre zweifelsohne ausgeübt hat, oder es wird sogar fraglich ob sie in der Zeit vom April bis Juli OSO überhaupt in Italien gewesen ist. Es sei dazu gleich bemerkt, dass aus dieser Zeit kein urkundliches Zeugniss für Anwesenheit der Kaiserin und des Kanzlers in Italien vorliegt.

Ziehen wir noch die Urkunden aus der zweiten Hälfte des J. 080

234 Sir.kpl.

und die aus der ersten Hälfte des uächstfolgenden Jahres zu Eathc, so finden wir, dass damals vom K. Otto nicht ein Diplom für Italien ausgestellt worden ist, also auch der Kanzler Adalbertus nicht als Kecognoscent erscheint. Desgleichen wird Theophanu seit dem Herbst 980 ^) bis Anfang Juni 990 nicht als Fürbitterin genannt. Dagegen fallen in diese Monate die zuvor angeführten Urkunden der Theophanu für S. Vinceuzo am Volturno u. s. w. Endlich beginnt mit D. 65 vom 18. Juni 990 eine neue Periode: Otto ertheilt zu Frankfurt auf Fürbitte seiner Mutter und des Erzbischofs Johann von Piacenza dem Patriarchen von Aquileja eine von Adalbertus recognoscrrte Urkunde, d. h. die Kaiserin, der Günstling und der Kanzler sind zu gleicher Zeit nach Deutschland heimgekehrt, wohin sich fortan auch die Pe- tenten aus Italien wieder zu wenden haben. Ohne mir zu verhehlen, dass ich hier lediglich mit der geringen Anzahl von Urkunden operire, welche uns die allen Zufälligkeiten unterworfene Ueberlieferuug bietet, glaube ich doch jene ins Auge springenden Erscheinungen daraufhin prüfen zu sollen, ob zwischen ihnen ein causaler Zusammenhang be- .steht. Und da scheint mir, dass sie sich auf zweierlei Weise erklären lassen: durch die Annahme, dass die Kaiserin doch erst im Herbst 989 nach Italien aufgebrochen sei, oder durch die andere, dass sie zwei Winter nacheinander dort verlebt habe, im Sommer dazwischen jedoch nach Deutschland heimgekehrt sei.

Auf letzteren Gedanken musste mich die Deutung bringen, welche J. Havet in seiner Ausgabe der Gerbertbriefe der Epist. 160 gegeben bat. Gehe ich damit zu dieser Briefsammlung über, so pflichte ich im vorhinein der Ansicht bei. welche zuerst von Wilmans ausgesprochen, jetzt durch die von Boubnov und Havet unabhä]igig von einander vor- genommene Untersuchung der Handschriften volle Bestätigung erhalten hat, der Ansicht, dass der weitaus grössere Theil dieser Correspondenz (Epist. 1 180) in der Reihenfolge auf uns gekommen ist, in welcher einst die Briefe geschrieben oder, genauer gesagt, die Concepte für dieselben von Gerbert selbst in sein Kladdenbuch eingetragen worden sind ^). Gilt es also für diejenigen E])isteln, welche durch Bezugnahme

') Ueber ihre Intervention in D. 58 vom 1. Oktober rede ich später. ■■') Es ist mir wie wohl vielen deutschen Forschern ergangen, dass ich von dem 1888 erschienenen ersten Theile der Arbeit des Russen N. Boubnov erst durch Havets Ausgabe Kunde erhielt. Dass des letzteren Mittheilungen nicht genügen, um die Ansichten Boubnovs in ihrem ganzen Zusammenhange kennen zu lernen, ersah ich schon aus der Anzeige beider \Aerke in der Zeitschrift Le moyen äge (August 1889). Es war mir daher sehr willkommen, von H. Prof. Petrov aus Fetei'sburg, welcher im vergangenen Schuljahre an dem Cursus unseres Instituts

ErläiitcrnnLcen /.u 'l<'n DiplonKMi Otfn ITT. 235

auf historische und uns sonst bekannte Begebenheiten eine Handhabe dazu darbieten, die Daten möglichst genau zu berechnen und zwischen die so chronologisch fixirten Stücke die übrigen einzureihen, so ergeben sich doch noch zahlreiche und grosse Schwierigkeiten, weil wir im ganzen über die Vorgänge jener Zeit und besonders über die Daten schlecht unterrichtet sind. Gerade an der Epist. 160 werde ich zeigen können, wie weit noch, was die Zeitbestimmung betrifft, die Meinungen der hervorragendsten Forscher, wie unter den neueren Wilmans' und Havets, auseinandergehen.

Darüber war man allerdings schon lange einig, als Absender der Epist. 160, welchem Gerbert seine Feder geliehen hat, den Erzbischof

I

iheilnahm, genau über den Inhalt des Boiibnov'sclien Buches unterrichtet zu werden und von ihm alle mich besonders interessirenden Stellen übersetzt zu erhalten. Es fehlte mir jedoch die Zeit, allen Fragen, in welchen Boubnov und Havet zweien, genauer nachzugehen und mich mit der Gesamtheit der Uerbertbriefe eingehend zu befassen: aus diesem Grunde und weil die Commentare des russi- schen Gelehrten zu den einzelnen Briefen noch nicht vorliegen, enthalte ich mich noch in jeder der streitigen Fragen Stellung zu nehmen. Aber die mir augen- blicklich gestellte Aufgabe glaube ich vollständig gelöst zu haben. Ich habe es hier nur mit einer kleinen Anzahl von Briefen aus dieser Sammlung zu thun, mit den in Ottos Namen geschriebenen oder an ihn gerichteten Briefen und mit einigen andern, welche den Kaiser oder seine Mutter erwähnen, und ich habe die Ueberlieferung dieser Stücke, wie sie entweder von Boubnov oder von Havet angenommen wird, nur insoweit in Betracht zu ziehen, als etwa die Stellung derselben in den Handschriften bei der Datirung zu berücksichtigen sein wird. Für diesen meinen Zweck ist nun die schon längst und auch von den beiden jetzigen Herausgebern gemachte Scheidung der Sammlung in zwei Theile, näm- lich Epist. 1 180 und Epist. 181—220, massgebend. Nach Havet soll der erste Theil nur durch den Leydener Codex (L.) auf uns gekommen sein, nach Boubnov dagegen auch durch einen zweiten alten Codex S., welcher jedoch die Briefe in derselben Reihenfolge geboten habe wie L., d. h., wie ich schon oben sagte, in der ursprünglichen Hat nun, nebenbei gesagt, Boubnov mich ebensowenig wie Havet von der Existenz dieses zweiten Codex zu überzeugen vermocht, so bleibt es jedenfalls für den Versuch, die Briefe zu datiren, ganz irrelevant, ob wir eine einzige Quelle oder zwei gleich geordnete annehmen. Allerdings könnte sich eine gelegentliche Afusserung des russischen Forschers, dass einzelne Briefe verschoben seien, eventuell auch auf das eine oder das andere Stück des ersteren Theiles beziehen. Wir werden das, erst wenn seine neue Ausgabe voll- ständig vorliegt, erfahren. Bis dahin habe ich mich an die von ihm gebotene allgemeine Charakteristik des ersten Theiles zu halten und andererseits an die Havet'sche Edition mit ihren Commentaren. Es sind also des letzteren Datirungen der betrettenden Briefe, welche ich hier auf ihre Hichtigkeit hin prüfen werde. Ich nehme das Thema der Ueberlieferung der Gerbertbriefe wieder auf, wo ich auf Briefe aus dem zweiten Theile der Collection. mit dem es sich jedenfalls anders verhält, zu spreelien komme.

236 Sickel.

Armilf von Reims, den Nachfolger des Adalbero, zu hetrachteu. Dieser berichtet, dass er sich um so mehr auf eine Eorareise gefreut habe, als ihm die Gesellschaft dessen au den er schreibt, und eine Unter- redung juit der Theophanu in Aussicht gestanden hätten. Da ein Verbot seines Königs diesen Plan durchkreuzt habe, so möge der Freund ihn vertreten, sowohl damit er durch ihn vom Papste das Pallium erwirke, als damit er auch ferner der Gnade der Kaiserin theilhaftig bleibe, welche er dem Freunde verdanke. Cuius, so schliesst das lair/.e Schreiben, in obsequio deo annuente in pascha erimus, nee (juisquam erit qui nos ab eins ac filii sui fidelitate ac servitio prohibere possit. Es ist klar, dass der Adressat, mag er schon in Kom bei der Kaiserin weilen oder im Begiiff sein sich dorthin zu begeben, Theophanu nahe stehen und sowohl bei ihr als au der Curie einfluss- reich sein niuss.

Schon Wilmans glaubte mit Hilfe dieser Epistel, welche bald nach der Wahl des Erzbischofs Arnulf und zur Zeit des Aufenthalts der Theophanu in Rom geschrieben worden zu sein scheint, eine Reihe von Briefen leidlich datiren zu können. Nur musste er, da uns nicht direct berichtet wird, wann Arnulf die neue Würde erhielt, auf den Tod des Vorgängers Adalbero zurückgreifen, welcher nach Richer auf den 23 Jänner fiel. Wilmans (S. 167) gab daher dem einen Abschnitte seines Excurses über die Gerbertbriefe die Ueberschrift: Von dem Tode Adalbero's von Reims bis zum Concil von S. Basol, 17. Juni 091. Aber das Jahr, in welchem Adalbero starb, steht in Frage. Wilmans entschied sich für 988. Um nun das Intervall zwischen der Erledigung und der Wiederbesetzung des erzbischöflichen Stuhles zu berechnen, ging er von der Einnahme von Laou, welche einen Abschnitt in der Geschichte Arnulfs bildet und für welche das Datum 30. März 991 feststeht, aus, vei-werthete ferner gewisse Zeitangaben der Epist. 217 (ich ziehe es vor, sie erst in anderm Zusammenhange zu wiederholen) und setzte danach die Ordination Arnulfs in den Juni oder Juli 988, also die Wahl um einige Wochen früher. Ergab sich daraus für die Epist. 100, in welcher Arnulf seine Bemühungen um das Pallium er- wähnt, Herbst oder Wiuter desselben Jahres, so sah Wilmans darin eine Bestätigung für das was er aus den Ann. Hildesh. herauslas, dass nämlich Theophanu im Herl)st 988 nach Italien gezogen sei.

Ganz anders verwerthet Havet denselben Briet'. Doch was wich- tiger ist, er lässt Adalbero erst am 23. Jänner 989 sterben ^). VerHefen

') S. 105 N. 1 . Ich halte diesen Ausatz, für den sich schon Mabillon, Waitz u. a. ausgesprochen haben, für richtig, sehe aber von nochmaliger Bc-

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 287

nuu nach Epist. 155 ^) seit dem Tode des Vorgängers bis zur Wahl mehr als dreissig Tage und ist andererseits in Epist. 160 die Eede von einem Besuche, welchen der (Schreiber, d. h. der eben gewählte Arnulf der Kaiserin zu Ostern (31. März 98*.*) machen wollte, so folgeiie Havet aus letzterem einige Zeit vor Ostern geschriebeneu Briefe, dass die Wahl in den letzten Tagen des Febru;ir oder in den ersten Tagen des März 989 stattgefunden habe. Und in diesem Zusammenhange beruft er sich auf den Bericht der Ann. Hildesh., welchen er mit dem von ihm citirten Wilmans dahin deutet, dass die Kaiserin das Weih- nachtsfest 988 in Kom gefeiert habe, nimmt aber keine Notiz davon, dass Wilmans unmittelbar darauf constatii-t, dass Theophanu bis in den April 990 in Italien verweilte. Havet (S. 140 N. 3) meint viel- mehr, dass der Empfänger der Epist. 160 auf seiner Reise nach Rom mit der von dort liereits heiuikelirenden Fürstin zusammentreffen werde und dass die von Arnulf in Aussicht genommene Begrüssung der Kaiserin habe stattfinden sollen (Introd. LXXIII) en Alleraagne evi- demment, puisc^u'il a renonce au voyage d' Italic.

Havet, das gebe ich zu, hatte bei seiner jetzigen Arbeit, nachdem er das approximative Datum der Wahl Arnulfs richtig berechnet zu haben glaubte, keinen Aulass auf die Geschichte der Kaiserin im Winter 989 zu 990 einzugehen -). Für mich, der ich sieher weiss dass Theo- phanu diesen Winter in Italien verlebte, steht die Sache anders. Wollte ich der von Havet der Epist. 160 gegebenen Deutung und den aus ihr gezogenen Folgerungen durchaus beipflichten, so würde ich mindestens zu der Annahme gedrängt werden, dass nach Reims die Kunde ge- kommen sei, die Kaiserin werde schon im Februar 989 die Heimreise antreten und werde bis Ostern au den Hof in Deutschland zurück- tjekehrt sein. Soll dieser Plan wirklich bestanden haben und soll er etwa auch zur Ausführung gekommen sein?

Gründung desselben ab. Ueberhaupt, da ich um meines Thema's willen schon weit ausholen muss, begnüge ich mich hie und da mit den von andern ge- wonnenen Er^buissen, selbst wenn sie noch nicht allgemeine Zustimmung ge- funden haben. Und so halte ich mich auch nicht bei den Zahlen der von Wilmans 161 N. 2 und 169 N. 2 citiiien Urkunden, noch bei den Angaben der Ann. Remenses und der Ann. Mosomagenses (SS. 13, 82 und 3, 101) auf.

') Electio Ar. Remorum archiepiscopi a Gir. edita, d. h. Kundmachung des Wahldecrets aus Gerberts Feder. -) Ebensowenig hat Wilmans von seinem

Standpunkte aus Anlass gehabt, sich über die Worte Cuius in obsequio d. a. i. p. erimus zu äussern. Da er Arnulf als im Sommer .'^>88 gewählt betrachtete, verstand er unter diesem Ostern sicher Ostern des nächstfolgenden Jahres, konnte aber daraus tür das in Frage stehende Datum der Wahl keine Folgerung ziehen.

238 Sickel.

Die Behauptungen Havets würden sieh allerdings damit vertragen, dass in den beiden am 5. April 989 zu Quedlinburg, wo der Hof wahrscheinlich das Osterfest feierte, ausgestellten DD. 53, 54 Theo- jihanu als Fürbitteriu erscheint. Aber sie nöthigen uns, die zweite der zuvor aufgestellten Alternativen näher ins Auge zu fassen. Dass keine der erzählenden Quellen von einer zweimaligen Reise der Kaiserin nach Italien berichten, genügt noch nicht solche Annahme einfach zu verwerfen. Das möchte ich um so weniger thuu, da wir im Grunde auf die Ann. Hildesh. angewiesen sind, welche über die J. 988 und 989 ziemlich kurz hinweggehen. Doch mit dieser Quelle befasse ich mich erst später. Ich werde schneller zum Ziele kommen, wenn ich den Fehler aufdecke, welcher sich, wie ich meine, in die Rechnung Havets eingeschlichen hat.

Er besteht darin, dass Havet in den Zeitraum vom 23. Jänner (Todestag des Adalbero) bis zum 31. März (Ostern des Jahres 989) mehr Vorgänge unterzubringen versucht hat, als sich innerhalb 08 Tagen abspielen konnten. Es ist richtig, dass die Worte der Epist. 155: elapsa sunt canonica tempora, violatae sunt leges quibus cavetur nullam sedem amplius xxx dierum spatio vacare licere in ihrer Uu bestimm t- heit sich mit Havet auch auf eine Sedisvacanz von nur 35 Tagen (ich suppouire hier als Tag der Wahl den 1. März) deuten lassen. Mau wird jedoch mit gleichem Rechte an eine grössere Zahl von Tagen denken können. Schon die Verhandlungen, welche uns Richer (1. IV. cap. 25 28) berichtet, werden geraume Zeit ausgefüllt haben. Dieser verschweigt jedoch den einen Umstand, welcher die Entscheidung noch in die Länge ziehen musste, dass Arnulf, um seine Wahl durchzusetzen, einen andern Bewerber, nämlich Gerbert, aus dem Felde zu schlagen hatte. Dass dieser in seiner Aufregung i) nur wenige Briefe (Epist. 1 50 _ 154) geschrieben hat, ist begreiflich. Doch noch der dem Wahl- decret unmittelbar vorausgehende Brief bezeugt, dass es die Freunde Gerberts nicht an Vorstellungen und Warnungen gegen Arnulf haben fehlen lassen. Und werden dabei den Gegnern des Königs Hugo insbesondere auch die von ihnen verschuldeten protractiones zum Vor- wiu-f gemacht, so erscheint mir das ebenso bedeutsam als die aus- drückliche Betonung der Verzögerung im Wahldecret. Will mau trotzdem am 1. März, als annäherndem Datum der Wahl, festhalten, so ist, meine ich, der Zeitraum zwischen diesem Tage und dem in Epist. 160 als bevorstehend bezeichneten Osterfeste ebenfalls zu kurz bemessen.

') Epist. 152: in tiiiita periiubatione et iit ita dicani cuuiusione.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 289

Havet (Introd. XXI) geht etwas leicht darüber hinweg, dass Ger- bert, in seinen Hoffnungen getäuscht, dem neuen Erzbischofe ebenso wie dessen Vorgäuger Adalbero zu Diensten war. Ich rechne dahin nicht, dass er das Decret seines Nebenbuhlers aufsetzte, denn damit erwies er nicht so sehr Arnulf als den Bischöfen des Reimser Spreugels einen Dienst. Dagegen gibt er sich in den Epist. 156, 157, 160 als willfähriges Werkzeug des Erzbischofs zu erkennen. Dass er sieb dazu unmittelbar nach der für ihn schmerzlichen Erhebung Arnulls ent- schlossen habe, könnte doch in Frage kommen. Aus auderm Grunde glaube ich die von Arnulf an den Erzbischof Ecbert von Trier ge- richtete Epistel 157 nicht gleich auf die Wahl folgen lassen zu dürfen, obwohl in ihr die novitas nostrae ordiuationis erwähnt wird. Denn nimmt der Schreiber hier bereits auf irgend eine freundliche Aeusserung des Adressaten über die Wahl Bezug, so muss eine Reihe von Tagen verflossen sein, bis zuerst die Meldung vom Ausgange der Wahl dem bei Hofe weilenden Ecbert zugegangen und bis daun des letztern Glück- wunsch in Reims eingetroften war i). Die gleiche Bewandtniss hat es mit den Epist. 158 und 159. Setzt sie auch Havet nach dem Zeit- punkte an, da Gerberts Hoffnungen auf die erzbischöfliche Würde zu Schanden geworden waren, so übersieht er doch, dass sie nicht un- mittelbar nach demselben geschrieben sein können. Plurimum intelligo vos intelligere motus auimi mei scheint mir nur dann Sinn zu haben, wenn der Destinatar der Briefe nach Empfang der Nachricht von der Wahl Arnulfs den unterlegenen Gerbert bereits seiner Theilnahme versichert hatte, so dass wiederum zwischen dem Tage der Entschei- dung und dem Tage der Abfassung des Briefes einige Zeit verstrichen sein muss. Dieselbe Annahme legen die die grösste Ungeduld ver- rathenden Worte der Epist. 159: quousque ergo id genus amicitiae exercebo? nahe. In diesem Zusammenhange komme ich nochmals auf die Epist. 160 zurück und zwar zunächst noch unter der Voraussetzung Havets, dass der Absender der Briefe Ostern 989 im Auge habe. Ich habe bereits S. 236 angedeutet, dass wir den Ort nicht kenneu, an welchem Arnulf den Adressaten vermuthet. Nur das ist klar, dass dieser, wenn er nicht schon in Rom weilte ^, sich doch dorthin be-

') Citirt hiezu Havet das zu Köln am 28. December 988 ausgestellte DO. III. 51 für den Erzbischof Ecbert von Trier, so kann doch dessen damaliger Aufenthalt bei Hofe für die weit später fallende Epist. 157 nicht in Betracht kommen. ^) Ich habe vester comitatus übersetzt: eure Uesellschaft, welcher

sich Aniulf ebenso gut in Rom als Ziel der Reise als auf der Reise erfreuen konnte, und bestreite, dass es nothwendiger Weise als Begleitung auf gemein- schaftlicher Reise aufgefasst werden muss.

940 S i c k e 1.

u-eben wollte. Doch ich will zugeben, dass iu Heims angenommen wurde, dass sowohl der Adressat der Epist. 160, als die Personen, an welche Gerbert die vorausgehenden Briefe richtete, noch auf der Keise beo"riöen o-ewesen seien und irgendwo mit der über Berg heimkehren- den Kaiserin zusammentreffen würden. Denken wir, um ein concretes Beispiel zu wählen, etwa an das auf halbem Wege gelegene Chur als Ort der geplanten Zusammenkunft und andererseits an Toul als einen von Reims nicht sehr entfernten Aufenthaltsort des Adressaten der Epist. 160. Wollte Theophanu bereits bis 31. März bei ihrem Sohne in QuedUnburg eintreffen, so musste sie zweifelsohne vor Mitte März von Chur abreisen, und so musste, wer von Toni aus ihr ent- o-eo-enreisen wollte, Toul um 8 10 Tage früher verlassen, folglich musste ein nach Toul gerichteter Brief noch früher von Reims ab- tj-esandt werden. So haben wir für die Aufeinanderfolge der Epist.

15(j 160 allerlei nicht zu unterschätzende Intervallen kennen gelernt,

welche zusammengenommen einen weit grösseren Abstand zwischen der Epist. 155 (Wahldecret) und der Epist. 160 ergeben, als die von Havet ungefähr angenommenen Tage, einen so grossen Abstand, dass meines Ermessens in der Epist. 160 nicht von Ostern 989, son- dern nur von Ostern 990 die Rede sein kann.

Daraus folgt vor allem, dass sich Epist. 160 gar nicht für Be- rechnung des Datums der Reimser Wahl verwerthen lässt und ebenso- wenio- für Einreihung der au sie anknüpfenden Ereignisse. Wir sind einzig und allein auf den 17. Juni 991 (Concil zu S. Basol, auf welchem Arnulf abgesetzt wurde) angewiesen, um von diesem festen Punkte zurück mit Hilfe der Angaben in Epist. 217 annähernd zu berechnen, wann Arnulf den erzbischöflichen Stuhl bestiegen hat. Da dieser Ver- such schon oft angestellt worden ist, kann ich mich kurz fassen. Decem et octo continuis mensibus i) ist Arnulf vergebhch gemalmt worden, dass er sich a scelere proditionis et rebellionis quo impetebatur regulariter purgaret. Als Verräther galt er seit der Einnahme der Stadt Reims durch Karl von Lothringen, welche stattgefunden hatte als necdum a sua ordinatione sextus mensis elapsus erat. Somit müssen wir um etwas mehr als zwei Jahre von dem Tage jenes Concilbe- schlusses zurückrecbnen, um zum Zeitpunkt der Ordination oder der vorausgegangenen Election zu gelangen: ich schlage den Ansatz zum Mai 989 vor und dementsprechend für den Ueberfall von Reims den November desselben Jahres.

Setze ich somit auch alle Bi-icfe dieser Zeit im Durchsclmitt um

•) Havel S. 20J.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto IIE. 241

drei Monate später als Huvet an, so glaube ich an den nach der Wahl verfassten noch darthun zu sollen, dass solche Verschiebung zulässig ist. Gehört Epist. 157 etwa in den Juli 989, so mag der damalige Aufenthalt des Königs Otto dem Trierer Erzbischof Anlass geboten haben, sich bei Hofe vorzustellen. Jedoch bevor ich zu den folgenden Briefen übergehe, muss ich als Endergebniss meiner ganzen Unter- suchung vorausschicken, dass Theophanu ihre Keise nach Italien erst gegen Ende des J. 989 angetreten hat. In den Epist. 158, 159 steht nun auch kein Wort davon, dass Gerbert sich die Kaiserin schon auf der Keise begriffen gedacht habe. Und dringt er besonders in dem zweiten auf eine Entscheidung zu seinen Gunsten, so scheint mir dieses sein Verlangen vielmehr dazu zu passen, dass Theophanu noch bei ihrem Sohne und bei Hofe war. Von der Reise wird also zuerst in Epist. 160 gesprochen, jedoch so, dass dieser nicht einmal mit Sicher- heit zu entnehmen ist, ob die Kaiserin schon unterwegs war oder nicht oder ob sie sogar schon in Rom eingetroffen war. Müssen wir übrigens den Brief vor die Einnahme von Reims (Epist. 162), also zum September oder Oktober setzen, so konnte schon damals in Reims die Absicht der Kaiserin, womöglich bis Ostern 990 (20. April) heim- zukehren, bekannt sein und in diesem Sinne von Arnulf sein Vorhaben, ihr dann aufzuwarten, angekündigt worden i). Ich versuche noch Epist. 162 zu deuten und zwar anders als Havet, weil ich auch in ihr eine Stütze für meine Datirung der Gerbertbriefe aus dem J. 989 finde. Nach Havet soll Gerbert dem Mönche Remigius zuerst erzählen, was er Schlimmes im J. 988 erlebt hat -), und unmittelbar darauf allen Schaden und alles Ungemach, welche der Ueberfall von Reims auch über ihn gebracht hat. Dagegen muss ich mehr als einen Einwand erheben. Es fällt doch sehr auf, dass Gerbert, welcher demselben Freunde zu Anfang des J. 989 die Epist. 152 zugefsandt hatte, jetzt in seiner Erzählung noch einmal auf das vorausgegangene Jahr zurück- gegriffen haben und dann sofort zu dem jüngsten Erlebniss über- gegangen sein soll. Beginnt er sein Schreiben mit nescis, nescis quae

1) Auf die Worte Richers (lib. IV cap. 32 JL. 3830 gehört natürlich in das J. 989) : nee multo post (ordinationem Amolfus) a papa Romano missum apostolicae auctoritatis pallium sumpsit lege ich allerdings geringen Werth und sehe in ihnen um so weniger Grund Epist. 160 früher einzureihen, da die von Arnulf ausgesprochene Bitte um Förderung dieser Angelegenheit nicht ausschliesst, dass dieselbe bereits erledigt war, als der Brief geschrieben wurde. ^) Gra-

vissimis quippe laboribus aestivis et continuis eos contraximus morbos quibus pestilens autumnus pene vitam extorsit wozu Havet die Ann. Hildesh. zu 988 citirt : aestatis fervor nimius ac repentinus id. iulii usque id. aug. etc. Mittheilungeu XU. 16

242 S i c k e 1.

uaufragia pertulerimus, so lässt sicli allenfalls begreifen, dass er des liärtesten Schlages, der ilm betroffen hatte, des Scheiterns der Hoff- nung, in Eeims auf den erzbischöflichen Stuhl erhoben zu werden, mit keinem Worte gedenkt, denn von diesem SchiflFbruch hatte wohl auch Remigius bereits Kunde. Schwerer ist dieses vollständige Ver- schweigen zu erklären, wenn Gerbeii von seinen Schicksalen seit mehr als einem Jahre berichten will. Ich gebe zu, dass auch das J. 988 für Gerbert gi-avissimis laboribus et continuis erfüllt war i), aber diese Klage war doch mindestens ebenso berechtigt für das J, 989. Und für jenes Jahr lässt sich der Witterungsbericht der Ann. Hildesh. durchaus nicht geltend machen. Eechnet dieser die Tage von Mitte Juli bis Mitte August richtig zum Sommer =^), so wird doch am wenig- sten Gerbert der Verwechslung von aestas und autumnus zu zeihen sein. Versuchen wir es aber mit der Deutung auf das J. 989, in welchem der Brief geschrieben ist, so erscheint alles klipp und klar. Der Wahl in Reims (Mai) geschieht nicht Ei^wähnung, sondern nur der Folgen für Gerbert: den Sommer über Arbeit über Arbeit, dann Krankheit, die im schlimmen Herbst lebensgefährlich wird, dazu die Eroberung von Reims. Damit wird diese hinausgerückt über den Herbst ' hinaus, etwa bis in den Monat November, welchen wir auch auf an- derem Wege gewonnen hatten.

Ich glaube hiermit bewiesen zu haben, dass Gerberts Epist. 160 weder der Annahme, dass Theophanu schon zu Ende des J. 988 nach Italien aufgebrochen sei, noch der Annahme, dass bereits zu Ostern 989 ihre Heimkehr erwartet worden sei, als Stütze dienen kann, dass sie von dem Leben der Kaiserin im Winter 988/89 gar nicht spricht, dass sie lediglich auf die Pläne derselben für den nächstfolgenden Winter Bezug nimmt. Für jene erstere Annahme könnte man sich also nur noch auf die Ann. Hildesh., wie sie vonWilmans verstanden wurden, berufen. Nun lautet aber das Urtheil über diese Quelle heut- zutage ganz anders als zu der Zeit, da sie von Pertz herausgegeben und von Wilmans benutzt wurde. Es genügt, dass ich auf das Vorwort von Waitz zu der neuen Schulausgabe oder auf Wattenbachs Geschichts- quelleu 1, 327 verweise. Allerdings gilt noch jetzt die Handschrift als autograph und insbesondere werden die ersten bis 994 reichenden Aufzeichnungen als in der Urschrift erhalten betrachtet, wodurch aus- geschlo sen ist, was in al^schriftlichen Jahrzeitbüchern so oft begegnet,

') Vgl. Havet lulrod. XX, sowie die hierher gehörigen Briefe. '-') Nach

beila ist der !l. Mai initiuui aestatis mul der 7. Augiisl initiiim autumiii ; iiiuli hidur 24. Mai und li.i. AnjJiisi.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto l[[. 243

dass Notizen aus Versehen von einem Jalire zum andern verschoben werden. Aber mit der ft-üher angenommenen Originalität dieser Annaleu ist es schlecht bestellt. Es ist jetzt erwiesen, dass sie mindestens bis zum J. 984 aus den Hersfelder Annalen und etwa vom J. 997 an aus nicht mehr erhaltenen ausführlicheren Annaleu von Hildesheim abgeleitet sind; könnte daher höchstens noch für die Aufzeichnungen der dazwischen liegenden Jahre Originalität in Anspruch genommen werden, so ist auch für sie möglicher Weise eine inhaltsreichere Vor- lage benutzt worden. Dieser Vermuthung Wattenbachs stimme ich um so mehr bei, als mir nicht einleuchten will, dass man damals in Hildesheim und in der nächsten Umgebung des wohl unterrichteten Bernward nichts mehr und nichts besseres zu berichten gehabt habe, als in der auf uns gekommeneu Handschrift steht. Die Dürftigkeit der Nachrichten spricht auch hier dafür, dass der betreffende Schreiber uns nur Auszüge aus einem grösseren Werke überliefert hat. Damit ist aber auch die Zuverlässigkeit seiner Mittheilungen in Frage gestellt. Im vorliegenden Falle handelt es sich insbesondere darum, wie es der Abbreviator mit der Zeitfolge gehalten hat und ob er den Brauch, das Jahr mit Weihnachten zu beginnen, genau befolgt hat. War nun Wilmans von seinem Standpunkte durchaus im Rechte, aus den Ein- tragungen zu den J. 984, 1001, 1002 den Schluss zu ziehen, dass in den Ann. Hildesh. stets die Weihnachtsepoche festgehalten worden sei, so ist derselbe für uns nicht mehr zwingend. Wir haben uns auf die Betrachtung des zwischen jenen Jahren liegenden Abschnittes zu be- schränken, wenn wir versuchen wollen, einen Massstab dafür zu ge- winnen, inwieweit der Abbreviator die von ihm berichteten Begeben- heiten in die richtige Zeitfolge gebracht hat. Ich gestehe offen, dass mir dieser Versuch nicht gelungen ist i) und dass ich auf die specielle den Jahresanfang betreffende Frage keine Antwort finde. Wohl oder übel muss ich, was zu 989 eingetragen ist, für sich betrachten. Da scheint nun auf den ersten Blick die bisherige Auslegung, dass unter dem zuerst erwähnten Weihnachten das das Jahr 989 eröffnende, also unser Weihnachten 988 zu verstehen sei, dadurch gesichert, dass als zweite und letzte Begebenheit des J. 989 der Tod des Bischofs Osdag berichtet wird, welcher am 8. November 989 erfolgte. Aber ein Um- stand würde dabei, wie es bisher allgemein geschehen ist, unberück-

') Chronologische Anordnung scheint vorzuhen-schen, ist aber im .1. 988 ausser Acht gelassen. Erscheint sie durch das andere IVincip gestört, die Be- gebenheiteji nach dem (irade des Interesses, welches sie im allgenieinen oder in <leu Augen des Annalisten erwecken, zu unhien, so ist aucli dieses l'riiicip niclit durchgeheuda befolgt worden.

16*

244 Sickel.

sichtigt bleiben. Den Worten (Th.) ibi natalem domini celebravit, gebt ja voraus Romam perrexit. Gerade wenn der Annalist an das auf der Schwelle des J. 980 stehende Fest dachte, hätte er von der Reise nach Rom unter dem Vorjahre berichten müssen. Und so lässt die Stelle auch eine zweite Deutung zu. Der Schreiber fand in seiner Vorlage die Reise zu Ausgang des J. 989 erwähnt, wiederholte sie zu demselben Jahre, fügte aber auch gleich die weiteren Notizen über die Kaiserin (celebravit, subdidit) aus dem J. 990 hinzu, um nach Erledigung der politischen Begebenheiten nachzuholen, was sich in Hildesheim im J. 989 zugetragen hatte. Abbreviatoren sind ja oft so vorgegangen.

Dass dieser Bericht zweideutig ist und bleibt, verkenne ich nicht. Erscheint aber die eine Interpretation ebenso berechtigt als die andere, so liegt die Entscheidung bei dem, was die Diplome bezeugen. Das erste ist, dass Theophanu den Winter von 989 zu 990 in Italien ver- lebte, das zweite, dass sie von Ostern bis in den Herbst des Vorjahres in Deutschland weilte. Vertrüge sich damit noch, wie wir bereits sahen, die Annahme eines Aufenthalts in Italien in dem Winter zuvor, so hat sich die eine Stütze derselben, nämlich Havets Interpretation der Epist. 160 als hinfällig erwiesen. Erübrigt dann als Indicium nur noch, was Wilmans u. a. aus dem zweideutigen Berichte der Ann. Hildesh. herauslesen wollen, so wii'd dessen Beweiskraft in meinen Augen durch die Erwägung sehr abgeschwächt, dass der Mönch von Hildesheim sich recht schlecht unterrichtet zeigt, wenn er kein Wort von der über allen Zweifel erhabenen Reise im zweiten Winter zu be- richten weiss. Somit weise ich den Gedanken an eine zweimalige Reise zurück und ebenso den, dass die Kaiserin schon im J. 988 nach Italien aufgebrochen sei.

In diesem Jahre scheint, während der Hof im Süden weilte, der Verkehr in Italien wieder etwas lebhafter geworden zu sein. Das mag den Anstoss zum Entschlüsse der Kaiserin, persönlich in die Angelegen- heiten Italiens einzugreifen, gegeben haben. Mussten ihr aber ebenso wie den Königen die Wege bereitet werden, so mag der des Landes und der Leute kundige Johannes Graecus und mögen andere schon von Konstanz vorausgesandt worden sein. Die Kunde von dem Reise- plane wird sich bald verbreitet haben und auch nach Reims gedrungen sein. Die Kaiserin selbst trat jedoch ihre Reise erst im J. 989 an, begleitet von dem Kauzler für Italien. In welchem Monate dies ge- schah, darüber lassen sich nur Vermuthungen aussprechen. Es Hegt uns allerdings ein Diplom für den Bischof von Freising, am 1. Oktober 989 zu Frankfurt ausgestellt, vor, in welchem als Intervenienten ge- nannt werden Theophanu und Herzog Heinrich der Jüngere. Aber

I

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 245

Theophanu als anwesend bei der Ausstellung zu betrachten, so dass sie erst in vorgerückter Jahreszeit den Zug über die Alpen angetreten haben würde, ist gewagt. Das D. 58 wiederholt nämlich im wesent- lichen DO. IL 66 vom J. 973 und ist, einen Zusatz ausgenommen, demselben wörtHch gleich. Urkundet nun Otto IL auf Bitten dilec- tissimae coniugis nostrae Theophanu nee non cari nepotis nostri Bai- oariorum ducis Heinrici, so thut es Otto III. auf Bitten dilecte matris nostre Th. nee non cari nepotis nostri Karentinorum ducis Heinrici. Es ist nun nicht unmöglich, dass sowohl die Kaiserin als Heinrich der Jüngere im J. 989 nur deshalb genannt worden sind, weil in der Vor- urkunde vom J. 973 Theophanu als Gattin Otto IL und der damals auch über Kärnthen gebietende Heinrich der Zänker als Fürbitter erscheinen. Handelt es sich aber um nochmalige Intervention, so kann sie geraume Zeit vor der Ausfertigung des Diploms stattgefunden haben ^). Und dafür möchte ich geltend machen, dass laut einer Lorscher Urkunde 2) Otto sich mit stattlichem Gefolge am 28. September in diesem Kloster befand, dass aber unter den zahlreichen ihn umgebenden Personen seine Mutter nicht genannt wird. Darf ich es darauf hin als wahrscheinlich bezeichnen, dass sie ihre Reise nach Italien bereits angetreten hatte, so ist und bleibt doch die Hauptsache, für welche ich hier den Beweis liefern wollte, dass der letzte Aufenthalt der Theophanu in Italien sich auf den Winter von 989 zu 990 be- schränkt hat.

') In dieser Beziehung ist auch zu beachten, dass H. d. J. bereits am 5. Oktober 989 (s. Forschungen 15, 164) gestorben ist. Sollte er während eines Aufenthaltes bei Hofe erkrankt und gestorben sein? ^) Cod. Lauresham.

1, 140 no. 83.

Nachtrag zu S. 241. Soeben (März 189l) erfahre ich, dass Boubnov 2, 608 621 die Episteln 155 160 ziemlich ebenso wie ich ansetzt, nämlich zu April bis September 989. Die Wahl Arnulfs lässt er im April 989 stattfinden und unter dem in Epist. 160 erwähnten Ostern versteht er das des Jahres 990.

Die sogeuaiinte Brevis uota über das Lyouer Coucil von 1245.

Von M. Tan gl.

Am 17. Juli 1245 hatte Papst Innocenz TV. vor dem zu Lyon versanimelteu Concil die Absetzung wider Kaiser Friedrich IL aus- gesprochen.

Die unmittelbare Wirkung der Lyoner Sentenz kann kaum als eine tiefgreifende bezeichnet werden. Sie hat keine neuen Parteien und Gegensätze geschaffen, die Eeihen der Anhänger des Kaisers zu- nächst wenig gelichtet; und andererseits war die Erbitterung des Kampfes bereits früher zu einer Höhe gediehen, die einer Steigerung kaum mehr fähig war. Und doch verlieh eine Kette von Ereignissen, die sich im weiteren Verlaufe der Dinge daran knüpften, dem Spruche des Lyoner Concils allmählig eine Bedeutung, die jene der Absetzung Heinrichs IV. weit überragte.

In Deutschland begann fast unmittelbar darauf mit dem Tode des letzten Babeubergers, Herzog Friedrichs des Streitbaren, und Erzbischof Eberhards von Salzburg die allgemeine Verwirrung, ohne dass der Kaiser, der sich ganz in das italienische Parteigetriebe geworfen hatte, ernstlich eingriff. Bald starb er selbst, und ohnmächtige Gegenkönige rangen fortan fruchtlos um Herrschaft und Anerkennung im Reiche. In Italien entschieden zwei Schlaclittage verhänornisvoll wider Manfred und Konradin, die letzten Sprossen aus staufischem Geschlechte ^).

So konnte denn bereits ein Menschenalter später Rudolf von

') Ich bin in Beurtheilunnr des Lyoner Concils wesentlich der Ansicht ge- folgt, welche Ficker in dei" Vorrede zur Neubearbeitung des betreitenden Alt- schnitts der Böhmer'schen Regesten vertritt.

Die ^ogemuinio Hrcvis uota üben- dsis l,_yuiH'r ('oucil von 1245. 247

Eahsburg das Lyoner Concil als den entscheidenden Wendepunkt be- trachten, an den er bei der Neuordnung der Dinge anknüpfte, und mit Kecht hat ein neuerer Forscher die Darstellung der späteren deutschen Geschichte mit der Schilderung der Vorgänge in der Cathe- drale zu Lyon begonnen i).

Dass aber die unmittelbaren Zeitgenossen mit Ausnahme der päpst- lichen Curie den Verhandlungen des Concils nicht jene weittragende Bedeutung beimassen, ist wohl mit ein Erklärungsgi-und für den Mangel an gleichzeitigen Berichten. Von einzelnen verstreuten Bemerkungen abgesehen, kommen nur zwei Quellen in Betracht: Mathäus v'on Paris ^) und die bei Mansi'^) abgedruckte Brevis nota eorum quae in concilio Lugdunensi gesta sunt. Nur letzterer Bericht stammt von einem Augenzeugen ^).

Am eingehendsten hat sich mit ihm bisher Ivarajan bescliäftigt^). Der Verfasser war ein auf dem Concil anwesender Geistlicher, und Karajan ist mit der Art und Weise, wie er seinen Bericht niederschrieb, wenig zufrieden : Statt einer umständlichen, lebendigen Schilderung der einzelnen Vorgänge und Verhandlungeu, wie er sie, zweifellos gut unterrichtet, zu bieten vermochte, eine dürre, trockene Darstellung;

1) Lorenz, Deutsche Geschichte 1, 35. -) Ich henützte die Monunienta-

Ausgabe jener Partie des Mathäus Paris in «8. 28, 74 f. ■■') Collectio s. concil. arapliss. 23, 610—13. *) Schirrmachers Annahme (Kaiser Friedrich U. 4, 388), da,ss Mathäus von Paris selbst auf dem Concil zugegen w;i,r, ist von Liebormann, dem Herausgeber der betreffenden Partie in den Monumenta (SS. 28, 257 A. 4j, wie ich glaube, mit Recht zurückgewiesen worden. Die Lebhaftigkeit der Sprache und Ausführlichkeit der Darstellung dart hierin nicht täuschen. Einzelne An- klänge legen es vielmehr nahe, dass Mathäus die Brevis nota als Quelle benützt habe. Besonders auffallend ist die Wiederkehr einer ganz bestimmten Redensart in beiden. In der Brevis nota heisst es von Thadäus de Suessa, als er sich un- mittelbar vor der Bannungs- und Absetzungssentenz des Papstes erhob, um an einen künftigen Papst und ein allgemeines Concil zu appelliren, »percipiens, ((uod iam securis erat posita ad radicem*. Mathäus aber legt diese Worte, welche die Empfindung des kaiserlichen Vertreters ganz treffend schildern, dem Papste selbst anlässlich der vorberathenden Sitzung in den Mund : ,Sed el hcc nunc, constat, sunt promissn, ut securis iam ad radiccm posita illuso concilio et soluto per dilacioncm avertatur\ Wer das ganze kühl berechnende N'orgehen Innocenz' IV. in der Frage beachtet, wird eine so arge politische Un- geschicklichkeit, wie sie in jener Aeusserimg gelegen hätte, dem staatsklugen l^apste nicht zumuthen. Vonseite des Mathäus scheint hier lediglich ein Fall inigeschickter und dabei tendenziöser Quellenbenützung vorzuliegen, wie denn auch die Verquickung der 1. und 2, Concilssitzung zeigt, dass sich seine Dar- stellung mehr durch rhetorischen Schwung als strenge Gewissenhaftigkeit aus- zeichnet, s) Zur Geschichte des Concils von Lyon von 1245. Denkschrift d. Wiener Akad. d. Wiss. phil. bist. Cl. 2, 67 f. S. 83.

248 Tan gl.

dabei eine unerklärliche Bevorzugung des rein Formelleu, Nebensäch- lichen. Da die Individualität des Verfassers nirgends hervortritt, ergibt sich auch kein Anhaltspunkt zur Feststellung desselben.

Dem gegenüber dürfte es nicht ganz unerwünscht sein, wenn ich aus der Art der handschriftlichen üeberlieferung unserer Quelle ganz bestimmte Anhaltspunkte für den Kreis, dem der Verfasser der Brevis nota augehörte, zu bieten vermag.

Mansi hatte bei seiner Edition Textvarianten aus dem Codex 275 des spanischen Collegs in Bologna beigebracht.

Es ist dies der nämliche Codex, aus dem Merkel seine päpstlichen Kanzleiordnungen veröffentlichte ^). Im Zusammenhange grösserer Ar- beiten über das päpstliche Kanzleiwesen habe ich die Handschrift im Sommer 1889 neu untersucht, und ich kann mich über das Ergebnis um so kürzer fassen, als jüngst Simonsfeld, der den Codex unmittelbar nach mir ebenfalls bearbeitete, darüber eine Abhandlung veröffent- lichte ^), mit der ich mich an anderer Stelle auseinandergesetzt habe 3).

Hier genügt es, das Hauptergebnis meiner eigenen Untersuchung kurz mitzutheilen.

Der Codex 275 des spanischen Collegs zu Bologna ist eine c. 1280 in der päpstlichen Kanzlei entstandene, mithin die älteste bisher nach- weisbare Abschrift des Liber Cancellariae oder Provincialis, wie sein damaliger Titel lautete. Die Sammlung ist in der heute vorliegenden Gestalt unvollständig: sie enthält nicht alle damals überhaupt bereits erflossenen officiellen Verfügungen, aber sie ist andererseits frei von jeder fremdartigen Beimischung.

Auf den Diöcesaukatalog folgen zunächst Formeln, die sich mit den bei Erler veröffentlichten im grossen und ganzen decken.

Als letzte derselben steht p. 82 unter der Aufschrift: Mandatur metropolitanis, quod veniant ad concilium et citent suffraganeos et eorum capitula ad illud das Einberufungsschreiben an die Erzbischöfe zum Lyoner Concil ^). Daran reiht sich p. 83 85 die Brevis nota &) ; f. 86 88 sind leergelasseu, und mit p. 89 setzen, dann die von Merkel herausgegebeneu Consuetudines cancellariae ein.

0 Archivio storico Italiano App. 5, 129 f. Merkel wies 8. 131 auch bereits darauf hin, class der Codex »fragmenta actorum* über das Lyoner Concil ent- halte. '-') Sitzungsberichte der bair. Akad. d. Wissensch. 1890, 2, 218 f. 'S. 223 erwähnt er auch die Aufnahme der Brevis nota in diesen Codex. •■') Mitth. 12, 187 f. *) Mansi 23, 608 an den Erzbischof von Sens. Potth. 11493, Berger, Reg. 1, 207 No. 1354. •'>) Ich behalte diese Bezeichnung, die durch Mansis Edition noch allgemeine Geltung geniesst, bei; doch scheint sie ganz willkürlich gewählt; denn die Bologneser und die gleich unten zu erwähnende Vatikauische Handschrift enthalten unsere (Quelle ohne jede Ueberschrift.

Die sogenannte Brevis nota ül^er das Lyoner Concil von 1245. 249

Daraus ergibt sich der nalieliegende Schluss, dass auch die Brevis uota in der päpstlichen Kanzlei entstanden sei und dass sie mit allen übrigen Eintragungen auch den officiellen Charakter gemein habe. Aus dieser Entstehungsart erklärt sich aber auch das von Karajan beanstandete Ueberwiegen des rein ceremoniellen Details, dem der hierin eingelebte Hofbeamte eine unverdieut hohe Bedeutung beilegen mochte, während es für jeden anderen Concilstheiluehmer gewiss höchst gleichgiltig war, wo beim Concile die päpstlichen Notare und der Cor- rector der päpstlichen Bullen sasseu.

Welchen Wert man aber gerade in den Kreisen der päpstlichen Kauzlei auf die Feststellung der Kangordnung innerhalb der anderen Curialen legte, ersieht man an besten daraus, dass die in der Brevis nota erwähnte Thatsache iu den Consuetudines cancellariae bereits zum Gesetz tjemacht ist:

Merkel 1. c. 135 I, 4 = Erler, Lib. canc. 135: et debet vicecan- cellarius et deinde notarii auditor contradictarum et corrector sedere post presbiteros cardinales, quando dominus papa celebrat, quibus- cunque prelatis post seden- t i b u s.

Brevis nota: alii principes laici sederunt ad si- uistram et diaconi cardinales vice- cancellarius magister Marinus Nea- politanus cum notariis auditore contradictarum correctore capella- nis subdiaconis et quibusdam aliis. Inferius vero sie prelati sederunt:

An Stelle der Oardinaldiakonen sind in den Consuetudines can- cellariae die Cardinalpriester getreten ; das Wesentliche ist aber beiden Aufzeichnungen gemeinsam: Vicekanzler und Notare und der mit letzteren rangsgleiche Auditor contradictarum uud Corrector litterarum apostolicarum haben bei feierlichen Anlässen vor den Prälaten den Vortritt.

Der Zweck der Abfassung dieses officiellen Berichtes und seiner Eintragung ins Kanzleibuch, ist nicht schwer zu ermitteln.

Man war, um mich der eigenen Worte der Brevis nota zu be- dienen, an der Curie entschlossen, die Axt an die Wurzel zu legen, und hatte zu dem Entscheidungskampfe ganz umfassende literarische Eüstungen getroffen. Alle Urkunden, aus denen sich Ansprüche der Päpste wdder das Kaiserthum ableiten Hessen, waren bereits zu Kom sorgfältig gesammelt worden; denn dass man erst in Lyon auf den Gedanken kam und glücklicherweise das ganze päpstliche Archiv zur Hand hatte, ist wohl nicht anzunehmen. Die Urkunden wurden dann in Lyon traussumirt, den versammelten Vätern vorgelegt und die Traussumpte beglaubigt. Hatte dies den Zweck, die Berechtigung der

250 Tan gl.

erliobent'ii Aiisprüche inul des eingeleiteten Verfahrens /u beweisen, so galt es noch, das Concil selbst als ein allgemeines, das Vorgehen des Papstes auf demselben als gesetzmässig und unparteiisch zu ver- fechten.

Auch diese Aufgabe fiel der päpstlichen Kanzlei zu, welche wohl auch mit der Sammlung und Transsumirung der Urkunden ])etraut worden war und so an dem Verlaufe des Concils regen Antheil ge- nommen hatte.

Es ist noch immer eine offene Frage, in welchem Umfange die Einladungen zum Concil ergiengen. Erhalten sind uns bekanntlich nur äusserst wenige, und auch Bergers Ausgabe des Kegisters hat uns hierin nicht weiter gebracht.

Sicher waren viel mehr Einberufungsschreiben erflossen; und die Eintragung der Einberufung an die Erzbischöfe als Formel ins Kanz- leibuch würde allerdings den Schluss nahelegen, dass sie an alle ge- richtet war. Wahrscheinlich hat auch diese Verallgemeineruug des Briefes zur Formel die weitere Aufzähhmg der Adressaten im Kegister überflüssig erscheinen lassen i).

Das Concil als allgemeines und rechtmässiges zu erweisen ist auch der nächste Zweck der Brevis nota: Patriarchen aus dem Osten und Westen, Erzbischöfe und Bischöfe und Vertreter der christlichen Fürsten haben sich eingefunden; auch der Vertreter des Kaisers Friedrich fehlt nicht; in allen Gebeten und Formeln der EröflFnung wird das übliche Cereraoniell strenge gewahrt.

In der Schilderung der Verhandlungen selbst tritt ein unleugbares Streben nach Obiectivität hervor. In dürrer, trockener Sprache, die in vollstem Gegensatze steht zu dem leidenschaftliclien Tone der vStreit- schriften, in denen sich beide Parteien unmittelbar nach dem Concile liekäuipften =^). werden die Verhandlungen erzählt, jedes scharfe Wt)rt wird ängstlich vermieden. Papst lunocenz IV. ersclieint als der echte Wahrer voller Unparteilichkeit. An letzter Stelle erwähnt er in der

') üeber die geringe Zahl der Einberuiuiigsschreiboii, vgl. Schirrniacher 4, 110 f., 389. Im Register begegnen mit demselben lnci])it ,Dei virtns* nur iiocli Berger No. l;i55, capitulo Senensi und No. 1356 illustri regi Francie; bei l'otthast ausserdem noch No. 114.97 abbatibus et prioribus exeiuptis per Angliam No. 11498 capitulo Salzburgensi und No. 11521 abbatibus et prioribus per An- gliam constitutis; verschieden davon ist das Incipit der 4 an die Kardinäle er- haltenen Schreiben, l'otthast No. 11523. Die Citation zum Lyoner Concil ist als Formel auch eingetragen in die Ann. Piacentini Gibellini SS. 18, 488. Hec est fonua citationis domini pape que dirigitur ecclesiarum prelatis et principibus universis pro concilio celebrundo. -) Vgl. Schin-macher 4, Ibl 1".

Die sogenannte Brevis nota über da^i L.voner Cuncil von 1245. 2?)l

Eröft'nungsrede erst die Streitsache mit dem Kaiser, währeud sie ja doch den eigentlichen Grund zur Berufung des Concils bildet, während sich die Debatte der zweiten Sitzung ausschliesslich um sie dreht. In der zweiten Sitzung widersteht er standhaft dem Andrängen eines spanischen Erzbischofs, sofort gegen den Kaiser vorzugehen, obwohl ihm jener die volle Unterstützung der auf dem Concil besonders zahl- reich erschienenen spanischen Nation zusichert ; und zum nicht geringen Aerger vieler Prälaten gibt er dem Antrag des kaiserlichen Vertreters Thadäus von Suessa auf Verschiebung des Urtheilsspruches und An- beraumung einer neuerlichen Sitzung statt. Andererseits vrird des eben erwähnten kaiserlichen Gesandten in durchaus wohlwollender, achtungs- voller Weise gedacht. Der günstige Eindruck, den seine Vertheidiguugs- rede in der ersten Sitzung auf die Versammelten übte, wird ganz unverholen zugestanden ^).

Und als der Verfasser, den wir wohl im Kreise der päpstlichen Notare zu suchen haben dürften, seinen Bericht damit beendete, dass die schliessliche Fällung des Bannfluches und der Absetzung den Con- cilsvätern eigentlich ziemlich unverhofft und verblüffend kam ''^), fand es der in die Verhandlungen hinter den Coulissen besser eingeweihte Vicekanzler, bevor er die Erlaubnis zur Eintragung ins Kanzleibuch gab und den Bericht dadurch zum officiellen stempelte, für nöthig, folgende Erklärung anzufügen: Sed est diligenter attendendum, quod papa in illis diebus consilium petierat singulariter a prelatis, utrum posset vel deberet procedere per ea que manifesta fuerant contra eum, et quantum ad depositionem eins omnes concordarunt ; et statim ipsi sententie que scripta erat sigillum cuiuslibet faciebat apponi, ita quod in prolatione sententie C et L sigilla ipsi sententie fuerant appensa.

So erklärt es sich, dass sich dieser Zusatz nur im Liber Caucel- lariae findet, in den übrigen Fassungen aber fehlt. Die Brevis nota hatte nämlich auch selbstständige Verbreitung erlangt.

So fand ich auf einer einzelnen Pergaraentlage des Cod. Ottob, lat. 2520, eines bunten Samraelbandes von vielerlei Fragmenten, die Brevis nota über das zweite und darauf die über das erste Lyoner Concil in einer Schrift, deren Charakter sich mit dem der Registci'- schrift des ausgehenden id. Jahrli. völlig deckt, ein Zeichen, das.s man sie in der päpstlichen Kanzlei auch unabhängig vom Kauzleibuche abschrieb und verbreitete.

'1 Mansi 1. c. : Mirabiliter excusare videbatnr imperatoreiii : . . . ct. miiltis eins responsio fuit grata. -) L. c. Ita quorl vix credelnitur ab aliquibus, quod aliquam deberet ferre sententiam contra enm.

252 Tang].

So kam diese Relation über das Lyoner Concil von Rom auch in das nahe Cesena und fand hier in den Annalen dieses Städtchens wörtliche Aufnahme i).

Einen andern vom Cod. Bononiensis und Ottobonianus mehrfach stark abweichenden Text hat Mansi seiner Ausgabe zugrunde gelegt, während er die Lesearten der ihm bekannten Bologneser Handschrift nur ganz ungenügend benützte ^).

Es erübrigt noch, einer mit unserer bisher besprochenen enge verwandten Quelle, der Brevis nota über das zweite Lyoner Concil, einige Aufmerksamkeit zu schenken '^). Sie deckt sich mit ihr in der ganzen Art der Darstellung und der ruhigen, nüchternen Sprache, ist aber ausführlicher und bringt noch genauere Angaben über das be- obachtete Ceremoniell. Vicekanzler und Notare sind anlässlich der Sitzordnung nicht erwähnt, wohl aber S. 64, wo von dem Empfang der griechischen Gesandten gesprochen wird: Omnes prelati qui erant in concilio cum familiaribus suis, camerarius cum tota familia papae, vicecancellarius et omnes notarii ac omnis familia cardinalium .exiverunt eis obviam.

Lässt schon die bis ins kleinste Detail gehende Aufzählung aller beobachteten Formen erkennen, dass der Verfasser Augenzeuge war, so ergibt sich aus der Erwähnung von Vorgängen in den Versamm- lungen der Prälaten und Nationen und in den Sitzungen des Con- sistoriums ^) der Schluss, dass er einem Kreise angehörte, der über die gesammten Verhandlungen wohl unterrichtet war.

In der handschriftlichen üeberlieferung besteht zwischen beiden Quellen allerdings insoferne ein bedeutender Unterschied, als diese zweite Brevis nota in der Copie des Kanzleibuches fehlt. Nun ist der Bolo- gneser Codex nachweislich unvollständig; doch es wäre eine müssige Streitfrage zu untersuchen, ob die Eintragung auch in der Original- Handschrift unterblieb, ob sie bei der Abschrift übergangen wurde

') Muratori SS. 14, 1098 f. Die Lesearten bei Muratori decken sich genau mit jenen des Cod. Ottob. ^) So ist S. 612 das sinnlose antequam ad festum

accederetur beatae Mariae virginis gloriosae ordinavit octavam im Text bei- behalten, -während Mansi doch die verständige Leseart des Cod. Bonon. kannte: antequam ad sententie prolationem accederet, nativitati beate virginis gloriose ordinavit octavam. S. 612 letzte Z. stört das unverständliche appellaret statt appellabat. Manches ist auf reine Lesefehler zurückzuführen; so stimmt das Concil zum Schlüsse nicht der dispositio sondern der depositio imperatoris zu. Den Plan, meinen kurzen Erörterungen selbst eine Ausgabe anzufügen, habe ich fallen gelassen, da ich der Meinung bin, dass unsere Quelle neben und vielleicht auch vor anderen Dingen ihren Platz in den Monumenta verdiene. ») Mansi

24, 61—68. ") Mansi 1. c. 66.

Die sogenannte Brevis nota über das Lyoner Concil von 1245. 253

oder ob die betreffende Lage uns nicht erhalten ist. Sicher ist, dass sich der officielle Charakter dieser Quelle nicht in dem Masse wie von der Brevis nota über das erste Lyon er Concil erweisen lässt. Dass aber auch sie aus der päpstlichen Kanzlei hervorgegangen ist, dass man dort in Nachahmung des Vorganges von 1245 auch über das zweite Lyoner Concil tagebuchartige Aufzeichnungen führte, die uns eben in der zweiten Brevis nota vorliegen, möchte ich nicht bezweifeln. Dafür spricht auch der schon oben hervorgehobene Umstand, dass im Cod. Ottob. lat. 2520 beide Quellen vereint in päpstlichen Kanzleischrift des ausgehenden 13. Jahrh. stehen ^).

1) Die neueste von Carini besorgte Ausgabe der Breves notae über die beiden Concile von Lyon [Spicilegio Vaticano di documenti inediti e rari, 2. Heft: vgL N. A. 16, 439] war mir nicht zugänglich; ich muss es deshalb auch dahin- gestellt sein lassen, ob ihr der von mir mehrfach genannte Codex Ottobonianus oder andere Handschriften der Vaticana zugrunde gelegt sind.

Ueber die Beziehungen

zwisclieii englisclien und böliiiiischen Wiclifiteii

in den

beiden ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts.

Von

J. Loserth.

Während man heute aus den Schriften des Hus, seiner Anhänger und Gegner den Einfluss genau ermessen kann, den die engHsche Keformbewegung am Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts auf Böhmen genommen, ist man über viele Einzelnheiten in Bezug auf die Ausbreitung des Wiclifismus in Böhmen immer noch im Un- klaren. So lässt sich beispielshalber aus den bisher verööentlichteu Quellen über die Persfmlichkeiten, die den literarischen Verkehr zwi- schen beiden Ländern vermittelt haben, nur weniff Sicheres feststellen. Mau kennt nicht einmal die Namen jener böhmischen Studenten, die sich in den Jahren 1382 1394, in denen eine Schwester Wenzels von Böhmen englische Königin war, zweifellos in grösserer Zahl in Oxford eingefunden haben, da die amtlichen Aufzeichnungen daselbst nur bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts zurückreichen '). Die folgenden Blätter haben den Zweck, wenigstens eine der vorhandenen Lücken auszufüllen; als besonders werthvoll wird man den unten mitgetheilten Brief des Führers der englischen Wiclifiten Sir John Oldcastle's, Lord Cobham an seine böhmischen Gesinnungsgenossen anzusehen haben. Bevor wir jedoch auf diese Punkte näher eingehen, mögen noch einige Worte über die literarischen Beziehungen Böhmens zu England seit der Errichtung der Prager Universität angemerkt werden. Dass solche Beziehungen vorhanden waren, ist im Allgemeinen bekannt: es darf

<) Wie ich .-iiwr MiHli«Mliiii;r ,j,.s lirkaimirn Wi.litlnisrli.Ts F. D. MmUIu-w enineluiii:.

Ueber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiten. 255

hier nur au das Statut der Prager Universität erinnert werden, nach welchem die Schriften der bekannten Pariser und Oxforder Professoren auch an der Prager Universität frei vorgetragen werden durften. Die Schriften eines Occam, Kobert Grosseteste, Fitz Ralph u. a. fanden denn auch in Böhmen fi'ühzeitig Verbreitung, um so leichter, als ein- zelne der Lehrer au der Prager Universität ihre Studien in Oxford gemacht und jene Schriften von da in die Heimat mitgebracht haben dürften i).

Unter den älteren Reformfreunden in Böhmen kann man mit einiger Sicherheit von dem Magister Adalbertus Ranconis de Ericinio sagen, dass er in Oxford studiert und vielleicht auch gelehrt hat -). Jedenfalls blieb er mit einflussreichen Männern Englands in näheren Beziehungen. Ob er solche auch zu Wiclif gehabt, lässt sich aus den bisher bekannt orewordenen Materialien nicht ersehen ; wohl aber stand er im Verkehr mit dem bekannten englischen Theologen Fitz Ralph, dem späteren Erzbischof von Arraagh und eifrigen Gegner der Bettel- mönche. Im Besitze des Ranconis befand sich unter anderen Büchern, über die er in seinem Testamente zu Gunsten des Klosters Bfewnow verfügt hat, auch eines, welches er, wie ich an einer anderen Stelle betont habe, wahrscheinlich von Fitz Ralph selbst erhalten hat ^). Auch von einem anderen Gesichtspunkte aus leiten die Spuren dieses Mannes nach England hinüber: er machte nämlich, als er 1388 starb, für Jünglinge, die väterlicher- und mütterlicherseits Böhmen (Tschechen) sein mussten und sich in Paris oder Oxford dem Studium der 1'heologie oder der freien Künste widmen wollten ^), eine ziemlich bedeutende Stiftung •^). Es ist darnach nicht unwahrscheinlich, dass jene

') An der Prager Universitätsbibliothek befanden sich in der Zeit der hus. Bewegung die Dicta Lincolniensis, die Logik Occams, Ti-actatus Anglici Torper, die Quefitio magistri Richardi Strode, Ardmachani, Contra fratres monachos, .Scriptum super Apocalypsim cniusdam Anglici, ein (juodlibetum disputatum Oxonie, endlich die zahlreichen Schriften Wiclif s, Pavnes, Wodefords etc. s. dar- über unten. -) In einer Streitschrift des Erzbischofs Johann von Jenzenstein heisst es : Gloriaris te demum, in Oxoniensi pariter et Parisiensi studiis nulluni tibi errorem impositum ad revocandum aliquem articulum. ') Cod. 1430 der Wiener HofViibliothek fol. !•> in marg. : Iste est über magistri Ranconis de Eri- cinio in Boemia. Et fuit reverendi domini Ricardi primutis Vbernie doctoris eximii sacre tlieologie, quem i^isemet dominus Ricardos composuit contra ft-atres men- dicantes in curia Romana ad instanciam Clementis pape VI. Vgl. Mitth. des Vereins für Gesch. der Deutschen in Böhmen 23, 292. •*) Medizin und Jus waren ausdrücklich ausgeschlossen: studere volentibus I'arisius vel Oxonie in Auglia, tautum in sacra theologia et in artibus libtralibus, nun autem in medicinis nee in aliquibus aliis facultatibus. ^) Florenos ducatos ducenios cum quinquaginta, item florenos Ungaricales trecentos «um viginti tribus, item

256 L 0 s e r t h.

Studierenden, die wir mit Hieronymus von Prag oder Georg von Kuielinitz und Nicolaus Faulfisch in den nächsten Jahrzehnten als Studierende in England finden, aus den Mitteln der Kanconisstiftung ihren Unterhalt daselbst beatritten haben. Die Stiftung des böhmischen Gelehrten muss als eine sehr zeitgemässe bezeichnet werden, denn der Verkehr zwischen England und Bcihmen gestaltete sich zu einem be- sonders lebhaften, seit Wenzels Schwester, Anna von Luxemburg, die Gattin des englischen Königs Richard II. geworden und mehrfache Gesandtschaften zwischen den beiden Ländern gewechselt wurden ^). Diese Heirath, welche am 14. Jänner 1382 abgeschlossen wurde, hat, wie schon Pauli bemerkt hat -), die Ueberführung der zur Reife ge- deihenden reformatorischen Ideen nach Böhmen beschleunigt. Unter den ersten Gesandten, die nach England giengen, befand sich auch Peter von Wartenberg ^) : es ist vielleicht kein Zufall, dass unter den Hauptträgern des Wiclifismus in Böhmen zwei Jahrzehnte später wie- der ein Mitglied des Wartenbergischen Hauses erscheint, eben jener Zdislaw von Zwierzeticz, an den der unten mitgetheilte Brief des Sir John Oldcastle gerichtet ist. Die Königin Anna hatte ein stattliches Gefolge aus Böhmen mitgenommen und behielt dieses bei sich zum lebhaften Missvergnügen der Engländer, welche ihm die reichen Ge- schenke, die ihm gegeben wurden, neideten^). Nachdem diese Böhmen, sagt Walsingham, die Annehmlichkeiten des englischen Lebens gekostet, vergassen sie ihres eigenen Heimatlandes und wollten nimmermehr dahin zurückkehren. Leider sind uns die einzelnen Namen der Mit- glieder dieses Gefolges nicht überliefert; wir erfahren nur, dass sich selbst in den Diensten vornehmer Engländer in jenen Jahren einzelne Böhmen befanden ^). Die bekannte Lancekrona, die Walsingham die

florenos Franconicos quindecim, quos floreiios prenomiuatos statim ibidem paratos et numeratos in summa predicta dedit eine für jene Zeit sehr beträchtliche Summe. S. Mitth. des Vereins für Gesch. der Deutschen in Böhmen 17, 210.

') Siehe hierüber Höfler, Anna von Luxemburg, S. 43. Lindner, Gesch. des deutschen Reiches unter König Wenzel 1, 118. ^) Gesch. von England 5, 539. ') Haupt der Gesandtschaft war der Herzog Przemysl von Teschen, neben ihm fungirte ausser Peter von Wartenberg noch Konrad Kragyrz. Der Herzog von Teschen und seine Begleitung wurde vom englischen König reich beschenkt. Peter von Wartenberg erhielt einen Jahrgehalt von 250 Mark. Zu den Beschenk- ten gehörten noch Bofivoy von Swinar, Sifrid Foster, Konrad von Ridburg und Krag}TS Sohn Leopold. Zu beachten sind wohl auch die einzelnen Namen der Personen, die sich an dem Abschluss des Vertrags zwischen England und Böh- men betheiligten ; zu ihnen gehören Zdenko von Waldstein, ein Verwandter des unten genannten Wok von Waldstein, und Botho von Czastalowicz, der später ein eifriger Hussite war. ■•) Walsingham Historia Anglicana 2, 97, 119. ^) Höfler 1. c. 83.

Ueber die Beziehungen zwisclien englischen u. böhmischen Wiclifiten. 257

Tochter eines Sattlers uennt, ist wie man neuestens richtiger vermuthet hat, wohl die Landgräfin von Leuchtenburg, die in Auna's Gefolge nach England kam, wo sie den Herzog von Irland, Richards Günstling, geheirathet hat ^).

Die Böhmen, die somit in ziemlicher Anzahl in England erschienen, fanden dieses in heftiger, religiöser und politisch-socialer Erregung. Zwar giengen gerade damals mächtige Schläge auf die Wiclif'sche Partei nieder, ohne dass diese aber hiedurch erheblich geschädigt, ge- schweige denn vernichtet worden wäre. Vielmehr stand nicht blos ein Theil des höheren Adels, sondern auch ein grosser Theil des Volkes auf Seiten Wiclif's und so konnte dieser unangefochten bis an seinen Tod (1384) in seiner Pfarre Lutterworth wirken. Es ist wohl kein Zweifel, dass gerade Wiclif's Schriften aus seineu letzten drei Lebensjahren zu den kampfesmuthigsten gehören, die er {überhaupt veröffentlicht hat. Ueber seinem letzten Werke, welches auch nicht zu den massvollsten zählt, dem Opus evangelicum, ist er gestorben. Seine Partei war durch diesen Schlag keineswegs, wie man so häufig gemeint hat, vernichtet: das Lollardenthum machte vielmehr zunächst noch weitere Fortschritte.

Die Beziehungen zwischen England und Böhmen erlitten auch durch den Tod der Königin Anna (1394) keine Aenderuugen. Wir erfahren beispielshalber noch zum Jahre 1398, dass sich ein böhmi- scher Ritter Jacob Polin oder Felin im Dienste des Herzogs von Nur- folk befindet.

Den zunehmenden literarischen Verkehr Englands mit Böhmen kann man aus der grossartigen Verbreitung Wiclif 'scher Schriften in Böhmen seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts erkennen. Zuerst (wahrscheinlich noch in den Achziger, sicher aber in den Neunziger Jahren) gelangten die philosophischen Schriften Wiclif s nach Prag. Der Zeitpunkt, wann die ersten theologischen Schriften Wiclif's in Böh- men verbreitet wurden, lässt sich nicht vollkommen oenau bestimmen. Vielleicht sind sie erst durch Hieronymus von Prag dahin gekommen, der kaum vor 1399 ins Ausland gieng. In England hörte er nach seinen eigenen Geständnissen auf dem Concil, dass Wiclif ein Mann von gründlicher Bildung und ausgezeichnetem Geiste gewesen; daher schrieb er den Trialog und Dialog ab, von denen er Handschriften erlangen konnte, und brachte sie nach Prag. Dass dies wahrscheinlich 1401 oder 1402 erfolgt ist, wurde au anderer Stelle erwiesen -), Im

') Mon. Evesham. \). 84. Höfler a. a. 0. 101. -) Siehe meinen Hus mul

Wiclif 8. 80.

Jlittheiluugen XU. 17

258 L 0 s e r t h.

Gebrauche der Studierenden an der Präger Universität befanden sich (vielleicht ^) schon vor dem Jahre 1409) folgende Schriften Wiclif 's : 1. Super deceni precepta, eine Schrift, die heute zu den verlorenen Schriften Wiclifs zu zählen ist. Ich habe ihre Spur in dem von mir aufgefundenen ältesten Katalog der Prager Universitätsbibliothek ent- deckt. 2. De Veritate S. Scripturae. 3. De Corpore Christi. 4. Meta- physicorum libri, eine Schrift, die gleichfalls verloren ist. 5. De Universalibus. 6. De Hypotheticis. 7. De Probationibus Propositionum. 8. De Ideis. 9. De Materia et Forma. 10. De Individuacione. 11. De Composicione Hominis. 12. Insolubilia. 13. Tractatuli WiclejßF logice (sie). 14. De Simonia. 15. Sermones. 16. Pastorale. 17. Kespon- siones ad multa. 18. De Solucione Satane. 19. De Fundacione Sec- tarum. 20. De quatuor Sectis novis, 21. Kesponsioues ad 44 con- clusiones monachales. 22. De Septem Donis Spiritus Sancti, 23. De quinque conclusionibus. 24. De Dominio civili. 25. De potestate cleri (richtiger pape). Damit ist die Reihe der in Böhmen bekannten Schriften Wiclifs noch lange nicht erschöpft ; denn eine weitaus grössere Zahl befand sich in Privatbesitz. Unter den (10) am IG. Juni 1410 in Prag verurtheilten Schriften Wiclifs finden sich mehrere, die in dem Bibliothekscatuloge nicht genannt werden, nämlich 1, De Triplici vinculo amoris. 2. De Ecclesia. 3. De Absolucione a pena et a culpa. 4. De Christo et suo adversario Antichristo. 5. De Ordinibus ecclesie. 6. Ad Argumenta cuiusdam emuli veritatis. 7. De Fide catholica. 8. De Imaginibus und 9. De Dissensione paparum -).

Auch damit ist die Zahl der in Böhmen im Jahre 1410 ver- breiteten Schriften Wiclifs noch lange nicht erschöpft. Aus einem in einer Wiener Handschrift erhaltenen Kataloge von Wiclif scheu Schriften ersieht man, dass man von solchen um das Jahr 1410 nicht weniger als neunzig kannte und dabei wird noch ausdrücklich bemerkt, dass sich in Böhmen noch viele andere Werke Wiclifs finden ^). Es fragt sich, wann diese Schriften nach Böhmen gelaugt sind. Als Hierony- mus von Prag in seine Heimath zurückkehrte, brachte er seinem eigenen Eingeständnisse zufolge nm- den Trialog und Dialog dahin. Die Mehrzahl der sonstigen Schriften Wiclif 's ist zweifellos von anderen Böhmen in ihre Heimath gebracht worden und da begegnen uns zu

') Wenigstens einzelne dieser Schriften waren schon vor 1409 daseibat vorräthig. '^) Vgl. meinen Huss und Wiclif, S. 114. ^] Die Kataloge

Wiclif scher Schriften sind neuestens abgedruckt in Buddensieg's Ausgabe der lateinischen Streitschriften Wiclifs. Vgl. auch Shirlej', A. Catalogue p. 56—63 und Hus und Wiclif p. 115.

Ueber die Beziehungen zwischen englischen ii. böhmischen Wiclifiten. 259

den Jahren 1406 und 1407 zwei Namen, von denen der eine bisher ganz unbekannt gewesen ist.

In diesen Jahren weilten die beiden böhmischen Studenten Nico- laus Faulfisch und Georg von Kniehnicz in England. Eifrig mit dem Studium Wiclif 'scher Werke beschäftigt, schrieben sie einzelne von diesen eigenhändig ab. Aus einer Marginalnote zu dem Cod. 1294 der Wiener Hofbibliothek sieht man, dass sie sich am Vortage des Festes Maria Keinigung 1407 mit der Correctur des Traktates De Veritate Sacrae Scrip- turae beschäftigten. Sie nahmen dann die Abschrift von De Ecclesia in Angriff und zwar schrieben sie dieses Werk zu Kenmerton ab, einer kleinen Ortschaft bei Tewkesbury in Worcestershire, einer Gegend, die be- kanntlich zahlreiche Anhänger Sir John Oldcastle's hatte i). Der Traktat De Dominio Divino wurde von ihnen zu Braybrook in Northampton- shire geschrieben 2). Faulfisch ist bekanntlich derselbe, der auch das Zeugniss der Universität Oxford vom 5. October 1406 nach Prag über- brachte, in welchem die ßechtgläubigkeit Wiclif s bestätigt wurde 3). Von diesem Zeugnisse erzählte Hus seinen Gläubigen von der Kanzel herab und brachte auch sonst aus den Erinnerungen dieses Nicolaus Faulfisch manches zum Vortrag, wie z. ß. die artige Anekdote vom Erzbischof und dem Koch ■^). Ausser den Wiclif sehen Schriften brachten die beiden auch ein Stück Stein von dem Grabdenkmale Wiclif s mit nach Prag, das dort als theure Reliquie verehrt wurde ^). Nicolaus Faulfisch war 1415, als auf dem Coucil von ihm geredet wurde, schon todt: er sei, sagte Hus, irgendwo zwischen Spanien und Englaud ge- storben. Darnach dürfte er wohl noch eine zweite Reise nach England unternommen haben.

Des zweiten Studenten konnte sich Hus während des Verhöres in Constanz nicht mehr entsinnen. Wir würden seinen Namen nicht kennen, wäre nicht die oben erwähnte Marginalnote vorhanden. Im Jahre 1408 weilte Georg von Kniehnicz wieder in Prag, woselbst er an der Universität als Lehrer fungirte. In der Geschichte der husiti- schen Bewegung hat er weiterhin keine Rolle mehr gespielt. Aus seinem Genossen Nicolaus haben spätere Chronisten in offenbarer Verwechslung seines Namens mit jenem des Hieronymus von Prag, einen Hieronymus Faulfisch gemacht und behauptet, dass dieser die ersten Schriften Wiclif s nach Pra<r überbracht habe.

') Vgl. meine Ausgabe von Wiclifs De Ecclesia p. 47 und Einleitung p. XVII. '^) Johannis Wyclirte, Tractatus De Civili Dominio p. XI. s) Vgl. hier- über meinen Hus und Wiclif S. 80 und Lechler, Johann von Wiclif 2, 71. *) Documenta magistri Job. üus 729 (in lat. Uebersetzung). ") Doc. p. 313.

17*

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Von grossem Interesse ist ein Brief, den ein Engländer im Jahre 1410 von London aus an Hus gerichtet hat und in welchem er die Verfolgungen, denen die Bekenuer der Wahrheit seitens des Wider- christes (des Papstes) ausgesetzt seien, lebhaft beklagt und ihnen Trost zuspricht. Hus, der ihm zwar persönlich, nicht aber in Bezug auf Glaube und Liebe, die kein Zwischenraum zu trennen vermag, unbe- kannt sei, möge nur fortfahren in der Grnade, die ihm gegeben sei, und ohne Furcht vor den Blitzstrahlen des Antichrists gegen diejenigen, welche die evangelische Wahrheit verkünden. Er freut sich über die Standhaftigkeit der Böhmen, die für Christi Wort Kerker, Verbannung und selbst den Tod gern ertragen. Mit einem Gruss an Hus und dessen Helfer Jacobeil schliesst das Schreiben: Es grüssen Euch alle Freunde, die von Eurer Standhaftigkeit vernommen haben. Ich wünschte eine Autwort von Euch zu hören, denn Ihr möget wissen, dass uns diese nicht wenig zum Tröste gereichen würde.

Der Schreiber dieses Briefes wird in den Handschriften verschie- den genannt. In einigen wird nur sein Vornahme ßichardus angegeben ; im Codex bibl. universaUs Prag. III G. 11 lautet die üebersclirift : Gesta cum EichardoWycz presbytero in Anglia. Der Codex X H. 12 nennt ilm fälschlich Richardus Wigleph, infimus sacerdotum i). Hus nennt ihn in seinem Antwortschreiben den Mitarbeiter des Magisters Johannes •Wiclif in der Verkündigung des Evangeliums (magistri Johannis Wy- kleff consocius in evangelio). Ist dies der Fall, so muss dieser Wiclifit schon ein älterer Mann gewesen sein, da ja Wiclif schon seit 26 Jahren todt war; dann hätten wir wahrscheinlich in Richardus Wycz Richardus Wyche zu sehen, einen Priester der Diöcese Her- ford, der in seineu letzten Lebensjahren seines Glaubens wegen viel erduldet hat. Wir kennen von ihm einen doppelten Widerruf (Shirley, Fasciculi zizanniorum S. 370, 500) und erfahren daraus, dass er vor- nehmlich gegen die Bilderverehraug, gegen die Excommunicationen seitens der Päpste, gegen die Leistungen von Geldern an die Geist- lichkeit, gegen die geistlichen Orden und für die unbedingte Gleichheit aller Priester eingetreten ist. Richard Wyche wurde 1431 als rück- fälliger Ketzer verurtheilt und (wahrscheinlich 1431) verbrannt^).

Der Brief dieses Richardus Wycz ist auch sonst noch interessant, denn schon aus den einleitenden Worten lässt sich erkennen 3), dass

') Also nicht infirmus sacerdotum, wie Höfler, Geschichtschr. d. hus. Be- wegung 2, 212, liest. ■) Vgl. Lechler, Johann von Wiclif 2, 351. ^j Gavisus sum valde venientibus mihi diiectissimis fratribus et testimonium perhibeutibus veritati vestre, quomodo et vos in veritate ambulatis. Ich füge hier einige textliche Correcturen des vorletzten Satze« an: l'Uerius dilectissimi

Ueber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiteu. 2i) 1

der Verkehr zwisclien den Wiclifiteu beider Länder ein reger gewesen. Dem Wunsch des Engländers nach einer Antwort entsprach Hus sehr gern. Er erzählt ihm, dass er über dieses Schreiben in einer Predigt vor 10000 Menschen gesprochen habe. Der Brief hat ihm eine ausser- ordentliche Stärkung geboten. Und wenn ich, sagte er seiner Gemeinde, keine andere Schrift hätte als diese : ich würde für Christi Evangelium gern mein Leben opfern. , So sehr aber erbauten sich die Gläubigen au diesem Briefe, dass sie mich baten, ich möchte ihn ins böhmische übersetzen. Die Uebersetzung findet sich auch noch in Handschriften (Cod. univ. Prag. IIL G. 16) vor. Mit einem Grusse der böhmischen Kirche an die englische schliesst das Antwortschreiben ^).

Jeue „sehr geliebten Brüder", die dem Lollarden Kichard die tröstliche Kunde von der Standhaftigkeit des Hus überbrachten also wohl böhmische Wiclifiteu, dürften wohl dieselben gewesen sein, die im Jahre 1410 eine Eeihe von Flugschriften aus England nach Prag überbrachten: die Nova Scocie, wie ihr Titel lautete. Sie sind im Cod. univ. Prag. X. E. 24 enthalten und finden sich auch sonst noch in Handschriften vor: Es ist, heisst es daselbst, ein Eitter, Na- mens Quintinus Folkhyrde (Volkshirte), der in der Sache Gottes mit bewafiiieter Hand sich erhebt, durch alle Länder reitet und in der Sprache des Volkes öffentlich das, was nun folgt, verkündet und die einzelnen Stücke (in data et divisa per cedulas) auf Zetteln einem jedem austheilt, der die Hand darnach ausstreckt 2). Der erste dieser Zettel handelt ganz im Wiclif sehen Sinne (meist in wörtlicher üebereinstimmung) von der Kirche und ihrer Gliederung. Die dritte Abtheiluncf in der Kirche bilden die Priester; diese leben nicht arm wie die Apostel, sondern in Ausschweifungen jeglicher Art und be- trügen die Armen, denen sie das Evangelium versagen. Diesen Uebel- ständen will Quintinus Volkshirt ein Ende machen 3) Gegen dieses

nescio quid vobis scribam sed fateor, quod cor raeum effundere cuperem

rogans quod pro me ad Dominum interpellet in uuiversali ecclesia Jesu Christi. Et Deus pacis, qui eduxit de moi"tuis pastorom ovium . . .

') Salutat ecclesia Christi de Boemia ecclesiam Christi in Anglia, optans esse particeps .... ^) Diese Flugschriften sollen, wie ich eben erfuhr, nun-

mehr auch gedruckt werden. Ich habe von ihnen schon vor 14 Jahren Abschrift genommen. Cod. univ. Prag. X. E. 24: fol. 391^' : Hec sunt nova Scocie anno 1410 Pragam portata. Est quidam armiger, nomine Quintinus Folkhyrde, id est, pastor popuh ; qui insurgit in causa Dei manu forti, equitando per patrias et palam pu- blicando in matema lingua ista que secuntur in data et divisa per cedulas cui- cunque manus exteudeuti. ^) Ideo ego Quintinus Folkhyrde, servus Dei

pauperrimus iji defectu . . . temporalium dominorum et pro timore, quem habeo

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Ausschreiben des Quintinus erhebt sich die Geistlichkeit uud regt die weltlichen Herren, sowie auch die höhere Geistlichkeit gegen ihn auf, die nun treuloser Weise mit Censuren wider ihn einschreiten i). In Folo-e dessen richtet Quintinus in seinem zweiten , Zettel" eine Zu- schrift au den Bischof von Glasgow ^) und den gesammten Clerus von Schottland mit der Aufforderung, den durch den Mund seines Ab- gesandten Quintinus an sie gerichteten Geboten Gottes zu gehorchen und die früher begangenen Irrthümer zu meiden. Sie mögen so leben, dass alle Laien ihre Besserung sehen. Der dritte , Zettel" ist an die weltlichen Herreu gerichtet 3); er berichtet von dem zügellosen Leben des in weltlichen Geschäften versunkenen Clerus und mahnt die Laien, diesem Unwesen zu steuern. In dem letzten „Zettel" an seinen Curaten, an alle und jeden einzelnen, mahnt er, alle Eitelkeiten der Welt zu lassen und sich einzig und allein mit dem göttlichen Gesetz zu be- schäftigen : Du sollst nicht nur das Pater noster und Credo und alle Gebote Gottes Deine Pfarrkinder in der Muttersprache lehren, son- dern auch zu passenden Zeiten, d. i. an den Sonntagen, das Evangelium uud die Episteln predigen" u. s. w.^). Der Curat möge nach dem Befehl des Apostels mit Kleidung und Nahrung zufrieden sein und des Lebens Ueberfluss wohl anwenden, namentlich sich die Bücher des hl. Gesetzes" kaufen und den Kest für die Armen verwenden. Wenn Du aber nicht gehorchst, so gedenken wir einen weit heftigeren Kampf gegen dich zu beginnen als selbst gegen die Juden oder Saracenen^). Es wird uns leider nirgends berichtet, ob man in Böhmen an die Existenz dieses Abgesandten Gottes, der da kommen soll, um die vor- weltliche Kirche zu bessern, geglaubt hat. Sicher ist, dass man durch solche Schriften das Volk in die grösste Aufregung versetzte. Auf den intelligenten Theil der Wiclifiten rausste aber jenes Schriftstück

eterne dampnacionis, que poterit mihi evenire, nisi iaciam ad emendaciouem ho- rura raalorum palam movere diviuam guerram contra istos dominos ....

1) Cum autem hec ad aures cleri pervenirent, graviter ea ferebant et cum maxima indignacione. Primo movebant dominos temporales sibi faventes in dicti Quirini finalem destruccionem et secundo contra ipsum infideliter processerunt ccusuris suis indiscretis ... *) Es wird wohl statt Glatonensi der Handschrift Glascuensi lauten müssen. ^) Es heisst daselbst quod sacerdos quilibet in

sacerdotali ordine constitutus, ubicunque fuerit repertus, noscatur a vobis contineri extra limites legis Dei. Qui (sc. clerus) quoad mundum (cod. mundi) pompalis, dives in corpore, apparatur indumentis et penulis preciosis, cultellis et cingulis perornatis ... ■») Quod studeas solum in lege divina, nee non Paternoster et Credo omniaque Dei mandata in materua lingua tuos vere doceas parrochianos . . . -) In omnium (scliliesst, der Zettel) iatorum testimonium hiis literis sigillum est appensum ; et sie est tinis epistolarum Quintini armigeri Scocie fidelis Amen.

üebev die Beziehungen zwischen englischen u. höhmischen Wiclifiten. 2^3

eine grosse Wirkung erzielen, welches kein geringerer als der Wort- führer der Wiclifiten in England an seine Gesinnungsgenossen in Böhmen gerichtet hat. Das ist der Brief Sir John Oldcastle's, Lord Cobham's an Wok von Waldstein beziehungsweise Zdislaw von Zwier- zeticz, Sir John war unter den vornehmen Gönnern des Lollarden- thums weitaus der bedeutendste i). Er residierte in Cowling (jetzt Covling) in Kent, vou wo auch der Brief datirt ist. Trotzdem Hein- rich IV. ein ausgesprochener Gegner der Lollarden war, stand Sir John in hoher Gunst bei ihm und wurde gelegentlich zu ehrenvollen Missionen verwendet. Der Freundschaft des Königs hatte er es zu danken 2), dass er von der obersten kirchlichen Behörde in England lange Zeit unbehelligt blieb. Das grösste Aergerniss gab er, wie Walsiugham (II, 291) erzählt, dadurch, dass er in den Diöcesen Lon- don, Rochester und Herford Lollarden aussandte, ihren Predigten bei- wohnte, die Leute, die hiegegen Widerspruch erhoben, zur Ruhe wies und von den gegen die Lollarden erlassenen Beschlüssen der Provincial- synode sagte, der Erzbischof von Canterbury und seine Suffragane hätten nicht das Recht besessen, solche Beschlüsse zu fassen. Ein echter Wiclifit, theilte er weder in Bezug auf die Sakramente des Altars und der Busse (d. h. er war ein Gegner der Ohrenbeicht), noch auch in Betreff der Wallfahrten, Bilderverehrung und der obersten Schlüsselgewalt den Glauben der römischen Kirche ^). Die Prozesse gegen ihn begannen 1410, in demselben Jahre also, von welchem das unten folgende Schreiben Sir John's datirt ist. Es ist an den „edlen Herrn Woksa" gerichtet. Für den Fall, als dieser abwesend wäre, soll es an den Herrn Zdislaw von Zwierzeticz überleben Averden.

Wok von Waldstein tritt bei allen bedeutsamen Aktionen der husitischen Partei in Prag in erster Linie hervor'*). Am meisten verübelten ihm die Katholiken die Verunehrung der päpstlichen Bullen gemeint sind die Ablassbullen, welche 1412 in Prag verkündet wurden und die Wok an der Spitze eines mächtigen Volkshaufens und in unwürdigem Aufzuge durch die Strassen von Prag herumschleppte

') Die biographisclien Daten über den Lord Cobham s. in Lechler, Johann von Wiclif 2, 80 94. ^) Regi propter probitatem carus et acceptus sagt

Walsingham II, 291, der von seinem Standpunkte aus hinzufügt: sed tarnen propter hereticam pravitatem valde suspectus. ^) Idera Johannes fuit et est

principalis receptor et fautor, protector et defensor Lollardorum et quod preser- tim in diocesibus Londonienis, Roffensi et Herfordensi ipsos LoUardos ab ordi- nariis sive dioecesanis locorum minime licenciatos contra constitutionem provin- cialem inde lactam ad predicandum transmisit, eorumque predicacionibus uefariis jnterfuit . . f. c. ^) Documenta niagistri Joh. Hua 430.

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imd eudlicli auf öft'eutlichem Platze verbrannte ^). Unter den Klagen, die auf dem Concil gegen den König Wenzel erhoben wurden, spielt die betreffend den Schutz, den er dem Wok trotz alledem angedeihen Hess, eine wichtige Rolle-). Selbstverständlich gehörte Wok auch zu jenen Mitgliedern des böhmischen Adels, die gegen das Vorgehen wider Hus ihre Stimmen erhoben und sich zur Aufrechthaltung der Freiheit des evangelischen Wortes verbündeten ^).

Noch bedeutender als Wok tritt Zdislaw von Zwiei-^eticz in den einzelnen Phasen der husitischen Bewegung hervor. Wie Wok gehörte auch Zdislaw einem der edelsten Adelsgeschlechter in Böhmen dem Hause Wartenberg an. 1410 zum Baccalaureusexamen zugelassen, gab ihm kein geringerer als Hus selbst die ,Recommendatio' mit auf den Weg ^) ; 1410 wurde er Magister. Am 18. Juli wurde er, weil er gegen die Verbrennung der Bücher Wiclif's eine Appellation eingelegt hatte, excommunicii-t ^), und am 6. August hielt er im Carolinum zu Prag seine Vertheidigungsrede von Wiclif s Traktat De üniversalibus und stand auch bei dem obenerwähnten Protest und Bündnisse auf Seiten seiner Partei.

Berücksichtigt man das Datum des Briefes von Sir John Oldcastle, •so ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Nachricht von den Vor- o-ängen in Prag in den Tagen vom 27. Juli bis zum 6. August durch einige eifrige Wiclifiten nach Euglaud gebracht wurde und der Brief Sir John's den Dank der englischen Wiclifiten für das muthige Vorgehen jener in Prag enthält. In diesem Schreiben findet sich im üebrigen noch kein Hinweis auf Verfolgungen, denen die Lollarden in England ausgesetzt sind ; der Gedanke freilich an den Tod, den unter Umstän- den ein Jeder für das freie Bekenntnis der Wahrheit erdulden müsse, tritt mehrfach hervor. Es ist demnach der Wortführer der englischen AViclifiten, den wir in näheren Beziehungen zu den Hauptbanner- trägern des Wiclifismus in Böhmen finden. Sir John starb sieben Jahre später als Opfer seiner religiösen Ueberzeugung :

Oldcastle died a martyr sagt Shakespeare von ihm. Sein Tod war ein Schlag für den eng- lischen Wiclifismus, den dieser nimmermehr zu verwinden im Stande war und der gerade in jenen Tagen erfolgte, da der böhmische Wiclifis- mus zu seiner herrschenden Stellung gelangt war.

Wie sehr man in der Zeit, als Oldcastle's Schreiben nach Böhmen gelangt war, daselbst England und die Engländer schätzte, sieht man aus

») Ib. 640, *) Et eundem Voxam hodie in curia sua tenet pro dilecto

suo familiari nee de hoc fecit aliqnam vindictam usque hodiernum diem. s) Ib. 580, 584, 591. Vgl. auch Gewchichichtschr. der hus. Bewegung 2, 256, 259. *) Ib. 2, 06. *) Docum. 397, 400, 734.

Ueber die Beziehnngen zwischen englischen n. böhmischen Wiciifiten. 265

der feierlichen Aufnahme, die im September 1411 der englische Ge- sandte Härtung von Clux, der dem Könige Sigismund das Anerbieten zu einem festen Allianzvertrage überbrachte, gefunden hat. In Har- tung's Begleitung befand sich John Stokes, Liceutiat der Kechte an der Universität Cambridge. Als man in Prag erfuhr, dass einige Magister oder Doctoren aus dem Königreiche England " angekommen seien, sandten die Prager Magister, Baccalaren und Studenten eine Deputation in ihr Absteigequartier, um sie zu begrüssen und ihnen ein Gastmahl anzubieten. Es dürfte wohl kaum einem Zweifel unter- liegen, dass man in diesem Magister Stokes einen Gesinnungsgenossen Sir John's und seiner Anhänger vermuthete, denn man unterhielt die Fremden sogleich mit einigen den Wiclifismus betreffenden Fragen. Die böhmische Deputation war aber damit durchaus an den unrechten Mann gekommen, denn Stokes Hess sich bekanntermassen zu der scharfen Aeusserung hinreissen, dass ein Jeder, der in Wiclif 's Schriften studiere, früher oder später der Ketzerei anheimfallen müsse ^).

Als mit Oldcastle's Tode die schlimmsten Zeiten über den eng- lischen Wiclifismus hereinbrachen, hätte man erwarten dürfen, dass nunmehr zahlreiche Wiciifiten aus England eine Zufluchtstätte in Böhmen suchen würden. Man hört aber doch nur von sehr wenigen, die sich dahin gewendet haben -). Am bekanntesten unter allen ist Peter Payne geworden, der Hauptbegründer des Taboritenthums, der vom ersten Augenblicke seines Eintritts in Böhmen bis zu seinem Tode im Jahre 1455 eine hervorragende Eolle daselbst gespielt hat. Er ist Zeit seines Lebens der Überzeugungstreueste Wiclifit geblieben und hat das Andenken seines Meisters, das in Böhmen heftigen An- feindungen der gemässigten Partei, namentlich des Magisters Pfibram ausgesetzt war, lebhaft und thatkräftig vertheidigt.

Doch nicht bloss die Schriften Wiclif's und seiner Schüler fanden in Böhmen Eingang, auch die seiner englischen Gegner wurden da- selbst verbreitet. Zu den bedeutenderen Gegnern Wiclif's in England

1) S. hierüber Doc. mag. Joh. Hus 447 und Hus , üpp. tom. l , 108». 2) In der Uebersetzung czechischer Chroniken von J. Jungniann, die Höfler im III. Bd. der Geschichtschreiber der hus. Bewegung veröffentlicht hat, wird zum Jahre 1415 ein Magister Nicolaus Englisch genannt, der in Prag am Graben bei der schwarzen Rose gewohnt hat. Ob man etwa in diesem Engliscli einen Eng- länder zu sehen hat, der wie Peter Payne (auch diesen pflegte man meistens Peter Englisch zu nennen) seine Schritte in das gelobte Land des Wiclifismus gelenkt hat, muss dahin gestellt bleiben. Uebrigens scheint auch die Ueber- setzung nicht richtig zu sein; vgl. den Urtext in den SS. rer. Boh. III, 472. Dort werden angeführt: Meister Peter, Meister Nicolnus, Englisch und Nicolans Lorisses.

Oßß L 0 s e r t h.

gehörte William Wodeford, der seit 1B81 literarisch gegen Wiclif auf- trat. Vou seinen Arbeiten kannte man in Böhmen die Schrift gegen die 18 Artikel Wiclif s (Cod. univ. Prag. IV. G. 14), die 1399 er- schienen ist 1). Höher als Wodeford ist Thomas Netter von Waiden zu stellen, dessen Hauptwerk Doctrinide antiquitatum fidei ecclesiae catholicae nach 1417 geschrieben und gleichfalls in Böhmen Verbrei- tung gefunden haben dürfte. Einer der bekanntesten Gegner des Husitenthunis , der schon zu Lebzeiten des Hus in Böhmen seilest eine hervorragende Rolle gespielt hat, Johannes Hoffmann von Schweid- uitz, seit 1427 Bischof von Meissen, besass die Werke Netters und vermachte sie dem Marienstifte in Leipzig 2).

') Vgl. die Characteristik dieser Schrift bei Lechler, Johann von Wiclif 2, 49—55. 2) Pfotenhauer, Schlesier als Rectoren der Universität Leipzig, im

17. Bande der Zeitschrift für Geschichte und Alterthum Schlesiens S. 189.

Beilage.

I.

Sir John Oldcastle, Lord Cohham mahnt seine böhmischen Gesinnungsgenossen Woksa von Wcddstein heztv. Zdislaw von Zivierzeticz zur Festhaltung der erangelischen Wahrheit.

Schloss Covling 8. September Uli).

(E cod. bibl. univ. Prag. XIII. F. 21 Fol. ]46=ii').

Nobili Wokse, in absencia autem sui, domino Zdyslao de Zwerzeticz, michi fi-atribus in Christo predilectis, viarum Domini cognicionem ipsarumque cardinalem dileccionem et salutem. Gracias ago Deo meo qui ut audivi") per vex'itatis quosdam araatores cor vestrum animavit ad zelandum et certandum pro iusticia legis Dei, utinam secundum Sapientis sentenciam sit usque ad mortem ; nara ut ait Salvator: Qui perseveraverit in veritate usque in finem, hie salvus erit. Eya frater karissime, multum de te congaudeo, et ultra quam scribere sufficio, condelectatur in te anima mea pro eo quod pompaAnti- christiorum non te terret, sed quod fiducia verbum Dei et eins veraces provulgatores proraoves^) iuxta posse. Jam enim ut luculenter cei-nere possumus, lex Domini fuerat immaculata, nimis diu per antichristivos presbyteros suffocata et ab ipsis, quibus Christus commiserat gladium ob defensionem sue legis, nimis vecorditer parvipensa. Ad quod nimis parum attendunt reges et domini temporales, et ideo, ut dicit Isidorus, reddent Domino racionem, a quo acceperunt ecclesiam potestative contuendam. 0 quantum timere possumus nos miseri, qui vires nostras et afectus (?)

») Cod. : audivit. ^) Cod. : promovens.

Ueber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiten. 2(i7

tociens in peccatis carnalibus et causis mundialibus expendimus, sed in causa Domini nos in quoquam exponere inhumaniter i'esilimus. Recor- demur idcirco Malachie, Finees, Jude Machabei et aliorum zelum Dei habencium, qui in scripturis divinis meruerunt a Deo commendari, ut ipsorum zelus et opei'a relinquuntur postei'is in exempla. Simus ipsorum imitatores mercedem cum ipsis finaliter recepturi. Quid igitur nos moveret propter vanum nomen hujus seculi, quod transit velut umbra vel lucrum temporalium caducorum*), tarn audacter nos ponere sed in causa Christi post tot accepta beneficia propter statuam fictam territicam nimis stolide formidare? Gerte nisi quod antichristivus timor, superbia et temporalium affluencia nos nimium excecarunt. Pensemus igitui', tu et ego et ceteri nobis consimiles, quod non solum sufficit corde credere ad iusticiam nisi eciam ore coniiteamur dominum Jesum Christum. Nam meritum et penam ipsemet in evangelio nobis protert, meritum, ubi dicit: Qui me confessus tuerit coram hominibus, confitebor et ego eum coram patre meo. Et econtrario penam, ubi dicit: Qui me negaverit vel erubuerit coram homi- nibus, hunc ego negabo et erubescam in conspectu patris mei et sanctorum angelorum.

Diligamus ideo dominum Jesum Christum, ipsum corde et opere hu- militer confitendo, et quoscunque impedientes cursum liberum sue legis nullatenus defendamus, quia quicunque impedierit verbum Dei, ne litere ecclesie sue proliciat, est sicut indubie Antichristus, cum Christus auctor salutis propter promulgacionem '') sue legis penas crudelissimas subiit at- que mortem; nee excommunicaciones hominum ficte a bonis operibus nos terreant, quia per Isaiam prophetam dicit Dominus: Quis tu, ut timeas ab homine mortali et a filio hominis qui quasi fenum ita arescet et ob- litus es domini Dei tui? Et ut testatur Crisostomus <>) pro certo: Proditor veritatis est non solum ille qui transgrediendo veritatem palam pro veri- tate loquitur mendacium, sed eciam ille qui non libere pronunciat veritatem, quam libere pronunciare oportet, aut non libere defendit veritatem quam libere convenit defendere. Nam sicut sacerdos est debitor, ut veritatem, quam audivit a Deo, libere predicet, et nullo modo neque propter timorem neque propter amorem obmittere^), cum valde grave sit veritatem, quam audivit a sacerdotibus probatam in scripturis, defendat*^) fiducialiter. Quod si non fecerit, prodit veritatem. Ecce karissimi: Hec et hiis similia me movent; moveant et te et tui consimiles, ut simul omnes stemus viriliter cum veritate ; et si finaliter perstiterimus, a renunciacione condigna nos non fi'audabit dominus veritatis ; et quia si dominus dedignabitur nos adiuvare, ut speramus, non intendamus recedere ab hac veritate usque ad mortem. Ideo sigillum annorum nostrorum, quod nunquam apponimus ad litteram que deberet in posterum cessari, decrevi hanc litteram eodem sigillare.

Datum f) in nostro castello de Culi ng in die Nativitatis sancte Marie anno Domini 1410 per Johannem Oldecastellis, summi de Cobham.

*) Cod. : caducarum. ^) Cod. : provulgacionem. c) Cod. : Crisotomus.

d) seil. : debeat. ^) Cod. : defendant. ^ ^'od. : Datje,

9ß!^ L 0 s e V t h.

n.

Ein zweites Schreiben Sir John Oldcastle's es ist an den König Wenzel von Böhmen gerichtet und gibt der Freude über dessen Haltung den , echten Priestern' gegenüber lebhaften Ausdruck wTirde jüngstens durch den Herrn Diaconus Joseph Müller in Herrenhut in dem Cod. I. 61. der dortigen Universitätsbibliothek aufgefunden und mir durch die Ver- mittlung des Heri-n Prof. J. Goll in Prag freundlichst mitgetheilt. Das Schreiben bietet ein noch bedeutenderes Interesse dar, als das erste, in- dem wir hier auch die beiden Häupter des Wiclifismus in England und Böhmen in brieflichem Verkehre treffen. Es wird in dem Briefe nämlich ausdrücklich bemerkt, dass es der Magister Hus war, der Cobham auf die Haltung Wenzels der husitischen Richtung gegenüber aufmerksam gemacht hat. Sir John Oldcastle dankt dem Könige für diese Haltung und erhofft für die Zukunft das Beste. Der Brief trägt keine Jahreszahl in der Hand- schrift; er dürfte, wie J. Müller in einem an mich gerichteten Schreiben vermuthet, in das Jahr 1413 zu setzen sein. Vor 1411 kann er jeden- falls nicht geschrieben sein, weil König Wenzel in der Aufschrift Marchio Moravie genannt wird: seinem ganzen Inhalte nach muss er vor 1415 geschrieben sein. Ist diese Abgrenzung richtig, dann dürfte sich die Notiz von dem Unkraut, welches König Wenzel von dem Weizen gesondert habe, viel- leicht auf die Absetzung und Verbannung des Stanislaus von Znaim, Peter von Znaim, Stephan von Palecz und der anderen Genossen im April 1413 beziehen (s. Palacky, Documenta mag. Johannis Hus 5 1 0). Demnach müsste Cobham, da der vorliegende Brief am 7. September in London geschrieben ist, bereits Anfang September von seiner Burg Cowling Castle zurückgekehrt sein. Cobham's Brief lautet wie folgt:

Seretnssinio ac Illusfrissimo priiicipi ac domino domino Wcnceslao Romanonim et Boemie rexji, Moravie marchioni et priiicipi Luzhtirgetisi.

Salus ab eo, qui est, et qui de lapidibus filius Abrahe potens est suscitare Ille, inquam, salutet, corroboret, confortet et custodiat in omni bono per infinita seculorum secuta. Cum fama placens animum delectat et cor in gaudium ingens provocat, hinc est, serenissime princeps, quod fama vestre strenue milicie in evangelio Christi michi per magistrum Hus, iudicio meo Christi sacerdotem, nee non alios litteratenus intimata animum meum leticia quamplurimum cibavit et cor in gaudium exiliens ossa nee non membra medulavit et me quam-\as minus dignum vestre serenitati sci-ibere adarmavit, cum amor non ociatur. 0 quam suave, quod Wences- laus Romanorum et Boemie Rex exemplum et speculum primicieque ceterorum regum zyzaniam, falsos sacerdotes, in oreum congregatam saga- citer et studiose a tritico segregavit et triticum, veros Christi sacerdotes, in statu evangelice pauperiatis corrolioravit. 0 quam delectabile tarn excelsus princeps excelsus miles Christi effectus est. 0 quam mirum et inaudibile sed nimirum laudabile regem modemis temporibus officium Status sui practisare, nee dubito, quin sentencia Augustini in epistola ad Bonifacium docens regale officium vos adarmavit, que insinuat, primo regem debere servire Deo suas leges legi dei regulando. adversantes Christi legi destruendo et populum ad observanciam mandatorum Domini compellendo, cum sitis vicarius divinitatis; et si sie indubie regnum vestrmn, magnifice

lieber die Beziehungen zwischen englischen u. böhmischen Wiclifiten. 269

rex, indivisum stabit, quoniam iktii clividitur, nisi per transgressionem mandatorum Domini, nee unitur, nisi per ol)servanciani eorundem, et sie misericordia et virtute si custodiemini et clemencia roborabitur tronus vester et per consequens dissipator omnis mali efficiemini in destruendo falsos fratres nee non prelatos et intuitu vestro tamquam rugitu leonis terrentur. 0 utinam Dens daret perseveranciam graeie, illustrissime prin- ceps, vestre maiestati nee non toti vestre evangelice communitati, baroni- bus militibusque doctrina Chi'isti nee non zelo earitatis; ad servicium, sine preiudicio mei legalis domini, emn omnibus amieis meis nee non michi in via veritatis evangelice adherentibus me oflfero et sum presto, quoniam non paucos animosius ad verbum Dei exemplo vestro provocastis. 0 utinam regibus universis Dominus tale cor daret aut tantum Danielem, qui sie soUicite pro lege Dei se poneret, in cunctis mundi elimatibus suseitaret et vos magis ae magis in legis Domini practica stabiliret et post vitam eternam condonaret, quod patrare dignetur, cuius regnum nunquam de- struetur.

Scriptum Londonie septimo die Septembris per vestrum humilem ser%atorem Johannem Öldecastellum militem, dominum de Cobham.

Nachtracr.

Die Vermutbung, dass der obengenannte Eieliardus Vitze (Höfler, Gesehichtschreiber der husitisehen Bewegung II, S. 212/13) mit dem Lollarden Eiehard Wyche, der 1431 verbrannt und von den Wiclifiten als Heiliger verehrt wurde, identisch sei, hat sich aus weiteren Belegstellen, auf die ich jüngstens gekommen, als richtig erwiesen. In einer Hand- schrift der Prager Universitätsbibliothek (XIII, F. 2l) heisst es nämlich: Vester servus cupiens in labore fieri socius Ei"» Wiche, infimus sacer- dotum. Wicz, das letzte Wort soll die Erklärung bieten, wie Wiche aus- zusprechen sei. Damit erledigt sieh auch der Versuch, den Lechler II, 352 gemacht hat, den Namen zu erklären. Er sagt : der Lollarde heisse (Docu- menta mag. Joh. Hus S. 12) Wiehewitze und die beiden letzten Silben seien tschechische Zuthat, wodurch Patronymica gebildet werden.

Einen anderen Beweis für die Identität beider Namen finde ich im Cod. univ. Prag. III. G. 11, woselbst sieh (fol. 89'' d9^) die (lesta cum Eichardo Wycz presbytero in Anglia verzeichnet finden ein (undatirter) Bericht über eine eben überstandene Verfolgung, die Wyehe Seitens der kirchlichen Behöree erduldet hat ein Bericht, der, wie man sieht, auch seinen Weg nach Böhmen gefunden hat. Diese Gesta sind, seitdem ich die vorhergehenden Zeilen geschrieben, nach einer von mir angefertigten Abschrift durch Herrn F. D. Matthew in der Zeitschrift The English Historical Eeview (July 1890 p. 530 544) publicirt worden.

Aus dem Berichte eines Franzosen über den Wiener Hof in den Jaliren 1671 und 1672.

Von

A. F. Pribram.

Einleitung.

Gelegentlich meiner Nachforschungen in den Pariser Archiven und Bibliotheken für eine Geschichte Leopold L, stiess ich in der Bihliotheque Nationale auf ein Documeut (Mss. Fr. 8997. Suppl. 4182), das den Bericht eines Franzosen über den Wiener Hof in den Jahren 1671 und 1672 enthielt. Schon die erste flüchtige Durchsicht liess mich erkennen, dass dasselbe des Interessanten genug enthalte und eine wiederholte Prüfung hat mich in dieser Ansicht bestärkt und mir es zweckmässig erscheinen lassen, dasselbe, wenn auch iu etwas ge- kürzter Widergabe, den Fachgenossen vorzulegen. Wir sind bekannt- lich an Schilderungen des Wiener Hofes in jeuen Tagen nicht reich. An deutscheu Memoiren jener Zeit fehlt es ja ganz und die wenigen gleichzeitigen Werke, welche uns das Hof leben Leopold L schilderu, reichen zu einer genügenden Kenntnis durchaus nicht hin. Noch immer sind wir für die Darstellung dieser Verhältnisse in erster Linie auf die Berichte der venetianischen Gesandten angewiesen, deren Zu- verlässigkeit heute nicht mehr so rückhaltslos angeuommen wird als in früheren Zeiten und was wir sonst an Mittheilungen zusammen- fassender Art über den Kaiser und seine Uuigebung besitzen, stammt mit wenigen Ausnahmen, von denen gleich zu reden sein wird, von uubediugten Verehrern des Kaisers und der österreichischen Institutionen oder von entschiedeuen Gegnern derselben her. Die Wahrheit über Kaiser Leopold und seine Umgebung, Avie über die inneren öster- reichischeu Verhältnisse wird man aber ebensowenig iu Priorato's,

Aus d. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1671 u. 1672. 271

Commazzi's oder Schenckels Büchern finden, als in den Memoiren eines Herzogs von Grammont.

Freilich zu einer vollen Einsicht in die Kegierungsmaximen des Kaisers wird in erster Linie eine genauere Kenntnis des Briefwechsels Kaiser Leopold L nothwendig sein i), wie denn auch eine richtige Beurtheilung der Motive, welche die einzelnen massgebenden Minister bei ihren Handlungen bestimmt haben, nur durch eine gründliche Benützung des umfangreichen handschriftlichen Materiales möglich sein wird. Bis dahin aber wird jede Schilderung Kaiser Leopold 1. und seiner Umgebung, welche sich von übertriebener Lobpreisung ebenso ferne hält als von unbedingter Verwerfung alles dessen, was vom Kaiser uud von seinen Käthen geschah, als eine wünschenswerthe Be- reicherung unserer Kenntnisse bezeichnet werden müssen. Und zu diesen Schilderungen gehört auch die unseres Franzosen, der den Wiener Hof zur Zeit besuchte, da Esaias Pufendorf sich an demselben aufhielt, der, wie bekannt, in eineiü umfassenden Berichte seinem Herrscher Mittheilungen über den Kaiser und über seine Umgebung zukommen liess. Der Bericht Pufendorfs, unstreitig eine der besten Quellen für unsere Kenntnis der österreichischen Verhältnisse in jener Zeit, dürfte als Ganzes genommen grösseren Wertli besitzen als der im Nachfolgenden mitgetheilte, vornehmlich deshalb, weil der erste Theil des pufendorfi- schen Berichtes eine überaus gelungene Darstellung der Verhandlungen Pufendorfs und der Politik des Wiener Cabinettes überhaupt enthält. Auch hatte Pufendorf Gelegenheit die leitenden Staatsmänner wieder- holt in politischen Fragen zu sprechen und konnte sich daher über ihre Fähigkeit wie über ihre politischen Ueberzeugungen leichter ein richtiges Urtheil bilden, als der Franzose, der, wie er selbst erwähnt, nur des Vergnügens halber in Wien weilte und mit den leitenden Kreisen nicht in geschäftlichem Verkehre stand. Die Vorzüge des französischen Berichtes liegen dagegen in der vollen Unbefangenheit, mit welcher der Verfasser Personen und Dinge betrachten konnte und andererseits in dem Interesse, das derselbe für die Privatverhältnisse der leitenden Persönlichkeiten, für das Hofleben, für die Kriegsereiguisse und für die Bauten der Stadt, wie für ihre Bewohner besass. Den

') In jüngster Zeit sind Ansätze zur Herausgabe desselben gemaclit worden. Insbesondere hat Onno Klopp sich durch die Herausgabe des Briefwechsels zwi- schen Leopold I, und Marco d' Aviano ein grosses Verdienst erworben. Auf den Werth der Correspondenz Leopold I. mit dem kaiserlichen Gesandten in Madrid, Grafen Pötting, welche ich hoffentlich bald dem gelehrten Publikum werde über- geben können, hat neuerdings Heigel Neue Beiträge zur Charakteristik Leopold I. (Sitzungsber. der bair. Ac. der Wis.s. 1890. Bd. IT. Heft 1) hingewiesen.

272 Pribram.

übrigen Schilderungen aber und es kommt eigentlich für diese Zeit nur jene des Graten Chavagnac in Betracht ist die des Franzosen unbedingt vorzuziehen. Seinen Namen habe ich leider nicht erforschen können ; der Bericht selbst gab keinen Anhaltspunkt dafür. Nur soviel scheint sicher, dass der Verfasser ein Verehrer Gremonville's, des da- mals am Wiener Hofe wirkenden französischen Gesandten, war und dessen Mittheiluugen vermutlich viel von dem verdankte, was er . später niederschrieb. Eine ganz genaue Angabe des Zeitpunktes, wann das Memoire niedergeschrieben wurde, ist gleichfalls nicht möglich. Doch muss die Niederschrift spätestens zu Beginn des Jahres 1673 erfolgt sein, da von Margaretha Theresia's Tode, der am 12. März 1673 er- folgte, nicht die Rede ist. Für den Beginn des Jahres 1673 spricht auch die Bemerkung des Verfassers, dass der Brand der Hofburg welcher Feb. 1668 stattfand depuis cinq ans stattgefunden habe, sowie die Behauptung, dass Lobkowitz jetzt 64 Jahre alt sei Lob- kowitz ist Jan. 1609 geboren .

Was das Urtheil des Verfassers über Kaiser Leopold betrifft, so ist "dasselbe gewiss ein zu strenges. Einiges von dem, was er mittheilt, wird entschieden bestritten werden können. Wenn er ferner von einer absoluten Regierungsgewalt der Minister in ihrem Ressort spricht, so ist dies in dieser Allgemeinheit jedenfalls unrichtig. Der Franzose, wie übrigens fast alle Schriftsteller, welche Leopold zu schildern versuchten, hatte keine Ahnung von der genauen Einsicht, welche sich Leopold von allen Dingen, mochten sie nun die äussere oder innere Politik be- rühren, zu verschaffen suchte und von der Zähigkeit, mit welcher der Monarch daran festhielt, dass alles in seinem Namen und nach seinem Willen den er allerdings oft genug demjenigen anderer Leute unter- ordnete — geschehe. Auch überschätzt der Franzose den Einfluss der Jesuiten um ein bedeutendes. Dagegen wird man in seiner Schilderung manchen bezeichnenden Zug richtig hervorgehoben finden und die Mittheilungen über des Kaisers Leben im Hause und in der Familie als durchaus richtige bezeichnen können. Sehr erwünscht sind ferner die Angaben des Verfassers über die äussere Erscheinung des Kaisers, seiner Familie und der vornehmbten Minister, sowie über die socialen Verhältnisse der damaligen Zeit.

Bezüglich der Art, in der ich den Bericht widergebe, dürften wenige Bemerkungen genügen. Ausgefallen oder im Auszuge wider- gegeben sind jene Partieen des Berichtes, welche nach des Heraus- gebers Ansicht keinen oder nur untergeordneten Werth besitzen, so namentlich die ausführliche Schilderung der Thätigkeit Gremonville's, über die wir ja durcli spätere archivalische Arbeiten auf; das genaueste

Alis d. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1671 u. 1672. 273

orientirt sind. Dagegen schien es dem Herausgeber zweckmässig, die Darstellung der ungarischen Verschwörung, wie sie der Verfasser gibt, wörtlich mitzutheilen, da sie ja die Ansicht eines gutunterrichteteu, unparteiischen Zeugen repräsentirt.

Die Orthogi'apliie des Originales wurde nicht beibehalten, die Aeuderungen nach den in Frankreich geltenden Grundsätzen vor- genommen. Den Bericht mit ausführlichen ISoten zu versehen hat der Herausgeber für überflüssig gehalten, da eine Kritik der einzelnen Mittheilungen zu weit geführt hätte und vielleicht in nicht allzu- ferner Zeit in entsprechenderer Form wird geübt werden können.

Vienne, capitale de la Basse-Autriche lieu ordinaire de la residence des Eiupereurs de cette maison, est une ville d'une graudeur mediocre sur la rive droite du Danube, qui se partageaut en ciuq bras, forme en cet endroit plusieurs iles couvertes de bois, qui occupent presque une lieue de large et contribuent ä la beaute de la Situation melee d' ailleui's d" une grande diversite de coteaux, de plaines et de prairies. Elle est lurtifie de onze bastions de grandeur demesuree et de figure inegale; c' est-ä-dire , que ceux qui sont grands et re'guliers sont uouveaux; quelques uns anciens sont petits et les courtines si longues, que la defense en est difficile. L' endroit de la place, qui parait le plus faible est celui, eile touche au Danube, qui ne lui fournit qu'un petit bras facile ä detourner et presque sec une partie de r annee. Hors cet endroit, la contrescarpe est egalement belle et bonne partout. Du cote du levant le palais de l'Empereur s'etend le long des remparts.

C est un vieux bätiment i), fait ä diverses fois, formant uean- moins une ligure carree accompagnee aux quatre coins de quatre pe- tites tours inegales. Ce bätiment dont le dehors et le dedans n'a point de la demeure d'un Empereur enferme uue tres petite cour et n' a pour tout accompagnement qu' une autre cour assez grande, plus longue que large, enviroune'e d'un simple bätiment a deux etages, donc la moitie, ctait 1" appartement de 1' imperatrice ayant ete brüle depuis cinq ans -), on n' a pas encore pense ä le re'tablir.

[In diesem Schlosse wohnt K. Leopold]. H est d'une taille au- dessus de la mediocre, le corps contraint, marchant tout d'une piece et mauquant de force, particulierement aux pieds et aux jambes. II a les cheveux chätains et plats, les yeux beaux et ä fleur de tete, mais

') Vgl. die Scliilderung in den Memoires de la cour de Vienne 1705; Köln, doren Verfasser Casimir Preschot ist; 5 f. ^) 13. Febr. 1668.

Mittheiluugeu Xll. 18

274 l'ribram,

la vue courte et faible, le nez bleu fait, la bouche extraordiuairement grande et la levre de dessous si avaucee, qu'elle fait im effet fort desagreable, le teint beau et vif, l'air et les mauieres douces, raais Sans elevation et uue certaiue gravite, qui tient beaucou]) plus de la contraiute que de la majeste. Son esprit a beaucoup de ressemblance avec sa personne; e' est-ä-dire, qu'il est faible, n' envisageant que de petites clioses, evitant les affaires, eraignaut les Labiles gens et s'en deliant, ayant d' ailleurs de la clemence, de 1' honnetete et de la bonte.

Ce prince, qui n'etait que le 4"'"'" fils de Ferdinand III. ne pa- raissant pas d'uu genie propre a soutenir la gloire de sa maison par les armes, fut destiue a la profession ecclesiastique plus proportionnee a ses dispositions pour 1' elever ensuite au cardinalat et aux prinei- pautes eeclesiastiques si considerables en Alleniagne. C'est dans cette vue , que ses gouverneurs, le C^*' de Lamberg ^) , et depuis le C^*^ Fugger -) , eureut ordre d' appliquer son enfance particulieremeut a r etude des lettres, dans laquelle il reussit et y joignait uue conuais- sance parfaite des langues latiue, italienne et espagnole et de la nmsique.

[Später wurde Portia mit dem Amte der Erziehung Leopolds be- traut], qui (Leopold) se trouva si satisfait de ses mauieres, que du depuis etant devenu Empereur, il 1' eleva au poste de premier miui- stre, qu'il occupa jusqu' a sa mort arrivee en Tamiee 1065. C'etait uu rainistre en reputation de quelque sage.sse, ou plutot, que sa fai- blesse faisait passer pour prudent. Et soit que le priuee qu'il gou- vernait eüt naturellement les memes iuclinations, ou qu'il ait pris le genie de son gouverneur, ou peut dire, que cette bonte faible que 1' on couvre du nom de douceur et de clemeuce aneantit tout ee qui parait en lui de bonnes qualites. Elle lui ote la force de se faire craiudre et de rien refuser et lui donue uue teile defiauce de Ivii meme, qu'il n'ose quelquefois dire son sentiment dans le conseil, de peur qu'on ne le trouve pas raisounable. Cette faiblesse et apprehensiou, qu'il a du peril et de l'embarras des affaires le portant a s'eu decbarger sur ses ministres, ils se trouvent comme absolus chacim dans 1' etendue de leurs fonctions •'). La devotiou meme 1' expose a uue erainte de blesser sa conscience et le reud dependant en l)eaucoup de choses de son eonfesseur et des raoines, qui le peuvent arreter ou le faire agir seien leurs interets ou ceux des personnes qu' ils veulent servir.

') Joli. Max. (Iraf vou Lamberg, von Leopold später zu (iesandtscliaften viel verwendet. ") Marquart (Jraf v. Fugger, Ubersthofmeister bis 1C52.

') Vgl. die Einleitung. l

Alis d. Berichte eines Franzosen iil). d. Wiener Hof in d. ,1. IfiTl n. 1672. 275

Les Espagnols tA,clieut de leurs cötes ä se prevaloir de la ten- dresse, que le prinee a pour l'imperatrice i), älaquelle il ne refuserait rien, s'il etait le ministre: Mais les ministres le tienuent daus une depeudanee qui fait que le ])ouvoir de cette princesse et de 1' am- bassadeur d' Espagne -) u' est pas aussi graud qu' il le devrait ; au moins les choses ont ete dans cette Situation jusqu' a la fin de 1' annee 1670 ^). On peut comprendre par cette disposition la faiblesse du gouvernement et le peu d' ordre qu'il y a dans cette cour, les interets du prinee dependent des passions et des cahales de tant de personues difFerentes.

La vie particuliere de 1' Empereur est fort reglee et fort simple: la chasse, la musique et les exercices de devotion en occupent la plus grande partie. II se plait fort ä rexercice de l'oiseau et il entretient un equipage de fauconnerie, 1' on voit plus de 2r)0 pieces d' oiseaux pour toutes sortes de vols, et passe tous les ans au printemps ä sa raaison de Laxembourg ä quatre lieues de Vienne pour y prendre ce divertissement deux fois le jour. 11 chasse les cerfs dans les foilles (sie) a coup de fusils et les sangliers de meme avec les levriers d'attache et ne manque point tous les ans sur la fin du carerae d' aller lümer (sie) des renards dans une ile du Danube pres de Vienne. 11 assiste le long de l'anuee a plusieurs processions a pied mrnie liors la ville, se trouve aux fetes de cbaque couvent et y dine d' ordinaire ; assistant d'ailleurs tres-regulierement au serviee de sa cha])elle et par devotion et par rineliuation qu'il a pour la musique. II en entretient une tres-bonne et tres-nombreuse, a laquelle il fait souvent chanter des mysteres qu'il compose lui-meme. Et on peut dire que les musi- cieus et les chasseurs sont les uiieux traites des ses ofticiers, soit pour leurs ap])ointeuients, ou pour leurs reeonipenses, ou pour les libertes (|u'il leur donue. 11 joue quelquefois l'apres-midi avec ses petits favoris, mais neanmoius plus raremeut qu'avant sou niariage, depuis lequel la compagnie et la conversation de l'iniperatrice lui out fait negliger ce divertissement. C'est une cliose extraordinaire que ce ju'ince n' ayant ete marie qu' a 1' age de 25 ans ait vecu jusqu' a ce tenips avec une continence si exacte qu'on u'a pu remarquer qu'il eAt le moindre attacliement pour une femme. On l'a seulemeut soup- 9onne de quelque commerce de peu de duree avec une lille, qui etait

') Margaretlie 'J'heresia. -) Nov. IG'TO Irat an Stelle des Marques

de Malagon als Nachfolger de los Balbesos. ■') Kine recht bezeichnende Mit-

theilung über das wenig freundschaftliche Verhältnis Kaiser Leopold I. zu den Spaniern gibt Heigel 1. c. 128 fi".

18*

QU»

^ufc « U ferre de de««» *~^' Sr^'A^^ le teint bcaa et r. l'air

,a,n<nsaäjte qoe de la majeate. aHK » penoBiu;: c e8i-ü-dire,iu'ü e* ^ai« d«!*, eritant affai», cia»- ^lä,,,*. aj»nt daükure de la em- -

♦> psince, qui n" eUit qu k BataaaAt pa* don g»?nie propr Sfs aiam, fat destine a l Ä dH|KMitioiu poor 1' eedesiastiqaes ä c qoe ses gouTemeurs, i). eorent ordre TiSde des kttres, dans _ , ,««.>» porfahe des langues

[Sfwler wur.;- V -- - ' •; -^

AefMÜ» aant detenu Empereu il IV rtre, qo^a «ccapa jusqu' k sa nort ar OTB nmiskre en repntatioii de uelque Ji^kase fabait passer pour pnuni Et Tcnkaik ettt natareUement les nemes k gf^nie de aon gouvemeur. i peut Ton eoöTTe du nom de dout^ir et a isanöt en de bonnes quites. ! endmdre ek de rien refnser . lui d m^mev q^'ü n'ose quelqueto dire s. pMir qaon ne le trouve pas raoiuiabk qa'ü a da perü et de Vembans des u snr ses miniatres, üs se trouv -t coma de kois fonctions 3). La dtotiou i bks8£T sa eoiiÄC-ieiice et le red depei son confeaaenr et des moines qni le mlon leura interets on ceux es pers.

') Job. Mas. Oiaf tmi Laiu»g, v^^" Tkl Tenreüdet. 0 Marquai Grai" v.

") VgL die lanleitimg.

f

i

l.i. KmI II. 1672. 270

jiisiderables au clela ;t tient ordiuairement fcine de la branche de Ige de 18 ans, etjus- mme dans une de ses faire venir a la cour. reur daus le conseil ;:^and-chaiubellan, le

aulique et le Baron lent ceux qui portent rection des aifaires et

, iv-^t nu uvre ds pas souf ic, etaut Ceux qui o de l'agremei - merite y

lahlin des Fürsten Lobko'? lautet das allgemeine Ut ») Judith Rebecca Eleonora

276 Pribram.

au Service de 1' imperatrice douairiere et qui depuis a ete mariee eu Boheme ^). Mais on dit que ce fut une affaire de concert peu avant son mariage pour connaitre, si cette continence si reguliere n'etait point un effet de froideur ou d' impuissauce ; ou a eu lieu de sortir de ce doute daus la suite. Et d'abord qu'il a ete marie, il s'est attache avec 1' imperatrice avec taut d'afFection, de passion, que le.s medecins lui out quelquef'ois conseille de se moderer pour ne pas eutieremeut ruiner sa saute.

CoDime il mene une vie fort sedentaire, sa plus grande oceupation est d' etre aupres de cette princesse, dout la jeunesse et la beaute a des charmes inevitaljles pour un homme, que son naturel et sa cousciencc empecheut d' aimer ailleurs. Elle avait (bei ihrer Heirath) 15 ou 16 ans et etait une personne blanche et blonde avec de beaux cheveux, uue belle bouche, les yeux doux et le uez bien fait, le visage un peu long, les joues pendautes comme les ont la plupart des priucesses de cette maison. Sa taille n'est presque pas augmentee depuis de sorte qu'elle est demeuree fort petite et les suites malheureuses d' une coiiche lui ont fait venir une grosseur ä la gorge, que tonte 1' habilite des mede- cins u'a pu diminuer jusqu'k present. Son esprit naturellement doux Joint k l'education particuliere et retiree qu'elle a eu en Espagne, donue moyen aux Espaguols, qui sont aupres d'elle, de la gouverner absolument, en lui faisaut continuer cette vie soKtaire ; elles 1' obsedent et ne permettent de 1" approcher qu' a eeux, a qui leurs charges donnent les entrees et fönt avec l'ambassadeur une cabale domestique separe'e de tout le reste de la cour -)....

Comme sa cour est fort particuliere et fort renfermee, celle d' Eleonore deGonzaga, imperatrice douairiere, belle-uiere de l'Empereur, est assez libre et assez ouverte et sa bouto y donne tout l'acces que peut permettre le respect que Ton doit a uue si grande princesse.

[Sie gebar Ferdinand III. zwei Töchter, Eleonore, vermählt mit Michael Wiesnowiecki, König von Polen und Maria AnnaJ •').

La reine de Pologne est une belle princesse de jolie taille, claire brune, de visage male, le teiut beau et les traits assez reguliers; r esprit naturellement doux.

L' archiduchesse Marie-Anne sa cadette est presentement en sa 17''"'*^ annee, d'une taille agreable, les cheveux chataius, le teint un peu temi de la petite veröle et les traits disperses de maiiiere qu'ayant

') Gremonville, der ähnliches berichtet, spricht von einer Baronin Falkeu- steiu. '^) Vgl. Heibig, Bericht des Esaias Pufcndorf 60 l'. ') Später ver-

miililt mit .lohann Wilhelm, Pfalzgrafen von Nenburg.

Aus d. Berichte omos Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 16'7l u. 1672. 277

assez de pliysionomie generale de la maison d'Autriche aux joues et ä la bouche, on peut dire qu' eile n' est ni belle iii laide, niais qu' eile ne manque point d' agrement i).

L' imperatrice douairiere -) , sa mere, est d' une taille mediocre, naturellement maigi'e, les cheveux d'un clair bruu, fort lustre, de grands yeux ecartes pleins de feu et de mouvement, le nez droit, la bouche grande et plate, le menton court assez avance; tout le visage plat et formant presque une figui'e carree. Je ne sais quel teint eile avait autrefois, mais celui d' a present fait voir une fraicheur et un eclat, qui se renouvellent cbaque jour et s' etendent jusque sur sa gorge. Kien u'est plus propre que sa personne et Ton voit dans la simplicite et le noir de ses habits de veuve un air de galanterie et d' ajustement repandu jusqu' aux moindres choses. II n'est pas si facile de faire le Portrait de son esprit que de son visage, mais on peut dire qu'elle en a beaucoup, Joint a une si grande vivacite, qu'avec sa voix natu- rellement aigre mantouan on a quelquefois de la peine ä l'entendre. Elle aime la gloire et la reputation et V on remarque dans ses manieres une certaine envie de plaire et d' etre estimee de ceux qui 1' approchent, curieuse, aimant la science et la conversatiou des savants, liberale et magnifique comme la plupart des grands, ambitieuse et capable de beaucoup de choses pour satisfaire cette passion, d'ailleurs inconstante, pleine de variete, s'engageant facilement et manquant avec la meme facilite a ses engagements, brusque et prompte naturellement et cepen- dant patiente et politique, lorsqu' eile n' est pas la maitresse. Au milieu de ces qualites de son esprit et de son äme on peut dire qu'elle n'a pas le coeur insensible et que le merite et le bonheur d'un homme y peut trouver de la correspondance.

Elle a ete la 3*^ femme de Ferdinand III et comme il etait deja vieux et encore amoureux, lorsqu' il 1' epousa et eile jeune et spirituelle, eile avait un extreme pouvoir sur lui, dont eile usait avec tant d' honne- tete, surtout a l'egard de l'archidue, son beau-fils, que depuis, etant parvenu a l'empire il lui a conserve un respect egal et celui qu'il avait pour une mere et une consideration, qui lui donne du pouvoir ä la cour de sorte, que les ministres de l'Empereur gardent des gran- des mesures avec eile et ceux des princes etrangers qui sont a Vienne peuvent utilement employer son credit pour le succes de leurs nego- ciations 3) quoiqu'on puisse dire, qu'elle en a moins depuis le mariage de l'empereur, a cause du retour des Espagnols, qui ont eu assez de

«) Vgl. Heibig 1. c. 62 f. ^-) Marie Eleonora. ^) Vgl. Heibig

1. c. 61.

pouvoir })Our faire qiie 1' imperatrice ue lui donuat ui la maiii, ui le pas.

Voilä ä peu pres uu portrait raccourci des Majestes de Vienne aiiquel je joiudrai seulement celui des personnes corrsiderables qui coiiiposent ees trois cours, en commen^ant par celle de 1' Empereur, Oll le priuee Weuceslaw de Lobkowitz tieut la premiere place ]>ar la charge de grand-maitre d'hötel, qui Ini donne la pre'seanee sur les autres miuistres.

C'est uu homme age de 64 ans i), gTaud, gros et courbe; le visage assez agi-eable et meine beau pour son age. II est d' ime maisou au- cienue du royaume de Boheme. Zdenko de Lobkowitz son pere, grand- chaucelier de ee royaume, fut fait priuee par Ferdinand II et le servit utilement a la re'duction de la Boheme apres la bataille de Prague . . . II [Wenzel] a employe une partie de sa jeunesse a voyager. II a appris avec soin les langues latiue, italienne, f'ran9aise, espaguole. II a meuie un peu ete a la guerre -), et apres quelques emplois de moiudre consideration ^) il a exerce la charge de presideut du couseil de guerre ^). Enfin apres la mort du prince Portia, 1' Empereur 1' a rendu le premier homme de sa cour, lui donuaut la charge de graud maitre d'hotel, jointe il la fonction de miuistre. Ou peut dire que depuis lougtemps r on n' a yu dans le ministere homme d' un caractere semblable au sien; il a les manieres du monde les plus extraordinaires, ne parlaut'') le plus souvent que par apologues, par proverbes et par quolibets, ne repondaut que par comparaisons et capable d' embarrasser par ses manieres ambigues les plus habiles uegociateurs. Inegal dans son pro- cede, flatteur, Adiidicatif, empörte, aimant a fourber et s'en faisant gloire. Cepeudaut il faut avouer qu'avec des qualites si bizaiTes, c'est uu grand et habile ministre; profond dans ses desseins, patient et Cache dans les manieres de les faire reussir, conuaissant parfaitement le genie du Prince et de la cour et profitant de tout, jusqu" aux moindres choses, pour aller a ses fins. II entretient toujours quelque commerce avec quelques unes des filles d' houneur de 1' imperatrice. II a ])aru meme amoureux de la comtesse d'üarrach pour se conserver l'amitie du grand-cliamhellan son pere sur l'esprit du(|uel eile a beaucoup de pouvoii* ; au reste il a eu de grands bienfaits de 1' Em-

') Da Lobkowitz Jan. 1600 geboren ist, so würde die Angabe seines Alters luit 64 Jahren, gleichfalls auf die Abfassung des Berichtes im Jahre 1673 hin- weisen; vgl. die Einleitung. -) Seit 1631 leistete er Kriegsdienste: vgl. Adam Wolf, Wenzel Lobkowitz p. 17 ff. ») Wolf 1. c. 25 ff. ■•) Hof- kriegsrathspräsident wurde er 1652. ^) Die Worte »ne parlant« sind vom Herausgeber hinzugefügt.

Aus f1. Bel•iph^e eines Franzosen iili. d. Wiener Hof in d. J. 1(571 n. 1672. 270

pereur et eu a tire quelque temps des soimnes conside'rables au dela de ses appointements. II vit en gi-and-seigneur et tient ordiuairement une bonne table. II a epouse ime princesse palatine de la brauche de Sulzbacb 1), dont il a deux enfans. L'äine est äge de 18 ans, et jus- qu'a pre'sent il l'a laisse avec la princesse sa femme dans une de ses terres de Baviere sans le faire voyager ni le faire venir ä la cour. Ce prince est la seconde personne apres l'Empereur dans le conseil oii n'entrent avec lui que le C*^^ ^q Lamberg, grand-chambellan, le prince de Scliwarzemberg, president du couseil aulique et le Baron Hoclier, chancelier de la cour, qui sont proprement ceux qui portent la qualite de ministres, les seuls qui ont la direction des affaires et forment ce petit couseil, qu'ils appellent Conference, se traite ce qu'il y a de plus important et de plus secret dans les affaires de r Etat.^

Maximilian Conite de Lamberg, grand-cliambellan de l'Em- pereur est d'une ancienne maison de la province de Carniole, et, s'etant attache ä la cour des sa jeunesse, il fut dans la suite clioisi pour gouverneur de la personne de V empereur, qui, pour lors n' etait qu' arcbiduc et ne quitta ce poste que pour aller ambassadeur en Espagne, ou il demeura plusieurs aunees. C'est uu petit homme, maigre, age de plus de 60 ans, d'une pliysiouomie ordinaire, doux, sans ambition, bienfaisant, bonnete et bomme de bien. II n'a amasse que des biens mediocres, quoiqu'il ait beaucoup de part aux bonnes gräces et ä la confidence de son maitre, qui estime sa fidelite et sa probite '^). iSa femme est de Moravie de 1' ancienne maison de Vernes •^), II a plu- sieurs enfans, dont l'aine a Vordre de S^ Jacques d' Espagne; la com- tesse d'Harracb et la princesse de Portia, ses filles, ont plus d'esprit que de beaute. Sans m'arreter davantage a cette famille, je coutinuerai a suivre 1' ordre des dignite's, et je dirai que le comte de Gundacber de Dietrichstein, gi'and-ecuyer de 1' empereur, est ne lutherien et de- puis s'est fait catbolique, et se trouvant pauvre dans sa jeunesse et avec si peu de bien qu'il ne se pouvait pas soutenir a la cour de r Empereur, il s'attaclia ä celle de 1' arcbiduc, etant deveuu Empereur il l'eleva a la charge de grand-ecuyer. Ceux qui ont voulu penetrer les veritables raisons de cette foi"tune et de 1' agrement qu' il a aupres de son maitre, ont cru que son peu de merite y avait contribue et

1) Sophie; es war dies die zweite Gemahlin des Fürsten Lobkowitz; die erste war Johanna Myska v. Zhmic. *) So lautet das allgemeine Urtheil der

Italiener, Franzosen, Pufendorfs u. a. m. ') Judith Kebecca Eleonora Gräfin

von Wrbna.

l'avait pu reudre agre'ahle an Prince, qiii ne saurait aimer les hahiles gens, parce qu'il les craint et ne donne sa confiance qii'a des per- sonnes dont il trouve le genie de la ])ortee du sien. II Ta raeme encore pu aimer par 1' attachement qu'il a eu a jouer avec lui, dont celui-ci a su tirer avantage en gagnant des sommes considerables a son maitre. II s'est etabli d'ailleurs par le mariage tres-riehe avec la soeur d'un comte de Fürstemberg, d'une maison nouvelle.

Le comte Fran^ois Augustin de Waldstein i) quoique tres-different de genie et de manieres d'avec le grand-ecuyer, a nean- moins commence sa fortune presque de meme; c'est-a-dire par son attachement a V Empereur lorsqu' il n' etait qu' archiduc. II est de cette maison devenue illustre par toute 1' Europe en la personne d' Albert de Waldsteiu, duc de Friedland, et qui d' eile- meme est des plus an- ciennes de Boheme avec la qualite de baron la plus haute de ce petit royaume, chaque seigneur est absolu sur ses sujets comme sur ses esclaves. II y a environ 30 ans -), que les Waldsteins ont titre de comte. La brauche du duc de Friedland et celle du C*^ dont je parle, etaient separees depuis longtemps, mais son perc'^) se trouva etroitement uni avec le duc et par amitie et par alliance, qui etait entre eux, ayant epouse les deux soeurs de la maison d' Harrach ^). Le credit du duc lui servit ä la cour, mais son merite particulier Joint a sa bonne conduite le mit en etat de s'y soutenir de lui-meme et de n'etre point accable par la chute de ce grand general, apres laquelle il ne laissa pas de s' avancer jusqu' a la charge de grand-chambellan daus laquelle il mourut. Son fils aiue avait epouse la riche heritiere de Rothai et mourut jeune dans une des premieres charges du royaume de Boheme ^). Le comte Fran9ois Augustin dont nous parlons, etait le 2®. II s' etait fait chevalier de Malte, et par une inclination parti- culiere il s'e'tait attache a 1' archiduc, qui pour lors n' etait que cadet. Le comte Charles ^), son frere, quoique plus jeune, etait entre dans le Service de Ferdinand IV^, roi des Romains, mais ce prince etant mort, l'elevation de 1' archiduc, qui depuis parvint ä l'erapire, fut suivie de Celle du comte Fran9ois Augustin, qui a moute jusqu' a la charge de premier capitaine des archers de sa garde. Son application particuliere a la musique, aux comedies et aux plaisirs de 1' Empereur n' a pas peu contribue ä Jui donuer d'abord les bonnes gi-aces de ce prince et a

>) Ven. Final1)erichte 1. c. J52. -) .Seit 1628; Wurzbiieh 52, 208.

*) Graf Maximilian ^\'aldstein. *) Die Gemahlin Maximilians hiess Katharina ; die Albrechts Isabella Katharina. •) Ferdinand Ernst t 16b'5; seine Gemahlin war Eleonore Gräfin von Rothai ; er war Oberst-Landkämmerer gewesen. ''•) Karl Ferdinand, geb. 1634, t 1702.

Ans fl. Rendite eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1H7I u. 1672. 281

les lui couserver daus la suite. II est age de 40, de mediocre taille, fort ])rim, le visage agreable, l'air melancolique, les manieres civiles et houuetes, un esprit de reflexion, dans leqiiel il parait de l'appli- cation et quelque finesse, au reste grand seigneur par la successiou substituee par uu parent pour les enfans de son maitre et les avautages de sa religion, qui l'a honore depuis peu de la grande croix. II vit assez magnifiqueineiit et ses pretentions sont au cardiualat. J'ai dit qu'il commandait la premiere compaguie des cent archers de la garde, Le prince Pio i) commaude la secoude, appelee des Trabans, corapose'e de pareil nombre de halbardiers, et ces deux corapaguies fönt toute la garde du premier prince de la chretiente.

[Pio stammt aus einer Ferrareser Familie, ist jung uach Deutsch- land gekommen und in die Armee eingetreten]. II n'a rien moins que l'air d'un homme de qualite, beaucoup de vanite, mediocrement d' esprit et peu de merite, une graude inclination ä la depense, mais beaucoup augmentee encore par son niariage, dont il n'a rien tire' jusqu'ä present, ayant enleve la fille de Castel-Kodrigo, qui n'a point voulu lui pardonner, et s'il meurt sans changer de sentiment, eile perdra pres d'un million, qu'elle avait a esperer de sa succession.

[Am Hofe gibt es dann noch Kammerherren; ihre Zahl über- steigt 300].

Apres la maison de 1' Empereur vient le conseil aulique etabli pour le jugement des affaires de rempire,-avec une autorite egale a celle de la chambre de Spire et ces deux juridictions n'ont d'avantage l'une sur l'autre que par preveution.

Jean Adolphe, prince de Schwarzemberg, conseiller in- time de l'Empereur et president de ce conseil, est fils d'Adam comte de Schwarzemberg d'une ancienne maison du pays de Cleves, qui s'attacha a l'Electeur Jean Guillaume de Brandenbourg -), lorsqu'il recueillit la succession de ce pays, et il sut si bien s'emparer de r esprit de ce Prince qu'il devint son favori, II a acquis de gi-ands biens par tous les nioyens dont se peut servir un ministre absolu jusqu'ä prendre du duc de Neubourg une terre de cent niille e'cus pour le favoriser dans le partage de la succession de Cleves et de Juliers coutre les interets de l'Electeur, son maitre, pour lequel il agissait. II eugagea d'ailleurs un C*® de Schwarzeml^erg son parent eloigne et tres-riche a le faire son heritier, lui promettant la voix de 1' Electeur de Brandenbourg pour l'election de l'Empereur, dont ce comte etait ministre. Cette grande faveur dura jusqu'ä ce que l'I^lecteur Frederic

1) Hubert Fio. -) Soll heiasen Georg Wilhelm.

Guillaiiinc, ä preseut rei^iiaut, ayant succede a soii peiv, iiou seulemeut disgracia ce favori, mais Tayaut (le'poiiill(i diiraut sa vie peu a peu s'empara de tont son hien. Sou fils dout iious parlons presenteraent, qui est ägc* de 60 ans *) avait e'te eleve' des sa jeuiiesse k la cour de rEmpereur, ou il s'attacha a Tarchiduc Leopold Guillaume, ci-de- vant son grand-maitre d'hotel et son favori. II a tire de grands avantages de la liheralite' de ce prince ^), dont la cousideration jointe ä Celle de TEmpereur lui a fait retirer des sommes considerables de l'Electeur de Braudeubourg, il a recueilli la succession de ce pareut, dout j'ai parle et tout eela Joint a heaucoiip d'ecouomie le rend nn des plus riches hommes de la cour de l'Empereur, ä laquelle etant revenu apres la mort de l'arcliiduc, il fut, en Tanuee 1G70 eleve ii la Charge de presideut du conseil aulique et l'annee suivante a la dignite' de Prince. C'est un niiuistre sage, et quoiqu'il ne mauque pas d'aiubition, il a toujours fait paraitre beaucoup de mode'ratioii dans la couduite de sa fortune. On doutait s'il aurait de l'e'tendue et de r elevation assez pour remplir la place de premier ministre, mais au moins il est certain qu'avec du bon sens et de Texperience il a toute l'application qu'ou peut donner aux affaires. II u'a de sa femme qui est de la maison de Starhemberg qu'un fils et un fille^). Le fils*) ayant fait un voyage eu Italic s'est engage par des pro- messes de mariacre avec une demoiselle de la connetable Colonna, dont il est encore amonreux malgre' tout ce qu' a pu faire son pere, qui 1' a toujours tenu a la campagne depuis son retour d" Italic, La fille ^) a epouse le prince d" Eggenberg. Elle est jeune et bien faite, parle italien et IVancais comme allemand. Elle a un grand rang et de grands biens mais, le peu de merite de son mari et le peu d'estime (ju'elle a pour lui la rend malheureuse.

Jean Paul, baron de Hocher, chancelier, c*est-a-dire pro- prement secretaire de la cour, qui, en cette qualite, entre au conseil de la Conference avec les trois autres ministres, est originaire de Fribourg en Brisgau, fils d'uu docteur en droit. II a passe sa jeunesse dans Tetude de cette science^ qui lui a donne Tentree dans les affaires de l'Empereur, particulierement a la diete de Eatisbonne, oii il a reside lougtemps avant que d'arriver au poste du chancelier. II est äge

') (ieboren ltjl.5. -) Vj,'!. auch Helbig 1. c. <j9. ») ^^ hatte von

seiner Ueinablin Marie Justine Ciräfin von ytarhemberg 6 Kinder, doch starben 2 Söhne und 2 Töchter in dtr Kindheit. •») Ferdinand Wilhelm Eusebius.

■') Ernestine.

Alis (1. Benclitc(;iiu'«Friuizusrii n\,. d. Wioiu.M-Hot iii d..). IHTl u. Ib72. 283

(V eiiviron 50 ans i), d' esprit paisilile et regulier, homme de bon sens et d' applicatiou, entierement dependaut du prince Lobkowitz -).

Parmi taut de personnes illustres par le rang et par la naissauce, dout la cour de l'Empereur est composee, deux moines trouvent leur place et fönt une figure assez considerable.

L'un est le pere Muller 3), jesuite, eonfesseur de T Empereur, aussi hounete et bou homme, qu' on le peut etre :i la cour, il se mele peu de ce qui regarde TEtat et les grandes affaires, qui pourraient le commettre et lui douner de l'embarras. Mais il a du pouvoir dans les affaires particulieres et peut agir utilement aupres du Prince en faveur de beaucoup de personnes pour leur faire donner des emplois et obtenir quelques gräces. L'autre est un pere Emerich^), capucin, qui n'a aucun poste a la cour ui d'autre raison d"y venir que celle de son inclination intrigante. II a paru aux plus grandes affaires, Le ])remier ministre et les Espagnols emploient souvent son credit aupres de TEmpereur pour faire reussir leurs desseins; et les ministres etrangers cherchent l'appui de son credit dans leurs negociations ^).

11 y a a Vienne un c o n s e i 1 de g u e r r e etabli et fixe,, dans le- quel s'expedie tout ce qui regarde le detail des troupes.

II est compose de certain nombre de conseillers sous la direction de Raymond de Montecuccoli, qui en est le president gene'ral des armees de l'Empereur et gouverneur de Raab en Hongrie.

II est d'une ancienne maison de Modene, et tut attire au Service de l'Empereur par le comte Ernest de Montecuccoli, son oncle, sous lequel il fit des actions remarquables des V annee 1029 ''). il a continue depuis en s'avancant dans le service jusqu' a present qu'il a 70 ans'); grand, de bonne mine et d' assez belle taille autrefois, mais maintenant courbe, faible et consomme de maladie et des fatiques. Son merite est assez connu par la conduite qu'il a fait paraitre ä la tete des armees de l'Empereur. Sage, prevoyant et joignant a la longue ex- perience tout ce qu'il a pu apprendre par une extreme application ii la lecture, capable du gouvernenieut politique comme du militaire ^), civil, honnete, si peu Interesse qu' apres avoir longtemps commande dans un service il suffit d' avoir ete pour avoir le moyen de s'en- ricliii-, il n'a que des biens mediocres au dela de tous les avantages,

') lieb. IGIG. -) Bekauntlicli ging diese Freundschaft dann in eine

erbitterte Feindschaft über. ^) Philipp Miller; vgl. Von. Ber. 1. c. 5, 51.

••) Sinelli. '^) Vgl. auch Helbig 1. Cj^74 f. ") Sein Eintritt in die kaiser-

lichen Dienste erfolgte schon 1625. ') 1609 geboren; also erst 1679 70 Jahre

alt. ^) Ein überaus günstiges Urtheil über Montecurcoli fällt Chavagnac

1. c, 255.

9^4 P 1" i 1> r ii in.

qu'il tire de TEmpereur. II est eunemi du priiice de Lo])ko\vitz, mais d'une graiide correspoudauce avec riinperatrice douairiere, faible eour- tisan, timide dans ses pre'tentions et peu ferme a appuyer Celles de ses amis, d'ailleurs caehaut beaucoup d'ambition sous des apparences mo- derees. II a e'pouse la soeur de Ferdinand ]n-mce de Dietrichstein i), dont il a nn fils fort jeune '-) et des filles 3) bien faites.

Je ue crois pas trouver de lieu plus propre que celui-ci pour parier de Louis Eatons^), comte de Souches, que ses Servi- ces ont eleve' a une haute fortuue, et dont Televation est d'autant plus ä estinier qu'etant etranger et sans naissance, il s'est fait un chemiu ])ar son propre merite au rang le plus cousiderable la guerre puisse porter un homme pres de l'Empereur. II est fi-an9ais, originaire de la Eochelle, ne huguenot, d'une famille d'une me'diocre bourgeoisie; et s'e'tant jete fort avant dans les Services des Suedois, plusieurs jeunes fran9ais allaient pour lors apprendre le metier de la guerre, il s'avan^a avec le temps jusqu' au poste de lieutenant- colonel. Mais, s'etant brouille' avec le general Torstenson, sous lequel il servait, il quitta ce parti poui- entrer dans celui de 1' Empereur, il eüt peu de temps apres occasion de se venger du general Torstenson, en defendant la ville de Brunn avec tant de vigueur qu'il lui en fit lever le siege. II a depuis continue a servir avec reputation, s'est fait catholique, s'est vu plusieurs fois en chef Commander une armee de r Empereur et a battu les Turcs deux fois. II s' est particulierement attache' a 1' Infanterie, oii il est estime le premier homme d' Allemagne pour l'attaque et pour la defense des places; vigilant et brave, homme d'entreprise et resolu ä la guerre et capable d'un grand coramande- ment. II est du conseil de guerre; il a ete gouverneur de Comorre^) en Croatie vacant par la mort du jirince de Bade. On a pretendu qu'ou ne lui avait donne' ce poste que pour l'eloigner de Vienne, oii il etait incommode k la cour. Car c'est un homme naturellement chagrin, haissant tout ce qui est au-dessus de lui, meprisant ses egaux, maltraitant ses inferieurs, persuade que lui seul a des merites, malfai- sant, peu sür et peu secret, peu capable de faire des amis et moins encore de les conserver. Son extreme economic lui a donne moyen d'amasser de grauds biens auxquels il Joint le titre de couite, dont r Empereur l'a honore. II est age de 64 ans; d'une physionomie fort commune, assez cache, vivant d'un grand regime pour conserver le peu de sante qu'il lui reste ....

') Maria .loseplia. -) Leopold Philipp, mit dessen Tode 1698 das Ge-

Bchlecht erlosch. ^) 3 Töchter. *) Rattuit. «*) Für Warasdiu,

Ans d. Bericlite eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1671 n. 1672. 285

Apres le eouseil de guerre on peut parier de celui des finances.

George Louis, comte de Sinzeiidorf, qid en est presideut depuis 10 ou 12 ans ^), exerce cet emploi avec tous les avantages d'uu komme qui ne rend poiiit de comptes, et qui, d' ailleurs, eonnait la fai- blesse du Priuce, accoutume a se passer d'argent, quand on l'assure qu' il n' y en a point. Dans cette pauvrete des finances il n' a pas laisse d'amasser de grands biens et d'aclieter de tres-belles terres. C'est un genie, ne pour cette fonction a laquelle il s'est applique, flu d' ailleurs et d' une profonde dissimulation. II est age de 60 ans =^), et ayant e'te lougtemps bans enfans, il a depuis peu epouse une jeune princesse de la maison d' Holstein ^), belle et galante, qui lui a donne des enfans.

[Keichsvicekauzler ist jetzt Graf Wilhelm Leopuld von Königs- eggj ^), qui soutieut cette charge avec beaucoup d' habilete et d' agre- nient ...

[Oberstliofmeister der regierenden Kaiserin ist Prinz Ferdinand von DietriclisteinJ. On l'a tir«» du gouvernement de Moravie pour entrer dans ce poste, dans lequel il s'est fait assurer une pension de 14000 ilorins pour preveuir le peu de certitude qu'il y a dans le payement des appointements des charges. Au reste il est conseiller, a peu d'esprit et de merite, mais sa complaisance et son application a louer tout ce que fiiit l'Empereur lui donne assez de consideration aupres du Prince pour eu esperer de la faveur dans la suite. II n'a pas plus de 40 ans •'•), et a epouse une dame tres-belle et galaute, soeur du prince de Simberg ß). C est le seul grand officier dans 1 a maison de l'imperatrice regnante.

[Die erste Hofdame ist die Gräfin d'ErilJ. Elle est veuve du comte d'Eril de la maison de Cardonne, et si les ministres lui per- mettaient, ou que V imperatrice eiit du pouvoir, eile s' en servii-ait avec avantage. Mais son credit est renferme dans rap])artement de sa mai- tresse, ou eile a souvent beaucoup de cliagrin pur le peu d'utilite qu'elle tire de sa cliarge et le peu de moyen qu'a TEmpereur de lui faire du bien. Comme eile etait pauvre en Espague, eile a amene toute sa famille en Allemagne, c'est-ä-dire un fils, a qui on a donne une compagnie de cavalerie, et deux filles, qui sont aupres de l'im-

') Öinzendorf war seit 1657 Hofkammerpväsident. ') Geboren 1616.

3) Dorothea Elisabeth, l'rincessin von Holstein. ••) Vgl. über ihn Heibig

1. c. 71. ^) 1636 geb. "J Seine Gemahlin war Marie Elisabeth Fürstin

von Eggenberg.

2gg t^rilirani.

peratrice, et «emblent y devoir demeurer longfcemps par le peu d'in- cliuation qu'ont les courtisaiis allemauds ;i epouser les Espagnoles. La comtesse d'Eril est ime petita femme brune ou plutot noire, fort maigre, agee de 50 ans. La marquise de Lancerot ä peu pres de meme age, mais d'ime ligure plus ugivable est maitresse d'liütel, c"est-;i-dire o-ouvernaute des tilles d'houneur espagnoles qui sont au uombre de 4; et la vieille Comtesse de Portia gouvernante des filles d' honneur alle- mandes, qui doivent etre 12.

[Der Obersthotineister der Kaiserin wittwe (qui a sa raaison eutiere- meut re'paree et jouit d'un grand douaire, qui lui doune moyen de Tentretenir uiagnificiuemeut) ist Albert Graf von Sinzendorf J i), bon homnie et qui ne manque pas de bon sens. II a passe' la meilleure partie de sa vie ä faire bonne chere et a mauger son bien. 11 a ne'anmoins ete grand-veneur de l'Empereur, et est encore conseiller intime.

Charles comte de Waldstein, grand-e'cuyer de cette princesse est un cavalier de 35 ä 40 ans -) ; grand, beau et bien fait, frere de celui qui est ca]>itaine des gardes de 1' Empereur ...

II.

|Der Verfasser sagt, er möcLte die Ereignisse von 1670 1(h2 schildern. Je ne pre'teuds, bemerkt er, parier que comme un komme, qui s'est arrete' eu cette cour par la seule necessite d'apprendre ce que les voyageurs peuvent s9avoir sans eutrer daus le secret des affaires. Er gi-eift bis zum Eegieruugsantritte Leopold 1. zurück; be- tont, dass Portia nicht mehr so viel Rücksicht auf die Spanier nahm, da er nicht durch sie emporgekommen w^ar. Dies benutzten die Fran zosen und sandten Gremonville nach WienJ. 11 y vint dans une con- joncture agre'able. Le Prince et les ministres ('taient egalement faibles, les Espaguols ne dominaient plus, l'imperatrice douairiere n'etait pas Sans quelques inte'rets ii l'egard de la France; d'ailleurs il veuait de la part d'un maitre grand dans la i)aix et dans la guerre, ('galement capable de (hmner de l'appui, de la terreur et le puissant gcnie ("tait l'äme de ses miuistres au dehors du royaume comme au dedaus. 11 se servait de tous les avantages, qui donnaient de grands moyeus :i un esprit hn et penetrant comuie le sien d'employer la politique qu'il avait etudiee depuis 20 ans duraut parmi les Venitiens et de reussir daus une cour allemande, dont la leuteur avait besoiii d'etre «■veillee pur des manieres aussi pressantes i[ue la sienne.

') Vgl. iihiT ihn muh ll.'H.iy 1. c 7:5. -) CJeb. \(iM.

Ans fl. Beviclite eine« Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 167l u. Ifi72. 287

[Auf Portia folgt iils leitender Minister Lobkowitz, der den Fran- zosen freundlicli gesinnt ist. Sein Gegner war Auersperg]. Savant et eclaire daus la politique, de Televation et de la uettett- dans ses desseins, de l'e'loquence ot de la gravite, bardi homnie d'entreprise et d'expe- dition, mais süperbe, dur et inflexible, ambitieux jusqu' a 1' aveuglement, capable de tout sacritier poiir satisfaire fette ])ussiou. II ne pouvait soufirir de voir le prince de Lobkowitz oecuper im ])Oste, qu'il avait rempli si lougteuips et s'y maiutenait par des intrigues et des cabales qu'il .croyait beaucoup au-dessous du merite et de Tliabilite' qu'il avait fait paraitre. Aussi on voyait une guerre continuelle entre ces deux ministres etrangers sur le point de faii'e reussir des affaires pre- judiciables au service du Prince. Mais enfiu son exil termina ces con- testations. La cause appareute e'tait ses pre'teutions au cardinalat, il etait devenu libre par la mort de sa femme, et clierchant un nioyen d'acquerir un rang capable de 1' egaler au grand-niaitre, il crut que celui du cardinalat lui donnerait tous les aA^antages qu' il pouvait sou- liaiter pour ce desseiu. La grandeur des obstacles qu'il trouva a l'executer l'ayant porte, a ce que Ton pre'tend, a tromper la cour et prendre des liaisous e'trangeres, son euuemi s' en servait avec avautage et activa de le perdre daus l'esprit de l'Empereur, qui le ha'issait d' ailleurs a cause de son habilite et de son ambition et par le souvenir du mepris qu'il lui avait te'moigne', lorsqu'il n' etait encore que r archiduc . . . [Eine Gefahr für Gremonville lag iu der Heirath Leo- polds mit der spanischen Prinzessin Margaretha Theresia; doch ver- feindete sich der spanische Gesandte am Wiener Hofe, Mi^ de Malagou, mit den Deutschen und konnte nichts gegen Gremonville ausrichten. Kov. 1()70 wurde Malagou durch Balbesos ersetzt].

Teile etait la cour de Vienne. L'Empereur d'un genie toujours i'aible, craignant les affaires, n' ayant pour tous heritiers qu' une petite princesse; le prince de Lobkowitz le gouverna plus par adi-esse et par cabale que par confiance, ce miuistre d' ailleurs beaucoup plus occupe aux maneges de la cour et aux intrigues qu'aux affaires exterieures, qui pourraient donner de la grandeur et de la reputation a son maitre, et se trouvant dans une confiance generale avec les Espagnols et les Fran9ais, qu'il veut toujours menager egaleraent. Le C^" Lamberg toujours bon homme, ne se melant de rien. Le comte de Schwarzem- berg attache aux Espagnols d' inclinatiou et d' interets, mais assez ren- ferme dans ses fonctions auliques.

[Das war der Zustand, als die Nachricht von der Eroberung Lothringens durch die Franzosen in Wien einlangte. Sie erregte grosses Aufsehen und veranlasste den Lothringer den ^V^iener Hof um eine

^gg P V i b r a. m.

Unterstützung anzugehen. Den berechtigten Grund Ludwig XIV. so vorzugeheu, glaubt der Verfasser in dem wiederholten Vertragsbruche des Herzogs von Lothringen suchen zu müssen, wie dies Gravel in liegeus- burg so überzeugend auseinandergesetzt habe. Der Kaiser entschloss sich auf die Bitten des Lothringers die Vermittelung zu versuchen und sandte den Grafen Windischgrätz nach Paris. Die Mediation des Kaisers wurde von Ludwig XIV. in sehr höflicher aber entschiedener Weise abgelehnt]. A dire vrai, on fit a Paris un jugement bien diffe'rent de r opini(m qu' on en avait ä Vienue, oU il etait eu estime de gi-aud negociateur et plus capable qu' uu autre de faii'e reussir cette aöaire a laquelle il tut destine nonobstant sa reiigion lutherienne, qui d'ailleiirs aurait pu empecher 1' Empereur de 1' honorer d' une commission si im- portaute. Aussi Ton peut dii'e qu'il a de l'esprit et qu'il La Joint ä une grande conuaissauce des langues, 1' etude des helles lettres et de ce que peut connaitre la politique; mais on trouva en France que ses helles qualites etaieut gätees par une vauite et par une grande opiniou d'un merite qui ne parut en rieu; qu'il etait defiant et inquiet dans les choses claires et l'on etait de bonne foi avec lui, et souvent simple et peu eclaire dans les affaires dehcates, oh Ton pouvuit le surprendre, et qu'eufin, si son aff'aire eut pu reussir d'elle-meme, il eut pu la ruiuer par sa mechante conduite.

[Windischgrätz kam nach Wien zur Zeit, da die ganze grosse Verschwörung der Ungarn ihr Ende fand, die zu schildern der Ver- fasser versuchen willj.

Le royaume de Hongrie avec ses dependances etant passe depuis pres de 150 ans sous la domiuation de la maison d'Autriche par le mariage de Ferdinand P' avec Anne, soeur de Louis, dernier roi de Hongrie, cette re'union d' Etats qui semblait devoir lier plus etroitement les Hougrois et les Allemands sous un meme maitre produisit entre eux un effet tont contraire. La diffe'rence de langage, des coutumes et meme des habits, les difticulte's sur les diversites des religions aux- quelles 1' Empereur ne peut etre favorable, y ont mis la premiere haine ; depuis on a ote aux Hongrois la garde de leurs places pour y mettre des garnisons allemandes, on a peu d'egard a la conservation de leurs Privileges, et par la derniere paix qui semblait les devoir mettre en repos, ils se sont trouves exposes aux ravages des Turcs, sans se pou- voir defendre eux-memes, ni esperer des Protections de leurs maitres. Les Sujets de plaiute ont laisse dans le coeur de cette nation d' ailleurs bizarre et extravagante un foud de haine incroyable pour le gouver- nement allemand, et qui leur fait souhaiter sans cesse d' avoir un roi de cette nation, comme ils pretendeut que leurs privileges leur perinettcnt

Aus d. Berichte eines Franzosen üb. ct. Wiener Hof in d. J. 1671 u. 1672. 289

d'eu elire. On peut dire que c'est ce qui a doniie aux auteurs de la derniere conspiration la contiance d'en former le dessein, auquel ils s'engagerent de cette maniere.

Parmi la uoblesse, qni est grande et puissante en ce royaume, ])resque toute malconteiite, la maison de Serin i) teiiait un rang fort cousiderable ])ar sou antiquite, par son attachement a la religiou catholique et par nne reputation de valenr etablie de pere en fils dans cette maison sur une longue suite de belles actions sur les infideles. Le C^'' Nicolas et le C*^<^ Pierre sou frere restaient seuls de cette grande famille et avaient herite' de leurs ancetres la haine contre les Turcs et l'habitude de leur faire la gaerre par des courses continuelles. Le premier n'ayant pas re'ussi dans l'entreprise de Canise -), qu'il avait assiegee au commeucement de l'annee lOCjA'^^), et ayant jierdu son fort lächeineut abandonue par les imperiaux, il se trouva daus une espece de disgräce, et apre.s, la bataille de Kaab ^), la jiaix e'tant faite avec les Turcs, on lui ordonna de se retirer dans ses terres. Comme le ])rince de Portia n'aimait que la paix et sacrifiait tout pour l'avoir, il n'ai- inait pas le C^** Nicolas de 8erin, comme un liomme qui avait ete' cause en partie de celle qu'on venait de terminer et qui parlait de cette ]jaix comme d'uue paix honteuse, oii, apres des batailles gagne'es, on laissait aux intideles tout ce qu'ils avaient ]»ri.s. 11 se retira donc en Croatie, peu a})res il fut tue a la cliasse par un sanglier. C'e'tait un liommo brave, vigilant, inquiet et ambitieux, capable de grandes resolutions et on pretend que les chagrios qu' il avait re^us de la eour lui avaient donne des idees, qui auraient pu causer des revolutions considerables, si elles n'f^usseut ete etoutfnes pur sa mort, que plusieurs out attribuee ä un assassinat premedite plutot qu' ä la rencontre d' une b«"'te. Le C*^" Pierre son frere avait eu part k sou deplaisir, il avait du courage comme lui et une force du geant, mais peu d'habilite et de condnite, et neanmoins c'etait le second heros des Hongrois. Les courses qu'il faisait continuellement sur les Turcs 1' avaient fait sub- sister toujours avantageusement ])ar le pillage et ]3ar la vente des prisonniers, et lui donnait moyen d'amasser trois ou quatre mille clie- vaux hongrois, (pü vivaient de la meme maniere. Mais la paix e'tant faite et les courses entierement defendues ])ar rEnii)ereur de peur de donner au Türe des sujets de rupture, meme desagre'able aux yeux de la cour, ])auvre et dans 1' imjmissance de se maintenir comme il avait fait jusqu' alors, il demeura quelques annees dans cet etat, mais enfin son chagriu et son im))etuosite naturelle le portereut ä se ])laindre

'j Zriny. ^) Canischa. "} In codice 1667. ■•) 1. Aug. 1664.

MiULeiluugeu XII. 19

ouvertemeut de la cour et ü lucuaccr de quelquc revolte, croyaut que, daus la faiblesse etait le goiivernement, on chercherait ä l'apaiser. Le C*'^ FraiKjois Fraugipani, son bean-frere, homme inquiet et vain, qui avait de l'esprit et du feu mais sans jiigement, entr;i daus ses sentiments, et tous deiix engagereut im C*'' de Tatteubach, qui u' avait ])our merite que de la qualite et du bieu. Wesseleuy i), Palatin de Hüugrie et Fraü9ois Nadasdy -) s' etaut aussi jetes dans cette cabale, ce dernier cousiderable ]iar ces bieus, ses alliances, ses emplois et d'uu genie fourbe et cache.

Ils donnereut eufiu quelque forme a leur dessein et ayaut resolu de partager eutre eux la Croatie et la Hougrie, ils offrireut au Grand- Seigneur de faire revolter les provinces et de les teuir de lui comme le prince de Trausylvanie, Le Tiirc leur refusa absolumeut, ils voulurent faire des propositions a la France, qui les rejeta aussi et ils cherche- reut enfin uu maitre qui les protegeat contre l'Empereur, qu'ils voulaient abandonner. Pendant les uegociations ils venaient a la cour parier tacitement, ])reseutaient des placets pur des ]irecautions extra- vagantes et jusqu' ä 1' antichambre de TEmpereur ils meuacaieut de se donner au IHirc. Cette iusolence ayaut fait conuaitre leurs iuten- tions, et un domestique du C**^ de Tattenbach, pique de quelque mauvais traitemeut de son maitre, en ayaut assez decouvert pour le faire arreter, le comte de Serin et Fraugipani se trouverent embarrasses et, daus l'incertitude du parti qu'ils devaient preudre pour gagner du temps, ils envoyerent a la cour le coufesseur •'^) du C^" de Serin jiour obteuir la liberte de venii- se justifier; ou assura que l'Empereur leur envoya des sauf-conduits. Ils partireut sur cette croyance, fiirent arretes eu chemin et couduits ii Vienue. II est certain qu'ils avaieut parole positive de leur liberte, mais la raison d'e'tat l'eiuporta daus l'esprit des miuistres sur les scrupules d'uue ])arole et les fit reteuir pour leur faire leur proees.

Sur cette nouvelle, le prince Kakciczi, geudre du (.•'" de Seriu ^), assembla dix ou douze mille liommes de ses sujets et eutra dans la Haute-Hongrie, il a plusieurs places; et, ayaut surpris le 0*" de Starhemberg^'), gouverueur de Tokay, il se saisit de la ville, mais il u'osa attaquer le chäteau, et cette demarche fut uue entreprise de jeiiue homme suivie seulemeut de gens ramas.ses, qui se dissi})ereut ä 1' instant, que ]'Emi»ereur y envoya un corps de 4000 chevaux et quelque iufanteric

') In codice .Vesseliu'. -) In codice .Madart.y*. «) P. FoiHtall ;

vgl. A. VVoir Lubkowitz 268 I'. ■*) Kr heiratliete Helene Zriny, die sich in

zweiter Ehe mii Emevich Tfiküly veiiiiäliK«'. •'•) in codice .Nuieiuberg'.

Ans rl. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in d. J. 1 671 n. 1 072. 99 \

soiis le ge'jieral 8i)orck, qui ue trouva aucuue resistance, s'empara des places du prince Kuk()czi, y mit garuison et se fit rendre par la veuve du Palatin Wesselleui sur une simple soraraation le cliateau imprenable de Muran}^ dans lequel ou trouva tous les memoires originaux, les lettres, les i)rojets et les traite's des conjure's, qui ont servi depuis de convictiou dans le proces, et qui, ])our lors, firent connaitre que le C^'^ Nadasdy etait de la coujuration et peut-etre le plus coupable. II demeurait cependant ä quatre Heues de Vienne dans son chäteau de Pottendorf, sans s'etonuer de voir les autres conjures prisonniers, et avee la meme assurance que s'il eüt ete innocent, de sorte qu'on eut toute la commodite de l'y arreter au mois d'octobre ') de l'annee 1070 et de le conduire k Vienne, son proces lui fut f'ait jusqu' au der- nier jour d'avril 1071, qu'il eut la tete coupee dans la salle de la maison de ville, apres avoir ete degrade de noblesse. Les eomtes de Serin et Frangipani furent executes le meme jour et ä la meme heure dans la place pulilique de Neustadt a huit lieues de Vienne.

Kien n' etait plus CüU])able que leur conjuration, pt cependant rEin]iereur leur aurait pardonne, s'il n'eut ete soutenu par ses uiinistres, (pii lui iireut voir de quelle consequence etait leur |)unition '^). Le prince Käkoczi s'etant retire en Transylvanie en fut quitte i)Our deux ceut mille ecus et des garnisons dans ses ])laces et le comte de Tattenbacli r«^servH a perdre la tete se])t ou huit mois apres dans la ville de Graz en Styrie. Cette grande executiou acheva d'aigrir les Hongrois et de mettre dans le coeur de cette nation farouche et infidele toute la baine possible (outre rEm))erenr et le gouvernement et toute la disposition ii la revolte et cherclier tous les moyens de se venger en se soumettant a la puissance etrangere.

(Nach der Beendigung dieser Verschwörung trat Euhe am Hofe des Kaisers ein, die nur unterbrochen wurde durch die von dem Für- sten von Lobkowitz dem französischen Gesandten Gre'monville angethaue Beleidigung, für die er, auf das ausdrückliche Verlangen Taidwig XIV. hin, Genugtlinuug leistete) ■^).

') Er wurde am 3. fcJept. uacli Wien gebracht; vgl. VVoll", Lobkowitz 298. '-') Vgl. tlie bezeichnenden Aussprüche Leopokls bei Mailath ,Ung. Gesch. IV, 96 f. und Heigel ,Neue Beiträge zur Characteristik Kaiser JiCopold 1.' Sitzungs- ber. der bair. Akad. der Wif;s. 189(>. Bd. II, Heft V, 140. Jch habe es nitt gern (getan), allein ne Hungari possent credi, (lernianis oiunia condonari, illos solnni, . . . und damitt auch die Krblanden ein Exempcl haben, hab ichs mue-ssen ge- schehen lassen. (Jott aeye seiner Seel gnädig.' •') Da diese Angelegenheit wiederholt austührlich erörtert worden ist, wiu'de von der IVlittheilung abgesehen. Vgl. Woll Lobkowitz 378 f., Migaet 1. c. ül, 5()S ff.

292 P r i 1) r ä ni. '

Les ministres etraugers cousiderables qui se sont trouves ä la cour imperiale pendaut ce temi)s, dont je u'ai pas eu occasion de parier particiilierement, ont ete Monsignor Pignatelli, iionce de Sa Saintete, bon homme, aimant la bonne obere, entendant medioerement les alFaires de son maitre et poiut du tout les sienues propres, et cpü, apres de longs emplois, il avait consomme sa vie et son bieii, n' a eu pour toute recompense au Heu du Cardinalat qu' uu eveche de tres petit revenu. Monsignor Nerli qui vint apres lui en qualite d'extra- ordinaire jusqu' ä ce qne 1' ordiuaire füt arrive, sortait de la noueiature de Pologne, et attendant des ordres pour passer en France, nean- moins il n'alla point lors par raison de quelque degout entre cette cour et Celle deRouie, etait arcbeveque de Floreuce, age d"environ40aus; il avait de la capacite et de l'es])rit, mais Cache sous un air defiant et embarrasse et des manieres difficultueuses. Monsieur Albizzi, vieux prelat Calabrais de 64 ans, avait ]dus d'ouverture et ne manquait ])as de merite.

Marino Giorgi i), ambassadeur de la republique de Venise finit son emploi au mois d'aoüt 1671. C etait un liorame savant et eloquent, fort applique ä son emploi, du reste les mauieres et la figure d'un veritable docteur, et jamais il ne fut de ces liommes plus diiferents, que lui et le cbevalier Morosini, qui lui sueceda, grand et de bonne mine, de la capacite dans les affaires, de la galanterie pour le monde, le coeui' et les manieres d'un vrai bounete horame ; la reputation qu'il s' etait acquise dans son ambassade de France, les marques d'estime et d'affection qu'il avait recues du roi, et la recounaissauce qu'il eu faisait paraitre ne lui furent pas avantageuses en cette cour, oii on le regarda d'abord comnie un homme tout fran^ais et dont le merite meme donnait du ehagrin a bien des gens qui se trouvaioit en ce point beaucoup au-dessus d'eux.

Les nonces et les ambassadeurs qui soiit a la cour de Vienne sont ol)liges par une bienseance, passee en coutume, d' assister a la chapelle toutes les f'ois que l'Empereur la tient, ce qui arrive fort souvent; de la ils accompagneiit Sa Majeste au diner et d'abord qu'il a bu la premiere fois ils se retirent. Les courtisans ne sont moins ponctuels a s'en aller, et il arrive d' ordiuaire qu'ä la moitie du repas, il lie reste aupres du prince que peu de personnes, que leurs cli arges obli- gent de le servir. C'est l'heure oii tout le monde fait sa cour, que de gens se trouvent au souper et personue au l<'ver ui coucher, hors les officiers necessaires.

') hl coilice i Maria Torcy*.

Aus d. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hofin d. J. Ib71 u. 1672. 203

Chez r imperatrice douairiere on va au diuer et au souper, et il se trouve des daraes qui out passe une partie de 1' apres-diner avec Sa Majeste. Durant qu'elle mange, on cause avec liberte et eile parle familierement aux personnes qui sont autour d'elle. II va |ieu de dame et rarement chez 1' impe'ratrice regnante, qui est presque toujours enfermee avec les Espagnols.

Les personnes de qualite ä Vienue sont tous comtes ou barons, sans ce titre ou fait bien peu d'estime d'un gentilhomme. Mais, quoique les comtes d'Autriche soient beaucoup entetes de leur noblesse, en laquelle ils fönt presque consister tout le merite, il y a neanmoins ä Vienne bien des comtes et des barons nouveaux, par la grande facilite qu' out eue les Empereurs a donner ce titre ä des per- sonnes qui se sont elevees dans les finances ou dans les chancelleries. Ceux de cette famille qui sont riches e])ousent souvent des filles des ancienues maisons, Mais il est assez rare de voir des hommes de la vieille noblesse se raesallier, de peur de perdre l'avantage de mettre leurs enfans daus les chapitres oh on prend les electeurs ecclesiastiques et les eveques princes. Cependant il y a grande difference entre un comte de 1' Empire et un comte d'Autriche; ces derniers etant sujets de r Empereur, duquel ils relevent comme archiduc et seigneur de ces pays hereditaires , au Heu que les autres ne le reconnaissent que comme chef de 1' Empire, dout ils sout membres souverains dans leurs comtes et baronnies, et ayant seance et voix aux dietes. Tous les Che- valiers ont un soin particulier dans leur jeunesse de voyager, de faire leurs exercices dans les pays etrangers, d' en apprendre les langues, et .1 est rare d' en trouver un, qui outre la maternelle ne parle encore la latine, la fran^aise, 1' italienne et quelquefois 1' espagnole, mais apres de si beaux commencements la plupart ne s'appliquent a rien dans la suite et menent une vie fort inutile.

Peu d' entre eux sont a la guerre, et si 1' on en voit quelques uns dans r emploi, ce sont des jeunes gens, qui depuis que la guerre dura ont pris des compagnies pour subsister. Le reste des officiers de r armee sont la ])lupart etrangers ou soldats de fortune. La negligence des AUemands donnc moyen a beaucoup d' Italiens de venir chercher de r emploi dans les troupes de 1' Empereur; comme ils sont industri- eux et naturellement ajipliques a leur fortune ils y entrent facilement par la faveur de 1' imperatrice douairiere, du comte de Montecuccoli et de r ambassadeur d'Espagne, et on peut dire quo cette nation fait une partie considerable dans cette cour.

La vie des courtisans de Vienne est fort peu occupee. Ils vont le matin a l'eglise servir les dames, car c'est le temps dont ils se

20

P c i li 1 ii in.

servent, k midi voir diiier TEmpereur et le soir a la couversatioii on antreraent la com])agnie. II faut s(;avoir qu'a la coiir de Vienne im cavalier n'a point la liberte' d' aller voir une dame en particulier, que hors la visite de ceremonie, l'usage ne permet i)as qu'une femme seule re^^oive las visites d'im homme seiil. Cette coutume ötant la liberte' necessaire dans le commerce de la vie et dans celui que T incliuation peut e'tablir entre les cavaliers et les dames, quelques unes de ces dernieres ont trouve moyen d'introduire cliez elles tour a tour une couversatiou depuis 6 ou 7 heures du soir jusqu' ä 0 ou 10. Ceux (|ui aiment les jeux y trouvent compaguie ])0ur jouer et les galans rencoutrent leurs maitresses et ont la commodite de les entretenir avec la liberte que la tendresse peut i)roduire entre deux personnes qni ne s" embarrassent point trop de la presence des autres. . . .

L' impe'ratrice douairiere passe tout l'ete en sa maison des Favo- rites dans le Faubourg d'Italie, et comme eile vit fort librement, les dames et les cavaliers lui vont faire leur cour 1' apres-diner, et trouvent dans r agrement de la promenade et des allees couvertes de son jardiu ia commodite' de se voir. L' hiver donue d' autres plaisirs et les Wirth- schaften" sont les plus grands divertissements du carueval. Ce sont de gi-auds repas suivis d' un bal oii on est prie de venir masqiie, mais de maniere qu' on se demasque en entrant. La troupe des masques va d'ordinaire au palais se montrer ä Leurs Majestes avant que d' aller ä l'assemble'e, l'on ne danse ])as plus regulierement qu'aux noces de village. Quand il a neige, on a le plaisir dos traineaux oii les dames magnifiquement parees ont le cbevalier derriere, qui tient les renes du cbeval tout couvei*t de ])lumes et de sonuettes et les conduit par la ville au gi'and trot a la clarte des flambeaux. ü'ailleurs il n'y a a Vienne aucun ])laisir public que la comedie allemande, qui se represente de temps en temi)s et qui est si detestable, au dire meine des Allemands, que Ton n'y va que \Mmr trouver corapagnie et n'y point entendre ce qui s'y rejjre'sente. Je ne dirai rieu des maisons de camimgne de l'Empereur a Kbersdorf, ä une lieue de Vienne et Laxeuibourg, a 4 Heues, (elles) ne sont guere plus belies que mediocres. Ce prince u' afi'eete la maguificence des biUiments, ui ä sa table ou dans le nombre, ou les livrees de ses gardes ou ses domestiques.

II doune meme les audienees soit ou aux ambassadeurs ou aux l^ersonnes moindres d'une maniere qui a peu de gi-andeur et de raajeste. Le grand cliambellan, ä qui on s'adresse pour l'obtenir vons ayant averti de l'heure de l'audience s'y trouve et vous conduit jusqu'a la porte de la chambre, il n" entre point. de sorte que l'on de- meure seul tete-a-tete avec le prince, duquel on a toutes les audienees

Aus il. Berichte eines Franzosen üb. d. Wiener Hof in 1I..T. I(i7l u. 1672. 21^5

tete-a-tete. L' Emjiereiir a une belle ecurie, im tresor plein de raretes et de clioses precieuses et grand uombre de ]iemtures de prix. Les reveuus ne i>assent pas 13 ou 14 millions de livres de France, et il est difficile qu'il les ])uisse augmenter, parce que les ])rovinces qui en payent la plus grande ])artie ayant toujours maiutenu leurs Privi- leges, ont droit de regier chaque annee ce qu'ils doiveut donuer ä Leurs Majestes. Les droits d'entree et de sortie et les impositions sur les marchandises produisent peu, f'aute de commerce, qui ne peut etre que tres-mediocre dans un pays eloigne de la mer, dout les hahitans sont Sans Industries, ue fönt aucuues manufactures pour euvoyer aux etrangers et ne travaillent qu'autaut qu'ils sont obliges pour avoir preeisement de quoi vivre. D'ailleurs les revenus de l'Empereur sont assez mal administres.

Les surintendaus des finances ne rendent jamais de compte, plusieurs droits sont alienes pour peu de chose, et il ne revient dans les coffres du prince qu'une petite partie de ce qui se leve; le reste demeurant entre les mains d'un g-rand uombre d'officiers charges d'en faire le recouvrement. Le pays en sei est abondant en tout ce qui est necessaire ä la vie, comme je Tai dejä dit. Le ]>euple n'est point laborieux et la Situation n'est point favorable pour le com- merce, de Sorte qu'il faut que tout se consume dans le pays meme.

Quand je parle des pays de rEm]iereur je ne com])rends que ceux qui sont liereditaires , car dans rEm])ire il ne possede que l'autorite de clief et rien en propre. II faut qu'il soutienne sa dignite par les revenus particuliers de sa maison. L'entretien de l'armee est une des plus gi-audes de])enses; en l'anuee 1671, qu'il etait en paix, eile etait coui])osee d'environ 30000 liommes, consistant en 12 regi- ments de cavalerie et d' Infanterie et un de dragons. An commence- ment de l'anuee 1672 on fit de grandes revues daus 1' Infanterie et des augmentations dans la cavalerie jusqu' a 40000 hommes. Dans la siiite de la meme anuee, on leva un regiment d' Infanterie, un de dragons et iiu de cavalerie, de soi*te que le tout montait ä 45000 hommes. ('es troupes sont re])audues dans les ])ays liereditaires et ont leurs quartiers dans les provinces, qui sont chargees de leurs payements, dont les officiers memes sont obliges de faire le recouvre- ment, sur quoi je ne puis m'em]>echer de faire reflexion sur ce qu'on dit d'ordinaire en Allemagne que l'Empereur fait subsister ses trou- pes avec plus de faeilite et moins de depense qu'aucuus autres princes allemands, s'imaginant qu'il ue donne pas l'argent lui-meme et que les troupes le prennent sur le pays; au lieu que cette sorte d'eta- blissement ruine davantage les ])rovinces, en ce qu'il donne lieu aux

2\)C) F r i li r a in.

officiers de faire des concussious et de tirer outre le payeruent leurs subsistances et leurs equipages, outre que les soldats separes dans les villages sans faire de fonctions et d' excercices, se perdent dans r oisivete et redevienuent paysans, ce qui se pourrait eviter, si 1' Ein- pereur touchaut lui-rneme l'argent des provinces pour eu payer ses troupes, les renferraait dans des garnisons, 11 pourrait leur faire garder une discipliue exacte. Le service de 1' Empereur est en reputation non-seulement par la raison de la haute paye, mais aussi par la grande autorite' qu'ont les colonels; ils sont souverains dans leurs regiments et disposent absolument de toutes les charges, L' Empereur meme ne les peut remplir et ne peut employer que sa recommandation aupres du colonel, qui y defere conime il lui plait. Ce grand pouvoir est accompagne d'uue grande utilite considerable, car outre la paye qui est fort haute, la plupart des colonels se fönt donner de l'argent par leur regimeut en forme de present, le jour d'etrennes, et quand ils fönt quelques voyages ä la cour, il y en a peu qui regoivent des capitaines ou des subalternes sans quelque argent.

Les emplois s'y achetent, et cet ancien ordre, qui faisait raouter les officiers selon leur raug est fort souvent interrompu, ce qui s'est introduit depuis la paix par l'avance de plusieurs colonels. soldats de fortune, que l'interet et l'envie de gagner menerent ä la guerre plu- töt que l'honneur et l'ambition.

Cependant les troupes de 1' Empereur, et, quoique la reforme de 1668 ait ote une partie des vieux soldats, qui n'out depuis ete remplaces que ]iar de nouvelles levees, les vieux corps sont neau- moins toujours en bon etat. Deux defauts en peuvent diminuer la bonte, un que les corps etant trop grands, trop nombreux ue sont pas remplis d'assez officiers, car dans l'infanterie les com- pagnies sont de 250 hommes, et Tautre, que le me'rite des officiers ue repond uullement a la boute des soldats. L' Empereur a des ])ays assez etendus ])our faire subsister beaucoup de troupes, mais je ue crois pas qu'il en ])uisse lever seulemeut au delä de ce que j'ai remarqii<5 qu'il a sur pied, ;i moins t(u'il ne re^oive de 1' argent etran- ger. Lorsqu'il fait la guerre du cöte du lihiu ou vers le noi'd il a la commodite de preudre des quartiers d' hiver dans 1' Empire; nuiis dans la guerre avec les Turcs il n' en peut ])reudre que sur ses propres Etats, qui sout la frontiere d'AUemagne de ce cöte-la i).

') Herrn Prof. A. Founiipr, der die (Jiite hatte, mir seine vor Jahren angefer- tigte Abschrift dieses Memoires zur C'oUationiimg zur Verfügung zu stellen, spreche ich hiemit meinen besten Dank aus.

Kleine Mittlieilungen.

Die splirauistisclie Sammluiijr des A. H. Kaiserhauses. Die

nachfolgenden Zeilen sollen dazu dienen , die Aufmerksamkeit der Fachkreise auf diese quantitativ wie qualitativ bedeutende Sammlung hinzulenken, welche eine Abtheilung der MünÄ- und Antiken Sammlung des kunsthistorischen Hofmuseums bildet und erst jetzt, in ihrer zum grösseren Theil beendeten Aufstellung, der wissenschaftlichen Benützung vollkommen zugänglich ist.

Selten dürfte eine her\orragende Collection in zufälligerer Weise, ohne dass man systematisch für sie gesammelt hätte, zusammen ge- kommen sein. Ihren Grundstock bildet die Dietz'sche Sammlung, welche von dem grossherzoglich mecklenburgischen Hofrath Dr. Dietz in Wetzlar im Jahre 1842 an weil. Kaiser Ferdinand 1. geschenkt wurde. Diesem , der bekanntlich selbst ein eifriger Liebhaber und Sammler von Siegeln war, verdankt die Sammlung neben der von ihm augelegten heraldisch-genealogischen Siegelcollection der österreichi- schen Kronländer, allem Anschein nach die wertvollen mittelalterlichen Typare, welche wohl in Italien zusammengebracht wurden. Die Bullen waren früher in den beiden numismatischen Abtheilungeu zerstreut, und wurden erst bei der Errichtung der sphragistischen Abtheilung dieser überwiesen.

Eine Uebersicht des Gesammtbestandes und der derzeit getroffenen Eintheilung der Sammlung dürfte nicht unwillkommen sein:

J. Abtheilung: Typ ar Sammlung

A. Typare des Mittelalters und der neueren Zeit . . 4H Stück

B. Moderne Typare des XIX. Jahrhunderts . . . 7(t «

118 Stück

208

Kleiiip ]Mif(1if>il\ingrn.

AMheilung : I> u 1 1 e n s am in 1 u n «j: A, Golflbullen (mit dem Sillterabguss dar Jjulle .Maxi- milians L) ...... .

15. Venezianische SilLerbullen . . . . .

C. BleiV)ullen

1. Byzantinische

2. Longobai'clische

3. Venezianische

4. Päpstliche .5. Geistlicher Corporatiuiien

'.i Stück

76

»

5

»

17

»

52

»

3

»

153

Stück

297 Stück zumeist Lack- und Papier-

5253 Stück

10 Stück

170

III. Abtheilung: Original -Wach s Siegel (grösseren For

mats) ........

IV. Abtheilung: Dietz'sche Sammlung,

Siegel, Abdrücke aus Originaltyparen etc., eingeklel)t in Eahmen-

bänden 21.327 Stück

V. Abtheilung: Siegelsamml ung weiland Kaiser

Ferdinands I. VI. Abtheilung: Sammlung vun Abgüssen

A. Bronzeabschläge aus der Neumann'schen Samm- lung etc. ........

B. Galvanoplastische Copien der deutschen Kaisersiegel (Sammlung Roemer-Bü ebner) .

C. Gipsabgüsse der Siegel aus dem Wiener Stadtarchiv (Sammlung Franzenshuld) . . . ca. 600 >

ca. 7 so Stück.

Tni rianzeu enthält also die Sammlung 118 Typare alter und neuer Zeit, 2(i.7()0 Stück Originalsiegel (einschliesslich der Bullen) und an 800 Abgüsse, darunter ISO Metallabschläge.

Das Hauptstück der Typarsamralung ist ein Siegelstempel König Kudolfs I., das älteste jetzt bekannte Stück dieser Art als solches galt bisher ein in Frankfurt gefundenes l'ypar Sigismunds und ein Unicum, nicht nur an und für sich, sondern aucli durch die seltsame Geschichte seiner Auffindung, suAvie durch eine technische Besonderheit. Der Stempel ist aus Messing, von ausgezeichneter Er- haltung, ungefähr {] cm dick und hat eine geöhrte Handhabe; die Siegelfläche misst im Durchmesser <)"5 cm. Sie zeigt den König mit Krone, Scepter und Reichsapfel auf dem romanischen Thronsessel sitzend; die Legende lautet : -j- : R\l)OLFUS : DEI : GRACIA : ROMANORVM : REX : SEMPER : AVGVSTVS : Die Arbeit ist eine vorzügliche und völlig zeitgemässe; sie schliesst schon dadurch, wie durch die genaue Uebereinstimmung mit den erhaltenen AVachs- siegeln Rudolfs den Gedanken an eine Fälschung aus, abgesehen von andern Gründen. Sehr merkwürdig ist ein Versehen des Stempel- schneiders: er hat den linken Arm mit dem Reichsapfel ursprünglich

T»ic splirHrjJKf isclio Sninnilimp <l<'s A. 11. KHisprhniisep. 20V<

/,u tii'f geseukt, dauu die missratliene Stelle mit einem (jetzt wieder ausgefalleneu) Metallstttck ausgefüllt und verklopft und den Arm höher hinauf nochmals geschnitten. Das Typar wurde 1815 in einer Mauer des Palazzo Pindemonti zu Verona gefunden, 1857 Sr. Majestät dem Kaiser von dem veronesischen Architekten Monga mit einer hand- schriftlichen „ Esposizione " überreicht, und kam noch im selben Jahre in das k. k. Münz- und Antikencabinet. Alle weiteren Erörterungen und Untersuchungen, ferner der Abdruck des Fundberichtes über dies einzig dastehende Stück, sowie alle ausführlicheren Berichte über die im Folgenden noch erwähnten seltenen Objecte, müssen der bevor- stehenden Publication derselben im Jahrbuche der Kunstsammlungen des A. H. Kaiserhauses vorbehalten bleiben.

ünt^^r den Typaren geistlicher Personen und Corporationen ist wiederum ein Unicum, ein Bullen- (Namens-) Stempel Clemens ITI. (1188 1191) zu erwähnen. Derselbe ist ein massiver, nach oben etwas eingeschnürter Cylinder aus stark patinirtera Kupfer. Seine Höhe beträgt 5'5 cm, der Durchmesser ;V5 cm. Die Stempelfläche zeigt die Legende :

C L E

MENS

PP. III

Es ist also, wie schon bemerkt nur der Namensstempel; er ist um so merkwürdiger, als sich kein anderer Namensstempel eines Pap- stes erhalten hat und es wenigstens in nicht viel späterer Zeit vorge- schrieljen war, den Namensstempel eines verstorbenen Papstes zu zerbrechen (Diekamp in Mittheiluugen des Instituts f. öst. G.-F. 4, 531). Die Echtheit des Stückes, das au sich überhaupt kein Zeichen einer Fälschung trägt, wird durch die in den Sammlungen des Instituts für (isterreichische Geschichtsforschung aufbewahrte Originalbulle Cle- mens III. bestätigt.

Von sehr schöner Arbeit ist ein spit/ovales italienisches Karthäuser- siegel des 14. Jahrb., die Madonna unter einem Baldachin in reichster Treceutogothik zeigend (S. beate raarie montis dei ordinis cai'thusien- siura in gothischer Minuskel). Ferner gehören hieher Siegelstempel verschiedener italienischer Aebte, Presbyter und Kanoniker aus dem '[?}. 15. Jahrh. Dem 17. 18. Jahrh. entstammen dann die Typare der Augustinerinnen in der Himmelpfortgasse zu Wien, des'Prämon- stratenserstiftes Pernegg bei Eggenburg in Niederösterreich (Propst Nicolaus) und wahrscheinlich das ikonographisch nicht uninteressante des Klosters Fenek bei Semlin mit glagolitischer Legende und der

300 Kleine Mittheilnngen.

Darstellung des h. Proscovius in byzantinischem Typus, die letzteren drei iu Silber gearbeitet.

Aus der Eeihe der Typare, welche öffentlichen Curporationen an- gehören, hebe ich das Stadtsiegel von Forli (rund, 5'5 cm im Durch- messer, aus dem 14. Jahrh.), den h. Mercurialis mit der Legende: Protegit hie populum Livienssem Mercurialis und das Typar der philo- sophischen Facultät der Universität Wien (aus dem 15. Jahrh.) hervor. Das letztere, ein massiver achtseitig prismatischer Stempelstock aus Eisen, 11 cm lang, 2*5 cm breit, am obern Ende durch Hammer- schläge auseinandergequetscht, zeigt im Siegelbild die h. Katharina unter einem spätgothischen Baldachin, mit der Umschrift: FACVLTAS f PHÄ. !Nicht uninteressant ist auch der Siegelstempel der cisalpinischen Re- publik, die Darstellung der Freiheitsgöttin mit phrygischer Mütze tragend.

Unter den adeligen Siegeln hebe ich, als durch Schönheit der Arbeit besonders ausgezeichnet, dasjenige des Truchsessen von Oester- reich, Pilgrim von Puchhaim, aus dem 14. Jahrh. hervor. Das Siegel- bild weist einen jugendlichen barhäuptigen Reiter iu losem Gewände, in der Rechten eine Schüssel mit darauf liegendem Fisch, auf sprengendem Rosse, dessen Schabracke das Geschlechtswappen, einen Bindenschild trägt ; ferner das gleichzeitige Siegel des Pfalzgrafen Michael von Lomello, einen völlig gerüsteten Reiter zeigend.

Merkwürdig sind noch drei italienische Bürgersiegel des 15. Jahrh.: eines Notars (Siegelbild: Rose), eines römischen Arztes (Stier, darunter ein Fisch) und eines Ludimagisters (der Lehrer mit Ruthe auf dem Katheder, vor ihm eine kleine knieende Figur). Als Curiosa seien schliesslich noch erwähnt das silberne Typar des Johann Stefan Kan- takuzenos, Woiwoden der Ugrowalachei, von 1714 mit schön gra- viertem Griff (interessant durch die Mischung von byzantinischen mit Barockfonneu), ferner eine kal »balistische oder alchymistische Siegel- platte mit der Darstellung der drei Erzengel und astrologischer Symbole.

Die Sammlung moderner lypare, welche zum grossen Theil erst vor Kurzem an das Museuni überwiesen worden sind, enthält Siegel- Stempel (z. Th. in kostbarem Material, Bergkrystall, Rauchtopas etc. geschnitten) von Mitgliedern des A. H. Kaiserhauses aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Besonders ausgezeichnet ist darunter das grosse, 7*5 cm im Durchmesser haltende, silberne Typar Ferdinands L als österreichischen Kronprinzen.

Unter den byzantinischen Bullen befinden sich viele historisch und ikonographisch interessante, darunter einige Inedita. Ferner

Die sphragistische Sammlung des A. H. Kaiserhauses ßQJ^

gehört hieher die Goldbulle des letzten bj'zantinischen Kaisers Kon- stantin XIII. Paläologos, wahrscheinlich aus einem älteren Stück über- prägt. Sie ist von Kenner im Jahrbuche der Kunsthistorischen Sammlungen (Bd. 11 [1880], S. 98) publiciert und besprochen worden. Unter den langobardischen Ballen ist wohl am interessantesten jene des auch kunstgeschichtlich bekaunten Herzogs Pemmo von Friaul.

Die zweite Goldbulle der Sammlung ist ein vorzüglich erhaltenes Exemplar einer Bulle Karls IV. Unser Exemplar wiegt 41*.^ gr. (^^ einem Goldgewicht von 12 Ducaten), also doppelt soviel als jenes, das Lindner untersuchen Hess (vgl. Bres.slau, Urkundenlehre I, 932). Vorder- und Eückseite, welche ineinander gepasst sind, lassen sich auseinandernehmen. Im Innern zeigt sich eine gleichfalls goldene Oese zur Aufnahme der Schnur. Eine Goldbulle M a x i m i 1 i a u s I. ist nur in einem alten, wahrscheinlich aus der Zeit des Heraeus rührenden Silberaljguss vorhanden (in der Medaillensammlung befindet sich ausser- dem ein Bronzeabschlag). Sie ist datiert (1518) und von sehr schöner Arbeit; ihr Verfertiger ist der Stempelschneider und Münzmeister zu Hall: Ulrich Urseuthaler.

Die päpstlichen Bullen weisen eine im Grossen und Ganzen eoutinuirliche Reihenfolge vom 12. bis ins 18. Jahrhundert auf. Ausser- halb dieser Reihe steht das Hauptstück, eine Bulle Stephans V. (885 891). Sie misst 3 cm im Durchmesser, ist ziemlich nachlässig geprägt und trägt auf der Aversseite in einem Perlenrande die Legende:

S T E P H A

W I welche sich auf dem Revers fortsetzt:

t P A

P A E

(vgl. die allerdings nicht genaue Reproductiou in Pflugk-Harttuugs Speci- mina III, Eig. 2 u. 3). Ferner sind folgende Päpste vertreten : Victor IV. (Gegenpapst Innocenz IL), Lucius III., Coelestin III., Honorius III. (2 St.), Innocenz IV. (3), Alexander IV. (2), ürban IV., Honorius IV., Nicolaus IV., Benedict XL, Johann XXIL, Bonifaz IX. (2), Benedict XIIL, Paul II. (3), Sixtiis IV., Innocenz VIII., Alexander VI., Julius IL, Leo X. (5), Clemens VII. (2), Paul III., Julius III., Pius V., Gregor XIIL, Sixtus V., Clemens VIIL, Urban VIIL, Innocenz X. (2), Alexander VIL, Clemens IX., Clemens X., Innocenz XL, Alexander VIIL, Clemens XL, Innocenz XIIL, Clemens XII., Clemens XIV. (f 1774).

p,()2 Klfiiio MiülieilniiirrMi.

A' ou soustigeu Bleisiegelu geistlicher Corporatioueu seieu die Bulle des Hospitaliterhauses zu Jerusalem aus dem 14. und die spitzovale der Canouie vou Foliguo mit reicher Darstellung aus dem 15. Jahrh. hervorgehoben ; dann der Silberabguss einer Bulle des Baseler (Joncils.

Die lieihe der venezianischen Piombi beginnt mit dem Dogen Kaniero Zeno (1252—1268) und reicht bis Zoan Pisauro (1658 1059). Eine besondere Seltenheit der Sammlung bilden die venezianischen Silberbullen, sämmtiche Dogen aus dem letzten Drittel des 16. und dem Anfange des 17. Jahrh. angehörig, Sie wurden 1848 mit Münzen der Republik von dem venezianischen Grafen Zonza um den niedrigen Gesammtpreis von 84 fl. 0. M. erworben. Die einzelnen Stücke halten durchschnittlich 3 cm im Durchmesser, sind theils massiv, theils gefüttert und haben auf der Aversseite die Darstellung des h. Marcus den Dogen segnend, auf der Reversseite dagegen die Namensbezeichnung des Letzteren. Die Verwendung von SilberbuUeu im Abendlaude war, soviel ich weiss, bisher nicht bekannt (vgl. Bress- lau, Urkundenlehre 1, 931); in Byzanz kommen solche oder vielmehr mit einem dünnen Silberplättchen (das die Zeit meist bis auf Avenige Reste zerstört hat) bedeckte Bleibullcn ') vor (Sclilumberger, Sigilhi- graphie de T Empire bj^zantin p. 9), freilich gehören auch sie zu den al lercrrössten Seltenheiten.

Lluter den Wachssiegeln grösseren Formats hebe ich zunächst hervor: 1. Das Thronsiegel der Imagina, Gemahlin König Adolfs vou Nassau, 2. dgl. Ludwigs des Baiern, 3. Reitersiegel des Luxemburgers Johann, Königs von Böhmen, 4. Reitersiegel des Grafen Engelbert von der Mark 1354, noch au der Urkunde hängend, 5. Herzog Mag- nus [. von fJraunschweig, 14. Jahrb., (>. Wenzel I. als deutscher König, 7. Hofgerichtssiegel K. Sigismunds, 8. Nürnberger Bnrggrafeusiegel von 1470, 9. und 10. Siegel des Lodovico Maria Sforza (1451—1.500) und des Maximilian Sforza (1512 1515) vou Mailand in gravierten Messingkapseln. Ferner zahlreiche Originalsiegel grössteu Formats vun Kaisern und regierenden Fürsteu des 16. IH. Jahrh.

Unter den geistlicheu Siegeln seien erwähnt: Herchtesgadeii (1499), St. Blasien iui Schwarzwald (13. und 15. Jahrh.), Buchau (1536), Cambray (14. Jahrh.), Bisthum Chur (1526), Bisthum Dorpat (1550), Fulda (15. Jahrh.), Gladbach (1564), Bisthum Münster (1524), Erz- bisthum Mainz (darunter ein Siegel des Erzbischofs Heinrich 1277 1296), St. Maximiu bei Trier (14. Jahrb.), Bisthum Naumburg (15 Jahrb.),

') Eine Ausnahme bildet die schrme, ans zwei Kliittchen gediegenen 8ilbev- Idt'chs bestehende liidle an einer Irkiindo dt>s Miclcipl DnkuH (I'JHI) fiir Hagns:i im k. II. k. Hof und ^la;its;iii Imn .

I)i(' s))lira£fisfischo »SaminluiifT des A. Tl. Kaisorhanses. oOo

Oesei (Kapitelsk'gel), rrüiu (14. Jalirh.), JUsthum Ratzeburg (1501), Erzbisthuiu lliga (IG. .lahrh.\ Recauati (schönes Renaissaneesiegel des 15. Jahrh. dem Cardiualpresbyter Hierouymus angehörig), Bisthum Speier (155(')), Erzbisthnin Trier (Erzbisrhof Bruno 1105 1124, Diet- rich 1212, Balduiu und Rabau 14. Jahrh., Otto 15. Jahrb.), Wein- garten (15. Jahrb.), Bisthum Würzburg (1495).

Von Städtesiegeln besitzt die Sammhing Stücke von: Augsburo-, Cambray, Cassel, Chemnitz (13. Jahrh.), Coblenz (13. Jahrb.), Colmar, Constanz , Danzig , Esshngen , Friedberg , Gelnhausen , Hildesheim (14. Jahrb.), Kautbeuern, Kempten, Metz, Rottweil (Hofgerichtssiegel), Strassburg, Speier, Trier (das gTÖsste, 12'5 cm im Durchmesser haltende Stück, mit der Darstellung der Stadtheiligen und der Le- gende der Rückseite: Annis Trecentis Detritum Ref'ormabatur 1537), Verdun, Wetzlar (13. und 14. Jahrb.), Zürich (sehr alterthümlich), Zwickau u. a. m.

Endlich seien auch die beiden sehr interessanten Universitäts- siegel von Heidelberg und Marburg in Hessen (das letztere von 1527), dann das kaiserliche Gerichtssiegel von Frankfurt a. M. aus dem 15. Jahrb., und das Landgerichtssiegel von Schwaben (von 155(')j, erwähnt.

Den grössteu Bestand weist die Dietz'sche Sammlung auf, welche im Jahre 1846 dem Münz- und Antiken cabinet ülierwieseu wurde. Sie ist alphabetisch geordnet, zur Orientirung dient ein ge- nauer handschriftlicher Katalog mit drei Nachträgen. Besonders reich ist diese Abtheilung an Wappensiegeln deutscher Adelsgeschlechter; kaum minder zahlreich sind aber die Siegel von Städten, geistlichen und weltlichen Corporationen. Einen besondern Werth haben die grossentheils vollständigen Siegelserien regierender Fürsten oder ehemals souveräner Geschlechter. Sehr viele Stücke, namentlich unter den älteren Stadt- siegeln sind aus den Originaltyparen in Lack abgenommen. Auch zahlreiche vollständige Urkunden vom hohen Mittelalter bis in die neuere Zeit befinden sich in der Sammlung. Unter den moderneu Siegeln ragen durcli die aussergewöhnliche Grösse wie dui'ch feine Arbeit das gi-osse englische Staatssiegel, ferners dasjenige des Prinzen von Wales hervor, welclie beide von der Königin Victoria nebst einer eigenhändigen Erklärung an Dietz geschenkt wurden.

In Beziehung auf das reichliche genealogisch -heraldische Material der Dietz'schen Sammlung verwandt ist die Siegelsammlung Kaiser Ferdinands L Sie ist nach den damaligen Provinzen des Kaiserthums geordnet und enthält fast ausschliesslich die Wappensiegel der einheimischen Adelsgeschlechter mit Angabe des Stammlaudes etc.

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Kleine Mittheiluncreu.

Ein alphabetischer und ein Ladenkatalog fordern die Benützung der Sammlung.

Als Appendix der ^phragistischen Abtheilung stellt sich die Col- lection galvanoplastischer Copien von deutschen Kaiser- und Königs- siegeln (von Karl d. Gr. bis zu Franz IL, 170 Stück) dar, welche der bekannte Sphragistiker Dr. Koemer-Büchuer in Frankfurt zusammen- gestellt hat und welche im Jahi-e 1851 erworben wurde. Der gedruckte Kataloff derselben ist unter dem Titel: Die Siejjel der deutschen Kaiser, Könige und Gegenkönige vou Dr. Koemer- Büchner, im selben Jalire zu Frankfurt a. M. erschienen. Aus der Xeumann'schen Münz- sammlung rühren die Bronzeabgüsse böhmischer Königssiegel von Przemysl Ottokar bis Wladislaw IL her. Ein alter ciselierter Silber- abguss eines grossen, interessanten Thronsiegels im Ty])us den unga- rischen Kr>nigssiegeln des 15. Jahrh. verwandt, jedoch mit der Jahres- bezeichnung 1437 auf Albrecht IL gefälscht, dürfte wohl aus Heraeus' Zeit stammen, der auf diese Weise eiue Bereicherung des Medaillencabinets erzielen wollte. Erst der Aufstellung harrt die Sammlung vou Gips- abgüssen von Siegeln des Wiener Stadtarchivs (österreichische Städte, Wiener Geschlechter etc. ca. 600 Stück), aus Formeu, welche der ver- storbene L'ustos Dr. Hartmanu von Franzenshuld seinerzeit für die histu- rische Ausstellung der Stadt Wien im Jahre 1873 hat anfertigen lassen.

Wien. J ulius V. Schlosser.

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I

Wo fand der erste Zusammeiistoss zwischen Hunnen und WestffOtlieu statt i Der einzige Quellenschriftsteller, welcher in Be- tracht kommt, ist »der im Feldlager und im Zelt ergraute" römische Feldherr Ammianus Marcellinus. Derselbe hat um das Jalu* 390 seine Histor, libri XXXI geschrieben, und handelt ttl)er den ersten Zu- sammeustoss zwischen Hunnen und Westgothen im XXXI 3 §§ 3 8. Da der AVortlaut seiner Schilderuncr für unsere Uutersuclmucr durch- aus nötig erscheint, mag die Stelle hier abgedruckt werden ^).

XXXI 3 § 3 . . . . Alatheus . . et Saphrax .... cautius discen- dentes ad amnem Danastium pervenerunt, inter Histrum et Borys- thenem per camporum ampla spatia difHuentem. j^ 4. haec ita praeter spem accidisse doctus Athanaricus Thervingorum judex . . .

stare gradu fixo temptabat § ö. eastris denique prope Daua-

sti margines ac Greuthungorum vallem longius oiiortune metatis, Munderichum, ducem postea limitis per Arabiam, cum Lagarimano

kl

') Naeh der Ausgalje von Eysseuhardt JS. 494.

Wo fand der erste Ziisammenstoss zw. Hunnen u. Westgothen statt? 305

et optimatibus aliis ad usque vicensimum lapidem misit, hostium speculatiiros adventura, ipse aciem nuUo turbante interim »trueus. j5 ('}. veram longe aliter, quam rebatur. evenit. Himiii enim .... multitudinem esse longius aliquam suspicati, praetermissis quos viderant. in quidem tanquam nullo obstante conpositis, nmipente uoctis teuebras luna vado fliirninis penetrato, id quod erat potissi- ramn elegerunt, et veriti ne praecursorius index procul agentes absterreat, Athanaricura ipsum ictu petivere veloci. § 7. enmque stupentem ad impetum primum, amissis quibusdam suonim, coe- gerunt ad effiigia properare montium praeruptorum, qua rei novi- tate maioreque ventiiri pavore constrictus, e superciliis Gerasi fluminis ad usque Dauubium Taifalorum terras praestringens, muros altius erigebat: hac lorica diligentia celeri cousuuimata, iu tuto locandam securitatem suam existinians et salutem. vj 8. dum- que efficax opera suscitatur. Huuni passibus euui citis urgebant et iam oppresserant adventautes . ni gravati praedarura ouere destitissent.

Fassen wir diese Darstellung Ammians genau ins Auge, so ge- winnen wir unwillkürlich den Eindruck, dass der erste Theil derselben auf dem Berichte eines Augenzeugen beruht. Yor allem gilt dieses in Bezug auf die Schilderung de^ Zusammenstosses, die geradezu an- schaulich genannt werden muss. Was Ammian hingegen über die Vertheidigungsmassregeln AthauHrichs nach seiner Flucht in die Berge zu erzählen weiss, leidet freilich an bedeutender Unklarheit. Ausser der eingehenden Schilderung des Znsammenstosses veranlasst uns noch Anderes anzunehmen, dass dem Historiker über denselben der Bericlit eines Mannes vorlag, welcher au jenen Kriegsereignissen Theil ge- nommen hatte. Woher sollte sonst Ammian Nachricht über das Greuthungerthal erhalten haben? Aber noch mehr. Ammian nennt an unserer Stelle zum ersten Mal überhaupt den D nie st er (Danast[r]us) mit diesem Xamen. In seinen geographischen Schil- derungen (XXII 8 § 41) kennt er nur den Tyras. Dass die beiden Xamen einem Flusse gelten, weiss er nicht ^). Dieses alles deutet darauf hin, dass der Xame ,Danastrus', den die Slawen dem obem Duiester erst vor verhältnissmässig kurzer Zeit gegeben hatten "-), im Süden noch nicht bekannt war. Ammian konnte ihn also nur aus dem Munde seines Berichterstatters gehört haben. Und wenn nicht

') Dieses beweist der Zusatz >int€r diffluentem « statt der blossen Iden- tificierung mit dem früher genannten Tvras. -) Vergl. Kaindl, Der Buchen-

wald Nr. 3, Czemowitz 1889 S. 11, 12.

MittheUungen XII. 20

304 Kleine Mittheiiungeri.

Ein alphabetischer und ein Ladenkatalog fördern die Benützung der Siimmlung.

Als Appendix der sphragistischeu Abtheilung stellt sich die Col- lectioii galvanoplastischer Copien von deutscheu Kaiser- und Königs- siegeln (von Karl d. Gr. bis zu Frauz IL, 170 Stück) dar, welche der l)ekannte Sphragistiker Dr. Roemer-Büchuer in Frankfurt zusammen- gestellt hat und welche im Jahre 1851 erworben wurde. Der gedruckte Katalog derselben ist unter dem Titel: Die Siegel der deutschen Kaiser, Könige und Gegenkönige von Dr. Roemer-ßüchner, im selben Jahre zu Frankfurt a. M. erschienen. Aus der Neumann'schen Münz- sammlung rühren die Bronzeabgüsse böhmischer Königssiegel von Przemysl Ottokar bis Wladislaw IL her. Ein alter ciselierter Silber- abguss eines grossen, interessanten Thronsiegels im Tj'pus den unga- rischen Kr)nigssiegelu des 15. Jahi'h. verwandt, jedoch mit der Jahres- Ijezeichuong 1437 auf Albrecht IL gefälscht, dürfte wohl aus Heraeus' Zeit stammen, der auf diese Weise eine Bereicherung des Medaillencabinets erzielen wollte. Erst der Aufstellung- harrt die Sammlung von Gips- abgüssen von Siegeln des Wiener Stadtarchivs (österreichische Städte, Wiener Geschlechter etc. ca. 600 Stück), aus Formen, welche der ver- storbene Custos Dr. Hartmaun von Franzenshuld seinerzeit für die histo- rische Ausstellung der Stadt Wien im Jahre 1873 hat anfertigen lassen.

Wien. Julius V, Schlosser.

Wo fand der erste Ziisammeustoss zwischen Hunnen und Westgotheu statt i Der einzige Quellenschriftsteller, welcher in Be- tracht kommt, ist „der im Feldlager und im Zelt ergraute" römische Feldherr Ammianus Marcellinus. Derselbe hat um das Jahr 3U0 seine Histor. libri XXXI geschrieben, und handelt über den ersten Zu- sammenstoss zwischen Hunnen und Westgothen im XXXI 3 §§ 3 8. Da der Wortlaut seiner Schilderung für unsere Untersuchung durcli- aus nötig erscheint, mag die Stelle hier abgedruckt werden ').

XXXI 3 § 3 . . . . Alatheus . . et Saphrax .... cautius discen- dentes ad amnem Danastium pervenerunt, inter Histrum et Borys- thenem per camporum ampla spatia diftiuentem. § 4. haec ita praeter spem accidisse doctus Athauaricus Thervingorum judex . , .

stare gradu fixo temptabat § 5. castris denique prope Dana-

sti margines ac Greuthungorum vallem longius oportune metatis, Munderichum, duceni postea limitis per Arabiam, cum Lagarimano

') Mach der Anagalie von Ejssenhardl »S. 404.

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Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Öümlen u. Westgotlien statt? 305

et optimatibus aliis ad usque vicensimum lapidem misit, hostiuui speculaturos adventum, ipse aciem nullo turbante interim strueus. § 6. verum longe aliter, quam rebatur, eveuit. Hunui enim .... multitudinem esse loogius aliquam suspicati, praetermissis quos videraut, iu quideiii tauquam nullo obstante coupositis, rumpente noctis teuebras luua vado flumiuis penetrato, id quod erat potissi- mum elegeruut, et veriti ue praecursorius index procul agentes absterreat, Athanarieum ipsum ictu petivere veloci. § 7. eumque stupentem ad im])etam primura, amissis quibusdani suorum, coe- gerunt ad effugia properare moutium praeruptorum. qua rei novi- tate maioreque venturi pavore constrictus, e superciliis Gerasi fiumiuis ad usque Dauubium Taifalorum terras praestringeus, ujuros altius erigebat: hac loriea diligentia celeri consummata, iu iuto locaudam securitatem suam existimans et salutem. § 8. dum- que efficax opera suscitatur, Hunui passibus eum citis urgebant et iam oppresserant adventantes, ui gravati praedarum onere destitissent.

Fassen wir diese Darstellung Ammians genau ins Auge, so ge- winnen wir unwillkürlich den Eindruck, dass der erste Theil derselben auf dem Berichte eines Augenzeugen l^eruht. Vor allem gilt dieses in Bezug auf die Schilderung des Zusammenstosses, die geradezu an- schaulich genannt werden muss. Was Ammian hingegen über die Vertlieidigungsmassregeln Athauarichs nach seiner Flucht in die Berge zu erzählen weiss, leidet freilich an bedeutender Unklarheit. Ausser der eingehenden Schilderung des Zusammenstosses veranlasst uns noch Anderes anzunehmen, dass dem Historiker über denselben der Bericlit eines Mannes vorlag, welcher an jenen Kriegsereignissen Theil ge- nommen hatte. Woher sollte sonst Ammian Nachricht über das Greuthungerthal erhalten haben? Aber noch mehr. Ammian nennt an unserer Stelle zum ersten Mal überhaupt den D nie st er ( Danast[r]us) mit diesem Namen. In seinen geographischen Schil- derungen (XXII 8 § 41) kennt er nur den Tyras. Dass die beiden Namen einem Flusse gelten, weiss er nicht i). Dieses alles deutet darauf hin, dass der Name ,Danastrus', den die Slawen dem obern Duiester erst vor verhältnissmässig kurzer Zeit gegeben hatten -), im Süden noch nicht bekannt war. Ammian konnte ihn also nur aus dem Munde seines Berichterstatters ffeln'u-t haben. Und wenn nicht

') Dieses beweist der Zusatz »inter diffluentem« statt der blossen Iden- tificierung mit dem früher genannten Tyras. -) Vergl. Kaindl, Der Buchen-

wald Nr. 3, Czernowitz I88f» S. II, 12.

Mittlieihmgeii XII. 20

306 Kleine Mittheilungen.

alles trügt, so ist dieser Berichterstatter jeuer Munderich, der nach Ammians eigener Angabe die Vorposten Athanarichs geführt hatte und später als römischer Feldherr an der arabischen Grenze wirkte. Dort im Osten muss Amraian, welcher noch unter Valens im Orient gedient hatte, Munderich kennen gelernt und von ihm die Nachrichten erhalten ha])eu, auf welchen seine Schilderung beruht i). Nehmen wir dieses an, so wird es uns zugleich klar werden, warum die Schilderung des Zusammenstosses so eingehend und deutlich ist, die weitere Ausführung aber verworren erscheint. Munderich hatte sich, nachdem der von ihm geführte Vorposten umgangen worden war, gerettet; wie und wohin, das wissen wir nicht. So viel scheint aber sicher zu sein, dass er von Athauarich getrennt bleiben musste, und Ammian daher von ihm keine Kunde über Athanarichs Thätigkeit nach dem Rückzuge in das (iebirge erhalten konnte. Sind unsere Ausführungen richtig, so dürfen wir dem Berichte über den Zusanmienstoss in allen Einzelheiten fol- gen; nicht dasselbe Vertrauen beansprucht hingegen die Darstellung über die folgenden Ereignisse. Nachdem wir unsere Quelle kennen gelernt und gewürdigt haben , gehen wir zu unserem engern Thema über.

Ueber dieses hat zunächst Pallmann in seinem Werke „Die Ge- schichte der Völkerwanderung" (I, 10(3, 107) gehandelt. Die Aus- führungen desselben sind aber durchaus missglückt. Vor allem unter- lässt es Pallmann, den Ort des Zusammenstosses näher zu bestimmen. Er sagt ganz unbestimmt: Athauarich verschantzte sich an den Grenzen seines und des ostgothischen Landes hinter (?) dem Greutungenw a 1 1 e (?) und dem Duiesterflusse ". Wenn Pallmann ferner sagt : Athauarich gab . . . seine feste Stellung .... auf und zog sich südwestlicher in die Ebenen zurück", so lässt er ganz Ammians Bericht ausser Acht, denn in demselben ist ausdrücklich gesagt, dass Athauarich seine Zu- flucht im Gebirge suchte. Zu diesem Verstösse gegen die Quelle sali sich aber Pallmann durch die Angabe derselben veranlasst, dass Atha- uarich zum Schutze gegen die nachstürmenden Feinde eine Mauer gezogen habe. Pallmann sah ein, dasß ein solches Unternehmen Sache der Unmöglichkeit war; da glaubte er darin einen Ausweg gefunden zu haben, dass er die Westgothen nach Süden abziehen und hinter den Trajanswall sich flüchten lässt. Nach dem Berichte Ammians müsst(! man aber auf eine Mauer von den Hrdien am Gerasus bis zur Donau schlicssen. während der Trajanswall zwischen dem Prnt

') Darauf weist schon der l'msiiuiil, dass Aniiiiiiin in scjikm- Darsioflung ilos weituin Stliirksiilos Miiutlciiclis im (tricnio «redonkt.

Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Hunnen u. Westgothen statt y 307

und Dniester dahinzog i). Wie kann man es übrigens für möglich halten, dass Athanarich, der sich in einem an günstiger Stelle ge- schlagenen, jedenfalls festen Lager gegen die Hunnen nicht hatte halten können, eine 150 oder 200 Kilometer lange Linie, da die- selben Feinde ihm auf dem Fuss folgten, zu befestigen und zu ver- theidigen gedacht hätte? Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass ein Wall, der etwa zwei Meter hoch war, die Hunnen, wenn auch die- selben mit Beute beladen sein mochten, vom weitern Vordrino-en abgehalten hätte.

Weit entsprechender und richtiger als Pallmann fasst Wieters- heim in seiner Geschichte der Völkerwanderung " (II, 33, 34) den Bericht Ammians auf. Nach diesem Forscher verschanzt sich Athanarich „in einer am obern -) Ufer des Dniestr (jedenfalls dem rechten) in der ,Thal der Grreuthungen' genannten Gegend". Er sendet die Vorposten aus und „sah sich", nachdem dieselben umgangen waren, „überrascht und erschreckt . . . zum liückzug in das Gebirge gezwungen". „Ver- muthlich hat sodann Athanarich nur die Pässe und sonst zuo-äno-- lieberen Stellen (?) im Gebirge", das zwischen der Bukowina und der Donau dahinzieht, „und vielleicht auch einzelne Strecken südlich Siebenbürgens durch Mauern und sonstige Schutzwerke zu sichern gesucht. "

Au diese Darstellung Wietersheims anknüpfend soll nun im folgen- den eine genauere Bestimmung des Ortes, an welchem Athanarich mit den Hunnen zusammentraf, versucht werden.

Zunächst ist es klar, dass nur die Auffassung Wieterheinis betrefts der Worte a superciliis Gerasi erigebat " richtig sein kann. Nur diese Auffassung entspricht dem Berichte, dass Athanarich ins Gebirge zurückgeworfen, die angebliche Mauer aufführte; nur diese Auffassung trägt den Stempel der Möglichkeit an sich, und nur vor den Felsen- mauern Siebenbürgens nicht aber vor einem Walle, der nicht einmal im tüchtigen Zustande sein mochte, konnfen die Hunnen zurück- schrecken. Fragen wir uns aber, Avie das „a superciliis Gerasi" zu verstehen sei, so ist es gewiss, dass Athanarich nur an die Ver- theidigung der Gebiete vom Rodnapasse an, also von den Höhen am Oberlaufe der Bistritz, gedacht haben konnte. Der Gerasus bei Ammian ist somit nicht der heutige Seret; es liegt vielmehr einer der Fälle vor, in denen ein Neljeiifluss als ()])erlauf des

') Ueber den (Jerasns siehe weiter uiden; iilior den 'i'rajanswall vergl. die Notiz in Petermanns Mittheil. 1S57 «. I'2f», 1.30. '■) Vercjl. dazu die Anmork.

bei Wietersheim a. a. U. 3;».

20*

308 Kleine Mittheilungen.

Hauptflusses aufgefasst wurde ^). Unter dem Gerasus unseres Berichtes müssen wir also die Bistritz mit dem untern Seret als Fortsetzunsf verstellen.

Es kommt nun darauf an, die Stelle ,prope Danasti margines ac Greuthuugorum vallem" zu bestimmen.

Athanarich sehlägt sein Lager beim Tliale der Greuthungen aul und weicht beim AngTiffe der Hunnen mit geringem Verluste in das Hochgebirge zurück. Aus dieser Darstellung Ammians wird es wohl klar, dass die Westgotheu ihre Stellung nahe den Bergzügen der Karpaten genommen hatten. Wären sie fern von den Bergen in der Ebene crestandeu, so hätten die flinken Keiter der Hunnen sie auf der Flucht arg iiergenommen. P]s liegt somit die Annahme nahe, das wir die Uferlaudschaft des Danastus", die Amraian als Schauplatz des Zusammenstosses l>ezeichnet, am allerwenigsten au den untern und mittleren Dniester in Bessarabien verlegen dürfen. Es ist im übrigen auch völlig unglaublich, dass die Westgotheu sich so weit von Sieben- bürgen, dem Centrum ihrer HeiTschaft, entfernt hätten, um in Bes- sarabien einen Punkt des Dniesters zu überwachen, während doch der Feind auf der ganzen Länge des unteni und mittleren Dniester den Fluss überschreiten konnte.

Wir werden somit auf den i>bern Dniester verwiesen. Nun steht es aber fest, dass es Athanarich nicht einfallen konnte, am Oberlauf dieses Flusses in Galizien Stellung zu nehmen. Soweit der Dniester das heutige Galizien durchfliesst, begrenzte er weder westgothisches Gebiet, noch waren die aus dem Osten kommenden Hunnen an dem- selben zu erwarten. Wenn somit dem ,prope Danasti margines- Be- deutung zukommt, so ist wohl jener Theil des Dniesterlaufes zu ver- stehen, welcher etwa die Grenze der Bukowina bildet und in dem sich bei Samosin der sicher uralte Uebergang befindet -). Die Danasti raarsrines" müssten also in der Bukowina oder dein antjrenzenden Russland zu suchen sein.

Hat Athanarich am Dniester selbst Stellung genommen? Auuuian sagt „prope Danasti uiargiues". Eine wie weite Bedeutung iudess dieses prope " hat, folg-t schon daraus, dass der Vorposten 20 Stadien also etwa 4 Meilen vorritt, bis er an den Fluss kam, an welchem er von den Hunnen umgangen wurde. Da nun der Vorposten siclier

') fcjo ist bei Herudot IV 49 unter der Mapt^ wohl die Maros mit der uuteni Theiss als Fortsetzung gedacht. Ueber (Jerasus Seret vergl. Kaindl, Der Buchenwald Nr. 2, Czemowitz 1888 S. 20, 30, 43. -) Die erste Erwähnung derselben bringt die Hypatios-< "hronik zum J. 6721 1213 (Russ. Jahrbüther 2. B., Petersburg 1845).

I

Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Hunnen n. Westgothen statt? 309

uicht über den Duiester hinaus ritt, so würde Athanancli wenigstens vier Meilen vom Dniester entfernt gestanden sein. Nun geht es aber aus dem Berichte Ammians deutlich hervor, dass Athanarich vor den Hunnen sofort ins Hochgebirge floh, dass er vor allem auf seinem Rückzuge sicher nicht über Flüsse zu setzen hatte. Dieser Umstand lässt sich in keinem Falle mit dem „prope Dauasti margines' ver- einigen, wenn wir diese Worte derart auffassen wollten, als ob Atha- narich am Dniester seilest oder auch nur in der Nähe desselben Stellung genommen hätte. Zwischen dem Dniester und dem Gebirge eilen zahlreiche Flüsse und bedeutende Bäche dahin. Wenigstens einige derselben hätten die Westgothen überschreiten müssen, um das schü- tzende Gebirge zu erreichen. Sie hätten in diesem Falle durch die ihnen nachstürmenden Hunnen die grössteu Verluste erlitten. Dem widerspricht der Bericht Ammians. Nach diesem Berichte sind wir genöthigt daran festzuhalten, dass das Lager Athanarichs sich am Fusse des Gebirges befand ; wir müssen also das , prope margines " ganz allgemein fassen und dürfen annehmen, dass Athanarich nicht nur nicht nahe dem Dniester stand, sondern dass auch der Vorposten nicht an diesem Flusse umgangen wurde. Ausser dem Gerasus, dessen Bedeutung wir oben bestimmt haben, kennt Ammians Berichterstatter nur noch den Danastus. So erklärt sich leicht seine Angabe. Alles Hügelland ausserhalb des Gebirges, in welchem der Gerasus entspringt, gehört ihm zum üferlande des Danastus.

Aus der Darstellung Ammians ist es ferner ofifenbar, dass Atha- narich sieh auf die Vertheidigung eines Punktes beschränkte. Er schlug beim Thale der Greuthungen unter günstigen Bedingungen, das heisst wohl an einem leicht zu vertheidigenden Orte, sein Lager auf. Was geht aus diesen Umständen hervor? Wohl nur, dass Atha- narich einen der Haupt Zugänge nach Siebenbürgen vertheidigen wollte. Den schrecklichen unbekannten Feinden, die das grosse Ost- gothenreich im raschen Anprall zertrümmert hatten, deren Stärke und Wildheit durch die flüchtigen Boten den Westgothen sicher in den grellsten Farben ausgemalt worden waren, diesen Feinden konnte Athanarich nur in den Bergen Stand zu halten beabsichtigen. Er verschanzte sich also in einem der Einganffsthore und als er von den anstürmenden Horden überrumpelt wurde, war auch die Möglich- keit geboten, mit geringem Verluste ins Gebirge zu entweichen.

Wo ist nun aber jener Zugang zu suchen, den die Gothen ver- theidigten, und der als Greuthuugen t h a 1 " bezeichnet wird? Bei der Beantwortung dieser Frage können die eigentlichen Ostkarpaten Sieben- bürgens nicht in Betracht kommen. In verhältnismässig geringer

310 Kleine Mittheilungen.

Entfernung von denselben fliesst der Gerasus vorbei, und Ammian hätte sicher nicht gesagt, dass der Zusammenstoss in der Uferland- schaft des Danastus stattgefunden habe, wenn derselbe bei den Berg- zügen Avestlich vom Gerasus geschehen wäre. Wir werden mithin auch in diesem Falle auf das Gebiet der Bukowina vervdesen, auf Avelches Land wir auch bei der Bestimmung der Worte prope Dauasti margnnes" geleitet wurden. Durch dieses Land fübrt von der uralten Dniesterfurt bei Samosin der Völkerweg in das Moldawathal, durch welches man zum Eodnapass und nach Siebenbürgen gelangt. Dieser Weg, den später die Mongolen unter Kadan zogen und der deshalb allgemein als der , Tataren weg " bezeichnet wird, musste schon auch im vierten Jahrhundert und früher bestanden haben. Der Ausgang des Moldawathales bei Gura Humora kann allein der eine Punkt ge- wesen sein, dessen Vertheidigung Athanarich geplant haben mochte. Wie wohl geAvählt und wie wichtig dieser Punkt war, zeigt der Um- stand, dass derselbe in der jüngsten historischen Zeit mehrmals ver- schautzt und befestigt wurde i). Hier muss auch Athanarich festen Fuss gefasst haben. Von hier aus sandte er Muuderich und Lagari- luan mit ihrer Schar voraus. Diese ritten jedenfalls in der Richtung, in welcher der Völkerweg zog und also die Hunnen zu erwarten waren, zwanzig Stadien voraus, und hielten Wache au einem Flusse. Zwanzig Stadien sind etwa vier Meilen, und in dieser Entfernung von Gura Humora fliesst die Suczawa im weiten Bogen, dessen Halb- messer in nordöstlicher Richtung der angegebenen Wegstrecke ent- spricht. An der Suczawa scheinen also Munderich und Lagariman gestanden zu sein. In diesem Flusse konnten auch die Hunnen eine Furt finden, die nicht bewacht war, weil das ganze Flussbett flach ist; am Duiester wäre dieses nicht möglich gewesen. Nachdem aber die Hunnen den Vorposten umgangen hatten, konnten sie in der That die Strecke von vier Meilen rasch durcheilen und Athanaiüch überraschen, bevor noch Munderich und Lagariman am nächsten Morgen sahen, was geschehen sei. Athanarich überrascht, konnte sich auf dem wohlbekannten Bergweg mit geringem Verluste in das Ge- l)irge zurückziehen, und begann sofort vom Rodnapasse an, oder wie Ammian sagt „a superciliis Gerasi fluminis*", die wenigen Pässe zu verrammeln. Vor den Felsenmaucrn wichen die Hunnen zurück. Munderich muss aber auf anderem Wege entkommen sein. Dieses ist schon früher an«>*edeutet worden.

') Vgl. WickL-uliiiusor, iMolda (Czoniowil/, 1881 1 I, 23ii.

Wo fand der erste Zusammenstoss zw. Hunnen n, Westgothen statt? ^\{

Es erübrigt nur noch zu erklären, weshalb das Moldawathal Greuthungorum vallis " genannt worden sei. Dies kann einen doppel- ten Grund gehabt haben. Entweder hielten die Greuthungen oder Ostgothen einst dieses Thal besetzt, wie Wietersheim (I, 250) anzu- nehmen scheint; oder das Thal führte nach den Greuthungen den IS amen, weil man durch dasselbe in deren Gebiet gelangte. Jeden- falls weist der Umstand, dass das Thal einen Namen hatte, auf dessen besondere Bedeutung hin. Diese Bedeutung konnte aber ebenso wie heute auch im vierten Jahrhundert nur das Moldawathal bean- sprucht haben.

Czernowitz. Raimund F. Kai ndl.

Zur Diitiruiiü; yoii St. KMH. Schcffer-Boichorst hat im XII. Bande dieser Zeitschrift, S. 205, Anm. 4, auf die unter Friedrich I. mehi*fach zu beobachteude Thatsache hingewiesen, dass die Kaiser- und Köuigs- jahre bei der Datirung von Urkunden über ihren Endtermin hinaus noch Monate lang weitergezählt werden. Er hebt an dieser Stelle insbesondere hervor, dass das dreizehnte Königsjahr am 9. März 1165 abgelaufen war, die Kauzlei aber dabei blieb, und zwar nicht l)los das ganze Jahr 1165 hindurch, sondern noch bis in die ersten Monate des folgenden Jahres hinein; hier widerspreche die Berechnung also der Wirklichkeit, entspreche aber dem Kanzleigebrauch und damit den übrigen Jahresangaben.

In die von SchefFer-Boichorst erwähnte Zeit der Fortführung des cbeizehnten Königsjahrs über seinen Endtermin hinaus fällt das Pri- vileg, welches Friedrich I. am 8. Januar 1166 bei Gelegenheit der Kanonisation Karls des Grossen für Aachen ausgestellt hat (St. 4061) und das ich vor Kurzem im Anhange zu einem Buche von Bauschen auf seine Echtheit untersucht habe, für dessen Echtheit ich auch viel- fachen Anfechtungen gegenüber eingetreten bin i). Dieses Privileg macht nun allerdings in der von Schetfer-Boichorst verfolgten Reihe und insbesondere unter den von mir selbst zur Vergleichuug heran- gezogenen Urkunden jeuer Zeit eine Ausnahme, indem es das vier- zehnte Königsjahr nennt -). Neben den zahlreichen anderen für die

') Die Legende Karls des Grossen im 11. und 12. Jahrhundert herausgegeben von Gerhard Rauschen. Mit einem Anhang über Urkunden Karls des Grossen und Friedrichs I. für Aachen von Hugo Loersch, Leipzig 1890. 2) A. a. 0. S. 194 f.

312 Kleine Mitthei hingen.

Echtheit überzeugeud sprechenden Gründen erschien die kleine Ab- weichung, welche zudem sogar eine den wirklichen Verhältnissen ent- s]n-echeude, richtige Königszahl ergibt, nicht wesentlich. Ich bin mir aber doch bewusst, hier die Bedeutyng des konstante a Kanzleige- brauchs nicht genügend gewüi-digt und nicht genug gethau zu haben, um das aus der ungewöhnlichen Zahl sich ergebende Bedenken aus dem Wege zu räumen. Da ich befürchten rauss, dass es doch noch einmal geltend gemacht werden könnte, so gestatte ich mir, hier mit weniseu Worten darauf zurückzukommen.

Die Sache liegt nämhch aller Wahrscheinlichkeit nach so, dass die in jeder andern Beziehung als vollkommen kanzleimässig erwiesene Urkunde auch von Anfang au die zur Zeit übliche Angabe des drei- zehnten Königsjahres gehabt hat und dass das ,quartodeciino' nur in den Text gekommen ist bei Gelegenlieit der Abschrift, welche die Kanzlei Friedrichs IL von dem Privileg gemacht hat. St. 4061 Hegt nämlich nicht im Original, sondern nur in dem 1244 zu Pisa her- gestellten Transsumt vor ^). In den meisten, wenn nicht in allen 1165 und 66 durch die königliche Kauzlei hergestellten Urkuuden sind alle bei der Datirung vorkommenden Zahlen mit Ziffern wiedergegeben. Insbesondere hat das in Aachen aufbewahrte, daraufhin nochmals ver- glichene Original von St. 4062 folgende Datirung:

Dat Aquisgrani. anno dnice incamat. m. c. Ix vi. indictione. xiiij. V. id ianuarij. Kegnante domno Frederico. Rom impre glosissimo, anno regni eius xiij. impij ü. xi Act. in xpo feliciter. Amen:

Die gleiche Art der Schreibung findet sich mit geringen Ab- weichungen, wie ich aus meiner vor Jahren genommenen Abschrift ersehe, in dem Original von St. 4060 in Berlin. Unzweifelhaft ist also auch im Original von St. 4061 das Datum ganz in derselben Weise gestaltet gewesen und hier, wie in St. 4060 und 4062, "war xnj die Ziffer des Königsjahres. Bei der Transsumirung im August 1244 sind nun, wie mein Abdruck zeigt-), in der Kanzlei Fried- richs IL alle in der Vorlage mit Ziffern geschriebenen Daten durch Worte wiedergegeben worden; es hat also bei jeder Ziffer eine Um- schreibung stattgefunden. Sicherlich ist bei dieser Gelegenheit, natür- lich nicht weil man eine Korrektur vornehmen wollte, sondern durch ein Versehen des Schreibers, das dreizehnte Königsjahr in das vier- zehnte umgewandelt worden, aus xuj ein ,quartodecimo' geworden. Das war um so eher möglich, -weil xuj sehr leicht für xnij gelesen

>) A. a. 0. ö. 164. ^) A. a. U. Ö. 159, Z. 224 Ö'.

Zur Datirimg von 81. 4061. 3|3

werden kann und weil bei der kurz vorausgehenden Angabe der Indiktion die Ziffer xrnj schon einmal -wirklich vorgekommen und umschrieben worden war.

Durch diese Ausführungen dürfte jedes Bedenken, welches noch aus der Abweichung der Urkunde St. 40til von dem im Januar 1166 in der Kanzlei gebräuchlichen Königsjahr hergeleitet werden könnte, gehoben sein.

Bonn. Loersch.

I

Literatur.

Oe«terreicliisehe Kunst-Topographie. I. Baud: Herzog- thum Kiirnteu, Herausgegebeu von der k. k. Central - Commission für Eriorscliimg und Erhaltung von Kunst- und historischen Denk- malen. Wien 1889. In Commission bei Kubastu & Voigt. Gr. 8", X und 490 S.

Schon im Jahre 1874 hat die k. k. Central-Commission lür Erfor- schung und Erhaltung von Kunst- und historischen Denkmalen den Plan gefasst, eine österreichische Kunsttopographie in Angriff zu nehmen unri durchzuführen. Sie hat sich damit eine dankenswerthe und nicht genug zu schätzende Aufgabe gestellt, die, von bewährten Kräften in richtiger Weise durchgeführt, Oesterreich nur zur Ehre gereichen könnte. Die Aus- führung liess lange auf sich warten. Erst nach jahrelangen Vorbereitungen und Vorarbeiten i), nach wiederholten Berichten über den Fortgang iler Arbeiten und nach mehrmaligen Ankündigungen des nahe in Aussicht stehenden Erscheinens des Werkes ist endlich der erste, Kärnten umfassende Band erschienen und liegt nun in acht Lieferungen, die in verhältniss- niässig kurzer Zeit (1888 1889) ausgegeben wurden, vollendet vor.

Da in gleicher Weise, wie im ersten Bande Kärnten, in den folgen- den Bänden auch die sämmtlichen anderen Länder und Provinzen Oester- reichs behandelt werden sollen, so dürfte eine eingehende und sachgemässe Würdigung dieser ersten Leistung wohl am Platze sein; und ich denke, die Central-Commission wiixl einer gewissenhaften und vorui'theilsfreien Besprechung nur Dank wissen, selbst wenn die Bemängelungen überwiegen sollten, da das Werk für die folgenden Bände nur gewinnen kann, wenn von einem ausserhall) ihres Kreises Stehenden in dieser Angelegenheit ein offenes Wort gesprochen wird.

Freilich hat die Central-Commission, vielleicht im Bewusstsein der mehrfachen Mängel des Werke«, eigentlich gegen jede ablehnende Kritik

') Vgl. Mittheilungen der k. k. Ceutral-Commission N. F. 14, S. 64: »Was nun Kärnten anbelangt, so hat sich die Central-Commission die Mühe nicht verdriessen lassen imd auch die Kosten nicht gespart, das reichhaltige Materiale wiederholt sichten, richtigstellen und ergänzen, überprüfen und neuerlich mit den thatsächlichen Verhältnissen an Ort und Stelle vergleichen zu lassen, um damit den richtigen sachlichen Bestand zu erreichen.*

Literatur. 315

im Vorhinein Stellung genommen ; das Erscheinen des Buches wird in ihrem Organ (Mittheilungen K. F. 14, 64) mit folgenden Worten angekündigt: »Herzlich sch-vvierig war es, dieses Buch zu Stande zu bringen, das un- geachtet vieler Sorgfalt gewiss nicht fehlerfrei und auch noch lückenhaft sein wird. Leicht wird es vielleicht dem Kritiker und Gegner werden, hie und da Fehler oder Mängel zu finden, möge er es aber versuchen, ein solches Werk, für welches derzeit kein Vorbild besteht, tadellos zu schaffen oder besser zu machen.« Dem Einzelnen stehen nicht der grosse Hillsapparat und die vielen Hilfsmittel zu Gebote, über welche die Central- Commission verfügt, er ist daher nicht leicht in der Lage, ein solches Werk in Angriff nehmen zu können; das ist eben die Aufgabe solcher staatlicher Institute. Um die Wissenschaft aber wäre es schlimm bestellt, wenn jedes Werk nur nach einem berühmten Muster geschaffen werden könnte. Und so ganz ohne jede vorhergehende, wenn auch nicht ganz gleiche, so doch sehr ähnliche Publikation steht das Werk doch nicht da. Liegt es auch nicht in meiner Absicht, »ein solches Werk tadellos zu schaffen oder besser zu machen« und mii- erst dadurch die Berechtigung zu einer Kritik zu erlangen, so glaube ich doch in der Angelegenheit der Kunsttopographie das Wort ergreifen zu dürfen.

Im Vorhinein sei hervorgehoben, dass die Central-Commission durch die Inangriffnahme der Kunsttopographie sich ein unvergängliches Verdienst um die Kunstgeschichte in Oesterreich erworben hat. Insbesonders aber ist ihr die Lokalforschung in Kärnten dafür zu ausserordentlichem Danke verpflichtet, dass sie gerade dieses Kronland zur ersten Publikation sich aus- ersehen hat. Denn wahrlich eine ganz besonders reiche Fülle von Material zur Kunstgeschichte des Landes erscheint in dem vorliegenden Bande zum ersten Male vereint, theils ausführlich beschrieben, theils nur genannt und erwähnt. Damit ist ein Inventar geschaffen, welches nicht nur den grüssten Theil des gegenwärtigen Besitzstandes an Kunstwerken tixirt, sondern die- selben vielfach auch eingehend beschreibt und würdigt und dadurch der vergleichenden und zusammenfassenden Kunstgeschichtschreibung zugänglich macht. Wenn das Werk in der Durchführung auch Vieles, recht Vieles zu wünschen übrig lässt, das grosse Verdienst der ersten Zusammenfassung und in Folge davon der leichteren Zugänglichkeit des zerstreuten und nicht immer leicht erreichliaren Materials wird ihm immer bleiben.

Um dem Werke in jeder Beziehung gerecht zu werden, muss man es von drei Gesishtspunkten auri^^der^ Betrachtung unterziehen. Erstens sind die allgemeinen Grundsätze, auf denen das Werk aufgebaut ist, zu berücksichtigen. Diese wurden im Schosse der Central-Commission auf Grund gemeinsamer Berathungen aufgestellt und sie sollen auch lür alle folgenden Bände massgebend sein. Diese sind also Sache der Central- Commission selbst. In zweiter Linie ist zu untersuchen, wie und inwie- ferne die aufgestellten Principien in dem vorliegenden Bande durchgetührt ersclieinen, ob und inwieweit also die Durchführung mit den angenommenen allgemeinen Grundsätzen sich deckt. Für diesen Theil wird die Kedaktion des Buches einzutreten haben. Endlich ist der Inhalt der einzelnen Artikel selbst in Betracht zu ziehen, sind die einzelnen Angaben in denselben auf ihre Vollständigkeit, Eichtigkeit und Verlässlichkeit zu prüfen. Die Ver- antwortung hielür haben die verschiedenen Berichterstatter zu tragen.

3 1 fi Literatur.

Die »(Ti-undzüge zur Verfassung und Publikation der Kunst-Topo- grapliie* wurden wiederholt der Oeftentliclikeit bekannt gegeben ^). Sie sind in der Einleitung zu dem vorliegenden Bande nicht wieder abgedruckt, sondern es wurden hier nur mit Berufung auf den Aufsatz von Preihen-n V. Helfert die Abweichungen von jenen näher ausgeführt und begründet. Zunächst seien jene Punkte besonders liezeichnet, welche zu Bedenken berechtigen.

Im Allgemeinen wird man einwenden dürfen, dass diese (Irundzüge in manchen Punkten zu unbestimmt lauten und zu wenig ins Detail gehen. Wären die Mitarbeiter sämmtlich geschulte Archäologen und Kunsthistoriker, dann könnten sie vielleicht genügen. Da dies aber zum grössten Theile nicht der Fall ist und die Mitarbeiter meist dilettirende Consei"vatoren und Correspondenten, ja häufig auch in Sachen der Kunst gänzlich un- erfahrene Landgeistliche sind, die den einzelnen Kunstobjekten ohne nähere Anweisung für die Beschreibung rathlos gegenüberstehen, so wäre es an- gezeigt gewesen, die «Grundzüge» auf lireitere Basis zu stellen. Und da ein Mitarbeiter nur dann etwas Brauchbares wird liefern können, wenn ihm die Glesichtspunkte, auf denen das Werk beruhen soll, genau bekannt sind, so hätten die Normative zuerst ausgearbeitet und mit den Frage- bogen zugleich ausgeschickt werden sollen, nicht aber wie es hier geschah, dass zuerst die kurzen, äusserst trockenen Fragebogen ausgesandt und erst dann, nachdem bereits ein grosser Tlieil derselben beantwortet vorlag, die GriTindzüge in deii Druck gelegt wurden.

Auf Einzelheiten übergehend, scheint es mir zunächst bezüglich der prähistorischen und römischen Pundstücke ein Mangel zu sein, dass nicht ganz präcise und unzweideutige Bestimmungen getroffen wurden, wo die- selben zu nennen und zu beschreiben sind, ob an ihrem Fundorte oder an ihrem jetzigen Standorte. Bezüglich der prähistorischen Denkmale be- stimmt der § 2 b, dass nur «wichtigere Fundstellen, auch wenn die be- treffenden Objekte nicht mehr an Ort und Stelle vorhanden sind, und dass nur bedeutende Objekte, welche sich in Sammlungen finden, auch beim Fundorte zu nennen seien«. Aehnlich lautet der § 3 b bezüglich der römischen Denkmale: Anzuführen sind die »Fundstellen selbst, auch wenn die Objekte nicht mehr dort verblieben: bedeutende Objekte der Samm- lungen sind auch unter den betreffenden Fundorten zu nennen.«

Damit sind die Bestimmungen betreffs der Sammlungen fi a, c, d u. e) in Zusammenhang zu stellen. Von feststehenden Privatsammlungen soll nur eine summarische Uebersicht des Bestandes mit Angabe der bedeu- tendsten darin befindlichen Stücke dem betreffenden Ort als Anhang bei- gegeben werden, wechselnde Privatsammlungen aber seien überhaupt aus- geschlossen. Ferner sei von öffentlichen Sammlungen nur ein Auszug aus den Katalogen als Anhang beizugeben. Und endlich sei bei bedeutenden

•) Oesterreichische Kunst-Topographie. Von Freih. von Helfert. (Mitthei- lungen der k. k. Central - Commission für Kunst- und historische Denkmale (N. F. 7, (1881) S. 8-11). Normative der k. k. Central-Commission zur Erfor- schung und Erhaltung von Kunst- und historischen Denkmalen. Wien 1883, S. 51—74 und gleichlautend wie in der letzteren Brochure auch in einer Separat- Ausgabe.

Literatur. 317

Objekten der Sammlunge]i deren Provenienz anzugeben. In Folge dieser Bestimmungen können bedeutendere Objekte doppelt, minder bedeutende hingegen gar nicht genannt werden. In der That ist dies in dem vor- liegenden Bande, besonders in der doppelten Nennung derselben Objekte, häutig auch der Fall ; viele Denkmale, vi^elche jetzt im Museum des Ge- schichtsvereins für Kärnten in Klagenfurt sich befinden, werden sowohl unter ihren Fundorten als auch dann bei der Besprechung des Museums genannt. Dem wäre vorzubeugen gewesen, wenn man als allgemein gil- tigen Grundsatz, der für die Anlage der Kunsttopographie wissenschaftlich sowohl gerechtfertigt als zugleich auch praktisch gewesen wäre, angenommen hätte: Alle Fundobjekte, deren genauer Fundort sich unzweifelhaft er- weisen lässt, sind stets bei den Fundorten unter gleichzeitiger Erwähnung des jetzigen und etwaiger früherer Standorte zu nennen, hingegen sind alle Fundobjekte, deren Fundorte unbekannt oder zweifelhaft sind, insoweit sie nach dem Programm des Werkes einer Aufzählung oder Beschreibung werth erscheinen, unter dem jetzigen Standorte bei gleichzeitiger Anführung etwaiger früherer Standorte zu beschreiben.

Nach § 4 der Grundzüge hätte bezüglich der Bauwerke der neueren Zeit beiläufig mit dem Jahre 17.")U ein Abschluss gemacht werden sollen, in der Einleitung aber heisst es (S. III), dass gewöhnlich das 18. Jahr- hundert den Abschluss bildet. In der Ausführung ist man dami ein paarmal selbst darüber hinausgegangen. Ich glaube, bei der geringen Kunstthätigkeit unseres Jahrhunderts hi Kärnten hätte man leicht auch die wenigen Bauten der neueren Zeit aufnehmen können.

Bezüglich der Anlage der Kunsttopographie wurde im § y bestimmt, dass «die m einem Bande zu besprechenden Orte in alphabetischer Reihen- folge behandelt werden sollen.» Die alphabetische Anordnung hat zwar den Vortheil der schnellen Auffindbarkeit eines Artikels für sich, allein dieser hätte sich auch durch ein alphabetisches Register, das hier ziemlich überflüssiger Weise ausserdem noch beigegeben ist, unschwer erreichen lassen. Wissenschaftlich gerechtfertigter wäre, wie ich meine, folgendes Vorgehen: Das ganze Werk hätte zunächst in zwei vollständig selbst- ständige und gesonderte Theile zerlegt werden sollen: in einen prähistori- schen und römischen und in einen mittelalterlichen und neuzeitlichen Theil. Und nur im ersten Theile hätten die Fund- und Standorte alpha- betisch angeordnet werden können, während im zweiten Theile die An- ordnung nach bestimmten örtlichen Gruppen zu treffen gewesen wäre. Letztere hätte iür eine wissenschaftliche Benützung ganz besondere Vortheile geljoten. Gar manche lokale Eigenthümlichkeiten, z. B. in den Bauten, würden da sofort in die Augen springen, die ein gewissenhafter kunst- historischer Bearbeiter so erst mit viel Mühe und Arbeit sich zusammen- suchen muss. Speciell für den vorliegenden Band, der ja mit Bezug auf das Mittelalter und die Neuzeit zu neun Zehntheilen eine kirchliche Kunsttopographie von Kärnten repräsentirt, dürfte sich eine Anordnung der Orte nach Decanaten und Pfarreien und zwar örtlich vorschreitend von West nach Ost und von Nord nach Süd ganz besonders empfohlen haben. Die Filialkirchen hätten dann stets unter ihren Mutterkirchen besprochen weixlen können.

Wenn aber schon das Princip der alphabetischen Anordnung angenommen

318 Literatur.

wurde, so hätte eine Gliederung der einzelnen Ai'tikel in Absätze, nicht, wie es in § 9 heisst, »nach Bedarf und zwar nach den prähistorischen, römischen und mittelalterlichen Gegenständen« vorgeschrieben, sondern die Scheidung nach den erwähnten drei AI )theilungen unbedingt und aus- nahmslos durchgeführt werden sollen, so zwar, dass sie schon äusser- lich hervortreten würde und auf den ersten Blick zu erkennen wäre.

Die im § 1 1 der Grundzüge versprochene archäologische Karte ist bei dem vorliegenden Bande leider nicht zur Ausführung gelangt.

Von der im § 14 angeordneten Classirung der Denkmäler wurde bei der Durchführung mit Recht Umgang genommen. Abgesehen davon, dass eine solche unter den gegebenen Verhältnissen äusserst schwer durchzu- führen gewesen wäre, würde sie auch vielfach nur einen bedingten Wevth gehabt haben, da sie auf der individuellen Schätzung und Anschauung von verschiedenen Berichterstattern hätte aufgebaut werden müssen. Ausser- dem kann der Zweck einer solchen Classirung leicht auch auf andere Weise erreicht werden, indem man eben das Wichtige und besonders Be- deutende ausführlich, genau und eingehend beschreibt und das Minder- wichtige weniger detaillirt behandelt oder endlich gar nur einfach er- wähnt. Leider wurde dieser Gesichtspunkt bei der Zusammenstellung des Werkes nicht immer beachtet.

Betreffs der Illustrationen liestimmt der § 1 5 der Grundzüge : »Illustrationen sind nur ausnahmsweise und wenn sie dazu dienen eine weitläufige Beschreibung zu ersetzen und zwar in der Eegel noch nicht verwendete beizugeben.« Von dieser allenl'alls für ein blosses Inventar passenden Bestimmung ist man später glücklicherweise abgeko men. »Nicht bloss im Schosse der Central-Commission selbst, << heisst es in der Einleitung (S. III), »sondern auch von berufenen Stimmen aus dem Lande Kärnten wurde indess in Erwägung gezogen, ob es sich nicht in mehr als einer Hinsicht empfehlen dürfte, den reichen Vorrath an Holzstöcken, der sich seit einer Reihe von dreieinhalb Decennien im Besitze der Central- Commission aufgespeichert hat, zur Illustration der einzelnen Artikel zu verwenden, was nicht bloss einem sonst ziemlich trockenen Werke manchei-lei Anziehungskraft verleihen, sondern auch zur nutzbaren Anschaulichkeit des im Texte Auseinandergesetzten sehr dankenswerthe Dienste leisten müsste.« Die Central-Commission hat sich demnach entschlossen, der Kunsttopographie ein reiches Illustrationsmaterial beizugeben, doch nicht auch dazu, die folgerichtigen Consequenzen aus diesem geänderten Vorgehen voll und ganz zu ziehen. Es wurden nämlich nicht alle der Central-Commission zugänglichen Illustrationen wieder zur Verwendung gebracht die ge- ringen Mehrkosten wären durch die Vortheile für die wissenschaftliche Benützung reichlich aufgewogen worden und es wurde von der Bei- gabe eines l)esonderen Atlanten der Illustrationen abgesehen. Zwar heisst es auf Seite IV der Einleitung: »Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass durch die reichliche Ausstattung mit Illustrationen die ursprüngliche Beigalie eines Atlanten der Kunstdenkmale Kärntens entiallen konnte.« Wenn aber dies, so erforderte die wissenschaftliche Seite des Werkes, dass die Illustrationen dort in den Text eingefügt wurden, wo sie dem Zusammenhange nach liingehören, so dass stets Wort und Bild beieinander stehen. Allein anstatt dessen wurden ästhetische Grumisätze massgeliend,

Literatur. 319

die Illustrationen wurden ohne Eücksicht auf den Text schön gleichmässig auf die Seiten des Buches vertheilt. Wie unbequem dadurch die wissen- schaftliche Benützung des Buches geworden ist, wird jeder, der sich mit demselben zu beschäftigen hat, nur zu bald empfinden. Auf diese Art ist wohl ein schönes Bilderbuch, aber kein wissenschaftlich leicht brauch- bares Werk entstanden.

Endlich bestimmt § 16 der Grundzüge, dass »Citate nur auf diejenigen Werke zu beschränken seien, welche den betreifenden Gegenstand ausiühr- licher besprechen oder in guter Abbildung bringen, Literaturberichte seien ausgeschlossen.« Etwas allgemeiner spricht sich hierüber die Ceutral- Commission in der Einleitung (S. III) aus: »Auf die bestehende mass- gebende Literatur« heisst es da, »wurde durch Berufung möglichst einsfehend hingewiesen.« Dieser Grundsatz ist viel zu dehnbar: Bei der individuellen Unterscheidung, was »massgebend« sei und was nicht, wird der Willkür stets ein zu grosser Spielraum eingeräumt sein. Für ein Werk, wie das vorliegende, wäre wissenschaftlich einzig und allein der Grundsatz richtig, dass die gesammte bestehende Literatur möglichst voll- ständig zu verzeichneii ist. Dafür sprechen so viele Gründe, dass es nicht einmal nöthig ist, sie anzuführen. Selbst die darauf aufgewandte Mühe wäre kaum grösser gewesen, als wenn der aui'gestellte Grundsatz der richtigen Unterscheidung zwischen massgebend und nichtmassgebend in zutreflender Weise durchgeführt worden wäre.

Soviel über die allgemeinen Grundsätze, Auf einiges Andere zurück- zukommen, wird sich noch später hie und da die Gelegenheit erge])en.

In welcher Weise wurden nun die in den »Grundsätzen« und in der »Einleitung« von der Central-Commission selbst aufgestellten allgemeinen Principien in dem vorliegenden Bande angewandt und durchgeführt? Dafür wird die Eedaktion des Werkes verantwortlich zu machen sein.

Nach der Einleitung (S. II) hat die »Einzelarbeiten« für den prä- historischen und römischen Theil »der Grätzer Universitäts-Professor Dr. Fritz Pichler auf sich genommen«, »die Anordnung und Formulirung des von so vielen Seiten und verschiedenen Kräften zusammengetragenen Materiales aber war die mühevolle Arbeit des erkorenen Referenten, des k. k. Sectionsrathes Dr. Karl Lind«. Diese zweifache Redaktion mag immerhin für die Einheitlichkeit des Werkes nicht von Nutzen gewesen sein. Doch ich kann mir l'ci der beliebten Theilung der Arbeit das Ver- hältniss der beiden Redakteure zu einander nicht anders denken, als dass Dr. Lind die Gesammtredaktion besorgte, d. h. das von Dr. Pichler be- arbeitete Material an richtiger Stelle einordnete. Dies Verhältniss scheint mir auch in den angeführten Worten der Einleitung angedeutet zu sein. Rein redaktionelle Versehen uml Irrthümer dürften daher nur auf Rech- nung des Gesammtredakteurs zu setzen sein.

Schon die alphabetische Anordnung ist wiederholt fehlerhaft. So folgen: Bodenthal nach Brandlhof, Dornach nach Dornbach, Dürnfeld nach Dürnstein, Gamsenegg nach St. Gandolph, Langsdorl' nach Längsee, Lie.ser- egg nach Liesing, Loiltach nach Loibl , St. Lorenz nach St. Lorenzen, St. Lorenzen nach Lorenzenberg, Oetting nach Ottmanach, Reinegg nach Reisach, Rosendorf nach Rossegg, Sack nach Sala, Steierberg nach St. Ste- phan und Unzdorf nach St. Urban.

320 Literatur.

Nicht selten kommen Schreibweisen der Namen zur Anwendung, die von den landesüblichen und allgemein gebräuchlichen abweichen. Manche dieser Abweichungen mögen auch auf einfachen Druckfehlern beruhen, manche nur auf verschiedener Schreibung. Aus der Liste sie zählt 58 iNumuiern greife ich nur einige Beispiele heraus (der richtige Name steht an zweiter Stelle) : Aichelburg Aichlberg, Düchmannsdorf Tech- mannsdorf, Dünhof Dornhof, Ehrenvest Ead nvöst (^= Oede Veste), Gaudnitz Öaudritz, Geräuth Greuth (Kreuth), Hüchenbergen Hoheii- bergen, St. Joseph in der Tratten St. Joseph an der Tratte, Krain- schütz Kremschitz, Mallthein Malta, Maria im Elend Maria- Elend, Maria an der Gail Maria Gail, Miegers Mieger, Mösl-Ofeii

Mosel, Nicolsdorf Nikelsdorf, Osterwitz, Neu Niederosterwitz, Polinik Polinig, St. Primus liei Tultsching St. Primus bei Tultsch- nig, Rautenburg Kauterburg, Schwertenegg Schrottenegg , Thui-n

Thurnhof, und im Nachtrage : Gerl am Moos Gerlamos.

Auch einige Inconsequenzen, besonders in der Behandlung der zu- sammengesetzten Ortsbezeichnungen mit Unter und Ober oder Windisch und Deutsch, Gross und Klein u. s. w. sind zu verzeichnen. Derlei Orts- bezeichnungen hätten doch alle nach einem bestimmten Principe in gleiciier Weise alphabetisch eingereiht werden sollen. Desgleichen werden auch ein und dieselben Namen nicht immer consequent gleich geschrieben: so linden wir Hainburg und Heunburg nel)en dem richtigen Haimburg, Kreugerberg neben Kraig, Reifniz neigen Reiihitz, Reineck neben Reiii- egg u. s. w.

Doch das sind Kleinigkeiten. Um so bedenklicher aber ist es, dass ein- zelne Orte unter gänzlich falschen Bezeichnungen alphabetisch eingereiht sind, und da?s ein und dieselben Objekte unter verschiedenen Namen doppelt, das Wegkreuz bei Launsdorf sogar dreimal, sei es nun mit den- selben oder mit anderen Worten, beschrieben werden. Dies wäre leicht zu vermeiden gewesen, da für Kärnten Hilfsmittel genug bestehen, um in zweifelhaften Fällen das Richtige zu treffen. Besitzen wir doch vier brauch- bare Ortsrepertorien. Dazu kommt noch die grosse vom militärgeographi- schen Institute herausgegebene Specialkarte im Masstabe von 1 : 75 000, abgesehen von einigen anderen älteren kartographischen Arbeiten. Die Be- nützung auch nur eines von diesen Hilfsmitteln hätte genügt. Soviel sich, und zwar aus der Art der Fehler ersehen lässt, wunle bei der alphabetischen Anordnung der Orte nur ein einziges Hilfsmittel benützt, d. i. der Schematismus der Gurker Diöcese. Allein dieser ist an sich gerade keine Musterpublikation, zudem ist er nach einem Principe verfasst, das für die Bestimmung der eigentlichen Ortsnamen von Vorneherein die grüsste Vor- sicht gebietet. Die Kirchen werden nämlich nicht nach den eigentlichen Ortsbezeichnungen, sondern nach den Heiligen, denen sie geweiht sind, angeführt. Ausserdem werden bei öfters wiederkehrenden Heiligennamen die nach diesen genannten Ortschaften durch Beisätze, welche nahegelegenen Ortschaften, Bergen, Gegenden etc. entnommen sind, zu unterscheiden gesucht. Diese Beisätze sind aber sonst im Lande nicht immer gang und gäbe.

Offenbar durch diesen eigenthümlichen Vorgang im Schematismus wurde die Reduktion nur zu oft irregeführt nml bat so melireve Orte

Literatur. 321

unter dem Namen des Heiligen, dem die in demselben befindliche Kirche geweiht ist, eingereiht anstatt unter dem eigentlichen Namen, und um- gekehrt wurden wieder andere Kirchen unter dem erwähnten unterschei- denden Beisatze eingetragen anstatt unter dem Namen des Heiligen, nach welchem die Kirche und zugleich auch die bei derselben befindliche Ortschaft selbst benannt erscheinen. Auf diese Weise kommt es, dass bei Ortschaften, wo keine Kirche steht und auch nie eine stand, wie bei nianegg und Feistritz im Glanthale, Fölling bei Treffen und Siflitz bei Spital sich Beschreibungen von Kirchen finden. Durch den gleichen Irr- thum sind auch zwei Artikel Grrafenstein entstanden, obwohl es in Kärnten nur einen einzigen Ort dieses Namens gibt.

Auch mehrere Doppelbeschreibungen ein und desselben Gegenstandes, welche unter verschiedenen Schlagworten auftreten, können vielfach auf die Irreleitung durch den Schematismus zurückgeführt werden. Allein nicht alle. Manche Kirchen kommen einfach darum doppelt vor, weil sie das eine Mal unter einem selbstständigen Artikel, das andere Mal abei- unter dem Schlagworte der Pfarre, denen sie als Filialen zugehören, gleich- falls beschrieben sind. Man vermisst eben auch hier einen bestimmten Grundsatz, den entweder die Central-Commission selbst oder doch die Redaktion sich hätte aufstellen sollen.

Ich gebe im Folgenden eine Liste der doppelt v(»rkommenden Artikel. Der richtige Name ist durch einen vorgesetzten Stern (*) kenntlich gemacht: Aichelburg, richtig Aichelberg = Damtschach; St. Andrea bei Poggersdorf = *Wutscliein; St. Cantian im Geräuth = Malestig (St. Cantian); Damtschach =- *Tamtschach; Drupolach = Tröpelach, richtig Tröppelach; Dürnstein = * St. Stephan bei Friesach ; Egg (Kieuegg) = Kienegg, richtig Khünegg; Feistritz im Glanthale (St. Martin-Kirche) = St. Martin in Feistritz, richtig

Feistritz südlich von Grades; Ferlach, Unter = Unter-Ferlach ; Feuersberg ■= *St. Stephan bei Feuersberg; Finkenstein = *St. Stephan bei Finkenstein; *Fresslitz = St. Magdalena an der Fresslitz: *Galizien ^= St. Jakob in Galizien; St, Georgen am Bayesberg ^^= * Bayerberg, St. Georgen am - unter den

Nachträgen : St. Georg vor dem Bleiberge (Flügelaltar) := Kerschdorf (Flügelaltar); St. Georgen am Gundischberg ^=: * St. Georg(en) unter Stein ; *St. Georg(en) am Stenberg = Sternberg (auch unter <ler falschen Be- zeichnung Steinberg steht ein Hinweis) ; Glanegg (St. Urban-Kirche) = * St. Urban bei Glanegg; * Grades, St. Wolfgang l)ei ^ St. Wolfgang bei Grades; Hochostei'witz ^ Osterwitz, Hoch- und =- Osterwitz, Neu-, richtig Nieder-

osterwitz ; Hornburg, St. Oswald ob -^^ *St. Oswald ob Hornburg; St. Johann B. am Kienberge ^ Kienberg;

Mittheilmigen XII. 21

322 Literatur.

St. Johann am Streinberg =^ * Streiiiberg ;

* Kirchberg ^= Maria im Moos;

Klein-Kirchbeim (Filiale St. Katharina im Bade) = *St. Katharina;

Klein-St. Veit = St. Veit bei Reineck, richtig Windisch-Klein-St. Veit:

Kremskogel =^ Hochosterwitz (Kremskogel):

St. Kunigunde ^= *Reissl)erg;

St. Lambrecht am Radsberg =^ * Ra^lsberg unter den Nachträgen ;

Launsdorf (St. Sebastians-Filialkirche) = *St. Sebastian;

Laujisdorf (Wegkreuz) = Hochosterwitz (Wegkreuz) Launsdori' (Weg- kreuz) des Nachtrages;

Loibach, Unter- -=^ Unter-Loibach ;

St. Margarethen zu Tsclirietes -^ Schrittes (richtig *Tsclirietes) unter den Nachträgen ;

* Maria am See ^= Prevali ;

St. Martin in Feistritz - Feistritz im Glanthale, richtig Feistritz südlirh

von Grades ; *St.. Martin am Silberbei-ge ■=— Silberberg; St. Michael an der (lurk ■== * Windisch-St. Michael; Niedertrixen * St. Stephan bei Heunburg: Nussberg (1. Artikel) = Nussberg (3. Artikel); Fölling bei Launsdorf =^ Pölling bei Launsdori' der Nachträge; •Fölling bei Tretfen =- '^^ Pölling auf der Saualpe der Nachträge; Reineck ^^ * Reinegg;

Reinegg (Pfarre St. Philippen) -^^ *St. l'hilippcn; Reisberg = * Reissberg;

Rieding, St. Oswald in der = St. Oswald in der Rieding der Nachträge; Schwerttenegg = *Schrottenegg; Tweng (St. Leonhard) ^=^ *St. Leonhard im Drauthale.

Dazu käme ein Verzeichniss der unter falschen Bezeichnungen vor- kommenden Artikel, nicht weniger als 37 ^). Ich erwähne hier einige: Chum, richtig St. Christoph am Chum; Dornach, richtig Mitteldorf bei Sagritz im MöUthale; Gorentschach, richtig St. Nikolai : Hungersbach, rich- tig Bach; Krainschütz (recte Kremschitz), richtig St. Leonhard; St. Lo- renzen s. Maria Buch, richtig Grossbuch: Ponfeld, richtig St. Martin; Reifnitz, richtig St. Margaretben; Roggau, richtig Ober-Schütt. Daran schliesst sich eine Anzahl von Filialkirchen (20), welche nur unter dem Schlagworte ihrer Pfarrkirchen, seien diese nun richtig oder unrichtig Ijezeichnet, erwähnt oder beschrieben werden, wie Freundsam unter Gra- denegg; St. Katlierina (Filiale von St. Älargarethen) unter Tüllerberg; St. Kolman (Filiale vom Markt Griffen) unter Ehrenegg.

Zu erwähnen ist noch, dass unter den Schlagworten St. Claus, St. Georgen am Zammelsberg, Hornburg und Saalfeld Hinweise auf die Ar- tikel St. Veit, Zammelsberg, St. Paul und Lamprechtskogel, Lambertskogel

') In diese Zahl .sind jene Artikel nicht eingerechnet, von welchen unter den richtigen Bezeichnungen wenigstens Hmweise auf die unter den falschcu Schlagworten stehenden Beschreibungen angebracht sind. Es sind dies: Abtei, Sagradi, Sack, St. I'eter im HdIz, Kornat, St. Stephan uu\ Kr:i]>id'elde. Dreifaltig- keit, Kadsberg und St. Huprocht bei \'ölkprniarkt.

Literatur. 323

stehen. Allein man sucht diese Artikel im Buche vergebens, nur die Hornliurg ist unter Klein-St. Paul erwähnt. Bei St. Georg am Lamm ist auf Lamm verwiesen, doch stellt der betreffende Artikel erst iinter den Nachträgen.

Endlich sind für mich die Orte Forstheim und Frauenberg unauf- hndbar. Bei dem letzteren dürfte vielleicht eine Verwechslung mit Freuden- berg vorliegen.

Die alphabetische Anordnung der Artikel verlaugt, soll das Buch l)equein brauchbar sein, nähere geographische Angaben, wo man die be- treffenden Orte zu suchen habe. Er wäre dafür entweder die kirchliche oder die politische Landeseintheilung zur Grundlage zu nehmen gewesen, so dass bei jedem einzelnen Orte entweder die Pfarre und das Dekanat oder die Ortsgemeinde und die Bezirkshauptmannschaft (Bezirksgericht), zu welchen er gehört, beigesetzt wäre. Selbst rein geographische Bezeich- nungen nach Flüssen, Bergen und Thälern hätten zur näheren Bestimmung üiters mit Erfolg herangezogen werden können. Die Redaktion ging jedoch in dieser Beziehung ganz willkürlich und planlos vor. Am häufigsten stehen die Ortsnamen an der Spitze der Artikel ohne irgendwelche nähere Orientirungsangaben, ohne genauere Hinweise, in welchem Theile des Lan- des der Ort zu suchen sei. Man muss, will man sich über die richtige Lage des Ortes belehren, immer wieder zu einem Ortsrepertorium greifen. Wo aber bei einem Orte nähere Bestimmungen stehen, erscheinen sie }iach keinem bestimmten Plane gewählt un'l reichen manchmal auch nicht aus, und selbst scheinbar ganz genaue Angaben sind nicht allzeit ganz zu- treffend. Ich verweise unter anderen nur auf die Angaben bei den Artikeln : Altendorf, St. Andrea bei Poggersdorf, Deinsdorf, St. Kathrein bei Glo- basnitz und Kreuschlach. Andere Angaben sind geradezu unrichtig: So ist St. Anna bei Maria Wörth nicht eine Filiale von Maria Wörth sondern von Keutrfchach; Hoch-St. Paul nicht eine Filiale von Glanegg, wo gar keine Kirche steht, sondern von St. Urban ob Glanegg. Ferner liegt Lind nicht im Glanthale, sondern in einem Bergthale oberhalli Karnburg; Kuh- weg, richtig Kühweg, ist nicht bei Paternion zu suchen, sondern ist eine Filiale von Mitschig bei Hermagor im Gailthale.

Ungleichmässig ist auch das Vorgehen in Bezug auf die Art und Weise, wie und wo diese näheren Bestimmungen angebracht wurden. Meistens stehen sie wohl gleich im Anschlüsse an den Namen, "aber manch- mal kommen sie auch erst später vor, so z. B. einigemale erst im mittel- alterlichen Theil. Mit einem Worte, das Werk lässt in diesem Theil fast Alles zu wünschen übrig.

Auch in der in den »Grundzügen« aufgestellten Gliederung der ein- zelnen Artikel nach den prähistorischen, römischen und mittelalterlichen Gegenständen wurde keineswegs streng consequent verfahren. Nicht immer sind die genannten (iruppen dui'ch Absätze ges(;hie<1en, nicht immer gehen die Angaben über prähistorische und römische Fundstücke, besonders über Kömersteine, der Beschreibung mittelalterlicher und neuerer Baudenkmale voran, nur zu oft stehen die ersteren mitten in der Beschreibung der letzteren. Wie schwer ist dadurch einem gewissenhaften wissenschaftlichen Benutzer, der den römischen Denkmalen in Kärnten nachgehen wollte, die Arbeit gemacht! Und nun vollends erst im mittelalterlichen und neu-

21"

ß24 liitcratur.

zeitlichen Theil ! Wie kunterbunt sieht es da in den einzelnen Ar- tikeln aus!

Für die Anlage eines Werkes wie des vorliegenden, muss doch in erster Linie der Gresichtspunkt leichter Brauchbai'keit für die Benutzer, d. i. für Kunsthistcjriker, welche das Ganze oder einzelne Gruppen von Kunsterzeugnissen behandeln wollen, massgebend sein. Demnach muss tlie Anordnung des Stoffes innerhalb der einzelnen Artikel eine möglichst gleichmässige und übersichtliche, die Gliederung eine vollkommen durch- sichtige sein. Durch strenges Festhalten an einem im Vorhinein entworfenen Schema wäre dies leicht möglich gewesen. Aber anstatt dass schon in den »Grundzügen« für diesen Theil ein genaues und allgemein giltiges Programm, ein ins Einzelne gehendes Schema, aufgestellt worden wäre, wird nur auf den niederösterreichischen Wegweiser von Baron Sacken und auf ein paar eigens zu diesem Zwecke hergestellte Musterljeschreibungen verwiesen. Ich bemerke nebenbei, dass von letzteren die Beschreibung der Burg Hochosterwitz zudem unpassend gewählt wurde, denn sie reprä- sentirt keinen Typus, sondern ist ein Unicum. Die Musterbeschreibung von St. Leunhard im Lavantthale wui'de aber nicht einmal vollständig- wörtlich herübergenommen. Es würde zu weit führen, wollte ich hier ein Musterschema aufstellen. Nur andeutungsweise sei hervorgehoben, dass z. B. bei Beschreibungen von Kirchen zunächst das Architektonische •mit Einschluss des damit organisch verliundenen plastischen Schmuckes u. zw. in Ijestimmter Keilienfolge: zuerst das Constructive und dann erst das Ornamentale, zu behandeln wäre; dann kämen die unbeweglich mit dem Bauwerke verliundenen Wandmalereien im Innern und am Aeussern und schliesslich erst die beweglichen Einrichtungsstücke gleichfalls wieder in bestimmter Reihenfolge. Wäre das Werk in solcher Weise emgerichtet, so könnte jeder, der aul einem beschränkten Gebiete nach einer bestimm- ten Eichtung Studien machen will, ohne viel Mühe und unnöthigen Zeit- verlust das zusammengehörige Material sich sammeln, während er so ge- zwungen ist, fast das ganze Werk von Anfang bis zum Ende durchzusuchen. Insbesondere ist es zu bedauern, dass selbst das organisch Zusammen- gehörige, wie die Beschreibungen des Architektonischen von Bauwerken, manchmal durch Einschieliung von Beschreibungen anderer Gegenstände, etwa der Glasfenster liei St. Leonhard im Lavantthale, auseiirandergerissen ist. Ein noch ärgeres Beispiel der Zerrissenheit bietet die Beschreibung der Kirche von Strassburg. Ausserdem verweise ich, um nicht zu weit- läufig zu werden, nur noch auf die Artikel Ossiach, Rottendorf, Sieben- brünn, Wolfsberg u. s. w.

Diese üngleichmässigkeit in der Anordnung und dieses Durcheinander in den verschiedenen Artikeln ist vielfach darauf zurückzuführen, dass die Redaktion es sich mit der Behandlung und mit der Benützung iler gegebenen Quellen und der Literatur nicht zu schwer gemacht hat. Anstatt sie nändich für ihre Zwecke zu verarbeiten, hat sie dieselben einfach Wort iür Wort abgeschrieben. Bei der Besprechung der Literaturbeuützung werde ich auf diesen Punkt ausführlicher zurückzukommen mich bemüssigt sehen. Hier einige Worte über die Redaktion des prähistorischen und römischen Theiles.

lieber die Zweckmässigkeit und Richtigkeit des Vorgehens in Beziehung

Literatur. 325

auf alle dabei in Betracht kommenden Gesichtspunkte, sowie über die Richtigkeit und Genauigkeit aller vorgebrachten Angaben in diesem Theile wage ich ein endgiltiges und abschliessendes Urtheil nicht zu fällen. Es fehlte mir auch an Zeit und Gelegenheit, um ganz genaue Nachprüfungen anzustellen. Allein gewisse Mängel müssen schon bei der oberflächlichen Durchsicht auffallen, über die ich mir allerdings ein Urtheil abzugeben erlaube.

Es genügt, darauf hinzuweisen, dass rein geologische und paläonto- logische üinge doch nicht in eine Kunsttopograghie gehören. Und doch wie häufig kommen sie vor. Ebenso wäre auch das rein Sagenhafte aus- zuschliessen gewesen. Auch etymologische Ableitungen, wie z. B. unter Karnburg für Kärnten, wird in der Kunsttopographie niemand suchen. Artikel, wie Kanker-Pass, Mösl-Ofen, Obir, Eeifnitzthal, Reineck, Saualpe, Seeland, Stangalpe, Tun-ach-Sattel, Zauchen, Zmuln und Anderes könnte man ganz wohl entbehren. Ferner ist in diesem Theile reinen Ver- muthungen und Hypothesen, für die als Belege nicht die geringsten Funde angeführt werden können, ein zu grosser Spielraum gewähi-t. Fabeln und Vermuthungen, die Megiser und Valvasor aufgestellt haben, wieder aufzufrischen oder auch nur zu verzeichnen wie bei Loi-enzenberg, St. Veit, Völkermarkt etc. musste füglich unterbleiben. Dann spielen Worte und Wendungen mit »ob, vielleicht, wohl, mag, scheint, dürfte« u. s. w. eine allzugrosse Rolle. Auch das Fragezeichen findet in einem nicht zu rechtfertigenden Ausmasse Anwendung. Denn was soll es heissen, wenn wie im Artikel Osterwitz Hoch- (S. 255) zu einer allerdings auf nichts gestützten Behauptung mit »jedenfalls« ein ? ! gesetzt wird? Wäre man von dem Grundsatze ausgegangen, nur vollständig Sicheres und Wohlbeglaubigtes aufzunehmen, dann hätte man der Wissenschaft gewiss mehr genützt, als mit den vielen vagen auf nichts gestützten Ver- muthungen. Dazu kommt noch in diesem Theile eine höchst manirirte Knappheit der Form, die oft ans Orakelhafte streift, ja auch geradezu unverständlich wird. Man sehe nur z. B. Waisach. Und trotzdem tritt doch manchmal recht Ueberflüssiges zu Tage, wie z. B. das schon genannte rein Geologische und Paläontologische oder die GrössenangaVien der ver- schiedenen Seen oder die Aufzählung der verschiedenen Besitzer von Töltschach.

Dass eine strenge Scheidung der prähistorischen und römischen An- gaben von dem mittelalterlichen und neuzeitlichen Theil nicht immer stattfand, habe ich bereits bemerkt. Dieselben Römersteino, die zu Anfang eines Artikels an richtiger Stelle genannt werden, sind öfters im mittel- alterlichen Theil bei Beschreibung der Bauten, an denen sie haften, noch- mals erwähnt. Auf eine vollständige Zusammenstellung solcher Wieder- holungen muss ich verzichten, da sie nur zu oft vorkommen. Nur auf ein paar besonders auffallende sei namentlich hingewiesen: So wird unter Gmünd im römischen Theil der Grabstein Sabiniae richtig als in Klagen- furt befindlich angeführt, während er im mittelalterlichen Theil als noch an der Aussenseite der Kirche haftend bezeichnet wird. Unter Klagenfurt (S. 47 o) ist er dann nochmals und zwar nicht ganz übereinstimmend mit den früheren Angaben dort 1515, hier 15(l7V) erwähnt. Oder

32 ß Literatur.

man selie üher das Relief mit den Pferden im Artikel Ton nach. Endlich sei seines Widerspruches wegen noch folgendes Heispiel hervorgehoben : Unter St. Urhan hei (itlanegg lieisst es im römischen Theile (S. .ST) 3): »Die zwei steinernen Köpfe an der Kirclx' scheinen römisch* ixnd im mittelalterlichen Theile (S. :-5r)4): »Zu beiden »Seiten des Aufganges /um Süd-Portale ist je ein Steiiil<opf eingemauert, offenbar von dem ({rid)- steine eines römischen Ehepaares herstammend, dei' zwischen den Köpfen auseinander gesägt wurde*. Hier will ich noch einlugen, dass im Artikel Klagenfurt der römische Theil durch Einschiebung der Beschreibungen des mittelalterlichen und neuzeitlichen Theiles ohne sichtlichen Grund aus- einandergerissen ist. Nach dem I'rii historischen (S. 4:i5) werden die römischen Keliefsteine und erst am Ende des Artikels V(n- der Beschreibung des Museums (S, 457) die römischen Inschriftsteine angeführl.

Der im Allgemeinen durchgefüluten Auseinanderhaltung der lieliei- steine und figuralen Denkmäler von den blossen Inschriftsteinen kann man zustimmen. Allerdings wurde gerade auch licliefsteinen, welche in der K u n s t- Topographie in erster Linie zu lierücksichtigen gewesen wären, niclit die verdiente Aufmerksamkeit gesclienkt. Selbst der Denkmäler -Vorrath ist nicht in jener Vollständigkeit verzeichnet, welche man verlangen kann. So sind unter andern die vier Eeliefsteine, welche an der Kirche in St. Michael am Zollfelde haften, gar nicht erwähnt und von den lünf Reliefs in Lendorf werden auch nur drei namentlich angeführt.

Nicht zu billigen ist es ferner, dass diese Denkmiüer ölters unier dem Schlagworte der ehemaligen und nicht der jetzigen Standorte, wenn diese nicht zugleich auch zweifellos die Fundorte sind, angeführt werden. Auf diese Weise muss man Inschrii'tsteine, die jetzt und schon lange in der Nähe des Fundortes beisammen sind, wie die am Prunner-Kreuz zu Zollfeld, an verschiedenen Orten suchen. Zu bemängeln ist dann auch noch eine gewisse Inconsequenz in der Anlührung der Inschriftsteine. Man vergleiche daraufhin z. B. die Artikel Zollfeld und Töltschach. Im ersteren fehlen die bei dem letzteren vorkommenden Circadatirungen, so- wie die Angabe des Ftrndjahres und des jetzigen Standortes. Dem gegen- über wird im Aiiikel Helenaberg gar nur die Anzahl der gefundenen Jn- schriftsteine angegeben, ohne einen einzigen namentlich zu bezeichnen. Nicht minder ist es störend, dass die Angabe des jetzigen Standortes Klagenfurt mit der Sigle K. öfters mitten unter den Literatur-Citaten innerhalb der Klammern und nicht wie sonst vor den Literatur-Citaten und vor den Klammern steht. Für eine sehr praktische Einrichtung würde ich es halten , wenn sämmtliche genannten und beschi'iebenen Römersteine eine durchgehende Nummerirung erhalten hätten, und wenn sie nicht blos an den bekannten Fundorten ausführlich beschrieben, son- dern auch an den jetzigen Standorten nur unter Anführung der Nummer nochmals erwähnt worden wären, so dass dadurch sowohl der Fund- wie auch der jetzige Standort eines jeden Steines in Evidenz stände.

Zu weitgehend scheinen mir die auf bestimmte Jahre gesetzten Circa- Datirungen der Inschriftsteine, wofür wohl in den seltensten Fällen irgend- welche begriindete Anhaltspunkte vorliegen dürften. Geradezu ttbei*tlüssig aber ist es, Avenn die Fundzeit von Römersteinen bis auf das Tagesdatum genau angegeben wird (siehe Töltschach). oder wenn, in das entgegen-

Literatur. 327

gesetzte Extrem vei fallenrl, unter Millstatt (S. 2 24) es von dem Inschrift- steine IMP CAES (J VI 1)10 heisst: »ist nach 1151, wo Milstat zuerst genannt wird* nebenbei bemerkt, ganz unrichtig »ins Stift gekommen und 1527 zuerst liekanut geworden«.

Zum Schlüsse erwähne icli uur noch, dass das Incipit mancher In- schriftsteine mit. einem Sternchen versehen ist, das anderer hingegen nicht. Nach einer Aufklärung dafür aber sucht man im ganzen Buche vergebens.

Icli wende mich nun zur Besprechung der Art un<l Weise, wie die bestehende Literatur für das Werk verwerthet und wie sie angefühi-t. wurde. Bereits oben habe icli auf die Bedenklichkeit des in Bezug auf die Nennung der bestehenden Literatur aufgestellten Grundsatzes hin- gewiesen. Sie tritt nocli schärfer in der Durchführung dieses Grundsatzes hervor. Zunächst begegnet ein Unterschied zwischen dem prähistorischen und römischen und dem mittelalterlichen und neuzeitlichen Theil. Während dort die Literatur in ausgedehntem Masse citirt wird, ist dies hier viel weniger der Fall. Eine Vollständigkeit ist auch im ersteren Theile nicht erreicht und trotzdem kommen doch wieder Literatur-Citate vor, die zu dem behandelten Gegenstande in äusserst loser Beziehung stehen. Die einfache Nennung des betreffenden (.)i'tes in einem vom Redakteur Dr. Pichler geschriebenen Artikel genügt schon, um den Artikel selbst zu citiren. Das heisst doch des Guten zu viel gethan. Im Gegensatze zu diesem Zuviel ist im mittelalterlichen und neuzeitlichen Theil in der Nennung der bestehenden Literatur entschieden zu wenig geschehen. Nicht nur solche Artikel, die bloss ein paar oder mehrere Zeilen Umfang haben, sondern selbst solche, die mehrere Blätter umfassen und die von Anfang bis zu Ende aus der bestehenden Literatur einfach Wort für Wort abge- schrieben sind, erscheinen ohne Literatur-Citate. Nicht ein Aufsatz oder eine Abhandlung wird für die Zusammensetzung dieser Artikel als »mass- gebend« angeführt. Ich verweise unter anderen nur auf die grösseren Artikel Gurk, St. Leonhard im Lavantthale, Miilstatt und Ober-Vellach.

Zur Gharakterisirung dieses Vorgehens sei erwähnt, dass selbst die Mittheilungeu der k. k. Central-Commission in wenigstens 200 Fällen nicht citirt erscheinen und auch dann, wenn keine andere Literatur existirt und der betrelFende Artikel aus den Mittheilungen wörtlich abcreschrieben wurde. Endlich sei noch eine Thatsache hervorgehoben. Im Jahre 1«S6 hat der Redakteur Dr. Karl Lind im Selbstverlage ein 335 Seiten um- fassendes Buch, betitelt: »Beiträge zur Denkmalkunde Kärntens* erscheinen lassen, in welchem die in den Mittheilungen der Central-Commission ge- druckten Aufsätze dessellien zur Kunsttopographie Kärntens gesammelt sind. Und dieses Buch finde ich in dem vorliegenden Werke nicht erwähnt und nirgends citirt, obwohl es zum allergrössten Theile wörtlich in das- selbe aufgenommen wurde. Man sieht also, wie verschieden die beiden Redakteure den aufgestellten Grundsatz, die »massgebende« Literatur zu citiren, aufgefasst haben.

Alter nicht blos, dass die Mittheilungen der Central-Commission selbst häufig nicht angeführt wei'den, wo sie unbedingt zu nennen waren, kom- men aber auch noch unrichtige und falsche Citate derselben in einem Umfange vor, der kaum mehr zu entschuldigen ist. Ich habe mir die

3?8

Literatur.

Mühe genommen, rlie ganzen Mittheilungen durchzusehen und mit den Citaten zu vergleiclien, und bin dabei auf mindestens hundert unrichtige Citate gestossen. Bei ungefähr der Hälfte derselben handelt es sich nur um einen Irrthura von ein oder zwei Seiten, bei der anderen Hälfte aber sind entweder die Bändezahlen falsch angegeVien oder es handelt sich um unrichtige Seitenangaben für die Zahlen V, X, L, C u. s. w., so dass der Benutzer nur mit grosser Mühe und auf grossen Umwegen das Richtige herausfinden kann.

Aber die Mittheilungen sind iür das Werk nicht einmal vollständig ausgenützt. Es hätten darnach, abgesehen von einigen unbedeutenderen Notizen für einige Orte im CTailthale (vgl. M. 9, 107 u. if.) noch folgende Artikel entweder im Werke selbst oder in den Nachträgen Aufnahme fin- den können und finden sollen:

Allersdorf bei St. Paul im Lavantthale (M. N. F. U, 1.34), Drau, Curatie im Oberrosenthal (M. N. F. 10, XXIV), Eberdorf bei Althofen (M. N. F. 14, 205), Emmersdoii bei Karnburg (M. N. F. 1 2, LXXX), Lansach bei Weisenstein (M. N. F. 11, LXXI), St. Magdalena am Lurnfeld, Filiale von Pusarnitz (M. 11, 55), MagdalensVjerg bei Lavamünd (M. N. F. 9, XXVII),

Maria Graben, Filiale von Vorderberg im Gailthalc (M. N. F. 9, CXXXIV), Siegelsdorf, Filiale von Marein bei Wolfsberg (M. N. F. 1 0, LXXXV) i). Unter -Winklern, Filiale von Kranzeihofen (M. N. F. 10, XXII, dieses

Literatur-Citat ist in unrichtiger Weise bei Winklern im Möllthale

angebracht), Wölch bei Wolfsberg (M. N. F. 14, 28 1).

Ausserdem seien daraus auch noch folgende Ergänzungen und Be- richtigungen beispielsweise angeführt. Es sind nicht genannt bei Feuersberg (St. Stephan) ein Wandgemälde (M. N. F. 8, LXI), in Fresslitz Verschiedenes (M. N. F. 14, 168 hätte wenigstens im Nach- trage gebracht werden können), in Gajach ein Glasgemälde von 1496 (M. N. F. 8, CI), in St. Georg am Stemberg der Name des Malers des Fastentuches (M. N. F.

10, XXV), in St. Georg bei Villach der einfache gothische Kelch (M. N. F. 7, LHl), in Grades (St, WoKgangskirche) die genaueren Daten über die Bauzeit

(M. 4, 49 50), in Guttenstein ein Votivbild vom Jahre 1667 (M. N. F. 7, LIX) und in Kühweg ein Deckengemälde (M. 2, 1 1 0).

Bezüglich der Literatur-Citate ist noch ein Punkt zu betonen. Dem Werke geht eine Erklärung der in demselben angewendeten Abkürzungen voran, welche auch auf den Umschlägen der Lieferungen enthalten war. Man sollte meinen, diese Abkürzungen seien im ganzen Werke einheitlich beibehalten und consequent durchgeführt worden. Doch nichts von dem. Dieses Abkürzungs-Schema existirte für die Redaktion einfach nicht. Aber nicht nur dieses existirte nicht, sondern es war, wie es scheint, für die Redaktion überhaupt keines vorhanden, denn es heiTScht in dieser Be-

') Ist unter Siflitz, wo gar keine Kirche sich befindet, beschrieben.

Literatur. 329

Ziehung volle Willküi- und Tnconsequenz. Ich verweise etwa nur darauf, in wie verschiedener Weise die am öltesten angezogenen Mittheilungen der Central-Commiösion citirt werden. Von ilen selten angeführten Berichten und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien notirte ich mir neben der im Schema aufgestellten Abkürzung B. A. V. noch folgende Varianten : M. a. V., M. W. Alt. Ver., Mi. w. Alts. V., Mi. w. AlthV., Mi. w. Althms. Verein Mitth. Axisser dieser Ungleichmiissigkeit im Citiren finden sich dann hie und da noch unvollständige Citate vor und zwar von Werken, die man im genannten Schema vergeblich sucht. Gleich inconsequent wie das Citiren der Büchertitel ist auch der Vorgang, wie die Bände- und Seitenzahlen angeführt werden. Ebenso willkürlich und inconsequent ist auch das Vorgehen bezüglich der Stellung der Literatur -Citate. Bald stehen sie an der Spitze der Ai-tikel, bald am Ende, bald mitten in den- selben. Ein bestimmtes Princip ist nicht zu erkennen; Literatur-Citate werden auch dann mitten in den Artikeln angebracht, wenn nicht blos das Vorhergehende, sondern auch noch das unmittelbar darauf Folgende wörtlich aus der citirten Literatur abgeschrieben ist und ebenso stehen Literatur-Citate auch dann am Ende der Artikel, wenngleich das unmittel- bar Vorhergehende nicht mehr aus den citirten Werken entnommen ist. Es fehlt eben durchaus an einer einheitlich redigirenden Hand.

Wie bereits hervorgehoben wurde, ist ein gi'osser Theil der Artikel ich werde mich kaum irren, wenn ich sage: fast zwei Drittel des Buches einfach Wort für Wort nach früheren Abhandlungen wieder abgedruckt worden. Insbesonders ist dies bei jenen Artikeln der Fall, welche in den vom Redakteur Dr. Karl Lind in den Mittheilungen der k. k. Central-Commission veröffentlichten »Reise-Notizen über Denkmale in Kärnten* enthalten sind und die dann in den genannten »Beiträgen« gesammelt wieder herausgegeben wurden. Dass die Redaktion sich selbst wieder wörtlich nachdruckt, würde ich ihr nicht zum Vorwurf machen, wenn die Artikel nur sonst in den Plan des Werkes hineinpassen würden. Allein das ist eben leider nicht der Fall. Die betreffenden Artikel ent- sprechen wohl dem Titel in den Mittheilungen, sie sind flüchtige, ohne bestimmten einheitlichen Plan hingeworfene »Reise-Notizen« und mögen als solche vollständig genügen und ihren Zweck erfüllen. Aber in die Kunsttopogi'aphie, die ein planmässig angelegtes und consequent durch- geführtes Werk sein soll, gehören sie in dieser unveränderten Form nicht hinein, sie hätten unbedingt einer entsprechenden Umarbeitung bedurft. Dass dies nicht geschehen, ist mit ein Hauptgrund für das in den ver- schiedenen Artikeln heiTSchende Durcheinander.

Eines darf ich bei dieser Gelegenheit wohl noch zur Sprache bringen. Viele Artikel erscheinen in diesem Werke zum erstenmal. Da eine andere Literatur über die darin besprochenen Olyekte nicht vorhanden ist, so würde es gewiss werthvoll sein zu wissen, von wem die einzelnen Artikel herrühren. Denn ohne Frage kann es nicht gleichgiltig sein, ob die An- gaben, auf die man sich eventuell stülzen soll, von einem tüchtigen und verlässlichen Fachgelehrten oder von einem mehr oder weniger versirten Dilettanten oder gar nur von einem in der Kunst wenig bewanderten Laien ausgehen. Derlei orientirende Angaben, sei es über die Verfasser der zum ei'stenmal gedruckten Ai'tikel oder über die Gewährsmänner für

330 Literatur.

die darin niedergelegten Angalien. vermisst man durchaus. Es ist dies ein Mangel, den jeder Fachmann liei der Benützung schwer empfindet und stets schwer emptinden wird.

Für »He Punkte, die ich weiter y.ur Besprechung /u Illingen habe, fällt die Verantwortung nicht mehr «1er Redaktion allein zu, sondera zum Theil auch den Vertasscin der hetreffenden Artikel. Alter manche der von diesen herrührenden Unrichtigkeiten hätten schon durch eine auf- merksame Kedaktioii verbessert werden kTinnen.

Vor allem ist iu der Beschreibung der Bauten eine gewisse. Ungleichmässigkeit zu bemerken. Gegenüber den gothischen Bauwerken, die meist sehr ausführlich Iteschrieben. von denen selbst ganz einfache und unbedfHitende Landkirchlein einer Notiz gewürdigt werden, erscheinen die Bauten der späteren Zeit stiefmütterlich bedaclit, insbesonders wird den Profanliauten geringe Aufmerksamkeit geschenkt. In demsellten Ver- hältniss haben auch die Malereien der späteren Zeit eine zu geringe Be- achtung gefunden. Um nur ein Beispiel anzuführen, sei auf das Schloss zu Zwischenwässern verwiesen, das sowohl als Bau wie auch durch seine malerische Ausschmückung bemerkensvvertli ist, und docli wird dassellie nicht einmal erwähnt.

§ 12. c der Grundzüge bestimmt, dass »jeder Artikel in Iktretf des darin zu behandelnden Ortes auch die wichtigsten Daten zur Geschichte des Gegenstandes (Gründung, Baugeschichte) zu enthalten habe*.

Anschliessend heisst es im § 13, dass »vor allem die Entstehungszeit und der Styl des ()l»jektes anzugeben seien«. Dass die ersteren Bestim- mungen nicht überall eingehalten werden konnten, liegt in dem wenig vorgeschrittenen Stand der Lokalforschung in Kärnten und es kann für das öftere Fehlen solcher Daten weder der Redaktion noch den Verfassern ein Vorwurf gemacht werden. Aber dass dort, wo solche Daten über Grün- dung und erstes Vorkommen von Ortschaften vorgebracht werden, nirgends die Quellen angegeben sind, aus denen dieselben genommen wurden, ist wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Eine genaue Prüfung auf die Richtig- keit und Vollständigkeit derselben ist dadurch unmöglich gemacht. Sie sind darum auch völlig werthlos. j\Iit welcher Vorsicht diese Daten auf- genommen werden müssen, möge die Zusammenstellung der verschiedenen, den Markt Spital betreffenden Angaben zeigen. Innerhalb einer halben Spalte findet man daselbst folgende sich widersprechende Daten. Es heisst 1 . der Markt Spital führe seinen Namen von einem Pilgrim-Spitale, das 1197 gegründet und aus dem in der Folge ein mit Mauern um- schlossener, wohlbefestigter Markt geworden sei; 2. der Ort sei seit l]s:i wieder urkundlich bekannt und 3. der Ort sei ein geschlossener ge- wiss lang vor 1 1.")0.

(xleich bei dieser Gelegenheit sei benu-rkt, dass die Redaktion des Werkes mit der kärntischen Geschichte überhaupt auf gespanntem Fuss zu stehen scheint, denn sonst wären solche Verstösse, wie die folgenden, nicht unterlaufen. Im Artikel Gurk (S. •».")) wird der Grabstein des Wahl- bischofs Otto (gest. 1214) dem Wahll)ischof (sie!) Diterich (gest. 127«) zugeschrieben. Zum UeberHuss \\ird diese Unrichtigkeit im Nachtrage (S. 47.")) nochmals wiederholt und hier noch eine zweite Unrichtigkeit hinzugefügt, indem es heisst, dass das Grabmal in der »Stiltskirchc zu

Literatur. 331

Sekkau« sich befinde. In demselben Artikel (S. 9P>) wird ausserdem noch von »dem seit der Josepliinischen .Slütsaufhebung verödeten (rurk« cre- sprochen, obwohl die »Josephinische StUtsaufhebung« in (Tixrk keine Ver- änderungen hervorgerufen hat. Das Nonnenkloster daselbst ein anderes bestand dort nie hatte nämlich schon längst vorher zu l)estehen auf- gehört. Im Artikel Tanzenlierg (S. 33 1) wird ein »Erzbischof Richard zu Salzburg 1511 « creirt, einen solchen hat es nie gegeben ; gemein! ist damit I.eonhart (Lienhart) von Keutschach. Endlich lässt die Redaktion das Franziskanerkloster zu St. Veit (S. .359) »unter Kaiser Joseph 1775 saecularisirt« werden. Diese Beispiele dürften genügen, um das Miss- ti-auen, das ich den ohne Angabe der Quellen vorgebracliten historischen Daten entgegenbringe, gerechtfertigt zu Hnden.

Was aber die zweite Bestimmung anbelangt, welche die Angabe der Entstehungszeit und des Stiles .des Olijektes verlangt, so ist vorerst das wiederholt vorkommende Fehlen derselben zu constatiren. Ich verkenne die Schwierigkeit genauer oder annähernd richtiger Zeitbestimmungen, besonders bei einfachen Landkirchen und bei unsignirten und undntirten ("lemälden, Flügelaltären etc., durchaus niclit. Aber das wenigstens könnte bei jedem Bauwerk (event. dem Theil eines solchen) angegeben werden, welcher Stilperiode es angehöi-t, oder bei Gemälden, Flügelaltären etc., aus welchem Jahrhunderte sie stammen. Aber auch das findet man nicht immer. Selbst die Beschreibung steht mit derlei Angaben oft im Wider- spruch, so z. B. bei Paternion, wo die Kirche in den Anfang des Ifi. Jahr- hunderts gesetzt ist, dabei aber die Bemerkung gemacht wird: »ist ein schöner grosser Raum in zopfiger Architektur«. Dann soll der Thunn von St. Wolfgang, Filiale von Lieseregg (S. 415), der spätgothi sehen Zeit angehören und doch hat die Glockenhalle nach der Beschreibung rund- bogige Doppelfenster mit einer plumpen Theilungssäule, ist also jedenfalls noch ein Ueberbleibsel der früheren romanischen Kirche. Auch die be- stimmte Angabe (S. 15l), dass die Kirche in Laas im Jahre 1510 erbaut wurde, kann in dieser Einschränkung unmöglich richtig sein, denn es finden sich am Gebäude ausser der Jahrzahl 1510 auch noch die Jahr- zahlen ]51<i und 151S angeliracht, welche sicher auf die Bauzeit zu be- ziehen sind. Weiter wird der Hoclialtar zu St. Peter im Rosenthale aus dem Jahre 1735 als eine gute Renaissancearbeit bezeichnet. Rücksichtlich der Gemälde verweise ich nur auf das Tafelbild in Abtei (S. 1 fi 1 ), das mit Bezug auf die den Donator betreifenden Angaben 1488 1498 ent- standen sein muss, und doch soll es im Stile der Cranach'schen Schule gemalt sein! Dann soll das Deckenfreskogemälde im Landhause zu Klagen- furt von Fromiller, welches ein Ereigniss vom Jahre 1728 darstellt, bereits im Jahre 1724 gemalt sein (S. 449)! Ferner sei noch kurz erwähnt, dass man auch wiederholt auf ganz unbestimmte Angaben stösst, bei denen man sich nichts Rechtes denken kann, so z. B. wenn unter Hohen- thurn (S. 123) von einem Bilde mit der Jahrzalil 1588 gesagt wird, es sei »von besonders zierlicher Form«, oder wenn es von zwei Bildern in Sorg (S. 314) heisst, sie seien »ältei-en Datums«. Auch ein >dieil. Chri- stoph-Wandgemälde an der Südseite« der Kirche in Wabelsdorf ist »eine Arbeit älteren Datums«. Ein »älteres Oelgemälde italienischen Ursprunges« besitzt die Maria Loretto-Capelle in Tarvis (S. 334). In einer Seiten-

332 Literatur.

Kapelle der Ffairkirehe in Wolfsberg (S. 417) ist auch noch »eine Ma- donna von alt-italienischer Arbeit« u. s. w.

An der Beschreibung der Bauten, von der es im § 13 der »Grund- züge« nur heisst, sie sei »möglichst kurz und präcise zu fassen« habe ich auf den Hauptfehler der Auseinanderreissung, wodurch manchmal selbst das organisch Zusammengehörige nicht im Zusammenhange beschrieben wird, bereits hingewiesen. Hier schliesse ich noch an, dass man' sehr häufig Angaben über die Grössenverhältnisse und über das verwendete Baumateriale vermisst. Wo aber Grössenangaben gebracht werden, sind sie bald im alten (Klafter-), bald im neuen (Meter-) Masse angegeben. Eine einheitliche Umrechnung wäre denn doch nicht gar so schwer her- zustellen gewesen.

Einige Worte seien noch über die Behandlung der Altäre gestattet. Eine ausführliche Beschreibung wird meigt nur den erhaltenen Flügel- altären gewidmet. Dagegen sind die späteren Altäre sehr spärlich bedacht. Sie werden weder in ihrem architektonischen Aufbau noch in ihrer ikono- graphischen Ausstattung näher gewürdigt, obwohl gewiss manche von ihnen, sei es nach der einen oder nach der anderen Seite, einer etwas ausführlicheren Besprechung werth wären. Die trockene Jahrzahl der Errichtung ist oft alles. Aber selbst die Flügelaltäre und deren Reste werden ungleichmässig und nicht immer erschöpfend beschrieben. Ins- bßsonders fehlen häufig genauei e Angaben über das Alter, den Werth der Bilder und Sculpturen u. s. w. Auch werden diese nicht immer genau auseinandergehalten. Ungenügen<l ist manchmal ebenso die Bilderbeschrei- bung, nicht blos bei Flügelaltären, sondern auch sonst überhaupt. Heilige, die an ihren gewöhnlichen Attributen sogleich und unzweifelhaft zu er- kennen sind, werden wiederholt nicht mit ihrem Namen genannt, sondern als etwas Unbekanntes beschrieben wie z. B. St. Nicolaus unter Greutsch- ach (S. 82) oder St. Wolfgang unter Irschen (S. 1.34).

In keiner Weise können die Angaben über die Glocken genügen. Weder in den ^>Grundzttgen« noch in den »Fragebogen« wird angedeutet, was an den Glocken und wie es zu beschreiben sei. So kommt es, dass gerade die für die Kunst-Topographie wichtigsten Angaben, d. i. die An-" gaben über den plastischen Schmuck, gänzlich fehlen. Es wird weder gesagt, ob Eeliefdarstellungen vorkommen, noch welche Heilige etc., noch wie sie dargestellt sind. Selbst Inschriften, auf deren Nennung wenig- stens in den Fragebogen hingewiesen wird, werden nur höchst selten angeführt. Am häufigsten werden noch etwa vorhandene Jahreszahlen wiedergegeben. Die Namen der Glockengiesser werden zwar öfters genannt, allein nicht immer, selbst dann nicht immer, wenn diesell)en bereits aus der vorhandenen Literatur zu entnehmen gewesen wären. Man vergleiche z. B. nur die Angaben in den Mittheilungen der Central - Commission N. F. 13, CXIX mit den betreffenden Artikeln.

Einen der wundesten Punkte der Kunst-Topographie l)ildet die Be- handlung der Grabdenkmale des Mittelalters und der neueren Zeit bis circa 1750. Die »Grundzüge« setzen in § 13 3 fest, dass sie »nur dann aufzunehmen sind, wenn sie künstlerischen Werth besitzen, wobei in der Regel Angabe des Namens und Charakters des Verstorbenen, des Datums und die Benennung des Wappens genügt«. Diese Bestimmungen

Literatur. 333

sind einerseits nicht präcise gemig, andererseits aber auch unzulänglich. Die Entscheidung, oIj ein Denkmal künstlerischen Werth besitzt, wird, von verschiedenen Beurtheilern gefällt, oft auch verschieden ausfallen, die individuellen Ansichten können da manchmal sehr auseinandergehen. Meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, eine gewisse zeitliche Grenze, z. B. 1500, festzusetzen, bis zu welcher Zeit Gi-abdenkmale ausnahmslos, also auch solche ohne Sculpturen und ohne »künstlerischen Werth« zu nennen gewesen wären. Von den Grabdenkmälern aber, welche aus der Zeit zwischen 1500 und 1800 stammen, hätten nur jene aufgenommen werden können, welche Sculpturen enthalten, gleichviel, ob diese blos Wappen oder aber sonstige figurale Darstellungen sind. Die Sculpturen wären, wenn von hervorragend künstlerischem Werthe, auslührlich zu beschreiben, sonst aber nur zu nennen gewesen, Ueberall aber hätten aus den Inschriften die Namen mit den Titeln wörtlich und die zeitlichen Daten genau und voll- ständig ausgeschrieben werden sollen. Wie das Werk jedoch vorliegt, herrscht sowohl in der Auswahl der aufgenommenen Grabdenkmäler, wie auch in der BeschreiV)ung derselben die grüsste Willkür und Planlosigkeit, ßück- sichtlich der Auswahl verweise ich unter anderen nur auf Friesach und St. Veit. Bei Friesach werden sogar Grabsteine nicht wieder genannt, welche bereits in den Mittheilungen der k. k. Ceniral-Commission (man vgl. N, F. 7, 93 u. ff. und 8, 38 u. ff.) ausführlich beschrieben sind. Unter St. Veit wird gerade der künstlerisch werthvollste Grabstein, der in geschmackvoller ornamentaler Eenaissance-Umrahmung eine stehende Frau in Flachrelief zeigt, nicht einmal erwähnt, und doch ist auf ihn von Dr. Hg in den Mittheilungen der k. k. Central -Commission N. F. 5, XXX VII bereits hingewiesen worden. Unrichtig ist es dann auch, wenn im Artikel Launsdorl' (S. 158) ausdrücklich constatirt wird: »Keine Grabsteine«. Denn aussen an der Südseite der Mauer des Schiffes findet sich das Grabmal des Andreas Krassolnigg Zechner zu Pruggendorf vom Jahre ]64(; mit einer figuralen Darstellung in Relief: zwei nackte Engel halten eine Sanduhr.

In Bezug auf die Art und Weise, wie die Grabdenkmäler publicirt erscheinen, bietet sich aber ein wahres Kaleidoskop dar. Bald werden die Inschriften vollständig und paläographisch genau mit allen alten Wort- kürzungen wiedergegeben, bald werden nur einzelne Theile genau co]>irt, anderswo wird modernisirt, die Wortkürzungen wei'den aufgelöst oder es werden dem Programme gemäss nur die Namen mit den aufgelösten Daten wiedergegeben. Dabei wird manchmal die alte Schreibweise des Namens beibehalten, manchmal wieder die jetzige gesetzt; einmal steht neben dem Todesjahr auch Monat und Tag des Todes, ein andermal wieder nur ilas erstere allein nirgends findet man da ein bestimmtes Princip, nirgends eine Consequenz. Dazu tritt noch die Ungleichmässigkeit in den Angaben und Beschreibungen der auf den Grabsteinen vorkommenden Sculpturen. Sie werden öfters nicht einmal erwähnt, geschweige denn immer hinlänglich beschrieben. Desgleichen ist auch das Vorhandensein von Wappendarstel- lungen nicht immer constatirt. Es fehlt demnach auch in dieser Beziehung ein überall sicher leitender Grundsatz.

Wenn man sich wenigstens auf das Gebotene noch stets verlassen könnte, wäre der Forschung immerhin mit der Publikation ein gi-osser Dienst erwiesen. Allein auch das ist leider nicht der Fall, die Namen

33^ Literatur.

und Daten werden aus den Inschriften nur gar zu häufig ungenau und lelilerhalt wiedergegeben. Auf welche Fehler man in dieser Beziehung stosst, erscheint oft kaum glauldich. Selbst die beigegebenen Abbildungen stimmen mit dem Text wiederholt iiicht überein. So wird z. B. in der Unterschrift zur Abbildung S. 32 das Todesjahr des Gandolf von Kienburg mit 1491 angegeben, während sowohl der Text wie die Ab1>ildung das Jahr 1493 bringen. Ferner wird auf S. 49 das Grabmal eines Canon icus Virgil Brunmeister genannt, und doch hiess der Verstorbene nach der beigegeljenen Abbildung Colomauus Brunmeister und war Probst des Collegiat-Capitels von St. Virgil in Friesach. Kach dem Text auf S. ist Balthasar Tanhauser am 2 S. Juli 1516 gestorben; die Abbildung ent- hält dafür aber den XVIIl. Juli. Auf dem Grabsteine des Jörg von Villanders (Abbildung zu S. lOl) steht das AVort gestorben, im Text liest man dafür entschlaft en. Auch ist der Name auf der Zeichnung entschieden verderbt wiedergegeben. Nach der Abbildung des Grabsteines zu S. 114 ist Dorotea Hengstpacherin im Jahre 1442 gestorben; der Text bringt dafür jedoch das Jahr 1452. Das Todesjahr der Dorotea Keutsch- acher ist auf derselben Abbildung nicht ersichtlich, trotzdem steht im Text das Jahi- 1458. Hingegen ist der Todestag (Allerheiligentag) der Margret Saeklin (im Text Sacklinj im Text verschwiegen. Die Abbildung des Grabmales des Georg Siebenhirter in Millstatt S. 234 nennt löus (uachti-äglich corrigirt aus ursprünglichem 14 OH) ^) als Todesjahr; im Text S. 2:50 steht ohne weitere Bemerkung 1407- Zudem ist in dieser Abbildung die Umschrift einerseits nicht ganz correct wiedergegeben und andererseits auch unrichtig an die Platte angefügt. Man vergleiche damit die Abbildung in: Die österreichisch-ungarische Monarchit; in Wort und Bild, Kärnten und Krain S. 207. Auf der Abbildung des Grabmales des Johann Geuman S. 235 ist das Todesjahr nur durch 15 .. angedeutet; offenbar war das Grabmal schon zu Lebzeiten Geumans ausgeführt, das wirkliche Todesjahr aber nach dessen Tod nicht eingemeisselt worden. Trotzdem liest man im Text S. 230 ohne jede Bemerkung 1512 als Todes- jahr, während Geuman erst im Jahre 1533 gestorben ist. Das Schlimmste ist aber, dass schon der zu diesen beiden Denkmälern citirte Aufsatz in den Mittheilungen der k. k. Central - Commission 13, 172 u. 173 das vollständig Richtige entliält. Sieht man daselbst S. 173 die Transscription der Geuman'schen Grabinschrift an, so wird jedem sotbrt klar und erklär- lich, wie die Jahrzahl 1512 in den Text der Kunsttopogiaphie hineinkam. Dort ist nämlich zu 15. jar eine Anmerkung 12 gesetzt (also =^ 15-^- jar). Die kleine Anmerkungsziffer 12 zu 15. hat demnach die Ergänzung geliefei-t. Weiters stimmen Text uiul Abbildung des Grabdenkmales auf S. 325 in beiden Jahresangaben nicht überein; auf der Abbildung stehen die Jahre 1426 und 1470, während der Text dafür 1423 und 1469 ent- hält. Irrig ist endlich auch die im Texte S. 379 zu Fig. 395 stehende Jahrzahl 1409, wofür die Abbildung 149 . enthält, also offenbar ein neun- ziger Jahr des 1 5. Jahrhunderts. Welche Lesungen, muss man sich fragen, sind da die richtigen? Haben sich da die Transscriptoren dieser Grab- inschriften geirrt oder die Zeichner? Wem ist mehr zu vertrauen?

') Die Inschritt am (Ivaluiiale hat l.*»08 oliiic jt-ilt' ('«)vve<tur.

Literatur. 835

Desgleichen stimmen autli die Xamen und Zahlen, wie sie in der Kunst- topographie vovgetuhrt werden, mit den in den früheren Publikationen der k. k. Central-Commission gebrachten nicht überein. .Man vergleiche u. a. nur den Artikel Friesach mit den Aulsätzen von Beckh-Widmanstetter in den Mittheilungen der k. k. Central - Commission IS'. F. 7, 93 ff.. .S, 38 ff. u. 104 ff". Wie verschieden sind da manchmal die Namen ge- schrieben und welch abweichende Todesdaten werden hie und da gebracht ! Ich hebe nur ein Beispiel hervor: v. Beckh-Widmanstetter liest (X. F. S, 41) den Xamen eines Frohstes de Baseyo, die Kunsttopographie p. 49 hingegen de Badajo; nach Beckh ist derselbe am 1. Oktober 1594 ge- storben, nach der Kunsttopographie jedoch am 1(). Oktober 1598. Wer vermag nun bei solchen Differenzen zu sagen, wo das Eichtige vorliegt?! Noch ein Beispiel, das ich selbst nachgeprüft habe: Im Artikel Gurnitz S. 98 wird der Schluss der Inschrift am Grabmale des Frohstes Benedict Mitterholzer in folgender Weise wiedergegeben: tieri feeit anno 1640 obyt amen. Am Grabsteine liest man jedoch Folgendes: fieri lecit anno 1«;40 ob)-t Avtem Anno IG., (eine unausgefüllte Stelle). Darnach er- scheint das Todesjahr des Frohstes, der sich sein Grabmal schon bei Leb- zeiten im Jahre 1640 hatte anfertigen lassen, nicht angegeben, indem dasselbe in die hiefür ausgesparte leere Stelle nicht eingemeisselt wurde. Andere Beispiele aus Maria-Saal, die ich selbst controliren konnte, be- spreche ich weiter unten.

Eines al)er ergibt sich aus diesen Vergleichungen, dass bei Benützung der auf die Grabdenkmale liezüglichen Angaben in der Kunsttopographie die gröste Vorsicht geboten erscheint.

Noch eine Bemerkung in formeller Beziehung. Dem Forsther, welcher den Grabdenkmälern näher nachgehen will, erschwert es die Arbeit über Gebühr, dass die Redaktion nicht für eine leichte Auftindbarkeit der be- treffenden Beschreibungen und Angaben gesorgt hat. Wie überall, so vermisst man auch hierin ein leitendes Princip. Meist werden die Be- schreibungen der Grabsteine den Beschreibungen jener architektonischen Bautheile, welchen sie jetzt anhaften, angeschlossen. Doch nicht immer, sie stehen auch am Schluss der Artikel oder sind sonst irgendwo eiu- geflochten. Durch dieses Verfahren ist auch die Anordnung der Beschrei- liungen, wenn mehrere Denkmäler hintereinander genannt werden, bedingt, denn sie ist meist, der Aufstellung der Denkmäler folgend, eine rein örtliche. Das Motiv für das Vorgehen, sowohl nach der einen wie nach der anderen Seite ist also ein rein zufälliges. Und doch hätten wissen- schaftliche wie praktische Gründe dafür gesprochen, einfach die Beschrei- bungen und Allgaben über sämmtliche Grabdenkmäler, die in einem Artikel anzuln-ingen waren, stets an den Schluss dieses Artikels zu stellen und in chronologischer Reihenfolge anzuordnen oder doch wenigstens an den Schluss der Beschreibungen jener Kirchen zu verlegen, in und an welchen sie vorkommen, mit genauen und kurzen Angaben über den jetzigen Standort.

Ein nur allzu oft und schwer empfindbarer Mangel des Buches be- steht in dem Fehlen von gut angelegten und sorgsam ausgearbeiteten Sach- und Namen-Registern. Nicht nur für den Kunsthistoriker, auch für den Historiker ist das Werk dadurch fast unbrauchbar geworden; wie kann

33ß Literatur.

z. B. ein Genealoge oiler ein Heraldiker, welcher der Geschichte einer einzelnen Familie nachgeht, sich, um vielleicht nur eine einzige brauch- bare Notiz über ein Grabdenkmal oder ein Wappen zu finden, der un- dankbaren Mühe unterziehen, das ganze Buch durchzulesen? Und wie viele Fehler in den Namen und Daten hätten schon bei der. Ausarbeitung eines solchen verbessert werden können!

Nur noch ein paar formelle Gebrechen seien zu erwähnen gestattet. Der Mangel einer einheitlichen und consequenten Durchführung erstreckt sich sogar auf die Interpunktion. Es herrscht in dieser Hinsicht oft ein wirres Durcheinander : Einmal wird die Aufzählung der heterogensten Dinge nur durch Beistriche oder Strichpunkte geschieden, ein andermal sind Punkte angebracht u. s. w. Dazu kommen noch Drucktehler, und zwar oit recht sinnstörende, in buntem Gewimmel, die durch eine sorgsamere CoiTCctur sehr leicht hätten vermindert werden können. Ich hebe nur ein recht charakteristisches Beispiel hervor: Im Artikel Friesach S. 48 wird die Inschrift über dem Thore des alten Canonicatshauses in folgender Weise wiedergegeben: et bonis patens ista malis esto occlvsa, also et und ista anstatt vt und ita, wie die Mittheilungen der Central-Commission N. F. fi, LXXVI richtig enthalten.

Ich komme endlich zum dritten Theil meiner Besprechung, zu der Frage, ob die in den einzelnen Artikeln gebrachten Mittheilungen, Angaben und Daten einerseits vollständig und andererseits auch durchaus richtig und zuverlässlich sind. Niemand wird von mir eine Nachprüfung des ganzen Werkes verlangen. Es dürfte genügen, wenn ich an einem grösseren Artikel beispielsweise zeige, was fehlt und was unrichtig ist. Zu diesem Behufe habe ich mir Maria "Saal gewählt. Ich bin dem grössten Theil der Angaben der Kunsttopographie an Ort und Stelle nachgegangen und habe die Literatur damit verglichen. Vom prähistorischen und römischen Theile sehe ich dabei ab und bemerke nur, dass mir das über den Namen Ge- sagte überflüssig erscheint, dass die Aufzählung sowohl der Relief- wie der Inschriftsteine durch Verschiebung des Satzes auseinandergerissen ist, dass bei mehreren ßeliefsteinen die genaue Angabe des jetzigen Standortes mangelt und dass ein paar Literatur-Citate unrichtig sind. Auch liezüglich der Literatur im mittelalterlichen Theile nehme ich nur auf die Mitthei- lungen der k. k. Central-Commission Rücksicht.

S. 206 ist das Lit.-Cit. M. 12, 1 von H. Petschnig imrichtig. Es soll 1 1 anstatt 1 stehen. Dann fehlt zum ganzen Artikel das Lit.-Cit. M. 1, I2:i.

In die Beschi-eibung des Situationsplanes hätten zur besseren Orien- tirung die in denselben eingesetzten römischen Zahlen gleichfalls aufge- nommen werden sollen, dies umsomehr, da der Situationsplan selbst nicht orientirt, sondern verkehrt eingedruckt ist.

Mit Unrecht wird die Kirche als eine einheitliche Anlage be- zeichnet, da ja Theile des ehemaligen romanischen Domes, zum mindesten aber die Thürme, wenn auch theilweise umgestaltet, wieder Verwendung fanden und da auch ausserdem am Baue verschiedene Bauperioden zu constatiren sind.

Literatur. 337

Der Hauptchor ist nicht iin halben Achteck, sondern mit fünf Seiten aus dem Achteck geschlossen.

Der Innenraum hat nicht 20" sondern nur 10" Breite.

Der Orgelchor reicht nicht bis zum zweiten der je fünf Joche jedes Schiffes, sondern er baut sich zwischen die beiden Thürme ein, reicht darüber noch um die Breite eines halben Joches hinaus und schliesst sich an das erste der je vier Joche jedes Schiffes an.

Nur die Brüstung des Orgelchores im rechten Seitenschiffe allein ist masswerkartig behandelt, im Mittelschifte und im linken Seiten- schiffe ist sie voll ausgefüllt und im ersteren, dem Stile der Orgel ent- sprechend, zudem zopfig ausgeschweift.

Bei der Beschreibung des Innern der Kirche wird mehrerer ziemlich wichtiger Details nicht gedacht: Das Presbyterium ist um vier, das erste Joch und das Querschiö" um zwei Stufen erhöht. Die beiden Seitenchüre sind höher als die Seitenschiffe. Im linken Seitenschiff sind Spuren von der einstmals eingebauten Empore erhalten. In der linken Wand des linken Seitenchores befindet sich eine einfach profilirte, im Eselsbogen geschlossene kleine Sakramentsnische. Die Einwölbung des Raumes über dem Orgelchore erfolgte erst im 16. Jahrhundert. Zu erwähnen wären auch gewesen die Thüre zur Sakristei und die Konsolen und Kapitale der Dienste im Querschiffe, die ersteren mit zwei bizarren Fratzenköpfen, die letzteren mit Blattwerkverzierungen. In den angebauten Seitenkapellen Konsolen mit Engelsfiguren.

Kaffgesimse (S. 207) umziehen nicht das ganze Gebäude, sondern nur die Chor e.

Die Wendung: »Li selber Höhe« auf S. 208 ist in dem gebrachten Zusammenhange unverständlich. Es sollte heissen: In der Höhe des Kirchendachgesirases. Ueberhaupt sind die Angaben insbesonders über die Thürme im Vergleiche zu jenen in Petschnigs Aufsatz nicht so klar und genau. Ferner vermisst man die Erwähnung der am südlichen Seiten- chorabschluss unter dem Dachgesims al fresco gemalten spitzbogigen Mass- werkverzierung.

Bezüglich der Bauzeit und Bauführung werden die früher entstandenen von den erst später vollendeten Theilen nicht namentlich geschieden, ob- gleich sie schon Petschnig im Grossen und Ganzen richtig bezeichnet hat. Insbesonders ist hervorzuheben, dass die Chöre mit dem Querschiö" ent- schieden älter sind als die Schiffe. Würden die Malereien im Presbyterium ins Jahr 1435 fallen, was höchst wahrscheinlich ist, so müssten diese Theile bereits im Anfange des 1 5. Jahrhunderts entstanden sein.

Endlich erscheinen von den in Petschnigs Aufsatz enthaltenen Ab- bildungen von architektonischen Details fünf nicht wieder abgebildet und zwar 1. zwei Säulchen vom Fenster des südlichen Thurmes, 2. eine Relief- rosette, 3. Pfeilerdurchschnitt, 4. Gewölbeträger mit Fratzenkopf und 5. Brüstung des Orgelchores.

Zu den Thürverzierungen S. 209 fehlen die Lit.-Cit. M. 10, 21 und 15, 47 Abbildung und p. 49 Text.

In der Inschrift am gothischen Kelche steht nach der Lesung von Petschnig i. c. anstatt D. C.

Ganz unzulänglich sind die Angaben über die beiden Flügelaltäre

Mittheiluugeu XII. 22

338 Literatur.

besonders aber über den vom Jahre 1526 aus St. Georgen am Sandhof, welcher auf der Modestus-Tumba aufgestellt ist. Die etwas ausführlicheren ikonographischen Angaben über den Arndorfen Altar sind nicht nur un- vollständig, sondern auch mehrfach unrichtig: Anna mit Jesus und Maria befindet sich nicht auf der Predella, sondern auf dem unteren Theile des Mittelschreines, üie vier Heiligen sind nicht, w ie man nach der Be- schreibung meinen möchte, unmittelbar unter der Krönung Marias, sondern umgeben auf der Predella die nicht erwähnte Pietä -Darstellung. Die Flügel sind nicht mit Gemälden der 14 Nothhelfer u. s. w. geschmückt, sondern diese Darstellungen sind bemalte Holzschnitzereien. Der Eückseite des Altares wird gar nicht gedacht. Dazu fehlt das Lit.-Cit. M. K. F. 1 3, CCXL. (Man vgl. jetzt die ausführliche Beschreibung von Dr. Schnerich in M. N. F. 16, 35—37).

Auch das, was über die Fresken in der Kirche gesagt wird, ist theils ungenügend theils unrichtig.

Abgesehen davon, dass eine Beschreibung überhaupt nicht gegeben wird, wird selbst das ganz besonders Charakteristische, dass nämlich die heiligen drei Könige als Knaben dargestellt sind, nicht hervorgehoben. Es wird nicht erwähnt, dass auf dem Dreikönigsbild die beiden Stifter, Mann und Frau, mit ihren Wappen abgebildet und dass im Hintergi-unde drei befestigte Schlösser (vielleicht die der Stifter?) dargestellt sind. Be- merkenswerth ist ferner die Zweitheilung dieses Bildes. Links, dieselbe Breite (Breite der Joch wand) wie das darüber stehende Urtheil Salamonis einnehmend, ist der Zug der drei Könige dargestellt. In der Verlängerung nach rechts wird «lann die Huldigung vorgeführt; allein hier ist nur ein König u. z. im Maunesalter bärtig <largestellt. Die Inschrift ist in einer Weise wiedergegeben, als ob Alles zweifellos und die Malereien im Jahre 1400 entstanden wären. Doch besteht in der That zwischen qua- dringentesimo und hoc der Inschrift eine Lücke für ein oder zwei Worte, die nicht mehr sicher gelesen werden konnten. Man vermag darüber nur soviel zu sagen, dass es dem Räume nach lange Worte nicht gewesen sein können. Tricesimo quinto, wie man zu ergänzen versucht hat, scheint auch mir nach den vorhandenen Eesten am ehesten zu passen. Nament- lich ist quinto oder quarto ziemlich sicher; dadurch wird der Kaum aber so klein, dass kaum etwas anderes als tricesimo gestanden haben kann; die restaurirte Inschrift ist jetzt genau in folgender Weise zu lesen: hoc opus fecit fieiü wilhelmus newswert Anno düi Millesimo quadringente- simo . . hoc corapletum est.

Zu diesen Fresken fehlen die Lit.-Cit. M. N. F. 10, CCXXIV; 11, CXXXIX; 13, XLV und CCXXXIX.

Zu den zwei Kirchenstühlen (8. 2 1 0) fehlt die Angabe, dass sie aus der Kirche am Magdalensberge stammen. (Vgl. Kunsttopographie S. 113).

Nicht genannt ist der Giesser der grossen Glocke, Math. Landtsman in Klagenfurt, obwohl er aus M. N. F. 13, CLXXXIV, die übrigens auch nicht citirt werden, zu entnöhmen gewesen wäre.

Die Inschrift am Grabmal der Möderndorfer, aussen an der Südwand der Kirche, lautet genau also: hie ist die pegrebnus der edl vnd vest | von moderndarf den got genadig vnd parmherczig sein welle amen.

Literatur. 339

Verstümmelt und ungenau wiedergegeben ist auch die Inschrift des Grabmales der Keutschacher S. 210, welches gleichfalls aujsen an der Südwand der Kirche aufgestellt ist. Schon v. Beckh-Widmanstetter hat diese beiden Grabinschriften in M. N. F. 10, CX u CXII besser miture- theilt. Genau lautet sie also: das 1) hat lassen j machn d' edl vii vesst I blassy von keytschach | got dem almachtn zu | lob vnd eren sein liebH | heilign vnd nothelfer Sand lienhart anno dni 1511.

Die bedenklichste Leistung in der Wiedergabe von Grabinschi'iften ist aber die Lesung der Inschrift am Grabmale des Peter Schweinshaupt S. 210, welches aussen an der Westwand der Sakristei aufgestellt ist. Eine Gegenüberstellung der in der Kunsttopographie mitgetheilten und der wirklichen Lesung genügt. Kunsttopographie : Im 158 Jahr ist gestorben der Edel und vest Peter von Schweins- haupt der litz seines Nams .... (von Erde bedeckt). Des Pfingsttags Exaude um X Abends dem Gott srenad.

Wirkliche Lesung: A" 1.5.8. jar ist gestorben, der.

edel j uü. uest. peter. vö. Schweins-

haüpt. der lecz. des. nam. des freitag.

nach I lorenci. un fraw Apolonia.

sein I gemehel. des pfincztag. vor.

Erhardi. im. X. iar. den got genad. Die Abbildung der grossen Keutschacher Grabplatte mit der Krönung Marias in M. N. F. 10, CXI ist nicht wiedergegeben, und doch ist dieses Grabdenkmal eines der hervon-agendsten und bedeutendsten in Kärnten. Nicht einmal das wird gesagt, dass es den Keutschachern angehört. Dieses Grabmal haftet aussen an der Südwand der Sakristei und scheint nach unten verkürzt worden zu sein. Dazu sowie auch zu den übrigen Grab- denkmälern der Keutschacher und Möderndorfer ist der ausführliche Auf- satz von Beckh-Widmanstetter in M. N. F. 10, CIX CXII nicht citirt.

Auf Seite 210 liest man ferner Folgendes: »Grabmal des Hans Mordax t 1567 und seines Sohnes Franz t 1561, klein, weisser Marmor. Zu erwähnen ist auch ein Kelief mit einem Doppelwappen« u. s. w. Jeder, der dies liest, wird meinen, es handle sich um zwei Denkmäler. Doch es ist dies keineswegs der Fall, Alles bezieht sich nur auf ein ein- ziges Grabdenkmal. Ausserdem aber sind noch folgende zwei Angaben unrichtig: Hans Mordax ist nicht 1567 sondern 1557 gestorben und das Schildchen in der rechten unteren Ecke enthält nicht einen Hasen, sondern einen Hahn. Als ein erwähnen swerth es Detail wäre noch anzuführen, dass auf dem architektonischen Umrahmungsbogen dieses Denkmales in der Mitte oben ein Täfelchen mit der Jahrzahl 1561, offenbar das Jahr der Anfertigung desselben, angebracht ist. Dieses Grabdenkmal befindet sich aussen im Eingang zum Südthurm in der linksseitigen Mauer.

Das Grabmal des Dechants von Maria Saal Joannes Rosegger (S. 21 1) enthält in Relief nicht »die Begegnung Christi mit seiner Mutter«, son- dern, wie schon die Inschrift : Vrlavl) vnd schidvns Jesv Christi von Maria seiner lieben Muetter etc. sagt: den Abschied Jesu von seiner Mutter. Auch ist es niclit, wie man dem Zusammenhange nach schliessen muss, aussen aufgestellt, sondern haftet an dem Pfeiler, welcher zwischen

') Eine kleine vertiefte leere Stelle.

22*

340

Literatur.

dem Mittel- und rechten Seitenschiö" und zwischen dem dritten und vierten Joch sich befindet.

Unzulänglich sind femer die Angaben über die zwei nächstea in der Kirche befindlichen Grabdenkmäler S. 211. Von dem Einen heisst es einfach »Grabmal der Pibriach«. Daraus würde man auf ein Familien- grabmal schliessen, allein ein solches scheint mir nicht vorzuliegen. Zu- nächst ist zu nennen eine verstümmelte und stark abgetretene Platte, welche dem 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts angehört und im Fuss- boden unter dem Südthurme eingelassen ist. Sie enthält eine Wappen- darstellung mit einem Biber in Relief und eine Umschrift, von der ich deutlich und sicher nur noch Folgendes lesen konnte: . . . obiit strenu(us) miles cristoff pibriacher cui[usj anima requi[. . .] Eine zweite grössere Grabplatte mit derselben Wappendarstellung und im gleichen Stilcharakter, also ungefähr derselben Zeit angehörig, gleichfalls stark abgetreten, befindet sich im Fussboden unter dem Orgelchor. Sie zeigt jedoch keine Inschrift mehr. Das Schernperger Grabdenkmal aber trägt, oben beginnend, folgende Umschrift : hie. leit. Chönrat. Graft", von. | Schernperg. der. gestorben, ist. <les. mittichen. vor. dem. liecht. | mess. tag. dem. got. geuadig. sey. Anno, domini. m". cccc". Inj. jarr. Es ist innerhalb der sogenannten Sachs- Kapelle an der Wand des linken Seitenschifies aufgestellt.

Ausser den angeführten Grabdenkmälern hätten aber noch mehrere andere erwähnt werden können. Ich nenne unter anderen:

das Grabmal der Kettel (Anthony und Ewsthachy dessen Sohn) 10 2:^ mit einem Wappen in Relief, Fa^ade rechts,

das Grabmal des Lamprecht Schnätterl gewesner Ratsbürger zu Cla- genfürt gest. 1565 September 20 mit einem deutschen Bibelspruche, einem Wappen in Relief und mit <ler Auferstehung Christi in Relief,

Fac^ade rechts,

das Grabmal des Gregorius Zwainziger, apostolischen Protonotars, früheren Dechants von Maria Saal und dann Pfarrers und Dechants in der Stadt St. Veit, Canonicus von Maria Saal, gest. 1678, Oktober 8 mit der Porträt-Halbfigur des Verstorbenen in Relief. Dieses Grabdenkmal, das sich der Verstorbene noch bei seinen Lebzeiten aufrichten liess, l)efindet sich im Querschiife an der Wand links gegen dem linken Seitenchor zu,

das Grabmal des Andreas Zollfelder, früheren Pfarrers in Texing und St. Gotthard und Vicars in Kirnberg in Niederösterreich, gest. 1749 Mai 16 ebenfalls mit der Porträt-Halbfigur der Verstorbenen in Relief; es befindet sich an derselben Wand im Querschift', wie das vorhergehende, aber gegen das linke Seitenschift' zu.

An der Aussenseite der Sacristei ist unter der Tünche deutlich ein grosses St. Christoph-Bild zu erkennen.

Bezüglich des Kamers S. 212 ist Folgendes zu bemerken: Nicht ge- dacht ist der zwei neben dem Aufgang zum ersten Stocke befindlichen Konsolen mit der Rübe der Keutschacher auf Wappenschildchen und doch scheinen sie mir für den Umbau derselben von eminenter Wichtigkeit. Man wird kaum fehlgehen, wenn man sie auf den Erzbischof Leonhard von Keutschach bezieht. Dann wäre der Umbau des Karners von diesem veranlasst worden und würde nicht in das 1 5., sondern in den Anfang des 16. Jahrhunderts fallen.

Literatur. 341

Das Alter des Reliefs mit der Kreuztragung Christi am Karner ist nicht angegeben. Dasselbe gehört in die gothische Periode (]4. oder 1 5. Jahrhundert).

Mehrfach zu ergänzen sind die Angaben über die Gemälde im Karner. Sie waren ursprünglich sowohl mit Ueber- als auch mit Unterschriften versehen. Die ersten drei haben ungefähr dieselbe Grösse, während das vierte Gemälde, d. i. die Grablegung etAvas kleiner ist. Aus den noch leserlichen Resten dieser nun theilweise restaurirten Inschriften geht her- vor, dass die ersten zwei Gemälde, nämlich Christus am Kreuze und die Kreuzabnahme, andere Stifter haben als die beiden anderen Gemälde, d. i. die Pietä-Darstellung und die Grablegung. Von der Ueberschrift beim ersten Gemälde (Christus am Kreuze) kann man noch Folgendes lesen: . . (lass)en machen der erber und vesst Michel Abriill Anna Rumpfin Sein hausfraw die zeitt verwallter des ambts zu zoll etc Anno löfSl]. Bei dem zweiten Gemälde, der Kreuzabnahme, aber ist nichts mehr sicher zu ent- nehmen ausser den restaurirten Worten Anna Rumpfin, mit welchen die Unterschrift beginnt. Es gehört daher auch dieses Gemälde denselben Stiftern zu wie das erste.

Dagegen ist bei dem dritten Gemälde der Pietä-Darstellung, noch fast die ganze Ueberschrifi mit Ausnahme von nur ein paar Worte zu entziffern. Sie lautet: hoc opus fieri fecit Osbadus Schnelckos, canonicus soliensis In honorem amare pafssionis] salvatoris nostri necnon sue sacra- tissime genetricis virginis Mariae amen . . . vicesima sexta die mensis Octobris. Die Unterschrift ist wieder unleserlich. Den Schluss derselben bildet die restaurirte Jahrzahl 1521.

Im Äderten Gemälde endlich, in der Grablegung, ist links der Stifter dargestellt und hinter ihm dessen Patron, der heilige Oswald. Man ist daher berechtigt, auch dieses Gemälde als eine Stiftung des Oswald Schnelcko zu betrachten.

Da die Jahrzahl 1521, wie erwähnt, am Schlüsse der Unterschrift beim dritten Gemälde vorkommt und auch noch am Ende einer sonst grossentheils unleserlichen Inschrift, die zwischen dem zweiten und dritten Gemälde sich befindet, zu erkennen ist, so unterliegt es kaum einem Zweifel, dass sämmtliche Gemälde aus dem Jahre 1521 stammen.

Noch sind zwei kleine Figuren, Mann und Frau zu erwähnen, welche rechts vom letzten Gemälde, und die heil. Katharina und Barbara in kleinen Kniestücken, welche zwischen dem dritten und vierten Gemälde gemalt erscheinen.

Zu diesen Gemälden fehlen die Lit.-Cit. M. N. F. 11, CXXXIX ; 13, CCXXXIX und U, 50.

Bei der Beschreibung des Lichthäuschens (S. 213) wäre zu erwähnen gewesen, dass von den drei dargestellten Engeln der gegen Süden ge- wendete ein Wappenschildchen hält, auf dem man einen Anker, dessen Stil ein Kreuz bildet, bemerkt. An dem einen Kreuzesarme scheint eine Schlange zu hängen, auf dem andern drei, in der Mitte mit einem Wulste versehene Stäl)chen. In dieser Darstellung dürfte uns wohl das Künstler- zeichen des Steinmetzen, welcher das Lichthäuschen gearbeitet hat, vor- liegen. In dieser Meinung wird man auch noch durch den Umstand be- stärkt, dass die beiden andern Engel auf der Nordseite ein Wappenschihhhen

342 Literatur.

halten, in welchem sich ein Kelch befindet, offenbar mit Beziehung auf den Stifter dieses Lichthäuschens.

Die in den M. 12, 26, Fig. 20 gebrachte Abbildung des Stifters wurde nicht wieder verwerthet.

In der Beschreibung des Pestkreuzes (S. 2 1 3) sind die eingeschlossenen Zahlen (iß' l' lo') unverständlich. Nach Petschnig ist der Bau Iß' lang und lo' breit. Nicht erwähnt werden die zwei grossen Wappen, welche an der Vorderseite aussen gemalt sind, nämlich das grosse kaiserliche Wappen mit dem Doppeladler und das Wappen des Cardinais Lang von Wellenburg, Erzbischofs von Salzburg, welcher demnach als Stifter dieses Kreuzes oder doch wenigstens seiner malerischen Ausschmückung wird angesehen werden können. Bei dem hier angebrachten Lit.-Cit. Grazer Kirchenschmuck fehlt Band- und Seiten-Angabe. Nicht citirt sind die M. N. F. 11, CXXXIX.

Schliesslich sei noch erwähnt, dass das in M. N. F. 10, XXXVII l)eschriebene und abgebildete Propsfei-Siegel nicht aufgenommen wurde, und dass sowohl am Octogon wie an der Kirche bedeutend mehr Stein- metzzeichen als die abgebildeten sich vorfinden.

Ob nach dieser kritischen Besprechung, welche sich bewusst ist, nir- gends die Grenze der Objektivität überschritten zu haben, die Kunsttopo- graphie von Kärnten noch als ein »reifes und abgeschlossenes Ergebnis«, wie es in der Einleitung S. I heisst, anzusehen sein wird, und ob »soviel als nur möglich Sorgfalt aufgewendet wurde, um ein in seinen Nachrichten verlässliches Buch zu schaffen« (S. V der Einleitung), überlasse ich der Beurtheilung der Fachgenossen.

Klagenfurt. S. Laschitzer.

The Musical Notation of the Middle Ages exemplified by Facsimiles of Manuscripts written between the tenth and sexteenth centuries inclusive, Prepared for the members of ,the plainsong and raediaeval music society". London, J. Masters & Co., Leipzig, 0. Har- rassowitz. 1890 gr. Folio. 7 Seiten Text, 21 Tafeln mit Erklärungen.

Mit dieser Publication ist wieder ein wichtiger Beitrag zur histori- schen Kenntnis der musikalischen Notation gegeben. Das Material ist den Schätzen zweier englischer Bibliotheken (British Museum und Bodleiana) entnommen und umfasst deutsche, englische, fi-anzösische, italienische und spanische Handschriften vom 10. bis 16. Jahrhundert. Die Neumen sind besonders berücksichtigt, nebenbei sind einige Beispiele der Mensural- notation aufgenommen. WerthvoU ist es, dass man an zwei Beispielen, dem »confitemini domino« und einem Officium vom Ostersonntag, den Fortgang der Notation verfolgen kann, so wie es jetzt in der letzthin in dieser Zeitschrift besprochenen »Paleographie musicale« der Benedictiner von Solesmes in gleicher Weise mit »Justus ut palma florebit« geschieht. Derartige Heraushel)ungen einzelner Stücke in paleographischer Aufeinander- folge sind sehr lehrreich. Musikalisch am interessantesten ist die Mit- theilung einer zweistimmigen Composition aus einem englischen (vermuth- lich in Cornwall geschriebenen) Sanunelcodex des 10. Jahrhunderts auf

Liferahir. 343

Blatt IS: es ist dies das l)ishei' älteste Beispiel eines discantirenden Ge- sanges »ut tuq propit latus interventu dominus« etc., in welchem die Stimmen in Gegenliewegung einen i'üv damalige Zeiten gar nicht üblen Zusammenklang gehen und melodisch klar gegliedert sind. Mit der auf Blatt 21 gegebenen Uebertragung kann man sich, sowohl was die äussere Fassung als die innere Erfassung des Stückes betrifft, niclit einverstanden erklären. Allein die nähere Begründung dieser Behauptung, sowie einzelne Bedenken gegen Ansichten, die in der historischen Einleitung ausgesprochen sind, können hier nicht eingehend erörtert werden. Es genüge, auf den hohen Werth der Publication auch weitere Kreise aufmerksam gemacht zu haben.

Prag. Guido Adler.

Dr. Georg Wolfram, Die Reiterstatuette Karls des Grossen aus der Kathedrale zu Metz. Mit zwei Lichtdruck- tafeln. Strassburg, Trübner 1890. 8", 26 SS.

Die kleine Bronzestatuette eines königlichen Reiters, Avelche nach den merkwürdigsten Schicksalen und Irrfahrten aus der Metzer Kathedrale in das Museum Carnavalet zu Paris gelangt ist, hat seit der Zeit, da sie auf der ersten Pariser Weltausstellung erschien, die gelehrte Welt, namentlich in Frankreich, viel beschäftigt. Dass sie Karl d. Gr. darstelle, sagte die Tradition, und in der That war dagegen nicht viel einzuwenden. Eine ganz ausserordentliche Bedeutung erhielt aber die Frage, als Ei-nst ans'm Weerth 1884 in einer Abhandlung der Bonner Jahrbücher mit einem grossen Aufwand gelehrten Rüstzeuges den gleichzeitigen Ursprung der Statuette nachzuweisen glaubte. So gewann allerdings das Kunstwerkchen eine ganz überraschende Stellung, nicht nur in der Kunstgeschichte, als authentisches, gleichzeitiges Porträt des grossen Franken einerseits, son- dern auch durch die für jene Zeit merkwürdige technische und künstlerische Vollendung anderseits. Der »Karolingischen Renal ssan(.'e« gegenüber dürfte man sich dann nicht mehr zweifelnd verhalten.

Aus'm Weerths Ausführungen erhielten den ungetheilten Beifall der französischen und zum Theil der deutschen Archäologie. Wie es aber auch vielen anderen ergangen sein mag, so gesteht Ref., dass er sich dieser Bestimmung gegenüber ablehnend, mindestens zweifelnd verhalten hat. In jüngster Zeit ist denn noch Giemen in einem Aufsatze der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins (ll, 185) für die Karolingische Provenienz der Statuette eingetreten.

Mit der Widerlegung dieser Ansicht beschäftigt sich nun die obige klar und tieissig geschriebene Untersuchung Wolframs.

Er geht der Sache zunächst und hauptsächlich mit historischen Grün- den zu Leibe. So angenehm diese Untersuchungsart gegenüber einer gewissen Richtung berührt, so auffällig und vielleicht charakteristisch ist es, zu sehen, welche geringe Rolle die stilkritische Betrachtung in dieser ganzen Angelegenheit gespielt hat und auch bei W. spielt.

Das von aus'm Weerth und Giemen zuerst ins Treffen geführte Be- weismittel, die Statuette stimme mit der Schilderung Einharts von Karls persönlicher Erscheinung üljerein, bedarf einer ernstlichen Widerlegung

344 Literatur.

kaum. Giemen selbst gelangt nur zu dem Schlüsse: Das kann Karl sein. Dagegen ist die Behauptung, die Tracht stimme mit der in Karolingischer Zeit tthlichen auffallend üherein, anzuerkennen. Die Reifenkrone und der durch eine Spange an der rechten Schulter zusammengehaltene Mantel sind allerdings, wie W. aus den Darstellungen der Künigssiegel und Minia- turen nachweist, auch noch im 10. I]. Jahrhundert liräuchlich, wohl aber sind Wamms, Tunika und besonders die Beinbinden für das 9. Jahr- hundert charakteristisch.

Dagegen ist wieder der Reichsapfel, ein ursprünglich neurömisches Herrschersj^nbol, das ja auch die Reiterstatue Justinians auf dem Augustaion in Konstantinopel trug, iür (bis <). Jahrhundert einzig bei dem V)jzantini- sierenden Karl IL nachweislich und erst nach der Kaiserkrönung Otto 1. ein ständiges Attribut des Herrschers. In dem Costume der Statuette liegt also jedenfalls ein sondei'barer Widerspruch.

Die von Giemen (Anzeige der Broschüre Woli'rams, Rep. f. Kunstw. 13, 481) vorgebrachten Gegengründe sind nicht ausschlaggebend. Es können doch allein aus den officieUen Darstellungen, keinesfalls aber aus flüchtigen Federzeichnungen, die so mannigfaltigen Einflüssen unter- liegen (Utrechter Psalter, God. Harl. 603), Schlüsse gezogen werden. Die Apokalypse der Commimalbibliothek in Cambrai (Cod. 364) gehört übrigens nach Durieux (Les min. de la Bibl. de G.) ebenfalls ins 10., nach Janitschek (Adahdschr. 106, A. l) in die 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts.

Aus'm Weerth hat ferner angenommen, dass die Statuette schon seit Karolingischer Zeit in der Metzer Kathedrale vorhanden war. Wir wissen nun, dass sie im 17. Jahrh. an Feiertagen ausgestellt wurde, und zwar auf einer heute noch erhaltenen Altarmensa. Diese Mensa hat aus'm Weerth für karolingisch erklärt und gemeint, sie sei, da sie in der Mitte eine Vertiefung zur Aufnahme eines Gestells zeige, schon im 9. Jahrh. als Postament benützt worden, was für seine Ansicht zeuge. Nun genügt aber die Betrachtung der Abbildung dieser Mensa bei W., namentlich des Kapitals und der Basis der Säulenstützen, um sie als romanisch, und nicht einmal als besonders früher Zeit angehörig zu erkennen. Ausserdem wäre eine solche Aufstellung in der Kirche, was W. übersehen hat, nur bei einem Heiligen, also bei Karl, der erst 1166 canonisiert wurde, erst nach dieser Zeit denkbar.

Ein Cult Karls d. Gr., wie er hier vorausgesetzt ist, ist also über- haupt vor dem 1 2. Jahrh. nicht möglich. Dazu kommt, dass das Cere- moniale des Metzer Doms aus dem 12. Jahrh., welches gerade über den Kirchenschatz sehr aitsführliche Nachrichten gibt, nicht die leiseste Er- wähnung eines derartigen Kunstwerkes, wie die Reiterstatuette, aufweist. Noch mehr: Von einer Verbindung der Metzer Kathedrale mit Karl oder gar von einem Cult desselben kann, wie sich urkundlich nachweisen lässt, vor dem 14. 15. Jahrh. keine Rede sein. Diesem gehört aber die Statuette sicher nicht an, sie ist also wahrscheinlich ein Werk der Renaissance.

Dieser historische Beweis ist W. vollkommen gelungen, er wird durch die stilkritische Betrachtung überdies bestätigt. Die Freiheit der Behandlung, im Faltenwurf sowohl, wie namentlich in der Anatomie des Pferdes, (das ein Abkömmling der Rosse von S. Marco ist, was am-li wieder für die Renaissance spricht.) weist deutlich auf diese Zeit.

Literatur. 345

TV. hat aber auch urlfundliche Beweise für seinen Schluss beigebracht. Aus den Conclusiones des Metzer Kapitelarchivs ergibt sich, dass im Jahre 1507 bei dem Groldschmied Fran^ois (wahrscheinlich einem Einheimischen) eine Statuette Karls d. Gr. bestellt und eine KommLssion von Domherren beauftragt wurde, sicli bezüglich der »Facon« mit dem Künstler ausein- ander zu setzen.

Von der heute noch erhaltenen Bronzestatuette hat aber wahrscheinlich auch ein Abguss existiert. Sowohl der Metzer Lokalhistoriker Meurisse, als die gleichzeitigen Inventare des 1 7. Jahrb. erwähnen zwei, wie sich übrigens ergibt, ganz üliereinstimmende Exemplare von Eeiterstatuetten, die eine in Bronze, die andere in Silber. Die erstere dürite die Original- arbeit des Fran(,ois sein, denn dass es die silberne sei, dagegen spricht der Umstand, dass 1567 der gesammte Kirchenschatz, um Geld für die Liga zu bekommen, veräussert wurde. So konnte auch diese, welche wahrscheinlich in den Wirren der französischen Revolution (denn noch 177 5 wird sie erwähnt) zu gründe gieng, weder karolingischer Provenienz noch etwa das Vorbild für FranQois gewesen sein.

Ein Punkt bleibt allerdings noch räthselhaft, die merkwürdige histo- rische Treue der Figur, die weder zu den Gewohnheiten des spätem Mittelalters noch der Renaissance stimmt. Erinnern wir uns aber, dass eine gelehrte Commission, der ja Einharts Bericht sicher bekannt war, dem Künstler zur Seite stand: diese mag ihn denn auch, wie W. meint, auf die karolingi sehen Bilderhandschriften die Vivianusbibel und den Psalter Karls des Kahlen, welche erst 1674 aus Metz zu Colbert nach Paris wandei'ten, gewiesen haben.

Zum Schluss nur noch der Hinweis, dass der Bericht der Märchen- chronik von Novalese über den Besuch Ottos 111. in der Aachener Gruft jetzt doch nicht mehr als historische Quelle angeführt werden sollte.

J. V. Schlosser.

Aktenstücke zur Geschichte des deutscheu Keiches unter den Königen Kudolf I. und Albrecht L Gesammelt von A. Fanta, F. Kaltenbrunner, E. v. Ottenthai. Mitgetheilt von F. Kaltenbrunner. (Mittheilungen aus dem vaticanischen Archive, hg. von der k. Akademie der V^issenschaften 1 Bd. Wien 1889; 8«, XVIII, 695 S.)

Wohl jeder, der den stattlichen Band, in welchem F. Kaltenbrunner die von ihm, Fanta und v. Ottenthai gesammelten Actenstücke aus dem vaticanischen Archiv mittheilt, durcharbeite!, wird das Gefühl einer gewissen Enttäuschung theilen, wie es der Herausgeber selbst im Vorwort S. IV ff. zum Ausdruck bringt. Die für die Veröffentlichung so reichlich aufge- Avendete Mühe und ehrliche Arbeit steht durchaus nicht im richtigen Ver- hältniss zu dem Ergebniss, das durch sie gewonnen erscheint. Es steht nach diesem Ergebniss ausser Zweifel, dass der von der Leitung des österreichischen Instituts gefasste Entschluss, mit der Forschung im vati- canischen Archiv wieder einzusetzen in den Zeiten des 13. und 14. Jahr- hunderts, in denen so manche Gelehrte ich nenne Steyerer, Palacky,

346 Litpvatnr.

Dudik, Kopp schon damals gearheitet haben, als im Ganzen das vati- canische Archiv noch unter cängstlicher Sperre gehalten wurde, zu einem doch nur recht bescheidenen Erfolg geführt hat. Auch der emsigste Fleiss vermochte keine neuen Schätze zu erschliessen, sondern blieb auf eine Nachlese auf den alten Halden beschränkt! Chmel hat Kecht behalten, da er vor viiden Jahren Forschungen im vaticanischen Ai-chiv für diese alten Zeiten ein schlechtes Horoskop stellte.

Die Gründe, welche diesen beschränkten Erfolg der österreichischen Forschung bedingt haben, setzt K. selbst im Vorwort S. IV ff. aufs beste auseinander. Noch im 13. Jahrhundert hat man an der päpstlichen Curie nur jene einlaufenden Urkunden auf 1 »ewahrt, denen man bindende Rechts- kraft beimass, die als berufen betrachtet wurden, die Continuität des Be- sitzes und Eechtes der römischen Curie und ihrer Ansprüche darzustellen. Alles, was nicht genau unter diesen Gesichtspunkt fiel, blieb dem Zufall preisgegeben, und nur dem letzteren ist es zu danken, wenn sich auch von solchen Stücken vereinzeltes erhalten hat sie sind in einem Theil des Archivs untergebracht, der die charakteristische Bezeichnung »Miscella- nea« trägt. Dass hierin der Grund zu suchen ist, und nicht etwa eine eingetretene Katastrophe einen Verlust im Grossen veranlasst hat, zeigt K. aus den Inventaren, die sich vom Archiv aus verschiedenen Zeiten erhalten haben. Diesellien geben immer nur den Bestand an den oben gekennzeichneten Aktenstücken, der jetzt den Namen »Engelsburg-Archiv« trägt. K. begründet Alles dieses duixh die S. V ff. gegebene Zusammen- stellung der von der deutschen Reichskanzlei und den Bevollmächtigten der Könige ausgestellten Urkunden mit Angabe ihrer jetzigen Ueberlieferung und ihrer Erwähnung in den Inventaren des vatikanischen Archivs.

Auch das Suchen nach Urkundencopien in Handschriften ergab, ab- gesehen von den im Cod. Ottobonianus 2546 aufgefundenen Bruchstücken eines wol unter Nicolaus III. angelegten liber privilegiorum, über den K. in den Mittheil, des Instituts f. öst. GF. Ergzbd. I, 376 gehandelt hat lediglich dns negative Resultat, dass bis zur Zeit Sixtus IV, da Piatina seine Urkundensammlung angelegt hat, keinerlei Eintragung des vorhan- >lenen Urkundenbestandes stattgefunden hat, so wenig als etwa noch vor- handenes Actonmaterial, von dem sich auch in den angeführten Inventaren keinerlei Spuren erhalten haben, in Abschriften vervielfältigt wurde.

Zur Ausbeutung stand also wesentlich nur die Masse der von der Curie ausgegangenen Briefe, wie sie in der bekannten Register-Reihe ent- halten ist, die K. S. XI für den in Betracht kommenden Zeitraum aufzählt. Nach den Ergebnissen von K's Studien erfolgte die Hauptmasse der Ein- tragungen in die Register nach den Concepten, und nur ausnahmsweise nach den Originalausfertigungen. Zu dieser Ansicht, die von K. in ein- zelnen Fällen der Beurtheilung des geschichtlichen Werthes von ihm her- ausgegebener Briefe zu Grunde gelegt wird, ist für die späteren Register auch Grauert gekommen (Görres- Jahrb. XI, 82 1).

Wusste man früher schon, dass keineswegs alle ausgegangenen Briefe an der Curie registrirt wurden, so ergeben K. Studien des Weiteren, dass nicht einmal bei den die Geschäft sgebahrung und die Rechtsverhältnisse der Curie betreffenden Urkunden Vollständigkeit der Eintragung Regel gewesen ist, selbst nicht bei dem zweiten Registerband Nicolaus III, dessen

Literatur. 347

Briefe sich mit wenigen Ausnahmen auf dieselben Angelegenheiten be- ziehen, so dass er ganz füglich »Über de negotio imperii« heissen könnte. Leider blieben, wie gelegentlich bemerkt sei, K's Nachforschungen nach ähnlichen eigenartigen Bänden anderer Päpste ohne Erfolg.

Die grosse Briefsammlung des päpstlichen Notars Berardus de Neapoli, der in hervorragender Weise an den Geschäften der Curie von Urban IV an bis Honorius IV betheiligt war, die K. auf Grund der von ihm wieder- aufgefundenen vaticanischen Handschrift, von zwei weiteren römischen und fünf französischen Handschriften, in so mühevoller und dankenswerther Weise zum Gegenstand seiner Forschung gemacht hat (Mittheil, des Instituts f. Ost. GF. Bd. VII), tritt nur in sehr bedingter Weise in die Lücke ein. Nach K's Darlegungen wird der Werth und die Verwendbarkeit der von Berardus mitgetheilten Urkunden dadurch eingeschränkt, dass wir von vornherein nicht wissen können, ob die Briefe auch wirklich erlassen oder aber bei der Ausfertigung noch geändert, oder aber gar blosse Entwürfe geblieben und gar nicht ausgefertigt worden sind. In seiner Veröffent- lichung erläutert K. diese Ausführungen durch mehrere treffende Beispiele nr. 33, 62.

Die Hauptmasse der K. und seinen Genossen zur Verfügung stehenden Quellen ist bekanntlich früher von Odoricus Raynaldus für die Fortsetzung von Baronius Annales ecclesiastici benutzt worden. Dem scharfen Blick dieses geAvaltigen Arbeiters ist, wie die Ergebnisse der österreichischen Forschung lehren, und die der bairischen Gelehrten lehren werden s. Grauert a. a. 0. S. 120 nichts wichtiges entgangen, und dadurch dieser neuen Veröffentlichung der österreichische Gelehrten nur eine Nach- lese übrig gelassen worden. Wenn nun diese aber, wie gesagt, insofern enttäuscht, als sie keine Stücke ersten Ranges zu Tage förderte und nach Lage der Dinge nicht zu Tage fördern konnte, so ist sie doch immer an und für sich eine recht bedeutende sie bietet uns im Ganzen 781 theils ganz, theils in Auszügen veröffentlichte Aktenstücke.

Es ist gewiss nur zu billigen, dass K. von der ihm gesteckten Auf- gabe, zunächst die Regierungszeit Rudolfs und Albrechts zu erforschen, insofern abwich, dass er das ganze Pontificat Gregors X in dieselbe ein- bezog, also vor die Wahl Rudolfs zurückgieng. Man wird es ebenso billigen können, dass K. die sämmtlichen Urkunden, die sich auf die von Nicolaus III auf Grund von Rudolfs Abtretung ins Werk gesetzte Besitz- ergi-eifung der Romagna beziehen, aufgenommen hat. Auch dafür wird der Herausgeber auf dankbare Zustimmung rechnen dürfen, dass er auch Localgeschichte, und zwar mit besonderer Berücksichtigung der Habsburger und der österreichischen Länder beachtet hat man tröstet sich bei manchem Stück leicht dai-über, dass es nur mit einiger sanfter Gewalt unter den Titel der Veröffentlichung sich fügt.

K's Thätigkeit als Herausgeber verdient das uneingeschränkteste Lob, namentlich die Sorgfalt und der Fleiss, mit denen er Alles, auch das entlegenste heranzieht, um die mitgetheilten Urkunden zu erläutern, oder ihre zeitliche Eintheilung zu ermöglichen. Wenn hier im Folgenden in dieser Beziehung hie und da eine Berichtigung geboten wird, so geschieht das lediglich, um die Benutzung der Publikation zu erleichtern. Die Seltenheit der Fälle dieser Ai-t, die bei genauester Durcharbeitung des

348 Literatur.

Buches mir aufcrefallen sind, inag dem günstifrpn ürtheil, das ich im Allgemeinen darüber ausgesprochen, zur besten Begründung dienen. Ich wende mich zu verschiedenen Einzelheiten, zunächst um einige Sachen hervorzuheben, die mir besonders vv^ichtig und beachtensv(rei-th erscheinen. Ich verw^eise da zunächst auf uro. :i(\ mit seiner theilweisen Bestätiofung, theilweisen Berichtigung der Angaben Villanis. Sehr dank^nswerth ist die von K. zu nr. ö'i gebotene Zusammenstellung der Theilnehmer am Concil von Lyon, vortrefflich zu nr. 56 die Ausführung über das Zustande- kommen der Lyoner Zehentconstitution. Für Würzburger Verhältnisse sind sehr lieachtenswerth die nr. 5S u. 60. Mehrfaches neues Licht er- hält die vexata quaestio über die Verhandlungen Gregors mit Alfons X von Castilien und des letzteren endgültigen Rücktritt vom römischen Reich durch die nr. 66, 79 ff. besonders nr. 88.

Für die Diplomatik ist zu beachten K's Ausführung über die Unver- werthbarkeit der Briefe (Iregors X aus der Zeit der Rückreise von Lyon für die Feststellung seines Itinerars zu nr. 7.5, während dieses Itinerar durch nr. 95 eine Bereicherung erfährt. Ebenso sind für die Diplomatiker von grossem Interesse die allgemeinen Ausführungen K's zu nr. 629, 666 über das Register Clemens V und das Itinerar dieses Papstes.

Die nr. 90 und 91 erläutern in envünschter Weise das Verhältniss König Rudolfs zu Savoyen.

Ausserordentlich dankenswerth sind K's allgemeine Zusammenstel- lungen über die Zehentsammlung in Deutschland zu nr. 107, und über den Ei-trag derselben zu nr. 242. Wichtig für die Geschichte der Inqui- sition sind die auch in die tirolische Geschichte einschlagenden Akten- stücke in Betreff des Ketzers Konrad de Venosta s. nr. 11.3 ff., 199, 200. Die tirolische Geschichte macht noch reicheren Gewinn aber aus der stattlichen Reihe von Urkunden nr. 327. 362, 387, 393, 415, 431, 445, 448, 451, 457, 458, 460, 461, 462, 464, 467, 474, 503 die sich auf die Streitigkeiten Meinhai'ds 11 von Tirol mit dem Bischof von Trient beziehen und hat auch freudig zu begrüssen die Stücke nr. 465, 469, 470, 473, 474 über Bischof Landulf von Brixen. Manchen neuen höchst ei-wünschten Einblick ermöglichen die von K. mitgetheilten Urkunden in die stets fehlschlagenden und doch immer neu wieder in Angriff ge- nommenen Bemühungen der Curie, in den ihr abgetretenen Reichsgebieten ihre HeiTSchaft zur Geltung zu bringen und daselbst Ruhe und Ordnung herzustellen ich möchte ganz besonders in dieser Beziehung auf die beiden Memoriales nr. 215 u. 216 für den Cardinal Latinus und für Berthold Orsini aufmerksam machen.

Auch für die Kritik der steierischen Reimchronik fällt aus unserer Veröffentlichung einiges ab, vgl. die nr. 370. 433. Für Alb rechts Streit mit Salzburg ist nr. 47 0 und K's Ausführung zu derselben wichtig. Ich will durchaus nicht mit dieser Zusammenstellung das Verdienstliche von K's Publikation erschöpfen andere Benutzer werden in derselben noch vieles Andere von ähnlicher Wichtigkeit aufzuzeigen wissen.

Dass die Hoffnung, durch eingehende Forschungen im vaticanischen Archiv weitere Aufklärung über die Pläne Nicolaus III auf Neugestaltung des Kaiserreiches zu gewinnen, sidi nicht erfüllt hat, ist bedauerlich, erscheint aber nach dei' Behandlung, welche die einluufemlen Stücke an

Literatur. 349

der Curie nach K's Darlegung erfahren haben, nicht befremdlich. Ja bei einer so eigenartigen Politik, wie es die Nicolaus III gewesen, ist vielleicht nicht bloss die allgemeine Sorglosigkeit dem Einlauf gegenüber in Betracht zu ziehen, sondern auch an die Möglichkeit zu denken, dass etwa spätere Päpste die redenden Zeugnisse für die revolutionären Ideen des gewaltigen Orsini absichtlich haben lieseitigen lassen. Dass die ganzen Pläne auf Theilung des Kaiserreiches und Errichtung des deutschen Erbkönigthums, wie ich sie auf Grund eines freilich sehr trümmerhaften Materiales für die ersten Habsburger nachzuweisen gesucht habe, nicht so vornehm skep- tisch behandelt werden dürfen, wie es in neuester Zeit von Lindner ge- schehen ist, dürfte in Bälde allgemein anerkannt werden, wenn der glück- liche Urkundenfund bekannt wird, den vor nicht langer Zeit Herzberg- Fränkel in Wien gemacht hat. Von Interesse für diese Frage ist der Um- stand, dass nach nr. 470 der Bischof Landulf von Brixen, der, ein Italiener von Geburt, früher, wie ich aus einem in einem Raitbuch der Tiroler Grafen aus dem Görzer Hause stehenden Briefe desselben weiss, Leibarzt Rudolfs von Habsburg gewesen ist, ein Schützling der Orsini war.

Zu nr. 5 ist zu l>emerken, dass die Angabe des Paolino di Piero, Thaddaeus von Montefeltre sei 1272 Vicar in Florenz gewesen, auf die K. hier Bezug nimmt, unrichtig ist, vgl. Hartwig Quellen der Stadt Florenz II, 183 u. 207, wo zu ersehen ist, dass Montefeltre vom 1. Januar 1271. vom 1. Januar 1272 an aber Robeitus de Robertis aus Reggio Vikar Karls von Anjou war; vgl. auch Guido de Corvaria Mur. Scr. XXIV, 675.

Zu nr. 12 möchte ich bemerken, dass man immer geneigter wird, über das Wirken des Legaten Gregors X, Vieedominus Erzbischof von Aix, sich dem harten Urtheil der Annales Florentini: qui domnus legatus, cum deberet venisse pro componendis paclbus inter civitates Lombardie, venit tantum ad augendum dominium et segnoriam predicti domini regis Karoli in Lombardia anzuschliessen, wenn man bedenkt, dass der Legat von Alters her Karl von Anjou sehr nahe gestanden, und namentlich durch Karls Connivenz unter Verhinderung der Wahl eines andern das Erzbisthum Aix erhalten hat s. Sternfeld, Karl von Anjou, S. 142. Die Wahl eines Mannes mit solchen Antecedentien für ein solches Amt, wie die Legation in der Lombardei, lehrt, wie sehr es dem herzensguten Gregor X. an staats- männischer Einsicht gefehlt hat.

Zu nr. 13 Anm. muss ich mich gegen den Vorwui-f, dass ich Kopp Buch V S. 145 Anm. 4 falsch citirt habe, verwahren an der ange- führten Stelle steht richtig § 43 und nicht § 41. Dagegen habe ich mich da wirklich geirrt, wo es mir zu nr. 243, VIII vorgeworfen wird, bei St. Priest steht Böhmer nr. 566, und nicht 567.

Unrichtig sind in K's Publikation einzelne Eigennamen wiedergegeben, so nr. 63 Anm. Orviedo st. Oviedo, nr. 7 5 und öfter, auch im Register: Beau^aire statt Beaucaire, nr. 494 Anm. Trouillart st. Trouillat, nr. 374 Anm. Neusse st. Neuss; nr. 522 ist Cantipratum durch Chantimpre st. Cantimbre zu übersetzen, nr. 623 Anm. ist statt Aerschot zu setzen Aerschot, nr. 666 Macon st. Ma^on, nr. 544 Anm. Cohn st. Chon, nr. 540 Anm. Eussernthal st. Eusserthal.

Zu nr. 306 ist die Ortsangabe Munster menevelt statt durch Münster- feld durch Münstermaifeld wiederzugeben, in nr. 356 hat Kimbeck mit

350 Literatur.

dem gleichnamigen Ort bei Paderborn nichts zu thun, sondern ist verderbt für Riesenbeck, in nr. 372 ist Belherat nicht Wilhering, sondern das be- rühmte mährische Weiherad.

Innsbruck. Arnold Busson.

Lindner Theodor, Deutsche Geschichte unter deu Habsburgern und Luxemburgern (1273— 14?.7). 1. Bd. Von Rudolf von Habsburg bis zu Ludwig dem Baiern. Stuttgart, 1890. Cotta's Nachfolger (486 S. Lex.-8).

Unter den Werken, welche die von H. v. Zwiedineck-Südenhorst her- ausgegebene »Bibliothek deutscher deschichte« bilden, nimmt die von Lindner bearbeitete Abtheilung eine ehrenvolle Stellung ein. Der Ver- fasser hat den ursprünglich für die ganze Bibliothek aufgestellten Grund- satz, jedes gelehrte Beiwerk fernzuhalten, bis zur äussersten Consequenz verfolgt; im ganzen Werke findet sich nicht eine Note. Aber wer die über die behandelte Periode vorhandene Literatur kennt, fühlt überall durch. mit welcher Sorgfalt das vorliegende Bueh gearbeitet ist. Nur selten stösst man auf eine Aeusserung, welche auf die Nichtbeachtung einer oder der andern Schrift schliessen lässt. So kann man nach dem von H. v. Lie- benau mitgetheiltem Material doch nicht mehr behaupten, dass auch Albrechts L Tochter Agnes an der Blutrache betheiligt gewesen sei (S. IC.oX Auch gegen die Angabe der Vita Karoli über die deutschen Fürsten, welche 1345 am Bündnisse Ludwigs des Baiern und der Könige von Polen und Ungarn gegen die Luxemburger betheiligt gewesen sein sollen (S. 4()9), sind längst gewichtige Einwendungen erhoben worden. Ebenso berührt es unangenehm, wenn der Verfasser S. 62 von der Schlacht ^ auf dem Marchfelde« spricht, obwohl er selbst weiss, dass sie in bedeutender Entfernung von demselben geschlagen werden ist. Ueber andere Fragen kann man allerdings verschiedener Ansicht sein, z. B. über die Angabe eines böhmischen Chronisten, dass Ottokar II. «lie ihm angetragene Würde des römischen Königs abgelehnt habe.

Die Darstellung ist klar und anschaulich, manchmal auch des höheren Schwunges nicht entbehrend. Hie und da läuft freilich ein unpassendes Bild mit unter, wenn es z. B. S. 311 heisst, König Johann von Böhmen habe sich vom politischen Gründungsschwindel »weidlich herum tummeln lassen«. Der Verfasser hat es auch verstanden, das Wesentliche aus der Geschichte der verschiedenen deutschen Territorien und ihrer Fürsten an passender Stelle einzuschalten, ohne die Gesrhichte des Reiches in eine Reihe von Landesgeschichten aufzulösen.

Mit besonderer Sorgfalt sind die Charakteristiken der wichtigsten Per- sönlichkeiten ausgelührt. und man muss dieselben im allgemeinen als sehr gelungen bezeichnen. Dabei überrascht der Verfasser wohl auch durcli frappante Parallelen, wenn er z. B. den Papst Johann XXIL, dessen Stand- punkte er übrigens möglichst Gerechtigkeit widerfahren lässt, mit Philipp IL voü Spanien vergleicht. > Beide waren leidenschaftlich, aber in entgegen- gesetzter Richtung. Johann heiss, Philipp kalt, der eine ein durch Fehl- schlüge sich erregen lassender Mensch . der andere eine unentwegt die-

Literatur. 351

selbe Aufgabe rechnende Maschine« (S. 427). Manches hätte allerdings mit wenigen Worten sich abthun lassen, wie die Hinweisung auf den Geiz des genannten Papstes S. ;}18: »Johann liebte das GeLI nicht allein der Macht wegen, welche es verlieh, sondern auch seiner selbst willen; er erfreute sich an dem Besitz unermäss lieber Schätze, er war mit einem Worte geizig«. Auch abgesehen von solchen Dingen, hätte Eeferent man- ches lieber etwas gekürzt gesehen, wie S. 196 die weitläufige Schilderung der Festlichkeiten bei der Belehnung und Hochzeit des Sohnes K. Hein- richs VII., oder den Wortlaut einzelner Aktenstücke. Es wäre dann Raum gewonnen worden für eine etwas eingehendere Darstellung der innern Verhältnisse Deutschlands, die kaum lierührt werden, und es hätte sich der Verfasser dann vielleicht auch nicht veranlasst gesehen, S. 34 über die Ursachen des Bruches zwischen König Kudolf und Ottokar von Böhmen im J. 1278 gar nichts mitzutheilen. Es sind dies übrigens Aus- stellungen, welche den Verfasser nicht hindern, das vorliegende Werk den hervorragendsten Leistungen der deutschen Historiographie der letzten Jahre beizuzählen.

S. 155 Z. 14 ist Ladislaus verschrieben für Andreas. S. .•502 Z. 15 ist statt Ebsdorfer zu lesen Ebersdorfer.

Wien. A. Hub er.

Wilhelm Heyd, Beiträge zur Geschichte des deutschen Handels, Die grosse Raveusburger G esellschaft. Stuttgart. 1890. 86 S. 8''.

Gewiss wird es allseitig mit aufrichtiger und grosser Freude begrüsst worden sein, dass der Altmeister mittelalterlicher Handelsgeschichte, nach- dem er für den Levanteverkehr die breite (Grundlage der Kenntniss geschaffen hat, sich seit einiger Zeit auch den kaufmännischen Beziehungen zwischen dem romanischen Südeuropa und Deutschland, das hier uaturgemäss dui-ch den ausserhalb der hansischen Einwirkung belegenen Süden vertreten ist, zuzuwenden begonnen hat. Lässt doch die Hauptüberschrift des nunmehr vorliegenden Heftes, dem schon zwei nahe verwandte Zeitschriftenaufsätze vor- aufgegangen sind, die Hoffnung zu, dass weitere Abhandlungen aus diesem Gebiete von Heyd selber in Aussicht genommen sind oder vielleicht auch von ihm gefördert und eingeführt werden sollen. »Diesmal« , heisst es im Vorwort, »gilt die Unternehmung einer einzelnen Handelsgesellschaft. Ich halte Monographien oder auch nur Zusammenstellungen von Urkunden oder Eegesten einzelner Städte, über hervorragende Kaufmannshäuser, über die grösseren kaufmännischen Gesellschaften für eine unerlässliche Vor- arbeit zu einer wissenschaftlichen Geschichte des süddeutschen Handels, (.lerne hätte ich Häusern und Gesellschaften von ausgebreiteterem Ruf, deren ja in Augsburg und Nürnberg nicht wenige blühten, den Vortritt gegönnt. Aber von dieser Seite erfolgt keine Publikation.* Trotz aller Vernichtung ist von den Handelspapieren noch manches vorhanden; »nur werden sie sorgfältig verwahrt im Familienliesitz , ruhig liegen gelassen in öffentlichen Archiven, auch wohl im stillen gesammelt, aber der Ver- öffentlichung nicht entgegengetührt«. Wie schwierig es ist, die Quellen

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für Beziehungen des kaufmännischen Verkehrs zu sammeln , welches Suchen an weit auseinanderliegenden Orten es erfordert, das zeigt aller- dings schon durch sich selbst das kleine neue Heyd'sche Buch ; solche Erwägungen werden es auch gewesen sein, die neuerdings die Itadische historisclie Commission veranlasst halben, auf Anregung Winkelmanns die Stotferschliessung für den italischen Handel der oberrheinischen Städte selbst in die Hand zu nehmen. Für die von Heyd dargestellte Ravens- burger Gesellschaft haben u. a. auch die Archive von Luzern, Bern, Mai- land, Genua und mittelbar auch spanische beigesteuert. Für den hei- mischen Stoffkreis hat sich der Verfasser in erster Linie mit an das Ar- chiv der Stadt Konstanz gewandt, und auch mit Erfolg, obwol er nui- in Konstanz selbst gesucht hat. Unbegreiflicherweise nämlich scheint er dort nicht erfahren zu haben, dass sich der Hauptteil aller Konstanzer Archivalien bei den Urkunden und Acten des dortigen Bistums im Karls- ruher Landesarchiv befinilet. Darunter insbesondere die Hinterlassenschaft des »Bundes der Städte um den See«, der unter der Leitung von Kon- stanz auch Ravensburg einschloss; ferner erinnere ich daraus Belegstücke zur Geschichte der Lombarden in Konstanz u. ä. Demnach ist doch zu veimuten, dass durch die Nichtberücksichtigung Karlsruhe' s der Heyd'schen Al)handlung beträchtliche Verluste erwachsen sind : so habe ich mir z. B. von dort ausdrücklich zu dem Namen »Humpiss« eine Urkunde von 1497, Aug. 23. (Archivbez. 5 Spec. 143) vermerkt.

Das der Ravensl)urger Gesellschaft auf dem Titel beigefügte Wort ist keine blosse Kennzeichnung durch den Verfasser, vielmehr hiess schon bei den Zeitgenossen diese oberschwäbische Handelsgesellschaft die »gi'osse«. Begi'ündet wurde sie nach einer Mitteilung des Ravensburgers Ladislaus Suntheim durch die Möttelin (Heyd berichtigt seine frühere Lesung Münli selbst), dit- seit 1337 das Eavensburger Bürgerrecht besassen. Danach, spätestens mit dem beginnenden 1 5. Jahrhundert , sind die Möttelin in die zweite Linie getreten und haben den Humpiss als fortan leitenden Häuptern der Gesellschalt Platz gemacht. Jos (Jodocus) Humpiss (diese Schreibung wählt Baumann, der in der oberrheinischen Zs. Bd. XXXII reichhaltige Quellenmitteilungen zur Geschichte des Geschlechts gegeben hat, Heyd die unabgeschliffene »Huntpiss« aus den vorkommenden Formen aus), steht so sehr als Vertreter des Ganzen da, dass sein in Deutschland neben ihm erwähnter Vetter Eitel den Romanen ganz unbekannt bleibt, auch andere Namen von diesen nicht berücksichtigt werden und die Gesellschaft geradezu die Josumpis- (so bei den Italienern) oder Jous- hompis-Compagnie (so in Spanien) genannt wird. Höchst wahrschein- lich haben sich zwischen den Jahren 1419 75 zwei zeitlich nicht zu scheidende Jos Humpiss und ebenso neben ihnen zwei Eitel Humpiss in der Leitung abgelöst; dann sind 1479 1497 die bisher sicher erlangten Daten für die sich anschliessende Vorstandschaft des Onofrius Humpiss, neben dem noch Clemens Ankenreute i. J. 1492 mehr hervortritt. Mit- beteiligt an der Gesellschaft waren neben den Humpiss und Möttelin vor- zugsweise die in verschiedenen obei'schwäbischen Städten niedergelasseneu Besserer es scheint Heyd entgangen zu sein, dass diese auch in Pful- lendorf und zwar hier als geradezu seit Alters regierendes Geschlecht an- sässig waren , und die bekannten Muntprat zu Konstanz und Ravens-

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bürg, dazu denn auch andere Geschlechter der Bodenseestädte; Konstanz war so stark vertreten , dass man die Joushompiscompagnie in Spanien geradezu für eine Konstanzer Gesellschaft hielt; ferner verzweigte sie sich nach^ Zürich, Luzern und Bern und auch an den ausserdeutschen Plätzen traten ihr gelegentlich deutsche Kaufleute, wenn auch in loserer Verbin- dung, bei. - Das handelsrechtliche Verhältniss der Leiter zu den Gesell- schaftern und dieser zu einander gelangt nicht zur Erörterung, wie über- haupt der Zweck der Abhandlung ja nur der ist, Bausteine herbeizu- schaffen und die zunächst vorhandenen zu behauen.

Die Humpiss-Gesellschaft liess Venedig abseits liegen und folgte dem Zuge des schon länger bestehenden Verkehrs Konstanz' mit der Lombardei und dem Südwesten, der also auch sie nach Mailand, von hier aus nach Genua und weiter nach Spanien, wo für ein Konstanzer Haus die Jahreszahl 1410, für die Gesellschaft 142G erreichbar wurde, führte. Nach Genua suchte ja auch Kaiser Sigismund den deutschen Handelsverkehr zu lenken; hier also wurde diesen Bemühungen auf naturgemässem und schon herkömm- lichem Wege Folge gegeben, während ihnen gegenüber der sonstige süd- deutsche Handel in der Hauptsache widerstrebend blieb. Immerhin brachte auch für Jene der Verkehr mit der ligurischen Seestadt Schattenseiten mit sich, die jedoch geringer wurden, als König Ludwig i. J. 14(54 Genua an Mailand abtrat; 1466 schlössen die mailänder Vertreter der Humpiss- gesellschaft einen Vertrag und zwar für alle deutschen Kaufleute mit der genuesischen Behörde ab, in welchem diese möglichstes Entgegen- kommen zeigte. Nach Siena und Eom hatte die Gesellschaft wenigstens für den Geldverkehr Verbindungen; die scheinbaren Anzeichen einer Han- delsverbinduug nach Unteritalien dagegen werden durch Heyd auf Grund sorgfältig herangezogener anderweitiger Nachrichten in einschränkendem Sinne erklärt. Für Spanien knüpften sich die Beziehungen auch der Ge- sellschaft hauptsächlich an das seit Alters durch die Deutschen natur- gemäss bevorzugte blühende Barcelona, l)ald aber entstand eine Zweig- niederlassung in Valencia und wurden auch nach Alicante, Tortosa und Saragossa Verbindungen erschlossen. Interessant ist , dass der Vertreter der Gesellschaft in Valencia einem dort ansässigen Deutschen, der in den Jahren 1477: 1478 in Gemeinschaft mit einem Einheimischen eine Bibel- übersetzung ins Valenciauische herausgab, die Druckkosten spendete; sein Nachfolger war sogar in der Lage, in der Nähe der Stadt ein Francis- canerkloster zu giünden, wie man wenigstens dem Nürnberger Reisenden Hier. Münzer erzählte. Uebrigens war Genua nicht der ausschliessliche Hafen für den spanischen Verkehr; auch Nizza wurde seitens der Gesell- schaft für die Persouenfahrt , wie für die Verfrachtung mitbenutzt. Kürzer behandelt werden die Beziehungen nach den Niederlantleu, iür die fi-eilich geringe Spuren und eher noch für den Geld-, als füi- den Waaren- verkehr erreicht werden konnten; auch die Beziehungen innerhalb Deutsch- lands ermangeln noch weiterer Aufklärung.

Gegenstand der Ausfuhi- waren die Erzeugnisse des oberschwäbischeu (}ewerbes, voran Zeuge aus Leinwund und BarunwoUe, auch Garn, dazu deutsche Metalle ; aus den Originalien der im Auszug von Capmany ge- druckten Zolb'egister von Barcelona können vielleicht noch nähere Auf- schlüsse gewonnen werden. Als Rückfracht dienten, soweit erkennbar,

Mittheüungen, XII. 23

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spanische Wolle, Südfrüchte, Weine, Safran, Alaun, das man ja in Deutsch- land erst seit dem 16. Jahrhundert zu gewinnen verstand, und ähnliche Waaren der Fremde.

Den politischen Schutz der Gresellschaffc konnte weniger das kleine Ravensburg, als Konstanz und die Hilfe der durch ihi-e Bürger mitbetei- ligten Eidgenossenschaft leisten ; mehrfach wurde in der Tat diplomatische Verwendung nötig. Der Verfall der Gesellschaft aber brach von innen herein; ein bedenkliches Anzeichen davon ist schon der aus ihrer Mitte i. J. 149 7 gemachte Versuch, bei der Mailänder Zollstätte Sillier als Ziuu durchzuschmuggeln, worül»er die Ausgleichs verhanrllungen, wie überhaupt die Mailänder Beziehungen unter dem letzten Visconti und den Sforza's, etwas reichlicheren Quellenstoö" hinterlassen haben. In den Anfangsjahren des 1(5. Jahrhunderts schleppt sich die (lesellschaft ersichtlich nur noch hin, ir)27 besteht sie noch, aber mindestens ohne einen Zins für die Capitaleinlagen abzuwerfen. Die Auflösung setzt Heyd um lä.iO.

Dreissig Urkunden und Regesten sind, begründend und weiterführend, der Darstellung beigegeben.

Freiburg i. B. Ed. Heyck.

Archivlehre. Gruudzüge der Geachichte, Aufgaben und Einrichtung unserer Archive von Franz von Löher. Paderborn, F. Schöningli 1890. 8^ (XII, 490).

Der Inhalt des Buches, in welchem der Verfasser neben manchem Neuen das, was an Vorschlägen, Ideen und dienstlichen Thatsachen in den dreizehn Bänden seiner Archivalischen Zeitschrift zerstreut ist, zu- sammenfasst, gliedert sich in einen historischen und einen praktischen Theil. Im ersteren wird eine allgemeine Ue1)ersicht der Entwickelung des deutschen Archivwesens gegeben, von seinen ersten Anfängen zur Zeit der Gründung germanischer Staatsgebilde bis herauf zu den einschneidenden Refonnen, welche im gegenwärtigen Jahrhundert auch auf diesem Gebiete allenthalben ins Werk gesetzt wurden. Dem Fachmann ist natürlich vieles von dem, was der Verfasser beibringt, liekannt; doch l)leibt die Sammlung des weit und breit zerstreuten Materials immerhin dankenswert und na- mentlich wird der Anfänger, für den das Buch zunächst liestimmt ist, daraus mannigfache Belehrung schöpfen. Der an Umlang weit grössere praktische Theil verbreitet sich über alle Punkte, welche für die Ver- waltung der Archive von Belang sind, wie Eintheilung und Ordnung, Verwahrung und Schutz der Archivalien, Anlegung von Repertorien und Handweisern, Archivbenützung, Amtsstellung und Fachbildung der Archiv- beamten, Geschäftsgang und dgl. mehr, und der Verfasser hat dabei immer die Doppelstellung, welche die Archive als Hilfsämter der Staatsverwal- tung einerseits, und als wissenschaftliche Institute anderseits einnehmen, im Auge, wobei er den Zwecken, denen sie in letzterer Eigenschaft zu dienen haben, die gebührende Berücksichtigung zu Theil werden lässt. Hin und wieder freilich schlägt der Archivvorstand zum Schaden des Ge- lehrten durch und die etwas reservirte und umständliche Art, die Löher in Beziehung auf die Mittheilnng der Archivalien empfiehlt, oder die angst-

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liehe Hütuug der Repertorien vor den Blicken der Uneingeweihlen sind recht dazu angethan, um dem Ingrimm, der den ständigen Besucher von Archiven und Bibliotheken so häufig Itefällt, neue Nahrung zuzuführen. Im Ganzen hätte das Werk nur gewonnen, wenn sich der Verfasser etwas knapper gefasst, strenger an das Thatsächliche gehalten, allzu breite Aus- führungen mehr oder minder hypothetischer Natur vermieden und vieles Selbstverständliche getrost der Einsicht derer überlassen hätte, welche sieh von Berufswegen mit Archivgeschäften zu befassen haben.

Wien. A, Budinszky.

Die li i s t o r i s c li e u Programme der ö s t e r r e i c h i t; c h e u Mittelschulen für 1890.

Aus der ansehnlichen Zahl von Programmaufsätzen historisch-geo- graphischen und verwandten Inhalts heben wir zunächst diejenigen her- vor, welche ein Gebiet der politischen, oder der Culturgeschichte des Mit- telalters, oder der neuern Zeit auf Grund bisher ungedruckten Materiales behandeln.

Beiträge zur Geschichte des Krieges Erzherzog Sig- munds mit Venedig 1487 von F. Wotschitzky (Gymnasium zu Bielitz in Schlesien). Auf Grund ungedruckten Quellenmateriales aus dem Statth. -Archive zu Innsbruck werden in diesem Aufsatze einzelne recht interessante Ergänzungen zur Geschichte des im Frühjahre 14S7 leicht- sinnig unternommenen Krieges Sigmunds von Tirol gegen die Kepublik Venedig gelieiert, welcher bisher vorwiegend nach Berichten iler Chro- nisten dargestellt worden ist. Sigmund führte den Kampf ohne die tiro- lischen Stände, vorzugsweise mit Hilfe seiner Vasallen und der bairischen Herzoge, die aus seiner Verlegenheit Nutzen zu ziehen trachteten. Sie stellten ihm gegen ausgiebige Verschreibungen Truppen und Geld zur Verfügung, wie aus den Urkunden und dem Raitlmche im genannten Archive hervorgeht. Unterhandlungen, die, wie es scheint, mit dem Hofe zu Mailand geführt wurden, hatten kein Ergebniss; einige hieher gehörige Briefe aus der Laduruer'schen Urkundensammlung hat W. in den Noten verwertet. Ausführlicher ergeht sich der Verf. in der Darlegung der KriegsvorV)ereitungen , der Ausrüstung , Verpflegung und Besoldung der Truppen, wozu er 40 bisher unverwertete Lieferzettel benützte. Der Zuzug der Contingente gieng langsam vor sich ; unter den bairischen Kriegsleuten befand sich auch Hans v. Pienzenau. Der Verlauf des Krieges wird als ziemlich bekannt nur kurz geschildert. Sigmund war noch nicht gei'üstet, als die Venetianer durch das Lagerthal vorrückten. Dann aber gritf Gau- denz V. Matsch ßovereto an, nahm es am 30. Mai 1487 ein und siegte bei Ravazzone über den venetianischen Feldherrn Sanseverino. Ueber den höchst auffallenden Rückzug des Matschers kann indes auch W. keine Auf- klärung bringen. Die Venetianer nahmen dann Rovereto wieder. Nach der Niederlage Sanseverino's durch Friedrich v. Kappel bei Calliano am 1 0. Aug. trat aber beiderseits Ermattung ein. Papst und Kaiser vermittelten den Frieden, der, / noch beschleunigt durch die Klagen der tirolischen Stände gegen Sigmunds Regierung auf dem Landtage zu Hall, am 1.3. Nov. 1487

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auf Grund des früheren Besitzstandes zu Venedig geschlossen wurde. Graf Friedrich II. vonCilli vonA. Gubo (Gymnasium in Cilli). Behandelt in einem III. Theile die Wirren nach dem Tode Albrechts II. und den Kampf zwischen den Cilliern und den Corvinen auf Grund des gedruckten Actenmaterials. Friedrich II. befestigte zu seiner Sicherheit Cilli und gab <ler Stadt ein grosses Privileg (l45l), welches S. 12 wörtlich im Text mitgetheilt ist und erst 1889 im Cillier Stadtarchiv mit noch andern Freiheitsbriefen und Bestätigungsurkunden der Kaiser Friedrich III., Max L, Ferdinand I. u. a. aufgefunden und dem dortigen Localmuseum einverleil)t wurde. Friedrich IL starb 1454, zwei Jahre später auch Ulrich 11. von Cilli, mit welchem das gewaltige Dynastengeschlecht erlosch. Kirchliche und religiöse Zustände in Freistadt während des Reformations-Zeitalters (Schluss) von J. Jäkel (Gym- nasium zu Freistadt in Oberösterreich). Schildert auf Grund einzelner Acten und der Rathsprotokolle im dortigen Archive die Zustände in der Stadt nach dem Jahre 1597 (vgl. Mittheil. 11, 353). Die lutherischen Prädicanten waren nun auch auf den Schlössern der Herren nicht mehr sicher; IBOl erHossen mehrfach Hofresolutionen gegen sie, doch der bald ausbre(diende habsliurgische Bruderzwist rettete vorübergehend den Pro- testantismus, der sich nun auch in Freistadt häuslich einrichtete. Am ly. März 1609 war Mathias gezwungen, den lamlesfürstlichen Städten und Märkten Religionsfreiheit zu gewähren. In Freistadt hielten die Evan- oelischen in der Frauenkirche vor dem böhmischen Thore (rottesdienst ab und bestellten zwei Prediger, mit denen sie einen Vertrag al)Schlossen (theilweise S. 24 fg. abgedruckt). Dieselben hatten fortwährend Ueibungen mit dem katholischen Decan, bis infolge der politischen Zeitereignisse die Katholiken wieder obenauf kamen und lfi23 die Prädicanten durch einen Statthaltereibefehl abgeschatft wurden. Am 26. Mai 1625 wurde das Frauenkirchlein dem katholischen Kaplan übergeben, einige protestantische Bürger wanderten aus. Zur Verwaltungsgeschichte der Stadt St. Polten von A. Herr mann (Gymnasium zu St. Polten) behandelt die vorjährige Abhandlung fortsetzend die städt. Finanzgebarung im Ifi. und 17. Jahrb. auf Grund des Actenmateriales im dortigen Stadtarchiv und druckt folgende Stücke aus demselben ab: Eine kaiserl. Verordnung vom 14. April 1545 in Betreff der »Sippzallpuecher« (Bücher über Ver- wandtschaftsausweise), einen Erlass der n. ö. Kammerstelle über Salzzufuhi- aus Aussee vom 11. Febr. 1551, einen Bestandbrief l)etreffs des Ungelds vom Abt zu Melk und Rüdiger v. Starhemberg au die Stadt vom 23. April 1564, einen wegen der Wilheimsburgischen Ungeldpachtung ausgestellten Revers der Stadt mit dem eingeschalteten Bestandbrief von Max II. V. 28. Juli 1574 und endlich einen gleichen Bestandbrief über Karlstetten von Rudolf II. v. 25. Mai 1590 (Fortsetzung folgt). Einige Notizen über den Magistrat der königl. Stadt Mährisch- Neu stadt im 17., besonders im 18. Jahrhundert bis zu seiner gänzlichen Umgestaltung durch das Hofdekret vom 24. Eebr. 1786 von K. Klement (Gymnasium zu Mährisch-Neustadt). Gibt auf Grund von Actenauszügen aus dem dortigen Stadtarchive eine kurze Darstellung über die Stellung des »Rathes«, der alljährlich durch die sog. Raths-Renova- tionen erneuert wurde, wobei es hoch hei'gieng und namentlich der inter-

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venieiende Laiides-Untei-kämmerer festlich truktiii wurde. Dagegen erliess bereits K. Leopold I. am 11». Aug. 1684 ein Rescript, aber der Unfug hörte nicht auf. T3ezeichnend ist diesfalls das S. 10 vollständig abge- druckte Schreiben des Grafen Brenner an den Magistrat v. 31.Dec. 1704. Es wird ferner über die Organisierung des Stadtmagistrates im 17. und 18. Jahrb., dessen Umgestaltung durch das Eingreifen der Regierung, be- sonders Maria Theresias und Josefs IL, berichtet. Für die häufig ein- gerissene Unordnung in der Verwaltung ist die kaiserl. Resolution vom 2.'). Mai 17 27 liemerkenswert. In einem Anhange sind die k. Richter des 17. und 18. Jahrh. bis 1779, wo diese Würde erlosch, und die Magistratsräthe des 18. Jahrh. bis 1784 aufgezählt. Ein Beitrag zrr Geschichte der Hannover' sehen Mis^sion von K. Lech ner (d. Gymnasium zu Kremsier). Druckt vier Briefe des Brixener Fürstbischofs Kaspar Ign. v. Ktinigl an Cardinal Schrattenbach in Sachen der katholischen Mission des genannten Bischofs in Hannover aus dem f. e. Schlossarchive zu Kremsier ab: Brixen, 27. Aug. 1718 sammt Antwort Rom 10. Sept. 1718; Hildesheim, 4. Nov. 1718, Hannover, 25. Nov. 1718, mit Antwort Rom 31. Dez. 1718; Hildesheim, y. März 1718. Im Anhang ist die In- formatio de novissimo statu Hannoveranae missionis (l 1 17) des Bischofs von Brixen abgedruckt, dessen Mission scheiterte, infolge dessen er 1719 wieder nach Tirol zurückkehrte. Storia dellaDalmazia dal 1' 1797 al 1814 von T. Erb er (Gymnasium in Zara), V. Tbl. Beginnt einleitend mit dem Frieden von Tilsit, welcher das Schicksal Ragusa's und der Bocche di Cattaro besiegelte. Dann werden die Beziehungen des Landes zu Mon- tenegro während des französischen Regiments ausführlicher behandelt. Die französischen Generale Gaiithier und Montrichard suchten zwar eine von hier ausgehende Action zu bannen, doch vergel^lich, Cattaro und die Bocche fielen in montenegrinische Hände, konnten aber nicht behauptet werden, da Russland seinen Schutz versagte. Man wandte sich daher an Kaiser Franz L Indessen erholt sich Ragusa, das von den Engländern blokirt wurde, und am 3. Jänner 1814 marschierten die Österreicher unter dem General Milutinovic in Ragusa ein. Am 1 .5. Febr. desselben Jahres wurde provisorisch der Eid der Treue geleistet und durch Milutinovic eme prov. Regierung eingesetzt. Der Verf. benützte ausser einigen handschriftlichen Privatberichten das Statthalterei-Archiv zu Zara, das Staatsarchiv und die Feldakten des Kriegsarchivs in Wien. Lo statuto delFisola di Cherso edOssero von St. Petris (IL Tbl., Gymnasium zu Capodistria). Im Anhange sind nebst einer Reihe bereits anderwärts gedruckter Ur- kunden, namentlich des 14. Jahrh, auch Bruchstücke des handschriftlichen Statuts von Ossero und ein Schreiben des Dogen Christoforo Mauro vom 23. März 1467 raitgetheilt.

Abhandlungen und krit. Beiträge zui- Geschichte und Cultur des Al- terthums: Der Todtencultus beiden alten Völ kern von M. Stad- ler V. Wolffersgrün (Gymnasium zu Feldkirch) behandelt die religiösen Anschauungen über das Fortleben nach dem Tode und die Einbalsamierung der Leichen bei den alten Ägyptern. DieBoöXeoai? im attischen Processe von J. Kohm (Gymnasium zu Olmütz), Über histo- rische Treue und Bedeutung der Reden im Geschichtswerke des Thukydides von R. Würz er (Schluss; Gymnasium zu Radautz).

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Philipp II. und die Athener in ihren wechselseitigen Be- ziehungen zu einander von F. Müller (Fortsetzung; d. Realschule zu Olmütz). Die attischen Graliinschri t'ten von H.Gut scher (II. Thl., Gymnasium zu Leohen). Zu den griechischen Papyri des Louvre und der Bibliotheque nationale von K. W e s s e 1 y (II. Thl., Gymnasium zu Hernals-Wien). Zur Geschichte des Aga- thokles von Syrakus von K. P r e i s s 1 e r (d. Landesrealschule in Brunn). Sichtet zunächst die Quellen und prüft die Überlieferung, daran schliesst sich die Geschichte des Agathokles bis .317 v. Chr. ; Fortsetzung soll folgen. Die Götter in der Aeneide desVirgil von H. Bouvier (Gymnasium zu Krems). De fontibus a Plutarcho in vitis Gracchorum adhibitis et de Tiberii Gracchi vita von E. Ce- g 1 i ri s k i (ruthenisches akad. Gymnasium zu Lemberg). Die Frage nach Entstehung und Tendenz der Taciteischen «Germania» von J. Weinberger (d. Gymnasium zu Olmütz), eine sehr verdienstliche Zusammenstellung der bekannten Gesichtspunkte, Der arianische Streit bis zur Kischenversamlung zu Nicäa (325) von C, Maly (Gymnasium zu Weisskirchen) nach den Quellen. Daran mögen sich reihen: De carmine panegyrico Messalae Pseudo-Tibulliano scripsit St. Eh rengrub er (Gymnasium zu Kremsmünster) 2. Thl., Fortsetzung folgt. Des Gratius Faliscus »Cynegetica» , seine Vorgänger und seine Nachfolger von M. Fiegl (Gymnasium zu Görz).

Mittelalter und neuere Zeit: Beiträge zur Geschichte des byzantinischen Kaisers Mauricius (582 602) von 0. Adamek (I. Gymnasium zu Graz). Das Ziel dieser gründlichen Abhandlung ist die Darstellung der Kämpfe des Eomäer-Kaisers gegen die Avaren und eine richtigere Deutung der in den Berichten genannten Örtlichkeiten und in- folge dessen eine Aufliellung des Zusammenhangs der Ereignisse. Zu diesem Zwecke werden in dem vorliegenden I. Abschnitte die Quellen (Theophylactus Simocatta, Theophanes, Georg., Leo, Chron. paschale, Cedren und Zonaras) kritisch geprüft. Hercynia, Fergunna, Krknose. Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerwanderung von A. Krälicek (d. Landesrealschule m Kremsier). Die bisherigen Ansichten durchgehend sucht der Verf zu beweisen, dass der Name Hercynia celtisch und so zu den Griechen gekommen sei, wie ihn schon Aristoteles anführt. Im Chron. Moissiao. heisst das Erzgebirge Fergunna (got. fairguni, Berg); die Namen sind einander ähnlich, aber nicht auseinander abgeleitet, sondei'n beide stammen aus einer Grundform Perkunü, dem Namen des slav, Donner- gottes. Krknose ist die slav. Benennung für das Riesengebirge. Das Wort soll nach älteren Forschern aus krak oder krok (Riese) entstanden und daher identisch sein mit dem Hausherrn des Riesengebirges, dem Rübezahl. Der Name hängt aber mit Perkunü zusammen, und so haben nach des Verfassers Ansicht Gelten, Germanen und Slaven das Erzgebirge mit dem Namen des Donnergottes bezeichnet, jedoch so, dass die Deutschen nur das Erzgebirge, die Slaven das Riesengebirge so hiessen als die beiden Völkern räumlich nächstgelegenen Theile des hercynischen Systems. Ge- legentlich dieser Erklärungsversuche wird die Besiedlung der umliegenden Gebiete besprochen, woraus wir wesentlich Neues nicht erfahren, Mat- thäus von Trencsin während der ungarischen Thronkämpfe

Literatur. 35.9

von 1300 1312 von H. Wertheim (Staatsrealschu)e in Graz). Unter fleissiger Benützung der gedruckten Quellen und der vorhandenen Lit- teratur w^ird der Abstammung des Matthäus Czak, seit 1296 von Trencsin genannt, und seiner Thaten in sehr gefälliger Form gedacht. Mach dem Tode des K. Andreas III. stellte sich auch dieser Magnat auf die Seite der nationalen Partei , welche Wenzel III. (Ladislaus V.) erhob , den der Papst jedoch bannte und durch die Einsetzung Karl Koberts zu verdrängen strebte (1303). Als Wenzel durch seinen Vater im vollen Ornate weg- geführt worden, trat er auf die Seite des Anjou, lebte und handelte jedoch nur in seinem eigensten Interesse. Die Schlacht bei Kaschau (l312) än- derte daran nichts, auch nicht der grosse Kirchenbann ( 1 3 1 8), erst sein Tod 1321. Historia urbis Pilsnae Joannis Tanner manu scriptae von M. Seh äff er (d. Gymnasium zu Pilsen), Fortsetzung cap. 27, sq., die Jahre 1435 1526 umfassend. Die Piotrkower Con- stitution vom Jahre 152 5. Ein Beitrag zur Geschichte des pol- nischen Handels von F. Bostel (IL Gymnasium zu Lemberg). Zur Geschichte der österreichischen Seiden Industrie von G. K a r- schulin (Handels-Academie in Wien): I. die österr. Seidencompagnie. Benützt wurden u. a. handschriftliche Relationen von J. J. Becher (der seit 1666 in Wien war und das Collegium commerciorum, die erste Be- liörde für Handel und Gewerbe in Oesterreich, zustande brachte) in der k. k. Hoftibliothek.

Kunstgeschichte: Brünner Bauwerke im XVII. u. XVIII. Jahr- hundert von A.Rille (d. Oberrealschule in Brunn). Architektur und Sculptur in Teplitz-Schönau von A. Lewy (Gymnasium zu Teplitz). Die illustrierenden Künste und ihre Bedeutung für die Culturge schieb te. Ein Beitrag zur Kenntnis und Würdi- gung des Kunstdruckes von J. B. Rosner (Gymnasium zu den Schotten in Wien).

Biographisches : Johann Pauspertl von Drachenthal von J. Gärtner (Lehrerbildungsanstalt in Linz). Pauspertl, ein berühmter Pä- dagoge, wirkte als Geistlicher der Linzer Diöcese in Wels, Linz, Freistadt, seit 1835 als Director der Normalhauptschule in Linz, machte 1842 einen Entwurf zur Hebung der Lehrerbildung, der im Aufsatze abgedruckt ist, und starb 1864 als Pfarrer zu Waldneukirchen. Ein Blatt der Erinnerung an die Missionäre aus Tirol in Central-Afrika (18 Priester und 18 Laien. 1853 1882), zugleich ein Beitrag zur Gym- nasial-Chronik, da 9 dieser Glaubensboten an unserer Anstalt studierten, von J. Chr. Mitterrutzner (Gymnasium zu Brixen). Giacomo Zanella von G. Szombathely (it. Gymnasium zu Triest). Andrea Chenier (geb. 1762) von F. Pastrello (Communal-Realschule zu Triest). Laura Bridgman, Erziehung einer Taubstumm - Blinden. Mit Biographie derselben von W. Jerusalem (Gymnasium im 8. Bez. in Wien). Anton Schienkirch. Nekrolog von L. Konvalina (Gym- nasium im 3. Bez. in Wien).

Schulgeschichte und Methodik : Geschichte der k. k. theresia- nischen Academie von ihrer Gründung bis zum Curatorium Sr. Ex- cellenz Anton Ritter von Schmerling 1746 1865 von J. Schwarz (Gymnasium Theresianum in Wien) mit Abbildungen. Chronologisch-

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statistischer Kückljiick auf die ersten 25 Juhie des Gym- nasiums von A. Burger stein (Communal-Gymnasium im 2. Bez. in Wien). Z u r (t e s c h i c h t e des h ö h e r e n S c h u 1 w e s e n s i n 13 a d e n aus Anlass der Erinnerung an den 25jälirigen Bestand der Lehranstalt von E. Hau eis (Landesgymnasium /u Baden hei Wien) behandelt die Erweiterung der Schule zu einem Real- und Ohergyranasium 1880 87: Schluss folgt. Rückblick auf die ersten 25 Jahre der Lehr- anstalt von F. Kesselsdorfer (Gymnasium zu Oberhollabrunn). Übersichtliche Geschichte der k. k. Lehrerbildungsanstalt in Salzburg von Fr. A n t h a 1 1 e r , und : Beiträge zur Statistik der k. k. Lehrerbildungsanstalt und Prüfungsergebnis seit 1870 von K.Wagner (Lehrerbildungsanstalt zu Salzburg), zugleich Fest- schrift zur Centennaifeier. Bemerkungen über den Lehrstoff und den Unterricht in derVaterlandskunde in der 8. Glas sc von E. Breyer (Gymnasium zu Mährisch-Trübau), bringt eine Entwick- lungsgeschichte der Statistik, bespricht die methodische Behandlung der Vaterlandskunde und die Beziehungen zwischen Geschichte und Statistik \m Unterricht in recht anschaulicher Weise. Beiträge zu einer Reform des geschichtlichen Unterrichtes an der Oberreal- schule von K. A. Schmidt (Staatsrealschule im 8. Bez. in Wien). Sehr beachtenswerte Darlegungen über den historischen Stoff im. der Oberreal- schule, über ein Lehrbuch, das die deutsche und österreichische Geschichte mit Hereinziehung der wichtigsten Culturelemente der allgemeinen Ge- schichte behandeln soll. Die Geographie sollte als Gegenstand der Reife- prüfung ganz entfallen. - Lehr plan der russischen Gymnasien von G. V. Hayek (Gymnasium im 3. Bez. in Wien).

Bibliographie: Systematisch geordnetes Verzeichnis der Programmarbeiten österreichischer Mittelschulen aus den Jahren 187 4 8 9 von J. Bittner (Gymnasium zu Teschen). I. Thl.: Pädagogik und Schulhygiene, altclassische Philologie (auch als Sonderali- druck erschienen).

Geographie und mit ihr zusammenhängende Gebiete: Der Karst, in naturwissenschaftlicher Hinsicht geschildert von L. C. Moser (d. Staats- gymnasium in Triest). Gibt die geographische Begrenzung des Karstplateaus, erörtert dessen physische Verhältnisse, Anthropologie und Prähistorie der Karsthöhlen, ferner Prähistorisch-Archäologisches und Geschichtliches, Klima und Vegetation, Eine sehr unterrichtende Arbeit mit reichen Literatur- angaVjen. Das seen reiche Keutschachthal in Kärnten. Ein Beitrag zur nälieren Kenntnis der Seethäler des Landes von V. Hart- mann (Realschule zu Klagenfurt). Das Keutschachthal der Vorzeit, süd- lich vom Becken des Wörthersees, ist «lurch eine Barre aus diluvialem Trümmergestein in 2 Theile getrennt, in das obere oder Plaschischenthal, und in das untere, welches der Verfasser Morothal nennt. Die Seen wer- den ausführlich behandelt. Im Anhang wird über das »Steinbier« ge- sprochen. Zur Orientierung ist ein Kärtchen nebst 3 Profilen beigegeben. Die A r n s t e i n h ö h l e bei M a >' e r 1 i n g mit Bezug auf ihre Lage in der Kalkzone des Wiener Waldes , ihre Bildung und die diluvialen Funde von Wirbelthier Resten von G. A. Koch (Gymnasium im 4. Bez. in Wien). Zur Frage nach den Ursachen der Eiszeiten von

Literatur. 361

0. Bi ermann (Gymnasmm in Klagenfurt). Über C anale. (Eine Aufzählung) von J. M e i x n e r (Gymnasium zu Kaaden). Ü b e r K 1 i ni a, Pflanzen- und Thiergeogr aphie. Ein Beitrag zur Belebung des geographischen Unterrichts von A. Löfflor (Schluss: Gymnasium zu Brüx). Die geographischen und mythologischen Namen der altgriechischen Welt in ihrer Verw^ertung für antike Fflanzengeogr aphie. II. von J. Murr (Gymnasium zu Hall in Tirol).

Zu Brandl's Erklärung topographischer Namen von J. Wisnar (Gymnasium zu Znaim). Gibt die im «Obzor» erschienenen Auf- sätze Brandl's in 12 Capiteln und in deutscher Sprache, mit reichlichen Anmerkungen versehen. Nachträge und Berichtigungen zur «slavischen Namenforschung« (vgl. Mitth. 11, 357), und: Rätoroma- nisches aus Tirol von A. Unterforcher (Gymnasium zu Eger). Sulla formazione delle Bocche di Cattaro von P. Radimiri (naut. Schule in Cattaro. Sulla vegetazione dell'isola di Lus- sin von A. Haracic (naut. Schule zu Lussinpiccolo). Über Schü- lerausflüge und Schulreisen. Mit besonderer Berücksich- tigung der ümgbung von Leipa von R. Wal da (Realschule zu Böhmisch-Leipa), setzt auch die geographisch-historischen Verhältnisse von Leipa und Umgebung auseinander. Einfache Lehrmittel zur mathematischen Geographie. Mit einer Figurentafel von Fr. Leitzinger (Realschule zu Bozen). Das Meteoreisen von Braunau von J. Dimter (Gymnasium zu Braunau in Böhmen), be- spi-icht das bekannte am 14. Juli 1847 gefallene Meteoreisen, mit Tafeln.

Übersichtliche Zusammenstellung der meteorologischen Verhältnisse von Oberhollabrunn 1889 von A. Pichler (Gym- nasium zu Oberhollabrunn). Die meteorologischen Verhält- nisse von Weidenau i. J. 1889 von Fr. Wrzal (Gymnasium zu Wei- denau in Schlesien). Meteorologische Beobachtungen (in Leit- meritz 1889 9o) von J. Maschek (Realschule zu Leitmeritz). Die meteorologischen Verhältnisse von Eger von 0. v. Stein - hau SS 6 n (Gymnasium zu Eger).

Endlich aus slavisch geschriebenen Schulprogrammen: Das Ver- hältnis Athens zu Sparta in der Zeit von der Schlacht bei Platää bis zum Beginne des pel op onnesischen Krieges von B. Kopecky (Pomer Athen ku Sparte, v dobe od bitvy platajske do vzniku peloponneske välky; b. Gymnasium zu Ungarisch-Hradisch). S p a r t i a c a ; Bemerkungen üVier die spartanischen Staatseinrichtungen von T. Koufil (S., üvaha o spartske üstave; Gymnasium zu Reichenau in Böhmen), Schluss.^^ Über die Ankläger in Rom von G. Safafo vic (0. ^alobnicich v Rime; Gymnasium zu Hohenmauth). Welchen Ein- fluss hatte die römische Monarchie auf die einheimische Beredsamkeit? von J. Kliment (Jaky vliv mela monarchie rimskci na domäci fectnictvi? Gymnasium zu Trebitsch). Übersetzung mit Erklärung der Theilungsver träge des Troppauer Landes aus dem Jahre 137 7 von V. Prasek (P]:-eklad svlykladem ma dilci listy zeme Opavske z. r. 1377; b. Gymnasium zu Troppau). Enthält den Abdruck der beiden Theilungsverträge im deutschen Original und in pa- ralleler cechischer Übersetzung mit zahlreichen Anmerkungen. Teich-

262 Literatur.

wirts oh iit'i und Fi s über ei der Herrschaft Pardubitz von J. Weger (Rjbnikiifstvi a rybafstvi na panstvi Pardubickem ; Realschule zu Pardubitz). Verwertet handschriftliche Verzeichnisse über die Teich- schäden der Herrschaft Pardubitz und Kunetickä horä von 1494, Ui'bare des 16. und 17. Jahrb., ein Verzeichnis der k. Privilegien (l670), Cervenka's Denkwürdigkeiten der k. Cameralstadt Pardubitz 1400 1820 und andere handschriftliche Materialien und druckt ausser einer Ur- kunde des Abtes und Conventes zu Opatovice v. 1343 aus dem Stadt- archiv drei Briefe des böhm. Kammerpräsidenten L. A. Zwickher an Paul C. Slavik, Hauptmann der Herrschaften Pardubitz und Smrkow, über Teichangelegenheiten von 1698 lfi99, ferner einzelne Teichvorschriften von 1(>67 und die sehr interessanten (cechischen) Artikel der Fischer- innung zu Pardubitz und auszüglich den Protest der Stadt gegen dieselben (170 h) ab. DasSequentiar des Meisters Kon r ad ausBensch bei Troppau von V. Hauer (Sekvencionäx- mistra Konrada z Benesova u Opavy; b, Gymnasium in Troppau). Das Verhältnis des sie- ben bürgischen Fürsten Georg Rakoczy II. zur polnischen Republik vom Beginne des schwedischen Krieges bis zu seinem Feldzuge nach Polen im Jahre 1657 von S. Z a r z y c k i (Stosunek ksi^cia siedmiogrodzkiego Jerzego Rakockego 11. do Rzeczypos- politej polskiej od pocz^tku wojny szwedzkiej do w3T)rawy tegoz na Polsk^ w r. 1657; Gymnasium zu Koloma in Galizien), Fortsetzung. Quellen z'ur polnischen Literatur- und Kulturgeschichte im 16. u. 17. Jahrhundert von J. Heck (Pomniejsze zrödla do dziejöw literatury i cywilizacyi polskiej w XVJ. i XVII. stuleciu; Gymnasium zu Stryi in Galizien) enthält als Fortsetzung: Lustracya starostwa Iwowskiego z. r. 1570 (Lustrationen der Lemberger Starostei 1570) und druckt den »Sum- marius omnium differentiarum inter capitaneum Leopol. generosum Nie. Herbort et proconsulem civitatis Leopoliensis« etc. im Anhange ab. Matthäus Hosius von Hohenmauth (Chronist des 16. Jahrhunderts). Eine litt. Erinnerung von J. Safränek (Matous Hosius Vysokomytsky. Literarni zpominka; Gymnasium zu Kolin). Über die Einleitung zur böhmischen Chronik des Wenzel Häjek von Libocan (Schluss) von H. Metelka (0 üvodni stati »Kroniky Öeske« Vaclava Häjka z Libocan; b. Realschule in Prag). Geschichte der Realschule in Jaroslau von Ig. Rychlik (Historya szkoty realnej w Jaroslawiu; Realgymnasium zu Jaroslau). Kurzgefasste Geschichte der darstellenden Geometrie. I. ThL von M. Rembacz (Krötko zebrana historya geometryi wykreslnej ; Realschule zu Stanislau). Systema- tisch geordnetes Verzeichnis des wissenschaftlichen In- halts der von den galizischen Mittelschulen bis zum Jahre 1889 veröffentlichten Programme von M. Fr^ckiewicz (Spis przedmiotöw pomieszczonych w sprawozdaniach galicyjskich szkol ^rednich koniec roku 1SS9; Gymnasium zu Wadowice). Norwegen in physischer Beziehung von C. Krotoski (Norwegia pod wzgledem fizycznym; IIL Gymnasium zu Krakau). Die Geographie in den höheren Classen der Mittelschulen von F. Werner (Zemepis ve vyssich tridäch skol stfednich; b. Gymnasium zu Prerau).

Bielitz. S. M. Prem.

Notizen. 363

Notizen. Spiel legi o Vati cano di doeumenti inedili e rari estratti dagli Archivi e dalla Biblioteca della Sede Apo- stolica. Volume I. Fascicolo L Roma IHUO. Diese von D. Isidoro Carini, Prefetto der Biblioteca Vaticana, und D. Gregorio Palmieri, Custode des Vaticanischen Archivs, begründete neue Zeitschrift verfolgt den an sich höchst verdienstlichen Zweck, Urkunden und historische Aufzeichnungen aller Art, wie sie dem Archiv- und Bibliotheksbeamten in einzelnen Blät- tern oder Lagen häufig aufstossen, der Forschung zu übermitteln. Das vorliegende erste Heft gibt davon eine Art Musterkarte, der es auch an Buntheit völlig gleicht; denn zwischen einer Urkunde des Bischofs Ra- therius von Verona von 964 als ältestem und einem Briefe des russischen Kaisers Paul I. an Papst Pius VII. als jüngstem Stück enthält das Heft auf 168 Seiten nicht weniger als 25 verschiedene Materien. Dass mög- lichste Mannigfaltigkeit von den Herausgebern geradezu beabsichtigt war-, erhellt daraus, dass sie irgend umfangreichere Publicationen lieber ab- brachen (vgl. S. 32, 46, 59), um nur für neuen Stoff Raum zu gewinnen. Ueber den Nutzen dieses Vorgehens kann man ja verschiedener Meinung sein; sicher aber wäre sorgfältigere Durcharbeitung des Stoffes sowohl in formeller als sachlicher Hinsicht dem Unternehmen dringend zu wünschen. Das Vaticanische Archiv ist nicht so arm an wirklich Neuem, dass sich (S. 13) die Aufnahme eines bereits neunmal gedruckten Briefes Alexan- ders IV. an den König von Prankreich (Potthast Nr. 16978) rechtfertigte. Warum man überdies den Brief nicht wenigstens aus dem Register, son- dern aus einer Copie des 16. Jahrh. abdruckte, ist ebenso unergründlich. Die Verweise auf die dem Druck zugrunde gelegten Quellen fehlen mehr- fach ganz und sind wiederholt unzureichend. Palmieri befleissigt sich hierin grösserer Gleichmässigkeit, doch citirt er die dem Engelsburg-Ar- chiv entnommenen Stücke bald nach der alten, bald nach der neuen Signatur. Die kurzen den Drucken vorangehenden Einleitungen sind zu knapp und zu allgemein gehalten. So würden wir S. 33 in der Avver- tenza zu den Processen Gregors XI. gegen die Florentiner auf die Er- wähnung Clemens' V., des Aufenthaltes der Päpste in Avignon und der Verdienste der h. Katharina von Siena gerne verzichten, wenn uns dafür etwas über die Stellung der abgedruckten Stücke zu dem reichen über die Frage bereits bekannten Material gesagt würde. Palmieri aber fertigt uns mit dem orakelhaften Satz ab: «II processo che ora si pubblica ci da la chiave di alcuni avvenimenti d' allora, e ci da anche notizia di fatti in parte finora sconosciuti (welche?). Wie solche Einlei- tungen in wenigen Worten oft sachlich erschöpfend sein können, dafür hätte das diesem Unternehmen ja vielfach verwandte Denifle-Ehrle'sche Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters ein Muster geboten. T.

Derselbe kritische Schartblick, dieselbe Präcision und Klarheit der Darstellung zeichnen auch die Fortsetzungen der Questions Merovin- giennes V, VI von Julien Havet (vgl. Mittheil. 9, 485) aus. Die eine, Les origines de Saint-Denis (Paris 1890, Extr. de la Bib- liotheque de F ficole des chartes 61, 5 62) stellt aus der von Sage und Erfindung umrankten ältesten Geschichte von St. Denis, was wirklich ge-

364 Notizen.

schicbtlich i.si, und die Ört.lichkeiten lest; der Anhang bietet Untersu- chungen üljer die Zeit des Kpiscopats des h. Dionysius, dessen angebliche Genossen Eusticus vxnd Eleutherius, die Passio s. martyrum Dionisii, Kustici et Eleutherii, deren Abfassung dem Beginn des 9. Jahrb. -zuge- wiesen wird, und ihr Verhältnis zu den Gesta Dagoberti, sowie einen mustergiltigen Abdruck von 6 Urkunden der Merowingerzeit , darunter 4 Königsurkunden (von 625, 626, 654, 724, M. G. DD. Merov. LS, n" 10, 11: 19 n^' 19; 82 n" 9'S) mit Ergänzung der Lücken und chrono- logischen Berichtigungen. Ei^wähnt wird, dass von den Diplomen von 626 und 654 noch nicht veröffentlichte Facsimiles in Heliogravüre vorliegen, welche die Verwaltung der Archives nationales anfertigen Hess, und die, wol auch auf die anderen Originale ausgedehnt, berufen zu sein scheinen die Eeproduktionen von Letronne zu ersetzen. Auf das Gebiet diploma- tischer Kritik führt Nr. VI, La donation d'Etrepagny (8"; 29 p.) mit dem Nachweis, dass die nur in Copie des 13. Jahrb. erhaltene und auch von K. Pertz (M. G. DD. Merov. 1.39 22) unter die Fäl- schungen eingereihte Urkunde Dagoberts L von 629 Okt. 1, welche den genannten Ort an St. Denis vergabt, echt ist. Dieser Nachweis gewinnt dadurch an Interesse, dass an der Hand der Schreibung in Originalen die Entstehung von Lesefehlern und Verderbnissen in Copien an einzelnen Beispielen gezeigt und damit auch der Weg zur Emendation auf graphi- scher Grundlage gewiesen wird. Zu diesen Beispielen zählen zwei Ur- kunden für Malmedy und Stablo; jene Clilodwigs III. von (;93 mit Na- mucho recognovi, das aus dem Ortsnamen und der Apprecation (Namucho feliciter; Namur) verderbt ist und Anlass gab einen Namucho auch unter das Kanzleipersonal dieses Königs einzureihen (der Irrtum auch nach Stumpf bei Bresslau Urkundenlehre ], 270), und jene Karl Martells (Reg. der Karol. n'' 32), deren ursprüngliche Datiiung ann. VI regnante Chilperico r. bestimmt wird. Der emendirte Abdruck jener Urkunde Dagoberts, die in einem andern Diplom desselben Königs (M. G. DD. Merov. 1 (i n^' 1 4, besser mit den Ergänzungen bei Havet p. 25) ein Seitenstück findet, zeigt das Ungenttgen der bisherigen Ausgaben ; der unmögliche Ausstellort Sauriciagore ist in Stirpiniaci> fei. zu bessern ; zu kühn scheint aber die Emendation von vir illuster in Ursinus optulit.

H. lsenl»art Ueber den Verfasser und die Glaubwürdig- keit der Continuatio Reginonis (Kieler Diss. Kiel 1889) enthält nur einen beachtenswerten Gedanken, oV) nicht eine Reihe von Nach- richten im altern Theil des Continuator Reginonis, welche mit verschie- denen andern Annalen mehr oder weniger übereinstimmen, auf eine ge- meinsame Quelle zurückzuführen sei (vgl. auch NA. 1 5. 330), aber gerade dieser Punkt ist unvollständig und unzulänglich durchgeführt.

Eine Biographie der Kaiserin Adelheid, Gemahlin Ottos I. des Grossen, vom Studienlehrer F. P. W i m m e r enthält das Programm zum Jahresber. über das k. neue Gymnasium zu Regensburg (Regensburg 1889). Der Arbeit gebricht es fast ganz an Kritik, auf die gleichzeitigen Quellen ist nur zum Theil, und noch weniger als die Citate glauben

Notizen. 365

machen, zurückgegangen, wichtige Werke namentlich Jüngern Datums blieben dem Verfasser theils unbekannt, theils unerreichbar: dem entspricht auch Werth und Ergebnis des Buches. E. v. 0.

Das Werk von D'Arbois de JubainviUe, Recherches sur l'origine de la propriete fonciere et des nomsdeslieux lia- bites en France (periode celtique et periode romaine), Paris 1890. bietet in seinem grösseren zweiten Theil unter Beiziehung des urkundlichen Materials des früheren Mittelalters eine Erklärung der Ab- stammung der zahlreichen aus keltischer und römischer Zeit erhaltenen Ortsnamen und auch in deren örtlichen Bestimmung ein vielfach will- kommenes topographisches Hilfsmittel.

Auf eine kleine Schrift von Georg Jacob, Ein arabischer Be- richterstatter aus dem 10. oder 1 1. Jahrhundert üb er Fulda, Schleswig, Soest, Paderborn und andere deutsche Städte (Berlin, Meyer & Müller 1S90) mache ich alle Freunde der Culturgeschichte um so mehr aufmerksam, als der reiche Inhalt der kurzen Schrift nicht völlig im Titel angedeutet ist. Denn ausser jenen Städten sind noch Utrecht (Schilderung der Torfljereitung), Mainz (nur ein Theil bewohnt, der Rest, wol die römischen Reste besät, arabische Münzen und indische Uewürze dort) und Rouen geschildert. Ausserdem bringt die Schrift Schilderungen über riottesurtheile, Zweikampf, Feuerprobe, Wasserprobe und über Irlända, das Land der Normannen (Walfisch- und Delphinjagd). Die Bruchstücke sind alle dem in das 12. Jahrhundert gehörenden Qazwini entnommen, welcher ältere Schriftsteller auszog, und zwar ist einer (Tartüsi) wol Mit- glied einer maurischen (iesandschaft, welche Otto d. Gr. 973 in Merse- burg empfing. Bei Fulda heisst es: «Die Stadt wird nur von Mönchen bewohnt, und kein Weib betritt sie, weil ihr Märtyrer es so angeordnet hat. Der Name ihres Märtyrers ist BAG'LB; er soll Bischof in Franken gewesen sein.» Unzweifelhaft ist damit der zweite Abt von Fulda Baugulf (779_j^02) gemeint. Bei Paderborn ist von einer Quelle die Rede, die anfänglich wie Honig schmeckt, dann aber einen galligen Nachgeschmack hat. Wer Lippspringer Wasser gekostet, weiss, dass dieses gemeint ist. Den Berg Sarä, an dem die Quelle liegt, auf den Haarstrang zu deuten ist unmöglich, weil dieses Gebirge gerade in der Nähe von Paderborn völlig quellen- und brunnenlos ist. A. Schulte.

In einem Aufsatz über die Anfänge des Klosters Heeslingen (Zeitschr. des bist. Ver. f. Niedersachsen, Hannover 1H90) bespricht Th, V. Sickel eine im Staatsarchiv zu Hannover verwahrte Urkunde ohne Protokoll, welche bishei- von niemandem richtig erklärt, geschweige denn ver- werthet worden war. Die Untersuchung von Schrift und Dictat im Verein mit den Nachrichten Thietmars führt zu dem Ergebnis, dass das interessante Schriftstück gegen das Ende der Regierung Otto I. in den Kreisen des Erzbischofs Adaldag angefertigt worden ist, um der kaiserlichen Kanzlei als Entwurf für ein Diplom unterbreitet zu werden; aber Adaldags AV)- sicht, Heeslingen der erzbischöflichen Kirche unterzuordnen, stiess auf Widerstan.l und erst i. J. 98« erlangte der Erzbischof eine Heeslingen

366 Notizen.

betreffende Urkunde Otto IlL, in welcher seine Wünsche genehmigt wur- den; für dieses Diplom hat der einst zurückgewiesene Entwurf, wenn auch nicht direkt, sondern durch Vermittlung eines eigenen Concepts, als Vorlage gedient. Indem Sickel alle einschlägigen Fragen der Diplomatik ausführlich darlegt, gibt sein Aufsatz gerade dem Feruerstehenden ein deut- liches Bild von dem Nutzen und der Notwendigkeit diplomatischer Unter- suchungen. — Ebenso wie der genannte Originalentwurf hat auch ein anderes durch seinen Inhalt beachtenswertes Diplom, DO. III. 234 für HalberstH<lt , in die 1 1 . Lief, der Kaiserurkunden in Abbildungen Auf- nahme gefunden. Die unvoll stämlige und fehlerhaite Grenzbeschreibung dieses Diploms bespricht Sickel in der Zeitschr. des Harzvereius 2:i, 351.

W. E.

In dem Verzeichnisse der K a i s e r u r k u n d e n des germanischen Museums zu Nürnberg (Mitth. aus dem Museum 1890 S, 36) wird ein undatirtes und angeblich unedirtes Mandat zu Gunsten des Priorats in Offenbach nach dem Original abgedi-uckt, indem es dem Kaiser Friedrich II. zugeschrieben und vermuthungsweise auf 1227 verlegt wird. Beides ist aV»zuweisen. Der Aussteller »F. dei gracia Koni, rex semper augustus« (ohne sicilischen Titel) kann nur Friedrich I. sein und als von ihm aus der Zeit vor seiner Kaiserkrönung herrührend ist dies schon bei Calmet gedruckte Stück auch richtig von St 4. "130 verzeichnet worden. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass Nr. 1 desselben Verzeichnisses Mühlb. 1974 (nicht lyss) ist und dass Nr. 26 und 29 nicht Inedita, sondern in meinen Acta inip. 2, ir>s, 2 Mi gedruckt sind.

Heidelberg. E. W i n k e 1 m a n n.

Die von M. Tan gl im Archiv f. österr. Geschichte. 70, 261 dem Stiftungsljuch des Klosters Zwettl gewidmeten Studien lösen in glücklicher Weise jene Fragen, welche Fräst, der Herausgeber des liber fundationum, unbeantwortet gelassen hatte. Von der sorgfältigen Beschrei- l>ung der Handschrift ist insbesondere die Erklärung des bisher unver- ständlichen Sachregisters sehr verdienstlich ; für die Feststellung der Ent- stehungszeit des Codex hat T. ausser den aus der Hs. selbst gewonnenen Momenten noch zwei Einkünfteverzeichnisse des Klosters herangezogen und ist so zu ganz bestimmten Ansätzen gelangt; die ^l•t wie die Vorrede des von Abt Ebro angelegten liber redituuni von dem Verfasser tles liber lund. ausgeschrieben worden ist, wird von T. mit Recht als ein höchst bezeichnendes Beispiel mittelalterlicher Schriftstellerei hervorgehoben. Unter den folgenden Capiteln, in denen Tendenz und Anlage der Arbeit, sowie «lie Benützung annalistischer und urkundlicher Quellen in ansprechender Weise dargelegt werden, greift das letzte über den liahmen des Stiftungs- buches hinaus und zieht auch den reichen Vorrath des Stiftsarchivs an Originalen, deren Veröffentlichung ein dringendes Bedürfnis der Local- geschichte genannt werden muss, in den Bereich der Untersuchung. Die Kritik der beiden Diplome Konrads III. (Stumpf Reg. 3403 und 3 5 3. 5), von welchen das erstgenannte im Anhang aus dem Original abgedruckt ist, und die Besprechung der Papsturkunden für Zwettl gib! dem Veif.

Notizen. 367

den Anlass, wertvolle Beiträge zur Diplomatik Konrads III. und Innocenz II. einzuschalten. W. E.

Eine unerwartet reiche Ausbeute bietet noch das wenig bekannte Communalarchiv von Savona. Mehr als 600 Originalurkunden sind in 2 Bänden der »Raccolta« vereinigt, die wichtigeren derselben sind auch in den »Registri« copirt. Nur einzelne Stücke sind von Winkelmann, Ficker und Promis publicirt. Als Vorläufer einer grösseren Arbeit über die Königsurkunden im Archiv von Savona veröffentlichen Carlo C i p o 1 1 a und Giovanni Filippi in dem Aufsatz Diplomi inediti di Enrico VII e di Lodovico il Bavaro (Sep.-abdr, aus dem 2. Bd. der Atti e Memorie della Societä storica Savonese; Savona 1890; 8", 46 p.) 8 Diplome Heinrichs VII von 1311 und 1312, in deren erstes noch 2 bisher unbekannte Urkunden von Heinrich VI (Tordona 1196 Sept. 2) und Friedrich II (Speier 1217 Febr. 26) inserirt sind, und 10 Diplome Ludwigs des Baiern (l327 133l), welche für die Geschichte der italie- nischen Züge der beiden Herrscher manches Interesse bieten.

W. Michael gibt unter dem Titel Die Formen des unmittel- baren Verkehres zwischen den deutschen Kaisern und den souveränen Fürsten vornehmlich im X., XI. und XII. Jahrh. (Haml)urg und Leipzig I88s) eine sehr fleissige, recht verwendbare Zu- sammenstellung der von 911 1250 (ausnahmsweise einen Fall von 1299) stattgehabten Zusammenkünfte der genannten Fürsten (wozu auch der Papst gehört) und erörtert das dabei gebrauchte Ceremoniell, namentlich vom staatsrechtlichen Gesichtspunkt aus. Ein zweiter Theil bespricht das Briefceremoniell zwischen den gekrönten Häuptern bis 1196 mit besonderer Rücksicht auf den Etiquettenstreit zwischen Friedrich 1. und Hadrian IV. 1 l.'i9. Der Versuch eines Abrisses von der Brief lehre leitet diesen Abschnitt ein. Derartige monographische Behandlung einer Reihe gleichartiger Thatsachen ist immer dankenswert und anregend, wenn auch manchmal ein Einzelfall zu sicher gedeutet werden oder unter Berücksichtigung des ganzen Quelienmateriales und der gesammten politischen Verhältnisse ein anderes Ansehen bekonuuen mag. Die Erstlingsarbeit iiilirt sich auch durch einen bescheidenen ruhigen Ton angenehm ein. E. v. 0.

I

Der Aufsatz von A. Nagl, Ueber eine Algorismus- Schrift des Xn. Jahrhunderts und über die Verbreitung der indisch- arabisclien Rechenkunst und Zahlzeichen im c hr ist 1. Abend- land e (Hist. lit. Abtheilung der Zeitschr. für Mathematik und Physik 34, 129 146, 161 170) erörtert die dem Salzburger Computus von 1143, welcher in Deutschland zuerst arabische Ziffern verwendet (Facsimile in Mon. graph. VIII, 16), vorangestellte kurze arithmetische Lehrschrift aus der Classe der sogenannten Algorismi und ihre praktische Anwendung. Sie ist die älteste der bisher bekannten und noch viel unbehilflicher als ein gleicher Traktat aus dem Kloster Salem, der etwa um ein halbes Jahrhundert später entstanden ist (die Handschrift jetzt in Heidelberg, hg. von Cantor in derselben Zeitschrift Bd. lo). Während in Deutschland die

S68

Notizen.

neue Eechnungsmethode dem praktischen Leben fremd blieb und lange Zeit nur theoretische Schulwissenschaft war, fand sie in dem ausgebildeten Bankwesen und dem grossen Handelsverkehr Ober- und Mittelitaliens prak- tische Verwertung, allerdings nicht in ihrer reinen Form, sondern in einer von Leonardo Fibonacci in seinem Liber abaci von 1202 gelehrten Com- bination mit der in Italien noch üblichen antiken Fingen-echnung. Es war ein juristischer Grund, der die Glaubwürdigkeit der Handelsbücher vor Gericht bedang, dass, wie in dem hier veröffentlichten Artikel 101 des Statuto dell'Ai-te di cambio in Florenz von 1299, der Gebrauch der ara- ])ischen Ziffera für die Verbuchung (in libro vel quaterno = Handelsbuch) verboten wurde, und dieses Verbot war nach Ausweis der erhaltenen Ge- schäftsbücher hier wie in Venedig fast bis zum Ende des 15. Jahrh, massgebend. Dieselbe Eechtsan schauung trat auch für Deutschland in Kraft., ein Beschluss des Frankfurter Rats untersagte 1494, sich in den Rech- nungsbüchern der arabischen Zittern zu bedienen; auch in den Wiener Ratsbüchern erscheinen erst seit 1470, aber nur vereinzelt im Context und in seitlichen Anmerkungen arabische Ziffern, während sie anderweitig, wie auf Siegeln und Bildwerken und namentlich in den Kalendern tles i:,. Jahrh., schon lange vorher fast allgemeine Verwendung fanden.

Auf Grund einer im Facsimile beigegelienen Rechnung aus Salzburg von 12S4 (jetzt im Wiener Staatsarchiv) bestimmt J. Lampel in dem Aufsatz Salzburger Goldwert um 1284 (Mittheil, für Salzburger Landeskunde :iO. Bd.), die Correctur eines Rechnungsfehlers eingehend begi-ündend, den damaligen Wert der Salzburger Goldmark mit 22 Pfd. Pf. = ] I Mark Silber.

Rein hold Röhricht Kleine Studien zur Geschichte der Kreuzzüge. Progr. des Humboldts-Gj-mnasiums, Berlin 1890. 4. 28 S. Der auf dem Gebiete der Kreuzzugsgeschichte rühmlich bekannte Forscher giebt hier einige kleinere Aufsätze, deren erster »Zur Vorgeschichte der Kreuzzüge« den Zustand darlegt, in dem sich Syrien befand, als der Ansturm der Christen auf dasselbe hereinbrach. 2. »Die Kreuzzugsbullen der Päpste« analysiert den homiletischen Theil päpstlicher Schreilien, die AuÖbrderungen zu Kreuzzügen enthalten, um daran die meist wieder- kehrenden Motive darzulegen, mit denen die Pilpste ihre Auffordei-ungen begi-ündeten. 3. » Der Kreuzzug Louis IX. gegen Damiette « und ;i b : , Der Kreuzzug Louis IX. gegen Tunis« geben keine ausführliche Schilderung, sondern reihen nur kurz regestenartig alle Thatsachen an einander. Der Werth dieser Arbeit (die ursprünglich vom Grafen Riant für dessen Archives de T Orient latin in Aussicht genommen war, dann aber liegen blieb, weil mit Riauts Tod jene treffliche Zeitschrift einging) beruht in den mit gresser Sorgfalt gegebenen Quellennachweisen und Literatun'er- merken, da hier das Material für eine eingehende Darstellung dieser beiden Unternehmungen im wesentlichen gesammelt uiul gesichtet dargeboten ist.

Dresden. " ^'-

Erläuterungen zu den Diplomen Otto 111.

Von

Th. V. Sickel.

III. Die Feststellung- des urkuiidliclieii Itiiierars.

Wie ich schon bemerkte, hat Kehr besondere Mühe darauf ver- wandt, die Diplome Otto III. in die rechte zeitliche Reihenfolge zu brinofen. Er hat sich zu solchem Behufe nicht allein mit allen auf die Datirung bezüglichen Lehren der heutigen Diplomatik vertraut gemacht, sondern hat es auch versucht, sie durch genauere Formu- lirung und durch eine Ergänzung fortzubilden. Er hat dann, so oft ihm die Einreihung eines Diploms schwierig oder fraglich erschien, von den Lehrsätzen im allgemeinen guten Gebrauch gemacht. So hat er betreffs zahlreicher Stücke Ergebnisse gewonnen, welche ich als durchaus richtig und gesichert anerkenne und in der Edition unter Hinweis auf Kehrs Buch verwerthen werde. Aber vielfach hat er auch Entscheidungen getroffen, welche ich entschieden verwerfen muss. Zu- weilen läuft allerdings die Differenz zwischen uns darauf allein hinaus, dass ich von dem einen und dem andern Präcepte ])essere Kunde habe als Kehr. In andern Fällen dagegen liegt der Grund viel tiefer, bald in der verschiedenen Auffassung und Schätzung der hier zusammen- wirkenden Momente, bald in der verschiedenen Behandlung derselben in bestimmten Fällen.

Soll ich das an einigen Beispielen ausführen, so beginne ich am füglichsteu mit der Besprechung- der Tagesangaben, von deren richtiger Auffassung und Behandlung die Lösung so vieler Fragen abhängt. Zweifelsohne hat Kehr, wenn er S. 18^ von der Unzuverlässigkeit der Daten in den Copieu und selbst in den Originalen redet, dabei auch

Mitthuiluiifc'fu XII. --i

370

Si ekel.

die Ht'zeidiuuug der Tage im 8ijine geiuiht. Er lülirt dann aueh ge- legentlich (S. 202, 2;}8, 2:U) u. a.). Beispiele von unnchtiger Benennung der Monate und der Monatsabsclmitte, sowie von unrichtiger Zählung oder Darstellung der Zahlen an. Dass er trotzdem die Tagesdaten unterschätzt hat, offenbart sich darin, dass er in dem langen den üa- th-uugen gewidmeten Capitel, obwohl er sonst auf Erschöpfung des Themas bedacht ist, gleich mit der Berechnung der Jahresmerkmale beginnt, ohne die Berechnung der Tage zusammenhängend zu be- sprechen. Und noch handgreiflicher wird die Vernachlässigung dieses Punktes bei der Erörterung einzelner Fälle, in denen die Datirung Schwierigkeiten macht, denn abgesehen von diesbezüglichen Bemer- kungen auf S. 221 wo von Nachtragungen, und auf S. 225 wo von Correcturen die Eede ist, wird die Möglichkeit, dass in der Tagesangabe irgend ein Fehler stecke, gar nicht in Betracht gezogen, sondern sofort diejenige Lösung vorgeschlagen, für welche Kehr entschieden Vorliebe hat, nämlich Annahme zweitheiliger Datirung.

Dem o-eo-enüber muss ich es nochmals betonen, dass auch auf die Tagesbezeichnungen aus mehr als einem Grunde kein Verlass ist, und dass, wo ein bestimmter Tag genannt wird, vom Datator ein anderer, etwa der vorausgehende oder der nachfolgende gemeint sein kann. Ich werde deshalb nicht noch einmal alle denkbaren Arten von Fehlern aufzählen, sondern nur einige mit Hinblick auf die DD Otto IL und 111. besprechen. Unter letzteren bietet insbesondere D. 197 für Freising einen guten Beleg dafür, wie bei der Bezeichnung der Tage nach römischem Kalender unrichtig gezählt worden ist. Dass die Tagesdaten dieser Urkunde: XL kal. iunii . . . die imperialis cousecrationis eius tertio nicht mit den Worten der Ann. Quedlinb. : hie (der Papst) . . . d. Ottonem . . . XIL cal. iunii in ipsa ascensionis Christi festivütate veneranda ind. IX. imperatorem consecravit augustum i) in Einklang stehen, ist schon oft bemerkt worden. Seit Böhmer meinte man mit der Erklärung auszukommen, dass die Krönung schon am Abend des 20. Mai stattgefunden haben werde-'). Aber dabei ist auf die mittel- alterliche Zeitrechnuug, und dass diese dem einen wie dem andern Gewährsmanne geläufig gewesen sei, muss man doch voraussetzen, nicht Rücksicht genommen. Den dies profestus ascensionis hätte der

») Danach Thietmar 4, 27, jedoch mit unrichtiger Kömerzinszahl. Trotz der Verwechslung von Hiramelfohrt und Pfingsten führe ich noch die Worte der Ann. Hildesh. an : imperator et patricius oonsecratur. '-') Mon. Boica 28, 266 :

Ditmarus tarnen cum notario actui publico praesente teöteque oculato concilin- Ijitur, ai dicatur in profesto sive vigilia ascensionis hovis vespertiiiis unctioneni imperialem peractam fuisse.

Krlilnternngen zu den Diplomen Otto lll. g'^l

Anuulist AVL'tlcT iils i])sa t'cstivitiis U(k1i als Xll. kal. iuu. bezeiclmeu könüeu. Will mau aber uur au <leu ALeud unseres 20. Mai uud unseres Mittwoch trotz aller Unwahrscheinlichkeit einer feierlichen Handlung nach Sonnenuntergang denken, so Avar dieser schon zu XU. kal. iun. zu rechnen, so dass der Freitag oder XL kal. iun. von einem mit dem damaligen Computus vertrauten und ihn richtig anwenden- den Kotare nicht dies consecratiouis tertius genannt werden konnte. Ich halte letztere Angabe für die richtige. Erklärt sich nämlich der ungewöhnliche Zusatz am ehesten aus dem Eindrucke, welchen die Feier auf diesen Augenzeugen gemacht hat, so meine ich auch, dass er zwei Tage darauf, denn das besagt doch dies tertius, das Intervall auch genau berechnet hat ^). Aber iu der Kückwärtszähhmg der Tage nach römischem Kalender wird er gefehlt und XI. statt X. kal. ge- schrieben haben. Trotz dieser Annahme werde ich, insofern ich jene Angabe in die uns geläufige Zählung zu übertragen habe, D. 197 nicht zum 23., sondern zum 22. Mai ansetzen, werde aber, sobald ich dieses Datum mit andern zu vergleichen habe, den 22. je nach Um- ständen als 2o. oder auch als 21. behandeln -). Und dieser Auffassung entsprechend nehme ich gar keinen Anstoss daran, wenn iu einem Urkundenpaare derselbe Tag und danelien zwei eine Tagereise von einander entfernte Orte eiugetrageu sind.

Und das um so weniger, als ich noch einen andern Factor iu die Kechnung einzubeziehen Anlass habe. Wer bürgt uns dafür, dass der Herrscher ^) und die Kanzlei oder besser gesagt der einzelne gerade mit einer Urkunde betraute Notar auf den vielfachen Wanderungen immer gleichen Schritt gehalten haben ^) ? Waren die Reisen nicht

') Und zwar um so genauer, da eius tertio auf Rasur steht und Verbesse- rung des lugrossators selbst ist. Diese Correctur hat Kehr ütl Anni. 4 ganz falsch beurtheilt. ~) Für ebenso verfehlt als die bisherigen Erklärungen jener Datirung halte ich die von Kehr 191 versuchte. Er nimmt nämlich mit Berufung auf Waitz Verf. Gesch. 0', 190 eine Consecration am Tage vor der Krönung, also iim 20. Mai an. Nun scheidet aber Waitz vielmehr zwischen Einzug und Krönung luid" erwähnt nur, dass nach Benzo eventuell gelegentlich des ersten Besuches der Kirche eine vorläußge Einsegnung stattgefunden habe. Mag solcher Brauch im 11. Jahrh. aufgekommen sein, so liegt aus dem 10. nicht ein Zeugniss vor, dass conaecratio und coronatio getrennte Handlungen gewesen seien, uud wird damals der Akt zumeist consecratio genannt, so spricht auch das gegen derartige Scheidung, sowohl an und für sich als auch weil man, um den Hauptakt zu bezeichnen, sich doch kaum des Wortes bedient haben wird, welches dem even- tuellen Vorakte zukam. ^) In den Anfängen Otto lll. gilt das gleiche von den jeweiligen Regenten. *) \g\, meine 15eitr. z. D. (j, 456 und Kicker Beitr. 2, 141 u. 427.

24"

372 Sickel.

vorbereitet, so wird es bald iiu Befih'derungsinittebi imd buld an Her- bergen für grJJsseres Gefolge gefehlt haben, so dass Notare zunächst zurückbleiben mussten. In anderen Fällen mag auch ein Theil der Kanzlei vorausgesandt worden sein. Kurz oft genug werden der König und das Kanzleii)ersonal au verschiedenen Orten geweilt haben, ohne dass deshall) das Urkundengeschäft geruht hat und ohne dass darauf bei der Datirung Kücksicht genommen worden ist. Für uns ist doch das persönliche Eingreifen des Fürsten, ausser wenn es in der Erzäh- lung ausdrücklich hervorgehoben wird, höchstens wahrnehmbar an der Vollziehung des Handmals. Diese konnte, wie ja nach Ausweis der Originale sehr häufig von dem natürlichen und regelmässigen Verlauf der Beurkundung Umgang genommen wurde, zu jeder Zeit erfolgen und insbesondere bevor Ort und Tag der Vollendung, etwa nachdem der König bereits weiter gezogen war, eingetragen wurden. Freilich wird durch solche Vorstellungen vom thatsächlichen Hergange die Genauigkeit des Itinerars, bei dem wir in erster Linie an den Herr- scher denken, in Frage gestellt, aber es werden durch sie auch manche Schwierigkeiten beseitigt i).

Um das an bestimmten Beispielen auszuführen gTeife ich auf die Diplome Otto II. zurück, an deren Behandlung Kehr vielfach Kritik geübt hat. Ich hatte in Erläuterungen 114 gesagt, weshalb ich be- treffs des DO. IL 28 Dornburg und 2. Juni auseinander halte, habe dann aber versäumt, in der Edition lür die DD, 0. IL 29 32 die Erklärung zu bieten, welche mir vorgeschwebt hat und mit der dann auch die von mir den Datirungen der DD. ,')4— 30 gegebene Deutung zusammenhängt. Ich hole das nach um zu zeigen, dass die an sich richtige Bemerkung Kehrs, dass Otto IL, wenn er am 5. Juni in Magdeburg weilte, am 7. nicht schon in Grone sein konnte-), hier nicht am Platze ist. Ich lese aus DD. 29 32 keineswegs heraus, dass der Kaiser seinen Aufenthalt in Magdeburg bis zum 5. Juni ausgedehnt habe, sondern betrachte diese Stücke als von den Magdeburger No- tareu WD. und LH. nach seinem Aufbruche angefertigt und datirt. WB., welcher damals die Hauptarbeit in der Kanzlei verrichtete, scheint sieh meist in der Umgebung Otto IL befunden zu haben. Dagegen

') Kehr selbst möchte h?. 233 Aiim. 2, da ihm das Verhilltniss zwischen DO. 1. 65 und CG bedenklich erscheint, die Datirung des ersteren rriiccpts dahin deuten, dass die Beurkundnu«? sich um einige Tage verzögert und erst nach dem Aufbruche des Königs von Allstedt stattgefunden hal)e. Er gibt soweit die Möglichkeit solchen Vorganges /.u, hat sie dann aber in den Fällen, welche ich gleich besprechen werde, ganz ausser Aclit gelassen. -) Sie war ja schon von Ficker 2, 27f; gemacht worden, auf den ich in Kvläuf. 120 verwies.

Erläutern ngon zu dcji Diplomen Utto lü. 373

liabeu jene zwei Notare (Erläut. 87) in der Regel nur für Magdeburg und nur in dessen Nähe Präcepte geliefert. Mag WD. sich ebenfalls zu Ende Juni nach Worms begeben haben i), so kann er füglich später als Otto von Magdeburg aufgebrochen sein. Verliess letzterer aber bereits am 3. Juni Magdeburg, so steht nichts dem im Wege, dass er am 7. Juni in Grone (D. 35'"^) war und zuvor in Werla D. 34 anzu- fertigen befohlen hatte, welches ebenfalls am 7. Juni in Grone vollendet wurde. Ich habe noch andere Gründe au meiner Deutung der Datiruug von D. 3.5 a festzuhalten -). Grone lag der Gerberga, welche wohl von der Eonte des Kaisers Kunde hatte, näher als Werla. Uud begrüsste sie zuerst dort und am 7. Juni Otto IL als Alleinherrscher, so kann die Erinnerung daran am ehesten Anlass gegeben haben, beide An- gaben noch nach Jahren in DD. 35^ und 36 zu wiederholen.

Das sind freilich nur Vermuthuugen und ebenso ist und l)leil)t es Vermuthung, was ich zuvor über DD. 0. IL 29—32 sagte, dass Orts- und Zeitangaben nur vom Standpunkte des datirendeu Notars aus coincidireu, aber nicht insofern es sich um den Aussteller han- delt ^), und wenn ich noch in andern Fällen die durch das Tagesdatum gebotene Zeitbestimmung als mehr oder minder dehnbar betrachte^). Und steht Vermuthung gegen Vermuthung, so hat diejenige die bessere Aussicht auf Zustimmung, welche am meisten auf alle jeweilig walten- den Umstände und Verhältnisse Rücksicht nimmt. Hat es nun Kehr meines Ermessens an solcher Umsicht in einzelnen Fällen iehlen lassen

') In D. 43 aus Worni.s erl)licken wir sein Dictat. Jedoch für dieses mit Zustimmung des Erzbischofs Adalbert den Mönchen von Weisscnburg ausgestellte Wahlprivilegium kiinnte WD. das Concept von Magdebiu-g eingesandt haben. D. 58 aus Frankfurt kann nicht mit gleicher Sicherheit WD. beigelegt werden. Erst in D. 04 aus Allstedt stossen wir wieder auf WD. und LH. Vgl. femer DD. 91—93, 112, 114, 115 sämmtlich aus sächsischen Pfalzen. -) Kehr

erklärt die Datirung von D. 34 für einheitlich, dagegen die von 35" für zwei- theilig und zwar will er die Tagesangabe auf die Handlung, die Ortsangabe aber auf die Beurkundung beziehen, ein Verfahren, welches er jedoch selbst als ganz ungewöhnlich bezeichnen muss. Weil ich letzterem beipflichte, gehe ich noch einmal näher auf den Fall ein. ^) Vermuthungen der Art in dem mit dem

Regest verbundenen Datum am Kopfe der Urkunden Ausdruck zu geben, halte ich nicht für räthlich; vgl. Erläuterungen 125. *) Ich will ausdrücklich sagen, dass anch dieser Licenz Schranken gezogen sind. Hat z. B. HB. in D. 114 nach- getragen non. febr., so werde ich da am 5. Februar nicht rütteln : einmal nicht, weil das Datum nachgetragen ist und dann nicht, weil bei Bezeichnung eines Tages blos nach einem der Monatsabschnitte ein Rechenfehler ausgeschlossen ist. Dagegen haftet anomalen Bezeichnungen wie 1. kal. mart. in DO. I. 56 oder 1. kal. mai. in DO. III. 165 die Zweideutigkeit an, so dass wir freie Wahl zwischen 28. Februar oder 1. März u. s. w. haben.

374 '^^'^^"^•

und insbesondere an der Veranschlagung der ünxnverlässigkeit der Tagesdaten, so verkenne ich docli nicht, dass er in andern Fällen die relativ beste Lösung vorgeschlagen, ja bezüglich einiger Urkunden der zwei ersten Ottonen mich eines bessern belehrt hat. Und so halte ich eine weitere Verständigung zwischen uns, insoweit es sich um die Anwendung von Regeln auf bestinuute Diplome handelt, für nicht auso-eschlossen. Anders steht es mit einem von Kehr neu aufgestellten Lehrsatze, Avelchen ich ganz entschieden verwerfe.

Nach Kehr 227—231 soll es häufiger denn früher, wenn auch nur seitens der von Hildibald geleiteten Kanzlei, beliebt Avorden sein, die Ortsangabe allein nachzutragen, und dieser Vorgang soll eine an- dere Bedeutung als zuvor erhalten haben, nämlich die, dass sich die Zeitangaben auf irgend ein früheres Stadium der Beurkundung, die Ortsangabe dagegen auf deren letztes Stadium beziehen sollten. Ist er auf thesen Gedanken offenbar durch D. 7 '^ gebracht worden, welches von HB. geschrieben, mit actum abbricht, jedoch nicht vollzogen, sondern durch D. 7'' ersetzt worden ist, so führt er noch zwei ihm gleich erscheinende Belege für beabsichtigte aber dann unterbliebene Sachtragung an, ferner einen Beleg für wirklich erfolgte Nachtragimg und endlich einen Beleg für Abänderimg des Ortsnamens, welche füg- lich auf gleiche Linie mit den Nachtragungen gesetzt werden kann. Sind das der Fälle nicht viele, so hat der Umstand, dass zwei der betreffenden Diplome sich nicht leicht in das Itinerar einfügen lassen. Kehr in der Annahme bestärkt, dass die Kanzlei eine Zeit lang ein derartiges Verfahren zuweilen befolgt und so einigen Diplomen ein besonderes, von uns wohl zu beachtendes Gepräge gegeben habe. Und so stellt er schliesslich die These auf, dass sich aus der Nachtraguug der Ortsangabe allein mit Sicherheit nichteinheitliche Datinmg ergebe. Knüpft Kehr an analog erscheinende Fälle unter Otto IL an i), so lässt er da nur den Zufall walten. Unter Otto IIL dagegen nimmt er einen wenn auch nur vorübergehenden Brauch an, der allerdings, falls er sich erweisen lässt, um so bedeutsamer erscheinen würde, als er von denselben Notaren Hildibalds, welche durch viele Jahre hin- durch nicht auf ihn verfallen waren, aufgebracht worden wäre. Als bewQsste Neuerung müsste er einen Zweck gehabt haben, wie ihn Kehr auch voraussetzt. Dem gegenüber vermag ich doch die Frage

1) DD. 0. II. 52, 145. 204, 255. Die zwei letzten gehören schon der Kanzlei- periode Hildibalds an. Dass ich nicht alle vier Fälle in den Erläuterungen 107 angeführt habe, hatte seinen einfachen Grund darin, dass ich dort von den Aus- fertigungen des WD. sprach.

Erlänternngen zn den Diplomen Otto III. 375

nicbt zu uiiterdrückeii, wem mit solchem Auseüiauderlialteu der Phasen der Benrkimdnnfj o-edient worden sein soll. Ein Interesse der Kanzlei kann Jiieines Ermessens nicht im Spiele gewesen sein. Die Kanzlei- notare des 10. Jahrhunderts haben, soviel wir wissen, auf Fräcision iji der Datirung sehr geringen Werth gelegt. Unter Umständen ha})en sie sich allerdings zu solcher bequemt, nämlich auf Wunsch der Em- pfänger der Urkunden. Ks konnte im Interesse dieser liegen und des- halb von ihnen erbeten werden, dass, wenn sich die Beurkundung verz()gert hatte, das mehr oder minder zurückreichende Handlungs- datum eingetragen, ja selbst eine Zurückdatirung (vgl. Kehr 251) be- willigt werde. Aber was es ihnen frommen sollte, die einzelnen Akte der Beurkundung als auseinanderfallend ersichtlich gemacht zu sehen, ist mir unerfindlich^). Kann ich somit eine Absicht nicht gelten lassen, so Avürde auch der vermeintliche Brauch zu einer ganz gewöhnlichen Erscheinung zusammenschrumpfen. Im einzelnen Falle konnte es, wie wir gleich sehen werden, einen triftigen Grund haben, dass der Kaum für die Ortsangabe frei gelassen wurde. Und zu jeder Zeit konnte von ungefähr die sofortige Eintragung des Ortsnamens unterbleiben. Dass auch solche Vorgänge absichts- und gedankenlos Nachahmung fanden, sich also einige Male wiederholten, steht erfahrungsmässig fest. AV^ir thuu gut solche Erscheinungen zu constatiren, müssen aber vor- sichtig erwägen, ob ihnen Bedeutung zukommt oder nicht.

Bevor ich zur Prüfung des Thatbestandes, auf welche es vor allem ankommt, übergehe, muss ich noch eine Vorbemerkung einschalten. Mit gutem Grunde redet Kehr von Nachtragungen der Ortsangabe allein, zum Unterschiede nämlich der gleichzeitigen Nachtragungen der Tages- und der Ortsangaben. Doch diese Scheidung genügt noch nicht 2). Indem in der Regel auf den Ortsnamen die Apprecatiou folgt, ergeben sich für die ursprüngliche Auslassung und eventuelle Nachtragung zwei Modalitäten ^) : es kann der ganze mit actum an-

1) So auch Ficker 2, 26b", nachdem er zuvor Nachtragimg des Ortsnamens als selten bezeichnet hat. Dazu noch eine weitere Betrachtung. Mit der Orts- angabe für sich wird doch kein Zeitpunkt bestimmt, also auch kein von dem Zeitpunkt der Zeitangaben verschiedener. Ob actum und datum coincidiren oder nicht, vermögen wir wohl festzustellen, wenn wir an der Hand des Itinerai's mit der Vorstellung vom Orte auch eine Vorstellung von der diesem entsprechenden Zeit zu verbinden in die Lage kommen. In der Vergangenheit dagegen konnte zwar der Zuschauer der Beurkundung das etwaige Intervall zwischen den Phasen wuhrnehmen, seine Wahmchraung etwa in der Erinneriuig festhalten und auch andern mittheilen, aber es aus einem Diplome herauszulesen war niemand im Stande. -') Vgl. Ficker Beitr. 2, 2U4. ^) Davon ob auch actum nachgetragen ist oder nicht, sehe ich ab.

376 Sii-kel.

hebende zweite Tlieil der Datiruug fehlen oder es kann der Ortsname allein fehlen, die Apprecation aber eingetragen worden sein. Die Fälle der letzteren Art fallen schwerer ins Gewicht, insofern sie die sonst nahe liegende Annahme zufälliger Unterbrechung des Schreibgeöchäfts so gut wie ausschliesseu. Ich führe deshalb von Fall zu Fall auch diesen Nebeuumstand an.

Die Angaben Kehrs über D. 7 ^ sind erschöpfend und in allen Punkten genau. Er erklärt auch (S. 37) richtig, was Anlas« gegeben hat, dieses Stück nicht zu vollziehen und durch D. 7 '' zu ersetzen. Beide Ausfertigungen handeln von der Schenkung ein und desselben Gutes an des Königs Tante Mathilde, einer Schenkung, die so gut wie beschlossen gewesen sein niuss, als HB. D. 7 ^ mundirte und mit be- stimmtem Datum (28. Jänner 985) versah. Es war lediglich die Moti- virung der Schenkung in D. 7'\ um derentwillen dieses nicht voll- zogen und vollendet wurde. Es standen sich nämlich zwei Rechts- anschauungen und zwei Parteien bei Hofe gegenüber, zwischen denen diejenigen zu entscheiden hatten, welche anstatt des unmündigen Königs das Regiment führten und diesem etwa die Reinschrift behufs eigenhändiger Vollziehung des Handmals zu unterbreiten hatten. Im Sinne und nach der Weisung der einen Partei hatte HB. die Urkunde verfasst und bis zum Worte actum geschrieben. Weshalb er der Ge- uehuiigung noch nicht sicher doch den Tag bereits eingeschrieben hatte, während er sich noch der Ortsangabe enthielt, lässt sich nur vermuthen. Es liegt wohl einer der bereits von Ficker 2, 267 ins Auge gefassten Fälle vor, dass ein Diplom von vornherein zur Ueber- gabe an einem gewissen Tage bestimmt war, während man noch nicht wusste, wo sich der Hof dann befinden werde : in diesem Falle mochte der Gedenktag des grossen Karl zur Uebergabe solcher Schenkung geeignet erscheinen und deshalb im voraus gewählt worden sein. Sage ich im voraus, so dehne ich das auch dahin aus, dass die Reinschrift bereits Tage vor dem 28. Januar angefertigt worden sein mag i). Doch D. 7 ^ wurde, wie gesagt, verworfen und statt desselben 1). 7 '' angefertigt und vollzogen, wobei die Absicht vom Karlstage zu datiren nicht mehr festgehalten, sondern der vorherrschenden Gepflogenheit gemäss der 5. Februar als Tag und Mühlhausen als Ort der Beurkun- dung eingetragen wurden. Schon das spricht wider die Annahme, dass

') Ich betone nur deshalb diese Abiglithkeit, weil Kelir am meisttua dahin neigt den Tag auf die Reinschrift zu beziehen. Sollte dies doch dem wirklichen Vorgange entsprechen, ao könnte am ehesten die von Kehr zurückgewiesene An- nahme aufrecht erhalten werden, dass HB. seine Arbeit unterbrochen hätte, weil er von der Nichtgenehmigung dieses Dictats verständigt wurde.

Erläutenmgeu zu den Diplomen Otto lll. H77

mau soiiderlicheu Wertli auf Scheidung einzeluer Pliaseu gelegt habe. Aber bleiben wir betreft's dessen, was man sich bei der Behandlung der Details gedacht hat, auf Vermuthuugen angewiesen, so genügt eine nahe liegende Hypothese, um darzuthun, dass gerade dieser Fall nicht für die These Kehrs angeführt werden darf. Denken wir uns, dass D. 7 ^ nicht beanstandet, sondern auch an dem in Aussicht genomme- nen Festtage ganz vollzogen worden, also auch der Ortsname nach- getragen worden wäre, so würde sich einheitliche Datiruug ergeben, selbst in dem Falle, dass HB. die Keinschrift schon Tags zuvor an- o-efei-tigt und für den Festtag in Bereitschaft gehalten hätte.

Von den weiter als Belegen angeführten Urkunden will ich zuerst die nur aus Copieu liekannten DD. 230, 233 besprechen: in beiden wird uns die Apprecation geboten, es fehlen aber actum und Ortsangabe. Augenommen, dass bereits die Originale diese Lücken aufo-ewiesen haben, so würden sie uns nur was wir ohnedies wissen, bezeugen, dass die Notare nicht immer wissen konnten, an welchem Orte das Beurkundungsgeschäft zum Abschluss kommen werde, dass sie später die Nachtragung vergassen und dass die Parteien an solchem Defect in den Diplomen nicht Anstoss nahmen. Und weil die Datirung solcher Stücke unvollständig geblieben ist, kann von nichteinheitlicher Datirung in dem Sinne Kehrs gar nicht die Kede sein. Doch wir haben es nur mit abschriftlichen Urkunden wie bei DO. IL 255 zu thun und müssen in der Verwerthung derselben vorsichtig sein. Be- sonders gilt das von D. 230, zu welchem Foltz seiner Zeit bemerkte: lückenhaft, wahrscheinlich beschädigtes Original i).

Auch Kehr hat, das muss ich zu seiner Entschuldigung sagen, sich auf diese nur in Copieu vorliegenden Stücke nur nebenbei berufen und hat sich vorzüglich auf die Originale von DD. 221) und 253 gestützt oder vielmehr auf die Beschreibungen dersel})eu von Foltz. Dass ich diese gerade in dem für Kehr wichtigen Punkte als unrichtig bezeichnen muss, gibt mir Anlass weiter auszuführen was ich S. 215 bereits angedeutet habe.

In der von mir im J. 1876 veröffentlichten Instruktion für die Diplomata- Abtheilung '^) habe ich nur wiederholt, was ich meinen Schülern seit lange eingeschärft hatte, u. a., dass sie auf Schreibfehler, Rasuren, Correctureu, Nachträge u. s. w. wohl achten sollten. Daran war also auch Foltz bereits gewöhnt, als er für die Abtheihmg zu arbeiten begann. Als dann 1877 der I. Band von Fickers Beiträgen

•) tJeuauer würde zu sagen sein : wahrschoinlicli unten beschädigtes Ori- ginal. Der Schluss des Contextes weist nämlich zwei kleinere Lücken auf. Darauf kann auch die Auslassung der Recoguition in der Copie von D. 230, sowie das Fehlen der Corroboration in D. 233 hinauslaufen. -') Neues Archiv 1, 477.

378 Sickel.

ersehipii imd ims helelirte, wie mancherlei FolcfuruDpjen sich aus der BpscliaH'ciilieit der Originale /,ielien lasHeii, wandte Foltz allen Besouder- lieiten der Urkunden noch grössere AufmerkvSamkeit au. Nur iu wenigen Fällen hat wiederholte Priif'nnj; erffehen. dass seinem scharfen und jj^f- übten Auge etwas entgangen ist. Mau kann aber sagen, dass er zuweilen in unsicheren Vernmthungen zu weit gegangen ist, was er aber dadurch wieder gut machte, dass er auch alles was für und wider sprach, zu Papier brachte. Er selbst, als er sich an der Herstellung der Texte der Diplome Konrads und Heinrichs betheiligte, machte von seinen Aufzeichnungen, soweit es sich nur um Vermuthungen handelte, sehr vorsichtigen Gebrauch und drang wiederholt auf nochmalige Prüfung, zumal da auch er die Erfahrung machte, dass sich erst bei zusammen- fassender Arbeit ermessen lässt, was von Bedeutung oder ohne Be- deutung ist und in welchem Grade eine Erscheinung Beachtung verdient. Ergibt sich z. B. aus einer Reihe von Diplomen ein natur- gemässes und durchaus gesichertes Itinerar, so darf man eine unter allerlei Vorbehalt gemachte Bemerkung, dass eine Zahl vielleicht corri- girt sein könnte, wohl auf sich beruhen lassen, während sie ver- ■Vverthet werden darf und nach Umständen verwerthet werden mnss, wenn sich dadurch allein eine Schwierigkeit beheben lässt. In den letzteren Fällen habe ich es geradezu für meine Pflicht gehalten, wenn es irgend möglich war, eine Nachprüfung zu veranstalten und habe zumeist die Genugthuung geliabt, in den betreffenden Fällen zu einem sichern Ergebnisse zu kommen. Habe ich mich nun nie gescheut, einen ersten Ausspruch von mir, wenn ich ihn nach neuer Unter- suchung nicht haltbar fand, ausdrücklich zurückzunehmen, so trete ich den Verdiensten des seligen Foltz nicht zu nahe, wenn ich auch heute wieder die eine und andere Angabe von ihm und so auch die über die hier in Rede stehenden Stücke für unrichtig erkläre, nachdem ich im vorigen Jahre die Originale nochmals auf das genaueste geprüft habe. Mit D. 229 und dessen Bearbeitung für die Abtheilung verhält es sich folgendermassen. Zur ersten der Abtheilung gelieferten Ab- schrift war gar nichts über den Ortsnamen bemerkt. Als Foltz die- selbe revidirte, bemerkte er u. a., dass das EschatokoU vor dem Con- texte und dass die Datirungszeile in einem Zuge geschrieben worden war. Jedoch, so fügte er hinzu, et in actum und Ingil zum Theil auf Stellen, wo die Tinte der früheren Schrift verwischt ist; stand etwa argen(tina) da')V Nach meinem Befunde dagegen ist auch in diesem Theile der entschieden ohne Absatz geschriebenen Datiruugs-

'J Mau vergleiche damit Kelir 2'2\).

Erlänternngen zu den DiploraPn Otto III. 379

Zeile kein üuterscliied /wischen ursprünglicher und späterer Schrifi zu machen, sondern es ist lediglich die in einzelnen Buchstaben stärker anfgetrageue Tinte hei voreiliger Faltung verwischt worden ^). Aller- dings macht nun das von HF. gleichzeitig eingetragene datum und actum Schwierigkeiten. Eiuen Vorschlag sii^ zu hehehen mache icli lieher in anderem Zusammenhange. Hier genügt es zu sagen, dass Kehr durch Foltz irre geführt worden ist und dass er, eines besseren belehrt, zweifelsohne darauf verzichten wird, sich zu Gunsten seiner These auf dieses Diplom zu berufen.

Ich wiederhole nicht was Foltz zu D. 25o bemerkt hat, sondern biete gleich das Ergebniss meiner Untersuchung. In dem ganzen Stücke erscheint die Tinte jetzt bald dunkler und bald lichter. So sticht auch der letzte Buchstabe von actu(m) und stechen die Worte Türe feliciter amen als dunkler von den vorausgehenden ab, jedoch nur in Folge davon, dass der Schreiber, da ihm die Tinte ausgegangen war, mitten im Worte actum die Feder wieder in das Tinteufass ein- tauchen musste ^). p]rscheint somit D. 25o als in einem Zuge mundirt, so verräth es für sich betrachtet in keiner Weise nichteinheitliche Datirung, welche allerdings, sobald wir die Urkunden in Keih und Glied stellen, angenommen werden muss ^). Den Hergang denke ich mir folgendermassen : Die betreffende Schenkung wird am 2. September, als der Kaiser sich von der Elbe an den Rhein begab, erfolgt sein, und diesen Tag wird sich die Kauzlei, als sie den Beurkundungsbefehl erhielt, vermerkt haben. In Thorr wird sie einen Rasttag benutzt haben, die Ausfertigung herzustellen, in welche sie den Tag der Schen- kung und dazu den augenblicklichen Aufenthaltsort eintrug. So be- stätigt dieser Fall von neuem, dass es den Notaren weder auf die Uebereinstimmung der beiden Angaben ankam, noch darauf, die Nicht- coincidirung ersichtlich zu machen. Weise ich also die Auffassung von Kehr, dass die Kanzlei mit Ueberlegung und Berechnung vor- gegangen sei, überhaupt zurück, so habe ich noch mehr zu betonen, dass er seine These auf unsicherem Fundamente aufgebaut hat. Nicht einer der von ihm für erfolgte Nachtragung oder Correctur augeführten Belege hält Stich. Dass noch andere aus der Zeit Otto III., dessen Diplome Kehr an der Hand unseres Materials so fleissig durchgearbeitet hat, beigebracht werden könnten, bezweifle ich. Dann wird auch für

') Welchen Sinn hätte denn auch die Corrertiu- an actum y '■') Hat Kehr unterlassen wegen dieses Stückes in Hannover anzufragen, so ist er in andern Fällen vorsichtiger gewesen und so auch bei dem nächstfolgenden Diplom, da er hier die Angaben von Foltz und die von Ficker und Philippi nicht in Ein- klang fand. •') Vgl. Erläuterungen zu den DD. 0. II. S. 106.

ßSO 8 i ekel.

diese Eegienmgsperiode gelten bleiben wus Ficker über die vSelteuheit und ße<leutungslosigkeit dieser Art von Naclitragung gesagt hat.

Ich gehe zu Betrachtungen anderer Art über, welche Kehr um Itinerarfragen zu entscheiden angestellt und wiederholt als den Aus- schlag gebend verwerthet hat. Seitdem man Königsurkunden in Kegesten verzeichnet hat, hat man allerdings auch auf" das Verhältniss der Zeitintervallen zu den Ortsentfernungen geachtet, hat sich aber in der Regel begnügt (so z. B. Böhmer), die ärgsten uns in diesen Be- ziehungen gestellten Zumuthungen zurückzuweisen. Weiter ist Stumpf gegangen: er hat sich fast in allen Fällen die Frage vorgelegt, ob es denkbar sei, innerhalb des durch zwei Urkunden bestimmten Zeit- raumes von dem einen zu dem andern Orte zu gelangen. Wie sehr dann Ficker die Schnelligkeit der Reisen in Anschlag gebracht hat, zeigen mehrere seiner Einzeluntersuchungen, vor allem aber zahlreiche Stellen seiner Beiträge zur ürkundenlehre. Aber auch er hat die Di- stanzen zumeist nur abgeschätzt und hat von der Aufstellung eines festen j\Iassstabes abgesehen. Ist inzwischen das Thema, Avie man in der Vergangenheit gereist ist, von vielen Autoren erörtert worden, so gehen doch gerade was die Schnelligkeit der Reisen anbetrifft, die Er- gebnisse noch ziemlich auseinander i), so dass sie l^ei Untersuchungen über das Itinerar der Könige kaum verwerthet werden können. Um von mir selbst als Herausgeber der Diplome des 10. Jahrhunderts zu reden, so habe ich es natürlich für nöthig erachtet, die Entfernungen ins Auge zu fassen ; aber ich mag sie in Ermangelung eines sichern Massstabes zuweilen unterschätzt haben und habe sie wohl auch in dem einen und andern Falle geradezu ausser Acht gelassen -). Sobald Kehr dies wahrgenommen hatte, stellte er sich unter andern Aufgaben auch die, von Fall zu Fall die Distanzen zu berechnen, und zwar

') Dass ich, bevor mir Kehrs Itucli zu Gesichte kam, mich mit der Frage wenigstens gelegentlich beschäftigt habe, beweisen meine Bemerkungen in den Prolegomena zum Liber diurnus 2, 71. -) So, was Kehr 235 mit Fug und

Recht rügt, bei den DD. 0. H. 37, 38. Ich muss otten bekennen, dass ich, der ich als Editor auf die verschiedenartigsten Details autmerksam sein soll und will, mich schon einige Male darüber ertappt habe, dass ich einen Punkt über die andern übersehen habe. So ist es mir auch bei dem Drucke von DO, IL 37 widerfahren, dass ich den Strich zu setzen unterlassen habe, durch welchen hier die nichteinheitlichc Datirung anzuzeigen war. Das Missgeschick ist, dass meine beiden Geno.ssen (unter ihnen Kehr), welchen es oblag, zu dreien Malen und zwar vor mir die Correctur zu besorgen, in diesem Falle ebenso imautinei-ksam gewesen sind wie ich. Hat Kehr dann nach Erscheinen des ersten Bandes dieses und andere Versehen hervorgehoben, so benütze ich die erste sich mir bietende Gelegenheit, um dieselben durch oti'enes Eingeständniss gut zu macheu.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 381

wollte er dieses Mittel der Coutrole des iirkundliclieu Itinerars nicht allein Hilf die Diplome Otto III. auweudeu, sondern auch nachträglich auf die bereits edii'ten Diplome der Vorgänger, um erforderlichenfalls die von mir gebotenen Datirungen zu berichtigen. So sehr ich sein Vorhaben gebilligt habe, so habe ich mir doch Nachprüfung der Er- gebnisse vorbehalten : in diesem Sinne spreche ich mich hier auch über diesen Theil der Kehr' sehen Arbeit aus.

Mit Kecht hat dieser bei den Eeiseu des Königs gewöhnliche und aussergewöhnhche Leistungen unterschieden. Aber leider gibt er dann weder für die einen noch für die andern bestimmte Durchschnitts- zahlen an. Erklärt er es z. B. S. 250 für eine physische Unmöglich- keit, dass die Tagesleistung bis zu 70 Kilom. gesteigert worden sei oder S. 234 für unmöglich, dass 400 Kilom. in 8 Tagen zurückgelegt worden seien, so lässt sich dem noch nicht entnehmen, wieviel Kehr dem Könige und seinem Gefolge, im Falle sie durch besondere Ereig- nisse oder Pläne zu grösster Eile gedrängt wurden, zumuthen zu können meint. Die normalen Leistungen will er in Anbetracht des zahlreichen Gefolges niedrig ansetzen. Er bezeichnet ein Mal (S. 233 Anm. 1) 20 30 Kilom. als der gewöhnlichen Marschgeschwindigkeit entsprechend, lässt aber auch (S. 250) eine Steigerung bis 35 Kilom. zu. Seinen Massstab versucht er vorzüglich den Diplomen Otto L und Otto IL zu entnehmen. Nebenbei beruft er sich jedoch auch auf Er- fahrungen der Gegenwart und redet von der Geschwindigkeit, zu wel- cher es heutzutage einerseits berittene Truppenkörper und andererseits Distanzreiter bringen i).

So oft nun Kehr der Zeitabstand zwischen zwei urkundlichen Daten zu gering erscheint im Verhältniss zu der Entfernung zwischen den beiden genannten Orten, bezeichnet er die Datii'ung des einen oder des andern Diploms als nichteinheitlich. In mehreren der von ihm angeführten Fällen (so DD. 25, 29 u. a.) stimme ich ihm un- bedingt bei. Aber wenn wie betreffs D. 37 vou Kehr seilest (S. 2;)())

') Aller Erfahrungen auf diesem Gebiete bar, habe ich mir bei Kavalleristen Raths erholt, besonders bei solchen, welchen auch die betrettende Literatur wohl bekannt ist. Sie stimmten alle darin überein, dass Kehr die jetzigen Leistimgen zu niedrig ansetzt. Unter diesen meinen Rathgebern muss ich aus speciellem (.h-iinde den Ilerni Oberlieuteuant Strobl Edler von Ravelsberg, commandirt beim k. und k. Generalstabe, Verfasser der jüngst erschienenen G eschichte des k. und k. 12. Dragonerregiments, nennen. Derselbe nahm nämlich im letzten Schuljahre an dem Institutscursus und so auch an den von mir geleiteten diplomatischen Uebungeu theil und xniterstützte mich in dankenswerthester Weise bei meinen Arbeiten über das Itinerar Otto III. Ich halte mich in dem Ef)lgbndeu an die Erorebnisse seiner Untersuchungen über die Routen und Entfenumgen.

;.jg2 Sickei.

/,uu-eo-('l)cu wird, (l;iris der Hot' rfclit wulil ni f) Taiini vuii Allstedt uaeli Corvei gelangeu kouute, sehe ich keinen Anlass, Handlung und Beurkundung auseinander zu halten. Und in andern Fällen muss icli solche Deutung der Datirung geradezu aus diesem oder jenem Grunde verwerfen, am häufigsten deshalb, weil ich nicht von der Richtigkeit des von Kehr für jene Zeiten angenommenen Massstabes überzeugt bin. Den richtigen zu finden halte ich nicht allein für ausserordent- lich mühsam und schwer, sondern ich sage ganz offen, dass ich jetzt nicht die Zeit gefunden habe, mich mit dieser Frage so eingehend und gründlich wie es geboten ist zu befassen und mich somit augenblick- lich auf Einwürfe gegen Kehr beschränken muss. Auf dem von ihm eingeschlagenen Wege sind meines Ermessens sichere Ergebnisse nicht zu gewinnen. Von manchen gut verbürgten Nachrichten aus jenen Zeiten hat er keinen Gebrauch oder doch nicht den rechten Gebrauch gemacht. Er hat endlich die Distanzberechnung auch da als Mittel, das Itinerar in Ordnung zu bringen, verwenden wollen, wo wir es mit unbekannten und dabei unberechenbaren Grössen zu thun haben Wie schon gesagt, zieht Kehr, um die gewöhnliche Marschge- •schwindigkeit des Hofes kennen zu lernen, das Itinerar Otto I. und Otto II. zu Rathe ^). Was ich gegen diesen Versuch einzuwenden habe, kann ich gleich an d;is erste von ihm angeführte Beispiel anknüpfen. Vorausgesetzt nämlich, dass die Daten von DD, 0. I. 42 (Dortmund, 941 Nov. 25) und 43 (Grone, 941 Dec. 5) ganz zuverlässig und un- zweideutig sind, so erfahren wir aus ihnen noch nicht einmal, wieviel Tage Otto I. damals auf die Reise von Dortmund bis GIrone thatsäch- lich verbraucht hat, denn er kann ja, abgesehen von allem etwaigen Aufenthalte unterwegs, erst am 27. Nov. von Dortmund aufjgebrochen und kann bereits am ?). Dec. in Grone eingetroffen sein. Und da in der ersten Urkunde nichts davon steht, dass sie vollendet Avorden ist, als die Pferde schon zum Aufbruche bereit standen, und in der zweiten nichts davon, dass sie ertheilt wurde, gleich nachdem der König in Grone aus dem Sattel gestiegen war, können wir aus den Daten noch weniger herauslesen, dass für diese Reise zur Winterszeit 10 Tage be- nöthigt wurden. Kurz solange wir allein auf die Angaben dieses Urkuudenpaares (und das gleiche gilt von den weiter augeführten Bei-

') Hebt er dabei IS. 234 die «clinelliglceit hervor, mit welcher selbst mitten im Winter die Alpen überstiegen worden sind, so zieht er aus ihr nicht, iivie man erwarten sollte, die Folgerung, dass die Leistungsttihigkeit sehr gesteigei-t werden konnte, sondern macht nur, tun die .Schnelligkeit zu erklären, die kaum zutretlende Bemerkung, dass sich unterwegs keine \'oranla.ssung zu liingorem Aufenthalte ergeben habe.

Erliinfernngen zu den Diplomen Otto [[1. 38)'>

spielen) HUgewieseJi sind, lässt sicli ;ius ilmeu weder ein Miniiiiuni uoch ein Maximmn, also audi keine Durchsclmittszalil für die gevvöhu- liche Tagesleistung ableiten. Sie bedürfen, um in solcher Richtung verwerthet werden zu können, der Bestätigung oder derCorrectur oder der Ergänzung durch Angaben in andern Quellen. Das hat Kehr selbst an andern! Orte (Ö. 249) bemerkt: er will das Itiuerar des J. 1000 deshalb eiu gehender besprechen, weil ihm ausser den urkundlichen Datirungen zahlreiche annalistische Nachrichten zur Verfügung stehen und weil die doi)pelt verbürgten Angaben den zuverlässigsten Mass- stab darbieten zur Beurtheilung der Frage wie schnell der Hof zu reisen pflegte.

Bevor ich verfolge, welchen Gebrauch Kehr von den für die letzten Jahre Ottos reicher fliessendeu Nachrichten gemacht hat, wende ich mich einem andern Gebiete zu. Es liegt doch nahe, auch die No- tizen über die Reisen der Päpste zu Rathe zu ziehen. Zumeist bejahrt, werden diese sich nicht über die Ma.ssen angestrengt haben. Ihr Ge- folge wird ebenfalls gross und vielleicht uoch schwerfälliger als das der Könige gewesen sein. Für ihr Itinerar stehen uns gleichfalls Nach- richten zweierlei Art zu Gebote. Allerdings kommen die in den Ur- kunden verzeichneten aus Gründen, welche hier anzuführen nicht noth- wendig ist, weniger in Betracht. Das wird jedoch durch die Zuver- lässigkeit der Reisenotizen in den Vitae pontificum aufgewogen. So erfahren Avir z. B., dass Zacharias im J. 743 ^) bei Sonnenaufgang des 22. Juni von Ravenna aufbrach, am Nachmittag des 28. der Vigilien- feier in Cielo d'oro beiwohnte und Abends in Pavia einzog. Er legte also eine Strecke von etwa 290Kilom. in nicht ganz 7 Tagen zurück: das ergibt, wenn wir einen Rasttag annehmen, eine tägliche Leistung von 4H Kilom. oder ohne Rasttag 41 Kilom. Ich stelle dem zur Seite einen Fall des Uebergangs über die Alpen. Leo IX. nahm im J. 1053 noch an der Purificationsfeier (2. Februar) in Augsburg theil und be- fand sich spätestens am 21. in Mantua: ohne die von ihm gewählte Route zu kennen, dürfen wir die Entfernung doch auf 600 Kilom. veranschlagen, so dass wir, auch wenn wir nur 4 Rasttage annehmen, auf jeden Reisetag 40 Kilom. erhalten -).

Glaube ich, auf solche Beispiele gestützt, dem jungen Otto III.

') Liber poutificalis ed. DucheBne 1, 43ü. ''') Vgl. iu den Kegesten des-

selben Jahres 13. März Ravenna und 14. März Rimini (60 Kilom.). Was ein einzelner bei grösster Beschleunigung leisten konnte , erfahren wir aus den Vitae pontif. vom J. 1057. Der Bischof von Albano traf mit der Nachricht von dem am 28. Juli zu Arezzo erfolgten Tode Victor ü. schon am ;JI. in Rom (über 210 Kilom.) ein.

384 Sickel.

grössere Leistungen zutrauen zu dürfen, als Kehr es tliut, so erschei- nen mir auch die lleiseu des J. 1000 in etwas anderem Lichte. Ich bestreite nicht, dass wir es bei dem einen und dem andern Präcepte mit schlecht überlieferten Daten und bei andern mit nichteinheitlicher Datirung i) zu thun haben. Aher statt mit Kehr an so und so viel Daten Anstoss zu nehmen, ziehe ich aus deren Gesammtheit die Fol- gerung, dass man damals trotz schlechter Wege und ungünstiger Jahreszeit ziemlich schnell gereist ist. Ich will mit Kehr Aufbruch von Eegensbiu-g am 7. Februar nach Gnesen und Eintreffen in Magde- burg bis 23. März annehmen, also für diese ganze Eoute 46 Tage,

An durchgehends aussergewöhnliche Leistungen (Distanzritte) durch viele Wochen hindurch ist doch nicht zu denken, sondern nur an gesteigerte normale Leistungen, Dabei werden aber mehr Tage als Kehr meint, abzuziehen sein, um die Zahl der eigentlichen Keisetage zu gewinnen, mindestens 11 Rasttage und dazu einige der Erledigung der Geschäfte gewidmete Tage. Nehme ich somit als Divisor der Kilometerzahl etwa 33 (Kehr 39) an, so erhalte ich auch einen be- deutend höhern Quotient als er -). So bestärken mich die Nachrichten aus dem J. 1000 geradezu in der Annahme, dass Kehr den Massstab iür die Eeisen Otto III. zu niedrig gegriffen hat.

Doch davon abgesehen habe ich auch mancherlei gegen die Art einzuwenden, wie Kehr mit der Distauzberechnung operirt, um ver- wickeitere Itinerarfragen zu lösen. Haben wir es bei diesen zumeist mit mehreren unsicheren oder vieldeutigen Angaben zu thun, so gilt es, sich die ganze Reihe von mögliclien Combinationen zu vergegen- wärtigen, jede derselben liis in ihre Consequenzen zu verfolgen und schliesslich alle gegeneinander abzuwägen, um sich entweder für die- jenige zu entscheiden, welche an sich die relativ einfachste ist und sich zugleich am besten mit der Ueberlieferuiig verträgt oder um sich auch nach Beschaffenheit des Falls einer l)estimmten Entscheidung

') Gegen die Häufigkeit clerseHien spricht doch was Kehr zum Schlüsse dieses Capitels bemerkt. ^) Niemand kann sagen, um wieviel Percente die

lOS.'i Kilom. zu erhöhen sind, welche Kehr als die Summe der in der Luftlinie gemessenen Entfeniungen angibt. Ich setze also, um das Verhältnis« an einem bestimmten Beispiele zu veranschaulichen, die Zahl 1560 Kilom. an. Bei der Vertlicilung auf 39 Tage ergibt sich der Quotient 40, dagegen bei der auf nur 33 Reisetjige der Quotient 48 als durchschnittliche Tagesleistung. Das eine wie das andere Ergebniss ist ganz unabhängig von dem Ansatz des in (inesen für Vicenza ausgestellten Diplomes und könnte nur dann modificirt werden, wenn die Verlängerung dos Aufenthaltes in Regensburg Vtis zum (!. Ft'liruar in Frage gestellt würde.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 385

zu enthalten. Solcher Mühe und solcher Vorsicht hat sich Kehr nicht in allen Fällen befleissigt. Er hat zuweilen, sobald sich ihm eine Lö- sung darbot, andere ebenso nahe liegende gar nicht mehr in Betracht gezogen und so voreilige und einseitige Entscheidungen gefällt. Wenn ich ihn schon zuvor zu grosser Hinneigung zur Annahme nichtein- heitlicher Datirung beschuldigte, so hatte ich dabei auch die zahlreichen Fälle im Sinne, in welchen Kehr das Verhältniss zwischen dem Zeit- intervall und der Entfernung bedenklich erschien und in welcher er dann regelmässig Handlung und Beiirkundung auseinanderhalten will Dass er so in der Anwendung seines neuen Mittels der Distanzberech- nung oft über das Ziel hinausgeschossen hat, versuche ich an dem folgenden Beispiel zu zeigen.

Bezeichnet Kehr, indem er die DD. 152 159 aus den letzten Monaten des J. 994 bespricht, das Itinerar, welches aus den Datirungen dieser meist noch in Originalen vorhaudeuen ürkimden resultiren würde, als höchst unwahrscheinlich, so bin ich ganz seiner Meinung. Fährt er aber fort, dass es in dem einen Punkte geradezu unmöglich sei, denn in zwei Tagen habe der Hof nicht von Baden-Baden nach dem Hohentwiel gelangen können, so vermag ich dies nicht zu unter- schreiben. Und sehe ich nicht wie Kehr in diesem Punkte die Haupt- schwierio-keit, so kann ich mich auch nicht mit der von ihm für diese Reihe von Diplomen vorgeschlagenen Lösung befreunden und becrnüo'en.

Er geht von dem offenkundigen Fehler in der Datirung von D. 154 aus und will X Villi kal. dec. emendiren in X Villi kal. ian. Die Berechtigung dazu werde ich nicht bestreiten, da so oft zu den nach den Kaienden bezeichneten Tagen irrthümlich der Name des laufenden Monats, statt des Namens des folgenden Monats hinzugefügt worden ist. Aber ebenso häufig ist eine Zahl durch Zusatz eines Einer erhöht worden, und zumal ist der Tag nach den Iden, dessen richtige Bezeichnuno- zwischen XVI und XIX schwankte, oft zu hoch beziffert worden i). So bleibt uns hier die Wahl zwischen 14. November und 14. December. Dass sich Kehr für letzteren Tag entscheidet, geschieht, um das zu beseitigen, was er die Hauptschwierigkeit nennt, nämlich Ritt von Baden-Baden (D. 153 vom 11. November) in drei Tagen bis nach Hohentwiel. Nachdem er diesen Ausweg gefunden, nimmt er nicht mehr Anstoss daran, dass der König von Ingelheim nach Baden-

>) Mit Recht redet Kehr 155, wo er aus den Originaldiplomen 0. HI. drei Beispiele anführt, von Flüchtigkeitsfehlern. C'itirt er nun hier auch D. 154, so betrachtet er dessen XVÜII für verschrieben statt XVIII, sieht aber später von dieser Deutung ganz ab.

MittLeüuugeu XII. 25

386 Sickel.

Baden, von da zurück nach Bruchsal, dann aber sofort wieder süd- wärts gezogen sein soll. Nicht allein das so gewonnene Itinerar (s. Kehr 240) beanstande ich, sondern noch mehr dessen Begründung. Handelt es sich vorzüglich um das Verhältuiss zwischen D. 153 und D. 154, so will ich zunächst die zwiefache Voraussetzung von Kehr gelten lassen, dass D. 153 zu Baden-Baden ausgestellt worden sei und dass Ort und Tag noch in Anwesenheit des Königs eingetragen worden und somit auf des letzteren Itinerar zu beziehen seien. Wel- chen Weg Otto eingeschlagen haben mag um nach Hohentwiel zu gelangen, sagt Kehr nicht ausdrücklich; aber auch er wird au die directe Koute Forbach, Reichenbach, Oberndorf, Rottweil i) gedacht haben, auf welcher etwa 150 Kilom. zurückzulegen waren. Hatte Otto grosse Eile und hatte er nur geringes Gefolge bei sich, so konnte er doch wohl in 3 Tagen von Baden-Baden nach dem Hohentwiel ge- langen. Leider sind wir über den Zweck dieser Reise gar nicht unter- richtet. Zum Besuche von Schwaben wird vermuthlich der wenige Monate zuvor erfolgte Tod der Herzogin Hedwig Anlass gegeben haben; er konnte auch füglich Anlass geben, die Reise bis nach dem Hohen- twiel auszudehnen. D. 154 legt aber auch den Gedanken nahe, dass es sich um eine Zusammenkunft mit dem Grafen von Treviso oder mit anderen Anhängern aus Italien gehandelt habe und dass Otto aus solchem Grunde seine Reise beschleunigt habe.

Jedoch so vage Vermuthungen spreche ich nur aus, weil Kehr sich so bestimmt für Baden-Baden erklärt, leider ohne alle Begründung und ohne ausdrücklich zu sagen, weshalb er das von Stumpf vorge- schlagene Badeuweiler verwirft, welches weit südlicher und daher auch Hohentwiel weit näher liegt. Letzteres reicht ja so gut wie Baden- Baden in Römerzeit zurück und wird es auch erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts wieder genannt, so lässt sich doch der Fortbestand dieser Ortschaft durch alle Jahrhunderte hin annehmeu. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass Abt und Mönche von Schwarzath den König, als dieser in die Nähe des Klosters gekommen war, aufgesucht und sich dem wandernden Hofe angeschlossen haben, bis sie in Badenweiler am 11. November das erbetene D. 153 erhielten. Entscheiden wir uns also für Badenweiler, so entfällt jedes Bedenken gegen die Zeit- und Ortsangaben in DD. 153, 154. Dagegen bedarf es dann anderer Deu- tung der Dath-ungeu von DD. 155, 156 (Bruchsal und 23. November), als Kehr sie gibt. Brach Otto erst nach dem 4. November von Ingel-

<) Nach Oesterley haben diese Orte um das J. 1000 bereits bestanden; sie werden also wohl auch durch Strassen verbunden gewesen sein.

Erläuterungen zu den Dix^lomen Otto III. 387

heim auf, so -wird er nach zwei oder drei Tagen in Bruchsal gewesen sein, also etwa am 8. Hatten nun dort die Aebtissin Mathilde von Quedlinburg und der Erzbischof Willigis von Mainz vom König Zu- sagen erhalten, so werden sich diese Destinatare wohl geduldet haben, bis die Kanzlei am 23. November Müsse fand, die betreffenden Ur- kunden auszufertigen. Mit der Annahme nichteinheitlicher Datirung für DD. 155, 156, welche Kehr offenbar nicht in Betracht gezogen hat, sind alle Schwierigkeiten behoben, und wir erhalten, ohne an der Monatsangabe in dem Original von D. 154 zu rütteln i), folgendes einfache Itinerar: Ingelheim am 4. November (D. 152), Bruchsal au einem der folgenden Tage (Handlung von DD. 155, 150), Badenweiler am 11. November (D. 153), Hohentwiel am 14. Nov. (D. 154), an unbekanntem Orte werden DD. 155 und 156 am 23. Nov. ausgefertigt, Sasbach am 22. December (DD. 157, 158), endHch Erstein, wo Otto Weihnachten feiert (DD. 159—161).

Hat sich Kehr 237 über mehrere Diplome aus dem April und Mai 992 und über das Itinerar dieser Zeit vorsichtiger ausgesprochen, so haben wir doch den schliesslich von ihm gemachten Vorschlägen nicht beizustimmen vermocht. Die von uns angenommene Erklärung ist in deu kritischen Noten zu D. 13 und D. 92 gerechtfertigt und wird von Dr. Erben in anderem Zusammenhang ausführlicher dargelegt werden. Und so kehre ich hier nochmals zu den Yorstelhmgeu zurück, welche sich Kehr von den Reisen der Könige gemacht hat. Dass diese in der Regel von zahlreichem Gefolge begleitet waren und sich deshalb nur langsamer bewegen konnten, ist gewiss richtig. Aber dadurch wird nicht ausgeschlossen, dass die Könige sich nach Umständen mit srerineer Beo-leituuo- beo-nücften und so grössere Strecken in kürzerer Zeit zurückzulegen im Stande waren. Dass Kehr diese Möglichkeit gar nicht ins Auge gefasst hat, zeigt u. a. die Besprechung (S. 240) der auf und nach dem Feldzuge des J. 995 ausgestellten DD. 172 175 mit folgenden Datirungen: Mecklenburg September 10; Tollensegau Oktober 3; Havelberg Oktober 6; Quedlinburg Oktober 8. Erklärt Kehr die Datirungen von DD. 173, 174 für nichteinheitlich, weil ein gi-össeres Heer den Weg von jenem Gau bis Havelberg nicht in drei Tagen und den von Havelberg bis Quedlinburg nicht in zwei Tagen habe zurücklegen können, so ist diese Begründung liier gewiss nicht am Platze und so liegt auch keine zwingende Nothwendigkeit vor in den beiden Urkunden die Ortsauo-aben und die Zeitangaben auseinander

>) Nur XVIIII erkläre ich als verschrieben statt XVIII, was mir als geringerer Fehler erscheint denn dec. statt ian.

25*

388 Sickel.

zu halten. Es ist ja sehr begTeiflicli, class der junge König den Wunsch hegte, in Person an einem Kriegszuge theilzunehmen, und dass auch seine Kathgeber solchem Wunsche Eechnung trugen. Aber wir dürfen uns deshalb Otto nicht als den Heerführer denken. Er braucht keines- weo-s mit dem Heere zugleich in das feindliche Gebiet eiugei-ückt zu sein und er braucht noch weniger, nachdem Erfolge errungen waren, das Heer auf dessen langsamen Rückmärsche begleitet zu haben. Es ist vielmehr von vorhinein wahrscheinlicher, dass er den Heimweg mit o-eringem Gefolge angetreten und mit möglichster Beschleunigung seine Pfalzen zu erreichen gesucht hat. War er nun zweifelsohne mit dem Heere erst bis Mecklenburg vorgedrungen und dann Ins in den Tollen- segau, so konnte Otto, wenn wir* einen Aufenthalt im Süden dieser Landschaft bis zum ?j. Oktober annehmen, ohne besondere Anstrengimg in drei Tagen in Havelberg eintreffen. Anders steht es allerdings damit dass in nur zwei Tagen (Okt. G— 8) die etwa 130 Kilom. betragende Strecke von Havelberg nach Quedlinburg zurückgelegt worden sein soll. Hier würde es sich um eine ausserordentliche Leistung handeln, aber noch keineswegs um eine unmögliche. Für die Heimkehr kann •recht wohl Vorsorge getroffen worden sein, wie dass Pferde zum Wechseln bereit standen; andrerseits wird der König durch zwei Tage hindurch einer grösseren Anstrengung fähig gewesen sein. Zsvar bin ich gleich Kehr der Meinung, dass die Kanzlei sich Zeit genommen haben wird, die betreffenden Präcepte anzufertigen, dass sie es wahr- scheinlich erst in Quedlinburg gethan hat. Die Frage ist dann nur, wie sie hat datiren wollen: hat sie nur den Ort der Handlung und daneben den Tag der Beurkundung einzutragen beabsichtigt oder hat sie trotz verzögerter Beurkundung Ort und Tag der Handlung bei- behalten wollen ? Da die letztere, d. h. die einheitliche Datirung doch der Kegel entspricht und im vorliegenden Falle, wenn der von mir für die Reisen angenommene Massstab richtig ist, denkbar ist, so gebe ich der Annalune dersell^en auch hier den Vorzug.

Ich habe bisher nur von der einen Art zweitheiliger Datirung zu sprechen Gelegenheit gehabt. Die andre Art (Kehr scheidet beide S. 218 recht gut), dass zum Ort und Tag der Handlung das spätere Jahr der Bem'kundung hinzugefügt wird, will Kehr nur in zwei Ur- kunden Otto III. augetroffen haben. Dass in Wirkhchkeit auch die Kanzlei Otto III. bei verzögerter oder wiederholter Beurkundung von dieser Art der Datirung liäutiger Gebrauch gemacht hat, werde ich im nächsten Capitel zu zeigen Gelegenheit haben, in welchem ich über- haupt dasselbe Thema weiter, aber in anderer Weise verfolgen werde.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 389

IV. Das Itiner.ar der Jalirc 996 und 997.

um HU einer zeitlicli zusammenhängenden Reihe von Diplomen zu zeigen, inwieweit meine Anordnung derselben von der von Kehr vorgeschlagenen abweicht, greife ich die Diplome heraus, welche vom Juni 906 an bis zum Ende des J. 997 ausgestellt worden sind. Wie Kehr richtig l)emerkt, begann damals die Datirung ins Schwanken zu gerathen. Kommt dazu, dass manches Präcept schlecht überliefert ist, und dass einige Ausstellungsorte minder bekannt sind, so tauchen allerlei Fragen auf, deren richtige Beantwortung um so wichtiger ist, als es sich im Herbst 996 um Feststellung der Zeit handelt, zu wel- cher Otto aus Italien nach Deutschland heimgekehrt ist, und im Sommer 997 um Feststellung der Zeit der Slavenkriege. üeberdies habe ich eine Aufgabe zu lösen, welche sich Kehr nicht gestellt hat. Er hat seine Untersuchungen auf die Diplome im engeren Sinne beschränkt. Ich dagegen habe nach dem Plane der Edition auch die Placita, Mandate und Briefe zu berücksichtigen und habe eine nicht geringe Zahl derselben gerade in die hier gewählten Jahre einzureihen.

Ich setze also mit dem Zeitpunkte ein, da der Kaiser von Rom (nach D. 209 hat er dort noch am 31. Mai 996 geurkuudet) auflsrach; wie Johannes diaconus berichtet, hiuc non procul a Rouiana urbe discedens, ut remissius illius climatis aestum tollerare quivisset, inter Caraerinae marchiae alpes aliquid commoratus est i). Passt dazu der durch D. 213 bezeugte Aufenthalt Foligno am 12. Juni, so wird man mit Kehr 243 auch Pistria, wie der Ausstellungsort im Original von D. 214 vom 23. Juni heisst, oder Plistia, wie er im Original von D. 215 vom 26. Juni heisst, in der Gegend zwischen Foligno und Camerino suchen. Mir genügt aber aus zwei Gründen nicht, dass Kehr auf ein heutiges ihm nur aus Amati bekanntes Pistia hinweist. Ersteus nicht, weil die kurze Angabe Amati's: frazione del comune de Foligno uns darüber im unklaren lässt, ob diese Oertlichkeit auf dem Wege von Foligno nach der Mark von Camerino liegt oder nicht ^).

') yS. 7, 30. Zum Theil früher, zum Theil in dem Sommer 99G sind auch einige Bi-icfe Ottos einzureihen. Ich ziehe es aber vor, von diesen erst in anderem Zu- sammenhange zu sprechen. -) Ich trage nach, was Kehr nicht ausdrücklich sagt, dass er Pistia in den Karten, die ihm in Wien zur Verfügung standen, nicht ein- getragen fand. In der neuen vom italienischen Gencralstabe besorgten Samm- lung von Karten ist bisher dieser Theil von Umbrieu noch nicht berücksichtigt worden Ich habe daher auch jetzt in Rom in der Generalstabs-Bibliothek nur eine Karte erhalten, welche die Ortschaft Pistia aufweist, nämlich das Blatt G. 12 der vom öst. Generalstab entworfenen und von dem Istituto topografico militare

390 Sickel.

Und zweitens nicht, weil Kehr unterlassen hat, sich die Frage zu stellen, welche nicht umgangen werden darf, wenn es den Ausstellungs- ort einer alten Urknnde zu bestimmen gilt, die Frage nämlich, ob ein heute nachweisbarer Ort gleichen oder anklingenden Namens auch schon in dem betreffenden Jahrhundert bestanden hat. Darüber und ebenso über die Lage von Plistia hätte er in dem ihm in Wien zu- gänglichen Werke Colucci Antichitä Picene genügenden Aufschluss gefunden: hier (Band 11, S, 1 112) ist nämlich eine in Foliguo 1781 erschienene Dissertation des Al)tes Giov. Mengozzi De' Plestiui Umbri, del loro lago e della battaglia appresso di questo seguita tra i Rouuini e i Cartagiuesi wieder abgedruckt worden ^).

Wie schon der Titel besagt, hat Mengozzi feststellen wollen, wo die von Plinius (Nat. bist. 3 cap. 14) erwähnten und der sexta regio Umbriam complexa zugewiesenen Plestini ansässig gewesen sind.

zu Florenz auf Grund einer im J. 1878 vorgenommenen Terrain-Revision neu herausgegebenen Karten im Massstabo von 1 zu 75,000.

1) Ich sage gleich hier H. Professor Dr. von Ottenthai Dank für die mamiig- , fache Unterstützung, welche er mir als dem Herausgeber der Diplomata auch in der jüngsten Zeit hat zu Theil werden lassen. Da er die Böhmer'schen Eegesten für das 10. Jahrhundert neu zu bearbeiten übernommen hat, berührten sich unser beider Arbeiten in vielen Punkten. So ging er bereitwilligst auf meinen Vorschlag ein, während seines Aufenthaltes in Rom im Winter 1889/90 allerlei auf das Itinerar der üttonen in Italien bezüglichen Fragen nachzugehen, sowohl denen, welche ich in der Edition der DD. 0. I. und der DD. 0. IL offen gelassen hatte, als denen, auf welche ich jetzt bei der Herausgabe der DD. 0. III. stiess. Stand ihm doch in Rom und insbesondere in der Bibliotheca Platneriana ein reiches Material für solche Untersuchungen zu Gebote. Ich überlasse es ihm, auf die zweifelhaften Ausstellungs- orte in den Diplomen bis zum J. 983 (so auch auf Plistia in DO. I. 376) zurückzu- kommen, mache aber mit seiner Erlaubniss gleich hier imd in der Ausgabe von den Aufschlüssen Gebrauch, welche er mir betreffs der DD. 0. III. ertheilt hat. Was Plistia anbetrifft, so hatte allerdings auch Ottenthai mich nur auf Colucci ver- wiesen, da er auf den römischen Bibliotheken die Originalausgabe von Mengozzi nicht auftreiben konnte. Ich verdanke es einem glücklichen Zufalle, dass ich diese jüngst in Rom gefimden habe und kaufen konnte. Sie hat vor der zweiten A\isgabe eines voraus, nämlich die Beigabe einer sehr anschaulichen Specialkarti; des Terrains zu beiden Seiten der von Foligno nach Camerino führenden Gebirgs- strasse, im SW. bei Casenove beginnend und sich in NO. bis Serravalle di Chienti erstreckend. Weitere Aufschlüsse über die gegenwärtigen Ortsverhältnissc ver- danke ich meinem H. Collegen Bormann. Indem ich aus Mittheilungen desselben in den Notizie dcgli scavi (Atti doi bincei Ottobre 1890 pag. 315) über Inschriften aus Colfiorito erfuhr, dass er jüngst an Ort und Stelle gewesen war, konnte ich mich von ihm auch über die seit Mengozzi's Zeit eingetretenen Veränderungen belehren lassen. Bormann hat dann auch die Güte gehabt, mir den Conectur- bogon 103 des Corpus Inscr. XI zuzusenden, auf welchem S. 812—814 die antiken Inschriften von Plistia abgedruckt worden sind.

Erläuterungen zu den DiiDlomen Otto III. 391

und wo die IIXetattVY] XtpT] zu suchen ist, an welcher laut Appian (Haunibal. cap. 9) im J. 217 v. Clir. der Proprätor C. Ceutenius ge- schlagen wurde. Stadt und See, antwortet er, lagen auf der Hochebene des römischen Appennins, über welche von Alters her die Strasse von Foligno nach Camerino führte und welche sich erstreckt von Colfiorito, wo die Strasse die Passhöhe erreicht, bis Serravalle, wo die Strasse in das Thal des Chienti eintritt. Die Gewässer des einstigen Sees sind nach und nach abgeleitet worden. Südöstlich von demselben war im Mittelalter u. a. die Kirche S. Maria di Pistia erbaut wor- den und zwar, wie die in der Kirche und ihrer Umgebung in grosser Zahl aufgefundenen Inschriften, Münzen und andere Denk- mäler bezeugen, an der Stelle der Stadt der Plestini. Die Kirche als solche ist allerdings zu Beginn unseres Jahrhunderts aufge- hoben worden, steht aber noch gut erhalten und führt nach wie vor den Namen Pistia ^).

Mengozzi hat, um die Identität der einstigen Stadt der Plestini und des heutigen Pistia zu erhärten, auch eine Reihe von diesbezüg- lichen Notizen aus dem Mittelalter zusammengestellt. Die Acta s. Feli- ciani (A. SS. 24. Jan.) nennen unter den Städten ümbrieus, in welchen dieser Bischof das Christenthum gepredigt hat, Plesteas; desgleichen werden in der Missa s. Feliciani die Plestei erwähnt. Dann führt Mengozzi DO. III. 215 au und bemerkt mit Recht, dass es sich was Tag und Ort der Ausstellung anbetrifft, gut an D. 213 anschliesst 2). Häufiger begegnet der Name seit dem 14. Jahrhundert. Ein Zehnt- verzeichuiss des vaticanischen Archivs aus den J. 1332 und 1334 redet von dem rettore della pieve di Pistia. Lehrreicher ist ein Schieds- spruch vom J. 1345, welcher allerlei Streitigkeiten zwischen den Ein- wohnern des castrum Collisfloreti, districtus Fulginatensis und denen der villa Diguani, districtus Camerini schlichten sollte und so auch den Streit um die divisio laci et plani Pistiae: der ersteren Gemeinde wird hier die ihr zunächst liegende südwestliche Hälfte des offenbar schon zum grossen Theile trocken gelegten Sees von der Foligno und Camerino verbindenden strata publica au bis zu einem der Abzugs- canäle zugesprochen. Wiederholten sich diese Differenzen und gaben sie zu neuen Entscheidungen Anlass, so glaube ich aus der einen von Mengozzi ebenfalls veröffentlichten Urkunde vom J. 1471 noch hervor-

«) Pistia ist von Colfiorito 1, 25 Kilom. entfernt und liegt rechts oder öst- lich von der bei Colfiorito in die Hochebene eintretenden Strasse. Das Kirchen- gebäude dient jetzt den Zwecken der Militärverwaltung. ^) D. 214 citirt er erst in anderem Zusammenhange.

392 S i c k e 1.

lieben zu sollen, dass in ihr nur noch vom planus Pistiae die Rede ist, der See also bereits ganz al)geleitet worden zu sein scheint i).

Dtiss ich hier so viele Notizen zur Geschichte von Plistia aus Mengozzi wiederhole, hat seinen besonderen Grund. Schon vor ihm hatten sich die Localforscher vielfach mit der Frage beschäftigt, wann und durch wen die alte Stadt der Plestini zerstört worden sein mag; bald war die Schuld den Gothen, bald den Langobarden, bald auch den Sarazenen zugeschrieben worden. Bemerkt nun Mengozzi mit Hecht, dass es an allen positiven Nachrichten fehle, so tritt er ins- besondere der bis dahin vorherrschenden Ansicht, dass die Stadt schon vor 900 vom Boden verschwunden sei, mit zwei Argumenten entgegen, welche er als für den Fortbestand der Stadt den Ausschlag gebend be- trachtete. Unter den dort gefundenen Münzen befinde sich auch eine in Pavia und unter dem K. Rudolf IL, also nach 022 geprägte ; ferner sei ein mehrtägiger Aufenthalt Otto IIl. in Pistia durch zwei Urkun- den bezeugt-). Da dann aber eine Stadt dieses Namens nicht wieder erwähnt wird, nimmt Mengozzi die schon von Dorio und Jacobilli ausgesprochene Vermuthung auf, dass Plistia, wenn es aucli in früheren Jahrhunderten mehrfach gelitten haben möge, gerade im J. 996 und von Otto IIL vollständig zerstört worden sei. Der Kaiser, meint er, welcher zu Anfang Juni Rom verlassen und auf dem Heimwege am 12. Juni Foligno (D. 213) berührt hatte, werde nicht ohne trif- tigen Grund von der Hauptstrasse nach Tuscien abgewiclien und in das Gebirge gezogen sei, sondern werde, da Plistia wahrscheinlich die Partei des Crescentius ergriffen habe, sich hierher gewandt und in der Gebirgslandschaft nur deshalb verweilt haben, um die Stadt zu be- zwingen und vom Erdboden zu vertilgen.

Da dies Mengozzi auch von neuern Geschichtschreil)ern Italiens nacherzählt worden ist, lohnt es sich wohl, diese Annahme als un- haltl>ar zurückzuweisen. Bisher ist nicht der geringste Beweis dafür beigebracht worden, dass Plistia in irgend einem Verhältnisse zu dem damaligen Patricius Crescentius gestanden habe, noch dafür, dass nach der Unterwerfung des Crescentius im Mai 990 dem Kaiser, solange er damals in Rom und dessen Umgebung weilte, irgend welcher Wider- stand geleistet worden sei. Und wir bedürfen, um den Abstecher von Foligno nach Pistia begreiflich zu finden, des ganz aus der Luft ge-

') V^'l. Mi'ngozzi 70. Dersclbo vorweist endlich auf Waddiii<i Ann. minores Bund -i mit Urkunden für das ebenfalls auf jener Hochebene gelegene Kloster Brogliano aus den J. 1374—1388, in welchen mehrmals Pistia genannt wird. '^ Hier citirt Mengozzi ausser D. 215 auch D. 214 und emendirt actum in Pistoria, wie in beiden Ausgaben von Ughelli gedruckt worden war, in Plistia.

Erläuterungeu zu den Diplomen Otto III. 393

griffeueu Vorschlages von Mengozzi niclit, da uns der ihm noch nicht bekannte Johannes diaconus die durchaus annehmbare Erklärung bietet, dass Otto der Hitze wegen eine Sommerfrische aufsuchte. Dass er dazu Camerinae marchiae alpes ausgewählt haben soll, veranlasst mich nochmals auf die Ortsverhältuisse einzugehen. Die Grenzscheide zwi- schen den beiden Grafschaften von Foligno und von Camerino scheint nämlich auf der Höhe des römischen Appennins und insbesondere auf der Hochebene zwischen Colfiorito und Serravalle dieselbe gewesen zu sein, wie heutzutage die Grenze zwischen den nach Foligno und Camerino benannten Gebieten: Serravalle und Dignano gehören näm- lich zum circondario und zum mandamento di Camerino, Colfiorito und Pistia dagegen zum c. und zum m. di Foligno. Somit konnte Jo- hannes diaconus mit vollem Kechte von einem Aufenthalte inter Camerinae marchiae alpes reden, falls der Kaiser auch nur etwas über Pistia hinaus zog, und er würde auch nur wenig gefehlt haben, wenn sich die Wanderung nicht über den Grenzort Pistia hinaus erstreckt haben sollte. Ich bemerke noch, dass das actum in P. in den DD. 214, 215 noch keineswegs die von Mengozzi gezogene Folgerung gestattet, dass Pistia damals noch den Umfang und die Bedeutung einer Stadt gehabt habe. Schädigungen der einstigen Stadt durch Menschenhand oder durch Naturereignisse können auch schon in den früheren un- ruhigen Jahrhunderten stattgefunden haben. Loealforscher vor und nach Mengozzi 1) haben mit Eecht die Wahrscheinlichkeit betont, dass die Stadt vornehmlich durch das Wasser zerstiu-t worden sein wird. Bis zur Anlage eines grossen emissario im J. 1470 ist die ganze Hoch- ebene wiederholt überschwemmt worden und so auch in der Folge, als dieser und andere Abzugscauäle einstürzten und ihre Dienste versagten.

Nachdem ich, worauf es hier in erster Linie ankommt, die Lage von Pistria oder Plistia genau festgestellt habe, kehre ich zu dem Itinerar zurück. Nach D. 200 währte der erste Aufenthalt des Kaisers zu lioui mindestens bis zum 31. Mai. Erhalten wir dann als nächstes genaues Datum (D. 213) Foligno und 12. Juni, so ist nicht ausge- schlossen, dass D. 210 mit verstümmelten Zeitangaben in den ersten Tagen des Juni ausgestellt worden ist, dass also Otto noch über den Mai hinaus in Kom geweilt hat. Von Foligno unternahm er den Ab- stecher in das Gebirge, mindestens bis Pistia, verweilte aber dort nicht lange. Wahrscheinlich kehrte er über Foligno auf die Hauptstrasse nach Tuscien zm*ück. Am 12. Juli ertheilte er in ecclesia s. Donati,

') So zuletzt noch Conti Camerino e i suoi contorni (Camerino 1872) 41.

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d, h. in der Nähe von Arezzo ^) D. 217 und acht Tage darauf zu Marlia (nördlich von Lucca) D. 218.

Fraglich ist dann wieder der Ausstellungsort von 1). 2111: locus qui Vicus dicitur. Betreffs der Tagesangabe in dieser Urkunde verlasse ich mich auf Laschitzer und nehme den 2 1 . Juli an. Davon geht auch Kehr aus, wenn er den Kaiser von Marlia in der Kichtung auf Mo- dena aufbrechen lässt und dementsprechend Vicus nördlich von Marlia und zwar in der Entfernung von einer Tagesreise sucht. Er entscheidet sich für ein heutiges Vico, welches unweit der Strasse im Liniathale, bald nachdem diese den Serchio verlassen hat, um dem Laufe der Lima zu folgen, liegen soll. Die mir zur Verfügung stehenden Karten macheu hier, d. h. in der Nähe der Bagni di Lucca, kein Vico ersicht- lich, sondern erst höher im Limathale hinauf ein Vico bei S. Marcello Pistojese, welches ebenfalls von Marlia aus in einem Tage erreicht werden kann. Gilt es jedoch auch in diesem Falle ein Vicus nach- zuweisen, welches nicht allein auf der zweifellos im J. [){)() einge- schlagenen Route liegt, sondern auch zu dieser Zeit bereits existirt hat, so bieten uns die zahlreichen älteren in den Memorie di Lucca abgedruckten Urkunden mehrere zur Grafschaft Lucca gehörigie Ort- schaften, welche als vici mit oder ohne Zusatz Ijezeichnet werden. Unter ihnen scheint aber ein ganz nahe bei Marlia gelegenes Vicus (daher oft Vicus in Marlia, aber auch Vicus prope strata oder Vico Elingo) besondere Bedeutung gehabt zu haben. Und dieses betrachten die Localforscher als damalige Residenz des Kaisers : so Puccinelli -), welcher sich sogar beim Abdruck des D. 219 den Zusatz Vicus . . . in castello Marliae erlaubt hat und Repetti •'), welcher, was ebenso richtig ist, von Vico poco lungi della cittä di Lucca redet. Dafür, dass sie das richtige getroffen haben, spricht wohl auch die Bestimmung der betreffenden Urkunde für das Kloster von S. Sesto liei Marlia. Allerdings führt der Weg von Marlia im Serchiothale hinauf an dem Kloster vorbei, so dass die Mönche ihr Gesuch Otto III. auf dessen Zug nach Modena unterbreiten konnten. Aber näher liegt doch die Annahme, dass sie den mehrtägigen Aufenthalt desselben in Marlia und dem b, nachbarten Vicus benutzten, um jenes Präcept zu erwirken und sich noch vor dem Aufbruch ausfertigen zu lassen. So geneigt ich also bin Puccinelli beizupflichten, so habe ich mich doch in der Diplomafa -Ausgabe vorsichtshalber der bestimmten Entscheidung für Vicus in Marlia enthalten. Aber gegenüber Kehr, der, wie ich aus-

') Vgl. die Bulle Victor II. JL. 4370: in palatio s. Donati inxta civitateni Arotinam. -) Cronaca dell' abbadia di Fiorenza (Milano 1(584) 21b" u. 29.

3) Dizionario geogi'. fisico ßtorico della Toscana (Firenze 1833 1846) 2, 835.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto IH. 395

drücklich anerkeune, die im Juni uud Juli 996 eingeschlagene Eoute im ganzen und grossen richtig angegeben und anschaulich gemacht hat und nur in der Deutung dieses Ortsnamens auf halbem Wege stehen geblieben ist, halte ich meinen obigen Vorschlag aufrecht.

Weit mehr zweien Kehr uud ich in der Beantwortung der schwerer wiegenden Frage, wann Otto III. Italien verlassen und wieder deutschen Boden betreten hat i). Er tritt nochmals für die bisher allgemeine, auch von Stumpf getheilte Annahme ein, dass D. 225 aus Pavia vom 5. August 996 das letzte in Italien ausgestellte Präcept sei, und dass der Kaiser bereits am 15. September in Ingelheim oder in Strassburg geurkundet habe. Ich dagegen setze das in Verona ausgestellte D. 226 zum 11. September 996 an und reihe demselben auch noch D. 227 an. Um für beide Raum zu schaffen, muss ich vorausschicken, wie ich die von Stumpf .unter Reg. 1093—1098 verzeichneten Urkunden beurtheile.

Ueber Stumpf Eeg. 1093 brauche ich allerdings kein Wort mehr zu verlieren, kann also gleich zu D. 229 übergehen, welches Kehr 229 ausführlich besprochen und anders als Stumpf gedeutet hat, jedoch wie ich bereits S. 378 gesagt habe, auf Grund von Angaben, welche sich nicht bewähren. Der Ausstellungsort lautet Ingelheim und die Zeitmerkmale ergeben den 15. September 996. Hier ist es nun nicht gerade die Entfernung zwischen Pavia (5. August) und Ingelheim, welche Kehr beanstandet, sondern viel mehr das Reisen in die Kreuz und die Quer in den folgenden Monaten von Ingelheim nach Bruchsal und Selz und dann wieder nach Mainz, ein Itinerar, welches auch mir bedenklich erscheint. Doch mir ist noch bedenklicher dass, wie man bisher gemeint hat, der Kaiser überhaupt schon so früh in Deutsch- land einsjetroffen sein soll. Uud dies veranlasst mich el)enfalls die Frage aufzuwerfen, ob die Datirung von D. 229, obAvohl dem Originale nichts anzusehen ist, vielleicht eine nichteinheitliche ist.

Ich gehe davon aus, dass Otto in dieser Urkunde au ein Kloster, welches inWürzburj? an die Stelle der Kilianszelle erbaut werden soll,

') Zu den letzten in Italien ertlieilten Diplomen habe ich nichts zu be- merken. Ich benutze aber die Gelegenheit, hier die Literaturangabe von Stumpf zu Reg. 1092 (vgl. auch Cipolla Fonti inedite 72 nr. 282) zu ergänzen, da ich diese Fälschung in der Diplomata-Ausgabe nicht wieder abdrucken werde. Citirt nämlich Stumpf nur den einen Druck vom J. 177H, so hätte er mindestens hin- zufügen sollen, dass grade in diesem Werke der Nachweis geliefert worden ist, dass die Urkunde eine grobe und ungeschickte Fälschung ist. Zuerst veröffent- licht ist dieses Machwerk vom Canonicus Francesco Memmo, Vita e macchine di Bart. Feracino colla storia del ponte di Bassano (Venezia 1754) pag. 2 und zwar zugleich mit einem Heinrich III. beigelegten und ebenso sinnlosen Diplom vom 7. September 1100 (Stumpf 2947).

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schenkt quendam nostrae proprietatis locuni Kosla dictum . . . cum ommbus pertiueutiis suis, hoc est cum rebus a uobis illuc per prae- ceptum traditis, dass also auf eiu früheres Präcept Bezug geuoramen wird. ^Yar dasselbe uach Inhalt und Bestimmung gleich ü. 229, so konnte sowohl die jüngst erfolgte Kaiserkrönung als die Einsetzung eines neuen Bischofs in Würzburg Anlass zu wiederholter Beurkundung geben, ja beide Ereignisse konnten hier zusammenwirken. Dafür, dass die Kanzlei Otto III. nach der Kröuuncf in Kom für krjnisliche Prä- cepte Neuausfertigungen unter kaiserlichem Protokoll geliefert hat, hat bereits Kehr 38 und 215 Belege beigebracht; gibt es deren mehrere, so begnüge ich mich hier als ebenfalls in die Zeit der damaligen Heimkehr aus Italien fallend D. 231 (Wiederholung von D. 4) anzu- führen. In unserem Falle kommt, wie gesagt, noch in Betracht, dass nach dem Tode Bernwards ein Anverwandter i) desselben Heinrich, der Bruder des Kanzlers Heribert, am 24. Oktober 995 zum Bischof vou Würzburg bestellt wurde -), und vielleicht noch ein drittes Moment. Das frühere Präcept hat nämlich möglicher Weise lediglich Vergebung von llosle an die bischöfliche Kirche betroffen, so dass es einer neuen Beurkundung bedurfte, als die Errichtung eines Klosters und die Zu- wendung von Kosla an dasselbe beabsichtigt wurde. Auch in solchem Falle sind wir berechtigt von Neuausfertigung zu reden.

Dass nun in Neuausfertigungen die Datirung sehr verschieden behan- delt worden ist, bald ohne alle Kücksicht auf die Datirung des früheren Präcepts und bald mit Wiederholung der einen oder der andern An- gabe der Vor Urkunde, ist bekannt. Sind daher in dieser Beziehung mehrfache Erklärungen zulässig, so wird sich doch am meisten die empfehlen, für welche sich jeweilige Bräuche der Kanzlei geltend machen lassen. Und um diese kenneu zu lernen, brauchen wir uns nicht auf unzweifelhafte Neuausfertigungen zu beschränken, welche oft schwer erkennbar nur gering an Zahl sind, sondern können auch alle die Stücke zu Käthe ziehen, in denen sich die Beurkundung lange ver/()gert hat, so dass eventuell zwischen Handlung und Abschluss des Urkundengeschäfts mehr als ein Jahr verflossen ist. So entsteht hier die Frage ob und wie oft die Kanzlei Otto III. von der Art nichteiuheitlicher Datirung Gebrauch gemacht hat, Tages- und Orts- augabe der Handlung und daneben das spätere Jahr einzutragen, in

') Vgl. Ucgg Korogi-aphie von ^Vül•zburg ], 257. '^) Vita Heribcrti in

üS. 4, 742. Wird in D. 229 Heinrich frcquens et devotum sei-vitiiim nach- gerühmt, so kann sich dies sehr wohl auf Dienste beziehen, welche er schon vor seiner Wahl zum Bischof geleistet hatte; die Worte können aber auch aus der einem seiner Vorgänger ausgestellten Vorurkunde stammen.

Erläuterungeu zu den Diplomen Otto III. 397

welchem das Geschäft zu vollem Abschluss oder iu welchem eiue Neuausfertigimg zu Stande kam. Kehr S. 218 wusste allerdiugs nur zwei Fälle der Art anzuführen. Aber es gibt deren eine grössere Zahl, wie es auch zu erwarten ist, sobald wir uns der Gepflogenheiten der Kanzlei Otto IL erinnern. Schon die zweite Ausfertigung von DO, IL 185 uiit übereinstimmend 980 ergebenden Jahresbezeichnungen wiederholt aus der erster Ausfertigung die Angaben Dornburg und 3. März ^). Auf dem unglücklichen Kriegszuge des J. 982 wurden viele Präeepte zugesagt, aber sie wurden zum Theil erst im folgenden Jahre fertiggestellt (s. DDO. IL 2(38—271). Hatten sich damals selbst die italienischen Notare zu solchem Vorgehen bequemt, so wird es den Hildibald-Notaren ganz geläufig geworden sein, so geläufig, dass sie es auch unter Otto III. anzuwenden in Versuchung kamen, so oft häufiger und schneller Wechsel der Aufenthaltsorte die Erledigung der Geschäfte erschwerte. So halte ich mich für l>erechtigt, die DDO. III. ebenfalls, wenn die Einreihung auf Schwierigkeiten stösst, darauf hin zu prüfen, ob bei ihnen die Annahme dieser Art nichteinheitlicher Datiruug am Platze ist, und das um so mehr, da ich ausser den schon von Kehr au- geführten l^eispielen bereits andere wie DD. 13, 226 kenneu gelernt habe. Auch hier lassen sich noch Unterarten scheiden. Aber vorherr- schend ist doch, soweit ich bisher sehe, dass Tag und Jahr auseinander fallen, und des weiteren häufiger, dass der Ort zum Tage gehört, als dass er zum J-ahre gehört. Letzteres wäre ja für D. 229 annehmbar, denn der Kaiser, der im November 996 Mainz besuchte, kann damals auch Ingelheim berührt haben. Der 15. September stände dann für sich da und könnte einem beliebigen Jahre zugewiesen werden, selbst 996, wenn wir annehmen wollen, dass der neue Bischof von Würz- burg den Kaiser in Italien aufgesucht habe. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich auch in unserem Diplom Orts- und Tagesangabe auf den- selben Zeitpunkt beziehen. Dann aber kann die von uiir vorausgesetzte erste Ausfertigung gleichen oder doch analogen Inhalts nicht dem Bischof Heinrich, sondern sie muss einem seiner beiden Vorgänger Beruward oder Hugo ertheilt Av^orden sein, entweder im J, 994, in dessen September Otto, wie wir aus D. 147 (Kehr 226) erfahren, in der Pfalz Ingelheim weilte und laut dem in Solingen ausgestellten D. 150 Bernwards Besuch empfing, oder im J. 985 als Otto auf der Reise von Westfalen nach Baiern Ingelheim berührt haben wird 2).

') Weitere Fälle habe icli in den KrUlut. zu den DDO. [[. Mitili. Erg. 2, 162 angeführt. ^) Vgl. DD. 20 und 21 ; hiefür würde die Publicationsformel sprechen, welche mit jener der DD. 11, 12, IG", 19 und 21 verwandt ist, während später der Gebrauch von cunctis nicht wiederkehrt.

398 Sickel.

Für die weitere Frage, in welchem Monate des J. 996 die Neu- ausfertigung D. 229 zu Stande gekommen oder wenigstens in Angriff genommen worden ist, kommt in Betracht, dass der schliesshch ein- fifetrao-ene Monatsname Oktober auf Correctur beruht und dass das noch sichtbare s entweder auf den Zeitraum vom 14. August bis 13. September oder auf die Tage vom 14. 30. September hinweist. Letzteres unter der Voraussetzung, dass der Notar, wie das oft ge- schehen ist, die von den Oktober-Kaienden rückwärts zu zählenden Tage des Septembers fälschlich kal. sept. benannt hätte, eine Voraussetzung, welche jedoch ausgeschlossen ist durch meine Annahme, dass Tages- und Ortsangabe von D. 229 einer Vorurkunde entlehnt seien, denn beim einfachen Copiren dieser Angaben entfiel jeder Anlass, die Monats- namen zu verwechseln. So muss ich in Consequenz jener Annahme die unbestreitbare Correctur anders deuten, nämlich dahin, dass HF. zuerst das Datum der neuen Beurkundung eintragen wollte, welches zwischen 14. August und 13. September fallend . . . sept. zu bezeichnen war, und dass er erst nachträglich sich entschloss, vielleicht auf höhere Weisung, D. 229 als mit einem früheren Präcepte zusammenhängend gleich diesem vom 15. September und aus Ingelheim zu datiren. Das Erffebniss wäre dann folgendes. Dem Gesuche des Bischofs Heinrich (ob er dasselbe in Person vortrug oder durch Boten oder ihm be- freundete Hofgeuossen unterbreiten liess, erfahren wir nicht) wurde, etwa als der Kaiser in Pavia weilte, Folge gegeben und nach den Iden des August schritt die Kanzlei 7Air Anfertigung der neuen Urkunde i).

Bevor ich von anderen Urkunden handle, welche damals noch in Italien ausgestellt worden sind, bespreche ich die nach der Heim- kehr nach Deutschland ertheilten. Aus D. 231 lese ich heraus, dass die Notare auf der eigentlichen Wanderung sich nicht gern der Mühe der Kanzleiarbeit unterzogen, sondern letztere wo möglich hinaus- schoben, bis sie wieder einigermassen zur Kühe gekommen waren.

Der Abt Gregorius von Einsiedeln hatte persönlich, also doch wohl als Otto durch die Scliweiz zog, gebeten, dass ihm der Kaiser

') In Anbetracht der Unsicherheit dieser Erklärung ist jedoch D. 229 nicht zum August des Jahres 996, sondern als letztes der in Italien ausgestellten Di- plome eingereiht worden. Ich muss hier noch der zwei unausgefüllten Lücken gedenken, welche das Original aufweist. Die Auslassung des Namens des Heiligen, welchem das erst zu errichtende Kloster gewiflmet werden soll, hängt gewiss nicht mit der Neuausfertigung zusammen. Anders steht es mit der Auslassung des Namens des Gaues in welchem Rosla gelegen war; sie nöthigt zur Annahme, dass, falls das frühere Präcept der Kanzlei vorlag, bereits dieses die gleiche Lücke aufwies, oder dass, wenn nur ein Auszug aus dem früheren Präcepte eingereicht worden war, in diesem die Angabe des Gaues fehlte. ^

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 399

das Präcept (D. 4), welches er ihm im ersten Jahre seiner königlichen Regierung ertheilt hatte, erneuere. Lautet nun die neue Urkunde wörtlich wie die frühere (nur in der Aufzählung der Besitzungen geht jene etwas weiter), so muss sofort bei Vorlage von D. 4 ein Concept für D. 231 oder wenigstens eine Abschrift der Vorurkuude von der Kanzlei angefertigt worden sein, an welche sich dann der Ingrossist Her. A. gehalten hat. Aber auf der Reise nahm mau sich, wie gesagt, nicht die Zeit, das neue Diplom auszufertigen. Die Mönche, welche wahrscheinlich beauftragt waren, dasselbe in Empfang zu nehmen, mussten sich bis zur Ankunft des Hofes in Bruchsal gedulden, wo ihnen endlich D. 231 vom 31. Oktober ausgefolgt wurde. Daraus lässt sich aber auch zurückschliessen auf die Zeit des Uebergangs über die Alpen. Hätte dieser, wie bisher angenommen wurde, bereits im August stattgehabt, so hätten die Einsiedler Brüder, welche es an Mahnungen nicht werden haben fehlen lassen, zwei Monate auf die Erledigung ihrer Angelegenheit warten müssen. Das ist so unwahrscheinlich, dass ich auch aus diesem Grunde die Annahme längeren Verweil ens des Kaisers in Italien vorziehe. Vor D. 231 fällt nun das einzige D. 230 vom 21. Oktober, ohne Ortsaugabe. Ich sagte schon S. 377, dass der betreflfende Name wahrscheinlich nur in der Copie ausgefallen ist; sollte er jedoch schon im Original gefehlt haben, so könnte das aller- dinsfs srerade damit zusammenhängen, dass die Notare noch auf un- unterbrochener Wanderung begriffen, nachlässig arbeiteten oder auch nicht recht wussten, wie sie es mit den Angaben von Tag und Ort halten sollten, eine Unsicherheit, welche auch bei der Ausfertigung von D. 229 gewaltet zu haben scheint ^).

Ich habe die von Stumpf einst als Reg. 1095 verzeichnete Urkunde übersprungen, weil ich, wie er selbst dann vorschlug-), dieselbe zum Mai 1000 einreihe. D. 233 belasse ich trotz der von Kehr 199 ge- machten Bemerkungen bei dem J. 996. So habe ich nur noch von D. 232 zu reden. Ich bezeichne dasselbe als Diplom zweifelhafter

') Der Gedankt liegt nahe, dass es zumeist auf Wunsch der Empfänger der Urkunden geschehen ist, dass mehr oder minder zurückgreifende Daten von der Kanzlei eingetragen worden sind, obgleich die Ausführung dann so mangel- haft gewesen ist, dass der Partei daraus kein rechter Gewinn erwuchs. War z. B. in der Neuausfertigung D. 229 der 15. September als Tag der vorausge- gangenen Beurkundung wiederholt worden, so konnte damit nicht erwiesen wer- den, dass die Schenkung bereits am 15. September 985 oder 994 erfolgt war; es hätte dazu des fi-üheren Präcepts oder anderer Documente bedurft. Trotzdem will ich gerade hier auf das ins Spiel kommende Interesse des Empfängers hin- weisen, weil noch eine zweite Urkunde Otto lll. für Würzburg vom J. 1000 (s. Kehr 251) analog behandelt worden ist. -) So auch Ficker Beitr. 1, 160 u. 2, 515.

400 Sickel.

Geltung, betrachte aber das ganze Escliatokoll als von HF. geschrieben und die Datirung als durchaus gesichert, auch abgesehen davon, dass sie mit der von D. 231 so gut wie übereinstimmt. Bruchsal ist somit der erste uns genannte Aufenthaltsort des Kaisers nach seiner Kück- kehr nach Deutschland. Weisen wir ihn aber unter der Voraussetzung, dass Ingelheim und 15. September in D. 229 nicht wörtlich zu nehmen sind, in Deutschland nicht früher nach als am 21. Oktober (D. 230) und erhalten Avir als erste genaue Itinerarsangabe nach dem Ueber- schreiten der Alpen Bruchsal am 31. Oktober (D. 231), so steht nichts mehr im Wege,- den Kaiser bis weit in den September hinein in Ober- italien weilen zu lassen, und so habe ich mir den Weg gebahnt, die Da- tirung von D. 22ß anders zu deuten als es Kehr gethan hat und aus ihr herauszulesen, dass Otto III. noch am 11. September 996 zu Verona war.

Aus den Erörterungen Kehrs 262 264 über D. 226 hel^e ich zuerst drei Sätze hervor, welche ich ohne jeden Vorbehalt unterschreibe : diese Urkunde ist inhaltlich unanfechtbar; die vorliegende Fassung kann jedoch erst im J. 1001 entstanden sein; weisen aber die Jahres- bezeichnungen auf frühere Zeit, so muss auch hier nichteinheitliche Datirung beliebt worden sein. Es gilt zu untersuchen, welche be- sondere Art solcher Datirung hier Platz gegriffen hat, wie demnach die Datirung zu deuten und das Präcept einzureihen ist, eine Unter- suchung, welche durch die mangelhafte und unsichere Ueberlieferung erschwert ist. Dass ich nun das von Kehr gewonnene Ergebniss : Otto habe, als er etwa im April 996 zu Verona Hof hielt, dem Bischöfe von Coucordia die Bestätigung der Besitzungen und Kechte seiner Kirche zugesagt, habe ihm aber erst am 11. September 1001 während des damaligen Aufenthaltes in Kavenna D. 226 anfertigen und aus- folgen lassen^), ablehne, geschieht aus doppeltem Grande: ich bin über die handschriftliche Ueberlieferung besser als Kehr unterrichtet und ich erl)licke nicht wie er in D. 229 ein Hinderniss, eine einfachere und den damaligen Bräuchen mehr entsprechende Lfisung vorzuschlagen.

Kehr hatte allerdings, als er dieses Diplom bearbeiten wollte, die vier Copieu, über welche unser Apparat bis zum J. 1888 Aufschluss gab, ungenügend befunden und hatte veranlasst, dass zwei nochmals verglichen wurden; aber wie sie sich zu einander verhalten, war ihm doch nicht klar geworden. Schlimmer war, dass er üliersehen hatte, dass Ottenthai als neueren Druck eingetragen hatte: Degani La diocesi di Concordia (S. Vito al Tagliamento 1880) 86 und damit auf eine

') Somit soll sich Verona allein anC die Ilancllnng beziehen, alle Zeitangaben dagegen aollen dem Zeitpunkt der Beurkundung entsprechen.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 4Qj

ältere jedenfalls noch zu benutzende Copie aufmerksam gemacht hatte i). Einmal auf dieses üebersehen aufmerksam gemacht, stiess ich in De- gaui auf die Spur einer zweiten älteren Abschrift. Wer nun nur eiuigermassen die Beschaffenheit der ürkundenabschrifteu kennt, welche von den Venetianischen Forschern der letzten Jahrhunderte in grosser Anzahl angefertigt worden sind, wird es nicht versäumen, der Ueber- lieferung über sie hinaus nachzugehen, um eine sicherere Grundlage zu gewinnen. Letzteres ist mir auch in diesem Falle gelungen. Die eine und die andere Variante in der Datirungszeile, auf welche es be- souders ankommt, ist beseitigt. Erscheineu doch noch einzelne Worte und Zahlen auch in den älteren Copien verderbt, so liegt deren Emendation nahe. Die Hauptsache aber ist, dass auch bei D. 22G die anomale Datirimo- verbürgt ist, so dass die Aufgabe sie zu erklären nach wie vor besteht.

Die älteste bisher aufgefundene Copie (B) ist die von Degaui be- nutzte im Archivio della mensa capitolare in Portogruaro. Sie ist zu Ausgang des 13. Jahrh. auf Papier geschrieben. Dieses einst gefaltet und so auch in der Richtung von obeu nach unten, hat sich mit der Zeit in zwei Hälften zerlegt, deren Ränder mehr oder minder ver- modert sind, ein Schaden, welcher nicht mehr gut zu machen war, als man später die beiden Hälften auf stärkeres Papier aufklebte. Es finden sich also in der Mitte der Zeilen mehrere Lücken, namentlich in dem unteren Theile. B weist zwei äusserliche Merkmale auf, welche offenbar einem Original aus dem J. 1001 nachge])ildet worden sind, nämlich die Verschränkung des Namens Otto (wie in KU. in Abbild. 9, 12; s. Kehr 101) und das kaiserliche Monogramm. Doch halte ich B nicht für eine unmittelbar aus der Kanzleiausfertigung geflossene und authentische Copie, denn solche würde im 13. Jaln-h. wohl auf Pergament geschrieben und mit einer Beglaubigungsturmel versehen worden sein. Aber obwohl nur Copie zweiten oder dritten Grades, erweist sich B als die beste unter allen Ueberlieferungsformen, so dass, nur weil sie lückenhaft ist, für die Edition andere Abschriften zu Hilfe zu nelimen siud.

Der Zeit nach folgt D, eine Copie des 14. Jahrh. in Form eines Transsumtes, welches eingeheftet ist in den Cod. Bibl. Marcianae lat. cl. IV. nr. 52 -). Aus den Schlussworten erfahren wir, dass auf Ge- heiss des Bischofs Petrus von Concordia (1348— 13G0) Jacobus Bar- tholomei de Portunaonis imp. auct. notarius ... de quodam exeuijdo

') Dies Buch befand sich überdies in der lustitutsbibliotliek. '^) Neue

Signatur VIII. 110. kli ziehe vor, mich hier der iilteren Bezeichnungen zu bedienen, weil .sie den Vergleich mit den Angaben von Pertz, Bethmann u. a. erleichtern.

Mittheiluugen XII. 26

402

Sickel.

einen Transsimt anfertigte. U ist aber keineswegs der Origiualtrans- sumt, sondern nur zweites Exemplar oder Abschrift eines solchen. Das ero-ibt sich aus dem Verhältuiss zu einer andern Ueberlieferuugsform, welche uns zugleich erklärt, was zur Transsuminmg unter dem Bischof Petrus Anlass gab.

Das Museo Concordiese zu Portogruaro besitzt in einem Perga- mentcodex eine Reihe von Urkundenabschriften, welche gelegentlich einer Lehensstreitigkeit dem Officio del luogotenente della patria vor- gelegt wurden und unter diesen die Abschrift eines Diploms Karl IV. für Concordia (Prag 1.353 August 11) i), in welches das Präcept Otto III. inserirt ist (C). Lauten nun C und D wesentlich gleich, so gehen sie offenbar auf denselben kurz vor 1353 angefertigten Trans- sumt zurück. Fragen wir aber nach der Vorlage dieses uns nicht erhaltenen T 2), so erhalten wir über deren Beschaffenheit aus C und D die gleiche Auskunft. Im Diplome Karls wird nämlich nicht mit einem Worte gesagt, wie das sonst üblich war, dass das Privilegium Ottonis irgendwie ]3eglaubigt gewesen sei. Dasselbe gilt aber auch von dem auf Geheiss des Bischofs transsumirten exemplum : wäre das- selbe mit einer Authenticitätserklärung versehen gewesen, so würde die auch in dem neuen Transsumte wiederholt worden sein. Schon das legt den Gedanken nahe, dass unser B Quelle von T und somit auch von den aus T geflossenen C und D sei. Und das wird vollauf bestätigt durch eine Prüfung der drei Texte. Der Varianten gibt es viele. Aber sie sind von geringem Gewichte und reichen nicht weiter als es bei minder sorgfältigem Copieren im 14. Jahrh. der Fall zu sein pflegt. Den Ausschlag gibt, dass C und D gewisse Fehler mit B gemein haben. Was daraus zu folgern ist, habe ich schon zuvor ge- sagt: wir haben uns an B zu halten und lediglich die Lücken des- selben nach C oder D auszufüllen.

Ueber drei jüngere Copien ist nur wenig zu sagen. Zwei, E und F, finden sich in Sammlungen von Fontanini, nämlich E im Cod. Font. ur. 78 pag. 229 in der Coramuualbibliothek zu S. Daniele, und F im Cod. Font. IL 647 pag. 429 des k. Staatsarchivs zu Venedig.

•) Von Degani 1. c. nach einer Jüngern Absclii-ift veröffentlicht. Herr Canonicns Degani, welcher bereits Dr. Tangl hei seinem Besuche in Portogruaro sehr freundlich unterstützt hatte, hatte auf mein Ansuchen die Güte in Porto- gruaro und in Venedig dem Original des Diploms vom J. 1353 oder älteren Co- pien dieses und des Ottonischen Diploms nachzuspüren. Bisher fand er nur jenes MS. auf, aus dem er die ganze Urkunde Karls liir uns cojiirte. '-') Vermuth-

lich wurde T der kaiserlichen Kauzlei eingesandt und ist dort nach erfolgter Insertion verloren gegangen.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 403

Beide sind nach D augefertigt, weisen daher gleicl] D in der Datiruiig die unrichtige Mouatsangabe april. auf. Kommen sie neben D für den Editor gar nicht in Betracht, so gilt das in noch höherem Grade von der Abschrift G (17. 18. Jh.) im Cod. Bibl. Marc. lat. cl. XIV nr. 28 pag. 265. Als Bethmann den Druck von Ughelli i) mit G verglich, hatte er ein einziges Wort und eine einzige Zahl zu ver- bessern. Man könnte also zunächst daran denken, dass G aus Ughelli copirfc sei. Kichtiger ist wohl die andere Erklärung, dass G von einem Manne stammt, welcher Coleti diese Urkunde behufs Ver()ifentlichuug zusenden wollte, den handschriftlichen Text aber zuvor emendirte -).

Von der Datirung ist nun in B noch zu sehen : anno dorainice ine . . . nongentesimo . . . anno regis Ottonis tercii VIII, imperii vero primo ; actum vero et dictum ad s. Zenonem in civi .... III. id. sep. ; feliciter amen. C stimmt damit überein und füllt die zweite Lücke aus mit LXXXVI indictione und die dritte mit civitate Verona. Da- von weicht D nur zum Schluss ab, indem es bietet in civ. Verona ad s. Z. III. id. apr. ; felicitate amen; wird hier die Flüchtigkeit des Copisten offenkundig, so kann ich der Lesart apr. keinen Werth bei- legen. Gemeinsam ist also BCD die Auslassung der Römerzinszahl und a. r. VIII, und übereinstimmend bieten C D 986, während a. imp. I. erfordert a. r. XIIT, a. ine. 996. Ich meine, dass gegen die Emendation durch Einschaltung von X in die Zahl der Incarnatioiisjahre und durch Aenderung des überlieferten VIII in XIII keine Einwendung gemacht werden kann. Will man Aveitergeheu, so kann man noch ind. IX oder auch X ergänzen; doch ich ziehe vor, die vielleicht schon im Original vorhandene Lücke unausgefüllt zu lassen.

Die Zulässigkeit der Annahme, dass Otto III. im September 996 noch in Verona geweilt habe, habe ich zuvor dargethan. Für die

') Tom. 5, 327 der 2. Ausgabe vom J. 1720. In der ersten Ausgabe fehlt nocb das Diplom. ^) So sind die BCD gemeinsamen Fehler favencium (statt favente), dictum (datum) u. a. verbessert worden. Desgleichen sind in C und D fehlende Worte (z. B. componat, magna parvaque persona) ergänzt worden. Ein- mal findet sich ein Emendationsvorschlag durch vel eingeleitet in Klammer. Der Bearbeiter hat sich besondere Mühe gegeben, nach seinem Wissen die Diitirung in Ordnung zu bringen : die Jahresangabe 989 (statt dessen in Ughelli 988) stammt von ihm. Ist nun auch hier die Beglaubiguugserklärung des Notars Jacobus Bartholomei wiederholt, so könnte mau G als auf D fassend betrachten. Dazu passt jedoch nicht, dass G die richtige Lesart sept. bietet. Es müssten also nebenbei B oder C benutzt worden sein. Die Annahme, dass um 1700 noch T zur Verfügung gestanden habe, erscheint mir unzulässig, denn um diese Zeit hat man in Venedig bereits alle (Sorgfalt auf Erhaltung des archivalischen Materials angewandt und würde T nicht in Verlust gerathen lassen haben.

26*

404 S i c k e 1.

weitere Annahme, tlass er damals dem Bischöfe von Concordia eine Urkunde ertheilt oder wenigstens zugesagt habe, lüsst sich geltend machen, dass sich der Kaiser angelegentlich mit den Verhältnissen und Zuständen im Friaul beschäftigt hat. Zu der Kegelung der Beziehungen zu Venedig kommt die dem Patriarchen von Aquileja am 26. Juni ausgestellte Bestätigungsm*kunde, welcher am 5. August die dem Bi- schof von Treviso gewährte Confirmation folgte. Bei der Unterordnung von Concordia unter Aquileja lag es nahe auch für jenes zu sorgen. Besonderen Anlass mochte der Streit zwischen Venedig und Belluuo, über den Johannes diaconus ausfühi'lich berichtet ^), darbieten : han- delte es sich bei diesem um Besitzungen in der Nähe von Oderzo und am rechten Ufer der Livenza und war der Kaiser geneigt diese dem kleinen Nachbarstaate zuzusprechen, so musste dem Bischöfe von Con- cordia daran gelegen sein, für seinen am andern Ufer der Livenza gelegenen Besitzungen sich einen neuen Rechtstitel zu verschaffen.

Setze ich nun mit Kehr die Ausfertigung der uns überlieferten Urkunde in das J. 1001, so sind zwei Möglichkeiten ins Auge zu fassen : es mag im J. 99G im Augenblick des Aufbruchs nach Deutsch- -land nicht zu der versprochenen Beurkundung gekommen, sondern eine Verzögerung von Jahren eingetreten sein oder es mag aus irgend einem Grunde nach Jahren eine Neuausfertigung beliebt wor- den sein. In beiden Fällen moclite der Bischof es seinem Interesse mehr entsprechend finden, dass in dem Diplom vom J. 1001 der Zeit- punkt verewigt werde, in dem ihm der Kaiser seinen Besitz bestätigt hatte, d. h. der 11. September 996. Und das kann die Kanzlei be- stimmt haljen, der Datirungszeile eine andere Fassung zu geben, vor- ausgesetzt, dass diese schon von dem Original geboten wurde. Hier liegt die Sache nicht wie bei den anomalen Datirungen unter Otto I. -), dass gewisse Notare eine Zeit lang sich nicht an die Hegel und das Herkommen gebunden haben, sondern actum vero et datum •'') findet sich in keinem zweiten Diplome Otto III. und lässt daher auf bewusste und absichtliche Abweichung schliessen.

Auf D. 226 lasse ich dann unmittelbar (also als D. 227) die Ge- richtsurkunde folgen, welche bisher nur von Stumpf Acta inedita 621 nr. 442 veröffentlicht worden ist, und zwar in einer AVeise emen- dii-t, welche die sich dem Leser aufdrängenden Bedenken nicht behel)en konnte, sondern vielmehr steigern musste 4). Zweifel an der Eclitheit

«) Vgl. Kohlschütter Venedicr 03. 2) Mittheilungen 2, 271 nnd Ficker

Beitrüge 2, 393. •'') Denn so wird doch das in B gebotene und von CD

wiederholte dictum zu eracndircn sein. ■•) In Folge einer zweifachen Verwechs- lung hatte Stumpf auch die Auffindung des zu Grunde liegenden Exemplum

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 405

hat Stumpf offenbar nicht gehegt. Machte ihm aber die Datirung: 996 November 23. insofern SchAvierigkeiteu , als er Heimkehr des Kaisers nach Deutschland im September annahm, so glaubte er dieselbe zuversichtlich durch Verbesserung der allerdings emendationsbedürftigen Namen beheben zu können.

Ich berichte gleich hier über die Entstellung der Namen und Titel in dem Transsumte. Da sich der obere Theil desselben nicht erhalten hat, lernen wh- die im Eingänge der Urkunden genannten Beisitzer nur aus den Unterschriften kennen. Und da folgen auf die des Eribertus iudex et notarius domini imperatoris, welcher die notitia aufgesetzt hat, zwölf Unterfertigungen. Die des Kaisers, des Ardingus comes palatinus, des Tebaldus dux et marchio, des d. Henricus dux erscheinen als nicht eigenhändig, sondern werden eingeleitet durch signum f manus etc. Dagegen erscheinen als autograph die Unter- schriften von fünf Bischöfen, respective Erzbischöfen, vom Grafen Odelrich (diese schicken ihren Namen ein Kreuz voraus) und von zwei iudices, die sich ihres Notariatszeichens bedienen. Werden uns so als Beisitzer genannt Johannes Aquileiensis patriarcha ^), llozo Triv, (zu verbessern Tarvisieusis) episcopus, Lanbertus Vicentinus episcopus, so

exempli ex auctentico rellevati, d. h. eines Transsumtes vom J. 1283 erschwert. Er gab nämlich an : im Bischofsarchiv zu Verona durch L. Bethmanu, aus den Papieren der Mon. Germ, historica. Auf Bethmann mag ihn gebracht haben, dass dieser im Archiv 12, 663 D. 227 als in Handschriften Bianchinis verzeichnet aufzählt. Dass sich dort keine Abschrift findet, bezeugt Cipolla Fonti inedite 72 nr. 288, indem er das Placitum als nur aus Stumpf bekannt anführt. Aber die einzige Abschrift im alten Monumenta- Apparate ist von Wattenbach geliefert worden, welcher am Kopf bemerkt hat: ex trauss. a. 1283 in arch. caes. So hat Wattenbach regelmässig das H. H. und Staats-Archiv in Wien bezeichnet. Wahr- scheinlich las Stumpf ex arch. cath. und machte daraus, weil in dieser Gerichts- urknnde der Bischof von Verona eine Rolle spielt, das Bischofsarchiv zu Verona. Sobald mir die Abschrift Wattenbachs zu Gesichte kam, durchschaute ich den doppelten [rrthum. Eine Anfrage im Wiener Archiv ergab aber, dass auch dieses Stück im J. 1868 an die italienische Regierung ausgeliefert worden war. Wandte ich mich deshalb au die Dircction des k. Staatsarchivs in Venedig, so erhielt ich von dort freundliche Auskunft und genaue Copie von der Hand des H. Archivars R. Predelli. Als Fundort und jetzige Signatur sind angegeben: Archivio di stato in Venezia; Archivio del convento de' ss. Nazzaro e Celso, per- gamene, colto I, mazzo I, rotolo 2. Die beiden mir jetzt zur Verfügung stehenden Copien weichen kaum von einander ab und stimmen gerade in den am meisten anstössigen Namen überein, welche somit bereits im Transsumt von 1283 verderbt waren.

') Den Transsumt bezeichne ich mit A, die xVbschrift Wattenbachs mit A', die Predelli's mit A^. Hier bietet A* Aquiliensia, A- Aquileiensis. Im folgenden Triviavensis A', Triuianensis A-.

406 S i c k e 1.

sind liier die damaligen Inhaber der betreffenden biscbrtfliclien Stühle richtig angegeben. Dagegen sind in A entschieden schlecht überliefert die Namen in den l)eiden gleich nach der Unterschrift des Patriarchen folgenden Unterfertigungen. In dem Stumpf vorgelegenen A^ lauten sie: Keginpreth dei gratia Maguthensis archiepiscopus, Rothpert Tre- verensis archiepiscopus i). Ohne weiteres machte Stumpf aus beiden archiepiscopi episcopi, ersetzte aber die überlieferten Xamen der Sprengel durch Pergamensis und durch Spirensis um dieselben in Einklang mit den Personennamen zu bringen. Ich behalte mir meine Emendations- vorschliige vor, um gleich zu verfolgen, wie Stumpf den von ihm an- genommeneu E. Spirensis zu verwertheu versuchte.

Die Betheiligung des Bischofs von Speier, sagt er, macht Ver- handlung auf Speierer Diöcesangrund wahrscheinlich, wie ja auch unter Heinrich II. Keg. 1441 ein Placitum in italienischer Angelegen- heit in Deutschland (nämlich zu Neuburg an der Donau) unter Be- theiligung deutscher Reichsfürsten abgehalten worden ist. In den Acta ined. verliert Stumpf kein Wort mehr über die Datirung, da allerdings der Annahme des ilufenthalts des Kaisers am 23. November 996 im Sprengel von Speier (vgl. Kehr 229) nichts im Wege steht; nur in den Regesten fügt er hinzu: ob nicht ein Fehler im Tages- datum? — Dass sich nach Stumpf jemand über diese Einreihuug ge- äussert, ist mir nicht bekannt. In den Nachträgen hat Ficker 2, 493 von dieser Urkunde Gebrauch gemacht, aber ohne sich über die Da- tirung oder über die Glaubwürdigkeit auszusprechen.

Für die Richtigkeit der ülDcrlieferten Worte Maguthensis archi episcopus und Trevereusis archiepiscopus wird wohl niemand eine Lanze einlegen wollen. Aber Stumpfs Aenderungen fordern zum Theil die Kritik geradezu heraus. Nm* die Möglichkeit der Vertauschung von episcopus mit archiepiscopus gebe ich im vorhinein zu. Bei den vor- ausgehenden Namen wird aber doch zu fragen sein, ob die einge- schlichenen Fehler sich irgendwie aus Verlesen der als m-sprünglich supponirten Namen erklären lassen. Und da will mir, selbst wenn ich Mittelglieder zwischen der Urschrift und dem Transsumt von 1283 annehme, nicht einleuchten, wie aus Pergamensis Maguthensis und aus Spirensis Treueciensis werden konnte. Und dass auf der kühneu Emendation Spirensis alles weitere beruhen soll, nöthigt uns zu ge- nauer Prüfung dessen, was Stmnpf zu Gunsten seines Vorschlages beibringt.

') So Wattenbach in der bereits für den Druck hergestellten Abschrift, daneben jedoch am Rand wohl als Lesart von A Treueciensis. Abweichend in A*: Maguchensis ; dagegen ebenfalls Treueciensis.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 4QY

Den Hinweis auf Stumpf 1441 als auf einen analogen Fall muss ich als durcliaus verfehlt bezeichnen. Laut dieser Gerichtsurkunde vom 2. April 1007 kamen, als Heinrich IL zu Neuburg an der Donau Hof hielt, die Aebte von Monte Amiata und 8. Antonio, um gegen den Bischof von Chiusi zu klagen, der ebenfalls anwesend und Kede und Autwort zu stehen bereit war. Als an der Verhandlung theilnehmeud werden genannt der Bischof von Trieut, vier Aebte aus Italien, wohl auch Laien dieses Landes; die deutschen Fürsten dienten hier wie in Italien nur zur Verstärkung der Bank der Beisitzer. Damit vergleiche mau nun den Vorgang vom J. 096. In erster Linie kommt es doch auf Kläger und Beklagte an: das sind die homines de Illasi et Coloniole et Calderii et Porcile ^) und andererseits die homines de Grepeto. Sollten die ersteren um Keclit zu suchen die Zeit verpasst haben, da der Kaiser in Oberitalien weilte, sollten sie insgesammt dem Kaiser bis in die Gegend von Speier nachgezogen, uud sollten dann auch gleich die Gegner an Ort und Stelle gewesen sein und desgleichen mehrere Bischöfe und Beamte aus Italien? Ist das von vorhinein undenkbar und müssen wir die Gerichtsstätte in oder bei Verona suchen, so ist der Spirensis episcopus nicht am Platze und so ist die Datiruug bedenklich.

Soweit die Urkunde erhalten ist (mit dem Eingang fehlt auch die Ortsangabe), macht zunächst der Coutext den günstigsten Eindruck 2). Desgleichen entspricht das Eschatokoll dem langobardischeu Formulare in allen Punkten bis auf einen: wir stossen hier nämlich auf die Be- sonderheit eines kaiserlichen Monogramms Ottos uud zwar eines Mono- gramms neben der Unterfertigung signiun f manus d. imp. Otonis qui hoc Signum crucis fecit ^). Dasselbe ist auch angekündigt, indem die übliche, auf die Anfertigung der notitia pro securitate bezügliche Schlussformel hier umgewandelt ist in: et hac noticia qualiter acta est, pro securitate Othbertus sagacissimus episcopus et Ilasienses signum imperatoris fieri rogaverunt. Ein gleicher Fall ist mir noch nicht be- kannt, aber docli analoge.

Gerichtlich anerkannte Besitzungen oder Eechte Averden ja zumeist wie hier dm'ch Königsbann gesichert. Aber die siegreiche Partei be- gnügt sich damit noch nicht. Sie erwirkt zuweilen noch ein ilir Recht ausdrücklich Ijestätigendes Präcept ^). Oder sie sucht noch besondere Bekräftigung der Gerichtsurkunde seitens des Vorsitzenden Könitjs nach.

') Alle diese Ortschaften östlich von Verona. *) Das ist auch Fickers

mir brieflich mitgetheilte Ansicht. 3) Solche Unterfertigung reicht also weiter

zurück als Ficker Forsch. 1, 294 annahm. <) So DO. II. 255, in welches die

Gerichtsurkunde inserirt worden ist.

408 S i c k e 1.

DO. IL 266 z. B., obwohl uur Bericht eines Abtes über eine ge- richtliche Entscheidung zu seinen Gunsten, ist auf Geheiss des Kaisers von seinem Kanzler gefertigt worden. Und das Placitum DO. I. 405 endet mit der Corroborationsformel : quod ut vt^rius ab omnibus cre- datur, nostro sigillo sigillari iussimus. Von diesen Stücken unterscheidet sich also 1)0. III. 227 nur dadurch, dass eine andere Art der Beglaubi- gung 1) beliebt worden ist.

Im Hinblicke auf die Datirung will ich gleich hier bemerken, dass mir Nachtraguug sowohl des Handmals als der auf die Unter- fertigung des Notars folgenden Zeile siguuni m. d. imj). Otonis u. s. w. ausgeschlossen scheint. Das Monogramm folgt unmittelbar auf die Ankündigung desselben, und dann erst heisst es quidem et ego Eri- bertus iudex et notarius d. imperatoris ex iussione . . . scripsi. Doch mehr spricht für sofortige Unterfertigung eine andere Erwägung, Waren etwa Bischöfe zu einer Synode zusammengetreten, so blieben nicht jedesmal alle so lange beisammen bis ihre Beschlüsse redigirt und in Eeinschrift gebracht waren; die betreffende Urkunde pflegte dann in Circulation gesetzt zu werden, um von den Betheiligten unter- schrieben zu werden. Aber so umständliches Verfahren kann bei schlichten Gerichtsurkunden nicht angewandt worden sein und am wenigsten wird man sie aus Italien nach Deutschland gesandt halben um Handmal und Handzeichen des Kaisers einzuholen. Das letztere muss, sobald die Urkunde geschrieben war, von dem noch an Ort und Stelle oder doch in der Nähe weilenden Kaiser erbeten worden sein, so dass es uns ebenso wie die directe Kede des Kaisers die Anwesen- heit desselben an der Gerichtsstätte verbürgt. Ich sagte schon, dass ich diese in oder bei Verona suche. Auch Pavia, wo wir Otto bis Anfang August weilen sahen, scheint mii' für diese Verhandlung zu entlegen. Eine Handhabe, darüber zu entscheiden, bieten uns vielleicht die hier genannten Personen, auf die wir ohnehin um die zum Tlieil entstellten Namen zu berichtigen näher eingehen müssen.

Als Wortführer der Kläger tritt J3ischof Otbert von Verona auf. Der Notar, welcher D. 227 aufsetzte, ist wohl identisch mit dem 988 in Bergamo genannten Aribertus iudex sacri palatii und mit dem 1000 in der Grafschaft Lodi auftretenden A. notarius et i. s. p. -). Betreffs

') Vgl. Ficker Beitr. 2, 493 und Seeliger in Mitth. II, 402. Bezeichnet letzterer ib. 405 es mit Recht als zweifelhaft, dass D( ). 111. 227 ^'^c^handl^ng einer italienischen Angelegenheit in Deutschland bezeuge, so hat er übersehen, dass auch im Jahre 1007 lediglich Zufälligkeiten den Ausschlag gegeben haben. -) Ficker Forschungen 4, 47 nr. 34 und Muratori Ant. 1, 455. Von diesem zu unterscheiden ist Ottos Kanzler für Italien: Eribertus cancellarius in Ficker ib. nr. 38.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 409

des Patriarclieii Joliauu von Aquileja und der Bischöfe Rozo von Tre- viso und Lambert von Viceuza ist nur zu bemerken, dass sie liäuiig in Verona, Vicenza, Ceneda u. s. w. zu Gerichte sitzen i). Gehe ich zu den Laien über, so bedarf der Henricus dux -') keiner Erklärung, und so weiss ich über den Odelrich comes nichts sicheres zu sagen 3). Dagegen halte ich mit Stumpf den Ardingus comes palatii für gleich mit dem aus dieser Zeit wohl bekannten Pfalzgrafen Arduin *) und den Tebaldus dux et marchio für gleich mit dem 980 genannten Thedaldus comes et marchio^). Endlich erscheinen die beiden zuletzt genannten Pfalz- richter wieder in einem ludicat aus Verona vom J. 998. Mögen diese Nachweise nicht alle gleich gesichert sein, so machen sie in ihrer Gesammtheit doch wahrscheinlich, dass auch D. 227 von Verhandlungen in oder bei Verona Kunde gibt, wo der Kaiser nach D. 226 noch am 11. September 996 weiUe.

Bleiben noch zwei Namen von mitunterfertigenden Geistlichen richtig zu stellen, so halten wir fügUch unter den Bischöfen Umschau, von welchen am ehesten Betheiligung an Verhandlungen zu Verona vorausgesetzt werden kann; ich rede von Bischöfen, weil ich allerdings gleich Stumpf mit dem zweimal vorkommenden Titel archiepiscopus nichts zu machen weiss, und weil ich dem Copisten derartige Aende- rung wohl zutraue. Statt Treueciensis (s. zuvor S. 406 N. 1) nehme ich an Tridentinus i') und statt Rothpei-t Keginwardus, Eeiuwardus oder dergl. '). Wie dagegen das vorausgehende Maguthensis aus dem Namen irgend eines Bisthums in Italien entstanden sein könnte, ist mir unerfindlich. Gehe ich deshalb von dem Personennamen Kegin- preth aus und verfolge ich denselben auch in den Reihen der deutschen Bischöfe, so scheint mir Magnopolensis ^) am nächsten zu liegen. Nach

1) Für (las Vorkommen dieser drei Tersonen, des später zu erwähnenden liiscliol" Keinward zu Trient und der Pfalzrichter Manifred und Eiprand führe ich folgende Gerichtsurkunden an: 1. aus Verona 993 November in Ughelli ed. II, 5, 747; 2. aus der Grafschaft Vicenza 994 Februar 14 in Gloria CD. Padovano l, 106 nr. 73; 3. aus Verona (ISynodalspruch) 995 November 23 in Muraturi Ant. 5, 1003; 4.- -6. aus Verona und Ceneda von 996 März 25, von 998 Mai 3 und Juli 18 in Kohlschütter Venedig 84—90. '■') Vgl. Wilmans 202. s) (jo- meint sein könnte der Markgraf Odelrich, welchem Otto III. am 31. Juli 1001 ein Präcept erthcilte. ••) Ficker Forsch. 1, 314. ^) Muratori Ant. 5, 676.

") Oder eine andere Form desselben Namens. In Thangmari vita Bernwardi (SS. 4, 767) findet sich vallis Tarenti. Aus Trient liegen ältere Urkunden, die mau zu Käthe ziehen könnte, nicht vor. Deshalb lässt sich auch für den Personen- namen kein rechter Vorschlag machen. ^) Vgl. die zuvor citirten Urkunden, forner SS. 3, 69 und 13, 369. "") Oder auch Magapolensis, Michelinburgensis und andere im ÜB. für Mecklenburg begegnende Namensformen.

410 Sickel.

Mecklenburg nauute sich der Regiubert, welcher das Bisthuni Olden- burg erhalten hatte, von dort aber um U"J1 vertrieljen wurde, mit dem Hofe in Verbindung «tand und so auch 996 iu) Gefolge des Kaisers gewesen sein mag i). Dies ist und bleibt allerdings nur ein Vorschlag, mag er auch annehmbarer sein als der A^on Stumpf gemachte. Dagegen meine ich mit Eeinward statt Rothpert das richtige getroffen zu halien, da dieser Bischof von Trient ebenso gut nach Verona passt wie seine in Italien oft als Eichter und Königsboten erscheinenden Nachfolger. Ich gehe zu der uns überlieferten Datiruug über. An dem J. 096, auf welches die vier übereinstimmenden Bezeichnungen '^) hinweisen, darf man nicht rütteln. Den Stein des Anstosses bildet auch lediglich die Tagesangabe 23. November, indem wie wir sahen, an diesem Tage des J. 996 der Kaiser bereits in Deutschland war. Erscheint somit die Datirung unrichtig, so kann doch nicht davon die Rede sein, die Urkunde um dieses einzigen vermeintlichen oder wirk-lichen Fehlers willen verwerfen oder beanstanden zu wollen ^). Ich meine, dass gerade diese Urkunde, in welcher unter dreizehn in ihr genannten Personen zwölf nicht allein als im J. 996 lebend, sondern auch als demselben •Kreise augehörend nachgewiesen werden können, über jeden Verdacht erhaben ist. Wir haben uns mit der Zeit- und Ortsaugabe abzufinden und haben sie in der einen oder andern annehmbaren Weise zu deuten. Stumpf hat wohl hier wie sonst au einen Ueberlieferungsfehler gedacht, und so will auch ich zuerst auf diese Annahme, welche gleich zulässig ist, ob man die Copie vom J. 1283 als unmittelbar aus der Urschrift fliessend oder als Copie zweiten und dritten Grades betrachtet, auf ihre Wahrscheinlichkeit hin jirüfen. Diese Copie erscheint im ganzen recht gut, Dtr Schreiber ist offenbar mit der Fassung der ludicatc durchaus vertraut uud mag er auch hier und da die Sprachforraen etwas ge- ändert haben, so hat er sich doch genauer "Wiedergabe des Textes befleissigt. Dass er doch gestrauchelt ist, als er zu gewissen Namen kam, welche in das Original eigenhändig eingetragen nicht so leicht zu entziffern sein mochten, zumal ihm der eine, welchen ich annehme, vollständig fremd sein musste, darf uns nicht Wunder nehmen ^). So leicht wiegt jedoch die Vertauschung von Monatsnamen nicht und am wenigsten die, welche hier Platz gegrifi'en haben müsste. Die Schreiber

') In SS. 3, 69 zum J. 902 genannt. Vgl. Lappenberg im Archiv 9, 384. -) Allerdings könnte man als dem November 996 entsprechend die bereits um- gesetzte indictio X. erwarten. Aber in Vcroneser Urkunden kommt vielfach die Jndiction mit der Neujahrsepoche vor. ») Vgl. Bresslau Urkundenlehre 1, 861. ■») Vgl. was Ficker Forsch. 4, 44 nr. 49 zu Straburgensis und Transburgensis bemerkt.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 411

haben allerdings zuweilen diejenigen Monatsbezeichnnngen, welche ein- ander graphisch nahe standen, verwechselt i), al)er dass uov. entstanden sein soll aus sept. oder aug., lässt sich selljst unter der Voraussetzung, dass der Copist vom J. 1283 oder einer seiner Vorgänger momentan sehr zerstreut gewesen sei, schwer begreifen. Ich brauche das avoIiI nicht weiter auszuführen und gehe , die Annahme eines Ueber- lieferungsfehlers verwerfend, sogleich zu der Frage über, ob nicht doch schon in der Urschrift 23. November gestanden haben kann und wie sich wohl diese Tagesangabe erklären lassen mag.

Da uns nur der Schluss der Urkunde erhalten ist, erfahren wir gar nichts über den früheren Verlauf des betreifenden Kechtsstreites. Auf blosse Vermuthungen angewiesen sind wir zu der Annahme be- berechtigt, dass der Verlauf der gewöhnliche gewesen sei, d. h. dass dieser Verhandlung vom J. 996 schon andere Verhandlungen voraus- gegangen seien. Nach Ausweis der Mehrzahl der Gerichtsurkunden wurden die Gerichte, bis es zur Fällung eines Endurtheiles kam, wie- derholt in Anspruch genommen. Oft leisteten die Beklagten den Vor- ladungen gar nicht Folge. Ebenso oft behielten sich Kläger und Beklag^te die Beweisführung vor. Des weitern machte selbst ein ge- richtliches Urtheil nicht jedem Eechtsstreite ein Ende: Beklagte kümmer- ten sich nicht um einen ihnen ungünstigen Spruch und Kläger, welche zu mehreren Malen abgewiesen worden waren, missbrauchten das Klagerecht so sehr, dass ihnen Schläge als Strafe zuerkannt Averden mussten. Besonders häufig ist im Gericht unter Vorsitz des Königs von vorausgegangenen Verhandlungen die Kede -) ; mau Avandte sich gern an dieses Gericht um endlich zu seinem Kechte zu kommen und man suchte dann, wie wir sahen, um weitere Sicherung dieses Hechtes nach. Dass die homiues de Illasi, nachdem sie in Gegenwart des Kaisers ein Endurtheil erwirkt liatten, die darüber ausgestellte Urkunde durch kaiserliches Haudmal gefestigt zu sehen wünschten, möchte ich ebenfalls dahin deuten, dass sie endlich in ihrem Besitze unangefochten sein wollten, was zu erreichen ihnen bislang trotz früherer Verhand- lungen nicht gelungen war.

Eine Stütze für solche Annahme erblicke ich in der schon zuvor (S. 409 N. 1) citirten Urkunde aus Verona vom 23. November 995, laut welcher auf eine Klage des Bischofs Otliert von Verona gegen die Cleriker von S. Maria antica unter Vorsitz des Patriarchen Johann

0 So iun. und iul. in Dö. I. 296 oder feb. und sept. in den beiden Au«= Fertigungen von DO. I. 383. ^-) DDO. I. 340, 398, 4 IG. Weitere Belege in

Ficker Forschungen 4 nr. 5, 9 u. s. w.

412 S i c k e 1.

vou Aqiiileja von den Bischöfeu von Aemona, Ceneda, Treviso, Trient und Vicenza ein Synodalspruch gefällt wurde. Handelte es sich dabei um eine Frage der kirchliehen Disciplin, so waren natürlich Beisitzer aus dem Laienstande ausgeschlossen, deren es für Verhandlungen im weltlichen Gerichte bedurfte. Hat sich somit die Vergleichuno- der Urkunde von 90.5 mit der von OOG betreös der handelnden Per- sonen auf die Geistlichen zu beschränken, so finden wii-, dass in beiden Fällen Bischof Otbert als Kläger auftritt und dass von den sechs im J. 995 genannten Bischöfen vier auch im J. 996 be- gegnen,

Dass nun beide Urkunden auch die gleiche Tagesangabe aufweisen, legt den Gedanken nahe, dass am 23. November 995 zu Verona über geistliche und über weltliche Streitfälle verhandelt worden ist, dass schon damals die homines de Hlasi gegen die homines de Grepeto Klage erhoben haben, dass über diese Verhandlung eine Urkunde mit dem Datum 23. November 995 versehen aufgesetzt worden ist und dass aus dieser Urkunde die Tagesangabe in die des J. 996 überge- gangen ist. Lag dem Notar Eribertus, als der Kaiser zu Gericht sass, die frühere Urkunde vor, um an der Hand derselben den Streitfall darzustellen und über dessen bisherige Behandlung zu berichten, so konnte er etwa aus Versehen auch die Zeitangalje wiederholen. Aber es konnte dies auch absichtlich geschehen um auf eine frühere Ent- scheidung zu Gunsten der Kläger zurückzuverweisen und die ßechts- wirkung schon mit ihr beginnen zu lassen. Kurz der 23. November kann hier eine andere Bedeutung haben als die, den Tag der Schluss- verliandlung vor dem Kaiser angeben zu sollen. Dieser letztere Tag ist vom Notar Eribertus nicht aufgezeichnet worden, so dass wir D. 227 nur annähernd einreihen können und am füglichsten neben D. 226 stellen werden.

Indem ich somit einen Aufenthalt Ottos zu Verona noch im September 996 annehme, bin ich eines Einwandes gewärtig. Johannes diaconus (SS. 7, 30) fährt nämlich, nachdem er berichtet hat, dass Otto zu Pavia ein Edict zu Gunsten der Venetianer erlassen habe, fort: tunc per Cumanum lacum iter arripuit ultramontanum. So hoch ich nun die Angabe des Johannes schätze, glaube ich doch nicht, dass er ein Itinerar, wie wir es wünschen, bieten wollte, dass er auch nicht alles was geschehen ist, vielleicht nicht einmal alles wovon er Kunde hatte, hat erzählen wollen. Dann schliesst sein Schweigen auch einen damaligen Besuch von Verona nicht aus. Ob aber der Kaiser noch- mals nach Pavia zurückgekelu-t ist, um von dort den Heimweg an- zutreten, oder ob er gleich von Verona über Brescia, Bergamo,

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 413

Lecco zum Comersee gezogen ist, müssen wir dahingestellt sein lassen i).

Am füffliclisten schalte ich hier ein, was ich über die sechs einst in die Sammlung der Briefe Gerberts gerathenen und so auf uns ge- kommenen Schreiben Ottos zu sagen habe. Dass die Abfassuugszeit eines jeden dieser Briefe auch nur annähernd zu bestimmen nicht leicht ist, geht schon aus der Mannigfaltigkeit der bisher vorgeschla- genen Datii-uugen hervor. Sind diese Episteln thatsächlich arm an fassbaren Angaben, dagegen reich an vieldeutigen, ja räthselhaften Aeusserungen, so werden sie uns erst in dem Grade verständlich, in dem es uns geling-t die Situation kennen zu lernen, aus welcher die Briefe hervorgegangen sind, und welche sie dann wieder besser zu beleuchten sreeignet sind. Müssen wir schon deshalb auch unter den Gerbertbriefen Umschau halten, welche den Schreiben des Kaisers vorausffeffauo'en oder nachs'efolo't dieselben Themata berühren, so müssen wir jene noch aus anderem Grunde mit in die Untersuchung einbeziehen. Es hat sich immer und immer wieder bewährt, dass die Schwierigkeit gar nicht oder mangelhaft datirte Episteln bestimmten Zeitpunkten zuzuweisen, noch am ehesten und am sichersten behoben wird. Wenn die handschriftliche Ueberlieferung zu Käthe gezogen und die Reihenfolge der Stücke in der ursprünglichen Sammlung derselben möo'lichst o-enau festo-estellt wird. Ich habe schon S. 234 erwähnt, dass betreffs der Epist. Gerberti 1 180 sehr viel mit dem Nachweise gewonnen ist, dass sämmtliche Handschriften auf ein Kladde iibuch zurückgehen, in welches sie der zeitlichen Aufeinanderfolge nach ein- getragen worden sind, habe aber auch bereits angedeutet, dass es sich vielleicht mit dem zweiten minder umfangreichen Theile dieser Collec- tion anders verhält. Da sich in diesen die Schreiben Ottos als Epist. 183, 213 216, 218 eingeschaltet finden, muss auch ich auf die Ueberlieferung eingehen und muss, soweit es mein augenblickliches

') Kehr 235 N. 3 tritt auch in einem andern Falle gegen micli für Johannes ein. Handelt es sich vor allem um die Auffassung der Datirung von DO. 11. 2flO, so habe ich mich ja in der Vorbemerkung ganz so wie Kehr geäussert : man mag sich für die eine oder die andere Deutung entscheiden, so erhält man einen grösseren Zeitraum für die Eeise von Rom nach Verona. Nur habe ich mich durch den Bericht des Johannes nicht bestimmen lassen mögen, noch einen Auf- enthalt in Pavia einzuschalten. Lege ich diesem, wie ich oben bemerke, nicht die Absicht bei, ein genaues Itinerar angeben zu wollen, so kann ich auch nicht von Erfindung eines solchen reden. Ich meine nur, dass Johannes betonen wollte, dass Otto II. auch damals seine Herrscherpflichten oritdlt habe, und dass er um das zu veranschaulichen, Städte genannt habe, in denen die Kaiser ihres Amtes zu walten pflegten, und so auch Pavia.

4X4 Sickel.

Thema erheisclit, micli für die eine oder die andere Ansicht entscheiden, welche darüber in jüngster Zeit aufgestellt worden sind.

Der von Boubuov angenommene alte Codex S. kommt, da er nicht so weit orereicht haben soll, nicht mehr in Betracht. Auch der Codex Lo, d. h. nach Boubnov die zweite von Gerbert bald nach der ersten veranstaltete Edition, bot nur Briefe bis etwa Juli 99G. Dagegen konnte, als im J. 999 aus Lo. die jetzt Leydener Handschrift L. floss, auch die Correspondenz Gerberts aus den J. 99G 999 mit berück- sichtigt werden : so sind in L. auch die den letzteren Jahren angehörigen Epist. 181 212 aufgenommen worden.

Inzwischen hatte Gerbert zu Anfang des J. 998 noch eine dritte Ausgabe seiner Briefe (Cod. P.) erscheiuen lassen, welcher er jedoch aus den zwei letzten Jahren nur seine Correspondenz mit Otto III., d. h. die Epist. 186, 187, 213— 21G, 218—220 als Anhang beifügte. So weit hat sich Boubnov mit aller Bestimmtheit ausgesprochen. Aber eine andere Frage hat er bisher kaum berührt, geschweige denn genügend beantwortet, die Frage ob und inwieweit innerhalb der uns aus L. be- kannten Gruppe der Epist. 181—212 oder innerhalb der P. angehängten Gruppen die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Briefe gewahrt wor- den ist 1).

Da Havet in der Hauptsache dasselbe Ergebniss gewonnen hat, kann ich gleich zu den Differenzen zwischen ihm und Boubnov über- gehen. Die eine betrifft die Epist, 218 220, welche uns nur aus der vonVignier 1587 herausgegebenen Bibliotheque historiale bekannt sind. Boubnov bezeichnet sie als den Schluss von P. bildend und aus diesem von Vignier copiii. Havet dagegen legt sie der Handschrift L. bei, welche wie Boubnov bewiesen hat, Vignier zur Verfügimg gestanden hat. L. ist jetzt am Schlüsse defect und endet mit der ersten Hälfte der Epist. 212; ist also ein Blatt anzunehmen, auf welchem der Schluss dieses Briefes stand, so kann dasselbe füglich noch die Epist. 218 220 enthalten haben. Stimmen doch beide darin überein, dass die drei Briete ganz zu Ende der Handschriften standen, so kommt das allein für die Datirung derselben in Betracht und so kann ich ganz davon absehen, ob L. oder P. die handschriftliche Quelle von Vignier war.

Ich weiss nicht ob eine zweite Differenz zwischen den beiden Forschern besteht. Havet deutet, wie ich gleich berichten werde, die Stellung der Epist. 181 212 in L. in besonderer Weise. Wäre

') Was Boubnov über Epiat. 181 in den verschiedenen Editionen bemerkt, kann ich hier übergehen.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto 111. 415

Boubnov zu derselben Ansicht gelaugt, so hätte er das wohl schon iui ersten Theile seines Buches, wie dieses angelegt ist, sageu müsseu. Insofern möchte ich ihm eine andere Ansicht zuschreiben. Aber erst seine Fortsetzung wird uns sichern Aufschluss geben. So habe ich es für jetzt doch nur mit Havet zu thun und habe dessen Ansichten über den zweiten Theil der Sammlung hier zu wiederholen. Er geht von der Annahme aus, dass auch der zweite Theil der Urschrift einst so wie der erste beschauen gewesen sei und dass Gerbert nach wie vor, soweit er Concepte in sein Kladdenbuch eintrug, die zeitliche Reihenfolge beobachtet habe, und er hält diese Annahme dann bei der Feststellung der Abfassungszeit der einzelnen Briefe als Eichtschnur fest. Allerdings erscheint auch Havet die ursprüngliche Ordnung der Briefe in den abgeleiteten Handschriften hie und da gestört. So in dem uns noch vorliegenden L. in zwei Punkten. Hier findet sich nämlich die bereits 987 geschriebene Epistel 189 in die CoiTespondenz aus den späteren Jahren eingereiht; Havet meint, dass sie von Gerbert oder einem andern wieder aufgefunden und nachträglich gebucht wor- den sei. Eine zweite Unterbrechung der chronologischen Eeihenfolge in L. erblickte Havet darin, dass die Epist. 181 187 jüngeren Datums den früher verfassten Epist. 188, 192—212, 218—220 vorausgehen. Eine ähnliche Verschiebung glaubte Havet auch im Codex P. wahrzu- nehmen, denn in diesem folgten auf die Epist. 180, 187 die Epist. 213 216 von entschieden älterem Datum. So wurde er zu der Fol- gerung gedrängt, dass doch schon in der Urschrift auf die eine oder die andere Weise ^) eine Verstellung der Epist. 181 187 stattgefunden haben müsse. Sobald dies Verseheu gut gemacht werde, ergebe sich wieder die richtige Aufeinanderfolge nach der Abfassungszeit uud insbesoudere auch für die einzelnen hier vereinten Gruppen von Briefen, sowohl für die zusammengehörigen Epist. 181 187 wie für die eben- falls untrennbaren Epist. 213 216, welche Gerbert einst im Auftrage des Kaisers verfasst, aber doch in sein auch damals fortgeführtes Kladdenbuch aufgenommen habe.

Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass es sich mit der ersten grösseren Hälfte dieser Briefsammlung wirklich so verhält, wie Havet nach dem Vorgange von Boubnov dargelegt hat, war ich durchaus geneigt, ihm auch betreffs des zweiten Theiles zu folgen und diesen als in gleicher Weise entstanden zu betrachten. Ein principieller Ein- wand wird sich gegen das von Havet aufgestellte System nicht erheben lassen. Und dass auch die Urschriften einmal von Anbeginn an gegen

•) Näheres Introd. LXXVII N. 8.

41^6 Sickel.

die Orduimg der allmähligen Eintragungen Verstössen oder gelegent- lich die Keihenfolge der Blätter geändert wird, das ist eine so oft wiederkehrende Erscheinung, dass man auch die Annahme der Ver- schiebung der Epist. 181 187 wohl gelten lassen darf. Aber sie ist doch auf ihre Richtigkeit hin und auch darauf hin ob sie in Wirk- lichkeit alle Schwierigkeiten behebt, zu prüfen. Havet hat dieses Postulat wohl gekannt und hat ihm nachkommen wollen. Doch dass es ihm gelungen sei, seine an sich sehr annehmbare Hypothese auch nach allen Seiten hin durch historische Untersuchung zu erhärten, vermag ich nicht zuzugeben. Nicht einer der Havet'schen Sätze, welche für mich und meine Aufgabe die Briefe Ottos möglichst genau zu datiren, hier in Betracht kommen, weder der, dass die Epist. 186 jünger sein soll als die Epist. 218, noch der, dass innerhalb der bei- den Gruppen der Epist. 181 187 und 213 216 die zeitliche Reihen- folge gewahrt sein soll, besteht in meinen Augen die Probe. Ich finde, dass Havet doch etwas mit vorgefasster Meinung an die Untersuchung des Inhalts der einzelnen Briefe herangetreten ist und dass er, was Ulm noch mehr geschadet hat, sich nicht mit allen Ergebnissen der neuesten Forschung auf dem Gebiete der deutschen Geschichte vertraut gemacht und zu sehr auf die Angaben von Wilmans und Stumpf- Brentano verlassen hat ^). Komme ich mit Anwendung aller mir zu Gebote stehenden ]\littel zunächst zu anderen Ergebnissen betreffs des einen und andern Schreibens des Kaisers, so stosse ich damit aller- dings auch die Annahme um, dass Gerbert noch in den J. 994 997 sein Kladdenbuch in regelmässiger Weise fortgeführt habe. Doch weiter wage ich nicht und beabsichtige ich nicht zu gehen. Werden die Argumente, welche ich gegen die Havet'sche Hypothese ins Feld führe, richtig befunden, so erfordert die Frage, wie die Sammluug der Epist. 181 220 zu Stande gekommen sein mag, eine nochmalige Er- örterung und Beantwortung. Zunächst wird doch abzuwarten sein, wie sie von Boubnov beantwortet werden wird. Doch davon abgesehen, verzichte ich von vorhinein auf jeden Versuch der Lösung. In diese

') Er hat u. a. nur den von üiesebrecht bearbeiteten Theil der Jahrbücher (1840) benutzt, aber nicht dt-ssen Geschichte der deutschen Kaiserzeit, von welcher doch schon seit 1881 die 5. Auflage vorliegt. Anders ist es allerdings zu be- urtheilen, dass er sich in dem einen und andern Punkte auf Stumpfs Regesten gestützt hat. Auf Prüfung derselben konnte sich Havet nicht einlassen. Und bin gerade ich in der glücklichen Lage bessere Kunde von den Diplomen zu haben als Havet, und bin ich verpflichtet, diese hier zur Geltung zu bringen, so bin ich weit davon entfernt, den geringsten Vorwurf gegen den sehr geehiien Collegen in I'aris zu erheben.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 417

Uutersuchimgen tiefer hineingeratlieu als ieli voraussah, muss ieli sie soweit durchführen, als es sich um die Briefe des Kaisers uud um die mit ihnen zusammenhängenden Briefe Gerberts handelt. Sobald ich da zu Ergebnissen gelangt war, welche mir sicher genug scheinen, um sie für die Diplomata- Ausgabe zu verwertheu, habe ich mir Halt geboten und habe die andern Briefe Gerberts ausser Acht gelassen, um nicht auf ein mir fremdes Gebiet hinüberzugreifen. Ich habe mich also dessen enthalten was unerlässlich ist, um ein abschliessendes Urtheil über den zweiten Theil dieser Sammlung zu fällen. Wenn ich trotzdem mir erlaube Vermuthungen darüber auszusprechen, auf welche Weise gerade die Ottonischen Briefe in die Collection und zwar in dieser oder jener Reihenfolge gerathen sein mögen, so will ich damit nur Anregungen geben und Beiträge liefern zur endgiltigen Lösung jener recht verwickelten Frage.

Mit vollem Rechte setzt Havet die im Namen Ottos geschriebenen Epist. 213 216 in die Monate des J. 996, in denen Gerbert mit dem eben zum Kaiser gekrönten Otto in Italien weilte. Hier gilt es nur die Frage zu beantworten, ob diese Briefe in ihrer natm-lichen Reihen- folge auf uns gekommen sind. Gehen wir von der Epist. 213 mit der Inscription: Reverentissimo papae G. 0. dei g-ratia Imperator augustus aus 1), so kann sie erst nach dem Aufbruch des Kaisers von Rom

') Masson und Duchesne hatten hier und in Epist. 216 den Namen des Adressaten ergänzt zu Gerberto. Da Wihuans Jahrb. 174 mir diese Lesart kannte, musste er schon ays diesem Umstand folgern, dass in dem betreuenden Theile der Briefsammlung von chronologischer Anordnung nicht mehr die Rede sei. Ich muss wegen einer Lesart in diesem Briefe näher auf dessen Ueberlieferuncr eingehen. Nach Boubnov und Havet war P. die einzige Handschrift, in welche die Epist. 213 216 aufgenommen worden waren. P. selbst ist verloren gegangen. Desgleichen eine aus ihr geflossene Copie, die schedae Fabri. Aus diesen abge- leitet ist V, eine für Baronius um 1602 angefertigte und jetzt in der Bibl. Valli- cellana befindliehe Abschrift. Für die Epist. 213—216 ist V. die einzige hand- schriftliehe Quelle. Aber auf P. gehen auch mehrere Drucke zurück. Erstens die 1611 erschienene Ausgal)e von Masson, welcher zweifelsohne noch P. vor sich hatte. Zweitens die 1636 erschienene Ausgabe von Du Chesno, welcher nach Boubnov ebenfalls direkt aus P. geschöpft haben soll, dagegen nach Havet aus den schedae Fabri. Endlich kommt noch eine Arbeit von Baluze (B) in Betracht, indem dieser zu einem Exemplar der Masson'schen Edition Varianten eingetragen hat, entweder nach P (so Boubnov) oder nach den schedae Fabri (so Havet). Waren nun die von Gerbert in seinen Concepten angewandten 8ilbennoten in P. reproducirt worden, so finden sie sich auch nachgezeichnet in den aus P. ge- flossenen Copien V. und B. ; aber was nicht Wunder nehmen kann, nicht ganz getreu, so dass die Noten in V. und die in B. hie und da von einander abweichen (vgl. die Tabelle in Boubnov 265—268). Zu den stärksten Abweichungen gehört nun die in der Epist. 216, in welcher der Name des damaligen comes Spoletinis Mittheilungen XII. 27

418 Sickel.

(Anfang Juni) geschrieben worden sei. Den gleichen terminus a quo nahm Havet für die Epist.215 an, in welcher Otto seiner Grossmutter für alles dankt was sie zur Erlangung der Kaiserkrone beigetragen hat. Ist das nun offenbar der erste Brief des neuen Kaisers an Adel- heid, so drängt sich uns mehr als eine Frage auf. Soll Otto Wochen lano- und bis nach der Abreise von Eom gewartet haben, um diesen seinen Gefühlen Ausdruck zu geben? Wenn dem so war, soll er sein langes Schweigen nicht mit einem Worte entschuldigt haben und soll er mehr als einen Monat nach dem freudigen Ereignisse von nichts anderm Kunde gegeben haben? Wer diese Fragen verneint, muss Epist. 215 möglichst nah an den 21. Mai als den Krönungstag setzen und damit vor die Epist. 213 ^). Ich komme auf dieses Yerhältniss gleich zurück. Epist. 214 bietet keine rechte Handhabe zur Datirung. Sie könnte allenfalls schon von Rom abgesandt worden sein. Aber wahrscheinlicher ist doch, da der Abt Rotfrid noch im Juni 996 für S. Vinceuzo am Volturno geurkundet hat, dass der Kaiser erst während seines Aufenthaltes in den Marken (Mitte Juni bis Mitte Juli), so in das Regiment dieses Klosters eingegriffen hat. Und müssen wir uns bei Epist. 216 ebenfalls mit annähernder Zeitbestimmung behelfen, so ergibt sich doch aus dem S. 412 berichtigten Itinerar, dass dieser wohl

et Camerinis praefectus oder genauer gesagt der Anfang des Namens als Note erscheint. Die Note in V. ist zweifelsohne aufzulösen Co . . . Dagegen die in B. wohl S, welchen Buchstaben auch die Ausgaben von Masson, Duchesne und Olleris bieten. In Ermangelung anderer Kunde von dem betreffenden Grafen hängt die Entscheidung, ob wir hier lesen sollen Co . . oder S . . lediglich von der Werthschätzung der Ueberlieferungen ab. Da die Noten in V. im allgemeinen einen guten Eindruck machen, ziehe auch ich mit Havet die Variante Co vor. So geringfügig nun diese Diöerenz ist, so wird sie doch bei Aufstellung des Stammbaumes der Handschriften und der Drucke wohl noch zu berücksichtigen sein. Bot nämlich P. die Note Co, welche sowohl in den schedae Eabri als in V. richtig nachgezeichnet wurde, so hat hier sicher M. gefehlt, indem er diese Note durch S ersetzte. Haben nun, wie Boubnov annimmt, Duchesne und Baluze ebenfalls noch ausP. geschöpft, so muss es doch seltsam erscheinen, dass beide genau denselben Fehler gemacht haben sollen wie Masson. Die Differenz lässt sich leichter erklären, wenn man mit Havet B. und D. anders ableitet. Doch ich begnüge mich hier mit Andeutungen, weil mir der Sachverhalt nicht ganz klar ist. Nach Boubnov 1. c. stimmen M D B. ganz überein, während Havet für die S ergebende Note nur MD. anführt und B. gar nicht erwähnt.

•) Ohne behaupten zu wollen, dass der Brief an Adelheid unmittelbar nach dem 21. Mai und etwa vor D. 197 vom 22. Mai geschrieben sei, werde ich ihn, da sich für alle Briefe nur ein annähernd richtiges Datum annehmen lässt, als Kundgebung der Cedanken und Gefühle des jungen Kaisers (D. 196) vor allen kaiserlichen Präcepten eiiu'eihen.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto IIL 419

kurz vor dem Aufbruch nach Deutschland geschriebene Brief bis in den September 996 hinausgeschoben werden darf.

Ist es also nur einer unter diesen vier Briefen, welchen ich an- ders ansetze als es Havet um der überlieferten Reihenfolge willen thut, so erkläre ich doch schon damit diese als der Zeitfolsre nicht ganz entsprechend. Das meine ich wird auch Havet um so eher zugeben, als er selbst (Introd. LXXVIIl) die Vermuthung ausspricht, dass diese Gruppe von Episteln erst gelegentlich der Entstehung von P. der Sammlung einverleibt sein wird. Ich lasse den Anlass und den Zeit- punkt der Nachtragung auf sich beruhen, um diese überhaupt zu er- klären. Besteht nicht schon darin ein Unterschied zwischen Theil I und Theil II der Collection, dass in jenem die Zahl der von Gerbert für andere Personen concipirteu Briefe weit grösser ist als in diesem? Und wird er nicht um so mehr zu beachten sein als er mit einem zweiten Unterschiede zusammenfällt, mit dem dass derartige Briefe im Theil I richtig eingereiht erscheinen, aber nicht im Theile IL Ausser denEpist. 213 216 bietet uns nämlich Theil II von derartigen Briefen nur noch die Epist. 189, welche ja schon von Hav^t als an unrichtiger Stelle stehend bezeichnet worden ist ^). Des weiteren ist noch in An- schlag zu bringen, dass Gerbert die Briefe 213 216 für den Kaiser zu dictiren hatte und dass die Concepte zunächst wohl in dessen Cabinet oder Kanzlei verblieben sind. Kam aber Gerbert erst nach einiger Zeit in den Besitz dieses seines geistigen Eigeuthums, sei es in der Form der Originalconcepte, sei es in der Form von Abschriften, so ergab sich schon daraus, dass diese Stücke nur gelegentlich und nachträglich der Sammlung einverleibt werden konnten. Und dabei wird dann auf die Reihenfolge der vier Briefe geringer Werth gelegt worden und die der Abfassungszeit nach erste Epist. 215 an die dritte Stelle gekommen sein -).

Ich gehe zu den beiden Briefen Ottos an Gerbert über, die nur als Einlauf in die Sammlung gekommen sind. Lege ich diese Epist. 186 und 218 gleich Havet dem J. 997 bei, so weiche ich doch in

') Die Epist. 188 und 209 geboren nicht in die gleiche Kategorie, indem ja Gerbert in der Mehrzahl der Absender inbegriffen ist. -') Der gleiche Vor- gang kann in beliebige Zeit gesetzt werden. Deshalb lasse ich es unentschieden ob die Epist. 213 216 bereits der Urhaudschrift einverleibt worden sind (sie können ja bei Anlage des Codex L. übersprungen worden sein) oder erst der durch P. repräsentirten Theilsammlung. In ersterem Falle würde es geradezu zu erwarten sein, dass die Epist. 213 216 aus dem J. 996 erst nach den Epist. 210—212 vom J. 997 oder selbst nach den ebenfalls jüngeren Epist. 218—220 gebucht worden seien.

27*

4^0 S i c k e 1.

zwei Punkten von ihm ah. Ich bestreite, dass die Epist. 181 187 eine nach der Zeitfolge geordnete Serie bilden, und ich bestreite, dass sie insgesanimt erst nach den Epist. 218 220 geschrieben sind: daraus folgt, dass ich Epist. 218 nicht vor, sondern nach Epist. 186 ansetze. Aus dieser letzteren lese ich heraus, dass Gerbert, Avelcher ein Jahr zuvor mehr von ungefähr mit Otto in Italien zusammen- getroffen vrar, jetzt zuerst aufgefordert w^urde, dauernden Aufenthalt am Hofe des Kaisers zu nehmen i), so dass wir hinter die Zeit zurück- gehen müssen, da Gerbert am deutschen Hoflager in Magdeburg er- schien um ganz in Ottos Dienst zu treten. Danach muss auch Epist, 187 datirt werden, nämlich wie allgemein angenommen wird, die zu- sagende Antwort auf Epist. 186. Doch es kommt zugleich das Ver- bal tniss dieser Briefe zu den vorausgehenden in Betracht. In den Epist. 183, 184 ist zweifelsohne von Ottos Zug gegen die Slaven die Rede. In welchen Monat dieser gehört, versuche ich später zu be- rechnen. Zunächst bemerke ich nur, dass Havet um der überlieferten Reihenfolge willen die Epist. 186, 187 als noch jünger denn 183, 184 betrachtet, während er doch ganz richtig -) das erste Zusammentreffen Gerberts mit dem Kaiser in diesem Jahre stattfinden lässt, als letzterer die Vorbereitungen zu jenem Feldzuge traf. Havet hat also den Haupt- inhalt und die Bestimmung der Epist. 186 verkannt.

Versuchen wir deshalb mit Hilfe anderer Briefe die Bedeutung der Epist. 186 festzustellen. Dass wir Gerbert noch Ende März 997 an einem Concil zu S. Denis theilnehmen sehen ^j, schhesst die An- nahme nicht aus, dass Gerbert, als seine Stellung in Frankreich un- haltbar zu werden drohte, des Verkehrs mit dem jungen Kaiser in Italien eingedenk, sein Glück in Deutschland zu versuchen gedachte und in dieser Richtung bereits Schritte gethan hatte. Aber seit jener Begegnung im J. 996 war der Verkehr ins Stocken gerathen und Gegner Gerberts hatten den Kaiser gegen ihn einzunehmen gewusst. Deshalb ging Gerbert vorsichtig und ohne seiue' eignen Wünsche an- zudeuten zu Werke, versicherte in einem ersten Briefe den Kaiser nur seiner Theilnahme und Ergebenheit und brachte dann Angelegenheiten anderer uns nicht bekannter Personen zur Sprache ^). Ich vermuthe,

') Tanti patroni sempiternam nobiscum stabilitatem adoptamus. So auch Wilmans 173 und Giesebreclit 1, 692. ») S. 163 N. 1 und 166 N. 1 zu

Epist. 181. 3) introd. XXVIII und Epist. 209. *) Dass ich Epist. 182 so

deute, muss ich Havet gegenüber, welcher schon hier einen Hinweis auf Ottos Sieg über die Slaven erblickt, rechtfertigen. Ich sehe nämlich in der Erwähnung der res praeclare a vobis gestae nichts als eine Schmeichelei und meine, dass wer da klagt, dass er ohne die geringste Kunde ist, gai- nicht auf bestimmte rühmliche Thaten anspielen kann.

I

Erläuterungen zu den Diplomen Otto KI. 421

dass ihm gar keine direkte Antwort zu tlieil geworden ist, dass ihm aber in irgend einer Weise zu verstehen gegeben ist, dass man am kaiserlichen Hofe ihm nicht traue und seinen Dienst nicht begehre. Nun erst entschliesst sich Gerbert den Kampf mit dem ihm unbe- kannten Widersacher aufzunehmen, welcher den allvermögenden Kaiser zu beeinflussen wagt: er ist, ein Sünder vor dem Herrn, sich doch keiner Schuld gegen den Kaiser bewusst, um derentwillen seine Dienst- willigkeit plötzlich Missfalleu erregen könne; dem Grossvater, dem Vater und dem Enkel trotz alles Ungemaches treu, hat er selbst den Tod nicht gescheut, dem einst in Haft gehaltenen Erben des Reichs zur Krone zu verhelfen; wie er sich damals des Erfolges gefreut, wünscht er bis an sein Lebensende gleicher Freude theilhaftig zu werden und seine Tage mit dem Kaiser in Frieden zu beschliessen (Epist. 185). Darauf erfolgte die Berufung an den Hof. Galt sie vornehmlich dem hervorragenden Lehrer, so war Gerbert klug genug, sich zuuächst mit solcher Stellung zu begnügen, welche ihm doch weitere Aussichten eröffnete: wir gehorchen, erwiederte er in Epist. 187, den kaiserlichen Befehlen sowohl in diesem Punkte wie in allem was Bure Majestät sonst verfügen wird.

Bringt man die Epist. 182, 185—187 in solchen Zusammenhang, so wird klar, dass in dem Briefe Ottos von Gerberts Berufung an den Hof die Kede ist. Und das habe ich deshalb handgreiflich machen wollen, weil die vier Schreiben sonst gar keine Handhabe bieten, um approximativ die Zeit, in welcher diese Correspondenz geführt worden ist, festzustellen. Den Versuch Havets, aus der Epist. 182 eine andere Zeitbestimmung zu gewinnen, habe ich bereits zurückgewiesen. Somit bleibt für seine abweichenden Ansätze nur noch als einzige Stütze die Hypothese der chronologischen Anordnung der Epist. 181 187. Aber einer Hypothese zu liebe werden wir doch die nächstliegende und durchaus ungezwungene Deutung jener vier Briefe nicht verwerfen; vielmehr werden wir was die Briefe besagen oder auch was sie nicht besagen zum Prüfstein der betreflFenden Annahme machen. Zu diesem Behufe will ich unter Hinweis auf Vorgänge, welche ich erst später (S. 428) eingehend besprechen kann, noch einen Umstand geltend machen. In Folge der Beschlüsse der vom Papst Gregor V, im Früh- jahr 997 zu Pavia versammelten Synode und des Erscheinens des römischen Abtes Leo als päpstlichen Legaten in Frankreich, nahm die Reimser Angelegenheit für Gerl^ert eine gefährliche Wendung an: von seiner Besorgniss legen Epist. 183 und alle um die gleiche Zeit ge- schriebenen Briefe Zeugniss ab. Findet sich aber in den Epist. 185, 187 nicht die geringste Anspielung auf diese für Gerbert so wichtige

422

S i c k e 1.

Frage, so spricht dies Schweigen ebenfalls dagegen, dass diese bei- den Briefe, wie Havet will, in den letzten Monaten des Jahres ge- schrieben seien.

Diese Argumente zu verstärken versuche ich so genau als mög- lich festzustellen, wann Gerbert bei dem Kaiser eingetroffen ist und wann der Feldzug gegen die Slaven stattgefunden hat und wie sich überhaupt bei Benutzung sämmtlicher Quellen das Itinerar für das J. 997 gestaltet, wonach wir dann nicht allein die bisher besprochenen, sondern auch die übrigen in Betracht kommenden Briefe unterzubringen haben werden. Die Differenzen zwischen Havet und mir erscheinen auf den ersten Blick nicht sehr gross i), fallen aber mehr ins Gewicht, sobald man, wie es die Einreihung der Gerbertbriefe erfordert, genaue Daten zu gewinnen sucht.

Hier kommt mir nun wesentlich das sich aus den Diplomen er- gebende Itinerar zu statten 2). Noch am 20. April soll Otto zu Dort- mund geurkundet haben, am 18. Mai zu Merseburg, vom 5. 13. Juni zu Arneburg an der Elbe (nördlich von Magdeburg), am 9. Juli zu Gandersheim, am 15. und 17. Juli zu Eschwege, am 17. Juli auch zu ■Mühlhausen, am 20. August zu Leitzkau (so. von Magdeburg), bereits am 2. September zu Thorr (w. von Köln), am 1. Oktober zu Aachen 3); von hier nach dem 27. Oktober aufgebrochen, soll er am 13. December in Trient und am 31. December in Pavia Präcepte ausgestellt haben. Inwiefern einzelne dieser urkundlichen Daten bedenklich sind, werde ich, soweit es nicht bereits S. 379 geschehen ist, hier erörtern.

Gilt es vor allem den Feldzug gegen die Slaven unterzubringen, so wird es gut sein, eine Bemerkung über diesen vorauszuschicken. Was Gerbert in Epist. 183 über denselben sagt, ist doch Uebertreibung und Schmeichelei der ärgsten Art. Der Einfall in das Land des Fein- des war weder ein grosses Unternehmen, noch erzielte er anhaltende Wirkung; sehr bald nach ihm, wie wir gleich sehen werden, drangen die Slaven ihrerseits in den Bardengau ein. Indem Ottos Feldzug

0 S. 166 N. 1 : Gerbert war bei Utto zu Beginn dos Sommers 997, während der Kaiser die Expedition gegen die Slaven vorbereitete, welche er dann im Juli vornahm. ^j wir verfügen heutzutage nicht allein über eine grössere Anzahl

von Urkunden als seinerzeit "Wilmans, sondern auch über zuverlässigere Zeit- angaben in denselben. In letzterer Beziehung genügt es ein Beispiel anzuführen. Stumpf Reg. 1100 = DO. III. 235 ist zu Nimwegen am 18. December 996 aus- gestellt. Indem Wilmans dasselbe mit Schaten zum 18. ]\Iai 997 ansetzte, nahm er einen längeren Aufenthalt im Westen an und Ankunft in Sachsen erst zu Antang Juli. Durchaus richtig hat bereits Giesebrecht 1, 693 ft'. den Verlauf der Dinge dargestellt, doch ohne eingehende Begründung, welcher es gerade in diesem Falle bedarf. •'*) Von D. 254 sehe ich hier wegen der Correcturen in der Datirungszeile ab.

Erläuterungen 7ai den Diplomen Otto III. 423

nicht lauge gedauert hat, lässt er sich leicht iu das urkundliche Itinerar einfügen. Mehr Schwierigkeiten bereitet uns, dass die Annales Quedlinb. (SS. 3, 73) gerade den zeitlichen und causalen Zusammenhang der Ereignisse anders darstellen als Thietmar an zwei gesonderten Stellen seiner Chronik. Wird jenen nachgerühmt u. a. von den sich in der Nähe abspielenden Kämpfen mit den Slaven zuverlässige Kunde zu bieten i), so hat sich auch Wilmans möglichst an sie gehalten. Da es dort heisst: quos (Sclavos) contra commotus Imperator Ztodorianam, quam vulgo Heveldum vocant, egregiam inter Sclavonicas terram, magno invasit exercitu, vicit, praedavit, victorque in Magadeburch . . . subintravit. Interim autem dum Imperator augustus . . . Heveldum devastando percurrit, congregati Wlotabi Bardangao provinciam im- provisi rapiuis multis aggressi sunt et incendiis. Quod videntes West- falai, quos praefatus Imperator in expeditiouem pergens ad custodien- dam reliquerat provinciam, celeriter Liuticos fortiter excipiunt, ipsique cum pauci essent, innumeram paganorum multitudinem tanta caede prosteruunt etc., so setzt auch Wilmans den Einfall der Slaven in die Gegend um Lüneburg noch vor die Rückkehr des Kaisers nach Magde- burg, obgleich er auf Thietmar und auf eine Notiz im Necrol. Merseb. gestützt den Sieg der Westfalen am 6. November erfolgen lässt, wo- nach die Expedition des Kaisers, welche in der Zeit des Herbstes be- gonnen haben soll, geraume Zeit in Anspruch genommen haben würde^). Ich muss den Bericht des Quedhnburger Annalisten, insofern er die Gleichzeitigkeit des einen und andern Einfalls behauptet, auf Grund des urkundlichen Itinerars einfach als unrichtig bezeichnen 3) und kann mich dabei auch auf Thietmar stützen. Doch ich will vorerst nur das Itinerar und dazu die Angabe Gerberts, dass sich diese Dinge ferven- tioris anni tempore^) zugetragen haben, zu Eathe ziehen. Von Arne- burg, so hat zuletzt Kehr vorgeschlagen, wird der Feldzug gegen die Heveller ausgegangen sein. Bleibt sonst nur Eaum für ihn zwischen dem 17. Juli (Mühlhausen) und dem 20. August (Leitzkau), so ent- scheidet für letztere Annahme Thietmars Chronik.

') Wattenbach 1, 321. ^) Wilmans denkt offenbar an den Anfang des

Herbstes nach heutigem Brauche {aequinoctium autumnale). Havet erklärt nicht, weshalb er trotz der Berufung auf Wilmans den Zug des Kaisers in den Juli setzt. 3) Von den sieben in Aachen ausgestellten Diplomen liegen noch drei

im Original vor. Ich bemerke gleich hier, dass, auch wenn wir von der Gleich- zeitigkeit beider Einfälle absehen, der Feldzug Ottos nicht nach dem Aufenthalt in Leitzkau (20. Aug.) angesetzt werden kann. War der Kaiser nach D. 255 spätestens am 1. Oktober zu Aachen eingetroffen, so müssten der Feldzug und die Reise nach dem Westen in den Zeitraum von 41 Tagen zusammengedrängt werden. *) Vorrede zum Libellus de rationali etc. bei Havet 236.

424 Sickel.

Es ist für deren Entstellung recht bezeichnend i), dass von den beiden Nachträgen, welche hier in Betracht kommen, cap. 29 über Geschehnisse aus der Zeit von Mitte Juli bis Anfang November be- richtet und cap, 38 von Geschehnissen bis Anfang Juli, dass aber der Zusammenhang zwischen beiden nicht mit einem AVorte angedeutet wird. Der Glaubwürdigkeit thut das nicht im geringsten Abbruch. Die Kunde von dem was Thietmar in cap. 38 erzählt, verdankt er offenbar seinem hier mitbetheiligteu Oheim Liuthar. Ich hebe aus dem Berichte nur hervor was combinirt mit den Angaben der Diplome uns Einblick in die Zeitfolge gewährt. Imperator ob defensionem patriae Harnaburg ci^ätatem opere muniens necessario: dies geschah jedenfalls nach dem 18. Mai (D. 244 aus Merseburg) und zu Beginn des Juni (DD. 245 7, Arneburg 5 13). Die vier Wochen, auf welche dem Erzbischof Giseler nach Aiifbruch des Kaisers der Oberbefehl in Arneburg übertragen war, beginneu somit etwa Mitte Juni. Dazu passt sehr wohl der 2. Juli als der Tag, an welchem sich Giseler durch Unbesonnenheit eine Schlappe zuzog. Behauptete er sich doch noch in Arneburg bis seine Zeit abgelaufen war, so ging die Stadt doch vor Eintreflfen Liuthars, welcher den Erzbischof abzulösen hatte, verloren: wir können dafür etwa den 10. Juli annehmen.

Von dieser Erzählung hat Kehr offenbar nicht Notiz genommen: mit den Vorgängen in und um Arneburg verträgt sich der Feldzug des Kaisers absolut nicht. Otto glaubte vielmehr allen Gefahren von Seite der Slaven vorgebeugt zu haben, indem er Arneburg befestigt und für dessen Vertheidigung gesorgt hatte. Zwischen seinem Auf- bruche von Arneburg und seinen für den 9. Juli bezeugten Aufenthalt in Gandersheini kann er, was ich gleich hier bemerken will, in Magde- burg geweilt haben; desgleichen bevor er von Merseburg (18. Mai) kommend in den ersten Junitagen in Arneburg eintraf. Die Kunde von der Ueberrumpelung Giselers am 2. Juli -) kann der Kaiser bereits in Gandersheim und die von dem Verluste Arneburo^s zu Eschwege an der Werra, wo er am 15. und 17. Juli urkimdete, erhalten haben. Er ist zweifelsohne in aller Eile aufgebrochen um in die Gegend von Magdeburg zurückzukehren und sich selbst an die Spitze der Mann- schaft zu stellen, welche sich auf die Nachricht des Falles von Arne- burg bereits gesammelt haben wird. Entschieden war dies der Moment

') Ich halte mich hier ganz an die VoiTede in der neuen von Kurze be- sorgten Ausgabe (Schulausgabe vom .1. 1889). So wenig wie von ihm auf das Verhältniss von üb. IV. cap. 29 und 38 näher eingegangen worden ist, ist es meines Wissens von anderer Seite geschehen. ") Vgl. Necrol. Merseb. und

Necrol. Magdeb.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 425

in welchem, soweit unsere Nachricliten reichen, am meisten Anlass war, die Slaven zu züchtigen und am meisten Anlass für den Kaiser in eigener Person zu Felde zu ziehen.

Knüpfen wir nun wieder an Thietmars Chronik an. Für cap. 29 hat er ebenso wie für die vorausgehenden Abschnitte die Ann. Quedlinb, in seiner freien Weise benutzt. So erzählt er in gedrängter Weise, aber doch immer einzelne Worte seiner Quelle wiederholend, wie der Kaiser das Havelland verheert hat und als Sieger nach Magdeburg heimgekehrt ist. Aber nach eigener Kunde verbessert er das interdum der Annales in Ob hoc: die Slaven rächen sich für den ihnen durch den Kaiser zugefügten Schaden durch einen Einfall in den Bardengau, werden aber zurückgeschlagen. Dass dies erst nach Monaten geschah, hält Thietmar nicht für nöthig zu bemerken. Aber er bietet uns hier sonst nicht überlieferte Details: dass sich der Mindener Bischof Kam- ward durch Tapferkeit hervorthat und dass in diesem Treffen Graf Gardulfus fiel; indem nun in Merseburg der Todestag Gardulfs ein- getragen wurde, lernen wir den 6. November als den Tag des Sieges über die Slaven kennen. Welche Wirkung die Nachricht von dem neuen Einfalle der Slaven und die von der Niederlage derselben am kaiserlichen Hofe zu Aachen hervorbrachte, werden wir später verfolgen.

Weder als Otto von Mühlhausen aus eilig in das Feld zog, noch bei der Rückkehr kann er in Magdeburg länger verweilt haben. Und auch bei dem ersten Aufenthalt in dieser Stadt im Mai 907 hat der Kaiser wohl nicht Müsse gehabt, mit Gerbert über wissenschaftliche Fragen zu verhandeln und Disputationen zu veranstalten; auch kann Gerbert schwerlich so frühzeitig am Hofe eingetroffen sein. Dagegen scheint der zweite Aufenthalt in Magdeburg in jeder Beziehung ge- eignet in ihn die Ankunft Gerberts zu setzen. Die in Arueburg er- griffenen Massregeln werden den Kaiser mit Zuversicht erfüllt haben, sich seinen persönlichen Neigungen hinzugeben. So nehme ich für die Zusammenkunft mit Gerbert in Magdeburg Mitte Juni an und für die Einladung desselben (Epist. 186) den April. Die vorausgehenden E]üst. 182, 185 werden dem Kaiser während des Aufenthalts in Aachen (Februar und März 997) zugegangen sein.

Um der Epist. 218 die rechte Stelle anzuweisen kommt es weniger auf das Itinerar des Kaisers als auf die Schicksale des Adressaten Gerbert an. Nur als Vermuthung spreche ich es aus, dass dieser sich verabschieden musste, als Otto Mitte Juli von Eschwege aus nach der Elbe eilte, ferner dass er um diese Zeit nochmals Keims besucht hat ^).

1) Epist. 181 : Remis nuper me posito.

42G

Sickel.

Dem Hofe hat er sicli sicher, erst kurz bevor die Fahrt über Berg an- getreten wurde, -wieder angeschlossen. Ich hal)e nun bereits S. 421 auf die Beschlüsse hingewiesen, welche im Frühjahr 997 auf der vom Papst nach Pavia einberufenen Synode gefasst wurden. Eine Ent- scheidung in der Reimser Angelegenheit war noch nicht erfolgt. Aber die Absetzung des Erzbischofs Arnolf, die vor allen Gerbert verschuldet hatte, und die Gefangenhaltung desselben waren aufs schärfste ver- urtheilt worden. Die Energie, welche Gregor V. unter anderm auch gegen Giseler von IMagdeburg bekundet hatte, musste Gerbert, welchen der Papst schon Jahrs zuvor als Eindringling (JL. 3866) bezeichnet hatte, mit Angst und Sorge erfüllen, zumal nachdem der in der Reimser Angelecrenheit schon wiederholt verwendete römische Abt Leo wieder als päpstlicher Legat in Frankreich erschienen war, um die Freilassung Arnolfs zu verlangen und um diesen wie Gerbert und alle andern Betheiligten vor den Richterstuhl des Papstes zu fordern.

In jener Epist. 183, in welcher Gerbert Otto als Sieger feiert, ist nun auch von dem Legaten Leo die Rede. Ihm war, wie auch in Epist. 181 erwähnt wird, die Enthaftung des Erzbischofs Arnolf ver- •sprochen worden, wovon der Abt Leo den Kaiser mündlich oder schriftlich in Kenntniss gesetzt hatte. Gerbert glaubt allerdings nicht, dass diese Zusage gemacht worden sei, und noch weniger, dass sie werde verwirklicht werden. In jedem Falle rechnete er, was auch gegen ihn geplant sein möge, auf des Kaisers Unterstützung. Uebrigens war, als noster Leo, d. h. der spätere Bischof von Vercelli i), sich an- schickte zum Kaiser zu eilen, betreffs Arnolfs noch kein Entschluss gefasst. Wird nun in diesem Zusammenhange der 8. September als schon verflossen erwähnt, so ergibt sich als Abfassungszeit der Epist. 183 einer der folgenden Tage. Damals konnte Gerbert, auch wenn er im Westen des Reiches weilte, Kunde von dem Ausgange des Zuges o-eo-en die Slaven und von der Reise des Kaisers nach Aachen haben : dahin wird er wohl sein Schreiben gesandt haben '^).

Sagte ich nun bereits, dass ich Epist. 218 später als Havet ein- reihe 3), so muss ich hier hinzufügen, dass ich sie als des Kaisers Antwort auf Epist. 183 betrachte. Otto knüpft ja gleich in den ersten Worten an die Glückwünsche Gerberts an. Doch seine Erfolge freuen ihn nur, weil sie auch Gerbert zu statten kommen. Der Theilnahme seines geliebten Meisters sicher, will er sie ihm vergelten. Und so

') "Vgl. Löwenfeld Leo von Vercelli 4. -) In die gleiche Zeit setze auch ich die Epist. 184: ») In N. 3 zur Epist. 218 wird diese als Epist. 183 vor-

ausgehend bezeichnet.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 427

theilt er ilrni die wiclitige Nachricht mit, welche er dem Abte Leo verdankt, dass Arnolf schon auf dem Wege zum Papste ist i), und zugleich was ihm das Beste dünkt: ut nuntius noster cum ipso Leone ad papam dirigatur, qui pro vobis fidei intercessor habeatur.

1) Dass Arnolf erst im November aus der Haft entlassen worden sein soll, wie Havet annimmt, kommt hier uicht in Betracht. Es lag im Interesse des Legaten, die ihm in Frankreich gemachte Zusage, mochte sie ernstlich gemeint sein oder nicht und mochte sie Ijereits verwirklicht sein oder nicht, Otto gegen- über geltend zu machen. Dazu muss ich jedoch noch bemerken, dass mir das Datum der Freilassung Arnolfs noch nicht sicher festgestellt zu sein scheint. Havet beruft sich (Introd. XXVIII) auf Richer und auf die betreffenden Unter- suchungen Pfisters (Etüde sur le regne de Robert le Pieux 54). Handelt es sich dabei um die kurzen Aufzeichnungen, welche Richer ^seinem Werke anschloss, so darben die allerdings jeder Zeitangabe, aber sie folgen offenbar so aufeinander wie die Nachrichten dem Autor zugegangen sind. Daraus folgere ich, dass Richer die Freilassung Arnolfs erfuhr zur Zeit, da er von der zweiten Reise Gerberts nach Rom (Aufbruch Ende 997) bereits Kenntniss hatte und wenigstens vermuthen konnte, dass derselbe schon in Rom weile. Es war vor der Zeit, da Richer Kunde von der Erhebung Gerberts zum Erzbischof von Ravenna (April 998) erhielt. Trägt Richer noch später ein, dass der Papst Arnolf gestattet habe bis zu rechtmässiger Erledigung seiner Angelegenheit seines priesterlichen Amtes zu walten, so zweifle ich nicht, dass diese Entscheidung des Papstes noch in das J. 997 gehört; aber Richer wird sie erst später bekannt geworden sein. Was die gi-ündlichen Untersuchungen Pfisters anbetrifft, so muss ich offen bekennen, dass ich von der Richtigkeit der Darstellung auf S. 54 noch nicht überzeugt bin. Aus den zuvor angegebenen Gründen bin ich der Sache selbst nicht nach- gegangen. Dennoch erlaube ich mir die mir sich sofort aufdrängenden Bedenken hier auszusprechen. Pfister bei-ichtet über eine einmalige Sendung des Abtes Abbo an die Curie betreffs der beiden damals schwebenden Angelegenheiten und setzt dieselbe zu Ausgang des J. 997. Hiefür führt er die jetzt zuerst von ihm (Introd. LVII nr. 11) veröffentlichte Bulle Gregor V. für das Kloster Fleury-sur-Loire vom 13. Nov. 997 an. Ich sehe ganz von deren Verhältniss zu JL. Reg. 3872 sowie von ihrem Inhalte ab. Das Protokoll lautet so correct, dass ich an der Ausfertigung einer Bulle an das Kloster unter dem gegebenen Datum durchaus nicht zweifle. Aber aus der Bulle folgt noch nicht, dass Abbo damals zum ersten Male an der Curie gewesen sei. Die Angaben von Pflster machen mir vielmehr den Eindruck, dass Abbo, wie das bei der Verquickung der beiden sehr heiklen Angelegenheiten nicht ^\'under nehmen kann, zu Aviederholten Malen als Unter- händler gedient habe. Das Zusammentreffen des Abtes mit dem Papste in der Gegend um Spoleto kann nämlich nur im J. 996, als Gregor aus Rom fliehen musste, stattgefunden haben (so auch Giesebrecht 1, 699). Andererseits gehört der Brief Abbos in Migne Patrol. lat. 139, 419 jedenfalls erst in das J. 997. Noch eine zweite Bemerkung zu Pfister 53 (Ansatz der S3'node von Pavia zum Juli 997) möge mir gestattet sein hier einzuschalten. Der in der Note 3 geltend gemachte Grund hindert doch nicht, die Synode mit Löwenfeld u. a. noch früher anzusetzen, und so hätte Pfister sagen müssen, weshalb er sich für ein späteres Datum entschieden hat.

428 Sickel.

Dass zwischen der Epist. 183 uucl der Epist. 218 der engste Zu- sammenhang besteht, ist ja aiich Havets Meinung und nur betreffs der Priorität des einen oder des andern Briefes zweien wir. Deshalb hebe ich nochmals hervor, weshalb ich Epist. 218 als Antwort auf Epist. 183 betrachte i). Die Eingangsworte jener rerum eventus vestro voto obsecundat, setzen voraus, dass sich Gerbert bereits über des Kaisers Erfolge freudig geäussert hat; andere Erfolge als die des Feld- zugs hatte aber Otto nicht aufzuweisen und zu diesen war ihm ja eben in Epist. 183 Glück gewünscht worden. Es kommt ferner auf die Phasen der Keimser Angelegenheit, seitdem Gregor in dieser energisch vorgegangen war, an, und da scheint doch in Epist. 218 von einer Jüngern Phase als in dem Gerbertbriefe die Eede zu sein. Gerbert will den Nachrichten ttber das was der päpstliche Legat erwirkt haben will, noch nicht Glauben schenken. Darauf erwiederte ihm Otto mit Berufung auf den Abt Leo, dass doch Arnolf schon auf dem Wege nach Rom sei. Gewichtiger scheint mir folgendes Argument. Auf Gerberts zuversichtliche Bitte imi wohlwollende Unterstützung 2) ant- wortet Otto mit dem Vorschlage, mit dem Abte Leo seinen eigenen 'Boten behufs Fürsprache zu Gerberts Gunsten an den Papst zu sen- den 3). Der Plan des Kaisers war nun so vortheilhaft für Gerbert, dass er vor allem über ihn sich äussern musste. Indem aber Epist. 183 denselben nicht mit einem Worte berührt, sondern nur die ganz allgemeine Bitte ihn in seiner Bedrängniss nicht im Stich zu lassen enthält, kann sie nicht Autwort auf Epist. 218 sein.

Auf Epist. 183 aus der ersten Hälfte des September (s. zuvor S. 426) kann der Kaiser schon zu Beginn des Oktobers geantwortet haben. Seinen Brief nicht viel später anzusetzen bestimmt mich gerade der Schlusspassus. Das Anerbieten in Sachen Gerberts jemand an den Papst zu senden, schliesst wie mich dünkt aus, dass Otto bereits den Entschluss zur Roinfahrt gefasst habe, welche im November angetreten wurde. Auch Gerbert sah im Herbst noch nicht voraus, dass er im Gefolge des Kaisers nach Italien gehen werde **). Aber die Nachrichten

') Zugleich weil Giesebrecht 1, 680 ähnlich wie Havet Epist. 183 als Ant- woi-t auf die etwa im Sommer 997 geschriebene Epist. 218 bezeichnet. -) Epist. 183 : novi ingenitam vobis benivolentiam talibus ausis posse et velle obsistere. 8) Aus diesen Worten lese ich heraus, dass als dieser Brief geschrieben wurde, Leo in Person am Kaiserhofe weilte, was ebenfalls auf ein späteres Stadium hinweist. '') Indem icli mich hier auch auf die Epist. 181 berufe, muss ich

sagen, weshalb ich auch diese später als Havet (vor dem Feldzuge gegen die Slaven und am kaiserlichen Hofe geschrieben) ansetze. Es liegt auf der Hand, dass sich Gcrbert, als er der dringenden Autforderung der Königin Adelaide zur

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 429

aus Italien und insbesondere aus Eom mögen allerdings schon im Verlaufe des J. 997 den Gedanken an eine neue Komfahi-t nahe ge- legt haben.

In diesem Zusammenhange nehme ich die Geschichte des Johannes Graecus wieder auf. Seine Erhebung auf den päpstlichen Stuhl wird seit Pagi zum Mai 997 angesetzt. Ich finde eine gewisse Bestätigung dafür in dem Verhältnisse der Bullen Gregor V. für Eavenna JL. 3873 vom 28. Jänner und JL. 3878 vom 7. Juli 997 zu einander. Den Inhalt der letzteren habe ich schon S. 225 angegeben. Es ist nun bezeichnend, dass der Papst, welcher im Juli nicht mehr die geringste Rücksicht auf Johannes nimmt, ihn im Jänner noch mit vorsichtiger Schonung behandelt. Wir haben S. 227 gesehen, dass Johannes aller Wahrscheinhchkeit nach bereits im November 996 aus dem Orient nach Italien heimgekehrt war. Sein Wiedererscheinen mag dazu bei- getragen haben, dass Gregor V. dem Erzbischof in JL. 3873 seine Theilnahme bezeigte, dass er es laut beklagie, dass der Kirche von Eavenna der Sprengel gemindert und ein Theil der Würden entzogen worden war, und dass er ihr behilflich sein zu wollen erklärte, dass sie nicht den Namen einer Metropole einbüsse. Wird damit deutlich genug auf die von seinem Vorgänger zu Gunsten von Piacenza und zuungunsten von Eavenna getroffene Verfügung hingewiesen, so sieht sich Gregor doch noch nicht veranlasst und so wagt er doch noch nicht, diese Verfügung rückgängig zu machen. Somit wird Johannes Graecus im Jänner noch nicht als Gegenpapst aufgetreten sein. Ge- schah dies im Mai oder doch bald nach dem Mai, so erklärt sich der förmliche Widerruf in der Bulle vom 7. Juli. Die Kunde von diesen Vorgängen muss aber auch dem kaiserlichen Hofe bereits im Sommer zugegangen sein i). Und es wird auch nicht lange Geheimniss geblieben

Rückkehr nach Reims nicht Folge leisten zu können erklärte, bereits im Dienste Ottos befand. Aber kein Wort nöthigt uns zur Annahme, dass er diesen Brief am Hofe des Kaisers geschrieben habe, noch zu der, dass eben Vorbereitungen zum Kriege gegen die Slaven im Zuge gewesen seien. Dagegen beweist der Hinweis auf die dem Abte Leo gemachte, jedoch noch nicht verwirklichte Zu- sage, dass Epist. 181 ziemlich gleichzeitig mit Epist. 183 ist. Dazu passt, dass Gerbert eine Reise nach Italien um sich ebenso wie sein Rival Amolf auf der geplanten Synode (Gisiler war zum 25. December vorgeladen worden) zu stellen ins Auge fasst (wohl nicht im Ernst, aber den Schein sich zu stellen musste er wahren) und, wenn diese Reise vertagt werden sollte, zu Anfang November am französischen Hofe zu erscheinen verspricht. Hier hätte Gerbert wohl ebenfalls der Reise mit dem Kaiser Erwähnung zu thun Anlass gehabt, wenn solche bereits in Aussicht gestanden hätte.

•) Bezieht sich etwa darauf der Satz der Epist. 183 Sed fert consiliis ? Dass Leo von Vercelli erst in Italien und dann in Frankreich gewesen, wäre ja mögHch.

430 Sickel.

sein, dass Crescentius und der neue Papst die kaiserliclien Boten als Gefangene in Rom zurückhielten. Um so autfallender ist es allerdings, dass wie ich zuvor bemerkte, bis in die Mitte Oktober hinein in den Gerbertbriefen von persönlichem Eingreifen des Kaisers in diese Ver- hältnisse nicht die Rede ist.

Ich kann mir nicht versagen, hier noch auf die zwei letzten Briefe der Havet'schen Edition einzugehen, obgleich ich nicht bestimmt zu sagen weiss, von wem die Epist. 220 geschrieben sein mag und ob- o-leich die Epist. 219 der Räthselhaftigkeit dieser Briefe die Krone aufsetzt ^). Einiges lässt sich doch auch aus dieser Epist. mit Sicherheit herauslesen. Gerbert ist Tag und Nacht in Aufregung und Sorge. Seine Boten kehren nicht heim und neue vom Kaiser treffen nicht ein. Doch ohne jede Kunde ist er nicht. Dort droht Gefahr von den Slaven und mehr noch von den Wälschen. Er fürchtet, wenn man sich um jene nicht kümmert, und fürchtet, wenn man nicht auf diese los- o-eht. Er ist empört über das was die Boten aus Italien bringen. Sie schmähen ihn, aber damit doch anch den Kaiser 2) u. s. w. Die Itali, über welche Gerbert sich mit Verachtung und Entrüstung äussert, können wohl kaum in Rom gesucht werden. Crescentius und dessen Papst werden sich um Gerberts Sache nicht gekümmert und ihm nicht Anlass gegeben haben, Schmähungen gegen ihn zu Schmähungen der kaiserlichen Majestät aufzubauscheu. Doch dieser Versuch Gerberts ist bezeichnend für sein Trachten und für die Herrschaft, welche er bereits über den Kaiser ausübte.

Epist. 220 bestätigt, dass die Frage auf der Tagesordnung stand: quonam vertere expeditos exercitus debeamus, berichtet aber auch wes- halb man schwankte. Slavische Völkerschaften hatten ihre Unter- werfung angeboten und Johannes Graecus hatte versprochen, sich in allem des Kaisers Willeii zu fügen. Also war doch von Rom aus versucht, Verliaudluugen anzuknüpfen; dies bestäi'kt mich dariii, in

1) Wilmans kannte diese Briefe nicht. Da Olleris ihnen nicht traute, sind sie auch nach ihm wenig beachtet worden. Giesebrecht kannte sie und nannte sie bezeichnend für die Verhältnisse im Herbst 997, hat sie dann jedoch in der Erzählung nicht verwerthet. Eben deswegen benutze ich sie hier. üiesebrecht legt mit Olleris Epist. 220 einem Freunde Gerberts bei. Havet denkt vielmehr an Gerbert als Autor. Ich neige mehr zu jener Ansicht hin, weil der Stil einfach und nicht gesucht ist. Dass ein Brief an Gerbert in die Sammlung aufgenommen worden sei, ist doch nicht verwunderlich. Sieht man in Gerbert den Schreiber, so würde dieser schon im November nach Aachen an den Hof gekommen sein. Im übrigen kommt es auf die Autorschaft wenig an, da der "Verfasser jedenfalls gut unterrichtet ist und die Situation mit wenigen Worten vortrefflich schildert. 2) Ich deute also proprias iniurias wie Havet.

Erläuterungen zu den Diplomen Otto III. 431

den Itali, gegen welche Gerbert eifert, den Papst Gregor V. und die Italiener seiner Umgebung zu erblicken. Doch Gerbert würde deshalb nicht dem Gegenpapste das Wort geredet haben. Die Entscheidung zwischen dem einen und dem andern Unternehmen, für welche bereits das Aufgebot erfolgt zu sein scheint, wird durch die Nachricht von dem am 6- November über die Slaven errungenen Siege erleichtert und beschleunigt worden sein, so dass der Aufbruch nach Italien bald nach der Mitte November erfolgen konnte. Danach glaube ich Epist. 220 in die erste Hälfte November und etwas früher den vorausgehen- den Brief ansetzen zu sollen.

Nach dieser wie ich glaube ungezwungenen Deutung der Briefe und nach Combination ihres Inhaltes mit allem was wir aus andern Quellen erfahren, ordne ich die im Namen Ottos gesclmebenen und die mit ihnen zusammenhängenden Briefe Gerberts folgendermassen ^) : Epist. 215, 213, 214, 216 aus Mai bis September 996; (182, 185), 186, (187) aus Februar bis Mai 997; (183 aus Mitte September); 218 aus der ersten Hälfte des Oktober ; (219, 220 aus den nächstfolgenden vier Wochen). Ich erachte mich also nicht an die Reihenfolge dieser Briefe in den Handschriften, auch nicht an die welche Havet nach Umstellung der einen Gruppe als die ursprüngliche betrachtet, gebunden, verzichte aber darauf dieselbe zu erklären. Indem ich sie als der Zeitfolge nicht entsprechend bezeichne, rauss ich dem zweiten Theile auch die Eigen- schaft eines Kladdenbuches absprechen. So stimme ich betreffs dieses Theiles darin allein mit Havet überein, dass er, von der eingeschobenen Epist. 189 abgesehen, nur die Correspondenz Gerberts aus den Jahren 994 997 bietet, jedoch auch von dieser doch nur Bruchstücke, und zwar bricht diese Sammlung mit dem Zeitpunkte ab, da sich Gerbert im Gefolge des Kaisers wieder nach Italien begibt, was es ziemlich wahrscheinlich macht, dass auch die Zusammenstellung der Correspon- denz der zweiten Periode bald nach deren Abschluss erfolgt ist-).

') Die letzteren klammere ich ein. '^) Icli trage liier zu S. 379 unten

nach, dass allenfalls noch Stumpf Reg. IIGO, 1217 (vgl. Kehr 252, 258) hätten erwähnt werden können; doch lassen auch sie sich nicht für die Annahme Kehrs geltend machen. Ferner sehe ich mich zu der Erklärung veranlasst, dass ich mir bisher noch keine Uebersetzung des letzten Bandes von Boubnov verschaften konnte und dass ich somit auf Berücksichtigung seiner Bemerkungen zu den von mir besprochenen Gerbertbriefen habe verzichten müssen. Auch auf die Abhand- lung von K. Schultess über Tapst Silvester IL (Hamburg 1891) habe ich, weil sie mir zu spät zuging, nicht mehr Bezug nehmen können.

Amalricli L, König von Jenisaleni (1162—1174). ')

Von

Reinhold Röhricht.

Nachdem König Balduiu III. im 33. Jahre seines Lebens (10. Febr. 1162) gestorben war, gelangte sein Bruder Amalrich, der gleich nach dem Empfange des Ritterschlages Graf von Jaffa und nach 1153^) auch von Ascalon '■^) geworden war, im 27. Lebensjahre zur Regierung.

1) Ueber seine Regierangszeit finden sich bei den arabischen Schriftstellem, ferner bei Robert de Monte, Ernoul und Wilhelm v. Tyras (welchen Oliverius Scholasticus in seiner Hist. T. Sanctae, Jacobus de Vitriaco und Marinus Sanutus ausgezogen haben) die besten Angaben, wenig werthvolle oder nur zerstreute Nachrichten bei Sicard (Muratori SS. VII) 599, Dandolo (ibid. XII) 291, in Annal. Camerac. (Mon. Germ. SS. XVI) 536—8, Cont. Admunt. (ibid. IX) 584, Annal. S. Rudbei-ti (ibid.) 776, Annal. Waverl. 238 , Rog. de Hovedene I, 263. Die Dar- stellungen bei Wilken HIB, 75 154; Michaud (ed. BrehoUes) 11, 11—26; Pavie, L'Anjou dans la lutte de la chretiente contre l'islamisme, Angers 1880, I, 45—75; Kugler, Gesch. d. Kreuzz., Berlin 1891, 166—74 sind nicht erschöpfend. Eine ziemlich brauchbare Uebersicht seiner Biiefe siehe in Hist. litt, de la France XIK, 489—91 ; XIV, 55. *) Ernoul 14. Amalrich begegnet uns urkundlich als Graf von Jaffa

1151 (Roziere, Cartul, du St. Sepulcre 91), als Graf von Jaffa und Ascalon 1155 (ibid. 92—3, 101, 117; Archives de l'Orient lat. H, 133—4), 1156 (Paoli, Codice diplom. I, 34), 1157 (ibid. 36; Ginseppe Müller, Documenti 7—8), 1158 (Roziere 120, 123), 1160 (ibid. 106, 109, 114, 115: Pauli 37; Delaborde, Chartes 81), 1161 (Strehlke Tabulae 3 und Roziere 196: Nov.); über ihn als Grafen von J. u. A. vgl. auch De Mas Latrie im Archivio Veneto 1879, XVUI, 384—5. ^) Ueber

die Eroberung vgl. Barhebraeus 348; Ibn el-Atir, Kamäl 490—1 u. dessen Hist. atab. 189; Kenirü ed-din 317; Wilh. v. Tyrus XVII, c. 21-30; Sicard 249; Rieh. Cluniac. (Mm-atori Antiquit. XII) 140; Annal. Egmund. A. (Mon. Germ. SS. XVI) 458—60 (wonach d. Fall der Stadt in Jerusalem besonders gefeiert ward); Annal. Leod. (ibid.) 641; Annal. Casin. (ibid. XIX) 311; Cont. Aquic. (ibid. VI) 395; Cont. Praem. (ibid.) 455 ; Cont. Valc. (ibid.) 460 ; Rob. de Monte (ibid.) 503 ; Chron. Bald. Ninov. ed. de Smet 708; Chron. regia Colon, ed. Waitz 30; im Allgemeinen

Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 433

Die Fürsten waren zwar anfangs niclit ganz mit seiner Wahl ein- verstanden 1), aber durch die Gunst des Clerus und Volkes getragen, wurde er dennoch gewählt und von dem Patriarchen Amalrich ^) in Gegenwart der Erzbischöfe, Bischöfe und Würdenträger des lieiches feierlich gekrönt^).

siehe aucli Jaküt in ZDMG. XVIII, 464; Wüstenfeld, Gesch. d. Fatimiden 318 u. dessen Al-Calcaschandi 73. Eine auf die Eroberung bezügliche Inschrift in Barletta siehe hei Schulz, Denkmäler Unteritaliens I, 138 (vielleicht gehört auch die von Clermont-Ganneau in Archives II A., 463 mitgetheilte Inschrift hier- her). Pläne der Stadt geben Rey Etüde XIX (vgl. 205—10); Sui-vey III, 237; ZDPV. II, 164—71 ; Röhricht, Biblioth. s. voce. Die Eroberung d. Stadt erfolgte am 19. Aug. (Sigeb. Auct. in Mon. Germ. SS. VI, 396, wonach der Templermeister mit vielen Templern in der Bresche fiel), nach d. Chron. Ninov. ed. de Smet 708 (aus dem Berichte eines Augenzeugen) assumptione s. Mariae, nach Jaküt in ZDMG. XVIH, 464 am 17 Djum. II 548 d. i. 9. Sept. 1153, nach Beha ed-din im Rocueil d. bist. d. croisades, aut. Orient. III, 99; Ibn Khallikfin, Biogr. diction. IV, 518; Derenbourg, Vie d'Oussama 245—6 am 19. September. Eine Anecdote über d. Eroberung Ascalons, wonach der Temj)lermeister durch die Hinrichtung von 8 gefangenen Templern zu doppeltem Eifer angespornt wurde, erwähnt Ja- cobus de Vitriaco in einer seiner Predigten bei Pitra, Anal, novissima 1888, 11, 412.

1) So Wilhelm von Tyrus; Ernoul 17 meldet, die Barone hätten die Auf- lösung seiner ersten Ehe zur Bedingung der Wahl gemacht. Hingegen berichtet Amalrich in seinem Briefe (Bongars Epistol. No. 13, auch bei Bouquet XVI, W—7), er sei gewählt worden ,sine omni impedimento atque in bona om- nium hominum nostrorum voluntate". Dieser Brief des Königs ist 1164 (am 10. April) geschrieben; denn das darin erwähnte Erdbeben erfolgte am 2. August 1163 (Chron. S. Albini Andegav. [Bouquet XIIJ 482; hingegen giebt das Chron. universale Metteuse [Mon. Germ. SS. XXIVJ 518 fälschlich 1161 an) und die ebenda erwähnte Gefangennahme Raynalds von Antiochien war am 20. Nov. 1160 erfolgt (Wilh. v. Tyrus XVIII, c. 28; Rob. de Monte 1160). Dieselben beiden Ereignisse bilden das Hauptthema des Briefes Amalrichs an Ludwig v. Frankreich (Bono-ars No. 4; Bouquet XVI, 37—8), der durch d. Erzbischof v. Mamistra nach Paris gebracht wurde (also Sept.— Oct. 1163) u. des Templermeisters Bertrand de Biancafort (Bongars No. 10; Bouquet XVI, 27—8), also aus derselben Zeit; hingegen fällt zwischen den August 1163 u. August 1164 der Brief Bohemunds v. Antiochien an Ludwig (Bongars No. 25; Bouquet XVI, 27—8) der über die Gefangenschaft Raynalds u. d. Erdbeben handelt. ^) Ueber ihn u. seine Briefe vgl. Hist. litt, de la France XIV, 162—4, auch ZDPV. X, 7. «) Nach Wilhelm von Tyrus XIX, c. 1 am 11. Febr. 1163 (Robert de Monte: im März 1163), während Balduin nach Wilhelm (XVIII, c. 34) am 10. Februar 1162 gestorben sein soll; ebenso wider- sprechend ist die Angabe desselben, dass A. am 8. Tage nach dem Tode Balduins gekrönt worden sei. Zum Glück können wir den Todestag des letzteren (10. Febr.) auch aus dem Briefe Amalrichs (Bongars No, 13) als richtig beweisen; hingegen findet sich über das Todesjahr vielfache Unsicherheit. Dass Amalrich 1174, und nicht schon 1173, gestorben ist (so noch Prutz im N. Archiv 1882, 100 und 115), geht mit Evidenz heiTor aus der Angabe Wilhelms, dass sein Feind Nf-r ed-din Mittbeilungeu XII. 28

434 R ö h r i c h t.

Er war eiu Manu von reicher Erfahruug in weltlichen Dingen, klug und umsichtig, meist schweigsam, also das Gegentheil seines ge- sprächigen Bruders, und wenn er redete, so fehlte es ihm zwar nicht au Gedanken, wohl aber an Fluss und Eleganz, Die Assisen des Königreichs i) kannte er wie kein Zweiter und wusste in schwierigen Fällen oft überraschend scharfsinnige Entscheidungeu zu geben, und wenn ihm auch sonst eine eigentlich gelehrte Bildung abging, so wusste sein reger Geist, unterstützt durch ein glückliches Gedächtniss, durch eifrige Leetüre von Geschichtswerken, durch Fragen uud Unterhaltungen mit weit gereisten Mäuneru allmählig umfassende Kenntnisse zu erringen, und wie hoch er besonders das Studium und deu Werth der Geschichte achtete, lässt sich wohl am besten daraus erkennen, dass er den Erzbischof Wilhelm von Tyrus zur Abfassung seines grossen Geschichtswerkes bewog, das uns allen für die Kennt-

ihm im Tode vorausging (XX, c. 33) ; Michael Syrus 379 (Rec. armenien 379) sagt: 40 Tage vorher. Da nun Nur ed-din sicher 1174 und zwar am 15. Mai starb (Ibn el-Atir, Kamal 602, Hist. atab. 292), so ist dasselbe Jahr sicher verbürgt (vgl. schon Weil, Gesch. der Chalifen III, 345); ebenso geben Ibn el-Atir, Kam. '619; Wilh. Andrens, (Mon. Germ. SS. XXIV) 711; Chron. Uticense (Bouqüet XII) 774 ; Table chronol. (Rec. armen.) 476 ; Robert de Monte und daraus Chron. Triveti (ed. Heg) 80, das Jahr 1174, 1175 hingegen das Chron. S. Albini Andegav. (ßouquet XII) 484, und 1176 Sigeb. Cont. Aquicinct. (Mon. German, SS. VI) 415 an. Endlich rechtfertigt sich 1174 als Todesjahr Amalrichs, aus dem wir noch Briefe u. Urkunden von ihm besitzen, uud 1162 als das Jahr seines Regierungs- antritts aus der Angabe Wilhelms (XX, c. 33), dass er 12 Jahre und 5 Monate regiert habe (Ernoul 32 sagt: 13 Jahre). Als König erscheint er in folgenden Urkunden: 1163 (6. März bei Delaville le Roulx, La bibliotheque etc. . . de l'ordre de St. Jean de Jerusalem 98 und Paoli 208), 1164 (Roziere 256, 263—7; Archives II, 140), 1165 (Paoli 241; Delaville le Roulx 101; Müller 11), 1166 (DelaviUe le Roulx 103—4), 1167 (ibid. 108, 110; Paoli 214; Lib. jurium I, 228), 1168 (Roziere 288, 291; Paoli 47—8; Delaborde 83; Müller 14; Strehlke 5—6: Camera 203), 1169 (Strehlke 6; Archives II, 143; Paoli 49; Müller 15), 1170 (Paoli 51, 229 33; Archives II, 144), 1171 (Archives II, 144), 1173 (Strehlke 7; Delaville le Roulx 114, 116), 1174 (Archives II, 145; Paoli 242—4; die letzte Urkunde ist vom 3. Juli 1174 bei Strehlke 8). Erwähnung unsers A. wird auch in Urkunden gethan 1175 u. 1176 (Paoli 60; Roziere 307—8; Delaborde 85), 1191 (Müller 39), 1193 (ibid. 60; Paoli 215 u. Strehlke 24). Die bei Strehlke 9 vom König (17. Uctob. 1177) ausgestellte Urkunde ist natür- lich unecht.

') Um deren Feststellung und stricte Beobachtung er energisch sich bemühte, wie er unter anderem anordnete, dass alle Vasallen dem Könige Treue, schwören mussten (Lois ed. Beugnot I, praef. XXII; cf. 215—6, 320, 457, 458, 525—7). Auf ihn zurück gehen die Anlange einer Seegesetzgebung (Lois ü, praef. XLII, 42—3), (iesetze über die Ehen (Lois H, praef. LIV. 418), ühev die Dauer des Militilrdieustes (in IJilbais gegeben); vgl. Lois I, praef. XX U, 455.

Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 435

uiss der Kreuzzüge, trotz vieler Mängel und Lücken, unentbehrlicli ist ij. Am meisten freute er sich, in den Unterhaltnugen und bei richterlichen Fällen recht verwickelte Fragen erörtern und lösen zu können. Alle seine Beschäftigungen, soweit sie nicht durch sein könig- liches Amt als Pflichten ihm auferlegt wurden, waren ernsthafter Art; er liebte weder Würfel noch Schaustücke, dagegen Keiher- und Falken- jagd, und im Kriege, wo er mit gleicher Ausdauer Hitze wie Kälte vertrug, zeigte er Vorsicht, List und Tapferkeit ^'). Ausserdem war er ein treuer Sohn der Kirche; er gab ihr regelmässig den Zehuten und ging jeden Tag zur Messe ^). Nur musste Wilhelm von Tyrus sich einst sehr über ihn wundern, als Amalrich in einer leichten Krank- heit von ihm einen Vernunftbeweis für die Lehre von der Auferstehung verlangte, doch gab der König sich bald zufrieden, als Wilhelm ihm die Noth wendigkeit und Wahrheit dieses Dogmas aus der Gerechtigkeit Gottes heraus bewies. Gleichwohl hielt ihn seine Frömmigkeit nicht ab, wie man sagte, bis in seine reiferen Jahre hinein fremde Ehen zu stören und die Kirchen mit starken Steuern und Auflagen zu drücken *), auch wenn kein Krieg dem Lande drohte, weil nur ein reicher Fürst niemals sein Volk drücken würde, dagegen im Staude sei, es in Zeiten des Krieges mit Nachdruck zu schützen, und dass er iu der That, so oft dieser Fall eintrat, wirklich Geld hatte und reichlich zum Besten

1) Wilh. V. IVrus XX, c. 33; über den Autor und sein Werk vgl. Priitz im Neuen Archiv 1882, 83—132 und ZDPV. X, 17. '-) Ibn el-Atir, Kamal 553

sagt von ihm: »Seit die Franken das erste Mal in »Syrien sich gezeigt, hatten sie noch keinen Krieger liesessen, der diesem Könige an Muth, List und Ge- wandtheit es gleichthat% und p. 619 wiederholt er dies Lob: ,Er war der grösste ihrer Fürsten durch seine Tapferkeit, der hervorragendste durch seine Klugheit, seinen listigen und verschlagenen Sinn.* Nicht minder feierte man seine Tapfer- keit im Abendlande (Carmina Burana 32—3, No. 27). ■'') Schenkungsurkunden für Kirchen, von Amalrich ausgestellt, sind uns nicht erhalten ; in einer Urkunde bestätigte er der Kirche des heiligen Grabes die Schenkungen seiner Vorgänger (Roziere 262—4, No. 144; auch bei Beugnot, Lois II, 524 n. 39). Im Jahre 1170 ward den Cluniacensern durch König Amalrich (Du Gange, Les tamilles d'outre mer 837 (ed. Key) und Bischof Wilhelm von Accon (Bibl. Gluniacensis 1431 , wo die Urkunde abgedruckt ist) Palmarea bei Ghaifa (über die Lage vgl. Röhricht in der Zeitschr. d. D. Pal. Vereins X, 1887, 207 8) übergeben ; vgl. auch das da aus God. Paris, lat. 12665 (bei JafFe-Löwenfeld No. 13516) mit- getheilte Schreiben Alexander III. Ueber eine unter seiner Regierung (1169) erfolgte Restauration in der Basilika zu Bethlehem siehe die wohl erhaltene griechische Inschrift bei (iuerin, La Judoe I, 139. •») Fürst Thoros IL von Armenien soll ihm, bei einem Besuche in Jerusalem, recht deutlich gemacht haben, wie sehr das junge Königreich einer kräftigen < »rganisation und besonders eines gesunden Finanzstandes bedürfe (Ernoul 27—30).

28*

^3g Röhricht.

des Landes aufwandte, musste man unbedingt anerkennen. Trotzdem erklärt sich von selbst, dass die Zahl seiner Gegner nicht gering ge- wesen sein wird, und dass sie ihm heimlich und öffentlich Schinijif und Schande anthaten, aber er war in diesem Punkte ebenso nach- sichtio- wie sonst gegen seine Beamten, von denen er niemals Eechen- schaft verlangte, gegen die er auch, selbst wenn sie offenbar im Un- recht waren, niemals Klagen annahm. Die meiste Erbitterung erregte er dadurch, dass er den leichtsinnigen und hochmüthigen Milo von Plancy aus der Champagne zu seinem Seneschall erhob und ihm sogar mit der Hand der Wittwe Honfreds jun. Namens Stephanie die Festung Montroyal (Schaubek) gab.

Seine äussere Erscheinung imponirte durch eine hohe Gestalt, durch ein schönes, fürstliches Antlitz, das zwei glänzende Augen, eine Adlernase und volles Haar am Kopf, Kinn und Wange zierten; nur störte der Umfang der Brust, die trotz seiner massigen Lebensweise fast weibliche Fülle zeig-te, und er verlor vollends alle königliche Würde, wenn er ins Lachen gerieth, da dann sein ganzer Leib in Erschütterung kam.

Er hatte noch bei Lebzeiten seines Bruders die Tochter des Grafen Joscelliu n. jun. von Edessa, Agnes von Courtenay, geheirathet i), die ihm Balduin IV. und eine Tochter gebar, welche nach der Gräfin von Flandern, seiner und Balduins IIL Schwester, den Namen Sibylla erhielt. Er musste sich nach dem Tode seines Bruders von dieser Gemahlin wieder scheiden, die er ohne den Willen des Patriarchen Fulcher geheirathet hatte, weil sie, wie später in Gegenwart des Patriarchen Amalrich, des Cardinalpresbyters Johannes und Paulus, Legaten des päpstlichen Stuhles, festgestellt wurde, im vierten Grade mit ihm verwandt war, doch sollten die aus dieser Ehe entsprossenen Kinder als rechtmässige gelten. Die geschiedene Königin heirathete (c. 11G4) Hugo von Ibelin, einen Sohn Balians sen. und Bruder Baliaus jun., welcher letztere nach dem Tode des Königs die zweite Gemahlin desselben, Marie, ehelichte. Als Hugo noch bei Lebzeiten Amalrichs starb, ward Agnes die Gemahlin Kaynalds von Sidon, eines Sohnes des Gerhard von Sidon, aber auch die dritte Ehe der Agnes war nicht von langer Dauer, da sie ebenfalls wegen zu naher Ver- wandtschaft für illegitim erklärt wurde. König Amalrich hingegen schickte alsbald nach seiner Scheidung auf den Kath seiner Barone den Erzbischof Hernesius von Caesarea und seinen Mundschenk Odo

') Wilhelm von Tyrus XIX, c. 4; Enionl 15—7; v«,'!. Du C'ange, Los familles d'outre mer ('tl. K. Rey 20-1, 363, 433.

Amalrich L, König von Jerusalem (1162—1174). 437

voll St. Amand nach Constaiitiuopel als i3rautwerber, und diese führten nach zweijähriger Abwesenheit ihm seine zweite Gemahlin Maria Com- nena, die Tochter des Johannes Comnenus, Enkeltochter des Andronicus Comnenus Sebastocrator zu; Amalrich zog ihr 1167 nach Tyrus ent- o-ea-en, wo unter allseitiger Betheiligung des Clerus und der Barone des Königreichs die Hochzeit mit feierhchem Pompe begangen wurde (29. Aug.).

Als König Amalrich nun zui- Kegierung gekommen war, wandte er sein Hauptaugenmerk auf Aegypten, dessen Unterwerfung schon einsichtige Männer zur Zeit des ersten Kreuzzuges gefordert i) und König Balduiu I. versucht hatte-'). Die Eroberung Ascalons, welche Balduin III. gelungen war, ermuthigte zu diesem Plane, noch mehr aber die Ohnmacht des Chalifen, der vollständig von seinen Gross- vezieren regiert wurde, die wieder einander durch Gewalt und List aus ihren Stellungen drängten, so dass das Land niemals eine dauernde und energische Regierung hatte. Wir müssen bei diesen Verhältnissen etwas länger verweilen, da die Kriege mit Aegypten die Eegieruugszeit Amabichs hauptsächlich erfüllen.

Der Chalif Abu'l Kasim Isa el-Faiz, geboren am 3L Mai 1149, war am 23. Juli 1160 schon gestorben 3). Der Grossvezier Taläi ibn Ruzzaik wusste nicht, wen er als dessen Nachfolger ausrufen lassen solle und fragte einen alten Eunuchen, wen er dazu vorschlage ; dieser nannte mehrere, darunter auch den Namen eines bejahrten Mannes, den Taläi vortreten Hess, schliesslich aber ablehnte. Endlich war er mit sich einig. Auf den Wink eines seiner Officiere erwählte er den noch unerwachsenen Sohn des von Abbas ermordeten Jüsüf ben el- Dhafir Namens Abu Muhammed 'Abdallah, der am 9. Mai 1151 ge- boren war, erhob ihn unter dem Namen el-Adhid zum Chalifen und verheirathete ihn mit seiner Tochter •*). Alsbald jedoch erhol) sich gegen

») Raymund d'Aguiles im Rec. des liist. d. crois. (auteurs occid. II) 292. -') Balduin starb auf einer Expedition nach Aegypten in der Nähe des später nach ihm benannten Sabkhat Bardouil d. i. des Sirbonisseee zwischen Ras Straki und Ras Kasarün (Ibn Khallikän III, 456; Marino Sanuto 261; vgl. die gute Karte bei Jacotin, planche 33 und Ritter, Asien XVII, 38). wo auch seine Ein- treweide begraben wurden, während man seinen Leib in der Komäma (Auf- erstehungskirche; über die von den Arabern beliebte spottende Verdrehung des Wortes in Kiuma [ünrathl vgl. Golius ad Alft-ag. 138) beisetzte (Wilhelm von Tyrus XI, c. 31; Alb. Aquensis XII, c. 27; Fulcher. Carnot. II, c. 64; Albericus ad 1117; vgl. Ibn el-Atir, Kamal 118 u. Du Cange, Les familles 9 10). ») Ibn

Khallikan II, 427. Ueber die ganze Zeit vgl. Wüsteufeld, Gesch. der Fatimiden in Aegypten (Götting. acadera. Abhandl. 1881) 325 flF, *) Ibn Khallikan

II, 72-4.

^ßg Röhricht.

deu raüclitigen Ve/ier der durch seiue Habsucht, die er durch Verkauf von Stellen hu Emire befriedigte, durch seiue liücksichtslosigkeit gegeu den Chalifen, endlich auch durch seine Strenge, die er zur Aufrecht- erhaltuug der Ordnung im Palaste, zum besonderen Verdrusse der Damen, ausübte, sich viele Feinde gemacht hatte, eine Verschwörung, welche mit Wissen des Chalifen dessen jüngere Tante angezettelt hatte. Er wurde im Schlosse plötzlich überfallen und schwer verwundet. Sterbend erklärte er, er bereue keine seiner Thaten, wohl aber, dass er Schawer zum Präfecten des äussersten Ober-Aegypten gemacht habe und dass er statt bei Bilbais Halt zu machen, nicht auch gegen die Christen und vor allem gegen Jerusalem marschiert sei; er befahl seinem Sohne Ruzzaik el-'Adil, den Schawer niemals sich nahe kommen zu lassen, da er selbst sonst Herrschaft und Leben werde ver- lieren müssen. Bald darauf starb er (11. Septemb. 1161), nachdem er noch die ihm ausgelieferte Urheberin des Attentats mit seiner letzten Kraft massacrirt hatte; am zweiten Tage darauf ward Abu Schugä Kuzzaik örossvezier i).

Taläi hatte nämlich den Abu Schugä Schawer ben Mudjir-) zum Präfecten von Said (in Ober-Aegypten mit der Hauptstadt Kus) ge- macht. Hier gewann Schawer bald vielen Anhang, so dass Taläi ihn nicht abzusetzen wagte, wohl aber that dies jetzt Ruzzaik el-'Adil (Aug. 1162) und gab seine Stelle dem Emir Ibn el-Rifa. Schawer revoltirte offen, entwich erst in die Oasen der Wüste, ging dann nach Tarüdja bei Alexandrien und zog im December 1162 in Kairo ein, das Ruzzaik zwei Tage vor ihm verlassen hatte, um in Atfih bei einem Freunde Zuflucht zu finden •^). Dieser Nichtswürdige, obwohl einst von Ruzzaik mit Wohlthaten überhäuft, verrieth dem Sieger seinen Feind. Schawer liess nun den Ruzzaik herbeiholen und tcklten, aber auch dem Verräther gab er denselben Lohn. Jetzt war Schawer Herr von Aegypteu, allein in der Armee erhob sich alsbald ein starker Gegner in dem Emir Abu'l Aschbai Dhirgäm, der im August 1163 Schawer aus Kairo vertrieb und zur Flucht nach Syrien zwang, wo er Nur ed-din um Hilfe bat').

In diese Zeit fällt der erste Feldzug, den König Amalrich gegeu Aegypten unternahm, weil der Chalif deu seinem Bruder Balduin einst

1) Ibn el-Atir, Kamal 519—22; Ibn Khallikfin I, 659; Vie d'Oussruna 6d. Derenbourg 250. *) Ibn Khallikfin I, tJ08— 12; Ibn el-Atir, Kaniäl 527—8.

») Ibn Khallikan l, 608. ••) iSchawer kam nach Ibn Khallikan IV, 485 am

23. Oktober 1163, nach ibn el-Atir, Kamal 533 im Februar 1164 zu Nur ed-din und versprach ihm ein Drittheil aller Einkünfte Aegyptens.

Amalricli 1., König von Jerusalem (1162—1174). 439

versprocheueii Tribut zu zahlen sich geweigert hatte 1). Am 1. September lirach er auf, schlug den Bruder Dhirgams Nasr el-muslimin bei Bilbais und berannte diese Stadt mit Erfolg, aber da die Aegypter die Dämme durchstachen und so das ganze Land überschwemmten, musste Amalrich, ohne die Stadt erobern zu können, wieder abziehen -).

Noch ehe jedoch dieser Einfall erfolgt Avar, hatte Dhirgam, der unter dem Namen el-malik el-mansür Grossvezier geworden war, auf die Einflüsterung hin, dass seine besten Freunde und Kameraden des von Taläi gegründeten Corps el-Barkija^) mit Schawer ein geheimes Einverständniss hätten, gegen 70 Emire mit ihrem Gefolge, ohne den geringsten bestimmten Beweis von Schuld, niederhauen lassen und dadurch sich viele Feinde gemacht. Als aber nun dem durch Schawer Nur ed-din Schirküh beigegeben werden sollte, schickte Dhirgam an König Amalrich um Hilfe und machte ihm eine Menge glänzender Ver- heissungen; er versprach ihm einen höheren jährlichen Tribut, dauernde Unterthänigkeit Aegyptens unter die Krone Jerusalem, unauflösliches Bündniss für alle Zeiten und eine Menge von Geiseln. Amalrich unterhandelte noch, als der Sturz Dhirgams erfolgte und damit die glänzende politische Perspective verschwand.

Schirküh ^) war nämlich , während Nur ed-din eine Bewegung gegen die Grenzen des Königreichs Jerusalem machte, um Amalrich festzuhalten, ohne Widerstand mit Schawer über die ägyptische Grenze gegangen 5); schon am 24. April 1164 trieb die vor ihm hergehende Panik die Bewohner Kairos zur Flucht. Der Bruder Dhirgams Nasr el-muslimin zog am 26. April dem Schirküh entgegen, ward aber bei Bilbais geschlagen, hauptsächlich deshalb, weil ein Theil seiner Armee zu Schawer desertirte. Am 1. Mai lagerte Schawer vor Kairo und rückte, nachdem er einen Ausfall Dhirgams abgeschlagen hatte, in

•) Nach dem Tode des Faiz hatte der Vezier Al-'Adil ibu Ruzzaik der Krone Jerusalem einen jährlichen Tribut von 160000 Goldstücken versprochen (Barhe- braeus, Chron. sj'r. 357). -) Wilhelm von T3'rus XIX, c. 5 ; Amalrich schrieb

über diesen Feldzug an Ilönig Ludwig von Frankreich (Bongars No. 23) gegen Knde Sept. 1163: ,nisi per interpositionem fluminis paradisi qui (sie) ex improviso uobis supei^venit impediremur, sicut speramus, urbs illa vel caperetur vel redderetur*. ^) So genannt, weil die Soldaten aus Barka stammten (Deren-

bourg, Vie d'üussäma 220). *) Ibn el-Atir, Hist. atab. 213— 15; Ibn Khallikan 1, 627—9; Wilhelm von Tyrus XIX, c. 5—7. Nach dem Briefe des Patriarchen Amalrich bei Martene Collect. I, 869 (auch bei Bouquet XVI, 61) rief Schawer den König erst nach dem Einmärsche Schirkilhs um Hilfe an. °) Er brach

nach dem Briefe des Patriarchen Amalricli (der im Sept. 1164 geschrieben ist) bald nach Ablauf der Fastenzeit auf, was mit Ibn el-Atirs Angaben (Kiimfil 532—3) sich gut vereinigt; vgl. Histor. atab. 216; Boha ed-din 31.

440 R ö h r i c h t.

Fosthät eiu. Bei einem ueueu Ausfalle ward Dhirgäm, der noch durch Einziehung der Depositengelder von Waisen den allgemeinen Unwillen erregt hatte, am Thore Zawila plötzlich von einigen Corps verlassen, während Schäwer mit Schirküh bis nach Saäda und zum Brückenthore vordrang und, um die Verwirrung zu steigern, Feuer anlegen liess. Jetzt verliessen bis auf 30 alle Begleiter den Dhirgäm; auf der Flucht stürzte er vom Pferde und ward am Boden liegend ebenso wie sein Bruder getödtet (24. Mai 1164), worauf Schäwer seinen Einzug hielt und am folgenden Tage das Vezierat übernahm; Schirküh blieb draussen vor der Stadt mit seinen Truppen ^).

Jetzt als Schäwer wieder Herr von Aegypten geworden war, änderte er seine Haltung; von der Erfüllung der Versprechungen, die er einst in Damascus dem Nur ed-din und Schirküh gemacht hatte, war keine Kede mehr; Schirküh wurde bedeutet, dass er heimkehren könne, da man seiner nicht mehr bedürfe. Nachdem dieser sich ver- geblich bemüht hatte den Vezier zur Beobachtung des Vertrages zu bewegen, befahl er seinem Emii', dem künftigen Sultan Saladin, Bilbais und die Provinz esch-Scharkia zu besetzen und Contributionen zu er- heben. Bald kam es auch zu blutigen Kämpfen zwischen den Truppen Schirkühs und Schäwers, wobei ein Theil der Stadt ausserhalb des Canals vollständig und in der Zawilastrasse viele Häuser in Flammen aufgingen. In dieser verzweifelten Lage glaubte Schäwer das einst von Dhirgäm gewählte Mittel ergreifen zu müssen; er schickte an König Amalrich um Hilfe und überbot die Versprechungen Dhirgäms noch um vieles ^).

Dem König Amalrich kam dieser neue Hilferuf ganz gelegen. Nachdem er Bohemund von Antiochien als Stellvertreter und zum Schutze seines Landes Truppen zurückgelassen hatte, die durch ein- getroffene Pilgerschaaren nicht unerheblich verstärkt worden waren 3), brach er von Ascalon auf*) und rückte auf Kairo los. Schirküh ging ihm entgegen und verschanzte sich in Bilbais. Schäwer liess sofort

') Ibn el-Atir, Kamrü 534 u. Hist. sAah. 216; Ibii Kliallikän I, 611; IV, 486. '■') Wilhelm von 'I>rus XIX, c. 7. Nach Ibu Abu Tai (Reiuaud, Extr. 116 Note 1) versprach Schäwer 1000 Goldstücke für jeden Marschtag (ganz ebenso Ernoul 24; nach der Histor. rogni Hierosol. [die sonst meist aus Wilhelm von Tyrus ihre Nachrichten über Amalrich geschöpft hat] in den Mon. Germ. SS. XVIII, 51 1000 Goldstücke für jede Lanze), ferner Verpflegung der Saumthiere und Unter- stützung der Hospitaliter. ^) So die arabischen Autoren wie Ibn el-Atir, Kami'il 535 ; die Epist. Ganfredi (Bongars No. 24 ; auch bei Bouquet XVI, 62—3) an König Ludwig (der Brief ist Ende August 1164 geschrieben): »paucissimi remanserunt*. •*) ,Communi consilio christianitatis* (Epist. Berct-tini bei Bongars No. 27; im Novemb. 1164 geschrieben).

Amalrich I., König von Jerusalem (1162 1174). 441

seine Truppen zu Amalrich stosseu, und beide belagerten ihren geraein- scliaftlichen Feind vom Ende Juli an ^) drei Monate lang 2), konnten aber die Stadt trotz der schlechten Befestiguugs werke nicht einnehmen. Aber während Amalrich noch hier stand, traf ihn die Nachricht, Nur ed-din habe die Festung Harem erobert und bedrohe Bauias ^) und so war es wirklich.

Sobald nämlich Nur ed-din von den Rüstungen Amalrichs unter- richtet war, hatte er Truppen an die Grenze gesandt, um ihn auf- zuhalten, allein er fand die Grenze selbst gut besetzt und musste wieder zurückkehren. Er wandte sich nun nach Norden, um einen Einfall in das Gebiet von Tripolis zu machen und erschien plötzlich vor Harem. Inzwischen waren zahlreiche Pilgerschaaren aus dem Abendlande in Antiochien eingetroffen, unter ihnen Gottfried Martel aus Aquitanien, ein Bruder des Grafen von Angouleme^), Hugo von Lusignan senior mit dem Beinamen der Braune. Auf die Nachricht, dass Nur ed-din in der Nähe des Kurdenschlosses sorglos lagere, brach Bohemund von Antiochien mit jenen Pilgern unter dem Befehl des Templerprocurators Gilbert de Lascy ^) und Robert Mansel auf, um ihn zu überfallen. Eines Tages nun, während Nur ed-din mit den Seinen gegen Mittag der Ruhe sich hingal^, erschien plötzlich das kleine Heer der Christen, drängte die Muselmänner zurück und richtete ein un- geheures Blutbad unter ihnen an; am tapfersten zeigte sich hierbei Constantin Calaman (Dukas) "). Es gelang den Christen sogar bis zum Zelte Nur ed-dins vorzudringen, der ohne Obergewand mit genauer Noth entwischte; zu seinem Glück närulich hieb ein Kurde den Strick, mit dem sein Pferd am Pflocke festgebunden war, durch, sonst wäre er gefangen worden. Er sammelte sein zerstreutes Heer am Kadessee

0 Nach der Epist. Gaufredi an König Ludwig (Bongars No. 24); vom 1. August an nacli der Epist. Fulcheri (wie die Epist. Gaufr. Ende August 1164 geschrieben) bei Bongars No. 15. Ueber Bilbais, in dem sich 30 000 Mann be- funden haben sollen (Epist. Bertrandi bei Bongars No. 14) , vgl. Quatremere, Mem. sur. l'Egj'pte I, 52 ft". -) So Ihn el-Atir, Kamal 535 und daraus auch

Barhebraeus, Chron. syr. 361 ; hingegen nach Michael Syr. (Recueil des hist. des croisades [auteurs armen.]) 359: 7 Monate lang. ") Ihn el-Atir, Kamäl

535, Hist. atab. 217—8. *) Wilhelm von Tyrus XIX, c. 8. Vor dem Kampfe

hätte Nur ed-din mehrfach Friedensunterhandlungen mit den Christen gepflogen (Epist. Amalr. bei Bouquet XVI, 61). •') lieber ihn vgl. Mem. de la Franche

Comte 1867 IV, 330. «) Ibn el-Atir, Kamal 530—1: »Der erbittertste Feind

der Muselmänner war dieser Grieche al-Dukas* ; vgl. Hist. atab. 208 11; Kamäl ed-din 321—3 und Barhebraeus 359 60 (die meist aus Ibn el-Atir schöpfen); (Jimiamus (im Rec. des hist. des croisad. | auteurs grecs I| 290 1 und Anuotat. libid. IIJ 355, 357, 359—60).

442 ^ '• ^^ ^ ^ '- ^"^ ^•

5 Meilen vom Schluelitfelde, schickte Couriere uacli Aleppo imd Da- inascus, lies« Waffen, Pferde, Lebensmittel und Geld unter die Seinen vertheilen und sorgte für die Kinder der Gefallenen, so dass er bald wieder ein schlagfertiges Heer besass.

Die Christen hatten diesen unverhoff'ten Sieg wenig ausgenutzt. Ohne die Flucht Nur ed-dins zu erschweren, zogen sie ihm langsam nach in der Richtung auf Hirns, aber da Nur ed-din zwischen der Stadt und ihnen sich lagerte, wagten sie keinen Angriff' und kehrten, nachdem sie einen vergeblichen Friedensantrag gemacht und ein Corps am Kurdenschlosse zurückgelassen hatten, nach Antiochien zurück.

Nach vier Monaten fand Nur ed-din Gelegenheit, diese Niederlage zu rächen. Er hatte sein Heer durch Truppen der Fürsten von Mosul, Djezira, Mardin und Hisn Kaifa, die anfangs einen neuen Kampf gegen die Christen für eine gefahrliche Kühnheit erklärt, aber schliess- lich doch seinen Bitten nachgegeben hatten, erheblich verstärkt und erschien plötzlich unter den Mauern Harems, das er bereits 1162 vergeblich belagert hatte i). Auf diese Nachricht rückten Bohemuud III. •von Antiochien, Graf ßaymund jun. von Tripolis, Constantin Calaman, Gouverneur von Cilicien, Fürst Thoros und Mälih mit einem stattlichen Heere zum Entsätze der Festung heran ^). Sie lagerten anfangs bei Imm 3), aber da sie nicht glaubten. Nur ed-din erreichen zu können, weil dieser sich in der Richtung auf Artäh zurückgezogen hatte, gingen sie nach Harem zurück. Nur ed-din folgte ihnen jetzt und stellte sein Heer in einem engen, sumpfigen Terrain auf. Der Angriff wurde trotz der Warnung des Fürsten Thoros von den Christen eröffnet und zwar mit einem gewaltigen Stosse gegen den rechten Flügel der Feinde, wo die Truppen von Aleppo und Hisn Kaifa standen. Die christlichen Ritter jagten sie in die Flucht und verfolgten sie, ohne das nach- rückende Fussvolk zu erwarten, noch weit, aber dies war nun seiner

') Ibn el-Atir, KamPil 525 ii. Hist. atab. 207; Kamal ed-din 321. ») Nach dem Nochbet (bei Kremer, Mittelsyrien 58) mit 30 000 Mann, nach Barhebr., Chron. syr. 3f)0 mit 13 000 Mann, oder genauer: mit 600 Kittern und 12 000 Mann Fussvolk, einem Heere von seltener Stärke, sagt die Epistel. Fnlcheri (Bongars No. 15; bei Bouquet XVI, 60—1) an König Ludwig (1165 am 12. Januar ge- schricbon); der Aufbruch erfolgte am 10. August (Epist. Amalr. bei Bouquet XVI, 61). 8) Ibn el-Atir, Kamfil 538—54 u. Hist. atab. 220—22; Kamal ed-din 326 (der hier selbstständig berichtet). Sehr kurze Nachrichten, wohl ausAVilhelm vonTyrus, giebt Kog. de Wendover, Flores II, 313 und daraus wörtlich entlehnend Matth. Paris, Chron. maj. I, 337; vgl. Cinnamus 290—1 auch die Epist. Amalrici (Bouquet XVI) 62, und Rob. de Monte 1164, woraus Chron. 'Mveti 56 geflossen ist. Imm liegt zwischen Aleppo und Harem (Zeitschr. fiir hist. Theo!. V, 510).

Amalricli I., König von Jerusalem (1162 1174). 443

Deckimg heriiu])t uud wurde durch die Truppen des Zeiu ed-diu von Mosul fiaukirt und zusammengeliaueij. Als nun die siegreiche Cavallerie zurückkehrte, fand sie kein Fussvolk mehr, und der geschlagene rechte Flügel sammelte sich plötzlich wieder und griff sie von hinten an, während Zein ed-din und das Fussvolk von vorn sie fasste. So wurde der Sieg in eine Niederlage verwandelt; über 10000 sollen gefallen sein 1), während von den Führern Fürst Bohemund, Graf Kaymund, Hugo von Lusiguao, Joscellin III. und Constantin Calaman Dukas, in Gefangenschaft geriethen und nach Aleppo gebracht wurden; nur Thoros 11.=^) und Mälih ^) retteten sich durch die Flucht (11. August). Nun wandte sich Nur ed-din gegen Harem, eroberte es, trotzdem 7000 Mann darin lagen ^), am folgenden Tage (12. August) und machte Ibn ed-Daja zum Gouverneur &). Die Fahnen und Köpfe der er- schlaofenen Christen Hess er sammeln und durch einen Boten an Schirküh schicken mit dem Wunsche, sie auf den Festungswällen zum Entsetzen der Christen aufzustellen ß).

Als man in Antiochien diese Niederlage erfahren hatte, war die Furcht allgemein. Nur ed-din werde bald vor den Mauern erscheinen, die seit dem Erdbeben von 1163 noch nicht wieder vollständig reparirt

1) Ibn el-Atir, Kamäl 540; nach der Epist. Gaufr. (Bongars No. 24) fielen von Ordensbrüdern 60 Mann ausser den Turkopulen, und nur 7 entkamen. Cinnamus 190 nennt unter den Todten auch Raymund (wohl eine Verwechslung mit dem gefangenen Bohemund) von Antiochien und Balduin von Marasch. Nach der Hist. atab. 224—5 des Ibn el-Atir hatte Nur ed-din nach der Flucht des rechten Flügels der Muselmänner seine Sache bereits aufgegeben und richtete ein heisses Gebet an Allah ; ohne Zweifel war aber die Flucht ein schlaues Manöver, dessen sich die Muselmänner so oft und glücklich bedienten, wie Ibn el-Atir im Kamal 540 selbst bezeugt. -) Gregor, prcsbyter 195 nennt statt

seiner Malih. Nach dem Nochbet (Kremer, Mittelsyrien 58— 9) wurde jeder Ge- fangene um ein Goldstück verkauft, dann 6000 Christen gegen 2000 Muslimen ausgewechselt; für 600 000 Goldstücke hätte dann Nur ed-din Frieden gewährt. 3) Kamäl ed-din 327; seine Flucht ward durch einige befreundete Turkomanen begünstigt (Gregor, presbyt. 195). Die Nachricht von der Gefangennahme des »signifer Amalrici« (Annal. Camerac. in Mon. Germ. SS. XVI 536) ist wohl auf die Gefangennahme Bohemunds zu beziehen. ■*) Epist. Amalrici (Bouquet

XVI, 61). Harem war 1158 erobert (Wilh. v. Tyrus XVIII, c. 19) und an Raynald v. St. Valery gegeben worden (Robert de Torigny seu de Monte ed. Delisle I, 316, Note 4, wo auch eine Urkunde erwähnt wird, die auf Raynalds Pilgerfahrt sich bezieht; vgl. Röhricht, Beitr. II, 107). ^) Ibn el-Atir, Kamäl 540 u. Hist.

atab. 226; Rob. de Monte 1164. Wilh. v. Tyrus XIX, c. 9 giebt d. 10. Aug., aber das falsche Jahr 1165. •■') Ibn Abu Tai bei Reinaud, Extr. 117. Nach

Sigeb. Cont. Aquic. (Mon. Germ. SS. VI) 411 wurden die Gefangenen von Harem mit Kranken, Weibern uud Kindern durch Nur ed-din nach Antiochien geleitet.

444 R ö h r i c h t.

wareu, iiud es bedurfte der ganzen Beredsamkeit des Patriarchen, inn den Mntli der Bevölkerimg nicht ganz sinken zu lassen i).

In der That drängten auch viele Freunde Nur ed-din, gegen Antiochien zu marschieren, aber er sagte: „Die Stadt ist zwar leicht zu erol)ern, aber nicht die sehr feste Citadelle ; vielleicht werden sie die Franken dem Könige der Griechen übergeben, weil der Fürst von Antiochien sein Neffe mütterlicherseits ist. Ich ziehe aber die Nach- barschaft Bohemunds der des Herrschers von Konstantinopel vor " -).

Er begnügte sich daher damit, die Umgebung von Antiochien zu verwüsten und schenkte noch vor Ablauf eines Jahres, weil er eben den Kaiser Manuel nicht zum Nachbar haben wollte •^), gegen ein starkes Lösegeld dem Fürsten Bohemund die Freiheit ^), worauf dieser nach Konstautinopel ging, wo er unter Festlichkeiten aller Art die Unbequemlichkeiten seiner Gefangenschaft vergass; er kehrte mit reichen Geschenken heim °).

Nur ed-din entliess hierauf die Truppen von Diarbekr und Mosul in die Heimath und befahl dann, das Gerücht auszusprengen, dass er Tiberias belagern wolle. Als nun die Christen Tiberias befestigten, fiel er plötzlich über ßäniäs her ß), dessen Bischof mit Amalrich in

1) Vgl. die Briefe bei Bongars No. 14, 22, 24, 25 ; der Brief Bertrauds von Biancafort (ibid. No. 22) ist wolil im Sept. 1164 geschrieben. -) Ibn'el-Atir,

Kamal 540; vgl. dessen Hist. atab. 224. ^) Der in der That in Folge dieser

Niederlage einen Feldzug gegen Nur ed-din unternommen hätte, wenn er nicht durch andere Ereignisse gehindert worden wäre (Cinnamus 225). •*) Wilh.

V. Tyrus XIX, c. 30. Michael Syrus 360 (und daraus Barhebraeus 361) erzählt, dass Nur ed-din durch die Verwüstungszüge des Thoros gegen Marasch und Gefangen- nahme von 400 Muslimen genöthigt worden sei, den jungen Bohemund gegen Zahlung von 100000 Dinaren fi-eizulassen ; eine Urkunde des eben heimgekehrten Bohemund, für die Pisaner ausgestellt, siehe bei G. Müller, Documenti 15 16, No. 13. Hingegen erhielt Raymund erst nach 8 Jahren (Wilh. v. Tjrus XIX, c. 30) gegen Zahlung von 80 000 Dinaren (nach Ibn el-Atir, Kamäl6l9: erst 1175 gegen Zahlung von 1 50 000 Byzantinern und Loslassung von 1000 gefangenen Muslimen, nach Michael Syrus 380 : gegen Zahlung von 80 000 Tahegans, während Joscellin 50 000, Raynald von Chatillon 120 000 zahlen musste) die Freiheit. Raymund stellte im Decemb. 1174 zum Dank für die durch den Hospital iterorden bewirkte Befreiung diesem eine Urkunde aus, in der er die Schenkungen seines Vaters bestätigte (Paoli, Codice I, 54, No. 54). ^) Auf seiner Heimkehr brachte er

den griechischen Patriarchen Athanasius mit, vor dem der lateinische Patriarch gekränkt nach Kosseir sich zurückzog (Barhebraeus 362); über diese Residenz vgl. Archives de l'ürient latin II, 405—6. ") Bänias war 15. December 1132

von den Muselmännern (Ibn el-Atir, Kanml 397, 492; Kamäl ed-dln 301—2; vgl. Wilhelm von Tyrus XV, c. 9—10) erobert, dann 1148 an die Christen abgetreten worden (Ibn ol-Atir, Kamäl 469—70, Hist. atab. 161). Sonst vgl. über die Belagerungen und wechselnden Besitzer von Bfiniäs Clermont-Ganneau, Recueil d'archeologie, Paria 1888, I, 255—61.

Amalricli I., K^;^-g von Jerusalem (1162—1174). 445

Aegypten war, und gewann es, wie man allgemein glaubte, durch Verrate 1) und zwar des von ihm bestochenen Canonicus Eoger und des Gouverneurs Walter von Quesnet, welcher letztere wegen der Sorg- losigkeit und Nachlässigkeit in der Befestigung der Stadt eine schwere Strafe fürchtete und dieser so zu entgehen dachte. Die Uebergabe erfolgte, noch ehe die Christen herankommen konnten, am 17. Ok- tober 1164^).

Während diese Unglücksfälle die Christen in Syrien trafen, lag Amalrich, wie wir wissen, vor Bilbais, ohne es einnehmen zu können. Er bat Schäwer heimkehren zu dürfen, aber dieser ersuchte ihn noch einige Zeit zu bleiben; Schäwer begann nun mit Schirküh zu unter- handeln und soll ihm folgenden Brief geschrieben haben : Wisse, dass ich nichts vernachlässigt habe, um Dir das Leben zu retten, worauf ich aus zwei Gründen bedacht gewesen bin, nämlich weil es eine Schande für den Islam gewesen wäre, wenn die Christen triumphirt hätten, sodann weil diese Bilbais im Falle einer Eroberung be- halten haben würden unter dem Vorwande, dass sie es mit dem Schwerte erobert hätten " •*). Zugleich unterhandelte Amalrich mit Schirküh, indem er erklären Hess, er wolle abziehen, wenn auch er abzöge und das Land dem Schäwer überliesse. Schirküh ging, da die Lebensmittel fast zu Ende waren, darauf ein, und so kam denn unter diesen Bedingungen der Vertrag zu Stande. Schirküh verliess Bilbais ^),

') Wilhelm von Tyrus XIX, c. 10 (der aber wieder ein falsches Jahresdatuni 1167 giebt) ; nach den Annales de la Terre Sainte in Archives II B, 432 er- folgte die Uebergabe erst am 18. Oktober 1166. Dass Verrath im Spiele gewesen war, erklären auch die Briefe des Patriarchen Amalrich (Bongars No. 16), des Templermeisters Bertrand (ibid. No. 14, auch bei Bouquet XVI, 79 81 in zwei Ausfertigungen vorhanden, und 1164 im November geschrieben); der Ueberbringer des letzteren Briefes war der Templer Walter. In die Zeit bald nach dem Fall von Bäniäs, also Nov. Dec. 1164 oder Anfang 1165, da die Eroberung jener Stadt als das letzte unglückliche Ereigniss erwähnt wird, scheint der Brief des Patri- archen Amalrich zu gehören, in welchem er den nach dem Abendlande gehenden Guibert d'Assaillj- empfiehlt und dringend um Hilfe bittet (Archives de r(_)rient latin I, 186—7; vgl. ZDPV. 1883, 209—10). Die Geschichte dieser Niederlagen meldete Papst Alexander III. am 20. Januar 1165 dem Erzbischof Heinrich von Rheims (Martene Collect. II, 700) und allen Gläubigen, die er auflorderte, zu einem Kreuzzuge sich zu rüsten, und ermahnte, Gottes Beistand durch auffallenden Kleiderprunk nicht zu verscherzen ; ebenso verhiess er ihnen Befreiung von Zins- zahlung, Schutz und Ablass (am 14. Juli 1165; vgl. Rymer, Foedera I, 21). -) Nur ed-din schloss jedoch Frieden bald darauf; er theilte mit den Christen das Gebiet von Tiberias und machte sich die Erhebung eines jährlichen Tributs in den ihm zugefallenen Theilen aus (Ibn el-Atir, Kamäl 541). ^) Reinaud,

Extr, 117. *) Kamal 536—7.

44(] Röhricht.

trat deu Marscli nach Syrien am 26. Okt. an i), das er am 12. Nov. glücklicli erreichte -) ; die Christen legten in einem Defile ihm einen Hinterhalt, aber er änderte seine Route und entging so ihren Nach- stellungen 3).

Um dieselbe Zeit, wohl Anfang November 1164, kehrte Amalrich nach Jerusalem zurück, wo inzwischen Graf Dietrich mit vielen Pilgern aus Flandern und Lothringen ^) eingetroifen war ^) ; er ging mit ihm über Tripolis nach Antiochien, dessen Einwohner nach eben über- standener Angst den Grafen dringend baten, länger zu bleiben. Amal- rich selbst hielt sich bis in den Sommer 1165 hinein in Antiochien auf und ordnete verschiedene Massregeln zum Schutze der Ein- wohner an.

Hier erhielt er die Nachricht, dass die Höhlenburg Cavea de Tyruni ^) durch Verrath in die Hände Nur ed-dins gefallen sei, aber der Kommandant von den erbitterten Christen seinen Lohn am Galgen empfangen habe. Bald darauf kam eine neue Hiobspost, dass nämlich eine andere Höhlenburg jenseits des Jordan '), deren Vertlieidigung den Templern oblag, von Nur ed-din belagert werde. Sofort brach er ■zum Entsätze auf, aber noch ehe er an dem bedrohten Punkte er- schien, wurde ihm gemeldet, dass die Festung bereits übergeben sei, worauf er zwölf der Templer, denen man die Hauptschuld zumass, aufhängen Hess.

Unterdessen hatte Schirküh durch die Schilderungen von dem Eeichthum Aegyptens und der Ohnmacht seines Regenten den Nur ed-din vermocht, ihm die Erlaubniss zu einem neuen Einfall zu geben, und vom Chalifen zu Bagdad Unterstützungen empfangen, um den schismatischen Chalifen in Kairo zur Unterwerfung zu zwingen. Mit 2000 Reitern brach Schirküh im Januar 1167 auf^).

Kaum hatte Amalrich davon gehört, als er den Patriarchen, den Clerus und die Fürsten des Landes nach Nablus berief und sie um ihren Beistand ersuchte ; man beschloss auch ohne Zaudern, ein Zehntel

') Boha ed-din (ed. Schult ens) 31. ^) Ihn Khallikfin IV, 487. •'') Ibn

Abu Tai (Reiuaud 118). ■•) Chrou. Lobiensc bei Bouquet Xül, 584; vgl. ibid.

XVI, 63—4. ") Wilhelm vou Tyrus XIX, c. 10; Enioul 21—2; über seiue

Pilgerfahrt vgl. Röhricht, ßeitr. 11, 107—8, 313—4. ") Wilhelm von Tyrus

XIX, c. 11; über die Lage von Schakif Tirün vgl. Röhricht in ZDPV. X, 273-4. ') Wilh. V. Tyrus XVIÜ, c. 19. Höchst wahrscheinlich ist die Höhlenfestung el-Kahf »die Höhle* (bei er-Rakim nördlich von Kerak) gemeint; vgl. Vie d'Oussama ed. Derenbourg 230. ") Ibu el-Atir, Kamal 546 giebt: Rabi II (25. Jan.

23. Febr. 1167) als Termin an, hingegen die meisten übrigen arabischen Autoren (Ibn Khallikan I, 626; IV, 487; Ibn Abu Taf |Reinaud, Extr. 122|; IJoha ed-din 32; vgl. Wüstenfeld 334) den Rabi I (1166, 26. Dec. 1167, 25. Jan.).

Amalrich I.. König von Jernsalom (1162 1174). 447

aller Eiuküiifte als Kriegssteuer zu gewähren. Als uuu die Nachricht von dem Aufbruche Schirkühs kam, eilte Amalrich ihm entgegen, um ihn in Kadesbarne aufzuhalten, allein zu spät, und kehrte deshalb zurück nach Ascalon, wo sich sein Heer sammelte. Am BO. Januar 1167 zog Amalrich ab und rückte über Gaza und el-Arisch vor Bilbais.

Schäwer hatte anfangs nichts von der Gefahr, die Aegypten drohte, gewusst und erst durch Amalrich erfahren i), worauf er von neuem diesen um Hilfe bat und seinem Heere die Schätze und Hilfskräfte des Chalifen sowie des ojanzen Landes bereitwillig zur Verfüg-uno- stellte. Dieser ging an Pelusium und Kairo vorüber und schlug am rechten Ufer des Nil sein Lager auf, zwei Stadien von Kairo entfernt, um seinen Gegner, noch ehe er den Fluss überschreiten könne, an- zugi'eifen. Schirküh jedoch, der quer durch die Wüste im gTossen Bogen um die Grenze des Königreichs Jerusalem herum und durch den Wadi'l Ghizlän zwischen Suez und Atf ih ^) in Aegypten einge- drungen war, passirte oberhalb Kairo bei Atfih den Fluss und zog dann am linken Ufer stromaufwärts, um bei Djizeh, gegenüber von Kairo, ein Lager zu beziehen, das er über 50 Tage behauptete. Einige Reiter seines Heeres wurden hier durch Amalrich gefangen und er- zählten ihm von dem verlustreichen Marsche durch die Wüste und der augenblicklichen Stärke seines Corps.

Schirküh sandte von hier aus an Schäwer ein Schreiben, worin er ihn zu einer Alliance gegen den Feind ihres gemeinsamen Glaubens aufforderte, und versprach ihm zum Lohne abzuziehen und nie zurück- zukehren, aber Schäwer liess nicht nur den Boten tödten, sondern übergab den Brief sogar dem König Amalrich, um ihm jeden Zweifel an seiner Treue zu nehmen. Schirküh war darüber aufs leidenschaft- lichste empört und sagte: ,Wenn Schäwer mir hätte Glauben schen- ken wollen, so wäre kein einziger abendländischer Christ übrig ge- blieben ! " 3)

Schäwer schloss nun sich fester als je an Amalrich durch ein feierliches, dauerndes Bündniss und das Versprechen eines jährliehen Tributs von 4Ut)000 Dinaren; von dieser Summe sollte die erste Hälfte sogleich bezahlt werden, die zweite kurze Zeit darauf, aber unter der

') Ibn Abu Tai (Reinaud, Extr.) 122 ; nach Ibn el-Atir, Kamäl 547 hatte Schäwer schon vor Schii-kühs Abmarsch an Amahich geschickt ; nach Bohfi ed-din 32 kamen beide Gegner fast zu gleicher Zeit in Aegypten an. -) Wilhehn

von Tyrus XIX, c. 12 (wo Attasi wohl für Atf ih vei-schriebun ist, wie Weil, (Jesch. der Chalif. Hl, 325 richtig bemerkt hat) ; Ibn el-Atir, Kamrd 547 und Histur. atab. 23G— 7; Ibn Khallikan I, 626; IV, 488. ») Ibn Abfi Tai (Reinaud,

Extr.) 122.

448 Röhricht.

Bedingung, dass der König nicht vor Scliirküh Aegypten verlassen dürfe. Dieser Vertrag ward vom König mit dem Abgesandten des Chalifen dureli Handschlag bekräftigt, worauf Hugo von Caesarea und der Templer Gottfried, der Bruder Fulchers, als Bevollmächtigte Amal- riclis an den Hof des Chalifen sich begaben um das Bündniss definitiv abzuschliessen.

Nachdem sie durch enge und dunkle Gänge an zwei Wachtposten vorüber gegangen waren, kamen sie in weite, oben oöene Käume, die durch prachtvolle Säulengänge eingefasst waren, in der Mitte aber marmorne Fischteiche und ein buntes Gewirr von allerlei Yogelarten zeio-ten Von hier aus wurden sie weiter geführt in noch kostbarere Räume, in denen eine Menge vierfüssiger Thiergestalten ihnen vor das Auge trat „wie sie sonst der muthwillige Pinsel des Malers oder die freie Phantasie des Dichters oder die träumende Seele in nächtlichen Gesichten sich erschafft, und wie solche nur die Länder des Morgens und Mittags zeigen, das Abendland aber niemals sieht oder nur selten durch Hörensagen kennt". Endlich nach einer neuen längeren Wan- derung kamen sie zum Cabinet des Chalifen, das ihnen durch eine ■sfr(")ssere Zahl von Bewaffneten und ihren reicheren Schmuck schon äusserlich kenntlich gemacht wurde. Als sie eingelassen worden waren, warf Schäwer sich zweimal zu Boden, legte dann das am Halse hängende Schwert ab und warf sich zum dritten Male nieder. In diesem Augen- blicke gingen die mit Gold und Perlen reich gestickten Vorhänge blitzschnell auseinander, und der Chalif ward sichtbar; er sass auf einem sfoldenen Throne mit verhülltem Gesicht und war von einer kleinen Zahl Eunuchen umgeben i). Der Vezier näherte sich ilim, küsste seine Füsse und erklärte den Grund, warum die Gesandten er- schienen seien. Der Chalif antwortete herablassend, er sei bereit den mit König Amalrich geschlossenen Vertrag zu halten, als aber die christlichen Gesandten baten, er möge sein Versprechen dui-ch Hand- schlag bekräftigen, zeigte sich die Umgebung entrüstet, bis endlich nach vielen Berathungen und auf die dringenden Vorstellungen des Veziers der Chalif mit Widerstreben seine Hand, aber verhüllt, hin- reichte. Da trat Hugo von Caesarea =^) vor und sagte: „Herr, die

') Wilhelm von Tyrus XIX, c. 16—17; eine ähnliche Beschreibung einer Audienz bei dem Chalifen siehe bei Al-Calcaschandi ed. Wüstenfeld (Gott. acad. Abhiindl. 1879) 107—8. l'eber die im Text erwähnte Insel vgl. die Details eben- da 59—60. -) Hugo erscheint in Urkunden 1159 (Archives de rOrient latin II, 125), 1160 (ibid. 137; Roziere 107; Paoli 205), 1161 (Roziere 196), 1164 (Archives U, 140), 1165 (Müller, Docuraenti 11; Delaville le Roulx 101—3), 1166 (Roziere 276), 1168 (Müller 14; Paoli 48).

Atnalrich L, König von Jerusalem (1162—1174). 449

Treue kennt keine Winkelzüge; wenn Fürsten ein Bünduiss mit ein- ander scliliessen, so luuss alles nnverhüllt sein, und die Verträge, welche man eingeht, müssen klar gestellt und vollständig gehalten werden. Darum wirst Du uns entweder die blosse Hand geben, oder wir müssen denken, dass Du etwas Falsches oder nicht ganz Auf- richtiges im Sinne hast." Auch diesen Wunsch erfüllte der Chalif; er reichte zögernd und lächelnd, zum Verdruss seiner Umgebung, dem Hugo von Caesarea seine unverhüllte Kechte und sprach Silbe für Silbe die Eidesformel nach, die dieser ihm vorsagte, wodurch er sich ausdrücklich verpflichtete, den Vertrag ehrlich und treu zu halten. Hierauf wurden die christlichen Gesandten mit ausserordentlich reichen Geschenken entlassen, und die Audienz war zu Ende.

Am andern Morgen nach dem Abschluss dieses Bündnisses begann Schirküh sein Lager bei Djizeh zu befestigen. Der König Hess eine Schiffbrücke bis in die Mitte des Flusses schlagen und befestigen, wagte aber nicht sie zu vollenden. Während so die beiden Heere einander einen Monat gegenüber lagen, schickte Schirküh einen Theil seiner Schaaren ab, um die in der Mitte des Flusses liegende Insel Rodha zu besetzen, aber Amalrich sandte den Milo de Plancy i) und Al-Kämil, den Sohn Schäwers, dorthin, überraschte die Feinde, als sie eben die dortigen Einwohner massacrirten ; sie wurden theils nieder- gehauen, theils in den Fluss getrieben, so dass gegen 500 Türken zu Grunde gingen. Um diese Zeit erhielt das christliche Heer Verstär- kungen, welche Honfred von Toron, Philipp von Nablus -) und andere Barone ihm zuführten, und nun beschloss Amalrich, in einer Nacht die ganze Flotte nach jener benachbarten Insel zu führen und das feindliche Heer zu überfallen. Die Schiffe l)rachten auch das Heer glücklich nach der Insel, als sie aber von da an das linke Ufer weiter fahren wollten, erhob sich ein Wirbelsturm und machte die Landung- unmöglich; man musste sich begnügen, die dem feindlichen Ufer zu- gewandte Seite der Insel zu befestigen und dort ein Lager aufzu- schlagen. Inzwischen hatte Schirküh bemerkt, dass die Flotte Amalrichs ihren Ankerplatz verlassen hatte; er eilte an dem Ufer entlaug und entdeckte, dass das christliche Heer die Insel besetzt habe. Er schlug nun im Angesichte derselben, aber etwas landeinwärts, ein neues Lager

') Milo begegnet uns urkundlich 1168 (Paoli 49; Strehlke 7), 1169 als Seneschall d. Königs (Paoli 50), 1171 (Rozierc 328), 1174 (Archives 146) und 1177 in falscher Urkunde (Strehlke 9). ^) Philipp von Nablus wird in Ur-

kunden erwähnt: 1152 (Ruffi 93; Mery & Guindon 184),. 1155 (Archives 11, 133), 1169 (ibid. 135), 1160 (Roziere 107; vgl. 134), 1161 (ibid. 196; Strehlke 3), 1169 (ibid. 4, 7) u. c. 1170 (Paoli 235).

Mittheilungeu XII. 29

450 Röhricht.

auf, jedocli schon in der folgenden Nacht Hess er es im Stich und trat den Eückzug au. Anialrich ging nun ungehindert auf das linke Ufer hinüber und eilte dem Schirküh nach, während Hugo von Ibelin mit Al-Kamil, welche er vorher zur Vertheidigung der Brücke des ersten Lagers zurückgelassen hatte, den Befehl empfingen, Kairo zu besetzen. Die Wälle und Thürme der Hauptstadt wurden christ- lichen Heerführern übergeben, die auch beim Chalifen ungehinderten Eintritt hatten, und Gerhard von Pougy ^) giug mit dem zweiten Sohne Schäwers Mahada auf das rechte Ufer des Nil zurück, um jeden Versuch eines Ueberganges dort zu verhindern.

Schirküh befand sich jetzt in einer gefahrvollen Lage, in Mitten eines feindlichen Landes, von mehrfach überlegenen Gegnern stark bedrängt und ohne genügende Hilfsmittel weit von der Heimath. Er hatte zwar unmittelbar nach seiner Ankunft in Aegypten die west- lichen Bezirke sofort iu seine Verwaltung genommen, und die Ein- wohner Alexandriens, welche an einer Alliance des Chalifen mit den Christen schweren Anstoss nahmen, hatten den später berühmt ge- wordenen Geographen Edrisi ausAleppo^^j als Gesandten ihm zugeschickt mit dem Versprechen, jede mögliche Hilfe gewähren zu wollen, aber diese Hoffnungen gingen nicht iu Erfüllung. Von Djizeh aus war er in Eilmärsclien nach Überägypten aufgebrochen, nachts beim Scheine von Feuerbrändeu ; erst in Daldje nicht weit von Oschmuuam machte er Halt.

König Amalrich verfolgte die Fliehenden und erreichte sie Sonn- abend vor Laetare (18. März) bei Babein ^).

Schirküh war durch die Nachricht von der numerischen Ueber- macht^) seiner Feinde, dessen Haupttheil allerdings nicht die Chri-

') Gerhard von Pougy erscheint urkundlich 1161 (Strehlke 5), 1164 (Archives II, 140), 1168 (Paoli 50), 1171 (Archives II, 145), 1179 (Delaville le Roulx 141—2 u. Strehlke 11). -) Ibn Abu Tai 123; vgl. dessen werthvolle

Beschreibung Alexandriens (Edrisi ed. Jaubert im Rec. de la societe de geogr. 183G, V, 297—301). Leider erwähnt der Geograph persönliche PMebnisse dort nicht. 3) Abulfeda 35 schreibt Abuan. Unser Datum giebt Wilhelm von Tyrus, die Hist. atab. 237: 25 Djumada I d. i. 19. März als Tag der Schlacht an, hin- gegen Ibn el-Atir, Kamäl 547 und auch Makrizi (Wüstenfeld, Gesch. d. Fatimiden 334) den 25 Djumada II d. i. 1 8. April ; ottenbar ist letztere Angabe ein Schreib- fehler, da die erstere mit Wilhelm gut übereinstimmt. ■*) Nach Wilhelm von Tyrus XIX, c. 24 hatte Schirküh 12 000 Türken, darunter 9000 geharnischte, 3000 Bogenschützen, 10—11000 Beduinen, die Christen aber nur 374 (oder wie er XIX, c. 30 schreibt: 500) Ritter, 4—5000 Fusssoldaten, aber einige Tausend Turkopulen und Aegypter; Barhebraeus, Chron. syriac. 364 giebt den Christen 10 000 Mann und Schirküh nur 2000 Reiter. Nach der Vita Bernhardi (Hb. Y c. 3) hatte Schirküh 3(100 Beduinen und 14 000 Türken, Amalrich nur 300 Kitter.

Amalricli L, König von Jerusalem (1162 1174). 45 1

steu, sondern die Aegypter ausgemacht halben werden, bestürzt, aber doch zum Kampfe bereit, nur der Kriegsrath, den er berief, drängte mit Eücksicht auf das ungünstige Terrain, die Ermüdung der Soldaten und die feindliche Stimmung des Landes auf schleunigste Eückkehr und Vermeidung jedes Kampfes , bis Scheref ed - diu Bargasch, Gouverneur von Schakif, durch seine kräftigen Worte den Muth der übrigen Emire neu belebte ^) ; Schirküh und Saladin stimmten ihm bei, und nun wurde beschlossen, die Schlacht zu wagen.

Schirküh stellte seinen rechten und linken Flüo-el auf sandige Höhen, die Bagage in das Centram, theils um deren Ausplünderung im Rücken des Heeres zu verhindern, theils und dies war der wichtigere und entscheidende Grund um eine längere Front zu haben und nicht überflügelt zu werden. Saladin, welcher das Cen- trum befehligte, erhielt von Schirküh die Anweisung, wenn die Christen, in der Meinung, er selbst stehe dort ^), augreifen würden, ohne weiteres zu weichen, aber sobald sie in ihrer Verfolgung inne hielten, sofort Kehrt zu machen und nun seine Verfolger zu verfolgen. Schirküh selbst stellte sich mit den zuverlässigsten Emiren auf dem rechten Flügel auf.

Was er vorausgesehen hatte, traf ein. Die Christen warfen sich auf das Centrum und drängten es zurück, aber sogleich brach Schir- küh auf den isolirten linken Flügel der Christen los, schlug sie in die Flucht und machte viele Gefangene. Als nun die im Centrum sieg- reichen Ritter von ihrer Verfolgung zurückkamen, fanden sie das Fussvolk erschlagen oder zerstreut und wandten sich auch ihrerseits zur Flucht. Hier fielen Hugo von Creona aus Sicilien und Eustachius Cholet aus Pontigny ■^) ; gefangen wurden Hugo von Caesarea und Arnulf von Tell-Bäscher, der Bischof Radulf von Bethlehem*) ward schwer verwundet und verlor sein ganzes Gepäck.

Amalrich, der selbst mit Mühe der Gefangenschaft entronnen war ^), steckte abends auf einer Anhöhe sein Banner auf uud sammelte

•) Kamäl p. 548 u. Histor. atab. 237—8 (daraus auch Barhebraeus 363—4) ; Ibn Abu Tai 1 24). '■') Wie in der That, nach der Meldung Wilhelms XIX, c. 24

die Christen meinten. Den deutlichsten Bericht gcl)en Ibn el-Atir, Kamäl 548—9 u. Hist. atab. 238—9; Ibn Abu Tai' 125. s) Vgl. Ponthieu aux croisades in

Revue nobiliaire 1867, 443. *) Ueber ihn vgl. ZDPV. X, 24—5. ^) Die

Vita S. Bernardi (lib. V c. 3), auch in Manrique, Annal. Cisterc. II cap. 6, 547 und Lalore, Le tresor de Clairvaux 126—30 meldet folgende Reliquiengeschichte, welche an diesen Kampf anknüpft (vgl. Riant, Exuv. II, 193). Dem Könige erschien in IMonia vor dem Kampfe der heilige Bernhard mid tadelte ihn als unwürdigen Träger einer Kreuzreliquie. Als aber Amalrich gebeichtet hatte, segnete der

29"

452 R Ö h r i c li t.

noch einige Scliaaren von Versprengten. Auf zwei anderen Hügeln hatten feindliche Haufen Posto gefasst, um den Christen die zwischen den Hügeln hindurchführeude ßückzugsliuie zu versperren, aber diese drängten sich zu einer compacten Schaar zusammen nnd kamen un- beschädigt durch den gefährlichen Pass hindurch zu den Uebrigen. In der Nacht zogen die Clrristen noch bis Monia i), wo sie Gerhard von Pougy und Mehada mit 50 Eeitern und 100 Turkopulen fanden, welche Schirküh an der Passage über den Nil hindern sollten. Amal- rich wartete noch drei Tage hier auf das Eintreffen des Fussvolkes, welches unter Joscellin weit zurück war, am vierteu Tage zog er mit seinem neu organisirten kleinen Heere nach Kairo, wo er neben der Brücke sein Lager aufschlug und bei der Musterung einen Verlust von 100 Mann feststellte, während der der Feinde auf 500 geschätzt wurde.

Schirküh marschierte von Babein am Eande der libyschen Wüste entlang nach Alexandrien, wo er seine Gefangenen und Verwundeten unterbrachte, zog überall die öffentlichen Gelder an sich und machte . Saladin zum Gouverneur ^). Auf die Nachricht von dem Abmärsche Schirkühs eilte Amalrich sofort nach und beschloss, Alexandrien die Zufuhr abzuschneiden. Er lagerte zwischen Tarüdja und Damanhur, 8 Lieues von der Stadt und Hess die Umgegend durch Streifcorps durchziehen, während die Flotte den Zugang von der Seeseite sperrte. Einen ganzen Monat war so die Besatzung nach jeder Richtung hin abgeschlossen, als es Schirküh gelang, 1000 Reiter in die Stadt zu werfen. Er selbst zog in Nachtmärschen dicht am Lager Amalrichs vorüber auf seinem früheren Wege wieder nach Oberägypten und be- lagerte, allerdings ohne Erfolg, die Stadt Küs. Amalrich verfolg-te ihn bis Kairo, Hess sich aber durch einen ägyptischen Emir^) bereden, wieder zurückzukehren, da er in Alexandrien, das durch Hungersnoth schon arg bedrängt sei. Verwandte habe, mit deren Hilfe die Stadt leicht zu gewinnen sein werde. So blieb Schirküh bis Ende Juni 11G7

Heilige die an des Königs Halse hängende Reliquie, sprach ihm Muth ein und verhiess Sieg. In dem Kampfe gelobte Amalrich, wenn er gerettet werde, diese Reliquie nach Olairvaux zu schicken, und da er der Gefangenschaft entging, er- füllte er sein Gelübde. Die Beschreibung der in Clairvaux aufbewahrten kost- baren Reliquie siehe bei Manrique 11, 547 § 9 und genauer bei Lalore 60—4.

') Monia Bani Kasib liegt einen Tagemarsch von Oschmunain (Quatremere, Memoires sur TEgypte I, 245, 440—44 ; vgl. Derenbourg, Vie d'Ouysama 250,) ; dort lagerte auch Schawer mit seinen Truppi'n (Ibn Abu Tai 125). Sonst vgl. Wilhelm von Tyrus XIX, c. 24. «) Ibn el-Atir, Kamfil 550 u. Hist. atab. 239. '') Von Wilhelm von Tyrus XIX, c. 25: Ben Ekarselle genannt.

J

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 453

ungehindert in Oberägypteu, und Amalrich wandte sich wieder gegen Alexandrieu.

Das vereinigte ägyptisch -christliche Belagerungsheer hielt im Ganzen 75 Tage i) die Stadt eng eingeschlossen und wurde, da man eine ])aldige Uebergahe erwartete, auch durch starke Schaaren Beute- gieriger vermehrt, welche die Magnaten des Landes, unter anderen auch der Erzbischof Friedrich von Tyrus, herbeiführten; doch musste der letztere nach kurzem Aufenthalt wegen Krankheit wieder zurück- kehren. Die nächste Umgebung der Stadt wurde furchtbar verwüstet; denn alle Baumpflanzungen und Gärten wurden niedergehauen, wäh- rend ein mächtiger Belagerungsthurm und viele Wurfmaschinen Tod und Verwüstung in der Stadt verbreiteten. Amalrich wie Schäwer Hessen es an Geschenken und ermunternden Worten nicht fehlen, und allen voran gingen besonders die Pisaner ^) durch Muth und Geschick, besonders im Bau von Belagerungsgeräth, aber von einer Uebergabe der Stadt war keine Rede,

«) Ibn el-Atir, Kamäl 550 u. Histor. atab. 240; nach Ibn Abu Tai 126 und Abulfeda 35: 3 Monate lang. *) Amalrich hatte die Pisaner schon 1165

(15. März: vgl. Dal Borgo, Doc. Pis. 90: Tronci, Memorie 117; Lünig, Cod. diplom. III, 1473—4; Gius. Müller, Documenti 11, No. 9) durch Privilegien aus- gezeichnet, 1168 am 19. Mai durch weitere Privilegien für ihre wesentlichen Dienste (Dal Borgo 91; Müller 14, No. 11) bei der Belagerung von Alexandrien und schenkte ihnen in Kairo »in platea Belbecanti« mehrere Besitzungen 1169 am 16. September (Lünig III, 1475; Muratori, Antiq. II,. 907; Dal Borgo 92; Müller 15; No. 12; vgl. des letzteren Erläuterungen zu diesen Urkunden XI— XII und 385 ff.), ebenso in Rosette und versprach ihnen 1000 Dinare Einkünfte. Am 21. Januar 1168 landete in Pisa der Gesandte Amalrichs Sinibaldus, welcher die Einnahme Alexandriens meldete, lieber die Betheiligung der Pisaner handeln die Annal. Pisani (Mon. Germ. SS. XIX) 257—8 (woraus die Chronica varia Pisana (Muratori VI) 181 u. Roncioni 360—2 geschöpft haben) und ausser Amari, I diplomi arabi LH— LIII; G. Müller, Documenti XI— XII, 385—9, endlich erschöpfend Heyd, Hist. du commerce I, 396—7. Die rege Betheiligung der Pisaner an den Kriegszügen Amalrichs war ohne Zweifel der Lohn für die Ver- nichtung der Privilegien, deren sich ihre Rivalen die Genuesen im Königreich Jerusalem bisher erfreut hatten und seit Zerstörung der ihre Verdienste verkündigenden goldenen Tafel in der heil. Grabeskirche verlustig gegangen waren. Leider können wir den Zeitpunkt und den Grund dieses Ereignisses nicht genau angeben. Alexander III. forderte am 12. u. 13. Oktob. 1167 vom König und Patriarchen die Restauration derselben (Lib. jurium I, 228—9, No. 254 u. 255 ; Giornale Ligustico 1883, 164, No. 1), dann 26. April 1179 (ibid. 307— 8, No. 320), und Urban IIL wiederholte 1186 diese Forderung (ibid. 331—5, No. 345—7), die Konrad v. Montferrat im April 1192 zu erfüllen versprach (ibid. 401, No. 401), aber bei diesem Versprechen ist es geblieben. Sonst vgl. de Vogüe, Les eglises de la Terra Sainte 221 ; Heyd I, 148—9.

454 R ö li r i c h t.

Wohl war die Bürgerschaft wie jede Handelsbevölkerimg dem Kriege abgeneigt, durch Himger und Seuclieu deciniirt und die Be- satzung selbst nur schwach, aber Saladin erhielt durch unernüidlichen Zusprach und die Verheissung baldiger Hilfe den Muth der Seinen aufreclit und setzte Schirküli von seiner Bedrängniss in Kenntniss. Dieser gab nun sofort die Belagerung von Küs auf und wandte sich, überall auf seinem Marsche Geld und Steuern erpressend gegen Kairo, zu dessen Vertheidigung Hugo von Ibelin zurückgeblieben war. Er lagerte am Karafaberge bei Birket al-habasch nicht weit von Fosthät, wagte aber weder eine Belagerung Kairos noch einen Versuch, Alexandrien zu entsetzen, sondern l)egann Friedensunterhandlungen mit Amalrich einzuleiten; denn er konnte wohl vermuthen, dass auch dieser des Krieges in Aegypten überdrüssig war, weil inzwischen Nur ed-din wieder in das Königreich Jerusalem eingefallen war und mehrere Burgen erobert hatte i).

Er schickte den gefangenen Hugo von Caesarea und Arnulf von Tell-Bascher an Amakich und liess ihm Frieden unter der Bedingung anbieten, dass die Belagerung Alexandriens aufgehoben und die gegen- .seitigen Gefangenen freigelassen werden sollten, endlich solle der König versprechen, den Rückzug Schirkühs nicht zu stören. Diese Bedingungen fanden allgemeinen Beifall; der König gab seine Ein- willigung, und die Feindseligkeiten wurden sofort eingestellt. Alsbald entwickelte sich zwischen den Belagerten und Belagerern ein friedlicher und freundlicher Verkehr, und Amalrich ehrte den tapferen Vertheidiger dm-ch Verleihung einer Ehrenwache. Die Christen besuchten die Sehens- würdigkeiten der Stadt, auf deren berühmtem Leuchtthurme jetzt das Banner des Königreichs Jerusalem flatterte, und wunderten sich nicht wenig, dass eine Bevölkerung, die 50000 Männer zählte, einem Be- lagerungsheer von 1500 Eeitern und 4 5000 Mann Fussvolk nicht noch nachdrücklicheren Widerstand entgegengesetzt hätte.

') Moneitira, südöstlich von 'IVipolis am Fuss des Libanon, ward erobert nach Ibn el-Atir, Karaäl 545—6 n. Hist. atab. 235—6; Abulfeda 35: im Jahre der Hedschra 561 (1165, 7. Nov. 1166, 28. Okt.), hin<?egen nach ßoha ed-din 32 {vgl. Ibn Khallikän IV, 487) im April— Mai 1167, ferner die Festung Akaf in der Wüste und im Juni Juli Huuain, dessen Besatzung Feuer anlegte und dann die Festung verliess. Ibn el-Atir, Kamfil 551 erzählt, Nur ed-din sei vom Kurdenschlosse aus aufgebrochen, habe dann 'Araka angegiüften, Djabalah, el- Arima (dafür Abulfeda : Oraiba) und Säf itha erobert u. sei kurz vor dem Ramadhan (21. Juni 21. Juli 1167) nach Hirns zurückgegangen, von wo aus er gegen Hünain marschii-te , um auch Beirut zu belagern ; unser Autor fügt jedoch hinzu: »aber im Heere brach Uneinigkeit aus, welche dessen Auflösung herbei- mhrte.«

Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 455

Saladin hatte von Schäwer ausdrücklich uocli Amnestie für die Bürger uud Anhänger Schirkühs verlangt, und Amalrich auch die Er- lullung dieser Bedingung verheisseu, aber Schäwer liess, als ihm die Stadt übergeben worden war (4. August 1 167) ^), die Betheiligten mit schweren Strafen belegen. Hingegen bewies König Amalrich mehr Ge- rechtigkeit und Treue; denn als auf Wunsch Schirkühs die Kranken und Verwundeten, darunter auch Edrisi, auf Schiffen nach Syrien ge- schafft worden waren, und der Gouverneur sie als Gefangene in Zucker- pressen anstellte, befahl er sofort deren Freilassung.

Nachdem Amalrich seine Maschinen verbrannt hatte, ging er nach Kairo, zog die hier stehenden Abtheilungen an sich und langte am 20. August 1167 in Ascalon an; zu derselben Zeit mag auch die Flotte heimgekehrt sein. Schirküh empfing 30 000 oder 50 000 Goldstücke ^) und kam am 5. September nach Damascus ^).

Bald nach der Kückkehr des Königs aus Aegypten waren auch, wie wir kurz oben erzählt haben, der Erzbischof Ernesius von Caesarea und Odo von St. Amand aus Konstantinopel mit Palaeologus und Manuel Sebastocrator in Tyrus eingetroffen, um Amalrich seine neue Gemahlin, eine Nichte des Kaisers, zuzuführen. Er eilte ihr entgegen nach Tyrus und wurde am 29. August mit echt byzantinischem Cere- moniell getraut.

Drei Tage nachher übergab Erzbischof Friedrich von Tyrus auf Bitten und in Gegenwart des Königs das Archidiaconat dem späteren Erzbischof Wilhelm, dem Geschichtsschreiber der Kreuzzüge.

Zu dieser Zeit lebte ein Verwandter Manuels Namens Andronicus in Syrien, wo er während Amalrichs Abwesenheit in Aegypten bereits eingetroffen war, und hatte von diesem Beirut erhalten. Er lud eines Tages Theodora, die Wittwe des Königs Balduin, welche Accon als Morgengabe besass und eine Tochter seines Neffen war, bei dem er lange Gastfreundschaft genossen hatte, zu sich, um die Stadt sich an- zusehen, entführte sie aber, wie man sagte und glaubte, von Nur ed-din unterstützt, nach Damascus und dann weiter nach Persien •^).

') Ibn el-Atir, Kamnl 550; Ibn Abu Tai 126; Wilh. v. Tyrus XIX, c. 28—30. 2) Ibn AbiiTai 126; Ibn el-x\tiv, Kamfil 550 (woraus Barhebraeus 364). ^) Ibn el-Atir, Kamal 550 und Histor. atab. 240; Abulf. 35. Nach Boha ed-din 32 (vgl. Wüstenfeld, Gesch. d. Fatim. 337) schon am 4. September. •*) Wilhelm

von TjTus XX, c. 2. Eine diesem Andronicus uud dem weiter unten zu nennenden Mälih an Ruchlosigkeit ähnliche Natur muss auch jener Gerhard von Sidon ge- wesen sein, der unter König Balduin III. (1161 1162) mit Nur ed-dins Hilfe die Christen angriö', bis er seinen Lohn von ihnen empfing (Ibn el-Atir, Kamäl 522 3, woraus Barhebraeus 358 geschöpft hat; Mich. Syr. 354 5). Ein

456 Röhricht.

Gegen Ostern des folgenden Jahres (1168) wurden in Syrien zwei neue Kirchen eingerichtet und mit Bischöfen besetzt, nämUcli Petra in der Moabitis und Hebron. Die erstere hatte seit dem Beginn der christHchen Herrschaft in Syrien noch nie einen hiteinischen Bischof gehabt, die zweite war ziu' Zeit der Byzantiner nur ein Priorat gewesen; Bischof von Petra und Metropolitan des sogenannten zweiten Arabien ward Guerrik, regulirter Chorherr der lieiligen Grabeskirche, Bischof von Hebron aber Kayuald, ein Neffe des verstorbenen Patri- archen Fulcher i).

In dem folgenden Sommer desselben Jahres kam Stephan, der Kauzler des Königs von Sicilien und erwählter Erzbischof von Palermo, ein Bruder des Grafen Rotrou von Perche, der aus Sicilien vertrielieu worden war, nach Jerusalem, wo er starb und in der heiligen Grabes- kirche ehrenvoll bestattet wurde 2), In dieser Zeit nämlich grassirte in Jerusalem eine schwere Pest, der auch noch andere Pilger zum Opfer fielen 3), wie der kinderlose Graf Wilhelm IV. von Nevers ^).

Während dessen begannen die ägyptischen Angelegenheiten wieder in den Vordergrund zu treten.

Schäwer hatte ntlmlich die Dienste Amalrichs und seinen Abzug damit bezahlt, dass er ihm einen jährlichen Tribut von 100000 Di- naren versprochen hatte ^), zu dessen vollständigen ersten und später

Gerhard von Sidon wird in den Lois ed. Beugnot I, 214 5 erwähnt, mit dem Araalrich sich wegen eines Rechtsstreites entzweite; er erscheint aber 1164 nnd 116*5 in Urkunden Amah-ichs als Zeuge (Roziere 262—4, No. 144; Müller, Docuni. 11, No. 9). Sollte dieser Gerhard identisch mit dem oben erwähnten sein, so dass die Jahresangabe Dm el-Atir Ijis auf 1165 heruntergerückt werden müsstc, oder ist er ein Sohn des ersteren ? Gerhard von Sidon begegnet ims urkundlich : 1154 (Paoli 33), 1155 (Roziere 101), 1156 (Paoli 35), 1157 (ibid. 36), 1160 (ibid. 37; Roziere 107), 1164 (Roziere 267). Sonst vgl. Schlumberger in Archives I, 673—5. ') Wilhelm von Tyrus XX, c. 3 ; vgl. ZDPV, X, 16 u. 26. ") Wilhelm von

Tyrus XX, c. 3; Amari, Storia dei musulmani III. B, 501. ^) Dandolo (Muratori,

Script, rer. Ital. XII) 291. *) Wilhelm XX, c. 3 u. Gestes 5 loben ihn, während

Johannes von Salisbury (Epist. Saresb. bei Bouquet XVI) 601 ihn als einen T>Tannen schildern; sonst vgl. Marian. Autissiod. (ibid. XXII) 297; Chron. Vizeliac. (ibid.) 345; Rob. de Monte 1169. Dass er 24. Oktob. 1168 in Accon starb, sagt d. Obit. Nivern. (Mittheil. d. öst. Instituts XI, 375; Atti Lig. II Ser., XYII, 554, 567—8) ; vgl. Du Cange-Rey, Les familles 786 ; d'Arbois de Jubainville, Hist. des comtes de Champ. III, 70. Eine Urkunde des Grafen Guido von Nevers, worin der Tod und eine Schenkung unseres Grafen erwähnt sind, siehe bei Bre- quigny. Table chronol. III, 428. '') Robert de Monte (und daiaus Chron.

Triveti 59) meldet, dass Schawer 50 000 Dinare von Alexandrien und 57 000 von Kairo (Ernoul 25 : 20 000) dem Könige versprochen hatte, und Albericus (Mon. (lerm. SS. XXII [) 850 giebt die Nachricht, die Aegypter hätten nach 1 Jahr den Christon nur vergoldetes Kupfer als Tiibut geschickt; ähnlichen Betrug sollen

Amalricli L, König von Jerusalem (1162—1174). 257

regelmässigen Erhebung christliche Beamte in einer dem Palais des Chalifen beuachl:)arten Strasse ihre ßureaux eingerichtet hatten ; ausser- dem war noch eine kleine christliche Besatzung zurückgeblieben. So schien die Stellung Amalrichs in Aegypten gesichert und befestigt, aber bald zeigte es sich, dass sie nicht so sicher war.

Zunächst, so wird berichtet, war der Vertrag, welcher die ange- gebene Höhe fixirte, nicht vom Chalifen selbst ratificirt; seine Giltig- keit hing also ganz von dem guten Willen oder der Verlegenheit des zeitweiligen Veziers ab. Sodann bestand unter den Aegyptern, so sehr sie als Schiiten dem Vorkämpfer der Sunna Kür ed-din feindselig waren, doch eine starke Partei, welche die schmähliche Abhängigkeit von einem Fürsten der „Ungläubigen" bitter empfand und im ge- heimen mit Nur ed-din sympathisirte, ja auch Verl)induugen unter- hielt i). Der eigene Sohn Schäwers Al-Kamil sandte sogar an den Atabek, Hess ihm seine Treue versichern und versprach auch einen jährlichen Tribut =^). Nur ed-din nahm die Versicherung und die über- sandte Summe dankbar an, aber Al-Kämil wiederholte seine Sendungen nicht, ja er verliess plötzlich wieder die Freundschaft Nur ed-dins und erklärte sogar, es sei doch besser den Christen Tribut zu zahlen als das Land den Türken zu überlassen. Wir wissen nicht, welches der eigentliche Grund dieser plötzlich entgegengesetzten Politik gewesen sein mag, aber dass die wahren Sympathieen den Christen wirklich mehr gehört haben sollen als Nur ed-din, ist wohl zu bezweifeln. Wenigstens klagen die morgenländischen Berichte, dass die christlichen Beamten durch die Rücksichtslosigkeit und auch durch häufige Un- gerechtigkeiten die Einwohner reizten und dadurch in ihnen das Be- wiisstsein des rehgiösen Gegensatzes, der drückenden Abhängigkeit von einem fi-emden Herrscher verschärften. Genug die Christen in Kairo selbst hielten es entweder für gerathen, dem drohenden Aus- bruch einer grossen Revolution durch schnelle That zu begegnen oder für ein Leichtes, den Zweck der früheren Invasionen durch eine volle und ganze Unterjochung jetzt zu erreichen und forderten Amalrich auf, nach Aegypten zu kommen, dessen Eroberung leicht gelingen werde. Er weigerte sich anfangs, weil ein neuer Einfall die Aegypter in die Arme Nur ed-dins treiben werde und dies für die Christen in Syrien nur verhängnissvoll sein könne, aber die meisten seiner Rathgeber be- schwichtigten diese Bedenken, und Amalrich gab nach; während er

die Muslimen häufig gegen Christen geübt haben (Röhricht, Testimon. minora XVII, not. 3).

') Michael öjrus 303. ") Lbn el-Ativ, Kamfil 550 u. Hist. atab. 241 ;

vgl. Wtistenfeld 337.

^gg Röhricht.

das Gerücht verbreiteu Hess, dass er gegeu Hirns einen Vorstoss plane, wurde gegen Aegypten eifrig gerüstet.

Dieser Bericht Ihn el-Atirs i) über die Pläne Amalrichs gegen Aegypten wird ergänzt durch Ihn Abu Tai =^), welcher erzählt, dass Schirküh schon längst die Wiederholung einer Invasion Seitens des Königs vorausgesehen und ihm geschrieben habe: „Die Aegypter ver- langen von Dir das Versprechen, dass Du in ihre Länder weder ein- fallen, noch sonst ihnen irgend einen Schaden zufügen willst". Darauf habe Amabich anfangs jede Auskunft verweigert, aber aus Furcht vor Schirküh und dem Vezier soll er sich eidlich verpflichtet haben, nicht mehr in Aegypten einzufallen. So unwahrscheinlich letztere Behaup- tung ist, so wird unser Chronist doch Recht haben, wenn er wieder erzählt, dass Schirküh fortwährend Eroberungspläne gegen Aegypten hefte, obo-leich Nur ed-din darauf verzichtete, zumal Schäwer sich um seine Freundschaft bemühte.

Die christliche Hauptquelle, Wilhelm von Tyrus 3), berichtet, dass Amalrich diese Aufforderung nicht ungern empfing, da ihm erzählt worden war, dass Schäwer mit Nur ed-din geheime Gesandtschaften •gewechselt und erklärt habe, den Vertrag mit den Christen brechen zu wollen, aber derselbe- Berichterstatter fügt sogleich hinzu, dass Schäwer nach den Mittheilungen anderer Gewährsmänner seinen Ver- trag ehrlich gehalten, und Amalrich mit Unrecht an seiner Treue zweifelnd ihn mit Krieg überzogen habe. Als Haupturheber und Be- förderer der neuen Eroberungspolitik wird Gerhard Assalit genannt^), Meister der Hospitaliter, welcher diesen Orden durch verschwenderische Verwaltuno- in so grosse Schulden gestürzt hatte, dass deren Summe sich auf 100 000 Dinare belief. Er soll diesen Aufwand desshalb sich erlaubt haben, weil er hoffte, wenn Aegypten erst unterworfen sei, Bilbais mit dem benachbarten Gebiete nach einem früher mit dem Könige abgeschlossenen Vertrage zum dauernden Besitz zu erhalten. Die Templer jedoch hätten, sei es aus ehrlicher Achtung vor der Ver- tragstreue Schäwers, sei es aus Neid gegen Assalit dem Könige von vornherein ihre Betheiligung an diesem Eaubzuge verweigert.

') Kamäl 554. ») Reinand, Extraits 127. '') Wilhehn XX, c. 5. ■•) Ueber ihn vgl. Paoli, Codice I, 229— 32, 335 6; Herquet, Chronologie der Grossmeister d. Hospitalordens, Berlin 1880, 8—11 u. im Wochenblatt d. Johanniter-Ordens- ballf'v Brandenburg 1883, No. 17—22, wo mit einer Biographie unseres Meisters auch eine kurze Geschichte der Einfilllo Amalrichs gegeben wird (der Verfasser sucht Assalit gegen W^ilhelm von Tvrus, AngriiVe in Schutz zu nehmen); ibid. 1880, 31—5 handelt Herquet über den auttallenden Rücktritt Gilberts von der Meisterwürde. Sonst vgl. Röhricht, Zusätze u. Verbesserungen, Berlin 1886, 3—4.

Amalricli 1., König von Jerusalem fl 162—1 174). 459

Offenbar ist er in Bezug auf die Grüude und die Veranlassung, welche Amalricli zu einem neuen Zuge trieben, schlecht unterrichtet; aus der Vergleichung mit den angeführten arabischen Quellen wird sich ergeben, dass Amalrich hauptsächlich durch das Misstrauen gegen Schirküh und Schawer dazu bewogen wurde, wozu er Grund genug hatte, besonders aber durch die Hoffnung auf eine kräftige Unter- stützung des griechischen Kaisers Manuel.

Dieser hatte schon unter dem Vorgänger Amalrichs mit Erfolg seine Stellung im Orient befestigt und vor allem den Anspruch auf seine Oberlehnshoheit über Ailtiochien durch einen glücklichen Krieg gegen den Fürsten Eaymund siegreich durchgesetzt; Kaymund schwor ihm den Eid als Lehnsmann i). Als nun dessen Sohn Kaynald mit Thoros von Armenien revoltirte, zog Manuel 1158 nach Asien, zwang Thoros zur Unterwerfung und auch Kaynald zur Leistung des Lelms- cides; er musste sich verpflichten, dem Kaiser Truppen zu stellen, und auf die Besetzung des Patriarchenstuhles verzichten 2). Im folgenden Jahre erkannte sogar Balduin die Oberlehnshoheit Manuels au, der zur Befestigung seiner Aussprüche noch Maria von Antiochien (25. Dec. 1161) heirathete, deren Schwester Philippa Audronicus (1166) zur Gemahlin empfing. Amalrich hatte gleich nach seiner Thronbesteigung Manuels Kechte auf Antiochien anerkannt 3), dann eine Nichte des Kaisers sogar zur Gemahlin erhalten, so dass der König durch eine Allianz mit Manuel im Kücken gedeckt war. Als durch die unglück- liche Schlacht bei Harem die meisten christlichen Heerführer in Ge- fangenschaft gerathen waren, und eine Bedrohung Antiochiens zu befürchten stand, dachte Manuel, ein Heer nach Syrien zu schicken, welcher Gefahr Nur ed-din, wie wir oben erörtert haben, durch Frei- lassung Bohemunds zu begegnen suchte, allein der Winter 1164 auf 1165 beschäftigte ihn in Ungarn zum Glück für Nur ed-din und Amalrich, den ein neuer Einmarsch Manuels in Syrien misstrauisch gemacht haben würde, da er lieber den König von Frankreich als den griechischen Kaiser als seinen Oberlehnsherrn gehabt hätte. Dieser Grund hatte auch 1165 das bereits eingeleitete Bündniss zwischen Frankreich und dem griechischen Kaiser vereitelt ^), aber Manuel hatte von den politischen Sympathieen Amalrichs für König Ludwig keine Keuutuiss und dachte, durch einen Bund mit Amalrich seine Macht- stellung im Orient noch stärker zu befestigen.

') Von Kap-Herr, Die abentlländ. Politik Kaiser Manuels, Strassb. 1881, 67, 140—6. ") Vgl. oben 444. «) C'innamus 291—2. *) Von

Kap-Herr 75.

460 Röhricht.

Im Sommer 1168 kamen nun Graf Alexauder von Gravina und Michael von Otranto als Gesandte des Kaisers nach Tyrus und legten den Plan zu einer Eroberung Aegyptens vor. Nachdem Amalrich denselben genehmigt und den Vertrag abgeschlossen hatte, gingen die Gesandten des Königs, darunter auch Wilhelm von Tyrus, mit Schreiljen versehen zur See nach Constantinopel. Hier trafen sie Manuel nicht, da er gerade mit einem Kriege gegen die Serben vollauf beschäftigt war; sie zogen ihm nach, erreichten ihn in ßutella bei Ochrida, und wurden ausserordentlich freundlich aufgenommen. Manuel be- stätigte einfach den Vertrag und entliess die Gesandten mit vielen Geschenken; am 1. Oktober traten sie wieder ihren Rückweg an i).

Wir wissen nicht, ob aus eigener Initiative, um vielleicht seinem neuen Bundesgenossen zuvor zu kommen, oder in Folge vertrags- mässiger Bestimmung Amalrich sofort Ende Oktober desselben Jahres gegen Aegypten aufbrach. Nachdem er durch eine Scheinbewegung gegen Hims seine Feinde getäuscht, wandte er sich plötzlich direkt nach Süden. Als er vor Darum angekommen war 2), schickte der Vezier einen seiner Emire zu ihm, um über den Grund dieses Einfalls Auskunft zu erhalten. Der König zögerte einige Zeit mit der Antwort, dann suchte er ihn zu bestechen, indem er ihm 13 Dörfer versprach, wenn er dem Vezier vorreden würde, dass dieser Krieg kein ernst- hafter sei. Schäwer zweifelte am Gelingen seiner List und schickte als Gesandten den Emir Schems el-cheläfe zum König. Glück mit Dir, Schems el-cheläfe ! " rief ihm dieser zu, als er das Zelt betrat. „Glück dem treulosen Könige!" antwortete der Emir. ,Ja, " fügte er hinzu, „wenn Eure Absichten die rechten waren, wie konntet Ihr einen so plötzlichen Einfall machen?" Amalrich entgegnete, dass er die beabsichtigte Heirath der Schwester Saladins mit dem Sohne des Veziers für einen Vertragsbruch habe halten müssen. „Dieses Gerücht ist falsch", erwiderte der Emir, „aber auch wenn es wahr wäre, würde es nie einen Vertragsbruch bedeuten." „Die Wahrheit ist," fuhr der König fort, dass die abendländischen Christen mich zur Unterwerfung Aegyptens gedrängt haben. Ich komme hieb er als Mittler zwischen ihnen und Euch!" „Was wollt Ihr denn?" fragte Schems el-chelafe. „Zwei Millionen Goldstücke!" antwortete Amalrich. „Gut, davon will ich den Vezier benachrichtigen; erwartet hier seine Antwort!"

Diesem Bericht steht ein anderer gegenüber, wonach der König von Darum aus an Schäwer schrieb: „Ich werde die Geldsumme so

') Wilh. v. Tyrus XX, c. 4 ; vgl. Lcbeau, llistoire du bas erapire (od. St. Martin) XVI, 203. 2) Reinaud, Extr. 128—9.

Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174), 4ßl

lange reclamireu, als ich Deiner bedarf, aber augeublicklicli habe ich keinen Feind zu fürchten und ich kann Deine Hilfe entbehren." Mau erzählt, dass der König erwidert habe: „Nichts wird mich von hier entfernen, bis Ihr mir werdet gegeben haben, was ich fordere. " Jeden- falls erkannte der Vezier, dass der König mit seiuem Worte spielte und in Aegypten eindringen wollte. Er sammelte also seine Truppen und schickte einen Tlieil derselben nach Bilbais.

In zehn Tagen stand Amalrich vor Bilbais ^) und eroberte es drei Tage später, am 4. November 2). Die Stadt wurde entsetzlich geplündert und reiche Beute gewonnen; die meisten Einwohner wurden getödtet oder in die Sklaverei verkauft, Mehada, der Sohn des Veziers, einst Waffengefährte Amalrichs, und einer seiner Neffen wurden gefangen gehalten ^). Von hier rückte der König, dessen Heer mehrere Feinde Schäwers, wie Ibn el-Chajjät und Ibn Fardjalah, Verstärkungen zu- geführt hatten, langsam gegen das offene Misr. Am 12. November befahl Schäwer die Schiffe zu verbrennen und Fosthät in Brand zu

') Am 10. Oktober 1168 urkundete Amalrich noch in Accon für die Hospi- taliter, denen er Bilbais mit 100 000 Dinaren Einkünfte und zehn Städte mit je 5000 Dinaren Einkünfte unter der Bedingung zusicherte, dass sie stets 500 Kitter und ebensoviel Turkopulen halten sollten, die zu el-Arisch durch den königlichen Marschall zu mustern seien (Paoli, Codice I, 48, No. 47); diese Schenkung (von der auch Ibn Abu Tai bei Reinaud 128, Note Kenntniss hat) wurde 1169 am 20. August in Accon durch Amalrich (Paoli I, 49, Nr. 48) und 117G durch Bal- duin IV. bestätigt (Paoli I, GO— 1, No. 60; vgl. Strehlke No. 5). Am 20. Okt. 1168 stellte Amalrich zu Ascalon eine Urkunde für die Amalfitaner aus (Ughelli, Italia Sacra VII, 204—5) ; mithin ist der Einmarsch in Aegypten in die letzten Tage des Oktobers zu setzen. ^) Ibn el-Atir, Kamäl 554 u. Histor. atab. 247;

Abulf. 36. Wilhelm XX, c. 6 nennt den 13. November als Tag der Eroberung. Ibn Abu Tai 129 erzählt, als Amalrich vor Bilbais stand, hätte er an den Enkel- sohn des Veziers, welcher in dieser Stadt kommandirte, geschrieben: ,Wo sollen wir campiren?'' »Auf der Spitze unserer Lanzen ! * »Glaubt Ihr denn," fügte er hinzu, »dass Bilbais ein guter essbarer Käse ist?' »Ohne Zweifel,* entgegnete der König, , und Kairo ist die Sahne davon ! " -) Ibn Abu Tai' 1 29 erzählt :

Nach dem Fall von Bilbais Hess Amalrich die Gefangenen vor sich inmitten einer weiten Ebene zusammentreten und indem er mit der Lanze zu ihnen ging, theilte er sie in zwei Abtheilungen ; für sich nahm er die rechtsstehende, während er die andere seinen Soldaten überliess. Alle ihm zugefallenen Muselmänner Hess er frei mit den Worten : , Ich gebe Euch die Freiheit zum Dank für die Gnade, die Gott mir erwiesen hat; denn nun scheine ich doch der Herr von Aegypten zu sein." Der Rest ward in die Sklaverei abgeführt, aus der erst Saladin durch Loskauf sie befreite. Dass die Stadt in der That aufs acheusslichste geplündert und die Einwohner gemisshandelt wurden, bezeugt Wilhelm von Tjtus XX, c. 6, doch wird Michael Sjttus' 363 Angabe, dass 1200 Reiter und 20 000 Fusssoldaten in Bilbais getödtet wurden, als übertrieben gelten müssen.

462

Röhricht.

stecken; die Feuersbruust, bei der auch die älteste Moschee des Amr ben el-Asi zu Grunde ging, dauerte 54 Tage. , Die Leute wogten uud drängten sich", erzählt ein arabischer Autor, „als wenn sie aus ihren Gräbern nach dem Orte der Auferstehung eilten, der Vater bekümmerte sich nicht um seine Kinder, ein Bruder beachtete den andern nicht. Viele retteten nur das nackte Leben; denn die Miethe für ein Pferd zum Transport von Fosthat nach Kairo kostete über 10, für ein Kamel bis zu 30 Dinaren. " i) Während dieses Brandes erschien Schems el- cheläfe wieder vor Amalrich und sagte : „Siehst Du diese Flamme, die bis zum Himmel steigt?" „Ja," antwortete der König. „Wohlan," fuhr der Vezier fort, „das ist Alt-Kairo, welches brennt! Ich habe 20000 Naphtaflaschen vertheilen und 10000 Zünder anstecken lassen. Ich will, dass alles unwiederbringlich zu Grunde gehe. Jetzt ist keine Zeit übrig, Du musst Dich zurückziehen." „Du hast Recht," ant- wortete der König, „aber ich bin nicht frei. Ich muss durchaus Kairo nehmen; die Männer des Abendlandes in meinem Heere würden mir einen Rückzug nicht verzeihen!"-)

Am 13. November erschien also Amalrich vor Kairo und wollte 'bei Birket el-habasch sein Lager aufschlagen, konnte es aber wegen des entgegenkommenden Rauches nicht aushalten und wählte den Platz vor dem Thore el-Barkije zum Lager, so nahe an der Stadtmauer, dass die Pfeile bis in sein Zelt flogen, üeberhaupt fand er einen unerwartet energischen Widerstand, da den Einwohnern das Massacre von Bilbais im Gedächtnisse war, und es ist wohl zu glauben, wenn ein arabischer Autor versichert: „wären die Franken dort glimpflicher verfahren, so würden sie ohne Widerstand in Kairo eingezogen sein." 3)

Inzwischen hatte der Chalif an Nur ed-din Boten und mit ihnen zugleich die Haare seiner Frauen gesandt, indem er ihm sagen Hess: „dies sind die Haare der Frauen in meinem Schlosse, welche Dich anflehen, dass Du sie von den Franken befi-eiest!" Schäwer hin- o-egen, der gleich nach dem Einmarsch Amalrichs Nur ed-din um Hilfe gebeten haben soll *) , suchte durch Unterhandlungen Zeit zu gewinnen. Er erinnerte den König in einem Schreiben an ihre frühere Freundschaft und ihren gemeinsamen Feind Scliir- küh ^) ; der Ueberbringer Schems el-cheläfe versicherte ausserdem noch

>) Ibn el-Atir, Kamal 555; Ibu Abu Tai' 130; vgl. Wüstenfeld 338—9. V. Kreraer, Mittelsyrien und Damaseus 60—1 sagt: »Die Kuinenhügel, die man noch jetzt vor dem Thore fcitti Zaineb sowie um die MamUikengräber sehen kann, stammen von jenem Brande.* -) Ihn Abu Tai' 130. ^) Ibn el-Atir,

Kainul 555 u. Histor. atab 247; Ibn Abu Tai" 130-1; vgl. Wüstenfeld 330. *) Wilhelm XX, c. 6. *) Ibn Abu Tai 131.

Amalrich L, König von Jerusalem (1162—1174). 463

müudlicli, dass Aiualrich die Stadt niemals einnehmen könnte; denn die Einwohner würden sich bis auf den letzten Mann vertheidigen, desshalb solle er sich mit einer Zahlung von 200000 Dinaren i) zu- frieden geben. Der König jedoch, hauptsächlich durch Milo von Plancy bestimmt, verlangte 1 Million Dinare, das heisst 11—12 Millionen Francs, von denen ein Theil sogleich, der Eest später gezahlt werden sollte^). Dieser Vertrag ward genehmigt und durch el-Djälis ben 'Abd el-Kawi und den Scheich el-Muwaffak abgeschlossen. Schäwer zahlte sofort 100000 Dinare als Lösegeld für seinen Sohn und Neffen, stellte für den Rest zwei Knaben seiner Verwandtschaft als Geiseln, machte sich aber aus, dass Amalrich von Kairo abzöge, damit er im Stande sei, inzwischen den Eest zu sammeln. Der König verlegte sein Lager nach Matäria, wo er acht Tage blieb, wechselte hier Gesandt- schaften mit Schäwer, ohne viel zu erreichen, und zog sich daun noch weiter zurück nach einem Orte, der „der syrische" genannt wird; wegen der Armuth der durch Feuersbrunst und Flucht ihres Eigenthums be- raubten Einwohner konnte Schäwer nur noch 50 000 Dinare zusammen- bringen 2).

Inzwischen war auch Amalrichs Flotte an dem tanitischen Arme des Nils angekommen, hatte Tanis erobert und geplündert. Als nun die Aegypter der Flotte den Weg aufwärts durch Versenkungen und Schiffe zu versperren sich bemühten, wurde Honfred von Toron mit einer erlesenen Mannschaft abgeschickt, um wenigstens das eine Ufer zu gewinnen und den Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen, aber auf die Kunde von dem Anmärsche Schirkühs erhielt die Flotte Befehl, wieder heimzukehren; sie segelte daher bald ab, verlor aber unterwegs eine Galee *).

Und in der That war Schirküh im Anmärsche. Der Chalif hatte nämlich, während Schäwer durch Ermunterungen und Geschenke den Muth der Seinen aufrecht erhielt, zum zweiten Male an Nur ed-diu gesandt und grosse Versprechungen gemacht. Dieser empfing das Schreiben in Haleb und befahl sofort, den Schirküh aus Hims herbei- zuholen. Der Bote traf jedoch den letzteren schon unter dem Stadt- thore von Haleb, da er auch ein Hilfsgesuch aus Aegypteu erhalten hatte und desshalb mit Nur ed-din Rücksprache zu nehmen aufgebrochen

') Ibn el-Atir, Kamal 556; Histor. atab. 248. -) So nach Ibn el-Atlr

und dem aus ihm schöpfenden Barhebraeus 368 auch Abulfeda 36, nach Wilhelm XX, C.7: 2 Millionen, nach Ibn Abu Tai 131: 400 000, nach Michael Syrus 353: 160 000 Tahegans. s) Wilhelm XX, c. 10. ' ■») Wilhelm von Tyrus XX, c. 8.

Honfred erscheint urkundlich 1150 (Paoli 33), 1156 (ibid. 35), 1157 (ibid. 36), 1168 (Clamera 204), 1171 (Roziere 328).

464 R ö li r i c h t.

war. Bald war Nur ed-din entschlossen. Er gab dem Scliirküli 200000 Dinare, Pferde, Kleider, Waffen, dieser sammelte erst 2000, dann 6000 Mann und traf am 2. December 1168 mit seinem kleinen Heere in Damascus ein ^). In Ras al-mä ^) wurde Musterung gehalten. Nur ed-din gab jedem Reiter ausser seiner Löhuung noch ein Handgeld von 20 Dinaren und theilte dem Expeditionscorps Männer wie Izz ed-din Djürdik, Izz ed-din Kilidsch, Scharaf ed-din Bargasch, 'Ain ed-daula el-Jarüki, Kutb ed-din Jaunal und Saladin zu; der letztere, dem noch die in Alexandrien ausgestandenen Mühsale deutlich in Erinnerung waren, fühlte sich durch diesen Auftrag sehr wenig geehrt ■^). Schir- küh brach am 17. December 1168 von Ras al-mä auf.

Auf die Nachricht von seinem Anmärsche zog Amalrich ab nacli Bilbais, wo er eine Besatzung zurückliess, dann nach Faküs (24. Dec). Hier empfing er von Schäwer durch Schems el-cheläfe einen Brief, worin dieser ihn bat, ihm die Hälfte der noch rückständigen Tribut- zahlung zu erlassen^). Amalrich bewilligte diese Forderung, zumal Schirküh auf dem Wege war, und traf Anstalten zur Rückkehr, doch gelang es ihm nicht, seinen Gegner zu erreichen und zum Gefecht zu ' zwingen ; er entwischte ihm.

Daher ging der König nach Bilbais, zog die dortige Besatzung an sich und trat am 2. Januar 1169 seinen Heimweg an s).

Am 8. Januar 1169^) erschien Schirküh vor Kairo und wurde vom Chalifen wie von den geängstigten Bürgern mit Freuden auf- genommen, aber die schlaue Bitte Schäwers, den fliehenden König Amalrich zu verfolgen, erfüllte er nicht; sein Heer sei zu sehr er- schöpft und der König schon zu weit. Schäwer war auch diesmal treulos genug, da er keine seiner Versprechungen zu erfüllen sich be- mühte, und dachte schon, seinen gefährlichen Feind bei einem Gast- male ermorden zu lassen, allein sein eigener Sohn brachte ihn davon ab; schliesslich kam Schirküh ihm zuvor, indem er durch den Hm weis auf die Treulosigkeit Schäwers, der bald die Christen, bald die syrischen

') Ibn el-Atir, Kamal 556—7 u. Histor. atab. 249—50; Ibn Abu Tai bei Reinaud, Extr. 133, Note. ^) An der grossen Heerstrasse von Damascus nach

Gaza zwischen Szanamin und Tafs, nicht weit von Scheich Miskin (Quatermöre, Hist. des Maml. II B, 92, note). ") Ibn el-Ath-, Kamrd 363 ; Hist. atab. 254 tt'.

*) Reinaud 132. ••) Ibn el-Atir, Kamfil 563. ") Ibn Khallikan IV, 490;

Boha ed-din 33 ; Histor. atab. 251. Nach Ibn el-Atir, Kamfil 558 wäre er erst am 8. März angekommen, was durch die folgenden chronologischen Angaben desselben Autors widerlegt wird ; ebenso sind die aus dem Kamal geflossenen Angaben Kamal ed-dins 330 falsch. Abulfeda 37 liisst ihn gar schon den 8. De- cember 1168 ankommen.

I

Amalnch I., König von Jerusalem (1162—1174), 465

Muselmäuuer als Freunde gesucht, auf die Gefahr einer christlichen Eroberung des Landes und seiner unermesslichen Hilfsquellen den Zorn seiner Emire entfachte und die Beseitigung dieses Elenden? als eine Nothwendigkeit hinstellte i). So überfielen denn die Verschworenen unter Führung Djürdiks und Saladins den Vezier auf dem Wege nach dem Grabe des Schafi am Karafaberge und brachten ihn gefangen in ein Zelt; da der Chalif um seinen Kopf bat, wurde er hier alsbald getüdtet (18. Januar 1169) -). Sein Nachfolger ward Schirküh, allein nur zwei Monate und fünf Tage erfreute sich dieser der neuen Würde ^) ; er starb in Folge seiner starken Esslust am 23. März 1169, nachdem er noch den Seinen dringend empfohlen hatte, Aegjpteu nicht mehr zu räumen *). Die Stelle Schirkühs nahm jetzt Saladin ein, der auf Betreiben des Isa Dhijä ed-din el-Hakkari und Boha ed-din Karjiküsch durch den Chalifen zum Mälik an-Näsir erhoben wurde; diese Be- förderung beging er durch ein glänzendes Freudenfest ^).

Saladin, der bald das Vertrauen des Chalifen wie die Herzen seiner Umgebung gewonnen hatte, betrachtete sich anfangs nur als den Statthalter Nur ed-dins, dessen Namen er auch im Freitagsgebet neben dem des Chalifen nennen Hess. Aber allmählig trat er immer selbstständiger auf, gab seinen Verwandten die einflussreichsten Stel- lungen 6) und machte den Chalifen immer mehr von sich abhängig, so dass Nur ed-din mit steigender Besorgniss das wachsende Glück Saladins sah. Diesem erwuchs ein neuer Feind in den Anhängern des Chalifen , dessen Herrschaft , abgesehen davon , dass sie eben das schiitische Bekenntuiss präsentirte, also deu Gegensatz zu dem sunni- tischen des Saladin, des glücklichen Eroberers und energischen Macht- habers, schwach und milde gewesen war. An der Spitze jener Un- zufriedenen stand ein schwarzer Eunuch Mutämen el-chilafat, der sogar einen Brief an König Amalrich um Hilfe schickte. Der Bote wurde jedoch unterwegs abgefangen, der Anschlag entdeckt und als Verfasser

') Reinaud, Extr. 1.34. ^) So Ibn el-Atir, Kamrd 560 ; Histor. atab, 252 ;

Boha ed-din 34; Ibn Kliallikan I, 609, 627; IV, 491; nach Abulfeda 37: am 8. Januar. ^) Die Ernennungsurkunde ist zum Theil erhalten bei Abulfeda

37—8. *} Ibn el-Atir, Kamal 561; Hist. atab. 253; Boha ed-din 34; andere

Daten bei Ibn Khallikän I, 627. ^) Ibn el-Atir, Kamal 564—5; Ibn Abfi Tai"

139. Die Ernennungsurkunde fSaladins befindet sich abschriftlich in der Wetz- stein'schen arabischen Collection auf der königl. Bibliothek zu Berlin. ") Sein

Vater Nedjm ed-din kam 13. April 1170 nach Aegypteu (Ibn Khallikän I, 245), schlug aber die Emirswürde aus und wurde Schatzmeister (Boha ed-din) ; er starb am 9. Aug. 1173, während Saladin Karak belagerte (Ibn Khallikän I, 246; Ibn el-Atir, Kamfil 574; Kamal ed-din 337.

Mittheilungen XII. 30

466 Röhricht.

des Briefes war ein Jude geständig. In den ersten Tagen des August 1169 ward Mutamen getödtet und bald darauf sein Anhang, über 5000 Negersoldaten, massacrirt ^).

Inzwischen waren die Christen des Königreichs Jerusalem sehr wohl zur Erkenntniss gekommen, dass die politische Lage desselben nach dem Verlust Aegyptens sehr ernst geworden sei.

Wilhelm von Tyrus ^), welcher den ruhmlosen Ausgang des ganzen Feldzuges nur dem Milo von Plancy zuschreibt, bricht in die Worte aus: ,,In welche verworrene und gefährliche Lage riss uns aus der schönsten Ruhe die masslose Habsucht heraus! Die Schätze von Aegypten und alle seine unermesslichen Reichthümer standen uns zu Diensten, unser Königreich war auf dieser Seite gesichert, und wir hatten vom Abend her Niemanden zu fürchten. Wenn wir das Meer befahren wollten, drohte uns keine Gefahr; die Unsern konnten ohne Furcht unter guten Bedingungen Handelsreisen nach Aegypten macheu, und die Aegypter führten fremde Reichthümer und ganz unbekannte Waaren uns zu, und ihr Kommen brachte uns immer Nutzen und Ehre zugleich. Ueberdies vermehrte der unermessliche Tribut, den sie jährlich zahlten, sowohl den königlichen Fiskus als das Vermögen der Einzelnen. Aber jetzt hat sich alles zu unserem Schaden verkehrt, die Lage hat sich geändert, und unsere Freude ist in Trauer ver- wandelt. Wohin ich mich wenden mag, von allen Seiten droht uns Gefahr. Wir .können das Meer nicht mehr mit Sicherheit befahren, alles benachbai-te Land ringsum gehört dem Feinde, und die angrenzen- den Reiche rüsten sich zu unserem Verderben!"

Aus dieser Erkenntniss heraus beschloss man durch eine ausser- ordenthche Gesandtschaft die Hilfe des Abendlandes anzurufen 3). Der Patriarch Amalrich von Jerusalem, der Erzbischof Hernesius von Caesarea und der Bischof Wilhelm von Accon wurden mit Briefen an den Kaiser Friedrich, die Könige Ludwig*), Heinrich und AVilhelm

') Ihn el-Atir, Kamal 567; vgl. Wüstenfeld 344-5 «) Liber XX, c. 11.

3) Eruoul 24—5 ; "Wilhelm XX, c. 13. •*) An ihn sind bei weitem die meisten

Briefe aus dem heil. Lande während unseres Zeitraumes gerichtet; König Amal- rich bat ihn (1163 und 1164, 10. April) als seinen obersten Patron, den die Krone Jerusalems gern als Oberlehnshen-n anerkennen wolle, um Hilfe (Bongars No. 9 und 13); der König von Frankreich sei stets der natürliche Protector des heiligen Grabes gewesen (Bongars No. 4). Ebenso wandte sich der Patriarch Amalrich oft genug naf'h Frankreich mit der Bitte für die Templer (Bongars No. 21), für die Leprosen (ibid. No. 5), für die Brüder des heil. Geistes (Bongars No. 19), für die Kirche von Nazareth (Bouquet XVI, 192—3), ebenso die Templer (Bongars No. 26) und Hospitaliter (Bongars No. 12; Bouquet XVI, 199-200), die Kirche des heiligen Grabes (Bouquet XVI, 200) in spe<'ielleu Anliegen, oder um Mit-

Amalricli L, König von Jerusalem (1162—1174). 467

vou Frankreich, England und Sicilien, an die Gmfen Philipp, Heinrich und Thihaut von Flandern, Troyes und Chartres abgefertigt (11G9) ^), aber in der auf den Tag der Abreise folgenden Nacht brach ein furchtbarer Sturm Ruder und Mast des Schiffes, und die Gesandten mussten nach drei Tagen wieder ans Land zurückkehren. Hierauf gingen an ihrer Stelle der Erzbischof Friedrich vou Tyrus, der Bischof Johann von Baniäs, Guibert, Präceptor der Hospitaliter, und Arnulf von Lundast ab und kamen im Juli 1169 glücklich zu Alexander IIL, dem sie die Gefahr des heiligen Landes schilderten -), Von da gingen sie nach Paris, wo sie im September eintrafen ^), ihre Schilderungeu und Bittrufe wiederholten und dem Könige ausser den Briefen Amal- richs auch die Schlüssel der Thore Jerusalems überreichten. Der König las und vernahm zu Thränen gerührt die Erzählung von der Noth und Gefahr des heiligen Landes, aber erklärte nicht helfen zu können, da der König von England ein böswilliger Nachbar sei; die Gesandten möchten daher an ihn zunächst sich wenden. Als sie nun in England erschienen, hörte sie König Heinrich luit nicht geringerer Rührung als König Ludwig, aber sie richteten ebensowenig aus wie dort. Vergeblich baten sie ihn, mit Frankreich Frieden zu machen, um so eine Unterstützung des Königreiches Jerusalem zu ermöglichen ; der König hielt sie von Tag zu Tag hin, so dass sie unverriehteter Sache wieder nach Frankreich zurückkehren mussten. Erst nach zwei Jahren, nachdem in Paris Bischof Johann von Baniäs gestorben war *), kam Erzbischof Friedrich von Tyrus in die Heimath von seiner erfolg- losen Reise zurück.

thoilungen über die Lage des heiligen Landes dem Könige oder dem Erzbischof Heinrich von Rheims zu übersenden. Ueber Hernesius vgl. ZDPV. X, 12.

') Von diesen Briefen ist bis jetzt uns keiner bekannt geworden. '-) Epist.

Alexand. (29. Juli 1169) bei Bouquet XV, 880. Ein Empfehlungsschreiben für diese (Gesandten, dem auch eine oberflächliche beschichte des letzten Feldzuges eingeflochten ist, siehe bei Bouquet XVI, 187-8, ein anderes ibid. 151—2 (auch bei Bongars No. 6) und von Alexander IIL vom 29. Juli 1169 (Marteue, Collect. LI, 750). Ueber Bischof Friedrich vgl. ZDPV. X, 17. ») Epistol.

Joann. Saresber. (Bouquet XVI) 607; Lamb. Waterl. (ibid. XII) 529; eine Quelle sind auch die Annal. Camerac. (Mon. Germ. SS. XVI) 550—1, die eine Geschichte des Feldzuges von 1168 enthalten (547—8), viele eigene, jedoch werthlose Nachrichten bieten. Ueber die Verhandlungen, welche in jener Zeit zwischen Fiankreich und England wegen eines Kreuzzuges geführt wurden, vgl. die erschöpfende Darstellung bei Reuter, Alexander III, vol. II, 481—2, 626; III, 561 93, welche kurz resummirt ist in Röhricht, Beitr. II, 119—21. *) Er ward in der Kirche St. Victor begraben (Bouquet XV, 880) ; vgl. ZDPV. X, 29.

30"

468 R ö h r i c h t.

Wir haben oben erzählt, dass König Amah'ich und Kaiser Manuel sieh zu einem gemeinsamen Angriflfe auf Aegjpten verbündeten; die Ausführung dieses Planes kam 1169 wirklich zu Stande, Am 8. Juli segelte ein Theil der griechischen Flotte unter Audronicus von Kon- stantinopel ab, nach Melibotus, wo Androuicus die nöthigen Befehle empfing, über Koila, wo er Kerntruppen und Söldner an Bord nahm; auf der Höhe vor Cyperu caperte er zwei feindliche Fahrzeuge und landete dann glücklich in Cypern. Von hier aus schrieb er an Amal- rich imd bat um Auskunft, ob er in Cypern ihn erwarten, oder selbst nach Jerusalem kommen solle, um den Feldzugsplau festzustellen. Nach langem Warten erhielt er endlich die Antwort, er solle nach Jerusalem kommen.

Inzwischen war ein anderer Theil der gi-iechischen Flotte unter Theodor Maurezun, dem sieh wohl auch Graf Alexander von Conversana aus Apulien angeschlossen hatte, dem Andronicus mit 60 Schiffen vorausgesegelt; als nun auch Andronicus mit seinem Geschwader Ende September im Hafen von Tyrus erschien, waren 150 lange Schuabel- schiffe mit je zwei Ruderbänken, 60 grössere Transportschiffe, 10 12 Dromoneu versammelt. Diese ganze Flotte ging von Tyrus nach Accon 1).

Endlich Anfang Oktober war man im Kriegsrathe einig, Tanis und Tuni 2) zu belagern, und Amalrich sammelte am 15. Oktober 1169, nachdem er noch die genügende Truppenmacht zum Schutz des Landes zurückgelassen hatte, sein Heer bei Ascalon, wo auch die gi'iechischeii Landtruppen zu ihm stiessen, während die Flotte bereits abgesegelt war. Am 16. Oktober trat er seinen Marsch an und erreichte auf Umwegen, da die Küste vom Meere stark überschwemmt war, am neunten Tage Faramiah, am elften Damiette (27. Oktober) •^); drei Tage später erschien auch die Flotte vor dieser Stadt, konnte aber, da der Hafen durch eine Kette versperrt war, nicht einlaufen ^).

*) Nicetas 301 (der auch über 200 Schiffe nennt, von denen zehn aus Epi- damnus, sechs aus Negroponte kamen, während Ibn el-Atir in der Hist. atab. 2G0: 300, aber im Kamal 568 [auch in Amari, Storia dei musulmaui IH B., 505] und Makrizi ed. Hamaker 22 übertrieben: 120Ü Schiffe); Wilhehu von Tyrus XX, c. 14 5; Dandolo (Muratori SS. XII) nennt nur 100 Schiffe. »j Nicetas 303

(vgl. annotat. 390 2) ; Cinnamus 299. ^) Dessen Commandaut Schems el-

khawass Mankuwirasch war (Ibn el-Ath", Kamäl 568 u. Histor. atab. 258) ; diese Quellen setzen als Anfang der Belagerung den Beginn des Safar (25. Oktob. 23. Nov.), ebenso Makrizi (bei Hamaker 23), welcher (22) die von den Griechen und Lateinern gehoffte Unterstützung der ägyptischen Christen (Nicetas 303 ; vgl. Cinnamus 299) als wirklich erfolgt bestätigt. ■*) Nach Marino Sanuto 171,

der sonst nur eine starke Verkürzung des Wilhelm von Tyrus lür unsere Zeit

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 469

Man zögerte mit dem Angriff drei Tage, während von Süden her die Stadt sich mit Hilfstruppen füllte i), so dass die Belagerten den Belagerern durch tapfere Gegenwehr viel zu schaffen machen konnten. Endlich war ein hölzerner Belagerungsthurm von sieben Stockwerken Höhe fertig und wurde gerade an die festeste Stelle der Mauer herangerückt, an die eine Marienkirche anstiess 2), so dass diese grossen Schaden litt 3).

Die Belagerung wurde, wie lateinische und griechische Quellen einstimmig berichten, von Amalrich sehr lau betrieben, so dass man im Lager sogar von Verrath zu sprechen wagte. Bald kam auch der Hunger in das griechische Heer, da Andronicus mm für drei Monate Proviant mitgenommen hatte; die unglücklichen Griechen mussten sich von Wurzeln, Palmenmark, weichen Zweigspitzen, Haselnüssen, ge- trockneten Trauben und Kastanien nähren, während Amalrich ge- nügende Vorräthe besass, aber sie so sehr schonte, dass er sogar seinen darlienden Waffengefährten nichts abgab, ja seinen Lagerplatz aus ihrer Nähe rückte. Dazu kamen öftere wolkenbruchartige Kegengüsse, und ausserdem noch verbreitete sich die Nachricht, es rücke ein Entsatz- heer heran. Endlich wurde die Flotte durch feindliche Brander ge- fährdet und sechs Galeeren sogar wirklich verbrannt. So war bald im Belagerungsheere Noth und Muthlosigkeit eingerissen, und durch einen kleinen Sieg die Hoffnung belebt zu sehen, ward den Christen nicht vergönnt, da die Belagerten nur selten einen Ausfall machten.

bietet, war der Hafen durch zwei Ketten geschlossen ; vgl. Röhricht, Quinti belli sacri scriptores minores XIX, XLVIIl.

1) Saladin schickte in die S1 adt den Mamluken Takt ed-din Omar, Schihab ed-din el-Haremi, Boha ed-din Karaküsch und wandte eine halbe Million Dinare (der Chalif eine ganze Million) auf (Wüstenfeld 347). Seine Lage war trotzdem höchst bedenklich; denn er schrieb mit Recht an Nur ed-din: »Wenn ich mich von Damiette entferne, so werden es die Franken einnehmen, und wenn ich da- hin gehe, so behalte ich die Aegypter im Rücken, die sich meinem Gehorsam entziehen und mir auf dem Fusse folgen werden; wenn wir diese im Rücken und die Franken in der Front haben, wird von uns nichts mehr übrig bleiben"' (Ibn el-Atir, Kamäl 569—70 u. Hist. atab. 259). -) Wo Josef und Maria auf

der Flucht gerastet haben sollen (Nicetas 305) ; vgl. annot. 394. Eine Jacobiten- kirche el-Mo'alla erwähnt auch unter dem Namen der Jungfrau Makrizi, Gesch. d. Kopten (ed. Wüstenfeld in Götting. Academ. Abhandl. 1847) 142 ; eine genue- sische Marienkirche erwähnt Heyd I, 427; II, 433. ^) Nur ed-din war durch die Belagerung Damiettes in schwere Bestürzung versetzt. 'Imäd ed-din (Reinaud, Extr. 144—5) erzählt, dass als die Nachricht hiervon eben eintraf, da man einige lächerliche und scherzhafte Anekdoten und Aussprüche des Propheten vorlas, er seiner Umgebung Mässigung befahl mit den Worten: »Welche Schande ist es zu lachen, wenn man weiss, dass die Muselmänner von Damiette in Gefahr sind!*

470 Röhricht.

Endlich beschloss Audronicus mit seineu Griechen alkin, deren Tapferkeit die Quellen ein rühmliches Zeiigniss geben, einen Sturm zu wagen. Er rief die Seinen um sich, feuei^te sie durch eine Rede an und Hess den Sturm beginnen, aber plötzlich erschien ein Herold des Königs mit der Nachricht, die Bürger hätten mit ihm Unterhand- lungen wegen der üebergabe eröffnet. Und in der That war es so; durch die Bemühungen eines Türken „Jevelin" war man bald einig; die Stadt öffnete sich und der freie Verkehr begann. Die ganze Be- lagerung hatte 50 Tage gedauert i). Nachdem die Maschinen und das sonstige Belagerungsgeräfch verbraunt worden waren, brach die Flotte der Griechen am 4. December auf, die jedoch erst nach schweren Verlusten durch Stürme wieder Konstantiuopel erreichte. Drei Tage nachher trat auch der König den Rückweg an. Ihn begleitete Au- dronicus zu Lande nach Tyrus, wo sie gemeinschaftlich das Weihnachts- fest begingen, und reiste dann zu Lande über Iconium uach Hause. So war die ganze Unternehmung wieder gescheitert, wie die Griechen sagten, durch die Schuld des Königs, weil er sich habe bestechen lassen, oder weil die ursprünglich verabredete gleiche Theilung Aegyp- teus ihm nicht nach Wunsch gewesen sei und er für sich die gauze Beute, für sie aber die ganze Last des Krieges bestimmt hätte; die lateinischen Christen schoben hingegen die Schuld auf die ungenügende Ausrüstung und Verproviantirung des griechischen Heeres =^).

Die Niedergeschlagenheit über diesen elenden Ausgang eines mit so grossem Kraftaufwande unternommenen Feldzuges wurde noch ver- mehrt durch einen Streifzug Nur ed-dins gegen Karak in der Moa- bitis. Ln Februar-März 1170, als er auf den Wunsch Saladius ihm dessen Vater Nedjm ed-din mit einer starken Abtheiluug Bewaffneter zuschickte ^). liess er zugleich eine Bewegung gegen jene wichtige

1) Nicetas 306—9; Wilhelm XX, c. 17—8. Diese Zahl bei Ihn el-Atir, Kamal 370, Hist. atab. 260 und Nicetas 306 (Bedenken gegen dieselbe siehe in den annotat. ad Nicet. 395—6), ebenso bei Ibn Chaldnn (Aniari, Bibliot. arabo sicula. Versione II, 239), während Makrizi (ed. Hamaker 22, 58) die Dauer auf 55 Tage angiebt (Amari, Storia III, 505), so dass der Beginn der Belagei-ung am 23. Ok- tober anzusetzen wäre. Die Historia atab. 260 setzt den Aufbruch des Be- lagerungsheeres den 17. December an, wonach dann am 28. Oktober (bei 50tägiger Belagerung) der Beginn derselben angenommen wird. '■') Cinnamus

300; Nicetas 310 (vgl. Mich. S.>tus 369, 370): Wilhelm von Tyrus XX, c. 18. Die Nachricht des Nicetas 300, dass die Aegypter trotz dieser Niederlage der Griechen und I-ateiner Manuel einen jährlichen Tribut versprochen hätten, der aber von diesem abgewiesen worden sei, vordient ohne Zweifel keinen Glauben. ■*) Vgl. oheu 465, Note 6; Lbn elAtir, Kamal 570— 1 und Histor. atab. 260. Bohfi ed-din 36 setzt diesen Zug in die Monate April— Mai.

»

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 471

Festung imteruelimeu, aber vor einem kleinen Eutsatzlieere, das Hou- fred von Toron heranführte, zogen die MusUmen sich allmählig zurück. Nur ed-din ging von hier aus mitten durch das Land Amabichs unter furchtbaren Verwüstungen und lauerte bei Aschtera ^) auf einen Vor- stoss der Christen, aber sie unternahmen nichts. Vielleicht hätten sie sich zu einem Angriflfe bereit gefunden, wenn nicht indessen (29. Juni 1 170) ein furchtbares Erdbeben das ganze nördliche Syrien heimgesucht und ihre Kräfte o-elähmt hätte. Antiochien ward zur Hälfte zerstört, darunter die berühmte St. Peterskirche; 40000 Menschen und Thiere sollen hier umgekommen sein 2). Tripolis mit seiner grossen Marien- kirche, Gribel, Laodicea, Tyrus, Arakä ^), Beiinas, ebenso aber auch Aleppo, Bagras, Schaisar, Hama, Hims, Harem wurden schwer be- schädigt; ja selbst in Damascus, in Mosul, Irak, Djezira wurden die fürchterlichen Erdstösse verspürt^). In Folge dessen wagten Christen wie Muselmänner keine grössere kriegerische Unternehmung gegen einander; nur am 4. Juli 1170 kam es bei Al-Labuah in der Nähe von Baalbek zu einem Gefecht.

Schihäb ed-din Muhammed, Fürst von Elbira, war mit 200 Eeitem

') Wohl identisch mit Busra im Haurän (Wetzstein, Reisebericht 108 11; Nöldeke in Zeitschr. d. Deutsch. Morgen!. Gesellsch. XXIX, 431). -) Barhe-

braeus, Chron. syriac. 370—1; Histor. Dynast. 354, 363; Annal. Pisani (Mon. Germ. SS. XIX) 259. ^) Die durch Erdbeben zerstörten Festungen Arakä und

Djebel-Akkär schenkte Amalrich 1170 den Hospitalitern (Paoli I, 51, No. 51), denen er bereits 1165 (7. April) auch einige C;. sahen überwiesen hatte (ibid. I, 241, No. 197), und bestätigte 1174 (19. April) ihnen mehrere Einkünfte (ibid. I, 244, No. 201), schenkte ihnen auch 1174 (Juni) eine Strasse in Jerusalem (ibid. I, 243—4, No. 200); dem deutschen Orden gab er 1173 (26. März) mehrere Ein- künfte (Strehlke 7—8, No. 6) ; eine andere Urkunde für denselben Orden von 1177 (17. üktob.) ist sicher unecht (Strehlke 9, No. 8), wo die Indiction nur auf 1166 passt, hingegen ist die vom 3. Juli 1174 für Philipp Rufus (Strehlke 8, No. 8) mit Unrecht für unecht erklärt worden, da Strehlke aus Wilken noch als Todesjahr Amalrichs 1173 annahm. ^) Bohä ed-din 36; Ibn Khallikän II,

342, 344; Ibn el-Atir, Kamäl 572 u. Hist. atab. 261; Michael Syrus 370 1; Chron. de la pet. Armenie 624; Table chronolog. 476; Rob. de Monte 1170 (ed. Delisle II, 20) u. daraus Chron. Triveti 66; Annal. Pisani (Mon Germ. SS. XIX) 259—60; Chron. Danduli (Muratori SS. XII) 191; Annal. Flor. (Mon Germ. XVI) 625; Guillaume de Nang. (Bouquet XX) 738; Chron. Uticense (ibid. 774; Wilh. V. Tyrus XX, c. 19 (woraus Marinus Sanutus l7l); Chron. T. Sanctae in Giovene, Kalendaria vetera niss., Napoli 1728, I, 9 (die hier abgedruckte Chronik ist völlig identisch mit dem Chronicon T. Sanctae, welches Röhricht aus Cod. Paris. 5689° u. 17555 in Archives II B, 431—2 edirte); vgl. auch Bibl. de l'ecole des chartes IV Serie, III; 31. Auch Alexander in. erwähnt dieses Erdbebens und eines üeber- falles, den die Feinde gegen die Einwohner von Nazareth verübt hatten, 8. De- cember 1170 (Martene, Collect. II, 864; Bouquet XV, 893—4).

472 Röhricht.

auf dem Marsche uach Aschtera zu Nur ed-diu und traf unterwegs auf 800 christliclie Keiter, die auf einem Plünderungszuge sich be- fanden. Die Muslimen waren siegreich gegen ihre Erwartung; „denn sonst würden 1000 Reiter von ihnen der Charge von 300 fränkischen Kitteru nicht widerstanden haben" i), und Schihäb ed-din schickte die Gefangenen sowie die Köpfe der Gefallenen an Nur ed-din, der unter den letztern auch den Kopf des Hospitalitercomthurs vom Kurden- schlosse zu erkennen glaubte.

Ein neuer Schrecken kam über die Christen, als sie hörten, dass Saladin mit 40 000 turkomanischen Reitern im Anmärsche sei ''^). Der König eilte (Dec. 1170) sofort nach Ascalon; aber Saladin hatte schon die Unterstadt von Darum, die Amalrich als Zollstätte erbaut hatte, erobert und die durch Anselm von Pass vertheidigte Citadelle eng eingeschlossen. Der König brachte, da nur wenige seinem Aufgebot folgten, 250 Ritter und gegen 2000 Mann Fussvolk ausser den Templern zusammen, ausserdem schlössen sich der Patriarch mit dem heiligen Kreuz, Bischof Radulf von Bethlehem und der Bischof von Lydda ihm an; am 18. December marscliirte er von Ascalon nach Gaza ab. Als er von hier weiter zog, sah er schon von Ferne das weite Lager der Feinde, und voll Bangen schloss das kleine Corps sich so dicht und eng zusammen, dass es kaum von der Stelle kam. Einen wüthenden Angriff der Reiterschaaren wiesen die Christen ab und rückten in geschlossenen Gliedern bis zu der bedrohten Citadelle, in die sie den Patriarchen mit dem heiligen Kreuze schickten. Saladin wich einem weiteren Kampfe am Abend aus und lagerte sich am „Bach Aegypteus", um am anderen Morgen vor den Mauern Gazas wieder zu erscheinen.

Die Einwohner dieser Stadt wollten, da ihnen die Stadtmauern nicht Schutz genug versprachen, nach der Citadelle flüchten, aber Milo von Plancy hielt sie zurück und stellte 65 junge Männer aus Maho- meria (Al-Biräh) bei Jerusalem, die dem Könige nachgezogen waren und in Gaza Herberge gesucht hatten, zur Vertheidigung der Tliore auf. Bald war aber dies Häuflein überwältigt, und ein grässliclies Morden begann unter den Einwohnern, denen auch jetzt noch die Flucht in die Burg verwehrt wurde. Dann zog Saladin wieder auf Darum los, hieb unterwegs noch eine kleine Schaar von 50 christ- lichen Soldaten, welche zum Heere des Königs eilten, nieder und

•) Ibn el-Atir, Kami'il 571 u. llistor. atal>. 2b'3. Im Kanial 575 lesen wir sogar das Zeugniss Nur ed-dins: »Die Franken sind die Tapfersten unter den Sterblichen*. *) Wilhelm von Tyrns XX, c. 20— 3: Ibn el-Atir, Kamäl 577 er- wähnt diesen Znif nur tjanz kurz.

Amalricli I., König von Jerusalem (1162—1174). 473

theilte iu Darum sein Heer iu zwei Abtheilungen, von denen die eine, 22 Schaaren stark, au der Küste, die zweite, 20 Schaaren stark, ihr parallel mitten im Laude marschirte. Die Christen hatten anfangs die Al)sicht ihren Eückmarsch zu stören, machten auch kleine Augrifte, aber die Feinde Hessen sich in keinen Kampf ein und zogen ab. Hier- auf kehrte Amalrich, nachdem er Darum stärker befestigt und eine Besatzung hineingelegt hatte, nach Ascalon zurück ^).

Saladin war kaum wieder in Kairo eingetroffen, als er sofort sich zu einem neuen Feldzuge rüstete. Er Hess Schiffe zerlegt auf Karaeelen nach Ailah transportiren, dort zusammenfügen und Ailah angreifen; schon gegen Ende December war er Herr der Stadt, wo er viele Chri- sten gefangen nahm. Hierauf ging er nach Alexandrien und Hess die Stadt stärker befestigen^).

Diese glückHchen Unternehmungen Saladins verfolgte mit nicht geringerer Sorge wie Amalrich auch Nur ed-din. Er forderte, um seines Gehorsams sicher zu sein, von ihm, statt den Schntenchalifen el-Adhid, den Namen des Chalifen von Bagdad el-Mustandjit im Frei- tagsgebet nennen zu lassen, aber Saladin zögerte mit der Ausführung, bis endlich der Tod el-Adhids (13. September 1171) ihn aHer Weite- rungen überhob, worauf er den Befehl Nur ed-dins erfüllte 3). Er setzte sich ohne Schwierigkeit in den Besitz des Schlosses und der hinterlassenen Schätze des Chalifen und kettete durch äusserst frei- gebige Vertheilung derselben, unter denen 700 SoHtairs und eine BibHothek von zwei Millionen Bänden hervorzuheben sind, seine Freunde noch enger an sich*).

Am 23. September trat Saladin eine Expedition gegen Schaubek an, um diese wichtige Festung, welche mit Karak zusammen die Kara- wanenstrasse von Syrien nach Aegypten beherrschte, für sich zu er- obern; Nur ed-din schrieb ihm sofort, er werde mit ihm unter den Mauern jener Festung zusammentreffen. Saladin jedoch ahnte für sich nichts Gutes von einer solchen Zusammenkunft und gab daher die Belagerung auf, trotzdem die Besatzung, arg bedrängt, sich bereit

1) Ernoul 15. ^) Ibn el-Ativ, Kamrd 578. ") i\,n el-Ativ, Kamal 580

u. Histor. atab. 283 ; Boha ed-din 38 (woraus Ibn Khallikan II, 74). Die Christen schoben Saladin die Schuld seines Todes zu (Histor. patriarch. ed. Renaudot 535. der sonst den Ibn el-Atir stark atisschreibt ; Sigeb. Contin. Aquicinct. 411; Wil- helm von Tyi-us XX, c. 12, Albericus [Mon. Germ. SS. XXIII] 853); die Anklage gegen den Chalifen wegen Heterodoxie hatte Nedjm ed-din Kubuschfini formulirt (Ibn Khallikfin II, G45). ") Histor. patriarch. 530. Die Sage von

einer wunderbaren Prophezeiung, die Saladins Crosse vorausgesagt haben soll, aber von ihm durch List erfüllt wurde, siehe bei Ernoul 37, 40 1.

474 Röhricht.

erklcärt hatte, nach Ahlauf von zehn Tagen, wenn kein Entsatz er- scheinen sollte, zu capituliren ; er entschuldigte sich Nur ed-din gegen- über, seine Stellung in Aegypten sei gegen revolutionäre Bewegungen der Aliden noch nicht sicher genug, um einen längeren Aufenthalt ausserhalb des Landes und einen längeren Krieg wagen zu dürfen (Oktob. 1171) ^). Xür ed-din verstand sehr wohl, dass Saladin ihm um jeden Preis ausweichen wolle, und beschloss durch den Einmarsch in Aegypten den gefährlichen und nach der Alleinherrschaft strebenden Emir zur Unterwürfigkeit zu zwingen, weshalb dieser nun mit seinen Getreuen berathschlagte, was in diesem Falle zu thun sei. Die einen riethen der Gewalt die Gewalt entgegenzusetzen, die anderen und zwar besonders der eigene Vater Saladins Nedjm ed-din Ejjüb empfahl ihm direkte und unbedingte Unterwerfung; Saladin befolgte diesen letzteren Kath, versicherte den Atäbek seines Gehorsams und blieb von Nur ed-din wieder unangefochten '^).

Um dieselbe Zeit (Oktob. 1171) segelten nach der syrischen Küste zwei muslimische Schilfe und gingen an der Insel bei Laodicea vor Anker; die Christen aber caperten dieselben und verletzten so den Waffenstillstand 3).

Eine Remonstration von Seiten Nur ed-dins war fruchtlos, wess- halb dieser die Umgegend von Antiochien und Tripolis verwüstete. Er gewann die im Januar 1170 von den Christen eroberte Festung Akkär wieder ^), ebenso die wohl um dieselbe Zeit verlorene Unterstadt von 'Araka, auch die Burgen 'Arima uud Säfithä; während letztere von seinen Unterfeldherrn genommen wurden, ging er selbst von 'Araka gegen Tripolis vor und liess Antiochien selbst bedrohen. Die Christen

0 Boha ed-din 38—9; Ihn el-Atir, Kamal 581—2 u. Histor. atab. 286—7. Oft'enbar beziehen sich auf diesen Feldzug die Nachrichten Wilhelms XX, c. 29, dass Saladin in der Wüste nach einem Orte, den er , canellum Turcorum * nennt, gekommen sei ; Araahich ging ihm mit dem Patriarchen und dem heiligen Kreuz entgegen bis Bersaba und schlug hier sein Lager auf, 16 Meilen von Saladin, zog aber, dem Feinde ausweichend, nach Ascalon und Dfirüm. dann wieder nach Bfr.saba. Saladin belagerte indess Montroyal. -) Ibn el-Attr, Kamfil 582—3

u. Histor. atab. 287 9. ^) Ibn el-Atir, Kamal 584—5 u. Hist. atab. 281—2.

Die hier genannten Festungen wurden schon oben 454 als erobert erwähnt. Michael Syrus 356 erzählt, Raynald v. Chatillon sei damals mit 120 oder 150 Heitern und 500 Mann Fussvolk in einen Hinterhalt gefallen und gefangen ge- nommen worden (ofi'enbar eine Verwechslung mit dem oben 471 erwähnten Ueberfall von Al-Labuah, abgesehen davon, dass Raynald schon längst Gefangener war). Ebenso werthlos ist die Notiz, dass 1000 Chi'isten in diesem Feldzuge ge- fangen werden seien und Amalrich sich gegen Haleb, wie Nur ed-din gegeii Jerusalem gewandt habe, ohne dass beide etwas ausgerichtet hätten. ••) Bohfi

ed-din 36.

I

Amalrich I., König von Jerusalem (1162 1174). 475

boten Frieden an und versprachen alle Waaren jener Schiffe, unter denen auch Waaren des Vaters unseres Gewährsmannes, Ihn el-Atir, sich befanden, herauszugeben. Nur ed-din nahm diesen Vergleicli an, und der Friede wurde erneueii;.

Indessen Avar man am Hofe Amalrich s zu der Ueberzeugung ge- kommen, dass ohne Hilfe des Abendlandes das Königreich Jerusalem nicht länger würde bestehen können, und man beschloss, obschon der Erzbischof Friedrich von Tyrus noch nicht zurückgekehrt war, von neuem an den Papst, den Kaiser, an die Könige von Frankreich, England, Spanien und Sicilien, sowie an die hervorragendsten Herzöge und Grafen dieser Länder neue Bittschreiben zu senden. Ausserdem daubte man vor allen anderen auch Kaiser Manuel gewinnen zu müssen, und Amalrich beschloss, obgleich seine Freunde und Ver- trauten ihn durch den Ernst der politischen Situation des Königreichs zurückzuhalten sucliten, selbst nach Konstantinopel zu gehen. Am 10. März 1171 ^) fuhr er mit zehn Galeeren in Begleitung des Bischofs Wilhelm von Accon, der Herren Garmund von Tiberias % Johann von Arsüf3), Eaynald von Nefin*), des Marschalls Gerard de Pougy &) und des Kastellans Koard von Jerusalem g) ab, während Philipp von Na- blus ihm voraussegelte, um die Ankunft des Königs zu melden. Er landete auch glücklich und wurde höchst ehrenvoll aufgenommen; in Gallipoli erwartete ihn sein Schwiegervater der Protosebastos Johannes und begleitete ihn bis Heraclea, wo das Geschwader des Königs vor Anker lag. Er stieg in Konstantinopel an der Kaisertreppe aus und wurde von einer glänzenden Schaar von Hofbeamten durch mehrere Prunkzimmer in den Thronsaal geführt, wo er neben dem Kaiser,

1) Wilhelm von Tyrus XX, c. 24—6; vgl. Tafel, Corauenen und Normannen 23—4 ; die sonst die erstere Quelle nur abkürzende Historia regni Hierosol. (Mon. Germ. SS. XVIII) 51 nennt 7 Galeeren. Ueber die bier genannten Reliquien Konstantinopels siebe Riant, Exuviae Constant. s. voce ; vgl. Tobler, Golgatba 72. •'') Garmund erscheint 1137 (Paoli 36), 1154 (ibid. 33), 1159 (Arcbives II, 135), 1160 (Paoli 38; Roziere 107), 1161 (ibid. 196, No. 241; Streblke, Tab. 5), 1165 (Delaville le Roulx 101; Gins. Müller 11; Paoli 241), 1168 (Müller 15; Paoli 48, 49: Camera 204), 1169 (Paoli 50), c 1173 (Paoli 234), 1174 (ibid. 244; Streblke 8). 3) Johannes wird in Urkunden erwähnt: 1163 (Delaville le Roulx 99), 1174 (Paoli 244: Streblke 8) u. 1177 (Rozit-re 308). ■», ^^\iy■^[ urkundlich nicht erwähnt.

5) Vgl. o1)en 450. ") Rohard begegnet uns als Kastellan des David-

thurmes u. Vicomte von Jerusalem: 1163 (Paoli 207), 1165 (ibid. 241), c. 1165 (Roziere 331), 1169 (Paoli 50), 1171 (Roziere 328), c. 1173 (Paoli 234), 1174 (Ar- cbives It, 146), 1175 (Roziere 257—8, 308; Delaville le Roulx 120), 1176 (Roziere .309; Paoli 71; Delaborde 86), 1179 (Delaville le Roulx 139). Der unter demselben Namen und Charakter 1142 u. 1144 begegnende R. (Archives II, 124—5) ist wohl Vater des unsrigen.

476 ' Röhricht.

jedoch auf einem niedrigeren Throne, Platz nehmen durfte. Wie Amal- rieh, .so wurden seine Begleiter durch glänzenden Empfang und freund- liche Anreden des Kaisers geehrt; die letzteren wurden auch zum Handkuss zugelassen. Dieser officiellen Audienz folgten rauschende Feste, musikalische, pantomimische Theater- und Ballet- Vorstellungen, auch Circusspiele, welche die Zuschauer nicht minder in Bewunderung versetzten, Avie die Betrachtung der kostbaren Reliquien Christi, wie des Kreuzes, der Nägel, der Lanze, des Schwammes, des Rohres, des Leichentuches und der Sandalen. Mit grossem Literesse nahm Amal- rich ausser den Kirchen und Klöstern auch die zahlreichen Triumph- säulen und Triumphbögen in Augenschein und Hess über deren historische Bedeutung sich eingehend unterrichten.

Von dem Pal aste der Blachernen aus, wo Manuel seinen Gast beherbergte, unternahm Amalrich eine Reise an der Küste des Bos- porus entlang, um die Landschaft und die einzelnen Orte genauer kennen zu lernen, dann aber widmete er sich mit Eifer den diplo- matischen Geschäften, die ihn eigentlich in die Kaiserstadt getrieben hatten. Er setzte dem Kaiser die Nothwendigkeit auseinander, die Macht des neuen und kühnen Souverains von Aegypten zu brechen, und fand bei Manuel bereitwilliges Gehör; die Zusicherung der Ober- lehnshoheit des Kaisers über Antiochien wird wohl a\ich hier von neuem feierlich erfolgt sein i). Genug, Manuel war bald mit dem König einverstanden und bestätigte den Bündnissvertrag. Nachdem Amalrich und seine Begleiter bis zum letzten Knappen mit Schmuck- sachen und kostbaren Stoffen reich beschenkt worden waren, segelte das kleine Geschwader ab und erreichte am 14. Juni glücklich Sidon.

Kaum war jedoch Amalrich heimgekehrt, als er (im Juli) vernahm, Nur ed-din lagere bei Bäniäs. Sofort eilte er ihm entgegen und lagerte bei Saffüria, aber beide Heere zogen sich, ohne dass es zu einer Waffen- eutscheidung kam, wieder zurück ^).

In dieser Zeit kehrte Erzbischof Friedrich von Tyrus aus dem Abendlande heim, nachdem er den Grafen Stephan von Blois und Chartres vorausgeschickt hatte, dem Amalrich seine Tochter zur Ge- mahlin anbot. Kaum war dieser jedoch gelandet, als er erklärte, er sei nicht im Stande, die vom König geforderten Bedingungen anzu- nehmen, und verliess, nachdem er einige Monate in Syrien lüderlich gelebt hatte, das heilige Land, fiel aber auf dem Wege durch Cilicien bei Mamistra in die Hände des Usurpators Mälih, eines Bruders des

') So wird wolil die Notiz des C'innamns zu deuten sein, dass Amalrich Manuel seiner oouXsia versichert habe. ") "Wilhelm XX, c. 27 ; Mich. Syrus 356 f.

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 477

Thoros vou Armenieu, der ilm ausraubte und ihm nur eine Mähre zur Weiterreise nach Konstantinopel überUess i).

In dt-ra Jahre 1172 kam Graf Stephan, Sohn des Grafen Wilhehn d'Outre Saone 2), auch Herzog Heinrich von Sachsen und Bayerns) sowie Herzog Hugo III. junior von Burguud ^) nach dem heiligen Lande, allein sie kehrten, ohne eine einzige Waifenthat verrichtet zu haben, bald wieder heim. In demselben Jahre fand der Bischof Wil- helm von Accon ^), den Amah'ich von Konstantinopel aus au die Höfe einiger abendländischen Grafen geschickt hatte, ein trauriges Ende. Auf seiner Eückkehr in Adrianopel wurde er nämlich von Eobert, einem Geistlichen seines Gefolges, am 29. Juni Mittags ermordet. Man wusste nicht, ob der Mörder in Folge einer Geistesstörung oder in der Absicht, Rache zu nehmen für gewisse Beleidigungen, welche der Kämmerer des Bischofs ihm ungestraft hatte anthun dürfen, diese Freveithat begangen habe, doch zeigte er, als er bald darauf starl), aufrichtige Reue und Busse. In demselben Jahre, am 23. ISiovember, ward Joscius, früher Chorherr von Accon, Bischof dieser Stadt.

In dieser Zeit (Ende Oktob. oder Anfang Noverab. 1172) unter- nahmen die Christen eine Expedition in den Hauräu, während Nur ed-din bei Keswa lagerte, und drangen bis in das Süäd vor.

Es kam zum Kampfe, in welchem Kür ed-din ihre Nachhut über- fiel und reiche Beute gewann, dann rückte er sein Lager bis Aschtera vor und sandte von da eine Abtheilung in das Gebiet von Tiberias.

Auf die Kunde von den hier angerichteten Verwüstuugen eilten die Christen herbei, aber jene Corps hatten bereits wieder den Jordan überschritten, und als es schliesslich zu einem mörderischen Kauipfe kam, ffelanff es den Christen nicht, die Feinde aufzuhalten noch ihnen ihre Beute abzunehmen ^).

») Wilhelm XX, c. 27. ^) Wilhelm XX, c. 27; vgl. Dunod, Histoire de

Besan9on III, 103. Als dessen Begleiter genannt: Amaury de Joux, der auch 1170 als Pilger urkundet (Droz, Hist. de Pontarlier, preuves 261); vielleicht schloss sich ihm auch Humbert de Coligny an (Memoires sur la Franche Comte IV, 1867, 330—1). 3) Wilhelm nennt ihn Herzog Heinrich von Burgund (über die

Kreuzfahrt jenes deutschen Herzogs vgl. Röhricht, Beiträge II, 109 -16) ; er hat die beiden Namen Heinrich von Sachsen und Hugo von Burgund offenbar in Einen zusammengezogen. *) Er urkundet 1170 u. 1171 als Pilger (Plancher,

Hist. de Bourgogne I, preuves 52 u. 5.3), 1172 erklärt er, dass er auf seiner Heimkehr im Sturm eine Capelle gelobt habe, und erneuert in Rom dieses Ge- lübde, das am 8. Novemb. 1172 Alexander III. bestätigt (Bouquet XV, 927); 1173 führte er dies Gelübde aus (Perard 246). ') Wilhelm XX, c. 27. Sonst

vgl. ZDPV. X, 20. •■■) Ibn cl-Atir, Kamfil 586.

4.78 Röhricht.

Um dieselbe Zeit wurde Amakicli iu eineu Krieg gegen den Usur- pator Mülili verwickelt, dessen wir oben bereits Ei-wähnung gefchan haben. Dieser hatte nämlich gegen seinen Bruder Thoros ein Attentat unternommen, ohne seinen Zweck erreichen zu können, und war dann zu Kür ed-din geflohen, von dem er Cyrrhus (Gouris) als Lehen an- nahm. Als nun Thoros 1168 gestorben war, wurde dessen unmün- diger Sohu, für den Thomas, nach Wilhelm von Tyrus ein Vetter Rnpeus 11., die Vormundschaft führte, nach Hromgla in Sicherheit o-ebracht, wo er bald darauf starb. Thomas ward durch Mtllili mit Hilfe Nur ed-dins vertrieben und zwar (1170) nach Antiochien, worauf Malili ohne Widerstand die Herrschaft iisurpirte und durch Mord und Gewaltthaten befestigte; die Templer, zu deren Orden einst Mälih selbst gehört hatte, wurden ihrer Besitzungen beraubt, und gegen IG 000 Menschen erschlagen, während die Gefangenen von ihm an Nur ed-din verkauft wurden. Der Fürst von Antiochien erklärte ihn für einen Landes»feind, Amalrich lud ihn 3 4 Mal nach Antiochien zur Ver- antwortnng, aber vergeblich, worauf beide Fürsten in sein Land ein- fielen und es verwüsteten. Da kam die Nachricht, Nfir ed-din sei vor Karak erschienen, weshalb der König, nachdem er seinen Conuetable Honfred zurückgelassen, ihm mit Bischof Radulf von Bethlehem ent- gegeneilte, aber als er im Vormarsche war, kam schon ein anderer Bote, welcher den Abzug Nur ed-dins meldete i).

Saladin hatte nämlich in der Zeit zwischen dem IG. Mai bis 13. Juni 1173 2) eine neue Expedition gegen Karak unternommen. Als Amalrich hörte, dass dieser in die Gegend des „Türkenried-' ge- kommen sei, brach er auf und schlug bei dem wasserreichen Kurmul, drei Stunden östlich von Hebron 3) sein Lager auf. Trotzdem hätte Amalrich Saladins Absichten auf Karak schwerlich durchkreuzen können, wenn nicht zu seinem Glück Nur ed-din zum zweiten Male gegen Karak aufgebrochen wäre. Auf die Kunde hievon suchte Saladin durch höfliche Entschuldigungen den Nur ed-din über den eigentlichen Grund

«) Ibn el-Atir, Kamal 588—9; Wilhelm von Tyrus XX, c. 28. Ciniiamurs 312—3; Michael Syrns 362, 380; Chronique de la petite Ann. b'22— 4; Table chronolog. 475; vgl. Röhricht, Beitr. II, 125, Note 22. Die Behauptung des Barhe- braeus, Chron. syr. 365, Malih habe sich Amalrich unterworfen und jeder Ver- bindung mit Nur ed-din abgesagt, ist wohl nicht glaublich, lieber die Münzen, welche Mälih schlagen liess, auf denen er Nur ed-din als obersten Hen-n be- zeichnet, siehe Du Cange, annotat. 403. -) Ibn el-Atir, Kamal 593. Mit den hier gebotenen Nachrichten sind ohne Zweifel die bei Wilh. v. Tjtus (XX, c. 30) zu combiniren, der den Einmarsch Saladins im Juli und seine Rückkehr im iSeptember erfolgen lilsst. ^) Vgl. Robinson, Palästina 11, 420.

Amalrich I, König von Jerusalem (1162—1174). 479

seiner plötzlichen Umkehr wieder zu täuschen und zog, nachdem er die Umgebung jener Festung stark verwüstet hatte, zurück nach Aegypten, während auch Nur ed-din von er-ßakim i) aus seinen Heim- weg antrat.

In jene Zeit fällt wohl auch jene Fre veithat des Templers Walter von Mesnel, welche, wie die Christen des heiligen Landes glaubten, eine ihrer schönsten Hoffnungen zerstörte. Damals war nämlich ein Scheich der Assassinen gestorben, von dem man sich erzählte, dass er ein heimlicher Christ gewesen sei, und die ehrliche Absicht gehabt habe, auch seine Anhänger zum Abfall von ihrem Irrglauben zu be- wegen. Er hatte nämlich au Amalrich einen Gesandten geschickt und erklärt, er sei zur Annahme des Christenthums bereit, wenn die Templer ihm den jährlichen Tribut von 2000 Dinaren erlassen würden. Amal- rich nahm dieses Anerbieten an und versprach dem Templerorden aus eigenen Mitteln die Zahlung jenes Tributs, aber als der Gesandte vom Hufe des Königs heimkehrte, ward er durch jenen Walter erschlagen, und als nun Amalrich strenge Ahndung eintreten lassen wollte, er- klärte ihm der Meister des Tempels Odo, Walter sei bereits von dem Orden bestraft und angewiesen worden, in Kom bei dem Papste seine weitere Bestrafung zu empfangen; zugleich verbat er sich jede Gewalt- that gegen Walter im Namen des Papstes. Der König jedoch liess, nachdem er mit den Seineu Rath gehalten, den Uebelthäter zu Sidou im Templerhause verhaften und nach Tyrus in Gewahrsam bringen; was weiter mit ihm vorgegangen ist, wissen wir nicht ^).

Von neuem richtete Amalrich seinen Blick und seine Hilferufe nach dem Abendlaude; im Sommer 1173 gingen der Bischof Beruhard von Lydda und der Unter-Prior des heiligen Grabes ab und trafen im December am päpstlichen Hofe ein. Der Patriarch Amabich 3) wie der Könige) schilderten in ihren Briefen die drohende Stellimg Sala- dins, die Gefahr, welche Nur ed-din durch eine Allianz mit dem Sultan

») Zwischen Karak u. Rabba (Derenbourg, Vie d'Oussilma 230). -) Wilh.

V. Tyrus XX, c. 31—2 (vgl. Walter Mapes, De nugis curialium 35), welcher den Boten des Scheich Boabdelle nennt (Abu 'Abdallah?). ^) Bouquet XVt,

198-9. Ueber Bernhard, Bischof von Lydda vgl. ZDPV. X, 28. *) Bouquet

XVI, 198—9 (es ist uns nur von diesem und dem vorher genannten Briefe die Ausfertigung au den Erzbischof Heinrich von Rheims bekannt) ; vgl. das Schreiben Alexanders vom 23. Dec. 1173 an Erzbischof Heinrich (Martene, CoUectio 11, 994). Älit den Ueberbringem dieser Schreiben schickte der König auch an Heinrich II. von England- ein Stück des heil. Kreuzes (1174), das dieser der Abtei .aux bons hommes* schenkte (Pavie I, 323); am 30. Mai 1174 erfolgte die üebergabe einer anderen Kreuzesreliquie an den Abt Guilluume von Grammont, die Amalrich voiu

480

Röhricht.

vou Icouiuiu und durch einen neuen Plan gegen Antiochien den Chri- sten des heiligen Landes bereite, und baten dringend, Friede und Ein- tracht zwischen den Königen von Frankreich und England herzustellen.

Im kommenden Jahre 1174 am 15. Mai starb der gefürchtete Gegner der Christen Nur ed-din i), und Amalrich glaubte sofort die Bestürzung im Lager der Feinde zu einem Handstreich gegen Banias benutzen zu können. Er berannte die Festung 15 Tage, fand aber energischen Widerstand und musste aus Furcht vor einem Entsatzheere die Belagerung aufheben. Schems ed-din Mahmud nämhch, welcher die Damascener Truppen befehligte, liess ihm erklären, er würde, falls er nicht abzöge, sofort an Seif ed-din, Fürsten von Mosul, und Saladin ein Hilfsgesuch richten und sicher von ihnen auch Hilfe erlangen. Diese List war plump, weil Schems ed-din beide als seine gefährlichsten Gegner fürchtete, aber sie gelang, und Amalrich zog ab, nachdem der Frieden gegen Freilassung von 20 gefangenen Kittern erneuert worden war'^). Auf der Heimkehr wurde Amalrich von der Euhr befallen; er reiste schnell über Nazareth, Nablus nach Jerusalem zurück, wo er in Folge ungeschickter Behandlung am 11. Juli 1174, 38 Jahre alt, starb und neben seinem Bruder feierlich bestattet wurde ^).

Sein Tod befreite Saladin, dem kurz vorher am 6. April die Be- wältigung eines gefährlichen Aufstandes gelimgen war*), von der letzten Furcht, und bald sollten die Christen es gewahr werden. Ein Angriff, den der König von Sicilien als Bundesgenosse des inzwischen verstorbenen Königs Amalrich am 28. 30. Juli 1174 auf Alexandrien machte &), schlug gänzlich fehl, wie alle früheren und späteren Angriffe der Christen auf die Hafenstädte Aegyptens. Im September desselben

Kaiser Manuel zum Geschenk erhalten hatte (Chroniques de Limoges ed. Duples Agier 58; Gaufrid. Vossens, bei Bouquet XII, 444; Gallia christiana II, 649—50 u. besonders Du Gange, Glossar., Dissert. XXVI).

') Vgl. oben 433—4. Sein Charakterbild zeiclinet Ibn el-Atir, Kamal 542—3, 604 ff. u. Hi.st. atab. 345 ff. ; über die von ihm herrührenden Stiftungen in Damascus vgl. ZDMG. XVIII, 353—74 u. Sagen über seine christliche Abkunft in Beiträge II, 122, Note 1. -') Wilh. v. Tyrus XX, c. 33 (vgl. Ilist. regni llieros.

in Mon. Germ. SS. XVIII, 51, wo d. Festung Bellinax genannt wird); Ibu el-Atir, Kamül 610 11. Auf diesen Feldzug bezieht sich offenbar die Angabe dos Michael Syrus 378 u. des ihm folgenden Barhebraeus 381, dass die Damascener aus Furcht vor Saladin dem Könige Frieden u. Tribut angeboten hätten. ^) Wilhelm

XX, c. 33; üandul. 300. Im April 1174 war ihm Bischof Raduli v. Bethlehem vorausgegangen (Wilhelm von Tyrus XX, c. 32; vgl. ZDl'V. X. 24-5). Michael Svrus 379 lässt Amalrich talschlich in Accon sterben. *) Ibn el-Atir, Kamäl

599—600; Reinaud. Extr. 171—4. ") Vgl. Quatremi-re, Memoires sur l'Egypte

I, 321—7; Boha ed-din 41; die arabischen Quellen in Amari, Biblioteca arabo

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 48l

Jahres (1174) gewann Saladin Damascus i), und so ward das Königreich Jerusalem im Osten und Südwesten zu gleicher Zeit von der Macht desselben gewaltigen Sultans und Todfeindes eingeschlossen. In un- aufhörlichem Siegeslaufe, durch kräftige Ordnung im Innern vergrösserte und befestigte er sein Eeich , bis er durch eine einzige glückliche Schlacht dem Königreich Jerusalem ein jähes aber nicht unvorher- gesehenes Ende bereitete. Vielleicht hätte Amalrich, der letzte in der Keihe der erobernden und erhaltenden Könige, wenn ihm noch fünf- zehn oder zwanzig Lebensjahre vergönnt gewesen wären, die Kata- strophe abgewandt oder doch verzögert, aber nach seinem Tode wäre sie ohne Zweifel doch eingetreten ^).

Sicula (versione) II, 259, 591—4, G79; Renaudot , Histor. patriarch. 540; Ibn el-Atir, Kamfil 611—4; Annal. Pisan. in Mon. Germ. ÖS. XIX, 206. Am ausführlichsten handelt darüber Amari, Storia dei musulmani 111 B, 506—14.

') Ibn el-Atir, Kamal 614. ^) Kreuzfahrer aus der Zeit von 1162—1174

stellen zusammen Roger 195 222; Pourmont II, 71 7; Röhricht, Beitr. II, 321—6 (vgl. auch oben 477); ich gebe hier für jene Zeit noch einige Nachträge. In Bullen Alexanders III. werden als Kreuzfahrer erwähnt: 1160/61 J. ein Ehe- brecher (Mansi, Ooucil. XXII, 428), 1163 Lapillus (Marteue, Collect. II, 687), Hein- rich von St. Remy (ibid. 11, 762), 1167—1169 Aegidins de Cimai (ibid. II, 767), 1168—1169 Hugo serviens (ibid. II, 788), Aprilis de Manso und Ludovicus de Buren (ibid. II, 813), 1170 P., der Diaconus in Sidon geworden war (ibid. II, 835), 1170—1172 Balduin d'Aigne (Mansi XXI, 955), 1171 1172 0. aus Rheims (ibid. 997) und Belericus u. R., Frevler gegen einen Kanonicus (Collect. II, 951). Sonst werden in Chroniken noch genannt 1162: 108 Kreuzfahrer, die mit Gott- fried IV. von Mayenue abgezogen waren (Menage, Histoire de Sable 179, auch im Recueil des bist, de France XII, 556; Fourmont III, 65—87), Olivarius de Magiechat (Brequigny III, 317), 1164 Ansulf de Senolz (Brequigny III, 351), 1167 Odo fils de Hugues, Orleanais (ibid. III, 390), viele deutsche Herren, wie eine Urkunde, (1167) zu Jerusalem ausgestellt, beweist (v. Löher, Archival. Zeitschr. III, 1878, 2.94—5), c. 1168 Guillaume de Dampierre (Bongars No. 2 u. 11, auch im Recueil des hist. de France XVI, 145), 1168 Comte Bertrand de Forcalquer (Bouche, Hist. de Provence II, 160), 1169 Guillaume Gouet IV., der auf dem Kreuzzuge starb (Rob. de Monte 1169), 1170 Guillaume de Courtenay (Histoire de la maison de Courtenay, preuves 8), 1174 die vier Mörder St. Thomas' von Canterbury : Wilhelm de Traci, Hugo de Moreville, Richard Brito, Raynald Fitz Ursi, die auf dem Monte Nero bei Autiochien als Büsser gelebt haben sollen (nach Reuter, Alexander III., Bd. III, 152—3 ist dies nur bei Wilhelm de Traci sicher), aber in Jerusalem »ante ostium Tempil* begraben wurden (Romuald in Mon, Germ. SS. XIX, 439; Rog. de Hovedene II, 17).

Mittheilungon XII. . 31

^32 R ö h r i c li t.

Anhang.

Durch die Güte befreundeter Gelehrten und des Herrn Heraus- gebers dieser Zeitschrift ist es möghch gewesen, hier einige wichtige Stücke zu vereinigen, welche zwar nicht im Zusammenhange mit der vorausgehenden Studie stehen, aber für die Geschichte des Königreichs Jerusalem von nicht geringer Bedeutung sind. Das erste ist ein Brief des Fürsten Boheraund III. von Antiochien, welcher aus dem Cod. Pal. Vindobon. 984, fol. 30 30^ stammt und schon anderwärts von mir nachgewiesen war i) ; es ist dies derselbe, welcher auch das Schreiben des Markgrafen Konrad von Montferrat an den König Bela von Ungarn enthält ^). Der Brief, dem noch eine Klage über den Verlust Jerusalems sich anschliesst =*), ist gleich nach dessen Eroberung, also nach dem 2. Oktober 1187, geschrieben und wurde durch den Erzbischof Albert von Tarsus, Kanzler des Fürsten, nach dem Abendlaude gebracht^); leider können wir jedoch genaueres über dessen Ankunft und Wirksamkeit daselbst nichts beibriugen. Unmittelbar darauf folgt Erbonis Carmen vel threni captis Hierosolimis (fol. 31 31 ^)i woraus bisher nur Stücke bekannt waren s), weshalb wir glaubten, hier einen vollständigen Abdruck bieten zu müssen; Herr Professor Dr. Mühlbacher hatte die Güte, eine Copie Ijeider Stücke mir durch Herrn Dr. M. Mayr in Wien anfertigen zu lassen. An dritter Stelle

') V. Sybel, Histor. Zeitschrift 1876, XXXIV, 4, Note; Beiträge II, 181, Note 1; ebenda II, 182—3, Note 4, sind noch andere Briefe erwähnt. *') Voll-

ständig herausgegeben in Th. Ilgen, Markgraf Konrad von Montferrat 1880, 135—7 und in der durch Cipolla besorgten italienischen Uebersetzung desselben Buchs (Casale 18M1), 128—30. Uebrigens ist dieser Brief auch in einem bisher unbenutzt gebliebenen Codex Admont. 25 saec. XII, Vorstehlilatt No. 3 uns er- halten. ") Wie sie sich in prosaischer und poetischer Form \aelfach finden ; vgl. Beitr. II, 181, Note 1; liaymarus Monachus ed. Paul Riant, Lugduni 1865, 53—61 (der hier 53—7 abgedruckte Planctus ist besser edirt im Anhange der oben genannten Cipolla'schen Uebersetzung 146—52; vgl. 131—45); Hagen- meyer in Archives de l'Orient latin, Paris 1881, I, 580—5. Der von Graf Riant dem Haymarus Monachus zugeschriebene liber tetrastichus de expugnata Accone (vgl. J. Grimm in d. Abhandl, d. Berliner Akad. 1843, 178), zu dem im Neuen Archiv 1879, 386 auch eine Oxforder Handschrift nachgewiesen wurde, ist wie die von Prutz in den Forsch, zur deutsch. Geschichte 1881, XXI, 457—94 (Ver- besserungen 1882, XXII, 674) veröffentlichten Versus nur historisch. *) 1186— 1199 nachweisbar (Röhricht, Syria sacra, 16); unser Brief bereits bei Denis, Cat. I, 743—6. ^) Ibid. 746—8; vgl. Wattenbach, Deutsch. Geschichtsq. II, 437, Note 2. Nach H. Prof. E. Voigt (dessen Güte und Sachkenutniss ich viele Ver- besserungen verdanke) auch in Cod. Vind. rec. 3087 (3358) s. XV, fol. 97'' (Pertz, Archiv X, 538).

Amalrich t., König von Jerusalem (1162—1174). 433

steht eine Urkimcle des Fürsten Bohemuncl III. von Antiochien (April 1189) für Genua, an vierter eine Urkunde des Fürsten Bohemund IV. von Antiochien für Genua (Dec. 1203), von denen letztere zwar viel- fach citirt 1), aber nirgends vollständig veröffentlicht worden ist; merk- würdigerweise fehlen beide sogar im Liber jurium reipublieae Genuensis. Wir verdanken die Mittheilung derselben wieder der so oft bewährten Liberalität des Herrn Kitters Cornelio Desiraoui, Archivdirektors zu Genua; unsere Urkunden stammen aus dem dortigen Archive und tragen die Signatur: Materie politiche, mazzo III; vor der Eingangs- formel des zweiten steht das fünffache Kreuz des Königreichs Jerusalem. Unter No. 5 theilen wir einen Brief mit, als dessen Schreiber ein Erzbischof A. von Nazareth sich nennt -), den wir jedoch aus Chroniken und Urkunden nicht nachzuweisen vermögen; Letardus, sonst auch Attardus genannt, ist vor Accon gestorben (c. 1190)^), den Namen des in einer päpstlichen Bulle vom 5. August 1196 erwähnten Nach- folgers kennen wir nicht ^), und seit 1210 ist Robert II. nachweisbar. Wir sind daher auch nicht im Stande, die Augabe des Briefes selbst zu coutroliren, worin der Schreiber sich als Bevollmächtigter des Papstes nennt und giebt. Der Inhalt ist eine Klage über den Verlust des heiligen Landes, besonders der durch die Geschichte des Heilandes geweihten Stätten von Nazareth, dann folgt eine Aufforderung zum Kampfe gegen die Saracenen, der Hinweis auf die bei der Eroberung Konstantinopels (12. April 1204) erprobte Tapferkeit des Grafeu Bal- duiu von Flandern und die Zusicherung von Indulgeuzeu, welche bereits der Papst in vielen Schreiben an die Christenheit gegeben hatte. Wenn der Brief echt sein sollte, was bezweifelt werden könnte, so wäre seine Absicht wohl gewesen, die Kreuzfahrer in Kon- .stautiuopel an das eigentliche und höhere Ziel, die Eroberung des heiligen Landes, zu erinnern, und zur Erreichung desselben den Bei- stand des Clerus zu gewinnen. Der Brief, welcher, da die Schriftzüge vielfach schon erblasst sind, in einer sehr schwer lesbaren Gestalt vorliegt, auch Lücken zeigt, so dass vielfiiche Unsicherheiten in der Lesung, Härten im Ausdruck, Mängel in der Konstruldion zu Tage

') Zuerst (zum falschen Jahre 12 IG) und kurz ausgezogen bei Seira, La storia deir antica Liguria, Torino 1834 ft'., 4 Bde. S», IV, 148 (wo auch 149 unsere zweite Urkunde zum falschen Jahre 1219 erwähnt wird), dann von 01i\devi, Carte e cronache 1855, 59, Canale, Nuova istoria di Genova II, 304—5; De Mas Latrie in d. Archives d. missions scientifiques IE, 355 und endlich von W. Heyd in seiner ausgezeiclineten Histoire du commerce, Leipzig 1885, I, 322. -) Zuerst

erwähnt in den oben 482, Note 1 genannten Schriften. *) Röhricht, Syria

Sacra 14. ••) Jatfe-Löwenfeld No. 17419,

31*

4g4 Röliricht.

treten, ist uns erhalten in dem Brüsseler Codex 10151 ; Herr Dr. Jules Petit, Gustos der dortigen Bibliothek, hatte die dankenswerthe Ge- wogenheit, uns eine sehr sorgfältige Copie zu übersenden. In dem darauf folgenden Protokoll (No. 6) ist eine Urkunde des Hospitaliter- meisters Garinus (Accon, 8. Oktob. 1231) enthalten, welche aus dem Staatsarchiv zu Florenz (Tabular. Fiorentino, proven. Olivetani di Pistoja, pergam. No. 168) stammt und uns durch die Güte des Herrn Prof. Dr. Crivellucci in Pisa zugänglich geworden ist. Garinus, dessen Geschlechtsnamen noch immer nicht hat festgestellt werden können, wird als Meister urkundlich zuerst am 28. Sept. 1231 ei-wähnt; unsere Urkunde ist die erste, die er selbst ausfertigt ; ein Siegel war von ihm bisher schon bekannt. Für welche Verhandlungen in Kom er den iu der Urkunde genannten Marguisius bevollmächtigt, ist nicht zu er- mitteln gewesen. Zuletzt geben wir noch eine Urkunde, welche der kaiserliche Marschall Kichard Filangieri in Tyrus (17. Mai 1242, in- dict. XV) für den kaiserlichen Kastellan Petrus Pennapedis ausstellte. Derselbe ist weder aus Urkunden noch Chroniken nachweisbar, wohl aber in derselben Eigenschaft und fast zu derselben Zeit der wahr- scheinlich mit diesem verwandte Gautier Pennenpie i), welcher bei der Eroberung Jerusalems durch die Chowaresmier (11. Juli 1244) den Tod fand. Die Urkunde findet sich, wie Winkelmann bereits fest- gestellt hat 2), in der Communalbibliothek zu Palermo (2q, J. 11, pag. 328) ; die Abschrift derselben verdanken wir der gütigen Vermitt- lung des Herrn Prof. Dr. Ludwig Bresslau in Bari.

I.

Epistola principis Antiocheni ad chrislianos de clade a Saladino accepta.

Omnibus sanete matris ecclesie filiis, primatibus, archiepiscopis, epis- copis, abbatibus, prepositis, arcliipresbyteris, archidiaconis, capellanis, uui- versoque populo Dei, ad quos preseus presentari contigerit iustrumentum, B(ohemundus), prineeps Antiocenus, salutem et salutis incrementum cum prosperitatis habundantia. Anxius loquor, mestus scribo et vestre universi- tati longa suspiria, merores, angustias licet presmnens insynuo et scribendo deficiens replico mesticias et dolores. Quis enim vidit talia? Vie lugent

1) Gastes des Chyprois 123; vgl. Röhricht in Forsch, zur deutsch. Geschichte 1886, XXVI, 86, 90. ^) Neues Archiv 1878, IU, 638; hingegen ist die ebenda

als von Gerold, dem Patriarchen von Jerusalem, ausgestellt erwähnte Urkunde (1230, December) bereits bei Delaborde, Chartes de Terre Sainte, Paris 1880, 97—9, No. 47 u. Strchlkc, Tab. ordin. Theut. 58-9, No. 74 veröffcntHcht.

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 485

Syon, eo quod noii sit, qui veniat ad sollempnitatem (Thren. 1, 4). Christianis siquidem cum Saladino confligentibus vires nostre defecerunt, ceciderunt templarii, hospitalares corruerunt, rex anxiatur in carcere, vexillum crucis Dominice, immo crux ipsa Dominica retinetur apud hostes. Omnes fere defecerunt, remansi tantum ego solus, Dei favente misericordia, ut que facta sunt vestre nunciarem universitati. Obsessum est Salvatoris nostri sepulchrum et ejus nativitas est delicta, expugnata est Ascalon, et in ejus campestribus non invenitur habitator christianus, Nazareth a Turcis occupatur, in domo Virginis, in ipso Annunciationis loco christianus san- guis fusus est, et in ecclesia gloriosa equi jacent Turcorum, patrantur nequicie et in locis gloriosissimis eorum spurcicie, fornicationes et scelera perpetrantur. Sed et Accon illa ubique terrarum nominatissima in eorum venit ditionem et usque Tyrum, Jerusalem et Ascalone captis, religioni Christiane aliqua civitas non remansit. Mortui sunt patres, nichil restat, nisi ut eorum preteritus (?) moriatur. Omnibus itaque deficientibus remansi ego solus, ut hec omnia vestre nunciarem universitati. Omnibus itaque desolatis in refugium remansit Antiocene (!) principatus, ibi sumus, ibi inedias sustinemus et calores, ibi pugnamus et, nisi nobis per auxilium vestrum pariter et consilium subventum fuerit, procul dubio moriemur. Ad hoc venerabilem virum Tharsensem archiepiscopum, Antioceni principatus can- cellarium, virum utique discretum et honestum in utriusque juris apicibus, sed et in rebus ecclesiasticis sufficienter eruditum ^) ad vestram mittimus universitatem rogantes et modis omnibus exorantes, ut eidem predicto viro aurem benigniorem accommodare dignemini et de statu regni et nostro ^) credere. Ipse namque erit vobis verax nostre desolationis inter- pres, utpote qui miseriam nostram vidit, cui luctus nostros intimandos injunximus et dolores. Ipsum ergo ob Dei reverentiam sueque probitatis intuitu et nostre petitionis iuterventu 3) benigne recipiatis et ei vestrum cum consilio prebeatis auxilium. Valete scieutes procul dubio, quia aut succumbimus aut raorimur!

IL

Indue cilicium, sedeas in pulvere, mater

Orba replens orbem fletibus ecclesia, Die ve, die ve, ve, nee enim tibi talis ab Ev^

Est data temporibus materies gemitus, 5- Filia Jerusalem, lamentum sume super te,

Te cecidisse gemas virgo decora Syon! Plangite i^erculsi rectores ecclesiarum,

Lugubris hoc fame vos meruisse malum! Clerus, plebs ^), monachi, nupt^, vidu^, moniales, 10- riete gravem Domini nos tetigisse manum!

Ecce locus, templum, domus, atria, terra redemptrix,

Incola turba cadit, gentibus exposita! Terra salutari cruce, corpore, sede sepulchri,

') Cod. eruditus. -) Hinter nostro ist regni getilgt. ') Ursprünglich

interventum, wovon m radirt. *) Symetrischer : Plebs, clerus (V.).

486 Röhricht.

Montis Oliveti dote heata fuit, 15. Plena sacramentis, signis, fidei documentis,

Gente sub ignota sunt temerata loca! Humanuni si iudicium, rex Christe, subires,

Causari de te plurima posset homo: »Miror [. .]t 1), cur dotatam tibi sanguine teiTam 20. Cede profanarit barbara nequicies,

Teque sinente manum validam princeps tenebrarum

Miserit 2) in sanctos, qui tibi lux fuerant Hos feriendo, dolis alios circumveniendo

Et misero ^) mortis illaqueando metu. 25. Fertur enim fidei prolapsum vulgus ab arce

Te repulisse deura, conciliasse deos. Extentas vidisse manus in dedicionem

Est dolor, est miserum plasma perire tuum. Ecce decus ligni nostri, quo viva salutis 30. Hostia pendebas, barbarus hostis habet! Depopulata iacet structura monasteriorum,

Clerus, ubi monachus, virgo sacrata fuit ! Quid iuga tantorum memorem decursa laborum?

Nocte dieque tuQ vim patiuntur oves ! 35. Cladibus bis quem quando dabis, Jesu bone, linem,

Cum pius existas, vel potius pietas? Tene preces et amara tuQ suspiria spouse

Ad pietatis opem flectere posse negas? Ipse iubes tibi vota dari, tua dona precari. 40. Totus opem mundus flagitat et refugis;

Nee modo non audis, sed et orbi viscera claudis.

Hinc Stupor, inde dolor, binc pudor, inde timor. Id solum resonat, Babilon rex cuncta subegit,

Opprimit Jerusalem dextera Salathiel. * 45. His ita respondet ratio, Deus in ratione:

»Haut dubio nosti, corde fidelis honio, Quanta Deus tulerit gratis pro te redimendo

Seque patri precium morte sua dederit. Quas super his grates, que laudis munia solves? 50. Munere pro grandi grandia debueras ;

Sed cum preter te nichil exquirat Deus a te,

Est breve mandatum : dilige, salvus eris ! Nee secus in terris agitur, respersa venenis

Nequici^ est mundi lata superficies, 55. Viribus, arte, minis, incestu, cede, rapinis,

Turpia queque gerl sunt benefacta viri, Laudatur qui non ') fraudes, periuria, furta

Dictat, amat, peragit, pectore, voce, manu. Die, ubi vis, ubi lex, ubi fas, ubi federa pacis?

') Es stand wohl ,ait*, a ist noch sichtbar. Vielleicht stand aber ein u. *) Gebessert aus Miserat. ^) Gebessert aus mirero. *) Lies : nunc (V.).

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 487

60. Esse malum decus est, dedecus esse bonum, Ordo monasticus, ecclesiasticus, ordinis expers, Mundo, non Christo militat oi-e, manu, (fol. 30^) Talibus heu studiis hominum quod vita rotatur, Nos pater in virga visitat, ut revocet 65. Utens ergo malis in opus pietatis et usum Cepit ab arce Syon, nee ratione vacat, Terra etenim nostr^ consummativa salutis,

Morbi communis debuit esse parens, Ut quibus commune malis instare sit, ipsis 70. Et commune pati compatiendo bonis. Constantinopolis, Komanave menia capta

Sive cremata parem num parerent gemitum? Ergo solum natale suum, loca sancta profanis Tradita predari seque secundo pati 75. Maluit in membris, ut amore Dei redimentis Viscera cunctorum compatiantur eis. At pia si vel nuda, vel est obscura voluntas,

Luce vacans operis, luce caret meriti, Luceat ergo foris interni robur amoris, 80. Splendeat officium, prodeat in medium! Evigilate viri, consurgite, state virili

Pectore pro Domino quisque ruente domo, Unde salutis opem mundo fluxisse videmus, Unde suas vires sumpsit habetque fides! 85. Primus et in primis veniat caput urbis et orbis Presul apostolicus consiliis, precibus, Non armis pugnando quidem, sed in arma citando,

Hortatu, monitis elitiendo viros. Orbis et imperii decus augustum Fridericus, yO. Lux, via, dux plebis emicat e tenebris Armis, ingenio, titulo, virtutis honore

Inclitus, excelsus, clarus ubique potens,

Vita placens, cuius nostris servata diebus

Muneris e celo creditur esse genus.

95. Ipse facultatum reditus, fabricasque domorum

Scemate regali contulit imperio,

Maiestatis apex claris diuturna triumpbis

Prelia concludens, lassus hebet senio. lamque fatiscentis sunt membra fovenda quiete, 95. Militis hec ratio postulat etneriti.

Kes miranda, senex Christi iuvenescit amore

Tam re quam signis ora ferens aquilij, Non sil>i, non partis quibus natisve paratus Parcere, sed letum carpere mortis iter. 100. Hie vir, hie hostiles numeroso milite fines Intrans innocui sanguinis ultor erit. Quo duce prudenti populum spes tanta sequetur, Partis ut advers^ colla subacta putet.

AüQ Röhricht.

Signifer ipse Dei, cum stabit in arce trophei, HO. Luminis etherei porta patebit ei.

Qu^ poterit vox, Christe, tuas recitare cohortes?

Reges, pontifices, cum ducibus comites, Robusti cordis iuvenes a finibus orbis

Ite, fei'ite reos, nil metuatis eos! 115. Immemores etatis, opum, thalami sobolisque

Ite, subite crucem restituendo crucem! Spes veiii^, fructus vitt^, diadeina perenne

Reddent tocius suave laboris onus, Felix niilitia, cui donativa rependet, 120. Verax sermo Dei, laus, honor, ymnus ei!« Obsecro lectorem, cum legerit liec mea, dicat:

» Carminis auctorem Deus Erbonem ^) benedieat ! « Eugenii scrib^ pariter, lector, memorare,

Semper ut a Christo mereatur amen benedici!

m.

In nomine sancte et individue trinitatis, patris, filii et spiritus sancti. Ut Omnibus in posterum clareat et nulla ambiguitatis questio inde emergat, idcirco per hec presentia scripta notum certumque erit tam modernorum presentie quam successorum posteritati, quod ego Boamundus, per gratiam Dei Antioehenus princeps, quondam Raymundi bone memorie principis filius, assensu et bona voluntate domine principisse Sibille et Raimundi filii mei dono et in perpetuam hereditatem concedo Omnibus consulilms et Ganuensibus Ganue in Antiochia curiam et apud Laudociam ac Gaba- lum curiam et libertatem exceptis tarnen proditione, homicidio et furto, de quo aliquis attinctus fuerit vel comprobatus, et exceptis meis burgen- sibus Ganuensibus de Antiochia et Laodocia et Gabalo, quos in eorum communicione recipi permitto. Preterea si forte acciderit aliquem Ganuen- sium in terram meam quolibet ligno naufragari, volo, quod sui coi-pus et omnia sua sint salva et tuta per omne meum posse. Hec itaque omnia supradicta dono et in perpetuam hereditatem concedo Omnibus consulibus et Ganuensibus Ganue propter bona eorum servicia et precipue, quia ad necessitatem Antiochie succui-sum suum et auxilium hylari animo trans- misere, et ut hec mea concessio rationabilis et inviolabilis in etemum pennaneat, hanc paginam scribi precepi et sigilli mei plumbei impressione subscriptis testibus insigniri. Hujus quoque rei et donationis sunt testes : Gervasius de Jarmavia, Antioehenus senescalcus, Milo de Colovardino, Petrus de Ravandello, Johannes Paschalis, Saxus de Tripoli. Datum est autem Privilegium istud per manus Radulfi derlei sub venerabili Alberto, domini principis Antiocheni cancellario et Tarsensi archiepiscopo. Anno dominice incarnationis MCLXXXVIIII, indictione VII, meuse Aprili in civitate Tyri.

») Eine spätere Hand, welche auch den Titel sehrieb und die wichtigsten Stellen im Gedichte unterstrich, schrieb an die Seite: NB. Nomen aulons.

Amalrich I., König von Jerusalem (1162—1174). 439

IV.

In nomine sancte et individue trinitatis patris et filii et Spiritus sancti, amen. Notum sit omnibus tarn futuris quam presentibus, quod ego Boamundus, filius Boamundi principis, per Dei gratiam princeps Antiochenus et comes Tripolitanus, dono et concedo Lamberto Fornario et Belmusto Lercario, consulibus Janue, et communi Janue scilicet Januensibus et Omnibus Januensium filiis libertatem in Tripoli de omni peccunia sua vendendi, emendi, mittendi et trahendi sine omni consuetudine et jure peccunie sue exceptis Januensibus et omnibus Januensium filiis, qui erunt burgenses regni Jerusalem vel comitatus Tripolis vel principatus Antiocliie sive Cypri. Item dono et concedo curiam communi Janue scilicet Januen- sibus et omnibus Januensium filiis sine homicidio et sedicione erga domi- num, sine raptu et sine vi, qua fiat liomini, de persona sua vel de rebus suis, vel de pecunia sua. Hoc tamen sciendum est, quod supradicti Januenses et omnes Januensium filii de bomicidio, de prodicione erga dominum, de raptu, de vi facta liomini de persona sua, vel de rebus suis, vel de peccunia sua, de omnibus hiis nominatis debent venire facturi justitiam in curia mea omnibus horis, quibus aliquid liorum contigerit, et omnibus boris, quibus erunt requisiti. Item dono potestatem Januensibus emendi quasdam domos in Tripoli et eas lil)ere possidendi ad opus com- munis, istam enim libertatem et hanc curiam, quam dedi Januensibus et Januensium filiis non dono nee concedo Januensium filiis, qui burgenses erunt regni Jerusalem vel comitatus Tripolis vel principatus Antiochie sive Cypri. Hec dona suprascripta dono et concedo tali convencione, quod quociescumque Januenses vel Januensium filii venerint in teiTam meam, cum requisiti fuerint a nie vel ab aliquo homine nomine meo, jurabunt michi tactis sacrosanctis evangeliis, quod me juvabunt et quod contra omnem bominem juvabunt servari et defendi Tripolim ad opus meum, quamdiu in ea sunt, tamen salva sibi peccunia sua, et eodem modo jurabunt heredibus meis post decessum meum. Si quis vero Januensibus suprascriptum juramentum requisitus facere noluerit, infra diem tercium exibit de terra mea ad eam sine mea licencia nullatenus reversurus. Ut autem i'atum sit et firmum, quod in presenti pagina continetur, istud presens Privilegium feci sigillo meo plumbeo sigillari. Hujus rei testes sunt Guido, dominus de Biblio, Bertrandus de Biblio, Kaimundus de Biblio, Wilielmus de Biblio, Ugo de Biblio, Girardus, constabularius Tri- polis, Eaimundus de Scandelione, Johannes de Eancberoles, Mansellus, Bertrandus de Vaisio, Plebanus de Botrone, Saisius, Stephanus Alexander, Johannes Saxius, Thomas Saxius, Bartholomeus Saxius, Homodei. Nota magistri Johannis de Corbonio, Domini principis capellani. Actum anno Dominice Incamacionis M. CG. III, principatus nostri anno tercio, mense Decembris.

Venerandis in Christo dilectissimis omnibus sancte matris ecclesie rectoribus, archiepiscopis, episcopis, abbatibus et universis in cruce signa- tis, ad quos presens pagina pervenerit, A., Dei gratia et apostolica Nazarenus archiepiscopus, salutem cum lacrimis. Miserator et misericors

490 R ö h r i c h t.

Dominus (Psalm. 110, 4), qui, ut humani generis lapsum sua misericordia restauraret, de venire virginis carnem sumere et mortis non dubitavit subire discrimen, volens nos, quos de tenebris et umbra mortis sua morte redemit, quantorum meritorum exigentia tenente, tradi in manibus inimici, omnem enim filium, quem recipit miserando, castigat monitis (cf. Hebr. 12, 6), nos aliquando quandoque flagellis corripiens, ut, cum peccatis nostris talia ei majora exyberi conspicimus, ad meliorera vitam facilius et libentius inclinemur. Verum cum religionibus nostris iterum excreverit malicia moderniorum, ut nee sacre scripture monitis, nee infirmitatis nostre cor- ripiamur flagellis, manum suam super nos Dominus in tantum voluit aggravare, ut terra nativitatis sue in manibus traderetur paganorum, ubi cum propbeta deplorantes: Deus venerunt gentes etc. (Psalm. 78, l) auribus nostris audierimus, quod quibusdam et ad majorem compunctionem datum est intueri morticina cliristianorum in escas tradita volatilibus celi et sanguinem eorum impositum bestiis terre, audientes preterea abomina- tionem desolationis terre in loco sancto, cum ibi factum sit prostibulum meretricum ab Agarenis, ubi quondam fuerat mensa panum et impositio saneta, signum eciam salutifere crucis, in quo apostolus cum fide gloria- batur, cum diceret: Nos autem gloriari oportet in cruce etc. (Gal. 6, 14), in extremo terre illius peccatis nostris exigentibus in potestatem illorum deveniri, qui crucifixum cum cruce detestantur. Jherusalem preterea, quondam pacis visio et terra veteribus pati'ibus olim repromissa, in qua Christus pati voluit pro nobis et certa deitatis sue argumenta monstrare, spurcitia illorum inquinatur, quibus fuerat olim tremori et honori et solita gloriari, et religiosis personis viduata, propriis deserta cultoribus ad se ipsam conversa deplorat: quomodo sedet sola civitas etc. (Thren. 1, 1)! Quis igitur cbristicola tante desolationis non immemor lacrimas tenerit (sie)? Quis bujus immoderati doloris consolationem recipiet, cum non sit, qui consoletur eam ex omnibus caris ejus (Thren. 1, 2)? Accingimini ergo fratres ad verbum Domini populis evangelizans et gentibus! Accin- gantur, quibus licet materialem gladium in persecutores fidei exercere, ut iniuria crucis vindicta celi ulciscatur! Accingantur, quibus datum est orationibus et contemplationi vacare, ut Deum possint assidua oratione placare! Ecce enim expetiit vos Sathanas, ut cribaret sicut triticum in hac turbatione (Luc. 22, 31)! Ecce nunc, qui cum Christo non fuerit, juxta evangelice auctoritatis doctrinam (Matth. 12, 30) ipse erit Christi adversarius, quem animo prorsus non movebit injuria crucifixi, in signo crucis non confidat ulterius salvari. Nee aliquorum volumus prudentium admirari, si diversimodi principes, qui ad expugnandam gentem Sarcacenam hactenus in hasta et gladio sunt profecti, quasi nichil fecerint, quia non in hasta et gladio salvos facit Dominus de sua misericordia confidentes, sed in multitudine miserationum suarum salvabit eos. Nee nostra merita hactenus usque adeo profecerunt, ut iratum Dominum ad misericordiam provocaverint et medelam. Licet quondam filii Israel ad vindicandam mortem uxoris levite de monte Effraim contra tril)u(m) Beniamyn ascen- derint, Domino precipiente armati non tamen prius potuerunt aliquatenus superare, quam ab illis semel et secundo lügati excessus suos fugavissent (Judic. 19 20). Accedite igitur spe ad cor altum, ut in mirabilibus suis exaltetur Deus ! Eflfundite coram illo corda vestra, ut adiciat misereri

Amalrich I., König von Jerusalem (1162 1174). 491

Deus et servet in ira misericordiam suam et post tempestatem et fletuin exultationem inducat ! Sumant igitur crucis signaculum, qui hactenus arma militaria inter populos christianos assumpserunt, ne desperent de paucitate nee in multitudine glorientur! Si enim ad defensionem sancte terre cum humilitate debita voluerint festinare, Dominus conterens bella, qui currus et exercitus Pharaonis projecit in mare (Exod. 15, 4), docebit manus eorum in prelium et digitos ipsorum ad bellum. Vos ergo karissimi, quibus cura pastoralis commissa est, populo Dei verbum salutis annun- tiare studeatis ! Speramus siquidera, iter vos Christi parare debetis, quod Dominus in verbo predicationis et orationis vestre rete laxabit et tales ad defensionem orientalis provincie excitabit ad exemplum comitis Flandrie Balduini et sociorum ejus, quos tanquam aurum in fornace (Sapient. 3, 7) probavit Dominus et in columnas fidei catholice sursum erexit in bono principio captionis Constantinopolitane civitatis (?), quod meliore medio et fine optimo concludet Dominus, quia exsurget Deus et inimici nostri Sar- raceni dissipabuntur et fugient, qui oderunt Dominum, ante faciem ejus, cum videlicet Christi milites virtute et gratia induti ex alto terram pro- missionis viriliter acquirent et opprobrium nostrum non tam armis quam vite bone merito longe repellent. Eis autem, qui corde contrito et hu- miliato spiritu itineris laborem assumpserint et in penitentia peccatorum fide recta decesserint, auctoritate pape, qua fungimur, plenam suorum criminum indulgentiam et vitam pollicemur eternam. Eos vero, qui pau- pertate nimia oppressi, aut infirmitate detenti, aut senes etate decrepiti, aut mulieres, aut parvuli, si hoc sanctum iter arripere nequiverint et elemosynas suas secundum posse suum transmiserunt, eidem (sie) indul- gentiae, nisi voto fuerint astricti, participes esse concedimus. Preterea caritati vestre commendamus (?) nostros latores presentium, (quos) pro colligendis fidelium elemosinis ad acquirendum crucifixi patrimonium trans- mittimus (?) mandantes attentius et in retentione peccatorum vobis iniun- gentes, quatenus, cum ad vos venerint, eos in ecclesiis vestris cum reve- rentia admittatis, vos ipsi igne sancti Spiritus accensi predicationis officium assumentes, receptis eorum brevibus, beneficia, que in eis continentur, ore proprio gregibus vestris fidelibus imponatis. Ad majoris cumulum mer- cedis et omnibus, qui ad predictum crucifixi patrimonium et ad ecclesiam beate Marie de Nazareth recuperandam, ad cujus tytulum ipse Jhesus Nazarenus rex Judeorum appellari voluit et sub hoc tytulo triumphali mortem expirando vicit, in qua ecclesia beata virgo Maria nata et ab angelo salutata fuit, ubi verbum caro factum est, ubi sanctus spiritus cunctavit (?), ubi discipulos elegit, ubi aquam in vinum mutavit, aqua exordium vestre redemptionis eciam vobis propitians ultra, que beneficia transmittenda statuimus pia miseratione in Christo Jhesu ecclesiis vobis sub- ditis . . . . , tricenalia et tria annualia ex omnium bonorum, que de cetera fient in itineribus, necnon in sacris locis terre promissionis in corporum vexatione, in sanguinis efiusione, in fame et siti et capitum decoUatione et Omnibus tormentorum generibus l'raternitatem et participationem con- cedimus in perpetuum. Valete in Christo, ut valentes vivatis cum omni- providente, cujus vita vivitur per infinita seculorum secula! Amen.

492 R ö h r i c h t.

VI.

Universis presentes littenis conspecturis Frater Gerinus, Dei gi-atia sancte domus Hospitalis Jherusulem Magister humilis et pauperum Christi Gustos, salutem in Domino. Universitati vestre notum facimus, quod nos de voluntate et assensu fratrum nostrorum constituimus dilectum nostrum fratrem Marguisium Sindicum actorem et procuratorem in Omnibus causis, quas habemus et habituri sumus in Romana curia contra quoscunque vel quascunque quoquo modo ita, quod possit plenarie, generaliter ac specialiter in omni casu agere, defendere, excepere (sie), transigere, contradicere ac iudices impetrare pro sue arbitrio voluntatis. Preterea damus eidem fratri Marguisio m et plenariam potestatem constituendi alium pro- curatorem ad omnia supradieta vel tantum modo ad impetrandum et con- tradicendum promitten(tes) insuper, quicquid cum dicto fratre Marguisio actum fuerit in premissis omnibus, nos ratum et firmum habituros. In cujus rei testimonium et majorem securitatem presentem paginam fieri fecimus sigilli nostri munimine roboratum. Actum apud Accon Anno domini M'^ ducen- tesimo XXXI », viij die mensis octobris. Indictione iiij.

Quas litteras supradicto modo scriptas ego Galganus notarius vidi et legi signatas sigillo plumbeo pendente, in quo sigillo erat ab una parte imago cujusdam hominis flexis genibus stantis ante imaginem cujusdam crucis et circum circa erant littere scriptae t frater : gerinus : custos. Et alia vero parte ejusdem sigilli erat Signum cujusdem hospitalis et imago cujusdam hominis ibi iacentis et circum circa erant littere Scripte: t ho- spitalis : Jherusalem. Item ego supradictus notarius vidi alias litteras procurationis facte ab ipso fratre Marguisio fratri Simoni cuiudam (sie) sigillo cere signatas, scriptas sub hac forma: Venerabili in Christo patri et domino Rainerio, miseratione divina sancte Marie in Cosmidin diacono cardinali, frater Marehisius, rector Hospitalis sancti Sisimundi universalis procurator et sindicus hospitalis sancti Johannis Jerosolimitani in curia Romana, se ipsum cum omni genere famulatus. Vestram paternitatem harum tenore cupio non latere, me fratrem Simonem, presentium portitorem meum, coram nobis in causa, quam cum hospitalerio Osnelli Pistoriensis diocesis procuratorio nomine habeo, procuratorem et sindicum ordinasse ad terminum postulandum et recipiendum nobis, in quo me coram vobis per- sonaliter presentabo. Presentem igitur paginam mei sigilli munimine feci tutius roborare.

Supradictas vero litteras supradicto modo scriptas et signatas, ut supi'a dictum est, de quibus hoc exemplum sumptum est, ego supradictus notarius vidi et legi et prout in eis inveni de verbo ad verbum hie transscripsi et fideiiter exemplavi mandato suprascripti domini Rainerii, miseratione divina sancte Marie in Cosmidin diaconi cardinalis, infrascripta in domo abbatie Sancti Petri de Perusio, in qua dictus cardinalis reside- bat, presentibus testibus Petro de Pena et Salvio, servientibus predicti cardinalis et aliis. Anno dominice nativitatis Millesimo ducentesimo, trigesimo quinto. Indictione VIII, quinto Kai. Januarias, eodem vero die et loco et coram predictis testibus idem dominus Rainerius cardinalis dixit et mihi scribere mandavit, quod ipse cardinalis assignaverat die sabati proxime preterito supradicto fratri Simoni recipienti pro supradicto

Amalricli L, König von Jerusalem (1162—1174). 493

fratre Marguisio terminum perentorium in octava ephiphanorum (sie) proxime Ventura, in quo compareat coram dicto Cardinali consorte sindico hospitalis Osnelli responsurus. T. S. Ego (lalganus, sacri imperii notarius, supradicta esemplavi et de mandato predicti domiui Cardinalis scripsi et in hanc publicam formam redegi.

VII.

In nomine Sancte et Individue Trinitatis, Patris, Filii et Spiritus Saucti. Amen. Nos Riccardus Filangerius, Imperialis Marescalcus, Sacri Imperii Legatus in partibus cismarinis et regni Hierusalem Balius, Praesenti scripto notum facimus universis, quod nos attendentes plurima et grata servitia, quae vos, Domine Petre Pennapedis, Castellaue Hierusalem, Domino Nostro Imperatori fideliter et laudabiliter fecistis, de concessa nobis aucto- ritate et potestate a Domino nostro Imperatore bene et dignis meritis beneficia largiendi damus et concedimus vobis praefato Domino Petro, Castellano Hierusalem, et vestris legitimis lieredibus ex uxore legitima procreatis quadringentos Disantios saiTacenatos percipiendos annuatim super redditibus Hierusalem intus et extra melius appareutibus per quattuor anni termiuos, scilicet de tribus in tres menses Bisantios centum. Con- stituimus etiam voläs restitutionem unius equi et mulae juxta Kegui consuetudinem et assisiani. Vos vero et Leredes vestri legitimi proinde Domino Imperatori et Illustri Regi Conrado, ejusdem Regni heredi, servitium facere tenemini de persona. Ad cujus rei memoriam et perpetuam firmi- tatem presens scriptum vobis inde fieri lecimus sigilli nostri munimine roboratum. Hujus autem rei testes sunt: Lutardus Filangerius, Regni Hierusalem Marescalcus, Petrus, Dominus Scandalionis, Guarnerius Ale- mannus, Paulus Alemannus et alii quamplures. Actum Tyri Anno Do- minice Incarnationis Millesimo Ducentesimo quadragesimo secuudo In-

dictione quintadecima Septimo decimo mensis Maji Vobis Domino

Petro, dignissimo Abbati Sancte Mariae de Josaphat in Accone, et ejus Capitulo notum facio ego Oddo Pisanus civis de domo Orlandorum, quod vobis recommendo quoddam Privilegium Riccardini et Henrici et Aylentini, filiorum quondam Domini Petri Pinnapedum, olim Castellani Hierusalem, de eorum assecuratione, ut in ipso Privilegio continetur, taliter quod mihi Oddoni vel uni ex dictis filiis quondam dicti Petri seu Domine Agneti matri dictorum puerorum, aut Domino Vitino de Tyro quondam Stagii avunculo dictorum puerorum, teneamini reddere atque dare, si placet, quandocunque ab aliquo inde lueritis requisiti.

Vier Post-Stimdeiipässe aus den Jahren 1496

bis 1500.

Von

Oswald Redlich.

lu dem 1889 erschienenen Buche über Johann Baptista von Taxis (1530—1610) hat J. Rübsam im ersten Capitel und in einem eigenen . Anhang die kärglichen bisher bekannten Nachrichten über die Anfänge regelmässiger Posteinrichtungen, die mit dem Namen Taxis untrennbar verbunden sind, gesammelt, in etwas gesichtet und durch zwei sehr werthvoUe Documente aus den Jaliren 1594 ^) und 1510 vermehrt. Auf S. 5 theilt Rübsam eine von Ulmann K. Maximilian I. 1, 454 ge- brachte Nachricht über Jan von Taxis und über die Feldpost Maxi- milians im Jahre 1496 mit und fügt hinzu: „Dieses leider nicht be- stimmtere und ausführlichere Excerpt stammt aus dem Innsbrucker Archiv, welches höchst wahrscheinlich noch mehrere andere Dokumente über die älteste Taxis'sche Post enthält^'. Eine Anfrage an das Statt- haltereiarchiv in Innsbruck hätte dem H. Verfasser den vollen Wort- laut der Schriftstücke verschaffen können, deren wesentlichen Inhalt übrigens schon Ulmanns Auszug wiedergilit. Und allerdings ist auch ausserdem noch mauches über die ältesten Posten im Statthalterei- archive zu finden. H. Franz Graf Taxis hier hat dieses Material im letzten Jahre zu sammeln begonnen-^). Ich selbst aber war schon

') Datiit vom 18. Januar 1504; Rübsam glaubt 8. 235 und Einleitung XV, dies entspreche dem 18. Januar 1505 unserer Rechnung, da man in Brabant das Jahr mit dem Charfreitag begann. Aber soweit ich gerade sehe, hat dieser i.andesbranch auf die lürstliche Kanzlei dieser Zeit keinon Einfluss geübt. «) Derselbe hatte die Güte, mir eine Reihe von Stundonpässen des 18. Jahrhun- derts, die im gräfl. Taxis'schen Familienarchiv zu Innsbruck aufbewahrt sind, zu zeigen. Ka sind Blätter in Folio, an der Spitze steht ein gedrucktes Formular,

I

Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 495

früher auf die vier nachfolgenden Documente gestossen, auf deren Werth ich aber erst bei späterer, näherer Betrachtung aufmerksam wurde. Es sind wol Unica ihrer Art aus so früher Zeit und als solche wurden sie seither an das k. k. Handelsministerium für das neu ge- gründete Postmuseum in Wien abgetreten, das in ihnen jedenfalls einen der merkwürdigsten schriftlichen UebeiTeste aus der ältesten Zeit der Posten besitzen wird.

Diese vier Documente sind Stundenpässe, wie sie die Post noch heute nennt und in Gebrauch hat, das heisst Bescheinigungen, womit jeder Postbote Ort und Zeit der Uebernahme und Abgabe einer Post- sendung bezeugt. Sie bestehen aus einem halben (I und III) oder einem ganzen Bogen Papier (II und IV). An der Spitze steht der Vermerk des Beamten oder Postmeisters (in IV), der die Abfertigung der Sendung zu besorgen hatte. Daran reihen sich die von den Post- boten so weit als möglich eigenhäudig geschriebenen Angaben über Annahme, in IV auch vielfach über die Abgabe der „Post". So wan- derte der Bogen von Postreiter zu Postreiter und machte die ganze Reise mit. Er wurde natürlich klein zusammengefaltet und konnte unter den wechselnden und jedenfalls nicht zarten Händen zuletzt freilich nicht mehr glatt und sauber ausschauen, Nachdem er seinen Dienst gethan, ward er bei Seite geworfen und es ist ein eigener Zu- fall, dass sich dennoch einige dieser unscheinbaren Blätter bis auf uns erhalten haben. Wir wollen sie zuerst einzeln etwas betrachten, um dann eine eine kurze Würdiguug derselben geben zu können und sie schliesslich ihrem Wortlaut nach vorzuführen.

I. Diese Postsendung wurde zu Augsburg Dienstag den 12. Juli 1496 abends um 9 Uhr abgefertigt an den königlichen Hof „wo der yetzo ist", in die Hand des Protonotars Cyprian von Serutein oder in dessen Abwesenheit an den Secretär Matthäus Lang. König Maxi- milian war in diesen Tagen durch das Oberinnthal hinaufgezogen, weilte am 12. Juli in Pfunds, am 14. in Nauders. So nimmt denn die Post von Augsburg fort den geradesten Weg in nachfolgenden Stationen, von denen an zweien, wol in der Nähe von Laudsberg und

dass diese »sehr hocheylende« Post, an der der Rom. kaiserl. Majestät etc. .mercklich und überauss vil gelegen«, bei Tag und Nacht ohne Aufenthalt be- fördert werden solle, mit Cito Citissime darunter. Dann folgen noch einzelne vorgedruckte Bemerkungen über Gebühren, Abfertigung u. s. w. und darunter die Vermerke der Postboten und Posthalter über Empfang und Absend ung der Post. Im wesentlichen noch dieselbe Form wie um 1500. Diese Stücke scheinen sich deshalb erhalten zu haben, weil Unzukömmlichkeiten vorgekommen waren, die eben aus den Stundenpässen nachgewiesen werden konnten.

^gg Redlich.

in Fernstein, der Postreiter zwar die Zeit, nicht aber den Ort an- gegeben hat ^).

Entfernung Abgangszeit ^) Zeitaufwand in geog. Ml. (Khn.)

Von Augsburg bis 12. Juli 9 Uhr N.

\ 10 (74) 13. » 1 2 N. 4T) Stunden

Bernbeuern sw. Schongau | 8 6' 5

Reutte 4-5 (33) 12 4

Nassereut / * " ^^"^^ 7 N. O'ö

Prutz <) (44-5) 14. Juli 5—0 N. lO'S

Von Augsburg bis Prutz 25 (184'5) 32*5

Von Prutz ritt der ablösende Postbote am 14. Juli zwischen 5 und 6 Uhr Früh fort und wird Vormittags noch den konigUchen Hof in Nauders erreicht haben. Die an sich schon nicht miss- verständliche Bedeutung der hier und bei II am Rande gezeichneten Galgen wird durch die ausdrückliche Drohung in 11: pei dem galgeu, ganz unzweifelhaft gemacht.

IL Die Post wurde durch Bartholomäus Käsler königlichen Kammermeister, Freitag den 26. Mai 1497 in diesem Jahre war der Freitag nach Fronleichnam eben der 26. Mai zwischeu 8 und 9 Uhr Vormittag in Innsbruck aufgegeben, und war an den königlichen Secretär Niclas Ziegler bestimmt, der jedenfalls am Hoflager Maxi- milians weilte, das um diese Zeit in Füssen und Kaufbeuern sich befand ^). Die ersten beiden Postreiter verzeichnen den Ort der Ueber- nahme nicht, der dritte gieug am selben Tage abends zwischen 7 und 8 Uhr von der Ehrenberger Klause (bei Eeutte) ab und kam zwischen 8 und 9 Uhr nach Füssen. Von Innsbruck bis Ehrenberg, 10-5 Meilen (77-8 Kim.), brauchte also diese Post 11 Stunden, von Ehrenberg bis Füssen, 2 M. (14-8 Kim.) ein bis zwei Stunden.

<) Das Stück bietet auch einen lehrreichen Fall für den verschiedenen Ge- brauch in der Feier des Margaretentages: im Gebiet der Augsburger Diöcese ist Margareta am Mittwoch 13. Juli, der Postbote aus der Brixener Diöcese aber schreibt Mittwoch nach Margareta, weil er das Fest am Dienstag den 12. Juli feierte. ^] Zur Vereinfachung sind hier und bei IV die Stunden von 6 Uhr

Abends bis 6 Uhr Früh mit N. als Nachtstunden bezeichnet. •'') Vgl. Stalin

in Forschungen 1, 356. Zur Ergänzung von Maximilians Itinerar von Ende Mai bis in den August 1497 diene Folgendes: Der König war vom 22. bis 26. Mai in Kaufbeuern, vom 30. Mai bis 5. Juni wieder in Füssen, am 8. Juni in Lieben- thann nw. Günzburg, am 16. in Stetten, 19. Kaufbeuern, 23. Juni bis 17. Juli in Füssen, 20. Juli in Ehrenberg, 24. Stams, vom 25. Juli bis 2. August in Imst und im nahen Sigmundsfreud, 3. und 4. August im Pitzthal, 6. Fragenstein bei Zirl, 7. August Innsbruck. Innsbruck Statth.-Archiv Copialbuch Geschäft von Hof 1497 fol. 206 ff.

Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 497

III. Auch diese Post gieng von Innsbruck und im gleichen Jahre 1497 aus, aber an Maximilian selbst, der am 19. Juli wol schon von Füssen nach Ehrenberg gekommen war. An diesem Tage zwischen 2 und 3 Uhr Nachmittag gieng die Post von Innsbruck ab, um 6 Uhr von Telfs im Oberinnthal, zwischen 9 und 10 Uhr Nachts von Fernstein. Von Innsbruck bis Telfs, 3"5 Meilen (26 Kim.) brauchte der Postreiter 3-5 Stunden, von Telfs bis Fernstein, 3 M. (22 Kim.), ebenfalls 3'5 Stunden.

IV. Das weitaus interessanteste der vier Stücke. Es rauss ins Jahr 1500 fallen. Das Zusammentreffen der Wochentage, Mouatsdaten und Festtage ergibt ein Jahr, wo Ostern am 19. April gefeiert wurde und dies war 1489, 1495 und 1500 der Fall. Aber 1489 war Maxi- milian Ende März noch in Mainz und 1495 in Worms. Im Jahre 1500 war er bis 24. Febr. in Innsbruck gewesen, um dann nach Augsburg zu gehen, wo er vom 14. März bis in den September blieb ^). Da nun diese Postsendung am 25. März von Mecheln abgieng, musste sie den König in Augsburg treffen, ein Theil der Post gieng aber, ohne Augsburg zu berühren, nach Innsbruck. Diese Theilung macht sich auch im Stundenpasse bemerklich. Am 28 März Nachts zwischen 10 und II Uhr war die Post in Hausen so. Pforzheim angelangt. Zwei Postboten nahmen sie hier in Empfang: der eine, Michel mit der Schramme übernimmt den nach Innsbruck weitergehenden Theil, Jörg, der andere, die Sendung für König Maximilian, indem er dazu vermerkt: , . hab eyn post hayn abgefurt, das lieisst doch: ich habe die eine Post, den königlichen Autheil, übernommen um sie heim, an den königlichen Hof nach Augsburg, abzuführen. Dieser Vermerk, sowie die vorausgehende an den Boten von Söfiingen bei Ulm adressirte Anweisung des Boten Wolf zu Hausen sind auf die bis dahin leere dritte Seite des Bogeus geschrieben worden, konnten also ganz gut noch in Hausen selbst eingetragen werden, während der noch auf dem freien Eaum der zweiten Seite eingeschriebene Vermerk des Boten von Plochingen zeitlich natürlich später fällt. Die von Hausen ab- zweigende, nach Augsburg gehende Post lässt sich selbstverständlich auf diesem Stundenpasse nicht weiter verfolgen, sie wird ihren eigenen gehabt haben. Zu trennen davon ist das „peckle", das zu Hausen für Anton Welser in Augsburg aufgegeben wurde und mit der Innsbrucker Post bis Söfiingen gieng, von da aber durch einen eigenen Boten

•) Stalin a. a. 0. 3G0, dazu ergänzend : 24. Febr. Innsbruck, 26. Fragenstein, 27. Sigmundsburg (Fempass), 2. März Augsburg, i). bis 12. Donauwörth, vom 14. an Augsburg. Innsbruck Statth.-Archiv Copialb. Gtsch. von Hof 1500 i'ol. 32 ff. Mittheilungen XII. 32

498

R e d 1 i c H.

nach Augsburg gebracht werden musste. Im nachfolgenden Posten- lauf von Mecheln bis Innsbruck fehlen die Namen von zwei Stationen, die erste dürfte wol bei Bilsen w. Mastricht, die zweite in Nesselwang zwischen Kempten und Füssen zu suchen sein. Die Stationen Peudar- gent und die Vee war mir zu finden nicht m<)glich, doch müssen sie so ziemlich auf der geraden Linie zwischen Eillaer uud Büllesheim liegen und zwar Peudargent etwa in der Gegend von Aachen, während man unter der Vee wol eine Oertlichkeit in den Ausläufern des Hohen Veun vermuten darf ^).

Entfernung

Abgangszeit

Zeitaufwand

in geog. Ml. (Kim.)

Von Mecheln bis

25. März 4 Uhr

Rillaer ö. Aerschot

4-3 (31)

7 N.

3 Stdn.

3 N.

8

Peudargent

19 (141)

26. Mz. 9

6

Vee

2

5

Büllesheim sw. Bonn

12 N.

10

Breisig am Rhein 2)

5-2 (38)

27. Mz. 6

6

Hatzenport a. d. Mosel

4-6 (34-2)

12 1 (Ankft

11) 6-5 3)

ßheinböUen sw. Bacharach

4-6 (34-2)

6 N.

5*5

Flonheim nw. Alzey

5-2 (38)

28. Mz. 12 N.

6

Heppenheim w. Worms

3-G (27)

5 N. (Ankft.

4) 5 ^)

Speier

4T, (34-2)

9—10

4-5

Hausen so. Pforzheim

9-2 (68-2)

10—11 N.

13

Plochingen

6-4 (47-5)

29. Mz. 4—5 N.

6

Gingen nw. Geislingen

3-8 (28-2)

9—10

5

Söflingen bei Ulm

4-6 (34-2)

2—3

5

Pless n. Memmingen

5-3 (40)

7 8 N.

5

- ^

Lermoos ]

> 14-3 (lor,)

30. Mz. 8 3

12-5

7

Barwies w. Telfs

3-8 (28-2)

7 N.

4

Innsbruck

4-ß (34-2)

31. Mz. 3 N.

8

Von Mecheln bis Innsbruck 1()3"1 (764-1)

13 1

Die Post gieng Mittwoch den 25. März um 4 Uhr Nachmittag von Mecheln fort und langte am Dienstag den 31. März um 3 Uhr Früh in Innsbruck an, sie bedurfte zu dieser Strecke also 5 Tage und 11 Stunden.

') Für die freundliche Beihilfe bei Feststellnng der Oertlichkeiten habe ich H. Prof. V. Wieser bestens zu danken. -) Entweder Über- oder Nieder-Breisig ;

noch auf Karten des vorigen Jahrhunderts findet sich Brysich, eine vermittelnde Form zu dem Bryssche des ötundenpasses. ^) Mit Einrechnung des Auf-

enthalts von 1-5 Stimde in Hatzenport. '•) Mit dem Aufenthalt von 1 Stunde

in Heppenheim.

Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 499

Die Bedeutung dieser vier Documente liegt zunächst in dem Aufschlus, den sie uns über die ältesten Zeiten regelmässig eingerichteter Posten in Deutschland und in den Niederlanden geben. Die ersten drei Stücke kommen zwar hiefür weniger in Betracht: sie betreffen Posten, die ausschliesslich im Dienste K. Maximilians un(;l unter seiner oder seiner Eegierung Leitung standen. Dies beweist die Abfertigung der zweiten und dritten Post durch den Kammermeister in Innsbruck selbst, beweist die Drohung mit dem Galgen. Es waren dies die noth- wendigen Verbindungen des Königs mit den Behörden in Innsbruck, in I wol der Anschluss an eine deutsch-niederländische Hauptlinie.

Eine solche Hauptlinie und zwar schon in Verwaltung der Taxis könnte in der That bereits 1496 bestanden haben. Jan von Taxis war schon vor dem 18. August 1496 als Postmeister, wol in Innsbruck, bestellt gewesen und aus dem Umstände, dass er von da an auch die von der Kammer bezahlten Posten übernahm, darf geschlossen werden, dass er bisher und fernerhin auch andere Posten, also doch auf Kech- nung seines Hauses über sich hatte i). Aber bestimmte Kunde erhalten wir erst aus dem Jahre 1500, durch unser viertes Stück, das nunmehr älteste urkundliche Zeugniss über die Taxis'schen Posten von den Niederlanden nach Deutschland und an den königlichen Hof. Dieser Stuudenpass bildet eine sehr willkommene Ergänzung zu den von Rübsam edirten Abmachungen K. Philipps d. Seh. mit Franz von Taxis von 1504 -). Wenn in diesen letztern erwähnt ist, dass Franz von Taxis schon am 1. März 1500 zum Hauptpostmeister (capitaine et maistre de nos postes) bestellt worden Wcir, so sehen -wir nuu, dass er den bereits vollständig eingerichteten Postenzug von Brüssel (oder Mecheln) bis nach Innsbruck und bis dahin, wo sich K. Maximilian Ijefand, zu verwalten hatte. Da Franz von Taxis bis 1504 nur un- gefähr 360 Livres Gehalt bekam, so müssen die Betriebskosten bis dahin, wie schon Rübsam 184 vermutete, doch jedenfalls von Pliilipp d. Seh. selbst getragen worden sein. Das schloss aber nicht aus, dass, wie gerade unser Stundenpass es direkt beweist, diese Post auch die Beförderung von Privatsachen übernahm: von Hausen bis Söflingen geht ein „peckle" mit Briefschaften für Anton Welser in Augsburg mit. Mit dem Vertrage von 1504 trat diese Posteinrichtimg in ein ganz neues Stadium. Die französische und spanische Post wurde neu errichtet und Franz von Taxis übernahm unter Zusicherung von

') Ergibt sich aus den zu Anfang erwähnten Verordnungen K. Maximilians. 2) Rübsara 188 ft'., dazu die Erläuterungen S. 177 tt'. Charakteristisch für die sehr bald internationale Stellung der Taxis und ihrer Post ist die aus Italienisch, Deutsch und Französisch gemischte Sprache des Franz von Taxis.

32*

500 R e d 1 i c k.

12 000 Livres jährlicli den ganzen Betrieb auf eigene Gefahr und Rechnung.

Wir können nunmehr auch die Strecke Mecheln-Innsbruck von Station zu Station verfolgen. Es ist so ziemlich der kürzeste Weg, der überhaupt eingeschlagen werden konnte. Um die geradeste Linie zu gewinnen, werden selbst unwegsame Strecken, wie über die Eifel und den Hunsrück nicht vermieden und lieber die Strasse den Rhein entlang bei Seite gelassen. Die Stationen richten sich nicht nach grösseren Orten, sondern sind in ziemlich gleich massiger Entfernung von ungefähr 4 bis 5 Meilen vertheilt und treffen so grösserntheils auf die unbedeutendsten Oertchen. In jeder Station ist Boten- und Pferdewechsel. Jeder Postreiter hatte wenigstens die Zeit der Ueber- nahme des Postpaquets auf dem Stundenpass zu vermerken, die meisten geben auch den Ort au, einige auch die Zeit der Abgabe. Auch Un- regelmässigkeiten werden augezeigt, sowie die bewegliche Klage zweier Postreiter über gänzlichen Mangel an Geld. Ein Bote löst den andern unmittelbar ab, so dass kein Aufenthalt zu entstehen brauchte; zwei- mal in unserem Falle trat eine Verzögerung auf der Station selbst ein, das erste Mal in Hatzenport, wol verursacht durch das Brechen des Verschlusses am Postbeutel. Die Boten reiten Tag und Nacht, in ihrer gewöhnlichen Schnelligkeit (im Durchschnitt eine Meile in einer Stunde) treten aber mehrfach sichtbare Verzögerungen ein, die durch schlechte Wege, kleine Unfälle und ähnliches entstanden sein werden. Trotzdem wird die weite Strecke von 103 Meilen (764 Kilom.) in 51/2 Tagen zurückgelegt, in einer Zeit, die dann 1504 als fortan ver- tragsmässige (im Sommer, im Winter 6 Vg Tage) festgesetzt, 1516 aber noch auf 5 und 6 Tage verkürzt wurde 1). Diese Gesammtleistung ist eine sehr bedeutende und anerkennenswerthe, sie beruht aber nicht so sehr auf der Schnelligkeit der Postreiter, als auf ihrem ununterbrochenen Ineinandergreifen.

Das führt uns auf die andere werthvolle Seite dieser Docuraente. Sie bieten uns nämlich ein höchst anschauliches Bild über die Rasch- heit, mit der in früheren Zeiten überhaupt die Befcu'derung von Nach- richten von Statten gehen konnte. Sie bieten für eine ganze Reihe von Strecken in verschiedenartigster Gegend die genauesten Daten über die Zeit, die zu ihrer Bewältigung durch einen einzelnen Reiter er- forderlich war. Und da die Verhältnisse, unter denen diese Postreiter

') Kübsam 179 f., 204 f., wo die Beförderungsfristen für die Posten nach Frankreich, Spanien und Italien zusammengestellt sind. Vgl. auch über die Ver- breitung der Nachricht vom Tode K. Maximilians I. Voltelini in Mitth. des Instituts 11, fill Anm. 4.

Vier Post-Stundenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 501

um 1500 ritten, also der im allgemeinen doch recht schlechte Zustand der Strassen, die Benützung von Seitenstrassen und Landwegen, auch in den Jahrhunderten vor und vielfach gar lange nach 1500 so ziem- lieh die gleichen waren, so geben diese Stundenpässe auch einen Massstab zur Beurtheilung von Fällen, wo es eben auf die Ermittelung der Schnelligkeit von Botschaften und Keisen, der Verbreitung von Nachrichten, oder auf die Möglichkeit einer behaupteten Schnelligkeit ankommt. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, dass in unserem Falle ein regelmässiger Pferde- und Keiterwechsel stattfand, Be- dingungen, von denen die erste für die schnelle Zurückleguug weiterer Strecken unumgänglich ist.

Diese kurzen Bemerkungen wollen keineswegs erschöpfen, was über die ältesten Stundenpässe zu sagen sein dürfte und was besonders demjenigen überlassen bleiben muss, der hoffentlich bald eine Geschichte der Post zu schreiben bedenkt.

Dise post ist ausganngen zu Augspurg an ertag vor sannd Mar- greten tag anno etc. Ixxxxvi*^" (1496 Juli 12) umb ix ur nachmittag unnd sei geantwurt werden herrn Ziprian von Northeim genannt Seren- tiner ku. prothonotarien, oder in seinem abwesen Matheusen Lanngen ku. secretarien, an den ku. Hof wo der yetzo ist.

Cito. Cito. Cito. Cito.

L. Man^).

lem^*) Jerg postpot hat die prief angenumen zwisen ain und zwo ur am mitwochen zu moren (Juli 13).

Itemc) Hainrich postpot zu Berenbeiren hat die prief angenumen an sant Margreten tag um vui ur.

Item^) ich Hans Geyr postpott zw Reute hab dise post angenomen am erchtag'l) umb zwölf uren.

Itemc) BabdaflFar*') hat die brielF angenomen uff mittwoch noclimitdag zwischen sechs und sieben uren.

Item^') ich Kristof Meiclisner postpot auf der Muls hab angenomen dise post zu Nasare id zu sibne gegen der nacht am mitwoch nach Margarethe.

Ich^^) Matheus HesseP) postpot in Prutz hab disse post angenomen am pfintztag zwischen fünffen und sexen vormittag nach sant Margretten tag (Juli 14).

=*) Am linken Rande sind untereinander zwei Galgen roh, aber doch sehr verständlich gezeichnet. ^) Orig., verschrieben statt item, Wechsel der Hand, c) Wechsel der Hand. <') Orig., verschrieben statt mittwoch. '^) Unsichere

Lesung, auch ist das Wort durchstrichen. f) Folgt ein bedeutungsloses h.

502 R c d li c h.

IL

Die post ist aussgeryttenn am freytag nacli Corporis Christi 26. ma}^ (1497) zwischenn vin und viiu uren vormittentag und sol Niclassen Zyeglen* geantwortt werdenn eylendss und furdei-lichenn, pei dem galgen ^).

Bai-tlme Käsler scliatzmaister.

Clauss Reynnbardt hat die post angenomen.

Der^) Kesler hat die post angenumen an dem freitag nachmitag in der zwelliften stund c).

Siman ^) Kuep hat die post angenumen am freitag nachmitag in der IUI. stund.

Item^) Hans Miller hat die brieif angenomen zu E ruber g an der K 1 u s e n "l) zwischen vu und viu ur nachmittag.

Dise^) post ist her gen Fuessen kommen an dem obgeschriben fi'eytag zwischen achten und newnnen nachmittag.

m.

Die post ist zu Innsprugg ausganngen am mitwoch vor Magdalene, xvim. iuly im Ixxxxvn"^'^ (1497 Juli 19) zwischen zway und drey urn zu abend unnd sol der ku. m* fürderlichen geantwort werden.

Barthne Käsler schatzmaister ^).

Basti Treer reytender pot abgevertig^ auf obgemelte zeit gen Telfs.

Ich^) Jacob Rott postpot zu Telfs hab dise brieflfan^) an mittwochen nauch mittentag umb 6 ur.

Ich Jörg Ster hab dise brieif angenomen zu Ferrenstain an mitt- wochen in der nacht zwischen 9 und 10 ur.

IV.

Gabriel, dentro la bolzeta la . . . tua . . . .^).

Cesta bolzeta este delivere ala posta de Mal in es le xxv. de mars (l5()0 März 25) a im or depuy mezodi; este ordene la portar cum dili- gentia diver le roy de Romens.

Dis bolzet is fei-tig zo Mechel in Baraband in der*) xxv. tag mars zo Uli hören auf mittag; salen rayten tag e nag pis zo Romis. kh. m*.

Franciscus van Taxis postmaister.

Je^) poste de Rellar a resu le bosette a vu ers a sor. Je^) Ambros aie rechus la bouget a in heurs a mantin (März 26) et la liverens a Peudargent a ix heurs a mantin.

a) Am linken Rande ist ein Galgen gezeichnet, darunter: cito. cito. cito. ^) Wechsel der Hand. <=) Folgt gestrichen: dem Ruepen die post geandwiird

an dem freitag nachmittag umb drey urn. 'ij Folgt durchstrichen umb.

«) Die Unterschrift eigenhändig, der erste und der folgende Absatz von anderer Kanzleihand. f) Orig. g) Orig., statt angenomen. h) So flüchtig ge-

schrieben, dass mir die Lesung theilweise unmöglich war.

Vier Post-Stimdenpässe aus den Jahren 1496 bis 1500. 503

Moy ^) pouste d e r V e e aie rechus la bouget a u heurs apres dines et laie liveres a Bulle sem a xn heurs a la nut le xxvi. jour de mars.

Moy^) poste de Bulesem aye lyveres la bouget a poste de Bryssche devantl») medy a vi huers le xxvii. jours de mars (März 27).

Moy poste de Bryssche aye lyveres la bouget a poste de Hatsport a onze heurs devant medy. Messer de poste, je vous lesse savoir, que je le rechu la bouget que la seruere enfremt point de la bouget, de quoy que je le boute a la fause de bouget.

Item*) hau ich Michel Becher die post entphangen zu Hatzenporten uff fritag nach Annunciacionis IMarie thuschen xii und eyner uren zu mittagh.

Item^) ich Hans von Hurlag hab die post angenomen zu Rempolen auf freitag zu nach um vi auren.

Item^) ich Thoma hab disse post hab ich^) angenomen zu Flonem auf freitag in der nach zu xn auren und hab si uebeiiübert zu im auren (März 28).

Item a) ich Leinhart Bair hab die post entphangen zu Heppenheim zu V urn vormittag am xxviii. tag und zu S p e i r erlibert zwissen ^) ix und X auren. Item die pulgel^) ist das schols^) nit for gewest.

Item*) ich Michel mit der schräm hab disse bost angenomen am samstag zu nacht nest noch unsser frowen tag in der fasten zwischen X unnd xi elfe^).

Item ich Hans von Ulm hab die bost zu Blochingen angenomen zw im^) suntag am morgen (März 29) zwischen mi und fünffe uren^).

Item») Mertten pott zu Sefflingen! Ist eyn peckle in dyssen sack, gehortt geyn Augspurg'') Anthonye Velser in syn hantt und du fyndst eyn bryffle darbay und xu plapart darin, darmytt wellest eyn potten von stond an an') gayn Augspurg schycken.

Wolff pott zu Haussen i).

Itema') hab ich Jörg die post angenomen die post zu Haussen zwyschen zehen und aylff uren uff samstag und hab eyn post hayn"^) abgefurt.

Item''^) ich Yssen Hans hab die brieff angenomen zu Gingen zwi- schen villi und X am sontag vormittag.

Item ich^) Martin postbot zu Sefflingen hab die brieff angenomen am sontag nachmitagl) zwischen n und in.

Item-^) ich Cristof bostbot ze Bless hab die brieff angenomen am suntacr nachmitag zwischen vu und viii uren.

a) Wechsel der Hand. ^) Statt durchstrichenem avyant {?). c) Qrig.

•i) Folgt gestrichen acht urn und. <') Urig., wol statt pulget. f) Orig.,

statt schlos. g) Folgt: item lieber, womit die nachfolgende Bemerkung

begonnen ward, die aber dann längs des Randes der ersten Seite, wahrscheinlich wol von Hans von Ulm hingeschrieben wurde: Item lieber her bostmaister, schickent uns gelt, dan wir habeut gar kains mer, kindent nit ain yssen dem gul anschlagen. Ouch sient wir den wirtten schuldig und sagent, sy wellent uns bald die ros nemen vir die schuld, das wir by in verzert haben. Hans von Ulm. Michel mit der schräm. '') Folgt gestrichen : conratt (?) bryeffle Velser eyn.

i) Darunter drei oder vier durchstrichene, nicht mehr lesbare Worte von anderer Hand: dieser Absatz und alles Folgende ist auf der dritten Seite des Bogens geschrieben. i*) Nachgetragen. i) am sonntag nachmitag nach-

getragen.

504 Redlich.

Item^) Jörg hab dey post angenomen an matag (März 30) viii ur vormitag ^').

Item'^) ich pot zu L er mos han die posch enpfangen *^) mnb ni'^) nach mittentag.

Item der pot zu Lermos ^) hat die posch geantwurt gen P a i r w i s umb vii nach mittentag.

Item^»^) questa bolzeta a di 31. marzo (März 31) a ori 3 la matina a Ispruch.

a) "Wechsel der Hand. ^) Dieser Absatz ist doppelt geschrieben, das

erste Mal sind noch mehr Fehler und einige Correcturen, besonders an der Stunden- zahl darin; diese könnte auch vii(j., also 7V21 gelesen werden. ^j Folgt ge- strichen : und geantwurt. d) Folgt gestrichen : trei (V). «=) item Lermos doppelt geschrieben.

Kleine ilittlieiluugen.

Die Reste des Archivs des Klosters S. Cristiiia bei Olouiia.

Es ist schon oft die Frage aufgeworfen und erörtert worden, wann das Kloster S. Cristina bei Olonna, welches im Privilegium Ottonis I. unter den Besitzungen der römischen Kirche genannt wird, an diese gekommen sein mag. Sind noch jüngst Lamprecht und Simson (dieser im N. Archiv 15, 574) auf sie näher eingegangen, so hat letzterer die Vermuthung ausgesprochen, dass etwa das Archiv des Collegium Ger- manicum zu Kom Aufschluss über die ältere Geschichte des von Gregor XIII. dem Collegium zugewiesenen Klosters bieten könnte. Sie trifft nicht zu, wie ich mich überzeugt habe und wie ich mit folgenden Angaben über den Bestand jenes Archivs erhärten will.

Der P. Steinhuber, welcher jetzt dem Archive vorsteht, stellte mir den im Jahr 1806 von Nicolo Katti angefertigten Indice dell'Archivio ven. CoUegii Germanici-Ungarici di Koma (Folioband) zur Verfügung. Von den hier in 12 Abtheilungen verzeichneten und excerpirten Ur- kunden reichen nur die in fünf Abtheilungen untergebrachten über die Zeit der Gründung des Collegs zurück. Die Fonds der drei in den Besitz des Collegiums gekommenen Kirchen in Kom S. Saba, S. Apolli- nare und S. Stefano rotundo beginnen mit dem 15. Jahrhundert. Etwas älteres Material findet sich in den Abtheilungen von S. Cristina und von S, Croce di Fönte Avellana.

Für die Reichhaltigkeit der letzteren Abtheilung spricht schon, dass die Inhaltsangaben der Urkunden S. 1 152 des Registerbandes füllen. Die Kaiser- und die Papsturkunden sind hier, wenn auch nur in mangelhafter Weise, besonders zusammengestellt worden. Das be- treffende Verzeichniss ist vor kurzem aus dem Indice abgedruckt wor- dem vom Abte D. Alberto Gibelli in dessen Memoria storiche suU' antico mouastero di S. Cruce di F. A. (Nuovo Giornale Arcadico serie III.

506 Kleine Mittlieilungen.

und Separatabclruck Milano 1890) S. 58. Gibelli hat, wie ich neben- bei bemerken will, S. 54 auch den ältesten Bibliothekskatalog der Abtei veröffentlicht und zwar nach dem Cod. Vatic. 484, welchen Gottlieb Ueber mittelalterliche Bibliotheken S. 202 No. 570 ver- zeichnet hat.

Dem Fonds S. Cristina sind im Indice nur die S. 225 228 ge- widmet. Zuerst sind da unter No. 1 16 Informationen und Process- akten jüngeren Datums eingetragen und erst unter No. 17 folgt ein Verzeichniss von Urkunden. Doch diese gehören fast ausnahmslos dem 16. Jahrhundert an; von älteren Stücken werden nur erwähnt ein angebliches Diplom Friedrich IL, auf das ich zurückkomme, und ein Instrumentum concessionis in emphyteusim factae a D. Anna Kiccada d'Este comitissa Belgiojoso (ohne Jahresangabe).

Da ich am Schlüsse des Indice vom J. 1806 eine Zusammen- stellung von Urkunden fand, welche einst dem Archive angehörig ab- handen gekommen sind, fragte ich nach älteren Eepei-torien und erhielt ein solches vom J. 1652. Dasselbe ist betitelt Tavola delli libri che sono in Milano di scritture appartenenti all' Abbadia di S. Cristina, et altre tavole di bolle e privileggi che si conservano neir Arehivio del Collegio G. ü. di Roma. Aus dessen zweitem Theile hebe ich das Verzeichniss der damals in Rom befindlichen und auf sämmtliche Besitzungen des Collegs bezüglichen instrumenti in carta pecora hervor; sie kehren fast sämmtlich in dem Indice von 1806 wieder. Der erste Theil aber gilt, wie ja auch der Titel besagt, aus- schliesslich dem Fonds von S. Cristina, d. h. dem grösseren Theile desselben, welcher nie nach Rom gekommen, sondern in Mailand ver- blieben und dort in Napoleonischer Zeit dem Staatsarchive einverleibt worden ist. Am meisten zu achten wäre wohl auf den einen im J. 1652 als Libro intitolato Lombardia n. 40, cioe S Cristina ein- getragenen Band, nicht weil er die Copie eines Privilegiums Friedrich IL aus Lodi vom 16. Februar 1185 gemeint ist wohl Stumpf Reg. 4405, d. h. D. Friedrich I. aus Lodi mit XVI. kal. febr, 1185, dessen Original sich im Staatsarchiv zu Mailand befindet, sondern wegen etwaiger an- derer und älterer Schriftstücke.

Doch über die Vergabung des Klosters an die römische Kirche haben die HeiTn vom Staatsarchiv zu Mailand, an welche ich mich einmal vor Jalu*en gewandt habe, keinen Aufschluss zu geben gewusst. Und hat sich noch eine Urkunde oder auch nur eine urkundliche Notiz erhalten, so wird in andern mailändischen oder lombardischen Sammlungen nachzuforschen sein, in welche Archivalieu von S. Cristina übergegangen sind. Zunächst mache ich auf eine, wie es scheint.

Die Keste des Arcliivs des Klosters S. Cristina bei Oloniia. 507

Lamprecht und Simson unbekannt gebliebene kleine Publication von Alessandro Riccardi aufmerksam: Inventario dei , . . beni possedenti nel secolü dal monastero di S. Cristina (Lodi 1889). Allerdings, wenn hier Schenkungen von Carlus Magnus, Ludovicus imp., Rodulfus rex, Berengarius antieus, Ugo atque Lhotarius rex, Lampertus imp. erwähnt werden, so geschieht dies in so unbestimmter Weise, dass sich diese Angaben kaum verwerthen lassen. Aber wie aus dem von mir oben citirten Instrumentum concessionis per emphyteusim, so er- gibt sich desgleichen aus den Noten des Herausgebers Riccardi, dass mit den Gütern des Klosters auch Urkunden desselben in das Archivio Belgiojoso d'Este in Mailand, in das der Conti Somaglia ebenda, in das Archivio Negroni in Lodi u. s. w, gerathen sind, so dass noch an allen diesen Orten nachzuforschen sein würde.

Rom, März 1891. Sickel.

Zwei Notizen aus der Trierer Stadtbibliothek. Die beiden nachstehenden Stücke sind dem grossen zu Anfang des vorigen Jahr- hunderts augelegten Diplomatarium Treverense entnommen, welches in einer langen Reihe von Bänden Trierer Urkunden enthält. Das erste Stück befindet sich im dritten Bande des Diplomatarium Wernheri (1338—1418), also an einem Orte, wo niemand eine Urkunde Rudolfs von Habsburg vermuthen und suchen wird; das zweite in einem Bande des Diplomatarium, welcher Urkunden und Notizen aus der Zeit des Erzbischofs Baldiiin (1307—1354) enthält, und zwar unmittelbar nach einer längeren Dedicationsnotiz, laut welcher Daniel Metensis episcopus de ordine fratrum Carmelitarum, vicarius in pontificalibus des Erz- bischofs Balduiu am 12. Dezember 1337 eine Kapelle auf der Rhein- insel (Niederwörth) gegenüber Vallendar unterhalb Coblenz eingeweiht hat. Am Schlüsse derselben Dedicationsnotiz heisst es, dass ein Kaplan Balduins mit Namen Konrad Winter, Priester des Prämonstratenser- Ordens im Kloster Romersdorf die verfallene Kapelle sammt Zubehör neu erbaut habe, so wie man sie zur Zeit sehen könne. Aus diesen Angaben ist deutlich zu erkennen, dass das zweite Stück eine dem gemeldeten Faktum ganz gleichzeitige Aufzeichnung ist, und es ist zu vermuthen, dass es ebenso wie die Dedicationsnotiz aus einem der drei älteren „Balduineum" entnommen ist.

5Q8 Kleine Mittheilungen.

1. Urkunde Rudolfs von Habsburg.

Rudolf verspricht dem Nicolaus von Scharfenstein für geleistete und zu leistende Dienste 60 Mark Silber und verpfändet ihm dafür zwei Fuder fränkischen Weines, welche Jährlich aus dem königl. Kelter- hause bei (Ober) Wesel zu erheben sind i). Wien 1278 Mai 15.

Eudolphus dei gracia Eomanorum rex semper augustus uniuersis imperii Romani fidelibus presentes literas inspecturis gratiam suam et omne bonum. Ad incrementum glorie regalis pertinere dinoscitur, si illi, qui in nostris et imperii fideliter se exercitaverunt serviciis, sue capiant premia servitutis, quo exemplo ceteri de bono in melius ani- mati ad obsequendum nobis et eidem imperio fervencius acceudantur. Eine est quod nos grata et placita, que strenuus vir Nicolaus de Scliarpenstein nobis et imperio gratanter impendit obsequia et adhuc impendere poterit, graciora benignus (!) intuentes sexaginta marcas puri et legalis argenti sibi de regia liber[ali]tate promittimus ''^) nos daturos, daas carrattas vini Franconici de torculari nostro sumendas apud Wesaliam sibi tamdiu obligantes, quousque prefate sexaginta marce per nos vel nostros in imperio successores sibi vel suis beredi- bus fuerint persoluti. In cuius rei testimonium presens scriptum maiestatis nostre sigillo duximus roborandnm. Datum Wienne ydus Mail indictione sexta, anno domini millesimo ducentesimo septuagesimo octavo, regni vero nostri anno quinto.

2. Ueber die Zusammenkunft des Königs Eduard III. von England mit Kaiser Ludwig IV. zu Coblenz. 1338. Aug. Sept. 3).

Nee est oblivioni tradendum, quod anno domini M». CCC". XXXVIII 0. in die [decollationis] *) beati Johannis baptiste preclarus ae magnanimus Edwardus rex Auglorum venit ad insulam pre- dietam^) et liabuit parlamenta et tractatus 6) cum imperatore Roma- norum et principibus imperii nee nou cum aliis quam pluribus nobili- bus et dominis Alamauie pro adiutorio 7) sibi prestando per eos contra Philippum») regem Francorum, qui sacro Romano imperio et sibi in multis iniuriabatur ; et mansit in iusula predicta usque in diem nati- vitatis beate Marie virginis proxime subsequentem.

1) Aus: Diplomatarum Wernheri III. Trier. Cod. nr. 2142 (744) (ex cod. Confluent. fol. 285' transsumptum). ^) permittimus Hs. s) Aus: Diploma-

tarium Treverense. Trierer Stadtbibl. cod. 2141 (742) pag. 4!). *) Ergänzt für

den leeren Raum in der Hs. ^) Niederwörth gegenüber Vallcndar unterhalb

Coblenz. '^) retractatus Hs. ') adiutoria Hs. «) Ph. Vt.

H. V, Sauerland.

Literatur.

Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich. Herausg. von einer Commission der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, bearbeitet von Dr. J. Escher und Dr. P. Schweizer. 1. Bd. (741—1234). Zürich, S. Höhr 1888 (1890) XXV und 412 S. 4*^.

Urkundenbuch der Stadt Basel. Herausg. von der histori- schen und antiquarischen Gesellschaft zu Basel. 1. Bd. (751 1267) bearbeitet durch Rudolf Wackeruagel und Rudolf Thommen. Basel, C. Detloff 1890. XIV und 434 S. 4«, mit Karte und Abbil- dungen oberrheinischer Siegel.

Wieder liegen zwei schöne Werke vor uns, die zum guten Theile durch den Gemeinsinn einsichtiger, auch für geistige Interessen warm fühlender Bürgerschaften ermöglicht wurden. Dem Beispiele, das letzter Zeit in löblicher Weise schon mehrere altberühmte Städte deutscher Zunge gegeben, folgen nun auch Zürich und Basel: sie bieten uns in ilusserlich und innerlich würdig ausgestatteten Sammlungen die urkimd- lichen Quellen ihrer reichen Geschichte. Sie l>ilden beide eine werthvolle Fortsetzung zu den zahlreichen Werken dieser Art, welche die Heimats- liebe der Schweizer und die rastlose Rührigkeit in der Erforschung ihrer Geschichte bereits geschaffen hat und über die der ehrwürdige Altmeister schweizerischer Geschichtsforschung, Georg v. Wyss, in dem Vorwort zum Urkundenbuche von Zürich eine lehrreiche und erfreuliche Uebersicht gibt.

Der Plan eines Urkundenbuchs der Stadt und Landschaft Zürich wurde 1884 von einem Kreise Züricher Geschichtsfreunde gefasst. Das Werk gewann durch die Selbstauflösung der vaterländisch-historischen Gesellschaft und die Ueberweisung eines bestimmten Fonds derselben eine erwünschte materielle Grundlage, welche dann durch die bereitwillige Unterstützung von Seite der Regierung und des Stadtrathes von Zürich eine vollständig gesicherte wurde. Im Auftrag der zur Herausgabe des ÜB. von der antiquarischen Gesellschaft bestellten Commission arbeitete Staatsarchivar Schweizer ein Programm und einen Eedaktiousplan aus, die in ihrer endgiltigen Gestalt in die Einleitung dieses ersten Bandes auf- genommen sind ; die darin S. XXII eingeflochtenen Bemerkungen über die

510

Literatui*.

mittelalterlichen Jahresanfänge in der Schweiz mögen hier eigens hervor- gehoben werden. Für die Bearbeitung selbst übernahm J. Escher die Herstellung der Urkundentexte, Schweizer die gesammten kritischen und erklärenden Aufgaben des Herausgebers.

Das Werk soll das gesaramte in Stadt und Kanton Zürich entstandene und auf dieselben bezügliche urkundliche Material umfassen. Als Schluss- punkt ist vorläufig mit gutem Bedacht das Jahr 1336 gewählt, ein Wendepunkt der Stadtgeschichte und die Zeit, wo beinahe die ganze Land- "schait Zürich unter habsburgischer Herrschaft vereinigt war. Für eine allfällige Fortsetzung bis 1351 oder 1525 hätte eine neue Gestaltung des Werkes einzutreten. Mit Eecht werden auch die in neueren Urkunden- werken, wie z. B. im 3. Band der Schweizerischen Geschichtsquellen, ge- druckten Stücke vollständig wieder aufgenommen und nur Urkunden, in denen bloss vereinzelte Züricher Orte vorkommen, in Auszügen gegeben.

So bietet der erste Band die gesichteten urkundlichen Quellen zur Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich bis 1234. Wie die Natur der Dinge es mit sich bringt, ist er wesentlich ein Urkundenbuch der Kirchen und Klöster des Züricher Landes. Gleich n. 1 von 741 bringt uns Kunde von dem ältesten Kirchlein der Gegend, auf der Lützelau im Zürichersee gelegen. Im 8. und in der ersten Hälfte des 9. Jahrh. ver- mitteln uns fast ausschliesslich St. Gallener Urkunden die Kenntniss von •Personen und Orten auf Züricher Boden. Aber in diese Zeit reicht doch auch schon der Anfang der ältesten geistlichen Stiftung in Zürich selbst zurück, das Chorherrenstift zu Grossmünster. Von seinem ältesten Besitz gibt das erste Stück eines merkwürdigen Eotulus Kunde (n. 37), der auch in seinem weiteren Inhalt aus dem 9. und 10. Jahrh. nicht bloss für die Entwickelung des Stiftbesitzes, für die Ortsnamenforschung und Besiede- lungsgeschichte der Gegend, sondern auch rechtshistorisch von Bedeutung ist." Ein Facsimile davon bietet Tafel H nach S. 80. Von der Mitte des 9. Jahrh, ab treten dann zwei weitere Klöster in den Vordergrund, das Frauenmünster in Zürich und Rheinau. Eine ansehnliche Menge von Kaiserui'kunden, von Seite Rheinaus allerdings mit Fälschungen untermengt, erschliesst ihre Geschichte, aber fast noch interessanter als diese sind die zahlreichen Privaturkunden der beiden Klöster, von denen die des Frauen- münsters noch vielfach in Original erhalten sind i). Tafel I, 11 1 und IV nach Urkunden von 889, 1036 oder 1037 und 1159 geben in sehr guten Facsimile eine anschauliche Vorstellung von diesen Züricher Privat Urkunden, von ihrem Schriftcharakter und der ganzen äusseren Fonn. Dazu kommen im 11. und 12. Jahrh. die ebenfalls interessanten Urkunden aus Aller- heiligen bei Schaffhausen und vom Kloster auf dem Zürichberg. Zwar waren ja fast alle diese Dokumente bereits fiüher da und dort gedruckt, aber hier sind sie nun sämmtliche in guten Texten vereinigt und so wird dieser erste Band des Züricher ÜB. neben dem ÜB. von St. Gallen als die ergiebigste Fundgrube für die Geschichte des südwestdeutschen Privat-

'j Bei einer Reihe von diesen und andern Stücken (n. 141, 153, 188, 194, 203, 208, 231, 324, 325) wird im ÜB. die Originalität bezweifelt, ohne genügende Gründe; denn dass z. B. die Signa und /.eugennamen nicht eigenhändig ge- schrieben sind, entspricht ja ganz der Entwicklung des Privaturknndenwesens.

Literatur. 511

urkvmdenwesens einen ganz besonderen Werth erhalten. Von Zürichberg und den andern im 12. und 13. Jahrh. zuwachsenden Klöstern, so Kappel, Wettingen, Rüti u. s. w. stammt denn auch das früheste bisher ganz unbekannte Material, das, abgesehen von einzelnen Kirchweihenotizen, mit dem Jahre 1127 beginnt. Die Inedita mehren sich natürlich mit dem 1 3. Jahrh. und darunter befinden sich eine Reihe von Papsturkunden von Innocenz III. bis Gregor IX., von Urkunden päpstlicher Legaten und von Bischöfen von Konstanz.

Indessen erscheinen auch Stadt und Bürger von Zürich bedeutungs- voll im Rahmen des ÜB. Nachdem in Ottonischen Diplomen zuerst von KauÜeuten, Gewerbe, Markt und Marktrecht die Rede (n. 215, 221, 225), erscheint um die Mitte des 12. Jahrh. bereits ein Neuer Markt als Stadt- theil (n. 288 u. s. w.) und im Anfang des 13. Jahrh. ist die Stadt bereits unabhängig von den beiden Gotteshäusern, ist, wie diese, reichsunmittelbar ; vgl. die wichtigen Bemerkungen zu n. 385, Diplom Friedrichs II. von 1218. Die Bürgerschaft verkehrt direkt mit dem Kaiser, 1225 beurkunden neun Bürger als Vertreter der Stadt ihre Zustimmung zur Verfügung Heinrichs (VII.), der dem Kloster Kappel die im castrum und Gebiet von Zürich gelegenen Besitzungen bestätigte (n. 425, 426; die Bemerkung in Anm. 9 zu 426: »Diese neun Bürger beschliessen über die Gültigkeit der königlichen Verfügung«, ist doch nicht ganz entsprechend ausgedrückt). Hier und in n. 431 erscheint auch zum ersten Mal ein Siegel von Rath und Bürgern von Zürich.

Dass das IIB. für die besondere Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich nach allen Seiten hin künftig die sicherste und hauptsächlichste Grundlage bilden wird, ist zu sagen fast überflüssig.

Die Bearbeitung ist mit sehr grosser Sorgfalt durchgeführt. Die Grundsätze, denen sie folgte, sind im Redaktionsplan eingehend dargelegt. Die Texte sind, von den controlirbaren Stücken auf die übrigen zu schliessen, mit gewissenhafter Genauigkeit wiedergegeben; sie bieten auch gegenüber Drucken der letzten Zeit vielfache Verbesserungen. Die Be- schreibungen und kritischen Bemerkungen über die Beschaffenheit der Ueberlieferung, Drucke, Regesten, Siegel (nach Hohenlohe-Grotefends Sy- stem), Dorsualnotizen sind sorgfältig ausgearbeitet. Ebenso und mit ein- dringender Kenntniss sind die sachlichen, die Orts- und Personenerklärungen durchgeführt, zugleich mit Mass und Beschränkung. Wir möchten in dieser Hinsicht das Züricher ÜB. wirklich als ein Vorbild für ähnliche Werke liinstellen. Nur für Orte ausserhalb dem Kanton Zürich und der Schweiz wird die Knappheit der Bestimmung dem Benutzer nicht selten unangenehm auffallen; denn weim es von irgend einem Oertchen heisst, es liege im Badischen, in Elsass, in Württemberg, so ist damit doch etwas zu viel an geographischen Kenntnissen gefordert.

Für die Einzelbearbeitung von solchen Urkunden werken darf man jetzt die Frage stellen, wie sie sich zu dem Vorgehen verhält, das Sickel in der Diplomata-Ausgabe der Monumenta Germaniae befolgt hat. Das ÜB. von Zürich hat sich diesem Vorbild im ganzen wol angeschlossen, geht aber doch einigermassen seine eigenen Wege. Ich meine da nicht Aeusserlichkeiten, wie etwa die Anordnung von Regest und Datirung, Text und Angal)e der Ueberlieferung, obwohl vielleicht auch anderen

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Literatur.

z. B. der fette Druck und die Mittelstellung des aufgelösten Datums, be- sonders bei mehreren kürzeren Stücken auf einer Seite, einen unruhigen Eindruck hervorbringt und der schnellen Uebersicht eher hinderlich er- scheinen könnte. Mehr zu vermissen ist eine Nachfolge der Diplomata in Bezug auf die Verbindung, in welche Ueberlieferung und Drucke mit ein- ander zu setzen sind. Wenn das Original vorhanden ist, hat die Auf- zählung von Copien doch nur in so weit einen Sinn, als diese etwa zur Ergänzung von beschädigten Stellen dienen können, oder Drucke aus ihnen geschöpft wurden, die darnach zu bewerthen sind. Aber eine solche Filiation der Copien und Drucke haben die Herausgeber nicht durchgefühii und so ist die Sorgfalt, die auf die möglichst vollständige Angabe von Copien und Drucken verwendet worden, nur zur Hälfte fruchtbar gemacht. Noch etwas anderes, an sich eine Kleinigkeit, wirkt schliesslich störend, nämlich der eigenthümliche Gebrauch der eckigen Klammern. Eckige Klammern wendet man so ziemlich allgemein zur Kennzeichnung der Text- ergänzungen an, soweit solche bei Lücken mit Hilfe von Vorurkunden, Copien u. s. w. oder durch Conjectur möglich sind; zur Ergänzung von Stellen, die im Original mit Absicht gekürzt sind, also von Siglen für Eigennamen, von Formeln gebrauchen die Diplomata runde Klammern, für Interpolationen solche: -( )-. Das Züricher ÜB. nun. kennt nur eckige Klammern und gebraucht sie nicht bloss zu Ergänzungen von Lücken, dann von Siglen und Kürzungen, sondern auch für Bezeichnung von Nach- trägen und Zusätzen, die von gleicher Hand oder von einem gleichzeitigen Corrector herrühren (vgl. Einleitimg XVI). So bedeutet in n. 64 ha[nc c]uram, dass hier eine kleine Lücke vom Herausgeber ergänzt ist, und einige Zeilen weiter [advocatiam] und [aurij, dass diese Worte im Original vom Schreiber über der Zeile nachgetragen sind. Sogar einzelne derart corrigirte Buchstaben werden so gebrandmarkt, z. B. in n. 319, 322, (dagegen nicht in n. 23 1). In n. 240 sind Zusätze von anderer Hand, in n. 313 Stellen auf Easur ebenfalls in eckige Klammern gesetzt, in n.282 und 305 werden gar ganze Worte, die allerdings sinngemäss sind, in den Text eines Originals eingeschoben und mit eckigen Klammem versehen, im Widerspruch mit § 42 des eigenen Redaktionsplanes. So werden also ganz verschiedenartige und verschieden zu bewerthende Dinge durch ein und dasselbe Zeichen wiedergegeben gewiss eine Unzukömm- lichkeit, die leicht zu vermeiden gewesen wäre.

Ein anderer ebenfalls verbesserungsbedürftiger Punkt ist die Be- handlung der Copien. Hier geht der ßedaktionsplan selbst 4l) von einer nicht zutreffenden Anschauung aus: ist eine Urkunde nur mehr in Copien überliefert, so soll die beste davon dem Texte zu Grunde gelegt werden und die Lesearten der andern Copien, auch wenn sie richtiger sind, werden in Anmerkung beigefügt. Aber ist es nicht ein allbekannter und unbestrittener Grundsatz kritischer Methode, dass aus allen Copien zusammen, natürlich mit Beachtung ihrer Güte, der Text möglichst so hergestellt werden muss, wie er ursprünglich gelautet haben wird? Ist es nicht sonst selbstverständlich, die Verderbnisse der abgeleiteten Ueber- lieferung durch vergleichende Kritik derselben zu emendiren? So wäre denn in n. 77 und 170 die verl)esserte Datirung in den Text zu setzen gewesen, so in n. 275 das richtige Eemacli statt ßemadi und in n. 310

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das riclitige Oudalricus statt des von der Copie ungeschickt verlesenen Dedalricus, das dann auch noch im Register sein Unwesen treibt; so bleibt in n. 328 das sinnlose V. vadus Apr. der einen Copie im Texte stehen, obwohl die andere ganz richtig V. idus hat; ähnliches in n. 411, 412, 43.S, 445 u. s. w. In all diesen Fällen muss also der Benutzer sich die richtige Lesung aus Text und Noten zusammenstellen, während ihm doch das ÜB. den schon gereinigten Wortlaut des Stückes bieten sollte. Der Hinweis auf diesen Mangel dürfte ja sicherlich genügen, um in den folgenden Bänden den richtigen Weg finden zu lassen.

Von kleinen Versehen und Ungieichmässigkeiten , die bei solchen Werken ja kaum zu vermeiden sind (z. B. n. 280 Anm. 6 richtig Schuni statt Sickel; n. 442 wäre nach Fickers Bemerkungen, gegen die nichts eingewendet wird, zu 1229 zu setzen, n. 478 Anm. 5 ist SS. XVII statt XIII zu lesen), wäre jedenfalls die Ungleichmässigkeit in den Citaten, besonders von Druckwerken in Zukunft zu verbessern. Die Variationen, in denen z. B. die Monum. Germ. Diplomata, die Papst- und Kaiserregesten, Ladewigs Eeg. der Bischöfe von Konstanz, G. von Wyss Gesch. der Abtei Zürich citirt werden, sind wahrhaft zahllos, hie und da auch nicht ganz deutlich. Dies sind ja nur Nebensachen, aber bei einem sonst sauljer gearbeiteten Werke möchte man auch hierin nichts ver- missen.

Das Orts- und Personenregister ist nicht ohne Sorgfalt angefertigt, al)er es hat einzelne Mängel in der Anlage selbst, die seine Brauchbarkeit sehr beeinträchtigen. Möge mii" hier zunächst eine allgemeine Bemerkung gestattet sein. Mit den Registern zu Ui-kundenbüchern ging es wie mit diesen selbst: jeder Herausgeber schlug seine eigenen Wege ein und wir haben beinahe so viele Arten von Registern, als Urkundenbücher existiren. Man muss immer ein ganzes Studium über die Sitten und Gebräuche jedes einzelnen Registerraachers anstellen, bevor man an die Benützung geht. Hätte man die so eingehenden und erschöpfenden Erörterungen Fickers über diese Dinge, die nun schon seit zwanzig Jahren in den Acta imp. selecta Einleitung XXXVI ff. für jedermann vorliegen, mehr beachtet, so würde man kaum mehr über eine so unerfreuliche und unbequeme Mannigfaltigkeit zu klagen haben, würde auch das vorliegende Register vor gewissen Mängeln bewahrt geblieben sein.

Diese liegen hauptsiichlich in dem Auseinanderreissen zusammen- gehöriger Namen und im Fehlen von Verweisungen. Nach den Vorbe- merkungen zum Register werden Personen, soweit sie einen Geschlechts- namen tragen oder eine mit einem bestimmten Ort verbundene Stelle bekleiden, nur unter dem Geschlechtsnamen, bezw. unter dem betreffenden Orte angeführt; unter dem Taufaamen nur dann, wenn kein Geschlechts- name oder Amt u. s. w. angegeben wird. Diese Trennung ist schon an und für sich in den häufigen Fällen, wo eine Persönlichkeit bald mit, bald ohne Orts- oder Amtsbezeichnung vorkommt, für die Benützung höchst unbequem. Es gienge aber noch an, wenn dabei die nothwendigen Verweisungen vollständig durchgeführt wären. Allein diese fehlen hier gar vielfach. So ist z. B. Graf . Adal])ert von Mörslturg unter Adall)ert mit drei Citaten vertreten, unter Mörsburg mit sieben, von denen zwei die schon unter Adalbert gebrachten sind, ohne dass aber ein Verweis

Mittheiluugen XII. 33

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auch nur an einem Orte den Benutzer auf die gesammte Eeihe des Vor- kommens aufmerksam machte. So ist Arnold Graf von Baden-Lenzburg, Vogt von Zürich, unter die Schlagworte Arnoldus, Arnolfus, Baden und Zürich ohne Verweise vertheilt, elienso sein Bruder Kuno unter Baden, Kuno und Zürich. Unter »Deutsche Könige und Kaiser« sind eine Reihe deutscher Herrscher aufgeführt, aber nicht alle, denn es fehlt Ludwig IV. (das Kind), der nur unter Ludwig vorkommt, und auch etwa nicht alle Fälle des Vorkommens, denn eine Reihe derselben findet sich getrennt unter dem Schlagwort des betreuenden Namens , wo auch wieder ein grosser Theil der Citate unter »Deutsche Könige und Kaiser« wiederholt ist. Zu den Uebelständen einer solchen Anlage, die eben viel zu wenig das Bedürfniss dessen im Auge hat, der im Register sucht, ob dies oder jenes im ÜB. vorkommt, verschlimmert durch den Mangel an Verweisen, gesellt sich das Auseinanderreissen auch der verschiedenen Formen ein und dessellien Namens ohne Verweise. Die Personen des Namens Beringer vertheilen sich auf die Schlagworte Berngerus, Perenger, Peringerus, ohne gegenseitige Verweisung; ähnlich Beroldus und Perolt; Burchard, Bur- chart— Burkhard Purchart; Cozpert, Cozpertus Gozbertus; Dietericus Theodericus Theoterich Thietirich, Thietrihc (nur hier ein »vgl. Tie- teric«) Tieteric; so noch manch andere. Es ist unausbleiblich, dass auf diese Weise dem Suchenden das Vorkommen von Personen entgehen ■wird, es ist sehr schwer gemacht, etwa Verbreitung und Entwicklung von Personennamen im Züricher Lande za verfolgen.

Die Ausstattung ist durchaus würdig und schön. Dank der Unter- stützung durch Staat und Stadt konnte dem Bande in Druck und Papier, sowie durch die so willkommene Beigabe der Urkundenabbildungen ein stattliches, gediegenes und zugleich gefälliges Ansehen gegeben werden, ohne den erfreulich massigen Preis des Werkes zu gefährden. Als sehr erwünschte Ergänzung zu dem ÜB. werden dann auch eigene Lieferungen von Siegelabbildungen in Lichtdruck ausgegeben. Bei einem der folgenden Bände wird gewiss auch einmal eine Uebersichtskarte in Aussicht ge- nommen werden.

Das Urkundenbuch der Stadt Basel füllt eine zweite be- deutende Lücke der schweizerischen und südwestdeutschen Urkunden- sammlungen aus. Auch in Basel trug sich die historisch-antiquarische Gesellschaft schon längst mit einem deiartigen Plane. Verschiedene Um- stände verzögerten das Zustandekommen dessell>en und es ist dies insofern nicht zu bedauern, als, wie in der Vorrede mit Recht bemerkt wird, »nunmehr bei der Herausgabe der Urkunden die Ergebnisse einer neueren Forschung und eine sichere Methode in Anwendung kommen konnten*^. Die Herausgabe nahmen Staatsarchivar Wackernagel und Dr. Thommen auf sich. Nach Trouillats Monuments de Tancien eveche de Bfde (l85;} 1862) und nach dem Urkundenbuche der Landschaft Basel von H. Boos (;i<^81 1S83) lag es nahe, sich l)loss auf ein ÜB. der Stadt Basel zu beschränken. Aber natürlich sind in jenen beiden Sammlungen zahlreiche Stücke enthalten, die auch in das städtische ÜB. gehöi-en und die Heraus- geber dieses letzteren mussten sicli nun mit ihren Vorgängern auseinander- setzen. Sie nahmen bei Trouillnt und Boos vollständig gedruckte Stücke nur ausnahmsweise in ilir Werk auf; in den meisten Fällen wird ein

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Regest mit den Verweisen auf die andern Drucke und anfällige Text- Verbesserungen gebraclit. Man wird dies Vorgehen l^ereclitigt finden können, aber andererseits muss man es mit Wartmann (in der Anzeige des Basler ÜB. in Götting. Gel. Anz. 1890 S. 980 ff.) bedauern, dass man nicht doch lieber sich entschlossen hat, gleich einen alles in sich fassen- den Codex diplomaticus Basileensis zu schaffen, dass man bei einem ver- hältnissmässig kleinen Gebiete nun auch in Zukunft genöthigt ist, zwei oder drei Urkundenwerke nebeneinander zu benützen. Im Uebrigen sollen in das ÜB. alle Urkunden aufgenommen werden, welche von Per- sonen u. s. w. herrühren, die dem Gebiete des Kantons Basel-Stadt an- gehörten, und welche sich auf eine solche Person u. s. w. beziehen; auch blosse urkundliche Erwähnungen von Basler Personen und Oertlichkeiten werden in Regestenform in das Werk aufgenommen. Das Ganze soll bis 1798 geführt werden. Dass da für spätere Zeiten ein ganz anderes Ver- fahren eintreten muss, sehen die Herausgeber selbst klar voraus und die Weiterführung des Werkes wird die Frage beantwoi'ten, ob es bis in so späte Zeiten auszudehnen überhaupt am Platze ist,

Civitas Basiliensis inter nobiliores Alamanni^ civitates haut minima, ex quo Christian (^ religionis cepit exordium, morum honestate et rerura secularium ubertate semper extitit egregia. Mit diesen Worten kenn- zeichnet der Bericht über die Gründung des St. Albanklosters im Anfang des 12. Jahrh. gar nicht unzutreffend die Bedeutung Basels. Aber trotz seines alten Rufes als gewerbe- und handelsreicher Stadt beginnen die Urkunden, welche städtische Verhältnisse, berühren, erst im 12., in reich- licherem Masse erst im 13. Jahrhundert. Es hängt dies mit der That- sache zusammen, welche der genannte Bericht ebenfalls erwähnt, dass nämlich bis zur Gründung St. Albans kein Kloster in Basel gewesen war. Jetzt, im 1 2. Jahrhundert treten St. Alban, St. Leonhard, weiterhin dann St. Peter, die Johanniter, die Bettelorden u. s. w. in diese Lücke ein. Ueber die Einführung speciell der Dominikaner erhalten wir gerade durch das ÜB. von 1233 an eine ganze Reihe von grösstentheils noch unbekannten Urkunden. Auch aus den Archiven anderer Klöster kamen zahlreiche Inedita zum Vorschein, darunter Papsturkunden von Gregor IX. Ins Clemens IV. und Urkunden der Bischöfe von Konstanz. Jetzt treten auch hier Stadt und Bürger bedeutsam hervor. Charakteristisch für die ganze innere Entwicklung Basels ist das frühe Zusaramenschliessen der Hand- werkerzünfte zu öffentlichen Zwangsgenossenschaften, das in den interes- santen Zunfturkunden dieses Bandes (n. 108, 199, 221, 302, 388, 430) bis 122fi hinaufreicht. Und ebenso bezeichnend für die geschichtliche Bedeutung des Basler Zunftlebens ist es, dass die meisten dieser Urkunden heute noch in den Zunftladen erhalten und wohl bewahrt sind. Die politische Wichtigkeit der reichen Stadt tritt so recht in den Wirren der letzten Stauferzeit und des Interregnums zu Tage. Die Baseler, zuerst Anhänger K. Friedrichs IL, zerstörten 1247 die bischöfliche Pfalz, wofür sie mit Bann und Interdict belegt wurden. Eine Reihe von Schreiben Innocenz IV. (von n. 19.5 an) zeigt nun dessen eifrige Bemühungen, die Stadt auf die päpstliche Seite zu ziehen, was zu Ende 1247 oder Anfang 1248 gelang. Der Besitz Basels ist der Schlüssel zu den oberen Landen ; Murten, Bern und Freiburg im Uechtland wollen sich einem künftigen

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König dann anschliessen, wenn er in partiluis illis fiat potens tenendo Basileam (n. 285). Das wichtigste IMaterial und am meisten neues (im ganzen sind 212 Stücke bisher ungedruckt, das älteste davon n. 71 von 1202) bringt dieser erste Band natürlich für die innere Geschichte der Stadt, deren Topographie und bauliche Entwicklung, für die Verhältnisse des Eigenthums und die sich daran knüpfende wirthschaftliche und ver- fassungsgeschichtliche Entwicklung.

Für die Bearbeitung des ÜB. haben sich die Herausgeber »grund- sätzlich und entschieden« den von Sickel für die Diplomata aufgestellten Regeln angeschlossen und Ref. karm aus eigener Erfahrung den Worten der Vorrede vollkommen beistimmen, dass auch an dem anders gearteten Stoff von Urkundenbüchern, die ganz üben\äegend Privaturkunden ent- halten, die Vorzüglichkeit jener Methode sich bei der Arbeit selbst erprobt. Macht sich dies schon in der äusserlichen Anordnung angenehm bemerk- lich, so liegt natürlich das Hauptgewicht in der Anwendung der kritischen Grundsätze gegenüber Text und Ueberlieferung, wie sie Sickel in allseitig durchdachter und consequenter Weise durchgeführt hat.

Die Texte machen durchaus den Eindruck grösster Genauigkeit. Xur einige Punkte möchte ich hervorheben, in denen mir etwas zu viel oder zu wenig gethan erscheint. Das ist einmal die übergrosse Sparsamkeit im Gebrauch von Unterscheidungszeichen, unter der hie und da die leichte Benützbarkeit des Textes zu leiden hat. Ein anderer Punkt ist die Bei- behaltung der Schreibweise des Originals für die Buchstaben u und v bei den Eigennamen. Allerdings haben sich die Diplomata dafür entschieden, aber mir hat sich die Ansicht aufgedrängt, dass diese Inconsequenz doch nicht durch die verhältnissmässig seltenen Fälle gerechtfertigt wird, wo vielleicht die originale Schreibung von u und v in einem Eigennamen sprachwissenschaftlich von Werth sein kann. Scheint ein solcher Fall vorhanden zu sein, so lässt sich ja leicht in Anmerkung das nüthige sagen. Ich glaube also wie Wartmann, der a. a. 0. 984, 985 ebenfalls diese Punkte berührt hat, dass man im Interesse der Gleichförmigkeit und Lesbarkeit unseren heutigen Gebrauch von u und v auch auf die Eigen- namen ausdehnen kann und soll. Im Gebrauch der eckigen Klammern folgt auch das Baseler ÜB. nicht strenge den Diplomata. Eckige Klammem werden auch hier zur Ergänzung von Siglen und der z. B. in den päpst- lichen Registerbänden bloss angedeuteten Formeln verwendet, und doch stehen ja derartige bewusste Kürzungen durchaus nicht auf einer Linie mit Lücken, die durch Beschädigung u. s. w. entstanden sind.

Sehr sorgfältig ist den Vorurkunden nachgegangen. ]\Ianchmal scheint mir aber hierin doch etwas zu viel geschehen. Wenn in n. 180 die Texte von zwei Originalexemplaren einer und derselben Urkunde als Vorurkunde und Urkunde neben einander vollständig abgedruckt werden, so ist dies doch nicht der Sachlage entsprechend ; es hätten eben einfach die Ab- weichungen des einen Exemplars in Anmei-kung gegeben werden sollen. Aehnlich Hesse sich doch fragen, ob Stücke wie n. 229, Verbot Inno- cenz IV. die dem Klostor Wettingen gehörige Kirche Riehen zu besteuern und Mittheilung davon sowie Schutzempfehlung an den Baseler Dom- propst, als Vorurkunde und Ui-kunde aufgefasst und behandelt werden sollen. Nicht zutretfend scheint mir auch , dass Urkunden wie

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n. 106, 265, 293, 344, 386 unter eine Nummer zustimmenge- fasst sind.

In der Angabe von Ueberlieferung und Drucken ist mit grosser Genauigkeit und Umsicht verfahren. Ja wir möchten auch hier, wie beim Züricher ÜB., sagen, dass in der Anführung von Copien des Guten fast zu viel gethan wurde. Es drängt sich auch hier die Frage auf, ob denn, wenn das Original noch vorhanden, die Aufzählung aller Copien, auch solcher, aus denen kein Druck geschöpft ist, für die Veröffentlichung Zweck und Werth hat. Was die Regesten zu den einzelnen Stücken be- trifft, so hat Wartmann 985 f. eine Eeihe von zutreffenden Bemerkungen gemacht und ich möchte nur noch besonders als verbesserungsbedürftig bezeichnen, dass in einer grossen Zahl von Fällen der eigentliche Ur- kundenaussteller gar nicht ersichtlich gemacht ist. Es sind z. B. in n. 148, 158, 160, 165, 170, 173, 174 u. s. w. der Bischof oder das Domcapitel, oder das Kloster St. Alban die Aussteller, während in den Regesten nur die Personen der beurkundeten Handlung erscheinen.

Auf einen Punkt von grösserer, grundsätzlicher Bedeutung müssen wir noch des näheren eingehen, nämlich auf die von den Herausgebern al;)sichtlich beliebte Spärlichkeit paläographischer und diplomatischer Be- merkungen 1) und auf das Weglassen aller sachlichen Erläuterungen. Die ersteren halten sie für ziemlich unnütz, von den letzteren sind die Orts- und Personenbestimmungen sämmtliche in das Register verwiesen, andere sachliche Bemerkungen so gut wie gänzlich unterlassen. Gewiss haben die Herausgeber Recht, wenn sie bei Dingen, für deren Feststellung das ÜB. sell)st erst das Material beibringt, die Verwerthung desselben dem Benutzer überlassen; gewiss ist auch im Register in Bestimmung der 0 ertlichkeiten und Personen alles was man billig verlangen kann, ge- schehen; endlich findet der Benutzer im Sachregister auch Auskunft ü]jer weniger bekannte Worte und Dinge. Und doch scheint mir bei einem lokalen Urkundenbuche ein solches Vorgehen nicht das richtige zu sein. Was die paläographisch - diplomatische Seite betrifft , so wünschen die Herausgeber eine abgesonderte Bearbeitung der Baseler Urkunden. Sollten auch die Herausgeber selbst diese Arbeit, zu der sie die berufensten wären, zu übernehmen nicht in der Lage sein, warum wollen sie aber dem künftigen Bearbeiter, dem Benutzer überhaupt alles das vorenthalten, worauf sie in Bezug auf Schriftvergleichung an den Originalen, Fertigung von Urkunden durch den Empfänger oder Fertigung durch ein öffentliches. Amt oder eine Art öffentlicher Urkundsperson u. s. w. bei der Editions- arbeit gekommen sind oder kommen? Niemand ist besser im Stande, die immer häufiger sich herausstellenden theilweisen Ausfertigungen von Königsurkunden durch den Empfänger festzustellen, als der Bearbeiter solcher lokaler Urkundenwerke, niemand hat das Vergleichsmateriale aus den verschiedeneu Archiven so bequem beisammen. Was aber die Orts- und Personenerklärungen anlangt, so ist der Benutzer gezwungen immer und immer wieder das Register aufzuschlagen oder in der Karte nach-

') Spärlich hie und da auch im Umfang; bei n. 307 z. B. müsste die an- genommene ünechtheit doch viel eingehender begründet sein, dass man davon über- zeugt würde, rnhaltlich wenigstens scheint die Urkunde doch unanfechtbar.

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zusuchen. Durch Bestimmung wenigstens der hauptsächlichsten Orte etwa in den Regesten, wenn man schon nicht eigene Anmerkungen hieiür machen will, wäre dem Benutzer eine Menge von Mühe und Zeit erspart. Hie und da wären auch kurze sachliche Bemei*kungen für das Verständ- niss geradezu nothwendig gewesen, so etwa bei n. 119 und in anderen Fällen von blossen Auszügen. Wir glauben also und möchten es wün- schen, dass die Herausgeber in der Folge sich doch zur Beigabe von erläuternden Bemerkungen massvollen Umfanges entschliessen sollten.

Die Register verdienen alles Lob der Sorgfalt; im besonderen ist das von Adolf S 0 c i n gefertigte Sachregister eine willkommene Gabe, wie sie keinem solchen ÜB. fehlen sollte. Mit der Anlage des Orts- und Personen- registers kann man ganz einverstanden sein. Freilich fehlt es nicht an Einzelnheiten, um die beim Züricher ÜB. schon ausgesprochenen Gedanken nicht auch hier auftauchen zu lassen. Es werden z. B. ä, ö, 6, ö, ü, ü, u in Bezug auf die alphabetische Einordnung ganz gleich a, o, u genommen, entgegen der sonst gewohnten Behandlung gleich ae, ce, ou u. s. w. ; andererseits werden aber doch Oudalricus, Oudelardus erst nach Ottokar, Rouber, Roudmunt nach rotloube eingereiht, obwohl ja o und ou ganz gleichwerthig sind. In der Festhaltung von u und v geht das Register so weit, dass auch Worte mit dem consonantisch geltenden u unter dem Vocal U eingereiht werden, so sind Uazpindo, Uesunecga (Veseneck), Uurlon (Furien) unter U gestellt, dagegen Vurlon unter V ! An Ver- weisungen ist hie und da etwas übersehen worden; so sind unter »Deutschland« die Könige und Kaiser zusammengestellt und darauf bei den einzelnen Namen verwiesen; der Verweis fehlt bei Karl und Otto; die Nebenformen Purchardus zu Burchard, Phlecha zu Fleck sind nicht verzeichnet, bei Rüdiger fehlt der Verweis auf Manesse. Unnöthig wäre wohl im Namenregister die Aufnahme von Worten gewesen wie Amtmann, Bäcker, pistor, campanarius u. s. w., die doch alle im Sachregister wieder- kehren, wo allein man gewiss suchen wird, wenn man sehen will, ob z. B. ein pictor, ein physicus und ähnliches vorkommt.

Eine erwünschte Beigabe ist die Karte, eine noch werthvollere die Abbildungen oben'heinischer Siegel. Mit vollem Rechte haben die Heraus- gel)er von genauen Siegelbeschreibungen im ÜB, abgesehen und lieber in diesen Tafeln das anschaulichste Hilfsmittel für Siegelkunde geboten, das mit den zu gewärtigenden Züricher Siegeln dem ausgezeichneten Werke von F. V. Weech (Siegel von Urkunden aus dem General-Landesarchiv zu Karlsruhe) in willkommener Weise ergänzend an die Seite treten wird. Die Tafeln sind in Lichtdruck von den Gebr. Bessert in Basel in trefflicher Weise hergestellt i). Die 14fi Siegel sind hauptsächlich baslerischer Her- kunft, doch ist auch die Nachbarschaft, besonders das Elsass vertreten. In einem voraufgehenden Verzeichniss sind in kurzer-, aber durchaus ge- nügender Weise die Siegler, die Legende des Siegels, sowie sein Vor- kommen mit dem Verweis auf das ÜB. angeführt. Das erste und älteste Siegel rührt von Bischof Burkard von Basel her, an einer Urkunde von

') Sie sind mitsammt der Beschreibung auch gesondert zu beziehen mn den Preis von 6" Franken (5 Mark) i;nd zwar direkt vom Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt.

Literatur. 519

1102 oder 1103 erhalten; die Bischofssiegel reichen dann weiter bis Heinrich von Isny (Siegel von 1277). Darauf folgen Siegel des üom- eapitels, der geistlichen Würdenträger und Ofticiale, der Stifter und Klöster, fremder Bischöfe und einzelner Geistlicher (darunter Cluny, Lützel, St. Bhi- sien u. a., Bischof Albert v. Kegensburg) ; dann folgen Siegel von Adeligen (Grafen von Thierstein, Pfirt u. a.), endlich Stadt und Büi-ger von Basel, die Städte Rufach, Sulz, Neuenburg und Eheintelden. Es sind gar manche künstlerisch werthvolle und interessante Siegel darunter, so n. 76 eine antike Gemme, n. 45^ der Name als Rücksiegel, n. 94 vielleicht Poi-trät- siegel.

Die Ausstattung des ganzen Werkes ist auch hier in jeder Beziehung schön und gediegen.

Zum Schlüsse rufen wir den Herausgebern und Bearbeitern der beiden hervorragenden Urkundenwerke ein aufrichtiges Glückauf zu für den weiten und keineswegs stets angenehmen Pfad, den sie noch zurückzulegen haben. Es gehört ja eine unermüdliche Ausdauer und nicht selten auch eine gewisse Selbstverleugnung dazu, solch weitaussehende und nicht immer durch äussere Erfolge lohnende Arbeiten durchzuführen. Aber die Liebe zur Sache, der warme Eifer, der heimischen Geschichte eine sichere, wolgefügte Grundlage zu schaffen, überwindet alle Mühen und wird auch die Bemerkungen und Wünsche, die wir im vorhergehenden ausgesprochen, als nur im Interesse eben dieses schönen Werkes gethan zu betrachten Avissen.

Innsbruck im März 1891. Oswald Redlich.

Eduard Kosenthai, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltuugsorganisatiou Baierns. l. Band. Vom Ende des 12. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Würzburg, A. Stuber, 1889. VIII und 601 S. 8^

Adolf Stölzels preisgekrönte Schrift über die Entwickelung des- gelehrten Richterthums in deutschen Territorien hat die Aufmerksamkeit auf die Geschichte des Beamtenthums in weiteren Kreisen rege gemacht. Besser als vorher erkannte man jetzt den grossen Antheil, welcher diesem Stande an der Erstarkung und schliesslichen Ausgestaltung der landes- fürstlichen Gewalt zukam, und so erschienen denn in rascher Folge Isaacsohn's Geschichte des preussischen Beamtenthums (1874 78), Georgii von Georgenau's Ausgabe des fürstlich württemliergischen Dienerbuches (1877), Stölzels Brandenburg-Preussens Rechtsverwaltung und Rqchts- verfassung (1888), während in Oesterreich die Werke von Adler, Bieder- mann, D'Elvert, Hock, Massburg, Mages u. s. w. theils der Geschichte der Centralstellen, theils der Ausgestaltung der Behörden in bestimmten Kron- ländern gewidmet wurden.

Für Baiern fehlte es bisher an ähnlichen Arbeiten, wenn wir von den älteren Werken eines Sej-frid, Büchner, Freyberg, Maurer, Steiner über das altbayerische Gerichtswesen oder von alten Vitzthumsrechnungen,

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von den Reihenfolgen der (ierichts- und Verwaltungsbeamten Altbayerns und dergleichen a])sehen , welche seinerzeit durch Oefele , Ernest Geiss u. A. im oberbayerischen Archiv verüffentlicht wurden. Eine AVen- dung trat erst 1887 ein, als zwei neue Arbeiter auf diesem Gebiete mit vorbereitenden Abhandlungen auftraten, welchen zwei Jahre darauf die Hauptwerke folgten: Max Jos. Neudegger, welcher seinem ersten Beitrag zur Geschichte der Behörden-Organisation des Eaths- und Beamtenwesens (München, Ackermann 1887) im J. 1889 im gleichen Verlage die Hof- und Personalstands-Etats der Witteisbacher in Baiern, vornehmlich im 1 6. Jahrh. folgen liess, und Eduard Rosenthal. Dessen Aufsatz über die Behördenorganisation K. Ferdinands L, welcher im 69. Bande des Archivs f. östeiT. Geschichte (S. 51 3 Iß) erschien, war, wie der Verfasser im Vorwort selbst hervorhebt, als Vorstudie zu seiner Geschichte des Ge- richtenwesens und der Verwaltungsorganisation Baierns entstanden, mit welcher wir uns des Nähern beschäftigen wollen.

Nach wenigen einleitenden Sätzen, in welchen Rosenthal die zum Verständniss der Behördenorganisation im Lande unentbehrliche Uebersicht über die Erbtheilungen im Wittelsbachischen Hause vorausschickt, beginnt mit S. 6 das erste Buch, welches der Geschichte des Gerichtsw^esens ge- widmet ist. Das 1. Kapitel von der Gerichtsgewalt des Herzogs bietet in seinem 1. Paragraphe die Entwickelung der herzoglichen Gerichtsbarkeit, und in einem nachfolgenden Excurse die Gerichtsbarkeit über den Herzog. . Die Gerichtsgewalt, als der Mittelpunkt aller ataatlichen Gewalt, bildete das Fundament aller landesherrlichen Rechte, die ErAverbung der im Her- zogthum gelegenen Grafschaften war darum das nächste Ziel der Witteis- bacher, welche durch Erbgang, Heirath und Kauf eine Reihe von Besitzungen alter Grafengeschlechter erwarben rmd so dem Emporkommen fremder landesherrlicher Gewalt innerhalb des Herzogthums zuvorkamen. Kraft der ihm zustehenden Justizhoheit konnte schliesslich der Herzog alle Richter des Landes nach Belieben ein- und absetzen. Dem Reiche gegen- über blieb freilich die Unterordnung bestehen, olngleich dem Herzoge die in Süddeutschland nachweisbare Begünstigung zu Statten kam, dass die Richter den Gerichtsbann nicht vom Könige einzuholen hatten, sondern aus den Händen des Landesherrn empfingen. Erst die privilegia de non evocando und de non appellando beseitigten diese Abhängigkeit. Ersteres erhielten die Witteisbacher 1362, nur wenige Jahre nach den Herzogen von Oesterreich, letzteres hingegen eri'angen sie nur stückAveise zAvischen 1480 bis 1620.

§ 2 handelt von der Bedeutung der Vehmgerichte für Baiern, welche bekanntlich Processe gegen Witteisbacher zu Aviederholten Malen verhandelt haben. Seit dem J. 1444 begann man im Lande gegen diejenigen auf- zutreten, »welche gen Westfalen ziehen, olnvohl sie im Lande Recht be- kämen«. Die Competenz der Vehmgerichte selbst AA'^urde nicht bestritten, nicht einmal in dem energischen Landgebote der Herzoge Albrecht und Sigmund vom J. 1468, wohl aber fühlten sich diese dadurch beschAvert, dass die Vehmgerichte mit Ladungen gegen bayerische Unterthanen ibrt- fuhren und die von den Herzogen kraft der königlichen Reformation und der Hausprivilegien verfügte Abforderung des Handels zum Austrag in ihren Gerichten unbeachtet Hessen. Uebrigens fehlt mit dem letzten

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Viertel des 15. Jalirh. jede Kunde einer Beziehung bayerischer Unterthanen zur Vehme. Mit dem Alischnitt über die kirchliche Gerichtsliarkeit 3) schliesöt das Kapitel über die Gerichtsgewalt des Herzogs und beginnt jenes über die Gerichtsverfassung 4 12). Zunächst kommen die Land- gerichte zur Besprechung, sie sind als Ueberreste der karolingischeu Graf- schaftsgerichte aufzufassen, der historische Zusammenhang zeigt sich in Baieru darin, dass hier die Ausdrücke Graf und Richter, Grafschaft und Landgericht Ins ins 15. Jahrh. als gleichwerthig behandelt wurden. Auch in Oesterreich wurden einzelne Landgerichte bis über die Mitte des 14. Jahrh. als Grafschaften bezeichnet (vgl. meine Geschichte des altern Gerichtswesens in Oesterreich, S. 117); demungeachtet war die Entwickelung in lieiden Nachbarländern grundverschieden. Während in Oesterreich die Zersplitterung der Landgerichte fortwährend zunahm und das Recht über Leben und Tod schliesslich zur Pertinenz des herrschaftlichen Grund und Bodens wurde (a. a. 0. S. 113 ff.) hat in Baiern schon Ludwig L der Kehlheimer (t 1231) eine planvolle Organisation des Territoriums unter Berücksichtigung der historischen Elemente vorgenommen, und begann hier alsbald die Rückbildung der Gerichtslehen zu wirklichen Aemtern. Als dies gelungen, war wieder jenes Princip des karolingischeu Ver- fassungsrechts zur Anerkennung gebracht, welches in dem Richter (Grafen) lediglich einen Beamten und nicht einen Vasallen erblickte, freilich mit dem wesentlichen Unterschiede, dass jener nicht mehr königlicher, sondern landesfürstlicher Vasall war (S. 5l). Diese Eintheilung des Herzogthums in Landgerichte blieb stets die Grundlage der territorialen Organisation. Als Vorstand waltete ein landesfürstlicher Pfleger, welchem zur Besorgung der Gerichtsgeschäfte ein Stellvei-treter als Landrichter beigegeben wurde. Dieser wurde zumeist vom Pfleger selbst bestellt, sollte jedoch ein In- land ei- überdies ein »erber geleumbter« Mann und siegelmässig sein. Den Blutliann empfing er aus den Händen des Herzogs. Ableistung des Richter- eids und Beibringung der herzoglichen Bestallungsurkunde in die erste Gerichtssitzung sind Bedingungen rechtswirksamer Ausübung von Richter- funktionen.

Bedeutungsvoll für die Stellung des Landrichters in Oberbayern war die Erlassung des Landrechts durch K. Ludwig IV. Der Richter war nun an- gewiesen, aus dem Gesetze den Inhalt des Urtheils zu gewinnen und nach des Buches Ausspruch zu tliun. Hinfort bestand ein Gegensatz zwischen dem Richten nach Urtheil (der Anwesenden) und dem »Richten nach In- haltung des Buchs«. Ersteres war nicht gänzlich abgeschafft, sondern nur auf jene Fälle beschänkt, in welchen das Buch keine Bestimmung darbot, die der Entscheidung zu Grunde gelegt werden konnte. Dies war im Gesetze zwar nicht ausdrücklich bestimmt, lässt sich jedoch als dauernde Uebung nachweisen und wurde als solche 1409 von den Herzogen an- erkannt. In Niederbaiern bliel) es bei dem früheren Herkommen; nach dem Verschwinden der karolingischeu Schöffen wurde die Gerichtsbank durch den Vorsitzenden aus den eben Anwesenden von Fall zu Fall zu- sammengestellt, doch wurde es den Urtheilfindern durch ein Landgebot Herzog Georgs vom J. 1491 gestattet vor Fällung des Ausspruchs das Gutachten von Sachverständigen einzuholen.

Bemerkenswerth sin«! auch die Mittheilungen über die Parteien-

522 Literatur.

beistände. Das Institut der Vorsprecher ist in Baiern wohl früher als anderswo in den Bereich der landesfürstlichen Obsorge gezogen worden : Damit arm wie reich der Rechtshilfe theilhaft werden könne, behehlt K. Ludwig IV. 1340 dem Vitzthum in Niederbayern vorzukehren, dass bei den einzelnen Gerichten Vorsprecher vorhanden seien, die »umli ir niu und arbeit von den laeuten nemen, daz beschaiden und leidlich ist«. Für die Anstellung war der Lokalisierungszwang massgebend. Die Landes- ordnung vom J. 1474 Hess diese Beschränkung fallen, machte aber die Vereidigung zur Vorbedingung der Berufsausübung, Die Landesordnung von lölfi kennt bereits von Amtswegen bestellte Armenvertreter (S. S'j).

§ 5 bespricht das kaiserliche Landgericht Hirschberg dessen Ver- waltung 1305 nach dem Erlöschen des alten Grafengeschlechts an die Witteisbacher kam und durch einen Landrichter besorgt wurde, wichtiger ist jedoch § 6 über das Hofgericht. In der deutschen Gerichtsverfassung herrschte der Grundsatz, dass der höhere Richter stets die Funktionen des niederen übernehmen, also konkurrirend mit ihm die Gerichtsbarkeit ausüben düri'e, dadurch sollte namentlich Schutz gegen parteiische Rechts- sprechung gewährt werden. Die Herzoge von Baiern, auf welche ein grosser Theil der Gewalt der Königsboten übergegangen war, reisten gleich diesen im Lande herum und beriefen die Grossen ihres Territoriums zu Versammlungen, welche im gewissen Sinne als Fortsetzung der missatischen Landtage erscheinen und nicht blos der Berathung allgemeiner Landes- angelegenheiten, sondern auch der Aufrechterhaltung des Landfriedens, der Beilegung von Streitigkeiten u. s. w. gewidmet waren. In diesen altern Landtagen, welche bis gegen die Mitte des 1 3. Jahrh. vorkommen und nicht in den Lehensgerichten, noch in dem an den Herzogshof gezogenen grjiflichen Landgerichte, erblickt Rosenthal den Ausgangspunkt für die Entwickelung des bayerischen Hofgerichts. Das mag richtig sein, wenn er jedoch S. 115/llfi weiter geht, und das für Bayern gefundene Er- gebniss als Regel für den Ursprung der Hofgerichte in den übrigen Territorien hinstellt, so werden die Ausnahmen vielleicht häufiger sein, iils die übereinstimmenden Fälle. Schon in Oesterreich lagen die Dinge anders. Die Landtaidinge, in der Zeit der Babenberger, lassen sich zwar mit den von Rosenthal sogen, älteren Landtagen in Bayern bestens ver- gleichen, allein, dass die Gerichtsbarkeit am Hofe des Herzogs von Oester- reich keine Weiterbildung dieser Landtaidinge sei, sondern geradezu in bewusstem Gegensatz zu diesen als Hoftaiding entwickelt wurde, glaube ich in meiner früher genannten Schrift (S. 70 ft.) nachgewiesen zu hal)en. In Bayern beginnt mit dem Verschwinden der älteren Landtage das Hof- gei'icht, meist unter dem Vorsitze des stellvertretenden Vitzthums, in Oesterreich begegnet man Landtaidinge und Hoftaidinge mit konkurriren- der Gerichtsbarkeit neben einander durch mehr als zwanzig Jahre so zwar, dass man sich vorsichtsweise bedang, der Verkäufer solle »gewer sin ze hof und ze taiding nach land esrecht«, wie es in einer Urkunde von 13ÜG heisst (Urkundenbuch d. L. ob d. Enns, IV, 506).

Die weitere Ausgestaltung des Hofgerichts in Bayern ging mit jener in Oesterreich vielfach parallel, zum Theil andere Wege. So wird z. B. S. 127 das bajerische Geding gen Hof behandelt, welches mit der Appellation nahezu i'lentisch sei land ausgeführt, dass durch dasselbe der

Literatur. 523

Rechtsstreit zwischen den ursprünglichen Parteien voi- dem höhere Richter (Hütgericht) fortgesetzt werde. Soweit stimmt es mit dem Dingen auch liei uns. Wenn al>er dann hinzugefügt wird, dass das Hofgeding im Gegensatz zur Urtheilsschelte sich nicht unmittelbar an die Urtheilsver- küudigung anreiht, sondern erst innerhalb 14 Tagen an den Hof gebracht werden musste, so zeigt der Rechtsbrauch in Steiermark doch deutlich den Zusammenhang mit dem altern Rechtsinstitut darin, dass man das Hingen anmelden musste, ehe die Mehrzahl der Urtheiler votiert hatte. Hatten beide Vorsprechen ihre Anträge als Urtheilsvorschlag vorgebracht, »so mag man woll urtail gedingen, ee man über den dritten khombt«, verfügt Art. 17 des steiermärkischen Landrechts. Dass dies auch beim Dingen gen Hof beobachtet werden musste, zeigt die von Bischoff in seiner Ausgabe des genannten Rechtsbuches S. 84 mitgetheilte Urkunde K. Friedrichs HL vom 2. Dez. 1447, welche den Fall behandelt, dass ein Theil aus der Landschraune dingnuss tun soll und mag an uns, . . . doch daz dieselb di(n)genuss beschech ee dann über den dritten gefragt u. s. w. Die Frist von 14 Tagen kommt auch im steirischen Landrecht vor, sie bezieht sich jedoch nicht auf die Anmeldung, sondern auf die Ausführung der »Dingung«. «Ez suUen all urtail umb welleich sach man dingt, in S tagen werden furgelegt, in 14 tagen schol mans verantwurten. Dingt man ir aber aus dem Land, so schol mans in 14 tagen türlegen in ß Wochen verantwurten« (art. 42).

Ständische Tribunale, wie sich solche in den verschiedenen öster- reichischen Landen finden, scheint es in Bayern gar nicht gegeben zu hallen, bei Rosenthal werden keine erwähnt. Darmn verlief auch die Ent- wickelung der Gerichtsbarkeit am herzoglichen Hofe viel einfacher als in Oesterreich, wo schliesslich auch die Hottaidinge unter den Einfiuss der Stände geriethen und Albrecht V. sich nur dadurch zu helfen wusste, dass er dieselben aufhob und deren Geschäfte unter das landmarschallische als ständisches Gericht, und an ein Hofgericht übertrug, das er aus vor- handenen Anföugen weiter entwickelte. Diesem letzteren entspricht im Wesen das bayerische Hofgericht im 15. Jahrh. Hier wie dort finden wir friihzeitig Doktoren unter den Mitgliedern des Hofgerichts, welche als Räthe des Herzogs in dasselbe gelangten.

§ 7 handelt vom Stadtgericht, dem Stadtrath, den Zünften und der Sonderstellung, welche Regensburg einnahm, § S von der Fatrimonial- gerichtsbarkeit, welche Herzog Otto III. im J. 1311 den Ständen auf ihren Gütern gegen Gewährung einer Steuer theils bestätigt, theils neu ein- geräumt hatte.

Die Nachbarlande Bayern und Oesterreich, von stammesgleicher Be- völkerung bewohnt, zeigen demungeachtet bei dem Umfang, in welchem die Gerichtsbarkeit an die Grundherren gelangte, recht erhel)liche Ver- schiedenheit. Vor dem sogen. Gerichtskauf im geilachten Jahre 1311 stand nämlich in Baiern dem Herzoge auch die Kiedergerichtsbarkeit all- gemein zu und konnte dieselbe von geistlichen oder weltlichen Gross- grundbesitzern nur auf (h-und einer (direkten oder indirekten) Verleihung als Ausnahme beansprucht werden; seitdem vermehrten sich diese patrl- monialen Jurisdictionsbezirke so rasch, dass am Ende des 15. Jalnh. Herzog Allu-echt IV. allein in Niederbayern die Zahl der Hofmarken auf

524 Literatur.

600 schätzte. Anders in OesteiTeich, wo den Landrichtern schon nach der Aufzeichnung des Landesrechts vom J. 123fi (Art. 46) jedes Betreten des Grundbesitzes der Grafen, Freien und Dienstmannen im Lande, »oli «i es in urbar habent, ol) si es verlihen habent, ob si es in vogtei habent* untersagt war. Folgerichtig gelangte auch der Blutbann, als das wesent- liche Element der Gerichtsbarkeit nur höchst ausnahmsweise an bayerische Unterthanen, wogegen der sogen. Seifried Helbling 1298 unter den Vor- rechten eines östen-eichischen Ministerialen anführt:

und üf sinem eigen fi-i

sol er von dem riche han

stoc, galgen unde ban. (VIII, 40 ff.)

Soweit kam es allerdings auch bei uns nicht, allein die Herzoge be- gnügten sich mit dem Vorbehalt der Bannleihe und überliessen die Aus- übung der peinlichen Gerichtsbarkeit so freigeliig an die Grundherren, dass es schliesslich (um 1817) in Oesterreich unter und ob der Enns über 300, in Steiermark 136, in Kärnten 63 dergleichen Landgerichte gab, während die Zahl der Niedergerichte nach Liechtensterns Angaben damals im Lande unter der Enns und in Steiermark je über 600 (612 und 609), in Kärnten 470, in Oesterreich ob der Enns 329 betrug!

Anhangsweise zum Abschnitt über die Patrimonialgerichtsbarkeit wur- den von Kosenthai das Dorfgericht (S. 204) und die Ehafttaidinge (S. 206) behandelt, dann folgen die Lehengerichte, die Bergwerksgerichtsbarkeit, die akademische Gerichtsbarkeit und endlich die Gerichtsbarkeit des Hof- marschalls (§§ 9 12), mit welcher das erste Buch schliesst. Das zweite ist der Geschichte der Verwaltungsorganisation gewidmet (§§ 13 24) und bespricht in fünf Kapiteln die Centralregierung, die Mittel- und Unter- behürden, ferner die Eegalien und die Steuerverwaltung. Bei dem rein persönlichen Charakter des landesherrlichen Eegiments machte es sich von selbst, dass die mit dem Dienste bei der Person des Fürsten Betrauten auch sein besonderes Vertrauen genossen und deshalb vorzugsweise zur Erledigung staatlicher Geschäfte benützt wurden. Als Organe der Central- regierung erscheinen darum vor allem die Hofbeamten, unter welchen seit der Mitte des 13. Jahrhunderts der Hofmeister in die erste Stelle rückt, »Kabinetchef und Minister xat' I^OX""]^* nennt ihn Rosenthal. Der zweit- wichtigste Hofbeamte war der Marschall, der dritte der Kammermeister, endlich der Kanzler, dem die formelle Erlediffunjr der wichtigsten Ke-

' 0 0 0

gierungsgeschäfte zufiel. Daneben gab es stets eine grosse Anzahl von Personen Eäthe die sich am Hofe ohne besondere Funktion auf- hielten. Schon in der Hofordnung vom J. 1293 sind sowohl das stän- dische als das Beamtenelement im fürstlichen Rathe vertreten, und dabei blieb es, bis der gefestigten landesherrlichen Gewalt endlich die völlige Verdrängung des ersteren gelingt. Von einer kollegialen Gestaltung dieses Rathes konnte keine Rede sein, es fehlte vor allem die Ständigkeit der Behörde, allein es gibt auch kein Gebiet der staatlichen Thätigkeit, welches seinem Wirkungskreise entrückt geblieben wäre. Seit den Tagen K. LudAvigs IV. werden der Gesammtheit der Räthe die »Heimlichen« als Männer besonderen Vertrauens entgegengesetzt. Die Zusammensetzung des Rathes war jeweilig vom Befehl des Herzogs al^hängig und die Zalil der Eathgeber schwankte zwischen 7 bis 50. Erst durch den Vertrag von 1466

Literatur. 525

erhielt der Rath eine festere Formation. Für Herzog Sigmund und Allirecht IV. (München) werden ein Hofmeister und G Räthe bestimmt, was diese »alle oder der mehrere Theil be.schliessen, dem soll nachge- gangen werden«, 1489 verordnete dann Herzog Georg, um den Beschwer- den der Lancistände Abhilfe zu schafien, den »geordneten Rath« zur Besorgung der laufenden Geschäfte ; 1501 wird dann nach österreichischem Vorbilde ein »Hof rath« eingesetzt. Die Stellung des Kanzlers als Vor- standes der Kanzlei und seiner Untergebenen, und eine Schilderung des Archivwesens beschliessen den ersten Abschnitt.

Unter den Mittelbehürden behaupten die Vitzthume (^ 15) den ersten Rang. Schon 1204 erscheint ein vicedoniinus ducis Bavarie, bald nach der ersten Theilung (l255) scheint zu Verwaltungszwecken eine förmliche Eintheilung des Landes in Vitzthumsämter erfolgt zu sein, für welche in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Name Rentmeisterämter aufkam.

Der Vicedom ist in seinem Sprengel der unmittelbare Vertreter des Herzogs u. zw. sowohl auf dem Gebiet der Justiz als auch dem Militäri- schen und der Finanzverwaltung. Im 1 4. Jahrh. übernahmen Landschreiber die financiellen Geschäfte, im 1 5. Jahrh. folgen ihnen Rentmeister, während die Landschreiber die Kontrole erhalten. In weiterer Entwickelung rückte der Rentmeister in den Mittelpunkt der gesammten Verwaltung und winl zu einem Kontroleorgan aller Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung. Er war der höchste Kassenbeamte der Provinz und in seiner Kasse sammelten sich alle rechnungsmässigen Ueberschüsse der äusseren Aemter des Rentamts, welche vom Vicedom an das Hofzahlamt abgeführt wurden.

Durch die Schaffung dieser Mittelbehörden war die Organisation der l)ayerischen Verwaltung jener in den Landen der österreichischen Herzoge weit voraus. Vicedome mit weit beschränkterem Wirkungskreise wurden erst durch Maximilian I. für alle fünf niederösterreichischen Lande be- stellt, früher behalf man sich mit dem Hubmeister in Oesterreich, mit dem Landschreiber in Steiermark, nur Kärnten und Krain hatten schon unter den Sponheimern im 13. Jahrh. landesfürstliche Vicedome erhalten, neben welchen es ausserdem solche für die Hochstifte Bamberg, Salzburg, die Grafen von Ortenburg u. s. w. gab.

Als Unterbehörden werden die Pfleger und Richter und die Kastner namhaft gemacht 17, 18). Da die Landgerichtsbarkeit in Bayern mit verschwindenden Ausnahmen dem Herzoge geblieben war, in Oesterreich aber, wie früher gezeigt wurde, mit dem Gros 5grundbesitze verbunden war, so gab es bei uns nur dort landesfürstliche Pfleger, wo der Gross- grundbesitz dem Landesherrn gehörte. Die aus einer Bestallung vom J. 1538 für Bayern nachgewiesene Verpflichtung der Pfleger, dem Herzoge mit einer bestimmten Anzahl gerüsteter Pferde und Knechte zu dienen, scheint aus Oesterreich entlehnt zu sein, sie bildet feinen Theil der von Maximilian I. zur bessern Ausnützung des Kammergutes getroftenen Mass- regeln. Die von Rosenthal S. 344 mit Bedauern verzeichnete »pflegweise Uelterlassung eines Landgerichts« auf eine Anzahl Jahre oder bis nach l^ezahlung einer geschuldeten Summe, flndet sich bei uns in der Ver- pfändung von Staatsgütern, in den sogenannten Pfandschaften getreulich wieder.

526 Literatur.

Im 4. Kapitel von der Kegalienverwaltung werden § 1 9 die Forst- und Jagdbeamten, § 20 22 die Münz-, Bei'g- und Zolllieamten, § 23 die Ungelter Lehandelt, § 24 ist den Organen der landständischen Steuer- verwaltung gewidmet. Die Ergebnisse der Verfassers stimmen im grossen und ganzen mit unsern Verhältnissen ülterein, noch grosser ist die Ueher- einstimmung in der Organisation der Central- und Mittelhehörden im 1 6. Jahrhundert, weil hier direkte Entlehnungen vorkamen. Rosenthal hat es selbst ausgesprochen, dass die Einrichtungen K. Ferdinands I. das Vorbild für die Verwaltungsorganisation in den deutschen Territorien waren und hat dieselben, wie oben erzählt, als Vorarbeit zu dem be- sprochenen Werke im Archiv für österr. Geschichte ausführlich geschildert, Nach österreichischem Vorbild, jedoch keineswegs in sklavischer Nach- ahmung wurden so die Kollegialbehörden des Hofraths und der Regie- rungen (§ 25), der Hofkammer 26) und der Kanzleien 30) mit Berücksichtigung der liesondern bayerischen Verhältnisse zum Theil schon von Albrecht IV., namentlich aber von Alln-echt V. organisirt, der Kriegs- rath 28) und der geheime Rath 29) gewinnen erst unter Herzog Maximilian ihre ganze Bedeutung, reichen jedoch mit ihren Anfängen bis in die Regierungszeit Herzog Wilhelms V. zurück (1582/3). Dagegen scheint der geistliche Rath 27) auf bayerischem Boden erwachsen zu sein. Der Religionsrath, welchen Albrecht V. im J. 1557 als eine be- sondere Deputation von Hofräthen zur Besorgung der kirchlichen An- gelegenheiten einrichtete, dauerte zwar nur zwei Jahre und wurde erst 1570 als »geistlicher Rath« wieder hergestellt, allein man wird kaum fehlgehen, wenn man ihn als das Muster für den österreichischen »Kloster- rath« erklärt, welcher in einem an K. Ferdinand IIL erstatteten Bericht der n. ö. Regierung vom 22. März 1640 auf eine Anordnung K. Maxi- milians II. zurückgeführt wird. Mit sehr beachtenswerthen Untersuchungen über das Staatsdienerrecht und den Charakter des Beamtenthums 31, 32) schliesst der vorliegende erste Band.

Es ist eine in der publicistischen Literatur allgemein verbreitete Ansicht, dass eine gesetzliche Regelung des Staatsdienerrechts in Deutsch- land erst durch das preussische Landrecht erfolgt sei, wie auch erst Friedrich Wilhelm I. als der Schöpfer eines berufsmässigen Beamtenstandes zu betrachten sei. Diese Ansicht erweist sich eindringlicher Spezial- forschung gegenüber als unhaltbar. Die Beamtenstellung regelte nur einige Theile des Beamtenverhältnisses (Dauer desselber, Gehalt, Zahl der zu stellenden Pferde u. s. w.), während für andere Rechtsverhältnisse die allgemeinen gesetzlichen Normen, beziehungsweise gewohnheitsrechtliche Uebung, massgebend war. Schon im 1 4. Jahrh. wird von Seite der Stände der ( ? das) Indigenat als eine Vorbedingung für die Anstellung durch- gesetzt, ferner war die Leistung dos Diensteides eine nothwendige Voraus- setzung rechtsgiltiger Handlungen. Aus dem Dienstvertrage erhalten die Beamten den Anspruch auf die vereinbarte Besoldung, einzelnen wird S(;hon im 16. Jahrh, ein Ruhegehalt für die Zeit zugesichert, in welcher sie ihren Dienst nicht melir verrichten konnten. Dagegen übernimmt der Beamte die Verpflichtungen: 1, seine ganze Arbeitskraft für seine ämt- liche Wirksamkeit einzusetzen, 2. Gehorsam gegenülter dem Landesherrn und den Befehlen seiner Vorgesetzten, und 3, Bewahrung des Dienst-

Literatur. 527

geheimnisses. Verletzungen dieser Pflichten zogen Strafen nach sich, doch ergibt sich aus der Androhung, dass dem Herzog kein willkürliches Ent- lassungsrecht der Beamten zustand, sondern nur auf Grund diesbezüglicher gesetzlicher Bestimmungen. Jeder Beamte haftete für den Schaden, den er durch Pflichtverletzung, sei es dem Herzog, sei es einem Unterthan, zufügte, und konnte deshalb vor dem Hofgericht belangt werden. Schon im K). Jahrh. wird der Unterschied zwischen ausschliesslichen Hof- und den Staatsbeamten scharf betont. Der niedere Adel erhielt sich dauernd im Besitz der meisten Hof- und Landesämter, in den Eath der Herzoge drang aber das bürgerliche Element ein, als man anfing, den Vortheil wissenschaftlicher Bildung für die Erledigung von Regierungsgeschäften zu schätzen. Das Eindringen der Juristen in die Gerichte ergab sich (nach Ansicht des Verfassers) als eine Folge der Thatsache, dass Doktoren als landesfürstliche Räthe bestellt wurden.

Rosenthals Arbeit liest sich leicht, ist übersichtlich angelegt und so vollständig, dass sie kaum irgend was Wesentliches vermissen lässt. Ex- curse am Schlüsse der einzelnen Abschnitte: über die Anfange des diplo- matischen Dienstes, über Räthe von Haus aus, Archiv und Bibliothek bewältigen den Stoff, der sich anderswo nicht gut unterbringen liess ; dass mit einem umfänglichen Notenapparate nicht gespart werden konnte ver- steht sich bei einem Werke von selbst, das gutentheils ungedruckte Quellen verwerthen musste. Auf die Korrektheit des Druckes wurde grosse Sorgfalt verwendet. Die Tafel der Berichtigungen und Ergänzungen führt anderthalb Dutzend Druckfehler auf ßOO Seiten an; mir ist noch etwa ein halbes Dutzend aufgefallen, von welchem ich die drei Namen Suikerus (S. 2ri6), Maurkircher (S. 509) und Khulmer (S. 535/6) aus Snikerus, Mauekircher und Khulmar berichtige. Kein Druckfehler ist die Angabe S. 3, Anm. 1, dass Tirol 1369 an Oesterreich kam. Der Verfasser rechnet als Bayer nach der Abtretung, welche durch den Schärdinger Frieden eintrat, wogegen wir in Oesterreich den Erwerb auf Rudolf IV. und das Jahr 1363 beziehen. Zu berichtigen ist hingegen das Datum des Schladminger Bergbriefs (S. 117) von 1308 auf 1408, wie das mein Kollege Reg.-Rath Bischoff in einem Aufsatze erwiesen hat, der in den Mittheilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins, Jahrgang 1891, erschienen ist. Ein Missverständniss endlich ist dem Verfasser auf S. 376 bei Be- sprechung der Münzprüfung unterlaufen. Die aus Lori L, 38 angeführte Stelle bezieht sich nämlich nicht aufs Schrot, sondern aufs Korn der Münze, betrifft daher nicht das Passiergewicht, sondern das Kemedium. Doch diese Ausstellungen sind von keiner Bedeutung und nicht geeignet den Werth der wirklich schönen Leistung des Verfassers zu schmälern.

Graz. Luschin v. Ebengreuth.

Heiligkreuz und Pfalzel, Beitrüge zur Baugescliiclite Triers, von W. E ff mann. 4", 159 S., 107 Abb. im Text (voraugeschickt dem Lectionskatalog der Universität Freiburg i. d. Schweiz, W. Sem. 1890—1).

In der Kunsttopographie Deutschlanils nimmt Trier eine ganz be- sonders wichtige Stellung ein. Erstlich hat diese Stadt, die eine Zeit lang eine der vier Hauptstädte des römischen Weltreichs gewesen ist.

528

Literatur.

mehr Ueberreste von Kunstdenkmälern aus römischer Zeit aufzuweisen als irc^end eine andere Landschaft Deutschlands. Aher auch die Mero- mngerzeit ist hier im baukünstlerischen Schaffen nicht ganz steril gewesen, und wenn gegen Ende des ersten Jahrtausends die Bedeutung der Stadt gesunken war, so hob sie sich umsomehr wieder vom 11. Jahrh. ab, das nicht bloss für den Trierer Dombau, sondern auch für manche andere bedeutsame Anlage von entscheidender Wichtigkeit gewesen ist. So sehen wir fast alle Bauperioden von der römischen l)is auf die moderne Zeit in Trier und dessen nächster Umgebung vertreten, worüber bereits eine reich- haltige Literatur vorliegt.

Und doch scheint der Boden nach dieser Eichtung noch immer nicht erschöpft zu sein, wenigstens nach den vorlegenden Ergebnissen der Untersuchungen Elfmann's zu schliessen, dem es gelungen ist, zwei für die Geschichte der romanischen Architektur in Deutschland höchstbedeut- same Denkmäler in ihrer Ursprünglichkeit vmd nach ihrer Entstehungszeit in völlig überzeugender Weise klarzustellen.

Das eine Denkmal ist die Kapelle von Heiligkreuz innerhalb der Bannmeile von Trier. Die Verhältnisse liegen in diesem Falle so klar zu Tage, dass man kaum begreifen kann, wie der Sachverhalt so lange ver- dunkelt bleiben konnte. Die Schuld daran trug namentlich die Verquickung dieses Baues mit einem andern, über welchen schriftliche Nachrichten vorliegen, die man ii-rthümlicherweise auf Heiligkreuz bezogen hat. Efl- mann weist nun zur Evidenz nach, dass die genannte Kapelle in der zweiten Hälfte des 1 1 . Jahrh. entstanden sein muss. Die Tragweite dieses Ei-o-ebnisses wird klar, wenn wir die Beschaffenheit des Baudenkmals kurz charakterisiren : reine kreuzförmige Anlage mit gleich langen Kreuzarmen, die Arme tonnengewölbt, über der Vierung ein Thurm mit achtseitigem Klostergewölbe, also fürs Erste eine in Deutschland höchst vereinzelte Anlage," ferner eines der ältesten Beispiele von durchgängiger Anwendung der Wölbung und eines Vierungsthurmes.

Weit komplicirter liegen die Verhältnisse beim zweiten von Effmann untersuchten Bau, der eine Stunde ausserhalb Trier gelegenen Stiftskirche zu Pfalzel. Dieselbe dient seit vielen Jahrzehnten nur mehr profanen Zwecken, und zwar gehören ihre einzelnen Theile verschiedenen Besitzern, so dass es dem heutigen Beschauer nicht einmal möglich ist, einen Ge- sammtüberblick über die Anlage zu gewinnen. Auf Grund einer durch zahlreiche Illustrationen unterstützten, überaus lichtvollen baugeschicht- lichen Untersuchung, die vom heutigen Zustande ausgehend sich nach rückwärts bewegt und deren Lektüre zum wohlthuenden Unterschiede von den meisten ähnlichen Untersuchungen einen wahrhaften Genuss bereitet, gelangt der Verf. zu dem überraschenden Ergebnis«, dass wir in der Stiftskirche zu Pfalzel das nächst dem Trierer Dom älteste kirchliche Baudenkmal Deutschlands zu erblicken haben. Der Kern der Anlage ist römisch, zum Gotteshause eingericlitet in merowingischer Zeit, umgebaut in dem bedeutsamen 1 1 . Jahrh,, gewölbt im 1 3. Jahrh.

Das Ergebniss ist ein für die Kunstgeschichte so hervorragendes, dass es die von E. darauf verwandte Mühe reichlich lolmt.

Alois Riegl.

Zu S. 431 Sickel, Erläuterungen zu den Diplomen Otto III.

Wie ich den Erläuterungen zu den DDO. IL, um deren Benutzung zu erleichtern in Mitth. Erg. 2, 191 eine Vergleichungstafel und ein Ver- zeichniss der erläuterten Diplome beigefügt habe, gedenke ich die hier S. 209 245 und S. 369 431 abgedruckten Erläuterungen mit gleicher Zuthat zu versehen, jedoch erst wenn auch der Schluss der auf die DDO. III bezüglichen Excurse veröffentlicht sein wird. Bis dahin möge man mit der folgenden gedrängteren Zusammenstellung voidieb nehmen. Die den Nummern der neuen Ausgabe in Klammern beigefügten Zahlen bezeichnen Stumpfs Regesten und bei den an den Schluss gestellten Briefen der Gerbertschen Sammlung die Nummern der Havet'schen Edition.

S.

4 (874) S. 399

7 (877, 878)

11 (882), -"^

16 (884),

21 (891)

25 (895),

S. 381. D. 46 (915),

223. D. 51 (920)

D. D. D.

D

S. 374- (883), 13

12

19 (889), 20 - S. 397.

900), 37 (908)

-37 7.

(964), (890),

29

50 (919) S. 239

S. 219-

D. Dl (920} S. 239.

D. 53 (923), 54 (924), 56 (926)

S. 219 223, 232, 238. D. 58 (928) S. 234, 245. D. 65 (937), 69 (941), 70 (1282)

S. 219 228. D. 92 (961) S. 387. D. 97 (968),99(97l), 100(970), 101

972 S. 220 223, 226 230. D. 114 (984) S. 373. D. 132 (1001) D. 147 (1019) D. 149 (1007) D. 150 (1021)

S. 223.

S. 397.

S. 220, 231. ^. .^w ^iu^iy S. 225, 226, 397. D. 152 (102.3), 153 (1024), 154 (1025), 155(1026), 156(1027),

157 (1028), 158 (1029), 159

(1031, 1030), 160 (1033), 161 (1034) S. 385—387.

(1034) S. D. 165 (1038)

385-

S.

■387. 373.

D. D.

D.

172 (1044), (1046). 175 197 (1067) 209 (1079), (1082), 214

S. 389— 217 (1085), (1087) S, 220 (1087^)

225 (1091) -

226 (896) 400 404.

227 (1099)

229 (1094)

395—399.

230 (1094^)

231 (1096)

232 (1097)

233 (1098) 235 (1100) 243 (1110), (1113), 246 248 (1116), (1118), 251

S. 422

253 (1121) -

254 (1122), S. 422 424 278 (1141)

173 (1045), 174

(1047) S. 387.

S. 370. 210 (loso), 213

(1083), 215 (1084) 393.

218 (1086), 219

394.

S. 223.

S. 395.

S. 395 , 397,

S. 404 412.

S. 377—379,

S. 377, 399.

S. 396 400.

S. 399.

S. 37 7, 399.

S. 422. 244 (Hl 2), 245

(1114), 247(1115),

249 (1117), 250

(1119), 252 (1120)

-424.

S. 377 379.

255 (1127) S. 225.

D. 196 (Havet 215), 212 (H. 213), 216 (H. 214), 228 (H. 216) S. 413—419, 431.

Briefe:

D.

241 (H. 186), 260 (H. 218) - S. 413 416, 419 421, 425 431.

Tliierstrafen und TMerprocesse.

Von

Karl V. Amira.

Die rechtsgeschichtliclien Erscheinungen, welche die Ueberschrift andeutet, sind bis jetzt nicht in allseitig befriedigender Weise erklärt und daher auch nicht in den Gang der Kechtsentwicklung eingeordnet. Solange dies nicht gelingt, müssen der letzteren Widersprüche und Lücken anhaften, die eine sichere und deutliche Formulirung wichtiger Grundlehren des Strafrechts, des Processrechts und des Privatrechts nicht nur im Mittelalter, sondern auch in viel weiter zurückliegenden Zeiten verhindern. Als ein Versuch, diese Hindernisse hinwegzuräumen, wollen die Studien beurtheilt sein, worüber ich Bericht erstatte.

Die Vorkommnisse, um die es sich handelt, sind folgende: Man hat Thiere wegen bestimmter von ihnen angerichteter Schäden öffent- lichen Strafen oder doch einem Verfahren unterworfen, das den An- schein eines öffentlichen Strafverfahrens gewährt. Die Träger der Staatsgewalt haben z. B. die Strafe des Hängens, des Lebendigbegrabens, des Verbrennen s durch das ordentliche Vollzugsorgan, den Nachrichter, an Thieren vollstrecken lassen und es sind dabei die nämlichen feier- lichen und umständlichen Formen beobachtet worden, die für den Vollzug von Todesurth eilen an Menschen bestimmt waren. Die geist- liche Gewalt hat gegen Thiere den Kirchenbann ausgesprochen. Dieser aber erging in denselben Formen des Strafurtheils , welche gegen Kirchenmitglieder einzuhalten waren, wie andererseits der Todesstrafe ein förmliches Todesurtheil des ordentlichen weltlichen Gerichts gegen das Thier voranging. Das eine wie das andere Urtheil ferner bildete selbst wieder nur den Abschluss eines geordneten gerichtlichen Ver- fahrens. Und zwar sehen wir in diesem oftmals das Thier geradezu als Partei behandelt, verklagt, zur Verantwortung vorgeladen, durch

Mittheilungen XII. 34

546 A m i r a.

einen Officialanwalt vertreten, und sorgsam ist das Eecht an der Arbeit, zwischen dem klagenden Menschen und dem verklagten Thier Sonne und Wind gleich zu vertheilen. Wo der Process unter Menschen ein schriftlicher, konnte auch der mit dem Thier Dutzende von Schrift- sätzen und ebensoviele Termine die Augenscheinaufnahmen nicht gerechnet erfordern und so selbst bei schneller Justiz halbe Jahre sich hinziehen. Am meisten im Schwang ist diese strafrechtliche Be- handlung von Thieren, soviel sich wenigstens auf den ersten Blick erkennen lässt, in der Zeit vom 13. bis ins 17. Jahrhundert. Aber erst im 18. und 19. Jahrhundert klingt sie aus, ja theilweise ragt sie sogar noch in die Gegenwart hinein und andererseits liefert schon das Kechtsleben des Alterthums Analogien. Sehen wir auf das Verbreitungs- gebiet der im Wesentlichen hier einschlagenden Thatsachen, so zeigen sich daran betheiligt die Kechte orientalischer und gräko-italischer Völker, insbesondere aber auch die germanischen und slavischen Kechte und deren Tochterrechte.

Auf alle diese Dinge ist die Wissenschaft längst aufmerksam ge- worden, wenn auch bei weitem nicht alle im Gesichtskreis des einzelnen Forschers lagen, und wenn auch die Zwecke gewechselt haben, welche die Forschung verfolgte. Als es sich bei den Thierstrafen und Thier- processen überall noch um anzuwendendes Kecht handelte, war es die Praxis, der die Theorie zu dienen suchte, und die Werke der in diesem Dienst arbeitenden Juristen und Theologen werden unter unsern Quellen zu nennen sein. Als das praktische Interesse verschwunden oder doch in den Hintergrund getreten war, erwachte das antiquarische und als- bald auch das cultur- und rechtshistorische. Einige Schriftsteller haben sich allerdings damit begnügt, die am leichtesten erreichbaren Notizen über diesen Gegenstand als Zeugnisse der Sonderbarkeit und allenfalls noch des Aberglaubens einer glücklich überwimdenen Zeit ihren Lesern vorzuführen. Schon Dom Carpeutier^), dann G. Chr. Lichten- berg-), Berriat-Saint-Prix ^), Vernet*), Lud. Laianne ^), F. Nork*'), Em. Agnel') müssen als die bessern Vertreter dieser

1) Zu Du Gange Gloss. s. w. homicicla, excommunicatio. *) Vermischte

Schriften Bd. IV 1802 S. 477—481, wo übrigens nur von der Excommunication und den Processen gegen Thiere die Rede ist. ^) Des proces intentes aux

animaux in Themis ou biblioth. du Jurisconsulte (Paris) I 1819 p. 194 197, dazu Vni B 1820 p. 61 f., ferner Rapport et recberclies sur les proces et jugements relatifs aux animaux in Memoires de la soc. roy. des antiquaires de France VIII (Paris) 1829 p. 403—450. ") Lettre . . . sur les proces faits aux animaux (in

Th6mis VIII ß p. 45— Gl). •') Curiosites des traditions (Paris) 1847 p. 429—

436. «) In Scheible's Kloster Bd. XII 1849 S. 942-949. ^) Curiosites

judiciaires et historiques du moyen-äge, Paris 1858.

Thierstrafen und Thierprocesse. 547

Curiositätensammlerei genannt werden i), und unter ihnen wieder als der verdienstvollste Berriat-Saint-Prix, der die grösste Menge fran- zösischer MateriaHen zusammengebracht hat, worüber seine Nachfolger nur um Weniges hinausgekommen sind 2), Andere Gelehrte haben ver- sucht, die Thierstrafen und Thierprocesse geschichtlich zu erklären. In solcher Absicht haben A. Bouthors^), L. Menabrea^), E. Osen- brüggen^), D'Arbois de Jubainvilleß), AI. SoreH), Ant. Pertile»), C. Lessona^), Fr. Ortoli^") besondere Aufsätze und Abhandlungen veröffentlicht, Mittermaier 1^), Ferd. Hepp^^)^ C. Trümmer i^)^ Ch. Louandrei^), K. Seifart i^), W. Mannhardt le), J. Tho-

') Andere verzeichnet Sorel (s. Note 6) p. 44 ff. Dazu kommen: »Criminal- processe gegen TMere* in Miscellen aus der neuesten ausländ. Literatur Bd. LXV (Jena 1830) S. 152—155 (Auszug aus Berriat-Saint-Prix) Steph. Jörgensen Nogle frugter af mit Otium I (Kcebenhavn 1834) S. 216—223 (beruht fast ganz auf dem vorigen Artikel), F. S. : »Bestie scomunicate* in La Rassegna settimanale Vol. VII (Roma 1881) p. 153—155 (im Wesentlichen Lesefrüchte aus Menabrea, s. N. 3), L. Cr et eil a »Gli animali sotto processo* in FanfuUa 1891 No. 65 (in der Hauptsache auf Berriat-Saint-Prix und Menabrea beruhend). 2) Auch

die eigenen Worte von Berriat-Saint-Prix sind öfters (ohne Quellenangabe) aus- geschrieben worden, zo z. B. von Agnel p. 30 Z. 12—21 (= Berriat-S.-P. Mem. VIII p. 411 f.), obendrein eine Stelle, die ein geographisches Missverständniss (vgl. S. 570 Note 1) enthält, ferner p. 30 Z. 1—5 (= Berriat- S.-P. a. a. 0. 423, wo abermals ein Missverständniss der Quelle, vgl. S. 562 Note 1), auch S. 13 Z. 7 flg. (=• Berriat-S.-P. a. a. 0. p. 434). Ueberhaupt spielt in dieser Literatur das Plagiat eine bemerkenswerthe Rolle ; s. unten N. 10. «) Coutumes

locales . . . d'Amiens I 1845 p. 354—358. «) De l'origine, de la forme et

de l'esprit des jugements rendus au moyen äge contre les animaux in den Mem. de la soc. roy. de Savoie t. XII, Chambery 1846 p. 399—523, dazu Documents p. 524—557. 5) Studien zur deutschen und Schweiz. Rechtsgeschichte 1868

S. 139 149. Dem Verf. waren die einschlägigen Arbeiten seiner Vorgänger so gut wie unbekannt. ß) Les excommunications d'animaux in Revue des que-

stions historiques V Par. 1868 p. 275—280 (bezieht sich nur auf eine Publication von Urkunden durch D e s n 0 y e r s). ') Proces contre des animaux et insectes

suivis au moyen äge dans la Picardie et le Valois, Compiegne 1877. ^) Gli

animali in giudizio in den Atti del reale istituto Veneto, t. IV ser. VI, Ven. 1885—86 p. 135—153 (kein neues Material). ") Giurispmdenza animalesca in

Gazzetta letteraria, Torino 1887 No. 46, 48 (Auch hier so gut wie kein Zuwachs an Stoff). '0) Les proces d'animaux au moyen äge in der Zsch. La Tradition,

Par. 1888 p. 77—82. Wiederum nur das von den älteren französ. Arbeiten ge- botene Material. Sein Referat über De Chassanee p. 78 flg. hat der Verf. fast wörtlich aus dem von Vernet in Themis VI 11 p. 48 flg. abgeschrieben, ohne seine Bezugsquelle zu nennen. ") Krit. Zschr. f. Rechtswissenschaft u. Gesetzgebg.

III 1831 S. 480 flg. ^') Die Zurechnung auf dem Gebiete des Civilrechts 1838

S. 103 flg. 'S) Vorträge über Tortur u. s. w. I 1844 S. 392. '*) Revue des deux mondes 1854 I p. 331—336. »ß) Hingerichtete Thiere und Gespenster in Zschr.

f. deut. Kulturgesch. 1856 S. 424—430. »«) Germanische Mythen 1858 S. 368.

34*

548 Amira.

nissen^), H. DumeriP), A. Lacassagne^), A. H. Post*), 0. G i e r k e ^), H. B ru n n e r ß) wenigstens beiläufig die Sache gestreift. Ihre Mutmassungen gehen weit auseinander. Die altern französischen Schrift- steller haben die weltlichen Thierstrafen aus dem mosaischen Eecht abgeleitet, die Thierexcommunication und den eigentlichen Thierprocess dagegen auf die Dämonologie des Mittelalters und die Ansichten der- selben Zeit von der kirchlichen maledictio zurückgeführt. Am ent- schiedensten angestellt und am weitläufigsten ausgeführt ist dieser Erklärungsversuch bei Menabrea. Daneben aber glaubt Menabrea doch auch noch nach einem rechtspolitischen Motiv suchen zu müssen, welches die Thierprocesse verständlich machen soll. Er schreibt ihnen (p. 400) einen erziehlichen Zweck zu: ,,ces procedures ne constituaient primitivement qu'une espece de symbole destine ä ramener le sentiment de la justice ..." Dieser Gedanke hat Sorel's Beifall gefunden, wie- wol er einigermassen dem zu widersprechen scheint, was Menabrea p. 481 sagt, dass nämlich die formelle Annäherung der Malediction an die Excommunication den Thierprocess zur Folge gehabt habe. Einfacher hilft sich in dieser Hinsicht D'Arbois de Jubainville. Nach ihm konnte ein Verwaltungsakt wie die Malediction nur in den Formen des gerichtlichen Verfahrens erledigt werden, da er einem Gericht übertragen war. Von einem ähnlichen Gedanken geht bezüglich der Thierexcommunication Lessona aus, während er die sonstigen Thier- strafen hauptsächhch durch die polizeilich-rationalistische Einmischung des Staats zu erklären sucht. Dagegen betrachtet Thonissen die alt- testamentlichen und griechischen Thierstrafen unter dem Gesichtspunkt des erziehlichen „Symbolismus" in der Art Menabrea's. In Deutsch- land meinte man in den ersten Jahrzehnten, nachdem die Forschungen von Berriat-Saint-Prix bekannt geworden waren, zu den sämmtlichen Thierstrafen und Thierprocessen den Grund in dem Charakter des germanischen und des mittelalterlichen Strafrechts finden zu können, welches ein blosses Rachesystem gewesen sei ''). Nur anders gewendet wiederholt sich diese Ansicht noch bei Post, der alle strafgerichtliche Verfolgung von Thieren auf den Indifferentismus des primitiven Rechts gegen die Arten des thierischen und menschlichen Verschuldens

') Etudes sur l'hist. du droit crim. II 1869 p. 198 f. Le droit penal de la republique Athenienne 1875 p. 256, 412 f. ^) Les animaux et les lois,

Par. 1880 p. 6—13. s) Kosmos Zschr. für Entwicklungslehre 1882 S. 2G4— 67. ") Bausteine I 1880 S. 2.30 f. D. Grundlapren des Rechts 1884 S. 359 f. ^) Der Humor im deut. Recht 2. Aufl. 1886 S. 23-25, 61. «) lieber absichtslose

Missethat im altdeut. Strafrechtc in den Sitzungsber. der Berlin. Akad. XXXV 1890 S. 834—839. ') Mittennaier, Hepp, Trümmer, Seifart a. d. a. 0.

Thierstrafen und Thierprocesse. 549

zurückführt. Später dagegen hat Osenbrüggen die schon von J. Grimm i) angedeutete Idee von einer deutschrechtlichen Personification des Thiers zu dem beherrschenden Gesichtspunkt gemacht, worunter die hier in Eede stehenden Phänomene mit den Fällen scheinbarer Thier- berechtigung zusammengestellt werden konnten. Denselben Weg, den Osenbrüggen verfolgte, haben in Frankreich Louandre, Ortoli und Lacassagne an einem weiter zurückliegenden Punkt betreten, der erstere, indem er auf die mittelalterhche Auffassung der Thierseele in Dichtung und Kunst, der zweite, indem er auf die aus altgallischen Zeiten an- geblich überkommenen Vorstellungen von Naturbeseelung und Seelen- wanderung, der dritte, indem er auf die angebliche Gleichstellung des Thieres mit dem Menschen in der primitiven Gesellschaft verwies. Pertile geht auf Menabrea zurück, sucht aber auch Anschluss an Osenbrüggen. Doch lässt sich kaum sagen, dass durch diese Methode die Klarheit gefördert werde. An eine Personification des Thieres in germanischen Kechten glauben auch Gierke, der jedoch neben ihr noch das Spiel einer Kechtsparodie annimmt, und H. Brunner, der das Strafverfahren gegen Thiere mit dem selbstständigen Sklaven- process, die amtliche Hinrichtung von Thieren mit der von Sklaven parallelisirt, aber auch, ohne biblisch-kirchlichen Einfluss ganz abzu- lehnen, für wahrscheinlich hält, dass der Gedanke der Thierstrafe auf arisch-religiöse Vorstellungen zurückgehe. In ganz anderm Sinn hat eine mythologische Erklärung der Thierprocesse Mannhardt angedeutet.

Wenn so oftmalige Anläufe nicht einmal zu dem Ziel einer herr- schenden Ansicht unter den Historikern geführt haben, so scheint mir die Ursache theils darin zu liegen, dass man gewöhnlich mit einem allzu geringen Material an Quellen und literarischen Hilfsmitteln ge- arbeitet hat -), theils aber auch darin, dass man der Combinationslust die Zügel schiessen liess, ohne dass eine ausreichende Analyse der verglichenen Thatsachen vorangegangen war.

Ehe irgend ein Erklärungsversuch unternommen wird, sollten die zu erklärenden Thatsachengruppen genau charakterisirt sein. Bleiben wir in dieser Hinsicht zunächst bei denen des mittelalterlichen Kechtslebens stehen. Wenn wir dem letzteren gewisse Thatsachen

') Deut. Reclitsalterthümer S. 670. ^) Vollständig wird allerdings der

so weit zerstreute Stoff kaum jemals zu vereinigen sein, und sicher wäre auch die Menge des mir unTDskannt gebliebenen viel grösser, als sie noch jetzt ist, wenn nicht theilnehmende Freunde dieser Untersuchung werthvolle Belegstücke und literarische Behelfe beigesteuert hätten. Ich habe hier dankbar zu nennen die Herren H. Brunner, Arn. Capra, E. Grosse, Reinh. Köhler , Friedr. S. Krauss, V. A. Secher, Ph. Lotmar, Fr. Neu mann, Joh. Steenstrup.

550 A m i r a.

zurechnen, die chronologiscli erst der Neuzeit angehören, so halten wir uns hiezu insofern für befugt, als in denselben Ueberlieferungen aus dem Mittelalter zum Ausdruck gelangen. Wir scheiden jedoch dabei das slavische Material einstweilen noch vollständig aus, weil es fast durchaus dem Kechtsleben der Gegenwart entnommen werden muss.

Hier nun muss sofort der scharfe Gegensatz zwischen dem welt- lichen und demjenigen Verfahren auffallen, das wir vorläufig nach seiner gewöhnlichen Gestalt das kirchliche nennen können.

Das weltliche Verfahren griff nur gegen Hausthiere Platz. Im üebrigen machte die Thiergattung einen Unterschied ursprünglich nicht. Doch findet sich schon im Mittelalter, dass das Justificiren der werth- volleren Thiergattungen im fiskalischen Interesse abgeschafft wird, während das der minderwerthigen Hausthiere fortdauert ^).

Fast überall griff das Verfahren nur Platz wegen Tödtung oder Verletzung von Menschen und zwar in der älteren Zeit nur wegen Tödtung. In italienischen Rechtsgebieten allerdings erscheint es auch vielleicht sogar eher wegen Sachbeschädigung zulässig. Stets aber gehört zum Thatbestand, dass das Thier nicht als Werkzeug eines Men- schen den Schaden angerichtet hat. Ein Rechtsstreit, worin das Thier als Partei behandelt wurde, scheint nirgends vorzukommen ^), selbst nicht zu der Zeit, als ein solcher Rechtsstreit zur Vorbereitung der Malediction oder Excommunication üblich war. Beklagter ist, wofern es überhaupt zu einem Process kommt, der Eigenthümer des Thieres ^).

1) Coust. et stilles de Bourgoigne § 197 (a. 1270—1360 bei Giraud Essai sur l'hist. du droit Franc. II p. 302) : L'on dit et tient selon droit et la coustume de Bourgoigne que se un beuf ou un cheuau fait un ou pluseurs homicides il nan doiuent poinct morir, ne Ion nen doit faire justice, feur quilz doiuent estre pris par le seigneur en qui justice ilz ont fait le deHt ou par ses gens, et lui sont confisquez et doiuent estre vendus et exploictiez au prouffit du dit seigueur ; mes se autres bestes ou juj'f le fönt, ilz doiuent estre pendus par les piez der- reniers (in modernerer Fassung als Nr. 275 der anc. cout. du duche de Bourg. bei Bouhier Cout. l 1742 p. 138). Vgl. auch § 59 {bei Bouhier c. 1. No. 276). 2) Die modernen Histoi-iker pflegen einen solchen Rechtsstreit ohneweiters zu unterstellen, so z. B. Mittermaier a. a. 0., Agnel p. 7, Pertile Gli ani- mali p. 147, 0 r t o 1 i a. a. 0. p. 77. ^) Er wird ausdrücklich als der Beklagte

genannt in den Urkunden über die Processe von Savigny 1457, Seves 1499 (Mem. des antiq. VIII 441 f., 434) und Viroflay 1641 (Carpentier zu Du Gange s. o. homicida). S. femer den Process von Beauvais um 1600 bei Mornacius Observat. ad 1. 1. D. si quadrup. paup., den Österreich. Process aus dem 17. Jahrh. bei Matth. Abele Metamorphosis telae judiciariae, Ausg. v. 1684 I S. 632, den Pariser Process v. 1793 bei Sorel p. 16. Undeutlich der Process von Moyen- Moutier 1572 bei Lionnois Hist. ... de Nancy U (1811) p. 374.

Thierstrafen und Thierprocesse. 551

Kläger ist in Frankreich ^) und Flandern 2) der Inhaber der öffentlichen Gewalt. In Deutschland ist noch in sehr später Zeit die Klage dem Verletzten überlassen 3). Geht die Klage von der öffentlichen Gewalt aus, so kann deren Träger oder Vertreter das Thier schon vor Beginn des Rechtsstreits festnehmen lassen^). Der Eigenthümer des Thiers aber hat bisweilen die Wahl, dasselbe dem Kläger preiszugeben oder aber auf die Klage zu antworten. In Burgund wird er dreimal ge- fragt, ob er das Thier als das seinige anerkennen und sich auf den Streit einlassen wolle. Indem er die Anerkennung das „avoher" ver- weigert, macht er das Thier zunächst herrenlos und sich selbst von jeder Haftbarkeit frei^). Es kommt jedoch, und zwar insbesondere in Frankreich, auch vor, dass der Eigenthümer eine solche Wahl nicht hat, vielmehr Gefahr läuft, das Thier zu verlieren und obendrein selbst noch eine Geldstrafe zahlen oder eine Betfahrt machen zu müssen ß). Die Form des Processes, erst seit dem ausgehenden Mittelalter deutlich erkennbar, scheint nirgends von den Grundlinien des herrschenden ordentlichen Verfahrens abzuweichen. Dass man jemals wie be- hauptet wird 7) das Thier einem Gottesurtheil oder gar der Tortur unterworfen habe, sagt keine Quelle ^) und ist nach den Akten über die wirklich verhandelten Processe durchaus unwahrscheinlich. Richtig ist nur, dass eine Beweisaufnahme auch in dem Fall nöthig werden konnte, wo der Eigenthümer das Thier preisgegeben hatte. Siegte der

») Ausser den in S. 550 N. 3 angeführten Urkk. von 1457, 1499, 1572, 1641 s. Mem. des antiqu. "VIII 446 (Proc. v. Clermont-les-Moncomet bei Laon 1494), Sorel p. 5 (Saint-Nicolas-d'Acy 1567). Auch die Fälle von Moisy 1313 (Agnel p. 14, Sorel p. 4) und von Abbeville 1378 (Carpentier a. a. 0.) gehören wohl hieher. ^) Ein Fall v. 1578 aus Gent bei Cannaert Bydragen tot de kennis

van het oude strafrecht in Vlanderen 3. Aufl. Gent 1835 S. VII. Dass neben dem Unterbailly ein Privatkläger aufgetreten sei, wie man nach Damhouder prax. rer. crim. c. 145 § 6 erwarten sollte, wird nicht erwähnt. ^) Abele a. a. 0.

•«) S. die Processe von Moisy, Abbeville, Savigny, Clermont, Moyen-Moutier, Viroflay in NN. 3 S. 550, 1 oben und den von Saint-Marcel-les-Jussey 1379 (Sorel p. 10, 11). 5) Mem. des antiqu. VIII p. 442, 443, 445. Vgl. den Österreich. Fall

bei Abele a. a. 0. «) Fall von Charonne 1497 (Agnel p. 9 flg.), von Seves

1499 (Mem. des antiqu. VIII 435), von Beauvais um 1600 (S. 550 N. 3), von Viro- flay 1641. ') H. Runge in den Mittheil, der antiqu. Gesellsch. in Zürich XII (1859) S. 186. A. M angin L'Homme et la Bete 1872 nach einem Citat von Sorel p. 3 N. 2. «) Runge muss den Malleolus, dessen tract. IE er viel- leicht nur aus dem Gedächtnisse citirt, missverstanden haben. S. auch Osen- brüggen Studien S. 147. Etwas einem Bahrrecht gegen einen Widder Aehn- liches führt J. Grimm RA. 931 aus der altfranzös. Erzählung Le sacristain an. Vgl. auch v. F. Hagen Gesammtabenteuer III S. LVIII. Aber, wenn wir auch davon absehen, dass wir hier ein Erzeugniss der Dichtung vor uns haben, der ganze Hergang wird überhaupt nicht als ein processualer hingestellt.

552 A m i r a.

Kläger, so erkannte das UrtLeil regelmässig auf Tödtung des Thieres. Die Todesart und selbst der Ritus ihres Vollzugs pflegte wenigstens in den romauisclien Rechtsgebieten das Urtheil gleichfalls genau zu bestimmen. Am meisten üblich war es, das Thier durch Hängen zu tödten oder es zu erdrosseln und nachher aufzuhängen oder doch zu schleifen i). Aber gegendenweise scheint man das Lebendigbe- gi-aben^) oder das Steinigen^), das Verbrennen*) oder das Enthaupten^) vorgezogen zu haben. Seit dem 17. Jahrh. kommt es ab, die Todesart iin Urtheil zu bestimmen. Das Gericht überlässt ihre Auswahl dem Gerichtsherrn oder dessen Vollzugsbeamten ß). Soweit die geordnete Vollzugsform einen Spielraum dafür übrig Hess, bestimmte das Gerichts- urtheil auch, was mit den üeberbleibseln des Thiers zu geschehen habe, z. B. dass es auf den Schindanger zu bringen oder dass es zu verscharren sei '). Eine Zwischenbildung zwischen den Todes artheilen des altern und denen des Jüngern Stils haben wir in einem Genter Erkenntniss von 1578 ^) vor uns, wonach eine Kuh zum Schlachten verkauft und

1) S. oben S. 550 N. 1, femer Beaumanoir c. 69 § 6, den in Themis VIII B p. 57 citirten Ausspruch, von Jean Duret (auch bei S o r e 1 p. 2) und folgende französische Fälle: 1313 Moisy-le-Teuiple (Agnel p. 14, Sorel p. 3 f.), 1322 unbekannten Ortes (Carpeutier), 1323 und 1378 Abbeville (bei dems.), 1386 Falaise (Sorel p. 7, 8), 1394 Mortaing (Mem des antiqu. VIII 427, 439), 1403 Meulan (ib. 433), 1405 Gisors (ib. 427 f.), 1408 (Vaudreuil (ib. 440), 1414 und 1418 Abbeville (Agnel p. 8), gegen 1456 Burgund (Mem. des antiqu. VIII 422), 1457 Savigny-sur-Etang (ib. 442—44 unter Berufung auf l'usence et coustume du pais de Bourgoigne), 1473 Beaune (Agnel p. 9), 1479 und 1490 Abbeville (ib. 13, 9), 1494 aermont-les-Montcornet (Mem. des antiqu. VIII 446), 1499 Beaupre und Seves (ib. 428 f., 434 f.), 15. Jahrh. Chateaudun (ib. 434) u. Boubers (Bouthors p. 387), 1540 Dijon (ib. 429, 449), 1567 Saint-Nicolas bei Senlis (Sorel p. 5), 1572 Moyen-Moutier (S. 550 Note 3), 1585 Saint-Omer (Dumeril p. 9), 1641 Viroflay (C a r p e n t i e r). Auch in Deutschland scheint man den Strang als das nächstliegende Strafwerkzeug für Thiere betrachtet zu haben, Zschr. f. deut. Kulturgesch. I 156 (Fall von Scbweinfurt 1576). ^) Zu Amiens 1463 und zu S. Quentin 1556

(Sorel p. 9). 3) Corp. jur. Sueogotoruoa ant. XII p. 409). *) 1268 zu

Fontenay-aux-Roses bei Paris (Carpeutier a. a. 0.), 1356 zu Caen (Delisle Etudes sur la condition de la classe agricole etc. p. 107). S. ferner den Fall aus Finistere bei Eu. Rolland Faune populaire de la France IV p. 116 flg. und die Bestimmung in Corp. jur. Sueogotorum ant. XII p. 409). *) Laudum von

Vallesella 1565 bei Pertile Storia del diritto V 643. ") 1576 zu Schwein-

fiirt (Zschr. f. deut. Kulturgesch. I 156), um 1600 zu Beauvais (Mornaciua a.a.O.), 1621 Machern bei Leipzig (Anz. f. Kunde der deut. Vorzeit 1880 Sp. 102). Vgl. auch den Frankfurter Fall v. 1574 bei Lersner Der Stadt Frankf Chronica I 1706 S. 552, und die französ. Fälle von 1793 und 1845 bei Sorel p. 16 flg. ') 1621 Machern (s. vor. N.), 1641 Viroflay (Carpentier). ») Cannaert

oben N. 2 S. 551. Vgl. damit das theilweise analoge Verfahren in dem Fall von S. 557 Note 1.

Thierstrafen und Thierprocesse. 553

ihr Kopf auf eineu Pfahl am Galgeiiplatz gesteckt werden sollte, eine rationalistische Abbreviatur des alten Enthauptens. Dass die Justification dem Thier nicht an's Leben, sondern nur an den Leib gehen soll, ist sehr selten, bis jetzt nur auf Sardinien nachgewiesen, wo die Carta de Logu von 1395 für gewisse Fälle das Ohrenabschneiden vorgeschrieben hat ^). Eher findet sich, dass man Talionshalber eine Verstümmelung der Tödtung vorangehen Hess ^). Ganz vereinzelt und überhaupt nicht verlässig beglaubigt ist, dass im 17. Jahrh. in Oester- reich ein Hund zu zeitiger Gefängnisshaft verurtheilt worden sein soll "^). Von derlei aussergewöhnlichen Akten der Kechtspflege werden unsere Betrachtungen vorläufig absehen dürfen.

Dass diejenigen Gerichtsurtheile, welche nicht nur auf Tödtung des Thieres überhaupt erkannten, sondern auch die Todesart bestimmten, Strafurtheile, und zwar gegen das Thier, sein wollten, kann nicht bezweifelt werden. Unmittelbar gesagt wird es uns insbesondere in den französischen Quellen. Schon im 13. Jahrhundert vertreten diese die Auflassung, dass es sich um ein faire justice des bestes, um ein mettre ä mort en maniere de justice handle. Und gerade hievon geht Beaumanoir au«, indem er, das Justificiren der Thiere be- kämpfend, als entscheidenden Grund dagegen anführt, dass ein Thier für die Strafe kein Verständniss habe ^). In spätem, aber unabgeleiteten Texten findet sich die nämliche oder eine gleichwerthige Ausdrucks- weise 5) , und sie sagen auch , dass das Thier selbst „verurtheilt" werde ß). Das Thier wurde demnach als Verbrecher angesehen. Es wurde ihm ein verbrecherischer Wille zugeschrieben. En detestation et horreur dudit cas (1494) oder pour la cruaute et ferocite' commise (1567) verurtheilt das Gericht einen solchen Uebelthäter. Und es sind graduirte oder doch geschulte Juristen, die derartige Erkenntnisse fällen '). Hatte der beklagie Eigenthümer das Thier preisgegeben, so

1) Ueber die carta de logu Agnel p. 17, Pertile Atti p. 148. '■') Zu

Falaise 1386: dem Schwein, welches das Gesicht und die Arme eines Kindes zerfleischt hatte, werden der Rüssel und ein Bein abgeschnitten (Mem. des antiqu. VIII p. 427, Sorel p. 7). Nicht bisher gehört der von Pertile Atti p. 147 citirte Fall von Montpellier 1565 (Mem. des antiqu. VIII 429), wo der Henker das Thier nur darum verstümmelte , um es widerstandsunfähig zu machen. 3) Ab ele a. a. 0. ■•) Beaumanoir cap, 69 § 6. *) Coustumes de Bourgoigne oben S. 550 Note 1 (en faire justice). S. Marcel-les-Jussey 1379 : en faisant justice (Sorel p. 11). Mem des antiqu. VIII p. 433 u. Bouthors p. 387: faire justice (1403 Meulau u. Boubers 1507), Mem. p. 435 : execute par justice (1499 Seves), p. 442 : mise ä justice et au dernier supplice (1457 Savigny). *■') »condamne*: Mem.

des antiqu. VIII p. 439 (Mortaing 1394), 440 (Pont-de-Larche 1408), 433 (Seves 1499), Lionnois Hist. de Nancy II p. 375 (Moyen-Moutier 1572). ">) Mem.

des antiqu. VIII 446. Sorel p. 5.

554 A m i r a.

sprach ein ^enau abgefasstes Urtlieil dessen Confiscation aus i). Und der Gedanke einer wenigsten tlieilweisen Confiscation lebte auch dann noch fort, als das Urtheil auf Schlachtung und Verkauf lautete. Das schon angeführte Genter Urtheil von 1578 mll, dass der Erlös zur einen Hälfte dem Verletzten, zur andern der Stadtkammer allerdings zum Vortheil der Armen zufallen solle.

Dem Inhalt des Strafurtheils entsprach durchaus der Vollzug. Dieser geschah öffentlich, z. B. in Abbeville 1323 unter dem Geläute aller Glocken. Stets ist es der Diener der öffentlichen Gewalt, der Nach- oder Scharfrichter, dem der Vollzug übertragen wird. Man lässt ihn zu diesem Zwecke nöthigenfalls aus entfernten Orten herbei- reisen und seine Rechnungen und Quittungen gehören zu unserem wichtigsten Quellenvorrath über die Thierstrafen. Oftmals hat er das Thier wie einen missethätigen Menschen zur Richtstatt zu schleifen. Diese selbst ist der gesetzliche Hinrichtungsort. Hatte das Urtheil auf Hängen gelautet, so geschieht dies am Baum oder am Galgen. Ein Wandbild in der Kirche Sainte-Trinite zu Falaise zeigt das Thier sogar mit Menschenkleidern angethan ■'^). Auch darauf, dass durch den Strafvollzug nicht der Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit in seinen Rechten gekränkt werde, hatte man sorgsam zu achten. In dieser Hinsicht hat das Verfahren mehrmals zu Beschwerden und Streitig- keiten Anlass gegeben 3). Noch 1572 liefern, um dergleichen zu ver- meiden, die von Moyen-Moutier ein dort zum Strang verurtheiltes Schwein an den Probst von Saint-Diez als den vollzugsberechtigten Herrn unter altherkömmlichen Formen aus, indem sie das Thier bis zum Steinkreuz le Tembroux führen, wo der Probst, dreimal angerufen, alle „Verbrecher" (criminelz) in Empfang zu nehmen hat*).

Zu eben dieser Zeit fing aber eine andere Aufiassung der Thier- strafe an sich geltend zu machen. Jean Duret^) legt 1573 der Tödtung des schädlichen Thiers den Zweck unter, dass das Gedächt- niss der üebelthat ausgetilgt werden solle. BoucheH) führt Nütz- lichkeitsgründe an: die Eigenthümer von Thieren sollen zur Wach- samkeit angetrieben werden ; auch sollen die Menschen vor Uebelthaten zurückschrecken, wenn sie dicaelben am Thier geahndet sehen. Es ist klar, dass wir es hier mit Umdeutungen zu thun haben, die der Justificirung die Eigenschaft einer Strafe des Thiers nehmen und ihr

') Mem. dez antiqu. VIU 442 mit 445. -) Beschrieben von Liiugevin

bei öorel p. 7. S) 1314 zu MoisjMe-Temple (Agnel p. 14), 1378 zu Abbe-

ville (Carpentier s. v. homicida). ■•) Lionnois a. a. 0. ^) Wörtlich

citirt in Themis VIII B p. 57, bei Menabrea p. 520 und bei Sorel p. 2. «) Wörtlich in Themis Vill B p. 58.

Thierstrafen und Tliierprocesse. 555

höchstens die einer Strafe für den Eigenthümer lassen. Auf diesem Wege suchte man den Ausgleich zwischen dem hergebrachten Recht und seinen wissenschaftlichen Gegnern, deren vornehmste Vertreter im 16. Jahrhundert Julius Clarus und im 17. Antonius Matthaeus waren. Auch die Praxis lenkte nun in jene Bahnen ein. Schon die Verur- theilung des Schweines zu Moyen-Moutier (1572) gibt als ihre Absicht an, die Wachsamkeit der Menschen anzuspornen. Auch das Urtheil von Virofla}^ 1641 will den Eigenthümer treiffen: er soll der Execution beiwohnen. Wollen diese Erkenntnisse immerhin noch das Ceremoniell des Strafvollzugs mindestens theilweise gewahrt wissen, so nehmen andere auch davon Umgang, denken sich vielmehr die Tödtung über- haupt nicht als eine öffentlich zu vollziehende Strafe i). Dem Anschein nach nicht ganz unabhängig von diesem Wandel in der Natur der Todesurtheile über Thiere war die Verfallung des Eigenthümers in eine Geldbusse oder seine Verurtheilung zu einer Betfahrt, wie wir sie seit dem Ausgang des Mittelalters mehrmals beobachten können (oben S. 551 No. 6). Es ist bemerkenswerth, dass schon in einem der aller- frühesten, wenn nicht dem frühesten Falle dieser Art auch die Todes- strafe in der Form ihres vom Gericht angeordneten Vollzugs gänzlich entstellt ist 2). Wenn später einmal berichtet wird, man habe inspecta accusati innocentia denselben zu einer Geldbusse verurtheilt ^), so will damit nicht Fahrlässigkeit in Abrede gestellt, sondern nur gesagt sein, der Eigenthümer habe sich keiner Arglist schuldig gemacht und sei daher nicht peinlich bestraft worden. Wir werden also annehmen dürfen, dass die zuletzt besprochene Praxis nicht mehr das schaden- stiftende Thier, sondern dessen Herrn als den eigentlichen Schuldigen ansieht.

Weder genetisch noch constructiv dürfen mit den Thierstrafen die von jeher polizeilichen Akte der weltlichen Obrigkeit zusammen- gestellt werden, welche in gewissen Fällen auf die'Beseitigung eines Thiers abzielten. Zu einer Justification werden derartige Akte selbst dann nicht, wenn die Obrigkeit auf Grund eines Gerichtsurtheils so vorgeht

0 »citra exemplum ullum publicum*, Mornacius a. a. 0. Vgl. auch die Fälle von Schweinfurt 1576, von Machein 1621 (oben S. 552 N. 6). In den Leipziger Erkenntnissen von 1626 und 1639 bei Carpzov Practica qu. 131 num. 22, 25 erscheint das »Abthun* nur noch als Massregel der Präventiv- Polizei. Unter den nämlichen Gesichtspunkt gehören vielleicht auch schon die Frankfurter Fälle bei Lersner Chronica I S. 531, 552 (a. 1552, 1574). '') 1497

Charonne (A g n e 1 p. 9 flg.) : das verurtheilte Schwein soll geschlachtet und zer- stückt vor die Hunde geworfen werden. ■'') Mornacius a. a. ü. Die Busse wurde »eleemosynae nomine« auferlegt. Ueber aumosne s. Dict. univ. I 1765 0. v.

556 A m i r a.

und wenn sie dabei ein bestimmtes, vielleicht sogar gesetzliches Ceremoniell beobachtet, welches der Tödtung das Aussehen einer öffentlichen Strafe verleihen kann. Manche Schriftsteller i) betrachten es als eine Hinrichtung, wenn ein Thier, das einem Menschen als Werkzeug zum Verbrechen der Bestialität gedient hatte, zusammen mit dem Missethäter oder ohne denselben in ebenso feierlicher als gesetzlicher Furm zum Tode gebracht wurde. Es war dies ein Brauch, der sich während des Mittelalters beinahe ül)er alle Hauptländer des christlichen Europa verbreitet hat und selbst noch von Strafgesetzen des vorigen Jahrhunderts, wie z. B. der Theresianischen Constitutio criminalis von 1769 festgehalten wurde. Keinem Zweifel nun unter- liegt, dass er auf ein Stück Mosaischen Eechts zurückgeht, welches im Abendland recipirt worden ist ^). Ebensowenig wird man bezweifeln dürfen, dass die Reception im Sinne der Kirche erfolgt ist, deren Ein- liuss ^) sie bewirkt hat. Die Kirche aber betrachtete die Tödtung des missbrauchten Thiers ausschliesslich unter dem sitten- und kultpolizei- lichen Gesichtspunkt : die Erinnerung an die Missethat sollte gelöscht ^), das Unreine dem Gebrauch und Genuss der Christen entzogen wer- den ^). Solche polizeiliche Gesichtspunkte waren denn auch massgebend, wenn in Frankreich die Aktenstücke des Bestialitäts-Processes mit dem Thier verbrannt wurden ß), wenn ein norwegisches Kechtsbuch nicht nur die Tödtung des Thieres gebietet, sondern auch dessen Nutzung ver- bietet''), wenn endlich dieselbe Quelle und schwedische Gesetze die Tödtung durch den Thiereigner vornehmen lassen '^). Da das mosaische Recht gebot, das missbrauchte Thier solle mit dem Missethäter umgebracht werden, so ergab sich ein öffentliches Verfahren in gesetzlicher Form von selbst, wofern man das alttestamentliche Princip nur vollständig durchführte. Dass nachmals in einzelnen Fällen der Grund dieses Ver-

0 Z. ß. Menabrea p. 521, Seifart p. 429, Sorel p. 12, GeiL Lelirb. d. deut. Strafr. II (1862) S. lf)8. 2) Mehr oder weniger deutlichen Bezug auf

die Quelle (Levit. XX 15, 16) nehmen: J-llfred Einleit. c. 13 (bei Schmid (iesetze der Angela. S. 63), Westerlauw. Sendr. § 17 (bei Richthofen Fries. Rechtsqu. S. 409). ^) Ihm entspricht es, dass die skandinav. Rechts- und

Gesetzbücher die einschlägigen Bestimmungen in ihre kirchenrechtlichen Ab- schnitte stellen: Gulal^b. 30 (= Sven-, kr. 80), Uplands 1. kb. 15 § 8, Westmanna 1. I kb. 10, II 23, Södermanna 1. kb. 15 § 1. -i) Augustinus Quaest. sup.

Lev. in c. 72 (übergegangen in c. 4 ('. XV qu. 1). Darnach das Dictum Gratiani zu c. 3 C. XV qu. 1. ^) Darum nicht bloss Tödtung, sondern auch Uebergabe

an die Hunde: Waeserschleben Bussordnungen S. 150, 175, 212, 376, 405, 467, 534, 543, 603. ß) Bcrriat-Saint-Prix Mom. des antiqu. VIII p. 425.

Mc'nal)rt"a p. 522. Sorel p. 13. ') Gulal^b. a. a. 0. «) Gulal)b. Uplands I., W'estmannal. a. a. 0.

Thierstrafen und Thierprocesse. 557

fahrens verkannt und auch in Abwesenheit des schuldigen Menschen noch ein öjBFentlicher Eitus der Thiertödtung beobachtet wurde 1), konnte den missverstandenen Kechtssatz selbst seines polizeilichen Charakters nicht entkleiden. - Eine ganz ähnliche Erscheinunsr wie die soeben abgehandelte, nur dass sie nicht auf Eeception eines fremdrechtlichen Satzes beruht, haben wir vor uns, wenn ger- manische Kechte und deren Tochterrechte die Tödtung von Thieren vorschreiben, welche bei einer Notnunft gebraucht worden sind. Aller- dings ist in einigen Gegenden auch beim Vollzug dieser Bestimmung ein Kitus aufgekommen, in Ostfalen 2) z. B. das Enthaupten. Mit einer Strafe 3) hat dies nicht mehr und nicht weniger zu thun als das Ein- reissen des Gebäues und Umbringen von Allem Lebendigen darin wegen der dort verübten Notnunft. Vielmehr handelt es sich das eine wie das andere Mal nur um Analogie desjenigen Theiles des Acht- verfahrens, welchen man nach niederländischer Terminologie die „Wüstung" genannt hat ^). In allen diesen Fällen ist der Zweck ein polizeilicher. Bei der Wüstung wird die Acht dazu benützt, „die Spur imd das Andenken" des Misse thät er s zu vertilgen^), und darum wird dessen Gut gewüstet; das Verfahren wegen Notnunft will die Spur uud das Andenken der Misse that vertilgen, und darum wüstet es deren Werkzeug, das nicht allemal des Missethäters Gut zu sein braucht, wie es auch den Schauplatz wüstet. Cultpolizeilich ist der Zweck, und darum kann wiederum nicht von Strafe gesprochen werden, wenn kirchliche Rechtsdenkmäler die Tödtung von Bienen verordnen, deren Stiche den Tod eines Menschen zur Folge gehabt haben ^). Nicht etwa nach einem gerichtlichen Verfahren, sondern

0 Ein Beispiel bespricht Jul. Clarus Sentent, V qu. 99 § 8. ^) Ssp. III 1 § 1 mit der altmärk. Glosse. Während Dsp. Landr. 197 den Ssp. verständnisslos ausschreibt, hat der Swsp. (L.) Landr. 254 das Enthaupten auf die Strafe der missethätigen Menschen beschränkt. Vgl. femer das dedecorare nach englischem Recht, Bracton ed. Twiss Vol. II p. 484. ^) Diesen Gesichtspunkt machen

Osenbrüggen Studien S. 143 flg., Gierke Humor S. 24 und Brunner a. a. 0. S. 839, 842 geltend. *) Hierüber insbesondere Du Gange Gloss. s. v.

condemnare, Wilda Strafr. S. 293, Brunn er Deut. Rechtsgesch. I S. 169 flg. und in Zschr. f. RGesch. XI (1890) S. 68 f. ^) Nur ein solcher polizeilicher Zweck der Wüstung lässt sich nachweisen, nicht dagegen ein Cultzweck. ß) Wasser-

schieben Bussordnungen S. 176, 212, 316, 406, 467, 503, 603. Conc. Worm. a. 868 (864) bei Hartzheim Conc. Germ. U. p. 318. Friedberg Aus deut. Bussbüchern (1868) S. 17 will auch hier wie in den Thierprocessen die Anerken- nung einer »Thierseele« finden und stellt S. 50 wie schon Seifart S. 428 gethan die Vorschrift mit der in Exod. XXI 28, 29 zusammen. Auch von altem Schriftstellern ist sie missverständlich für eine Strafsatzung gehalten wor- den, wie z. B. von Bouchel (cit. in Themis VIII B p. 58).

558

A m i r a.

Mi,

unverzüglich soll man die Bienen umbringen, damit sie keinen Honig melir bereiten und der schon bereitete genossen werden kann. Hieraus ist ersichtlich, dass die Bienen als unrein nur um des Speisegesetzes willen getödtet werden. Ein sicherheitspolizeilicher Grund erklärt die, zuweilen possenhaft und mit modernen Zuthaten wiedererzählte, Geschichte von dem Hahn, der 1474 auf dem Kohlenberg zu Basel verbrannt wurde, weil er ein Ei gelegt haben sollte. Fast alle neueren Schriftsteller, die davon sprechen, meinen, es liege da ein besonders drastischer Fall der Thierhinrichtung vor, und sie scheinen nur darüber uneinio-, ob man das bestrafte Verbrechen als Hexerei oder als Ketzerei beurtheilt habe ^). Aber die Sache verhielt sich viel einfacher. Nach dem Volksglauben des Mittelalters, ja sogar noch der Neuzeit wird das gefürchtete Basiliskenei von einem Hahn gelegt -). Ein so gefährhcher Hahn muss eben so wie das Ei aus dem Weg geräumt werden. Den besten Dienst thut natürlich das Feuer. Der Baseler Vorgang steht übrio-ens nicht vereinzelt. Aber in den andern Fällen scheint man weniger ceremoniell zu Werk gegangen zu sein 3). Ein Seitenstück zu diesem Volksglauben bezüglich des Hahnes ist der bezüglich der Henne: kräht sie wie ein Hahn, so muss man sie unverzüglich schlachten, widrigenfalls man Unheil befährt ^). Auch das Umbringen, insbesondere das Verbrennen von Kröten, die als Zaubermittel dienen ^), und das von behexten Bossen oder Hunden ß) gehört in diesen Zu- sammenhang. — Eine Massregel der Sicherheitspolizei gegen das schäd- liche Thier und ein Strafakt gegen seinen Herrn zugleich ist es, wenn nach dem kymrischen Recht in Wales ein Hund, der zum dritten Mal einen Menschen gebissen, mit einer Leine von zwei Handbreiten Länge an die Füsse seines Herrn gebunden umgebracht wird ^). Eine

•) Berriat-Saint-Prix (immerhin vorsichtiger als die Andern) Mem. des antiqu. VIII 428, Agnel p. 20 (und nach diesem) Sorel p. 15, Louandre in Rev. des deux Mondes 1854 I p. 334, Dumeril p. 9, Osenbrüggen S. 147 (doch anders S. 406, wo auch hervorgehoben ist, dass der Hergang mit dem Kohlenberger Gericht nichts zu schaffen hat), Pertile Atti p. 148. Am meisten entstellt ist der Bericht in La Tradition 1888 p. 363. -) Rolland Faune

populaire VI p. 85, 89—91, III p. 41 f. Rochholz Alam. Kinderlied S. 232, Strackerjan Aberglaube und Sagen aus Oldenburg II (1867) S. 97. Kristen- sen Jyske Folkesagn 1876 No. 113. ^) Rutishauser Vierundzwauzig

"Wochen im Gebirge, Luzern 1880 S. 119 f. (Fall aus dem Prätigau v. 1730). Roch holz Alemann. Kinderlied S. 232. •») Rolland a. a. 0. VI p. 84— 86.

Gubernatis D. Thiere i. d. Mythol. S. 556. Tödtung des Hahnes wegen unheil- vollen Krähens, Rolland VI p. 87. ») Rolland V p. 98, UI p. 49, 50. 8) Voltaire Siäcle de Louis XIV eh. 1 g. E. Louandre a. a. 0. 334. '') Ancient Laws and Institutes of Wales (ed. Owen 1841 fol.) p. 245, 357, 799, 844.

Thierstrafen und Thierprocesse. 559

Massregel der Wirthsehaftspolizei endlich, ist es, wenn Markgenossen ein Thier, das oft zu Schaden gegangen, aus ihrer Mark ausweisen ^). Jetzt erst, nachdem wir von den öffentlichen Thierstrafen mittel- alterlichen Charakters, die zwar äusserlich ihnen gleichenden, innerlich aber von ihnen verschiedenen Vorkommnisse gesondert haben, wird es möglich, die Zeit und das Verbreitungsgebiet der ersteren annähernd zu begrenzen. Zuerst nachweisbar sind sie im 13. Jahrhundert und zwar in Frankreich (S. 552 N. 1, 4). Gegen das Ende des 14. Jahr- hunderts treffen wir sie in sehr eigenthümlicher Anwendung auf Sar- dinien (N. 1 S. 553), wieder ungefähr ein Jahrhundert später zum ersten Mal in Flandern ^) seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden 3), in Deutschland*), Italien (s. Note 5 S. 552), Schweden (N. 3 S. 552). Wieder zwei Jahrhunderte später stossen wir auf die erste Spur in England ^). Wie aber die frühesten, so ge- hören auch weitaus die meisten nachweisbaren Einzelnfälle Frankreich an. Während z. B. auf Deutschland ausser Holland und Flandern nur 3 4, auf Flandern und Holland nur 5, auf England kaum 2 *^) treffen, ist Frankreich mit ungefähr drei Dutzenden betheiligt. Diese haben ihre Heimat vornehmlich in den altburgundischen Gebieten, dann im mittleren und nördlichen Frankreich. Zu Abbeville allein sind 1323 1490 mindestens 6 Todesurtheile an Thieren vollzogen worden. Frank- reich gehört auch zu denjenigen Ländern, wo der Kechtsbrauch am zähesten an der Verurtheilung und Bestrafung von Thieren festgehalten hat, obgleich gerade dort und zwar schon 1283 der erste literarische Gegner jenes Brauches, nämlich Philippe von Beaumanoir auf- getreten ist (s. N. 4 S. 553). Ausser der Statistik, die ja für sich

') Vgl. dagegen Gierke Humor S. 25 N. 66. ^) Ein Todesurtlieil

V. 1488 erwähnt Jets over het oude Strafregt in Belgie (Brüss.) 1826 S. 89 (daraus Notiz im N. Arch. des Criminalr. 1829 S. 173). Eine Execution von 1486 bei Noordewier Nederduit. Regtsoudheden S. 300. Aeltere Fälle kennt Noordewier überhaupt nicht. Einen von 1578 s. oben S. 551 in Note 2. ^} Fälle von. 1571 und 1595 aus Middelburg und Leiden bei Noordewier a. a. 0. Der erstere genauer bei De Wind Byzonderheden uit de geschiedeniss van het Straf- regt in de Nederlanden Middelb. 1827 S. 36 (darnach N. Arch. S. 172). *) Zu Frankfurt 1574 bei Lersner. Der Stadt Frankf. Chronica I 552. "Vgl. auch den Schweinhirter Fall von 1576 oben S. 552 Note 1 a. E. ^) Angeblich 1771 in der Nähe von Chichester ein Hund verurtheilt. Davon soll handeln die mir nicht zugängliche, selbst im brittischen Museum vergebens gesuchte Flug- schrift: A report of the case of farmer Carters dog Porter. ") Der zweite Fall (s. vor. Note) wäre der von Osenbrüggen nach der Allg. deut. Straf- rechtszeitg. 1861 Sp. 32 angeführte. Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob er ein rechtliches Verfahren betrifft.

560 A m i r a.

allein in diesen Dingen nicht viel beAveisen würde, deuten noch andere Anzeichen darauf, dass ausserhalb Frankreichs diese Art Strafrechts- pflege sehr viel seltener war. Criminalisten wie der Italiener Julius Clarus (1525 1575) und der Niederländer Antonius Matthaeus (1644) kennen aus ihrer eigenen Erfahrung keinen Anwendungsfall. Die ihrer Zeit naheliegende Praxis wissen sie nur aus französischen Schriftstellern zu belegen ^). Der Flanderer Jodocus Damhouder (1507 1581), der doch zu einer Zeit schrieb, als in seiner Heimat das Thierstrafrecht noch nicht ganz erloschen war, schweigt von eigentlichen Thierstrafen gänzlich, wiewohl er das flandrische Parti- cularrecht fleissig berücksichtigt^). Auch in Spanien, dem wegen seiner Nachbarschaft zu Fi-ankreich und wegen seiner alsbald zu er- wähnenden Beziehungen zur Thierexcommunication besondere Wichtig- keit beizumessen ist, waren weltliche Thierstrafen dem Anschein nach unerhört. Sein bedeutendster Jurist im 16. Jahrhundert Didacus Covaruvias ist nur durch ausländische Scliriftsteller über sie unter- richtet und stellt jede verwandte spanische Praxis in Abrede 3). Zu einer Schlussfolgerung bezüglich der Herkunft des Thierstrafrechts reichen diese Umstände allerdings nicht aus. Es Hesse sich denken, dass in den Ländern ausserhalb Frankreichs die wissenschaftHche Opposition gegen die Bestrafung von Thieren nur früher den Sieg errungen habe als in Frankreich. Zu Gunsten einer solchen Annahme würde sprechen, dass spätestens seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts jeglicher Nachweis für die Fortdauer jener Praxis ausserhalb Frank- reichs und Englands fehlt ^), während die beiden letzten französischen Fälle 1793 und 1845 vorgekommen sind ^).

In allen Stücken von dem bisher geschilderten Verfahren gegen Thiere verschieden ist dasjenige, welches sich soweit unmittelbar ersichtlich zuerst auf kirchlichem Boden entwickelt hat. Nie- mals fand es gegen Hausthiere und niemals fand es gegen bestimmte einzelne Thiere statt ß). Gewöhnlich vielmehr kehrte es sich gegen

') Jul. Clarus Sent. V qu. 99 § 8. Ant. Matthaeus Comment. . de crim. proleg. c. II § 1. *) Prax. rer. crim. cap. 142 (de damno pecuario).

Nicht hieher gehört nach dem S. 55ß Ausgeführten cap. 96 de peccato contra naturam §§ 14, 15. ^) Var. Resol. lib. II c. 8 § 1. ••) Der letzte sicher

beglaubigte Fall aus Deutschland ist der von Machern 1621 oben N. 6 S. 552. Die Akten des Leipziger Spruchcollegs über diesen Fall konnten bis jetzt nicht wieder aufgefunden werden. In der Theorie wurde die Todesstrafe gegen Thiere wegen Menschentödtung noch 1704 von Sam. Stryckius Us. mod. pand. ad 1. IX tit. 1 § 20 vertheidigt. '-) Sorel p. 16 flg. «) Das Verklagen einer

Ziege oder Kuh wegen Feldschadens ist nur ein humoristisches Motiv im französ. Volksüed, Rolland Faune populaire V p. 208—211.

Thierstrafen und Thierprocesse. 561

Thiergattungen die im täglichen Leben als Ungeziefer angesehen wer- den, wie Mäuse, Ratten, Maulwürfe, Insekten, Eaupen, Engerlinge, Sehnecken, Blutegel, Schlangen, Kröten. In Canada wurde es allerdings auch gegen wilde Tauben, in Südfrankreich schon viel früher gegen Störche, in Deutschland gegen Sperlinge, am Genfersee gegen Aale für anwendbar gehalten, welche gemeinschädlich geworden waren. Stets waren es ungezählte Mengen, die man so verfolgen zu können meinte. Es war auch nicht sowohl ein von ihnen angerichteter Scha- den, den man dm-ch die Verfolgung zu vergelten, als ein befürchteter, den man abzuwenden trachtete. Das Verfahren war also kein vindi- catives oder repressives, sondern ein prohibitives oder präventives ^). Nutzungen von Grund und Boden, allenfalls von Gewässern, wollte man gegen Verwüstungen durch die in grossen Schaaren auftretenden Thiere sichern, indem man diese zu vertreiben suchte. Nur ausnahms- weise handelte es sich um Abwehr anderer Belästigungen. Für das zu solchen Zwecken geeignete Mittel erachtete man die kirchliche maledictio oder aber die excommunicatio in der Form des Anathems. Von Excommunication ist schon im 12. Jahrhundert die Rede -) und später lassen sich bis in die Neuzeit herein auch viele Einzelfälle mit Sicherheit nachweisen, wo man von ihr den erwähnten Gebrauch ge- macht hat 3). Andererseits aber ist zu beachten, dass man sich, und zwar öfter im Mittelalter als in der neuern Zeit, mit einer blossen Malediction begnügte, welche schriftlich vom Ordinarius der Diöcese

') »citatio . . fit ad finem . . . ut mala futura evitentur*: Chasseneus Consilia (Lugd. 1592) I, pars I § 1 ; »anathematizatio seu maledictio contra ista animalia fit ratione delicti consummandi (ut evitetur)* : ibid. pars V § 107. ^) 1120 angebliche Excommunication zu Laon (Mem. des antiqu. VIII p. 427). 1121 Excommunication von Mücken zu Foigny in derselben Diöcese, Vita s. Bern- hardi I num. 58 (Acta SS. Aug. IV p. 272). ^) 1338 zu Kaltem (Zschr. f.

deut. Kulturgesch. II 1857 S. 544 u. Germania, Zschr. f. deut. Alterth. IV S. 383), 1481 in der Diöcese Mäcon (die Sentenz bei Chasseneus Cons. Fol. 19^ 20*'), um 1500 Lyon (Sentenz ebenda Fol. 18»— 19»), um 1509 Androhung der Ex- communication zu Lausanne (Formular in Memoires et documents publ. par la soc. de la Suisse Romande t. VII No. 97 p. 675—677), 1500—1586 in Spanien (Azpilcueta Consilia et resp. Lugd. 1591 pag. 588, willkürliche Verdächtigung dieser Nachricht bei Theoph. Raynaud Opusc. moral. 1665 p. 582), gegen 1534 Evora (Verbot der Excomm. durch den Erzbischof, Zschr. f. rom. Philol. V 1881 S. 417), gegen 1700 Canada (Mem. des antiqu. VIII p. 431), 1713 Piedade no Maranhao (Agnel p. 45), 18. Jahrh. Peru (Agnel p. 46). Die Excommuni- cation wurde ferner verlangt 1543 zu Grenoble (Themis I p. 197), 1585 zu Valence (Chorier, mitgetheilt in Themis I p. 196), 1587 zu Saint-Jean-de Maurienne (Akten bei Menabr^a p. 546, 549 flg.), 1710 zu Autun (Sorel p. 23), 1731 zu Thonon (Menabrea p. 508).

Mittheilungen XII. 35

562^ A m i r a.

verfügt und mündlich, nach bestimmtem Kitual vom Pfarrer vorge- nommen wurde. Die Praxis einzelner Diöcesen, wie z. B. Lausanne, kannte bis zum Ausgang des Mittelalters überhaupt nur solche Male- dictionen ^). Als Mittelglieder zwischen den Excommunications- Sen- tenzen und den Verfügungen, welche die Malediction anordnen, stellen sich jene Erlasse von Kirchenbehörden dar, welche gegen die Thiere die Malediction und das Anathem aussprechen, ohne sich des Ausdrucks excommunicatio zu bedienen 2). Es muss nämlich bezweifelt werden, ob unter dem Anathem dieser Erlasse von jeher die Excommunication verstanden worden ist. Selbst in einer Excommuuicationssentenz be- deutet Anathem nicht die Excommunication selbst, soudern die damit verbundene Malediction oder Exsecration, wesswegen Anathem im weitern Sinne nm* die sog. excommunicatio major heissen kann, so- ferne nämlich diese eine Malediction oder Exsecration enthält ^). Ecclesia maledicit anathemizando , sagt Leonardus de Utino*). Wesentlich nur Exsecration scheint denn auch in jenen Sentenzen gegen Thiere das Anathem mindestens anfänglich gewesen zu sein gerade so, wie das über ein Götzenbild ausgesprochene Ana- them eine Exsecration war ^). Und lediglich weil einmal für die grosse Excommunication der Name des Anathems üblich geworden war, hat man unter fehlerhafter Umkehrung des Begrifisverhältnisses das hier

•)Fel. Malleolus (Hemmerli) tract. I de exorcismis (iu Tom. sec. Malleorum quorundam maleficarum, Francof. 1582 p. 385) tract. II (ibid. p. 417 flg. 409—412, wo das Maledictionsritual). Ein Fall von 1451 ibid. p. 413, ein anderer von 1478 (nach den Berner Chronisten) bei Hottinger Hist, eccl. IV (1657) p. 317—321, femer in Biblioth. für die peinl. Rechtswissensch. v. Grolmann I 1798 S. 395 flg. und in Scheible's Kloster XII S. 945. Wegen der spätem Praxis in Lausanne s. das in N. 3 S. 561 citirte Formular. "Wunderliche Missverständ- nisse der Nachrichten des Malleolus finden sich bei A g n e 1 (p. 29 flg.), der hier allerdings theilweise den Berriat-Saint-Prix ausschreibt. Schon der letztere hat den Malleolus missverstanden (Mem. des antiqu. VIII 423), indem er dessen Angaben auf eine Excommunication bezog. Von ihm wohl ist auch S 0 r e 1 beeinflusst, der p. 19 die Adjurationsformel bei Malleolus für eine Excommuni- cationsformel erklärt. ^) 1488 Autun (vollständig bei Chasseneus a. a. 0.

fol. 19a— 19b), 1516 Troyes (vollständig bei Raynaud Opusc. moral. 1665 p. 480), 1500—1530 zwei Sentenzen aus Autun (vollständ. bei Chasseneus fol. 17*>— 18»), 1554 Langres (nach Desnoyer cit. in Revue des quest. hist. V 1868 p. 278). Nach der Urkunde bei Raynaud construirt ist das Formular einer solchen Sentenz bei Gasp. Bailly Trait^ des Monitoires 1668 (vollständ. mitgetheilt von Menabrea p. 542 flg.). Vgl. auch den Antrag derer von Beauue bei Chasseneus fol. 1*. ä) Vgl. Du Gange Gloss. s. v. Anathema No. 2 und Hinschius Kircheur. IV S. 702 J^ote 7 und S. 800 flg. *) Sermo 29 (De peccato blasfemiae) g. E.

«■) Adam. Brem. II 60.

TKierstrafen und Thierprocesse. 563

in Eede stehende Anatliem für eine Excommunication gehalten oder doch so benannt. Sehr deutlich lässt sich dies an einer Lyoner Sen- tenz 1) beobachten, welche die von dem Lausanner Bischof Wilhelm V. Escublens (1221 1229) über die Aale im Genfersee verhängte Male- diction frischweg eine Excommunication nennt. Schon von hier aus ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Thierexcommunication erst eine jüngere Entwicklungsstufe der Thiermalediction sei. Zum näm- lichen Ergebniss führt die Beobachtung, dass das Mittelalter auch eine Excommunication " von Pflanzen und leblosen Sachen kennt ^). Dass damit ursprünglich nichts anderes gemeint war als mit dem Anathem über leblose Gegenstände, und dass erst nachträglich die Theologie, eine Abart der echten Excommunication, eine ,excommunicatio simili- tudinaria' daraus gemacht hat ^), werden wir ohueweiters annehmen dürfen. Demnach besteht die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, dass noch im Frühmittelalter auch die Excommunication von Thieren über- haupt nur die Bedeutung einer Malediction und Exsecration gehabt habe. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch die Berichte verstärkt, wonach die Excommunication über Thiere wie über andere Sachen durchaus formlos und durch Leute verhängt werden konnte, die zm- echten Excommunication die erforderliche Gerichtsbarkeit nicht be- sassen^). Derselbe populäre Sprachgebrauch macht auch die Excom- munication von Thieren verständlich, welche noch im 16. Jahrhundert das Landvolk einem von ihm erwählten ,adjurator' übertrugt). Hiezu stimmt es nun vollkommen, dass die förmlichen Excommunications- sentenzen, wie sie durch die zuständigen Kirchenbehörden erlassen worden sind, und der klassische Schriftsteller, den das 16. Jahrhundert über die Frage der Thierexcommunication aufzuweisen hat, Barth. Chasseneus (1480 1542), sich stets mehr mit der Malediction und dem Anathem als mit der Excommunication befassen. Sie stützen sich auf Argumente, welche zwar die Malediction und das Anathem, nicht aber die eigentliche Excommunication rechtfertigen können. Sie

') Bei Chasseneus fol. IS^, hiemach Chasseneus selbst pars V § 121, dem wieder Raynaud a. a. 0. p. 482 und V e r n e t in Themis VIII p. 52 folgen. Die Quelle ist der seit 1497 gedruckte Malleolus tract. I (p. 385) und II (p. 417 flg.), der niur von Malediction weiss. Dasselbe Missverständniss auch bei Delrio Disquis. magic. III 2 pars 4 sec. 8. 2) Chasseneus pars V § 120

(^ fol. 18^), 122, Raynaud p. 483. Maledictionen weist nach Jac. Gretser De maledictionibus c. 8, 9. Dazu vgl. auch noch A. Dessaix L'excommuni- cation des glaciers in Revue des tradit. pop. V 1890. ^) Die ausgebildete

Lehre bei Raynaud p. 481—483. ■») Beispiele bei Raynaud p. 482 flg.

Vgl. ebenda p. 396. ^) Leon. Vairus De fascino (Venet. 1589) p. 159.

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ordnen Gebets- und Bussübungen au, welche die Zubehör der Male- diction, nicht aber der Excommunication bilden. Dass diese Quellen unter ihrer excomniunicatio die kanon i sehe Kirchen strafe verstehen, wird sieh nicht leugnen lassen i), ebensowenig aber auch, dass die kirchliche Praxis verschiedene Entwicklungsstufen beschritten hat, deren unterste durch die blosse Maledictio gekennzeichnet ist. Im Bisthum Lausanne kann diese Entwicklung sogar unmittelbar aus den Quellen nachgewiesen werden (N. 1 S. 562).

Das Verfahren, welches zur Malediction bezw. zur Excommuni- cation der Thiere führte, wird uns in den meisten einlässlicheren Berichten, worunter auch officielle Aktenstücke, als ein processuales geschildert. Seine merkwürdigste Eigenheit besteht darin, dass es die Thiere als die verklagte Partei behandelt. Kläger sind die Besitzer der gefährdeten Grundstücke, und zwar ist es gewöhnlich ihre ganze Gemeinde, welche die Klage erhebt. Der Process pflegt in zwei Haupt- abschnitte zu zerfallen, die allerdings nicht immer äusserlich scharf von einander getrennt werden. Der erste Abschnitt oder das erste Verfahren stellt sich als ein Streit über die Zulässigkeit einer Aus- weisung der verklagten Partei dar. Wird dem Begehren der Klags- partei stattgegeben, so kann bei der Ausweisung die Malediction bezw. die Excommunication angedroht werden. Der zweite Abschnitt oder das zweite Verfahren ist ein Streit über die Zulässigkeit der Male- diction bezw. Excommunication wegen Ungehorsams gegen das ausweisende Erkenntniss. Das urtheilende Gericht ist meist für beide Processabschnitte das geistliche '^) , die bischöfliche Curie , in deren Sprengel die Grundstücke der Kläger liegen, oder ihr Delegat 3). Die Praktiker des 16. und 17. Jahrhunderts stellen dies als das Kegelmässige dar^). Zuweilen jedoch spielt sich der erste Theil vor dem weltlichen Gericht ab s), ohne dass gerade eine Justizverweigerung des geistlichen

^) Dies will D'Arbois de Jubainville in der Revue des quest. hist. V p. 279. Aelmlich auch schon J. Eveillon (1651) (cit. bei Dumeril p. 12J und Menabrea p. 401. !S. dagegen das besonders deutlich sprechende For- mular von Lausanne (N. 3 S. 561). =*) So in den S. 561 N. 3, S. 562 N. 2 angeführten Fällen aus den französischen und burgundischen Diöcesen, ausserdem in denen von Nimes 1479 (C'arpentier in Du Gange Gl. s. v. excommunicatio), Lutry 1536 (Menabrea p. 505), Saint-Julien-de Maurienne 1545 und 1546 (Menabrea p. 544, 545, 556). ^) Ein Commissorium v. 1451 bei Malleolus

tract. II p. 413. ■*) Chasseneus Cons. I. Gasp. Bailly Traite des

Monitoires (bei Menabrea p. 524- -543). ^) In den Diöcesen Chur und

Konstanz während des 15. Jahrhunderts (Malleolus tract. I de exorc. p. 386 11 p. 415 flg.), zu Glums 1519 f. (Urkunden in Scheible's Kloster XII S. 946— 948), zu Bouranton 1733 (ürk. in La Tradition 1888 p. 363 flg.). S. auch den Process

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Richters den Anlass dazu zu geben braucht i). In Gegenden, wo das Verfahren nicht mit einer eigentlichen Excommunication, sondern nur mit einer Malediction abschliesst, findet sich sogar der Brauch, dass der ganze Process statt vor dem geistlichen Gericht vor einem vom Volk gewählten Beschwörer verhandelt wird (N. 5 S. 563). Wird der ganze Process vor dem geistlichen Gericht geführt, so können die beiden Haupttheile in einander gezogen sein, indem mit dem moni- torium, welches den Schluss des ersten Abschnittes bilden würde ^), eine bedingte Malediction s- oder Excommunicationssentenz verbunden wird 3). Andererseits unterbleibt öfters die Androhung der Malediction oder Excommunication, wenn das weltliche Gerieht das Ausweisungs- urtheil fällt, so dass ebenso sehr der vorbereitende wie der kirchliche Charakter des ersten Verfahrens schwindet. Dieses ist nicht nur im protestantischen Dänemark das Regelmässige, sondern kommt auch schon 1520 in Tirol vor. Doch ist es vielleicht nicht bedeutungslos, dass das dänische Ausweisungsurtheil von Als 1711 mit gebetartigen Elementen durchsetzt ist. Die Formen des Verfahrens sind voll- ständig contradictorische. Eingeleitet wh'd es vor dem geistlichen Gericht nach dem gewöhnlichen System *) durch eine ,supplicatio' oder ,requesta' der Klagspartei an den Richter, woraufhin dieser gegen die verklagten Thiere eine Citation erlässt und denselben einen ,procurator (advocatus)' bestellt. Der letztere hat dann namens der Thiere auf die Klage, die ebenfalls durch einen Anwalt vertreten wird, zu antworten. Auf die Termine und Schriftenwechsel bis zur Triplik ist hier um so weniger einzugehen, als gerade diese Dinge schon in der bisherigen Literatur zur Genüge besprochen sind. Vor der Urtheilsfallung pflegt der Richter den bischöflichen Promotor zu hören. In seinen Grund- linien ist dieses System auch beim Verfahren vor weltlichem Gericht ^)

von Als (Jütland) 1711 in Kr. S. Testrups (1685—1761) Rinds Herreds Krönike (Samlinger til jydsk Historie og Topografi Bd. II S. 62—64), von Viborg (vor 1726 (erwähnt bei Stepli. Jörgensen oben N. 1 S. 547 und bei Thiele Dan- marks Folkesagn II 1843 S. 68) und von Lyö im kleinen Belt 1805 oder 1806 (in Det Kong. Danske Landhusholdnings-Selskabs Skrifter, Ny Saml. II S. 1, 22),

') Wie in dem Process von Pont-du-Chateau 1690 (Menabrea p. 507, Mem. des antiqu. VIII p. 412). '') Ein Beispiel von 1487 bei Chasseneus

ol. 19». ") So in den Erkenntnissen aus Autun bei Chasseneus fol. 17^,

18», 19'>, aus Macon v. 1481 ebenda fol. 20^, aus Lyon ebenda fol. 19», aus Troyes 1516 bei Ray n au d p. 480 und in dem Formular bei Bailly (N. 2 S. 562). *) Geschildert von Chasseneus und Bailly und belegt durch die Akten des Processes von Saint - Julien - de - Maurienne 1587 (Menabrea p. 544—557). ^) Geschildert als das Verfahren in den Diöcesen Chur und Konstanz bei M al 1 e o- lus Tract. I de exorc. p. 386, 11 p. 415 f. Von einem kirchlichen Ein-

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und bei dem vor dem gewühlten Adjurator i) nachgebildet worden. Nach einem andern und vielleicht älteren, jedenfalls früher belegbaren System 2) unterbleibt die Bestellung eines Officialvertreters der ver- klagten Thiere. Wohl aber werden diese citirt, wo möglich auch in etlichen Exemplaren vor Gericht gebracht; in Dänemark wird die Ladung nicht von der Obrigkeit, sondern von der Klagspartei in der gewöhnlichen landrechtlichen Form angestellt 3), stets aber gestaltet sich dann das Verfahren zu einem Contumacialverfahren. In der Diöcese Lausanne ist dieses System erweislich das ältere; es wurde dort um 1450 beobachtet, wogegen man um 1478"*) das andere einschlug. Auch dieses System hat sowohl im weltlichen ^) wie im geistlichen Kechtsgang Aufnahme gefunden. Eigenthümlich scheint dem zuletzt genannten Bisthum die Einführung eines ausserordentlichen Thier- processes in Gestalt eines bedingten Mandatsprocesses (c. 1500). Der bischöfliche Official erlässt auf die Supplik der geschädigten Grund- besitzer den Ausweisungsbefehl an die verklagten Thiere unter Exor- cismen und Androhung der Malediction sowie unter dem Angebot, den Verklagten einen curator oder defensor bestellen zu wollen, falls jemand den Befehl anzufechten gedenke. Damit verbindet er unter Androhung der Excommunication den Befehl, dass die Thiere während der spätem Verhandlungen sich jeder weiteren Ausbreitung zu enthalten haben ß). Es wurde bereits bemerkt, dass das erste Verfahren mit einem ürtheil abschliesst, welches die verklagten Thiere ausweist. In der Regel wird dabei eine Frist bestimmt, innerhalb deren die Thiere ihren Abzug bewerkstelligen sollen. Gelegentlich hat man dies so ins Einzelne durchgebildet, dass man bis zum Ablauf der Frist den aus- gewiesenen Thieren freies Geleit zusicherte ^). Ziemlich weit verbreitet wenigstens seit dem Spätmittelalter war auch der Brauch mit der Ausweisung eine Verweisung zu verbinden, sei es, dass man den Thieren aufgab, sich an einen nicht näher bezeichneten Ort zurück-

schreiten, wie Rochholtz (Zschr. f. deut. Mythol. IV 1859 S. 119) meint, spricht Malleolus dort nicht. S. ferner den Process von Glurns 1519 und 1520 (oben N. 5 S. 564), von Bouranton (N. 5 S. 564). In dem von Lyö (N. 5 S. 564 f.) war die Bestellung eines Officialanwalts angerathen.

') Leon. Vairus De fascino p. 159. *) Malleolus tract. II de exorc.

p. 409—412 (Verfahren in der Diöcese Lausanne). «) Die Ladung im Process

von Als 1711 steht wörtlich a. a. 0. (N. 5 S. 564 f.). ■•) Process von Bern bei

Hot tinger (oben N. 1 S. 562). ^) Process von Als (N. 5 S. 564 f.) nach dem

Wortlaut des Urtheils, dem gegenüber die abweichende Angabe Testrups, der einen Officialprocurator nennt, nicht aufkommen kann. Auch in dem Process von Viborg (N. 5 S. 564 f.) scheint kein Officialprocurator bestellt. ®) S. das

N. 3 ö. 561 citirte Formular. ") Process von Glurns (N. 5 S. 564).

Thierstrafen und Thierprocesse. 567

zuziehen, wo sie uiemanden mehr würden schaden können i), sei es, dass man zu diesem Behuf einen Ort benannte. Bald verurtheilte man sie „ins Meer" =^), bald aber verbannte man sie auf eine entlegene Insel 3) oder man räumte ihnen gar einen freien Bezirk in der Ge- meinde ein mit der Auflage, die ausserhalb desselben gelegenen Grund- stücke zu verschonen*). Dies hat mitunter zu einem förmlichen Ver- gleichsangebot der Klagspartei an den Officialvertreter der verklagten Thiere geführt, wonach diesen vertragsmässig ein solches Grundstück überlassen werden sollte. Die mancherlei Vorbehalte und Klauseln, womit man einen solchen Vergleich ausstattete, zeigen wie ernsthaft der Vertrag der Menschen mit den Thieren gemeint war^).

Andererseits begegnet im kirchlichen Maledictions -Verfahren der Brauch, dass man die vor das Gericht gebrachten Thierexemplare beim Verhängen der Malediction unverzüglich tödtet. So in dem von Hemmerli beschriebenen Lausanner Verfahren.

Nicht immer jedoch galt der Rechtsweg für unumgänglich, wenn man sich der Malediction oder Excommunication über Thiere bedienen wollte. Insbesondere hat man ihn auf wohl unterrichteter kirchlicher Seite nicht immer für nothwendig erachtet. In dem sprichwörtlichen und von der spätem Theologie und Jurisprudenz geradezu für typisch angesehenen Fall „der Mücken von Foigny" (1121) spricht der heilige Bernhard sein „excommunico eas" aus, ohne dass ein Process oder processähnliches Verfahren auch nur möglich gewesen wäre. Es ist dies ein in der Legende nichts weniger als vereinzelntes Beispiel, und bei der sog. Excommunication von Pflanzen und leblosen Sachen wurde überhaupt niemals umständlicher verfahren ß). Der protestantische Prediger, der 1559 zu Dresden während einer Kanzelrede Sperlinge in den „Bann" that, weil sie die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zer- streuten, folgte also in der Form seines Einschreitens nur einer Re- miniscenz aus katholischer Zeit ').

Suchen wir die Anfangsgrenze dieser Zeit zu ermitteln, so werden wir die Malediction bezw. Excommunication selbst und das dahin

1) So in der Diöcese Lausanne, Malleolus tract. H de exorc. p. 410, 412, Hottinger a. a. 0. p. 319. S. ferner das Urtheil von Bouranton (N. 5 S. 564). 2) Process von Als (N. 5 S. 564 f.). ^) Ein Beispiel aus Spanien beiAzpilcueta Consil. Lugd. 1591 p. 588. ^) Urtheile von Pont-du-Chateau 1690 (Menabrea p. 507) und Piedade-no-Maranhao 1713 (Agnel p. 45, 46). Antrag des Official- anwalts zu Glums 1520 (s. N. 5 S; 564). Noch ältere Analogien aus den Diöcesen Chur und Konstanz bei Malleolus (N. 5 S. 565). ^) Saint-Julien-de-Mau-

rienne 1587 (Akten bei Menabrea p. 554—556). Vgl. auch den Fall von Bouranton 1733 (N. 5 S. 564). «) Raynaud Opusc. moral. p, 482, 483.

') Kurfürstl. Erlass v. 18. H. 1559 in Scheible's Kloster XII S. 949.

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führeude processuale Verfahren zu Gegeuständeu getrennter Fragen machen müssen. Von jenen wird eher erzählt als von diesem.

Die frühesten Maledictionen oder sog. Excommunicationen, wovon Meldung geschieht, sind legendarisch. Lebensbeschreibungen von Heiligen erwähnen ihrer zuerst. Natürlich lernen wir aus ihnen nur die Meinungen ihrer Verfasser und ihres Leserkreises kennen. Wir lernen aus ihnen, dass man noch im Frühmittelalter bis gegen 1200 hin von jenen Maledictionen den gewünschten Erfolg nur auf dem ausser- ordentlichen Weg des Wunders erwartete. Demnach kann nicht an- genommen werden, dass schon damals in irgend einem grösseren Bezirk der Kirche die Malediction gegen Thiere üblich gewesen sei. Einer derartigen Annahme würde auch kaum zustatten kommen, was wir von altern kirchlichen Gepflogenheiten wissen. Unmittelbar gegen schädliche Thiere wandte allerdings die griechische Kirche ausser dem Weihwasser Exorcismen und Adjurationen an. Die lateinische Kii'che dagegen, die gerade in diesem Zusammenhang zunächst in Frage kommen würde, beschränkte sich in Italien, Spanien und Burgund bis ins 9. Jahrhundert auf die Anwendung des Weihwassers in den- jenigen Fällen, wo man später zur Malediction gegriffen hat, höchstens, dass man einmal in die Adjuration des Wassers einen Satz aufnahm, der gegen Ungeziefer gerichtet war i). Seit 1200 ungefähr untersuchen die Scholastiker die Frage, in wie ferne Maledictionen gegen Thiere zulässig seien (Note 1 S. 571). Es scheint demnach, als ob dergleichen jetzt häufiger vorgekommen wäre. Aber der erste einiger- massen genauer beschriebene Anwendungsfall gehört doch erst dem Jahre 1338 an. Die eigentliche Blütezeit dieser partikularkirchen- rechtlichen Praxis aber ist das 15. Jahrhundert. Mit dem 16. beginnt die rückläufige Bewegung. 1534 wurde in Portugal das Excommuniciren und Exorcisiren von Thieren verboten. 1585 gibt der General vikar von Valence anf den Kat von Juristen und Theologen die alte Praxis der Thierexcommunication auf und bewilligt nur noch Adjurationeu und Besprenguugen mit Weihwasser. 1690 verfuhr ebenso der General- vikar von Clermont, 1710 der von Autun, 1717 der Papst selbst in einem Breve an den Rath von Aosta^). Um 1750 scheint die Thier- excommunication überall ausgestorben. Nicht ausgestorben ist die Malediction, und zwar nicht bloss nicht in denjenigen Gestalten, worin sie sich mit der gewöhnlichen, von Laien geübten Beschwörung

') Jac. Greiser De benedictionibus II c. 7, 8, 19. M^nabrea p. 449 f. *) Zschr. f. rom. Philol. V 1881 S. 417. Menabrea p. 507. Sorel p. 22—24. Rrassegna settimaaale Vol. VII 1881 p. J55.

Thierstrafen und Thierprocesse. 569

berührt i), sondern auch nicht in der rein kirchlichen Form, in der sie zuerst auftritt ; sie ist als Abwehrmittel gegen Insekten noch jetzt in Calabrien gebräuchlich, und, was in alter Zeit nicht nachzuweisen, ihrer Anwendung gegen ein einzelnes gefährliches Thier, einen Wolf, erinnert sich in unsern Tagen ein Augenzeuge -).

Sehr viel später als von Maledictionen oder Excommunicationen hören wir von Processen gegen Thiere. Deutlich nachweisbar sind sie erst seit dem 15. Jahrhundert. Und zwar erscheinen, wenn man das gesammte Verbreitungsgebiet als einheitliches Ganzes nimmt, die Pro- cesse vor weltlichen Gerichten gleichzeitig mit denen vor geistlichen. Ihr Verschwinden ist seit dem 16. Jahrhundert ebenso wie das der Excommunication und Malediction ein allmähliges. Der letzte Thier- process in der vollen Form, wie ich ihn früher geschildert habe, hat sich vor einem weltlichen Gericht 1733 abgespielt (Note 5 S. 564). In die nämliche Zeit ungefähr fallen auch die letzten Versuche, das geist- liche Gericht anzurufen. Aber noch ein Jahrhundert lang haben im Norden die Erinnerungen an die Thierprocesse fortgedauert. Noch um 1805 oder 1806 haben die Bauern auf Lyö in der Herrschaft Holstens- hus einen solchen Process wenigstens angefangen. Und als Bestand- theil zauberischen Bannens von Ungeziefer war das „Laden" noch später in Dänemark bekannt 3). Aber freilich sind diese Erinnerungen doch nicht sowohl von breiten Volksschichten als von einzelnen Wissenden fortgepflanzt worden. Man sieht es deutlich an den däni- schen Thierprocessen, zu denen sich die Kläger allemal erst durch den Kath eines besonders Kundigen, bald eines „Wunderdoktors", bald eines alten Weibes bestimmen lassen.

Noch weniger als in Bezug auf das zeitliche Vorkommen lässt sich in Bezug auf das räumliche ein Parallelismus zwischen den Male- dictionen und Excommunicationen einerseits und den Processen anderer- seits aufzeigen, auch wenn wir von den legendarischen Nachrichten vollständig absehen. Ein zusammenhängendes Gebiet der Maledictionen und Excommunicationen erstreckt sich während des 15. Jahrhunderts von Portugal und Spanien aus in nordöstlicher Kichtung durch Frank- reich bis in die französische Schweiz. Einzelne Spuren finden sich ausserdem in Tirol, hier schon 1338, später in Kursachsen und in Italien^). Damit scheint die west-europäische Betheiligung erschöpft.

') Beispiele bei Rolland Faune populaiie III 320. ^) Cretella in

der Fanfulla 1891 a. a. 0. ») Det kong. Danske Landhusholdnings-Selskabs

Skrifter NS. II S. 22. -») S. N. 3 S. 561, N. 7 S. 567. I. J. 1612 weiss noch der

Wittenberger Theologe W. Franz von der ehemaligen Anwendung des Exorcis- mus gegen Insekten zu berichten (Hist. animalium, Amstel. 1665 p. 669). Auf

570 Amira.

Hingegen treten im 17. Jahrhundert und zu Anfang des 18. Canada, Brasilien und Peru in den Herrschaftskreis der Thier-Excommunicatioii (N. 3 S. 561). Thierprocesse kommen in den altburgundischen und den diesen nächstgelegenen Landschaften Frankreichs, ferner in der fran- zösischen Schweiz und in der alamannischen Ostschweiz i), in Piemont und wohl auch anderwärts in Italien, endhch in Tirol und in Däne- mark vor. Auch in Portugal wusste man von ihnen '^), womit es zu- sammenhängen mag, dass wir ihnen auch in Brasilien wieder begegnen 3). Merkwürdig ist, dass der specifisch kirchliche Thierprocess sich nur in romanischen Ländern findet, hier aber regelmässiger als der weltliche, den die germanischen Länder zu bevorzugen scheinen. Auffällig ist auch, wie nahe gewisse Hauptgebiete des kirchlichen und des welt- lichen Thierprocesses bei einander liegen: in den altburgundischen Bisthümem sind die meisten kirchlichen, im oberrheinischen Ala- manien ^) sind zur gleichen Zeit die meisten weltlichen Processe nach- gewiesen. Möglicherweise liegt dies jedoch nur an der Beschaffenheit unseres Quellenvorrathes.

Aufgeworfen zu werden verdient die Frage, wie sich zur Praxis die gleichzeitige Theologie und Kanonistik verhalten habe. Die Schriftsteller, die sich etwa zwischen 1200 und 1450 mit dem Gegen- stande beschäftigen, obenan Alexander von Haies und Thomas von Aquino, kennen eine Excommunication von Thieren nicht ein-

unteritalienische Vorgänge sind wahrscheinlich die Angaben des Leon. Vairo (N. 5 S. 563) zu beziehen, der zu Benevent (um 1535) geboren war und bis zu seinem Tode (um 1603) fast immer im Beneventanischen und Neapolitanischen gelebt hat. Dem Jul. C'larus Sent. V qu. 99 § 8 sind Thierprocesse nur aus dem Cons. I des Chasseneus bekannt. Dass zu Como einer angestrengt wor- den sei, behaupten französische Schriftsteller, wie z. B. Ortoli p. 79. Allein dies scheint zu den mancherlei fragwürdigen Lesefrüchten aus Malleolus zu gehören (gerade so wie die Jahreszahl 1221, welche Ortoli im Zusammenhang mit Konstanz und Como nennt). In dem ans burgundische Gebiet der Thier- excommunication stossenden Aosta scheint man I7l7 etwas Aehnliches geplant zu haben (s. N. 2 S. 568). In der südlichen Nachbarschaft davon (Strambiuo, Turin) sollen Maledictionsprocesse c. 1500 1633 nachweisbar sein, Lessona in der Gazetta letteraria 1887 p. 386.

') Des Malleolus ,dioecesis Curiensis provinciae Maguntinae' bat B e r r i a t- Saint-Prix (Mem. des antiqu. VllI 411, 448 mit ,Kurmaiuz* verwechselt. Bei seinen Nachschreibem (Laianne Curiosites p. 333, Louandre Rev. d. d. mon- des 1854 p. 335, Agnel p. 30, Ortoli p. 81) hat sich dann der Ii-rthum fort- gepflanzt. ^) Fr. Alvarez citii-t in Themis VIII B p. 56 vom »Bibliophile« (Waree) Curiosites theologiques (Par. 1861) p. 97. ») L J. 1713, Agnel p. 41 46. ••) Die kirchliche Behörde der Diöcese Konstanz kennt 1492 weder Excommunication noch Process gegen Thiere, Zschr. f. deut. Mythol. IV 1859 8. 121.

i

Thierstrafen und Thierprocesse. 571

mal dem Namen nach, ebensowenig einen Process gegen sie. Die Zulässigkeit des maledicere creaturae irrationali, das ihnen überhaupt nur als Strafe in Betracht kommen könnte, erörtern sie mit dem Ergebniss ihres grundsätzlichen Ausschlusses. Nur eine scheinbare Ausnahme bildet die Malediction, welche zwar an das Thier gerichtet wird, aber den Menschen treffen soll und zu dessen Strafe vom zu- ständigen Kichter ausgesprochen wird. Auch eine adjuratio ad ipsam irrationalem creaturam secundum se ist verwerflich, dagegen gestattet eine adjuratio per modum compulsionis, quae refertur ad diabolum, d. i. der exorcismus ^). Um die Mitte des 15. Jahrhunderts kam die Doctrin ins Schwanken. Der bekannte Züricher Theolog und Kanonist Felix Hemmerli billigt sowohl den kirchlichen Thierprocess wie die Malediction der creatura irrationalis, indem er nicht sowohl die Gründe der früheren Lehre zu entkräften sucht, als sich auf die zu seiner Zeit und in der Nachbarschaft seiner Heimat und seines Wir- kungskreises schon entwickelte Praxis und deren vermeintliche Erfolge stützt. Noch viel gründlicher imd mit dem vollen Aufwand seiner reichen theologischen und juristischen Belesenheit hat dann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der burgundische Jurist Barth. Chasseneus dieselben Ansichten verfochten, wobei er auch für die Thierexcommunication eintrat. Aber in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts sind dem Hemmerli und dem Chasseneus entschiedene Gegner entstanden in dem ,Doctor Navarrus' Martinus Azpilcueta'^) und dem Löwener Jesuiten Mart. Delrio^). Im Wesentlichen gehen sie auf Thomas v. Aquino zurück, Delrio jedoch nicht ohne geltend zu machen, dass Hemmerli unter die prohibiti scriptores primae classis aufgenommen worden sei. Mehr beiläufig, doch mit schlagender Argumentation hat auch der Beneventaner Leonardo Vairo, dessen Buch De fascino sowohl in Paris als in Venedig er- schienen ist, den Thierprocess und die Thierexcommunication als aber- gläubische Missbräuche und als Hohn auf die kirchliche Censur ge- tadelt*). Dennoch standen in Frankreich noch im Zeitalter Ludwigs XIV.

') Alexander de Ales Summa, pars II qu. 147. Thomas Aqu. Summa II 2 qu. 76 art. 2, qu. 90 art. 3. Alberic us deRosate Dictionar. s. v. male- dictio. Leonardus de Utino Sermo 29 (de peccato blasfemiae) g. E. Summa Angelica s. v. maledictio. ^) Consil. in tit. De sentent. excomm. No. 4 (Lugd.

1591 p. 587—589). ^) Disquisit. magicar. 1. III pars II qu. 4 sec. 8 (Mogunt.

1603 p. 96, 97). *) Irrig machen Agnel p. 37 und Sorel p. 25 den Vairo

zu einem Spanier. Vgl. oben N. 4 S. 569 f. Wohl nur ein Druckfehler ist es, wenn bei Agnel als das Jahr der Aldinischen Ausgabe des Buches De fascino ,1459' statt 1589 genannt wird.

572 Araira.

die beiden Meinungen einander gegenüber. Der Advokat Gaspard Bailly zu Chambery veröffentlichte 1668 in seinem Traite des moni- toires eine Anweisung zum Führen von Thierprocessen vor einem geistlichen Gericht, welche er befürwortete, während der Canonicus Jaques Eveillon zu Angers in seinem Traite des excommunications und der Jesuit Theoph. Eaynaud in seiner Abhandlung De moni- toriis die Gründe der früheren Gegner wiederholten. In Deutschland hatte nach 161.5 ein Ordensgenosse Kaynauds, Jac. Gretser zu Ingolstadt in seinem Buche De benedictionibus einer „präservativen" Malediction gegen Thiere das Wort geredet i).

Unsere bisherige Umschau hat den westeuropäischen Völkern und ihrer Vergangenheit gegolten. Wenden wir uuseru Blick der slavischen Welt zu, so trifft er da in der Gegenwart auf höchst merkwürdige Ueberlebsel eines Kechtszustandes, der bei aller Eigenart doch dem geschilderten unmittelbar verwandt ist.

Auf den unerschöpflichen südslavischeu Fundstätten lebendigen Alterthums hat sich bis zum heutigen Tag ein weltliches Thierstraf- recht erhalten. Nach den überaus gefälligen Mittheilungen des ersten Kenners dortiger Sitten und Sagen Friedrich S. Kr aus s scheint in Montenegro dieses Thierstrafrecht noch ganz allgemein verbreitet. Die Thiere, worauf es sich bezieht, sind: der Ochs, der Stier, das Koss, das Schwein; die Uebelthaten: Tödtung und schwere Verletzungen von Menschen. Ein Process findet wiederum nicht gegen das misse- thätige Thier selbst, sondern gegen dessen Herrn statt. Dieser gewöhnlich der Vorsteher der Hauscommunion, welcher das Thier ge- hört — hat sich auf ergangene Ladung sammt dem Urheber der Uebelthat vor dem Friedensgericht 2) der Dorfaltesten oder Hausvor- stände im ,, blutigen Keigen" (krono kolo) einzufinden. Hier fordert die Verwandtschaft des Getödteten oder Verletzten den Tod des Thieres oder Geldsühne. Will der Verklagte keine Sühne geben, so wälzt er alle Schuld von sich ab und auf die bösen Geister, die in sein Thier hineingefahren. Das Urtheil lautet gewöhnlich auf Steinigung des Thiers. Der Eigenthümer wirft den ersten Stein und darauf alle übrigen Anwesenden ^). Der Steinhaufe heisst prokleta gomila („ver- fluchter [Stein-]haufe"). Der Friede zwischen dem Herrn des hin- gerichteten Thieres und dem Kläger wird durch Eingehung von

•) Libri duo de bened. etc. Ingoist. 1615 p. 247. ^j Ußber dieses

s. Krau SS im »Ausland* 1889 S. 536 und Sitte und Brauch der Südslaven S. 38, 208, 217, 229, 57 1. •'') Dies entspricht dem Kitus des Steinigens, wie

er früher bei den Südslaven der regelmässige war, K r a u s s Sitte und Brauch S. 291.

Thierstrafen und Thierprocesse. 573

Gevattersclialteu und AVahlljruderschafteu befestigt. Aehuliches Avird vom selben Gewährsmauu aus Slavonien berichtet. Noch 1864 wurde dort im Dorfe Pleternica von den versammelten Bauern ein Schwein zum Tode verurtheilt, weil es einem einjährigen Mädchen die Ohren abgebissen hatte. Das Fleisch des Schweines wurde den Hunden vor- geworfen. Die Hausgenossenschaft, der das Schwein gehörte, „musste für das Kind als Schadenersatz eine Heiratsausstattung liefern".

Auch Thierprocesse gibt es bei den Südslaven. Diese Processe aber sind oder können wenigstens sein rein weltliche. Auch scheinen sie nicht mit einer kirchlichen Malediction in Verbindung zu stehen. Das Verfahren ist ein minder streng geregeltes, als es in Westeuropa war. Bemerken swerther ist aber bei aller sonstigen Verschiedenheit die schlagende Uebereinstimmung des neuzeitlichen südslavischen Brauches mit dem Lausanner des 15. Jahrhunderts in dem einen Punkt, dass, auch wenn sich das Verfahren gegen eine ganze Thiergattung kehi-t, doch ein Exemplar derselben vor Gericht gebracht, verurtheilt und getödtet wird, besonders beachtenswerth ferner, dass man Tödtung im Wasser vorzieht, auch wenn diese Executionsart unter verschiedenen möglichen die umständlichere ist. ,,Im Kriegs- und Unglücksjahre (1866) so theilt Fr. Krauss mit gab es viele Heuschrecken im Pozegaer Thale [Slavonien]. Damals wurde in dem Städtchen Pozega erzählt, die Bauern im Dörfchen Vidovici hätten eine grosse Heuschrecke eingefangen und über sie Gericht gehalten und sie zum Tode verurtheilt, das ganze Dorf soll mit der Heuschrecke hinab zum Orljava-Fluss gezogen sein und die Heuschrecke unter Verwünschungen ins Wasser geworfen haben". Uebrigens scheint jetzt auch bei den Südslaven der abwehrende Thierprocess im Aussterben begrifi'en. Man pflegt sich mehr auf kirchliche Exorcismen zu verlassen. Solche Exor- cismen lassen die drei christlichen Confessionen in feierlicher Weise bei Umzügen durch die führenden Geistlichen aussprechen. Leicht entsteht dabei der Schein der Malediction. Wichtig ist auch, dass nicht bloss Ungeziefer, sondern auch Wölfe und Füchse als „heidnisch" (pogani) mit dem Exorcismus verfolgt werden.

Bei weitem nicht so sicher beglaubigt wie bei den Südslaven sind öffentliche Thierstrafen bei andern slavischen Völkern. Bekannt ge- worden scheint bis jetzt überhaupt nur die Erzählung von einem Falle aus Eussland 1650 1700, wo ein stössiger Bock zur Verbannung nach Sibirien gerichtlich verurtheilt worden sein soll i).

') C. Meiners Vergleichung des altern und neuem Russlands il 1798 S. 201.

574 Amira.

Zu den Thierstrafen und Thierprocessen nun, die wir innerhalb des Kreises christlicher Rechte gefunden haben, gibt es Seitenstücke ausserhalb dieses Kreises. Auf den ersten Blick aber scheint es sich da allerdings immer nur um ein Vorgehen gegen einzelne Thiere, ferner auch nur um ein repressives Vorgehen zu handeln.

Am öftesten ist auf Bestimmungen des mosaischen Rechts ^) verwiesen worden. Der Herr hat dem Noah und seinen Nachkommen verheissen, er wolle ihr Blut nicht nur an den Menschen, sondern auch an allen Thieren rächen. Dem entsprach das auf Sinai gegebene Gesetz, wonach man den Ochsen, der einen Menschen zu Tode stösst, steinigen muss und sein Fleisch nicht essen darf. Von einer analogen Anwendung dieses Gesetzes auf einen Hahn erzählt die jüdische Ueber- lieferung -). Dass es keinen erziehlichen oder lehrhaften Zweck ver- folgte, sondern ein Kultgesetz war, sollte doch jetzt allseitig zugestanden werden. Gleichviel, ob es durch den Glauben an jene göttliche Ver- heissung veranlasst, oder ob die letztere zur nachträglichen Begründung des Gesetzes unterstellt und dieses selbst vielmehr unmittelbare Folge der gleichfalls göttlichen Satzung war, dass durch Todtschlag eines Menschen das Land unrein und nur durch das Blut des Tödters ge- reinigt werde 3): das Steinigen des Ochsen oder des Hahnes ist als Kultakt zu nehmen. Dies kann um so weniger befremden, als über das Thier wie über missethätige Menschen der Tod durch das Synhe- drion verhängt wurde, überhaupt aber das Steinigen wie jede andere Todesstrafe nach jüdischem Recht ein Kultakt ^), anderwärts sogar noch mehr reinigender Kultakt denn Tödtungsart war^). Damit wird nun freilich die jüdische Thiersteinigung dem Gebiet des Strafrechts fast entrückt. Ganz ähnlich verhält es sich aber auch mit einer Thier- strafe, die noch vor Kurzem bei Arabern in Ostafrika vorgekommen ist. Ein Hund nach der Auffassung des Islam bekanntlich ein unreines Thier wurde öffentlich ausgepeitscht, weil er eine Moschee betreten hatte«). Auch dies hängt mit Kultvorstellungen zusammen. Der Kult lässt Unterscheidungen in Schuld und Zurechnungsfähigkeit nicht leicht wirksam werden. Nicht sich, sondern der Gottheit will

1) Gene». IX 5. Exod. XXI 28—32. '■') Berachot 27, 1 (in Talmud Babli

V. E. M. Pinner I 1842). Vgl. Lightfoot Opera II (Ultraj. 1699) p. 382, Saal- schütz Mos. Recht 1848 S. 546. =>) Numeri XXV 33. ••) Hamburger Realencyklopädie I s. vv. Strafe, Todesstrafe und II p. 975. ^) Plato de leg. IX 1 2 (p. 873 B). Merkwürdige Analogie zu dieser griechischen die Steinigung des Hauptes einer Leiche in Norwegen : Agrip af Noregs Konunga sogum (her. v. Dahlerup 1880) Sp. 27 Z. 2—10, Heimskringla (her. v. Unger 1868) S. 169 Z. 20—24. «) Allgem. Zeitg. 1889 S. 452.

Thierstrafen und Thierprocesse. 575

die Gesellschaft Genugthuuiig gewähren. Diese aber muss gewährt werden an dem Ding, welches die Kränkung der Gottheit verursacht hat. Dem Anschein nach anders zu beurtheilen ist das Kreuzigen von Löwen, welches der Geschichtschreiber Polybios in phöuikischen Colonieu gesehen hatte. Man schlug dort Löwen ans Kreuz, wenn sie sich zu nahe an die menschlichen Ausiedlungen heran wagten. Die Absicht soll gewesen sein, andere Thiere derselben Gattung abzu- schrecken 1). Mit dieser Erklärung des Kreuzigens mag es seine Richtigkeit haben. Sie hindert uns aber nicht, die Aufrichtung des Löwenleibes unter denselben Gesichtspunkt zu bringen, worunter bei den verschiedensten Völkern und auch wieder bei semitischen das Auf- richten von Bannthieren ^) fällt. Dass diese gewöhnlich nur nach- gebildet, dürfte kaum entgegenstehen. Denn wesentlicher als das Material ist doch wohl die Thiergestalt, welche lebendige Thiere der- selben Gattung abwehren soll. Hiernach hätten wir in jenem punischeu Kreuzigen keinen Strafakt, sondern einen Zauber zu erkennen.

Auf eine echte Thierstrafe hingegen, und zwar eine von unsacraler Art, treffen wir beim Eintritt in den Kreis der arischen Rechte, bei den Persern. Im Vendidad ^) befragt Zarathustra den Ahura- mazda darüber, was mit einem tollen Hund zu geschehen habe, der einen Menschen oder Vieh beisst. Die Frage war für Zarathustra von besonderer Wichtigkeit wegen des sacralen Schutzes, worunter der Hund bei den Persern stand ■^). Nach der von Ahura-mazda ertheilten Antwort nun soll der Eigenthümer des Hundes, wenn er denselben nicht gehörig verwahrt hat, büssen, wie für absichtliche Tödtung &) ; dem Hund aber soll das erste Mal das rechte, das zweite Mal das linke Ohr abgeschnitten, in den spätem W^iederholungsfällen der Reihe nach Beine und Schwanz verstümmelt werden. Die Satzung des Ahura- mazda erinnert auffallend an die sardinische Carta de Logu, von der S. 553 gesprochen wurde. Diese allerdings bezieht sich auf einen zu Schaden gehenden Esel, der in den beiden ersten Betretungsfällen ein Ohr verlieren, das dritte Mal confiscirt werden soll. Aber hier wie dort handelt es sich um ein durch besondern Schutz oder Werth ausgezeichnetes Thier. Euer wie dort will darum nicht die leichteste, sondern die schwerste Art und

*) Plinius VIII 16. -) Worüber Fei. Liebrecht Des Gervas. v. Tilbury

otia imp. S. 98, 99, 102, 104 und Zur Volkskunde S. 88. Vgl. auch unten N. 3 S. 597. 3) Fargard XIII 80—96 (Avesta übers, v. Spiegel I S. 195 f.).

*) Hierüber Jul. Lippert Kulturgesch. der Menschheit I (1886) S. 496—500. 6) Nach J. Darmsteter in The sacred books of the East IV p. 159, 160 wäre Subjekt nicht der Herr sondern der Hund. Der Zusammenhang gibt Spiegel Recht.

576 A m i'r a.

nicht das niedrigste, sondern das höchste Mass des ihm zugedachten Strafübels bestimmt werden. Ob jedoch die Verstümmelungsstrafe im Vendidad als eine öffentliche gedacht ist, lässt der Text nicht mit Sicherheit erkennen. Sie könnte eine Privatstrafe, d. h. die gesetzliche Form der Privatrache sein. Europäisch- arische Parallelen, die wir später kennen lernen werden, machen dies sogar wahrscheinlich.

Den europäischen Ariern des Mittelalters nähern wir uns, indem wir unsere Suche nach Analogieen bei den Gräco-Italikern fort- setzen. Sofort gerathen wir hier wieder auf den Boden des S a er ai- recht s , wenn wir nach praktischem und auf Volksansichten beruhendem Recht fragen. Denn die Lehren der Pythagoreer und des Empedokles von der Thierseele i), die zur strafrechtlichen Personification des Thiers führen mussten, sind in diesem Punkt Theorieen geblieben. Ihnen weiter nachzugehen fehlt uns zur Zeit der Anlass. Volksthümlich dagegen könnte sein, was Plutarch behauptet, dass nämlich die von Opfern kostenden Rinder und Schweine für des Todes schuldig gegolten hätten ^). Bestand irgendwo dieser Rechtssatz , so reicht zu seiner Erklärung abermals die Annahme vollständig aus, dass Genugthuung an die Gottheit beabsichtigt war. Dem Kerne nach volksthümlich ferner, wenn auch subjectiv gefärbt, ist, was Piaton über den Fall vorträgt, wo ein Mensch seinen Tod durch ein Thier gefunden hat. Es soll zu einem förmlichen Process gegen das Thier kommen: die Verwandten des Getödteten sollen gegen den „Tödter" klagen. Den Entscheid und den Vollzug des Urtheils sollen Polizeibeamte haben, nämlich diejenigen von den Landaufsehern (aYpovöjtoi) , welche die Klagspartei darum angeht, und zwar soll das schuldig befundene Thier getödtet und über die Landesgreuze geschafft werden. Vom Thier unterscheidet unser Rechtsphilosoph das a^vtyov, d. i. alles was nicht Seele hat. Auch das a'l^uxov, das den Tod eines Menschen verursacht ohne doch Werkzeug zu sein, soll über die Grenze gebracht werden, wiederum nach gerichtlichem Urtheil, welches diesmal der Nachbar des Blutklägers zu fällen hat. Der Blutkläger aber soll für sich und seine Verwandtschaft ein Reinigungsopfer darbringen •^). Die Grundgedanken der platonischen Gesetzvorschläge sind zunächst dem attischen Straf- und Processrecht entnommen, das hier uralten, bis auf Drakon zurückgehenden üeberlieferungen folgte. Der Ausdruck ^vtyjx war jedoch anders als bei Piaton technisch für alle diejenigen Dinge ausser dem Menschen, welche den Tod eines Menschen verursachen. Im Rechtssinne galt

') M. Voigt Die Lehre vom jus naturale etc. I S. 92—95, 242, 245, 246, 259, 2G0. '') De solert. anim. 2. ») De leg. IX 12 (p. 873 E).

Thierstrafen und Thierprocesse. 577

also auch das Tliier als a(j>o)(ov, nämlich als a^f covov ^), da volksthüm- liches Kennzeichen der Seele die Kede ist. Ueber die afpwva nun urtheilte zu Athen ein eigener Staatsgerichtshof, die Epheten beim Prytaneion. Diese hatten auf das D;iepoptCet.v, die Verbringung über die Grenze, zu erkennen. Den Vorstehern der Phylen, den (poXo^aaildQ stand der Vollzug zu 2]. Uebersetzen wir dies in die Sprache der Heroenzeit, so hatte der priesterliche Kleinkönig das tödtliche a'fwvov aus dem Lande seines Stammes zu schaffen. Der Eechtssatz war nicht blos attisch. Er galt auch auf Thasos, wo man das tödtliche aipwvov gleichfalls anklagte, verurtheilte und " ins Meer versenkte 3), Er galt in Elis, wo man Weihgeschenke aus der Altis entfernen zu müssen meinte, wenn sie den Tod eines Menschen verursacht hatten. Beliess man sie dort, so entschloss man sich hiezu nur auf Grund eines delphischen Orakels, welches einem Keinigungsopfer den Vorzug gab ^), Auch auf Korkyra schaffte man das ocfpwvov aus, indem man es einer auswärtigen Gottheit weihte &).

In einer principiellen Gleichgiltigkeit gegen das Willensmoment können diese Verurtheilungen und Verbannungen von a'|;0)(a ihren Grund nicht gehabt haben ^). Denn von Anfang an unterschied das griechische Kecht scharf zwischen willentlichem und un willentlichem Todtschlag ^övo? ixouoio? und axouatoi;, indem es diesen zwar als befleckend aber als sühnbar, jenen als unsühnbar behandelte. Als einen willentlichen sah es schon im homerischen Zeitalter nicht einmal den von einem Menschen in der Wuth ary] verübten Todtschlag an '). Aber auch das kann mcht das Wesentliche an jenem Ahndungs- verfahren gewesen sein, dass es menschliche Schuld verneinte ^). Dies würde weder mit der vollständig affirmativen "Wortfassung des Urtheils noch mit dem Klagbegehren im Einklang stehen. Eine erst kürzlich aufgestellte Hypothese sucht die Erklärung in dem vermeintlichen Glauben an „fetischartige Beseelung" der a(]jD)(a ^). Sie trägt jedoch nur einen Widerspruch in den Begriff der letzteren hinein, der selbst

1) Hierauf macht Heffter Atlien. GericMsverfassg. S. 138 (nach Aeschines) aufmerksam. Demosthenes XXIII (c. Aristocr.) § 76 stellt den u'^^oy^a die [x-rj [AäTs^^ovTa xoü tppovcöv gleich. -) Demosth. a. a. 0. Aeschines c. L'tesiph. 244.

Pausanias descr. VI c. 11 § 6 mit I c. 28 § 10. Pollux VIII 120 und (nicht ganz übereinstimmend, aber weniger verlässig) 90. Vgl. Aristot. AÖ'tjv. noXit. (ed. Keny on) c. 57 (p- 145), wo übrigens auch die Platonische Unterscheidung zwischen ai}/ü)(a und Co»«. 3) Dio Chrysost. XXXI (ed. Reiske p. 618). Pausan. VI c. 11 §§ 6—8.

Euseb. praep. evang. V 34 §§ 11—14. *) Pausan. V c. 27 §§ 9, 10. ^) Pau-

san. a. a. ü. "j A. M. K. Fr. Hermann Lehrb. der griech. Kechtsalterth.

3. Aufl. (V. Th. Thalheim) 1884 S. 121 N. 3. ') Leist Gräco-ital. Rechts-

gesch. S. 344—396. «) So Leist S. 345. ») E. Rohde Psyche S. 182.

Mittheiluügen, XII. ' 36

578 ^Ami-ra.

der Erklärung bedürfen würde. Verständlich dagegen wird der ganze beschriebene Hergang, wenn wir erwägen, dass nach griechischem Glauben jede Menschentödtung, selbst die berechtigte, um so mehr die widerrechtliche, wenn auch vielleicht unwillentliche, den Verursacher mit einem |j,'.ac3[j,a belädt, also vom Verkehr ausschliesst, und ihn über- dies der Verfolgung der gekränkten Seele spivvo? des Getödteten aussetzt. Dieser Glaube forderte, dass der Verursacher des Todes der Ipivvoc aus dem Weg gehe und unter allen Umständen sowohl seine als ihre Heimat wenigstens auf längere Frist räume ^). Bei den a'f wva kann von freiwilligem Eäumen (fsDY^^v im weitern, stspysaO'at im ensrern Sinne keine Eede sein. Sie müssen daher durch die öffent- liehe Gewalt ausgeschafift werden, sei es, damit das [liaojjia vom Lande entfernt, sei es, damit die Heimsuchung der spivvu? abgewandt werde. Ist das aipwvov ein Thier, so muss es zugleich getödtet werden, damit seine Kückkehr ausgeschlossen sei. In dieser Hinsicht bleibt Piaton sicherlich beim geltenden Eecht, Bestraft aber werden die a^cova überall nicht. Wenn gleichwohl das Verfahren gegen sie ein gericht- liches ist und in den Formen eines Processes sich bewegt, so erklärt sich das aus der Nothwendigkeit, dass die Schuldfrage entschieden werde. Denn schuldig am Tod eines Menschen, wenn auch willenlos, können acpwva sein, sofern sie den Tod verursachen. Dieser Causal- zusammenhang die alria musste festgestellt sein, bevor den Geboten des Sacralrechts, vielleicht unter Vernichtung von Eigenthum, genügt werden konnte. Die gerichtliche Aburtheilung des Beiles bei den Boo'f övta wegen Tödtung des Opferstiers ist nur eine Parallele zur Aburtheilung der a'f cova wegen Menschentödtung. Es genügt zu wissen, dass auch Thiere, namentlich geheiligte, ihre ipivvo? haben, und dass ihr Todtschläger unrein wird 2), Vorstellungen, die wir auch bei andern Völkern antreffen und mit der pythagoreischen Lehre von der Thierseele nicht verwechseln dürfen.

Eine altitalische Analogie zu den Thierstrafen des Mittelalters hat man in einem, dem Numa Porapilius zugeschriebenen Gesetz ^) über das Auspflügen von Grenzsteinen gefunden. Das Ochsengespann, welches bei der termini motio gebraucht war, sollte ebenso wie sein

') S. insbes. Plato de leg. IX 8 (pag. 865), Demosth. XXIII §§ 37—46, ferner Hermann-Thalheim a. a. 0. S. 43f. Ueber das |j.iaa(ia Ü. Müller Aescbylos Eumeniden S. 133 f. und Nägelsbach Nachhomer. Theol. S. 356 bis 359. '■') Aeschyl. Agam. 55—59. Sophocl. Ajas 654—656. S. ferner

Müller a. a. 0. S. 140, 169. ») Ueber dieses M. Voigt Ueb. d. Leges

Regiae I S. 48—55. Vgl. ai;ch Platni'r Qnaestiones de jure crim. 1842 S. 30—32.

Thierstrafen und Thierprocesse. 571)

Führer dem Jupiter terminus „geweiht" sein, d. h. geopfert werden. Nach ihrem ursprüngUchen Sinne setzte die Bestimmung voraus, dass der ausgepflügte Grenzstein unter dem Schutz eben dieser Gottheit stand, ein ,sacrum saxum' war. Also nicht erst die Ahndung, sondern schon der geahndete Thatbestand fiel unter das Sacralrecht. Weil der Gott beleidigt ist, deswegen wird der Beleidiger sammt seinen Werkzeugen dem Gott übergeben. Denn dass die Zugthiere in unserm Fall nur als Werkzeuge nicht als Gehilfen anzusehen sind, ergibt der Wortlaut, worin das Gesetz des Numa überliefert wii'd. Es kennt nur Einen Thäter, den das Gespann führenden Menschen. Redensarten wie des Varro „bos socius hominum in rustico opere" oder des Plinius „bos socius laboris agrique culturae" wären nur schwache Behelfe einer abweichenden Interpretation. Aber wie dem auch sein mag, jedenfalls kümmert sich die lex regia nicht um die Beschaffenheit des Willens beim Thäter. Sie hätte besondern Anlass dazu gehabt, den Fall des unabsichtlichen Auspflügens in Bedacht zu nehmen, wie eine andere lex regia den Fall der unabsichtlichen Tödtung in Bedacht genommen hat. Denn gerade unabsichtlich wird termini motio beim Pflügen viel öfter geschehen als absichtlich. Wiederum also verhindert der Kult, dass die sonst geläufigen Unterschiede der betheiligten Willen zur Geltung gelangen.

Bei Naturvölkern hört man von Thierstrafen auffallend wenig. Von einem der rotheu centralafrikanischen Stämme, den Njapü, wird neuerdings berichtet, dass er auch Thiere gerichtlich verurtheilen lässt. Casatii) erzählt folgenden Fall: Ein Bock hatte, die Angriffe eines Hundes abwehrend, diesem durch Stösse eine tödtliche Verletzung bei- gebracht. In Gegenwart seines Opfers wurde der Bock vom Häuptling zum Tode verurtheilt. Es wurde ihm die Kehle abgeschnitten. Sein Fleisch verspeisten die Vornehmen, das des Hundes die Niederen. Leider erfährt man nichts über die Gründe dieses Verfahrens. Man weiss nur, dass der Hund den Njapü sehr werthvoll gilt, dass im be- schriebenen Falle sein Herr ein mächtiger Mann war, und dass die Njapü alles ihnen zugängliche Fleisch, auch das von missethätigen Menschen verzehren.

Kehren wir nach diesen Ausblicken auf orientalische, sfraeco- italische und afrikanische Rechte zu unsern mittelalterlichen und neu- zeitlichen Räthseln zurück, so sehen wir uns deren Lösung nur in so weit näher gebracht, als sich jetzt bestimmte Gesichtspunkte dar- bieten, worunter eine lösende Antwort gefunden werden kann.

') Zehn Jahre in Aequatoria I S. 167.

36*

580 A m i f a.

Möglicherweise sind die mittelalterlichen Thierstrafen nebst den slavischen einerseits und die gräco-italischen, allenfalls auch die per- sischen, andererseits aus einem gemeinsamen arischen Typus abzuleiten. Dies würde auch unsere Erkenntniss der gräco-italischen und orien- talischen Thierstrafen noch vertiefen, könnte jedoch nur mit Hilfe verschiedener Hypothesen verständlich werden, welche sich auf die Veränderung des ursprünglichen Strafcharakters in der einen oder an- dern Eechtsgruppe zu beziehen und so die wesentUchen Verschieden- heiten unter den historischen Thierstrafen zu erklären hätten. Eine weitere Eeihe von Hypothesen wäre aufzubieten, wenn in den näm- lichen Zusammenhang auch noch die mittelalterlichen und die modern- slavischen Thierprocesse und Thierexcommunicationen gebracht werden sollen. Denn dass zu diesen der griechische Thierprocess nur eine ganz äiisserliche Analogie darstellt, bedarf keiner Erörterung mehr. Die Annahme eines genetischen Zusammenhangs, wie er hier ange- deutet, würde aber auch noch mit den Bedenken zu rechnen haben, welche die Chronologie der mittelalterlichen und der moJern-slavischen Thierstrafen und Thierprocesse aufdrängt. Wir bedürfen eines sehr triftigen Grundes, wenn wir uns für befugt erachten sollen, die späte U eberlief erung des Phänomens für zufällig zu erklären und dasselbe hinter die lange Reihe schweigender Jahrhunderte der geschichtlichen Zeit zurückzudatireu.

Alle diese Schwierigkeiten kämen in Wegfall bei der Annahme, dass Thierstrafen und Thierprocesse Auswüchse der selbständigen Rechtsentwicklung innerhalb der einzelnen Völkergruppen seien. Die letzteren sind nicht zahlreich genug, um eine solche Annahme von vorn herein auszuschliessen, während diese durch die tiefgreifenden Unterschiede der verglichenen Tliierstrafrechte sogar empfohlen scheint. Es wäre aber zu fragen, ob sich in den Rechten, wovon die mittel- alterlichen und neuzeitlichen ausgegangen, oder iu den Kulturzuständen, unter denen sie aufgekommen, hinreichende Ansatzpunkte für die selbständige Entwicklung eines Thierstraf rechts vorfinden.

Sollte dies nicht der Fall sein, so Hesse sich noch an Anleihen denken, welche die Rechte der christlichen Völker bei fremden Rechten aus vielleicht entschwundenen Zeiten gemacht haben. Bezüglich der weltlichen Thierstrafen wegen Menschentödtuiig würde es, wie sich gezeigt hat, auch keineswegs an Quellen fehlen, woraus solche An- leihen geschöpft sein könnten. Xicht das Gleiche kann man aber von den Thierprocessen und Thierexcommunicationen sagen. Und auch abgesehen von diesen, müssten Ursachen glaubhaft werden, welche zu den Anleihen führten, und Wege, worauf diese bezogen wurden.

Thierstrafeu und Thierprocesse. 581

Von den drei als möglich gedachten Lösungen schliesst übrigens keine die beiden andern völlig ans. Denken Hesse sich z. B. dass urrechtliche Principien die Unterlage abgegeben hätten, worauf nach der Völkertrennung selbständige Thierstraf- und Processrechte ausgebildet wurden, und dass noch später die Ergebnisse dieser Entwicklung da oder dort durch eine Entlehnung getrübt worden seien.

Unter allen Umständen müssen wir uns aber darüber Klarheit verschaffen, welche Stellung diejenigen Eechte, von denen die mittelalterlichen ausgegangen sind, dem Thier ein- räumten.

Da gebricht es nun zunächst ausserhalb des Strafrechts an jedem auch nur einigerniassen verlässigen Anhalt für die Unterstellung, dass in germanischen Kechten Thiere in irgend einem Sinne dem Menschen gleich gesetzt, ,personificirt' worden seien. Schlechterdings keine Beziehung zu unserm Thema haben die mittelalterlichen Thier- processionen und Eselsfeste, woraus man auf das Zugeständniss von Kechten an das Thier hat schliessen wollen ^). Die Eselsfeste nicht, weil sie überhaupt erst auf dem Boden des kirchlichen Volksschauspiels erwachsen sind. Die Thierprocessionen aus denselben Gründen nicht, aus denen die satirische Personification des Thiers in der Dichtung keinen Bezug zu unserer rechtsgeschichtlichen Frage hat. Soweit es sich dagegen um die Volksansicht vom Thier handelt, würde dessen parodirende und satirische Personification beim Fest, in der bildenden Kunst und in der Fabel nur beweisen, wie wenig der Mensch in der Wirklichkeit das Thier sich gleich setzte. Gänzlich unbrauchbar sind aber auch die hauptsächlich in Frankreich erzählten Geschichten von processualen Zweikämpfen zwischen Mensch und Thier 2). Man weiss jetzt, dass Legenden wie die vom kämpfenden Hund des Aubry V. Montargis oder die vom kämpfenden Affen des Milles lediglich dem Koman angehören und auf das antike Erzähluugsmotiv von dem treuen und klugen Hund, der den Mörder seines Herrn entdeckt, zurück- gehen 3). Nicht besser wie mit der processualen Kampffähigkeit des Thiers steht es mit seiner vermeintlichen Zeugnissfähigkeit, worauf man sich zu Gunsten der Personifications-Hypothese mit einer gewissen Vorliebe berufen hat ^). Wenn nach einem alamanischen

1) Lacassagne im , Kosmos'' 1882 S. 2G6. -) Lacassagne a. a. 0.

S. 267 und Pertile in den ,Atti' p. 151 glauben daran. ^) F. Liebrecht

zu Dunlop's Gesch. der Prosadichtg. S. 478 Anm. 216. Ders. zu Gervasius S. 113, 114. Vgl. auch Lou andre in Revue des deux mondes 1854 I p. 336, Dumeril Les animaux et les lois p. 10. *) Lou andre a. a. 0., Osenbröggen

Zschr. f. deut. R. XVIII S. 99 und Studien S. 142 f., Gierke Humor § 5 S. 25, Pertile in den Atti p. 152 f., Lacassagne a. a. 0.

582 Ami r a.

Kecht der nächtlich in seinem Hause Ueberfallene den Angriff eidlich beweisen kann, indem er drei Strohhalme von seinem Dach und seinen Hund oder seine Katze oder seinen Hahn anfasst, so ist das Thier nicht Zeuge, sondern Zeichen. Gerade wie die Strohhalme ist es pars pro toto. Das Haus, worin der üeberfall geschehen, soll beim Eide veranschaulicht werden. So soll ja auch beim Anefangseid das ent- wendete Thier, welches der Schwörende einklagt, veranschaulicht und deswegen beim Schwur selbst angefasst werden. Keine andere Be- deutung kommt auch -der Anwesenheit des Thieres zu bei dem An- griflFseid wegen Bestialität nach Kuprecht von Freising (H 49), wiewohl dieser das Thier einen , Zeugen' nennt i). In bildlichem und also un- eigentlichem Sinne Zeuge ist freilich das Thier in allen diesen Fällen, weil es zum objektiven Thatbestand in Beziehung steht. Mit demselben Fug wie hier von einer Zeugschaft hätte man von einer Eideshilfe des Thiers in jenen andern Fällen sprechen können, wo ein Eid darauf abgelegt wird. Denn es ,hilft' zum Eid insofern, als es dessen Mittel oder das Werkzeug ist, welches beschworen (d. h. incantirt) wird. Wer einen gelegentlichen Ausdruck pressen will, kann auch eine Verraögensfähigkeit von Jagdhunden nach germanischem Recht beweisen. Denn von dem Antheil an der Beute, welcher nach all- gemeinem Jagdbrauch dem Hunde gebührt, sagen skandinavische Eechte, dass er dem Hund „gehöre" 2), womit man vergleichen mag, dass er im Altfranzösischen die droiture des Hundes heisst^). Etwas Rechtliches ist auch zweifellos an dieser droiture, aber es zeigt sich erst, wenn einer mit fremdem Hund jagt *). Wie es nur eine Prägnanz des Ausdrucks ist, mit humoristischer Färbung, wenn dem Jagdhund ein Recht auf Beuteantheil eingeräumt wird, so auch, wenn von „Rechten" anderer Thiere an Liegenschaften die Rede ist und wo mau in neuerer Zeit nicht nur eigentliche Rechte, sondern sogar auch noch entsprechende Pflichten hat finden wollen s). Nicht Rechte der Thiere, sondern Rechte ihrer Herrn natürlich sind gemeint, und das nämliche gilt von den Pflichten, z, B. zu Abgaben.

Mit besserm Schein von Gründen hat man im germanischen Strafrecht den Schutz einer Thierpersönlichkeit zu finden ge- glaubt. Da ist gleich das „Wergeid", welches der Sachsenspiegel für

') Daher von Osenbrüggen Stud. S. 143 verwerthet. ^) Östgöta lagen

Bb. 36 § 3. Gulalnngs bök 95. ') Bangert D. Thiere im altfranz. Epos

1885 S. 143, 154. *) v. Amira Nordgerm. Obligat. Recht I S. 749.

6) Gierke a. a. 0. S. 23 f. Vgl. J. Grimm RA. 594 f., Noordewier Nederd. Regtsoudheden S. 254, 255.

Thierstrafen und Tliierprocesse. 583

verschiedene Gattungen von Hausthieren gegeben wissen will i). Gerade davon hat bei uns, soviel ich sehe, die Personificationshypothese ihren Ausgang genommen ^). Allein dass nur vermöge eines Bedeu- tungswandels von einem Thier- Wergeid gesprochen werden konnte, ist von vornherein klar, da Wergeid sowohl seinem ältesten und allgemein technischen Gebrauch wie seiner Etymologie nach = Menschen- entgelt ist. Es kommt somit auf die abgeleitete Bedeutung an. Diese aber ist, wie sich aus dem Sachsenspiegel selbst ergibt, nicht etwa ,Personen-Entgelt' oder ,Quasi- Wergeid', sondern ,fester, unbeweglicher Entgelt', d. h. gesetzlich benannte Ersatz-Summe. In diesem Sinne ist nach III 51 § 2 Ritterpferden und Zeltern, aber auch Kleppern und Mastschweinen kein „Wergeid gesetzt", während den andern Haus- thieren vom gemeinen Reitpferd und vom Arbeitspferd bis hinunter zu Ente und Huhn Wergelder gesetzt sind. Damit verliert auch die alterthümliche Art und Maassbestimmung von sogenannten Thierwer- geldern, worauf man so grosses Gewicht gelegt hat, nämlich das Be- schütten des getödteten Thiers mit Körnern, allen Werth für die gegen- wärtige Frage. Denn gerade ,Wergelder' im Sinne des Sachsenspiegels sind die so bestimmten Mengen, weil unbenannt, nicht. Sie heissen auch nirgends so. Was wir da vor uns sehen, ist lediglich eine uralte und durch keltische, ja sogar arabische Parallelen noch merkwürdigere Bestimmung des individuellen Thierweiihes. Mehr dahinter zu suchen, ist durch nichts geboten.

Wird in so weit das Thier nur als Sache behandelt, so greift eine wesentlich andere Auffassung Platz, wenn die Tödtung oder auch die Verletzung bestimmter Thiere gleich oder doch ähnlich wie die von Menschen öffentlich geahndet wird. Bei ungermanischen Völkern sind Rechtssätze solchen Inhalts keineswegs selten ^), auch wenn wir von dem strafrechtlichen Schutz derjenigen Thiere absehen, welche Kultgegenstände sind. Die Gründe liegen bald in dem Wechsel der menschlichen Lebeusgewohnheiten, bald aber auch in religiösen Vor- stellungen. Die letzteren sind es, woraus sich die entsprechenden germanischen Erscheinungen erklären. Die Spuren derselben sind freilich schwach genug. Im Waadtland soll nach einer Rechtslegende

1) Ssp. II 54 § 5 (ältester Text), III 48 §§ 1, 2 und III 51 § 1 (Zusätze). 2) J. ürimm RA. 670. Osenbrüggen Studien S. 139—142. Gierke a. a. 0. S. 24. 3) Bezüglicli des Ackerochsen s. M. Voigt Leges regiae S. 84—87,

K. F. Hermann Lehrb. d. gottesdienstl. Alterth. §§ 26 N. 20, 61 N. 16, Gubernatis D. Thiere i. d. Myth. S. 208. Andere Fälle: Vendidad (v. Spie- gel), Farg. XIII 1—79, XIV, Gubernatis a. a. 0. S. 33, Bastian Der Mensch I Ö. 177.

584 Amira.

die Tödtimg von Störchen wie die von Menschen bestraft worden sein 1). Dies verstehen wir, indem wir uns des nicht nur germanischen, sondern arischen Volksglaubens erinnern, dass die Störche verwandelte Menschen seien 2). Geschützt wurde also durch jenes Strafgesetz nicht das Thier, sondern der Mensch. Ein Gegenstück liefern die Straf- processe gegen Werwölfe, wodurch nicht der Wolf, sondern der seine Gestalt annehmende Mensch verfolgt wurde 3). Personificationen von Thieren liegen demnach auch hier nicht vor.

Fragen wir endlich nach der Art, wie das germanische Recht Uebelthaten von Thieren behandelte, so geht dieses überall von der Auffassung aus, dass die Uebelthat des Thiers niemals absichtlich wie die des Menschen sein kann. Das Thier ist, wie ostnordische Gesetzbücher sagen, ein „redeloser Wicht" oquel^ins vitr , ein „vernunftloses Ding" oviti^). Die griechische Parallele der oc'fwva ^= [iTj [xsrsyovxa toö (f^poveiv (N. 1 S. 577) springt in die Augen. Sie ist keine zufällige. Denn nicht nur jene skandinavischen, sondern auch deutsche Eechte waren von der Anschauung behen-scht, dass die Sprachlosigkeit Kennzeichen der tliierischen Vemunftlosigkeit sei. Bei den Langobarden steht einer That, welche durch ,, hominis studium" an- gerichtet ist, die des Thiers gegenüber als eine, welche „muta res fecit". Und Beaumanoir erkennt an der Sprachlosigkeit des Thiers, dass es weder für den Unterschied von Gut und Böse, noch für die Strafe Verständniss habe ^). Aber auch in den Folgerungen aus dieser Grund- ansicht zeigen sich die germanischen Rechte von den frühesten ge- schichtlichen Zeiten an bis hinein in die Jahrhunderte unserer Thier- strafen einig. Die Uebelthat eines Thiers ist nach den nordischen Rechten von Haus aus ein „Erfolg von Ungefähr" vilz öki, vaj^i , erträgt daher für die öffentliche Gewalt kein Friedensgeld ^). Die nämliche Auffassung liegt den Bestimmungen des anglonormannischen Rechts zu Grund, welches die vom Thier angerichteten Uebel zu den infortunia rechnet '). Im deutschen Recht gründete sich auf sie wiederum der

') L. Vulliemin Der Kanton Waadt (1847) I S. 237, wiederholt von Rochholz Kinderlied S. 88. -) J. Grimm Myth. 638. F. Liebrecht

Gervas. S. 157 f. Rochholz Alam. Kinderlied S. 88. A. Kuhn Sagen . . . aus Westfalen II S. 69—71. L. Strackerjan Aberglaube . . . aus Oldenb. II. S. 101. 3) Zschr. f. deut. Kulturgesch. 1856 S. 429 f. Mönabroa S. 463 f. Wuttke Deut. Volksabergl. 1869 § 408. ^) Nordgerm. Obligationenrecht I S. 396.

•"*) Hierauf macht H. Brunner Berlin. Sitzgber. XXXV S. 835 aufmerksam. ") Ausser Nordgerm. Obligat. R. a. a. 0. und demnächst Bd. II § 46 s. Skane lagen (ed. Schlyter) I 100, II 56, IV 39. Eriks Sfellandske lov (ed. Thorsen 65. ') Leg. Henrici primi c. 90 § 11. Bracton (ed. Twiss) II pag. 388, 386, 400.

Thierst raten und Thicrproces-se. 585

Ausschluss des Friedensgeldes ^). Damit ist gesagt, dass nach ger- manischem Recht die Uehelthat eines Thieres kein Friedensbruch ist. Sie ist kein Friedensbruch, weil ein solcher nur mit menschlicher Absicht begangen werden kann 2). Deswegen ist auch die Fehde gegen den Eigenthümer ausgeschlossen, selbst wenn dieser haftbar ge- macht wird 3). Keine Ausnahme von dem Priucip ist es, wenn ein Mensch nicht blos haftbar gemacht, sondern geradezu als Thäter behandelt wird, weil er das Thier nicht ordentlich gehütet oder ge- leitet oder weil er es in Kenutniss seiner Gefährlichkeit gehegt hat. Andererseits bringt es das Princip mit sich, dass wegen der dem Thier selbst zugerechneten Uehelthat auch keinerlei öifentliche Verfolgung desselben einzutreten hat. Das Thier wird weder geächtet noch öffent- lich abgestraft. Hierauf ist genauer einzugehen.

Neuerdings hat man geglaubt. Beweise dafür zu finden, dass nach germanischem Recht das Thier einen Friedensbruch begehen und der Acht verfallen konnte. Man hat sich darauf berufen, dass in ost- und westgermanischen Quellen die Terminologie der Friedlosigkeit auf Tliiere angewandt werde^). Das ist richtig. Sehen wir aber auf den Sinn dieser Terminologie, so zeigt sich, dass sie lediglich Eingriffe in die menschliche Rechtssphäre für erlaubt erklären will. Am deut- lichsten erkennt man dies, wo reissende Thiere in Gesetzen für „fried- los" erklärt werden, ohne Rücksicht darauf, ob sie Schaden schon gestiftet haben oder blos zu stiften drohen. Wenn z. B. die alt- norwegische Gulajiingsbök sagt: ,,Bär und Wolf soll überall friedlos sein" ^), so ist die Meinung, dass man sie auf jedem Grund und Boden ohne Kränkung des Grundeigenthümers erlegt. Dies ergibt mit Sicher- heit sowohl der Zusammenhang, worin der angeführte Satz steht, als seine Paraphrase in einer jungem Quelle: „Bär und Wolf soll auf Jedermanns Grund zu weiden sein jedem, der da will" ^). Es ist ganz das Nämliche, was der Sachsenspiegel (II 61 § 2) durch die Wendung ausdrückt, dass Bären und Wölfen (und Füchsen) selbst im Bannforst kein ,, Friede gewirkt" sei, oder der Schwabenspiegel (L. 236) durch die Regel : „Allen Thieren ist (nach Banngesetzen) Friede gesetzt ausser

*) Lex Rib. 46. Kenren v. Waes v. 1241 c. 40, der 4 Aemter v. 1242 c. 41, und von Saffelaere c. 5, 6 (Warnkönig Fland. RG. II 2 üb. S. 183, 193, III 2 No. 16t)). Fries. 24 Landrechte c. XI {bei v. Rieht holen Unters. I S. 46 f. = XI, XII in Fries. Rechtsqu. S. 60-63). Brokmerbrief § 182. Emsiger Pfennigschuldb. §45. Sachsensp. II 40 §3. Bamberg. R. § 127. ^ v. Amira

in H. Paul's Grundriss der germ. Philol. IIb S. I7l, 172. 3) Ed. Roth. 326.

Lex Sax. 57. *) H. Brunner a. a. 0. S. 837 f. ^) Björn ok ulfr skal

hvervetna ütlagr vera Gulalob. 94. ") Nyere Lands Lov VII 58.

58ß A m i r a.

Wölfen und Bären''. Wir besitzen die Quelle dieser Berichte. Es ist die constitutio de pace tenenda v. 11 50 14). Hier heisst es ganz trocken: Nemo . . . instrumenta . . . tendat, nisi ad ursos, apros, lupos capiendos. Ungefähr ebenso nüchtern sagen die angelsächsischen Coustitutiones de foresta 27) : Vulpes et lupi nee forestae nee veneris habentur et proinde eorura interfectio nulli emendationi subjacet. Nichts anderes ist aber auch gemeint, wenn von einem Thier, welches einen Schaden angerichtet hat, gesagt wird, dass es fried- oder schutzlos sei. Auch von unfreien Leuten wird schon in den frühesten norwegischen Texten gesagt, sie seien friedlos wegen Missethateu oder gar sie seien friedlos zu machen ^). Und doch wissen wir, dass nach älterm norwegischem Kecht in juristischem Sinne ,friedlos' unfreie Leute nicht werden konnten, weil sie nicht des Landrechts theilhaftig waren-). Auch vom norwegischen Unfreien konnte gelten, was vom gotischen gesagt wurde: „Wäre es so, dass er friedlos fahren könnte, so würde er gerne den geschworenen Landfrieden brechen, auf dass er friedlos sein möchte" 3). Dann die Finnboga saga hat man zu verwerthen gesucht, welche in c. 11 erzählt, wie im norwegischen Hälogaland ein Bauer, dessen Viehstand durch einen Bären schwer geschädigt worden war, ein Thing berief und den Bären friedlos legte. Indess jene saga gehört zu den Romanen aus der Yerfallzeit der isländischen Erzählungsliteratur, die durch ihre UnZuverlässigkeit berüchtigt sind, und so könnte auch der Bär mehr dem Leser aufgebunden als in Hälogaland geächtet sein. Will man dessen ungeachtet auf die Geschichte etwas geben, so kann die Fried- loslegung als eine förmliche Kundmachung dessen verstanden werden, was wie wir gesehen haben in Norwegen schon ohnehin be- züglich des Bären und des Wolfes Rechtens war. Ein solcher Ver- ruf lag in dem erzählten Falle um so näher, als auch ein Preis für die Erlegung des Bären ausgelobt wurde. So verstanden fügt sich die Begebenheit ungezwungen in die norwegischen Rechtszustände ein, denen sie widersprechen würde, wenn es sich um die wirkliche Aech- tuug eines Bären handeln sollte. Nicht beweiskräftiger als die Finn- boga sasra für's norwecrische Recht ist die Somme rurale für's französische oder gar altfränkische, wenn sich daraus die Möglichkeit eines Acht- verfahrens gegen Thiere ergeben soll. Dort spricht Jean Bou teiller an einer Stelle (I 38), die uns später noch einmal beschäftigen wird, davon dass ein Thier, welches trotz gehöriger Hut einen Menschen

') Gula]3b. 204, 99, wovon Nordgeiin. Obl R. II § 46 handeln wird. «) Heims- kringla (ed. Unger) S. 354 (15—20). ») Ostgöta lagen E]ps. 15 § 2 (= West-

götal. II add. 7 § 29).

Thierstrafen und Thierprocesse. 587

getödtet hat, ,doit comme dit estre condamnee en exil'. Das ,comine dit' bezieht sich auf das von Bouteiller zuvor erwähnte biblische Gebot, wonach das Thier umgebracht werden soll ( que la beste soit de- struite). Folglich kann exil nicht Acht oder Friedlosigkeit, sondern nur Tod bedeuten, und zwar, da Bouteiller zu einer Zeit und in einem Lande schrieb, wo die weltlichen Thierstrafen wegen Menschentödtung üblich waren, Todesstrafe. Dieses entspricht auch dem Sprach- gebrauch von exilium und exil zur Zeit des Schriftstellers i).

Wenn oben bemerkt wurde, dass nach altgermanischem Recht auch keine öffentliche Strafe ein Thier treffen konnte, so braucht zum Beweise weder auf das gänzliche Schweigen aller altern Quellen noch auf die principielle Auffassung der absichtslosen Missethat Gewicht gelegt zu werden, da sich mit hinlänglicher Genauigkeit die positiven Folgen feststellen lassen, welche das germanische Recht den üebel- thaten von Thieren gab.

Das System, wovon seine Entwicklung den Ausgang nahm, beruhte auf dem Grundsatz, dass für einen Schaden, als dessen Urheber ein Thier gilt, der Geschädigte Genug- thuuug am Thier erhalten soll. An diesem soll der Geschädigte Rache nehmen dürfen, ein Gedanke, der zwar von Hans Sachs verspottet 2), doch nicht nur Naturvölkern, sondern auch noch volks- thümlichen Schriftstellern des Mittelalters geläufig 3) und für uns nicht befremdlich ist, wenn wir bedenken, wie unter den alten Kultur- verhältnissen der Gegensatz zwischen Mensch und Thier als ein flüssiger empfunden wurde •*). Obligationenrechtlich ausgedrückt lautet der Grundsatz: die lebendige Sache haftet für Genugthuung an den Geschädigten. Der Eigenthümer muss sie darum diesem überlassen. Nimmt er sie nach angerichtetem Schaden an sich oder lässt er es auf eine Klage ankommen, so machte er sich selbst, und vielleicht gar strafrechtlich, haftbar, zwar nicht als Urheber, doch sofern er damit wider Recht die Genugthuung verzögert oder, wie man zuweilen sagte, sofern er den Urheber beschirmt. Hat er diesen noch in seiner Ge- walt, so beugt er der Klage vor durch das förmliche Angebot au den Geschädigten, das Thier auszuliefern und allenfalls auch noch eine Begütigungsbusse zu zahlen, und bei Empfangsverzug des Geschädigten durch öffentliche Dereliction des Thiers. Befindet sich dagegen das Thier im Machtbereich des Geschädigten, so darf dieser es festhalten.

') Du Cange Gl. s. v. Exilium 1. '^) 36. Fassnachtspiel (her. v. Goetze) V. 217—236, 295—303. ^) Landmimabök (Islendinga Sögur I 1843) S. 91,

235. Rache an Thieren bei Naturvölkern: Bastian Der Mensch II S. 25. *) Trefflich hierüber J. Grimm Keinhart Fuchs S. I— V.

588 A in i r n.

bis zu dessen Auslösimg, in schwereren Fällen aber erschlagen oder gar zu eigen behalten. Diese letzteren Fälle gehören zu denen, wo die emphatische Kedeweise mancher Quellen dem Thier den Frieden abspricht. In den Denkmälern der germanischen Rechte sind nun freilich die einzelnen Linien dieses Systems mehrfach verwittert. In etlichen erwecken abgerissene Sätze sogar den Schein, als ob primäre Haftung nicht der lebendigen Sache, sondern ihres Herrn gegolten hätte. Man wird sich dadurch nicht beirren lassen, wenn man auf die zahlreichen und bedeutenden Ueberbleibsel des Systems der Sach- haftung den Blick gerichtet hält, die in sämmtlichen Hauptgruppen aller germanischen Rechte, vom gotischen in Spanien und vom lango- bardischen in Italien bis zu den skandinavischen in Schweden, Nor- wegen und auf Island dastehen, und wenn man ausserdem auch noch ein Auge hat für die mancherlei wirthschaftlichen ja sogar religiösen Ursachen i), welche das System durchbrechen mussten und gar oftmals auch zwischen den Zeilen der Denkmäler zu lesen sind, Ursachen, welche das Zurückweichen der Sachhaftung vor der Herrenhaftung wesentlich als eine Begünstigung des Herrn erscheinen lassen.

Diese Sachhaftung ist überhaupt nicht erst germanisch, sondern schon arisch. Auch die gräco-italischen, die keltischen, die slavischen Rechte kennen sie. Wie griechisches und römisches Recht durch Kultrück- sichten von der Verfolgung der letzten Consequenzen des Princips abgelenkt wurden, haben wir gesehen. Soweit die Kultrücksichten es gestatteten, sind die Consequenzen sowohl in Italien wie in Griechen- land gezogen worden. Was im römischen Zwölftafelgesetz als noxae deditio auftritt, geht ebenso auf das Princip der Sachhaftung zurück, wie die Regel: noxa Caput sequitur, die sogar nur von diesem aus verständlich wird. Neu sein mag die Wahl des Herrn zwischen deditio und dem litis aestimationem sufferre. Alt dagegen ist die deditio selbst, und dass sie noxae d. h. zur Bestrafung des Caput erfolgt. In den solonischen Gesetzen erscheint jene noch als primäre Schuldigkeit des Thiereigners gegenüber dem Geschädigten. Und da ist nun die Uebereinstiramung höchst bemerkenswerth, welche hinsichtlich der Nebendinge in den überlieferten griechischen 2) und norwegischen ^)

') Wirthsehaftliche : Schonung des Zuchtthiers (vgl. J. Grimm RA. 594 f., Osenbrüggen in Wiener Sitzungsber. 1863 S. 211, Gierke Humor S. 23); Wcrthverhältniss zwischen Thier und Schaden. Religiöse: vgl. J. Grimm RA. 261, 594, Noordewier Regtsoudh. S. 255. *) Plutarch. Solon. 24. Xeno-

phon Hellen. II 4 § 41. A'gl. auch die Sldavenanalogie bei Plato de leg. IX 15 (p. 879 A) und insbesondere 17 (p. 882). ^) Frostul^ings bök V 16 (woraus

Bjarkeyjar rettr 138). Gulal). bök 147. Späteres Recht : Norges gamle Love II S. 68, IV S. 221.

Thierstrafcn und Thierprocesse. 589

Kechtssätzen besteht. Dem bissigen Hund hat sein Herr ein Halsband anzulegen, woran er ihn ausliefert. Nach attischem Eecht muss die Leine oder Kette daran drei Ellen lang, nach norwegischem Kecht muss das Band so eingerichtet sein, dass der Geschädigte den Hund daran ergreifen kann. Das keltische Recht wird in dieser Frage vertreten durch das irische, kymrische und das schottische. Nach dem altern irischen Eecht wird der missethätige Hund ausgeliefert; eine Ersatzpflicht trifft den Herrn erst im Wiederholungsfalle ^). Die spätere irische Jurisprendeuz, die sich bemüht, Thierübelthaten möglichst dem Herrn zuzurechnen, lässt doch das missethätige Thier primär selbst für Schadensersatz und Busse einstehen, bewahrt auch die Thierpfändung 2). Die Reehtsbücher von Wales zeigen das Princip der Sachhaftung in vielen Fällen schon verwischt, doch ohne dass es jedesmal durch das der Herrenhaftuug ersetzt ist. Ueberdies ist es aber in sehr cha- rakteristischen Einzelanwendungeu bewahrt. Die wichtigste derselben bezieht sich gerade auf den für unsere Untersuchung belangreichsten Thatbestand: die Menschentödtung. Hier ist ausdrücklich der Grund- satz ausgesprochen, dass weder ein Wergeid (galanas) noch eine Busse (sarhaet) geschuldet werde, hingegen dass der „Todtschläger" an die Ver- wandtschaft des Getödteten ausgeliefert oder derelinquirt werden muss ^). Nur wenn Schweine einen Menschen tödten, soll ihr Eigeuthümer die Wahl haben zwischen Dereliction und Wergeldzahluug *). Für einen Biss ferner gehört das Thier dem Gebissenen; aber der Eigenthümer darf es mit der Wundbusse auslösen ^). Auch die auf haudhafter That geübte Rache am Thier spielt in den kymrischen Rechtsbüchern noch eine Rolle, wenn auch nicht mehr eine so hervortretende wie nach germanischen Rechten derselben Zeit, wogegen von der Thierpfändung viel einlässlicher die Rede ist ß). In den schottischen Rechtsdenkmälern zeigt sich die Sachhaftung im ganzen noch kräftiger durchgeführt, namentlich was die Rache auf handhafter That betrifft '). Auf der andern Seite geben sich schon in den altern Quellen starke englische Einflüsse zu erkennen, worunter die Durchführung des Princips eine jener eigenthümlichen Gestalten angenommen hat, die alsbald näher

1) Wasserschieben Bussordnungen S. 143. Ir. Canonensammlung LIII 6. 2) Ancient Laws of Ireland I p. 157, 161, I[ p. 119, 121, III p. 433, IV p. 105, 107, 177, 179, 181. 3) Anc. Laws and Institutes of Wales p, 294 10), 495

35), 391 17). •«) A. a. 0. p. 282 11), 350 10). Vgl. p. 806 16),

835 9). s) A. a. 0. p. 363 27). ß) A. a. 0. p. 157—163, 274, 275,

297 33), 361—363, 435 143), 692, 693, 807 (§41), 835 (unten), 840 (46 § 3), 844 14). Wasser schieben Bussordn. S. 128, 130. '') Leg. Burgorum

c. 126. Leg. Forest, c. 4—6, 8.

.Xi

590 Amira. .

zu betrachten sein werden. Später ^) sind diesen englischen Einflüssen römische und alttestameutliche nachgefolgt. Aber echt keltisch ist die Art, wie das schottische Kecht bei der Tödtung durch Huf eines gerittenen ßosses noch den Grundgedanken der Sachhaftung festhält: wurde der Tod eines Menschen im Vorwärtsreiten verursacht, so zahlt der Keiter Wergeid (galnes) und Blutbusse (? croo), d. h. er haftet per- sönlich; entgegengesetzten Falls ist die That nicht die seinige, sondern die des Pferdehufs, und es ist daher den Verwandten des Getödteten der Fuss des liosses oder der vierte Theil vom Werth des Thiers zu übergeben -). Was endhch die slavischen Kechte betriflPt, so lassen ihre am wenigsten von fremden Elementen durchsetzten Aufzeich- nungen die alte Thierhaftung noch deutlich erkennen, nicht nur in dem Institut der Pfandnahme an zu Schaden gehendem Vieh, sondern auch in der Auslieferung des stössigen oder bissigen an den Verletzten, worauf noch nach jüugerm russischem Recht der primäre Anspruch der Klagspartei geht-^).

Das System der privatrechtlichen Sachhaftuug aus Thierdelicten ist ursprünglich selbst nur Theil eines sehr viel umfassenderen, welches principiell zur Anwendung kam, wenn durch Sachen ein Schaden angerichtet war: einerseits also bei üebelthaten von Sklaven, andererseits bei Schäden, deren Ursache in leblosen Gegenständen ge- funden wird. Die letztern ebenso wie die unfreien Menschen und wie missethätige Thiere werden zur Geuugthuung ausgehefert oder preis- gegeben^). Es ist dies eine Eechtsanschauung, die viel allgemeiner verbreitet und zäher eingewurzelt gewesen sein muss, als es nach ihren verhältnissmässig seltenen Lebenszeichen in Denkmälern den Anschein hat. Denn noch Calderon setzte bei seinem Theaterpublikum Ver- ständniss dafür voraus, indem er sie zum Motiv einer Scene benützte: ein Kavalier, der einen andern im Zweikampf verwundet hat, liefert diesem nach der Versöhnung den Degen aus, womit er ihm die Wunde zugefügt , gleichsam den Degen zum Mitschuldigen machend ^). Ganz anders dagegen wurden leblose Dinge behandelt, wenn sie nicht selber als Ursache eines Schadens, sondern als Symbole des misse- thätigen Menschen galten. Da wurden denn allerdings öfi'entliche Strafen an ihnen vollzogen, ein Degen z. B. an den Galgen gehängt*^).

») Stat. I Rob. c. 33 §§ 1, 2. ») Regiam Majestatem IV 24. Vgl. Anc.

Laws of Wales p. 692 1), auch Leg. Burgorum c. 126 § 2. s) Macie-

j 0 wski Slavische Rechtsgeschichte II (1836) S. 126 f., 166 f. IV (1839), S. 333, 337, II S, 286. *») Hepp Die Zurechnung auf dem Gebiete des Civilrechts S. 164

bis 166. Trümmer Vorträge I S. 365, 377. H, Brunn er a. a. 0. S. 831—833, 840 f. ^) La Dama duende, Jörn. I. ß) Michaelis Mos. Recht § 274.

Thierstrafen und Thierprocesse. 59]^

eine Glocke ausgepeitscht und verbannt 1). Aber die Strafen galten symbolisch den Menschen, eine Erscheinung, bei der wir uns hier nicht aufzuhalten haben.

Der Grundsatz von der privatrechthchen Thierhaftung ist bis in die Zeit hinein und in den Ländern lebendig geblieben, wo die öffent- lichen Thierstrafen auftreten 2). Mit dieser Thatsache schHesst sich die Kette der Gründe, welche jede unmittelbare Ableitung der öfi'entlichen Thierstrafe des Mittelalters aus germanischen Kechtsgedanken verbieten. Auch der arischen Hypothese sind die bisherigen Beobachtungen nicht günstig, da das keltische und slavische Kecht den gleichen Standpunkt einnahm wie das germanische.

An Wahrscheinlichkeit dagegen würde die Annahme einer Ent- lehnung der öffentlichen Thierstrafen gewinnen, wenn sich ausser der Bezugsquelle noch zeigen Hesse, wie die Entlehnung vorbereitet war.

Die Bezugsquelle lag für ein christliches Kecht nahe genuo- im alten Testament, nämlich der Lex Dei in Exod. XXI 28. Es ist die- selbe Quelle, woraus Kirchen- und Staatsgesetze ihr Verbot geschöpft haben, dass von einem Thier gegessen werde, welches den Tod eines Menschen verursachte-^). Wir können die Eeception der Lex Dei in den Rechtsschriften des Mittelalters sogar noch genauer verfolo-en. Sie ist citirt in der irischen Canonensammlung (LIII 3), in der Capitu- lariensammlung des Benedictus Levita (VI 15), in der Einleitung zu König .Elfreds Gesetzbuch (c. 21), im Landrecht des Schwabenspiegels

') Villari La Storia di G. Savonarola (Ed. 2) 11 p. 249. Nur äusserlich verwandt das Verfahren mit einer die Nachtruhe störenden Glocke in Russland (gegen 1672): Meiners Vergleich. Russlands II 291. Der hier massgebende Gesichtspunkt ist der von N. 4 S. 590. ^) Hepp Die Zurechnung S. 158 bis

163. Trümmer Vorträge 1 S. 380—387 (wo jedoch S. 382 irrig der Satz des Hamb. Stadtr., der Eber bessere mit seinem Leben, zu den öttentlichen Thier- strafen gestellt wird). Graf u. Dietherr Deut. Rechtssprichwörter S. 291 f. (No. 53—55) 295 f. Stobbe Handb. d. deut. Privatr. III § 202. Behrend Stendal. Urtheilsbuch S. 77—82. Planck Deut. Gerichtsverfahren im MA. I S. 408 f. V. Bunge Livländ. Privatr. I § 238. H. Brunner a. a. 0. S. 836, 837. Lauriere beiViollet Etablissem. de S. Louis IV p. 116 f. Abrege champenois (bei Vi oll et III 45). Pertile Storia dei dir. V p. 642 n. 32. S. ferner: Freiberg. Stadtr, (her. v. Er misch) 49 §§ 8—16, Iglauer R. bei Tomaschek Oberhof v. I. S. 369, Brünner Schöffensatzg. 235, Prager Stadtrb. 120, 176, Trienter Stat. (her. v. Tomaschek) S. 153 c, 115, weiterhin die Literatur über das Pfändungsrecht, endlich die siebenbürgische Erzählung vom Hirsekorn bei Haltrich Deut. Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenb. (1877) S. 37—39. s) Wasserschieben Bussordn. S. 121, 147,

175, 317, 406, 467, 502, 503, 519, 603. Ir. Canonensamml. LIV 12, 14. Grägäs (her. V. Einsen) I a S. 34 (== II 43 etc.), II 374. Vgl. auch N. 6 S. 557.

592 A m i r a.

(L. 201 mit 204) ^). Damit soll nicht gesagt sein, dass gerade durch die Vermittlung dieser Quellen die mosaische Bestimmung für die Praxis des Mittelalters Richtschnur geworden sei. Bei Alfreds Gesetz- buch wäre dies nicht einmal wahrscheinlich, da sein dispositiver Theil in cap. 23, 24 das privatrechtliche Princip aufrecht hält. Aber man sieht doch, wie schon das Frühmittelalter angefangen hat, dem alt- testamentlichen Kechtssatz Beachtung zu schenken, und im Schwaben- spiegel und seinen Ausläufern gibt sich überdies die Absicht zu erkennen, demselben zur Herrschaft in der Praxis zu verhelfen. Unter solchen Umständen wird man es kaum für eine erst von den spätem Theoretikern nachgetragene Zurechtlegung der schon eingeführten öffentlichen Thierstrafe erachten, wenn sie dieselbe auf die Lex Dei gründen, um so weniger als die Doctrin schon bei Jean Bou- t eiller (um 1390) und bei diesem sogar folgerichtiger als bei Späteren auftritt. Er geht von dem „Willen der Bibel" aus, indem er gemäss Exod. XXI 28 verlangt, dass für Menschentödtung das Thier zum Tod verurtheilt werde. Er will aber ausserdem auch gemäss Exod. XXI 32 in dem Fall, wo der Getödtete unfrei war, 30 Silberpfennige an dessen Herrn gezahlt wissen. Das entspricht durchaus dem ebenso doctrinären als geschichtsfeindlichen Zug des Mittelalters, der sein Recht mehr und mehr entnationalisirt hut. Receptionen wie die von Exod. XXI 28 sind noch öfter vorgekommen. Ein entferntes Seiten- stück war die S. 556 erwähnte Aufnahme von Levit. XX 15, 16, ein viel näheres die Einführung der Talion ins Strafrecht gemäss Exod. XXI 23 25 '^), ein unmittelbares die Durchführung oder doch Nach- bildung von Exod. XXI 35, 36, welche verschiedene Rechtsbücher und Gesetze unternommen haben •^).

Die Reception ist so vor sich gegangen, wie sie unter den Ver- hältnissen des Mittelalters allein möglich war. Was im alten Testa- ment Kultakt gewesen, ist im Mittelalter zur weltlichen Strafe geworden. Dadurch musste aber auch die Auffassung der Uebelthat beeinfiusst werden. Das Strafrecht fiel von seinen Principien ab, indem es die Thierübelthat zum Verbrechen machte. Die Strafe ist zwar in der Regel

') Entsprechend Ruprecht v. Freising Landrb. c. 133, 136. ^) Osen-

brüggen Studien 8.152—160, Alam. Strafrecht S. 84 f. ^) Ausser W a s s e r-

8 ch leb an Bussordn. 131, der Ir. Canonensamml. LIII 7, Bened. Lev. VI 17, .'Elfr. Einl. 23, Swsp. (L.) 201 vgl. mit Exod. XXI 35 die schwedischen Be- stimmungen Nordgerm. Obligat. R. I S. 400 N. 2, femer Stat. I Rob. c. 33 § 2, Anc. Laws of Ireland III p. 235 c. 103 ; mit Exod. XXI 36 sodann L. Wisigot. 1, VIII tit. 4 c. 7, L. Rib. 46, 2, Pact. Alam. fr. III 15, V 10, Ed. Roth. 328. Ueber Mos. R. im Rechtsbuch der Armenier zu Lemberg s. Kohler in Zschr. für vergleich. Rechtsw. VII S. 432.

Thierstrafen und Thierprocesse. 593

auf den Fall beschränkt geblieben, den die Lex Dei im Auge hat, und sie ist darum auch in der Regel Todesstrafe geblieben. Aber der Grund der Regel lag doch nur noch im Gesetzestext, nicht mehr im Wesen der Strafe. Darum konnten, insbesondere in späterer Zeit, locale Abweichungen von der Regel stattfinden, Abweichungen, die zum Theil ebenso durch einheimische Rechtssätze vorbereitet waren, wie die Einführung der öffentlichen Thierstrafe selbst.

Was diese vorbereitenden Rechtssätze betrifft, so zerfallen sie in eine ältere und eine jüngere Schicht.

Die ältere Schicht bestimmt die Art, Avie gegen gewisse Thier- gattungen und wegen gewisser Uebelthaten die Privatrache ausgeübt werden muss. Wir haben hier nicht den Zweck solche Rechtssätze zu untersuchen. Es genügt, auf die Aeusserlichkeiten zu verweisen. Zu diesen gehört der uralte und vielerörterte Brauch, dass der Hund wegen Meuschentödtung gehängt wurde, ausgeliefert an der Thür des Klägers, unausgeliefert an der Thür seines Herrn i), sodann die vielleicht noch ältere, weil sowohl keltische wie germanische Gruppe von Bestimmungen, wonach zu Schaden gehendes Federvieh und Ziegen auf handhafter That in genau umschriebener Form umzubringen oder zu verstümmeln waren ^). Die Form parodirt schon hier zuweilen die Hinrichtung eines Menschen. Auch die Terminologie thut es, wenn sie den Stecken, worin der Gäusehals eingeklemmt wird, einen „Galgen" nennt ^). Kommt der Vollzug solcher Privathinrichtungen in die Hand eines Gemeindedieners, in Oesterreich z. B. des Feldhüters, im Lom- bardischen des Saltners, so kann das private Verfahren noch leichter den Schein eines öffentlichen annehmen.

Die jüngere Schicht von vorbereitenden Rechtssätzen bezog sich auf die Confiscation schädlicher Thiere^). Der öffentlichen Gewalt dem König, dem Gerichtsherrn verfallen die Thiere, wenn sie den Tod eines Menschen verursachen, mitunter auch, wenn sie einen Men- schen verletzen. Hauptsächlich und wohl auch zuerst hat sich diese Regel in Frankreich und England ausgebildet. Französischen und

>) J. Grimm RA. 665. Amira Nordgerm. Oblig. R. I S. 908. 2) J. Grimm RA. 137, 595. Chabert Bruchstück einer Staats- und Rechtsgesch. der deutsch-österr. Länder § 67 N. 7, 0 s e n b r ii g g e n in den Wien. Sitzgsber. 1863 y. 210 und Alamann. Strafr. S. 327, Gierke Humor S. G2. Dazu: Grimm Weisthümer lU S. 683 (art. 19), 889. Vgl. Ancient Laws of Wales p. 274 f. (§§ 10—12), 362 (§§ 15—17), 807 (41 §§ 4, 6), 844 (53 § 14), Leg. Burgorum c. 126 § 4, Leg. Forest, c. 5. ») Grimm Weisth. III S. 30, 46. Vgl. Anc.

Laws of Wales p. 807, 844. *) Hierüber im Allgemeinen Brunner a. a. 0.

S. 838, 841 f.

MittheUungen XU. 37

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englisclieu Schriftwerken des 13. Jahrhunderts ist sie schon ganz ge- läufig. Bei Heinrich von Bracton erscheint sie auch schon in der specifisch englischen Fassung, dass die Thiere als Deo danda ein- zuziehen, und mit der Analogie, dass wie Thiere auch bewegte leblose Sachen zu behandeln seien i). Von England aus ist der Grundsatz ins schottische Recht eingedrungen, und hier hat er seine ursprüngliche Gestalt bewahrt: Das schottische Recht kennt keine Deo danda, son- dern nur eschetae 2), D, h. die confiscirten Sachen braucht der König nicht wie in England pro anima regis et omnium fidelium defunctoruni zu verwenden, sondern er darf sie in seinen Nutzen kehren. Während in den westeuropäischen Ländern die Confiscation seit Beginn des Spätmittelalters allgemein verbreitet war, haben es in Deutschland und Italien nur einzelne Territorial- oder Grundherrn und Gemeinden ver- standen, sie zur Geltung zu bringen, und auch dann nicht immer ^) ohne den Nutzen mit der Klagspartei theilen zu müssen. Nach einem der ältesten hier einschlägigen deutschen Statuten, z. B. dem von Lüne- burg, empfängt der Geschädigte %, der Vogt und der Rath Ys vom Werth des eingezogenen Thiers-*). Wahrscheinlich hat Deutschland den Rechtssatz aus Frankreich bezogen, wo seit dem 14. Jahrhundert der Satz verbreitet war, dass die Obrigkeit aus dem Werth des ein- gezogenen Thiers die Klagspartei schadlos zu halten habe ^). Den Anstoss zur Entwicklung des Confiscationsrechts hat die Dereliction der schädlichen Sache durch ihren Herrn gegeben, von der S. 587 die Rede war. Diese Dereliction heisst in Frankreich technisch desadvouer. Durch das desadvouer bedingt ist nach Jean Bouteiller die Con- fiscation. Einmal anerkannt konnte aber die Confiscation sich von der Dereliction befreien und dann auch eintreten, wenn das Thier seinen eigene^! Herrn getödtet hatte.

Beide Schichten von Rechtssätzen haben ihre Spuren im Thier- strafrecht des Mittelalters hinterlassen. Wir sehen noch an den genau gefassten Gerichts urtheilen von Savigny 1457, wie die öffentliche Strafe durch die Confiscation und diese durch das desadvouer bedingt ist (S. 551 N. 5 mit S. 554 N. 1). Wir sehen ferner, wie in Burgund bei gesetz- lichem Ausschluss der Hinrichtung die Confiscation übrig bleibt (N. 1 S. 550) und wie Beaumanoir eine Rechtsübung befürwortet, die zum

') Hierüber D\i Gange Gl. s. v. Deodauda, J. Stephen New commentaries Bk. IV pt. I cb. 7 § IX. Hauptquelleu : Bracton Vol. II p. 286, 388, Fleta I 25 § 9, Britton I eh. 2 §§ 12—14, eh. 8. ") Quoniam attachiamenta c. 48

§§9 13. ä) Ausser den bei Brunn er citirten Belegen s. Grimm Weisth.

III 31(>. *) Stadtr. v. Lüneburg (her. v. Kraut) No. XCVII. «) Somme

rurale I tit. 37.

Thiertstrai'en mul Thierprocesse. 505

uämliclien Ergebniss führt (N. 4 »S. 553), weiterhin Avie bei einer Abbreviatur der Hinrichtung das confiscirte Thier zum gemeinen oder der Armen Besten verwerthet wird (s. oben S. 554). Das cältere Kecht über zu Schaden gehendes Vieh wirkt in den italienischen Statuten nach, welche wegen Feldsehadens Hinrichtung oder Verstümmelungs- strafen eintreten lassen. Die ältere und die jüngere Rechtsschicht liegen über einander im Statut von Vallesella v. 1565 (N. 5 S. 552), welches einerseits dem Gemeindevorsteher gestattet, ein auf wieder- holtem Feldschaden ergriffenes Stück Vieh ohne weiteres am Dorf- brunnen zu enthaupten, andererseits vorschreibt, dass der Kopf an den Eigenthümer ausgeliefert, das Fleisch unter die Bauern vertheilt werde. Wir haben endlich gesehen, dass während des Mittelalters die weltliche Thierstrafe wegen Menschentödtung ihren Hauptsitz in Frankreich hat. Auch dies erklärt sich, wenn ihr die Confiscation vorangegangen ist.

Wie die mittelalterliche Thierstrafe, so geht auch die des süd- slavischen Brauchs auf die Eeception der Lex Dei zurück. Diese ist in jenem sogar noch deutlicher zu erkennen, als im westeuropäischen Thierstrafrecht. Der montenegrinische Strafritus des Steiuigeus ist der- selbe wie in Exod. XXI 27- Ebenda hat die slavonische Behandlung des hingerichteten Thiers als eines unreinen ihren gesetzlichen Grund. Die specifisch kirchliche Mitwirkung bei der Receptiou hat ihre Spur in dem Füttern der Hunde mit dem Fleisch des hingerichteten Thiers hinterlasseu. Denn dieses beruht auf einem Rechtssatz, der nachweis- lich in der Kirche Vertretung gefunden hat i). Wie die südslavische Thierstrafe durch die nationalen Grundsätze über Sachhaftung vor- bereitet war, zeigt sich noch in der Form des montenegrinischen Ver- fahrens: die Klagspartei kann nur den Tod des Thiers fordern, aber dessen Herr kann durch Geldsühne sein Thier vom Tode erlösen. Wichtig ist die Form, wie er es desavouirt: weil eine öffentliche Strafe, darum ein Verbrecher; aber nicht das Thier ist es, sondern der hinein- gefahrene böse Geist.

Sollte der Nachweis gelungen sein, dass die weltliche Thierstrafe bei christlichen Völkern wesentlich einer Zeit der Receptionen und der Rechtsmischuug angehört, so scheint sich das Verständuiss für den eigentlichen Thierprocess und die Thierexcommunication im nämlichen Zusammenhang nicht gewinnen zu lassen. Würden diese Institute aus der gleichen Wurzel erwachsen sein, wie die weltliche Thierjustification, so wäre sogar das bezüglich der letztern gewonnene Ergebniss wieder in Frage gestellt. Noch fraglicher jedoch ist es, ob überhaupt irgend

') Wasser sc hieben Bussordnuugen Ö. 603.

37'

596 A m I r a.

ein Zusammenhang zwischen den beiden Erscheinungsgruppeu besteht. Einen solchen wird man eher für ausgeschlossen erachten, statt ihn zu vermuthen, wenn man sich des vollständigen Gegensatzes erinnert, der unter jenen Gruppen nachgewiesen wurde. Die Bedenken, die sich in dieser Hinsicht aufdrängen, lassen sich auch nicht durch die Unter- stellung einer arischen oder auch nur germanischen Thierpersonification beschwichtigen. Denn Alles, was wir ausserhalb des Gebietes der Thier- processe wahrgenommen haben, spricht gegen diese Hypothese.

Es muss der Versuch unternommen werden, die Thierprocesse und Thierexcommunicationen ohne jeden Bezug auf die weltliche Thierstrafe zu erklären.

Die Thierexcommunication ist wesentlich Malediction und ur- sprünglich nichts als dies. D. h. sie ist von Haus aus Gebet, wenn auch in den Formen einer Beschwörung i). Eine solche Thiermale- diction ist in der Kirche vom Standpunkt der Doctrin des Mittelalters aus erklärlich als Exorcismus (vgl. oben S. 571). In der That deuten denn auch die mit der Malediction oder Excommunication von Thieren verbundenen Gebete darauf, dass das Verfahren zuerst als exorcismus aufgefasst wurde. Das von Hemmerli mitgetheilte Lausann er Kitual enthält als Bestandtheil des dem Maledictionserkenntniss folgenden executiven Verfahrens eine Exorcisatious-Formel. Wie man auf kirch- licher Seite dazu kommen konnte, schädliche Thiere durch Exorcismen zu vertreiben, hat Menabrea durch seine Erörterungen über mittel- alterlichen Teufelsglauben gezeigt. Er und seine Nachfolger haben sich dabei beruhigt und ohne weiteres angenommen, dass die Thier- malediction dem Teufelsglauben entsprungen und eine specifisch kirch- liche Erfindung sei.

Dies als mindestens zweifelhaft anzusehen, dazu veranlassen mich die Schwierigkeiten, welche sich einer befriedigenden Erklärung des Thierprocesses im Eahmen der Kirchenrechts-Geschichte entgegenstellen. Nach dem, was früher dargelegt wurde, kann selbst der kirchliche Thierprocess nicht erst im Gefolge der sog. Thierexcommunication ent- wickelt sein. Denn er findet sich ausgebildet auch in solchen Rechts- gebieten, die eine Thierexcommunication nicht kennen, viebnehr bei der rein exorcistischen Malediction stehen geblieben sind. Dazu kommt, dass ein rein weltlicher Thierprocess in verschiedenen Ländern be- gegnet, wo ein kirchlicher nicht nachgewiesen ist. Auskunftsmittel, um diesen weltlichen von jenem kirchlichen Process abzuleiten, würden

») Vgl. Gretser De benedict. (Ingoist. 1615) p. 90, 246 f.

Thierstrafen und Thierprocesse. 597

sich zwar erdenken lassen. Ueber Muthmassiingen ohne irgend einen geschichtlichen Anhalt würden sie sich jedoch nicht erheben.

Gerade der weltliche Thierprocess fordert zu der Erwägung auf, ob das, was wir mit Vorbehalt das kirchliche Verfahren genannt haben, überhaupt auf kirchlichem Boden entstanden sei. Sollte die Frage verneint werden, so würden freilich festere Haltpunkte als die Per- sonifications-Hypothese den Grund abgeben müssen.

Haltpunkte dieser Art scheinen nun aber erreichbar. Einen Fingerzeig geben die Verweisungsurtheile, womit in den germanischen Ländern die weltlichen Thierprocesse abschhessen, namentlich die- jenigen, welche das verklagte Thier ins Meer bannen, ferner das Tödten eines Gattungsexemplars unter Verwünschungen oder Male- dictionen, womit der kirchliche Thierprocess in der Lausanner Diocese während des Mittelalters und der weltliche in Slavonien noch in der neuesten Zeit endet. Unverkennbar fallen diese Urtheile unter den Begriff der Beschwörung oder des Zaubers. Dazu stimmt vollkommen, dass nach Vairo der weltliche Thierprocess vor einem Beschwörer verhandelt wird, und dass die Kenntniss solcher Abwehi-mittel sich am längsten bei Leuten erhalten hat, bei denen leicht die Wissenschaft des Zaubers vermuthet vnrd. Nun trifft es sich, dass gerade die Thier- gattungen, gegen die am öftesten Processe angestrengt wurden, auch sonst überall dem bannenden Zauber unterworfen galten i). Charak- teristisch genug gibt es auch von diesem ausserprocessualen Zauber Arten, die in ein Gewässer bannen und sich der processualen Ter- minologie des Mahnens und Ladens bedienen 2), Arten ferner, zu deren Ritus das Tödten oder Verstümmeln eines die Gattung vertretenden Exemplars gehört 3). Der Zauberbann in solcher Anwendung steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem christlichen Teufelsglauben,

1) Malleolus tract. II de exorc. p. 417 (mit der dortigen Bannformel vgl. die in Zschr. f. deut. Mythol. IV 1859 S. 121 und Thiele Danm. Folkes. III No. 311). S. ferner Fr. Panzer Beitrag z. deut. Mj-th. II S. 272, Wuttke Deut. Yolksaberglaube 1869 §§ 611—616, 647, 648, Rolland Faune pop. III 320, 30, 31, S e b i 1 1 0 1 in Revue des trad. pop. III (1888) p. 592, Hylten-Cavallius Wärend och Wirdame I S. 426 f., II S. XLV, Grohmann Apollo Smintheus S. 57—60, Histor. polit. Blätter 1845 S. 516 f., Rutis hauser Vierundzwanz. Wochen S. 119, Thiele II 66 f., 288 f., 0. Fuglestvedt Folkesagn I S. 9 f, Kristensen Jyske Folkesagn No. 118, 119, 302, Eva Wigström Folkdiktning i Skäne S. 174, 222, Frischbier Hexeuspruch u. Zauberbann S. 89, 137 f. 2) Nork inScheible's .Kloster' XU S. 505, Thiele II 69, Hylten-Cavallius a. a. 0. I S. 336, II S. XLV. Grohmann a. a. 0. S. 83—85. Verwandt das Bannen mittelst der Terminologie des Aufsagens: Eva Wigström a. a. 0. 174. ') Grohmann S. 66, Wuttke §§ 612, 614, 648. Plinius bist. nat. XXX 53 und oben N. 1 S. 575.

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wiewohl die gebannten Thiergattimgen zu denen gehören, deren Ge- stalt der Teufel anzunehmen liebt. Die weite Verbreitung wie die Natur des Brauches scheint vielmehr auf eine hinter der cliristlichen zurückliegenden Entstehungszeit zu deuten. Befinden wir uns damit auf richtiger Fährte, so fordern uns zu ihrer weitern Verfolgung die heidnischen Ansichten auf, wonach eben jene Thiergattungen sich von andern durch ihre gespenstigen Eigenschaften unterscheiden. Die Leiber von Mäusen, Katten, Maulwürfen, Kröten, Schlangen, Schnecken, In- sekten, insbesondere galten vorzugsweise als Wohnstätten von Seelen i). Schon bei Lebzeiten eines Menschen kann seine Seele in einen solchen Leib schlüpfen. Nach seinem Tode kann sie dauernd in dieser Gestalt umherirren. Und ebenso können in ihr Dämonenseelen hausen, die ja nicht von Haus aus einen wesentlichen Gegensatz zu den Seelen abgeschiedener Menschen bilden. In Eiben und Maren tritt die Ver- wandtschaft unter Dämonen und Seelen von Gestorbenen deutlich zu Tag. Da ist es nun lehrreich, dass die Heuschrecke eine der Thier- gattungen, denen am häufigsten der Process gemacht wird im Ober- deutschen selber alp genannt wnrde, und dass auch bei den Schweden im Eybofylke ein Insekt alpa wie ein anderes mära heisst. Was von Insekten und anderm Ungeziefer, kann aber, so weit es hier von Be- lang, auch von den drei ,,Hauptthieren der Fabel", dem Wolf, dem Fuchs und dem Bären, gelten, von denen die beiden ersten nach süd- slavischem Glauben „heidnisch" sind und mit Exorcismen verfolgt werden. Im germanischen Volksglauben sind alle drei gespenstig. In Schwaben macht man dem Garne valsbären, der hier wie in Böhmen ein Strohbär ist und wie in Rom getödtet wird, zuvor sogar einen Process. Zu Rom glaubte man in ihm den Teufel umzubringen ^), Den Wolf ferner, der in Calabrien maledicirt wird, verfolgt man bei Germauen und Slaven mit Zaubersprüchen ^). Alle diese Vorstellungen sind Ausfiüsse des arischen Animismus. Das nämliche Ungeziefer, dessen Gewand nach

1) Mannliardt German. Mythen S. 79, 506, 353—356, 367—375, 439 f., 723, 729. A. Kuhn Sagen aus Westfalen S. 18—22. Svend Grundtvig Danske Folkeminder (1861) No. 123—127. Eva Wigström a. a. 0. S. 175. Grohmann Apollo Smintheus. Hj'l ten - Cavallius a. a. 0. II S. XXXIV f. Lippert Christenthum, Volksglaube u. Volksbrauch S. 491 506 Gubernatis D. Iliiere S. .391, 629-634, 638, 651 f., 396 f. Knauthe in der Zschr. ,Am Urquell' II (1801) S. 71, Friedr. Krause ebenda S. 103 f. (wo eine Banuformel gegen die Mahr). -) J. Grimm Reinhart Fuchs S. LIII— LVI. Li ehr echt

Zur Volkskunde S. 333 f. Gubernatis a.a.O. S. 426- -431, 453. Mann- bar dt a. a. 0. S. 306. ^) S. insbesondere den Wolfszanber bei Fr. Krauss Die verein. Königr. Kroatien u. Slavonien S. 109 f. und vgl. Kristensen Jyske Folkesagn No. 449, 453, Svend Grundtvig Gamle danske Minder (185 Vs)

Thierstrafeu und Thierprocesse. 500

dem Glauben der europäischen Arier Seelen anziehen, besteht nach dem altindischen und persischen aus Dämonen, denen mit Vertilgung ihrer Leiber oder mit Beschwörungen der Krieg gemacht werden soll ^). Die europäischen Arier, weniger dogmatisch beeinflusst als ihre asiati- schen Vettern, unterscheiden sich von diesen allerdings, indem sie den Krieg nur im Bedarfsfall führen, zwischen hinein sogar sehr freund- schaftliche Verhältnisse herstellen.

Diese Beobachtungen führen uns zum Thema zurück. Die Ver- urtheilung im Thierprocess ist aufzufassen nicht sowohl als Ver- urtheiluug von Thieren wie als zauberisches Bannen von Menschen- oder Dämonenseelen und solchergestalt als Parallele zu dem bei den klassischen und slavischen Völkern, aber auch ander- wärts nachgewiesenen Seelenaustreiben -).

Eine Zubehör jenes Zaubers aber ist der Process. Der Zauber stellt Formen des Eechtslebens in seinen Dienst, wie er seine eigenen Formen (den Eid) in den Dienst des Eechtslebens stellt. Im Thier- process sind nicht Thiere, sondern Menschen- oder Dämonenseelen die Verklagten. Der Thierprocess ist Gespensterprocess.

Dafür, dass es einen Process in voller Form Kechteus gegen Ge- spenster und zum Zweck ihrer Abwehr in heidnischer Zeit gegeben hat, dafür kann der Beweis aus einem germanischen Gebiet quellen- mässig erbracht werden. Die Quelle ist eines der berühmtesten und verlässigsten Werke der isländischen Erzählungsliteratur, die um 1250 verfasste Eyrbyggja saga. Zwar liegen die von ihr geschilderten Be- gebenheiten um dritthalb Jahrhunderte weiter zurück. Aber die üeber- lieferung derselben bis zur Zeit des Verfassers war eine verhältniss- mässig gute, und insonderheit das Ereigniss, dem wir unsere Auf- merksamkeit zuzuwenden haben, während des Mittelalters auf der Insel allgemein geglaubt. Es berichtet aber die Saga in iliren capp. 50—55 Folgendes. Im Sommer desselben Jahres, in welchem das Christenthum gesetzlich auf Island eingeführt wurde, also des J. 1000 kam mit einem Dublinfahrer eine vermögliche Frau von den Hebriden Namens ^örgunna nach der Halbinsel Snjöfellsnes und nahm Quartier auf dem Hof Frödä, Dort starb ]iörguuna noch im Herbst des näm- lichen Jahres an einer ihr angezauberten Krankheit. Sie starb als Christin, und ihrem Wunsche gemäss liess der Hausherr l^oroddr ihre

No. 212 (Bannung ins Wasser), auch Frischbier a. a. 0. S. 147—153, Krauss Sagen u. Märchen II No. 54, 116, 117.

') Vendidad Farg. XIV 9 17. Sad Dar (transl. by West in The sacred books Vol. XXIV) 43. G rohmann a. a. 0. S. 37, 67 f. '■') Ueber dieses

s. die Zusammenstellung bei Rohde Psyche S. 219.

600

A tu i r a.

Leiche nach Skalaliolt, dem nachmaligen Bischofssitz schaffen, und bei der dortigen Kirche beisetzen. Aber zuwider seinem Versprechen, das er der Sterbenden gegeben, Hess er deren Bettzeug nicht verbrennen. Die Folge davon ist, dass sie, die schon während des Transports ihrer Leiche einen ungastlichen Bauern durch ihr gespenstiges Erscheinen zu freundlicherem Benehmen genöthigt hatte, nach der an Vampyris- mus streifenden Art richtiger Wiedergänger sechs Dienstleute des ])6roddr der Keihe nach, dann diesen selbst mit noch fünf andern zusammen während einer Meerfahrt und darnach noch sechs Leute aus dem Hause in den Tod ruft. Die ersten sechs und Jjoroddr mit seinen Genossen gehen allabendlich zum Schrecken der üeberlebenden um. Auch gespenstige Thierge stalten zeigen sich. Endlich weiss der in der Nähe wohnende mächtige Häuptling Snorre gode Eath. Vor allem muss, was von ^orgunnens letztem Willen unerfüllt ist, ausgeführt und gegen die Wiedergänger ein gerichtliches Verfahren eröffnet werden. Darnach muss ein Geistlicher das Gehöft unter Gebeten mit Weih- wasser besprengen und die Lebenden beichten hören. Die Kathschläge des Snorre werden befolgt. Die Wiedergänger, die sich am Abend ans Feuer setzen, werden der Reihe nach zum „Thürengericht" ge- laden, wegen unerlaubten Umgehens und wegen der Schädigung von Menschen an Leib und Leben. Draussen vor der einen Thür der Stube setzen die Kläger die von ihnen zu ernennenden ürtheiler nie- der, tragen ihre Sache vor und lassen Nachbargeschworne über den Thatbestand aussagen, alles „wie an den Thinggerichten". Zuletzt wird gegen jeden einzelnen der Wiedergänger das Urtheil abgegeben. Da steht jeder von diesen, wie die Reihe an ihn kommt, drinnen in der Stube auf und entfernt sich durch die Hinterthür, nicht ohne in einem kurzen Spruch mit trockenem Humor sein Gehen zu moti- viren. Nachdem noch der Geistliche seinen Dienst gethan, ist der Spuck zu Ende. Das ist in Umrissen die Geschichte vom „Frddä- wunder" i), das auf Island ungefähr so sprichwörtlich geworden ist, wie in Frankreich die „Mücken von Foigny".

Wir sehen hier an den heidnischen Brauch den christlichen Exor- cismus einstweilen noch ganz äusserlich angestossen. Im kirchlichen Thierprocess ist die Verbindung eine engere geworden, wobei das Heidnische christianisirt werden musste. Die Metamorphose des im Tliier wohnenden Gespenstes oder Dämons ist der Teufel, die Meta- morphose der Gespenster- oder Dämonenbeschwörung der kirchliche Thierprocess und der Exorcismus in Form der Thiermalediction oder

») Flateyjarbök III S. 505.

Thierstrafen und Thierprocesse. ßOl

der sog. Excommuuication. Am leichtesten umzugestalteu war die eigentliche Beschwörung. Sie wurde daher zuerst verkirchlicht. Mittler- weile starb der Thierprocess in einigen christlichen Ländern von selbst ab. Wo aber sein Leben ein zäheres war, musste die Kirche doch auch ihn zuletzt in ihre Kreise ziehen. Seine Christianisirung ist aber nur in Frankreich und auf der iberischen Halbinsel mit annähernder Vollständigkeit durchgeführt worden. Einmal verkirchlicht haben sich von dort Thierprocess und Thierexcommunication sogar noch nach der neuen Welt verbreitet. Andererseits hat die Kirche zwischen 1500 und 1750 die fremdartigen Elemente, durch deren Aufnahme sie ihren Erfolg errungen, allmälig wieder abgestossen. Auf rein kirchlichem Buden fortdauern konnte zuletzt doch nur die Adjuration der ,,spiritus iramundi animalibus in damnum hominum utentes", wie das Breve von Clemens XL v. 1717 sagt. Eine Begleiterscheinung dieses Verschrum- pfens des kirchlichen Thierprocesses ist das Wiederaufleben des welt- lichen in Frankreich. Dagegen ist dieser, wie wir ihn in Oberdeutsch- land und Dänemark, dann in Slavonien kennen lernten, im Wesentlichen die unmittelbare Fortsetzung des heidnischen. Eine Mittelstufe zwischen letzterem und dem christianisirten stellt sich in dem von L. Vairo geschilderten dar, worin bis auf den Schluss, die Malediction, das Ver- fahren ein weltliches ist.

Weltliches Thierstrafrecht und eigentlicher Thierprocess gehören also ihrem Wesen nach nicht zusammen. Dennoch konnten sie auf einander einwirken. In Montenegro z. B. könnte das Thierstrafrecht unter dem Einfluss des Thierprocesses sich fortentwickelt haben, da hier auch jenes den im Thier wohnenden ,, bösen Geist" verfolgt.

Die Schenkung Yon Kenmade und Fisclibeck an

Corvey i. J. 1147 und die Purpururkunden Corveys

von 1147 und 1152.

Von

v

Th. I Ig en.

Die hervorragende Stellung, welche Corvey unter den kirchlichen Stiftungen Westfalens einnimmt, spricht sich deutlich auch in dem Schutzrecht aus, das es zu verschiedenen Zeiten über eine ganze Keihe von kleineren Klöstern und Kirchen in Westfalen und den Nachbargegenden ausgeübt hat. Im Jahre 853 wurde dem Abte Warin von Corvey von Ludwig dem Deutschen der Schutz und die Vertretung Herfords nach Aussen hin übertragen, nachdem bereits 826 dessen Vater Ludwig der Fromme die Kirche von Eresburg, die nachherige Propstei Marsberg, Corvey unterstellt hatte. Später traten hierzu theils durch kaiserliche theils durch päpstliche Schenkung die Kirchen von Meppen, Groningen, Kemnade, Fischbeck, Werbe und Andere. Die Ueber- tragung aber von Kemnade und Fischbeck an Corvey durch König Conrad IIL im Jahre 1147 hat auf Seiten der dadurch geschädigten Interessenten einen so lebhaften Widerspruch hervorgerufen, dass es dem damaligen Abte Wibald von Corvey erst nach Jahre langen Kämpfen gelang, sich in den ruhigen Besitz von Kemnade zu setzen, während er auf Fischbeck sehr bald wieder Verzicht hat leisten müssen. Die Angelegenheit, über welche wir durch die corvey'schen Geschichts- quellen verhältnissmässig gut unterrichtet sind, ist für Wibalds Thätig- keit und Stellung ausserordentlich lehrreich; sie verdient aber gleich- zeitig durch die daran sich anschliessenden diplomatischen Fragen unsere besondere Beachtung.

Unter letzterem Gesichtspunkt ist sie neuerdings von Kehr i) behandelt worden. Die Kesultate jedoch, zu denen er gelangt ist,

') P. Kehr, Die Purpururkunde Konrad III. für Corvey im Neuen Archiv XV, 363—381.

Die Schenkung von Keinnade und Fiwchbeek an Corvcy i. .1. 1147. G()3

sclieineu uns in mehrfacher Beziehung anfechtbar, wenngleich Schuru, der neueste Bearbeiter der Diplome Conrads III. in den Kaiserurkuuden in Abbildungen i) in den hauptsächlichsten Punkten Kehr zuge- stimmt hat.

Wir besitzen nämlich über die Schenkung Kemnades und Fisch- becks resp. Kemnades allein, zwei Urkunden König Conrads III. (St. 3543 und 3544), beide datirt aus Frankfurt unter dem Jahre 1147. OberflächUch betrachtet unterscheiden sie sich in der Weise, dass durch St. 3544 Kemnade und Fischbeck an Corvey überwiesen werden, während in St. 3543 nur von Kemnade die Rede ist. Von letzterer Urkunde sind uns nicht weniger als drei Ausfertigungen erhalten, welche Kehr mit ßi, B2 und B 3 2) unterscheidet. B\ welche dem Druck bei Philippi 3) zu Grunde liegt, beruht im Staatsarchiv zu Münster; desgleichen B 2, von der jedoch nur der Schluss der Urkunde erhalten ist. B 3, im geheimen Staatsarchiv zu Berlin, ist auf Purpur- pergament mit Goldbuchstaben gesclirieben, und neuerdings von Schum in Facsimile wiedergegeben ^). Kehr meint nun, dass St. 3544 von ihm mit A bezeichnet eine gleichzeitige Ausfertigung vom März 1147 aus Frankfurt sei; hingegen wäre St. 3543 trotz des mit jener gleichlautenden Datums als eine erst im Jahre 1151 zu Stande ge- kommene Neuausfertigung von St. 3544 anzusehen ^). Schum hält St. 3543 ebenfalls für eine Neuausfertigung von St. 3544, will sie aber zeitlich näher an den Ausstellungstermin, also den März 1147, heranrücken.

Um uns über das Verhältniss der Urkunden St. 3543 und 3544, die wegen der inhaltlichen Verschiedenheiten unmöglich an einem Tage aus der königlichen Kanzlei hervorgegangen sein können, Klarheit zu verschaffen, ist es nöthig, uns die Geschichte der Schenkung von Kemnade und Fischbeck ausführlicher und im engeren Auschluss an unsere gleichzeitigen literarischen Quellen'^), als sie Kehr giebt, vor Augen zu führen.

Der sittliche Zustand der in der Nähe von Corvey gelegenen beiden Frauenklöster war schon seit längerer Zeit ein äusserst be- denklicher gewesen. Die Damen dieser Couvente, in Kemnade unter der Führung der Aebtissin Jutta, einer Stieftochter Ludwigs von Lare, führten nämlich ein derart ausschweifendes Leben, indem sie sich über

') Lief! X, Text zu Taf. 5. '') S. 36G und 367 Anm. 3. 3) Die Kaiser- urkunden der Provinz Westfalen II, Nr. 225. *) Kaiserurkunden in Abb. liief. X, Taf. 5 und Bemerkungen S. 375 f. ^) S. S. 368 ft". und besonders 378. ") Vgl. Monumenta Corbeiensia ed. Ph. Jaffe in der Bibl. rer. Germ. I. und zwar Chronographus Corbeiensis S. 55. ff. und Wibaldi Epistolae Nr. 30 ff.

604 Ilsen.

jede klösterliche Zucht hinwegsetzten, dass das Ausehen der geist- lichen Personen im Sachsenlande aufs erustlichste dadurch gefährdet wurde. Bereits die früheren Aebte von Corvey waren daher darauf bedacht gewesen, dieses wüste Treiben abzustellen, aber vergebens ^). Da gelang es Wibald kurz nach seiner Wahl zum Abt von Corvey König Conrad III. zu bewegen, Kemuade und Fischbeck seinem Stifte zu schenken, um daselbst das klösterliche Leben zu reformiren. Ende Januar 1147, als der König mit zahlreichen Fürsten in Fulda weilte, hat er Wibald auf dessen anhaltende Bitten hin für Corvey die beiden Abteien übergeben und die Schenkung durch einen mit einem Edelstein gezierten King bekräftigt. Dieser wurde dem Schrein des hl. Stephanus eingefügt, damit er die späteren Klosterangehörigen an die Wohlthaten des Königs und den Eifer des Abtes erinnere. Der König Conrad aber, um doch auch das Interesse des Keiches bei dem Schenkungsacte zu wahren, bestimmte, dass, so oft ihm von Corvey dem Gesetz und Herkommen gemäss Dienste geleistet werden müssten, die betreffende Geldsumme nun- mehr um je 10 Pfund gesteigert, im Falle aber Natural- lieferungen ausgeschrieben würden, die bisherigen Ka- tionen um die gleiche Werthsumme d.h. 10 Pfund vermehrt werden sollten. Obwohl eine Anzahl von Fürsten bei dem Schen- kungsact zugegen gewesen war und ihre Zustimmung zu demselben gegeben hatte, sollte doch erst die endgültige Festsetzung und Be- stätigung desselben auf dem nächsten Tage zu Frankfurt erfolgen 2). Wibald aber kehrt von Fulda nach Corvey zurück und begibt sich nach kurzem Aufenthalte von da nach Kemnade ambiciosius, ut suis Visum est sagt der Clironographus ») ; in seiner Begleitung befindet sich ein Bevollmächtigter des Königs mit einem besiegelten Patent. Die Besitzergreifung Kemnades wird von Seiten des Abtes

1) Ep. Wib. Nr. 34 und 36. ^) Chron. Corb. S. 55. Die Stelle: Nam

ne minus et rex hinc regno prospiceret, quocienscumque serviri sibi de loco nostro legis debito et priorum longe dierum instituto contingeret: si argento anticipanda foret, denae appenderentur librae, sin autem pastibus, aucmenta- rentur tanti precii pro temporis qualitate ac comparationis commoditate. Pro bis ergo stabiliendis et confirmandis, licet nonnulli principum bis affu- erint et consentientes fuerint eciam, Frankeuevurde se sibi occurvere statuta die indixit . . . bat Kebr bei seinen Ansführnngen gänzlicb unbeachtet gelassen, was ihn verschiedentlich zu unrichtigen Darlegungen geführt hat. Ver- gleiche auch den Brief König Conrads an Papst Eugen III. aus dem März 1 147 (Ep. Wib. 34): Erant in propinquo duae abbatiolae feminarum, quae nullum regno et nobis vel in milicia vel in alio servicio prebebant supplementum.

8) S. 55.

Die Schenkung von Kemnade und f]ischbeck an Corvey i. J. 1147. ß05

von Corvey, wenn gleich nicht ohne Widerspruch, vollzogen. Diesen Hergang bestätigt uns ein Schreiben Wibalds an König Conrad III aus dem October 1149 ^). Die Uebernahme von Fischbeck jedoch wurde durch den energischen Protest der Ministerialen Herzog Heinrichs des Löwen und der Kitter Adolfs von Schaumburg verhindert. Herzog Heinrich war zwar inzwischen (Ende Januar 1147) ^) vom König direct über die Schenkung in Kenntniss gesetzt worden, die erfolgt sei, unter Wahrung der Vogteirechte des Herzogs. Es wurde ihm anheimgegeben, sich deswegen mit dem Abte von Corvey ins Einvernehmen zu setzen. Jedoch auch für den Fall, dass der Herzog nicht geneigt sei, Corvey die Lehensherrlichkeit der Vogtei über die beiden Klöster zu überlassen, hielt König Conrad die Schenkung aufrecht.

An einer späteren Stelle schildert uns der Chronographus ^) die Vorgänge auf dem Frankfurter Tage, als die abermalige Uebergabe der beiden Klöster an Corvey stattfand. Zunächst wurde hier durch Ab- stimmung die principielle Frage zur Entscheidung gebracht, ,,si possent dari legitime cellule regales regali et majori ecclesie, de qua et regnum sumeret nounulla obsequia, cum et de minoribus preter nominis solam gloriam nulla provenirent regno profutura" ■*). Danach kann meiner Ansicht nach darüber gar kein Zweifel aufkommen, dass in Frankfurt die Eutschädigungsfrage für das Eeich wahrscheinlich um den Wider- stand der Fürsten gegen die Uebertragung von Kemnade und Fischbeck zu brechen; als ein sehr wesentliches Moment ins Treffen geführt ist, mit anderen Worten, dass man sehr nachdrücklich darauf hingewiesen hat, dass dem Reich durch Ueberweisung der beiden nicht abgabe- pflichtigen Klöster an das grössere Stift ein praktischer Vortheil er- wüchse, indem dadurch die Abgabefähigkeit des letzteren erhöht würde ^).

Die Mehrzahl der Fürsten ist denn auch dafür, dass die Vereini- gung von Kemnade und Fischbeck mit Corvey statthaft sei. Kur Adolf von Schaumburg erhebt Widerspruch, der indessen keine Beachtung fand. „Es wiederholten also die Könige, Conrad HI. und sein Sohn Heinrich, die Uebergabe der Klöster an Corvey durch den King". Wibald reist darauf von Frankfurt aus direct nach Clugny, um hier Papst Eugen III im Auftrage Conrads III die Wahl des jungen Heinrich zum römischen

») Ep. Wib. Nr. 201. *) Ep. Wib. Nr. 30. Kehr S. 373 uml ihm folgend Schum S. 374 setzen diesen Brief in den März 1147, weil darin auf einen Spruch der Fürsten Bezug genommen werde ; sie haben aber übersehen, dass der Chron. S. 55 berichtet, dass bereits in Fulda mehrere Fürsten ihre Zustimmung zu der Schenkung gegeben haben. S. oben S. C04. Anm. 2. ^) S. 58 If. *) Ep.

Wib. Nr. 34. *) Anders Kehr S. 371. Anm. 1 unter Heranziehung von

St. 3544.

606 I U e n.

K('»)iio" anzuzeigen. Er nimmt auch die königlichen Schenkungsbriefe mit dorthin, um deren Bestätigung vom Papst zu erbitten. Indessen da Eueren III ein Bericht über Wibalds Wahl zum Abt von Corvey noch nicht zugegangen war, Hess er sich nicht bewegen, Wibald resp. dem Stifte Corvey den Besitz von Kemnade und Fischbeck auch seinerseits urkundlich zuzusichern ^).

Inzwischen kehrte aber der Propst Adalbert von Corvey, der ebenfalls auf dem Frankfurter Tag anwesend gewesen war, mit den Keliquien des heil. Yitus, welche bei der Uebertragung der Klöster eine Kolle gespielt hatten, nach Hause zurück und verkündete den Brüdern, was man auf dem letzten Keichstage im Interesse der Abtei durchgesetzt, imd dass der Herzog von Sachsen die Vogtei über Kem- nade und Fischbeck durch Vermittlung König Conrads dem Abte von Corvey übertragen und dieselbe dann von diesem wieder als Lehen empfangen habe. Das hinderte aber Dietrich von Eiclingen nicht, dem corvey 'sehen Propst in Kemnade das Leben recht sauer zu machen; und bald darauf überfiel auch die frühere Aebtissin Jutta mit ihrem Anhang das Kloster. Soweit der Chronographus -). Von Fischbeck ist bei ihm in den letzten Partieen überhaupt nicht mehr die Eede. Seine Angaben finden, wie wir zum Theii bereits gesehen haben, ihre Be- stätigung durch Wibalds Briefsammlung.

Zunächst geht aufs Bestimmteste daraus hervor, dass von Con- rad III im März 1147 zu Frankfurt in der That die Schenkung der beiden Klöster Kemnade und Fischbeck wiederholt ist =^). Aber ebenso unanfechtbar steht fest, dass sich der König, was ja der Chronographus schon bei der vorläufigen Uebertragung ausdrück- lich hervorgehoben hatte, für das Reich eine Entschädigung ausbe- dungeu hat*).

Indessen wurde die Schenkung von einer Seite beanstandet, von welcher es Wibald wohl am wenigsten erwartet hatte, nämlich vom rö- mischen Stuhl. Der Abordnung Corveyer Mönche, welche im Mai 1147 mit dem Cardinal Guido nach Kern gereist war, um Wibalds Bestätigung

") Ep. Wib. Nr. 35. Si tec {der Bericht über Wibalds Wahl) expectata non fuissent, privilegia nostra de Kaminade et Visbike confirmata essent. Vergl. noch Chron. S. 59. •') S. 59 K ») Vgl. die Briefe Wibalds Nr. 34-37, 46, 47,

68 und besonders noch 181 und 187. ■*) König Conrad schreibt im Juni oder

Juli 1149 nach seiner Rückkehr aus dem heiligen Lande Ep. Wib, Nr. 181. Quae Corbeiensi aecclesiae pro tua dilectione in abbatiis, Caminata videlicet et Visebacho contulimus, ad usus ejus Deo annuente conservabimus ; certi, quod Corbeienses pecuniam, quam juramenti asser tione promise- rant, indubitanter nobis persolvant.

Die Schenkung von Kemnarlr und FiscliHeck an Corvey i. J. 1147. (i07

zum Abte von Corvey von Eugen III zu erbitten, wurde zwar diese ertheilt, aber es gelang ihr nicht, sich die päpstliche Eatification der Privileofien Könisf Conrads über Kemnade und Fischbeck auszuwirken. Die Gegenpartei war nämlich inzwischen nicht unthätig gewesen. Man hatte den Papst glauben gemacht, Wibald habe dem König für die beiden Klöster den ganzen Kii'chenschatz von Corvey abgetreten. Zwar konnte man die Grundlosigkeit dieser Nachricht darthun, aber die Bestätigung der Privilegien erfolgte trotzdem nicht. Der Fall sei strittig, wurde bemerkt, und alle Bemühungen der Corveyer Mönche den Widerstand des Papstes und der Cardinäle zu brechen, scheiterten. Man konnte froh sein, dass Eugen III. die Schenkung nicht ohne Weiteres cassirte i). Wibald musste erst seine weitreichenden Be- ziehungen in Wirksamkeit treten lassen, um den Papst umzustimmen. Auf seine direkten Bitten geschah es offenbar, dass sich gegen den Dezember 1147 der junge König Heinrich in Abwesenheit seines Vaters wegen der Bestätigung Kemnades und Fischbecks an Eugen III wandte ~). In gleicher Weise schrieben zu derselben Zeit Graf Her- mann von Winzenburg und die Aebte von Flechtorf, Northeim und Grevenkerken nach Kom 3). Herzog Heinrich von Sachsen liess sich wenigstens bewegen, für die Gutheissung der Schenkung Kemnades an Corvey beim Papste einzutreten, desgleichen der Bischof von Hildes- heim und der Abt von Amelunxborn ^), Diese Fürsprachen und das widerspenstige Verhalten der Aebtissin Jutta hatten dann den Erfolg, dass Eugen III seinen Widerstand gegen die Einverleibung von Kem- nade wenigstens mit Corvey aufgab ^). Von Fischbeck hören wir auch in päpstlichen Correspoudenzen und Bullen nichts mehr. Wibald ver- suchte dann König Conrad III bei dessen Küekkehr aus dem Orient aufs neue für seine Schenkung zu interessiren. Jedoch auch diesem scheint es nicht gelungen zu sein, die Abneigung der weltlichen Grossen und des Bischofs von Minden gegen den Uebergang von Fischbeck an Corvey zu beseitigen. Man darf es als einigermassen sicher ansehen, dass Wibald auf einem Tag zu Aachen Weihnachten 1149 genöthigt worden ist, auf den Besitz dieses Klosters überhaupt zu verzichten ^).

1) Ep. Wib. No. 46. '') Ebenda No. 68. s) Ebenda No. 71, 72,

73 u. 74. *) Ebenda No. 70, 69 u. 75. ^) Gegen April 1148. S. Ep.

Wib. No. 143 u. Finke Papsturkunden No. 68, 79, 81—83, 86, 92 u. 93. Kelir S. 374 meint, dass die Anerkennung der Zugehörigkeit von Kemnade zu Corvey von Seiten des Papstes erst Ende 1151 erfolgt sei. Man beachte aber nur den Ausdruck in Wibalds angeführtem Brief: »et nos liberati sumus*. ß) Vgl.

Kehr 376 f.

608

1 1 g e n.

Wie verhalten sich nun zu diesen Angaben unsere urkundlichen Zeugnisse ? Wir erwähnten schon, durch St. 3543 wird nur Kemnade, durch St. 3544 aber Kemnade und Fisch beck auf Corvey über- tragen. Aber die Bedingungen, unter welchen die Schenkungen statt- fanden, werden in beiden Diplomen verschieden angegeben. Der be- quemeren Uebersicht halber, stellen wir die beiden auf dieselben bezüglichen Stellen nebeneinander:

St. 354.3. I St. 3544.

Sane de prefato loco (Keminada) neque [ Saue ad prefata duo loca (Kerninate milicia neque idlum servitium nobis aut | et Vishike) neque tnilicia neque ullum regno dehebatur, et quoniam Corbeinsi servitium nobis aut regno debebatur, monasterio tani in milicia, quam in et quoniam Corheiensi monasterio tarn

in milicia, quam in servitio ad hono- rem reyni et defensionem sancte ecclesie dignitas collata est,

nos judicio principum ad corone no- stre augmentum, sicut prescriptum est, manere decernimus.

servitio ad honorem regni et defen- sionem sancte ecclesie dignitas collata est, ex consensu fratrum et ministeria- lium ipsius ecclesie statuimus, ut pro augmento prefati monasterii, quod ec- clesie Corbeiensi in perpetuam pos- eessionem tradidimus, ad debitum regis servitium VI marce aut servi- tium W marcarum regno de abbatia Corbeieusi persolvantur. Atque hanc nostre auctoritatis donationem ex ju- dicio principum regni nostri, sicut prescriptum est, manere in perpetuum decernimus.

St. 3543 bedarf wohl kaum der Erläuterung. Trotzdem Kemnade bisher von Abgaben an das Reich befreit gewesen ist, verpflichtet sich Corvey, welches den Vorzug geniesst, zur Ehre des Eeiches und der Vertheidigung der Kirche beitragen zu dürfen, nach üebernahme jenes Klosters seinen bisher gezahlten Beitrag au den König oder das Keich um 6 Mark oder eine gleichwerthige Leistung zu erhöhen. Diese Bestimmung steht durchaus im Einklang mit den Angaben des Chrono- graphus. Die Differenz hinsichtlich der Höhe der Summe nach dem Chron. i) sollten 10 Pfund gezahlt werden erklärt sich sehr natürlich daraus, dass dieser Ansatz bich auf Kemnade und Fischbeck bezog, während der in St. 3543 gegebene (6 Mark) nur für Kemnade berechnet ist.

Nicht so klar ist der Sinn des betreffenden Passus in St. 3544. Wir versuchen deshalb, ihn möglichst wortgetreu wiederzugeben. ,,Zwar wurde hinsichtlich der beiden vorgenannten Orte (Kemnade und Fisch- beck) weder Kriegsdienst noch irgend eine andere Leistung uns oder

') S. 55.

Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. 609

dem Keiche geschuldet; weil nun aber dem Kloster Corvey sowohl in Bezug auf Kriegsdienste als auf Leistungen zur Ehre des Kelches und zur Vertheidigung der heiligen Kirche eine besondere Stellung über- tragen ist, so beschliessen wir nach dem ürtheilsspruch der Fürsten zur Mehrung unserer Krone, dass es so bleibt, wie vorgeschrieben steht." Wir sehen von der grammatisch nicht ganz unbedenklichen Construction des Nachsatzes ab, dem Sinn nach erwartet man darin unbedingt eine s;effensätzliche Bestimmung zum Vordersatz, die eben fehlt. Der ganze Satz ist nicht selbständig concipirt, sondern aus zwei Sätzen zusammengeschweisst, derart, dass der vollständig umgekehrte Sinn der ursprünglichen Vorlage dabei herausgekommen ist. Man halte nur den Wortlaut der Parallelstelle in St. 3543 daneben. Wie soll es zur Mehrung der Krone beitragen können, wenn man die bisherige Abgabefreiheit von Kemnade und Fischbeck auch nach der Verschmel- zung mit Corvey bestehen lässt? Und die Auslegung, „dass durch die Schenkung der beiden Eeichsklöster an Corvey das Pflichtverhältniss desselben zum Eeiche unverändert bleiben und demselben durch die Vergrösserung keine neuen Lasten entstehen sollten" i), widerspricht direkt unseren sonstigen in diesem Falle sicher zuverlässigen Nach- richten über die Angelegenheit, sie steht auch im schroffen Gegensatz zu der parallelen Festsetzung in St, 3543, durch welche ja schon der Umfang der Schenkung so wesentlich gekürzt ist. Für Kehr ^) jedoch ist darin die Entscheidung des Fürstengerichtes klar und deutlich aus- gedrückt, welche uns der lückenhafte Bericht des Chi'on. nur andeute. Im Gegentheil die Entscheidung dieses Fürstengerichtes lautete offen- bar: weil dem Keiche hierdurch ein thatsächlicher Vortheil erwächst, wird der Uebergang der kleineren Klöster an das grössere für zulässig erachtet. Kehr hat bei seinen Ausführungen vor allem unbeachtet gelassen, dass eben nach dem Zeugniss des Chronographus schon bei der vorläufigen Uebertragung von Kemnade und Fischbeck an Corvey im Januar 1147 zu Fulda festgesetzt worden war, dass mit derselben die Abgaben dieses Stiftes an den König oder das Keich um 10 Pfd. erhöht werden sollten 3). In dem bereits angeführten Schreiben Con- rads III. an Wibald von 1149 wird die Aufrechterhaltung der Schen- kung ausdrücklich von der Zahlung der versprocheneu Gelder abhängig gemacht ^). W^ie soll man damit in Einklang bringen, dass der König in Frankfurt förmhch auf jede Entschädigung verzichtet hätte, wie uns St. 3544 glauben machen will? Der Chronographus wird doch

1) Kehr S. 371. «) Ebenda Anm. 1. ») S. oben S. G04 Anm. 2.

♦) S. oben S. 606 Anm. 4.

Mittheilungen XH. 38

610 iip.'u.

jeue Angabe bez. der Keichsheerfahrtssteuer nicht zu Ungunsten seines Klosters erdichtet haben, und unmöglich kann der König diese Be- stimmung nachher einfach in ihr Gegentheil verkehrt und dann wiederum geändert haben. Die Widersprüche, die sich hieraus ergeben, sind unserer Ansicht nach so schwerwiegend, dass sie allein schon genügen dürften, um mit Fug behaupten zu können, St. 3544 sei nicht aus der königlichen Kanzlei hervorgegangen oder von ihr anerkannt. Doch sehen wir weiter.

Dem Chronographus i) zufolge hätte zu Frankfurt im März 1147 Herzog Heinrich der Löwe die Vogtei über die Klöster Kemnade und Fischbeck, welche ihm bisher zustand, dem Könige zurückgegeben; dieser habe sie darauf der Corveyer Kirche geschenkt, von dem Abte derselben sei sie dann aber wieder dem Herzog zu Lehen aufgetragen worden. Dass das in Bezug auf Kemnade seine Richtigkeit hat, sehen wir aus dem Verzichtbrief des Herzogs von 1147^); für Fischbeck besitzen wir einen solchen nicht. Conrad III. hat freilich im Beginn des Jahres 1147 den Herzog von Sachsen direkt aufgefordert, die Vogtei über Fischbeck ebenfalls an Corvey zu geben 3). Dieser hat sich jedoch dazu offenbar, trotz des anderslautenden Zeugnisses des Chronographus, nicht verstehen wollen^). Auffällig aber bliebe es immerhin, dass in der ersten urkundlichen Bestätigung der Schenkung als solche sieht ja Kehr St. 3544 an der vogteilichen Verhält- nisse der Klöster gar keine Erwähnung geschehen sein sollte. Kehr ^) findet es nachher im Hinblick auf die darüber gepflogenen Verhand- lungen naheliegend, dass der Verzicht Herzog Heinrichs auf die Vogtei über Kemnade in St. 3543 Aufnahme gefunden habe. Aber auch dem Frankfurter Tag müssen Verhandlungen über diesen Punkt vorauf- gegangen sein und sie haben eben höchst wahrscheinlich zu dem bereits angegebenen Resultat geführt.

Was endlich den Zusatz in St. 3543 anlangt, wonach König Conrad bereits vor dem März 1 147 den Bischof von Minden, in dessen Diöcese Kemnade lag, zur Reformation dieses Klosters aufgefordert habe, dessen Bemühungen aber umsonst gewesen seien, so hat Kehr e) darin Recht, dass wir Näheres darüber nicht wissen, was sich aber

') S. 59. 2) Bei Erhard, Cod dipl. bist. Westf. No. 262. Kehr 373 weist die Urkunde, weil sie als Datum das 10. Jahr der Regierung Conrads trägt, der Zeit nach dem Frankfurter Tage zu. Aber auch St. 3542, zu Frankfurt ausgestellt, hat anno regni X. Immerhin ist es ja sehr gut möglich, dass die Ausfertigung der Urkunde erst nach dem Reichstag erfolgt ist. ^) S. oben S. 605. ■«) Dafür spricht doch auch, dass er Papst Eugen III gegenüber nur den Uebergang von Kemnade auf Corvey befürwortet. Ep. Wib. No. 70. •'■) ö. 379. «) S. 369.

Die Schenkung von Kcnmadc und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. (\\\

aehi* leicht aus dein Umstand erklärt, das« das Archiv des Bisthums Minden überaus lückenhaft überliefert ist. Dass jedoch eine solche Auf- forderung des Königs nicht mehr an den Bischof von Minden ergangen ist, nachdem Kemnade eben zu diesem Zweck an Corvey übertragen war, liegt auf der Hand. Deshalb treffen auch Kehrs Bemerkungen nicht zu, dass die angebliche Einschaltung in St. 3543 keine zufällige sein könne, dass sie sich auf ganz bestimmte Verhältnisse und Ereig- nisse beziehen müsse, welche erst in der Zeit nach dem Frankfurter Tage eingetreten seien. Die Erwähnung des Bischofs von Minden war den Corveyern unbequem, weil dessen Widerstand gegen die Schen- kung auch nach der feierlichen Bestätigung derselben zu Frankfurt noch fortdauerte.

Also nicht die Zusätze an sich nöthigen uns, die Entstehung von St. 3543 nach dem März 1147 anzusetzen. Es kann nur eben nicht eine zweite Urkunde mit dieser zu derselben Zeit ausgefertigt worden sein, welche so wesentliche inhaltliche Abweichungen auf- weist, wie St. 3544. Weil nun aber diese Abweichungen zum Theil derart sind, dass sie unseren sonstigen Nachrichten, und zwar sehr zu Gunsten Corveys, direkt widersprechen, da ferner die Auslassungen in St. 3544 geeignet sind, gewisse neben der Schenkung hergehende Thatsachen ebenfalls wieder im Interesse des Urkundenempfängers zu verschleiern, so wird der Verdacht, dass hier eine Verunechtung eines Originals durch Kürzung einiger Stellen desselben vorliegt i), nahezu zur Gewissheit erhoben.

Die Frage entsteht nun, ist dieses Original St. 3543 oder ist ein solches vorhanden gewesen, durch welches gleich wie in St. 3544 die Schenkung von Kemnade und Fischbeck in eins ausgedrückt war, das aber nicht die Auslassungen zeigte, wie St. 3544? Die Unbestimmtheit und der Wechsel in den Ausdrücken in unseren literarischen Quellen lassen keinen Schluss zu ; bald ist von den Privilegien über Kemnade und Fischbeck, bald von d e m Privileg die Kede -). Hat ein gemein- sames Diplom existirt, so l)leibeu die von Kehr und Schum gegen die

') Zu derselben Ansicht war aus den gleichen Gründen bereits Baring, Chivis dipl. Praef. p. 25 f. gelangt. Er erhebt gegen Schaten, aus dessen Ann. Paderbr. er St. 3544 nur kannte, den Vorwurf: »videtur illum studio oinisisse ca, quae fortasse pro praesenti rerum statu minus grata fuerunt'. Aber nicht dieser ist der Urheber der Fälschung ; die Schuldigen sind offenbar die Corveyer selbst. Wersebe, Ueber die niederländischen Colonien (vgl. Kehr S. 368), ist mir nicht zugänglich gewesen. -') Ep, wib. No. 35 heisst es privilegia nostra de

Kaminade et Visbike, No. 46 dagegen super privilegio de Kemiuade et Visbike. Der C'hrouographus redet in Bezug darauf von litteris signatis, scripta haec etc.

38"

612 Ilgen.

Ausfertigung von St. 3543 eben auf dem Frankfurter Tage erhobenen Bedenken zum Theil bestehen. Oder aber die Schenkung von Fisch- beck ist gleich der von Kemnade durch eine besondere Urkunde erfolgt und beide Diplome sind noch in Frankfurt selbst zur Ausgabe gelangt. Damit erhalten wir auch die einfachste Erklärung für die Veranlassung zu der mehrfachen Ausfertigung (B^ u. B^) von St. 3543^). Wibald reiste vom Keichstag aus direkt zum Papst, wie wir gesehen haben, und führte die Privilegien über Kemnade und Fischbeck mit sich, um sie sich von Eugen III. bestätigen zu lassen '^). Es liegt besonders bei den Anfechtungen, welche die Schenkung bisher erfahren hatte, nahe, zu vermuthen, dass er sich ein Duplicat geben Hess, damit der nach Corvey von Frankfurt aus zurückkehrende Propst Adalbert ebenfalls ein Exemplar in Händen habe. Dann wird aber auch das Diplom über Fischbeck doppelt ausgefertigt gewesen sein. Diese Exemplare müssen, als am Schluss des Jahres 1149 Wibald zu Aachen genöthigt wurde, endgültig auf Fischbeck zu verzichten 3), von Corvey wieder ausgeliefert, für ungültig erklärt und vernichtet worden sein. An St. 3544 müsste eigentlich schon allein der Umstand auffallen, dass dasselbe als angebliches Original, ohne cancellirt zu sein, im Besitz von Corvey geblieben ist, obgleich der darin ausgedrückte Inhalt durch spätere Bestimmungen , welche dann wie Kehr will in St. 3543 eine erneute Beurkundung gefunden hätten, zum Theil um- gestossen war.

Aber nach den bisher gültigen Ansichten hat St. 3544 die regel- mässige Form der königlichen Präzepte. Zwar wird zugegeben, dass die Urkunde nicht von dem Ingrossator von St. 3543 B^ und ^ ge- schrieben sein kann. Schum ^) jedoch findet die Schrift derselben ähnlich der von St. 3392, 3455 u. a., welche von Stabloer Schreibern angefertigt sein sollen. Kehr •'') meiut , dass eine nahe Verwandt- schaft zwischen St. 3544 und der Purpurausfertigung von St. 3543 bestehe. Indessen die Schrift von St. 3544 zeichnet sich gegen- über der aller anderen uns bekannt gewordenen Origiualpräzepte Conrads III. durch eine merkwürdige Steifheit und Gezwungenheit in der Form der Buchstaben aus, welche auf eine Schreiberhand schliessen lassen, die in der Urkundensclirift nicht geübt war. Ihrem Gesammtcharakter nach nähert sie sich der Buchschrift, nur dass bei einzelnen Buchstaben, in den langen Schäften von „f, 1, s" u. a. eine stärkere Annäherung an die gewöhnliche Buchstaben-

') Vgl. hierüber Schum 375 und Bresslau, Urkundenlehre I, 664 f. 2) S. oben S. 605 f. 3) S. oben S. 607. ■•) S. 349. «) S. 381.

Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. Q\^

form der königliclieii Präzepte gesucht ist; „r" ist nur selten unter den Strich gezogen, an einzelnen Stellen, wie es scheint, sogar erst nachträglich. Die langschäftigen Verbindungen von et, st waren dem Schreiber nicht recht geläufig. Die Abkürzungen sind seltener als in St. 3543 ; so wird qui " fast stets ausgeschrieben, ferner häufiger et " statt der Abbreviatur angewendet; für Kmi ist carissimi gesetzt. Aber andererseits ist in der Sclireibung der Eigennamen z.B. der mit burch am Ende etc., ferner in der Form einzelner Buchstaben das unten mehrfach geringelte g kommt in St. 3543 B i ebenso wie in St. 3544 nur in den ersten Zeilen vor eine auffallende üebereinstimmung zu bemerken. An der Stelle Zeile 10 des Druckes bei Philippi (S. 303) findet sich in beiden Diplomen St. 3543 und 3544 allein die Ab- kürzung dnatione, während sonst stets donatione geschrieben ist. Das könnte zu der Vermuthung führen, dass der Schreiber von St. 3544, offenbar ein Corveyer Mönch, nach St. 3543 Bi gearbeitet habe. Es ist mir jedoch nicht gelungen in Corveyer Manuscripten aus der Mitte des 12. Jahrhunderts eine ähnliche Hand, wie sie uns in St. 3544 vorliegt, zu entdecken.

Unter diesen Umständen gevsdnnen aber auch einige Besonder- heiten in St. 3544, die auffällige Umstellung des Actum und Data in der Datierungszeile, die Verschreib ung pudicie für pudicicie, die Einfügung von summus vor pontifex, die Auslassung des Adjektivums invictissimi in der Signumszeile, endlich die Schreibung Frankenewort i) eine andere Bedeutung ; sie verstärken die äusseren Verdachtsmomente gegen die Echtheit des Diploms, die wir aus inneren Gründen stark anzweifeln konnten, in erheblichem Masse. Das Siegel scheint freilich, soweit die Fragmente desselben eine genauere Vergleichung zulassen, mit einem echten Stempel hergestellt zu sein. Aber den Abdruck eines solchen zu erhalten, konnte den Corveyern gerade zu den Zeiten Wibalds bei dessen nahen Beziehungen zur königlichen Kanzlei nicht allzu schwer fallen.

Ob nun aber das angebliche Original mit Wissen Wibalds 2), oder ohne dass er davon Kenntniss erhalten hat, fabrizirt worden ist, vermag ich nicht zu sagen. Zweck der Fälschung war offenbar die Anrechte Corveys auf Fischbeck gegebenen Falles damit zu beweisen. Dass sich

') S. Philippi Kaiserurk. II S. 305 f. u. Kehr S. 371 Anm. 3. «) Erwähnen wollen wir hier, dass E. Sackur Der Rechtsstreit der Klöster Waulsort und Hastiere, ein Beitrag zur Geschichte mittelalterlicher Fälschungen, in Quidde's Zeitschrift II S. 341 ff. die Antheilnahme Wibalds an den Fälschungen des Klosters Waulsort aufs bestimmteste zu erweisen gesucht hat. Schum a. a. 0. in den Nachträgen S. 459 will daran jedoch nicht recht glauben.

s

dazu nach 1149 Gelegenheit geboten hätte, ist uns nicht überliefert. In den späteren Corveyer Privilegienbestätiguugeu der deutsehen Kaiser wird dieser Urkunde niemals gedacht; sie ist aber abgeschrieben in dem grossen Copiar des Stiftes Corvey aus dem 15. Jahrhundert i).

In Bezug auf die Frage nach dem Antheil, welchen die könig- liche Kanzlei an der Herstellung der drei Ausfertigungen von vSt. 3543 insbesondere des Prachtexemplars gehabt hat letzteres ist offenbar nach B ^ und B ^ abgefasst vermag ich zu Schums Bemerkungen 2) zunächst nichts hinzuzufügen; ich komme zum Schluss noch kurz darauf zurück. Dagegen bin ich in der Lage, einige Nachrichten zu geben, die Kehrs ^) Bedenken gegen die Besiegeluug der Purpururkunde mit einer Goldbulle wohl vollständig zu beseitigen im Stande sein dürften.

Mit St. 3543 wird in späteren namentlich corvey 'sehen Nachrichten öfter zusammeugenannt St. 3626, die Gesammtbestätigung der Corveyer Privilegien von 1152, weil sie die einzigen mit Goldbuchstaben ge- schriebenen und mit Goldbullen besiegelten Kaiserdiplome Corveys gewesen zu sein scheinen.

Kehr ^) will daran nicht glauben. Er meint die Nachricht, dass die Purpururkunde von 1147 eine Goldbulle gehabt habe, gehe ausschliess- lich auf Kleinsorgen's Kirchengeschichte von AVestfalen zurück, und Kleinsorgeu sei offenbar ein schlechter Gewährsmann, zumal er behaupte, St. 3626 sei ebenfalls mit einer Goldbulle versehen gewesen, während doch das erhaltene Original nur ein aufgedrücktes Wachssiegel auf- weise. Kehr führt auch noch Heineccius ^) als Stütze für seine Be- denken vor. Aber es ist nicht ganz richtig, wenn er einfach sagt, dieser zweifele die Nachricht Kleinsorgens an. Heineccius hat doch auch die Möglichkeit zugegeben, dass jener glücklicher gewesen sei als er ; er seinerseits habe nur das Loch gesehen, in welchem die Gold- l)ulle gehangen haben könne; sie sei wahrscheinlich von irgend einem geldgierigen Menschen abgerissen. Wir besitzen aber weit zuverlässigere und ältere Zeugnisse dafür, dass die Prunkexemplare von St. 3543 wie von St. 3626 letzteres ist uns leider verloren gegangen mit Goldbullen besiegelt gewesen sind. Bereits Wigand *•) erwähnt eine

•) Msc I 134 im .Staatsarchiv Münster. *) Zu No. 5 der X. Lieferuui,'.

•■') S. 381 Anm. 2. *) S. 381 Anm. 2. "•) De veter. sigill. S. 34. ") In

seinem Archiv für Gesch. und Alterthnmskunde Westfalens I 1. S. 30 Anm. Auf Veranlassung des Bischofs Erich von Hildcsheim wurden am 29. November 134G zu Höxter im Chor der Kirche »S. Kyliani in (Jegenwart seiner Commissare und einer Anzahl dazu bestellter Zeugen die beiden Diplome auszugsweise trans-

Die Schenkung von Kennuide und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. 615

Urkunde aus dem Jahre 1346, welche Auszüge aus den betreffenden Diplomen Conrads IIL und Friedrichs I. und eine Beschreibung der an denselben befestigt gewesenen Siegel enthält. Danach waren die Goldbullen an beiden Exemplaren mit rothen Seidenfäden angeheftet. Diejenige Conrads III. zeigte auf der einen Seite dessen Bildniss mit der Umschrift : Conradus dei gratia Komanorum rex secundus, auf der anderen die Darstellung einer Stadt mit der Umschrift: Koma capud mundi teuet orbis frena rotundi. Die Bulle Friedrichs I. an der Ur- kunde von 1152 hatte die gleiche Form. Auf der Bildnisseite lautete die Umschrift: Fredericus dei gratia Komanorum rex, auf der Stadt- seite: Roma capud mundi regit orbis frena rotundi. Und diese Ur- kunde ist nicht die einzige Nachricht aus älterer Zeit, welche uns die Besiegelung der Diplome Conrads und Friedrichs mit Goldbullen be- stätigt. In dem grossen Copiar des Stiftes Corvey aus dem 15. Jahrh.i) hat S. 108 neben die Ueberschrift der Copie von St. 3626: Confirmatio omniura superiorum Fritherici regis eine Hand des beginnenden 16. Jahr- hunderts die Notiz geschrieben: aurea bulla; und an der Stelle des Textes, an welcher Bezug auf das Diplom Conrads III. von 1147 (St. 3543) genommen wird, hat dieselbe Hand an den Rand bemerkt: ipsa est copia auree bulle; aurea bulla est Conradi regis fol. XL VIII. (= S. 96). Da steht nun freilich St. 3544 abgeschrieben und neben die Ueberschrift : Conradi IL regis de Kaminata et Visbike ist von der mehr erwähnten Hand ebenfalls gesetzt: aurea bulla. Dass aber hier nur ein Irrthum des betreffenden Schreibers vorliegt, ergiebt sich, ganz abgesehen davon, dass der Text von St. 3626 klar und deutlich auf St. 3543 hinweist und von dieser uns das Prunkexemplar erhalten ist, auch noch aus Folgendem. Von eben diesem Registrator nämlich,

sumirt. (Gleichzeitige Abschrift in den Urk. dos Kh Kemnade No. 1 im Staats- archiv Münster; die Abschrift zeigt zahlreiche Schreibfehler). Wir geben die Beschreibung der Goldbulle Conrads III. diejenige der Friedrichs lautet ebenso im Wortlaut: Bulla vcro prcdicte littore cum filis cericis rubeis appcnsa erat aurea, habens effigiem regis in una parte et habens in circumferentia has karacteras: .Conradus dei gratia Romanorum rex secundus«; ab alia vero parte effigiem urbis cujusdam continebat et in circumferentia: .Roma capud mundi tenet orbis frena rotundi V Die Beschreibung der ebenfalls verschwundenen (loldbulle an der Purpururkunde Lothars III. für Stablo (St. 3353) gibt Quix, Cod. dipl. Aquensis I No. 102 S. 74 f. wahrscheinlich nach einem neueren Copiar folgendermassen : Et appendebat sigillum aurcum cum effigie imperatoris ab una parte circumducta scripsione sequenti : » Lotharius dei gratia II Roman, imperator Aug.*; altra vero parte aderat effigies capitolii, cui inerat inscriptio aurea: ,Roma Caput mundi regit orbis fraena rotandi* (!). ') Msc I 134 des Staatsarchivs Münster.

616 Ilgen.

welcher das aurea bulla i) zu den Ueberschriften im Copiar angemerlct hat, ist auf der Rückseite mehrerer Originalurkunden notirt, auf welchem Blatte die betreffenden Stücke in dem Copiar des 15. Jahrhunderts ab- geschrieben sind. Auf der Kückseite von St. 3543 B^ heisst es nun: hoc Privilegium habetur in copionali fol. XL'STJI, wo aber, wie bereits erwähnt, St. 3544 copirt ist, während jene sich erst auf fol. LXXII (= S. 143 f.) findet. Endlich sei noch das Zeugniss -Tob. Letzners aus dem Ende des 16. Jahrhunderts vorgeführt. Im 13. Kapitel seiner Corbeischen Chronica ^) sagt er : Anlangend die Privilegia der Kaiser etc., welche zum Theil mit gülden Buchstaben geschrieben und mit ver- güldeten Siegeln befestigt, hab ich dergleichen an keinem orth in so guter und fleissiger Verwahrung gesehen als in diesem Stift. Und im Kapitel 24. heisst es: Wickboldus der 28. Abt hat von den beiden Kaisern Conrado III. und Friderico I. die herrlichen und schönen Privilegia, so noch vorhanden, bekommen.

Diese durchaus zuverlässigen und von einander unabhängigen Auf- zeichnungen anzuzweifeln, liegt nicht der geringste Grund vor, und man wird daher doch daran festhalten müssen^ dass auch von St. 3626, ausser der jetzt noch vorhandenen in der Form der gewöhnlichen Präzepte gehaltenen Originalausfertigung, ein Prunkexemplar existirt hat. Dieses, wahrscheinlich ebenfalls auf Purpurgrund mit Goldschrift geschrieben und mit Goldbulle besiegelt gewesen 3), ist in den Stürmen des 30jährigen Krieges, welche für Corvey besonders verderbenbringend waren, ebenso wie die Goldbulle von St. 3543 B^ abhanden gekommen. Von letzterer behauptet Pauliini*), sie sei 1634 bei der Eroberung Höxters gestohlen worden. Kehr ^) würde diese Angabe gewiss nicht in so lebhafte Zweifel gezogen haben, wenn er den zeitgenössischen Bericht «) über die Schicksale des Corveyer Archivs bei der Erstürmung

') Derselbe Schreiber hat auch die gleiche Bemerkung an den betreffenden Stellen in der dem Copiar vorgesetzten Tabula gemacht. ^) Ausgabe von

1590. 3) Im Msc I 147 des Staatsarchivs Münster (Handschrift des 17. Jahrh.

2. Hälfte) findet sich folgende Ueberschrift zu der Copie des Diploms : Fridericus rex Corbeiensium jura et privilegia magnifico aureisque litteris conscripto diplo- mate instaurat; aureisque litteris ist aber, wie es scheint, mit derselben Tinte wieder durchstrichen. Vgl. Schatens Beschreibung der Urk. in den Ann. Paderb. I 790 (resp. 551). Danach erledigen sich auch die Bedenken Bresslaus Urkunden- lehre I 903 Anm. 2 von selbst. ■») Hist. Visb. S. 57. ») S. 381 Anm. 2. «) Abgedruckt in Wigands Archiv I 1, S. 27—30. Da derselbe an dieser Stelle bisher so wenig Beachtung gefunden hat, scheint es mir in Anbetracht der Be- deutung des Corveyer Archivs angezeigt, den Hauptpassus desselben hier wörtlich

zu wiederholen ^.Weil die heiligen Reliquien S. Viti aliorumque sanctorum

Corpora, Kirchen-Ornate, alle calices, Monstranzen, Casulen etc., alle antiquitates

Die Schenkung von Kemnade und Fischbeck an Corvey i. J. 1147. 617

Höxters i) durch die Kaiserlichen in der Charwoche (13 14 April) 1634 gekannt hätte. Damals sollen viele herrliche Siegel und Briefe vollständig abhanden gekommen sein, unter denen sich auch die Privilegien der Kaiser befanden, welche mit Ducatengold geschrieben und versiegelt waren ; nicht eines hätte sich davon wiedergefunden.

Doch das Pergament des Prachtexemplars von St. 3543 muss später wieder zum Vorschein gekommen sein, während dasjenige von St. 3626 eben damals vernichtet worden ist. Nur das Kanzleipräzept der letzteren hat sich erhalten. Vielleicht ist umgekehrt von St. 3353, der Purpur- urkunde Lothars III. für Stablo aus dem Jahr 1137, die gewöhnliche Kanzleiausfertigung durch einen bösen Zufall abhanden gekommen? Liesse sich für dieses Diplom ein derartiger Nachweis 2) erbringen, so würde die Annahme von der Entstehung der Prachtexemplare ausser- der kaiserlichen Kanzlei ^) eine nicht unerhebliche Stütze finden.

von Gold, Silbergeschirr, ja das ganze Archivum weggenommen war, so haben J. Fürst!. Gnaden mein gnädiger Herr zu Corvey für mich Salvum Con- ductum schriftlich begehrt, auch erhalten (am 14. April); womit ich mich nach dem Minoriten-Kloster, um Siegel und Briefe wieder aufzusuchen, erheben müssen, woselbst dann unten und oben alle dahin geflüchtete Bette ausgeschüttet und darunter voll todter Körper mit Siegel und Briefen vermischt befunden. Es waren aber unsere Corveysche Siegel und Briefe schändlich unter den Füssen zertreten, wie der Augenschein noch mit- bringt, welches dann Ursache ist, dass von den ansehnlichen Päbstlichen und Kaiserlichen auch ande ren Corvey schenBrie f- schaften die Siegel abgerissen und ganz zertreten sich befunden, welches ich der Posteritati zur Nachricht auf Begehren meiner Herren Confratrum, der Herren Capitularen zu Corvey, mit dieser meiner Hand und Siegel als er- gangen zu sein, hiemit bekräftige, und ist nicht zu zweifeln, dass auch viele herrliche Siegel und Briefe gar weggekommen, denn es waren darunter privilegia Imperatorum, welche mit Ducatengold ge- schrieben und versiegelt waren, davon auch nicht Eins wieder- gefunden.* Vgl. ferner die Notiz über das Schicksal der Handschrift der Fasti Corbeienses bei Jaffe M. C. 28.

*) Hierhin, in das Minoritenkloster in der Stadt Höxter, war das Archiv des Stiftes geflüchtet worden. ^) Wie mir mein College Dr. Wächter aus

Düsseldorf gütigst mittheilt, ergibt sich freilich aus der späteren Ueberlieferung des Archivs von Stablo kein Anhalt dafür, dass ehedem in demselben eine ge- wöhnliche Ausfertigung von St. 3353 aufbewahrt worden sei. s) Vgl. hierzu Th. V. Sickel Das Privilegium Otto I. für die Römische Kirche v. J. 962. S. 10.

Das Gcriclitsprotokoll der köii. Freistadt Kascliau in Ober-Ungarn ans den Jaliren 1556—1608.

Von

Dr. F. V. Krön es.

Mein Berut'slebeu führte mich vor vierimddreissig Jahreu an das Ufer des Hernad-Flusses, in den Hauptort des nordöstUchen Ungarns, in die Stadt deutscher Gründung, an deren Mauern sechs Jahrhunderte bewegten Geschichtslebens vorüberzogen.

Ein fünQähriger Aufenthalt in Kaschau bot mir Anlass, Gelegen- heit und Mittel, den Geschichtsquellen des deutschen Volksthuras auf dem Boden Oberungarns näher zu treten, und die Vorliebe für diese Studien mit dem hiefür an Ort und Stelle gesammelten Stoffe be- gleitete mich über die Leitha zurück, wie dies eine Keihe anspruchs- loser Studien bezeugt i). Manches von dem dort Gesammelten blieb noch unverwerthet, da sich die Geleise meiner Arbeit in andere Gebiete zogen, von andern Aufgaben vorgezeichnet wurden.

Zu diesen , Findlingen " meiner damaligen Besuche des reichhal- tigen und dem jungen Historiker freundlich erschlossenen Stadtarchivs zählt denn auch der Stoff dieser Studie, die theilweise Abschrift des „Protocollum judiciorum et poenarum malefactorum ab anno 15,56 u. a. a. 1608". Das umfangreiche Buch lässt jene latei- nischen, selbst griechischen Einbegleitungen nicht vermissen, die uns

') ^Zur ältesten Gescliichte der oberiinprarischen Fi-eistadt Kascliau*. Arch. f. K. ö. GQ. Wiener K. Akad. d. W. XXXI. 1—56 (1864). »Deutsche Gescliichts- und Kechtsquellen aus Oberunsarn« Ebda. XXXIV. 211—252 (1865). »Zur Gesch. des deutschen Volksthums im Karpatenlande mit besonderer Rücksicht aut die Zips und ihr Nachbargebiet«, Graz 1878 Univ. Festschrift. Hieher zählen auch: »Die böhmischen Söldner in Oberungam* (Grazer Gymn. Progr. 1862); >Der Thronkampf der Pfemysliden und Anjous in Ungarn* (Oc. Gymn. Ztschr. 1863 u. 186.5) und »Das angiovin. Königthum u. s. 8ieg über die Oli- garchie« (Grazer Gymn. Progr. 1865).

Das Gerichtsprotokoll d. kün. Frei.stadt Kascluui a. d. J. 155«— IfJOS. ßlO

auch sonst in den Stadtbücliern begegnen und für die höhere Schulung der Schreiber Belege bieten i).

Wir kennen die Reihe der regelrecht auf ein Jahr gewählten Stadtrichter (judices civitatis), deren Amtsführung den Zeitraum ausfüllt ^), in welchem sich das Gerichtsprotokoll, sein bunter Inhalt, bewegt. Es sind fast durchaus deutsche Namen und sie beweisen, dass der Kern des Kaschauer Bürgerthums deutsch geblieben war, trotz aller schweren Stürme, die es heimsuchten.

Der schlimmste hatte sich zwanzig Jahre vor dem Anfange der Einzeichnungen unsers Protokolles zugetragen , als K. Johann (Ztipolya), 1536 Herr der Stadt geworden, einen grossen Theil der Kaschauer Bürger heimatlos machte und theils nach Grosswardein, theils nach Szegedin und Debreczin abführen liess. Das kam dem bereits sesshaften oder nunmehr einwandernden Magyarenthum zu Statten. Und auch als Kaschau wieder an K. Ferdinand I. (1551) zurückgefallen, wog das Interesse der Krone, die Stadt dichter zu lie Völkern, vor, und hielt den Magyaren die Thore offen ^). Ander-

') Aurora, ciii Operis tertia sortitur pars, "lluiq '(■«? spfoto tpltYjv äTrojXE'.pEtai atjav. Aurora tibi promovet quidem viam promovetque laboreni. Si, quoties peccant homines, sua fulmina mittat Jupiter, exiguo tempore inermis erit Deuteronom. cap. XIX. Auferes malum de medio tui. Ut audientes cieteri timorem habeant et nequaque talia audeant facere. Non misereberis eius, scd animam pro anima, oculum pro oculo, dentem pro dente, manum pro manu, ]iedem pro pede exiges, ^) Wir finden 1556—1586 Laurenz Goltschmid

rtmal; 1557—1563 Emericb Tatschner 2mal; 1559 Job. Fink Imal; 1564 Balth. Thonhauser Imal; 1569—1585 Jakob Grottker 3mal; 1572—1573 Wolfgang W a g n e r (Goldscbmied) Imal; 1577 Leonh. Kromer Imal; 1580 bis 1600, Martin Wenzel 5mal; 1591—1602 Andreas Materna Imal; 1598—1601 Rainer 2mal; 1603— 160i Job. Bocatius (s. w. u.) zu Stadtrichtern gewählt vor. 3) s. d k. Mandat K. Ferdinands I. v. 7. April 1552 (Kasch. Archiv.

veröfF. in Magyar evkönyv, 1838 III. S. 100 ft". ,Nos supplicationc ipso- rum civium nationis hungarice admissa, concessimus, ut omnes hun- garice nationis cives, quicunque scilicet modo premisso, sub bis disturbiis, in medium aliorum veterum civium, onera civitatis laturi, emptisqiie bonis et domibus in eadem ci vi täte nostra Cassoviensi per^ietuo habitaturi sese contulissent , jamque in numerum reliquorum civium recepti, ed ad raunia, tunctionesque civiles admissi cssont, in posterum futurisque temporibus, luquali libertate iisdemque privilegiis dignitatibus tarn in judicatu quam in senatu ora- nil)usque fonctionibus et offieiis sine ullo personarum vel nationis dis- (rimine juxta tenorem veterum privilegiorum cum ceteris gcrmanice vel alterius nationis vetustioribus civibus uti etfruipossint.* A. a. 0. findet sich auch die in ihrer Sprache geschriebene Beschwerde der magyarischen Insassen, au den K. Ferdinand gerichtet, worin sie um Gleichstellung bitten,

620 -K r 0 n e 8.

seits schien es geboten, der Erschleichung des Bürgerrechtes vorzubeugen ^j.

Dennoch kräftigte sich wieder, durch die Zuwanderung aus deutschen Landen und die Bedeutung Kaschaus als Haupt- ort des ostungarischen Gebietes , Bollwerk seiner Vertheidigung und Knotenpunkt seines Verkehres, das ursprüngliche nationale Gepräge seines Bürgerthums ; das deutsche Bürgerthum wog wieder unbestritten vor. Es war dies besonders seit den Tagen K. Maxi- milians IL der Fall, als sein oberster Feldhauptmann, der wackere Lazar Freih. v. Schwendi, in Kaschau befehligte und für neue, wichtige Befestigungen der Stadt Sorge trug (1566). So gewann sie das Aussehen, welches uns beiläufig in der Abbildung Kaschau's aus d. J. 1617, von der Hand des Niederländers Egidius van der Rye, mit dem Kommentar Georg Hufnagels, vorgeführt wird. 2).

Die Schlussjahre unseres Protokolles 1604 1608 bescheerten der Stadt Kaschau neue Prüfunoren. Sie waren länsst einsreleitet von der

wie sich diese bei der Bürgerschaft Ofens, T 3' maus und Klausenburgs »altersher* vorfinde.

') Kasch. Arch. Mandatum regium. Vienne 12. Nov. ,Qui pro veris habendi sunt cives*.

. . . Cum autem cives istius civitatis non alii sint nee alii intelligi possint, quam, qui in civitate non tantum domunculum emptum aut con- ductuni habent, sed qui corporalem residenciam in eo loco facere dinoscuntur, ex certissima juris regula scilicet privilegia omnia per abusum amraitti et de facto pro nullis conferri. Idcirco fideli- tati vestre mandamus harum serie firmiter et committimus, ut a die, quo pre- sentes nostre vobis exhibentur computando, desinatis eos incolas subditos vestros, qui in a 1 i i s civitatibus, oppidis, villisque quibuscunque resident, pro nostris concivibus, quaUcunque mercede excepta , reputare aut libertates vestras cum talibuscommunicarein defraudationem vectigalium nostro- rum regalium. Nam alioquin certos vos esse volumus, quodsi unico casu aut e X e m p 1 0 nos diversum fecisse comperiemus, idde abrogandis privilegiis vestris statuemus, quod juri maxime congruum fore videbitur. -) Cassovia

superioris Hungarise civitas primaria, depictam ab Egidio van der Rye, Belga, comm. Georg. Hufnagelius ao. 1617. Kasch. Stadthaus. Die Aufnahme erfolgte von der südwestl. Seite. Die Stadt erscheint von einer doppelten Mauer umgeben ; die äussere mit kleinen Thürmchen, stark gewinkelt, auf einem hohen Erdwalle ; zwischen beiden Mauern sind Bäume gepflanzt zu sehen. Die innere Mauer, viereckig, trägt grössere Thürme. Die rothgedachte Stadt zeigt 1) in der Mitte die grosse Kirche {Elisabethdom) mit dem einen höheren, spitz- gedachten und mit einem Kreuze versehenen Thurme, während der zweite ab- gebrochen aussieht, 2) die kleine (ältere) oder St. Michelskirche, 3) das alte Rathhaus mit einem hohen, viereckigen Thurme, 4) die ehemalige Minoriten- dann Franziskaner-Kirche, 5) den vielthürmigen Bau des Biirgerspitals z. h. Geiste und 6) die zerstört und wüst aussehende Dominikanerkirche.

Das GericMsprotokoU d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 621

allgemeinen Unsicherheit der öffentlichen Zustände, dem leidigen Er- gebnisse dar Regierung K. Eudolfs II. Seit 1603 trieb Ungarn dem Glaubens- und Bürgerkriege entgegen, und die Wegnahme der Hauptkirche, in welcher protestantischer Gottesdienst längst heimisch geworden in Folge Regierungsbefehles, zu Gunsten des Katholizis- mus durch den Erlauer Sprengelbischof, unter den Augen und mit dem Beistande des Kommandirenden, Grafen Barbiano de Belgiojoso i), war (1603) ein Ereignis, das in den Augen der Protestanten und der Be- wegungspartei Oberungarns eben so aufregend wirkte, als der ver- hängnisvolle Artikel im Eeichsdekrete von 1604, den der Herrscher aus eigener Machtvollkommenheit beigefügt. Die Folgen dessen ergaben sich als Erhebung jener Partei, im Bunde mit dem Aufstande des siebenbürgischen Magnaten, Stefan Bocskay, und anderseits zeigen sie sich bedeutsam genug in der verbitterten Stimmung des protestantischen Kaschau, das dem bei Dioszeg zurückgedrängten Barbiano (26. Okt. 1604) die Thore verschloss, und sie dem Haj- duken-Obersten Blasius Lippay vom Anhange Bocskay's (30. Okt.) öffnete.

Damals war Vormund oder Vorsprech der Gemeinde Melchior Rainer und Stadtrichter Bokatzius^). Geboren 1560 zu Vetschau in der Lausitz, an der Wittemberger Hochschule gebildet, kam der begabte Mann durch Vermittlung seines Lehrers Niklas Giebel nach Ungarn, versuchte sich zunächst mit der Errichtung einer Schule im Zipser Sachsenlande, erhielt 1594 vom Rathe der Stadt Eperies in der Sehäroscher Gespanschaft einen Ruf als Rektor des Collegiums der Augsburger Confessionsverwandten alldort und fand dann (1599) ^) den Weg nach Kaschau als Ratschreiber, Später 1603 1604 begegnen wir ihm als Stadtrichter. Die Rolle eines Diplomaten Bocskay s 1604 bis 1606 bescheerte dem gewandten Manne, nebenbei auch „poeta laureatus", nachmals eine lange Haft zu Prag, aus der ihn der Muth und die List seiner Frau zu befreien beflissen war.

') Die Weisung an die Stadt erging vom Administrator des Graner Erz- bistliums aus ; der Befehl an Belgiojoso von Erzh. Mathias. Der Bischof von Erlau hatte damals, da Erlau längst türkisch geworden, seinen Sitz im Prämonstr, Kloster Jöszau (Jäszö) nicht weit von Kaschau. ^) Sein Name findet sich

auch als »Bogäthy* magyarisirt. Eine biographische Skizze über ihn veröffent- lichte Dulhäzi in der Ztschr. Felsö Magyarorszägi Minerva, 1825, 2. Heft. 3) Er selbst verewigte seinen Eintritt in die Rathsgeschäfte durch die Titelüber- schrift des Protocollumdeterminationummagistratualiumde anno 1598, 1599, 1600, 1601, 1602 incl. »Receptaculum rerum forensium in curia Cassoviensi per Sebaldum Artnerum exceptarum, deinde continuatum per

622 Krön c s.

Kascliau war der Sitz Bocskays, des „Fürgteu vou Ungarn" ge- worden; in seinen Mauern tagte die wichtige Ständeversammlung, welche au dem Wiener Frieden Kritik übte ; hier starb (25. Dez. 1606) Bocskay jähen Todes; auf dem Hauptplatze verblutete (13. Jan. 1607) sein Geheimschreiber Kätay unter den Säbelhieben der erbitteiien Edelleute, die ihn Verrathes und Giftmordes ziehen ; hier fand (2. Febr.) die glänzende Leichenfeier des verstorbenen Fürsten statt. Dann über- nahmen (12. Febr.) Sigmund Forgäcs und Andreas Doczy die Stadt im Namen des Königs von Ungarn.

Das ist der äussere Kalimen, der Gang der Ereignisse i), innerhalb dessen das Gerichtsbuch Kaschaus erwuchs, das uns nun beschäftigen soll. Es spiegelt so recht ab: Die Mischung der }3evölkerung, den Einfluss der kriegerischen Zeit, des Söldnerwesens in seinen Mauern, Verrohung und Gewaltthat im Baunkreise der Stadt, die ihre volle Gerichtsbarkeit auf Grund alter Freibriefe und nach altem Her- kommen ausübt, als „gehegit Ding" (Judicium necessarium baunitura), „kleines und gTOSses Gericht", mit den Schöffen als Urtheilsfindern für Kechtsstreit, Vergehen und Verbrechen -').

Es ist nicht leicht, den begreiflicher Weise vielseitigen, bunten Inhalt des Gerichtsbuches unter allgemeine Gesichtspunkte zu bringen und die nothweudige Auswahl unter den zahlreichen Fällen zu trefien. Immerhin wollen wir es versuchen und mit jenen Auf-

me Joann. Bocatium P. L. C. ad hoc officium legitime vocatum hoc anno 1599, 15.a Nov. Dazu als Motto: J, Sirach X.

Simpliciter rectumque tuum me Christe gubevnot.

Noli condemnare ullum non cognita causa.

Cognosce primum, deinde poenam statue. Virgil. Aen. 6:

>Discite justitiam moniti et non temneve divos. quo erit melius.* ») Eine noch immer brauchbare, weil sprachlich weitern Kreisen zugäng- liche Skizze der Stadtgeschichte bildet das von Jesuitenfeder abgefasste Büchlein Cassovia vetus ac nova, Cassovia^ 1732, während die deutsch geschriebene ,Kaschaua- Chronik* von Plath (Kaschau 1860) mehr ein Curiosum genannt werden muss. Entschieden besser ist die fleissige Arbeit vou Tutkö, Sz. K. Kassa väros törten. evkönyve (Jahrb. d. St. K.) Kaschau 1861, wenn ihr auch manches an Kritik gebricht. ") So heisst e.s z. J. 1563: Judicium neces-

sarium bannitum celebratum est feria quinta, ipso die S. Silvestri ao. dorn. 1562 per lamatos viros Joannem Lcpiczki vice-advocatum juratum et septem Bcabinos nomiuibus et cognominibus in magno iudicio expresso. Hier finden wir das kleinere und grössere »Recht % »Gericht* oder »Ding* auseinander- gehalten. Die Einzeichnungen der Gcrichtsfälle wechseln in Bezug der Sprache ab, sie sind deutsch oder lateinisch; erstores wiegt vor.

Das Gerichtsprotokoll d. kün. FreistatU Kaschau a. d. J. 1556' i<j08. 623

zeiclmungeu beginnen, die wir unter dem Titel Schädigung frem- den Eigen th ums zusammenfassen. Den Keigen mögen Schuldner eröffnen.

155G entwich ein gewisser Franz Zeoch (Szöcs) aus der städtischen Haft. Er kam dann aus Wien mit seinem Weibe und drei Kindern nach Kaschau zurück und wies ein kaiserliches Mandat v. 25. Mai d. J. vor, worin K. Max IL den Genannten innerhalb eines Jahres von jeder Zahlungsobliegenheit freisprach i), den Pressburger Bürger, Tho- mas Bornemisza, ausgenommen. Der entwichene und nun heimkehrende Schuldner bat um Verzeihung. Der Eath erklärte jedoch, dies ohne Zustimmung der ganzen Gemeinde nicht thun zu können. Nun fand sich denn Szöcs vor dem Rathe und der Gemeinde ein und erlangte durch Fürsprache Vieler die Begnadigung.

Ein anderer Fall ereignete sich im J. 1577. Simon Faustweller war Schuldner des Blasius Karachon (Karäcson). Da er als zahlungs- unfähig sich erwiesen, wurde er seinem Gläubiger „nach Eechten des Reiches innerhalb dreier Tage ausgeliefert, letzterer jedoch verhalten, ihn nach Rechtsbrauch zu behandeln und zu halten".

Besonders reichlich ist die Ausbeute in Hinsicht des Dieb- stahls.

1562 wurde der achtzehnjährige Sohn des Galle wegen Einbruch- diebstahls bei dem Goldschmied Lorenz, in der Höhe von 50 Gulden Werthes, gehängt; Margare the Stanislawin wegen Theilnahme an Dieb- stahl aus der Stadt verwiesen ; der Diener Janosch als , Einbrecher " in seines Herrn Küche gestäupt und „auf hundert Jahre" aus der Stadt verbannt.

Härter lautete begreiflicherweise das ürtheil über Hanns Jörge, den Sohn Breyers aus Bartfeld, den mau, als Gewohnheitsdieb vor Jahren bereits stadtverwiesen, zum Tode durch das Schwert (1557) verdammte. Der R o s s d i e b Stefan Chichko, Grunduntei-than des Niklas Bachkay, wurde gehängt (1558). Im gleichen Jahre erscheint ein bei Diebstahl betretenes Weib als stadtvei*wiesen. Beim Eheweibe des Georg Chapo traf mit Dieberei auch Ehebruch zusammen. Sie wurde gepeitscht und auf zehn Meilen in der Runde verwiesen.

Elisabeth Katona, Frau des Mihal, sollte als Diebin mit dem Tode büssen (1560), wurde jedoch aus Erbarmen für die unversorgten Kinder zur Verbannung aus Kaschau begnadigt. Das ursprüngliche Urtheil hatte dies mit .Verlust des rechten Ohres und Prauoer" ver-

•) Findet sich angemerkt als »Ferreae litterw Francisci Zeoch exhibitae senatui Cassoviensi die 25. Maii anno dorn. 15b'G'. "

624 K r 0 n e s.

schärft, was jedoch auf vielseitige Fürbitte ungarischer Edelleute nach- gesehen wurde. Die Stadtverweisung lautet auf ewig und über zehn Bannmeilen. Bei zwei Weibern (1561) trat die Strafe der Peitschung auf dem Pranger und durch die Stadt, ferner Verweisung auf 101 Jahr, zwölf Meilen in der Runde, ein. Der Masure Lukatsch Nowostawsky, Schlosserknecht, büsste (1562) für seinen Einbruchsdiebstahl auf dem Galgen.

Eine umständlichere Sache kam im gleichen Jahre zur Ver- handlung.

Jakob Schneider aus Wien, Soldat, hatte 1561 dem Rathe „zu- geschworen", sich in Kaschau niederzulassen, und der oberste Feld- hauptmann und Stadtkommandant, Freih. Lazar von Schwendi, gab hiezu auch die Erlaubuiss. Schneider beging jedoch Diebereien und entrann heimlich aus der Stadt. Der Kaschauer Rath erfuhr nun, dass sich der Entwichene in der Zipser Stadt Käsmark geborgen habe , und zum andern Mal hat wollen heiraten" und erlangte durch das Ein- schreiten Lazars Schwendi, dass ihn die Käsmarker ausliefern mussten. „Und ist ihm also auf freyera Platz ein Malefizrecht bestellt und alda erkant worden nach den kaiserlichen Rechten, das ihn der Henkher aus der Stadt füren und an einen dürren Ast anknüpfen soll, denn ehr eynes grünen Baumes nicht werth ist".

Lukas von Kemeucze wurde bei dem Versuche betreten, einem Weibe auf dem Marktplatze den Geldsack abzuschneiden („Beyttel- schneyder") 1). Auf sein „Verschwören", dies nimmer zu thun, Hess man ihn laufen. Aehnlich erging es dem Zabo von Herencs, der „in der Hoffnung", er werde in sich gelin, ob seines bisher tadellosen Vor- lebens, begnadigt wurde, mit der Ermahnung, seineu Lebenswandel fürder zu bessern.

Der Einbruch diebstahl des Hussareu Janosch, des Nachts an einem Kameraden verübt, zog die Strafe des Galgens nach sich (1570).

Die Gewohnheitsdiebin Dorko wurde (1572) „in einem Sacke, den sie selbst hat nähen müssen, ersäuft in der K u n d e r t " (Hernad) =^).

Die Strafe der Stäupung und des Verlustes des rechten Ohres traf den Dieb Georg von Zborow (1573).

Besonders streng pflegte man den Diebstahl in Weinbergen

') Esheisst: ,qui in publice foro mulieri loculos absciderat (»Bejttel- schneyder*)«. ^) ,Kundert* ist die übliche Bezeichnung der Hemdd, des

nahe vorbeiströmenden Flusses, im damaligen Kaschauer Deutsch.

Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 625

zu ahnden. Der Pole Andreas, Soldat, in dessen Tornister man ge- stohlene Weinbeeren fand, musste das rechte Ohr lassen und, den Tornister um den Hals, das Weite suchen (1572). Johann Philipp aus Sandecz wurde (1579) eines solchen Frevels wegen gehangen.

Dorothea, die zur Dieberei den Schlüssel entwendete, erlitt die Strafe der Stäupung; der Dieb Bathko büsste mit Stäupuug und Ver- lust des einen Ohres. Der Pole Martin, der das verschlossene Gut seines Dienstherrn erbrach, wurde aufgeknüpft.

Des mit Mord verbundenen Kaubes wollen wir unter dem letzteren Schlagworte gedenken, und bevor wir jene Fälle anführen, die sich auf Verletzung fremder Ehre beziehen, einen Fall gewaltsamer Erpressung zur Sprache bringen.

Die ungetrewen Weinhüter " Kykedi und Zekeres (Szekeres), Vor- städter, hatten dies an der eine einzige Traube pflückenden Frau Haläszos verübt. Sie wurden zur Stäupung und Stadtverweisuug ver- urtheilt, diese Strafe jedoch gemildert, und zwar dahin, dass sie „den Koth von der Krothengass gegen das Stadtmeister-Thürlein yn den Pärchen ^) auf die Pasteyen tragen und drei Jahre hiefür weder hier noch anderswo Weinzierl oder Weinhüter " sein durften.

Das Vergehen wider fremde Ehre als Verleumdung zog harte Strafen nach sich. Marczin, der (1572) den Leumund einer Frau schädigte, sollte die Zunge verlieren, wurde aber vom Püttel '^) am Ring geführt und beschrieen 3) , wie es Brauch ist". Das „lügenhafte Weib" Dorothea, Eheweib des Vogelstellers, musste für ein Jahr die Stadt meiden, Ursula Orsyk, bereits einmal abgestraft, die Stäupung und Verweisung über sich ergehen lasser, da sie fal- scher Beschuldigung überwiesen wurde.

Beschimpfung oder Schmähung kommt nicht besser davon. Walter von Eperies wurde (1562) auf vier Wochen in Eisen geschlagen und zum „AufFraymen des Stadtkothes " verurtheilt; der Vorstädter Korsi (1556) mit 20 Gulden gebüsst; die schmähsüchtige Illona, Ehe- weib des Soldknechtes Lukas, „schon einmal ob gleichen Vergehens gegen einige würdige Matronen" eingekerkert, musste der Stadt im Umkreise von zehn Meilen fern bleiben. Gleiche Strafe wurde dem Lästermaul Paul Santa wegen Beschimpfung des Kommandanten und des Rathes mit Hundsfötter " zu Theil ^).

') Bedeutet so viel wie Zauix oder Planke. ') Büttel, Frohnbot oder

Scherge, Gerichtsdiener. ^) »beschrieen* = vgl. Schmeller bair. Idiot.

2. A. II Gel. 591—592. »Auf den peinlichen Rechtstagen gebührt dem Knecht des Nachrichters als Ankläger den Uebelthäter zu beschreyen*. ■*) Er

schimpfte magyarisch: Ebe volt, ehe leszen »Hund bleibt Hund«! Mittheiluugen XII. 39

626 K r 0 n e s.

Das bösartige Ehepaar Lakatgyärtö hatte eine Geldbusse zu erlegen (1572).

Nicht selten wie begreiflich sind die Straffälle der Stänkerei und Kauf er ei. Der Lanzknecht Peter Bischofi" wurde anlässlich solcher Ruhestörungen (1562) zur Strafe der Abbitte vor den Rath gebracht und musste mit Handschlag Besserung geloben. Als sich die ,,alte Molerin", Baiers Frau, im fremden Hause der „Rauferei", des „Messerzückens" und dergleichen schuldig machte, ward ihr ursprünglich „auf den Hals erkannt", die Strafe sodann in eine Geldbusse von 32 Gulden umgewandelt. Besonders ungeberdig be- nahm sieh (1559) der ,, Stadtdiener", Peter Czebner, der allerdings berauscht zur Fascliingszeit „gewappnet" einen Bürger in der Schenke beim Weintrunk zum „Zweikampfe mit der Lanze" und zwar „zu Ross" herausforderte. Da seine dienstliche Stellung den Klagfall besonders schwer machte, wurde Czebner zum Verlust der rechten Hand verurtheilt, schliesslich aber zu ewiger Verbannung be- gnadigt.

Als Stänker verlor der Wagner Lukas Trucz sein Recht in der „Zeche" zu sitzen, während seine Zunftgenossen Georg Rokus und Jänos Kerekgyärtö 14 Tage in der „Pütteistuben" zubringen mussten. Der Raufbold Bärbel (1570) vergriff sich an dem Stadt])üttel, Man sprach über ihn die Todesstrafe aus und wandelte sie dann in ewige Verbannung um. Das Gleiche wurde über Andrä Czirkler verhängt, da er der Hauptanstiftung einer Schlägerei zwischen Bauern imd Trabanten überwiesen. Dieses Erkenntniss betraf auch drei nächtliche Ruhestörer und das Eheweib des einen von ihnen (1577) ^).

Gewaltsame Störung des Hausfriedens, wie sie (1572) Waschko von Marxdorf verübte, wurde mit ewiger Stadtverweisung gebusst.

Als Fälle körperlicher Misshandlung wollen wir nach- stehende anführen. Der Schlosser Wilhelm aus Braunschweig und der Schneider Hans Pawer von Glatte (Klattau) in Böhmen vergriffen sich an ihrem Herbergsinhaber, Avurden zu einer Geldbusse verurtheilt und als unfällig zur weiteren Ausübung ihres Gewerbes verwiesen. Die letztere Strafe erlitt auch Kliman, der im städtischen Weinhause der Vorstadt einen Gast mit dem Messer verwundete.

>) Asztalgyartö, Kopasz, Fi 1 bauch und seine Hausfrau. Letzteres Paar Jürfte wohl dasselbe sein, das früher (1568) in einen andern bösen Handel ver- wickelt war, dem wir w. u. unter den die Unzucht betreffenden Fällen begegnen werden.

Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 627

Ihnen mögen sich Vorfälle ansehliessen, bei denen Misshandlung oder Verwundung schwerer, ja tödtlicher Art erfolgte.

Johann Sidwari prügelte seinen Mitgesellen ürban Fekete aus Erlau derart, dass dieser an den Folgen der Misshaudlung starb. Der Thäter verfiel einer Busse von 30 Gulden als Abfindung mit der Familie des Todten, welche Summe dann „auf Fürbitte vieler Ankläger* um die Hälfte vermindert wurde (1575).

Ungleich schwerer finden wir die That eines Zwilchers, Sieben- bürgers von Herkunft, geahndet, dessen Misshandlungen sein Eheweib erlag. Er wurde „mit Beschreien, wie bräuchlich, zu Boss zur Ent- hauptung an den Kopstock i) hinaus geschleift" (1562). Der Tod durch Enthauptung wurde auch dem Kozma aus Buszka zu Theil, welcher seineu Nachbar „unschuldiger Weis mit einer Axt in den Kopf geschlagen". Dem Henker wurde geboten, den Verbrecher so „entzwei zu schlagen, dass der Leib das grösste, der Kopf aber das kleinste Theill sei.«

Ein absonderlicher Fall ereignete sich 1601. Ein Knabe aus der Vorstadt hieb einem Mädchen die halbe Hand ab. Zunächst wurde auf die poena talionis erkannt, wornach dem Thäter das Gleiche widerfahren sollte. Man trug aber dann dem „Unverstände" des Knaben Eechnung und erkannte darauf: der Vater desselben solle 40 Gulden als Sühngeld (homagium) entrichten und überdies für die schlechte Erziehung seines Sohnes gebüsst werden.

Eeichlich bedacht sind Todschlag und Mord. Fassen wir- die Fälle ersterer Gattung ins Auge.

Ein Fall ganz besonderer Art erscheint i. J. 1565 verzeichnet. Der zehnjährige „Knabe" Georg von Kis-Ida erschlug eines Apfels wegen einen Altersgenossen aus der Vorstadt; der Eath verurtheilte ihn zur Stadtverweisung auf 16 Jahre. Der Soldat Gregor Asia- gasy, der im Bausche seinen Kameraden erschlug, fand Begnadigung, doch musste er schwören, der Stadt Kaschau zeitlebens dienstbar sein zu wollen. Dagegen finden wir, dass Niklas Schestak, der im Bausche also unter gleichen Umständen einen Todschlag beging, auf dem Stadtplatze hingerichtet wurde, da er seinen Widersacher vorher zum Zweikampfe herausgefordert. Vergeblich hatten sich Einige be- müht, die Familie des Erschlagenen durch ein Sühngeld zu versöhnen.

Blasius Keöröskewczy (Körösközi), ein „freier Hajduk^)« (1570)

') Henkerblock. -) Die »freien« Hajduken erscheinen als Bewohner

privilegirter 00. im Szabolcser Komitate : Dorog, Nänäs, Hadhäz u. a. a. zufolge ihrer Verwendung als Milizen.

39*

328 Krön es.

durchbohrte „im Stadthaiise, wo man Wein schenkt" einen Vorstädter mit der Waffe. Er wurde verurtheilt, Kopf und Hand zu verheren, weil dies im Stadthause vorfiel. Mit Enthauptung strafte man (1579) den Stanislaus „Frigidus" (Latinisirung des Eigennamens), da er im trunkenen Zustande sein Weib erschlagen. Dagegen verhielt der Eath den Kaufmann Kaspar Trill, welcher (1580) durch einen Schuss in der Nähe des Friedhofes wohl unabsichtlich einen gewissen Borsos getödtet, ,den Leichnam des Getödteten auf der Bahre zu be- trachten und in Fesseln zur Beisetzung in die Kirche zu begleiten;* nach dem Abendgebete wurde er jedoch in den Kerker zurückgeführt ohne jegliche Leibesstrafe " i).

Unter den Mördern steht, was die Schwere des Verbrechens und die der Strafe betrifft, Georg Paba oder Pöcz von Szaläncz (1600) oben an. Er gestand theils „freiwillig", theils auf der Folter, den Mord an beiläufig 18 Personen und erscheint auch des Ausraubens mehrerer Kirchen beinzichtigt. Das Urtheil lautete auf viermaliges Zwicken mit glühenden Zangen an jedem Ende der Stadt und Räde- rung, mit der Verschärfung, dass ihm die Brust , nicht zerschlagen werden sollte".

Die Bauern Bertok von Zokolya und Iwanko von Zwinka wurden wegen des an Stanislaus vom Schlosse Eegecz verübten Mordes ge- fänglich eingezogen. Bertok läugnete im peinlichen Verhöre, Iwanko gestand jedoch das Verbrechen ein und zwar den Eaubmord, der fünf Thaler und neun polnische Groschen eintrug. Das Verdikt besagte: Schleifung am Pferdeschweife durch die Stadt, Räderung und Aus- setzung am Rade.

Sehr schwer wurde das Verbrechen des Peter Kigyös geahndet, der sein Eheweib in. grausamer Weise gemordet. Er sollte ,auf dem Wege vom Ober- zum Nieder-Thore und in der Vorstadt vor dem Thore einmal und in der Ludmaungasse vor seinem eigenen Hasen einmal mit den glühenden, eisernen Zangen gezwickt", sodann ent- hauptet werden.

S. Czypser, ein Vorstädter, überfiel und erschlug in der Nacht den Miteinwohner Tanczmeister. Er wurde „auf dreimalige Rechts- begehrung" seitens der Mutter und Frau des Ermorderten zum Tode verurtheilt und , aus gewissen Ursachen « nicht aus der Stadt zum Tode geführt, sondern vor dem Pranger enthauptet. Die gleiche Strafe erlitt der Raubmörder Lazar Balint.

Kindesweglegung finden wir an der Kindsmagd Martha aus

') . . . reductus vero est in carcerom »ilhcsus* heisst es im Protokoll.

Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 629

Miskolcz, welche dadurch ihrer That überwiesen wurde, dass man ihre Brüste voll an Milch fand, auf Fürbitte mit ewiger Verbannung gestraft.

Um so härter erscheint der Kinds mord gebüsst. Ihn beging das Eheweib des Barthol. Stephit. Sie wurde in der Stadt zuerst mit glühenden Zangen gezwickt, dann zum Galgen gefahren, hier in eine Grube verschaart und lebend mit einem Pfahle durchstochen (1575). Zur Strafe der Pfählung finden wir (1602) eine zweite Kindsmörderin, Dienstmagd, verurtheilt; man begnadigte sie jedoch zum Tode durch das Schwert.

Eine grosse Summe nehmen unter den Strafurtheilen die ge- schlechtlichen Verirrungen: als Unzucht oder unerlaubter Bei- schlaf und als Prostitution für sich in Anspruch.

Wir wollen eine Reihe von Fällen der , Unzucht" oder verpönten Beischlafs, unerlaubter fleischlicher Vermischung, anführen, die ge- linder Ahndung theilhaftig wurden.

1562 gab man die Beinzichtigten , durch den Priester ehrlich zusammen", aber mit „scharfer Verpönung" solch , hurerisch-heym- licher Verpuntnuss". In einem andern Falle d. J. kam es auch zur gerichtlichen Verehlichung; doch wurde das Paar auf sechs Jahre aus der Stadt verwiesen. Ein Webergesell, der mit einer Dieustmagd im Beischlaf ertappt vnirde, büsste mit 20 Gulden; die Magd musste die Stadt räumen. Eine Witwe , die mit ihrem Lehrgehilfen hielt und geschwängert wurde, finden wir alsbald mit ihm in der Pütteistube " getraut und „im Gnadenwege* zu einer Geldbusse verurtheilt."

Die Strafe der Verweisung aus der Stadt traf (1558) ein andere Witwe, die sich mit einem Lanzknechtfähndrich abgegeben. Zwei Mädchen, Borka und Elisabeth, des unzüchtigen Umgangs mit einem Ungar aus Szepsi überwiesen, mussteu zur Strafe verhüllten Hauptes einhergehen. Ein lediges Frauenzimmer, das eines Kindes genas, wurde vom Henker zur Stadt hinaus geführt und ausserhalb der 12 Bannmeilen verwiesen.

Der Kürschner Berchtels, der seine Magd geschwängert, musste vor dem Richter mit Handschlag geloben, sie zu ehelichen und überdies 20 Gulden zahlen. Ein anderer Bürger, Hanns Gebberich, zog sich wegen Buhlschaft gleicher Art die Strafe gerichtlicher Verehelichung zu und wurde überdies verhalten, 20 Ruthen eigenen Grundes zu der Stadtbefestigung abzutreten.

Der Fleischer Hannes Fielbauch aus. Neusohl und die Fleischers- witwe Lenart lagen als Verlobte in Einer Kammer, Da ihn jedoch

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letztere wegen Misshandlung und Schlenkere! * i) als Verlobten ver- leugnete, so gab ihr der Stadtrath acht Tage Bedenkzeit zur Heirat oder Auswanderung. Sie verglichen sich dann auch und machten Hochzeit.

Im gleichen Jahre (1568) trug der Rath „aus gewissen Ursachen" 2) dem alten Meszaros Bälint den Auftrag, sich zu verheiraten; würde er dies unterlassen, so sollte er schuldig sein „zur Buchs zu geben 10 Gulden umbleslich ".

Schlimmer erging es der Matrone 3) Elisabeth, Witwe des Jakob Nagy, die dem Jünglinge Johann Literatus ^) „nach vielem Drängen* den Beischlaf gewährte. Sie entwich schwanger, wurde zurückgebracht und genas eines Knaben, worauf sie viermal vom Henker gestäupt wurde. Der Buhle wurde auf Fürbitte des ungarischen Pastors und einiger Bürger begnadigt, aber ernstlich verwarnt.

Als (1569) der aus der Barbiererzunft gestossenen Andras Bor- bely von deutschen Soldaten des Nachts bei einem Weibe ertappt wurde und zu seinem Schutze bei einem Bürger Dienste nahm, verlor er für immer die Befugnis, sein Gewerbe auszuüben. Regina Holz- schucher, „Leutenants Lazari gewesene Fettel und Schleffin" ^), wurde zum Pranger verurtheilt, jedoch begnadigt und verwiesen, welche letztere Strafe (1580) auch die Witwe Sofia wegen Buhlschaft traf u. zw. auf 10 Jahre.

Ebenbürtig an Zahl und nicht selten mit den Strafi'ällen vor- genannter Art sich durchkreuzend sind die Thatsachen die dem Be- reiche der Prostitution angehören. Wir wollen nur Charakteristisches herausgreifen und zwei ürtheilssprüche vorausschicken.

Janusch Asztalgyartö und sein Eheweib Sophia wurden i. J. 1565 angeklagt, in dem von ihren gemietheten Hause eine Prostituirte beherbergt zu haben. Als sie einmal vollgetrunken waren, führte Sophia selbst ihren Gatten dem Beischlafe mit jener Hausgenossin zu, und sie wurden von Dienstleuten darin betroffen. Man zog das Ehe- paar gefäij glich ein. Auf Fürbitte vieler ehrbaren Mäuner und Matronen wurde „mit Linderung der Strenge des Rechtes", Beiden die Todesstrafe erlassen; man fesselte sie jedoch zusammen und hiess sie an den Schanzwerken ß) einen Theil des Erdbodens ausgraben.

') Herumvagiren, Nachtschwärmen. Vgl. 0. S. 626. -) Der alte Hage-

stolz muss etwas anrüchig gelebt haben. ^) »Vetula* heisst es im Protokoll;

richtiger also »Vettel*. *) Dürfte die lat. Wiedergabe des häufigen magya-

rischen Zunamens Deäk, Diak sein ^) ^= concubina. Vgl. GeslafF, Schlaff

contubernalis. ") Seit 1566 unter dem Kaschauer Kommando des Freiherrn

v. Schwendi geschah sehr viel für die Befestigung der Stadt. In unserm

Das Gericlitsprotokoll cl. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 631

Die Kupplerin Czuga Mate wurde (1607) in die Hernad geworfen.

Auf Prostitution finden wir meist Stäupung und Verweisung als Strafe gesetzt ^). Besonders stark niuss sich jedocli (1605) Kata Cliorba vergangen haben, da sie zum Tode verurtheilt wurde. Weillen aber von dem Fürsten Botskay " heisst es weiter „eine gratia für sie verlangt wurde, habe mau mit der Strafe nicht fortfahren können". Sie wurde dann nur einfach aus der Stadt verwiesen 2),

Lang ist die Eeihe der Ehebruchsfälle, die das Strafprotokoll durchziehen und verschiedensten Sachverhalt an den Tag legen. Greifen wir einige Typen des Verbrechens und seiner Strafe heraus.

Protokoll findet sich darüber Nachstehendes aufgezeichnet : 1566, 11. begann man die Grundlegung der Befestigung, das nordwärts gegenüber der Ziegelgasse (platea tegularum) liegt; eine andere Befestigung erstand in der Nähe gegen Westen, auf dem Wege zur Froschgasse (platea vulgo ranarum), u. z. s. 17. Mai d. J. Am 10. Juni begann das dritte Befestigungswerk nach Osten hin, gegen die »Schreibermühl*. Ein viertes wurde im Norden, am Ober-Thore 12. Juli an- gelegt. Dazu hatten in Folge des Auftrages Schwendi's die übrigen Städte des Oberlandes (reliquae civitates superiores) Kostenbeiträge zu entrichten und zwar Leutschau (Zips) 300, Bartfeld 287, Eperies 287 und Zeben (die drei letztgen. i. d. Schäroscher Gespauschaft) 125 ung. Gulden. 13. Juli Avurde mit einer 5. Verschanzung im Westen u. z. in der » Faulgas* angefangen. Z. J. 1567 heisst es »den andern Tag Novembers haben die EdeUeute aus dem Schäroscher Comitat das Pol werk oder Pastey am Faulthor (Aus- mündung der Faulgasse) auf der k. May. bevelch zum andern Mal angefangen. Z. J. 1568: »den 24. tag Marcii haben die vier erbarn Freystedt: Leutscha, Bartfa, Epperies und Zeben auf der kö. May. bevelch die postey zwi- schen dem Niederthor und Faulthor 2u bauen angefangen.*

1) Z. J. 1565 werden in dieser Weise als straffällig sechs Frauenspersonen verzeichnet, insbesondere die an verschiedenen Orten als H . . . sich herum- treibende Dorko von Bartfeld. Die mit ihnen haltenden Männer wurden zu Geld- strafen 35—15 fl. verurtheilt. Von der »Juliana fornicatrix, uxor quondam Joh. Vito in Villa Arka* heist es: ,maritum intoxicans rem cum officialibus in villa Vämos Vjfalu siBpe habuit. Postea vero quidam Joanni mercenario nupsit, sed coniugalem fidem non servaAdt, ibi ut adultera jure mediante, via-gis c?esa, per maritum abacta est. Tandem apud Franc. Literatum (Deäk) serviebat et alias. Postea in suspicionem venit, quod rem habuisset cum Georgio civitatis

servitore sed quia in tortura pernegavit, virgis solummodo

caesa et a civitate ablegata est ad X milliaria in perpetuum. Hier durchkreuzten sich Annahme des Gattenmordes, Ehebruch und Unzucht. Z. J. 1568 wird: ,niulier fornicatrix, vaga e Bohemia* angeführt »per Bedellum (Büttel) educta est*. ^) Die Magd Anna, von dem Lanzknecht Kalb geschwängert,

abortirte und wurde »kranken Leibes* für immer verwiesen. Der Lanzknecht, der sich zur Heirat nicht bequemte, und mit einer Hebamme, Marina, abgab, musste vom Fähnlein sich trennen und die Stadt meiden, wozu auch die Hebamme verhalten wurde.

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Das Eheweib des Hegedüs, das mit zwei Männern hielt, wurde eingesackt und in die Hernad geworfen. Andr. Sipos als Ehebrecher ertappt, büsste mit dem Kopfe. Die Frau des Gregor Nagy wurde im Ehebruche schwanger. Da sie jedoch angab, seit zwei Jahren von ihrem Gatten verlassen zu sein, so wurde sie auf zehn Bannmeilen aus der Stadt verwiesen.

Besonders schwer verging sich Käthe, das Eheweib des Vorstädters Thoth. Sie hielt es mit mehi-eren und wollte sogar einen ihrer Buhlen bestechen, auf dass er ihren Gatten erschiesse. „Sie wurde deshalb in einen Sack gestossen und in die Kundert geworfen". Der Trabant Ambrosch des Ehebruches „mit einer Fettel" überwiesen, büsste unter dem Schwerte des Henkers. Die Todesstrafe wurde auch (1561) über die Frau des Kürschners Berchtolt ausgesprochen, da sie es mit ihrem Gesellen, Michel aus Siebenbürgen, hielt. Letzterer musste sich mit 50 Gulden lösen und durfte nimmer sein Handwerk ausüben ; die Ehebrecherin erlang-te auf Fürbitte des Hauptmanns Zay und Alberts Laszky i) die Begnadigung vom Tode, wurde verbannt und ihres Gutes zu Gunsten der nächsten Blutsverwandten entäussert.

Ursula Schuster (1570), von ihrem Manne des Ehebruches an- o-eklagt, aber dessen auch in der Folter niclit geständig, musste für ein Jahr die Stadt meiden. Im selben Jahre sollte die Frau des Emerich Fazekas, des gleichen Verbrechens über^viesen, den Tod im Wasser finden. Sie erlangte jedoch „kniefällig" dui-ch ihren Gatten die Be- gnadigung, so lange im Kerker zu bleiben, bis für sie als Lösung 40 fl. erlegt würden.

Das Eheweib Gerusch, erwiesener Maassen mit einem Diener des Bäuffy im Ehebruche, erlitt am Pranger die Züchtigung mit der Ruthe und wurde auf ewig verwiesen. Der Stadttrabant Wali, im Bei- schlaf mit einer verheiratheten Frau betreten, entging als kaiserlicher Diener der Verhaftung und entwich Morgens aus der Stadt. Das Jahr 157.3 verzeichnet die Verbannung des Georg Eötvös als Ehe- brechers, andererseits des Mathäus „Aurifaber" als nachlässigen und sorglosen Ehemannes aus der Stadt.

Lenart Schwarcz aus Breslau wurde im gl. Jahre wegen des gleichen Verbrechens „gestrichen" und später verbannt. Der Ver-

1) Albert Laszky war der Solm des 1541 verstorbenen Magnaten Polens und Ungarns, Hieronymus, aus der Ehe mit Anna Korodzenky, und erbte vom Vater die Burgherrschaften Dunayecz und Käs mark in der Zips, in erster Ehe mit der Witwe des Georg Seredy, Kath. Businczki, verbunden, welche 1561 starb ; er ehelichte dann Anna Businczki und nach deren Tode die Sabina Sene. Er spielte damals als k. Feldhauptmann eine Rolle.

Das Gerichtsprotokoll d. kön. Freistadt Kaschau a. d. J. 1556 1608. 633

dacht des Ehebruclies bei Sophie Zabo führte (1G02) zu ihrer Ver- baununff auf zwei Jahre. Eiu Ehebrecher, Martin Wasantho, der es mit zwei Frauen hielt und der Strafe durch Flucht entging, erlangte durch Erzherzog Ernst (1580) die Begnadigung; kehrte zurück, miss- handelte jedoch aus Eifersucht sein Weib, so dass es in Folge einer Fehlgeburt starb. Der Verbrecher büsste mit Enthauptung seine Frevel.

Von besonderem Interesse sind die Fälle, welche Bigamie be- treffen.

Der am meisten verwickelte ergab sich 1563 mit Paul Mester „aus der kleinen Eyde"^). Derselbe war vor Jahrzehnten in Gesellschaft der Buhle Martha, seiner Frau Barbara entlaufen, als er merkte, der Strafe zu verfallen, kam nach Boldogkö und fand hier als Grund- unterthan Aufnahme. Die verlassene Ehefrau Barbara lebte inzwischen zwei Jahre bei ihrer Schwester in Sacza und wurde von Georg Semsey, dem Grundherrn, seinem Stubenheizer Gregor Torkos „mit Gewalt zur Frau gegeben". Ihr erster Gatte, Mester, musste jedoch mit seiner Buhlen aus Boldogkö nach Szepsi, von hier nach Cscecs und von letzterem Dorfe wieder weiter wandern. „Und verliess", heisst es im Protokoll, „doch Martham nicht, sondern lernt etwas ungarisch und lateinisch lesen und wirt also ein Schulmeister hin wider au ff den Dorf fern. Und lest ihn die Martha schlechts nit treiben nach christenlicher Weiss und Ordnung. Sunder lebt mit ir als mit seinem Schleppsack fast in die 30 Jar" ^).

1562 starb die Martha, und er heiratet d. J. darauf eine Wittfrau in der Kaschauer Vorstadt. Als dies Janosch Semsey (wahrscheinlich der Erbfolger des Grundherrn Georg S. von Sacza)'*) erfahrt, macht er dem Kaschauer Käthe Meldung von der Bigamie, da Barbara, Mesters erste Gattin, noch lebe. Die Stadtbehörde schenkt dem Mester das Leben, lässt ihn aber „auss der Stadt peitschen", mit der Drohung, im Betretungsfalle einer nochmaligen Heirat, bei Barbaras Lebzeiten, solle ihm „nachgeschrieben" werden, „als einem, der seinen Hals ver- fallen und zum Tode verurtheilt ist".

») Erzh. Ernst, K. Rudolfs II. ältester Bruder befand sich damals als Ver- treter der Krone in Ungarn, woselbst A. 1580 zu Pressburg ein Landtag abgehalten wurde, den er eröffnete. «) Kis-Ida z. Unterschiede v. Nagy-Ida i. d. Abaujv.

Gespanschaft. ^) Die Anfänge seines bewegten Lebens als Ehemann müssen

also um 1530 fallen. *) Sempsey -= Semsey, ein altes Adelsgeschlecht.

Georg II. S. schrieb sich der erste mit dem Prädikate von Sacza im Abaujv. Com. Er hinterliess keine Nachkommen; Johann (VI) S. war sein Vetter, der Enkel Johann IV. und S. des Mathias.

Q^^ K r 0 n e s.

Ein zweiter Fall, der zwischen Bigamie und Unzucht schwankt, gehört dem J. 1560 zu. Ilona von Eperies war zuerst „als zwölf- jährig" mit einem der „hungarischen und windischen Sprache" mächtigen Priester Namens Ambrosch verheiratet, der sie verliess. Sodann lebte sie mit den Trabanten Szabo und, als auch dieser das Weite suchte, hielt sie mit zwei Lanzknechten. Sie wurde auf dem Pranger vom Züchtiger mit Euthen gestrichen, auf 16 Meilen in der Ruude aus der Stadt für 101 Jahre verbraunt, mit der Androhung, im Betretungs- falle in einen Sack genäht und ersäuft zu werden.

Die Strafe einer zehnjährigen Verweisung traf die Gattin des Koväcs, eines Kaschauers, die mit einem Liebhaber nach Patak entlief und später den Jonassi von Altsohl heiratete, der davon ging und verscholl. Der Bigamist Dionys Lakatgyärtö aus Rimaszombat musste die Stadt „noch vor Sonnenuntergang" auf immer meiden.

Von Noth zu cht -Fällen mache einer der schwersten, auch mit Päderastie verquickt, den Anfang.

Der Schulmann Demeter Thuri wurde beinzichtigt, einem sechs- jährigen Mädchen Gewalt angethan und ihrer Gesundheit geschadet zu haben. Sodann missbrauchte er einen Knaben und wurde aus der Vor- stadt gewiesen. Zu Kis-Ida versuchte er das Gleiche, ebenso zu Mun- käcs, von wo er als Schulrektor verwiesen wurde. Man verurtheilte ihn zum Tode, er erlangte jedoch durch Fürbitte geistlicher Personen Begnadigung, und kann mit der Stäupung und Verbannung 101 Jahr, zehn Meilen in der Runde, davon.

Der Nothzüchter Bäthory wurde eingekerkert, entsprang in Fesseln, gerieth alsbald wieder ins Gewahrsam und wurde bloss aus der Stadt verwiesen, da sich die Mutter des Mädchens mit ihm verglich. Die gleiche Strafe u. z. auf ein Jahr erlitt Lanius (Länyi), der ein zartes Mädchen zum Beischlaf verleitete und schwängerte. Zuvor wurde er mit der Verführten gerichtlich verheiratet.

Von den Straffällen der Schändung heben wir zwei hervor.

Andreas Molnär wurde wegen Unzucht und mehi-erer Schändungen gestäupt und verwiesen (1602), aus Rücksicht auf seine Jugend. Dao-etTen erlitt Anton Zokolay, der mit sechs Helfershelfern einem

' ITT

Tehaner Insassen seine Verlobte raubte und im Felde schändete, die Strafe der Schleifung zur Richtstätte, allwo er aufs Rad geflochten wurde ; „welches Verbrechen seit Menschengedenken hier nie vorfiel" i) heisst es im Stadtbuche.

•) »Quäle flagitium nuUa nnqiiara horainum memoria recordatur hie contigisse*.

Das Gericlitsprotokoll d. kön. Freistadt Kascliau a. d. J. 1556 1608. 635

Blutschande mit Ehebruch vermischt, welche der Messner Wellasch an seines Weibes Schwester beging, führte „aus besonderer Gnade" zur Enthauptung ^).

Brandlegung, begangen durch das Weib des Korporals Nagy (1558), erscheint damit bestraft, dass der Thajterin das Leben geschenkt, sie jedoch mit Kuthen gestrichen und verwiesen wurde.

Für Gotteslästerung oder Blasphemie büsste Urban Bärbel mit Verweisung aus der Stadt, nachdem er gezwungen worden, sein Haus zu verkaufen.

Entheiligung des Sonntags führte zur Bestrafung der Ehe- frau des Golopi mit 10 Gulden, die dann durch Schanzarbeit abgedient wurden.

Bakai wurde (1567) als Kirchenschänder zur Geldbusse (20 fl.) ,, begnadigt", in Folge der Fürbitte des Pastors Frölich und vieler Adeligen.

Läugnung der Sakramente und halsstarriges Wieder- täuferthum veranlasste (1570) die Verweisung Hannes Bamhewers aus der Stadt durch den Büttel.

Der Widersetzlichkeit gegen väterliche Gewalt, gröb- licher Art, machte sich der Sohn Szabös (1568) schuldig, indem er mit dem, ihn scheltenden und zum „Friedhalten" ermahnenden Vater hand- gemein wurde. Im Bingen fallen beide zur Erde, die „nächtigen Zirkler" („Runde", Schaarwache) kommen dazu und bringen den unbotmässigen Sohn in die ,, Pütteistuben", allwo er gräulich schimpft. Er sollte „Hand und Zunge verlieren", wurde jedoch zu sechsjähriger Verbannung be- gnadigt.

Die Härte kriegerischer Zeiten spiegelt sich in der Bestrafung des als türkischen Spions befundenen Mathias von Olcsva. Er wurde am Schweife eines Pferdes zur Richtstätte ausserhalb der Vorstadt „wo man die Enthauptungen vorzunehmen pflegte", geschleift und an den Pfahl gezogen.

Aechtung oder Verbannung von einem andern Orte war auch für die Kaschauer Stadbehörde ein Grund, gleiches vorzukehren. Die. von Eperies „ausgestrichene" Kath. Hajdukowa, die „auf 20 Meyl wegs" verwiesen wurde, musste Kaschau mit Mann und Kind räumen, da zunächst diese letztere Zufluchtstätte innerhalb der Bannmeilen lag, und der Rath überdies solchen Ankömmlingen nicht hold sein konnte (1572).

') Im Straf buche wird das Verbrechen zunächst als Blutschande ge- kennzeichnet.

636 Krone s.

Kückfall in bereits gestraftes Verbrechen erlebte versebärfte Strafen. Agnes Garay, die aus der Verbannung heimkehrend, aber- mals als Diebin in den Stadtmühlen ertappt wurde finden wir neuerdings gestäupt und zum Verlust der Nase verurtheilt (1572).

Ein ganz besonderes Delikt wird i. J. 1567 gemeldet. Einige In- sassen der Stadt: Veiten Fehler, Zachariä Tischler, Anton Blaser und Hanns Apteker Hessen nämlich im Stadthause, woselbst eine Schenke bestand „Wolfsfleisch vorsetzen" und wurden mit Geldbussen in der Höhe von 20 4 Gulden gestraft.

Als 1562 im Hause des Sattlers Jakob (Faulgasse) ein Feuer auskam und 18 Nachbarn schädigte, wurde er zu Gunsten derAb- geb rannten mit dem Verlust seiner ganzen Habe bestraft, ausge- genommen die Kleidung und das Bettgewand seines Weibes und seiner Kinder.

Mit diesen beiden letztangeführten Thatsaehen sei der Uebergang

aus dem eigentlichen Bereiche der Strafgerichtsbarkeit in das jener

Massregeln gemacht, die für die Gerechtsamen der Stadtgemeinde

einzutreten hatten, und mit einigen solchen Vorkommnissen dieser

Aufsatz geschlossen.

Das erste betrifft das Privilegium der Stadt in Hinsicht der Ein- fuhr des Weines (1562). Unter der Amtsführung des Stadrichters Emerich Patschner, hatte der Kaschauer Bürger Zacharias Payr zu Göncz von Jakob dem Thüringer 10 Fass Wein getauft. Als nun die „Herrn Consuln" (Rathsgenossen) Leonhard Gröschl, Job. Fynk und Niklas Ryppiczer im Rathe bezeugten, dass es stets „Brauch" gewesen, keinem Polen oder andern Fremden zu gestatten, ausserhalb der innern oder eigentlichen Stadt Wein zu kaufen, und andererseits ein Verbot bestünde, demzufolge es keinem Bürger erlaubt sei, nach St. Jörgen- Tao- Weine in die Stadt oder Vorstadt zum Verkaufe einzuführen, oder sie ausserhalb der Stadt in der Vorstadt zu verkaufen, noch auch die Befugniss gegeben, vor dem St. Jörgen-Tage mehr als 60 Fass Wein nach Kaschau einzuführen, so wurde Zacharias Payr, mit Rücksicht auf den Zeitpunkt und die geringe Höhe des Weinkaufes, nicht um die ganze Ladung, sondern nur um zwei Fässer gebusst.

Verwandt dem ersten ist der zweite Fall (1569). Josef Lang, Kaufmann, aus Siebenbürgen stammend, mit einer Eperieserin ver- heiratet, schloss mit dem Kaschauer Johann Deak ein Weinzufuhr- geschäft ab. Da er das Bürgerrecht von Kaschau nicht besass, so musste er sich den Verlust von sechs Fässern Wein gefallen lassen; der Strafsatz lautete ursprünglich auf 10 Fass. Das Gleiche betraf zur selben Zeit Frau Priska Lenusin, deren Mann auch nicht das

Das Gerichtsprotokoll d. kön, Freistadt Kaschau a. d. J. 1556—1608. 637

Bürgerrecht hatte. „Es ist aber ein alte Stattgereehtigkeit" heisst es im ürtheilsspruche, dass kein Ayn-^'t)ner dieser Stadt, ob er gleich Hauss hynnein hett, und doch nicht das Purgerrecht erlanget, mag und sollanndtweyn hereinfuren vor die Stat. Thut er aber darwider, so hat er dieselbigen Wein verlorn".

Ein Missachten des städtischen We i n t a r i f s konnte den Ve r 1 u s t^ des Schankrechts ^) nach sich ziehen, wie sich dies (1571) Eötvös zuzog; doch wurde er später begnadigt.

Der Kathsbesehluss von 1564 besagte, dass das volle Bürgerrecht (ins civile) den Miteinwohuern d^r Vorstadt nicht so wie den eigentlichen Bürgern eingeräumt werden könne. Den Vorstädten sei nicht gestattet, mit Wein und Tuch Handel zu treiben

Als 1568 mehrere Handwerker von Patak die gleichen Innungsrechte für sich in Anspruch nehmen wollten, wie solche in Kaschan bestünden, und damit begründeten, dass Patak wieder zu den Besitzungen der ungarischen Krone zähle, verweigerte der Eath seine Zustimmung und erklärte, dass man nur an dem altherkömm- lichen Verkehre mit den Meistern und Zechen von Patak festhalten könne. Patak war eben keine freie königliche Stadt, also nicht eben- bürtiger Kechtsstellung.

Wir schliessen hier einen TJrtheilsspruch des Kaschauer Rathes an, der dem Grundsatze Rechnung tragen sollte, dass Mangel an Gemeinsinn den Anspruch auf die Rechte eines Gemein- wesens verwirke.

1569 wollte Kaschau die „Auslösung" d. i. die mit einer Taxen- zahlung verbundene Bestätigung oder Erneuerung seiner Freiheiten bei der Krone erlaugen, da man hiezu von der Stadtgemeinde Press- burg aufgefordert worden war. Der Kaschauer Bürger, Leonhard Gröschl (ein für diesen Fall sehr zutreffender Name), der zu der bewussten Zahlung auch sein Scherflein beitragen sollte, äussert« sich sehr übellaunig: „Er wold für niemanden zalen. wan die Privilegien ymmer nicht solten confirmirt werden". Der Rath fasste nun folgenden Beschluss :

„Nachdem er, Gröschl, die Privilegia und Freyhait der ganczen Statt, welche (er) zu erhalten geschworen, vnd welche vnsere Vor-

•) Die Kaschauer Gemeinde war auch bestrebt, ihr Braurecht und Bier- schankrecht gegen adelige Konkun-enz zu wahren; wie wir dies aus dem Zeug- nisse der Schtlroscher Gespanschaft v. J. 1568 entnehmen. Die Stadt protestirte nämlich dagegen, dass adelige Gi-uudhomi in ihrer Nähe, das Bannnieilenrecht nicht achtend , Bier brauten und Bier ausschenkten (braxatio et educillatio cerevisioe).

638 Krones.

eitern mit grosser Mühe, Arbayt, vud beständiger Treuheit, ya auch durch ir Blutvergissen von den'^ alten heiligen hungrischen Khunigen bekhommen vnd zuwege gebracht vnd auff unss gelassen haben, mit o-leicher Mühe vnd Treuheit zu erhalten vnd yn keinem Weg zu uerachten (habe): So soll Lenart Greschel: derselben Privi- legiis vnd Stadtgerechtigkeit vnd Freyheitt gar beraubt sein vnd derselben nicht geniesseu, so lang er dem ersamen Rat vnd der ganczen Gemayn den wyllen nicht sucht. Welches also zu verczaichnen ist befolenn worden. Actum den 26. Sept. a. d. 1569".

Endlich verdient noch ein Fall z. J. 1570 Beachtung. Peter Zabo (Szabü), Schwiegersohn der Witwe des Ladislaus Kassay wurde des Bürgerrechtes für verlustig erklärt, weil er insgeheim und ohne Wissen des Rathes sich und seine Schwiegermutter dem Magnaten Kaspar Drugeth von Homonna für immer als Unterthan der Herr- schaft ünghvär „aufnehmen'' und „eignen" Hess.

Das ist der wesentliche Inhalt unserer Quelle. Er wirft mitunter g-relle Streiflichter auf Thatsachen, die unter wechselnden Formen immer wiederkehren, durch ihr besonderes Gepräge jedoch den Geist der Zeiten erkennen lassen. Ihm überall nachzuspüren ist die Aufgabe des Historikers.

Die Eiiifüliriing des gregorianischen Kalenders

in Wien.

Von

Karl Uhlirz.

Am 1. Oktober 1583 wurde das Patent ausgegeben, mit dem Kaiser Kudolf IL die Anwendung des neuen Kalenders in Ober- und Niederösterreich anordnete. Dem Widerstreben, das der päpstliche Ursprung der Reform allerorten hervorrief, trug die Fassung des Pa- tentes Rechnung, der Name des Papstes wurde gar nicht genannt, nur nebenher ist von der Einführung des Kalenders in Italien die Rede: ,, nachdem sich bisshero im alten calendario sowol der fest als auch der jarszeit und anders halben allerlei mengel befunden, derwegen dann unläugst nit allein mit unsern vorwissen, sondern auch nit weniger auf etliche unserer als anderer christlicher potentates und herrschaften fürnemen mathematicorum vleissigs nachdenken und guet- achten ain neues calendarium verfasset und von inen als derselben Sachen verständige ainhelliglich für guet, auch die vorberürte mengl widerumb ab und alles in ain bestendige immerwärende richtigkait zu zu bringen für notwendig geachtet worden und dann hierauf weiter erfolgt, dass verschinen 82. jajs solch neu calendarium hin und wider und nit allain in Italien, sondern andern mehr nit der geringsten christlichen nation köuigreichen und Ländern publicirt und ins Werk gericht worden" '). Der Uebergang vom alten zum neuen Kalender

»j Kaltenbrunner in SB. 87, 511. Patent im k. k. H. H. und Staatsarchiv, nö. Landesarchiv, k. k. Archiv des Ministeriums dea Innern. Für mehrfache Auskünfte und die Gestattung der Benützung bin ich den Hei-rn Dr. Thomas Fellner, Direktor, Dr. Michael Tangl, Offizial des Archivs im Ministerium des Innern, Herrn Alois König, Direktor und Herrn Dr. Anton Majer, Gustos des Landesarchivs zu Dank verpflichtet. Wertvolle Mitteilungen aus dem üniversitäts- archiv verdanke ich Herrn Staatsarchivar Dr. Karl Schrauf.

640 U h 1 i r z.

sollte, wie es im Jakre vorher in der Bulle ,Inter gravissimas' verfügt war, durch Gleichsetzung des 5. mit dem 15. Oktober erfolgen. Zur Veranschaulichung und leichtern Handhabung wurde dem Patente eine Anweisung beigegeben, mit deren Abfassung der berühmte Wiener Mathematiker Dr. Paulus Fabricius betraut worden war. Keiner war hiezu berufener als der gelehrte Lausitzer, der sich eifi-ig mit astro- nomischen Studien beschäftigte, seit dem Jahre 1555 Kalender aller Art herausgab und im Jahre 1578 das Gutachten der Wiener Uni- versität über den päpstlichen Vorschlag der Kalenderverbesserung ausgearbeitet hatte i). Er war wohl vorbereitet, sein Wissen auch in leicht fasslicher Form zu einem volksmässigen Zwecke zu verwerthen und kam dem kaiserlichen Auftrag während seines Sommeraufenthaltes zu Oberlaa nach.

Zur selben Zeit traf am kaiserlichen Hofe eine Schrift eines eifrigen Gegners der Keform, des Tübinger Professors Maestlin ein, die ihm zur Begutachtung vorgelegt wurde und ihn auch zu neuerlicher wissen- schaftlicher Beschäftigung mit dem Gegenstande veranlasste 2).

Die Anleitung des Fabricius ist auf einem Papierblatte grossen Formates (525/390 mm.) gedruckt und mit einer Widmung an seinen Gönner den Hofkammerrat Hieronymus Beck von Leopoldsdorf, einen der eifrigsten Förderer wissenschaftlicher Arbeit, versehen. Da das Blatt zu den Seltenheiten zählt und bisher der Forschung entgangen ist 3), so wird die Mitteilung seines Wortlautes, der uns einen Bericht über des Fabricius Thätigkeit in der Kalenderfrage und seines Gönners Anteilnahme an derselben darbietet, nicht überflüssig erscheinen :

Aulaitung zum brauch des verneuten caleuders welcher auff* der röm. kai. Mt. etc. unsers allergnädigsten herrn etc. bevelch auff ditz 1583. jar im octobri angestellt wird.

Dem edlen und gestrengen ritter herrn Hieronimo Begken von Leopolssdorff etc. auf Ebraichsdorlf etc. röm. kais. Mt. etc. hofcammerrat, meinem gnädigen herrn und patron.

Ich denke offt dran, edler gestrenger ritter, gnädiger herr, das mich e. g. vor vilen jähren unter andern gesprächen de bonis artibus sonderlich von mathematicis disciplinis dahin gehalten hat, das ich

') Ueber ihn Kaltenbrunner Die Polemik über die gregor. Kalenderreform in SB. 87, 491, 530; Aschbach-Horawitz Gesch. der Wiener Universität 3, 193; Mayer Buchdruckergeschichte Wiens, passim. ") Kaltenbrunner a. a. 0. 491.

8) Ich verdanke die Kenntnis desselben der Nachforschung des Herrn Dr. M. Tangl, der das im Archiv des k. k. Ministeriums des Innern verwahrte, wohl erhaltene Exemplar zu Stande brachte. Ein zweites beschnittenes Exemplar befindet sich im nö. Landesarchiv.

Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien. (341

etliche modos instauraudi calendarii Komani stellen wolte, auch daneben erbotten e. g. woltens selber gen Korn schicken, da ich gleichwol desshalben ingehalten, das ich gewiss erfahren, dass man dieselb emendation ohnedas von dannen zu gewarten haben werde. Wie dann alssbald darauff die kais. Mt. etc. unser allergnedigster herr etc. mir bevelch geben, die ganze sachen vom caleudario zu beratschlagen und Irer Mt. zuezustellen, welches von mir beschehen und iusto commen- tario nach allen umbstenden auf etliche form und weiss verrichtet worden, von welchen hie wol meidung beschehen sollte, aber es wil sich in kürtze nicht thun lassen. Weil ich aber desselben meines commentirens e. g. ein exemplar schon vor vier jaren zugestelt, wollen sie sich drinnen ersehen, vielleicht kompts auch noch in druck. Jetzt weise ich aufs einfeltigste den leser aus dem gemainbreuchigen calen- der in den reformierten, hab aber zu erklerung meiner observantz in öffenthchen druck e. g. zu ehren diss fragmentum aussgehen lassen wollen, bittend e. g. wöllens pro sua insigni humanitate gegen mir und löblichen affect gegen gutten studiis vor guet annehmen und in ihrer herrlichen schönen bibliotheca lassen inter antiquitates ein kleines stättlin finden, dieweil diss calendarium ad antiquitatis exemplum inno- viert ist. Thue mich hiemit e. g. commendieren und das man nicht möcht sagen, ich wöll Irer röm. kai. Mt. etc. propria autoritate für- ffreiflfen, habe ich Irer Mt. etc. decret an mich hier zudrücken heissen. Datum Oberlaah den 6. septembris anno 83. da ich morgens frue ein stund vor aufFgang der sonnen sowoll als etliche tage zuvor den planeten Mercurium (welcher sich selten sehen last) hell und schön in ultimis Leonis et primis partibus Yirginis gesehen und notirt habe.

Paulus Fabricius caesaris mathematicus med. doctor

Eöm. kai. Mt. etc. mathematico Paulo Fabricio der ertznei doctom zuezustellen.

Aus souderra der röm. kai. Mt. etc. unsers allergnädigsten herrn bevelch Irer Mt. etc. mathematico Paulo Fabricio der artznei doctorn anzuzaigen. Nachdem Ihr kais. Mt. etc. sich dahin entschlossen, das neu calendarium sowol als römischer kaiser im reich teutscher nation als in ihren künigreichen und landen zu gebrauchen und dasselb auf den october diss jetzt laufi'enden jars anzustellen, auch derwegen jetzt im werck seien, churfürsten fürsten und stende des reichs solcher Irer Mt. etc. resolution zu erinnern und daneben zu besserer nachrichtung deren jeden oder doch den fürnembsten einen abdruck oder exemplar des durch ihne Dr. Fabricium gestelten fragmenti der dreier letztern Mittheilungeu XII. 40

642 Ühlirz.

monat dises jetzt lauffenden jars mitzuschicken, das er demnach solch fragmentum nit allein aufs fürderlichst sonder auch zu dem jetzt be- rüerten eflFect desto mehr exemplaria wolle drucken lassen.

Decretum per caesaream suam

Maiest . die ultimo augusti 1583.

V* S. Yieheuser D. P. Obernburger.

Nunmehr folgt in drei Kubriken das Fragment vom 29. September bis 31. Dezember, üeber der ersten Kubrik steht die Anweisung:

An den freundlichen leser! Dieweil uns im alten calender der 18. Sonntag nach der heiligen trifaltigkeit aufif den 29. tag septemb. das ist auf s. Michaelis tag feit und die im vemeuten calender den- selben 18. sontag mit unss (wiewol in irer tagraitung auff den 9. octob.) halten, hatt mich vor guet angesehen, das jederman von dannen an die Wochen raite biss auff den 5. tag octobris, da wirb er anstatt fünff: fünffzehen sprechen und zelen. Das beschicht auff ein sambstag, her- nach kompt B. sontagsbuchstab der 19. nach trinitatis, von dannen an zeit man fort nicht allein ditz 83. sondern hernach auff 1584. jar, darauff dan mein calender schon gericht und gedruckt ist. des herbstmonats zwen letzte tag. Christus stopfft den Phar. Matth. 22.

29. F. 18. Mich. Sont. i)

30. g. Montag. Hiero. October Weinmon.

Hat dissmal 21 Tage.

1. a

erichtag Kemi.

2. b

mittwoch Leode.

3. c

pfinstag Simpl.

4. d.

freit. Francis.

15. e.

sambst. Dioni.

Jesus tradt

in ein schiff Matth.

16. B.

19. Son. Gallus

17. c.

Marta. Callistus

u. s. w.

Gedruckt zu Wienn in Österreich bei Michaeln Apffeln in der Schuelstrass cum privilegio sac. caes. raaiestatis '^).

») Die verschiedenen Zahlen und Zeichen habe ich im Abdruck -weg- gelassen. *) Ueber die Druckerei vgl. Mayer Wiens Buchdruckergeschichte

1, 119 ff.

Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien. 543

Die kaiserliche Verordnung kam keineswegs zu rascher und all- gemeiner Durchführung. Nur die Universität gieng an dem festgesetzten Tage zu dem neuen Kalender über 1). Die drei Stände des nö. Land- tags, Prälaten, Herrn und Ritterschaft richteten am 4. Oktober 1583 au den Erzherzog Ernst eine Eingabe, sowie sie erklären, dass es ihnen unmöglich sei, das Generalmandat auszuführen und ihn bitten ihre Entschuldigung dem Kaiser zur Kenntnis zu bringen 2). Es sind die damals oft gehörten Gründe, die sie für ihr Verhalten vorbringen: „wann wir dann befinden, weil auf morgen sambstag die zeit des neuen calenders alberait angeen sole, das unmuglichen demselben alhir, vil weniger auf dem land alda man umb diese publication noch gar kain wissen haben wirdet, Vollziehung zu laisten. Seitemal auch wie wir bericht, weder die hochlöbl. nö. regierung und camer, herr land- marschalch etc. die herrn verordneten noch andere gericht und Obrig- keiten dess zu dero nachrichtung zuvor wäre erindert worden. Neben dem E. fürstl. Durchl. selbst genedigst und hochvernünftig zu erwegen under allen ständen nit allein in diesem land sondern auch den be- nachperten künigreichen und landen in welchen diser neu calender auch nit im gebrauch sein möchte, in allen ämbtern conträcten handln und reitungssachen für inconvenientia und beschwärungen hin und wider ervolgen wurden". Bereits am nächsten Tage erhielten sie den Bescheid, dass der Erzherzog ihre Bedenken gnädigst angehört habe, aber eine selbständige Entscheidung in Sachen der Kalenderreform nicht treffen wolle, weshalb er die Eingabe an den Kaiser geleitet habe 3).

Gegen solchen unterthänigen Widerstand war um so weniger aus- zurichten als die Hofämter selbst in bureaukratischer Schwerfälligkeit vor dem neuen Kalender zurückschreckten. Mit kaiserlicher Genehmi- gung nahm die Hofkammer die Umrechnung erst vom 6. zum 17. Januar 1584 vor^) und derselbe Zeitpunkt wurde mittelst Intimation vom 6. Januar 1584 auch den nö. Ständen kundgegeben mit der Verfügung, dass bei der Auszahlung der Provisionen, Besoldungen, Pensionen u. s.w.

1) Acta fac. theol. vol. II. (1569—1666) f. 48 Eintragung des Petrus Busaeus S. J. zum J. 1583: quarto octobris hinc discessit P. Petrus Busaeus Romam versus quo a sviperioribus suis vocabatur. Die sequenti numerabatur dies decimus quintus

octobris propter novi calendarii initium die sancti Colomanni . . . cuius

festum incidebat tunc in 24. octobris propter calendarii coiTCctionem. Diese Um- rechnung ist natürlich falsch, der Colomannitag wurde nach Fabricius gar nicht gezählt, wollte ihn aber Busaeus auf den neuen Kalender berechnen, so musste er ihn zum 23. ansetzen. Acta fac. med. 1583, II, f. 275: 25. octobris secundum novi calendei'ii mutationem ... *) Concept und Abschiüft im nö. Landesarchiv.

3) Originaldeki-et und Abschrift ebenda. *) Kürschner in Oesterr. Wochen-

schrift 1872 1, 849.

40"

(544 U h 1 i r z.

die ausgelassenen zeliu Tage „in acht genumen und den parteien die gebür für dieselben abgezogen" ^).

Während uns bei den bisher besprochenen Aemtem und Ver- tretungen hinreichende Aufkärung aus Akten und Verordnungen zu Theil wurde, ist uns für die Aemter der Stadt Wien weder ein Rats- beschluss noch eine aktenmässige Aufzeichnung überliefert und wir sind auf die Rechnungen als alleinige Quelle angelesen. Ohne Zweifel war dem Rate sowohl das kaiserliche Mandat als auch des Fabricius Anleitung zugegangen, letztere nicht allein auf amtlichem Wege, sondern auch durch den Drucker Michael Apffel, der dem Rate Kalender und Lasstafeln lieferte, wofür er nach altem Brauche jährlich 12 Thaler = 14 fi. erhielt 2). Trotzdem ist sicher der neue Kalender bei der Stadt ebensowenig als bei den Hof- und Landesstellen vom angesetzten Termin an verwendet werden. Ja es giengen die einzelnen Aemter nach Belieben vor. In den Rechnungen des städtischen Oberkammer- amtes vom Jahre 1583, welche auch den Januar des folgenden Jahres enthalten, finden wir bestimmte Hinweise darauf, dass der Uebergang zu Anfang des Jahres 1584 vorgenommen wurde. Einen Anhaltspunkt zur Bestimmung der weggelassenen Tage gewähren uns die Rubriken, in welchen Einnahmen oder Ausgaben nach Wochen eingetragen sind. Die Einnahme aus dem Trögleramt (f. 80') springt vom 28. Dezember 1583 auf den 14. Januar 1584, die aus dem Stangengeld (f. 200) vom 31. Dezember auf den 16. Januar über. Noch deutlicher wird das Verfahren bei jenen Rubriken, in denen die einzelneu Wochen numeriert sind. Die Einnahmen vom Zapfenmass (f. 196), die vom Ungelt (f. 189) und die entsprechende Ausgabenrubrik (f. 426) sind nach folgendem Schema eingestellt:

Die erste Woche schliesst mit dem 27. April.

7. 14. 21.

28.

33.

December die

35.

36.

Woche

Januarii ao. 84 nach dem neuen callender \ Januar, die ' \ Woche, 3)

') Abschrift mit beigeschlossener Copie des an die Hofkammer erlassenen kais. Dekretes vom 30. Dezember 1583 im nö. Landesarchiv. ^) Stadtrechnnng 1583 f. 442, 1584 f. 190. ^) Etwas anders stellt sich die Sache in einer zweiten Ausgabeumbrik auf das Ungelt (f. 420) ; da die erste Woche mit dem 20. April schliesst, begieng der Schreiber einen Fehler in der Zählung der Wochen, der

Die Einführung des gregorianischen Kalenders in Wien, 645

Wir sehen, dass allweg der Uebergang die Auslassung von zelin Tagen bewirken soll. Als Grenzen erhalten wir den 31. Dezember alten und den 14. Januar neuen Stils ; da man nun den Neujahrstag ungeändert gelassen haben wird, bleiben uns für den Uebergang nur der 2., 3. und 4. Januar übrig. Wahrscheinlich ist, dass man den 4. Januar als einen Samstag gleich dem 14. setzte , also vom 3. Januar Freitag, auf den 14. Januar Samstag, 15. Januar Sonntag übergieng.

lieber den Vorgang im Steueramt sind wir nicht unterrichtet, da die Steuerhandlerrechnung des Jahres 1583 fehlt und die des folgen- den uns keine Aufklärung bietet. Da am 4. Januar Kalender und Lasstafeln im Preise von 7 sh. 4 du. zum Gebrauch des Steueramts und der Buchhalterei erkauft wurden i), wird man sich von da an nach diesen neuen Kalendern gerichtet haben.

Dagegen können wir aus den Kechnungen des Bürgerspitals er- sehen, dass man hier nicht zu Anfang des J, 1584, sondern noch im Jahre 1583 sich der neuen Tageszählung bedient hat. Bereits vor dem 1. Dezember 1583 waren um 1 fl. 4 sh, 24 dn, Kalender und Lasstafeln gekauft worden, man war also in Kenntnis des neuen Ka- lenders ^), Von den einzelnen Kubriken ist nur die der Ausgaben auf die Küche geeignet, uns Aufschluss zu gewähren, da in ihr von Sonn- tag zu Sonntag das wöchentliche Erfordernis eingestellt ist. Die Ver- gleichung mit den beigesetzten Daten ergiebt nun mit voller Sicherheit, dass im Jahre 1583 noch nach dem alten Kalender gerechnet wurde. Obwohl nun die Rechnung in einzelnen Eubriken bis zum März des nächsten Jahres geführt ist, bricht die Küchenrechnung mit Sonntag dem 15. Dezember 1583 ab und die neue beginnt mit Sonntag dem 1. Januar 1584, also bereits nach neuem Stil. Es sind demnach die 17 Tage vom 15. Dezember bis zum 1, Januar einer Woche gleichgesetzt. In diesem Zeiträume eigneten sich die zehn Tage vor Weihnachten am besten zur Auslassung, man konnte vom 14. Dezember Samstag auf den Weihnachtstag 25. Dezember, der im neuen Kalender nicht wie im alten auf einen Mittwoch, sondern auf einen Sonntag fiel, übergehen.

Dass in der Bürgerspitalsrechnung ebenso wie in der des Ober- kammeramts an einzelnen Stellen auch nach den ausgelassenen Tagen datiert wird, darf uns nicht befremden. Fehler und Versehen waren nicht zu vermeiden, da mau von dem ämtlichen Ansätze abwich und

sich auch in die Rechnung des Jahres 1584 fortpflanzte, aber verbessert wurde, zudem hat man späterhin den 14. Januar für irrig gehalten, ihn durch Rasur in den 4. verw'andelt, darunter aber den 21. stehen gelassen.

1) Steuerhandlerrechnung 1584 f. 38. ^) Bürgerspitalsrechnung 1583 f. 206'.

646 U h 1 i r z.

eine Anleitung nicht zur Hand hatte. Der Gebrauch des der ämtlichen Anleitung beigegebenen Kalenderbruchstückes oder des bereits für 1584 richtig gestellten Kalenders musste, da die willkürlich weggelassenen Tage darin nach neuem Stil doch vorkamen, notwendiger Weise Ver- wirrung hervorrufen.

Abgesehen von diesen Zählungsfehlern war also der neue Kalender im Januar 1584 bei den Wiener Aemtem in allgemeinem Gebrauch. Die Bevölkerung aber konnte sich mit der Neuerung nicht be- freunden und noch am 20. Januar musste ein neues Patent erlassen werden, in dem mit dringenden Worten zur allgemeinen Befolgung des neuen Kalenders aufgefordert wurde ^). In bewusstem Gegensatz gegen die vom Kaiser gebilligte päpstliche Reform hielten die Prote- stanten an dem alten Kalender fest und zu Weihnachten 1584 kam es auch in Wien zu argen Ausschreitungen. Mehrere reiche Prote- stanten feierten am 4. Januar 1585 n. st. Weihnachten nach dem alten Kalender und feuerten in der heiligen Nacht ihres Festes nach altem Brauche Schüsse ab ^). Das Aergemis, das sie durch diese lär- mende Widersetzlichkeit errecften, mussten sie mit Kerkerstrale büssen.

') Kaltenbrunner a. a. 0. 512 ; auch Archiv des k. k. Ministeriums des Innern. ^) Bericht des Decans P. Maximus Brixiensis in Acta fac. theol.

vol. IL f. 51.

Kleine Mittlieilmigen.

Zur erl)königliclien Politik der ersten Hal)sl)urger. Zweck und Verlauf der Verhandlungen zwischen Kudolf von Habsburg und Papst Honorius IV. sind erst durch Busson unserem vollen Verständ- nisse nahe gebracht worden. Seine scharfsinnigen Untersuchungen i) haben es wahrscheinhch gemacht, dass nicht der Römerzug, sondern die Umgestaltung der deutschen Reichsverfassung zu einer Erbmonarcliie den Kernpunkt der von Papst und König vereinbarten, an ältere Ver- suche anknüpfenden Action bildeten. Es sind wohlbegründete und höchst fruchtbare Vermuthungen, aber immerhin nur Vermuthungen, denn die Actenstücke der kaiserlichen wie der päpstlichen Kanzlei übergehen den heiklen Gegenstand mit völligem Stillschweigen und selbst die Vollmachten für den Cardinallegaten Johann von Tusculum 2) verrathen nicht die ganze Tragweite des Planes. Nur die Wormser Annalen erklären rund heraus, es habe sich um Massregeln gegen das Kurrecht der Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier gehandelt 3), aber auch sie sagen nicht ausdrücklich, dass die Einführung der Erblichkeit im Werke gewesen sei. So wird man denn die im Nachfolgenden veröffentUchte Urkunde •*) willkommen heissen dürfen; denn sie be- stätigt Bussons Ansicht und erhebt sie zu einem hohen Grade von Wah rscheinlichkeit.

>) Kopp, Geschichte der eidgenöss. Bünde II, 3, 260 flf. und .Die Idee des deutschen Erbieichs und die Habsburger*, in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, pbilos.-hist. Klasse, 88. *) Vgl. Prou, Registres d'Honorius IV,

Bibliotheque des ecoles franvaises d'Athenes et de Rome, II serie ; Col. 550—559. 3) Annales brev. Wormatienses SS. 17, 77; vgl. Busson, Idee des Erbreichs 688. *) Ich verdanke die Kenntniss dieses Documentes HeiTu Dr. Steinherz, der mir mittheilte, dass er im Repertorium des Salzburger Domkapitels zum Jahr 1284 einen Protest der Kirche von Köln gegen die unerschwinglichen Geldforderungen des Legaten verzeichnet gefunden habe.

g48 Kleine Mittheilungen.

Zur Würdigung des Actenstückes genügen wenige Worte. Das Erscheinen des Legaten, der das päpstliche Recht der Besteuerung mit harter Eücksichtslosigkeit übte, beunruhigte die deutsche Geisthchkeit ; und als derselbe von Worms aus also nicht vor Ende 1286 ^) ein Nationalconcil auf Oculi 1287 nach Würzburg ausschrieb, flog das Gerücht durchs Reich, der Abgesandte des Papstes bedrohe die deutsche Kirche mit unerhörten Forderungen. Die Erregung wuchs zum Sturme; man erhob sich zur Abwehr, ehe der Hieb gefallen war. Eine Versammlung der Kölnischen Kirche beschloss, von den Befehlen des Legaten Berufung an den apostolischen Stuhl einzulegen; wohl auch, die übrigen Hochstifter zum Anschlüsse aufzufordern. Ein glücklicher Zufall hat uns nun eine für die Domherren von Salzburg bestimmte Abschrift der Appellationsurkunde erhalten ; die formelhafte Weglassung der Namen in den einleitenden Worten lässt deutlich erkennen, dass diese Ausfertigung als Vorlage für ein ähnliches Schriftstück dienen sollte.

Folgendes ist in kurzer Zusammenfassung der Inhalt des umfäng- lichen und schwerfälligen Documentes: Die kölnische und überhaupt die deutsche Kirche, so klagen die Versammelten, befinde sich schon seit langer Zeit in misslicher Lage und leide noch fortwährend durch Fehden, Plünderung und rechtswidrigen Steuerdruck; dazu sei der hohe Zehent gekommen, welchen Gregor X. zu Zwecken des heiligen Landes gefordert habe, der aber einer anderen Bestimmung zugeführt worden sei ; dann habe der Legat selbst Kirchen und Klöster mit un- gewohnten und masslosen Auflagen besehwert. Damit nicht zufrieden, entbiete er nun neuerdings die deutschen Kirchenfürsten und je zwei Vertreter einer jeden Kirche auf Oculi (9. März) nach Würzburg, ohne Rücksicht auf die Kürze der Frist und die mit der Beschickung des Concils verbundenen drückenden Ausgaben; überdies bringe die Wahl des Ortes den Erzbischof von Köln in Gefahr, da er, um Würz- burg zu erreichen, sich den Anschlägen seiner Todfeinde aussetzen müsse. Auch heisse es allgemein, der Legat sei gekommen, um das Königthum durch Einsetzung eines erblichen Königs vom Kaiserthum zu trennen und so nicht nur die Kaiserwürde, das zweite Licht der Welt, auszulöschen, sondern auch dem Wahlrecht der Kurfürsten Ab- bruch zu thun; ferner wolle er von der gesammten deutscheu Geist- lichkeit einen neuen Zehenten fordern, obgleich sie durch die früher erwähnten Auflagen völlig erschöpft sei. Deshalb appelliren die Ver-

') Ellenhard (SS. 17, 129) sagt: Et cum aliquo tempore ibidem (Wormatiae) permansisset, indixit et convocavit concilium. Vorher war der Legat in Speier; da der König hier bis zum 9. Dec. weilte, wird auch der Legat nicht früher nach Worms gekommen sein.

Zur erbköniglichen Politik der ersten Habsburger. 649

sammelten gegen die Befehle und Drohungen des Legaten, zumal da derselbe trotz vielfacher Bitten seine Vollmacht nicht vorgewiesen habe, an den apostolischen Stuhl und erklären, dass sie die Berufung bei der nächsten Gelegenheit dem Legaten selbst zur Kenntuiss bringen würden, indem sie dem kölnischen Cleriker Got(frid) Auftrag und Vollmacht geben, alle hiezu nöthigen Massregeln zu treffen.

Diese Urkunde bietet manches Neue: Sie stellt fest, dass das Concil, welches erst am 16. März zusammentrat, schon für den 9. März einberufen worden war ; sie zeigt, dass die Appellation nicht erst durch die Ereignisse während der Versammlung veranlasst wurde, sondern be- schlossen war, ehe die Kirchenfürsten nach Würzburg gingen ; sie lehrt uns auch die Worte der Wormser Annalen verstehen, die Berufung sei per interpositas personas angebracht worden : ohne Zweifel ist jenei Gottfried gemeint, der mit der Vertretung der Berufungswerber betraut wurde. Jedoch der weitaus wichtigste Abschnitt des Actenstückes sind jene Sätze über die geplante Einführung des Erbkönigthums, welche, wie die Worte: „honorem culminis imperialis extinguere et excecare" andeuten, die Aufhebung der Kaiserwürde im Gefolge haben sollte. Dass die Absicht wirklich bestand, ist freilich auch durch unsere Ur- kunde nicht strenge erwiesen, aber so viel steht nun fest, dass man in den höchsten Kreisen des geistlichen Fürsteuthums an die Wahrheit der im Keich verbreiteten Gerüchte glaubte.

Wir lassen nun das Apellations-Instrument selbst folgen.

Die Versammlung der Kölnischen Kirche beschliesst nach Anhö- rung eines Schreibens des päpstlichen Legaten Johann Bischofs von Tusculum, gegen desselben Befehle und Forderungen an den apostolischen Stuhl zu appelliren. Ohne Ort, 1287, vor März 9.

Gleichzeitige Copie auf Pertjameiit im k. u. l\ Haus-, Hof- und Staatsarchive in Wien.

Anno domini M^ CC« LXXXVIIo etc. Lectis et recitatis per sol- lempnes nnncios de mandato reverendi patris domini nostri N. archi- episcopi, in capitulo tali coram nobis prelatis, collegiis ecclesiarum . . ad hoc convocatis litteris venerabilis patris domini Jo(hannis) miseracione divina Tusculani episcopi, apostolice sedis legati, quarum tenor talis fuit: Johannes miseracione divina etc.

nos prelibati, capitula et collegia ecclesiarum, abbates, priores et conventus monasteriorura civitatis et dyocosis, quos huiusmodi negocium seu vocacio contingit, super hiis litteris et contentis in eisdem provida deliberacione prehabita attendentes diligenter manifestum esse et noto- rium per rei evidentiam et facti experientiam, quod ecclesie, raonasteria, clerici et religiosi civitatis et dyocesis Coloniensis predicte nee non

650 Kleine Mittheilungen.

universalis ^) ecclesia totius regni Alamanie multis temporibus retroactis in gravi txibulacione et miseria tempora deduxei-unt, nee cessat adhue inimicorum continuata sevicies ipsos et ipsas incendiis, depredacionibus, exactionibus illicitis et rapinis intollerabiliter opprimentium incessanter, ita quod nulla hora, nullum tempus impunitatem repromittit ; hiis itaque dantibus angustiis supervenit inopinate a sanctissimo patre et domino nostro quondam domino Gregorio papa decimo in subsidium terre sancte, (ut prima facie credebatur, licet forte alius eventus sit secutus) dura decime imposicio, pro cuius exsolucione ecclesie et monasteria civitatis et dyocesis Coloniensis predicte, que in suis ex causis predictis fuerant attenuate substantiis, in tantum quod si fas est dicere et quod eciam miserabile est auditu, ad extreme paupertatis inopiam sunt deducte,

et licet reverendus dominus pater legatus nos et alias ecclesias et monasteria regni Alemanie in hiis angustiis invenerit miserabiliter desti- tutos, ad quorundam tamen suggestionem ut creditur circumventus, gravamen gravamini accumulans, inconsueta et inmoderata^) procuracione nos et alias ecclesias et monasteria multipliciter aggravavit et de die in diem per suos nuncios transeuntes et pecunias a nobis pro sue voluntatis libitu nomine procuracionis exigentes aggravamur;

et biis non contentus idem dominus legatus nunc de novo dominum nostrum Coloniensem archiepiscopum nee non alios reverendos patres, archiepiscopos, episcopos ac ceteros prelatos totius regni Alemanie, quibus derelinquere et deserere ecclesias suas est gravissimum, hiis diebus nee non singulas ecclesias et coUegia ac conventus secularium ac religiosorum prefati regni Alemanie ut eorum quelibet per duos de gremio ipsorum habentes super hoc plenum mandatum convocari fecit, et mandavit ut apud civitatem Herbipolim ad dominicam Oculi proxime venturam<^) audientes monita et mandata ipsius domini legati, que duxerit in concilio ibidem indicto publice promulganda, non sine magno dispendio nostro monasterio- rum et ecclesiaram predictarum, cum tenninus"^) ad hoc prefinitus'') nimium sit artatus et ad expensas et sumptus, que et qui ad hoc veniendo, stando et redeundo et alia que incumberent et requirerentur occasione concilii expedienda, ecclesiarum et monasterioinim proprie non suppetant facultates, locus eciam vocacionis predicte propter multa pericula inter media utpote inimicorum capitalium domini nostri archiepiscopi et ecclesie Coloniensis in medio circumquaque circumsistencium, timorem manifestum qui merito cadit in constantes depredaciones, insidias et mala, que cottidie transe- untibus inferuntur, quos et que est inevitabile posse aliquatenus declinari, non sit conveniens neque tutus;

insuper attendentes quod licet dominus predictus le- gatus asserat^) ad hoc ad partes Alemanie a sede apostolica destinatum ut alter am mundi lucemvidelicet sacriKomani virtutem imperii, que iamdudum consopita extitit, excitaret, tamen vox est, verbum et famapublicaperregnum Alemanie multipliciter divulgata, quod idem dominus legatus regnura ipsum semperimperio inseparabiliterunitum, intenditcon-

*) universis Cojne. ^) Corr. ans inmoderacione. "=) Es fehlt ein Wort

wie convenirent. <*) terminis preßnitis Cup. «j £5 fehlt se.

Zur erbkönigliclien Politik der ersten Habsburger. 651

stituendo regem hei-editarium, quantum in eo est, ab imperio separare et sie alteram mundi lucem, videlicet honorem culminisimperialis, sifasestdicere, extinguereetexcecare ac iuri principum regni Alemanie ecclesiasticorum et secu- larium, ad quos spectat eleccio regis eiusdem promovendi postmodum in imperatorem, enormiter derogare, et quod de hoc est eciam publica fama et vox ibidem, quod prefatus dominus legatus non considerans nos et universalem ecclesiam et clerum regni Alemanie per imposicionem decime in concilio Lugdunensi ad terram sanctam depu- tate et per immoderatam ipsius domini legati procuracionem, nee non suorum munciorum continuam infestacionem fore, ut dictum est multi- pliciter aggravatos, novam decimam ad plures annos nobis et universal! clero regni predicti nobis imponere intendit, accumulando gravamina ut prius gravaminibus antedictis:

Igitur, ne compellamur nos et nostra exponere inimicis et maxime capitalibus domini nostri archiepiscopi et ecclesie Coloniensis et subire pericula gravissima rebus nostris et personis inevitabiliter imminentia et ne prefatus dominus noster archiepiscopus, preter quem alium defensorem non habemus in statu in quo sumus, cum dispendio toeius ecclesie Colo- niensis tanquam oves aberrantes nos relinquat ad dictum concilium personaliter veniendo,

a processu dicti domini legati et a mandato suo predicto ac a voca- cionibus huiusmodi et a cominacionibus que in litteris antedictis videntur contineri, ex premissis causis gravaminum iam illatarum ^) et qualibet earum superius expressanim 'i), et que verisimiliter ex causis et coniecturis proba- bilibus per eundem dominum legatum nobis ecclesiis et monasteriis nostris inferri timemus,

ac a cominacionibus in dictis litteris contentis, et quia iam dictus dominus legatus copiam auctoritatis sue si quam habet, nobis non fecit nee exhibere curavit ipse vel nuncii eiusdem super hoc humiliter in- stantissime et sepius requisiti, scientes nos ecelesias et monasteria nostra pregravatos et pregravantes, et ne idem dominus legatus^) suspensionis, exeommunicacionis in personas nostras et interdicti in ecelesias et mona- steria nostra sentencias vel ad alias penas contra nos, ecelesias vel mona- steria terram^) domini nostri et nostram procedat,

contra ipsum dominum legatum ad sedem apostolicam provocamur, etiam appellamus in hiis scriptis nos et ecelesias nostras cum rebus, personis proteccioni sedis apostolice supponendo, et protestamur quod huiusmodi provocacionem et appellacionem in presentia domini legati pre- dicti parati essemus interponere, si eius copiam haberemus et quam cito eins copiam habere poterimus, ipsam coram eo intei*ponemus et faciemus et eandem innovabimus per nos seu procuratores nostros in omni sui forma, prout superius est expressum, dantes Got(fridü) hoc nomine clerico Coloniensi exhibitori presencium, quem quo ad hoc omnium nostrum et singulorum procuratorem nostrum constituimus , facimus et ordinamus.

a) Coj). *>) Nach legatus Lücke, Raum für etwa 6 Buchstaben. «) Die

Worte terram bis provocamur hatte der Schreiber schon auf monasteria nostra fol(jen lassen, aber dort sofort getilgt.

ß52 Kleine Mittheilungen.

potestatem et plenum mandatum, ut huiusmodi provocacionem et appella- cionem coram predicto domino legato, si et cum eius copiam habere potuerit, et coram prelatis et collegiis quibuscunque in omnibus locis ubi expedire viderit innovet, et pro nobis omnibus et singulis a vocacione seu citacione, processu et mandato et cominacione predictis sedem apostolicam in scriptis provocet et appellet, ratum et gratum babituri quidquid idem procurator pro nobis et nomine nostro fecerit in premissis.

In cuius rei testimonium presens scriptum sigillo ecclesie Coloniensis ad causas fecimus communiri.

Et nos N. dei gracia Coloniensis archiepiscopus protestantes, quod dicti prelati et ecclesie huiusmodi appellacionem et provocacionem coram nobis et in presencia nostra in omni sui forma prout superius est ex- pressum per se et procuratorem suum predictum interposuerint et inno- vaverint protestando ut est premissum et alia faciendo que superius continentur, sigillum nostrum et secundum apponi facimus huic scripto.

Nos etiam prelati, capitula seu collegia ecclesiarum, abbates priores et conventus monasteriorum predicti sigilla nostra, ecclesiarum et mona- steriorum nostrorum quorum sigilla comode haberi poteraut, quibus nos alii, quorum sigilla presentibus non sunt appensa, contenti sumus in hac parte, in testimonium omnium premissorum duximus presentibus apponenda.

Actum et appellatum etc. S, H e r z b e r g - F r ä n k e 1.

Aus dem Wiener StadtarehiT. 3. Die Besiegeln ng der Urkunde des Grafen Albrecht von Habsburg vom J. 1281 für Wien. Die Angaben über die Siegel des bekannten Nieder- lagsprivilegiums Albreclits I. für Wien entbehren der erforderlichen Deutlichkeit und Zuverlässigkeit. Hormayr in der Geschichte Wiens 5, ÜB. 17 no. 183 gibt zwei Siegel an, die Geschichtsquellen 1, 64 n''. 19 sprechen von neun Siegeln. Diese falschen Zahlen können allerdings auf Grund des bei Weiss Gesch. Wiens ^ 1, 416 Taf. 17 gebotenen Facsimiles verbessert werden, aber die Entzifferung der Umschriften ist auch mit Hilfe dieser Abbildung nicht in allen Fällen möglich. Da nicht alle Siegler im Texte angeführt sind, ist es bei der verfassungsgeschichtlichen Bedeutung der Urkunde von Belang, auch die Namen dieser Siegelzeugen kennen zu lernen.

Der Bekräftigungsformel zu Folge ist die Urkunde besiegelt worden von dem Aussteller, mit unsers rates der landherru (vorher sind in dieser Eigenschaft folgende 16 Landherrn genannt: Wernhart von Schaumberg, Graf Perichtolt von Hardegg, der Landrichter in NÖ. Ott von Haslau, der Kämmerer Ott von Perchtoldsdorf, der Marschall Stephan von ]\Ieissau, der Schenk Leutold von Chunring und sein Bruder Heinrich, Erchenger von Landeser, Friedrich der Trüchsess von Lengbach, Konrad von Pillichsdorf, der Landrichter in OÖ. Ulrich V. Kapellen, Konrad von Soramerau, Hadmar von Sonnberg, Konrad V. Pottendorf, Reimprecht und Chalhoch die Brüder v. Ebersdorf), der

Aus dem Wiener Stadtarchiv. 653

besten von Osterrich und mit der stat insigel. Dem entsprechen aehtzelin Siegel, von denen jedocli eines heute fehlt. Sie sind an zehn Schnüren aus verschiedenfarbigen gedrehten Seidenfiiden in der Weise befestigt, dass für das Siegel Albrechts und das der Stadt Wien je eine Schnur vorbehalten ist, während von den andern Siegeln je zwei an einer Schnur befestigt sind und zwar so, dass immer das grössere Siegel den obern Platz einnimmt. Aus der folgenden Aufzählung geht hervor, dass nicht alle Landherrn die Urkunde besiegelt haben, es fehlen die Siegel der von Sommerau und Pottendorf, dass aber für diese zwei andere Adlige eingetreten sind, die Herren von Taufers und Ulrichskirchen. Ich führe nunmehr die Siegel nach ihrer Folge von links nach rechts an:

(Schnur) 1. a) Wemhart von Schaumberg.

b) Friedrich der Truchsess von Lengbach. 2. a) Ulrich v. Taufers.

b) Otto V. Perchtoldsdorf. 3. a) Leutold von Kuhnring, b) Heinrich v. Kuhnring. , 4, a) Graf Berthold v. Eabenswalde(-Hardegg).

b) Hermann v. Ulrichskirchen. , 5. Graf Albrecht von Habsburg (rothes Wachs). , 6. a) fehlt, wahrscheinlich das Reimprechts von Ebersdorf.

b) Chalhoch von Himberg {= Ebersdorf). 7. a) Stephan von Meissau. b) Hadmar v. Sonnberg. , 8. a) Erkenger Landser, b) Ulrich v. Kapellen. , 9. a) Konrad v. Pillichsdorf.

b) Otto V. Haslau. , 10. Stadt Wien (rothes Wachs). 4. Die älteste Urkunde für die S. Salvatorkapelle im alten Rathause zu Wien. 1298. Februar 20. Rom. Universis Christi fidelibus presentes htteras inspecturis. Nos miseratione divina Philippus Salernitanus, frater Johannes Turritanus, frater Basilius Jerosolimitanus Armenorum, archiepiscopi, frater Mathäus Vegliensis, Andreas Vena- franus, Adam Marturanensis, Stephanus Oppidensis, Hdebrandinus Are- tinus, frater Lambertus Aquin(as), frater Stephanus Balneoregensis, Leonardus Aversanus, frater Ciprianus Bouensis, frater Romanus Croensis, et Lando Suanensis, episcopi salutem in domino sempiternam. Excelsa super sydera virgo virginum quem genuit, adoravit, imarcessibilem florem et fructum videlicet primogenitum mortuorum qui sicut pluvia

g54 Kleine Mittheilungen.

in vellus descendit in ea, ut salvum faceret genus humanum. Hec enim regina celi omnium carismatum prefulva fulgoribus miserie humane compatiens in conspectu filii sui regis eterni pro nostre reconciliationis federe non desinit advoeare, ut eins, ne pereamus, nobis propitiam efficiat gratlam, cuius cuius (!) livore sanati sumus. Ut igitur omnis lingua consurgat in iubilum ante cborum huius virginis in templo eius maxime nomine insignito freqeutare dulcia cantica dragmatis gemmas spiritualis ecclesie impertiri largiflue, renati fönte sacri baptis- matis delectemur. Quapropter cupientes ut eapella beate Marie -virginis de Wienna Pataviensis diocesis, que in eiusdem virginis est insignita vocabulo, frequentia bonoretur et circa eam querentium dominum tanto ferventius devotio ferveat, quanto habuudantius spirituales thesauros ibidem reppererit in celesti Jerusalem perheniter profuturos, omnibus vere penitentibus et confessis qui ad dictam capellam in omnibus et singulis festivitatibus beate Marie virginis gloriose, in nativitate, re- surrectione, ascensione domini et pentecosten, in commemoratione omnium sanctorum, in festivitatibus apostolorum Petri et Pauli et omnium aliorum apostolorum nee non in beatorum Stepbani, Laurentii, Nicolai, Martini et patroni ipsius atque beatarum Marie Magdalene, Margarete, Caterine festivitatibus causa devotionis et orationis accesse- rint et ibidem missam audierint vel pro pace universalis ecclesie ora- verint mente pia aut qui ad fabricam eiusdem, capelle ornamenta, luminaria, vestimenta, libros, campanas vel aliis quibuscumque dicte capelle necessariis manus porrexerint adiutrices aut qui in bona sui corporis sanitate seu etiam in extremis laborantibus quicquam facul- tatum suarum legaverint modo licito capelle ^) supradicte, de omnipotentis dei misericordia et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius auctoritate confisi siuguli nostrum singulis de iniunta (!) eis sententia quadraginta dierum indulgentias misericorditer in domino relaxamus, dummodo diocesani voluntas ad id accesserit et cousensus. In cuius rei testi- monium presentibus nostra sigilla iussimus apponi. Dat. Roms die XX. mensis februarii, pontificatus domni Bonifatii papae VIII. anno quarto. Darunter (selbstverständlich von anderer Hand): Et nos Albertus dei et apostolice sedis gratia episcopus Pataviensis supradictas indulgentias a dictis reverendis in Cluisto patribus proinde concessas ratas et gratas habentes et quadraginta dies indulgentiarum adicientes ipsas, quantum iure efficacius possimus, auctoritate ordinaria coufirmamus sub anno domini millesimo trecentesimo septuagesimo tertio, die IX. mensis novembris.

') vorher ecc ausgewischt.

Aus dem Wiener Stadtarchiv. 655

Pergament, 67 cm. breit, 39 cm. hoch. Die Siegel aus rothem Wachs, der 14 italienischen Bischöfe hängen an gelbrothen oder un- gefärbten gedrehten Seidenfäden, über jedem steht auf der Plica der Name des betreffenden Bischofs. Das Siegel Alberts von Passau (braunes Wachs) ist an der Pressel eingehängt.

Vgl. Lind Die S. Salvatorcapelle im Kathause zu Wien. Wien 1860 (Sonderabdruck aus Mittheil, des Wiener Alterthums -Vereins Bd. 2). Weiss Geschichte der Kathauscapelle. Wien 1861. Derselbe, Topographie der Stadt Wien. Wien 1876 (S. 61, 108). Derselbe, Geschichte der Stadt Wien, 2. Aufl. 1, 392. Die Bestätigungs- klausel Bischof Alberts von Passau hat es verschuldet, dass Lind die Urkunde in den seiner Abhandlung beigegebenen Kegesten zum 20. Februar 1373 einreihte (n^ 154) und so weder er noch Weiss sie am rechten Orte verwendeten, vielmehr beide die Urkunde des Bischofs Peter von Basel vom 2. Juni 1301 als den ersten „urkundlich sicher gestellten Nachweis" über die Salvatorkapelle anführten. Diesen Ehrenplatz in Geschichte Wiens darf nunmehr unsere Urkunde einnehmen, sie ist nicht nur als erstes geschichtliches Zeugnis über Bestand und Einrichtung der Salvatorkapelle von Werth, sie belehrt uns auch über die weit- reichenden Beziehungen der einflussreichen und mächtigen Stifter und erweist mit Bestimmtheit, dass die Kapelle von Anfang an als eine öffentliche beabsichtigt war, man sie daher nur in sehr beschränkten Sinne als eine Haus- oder Privatkapelle der Haimonen bezeichnen darf. Die geforderte Zustimmung des Sprengelbischofs erfolgte am 18. De- zember 1301 in einer Urkunde des Bischofs Wernhard von Passau, in welcher er den Besuchern und Gönnern der capella beata Virginis Mariae nove structure in civitate Wiennensi einen vierzigtägigen Ablass ertheilt und erklärt: Katas et gratas habemus oranes indulgentias et gratias qua reverendi patres archiepiscopi episcopi pro dicte capelle reverentia et honore concesserunt. Karl Uhlirz.

Zwei Initialen eines Wiener (xrundbuchs aus dem Jahre 1389. Die heutigen zum dritten Wiener Gemeindebezirk gehörenden ehemaligen Vorstädte Weissgärber und Erdberg befinden sich an Stelle der mittelalterlichen „Schefstrass und Erdpurkh", einer Ansiedlung, deren purger und leut . . und was durzu gehört . . mit gerichten und dinsten . . . jener herzogin von Österreich, die je des eltisten herzogen von Österreich . . herzogin und gemahel war, gehörten (Tomaschek, Rechte und Freiheiten von Wien 1, 193). Das landesfürstliche Urbar aus den Jahren 1437 und 1438 weist die Einkünfte des Amtes der Schefstrass mit je 24 und 32 Pfund Pfenningen aus (Climel, Beyträge

656

Kleine Mittheilungen.

z. Gesch. Friedr. IV, 86 u. 92 j. Die Bürger und Leute der Schitf- strasse befanden sich gleich den meisten österreichischen Dörfern im Besitz alter Verwaltung und Kechtspflege ordnender Kechte, die Herzog Albrecht am 21. März 1379 bestätigte (Tomaschek. 1. c. 193). Diesen zufolge sollten die burger und leut ainen ambtman halten, der stetes gesessen und wonhaft sei in der Schefstrass, der zu richten hab von der herzogin von Österreich wegen . . . umb all sach, ausgenomen alain umb den tode. Der Amtmann führte auch das herzogliche Grundbuch. Ein im Jahre 1389 begonnenes Grundbuch ist uns er- halten im k. k. Hof kammer- Archiv in Wien, signirt: Satzpuech über des ambts in der Schefstrass grundpuech No. 4. Auf Folio 2 lesen wir: „Hie hebt sich an das gruntpuech meiner genädigen frawn der herzogin, darinne geschriben sind ir gruntdienst und auch das juden- puech". In der That zerfällt das Grundbuch in zwei Haupttheile. Der erste ist überschrieben mit : „Hie hebt sich an der Christen puch also : ob ein Christen einem andern Christen icht pfant setzet für geltschuld, das vindet man, als es hernach ordenlich geschriben stet . ." Diese Aufschrift wird eingeleitet durch die sub a abgebildete Initiale, wäh- rend die sub b beigegebene Initiale an der Spitze der Überschrift des 2. Haupttheils ist : „Hye hebt sich an das judenpuech". Die zuerst ein- getragenen Schuldposten bei den Kubriken datiren aus dem Jahre 1389.

Was nun die Bedeutung der beiden Figuren anbe- langt, halte ich sie für sym- bolische Warnungen gegen Eidbruch und Meineid. Der

Fig. a.

Fig. b.

Zwei Initialen eines Wiener Grundbuclis aus dem Jahre 1389. 657

Eid ist im 14. Jahrh. ein Hauptbeweismittel im Civilprocess, also auch in allen aus grundbücherliclien Transactionen hervorgehenden Klagen. Die Figur sub a schwört mit „aufgereckten Fingern" (vgl. Grimm Deutsche Rechtsalterthümer 2, 903 und Suttinger Observationes practicae 223). Zugleich reckt sie die Zunge heraus zur Warnung, da nach Artikel 59 des Wiener Stadtrechts von Albrecht II. vom 24. Juli 1340 dem die Zunge ausgezogen wird, der seiner beraitschaft hat ver- lougent oder der, dem er gelten sol, den dritten phening nicht engeit, als er gesworn hat (Tomaschek 1. c. 1, 112).

Der sub b abgebildete Maister Lesyer ist durch den Judenhut charakterisirt. An der Spitze der autonomen Judengerichte standen die sogenannten Judenbischöfe oder Meister (Luschin Gerichtswesen 240). Das Beil in Lesyers Hand charakterisirt die gebräuchlichste Strafe des Eidbruchs und falschen Zeugnisses, das Abhauen der meineidigen Hand (Grimm 1. c. 2, 905).

Karl Schalk.

Mittbeilungen XII. 41

Literatur.

F. V. Piclil, Kritische Abhandlungen über die älteste Geschichte Salzburgs. Innsbruck bei Wagner 1889 VIII und 252 S.

Kein erquickliches Buch. Dem Verf. stehen von vornherein folgende Thesen fest: 1. Juvavum, jetzt Salzburg, ist eine Colonie des Kaisers Hadrian gewesen. 2. Der h. Maximus bat hier in Salzburg zur Zeit des h. Severin den Martyrertod erlitten. 3. Der h. Rupert hat um die Mitte des sechsten Jahrhunderts als Glaubensprediger der Baiern seine? Amtes gewaltet. Zur Aufrechthaltung dieser »alten salzburgischen Traditionen« wird allen Autoritäten entgegengetreten: Wattenbach, Eettberg nnd den sonst in der Eupertusfrage abweichenden Gelehrten ; den neuen Ausgaben der Vita Severini ebenso wie dieser selbst, weil sie allerdings der zweiten These widerspricht. In der ersten Abhandlung wird ohne Kenntnis von dem Heer- und Municipalwesen der römischen Kaiserzeit gegen Mommsen auf- getreten, werden Inschriften anders intevpretirt, die Benennung Claudium Juvavum als »unbegründet und unstatthaft erwiesen«, dafür die nach Mommsen von Pighius interpolii'te Inschrift Corp. Insc. Lat. III 5536, dann Pighius selbst gegen seine Widersacher vertheidigt, bis das gewünschte Resultat erzielt ist.

Brauchbar sind die Notizen über einen Besuch in Schlögen bei Hai- bach, wo seit Gaisberger die römische Station Joviacum angesetzt wird (S. 69 f.), indem die Schwächen dieser Position eine kritische Beleuchtung erfahren, allerdings ohne Verständnis für die Bedeutung der daselbst zu Tage gekommenen Legionsziegel. S. 61 f. ist eine Auseinandersetzung über die Zusammenarbeitung der vita Severini gegeben, wobei die in Be- tracht kommenden biblischen Analogien des Näheren dargelegt sind.

Prag. J. Jung.

Cesare Paoli, II libro di Montaperti (An. MCCLX). Doeu- menti di Storia Italiana pubblicati a cura della r. Deputazione sugli Studi di Storia Patria per le provincie di Toscana, deirUmbria e delle Marclie. Torao IX. In Firenze presso G. P. Vieusseux 1889. LXVI und 488 S. 4«.

Nicht nur Bücher haben ihr Schicksal, auch Archivalien, selbst die wichtigsten und interessantesten verdanken ihre Erhaltung vielfach dem blinden Zufalle. Als die Sienesen am 4. September 1260 das stolze Heer

Literatur. (359

der guelfischen Florentiner bei Montaperti vernichtet hatten, fiel ihnen ausser dem Cai'occio mit der Kriegsglocke, der berühmten Martinella, auch ein Theil der Registratur des besiegten Heeres in die Hände. Ueber das Schicksal des Kriegswagens ist keine Kunde erhalten, die Martinella wan- derte zu anderem alten Eisen in die Camera der Comune von Siena, wo sie noch im 15. Jahrh. lag; was von Aktenstücken erbeutet und erhalten wurde, verwahrten die Sieger als kostbarste Trophäe in einem eisernen Schranke ihres Archives, bis Florenz, als es nach mehr als dreihundert- jährigem Zwiste der alten Gegnerin obsiegte, das Zeugnis seiner Nieder- lage den nunmehr Gedemüthigten entriss, um dasselbe in seinem Archive zu bergen, wo es noch jetzt als eines der kostbarsten Stücke des so reichen Florentiner Staatsarchives den Forschern und Fremden vorgewiesen wird. In Siena waren diese Archivalien, die mit einander in keinem andern Zusammenhange stehen, als dass sie sich auf denselben Kriegszug beziehen, zu einem Samraelcodex vereinigt worden und kamen als solcher auch nach Florenz. Die wichtigeren Partien des Codex waren theils im wörtlichen Abdrucke, theils auszugsweise durch frühere Arbeiten des Herausgebers i), theils namentlich durch den trefflichen Aufsatz von Otto Hartwig »Eine Mobilmachung in Florenz und die Schlacht von Montaperti am 4. September 1260«, in dessen Quellen und Forschungen «ur ältesten Geschichte der Stadt Florenz 2, 297 f. bekannt gemacht worden. Nun liegt der ganze Codex in sorgfältiger Ausgabe, welche aus Anlass des 4. Congresses der Deputazioni e societä storiche Italiane zu Florenz er- schienen ist, vor. Der Herausgeber, der schon früher den Codex, dessen einzelne Bestandtheile durch einander verbunden waren, neu geordnet hatte, unterscheidet neun verschiedene Bestandtheile desselben.

Der erste und wichtigste enthält das Feldzugsjournal der Florentiner und scheidet sich wieder in zwei Theile, deren bei weitem grösserer erster den im Frühjahr 126.0 unternommenen Zug gegen Siena umfasst, welcher nach einigen weniger bedeutenden Gefechten bei Siena sein Ende fand, während der zweite viel düritigere den unglücklichen Herbstzug betrifft und bis Ende August reicht. Hier sind die Ernennungen der Offiziere, die Beschlüsse des kommandirenden Podestas, seiner Capitani und des ihn begleitenden Ausschusses der Anziani verzeichnet, freilich* nur in so weit sie ein rechtliches Interesse besassen. Es sind daher die Mandate des Podestas an die Gemeinden des Contados, es sind Soldverträge und zahl- reiche Zahlungsanweisungen eingetragen, es ist jedesmal mit Gewissen- haftigkeit bemerkt, so oft Offiziere und Beamte ernannt werden, so oft ein Abwesender sich stellt oder einem Soldaten die Heimkehr 'gestattet wird, so oft eine feindliche Gemeinde den Florentinern sich unterwirft. Beschlüsse rein militärischer Art über die Kriegsoperation, Feldzugspläne aber würde man im Liber di Montaperti vergebens suchen. Ob auch solche gebucht wurden, darüber fehlt jeder Anhaltspunkt. Nur über die Ordnung des Heeres findet sich eine interessante Bestimmung. An diesen ersten Theil reiht sich ein Verzeichnis der Gemeinden des Contado und der ihnen auferlegten Getreidelieferungen nebst den Bürgen, welche von

») Cesare Paoli. Le Cavallate fiorentine nel secoli XllI e XIV im Archivio btorico italiano 18ü5 und La battaglia di Montaperti, Siena 1869.

41'

660

Literatur.

den Gemeinden gestellt werden mussten. Es folgt eine Liste der Kauf- leute, die Proviant ins Lager führen mussten, weiter eine Stellungsliste von Pferden, dann ein Kegister der Entschuldigungsgrüude, mit denen Pferdestellungspflichtige das Ausbleiben ihrer Pferde rechtfertigten, darauf drei Stellungslisten der "Wehrpflichtigen. Den Schluss bilden die Statuten und Ordnungen des Heeres. Für die Localgeschichte von Florenz ist der Codex in jeder Beziehung von grosser Wichtigkeit; für Genealogie, Topo- graphie, Verfassungsgeschichte der Stadt findet sich im Liber di Monta- perti ergiebige Ausbeute, noch wichtiger ist er als die umfassendste Quelle über die Zusammensetzung und Organisation der italienischen Stadtmilizen. Dadurch ist er namentlich für die Kriegsgeschichte von hohem Interesse. Waren die Heere des Mittelalters zu Reiter- und Vasallenheeren geworden, so galt in den italienischen Städten die allgemeine Wehrpflicht in um- fassendster Weise. In Florenz war jeder Waff"enfähige vom 15. bis 70. Jahre kriegspflichtig. Nicht immer freilich wird das allgemeine Aufgebot erlassen, nur dann, wenn ein schwerer Krieg zu führen war, wenn man sich zur Entscheidung rüstete. So war es in Florenz im Jahre 1260; Befreiung wurde nur jenen gewährt, die wegen eines körperlichen Ge- brechens oder Betreibung nothwendiger Gewerbe zu Hause bleiben mussten. Eine kleine Anzahl Krieger blieb als Besatzung in der Stadt zurück. Auch die Bewohner des Contado wurden aufgeboten und mussten, sofern sie nicht zur Vertheidigung der Grenzorte verwendet wurden, ins Feld rücken. Der Deserteur wird höchst bezeichnend für die Handelsstadt und zu- gleich wieder völlig dem modernen Charakter dieses Kriegsrechtes ent- sprechend — nicht mit dem Leben bestraft, sondern nebst Verlust aller politischen Rechte privatrechtlich getrofi'en. Alle seine Forderungen sind zur Hälfte erloschen, zur Hälfte gehen sie auf die Gemeinde über. Zudem hat er eine nach Rang und Truppengattung abgemessene Busse zu ent- richten. In den städtischen Heeren war von jeher^ das Fussvolk neben der Reiterei in bedeutender Anzahl vertreten, hier gewann es seine natür- liche Bedeutung gegen das Ritterheer des Mittelalters zurück; die um ihren Caroccio geschaarten Mailänder Fusstruppen hatten bereits bei Legnano die Ritter Friedrichs I. überwältigt. Noch mehr musste die Reiterei in dem bergigen Toscana zurücktreten. Zwar waren auch die Florentiner nicht ohne Reiter, die von den vermögendsten Bürgern gestellt wurden, aber sie bildeten nicht den Kern des Heeres. Dieser schaarte sich um den Caroccio und bestand ausser einer Reitertruppe aus einer grössern Anzahl erlesener Fussgänger. Neben ihnen standen die Pavesai, gewiss eine Erinnerung der antiken Phalanx, Schildträger, deren Schilde zusammen- gebunden waren und dem Feinde eine undurchdringliche Mauer entgegen- stellen sollten. Daneben gab es Schützen aller Art, Lanzenträger, Fussgänger schlechtweg. Die Organisation dieser Miliz, ihr Oftiziercorps, ihre Bewaff- nung, die Verpflegung, der Train, das alles kann aufs genaueste aus dem Liber di Montaperti ersehen werden. Interessant sind endlich auch die Lagerordnungen und Statuten des Heeres, gewissermassen ein Gegenstück zu den Anordnungen Fi'iedrichs I. von 115S. Dass die Ausgabe selber mit aller Sorgfalt gemacht wurde, braucht bei einer Arbeit Cesare Paolis nicht eben ausdrücklich erwähnt zu werden. Vier Indices vervollständigen die Brauchbarkeit der Ausgabe. H. v. Voltelini.

Literatur. 66 1

Dr. Camillo Henuer, Beiträge zur Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzergerichte. Leipzig 1890. Verl. V. Duncker & Humblot. XII u. 383 S. 8».

Das vorliegende Buch beabsichtigt »einige Beiträge zu der bisher vom juristischen Standpunkte wenig beachteten Lehre von der Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzer- oder Inquisitionsgerichte« inner- halb der Zeiten von Gregor IX. bis Sixtus V., d. h. von dem Zeitpunkte an, in welchem die ersten Schritte zur Errichtung ständiger Inquisitions- gerichte unternommen vmrden, bis zu jenem, in welchem die EiTichtung eines besonderen Cardinalcollegiums für die Inquisitionsangelegenheiten in Rom erfolgte, zu liefern. Man wird es bedauern, dass der Verf. auf die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Inquisition von vornherein verzichtet hat. Denn mit der hier vorliegenden Zeichnung eines Profils wird doch nur wenigen gedient sein. »Da die Abhandlung,« sagt der Verf., »vorwiegend einen dogmatischen Charakter hat, so richtet sich die systematische Anordnung des Stoifes nicht nach der historischen Entwick- lung der einzelnen Institute, sondern nach dem Entwicklungsstadium des 16. Jahrhunderts, wobei aber bei der Schilderung der einzelnen Institute deren historische Entwicklung berücksichtigt wurde.« Es ist somit im wesentlichen die Inquisition des 16. Jahrb., welche der Verf. schildert; aber auch hier macht er dadurch eme sehi- wesentliche Einschränkung, dass er die spanische Inquisition ausschliesst und auf deren Verhältnisse nur »nach Bedarf und anmerkungsweise« hinweist. Willkommener wäre uns eine Darstellung gewesen, die auch die beiden letzten Jahrhunderte des Mittelalters vollständig einbezieht, etwa in der Weise, wie dies Lea in der zweiten Hälfte des ersten Bandes seines trefflichen Werkes gethan hat. Während Lea im zweiten Bande die Inquisition in den einzelnen Ländern der Christenheit schildert und hiebei selbstverständlich auch auf die Ketzerverfolgungen zu sprechen kommt, sieht der Verf. »ganz davon ab, selbst nur ein ganz gedrängtes Bild der allmähligen Entwicklung der Ketzerverfolgung zu geben, deren Ursachen und Folgen darzulegen, Be- trachtungen über die Stellung der Inquisition in der allgemeinen Staats- und Kirchengeschichte anzustellen, darauf hinzuweisen, wie insbesonders die päpstliche Inquisition entstanden sei und auf welchen historischen Grundlagen sie basiert«. Es handelte sich dem Verf. vornehmlich darum, »auf Grundlage der bisherigen Forschungen die Organisation und Com- petenz der päpstlichen Ketzergerichte zu beleuchten, um auf diese Weise eine Basis schaÖ'en zu helfen, auf welcher man zur juristischen Darlegung des Ketzerprozesses selbst schreiten könnte«.

Die ganze Arbeit enthält zwei, sowohl dem Steife als auch dem Um- fange nach sehr ungleiche Theile, von denen der erste »Von den päpst- lichen Ketzergerichten erster Instanz« (S. 4 363) dreiundfünfzig, der zweite »Von der zweiten Instanz der Ketzergerichte« (S. 364 383) nur drei Paragraphen umfasst. Der erste Theil handelt in zwei Hauptabthei- lungen l) »von der Organisation der päpstlichen Ketzergerichte« und 2) »von der Competenz derselben«. Die erste Abtheilung enthiUt vier Kapitel: 1. Von den bei den päpstlichen Ketzergerichten erster Instanz thätigen Funktionären, 2. von dem Orte und der Zeit der gerichtlichen

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Akte, 3. von den Inquisitionsreclitsquellen und 4. von der Bestreitung der bei den Ketzergerichten nothwendigen Kosten. Was die Funktionäre betrifft, so werden zunächst die Anforderungen für ein Inquisitionsamt, dann das Dienstverhältnis der Inquisitions- Funktionäre, ihre Pflichten, Privilegien und Bezüge, hierauf die einzelnen im Ketzerprozesse auftreten- den Gerichtspersonen: die Inquisitoren und ihre Vertreter, die Inquisitions- notare, die Nebenpersonen des Gerichts und die sonstigen executiven und administrativen Funktionäre besprochen.

In der zweiten Abtheilung handelt der Verf. vom Forum externum und internum, dem rechtlichen Charakter der Gerichtsbarkeit der Inqui- sitoren, dem Ursprung, der Dauer und der Erlöschung der Zuständigkeit der Ketzergerichte, dem Verhältnis der Inquisitoren als Glaubensrichter zu anderen kirchlichen Eichtern, der sachlichen, persönlichen und örtlichen Zuständigkeit der Ketzergerichte und endlich von dem allgemeinen Ver- hältnisse der Inquisition zu den weltlichen Mächten.

Der zweite Haupttheil gibt einen Ueberblick über die Entwicklung und Verfassung der zweiten Ketzerinstanz (sie), behandelt dann das Ver- hältnis der zweiten Inquisitiousinstanz zur bischöflichen Ketzergerichts- barkeit und schliesslich die einzelnen Funktionen der zweiten Instanz.

Man wird nicht sagen können, dass die Gliederung des Stoffes in allen Theilen eine besonders gute ist: man fragt sich beispielshalber, warum der Verf. das Kapitel (3) über die Inquisitionsrechtsquellen an einem so unpassenden Orte zwischen dem Kapitel (2) »Von dem Orte und der Zeit gerichtlicher Akte« und dem Kapitel (4) »Ueber die Bestreitung der bei den Ketzergerichten nothwendigen Kosten« untergebracht hat. Dass die Arbeit nichts vollständiges bieten will, sieht man schon aus dem Titel ; der Verf. erklärt es übrigens noch mit Nachdruck in der Einleitung. Wir wollen uns demnach auf seinen Standpunkt stellen; nichtsdesi oweniger will es uns scheinen, als ob er einigen Fragen aus dem Wege gegangen wäre, deren Erörterung unzweifelhaft hieher gehört hätte, z. B. der Frage, ob der Inquisition alle christlichen Länder geöfi"net waren und wenn nicht, was war der Grund , dass man ihr den Eingang versagte ; war sie dann für immer ausgeschlossen oder nur auf eine bestimmte Zeit u. s. w.? Ich will in dieser Beziehung den Verf. nur auf einige Stellen aus Wiclif s Schriften aufmerksam machen, die ihm wohl nicht zugänglich gewesen sind. In dem Buch De Eucharistia (p. 139 meiner Ausgabe) freut sich Wiclif, dass das Königi-eich England mit dieser Inquisition nichts zu schaffen habe: Scd benedictus dominus, regnum nostrum liberatum est ab ista inquisicione heretice pravitatis, cum niulti tarn seculares quam religiosi sint longo subtiliores et sufficienciores ad inquirendum in regno nostro vel ubilibet hereticam pravitatem. Noch drastischer ist eine Stelle im vierten Bande der Sermones (p. 519): Papa non potest corrigere hereticos nisi titulo, quo vendicat esse rex secularis medietatis imperii; cum ergo papa non dominatur sie super regno Anglie, sicut nee Imperator habens plenum Imperium unijuam fecit, videtur, quod papa non habet potestatem hereticos in Anglia tuliier castigandi. Et hecvacio, quare nobiliores reges Anglie non sinebaut in nomine pape intrare in reg- num suum vocatos inquisitores heretice pravitatis, quia idem ibret illud promittere et regnutn suum domino pape subicere. Cum

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si domiuatur super corpus legii regis nostri, tunc dorainatur cuilibet per- sone regni et per consequens toti regno. lieber das Inquisitionsverfahren in England bieten die von mir in einer Prager Handschrift aufgefundenen und von F. D. Matthew (English Historical Eeview, Juliheft 1890) abge- druckten Gesta cum Eichardo Wicz (= Wyche) manche wichtige Einzelnheiten.

Sieht man im Hinblicke auf die von dem Verf. selbst betonten Ein- schränkungen von diesem und ähnlichen Mängeln ab, so wird man mit den Ausführungen im Grossen und Ganzen einverstanden sein. Auch die vorhandene Literatur ist, soweit ich zu sehen vermag, recht fleissig aus- genützt worden. Doch finden sich auch da einzelne Lücken. So scheint dem Verf. Pregers ausgezeichnete Arbeit »Der Traktat des David von Augsburg über die Waldesier« (München 1878) unbekannt geblieben zu sein. David war, wie das Preger sehr wahrscheinlich gemacht hat, selbst einer der Liquisitoren und so hätte sein Traktat «De inquisitione haereti- corum« manche brauchbare und belangreiche Belegstelle geboten. Ich habe hier namentlich die Capp. 44 (quare heretici debeant prius in iudicio spirituali examinari) und 45 (de iudicibus avaris et infectis) im Sinne.

Unangenehmer sind die formellen Seiten des Buches. Eine Menge allbekannter und darum überflüssiger Dinge wird in den Noten in einer oft unerträglichen Breite auseinandergesetzt. Jeder der sich mit den In- quisitionsverhältnissen beschäftigt hat, kennt den Namen Juan Antonio Llorente's. Hier wird von dem Verf. erst erzählt, dass das Original in spanischer Sprache erschienen ist und wie viel Bände es fasst, dann dass eine autorisierte französische Uebersetzung von Allexis (!) Pellier herrührt, deren Titel nun genannt wird, wobei noch angefügt wird: traduit de l'espagnol sur le manuscrit ; endlich wird noch die deutsche Uebersetzung Hoeck's erwähnt, nach welcher der Verfasser citiren zu wollen erklärt. Llorente, deutsch von Hoeck, hätte doch völlig genügt. Noch ärger ist die Sache auf S. 22 (nicht 2) zu Gonsalvius Montanus: Sanctae inquisitionis hispanicae artes aliquot detectae ac palam traductae. Alles was dort von der Verbreitung dieses Buches gesagt wird (14 enggedruckte Zeilen) ist überflüssig. Selbst die weniger umfangreichen Citate sind noch schleppend genug, wie z. B. S. 30: »Nro. .57 der Cancellaria Arnesti: Alia commen- dacio iuquisitoris per regem bei Tadra (Ferdinand) Cancellaria Arnesti. Formelbuch des ersten Prager Erzbischofs Arnest von Pardubitz (l 343 bis 1364). Nach der Handschrift der k. k. Universitätsbibliothek zu Prag herausgegeben, im Archiv für österr. Geschichte, 61. Band, Wien 1880, pag. 267 586 (cit. Tadra, Cancellaria Arnesti). Hier hätte doch Cancell. Arnesti, Archiv für öst. Gesch. 61 und Seitenzahl vollkommen genügt. Solche Fälle finden sich sehr zahlreich s. S. 38, 60, 67, 209 u. s. f. Von Stilblüthen wurde eine schon oben ei-wähnt; so finden sich noch vor »der significante Befehl« S. 31, die historische Verantwoiiung statt Ver- antwortung vor der Geschichte S. 214, undeutsche Ausdrücke, wie dies- bezüglich, Feber u. s. w. Was die Orthographie in den zahlreichen Beleg- stellen betrifl't, die der Verf. aus einzelnen Stücken des 1 4. und 1 5. Jahrh. beibringt, so war selbstverständlich stets die der Originale, beziehungsweise des betreffenden Jahrhunderts, dem das Stück angehört, anzuwenden und nicht die für jene Zeiten unpassende des klassischen Alterthums.

Czernowitz. J. Loserth.

1364 Literatur.

Der Bilderkreis zum wälschen Gaste des Thomasiu vou Zerclaere, nach den vorhandenen Handschriften untersucht und be- schrieben von Adolf von Oechelhaeuser. Mit 8 Tafeln. Heidel- berg, Gustav Koester, 1890. 4°, 86 S. 15 M.

Während die Kunstgeschichtschreibung der Renaissance fast überall die Künstlerindividualitäten in den Vordergrund stellt, diese . zur Basis der Darstellung macht, die Tradition und die allgemeinen kulturgeschicht- lichen Zeitverhältnisse dagegen bloss als beeinflussende Nebenfaktoren be- handelt, ist die Kunstgeschichtschreibung des Mittelalters vor allem darauf bedacht, jede ihr zur Beurtheilung vorliegende Erscheinung in Bezug auf ihren Zusammenhang mit der zeitlich unmittelbar vorangehenden Entwick- lung zu untersuchen. Und zwar geschieht dies nicht bloss deshalb, weil uns für das Mittelalter nicht jenes reichhaltige biographische Material vorliegt, das die Vasari u. s. w. für die Künstlergeschichte der Eenais- sance darbieten. Die Kunst des Mittelalters war eben nur in sehr ge- ringem Masse eine persönliche, dasjenige was der Einzelne zum Vorher- geschaffenen hinzubrachte, ein sehr geringes, und selbst dieses in der Regel nicht durch die besondere künstlerische Art einer Individualität, sondern durch äussere Einflüsse, durch die Nothwendigkeit irgend einer technischen Vervollkommnung, durch die besonderen Bedürfnisse irgend eines neuentstandenen Mönchsordens oder dgl. hervorgerufen. Im spätei'en Mittelalter scheint dieses Verhältniss eher zu- als abgenommen zu haben, trotz des fortschreitenden Eingreifens des Laienelements in das Kunst- schaffen der Zeit. Wir begreifen auch, dass die gothische Baukunst eine freie Entfaltung der Künstlerindividualitäten nicht fördern konnte, und begnügen uns daher die kleinen Abweichungen und Fortschritte an den einzelnen Domen des 14. und 15. Jahrb. gegenüber ihren Vorgängern zu notiren, anstatt die Biographien der uns dem Namen nach in der Regel wohlbekannten Baukünstler zu schreiben.

Ganz analoge Vei-hältnisse heiTSchten auch auf dem Glebiet der spät- mittelalterlichen Miniaturmalerei , was uns Oechelhaeusers Publikation schlagend vor Augen führt. Die Zeit eines verhältnissmässig reicheren persönlichen Schaffens war das 1 2. Jahrhundert, einige Jahrzehnte nach vor- und rückwärts dazugerechnet. Es war dies die Zeit, da das Problem der überwölbten Basilika zur Lösung gebracht wurde und eine ganze Reihe neuer, durch das rege geistige Leben hervorgerufener literarischer Ei'zeugnisse, insbesondere solcher, die in deutscher Sprache verfasst waren, entsprechenden bildlichen Schmuck verlangte. Hatte man sich aber ein- mal einerseits für das gothische Bausystem entschieden, anderseits für die einzelnen literarischen Neueinrichtungen den entsprechenden Bilderschmuck geschaffen, so hielt man die künstlerischen Bedürfnisse der Zeit für be- friedigt und glaubte sich zunächst mehr oder minder auf das blosse Kopiren beschränken zu dürfen.

Es mag nun sein, dass gerade der von Oechelhaeuser untersuchte Stoff, das Lehrgediclit des Thomasin von Zerclaere, für eine endlose ko- pirende Wiederholung der einmal für denselben geschaffenen bildlichen Beigaben ganz besonders geeignet war. Das Gedicht enthält nämlich fast gar keine Handlung; nahezu der ganze geistige Inhalt wird durch Ale-

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gorien bestritten. Aber nichtsdestoweniger bleibt es höchst bemerkens- werth, dass von sämmtlichen Handschriften dieses Gedichtes, von denen wir Kunde haben und die durch Oechelhaeuser vollständig herangezogen worden sind, keine einzige von den übrigen in Bezug auf die Illustration so weit abweicht, dass sie einen selbstständigen Illuminator oder auch nur die Abhängigkeit von einem nur in wenigen wesentlichen Dingen ab- weichenden Typus verrathen würde. Der Archetypus, auf den also noth- wendigerweise alle heute noch vorhandenen illustrirten Handschriften des welschen Gastes zurückgehen müssen, ist anscheinend nicht mehr erhalten, wenigstens bisher nicht aufgefunden, da die älteste von Oechelhaeuser benützte und seiner Bearbeitung zu Grunde gelegte Handschrift aus der 2. Hälfte des 13. Jahrh. stammt. Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Archetypus die Urschrift des von dem Aquileier Domherrn in den Jahren 1215 und 1216 angefertigten Gedichtes.

Auch der Umstand ist für das geradezu sklavische Abhängigkeits- verhältnis bezeichnend, dass die vorhandenen Handschriften untereinander in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, nicht zwei darunter in ein direktes Verhältniss von Vorlage und Abschrift gebracht werden können, also jede für* sich eine mehr oder minder entfernte Filiation vertritt, aber dennoch alle untereinander in der Abhängigkeit vom gemeinschaftlichen Urbilde aufs engste zusammenhängen. Es ist ein zuverlässiger und bleibender Gewinn, den uns diese Arbeit Oechelhaeusers verschafft hat, erreicht durch die Anwendung der bewährten Methode der mittelalterlichen Quellenforschung auf die Kunstgeschichtschreibung. Alois Eiegl.

Neuwirth Josef, Privatdocent der Kunstgeschichte an der deut- schen Universität in Prag. Peter Parier von Gmünd, Dombau- meister in Prag und seine Familie. Prag, Calve, 1891. 146 S.

Durch die Herausgabe der »Wochenrechnungen des Prager Domes* (vgl. Mittheilungen 11, 462 f.) hat sich Neuwirth ein wesentliches Ver- dienst um die Durchforschung der heimischen Kuustdenkraale erworben, da dieselben die Gelegenheit bieten, der Entstehung und dem Ausbau dieser Perle des gothischen Baustiles in Böhmen während einer mehr- jährigen Periode bis in das kleinste Detail zn folgen, während durch die vom Verfasser an sie geknüpften Betrachtungen eine Keihe neuer Gesichts- punkte über die mittelalterliche Einrichtung des Hüttenwesens, dann auch über die Stellung und Bedeutung des Meisters Peter Parier gewonnen wurden. Im Anschluss daran reifte in dem Verfasser der Gedanke, dem genialen Baumeister, der den Entwicklungsgang der Gothik in Böhmen durch nahezu ein halbes Jahrhundert mit seinem Ideenkreise beherrschte und von sich abhängig machte, eine eingehende Würdigung zu widmen, die in dem vorliegenden Buche zum Abschluss gelangte. Der Fleiss in der Quellenforschung, die zielbe^vusste und klare Darstellung wird selbst von der Gruppe der Forscher anerkannt werden müssen, welche bei der Beurtheilung der heimischen Kunstdenkmale einen ganz gesonderten Stand- punkt einnehmen (S. '.)), denn es ist gerade in der vorliegenden Studie Neuwirths, der das gedruckte und handschriftliche Quellenmaterial wie auch die gesammte Literatur über diesen Gegenstand beherrscht, das be-

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harrliche Streben ersichtlich, sich nur streng an die Ergebnisse »1er Quellennachrichten zu halten und alle wie immer gearteten Hypothesen zu meiden, für welche selbst über Peter Parier ein ziemlicher Spielraum geboten wäre (S. 88). Daher meidet er mit Eecht das Eingehen auf andere Meister aus Gmünd, zwischen denen und der in Prag thätigen Familie Peter Parlers bisher auch nicht der geringste Zusammenhang nachweisbar ist, aus gleichem Grunde meidet er eine nähere Erörterung der am Münsterbau zu Strassburg bethätigten »Junker aus Prag« oder die Besprechung der sogenannten Steinmetzzeichen, da sich aus diesen ein auf sichere Grundlage gebautes Urtheil nicht ableiten lässt.

Wurde aus der genauen Kenntnis der Wochenrechnuugen ein reiches Material gewonnen, um das künstlerische Schaffen Peter Parlers nament- lich in Bezug auf die Plastik eingehend zu würdigen, so gelangte N. anderer- seits nach Durchforschung der Prager Archive in die Kenntnis mehrerer bisher unbekannter Urkunden, welche sich nur auf Privat- und Familien- verhältnisse des Künstlers beziehen. Er verfügt daher über eine weit grössere Fülle an Quellennachrichten als alle anderen Forscher, welche sich vor ihm mit der Parierfrage beschäftigten. Im Anhange S. 114 bis 142 werden die urkundlichen Nachweise, im ganzen 57 Stücke, voll- inhaltlich abgedruckt, darunter zum ersten Male Nr. 8, 10, 33 35, 38, 41, 47, 49, 51, 52, 57, während nur wenige der Vollständigkeit wegen aus anderen Urkundenbüchern (Nr. 15, 23, 26 28) aufgenommen wur- den. Sehen wir von den Inschriften (Nr. 1, 2, 32) ab, so hat zwar Tomek von den übrigen Urkunden aus den betreffenden Handschriften für die Angaben seiner »Zäklady stareho mistopisn Prazkeho« wichtigere Stellen ausgewählt und bald mehr, bald minder umfangreich abgedruckt, sie sind jedoch, sobald es sich um Specialarbeiten handelt, wie in dem vorliegen- den Falle und wie aus verschiedenen Stellen in der Darstellung N.'s hervorgeht, ganz unzureichend. Von höchster Bedeutung ist die aus dem Prager Metropolitankapitel im Texte S. 88 angeführte Urkunde, welche besagt, dass die bekannte Barbarakirche in Kuttenberg von der Fron- leichnamsbruderschaft dieser Stadt gestiftet und dass mit dem Bau der- selben nicht vor dem 27. Juli 1388 begonnen wurde, wodurch die in-thümlichen Ansichten über den Beginn des Baues, der selbst bis 1350, also vor die Berufung des Meisters Peter Parier nach Prag, verlegt wird, sich als unhaltbar erweisen. An der Hand dieser urkundlichen Nachweise und durch die gewissenhafte Wiedergabe aller Belegstellen, welche sich auf die von Peter Parier stammenden oder mit überwiegender Wahr- scheinlichkeit ihm zugeschriebenen Denkmale beziehen, ist der Leser jeder- zeit in der Lage, die Folgerungen und die Ergebnisse N.'s zu überwachen und sich von ihrer Stichhältigkeit zu überzeugen.

Der biographische Theil, in dem die Lebens- und Familienverhältnisse Peter Parlers (S. 5 33), dann seiner Verwandten und Nachkommen (S. 34 57) erörtert werden, ist als ebenso gelungen zu bezeichnen wie die künstlerische Würdigung der von ihm geschaffenen Denkmäler (S. 58—112).

So sehr häufte sich bei der immer weiter greifenden Vertiefung das historische Material, dass z. B. die auf S. 1 1 3 entworfene Stammtafel der Familie Parier weit reicher ist als die in den Wochenrechnungen auf

Literatur. (367

S. 407 gebotene Zusammenstellung oder gar die Angaben, weiche uns bei den früheren Abhandlungen über Peter Parier begegnen. Eine Eeihe neuer Mitglieder dieser Familie lernen wir kennen, bei anderen werden der Verwandtschaftsgrad und andei-e Beziehungen privater Natur genauer bestimmt. Eine kritische und eingehende Untersuchung erheischte der Nachweis, dass der Meister Parier geheissen und aus Köln am Ehein stammt (S, 4 1 2), da auf G-rund der mangelhaft überlieferten Inschrift unter der Büste desselben auf der Triforiumsgalerie des Prager Domes ([pjarleri de [c]olonia) eine Eeihe von Forschern mit Zähigkeit daran festhält, dass er Arier geheissen und aus Polen ([p]olonia) stamme. Da- gegen sprechen die zahlreichen Beziehungen des Künstlers zu Köln, seine Jugend und künstlerische Ausbildung spricht dafüi-, dass in dieser Stadt seine Wiege gestanden ist, während aus einer übersichtlichen Tabelle, welche die Erwähnungen des Meisters unter den Stadtvätern des Hrad- schins 1360 1366 enthält (S. 116), unwiderleglich hervorgeht, dass sein Namen Parier gewesen ist. Von 1353 wirkte Peter Parier in Prag als zweiter Dombaumeister bis zu seinem Tode 1396 oder 1397. Vier Brüder und eine Schwester waren ihm nach Prag gefolgt und sind daselbst nach- weisbar. Zu grösserem Ansehen brachten es noch seine Brüder Michael, der 1359 in Groldenkron, 1383 in Prag als Steinmetz genannt wird, und Heim'ich, den Markgraf Jodok nach Mähren berief, wo er seine Kunst in den Jahren 1381 1387 ausübte. Von den fünf Söhnen Meister Peters ist Johann der angesehenste, der seinem Vater in der Leitung des Dom- baues folgte (l398 1406). Die letzte Nachricht über das Verbleiben eines Mitgliedes der Familie Parier in Prag reicht in das Jahr 1417.

N. ist bei der Verarbeitung der Quellennachrichten auch in Detail- fragen sehr vorsichtig und mit Verständnis vorgegangen. An drei Proben möge dasselbe erhärtet werden. Es ist anziehend, den Erörterungen auf S. 25 f. nachzugehen, wie aus den Verfügungen Peter Parlers für seine zweite Frau und deren Kinder im Falle seines Ablebens (Nr. 16, 17) und andererseits aus der gegenseitigen Einsetzung der Söhne erster Ehe unter einander als Erben aus gleicher Veranlassung (Nr. 21, 24) nachgewiesen wird, dass durch die wahrscheinlich 1382 erfolgte zweite Verehelichung des Vaters eine gewisse Gespanntheit zwischen ihm und den Söhnen erster Ehe eintrat, die eine Verkürzung ihres Erbtheiles fürchteten, bis vielleicht erst 1392 eine vollständige Aussöhnung erfolgte (Nr. 30). Eine fein- fühlige, aber auch richtige Untersuchung findet sich auf S. 73 f. Die Thätigkeit Peter Parlers an der Ausfühning des Prager Domchores und des Chores der Allerheiligenkirche ist in der Triforiumsinschrift erwähnt mit »incepit regere ... et perfecit«, beziehungsweise mit »incepit et perfecit*. Dadurch, dass der Anfang und die Vollendung bezeichnet wird, zeigt sich ein gewisser Parallelismus, der aber vermisst wird, wo in der- selben Inschrift über den Koliner Chorbau die Erwähnung geschieht »incepit a fundo<S also »perfecit'^^ fehlt, dessen Setzung wohl auch erfolgt wäre, wenn bis zur Abfassungszeit der Inschrift im Jahre 138 5 der Chor- bau in Kolin schon vollendet gewesen wäre, Avie gewöhnlich angenommen wird. Für die Anschauung, dass erst mit der Wende des 1 4. Jahrh. der Koliner Chorbau beendet wurde, sprechen überdies die zahlreichen Testa- mentsstiftungen aus den Jahren 1380 1401, welche ausdrücklich für den

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Ausbau der Kirche bestimmt sind (S. 7 5). An dritter Stelle sei darauf hingewiesen, dass, gestützt auf eine ganz kurze Notiz bei Palacky (Stersj lezopisowe cesstj odroku 1378 1527, S. 84) zum Jahre 1431, dass der Wasserthurm des Meisters Parier abbrannte, N. nach sorgsam gepflogener Umschau zu dem Urtheile gelangt, darunter könne nur der Altstädter Brückenthurm verstanden werden (S. 69 f.). Bisher hat man lediglich die Karlsbrücke als das Werk Meister Peters anerkannt, obwohl es an der Hand liegt, dass der Altstädter Brückenthurm als natürlicher Vertheidigungs- abschluss der Brücke gegen diesen Stadttheil in den Plan der ursprüng- lichen Anlage mit aufgenommen werden musste, während sich aus dem Brande leicht erklären lässt, dass das in den oberen Partien des Thurmes angebrachte decorative Beiwerk, welches erst nach dem Brande ausgeführt wurde, den Charakter einer früheren Zeit an sich trägt.

Peter Parier entwickelte eine vielseitige Thätigkeit als Baumeister und Bildhauer. Sein hervorragendes Talent wurde von den Zeitgenossen gewürdigt und geschätzt. Als Beweis dafür dienen die zahlreichen ehren- vollen Aufträge, die ihm zu Theil wurden, so dass wir in ihm den thätigsten und begabtesten Architekten der Glanzperiode Böhmens unter Karl IV. bewundern, der sich durch seine Bauten in Prag und auf dem Lande einen unvergänglichen Namen geschaffen hat. N. unternimmt die künstlerische Würdigung seiner Schöpfungen nur an der Hand ganz ver- lässlicher Berichte und zwar zuerst solcher Denkmale, die auf Grund der Inschriften oder anderer Quellennachrichten sicher beglaubigte Arbeiten sind, dann derjenigen, welche in der Anlage, der künstlerischen Anordnung und Durchführung oder auf Grund ganz besonderer ihn charakterisirender Einzelnheiten sich als Verkörperungen seiner Ideen darstellen oder wenig- stens unter seinem Einflüsse geschaffen wurden. Besonders lohnend war auch die Zusammenstellung aller Angaben, welche sich auf den Neubau der Teynkirche in der Altstadt Prags beziehen, aus denen unter anderem ersichtlich ist, dass Peter Smelczer und Otto Schaufler nur die Leiter, nicht die Meister des Baues waren (S. 90 95). An der inneren Aus- stattung oder an dem Ausbau der Burg Karlstein scheint sich Peter Parier nicht betheiligt zu haben (S. Gl). Mit grossem Pleisse wurden alle Angaben verzeichnet, welche Beziehungen ziwischen Prag und Aachen zur Zeit Karls IV. vermitteln; aus ihnen erhebt sich bei der besonderen Vorliebe des Kaisers für die Grabkapelle Karls d. Gr. die frühere Ver- muthung zur förmlichen Gewissheit, dass in derselben das Vorbild für den kühnen Kuppelbau der Karlshofer Kirche zu suchen ist (S. 80 8C). Ebenso fachmännisch werden die plastischen Werke Parlers besprochen, endlich auch die von ihm dem Dome gestiftete Monstranz, welche sein Werkzeichen, den doppelt gebrochenen Winkelhacken, trägt.

So wui'de denn einem hervorragenden Künstler des 14. Jahr- hunderts eine seiner Bedeutung entsprechende und sachliche Würdigung zu Theil. Der bleibende Werth dieses Buches liegt darin, dass bei dem methodischen Vorgange des Verfassers das den Künstler darstellende Bild einen festen Umriss gewonnen hat und in kräftigen Zügen aus- gearbeitet wurde, welche von gleichviel Umsicht und Gründlichkeit des Wissens zeigen.

Prag. Dr. Ad. Horcicka.

Literatur. ßß[)

Mensi Freiherr von, Die Finanzen Oesterreichs von 1701 bis 1740. Nacli archivalischen Quellen dargestellt. Mit Unter- stützung der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Wien, Manz'sche Buchhandlung 1890. XIV, 775 S. 8'>.

Bald nach seinem Erscheinen hat das vorliegende Werk, das die Frucht nicht jahrelanger, sondern wohl mehr als ein Decennium währender Vor- studien ist, in nationalökonomischen Zeitschriften die verdiente anerkennende Würdigung gefunden. Da der Gegenstand neu und aus bisher nicht be- nutztem Quellenmaterial geschöpft ist, haben die Besprechungen natur- gemäss den Charakter von Anzeigen mit Inhaltsangabe. Es wäre über- flüssig von andern Gesagtes zu wiederholen und glaubt der Eeferent sich auf Besprechung eines einzigen Kapitels »Münzwesen« (Seite 7 u. 8) beschränken zu dürfen, dessen Angaben sachlich berichtigt zu werden verdienen. Die Bezeichnung Gulden Rheinisch, die sich bis tief in die Theresianische Zeit bei allen Angaben über Geldbeträge findet, bedeutet keine effectiv ausgeprägte Münze, sondern einen Zählgulden von 60 kr. in Kreuzern oder einer sonst zeitüblichen geringhaltigen Münzsorte wie Groschen (Dreikreuzer), Sechsern, Fünizehnern etc. aus- geprägt. Da es keine effectiv ausgeprägten Gulden [die Ausnahmen werden sofort erwähnt] gab, kann man auch nicht von einem Guldenfuss in den Jahren 1680, 1684 92 und der folgenden Zeit, sondern nur von einem Kurse des Zählguldens in effectiv ausgeprägten Münzsorten, den Thalern oder den Dukaten, sprechen. Zweimal versuchte man den Zähl- gulden effectiv als Kepräsentationsmünze auszuprägen und zwar im J. 1484 in Tirol unter Erzh. Sigmund und zufolge der 1.560 aufgerichteten »Muntz Ordnung« (gedruckt zu Wien durch Michael Zimmermann). In beiden Fällen wurde der beabsichtigte Erfolg nicht erreicht. Die be- zeichnung Thaler für die vollwerthige Münzsorte ist eine erst später auf- tretende, in den Wiener Kammeramtsrechnungen begegnet sie erst im J. 1531 (Numisniat. Zeitschr. 13, 281). Die gleichzeitige Bezeichnung für diese zuerst 1484 in Tirol geprägte Münzsorte ist »Guldengroschen« (Numismat. Zeitschr. 18, 49). Sie wurde als Aequivalent in Silber für die seit dem 14. Jahrhundert geprägten Ehein. Goldgulden ausgeprägt, die im J. 1484 in Österreich-Tirol einen Kurs von einem Pfund Pfenningen, oder was dasselbe ist, einem Zählgulden in Kreuzern, gleich 60 Kreuzern bedangen (Numismat. Zeitschr. 11, 275). Damals waren also effectiv ge- prägte Rhein. Goldgulden, deren Aequivalent die Guldengroschen (Thaler) und Zählgulden von 60 kr. thatsächlich identisch. Aber schon seit 1527 hatte die effective Münze ein Agio von 4 kr. (der Goldgulden galt 64 kr., Numismat. Zeitschr. 13, 26 1), das seit der Zeit fortdauernd stieg; im J. 1556 galt der Thaler 70 kr. (Numismat. Zeitschr. 16, 93).

Man machte nun abermals den Versuch, eflcctives Geld iind Zähl- gulden zur Identität zu bringen durch Minderausprägung der schweren Münzsorte; dies gab Veranlassung zu dem Erlass der schon erwähnten Münzordnvmg von 1560, die die Ausprägung von »Guldenthalern« zu 60 Kreuzern anordnete (vgl. Newald, Das österr. Münzwesen unter Fer- dinand I. 62 u. ff'.). Diese Münzsorte eroberte hier aber den Verkehr nicht, denn die älteren, besser geprägten Thalersorten, die Agio bedangen,

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behaupteten sich und man gab die Prägung der Guldenthal er auf. Seither wurde bis zur Einführung des Conventionsfusses im J. 1754 m. W. kein Versuch gemacht, die Aequivalentmünze des Zählguldens auszubringen.

Im J. 1()80 hatte der Thaler in Zählgulden oder Rhein. Gulden einen Werth von 1 fl. 30 kr., im J. 168ß von 1 fl. 45 kr., im J. loyo von 1 fl. 48 kr. (Becher, Das österr. Münzwesen 1/2, 6), im J. 1693 von 2 fl. Rhein. (Becher 1. c. I/l, 137). Spätere Daten fehlen mir, doch scheint dieser Kurs für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts constant geblieben zu sein.

Was den Werth des effectiven Thalers betriöt, der also für die Be- rechnung des Rhein, oder Zählguldens massgebend ist, besitzen wir eine werthvoUe Angabe in einem Berichte des Wiener Münzamtes vom 17. März 1707 über zwei in Hamburg beanständete kaiserl. Thaler (Be- richte und Mitth. des Alterthums -Vereines 20, 91 Beil. Nr. l). Diesem zufolge gingen 9^^^ Stücke auf die 14 Loth feine, rauhe Mark. Der

Werth des Thalers stellt sich somit auf fl. "-'^ - -> X < A ^ g_ 2-26 kr.

8 X 39 Ost. Währung; der Rhein, fl. auf 1*13 kr. öst. W.

Das Resulthat stimmt mit dem Mensi's. Bezüglich der Darstellung der thatsächlichen Münzverhältnisse scheint er mir aber im Irrthum. Zum Schlüsse möge erwähnt werden, dass Porträts der beiden Ober-Hof-Factoren Samuel Oppenheimer und Samson Wertheimber, deren Bedeutung für die Staatsfinanzen im vorliegenden Buche eine eingehende Würdigung erfährt (insbesondere 132 ff".), sich im historischen Museum der Stadt Wien IL Abthlg. Nr. 881 u. Nr. 882 befinden.

K. Schalk.

Krones Fr. R. v., Tirol 1812—1816 und Erzherzog Johann von Oesterreich, zumeist aus seinem Nachlasse dar- gestellt. Innsbruck, Wagner, 1890, 309 + XIV S. (sammt Register).

Als willkommene Ergänzung seines Werkes »Zur Gesch. Oesterreichs im Zeitalter der franz. Kriege und der Restauration^' bietet uns der Verf. hier ein selbständiges Buch über die Beziehungen des Erzherzogs Johann zu Tirol, vornehmlich in den Jahren 1 8 1 2 1 (> auf Grund umlänglicher Tagebuchaufzeichnungen des Prinzen, sowie verschiedener Briefe und Akten, von denen 37 Stücke theils auszüglich, theils vollständig im Anhange mitgetheilt werden. Diese wichtigen Quellen wurden ihm von dem jüngst verstorbenen Sohne des Erzherzogs, dem Grafen von Meran, eröffiiet, dem auch das vorliegende Buch gewidmet ist. Dasselbe bringt S. 1 21 ein- leitende Rückblicke auf die tirolischen Verhältnisse von 1703 1813, dann folgt eine Darstellung der Beziehungen Johanns zu Tirol von 1800 bis 1812, wozu bereits zahlreiche Tagebuchstellen herangezogen werden. Wenn durch dieselben nicht nur auf manche speciell tirolische Angelegen- heit, sondern auch auf Fragen der europäischen Politik ein neues Streiflicht fällt, so wird doch unsere bisherige Kenntnis von diesem bereiis viel be-

Literatur. 671

handelten Zeiträume nicht wesentlich erweitert. Erzherzog Johann, seit 1800 in Tirol bekannt und beliebt, hatte 1805 in dem Abschiedsschreiben an die Tiroler sein Wiedererscheinen verheissen. 1809 erliess er seine be- kannte Proklamation zur Erhebung des Landes, die in dem Briefe der Kaiserin an den Prinzen eine Verurtheilung erfahren hat. Der im Anhang auszüglich mitgetheilte Brief ist für die Auffassung des Hofes bezeichnend und daher an dieser Stelle erwünscht. Der tirolische Freiheitskampf von 1809 erscheint in seiner letzten, psychologischen Ursache als die elementare Willensäusserung des durch eine neue Zeit aus seiner gewohnten Be- haglichkeit aufgeschreckten Bergvolkes. Die schliessliche Niederlage des- selben wirkte lähmend auf die gi'osse Mehrzahl, und mit der ZeiTeissung des Landes in drei Theile schien jede Aussicht auf die Wiederkehr der guten alten Zeit vernichtet. Das Wenige, was da und dort 1813 ver- einzeint geschah, darf uns dai'über nicht täuschen, so sanguinisch die Tagebücher des kaiserlichen Prinzen sich auch auslassen mögen. Dem Erzherzog waren nach dem Frieden von Schönbrunn die Hände gebunden, er konnte also nur im geheimen für seine Plane arbeiten, die auf eine Schilderhebung in Tirol und die Gründung eines »Alpenbundes« hinaus- liefen, um dem Kaiser das Land zu retten. Aus dem »Entwurf« des Erzherzogs für den genannten Bund, der auch die Schweiz einschliessen sollte, geht die völlige Selbstlosigkeit des Prinzen hervor, aber staats- männische A-ufiassung wohnt ihm nicht inne. Die Vertrauten des Planes wurden aber am 7. März 1813 an die Polizei veirathen und aufgelioben. Hierüber finden sich bei K. sehr interessante Einzelnheiten, die endlich in die etwas dunkle Frage Licht bringen. Um Kosohmann ohne Umschweif als Ven'äther anzunehmen, fehlen indessen noch die Staatsakten, so sehr sonst alles dafür stimmen mag. Eoschmann kommt in dem Tagebuche des Erzherzogs und in Hormayr's Briefen sehr schlecht weg; beides sind aber eigentlich doch nur Privatquellen. Nun war selbstverständlich gegen den Erzherzog das Misstrauen erwacht, der »König von Rätien« blieb kaltgestellt und überwacht, während die eisernen Würfel des Schicksals rollten. Als unverfälschter Optimist glaubte er aber noch fort und fort an seine Bestimmung für Tirol, schi-ieb Briefe und Berichte an den Kaiser und Mettei-nich und ergoss sich in seinen Tagebüchern in langen Klagen über die unerträgliche Unthätigkeit. Erst als Eoschmann mit seinem »Presschef« Adam Müller als Hofcommissär nach Tirol gieng, ahnte er den Grund seiner Beschäftigungslosigkeit. Ueber die unklare Lage des Alpenlandes nach dem Eieder -Vertrage und die Verwaltung Roschmanns handeln die beiden letzten grösseren Abschnitte; die Frage um die »alte« Verfassung Tirols hat schon A. Jäger erschöpfend behandelt> hier werden nui- noch einzelne Bemerkungen des Erzherzogs aus dem Tagebuche und etliche leidenschaftliche Briefe Hormayr's eingestreut. Das massenhafte Material hätte bei der gewiss gi-ossen Schwierigkeit des zu behandelnden Gegenstandes ökonomischer eingetheilt und verwerthet werden können. Citate sind in verschwendei-ischer Fülle verwendet, vielfache Wiederholungen selbst im Texte treten auf, dagegen fehlt in der Fussnote S. 58 zur , Gegenwart« die Angabe des Jahrgangs. S. 210 ist als Deputirter » Pinisdorfer « angeführt, zu setzen ist: Rainer, Wirth zu Pinersdorf bei Wörgl. Statt Wirth zu Hochberg S. 125 soll es heissen: Oppacher, Wirth

ß72 Literatur.

in Jocliberg am Pass Thurn, bekannt durch die Vertheidigung des Strub 1805 und 1809. Im alten Peternader hätte sich vielleicht doch noch das eine andere Brauchbare gefunden. Mit dem Protest Malsiners 1810 hat es seine Eichtigkeit; sein Tod (24. Dezember 1809, s. Heyl, Gestalten und Bilder, Innsbruck 1890, S. 104) ist wohl im Diöcesan-Schematismus irrig angegeben. S. 1 7 lies Achenrain statt Aichenrain.

Das Buch von K. dem inzwischen eine zweite derartige Publikation gefolgt ist hat, abgesehen von dem vielfachen und meist werthvollen Detail zu einer immerhin noch mangelhaft gekannten Geschichtsepisode und dem brauchbaren Aktenanhange, vor allem die bisher nur allgemein geahnte Aufrichtigkeit des Erzherzogs gegenüber Tirol in der Zeit der Befreiungskriege urkundlich erwiesen und ist also eine »Kettungsschrift« zu Gunsten des edlen, selbstlosen, kaiser- und volkstreuen Prinzen, den man seinerzeit wegen seines unbegreiflichen Verhaltens »Lügenhanns* zu nennen wagte.

Bielitz. S. M. Prem.

Bericht der Centraldirection der Monumenta Ger- maniae. Berlin, im April 1891.

Die 17. Plenarversammlung der Centraldirection der Monumenta Germaniae historica wurde in diesem Jahre in den Tagen vom 9. 11. April in Berlin abgehalten. Von den 12 Mitgliedern waren 9 erschienen, entschuldigt hatten sich Hofrath v. Sickel und Prof. Holder-Egger, beide zur Zeit in Rom, und Eeichsarchivdirector v. Rockinger in München. Prof. Bresslau in Strassbui-g betheiligte sich diesmal als auswärtiges Mit- glied und an die Stelle des Prof. Huber war als Vertreter der Wiener Akademie durch ihre Wahl Prof. Mühlbacher getreten. Als neues Mitglied wurde Prof. Scheffer-Boichorst in Berlin gewählt.

Vollendet wurden im Laufe des Jahres 1890/91

in der Abtheilung Auetores antiquissimi IX, 1, enthaltend:

1) Chronica minora saecul. IV. V. VI. VII. ed. Mommsen I, l.

in der Abtheilung Scriptores:

2) Deutsche Chroniken V, I, enthaltend Ottokars Oesterreichische Eeimchronik von Seemüller. 1. Halbband.

3) Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculorum XI et XII tom I.

4) Eeginonis abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Tre- verensi recogn. Kurze in 8^.

in der Abtheilung Leges:

5) Legum sectio II. Capitularia regum Francorum ed. Boretius et Krause II, 1.

Als Ergänzung zu allen bisherigen Bänden:

6) Indices eorum quae tomis hucusque editis continentur scrips. Holder-Egger et Zeiuner.

7) Von dem neuen Ai'chiv der Gesellschaft Bd. XVI.

Literatur. 673

Unter der Presse befinden sich ein Folioband, 14 Quartbände,

1 Octavband.

Die Abtheilung der Auetores antiquissimi nähert sich ihrem Abschluss. Von der Ausgabe des Claudianus von Prof. Birt in Marburg ist der Text vollendet und ein grosser Theil der umfilnglichen Prolego- mena gedruckt, mit Einschluss der Indices kann das Werk bis zum August fertig werden. Von Cassiodors Variae ist der Text durch Prof. Mommsen ebenfalls ausgedruckt, die ausgedehnten Prolegomena befinden sich im Satz, aber es fehlen noch einige Anhänge und die unter Mitwirkung des Prof. Schröder zu bearbeitenden Indices. Obgleich von den auf mindestens

2 Bände zu veranschlagenden kleinen Chroniken, welche wir so lange schmerzlich vermissen mussten, die erste Hälfte des 1. Bandes soeben ausgegeben worden ist, schreitet der Druck dennoch ununterbrochen foi't und wird zunächst Prosper, Polemius Silvius, Hydatius umfassen. Einige Vergleichungen hat für Spanien Dr. Bernays übernommen.

In der Abtheilung Scriptores hat Archivar Krusch in Hannover seine Vorarbeiten für die Ausgabe der Merowingischen Heiligenleben mit gleichem Eifer fortgesetzt und 61 auswärtige Handschriften an seinem Wohnorte benutzt, für deren Beschaffung wir theils dem Auswärtigen Amte theils den Bibliotheksverwaltungen zu grösstem Danke verpflichtet sind. Am meisten lieferte Paris und Brüssel, aber auch Havre, Namur, Turin boten etliche sehr werthvolle Stücke dar. Neben der vorläufigen Be- arbeitung einzelner Texte können die Vorbereitungen auf diesem Wege noch längere Zeit fortgesetzt werden, um endlich, ergänzt durch eine französische Eeise, zum Abschluss der grossen auf 2 Bände berechneten Sammlung zu führen.

Von den für Kirchengeschichte wie für Kirchenrecht überaus wichtigen Schriften zum Investiturstreite ist der erste Band, über dessen Inhalt wir schon im vorigen Jahre berichteten, unter eifriger Mitwirkung der Herren Holder-Egger und Sackur glücklich an sein Ziel gelangt. Die bedeutsame Schrift Widos von Ferrara de scismate Hildebrandi musste darin leider nach dem früheren Drucke wiederholt werden, weil die noch im Jahre 1855 nachweisbare Handschrift seitdem verschwunden war. Der Druck des zweiten Bandes, welcher durch die Schriften Bernolds, heraus- gegeben von Prof. Thaner in Graz, eröffnet werden soll, steht unmittelbar bevor. Die folgenden Streitschriften, an deren Herausgabe sich ausser den Mitarbeitern K. Francke und Sackur namentlich auch Prof. Bernheim in Greifswald und Director Schwenkenbecher in Sprottau betheiligt haben, sind soweit vorbereitet, dass eine Unterbrechung des Druckes nicht statt- zufinden braucht.

In dem ersten Bande der deutschen Chroniken sind auch die Fortsetzungen der von Prof. Schröder bearbeiteten Kaiserchronik gedruckt worden und es fehlen daher nur noch Kegister und Glossar. Der Druck der von Prof. Rödiger übernommenen Ausgabe des Annoliedes, welches sich unmittelbar daran anschliessen soll, kann im Sommer beginnen. Die für den dritten Band bestimmte, bisher ungedruckte Weltchronik Enikels, von Prof. Strauch in Tübingen herausgegeben, wird als erste grössere Hälfte desselben im Herbst erscheinen. An Ottokars Oesterreichischer Rein chronik von Prof. Seemüller in Innsbruck im fünften Bande wird

MittheiluDgun XII. 42

674 Literatur.

rüstig fortgedruckt: sie soll in einem zweiten Halbbande nebst Einleitung und Register zum Abschluss gelangen und damit eine der neben Cassiodors Varien am frühesten ins Auge gefassten und am längsten entbehrten Auf- gaben unserer Sammlung. Von der durch Prof. Holder-Egger geleiteten Folioausgabe der SS. ist der seit 1888 dem Drucke übergebene 29. Band nur langsam vorgerückt, weil die nunmehr vollendeten Isländischen Ex- cerpte sehr lange aufhielten. Für die darauf folgenden Auszüge aus polnischen und ungarischen Chroniken sowie aus der Hennegauer Chronik des Jacques de Guyse und für die Braunschweiger Fürstenchronik ist ein rascherer Fortschritt des Druckes und vielleicht die Beendigung innerhalb dieses Rechnungsjahres zu gewärtigen. Vornehmlich für die umfangreichen italienischen Chroniken des 13. Jahrhunderts, welche den 30. und 31. Band füllen sollen, hat Prof. Holder-Egger im März eine mehrmonatliche Reise nach Italien angetreten, auf welcher er gleichzeitig auch unentbehrliche Vergleichungen für die Leges und Epistolae auszuführen gedenkt. Ab- handlungen über Johannes Codagnellus und über mehrere sächsische Chro- niken im neuen Archive dienen diesen Arbeiten zur Ergänzung.

In der Reihe der Handausgaben ist die kritische Bearbeitung der Chronik Reginos von Prüm und seines Fortsetzers von Dr. Kurze in Stral- sund erschienen, der neue verbesserte Abdruck der Annales Altahenses von dem Freiherm E. v. Oefele beinahe vollendet. Ebenfalls druckfertig ist eine kritische Ausgabe der Annales Fuldenses von Dr. Kurze, welche schon seit Jahren beabsichtigt war und einen völlig umgestalteten Text bringt.

In der Abtheilung der Leges hat der Druck der von Prof. v. Salis in Basel übernommenen Leges Burgundionum seit Kurzem begonnen und wird noch in diesem Jahre fertig gestellt werden. Von dem zweiten Capitularienbande ist durch Dr. Krause im Anschluss an Prof. Boretius das erste Heft ausgegeben worden, welches bis in die ostfränkischen Capitularien hineinreicht, das zweite und letzte hofit derselbe bis zum October druckfertig zu machen. Durch Prof Zeumer wurde eine Hand- ausgabe der leges Eurici und der lex Reckissuinthiana zum Drucke vorbereitet. Die erste Abtheilung der Regesten der Gerichtsurkunden Frankreichs und Italiens von Dr. Hübner, die Vorarbeit einer künftigen Ausgabe, wird als Beilageheft der Zeitschrift der Savignystiftung soeben gedruckt.

Die Sammlung der Reichsgesetze, für welche noch manche Ver- gleichungen nachzutragen waren, hofft Prof. Weiland in Göttingen im Spätsommer der Presse zu übergeben. Dagegen hat der Dx-uck der Synoden des Merowingischen Zeitalters, unter der Leitung des Hofrathes Maassen von Dr. Bretholz in Wien bearbeitet, schon seit mehreren Wochen begonnen und dürfte im Laufe des Jahres sein Ende erreichen.

In der Abtheilung Diplomata hat Hofrath v. Sickel in Folge seiner UebersieJelung nach Rom die Leitung nur noch bis zum Schlüsse der Urkunden Otto's III. beibehalten, die Ausführung der Arbeit selbst aber grösstentheils in die Hände von Dr. Uhlirz und Erben gelegt, die den Druck dieses Halbbandes noch vor dem Ablaufe dieses Jahres zu vollenden hoffen. Das Register wird von Dr. Tangl angefertigt. Für die Urkunden

Literatur. 675

Heinrich's II. hat Prof. Bresslau seine vorbereitenden Arbeiten eifrig fort- gesetzt und auf die ihm zunächst zugänglichen deutschen Archive, vor Allem das so überaus reiche Münchener, mit dem günstigsten Erfolge erstreckt. Neben den noch ferner in Deutschland, der Schweiz und Oester- reicli vorhandenen, leicht zugänglichen Stücken wird der Rest des Materiales doch erst durch eine später zu unternehmende italienische Reise erschöpft werden können. Noch weniger als an diese ist in Folge der Knappheit unserer Mittel an die schon längst ersehnte Herausgabe der Karolinger- urkunden durch Prof. Mühlbacher zu denken, welche eine der empfind- lichsten Lücken unserer Sammlung ausfüllen würde.

In der Abtheilung Epistolae ist der Druck des ersten Bandes, welcher die ersten 7 Bücher des Registrum Gregorii umfassen soll, durch Dr. L. Hartmann in Wien wieder aufgenommen worden, nachdem er Jahre lang geruht hatte, und wir dürfen seinem Erscheinen in Jahres- frist entgegensehen. In dem drittten Bande befindet sich im Anschluss an die Merowingischen Briefe der von Dr. Gundlach bearbeitete codex Carolinus unter der Presse, dessen Wiener Handschrift auch nach Jaffe noch einmal benutzt werden musste. Da ausserdem nur noch einige kleinere Anhänge fehlen, dürfte dieser Band bis zum Herbst an's Licht treten. Von dem stetig fortschreitenden dritten und letzten Bande der Regesta pontificum des 13. Jahrhunderts ist durch Dr. Roden- berg etwa gerade die Hälfte gedruckt.

Von den zu den sogen. Antiquität es zählenden Partien nähern sich die Salzburger Todten buche r (Necrologia Germaniae II), von Dr. Herzberg-Fränkel herausgegeben, langsam ihrem Abschluss. Von dem dritten Bande der Karolingischen Dichter, bearbeitet von Dr. Harster und Traube, sind eine Anzahl Bogen gedruckt, welche die bisher meist unbekannten Gedichte aus St. Riquier und Agius enthalten, und die Fort- setzung ist gesichert. Das längst versprochene ausführliche In halt s- verzeichniss sämmtlicher Bände, das wir Holder -Egger und Zeumer verdanken, selbst ein stattlicher Band, ist vor etlichen Monaten ausgegeben worden.

Die Redaction des nunmehr auf 16 Bände angewachsenen Neuen Archivs verbleibt auch ferner in den bewährten Händen des Prof. Bresslau in Strassburg.

Einzelne Vergleichungen oder Abschriften wurden im verflossenen Arbeitsjahre freundlichst besorgt von A. Molinier in Paris und Ch. Molinier in Toulouse, Kaiinka in Paris, Emile Ouverleaux in Brüssel, E. Maunde Tompson, Jeayes und Wild in London, Quidde in Rom, Tangl in Wien, Brambach in Karlsruhe, Simonsfeld in München u. s. w. Handschriften wurden theils mittelbar, theils unmittelbar aus den Bibliotheken auch Belgiens, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Oesterreichs, der Schweiz in so grosser Zahl zur Benutzung eingesendet, dass ihre Aufzählung hier zu weit führen würde. Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel hat ebenfalls unter angemessenen Yorsichtsmassregeln die Versendung ihrer handschriftlichen Schätze wieder aufgenommen und die Wiener Hofbibliothek will unter der neuen Leitung des Hofrathes W. v. Hartel in dankens- werthester Weise in unmittelbaren Austausch mit auswärtigen Bibliotheken treten.

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Literatur.

So sind auch im verflossenen Jahre die Arbeiten in allen von uns bet^onnenen Kichtungen rüstig fortgesetzt worden, aber das Arbeitsfeld selbst ist unabsehbar gross und eine Erweiterung oder Beschleunigung unserer Thätigkeit, für welche es an geeigneten Kräften nicht fehlen dürfte, würde reichere Mittel als die bisher verfügbaren erfordern.

Bericht über die zweiunddreissigste Plenarversamm- lung der historischen Kommission bei der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften.

München im Juni 1891. Die Plenarversammlungen der historischen Kommission sind durch Allerhöchste Anordnung auf die Pfingstwoche ver- legt worden, und demgemäss wurde die diesjährige Versammlung vom 21. bis 23. Mai abgehalten. Da der Vorstand der Kommission, der w. Geh. Ober-Eeglerungsrath v. Sybel, durch eine, erfreulicher Weise rasch vorübergegangene Erkrankung verhindert war nach München zu reisen, so hatte in Vertretung desselben, den Statuten gemäss, der Sekretär der Kommission, Prof. Cornelius, die Leitung der Verhandlungen zu über- nehmen, an welchen ausser ihm folgende ordentliche Mitglieder Theil nahmen: der Klosterpropst Freiherr v. Liliencron aus Schleswig, die Geh. Kegierungsräthe Dümmler und Wattenbach aus Berlin, der Hofrath v. Sickel aus Eom, der Geh. Kath v. Wegele aus Wüi-zburg, die Professoren Baum- garten aus Strassburg, v. Hegel aus Erlangen, v. Kluckhohn aus Göttingen, V. Wjss aus Zürich, der Geh. Hofrath v. Eockinger, die Professoren V. Druffel, Heigel und Stieve und der Oberbibliothekar Kiezler von hier; ferner die beiden ausserordentlichen Mitglieder Dr. Lossen, Sekretär der Akademie zu München, und Prof. Quidde aus Rom.

Seit der letzten Plenai-versammlung (Ende September vor. Js.) sind folgende Publikationen durch die Kommission erfolgt:

1. Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Bd. XXL Ge- schichte der Kriegswissenschaften von Max Jahns. Abtheilung ÜL (Schluss.)

2. Vatikanische Akten zur deutschen Geschichte in der Zeit Kaisers Ludwigs des Bayern. Herausgegeben von Sigmund Riezler.

3. Allgemeine deutsche Biographie. Bd. XXXI und XXXH.

Von der Augsburger Chronik des Hektor Mülich (1448 1487) nebst Zusätzen von Demer, Walther und Eem, welche für Bd. XXII der Stadt e- Chroniken, Augsburg, Bd. III. bestimmt ist, sind sechzehn Bogen gesetzt, beziehungsweise gedruckt, und ist das Erscheinen des Bandes im Laufe dieses Sommers zu erwarten.

Dagegen ist Dr. Koppmann, Archivar der Stadt Rostock, durch andere Arbeiten verhindert worden, den Druck des 7. und 8. (Schluss)- Bandes der Hanse-Recesse schon in diesem Jahr, wie er gehofft hatte, beginnen zu lassen.

Auch Prof. Oelsner in Frankfurt hat die Umarbeitung des Bonnell'- schen Buches über die Anfänge des Karolingischen Hauses, welche er für die Jahrbücher des deutchen Reiches übernommen und deren Vollendung er für das gegenwärtige Jahr in Aussicht gestellt hatte, noch nicht zu Ende führen können. Prof. Meyer v. Knonau in Zürich

Literatur, 677

ist mit der Fortsetzung seiner Arbeiten für die deutschen Jalii-bücher eifrig beschäftigt und gedenkt dem im vorigen Jahr erschienenen ersten Band der G-eschichte Heinrichs IV. und V. schon 1894 den zweiten, der womöglich die Jahre 1070 1080 umfassen soll, folgen zu lassen.

Von der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland steht zunächst die Geschichte der Medizin zu erwarten. Geheimrath Hirsch in Berlin, der den grössten Theil des Werkes bereits vor einem Jahre druck- fertig gestellt hatte, spricht die bestimmte Hoffnung aus, bis zum nächsten Frühjahr das Werk zum Abschluss zu bringen. Die Geschichte der Physik in diesem Jahr zu vollenden, ist Prof. Karsten in Kiel dui'ch Krankheit verhindert worden. Prof. v. Zittel in München glaubt mit Sicherheit voraussagen zu dürfen, dass er im Jahre 1894 die Geschichte der Geologie vollenden werde. Die seit Jahren schmerzlich vermisste Fortsetzung von Stintzing's Geschichte der Rechtswissenschaft hat nun Prof. Landsberg in Bonn übernommen. Fr hat sich bereit erklärt, die Geschichte der Rechts- wissenschaft in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert zu schreiben und gedenkt im Jahre 1897 diese Arbeit zu Ende zu führen.

Die allgemeine deutsche Biographie ist in rüstigem Fort- gang begriffen und wird, wofern keine unerwartete Störung eintritt, binnen wenigen Jahren zum Abschluss gelangen.

Die Arbeiten für die ältere Serie der deutschen Reichstags- akten erlitten durch die Berufung des Prof. Quidde nach Rom eine empfindliche Störung, doch wurde sein römischer Aufenthalt für das Unter- nehmen in der Weise nutzbar gemacht, dass nach seinen Anweisungen Dr. Kaufmann aus Wertheim eine Ergänzung der früheren römischen Ar- beiten in Angriff nahm. Beim Begimi der Vatikanischen Ferien wird die Arbeit voraussichtlich bis 1471 abgeschlossen, in einigen Punkten noch weiter hinausgeführt sein. Die Reisen des Dr. Schellhass in die Schweiz und des Dr. Heuer in die preussische Rheinprovinz im Oktober 1890 er- gaben befriedigende Ausbeute, ebenso ein gelegentlicher Abstecher des Dr. Schellhass nach Wolfenbüttel. Handschriften wurden dann in Frank- furt durch Dr. Heuer, in München durch Dr. Schellhass, mit gelegentlicher Unterstützung durch Dr. Sommerfeldt, ausgenützt. In München traten Anfang Dezember Dr. Herre aus Dessau und Anfang April Dr. Beckmann aus Osnabrück neu ein, und mit ihrer Hülfe hat Dr. Schellhass dann die früher lückenhaft gebliebenen allgemeinen literarischen Vorarbeiten für den ganzen Umfang des Unternehmens abgeschlossen, zugleich auch weiteres Material für die dreissiger und vierziger Jahre des 15. Jahrhunderts ge- sammelt. Die Schlussredaktion des 10. Bandes ist von Dr. Schellhass begonnen worden. Der Abschluss des Manuscriptes wird allerdings vor- aussichtlich durch seinen für den Herbst bevorstehenden Austritt eine Verzögerung erleiden. Doch hofft Prof. Quidde im Laufe des Winters die Bearbeitung des Bandes wieder energischer aufnehmen zu können.

Die Vorarbeiten für die Herausgabe der deutschen Reichstags- akten der Reformationszeit, an welchen sich unter Prof. Kluck- hohn's Leitung Dr. Wrede, Dr. Merx, Dr. Saftien betheiligten, vornehmlich auf Sammlung des Materials für die zwanziger Jahre gerichtet, konnten in der Hauptsache an dem Wohnoi*t des Leiters, zu Göttingen, stattfinden. Dank den umfangreichen Akten- und Han9 Schriftensendungen, die unter

678 Literatur.

Vermittlung der Göttinger Bibliotheksverwaltung aus den Archiven und Bibliotheken von Berlin, Goslar, Arolsen, München, Bamberg, Speier, Stutt- gart dorthin gelangten, sowie Dank den zahlreichen Abschriften, welche die Archivvorstände zu Weimar, Karlsruhe, Innsbruck und vorzüglich zu Wien dem Untei'nehmen zur Verfügung stellten. Ausserdem wurden längere und kürzere Keisen ausgeführt von Dr. Merx nach Marburg, München und Weimar, von Dr. Saftien ebenfalls nach Weimar, von Prof. v. Kluckhohn nach Nordhausen, Merseburg, Zeitz, Naumburg. Da sich im Laufe dieser Arbeiten das Vorhandensein einer Fülle von ausserordentlich wichtigen und bisher von der Forschung kaum berührten Akten über die Verhand- lungen mit den Kurfürsten über die Wahl Karls V. herausstellte, so ver- langte und erhielt der Herausgeber die Genehmigung der Kommission für eine Abänderung des ursprünglichen Planes des Unternehmens. Während nach diesem mit dem Tage der Wahl Karls V. der Anfang hätte gemacht werden sollen, werden nun die Wahlverhandlungen, beginnend mit dem Reichstag von Augsburg 1518, vorangestellt, und soll der 1. Band bis zum Reichstag in Worms 1521 reichen, der 2. Band ausschliesslich diesem Reichs- tag gewidmet sein. Dadurch wird der Beginn des Druckes hinausgeschoben. Der Herausgeberhofft: nur um ein halbes Jahr. Die Kommission aber glaubte, von der Festsetzung eines neuen Termines vorerst absehen zu sollen.

Dagegen ist die Sammlung der Nuntiaturbe richte aus Deutsch- land, die als » Supplement '■'■ zu den deutschen Reichstagsakten der Refor- mationszeit erscheinen soll, von Prof. Friedensburg in Rom so weit gefördert worden, dass der Druck des 1. Bandes am 1. Juni, die Versendung hoffentlich um Michaelis stattfinden dürfte. Der 2. Band soll unmittelbar darnach folgen und spätestens Ostern 1892 gedruckt vorliegen.

Für die ältere Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Korre- spondenzen hat Prof. V. Bezold die Arbeit durch eine in diesem Frühjahr nach Berlin gerichtete Reise wieder aufgenommen, welcher eine Reise nach Paris und Brüssel folgen soll, beide der Vervollständigung des Materials für den 3. Band der Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir gewidmet.

Für die ältere Bayerische Abtheilung ist Prof. v. Druffel wieder thätig. Er ist mit der Vorbereitung zur Drucklegung des 4. Bandes seiner Beiträge zur Reichsgeschichte beschäftigt. Zur Ergänzung des Materials wird er im Herbst die Archive zu Wien und Dresden besuchen. Ausserdem ist das Anerbieten des Dr. Lossen, die Herausgabe der Korre- spondenzen Herzog Alb rechts V. und seiner Söhne 1563 bis 1590 vorbereiten zu wollen, dankbar angenommen worden.

Für die vereinigte jüngere Pfälzische und Bayerische Abtheilung, die unter der Leitung des Prof. Stieve steht, hat sein Mitarbeiter, Dr. Mayr-Deisinger, die Sammlung des Materials für die Jahre ir)18 1620 mit Eifer und grossem Erfolg fortgesetzt. Prof. Stieve selbst hat in den Osterferien eine Reise nach Wien unternommen und alle im dortigen Staatsarchiv befindlichen, die Jahre 1611 1(520 betreffenden Akten durchgesehen und verzeichnet, daneben eine Anzahl wichtiger Akten- stücke aus den Jahren 1600 1610 benutzt. Dann wurde er durch die unvei-muthete Entdeckung höchst wichtiger Akten des Münchener Staats- archivs veranlasst, sich nochmals zum Zweck einer ergänzenden Veröffent- lichung mit den Jaluen ](U)() 1()02 zu beschäftigen. Von jetzt an wird

Literatur. 679

er seine Kräfte gänzlich der Herausgabe des 6. Bandes der »Briefe und Akten* widmen. Die geplante Keise des Dr. Mayr-Deisinger ist auf den Herbst verschoben und wird einer gründlichen Ausbeutung der Archive Wiens und Dresdens gewidmet sein. Zur raschen Förderung des grossen und weitschichtigen Unternehmens hat die Kommission beschlossen, dem Prof. Stieve die Berufung eines zweiten Mitarbeiters zu gestatten.

Ferner hat die Kommission beschlossen, zwei neue Arbeiten in An- griff zu nehmen: 1. Eine j, Sammlung von Briefen und Akten zur Geschichte Bayerns in der Zeit der Reformation* wird unter die Leitung des Prof. v. Druffel gestellt. 2. Für die Herausgabe von »Korrespondenzen deutscher Humanisten des 1 5. u. l 6. Jahr- hunderts*, und zwar vor allem und zunächst derjenigen, die den Land- schaften angehören, die heute den bayerischen Staat bilden, wird Prof. V. Bezold den Plan entwerfen und die Leitung übernehmen.

Bericht über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Gesellschaft für Kheinisclie Gesell ichtskunde.

Seit der neunten Jahresversammlung gelangte zur Ausgabe: Die Legende Karls des Grossen im 11. und 12. Jahrhundert von Ger- hard Rauschen. Mit einem Anhang über Urkunden Karls des Grossen und Friedrichs L für Aachen von Hugo Loersch. (VU. Publikation.)

Die Vorarbeiten für den Druck des zweiten Bandes der Kölner Schreinskarten sind im verflossenen Jahre noch nicht völlig zum Abschluss gelangt. Die Bearbeitung des Schreinskarten-Materials, das im 2. Band zum Abdruck kommen soll, bietet Schwierigkeiten besonderer Art. Die handschriftliche Ueberlieferung ist eine sehr ungünstige und das herzustellende Register erfordert die Ermittelung der Identität mehr- fach erwähnter Personen und Grundstücke, welche den grössten Schwierig- keiten begegnet. Der Herausgeber ist dessen unerachtet entschlossen, in den Sommerferien eine letzte Revision vorzunehmen und beabsichtigt das Manuscript bis zum Beginne des Wintersemesters zum Druck einzuliefern.

Die Drucklegung des 1. Bandes der vom Geh. Justizrat Prof. Dr. Loersch geleiteten Ausgabe der Rheinischen Weistümer hat auch im abgelaufenen Jahre nicht stattfinden können, weil der Mitherausgeber, Dr. Paul Wagner, die von ihm übernommenen historisch-topographischen Einleitungen zu den einzelnen Aemtern noch nicht zum Abschluss bringen konnte. Die Versetzung desselben als Staatsarchivar an das Kgl. Staats- archiv zu Aurich hat zwar eine Unterbrechung in seinen Arbeiten herbei- geführt, es ist aber zu hoffen, dass das ganze Manuscript des 1. Bandes doch im Laufe dieses Jahres in den Druck gehen kann. Von der Heran- ziehung eines ständigen Hilfsarbeiters für diese Unternehmung ist vorläufig abgesehen worden, da sich eine geeignete Persönlichkeit nicht gefunden hat.

Die neuen Räumlichkeiten des Aachener Stadtarchivs sind erst im Sommer des vorigen Jahres bezogen worden, eine Förderung der Ausgabe der Aachener Stadt rechnungen dui'ch Verwertung der Urkunden und Akten des Archivs kann nunmehr in Aussicht genommen werden.

Die Herausgabe der Rheinischen Urbare ist im Juli 1890 Prof. Dr. Lamprecht endgültig übertragen worden. Die erste Aufgabe für die

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Edition musste darin bestehen, zu einer Uebersiclit der ziemlich aus- gedehnten Ueberlieferung zu gelangen. Für den Süden der Provinz (Reg.- Bez. Trier und Koblenz, Bereich des Staatsarchivs Koblenz) sind die hiefür nöthigen Vorarbeiten schon in Lamprechts Deutschem Wirthschaftsleben, 2, 676 783, erledigt; es blieb also vor allem eine vorläufige Durch- arbeitung der Ueberlieferung des Nordens (Reg.-Bez. Köln, Aachen, Düssel- dorf, Bereich des Staatsarchivs Düsseldorf) nothwendig. Soweit sie zunächst angezeigt war, hat Prof. Lamprecht sie in den akademischen Herbstferien erledigt. Diese Aufnahmen sind in dem Marburger Universitätsprogramm vom Oktober 1890 gedruckt worden. Abgesehen von dieser Vorarbeit gi'össerer Ai't sind im Laufe des abgeschlossenen Halbjahrs die Studien nicht sehr gefördert worden. Allerdings sind von kompetenten Kennern engster lokaler Ueberlieferungen am Niederrhein, in Aachen, in Köln und sonstwo mehr oder weniger wertvolle Ergänzungen geliefert worden. Aber die eigentliche Arbeit hat erst mit dem 1. Januar 1891 begonnen, indem zwei junge Historiker, Dr. Bahrdt aus Göttingen und Dr. Bartel aus Düsseldorf, die Bearbeitung der eigentlichen Ausgabe übernommen haben. Mit der nördlichen Hälfte der Provinz ist der Anfang gemacht worden. Ueber die Zeit, in welcher einzelne Theile der Edition druckreif vorliegen könnten, lässt sich bis jetzt noch nichts bestimmen.

Die Arbeiten für den Erläuterungsband zu dem Buche Weins- berg hat Prof. Dr. Höhlbaum in Giessen trotz seiner langen Krankheit im vorigen Winter im Frühjahr und trotz seines Wegganges von Köln erheblich gefördert. Die Sammlung von Akten und Briefen zur Geschichte der auswärtigen und allgemeinen Beziehungen der Stadt Köln um die Mitte und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrb., die in dem Bande ediert werden sollen, ist in dieser Zeit um viele hundert Stücke vennehrt wor- den. Sie vnirden durch viele Auszüge und Notizen ergänzt; weitere Abschriften sind in Köln in Arbeit. Die Bereisung anderer Archive, die Herstellung der Edition muss wegen der neuen Verpflichtungen, die Prof. Höhlbaum mit dem Wiederantritt der akademischen Thätigkeit über- nommen hat, hinausgeschoben werden; im Jahre 1891 wird die Vollendung dieser Publikation nicht erfolgen. Prof. Höhlbaum behält sich vor, seinen Antheil an dem Erläuterungsbande später festzustellen, d. h. einzuschränken, aus den sehr umfangreichen Sammlungen einen Theil nur für den Band zusammenzufassen, den andern Theil aber dem Vorstande zu weiterer Ver- wendung zu übergeben.

Ueber die Ausgabe der Jülich-Bergischen Landtagsakten berichtet Prof. Dr. Ritter. Der letzte Jahresbericht zeigte Prof. Dr. V. Below beschäftigt mit dem. 3. Theile seiner Untersuchung über die An- fange der landständischen Verfassung in Jülich-Berg; er stellte zugleich in Aussicht, dass bis zum Herbst 1890 ein ansehnlicher Theil des zur Herausgabe hergerichteten Aktenvorrates druckfertig voi'gelegt werden könne. Gegenwärtig ist die ei'wähnte Untersuchung eine Geschichte der Jülich-Bergischen Steuern und Steuerverfassung von den Anfängen bis zur Mitte des 16. Jahrb. abgeschlossen. Die erste Hälfte derselben ist gedruckt und an die Vorstandsmitglieder und Patrone versandt worden ; die zweite Hälfte ist druckfertig und wird bald vorliegen. Solange Prof. V. Below mit der Ausarbeitung dieser Untersuchung beschäftigt war.

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konnte er seine Thätigkeit der abschliessenclen Kedaktion der für die Herausgabe bestimmten Landtagsakten noch nicht zuwenden. Jetzt aber ist auch diese Arbeit nachdrücklich in Angriif genommen worden, nach- dem das Material selber im Laufe des Jahres noch vielfach, wo es der Ergänzung bedurfte, vervollständigt worden ist, so besonders durch Aus- nutzung des Archivs der Jülicher Unterherrschaften und durch Heranziehung der Jülicher Eeichstagsakten, soweit sie sich mit den Landtagsverhand- lungen berühren. Der Ausgabe der Landtagsakten soll eine Einleitung vorausgeschickt werden, in welcher die in den bisher veröffentlichten Untersuchungen v. Belows über die Anfänge und erste Entwicklung der landständischen Verfassung gewonnenen Ergebnisse übersichtlich zusammen- CTofasst werden.

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Der erste Band der älteren Matrikeln der Universität Köln ist in der Bearbeitung eben vollendet worden. Der Matrikel-Text ist für die Edition vollständig festgestellt, sämmtliche Tabellen, Beilagen und Register liegen druckreif vor, ebenso die Erläuterungen, für welche das Material z. T. aus weiter Feme mit Hilfe ausländischer Gelehrten herbei- gebracht worden ist. Der Stoff für die Einleitung ist gesammelt; es bedarf nur noch der Verarbeitung dieses Materials und der Gruppierung der Forschungsergebnisse. In wenigen Wochen wird auch diese Arbeit erledigt sein, sodass an den Druck herangetreten werden kann. Im Laufe d. J, 1891 wird die Publikation ohne Zweifel hinausgehen können.

Die Regesten der Erzbischöfe von Köln bis z. J. 1500 unterstehen der Leitung von Prof. Dr. Menzel. Das ältere Urkunden- und Kanzleiwesen der Erzbischöfe von Köln bis zum Jahre 1100 wurde weiter durchforscht und durch verschiedene Nachträge bereichert. Die Arbeiten für das 12. Jahrh. erlitten leider eine Unterbrechung, weil der damit be- auftragte Dr. Knipping seit dem 1. April durch Militärdienst abgehalten wurde. Sie sollen aber in diesem Jahre fortgesetzt und beendet werden. Im Regierungsarchiv zu Luxemburg wurden verschiedene Originalien des 13. Jahrh. aufgefunden und bearbeitet.

Für die ältesten Urkunden der Rheinlande wurden von Prof. Dr. Menzel in Koblenz die Urkunden von St. Castor, St. Florin, Pfalzel und Prüm, in Trier das Diplom atarium Baldewini des Grafen Kesselstatt bearbeitet. In Trier wurde mit der Durchsicht der Hand- schriften fortgefahren, und es sind daraus sehr wertvolle Berichtigungen und Ergänzungen zu den vorhandenen Di'ucken gewonnen worden. Im Regierungsarchiv zu Luxemburg wurden die Originale des Klosters Echter- nach bearbeitet und in der Landesbibliothek daselbst die Abschrift des Liber aureus verglichen.

Für den geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz sind auch im J. 1890 Gymnasiallehrer Konstantin Schulteis in Bonn und Dr. Wilhelm Fabricius in Darmstadt thätig gewesen. Die Arbeiten von Schulteis waren vor allem auf ein rasches Erscheinen der Karte der französischen Zeit gerichtet. Bei der weiteren Ausführung der einheit- lichen Arbeitskarte in 1:80000 für Trier und Köln ist er daher nur soweit ins Detail gegangen, wie es für die französische Zeit unbedingt notwendig war. Für die Gemeindegrenzen im Fürstentum Birkenfeld erfreute er sich der Unterstützung der Grossherz. Oldenburgischen Be-

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hörden; für den Kreis Meissenheim und diejenigen Theile der Provinz, welche noch nicht durch die neuen Messtischblätter vertreten sind, halfen die Herren Landräte bereitwilligst aus. So konnte die Rekonstruktion der ehemaligen Kantone erfolgen. Dieselbe ist jetzt für die ganze Provinz fertig: es begann dann die Uebertragung in Blei auf die Urkarte, welche durch die Keducierung von 1:80000 auf 1: 500000 besondere Schwierig- keiten verursacht. Diese Reducierung ist für das ganze linke Rheinufer fertig bis auf die Strassen, Kantons-Grenzen, Kantons-Hauptorte, Mairien, Kantons- und Succursal-Kirchorte der Katholiken und die Pfarreien der Lutheraner und Reformirten, ca. 14 1500 Namen. Auch auf der rechten Rheinseite sind die meisten Einzeichnungen vollendet, wobei das erz- bischöfliche Generalvikariat ein dankenswertes Entgegenkommen gezeigt hat. Die Einwohnerstatistik ist ebenfalls weiter vorgerückt; sie soll durch eine entsprechende Auswahl der Situationszeichen verwertet werden. Für die Ausarbeitung des notwendigen Textes sind zahlreiche Notizen ge- sammelt. Dr. Fabricius stellte die ehemalige Gestaltung der westlichen Theile des Regierungsbezirks Trier fest und ging dann zur Bearbeitung des Bezirks Aachen über, die aber äusserer Schwierigkeiten wegen nicht ganz beendet werden konnte. Hauptsächlich wurden benutzt das Grossherz. Regierungsarchiv in Luxemburg und das Düsseldorfer Provinzialarchiv, so- wie Vorarbeiten des Grafen W. v. Mirbach für das Herzogtum Jülich. Für einen grossen Theil von Trier und für den Kreis Meissenheim fehlen die Messtischblätter, sodass die Katasterkarten herangezogen werden müssen. Die Bearbeitung der Kurkölnischen und Jülichschen Landestheile wird im Laufe des Winters vollendet sein. Die noch fehlenden Gebiete, haupt- sächlich nur noch die Herzogtümer Kleve und Berg, bleiben für das Frühjahr vorbehalten, worauf eine Revision des Ganzen folgen soll.

Die Leitung der Ausgabe der Zunft Urkunden der Stadt Köln hat Prof. Dr. Höhlbaum auch nach seiner Uebersiedelung nach Giessen vorläufig beibehalten. Cand. Kaspar Keller hat die Sammlung des Roh- stofl's im wesentlichen abgeschlossen. Die Ausarbeitung selbst ist mit grossen Schwierigkeiten verknüpft, von denen nicht die geringste die räumliche Entfernung zwischen Leiter und Bearbeiter ist. Es imterliegt daher erheblichem Zweifel, ob das Werk in der bisherigen Einrichtung wird fortgesetzt werden können.

Für die dem Geh. Archivrat Dr. Harless in Düsseldorf übertragene Be- ai-beitung der IL Abteilung der Jülich-Bergischen Landtags- Akten hat im abgelaufenen Jahre wesentliches nicht geschehen können. Doch lässt die Geschäftslage des Staatsarchivs im Jahre 1891 eine ent- schiedenere und planmässige Förderung der Arbeiten, vielleicht auch durch neue Kräfte erhoffen.

Als neues Unternehmen der Gesellschaft hat der Vorstand die Heraus- gabe der zweiten Auflage der »Nachrichten von dem Leben und den Werken Kölnischer Künstler* beschlossen, welche aus dem Nachlasse des Dr. Joh. Jak. Merlo von den Erben freundlichst zur Verfügung gestellt worden ist. Die Verhandlungen über die Bestellung eines oder mehrerer Herausgeber für das Werk sind bereits eingeleitet. Ueber die Zeit des Erscheinens dieser grundlegenden Quellensammlung zur Kölner Kunstgeschichte lässt sich augenblicklich noch nichts näheres angeben.

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Bericht der Kommission für die Denkmäler Statistik der Rheinprovin/ über die Thätigkeit seit dem l. April 18 9 0. Seit dem ]. Oktober 1890 ist der Kunsthistoriker Dr. Paul Giemen für die Vorbereitung und Abfassung der Beschreibung der Kunstdenkmäler seitens der Kommission angestellt. Er hat zunächst die umfangreiche Literatur in den Bibliotheken von Berlin, Bonn und Köln für den ganzen Bereich der Provinz gesammelt und zusammengestellt, sodass nunmehr für den Aufbau des ganzen Werkes die unumgänglich nötige wissenschaftliche Grundlage gewonnen ist. Er hat dann den Kreis Kempen bereist und die Beschreibung der Denkmäler dieses Kreises im Anschluss an die schon während des Sommers 1890 unter Leitung des Baumeisters Wiethase her- gestellten Aufnahmen vollendet. Der Druck dieses ersten Heftes des Werkes wird sofort beginnen. Die Aufnahmen im Kreise Geldern, sowie die Bereisung dieses Kreises haben bereits stattgefunden, die Abfassnng der Beschreibung kann daher ohne Säumen vorgenommen werden, sodass der Druck und das Erscheinen eines zweiten dem Kreise Geldern ge- -vvidmeten Heftes für die Mitte dieses Jahres bestimmt in Aussicht ge- nommen werden können. Während des laufenden Jahres werden jedenfalls noch die beiden Kreise Kleve und Moers bearbeitet.

Die Historische Kommission der Provinz Sachsen hielt am 20. und 21. Juni unter dem Vorsitz des Prof. Dr. Lindner ihre 17. ordentliche vSitzung zu Halle ab.

Von den Geschieht s quellen ist in dem letzten Verwaltungsj ahre nur ein Band, die Korrespondenz Mutians, hg. von weil. Dr. K. Gillert, erschienen. Binnen kurzer Zeit wird zur Ausgabe gelangen das Urkunden- buch der Stadt Wenigerode, von Archivrath Dr. Jacobs bearbeitet. Im Druck befindlich ist der 1. Band des Urkuudenbuchs der Stadt Magdeburg, herausgegeben von Oberlehrer Dr. Hertel. Auch der Druck des von Dr. Hortschansky angefertigten Registers zu den von Weissenborn heraus- gegebenen Matrikeln der Universität Erfurt ist vorwärts geschritten. Im Manuskript liegen druckfertig vor der 2. Band des Urkundenbuchs der Stadt Erfurt, bearbeitet von Stadtarchivar Dr. Beyer bis zum Ende des 14. Jahrhunderts reichend, und der erste Theil des Urkundenbuchs der Stadt Goslar, in welchem der Staatsanwalt Bode die Urkunden der Stadt bis zum Jahre 1250 vereinigt hat. Die Arbeiten an den Regesten der Herzöge von Sachsen-Wittenberg sind durch Dr. Pabst gefördert worden. Von dem Vorsitzenden ist eine Anweisung über die Herausgabe der Ge- schichtsquellen abgefasst worden. Sie enthält in knappen Zügen die Gi'undsätze, nach welchen künftig verfahren werden soll. Dr. Walther Schnitze hat einen Wegweiser durch die Geschichtsquellen der Provinz Sachsen ausgearbeitet, welcher eine Uebersiclit über das sämmtliche ge- druckte Quellenmaterial zur Geschichte der Provinz Sachsen und ihrer Bestandtheile bis zum Jahre 1555 enthält.

Zur Erinnerung an das verstorbene Mitglied der Kommission D. Hein- rich Otte soll die letzte Arbeit des Verstorbenen Ueber die Glocken, welche ursprünglich als Neujahrsblatt für das Jahr 1S91 in Aussicht

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genommen war, besonders herausgegeben werden. Dr. Julius Schmidt wird eine kurze Biographie Otte's nebst einer Bibliographie der von ihm verfassten Werke voranschicken. Als Festschrift der Kommission zu der bevorstehenden Jubelfeier der Universität Halle i. J. 1894 ist eine Samm- lung der kleinen deutschen Schriften des Thomasius in Aussicht genommen.

Das Neujahrsblatt für 1892, welches Geh. Eeg.-Rath Prof. Dr. Dümmler übernommen hat, wird auf die Provinz Sachsen und angrenzende Gebiete bezügliche Auszüge aus dem Tagebuche eines Schweizers Namens Landolt enthalten, der im Jahre 1782 und den folgenden Jahren Deutsch- land durchreiste.

Von den Bau- und Kunstdenkmälern der Provinz Sachsen ist im verflossenen Verwaltungsjahre das 13. Heft, umfassend die Stadt und den Landkreis Erfurt von Oberregierungsrath Frhr. v. Tettau, erschienen. Demnächst wird zur Ausgabe gelangen das 14. Heft, die Bau- und Kunst- denkmäler des Kreises Oschersleben , bearbeitet vom Gymnasialdirektor Dr. Schmidt, enthaltend. Weiter sind vollendet die Kreise Mansfeld und Gardelegen, welche zusammen mit den seit längerer Zeit druckfertig vor- liegenden Kreisen Delitzsch, Bitterfeld und Schweinitz sobald als möglich dem Drucke übergeben werden sollen.

Von den Vorgeschichtlichen Alterthümern liegt das Heft 1 1 : Die vorgeschichtlichen Burgen und Wälle der Hainleite von Dr. P. Zschiesche bearbeitet, vor und wird binnen kurzem erscheinen.

Das Provincial-Museum hat nach dem eingereichten Berichte nicht nur einen bedeutenden Zuwachs an Gegenständen erfahren, sondern es ist vor allen mit der systematischen, wissenschaftlichen Ordnung der Anfang gemacht worden. Das Museum ist namentlich durch Abformungen, Zeichnungen und Photographien von Gegenständen aus auswärtigen Samm- lungen, welche ihrem Ursprünge nach der Provinz Sachsen angehören, ergänzt worden. Der Museumsdirektor wird in dieser Richtung die Neu- ordnung und Vermehrung des Museums fortsetzen und eine Anzahl von Ausgrabungen vornehmen. Die vom Direktor zu erstattenden Jahresberichte sollen künftig gedruckt und in geeigneter Weise vertheilt werden.

Die Arbeiten am Geschichtsatlas und dem Wüstungsver- zeichnis sind im verflossenen Jahre weiter gefördert worden. Namentlich ist Archivar Dr. Krühne nach letzterer Richtung thätig gewesen und stellt einen vorläufigen Abschluss seiner Arbeit schon für das laufende Ver- waltungsjahr in Aussicht. Prof. Dr. Grössler ist beauftragt, ein Wüstungs- verzeichnis der beiden Mansfelder Kreise in Angriff zu nehmen.

Der im vorigen Jahre gefasste Beschluss betreffs Sammlung von Abdrücken der Stadt-, Gemeinde-, Kirchen- und Innungs- siegel der Provinz Sachsen hat den Erfolg gehabt, dass ein grosser Theil dieser Siegel der Kommission von den Behörden übersendet worden ist. Den Eingang noch ausstehender Siegel hofit die Kommission durch ein erneutes Gesuch zu veranlassen.

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in der staufischen Zeit. Von Dr. August Baer. 1888. Preis M. 2.80

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