Reiwuma \AHH Library of the Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. Founded bp private subscription, in 1861. Deposited by ALEX. AGASSIZ. No. GONZ TRENNEN E E Jenaische Zeitschrift - MEDICIN _NATURWISSENSCHAFT medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Fünfter Band. Mit achtzehn Tafeln. a Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann. ©. 1870. | Jae ger, Dr. Gust., Ueber das Längenwachsthum der Knochen. (Mit = Bieizechnitten 0... 002.000 | Gegenbaur, C., Ueber das Skeletgewebe der Cyclostomen. (Taf. I) Dohrn, Dr. A., Unter achinga über Bau und Entwickelung der Arthro- : poden. 1 Veber den Bau und die Entwickelung der Cumaceen. A ern 1 Froelich, Dr. Otto, ‚Ueber die Monochlocrotonsäure und ihre Balz | Bessels, Emil, Einige Worte über die Entwickelungsgeschichte und den morpholog. Werth des kugelförmigen Organes der Amphipoden. (Mit ; Diioischnitten 2.2.0.0... 00 00 | Eocke, Dr. W. O., Die e Methode erlähtert an den Blattformen des Rubus Idäus Bo o . Harting, Prof. P., Ueber eine eb durch Verb Periphengedde Asym- — metrie des nena Skelets ....2 22 oe. . Schultze, B. S., Ueber Palpation der Beckenorgane und über graph. No- L tirung des Resultate desselben (Taf. IV)... ..2 2 Müller, Fr., Die Bewegung des Blüthenstieles von Atlas a 5 Dohrn, Dr. Ant., Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthro- poden. 2. Ueber Entwickelung und Bau der Pycnogoniden. (Taf. V u. T A a se Mahn, Dr. R., Ueber einige Zersetzungsproducte des Phosphorwasserstoffs, des Antimonwasserstoffs und des Siliciumwasserstoffs . . . . . . e> - Müller, Wilh., Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im o Ianue 1868... la VID: ee Haeckel, Ernst, Ueber den Organismus der Schwämme und ihre Ver- - wändtschaft mit den Gorallen. - o .... 2.2.2.2 2.0. | — Prodromus eines Systems der Kalkschwämme . . > > s o osoo i Müller, Fr., Bemerkungen über Cypridina. (Taf. VII u. IX). . Dohrn, Dr. Anton, Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. 3. Die Schalendrüse und die embryonale Entwickelung der Daphnien TEN). 2... 2. 202020000 —— Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. 7. Zur ; Kenntniss vom Bau und der Entwickelung von Tanais. (Taf. XI u. X. i Reichardt, Dr. H., Ueber die Zersetzungsproducte des Traubenzuckers bei Einwirkung starker Basen . . ..... e o 102 110 113 133 138 158 167 . 207 236 . 255 293 Iy Inhalt, Gegenbaur, C., Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. (Taf. Schultze, B. S., Eine Gebärmutter mit mindestens fünfzig Fibroiden. (Taf. | ee an Haeckel, Ernst, Ueber Eintwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie. Rede, gehalten beim Eintritt in die philosophische Facultät zu Jena am an Schreiber, Dr. A., Ueber Diäthglyoxylsäure-Aether.......... 31 Preyer, W., Die Verwandtschaft der Töne und Farben . . . . 2... 2.2.9376 Gegenbaur, C., Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen und der Hintergliedmaassen der Selachier insbesondere. (Taf. XV u. XVI und 7 Holzschnittiguren . .. 2. 2.2.22.2.2...397 —— Ueber die Modificationen des Skelets der Hintergliedmaassen bei den Männchen der Selachier und Chimären (Fig. 15—24 auf Taf. XVI .. 4842 Abbe, E., Ueber einen Spectralapparat am Mikroskop. (Mit 1 Holzschnitt.) 459 Dohrn, Dr. Anton, Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthro- poden. 8. Die Ueberreste des Zoëča-Stadiums in der ontogenetischen Entwickelung der verschiedenen Crustaceen-Familien. ........ 41 Haeckel, Ernst, Beiträge zur Plastidentheorie. | 1. Die Plastidentheorie und die Zellentheorie . . . . 22. .. . . . 492 2. Bathybius und das freie Protoplasma der Meerestiefen. (Taf. XVII). 499 3. Myxobrachia von Lanzerote. (Taf. XVOD a i 4. Die Plastiden und das Protoplasma der Rhizopoden . . .. . . , 527. | 5. Amylum in den gelben Zellen der Radiolarien. . . . 02,500 0 6. Die Identität der Flimmerbewegung und der amoeboiden Proto- Blamabewegung 0... „0.2.0, . 540 Í 7. Die Plastidentheorie und die Kohlenstofftheorie . . . . . =. . . 544 | Kleinere Mittheilungen. Focke, Dr. O. Wi Ueber Rubus Leesii Babingt, » .,.2..:.,..,. 0.0.0. 127 os Schultze,B.S., Pessarien aus weichem Kupferdraht und vulcanisirtem Gummi... 130 ; Miklucho-Maclay, Ueber das Gehirn der Chimära. . . 2 2. o n sonau nana 132 i Reichardt, E., Zoochemische Mittheilungen . .. nonono m a a a 389 Burckhard, Dr. Paul, Bleetrolytische Versuche . 2 2 2 co 2 Corn 393 ——— Analyse eines Bronce-Ringes aus einem heidnischen Grabe bei Tirschneck, nahe Camburg ee aa ea r a a a a 395 Ueber das Längenwachsthum der Knochen von Dr. Gustav Jaeger, Docent für Anthropologie und Zoologie in Stuttgart und Hohenheim. Mit 2 Figuren in Holzschnitt. Wenn man von der Ansicht ausgeht, dass die verschiedenen For- men des Thierreiches eine Entwicklung aus anderen, ihnen vorangegan- _ genen seien, so wird man genöthigt, sich nach den Ursachen umzu- sehen, die abändernd einwirken auf den Körperbau. Lamarck war der erste, der auf eine morphologische Kraft hinwies, von der wir experi- mental constatiren können, dass sie selbst noch auf das erwachsene Thier abändernd einwirken kann, nämlich Steigerung des Gebrauches; und er baute darauf seine bekannte Lehre von der Entwicklung der Thierwelt. Seit Lamarck seinen Gegnern unterlag, hat man dieser morpholo- Sischen Kraft fast nur noch von Seite der Thierzüchter (Narnusıvs, über den Schweinsschädel) und in neuerer Zeit von Seite der Vertreter der Ymnastik einige Aufmerksamkeit zugewendet. Auf diesen beiden ebieten macht man praktischen Gebrauch von dem Umstand, dass 568teigerter Gebrauch eines Körpertheiles dessen anatomische Beschaf- fenheit ändert. — Einige Untersuchungen, die ich anstellte, um die Wirkungen des aufrechten Ganges auf den Körperbau des Menschen Präeiser kennen zu lernen, sind die Veranlassung geworden, der ge- nannten morphologischen Kraft etwas weiter nachzuspüren, als man es Seither gethan hat, und ich fand hiebei, dass selbst solche kör- Perliche Verhältnisse des Menschenleibes, die man bis- “T nicht in den Bereich der veränderlichen Merkmale Creinzuziehen waste, offenbar das Resultat dieser Kraft Sind. Diese Wahrnehmung veranlasste mich, meine Untersuchungen on auf das Thierreich auszudehnen, um zu sehen, ob hier ein allge- Meines Gesetz vorliege. Die reiche Skeletsamml ung des Stuttgarter Aluraliencabinets,, deren Benutzung Herr Oberstudienrath De. Krauss Bd, V. 1: 4 | 2 Dr. Gustav Jaeger, mir mit der grössten Liberalität gestattete , bot mir hiezu Gelegenheit, und der Güte des Vorstandes der hiesigen Thierarzneischule, Herrn Ober- Medicinalrath Dr. v.. Here, verdanke ich die Möglichkeit, auch Hausthiere in den Bereich meiner Untersuchungen zu ziehen. Bei der mir kärglich zugemessenen Zeit musste ich mir jedoch manche Beschrän- kung auferlegen. Einmal untersuchte ich nur die Wirbelsäule und die , Hauptabschnitte der Extremitäten, und für's zweite ist die Zahl der ge- messenen Thierarten eine nur geringe; immerhin aber glaube ich, dass das beigebrachte Material hinreichend gross ist, um mit annähernder Sicherheit allgemeine Schlüsse daraus ziehen zu können. Eine Fort- setzung meiner Messungen wird mich wohl in den Stand setzen, die- sem Bericht, den ich als eine vorlä ufige Mittheilung betrachte, weitere folgen zu lassen. In diesen werde ich dann auch ausführlicher über bisher in dieser Richtung von Andern gemachte Beobachtungen berichten können. Besonders wichtig dürften in dieser Beziehung die Untersuchungen von Herrn Professor Meyer in Zürich sein. Die kurze Notiz in dem Tageblatt der Frankfurter Naturforscher-Versammlung ist zu unvollständig, um eine volle Einsicht zu gewinnen; es ist nur So viel ersichtlich, dass er auf einem ganz andern Wege zu dem Resultate kam, dass Zug und Druck an der Formung des Skelets theilnehmen. Für die Mittheilung meiner Messungen habe ich den gleichen Weg gewählt, den ich bei der Untersuchung ging. I. Abschnitt. Knochenwachsthum des Menschen. Meine Untersuchungen begannen mit dem Knochengerüste des | menschlichen Vorderfusses. Diess unterscheidet sich bekanntlich von dem der vierfüssigen Sohlengänger durch einige wesentliche Merkmale: 1) die Schiefstellung der Fusswurzelin der Art, dass sie | nur mit ihrem äusseren Rande den Fussboden berührt. Unter den Thie- ren scheinen nur die Menschenaffen eine ähnliche Stellung der Fuss- ` wurzel zu besitzen. Ausser Stande, ein Skelet zu vergleichen, schliesse | ich diess aus den übereinstimmenden Schilderungen und Abbildungen | der Gangart dieser Thiere. Es wird nämlich ausdrücklich gesagt, dass sie nur mit dem äusseren Fussrand auftreten , die vier äusseren Zehen faustartig einkrümmen und die abgestellte grosse Zehe als zweiten/ Stützpunct gebrauchen. Diese Gangart setzt mit Nothwendigkeit eine) schiefgestellte Fusswurzel voraus, und wenn ein Präparator einem Orangfugse eine andere Stellung gegeben hat, so liegt sicher ein gegen Im Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 2 die Wahrheit verstossendes Artefact vor. Da der Mensch die schiefe Stellung der Fusswurzel bereits mit auf die Welt bringt, wovon man Sich sehr leicht am Lebenden überzeugen kann, so müssen wir dieses anatomische Merkmal des Fussskelets ein ererbtes nennen. 2) Die zwei anderen specifischen Merkmale des Menschenvorder- fusses sind die Nieder rollung der Mittelfussknochen und die Verstärkung des ersten und fünften Metatarsus. Da beides im Thierreich nicht vorkommt, auch nicht beim Men- schenaffen , so lag es nahe, diese Merkmale als erworbene, dem Zuerst genannten als dem ererbten gegenüber zu stellen. Zunächst wollte ich mit dem Ausdruck »erworben« einen Vorgang bezeichnen, der zeitlich zusammenfiele mit der Entstehung des Menschengeschlech- tes; als ich aber einen Blick auf den Fuss des Säuglings warf, sah ich, dass das Wort »erwerben « eine viel näher liegende Bedeutung habe. Von einer Niederrollung der Mittel- fussknochen ist nämlich beim Kinde nichts zu sehen, sie liegen parallel neben einander; der Sohle mangelt deshalb die charakteristische Gewölbe- bildung, sie ist flach und liegt nicht horizontal, son- dern bildet einen Winkel von nahezu einem halben Rechten mit dem Horizonte (siehe Fig. 1). Achnlich verhält es sich mit der Verstär- 4 kung des inneren und äusseren Mittelfuss- knochens. Der der grossen Zehe ist zwar bereits etwas stärker als die mittleren, der äussere dagegen zeigt noch keine Spur jener beträchtlichen Verstär- er kung seines Fusswurzelendes und der geringeren des Capitulums. Nach diesem Befund lag es auf der Hand, zu sagen: diese beiden anatomischen Merkmale der Fusswurzelknochen müsse sich jeder ein- zelne Mensch erst nach seiner Geburt erwerben. Zufälligerweise war mein jüngstes Kind gerade in dem Alter, wo es anfing, das Laufen zu lernen und so konnte ich mich zunächst davon überzeugen, dass die Niederrollung der Mittelfussknochen zuerst eine ganz Se .Yorübergehende ist. Sitzt oder liegt das Kind, so fehlt sie gänz- lich, erst in dem Moment, wo es sich auf die Füsse stellt, nimmt es sie durch einen Act freiwilliger Muskelbewegung vor und je häufiger es liess thut, um so unvollkommener kehren die Knochen in die ange- borne parallele Stellung zurück; dieses körperliche Merkmal des Fussskelets erwirbt sich also das Kind durch den Geb rauch, den es von diesen Knochen macht. Wenigstens 4% 4 Dr, Gustav Jaeger, däuchte mir diese Erklärung natürlicher, als die bisherige Anschauung : Prädestination sei es, welche das Auftreten der Sohlenwölbung verur- sache und der aufrechte Gang sei erst die Folge dieser günstigen Fuss- gestaltung. Offenbar ist das Verhältniss umgekehrt: dadurch, dass das Kind auf zwei Füssen sich erhebt, und zwar mit Hilfe der Klam- merkraft seiner Hände und der Zugkraft seiner Arme, nöthigt es seine noch frei beweglichen Mittelfussknochen mittelst Mus- kelzug sich mit ihren vorderen Enden an den Fussboden anzudrücken, ein Act, ebenso willkürlich wie das Anschmiegen der Metacarpalknochen, wenn die Hand einen Gegenstand erfasst. Dass mit der Zeit die Mittel- fussknochen diese Stellung dauernd einnehmen, hat dann dieselben bekannten Ursachen wie die Fixirung irgend eines anderen Gelenkes, wenn es längere Zeit in der betreffenden Stellung unthätig verharrt. Hiebei mache ich die gelegentliche Bemerkung: die Vorbedingung des aufrechten Ganges ist der Besitz einer Greifhand, deshalb konnte sich der Mensch nur aus den Greifhändern entwickeln. Hatte sich nun für dieses Merkmal nicht nur klar herausgestellt, dass es überhaupt erworben werdèn muss, sondern war auch das Mit- tel dieser Erwerbung, »der Gebrauch« an den Tag gekommen, so lag es nahe, auch rücksichtlich des dritten Merkmales: der Verstär- kung der äusseren Mittelfussknochen ähnliches zu ver- muthen: nämlich dass der Gebrauch es sei, der sie herbei- führe. Das, was wir über das Wachsthum des Knochens wissen, begün- stigt offenbar diese Vermuthung; das Dickenwachsthum geht aus von der Beinhaut, das Längenwachsthum von den zwischen Epi- und Dia- physe eingeschalteten Knorpelscheiben. Jede Reizung dieser zwei Knochen produeirenden Gewebe wird nun voraussichtlich eine ver- mehrte Knochenbildung einleiten können: Zerrung der Beinhaut durch die an sie sich heftenden Muskeln und Gelenkbänder wird das Dicke- wachsthum befördern, der Druck auf die Endknorpel und Zwischen- knorpelscheiben das Längewachsthum. Diese allgemeine Erwägung legte also die Vermuthung nahe, dass auch bei der Verstärkung des äusseren und inneren Mittelfussknochens der Gebrauch die eigentliche Ursache sei, zumal da auf der Hand lag, dass bei der aufrechten Stellung diesen beiden Knochen die grösste Arbeit auferlegt ist. Um diese Vermuthung zur Gewissheit zu erheben, nahm ich eine Reihe von Messungen vor. Da mir leider nicht das ge- nügende Material von Skeleten verschiedener Altersstufen zu Gebote stand, so war ich genöthigt, die Messungen an Lebenden vorzunehmen. Ich stellte sie in folgender Weise an: es wurde auf den Fussrücken Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 5 quer über die vordern Enden der Mittelfu ssknochen ein Papierstreifen gelegt. Auf ihm markirte ich die Enden der Zehenspalten und den innern und äussern Fussrand. So bekam ich einen Einblick in die re- lative Breite der vorderen Enden der Mittelfussknochen. Für den inneren Metatarsus ist diese Messmethode ziemlich genü- gend, für den Metatarsus der fünften Zehe leidet sie an zwei Unvoll- kommenheiten. Einmal verdickt dieser sich an seinen: vorderen Ende weit weniger als an seinem hinteren; insofern wären die erhaltenen Maasse zu klein, andererseits bekam ich bei der Messung am vorderen Ende die mit der Zeit eintretende Verdickung der Weichtheile mit in den Kauf und somit wären die erhaltenen Maasse zu gross. Da sich nun aber beides compensirt, so glaubte ich es doch bei dieser Messung vorläufig bewenden lassen zu können. - Ich gebe im Folgenden eine Tabelle der gewonnenen Maasse in Millimetern, und zwar zusammengestellt nach Familien, 1. Familie. Geschlecht 4. Met No. Alter resp.Beschäf- í i Gen 2ter 3ter 4ter -5ter 2 arsus tigung A 8 Monate. . Knabe 16 E 81/2 81/2 40 2.| 21/ Jahr- .| Mädchen 16 9 8 8 10 3.| 31/2 Jahr .| Mädchen 48 14 9 9 12 4. | 5 Jabre. .| Mädchen 491/2 421/2 9 9 12 5 6 Jahre.. Knabe 20 43 40 AA 13 6. | 35 Jahre. . Mann, 38 44 15 18 25 sitzende Lebensart d. | 89 Jahre. . Frau 29 45 45 42 49 8. | 26 Jahre. . Magd 30 Ah 15 15 24 2. Familie. 9.| 9 Jahre.. Knabe , 22 AA 91/2 1401/2 16 10, | 81/4 Jahre. | Mechaniker, 36 A4 12 12 26 | steht viel 3. Familie 14. ] 51 Jahre. | Mädchen 2h 13 12 A 15 12. | 9 Jahre... | Mädchen 26 12 140 A4 16 43. | 40 Jahre . . | Mädchen 32 44 12 A4 18 A4. | 42 Jahre... | Mädchen 30 13 AA 12 17 15. | 44 Jahre . r Knabe 39 19 AA 15 25 46. | 39 Jahre. . | turnt von 38 14 15 18 25 Jugend auf 17. | 39 Jahre . . | Frau unge- 40 19 18 15 26 wöhnlich gross Dr, Gustav Jaeger, 4. Familie. Geschlecht | |, Meta- No. Alter resp.Beschäf- i Kae ater 3ter 4ter 5ter f arsus; tigung 48. | 43 Monate . | Knabe, läuft 15 aA 40 aA 19% noch nicht 19. | -8 Jahre. . Knabe 20 a 9 401/2 Ahia 20. | 33 Jahre . . | läuft viel und 4A 14 43 A4 26 arbeitet ste- hend 5. Familie. 214. 9 Jahre“. Mädchen 48 AA AA 40 | 14 22. 484 Jahre . Mädchen 20 19 40 40 16 33. | 39 Jahre.. Mann 36 45 13 47 24 Aus diesen Tabellen geht hervor, dass die grosse und kleine Zehe, resp. das Ende ihrer Metatarsen, mit zunehmendem Alter stetigim Verhältniss zuden andern Metatarsen anDicke gewinnen und die wenigen Messungen geben auch schon deutliche Anzeichen, dass bei Individuen, die mehr stehen und gehen, die Diffe- renz zwischen den mittleren und äusseren Metatarsalknochen eine grössere ist als bei Leuten von sitzender Lebensweise. Man vergleiche z.B. No.7 u. 8. Ferner bei mir, der ich von Jugend auf eine sitzende Lebensweise führte, beträgt der Unterschied zwischen dem Mittel der drei mittleren (16) und der grossen Zehe 22, bei meinem Freunde No. 20, der viel auf die Jagd geht und stehend arbeitet, 29 Millimeter. Freilich sind in dieser Beziehung die vorliegenden Messungen absolut ungenügend; ich muss mir deshalb vorbehalten, sie nachzuholen resp. Andere, denen reichliches Material zu Gebote steht, auffordern, solche Messungen vorzunehmen. Abgesehen von der theoretischen Wichtig- keit wäre es von praktischem Interesse, das Maximum und Minimum dieser Veränderlichkeit des Metatarsus unter dem Einfluss verschiede- ner Beschäftigungsweisen kennen zu lernen; Einerseits zu wissen, bis zu welcher Stärke Gymnastiker, Akrobaten und Fussgänger ihre Meta- tarsen hinaufschrauben können und andererseits wie tief unter dem Normalmaasse sie zurückbleiben bei Menschen, welche niemals in die Lage kamen, durch den aufrechten Gang ihre Metatarsen zu stärken. Nachdem ich diese Erfahrungen gewonnen, lag es nahe, zu unter- suchen, ob nicht auch an den übrigen Skelettheilen sich Anzeichen dafür finden lassen, dass erhöhter Gebrauch ein stärkeres Wachsthum bedinge. Da die Untersuchung der Dickeverhältnisse der Knochen am Lebenden nicht auszuführen ist, so beschränkte ich mich, die Längenausdehnung zu messen. Ich sah Ueber das Längenwachsthum der Knochen. y hiebei zunächst ab von dem durch Muskelzusammenziehung auf den Knochen ausgeübten Druck in der Längenaxe und richtete mein Augen- merk nur darauf, ob diejenigen Knochen, welche in Folge der natürlichen Haltung des Körpers unter dem Druck einer grösseren Last stehen, beim Erwachsenen relativ länger sind als beim Neugebornen. Der erste Punct, in Bezug auf welchen sich diese Vermuthung be- stätigte, ist das Längenverhältniss von Bein und Rumpf. Beim Neugebornen kommen von der Totalkörperlänge im Betrag von 50 Ctm. nach der Angabe von Limarzıc, mit der einige Messungen, die ich selbst machte, ziemlich genau stimmen, 30 Ctm. auf den Rumpf, 20 auf das Bein. Beim Erwachsenen kommen nach Lmurzıc von 175 Gtm. Totalläinge 87 auf den Rumpf, 94 auf das Bein. Hiebei würde die Schossfuge als Punctum fixum angenommen. Ich füge dem noch bei die Liste meiner eigenen Familie. Fa - Alter Geschlecht | Rumpf | Bein | 8 Monate. . Knabe | 38 Ctm. | 30 Ctm. | Bein 44% der Totallänge 21/ Jahr . . | Mädchen 46 - 37 - - 44,68 - - 31/2 Jahr. . | Mädchen 51 - 12 - - 45$ - - 5 Jahr... . | Mädchen bb 9- 48 - - 46,68 - - Janr. Knabe 55 - 50 - - 183 = - 30 Jar. Mann 8 - 86 - - ETE = - 32 Jahr... Preu TI = gs = - 24 - - Das Bein nimmt also bei fortschreitendem Alter an Länge gegen- über dem Rumpfe zu; d.h. der tragende Körpertheil wächst stärker in die Länge als der getragene. Hierauf mass ich das Verhältniss von Arm und Bein; der Fuss ist gemessen von der Schossfuge bis zur Sohle, der Arm bei wag- rechter Streckung vom Akromion bis zur F ingerspitze. Die dritte Rubrik giebt die Differenz des Wachsthumsbetrags. Die Maasse sind Genti- meter. Alter Geschlecht Arm | Bein Differenz 8 Monate. | Knabe | 29 Ctm. | 30 Gtm. | 4 Gimi 24 Jahr. . . Mädchen 334 - I. sh: 3% Jahr. -| Mädchen |37 - 12 - B > 5 Jahre. ..| Mädchen |4124 - 48 - öt - 6. Jahre... Knabe hA - 50 - 9 o 85 Jahre. .. Mann 68. - 6 - I8 - 33 Jahre. i2 Frau 66 - 83 - Too Dr. Gustav Jaeger, Aus diesen Messungen ging der Satz hervor: das stärker be- lastete Gliedmaassenpaar wächst stärker in die Länge als das minder belastete. Begreiflicherweise ging ich mit gespannter Erwartung an die Ver- gleichung von Ober- und Unterschenkel. : Denkt man sich den Menschen in aufrechter Stellung, so lastet auf dem letztern ein grösse- rer Druck als auf dem ersteren, und ich vermuthete demgemäss ein stärkeres Wachsthum des Unterschenkels zu finden. Sehen wir nun, in wieweit die folgende Tabelle hiemit stimmt. Ich gewann sie durch Messung meiner eigenen Familienmitglieder, denen ich in No. die eines Skeletes vom Neugeborenen und in No. 9 die eines erwachsenen männlichen Skeletes beigesellte. Die Art des Wachsthums stellte ich dadurch fest, dass ich für jeden Gliedmassenabschnitt die Differenz zwischen den zwei im Alter nächstliegenden Individuen suchte. Oberschenkel. Unterschenkel. No. | Alter u. Geschlecht a | Differenz | Ctm. | Ctm. | Differenz | Ctm. 4. Neueoh. Skelet; . 8,5 | 7,3 2. | 8 Monate, Knabe . | 45,3 |von 4 u. 2| 6,8 | 13,2 |vonAu.2 5,9 3. | 21/aJahr, Mädchen | 19,0 [von 2u 3-3,7 f 46,5 Ivon 2 u3) 3,3 4, 3t/2 Jahr, Mädchen | 24,9 |von 3 u. 4| 2,9 19,7 |von3u.4| 3,2 5, 5 Jahre, Mädchen | 24,7 |von 4 u. 5|. 2,8 | 22,9 |von4 u. 5 3;2 6. 6 Jahre, Knabe. . | 23,5 |von6u.3! 4,5 | 94,9 |von6u.3 5,4 7. |35 Jahre, Mann .-. | 43,2 |von 6u.7| 49,7 | 38,0 |von 6 u. 7 16,4 8. | 82 Jahre, Frau .., 44,8 |von 5 u. 8| 47,4 | 38,7 |\von5u. 8 15,8 9. | Erwachs. Skelet . | 43,0 |von 6 u. 9l 19,5 | 39,5 |von 6 u. 9| 47,6 Aus dieser Tabelle geht, wenn man überhaupt aus so wenig Mes- sungen allgemeine Schlüsse ziehen darf, hervor, dass das Tempo des Wachsthums dieser beiden Knochen in verschiedenen Lebensabschnit- ten ein verschiedenes ist. In den ersten Leben sjahren wächst der Oberschenkel stärker als der Unterschenkel, dann folgt eine mindestens bis zum 6. Lebensjahre relelendo Periode, während welcher das entgegengesetzte statt- findet, d. h. der Unterschenkel stärker wächst als der Oberschenkel; endlich ändert sich das Verhältniss noch einmal: der Oberschenkel er- langt den Vorsprung über den Unterschenkel. Diess Verhalten ist auf den ersten Blick ein höchst eigenthümliches und doch löst es sich in befriedigender Weise. In der ersten Lebens- periode rutschen die Kinder nicht blos viel auf den Knien, sondern zie- hen auch beim Stillsitzen die Kniestellung der Platznahme auf dem Gesässe vor, hiebei ist der Oberschenkel allein belastet und der Unter- schenkel in Ruhezustand versetzt; es darf uns also nicht wundern, dass in dieser Zeit der Oberschenkel stärker wächst, Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 9 Ebenso natürlich ist die Umkehrung in der nächsten Lebens- Periode, in welcher das des Laufens vollständig mächtige Kind mehr Steht und läuft als rutscht und kniet. Diese Periode beginnt zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahre und endet wahrscheinlich — denn ihre Grenze nach oben ist aus unserer Tabelle nicht ersichtlich — Mit dem. Augenblick, wo die sitzende Lebensweise beginnt (mit dem schulpflichtigen Alter). Dass von jetzt an Ober- und Unterschenkel nahezu gleich wachsen, möchte ich weniger in dem Schwinden der Belastungsdifferenzen suchen als in den Unterschieden im Muskeldrucke. . Es lässt sich nicht blos aus der Masse der Muskeln, sondern auch aus den bestehenden Ansatzverhältnissen (siehe hierüber später) darthun, dass der Oberschenkel durch die Muskelthätigkeit einen Stärkeren Druck in seiner Längsaxe erfährtals der Unter- Schenkel; und das compensirt sich mit der grösseren Belastung des Unterschenkels beim Stehen, somit widersprechen die gefundenen Maassverhältnisse unserem supponirten Satze in keiner Weise. Ich ‘werde im zweiten Abschnitte dieser Abhandlung auf den Muskeldruck Noch einmal zurückkommen, weil die Messungen an den Thieren diese Anschauung noch unmittelbarer einem aufdrängen. Das nächste Object meiner Messungen war die Wirbelsäule. Hier liest sich schon ohne Vergleichung mit dem Neugebornen auf den ersten Blick das Gesetz ab: »vermehrter Druck steigert das Längenwachsthum«. Ich gebe nebenanstehend die Höhenverhältnisse der einzelnen Wir- belkörper vom Neugebornen und Erwachsenen. Die zwei ersten Hals- Wirbel habe ich weggelassen, weil die Verwachsung des Körpers des Atlas mit dem Epistropheus und die anderweitige Function, dieser bei- den Wirbel eine Vergleichung mit den übrigen nicht zulässt. Aehnliche Gründe hinderten mich auch, das Kreuzbein in den Bereich der Mes- Sungen aufz unehmen, Bezeichnung |Erwachsener | Neugeborner | Differenz 3 4 5 6 7 A 2, 3 4 5 6 7 . Halswirbel ; Brustwirbel A 01/2 Mm. [LEN a et EE rGI 4 M DO [71m 1 nis Dr, Gustav Jaeger, Bezeichnung |Erwachsener | Neugeborner, Differenz 8. Brustwirbel 24. Mm, 8 Mm 13 Mm 9. - 21 = 8 - 13 = 10 21 = 8 - 13 = AA, - 24 - 9 - 12 = 12. - 24 - 9 - 42 - 1. Lendenwirbel| 221%, - 9 -= 4831h - 2: - 2f: 38 91 - Tih - 3 - o 91 - ATiz ~ 4 = 238 - Kl = 18 - 5 A 30 - 10 - 20 - Die Tabelle enthält eine doppelte Bestätigung unserer Vermu- thung. Mit Ausnahme der sehr geringen Schwankung zwischen 2tem und 6tem Brustwirbel, auf die ich weiter unten zurückkommen will, ist jeder Wirbelkörper länger als sein Nachbar nach oben und kürzer als sein Nachbar nach unten, d.h. der getragene kürzer als der tragende; fürs zweite sehen wir aus der zweiten Rubrik, dass’ der Neugeborne zwar auch am untern Ende seiner Wirbelsäule längere Wirbel besitzt als am oberen, allein die Differenz ist eine weit geringere, Am klarsten springt diess aus der dritten Rubrik in die Augen; nur 4!/, Millimeter ist die Differenz zwischen dem 3ten Hals- wirbel des Erwachsenen und dem des Neugebornen, während beim letzten Lendenwirbel nahezu der fünffache Betrag vom Längenwachs- thum erscheint, nämlich 20 Millimeter. Nicht minder bezeichnend für die supponirte morphologische Kraft ist das stärkere Längenwachsthum der 4 ersten Brustwirbel. Beim Neugeborenen findet sich nichts, was auf ein Angeborensein dieses Ver- hältnisses hinweist. Es bildet sich erst nach der Geburt aus und da diese Wirbel es vorzugsweise sind, die bei dem Gebrauch der Arme in | Mitleidenschaft gezogen werden, so liegt es nahe, die damit verbunde- | nen Zerrungen und Gompressionen für die Ursache dieses gesteigerten Wachsthumes zu halten. Wir werden später bei der Untersuchung der Wirbelsäule der Thiere diese Auffassung weiter bestätigt finden. | Mit den im Bisherigen gegebenen Messungen ist natürlich die Un- tersuchung des menschlichen Skeletes nicht beendet; einmal müssen über die bisher besprochenen Verhältnisse zahlreichere Messungen un- umstössliche Gewissheit verbreiten, fürs zweite müssen auch die übri- gen Knochen die gleiche Behandlung erfahren und namentlich sind in Bezug auf die Gymnastik, die durch die vorliegende Untersuchung eine | bis jetzt nicht vermuthete Bedeutung gewinnt, zahlreiche Messungen nöthig, um zu wissen, in wieweit das menschliche Skelet plastisch ist. Allein ehe ich mich. dieser Aufgabe unterzog, war es mir Bedürfniss, | zu untersuchen, in wieweit die Skeletverhältnisse der Thiere mit der Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 41 . von mir beim Menschen vermutheten skeletbildenden Kraft harmoni- ren, ob wir es mit einem allgemeinen Gesetz zu thun haben oder nicht. Das Resultat dieser Untersuchung habe ich in dem folgenden Abschnitt zusammengestellt. Il. Abschnitt. - Ueber das Knochenwachsthum der Thiere nach der Geburt. An der menschlichen Wirbelsäule hatten die Verhältnisse den klar- sten Einblick in die Ursache des Längenwachsthums gewährt, sicher in Folge der Gleichartigkeit aller übrigen hier in Betracht kommenden Einflüsse. Ich zog es deshalb vor, bei meinen Messungen an den Thie- ren mit der Wirbelsäule zu beginnen. Da ich anfangs keine neugeborenen Thiere mit erwachsenen ver- gleichen konnte, so griff ich zu folgender Methode. Ich mass die Höhe der Wirbelkörper vom dritten Halswirbel angefangen bis zum letzten Lendenwirbel. Die Schwanzwirbelsäule liess ich bei all den, mit einem Becken ausgestatteten Thieren unbertücksichtigt, nur bei Fisch und Delphin erstreckt sich die Messung auch über sie. Dann setzte ich den niedrigsten Wirbel —= 100 und rechnete die Höhe der andern dem ent- Sprechend um. So entstand folgende Tabelle, zu der ich nur bemerke, dass der obere Strich Hals und Brust, der untere Brust und Lende trennt. Beim Seewolf steht der Strich an der Grenze zwischen Rumpf und Schwanz, und bei der grossen Wirbelzahl dieses Thieres habe ich die gleichlangen nur einmal aufgeführt unter Vorsetzung ihrer Anzahl. Aus dieser Tabelle ergeben sich vier Gruppen von Thieren. 1. Gruppe. Den niedrigsten Körper hat der oberste (dritte) Hals- Wirbel bei Mensch, Känguruh, Springmaus, Schuppenthier und Affe, also bei 4 Thieren, die sich vorzugsweise mit den Hinterbeinen bewe- Sen und einem kletternden Thiere. (Ich bemerke, dass nach dem Zeug- niss Hrverıy’s das Schuppenthier auf den Hinterbeinen geht, siehe Brenw’s Thierleben II. pag. 344. Abbild. pag. 316.) Bei den zweifüssig Sehenden Thieren ist nun offenbar der oberste Halswirbel im Verhältniss zu den andern der getragene, und der Affe trägt sowohl beim Klettern als beim Sitzen gleichfalls den Rumpf aufrecht. . 2. Gruppe: Der Wirbel mit dem niedrigsten Körper liegt nahezu in der Mitte der Rumpfwirbelsäule bei Hirsch, Esel, Dachshund und Wildkatze, also bei Thieren, die sich gleichmässig beider Gliedmaassen paare bedienen. Da die Wirbelsäule der Vierfüsser 2wischen Schulter und Becken einen Bogen mit der Concavität nach | | k | j f | ! Spring- a AORE ; Seewolf Mensch a Känguruh; maus Hase a Hund en ; Itis ; Hirsch! Esel | Manis en (Anar- 2 Í (Seirtetes) na POr ( ) rhichas). I i 3 100 100 105 100 150 127 181 103 443 244 208 100 100 442 400 = i0 ' 406 400 144. | 1446 184 103 407 244 208 400 88 380 100 2 120 106 100 129 146 168 103 407 4197 192 100 88 340 100 = 1420 120 > |... 400 | 123 A44 145 103 103 A74 160 100 104 312 442 T 1430 135 | 10 433 | 447 446 136 4103 100 443 140 100 420 284 125 170 120 115 | 100 444 127 100 100 114 420 | 1418 196 260 129 190 437 145 | 108 A44 448 400 | 400 M144 142 4148 246 248 133 240 125 120 | 108 44 143 103 100 144 108 148 24h 220 133 A 200 125 445 | 447 105 109 105 400 Ama 106 418 968 200 487 =. 1890 437 145 200 | 425 105 109 100 100 444 198 193 300 160 444 Sn 5 190 137 115 | 133 100 104 103 103 103 400 127 316 128 |44.146 * = 2 200 137 Ds | 133 | 400 100 108 103 400 100 127 328 408 A44 E E20 469 120 E 166 | 446 109 103 108 400 100 136 348 10% 137 S 8390 175 12213 286 | 475 197 109 440 103 100 104 145 364 92 133 E 240 248 425 300 494 138 143 140 407 100 108 154 384 84 133 Ë 210 231 125 340 200 Ahh 148 440 107 1083 104 163 400 72 133 240 262 125 366 246 164 197 140 4143 A444 142 163 442% bl ag T 225 a5 | RS 400 233 166 | 436 115 19 07497 119 484 440 52 | „495 = 270 3857 | Aa 33 250 300a] 440 | da7 | 480 | 198 sag | 490 440 44 129 = 270 312 165 300 258 244 145 | 496 135 126 142 190 466 3.133 2 280 337 195 | 550 266 227 159 426 446 | 1429 146 209 460 125 5 300 325 200° 508 | 266 239 165 433 162 129 4122 218 472 ANAAT = 30 5 f a33 0280 er dsi ao) ase jo | asi p 277 win 442 | 293 | 17] ss, 225 239 | 490 145 156 | 198 134 245 E 2.108 | | a829 | 186 | 133 | 440 198 1o 5.106 | 198 6 2.404 120 ER 42.400 | 428 2.96 | | 120 j ! | i } Fortsetzung 92 N | | | | nächste Col. ENA Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 13 abwärts bildet, so ist bei der vierfüssigen Aufstellung der den Schluss- stein des Bogens bildende Wirbel-‘im Gegensatz zu allen andern der Setragene und folgerichtig der kleinste. Von hier aus nehmen die Wir- belkörper nach vorn und hinten an Grösse zu, entsprechend ihrer stär- keren Belastung. 3. Gruppe. Bei Iltis, Fischotter und Hase liegt der Wirbel mit dem niedrigsten Körper weiter nach vorn: als bei der zweiten Gruppe; war es bei den vorigen der 7. Brustwirbel, so ist es hier etwa der erste. Dieses Verhalten wird verständlich, wenn man in Rechnung nimmt, dass die genannten Thiere sich häufig mit eingeknickten Hinterbeinen aufs Gesäss setzen. Bei dieser Aufstellung des Körpers nimmt der erste Brustwirbel eine höhere Stellung ein als die andern, er ist also ihnen Segenüber der getragene. 4, Gruppe. Bei den schwimmenden Thieren Delphin und Fisch liegen die kürzesten Wirbel an beiden Enden und von hier aus Nehmen sie gegen die Mitte hin stätig an Länge zu. Da man beim Schwimmenden Thiere nicht von Belastung durch das Körpergewicht Sprechen kann, so bleibt hier nur der Druck der Längsmusculatur übrig, der fällt nun offenbar in der Mitte der Wirbelsäule stärker aus als an ihren Enden und das Verhältniss lässt also den schon einmal Sewonnenen Satz ableiten: die Länge des Knochens steht in Seradem Verhältniss zur Stärke des Muskeldruckes, un- ter dem er steht. Wie legt sich aber der grosse Unterschied zwischen Fisch und Seesäugethier in Bezug auf den Betrag der Verstärkung der Mittleren Wirbel zurecht? Der grösste Wirbel des Delphins ist mehr als zehnmal länger als der kürzeste, während beim Fisch die höchste Differenz etwa wie 7: 4 ist. Die Ursache liegt sicher in dem verschie- denartigen Bau der Längsmuseulatur. — Da beim Fische die Rücken- Muskeln in lauter Myocommata zerfällt sind und keine Sehnen Muskel und Wirbel in der Zugsrichtung verbinden, so ist offenbar bei ihnen der Druck auf die Wirbel gleichmässiger vertheilt. Bei den Säugethie- ten ist bekanntlich der Extensor dorsi communis, der beim Delphin in Folge der Abwesenheit des Beckens sich ununterbrochen bis .zum Schwanzende fortsetzt, so gebaut, dass die mittleren Wirbel unter weit höherem Drucke stehen als die Endwirbel. Die tiefste Schichte spannt Sich zwar nur von Wirbel zu Wirbel, in der zweiten dagegen finden Sich bereits Muskeln, die einzelne Wirbel überspringen und endlich hat der Lumbocostalis,, Iliocostalis, Costalis dorsi Faserzüge, die viele Wirbel überspringen. Am besten wird diese Wirkung der übersprin- Senden Fasern ersichtlich aus der beigefügten Fig. 2, welche den Longus Dr. Gustav Jaeger, colli des Menschen schematisch darstellt. Bei der Contraction dieses Muskels werden die Wirbel No. 4.5.6.7 den Druck von sämmtlichen Mus- kelfasern auszuhalten haben, No. 14 nur den der Fasern «a, No. 10 den der Fasern a und b, No.9 den von a, b und c, No. 8 den vona,d,cundd, | und dasselbe gilt für die Wirbel 1.2 und 3. Die- selbe Anordnung hat die Museulatur der Wirbel- säule im Ganzen und es ist deshalb klar, dass die mittleren Wirbel einem weit höheren Muskel- drucke unterworfen sind als die an den Enden. Ob diese Lösung die richtige ist, kann na- türlich nur eine sorgsame Zergliederung der Längsmusculatur des Delphins endgültig ent- scheiden; sie geht von der Voraussetzung aus, dass die Delphine den gleichen Bau der geraden Rückenmuskeln haben wie die andern Säuger, und diese Annahme stützt sich auf die von mei- nem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Rapp, gege- bene Darstellung. (Rarr, Cetaceen pag. 79.) Fig. 2. Bei der Wirbelsäule des Fisches fällt noch auf, dass, nachdem bereits im Bereich der Rumpf- wirbelsäule und am vorderen Theil der Schwanzwirbelsäule die Höhe der Wirbelkörper abgenommen hat, am siebenten Wirbel wieder eine Zunahme erscheint, die sich über vier Wirbelkörper erstreckt. Ich kenne nun die Bewegungsart des Seewolfes nicht, wohl aber habe ich seinen nahen Verwandten, den Blennius, jahrelang in Aquarien beob- achtet und gesehen, wie gerade an dieser Stelle des Schwanzes die grösste Beugungsfähigkeit ist. Diese Thiere können mit ihrem Schweif die Flanken ihres Leibes peitschen gerade wie die Katzen. Bei dieser | Operation werden die an der Umbeugungsstelle liegenden Wirbel eine stärkere Pressung erfahren als die übrigen. So lässt sich also auch dieses Verhältniss auf die oben gewonnenen Sätze zurückführen. Obwohl ich weiter unten speciell auf die Differenzen eingehen werde, die innerhalb der andern drei Gruppen sich finden, so will ich an die Betrachtung der schwimmenden Thiere die Besprechung der Differenz zwischen Iltis und Fischotter anreihen. Die Wir- | belkörper der letztern zeigen nämlich geringere Längenunterschiede | als die des ersteren. Diess löst sich in folgender Weise. Die vierfüssige | Gangart steigert die Differenz zwischen den mittleren und den End- | wirbeln zu Gunsten der letzteren, die schwimmende Lebensweise da- l Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 15 Segen zu Gunsten der ersteren, es muss also bei gemischter Lebens- Weise die Differenz geringer ausfallen. Den Schluss der Betrachtung der obigen Tabelle bildet die Erörte- "ung eines scheinbar auffälligen Umstandes; es ist folgender: der Mensch ist das einzige Geschöpf, bei dem der letzte Lendenwirbel die Srösste Länge besitzt. Bei allen anderen Thieren ist der dritt- oder viertletzte der längste. Als Erklärung möchte ich Folgendes anführen. Der Mensch ist das einzige Thier, das seine Wirbelsäule vollständig Aufgerichtet hat. Er darf somit fast keinerlei Muskelzug aufwenden, um den Rumpf in seiner Lage zu erhalten, während bei allen anderen Thieren der Zug der Rückenmusculatur eine nicht unbeträchtliche Rolle Spielt. Springhase, Affe und Känguruh müssen ihre Lendenmusculatur Spannen, um ihre Wirbelsäule in der schiefgeneigten Stellung zu er- halten, und auch beim vierfüssigen Thiere ist der Lendenmusculatur eine grössere Aufgabe gestellt als beim Menschen. In Folge der eigen- thümlichen Anordnung der Lendenmusculatur fällt nun das Druck- maximum des Muskelzuges nicht auf den letzten Lendenwirbel, son- dern auf die Mittelregion der Lende und — was weiter in Betracht kommt — auch das Maximum der Bewegung fällt auf die mittleren Lendenwirbel. Es stimmt also auch diese, auf den ersten Blick auf- fallende Differenz in der Lendenwirbelsäule von Mensch und Thier mit dem aufgestellten Satze, dass das Längenwachsthum der Knochen mit der Höhe des Muskeldrucks, unter dem sie stehen, zunehme. Die Srossen Unterschiede, welche trotz der oben vorgenommenen Auflösung noch innerhalb der einzelnen Gruppen übrig blieben, spornten zu wei- teren Messungen an.’ Da aber die Messung der Länge der einzelnen Wirbelkörper nicht nur zeitraubend, sondern auch bei aufgestellten Skeleten schwierig ist, so schritt ich zu anderen Messungsmethoden, die rascheren Aufschluss gaben über den Zusammenhang zwischen Be- Schäftigungsgrad und" Wirbelkörperlänge. Hiebei war es mir nicht allein darum zu thun, das relative Wachsthum der einzelnen Wirbel- Säuleabschnitte festzustellen, sondern auch das absolute Wachsthum der ganzen Rumpfwirbelsäule, denn dass diess nicht überall gleich sei, dafür sprachen die in der Tabelle enthaltenen Messungen. Um das letztere zu erreichen , stellte ich eine Berechnung an, die von folgender Voraussetzung ausging: Bei Thieren, welche ihre Wirbelsäule angestrengt gebrauchen, Wird sich keiner der Wirbel in solcher Weise der Arbeitsleistung ent- ziehen können, dass es ihm gestattet wäre, auf geringerer Stufe des Wachsthums stehen zu bleiben; m. a. W.: die Wirbel werden unter Sich wenig Grösseunterschied aufweisen, Wo dagegen die Wirbelsäule 16 Dr, Gustav Jaeger, D weniger Arbeit zu verrichten hat, wo also die Länge derselben weniger abhängt vom Muskelzug, sondern mehr nur von den Belastungsdiffe- renzen, werden die Unterschiede der Wirbelkörper grösser sein. Eine darüber belehrende Ziffer erhielt ich, indem ich mit der Länge des kür- zesten Wirbelkörpers in die Gesammtlänge der Rumpfwirbelsäule di- vidirte, vorausgesetzt, dass ich diese bei allen Thieren auf die gleiche Wirbelzahl redueirte. Diess ist in der folgenden Tabelle geschehen und der erhaltene Quotient als Nenner eines Bruches eingetragen. ünzactan Totallänge 4 : Thierart Erre der Nach Ab- Bleibt | Quotient. 6° | Wirbelsäule | ?U8 von Springmaus. 11h 105: 0 Wirbel 105 1/10 Mensch . . 10 540 0 - 540 1/54 Ale 8 379 2, > 336 Yo Hase e 6 265 2 = 242 1/40 Hyane -.:.; 15 660 p ie 597 tag Perd o . 37 1660 ee 1330 16 Dachshund . aA 435 3 - 389 1/35 Dromedar . 65 2300 2 - 2163 1/33 wet. . -| 3 775 3 693 1/33 Esi 205 1000 6 800 1/32 Dachs: 52: 13 460 3 - 442 1/39 Hirsch . . 35 1200 2 - 4400 1/31 BD 0, 2090 935 en 820 Ta Känguruh . 20 675 IH 625 1/31 Sobaf - . x 20 670 3 oa 620 1/31 Löwe. . .| 26 885 o 764 1/29 Ins, 91/4 300 3 = 267 1/29 Ocha aaa 62 1870 I 1720 1h28 Wildschwein 25 740 z - 678 1/26 Auerochse . 55 1590 DE > 4455 1/26 Fischotter . 45 475 3 = * 195 1/25 1) Die Reihe eröffnen, wie zu erwarten war, zweifüssig gehende Thiere, nur fällt auf, dass das Känguruh weit unten steht unter den vierfüssigen Thieren. Ich habe nahezu drei Jahre Gelegenheit gehabt, das Känguruh in der Gefangenschaft zu beobachten und mich hiebei überzeugt, dass es seinen Rumpf beim ruhigen Hüpfen und Aesen nahezu wagrecht hält, also keineswegs so, wie Mensch und Springmaus (letztere sieht man immer mit fast senkrechtem Rumpfe abgebildet). Um sich in dieser Stellung zu erhalten, bedarf das Känguruh offenbar eines grossen Aufwandes von Muskelkraft, auch wenn wir in Rechnung nehmen, dass der wuchtige Schweif eine Art Contrebalance für den Rumpf bildet; seine Wirbelsäule steht also unter hohem Muskeldruck und damit stimmt die geringere Differenz der Wirbelkörper. 2) Auf die Zweifüsser folgt Affe, Hase und Hyäne. Für den erste- ren ist diese Nachfolge zu erwarten : ob der Rumpf aufrecht steht, oder aufrecht hängt, oder aufrecht sitzt, immer ist dabei die Halswirbelsäule Ueber das Längenwachsthum der Knochen, 17 Seringer belastet und ihr kleinster Wirbel wird somit ziemlich niedrig sein. Vom Hasen kann man nun zwar nicht sagen, dass ein Theil Seiner Wirbelsäule wenig beschäftigt sei, wohl aber, dass ein Theil derselben ganz ausserordentlich stark in Anspruch genommen ist, Wie ich später ausführen werde. Es hat diess natürlich das gleiche Missverhältniss, d. h. die gleiche Herabsetzung des Bruchtheiles zur Folge. Auffallend dagegen wäre die Stellung der Hyäne, stünde nicht auf der betreffenden Etikette des Skeletes: »Menagerie- Exemplar. Nun werden, wie ich von einem Hyänenhändler weiss, diese Thiere immer ganz jung eingefangen und im Käfig gross gezogen, sie haben also in eminentem Sinne das, was man eine unbeschäftigte Wir- belsäule nennt, und daher der kleine Bruch. 3) Nun folgen in der Tabelle mit Ausnahme des schon besproche- Nen Känguruh vierbeinig gehende Thiere. Die Reihe eröffnet Pferd, Dachshund und Dromedar, eine etwas auffallende Zu- Sammenstellung. Die Kleinheit des schwächsten Wirbels beim Hunde Wird erklärlich, wenn wir ihn mit dem Wolfe zusammenhalten und Wissen, dass er ein Zimmerhund war (zuerst im Besitz meines Freun- des H., dann in meinem), für Pferd und Dromedar müssen wir uns Nach andern Ursachen umsehen. Offenbar rührt die Kleinheit des Bruches wesentlich‘ von der ausserordentlichen Länge der Halswirbel her (darüber werde ich weiter unten zu sprechen haben). Den klein- Sten Bruch besitzen Ochse, Wildschwein, Auerochse und Fisch- Otter. Für die letztere ist die nöthige Erklärung schon oben gegeben Worden, Das Wildschwein besitzt als Wühler gleichfalls eine stark beschäftigte Wirbelsäule. Ueber Auerochse und Ochse giebt eine spä- tere Tabelle bessern Aufschluss. Ich ging nämlich zu einer neuen Zusammenstellung über, weil Auch die voranstehende Methode manche Verhältnisse nicht klar hervor- Weten liess. Die nächste Tabelle giebt das Längenverhältniss der yordern und hintern Hälfte der Rumpfwirbelsäule. Nach Abzug der zwei ersten Wirbel theilte ich Hals, Brust und Lende “usammen in zwei Abschnitte von gleicher Wirbelzahl. Unter der Ueber- Schrift »natürliches Maass« findet der Leser die absolute Länge dieser bschnitte in Millimetern. Unter der Rubrik »Procentsatz.« ist die’ Ge- Sammtlänge der Abschnitte gleich 100 gesetzt und nun bei jedem an- 5egeben, wie viel Procent dieser Gesammtlänge er misst. „id. 2 Dr. Gustav Jaeger, Natürliches Maass. |Die Totallänge = 100. Thierart Vorder- | Hinter- | Yorder- | Hinter- hälfte hälfte | hälfte hälfte Springhase . 24 70 95,60%, | 74, 40/0 AMESTEN, 4061/> | 257 29,4 70,6 Hases sei- 89 462 35,4 64,6 Wildkatze . 125 2A h 36,8 63,2 Mensch : . 47h 2591/2 40,0 60,0 LOW ea 337 ‚492 40,6 59,4 Känguruh . 263 3641/2 42,0 58,0 ikiss a 149 451 44,0 56,0 Fischotter . 494 229 45,5 54,5 para n 385 460 45,5 54,5 Auerochse . 705 840 45,6 54, h wol .. 323 384 45,7 54,3 Wildschwein 310 313 46,7 53,3 Dachshund . 4841/3 4961/2 48,0 52,0 Achse. , 822 8415 50,2 49,8 Schaf 5 394 346 50,3 49,7 Hyaneii si 295 270 52,2 47,8 Dachs. i-: #7. 205 485 52,5 47,5 Esel . . .| 46615 | MHD 53,0 47,0 Hirsch S. 596 486 5550 45,0; Pferd ur;..,H7- 865 673 56,2 43,8 Dromedar . 4240 820 59,5 40,5 Diese Tabelle lehrt, Folgendes: 4). Bei den kletternden und zweibeinig gehenden Säugern ist die vordere Hälfte der Wirbelsäule kürzer als.die hintere.. Nur Einen Fremdling finden wir in dieser Abtheilung: den Hasen, dessen. hintere Hälfte sogar noch | stärker entwickelt ist als die des Känguruh. Hier kommt offenbar der Muskelzug in Betracht; der Hase. ist unter all’ den hier aufgeführten Thieren: das gehetzteste, und wenn es auch nicht zweifüssig springt wie das Känguruh, so ist doch beim Springen die Musculatur der Lende diejenige.des Rumpfes, die am meisten zu arbeiten hat und die Häufig- | keit desi Gehetztwerdens thut hier offenbar die gleichen Dienste wie die stärkere: Spannung beim Känguruh. Wir dürfen also darin, dass der Hase ähnliche Verhältnisse zwischen vorderem: und: hinterem Wirbel- säulenabschnitt. zeigt wie das Känguruh, nichts unserem allgemeinen | Satze Widersprechendes erblieken. Leider konnte ich das Skelet des wilden Kaninchens nicht vergleichen; aus: seiner Lebensweise und sei~ nen kürzeren Beinen möchte ich auf eine geringere Entwicklung seiner Lendenwirbelsäule schliessen. Ein zweiter Fremdling in dieser Abthei- lung ist, der Löwe, der merk würdigerweise dem Menschen am nächsten steht. Aus dem, was über die Lebensweise dieses Thieres berichtet wird, lässt sich nichts entnehmen, was auf eine stärkere Beschäftigung der hinteren Körperhälfte schliessen liesse, auch an abändernde Ein- flüsse der Gefangenschaft kann nicht appellirt werden ; das gemessene | Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 19 Exemplar stammt nach der Etikette aus der Freiheit und so müssten wir hier das Verhältniss als ein ererbtes betrachten, d. h; annehmen, der Löwe stamme ab von einer kletternden Katzenart; wir hätten also seine Wirbelsäule zu vergleichen mit der der Wildkatze, und da ent- Spricht dann das Verhältniss seiner Wirbelsäule dem Uebergang zur Vierbeinigen Gangart, durch welche das Missverhältniss zwischen vor- derem und hinterem Wirbelsäuleabschnitt, das durch die kletternde Lebensweise hervorgebracht wird, gemildert wurde. 2) Bei den vierbeinig gehenden Thieren ist die Län- sendifferenz zwischen vorderer und hinterer Hälfte ge- ringer als bei den Zweibeinern. Doch scheiden sich hier noch 3 Untergruppen. a) Bei Thieren, welche sich noch häufig auf’s Gesäss Setzen, wie Iltis, Fischotter, Bär, WolfundHundist die hintere Hälfte länger als die vordere; wir finden nur zwei Thiere unter ihnen, deren Stellung auffällig scheint: Auerochse und Wildschwein. Wie wir später finden werden, rührt diess von der Kürze ihres Halses her. b) In fast vollständigem Gleichgewicht steht vordere und hintere Rumpfhälfte bei Ochse und Schaf. Vergleichen wir den er- Steren mit dem Auerochsen, so dürfen wir wohl die Ansicht aussprechen, dass beim Ochsen eine Verlängerung der vordern Hälfte eingetreten ist durch seine Beschäftigung als Zugthier. : Beim Schaf ist das Gleich- 3ewicht sicher der Ausdruck seiner monotonen Beschäftigung, bei der kein Abschnitt des Rumpfes eine hervorragende Thätigkeit entfaltet und Somit rein nur die Belastungsverhältnisse sich geltend machen. 6) Das Uebergewicht hat der vordere,Theil der Wir- belsäule über den hinteren bei zoologisch ziemlich verschiede- nen Thieren: bei Hyäne und Dachs wohl, weil sie: grabende Thiere sind, eine Beschäftigung, bei der der vordere Leibesahschnitt jedenfalls Mehr angestrengt ist. Der grosse Unterschied zwischen Hirsch und Schaf mildert sich, wenn wir in Rechnung nehmen, dass das Schaf- Skelet ein weibliches Thier und das des Hirsches männlichen Geschlechts ist: /In Betreff des Uebergewichts der vorderen Rumpfhälfte bei Esel, Pferd und Dromedar ist auf das. zu verweisen, was’ ich: nachher. über die Länge ihres Halses sagen werde. Die nächste Tabelle giebt in gleicher Behandlung wie die voran- Sehende die Verhältnisse von 3 WirbelsäulezAbschnitten, die ich kurzweg Hals, Brust und Lende nennen will, obwohl der weite und dritte Abschnitt einige Brustwirbel in sich begreift, denn 9 * 20 Dr, Gustav Jaeger, eine Vergleichung ist ja nur möglich, wenn jeder Abschnitt gleich viel Wirbelkörper enthält. Natürliches Maass. Die Totallänge = 100. Thierart | Vorderes | Mittleres | Hinteres | Vorderes | Mittleres | Hinteres Drittel Drittel Drittel Drittel Drittel Drittel Springhase . aA 29 54 44,70) | 30,70%, | 57,60% Me a. Thio 4061/2 4931/3 20,5 29,3 50,2 Mensch . . 403 447 4831/2 23,8 34,0 49,2. Wildkatze . 86 94 162 25,3 26,8 47,9 Hase, tep % 581/2 741/2 118 95,5 29,6 44,9 Lure. . . 1.390 245 364 26,5 29,6 43,9 Känguruh .| A474 4901/2 266 ITa 32,0 40,8 Wildschwein | 495 220 270 28,4 39,4 39,5 Auerochse . 450 505 590 29,0 33,0 38,0 ideas. 80 80 4091/2 29,7 29,7 40,6 Dachs.. -> A148 A445 457 30,2 29,6 40,2 Fischotter . | 198 134 461 30,5 31,2 38,3 DER, ai re 268 237 340 84,4 28,0 40,3 Wol -> 224 2413 270 34,7 30,4 38,2 Ochse. ' °P 1568 539 555 34,4 39,3 33,3 Dachshund . 433 99 444 35,2 26,2 38,6 Schaf. . | 234 ATA 229 36,7 27,3 36,6 Hyane . - 245 455 495 38,0 27,4 34,6 Esel, ;. .. 1,3471 ai 2861/2 39,4 28,0 32,6 Hirsch .-. 44T 290 345 44,3 26,8 341,9 Pferd» Ur. 670 404 467 43,5 26,0 30,5 Dromedar . 930 543 557 45,8 96,2 27,9 Betrachte man zuerst die Länge des Halses. 4) Den kürzesten Hals haben die Thiere, die den Rumpf auf- recht oder auf zwei Beinen halten; hier kann einfach verwiesen werden auf früher Gesagtes und das gleiche gilt von Hase und Löwe. 2) Den längsten Hals haben Esel, Hirsch, Pferd und Dro- medar. Diess stimmt zu dem Satze, dass stärkere Beschäftigung das Längenwachsthum steigert; doch dürfen wir hier zunächst nicht an die gegenwärtige Beschäftigung denken, sondern müssen auf die Lebens- weise dieser Thiere im wilden Zustand zurückgreifen. Bei der Nah- rungsaufnahme vom Boden müssen hochbeinige Thiere — und alle die genannten sind solche — ausgiebige Bewegungen mit der Halswirbel- säule ausführen, und nicht nur das, alle die freilebenden, heerden- weise weidenden Thiere sind äusserst furchtsam und erheben alle Au- genblicke den Kopf, um zu winden und zu horchen. Die Halsbewe- gungen sind also nicht nur ausgiebig, sondern auch häufig und so erklärt sich die Länge ihres Halses befriedigend. Dass diese Auffassung die richtige sein dürfte, zeigt die Kürze des Halses von Auerochs und Wildschwein. Das erstere Thier weidet nach den Angaben der Kenner (Barum, Thierleben II. pag. 641) vorzugsweise Baumrinde, Í i Í i i f Í Ueber das Längenwachsthum der Knochen, 31 Blätter und Knospen; das erfordert offenbar geringere Halsbewegungen als die Nahrungsaufnahme vom Boden. (Beim amerikanischen Bison dürfen wir demnach einen längeren Hals erwarten, doch kann ich hier- über keine Messungen anstellen.) Die Kürze des Halses beim Wild- Schwein hat offenbar ähnliche Gründe, diese Thiere führen auffallend geringe Bewegungen mit ihrem Halse aus, namentlich fast gar keine drehenden, Für die Vergleichung der zwei andern Rumpfabschnitte habe ich eine eigene Tabelle berechnet, deshalb soll hier nur noch etwas gesagt werden über das Verhältniss der dreiAbschnitte bei einem und demselben Thiere. 1) Beidenkletternden und zweibeinig gehenden Thie- ren ist der Hals der kürzeste, die Lende der längste Theil, — ganz entsprechend der Vertheilung des Drucks. Dafür, dass beim Menschen Hals und Brust stärker ist als beim Affen und beim Spring- hasen, kann nur angeführt werden, dass der Kopf des Menschen rela- tiv schwerer ist als der des Affen, und wenn auch dieser Umstand zur Erklärung des Unterschieds zwischen Affe und Springmaus nicht hin- reicht, so verschwindet das Auffällige, wenn man hinzurechnet, dass Affe und Mensch einmal ihre vorderen Extremitäten mannigfach und häufig gebrauchen, was immerhin eine Strapazirung der zwei ersten Rumpfabschnitte mit sich führt, und dann stehen die Hälse von Affe und Mensch dem erwähnten Nager an Beweglichkeit vor, diess deutet auf einen stärkeren Gebrauch in Folge höherer Intelligenz. — Die Un- terschiede in Bezug auf die Lende sind nur scheinbare, wie die nächste Tabelle zeigen wird. 2) Am gleichmässigsten vertheilt ist die Wirbelsäule des Ochsen. Diess ist wieder ein Beweis für die Einwirkung der Beschäftigung auf das Längenwachsthum, denn beim Ziehen werden die durch Belastungs- unterschiede bewirkten Differenzen, wie ich schon früher ausführte, vermindert. 3) Ist interessant, dass drei Faullenzer: Dachshund, Schaf und Menagerie-Hyäne ziemlich übereinstimmende Verhältnisse zeigen, Nämlich nahezu gleichlange Lende und Hals, und dem gegen- über kurzen Brustabschnitt. Hier sind jedenfalls die Belastungs- Verhältnisse am ungetrübtesten zum Ausdruck gekommen, weil der Muskeldruck eine geringere Rolle spielte. Wenden wir uns zur nächsten Tabelle, bei der die Länge von Brust und Lende zusammen gleich 100 gesetzt und der Antheil jedes dieser zwei Drittel im Procentsatz angegeben ist. | | A \ saaneena, o none Dr, Gustav Jaeger, se Mittleres | Hinteres De Mittleres | Hinteres Fhierart | Prittel. |; Drittel Thierart, | "Drittel. -| Drittel Springhase . 35 65 Wölln 4h,A 55,9 ARE via. 35,5 64,5 Hyäne acus 44,2 55,8 Wildkatze . 36,0 64,0 Mensch . . 44,5 558 OSGA E 38,5 614,5 Fischotter . 44,8 85,2 Löwen: isg 40,2 59,8 Wildschwein 44,9 55,4 Birnen. 44,0 59,0 Hirsch . . 45,6 |, 54,4 Dachs. , . 42,2 57,8 Auerochse . 46,4 53,9 Utis 4 aor 42,3 NEN Pita ‚Eis. 46,2 53,8 Dachshund . 40,8 59,2 Esr .. 46,3 58,7 Känguruh . 44,7 58,3 Hehe. 49,2 50,8 Schal. :. 4: 13,2 56,8 Dromedar . 49,3 50,7 Die Reihenfolge bei dieser Tabelle ist ziemlich umgeändert, im All- gemeinen aber übertrifft bei keinem der Thiere die Brust an Länge die Lende. Die grösste Differenz zeigen auch hier Zweifüsser undKletterer, mit Hase und Löwen im Bunde. Auffallend ist, dass der Mensch in der Liste so weit hinabgerückt ist. Seine Brust ist rela- tiv schr lang und er nähert sich in dieser Beziehung dem Vierfüsser. Als Grund kann hier der Druck der Schultermuskeln bei dem mannig- faltigen Gebrauch der Arme angeführt werden. Sonst wäre bei dieser Tabelle zu bemerken, dass Pferd, Esel, Ochse und Dromedar, also alle die vier Hausthiere, die mit ihrer Wirbelsäule stärker arbeiten müssen, die relativ längste Brust besitzen. Hier tritt also klar hervor, was ich über den Einfluss der Beschäftigung sagte. Das gleiche tritt zu Tage bei der Vergleichung von Schaf einerseits, Hirsch und Auerochse andererseits. Nachdem die vorliegenden Messungen der Wirbelsäule, von denen ich übrigens bemerke, dass ihre Zahl noch keineswegs ausreicht, nichts nachgewiesen haben, was sich nicht auf Muskeldruck oder Belastung zurückführen liesse, interessirte es mich, auch die Extremitätenknochen der Thiere zu durchmustern, um zu schen, in wieweit auch hier die Wirkungen dieser morphologischen Kräfte sich verfolgen lassen. Hier ergab sich nun sogleich eine Schwierigkeit. Wohl konnte man die Ex- tremitäten unter einander und ihre einzelnen Abschnitte vergleichen, nicht aber die Vergleichung der Extremitäten mit dem Rumpfe vorneh- men, ehe nicht dieser einer anderweitigen Betrachtung unterworfen war. Zu dieser Ueberzeugung kam ich durch folgenden Umstand. Man sollte glauben, nach der Geburt werden auch beim vierfüssigen Thiere ebenso wie beim Menschen die Beine stärker in die Länge wachsen als der Rumpf, da ihnen doch eine grössere Arbeit auferlegt'ist. Gleich i i} Ueber das Längenwachsthum der Knochen, 23 die erste Messung bei Kalb und Ochse, wies das Gegentheil nach. Setzte ich die Wirbelsäule = 100, so bildeten Femur und Tibia zusammen- genommen beim Ochsen 14°/,, beim Kalbe 60 %,, d.h. bei diesen Thieren wächst die Wirbelsäule stärker als die Beine. Dieses unerwartete Factum löste sich in folgender Weise befrie- digend auf, Femur und Tibia haben zusammengenommen nur acht Stellen, an denen das Längenwachsthum vor sich geht, die vier Gelenkknorpel und die vier Knorpelscheiben zwischen Epi- und Diaphyse, während eine Wirbelsäule viermal so viel Ossificationsstellen hat- als es Wirbel sind. Es muss also selbst ein kleiner Gewinn an jeder Ossifications- stelle der Wirbelsäule zu einer beträchtlichen Verlängerung derselben führen , während die Beine durch die geringe Zahl ihrer Ossifications- stellen in beträchtlichem Nachtheil sich befinden, mit andern Worten: die Längenausdehnung der Wirbelsäule wird ceteris Paribus viel mehr schwanken, als die der Beine. _ Um mich über diese Verhältnisse zu orientiren, stellte ich folgende Tabelle (siehe S. 24) zusammen. Sie giebt nebeneinander von Rind, Schaf, Hirsch und Mensch die Längen der Wirbel- und wichtigsten Extremitäten-Knochen bei Erwachsenen und Neugebornen. Eine dritte Rubrik enthält bei jedem Thiere die Differenz der betreffenden Knochen, die das Maass des Wachsthums nach der Geburt angiebt. Die Maasse Sind Millimeter. Aus dieser Tabelle ist zu entnehmen: I) Jeder einzelne Wirbelkörper besitzt ein weit ge- TingeresLängenwachsthum als der einzelne Knochen der Gliedmaassen. Es wäre nun zwar gewiss gewagt, zu behaupten, der ganze Betrag dieser Wachsthumsdifferenz falle auf Rechnung der in Rede stehenden Kraft, hier mögen noch Differenzen in der Blutzufuhr etc. mitwirken, allein wenn wir von der Grösse der Differenz ab- Sehen, dürfen wir sicher unsere morphologische Kraft als einen Erklä- Tungsgrund anrufen. An den Extremitäten haben die Knochen fast ausschliesslich die Last zu tragen, die Wirbel werden in dieser Aufgabe bedeutend durch die massigen sie umgebenden Weichtheile gestützt. Ausserdem ruht auf keinem Wirbel eine so grosse Last wie auf den Extremitätenknochen, die letzteren sind immer die Träger, die ersteren die Getragenen. Weiter ist die Bewegung in den Gelenken der Wirbel- Säule eine höchst geringe gegen die Bewegung an den Gliedmaassen- selenken, somit ist auch der wachsthumfördernde Reiz ein weit ge- Fingerer, Ferner kommt noch dazu: die Gliedmaassen werden viel Dr. Gustav Jaeger, Mensch | Rind Schaf Hirsch S || N N N l = =] a Knochen | = | SI 2z E & | g © = a A | A [=] A | 3.Halswirbel| 404| 6 | 44 80| 30| 50| 40| 484 214) 74| 920 | 54 ee a4) 6) 5H 76| 33| 43| 37| 17 | a0 || 74 | UBIK a - | 6| 6|| 74| 80) 44l 34 | a6 | 18 | 69 17 | 52 BED 12| 6| 6] 72| 30] 42 321 15 | 47 | 60 | 061] 44 midlar AS 6 | :9 | 62| 26| 86128 A3 112,150) 43: | 37 4.Bfustwirb.| 47 | 6 | 44 |70) 25| 45, 22| 44 | Ar || 40] 424| 272 go 9 e ag 64| 24 ho 29) 44 | aA | ko 4924| 97 Boons A| 7,94 || 65-283 i42 aa| aa | an | E0 4194| 97 bo - 20| 8| 42| 70) 241 46| 32) an | 41 || 39| 124] 262 Bere 18| 840 | 65| 24 | an | ga] a4 | an | 39 | Aal 262 baih h 19 1.8 AIEG 2A] 38. 221. a4 | a0 || 36| 424 232 loa 20 ı 8| 12 | 621 24) 88 24] 44 | 10 | 88| 424] 992 E 24 | 8 | 13°] 65| 25 f sol 20 f4 | 9 | 35| 424 222 Ss ZA 8148| 65| 251 40) 2A | A2 | 9. 35 | 1424| 992 40 _ 24 | 8| 43 || 65| 25| 40 22) 12 | a0 | 35 | 191| 99 14 3 gA f of aa || 66) 25) 4of2] a2 | a2 | 86 | 124) a3 42 p 21.1.9 ,42 || 651.26) 39 25| 42 | 13 | 391| 1241 263 13 = 65| 27| 38 26 | 12 | Au A.Lendenw.| 224| 9 | 433 66| 27| 39| 28| 42 | a6 | an | 124 283 - 27 | 94 A74| 70| 27, 43 30| a34 464| 43l.44 | 29 3 - a7 | 9E 417p 72| 27| AS B0 a5 | as 24 | 44 | 30 4 = 28 | 40 V48 |72| 27| 45| 34/45 |46 45|4|34 5 - 30, 10,20 | 73| 27| 26| 341 a6 AS | 45 | au | gi Be 72| 27| 45l 28| 147 | aa | as] ag |31 Ta - | 43| 44 | 29 Humerus. _. |347 | 75 |242 | 360 465495 |452| 87 | 65 |228 105 193 Radius . . |247 | 65 |482 |300 468437 465 | 87 | 78 i245 |a4s 130 Metacarpus . | 69 | 46 | 53 920 4158| 62||140 | 90 | 50 ||a40 [449 | 98 Femur . . 1440 | 85 |855 |450 |208 |a45|175| 92 | 83 ||275 |433 142 Tibia. . . |883 | 73 |340 |385 |205 ļ480]/230 |422 |108 ||300 1157 |443 Metatarsus . | 79 | 46 | 63 |265 |480| 85145 | 93 | 52 |267 ļ156 J144 häufiger bewegt als die Wirbelsäule und endlich wirkt sicher die Be- wegung auch auf die Lebhaftigkeit der Nahrungszufuhr ; 2) ist die Differenz im Wachsthum der Wirbelkörper zwischen Rind einerseits, Hirsch und Schaf andrerseits belehrend. Beim erste! ren sind alle Wirbelkörper nahezu gleich stark in die Länge gewachsen, das Minimum (6. und 7. Brustwirbel) ist 38, das Maximum 50. Beim. Hirsch ist das Minimum 222/,, das Maximum 54; beim Schaf das Mini- mum 9, das Maximum 21. Offenbar steht diess im Zusammenhang mil der Beschäftigung des Ochsen; beim Ziehen wird ein Druck in der Längsaxe der Wirbelsäule ausgeübt, der am stärksten ist in der Mitte der Brust, wo der Scheitel des Bogens liegt, den die Wirbelsäule zwi- schen Schulter und Hüfte bildet. Also gerade dort, wo beim unbeschäf- tigten Vierfüsser nach unseren früheren Auseinandersetzungen die Wirbelkörper den geringsten Druck erleiden und somit, wie die Tabelle zeigt, auch das geringste Wachsthum vorhanden ist. | a Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 25 3) Fällt auf: das geringe Wachsthum der Wirbelkörper beim Schafe. Ich habe dieses Thier schon einmal einen Faullenzer senannt und schulde darüber noch eine Auseinandersetzung. Das Schaf ist weder Zug- noch Lastthier, seine Wirbelsäule darf also im Verhält- niss zu der der andern Hausthiere eine unbeschäftigte genannt werden mit demselben Recht, wie die eines Dachshundes und eines in der Menagerie aufgewachsenen Thieres. Man wird einwenden, das Schaf Sche den ganzen Tag weidend umher; allein bei diesem schrittweisen Gehen sind die aufgewendeten Muskelkräfte gering, und namentlich Sering sind die der Längsmuseulatur der Wirbelsäule. Diess letztere ist ganz anders beim Galopp- und Garriersprung; hier werden weit kräftigere Contractionen der Rückenmuseulatur erfordert, einerseits um der Fallwirkung der Körperlast auf die Wirbelsäule entgegenzuwirken und andererseits um die bei diesen Gangarten (besonders beim Galopp) Stattfindende active Bewegung der Wirbelsäule auszuführen ; ich erin- nere in dieser Beziehung an die lange Lende des Hasen und den langen Rumpf der englischen Rennpferde. 4) Geht aus dem sub 3. Angegebenen unwiderleglich hervor, dass das totale Wachsthum der Wirbelsäule bei verschiedenen Thieren verschieden gross ist, und daraus folgt, dass Mes- Sungen, welche nur das Verhältniss von Rumpf und Bein beim erwach- Senen Thiere feststellen, nicht im Stande sind, Klarheit über den Zu- Sammenhang von Lebensweise und Körperproportionen zu verbreiten '). Um diess zu illustriren, habe ich die folgende Tabelle gerechnet; ich Setzte die Länge der Rumpfwirbelsäule zu 100, berechnete mit Bezug darauf die Länge von Femur und Tibia, und diess sowohl beim Neu- Seborenen als beim Erwachsenen. ® Länge von Femur und Tibia im Verhältniss zum Rumpf. Mensch Rind Schaf Hirsch Neu- geboren Erwach-), Neu- |Erwach-| Neu- |Erwach-; Neu- |Erwach- sen geboren sen geboren sen geboren sen 86 0/0 | 4820/0 | 59% | 4400 | 430/0 60 Yo): 182 ol 48 Y Diese Tabelle ist auf den ersten Blick ebenso unerwartet, als sie bei-genauer Betrachtung zu einem der schönsten Beweismittel für un- — 1) Anm. An dieser Stelle merke ich an, dass das ganze System der Körper- Messungen für ethnologische Zwecke umgeändert werden muss, soll man nicht Gefahr laufen, Differenzen, die durch die Lebens- und Beschäftigungsweise erzeugt Sind, für Racendifferenzen zu halten; namentlich taugen alle Messungen nichts, welche die Rumpflänge als das Einheitsmaass benutzen, denngeradederRu mpfbesitztdenvariabelstenWachsthumsbetrag. 26 Dr, Gustav Jaeger, | sere allgemeine Aufstellung und einige im Bisherigen gemachten beson- deren Angaben wird, Das Auffallende liegt darin, dass bei Mensch und Schafim erwachsenen Zustand das Bein relativ längerist alsnach der Geburt, während bei Hirsch und Rind das Gegentheil eintritt. Würde man diess Verhältniss einer ungleichen Längen- | zunahme des Beines in die Schuhe schieben, so bliebe es sicher unver- ständlich. Könnte man auch einsehen, warum beim erwachsenen Men- | schen das Bein relativ länger ist als beim Neugebornen,, so wäre doch | nicht einzusehen, warum das Schaf längere Beine bekommen sollte als Hirsch und Ochse. Eine vollständige Lösung erhalten wir, wenn wir das Wachsthum der Wirbelsäule und das des Beins gesondert vergleichen ; oben stehen die natürlichen Maasse, unten sind sie procentisch redueirt (die Wirbelsäulenlänge des Erwachsenen = 100.). Mensch Rind Sehaf Hirsch Wirbel-| Hinter- | Wirbel- | Hinter- | Wirbel- | Hinter- | Wirbel- säule bein säule bein säule bein säule Hinter- bein = © neon dult. adult. neon. neon. Q z] | neon. z © © =] = 3 5 {os} | adult. | adult. G 182: 540/158 : 843/680: 4870/440 : 835/490: 6701244 : 4051355 : 4200/290 : 575 33,7:400|49,3:400|36,3:400 | 49: 400|73,4:400|52,8:400]29,5:400 150,4 :400 Wie ersichtlich, haben Mensch, Rind und Hirsch als neugeboren eine relativ sehr kurze Wirbelsäule ; sie ist mit geringen Abweichun-. gen etwa !/; von der Länge der erwachsenen Wirbelsäule (Mensch 33,7 0%, Rind 36,3°/,, Hirsch 29,5.%,),.d. h. diese Geschöpfe haben ein sehr ausgiebiges Wirbelsäulewachsthum im Vergleich mit dem Schafe; beim letztern ist die Wirbelsäule des Neugeborenen über ?/ von der des Erwachsenen (73%/,). Die Hochbeinigkeit des Schafes im Gegensatz zu den zwei andern Wiederkäuern hat also ihren Grund in a dem geringen Betrage des Wirbelsäulewachsthums. | Ganz entgegengesetzt stellt sich die Sache beim Menschen heraus, dessen Wirbelsäule hält im Wachsthum ziemlich gleichen Schritt mit der von Hirsch und Rind, allein seine Hinterbeine übertreffen an Wachs- thum weit die aller drei andern Thiere; bei den letzteren ist das Bein des Neugeborenen etwa die Hälfte so lang wie das des Erwachsenen (Rind 49°/,, Hirsch 50,4%/,, Schaf 52,8%/,), beim Menschen dagegen hat das Bein des Neugeborenen nicht ganz !/ von der Länge des fer- tigen Beines; die Hochbeinigkeit des Menschen rührt also men So nn | d i ! f Í Ueber das Längenwachsthum der Kuochen. 27 von dem beträchtlicheren Wachsthum des Beines, die des Schafes von dem geringen Wachsthum der Wirbel- Säule her. Darin liegt offenbar eine Bestätigung unserer Sätze: 1) Die Wirbelsäule des Schafes wächst deshalb so gering, weil dieses Organ lange nicht in der Weise beschäftigt ist, wie bei den an- deren Thieren (siehe oben). 2) Das Hinterbein des Menschen wächst deshalb so ausserordent- lich, weil der Mensch zweifüssig geht, also das Bein die Hälfte, beim Vierfüsser nur 1/4 der Körperlast trägt. Uebrigens knüpfen sich an die obige Tabelle noch einige Bemer- kungen über die Wirbelsäule. So natürlich der grosse Unterschied 2wischen Schaf einerseits, Rind und Hirsch andererseits aus der Lebens- art dieser Thiere sich erklärt, so natürlich es uns weiter erscheint, dass die Wirbelsäule des Hirsches stärker wächst als die des Rindes, da der Hirsch schon in der Jugend rennen und laufen muss, das Rind erst später zum Ziehen verwendet wird, so befremdlich erscheint uns das starke Totalwachsthum der menschlichen Wirbelsäule, wodurch sie Zwischen Hirsch und Rind zu stehen kommt; es ist diess um so be- fremdlicher , als wir in der Tabelle pag. 20 das geringe Wachsthum des menschlichen Halses constatirten. Hierüber klärt uns eine Verglei- Chung des Wachsthumsbetrags der einzelnen Wirbelkörper auf, Nehmen wir den längsten Wirbel (beim Menschen den letzten Lenden-, bei Rind und Hirsch den 3. Halswirbel, siche Tabelle p. 24), Setzen die Länge desselben beim Erwachsenen = 100 und bestimmen den Procentsatz desselben beim Neugebornen, so erhalten wir für Mensch Rind Hirsch 33,3%, 37,5%, 25,90; Die hohe Belastung bringt also bei dem Lendenwirbel des Menschen denselben Effect hervor, wie der Muskelzug bei den Halswirbeln der Wioderkäuer. Weiter sehen wir aus der Tabelle pag. 24, dass sich die Wirkung der grösseren Belastung schon an dem starken Wachs- thume der Brustwirbel bemerklich macht, und so ersetzt der Umstand, Ass eine verhältnissmässig grosse Zahl von Wirbeln relativ stärker be- lastet ist als beim Vierfüsser, und der vielseitige Gebrauch der Arme Auch auf die Brust verlängernd wirkt, den Nachtheil, den ihm der min- der energische Kampf ums Dasein bringen würde; denn man vergesse Nicht, dass diese stärkere Belastung der Lendenwirbelsäule beim Still- Sitzen nicht minder besteht als beim Gehen. Werfen wir einen Blick auf die Unterschiede im Wachsthum der 28 Dr. Gustav Jaeger, Beine bei den drei Vierfüssern, so stimmt auch hier die gefundene | Scala mit der Beschäftigung. Der Hirsch, der offenbar seine Beine am meisten gebraucht, hat das stärkste Wachsthum (29,5/,), das Rind | folgt mit 36,3; seine Beschäftigung als Zugthier kommt dem Länge- wachsthum des Beines zu gut, allein doch erreicht es nicht das des Hirsches. Diesen beiden steht gegenüber das Schaf mit dem ge- ringsten Beinwachsthum (52,8 %/,), wie diess bei der Beschäf- tigungslosigkeit dieses Thieres nicht anders zu erwarten ist. An die vorstehende Betrachtung schliesse ich eine Tabelle an , die das Verhältniss von Wirbelsäule und Hinterbein (Tibia plus femur) bei einer Reihe von andern Thieren darstellt, bei denen es mir vorläufig nicht möglich war, Neugebornes und Erwachsenes zu vergleichen. Unter Wirbelsäule verstehe ich wie oben nur Hals, Brust und Lende zusammengenommen. In der Tabelle ist diese Länge überall gleich 100 gesetzt und procentisch die Länge des Beins angegeben. Verhältniss von Rumpf und Hinterbein (Tibia und Femur). Mensch ....152,%/, Wildschwein 51 '/, Springhase 138 - Hirsch ... . 48 — Känguruh . 104 - Dachs. .. . 47 - Affe uer. 80 - Ochse. n... 44 - Hase a . .. .75- Esel... ‚43,5% Löwe ..:. 66- Dachshund . 43%, Bär, .....66. - Pferd. ... . 42. - Schaf... .. 60 - Dromedar. . 39 - Wolf . .. 60- Mas.. .. . 3T- Hyane.... 58- Fischotter. . 36 — Auerochs 54 — Nach dem früher Auseinandergesetzten dürfen wir diese Liste nicht einseitig auffassen als Aufschluss gebend über die Länge der Beine; wir haben immer die doppelte Frage uns vorzulegen, ob Diffe- renzen im Wachsthum der Wirbelsäule oder solche im Wachsthum der Beine vorliegen. Von diesem Gesichtspuncte ausgehend müssen wir sagen: die Liste eröffnet mit den langbeinigen Thieren | ! | und schliesst mit den langrumpfigen, und wenn diess zu unserem supponirten Gesetze passen soll, so müssen die erstern eine Lebensweise zeigen, welche die Trag- und Sprungkraft der Beine mehr | in Anspruch nimmt, während bei den letzteren an die Wirbelsäule ge- | steigerte Anforderungen gestellt werden. Dass diess zutrifft, lehrt die Vergleichung dieser Tabelle mit den vorangehenden Untersuchungen Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 29 über das Wachsthum der Wirbelsäule, sowie die Betrachtung. der Ta- belle an und für sich. Die drei Zweibeiner eröffnen die Liste mit:dem längsten Fuss; ihre Langbeinigkeit, rührt unstreitig von. stärkerem Wachsthum der Beine her und mag noch gesteigert sein durch das kümmerlichere Wachsthum des Halsabschnittes der Wirbelsäule. Schwieriger ist zu beurtheilen , warum. der Affe langbeiniger ist als die übrigen, ihre Extremitäten gleichmässig gebrauchenden Thiere ; Jedenfalls trägt hier, wie aus der Tabelle pag. 20 hervorgeht, das ge- ringere Wachsthum der Halswirbelsäule dazu bei, das Bein länger er- Scheinen zu lassen. Fürs Zweite dürfen wir aber wohl an ein gestei- Sertes Wachsthum der Beine denken, da die Affen von einer Ausserordentlichen Beweglichkeit sind; ‚es giebt ja. wenig Thiere, welche ein unsteteres und unruhigeres Gebahren aufweisen als Sie und so darf uns die Langbeinigkeit derselben nicht überraschen. on dem Hasen gilt fast genau dasselbe; er ist lJangbeinig, weil er viel läuft, Betrachten wir das Ende der Tabelle, so treffen wir hier alle ‚die hiere beisammen, von denen wir schon aus anderweitigen Messungen °Ststellen konnten, dass sie ihre Wirbelsäule mehr strapa- “Iren als andere Vierfüsser; es sind einmal die Hausthiere, Ochse, Esel, Pferd und Dromedar, dann die zwei marderartigen Thiere: ltis und Fischotter, und unter ihnen figurirt nur Ein Thier, dessen Kurzbeinigkeit vielleicht anders angesehen werden muss, nämlich der achshund. Hier liegt kein Grund vor, ein slärkeres Wachsthum der Virbelsäule anzunehmen, um so mehr, als die Dachshunde zu den klei- Neren Hunderacen gehören. Man kann die Sache wohl nur so auffas- sn, ohne sich in gewagte Vermuthungen zu verirren, dass beim Dachs- unde Rumpf und Bein gleichmässig: im Wachsthum zurückbleiben, a Soweit ich ohne Messungen, zu denen ich noch keine Gelegenheit ‚alle, aus Erinnerung ‚und Augenmaass entnehmen ‚kann, kommen we die langbeinigen Hunderacen. mit relativ kurzen Beinen auf die = Een die Thiere welebe die Mitte der Tabelle annehmen, lässt ı Folgendes sagen: die Kurzbeinigkeit des Dachses dürfte auf ein „u hgeres Beinwachsthum zu setzen. sein, da diese Thiere, namentlich l Winterszeit, viel schlafen, überhaupt keine Freunde von unstetem ‚ebenswandel sind. Weiter ist interessant Wolf und Schaf mit gleichen 7 ou "(verhältnissen neben einander stehen- zu sehen. Die Wolfe kom Wa > ie ich aus eigener Am sakaning weiss, : so kurzbeinig auf dig Bring, a Hunde, während das Schaf sehr lange Beine zur Welt - as Schaf bleibt nun, wie wir früher zeigen konnten, 30 Dr. Gustav Jaeger, langbeinig in Folge des geringen Wachsthums seiner | Wirbelsäule, der Wolf wird langbeinig in Folge des ge- steigerten Wachsthums seiner Beine, das er seiner unsteten Lebensweise verdankt. Die Langbeinigkeit der Hyäne dürfte bei dem l Umstande, dass sie in einer Menagerie aufwuchs, wo weder Fuss noch | Wirbelsäule Gelegenheit zur Uebung hatten, darauf hinweisen, dass die | Hyänen bereits langbeinig zur Welt kommen. — Erfahrungen mangeln mir hierüber. | Diese Betrachtungen, die natürlich ohne vergleichende Messungen des neugebornen Thieres mehr hypothetischer Natur sind, werden jedenfalls genügen, um darzuthun, ‘dass auch diese Tabelle als eine Bestätigung des vermutheten Knochenwachsthums - Gesetzes aufzufas- sen ist. Die nächste Tabelle vergleicht bei vier Säugern das Verhältniss von Vorder=- und Hinterbein des neugebornen und erwachsenen Thieres. Ich habe hiebei die Länge von Femur plus Tibia gleich 100 gesetzt. Die Zahl der Tabelle giebt nun an, wie sich die summirte Länge von Humerus und Radius zu der von Femur plus Tibia verhält. Verhältniss von Vorderbein zu Hinterbein (letzteres überall = 100). Mensch Rind Schäl Hirsch neu- |erwach-| neu- |erwach-| neu- |erwach-| neu- [erwach- geboren sen geboren sen geboren sen geboren sen bei 3. Ind. gemess. 881/3 68,5 100 80 78 78 76 82 Hieraus ist ersichtlich, dass beim Menschen die Beine stär- ker wachsen als die Arme, übereinstimmend mit den Unterschie- den ihrer Belastung, wovon schon früher die Rede war. Beim Rinde wächst das Hinterbein länger als das Vorderbein. Diess stimmt damit, dass das Ziehen eine grössere Anstrengung seitens der Hinterbeine erfordert als seitens der Vorderbeine. Dass diese Vermu- thung nicht ohne Grund ist, lehrt die Vergleichung des Rindes mit dem Auerochsen‘; bei ihm verhält sich Vorderbein zu Hinterbein wie 83:100. Bei ihm ist also, wie unser Gesetz erwarten lässt, die Differenz zwischen | Hinter- und Vorderbein geringer als beim Ochsen. Beim Schaf sind die Verhältnisse im neugebornen und erwachsenen Zu- stande gleich; es lässt sich auch in der That bei der monotonen Lebensweise des Schafes nicht anders erwarten. Sobald ich übrigens Gelegenheit finde, werde ich die betreffenden Verhältnisse bei dem Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 31 Widder untersuchen, (das Schaf unserer Tabellen ist; ein weibliches). Bei ihm lässt nämlich die grössere Belastung der Vorderbeine durch den gewichtigen Kopf vermuthen, dass die Vorderbeine stärker wach- sen als.die Hinterbeine, und schwerlich wird diess dadurch ausgeglichen werden, dass das Hinterbein beim Stossen stärker in Anspruch genom- men wird als das Vorderbein. Beim Hirsch treffen wir im Gegensatz zu allen andern ein ge- Sbeigertes Wachsthum der Vorderbeine; es musste erst eine vergleichende Messung beim weiblichen Thiere (das gemessene ist ein männlicher Hirsch) vorgenommen werden, um entscheiden’ zu können, ob die stärkere Belastung der Vorderbeine durch das Geweih und den Mmassiveren Schädel diesen Wachsthumsunterschied hervorbringt, und Zwar; ob: dieser Umstand die alleinige Ursache: ist oder nur: eine der- selben, ‘denn ich wage nicht zu entscheiden, ob beim Schnelllauf eine Ungleichheit in der Arbeitsleistung zwischen Vorder- und Hinterbein besteht. In der folgenden Tabelle habe ich nach dem ‘gleichen Princip Vorder- und Hinterbein von einer Reihe erwachsener Thiere ver- Slicehen, um zu sehen, in wieweit die bestehenden Verhältnisse mit der Lebensweise der Thiere übereinstimmen. Verhältniss von Vorder- und Hinterbein (letzteres unverändert = 100). Springmaus, 35.%/, Dachs sux ciro Känguruh .. ‚60, — Eseli „urn i Mensch. ior a 085: ai Wildkatze... 9 - Haseuif aah i38 %o Waira us m Utiss pobedi r Hunp:;..genhr 791,5 T Schaf sn srs Kyi Dromedar . . 94,7 - Fischotter ....79 - Löwe, - ae Ochse, „un Sl Bier aim est Hirsch. etSRT BAU» im an790,r Auerochse.. 83 - Hyäne n.i; 100. - Wildschwein. 85 — Elephant. . 103 - Affe, istrada Wie zu erwarten war, eröffnen die zweifüssig gehenden die Reihe Mit dem: längsten Hinterbein und dem kürzesten Arm. Die grossen Dif- erenzen, die trotzdem unter diesen Zweibeinern bestehen, lege ich mir auf folgende Weise zurecht. Die Springmaus steht auf den zwei Hin- \erfüssen allein, das Känguruh stützt sich ausserdem noch auf seinen Mächtig entwickelten Schwanz, darum sind die Hinterbeine der Spring- 3J.. Dr, Gustav Jaeger, maus grösser als die des Känguruh’s. Ausserdem sind auch die Vorder- beine der Springmaus im Verhältniss zum Körper kleiner als die beim Känguruh; in dieser Beziehung weiss ich nur, dass das Känguruh nicht ausschliesslich auf den Hinterbeinen geht, sondern zuweilen auch auf allen vieren, und dass es seine Vorderbeine beim Kämpfen als Waffe gebraucht. Springmäuse habe ich lebend noch nicht beobachtet und finde auch nichts darüber angegeben. — Dass der Mensch, der in Bezug auf die Gangart auf zwei Füssen der Springmaus näher steht als dem Känguruh, doch erst nach diesem kommt, erklärt sich einfach durch den ausgedehnten Gebrauch, den er von seinen Armen macht, sie sind deshalb verhältnissmässig länger ‘als bei den andern Zweifüssern. Weiter zeigt die hohe Zahl des Elephanten auf einen Einfluss der Belastung durch den mächtigen Kopf. Die geringe Armlänge bei Hase, Iltis und Fischotter steht im Zusammenhang mit dem häufigen Aufrich- ten dieser Thiere auf die Hinterbeine, über das uns schon die Verhält- nisse der Wirbelsäule dieser Thiere belehrten. Im Allgemeinen geht aus der Tabelle hervor, dass bei den mei- sten Vierfüssern das Hinterbein länger ist als das Vor- derbein, allein es wird, wie uns die Tabelle S. 30 zeigt, ohne Ver- gleichung von Neugebornem und Erwachsenem schwierig sein, zu be- stimmen, wie wir diess Verhältniss aufzufassen haben, da eine so grosse Differenz schon bei der Geburt vorhanden ist. Während das Rind mit gleich langen Armen und Beinen geboren wird, kommt Scha und Hirsch kurzarmig zur Welt, und trotz dieser Differenz treffen wir im erwachsenen Zustande Hirsch und Ochse neben einander; beim Ochsen musste also das Hinterbein länger wachsen, beim Hirsch das Vorderbein. Um nun zu entscheiden, ob bei den Thieren unserer Liste das Eine oder das Andere eingetreten ist, müssten wir zu den gewag- testen Vermuthungen schreiten. Wir haben uns also vorläufig mit dem Resultate zu begnügen, dass bei den vierfüssig gehenden Thieren die Differenz zwischen Vorder- und Hinterbein eine geringere ist, als beit den zweifüssigen, was mit unserer Vermuthung über die Ursache des Knochenwachsthums übereinstimmt. Auf ähnliche verwickelte Verhältnisse stossen wir bei der Verglei- chung von Oberarm und Vorderarm, Oberschenkel und Unterschenkel. Die folgende Liste giebt das Verhältniss von Femur und Tibia in neugebornem und erwachsenem Zustande, wobei die Tibia überall gleich 100 gesetzt ist. Ueber das Längenwaehsthum der Knochen. 33 Verhältniss von Femur und Tibia (letztere überall = 100). rn i Mensch Rind Schaf Hirsch i neu- | erwach- neu- |erwach- neu- erwach- neu- erwach- geboren sen geboren sen | geboren sen geboren sen OETA Fer Br Prize ee Bu m f Fa S b3 Ba hS Bs Eia 5 is Es | Eal Ee] 2|E|2| 53,3 caa NEE EB: elelelelelele lee too [116 |100| 14o [100 | 100| 100 [a17 | 100] 97 [100 |s4,7|100 85 oof o Bei Mensch und Schaf ist also die Tibia rascher ge- Wachsen als der Oberschenkel; bei Rind und Hirsch ist °S umgekehrt. Diesen Befund glaube ich in folgender Weise zu- "echt legen zu können. Wenn einfach die Belastung wirksam ist, so Muss die Tibia, weil stärker belastet als der Schenkel, ein rascheres Wachsthum zeigen; in diesem Falle sind Mensch und Schaf, weil kei- nes dieser Geschöpfe zu seinem Lebenswandel eine grössere Thätigkeit der Beinmuskeln bedarf, der Mensch deshalb nicht, weil Ober- und Unterschenkel senkrecht aufeinanderstehen, eine Lage, zu deren Erhal- tung weniger Muskelkraft erforderlich ist, als wenn Ober- und Unter- Schenkel wie beim Vierfüsser in winkliger Knickung festgehalten wer- den sollen. Damit erklärt sich zugleich der geringere Betrag der Diffe- renz beim schlecht arbeitenden Schafe, vorausgesetzt, dass wirklich Sezeigt werden kann, wie die Wirkung des Muskelzugsaufden berschenkel stärker ist als die auf den Unterschenkel. Ohne näher die Kräfte der Ober- und Unterschenkelmuskeln einzeln zu analysiren und zu vergleichen , geht diess schon einfach aus dem SPösseren Querschnitt der Schenkelmusculatur hervor und so werden Wir es ganz natürlich finden, dass bei Thieren, die ihre Beine vie] gebrauchen, das Prae an Wachsthum, das die Tibia durch ihre grössere Belastung besitzt, nicht nur com- Pensirg, sondern ins Gegentheil verwandelt wird dh m ein Sesteigertes Wachsthum des Oberschenkels, und das ist der Fall bei I | Bi: © ind und Hirsch. Die folgende Tabelle giebt in gleicher Weise das Bd. V 1 Dr. Gustav Jaeger, Verhältniss von Radius und Humerus (letzterer überall = 100). Mensch Rind Sc h:a f Hirsch neu- erwach- Neu- erwach- neu- erwach- neu- erwach- geboren sen geboren sen geboren sen geboren sen n | n | n n | n | n | n | n N 5 A =) nn 5 N =) N 5 un 5 N = Nn m Saas ke kame ea ee © O & a) g ae) g ae) g am =i ae g am g ae g aree ka Eele e A E e es kE EE ENE araar ada a Phar JaPa dE ht hoë 100 |115 roo | aaa | 100 [100 | +00 [120 [+00 | 07 faoo| 92 noo] os 1100 | 93 Es ist höchst bezeichnend und bestätigend für unsere Auffassung, dass in dieser Tabelle der Mensch aus der bisher mehrfach getroffenen Verbindung mit dem Schafe heraustritt und Rind und Hirsch sich bei- gesellt. Das Schaf ist das einzige unserer vier gemessenen Geschöpfe, bei dem der Oberarm ebenso im Wachsthum hinter dem Vorderarme zurückbleibt, wie wir diess rücksichtlich der hintern Extremität bereits gefunden ; ‚bei Mensch, Rind und Hirsch wächst der Oberarm stärker als der Vorderarm. Diess zeigt, dass Schaf und Mensch zwar gemeinschaftlich mit den Hinterbeinen faullenzen, bei der vordern Extremität aber das Schaf allein dieses Vor- recht geniesst, der Mensch sich dagegen den arbeitenden Geschö- pfen anschliesst. Eine ähnliche Betrachtung der Musculatur zeigt uns nämlich, dass auch der Oberarm unter stärkerem Muskeldruck steht als der Vorderarm. Ich habe versuchsweise bei einer grösseren Anzahl von Thieren die in Rede stehenden zwei Hauptabschnitte der Gliedmaassen gemes- sen, allein mich überzeugt, dass ohne Vergleichung mit dem Neugebo- | renen keine Auflösung der Liste möglich ist; ich will deshalb nur einen Irethum berichtigen, der sich bis in die neuesten Handbücher fortzieht (Hyarı, Anatomie des Menschen 1863), dass nur bei Mensch und eini- gen Affen der Oberschenkel länger sei als der Unterschenkel. Von 22 gemessenen Thieren besitzen 14 also 2/, einen längeren Oberschenkel. Durchsichtiger sind die Verhältnisse des Metatarsus und Metacarpus. Ich setzte hiebei die summirte Länge von Tibia und Femur einerseits, die von Humerus und Radius anderseits gleich 100 und rechnete die betreffenden Zahlen von Metatarsus und Metacarpus um. Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 35 Verhältniss von Metatarsus zu Femur und Tibia (die Summe überall = 100). Mensch Rind Schaf Hirsch neu- |erwach- | neu- |erwach- | neu- |erwach- | ` neu- erwach- geboren sen geboren sen geboren sen geboren sen ı an 2 I 1 1A an San Sn =; | sp 2 B| a 5.2 Sn 5 52282 3152222 2 | 3 as 5S s| E Es] = |38] = |E gj IE 10,4 100 | 9,4: 100| 48: ‘100| 32 m #4 : 100 85,8: 100 | 54 : 100| 46 :400 dass überall der Metatarsus beim neugeborenen Hier zeigt sich, Diess ist wohl so auf- relativ länger ist als beim erwachsenen Thiere. zufassen , dass Ober- und Unterschenkel zusammengenommen stärker Wachsen als der Metatarsus und diess hat offenbar seinen Grund in der Vertheilung des Muskelzuges. Die Musculatur des Vorderfusses ist eine äusserst geringe, und da die Muskeln, welche die Zehen bewegen, am Unterschenkel liegen, somit bei ihrer Contraction auch eine Verlänge- rung des Unterschenkels anstreben, so erklärt sich das Uebergewicht im Wachsthum seitens des Ober- und Unterschenkels vollkommen. Diess springt um so deutlicher in die Augen, wenn wir uns zum Meta- carpus wenden. Verhältniss von Metacarpus zu Humerus undRadius (die Summe überall = 100). Mensch | Rind Schaf Hirsch neu- | erwach- neu- erwach- neu- erwach- neu- erwach- geboren sen geboren sen geboren sen a Eu sälslealalzdlelsäle sE alg] g SAAE ea ae 33] ija LA daal ARET Jas A asis AA: 100 [12,5 100| 48 100| 33: 100 roo se i100 | 64 100 50:400 Während bei Rind, Schaf und Hirsch der Metacarpus Sich gerade so verhält wie der Metatarsus, macht der Mensch cine Ausnahme. Der Metacarpus des Erwachsenen ist relativ länger als der des Neugebornen. Diess hängt offenbar ab von der reicheren Muskelentwicklung der menschlichen Hand und dem aus- 3edehnten Gebrauch, den der Mensch von diesem Werkzeug macht. Dieser ‚Unterschied fällt um so grösser aus, wenn wir die Liste Pag. 34 zu Rathe ziehen, die uns'zeigte, dass u Oberarm und Vor- derarm des Menschen ein beträchtliches Wachsthum aufweisen. Höchst charakteristisch ist die vergleichende Messung von Thieren, g3* 36 Dr. Gustav Jaeger, die ich in der folgenden Liste zusammengestellt habe. Unter der Be- zeichnung » Arm« verstehe ich wieder Humerus plus Radius, unter der Bezeichnung »Fuss« Femur plus Tibia. Verhältniss von Metacarpus zu Humerus + Radius, und Verhältniss von Metatarsus zu Femur -+ Tibia (die Summe überall = 100). Meta- Meta- per carpus Arm tarsus Russ Känguruh. . 8,6 400 Elephant . . 8,6 400 Elephant . . 14,5 100 Mensch . . . 9,4 100 He... 12,5 400 Bar, rars 42 400 Mensch 49,5 400 Affos 34 .1% 44,7 400 Biene. 42,6 400 Dachs 45,17. 400 Hase 45,4 400 Hase r 49,0 400 Dachs 15,5 400 Löwe rs. ae 49,6 400 Fischotter . 47,6 400 te a 20,0 400 Löwe ; 418,5 400 Rhinoceros . 20,0 400 Itisenazout ; 20 400 Wolfi. sil £ 24,0 400 Hyane. .. . 24 400 Schwein ö 24,7 400 AN de 24 100 Känguruh. . 22,0 100 Dachshund . 23 100 Hyäne . 22,0 100 Rhinoceros . 23 400 Fischotter. . 22,0 400 Schwein .. 23 400 Dachshund . 22,0 400 Auerochse. . 28,8 400 Auerochse . 98,7 400 Ochse aui. 33,0 100 Oche... 32,0 100 Beck. ;.. 35,7 100 Sebab irea 35,8 400 Pld -~na 86,4 400 Dromedar. . 38,4 400 Dromedar. . 39,5 400 Bierda 2,953 38,6 400 Sebar - : =» hh 400 Esel: u: 44,0 400 Hirsch. - .. 50 400 ilscH. 9% 46,0 400 Betrachten wir zuerst die Verhältnisse des Metatarsus. Wenn wir vom Elephanten absehen, so besitzen den kürzesten Me- tatarsus die Sohlengänger: Mensch, Bär, Affe und Dachs. Auf siefolgen dieZehengänger, und zwar die, welche mehrere Metatarsalknochen besitzen; zuletzt kommen die Wie- derkäuerundEinhufer, die auf einem Metatarsalknochen gehen, und zwar trennt ein scharfer Sprung diese letztern von den- jenigen Thieren, die mehrere Metatarsen besitzen. — Diese Reihenfolge stimmt ganz genau mit den obwaltenden Belastungsverhältnissen über- ein. Bei den Plantigraden sind die Metatarsalknochen am wenigsten belastet, weil das Körpergewicht auf der Fusswurzel ruht und der Un- terschied zwischen den Digitigraden und den Ein- und: Zweihufern rührt einfach daher, dass, wo vier und fünf Knochen an jedem Fuss “sich in die Last theilen, auf einen Knochen weniger Gewicht fällt als da, wo nur ein Knochen die Last trägt. Dass diese Auffassung die rich- tige ist, lehrt namentlich schön die Vergleichung von Elephant und Rhinoceros; der erstere, derauf 5 Metatarsalknochen geht, Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 87 hat einen kürzeren Metatarsus als das Rhinoceros, des- sen Metatarsus aus 3 Knochen besteht. Dass übrigens der Elephant einen kürzeren Metatarsus besitzt als selbst die Sohlengänger, weist darauf hin, dass noch andere Umstände hier in Betracht kommen, vor allem die längere Tragzeit dieser Thiere (siehe hierüber später). — Weiter wäre aus der Liste noch herauszuheben der Unterschied zwi- schen Auerochse und Ochse; entweder deutet diess auf ein stärkeres Wachsthum von Ober- und Unterschenkel beim Auerochsen, was übri- gens nach unserer Tabelle p. 33 unwahrscheinlich ist, oder darauf, dass beim Ochsen der Metatarsus wirklich stärker wächst; ohne Unter- suchung des neugebornen Auerochsen wird sich diese Alternative nicht entscheiden lassen. Die hohe Zahl des Schafes findet wohl darin ihre Erklärung, dass Ober- und Unterschenkel nicht in dem Maasse wachsen, wie bei den andern Wiederkäuern. Wie wir aus der Tabelle pag. 35 entnehmen, beträgt der Unterschied zwischen Metatarsus des Erwachsenen und Neugebornen beim Rind 16°%,, beim Schaf nur 8,2 0/. — Die hohe Ziffer beim Hirsch ist, wie aus Tabelle pag. 35 hervorgeht, schon daraus erklärt, dass der Hirsch einen sehr langen Metatärsus zur Welt bringt, allein auch hierin könnte man eine Fortvererbung eines erworbenen Charakters erblicken; der Hirsch hat nämlich einen sehr dünnen Meta- tarsus im Verhältniss zu dem der andern hier angeführten Wieder- käuer; jè kleiner aber der QuerschnitteinesKnochen, um sogrösseristdieLast, dieaufder Flächeneinheit dessel- ben ruht. Voraussichtlich werden die schlankbeinigen Antilopen ähn- lich lange Metatarsen aufweisen. Wenden wir uns zu den Verhältnissen des Metacarpus, so fin- den wir bei den vierfüssig gehenden Thieren eine fast minutiöse Ueber- einstimmung mit denen des Metatarsus. Grössere Differenzen weisen - die Thiere auf, welche Vorder- und Hinterbein in heterogener Weise benutzen: Mensch, Känguruh, Affe und Hase. Den grössten Unter- schied zeigt das Känguruh; sein Metatarsus hat die Verhältnisse der Digitigraden,, sein Metacarpus die der Plantigraden; diess entspricht genau dem verschiedenartigen Gebrauch, den es von seinen Extremi- täten macht. Es wäre nur das Eine auffallend, dass der Metatarsus, von dem nur ein Knochen functionirt, nicht die Verhältnisse der Ein- und Zweihufer zeigt, sondern die der Vierhufer, wenn wir nicht wüss- ten, dass das Känguruh nur im Sprung Digitigrad ist, in der Ruhe dagegen Plantigrad. 38 Dr. Gustav Jaeger, Ill. Abschnitt. Ueber das Längenwachsthum vor der Geburt und Schluss- folgerungen, Die bisher mitgetheilten Messungen dürften hinreichend sein um einige allgemeine Sätze über das Längenwachsthum zu formuliren. Der Hauptsatz lautet: Unter sonst gleichen Umständen steht das Längen- wachsthum eines Knochens in geradem Verhältniss zu seiner mechanischen Leistung. Aus dem leiten sich folgende secundäre Sätze ab: 1) Das Längenwachsthum steht (unter sonst gleichen Um- ständen) in geradem Verhältniss zur Höhe der Bela- stung des Knochens durch das Körpergewicht. 2) Das Längenwachsthum steht (unter sonst gleichen Um- ständen) ingeradem Verhältniss zur Stärke und Häu- figkeit desin der Längsaxe geübten Muskeldruckes. 3) Steht das Totalwachsthum des Skeletes ingeradem Verhältniss zur Höhe der Muskelarbeit. Von diesen Sätzen aus können die Untersuchungen auch ausge- dehnt werden auf die Wachsthumsvorgänge vor der Geburt. Bekanntlich bewegt sich der Fötus in der zweiten Hälfte der Schwan- gerschaft, und wenn die Muskelarbeit das Längenwachsthum nach der Geburt fördert, so ist kein Grund abzusehen, warum die Muskelarbeit des Fötus nicht die gleiche Wirkung haben sollte. Bekanntlich werden die Fötalbewegungen vorzugsweise von den Gliedmassen ausgeübt, während der Rumpf, wenn auch sicher nicht ganz unbeweglich, so doch mindestens seltenere und weniger ausgiebige Bewegungen vollführt. Damit stimmt, dass die Glied- massenknochen beim Neugebornen bereits alle andern an Länge übertreffen. Es wäre gewiss eine voreilige Behaup- tung, dass die Ausgiebigkeit und Häufigkeit der Gliedmassenbewegun- gen gegenüber den Bewegungen des Rumpfes die alleinige Ursache des stärkeren Wachsthums der Gliedmassenknochen seien. Allein an- dererseits ist doch auch folgende Erwägung gerechtfertigt. Wenn Mus- kelarbeit das Längenwachsthum steigert, so kann sie dasselbe auch ver- anlassen. Wir hätten nur dann uns nach andern Ursachen umzuschen, wenn durch Beobachtung ausser Zweifel gestellt wäre, dass die Glied- massenknochen beim Fötus bereits ein vorgeschrittenes Längenwachs- Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 39 thum zeigen, bevor die Gliedmassen irgendwelche active oder passive Bewegungen ausgeführt haben. Daraus, dass die activen Bewegungen ‘des Fötus beim Menschen erst zwischen dem vierten und fünften Monat von der Mutter gefühlt werden, folgt jeden- falls nicht, dass vor dieser Zeit keine derartigen vorhanden sind. Doch dem sei wie ihm wolle. Da nach den übereinstimmenden Zeugnissen der Embryologen die Fötalbewegungen vorzugsweise von den Glied- massen ausgeführt werden, so erklärt sich aus unsern allgemeinen Sätzen mindestens der Umstand, dass Thiere von kurzer Träch- tigkeitsdauer kurzbeinige Junge gebären, solche mit langer Trächtigkeitsdauer dagegen hochbeinige. Die Katze geht 55 Tage trächtig, der Hund 63 und ihre Jungen sind kurzbeinig;; das Schaf geht 150, das Rind 285, der Hirsch c. 240 Tage trächtig und ihre Jungen kommen hochbeinig zur Welt. Selbst innerhalb dieser drei Wiederkäuer stimmt die Beinlänge des Neugebornen mit der Trächtig- keitsdauer des Schafes, das die kürzeste hat, bringt laut Tabelle pag: 25 unter den genannten Thieren das kürzeste Bein zur Welt (43°, der Rumpflänge, bei Rind 59%/,, bei Hirsch 82%/,). Dass das Rind trotz Seiner längeren Tragzeit ein kurzbeinigeres Junges wirft als der Hirsch, leitet uns auf einen neuen Umstand. Der Effect der Fötalbewegungen auf das Längenwachsthum hängt ja nicht allein von der Dauer der Trächtigkeit ab, sondern auch von ihrer Häufigkeit und Heftigkeit. Jede Frau wird es nun bezeugen können, dass in dieser Beziehung die Fötal- bewegungen Hand in Hand gehen mit Häufigkeit und Heftigkeit der Bewegungen der Mutter. Es fände also auch der genannte Unterschied zwischen neugebornem Hirsch und Rind aus unsern allgemeinen Sätzen seine befriedigende Lösung. Der gleiche Umstand trägt wohl auch die Schuld, dass die Differenz zwischen Rind und Schaf trotz dem grossen Unterschied in der Dater der Trächtigkeit in Bezug auf die Beinlänge keine grössere ist. Denn das trächtige Schaf, das auf die Weide geht, hat offenbar mehr Muskelarbeit zu leisten als die trächtige Kuh, die _ Man in den Stall stellt. Wir hätten also aus dieser Vergleichung der Beinlänge neugebor- ner Thiere weitere allgemeine Sätze über das Längenwachsthum der Knochen gewonnen. 1) Die fötalen Bewegungen sind derartig, dass sie das Längenverhältniss von Rumpf und Gliedmassen zu Gun- Sten der letzteren verändern. Daraus leiten sich folgende Sätze ab: 2) Bei gleich langer Trächtigkeitsdauer und sonst glei- 38 Dr. Gustav Jaeger, chen Umständen steht dieHochbeinigkeit des Neugebornen in geradem Verhältniss zur fötalen Muskelarbeit. 3) Die Fötalbewegungen stehen unter sonst gleichen Um- stäinden in geradem Verhältniss zur Muskelarbeit der trächtig gehenden Mutter. 4) Bei sonst gleichem Tempo der Fötalbewegungen steht die Hochbeinigkeit des Neugebornen in geradem Verhältniss zur Trächtigkeitsdauer. Mit diesen Sätzen, die freilich, um zur Unumstösslichkeit zu ge- langen, weiterer vergleichender Messungen bedürfen, haben wir an das Gebiet getastet, auf welchem bisher die Lehre von der Fortvererbung fast ausschliesslich das Feld behauptete. Der würde durch diese Sätze ein gut Stück entzogen. Die Fortvererbung eines bestimmten Verhält- nisses zwischen Bein und Rumpf beruhte somit wesentlich darauf, dass die Mutter während der Trächtigkeitsdauer die gleiche Summe von Mus- kelarbeit leistet, die ihre eigene Mutter leistete, als sie mit ihr trächtig ging. Wo nun eine Abweichung von der Beinlänge der Vorfahren ein- tritt, hätten wir — andere Ursachen sollen natürlich nicht ausgeschlos- sen sein — an die Möglichkeit zu denken, dass das trächtig gehende Thier aus irgend einer mit dem Kampf um’s Dasein zusammenhängen- den Ursache ein Plus oder Minus von Muskelarbeit leistet gegenüber der Grossmutter. Setzen wir den Fall, dass es ein Plus ist, so wird das Junge langbeiniger zur Welt kommen als es bei seiner Mutter der Fall war. Dieser Gewinn erleichtert dem Thiere die Ortsbewegung; und wenn es Veranlassung dazu findet, so wird es der Anregung, die seine Mutter empfing, nicht nur leichter Folge geben können, sondern es auch in ausgedehnterem Masse thun, und diess wird wiederum ein Plus von Beinlänge bei der nächsten Generation erzeugen. Es wird nun nicht geläugnet werden können, dass auf diese Weise eine Gumulation zu Stande kommt und eine solche Thierrace von Gene- ration zu Generation langbeiniger werden muss. Umgekehrt wird ein Thier, welches durch viele Generationen während der Tragzeit zur Unthätigkeit verdammt ist, immer kurzbeinigere Jungen zur Welt bringen. Ich wiederhole, dass hiemit nicht gesagt ist, es sei die Mus- kelarbeit während der Trächtigkeitsdauer und diese selbst die allei- nige Ursache solcher Racenbildungsvorgänge. Sicher aber wird ein Theil derselben daraus seine Erklärung finden können, z. B. die Lang- beinigkeit der Windhunde und die Kurzbeinigkeit der englischen Schweine gegenüber den polnischen und ungarischen. Als weitere Bestätigung des Gesagten bemerke ich, dass bei den kurzbeinigen Southdownschafen die Tragzeit um einige Tage kürzer ist als bei den Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 41 hochbeinigen Schafracen, und das gleiche Verhältniss besteht zwischen arabischem und dem hochbeinigen englischen Pferd. Indem ich zunächst darauf verzichte, durch eine Analyse der be- kannten Abweichungen unserer Hausthiere von der wilden Race neuen Beweisstoff für das aufgestellte Längen wachsthumsgesetz beizubringen, Möchte ich durch einige Bemerkungen die Aufmerksamkeit der Fach- Physiologen auf den vorliegenden Gegenstand lenken. Es ist aus der Literatur der letzten Jahre klar ersichtlich, dass fast nur Zoologen, ver- Sleichende Anatomen und Bötaniker sich auf das durch die Darwıw’sche Theorie aufgeschlossene Beobachtungsgebiet begeben haben , und mit Welchem Erfolg, beweisen die sich häufenden Entdeekungen der über- raschendsten Art. Die eigentlichen Physiologen verhalten sich vorläufig noch gänzlich exspectativ und doch liegen für sie auf dem erschlosse- hen Gebiete nicht minder reiche Schätze begraben als für die andern Diseiplinen, die sich mit den Organismen beschäftigen; ja es muss 3eradezu behauptet werden , so lange sich nicht die Experimentalphy- Siologie ernstlich damit beschäftigt, den Ursachen der indivi- duellen Variation nachzuspüren, können die Bemühungen der Zoologen nur von halbem Erfolg begleitet sein, und doch haben diese Fragen nicht nur eine hohe wissenschaftliche Bedeutung, sondern sie Sind bestimmt, zur Richtschnur für den Thierzüchter und die zweck- Mässige Erziehung des Menschenleibes zu werden. Vor allem ist es das zuletzt genannte praktische Gebiet, das das 8rösste Interesse an dem Nachweis der genannten Ursachen hat. Der Thierzüchter besitzt an der Zuchtwahl, d. h. an der Benutzung der Ohne sein Zuthun entstandenen individuellen Variation ein ausseror- dentlich wirksames Mittel zur zweckmässigen Umgestaltung des Thier- Körpers; allein auf der menschlichen Leib kann dieses Mittel nicht an- . 8ewendet werden. Gelingt es nun, die Ursachen der individuellen Variation festzustellen, so werden zum erstenmal Mittel gewonnen, um cine systematische Erhöhung der physischen Leistungsfähigkeit des Menschenleibes anzustreben. Im vorliegenden Falle handelt es sich von Seite der Experimental- Physiologie um die Analyse des wachsthumfördernden Einflusses der ®wegung und Belastung auf das Knochengerüste. Wenn ich mich Unterfange, einiges darüber zu bemerken, so geschieht es mehr in der Absicht anzuregen, als in dem Glauben, es lasse sich hierüber: Er- Schöpfendes sagen. 42 Dr. Gustav Jaeger, Ueber das Längenwachsthum der Knochen. 1) denke ich, die Wirkung der Belastung und des Muskeldruckes auf das Längenwachsthum der Knochen sei ein ganz ähnlicher Vorgang, wie die Schwielenbildung an der Epidermis. Es liegt in beiden Fällen ein mechanischer Reiz vor, der die Zellen zu Vermehrung durch Theilung veranlasst ; 2) dürfte wohl der Wechsel zwischen Gompression und Re- laxation ein wesentliches Moment sein, denn eine Reihe von patholo- gischen Processen thut dar, dass anhaltende Gompression zum Schwund'der organischen Gewebe führt; 3) muss untersucht werden, wie sich bei einem solchen Wechsel von Compression und Relaxation der Gewebe die Ernährungsver- hältnisse gestalten, vor allem die Blutzufuhr. Hiebei ist wieder wei- ter zu untersuchen, ob die gesteigerte Blutzufuhr nur zurückzuführen ist auf den Rhythmus des Herzschlages oder die erhöhte Blut- und Lympheireulation, ob man es weiter mit einer bleibenden Erweiterung der zuführenden Arterien und einer reicheren Entwicklung von Gapil- largefässen zu thun hat etc. ; 4) wären Experimente darüber anzustellen, ob neben dem phy- siologischen Effect von Druck und Belastung nicht auch ein einfach mechanischer vorliegt. Der Umstand, dass in alten Hühneraugen phosphorsaure Kalkerde sich niederschlägt (Hyarı, Handbuch der Ana- tomie 1863. pag. 521), dass die Knochen wilder Thiere mehr Kalk im Verhältniss zur leimgebenden Substanz haben als die der unbeschäf- tigteren Hausthiere (siehe Rürmever), lässt immerhin den Gedanken aufkommen, die Verknöcherung des osteogenen Gewebes sei ein che- misch-mechanischer Vorgang. Ein Versuch, den Herr Professor Marx in seinem Laboratorium anzustellen die Güte hatte (es wurde eine salzsaure Lösung von phosphorsaurem Kalk durch eine Schweinsblase gepresst und die Concentration der durchpassirten Flüssigkeit mit der in der Blase zurückgebliebenen verglichen), gab zwar ein negatives Resultat, allein daraus ist noch nichts zu schliessen. Mit diesen Bemerkungen glaube ich meine Mittheilungen vorläufig abschliessen zu sollen, indem ich mir vorbehalte, die Ergebnisse der Fortsetzung meiner Untersuchungen später zur Kenntniss zu bringen, sowie ein für alle Organismen und Gewebe gültiges morphologisches Gesetz zu begründen, welches ich vorläufig so formulire: i Während auf unorganische Körper der Reiz verklei- nernd wirkt, wächst der organische dem Reiz entgegen, indem an der von ihm getroffenen Stelle Zellvermehrung eintritt. Ueber das Skeletgewebe der Cyclostomen. Von C. Gegenbaur. Mit Tafel I. Die durch das Fortbestehen einer mächtigen Chorda dorsalis : aus- 5Zeichneten Axenskelete der Cyclostomen werden stets an den Anfang einer Entwickelungsreihe gesetzt, an die sich die Axenskelette der imären und Dipnoi, auch jene der Störe, anschliessen. Sie begrün- en ein Recht auf diese Stelle nicht nur durch das Verhalten der Chorda, Sondern auch durch die Beziehungen der skeletbildenden Schichte. ndem bei Myxinoiden eine Gliederung in Wirbelabschnitte am Skelete selbst Sänzlich fehlt, indess sie bei den Petromyzonten durch knorpelige Pgenstücke angedeutet wird, sondern sich die beiden Abtheilungen EEE Cyelostomen wieder auf zwei Stufen, von denen eine an höhere, Be Andere an niedere Verhältnisse den Anschluss bietet. Ungeachtet ae Verbindung, welche das Verhalten des Rückgrates der Cyclo- Tao zu gestatten scheint, bestehen an ihm doch so manche und unwichtige Eigenthümlichkeiten, dass die Erwägung derselben “ns darin nur der Besonderheit der übrigen Organisation entsprechende erhältnisse schen lehrt. ; Sehen wir zunächst nach den verschiedenen Auffassungen, welche 1e Theile des Axenskeletes bei verschiedenen Autoren gefunden haben. Ri sh S. Scnunrze 1) ist bei Feugmyzon fluviatilis die Bildung fol- T a igenonessonkt in eine Eonia Masse verläuft der Länge nach aih i ganzen, Körper ein aus Faserknorpel bestehendes Rohr, löhle mit derselben Gallerte ausgefüllt ist. Auf diesem Rohre " Deutsches Archiv für Physiologie. Bd. IV. 1818. p. 348. 44 C. Gegenbaur, liegt das bandförmige Rückenmark in einem Canale, der durch die ringsumliegende feste Gallerte gebildet wird, in welcher sich zu bei- den Seiten des Rohres convergirende Knorpelstreifen, um es zu be- decken, erheben. Diese Streifen sind milchweiss, spröde, undurch- sichtig, wodurch sie sich von dem elastischen durchsichtigen Rohre, an welches sie durch kurzes Zellgewebe geheftet sind, unterscheiden. Sie stehen in der Nähe des Schädels ziemlich weitläufig, senkrecht auf dem Rohre, und haben eine zweigespaltene Wurzel. Nach dem vorderen Spitztheil des Körpers verändern sie ihre Richtung, indem sie sich etwas nach hinten legen, und werden zugleich zahlreicher aber kürzer, so dass sie fast verschwinden. Im hinteren Theile end- lich, besonders da wo die Rückenflossen entspringen , liegen sie dicht neben einander, sind am längsten und berühren sich von beiden Seiten unter einem spitzen Winkel, von wo sich die knorpeligen Flossenstrahlen, jedoch ohne mit ihnen verbunden zu sein, erheben. Diesen entspricht im vorderen Theile der Wirbelsäule, da sie zugleich die Dornfortsätze darstellen, eine in der Mittellinie des Rückens zwischen den Muskeln verlaufende Gallertschicht. In der Schwanzspitze ver- schwinden die Knorpelstreifen, der Canal und das Rückenmark gänz- lich, und das Knorpelrohr endet fadenförmig. »Dass das Knorpelrohr den Körpertheil der Wirbel, die hier noch nicht als einzelne Knochen vorhanden sind, darstellt, wird auch da- durch bewiesen, dass sich schon eine Spur der Eintheilung findet, in- dem das ganze Rohr aus einer unzähligen Menge dicht aneinander liegender Ringe besteht, die besonders im trockenen Zustande, und an der inneren Fläche deutlich zu sehen sind.« Raruke ') äussert sich für die Pricke folgendermaassen: »An das Schädelende setzt sich ein mässig diekwandiges, anfänglich von oben nach unten etwas plattes, bald aber in die Cylinderform übergehendes Rohr, welches eine Strecke an Weite zunehmend, als der hauptsäch- lichste Theil des Rückgrates in gerader Linie nach hinten verläuft. Die Wand desselben besteht aus einem Faserknorpel, dessen dünne aber feste Fibern dicht an und übereinander liegende Ringe bilden. Sehr deutlich erscheinen diese Ringe auf der Binnenfläche des Rohres, undeutlich aber auf der Aussenfläche. Die Höhle des Rohres ist mil einer bläulichweissen und festen Gallerte erfüllt. Diese Gallerte nun füllt das ganze Rohr vollständig aus, scheint aber von aussen nach innen immer weicher zu werden, ganz in der Mitte aber wiederum eine etwas grössere Härte anzunehmen.« 4) Bemerkungen über den inneren Bau der Pricke. Danzig, 1825. Ueber das Skeletgewebe der Oyelostomen. 45 »An die Seiten des beschriebenen Rohres, jedoch nur an den vor- deren platten Theil desselben , legen sich vier Paar kleine Knochen- Stückchen, und das in einigen Entfernungen von einander, platt an, Sind mehr oder weniger glasartig spröde, nehmen einzeln von vorne nach hinten an Grösse immer mehr ab, ragen mit ihrem oberen Ende eine grössere Strecke als sie dem Rohre ansitzen über diesem hervor, gehen etwas convergirend paarweise gegen einander, und nehmen den fibrös häutigen Canal des Rückenmarkes zwischen sich. Das erste dieser Stücke jedweder Seite ist am breitesten und befindet sich dicht hinter der Ohrkapsel. Die folgenden Stücke haben ungefähr die Gestalt der vordersten Fingerphalangen. Auf diese Knochenstückchen folgen Weiter nach hinten, und gleichfalls in mässigen Abständen von einan- der, eine Menge fester und nur schmaler Knorpelstücke , welche zwar dieselbe Stellung als die vorderen Knochenstücke haben, jedoch fast Nur allein dem fibrös häutigen Canale des Rückenmarkes, dem sie innig angewachsen sind, angehören, und nur ein wenig nach aussen hervor- treten. Bis auf die Mitte des Rumpfes nimmt die Höhe desselben mehr “u als ab. ‘Darüber aber hinaus werden sie immer kürzer, rücken zu- Sleich immer dichter bei einander, und verschwinden zuletzt, gegen das Ende des Schwanzes gänzlich.« »Diese beschriebenen Knorpel und Knochenstückchen nun, die den fibrös häutigen Canal, in welchem das Rückenmark eingeschlossen liegt, zwischen sich nehmen, und eben noch nicht, je Paar für Paar, mit einander zur Vereinigung gelangt sind , stellen die halben Wirbel- bogen am Rückgrate höherer Thiere dar. Auf ihre Enden endlich und jenen Canal sieht man eine senkrecht stehende, halb gallert- und halb Pellgewebartige Platte aufgesetzt, die schmal und dünn hinter dem Kopf beginnt, gegen die Mitte des Rumpfes aber allmählich höher und dicker wird.« »Die Schenkel der Rückgratshöhle, die in dem Brusttheile noch ziemlich weit von einander standen, rücken allmählich immer näher “usammen , werden etwas höher und stellen jetzt nur dünne, gerade Streifen vor, die immer mehr die knochenartige Beschaffenheit ver- lieren, indem sie immer knorpelartiger werden. Zugleich rücken sie Mehr hinauf, so dass sie in dem Bauch- und Schwanztheile der Pricken Weniger als in dem Brusitheile, dem Hauptstücke des Rückgrates an- tegen, sondern nur allein dem faserknorpeligen Rohre angehören, Welches das Rückenmark umgiebt, und in dessen Seitenwände sie Immer mehr hineintreten , so dass sie (schon in der hinteren Hälfte des Bauchstüickes) in diese Wände ganz eingesenkt sind, anstatt dass sie im Bruststücke, wenigstens die vordersten derselben, ihnen nuran- pomori 46 C. Gegenbaur, lagen. Die gallertartige Platte, welche den Schenkeln des Rückgrates aufgesetzt ist, behielt bis fast dicht vor dem Schwanzende eine noch ziemliche Höhe; scheint aber, je weiter nach hinten, sich desto mehr zu verdünnen. In ihr nun sind die Anfänge der Strahlen eingewachsen, welche die beiden Rückenflossen unterstützen.« Hören wir ferner J. MÜLLER 1): »Bei den Petromyzen besteht das Rückgrat aus dem Gallertrohr und dem fibrösen Ueberzug, welcher über der Säule in das Dach für das Rückenmark und für das über dem letzteren liegende, zellgewebartige, schwärzliche Fettzellgewebe über- geht. Es besteht ferner aus den am häutigen Bogentheil des Rück- grates anliegenden niedrigen, knorpeligen Schenkeln, die bis zum Schwanzende des Thieres vorkommen, den Canal des Rückenmarkes seitlich schützen, ohne am vorderen und mittleren Theil des Körpers ganz an dem Dach hinauf zu reichen oder sich an beiden Seiten zu vereinigen. ‚ Die Knorpelschenkel liegen in der fibrösen: oder Skelet- schicht. Merkwürdig ist, was ich noch von Niemand angegeben finde, dass ihre Zahl nicht mit derjenigen der Ligamenta intermuscularia des Rumpfes, die sich an das Rückgrat ansetzen , übereinstimmt, indem mit Ausnahme des Anfangs des Rückgrates auf zwei Knorpelschenkel nur ein Ligamentum intermusculare kommt. Da nun bei den übrigen Gyclostomen auf ein Ligamentum intermusculare immer ein Rücken- marksnerv kommt, so sollte man schon hieraus vermuthen, dass die Zahl der Knorpelschenkel auch nicht mit der Zahl der Spinalnerven bei den Petromyzen übereinstimmt. So viel ich an in Weingeist aufbe- wahrten Exemplaren von Petromyzon marinus sehen konnte, ist dies in der That der Fall. Die Zahl der Spinalnerven stimmt mit den Ligamenta intermuseularia, aber nicht mit den dicht aufeinander folgenden Knorpelschenkeln.am Rückenmarksrohr,, indem auch wieder zwischen den Austrittsstellen von zwei Spinalnerven zwei Bogenschenkel liegen. Diese erinnert an die Wirbelsäule der Haifische, wo auf jeden -Wirbel- körper zwei hintereinander liegende Bogen kommen, und an jene überzähligen Stücke, welche an dem Rückgrat der Chimären und der Störe vorkommen. Bei Petromyzon fehlen die Basilarstücke der: Wirbel am unteren Umfang der Gallertsäule, jene Rudimente, die wir bei Accipenser und Ghimära antreffen, ganz, bis auf einen dünnen, hinten verschmälerten, zuletzt etwas zerstückelten , doppelten , knorpeligen Streifen an der unteren Fläche des vorderen Theiles der Wirbelsäule.« »Im übrigen Theile der Wirbelsäule bildet die fibröse Haut, welche die äussere Schichte des Rückgrates ausmacht, nur an den Seiten einen 4) Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. T. Theil. p. 88. Ueber das Skeletgewebe der Oyelostomen, 47 s kantigen Längsstreifen , wo die Seitenwände des Leibes abgehen; eine Art zusammenhängenden fibrösen Querfortsatzes in der ganzen Länge des Rückgrates. Am Schwanze nähern sich beide Kanten, und bilden durch Vereinigung einen unteren Bogen für die Arteria und Vena cau- dalis, gerade: wie sonst die unteren Dornfortsätze der Schwanzwirbel der Fische thun. Am Rumpftheile des Körpers stellt die Kante offenbar die noch ungetheilten Querfortsätze dar. Diese Kante, die schon Meckeı kannte, enthält keine Knorpel, ist aber sehr fest und dem Zustande der Verknorpelung sehr nahe. Am Schwanztheile des Rückgrates sehr Srosser Petromyzon marinus bemerkt man schon eine unregelmässig eingesprengte, knorpelige Substanz an diesen fihrösen Kanten, nämlich an der unteren Fläche der Gallertsäule in der äusseren fibrösen Scheide derselben, da wo die Kanten abgehen.« Diese Darstellungen, an welche sich mehr oder minder genau auch Noch spätere anschliessen , vereinigen sich sämmtlich in der Angabe ‚einer die Chorda dorsalis umschliessenden, von da alsdann den Rück- Sratcanal umfassenden, Gewebschichte, die bald als »feste Gallerte«, bald als »fibrös« bezeichnet wird. Diese skeletogene Schichte ist es, Welche ihres Gewebes wegen genauere Beachtung verdient, zuvor aber seien bezüglich der Chorda und der Chordascheide von Petromyzon einige kurze Bemerkungen gemacht. Was die Chorda betrifft, so finde ich dieselbe bei Petromyzon Marinus mit ziemlich reichlicher Intercellularsubstanz ausgestaltet, Welche bei der langgestreckten Zellenform ansehnliche mit der Längsaxe radial gestellte Maschen darbietet. Die Zellen sind meist geschrumpft, überhaupt schwer wahrnehmbar. Nach aussen zu folgt eine kleinzellige Schichte, mit spärlicher Intercellularsubstanz (Fig. 4 Cho). In dieser Schichte, die in die grosszellige continuirlich übergeht , sind die Zellen viel leichter unterscheidbar. Daran schliesst sich wieder ohne scharfe Abgrenzung eine dritte Schichte (Che), die ich bereits früher als Chorda-Epithel bezeichnet habe und der ich die Abscheidung der Chordascheide zuschrieb 1). Ich habe keine Ursache, diese Deutung zu ändern, finde sogar bei Petromyzon Bestätigung. Die Zellen der Epithelschichte sind von der Form , die man gewöhnlich eylindrisch zu nennen pflegt, denn sie stellen langgestreckte Kegel oder Pyramiden vor, die breitere Basis gegen die Oberfläche gerichtet‘, die Spitze nach innen. Nicht unschwer ist, zu sehen, wie diese Spitze zwischen zwei andere Zellen ragt, die theilweise eine dünne Lamelle Intereellular- Substanz zwischen sich besitzen und diese im Zusammenhang mit der 1) Diese Zeitschrift. Bd. II. p. 374. = 48 C. Gegenbaur, oben erwähnten. kleinmaschigen Intercellularsubstanz genau nach- weisen. . Nach.innen von der Epithelschichte endigt also das inter- cellulare Stützwerk des Ghordagewebes. Jene äussere kleinzellige Schichte stellt sich als indifferent dar, von der die Volumszunahme der Chorda ausgehen muss. Durch sie werden an der Peripherie neue Massen von Ghordazellen angesetzt. Von der Epithelschichte ist die Chordascheide sehr deutlich und scharf abgesetzt. Zu den .bereits bekannten Zuständen dieses starken, als Cutieularbildung aufzufassenden Rohres erwähne ich noch eine eigenthümliche radiale Faserung oder Streifung (Fig. 4 Chs), die nach innen zu am deutlichsten ist. Die Entfernung der in Gurven ver- laufenden Streifen. von einander entspricht neben dem Innenrande ziemli&h der Breite, resp. Dicke der Zellen des Chordaepithels, da die Streifen von da ausgehen, wird man sie zu letzterem in Beziehung bringen dürfen, und wird für nicht unwahrscheinlich halten, dass sie bei der Differenzirung der Chordascheide entstandene Bildungen sind. Die Verbreiterung nach aussen zu, die mehr unregelmässige Anordnung daselbst, sowie das Interferiren der Streifen, mag daher rühren, dass hier die ältesten Schichten der Chordascheide zu suchen sind, die bei dem mit der Ghordascheide zunehmenden Wachsthume der Chorda unmöglich in ihren früheren Verhältnissen bleiben konnten, sondern gleichfalls ein Wachsthum (da man doch nicht blos von einer Dehnung wird sprechen dürfen) eingehen mussten. Was die skeletogene Schichte betrifft, so haben wir zunächst deren Ausdehnung etwas anders zu bestimmen, als dies von Seite der früheren Untersucher geschehen. Sie umschliesst nicht nur die Ghorda- scheide (Fig. 1 Chs) und setzt sich in zwei ventrale leistenartige Vor- sprünge (v) fort, (dieselben »kantigen Längsstreifen«, die am Caudalen- abschnitte convergiren und den Gaudalcanal umschliessen) , sondern sie streckt sich auch aufwärts (a) den Rückgratcanal (c) seitlich um- schliessend und über demselben ein hohes, aber solides Dach (f) vor- stellend. Von diesem Dache aus erhebt sich noch eine senkrechte Leiste (s) die zwischen die lateralen Muskelmassen trennend sich fortsetzt. Die äussere Schichte dieses Gewebes ist durch dunkles Pigment aus- gezeichnet, so dass die Gontourlinie der ‚skeletogenen Schichte sich auf dem Querschnitte im Zusammenhange: verfolgen lässt (Fig. 4 p). Ausser dieser Gontinuität ist noch Folgendes hervorzuheben: das über dem Rückgratcanal liegende massive Dach bildet nur einen Ab- schnitt der skeletogenen Schichte, eine Verdiekung der- selben, und das von J. Mütter als schwärzliches Fettgewebe be- zeichnete Gewebe hängt continuirlich mit: den übrigen zusammen. | f | Ueber das Skeletgewebe der Öyelostomen. 49 Wenn daher Mecxkı 1) in dem: Bogentheile des Rückgrates »zwei über- einanderliegende Gänge« annimmt, einen unteren zur Aufnahme des Rückenmarks dienenden, und einen zweiten über diesem verlaufenden, so ist er sicher im Irrthume. Dasselbe gilt von Stannıus2). Wenn er anführt: »Diese Schicht — häufig. als äussere Scheide der Chorda be- zeichnet — verlängert sich jederseits aufwärts zur Bildung eines das Rückenmark umschliessenden Rohres, worauf sie einen zweiten über ` jenem gelegenen, mit fetthaltigen Gewebstheilen erfüllten Canal bildet«, so ist unter »Canal«. keineswegs ein bestimmt abgegrenzter Hohl- raum zu denken, sondern nur eine Binnenstrecke der skeletogenen Schichte, an der das Gewebe etwas modifieirt erscheint. Die genauere Untersuchung dieses Gewebes ist am besten im Stande, sowohl diese Beziehungen klar zu machen , als auch die verschiedenartigen Angaben über darin vorkommende Knochen- oder Knorpelstücke aufzuhellen. Auf feinen Schnitten der skeletogenen Substanz bemerkt man ein Srossblasiges Gewebe, an dem man sehr bald Räume unterscheidet, die mit. Zellen erfüllt sind, sowie eine diese Räume, somit auch die Zellen von einander scheidende, festere Masse, Intercellularsubstanz. Die Zellen sind: von schr verschiedener Grösse. Sie bestehen aus Sleichartigem, nur wenig Molekel umschliessenden Protoplasma. In’ den grossen Räumen füllt das letztere nur einen Theil aus, so dass ich annehmen muss, dass die Zellen, vielleicht durch Austritt einer Flüssig- keit collabirt seien. Vollständig werden die kleinen Räume ausgefüllt. Die meisten besitzen mehr oder minder sphärische Oberflächen, wodurch die Intercellularsubstanz an den Puncten, wo mehrere Zellen sich nahe "kommen, reichlicher vorhanden sein muss. Die Kerne der Zellen Messen gegen 0,0025—0,0036”. Wenn die Zellen ausser den Grösse- Verschiedenheiten keine Differenzen aufweisen, so ergeben sich solche an der Intercellularsubstanz. Diese erscheint bald nur in der Form von untereinander zusammenhängenden Zellmembranen (Fig. 3 b), bald wird sie durch breitere Züge gebildet (Fig. 3a). Die letzteren sind auf Durchschnittsbildern häufig auf grosse Strecken hin verfolgbar, geben seitliche, schmälere Zweige ab, die dann in noch feinere intercellulare Ramificationen übergehen. Die breiten Züge bieten im Bilde einer Längsstreifung den Ausdruck einer Faserung dar. Nicht selten gaben Concentrische Schichten ein Bild von Dickwachsthum der Substanz. Sowohl gegen Säuren als gegen Alkalien leistet diese Intercellular- Substanz Widerstand. Im Ganzen macht dieses Gewebe den Eindruck 1) System der vergl. Anat: IT. p. 179. 2) Handbuch der Zootomie. 2. Aufl. p. 15 Ba Vi. 4 50 6. Gegenbaur, eines pflanzlichen Gewebes. Nach unten hin lagert sich über dieses Gewebe ein faseriges Bindegewebe, in welchem zugleich die dunkel- gefärbte Lage vorkommt. An dem Dache des Rückgratcanals, d. h. des einzig bestehenden, das Rückenmark umschliessenden, geht jenes Gewebe Veränderungen ein. Man sieht zwar das intercellulare Gerüste unverändert in die als »Fettgewebe« bezeichnete Substanz sich fortsetzen, allein der Inhalt der Hohlräume ist ein anderer geworden. Die blasigen Räume um- schliessen gelblich gefärbte Fetttropfen. An jungen Exemplaren von Ammocoetes ist dieses ganze Dach aus Zellen gebildet, die von denen anderer Theile der skeletogenen Schichte nicht verschieden sind. Aeltere Exemplare lassen einen Grössenunterschied dieser Zellen wahr- ‚nehmen, sie sind viel umfänglicher als die anderen, und zugleich hat sich in ihnen Fett zu entwickeln begonnen, welches in Form von kleinen Tröpfchen bemerkbar ist. Von da an findet man leicht An- schlüsse an das Verhalten der ausgewachsenen Petromyzonten, bei denen übrigens das intercelluläre Gerüste sehr leicht nach den periphe- rischen Theilen in continuo verfolgt werden kann. Der als supra- spinales Fettgewebe bezeichnete Strang ist also nur ein Theil der skeletbildenden Schichte, die in ihren Formelementen verändert ist. Diese skeletogene Schichte rechtfertigt ihren Namen auch bei den Cyclostomen, indem bei Petromyzon festere Skelettheile aus ihr hervor- gehen, und dann noch in sie eingebettet bleiben. Es sind die von C. S. Scnunrze, Rarare u. a. geschilderten Rudimente oberer Bogen, die bald als knöcherne, bald als knorpelige Theile aufgefasst worden sind. Ich habe das erste Auftreten dieser Gebilde bei der Querderform beobachtet, und will den Befund vor jedem Urtheil über den histiolo- gischen Werth dieser Gebilde mittheilen. Auf Querschnitten durch das Rückgrat jener jungen Petromyzonten bemerkt man an bestimmten Stellen der skeletogenen Schichte hin und wieder eine Veränderung der Intercellularsubstanz. Die Stellen liegen unmittelbar an der Chorda- scheide, da, wo später die fraglichen Bogenrudimente vorkommen. Man sieht da die Intercellularsubstanz gelblich tingirt, und stärkere Massen zwischen relativ kleinen Zellen vorstellen, als dies am Gewebe der übrigen skeletogenen Schichte der Fall ist. Längsschnitte im Niveau dieser Stellen zeigen, dass man es hier mit den Anfängen der Bogen- bildungen zu thun hat. Aus der Vergleichung dieser Anfänge mit älteren Zuständen oder mit dem Befunde an ausgewachsenen Lampreten geht hervor, dass jene Bogenbildung durch eine von be- stimmten Stellen ausgehende Veränderung der Inter- cellularsubstanz der skeletogenen Schichte ihre Ent- | | | f Ueber das Skeletgewebe der Gyelostomen. 51 Stehung nimmt, die Intercellularsubstanz wird allmählich dicker, und indem ..der Process von der Ursprungsstelle aus allmählich peri- pherisch fortschreitet, ergreift er immer neue Parthien des skeletogenen Gewebes und lässt es in die Bogenanfänge übergehen.: In Fig. 2 ist dieses Verhalten dargestellt. Es betrifft das Object ein Stück eines auf der Scheide der Chorda aufsitzenden Bogentheiles von Petromyzon marinus. Die Intercellularsubstanz gewinnt ausser der Verdickung noch andere Eigenschaften. Sie wird nämlich fester, derber, ohne dass eine Kalkimprägnation daran betheiligt wäre, und übertrifft damit vielfach das gewöhnliche hyaline Knorpelgewebe, Ihr Aus- sehen ist dabei glänzend, nicht selten. mit Andeutungen. concen- trischer Verdickungsschichten. Ausser: den oberen Bogenstücken,, die von den früheren Autoren bereits genau beschrieben sind, giebt es aber auch noch untere. Sie liegen in der unteren seitlichen Längs- kante (von der J. Mürzer besonders erwähnt, dass. sie keinen Knorpel enthielte), da wo dieselbe zur Begrenzung des Caudalcanals dient, und hier trifft man die erwähnten Stücke wieder dicht an der Chorda- Scheide, zur unmittelbaren Begrenzung jenes Canals beitragend !). Ich habe das Gewebe dieser Stücke bis jetzt als Knorpel gelten lassen, muss aber, auf die oben erwähnten Eigenthümlichkeifen zurück- kommend, es, von dem sonst die knorpeligen Theile der Wirbel- Segmente zusammensetzenden Knorpelgewebe, sehr verschieden er- klären. Seine Festigkeit macht verständlich, dass man jene Bogen- ' rudimente, da wo sie etwas stärker entwickelt sind, für »Knochenc« hat ansehen können. Aber auch in der Entstehungsweise bieten diese Bogenstücke von jener bei anderen Wirbelthieren Eigenthümlichkeiten. Die knorpelige Anlage dorsaler Bogen ist viel schärfer gegen die be- nachbarten Gewebe der skeletogenen Schichte abgegrenzt. Es besteht eine perichondrische Grenzschichte, die einerseits in Knorpel, anderer- Seits in Bindegewebe übergeht. Indem von letzterem in die Grenz- Schichte eingeht, und in Knorpelgewebe sich umwandelt, andererseits aber auch eine Vermehrung der Knorpelzellen- und der bezüglichen Intercellularsubstanz stattfindet, wächst der knorpelige Bogen. Anders ist es bei Petromyzon der Fall. Eine Grenzschichte fehlt, und. ebenso fehlt bei Volumzunahme der Bogenstücke jegliche Betheiligung der be- reits ihm angehörigen Zellen. Diese bieten beim Wachsthume des m 4) Dass MEckEL diese Theile nicht meint, wenn er von »deutlich vorhandenen Rudimenten der Querfortsätze« spricht (System der vergl. Anat. Bd. II. p. 474), ist kaum zweifelhaft. Auch Jon. MÜLLER bezieht die Aeusserung MECKEL'S auf die Seitlichen unteren Längskanten der skeletogenen Gewebsschichte. (Siehe das oben Segebene Citat.) 52 C. Gegenbaur, Bogens ein vollkommen passives Verhalten dar. Die ganze Erscheinung des Wachsthums geht also bei den Wirbelbogen der Cyelostomen viel einfacher vor sich. Eine chemisch-physikalische Veränderung der Intercellularsubstanz geht ganz allmählich, von dem bereits gebildeten Bogenstücke aus, in das benachbarte Gewebe der skeletogenen Schichte über, deren Zellen an der betheiligten Stelle höchstens noch für die reichlichere Differen- zirung der Intercellularsubstanz thätig sind. Der allmähliche Ueber- gang der Bogenrudimente in das skeletogene Gewebe schwindet mit der Ausbildung des ersteren. Alsdann ist der Bogen scharf von dem umgebenden Gewebe abgegrenzt, wenn auch, wie vordem, während des Wachsthumes die Intercellularsubstanz des einen Theiles in jene des anderen unmittelbar sich fortsetzt. Auch das skeletogene Gewebe ist in der hier vor- handenen Form von jenem der übrigen Wirbelthiere verschieden. Dort ist es faseriges oder auch gallertiges Binde- gewebe, hier eine Form, welche man eher dem Knorpel anreihen möchte, da sie aus Zellen mit einer festeren, wenn auch nur spärlichen Intercellularsubstanz besteht. Somit bestehen also drei einander sehr nahe verwandte Gewebsformen am Cyclostomenskelete: 1) Das Gewebe der skeletogenen Schichte, 2) das Knorpelgewebe in den Bogen- rudimenten, und 3) das Knorpelgewebe des Schädels und des Kiemen- korbs, welches letztere Uebergangsformen zu der ersten und zu der zweiten Kategorie darzubieten scheint 1), aber auch wieder zu der ver- breitetern Form des hyalinen Knorpels Uebergänge aufweist. Den Uebergang des skeletogenen Gewebes in den eigenthümlichen Bogenknorpel möchte ich jedoch noch nicht als Grund nehmen, die ganze skeletogene Schichte der Petromyzonten dem Knorpel einzu- reihen, vielmehr bringe ich jene Form unter die bereits von LEYDIG aufgestellte Abtheilung des grosszelligen oder blasigen Bindegewebes, welchem auch das Gewebe der Chorda vereinigt wird. Will man aber dieses Gewebe als eine besondere Form dem Knorpel unterordnen,, so dürfte auch dagegen wenig einzuwenden sein, denn sie bildet eine Uebergangsform, die nach beiden Seiten fast gleich nahe Verwandt- schaft besitzt. Diese vermittelnde Natur giebt sich auch an der 4) Das Vorkommen von grosszelligem Knorpel und sein Uebergang in Knorpel mit reichlicher, in Form concentrischer Verdickungsschichten (Kapselmembranen älterer. Autoren) auftretender Intercellularsubstanz s. bei Valenciennes, Recher- ches sur la structure du tissue élémentaire des Cartilages des Poissons et des Mol- lusques. Archives du Museum T. V. p. 505. Pl. 24, Fig. 1, 4a. Dann vergl. LEYDIG, Lehrbuch der Histologie, p. 152. Fig. 78. Ueber das Skeletgewebe der Cyclostomen, 53 Schwierigkeit des Aufstellens eines Kriteriums zu erkennen, für welches die im Verhältnisse zum Umfange der Zellen geringe Intercellular- substanz noch am passendsten in Betracht gezogen werden mag. Wenn darin auch nur ein quanlitativer Unterschied liegt, so werden darauf doch Eigenthümlichkeiten sich begründen, die besonders be- achtet zu werden werth sind. Jene Form des skeletbildenden Gewebes hat aber noch eine an- dere wichtige Beziehung. Sie drückt eine Form der Bindesubstanz aus, die bei Wirbellosen in grosser Verbreitung , und in mannigfacher Ver- wendung vorkommt. Ihr Bestehen bei den Cyclostomen zeigt uns, dass neben der niederen Form der peripherischen Elemente des Nerven- Systems auch in den Skeletgeweben sich ein niederer Zustand erhalten hat, für den bei den übrigen Wirbelthieren nichts ähnliches besteht. Erklärung der Abbildungen. Tafel 1. Fig. 4. Querschnitt durch das Rückgrat von Ammocoetes. Ch Chorda dorsalis. Chs Chordascheide. v ventrale | d dorsale f p dunkles Pigment. c Rückgratcanal. N Rückenmark. f Fettmasse. s Septum zwischen den Muskeln. b Blutgefäss. Fig. 2. Verhalten der skeletogenen Schichte A. zum Knorpel der Bogen B. von Petromyzon marinus. Fig. 3. Gewebe der skeletogenen Schichte von demselben. a Breiter Zug von Intercellularsubstanz. b Feinere, von den breiteren Streifen abgehende Verzweigung der Intercellularsubstanz zwischen Zellen. c Kerne von Protoplasma umgeben. Fig. 4. Stück eines Querschnittes der Chorda von Petro myzon. Ch Chorda dorsalis. a Grossmaschige Intercellularsubstanz. Von den Zellen sind nur noch Reste bemerkbar. b engmaschige Rindenschichte der Chorda. c Epithelschichte. Chs Chordascheide. Fortsätze der skeletogenen Schichte. Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. Von Dr. A. Dohrn. Mit Taf. I. u. HI. 1. Ueber den Rau und die.Entwickelung der Cumaceen, t) Durch die freundliche Unterstützung der Faunisten der Kieler Bucht, Dr. Meyer und Prof. Mösıus, kam ich während meiner An- wesenheit in Kiel und Hamburg in den Besitz zahlreicher Exemplare der schönen Cuma Rathkei Kröyer. Da ich bisher keinen Ver- treter dieser problematischen kleinen Familie gekannt hatte, aus den verschiedenen Angaben und Meinungen der Zoologen über dieselbe aber keine feste Anschauung zu gewinnen war, machte mir die erste Untersuchung der Anatomie und Embryologie grosse Schwierigkeiten und ich gelangte zu keinem erspriesslichen Resultat, da die Embryonen der Cuma Rathkei schon im Mai den Brutsack verlassen und ich 4) Diese Abhandlung ward gleich nach den Beobachtungen an Ort und Stelle niedergeschrieben. Ich kannte damals noch nicht die ausgezeichnete Arbeit von G. O. Sars über die Cumaceen (Om den aberrante Krebsdyrgruppe Cumacea op dens nordiske Arter. Vid.-Selskab. Forhandlinger for 1864). Als ich sie später durch die zuvorkommende Freundlichkeit des Verfassers erhielt, machte es mir viel Mühe, sie des fremden Idioms halber zu lesen. Da ich aber ausserdem meine Be- obachtungen nicht noch einmal anstellen konnte, 208 ich es vor, sie so zu geben, wie ich sie vorher gemacht hatte. Es finden sich nur einige Abweichungen in den Angaben des norwegischen Forschers, die nicht unwichtig sind, so besonders über die Auffassung der Kieme und ihrer Function, sowie über den Blutlauf. Da ich aber hierauf meine Beobachtung sehr speciell gerichtet hatte, glaubte ich um so weniger, mit meinen Angaben zurückhalten zu dürfen, als vielleicht durch diese Ab- weichungen ein dritter Forscher bewogen werden könnte, die fraglichen Puncte zu unterscheiden. Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden, 55 später vergeblich nach trächtigen Weibchen suchte. Ich verschob die Vollendung meiner begonnenen Untersuchung der merkwürdigen Thierchen auf den nächsten Frühling und verliess Kiel im Juli, um nach Schottland zu gehen und dort meine Arbeiten über die Embryologie der Crustaceen fortzusetzen. Dem freundlichen Rath des Dr. Barrn vom British Museum in London folgend, ging ich nach Millport, dem auf der Insel Great Gumbrae in dem Firth of Clyde gelegenen Bade- Orte an der Westküste Schottlands in der Nähe Glasgo w's. Dr. Young, Professor of Natural History an der Glasgower Univer- sität, verpflichtete mich durch seine freundliche Einführung bei Mr. Rogerrson, dem durch seine unermüdlichen faunistischen Nach- forschungen bekannten Zoologen. Zu meiner grossen Freude zeigte mir Mr. Rosertson gleich bei meinem ersten Besuche eine Anzahl von Cumaarten, die er alle in Millport gefangen hatte. Er versicherte mich zugleich, dass ich sie in Menge selbst fangen könnte , und dass die meisten Weibchen gerade jetzt Eier haben würden. In der That war das auch der Fall; ich habe nicht weniger als sieben verschiedene Arten Guma und mehrere der sogenannten Gattung Bodotria gefangen; sämmtliche Gumaarten waren trächtig, — dagegen keine Bodotria, — aus Gründen, die dem Leser sehr bald einleuchten werden. Die Stellung der kleinen Familie im System ist bisher so schwan- kend gewesen, dass ich grosses Verlangen trug, zur Aufklärung und Feststellung derselben das meinige beizutragen. Die gewöhnliche An- sicht ist, dass wir in Guma einen sehr niedrig organisirien Zweig der Decapoden vor uns haben, der in gewissen Beziehungen zu Mysis steht, Die auffallende Stellung des einen Auges vorn auf der Stirn und die Abwesenweit eines Augenstieles liessen ferner Vermuthungen über grössere oder geringere Verwandtschaft mit den Edriophthal- men und den Copepoden aufkommen, aber nur ein Forscher kam dicht an die Wahrheit der thatsächlich bestehenden Verwandtschaft der Cumaceen heran, — Frırz Mürzer!) , derselbe sichere Beobachter und fruchtbare Denker, der uns schon früher in seiner Abhandlung »Für Darwın« den Weg gewiesen, den die Grustaceenkunde von nun an zu gehen hat. Frırz MüLuer spricht es in seinem Aufsatz aus, dass die ersten Stände der Cumaceenembryonen den Isopoden gleichen. Es ist mir eine grosse Genugthuung, dass ich dieser Meinung des hoch- geachteten Forschers völlig beistimmen kann. Die nähere Auseinander- setzung und Begründung dieser Ansicht schliesse ich hieran. 4) Archiv für Naturgeschichte 1865 p. 341. a i i 4 essen een 56 Dr, A, Dohrn, Meine Beobachtungen machte ich an folgenden Arten: Cuma Rathkei, Cuma trispinosa, Guma plicata, Cuma Goodsiri') und drei anderen Arten, deren Namen ich nicht feststellen konnte, da mir ein Theil der nothwendigen Literatur fehlte. Ich war fernerhin so glücklich, alle Stadien der Entwickelung und sogar den Act des Bi- legens einer Cuma Goodsiri unter dem Mikroskop verfolgen zu können. Die Eier der Gumaceen sind von derselben Grösse und Be~ schaffenheit wie die Eier der Amphipoden und Isopoden. Das Chorion ist völlig durchsichtig. Ob eine innere Eihaut vorhanden ist, kann ich leider nicht mehr entscheiden, da ich früher, in der Meinung, die beim Asellus von mir als Larvenhaut beschriebene Membran sei die von Frırz MürLer gemeinte Larvenhaut, dieselbe Bildung auch bei Cuma als Larvenhaut in meinem Manuscript beschrieben habe; seit aber durch Crararkor und Andere als Larvenhaut richtiger die noch vor dem Entstehen des sogenannten Mikropylapparates gebildete Mem- bran angesehen wird, die ich bei Asellus als innere Eihaut, bei den Amphipoden aber als Larvenhaut beschrieben habe, muss auch bei den Gumaceen das entsprechende Gebilde als Larvenhaut, jene spätere Membran dagegen anders benannt werden. Die Furchung habe ich an den Gumaeiern nicht beobachtet. Die Aehnlichkeit mit den Eiern der Isopoden und Amphipoden zeigt sich nun schon bei der ersten Bildung des Keimstreifs. Der- selbe Apparat, dessen Anlage und Ausbildung ich in einem früheren Aufsatze?) geschilderthabe, der fälsch- lich sogenannte Mikropylapparat, erscheint auch als eine der ersten Bildungen des Gumaeies. Umgeben ist er von den Keimzellen, welche sich auf der ihm entgegengesetzten Peri- pherie des Eies und um die grössere Hälfte des ganzen Ovales herum theilen, stark vermehren und dadurch den Embryo anlegen. Die Schicht der Keimzellen bleibt einfach in der Umgebung des genannten Organes, so dass hier dieselbe Formation zu Stande kommt, wie ich sie von Idothea beschrieb, nämlich der Verschluss des Dotters durch eine einfache Lage von Zellen und den räthselhaften Apparat. Kopf- 4) Das Männchen dieser Art ist als Bodotria Goodsiri von van BENEDEN (Mémoires de l’Académie des Sciences de Belgique Tom. XXXIII. p. 76. tab. XIIE. Fig, 4—16.) beschrieben , da aber die Gattung Bodotria eingehen muss, weil sie nur die Männchen der Gattung Cuma umfasst, übertrug ich den Speciesnamen des Männchens auch auf das Weibchen, dessen Beschreibung ich an anderer Stelle zu geben beabsichtige. 2) Zur Embryologie der Arthropoden. Habilitationsschrift 4868. | | | | | f | f eh . Untersuehungen über Bau und Entwiekelung der Arthropoden, 57 und Schwanzende des Keimstreifes sind von gleicher Dicke und ebenso dick wie das Mittelstück. Nach einiger Zeit erfolgt ein Vorgang, der . das Gumacrenei vollkommen zu einem Isopodenei stempelt: die Ein- senkung einer Falte dicht hinter dem Haftapparat der Rückenkeimhaut bis ungefähr zur Mitte des Dotters (Taf. II. Fig. t u. 2). Wir kennen diese Falte an den Embryonen des Asellus aquatieus und der meisten andern Isopoden und wissen‘, dass ihre Bildung gleichzeitig oder wenigstens in naher Aufeinanderfolge mit der Bildung einer neuen Umhüllungshaut geschieht. Auch bei Guma bemerken wir sofort nach der Einsenkung dieser Falte diese Haut, welche sich deutlich überall von der Peri- Pherie des Keimstreifes abhebt, und nuraufdem Rücken inienger Berührung mit dem Dotter und der ihn bedecken- den Schicht der Keimhäutzellen bleibt, ja möglicher- Weise, —die Beobachtung erlaubt mir hier keine Sicher- heit, — noch gar nicht gebildet ist. Diese beiden Thatsachen allein würden genügen, die nahe Verwandtschaft von Cuma mit den Edriophthalmen nachzuweisen. Aber die Anlage der Gliedmaassen Setzt die Aehnlichkeiten fort. Das nächste Stadium, das ich beobachten konnte, zeigte folgenden Befund. Der Keimstreif hatte sich an der vorderen und unteren’ Peri- Pherie verdickt und dadurch Kopf- und Schwanzende deutlich gemacht. Das Kopfende legt sich, wie bei Asellus, mit zwei verbreiterten, Schmetterlingsflügelförmigen Kopfwülsten um den Dotter, ist aber von Oben (dem Rücken aus): betrachtet, keilförmig durch den dazwischen tretenden Dotter getrennt. Der: Schwanztheil oder das Postabdomen Schlägt sich auf den Rücken hinüber, kommt aber nicht in so. nahe Berührung mit dem Kopfende wie bei Asellus An seiner inneren Seite, ziemlich auf der Spitze des von ihm gebildeten Ovales entsteht eine Einsenkung der Keimhaut. Derselbe Vorgang erfolgt am Kopf- ende, ebenfalls an der vorderen Spitze, es ist unschwer, in beiden Einstülpungen die Anlage des Afters und der Mundöffnung ZU gewahren. Die Anlage der Gliedmaassen ist gleichfalls schon zu einem Stwissen Stadium fortgeschritten. Man gewahrt 2 Paar Antennen, 3 Paar Mundwerkzeuge und 7 Beinpaare (Taf. Il. Fig. 1). Das erste Paar der Antennen ist weitaus die grösste Extre- Mität, die der Embryo aufweist. Ihre Insertion ist dicht über der Ein- Stülpung der Mundöffnung,, die Richtung ihrer Längsaxe ist: schräg Dach unten und hinten. Das zweite Paar der Antennen ist viel kleiner ; seine Insertion ist auf gleicher Höhe mit der Mundöffnung, 58 Dr. A, Dohrn, eher ein wenig unterhalb derselben. Es wird zum Theil von dem oberen Paare verdeckt. Seine Richtung ist die gleiche. Dicht neben und unterhalb desselben ist die Anlage der späteren Mandibeln. Diese drei Extremitätenpaare stimmen in einer charakteristischen Eigenschaft überein : sie lösen sich sämmtlich an ihrer äusseren, d. h. an der;nach der Seitenwand des Embryo’s zu gewendeten Seite vom Keimstreif ab und ihr Wachsthum geht anfänglich auch nur nach dieser Richtung. Ich machte auf die gleiche Thatsache aufmerksam in der Entwickelungsgeschichte des A sellus (l. c. p. 229). = Die folgenden beiden Extremitätenpaare sind einfache, abgerundete Platten; das erste ist bis auf einen geringen Raum von dem Keimstreif abgesetzt, die Verbindung besteht an dem oberen Rande. Das Wachs- thum' geht nach der Mittellinie des Keimstreifes zu. Wir erkennen darin dasersteMaxillenpaar des Asellus. Das zweiteMaxillen- paar ist ebenfalls nur mit schmalem Stücke an der oberen Seite in Zusammenhang mit dem Keimstreif, der weitaus grösste Theil ist ab- gesetzt, das Wachsthum folgt der Richtung der ersten Maxillen, Bis dahin ist Alles im Einklang mit den gleichen Verhältnissen des Asellus. Mit der Bildung des folgenden Extremitätenpaares beginnt aber die Abweichung. Während bei der Assel das dritte Maxillenpaar in der ursprünglichen Anlage völlig den beiden andern gleicht, gehört die Bildung der homologen Extremität bei Cuma zu dem Typus der Beinbildung. Wie sämmtliche folgenden 6 Extremitätenpaare wird es gleich anfangs an seinem äusseren, hinteren Rande gespalten und lässt einen inneren grösseren und einen äusseren kleineren Ast wahr- nehmen. Bei Asellus kommt .die Anlage des Tastertheils später zum Vorschein und erinnert dann an das hier geschilderte. Verhältniss (vergl. 1. c- p. 237). Die Anlage der Oberlippe und der Unterlippe in meiner Be- schreibung. der Asellusembryologie‘ als: accessorische Mundtheile be- zeichnet) erfolgt völlig in. der gleichen Weise wie bei Asellus. Die Segmentation des Körpers ist gleichfalls deutlich wahr- zunehmen. Jeder Extremität, mit Ausnahme der Antennen, entspricht ein Segmentabschnitt, die Profillinie des Keimstreifs zeigt somit zehn Wölbungen, deren erste drei bedeutend grösser sind als die folgenden. Auf das letzte Segment folgt ein grosser Abschnitt des Keimstreifs, ohne irgend welche Andeutung von Segmenten oder Gliedmaassen- Es ist das Postabdomen. Es krümmt sich in das Innere des Dotters hinein ‚und zeigt an der Spitze: die schon beschriebene After- öffnung. Intersuchungen über Bau und Entwiekelung der Arthropoden, 59 Oberhalb des ersten Maxillenpaares ist die Anlage der Leber zu erkennen. Sie gleicht bis auf das Kleinste der gleichen Bildung bei Asellus, und besteht aus einer mässig gewölbten kuppelförmigen Er- höhung, deren Basis ringförmig eine Oeffnung umschliesst, durch welche die Communication des Lebersackes mit dem Dotter, — später init dem Darme stattfindet. Dicht unter der Anlage des Lebersackes gewahrt man bei vor- sichtiger Hebung des Tubus eine zarte Contour, die sich an der den Beinen zugewendeten Seite leicht nach oben krümmt und dann ver- schwindet. Auf der anderen Seite bildet sie einen etwas spitzeren Winkel, krümmt sich um denselben gleichfalls nach oben und ver- schwindet in gleicher Höhe auch hier. Diese Contour ist die erste An- deutung des seitlichen Panzers des Gephalothorax. Der Embryo in diesem Stadium ist noch umhüllt von der Larven- haut; das Chorion ist schon entfernt. Das folgende Stadium, das ich zu beschreiben habe, entbehrt auch der Larvenhaut, ist aber noch von der dicken Haut umschlossen. Es zeigt noch ebenso wie das vorige den Isopodentypus, freilich mit be- deutsamen Abweichungen (Taf. I. Fig. 3). DieRückenfalte hat sich weiter in den Dotter hineingeschlagen und zu gleicher Zeit nach hinten zu mehr gerundet. Dadurch ist die Bildung des Rückens vollendet. Das Rückenorgan hat sich scheiben- förmig ausgebreitet, seine Fortsetzung bildet die Hypodermis des Rückens, welche sich bereits vom Dotter abgehoben hat und auf der einen Seite an die Kopfscheiben, auf der anderen an die Wülste von embryonalen Zellen anschliesst, welche zum Aufbau des Darmrohres dicht unter der Rückenzellschicht liegen. Die Kopfscheiben haben sich stark verdickt, mehrere buckel- artige Abschnitte sind in ihnen zu unterscheiden. Verschiedene braune Pigmentflecke deuten die erste Anlage der Augen an, welche, wie die Augen der Edriophthalmen seitlich sich befinden. Dieoberen Antennen haben ihre Lage und Gestalt im Ganzen nicht verändert. Nur an der unteren Seite ist ein Vorgang von Be- deutung zu bemerken. Die Gliederung sämmtlicher Gliedmaassen ist bereits angedeutet; so auch bei den Antennen. An dem solchergestalt angedeuteten vorletzten Gliede derselben findet sich nun eine Auf- treibung, welche die erste Spur der späteren Nebengeissel bildet. An den unteren Antennen ist keine Neubildung von Bedeutung wahrzunehmen. Die Mandibeln haben die Richtung ihres Wachsthums völlig verändert und folgen derselben Bildungsweise, wie die Maxillen. An 60 Dr. A, Dohrn, ihrem äusseren, der Mundöffnung zugekehrten Rande haben sie sich in zwei gleich grosse Kuppeln geschieden undi bedecken von den Seiten her die Mundöffnung und die Unterlippe. Die Maxillen haben sich ebenfalls stark verändert. Das erste Paar hat einen Fortsatz’ an der inneren Seite getrieben und gleicht der Gestalt der Mandibeln. Das zweite Paar hat an seinem hinteren Rande sogar zwei kuppelförmige Fortsätze, die beide aber kleiner sind als die vordere Kuppel. Das dritte Paar endlich hat sich völlig ebenso entwickelt, wie die gleiche Extremität der Asellusembryonen; der äussere Ast hat sich zu einer langen, nach hinten gerichteten bein- förmigen Walze umgewandelt, der innere ist nach vorn gerichtet und ist im Wachsthum zurückgeblieben. Sämmtliche Gliedmaassen sind nun schon weit über die Bauchfläche des Embryo herübergewachsen und begegnen sich in der Mitte derselben. Die Oberlippe und die Unterlippe haben sich wie bei Asellus gestaltet; zwischen ihnen steigt der Vorderdarm in die Höhe. In der Bildung der Beine haben wir nun schon jetzt zwischen generellen , speciellen und sexuellen Bildungen zu unterscheiden. Da das vorderste Beinpaar bereits deutlich sich zu einer Maxille um- zugestalten beginnt, will ich fortan die Betrachtung desselben, wie bereits geschehen, bei den Mundwerkzeugen vornehmen, dasselbe wird der Fall sein mit dem zweiten Beinpaare im nächsten Stadium der Entwickelung. Die Unterschiede in der Bildung der Beine betreffen die Ausbildung des äusseren Astes, der bei dem ersten Beinpaare, — der dritten Maxille, — wie bereits erwähnt, zu einer langen, 'beinförmigen Walze sich ausbildet, bei dem zweiten Paare völlig in seiner ursprünglichen geringen Entwickelung beharrt, bei dem dritten und vierten wie bei dem ersten sich zu einer langen Walze entwickelt und bei dem fünften, sechsten und siebenten nur geringe Vergrösserung über die ursprüngliche Anlage hinaus er- fährt. Dieinneren Aeste sämmtlicher Paare, — mit der erwähnten Ausnahme des ersten Paares — wachsen in lange Walzen aus und bilden den Hauptast der Beine, während die äusseren Aeste theils völlig verschwinden, theils rudimentär werden, theils zu starken Schwimmbeinen sich entwickeln. Bei der Beschreibung des ausge- wachsenen Thieres werden wir sehen, dass in der Entwickelung dieser äusseren 'Aeste sexuelle Verschiedenheiten existiren, die auf ver- schiedene Lebensweise des Geschlechtes schliessen lassen. Die Segmentation des Körpers ist weit vorgeschritten. Man kann die Zahl der Segmente am leichtesten erkennen, wenn man die in abgerundete Kuben eingetheilten Bauchwülste zählt, welche in ihrer | Í Í Untersuehungen über Bau und Entwiekelung der Arthropoden. 61 dicken Masse von Embryönalzellen das Nervensystem und viele Mus- keln und andere Bildungen implieite enthalten. Ich zähle, den Kopf vor dem Vorderdarm als ein Segment gerechnet, — 18 Se gmente, — genau dieselbe Zahl wie bei Asellus. Die letzten 11 Segmente zeigen bereits die Segmentation am Rücken und den Seitenwänden des Embryonalkörpers, — die letzten 7 sind ohne Extremitäten mit Aus- nahme des letzen Segmentes. An diesem finden wir jederseits ein Paar mächtige Anhänge, deren jeder in zwei lange Aeste gespalten ist und über die Seitenwandungen des Postabdomens hinweghängt. Es sind dies die sogenannten Schwa nzanhänge, — caudal appen- dages der englischen Beschreiber. . Das Postabdomen ist stark nach innen, fast schneckenhaus- förmig eingerollt, so dass die Afteröffnung nicht zu erkennen und überdies völlig von dem Basalgliede der Schwanzanhänge verdeckt ist. Die Anlage des Hinterdarms ist noch nicht von dem Zellenwulst differenzirt, der die Rückenwandung des Postabdomen ausmacht. Wohl aber ist der Dotter bereits im Zurückweichen aus diesem Körpertheil begriffen, — ein Vorgang, der nicht in völliger Analogie mit den gleichen Verhältnissen bei Asellus steht. Dort weicht der Dotter zurück, indem er die bereits ausgebildeten Darmwandungen frei macht, — hier weicht er zurück und lässt nur einen leeren, — mit gelblicher Flüssigkeit gefüllten länglich dreieckigen Raum zwischen der Spitze, Bauch- und Rückenfläche des Postabdomen zurück. Die Leber hat sich, wie bei Asellus, zu einem Schlauch umge- wandelt; die histologischen Verhältnisse scheinen völlig die gleichen. Bemerkenswerth ist, dass schon sehr früh das Auswachsen eines Unteren, kleineren Schlauches stattfindet, — später entsteht auf der Oberseite ein dritter roch kleinerer. Zwischen dem Dotter und der Rückenwand, — natürlich auch dem Zellenapparat des Rückens, — hat sich ein freier Zwischenraum gebildet, in dem freie Zellen flottiren, — offenbar bestimmt zur Bildung der Bluträume und Blutkörperchen. Da mich aber die wichtigen morphologischen Verhältnisse der Gumaceen fast ausschliesslich in Anspruch nahmen, habe ich in histogenetischer Beziehung fast keine Nennenswerthen Aufklärungen gewonnen, kann also auch über die Bildungsweise der Girculationsorgane keine bei Cuma gewonnenen Angaben machen. Der Dotter selbst besteht aus den gewöhnlichen Dotterkugeln, die bei der vorliegenden Art, — Cuma Goodsiri van BENEDEN, — gelb gefärbt sind. (Bei Guma Rathkei ist der Dotter rosenroth,, bei Cuma plicata hellgrün, bei allen andern von mir untersuchten gelb.) N 62 Dr, A. Dohrn, Die weitere Ausbildung des, Gephalothorax macht uns mit einer höchst bemerkenswerthen Neubildung bekannt. Unter der mehr nach vorn zu auswachsenden vorderen Spitze entsteht nämlich ein kleiner Anhang, der dem Unterrand des Gephalothorax parallel gerichtet ist. Dieser Anhang ist die erste Andeutung des grossen Kiemenapparates, der unter dem Gephalothorax sich jetzt ent- wickelt. Leider entzieht sich diese Entwickelung völlig der Beobach- tung, es sind nur histologische Vorgänge zu beschreiben, welche ein Licht auf jene werfen. Dieselben bestehen in einer Trennung der Gephalothoraxwände und einer gitterartigen Verknüpfung derselben durch die einzelnenauswachsenden Zellen. Das eben beschriebene Stadium des Gumaembryo hat im Habitus durchaus die grösste Verwandtschaft mit den Isopodenembryonen, obschon eine bedeutende Zahl einzelner Abweichungen nachgewiesen worden sind. Das nächste Stadium dagegen gleicht den Isopoden gar nicht, — es hat vielmehr ‚das Aussehen eines Decapoden- embryo's. Sobald die dritte Haut gleichfalls von .dem heranwachsenden Embryo durchbrochen wird, erfolgt die Streckung des Post- abdomen. Dasselbe bleibt aber nicht in gestreckter Lage stehen, sondern schlägt sich langsam unter den Bauch des Embryo. Die Ab- bildung zeigt den Embryo gerade im Begriff, diese Umwandlung vor- zunehmen (Taf. II. Fig. 4). In der ganzen ferneren Entwickelung finden sich nun bedeutende Unterschiede von der Asellusentwickelung. Die Streckung des Rückens geht Hand in Hand mit der gewöhnlichen Verkürzung und Verringerung des Zellenmaterials, das den Kopf zusammensetzt. Der- selbe kehrt sich mehr nach oben und zwischen den Kopfplatten und dem Rücken, an dem vom »Mikropylapparat« fast nichts mehr wahr- zunehmen ist, bildet sich eine tiefe Furche. Die Segmentation des Körpers hinter dieser Furche ist nicht eher wahrzunehmen , als bei dem siebenten Segment hinter der Mundöffnung. Dasselbe ist von dem vorhergehenden Theil durch eine leichte Furche getrennt, und man kann auch in den Seitenwandungen die Trennungslinie bis auf die halbe Höhe der Wandung verfolgen. Dann tritt der Gephalothorax ein und verdeckt die weitere Gliederung. Die nachfolgenden zehn Seg- mente sind deutlich in ihrem ganzen Umfange von einander ge- schieden. Der Dotter ist aus dem Postabdomen völlig zurückgetreten, das Darmrohr hat sich bereits entwickelt, Muskelbildungen sind aufgetreten, das Herz ist gebildet, bewegt sich aber noch nicht, die Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. 63 Lebern wachsen immer weiter aus und in den Bauchzellwülsten machen sich Differenzirungen bemerkbar, die zur Ausbildung des Nervensystems zu führen geeignet sind. Mit den Gliedmaassen sind grosse Veränderungen vor sich gegangen. Die oberen Antennen haben sich nach vorn gekehrt: und zeigen eine deutliche Gliederung. Die Nebengeissel auf dem vor- letzten Gliede ist sehr klein, und zeigt schon jetzt die Tendenz, rudi- mentär zu werden !). Die unteren Antennen bleiben nach wie vor ohne irgend eine auffallendere Veränderung. Die Mandibeln haben sich stark verlängert, der hintere Ast ist dünner geworden und hängt sich hinunter. Die Maxillen haben sich sämmtlich ansehnlich vergrössert. Das erste Paar zeigt keine bemerkenswerthe Veränderung, wenigstens gelang es mir nicht, eine solche wahrzunehmen. Das zweite Paar ist bemerkenswerth wegen der verschiedenen Ausbildung, welche die beiden hinteren kuppelförmigen Fortsätze erlangt haben. Während der vordere derselben wie der Hauptast abgerundet ist, sprossen aus dem hinteren zwei Borsten hervor, eine Thatsache, die um so auffallender ist, als noch kein anderer der Mundtheile sich mit irgend einem Dorn oder einer Borste ausgerüstet zeigt. Wir werden später sehen, dass diese Borsten und der sie tragende Fortsatz auch zu ganz eigenthümlichem Zweck verwendet werden. Das dritte Maxillenpaar hat äusserlich völlig die Gestalt eines‘ Beines ange- nommen; es entspricht aber, wie ich vorher schon erwähnte, nicht dem inneren, sondern dem äusseren Aste der übrigen Extremitäten von Cuma, oder dem Taster desselben Organs bei Asellus. Nur das Basalglied begreift den inneren Ast der beiden ursprünglich im Embryo angelegten Aeste in sich und, wenn man will, kann man das Basalglied auch als den wirklichen Stamm der Maxille und die übrigen Glieder als den Tastertheil ansehen, — ja die nach Homologieen suchende strönge Morphologie muss das so- gar thun. Genau entgegengesetzt ist der Entwickelungsgang der nächsten Extremität. Da sie schon jetzt beginnt in ihrer Entwickelung sich als Mundtheil zu benehmen, so wollen wir sie auch von den Beinen los- machen und ihr einen neutralen Platz zwischen diesen und den Maxillen anweisen. In ihr gelangt ausschliesslich der innere 4) InCuma Goodsiri erlangt die Nebengeissel überhaupt nicht eine solche Grösse, wie z. B. in den Embryonen von C. Rathkei oder €. plicata, wo sie beinahe ebenso lang ist, als das letzte Glied der Antennen. H 64 Dr, A, Dohrn, Ast zur Fortbildung, der äussere verschwindet völlig, nachdem. er eine Zeitlang auf der ursprünglichen Grösse und Ausbildung verharrt hat. In der äusseren Conformation gleicht diese Extremität völlig der vor- hergehenden und beweist somit die Gleich werthigkeit der beiden Aeste, da aus beiden dieselben Gestalten hervorgehen können. Später machen sich freilich. Unterschiede bemerkbar, die- selben sind aber mehr specieller Natur als genereller. Die beiden folgenden Extremitätenpaare sind ebenfalls nach ein und demselben: Typus weiter gebildet. Ihr innerer Ast entwickelt sich zu einem langen Bein, dessen Eigenthümlichkeit aber in der unverhältnissmässigen Länge des Basalgliedes im Vergleich zu den folgenden fünf kleineren Gliedern zu finden ist. Diese Ausbildung und die spätere Lage unter dem Leibe, — sie sind im erwachsenen Thiere ganz horizontal nach vorn gerichtet und bedecken sämmtliche vor ihnen liegenden Gliedmaassen von unten her, — unterscheiden sie wesentlich ‚von: den folgenden Beinpaaren. ‚Ihr äusserer Ast ist wesentlich kürzer, erlangt aber dennoch seine volle Ausgestaltung als Schwimmanhang. Sein Basalglied ist von nicht ungewöhnlicher Grösse, aber etwas stärker als; man es erwarten dürfte, — sichtlich aus dem Grunde, um eine reichere Musculatur für das ihm obliegende Geschäft des Schwimmens aufnehmen zu können. Die folgenden Glie- der sind sehr ungleich; das nächste ist länger als die andern zusammen genommen, aber man bemerkt an seiner Spitze schon die Ausbildung fernerer Glieder, die sich also hier als Abschnürungen mitten in der Extremität bilder. Zugleich wird man gewahr, dass aus der Spitze jedes Gliedes vorn und hinten je eine Borste hervorspriesst, — be- stimmt, später eine grosse Länge zu erreichen und als Schwimm- borste zu dienen. Die drei letzten Extremitätenpaare könnte ich nun dreist Beine nennen, wenn nicht auch hier wieder Verschiedenheiten ent- ständen, die zu Missverständnissen und Unklarheiten Anlass geben könnten. Jedenfalls haben si®aber in dem vorliegenden Stadium das gemein, dass ihr innerer Ast zu einem Bein von ähnlicher Gestalt wie das erste Beinpaar entwickelt ist, dessen spätere functionelle Um- wandlung mich bewog, es zwischen Mundtheile und Bewegungswerk- zeuge zu stellen. Die Gliederung dieser inneren Aeste der drei letzten Extremitätenpaare ist noch nicht völlig ausgebildet, doch erkennt man an ihnen schon ziemlich gut, dass das vorderste Paar um ein Glied zurückbleibt, — eine Thatsache, die vielleicht in Zusammenhang mit seiner späteren Annäherung an die Bildung und Function der beiden vorhergehenden Gliedmaassenpaare steht. Die äusseren Aeste er- Untersuchungen über Bau und Entwiekelung der Arthropoden, 65 leiden aber das Geschick, theils völlig zu verschwinden, — wie an dem letzten Beinpaare, an dem auch keine Spur derselben mehr nach- zuweisen ist, — theils zu liliputanischen Dimensionen zusammenzu- schrumpfen und in dieser winzigen Gestalt ein völlig nutzloses Dasein an der Aussenseite des zweiten, grössten Segmentes der inneren Aeste zu führen. (Ich muss aber sofort hinzusetzen, dass dies Zusammen- schrumpfen nicht die ausnahmslose Regel bei: allen Cumaarten ist; bei Cuma Rathkei z. B. bildet sich der äussere Ast des vordersten dieser drei letzten Extremitätenpaare zu einem ebenso grossen Schwimmanhang aus, wie bei den beiden vorhergehenden Extremi- täten; dasselbe ist der Fall bei zwei Arten, die ich noch nicht be- nennen konnte, da sie wahrscheinlich unbeschrieben sind. Bei den- selben Arten ist auch der äussere Ast des’ letzten Extremitätenpaares Nicht völlig verschwunden, sondern in rudimentärer Gestalt durch da ganze Leben erhalten.) Es bleibt mir noch die Schilderung der Oberlippe, der Unterlippe und der Schwanzanhänge in diesem Stadium des Embryo übrig. Die Oberlippe und die Unterlippe verlängern sich, werden aber: zugleich in dem Dickendurchmesser kleiner. Die Oberlippe krümmt sich nach oben, die Unterlippe nach unten. Die Schwanzanhänge verändern ihre Richtung mit dem sich abwärts wendenden Postabdomen, und stehen nach hinten ab von dem letzten Postabdominalsegment. Das seitliche Gephalothoraxschild hat sich nach unten und vorn verlängert, es ragt mit seiner vorderen Spitze über die Mundspalte hinweg und sein unterer Rand bedeckt beinahe die Spitzen der Mundtheile. Der kleine Anhang, den ich im vorigen Stadium als erste Andentung der Kieme beschrieb, hat sich völlig abgelöst von dem Schilde und ist zur äussersten Spitze des langen Canals seworden, der sich an die mittlerweile unter dem Schilde entstandene »Kieme« anschliesst und als Egestionscanal des Wasserstromes dient, der durch die Bewegung der später zu beschreibenden Kieme unter dem Schilde erregt wird. Dieser Canal oder Kiemenstiel hängt in diesem Stadium aus dem Rande des Cephalothoraxschildes hervor, völlig den Schein erweckend, als hätten wir es mit einem Gliedmaassen- Paare zu thun: Seine Insertion oder Verknüpfung mit. der sogenannten Kieme oder mit dem Gephalothoraxschild ist nicht zu erkennen, — Wie denn überhaupt die Bildung der Kieme sich gänzlich der Beobach- tung entzieht. Von grosser Bedeutung ist ferner, dass in diesem Stadium die Verschmelzung der Augen stattfindet, die bei der grossen Ver- Bd. V. 1. 5 Be 56 Br A, Dohrn, kürzung und Verschiebung; ‘welche die einzelnen Theile des Kopfes erfahren, nach vorn zusammengeschoben werden und durch ihre Ver- wachsung das eine Auge herstellen, über das schon so viel gestritten ist. Von mehreren Seiten ist nämlich behauptet, das Auge sei gestielt, während Andere gerade in dem Mangel des Augenstieles den grossen Unterschied zwischen Cuma und den Podophthalmen sehen wollen. Sonderbarerweise haben beide Parteien Recht, — wie bereits vor mir Henry Goonsır es aussprach »the -eyes are pedunculated but sessile.« In der That ist das Auge getragen von einem kleinen abwärts gebogenen Stiel, der besonders deutlich bei den Embryonen von Cuma Rathkei von mir wahrgenommen wurde: Später umgiebt aber das Kopfschild das Auge und ‘schliesst es völlig bis zu einem Grade ein, der sogar manche Autoren bewog, den Mangel der Augen als Characte- ristieum der Cumaceen anzusehen. Da aber meine Untersuchungen über die Bildung und Umbildung der Augen noch’zu keinem Abschluss gekommen sind, so übergehe ich fernerhin diese Organe in ‘meiner Darstellung. Das folgende Stadium des Embryo (Taf. II. Fig- 5) hat vollständig den Habitus eines Decapoden. Das Postabdomen ist völlig unter den Vorderleib geschlagen, die Schwanzanhänge sind in derselben Richtung lang ausgestreckt, Kopf und Vorderleib ist bis zu dem achten Segment von dem Gephalothoraxschild bedeckt, die Gliedmaassen zeigen alle deutliche Gliederung, an mehreren der- selben sind Zahn- und Haarbildungen zu erkennen, die beiden Aeste der Schwanzanhänge haben sich ebenfalls gegliedert; der Ge- phalothorax zeigt eine Bildung, die durchaus an Decapoden er- innert; seine seitlichen Stücke haben sich höher gerichtet, ihre vordere Spitze ist in einer Höhe mit der Insertion der oberen Antennen, der untere Rand dieser Stücke ist gerundeter. Die Kieme ist der ver- änderten’ Lage dieser Theile gefolgt und ihr langer Stiel ist. horizontal nach vorn gerichtet. Die Ausbildung der ‘inneren Organe ist‘ gleicherweise vorge- schritten. Die Darmwandungen sind jetzt deutlich zu erkennen von der Mundöffnung bis zur Afterspalte. Mitten im Gephalothorax in seinem oberen Theile bemerkt man den letzten Ueberrest des Dotters, umgeben von den Darmwandungen. Auf letzteren erkennt man deut- lich die kleinen eubischen Zellen, deren Umwachsen des Darmrohre$ die Ringmusculatur hervorbringt, ein Vorgang, der absolut identisch bei Asellus erfolgt (vergl. 1. c. p. 269). Der Zerfall der Bauch- wülste ist fernerhin bemerkenswerth ; es bilden sich Muskelsträng® und Ganglien aus; um den Darm entstehen Hohlräume für die Be- | | | i Untersuehungen über Ban und Entwiekelung der Arthropoden. 67 wegung des Blutes und in dem 7. und 8. Segment liegt das Herz, dessen Pulsationen das Blut, in dem man aber noch keine Blutkörper- chen unterscheiden kann, umhertreibt. Auch Blu tgefässe sind zu erkennen; eine Aorta, die über dem Darm sich zu den Zellwülsten des Kopfes, — der späteren Gehirnganglien begiebt und sich dort theilt. Um das Herz herum bildet sich ein deutlicher Perica rdialsinus; umgeben wird derselbe von einer grossen Zahl kugeliger Fettzellen, — die vielleicht ein ähnliches Gewebe herstellen, wie wir es um das Herz eines Palaemon embryo vortrefflich erkennen können. Da es nicht meine Absicht ist, an dieser Stelle eine genaue, in das histogenetische Detail eingehende Entwickelungsgeschichte der Cumaceen zu geben, sondern nur die morphologischen Beziehungen dieser Thierchen zu den anderen Grustaceen ins rechte Licht zu setzen, so kann ich mit der Bemerkung meine Auseinandersetzung der Embryo- logie schliessen, dass das nächste wichtigere Veränderungen - auf- weisende Stadium bereits völlig den erwachsenen Thieren gleicht (Taf. IL. Fig. 6) ; und dass die Unterschiede, die es als unausgewachsenes Junge nothwendig von dem Erwachsenen scheidet, solcher Art sind, wie sie bei: den meisten Crustaceen bestehen, — somit also am besten der anatomischen Beschreibung eines ausgewachsenen Thieres beigefügt werden. > Die Angaben, die ich über die Anatomie zu machen habe, wurden theils an Cuma trispinosa theils an Guma Goodsiri gewonnen; auch in ihrer Darstellung werde ich mich grösstentheils nur an das Morphologische Element halten. Die Körpergestalt des erwachsenen Thieres gleicht durchaus mehr den Decapoden als irgend einer anderen Classe der Crustaceen, und So wurden sie in der systematischen Eintheilung auch immer zu diesen gerechnet. Si Der Erste, den wir als Beschreiber einer Guma finden, ist La- Taxınıe. Er beschreibt sie unter dem Namen Condylurus D’Or- bignyi. MıLne-Enwanns, der in seiner »Histoire naturelle des Crustacés« Tom. III. p: 554 diese Beschreibung reprodueirt, macht mit Recht darauf aufmerksam, dass der Name Condylurus bereits bei den Mammalien angewandt ist und somit der von ihm selbst gegebene und allgemein angenommene Cu ma das Vorrecht hat. LATREILLE S Beschreibung lässt mit Sicherheit erkennen, dass er eine Cu mia vor sich hatte, — welcher Art aber jetzt der Name d’Orbignyi mit Recht zugesprochen werden muss, lässt sich wohl nicht eher feststellen, als bis die Küste von La Rochelle nach Gumaarten durchsucht ist. Mune Enwarns, der somit als der eigentliche Begründer der Fa- 5* Se BR i ia 68 Dr, A, Dohrn, milie anzusehen ist, missverstand aber die Natur derselben. Die Epoche der Zoologie, in der sein grosses Werk entstand, nahm nur geringe Notiz von den Organisations- und Lebenseigenthümlichkeiten der Thiere, und, wennschon in Deutschland die Embryologie ihr reformatorisches Werk begann, so konnte diese neue Bahn doch nicht so schnell und allseitig beschritten werden, um der Zoologie durch und durch eine neue Gestalt zu geben. So ist es also leicht erklärlich, dass der be- rühmte Monograph mit den Worten »et je soupçonne méme que cet animal n’est autre chose que quelque Larve de Crustacé De&capode«, das Interesse, das man vielleicht an der Aufhellung der Organisation hätte nehmen können, beseitigte, denn Larven waren eben nicht sehr angesehen unter den damaligen Forschern. Nach wenigen Jahren veröffentlichte aber Henry Goopsır im »Edin- burgh New Philosophical Journal« einen Aufsatz über dieselbe Familie, in welchem er vor allen Dingen feststellte, dass sie keine Larven seien, sondern wahrscheinlich »niedere« Decapoden. Er stellte neben G uma noch Bodotria und Alauna als neue Gattungen auf und gab von Cuma Edwardsi eine ziemlich ausführliche Beschreibung. Zu gleicher Zeit hatte Kröver in »Naturhistorisk Tidskrift« III. p. 503. tab. V. und VI. mit seiner ausgezeichneten Schärfe und Genauig- keit vier neue Arten Cuma beschrieben. In demselben Aufsatze ver- sprach er, demnächst die Entwickelungsgeschichte der Gattung zu veröffentlichen. Danach ruhte die Theilnahme an den merkwürdigen, kleinen Ge- schöpfen und, — wie van Benepen in seiner historischen Uebersicht (Recherches sur les Crustacés du Littoral de Belgique, dans Mémoires de l'Acad. roy. de Belgique tom. XXXII. p. 25) mit Recht bemerkt, »il semblerait que la question des Cuma düt être tranchée après cela.« Allein wunderbarer Weise behauptet Acassız, selbst nach Kröysr’s entscheidenden Arbeiten, dass Cuma die Jugendform einer Hippolyte oder eines Palaemon sei, Dana folgt ihm darin, MıLne-Epwarns des- gleichen. Spener-BAtE, LiLiserorg und van Benepen widersprechen, — aber leider beschränken sich die Erstgenannten in ihren Arbeiten nur auf das systematische Feld und Letzterer giebt in seinem schon eitirten Aufsatz zwar anatomische Details, aber zum Theil unrichtige, so dass durch sie die Verwirrung nicht gehoben wurde. Es ist nicht zu verwundern, dass bei diesem Stande der Dinge die zoologischen Handbücher mit Cuma nichts anzufangen wussten; so finden wir sie also gar nicht erwähnt in Troscner’s Handbuch der Zoologie, GerstÄckER giebt zum Theil richtige, zum Theil schwankende und unrichtige Notizen, und Craus bemerkt nur, dass die Gumaceen Untersuehungen über Bau und Entwiekelung der Arthropoden, 69 eine vermittelnde Stellung zwischen Gopepoden und Garneelen einnehmen, was indess von der Wahrheit ziemlich weit entfernt ist. Nur Fritz MürLer sprach in der immer wieder anzuführenden Schrift »Für Darwin p. 54, 55 einige Worte über die Cumaceen, welche auf ein richtiges Verständniss derselben, — soweit es ohne genaue Kenntniss der Embryologie möglich war, — hindeuteten. Welche Stellung die Cumaceen aber in unserem System, — das in meinen Augen mit dem Stammbaum der Thiere identisch ist, oder sein sollte, — einnehmen müssen, wird klar werden, wenn ich -zu den bisherigen Angaben der Entwiökelung noch einige anatomische Details hinzufüge. Vor allen Dingen habe ich zu bemerken, dass die Meinung sämmi- licher früheren Autoren über die Säheiduing von Männchen und Weib- chen innerhalb der kleinen Familie irrthümlich ist. Der verzeihliche Irrthum Goopsır’s, der das Männchen einer Cuma unter dem Gattungs- namen Bodotria beschrieb, scheint die Erkenntniss der wirklichen Geschlechtsunterschiede erschwert zu haben. Der günstige Umstand, dass ich in Millport eine der best gekannten Grustaceenfaunen traf, und in meinem verehrten Freunde Roserrsox einen ganz besonders eifrigen und unterrichteten Grustaceologen zur Hilfe gewann, ermöglicht es mir mit grösster Bestimmtheit zu erklären, dass sämmtliche, unter dem Namen Bodotria beschriebenen Cumaceen nichts als die Männchen der Gattung Guma sind, die, in mehrere Gattungen zu zer- Spalten, ich, vorläufig wenigstens, gar keinen Grund sehe. Der Charakter, auf welchen Goopsir die Gattung Bodotria grün- dete, ist einzig und allein die Anwesenheit von gespaltenen Schwimm- füssen an den Segmenten des Postabdomen. Das Vorhandensein von Schwimmanhängen an den drei Paaren der vorderen Beine bewog ihn, die Species rostrata von Cuma abzutrennen und daraus die Gattung Alauna zu bilden. Aehnliche Charaktere benutzt Srexer BATE und die übrigen Beschreiber bei der Aufstellung der neuen Gattungen. Es ist aber nach meinen Erfahrungen und Untersuchungen eine Thatsache, dass die beiden Geschlechter bei Cuma sich durch nichts leichter jei chic lassen, als durch die langen unteren Antennen der Männchen, durch den Mangel der Schwimmfüsse an dem Post- abdomen der Weibchen und die immer bedeutendere Zahl von Abdo- minalfüssen mit Schwimmanhängen bei den Männchen. Wenn somit diese Charaktere nicht einmal in Männchen und Weibchen die gleichen sind, so können sie gewiss nicht zur Aufstellung von Gattungen verwandt werden. . Es ist wesentlich das Vorhandensein des Gephalothoraxschildes 70 Dr, A, Dohrn, und des lang ausgezogenen Postabdomens, das die Meinung erweckt hat, die Gumaceen seien den Decapoden am nächsten verwandt. Allein bei den Decapoden bedeckt das Rückenschild sämmtliche Segmente bis zum Beginn des Postabdomens, bei Guma erstreckt es sich nur bis zum siebenten Segment und lässt fünf Segmente vor dem Beginn des Postabdomens völlig frei. Die Schwanzanhänge zeigen ferner eine weit grössere Uebereinstimmung mit den gabelförmigen Anhängen der Isopoden und Amphipoden, als mit irgend einer Gestaltung der homologen Theile im Bereich der Decapoden. Die Bildung der inneren Organe deutet aber mit grösster Be- stimmtheit auf die nächste Verwandtschaft mit den Edriophthalmen hin. So ist vor allem die Bildung der Lebern verschieden von denen der Podophthalmen, und ahmt die Schlauchform der Isopoden und Amphipoden nach. So zeigt das Herz keinerlei Balkenbildung, son- dern besteht aus einem musculösen Sack mit einem Spaltenpaar. Und so ist vor Allem die Bildung einer Bruttasche an den Beinen des Abdomens durchaus abweichend von der Organisation der Decapoden und hat ausser den Edriophthalmen nur in Mysis und Lophogaster ein Homologon. Ich habe bereits in der Darstellung der Entwickelung von der Kieme gesprochen, nicht von den Kiemen, denn Cu ma besitzt jeder- seits nur eine Kieme oder vielmehr eine sogenannte Kieme. Es ist ausserordentlich schwer, die Structur derselben zu erkennen, denn während des Lebens ist sie in fast beständiger Bewegung, und ausser- dem lässt die Undurchsichtigkeit des Gephalothoraxschildes kaum die äusseren Umrisse des ganzen Organs erkennen. Bei der Präparation wird aber der Zusammenhang, in dem das Gebilde mit der Körper- wand und der inneren Wandung des Gephalothoraxschildes steht, zer- rissen und dadurch gerade die Möglichkeit abgeschnitten, völlig klar über diesen Zusammenhang zu werden. Ja, was sehr zu bedauern ist, — ich habe nicht bis zur Evidenz constatiren können, ob innerhalb der sogenannten Kieme und ihrer zwanzig oder mehr Blätter auch in der That kein Gasaustausch des Blutes. bewirkt wird, und ob das Ganze blos ein mächtiger Apparat zur Erneuerung und Bewegung des Wassers unterhalb des Gephalothoraxschildes ist. Die Gestalt der Kieme (Taf. HI. Fig. 14) gleicht einem langen schmalen Kahn, dessen vorderes Ende weit nach vorn ausgezogen und allmählich in die Höhe gebogen ist. Das hintere Ende ist weniger lang . ausgezogen, aber stärker in die Höhe gekrümmt. Die Wände des kahnförmigen Gebildes sind völlig durchsichtig und steil in die Höhe gebogen. Die Aussenwand, welche dem Gephalothoraxschild zunächst Untersuchungen über Bau und Eutwickelung der Arthropoden, yat liegt, trägt eine Anzahl einzelner , ovaler Blätter (bei Guma trispi- nosa 22—24), welche schräg gestellt sind und einander dachziegel- förmig decken. Die Structur dieser Blätter lässt es möglich erscheinen, dass in ihnen in der That eine Circulation des Blutes stattfindet, denn ich glaube an ihnen dasselbe Auswachsen der Zellen beider: Wände bemerken zu können, was den Kiemen der Amphipoden und Iso- poden die zu ihrer Function nothwendige Bildung verleiht. Den Jungen Thieren fehlt übrigens die Ausbildung dieser grossen Zahl von Kiemenblättern; bei den Jungen der G. trispinosa und C. Goodsiri erkannte ich nur drei kurze abgerundete Lappen an der Stelle, wo später die Blätter beginnen. Die Befestigung der Kieme an der Leibeswandung scheint durch einen kürzeren Strang bewirkt zu werden, welcher aus einer runden Oeffnung der Leibeswand oberhalb des vorderen Paares der beiden grossen Extremitäten hervortritt und sich an einen ringartigen Wulst der Kieme 'begiebt, den man'durch das Cephalothoraxschild hindurch erkennen kann. Dieser Strang gleitet bei den Bewegungen der Kieme hin und her, aber sein unteres Ende bleibt in der Leibes- öffnung fixirt. Ich wage nicht zu entscheiden, ob eine doppelt con- tourirte Röhre, die ich im oberen Theile dieses Stranges zu bemerken glaubte, ein Blutgefäss darstellt, ja, ich bin sogar unsicher darüber, ob ich in der That jene doppelten Contouren auf eine Röhre zurück- führen darf. Ich glaubte freilich, beobachtet und erkannt zu haben, dass an dem Strange vorbei, innerhalb der Leibeswand, ein breites Blutgefäss verliefe, "welches einen kleineren Ast in den Strang abgäbe. Ebenso glaubte ich auch in dem oberen Gefässe ein unteres in dem Strange unterscheiden zu können, das: gleichfalls durch die runde Leibesöffnung austrete, © — ich würde aber der Glaubwürdigkeit der übrigen von mir gemachten Angaben schaden, wenn ich diese Notizen für gleich gesichert mit den übrigen hielte. Vielleicht gelingt es bei wiederholten Versuchen, klarer über diese wichtigen Puncte zu wer- den, oder aber geschicktere Hände und schärfere Augen vollenden, was mir bisher unmöglich gewesen ist. Ausser dieser Befestigung findet sich aber noch eine andere, sehr wesentliche. ' Mittelst mehrerer Chitinleisten ist der Apparat nämlich an das dritte Maxillenpaar, — oder wenn man des ersten Embryonal- stadiums gedenkt, — an das erste Beinpaar befestigt. Durch die Be- wegungen dieser Extremität wird der ganze Apparat in Bewegung gesetzt und schlägt in der Kiemenhöhle auf und ab, was man ganz deutlich schon mit blossen Augen erkennen kann. Die Kiemenblätter scheinen nun die Function zu haben, Dei dem Sichemporrichten des 12 Dr. A, Dohrn, Apparates das Wasser vorwärts zu bewegen, so dass es von hinten in die Gephalothoraxspalte unter das Schild eintritt; bei dem Niedergang der Kieme legen sich die schräg gestellten Blätter dann mit den breiten Flächen dicht an einander, so dass sie dem Wasser keinen Widerstand bieten und den von hinten nach vorn gehenden Strom nieht unter- brechen. Diesen Bewegungen des hinteren grösseren Stückes des ganzen Organes und seiner einzelnen Blätter, — die ich nun einmal nicht besser bezeichnen kann, als durch den Namen der Kiemenblätter, — entspricht vorn an dem äussersten Ende des langen Schnabels, — wenn ich das Bild eines Kahnes oder Schiffes beibehalte, — das Auf- und Zuklappen eines kleinen gerundeten Chitinstück- chens (Taf. HI. Fig. 15), das gerade unter der vordersten Spitze der seitlichen Verlängerungen oder Vorragungen des Gephalothöraxschildes gelegen ist. Um es zum Zweck des vollständigen Verschliessens der Ausgangsöffnung noch besser auszurüsten, hat sich ‘von dem inneren Rande des lanzettförmigen Stückchens eine — anscheinend — struc- turlose Membran gebildet, welche die Wölbung jenes Stückchens fort- setzt und zu gleicher Zeit nach vorn vorragt. Etwas verdickte Ränder und oben und unten je ein verdickter, das Licht stark brechender, wie ein spitzer Dorn aussehender Pfeiler in dieser Membran geben der- selben mehr Halt, so dass sie sich vollkommen ausstreekt und die Rinne des Kiemenschnabels fortsetzt, wenn die Bewegung des hinteren Theils das Wasser nach vorn hinaustreibt, — sich aber in dichte Falten zusammenschlägt und vollständig unter die Spitzen des Gephalothorax- schildes zurückkehrt, wenn der hintere Theil wieder niedergeht und in Folge dessen das kleine lanzetiförmige Stückchen vorn am Kiemen- schnabel sich eng vor die Ausgangsöffnung legt und einen festen und dichten Verschluss derselben bildet. In diesem kleinen Verschlussstückchen erkennen wir einen alten Bekannten, — den bereits erwähnten kleinen Anhang des Gephalo- thorax im zweiten Stadium des Embryo. Ausser dem bisher beschriebenen , complieirten Apparat birgt die Höhle unter dem Gephalothoraxschilde aber noch einen be weglichen Anhang des zweiten Maxillenpaares (Taf. III. Fig. 7 a) Wenn wir uns an die Entwickelung dieses Extremitätenpaares erin- nern und seine erste Anlage mit der ausgebildeten Gestalt in dem erwachsenen Thiere vergleichen, muss es uns auffallen, dass, während dort drei abgerundete Kuppeln existiren, hier nur zwei mit Zähnen bewaffnete Platten an dem Geschäft des Kauens sich betheiligen. In der That hat mich die Schwierigkeit, die richtige Lösung hierfür zu | | SPERREN LESER E AEAEE Se £ Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden, 73 finden, lange Zeit von dem Verständniss der Extremitäten und ihrer Entwickelung zurückgehalten. Da bemerkte ich aber in dem dritten Stadium des Embryo an der unteren Kuppel des in Rede stehenden Maxillenpaares das Auswachsen zweier haarartiger Fortsätze zugleich mit einer grösseren Schmächtigkeit des sie tragenden Astes der Extre- mität, — und ich wusste nun, wie die Schwierigkeit zu lösen war. In der That befindet sich ein langer, schmaler Anhang als Verlängerung, wie ich anfänglich annahm, des oberen Astes der zweiten Maxille an der Wurzel dieser Extremität. An seiner Spitze trägt dieser Anhang ein längeres und ein kürzeres Haar, die beide mit kleineren Härchen besetzt sind. Merkwürdigerweise sind diese kleineren Härchen auf der basalen Hälfte der beiden Haare nach unten, auf der andern Hälfte nach oben gerichtet. Dieser Anhang ist nun jener dritte Ast des Embryo, aus dem die beiden haarartigen Fortsätze auswachsen; er ist somit nicht eine Verlängerung des oberen Astes, wie ich anfänglich glaubte, sondern den beiden andern Aesten morphologisch gleich- werthig und wie sie frei an dem gemeinschaftlichen Basalstück durch einen eigenen Muskel beweglich. Die Function dieses Anhangs ist aber, wie mir scheint, die Reinigung, und wenn ich so sagen darf, die Oberaufsicht über den complicirten grossen Kiemenapparat, denn ich sah ihn niemals in rhythmischer Bewegung wie diesen, sondern nur hin und wieder damit beschäftigt, mittelst der beiden Haare die Kiemenplatten förmlich zu fegen und sie, sobald sie in Unordnung ge- riethen , was oft vorkommt, wieder in die richtige Lage zu bringen. Er war fast innmer in Thätigkeit, wenn der grosse Apparat ruhte; man konnte deutlich erkennen, wie der dünne Anhang sich dann in der Mitte völlig zurückbog, wie ein Fischbein, und mittelst der beiden Haare die Kiemenblätter reinigte, bei welchem Geschäft sicherlich die zwiefache Richtung der kleinen Härchen von Nutzen und Bedeu- tung ist. Wie dieser Apparat zur Bewegung und Erneuerung des Wassers hun zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit gelangt ist, so entspricht ihm nicht minder die Einrichtung, welche bestimmt ist, das Blut in Contact mit dem so immer erneuerten Wasser zu bringen. Das Ver- Ständniss des Blutlaufs ward mir erst möglich, als ich es an einem twächtigen Weibchen versuchte, durch die stark ausgedehnten Körper- wandungen hindurchzusehen. Aus dem Herzen geht jederseits eine breite Arterie rechtwinkelig nach den Seiten des Körpers ab (Taf. II. Fig. 7). Nach kurzem Lauf giebt dieser Stamm einen nach hinten laufenden grossen Ast ab, dessen Lauf ich nicht weiter als bis durch die nächsten beiden Seg- Al A a ji Br TA Dr. & Dohrn, mente verfolgte. Dann geht der Stamm in gerader Richtung weiter nach der Bauchseite zu. Hier, oberhalb der Insertion der Gliedmaassen theilt er sich von Neuem, — der eine Ast geht nach unten und hinten, — der andere grössere nach vorn an den Rand des Gephalothorax- schildes. Dicht vor diesem Rande erfolgt wieder eine Bifurcation dieses grösseren Astes: Der obere Ast setzt den Lauf des Stammes fort, der untere grössere geht nach unten, folgt der Krümmung des Gephalo- thoraxschildes und spaltet sich in eine Anzahl grösserer und kleinerer Zweige, welche sich durch den Gephalothoraxschild in Anastomosen und vielfach geschlängeltem Lauf hindurchwinden und, — darin öffnen. Dasselbe thut der obere Ast in noch reicherem Maasse.. Ich konnte sogar deutlich schmale Gefässe erkennen, welche von ihm aus bis auf die Rückenhöhe sich zogen und dort den Blutstrom frei in die Hohl- räume des Gephalothoraxschildes ergossen. | Aus dem Herzen geht nach vorn zu die ‘Aorta ab. Sie theilt sich über dem Magen und bildet mehrere Ringe um einzelne Theile des Gehirns, sendet Ströme, — ob wandungslos, konnte ich nicht genau feststellen, — in die’'Antennen, und mündet mit ihrem grossen Blut- strom von der anderen Seite und durch eine gleiche Zahl enger Blut- räume, — deren Wandungen ich nicht erkennen konnte, und somit auch nicht behaupten kann, dass überhaupt welche vorhanden waren, — in das Gephalothoraxschild. Dies bildet sonach (den Sammelpunet des sauerstofllosen Blutes. Seine Structur befähigt es aber in ganz vorzüglicher Weise, . für die Erneuerung des Sauerstoffs zu sorgen. Zwei dünne Wände, verbun- den durch zahlreiche Querbalken, — die erhärteten Fortsätze ausge- wachsener Zellen, — und ein grosser, breiter Ganal am Aussenrande, der oben an der Einfügung des ganzen Schildes mit runder Oeffnung direct in den Pericardialsinus mündet, — beweisen ‘uns, dass die cellulare Structur der Kiemen bei den Crustaceen überall dieselbe ist und dass nur Ort und Befestigung derselben wandelbar sind. Und so sehen wir das Blut durch einen reichen Gefässapparat vom Herzen durch den Körper in die’ 'gegitterten Schilde befördert. Schon in den letzten engen, an die Gapillaren der Vertebraten erin- nernden Gefässe wird der Lauf des Blutes verlangsamt, noch mehr aber durch die gegitterte Structur' der Kieme; dadurch werden die Blutkörperchen befähigt, den Gasaustausch zu vollenden. Das Pump- werk des Herzens steht aber nicht still; rastlos saugt es dieselbe Flüssigkeit wieder ein, die es vor wenigen Augenblicken erst ausstiess und so bringt es einen’ neuen Strom hervor, welcher die 'absterbende Bewegung des Blutes wieder belebt und die Blutkörperchen alle im den | Untersuchungen über Ban und Entwiekelung der Arthropoden, 23 grossen Randcanal des Gephalothoraxschildes lockt; dann fasst sie der nun ohne Hindernisse fliessende Strom und führt sie, neu gestärkt zu der immer gleichen und immer wechselnden Thätigkeit zurück. — Bei den Männchen der Gumaceen finden sich, sobald sie aus- gewachsen sind, sehr häufig gespaltene Schwimmfüsse an jedem Seg- ment. Die Gattung Bodotria wurde auf diesen Charakter gegründet. Die Entwickelung dieser Extremitäten erfolgt erst, wenn das Thier lange Zeit (vielleicht Wochen oder Monate?) aus dem Brutsack der Mutter ausgeschlüpft ist und steht möglicherweise in Zusammenhang mit der Geschlechtsreife. Ich beobachtete öfter junge Männchen von Cuma Goodsiri, die noch keine Spur von Anhängen ausserhalb der Segmentwandungen erkennen liessen, wohl aber ganz deutlich ihre Anlage innerhalb derselben. Die Unterseite. der Segmente solcher un- erwachsenen Männchen war dann sehr stark gewölbt und liess im Innern bereits die Formätion des neuen Segments erkennen, das nicht so gewölbt, im Gegentheil in der Mitte concav war. Zwischen dieser Concavität des inneren neuen Segments und dem gewölbten Theil des alten liegen dann die bereits gespaltenen Extremitäten (siehe Taf. II. Fig. 47). Bei der nächsten Häutung werden diese neu. angelegten Theile frei und man erkennt deutlich, dass die so gewonnenen Extre- mitäten der Locomotion dienen. Sie haben aber noch nicht die volle Ausbildung zu diesem Geschäft erreicht, denn noch ist keine Spur von Schwimmhaaren an ihnen zu erkennen. Bei einer der nächsten Häu- tungen, — welche ausserordentlich oft erfolgen, — ist es aber schon möglich, die Anlage der Schwimmhaare unter der alten Guticula zu entdecken. Wird diese dann abgestreift, so haben wir das vollständig ausgebildete Cumamännchen, vor uns. Die Unbekanntschaft mit diesem Entwickelungsmodus hat manche Zoologen veranlasst, die mit Schwimmhaaren versehenen Cu m a männchen als Bodotriamännchen anzusehen und den vorhergehenden Entwickelungszustand, der diese Theile noch entbehrte, als die Bodotria weibchen zu betrachten und hat sie dadurch gehindert, die wahren Beziehungen von Bodotria und Cu ma zu erkennen. Bestärkt wurden sie noch in diesem Irrthum durch die grosse Verschiedenheit der Antennenentwickelung bei Männ- chen und Weibchen von Guma. Während letztere nur ein ganz rudi- mentäres unteres Antennenpaar erkennen lassen, das bei oberfläch- licher Untersuchung überhaupt kaum wahrzunehmen’ ist, entwickelt sich dieselbe Extremität bei den Männchen zu ausserordentlicher Länge, die manchmal (z. B. Guma anomala mihi i. 1.), sogar die Länge des Körpers übertrifft. Da aber diese Entwickelung ebenso stufenweise erfolgt, wie die Entwickelung der Extremitäten des Post- 76 Dr. A, Dohrn, abdomen, so hielt man das Stadium, welches den schwimmhaarlosen Gliedmaassen des Postabdomen entspricht, ebenfalls für die weibliche Ausbildung der Antennen. In diesem Stadium sind die Antennen kürzer und breiter als später, und die charakteristische Behaarung, wahrscheinlich im Zusammenhang mit nervösen Bildungen, — fehlt gänzlich und wird erst im letzten Stadium entwickelt. Sämmtliche Gumaceen leben auf dem Grunde des Meeres, die "meisten nahe am Strande, eine nicht unbedeutende Zahl aber auch in grösseren Tiefen. Am Tage liegen sie bewegungslos wenige Linien tief im Sande oder im Slick (holsteinischer Ausdruck für ein Compo- situm aus Morast, Seepflanzen, Muschelschalen und kleinen Steinen, — der englische Ausdruck ist Mudd). Höchst auffallend ist die merk- würdige Abgrenzung der einzelnen Arten in ihren Aufenthaltsorten. Mr. Roserrson beobachtete das folgende Factum bereits jahrelang, und ich hatte ausreichende Gelegenheit, mich von der völligen Richtigkeit seiner mir erst sehr problematisch erscheinenden Angaben zu über- zeugen. An dem inneren Strande der kleinen Kamesbai, welche einen Halbkreis aus dem südlichen Theil von Great Cumbrae heraus- schneidet, tritt die See bei der Fluth auf ungefähr 150 Schritt Ent- fernung von dem Hause meines Freundes hinauf auf den sandigen Strand. Bei niedriger Ebbe legt sie dann einen Raum von vielleicht 200 Schritten bloss, — gleichfalls sehr feinen Sand, auf dem nur wenige grössere Steine sich finden. Die ersten 100 Schritte dieses Raumes werden bewohnt von Cuma Goodsiri, die binnen einer Viertel- stunde zu Dutzenden gefangen werden können t). Dann folgte auf der nächsten Zone, deren Breite gleichfalls nicht bedeutender ist, in ebenso zahlreicher Menge Cuma anomala mihi i. l. Darauf in weiter Aus- 4) Die Fangmethode, welche Mr. Rosertson anwendet, ist ebenso einfach wie sinnreich. Er nimmt eine gewöhnliche weisse Untertasse, sucht hinter einem der Steine oder mitten auf dem freien Sande irgend eine kleine Vertiefung, in der noch etwas Seewasser stehen geblieben ist, und schöpft mittelst der Untertasse eine geringe Quantität, — etwa so viel, um die Hälfte der Untertasse damit zu bedecken — des oberflächlichen Sandes zugleich mit etwas Wasser in die Tasse. Dadurch werden die im Sande befindlichen Cuma’s (auch eine Anzahl seltener Amphi- poden) aus ihrer Ruhe aufgestört und schwimmen in der geringen Quantität des Wassers auf der Tasse herum. Mit einem Pinsel kann man sie dann leicht auf- fischen und in kleine Fläschchen bringen, die mit Seewasser gefüllt sind, Bringt man die Thierchen dann auf einen flachen Teller, dessen Boden 2 Linien hoch mit Seesand bedeckt ist, so kann man sie bei kühl erhaltener Temperatur — vor Allem ausserhalb des Sonnenscheins, — leicht 8—10 Tage lebendig er- halten. | | Untersuehungen über Bau nnd Entwiekelung der Arthropoden, 77 breitung Cuma trispinosa!). An einer ähnlichen kleinen sandigen Bucht, auf der kaum eine Viertelmeile entfernten Insel Little Cum- brae fanden wir nur Guma plicata in grosser Zahl; Mr. Rogertson versichert mich indess, dass sie auch an anderen Plätzen am Strande von Great Gumbrae und an der gegenüber liegenden schottischen Küste von ihm zahlreich gefunden sei, niemals aber auch nur ein einziges Exemplar dieser Art in der Kamesbai. An den Wurzeln der Lami- naria saccharina fanden wir ferner zwei Gumaarten, Guma unguiculata und eine neue Art; diese sind immer mit Schmutz be- laden, leben mithin im »Mudd.« Wir fingen sie mittelst des Grund- netzes. Ebenso erhielt ich eine reichliche Zahl von Guma Rathkei in Kiel, die im »Slick« vielleicht 15—20 Faden tief vorkommt. Cuma longipes dagegen habe ich nie anders als Nachts mittelst Oberflächenfischerei mitten auf der Kamesbai und ausserhalb derselben gefangen. Sie mag vielleicht am Tage in Strichen residiren , welche unsere Grundnetze nicht durchfurcht haben. Die Thatsache aber, dass Guma Nachts, —- wie so viele andere Crustaceen, — äusserst lehhaft herumschwimmt, erklärt das Vor- handensein der zahlreichen Schwimmanhänge, erklärt ferner auf mög- licher Weise die bessere Schwimmausrüstung und die langen Antennen der Männchen. Das Stillliegen der Weibchen im Sande zwingt offen- bar die Männchen, sie erst auszuspüren, — mittelst der Antennen. Je länger und nervenreicher diese sind, — falls wir mit Recht annehmen, dass sie einen näheren Bezug zu den Surrogaten der Geruchsorgane bei den Arthropoden haben, — desto besser werden sie ihren Träger zur erfolgreichen Anwendung befähigen, — und je stärker und zahlreicher Seine Schwimmapparate sind, um so schneller wird er das gesuchte Weibchen erreichen können. Auf der anderen Seite erklärt aber das Stillliegen am Tage, wess- halb bei den Weibchen, — und auch bei den Männchen jener Arten, welche Nachts sich nicht herumtummeln, — die Ausbildung der Schwimmbeine am Postabdomen unterblieben ist. Zwar ist die Schizo- 4) Diese grössere Art kommt niemals, — oder nur sehr vereinzelt, — in den Strichen vor, welche bei der Ebbe blossgelegt werden. Zu ihrem Fange benutzt Mr. Ropertson einen leinenen Sack, — einen etwas derber construirten Schmetter- lingssack , — der mittelst eines sehr langen Stieles von ihm zur Abschöpfung eines Theiles des feinen aber unter Wasser befindlichen oberflächlichen Sandes benutzt wird. Es geschieht das natürlich im Boot. Der in den Sack gleitende Sand wird dann in ein feinmaschiges Sieb gethan und so lange im Wasser geschüttelt, bis alle Sandkörner aus dem Siebe herausgeglitten sind. Dann werden wieder mittelst eines Pinsels die zurückgebliebenen Cuma $Q aufgelesen und wie die übrigen behandelt, 78 Dr, A, Dohrn, podennatur der Familie durch die Anlage der Gliedmaassen am Mittel- leibe hinreichend deutlich in den ersten Embryonalstadien ausgebildet und dadurch ihre Vetterschaft mit Mysis klar ausgedrückt; doch aber zeigt die Respirationsweise und ein sonderbares Factum, das sich auf die Bruttasche und ihren Inhalt bezieht, wie schon in sehr früher Zeit Cuma und ihre Vorfahren den behaglichen und sichern Aufenthalt im Sande dem immer mühsamen und gar so gefährlichen Umher- schwimmen vorzogen. Beobachtet man nämlich ein trächtiges Weib- chen unter schwacher Vergrösserung, so fällt es augenblicklich auf, dass die Eier in ihrer Bruttasche in beständiger, unregelmässig rotiren- der Bewegung sind. Es ist jedem Embryologen, der sich mit Grusta- ceenembryologie beschäftigt hat, bekannt, wie fast alle Eier, die aus der Bruttasche genommen sind, oder von’ den Hinterleibsanhängen der Krabben entfernt wurden, sehr schnell verderben, weil ihnen der Strom frischen Wassers fehlt, der sie in ihrer normalen Situation in Folge der Bewegung des Mutterthieres mit frischem, wechselndem Wasser bespült!). Nun ruht aber ‘der Körper des Thieres im Sande, wo wohl nur geringe Veränderung des Wassers eintreten würde, wenn nicht durch die Bewegung des Strudelapparates das Wasser unter dem Gephalothoraxschilde fortwährend erneuert würde. Ob nun die Be- wegungen dieses Apparates die Rotation der Eier hervorbringt, oder ob es auf andere Weise geschieht, vermag ich gegenwärtig nicht fest- zustellen; ich möchte es aber fast bezweifeln , da ich glaube, dass die Bruttasche mit einer fettigen Flüssigkeit erfüllt ist, die bei ihrer Ver- letzung ausströmt und sich nicht mit dem Wasser vermischt. Vielleicht werden die Eier durch die Rotation irgend einer Stelle der Bruttasche genähert, die besonders geeignet zur Respiration ist, — möglicher- weise steht auch die Rotation ganz still, wenn das Thierchen schwimmt, — ähnlich wie bei Mysis die beiden Klappen der Bruttasche sich rhythmisch auf- und abbewegen, wenn sie ruht, dagegen stille stehen, wenn sie ihr pfeilschnelles Schwimmen ausübt. Jedenfalls habe ich bei keinem Isopoden oder Amphipoden eine ähnliche Bewegung wahrgenommen, — obschon sie doch zahlreich genug im Sande leben und auch nicht alle sehr muntere Schwimmer sind. ?) In. Bezug auf die Generationsorgane der Qumaceen habe ich folgende Beobachtungen gemacht. Sowohl Hoden als Ovarien liegen in dem 8. und 9. Segment, in letzterem münden sie beide an der 4): Merkwürdigerweise entwickeln sich die Eier des Asellus aquaticus so- gar aufdem Objecetträger ungestört weiter, sobald sie von einem Tropfen Wasser umgeben sind. 2) An Nebalia beobachtete ich eine ähnliche Rotation der Eier. | | Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden, 19 Unterseite des Segments, ‘erstere in kleine, chitinöse sackartige Penis, letztere frei in die Bruttasche. Beider Gestalt und histologische Structur ist einfach 'ünd' durchaus nicht abweichend von der der Edrioph- thalmen. Die Ovarien sind einfache Säcke, deren feine Wandungen innen von grossen Epithelzellen ausgekleidet sind, die, — soviel ich zu sehen vermag, — sich allmählich in die Eier umwandeln. Das Ab- legen der Eier geht anscheinend sehr langsam vor'sich; ich beobachtete ein Weibchen von Guma Goodsiri während dieses Processes und fand, dass fast. 20—30 Minuten vergehen, ehe ein Ei glücklich in die Bruttasche' gelangt: ‘Das kleine Geschöpf liegt dabei ganz still. Ich nahm die Eier sofort aus der Bruttasche und untersuchte sie auf das Keimbläschen,, fand aber keines. Merkwürdig ist es, dass ich unter sämmtlichen 20—30 Embryonen, die gewöhnlich in der Bruttasche zu finden sind, fast regelmässig 2 oder 3 antraf, die den Uebrigen in der Entwickelung weit voraus waren. Ob sie eher aus den Ovarien ent- lassen wurden, oder in günstigere Ernährungs- und Wärmebedingun- gen geriethen, vermag ich natürlich nicht zu ‚entscheiden. Die Hoden sind Säcke mit drei bis vier kleineren Aussackungen an dem oberen Ende (so fand ich sie wenigstens bei Cuma trispi- nosa). Sie waren von oben bis unten gefüllt mit Samenzellen und Spermatozoön in verschiedenen Entwickelungsstadien. Die reifen Sper- matozoen hilden einen langen dünnen Faden. Mehrfach hatte ich Gelegenheit Cuma anomala in Copula anzu- treffen, und ich konnte sogar durch das Mikroskop untersuchen, in welcher Weise das Männchen das Weibchen festhält. Es geschieht mittelst der beiden grossen: Extremitäten des 6. und 7. Segments. Die Klauen dieser Gliedmaassen'heften sich fest unter die Einbuchtungen des Gephalothoraxschildes der Weibchen; mit den übrigen Extremitäten sucht das Männchen das Postabdomen des Weibchens festzuhalten. Bei alledem ist nicht zu begreifen, wie eine Befruchtung stattfinden kann, ‚wenn das Männchen auf dem Rücken des Weibchens sitzt; die kleinen Penis sind nicht verlängerbar und würden niemals die Ovarial- öffnung erreichen , wenn’ nicht das Männchen mit seiner Bauchseite die Bauchseite des Weibchens berühren könnte. In der That habe ich auch einmal gesehen, dass ein Männchen sich langsam um das Weib- chen herum schlich und endlich Bauch gegen Bauch. lag. Leider war diese Beobachtung nicht unter dem Mikroskop‘, sondern auf einer weissen Untertasse gemacht, so dass ich nicht bemerken konnte, ob etwa Anstrengungen folgten, die Ovarialöffnung mit dem Penis zu er- reichen, oder ob etwa gar eine Ejaculation erfolgte. Ich bin durchaus abgeneigt, an eine Ausstreuung des Samens zu glauben , der sicherlich 80 Dr, A. Dohrn, im Wasser nicht seine Bestimmung erreichen würde, -— mir scheint es ein unumgängliches Postulat zu sein, dass die Einführung oder wenig- stens eine grosse Annäherung der Penisöffnung an die Mündung der Ovarien stattfände. Ich darf noch als eine möglicherweise zur Geschlechtsfunetion ge- hörende Bildung die sonderbare Gestaltung der Seitentheile des 10. Segments bei den CGumamännchen betrachten. Dieselben sind häufig an- ihrem unteren vorderen Winkel in lange Fortsätze ausgezogen, die Seiten abgerundet, abwechselnd convex und concav. Ich habe keine Muthmaassung über die Bedeutung dieser Gestaltung. Bei Cuma anomala bemerkte ich nichts der Art; die Art scheint überhaupt für Ausnahmen gesorgt zu haben und verdient den ihr von mir vorläufig gegebenen Namen durchaus. — Erklärung der Abbildungen. Tafel I. 4—7 Cuma Goodsiri. Fig. 4 und 2. Frühes Stadium, Isopodengestalt. Zahlen und Buchstaben gelten überall gleich. I, IH und III sind erste und zweite Antenne und Mandibel. Sie sind braun und repräsentiren als Einheit die Naupliusgliedmaassen. IV und V sind die beiden Maxillen, sie sind mennigroth. VI— XII die sieben typischen zweiästigen Gliedmaassen des mittleren Körperabschnittes. Sie sind grün, der Schwimmast ist carminroth. a und b sind Oberlippe und Unterlippe. Sie sind wie die Körpercontouren und der Darmcanal blau. c ist das rudimentäre Rückenorgan, gelb; d ist die Leberanlage, e die erste Andeutung des Zoenschildes, gleichfalls gelb. Der Embryo ist zunächst von einer orangegelben Linie umschlossen, welche die Larvenhaut, dann von einer dunkelrothen, welche das Chorion repräsentirt. Fig, 3. Späteres Stadium. Bezeichnung dieselbe. Neu sind XIX, die gabelförmigen Anhänge des letzten Postabdominalsegments, f der kleine Anhang des Kiemenapparates. Das Chorion ist bereits abgestreift. (NB. Gliedmaasse VI ist unrichtigerweise ganz grün angegeben. Es hätte vielmehr der lange äussere Ast roth sein müssen, da er dem Schwimmast homolog ist.) Fig. 4 und 5. Spätere Stadien, in denen die Lagerung des Embryo sich wesentlich dem Decapodentypus genähert hat. h Herz. ¿ Darmcanal. k Auge. l Drüse an der Basis der unteren Antennen. Die Larvenhaut ist gesprengt, das Rückenorgan verschwunden. Fig. 6. Zum Verlassen des Brutsackes reifer Embryo. g bedeutet die Stelle, wo der grosse Kiemenapparat am Körper mittelst eines Stranges befestigt ist. Fig. 7. Herz und Gefässe einer Cuma. Q Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. 81 Tafel III. Fig. A. Cuma (Bodotria) longipes &. Fig. 2 bis 45. Cuma trispinosa Q. 2 erste, 3 zweite Antenne, 4 Unterlippe, 5 Mandibel, 6 und 7 erste und zweite Maxille, letztere mit dem nach hinten gerichteten und als Kiemenfeger wirkenden Aste a. 8 und 9 erste und zweite Maxilli- peden, 40 und 44 die beiden grossen nach vorn gerichteten und in den Dienst des Mundes gezogenen Gnathopoden. 42 und 43 die bei- den nächsten Extremitäten mit den dazugehörigen Segmenten. 44 der grosse Kiemen- oder Strudelapparat. 45 Das kleine, bewegliche Stück desselben an der Spitze des langen Canals. b harte Wandung, a Innenrand, c und d zusammenzuhaltende Membranen. Fig. 46. Die unteren Antennen von Cuma Goodsiri Q. Fig. 47. Postabdominalsegment von Cuma Goodsiri ğ, mit der Anlage der Schwimmbeine. i a Die beiden Aeste der Schwimmbeine, c die alte Cuticula, b die neue Hypodermis. BEV l 6 Ueber die Monochlorerotensäure und ihre Salze. Von Dr. Otto Froelich. Das bei der Einwirkung von Phosphorsuperchlorid (2 Mgt.) auf Aethyldiacetsäure (1 Mgt.) entstehende Product liefert — in kalt ge- haltenes Wasser gegossen — zwei neue chlorhaltige Säuren, beide krystallisirt und unter sich isomer, und ausserdem ein Oel, das sich der Hauptsache nach als der Aethyläther jener erweist. Die eine der Säuren besitzt den Schmelzpunkt 940, ist in Wasser sehr leicht löslich und destillirt mit Wasserdämpfen nur schwer über; die andere schmilzt bei 590,5, ist in Wasser nur wenig löslich und geht mit Wasserdämpfen sehr leicht über. Die letztere Säure, welche allein bis jetzt einer eingehenderen Untersuchung unterworfen worden ist, hat Herr Professor Gruruer mit dem Namen »Monochlorcrotonsäure« belegt, da dieselbe. die empirische Zusammensetzung GH5CIO? 1) besitzt und mit Natrium-Amalgam be- handelt, die von Schlippe aus Crotonöl erhaltene Grotonsäure liefert. Durch wiederholte Destillation mit Wasser wird die rohe Mono- chlorerotonsäure von anhängendem- Farbstoff befreit und stellt dann weisse, sehr leichte, nadelförmige Krystalle dar. Aus concentrirter, wässeriger Lösung scheidet sie sich in farblosen, durchsichtigen, vier- seitigen Prismen mit schief angesetzter Endfläche aus. Vollständig rein wird sie durch Destillation für sich erhalten, wobei sie nicht im Min- desten eine Zersetzung erleidet und geringe Spuren von einem harz- artigen Körper hinterlässt. 1)C= 12, 0= 46. Í '] f $ Ueber die Monochlorerotonsäure und ihre Salze, 83 I. Analyse der mit Wasserdämpfen wiederholt destillirten Säure. 0,2140 Grm. der über Schwefelsäure getrockneten Krystalle lieferten bei der Verbrennung mit Kupferoxyd 0,3064 Grm. Kohlensäure, entsp. 0,083482 Grm. — 39,0 Proc. Kohlenstoff und 0,0864 Grm. Wasser, entspr. 0,0096 Grm. = 4,5 Proc. Wasserstoff. Ferner gaben 0,2028 Grm. der über Schwefelsäure getrockneten Säure mit Aetzkalk verbrannt und in salpetersaurer Lösung mit Silber- nitrat gefällt 0,2426 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,060016 Grm. — 29,5 Proc. Chlor. Il. Analyse der durch Destillation für sich gereinigten Säure. =» 0,2754 Grm. der über Schwefelsäure getrockneten Säure gaben 0,4010 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,109364 Grm. = 39,7 Proc. Kohlenstoff und 0,1072 Grm. Wasser, entspr. 0,011911 Grm. = 4,3 Proc. Wasserstoff. ber. gef. 1 T E R 39,8 39,0 39,7 We 5 kA 4,5 4,3 Cl = 35,5 29,5 29,9 — 02 — 32 26,6 — Fa 180,5 400,0. Die reine Monochlorcrotonsäure schmilzt bei 590,5 zu einer farb- losen Flüssigkeit, die bei 550,5 wieder krystallinisch erstarrt. Ueber ihren Schmelzpunkt erhitzt, sublimirt sie zum Theil und geräth ins Sieden bei 1940,8 (corr.); das flüssige Destillat erstarrt sehr rasch zu einer weissen, dichten Masse von krystallinischer Structur. Sie besitzt einen schwachen, etwas stechenden Geruch und sauren Geschmack, der anfangs angenehm, aber schliesslich kratzend und widerlich ist. Flüchtig ist sie in bedeutendem Maasse: in verschlossenen Gefässen aufbewahrt, sublimirt sie schon bei Zimmertemperatur. In Wasser ist sie in nicht grosser Menge löslich: hei 7% lösen 79 Gewichtstheile Wasser 4 Gew. Säure. Dagegen von Alkohol und Aether wird sie sehr leicht und in bedeutender Quantität aufgenommen. Sie ist eine ziemlich starke Säure: die kohlensauren Salze zersetzt sie sehr rasch, meist schon in der Kälte, doch ist sie schwächer als Essigsäure, wie der Umstand beweist, dass das in Wasser sehr schwer ‚lösliche Kupfersalz der Monochlorcrotonsäure von Essigsäure leicht ge- löst wird und dann beim Abdunsten die erstere Säure neben Kupfer- acetat auskrystallisirt. Ihrer Basicität nach ist sie unter die einbasischen en 6* 84 Dr, Otto Froelich, Säuren zu stellen, denn sie giebt mit derselben Basis im Allgemeinen nur ein Salz. Ein saures Natronsalz konnte wenigstens nicht erhalten werden, da die zu der Auflösung des neutralen Natronsalzes gefügte, sich dafür berechnende Menge Säure beim allmählichen Abdunsten der Lösung über Schwefelsäure allein auskrystallisirte. Dagegen scheint das Ammoniak- den unten angeführten analytischen Resultaten gemäss ein saures, also richtiger bezeichnet: ein sogenanntes übersaures Salz zu bilden. Die Salze der Monochlorerotonsäure sind meist beständig und krystallisirbar und enthalten alle bis auf das Silbersalz Krystallwasser ; sie lösen sich fast sämmtlich in Wasser, grossentheils auch in Alkohol. Zu ihrer Darstellung kann ohne Weiteres die mehrmals mit Wasser- dämpfen destillirte Säure angewendet werden, da der beigemengte harzartige Körper sich beim Neutralisiren mit irgend welchem Carbonat abscheidet. Monochlorcrotonsaures Kali, C4H+C10?,K + H2O. Wird durch Neutralisiren der Säure mit kohlensaurem Kali und durch allmähliches Abdunsten der Lösung über Schwefelsäure in kleinen farblosen Tafeln und Nadeln erhalten, die dem rhombischen System anzugehören scheinen. Die Krystalle sind sehr leicht löslich und werden bei längerem Liegen an der Luft feucht; andererseits ver- wittern sie im Exsiccator über Schwefelsäure sehr rasch. 0,3363 Grm. der auf Fliesspapier an der Luft getrockneten Krystalle verloren über Schwefelsäure 0,0316 Grm. = 9,5 Proc. und im Luftbad bei 4100—1020 im Ganzen 0,0345 Grm. = 10,3 Proc. Wasser. Die getrocknete Salzmasse gab 0,1663 Grm. Kaliumsulfat, entspr. 0,074759 Grm. = 22,2 Proc. Kalium. Die Formel verlangt 10,2 Proc. Krystallwasser und 22,2 Proc. Kalium. Für das entwässerte Salz berechnet sich der Kaliumgehalt auf 24,7 Proc. [gef. 24,6 Proc.]. Monochlorerotonsaures Natron, 2[C!H*CIO2,Na] + 120. Analog dem Kalisalz dargestellt, bildet dasselbe atlasglänzende, concentrisch gruppirte, oder auch federförmig an einander gereihte Krystalle von weisser Farbe, ebenfalls in Wasser und Alkohol sehr leicht löslich, über Schwefelsäure langsam verwitternd. 0,3772 Grm. der lufttrockenen Krystalle verloren im Luftbad bei 100—103° 0,0253 Grm. ==6,7 Proc. Wasser und lieferten 0,1764 Grm. Natriumsulfat, entspr. 0,0571444 Grm. =15,1 Proc. Natrium. Die Formel verlangt 15,2 Proc. Natrium und 6,0 Proc. Krystall- wasser, | | | | Ueber die Monochlorerotonsäure und ihre Salze, 85 Monochlorcrotonsaures Ammoniak, C+H4CIO?2 (H!N)+ G4111C102,H + H2O. Die Lösung der Säure in überschüssigem Ammoniak scheidet, über Schwefelsäure gestellt, nach und nach ein Salz in weissen, krystallinischen Krusten ab. 0,3602 Grm. des lufttrockenen Salzes verloren im Exsiecator über Schwefelsäure 0,0264 Grm. = 7,3 Proc. Krystallwasser ; die Formel verlangt 7,4 Proc. Ferner gaben 0,2970 Grm. des entwässerten Salzes bei der Ver- brennung 0,4093 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,111627 Grm. = 37,6 Proc. Kohlenstoff und 0,1395 Grm. Wasser, entspr. 0,0155 Grm. — 5,2 Proc. Wasserstoff. ber. gef. “ws 96 37,2 37,6 H — 13 5,0 5,2 a — 71 27,6 = N =14 5,4 = 0: = 64 24,8 -— 258 100,0 Monochlorcrotonsaurer Baryt, G!H!CIO2,Ba-+ H2O. Wird erhalten durch genaues Neutralisiren mit Barytwasser oder durch Zer- setzen von kohlensaurem Baryt: die erste Methode liefert bei Anwen- dung der nur mit Wasserdämpfen destillirten Säure gelb gefärbte; die letztere hingegen farblose und durch starken Glanz ausgezeichnete Krystalle. Dieselben stellen meist vierseitige Prismen mit schief ange- Setzter Endfläche dar, erscheinen aber auch mitunter abgeplattet in Tafelform. In Wasser leicht löslich. Lassen über Schwefelsäure ge- stellt, keine Verwitterungsstellen wahrnehmen. 0,5823 Grm. des lufttrockenen Salzes verloren bei 400—1050 0,0534 Grm. = 9,2 Proc. Wasser und gaben 0,3254 Grm. Baryumsulfat, entspr. 0,19133 Grm. = 32,9 Proc. Baryum. Die Formel verlangt 8,8 Proc. Krystallwasser und 33,3 Proc. Baryum. Monochlorcrotonsaurer Kalk, 2[CHG102,Ca] + 3 H20. Stellt mittelst kohlensauren Kalks gewonnen einfache tetragonale, weist hohle Prismen dar, die anfangs farblos und durchsichtig sind, aber in Folge der Verwitterung schr rasch matt und weiss werden. In Wasser leicht löslich. Ueber Schwefelsäure gestellt, verlieren sie das Krystallwasser vollständig. ante a Dr, Otto Froelich, 0,3250 Grm. der lufttrockenen, nur an einigen wenigen Stellen eben erst verwitterten Krystalle verloren bei 100—1040 0,0537 Grm. = 16,6 Proc. Wasser [ber. 16,2 Proc.]. Ferner lieferten 0,2930 Grm. des entwässerten Salzes mit Oxalsäure gefällt und vor dem Gebläsefeuer geglüht 0,0581 Grm. Kalk entspr. 0,0445 Grm. =4 4,2 Proc. Galeium [ber. 14,4 Proc.]. Monochlorerotonsaure Magnesia, 2[G4N?C1O2, Mg] + 5H?O. Krystallisirt, dem Kalksalz analog dargestellt, in farblosen, durch- sichtigen, dünnen Tafeln, die dem monoclinen System angehören. In Wasser sehr leicht löslich. Verwittert allmählich selbst in gut ver- korkten Gefässen,, sehr rasch über Schwefelsäure. 0,3690 Grm. der lufttrockenen, nur an einzelnen Stellen eben erst verwitterten Krystalle verloren bei 100 — 1050 0,0971 Grm. — 26,3 Proc. Wasser [ber. 25,5 Proc.]. Der hierbei gebliebene Salzrückstand löste sich bis auf eine geringe Spur schon in kaltem Wasser. auf; eine etwa vor sich gegangene Zersetzung — Verflüchtigung von Säure — kann demnach nur unbedeutend gewesen sein. Vom Eisen selbst konnte kein wohl charakterisirtes Salz erhalten werden, dagegen sehr schön krystallisirende von den übrigen Metallen der Eisengruppe mittelst der betr. Carbonate. Monochlorerotonsaures Nickeloxydul, (C!H1G102)2Ni + 6H?0. Krystallisirt in regelmässig ausgebildeten rhombischen Tafeln von hellgrüner Farbe, die sich in Wasser sehr leicht lösen und über Schwefelsäure rasch verwittern, eine weisslich grüne Färbung an- nehmend. 0,3157 Grm. der Jufttrockenen Krystalle verloren bei 100 bis 103% 0,0856 Grm. = 27,1 Proc. Wasser |ber. 26,6 Proc.]. Monochlorcrotonsaures Kobaltoxydul, (C4H!CIO2) 2Co + 6H?0. Bildet ebenfalls einfache rhombische Tafeln, die eine pfirsich- blüthrothe Farbe und starken Glanz besitzen. Leicht löslich in Wasser. Ueber Schwefelsäure verwittern die Krystalle sehr rasch, indem ihre Farbe in Violett und Blau übergeht. 0,3677 Grm. der lufttrockenen Krystalle verloren bei 100 bis 1049 0,0989 Grm. = 26,8 Proc. Wasser [ber. 26,6 Proe.]. Monochlorcrotonsaures Manganoxydul, (C’H!CIO2)2?Mn+ 2H?0. Scheidet sich aus der wässerigen Lösung in farblosen, rhom- bischen Krystallen aus; es sind meistens dicke Tafeln, die namentlich auf der Basis stark glänzen. In Wasser sehr leicht löslich. Verwittert über Schwefelsäure sehr langsam, einen schwach röthlichen Schein annehmend. | | En nis Ueber die Monochlorerotonsäure und ihre Salze, 87 0,3876 Grm. der lufttrockenen Krystalle verloren bei 100 bis 105° 0,0425 Grm. = 10,9 Proc. Wasser [ber. 11,0 Proc.]. Monochlorcrotonsaures Zinkoxyd, 2[(C!H4C1O2) 2Zn] + 5H2O.. Stellt farblose, glänzende rhombische Krystalle dar, meist in Tafelform. In Wasser ziemlich leicht löslich. Verwittert nicht an der Luft, selbst nicht über Schwefelsäure. 0,4282 Grm. des über Schwefelsäure getrockneten Salzes verloren bei 400—1050 0,0550 Grm. = 12,8 Proc. Wasser [ber. 12,9 Proc.] und gaben 0,4040 Grm Zinkoxyd, entspr. 0,0841099 Grm. = 19,0 Proc. Zink [ber. 18,7 Proc.]. Monochlorcrotonsaures Thalliumoxydul. Neutralisirt man die mit Wasser übergossene Säure unter Erwärmen mit kohlen- Saurem Thalliumoxydul, so scheidet sich schon während des Erkaltens ein weisses, fein krystallinisches Pulver aus; bei weiterem Abdunsten der Lösung schiessen schliesslich farblose, langgestreckte Tafeln an, die dem monoclinen System angehören. Ob die beiden Formen ver- schiedene Zusammensetzung haben, ist nicht entschieden worden; der letzteren kommt gemäss der vorgenommenen Wasserbestimmung die Formel : (G'H+C102)?Th + H2O zu. 0,1952 Grm. der lufttrockenen Krystalle verloren nicht an Gewicht über Schwefelsäure, dagegen im Luftbad bei 104° 0,0049 Grm. = 2,5 Proc. Wasser [ber. 2,7 Proc.]. Monochlorerotonsaures Bleioxyd, (Q4H4010?)?Pb + 4120. Durch längeres Digeriren von Bleiweiss mit den Säurekrystallen in Wasser erhalten, stellt dasselbe weisse, seidenglänzende , concentrisch sruppirte Nadeln dar, die ziemlich schwer in Wasser sich lösen und über Schwefelsäure ‘allmählich verwittern. 0,3242 Grm. der lufttrockenen Krystalle verloren bei 100 bis 103° 0,0407 Grm. = 142,7 Proc. Wasser |ber. 13,9 Proc.] und lieferten 0,1876 Grm. Bleisulfat, entspr. 0,128162 Grm. = 39,9 Proc. Blei [ber. 40,0 Proc.] Monochlorcrotonsaures Kupferoxyd. Erwärmt man frisch Sefälltes kohlensaures Kupferoxyd mit den Säurekrystallen in Wasser, So nimmt dieses nur eine ganz schwachbläuliche Färbung an, dagegen bildet sich ein schr schwer lösliches, krystallinisches Kupfersalz. Aus der kochend heiss filtrirten Lösung scheiden sich beim allmählichen Abdunsten über Schwefelsäure zweierlei Arten von Krystallen aus: thombische Prismen von blauer Farbe und tetragonale Gombinationen von Prisma und Pyramide, dunkelgrün gefärbt. Die erstere Art nimmt im Luftbad schon bei 80° die grüne Farbe der anderen an ; umgekehrt wird letztere, mit Wasser erwärmt, allmählich blau: beide unter- BONN 88 Dr. Otto Froelich, scheiden sich demnach wahrscheinlich nur durch einen verschiedenen Gehalt an Krystallwasser. Die Entstehung der verschiedenen Formen hängt — soweit die Untersuchungen reichen — von der Temperatur allein ab: bei der einen Darstellung im Frühjahr krystallisirten beide zusammen, bei der zweiten im Sommer nur die grüne aus unter gleichen Bedingungen bereiteten Lösungen. Ueber Schwefelsäure ver- wittern sie allmählich. 0,3035 Grm. der lufttrockenen grünen Krystalle verloren bei 100 — 102° 0,0235 Grm. = 7,7 Proc. Wasser und gaben 0,0740 Grm. Kupferoxyd, entspr. 0,059088 Grm. = 19,5 Proc. Kupfer. Ihnen kommt demnach die Formel: 2| (C4H4C102?)2Cu] + 3 R20, zu, welche 8,2 Proc. Krystallwasser und 19,2 Proc. Kupfer verlangt. Beim Versetzen einer Lösung von monochlorcrotonsaurem Natron mit neutraler Lösung von Kupfersulfat oder Kupferacetat entstehen krystallinische Niederschläge, die, ausgewaschen und getrocknet, im ersteren Falle ein blaugrünes, im letzteren ein hellblaues Pulver dar- stellen. Ueber Schwefelsäure verwittern beide Salze, indem ihre Farbe immer lichter wird; im Luftbad bis 100% erwärmt, nehmen sie die Farbe des Schweinfurter Grün an. Auf dem Platinblech erhitzt, zer- setzen sie sich unter schwacher Explosion und Ausstossung eines sauren und stechend riechenden Dampfes. Im Röhrchen schwach erwärmt, geben sie Wasser und ziemlich viel unzersetzte Säure ab. Die Quecksilbersalze der Monochlorcrotonsäure schei- nen ebenfalls wohl charakterisirte Verbindungen zu sein. Die Säure löst gefälltes Quecksilberoxyd allmählich auf unter gleichzeitiger Ab- scheidung eines weissen, feinen Krystallpulvers, das nur in vielem heissen Wasser löslich ist. Beim Versetzen einer neutralen Lösung von unserem Natronsalz mit einer solchen von salpetersaurem Quecksilber- oxydul fällt sofort ein ebenfalls fein krystallinischer Niederschlag von weisser Farbe, in heissem Wasser nur wenig löslich, Monochlorerotonsaures Silberoxyd, (G’H!CIO2) 2Ag. Durch Fällung des Natronsalzes mit Silbernitrat gewonnen, stellt das- selbe einen weissen, krystallinischen Niederschlag dar, der in kaltem Wasser fast unlöslich ist. Beim allmählichen Abdunsten einer heiss- gesättigten Lösung setzen sich atlasglänzende, am Lichte sich rasch schwärzende Blättehen, meist federförmig an einander gereiht, an den Gefässwandungen ab. Das lufttrockene Silbersalz verliert weder über Schwefelsäure noch bei einer Temperatur von 100—105% an Gewicht; es enthält demnach kein Krystallwasser. : | Ueber die Monochlorerotonsäure und ihre Salze. 89 Monochlorcrotonsäure-Aethyläther, G!H!CGIO2(C2HB). Wird dargestellt, indem man die Säurekrystalle mit etwa der doppelten Menge absolutem Alkohol, der mit Salzsäuregas gesättigt worden ist, übergiesst und das Gemisch gut verschlossen mehrere Tage bei gelin- der Wärme digerirt. Nach mehrmaligem Schütteln löst sich die Säure auf und es bildet sich eine homogene Flüssigkeit, aus der sich auf Zusatz von Wasser ein ziemlich schwerflüssiges, zu Boden sinkendes Oel ausscheidet. Mit einer verdünnten Lösung von kohlensaurem Natron gewaschen und schliesslich mit Ghlorcaleium entwässert, destillirt dasselbe fast vollständig zwischen 158 und 159% über. Von der Fraction, 158 — 159%, gaben 0,2175 Grm. bei der Verbrennung 0,3875 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,105656 Grm. — 48,6 Proc. Kohlenstoff und 0,1198 Grm. Wasser, entspr. 0,013314 Grm. = 6,1 Proc. Wasserstoff. Ferner lieferten 0,1558 Grm. nach der Verbrennung mit Actzkalk 0,1564 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,03859 Grm. = 24,7 Proc. Chlor. ber. gef. U- e 18,5 18,6 H= 9 6,1 6,4 Gl 355 23,9 24,7 0? = 32 45 = URS A Der Monochlorerotonsäure - Aethyläther ist eine farblose, ölige Flüssigkeit von angenehm aromatischem Geruch und kühlendem Ge- schmack. Er besitzt den corr. Siedepunkt 161,4 und bei 15° das specifische Gewicht 1,113. In Wasser nur wenig löslich, dagegen leicht in Alkohol und Aether. Reagirt nicht auf Pflanzenfarben, weder für sich, noch mit Wasser. Mit einer Lösung von kohlensaurem Natron wird er beim Erwärmen umgesetzt in Natronsalz und Alkohol. Monochlorerotonsäure-Methyläther, G!H?CIO2(CH3). Analog dem vorigen erhält man beim längeren Stehenlassen von Säure- krystallen und von mit Salzsäuregas gesättigtem Methylalkohol eine ölige Verbindung, die bis auf unbedeutende Mengen zwischen 139 und 1410 überdestillirt. Von dieser Fraction lieferten 0,2848 Grm. bei der Verbren- nung 0,4642 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,1266 Grm. — 44,4 Proc. Kohlenstoff und 0,1403 Grm. Wasser, entspr. 0,015589 Grm. = 5,5 Proc. Wasserstoff. 90 Dr. Otto Froelich, Ueber die Monochlorerotonsäure und ihre Salze. Die analysirte Verbindung ist also der reine Methyläther unserer Säure: ber. gef. C5 — 60 14,6 44,5 He | 5,2 5,5 Gl = 35,5 26,4 au we ou 23,8 — BE 100,0. Der Monochlorerotonsäure-Methyläther ist ebenfalls eine farblose, ölige Flüssigkeit von durchdringendem ätherischen Geruch und stark kühlendem Geschmack ; er siedet bei 1420,4 (corr.) und hat bei 15 das specifische Gewicht 1,143. In Alkohol weniger löslich als der Aethyläther, in Wasser fast unlöslich. Jena, 22. Decbr. 1868. | f i | | { | } f l | l Einige Worte über die Emtwickelungsgeschichte und den morphologischen Werth des kugelförmigen Organes der Amphipoden. Von Emil Bessels. Eine der Anforderungen, welche die Descendenztheorie an die ‚Entwickelungsgeschichte stellt, besteht darin, zu untersuchen, ob sich bei Mitgliedern einer Thierclasse, die das Ei dem Mutterthiere an Ge- stalt ähnlich verlassen, während andere eine Metamorphose durch- machen, nicht noch Spuren einer ehemals stattgehabten Metamorphose auffinden lassen, um auf diese Weise die Abstammung von einem ge- meinsamen Urahnen festzustellen. Beim Studium der Embryologie der Amphipoden, drängte sich mir die Vermuthung auf, ob nicht etwa das seit längerer Zeit bekannte kugelförmige Organ ein solches Residuum sei, indem z. B. während der ersten Zeit der.embryonalen Entwickelung der Spinnen ein ähn- liches Gebilde auftritt, das gleichfalls nur kurze Zeit persistirt. t) Während eines kurzen Besuches in Jena theilte ich Herrn Dr. Donrn diese Ansicht mit. Ich war in hohem Grade erfreut, als mir derselbe sagte, er sei zu einer ähnlichen Auffassung gelangt, die ich in Folgen- dem mittheilen will, und habe bereits über diesen und andere Puncte einen kleinen Aufsatz veröffentlicht. ?) Diese Publication war mir 4) In seinen: »Recherches sur l'évolution des Araigndes« sagt CLAPARÈDE: »Je wai pu lire le travail de Mr. pe LA VALETTE sans être frappé de l'identité de position de cet organe (kugelf. Organ) avec le cumulus primitiv des araignées« — Und weiter: »Il serait intéressant de rechercher jusqu à quel point le cumulus primitiv des Araignées ne pourrait pas être consideré comme le rudiment d'un organe bien plus développé chez les Amphipodes« (p. 44). 2) On the morphology of the Arthropoda im Journal of anatomy and physiology. Vol. II. p. 80: j 92 Emil Bessels, entgangen; auch war ich nur kurze Zeit nach dem Erscheinen dieser geistvollen Arbeit in Jena. — Dass ich diese Zeilen erst jetzt publicire, hat seinen Grund darin, dass mir vor etwa 8 Monaten, während meiner Rückkehr von der Nordsee, eine Mappe gestohlen wurde, die meine ganze wissenschaft- liche Ausbeute enthielt, worunter sich auch dieser Aufsatz, fertig niedergeschrieben, in etwas erweiterter Form und die betreffenden Abbildungen befanden. Während des Sommers erlaubte mir meine Zeit nicht, die Untersuchung über diesen Gegenstand an unseren Süsswasser-Amphipoden wieder aufzunehmen. Jetzt, wo mir dies vergönnt wäre, fehlt es mir an Material, indem sonderbarerweise sämmtliche Gammarusarten das Fortpflanzungsgeschäft eingestellt haben. Um nun die Veröffentlichung dieses Aufsatzes nicht noch weiter hinaus- zuschieben, sehe ich mich genöthigt, denselben ohne die zur Erläute- rung dienenden Abbildungen zu publieiren. Nur zwei Figuren in Holzschnitt, die unbedingt nothwendig sind, wurden beigegeben. Um mich dem gewohnten Herkommen zu fügen, will ich nun kurz den geschichtlichen Theil unseres Gegenstandes zu entwickeln suchen. Rartuke, !) dem wir die erste und bis jetzt einzige Arbeit über die Embryologie der Amphipoden verdanken, hat das in Rede stehende Organ nicht gekannt, was wohl den mangelhaften optischen Hülfs- mitteln der damaligen Zeit zuzuschreiben ist. Erst Meissner thut dessen Erwähnung, bei Gelegenheit seiner hübschen Arbeit vüber das Eindringen der Samenelemente in den Dotter«?), und glaubt dasselbe als Micropyle beanspruchen zu müssen, obschon- er sagt, dass „das Ghorion überall ge- schlossen sei und sich die Micropyle nur in der Dotter- haut befinde.« Er vermeint aus diesem Umstande folgern zu dürfen, dass »das Eindringen der Samenelemente früher ge- schehen muss, als sich das Chorion bildet.«e Wenn unser Autor die Micropyle van einen der Pole (wahrscheinlich den unteren) des ovalen Eies« verlegt, so beruht dies auf einem Missversländniss. i DE LA VALETTE machte hierauf zuerst aufmerksam in seinen »Stu- dien über die Entwickelung der Amphipoden«°), in wel- 4) Zur Morphologie, Reisebemerkungen aus Taurien, p. 72. 2) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. VI. p. 284. 3) Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle. Bd. V. p. 163. | | | } j | | | i | | i | | | | Einige Worte über Entwickelungsgeschichte und morphologischen Werth ete. 93 cher Abhandlung er dem kugelförmigen Organ eine grössere Aufmerk- samkeit schenkt, das er indessen, ebenso wie sein Vorgänger, als Micropylapparat anspricht. — Weiter unten werden wir noch mehr- mals von dieser Arbeit zu reden haben. In seiner geistreichen Schrift »Für Darwin« macht Frırz MÜLLER auf den Unterschied aufmerksam, der zwischen genanntem Organ und einem Micropylappärate besteht, sich namentlich auf die Thatsache stützend, dass bei dem Amphipodenei das Chorion keinerlei Durch- bohrung zeige. Auch »vermochteersichnichtzu überzeugen, dass überhaupt die sogenannte»innere Eihaut« wirklich eine solche sei und nicht etwa eine erst nach der Be- fruchtung gebildete früheste Larvenhaut, wie man im Hinblick auf Ligia, Gassidina und Philoscia annehmen möchte« (p. 50). Ich glaube nun, dass van Beneven und ich hierzu den Beweis lieferten, indem wir zeigten, dass das in der Furchung begriffene Ei. von Gammarus locusta nur von einer einzigen Mem- bran, vom Chorion umgeben ist. !) Das ganze Organ erinnerte unseren trefflichen Forscher an die Verbindung der jungen Asseln mit der Larvenhaut und an das unpaare Haftorgan in dem Nacken der Wasserflöhe. Wir meinen indess, dass man in dem Vergleiche noch etwas weiter gehen kann, und wollen das jetzt versuchen. Dabei wird es freilich nöthig sein, einige embryo- logische Daten aus der Entwickelung der Amphipoden mit ins Auge zu fassen, die, streng genommen, nicht zur Sache gehören. Wenn die Eier der Amphipoden in das Marsupium des Mutter- thieres gelangt sind, so beginnen sie ihre Entwickelung. Bei einigen Arten nimmt dieselbe mit der Furchung ihren Anfang, bei anderen wird dieser Process geradezu übersprungen, so dass die erste Ver- änderung in einer Zerklüftung des Dotters besteht, der eine Theilung des Keimbläschens in ebenso viele Parthieen vorangeht, als Dotter- schollen vorhanden sind. Die einzelnen Theile des Keimbläschens ge- langen nach der Peripherie, treten aus dem sie bisher umgebenden Dotter hervor und vermehren sich durch Theilung, bei welchem Process sie sich auf Kosten des unterliegenden Dotters noch etwas vergrössern. 4) Resume d’un mémoire sur le mode de formation du Blastoderme dans quel- ques groupes de crustacés ; par E. VAN BENEDEN et E. BESSELS. Bulletin de academie royale de Belgique. 2me série, tome XXV, No. 5, p. 443. 1868. BEN 94 Emil Bessels, Nicht an allen Stellen der Eioberfläche treten die Blastodermzellen gleichzeitig hervor, was man schr deutlich bei Gammarus pulex, Gammarus puteanus und Gammarus Roeselii bemerken kann; bei Gammarus locusta, dessen Entwickelung eine totale Furchung voran- geht, ist dies weniger leicht ersichtlich. Wenn ich mich nicht täusche, so können wir wohl sagen, dass da, wo die erten Blastodermzellen auftreten, sich das kugelförmige Organ entwickelt. Wenigstens glaube ich mich bei einem Ei hiervon überzeugt zu haben, das ich vermittelst eines Goconfadens in bestimmter Lage auf einem Objectträger festhielt. Nie bemerkt man das Auftreten der ersten Keimhautzellen an einem der Pole, sondern immer an einer Stelle, die der kleinen Axe des Eies näher liegt als diesen. Nachdem die Blastodermzellen in gedrängt gelagerter, einfacher Schichte den Dotter vollständig umhüllen, platten sie sich an ihren Berührungsstellen unregelmässig gegen einander ab, die halbkugeligen Erhebungen, die sie anfangs darstellten, werden undeutlicher, ihre Oberflächen ebnen sich. Alsbald gewahrt man, wie sich von der Oberfläche des Blastoderm eine Membran abhebt, sich an der Peripherie des Eies als feine Linie zeigend, an welcher man in der Mehrzahl der Fälle noch die einzelnen Biegungen der Keimhaut bemerken kann, die sich ihrerseits nach diesem Vorgange etwas zusammenzieht. Diese Membran ist die Larvenhaut, die sogenannte »innere Eihaut« der Autoren. Sie hat, wie dies ra Varerte schon bemerkt, ein etwas chagrinirtes Aussehen, hervorgerufen durch die ihr Ursprung gebende Matrix. Beiläufig sei hier bemerkt, dass, wenn man bei ziemlich weit entwickelten Eiern nur eine Eihaut wahrnimmt, diese in allen Fällen das Chorion dar- stellt, wie dies Meissner meint, und nicht, wie La Varerre glaubt, die Dotterhaut, welche wir, wie eben bemerkt, als Larvenhaut aufzufassen haben. !) Nur an einer Stelle löst sich die Larvenhaut nicht von ihrer Matrix ab: da, wo sich das kugelförmige Organ bildet. (Beim Embryo kommt das Organ in das vierte vordere Segment zu liegen; Kopf als erster gerechnet). Auch vermehren sich hier die Blastodermzellen bis jetzt nicht so stark, als an den übrigen Puncten des Eies; obschon sich dieser Theil der Keimhaut zuerst bildet, persistiren hier die Primaerzellen am längsten. Nach und nach wird die Larvenhaut glatt, wobei sie sich nicht selten dem Ghorion innig anschmiegt, was wohl 4) Wie mir Dourn brieflich mittheilt, fand er bei einem Amphipoden der Kieler Bucht gleichfalls die Larvenhaut. | | | Einige Worte über Entwiekelungsgeschiehte und morphologischen Werth etc. 95 öfter dazu beitragen mag, ihr Auffinden etwas zu erschweren. Geht man indess von der Bildungsstätte des kugelförmigen Organs aus, so wird man dieselbe immer zu erkennen vermögen. Was nun die Weiterentwickelung des Organs anlangt, so nimmt dieselbe einen so unregelmässigen Gang, dass es schwer hält, in kurzen Worten ein Bild davon zu entwerfen. Wir haben dieselbe bei verschiedenen marinen Amphipoden verfolgt, sowie bei den Gammaren des süssen Wassers. Leider sind mir, wie vorher schon bemerkt, alle Zeichnungen über diesen Gegenstand abhanden gekommen, und einige kurze Bemerkungen , die sich nicht in der Mappe befanden, sind mir noch geblieben. Mit Hülfe dieser und des Gedächtnisses will ich den weiteren Entwickelungsgang nun schildern. In Bezug auf die Be- schreibung des fertig gebildeten Organs, verweisen wir auf La VALETTE’S und Mrissner’s Arbeiten. !) An dem Theile der Eioberfläche, welcher zur ventralen Seite des ‚ Embryo wird, verdickt sich das Blastoderm beträchtlich, um den Keimstreif darzustellen, während sich dasselbe an allen übrigen Stellen bedeutend verjüngt. Nur da, wo die Larvenhaut noch mit der unter ihr liegenden Matrix in Verbindung steht, nehmen die Zellen an Masse nicht ab, sondern sie vermehren sich im Gegentheil durch Theilung, bis sie ein mehr oder minder rundliches Gebilde darstellen, dessen untere Hälfte in den Dotter hineinragt, während die obere etwas ab- geplattet nach aussen vorspringt. Etwas später wächst das Blastoderm an der Bauchseite in den Dotter hinein, diesen in zwei ungleiche Theile spaltend, wovon der grössere zum Kopftheil des Embryo wird, wäh- rend sich der andere zum Hinterende heranbildet. Sobald die Extre- mitäten als kleine Wülste hervorzusprossen beginnen, gewahrt man im Innern des bisher massiven Zellenhügels, dessen Ernährungsverhält- nisse sich nun allem Anscheine nach verändern, einen Zerfall der ihn »usammensetzenden Zellen, indem sich dieselben in eine fein granulirte Masse auflösen, die sich dann allmählich verflüssigt. Auf diese Weise kommt ein mit Flüssigkeit erfüllter Canal zu Stande, der sich schliess- lich nach aussen öffnet, indem die hier ihrer Matrix noch aufliegende, wenig derbe Cuticula resorbirt wird. Im Lumen des Canals, der die Autoren veranlasste, das kugelförmige Organ als Mieropyle zu be- trachten, bildet sich jetzt ebenfalls eine Cuticula, gleichsam eine Fort- setzung der Larvenhaut darstellend, welche letztere um den Rand der so entstandenen Oeffnung eine wulstige Verdickung erfährt. Wahrschein- lich entsteht dieser verdickte Rand aus dem in dem Canal enthaltenen --—— 22. 4) a. a. O. 96 Emil Bessels, Plasma, das beim sich Oeffnen desselben hervorquillt und hier erhärtet. Nicht selten bildet sich ein zapfenartiges Gebilde an der nach aussen gerichteten Oeffnung, dessen Entstehung sich auf dieselbe Weise er- klären lässt. Das nach aussen gerichtete Ende des Zapfens variirt ungemein in seinem Verhalten. Bald ist dasselbe biscuitartig gestaltet, von zwei oder mehreren Oeflnungen durchsetzt, bald bildet es eine schmale, kaum zu gewahrende Brücke üher die Oefinung des Canals, oder endlich besitzt es eine unregelmässig kugelige Form. Häufig bildet sich gar kein Ganal, sondern es entsteht auf der ganzen in den Embryo ragenden Oberfläche des Gebildes eine Guticula, worauf sich dann die im Innern befindliche Zellmasse in eine fein granulirte Substanz auflöst. Ein anderer Fall, der eintreten kann, ist der, dass jede der das Organ constituirenden Zellen eine dicke Membran abscheidet, Später diffundirt der Zellinhalt durch die Wandung der Zellen, und die leeren, etwas geschrumpften Zellmembranen sind dann in das ausgetretene Plasma eingebettet. Beim ersten Anblick macht dann das Organ den Eindruck des reticulären Bindegewebes. (Dieser Fall wurde mehrmals bei Gammarus locusta beobachtet.) Kurze Zeit ehe der Embryo das Ei verlässt, obliterirt das ganze Organ. Indess sieht man nicht: selten ausgeschlüpfie Thierchen , bei welchen dasselbe noch sichtbar ist. Es ist bier am Platze, noch eine weitere Frage zu berühren. ra VaLerte behauptet, das kugelförmige Organ rage ins Herz des Embryo.!) Ich muss gestehen, dass ich mich hiervon nicht zu über- zeugen vermochte. Sicherlich ruht das Organ nur auf der oberen Wandung des Herzens. Einmal konnte ich dies mit aller Bestimmtheit beobachten, indem dasselbe durch die Pulsation des Herzschlauchs be- ständig aus seiner Lage verschoben wurde. Wie wir am Schlusse zeigen werden, sprechen zwei Gebilde mit aller Entschiedenheit dafür, dass die Amphipoden eine bedeu- tende Geschichte hinter sich haben. Es sind dies die Larven- haut und das kugelförmige Organ. Die Larvenhaut entspricht morphologisch einem Embryo: dem Nauplius, von welchem hier nur noch eine Guticula als einziger Rest übrig geblieben ist. Indess geht die Verkümmerung nicht überall so weit, sondern die Larvenhaut zeigt. dann und wann bei den Grustaceen 1) äna 0. f Binige Worte über Entwickelungsgeschichte und morphologischen Werth etc, 97 noch zellige Structuren, was Donry beispielsweise ‘von derjenigen des Oniscus murarius anführt. 3 In weit höherem Grade ist dies bei dem sogenannten »Insecten- amnion« der Fall, welches wir als Homologon der Larvenhaut auf- fassen müssen. ?) Nebenbei sei bemerkt, dass das Wort Amnion so unglücklich gewählt ist, als nur irgend denkbar. Glücklicherweise Sind wir jetzt der Zeit entronnen, da man bemüht war, Homologien zwischen den‘ Vertebraten und Arthropoden herauszuklauben. Ich möchte mir hier erlauben, statt dieses Wortes ein anderes Vorzu- schlagen, an welches sich kein so bestimmter Begriff knüpft. Es dürfte wohl besser sein, das Gebilde Vorschichte zu nennen; wenigstens führt diese Bezeichnung zu keinerlei Begriffsverwirrung. ; Ich habe diese Vorschichte bei verschiedenen Insectenfamilien aufgefunden , deren Embryologie bis jetzt noch im Dunkeln liegt. Unter den Schmetterlingen stiess ich auf höchst eigenthümliche Ver- hältnisse bei einer Pyralide, deren Name uns hier weiter nicht in- teressirt. Hier bildet sich ein regelrechtes Blastoderm, das aber nicht dem Embryo Ursprung giebt, sondern sich sehr bald vom Dotter Cmaneipirt, um eine vollständig geschlossene Hülle um den später in ORDER 1) Die embryonale Entwickelung des Asellus aquaticus in Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. XVII. p. 276. 2) Diese Ansicht sprach ich schon auf der 44. Versammlun g deutscher Naturforscher und Aerzte zu Frankfurta. M. aus. Leider ist aber in dem etwas ungeniessbaren Protocoll hierüber Nichts erwähnt. Auch finden sich dort noch andere Irrthümer, neben den sinnstörendsten Versetzungen. Ich versuchte damals einige Erklärungen über die Abstammung der Insecten zu geben, indem ich einen Vortrag anzeigte: »Der Insectenflügel und sein Homologon.« Beim Einzeichnen in die Liste hatte ich diese Anzeige anfangs unter anderem Titel eingeschrieben, nachträglich aber abgeändert. Wie mir scheint, Wurde dadurch die Schrift etwas undeutlich — woran ich freilich selbst die Schuld frage — und der Setzer schrieb Analogon statt Homologon, welcher Fehler am Nächsten Tage mit’in das Protocoll überging. Da ich meine Mittheilung in der letzten Sitzung gemacht hatte, war es mir nicht mehr vergönnt, die Correctur zu Sehen; erst als die betreffende Nummer schon gedruckt war, bemerkte ich den Fehler, auf welchen ich meinen Freund SEmLITZ sogleich aufmerksam machte, der Sich dessen ‚beim Lesen dieser Zeilen, wohl erinnern wird. Das Protocoll lautet: »Dr. BesseLs spricht sich dahin aus, dass ihm die Insecten aus den Crustaceen hervorgegangen zu sein scheinen, dass das Flugvermögen ein erworbenes sei und Macht auf das Analogon (statt Homologie!) zwischen Flügel und Kieme, aus wel- Cher sich ersteres entwickelt, aufmerksam. Weiter erwähnt er, dass die Existenz der Insecten während der Silurzeit unmöglich gewesen sein müsse — diese Ansicht habe ich aufgegeben — und dass sie sich in einem Zeitraume, der zwischen Silur Und Steinkohle (also wahrscheinlich Devon) liegt, entwickeln.« Bd. V. 1. 7 98 Emil Bessels, ihm durch Metagenesis entstehenden Embryo darzustellen, dann aber, noch ehe die Raupe vollständig entwickelt ist, wieder resorbirt wird. Ein ähnliches Gebilde fand Weismann (nach einer brieflichen Mittheilung an Meernıkow) bei der Biene. ') Ich habe mich von der Richtigkeit der Beobachtung unseres trefflichen Forschers überzeugt. Die von mir aufgefundene Vorschichte ist von der Wrısmans’schen etwas verschieden. Ich kann Mecknıkow durchaus nicht beistimmen, wenn er sagt, dass sein »Insectenamnion« und die von Wrismann entdeckte Embryonalhülle »zwei ganz verschiedene Gebilde darstellen«.?) Sicherlich sind diese zwei Gebilde vollkommen identisch! Bei einem anderen Schmet- terling entdeckte ich eine Zwischenform, die beide aufs Schönste ver- bindet. Eine sich äusserst eigenthümlich verhaltende Embryonalhülle fand ich bei einigen Ataxarten aus Unio und Anodonta. Ein solches Gebilde war bis jetzt bei den Milben noch nicht bekannt. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man versucht sein, genannte Hülle, die eutieularer Natur ist, für eine Membran zu halten , in welche in unregelmässigen, grossen Abständen Zellen eingelagert sind. Beobachtet man aber län- gere Zeit, so wird man finden, dass diese Zellen nur an der Innen- fläche der Membran kleben und die schönsten amöboiden Bewegungen zeigen. Die Entwickelungsgeschichte zeigt uns, dass diese zelligen Elemente Blutkörperchen sind (und zwar von ganz gesetzwidriger Abstammung) , worüber ich bei der Embryologie einiger Milben Mit- theilung zu machen gedenke. Endlich sah ich noch eine Embryonal- hülle bei gelben, runden Spinneneiern unbekannten Ursprungs, die ich im Monat Juni unter Moos sammelte. Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, nach Erfahrungen, die ich bisher über die Vorschichte gemacht, dass man im Laufe der Zeit, wenn man die Embryologie von mehr Insectenfamilien kennt, als dies bisher der Fall ist, solche Vorschichten finden wird, an welchen vorübergehende Spuren von Extremitäten oder anderen Organen auftreten: Dann wird sich wohl ein helleres Licht über das so überaus interessante Gebilde verbreiten. Aber bis dahin wollen wir einstweilen wieder zu unserem kugel- förmigen Organe zurückkehren, das wir etwas aus den Augen ge- lassen. Bei Betrachtung desselben, müssen wir uns, wie bei der aller übrigen Organe, zwei Fragen vorlegen : 13 Zeitschrift für. wissenschaftliche Zoologie. Bd. XVI. p. 490. 2) 3.8.0. | | Einige Worte über Entwickelungsgeschichte und morphologischen Werth ete. 99 £ ISE ! Ist dasselbe lediglich deshalb vorhanden, weil es von den Vor- fahren auf die Nachkommen vererbt wurde? Oder ist es auch noch deshalb da, weil es nothwendig ist für die Existenz des Indi- viduums? Ist das Letztere der Fall, so wird durch den Kampf ums Dasein immer nur eine, und zwar die höchste Entwickelungsform des Organs übrig bleiben. Das muss dahin führen, dass die individuelle Variation in möglichst enge Grenzen gebannt wird. Umgekehrt, wo das Organ nicht mehr gebraucht wird, wo es von keiner Wichtigkeit für die Existenz des Thieres mehr ist, hat die individuelle Variation grösseren Spielraum. Dass unser Organ grosse individuelle Variationen zeigt, haben wir bereits früher gesagt: schon das deutet darauf hin, dass hier nur die Vererbung wirksam sein kann. Es frägt sich nun weiter, ob es auch den Charakter eines ver- kümmerten Organes trägt? Um das festzustellen, müssen wir uns bei anderen Crustaceen ‚umsehen, ob. nicht bei ihnen an der gleichen Stelle des Körpers ein Organ von höherer Ausbildung vorkommt: und das finden wir bei den Zoöaformen verschiedener Krebse als Rücken= Stachel:(vergl. Fig. 4): Fig. 4. Figo g: Ei von Gammarus. Æ = Kopftheil des Embryo, Z = Stachelrudiment der Zoëa (die punctirten Žoga ei 3 A š ; S Linien deuten die ideale Verlängerung desselben oöa einer ee nach an). C = Chorion, N = Larvenhaut (sollte sich ul über das kugelf. Organ hinwegziehen, was im Schnitt nicht angedeutet ist). Halten wir das fest, so müssen wir uns weiter fragen: Warum verkümmerte das Organ ? Offenbar kann es nur dann verkümmern wenn es für.den Kampf, 7% Emil Bessels, 100 ums Dasein werthlos wird.) Solcher Umstände sind mehrere denkbar. 1. Geringere Anzahl von Feinden. 2, Grössere Fruchtbarkeit, wobei die Verheerung seitens der Feinde weniger ins Gewicht fällt. -3. Eine Lebensweise, welche das Individuum vor der Nachstellung der Feinde in höherem Grade sichert. Bei den Amphipoden liegt offenbar der letztere Fall vor, indem die Jungen, sofort nach dem Verlassen der Bruttasche des Mutterthieres, geschützt ihr Leben zubringen. Die Süsswasserformen leben unter Steinen oder zwischen Laub, die Meeresbewohner setzen sich an See- tang fest, mit welchem sie sich oft auf hoher See treiben lassen, klammern sich vorübergehend an Fische, verfertigen sich Gehäuse, stecken in Steinritzen u. s. W. Durch Vorstehendes wäre nun die Entwickelungsgeschichte der Amphipoden in Verbindung gebracht mit der anderer Grustaceen, bei welchen noch heutigen Tages eine doppelte Metamorphose vor- kommt. In diesem Falle haben wir es mit 2 aufeinander folgenden Ab- hebungen von Zellenlagen zu thun. 1. mit der Abhebung der Zoda vom Nauplius, 2. mit der des definitiven Grustaceums von der Zo&a. Bei den Amphipoden findet nur eine derartige Abhebung statt: es wird sofort das definitive Crustaceum von einer Cuticularschichte und einem an ihr haftenden Zellhaufen abgehoben. In diesen zwei letzteren Gebilden muss offenbar Nauplius und Zoëa enthalten sein: nur dass sie sich zu keiner Zeit von einander trennen..— Die Gelegenheit dazu wäre geboten, da das kugelförmige Organ aus mehreren Zellschichten besteht. — Fragen wir uns nun, warum nur an dieser Stelle ein Rest früherer Scheidungsvorgänge sich erhalten hat, so ist der Grund ein- fach der: Es ist eine Folge der ursprünglich dort etablirten Tendenz zur Zellvermehrung, die in der Entwickelung des Zo&astachels gipfelte. Ich kann diese Zeilen nicht besser schliessen, als mit den trefflichen Worten Frırz Müzer’s: »Die in der Entwickelungsgeschichte erhaltene a) Mit Frırz MÜLLER betrachten wir den Stachelfortsatz der Zo&a als eine im Kampfe ums Dasein erworbene Waffe. Auf dieselbe Weise muss man die Entstehung der Stacheln der Raupen auffassen, die z.B. bei einigen afrikanischen Bombyeiden, so mächtig auftreten, wie beim Igel. Einige Worte über Entwickelungsgeschiehte und morphologischen Werth et, 101 geschichtliche Urkunde wird allmählich verwischt, indem die Ent- wickelung einen immer geraderen Weg vom Ei zum fertigen Thiere einschlägt, und sie wird häufig gefälscht durch den Kampf ums Dasein, den die freilebenden Larven zu bestehen habenc. Die Wahrheit dieses Satzes bewährt sich auch bei den Amphi- poden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass wir es hier mit einer ab- gekürzten Entwickelung zu thun haben : Nauplius- und Zo&öastadium sind in das Embryonal- leben zurück verlegt! Stuttgart, im November 1868. ' Die synthetische Methode in der Systematik, erläutert an den Blattformen des Rubus Idaeus L. Von Dr. W. O. Focke. * Die systematische Botanik der Linwe’schen Schule betrachtete es als ihre höchste Aufgabe, die Species von einander zu unterscheiden, und suchte daher auf analytischem Wege die grossen Gruppen ähn- licher Formen in die componirenden Elemente zu zerlegen. Als diese Elemente betrachtete man nämlich die Arten oder Species; alle Indi- viduen einer und derselben Species hielt man für gleichwerthig. Bald bemerkte man indess, dass viele dieser zunächst erkannten Arten aus einer Reihe verschiedener gut charakterisirter Formenkreise bestehen, und glaubte nun in diesen letzteren die eigentlichen Arten zu er- kennen. Allmählich machte dieser Process der Vermehrung der in den systematischen Werken aufgezählten Species immer weitere Fort- schritte; mit Schrecken sahen die Gonservativen der alten Schule die Zahl der Arten nicht etwa durch wirklich neu entdeckte Typeh, son- dern durch Spaltung der »alten guten Species« sich gewaltig vermehren. Vergebens suchten sie durch manch’ wuchtiges Quos ego die unbe- quemen Speciesfabrikanten einzuschüchtern, vergebens triumphirten sie, wenn einmal eine neu aufgestellte Species bei näherer Prüfung als unbeständige Form erkannt wurde. — Die Zahl der Arten wuchs trotz- dem von Jahr zu Jahr mächtig an, und es stellte sich in immer mehr Fällen heraus, dass nicht allein der Ehrgeiz der Botaniker, sondern wirklich die Natur selbst die »neuen« Arten geschaffen zu haben schien. Gegenwärtig gehen nun mehrere Richtungen in der systematischen Botanik neben einander her: die eine analysirt weiter und sucht innerhalb der umfassenderen Typen neue Arten zu unterscheiden, eine andere will dagegen die durch gar zu minutiöse Unterschiede ge- i | | | | | | Die synthetische Methode in der Systematik. 103 trennten Arten nicht anerkennen, sondern subsumirt sie als Varie- täten, Unterarten oder Rassen unter die alten bewährten Speciesnamen. Es ist neuerdings nicht ohne Erfolg der Versuch gemacht, beide Auf- fassungsweisen zu combiniren. Man lässt den Racen oder Unterarten die Nomenclatur, auf welche sie als selbständige Species Anspruch haben würden, vereinigt aber die enger zusammengehörigen unter einem Speeiesnamen höherer Ordnung. Die Stieleiche, die Trauben- eiche und die flaumblättrige Eiche bilden z. B. drei wohlcharakterisirte Subspecies, welche gemeinschaftlich den Typus der Quercus Robur L. darstellen. Für den unbefangenen Beobachter, welcher den alten Speciesbegriff nicht als den Eckstein der systematischen Wissenschaft verehrt, ist die Frage nach den Abgrenzungen,, welche man zwischen Arten und Unterarten vornimmt, ziemlich gleichgültig. Ob unsere Nachkommen dermaleinst in ihren systematischen Werken eine Viertel- million oder eine Million oder auch 5 oder 10 Millionen Pflanzenarten aufzählen werden, ist für die Wissenschaft wirklich ganz gleich- gültig. Es handelt sich bei den vielen kindischen Streitigkeiten über das sogenannte »Artrecht« einer Pflanzenform in Wirklichkeit nur darum, die beste Methode zu finden, wie sich die Formenkreise am übersichtlichsten ordnen und wie sich ihre verwandtschaftlichen Be- ziehungen am einfachsten darstellen und zum Bewusstsein bringen lassen. Neben der Analyse der verschiedenen natürlichen Pflanzengruppen ging stets ein synthetisches Verfahren einher. Indem man die Species als Einheit, gleichsam als eine ideelle Individualität auflasste, ordnete man sie nach gewissen übereinstimmenden Merkmalen im Bau der Blüthe und der Frucht in Gattungen ein. Niemand zweifelte daran, dass diese Gattungen zum Theil völlig künstlich und willkürlich seien. Für die weitere übersichtliche Ordnung der Gattungen construirte Linnt sein bekanntes Sexualsystem, dessen Glassen grossentheils sehr heterogene Gewächse vereinigten. Als man nun natürlichere Gruppen zu bilden versuchte, als Jussıwu und De CAanvoLLz die Grundzüge einer auf den wirklichen Verwandtschaftsverhältnissen der Gewächse basirten Uebersicht des Pflanzenreiches entworfen hatten, da dachte man wohl mitunter ernstlich an die Bildung natürlicher Gattungen, entschloss sich aber im Allgemeinen sehr selten dazu, dieselben nach andern als den hergebrachten Prineipien zu umgrenzen. Im Allgemeinen ist es gewiss räthlich, vorläufig keine zu grossen Aenderungen in der Auf- fassung der -Gattungen vorzunehmen. Erst wenn sämmtliche wich- tigeren vorhandenen Formen bekannt sind, wird es in vielen Fällen möglich sein, zu entscheiden, wo sich eine natürliche Kluft zwischen i | | | 104 Dr. W. 0. Focke, den verschiedenen Formenkreisen findet, die man zur Abgrenzung des Genus benutzen kann. > Bekanntlich herrscht unter den Botanikern der Gegenwart ein leidliches Einvernehmen in Betreff der meisten Gattungen und Familien, welche sie annehmen. Auch die weitere Gruppirung der Familien zu höheren Classen ist bei den Cryptogamen und Gymnospermen, zum Theil selbst bei den Monocotyledonen, nicht besonders schwierig; bei den Dicotyledonen ist noch kein consequent durchführbares natürliches Eintheilungsprineip gefunden. Der Grund davon liegt höchst wahr- scheinlich darin, dass bei den niederen Pflanzen bereits viel mehr Mittelglieder in der gegenwärtigen geologischen Epoche völlig aus- gefallen sind, als bei den Dicotyledonen,, unter welchen sich zahlreiche Zweige zum Theil in analoger Richtung fortzubilden streben. Wenn man nun auch ohne Zweifel bereits eine ganze Reihe natürlicher Gat- tungen, Familien und Classen richtig erkannt und umgrenzt hat, so ist doch eine wahrhaft wissenschaftliche Begründung eines natürlichen Systems in der Botanik erst dann möglich, wenn vermittelst des synthetischen Verfahrens die wirkliche Zusammengehörigkeit und Ver- wandtschaft der verschiedenen Typen einer Gattung und der verschie- denen Genera einer Familie nachgewiesen ist. Alle Arten einer natür- lichen Gattung sind Modificationen eines und desselben Urtypus, welcher sich in concreter Gestalt nicht mehr reconstruiren lässt. Wohl aber ist es möglich, die Bildungsgesetze kennen zu lernen, unter deren Einflusse die verschiedenen Formen entstanden. Bei sämmtlichen Arten einer Gattung müssen sich in allen Organen die wirklich vorhandenen Gestalten auf die gleichen biegsamen Grundformen eines Urtypus zurückführen lassen. Ausserordentlich lehrreich ist es nun, die Wandelbarkeit der Formen innerhalb der Grenzen einer einzelnen Art zu untersuchen. Man wird häufig finden, dass die wirklich vor- kommenden Variationen grösser sind, als die Unterschiede zwischen den Normaltypen diflerenter Species einer und derselben Artengruppe. Ein Beispiel wird dies am besten klar machen, während andererseits die wissenschaftliche Bedeutung der Untersuchung des zu besprechen- den concreten Falles durch die vorstehenden Betrachtungen hervor- gehoben worden ist. } Die Gattung Rubus ist eine ziemlich umfangreiche. Sie um- schliesst Formen mit holzigem und solche mit krautigem Stamm, mit ungetheilten, gelappten, gefingerten und fussförmig geschnittenen Blättern, mit eingeschlechtigen und zwitte- rigen, mit kronenlosen und grosskronigen Blüthen, mit krug- förmigen und radförmigen Kelchen, mit zahlreichen und | | | | Die synthetische Methode in der Systematik. 105 \ wenigen Stempeln, mit saftigen und saftlosen Früchten u. s. w. Würde eine Anzahl von-intermediären Arten ausfallen, so würde die Gattung bequem in mehrere sehr natürliche kleine Genera zerlegt wer- den können. Bis zum Jahre 1826 erschien eine ganze Reihe von Dar- stellungen der Gattung Rubus namentlich in den grossen systematischen al | Werken; das seitdem angesammelte Material harrt aber noch einer | wissenschaftlichen Bearbeitung. Jene früheren Uebersichten der Rubi stimmen meistens in den wesentlichsten Eintheilungsprineipien über- ein: man unterschied krautige und strauchige Formen, unter beiden dann wieder solche mit einfachen und solche mit zu- sammengesetzten Blättern. Unter den strauchigen Arten mit getheilter Blattfläche pflegte man dann die fingerblätterigen und die fiederhlätterigen Typen zu unterscheiden. Es würde zu weit führen, das Ungenügende einer solchen Eintheilung auseinander zu setzen, aber es muss anerkannt werden, dass einige natürliche Gruppen ` bei derselben ziemlich deutlich hervortreten. Man wird sich überhaupt so lange an dieselbe anlehnen müssen, als man Blüthen und Früchte vieler Arten noch nicht genau genug kennt. Bei der Mannigfaltigkeit der Blattformen, welche die Gattung | Rubus umfasst, dürfte es zunächst von Interesse sein, den Zusammen- | hang derselben untereinander nachzuweisen. Die Grundform des Rubusblattes ist die eiförmige, mit ge- raden; randläufigen, unter einem Winkel von 45° ab- gehenden Secundärnerven, von denen die unteren Paare verästelt sind. Diese Form findet sich insbesondere an den Keim- pflanzen der Rubi. Wenn sich ein solches Blatt weiter entwickeln und gliedern soll, so sind mehrere Wege möglich, nämlich 41) Verlängerung des Mittel- © nerven, 2) Verstärkung und Verlängerung der Secundärnerven, 3) Ver- grösserung der Winkel, unter denen sich die Secundärnerven ab- tweigen. Bei einer einfachen Verlängerung des Mittelnerven rücken die d | Secundärnerven weiter auseinander, bis endlich eine Theilung der » Blattsubstanz zwischen den Secundärnerven zu Stande kommt. Das Blatt kann nun auf der Stufe des fiederschnittigen stehen bleiben, in der Regel wird aber die Sonderung der zu jedem Secundärnerven gehörigen Blattflächen bei den Rubusarten leicht eine vollständige, so dass gefiederte Blätter entstehen, welche den Rosenblättern ähnlich sind. Solche gefiederte Blätter finden sich vorzüglich bei einer Reihe von Rubusarten, welche in den Ländern heimisch sind, die den in- dischen Ocean umgeben. 106 Dr. W. 0. Focke, Ganz anders entwickelt sich das Blatt, wenn jene Anlage , welche durch Verästelung des unteren Secundärnervenpaares bei der Grund- form angedeutet ist, zu weiterer Ausbildung gelangt. Das untere Secundärnervenpaar erhält dann den Raum seitlicher Hauptnerven , so dass das Blatt strahlnervig wird. Die weitere Ausbildung dieses strahlnervigen Typus führt zur Entstehung 5strahliger und 7strahliger Blätter. Da die Seitenstrahlen des strahlnervigen Blattes sämmtlich aus verstärkten Secundärnerven hervorgegangen sind, also ursprünglich Winkel von 45° zu einander bilden, so kann die Zahl der Hauptnerven des strahlnervigen Rubusblattes niemals 7 überschreiten; denn 8 Strahlen würden schon den Kreis schliessen. Das einfache strahlnervige Rubusblatt ist nun zunächst halb- kreisrund oder fast kreisrund mit einem Ausschnitt, der den Blattstiel aufnimmt, oder es ist mehr oder weniger gelappt. Derartige Blätter finden sich bei sehr vielen Rubusarten. Wird die Theilung der Blattfläche vollständig, so dass jeder Hauptnerv einem isolirten Blättcehen entspricht, so entsteht das Fächerblatt, welches aus un- geslielten, strahlig (fingerig) gestellten Blättchen besteht. Dieser Blatt- typus scheint in der Gattung Rubus nur auf den Sundainseln vertreten zu sein. Seine Entstehung aus dem einfachen, strahlnervigen Blatte lässt sich vielleicht auf eine Tendenz zur Vergrösserung der Neigungs- winkel zwischen den Nerven zurückführen. Ungleich häufiger kommt bei dem strahlnervigen Blatte eine Ver- längerung des Mittelnerven neben einer Tendenz zur Vergrösserung der Neigungswinkel der Hauptnerven vor. Beide Processe begünstigen die Theilung der Blattfläche. Es entsteht aus dem 3strahligen Blatte zunächst das 3zählige mit langgestieltem Mittelblättchen. Genau dieselbe Form entsteht als Uebergangsstufe vom einfachen zum gefiederten Blatte, sie kommt daher sehr häufig in der Gattung Rubus vor. Bei der freien Beweglichkeit isolirter Blättchen beträgt der Winkel, in den sich die Blättchen stellen, gewöhnlich 90%; er kann bei der Tendenz nach möglichster Ausbreitung noch grösser (bis 120%) werden, sobald der Blattstiel nicht in der Ebene der Blattfläche liegt. Ausser dem 3zähligen kommt auch das 5zählige gelingerte Blatt mit gestieltem Endblättehen häufig in der Gattung Rubus vor, die Blättchen stellen sich in Winkeln von 60° (resp. bis 720) zu einander. Da ohne Ver- grösserung des ursprünglichen normalen Neigungswinkels (450) kaum eine Theilung der Blattfläche bei den Rubusarten vorkommen dürfte, so ist es auch nicht wahrscheinlich, dass es gefingerte Blätter in dieser Gattung giebt, welche mehr als 5 Blättchen haben. Beim Vorhanden- Die synthetische Methode in der Systematik. 107 sein von 7 Blättchen würde keine Vergrösserung jenes Winkels statt- finden. Eine Combination des gefingerten und gefiederten Typus findet Sich bei einigen Rubusarten nicht selten; das langgestielte End- blättchen des 5fingerigen Blattes ist dann 3zählig. Vergleichen wir nun die beschriebenen Hauptformen des Rubus- blattes mit denen, die wirklich an einer einzelnen Art vorkommen. Wir wählen dazu die gewöhnliche Himbeere, Rubus Idaeus L. Der normale Entwickelungsgang der Blätter dieser bekannten Pflanze ist folgender. Aus den ersten Blättern der Keimpflanze, welche dem Grund- typus des Rubusblattes entsprechen, entwickelt sich zunächst das 3zählige Blatt mit langgestieltem Endblättchen, daraus das gefiedert 5zählige, daraus das 7zählige mitgemischtem sefingert-gefiedertem Typus. Ausnahmsweise findet man aber auch einzelne einfach 5fingerige und noch seltener rein sefiedert-7zählige Blätter. Somit schen wir die Blattformen des R. Idaeus L, zwischen dem gefiederten und gefingerten Typus schwan- ken; bald überwiegt die Tendenz zum einen, bald zum andern. Bei vielen analogen Arten sind die Blattformen freier in einer oder der andern Richtung entwickelt, so dass z. B. einige nächst verwandte amerikanische Arten gefingerte, die asiatischen dagegen gefie- derte Blätter haben; die Verwandtschaft dieser Typen wird somit durch unsern europäischen R. Idaeus L. vermittelt. Die angeführten Blattformen finden sich sämmtlich bei dem Normaltypus des Rubus Idaeus L.; es giebt indess eine eigenthümliche Modification desselben, welche wir mit Babington R. Leesii nennen wollen, und welche sich einzig und allein in den Blättern vom nor- malen R. Idaeus L. unterscheidet. Die Blätter des R. Leesii am Blüthen- zweig und am Grunde des Schösslings sind in der Regel fast kreis- rund mit einem Ausschnitt für den Blattstiel, meistens ungetheilt, zuweilen gelappt. Die späteren Schösslingsblätter sind 3zählig, mit Sitzendem oder sehr kurz gestieltem Endblättchen. Der R. Leesii zeigt in diesen Blattformen eine unverkennbare Annäherung an die strabl- nervigen Blätter mit ungetheilter Blattfläche. Er unterscheidet sich von denselben durch die entschieden hervortretende Tendenz zur Ver- srösserung der Neigungswinkel der seitlichen Strahlnerven. Während bei dem normalen Rubus Idaeus L. das Blatt sich in allen drei Rich- tungen entwickelt, durch Verlängerung des Mittelnerven,, durch Aus- bildung der seitlichen Strahlnerven und durch Vergrösserung des Neigungswinkels derselben, ist bei R. Leesii Babingt. die eine dieser 108 Dr, W. 0, Focke, Tendenzen, nämlich die zur Verlängerung des Mittelnerven , völlig verschwunden. Somit nähert sich die Blattform des R. Leesii Bab. derjenigen, welche weit entfernten Verwandten des R. Idaeus L. zu- kommt, allein sie behält doch in der Tendenz zur Vergrösserung der Neigungswinkel ihrer Nerven ein deutliches Merkmal ihres Ursprungs aus einem besonderen Typus. Es handelt sich somit um eine Art von Rückschlag, der die Urform nachahmt, aber doch das besondere Ge- präge, welches ihm durch eine lange Reihe von Vorfahren vererbt ist, nicht völlig verschwinden lässt. Die Betrachtung der Blattformen, welche bei R. Idaeus L. vor- kommen, weist somit auf einen bestimmten Zusammenhang mit zahl- reichen anderen Rubusarten hin, allein dieser Zusammenhang lässt sich auch bei Untersuchung anderer Theile nachweisen. Man unter- scheidet, wie vorhin erwähnt, die zwei Hauptgruppen der krautigen und der strauchigen Rubi. Die krautigen Arten treiben beblätterte Blüthenzweige aus dem Rhizom, die strauchigen aus einem zwei- jährigen oder perennirenden Stengel. Bei R. Idaeus L. entwickeln sie sich in der Regel aus dem Stamm, mitunter aber auch aus dem Rhizom, so dass die Pflanze also gelegentlich in die Gruppe der krau- tigen Species hinüberspielt. Ferner kommen innerhalb der Gattung Rubusarten mit schwarzen, mit rothen und mit gelben Früchten vor. Die Früchte von R. Idaeus L. sind in der Regel roth, doch giebt es bekanntlich eine gelbfrüchtige Varietät, die häufig cultivirt wird. Nach Arrnentus ist aber auch eine schwarzfrüchtige Abänderung in Schweden beobachtet, so dass bei dieser einen Art alle 3 Farben vor- kommen. Es nähert sich der Rubus Idaeus L. also in seinen gelegentlichen Abänderungen bald der einen, bald der andern näher oder entfernter verwandten Art. Durch die sorgfältige Beachtung dieser Modificationen vermag man die wahren Beziehungen zwischen den verschiedenen Arten einer und derselben Gruppe kennen zu lernen, und man wird nothwendig dahin gelangen, jeden Normaltypus der einzelnen Art nur als eine bestimmtere Erscheinungsform des Gattungstypus aufzufassen. Die Formenkreise der einzelnen Arten liefern durch Synthese den Formenkreis der Gattung. Das Wesen der Gattung besteht aber nicht darin, dass alle Arten derselben im Bau des Kelches und der Frucht übereinstimmen, sondern darin, dass in allen Organismen, welche einer Gattung angehören, dieselben Bildungsgesetze walten, so dass diese auf einen gemeinsamen Ursprung aller einzelnen Individuen hin- weisen. Nur durch Induction und Synthese lässt sich die Idee der Art aus den Individuen, die Idee der Gattung aus der Artidee herleiten, | | | jl | | | Die synthetische Methode in der Systematik. 109 und diese Ideen werden von den Forschern nur dann klar und richtig aufgefasst, wenn sie genau der Schöpfungsgeschichte der betreffenden Arten und Gattungen entsprechen. Der Artbegriff ist ein anderer Ausdruck für die historische Entwickelung der Art nach Inhalt und Form; die Idee eines Organismus ist seine und seiner Vorfahren Geschichte. Ueber eine sich durch Vererbung fortpflanzende Asymmetrie 3 À des menschlichen Skelets. Von Prof. P. Harting in Utrecht, Es ist längst bekannt, dass der rechte Arm gewöhnlich den linken in Umfang übertrifft. Dieser Unterschied wird ohne Zweifel ganz richtig erklärt durch den grösseren Gebrauch des rechten Arms bei den meisten Personen. Wirklich finde ich denn auch bei solchen, die , gewohnt sind, ihren linken Arm am meisten zu benutzen, gerade das Gegentheil. Hier ist der linke Arm der dickste. Die Frage entsteht jetzt: ob diese grössere Dicke des einen Arms nur den musculösen Theil oder auch den Knochen trifft. Die folgenden Messungen an einigen Skeletten im hiesigen Museum geben darauf Antwort. Umkreis in Millimeter Clavicula. | Humerus.| Radius. Ulna. Nol d s d s d sS d s Männer « 4 40:1 87 84 | 80 49 | 40 87.|.36 5 mare | 39 |39 | 73 | 71 89|39 | sa Isa | an A8 | 42 | 49 Weiber 4 gf 33 | 933 | 68 | 64 | 85 | 94:1 36 | 35 9 v Männlicher Neger A 4A | 4A 67 | 65 | 46 | 46 39 1-39 | | | | | | . Ueber eine sich durch Vererbung fortplanzende Asymmetrie des mensehl. Skelets. 111 Da diese Messungen immer an genau correspondirenden Puncten der rechten (d) und der linken (s) Knochen gethan sind, so sind sie unter sich vergleichbar. Bei No. 5, 6 und 9 könnten der Radius und die Ulna nicht gemessen werden, wegen der Gegenwart des Liga- mentum interosseum. Es folgt aus diesen Messungen, dass in der Regel bei europäischen Männern und Frauen, am meisten aber bei erstern, die Knochen am rechten Arm etwas dicker sind als am linken. Das einzige Skelet des Negers zeigte fast gar keinen Unterschied. Diese Differenz zwischen den beiden Armen wird noch augen- fälliger, wenn man die Knochen wägt, statt sie zu messen. Die folgenden Wägungen betreffen No. 4 der vorigen Tabelle. Gewicht in Grammen. d $ Scapula 68,92 66,45 Clavicula 24,34 23,80 Humerus 1455,32 1444,30 Radius 54,45 48,93 Ulna 57,26 53,05 867,80 = 330 53 Das Verhältniss zwischen dem Gesammtgewichte der Knochen des rechten und des linken Arms (ohne die Handknochen) ist 406,2 : 400. Eine zweite Frage bot sich jetzt dar: ist diese Asymmetrie des Skelettes erst nach der Geburt entstanden, oder ist sie erblich? Schon seit vielen Jahrhunderten wird der rechte Arm von den Europäern mehr in Gebrauch gezogen als der linke. Das Wort dex- teritas in der lateinischen Sprache zeugt für das Alter.dieser Ge- wohnbheit. Bei 42 neugeborenen Kindern wurden in der Entbindungsanstalt auf meine Veranlassung vom Candidat Herrn Bonvin die Ober- und Unterarme gemessen. Die Resultate dieser Messungen zeigten aber keinen deutlichen Unterschied im Umkreise der beiden Arme. Die Mittelzahlen sind fast genau gleich. Die Messungen des Humerus und des Radius an drei Skeletten von Neugeborenen zeigten wohl eine Differenz, welche aber zu klein war, um daraus mit Sicherheit einen Schluss zu ziehen. Auch hier zeigte sich das Wägen besser als das Messen. Von zwei dieser Ske- lete wurden die vorderen Extremitäten, mit Einschluss der Clavicula -und Scapula, gelöst, sorgfältig gereinigt, dann getrocknet und gewogen, Ihr Gewicht war: E Ta nase gen 112 Prof, P. Harting, Ueber eine sich durch Vererbung fortpflanzende Asymmetrie ete. rechter linker No. 1 10,68 Gram. 10,11 Gram. W2 12,28 » 12,04 » Es scheint also, dass schon bei der Geburt die Knochen des rechten Arms etwas schwerer sind, als die des linken, und dass man Ursache hat, diesen Unterschied als einen vererbten zu betrachten. Ueber Palpation der Beckenorgane und über graphische Notirung des Resultats derselben. Von B. S. Schultze. Mit Tafel IV. Es ist von ziemlich allen Gynäkologen anerkannt, dass die Er- kenntniss der meisten für die ärztliche Diagnose wichtigen Eigen- schaften der im Becken des Weibes gelegenen Organe weit vollständiger zu erlangen ist durch das gleichzeitige Tasten von der Vagina und von der Bauchwand her (die sogenannte combinirte Untersuchung), als da- durch, dass wir nur einzeln zuerst von der Bauchwand aus, dann von der Vagina aus tasten; und welcher Arzt diese combinirte Unter- suchungsmethode noch nicht geübt hat, kann sich bei der ersten Pa- lientin, deren Beckenorgane palpirt werden sollen, von den grossen Vortheilen dieser Untersuchungsmethode überzeugen. In einer Recension meiner Arbeit: »Ueber Palpation normaler Eierstöcke ete.«!) in British and foreign medical review 2) wurde ver- misst, dass ich über die zweckmässige Lagerung der Patientin für combinirte Untersuchung mich nicht eingehend genug ausgesprochen hatte. Ich hatte das deshalb nicht für nothwendig gehalten, weil in Deutschland wenigstens die Gynäkologen von Fach die combinirte Untersuchung seit einer Reihe von Jahren ziemlich allgemein üben und also die entsprechende Lagerung als bekannt vorausgesetzt werden konnte; in England scheint es fast, dass erst durch das vortreffliche Werk von Marion Sms 3) die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Vor- theile der combinirten Untersuchung gerichtet worden sei. Ich will 4) Diese Zeitschrift. Bd. I. 4864. p. 279. 2) British and foreign medical Review. October 1867. 3) Clinical notes on uterine surgery. By J. Marion Sms. London 4866. Bd. V., T. 8 114 B. S. Schultze, daher hier über die Lagerung der Patientin und über die Stellung des Untersuchenden ,. wie ich beide für am zweckmässigsten halte, kurz das folgende bemerken. Die combinirte Untersuchung kann nur in der Rückenlage der Patientin und zwar auf einer mässig festen Unterlage, Matratze, Sopha, Tisch, mit Vortheil vorgenommen werden. Sms zieht einen- eigens dazu construirten Tisch als Unterlage jeder andern vor. Die der Pal- pation häufig sogleich nachfolgende Application des Speculum in Seitenlage wird in der That auf dieser Unterlage am besten vor- genommen und will man die Application des Sms’schen Speculum so- gleich folgen lassen, so ist es natürlich vortheilhaft, beide Unter- suchungen auf demselben Lager vorzunehmen. Nun bedarf es der Er- wähnung kaum, dass mit Zuziehung der nöthigen Assistenz auch auf Sopha oder Bett die Application des Sıms’schen Speculum sehr gut auszuführen ist. Aber erstens nehmen wir häufig die Palpation vor, ohne dass wir die Application des Speculum wollen nachfolgen lassen. Zweitens sind wir deutschen Aerzte, weil die deutschen Frauen viel- fach einen entschiedenen Widerwillen dagegen haben , zu jeder Unter- suchung Assistenten zuziehen zu lassen, sehr häufig in der Lage, mit dem röhrenförmigen Speculum, am besten dem Frneusson’schen voll- kommen auszukommen,, und auch das lässt sich bei der Lagerung auf Bett oder Sopha sehr gut appliciren. Drittens nehmen wir ja sehr häufig eine genaue Palpation der Beckenorgane vor unter Umständen, die es vortheilhaft oder nothwendig erscheinen lassen , jede bedeuten- dere active oder passive Bewegung der Kranken, wie die Placirung auf ein besonderes Untersuchungslager,, zu vermeiden. Aus diesen Grün- den nehme ich die combinirte Palpation der Beckenorgane verhältniss- mässig selten auf dem Tisch, sehr viel häufiger auf dem Bett oder Sopha vor. Die Lagerung der Patientin muss vor allen Dingen bequem. sein, damit.ihre Musculatur erschlaffe. Der Kopf und auch die Schultern seien mässig erhöht, nur selten ist es nöthig, auch den 'Steiss durch eine Unterlage mässig zu erhöhen, nämlich nur dann, wenn durch organische Bildung oder durch nicht zu beseitigende Willkür oder Un- kunde der Patientin die Stellung des Beckens zum Rumpf eine allzu geneigte ist. Die meisten Patientinnen sind im Stande, auf Geheiss des Arztes: die Genitalöffnung durch Beugung der Lendenwirbel hinreichend weit nach vorn und oben zu schieben , um der palpirenden Hand auch auf vollkommen gerader Unterlage freien Spielraum zu bieten. !) Durch 4) Vergleiche über die Grösse der Biegsamkeit der unteren Wirbelgelenke meinen Aufsatz »Erleichterung der Gebĝrt durch Verminderung der im Becken ge- gebenen Widerstände« im II. Band dieser Zeitschrift. 4867. p. 272. Ueber Palpation der Beckenorgane ete. 115 die genannte willkürliche Stellung des Beckens werden gleichzeitig die Ansatzpunkte der Bauchmuskeln einander in einer für die Erschlaffung der Bauchdecken höchst vortheilhaften Weise genähert. Die Ober- und Unterschenkel der zu Untersuchenden werden mässig flectirt ge- stellt, so dass die Fersen etwa auf Unterschenkellänge vom unteren Rumpfende entfernt auf dem Lager stehen. Die Fersen müssen dabei so weit von einander entfernt bleiben, dass der Arm des Untersuchenden zwischen denselben freien Spiel- raum hat. In dieser Stellung müssen dann die Kniee einfach durch vollständige Erschlaffung der Oberschenkelmusculatur auseinander fallen. Bei Untersuchung auf einem Tisch mag der Untersuchende je nach der Höhe desselben vor den gespreizten Schenkeln der Patientin sitzen oder stehen ; bei der Untersuchung auf Bett oder Sopha ist die einzig richtige Stellung des Untersuchenden die, auf dem Rand des Lagers oder wenn (die Patientin ganz am Rand des Lagers liegt, auf einem daneben stehenden dem Lager gleich hohen Sessel neben den Füssen der Patientin bequem zu sitzen. Neben dem Bettrand stehend zu untersuchen, wie man es häufig Sieht, nimmt die Museulatur des gesammten Körpers viel zu sehr in Anspruch, als dass diejenige Feinheit der tastenden Bewegungen mög- lich wäre, welche allein zu einem genauen Resultat führen kann. Dass der Gynäkolog ampbidexter sein soll, ist eine alte Regel, von welcher eine Ausnahme zu machen zunächst höchst unbequem ist; weil nicht jedes Bett von jeder Seite zugänglich ist. Ich ziehe im Allge- meinen vor, die linke Hand für die Vaginalpalpation zu verwenden, weil die Finger der linken: Hand etwas schlanker zu sein pflegen; übrigens habe ich schon früher darauf aufmerksam gemacht, dass nach dem linken Ovarium und überhaupt gegen die linke Beckenseite hin erfolgreicher die linke, nach dem rechten Ovarium und der rechten Beckenseite erfolgreicher die rechte Hand per vaginam tastet; während die Fingerspitzen der anderen Hand von den Bauchdecken her entgegen tasten. In bis dahin unbekannte Genitalien wird man stets nur den Zeigefinger der untersuchenden Hand einführen, Für den, der mässig Schlanke Finger hat, ergiebt sich dann in der Mehrzahl der Fälle , dass auch die Einführung des Zeige- und Mittelfingers ohne alle lästige Spannung geschehen kann, und für das Resultat der Untersuchung er- wächst daraus für: viele Fälle ein grosser Vortheil, weniger dadurch, dass wir mit dem Mittelfinger etwa einen Ctm. weiter tasten, als mit dem Zeigefinger, sondern mehr noch dadurch, dass zwei 8 * ann nm 116 B. S. Schultze, an auseinanderliegenden Stellen gleichzeitig tastende Flächen die Lagerung der Beckenorgane zu einander weit sicherer erkennen lassen, als ein einzelner zuerst da- hin, dann dorthin tastender Finger. Dieser letztgenannte Vortheil tritt namentlich dann ganz eklatant hervor, wenn wir die vier Fingerspitzen der andern Hand vom Bauch her entgegentasten lassen. In Betreff der für richtige Deutung des Palpirten unerlässlichen Cautelen kann ich nur auf das verweisen, was ich an der eitirten Stelle über Palpation der normalen Ovarien gesagt habe; ich halte meine Schüler in Betreff der Technik der Beckenpalpation dann für ausgelernt, wenn sie unter nicht allzu schwierigen Verhältnissen normale oder wenig vergrösserte Ovarien genau palpiren können. Nur ein Hülfsmittel, welches ich dort nicht erwähnt habe, muss ich als sehr wichtig hier nennen, das ist die Palpation des Psoas, welche für die gesammte Orientirung im Becken und speciell für die Tastung der Ovarien die vom Bauch her tastende Hand erfolg- reich leitet. Bei der vorhin beschriebenen Lage der Kranken ist ihr Psoas erschlafft und nicht zu palpiren. Man lasse die Patientin den Schenkel kurze Zeit activ flectiren, während der in der Vagina liegende Finger in der Richtung zum Eierstock hin, die von aussen tastenden Finger über die Stelle, wo der Psoas den Beckeneingang begrenzt, ge- - lagert sind. Man fühlt momentan den sich spannenden Bauch des Psoas, unter dessen nun bereits wieder erschlafftem Innenrand der normal gelagerte Eierstock den gegeneinander tastenden Fingern nicht entgehen kann. Der Innenrand des Psoas leitet auch den tastenden Finger in seinem oberen Theil mit grosser Sicherheit auf die sperma- tischen Stränge, längs deren Venenplexus nicht allein bei frischen Puerperalaffeetionen wichtige acute Krankheitsprocesse verlaufen, son- dern längs deren auch bei nachbleibenden chronischen Leiden der untersuchende Finger diagnostisch wichtige Schwellung und Schmerz- haftigkeit noch nach Jahren aufzufinden im Stande ist. Es ist allgemein bekannt, dass die Digitaluntersuchung per rectum die Digitaluntersuchung per vaginam, wo dieselbe durch irgend welche Umstände sich verbietet, bis zu einem gewissen Grade zu ersetzen im Stande ist. Weniger gebräuchlich ist es, in diesen Fällen auch die Rectumuntersuchung mit der Pal- pation von der Bauchwand her zu combiniren. Ich kann versichern, dass diese Combination unter nicht allzu schwierigen Umständen ziemlich vollständigen Ersatz für die combinirte Vaginal- und Abdominaluntersuchung zu geben im Stande ist. Ich habe die- selbe namentlich in Fällen von narbiger Starrheit und theilweiser Ueber Palpation der Beckenorgane etc, 117 Unzugänglichkeit der Vagina oder bei Mangel derselben erfolg- reich gefunden. Ich erinnere in dieser Beziehung an den Herma- phroditen Hohmann !), bei welchem ich durch die combinirte Recto- Abdominalpalpation die Abwesenheit der Prostata und die Existenz des ganz rudimentären Uterus, sowie der im Becken gelegenen rudimen- tären linken Keimdrüse zu constatiren im Stande war. Ich möchte die combinirte Recto-Abdominaluntersuchung auch für die Diagnose krankhafter Zustände der männ- lichen Beckenorgane empfehlen, wo dieselbe , so viel mir be- kannt, nicht angewendet wird. Es ist a priori wahrscheinlich, dass die combinirte Palpation der Prostata in vielen Fällen weit ergiebiger sein wird, als die isolirt vom Rectum aus vorgenommene. Ich muss schliesslich der combinirten Recto-Vaginal- untersuchung Erwähnung thun, welche meines Wissens bis dahin nicht geübt wird, und welche meiner Erfahrung nach für Erkennung pathologischer Zustände des Dousras’schen Raumes Resultate liefert, welche an Sicherheit die durch isolirte Untersuchung per rectum oder vaginam gewonnenen weit übertreffen. Wenn man den Zeigefinger möglichst hoch ins Rectum hinauflegt, reicht man bequem an die obere Grenze des DowsLas’schen Raumes und kann daselbst die Doveras’schen Falten sowohl im normalen, als auch noch viel deutlicher im Zustand exsudativer Verdickung palpiren; selbstverständlich, dass es auch für diese Palpation sehr hülfreich ist, den Uterus gleichzeitig vom Bauch her zu fixiren. Wenn man nun den Daumen der per rectum untersuchenden Hand über den Damm in die Vagina schiebt, gelingt es fast ausnahmslos bei gleichzeitig nicht unterbrochener Palpation mit der andern Hand von aussen den Doucras’schen Raum fast in ganzer Ausdehnung zwischen die Finger zu fassen. Im normalen Zu- Stande palpirt man gewöhnlich nichts als die aneinanderliegenden Wände des Rectum und der Vagina, aber nicht ganz selten fassen die Finger eine schnell entschlüpfende Darmschlinge, in andern Fällen liegt daselbst für die Finger zugänglich ein Ovarium, in noch anderen Fällen ist es höchst wichtig, daselbst gelegene, peritonäale Exsudate oder Blutergüsse durch die genannte Art der Untersuchung zu constatiren und in ihrem Verlauf zu controliren. 2) 4) Vircnow’s Archiv. Bd. XLIII. 1868. p. 329. 2) Dass im Douscras’schen Raum, d. h. in demjenigen Theil der Peritonäal- höhle ‚ welche, abwärts von den DousLas’schen Falten gelegen, vom Rectum, dem hinteren oberen Theil der Vagina und einem kleinen Theil der hinteren Uterus- EEE EN RT Tann ae i 118 B. S. Schultze, Ich habe im Vorausgehenden fast nur von der combinirten Pal- pation der Beckenorgane, von der gleichzeitigen Palpation von der Vagina (oder dem Rectum) und von der Bauchwand her gesprochen ; es ist wohl kaum nöthig, mich gegen das Missverständniss zu wahren, als ob ich diese. Art der Palpation für die einzig ergiebige in Bezug auf den Befund der Beckenorgane hielte. Ich würde es im Gegentheil für sehr einseitig und unzweckmässig erklären müssen, in irgend einem Krankheitsfalle die Palpation ausschliesslich combinirt vorzunehmen. Die isolirt äussere sowohl, als die isolirt innere Untersuchung bieten jede ihre besonderen Vortheile, liefern jede ihre eigenthümlichen Re- sultate, welche sich der Gynäkolog nicht darf entgehen lassen. Ich nehme fast jedes Mal, ausnahmslos aber bei jeder ersten Untersuchung eines Falles, zuerst die äussere, dann die innere und erst dann die combinirte Untersuchung vor. Die Inspection des Unterleibes darf man sich und der Patientin in der weitaus grössten Anzahl der Fälle schenken, aber die Per- cussion des Unterleibes halte ich im Gegensatz zu Verr!) für viel zu wichtig für die Diagnose von Erkrankung der Beckenorgane, als dass ich sie in irgend einem Falle als Einleitung der ersten, in vielen Fällen auch einer jeden nachfolgenden Untersuchung entbehren möchte. Schon wegen Beurtheilung des zu erwartenden Resultates der nachfolgend vorzunehmenden Palpation, ist es nicht unwichtig, zuvor bekannt zu sein mit denjenigen Percussionsbefunden, welche uns über den Füllungszustand des Darmes und der Blase einigen Aufschluss geben. Dann aber giebt es ja so schlaffe, von den Genitalorganen ausgehende Geschwülste, dass dieselben der blossen Palpation zu ent- gehen im Stande sind, wenn wir nicht durch vorausgeschickte Per- cussion auf dieselben besonders aufmerksam gemacht worden sind, und auch ob ein Tumor, den die Palpation nachher ermittelt, der vor- wand begrenzt wird, in der Mehrzahl der Fälle keine Darmschlinge gelegen ist, darin stimme ich auf Grund meiner Untersuchungen an der lebenden Frau mit Craupivs überein, (CrAupius. Ueber die Lage des Uterus in Hexte und PFEUFFER’S Zeitschr. f. rat. Med. III. XIII. p. 249).. Den ebendaselbst ausgesprochenen colos- salen Irrthum, dass der Uterus im gesunden, lebenden Weibe unbewegt im Becken ruhe, seine hintere Wand dem Rectum und der Beckenwand anliegend, die Be- hauptung, dass es Thatsache sei, dass derselbe unter normalen Verhältnissen keine Locomotionen ausführen könne, will ich hier nicht und brauche ich überhaupt wohl nicht zu widerlegen. Was können Sectionsbefunde und Durchschnitte an gefrornen Leichen für den Zustand im Leben da beweisen, wo directe Sinnes- wahrnehmung an der Lebenden das Gegentheil zeigt? 4) Vırcuow’s Pathologie und Therapie. Bd. VI. Abth. 2. 2. Heft. 2. Aufl. 4867. p. 264. Ueber Palpation der Beckenorgane etc. 119 deren Bauchwand ursprünglich anlag oder durch Darmschlingen von derselben getrennt war, ist in manchen Fällen zu wissen wichtig. Der Percussion hat dann in allen Fällen die Palpation nachzufolgen. Ich will die möglichen anomalen Resultate derselben nicht einzeln anführen ; von grosser Wichtigkeit schon ist das in den meisten Pällen sich ergebende Resultat, dass etwas Anomales oberhalb des Beckens weder zu percutiren, noch zu palpiren ist. Die dann isolirt vorzu- nehmende Vaginalpalpation informirt uns über den Inhalt, über die Gestalt und über die Oberfläche der Vulva und Vagina, speciell des Scheidengewölbes und über die Gestalt- und Gonsistenzverhältnisse der Vaginalportion viel vollkommener, als wenn wir schon gleichzeitig von aussen gegenpalpiren. Es ist ein viel leiseres Tasten erforderlich, um über die Beschaffenheit der Oberfläche der Vagina und Vaginal- portion uns zu informiren, als wie nachher angewendet werden muss, um die zwischen Scheidengewölbe und Bauchwand gelegenen Gebilde zu umtasten. Weiche Hervorragungen an der Oberfläche, welche sich durch abweichende Consistenz nicht unterscheiden, selbst kleine Schleimpolypen am Eingang des Muttermundes entgehen dem in der Vagina tastenden Finger, wenn demselben von vornherein die andere Hand von der Bauchwand her entgegentastet. Also erst nachdem die Percussion und Palpation des Unterleibes und erst nachdem die isolirte Palpation von der Vagina aus vor- genommen wurde; ist die combinirte Untersuchung nachzuschicken, wenn wir zu einem vollkommenen Resultat gelangen wollen. In manchen Fällen reicht bekanntlich die Digitalpalpation nicht aus zur Orientirung über die Form- und Grössenverhältnisse der Beckenorgane und wir haben behufs derselben noch die Höhle der Ge- bärmutter mit der Sonde zu palpiren. Wir bedürfen allerdings der- selben um so seltener zur Constatirung der Richtung der Uterushöhle, je mehr wir geübt sind in der combinirten Digitalpalpation, aber es ‚giebt in der That auch für den Geübten noch zahlreiche Fälle, wo, namentlich bei Anwesenheit von Tumoren neben dem Uterus, der Fundus uteri als solcher nur durch Betretung seiner Höhle mit der Sonde zwischen den Tumoren herausgekannt werden kann ; dann aber ist es uns oft von Wichtigkeit, auch wo wir über die Richtung des Uterus durch die Digitalpalpation vollständig im Klaren sind, die Länge und die Weite und andere Eigenschaften seiner Höhle genau zu con- statiren, und dazu besitzen wir in der Sonde das einzige Mittel. Ich bemerke bei der Gelegenheit, dass ich die Sonde ausschliesslich als diagnostisches Instrument anwende und dass ich es für durchaus falsch halte, unter irgend welchen Umständen den Uterus mittelst der 120 B. S. Schultze, Sonde zu reponiren. Wo es zur Reposition des Uterus in seine normale Stellung einiger Kraft überhaupt nicht hedarf, reichen die Finger stets aus, und wo die von der Vagina oder selbst vom Rectum aus ange- setzten Finger (stets controlirt durch die vom Abdomen her palpirende andere Hand) zur Reposition nicht ausreichen, ist es absolut ver- werflich, selbst wenn die Reposition unter diesen Umständen noch indicirt wäre, die Uterusschleimhaut, auch die gesunde , zum Ansatz- punkt für die reponirende Kraft zu wählen. Wenn wir, nach möglichst genau zuvor durch die Digitalunter- suchung gestellter Diagnose, über die Richtung, Länge und Weite der Uterushöhle uns Gewissheit verschaffen wollen , ist es von Wichtigkeit, dass wir nicht einer starren, auch nicht einer elastischen, sondern einer biegsamen und in jeder Biegung, die wir ihr geben, stehen bleibenden Sonde uns bedienen. Ich habe seit länger als 10 Jahren mich keiner anderen als ausgeglühter eiserner und weicher neu- silberner Sonden bedient, und habe jetzt mir dieselben nach dem Vor- gange von Sıms aus dem noch biegsameren Kupferdraht fertigen lassen. Es ist ein grosser Vortheil, eine derartige Sonde zur Hand zu haben, welcher man, selbst ohne die Vaginaluntersuchung zu unter- brechen, mit der anderen Hand sofort diejenige Biegung geben kann, die man durch die eben vorgenommene combinirte Palpation als die diesem Uterus entsprechende erkannt hat. Man vermeidet da- durch jede geringste Schleimhautverletzung, ganz sicher namentlich in allen denjenigen Fällen, wo es sich nur noch darum handelt, den Längs- und den Querdurchmesser der Uterushöhle zu constatiren. Für diesen, mir den häufigsten Gebrauch der Uterussonde, habe ich meine Sonden so construirt, dass erstens ihr Caliber eine bestimmte Scala darstellt, ich habe sie zu 2, 3, 4, 5 und 6 Mm. Durchmesser, und dass zweitens eine jede auf ihrer Hinterseite einen Maassstab trägt, an wel- chem der am Muttermund liegende Finger beim Einführen wie beim Ausführen der Sonde die Tiefe der Uterushöhle leicht ablesen kann. Die Entfernung von 4 Gtm. von der Spitze ist durch einen seichten, dem Finger eben fühlbaren Kerb bezeichnet, wenn dieser den Finger passirt, passirt der Knopf der Sonde den inneren Muttermund; 7 Gtm. von der Spitze des Knopfs ist an der Rückseite der Sonde ein etwas vorspringender Höcker, die mittlere Gesammtlänge des Uterus einer Frau, die geboren hat, bezeichnend. Die folgenden 2 Gentimeter sind durch Kerben, der 10te wieder durch einen Knopf, die folgenden wieder durch Kerben bezeichnet. Diese Knöpfe und Kerben, um die Länge des eingeführten Endes der Sonde abzulesen, wie sie ganz ähnlich ja an den ursprünglichen Sımpson’schen, an der Kıwiscn’schen und anderen w— reinen I Ueber Palpation der Beckenorgane etc. 121 Sonden angebracht waren, halte ich nicht wohl für entbehrlich. Sms, der doch auch die Sonde ganz vornehmlich zur Messung der Uterus- höhle gebraucht, hat die Einkerbungen und Buckel an seiner Sonde abgeschafft, wie er sagt, um sie besser reinigen zu können. Sws führt in vielen Fällen die Sonde durch das Speculum ein; schon da ist es Jedenfalls schwer , ohne jede Bezeichnung an der Sonde, die Tiefe der Uterushöhle abzulesen; bei Einführung der Sonde auf dem leitenden Finger, welche Methode ich vorziehe, ist es aber geradezu unmöglich, ohne fühlbare Marken an der Sonde, die Entfernung vom Knopf abzu- lesen. Ich habe gesehen, dass Gynäkologen die Sonde ganz kunstgemäss auf dem leitenden Finger einführten, sie dann aber, um die Lage des Uterus abzulesen, mit diesem Finger zugleich , die Stelle des Mutter- mundes mit dem Finger an der Sonde markirend, aus der Vagina ausführten. Bei solchem Verfahren sind Verletzungen der Uterus- schleimhaut kaum zu vermeiden. Ich halte es für gleich wichtig, sowohl die Länge der Uterushöhle constatiren zu können, als auch die Leitung des Fingers der Sonde weder beim Einführen noch beim Ausführen zu entziehen, und ich ‚halte, um beides zu erreichen , die genannte Vorrichtung für erforder- lich, ich halte sie für jeden einigermaassen geübten Finger auch für ausreichend, die complieirten Stellvorrichtungen aber, welche zu gleichem Zwecke angegeben worden sind, für eben so hinderlich , wie überflüssig. Sms, der sich über den Werth der Sonde und über ihren Miss- brauch namentlich zu therapeutischen Zwecken sehr richtig aus- spricht, fürchtet-in der Hand des minder Geübten besonders die zu Starken Sonden. Ich führe, ganz abgesehen davon, dass daran gelegen Sein kann, zu wissen, wie weit die engste Stelle des Cervicalcanals ist, stets lieber diejenigen Sonden ein, welche dem Kaliber des Cer- vicalcanals möglichst entsprechen, weil man mit ihnen Unebenheiten im Cervicalcanal sicherer auffindet und doch weniger leicht in Schleim- hautfalten sich verfangen, also weniger leicht verletzen kann. In den Händen des Ungeübten,, also besonders des Schülers, ist auch ohne Zweifel eine feine Sonde weit gefährlicher als eine starke. Es gehört weit mehr Plumpheit dazu, mit einer starken Sonde den Uterus zu verletzen, als mit einer feinen. Je vollständiger das Resultat der Palpation der Beckenorgane in einem bestimmten, unserer Beobachtung unterliegenden Falle ausfiel, desto wichtiger ist es, die normalen sowohl als auch die anomalen 122 B. S. Schultze, Befunde für die Erinnerung zu fixiren, die normalen deshalb, weil bei späteren, im weiteren Verlauf stattgehabten Veränderungen es von grosser Bedeutung sein kann, zu wissen, dass die jezt neu zur Beobachtung kommenden anomalen Befunde nicht etwa früher übersehen , sondern wirklich neu hinzugekommen sind. Mit Worten frisch aus der Erinne- rung alle Einzelheiten des Palpationsresultates genau zu notiren, fehlt uns in sehr vielen Fällen Zeit und Gelegenheit, und wenn man erst nach Verlauf von Stunden, nachdem man inzwischen eine Anzahl Patien- tinnen untersucht hat, daran geht, die Befunde zu notiren, so dürften sich wohl die Wenigsten ein so scharfes Gedächtniss zutrauen können, um alle Einzelheiten der Befunde mit voller Sicherheit zu Papier zu bringen; und doch ist es von grosser Wichtigkeit, den früheren Be- fund genau im Gedächtniss zu haben, wenn, vielleicht nach Wochen oder Monaten erst, die Patientin sich wieder zur Beobachtung stellt. Durch eine ganz skizzenhafte graphische Darstellung können wir den Befund der Untersuchung in sehr viel kürzerer Zeit und sehr viel ge- nauer zu Papier bringen, als durch Worte und, was nicht minder wichtig ist, wir können, wenn die Patientin sich wieder stellt, uns aus einer solchen graphischen Notiz viel schneller und viel vollständiger des früheren Befundes erinnern. Ich habe den Werth der graphischen Notirung des Befundes der Beckenorgane zunächst kennen gelernt, wenn ich für die klinische Demonstration oder behufs Mittheilung an Collegen diese graphischen Notizen gemacht hatte. Ich fand dann, dass durch dieselben auch mir die factische Basis für die fernere Be- urtheilung des Falles viel anschaulicher vorlag, dass ich Veränderungen des Befundes im weiteren Verlauf des Falles viel bestimmter und schneller zu beurtheilen im Stande war, und ich fand endlich, dass ich viel besser untersuchte, wenn ich die Absicht hatte, den Unter- suchungsbefund aufzuzeichnen, ich kann auch versichern, dass ich durch die Gewohnheit des Aufzeichnens der Befunde meine Fähigkeit zu palpiren nicht unerheblich geschärft habe. Ich notirte mir anfangs die Befunde nur im Medianschnitt des Beckens in Schemata, welche ich mir mit einer Kupferschablone in mein Notizbuch aufgezeichnet hatte; für viele Fälle genügt die alleinige Aufzeichnung im Medianschnitt, wenn nämlich der Uterus median ge- legen ist und die Eierstöcke nichts zu bemerken bieten ; ist aber eine seitliche Asymmetrie des Uterus und sind Form- und Lageabweichungen der Ovarien zu notiren, so muss man ausser der Medianansicht auch noch eine Ansicht von vorn und von oben aufzeichnen. Von Wichtigkeit ist es, die Ansichten für jeden Fall in gleicher Richtung zu nehmen, man müsste sonst jedes Mal die Richtung besonders notiren, und da es sehr | | Í i } Ueber Palpation der Beckenorgane ete. 123 aufhalten, auch nicht correct genug ausfallen würde, die Beckenwan- dungen in jedem‘ Fall besonders aufzuzeichnen, so führe ich jetzt Schemata, welche in t/ der natürlichen Grösse drei Ansichten des weiblichen Beckens in den drei Dimensionen des Raumes darstellen, eine Profilansicht, eine Ansicht in der Richtung der Axe des Becken- eingangs, eine dritte in der Richtung der Conjugata des Becken- eingangs. Die Aufzeichnung der Schemata mittelst Schablonen hatte allerdings den Vortheil, dass man erstens an jeder Stelle des Krankenjournals die Beckenzeichnung einfügen konnte und zweitens, dass man je nach Bedürfniss einzelne Theile des Schema weglassen konnte, dass man z. B., wo der Befund in einem anomalen Becken zu notiren war, z. B. der Befund einer Blasenscheidenfistel, die vordere Beckenwand nicht. nach dem Schema, sondern abweichend von demselben nach der ge- nauen Messung notiren konnte. Aber die genannten Vortheile über- wogen nicht die Umständlichkeit der genannten Art der Notirung und so bediene ich mich jetzt seit längerer Zeit lithographirter Schemata. In einer grossen Zahl der Fälle genügt es natürlich, je zwei der gegebenen Beckenansichten auszufüllen, aber in allen complicirteren Fällen ist es wichtig, den Befund in allen drei Dimensionen aufzu- zeichnen. Auf der beigegebenen Tafel ist in Fig. 1 —3 das leere Schema der drei Beckenansichten, in Fig. 4—6 und 7—9 die graphische Notiz über den einmaligen Untersuchungsbefund zweier in meiner Beobach- tung befindlichen Fälle wiedergegeben. Ich gebe nachfolgend die Be- schreibung des Befundes in Worten. Fall I. Fig. 4, 5, 6. Frau S. ausL., einige 30 Jahre alt, hat mehrmals geboren, ist seit der letzten Geburt, vor drei Jahren, nicht wieder menstruirt, klagt über Magenbeschwerden und Stuhlverstopfung. Pereussion und Palpation des Unterleibes ergaben normalen Befund bis auf eine Dämpfung vor der linken Darmbeinschaufel , woselbst ein länglich runder, in continuo verschiebbarer gegen Druck empfindlicher, unebener Körper zu palpiren ist (durch den weiteren Verlauf als Koth- anhäufung in der Flexura sigmoidea erwiesen). Die innere Unter- Suchung zeigt eine ziemlich enge, straffe Vagina mit sehr kurzer nach hinten gerichteter Vaginalportion; im vorderen, wie auch im hinteren Scheidengewölbe etwas vermehrte Resistenz. Die combinirte Unter- Suchung erweist die erstere als bedingt durch den stark antevertirten, auch etwas fleetirten, sehr kleinen Uterus (Sonde nicht ganz 4 CGtim.). Rechts und nach hinten vom Uterus ist ein rundlicher, fest-elastischer Körper von etwa 3 Ctm. Durchmesser zu palpiren, welcher schmerz- = i | f 124 B. S. Schultze, haft gegen Druck und wenig beweglich, gegen die rechte Uterusecke hin durch einen ebenfalls gegen Druck schmerzhaften Strang fixirt ist, das rechte Ovarium. Gegen das hintere Scheidengewölbe geht dasselbe in eine weniger genau zu begrenzende Masse über. Diese erweist sich durch combinirte Reeto-Vaginaluntersuchung als im DousLas’schen Raum gelegen, unbeweglich, auch gegen starken Druck wenigempfindlich. Nach reichlichen Stuhlentleerungen war das linke Ovarium, auf weniger als die Hälfte seines normalen Volums reducirt, frei beweglich und schmerzlos an seiner normalen Stelle am Innenrande des Psoas zu palpiren. Diagnose: Anteversion mit Flexion des vorzeitig atrophirten Uterus. Atrophie des linken, entzündliche Schwellung des rechten Ovarium, welches mit einem alten Exsudat im Dougras’schen Raum verlöthet ist. Fall Il. Fig.7,8,9. Frau V. aus V., 42 Jahre alt, durch Blutungen aus dem Uterus sehr heruntergekommen. Percussion zeigt Dämpfung einige Centimeter hoch über der Symphyse, die äussere Palpation zeigt hinter der vorderen Bauchwand etwa 6 Ctm. oberhalb des Randes der Symphyse, die Medianlinie nach links hin stärker als nach rechts über- ragend, einen glatten, rundlichen Tumor nach vorn prominiren, un- gefähr von der Grösse und Form eines normalen , nicht vergrösserten Fundus uteri. Derselbe zeigt keine Empfindlichkeit gegen Druck und eine geringe Beweglichkeit nach hinten, ebenfalls ohne Schmerz. Nach rechts und links vom Grunde des genannten Tumor ausgehend, er- streckt sich, durch die Bauchdecken deutlich fühlbar, ein etwa je 6 Gtm. langer Strang, welcher auf Länge der genannten Entfernung in eine ovale, etwa 3 Ctm. lange 1,5 hohe Anschwellung endigt, von welchen die rechts gelegene gegen Druck empfindlich ist. Beide letzt- genannte Tumoren sind in der Richtung von vorn nach hinten, sowie in der von oben nach unten frei beweglich, ihr Abstand von dem mittleren, muthmaasslich dem Fundus uteri entsprechenden Tumor ist ziemlich unveränderlich. Ueber den letztgenannten Tumor hinweg- tastend, palpirt die Hand durch die Bauchdecken in Continuität mit genanntem Tumor eine den Beckeneingang ziemlich ausfüllende, den- selben etwas überragende, glatte, nicht ganz unbewegliche, gegen Druck nicht empfindliche, solide Masse. Bei der inneren Untersuchung gelangt der Finger, nachdem er die durch alte. Zerreissung des Dammes erheblich verlängerte Schamspalte passirt hat, in der Höhe der Spinae Ischii auf die runde, glatte, schleimhautbekleidete Oberfläche eines das Becken fast ausfüllenden Tumors. Die zwischen demselben und der Vaginalwand hinauftasten- den Finger erreichen ringsum den scharfen Saum des Muttermundes, dessen Ränder ringsum ziemlich stark gegen die Beckenwand ange- Ueber Palpation der Beckenorgane ete, 125 drängt mit den gespreizten 2 Fingern eben noch gleichzeitig abzu- langen sind, und also 7—8 Ctm. in jeder Richtung von einander ab- stehen. Der vordere gegen die Syinphyse gedrängte Muttermundssaum Steht etwas näher dem unteren als dem oberen Rand der Symphyse, die vordere Wand der Vagina hängt in die Vulva herab. Der unter- suchende Finger kann in der ganzen Breite der vorderen Beckenwand »wischen Tumor und vorderer Uteruswand in den Gervicaleanal ein- dringen. Die Breite desselben, am Muttermund circa 7 Gtm. betragend, verjüngt sich nach oben von den Seiten her trichterförmig. Der unter- suchende Finger passirt reichlich 6 Ctm. hoch über die Circumferenz des Muttermundes hinauf , von welcher Stelle an der Gebärmuttercanal zu eng wird, um den Finger weiter zuzulassen. Die bis zur genannten Stelle geführte Spitze des Zeigefingers be- gegnet deutlich den Fingerspitzen der von aussen entgegentastenden anderen Hand genau an der Stelle, wo der als Corpus uteri jetzt klar erkannte mittlere Tumor in die den Beckeneingang füllende solide Masse übergeht. Der hintere Saum des Muttermundes steht beträchtlich oberhalb der Ebene der Beckenenge, etwa in der Höhe der Verschmel- zung des 3. mit dem 4. Kreuzwirbel. Er prominirt nur ‘wenige Milli- meter in die Vagina und geht ebenso kurz wie nach hinten in das Scheidengewölbe nach vorn in die Schleimhautbekleidung des Tumor über. Genau das gleiche Verhalten zeigt der Muttermundssaum an der rechten und linken Beckenwand, so dass offenbar der in das Becken Prominirende Tumor seine Basis an der ganzen hinteren und den bei- den seitlichen Wänden des durch ihn erweiterten Cervix uteri hat. Wenn die aussen palpirende Hand den Fundus uteri in der Richtung Segen die hintere Bauchwand drängt, hebt sich der vordere Mutter- Mundssaum, während der hintere nach abwärts rückt und der ganze das Becken füllende Tumor an der Bewegung den entsprechenden Antheil nimmt. Die punktirte Linie in den drei Figuren bezeichnet die muthmaassliche Grenze des Tumor gegen die Uteruswand. Der Pfeil in Fig. 7 deutet die Richtung an, in welcher der Uterus nebst Tumor beweglich sind. Diagnose: Grosses interstitielles Fibroid der hinteren Wand der Cervix uteri. (Das Nähere über Diagnose und operative Therapie dieses Falles ist jüngst in der Dissertation des Dr. Hausmann 1) mitgetheilt Worden. lch glaube, dass gerade die beiden hier wiedergegebenen Fälle Im Stande sind zu zeigen, wie sehr viel kürzer und namentlich auch For RER 4) Beiträge zur Casuistik der Uterusfibroide von August HAUSMANN. Jena, 4868. 126 B. S. Schultze, Ueber Palpation der Beckenorgane ete. genauer: die graphische Darstellung das Resultat der ‚Untersuchung wiederzugeben im Stande ist, gegenüber der schriftlichen. Auch wird ersichtlich sein , wie sebr viel leichter und bestimmter später erfolgte Veränderungen im Befunde nach der graphischen Darstellung erkannt und beurtheilt' werden können. Ich habe in. den hier wiedergegebenen 2 Fällen die graphische Notiz absichtlich mit möglichst einfachen und groben Linien gegeben, weil es. mir gerade daran lag, zu zeigen, dass nicht etwa ein Aufwand von Zeichenkunst erforderlich sei, um diejenigen Vortheile von der graphischen Notirung des» Palpationsbefundes zu haben, welehe ich von derselben gerühmt habe: Man kann natürlich durch feinere Zeichnung die palpirten Formen in besonderen Fällen viel genauer zu Papier bringen, man kann auch ausser den Formen andere Resultate der Palpation mit Leichtigkeit in die Zeichnung: eintragen. So pflege ich mir z.B. die bei der Unter- suchung als schmerzhaft ermittelten Partien mit Rothstift zu bezeichnen. So pflege ich ferner Aenderungen im Befunde mit irgend einem bunten Stift, später einzutragen und notire mir mit demselben Stift am Rande das Datum des Befundes; ich mache auf die Weise in gleichviel Sekun- den mir eine Journalnotiz, die, wenn ich sie in Worten machen wollte, mindestens ebenso viel Minuten in Anspruch nehmen würde; kurzum ich. glaube, dass, abgesehen von allen anderen Vortheilen dieser Art der: Notirung des. Palpationsbefundes, so’umständlich dieselbe Man- chem ‚von, vornherein erscheinen ‘mag, so compendiös und zeit- ersparend ‘sie gerade dem vielbeschäftigten Practiker sich erweisen werde. Der Lithograph, Herr Giltich hier, ist gern erbötig, denjenigen meiner Collegen, welche den Wunsch aussprechen, eine Anzahl Sche- mata abziehen zu lassen. Die Zeichnungen befinden sich noch auf dem Stein. Jena, 45. März 1869. B. Schultze. l | Kleinere Mittheilungen. Ueber Rubus Leesii Babingt. Von Dr. W. O. Focke in Bremen. In meinem Aufsatze über die synthetische Methode in der Systematik habe ich den Rubus Leesii Babingt. erwähnt. Wenn ich auch erst die Vorbereitungen zu einem eingehenden Studium dieser merkwürdigen Pflanze getroffen habe, so will ich dieselbe doch hier kurz besprechen ; vielleicht wird Jemand dadurch veranlasst, Mich mit Beobachtungsmaterial zu unterstützen. Der Rubus Leesii Babingt. ist eine Himbeere, ein Rubus Idaeus L., mit modi- fieirten Blättern. Die Schösslingsblätter sind meist 3zählig, mit fast völlig sitzen- den Blätichen, die Blätter der Blüthenzweige meist ungetheilt; andere als diese beiden Blattformen kommen an der Pflanze nicht vor, namentlich nicht die dem Normalen Rubus Idaeus L. eigenthümlichen 3- und 5zählig gefiederten Blätter mit langßestieltem Endblättchen. Der Rubus Leesii Bab. ist bisher in England, Schwe- den und im nordöstlichen Deutschland, vielleicht auch in Oesterreich, gefunden, überall nur in wenigen, isolirten Hörsten, die offenbar stets von einem einzelnen Individuum abstammten. Diese spärlichen zerstreuten Exemplare des R. Leesii können nicht die letzten Repräsentanten einer im Aussterben begriffenen Art sein, denn sie finden sich nicht an Localitäten, die irgendwie geeignet erscheinen können, die Ueberbleibsel einer ursprünglichen, einheimischen Vegetation zu erhalten. In mehreren Fällen finden sie sich in unmittelbarer Nähe menschlicher Cultur. Bei der Srossen Entfernung der verschiedenen Standorte ist es ferner im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass die Exemplare des R. Leesii Bab. direct von einander abstammen. Vielmehr nöthigen die Thatsachen zu der Annahme, dass an mehreren Orten unabhängig von einander Exemplare des R. Leesii aus Samen des R. Idaeus L, hervorgegangen sind. Es ist sehr zweifelhaft, ob alle Exemplare des R. Leesii Bab. einander genau Sleichen. Die schwedischen, welche ArrHEnıus unter dem Namen R. Idaeus ano- Malus beschrieben hat, scheinen wenigstens zum Theil von den englischen abzu- Weichen, während diese letzten nach der Beschreibung mjt den deutschen, die 128 Dr. W. 0. Focke, mir allein vorliegen, genau übereinstimmen. Erst wenn die Möglichkeit einer Ver- gleichung geboten ist, lässt sich diese Frage bestimmt entscheiden. Sicher ist aber so viel, dass keine deutlichen Uebergänge zwischen Rubus Idaeus L. und R. Leesii Bab. vorzukommen scheinen, und dass diese, selbst wenn sie vorhanden wären, jedenfalls viel zu selten sind, um den R. Leesii als ein extremes Endglied einer längeren verbindenden Reihe von Mittelformen zwischen ihm und R. Idaeus L, zu charakterisiren. Gleich wie die Früchte des R. Idaeus L. entweder roth oder gelb, nicht aber orangelarben sind, so scheint aus einem Samenkorn entweder ein Rubus Idaeus L. oder ein R. Leesii Bab. hervorzugehen, niemals eine Mittelform. Der erstere Fall ist nur Millionenmal häufiger. Man kann den Rubus Leesii Bab. als eine Rückschlagsform des R. Idaeus L. auffassen,, welche Charaktere uralter Vorfahren wieder hervortreten lässt, die dem modernen R. Idaeus L. fremd sind. Dass in den Blättern des R. Leesii Bab. aber auch Elemente des R. Idaeus L. stecken, die jenen Vorfahren fremd gewesen sein müssen, habe ich bereits in meinem Eingangs citirten Aufsatze nachgewiesen Ver- muthlich ist es ebenso richtig oder richtiger, in dem Rubus Leesii ein Vorspiel einer neuen Art als einen Rückschlag auf einen ausgestorbenen Typus zu erblicken. Wenn alte verloren gegangene Charaktere mit einem lebenskräftigen modernen Organismus combinirt werden, so können in einer derartigen Verbindung die Grundbedingungen für die Entwickelung eines neuen Typus gegeben sein. Sind diese Anschauungen richtig), so würden wir im R. Leesii Bab. ein Beispiel vor Augen haben, auf welche Weise eine neue Species sich bilden kann. Der Rubus Leesii Bab. entsteht, wie oben gezeigt wurde, an verschiedenen Orten gleichzeitig aus einer andern Art; gelingt es ihm, sich zu verbreiten und zu be- haupten, so wird er sich leicht zu einer distincten Species entwickeln. Es ist nicht unmöglich, dass er bei Kreuzung mit normalem R. Idaeus L. die Nachkommen- schaft des letzteren grossentheils in R. Leesii umzuwandeln vermag, weil im Rubus Idaeus L. die Tendenz, einen R. Leesii zu erzeugen, schon in der Anlage vorhan- den sein muss. Beobachtungen und Experimente müssen über diese, wie über andere damit zusammenhängende Fragen entscheiden, wie denn auch die Gonstanz des Typus des R. Leesii bei der Aussaat noch zu beweisen sein wird. Eine andere Rubusform, der R. laciniatus Willd., erscheint ebenso wie R. Leesil Bab. als ein plötzlich neu entstandener Typus, der sich durch den Schwund eines grossen Theils der normaler Weise die Nerven verbindenden Blattsubstanz aus- zeichnet. Dieser R. laciniatus, der gewiss nur ein moderner Abkömmling einer andern Rubusart ist, soll sich aus Samen völlig ächt fortpflanzen, somit eine con- stante Race sein. Die Analogie lässt daher vermuthen, dass bei R. Leesii Bab. das Gleiche der Fall sein wird. Nach den Ergebnissen meiner bisherigen Untersuchungen ist es wahrschein- lich, dass sich innerhalb der Gattung Rubus auf drei verschiedenen Wegen neue Arten bilden können, nämlich 4) durch allmähliche Differenzirung und Divergenz der Charaktere; 2) durch plötzliche Entstehung neuer erblicher Eigenthümlichkeiten ; 3) durch Constantwerden der Abkömmlinge von Hybriden. Die Bedeutung des zweiten Weges wird durch näheres Studium des R. Leesii Bab. vielleicht in ein helleres Licht gesetzt werden. Eine Analogie des Rubus Leesii Bab. ist in der Gattung Fragaria beobachtet worden. Die Fragaria monophylla L. zeichnet sich durch das häufige Vorkommen ungetheilter Blätter an Stelle der normalen 3zähligen aus. Im Uebrigen scheint sie | l | | | | m ern e Ueber Rubus Leesii Babingt. 129 aber keinen constanten Typus zu bilden, da sie in der Gestalt von Kelch, Krone u. s. w., sowie in der Anwesenheit oder dem Fehlen der Ausläufer sehr variabel sein soll. Sie scheint indess ihre Charaktere durch Samen zu vererben und ist, ebenso wie der Rubus Leesii, an verschiedenen Orten gleichzeitig und unabhängig von einander aufgetreten. In seiner Monographie der Rosaceen erklärte TRATTINNICK im Jahre 1823 diese Fragaria monophylla ganz unbefangen für eine neu entstandene Art — pro specie habenda nostro aevo enata (Ros. monogr. II, p. 166) — eine An- schauung, welche offenbar mit der herrschenden Doctrin in Widerspruch stand, aber sich aus der Betrachtung der vorliegenden Thatsachen gleichsam von selbst ergab. In ähnlicher Weise sind auch Rubus Leesii Bab. und R. laciniatus Willd. aufzufassen; in allen drei Typen sind beginnende neue Arten zu erblicken, welche Sicher entwickelungsfähig sind. Ob sie den Kampf ums Dasein glücklich durch- fechten und ihrer Nachkommenschaft eine bleibende Existenz sichern werden, ist eine Frage, die sich bis jetzt unmöglich beantworten lässt. Pessarien aus weichem Kupferdraht und vulkanisirtem Gummi. Von B. S. Schultze. Die Zahl verschiedener Arten von Pessarien, sowohl zu dem Zweck, die in> vertirte Vagina und den descendirten Uterus zurückzuhalten, als auch um ver- schiedene andere Lageabweichungen des Uterus zu corrigiren, ist eine enorme, und jedes Jahr vermehrt ihre Zahl zum deutlichen Beweis, dass die vorhandenen den- jenigen Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht entsprechen. Sind die Pessarien schlecht oder sind die Anforderungen unrichtig? Es ist wohl beides der Fall. Marion Sıms sagt sehr richtig: I have seen the inside of an immense number of vaginas, and I never sore two that were in all particulars exactly alike. They are as different from each other as our faces and noses. In Mr. TRÉTERRE’S great collection of palatine fissure-casts, numbering now some 600 or more, each one has its peculiar anomalies, and each its peculiar apparatus. I would not bee under- stood as meaning that 600 cases of uterine displacement would need as many differently constructed instruments; bot I mean this, that every individual case is a study of itself and that its complications and peculiarities must be investigated, understood, and respected, if we expect to treat them safely and successfully. Der Vergleich der Pessarien mit dem künstlichen Gaumen ist ganz gut. Es ist ein bisher allgemein verbreitet gewesener Irrthum, dass zur Hebung der Be- schwerden einer jeden ganz individuell eigenthümlichen Lageveränderung des Uterus irgend eines der zuvor ohne Kenntniss des Falles construirten Instrumente genügen solle. Und wenn wir eine noch so grosse Auswahl verschiedener Pessarien zur Hand haben, wir werden uns gestehen müssen, dass wir doch in der Mehrzahl der Fälle nur ein halbwegs passendes ausfindig gemacht haben. Die elastischen Ringe haben manche der Uebelstände, die den festen Pessarien anhaften, umgehen lassen, aber es geht ihnen dafür wieder mancher Vortheil, der gerade durch die Festigkeit des Pessariums geboten wird, ab. Ein festes Pessarium, welches doch gestattet, seine Gestalt nach den individuellen Verhältnissen leicht zu modificiren, wird seinem Zweck am besten entsprechen. | | Pessarien aus weichem Kupferdraht und vulkanisirtem Gummi 131 Sıns bedient sich ringförmiger Pessarien aus englischem Blockzinn mit etwas Bleizusatz, deren Gestalt er nach den Anforderungen des einzelnen Falles so lange modificirt, bis es denselben entspricht, und lässt dann nach dem so gewonnenen Modell ein festes Pessarium aus Silber oder Vulcanite anfertigen, wenn die Patientin Seiner Beobachtung sich entziehen will. Gegen den Bleizusatz hatte ich Bedenken und die Pessarien aus reinem Block- zinn lassen sich nicht sehr oft biegen ohne die Gefahr, zu brechen. Sms erwähnt auch, dass man vielfach Pessarien aus gewöhnlichem Telegraphendraht verfertigt habe, dass dieselben aber wegen der mangelhaften Vereinigung der Enden sehr unzweckmässig seien; er habe selbst Pessarien aus Kupferdraht anfertigen und dann mit Guttapercha überziehen lassen. Dieser Gedanke schien mir sehr gut. Ich liess mir Ringe aus weichem Kupferdraht mit einer dicken Lage vulkanisirtem Gummi in verschiedener Grösse fertigen und habe dieselben vielfach angewendet. Diese Ringe lassen sich in jede Form biegen, man kann die Umrisse der ZwAnk- Schen, der Hopge’schen und ziemlich aller anderen Pessarien dadurch nachahmen, und jede andere, auch noch nicht dagewesene Form, wenn sie dem individuellen Fall angemessen ist, herstellen; man kann jederzeit, wenn sich herausstellt, dass das Pessarium seinen Zweck nicht ganz erfüllt, oder dass es da oder dort drückt, die Form entsprechend modifieiren. - Ich habe z. B. in Fällen, wo irreponible Geschwülste das Becken verengen und wo deshalb keine der gehräuchlichen Formen von Pessarien zulässig und erträglich gewesen sein würden, solchen gummiüberzogenen Kupferringen schliesslich eine Gestalt geben können, die es ermöglichte, dass sie ohne allen lästigen oder nach- theiligen Druck getragen wurden, und jdie Beschwerden des gleichzeitig bestan- denen Vorfalles beseitigten. In Fällen von Flexionen und Versionen des Uterus kommt man mit solchen biegsamen Kupferringen weit leichter und weit vollstän- diger zu dem gewünschten Ziel, als wenn man unter einer noch so mannigfaltigen Auswahl von Formen und Grössen Hoper’scher Hartgummipessarien das am meisten Passende aussuchen will. Ich habe diese gummiüberzogenen Kupferringe erst in ein paar Dutzend Fällen angewendet und bin‘von ihrer Zweckmässigkeit gegenüber der Quälerei mit den üblichen Pessarien jedes Mal von.Neuem überrascht. Ich wollte nicht zögern, durch Mittheilung dieser meiner Erfahrung die Collegen aufzufordern, das Instru- ment zu versuchen. Ich liess mir von Francois Fonroßerr in Berlin die Ringe in 4 verschiedenen Grössen anfertigen, von 9, 40, 44 und 42 Centimeter äusserem Um- fang und bin mit diesen Dimensionen bis dahin ausgekommen. Die Instrumente Sind billiger als manche andere Pessarien; der Preis von 45 Sgr. pro Stück wird es ermöglichen, ‚dieselben auch für die klinische und für die Armenpraxis leicht ein- zuführen. Jena, den 42. Januar 1869. 9% Ueber das Gehirn der Chimära. Aus einer brieflichen Mittheilung von Miklucho-Maclay an C. Gegenbaur. Das Gehirn der Chimära monstrosa, wie es bis jetzt nur aus einer von VA- LENTIN gelieferten Beschreibung und Abbildung (in MüÜrter’s Archiv für Anat. und Phys. 1842) bekannt ward, bietet so viel Eigenthümlichkeiten, so dass es unmög- lich war, selbes einer oder der andern Reihe der Fischgehirnformen anzuschliessen. Hr. MıxLucHo fand, dass die beregte Darstellung mit seinen bezüglich des Gehirns der Selachier gewonnenen Untersuchungsergebnissen theilweise passte, theilweise aber auch gänzlich abwich. Jene Darstellung lässt ein Zwischenhirn erkennen, welches jenem der Selachier ähnlich ist. VALENTIN hat es als Vorderhirnhemisphäre aufgefasst. Von ihm gehen ein paar Anschwellungen ab, die als Lobi olfactorii an- gesehen werden. Dann folgt ein Abschnitt, der einem Mittelhirn entspricht, das VALENTIN als Zwischenhirn ansah; dann folgt ein Cerebellum mit verlängertem Mark, die, beide auch von VarentiN so gedeutet, gerade die Eigenthümlichkeiten dieses Theils bei den Selachiern besitzen. Somit passte also der grösste Theil des Gehirns mit dem Verhalten bei Selachier, wo sollte nun das Vorderhirn sein? Hr. Mixwucno fand in Messina Gelegenheit zur Untersuchung des Nervensystems einer Chimäre und schreibt weiter: »Anfangs stutzte ich, die Varextin’sche Darstellung schien vollkommen richtig, abgesehen von einigen Kleinigkeiten. Als ich aber die Yarzntin'schen tractus nervi offactorii ansah — sie bildeten zusammen eine Rinne — da fragte ich mich: sollten diess nicht die Hirnstiele sein? Ich verlängerte die Oeffnung der Schädelhöhle, und richtig, weit vorne lagen die grossen schönen Vorderhirnhälften durch sehr lange pedunculi cerebri mit dem Zwischenhirn in Zusammenhang.« Dieses Vorderhirn entspricht also dem von J. Mützer (Arch. für Anat. u. Phys. 1843, p. CCLII.) als hinter den Riechfalten gelegene Anschwellung des Riechnerven bezeichneten Theils. Da jedoch seitlich an der Vorderhirn- hemisphäre noch eine die Riechnerven entsendende Anschwellung vorhanden ist, so kann kein Bedenken gegen die oben gegebene Deutung aufkommen. Die Eigen- thümlichkeit des Chimäragehirns bestände also im Wesentlichen in der bedeuten den Ausdehnung des Hirnstieles, und damit verbundener Entfernung des Vorder- hirns vom Zwischenhirn. In demselben Maasse als das Vorderhirn nach vorne ge rückt ist, sind die tractus olfactorii verkürzt, und es müssen sich die Anschwellungen des Riechnerven dem Vorderhirn selbst anlagern. So ist es bei den Chimären der Fall, deren Gehirn also mit dem Gehirn der Selachier viel vollständiger überein- kommt, als Jon. Mürzer (l. c.) das annahm, obgleich ihm die grosse Aehnlichkeit der hinteren Abschnitte keineswegs unbekannt blieb. Die Bewegung des Blüthenstieles von Alisma von Fr. Müller. An den Ufern des Itajahy, dicht am Wasser und nicht selten überfluthet von dem schwellenden Flusse, wächst in Menge ein statt- liches Alisma'. Der Blüthenstiel erhebt sich bis mannshoch und Wwägt drei im Quirl stehende Aeste. Unterhalb der Aeste ist der Blü- thenstiel nackt; sein oberer Theil trägt wie die Aeste entfernt stehende Deckblattwirtel, in deren Achseln dicht gedrängt die Blüthen ent- Springen. ; Betrachtet man eine Gruppe dieses Alisma, so fällt es auf, dass die oberen Enden der Blüthenstiele und ihrer Aeste in höchst mannig- facher Weise gekrümmt sind.: Die einen stehen fast gerade in die Höhe, andere sind in einfacher Krümmung stärker oder schwächer zur Seite geneigt, bei wieder anderen sind die einzelnen Stengelglieder in verschiedenen Ebenen gebogen. Die Aeste sind bald schief aufwärts Serichtet mit dem Hauptstiele zu- oder von ihm abgewendeter Spitze, bald stehen sie wagerecht ab und ihre Spitze zeigt seitwärts oder niederwärts. Die drei Aeste desselben Blüthenstieles stimmen meist weder in der Stärke noch in der Richtung ihrer Krümmung überein. — Und auch für jeden einzelnen Blüthenstiel sind Grad und Richtung der Krümmung stetem Wechsel unterworfen. Nach Verlauf einiger Stunden wird man nur selten den einen oder anderen in seiner frühe- ren Stellung wiederfinden. Ein Blüthenstiel, der sich vorher etwa hach W neigte, wird jetzt vielleicht in gleicher Weise sich nach N oder O biegen, oder fast gerade sich emporstrecken, oder auch, indem Seine einzelnen Glieder nach verschiedenen Seiten sich krümmen, Schlangenförmig oder fast schraubenförmig aufsteigen. Alle diese nach Form und Richtung so wechselvollen Krümmungen beobachtet man jedoch nur an den jüngeren, noch in raschem Wachs- e „ * Dasselbe wurde mir in Kew als Alisma macrophylla Kth. (?) be- - stimmt. Bd. V. 2, 10 134 : Fr. Müller, thum begriffenen Gliedern des Blüthenstieles, namentlich vor dem Auf- brechen der Knospen; die älteren, samentragenden haben sich ge- streckt und stehen am Hauptstiele aufrecht, an den Aesten ziemlich wagerecht. : Ich habe einen jungen Blüthenstiel während dreier Tage, so oft meine Zeit es gestattete, beobachtet und jedesmal die Richtung, nach- welcher seine Spitze hinzeigte, aufgezeichnet und die Entfernung der Spitze von der die Verlängerung des unteren nackten Theiles bilden- den Verticallinie gemessen. Jeh will der Mittheilung dieser Beobach- tungsreihe vorausschicken, dass in diesen drei Tagen (8., 9. und 40. Januar), der untere nackte Theil des Blüthenstieles von 0,9 zu 1,1 Meter Höhe heranwuchs, und dass der obere Knospen tragende Theil am Morgen des 8. Januar 0,44, am Morgen des 9. Januar 0,49, am Morgen des 40. Januar 0,25 und am Abend desselben Tages 0,30 Meter lang war. Die Aeste waren noch ganz kurz und ihre Deckblattwirtel dicht zusammengedrängt. — Auch mag erwähnt sein, dass die drei Tage sonnig und ungewöhnlich heiss waren; das Thermometer zeigte um 6? 45m Vormittags an jedem der drei Tage 24° C: und um 4 Uhr Nachmittags 32° G. am 8. Januar, 34° C. am 9. und 40. Januar. Richtung der | Entfernung der Stengel- Zeit der Beobachtung ; _Stengelspitze | spitze v. d. Verticalen 1868, 6h 45m Vm. SWeW 0,044 Meter. Januar 8. SSW 0,054 SSO 0,038 0,042 0,044 0,044 Januar 9. | 6b 45m Vm. | 0,026 Meter, 9h 45m 0,098 12h ] 0,036 3h 45m Nm. 0,430 6b 30m 0,076 7h 30m ; | 0,440 Januar 40. | 5h 45m : 0,055 Meter. 6h 45m 0,098 8b gm 0,149 8h 55m 0,430 9h 45m 0,084 44h 0,474 12h 0,022 Ab Nm. 0,208 2h 5m 0,216 2h 54m 0,186 4h 54m 0,065 6b 3 0,194 7h 0,436 Die Bewegung des Blüthenstieles’von Alisma. a 135 Am 8. Januar beschreibt also die Spitze des Blüthenstiels in 10 Stunden drei Viertel eines Kreises und bewegt sich dabei in gleicher Richtung wie der junge Schössling einer Winde, Bohne oder einer anderen nach rechts sich windenden Pflanze. Die Krümmung des in Bewegung begriffenen oberen Theiles erleidet dabei keine auf- fallende Veränderung; die Entfernung der Spitze von der Verticallinie beträgt 1/4 bis !/; von der Länge dieses oberen Theiles. Am 9. Januar wird in gleicher Richtung fast die ganze Windrose, (9/32), in 81/2 Stunde (von 6% 45m Vm. bis 3% 15” Nm.) durchlaufen, aber statt eines Kreises beschreibt die Spitze jetzt eine langgezogene Ellipse, deren kleine Achse etwa von NO nach SW gerichtet und etwa viermal in der grossen enthalten ist. Bei der ersten Beobachtung ‚am Morgen und ebenso Mittags steht der Blüthenstiel fast aufrecht, Während er in der Mitte des Vor- und Nachmittags stark gekrümmt ist, — Wahrscheinlich wurde von 3% 45 bis 7% 30m noch ein fast voll- Ständiger Umlauf in gleicher Richtung gemacht. Ich sage »wahrschein- lich«, denn es muss unentschieden bleiben, ob die Spitze des Blüthen- Stieles von 3" 45m bis 6" 30” durch S, oder durch N hindurch von _ NW8W nach OgN gelangte; da sie indess von da in der am vorigen "und am Morgen dieses Tages befolgten Richtung weiter geht, erscheint die erstere Annahme, bei der die Drehungsrichtung sich nicht geändert ‚haben würde, als die bei weitem wahrscheinlichere. Am nächsten Tage (10, Januar) wird die Bewegung eine weit un- Tegelmässigere. Am frühen Morgen macht das Ende des Blüthenstieles von 5h 48m bis 8% 5m fast 3/, eines Umgangs in der früheren Richtung von O durch N bis nach SSW; dann aber statt nach S weiter zu gehen, kehrt es nach W zurück und vollendet, in etwas über vier Stunden einen ersten Umlauf in entgegengesetzter Richtung und bis 6" Abends fast 3/4 eines zweiten Umlaufs, um sich dann von Neuem in die frü- here Richtung zurückzuwenden, indem es von OgS nach O statt nach S zu wandert. Dass beim Umkehren in die entgegengesetzte Richtung, sowohl am Morgen (zwischen 8" 5" und 8! 55”), als am Abend (zwischen Agam und 7°) eine sehr bedeutende Verlangsamung der Bewegung Sich zeigt, hat nichts Befremdendes. Sehr auffallend aber ist die fast vollständige Unbeweglichkeit, in welcher der stark gebogene Blüthen- Stiel von At bis 29} 54m Nm. verharrt, während er vorher in einer Stunde mehr als einen Viertelkreis durchlaufen hatte und nachher in 2wei Stunden fast 480 ° durchläuft. Auch abgesehen von diesem Still- Stand und von der Verlangsamung in der Nähe der Wendepunkte ist _ die Winkelgeschwindigkeit eine sehr wechselnde, bald so rasch, dass 10* : 136 Fr, Müller, ein Umlauf kaum 2t/, Stunde, bald wieder so langsam , dass er über 5 Stunden erfordert haben würde. — In höchst unregelmässiger Weise wechselt endlich an diesem Tage die Krümmung des beweglichen Theiles des Blüthenstieles. Mittags steht seine Spitze ganz in der Nähe der Verticallinie, — eine Stunde später ist sie eine gute Spanne da- von entfernt; und während ihr Weg während der ersten Morgenstun- den sich auf eine Ellipse mit von N nach S gerichteter grossen Achse zurückführen lässt, beschreibt sie später eine ausserordentlich lang- gezogene Ellipse, deren grosse Achse von W nach O gerichtet ist. Die Unregelmässigkeiten der Bewegung während dieses dritten Tages, gegenüber der regelmässigen Bewegung des ersten Tages, mögen wenigstens zum Theil ihre Erklärung in dem Umstande finden, dass am ersten Tage nur ein einziges Stengelglied, das zwischen dem Ur- _ sprung der Aeste und dem ersten Deckblattwirtel gelegene, dass aber am dritten Tage deren drei in Bewegung waren. Vielleicht war (ab- gesehen von dem Stillstande am Nachmittage und dem zweimaligen Richtungswechsel), die Bewegung jedes einzelnen Gliedes eine ziemlich regelmässige — jedenfalls aber war ihre Winkelgeschwindigkeit eine verschiedene, denn bald waren sie alle drei nach gleicher Richtung gebogen (wie um 1 Uhr Nm.), bald krümmten sie sich nach verschie- denen, ja, das erste und dritte bisweilen nach fast entgegengesetzten Richtungen (wie am Mittag). Im ersten Falle musste natürlich die Ent- fernung der Spitze von der Verticallinie vermehrt, im zweiten vermin- dert werden und ebenso musste dadurch die Winkelgeschwindigkeit des ganzen beweglichen Theiles (dessen Richtung durch die einer vom Ursprung der drei Aeste nach der Spitze gezogenen Geraden bestimmt wurde) bald beschleunigt, bald verlangsamt erscheinen. Aehnliche Bewegungen, wie die Blüthenstiele unseres Alisma, vollführen bekanntlich die jungen Schösslinge aller windenden und vieler rankentragenden oder mittelst ihrer Blattstiele klimmenden Klet- terpflanzen, bei denen diese Bewegungen durch Darwın so meisterhaft geschildert worden sind. Dass bisher nur bei Kletterpflanzen derartige Bewegungen beob- achtet wurden, dass sie als eine diesen ausschliesslich zukom- mende Eigenthümlichkeit erschienen, war eine ernste Schwierigkeit für Darwıns Lehre von der Entstehung der Arten. Dass die Fähigkeit des Windens, deren sich in einigen Fällen fast alle Arten einer grossen Familie erfreuen, in anderen auf vereinzelte Gattungen, oder selbst auf einzelne Arten einer Gattung (z. B. Vale- riana) beschränkt ist, weist darauf hin, dass diese Fähigkeit zu sehr verschiedenen Zeiten erworben worden ist, und dass bis in die jüngste Die Bewegung des Blüthenstieles von Alisma. 137 Zeit die Umwandlung nicht windender in windende Pflanzen fortge- dauert hat. Ferner weist das Vorkommen windender Pflanzen in so verschiedenen Familien, wie es z. B. die Farn, die Dioscoreen, die Asclepiadeen, die Dilleniaceen sind, darauf hin, dass ihre Entstehung sich an eine im Pflanzenreiche weit verbreitete, von der natürlichen Zuchtwahl benutzte und weiter ausgebildete Lebenserscheinung ge- knüpft haben werde. Da nun das Winden jene eigenthümliche Bewe- gung der jungen Schösslinge zur nothwendigen Voraussetzung hat, da eine Pflanze nothwendig sich bewegen musste, ehe sie in einer _ Schraubenlinie sich an anderen emporwinden konnte, so durfte man eben in jener Bewegung diese die Entstehung der windenden Pflanzen vermittelnde Lebenserscheinung suchen, und mit Bestimmtheit erwar- ten, ähnliche Bewegungen an nicht kletternden Pflanzen auffinden zu _ können. Es ist zu verwundern, dass Darwins Gegner seinen Freunden noch nicht diese Schwierigkeit vorgehalten, an sie noch nicht die For- derung gestellt haben, solche Bewegungen nicht kletternder Pflanzen, — als nothwendige Vorbedingung für die Möglichkeit des Entstehens windender aus nicht windenden Pflanzen — nachzuweisen. Jetzt würde eine solche Forderung zu spät kommen. Unser Alisma zeigt in der That so deutlich, als irgend eine Kleiterpflanze, dies »spon- taneous revolving movement«. Ich habe Grund, das Vorkommen ähn- licher Rewegungen bei einigen anderen Pflanzen zu vermuthen und kann sogar meinen deutschen Landsleuten eine im alten Vaterlande ‚häufig gebaute Pflanze bezeichnen, die wie Alisma kurz vor der _ Blüthezeit die Stengelspitze im Kreise herumdreht. Es ist der gemeine Lein. Meine Kinder hatten sich vor mehreren Jahren eine Pflanze die- ser ihnen bis dahin nur dem Namen nach bekannten Art gezogen und an dieser machte mich meine Tochter Rosa auf die Bewegung aufmerk- sam. Ich konnte mich mit Sicherheit von deren Vorhandensein über- zeugen, wurde aber durch die Ungunst der Witterung gehindert, sie mehrere Tage genauer zu verfolgen. Itajahy, Februar 1868. Fritz Müller. Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. Von Dr. Ant. Dohrn. (Mit Taf. V u. VL) 2. Ueber Entwicklung und Bau der Pyenogoniden, Das Hin- und Herschieben einer Thiergruppe in den Systemen deutet immer darauf hin, dass in der Organisation solcher Thiere etwas Aussergewöhnliches sich findet, das sich nicht recht mit den hergebrachten Beurtheilungsmaximen vereinigen will. Es hat gerade bei solehen Thiergruppen der Embryolog und der Darwinianer vorzüg- lich Gelegenheit zu erproben, ob seine Maximen und seine Methoden besser zum Ziele führen, als die früheren. Die Pycnogoniden gehören vor Allen zu solchen Gruppen. Sind sie doch noch eigentlich fortwährend auf der Wanderschaft von den Grustaceen zu den Arachniden und den Arachniden zu den Crusta- eeen. In England zweifelt kaum ein Zoolog an ihrer Krebsnatur, und die deutschen Zoologen zählen sie jetzt einstimmig den Spinnen zu. Auch kann man nicht sagen, dass sich nur wenige Forscher mit ihrer Untersuchung abgegeben hätten; ich nenne nur die Namen DUJARDIN, GOODSIR, QUATREFAGES, Krover, Kronn, Zenker, Hopee, GLAPAREDE etc. Wie Pyenogoniden fast jedem am Meere weilenden Zoologen in die Hände fallen, so muss er auch den sonderbaren Thieren eine Zeit lang Theilnahme schenken und daraus sind denn zahlreiche Arbeiten über Systematik, Organisation und Verwandlung hervorgegangen. Dennoch aber hat keine der bisherigen Untersuchungen uns völlige Sicherheit geboten über die eigentliche Stellung im System, über die Blutsverwandtschaft der Pycnogoniden entweder mit den Krebsen oder Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden, 139 den Spinnen. Man argumentirte mit allerhand Analogieen, die sich ja ziemlich leicht zwischen dem Bau gewisser Arachniden und dem der Pycnogoniden ergeben, um ihre Zugehörigkeit zu denselben zu bewei- sen: die sackförmigen Ausstülpungen des Magens, die vermeintliche Zahl von sechs Gliedmaassenpaaren, ja auch die Metamorphose, die einige Achnlichkeit mit der Milben-Entwickelung besitzen sollte, — all das wurde betont, konnte aber doch nicht entscheiden. Gerade auf die Natur der Larven legten aber die Gegner dieser Betrachtungsweise ihr Hauptgewicht, und wollten die Pyenogoniden den Entomostraken zu- gesellen oder doch wenigstens in ihre Nähe bringen. Bei meinem zweiten Aufenthalt an der Westküste Schottlands in Millport fand ich vortreffliche Gelegenheit, mich der Aufklärung die- ser streitigen Verhältnisse ungehindert zu überlassen , und ich darf hoffen, dass mir die Lösung der Frage gelungen ist. Was ich darüber vorzubringen habe, findet sich in den nachstehenden Mittheilungen. 4. Embryonale Entwicklung von Pycnogonum littorale. Die Eier sind röthlich, messen 0,12—0,16 Mm. im Durchmesser, sind vollkommen rundlich und werden in einer bedeutenden Zahl, vielleicht 4— 500, unter dem Leibe in einem einzigen Sacke getragen. Der Inhalt der Eier durchläuft einen vollständigen Furchungsprocess; jeder Furchungsballen enthält eine centrale Zelle, welche noch spät zu erkennen ist, wenn sich auch die Zahl der Ballen stark vermehrt (Tai Vo Pie: bi: Es ist wohl als sicher anzunehmen, dass aus diesen Zellen die Keimhautzellen hervorgehen. Eine vollständige Keimhaut _ um den ganzen Dotterinhalt zu beobachten , ist mir nicht gelungen, die Eier waren entweder vor oder hinter diesem Stadium. Es ist schwer, die Centralzellen von den Dotterkügelchen zu unterscheiden und eine Grenze von beiden im Embryo zu erkennen. Das Ei ist von zwei Hüllen umgeben, die beide durchsichtig sind und schon im Eierstocke gebildet werden. Wenn das Ei aus der Ova- rial-Oeffnung herausgetreten ist, erkennt man die innere Eihaut schwe- rer, weil sie durch den Dotterinhalt stark ausgedehnt wird. In der später ventralen Seite des Embryo entstehen allmälig Einbuchtungen, welche je drei Wülste begrenzen, — die späteren Beine (Taf. V. Fig. 2). Die vorderen dieser Wülste sind wesentlich breiter, als die mittleren und hinteren, entsprechend dem’ grösseren Volum der aus ihnen: zu bildenden scheerentragenden Extremitäten. Die beiden’ hinteren Paare verdünnen sich aber stärker nach der Spitze zu und legen sich vollständig über die untere Fläche des Embryo von on se nn nn 140 Dr, Ant. Dohrn, der einen Seite auf die andere hinüber (Taf. V. Fig. 3). Die Klauen, welche an der ausgebildeten Larve zu erkennen sind, werden somit schon früh im Embryo angelegt und sind nicht Auswüchse von Zellen des vorangehenden Gliedes. Zwischen den beiden vorderen Wülsten setzt sich noch ein mitt- lerer unpaarer von dem Körper des Embryo ab, der spätere Schnabel- fortsatz. Alle diese Theile bedecken sich erst später mit einer Cuticula; während dies geschieht, entsteht auf der Rückseite über dem Schnabel- fortsatz die erste Andeutung der Augen in Form eines einzigen Pig- mentfleckes (Taf. V. Fig. 4). Von der Anlage und Ausbildung der in- neren Organe ist nichts zu erkennen. Vor dem Durchbrechen der Eihäute liegt der Embryo in allen seinen Theilen vollendet, unbeweglich in der noch fortdauernd die Kugelgestalt bewahrenden Hülle, alle äusseren Theile sind deutlich erkennbar. Die langen, fadenartig ausgedehnten Dornen der vorderen ‘Extremitäten umschlingen den Körper des Embryo vollständig, die Klauen der beiden hinteren Extremitätenpaare sind über dem Bauche gekreuzt (Taf. V. Fig. 5). Mit den scheerentragenden Beinen voran verlässt dann der Em- bryo die Hülle des Eies und beginnt sofort seine Extremitäten zu gebrauchen, die langsam auf und abgebeugt werden. Die ausgekrochene Larve (Taf. V. Fig. 6) ist von kurzer, gedrun- gener Gestalt. Der Körper ist beinahe gleich lang und breit, die hinte- ren Ecken sind etwas abgerundet. Er ist überall ziemlich stark ge- wölbt; die Gonsistenz der Haut ist beträchtlich, beim Zerdrücken des Thieres platzt sie mit hörbarem Geräusch. Nach unten zu setzt sich der Leib in den Schnabeltheil fort, welcher mit breiter Basis sich von dem Bauch absetzt. Auf beiden Seiten desselben befinden sich die breiten, muskulösen vorderen Extremitäten, die wie die übrigen zwei- gliedrig sind. Das erste Glied ist indess nur eine einfache Aussackung der Körperwand, durch keine deutlichere Articulation von derselben abgetrennt. Das zweite, wesentlich kleinere Glied ist dagegen deutlich abgesetzt vom ersten; starke Muskeln, welche den Innenraum des ersten ausfüllen, inseriren sich an beiden Winkeln. Auf dem rechten, äusseren Winkel des ersten Gliedes befindet sich ein sehr langer, ran- kenartig verlängerter Dorn, dessen erstes Viertel breiter und beider- seits mit Haaren besetzt ist. Dieser Theil scheint starr zu sein, wäh- rend der längere Theil sich in sanften Biegungen ausstreckt. Da ich die Larven von Pycnogonum littorale niemals auf Polypen beob- achtet habe, so weiss ich nicht anzugeben, zu welchen Zwecken dieser lange Rankensatz dient, glaube aber nicht zu irren, wenn ich ihn für Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. 141 ein Mittel ansehe, das Thier an dem Polypen zu befestigen, da zu ähn- lichem Zwecke ein anderer Apparat von der Larve von Achelia lae- vis benutzt wird, der an derselben Stelle gelegen ist. Auf der Spitze ‚des kleineren Gliedes findet sich die Scheere eingefügt. Der innere kleinere und stärker gekrümmte Zahn ist unbeweglich befestigt; gegen ihn wird durch starke Muskeln der äussere längere gebeugt. Die In- nenfläche des letzteren weist neben einigen Zähnen noch eine Anzahl von Haaren auf, wogegen der kleinere Zahn auf der Innen- und Aussenseite nur mit einigen Zähnchen besetzt ist. Die vorderen Extre- Mitäten werden oft gegen einander, wohl auch über einander gebeugt; die Musculatur, welche die Zähne bewegt, ist so stark, dass ’oft das ganze Thier sich daran festhält, und es schwer wird, dasselbe von dem Polypen, auf dem es sitzt, zu entfernen. Die beiden hinteren Beinpaare sind in demselben Sinne zweigliedrig, als das vordere, wenn man die Ausstülpung des Körpers für das erste Glied nimmt. Das zweite Glied hat conische Gestalt und ist länger als das erste, die Endklaue ihrerseits ist wieder länger als das vorhergehende Glied, hat auf der Innenseite auf zwei Drittel der Länge einen kleinen Dorn und ist wie die Basis der rankenförmigen Dornen beiderseits behaart. Der Schnabelfortsatz ist conisch mit ziemlich geraden Seiten. Die Mund- öffnung ist ohne äussere Leisten. Von den inneren Organen kann ich nichts berichten, da ich die Larven von Pycnogonum littorale nicht so genau studirt habe, als die von Achelia laevis. Ich verlasse somit die erstere und wende Mich zur Beschreibung der letzteren, deren Anatomie und Entwickelung ich vollständiger untersucht habe. 2. Die Larve von Achelia laevis. Die Larve (Taf. V. Fig. 7) weicht wesentlich von der eben be- Schriebenen ab. Vor allen Dingen fehlt ihr der charakteristische ran- ‚kenartige Dorn; statt dessen besitzt sie einen kürzeren aber stärkeren Dorn an derselben Stelle (Fig. 7 f). An diesem letzteren sieht man fast immer einen sehr feinen Faden (Fig. 7 i) befestigt und erkennt bei näherer Untersuchung, dass dieser Faden aus dem Dorn heraus- kommt. Der Dorn ist nämlich hohl, seine Spitze durchbohrt und im Innern sieht man einen zweiten feinen Canal, der von einem merkwür- dig gestalteten Organ (Figur 7 g) ausgeht, das in der Basis des ersten ‚Gliedes der Scheerenfüsse liegt. Das Organ hat die Gestalt eines Kar- tenherzens, die Spitze ist verlängert in den eben erwähnten Canal, der anfänglich etwas breiter sich bald verschmälert und quer durch den Innenraum des Beines sich zu dem Dorn begiebt. Der Canal ist nicht 142 Dr. Ant. Dohrn, häutig, sondern hornig, dennoch beugt er sich in mässiger Krümmung, ehe er den Dörn erreicht. Die Structur der Drüse — denn für eine solche muss ich das sonderbare Organ halten — habe ich nicht ermit- teln können, nur so viel vermag ich anzugeben, dass die hintere Hälfte aus kleinen Zellen bestand, die dem Organ eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Nervenganglion verliehen, während die vordere Hälfte von zwei merkwürdigen blassen Flecken eingenommen wurde, die Kugel- gestalt besitzen, aber nicht erkennen liessen , ob sie mit irgend einer Substanz gefüllt waren, oder Hohlkugeln darstellten. Ueber und unter dieser Drüse liegen Muskeln, welche zur Bewegung des zweiten Glie- des der Extremität dienen. Die Dornen der Scheeren sind jenen der Pyenogonum-Larve sehr ähnlich, der äussere Zahn entbehrt aber auf der Innenseite der Haare. Die beiden hinteren Extremitätenpaare zeichnen sich vor denen der Pycnogonum-Lärve durch den Besitz von Stacheln aus, welche von dem Basalgliede entspringen und bis zur Spitze des zweiten Glie- des reichen. Die Klaue trägt mehrere kurze und einen längeren cylin- drischen Zahn auf der Innenseite nahe dem oberen Drittel der Länge. Der‘ Schnabelfortsatz ist conisch mit convexen Seiten; seine vordere Fläche ist fast senkrecht nach unten gerichtet, während die hintere fast unmerklich von der Richtung der Bauchwand abweicht (Taf. V. Fig. 10). Die Mundöffnung ist umgeben: von einer kragenartigen Qhi- tinleiste, welche auf der Unterseite sich in eine Leiste verliert, die auf der Mittellinie nach der Basis zu geht. Unter dem oberen Rande dieses Kragens ragt eine sehr scharfe Chitinspitze vor, welche durch zwei convergirende Leisten gebildet wird. Zwei ähnliche Leisten ragen über dem unteren Theil des Chitinkragens hervor, sind aber abgerundeter und verschmelzen nicht miteinander. Im Profil gesehen ist die Mund- öffnung von nicht unbeträchtlicher Weite und führt in einen geräu- migen Oesophagus, der gestützt von drei hornigen Leisten nach oben läuft und in den Magen mündet. Die Gestalt des Oesophagus ist läng- lich oval, auf seiner oberen Wandung bemerkt man im hinteren Theile eine Anzahl hinter einander liegender Chitinringe, welche nach unten zu gebogen sind. An ihnen sind nach unten und vorn gerichtete Stacheln befestigt, welche zur Zermalmung und Zerreibung der Spei- sen dienen. Die Innenfläche der unteren Oesphagus-Wandung ist mit feinen nach links gerichteten Zähnen dicht besetzt, die ihrerseits den gleichen Zweck erfüllen, so dass durch Zusammenwirken der Zähne und Stacheln eine vollkommene Zerkleinerung der Nahrung bewirkt werden kann. In der Mitte des Körpers ungefähr mündet der Oesophagus mit „ Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden,- 143 schmalem Gange in den Magen (Fig. 7 k). Dieser ist von bedeutender Ausdehnung und nimmt fast den ganzen Innenraum des Leibes ein, Er ist nach vorn jederseits in einen Blindsack ausgezogen, der bis in die Basis der Scheerenfüsse und an die Spinndrüse reicht. Nach jeder Seite buchtet sich ein zweiter kleinerer Blindsack aus, nach hinten zu ist der Magen dagegen breit und abgerundet ohne weitere Ausstülpun- gen. An die hintere Körperwand befestigen ihn drei Muskelstränge (Fig. 7 I}, von der Mitte der Rückenwand gehen nach vorn und unten zwei breite Muskeln ab, welche sich an das Ende des Oesophagus in- Seriren. Eine Afteröffnung konnte ich bei keiner Larve gewahr wer- den, ebensowenig irgend welche festen Nahrungspartikel. Auch über die Structur der Magenwandungen habe ich nichts weiter ausbringen können, als dass die Wandung mit einer Anzahl flacher, 0,028 grosser Zellen bedeckt ist, die aber nicht einander berühren. Die Zellen sind mit Feitkörnchen angefüllt. Sie vermehren sich später sehr stark. Die Muskeln sind zahlreich vorhanden. Sie inseriren sich meist mit breiter Basis unmittelbar an die Körperwandung; in den Extremi- täten sind sie länger und breiter. Sie zeigen mit Reagentien behandelt oder beim Absterben des Thieres deutliche Querstreifung, die Zickzack- _ linien bildet. Das Nervensystem besteht aus einem ovalen, quer liegenden Gehirnganglion (Fig. 7 m), das über dem Schlunde und den zu diesem laufenden beiden breiten Muskelsträngen liegt und nach unten durch zwei Commissuren mit dem aus zwei noch deutlich erkennbaren, be- reits aber verschmolzenen Hälften bestehenden unteren Schlund- ganglion (Fig. 9 n) verbunden ist. Hinter diesem letzteren liegen zwei Ganglien (Fig. 9 o) neben einander, von beträchtlicher Grösse, aber Ohne Spur einer Verbindung unter sich. Dagegen sind sie durch Com- Missur mit dem ersten Ganglion verbunden. Während das untere Schlundganglion sehr schwer erkennbar ist, treten die beiden unver- bundenen Kugeln sehr deutlich hervor. Woher sie stammen, ob sie eine Abspaltung vom Magen oder von der Haut sind , vermag ich nicht zu sagen. Das letztere ist aber der Analogie nach wahrscheinlicher. Peripherische Nerven bemerkte ich erst in etwas späterem Stadium, ‘glaube aber, dass sie schon in der frisch ausschlüpfenden Larve vor- ‚handen sind. Von Sinnesorganen existirt nur das mitten auf dem Gehirn Sitzende aus zwei mit einander verschmolzenen braunen Pigment- bechern bestehende Auge (Taf. V. Fig. 8). Sicher ist, dass über und in dem Pigmentbecher noch lichtbrechende Apparate sich befinden, da eine bläuliche Färbung auf die Anwesenheit anderer Gebilde, als der 144 | Dr. Ant. Dohrn, blossen Haut über dem Pigmentbecher schliessen lässt. Eine Linse konnte ich aber nicht erkennen. Die Circulation ist durchaus unregelmässig. Ein Herz existirt nicht, — und soweit meine bisherigen Untersuchungen reichen, — bei keiner Pycnogoniden-Larve. Die Blutmasse scheint aus sehr grossen, weichen Zellen zu bestehen, welche Fettkörnchen enthalten. Sie sind farblos und formlos. Ihre Bewegung ist bedingt durch die Gontraction der Magenwandung und der Körper- und Gliedmaassen - Musculatur ; somit also ohne jeden festen oder bestimmten Rhythmus. Man erkennt die Bewegung der trägen, dickflüssigen Masse unter dem Mikroskop aber sehr deutlich; wo eine Contraction der Magenwand stattfindet, da fliesst sie schleunig zusammen, um sogleich beim Auseinanderweichen der Wandungen wieder wo anders hin zu fliessen. Welcher Art das unter dem Panzer liegende Hypodermis- Gewebe ist, vermochte ich nicht zu erkennen, man sieht nur, dass es vielfache Zellen und Kerne enthält, die nach innen vorspringen. 3. Metamorphosen der Achelia laevis. Die erste Veränderung, welche in der Larve zu erkennen ist, tritt am hinteren Körperende auf. Dasselbe zeigt nämlich an den drei Stel- len, wo der Darm an die Körperwand durch Muskelstränge befestigt war, Verdickung und und Aussackung der Hypodermis, so dass eine terminale und zwei seitliche conische Hervorragungen entstehen. Zu- gleich erkennt man an den beiden seitlichen Ausstülpungen eine ver- grösserte Zahl von Muskelsträngen von der Hypodermis an den Darm gehend, während nur zwei Stränge, die dicht neben einander liegen, die mehr ausgezogene Darmspitze an die äusserste Spitze der Körper- wand heften. In einem folgenden Stadium war die Verlängerung dieser drei Ausstülpungen schon weiter vorgeschritten und die beiden seitlichen - von der mittleren terminalen schon durch tiefere Einsenkungen ge- . schieden. Zugleich ward auch der Magen in alle drei mehr hineingezo- gen. Im Innern des Körpers ist zugleich eine wichtige Veränderung aufgetreten: hinter dem zweiten Bauchganglion—Paare bemerkt man ein kleineres drittes Paar (Taf. I. Fig. 9 p). Auch über die Herkunft dieses, gleichfalls noch unverbundenen Paares vermag ich nichts aus- zusagen. Das nächste Stadium liess nun deutlich erkennen, dass aus den beiden seitlichen Ausstülpungen ein neues Beinpaar und aus der ter- minalen das sogenannte Abdomen mit der Afterspalte hervorgehen Untersuchungen über Bau und Entwiekelung der Arthropoden, 145 würde. Die Aussackungen werden immer tiefer, der Magen bildet zwei Taschen, die in beide bis auf die Hälfte der Länge hineinreichen und dort von denselben Muskeln festgehalten werden, welche schon in den früheren Stadien diese Function erfüllten. Die terminale Aussackung ist nun schon breiter und grösser als der Schnabelfortsatz ; die Hypo- dermis sämmtlicher drei Ausbildungen ist dick und wohl ernährt, nur vor der Spitze der mittleren findet sich ein kurzer Abschnitt, wo sie fast unkenntlich schmal ist. Ebenso ist die Magenwand überall von beträchtlicher Stärke, nur die Spitze der terminalen Aussackung ist dünn und blass. In dem nächsten Stadium liegen die seitlichen Ausstülpungen der terminalen nicht mehr so eng an und man erkennt auch an partieller Verdiekung der Hypodermis, dass sich die Gliederung der ersteren vorbereitet. Zugleich ist die Anlage eines neuen Beinpaares in Form Zweier seitlicher Ausstülpungen an der Basis der terminalen zu erken- nen. An den inneren Organen bestehen die erkennbaren Veränderun- gen in einer Theilung des verschmolzenen Auges, so dass jetzt nach Jeder Seite zwei Pigmentbecher gerichtet sind, die aber alle vier noch Mit den Spitzen zusammenstossen. Zugleich verschmelzen die beiden Kugeln des zweiten Ganglienpaares und lassen seitlich je einen starken Nerven erkennen, der die Richtung nach dem ersten neuen Beinpaare =~ einschlägt. Ein neues Ganglienpaar ist, wenn auch schwierig, in der Anlage zu erkennen. Die neue seitliche Ausstülpung, welche in derselben Weise sich ausbildet, wie die erste, entwickelt sich nun zu dem zweiten neuen Beinpaare, während das erstere frei wird und nach beiden Seiten von dem Körper absteht. Diese Neubildung von Gliedmaassen findet im Ganzen viermal statt, jedesmal mit einer seitlichen Verdickung und Ausstülpung der Basis des After-Vorsprunges oder Abdomens begin- nend. Derweil werden aber die ursprünglichen drei Extremitätenpaare nicht abgeworfen, sondern bleiben fortwährend in Thätigkeit. Tafel I. Fig. 44 zeigt eine Entwickelungsstufe, auf welcher zwei neue Bein- Paare, eins von 8, das zweite von 7 Gliedern, bereits in Thätigkeit sind, das dritte schon einen ansehnlichen Blindsack des Magens enthält, das vierte dagegen eben erst in der Bildung begriffen ist. Derweil sind aber die ursprünglichen Extremitäten in voller Function. Die einzigen Veränderungen bestehen in ein paar Dornen, welche auf der Innenseite des zweiten Gliedes des vorderen Paares entstanden sind, während der Drüsenstachel des Scheerenfusspaares in der Rückbildung begriffen Scheint. Sämmtliche Ganglien sind nun ausgebildet und zu einer gemein- 146 Dr. Ant. Dohrn, samen Masse verwachsen , die aber jedes einzelne Ganglion selbststän- dig lässt. Nur fehlen die Commissuren in Folge der nahen Lagerung der Ganglien. Der Schnabelfortsatz verlängert sich in seiner Basis, ebenso die scheerentragenden Extremitäten in ihrem Basalgliede. Der After ist nun vollständig ausgebildet, eine Spalte an dem Ende des kleinen Abdominalfortsatzes, welche durch zwei schräge Muskel an die Seitenwand desselben befestigt wird, öffnet den Darm nach aussen. Letzterer erleidet eine Einschnürung, bevor er in den Afterfortsatz ein- tritt, und verliert bei dieser Einschnürung seinen Durchschnitt. Nur die Muskelhaut bleibt übrig, deren häufige Contraction man wellen- artig hinschreiten sehen kann (Taf. V. Fig. 44 t). | Zur Beobachtung brachte ich demnächst ein Stadium, das drei entwickelte hintere Beinpaare besass, während das vierte erst in der Anlage begriffen war (Taf. V. Fig. 12). Das hinterste Paar der Larven- füsse war bis auf einen kleinen klauentragenden Hügel verschwunden, das mittlere Paar hatte eine grössere Zahl von Dornen an der Spitze des klauentragenden Gliedes, die Scheerenbeine hatten den Stachel ver- loren, welcher den Ausführungsgang der Spinndrüse enthielt und der Schnabelfortsatz fährt fort sich zu verlängern. Darauf folgt ein Stadium, in dem bereits alle vier hinteren Bein- paare in voller Ausbildung vorhanden sind (Taf. V. Fig. 13); der Afterfortsatz war verlängert und reichte mit seiner Spitze bis über die Hälfte des dritten Gliedes des letzten Beinpaares hinaus; der Schnabel- forisatz war sehr stark vergrössert, die Mundöffnung glich aber noch völlig der ersten Larvenform. Die Scheeren-Extremitäten waren aber weit in der Rückbildung vorgeschritten. Zwar gewahrt man noch die Scheere selber, doch ist das Glied, auf dem sie sitzt, kaum noch zu erkennen; das erste Glied dagegen ist verlängert, zugleich aber schmä- ler geworden, der Stachel, durch welchen sich die Spinndrüse öffnete, ist völlig verschwunden, ebenso die Drüse selbst. Die Länge der bei- den vordersten Extremitäten ist kaum bedeutender als die des Schna- belfortsatzes. An der Stelle des ersten Paares der Larvenbeine befindet sich eine zweigliedrige Extremität, die aber die Klaue verloren hat, welche im vorigen Stadium noch vorhanden war; das Basalglied ist kurz, das zweite um das Doppelte länger und an der Spitze mit Stacheln besetzt. Die Länge beider Glieder zusammen ist noch nicht so bedeutend als die des Schnabelfortsatzes. An der Stelle des zweiten Beinpaares findet sich nur eine huf- s Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden, 147 ‚eisenförmige Leiste der Chitinhaut, welche nur bezeugt, dass einst hier eine Extremität bestanden habe. Beide, die zweigliedrige Extremität und die hufeisenförmige Leiste liegen zwischen Schnabelfortsatz und dem ersten Beinpaare. In dem völlig ausgewachsenen weiblichen Thiere finden wir nun diese neue zweigliedrige Extremität zu einer achtgliedrigen ausgebildet (Tat. V. Fig. 44), und an der Stelle der hufeisenförmigen Leiste sehen Wir eine neungliedrige Extremität. Die erste dieser beiden neuen Bil- dungen stellt die gewöhnlich als Taster beschriebene Extremität dar, die zweite das accessorische Fusspaar, den female foot der englischen Beschreiber. An dem Taster sind die vier letzten, ungefähr gleich grossen Glie- der mit Stacheln dicht besetzt, das ihnen vorangehende ist von gleicher Grösse, wie sie alle zusammen, das dritie beinahe so lang als das Vierte, das erste und zweite von gleicher Länge, aber kürzer als das ` dritte. Das accessorische Fusspaar besitzt gleichfalls vier Endglieder von fast gleicher Grösse; statt der Borsten tragen sie aber merkwürdige, wie Eichblätter gestaltete Fortsätze. Auf der Spitze des letzten Gliedes Sitzt ein ganz kleines, halbkugeliges Glied noch auf, das zwei solcher Fortsätze trägt. Will man es als besonderes Glied zählen, so kommen 10 Glieder im Ganzen für diese Extremität heraus. Die ersten Glieder Sind grösser als die letzten, aber nicht so ungleich, wie die entsprechen- den des Tasterpaares. Die scheerentragenden vorderen Extremitäten sind bis auf kleine “Weigliedrige Stümpfe zusammengeschrumpft, die um das Doppelte ihrer Länge von dem Schnabelfortsatz überragt werden. Die Scheere ist völlig zu Grunde gegangen, man erkennt nur noch den einen Zahn. Das grössere Basalglied ist bedeckt mit eigenthümlichen zackigen Stacheln ; es enthält im Innern noch den sehr kurzen Magensack. Der Schnabelfortsatz ist fast so lang als der Körper des Thieres ; er ist schräg nach unten gerichtet. Das erste Dritttheil ist gegen die beiden anderen durch eine Einschnürung etwas abgesetzt und lässt den Schnabelfortsaiz wie zweigliedrig erscheinen. An der Spitze ist die sternförmige, dreieckige Mundöffnung, welche von drei wulstigen Lippen beinahe ganz geschlossen wird. Die Lippen scheinen häutige, mit kurzen Haaren besetzte Forisetzungen der Oesophaguswandung zu Sein, die sich an die umgebende Chitinhaut ansetzen und in gerun- deten Wölbungen vorspringen. Da sie sich nicht gegenseitig berühren, ist die Mundöffnung nicht geschlossen, Wo die Chitinleisten, die ihre Basis ausmachen, zusammenstossen, setzen sie sich fort in Leisten, 148 Dr. Ant, Dohrn, welche an dem Oesophagus nach hinten laufen. Ausser den erwähnten Leisten findet sich noch an jedem Winkel der Mundöffnung eine an- dere Leiste, die über die beiden zusammenstossenden Lippenränder hinübergreift und an beiden Enden etwas nach innen vorspringt, wo- durch der Anschein von Zähnen hervorgerufen wird. Die Leisten sind aber unbeweglich. Der Oesophagus liegt im Innern des Schnabelfortsatzes, wie dieser etwas aufgebläht und erst eingeschnürt und sich verengernd, wo der Rechentheil beginnt. Von allen Seiten der Wandung des Schnabel- fortsatzes heften sich kurze Muskeln an die Wandung des Oesophagus, hauptsächlich an die drei von den Mundwinkeln herabsteigenden Leisten, die sich zu förmlichen Cristen erheben, wenn sie an das letzte Dritttheil gelangen, das die zahlreichen Halbringe mit den Rechen trägt. Solcher Ringe sind 30— 40 vorhanden, ihre Zahl hat sich somit im Laufe der Entwickelung bedeutend vermehrt. Sie sind getragen und befestigt an jene Leisten, die ihrerseits wieder zahlreichen Muskeln zur Anheftung dienen, schliesslich aber in eine ringförmige Chitinleiste der Körperwandung endigen. Auf ihrem inneren Rande tragen sie eine grosse Zahl, bis 40, verschieden lange, feine und spitze Zähne, die einer Insectennadel gleichen; so ist das ganze hintere Dritttheil des Oesophagus mit diesem Apparat ausgerüstet, der jedenfalls ganz vor- treffliche Dienste für die minutiöseste Zerkleinerung der Nahrung leisten muss. Der Schnabelfortsatz sitzt wie in einem Kragen in dem Abschnitt des Leibes fest, welcher die Taster trägt; dieser ist wiederum durch eine Chitinfurche - abgesetzt gegen den nächsten, der die acces- sorischen Beine trägt, und auch dieser gegen den nächsten, mit wel- chem das erste Paar der langen Gangbeine verbunden ist. Auf dem Bauch hat der Körper eine Art Schild; die Bauchplatten des Leibes sind von stark verdickten Chitinrändern umgeben, an denen die Mus- keln für die Basalglieder der Gangbeine eine vortreffliche Insertion finden, sie setzen den Mittelraum des Bauches stark gegen die Seiten und gegen die Insertion der Beine ab. Auf dem Rücken findet sich ein kleiner Hügel dicht hinter der In- sertion der vorderen, rudimentären Scheeren - Extremitäten, auf wel- chem die vier, jetzt von einander getrennten Augen sitzen. Jedes Auge bildet einen Becher, dessen abgerundete Spitze nach innen und schräg nach unten gerichtet ist. Eine Membran, welche diesen Becher ein- schlösse, vermochte ich nicht aufzufinden, da bei der leisesten Quet- schung sofort das Pigment ausfliesst. An einem derartig gequetsch- ten Auge bemerkte ich eine grosse Zahl von zarten 0,012 — 0,028 Mm. Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. 149 im Durchmesser haltenden blassen Zellen, die über-, d. h. neben ein- ander liegen. Ob sie einen zarten, lichtbrechenden Apparat gebildet ‚haben mochten, vermag ich nicht zu sagen, halte es aber für schr möglich, da über dem Pigmentbecher immer ein schillernder, irisiren- der Glanz zu bemerken ist und da ich dergleichen an Pyenogonum littorale beobachtet habe (Taf. VI. Fig. 20). Die Augen stehen ein- ander über Kreuz entgegen, so dass das Thier ohne sich zu bewegen, nach allen Himmelsgegenden zu gleicher Zeit sehen kann, worauf schon Zanker hinwies. Die Beine haben neun Glieder ; das fünfte trägt am oberen Rande einige kleine Dornen, das sechste am unteren, das siebente hat am Oberen einzelne grössere, an der Spitze des unteren eine Anzahl klei- nerer, Das achte ganz kleine Glied trägt auf der Unterseite vier mittel- Starke Dornen, die nach vorn gekrümmt sind, das neunte endlich, das Wie bei allen Pyenogoniden stark gekrümmt ist, hat auf der oberen Kante sieben gleich lange grössere Dornen, auf der unteren drei grosse und fünf kleinere. An der Spitze über der einfachen Klaue sitzen “wei lange Dornen, die beinahe so lang sind, als die Klaue selbst. Das Weibchen hat in allen vier Beinpaaren Rierstöcke (Taf. VI. Fig. 16), die sich an der Unterseite des dritten Gliedes in einem ovalen Loche öffnen und bis in die Spitze des fünften Gliedes reichen. Die Eierstöcke bestehen aus einem einfachen, zwischen Magensack und _ Muskulatur gelegenen Sacke, dessen feine Contouren durch die Wan- ' dung des Beines zu erkennen sind. Der Inhalt besteht aus einer dich- len Masse von Zellen, von denen einige allmälig anwachsen und zu Eiern werden. Man sieht die Eier von allen Stadien neben einander, die Zwischenräume sind von den erwähnten Zellen ausgefüllt, die ur- ‚Sprünglich wahrscheinlich die Wandung des Eierstockes nach aussen ausgeschieden haben. In jedem Ei erkennt man die centrale Keimzelle Mit Keimfleck, in den schon vorgeschritteneren einen trüben bräun- lichen Inhalt, der allmälig mit dem Wachsthum dunkler und dichter Wird, und im ausgewachsenen Ei die innere Zelle dem Auge entzieht, . _eren spätere Theilung indess wahrscheinlich den Anlass zur totalen Furchung des Eies giebt. Das Männchen unterscheidet sich äusserlich beträchtlich von dem Weibchen. Die vordersten, scheerentragenden Extremitäten sind zwar kürzer als bei noch unentwickelten Individuen, aber sie sind etwas länger als bei den Weibchen und haben noch eine vollständige Scheere (Taf. VI, Fig. 47). Die Taster sehen denen der Weibchen sehr ähnlich, die Grössenverhältnisse der einzelnen Glieder sind aber ein wenig un- terschieden (Taf. VI. Fig. 18). Statt des ausgebildeten accessorischen Bd. V. 9 A 450 : Dr, Ant, Dohrn, Fusspaares findet sich ferner nur eine viergliedrige kurze Extremität, deren letztes Glied länger ist als die übrigen zusammen (Taf. VI. Fig. 19). Der Darm, oder der Magen, wie man ihn nun nennen will, durch- zieht den Körper vollständig; die seitlichen Ausstülpungen gehen bis an das Ende des vorletzten Gliedes der einzelnen Beine. Die Structur der Wandung scheint, soweit ich erkennen konnte, sehr einfach und besteht aus einer muskulösen Hülle und einer Epitelschicht, deren Zellen sich abzulösen und frei in der Darmhöhlung zu cursiren schei- nen, getrieben von den Gontractionen der Wandungen. Die Angaben der verschiedenen Forscher über das Gefässsystem und den Blutlauf sind bis jetzt noch widersprechend. Von Einigen wird den Pycnogoniden ein Herz zu-, von Einigen abgesprochen. Gra- parkoe beschreibt ausserdem noch eine Aorta und schwingende Mem- branen in den Beinen. Von letzteren habe ich nichts wahrnehmen ` können; was mir allenfalls den Eindruck machte, waren die langen "Nervenstämme, die in den Beinen verlaufen, und die durch die viel- fachen Pulsationen und Contractionen der Darmwandung häufig gleich- falls in Bewegung kamen. Die Anwesenheit einer Aorta, welche auf der Oberseite des Oesophagus liegen soll, kann ich nach meinen Un- tersuchungen nicht bestätigen; so viel ich erkennen konnte, läuft ein wandungsloser Strom zwischen den Muskeln des Oesophagus auf seiner Oberseite dahin, der durch seine Pulsation einen Nerven des Schnabel- fortsatzes zu rhythmischen Bewegungen veranlasst, und so vielleicht Anlass gegeben hat, an eine eigene Aortenwandung zu denken. Der Strom theilt sich dicht vor der Spitze, läuft gleichfalls in einer Lacune jederseits auf die Unterseite und vermischt sich dort mit der allgemei- nen Circulation des Blutes. Ein Herz habe ich bei einer Art der Gattung Nymphon wahrgenommen. Es stellt einen Sack dar, dessen Spitze dicht vor dem Afterfortsatz, dessen grosse breite Oeffnung zwi- schen dem ersten der vier Ganglienpaare liegt. Es hat in der oberen Wandung vier quergeschlitzte Klappenöffnungen, deren je zwei neben einander liegen. Die Wandung des Herzens besteht aus Muskulatur und vorspringenden Kernen. Was nun die Blutkörperchen anlangt, so lassen sich zwei ver- schiedene Arten unterscheiden. Die eine wird gebildet von 0,024 Mm. im Durchmesser haltenden, hellen, durchsichtigen, kleinen Blasen, ohne Kerne, aber meist mit unregelmässig gefalteten Wandungen, die andere von 0,008 Mm. messenden, gewöhnlich aber länglichen kleinen, oft in dünne Fortsätze ausgezogenen Körperchen anscheinend mit Fett- körnchen gefüllt. Amoeboide Bewegungen habe ich an keiner von bei- Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden, 151 : den wahrgenommen. Die letzteren sind viel weniger zahlreich als die ersteren; sie quellen beide in destillirtem Wasser auf, während sie in Seewasser ihre ursprüngliche Form beibehalten. Die Bewegung des Blutes wird zum kleinsten Theile durch das Herz bewirkt, wo ein solches vorhanden ist. Die Mehrzahl der Pyenogoniden hat aber kein Herz, sonach muss ein anderes Agens ein- treten. Dies Agens ist, wie bereits QUATREFAGES ganz richtig feststellte, der Magen oder Darm mit seinen langen Blindsäcken in den Beinen. Und selbst da, wo wie auch bei Phoxichilus ein Herz vorhanden ist, bestimmt die Bewegung des Darmes mehr die Circulation als die des Herzens. Des letzteren Herrschaft erstreckt sich nicht über den Innen- i raum des Körpers hinaus; in den Beinen gehorcht die Blutbewegung aber den Contractionen der Darmblindschläuche, die bei manchen Ar- ten rhythmisch erfolgt. Das Nervensystem besteht aus einem oberen Schlundganglion _ oder Gehirn und einer Reihe von Bauchganglien. Die Zahl der letz- _ teren variirt bei den verschiedenen Arten. Bei vielen scheint das erste und zweite zu verschmelzen, wenigstens sieht man bei Pyen ogo- num littorale, bei Nymphon und bei Phoxichilus nur vier _ Bauchganglien mit einem rudimentären letzten Ganglion für den After- fortsatz. Bei Phoxichilidium dagegen und Achelia habe ich fünf Bauchganglien und das rudimentäre Afterfortsatz - Ganglion gesehen. Die Nerven, welche von diesen Ganglien abgehen, sind bereits von Zenger genau beschrieben. Von Sinnesorganen sind uns nur die Augen bekannt. Frühere Beobachter geben an, es liessen sich keinerlei Linsen oder andere liehtbrechenden Körper in den einzelnen Augenbechern erkennen. Mir ist. es indess gelungen, mich vom Gegentheil zu überzeugen. Bei einem jungen Pycnogonum littorale (Taf. VI. Fig. 20) unterwarf ieh die Augen eingehender Untersuchung und fand in einem jeden der- selben acht bis zehn kugelige Körper, die wahrscheinlich gleich den Krystallkörpern im Grustaceen- und Insectenauge zu dem dioptrischen Apparate gehören. Ueber ihre Structur konnte ich nichts Näheres her- "Ausbringen ; dennoch ist mir nicht unwahrscheinlich, dass sie mit den hei Achelia im zerdrückten Augenbecher beobachteten matten Zellen ‚in Zusammenhang stehen, da auch die Umrisse dieses Körpers bei | Pyenogonum sehr matt und nur bei sehr starker Vergrösserung und Mit gegen alle anderen Lichtquellen durch Ueberschattung mit der and geschütztem Auge von mir wahrgenommen werden konnten. an * Dr, Ant, Dohrn, 4. Entwicklung von Phoxichilidium sp. Schon beim äusseren Anblick erkennt man zwischen trächtigen Phoxichilidium-Weibchen und Pyenogonum-Weibchen einen wesentlichen Unterschied. Diese tragen die Eier in einem oder meh- reren Säckchen , jenes aber hat die einzelnen Eier frei an dem dritten oder accessorischen Fusspaare hängen. Bei Pyenogonum findet man einige Hundert, bei Phoxichilidium nur zwanzig bis dreissig. Jene sind klein, messen 0,12— 0,16 Mm. im Durchmesser, diese da- gegen sind mehr als doppelt so gross und halten 0,232 Mm. Durch- messer. Den äusseren Unterschieden entspricht die Verschiedenheit der Entwicklungsweise. Bei Phoxichilidium kommt es nämlich nicht zur Larvenbildung, sondern die ganze Metamorphose wird über- sprungen und aus dem Ei kriecht ein bis auf das letzte Fusspaar fer- tiger Pyenogonideaus. Wir haben somit in diesem Thier das beste Beispiel einer abgekürzten Entwicklung und können aus den Unter- schieden der embryonalen Zustände beurtheilen, welchen Einfluss auf gewisse Vorgänge im Ei diese Abkürzung hat. 2 Da ist es nun von grossem Interesse, dass wir auf eine Embryonal- haut in den Phoxichilidium-Eiern treffen, während die übrigen Pyenogoniden, soweit ich sie untersuchen konnte, nichts der Art erkennen lassen. Die noch nicht mit einer Keimschicht versehenen Eier zeigen deutlich ein Chorion und eine feine Dotterhaut, die sich auch bei den anderen Pyenogoniden-Eiern fand. Presst man ein Ei, so dehnt sich das Chorion weiter aus als die Dotierhaut, und letztere kommt zur genauen Perception, da sie den Dotter begrenzt und zwischen ihm und dem Chorion ein freier Raum bleibt. Auch in dem weiter entwickelten Ei kann man diese beiden Häute noch wahrneh- men, — ausser ihnen aber noch die Larvenhaut, welche den ganzen Embryo einhüllt und nur an zwei Stellen in genauer Verbindung mit demselben steht: an der Basis der beiden Vorder- Extremitäten, wo sich ein kleiner Fortsatz findet (Taf. VI. Fig. 21 a), der mit einem dop- pelt contourirten Ringe abschliesst. Dieser Fortsatz hat offenbar noch eine nach rückwärts weisende Bedeutung: er ist das letzte Rudiment des bei den als Nauplioide auskriechenden Pycnogoniden sich finden- den Rankendorns oder des durchbohrten Stachels, den ich von der Larve der Achelia laevis beschrieben habe. Wie man an jenen Larven sieht, liegt die Insertionsstelle dieses Dornes an dem Basal- gliede der vorderen Extremität und wird schon zeitig im Ei angelegt. Dasselbe geschieht an den Embryonen von Phoxichilidium. Wie Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 153 aber von jenem Fortsatz in den fertigen Pyenogoniden keine Spur mehr zu finden ist, da der Stachel während der Metamorphose allmälig zu Grunde geht, — so ist auch dies Gebilde bei Phoxichilidium nur wäh- rend des embryonalen Lebens von-Dauer und hat als solches eine an- dere Function angenommen, nämlich die oben erwähnte, als Befesti- gungsstelle für die Eihäute zu dienen. Vergleicht man nämlich die Abbildung auf Taf. VI. Fig. 22, so bemerkt man, dass nicht nur die Larvenhaut, sondern auch die innere Eihaut und das Chorion an dieser Stelle an den Embryo festgeheftet sind. Da man aber in dem Ei, dessen Keimhaut noch nicht zur deutlichen Embryonalbildung gaai. men ist, keinerlei Befestigung der beiden Eihäute an dem Eiinhalt wahrnehmen kann, so folgt daraus, dass erst durch das Entstehen die- ses Fortsatzes die Verbindung bewirkt wird. Es ist mir nicht gelun- gen, Stadien zu beobachten, in denen diese Verbindung sich angebahnt hätte; es muss aber zu einer Verwachsung an dieser Stelle kommen, vielleicht zu gleicher Zeit, wenn sich die Larvenhaut bildet, die sich deutlich um den Fortsatz herumlegt. Das Stück, welches nun in Ver- bindung mit all den Häuten steht, ist ein Ring, der sich nach innen verengert und wiederum mit einem engeren Ringe innerhalb des Fort- satzes endigt. Ob eine Durchbohrung dieses inneren Ringes statthat, lässt sich nicht erkennen; jedenfalls, sollte es der Fall sein, so wird sich daraus doch kein Schluss auf eine Communication des Innenraums des Embryo mit der äusseren Umgebung schliessen lassen, da die Ei- häute nicht durchbohrt sind. Die Larvenhaut schliesst den ganzen Embryo ein, ohne eine Aus- buchtung für die Gliedmaassen zu zeigen, ausgenommen die beiden eben erwähnten Fortsätze. | Was nun die Bildung des Embryo selber angeht, so legt er sich auf der späteren Bauchseite breit an, bildet eine Art Primitivstreifen, wenn dieser Ausdruck noch zu brauchen ist, nachdem die Lehre vom Reissen der Keimhaut bei den Arthropoden beseitigt ist. Allmälig ent- stehen die vier Paar Extremitäten und mit ihnen vier Paar Bauch- ganglienpaare, — in derselben Weise, wie bei den Grustaceen. Zwi- schen den vorderen scheerentragenden Extremitäten bildet sich die Mundöffnung auf dem dicken, wulstigen Vorsprunge, in dessen Innern schon frühzeitig der Oesophagus mit dem Rechen - Apparate angelegt wird. Die Beine liegen anfänglich in Schraubenwindung innerhalb der Larvenhaut, nur das dritte Paar beginnt frühzeitig sich nach vorn zu Strecken und bedeckt von unten her die Ganglienkette. Später, wenn die Larvenhaut entfernt ist, strecken sich die beiden anderen Beinpaare ebenfalls und man erkennt zugleich die Bildung eines neuen, letzten 154 Dr. Ant, Dohrn, Ganglions. Eine neue Guticula umgiebt den Embryo, die aber nicht mehr wie die Larvenhaut sackartig, sondern von allen Extremitäten mit abgelöst ist. Die Blindsäcke des Verdauungstractus sind bis dicht an die Klauen gebildet, das Gehirn mit seinen vier Augenbechern ist voll- ständig fertig, es fehlt nur noch das letzte Beinpaar, das erst ausser- halb der Ei- und Larvenhüllen erworben wird, um die Gestalt des ausgebildeten Thieres herzustellen. Diese Untersuchungen wurden an einer Art gemacht, die ich häufig an Algen im Hafen von Messina fand, aber wegen mangelnder Literatur nicht näher bestimmen konnte. Doch werde ich bei Gelegen- heit ausführlicherer Mittheilungen dies nachholen. Die vorstehenden Mittheilungen über die Entwickelung eines Phoxichilidium weichen wesentlich von den Angaben ab, die wir ÜrArarkpe verdanken. Derselbe schildert in »Beobachtungen über Anatomie und Entwickelungsgeschichte wirbelloser Thiere an der Küste der Normandie angestellt«, Leipzig, 1863, pag. 105, Taf. XVII. Fig. 13, 14, was er von der Entwickelung des Phoxichilidium cheliferum gesehen hat. Da wird ein erstes Stadium beschrieben, in welchem das Junge vollständig einer Larve von Pycnogonum gleicht, also offenbar nicht durch verkürzte Metamorphose gleich in der definitiven Gestalt aus dem Ei kommt. Das zweite Stadium dagegen erscheint durchaus ähnlich den von mir beschriebenen Embryonen , ist indess bereits dem freien Leben überantwortet. In einer Gattung zwei so sehr verschiedene Entwickelungstypen neben einander zu sehen, ist zwar nicht ohne Analogie, aber dennoch möchte ich bezweifeln, dass die beiden Entwickelungsstadien,, welche CLararior beschrieben hat, zusammengehören. CLAPARÈDE giebt an, die Larve des ersten Stadiums mit dem Oberflächennetz gefischt zu haben; er vermuthet ferner, dass zwischen ihr und dem zweiten Stadium, das er beschreibt, eine Zeit parasitischer Existenz, wie sie von Hoper beschrieben sei, läge. Dazu scheint aber kein Grund vorhanden, um so weniger, als die ganze Entwickelungsweise, wie sie Honsz beschreibt, wohl noch einer neuen Durcharbeitung und Bestätigung bedarf. Vielmehr glaube ich, dass das vermeintliche erste Stadium des Phoxichilidium cheliferum zu einer anderen Pyenogonide gehört, und dass das zweite direct ohne weitere Verwandlungen aus der Eischale gekommen ist. Ziehen wir nun das Resultat aus diesen Untersuchungen für die Frage nach den Verwandtschaften der Pycnogoniden. Nach den Grundsätzen der durch die Darwıw’sche Theorie reformirten Morpho- logie liegt das entscheidende Gewicht nicht in den Eigenthümlichkeiten der Organisation des geschlechtsreifen Thieres, sondern in dem Ent- x Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 155 wickelungsleben, das es vorher durchgemacht hat. Wir wissen nun zwar — und die Pycenogoniden selbst haben uns soeben mit einem neuen höchst auffallenden Beispiele dieser Art bekannt gemacht —, dass die ontogenetische Entwickelung häufig bis zur Unkenntlichkeit den phyletischen Entwickelungsgang entstellt, meist durch Verkürzung und Zusammendrängung verschiedener Stadien in eines, mitunter aber auch wohl durch Veränderung und Zwischenschiebung neuer Gestal- tung zur Anpassung an veränderte Lebensbedingungen. Dennoch aber beweist bei den Pycnogoniden die jetzt vom Ei an gekannte Entwick- lung, dass Interpolationen nicht stattgefunden haben, wohl aber Ver- kürzungen in dem Falle von Phoxichilidium. Beide Entwicklungs- typen sind zu verwerthen. Der erstere — um es gleich kurz zu sagen — deutet an, dass die den Pyenogoniden nächstverwandten Geschöpfe die Grustaceen sind. Damit ist ausdrücklich ausgesprochen, dass die Pyenogoniden selber, wenigstens nach meinen Anschauungen, nicht zu den Krebsen im herkömmlichen Sinne gehören. Nur das glaube ich, dass ihre erste Larvenform eine Naupliusform vorstellt, und dass sie insoweit den Krebsen blutsverwandt sind. Aber die Fortentwick- lung des Nauplius zur Zoëa hin, die nach später zu machenden Mit- theilungen für die Krebse ganz allgemein stattgefunden haben dürfte, — diese Fortentwicklung, glaube ich, hat für die Pyenogoniden nicht stattgefunden. Der Typus, nach dem die Gliedmassenbildung am Nauplius der Pycnogoniden vorschreitet, ist ein anderer, als bei den Krebsen, ja, es kommt niemals eine Spur von Schwimmorganen zur = Erscheinung und die durch Ausstülpungen der Magenwände und in Folge dessen der Körperwand hervorgebrachten, später vielfach ge- gliederten Extremitäten haben gar kein Homologon bei den Krebsen. Es giebt aber Eigenthümlichkeiten in der Organisation und der Entwicklung der Pyenogoniden, welche rückwärts über ihr Nauplius- Stadium hinausweisen ; dahin rechne ich die sackförmigen Verzweigun- gen des Verdauungstractus, die an verschiedenen Stellen der Darm- wandungen sich findenden leberartigen Zellen, welche die mangelnden disereten Leberorgane vertreten, die auffallende Lagerung und Verthei- lung der Geschlechtsorgane etc. Wohin diese Organisationen, die anscheinend weder auf die Krebse noch auf die Spinnen zu beziehen sind, weisen, das mag der Zukunft anheimgestellt werden , — mög- licherweise wird aber die Anschauung, die in Trematoden ähnlichen, weit zurückliegenden Wurmformen die Anfänge der Naupliusformen sehen will, hierdurch unterstützt. Nun wäre aber trotz alledem die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, 156 ; Dr, Ant. Dohrn, die Milben dennoch in genealogische Verbindung mit den Pyenogoniden zu bringen, und da tritt die verkürzte Entwickelungsweise von Phoxi- ehilidium als Anhaltspunkt ein. Allein es bleibt doch nur eine äusser- liche Vergleichung der erwachsenen Formen, die auf die ganze Be- trachtung führt; wenn auch bei Phoxichilidium und bei den Milben Larvenhäute vorkommen, so bildet doch kein specielles Moment einen deutlichen Fingerzeig und man müsste nach wie vor erst Rechenschaft geben von dem Mangel des siebenten Extremitäten-Paares, das doch nun einmal typisch für die Pyenogoniden ist. Sonach stellt sich mein Endurtheil folgendermaassen: Die Pyeno- goniden sind weder Arachniden noch Crustaceen ; mit ersteren haben sie gar keine Verwandtschaft, mit letzteren haben sie als Berührungs- punct den Nauplius gemein, verlassen aber von diesem Punct aus die Entwickelungsreihe der Grustaceen, die auf die Zoöaformen zustrebt. Erklärung der Abbildungen. Tafel V. Fig. 4—6. Pycnogonum littorale. 4. Ei im Furchungsprocess. Jeder Furchungsballen enthält einen cen- tralen Kern. 2. Embryonal-Anlage. a vorderes, b mittleres, c hinteres Bein. 3. Weiter vorgeschrittener Embryo, bei d der Schnabelfortsatz angelegt. 4. Weiter entwickelter Embryo in Profil-Ansicht. e Auge, f Rankenfort- satz der ersten Extremität. 5. Beinahe vollendeter Embryo. 6. Ausgekrochene Larve. Fig. 7—49. Achelia laevis. 7. Eben ausgekrochene Larve. f Dornfortsatz der ersten Extremität, in den die Drüse g mündet mittelst des hornigen inneren Rohres h. i ein hervordringender Faden. k Verdauungsorgan, bei } mit Mus- keln an die Leibeswand befestigt, m oberes Schlundganglion. . Auge der Larve, dem oberen Schlundganglion aufsitzend. . Weiter -entwickelte Larve. n o p Ganglien, q Ausstülpung der hin- teren Leibes- und Darmwand als Anlage eines neuen Beinpaares. r Verdickung der Leibeswandung als erste Andeutung des zweiten neuen Beinpaares. ; . Dasselbe Stadium im Profil. Tafel VI. . Mittleres Stadium zwischen Larve und ausgebildetem Thiere. Sämmt- liche Larven-Extremitäten sind noch vorhanden, die des ausgebil- s Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Arthropoden. 191 deten Thieres zum Theil ausgebildet, zum Theil erst angelegt (bei q und r). s ein neues Ganglion. Die alten sind bereits alle verschmol- zen. 1 Mastdarm. w Oesophagus mit Zahn- und Rechen-Apparat. 12. Die vorderste Larven-Extremität hat den Fortsatz f verloren, eine doppelte contourirte kreisförmige Chitinleiste deutet an, wo derselbe sich befand. Die zweite Larven-Extremität b hat noch die Klaue und `am vorhergehenden Gliede zahlreichere Dornen. Die dritte Larven- Extremität c ist im Verschwinden begriffen. v ist ein neues — das fünfte — Bauch-Ganglion. 13. Der Schnabelfortsatz vergrössert sich im Verhältniss zu den vorde- ren Larven-Extremitäten. Das zweite Paar derselben b hat die Klaue abgeworfen. Das dritte c ist völlig verschwunden, eine hufeisen- förmige Chitinleiste deutet die frühere Insertion an. 44. Das zum »Taster« umgewandelte erste Larvenbein Q 15. Das zum »accessorischen« oder »Geschlechts«-Bein umgewandelte zweite Larvenbein Q 46. Ein ovariumtragendes Bein eines ausgewachsenen © 17. Scheerenfuss des ausgewachsenen & 18. »Taster« des & 19. »Accessorisches« Beinpaar des & 20. Augenhöcker eines jungen Pycnogonum littorale. aa Seulptu- ren und Höhlungen der Körperwand. 24—24. Phoxichilidium sp. 24. Embryo umschlossen von Chorion (roth), Dotterhaut (blau), Larven- haut (orange). « der Ring, mit welchem der Embryo an die Lar- venhaut befestigt ist. 22. Diese Verbindungsstelle vergrössert. 23. Embryo nur noch von der Larvenwand umschlossen. 24. Embryo ohne Larvenhaut vor dem Auskriechen. Ueber einige Zersetzungsproducte des Phosphorwasserstofls, des Antimonwasserstofls und des Siliciumwasserstofls. Von Dr. R. Mahn. Die folgenden Untersuchungen sind auf Veranlassung des Herrn Professor Gsuruer im chemischen Laboratorium zu Jena ausgeführt worden. Sie hatten den Zweck , festzustellen, ob nicht neue wasser- stoffhaltige Substitutionsproducte der oben genannten Wasserstoflver- bindungen dargestellt werden könnten. I. Phosphorwasserstoffgas. Das zu diesen Untersuchungen angewandte Phosphorwasserstofl- gas wurde auf die bekannte Weise durch Erhitzen von Natronlauge mit Phosphor dargestellt und zur Trocknung über Chlorcaleium geleitet. Vor Beginn der Entwickelung wurde der ganze Apparat mit Wasser- stoffgas angefüllt. 1. Phosphorwasserstoffgas und Phosphorchlorid. Die bei der Einwirkung des Phosphorwasserstoffgases auf Phos- phorchlorid beobachteten Erscheinungen ergaben das nämliche Resul- tat, welches schon H. Rose beobachtete t, eine Substitution des simmt- lichen Wasserstoffs im Phosphorwasserstoffgas durch Chlor. Es ent- _ wichen hierbei Salzsäuredämpfe und es bildete sich Phosphorchlorür nach der Gleichung: PH? + 3PCI°® = A PCL’ + 3 HCI. 4 Poe. Annal. Bd. 24, p. 307. Ueber einige Zersetzungsproducte des Phosphorwasserstofls etc, 2. Phosphorwasserstoffgas und Phosphorchlorür. Beim Einleiten von Phosphorwasserstoffgas zu Phosphorchlorür trübte sich dasselbe, indem sich ein rother Niederschlag bildete. Da die Abscheidung desselben sehr langsam von statten ging, wurde sie durch gelindes Erwärmen zu befördern gesucht. Erst nach achtstün- digem Einleiten hatte sich eine zur Analyse genügende Menge gebildet. Der grösste Theil des Wasserstoffgases hatte während dieser Zeit den Apparat unzersetzt passirt. Vom Phosphorchlorür wurde der Nieder- schlag dadurch gereinigt, dass ersteres im Wasserbade und Kohlen- Säurestrom abdestillirt wurde; der Niederschlag selbst wurde mit Wasser Ausgewaschen und, nachdem er zwischen Fliesspapier abgepresst wor- den war, über Schwefelsäure vollständig trocken erhalten. Die Sub- Stanz bildete ein rothgelbes, lockeres, amorphes Pulver. Eine Analyse, vorgenommen durch Verbrennen im Chlorstrom, ergab einen Gehalt von 94.33 Proc. Phosphor. Der Hauptsache nach bestand die Substanz also offenbar aus amorphem Phosphor, wie ihr Verhalten im Röhrchen zeigte, wobei sie bis auf eine kleine Menge glasiger Phosphorsäure wie Phosphor destillirte. Dass ihr etwas phosphorige Säure beigemengt war, Wurde durch Behandeln derselben mit wenig Wasser constatirt, indem dieses die redueirenden Eigenschaften der phosphorigen Säure zeigte. Es stimmt dies Verhalten mit dem, welches H. Rose beobachtete, also überein. 3. Phosphorwasserstoff und Antimonchlorid. Die Einwirkung des Phosphorwasserstoffs auf Antimonchlorid findet unter starker Erwärmung statt. Es wurde deshalb abgekühlt. Neben entweichenden Salzsäuredämpfen entstand Phosphorchlorid und Antimonchlorür. Letzteres blieb im Antimonchlorid gelöst, während. ersteres sich ausschied und in die Höhe begab. Es blieb, nachdem das Antimonchlorür im Oelbad bei 240 Grad abdestillirt worden war, völlig weiss und mit allen es charakterisirenden Eigenschaften zurück. Die Reaction verläuft also nach der Gleichung: PH? + 4 SbCl® = 4 SbCl + PCI® + 3 HCI. Eine Verbindung des Phosphorwasserstoffgases mit Antimonchlo- rid, wie solche H. Rose erhalten hat!, konnte bei wiederholt ange- Stellten Versuchen nicht beobachtet werden. Mit Ausnahme des Auft- 'retens eines ganz als Nebenerscheinung sich zeigenden gelbrothen Lo. 1 Pose. Annalen, Bd. 24, p. 168. 160 Dr. R. Mabn, Beschlages von amorphem Phosphor verlief die Umsetzung unter Bil- dung der angegebenen Verbindungen. 4. Phosphorwasserstoffgas und Antimonchlorür. Das in durch Erwärmen flüssig gehaltenes Antimonchlorür einge- leitete Phosphorwasserstoffgas erzeugte einen schwarzen, pulverför- migen Niederschlag. Dieser wurde nach Beendigung der Phosphor- wasserstoflgas-Entwickelung durch Behandeln mit Salzsäure und Aus- waschen mit Wasser gereinigt. Ueber Schwefelsäure getrocknet bildete diese Substanz ein amorphes, lockeres, schwarzes Pulver und bestand der Hauptmenge nach aus Antimon, Phosphor und Chlor. Da letzteres von noch beigemengtem Antimonchlorür herzustammen schien, so wurde versucht, dieses zu ‘entfernen. Dieses konnte indessen weder durch Kochen des Pulvers mit Salzsäure, noch mit Alkalien vollständig erreicht werden. Auch bei Versuchen, durch im Oelbade und Kohlen- 'säurestrom vorgenommene Destillation das Antimonchlorür zu entfer- nen, blieb stets ein chlorhaltiger Körper zurück. Die analytischen Re- sultate sind folgende: a. Substanz, die mit Salzsäure und sodann durch Auskochen mit Wasser gereinigt worden war, enthielt 76,86 Proc. Antimon, 12,85 Proc. Phosphor, 3,45 Proc. Chlor. Verlust: 6,84 Proc. b. Substanz mit Salzsäure behandelt, sodann mit kohlensaurem Natron gekocht und mit Wasser ausgewaschen, ergab: 77,50 Proc. Antimon, 12,44 Proc. Phosphor, das Chlor wurde nicht bestimmt. c. Substanz mit Salzsäure behandelt, sodann mit Kalilauge gekocht und Wasser ausgewaschen, ergab: 88,41 Proc. Antimon, 6,82 Proc. Phosphor. Chlor, welches in geringer Menge vorhanden war, wurde nicht bestimmt. Da eine vorgenommene Wasserstoffbesimmung keinen Gehalt an Wasserstoff ergab, so kann das Fehlende nur Sauerstoff sein. Eine einfache Formel lässt sich daraus nicht ableiten; die in den beiden - ersten Analysen gefundenen Mengen von Antimon, Phosphor und Sauerstoff stehen nahezu in dem Verhältniss wie 3:2: 2. 5. Phosphorwasserstoffgas und Zinnchlorid. Mit Zinnchlorid bildete das Phosphorwasserstoflgas eine gelbrothe Verbindung. In dem Zustande, wie solche nach erfolgter Einleitung des Gases in Zinnchlorid erhalten wurde, stellte-sie eine an der Luft stark rauchende Masse dar. Da dieser aber noch Zinnchlorid beige- Ueber einige Zersetzungsproduete des Phosphorwasserstoffs ete. - 161 mengt sein konnte, so wurde dasselbe durch Abdestilliren im Wasser- bade und Kohlensäurestrom zu entfernen gesucht, was in der That leicht gelang, und nun ein an der Luft nicht mehr rauchendes Pulver von etwas, dunklerer Farbe erhalten. Die Analyse desselben wurde in der Art ausgeführt, dass nach der Oxydation desselben mit Salpeter- säure bei gelinder Temperatur und nach dem Uebersättigen mit Ammo- niak auf Zusatz von Schwefelammonium alles gelöst wurde. Aus die- ser Lösung wurde dann das Zinn durch schwaches Ansäuren mit ver- dünnter Salpetersäure gefällt, in Oxyd übergeführt und als solches gewogen. Im eingedampften Filtrat wurde zunächst das Chlor als Chlorsilber gefällt, und nachdem das überschüssige Silber wieder ent- fernt worden war, die Phosphorsäure als phosphorsaure Ammoniak- Magnesia abgeschieden. ` I. 0,6598 gr. Substanz gaben 0,4758 SnO? = 0,3743 Sn = 56.73 Proc. Sn; ferner 0,8932 AgCl = 0,2210 Cl = 33.49 Proc. Cl; ferner 0,0933 P2O’Mg* = 0,0261 P = 3.96 Proc. P. II. 0,5693 gr. Substanz lieferte 0,4414 gr. SnO? = 0,3236 Sn = 56.84 Proc. Sn, ferner 0,7707 AgCl = 0,1907 Cl = 33.50 Proc. CL ferner 0,1020 gr. P?O’Mg* = 0,0285 P = 5.01 Proc. P. Durch eine Verbrennung wurde die Abwesenheit von Wasserstoff nachgewiesen. Da die auf diese Weise vorgenommenen Analysen einen zu gerin- gen Gehalt von Phosphor ergaben, was daher rühren konnte, dass ein Theil desselben in Form von Phosphorwasserstoff entwichen war, so wurde eine Analyse der Substanz im Chlorstrom vorgenommen. Bei Bestimmung des Zinns und des Phosphors wurde, wie früher, verfah- ren, Es ergaben 0,6019 gr. Substanz 0,4332 SnO? = 0,3407 Sn = 56.60 Proc. Sn; ferner 0,1992 P?O’Mg* = 0,0556 P = 9.24 Proc, P. Es ergab demnach Analyse L 1. IM. Sn = 56.73, 56.84, 56.60. Ci = 33.19, 33.50, — P = (3.96), (5.04), 9.24. Nehmen wir auch in Analyse I und II an Stelle der zu gering ge- fundenen Phosphormenge die der Analyse II an, so entspricht die Zu- sammensetzung einer Verbindung: Sn? Cl P?, d. h. an die Stelle von 6 Chlor in 3 Zinnchlorid sind 2 Phosphor getreten : gef. ber. Sn — 56.13 = 56.28. Ci? = 33.50 = 33.86. p? 924 = 985. 99.47. 99.99. 162 Dr. R. Mahn, Die Zersetzung lässt sich also durch die Gleichung ausdrücken : 3SnClk + 2PH? = Sn? Cl? P? + 6 HCI. Die von H. Rose! bei der Einwirkung von Phosphorwasserstoff auf Zinnchlorid erhaltene Verbindung, welche an der Luft rauchen soll, ist, wenn sie überhaupt ein chemisches Individuum darstellt und nicht ein Gemenge von Zinnchlorid mit der obigen Verbindung ist, jedenfalls dann bei 100 Grad nicht beständig, sondern zerfällt in Ghlorwasserstoff und das untersuchte nicht rauchende Product. I. Antimonwasserstoff. Das zu diesen Versuchen angewandte Antimonwasserstoffgas wurde durch Zersetzung einer Antimonzinklegirung mit verdünnter Schwefelsäure dargestellt. Nach mehreren Versuchen wurde das Ver- hältniss von 4 Th. Antimon auf 6 Th. Zink als das Zweckmässigste er- kannt. Bei grösserem Antimongehalt nämlich wird in Folge der Ab- scheidung von metallischem Antimon die Gasentwickelung bald sehr gering, ohne überhanpt ein antimonwasserstoflreicheres Gas zu liefern. Zur Trocknung wurde das Gas, welches immerhin nur wenig Antimon- wasserstoff ausser reinem Wasserstoff enthielt, über Chlorcaleium ge- leitet. Die Einleitung wurde stets längere Zeit fortgesetzt. 1. Antimonwasserstoffgas und Antimonchlorür. Das Antimonchlorür wurde auf die nämliche Weise, wie es bei den Versuchen mit Phosphorwasserstoff geschehen war, durch gelindes Erwärmen flüssig erhalten. Es fand hierbei Abscheidung von metal- lischem Antimon und Bildung von Salzsäure statt. 2. Antimonwasserstoffgas und Phosphorchlorid. Die Einwirkung des Gases war ‚sehr gering, trotzdem erhitzt wurde. Es trat ebenfalls wieder eine einfache Umsetzung ein, nämlich zu Phosphorchlorür und Antimonchlorür, unter Entweichen von Salz- säuredämpfen. ; Auf Phosphorchlorür und Zinnchlorid wirkt Antimonwasserstoff nicht ein. 4 Pose. Annalen, Bd. 24, p. 159. s Ueber einige Zersetzungsproduete des Phosphorwasserstoffs etc. I. Siliciumwasserstoffgas. Das zu den folgenden Versuchen verwandte Siliciumwasserstoff- šas wurde durch Zersetzung der sogenannten Siliciummagnesium- Schlacke mittelst Salzsäure erhalten. Diese Schlacke wurde auf die von WosnLer angegebene Weise dargestellt und in Gestalt eines nicht allzufeinen Pulvers angewandt. Es erwies sich als sehr zweckmässig, dieses Pulver zuvor mit Wasser auszulaugen, um das bei der Zer- setzung auftretende heftige Schäumen zu vermeiden. Die Entwickelung wurde in einer Wurr’schen Flasche vorgenom- ' men, auf deren Boden das Pulver gebracht und mit Wasser bedeckt wurde. Durch ein bis in das Wasser reichendes Eingussrohr wurde concentrirte Salzsäure zugefügt, nachdem zuvor der ganze Apparat mit Wasserstoff angefüllt worden war. Getrocknet wurde das Gas eben- falls über Chlorcaleium. 1. Siliciumwasserstoffgas und Phosphorchlorür. Die Einwirkung des zu Phosphorchlorür geleiteten Silieiumwasser- stoffgases war gering und ging das eingeleitete Gas zum grössten Theil unverändert durch den Apparat; beim Zusammenkommen mit der Luft sich entzündend. Als das der Einwirkung ausgesetzt gewesene Phosphorchlorür mit Wasser zersetzt wurde, zeigten sich geringe Men- gen schon unter Wasser heftig explodirender Gasbläschen , gleichzeitig fand die Abscheidung geringer Mengen von weissem Siliciumoxyd statt. Letzteres konnte aus Spuren Siliciumchlorür Si H C1? entstanden sein, Welches bei Zersetzung mit Wasser dieses Siliciumoxyd bildet. Dieses weisse Siliciumoxyd, welches auch bei den folgenden Ver- suchen beobachtet wurde, zeigte stets die bekannten Eigenschaften. Es war nämlich weiss, undurchsichtig und von lockerer Beschaffenheit, ersetzte zich in Wasser langsam, sofort aber mit Alkalien unter Was- serstoffgasentwickelung. Seine wässerige Lösung mit salpetersaurem Silberoxyd und dann mit Ammoniak versetzt, redueirt stark Silber. Getrocknet und erhitzt verbrannte dasselbe unter Erglimmen zu Kie- Selsäure. 2. Siliciumwasserstoffgas und Phosphorchlorid. Auch hier fand sehr geringe Einwirkung statt und erst bei stär- kerem Erwärmen bildeten sich geringe Mengen von Silieiumchlorür, 164 Dr. R. Mahn, nachweisbar durch Siliciumoxyd, von den erwähnten Eigenschaften, das sich in dem vorgelegten Wasser abschied. Ein Theil des Phos- phorchlorids war zu Phosphorchlorür geworden. 3. Siliciumwasserstoffgas und Antimonchlorid. Bei Einleitung des Gases zu diesem Chlorid fand verhältnissmässig stärkere Einwirkung statt. Es entstand Antimonchlorür, welches beim Abdestilliren des Chlorids zurückblieb, sowie Silieiumchlorür, eben- falls wieder durch das sich im vorgeschlagenen Wasser bildende Sili- ciumoxyd nachweisbar. 4. Siliciumwasserstoffgas und Zinnchlorid. Es findet die Bildung von Zinnchlorür und Siliciumchlorür statt, wiederum nachweisbar durch gebildetes Silieiumoxyd. 5. Silieiumwasserstoffgas und Schwefelbichlorid. ` Das Gas wirkt auf die bei 0 Grad mit Chlor gesättigte Schwefel- chlorürlösung merkwürdiger Weise nur sehr wenig ein unter Bildung von Siliciumchlorür, auch beim Erwärmen. 6. Siliciumwasserstoffgas und Jod. Siliciumwasserstoffgas zu Jod geleitet, zeigte bei gewöhnlicher Temperatur nur geringe Einwirkung. Vollständige Zersetzung des Ga- ses fand jedoch beim Erwärmen statt, als die sich bildenden Joddämpfe mit dem Gase zusammentrafen. Es entstand eine weissliche Masse, die näher untersucht mit dem von Wornuter und Burr zuerst erhaltenen und von FRIEDEL ! als ein Gemisch von Siliciumhydrojodid, Si HJ’, und Silieiumjodid, SiJ*, erkanntem Product zu betrachten ist. Den grösse- ren Theil davon bildete das feste Siliciumjodid. Ausser diesen Verbin- dungen trat Jodwasserstoff auf. 7. Silieiumwasserstoffgas und Jodmonochlorür. Wird bei gewöhnlicher Temperatur Siliciumwasserstoffgas in flüs- siges Chlorjod geleitet, so bemerkt man keine Einwirkung, erst beim Erwärmen tritt im vorgelegten Wasser eine kleine Menge von Silicium- oxyd auf. Fast aller Siliciumwasserstoff entweicht unverändert. A Zeitschr. f. Chem. 4868, p. 584. Ueber einige Zersetzungsproduete des Phosphorwasserstoffs ete. 165 8. Siliciumwasserstoffgas und Brom. Wird Silieiumwasserstoffgas zu Brom geleitet, so findet sofort vollständige Zersetzung statt. Beim Zusammentreffen des Gases mit Bromdämpfen entstehen weisse Nebel unter Bildung einer festen und einer flüssigen Verbindung. Beide Producte wurden bei gewöhnlicher Temperatur constant beobachtet, bei niederer Temperatur jedoch scheint sich der feste Körper in grösserer Menge zu bilden. Die Ver- bindungen konnten im Wasserhade und Kohlensäurestrom vom über- Schüssigen Brom befreit werden und es blieb dann die feste Verbin- dung trocken und rein oder mit mehr oder weniger Flüssigkeit gemengt zurück. Eine Trennung der zwar leichter überdestillirenden Flüssig- keit von dem festen Körper gelang nur schwierig, da stets nur kleine Mengen der Substanz entstanden waren. Bisweilen war nur so wenig flüssiges Product gebildet worden, dass sich dasselbe mit dem Brom Verflüchtigte. Die dann im Kohlensäurestrom destillirte reine, farblose, krystallinische Substanz zeigte einen Schmelzpunkt von 89 Grad C. Analysirt wurde sie in der Art, dass sie durch ammoniakalisches Was- Ser zersetzt wurde, was unter Gasentwickelung und Bildung von Kie- Selsiure geschah. Letztere wurde, nachdem im Wasserbade zur Trockne eingedampft und wieder mit Wasser versetzt worden war, abfiltrirt und im Filtrat das Brom mit Silberlösung gefällt. 0,0972 gr. ` Substanz ergab 0,2028 AgBr = 0,0863 Br = 88,78 Proc. Br. Ferner 0,0246 SiO? = 0,01148 Si = 12,84 Proc. Si. Eine andere genauere Analyse, zu welcher 0,1577 Gr. Substanz angewandt werden konnte, Sab 0,3260 Ay Br = 0,1387 Br = 87,96 Proc. Br und 0,0419 SiO? = 0,04955 Si = 12,39 Proc. Si. Daraus leitet sich die Formel Si? Br? ab, welche verlangt: 12,3 Proc. Silicium und 87,7 Proc. Brom. Wie diese feste Verbindung constituirt ist, lässt sich noch nicht Entscheiden. Ein Gehalt an Wasserstoff, dessen Nachweisung event. Bestimmung bei Mangel an Material nicht vorgenommen werden konnte, aber sehr wünschenswerth erscheint, ist wohl möglich. Wenn sie Wasserstoffhaltig ist, wird sie aber auf keinen Fall mehr als 4 Mgt. enthalten können. Dann wäre sie der bekannten Kohlenstoffverbin- dung: 0? H CË analog zusammengesetzt, nämlich S: H Br’. Diese For- mel verlangt 12,2 Proc. Silicium, 0,2 Proc. Wasserstoff und 87,6 Proc. Brom. Diese neue Bromsiliciumverbindung stellt also eine farblose, bei 89 Grad schmelzende und beim Erstarren in schönen langen Nadeln krystallisirende , und bei etwa 230 Grad (bei Ausschluss der Luft) un- verändert destillirende Substanz dar, welche an der Luft raucht unter Bd. V. 2. 12 166 Dr. R. Mahn, Bildung von Bromwasserstoff und durch Wasser. in dieselbe Verbin- dung und einen weissen amorphen Körper, welcher mit Ammoniak "unter Wässerstoffentwickelung in Kieselsäure übergeht, zersetzt wird. Im Wasserstoff ‘oder Kohlensäurestrom sublimirt sie schon bei der Wärme des Wasserbades langsam in schönen breiten Nadeln , wird sie bei Zutritt der Luft erhitzt, so schmilzt sie erst, entzündet sich aber gleich darauf, einen völlig weissen Dampf erzeugend,, dabei scheidet sich weder Brom noch Silicium aus. Dies Verhalten unterstützt viel- leicht die Vermuthung, dass sie wasserstoffhaltig ist. Herr Prof. Gruruer wird diese Frage baldigst zur Entscheidung bringen lassen. Eine Analyse der mit fester Verbindung zugleich entstandenen und sie gelöst enthaltenden Flüssigkeit wurde auf die nämliche Weise ausgeführt. 0,4519 Gr. Flüssigkeit lieferten 0,9558 AgBr = 0,4067 Br = 89,99 Proc. Br und 0,0976 SiO? = 0,04554 Si = 10,07 Proc. Si. Diese Zusammensetzung entspricht einem Gemenge von fester Ver- bindung und Silieiumbromid nahe zu gleichen Mischungsgewichten. Es fordert nämlich: Das Bromid : Analysirte Feste Si Br* Flüssigkeit : Verbindung: ber. gef. gef. Silicium 8.0 10.14 12. k. Brom 92.0 90.0 88.0. Eine vorgenommene Destillation mit allen den bei verschiedenen Darstellungen gewonnenen kleinen Flüssigkeitsmengen in einem klei- nen, zuvor mit Kohlensäuregas gefüllten Kölbehen ergab ein bei dem Siedepunkt des Siliciumbromids etwa 150 Grad G: übergehendes farb- loses, flüssiges Product von den Eigenschaften des Siliciumbromids und eine erst bei ungefähr 230 Grad C. überdestillirende farblose, in der Kälte krystallinisch erstarrende Verbindung, die noch von etwas Flüs- sigkeit durchtränkt und nichts Anderes als die oben analysirte Verbin- dung war. Jena, Mitte März 1869, Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. Von Wilhelm Müller. Mit Taf. VI. Allgemeiner Theil. Die Zahl der im Jahre 1868 vom pathologischen Institut zu Jena Seöffneten Leichen beträgt 163. Dieselben vertheilen sich in folgender Weise auf die verschiedenen Haupttodesursachen : 0—1 | 2—10111—20) —30 T , Otesursache ihn Arch iy fy. m. nenne Epitheliom: des Oesophagus ;| > » Magens.... » » Ad 3 der Schilddrüse. . ù enom der Prostata “arcinom der Haut > » Brustdrüse T. ® » Lymphdrüsen . .ı > des Magens » Ovarium r Lymphdrüsen. . . » Sarcom de >.» Gefüssscheiden.. = » Niere Periost der Lungen . » Hirnhäute . » Knochen .. 168 Wilhelm Müller, Todesursache Kr. des Circuls. Adiposis cordis Endocarditis Endarteritis Varix haemorrh Phlebitis Lymphadenitis Kr. des Respirs. Diphtherie Bronchopneum. ... - + - Groupöse Pneum. ... + Chronische Pneum Emphysem Asphyxie Kr. des Digests. Phlegmone retrophar. . » Ulcus ventric -i » duodeni Catarrh. gastro-intest. . . . - Perfor. proc. vermiform. . . - Dysenteria Incarc. hern Kr. des urop. 8. Nephrit. tubul » interstit. » suppur.. Diabetes Kr. des Genits. Haemorrh. placent. Kr. der Haut. Kr. des Beweggss- Rachitis Cephalhaemat, Knochenbruch Periostitis ` Vergiftung durch Phosphor ed . |. 19 |16 -~ 35 Epitheliale Neubildungen. Das Epitheliom wurde im Ganzen in zehn Fällen beobachtet = 6.4 Proc. Hiervon waren drei Fälle Pflasterzellenepitheliome. Bei einem 50jährigen Manne hatte sich auf ausgedehnten Narben der Haut des linken Unterschenkels, von einer Verbrennung herrührend, ein fast ein Drittheil der ganzen Vorderfläche einnehmendes warziges Epithe- liom entwickelt, welches die Amputation des Unterschenkels erforder- lich machte. Es zeigte sich, dass die Neubildung in die Tibia einge- drungen war, dieselbe bis zur hinteren Knochenleiste substituirend. Der Befund wird im speciellen Theil ausführlich beschrieben werden. Zwei weitere Fälle lieferte der Oesophagus. Bei einem 59 jährigen Mann zeigte sich das ganze mittlere Drittheil des Organs in ein stark zerklüftetes , jauchendes Epitheliomgeschwür verwandelt, mit einer 3 Gent. langen und 1 Gent. breiten elliptischen Communication zwi- schen. Oesophagus und Trachea nahe der Bifurcation. Die beiden Pleurablätter zeigten sich rechterseits neben dem 5. Brustwirbel im Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 169 Umfang eines Thalers locker verklebt. Nach Lösung der Verklebung kam eine zweite, etwa groschengrosse Perforation der seitlichen Oeso- phaguswand zum Vorschein, welcher am anliegenden Oberlappen der rechten Lunge eine wallnussgrosse, mit brandigem Inhalt versehene . -Caverne entsprach, in deren Umkreis das Lungengewebe theils einfach hepatisirt, theils durch fibroide Bindegewebswucherungen verdichtet war. Einzelne Lymphdrüsen um den Oesophagus epitheliomatös; eine grössere nahe der Trachealbifureation vereitert und in den linken Hauptbronchus durchgebrochen. Bei einem 72 jährigen Mann hatte die Entwickelung von Pflasterzellenepitheliom eine doppelte Strietur des Oesophagus mit Erweiterung des oberhalb liegenden Abschnitts her- beigeführt, welch’ letzterer den Befund chronischen Catarrhs darbot. Es fand sich das mittlere Drittheil in ganzer Dicke der Wand epithe- liomatös und in eine zerklüftete Geschwürsfläche verwandelt; daran ` Schloss sich, durch einen ? Cent. langen gesunden Abschnitt getrennt, eine zweite flache Ulceration der vorderen und seitlichen Parthien im unteren Drittheil an, neben Epitheliomatose der anliegenden Lymph- drüsen. Das Cylinderzellenepitheliom lieferte sieben Fälle. Hiervon kom- _ men auf den Magen vier und zwar sass die Neubildung in der Mitte der hinteren Wand des Magens bei einem 56jährigen Mann, im Pylorus- theil bei einem 19 jährigen Mann und einer 52jährigen Frau, in beiden Fällen mit ausgiebiger Betheiligung der umliegenden Lymphdrüsen, im letzteren neben gleichzeitigem Auftreten secundärer Epitheliomkno- ten in der rechten Niere. Besonders interessant gestaltete sich der Verlauf bei einem 68jährigen Manne. Nach der bestimmten Aussage der Angehörigen waren hier seit 11 Jahren die Erscheinungen gestörter Function des Magens vorhanden, wozu sich seit etwa 2 Jahren soge- nannte Lienterie gesellt hatte, bestehend in Stuhldrang bald nach reichlicherer Nahrungszufuhr und Abgang unverdauter Ingesta. Zur Erklärung dieser Erscheinungen fand sich eine handtellergrosse, mit Zolliger Oberfläche versehene Neubildung in der Gardiahälfte des Ma- gens, längs der hinteren Wand von der Cardia zur grossen Curvatur Sich erstreckend. Das nach oben verlagerte Colon transversum war mit der hinteren Magenwand im Bereich der Neubildung verwachsen; an der Verwachsungsstelle führte eine groschengrosse,, mit leicht gewul- Steten derben Rändern versehene Oeffnung aus der Höhle des Magens in jene des Colon. Bei einer 42 jährigen Frau war seit langer Zeit Kropf vorhanden. Im Verlauf von 6 Jahren bildeten sich umfangreiche Geschwülste am Schädel, dem linken Schulterblatt und im oberen Theil der Wirbel- 170 Wilhelm Müller, säule. Bei der Section fand sich eine weiche, grauröthliche Neubildung im rechten Lappen der Schilddrüse, mit welcher die verschiedenen Knochengeschwülste ihrer Beschaffenheit nach übereinstimmten. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass es in allen diesen Organen um die Entwickelung eines Gylinderzellenepithelioms sich handelte, welches volle Uebereinstimmung mit den fötalen Anlagen der Schild- drüse darbot. Der Fall wird seiner Wichtigkeit wegen gleich den bei- den folgenden im speciellen Theil ausführlich beschrieben werden. Bei einem 39jährigen Mann hatte sich eine umfangreiche Ge- schwulst im rechten Hoden entwickelt, welche von Dr. Stark in Weida exstirpirt und dem pathologischen Institut zur Untersuchung übersandt wurde. Ein halbes Jahr darauf suchte der Kranke in der hiesigen chi- rurgischen Klinik Hülfe wegen eines umfangreichen Recidivs. Dieses wurde exstirpirt, der Kranke erlag jedoch der Pyämie. Schon in der ursprünglichen Geschwulst war eine gleichzeitige Betheiligung der aus verschiedenen embryonalen Blättern abstammenden Gewebe des Hoden erkennbar gewesen, indem neben epitheliomatösen chondromatöse und sarcomatöse Stellen in der Geschwulst sich vorfanden. Bei der Seetion fanden sich analoge secundäre Geschwülste nicht nur in den Lungen, sondern auch vor der Lendenwirbelsäule, ausgehend von den lumbaren Lymphdrüsen. In letzteren hatte sich nicht nur der epitheliomatöse und chondromatöse Bau der Neubildung wiederholt, sondern es war auch das Gefässblatt in Form cavernöser Angiombildung betheiligt. Ein 71 jähriger Mann erlag nach mehrjähriger Erkrankung einem ausgedehnten Gällertkrebs des Colon. Die Untersuchung der Ge- schwulst liess auch hier zwei Bestandtheile erkennen : einen epithelio- matösen, der, wie eine Reihe seeundärer Eruptionen wahrscheinlich machte, den Ausgangspunct gebildet hatte und einen bindegewebigen, in welchem auf ausgedehnten Strecken sämmtliche capillare Lymph- räume mit einer gelblichen, weichen Gallerte erfüllt waren. An die Epitheliome reiht sich ein Fall jener chronischen ulceriren- den Talgdrüsenwucherung, wie sie Porra und Tiuersen beschrieben haben. Bei einem 76 jährigen Mann bestand seit 41 Jahren ein refractä- res Geschwür an der linken Schläfe mit glatten, theilweise vernarbten, theilweise wie ausgenagten Rändern und flach vertiefter, mit kleinen, granulationsartigen Wucherungen besetzter Basis. Auf dem Durch- schnitt zeigte letztere weisse Farbe, speckigen Glanz, derbes Gefüge ; ihre Dicke betrug nirgends über !/, Gent. ; sie erstreckte sich bis zum Schädelperiost, mit welchem sie fest zusammenhing; der unterliegende Knochen erwies sich vollständig intact. Die mikroskopische Unter- suchung ergab, dass die Geschwürsbasis allenthalben vergrösserie Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 174 Talgdrüsen enthielt, aus welchen junge, zum Theil verästelte Sprossen in beträchtlicher Zahl hervorgewachsen waren, Die zwischenliegende Bindesubstanz befand sich im. Zustand von einfachem Granulations- gewebe. Die zugehörigen Lymphdrüsen zeigten ebensowenig als die inneren Organe eine analoge Neubildung. Vergrösserung der Talgdrüsen zu umschriebenen Balggeschwülsten fand sich bei drei Individuen; ihr Sitz war zweimal die behaarte Kopf- haut, einmal die Haut der rechten Mammargegend. Unter den Adenomen der Drüsen, welche aus dem Darmdrüsen- blatt hervorgehen, nimmt an Häufigkeit die Struma wie gewöhnlich in hiesiger Gegend den obersten Platz ein. Nicht weniger als 46 Lei- chen (22. M., 24 W.) = 28.2 Proc. boten hierher gehörige Verän- derungen der Schilddrüse in allen ihren Modificationen. Der Häufigkeit nach reihen sich an die Struma die Adenome der Uterusschleimhaut. Sie wurden in zwölf Fällen = 47.4 Proc. aller weiblichen Leichen angetroffen. Das jüngste der hierher gehörigen In- > dividuen zählte 42 Jahre. Der Gervix allein bot drei, die Uterushöhle allein vier Fälle, während in fünf Fällen gleichzeitig in beiden Höhlen Adenome sich entwickelt hatten. Bemerkenswerth ist, dass in einem dieser Fälle eine taubeneigrosse, im Uterusgrund gestielt aufsitzende Geschwulst auf dem Durchschnitt aus lauter verschieden grossen rund- lichen , mit gelber, weicher Gallerte erfüllten Cysten zusammengesetzt sich zeigte, deren Entwickelung aus den verlängerten , schlauchför- migen Drüsen des Uterus durch Abschnürung sich verfolgen liess. Vergrösserung der Prostata durch Adenombildung wurde in sieben Leichen beobachtet = 7.4 Proc. aller männlichen Leichen. In allen . Fällen war das Epithelialrohr der Prostata vorwiegend an der Neubil- dung betheiligt. Den erwähnten Adenomen reihen sich an zwei Fälle von Hyper- plasie der Thymus bei einem 29jährigen und einem 51jährigen Mann. Im ersteren Fall waren von Jugend auf epileptische Anfälle vorhanden, in deren Verlauf häufig die Erscheinungen heftigen Glottiskrampfes sich eingestellt hatten. Es fand sich die Thymus etwa dreimal so gross als bei dem zweijährigen Kind, ihr Bau vollkommen dem des zweijährigen Kindes entsprechend; die einzelnen Läppchen wohl ausgebildet, im Centrum zum "Theil mit: concentrischen Ablagerungen versehen. Im zweiten Fall fand sich neben einer ganz ‚analog beschaffenen Thymus doppelseitige chronische Pneumonie mit Bronchialerweiterung; die bronchialen Lymphdrüsen schwarz pigmentirt und zum Theil ge- schwunden. In beiden Fällen boten die ‚grösseren im Mediastinum verlaufenden Nerven keine erkennbare Abnormität. 172 Wilhelm Müller, Bei einer 56Jjährigen Frau fand sich neben chronischem Catarrh des Rachens und Oesophagus ein kirschengrosser Schleimhautpolyp unmittelbar über dem Pylorus, welcher aus vergrösserten, zum Theil an der Basis knäuelförmig aufgewundenen Schleimdrüsen sich zusam- mensetzte. Bei einem A16jährigen Mann fand sich dicht oberhalb des Diver- ticulum Vateri eine flachrundliche Geschwulst vom Umfang einer hal- ben Kirsche und deutlich acinösem Bau in der Submucosa des Duo- denum. Die Untersuchung ergab vollkommene Uebereinstimmung im Bau mit dem Pancreas, dessen Anlage wahrscheinlich in frühester Zeit einen Sprossen in die Duodenalwand hinein entsendet hatte. Cystome der Nieren wurden in 11 Leichen beobachtet = 6.7 Pro- cent, 6M., 5 W.; in 6 Fällen unter Betheiligung beider, in 3 unter Betheiligung der linken, in 2 unter jener der rechten Niere. In einem der Fälle war ausgeprägte Cystomatose der linken Niere bei einem 11jährigen Mädchen vorhanden. Cystome der Ovarien fanden sich bei 9 Frauen = 13.04 Proc. aller weiblichen Leichen; in drei Fällen doppelseitig, in vier links, in zwei rechts. Bemerkenswerth ist das Auftreten mehrfacher, bis kir- schengrosser Gystome in beiden Rierstöcken eines 12jährigen, das Auftreten gelatinöser Gystome im rechten Eierstock eines 22 jährigen Mädchens. Bei einer 74 jährigen Frau fanden sich zahlreiche, mit kla- rem Serum gefüllte Gystome in beiden breiten Mutterbändern, dem Verlauf beider Nebeneierstöcke entsprechend. Neubildungen der Bindesubstanzreihe. Einfache Fibrome wurden im serösen Ueberzug der Ovarien zwei- mal, in der Schleimhaut des Magens, im Gervicalcanal des Uterus, auf dem serösen Ueberzug des Ileum, auf der äusseren Haut je einmal beobach- tet, in allen den letzteren Fällen in Form polypöser Fibrome. An sie schliessen sich unmittelbar an fünf Fälle von Warzen der äusseren Haut, welche einmal in grosser Zahl beide Hände eines 12 jährigen Mädchens bedeckten. Ein wallnussgrosses Lipom im subcutanen Bindegewebe des Na- bels hatte bei einem 60jährigen Mann zu einer bruchähnlichen Vor- wölbung dieser Hautstelle Anlass gegeben. Bei zwei Männern fanden sich mehrfache, zum Theil gestielte Lipome des serösen Ueberzugs des Dickdarms, bei einer 81jährigen Frau ein faustgrosses Lipom unterhalb der rechten Brustdrüse. Myome und Fibromyome fanden sich in und am Uterus in neun Fällen = 13.04 Procent der weiblichen Leichen ; in einem Fall war der Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868, "195 Sitz der Neubildung die Muskellage der Schleimhaut, in drei Fällen die Dicke der Uteruswand, während in fünf Fällen die subperitonalen Muskellagen den Ausgangspunkt gebildet hatten. Eine erbsengrosse‘ Eechondrose am Sternalende der rechten Cla- Vieula fand sich bei einem 9jährigen Mädchen, während ein 72 jähriger Mann zahlreiche Ecchondrosen der Rippenknorpel darbot. Eine flache groschengrosse Exostose an der Glastafel des Stirn- beins fand sich bei einem 21jährigen Mädchen ; mehrfache Exostosen der Rippen und Wirbel waren bei einem 42 jährigen Mann zugegen. Ausgedehntere Osteombildung fand sich in der Dura eines 59 jäh- tigen Mannes, während bei einem 21jährigen Mann und einer 38 jäh- rigen Frau flache, etwa sechsergrosse Osteome der Pia beobachtet wur- den, beide Male über dem linken Stirnlappen, mit Verlauf der Pia- Sefässe über die Knochenplatte hinweg. Sarcom trat in sieben Fällen auf = 4.29 Proc. Hiervon gehörte ein Fall dem sogenannten Rundzellensarcom an. Bei einem 9jährigen Mädchen waren beide Ovarien in faustgrosse ellipsoidische, mit nie- renartigem Hilus versehene Geschwülste verwandelt von ziemlich wei- cher Consistenz und gleichförmig grauweisser, saftreicher Schnittfläche. Daran schloss sich an Sarcomatose fast aller Lymphdrüsen mit Aus- nahme eines Theiles der cervicalen und bronchialen, des Mesenteriums, Darms, Magens, beider Nieren und Tuben, des Pericard und rechten Vorhofs, der Schilddrüse und Thymus. Sämmtliche Geschwülste hat- ten sich in der unglaublich kurzen Zeit von drei Monaten entwickelt. Der Fall wird wegen des Interesses, das seine Vergleichung mit den frühesten Entwickelungszuständen des Ovarium gewährt, im speciellen Theil ausführlicher beschrieben werden. Die übrigen sechs Fälle gehörten dem Spindelzellensarcom an. Bei einer 26 jährigen Frau hatte sich von der Gefässscheide der Achsel- arterie aus eine rasch verjauchende Geschwulst entwickelt, welche zu Perforation der rechten Pleurahöhle mit nachfolgender eitriger Pleuritis führte. Bei der Section fanden sich ausser der örtlichen Geschwulst Sarcome in einem Theil der Achseldrüsen und in den Lungen. Bei einem 49 jährigen Mann hatte sich im Anschluss an mehrma- lige Harnblutungen seit einem Jahr rasch fortschreitender Marasmus gleichzeitig mit einer Geschwulst in der Tiefe der linken Bauchhälfte entwickelt. Es fand sich bei der Section die linke Niere in ein manns- kopfgrosses Spindelzellensarcom verwandelt, der Hilus des Organs wohl erhalten, die Oberfläche glatt, das Parenchym grauweiss, elastisch, stellenweise erweicht und in beginnender Verkäsung, im unteren Drittheil zahlreiche bis wallnussgrosse, mit glatter, glänzender Wand 174 ! Wilhelm Müller, versehene Gysten enthaltend. Der Fall wird gleich den vier folgenden im speciellen Theil seine eingehendere Beschreibung finden. Diese betreffen ohne Ausnahme in den zwanziger Jahren stehende Männer. Bei zwei in derselben Werkstatt arbeitenden Sattlergesellen kam es zur Bildung von Lymphdrüsenanschwellungen am Halse, welche ziemlich rasch auf die benachbarten Drüsenpaquete sich weiter verbreiteten. Dazu gesellte sich in beiden Fällen eine Anschwellung der Milz und, wenigstens in dem einen, eine beträchtliche Leukocytose. Der Tod erfolgte in dem einen Fall an Pneumonie, im anderen an Dy- senterie. Es fanden sich in beiden Fällen ‘enorme Vergrösserungen der Lymphdrüsenpaquete in der oberen Körperhälfte, bedingt durch aus- gedehnte Sarcomatose der Blutgefässscheiden. Daneben fand sich in dem einen Fall Sarcomatose der Muskeln, des Unterhautbindegewebes der Brust und beider Lungen, die Milz durch einfache Hyperplasie ver- grössert; im anderen Fall waren die ersteren Organe frei geblie- ben, dafür zeigte die Milz eine Anzahl rundlicher und verästelter Kno- ten, deren Bau mit jenem der vergrösserten Lymphdrüsen überein- stimmte. Noch merkwürdiger wegen des Auftretens lepraähnlicher Erschei- nungen gestaltete sich die Sarcomatose bei zwei anderen, gleichfalls in den zwanziger Jahren stehenden Männern. In dem einen Fall hatte sich vom Periost des Kreuzbeins aus ein Spindelzellensarcom ent- wickelt, welches exstirpirt wurde. Nach kurzer Zeit entwickelte sich ein umfangreiches Recidiv und daran schloss sich das Auftreten mul- tipler flacher, bis 'wallnussgrosser Knoten in den äusseren Decken an. Zugleich mit diesen Knoten entwickelte sich eine sehr auffallende dun- kelbraune Pigmentirung der Haut in Form linsen- bis doppelthaler- grosser, umschriebener Flecken, welche namentlich in der oberen Körperhälfte ihren Sitz hatten und im Verein mit den Knoten dem Manne das vollendete Aussehen eines Leprosen verliehen. Die Section ergab ausser der örtlichen Gesehwulst Sarcomatose der lumbaren Lymphdrüsen, beider Pleuren und Lungen, der Haut und zwei sym- metrische, mit 'wallartig aufgeworfenem Rand versehene Geschwüre von 2 Gent. Länge und 1 Gent. Breite in der seitlichen Wand des Oeso- phagusanfangs. Mit diesem Fall stimmt ein zweiter in der Hauptsache überein. Hier hatte sich von’ dem Periost des Schambogens aus ein Spindelzellensareom entwickelt, welches einerseits als rundlicher mannskopfgrosser Tumor die Beckenhöhle erfüllte, andererseits als faustgrosser Tumor unter der Fascie an. der Innenfläche des rechten Oberschenkels sich ausbreitete. ‘Auch hier war es zur Bildung mul- tipler Knoten in der Haut und zu ganz analogen Pigmentirungen wie Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 175 im vorigen Fall gekommen ; es fehlten ferner auch hier secundäre Neu- bildungen in den Lungen nicht. Carcinom kam in zehn Fällen zur Beobachtung (5 M., 5 W.) = 6.1 Proc. Von diesen boten ein Carcinom der linken Brustdrüse bei einer 61jährigen Frau, ein solches der Halslymphdrüsen und Leber bei einem 52 jährigen Mann kein besonderes Interesse. In sechs Fäl- len war der Magen Sitz der Carcinose und zwar die Cardia mit be- trächtlicher Stenose des Mageneingangs bei einem 62jährigen Mann, der Pylorustheil bei einem 39jährigen und 43 jährigen Mann und bei drei Frauen von 46, 74 und 81 Jahren. In dem ersten dieser Fälle fand sich gleichzeitig Seirrhus im Pylorus und Wurmfortsatz neben verbreitetem Scirrhus des Mesenterium und der Lymphdrüsen am Magen, im zweiten Fall war die ganze Pylorushälfte des Magens von Seirrhus substituirt ohne irgend eine Ulceration der Schleimhaut. In dem letzten Fall hatte sich das Careinom aller Wahrscheinlichkeit nach im Boden eines früheren Magengeschwürs entwickelt. Es fand sich ein thalergrosser kreisrunder Substanzverlust der Schleimhaut, der pilz- förmig mit umgeworfenen Rändern über das Niveau der Umgebung Prominirte und eine über 4 Gent. dicke , grauweisse weiche, die ganze Magenwand substituirende Neubildung als Basis besass. Bei einer 53jährigen Frau fanden sich beide Ovarien in eine zu- sammenhängende mannskopfgrosse, das ganze kleine Becken erfüllende Geschwulst verwandelt, welche zahlreiche glattwandige erbsen- bis Wallnussgrosse Cysten einschloss. Zahlreiche secundäre Neubildungen hatten sich im Peritonäum und Zwerchfell, sowie in den rechtsseitigen Leistendrüsen entwickelt, an alen diesen Orten gleichfalls unter Bil- dung rundlicher mit milchig getrübter Flüssigkeit erfüllter cystenar- tiger Hohlräume. Endlich hatte sich bei einem 59jährigen Mann unter der Haut an der rechten Seite des Halses eine festsitzende Geschwulst ent- wickelt, welche frühzeitig ulcerirte. Es zeigte sich bei der Section eine bis auf die grossen Gefässe und in die Jugularvene selbst eindringende Weiche careinomatöse Geschwulst neben ausgedehnter Careinose der Lymphdrüsen, Lungen, Leber und Nieren. Angiome. Hier ist zu erwähnen ein spindelförmiges, mit geschichteten Fi- as kaai ausgefülltes Aneurysma der Lungenarterie von etwa m. Durchmesser bei 0.75 Cent. Länge, in eine etwa wallnussgrosse tuberculöse Caverne hineinragend. Wiederholt waren im Verlauf der Erkrankung Lungenblutungen aufgetreten. 176 i Wilhelm Müller, Das Venensystem bot in 47 Individuen (23 M., 24 W.) = 28.8 Proc. Varixbildung in den verschiedensten Graden dar. Das grösste Contin- gent stellten wie gewöhnlich die hämorrhoidalen Venen mit 37 Fällen, während die subcutanen Venen der unteren Extremität und jene der Urethralschleimhaut je fünf, jene der Blasenschleimhaut drei, die Pia- matervenen nahe dem Eintritt in den Längsblutleiter zwei, die Venen der grossen Schamlippen einen Fall darboten. Im Ganzen zeigte sich bei neun Individuen (3 M., 6 W.) die Varixbildung weiter im Venen- system verbreitet. Von den Folgen derselben sind hervorzuheben zahl- reiche flache, theils auf, theils unmittelbar neben Varixknoten der Bla- senschleimhaut sitzende Geschwüre eines 80 jährigen Mannes mit um- fangreichem Adenom der Prostata. Bei einer 74jährigen Frau fanden sich mehrere ganz analoge kreis- runde Geschwüre theils auf, theils neben Varixknoten des Rectum unmittelbar über dem Sphincter internus sitzend. Ein etwa sechser- grosses Geschwür hatte die vordere Wand des Rectum durchbrochen und zur Entstehung diffuser jauchiger Phlegmone des Bindegewebes zwischen Vagina und Rectum geführt. Ein Durchbruch in den DousLas'- schen Raum hatte durch eitrige Peritonitis den Tod herbeigeführt. Cavernöse Angiome wurden in zwei Individuen beobachtet: bei einer 54 jährigen Frau ein kirschengrosses der Leber, bei einer 58 jäh- rigen ein flaches, etwa bohnengrosses im Unterhautbindegewebe des rechten Ellbogens. Hier ist endlich zu erwähnen der seltene Fall eines hühnereigrossen dünnwandigen wahren Aneurysmas des Ductus thoracicus einer 47jäh- rigen Frau, welche zwei Jahre vor ihrem Tode die Erscheinungen des Rheumatismus acutus dargeboten hatte. Der Fall wird seiner Selten- heit wegen im speciellen Theil ausführlich beschrieben werden. Syphilis. Zehn Leichen (7 M., 3 W.) = 6.1 Proc. boten die Erscheinungen theils frischer, theils abgelaufener Syphilis. In zwei Fällen führte die- selbe den Tod herbei. Bei einem neugeborenen, eine halbe Stunde nach der Geburt unter asphyctischen Erscheinungen verstorbenen Mädchen fand sich eitriger Catarrh der Scheide, der Muttermund von zahlreichen condylomartigen Papillen besetzt, eitriger doppelseitiger Bronchialcatarrh, beide Lungen im Zustande ausgedehnter grauröth- licher Hepatisation mit dazwischen eingesprengten erbsen- bis kir- schengrossen gelblichweissen, im Gentrum zum Theil mit verästelten gelben Zeichnungen versehenen Knoten. Bei einem 38jährigen Mann hatte seit längerer Zeit sypbilitische Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 177 Caries des linken Stirnbeins bestanden neben Verschwärungen in Nase, Rachen und der Haut. Im weiteren Verlauf hatte sich Anschwel- lung des Halswirbelperiosts und eine Perforation der hinteren Rachen- wand durch Vereiterung der Wirbel hinzugesellt. Am letzten Tag des Lebens trat plötzliche Lähmung der oberen und unteren Extremitäten ein. Die Section ergab ausgedehnte eitrige Zerstörung des linken Stirn- beins, entsprechende umschriebene Pachymeningitis purulenta externa, beträchtliche Verdickung der ganzen linken Hälfte der Dura, an ihrer Innenfläche eine etwa 2 Mm. dicke, weiche, rostbraune Pseudomem- bran. Arachnoides und Pia über dem linken Stirnlappen schwartig verdickt und getrübt, ohne Eitergehalt. Der knöcherne Theil des Septum narium sowie ein Theil des weichen Gaumens durch Ulcera- tion zerstört. Strahlige Narbe der Trachealschleimhaut an der Bifur- Cation. Das Periost über den vier ersten Halswirbeln schwartig ver- dickt, von der Vorderfläche der letzteren durch dicken, übelriechenden _ Eiter abgehoben und von einem kurzen, die hintere Rachenwand im Niveau der Tonsillen durchsetzenden Fistelgang unterbrochen. Der erste und vierte Halswirbel durchaus eitrig infiltrirt, der zweite und dritte eingeknickt und in eine buchtige, nur von spärlichen Knochen- testen durchsetzte Caverne verwandelt. Das Rückenmark im Niveau des zweiten Cervicalnervenursprungs in seiner vorderen Hälfte er- Weicht und mit zahlreichen Extravasaten durchsetzt. Theils verkäste, theils vernarbte Gummiknoten der Leber. Ausserdem Tuberculose der techten Lunge, Amyloiddegeneration der Leber, Milz und Nieren. Tuberculose blieb mit im Ganzen 20 Fällen (16 M. 4 W.) = 122 Proc. erheblich hinter der bisherigen Durchschnittszahl. In drei Fällen war die Tuber- Culose auf die Lungen beschränkt, in allen übrigen auf mehrere Or- gane verbreitet. Von den ersteren Fällen ist zu erwähnen die Be- Schränkung chronischer Tuberculose auf den Ober- und Mittellappen der rechten Lunge eines 38 jährigen an Syphilis verstorbenen Mannes. In sechs Fällen war neben der chronischen die acute Form der Tuber- Culose entwickelt, dreimal unter Betheiligung der Meningen an der Hirnbasis. In sieben Fällen führten Gomplicationen den Tod der Tu- berculösen herbei und zwar zweimal croupöse Pneumonie, je einmal Empyem , Pericarditis, Wirbelbruch, Sinusthrombose und Dysenterie. In neun Fällen fanden sich Processe, welche das disponirende Moment “ur Entwickelung der Tuberlose abgegeben haben konnten, nämlich Syphilis in drei, chronische Pneumonie und Manie in je zwei, Diabetes und Magencareinom in je einem Fall. 178 Wilhelm Müller, Von. den einzelnen Fällen sind folgende hervorzuheben. Bei einer 42 jährigen Frau fand sich neben chronischer Lungen- und Darmtuber- culose ein kirschengrosser gelber Tuberkelknoten im. Unterwurm. des Kleinhirns; im Anschluss daran hatte: sich. Tuberculose ‚der Meningen entwickelt: Der- Verlauf hatte zur. Vermuthung der Anwesenheit einer Neubildung im Kleinhirn keinen Anhalt gegeben. Bei einem 28 jährigen Mann fand sich neben chronischer. Lungen- und Darmtubereulose ein kirschengrosser Tuberkelknoten im: rechten Linsenkern. -Die einzigen auffallenden Erscheinungen, welche der Kranke dargeboten hatte, bestanden in hartnäckiger Stuhlverstopfung und heftigen Schmerzen.im linken Kniee , beide etwa ein Jahr vor dem Ende längere Zeit anhaltend. Bei einem 32 jährigen. Irren hatte im Anschluss. an ‚ältere und frische Tuberculose beider Lungen eine croupöse Pneumonie des rech- ten Unterlappens: das lethale Ende herbeigeführt. ‚Nun fanden sich mehrere Geschwüre an der hinteren Wand des Larynx und.der Trachea, sämmtlich mit frischem, diphtherischen ‚Beleg. versehen, die der - Trachea anliegenden Lymphdrüsen: theils- geschwellt, ‚und. hyperä- misch, theils von Eiterherden durchsetzt. Bei einem 28jährigen Tuberculösen hatte sich im, Anschluss an ausgedehnte Verschwärung der Stimmbänder diffuse Verknöcherung der Kehlkopfsknorpel entwickelt unter Bildung einer Synostose zwi- schen linkem Ring- und Gieskannenknorpel. ) Bei einem $jährigen Knaben. war seit längerer Zeit neben: den Er- scheinungen fortschreitender Tuberculose eitriger Ausfluss aus dem linken Ohre vorhanden. Dazu gesellten sich etwa eine Woche vor dem Tod die Erscheinungen unvollkommener Lähmung, der Extremitäten welche gegen das Ende des Lebens wieder ‚verschwanden. ‚Es fand sich neben chronischer Lungen- und Lymphdrüsentuberculose Eiter in der linken Paukenhöhle und den Mastoidzellen, der Knochen an der hinteren Wand der ersteren missfarbig, die Wandung des Sinus trans- versus verdickt und gleichfalls missfarbig, letzterer ‚selbst bis zum Torcular mit einem wandständigen,. das Lumen obturirenden , von da bis nahe. zur Mitte des oberen Längsblutleiters mit einem der linken Wand 'anhaftenden. das Lumen nur theilweise erfüllenden Thrombus versehen, welcher nach abwärts bis zur Mitte der linken Vena jugularis int. sich fortsetzte. Grössere. Bruchstücke des letzteren hatten zu Em- bolie zahlreicher Lungenarterienzweige geführt. Im Gehirn war keine Folge der Kreislaufsstörung nachweisbar. Bei einem 64jährigen Mann waren seit mehreren Jahren unbestimmte Erscheinungen vorhanden, welche einer Hypochondrie zugeschrieben Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 179 wurden. Sechs Wochen vor dem Tod gesellten sich »rheumatische« Schmerzen längs der Halswirbelsäule neben leichter Anschwellung des Periosts hinzu: Den 12. Juni bückte sich der Kranke in seiner Woh- nung, um etwas aufzuheben, fiel dabei und war von diesem Momente an an den oberen und unteren Extremitäten gelähmt. Bei der Auf- nahme in das Spital wurde eine Verdichtung der oberen Parthien bei- der Lungen constatirt. Keine Störung der Intelligenz oder der Gehirn- nerven. Der Tod erfolgte am Abend des 14. Juni unter den Erschei- nungen des Lungenödem, nachdem noch Decubitus am Kreuzbein aufgetreten war. Die Section ergab geringe ältere und frische Tuber- eulose beider Lungen mit Höhlenbildung linkerseits. Das Periost der linken zweiten Rippe an der Stelle der grössten Convexität zu einem hühnereigrossen weichen Tumor aufgetrieben, welcher in einer schwie- ligen Kapsel gelbe, käsige Massen enthielt. Die Rippe in der Länge von einem Centimeter von dieser Masse völlig substituirt. Das Periost von der Vorderfläche der unteren vier Halswirbel in Form eines flachen Tumors abgehoben, beträchtlich verdickt, zwischen ihm und den Wir- bein eine beträchtliche Menge gelben, dicken Eiters. Der sechste Hals- wirbelkörper gleich der sechsten Intervertebralscheibe bis auf einen geringen Rest der hinteren Wand durch Eiterbildung zerstört und ein- Seknickt. Dura mater und das vordere Längsband der Wirbelsäule in- tact, das Rückenmark aber zwischen dem 5. und 7. Gervicalnerven breit gedrückt und erweicht, von zahlreichen capillären Hämorrhagien durchsetzt. Ausserdem fand sich in diesem Fall eine horizontal ver- laufende, mit zackigen Rändern versehene schmale Ulceration dicht un- terhalb der Gardia; eine grössere dem Ringumfang des Magens parallel verlaufende dicht oberhalb des Pylorus. Typhus lieferte in der abdominalen, gleichwie in der exanthematischen Form je drei Todesfälle. Die erstere Form führte bei einem 21jährigen Mäd- Chen direct den Tod herbei; ausser frischer Schwellung der solitären und Prver’schen Drüsen des Dünndarms, der Mesenterialdrüsen und Milz fanden sich theils geschwellten Solitärfollikeln ähnliche Bildungen theils rundliche, kraterförmige Geschwürchen auf der Schleimhaut der Harnblase. Hymen und Scheide intact, Schleimhaut des Uterusgrunds diffus sugillirt, im linken Ovarium ein kirschengrosses Corpus luteum. In den beiden anderen Fällen war der Abdominaltyphus durch Gom- Plicationen tödtlich geworden; bei einem 34 jährigen Mann durch einen Abscess der rechten Tonsille neben diffuser Phlegmone des Bindege- webes um den Pharynx und consecutive Bronchopneumonie; bei 80 Wilhelm Müller, einem 35jährigen durch eitrige Pylephlebitis mit Bildung secundärer Leberabscesse. Auch dem exanthematischen Typhus unterlag ein 22 jähriger Mann direct. Bei einem 42jährigen und einem 51jährigen Mann erfolgte der Tod durch Bronchopneumonie, welche in dem einen Fall im An- schluss an symmetrische Geschwüre der hinteren Larynxwand, ent- sprechend der Commissur beider Stimm- und Taschenbänder, sich entwickelt hatte, in dem anderen Falle aller Wahrscheinlichkeit nach durch das Hinabgleiten von Speisetheilen in die Trachea während des Schlingactes bedingt war. Nervensystem. In erster Linie ist unter den Veränderungen dieses Systems ein Fall von Anencephalie bei einem todtgeborenen Mädchen zu erwähnen, welcher von Dr. FrankenHAzuser dem Institut zur Untersuchung über- geben wurde. Mit der Schädelkapsel fehlte das ganze Gross- und Kleinhirn ; die Basis des Schädels war von einer ziemlich dünnen, ge- fässreichen Bindegewebslage überzogen, in welcher die N. optici und trigemini mit conischen Enden sich inserirten. Das verlängerte Mark war wohl ausgebildet und gleichfalls mit conischem Ende versehen. Das Rückenmark in ganzer Ausdehnung von normalem Bau und nor- maler Consistenz. Augen, Nase und Ohren normal entwickelt. Spal- tung des weichen Gaumens und Zäpfchens. Schilddrüse und Thymus das Doppelte des Normalvolums zeigend. Defect beider Nebennieren. Ritriger Catarrh in Scheide, Uterus, Blase, Uretren und beiden Nie- renbecken unter Erweiterung der letzteren und Bildung doppelseitiger Hydronephrose. Pachymeningitis interna lieferte in der acuten Form 6, in der chronischen 3 Fälle. Auf 120 Leichen bezogen, deren Schädel geöfl- net werden durften, ergiebt sich ein Verhältniss von 7.5 Proc. Die Hälfte aller Fälle der ersteren Kategorie bildeten Irre; die chronische Form fand sich einmal neben syphilitischer Caries des Stirnbeins, ein- mal neben Empyem und wiederholten Erysipelen des Gesichts, einmal neben Endarteritis und altem Nierenbeckencatarrh mit suppurativer Nephritis. Eitrige Leptomeningitis wurde in 4 Leichen beobachtet. Drei der- selben gehören einer kleinen Epidemie von Cerebrospinalmeningitis an, welche von Mitte Mai bis Juni zugegen war. Den Reigen eröffnete den. 17. Mai ein 12 jähriges Bauernmädchen aus Stobra, welches nach mehr- tägiger Erkrankung auf der medieinischen Klinik starb. Den 8. Juni Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868, 181 Wurde nach zwölfstündiger Erkrankung das 5 Wochen alte Kind eines Tischlers aus Jena obdueirt, bei welchem eitrige Trübung der Arach- Noidealflüssigkeit neben beträchtlicher Hyperämie der Pia am Ende des Rückenmarks und um Pons und Medulla oblongata sich vorfand. Den gleichen Befund, aber in weiter Verbreitung auf Convexität und Basis des Gehirns bot die Leiche eines am 23. Juni secirten 69 jähri- sen Oeconomen aus Jena, bei welchem der Verlauf zwei Tage in Anspruch genommen hatte. Ausserdem fand sich eitrige Leptomeningitis der vorderen Gehirn- Parthien bei einem 66 jährigen Mann, welcher durch das Eindringen eines Holzsplitters in die rechte Augenhöhle in Folge einer Explosion eine Fractur der Decke der Orbita mit diffuser Phlegmone und eitriger Periostitis des Stirnbeins sich zugezogen hatte. Hydrocephalus fand sich als äusserer in 6, als innerer in 4, Bleichzeitig in beiden Formen in 8 Fällen. 5 von diesen Fällen betra— fen Irre; in allen war das Ependym entweder in Form einfacher Ver- dickung oder in Form von Granulirung betheiligt. In § Fällen war die Arachnoidealflüssigkeit in beträchtlicherem Grade bluthaltig. Zwei davon waren Neugeborene, bei welchen wahr- Scheinlich in Folge von mechanischen Einwirkungen während der Ge- burt Gefässzerreissungen der Pia stattgefunden hatten. Bei einem 13 Tage alten Mädchen fand sich neben Blutergüssen in die Arachnoi- dealräume beider Scheitellappen eine Reihe umschriebener Extrava- Sate im Centrum semiovale und beiden Streifenhügeln. Die Recherche "gab, dass das Kind wenige Tage zuvor der Mutter während des Schlafes entfallen war. Bei zwei 63 resp. 71 Jahre alten Frauen fand Sich umfangreicher Bluterguss in die Arachnoidealräume und Ventrikel es Gehirns im Anschluss an hämorrhagische Herde einmal des linken, as andere Mal des rechten Linsenkerns und Sehhügels mit Durch- Much der Ventrikelwand. Die eine der beiden Frauen war nach Tisch SUR das Feld gegangen und dort plötzlich umgefallen ; als sie nach etwa einer Stunde in ihre Wohnung gebracht war, zeigte sich Bewusstlosig- X und Lähmung aller Extremitäten neben stertorösem Athmen. Der od erfolgte etwa 16 Stunden nach dem Anfall. Bei der anderen hatte šich kurz nach dem Frühstück Schwindel und Erbrechen eingestellt, Während des letzteren fiel sie um; Besinnung war anfangs noch vor- tanden, verlor sich aber rasch, der linke Arm erwies sich als gelähmt, er rechte contrahirt, der Puls unfühlbar. Die Dauer von Beginn des nfalls bis zum Tod betrug in diesem Fall etwas über eine Stunde. Bei einem 64 jährigen Potatar hatten sich ohne Vorboten Mitte 1862 heftige allgemeine Gonvulsionen eingestellt, welche mehrere Bd. V. 9. 43 ärz 182 Wilhelm Müller, Tage hindurch sich wiederholten und Aufhebung des Bewusstseins herbeiführten. Der Kranke war im Anschluss daran mehrere Monate geistesabwesend und körperlich sehr heruntergekommen. Auch nach dem Eintritt der Besserung im körperlichen Befinden blieben Schwin- delgefühl, Steifheit und Unbeholfenheit der Glieder und immer wieder- kehrende Wahnvorstellungen zurück. Ende März 1863 cataleptische Zufälle unter Verschlimmerung der bereits vorhandenen Erscheinun- gen und dem zeitweisen Auftreten unwillkürlicher Entleerungen von Harn und Koth. Dieser Zustand blieb wesentlich der gleiche bis zu dem unter den Erscheinungen eines vorgeschrittenen Marasmus An- fangs Januar 1868 erfolgten Tod. Die Section ergab Balken und Fornix in ihren hinteren zwei Drittheilen in eine wenige Millimeter dicke bräunlich gelbe, derbe Gewebslage verwandelt, das Ependym beider Hinterhörner und des Anfangsstücks der beiden absteigenden Hörner verdickt, derb und gleichfalls diffus braungelb gefärbt, beide vorderen Gehirnarterien in ganzer Ausdehnung durchgängig. Die mikroskopische Untersuchung ergab vollständigen Schwund der Nervenprimitivfasern, an ihrer Stelle ein straffes, allenthalben körnige und krystallinische Hämatoidinmassen einschliessendes Bindegewebe. Das plötzliche Auf- treten der Erscheinungen, der Mangel einer. erheblichen Veränderung im linken Herzen, endlich die Durchgängigkeit beider vorderen Gehirn- arterien lassen es sehr wahrscheinlich erscheinen, dass hier eine Hä- morrhagie in Balken und Fornix stattgefunden hatte, in deren Gefolge der Schwund der specifischen Elemente dieser Gehirnabschnitte m Stande gekommen war. Bei einem 74jährigen, an hochgradigem Atherom des Aorten- systems und der Herzklappen leidenden Mann fanden sich zahlreiche gelbe Erweichungsherde im Gross- und Kleinhirn; einzelne Gehirn- arterienzweige enthielten kalkige Emboli. Bei einer 74 jährigen Frau hatte sich zwei Tage vor dem Tode plötzlich rechtsseitige Lähmung entwickelt. Die Obduction ergab als deren Ursache rothe Erweichung der linken Insel und des vorderen Theils des linken Schläfenlappens: bedingt durch embolische Verstopfung der linken mittleren Gehirn arterie im Anschluss an Thrombose eines Astes’ der linken oberen Lungenvene, welche durch chronische Pneumonie mit Bronchialerwei= terung zu Stande gekommen war. Zwei seit längerer Zeit an Epilepsie leidende Männer ‚starben wäh rend des Anfalls. Bei dem einen derselben fand sich mässiger Blut- austritt in die Höhlen der Seitenventrikel neben beträchtlicher Hy- perämie der Plexus; bei dem andern war weder im Grosshirn , noch im verlängerten Mark eine Veränderung aufzufinden , welche mit dem \ ‚Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868, 183 abnormen Verhalten des Nervensystems in Beziehung hätte gebracht werden können. Erweichungsherde im Rückenmark fanden sich in 5 Fällen. Sie Waren sämmtlich durch gröbere mechanische Einwirkungen bedingt und zwar bei einem 46jährigen Mann durch Bruch des 7. Halswirbels in Folge eines Sturzes von der Locomotive während der Fahrt, bei einem 38 jährigen und einem 64 jährigen Mann durch Knickung ver- eiterter Halswirbel in Folge von Syphilis resp. Tuberculose. Bei einer 42 jährigen Frau hatte sich im Körper des ersten Brustwirbels ein Epi- !heliomknoten entwickelt und durch Druck Erweichung des Rücken- marks herbeigeführt. Der merkwürdigste dieser Fälle ist seiner Folgen wegen jener eines 62 jährigen Mannes. Früher stets gesund, war derselbe zwei Jahre vor seinem Tode von einer Leiter 18 Sprossen hoch auf die rechte Seite des Kopfes herabgefallen. Ausser einer Risswunde an der Stirne führte der Sturz Schwerbeweglichkeit des Halses und eine ver- Minderte Brauchbarkeit des linken Armes herbei, welche Erscheinun- Sen den Kranken zu vierzehntägigem Darniederliegen nöthigten. Sie verschwanden nach und nach vollständig; dafür stellte sich vier Wochen nach dem Sturz heftiger Durst mit Polyurie ein, um nicht Wieder zu verschwinden. Dazu gesellte sich im weiteren Verlauf der bei Diabetikern übliche Marasmus neben den Erscheinungen einer rasch fortschreitenden Lungeninfiltration. Die Section ergab ausser doppelseitiger Lungentubereulose eine geheilte Infraetion des 7. Hals- Wirbels, welcher durch Synostose mit dem 6. verbunden war und eine umschriebene ärweichung der centralen Parthien beider Vorderhörner ‚und der Basis beider Hinterhörner zwischen sechstem Cervicalnerven- und erstem Dorsalnervenursprung. Die Nervengeflechte längs der Art, vertebralis ohne nachweisbare Veränderung. Der Fall wird seiner Wichtigkeit wegen im speciellen Theil ausführlich beschrieben werden. In vielen Beziehungen dunkel gestaltete sich der Krankheitsverlauf einer 56jährigen Bauernfrau. Bei derselben waren schon vor längerer Zeit, einzelne apoplectiforme Anfälle vorhanden gewesen , bestehend in Schwindel und Zusammensinken mit Bewusstlosigkeit. Sechs Jahre vor dem Tod stellte sich erst beträchtliche Müdigkeit, später Schwäche- Sefühl und Schwerbeweglichkeit in den unteren Extremitäten -ein , all- mälig auch die Arme ergreifend. Dazu gesellte sich zwei Jahre später Abnahme des Sehvermögens. In den letzten Jahren wiederholten sich hie und da die apoplectiformen Anfälle, um rasch entschiedener Bes- Serung Platz zu machen, während die Lähmungserscheinungen fort- Auerten. Bei der Aufnahme in das Spital fand sich ausser Parese 13% 184 Wilhelm Müller, sämmtlicher Extremitäten ein Bruch des rechten Schenkelhalses und ausgebreiteter Decubitus. Im Anschluss an letzteren entwickelte sich im Spital ein wanderndes Erysipel neben den Erscheinungen der Pyä- mie, welcher die Kranke in etwa drei Wochen erlag. Die Section er- gab Bruch des rechten Schenkelhalses , purulente Coxitis, Thrombose der rechten Gruralvene, Lungenarterienembolie mit metastatischen Herden und consecutiver Pleuritis. Beträchtlicher innerer Hydrocepha- lus. Ein halblinsengrosser grauer, ziemlich resistenter Herd im Gen- trum der rechten Olive. Rückenmark in ganzer Ausdehnung etwas atrophisch, besonders schmal im oberen Dorsal- und im Halsmark, wo die Seiten- und Hinterstränge verwaschene graugelbe Fleckung, die Vorderstränge graue Färbung bei vermehrter Resistenz zeigten, be | sonders intensiv im Niveau des dritten Cervicalnerven. Die mikrosko- pische Untersuchung ergab an diesen Stellen die Resultate der inter- stitiellen Myelitis, bestehend in Bindesubstanzneubildung mit partiellem Schwund der specifischen Elemente. Circulationssystem. Wie im Jahre 1866, so ist auch in diesem ein Fall von angeborener Missbildung des Herzens zu registriren, welcher auf der Glinik des Geh. Hofraths Brrwuarn ScuuLtze zur Beobachtung kam. Ein ausgetragenes männliches Kind bot unmittelbar nach der Geburt keinerlei abnorme Erscheinungen und starb im Verlauf des zweiten Lebenstages rasch unter den Symptomen der Dyspnoe!. Die Section ergab: Länge des Körpers 48 Cent., Gewicht 2620 Gramm. Guter Ernährungszustand. Gelbliches Colorit der Haut. Beide Lungen lufthaltig, mehrfache sub- pleurale Ecchymosen zeigend. In Trachea und Bronchien schaumiger Schleim. Starke Füllung des gesammten Körpervenensystems. Herz- beutel mässig erweitert, in seiner Höhle etwa 15 CC. gelblicher klarer Flüssigkeit. Herz nahezu horizontal liegend, sein Umfang etwa ein Drittel grösser als der eines normalen. Der rechte Vorhof sehr geräu- mig, 25 Mm. im Längs- und Querdurchmesser haltend, wird durch die stark entwickelte, von der Mitte des vorderen Randes des eirunden Loches zum unteren Rand der Einmündungsstelle der Vena cava infe- rior sich erstreckende Evustacn’sche Klappe in zwei Abtheilungen ge- sondert. Die oberhalb und lateralwärts liegende ist sehr dünnwandig ; sie entspricht der Einmündung der Vena cava inferior und enthält me- dienwärts die obere Hälfte des Foramen ovale. Die unterhalb und me- dienwärts liegende geräumigere Abtheilung enthält die Einmündung A Vergl. hierzu die beiden Holzschnitte auf Taf. VII. Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 185 der normal gestalteten Vena cava superior, die untere Hälfte des Fora- men ovale, dicht unterhalb des letzteren die Einmündungsstelle des von der Valvula Thebesii überkleideten Sinus magnus cordis. Sie stellt einen Kegel mit rasch sich verbreiternder Basis dar, dessen Spitze der Einmündungsstelle der Vena cava superior, dessen Basis dem Ostium atrioventriculare entspricht. Ihre Wand ist beträchtlich dicker als die der oberen Abtheilung und mit zahlreichen Trabekeln versehen, das Volum so beträchtlich, dass der untere Rand der Einmündungsstelle der Vena cava inferior vom Atrioventrieularostium 45 Mm. absteht. Medienwärts setzt Sie sich in ein sehr geräumiges Herzohr von 12 Mm. Durchmesser am Ursprung fort, welches wie gewöhnlich über dem Ursprung der Lun- öenarterien seine Lagerung hat. Das Foramen ovale zeigt sich voll- kommen rund, 8 Mm. im Durchmesser haltend; die Klappe ist dünn und durchscheinend, am hinteren und unteren Umfang continuirlich befestigt und gegen die Höhle des (rechten) Vorhofs in Form eines erb- Sengrossen aneurysmatischen Sackes vorgebuchtet. An dem inneren und oberen Theil ihres Umfangs ist sie linsengross durchbrochen und durch mehrere zarte Sehnenfäden an dem Limbus fossae ovalis be- festigt, Der rechte Vorhof steht durch ein sehr geräumiges, mit glattem ` Rand versehenes, 40 Mm. im Umfang haltendes Ostium atrioventrieu- lare mit dem zugehörigen Ventrikel in Communication. Letzterer zeigt eine Länge von 28, eine Breite von 38 Mm. Er zerfällt in ein sehr ge- äumiges diekwandiges Infundibulum und einen gleichfalls sehr geräu- migen, aber dünnwandigen Conus. Ersteres zeigt eine Muskelwand von 6—8 Mm. Dicke, sein Endocard ist allenthalben glatt und glän- ‚end. An seiner Innenwand entspringen drei grössere Papillarmuskeln, Welche eben so vielen Klappensegeln’Sehnenfäden zusenden: einem vor- deren und hinteren grösseren, und einem mehr medienwärts über einer dickeren Stelle der Ventrikelwand liegenden kleineren, über welchem eine dreieckige, leicht vertiefte, etwa 2 Mm. im Durchmesser haltende Stelle des Endocards sichtbar ist, welche der Muskelunterlage entbehrt und ihrer Form und Lage nach der WınsLow’schen Stelle der Herz- Scheidewand entspricht. Sämmtliche Klappensegel, welche den drei Segeln einer normal entwickelten Trieuspidalis entsprechen, sind gleich den sich anheftenden Sehnenfäden zart und augenscheinlich schluss- fähig, Der Conustheil dieses Ventrikels zeigt sich namentlich in seiner vorderen Parthie beträchtlich erweitert, seine Wandung nur 2 Mm. dick, von zahlreichen Trabekeln besetzt. Er setzt sich in die am Ur- Sprung 38 Mm. im Umfang haltende Pulmonalarterie fort, welche drei 186 Wilhelm Müller, vollkommen schlussfähige, normal beschaffene Semilunarklappen zeigt. Sie verzweigt sich 10 Mm. oberhalb der Ursprungsstelle in die beiden Lungenäste, um sich hierauf als 5 Mm. langer, 40 Mm. im Umfang hal- tender mit längs gefalteter Intima versehener Ductus arteriosus in den Aortenbogen fortzusetzen. Der linke Vorhof mit dem Herzohr etwa ein Drittel so gross als die entsprechenden Organe der rechten Herzhälfte, 15 Mm. hoch, eben so viel im Querdurchmesser. In den Vorhof münden vier normal beschaffene und angeordnete Lungenvenen. Mit dem rech- ten Vorhof findet durch die oben und vorn durchbrochene Valvula foraminis ovalis directe Communication statt. Das Ostium atrioventrieu- lare sinistrum wird durch eine an der Basis dieses Vorhofs liegende trichterförmig vertiefte Grube vom Umfang eines Stecknadelknopfes vertreten. Durch diese Grube gelangt man in einen spaltförmigen 7 Mm. langen, dicht unterhalb des engen Eingangs auf 6 Mm. im Um- fang sich erweiternden Hohlraum, welcher längs des vorderen Randes des den Scheidewandzipfel der Trieuspidalis versorgenden Papillar- muskels in der hier auf 8 Mm. verdickten Wandung des rechten Ven- irikels verläuft und unter conischer Verjüngung in der Herzwand blind endigt. Gegen die Höhle des rechten Ventrikels wird dieser Hohlraum allenthalben durch trabekelhaltige Muskellagen von 4—5 Mm. Dicke abgeschlossen. Am Eingang in denselben findet sich das Rudiment einer Bicuspidalklappe in Form einer in zwei kurze steife Segel ge- theilten, durch einzelne steife bis 2 Mm. lange Sehnenfäden an die Wand des rudimentären Venirikels befestigten, 1 Mm. gegen das Ostium prominirenden Duplicatur. Medianwärts von der Klappe bil- det dieser Ventrikel einen kurzen Recessus, welcher an der muskel- losen Stelle der Herzscheidewand dicht über dem Ansatz des Scheide- wandzipfels der Tricuspidalis blind endigt. 2 Mm. oberhalb dieses blinden Endes entspringt rückwärts und rechts von der Lungenarterie die 4 Mm. im Umfang haltende Aorta. Ihre Wandung zeigt sich unmittelbar unterhalb des Abgangs der beiden Coronararterien längs gefaltet und zu einem kurzen blind endigenden Trichter verwachsen, in welchem deutliche Spuren der Semilunar- klappen nicht unterscheidbar sind. Die Aorta verläuft von hier mit gleichbleibendem Caliber bis zur Abgangssielle des Truncus anony- mus, an welcher sie sich rasch zu einem einzelne Querfalten an der Innenwand zeigenden Gefässrohr von 12 Mm. Umfang erweitert, wel- ches einen normal gestalteten, 40 Mm. im Umfang messenden Truncus anonymus, eine 6 Mm. messende Carolis und Subelavia sin. abgiebt- Nach Abgang dieser Aeste vereinigt sich der Aortenbogen unter Bil- Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. ° 187 dung einer flachen Querfalte der Intima, welche an dieser Stelle weiss- lich getrübt und verdickt ist, mit dem Ductus arteriosus, um als Aorta descendens mit einem Umfang von 17 Mm. weiter zu verlaufen. Die fötale Endocarditis, welche aller Wahrscheinlichkeit nach in diesem Fall die Obliteration des Ostium aorticum und die Stenose des Ostium atrioventriculare sin. mit Rudimentärbleiben des linken Ven- trikels herbeigeführt hat, fällt, wie der vollkommene Verschluss des Septum ventrieulorum erweist, jedenfalls später als die zwölfte Woche des Fötallebens. Welche Ursachen dieselbe herbeigeführt haben, ist unbekannt, da auch in diesem Fall der Verlauf der Schwangerschaft von abnormen Erscheinungen Seitens der Mutter angeblich nicht be- gleitet war. Von Wichtigkeit ist der vorliegende Fall aus dem Grunde, - weil. aus ihm hervorgeht, dass das Herz auch bei vollkommen ent- wickeltem Septum ventrieulorum einkammerig werden kann. Würde die Endocarditis, welche in diesem Fall auf die Klappenringe sich be- schränkte, auf die Wandungen des Ventrikels sich fortgepflanzt haben, unter Herbeiführung von Synechie, so würde das Resultat ein Herz gewesen sein, welches auf zwei Vorkammern nur eine Kammer mit einem gemeinsamen Gefässsystem gezeigt hätte, ohne dass der Nach- weis einer dem Septum ventriculorum entsprechenden Stelle in der Wandung dieser einen Kammer sich hätte führen lassen. Hieran schliesst sich die Beobachtung eines Aneurysma der mus- kellosen Stelle des Septum ventriculorum. Bei einer 46jährigen an Carcinom des Pylorus, der pylorischen Lymphdrüsen und der Lungen verstorbenen Frau fand sich das Herz etwas atrophisch. Das Endocard des rechten Vorhofs und Ventrikels glatt und glänzend. Eusracw’sche und Tursesische Klappe stark entwickelt, Foramen ovale im Umfang einer Linse offen. Die Semilunaren der Art. pulmonalis und die Tri- Cuspidalis ausser der gewöhnlichen Verdickung an den Schliessungs- Spuren nichts Abnormes zeigend. Das Endocard des Septum in dem Raum ober- und unterhalb der Insertion des Scheidewandzipfels der Tricuspidalis eine kirschengrosse seicht gelappie Vorwölbung zei- send. Leichte weissliche Trübung des Endocard im linken Vorhof. Der linke Ventrikel normal dick, Muskel braungelb, fest. Ostium ve- nosum sinistrum gleich dem aorticum nur für zwei Querfinger durch- gängig. Der Klappenring in mässigem Grade schwielig verdickt. Beide Segel der Bicuspidalis gelbe Atheromflecke zeigend, an den Rändern Schwielig verdickt, die Vorhofsflächen an den Schliessungsspuren ge- röthet und mit einer Anzahl spitzer Exerescenzen besetzt. Die Seh- ‚henfäden zu keulenförmigen Strängen verwachsen und etwas verkürzt. Leichte Trübung und Verdickung des Endocard am Conus aorticus, 188 ; Wilhelm Müller, Aortaxlappen schlussfähig, unverändert. Die häutige Stelle des Ven- tricularseptum in Form eines seicht gelappten dünnwandigen, mit flüs- sigem Blut gefüllten kirschengrossen Aneurysmas gegen die Höhle des rechten Ventrikels ausgebuchtet, die Ränder der Ausbuchtung gleich der Innenfläche vollkommen glatt und eben. Auch in diesem Fall fehlt es an einem genügenden Anhalt zur Beurtheilung der Ursachen, welche die Aneurysmenbildung am Septum ventriculorum im Gefolge hatten, da die Kranke zur Zeit ihrer Aufnahme in die Clinik des Geh. Hofrath GermarDT bereits mit einem Geräusch im Herzen behaftet war, über dessen Entstehungszeit die Anamnese keinen Aufschluss gewährte. Pericarditis fand sich im Ganzen in 414 Leichen (5 M., 6 W.) = 6.7 Proc. In acht von diesen elf Fällen lag recente Pericarditis vor, sie war stets secundärer Process und zwar je zweimal im Anschluss an Pleuropneumonie und an Thrombusbildung im rechten Herzen, je ein- mal an Pleuritis, Lungentuberculose, Sarcom des Herzens und diffuse Phlegmone des Mediastinum. Drei Individuen boten die Residuen älterer Pericarditis in Gestalt von Verwachsungen zwischen beiden Herzbeutelblättern. Höhere Grade von Lipomatose des Herzens wurden in 7 Fällen (4 M., 3 W.) beobachtet, sämmtlich dem vorgeschritteneren Alter an- gehörig. Stets war die Lipomatose mit Adipose der Musculatur (fetti- ger Degeneration) combinirt. Diese Combination war die einzige Ur- sache, welcher der plötzlich erfolgte Tod eines 63 jährigen, an Lungen- emphysem mittleren Grades leidenden Mannes zugeschrieben werden konnte. Erweiterung sämmtlicher Herzhöhlen mit Verdickung der Muscu- latur fand sich in 12 Fällen = 7.3 Proc. unter gleichförmiger Bethei- ligung beider Geschlechter. Das veranlassende Moment war in sechs Fällen die Gombination von Lungenemphysem mit allgemeiner Endar- teritis, in drei Fällen hochgradige Endarteritis des Pulmonalis- und Aortensystems, zweimal Klappenfehler , einmal interstitielle Nephritis. Auf die rechte Herzhälfte beschränkt fand sich der Process in acht Fällen = 4.9 Proc. (2 M., 6 W.) fünfmal im Anschluss an Emphysem, zweimal an chronische Pneumonie, einmal an Tuberculose. Nur ein Fall, der eines 80jährigen Mannes, zeigte Beschränkung des Processes auf das linke Herz im Anschluss an interstitielle Nephritis. Endocarditis mit ihren Folgen wurde im Ganzen in 27 Fällen (11 M., 16 W.) = 16.5 Procan. getroffen. In acht Fällen war der Pro- cess in recenter Entwickelung. Das veranlassende Moment bildeten in drei Fällen jauchende Neubildungen, in je einem tubuläre Nephritis, Rachitis, Pyämie, Erysipel, ältere Endocarditis. Die Häufigkeit ist be- Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 189 merkenswerth, mit welcher Endocarditis mit ‘solchen Processen sich combinirte, bei welchen eine Beimischung abnormer Molecüle zur Blut- masse des Körpers wahrscheinlich ist. Die Residuen abgelaufener Endocarditis fanden sich in 20 Fällen = 12.2 Proc., einmal gleichzeitig mit recenter Endocarditis. Der Sitz war in 10 Fällen die Bicuspidalis allein, in je 4 Fällen mit Stenose des Ostium resp. mit Insufficienz der Klappe; in 2 Fällen fanden sich die Residuen älterer Endocarditis ohne augenscheinliche Functionsstörung der Klappe. Bei einer 81jährigen Frau fand sich das durch alte Endo- carditis verdickte Aortensegel der Bicuspidalis zu einem erbsengrossen, mit schmalem Eingang versehenen Aneurysma gegen den Vorhof hin ausgebuchtet. Die Tricuspidalis allein war bei einer 5ljährigen, an Emphysem leidenden Frau durch Verwachsung und Verkürzung der Sehnenfäden insufficient geworden. Die Semilunarklappen der Aorta allein waren in drei Fällen Schlussunfähig; bei einem 69 jährigen Mann und einem 6fjährigen Weib durch ausgedehntere Verwachsung und Verkürzung der Ränder, bei einem 68 jährigen Weib durch einfache Retraction der letzteren in Folge narbigen Schwundes. Bi- und Tricuspidalis waren gleichzeitig durch Schrumpfung der Segel insufficient bei einer 66jährigen, an hochgradiger Endarteritis _ leidenden Frau. Gleichzeitige Affection der Bicuspidalis und der Aortaklappen wurde in vier Fällen beobachtet, dreimal mit Stenose des linken Ostium venosum, einmal mit Insufficienz der Bicuspidalis. Gleichzeitige Affection sämmtlicher Herzklappen mit Ausnahme jener der Pulmonalarterie bot die Leiche einer 58 jährigen Frau, in welcher Insufficienz der Bi- und Tricuspidalis zu hochgradigen Stauungsprocessen in Leber, Milz und Niere geführt hatte. Nur in drei Fällen liess der Ursprung der Endocarditis mit Sicher- heit auf Rheumatismus acutus sich zurückführen ; diesen stehen sechs Fälle gegenüber, in welchen den vorhandenen Angaben nach zu keiner Zeit Rheumatismus acutus bestanden hatte und die Functionsunfähig- keit der Klappen mit grösster Wahrscheinlichkeit dem Uebergreifen der Endarteritis auf Bicuspidalklappe und Semilunaren der Aorta zuge- Schrieben werden musste. Endarteritis deformans fand sich in 45 Individuen (24 M., 21 W.) = 27.6 Proc. In sechszehn Fällen war gleichzeitig Atherom im Aor- ten- und Lungenarteriengebiet entwickelt. Bei einem 80 jährigen Mann und einer 80 jährigen Frau war es im Anschluss an ulceröse und petri- 190 Wilhelm Müller, fieirende Endarteritis zu Thrombose der Art. iliaca dextra resp. der Art. poplitea sin. gekommen. Die Folgen beschränkten sich im ersteren Fall auf Blasenbildung der Haut und Oedem der unteren Extremität, da der Tod durch suppurative Nephritis erfolgte, im letzteren hatte die Throm- bose Gangrän des linken Fusses und Unterschenkels herbeigeführt. Bei einem 54jährigen Mann war der Tod in Folge eines Sturzes auf den Kopf eingetreten. Es fand sich eine die ganze Schädelbasis von der einen Schläfenbeinschuppe zur anderen quer durchsetzende Fractur, die linke Art. meningea media zerrissen, die Dura von der In- nenfläche des Schädels durch einen faustgrossen fest geronnenen Blut- erguss losgewühlt unter entsprechender Compression des Gehirns. Purulente Phlebitis führte in 7 Leichen = 4.2 Proc. den Tod her- bei. Bei einem 68jährigen Mann hatte eine complicirte Fractur der Tibia und Fibula sin. zu eitriger Periostitis und Endostitis neben eitri- ger Phlebitis der Vena poplitea und Cruralis geführt. Der Eiter war durch Thrombose im oberen Abschnitt der Vena cruralis vollständig sequestrirt worden , so dass alle metastatischen Herde fehlten. Bei einer 32 jährigen Frau war der Oberschenkel im unteren Drit- iheile wegen Fussgeschwürs, bei einem 50 jährigen Mann der Unter- schenkel im oberen Drittheil wegen Epithelioms amputirt worden. In beiden Fällen entwickelte sich Diphtherie der Wundfläche, eitrige Pe- riostitis und Endostitis neben eitriger Osteophlebitis und eitrige Phlebitis der Vena cruralis. Im ersteren Fall kam es, bevor metastatische Herde sich entwickeln konnten, zu einer tödtlichen Blutung durch Erosion der Art. profunda femoris, im anderen Fall war es wie gewöhnlich zu me- tastatischer Abscessbildung in den Lungen gekommen. Bei einem 12 jährigen Mädchen hatte sich ohne nachweisbare Ver- anlassung gleichzeitig eitrige Periostitis und Endostitis der rechten Gla- vieula und des linken Femur entwickelt, an letztere hatte sich puru- lente Osteophlebitis angeschlossen. Der Tod erfolgte innerhalb einer Woche unter Bildung metastatischer Abscesse in den Lungen. Bei einem 16 jährigen Jüngling hatte sich im Anschluss an eitrige Periostitis des rechten Oberschenkels und Sitzbeins Ankylose im rech- ten Hüftgelenk entwickelt, welche die partielle Resection des Schenkel- halses erforderlich machte. Es stellte sich alsbald Diphtherie der Wund- fläche neben den Erscheinungen der Pyämie ein, welcher der Kranke erlag, nachdem noch Eitergehalt des Urins aufgetreten war. Es fand sich frische Endostitis und Osteophlebitis von der Sägefläche ausge- hend am Femurschaft, alte schwielige Verdickung des Periost und intermusculären Bindegewebes im oberen Drittheil des Femur, um das Hüftgelenk und auf beiden Flächen der rechten Hälfte des kleinen Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 191 Beckens mit Bildung zahlreicher zum Theil auf rauhen Knochen füh- render sinuöser Eiterherde, welche einerseits zu mehrfachen Durch- brüchen der äusseren Haut in der rechten Leiste, andererseits zu einer groschengrossen Perforation der rechtsseitigen Blasenwand geführt hatte. Von diesen Fistelgängen aus war es zu purulenter Phlebitis des Plexus pubicus impar, Thrombose der rechten Vena hypogastrica und Lungenarterienembolie mit Bildung metastatischer Eiterherde ge- kommen. Bei einer 32 jährigen Wöchnerin war der Tod unter den Erschei- nungen der Peritonitis erfolgt. Die Section ergab Diphtherie des puer- peralen Uterus, die Venen der Uteruswand und des Plexus vesico-ute- rinus fast allenthalben mit gelbem übelriechenden Eiter gefüllt, ebenso ein Theil des rechten Plexus ovarii. Die Umgebung der Uterinalvenen zum Theil in eitrigem Zerfall; in der Mitte der Vorderfläche des Ute- tuskörpers rechts von der Mittellinie ein linsengrosser Durchbruch eines phlegmonösen Herdes mit consecutiver allgemeiner Peritonitis. Ausserdem metastatische Eiterherde in den Lungen , purulente Arthro- meningitis der linken Schulter. Bei einem 35 jährigen Mann, welcher wegen alter Endostitis der Tibia mit Hyperostose in Behandlung kam, hatte während des Aufent- haltes im Spital Typhus sich entwickelt. An die Verschwärung der Ieumschleimhaut schloss sich eitrige Phlebitis der Venae mesentericae an, welche durch metastatische Leberabscesse den Tod unter den Er- Scheinungen der-Pyämie herbeiführte. Thrombosen in den verschiedenen Abschnitten des Venensystems fanden sich in 38 Fällen = 23.3 Proc. aller Leichen. Es lieferten der _ Plexus pubicus impar 41, die Schenkelvenen 10, das rechte Herzohr 4, beide Herzohren zugleich und die Hirnhautsinus je 3, der Plexus pam- Piniformis 2, beide Herzventrikel zugleich, der rechte Ventrikel allein, die Venen der Pia, die Vena subclavia, die Vena pulmonalis je 4 Fall. Rechnet man hierzu 7 Fälle, in welchen Thrombose an eitrige Phlebitis Sich anschloss, so erhält man im Ganzen 45 Fälle. In 38 derselben liess eine Verschleppung des die Venen verstopfenden Materials sich nachweisen; es führten mithin 84.4 Proc. aller Fälle von Venenthrom- bose zur zugehörigen Embolie. Auch in diesem Jahr wurde wiederholt eine Verschiedenheit der an die Embolie kleinerer Gefässäste sich an- schliessenden Processe bei anscheinend gleichartiger Beschaffenheit des eingeschwemmten Materials constatirt. Bei einem 21 jährigen Mann, welcher ein Jahr vor seinem Tode Abdominaltyphus überstanden hatte, fanden sich die Lymphgefässe im _ unteren Abschnitte des Ileum in ihren Wandungen verdickt, getrübt 192 _ Wilhelm Müller, und mit einer Anzahl kleiner bis stecknadelknopfgrosser variköser Er- weiterungen versehen, ohne Thrombose. Eitrige Lymphangitis fand sich bei einer 39 jährigen Frau im An- schluss an Erysipel beider Unterschenkel, ausgehend von einer Exco- riation der ödematösen Haut. Bei einem A1jährigen Mädchen war aus- gedehnte eitrige Lymphangitis beider Lungen neben diphtherischer Bronchopneumonie entwickelt. Bei einem 19 Tage alten männlichen und einem 6 Wochen alten weiblichen Kind fand sich eitrige Periarte- ritis umbilicalis, im ersten Fall neben Bronchopneumonie, im letzteren neben eitriger Phlegmone um den Pharynx. Eitrige Lymphadenitis kam in 6 Fällen zur Beobachtung = 3.6 Proc. Bei einem 50jährigen Mann war es aller Wahrscheinlichkeit nach im Gefolge einer Leicheninfection (derselbe hatte mit Schrunden an der rechten Hand eine perlsüchtige Kuh geschlachtet) zu ausgedehn- ter Abscedirung der rechtsseitigen Achsel- und Jugulardrüsen mit diffuser Phlegmone am Hals und Perforation der rechten Pleura ge-- kommen. Bei einem 17jährigen Mädchen hatte ein wandernder Gesichts- rothlauf zu Abscessbildung in den linksseitigen Jugulardrüsen geführt. Die trachealen und mediastinalen Lymphdrüsen boten in 4 Fällen Eiterherde: bei einem 59jährigen Mann im Anschluss an verjauchtes Epitheliom des Oesophagus, bei einem 32jährigen Tuberculösen im Anschluss an ein mit frischem diphtherischen Beleg verschenes Ge- schwür der Trachea, bei einem 69 jährigen Mann im Anschluss an me- tastatische Infarete der Lungen, bei einem 44 jährigen Mädchen an eitrige Lymphangitis derselben. Ausgedehntere Verkalkung und Verkäsung der mesenterialen Lymphdrüsen fand sich bei einem 8jährigen an Dysenterie verstor- benen Mädchen. Es waren vom 4. bis 6. Lebensjahr die Erscheinun- gen der Scrophulose vorhanden gewesen. Bei einem 22jährigen an Typhus exanth. verstorbenen Mann fand sich die gleiche Veränderung an den bronchialen Lymphdrüsen, ohne dass das ursächliche Moment bekannt geworden wäre. Im Anschluss an Tuberculose fand sich aus- gedehntere Schrumpfung und schiefrige Pigmentirung der bronchialen Lymphdrüsen bei einer 22 jährigen Frau, im Anschluss an chronische Pneumonie und an Emphysem in 6 Fällen, dreimal mit Stenose ein- zelner Lungenarterienzweige, in einem der letzteren Fälle mit Throm- busbildung an der stenosirten Stelle. Acute umfangreichere Milztumoren fanden sich in drei Fällen neben Pyämie, in zwei weiteren neben tödtlich verlaufendem Erysipel. Chronische Hyperplasien des Organs fanden sich in Form von Stauungs- Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868, 193 milz mit Vergrösserung bei einem 74jährigen Mann und einer 58 jäh- rigen Frau, in Form einfacher Hyperplasie bei einem 62 jährigen Diabe- tiker und einem 24 jährigen mit weit verbreitetem Lymphdrüsensarcom behafteten Mann. Respirationssystem. Fibrinös-eitrige Pleuritis höheren Grades fand sich in 49 Leichen (12 M., 7 W.) =11.6 Proc. Sie betraf beide Pleurahöhlen in 7, die rechte allein in 7, die linke in 5 Fällen. Nur in einem Falle gelang der Nachweis des ursprünglichen Momentes nicht mit Sicherheit, indem bei einem 78 jährigen an embolischen Herden im Gehirn und Nieren von einer Endocarditis valvulae bicuspidalis aus neben Empyem verstor- benen Mann der Nachweis einer Embolie der Intercostalarterien sich nicht führen liess. In allen übrigen Fällen war die Pleuritis secundä- rer Process und bedingt in 7 Fällen durch Embolie der Lungenarterien und ihre Folgen, in 4 durch Pneunomie, je zweimal durch Bronchiecta- Sie und Sarcom der Lungen, je einmal durch Tuberculose, Perforation der Pleura von eiternden Axillardrüsen aus und durch Uebergreifen eitriger Peritonitis. Synechien der beiden Pleurablätter fanden sich in 66 Leichen = 40.5 Proc. Es waren betroffen beide Pleuren in 35 (23 M., 12 W.), die linke allein in 42 (7 M., 5 W.), die rechte in 149 (15 M., 4 W.) Fällen. Wie gewöhnlich war mithin das männliche Geschlecht über- Wiegend häufig, Processen ausgesetzt, welche zu Pleuritis geführt hatten. Groupöse Pneumonie wurde in 24 Leichen constatirt (16 M., 8 W.) = 14.7 Proc. Ihr Sitz war in sämmtlichen Lungenlappen in 3, in bei- den Unterlappen in 9, im rechten Ober- und Unterlappen in 1, im rechten Unterlappen in 7, im linken in 3, im linken Oberlappen in 2 Fällen. Das erste Lebensjahr lieferte 3 Fälle, in allen war die Hepa- tisation deutlich gekörnt und gleichförmig verbreitet. Bemerkenswerth ist, dass zwei von diesen drei Fällen bei Kindern auftraten, welche Zwei Wochen vor Beginn der Krankheit geimpft und dann der kalten Abendluft ausgesetzt worden waren. Den letzteren schliesst sich ein Fall an bei einem 47jährigen,, sehr kräftigen Mann , welcher mit soge- Nannter Rubeola behaftet, an einem kalten Novembertage ausgegangen war. Auch in allen übrigen Leichen waren Veränderungen nachweis- bar, welche entweder zur Entwickelung der Pneumonie überhaup, disponirt oder doch zu deren tödtlichem Ausgang beigetragen hatten. Diese Veränderungen bestanden je dreimal in Manie und Epitheliomen, Je zweimal in Tuberculose, Herzfehlern und Pyämie, je einmal in Al- 194 Wilhelm Müller, coholismus, Wirbelbruch , Endarteritis, Lymphangitis, Scirrhus, Per- foration des Rectum, Nephritis, Dysenterie. Bronchopneumonie lieferte 31 Fälle (14 M., 47 W.) =19.01 Proc. In 18 Fällen zeigten sich beide Lungen befallen, in 7 nur die rechte, in 6 nur die linke. Der Process war in 12 Fällen durch Hinabschreiten intensiver Bronchialcatarrhe, in 2 durch Diphtherie bedingt. In 17 Fäl- len war genügender Grund vorhanden, um denselben auf ein Hinab- gelangen fremder Körper durch die Trachea in die Bronchialverzwei- gungen zurückzuführen. Wie gewöhnlich lieferten die ersten fünf Lebensjahre mit 14 Fällen das beträchtlichste Gontingent von allen Altern. = Chronische Pneumonie mit Bronchialerweiterung lieferte 45 Fälle (9 M., 6 W.) = 9.2 Proc. Ihr Sitz war in beiden Lungen gleichzeitig in 7, rechterseits in 6 (davon 5 in der unteren Parthie des Oberlappen), links in 2 Fällen. In 3 Fällen erfolgte der Tod an weit verbreitetem Hydrops; bei einer 47 jährigen Frau an Lungenvenenthrombose mit nachfolgender Gehirnarterienembolie, bei einem 52jährigen Mann war es von einer Bronchiectasie des linken Oberlappens aus zu Perforation der Pleura gekommen mit Entwickelung von linksseitigen Empyem. Höhere Grade von Emphysem wurden in 48 Leichen beobachtet (8 M., 40 W.) =41.0% Proc. Unter diesen Fällen ist bemerkenswerth die Entwickelung hochgradigen Emphysems neben chronischer Tuber- eulose bei einem 30 jährigen Mann, ferner die Entwiekelung vesiceulä- ren Emphysems der rechten Lunge neben chronischer Pneumonie der linken bei einer 47 jährigen Frau. In 5 Fällen führte das Emphysem zum Tod; derselbe erfolgte durch intensive Bronchitis und Lungenödem neben allgemeinem Hydrops und durch Erysipel der ödematösen un- teren Extremitäten in je 4, durch Venen- resp. Herzthrombose in 3 Fällen. Pigmenthypertrophie höheren Grades fand sich bei einem 17 jäh- rigen, an Bicuspidalinsufficienz verstorbenen Mädchen. Metastatische Infarete beider Lungen wurden in 8, metastatische Abscesse in 7 Fällen constatir. Von den 35 Fällen von Lungenarte- rienembolie, welche constatirt wurden, war demnach noch nicht die Hälfte von erheblichen Veränderungen des Lungenparenchyms gefolgt. Bei einem 54jährigen Mann war in Folge eines Sturzes ausser Bruch der Schädelbasis ein solcher der 7. linken Rippe erfolgt mit einer Risswunde der linken Lunge, Bluterguss in die linke Pleurahöble und Pneumothorax. Atelectase fand sich bei einem Neugeborenen neben Hämorrhagie Beobachtungen des pathologisehen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 195 der Pia. Zwei männliche Todtgeborene starben asphyktisch durch Aspiration von Meconium in die Lufiwege; ein drittes Kind, indem während des Fütterns Speisetheile in die Trachea gelangt waren. Bei einem 50 jährigen Mann war Asphyxie durch Ertränkung bedingt. Bei einem 42 jährigen Irren fand sich ein erbsengrosses wahres Divertikel des rechten Hauptbronchus in Form einer rundlichen mit dünner glän- zender Wand versehenen Ausstülpung. Diphtherie wurde auf der Schleimhaut der Respirationswege in 4 Fällen constatirt = 2.4 Proc. In zwei Fällen trat sie als terminaler Process auf; bei einer $1jährigen Frau auf die Trachea beschränkt neben alter Endocarditis und Herzthrombose ; bei einer Sljährigen Frau auf den untersten Theil der Trachea und den rechten Hauptbron- chus beschränkt neben einem umfangreichen Magengeschwür. Bei einem 5 jährigen Mädchen tödtete epidemische Diphtherie wie gewöhnlich durch Verbreitung auf die feineren Bronchialzweige. Von besonderem Interesse gestaltete sich der Verlauf bei einem A1jährigen Mädchen. Die Krankheit hatte mit Schmerzen im Halse und Schling- beschwerden begonnen ; dazu gesellten sich die Erscheinungen heftiger Oppression, hohes Fieber, Respirationsnoth, Schmerzen im Abdomen, welchen die Kranke in wenigen Tagen erlag. Es fand sich bei der Section ein grauer festsitzender Beleg der Uvula, Eiterung eines Theils der cer- vicalen und bronchialen Lymphdrüsen, diffuse eitrige Phlegmone des Mediastinum, bronchopneumonische Herde in beiden Lungen neben ausgedehnter eitriger Lymphangitis derselben, fibrinös- eitrige Pleu- ritis, Pericarditis, Peritonitis. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die rasch fortschreitende eitrige Phlegmone durch die Lymphdrüseneiterung und die Lymphangitis der Lungen bedingt war, welche im Anschluss an diphtherische Bronchopneumonie sich entwickelt hatte. Digestionssystem. Von Bildungsfehlern des oberen Abschnittes dieses Systems ist zu erwähnen totale Spaltung des weichen Gaumens und Zäpfchens bei einem todtgeborenen Hemicephalus. Spaltung des Zäpfehens wurde kurz nach einander und an dem- selben Ort (Lobeda) bei einem 10 jährigen Knaben und einer 70 jähri- gen Frau constatirt. Von den erworbenen Veränderungen ist zu erwähnen ein wall- nussgrosser Abscess der linken Parotis neben erbsengrossen Abscessen in beiden Tonsillen einer 74 jährigen, an Emphysem verstorbenen Frau. Ausserdem boten noch zwei 34 jährige Männer Abscesse in den 196 Wilhelm Müller, Tonsillen, bei einem derselben, welcher gleichzeitig an Abdominal- typhus litt, hatte sich Eiterung der cervicalen Lymphdrüsen und diffuse Phlegmone des peripharyngealen Bindegewebes angeschlossen. Letztere fand sich neben purulenter Periarteritis umbilicalis bei einem sieben Wochen alten Mädchen; der Tod erfolgte durch Bronchopneumonie. Hyperplasie der Tonsillen höheren Grades wurde in 6 Leichen an- getroffen (3 M., 3 W.) = 3.6 Proc. Chronisctier Catarrh des Oesophagus trat in 8 Leichen auf (3 M., 5 W.) = 4.9 Proc., stets im Anschluss an chronischen Catarrh dés Magens. Eben so "oft wurden Soorbelage auf der Schleimhaut des Oesophagus constatirt. Bei einem 77 jährigen Mann fand sich ein wah- res Divertikel der vorderen Oesophaguswand wie gewöhnlich im An- schluss an narbigen Schwund der Lymphdrüsen in der Trachealbifur- cation. Von Bildungsanomalien des unteren Abschnitts des Digestions- systems ist zu erwähnen ein wahres kirschengrosses Divertikel der Magenwand bei einem 39jährigen, ein solches des Ileumanfangs bei einem 6ljährigen Mann. Von Lagenänderungen fand sich Prolapsus ani bei einem 40 jähri- gen Mädchen; derselbe hatte aller Wahrscheinlichkeit nach das dispo- nirende Moment zur Acquisition der Dysenterie abgegeben, welcher die Kranke erlag. Hernien wurden in 12 Leichen beobachtet (9 M., 3 W.) = 7.36 Proc. Das grösste Contingent stellte der rechtsseitige Inguinal- bruch mit 5 Fällen, alle bei Männern. Bei einem 45jährigen Irren hatte die Incarceration eines angeborenen rechtsseitigen Leistenbruchs den Tod herbeigeführt. Linksseitige Leistenbrüche fanden sich in 2 Frauen, rechtsseitiger Gruralbruch bei einer 63jährigen Frau. Ein 77 jähriger Mann hatte doppelseitigen Leistenbruch,, eine 64 jährige Frau linksseitigen Grural- und rechtsseitigen obturatorischen Bruch. Hieran schliessen sich zwei Fälle von hernienartiger Verlagerung des Quercolon in die Bursa omentalis, in beiden Fällen mit Verwachsungen zwischen Golon und Magen, welche das eine Mal durch Epitheliom im Magenfundus, das andere Mal durch Ulcus duodeni herbeigeführt waren. Purulente Peritonitis fand sich in 7 Fällen, sie waren sämmtlich secundärer Natur und bedingt in je 1 Fall durch Perforation des Ma- gens, Duodenum, Wurmformsatz, Rectum, Uterus, durch Bruchein- klemmung und eitrige Pleuritis neben diffuser Phlegmone des Media- stinum. Chronischer Magencatarrh wurde in 22 Leichen angetroffen (16 M., 6 W.) = 15.3 Proc, Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 197 Acuter Magen- und Darmceatarrh lieferte im Hochsommer 14 To- desfälle = 8.5 Proc. (5M., 8 W.). Sämmtliche Individuen waren unter 2 Jahren alt. Ulcus rotundum fand sich in 18 Leichen (7 M., 11 W.) = 11.04 Proc. Der Sitz war in 14 Fällen im Magen, in 4 im Duodenum, Stets in dessen oberem Horizontaltheil. In 10 Fällen lagen offene Ge- schwüre, in 8 deren Residuen in Form von Narben vor. Der Sitz war 6 mal an der hinteren Wand in der Nähe der Magenmitte, je 3 mal an der vorderen Wand nahe der Cardia und am Pylorus; einmal waren gleichzeitig 3 strahlige Narben längs der grossen Curvatur in der Car- diahälfte zugegen. Bei einem 73 jährigen Mann endlich sass das Ge- schwür hart am Pylorus unter beträchtlicher Schwielenbildung auf der Serosa mit Retraction und Stenose des Pylorus bis zum Umfang eines Kleinfingers; der Magen zeigte die gewöhnliche secundäre Erweiterung. Der Tod erfolgte bei einer 39jährigen Frau durch Arterienarrosion , bei einem 22jährigen Mann durch Perforation der vorderen Magenwand nahe der Cardia. Von den Duodenalgeschwüren wurde eines bei einem 19 jährigen Mann durch Perforation tödtlich. Bei einem 52 jährigen Mann war dicht Oberhalb des Varzr’schen Divertikels ein groschengrosses Geschwür Neben einer strahligen das Duodenum bis zum Umfang des Kleinfin- Sers constringirenden Narbe; es zeigte sich der obere Theil des Duo- denum glockenförmig erweitert, der Pylorus für 4 Querfinger bequem durchgängig und nur durch den queren Vorsprung der Schleimhaut über der Ringmiuskelschichte angedeutet, der Magen beträchtlich er- Weitert, im Zustande chronischen Catarrhs, welcher auf den Oesopha- Sus sich fortsetzte, in letzterem unter Bildung von Erosionsgeschwüren. Von besonderem Interesse ist der Fall eines 2 jährigen Knaben. Der- Selbe war im Jahre 1868 geimpft worden und war im Anschluss an die Impfung an einer Diarrhoe erkrankt. Trotzdem dieselbe sistirte, war 5esteigerte Esslust bei auffallender Blässe und leichter Abmagerung “urückgeblieben. Das Kind verbrannte sich am 15. December mit heissem Wasser, genau 48 Stunden nach der Verbrennung trat eine Darmblutung ein, welche binnen 10 Stunden dem Leben ein Ziel Seizte. Es fand sich eine etwa ein Viertel der ganzen Körperfläche ®innehmende Verbrennung der Haut, der ganze Darm voll geronnenen Schwarzen Blutes. Der Anfangstheil des Duodenum mit der Gallenblase locker verwachsen, seine Serosa verdickt, die anliegenden Lymphdrü- sen vergrössert, derb, in verdicktes weisses, schwieliges Bindegewebe eingelagert. Im Duodenum selbst zwei Geschwüre, das eine zackig, ‚vom Umfang eines Fünfgroschenstücks, hart am Pylorus in der hinteren Bd, V. 2. 44 198 / Wilhelm Müller, Wand sitzend, der Schleimhautrand flach gewulstet, die Basis glatt, bei Druck aus mehreren kleinen Gefässöffnungen Blut ergiessend,, das andere gerade gegenüber in der vorderen Wand, sechsergross, voll- kommen kreisrund, die Serosa im Umfang einer Linse bloslegend. Die narbige Beschaffenheit der Duodenalwand an der Basis des grösseren Geschwürs, sowie die Hyperplasie der anliegenden Lymphdrüsen und des sie umgebenden Bindegewebes lassen keinen Zweifel, dass hier seit längerer Zeit, möglicherweise seit der Impfung, ein doppeltes Duo- denalgeschwür bestand, in welchem 18 Stunden nach Eintritt der aus- gedehnten Verbrennung die Arrosion mehrerer Gefässe den Tod her- beigeführt hatte. i Bei einem 24jährigen Mann fand sich beträchtliche schiefergraue Pigmentirung der Schleimhaut des Ileum über den Prver’schen Drüsen als Residuum des ein Jahr vorher überstandenen Abdominaltyphus. In 44 Fällen (6 M., 5 W.) = 6.7 Proc. fanden sich Kothsteine oder wahrscheinlich von solchen herrührende Veränderungen im Wurmfort- satz. In 9 Fällen waren erstere zugegen, wiederholt mehrere gleich- zeitig, jedoch war nur in einem Fall Perforation mit tödtlichem Aus- gange eingetreten. Es fand sich ferner Hydrops des Wurmfortsatzes in 3 Fällen, einmal neben einem Fäcalconcrement, zweimal ohne solche, stets mit Obliteration des dem Göcum anliegenden Theils. Chronischer Catarrh des Colon wurde in 5 Fällen constatirt — 3.06 Proc. Er stand je einmal im Anschluss an Herzfehler, Perforation des Colon von einem Epitheliom des Magens aus, chronische Pneumo- nie und interstitielle Nephritis. Im fünften Fall liess sich ausser dem früheren längeren Gebrauch der Drastica ein ursächliches Moment nicht nachweisen. Bei einem 18 jährigen Mann fand sich eine durch die ganze Länge des Darms sich erstreckende Taenia solium. Bei einem 17jährigen Mädchen mit Herzfehler, welches 2 Jahre vor seinem Tode von Brasilien nach Jena übergesiedelt war, fanden sich im Cöcum fünf groschengrosse flache, vollkommen runde, mit gel- bem festsitzenden Beleg versehene -Geschwüre,, wahrscheinlich die Re- siduen einer an dem früheren Wohnort überstandenen Dysenterie. Acute Dysenterie wurde im Verlauf des Herbstes in 6 Fällen beob- achtet (2 M., 4 W.) = 3.6 Proc. Die Befunde boten nichts vom Ge- wöhnlichen Abweichendes, stets enthielt die Flüssigkeit bewegliche Pilzfäden und Sporen in colossaler Menge. Bei zwei im 28. resp. 32. Jahre stehenden Tuberculösen waren sogenannte Folliculargeschwüre im Dickdarm vorhanden, bestehend in è Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 199 kleinen rundlichen Substanzverlusten der Schleimhaut mit umgeben- dem schiefergrauen Pigmenthof. Bei einem 59 jährigen Kammerjäger fand sich ein kirschengrosses Kalkconcrement im Mesenterium des Dünndarms. Bei Zersetzung mit Salzsäure blieb eine weiche Körnchenmasse zurück, welche einen ge- falteten , seinen Reactionen nach aus Chitin bestehenden Schlauch ein- schloss. Von Hacken konnte trotz sorgfältigen Suchens Nichts gefunden werden. Zwei Leichen = 4.2 Proc. enthielten Echinococcen in der Leber, und zwar ein 50 jähriger Metzger und ein 39jähriger früherer Diener des physiologischen Instituts. Mehrfache Leberabscesse eines 35jährigen Mannes verdankten ihre Entstehung eitriger Pylephlebitis im Gefolge des Typhus. Amyloiddegeneration der Leber fand sich in 3 Fällen, zweimal im Anschluss an Syphilis, einmal an Tuberculose. 7 Individuen (3 M., 4 W.) = 4.2 Proc. boten Gallensteine; in einem Falle waren gleichzeitig 190 Stück vorhanden. Bei einem Ajährigen, an Pneumonie verstorbenen Kind, welches 14 Tage vor seinem Tode geimpft worden war, fand sich eitriger Ca- tarrh der Gallenblase. Uropoetisches System. In 2 Fällen. wurden Missbildungen im Bereich des uropoetischen Systems constatirt. Bei einem 40jährigen, an Tuberculose verstorbe- nen Knaben Hufeisenniere, bei einem 5 Wochen alten, an acutem Darmcatarrh verstorbenen Knaben fehlte jede Spur des linken Uretor und der linken Niere. Die acute Form der tubulären Nephritis fand ich in 3 Leichen, Sleis als secundärer Process, zweimal neben Pyämie, einmal neben Croupöser Pneumonie. Die chronische Form wurde zweimal beobach- tet: bei einem 9 jährigen Knaben neben chronischer Pneumonie und Endocarditis, bei einer 22 jährigen Irren neben alter Syphilis und run- dem Magengeschwür. Interstitielle Nephritis kam in 7 Leichen zur Beobachtung = 4.2 Proc. (4M., 3 W.). Sie betraf dreimal beide, dreimal die rechte, einmal die linke Niere. In 5 Fällen stand sie nachweisbar im Anschluss an chronischen, weit verhreiteten Catarrh der Harnwege, bei einem 49 jährigen Mann und einer 63 jährigen Frau war sie als selbstständiger Process entwickelt. Bemerkenswerth ist aus der ersteren Gruppe der Fall eines 62jährigen Mannes, bei welchem die linke Niere durch in- 44% 200 Wilhelm Müller, terstitielle Nephritis bis zum Umfange eines flachen Hühnereies atro- phirt war, während die rechte bis zum Doppelten des Normalvolums durch einfache Hyperplasie ‘sich vergrössert hatte. Der suppurativen Nephritis erlagen ein A42jähriger Mann (Irre) mit ausgedehntem Catarrh der Urogenitalschleimhaut und ein 80jähriger Mann mit alter Strietur, Adenom der Prostata und Blasendiphtherie. Acute Fettdegeneration der Nieren wurde zweimal im Gefolge von Phosphorintoxication beobachtet. Kalkinfaret wurde in den Pyramiden eines 78jährigen Mannes neben vorgeschrittener Endarteritis gefunden. Fünf im ersten Lebensjahr stehende Kinder (2 M., 3 W.) = 3.06 Proc. boten stärkeren Harnsäureinfaret in den Pyramiden; be- merkenswerth ist, dass derselbe einmal bei einem 7 Wochen alten Mädchen neben eitriger Phlegmone um den Pharynx, ferner bei einem 41 Wochen alten Knaben neben acutem Gastrointestinalcatarrh ange- troffen wurde. Amyloiddegeneration der Nieren wurde in 5 Fällen constatirt = 3.06 Proc.; dreimal im Anschluss an alte Syphilis, zweimal an Tu- berculose, einmal an Epitheliom. Catarrh des Nierenbeckens und der Kelche fand sich in 18 Leichen (8 M., 40 W.) = 11.04 Proc., darunter 5 Irre. In 14 von diesen Fällen waren beide Nierenbecken betheiligt, dreimal nur das rechte, einmal das linke. Der Process stand in allen Fällen im Anschluss an Gonere- mentbildung oder chronischen Catarrh der tieferen Abschnitte des uro- poetischen Systems. Beträchtlichere Erweiterung der Nierenbecken wurde fünfmal beobachtet = 3.06 Proc. Sie war zweimal angeboren, bei einem todt- geborenen Hemicephalus neben eitrigem Catarrh von Blase und Nie- renbecken,, bei einem todtgeborenen Knaben neben Phimose und Er- weiterung der Blase entwickelt. Die erworbenen Fälle waren je einmal bedingt durch Catarrh des Nierenbeckens, Druck des hyperplastischen Uterus resp. des carcinomatösen Ovarium auf die Ureteren. Concremente im Nierenbecken fanden sich in 5 Fällen (2 M., 4 W.) = 3.6 Proc. Fünf dieser Individuen gehörten den ersten beiden Le- bensjahren an, der sechste Fall betraf eine 32jährige Frau mit aus- gedehntem Catarrh des uropoetischen und Genitalsystems. Acuter Catarrh der Harnblase fand sich bei einem 24jährigen an Ab- dominaltyphus verstorbenen Mädchen neben Typhusgeschwüren. Ghro- nischer Catarrh war in 17 Fällen nachweisbar = 10.4 Proc. (10 M., 7W.). In 3 Fällen war es im Anschluss an chronischen Catarrh ZU oberflächlichen Ulcerationen der Schleimhaut und Bildung diphtherischer r Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 201 Belege auf denselben gekommen: bei einem 59,jährigen Mann mit Chronischem Catarrh der Genitalschleimhaut neben alter Syphilis, bei einem 80 jährigen Mann neben Adenom der Prostata und ausgedehnter Varixbildung auf der Blasenschleimhaut, bei einem andern 80 jährigen im Gefolge einer Strietur der Pars membranacea urethrae. Bei einer 58 jährigen, an Dysenterie verstorbenen Frau fand sich ein graugelblicher diphtherischer Beleg auf der Blasenschleimhaut in ihrer ganzen Ausdehnung. Divertikelbildung wurde neben Erweiterung der Harnblase in ? Fällen constatirt: bei einem 77jährigen Mann neben Phimose und Chronischem Urethral- und Blasencatarrh, bei einer 68jährigen Frau neben Uterusmyomen und chronischem Catarrh der uropoetischen und Genitalschleimhaut. Blasensteine fanden sich bei 2 Leichen: eine Anzahl gelber, klei- ner, theils runder, theils eckiger Concremente bei einem jährigen Knaben, drei bohnengrosse Phosphatsteine bei einem 71jährigen Mann neben chronischem Catarrh der Schleimhaut und Adenom der Prostata. Männliches Genitalsystem. Angehorene Phimose höheren Grades fand sich bei 6 Männern = 6.3 Proc. aller männlichen Leichen, einmal neben flächenhafter, aber leicht trennbarer Verwachsung der Vorhaut mit der Eichel. Hypospadie mässigen Grades, bestehend in Ausmündung der Urethra an Stelle des Frenulum, wurde zweimal beobachtet. - Chronischer Catarrh der männlichen Urethra fand sich in 18 In- dividuen = 19.1 Proc., darunter 7 Irre. Bei 12 dieser Individuen hatte sich der Process auf die Samenblasen verbreitet, unter gelblicher Färbung des trüben an grossen Körnchenzellen reichen Spermas. Zweimal fanden sich Abscesse in der Prostata, bei einem 80 jäh- rigen Mann im Anschluss an Strietur der Pars membranacea urethrae, bei einem 21jährigen, an allgemeiner Sarcomatose verstorbenen Mann Im Anschluss an granulöse Urethritis. Angeborene rechtsseitige Hydrocele fand sich bei einem 1jährigen Knaben, welcher der epidemischen Leptomeningilis erlegen war. Er- Worbene Hydrocele derselben Seite wurde bei einem 77 jährigen Mann Neben chronischem Catarrh der Urethra und Samenblasen beobachtet, Während linkerseits Synechie der Vaginalhaut bestand. Wilhelm Müller, Weibliches Genitalsystem. Von Gestalt- und Lageänderungen des Uterus fanden sich Ante- versionen und -Flexionen in 4 (5.7 Proc.), Retroversionen und -Flexionen in 8 Leichen (11.4 Proc.). Ausgedehntere Synechien zwi- schen Uterus und Rectum wurden gleichfalls in 5 Leichen beobachtet. In einem Fall fand sich diffuse fibröse Perimetritis in Form be- trächtlicher Trübung und Verdickung der Uterusserosa mit Bildung zahlreicher zottiger Excerescenzen. Hyperplasie des ganzen Uterus fand sich in 5, Verlängerung des Cervix allein in 4 Fall; in allen 6 Fällen stand die Vergrösserung des Organs im Anschluss an chronischen Catarrh der Schleimhaut. Letzterer fand sich in 18 weiblichen Leichen auf der Genital- Schleimhaut = 26.08 Proc. Er hatte bei einer 81jährigen Frau zu Ste- nose des ganzen Cervicalcanals, bei einer 80 jährigen zu Obliteration des Orificium uteri ext. und int. mit Hydrops cervicis, bei einer 70jäh- rigen zu derselben Folge mit Hydrops cervicis und Hydrometra unter Sanduhrform des Uterus, endlich bei einer 58jährigen Frau zu Ver- wachsung des Cervical- und Uteruscanals in ganzer Ausdehnung durch fibröse Bindegewebsstränge geführt. Diphtherie des puerpealen Uterus fand sich bei einer 32 jährigen Frau neben Metrophlebitis und eitriger Phlegmone des Organs mit Durchbruch des Eiters in die Bauchhöhle. Obliteration der Tubenenden durch peritonitische Pseudomembra- nen und ausgebildeter Hydrops tubarum wurden in je 2 Leichen ge- funden. Bei einer 39 jährigen und einer 69 jährigen Frau wurden die Re- siduen früherer periuteriner Hämatocelen in Form rostfarbener ge- schichteter Belege zwischen beiden in ausgedehntem Maasse schwärz- lich pigmentirten Wänden des Doucras’schen Raumes angetroffen. Beide Fälle betrafen Individuen mit vorgeschrittenen Stauungsprocessen im Bereich des Körpervenensystems. Haut. Erysipele fanden sich in 7 Leichen (1 M., 6 W.) = 4.2 Proc., sechsmal an den unteren Extremitäten, einmal im Gesicht. Constant fanden sich die zu der erysipelatösen Hautpartie gehörenden Lymph- drüsen verändert, entweder in Form acuter Hyperplasie, oder in Form von Eiterung. Bei einer 39 jährigen Frau hatte an ein Erysipel des ödematösen linken Unterschenkels eitrige Lymphangitis sich ange- Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868. 203 schlossen. Hervorzuheben ist der Befund eines 17jährigen, an Erysi- pel verstorbenen Mädchens. Der Beginn der Krankheit war hier auf der Rachenschleimhaut, von wo das Erysipel durch die Nasenhöhle auf die Gesichtshaut überwanderte. Der Tod erfolgte während der Ver- breitung auf die behaarte Kopfhaut unter Coma. Es fand sich das Ge- hirn und seine Hüllen intact, das Gesicht an den erysipelatösen Stellen geschwollen, die Haut stellenweise in Blasen erhoben , die Lymphdrü- sen an der linken Seite des Halses zum Theil in eitrigem Zerfall; ausserdem recente Endocarditis der Bieuspidalis und ein umfang- reicher acuter Milztumor. Der Befund stimmt mit der Annahme, dass während des Erysipels einem Theil der Lymphdrüsen resp. der Ge- sammtblutmasse Moleküle zugeführt worden seien, welche das Endo- card und die Milz zu Gewebswucherung anzuregen vermochten, Wunddiphtherie fand sich in 3 Fällen mit Bildung bräunlich grauer, übelriechender Belege ; sie ging stets mit eitriger Plebitis einher. Ekzem wurde an den Unterschenkeln einer Sijäbrigen Frau, so- wie im Gesicht eines (jährigen Knaben, im gleichen Alter je einmal Strophulus und Intertrigo beobachtet. Eine ausgedehnte Verbrennung der Haut bei einem 2 jährigen Knaben führte, wie schon erwähnt, durch Complication mit Duodenal- geschwür zum Tod. Ausgedehnte Narben beider Unterschenkel in Folge einer früheren Verbrennung waren bei einem 50 jährigen Mann Ausgangspunkt eines bis in die Tibia eindringenden Epithelioms geworden. Bei einem 76jährigen Mann und einem S1jährigen Weib fanden Sich ausgedehnte Geschwüre an beiden Unterschenkeln; bei einer 32 jährigen Frau hatte ein solches des rechten Unterschenkels die Am- Putation erforderlich gemacht mit tödtlichem Ausgang durch Pyämie. Bei einer 42 jährigen Frau fanden sich die Narben früherer Geschwüre mit beträchtlicher brauner Pigmentirung. Bei einem 80 jährigen Mann hatte Arterienthrombose zu beginnender, bei einer gleichalterigen Frau Zu ausgebildeter Gangrän der unteren Extremitäten geführt. Bei einer 81jährigen Frau fanden sich zahlreiche Furunkel über den Körper verbreitet vor; da gleichzeitig Thrombose des linken Herz- Ohres bestand, konnte die Möglichkeit eines embolischen Ursprungs der Biterbildung nicht abgewiesen werden. Bewegungssystem. Von Anomalien der Muskeln und Sehnen ist zu erwähnen eine vollständige Verknöcherung des Centrum tendineum diaphragmatis, 204 Wilhelm Miller, welche sich neben hochgradiger Endarteritis bei einem 61 jährigen, an Dysenterie verstorbenen Manne fand. Bei einem 62jährigen, an Scirrhus der Cardia verstorbenen Manne fand sich der Schleimbeutel über der rechten Patella apfelgross, seine Wandung schwielig verdickt, über 0.5 Centimeter im Durchmesser haltend, die Innenfläche mit einer geschichteten rostbraun pigmentir- ten Pseudomembran überzogen, die Höhle erfüllt von einem schwarz- braunen brüchigen Blutgerinsel. Ein wallnussgrosses Ganglion wurde an der Sehnenscheide des linken Musc. semimembranosus einer 42 jährigen Frau angetroffen. Bei einer 38jährigen, an Lungenemphysem und seinen Folgen verstorbenen Frau war rechterseits von der Mitte der Trachea im Raum zwischen ihr und dem Oesophagus eine kirschengrosse rundliche Ge- schwulst vorhanden, welche aus einer schwieligen Bindegewebskapsel mit centralem Hohlraum bestand. Letzterer zeigte eine glatte, glän- zende Wand, ähnlich der eines Schleimbeutels und enthielt eine schleimigeitrige, ziemlich zähe Flüssigkeit. Ueber die Zeit der Entste- hung der Geschwulst konnte Nichts ermittelt werden. Eiterung der Gelenkhöhlen wurde in 4 Fällen constatirt: zweimal im Anschluss an Pyämie, eben so oft im Anschluss an diffuse eitrige Periostitis der anstossenden Knochen. Knöcherne Ankylose des rechten Hüftgelenkes war bei einem 16jährigen Jüngling durch frühere Periostitis am Femur und Becken herbeigeführt worden; eben solche des rechten Kniegelenkes, welche bei einem 63 jährigen Mann gefunden wurde, durch ein Trauma, wel- ches in früher Jugend auf das Knie eingewirkt hatte. Von Entwickelungsanomalien des Knochensystems wurde Rachitis in 3 Fällen (2 M., 1 W.) = 1.8 Proc. beobachtet. Neben den Schädel- knochen waren es constant die Rippen, welche die characteristischen Veränderungen darboten. Der Tod erfolgte zweimal durch Broncho- pneumonie, einmal durch acuten Magendarmceatarrh. Plagiocephalie mässigen Grades wurde in 16 Leichen (13 M., 3 W.), constatirt; auf 120 geöffnete Schädel berechnet ergeben sich 3.3 Proc. Ein beträchtlicherer Grad von Scaphocephalie war bei einem 65jährigen Mann zugegen bei vollkommen elliptischer Form des Schä- delumfangs. Bei einem 3 Wochen alten Neugeborenen fand sich eine be- trächtliche ödematöse Schwellung mit Röthung der Haut am Hinter- kopf, auf die anliegenden Partien des Halses sich erstreckend. Es zeigte sich das Periost der Hinterhauptsschuppe im Umfange eines Doppelthalers durch einen schmutzigbraunrothen, mit Eiter unter- Beobachtungen des pathologischen Instituts zu Jena im Jahre 1868, 205 Mischten Bluterguss vom Knochen abgelöst, das Periost selbst und die ‚anliegenden Weichtbeile theils ödematös geschwellt, theils eitrig in- filtrirt. Scoliose höheren Grades fand sich in 3 Frauen, die primäre Krüm- mung hatte ihren Sitz stets in der Dorsalwirbelsäule und war in zwei Fällen nach rechts, in einem nach links gerichtet. Knochenbrüche wurden in 6 Leichen constatirt und zwar Bruch ‚des siebenten Halswirbels mit Zermalmung des Rückenmarks bei einem 46 jährigen Mann, der Schädelbasis mit Ruptur der Art. meningea me- dia neben Rippenbruch bei einem 54 jährigen Mann, der Decke der rechten Augenhöhle neben Leptomeningitis bei einem 66 jährigen Mann, des rechten Schenkelhalses mit eitriger Coxitis bei einer 58 jährigen Frau, Splitterbruch der linken Tibia und Fibula mit eitriger Periostitis und Plebitis bei einem 68jährigen Mann; endlich wurde bei einem 12 jährigen Irren ein bereits 2 Wochen alter Bruch der 9. bis 41. rech- ten Rippe nahe dem Winkel beobachtet; das Periost war an der Bruch- Stelle geschwellt und zeigte bereits Knochenneubildung, die Bruchstücke selbst erwiesen sich noch als beweglich. Als Residuum eines früheren Bruches fand sich bei einem 82 jährigen Diabetiker eine durch Callus unter Synostose mit dem sechsten Halswirbel geheilte Infraction des Siebenten Halswirbels. Diffuse ossificirende Periostitis hatte bei einer 74 jährigen Frau be- . trächtliche Hyperostose des Hinterhauptbeins herbeigeführt. _ Acute eitrige Periostitis wurde in 6 Leichen constatirt (4 M., W.) = 3.6 Proc. Sie stand in 3 Fällen im Anschluss an Diphtherie von Am- Putationsflächen der betreffenden Knochen; alle diese Fälle waren mit Purulenter Endostitis unter Bildung von Knochenabscessen combinirt. In 2 Fällen waren complicirte Fracturen das veranlassende Moment, in dem einen gleichfalls mit Entwickelung eitriger Endostitis. Ohne nach- Weisbaren Grund war der Process gleichzeitig am rechten Schlüssel- bein und linken Femur eines bis dahin gesunden 12 jährigen Mädchens aufgetreten; auch hier war es an beiden Stellen zur Bildung von Ab- Scessen in der Markhöhle neben Ablösung des Periost von der Knochen- öberfläche gekommen. Hervorzuheben ist, dass in allen diesen Fällen = die eitrige Peri- und Endostitis entweder purulente oder thrombo- Sirende Phlebitis sich anschloss. Die Folgen abgelaufener eitriger Periostitis und Endostitis fanden Sich in weiter Verbreitung auf den rechten Femur und die rechte Hälfte des Beckens bei einem 16jährigen Mann. Der Fall hat bei Be- Sprechung der eitrigen Phlebitis bereits seine Erledigung gefunden. Bei einem 35 jährigen, an Typhus und consecutiver Pylephlebitis 206 Wilhelm Müller, Beobachtungen ete. verstorbenen Mann fand sich die rechte Tibia in ihren oberen zwei Dritttheilen auf das Doppelte verdickt, die Oberfläche durch ungleich- förmige periosteale Knochenauflagerungen uneben, das Gewebe durch- aus sclerosirt, in der Mitte des oberen Dritttheils eine hühnereigrosse, etwas weiter aufwärts eine kirschengrosse eiterführende Höhle enthal- tend, deren glatte Wand von einer grauröthlichen vascularisirten Mem- bran ausgekleidet war. Mehrere Fistelöffnungen führten aus der grösseren Höhle zur Oberfläche der Haut an der Innenseite des Un- terschenkels. Haut und Unterhautbindegewebe zeigten sich in der Umgebung der Fisteln verdichtet und mit dem Periost des unterliegen- den Knochens unverschiebbar verwachsen. Ich halte es für wahr- scheinlich, dass auch hier das Resultat einer früheren, auf das Knochen- mark übergreifenden purulenten Periostitis vorlag. Erklärung der Abbildung. Tafel VI. Fig. 4. Herz mit erweitertem rechten und rudimentärem linken Ventrikel. A. d. Atrium dextrum. A. s. Atrium sinistrum. V. p. Venae pulmonales. F. o. Fossa ovalis. Aur. sin. Auricula sinistra. V. d. Ventriculus dexter. V. sin, der rudimentäre Ventriculus sinister. V. bic. Valvula bicuspidalis. Herz mit rudimentärer Aorta. V. d. Ventriculus dexter. A. d. Atrium dextrum. Art. p. Arteria pulmonalis. Duct. art. Ductus arteriosus. Ao. Aorta. Arc. ao. Arcus aortae. Die Aorta bei X durch Verwachsung der Se- milunarklappen obliterirt. Ueber den Organismus der Schwämme und ihre Verwandtschaft mit den Corallen. Von Ernst Haeckel. Die Classe der Schwämme oder Spongien stand bisher in der Or- sanismen-Welt in mancher Beziehung einzig da. Keine andere Classe des Thierreichs und des Pflanzenreichs, welche eine ähnliche Anzahl von häufigen, ansehnlichen und mannichfaltigen Formen enthält, hat bis in die neueste Zeit die Naturforscher über ihre eigentliche Natur so in Zweifel gelassen und eine solche Menge widersprechender Ansichten hervorgerufen. Während die Mehrzahl der älteren Naturforscher die Schwämme für Pflanzen , die Mehrzahl der neueren dagegen für Thiere erklärten, machte sich dazwischen auch die vermittelnde Ansicht gel- tend, dass dieselben wegen ihres indifferenten Organisations-Charakters und wegen ihrer Mischung von thierischen und pflanzlichen Eigen- Schaften in die merkwürdige Gruppe jener niedersten und einfachsten Organismen zu stellen seien, welche ich in meiner generellen Morpho- logie der Organismen als Reich der Protisten zwischen Thierreich und Pflanzenreich in die Mitte gestellt habe. Ohne hier auf eine historische Darstellung der zahlreichen verschiedenen Ansichten einzugehen, Welche die Naturforscher von jeher über die Stellung der Schwämme m Systeme der Organismen hegten, mögen doch die entgegengesetzten Standpunkte der angesehensten Naturforscher kurz angedeutet werden. Um hergebrachter Maassen den Namen des Arısrorzızs an die Spitze zu stellen, so war schon dieser »Vater der Naturgeschichte« über die Natur der Schwämme ganz zweifelhaft. Denn während er an meh- reren Stellen die ihm bekannten Schwämme als Thiere beschreibt, be- Wwachtet er sie an einer anderen Stelle als Pflanzen, und stellt sie an 208 Ernst Haeckel, einem dritten Orte zu jenen indifferenten Organismen , welche den all- mäligen und unmerklichen Uebergang vom Thiere zur Pflanze bilden. Linn&, welcher alle ihm bekannten Schwämme als Species eines einzigen Genus: Spongia, auflasste, stellte dieselben 1735 in seinem Systema naturae an das Ende des Pflanzenreichs, unter die niedersten Gryptogamen, indem er sie mit den Corallen und den corallenähnlichen Bryozoen als Lithophyta zusammenfasste. Auch noch in der zehnten Ausgabe des Systema naturae (von 1760) ist diese Ansicht beibehalten. In der zwölften Ausgabe dagegen (von 1767) schliesst er sich den An- sichten von Errıs und Parras an, welche die Schwämme inzwischen für Thiere erklärt und neben die Gorallen unter die Zoophyten gestellt hatten. Unter denjenigen Naturforschern, welche auch später noch die Spongien für Pflanzen hielten, sind namentlich hervorzuheben Sraı- LANZANI, SPRENGEL und Oxen, und noch bis in die neueste Zeit ist diese Ansicht von Burnkisrer und Enrengerg festgehalten worden. Doch gal- ten die Spongien ziemlich allgemein als Thiere, nachdem Grant 1826 eingehend das CGanalsystem der Schwämme mit seinen »Pori« und »Oscula« beschrieben, und auch die Fortpflanzung durch bewimperte, frei schwimmende Larven festgestellt hatte. In Betreff der Stellung, welche die Schwämme im System der Thiere einnehmen, stehen sich gegenwärtig, und schon seit mehr als 20 Jahren, vorzüglich zwei verschiedene Ansichten gegenüber. Im An- schluss an Guyıer wurden die Schwämme von den meisten Zoologen als nächste Verwandte der Corallen oder Polypen betrachtet und mit diesen zusammen in die grosse Hauptabtheilung der Strahlthiere oder Radiaten verwiesen. Jedoch war das bestimmende Motiv für diese Stellung nicht die Erkenntniss von der wirklichen Uebereinstimmung der Schwämme und Corallen in den wesentlichsten Organisations- Charakteren, sondern vielmehr die äussere Achnlichkeit, welche zwi- schen manchen Schwämmen und vielen Corallen im äusseren Habitus, und namentlich in der Art und Weise der Stockbildung besteht. Als nun aber vor einem Vierteljahrhundert die Erkenntniss sich Babn brach, dass der sogenannte »Typus« der Strahlthiere eine buntgemischte Gesellschaft von sehr verschiedenartigen niederen Thieren sei, und als dann bei fortschreitender Erkenntniss ihrer Organisations - Differenzen die Strahlthiere in die drei ganz verschiedenen Hauptgruppen der Echinodermen, Goelenteraten und Protozoen aufgelöst wurden, liess man die Schwämme nicht neben den Corallen oder Anthozoen unter den Coelenteraten stehen, sondern man degradirte sie in die nie- derste Abtheilung des Thierreichs, indem man ihnen neben den In- Ueber den Organismus der Schwämme ete, 209 fusorien und Rhizopoden einen besonderen Platz unter den Protozoen anwies. Die genaueren Untersuchungen über die feinere Organisation der Schwämme, welche mit den verbesserten mikroskopischen Hülfsmitteln und den Anforderungen der neueren Anatomie entsprechend, seit 1848 angestellt wurden, schienen zunächst diese letzte Stellung neu zu be- festigen. Insbesondere die sehr sorgfältigen anatomischen Untersuchun- gen von Carrer in Ostindien (seit 1848) und von Lisserkünn in Berlin (seit 1856) schienen übereinstimmend zu dem Resultate zu führen, dass die Spongien echte Protozoen seien, und einerseits zu den Rhizo- Poden und namentlich zu den Amoeben, andererseits zu den echten Infusorien (Ciliaten) und zu den Flagellaten nahe verwandtschaftliche Beziehungen besässen. Man verglich insbesondere die Bildung der kieseligen Skeletttheile der Kieselschwämme mit den oft kaum zu un- terscheidenden ähnlichen Kieselbildungen der Sphaerozoen und anderer ‚Radiolarien. Ferner waren gewisse isolirte Schwammzellen nicht von Amoeben zu unterscheiden. Die isolirten Flimmerzellen aus dem Ca- nalsystem der Schwämme, welche nur eine lange geisselartige Wimper tragen, glichen den einzelnen Geisselschwärmern oder Flagellaten. Während so die verwandtschaftlichen Beziehungen der Spongien zu den übrigen Protozoen nach verschiedenen Richtungen hin gesucht wurden, musste doch andererseits das characteristische Ganalsystem des Schwammkörpers als eine höhere Organisations - Einrichtung her- Vortreten, welche den übrigen Protozoen gänzlich fehlte oder höchstens mit der contractilen Blase der Infusorien und Amoeben eine ganz entfernte physiologische Vergleichung zuliess. So machte sich denn, je mehr man durch ausgebreitete Untersuchungen mit den mannichfal- tigen Modificationen dieses Canalsystems in den verschiedenen Grup- pen der Schwämme bekannt wurde, immer allgemeiner die Ansicht Seltend, dass dasselbe ein ganz eigenthümlicher Gefässapparat sei, und dass die ganze Classe der Spongien- demzufolge als eine Thierclasse sui generis zu betrachten sei, die in keinen näheren verwandtschaftlichen Beziehungen zu irgend einer anderen Classe, weder unter den Proto- Zoen, noch unter den Coelenteraten stände. Diese gegenwärtig herrschende Ansicht, dass das eigentbümliche Canalsystem der Schwämme einen ganz specifischen und bei keinen anderen Thieren vorkommenden Ernährungsapparat darstelle, und dass demgemäss die Spongien als eine ganz besondere und isolirte Thier- classe »sui generis« aufzufassen seien, wurde bereits von GnAnT (1826) und von Jonnsron (1842) ausgesprochen und in neuester Zeit nament- lich auch von denjenigen Zoologen festgehalten, welche sich um die 210 Ernst Haeckel, Systematik der Spongien die grössten Verdienste erwarben, von Oscar Scumipr und von BowErBAnKk. Je weiter sich die systematischen Unter- suchungen der letzteren ausdehnten und je mehr auch der feinere Bau der Schwämme durch die Untersuchungen von Lirgerkünn und von Köruiker in neuester Zeit bekannt wurde, desto mehr schien jene iso- lirte Stellung der Schwammbelasse mit ihrem specifischen »Wasserge- fässsystem« befestigt zu werden. Dieser herrschenden Anschauung gegenüber haben in neuerer Zeit nur sehr wenige Naturforscher an der älteren Ansicht festgehalten, dass die Spongien unter allen Thieren den Corallen am nächsten ver- wandt seien. Unter diesen Wenigen ist namentlich LevckArr hervor- zuheben, welcher 4854 die Verwandtschaft der Schwämme und Polypen (Corallen) geradezu mit folgenden Worten behauptete: »Denken wir uns eine Polypen-Colonie mit unvollständig getrennten Individuen ohne Tentakeln, Magensack und Scheidewände im Innern, so haben wir in der That das Abbild einer Spongie mit ihren nach aussen geöffneten grossen »Wassercanälen«. Leuckart stellte demgemäss die Schwämme im System neben die Corallen in die natürliche Haupt- gruppe der Coelenteraten, deren typische Organisationseinrichtung er 1848 zuerst in ihrem Gastrovascular- Apparat, in dem »coelen- terischen Canalsystem« erkannt hatte. Jedoch unterliess er es, auch in der Folge, die nahe Verwandtschaft der Schwämme und Corallen näher zu begründen und im Einzelnen die wirklich existirenden Ho- mologien zwischen beiden Classen nachzuweisen. Als ich im Winter 1866/67 drei Monate auf der canarischen Insel Lanzarote verweilte, veranlasste ich meinen Reisebegleiter und Schü- ler, Herrn Stud. Miktucuo-Macrav aus Petersburg, die ausserordentlich reiche Schwammfauna eingehend zu untersuchen, welche wir auf den Lavablöcken des Puerto del Arrecife, der Hafenstadt der Insel Lanza- rote, antrafen. Das wichtigste Resultat dieser spongiologischen Unter- suchungen, von dessen Richtigkeit ich mich vielfach durch eigene Beobachtungen überzeugt habe, war die Thatsache, dass die Spongien in einem viel näheren Verwandtschafts -Verhältnisse zu den CGorallen stehen, als man bisher angenommen und als auch Leuckart geglaubt hatte. Insbesondere ging aus Mrkwucno’s Untersuchungen hervor, dass das »ganz eigenthümliche« Canalsystem des Schwammkörpers keines- wegs eine solche eigenthümliche specifische Einrichtung, sondern viel- mehr dem Gastrovascularsystem oder dem coelenterischen Apparat der Coelenteraten, und zunächst der CGorallen, im Allgemeinen nach Form und Function gleichwerthig sei, dass dieses »Ernährungssystem« in beiden Classen homolog und analog sei. Ich konnte diese hochwichtige Ueber den Organismus der Schwämme ete. 211 Thatsache, durch welche die wahre Verwandtschaft der Spongien und Coelenteraten definitiv begründet wird, um so unparteiischer anerken- nen, als ich selbst früher, der herrschenden Meinung folgend, und na- mentlich auf die Ansichten von Lirserkünn und Oscar Scunipr gestützt, die Schwämme für eigenthümliche, den Rhizopoden nächst verwandte Protozoen gehalten und sie in meiner generellen Morphologie in das in- differente Reich der Protisten gestellt hatte. Die wichtigsten Resultate seiner Untersuchungen hat Mikzucno in Seinen » Beiträgen zur Kenntniss der Spongien« veröffentlicht, welche 1868 im vierten Bande dieser Zeitschrift erschienen (p. 221 — 240. Taf. IV u. V). Sie betreffen vorzugsweise die merkwürdige Guancha blan ca, einen kleinen Kalkschwamm, der zu den interessantesten For- inen des ganzen Thierreiches zu rechnen ist. Denn derselbe bildet kleine Stöcke (Cormen), deren constituirende Individuen (Personen) ihrem Bau nach verschiedenen Gattungen und sogar verschiedenen Familien der Kalkschwämme angehören und dennoch aus einer und derselben Wurzel hervorwachsen. Die merkwürdigen Beobachtungen Mikzucno’s an der Guancha blanca, von deren sicherer Begründung ich mich auf Lanzarote fort- dauernd mit eigenen Augen überzeugte, veranlassten mich, im letzten Winter die mancherlei kleinen Kalkschwämme einer vergleichenden Untersuchung zu unterziehen, welche ich früher in der Nordsee bei Helgoland und im Mittelmeer bei Nizza, Neapel und Messina gesammelt hatte. Auch fand ich nachträglich noch einige interessante kleine Kalk- Schwämme an Steinen, Schneckenhäusern und Algen, welche ich auf Meiner Rückreise von den canarischen Inseln an der Nordwestküste Africas bei Mogador und an der Meerenge von Gibraltar bei Algesiras Sesammelt und wohlerhalten in Weingeist mitgebracht hatte. Zu die- Sem reichen eigenen Material kamen dann noch die Kalkschwämme aus den zoologischen Museen von Edinburgh, Berlin, München und Hamburg, welche die Herren ALLMAN, PETERS, von SiesoLd und Borau mir zu übersenden die Güte hatten. Durch Herrn Scumerrz erhielt ich aus dem Museum Godeflroy eine Anzahl von interessanten austra- lischen Kalkschwämmen aus der Bass-Strasse. Mein verehrter Freund und College, Herr Professor Oscar Senmipr in Gratz, war so freundlich, Mir Exemplare von dem grösseren Theile der im adriatischen Meere von ihm gesammelten Kalkschwämme zu senden. Wie reichhaltig das auf diese Weise mir zu Gebote stehende Material war, ist am besten daraus zu entnehmen, dass ich nicht weniger als 42 Genera und 132 Species unter den Kalkschwämmen unterscheiden konnte. Eine genaue Beschreibung und Abbildung dieser Kalkschwämme 212 Ernst Haeckel, vermehrt durch eine Anzahl neuer Formen, deren Zusendung mir von verschiedenen Collegen in Aussicht gestellt ist, werde ich in dem spe- ciellen Theile meiner, in der Ausführung begriffenen Monographie derKalkschwämme geben. In dem generellen Theile dieser Mo- nographie werde ich eine umfassende Darstellung von der gesammten Naturgeschichte der Galeispongien geben, von der ich hoffe, dass sie nicht blos die Erkenntniss dieser kleinen Gruppe, sondern diejenige der Schwämme überhaupt in manchen Beziehungen fördern wird. Denn obgleich die Legion der Kalkschwämme unter allen Legionen der Schwammbclasse eine der kleinsten ist, und noch dazu in der Mehrzahl ausnehmend kleine, ja selbst mikroskopische Formen enthält, vermag sie doch in manchen Beziehungen mehr, als alle übrigen Spongien, ein bedeutendes allgemeines Licht über die Organisations- und Verwandt- schafts-Verhältnisse der ganzen Schwammeclasse zu verbreiten. Ausser- dem sind aber die speciellen systematischen und morphologischen Ver- hältnisse dieser kleinen Ordnung so einfach und klar, die genealo- gischen Verwandtschaftsbeziehungen ihrer verschiedenen Gattungen und Arten so lehrreich und interessant, dass eine eingehende Er- örterung derselben auch für die organische Systematik überhaupt von grosser Bedeutung ist. Als das wichtigste Resultat meiner Untersuchungen schicke ich folgende allgemeine Sätze voraus: Die Schwämme sind den Corallen unter allen Organismen am nächsten verwandt. Gewisse Schwämme sind von gewissen Corallen nur durch den geringeren Grad der histologischen Differenzirung, und namentlich durch den Mangel der Nesselorgane verschieden. Die wesentlichste Organisations- Eigen- thümlichkeit der Schwämme ist ihr ernährendes Canalsystem, welches dem sogenannten coelenterischen Gefässsystem, oder dem Gastrovascu- lar- Apparat der Coelenteraten, und namentlich der Corallen, sowohl homolog als analog ist. Bei den Schwämmen entstehen, ebenso wie bei den Gorallen und wie bei den Coelenteraten überhaupt, alle verschie- denen Theile des Körpers durch Differenzirung aus zwei ursprüng- lichen, einfachen Bildungshäuten oder Keimblättern, dem Entoderm | und Ectoderm. Diese beiden Blätter entstehen durch Differenzirung aus den anfangs gleichartigen Zellen, welche (aus der Eifurchung hervorgegangen) den kugeligen Leib des fiimmernden Embryo oder der primitiven Larve (Planula) zusammensetzen. Aus dem inneren oder vegetativen Keimblatt, dem Entoderm, entsteht das ernährende Epithelium des Ganalsystems und die Fortpflanzungsorgane. Aus dem äusseren oder animalen Keimblatt, dem Ectoderm, entstehen alle übrigen Theile. Ueber den Organismus der Schwämme eto. 213 Bevor ich diese Sätze durch kurze Mittheilung meiner Beobach- tungs - Resultate begründe, mögen noch einige Bemerkungen über die Stellung gestattet sein, welche die Spongien dem entsprechend von Nun an im System des Thierreichs neben oder unter den Coelenteraten einzunehmen haben werden. Denn da aus der allgemeinen Homolo- Bie, welche zwischen allen Theilen des Schwamm- Organismus und des Corallen-Organismus besteht, nicht bloss eine scheinbare anato- Mische Uebereinstimmung, sondern eine wirkliche Blutsverwandtschaft beider Thierclassen gefolgert werden muss, so drängt sich in systema- lischer Beziehung die Frage auf, welche besondere Stellung die Schwämme in dem bisherigen System der Coelenteraten einzunehmen haben werden. In den neueren zoologischen Systemen wird der Stamm oder Ty- Pus der Coelenteraten ziemlich allgemein in drei Classen eingetheilt : Corallen (Polypen oder Anthozoen). I. Hydromedusen (Hy- droiden und Medusen). II. Gtenophoren (Ciliograden). Alle Thiere dieser drei Classen stimmen überein nicht nur durch die cha- Yacteristische Bildung des Ernährungsgefässsystems, sondern auch durch den Besitz der Nesselorgane, weshalb Huxıry dieselben als Ne- Matophora zusammenfasste. Diese characteristischen Nesselorgane fehlen gänzlich allen echten Schwämmen oder Spongien. Der abso- lute Mangel der Nesselorgane bei allen Schwämmen, die Ständige Anwesenheit derselben bei allen Corallen, Hydromedusen und Ctenophoren ist gegenwärtig der einzige morphologische Aracter, welche die erste Classe von den drei letzteren scharf und durchgreifend trennt. Ich habe daher schon in meiner Monographie der neren und später in meiner natürlichen Schöpfungsgeschichte den Orschlag gemacht, die drei letztgenannten Classen unter dem alten amen der Acalephae oder Gnidae (Nesselthiere) zusammenzufas- Sen. Schon Aristoteles begriff unter dieser Bezeichnung die beiden Characteristischen Haupttypen der Gruppe, die frei schwimmenden edusen und die festsitzenden Actinien. Ausserdem wird der unter- Scheidende Character der Nesselthiere, der Besitz der Nesselorgane, \rch jene Bezeichnung eben so bestimmt, wie durch Huxıry’s Na- men Nematophora ausgedrückt. Wir würden demgemäss den Stamm oder das Phylum der Pflanzenthiere (Goelenterata s. Zoophyta) in zwei Haupt- “ste (Subphylen oder Gladen) zu theilen haben: I. Schwämme Pongiae s. Porifera) und II. Nesselthiere (Acalephae s. noida e s. Nematophora). Die letzteren würden in die drei assen der Corallen, Hydromedusen und Ctenophoren zerfallen. Bd. v. 2, 15 Ernst Haeckel, 214 Unter den Schwämmen könnte man vorläufig als zwei Classen die Autospongien und die fossilen Petrospongien unterscheiden , da sich diese beiden Gruppen bis jetzt weder im Ganzen noch im Einzelnen in nähere Beziehung haben setzen lassen. Unter den Autospongien würden die Caleispongien eine besondere Subelasse oder Legion bilden. Man könnte vielleicht auch noch weiter gehen, und gestützt auf die sehr nahen Verwandtschafts-Beziehungen der Schwämme und Go- rallen die folgende Eintheilung der Coelenteraten befürworten : I. Cladus: Buschthiere (Thamnoda). 1. Classe: Schwämme (Spongiae). 2. Classe: Corallen (Corallia ). I. Cladus: Quallen (Medusae). 1. Classe: Schirmquallen (Hydromedusae). 2, Classe: Kammquallen (Ctenophorae). Eine Entscheidung, welche Gruppirung den natürlichen Ver- wandtschafts-Verhältnissen mehr entspricht, wird sich erst mit der Zeit geben lassen, wenn die Genealogie der Goelenteraten auf Grund ausgedehnterer ontogenetischer und vergleichend -anatomischer Un- tersuchungen sich vollständiger wird herstellen lassen. Dass man die wesentliche Uebereinstimmung in der inneren Or- ganisation der Schwämme und Corallen, ihre wirkliche Homologie, bisher grösstentheils verkannte, hat unter Anderem darin seinen Grund, dass die genauesten anatomischen Untersuchungen der neueren Zeit (wie namentlich diejenigen von Lieserkünn) ihren Ausgang von den beiden bekanntesten und gemeinsten Schwammformen nahmen, nämlich dem Süsswasser-Schwamm (Spongilla), welcher zur Gruppe der echten Kieselschwämme, und dem gewöhnlichen Bade- schwamm (Euspongia), welcher zur Gruppe der Hornschwämme gehört. Gerade diese beiden Schwammformen weichen aber vielfach bedeutend von der ursprünglichen und typischen Bildung der ganzen Classe ab, sind durch Anpassung an besondere Existenzbedingunge® vielfach modifieirt und rückgebildet worden, und verleiten daher leicht, zumal da ihre Untersuchung verhältnissmässig schwierig ist, zu irr- thümlichen Auffassungen. Dagegen scheint keine Gruppe unter allen Schwämmen geeignete", volles Licht über die typische Organisation und die wahren Verwandt- schafts -Verhältnisse der ganzen Classe zu verbreiten, als die Legion der Kalkschwämme. Schon Lirserkünn hat dies in seinen »Beiträge® ` tert ; Ueber den Organismus der Schwämme ete. 215 zur Anatomie der Kalkspongien« (1865) ausdrücklich anerkannt und aus den an'den Caleispongien gewonnenen Resultaten das Verständniss für die übrigen Schwämme zu gewinnen versucht (l. c. p. 743). Zunächst gilt dies schon von der Individualität der Kalk- Schwämme, welche in weit höherem Maasse als diejenige der meisten übrigen Schwämme geeignet ist, die schwierige Individualitäts- Lehre oder Tectologie der Spongien zu erläutern. Indem ich die ausführliche Darlegung dieser eben so interessanten als wichtigen Verhältnisse mei- ner Monographie der Kalkschwämme vorbehalte, will ich hier nur das Resultat meiner speciell auf diesen Punct gerichteten Untersuchungen anführen. Dieses besteht wesentlich (von einigen Modificationen abge- sehen) in einer Bestätigung der jüngst von O. Scmmipr aufgestellten Nsicht, dass jeder Theil des Schwammkörpers, welcher eine beson- dere Ausströmungs - Oeffnung (Osculum) besitzt, als ein besonderes >Individuum« aufzufassen ist. Dieses »eigentliche Individuum« des Schwammkörpers bezeichne ich, meiner Individualitäts - Theorie ent- Sprechend, als Person, und jeden Schwammkörper, der aus zwei oder mehreren Personen besteht (d. h. der zwei oder mehr Oscula be- sitzt), als Stock oder Gormus. Die besondere Begrenzung dieser beiden Begriffe, welche die eigenthümlichen Individualitäts-Verhältnisse der Schwämme nöthig machen, behalte ich meiner Monographie vor. Es ‚Slebt demnach einfache (solitäre oder monozoe) und zusammengesetzte [Sociale oder polyzoe) Schwämme. Einfache Schwämme oder Perso- nen sind z. B. Syeum und Ute unter den Kalkschwämmen, Gami- Rus unter den Rindenschwämmen, Euplectella unter den Kiesel- Schwämmen. Zusammengesetzte Schwämme oder Stöcke sind dagegen Leucosole nia und Nardoa unter den Kalkschwämmen, Euspon- Šia unter den Hornschwämmen, Spongilla unter den Kiesel- Schwämmen, Das characteristische Canalsystem der Schwämme halte ich nicht, wie die meisten übrigen Autoren, für etwas ganz Specifisches und dieser Classe Eigenthümliches, für eine Einrichtung sui generis, Sondern theile die Ansichten von Levorarr und Mixz.ucno, dass dasselbe Wesentlich hom olog dem coelenterischen Gefässsystem oder dem Gastrovascular - Apparat der Corallen und Hydromedusen, kurz aller Acalephen oder Nesselthiere ist. Ja, ich bin von dieser Homolo- Ste so sehr überzeugt, dass ich mit MxLucno den bedeutendsten Hohl- "aum, zu welchem sich jenes Canalsystem im Schwammkörper erwei- S und welcher gewöhnlich als Ausströmungsröhre oder hornstein (Caminus) bezeichnet wird, als Magen oder verdauende Avität, und seine äussere Oeffnung, welche meistens Ausströ- 15* 916 : Ernst Haeckel, y mungsloch oder Osculum genannt wird, als Mundöffnung oder Mund bezeichne. Man wird gegen diese Auffassung vornehmlich zweierlei Ein- wände geltend machen, nämlich erstens, dass es auch Schwämme ohne Schornstein und Osculum giebt, und zweitens, dass die Strö- mungsrichtung des Wassers im Schwammkörper damit nicht vereinbar sei. Was den ersten Einwand betrifft, so glaube ich denselben einfach durch Hinweis auf die Entwickelungsgeschichte entkräften zu können. Die Schwämme ohne Schornstein und ohne Osculum sind entweder primitive Schwammformen, deren Vorfahren überhaupt noch nicht bis zur Differenzirung dieser Centraltheile des Canalsystems gediehen wa- . ren; oder es sind rückgebildete Formen, deren Vorfahren durch phyle- tische Degeneration Magen und Mund verloren haben. Diese letzteren verhalten sich zu den entwickelteren, mit Mund und Magen versehe- nen Schwämmen ebenso, wie die Bandwürmer zu den Trematoden. Auch die Gestoden haben durch phyletische Rü«kbildung (in Folge ihrer stärkeren Anpassung an die parasitische Lebensweise) den Darm- canal und Mund verloren, welchen ihre trematodenartigen Vorfahren besessen haben. Wahrscheinlich sind die meisten mundlosen Spon- gien, wie namentlich die Clistosyken und Cophosyken unter den Kalk- schwämmen, als solche rückgebildete und nicht als ursprünglich mundlose Formen aufzufassen, und wenn die uns noch unbekannten Embryonen derselben wirklich, gleich den anderen Schwamm - Em- bryonen, Mund und Magen erhalten, so würde dieses ontogenetische Factum unsere phylogenetische Hypothese auf das Bestimmteste erhär- ten. Schon jetzt kann Sycocystis, deren Jugendzustand mit Mund versehen, die reife Form aber mundlos ist, als Zeuge dafür angeführt werden. ; Einen wesentlicheren Einwand gegen unsere Deutung scheinen zunächst die physiologischen Verhältnisse der Wasser- Circulation im Schwammkörper zu bilden. Bekanntlich ist meistens (aber nicht immer!) die Strömungsrichtung des Wassers, welches das Canalsystem des lebenden Schwammkörpers durchzieht, folgende: Das Wasser strömt von aussen ein durch sehr zahlreiche und feine, meistens nur mittelst des Mikroskops wahrnehmbare Haut- poren (sogenannte »Einströmungslöcher«) , und gelangt durch diese feinen »Einströmungscanäle«, welche sich oft vielfach verzweigen und anastomosiren, in wenige grössere Canäle, welche schliesslich in die centrale »Ausströmungshöhle«, unsere Magenhöhle, münden. Aus die- ser tritt dann das verbrauchte Wasser nebst den unbrauchbaren Stoff- Ueber den Organismus der Schwämme ete, 217 theilen durch- die » Ausströmungs - Oefinung«, unseren »Mund«, nach aussen. _ Bei den Corallen oder Anthozoen dagegen — und ebenso bei den übrigen Nesselthieren — scheint die Strömungsrichtung des Wassers, welches die Hohlräume des Leibes durchzieht, verschieden und in ge- wissem Sinne der gewöhnlichen Stromesrichtung der Schwämme ent- Segengesetzt zu sein. Das Wasser, welches zugleich die Nahrung in den Körper einführt, wird gewöhnlich bei den Nesselthieren, und spe- ciell bei den Corallen, durch den Mund aufgenommen, gelangt durch diesen in den Magen, und von hier aus in die übrigen Canäle, welche den Körper durchziehen. Welche Rolle hierbei die Hautporen der Gorallen spielen, ist leider noch so gut wie unbekannt. Diese feinen, meist nur durch das Mikroskop wahrnehmbaren Löcher der Haut, durch welche sich die feinsten Canäle des coelenterischen Gefäss- Systems bei den Corallen ganz ebenso wie bei den Schwämmen nach aussen öffnen, haben überhaupt bei den ersteren bei weitem nicht die Beachtung gewonnen, wie bei den letzteren. Ja, sie sind überhaupt Noch kaum verglichen worden! Während man auf die Hautporen der Schwämme das grösste Gewicht gelegt hat, sind dagegen die Hautporen der Corallen, obwohl längst bekannt, dennoch fast allgemein ignorirt worden; und dennoch sind beide offenbar homolog, sind eines und desselben Ursprungs! Ja, es ist sogar sehr möglich (um nicht zu Sagen wahrscheinlich), dass auch durch die Haut der Corallen, ganz ebenso wie durch die Haut der Schwämme, beständig respiratorische asserströme vermittelst der Hautporen in den Körper eindringen, Welche die Ganäle der Körperwand durchziehen und schliesslich in die Magenhöhle ausmünden. Man könnte dann die Hautporen bei den Go- Yallen eben so gut, wie bei den Spongien, als »Einströmungslöcher« bezeichnen. So viel steht jedenfalls schon jetzt fest, dass eine wesentliche Worphologische Differenz zwischen dem ernährenden Gefässsystem der Schwämme und der Gorallen nicht existirt. Vergleichen wir ein- zelne, solitäre, vollkommen entwickelte Personen aus beiden Classen, MB: Sycum und Actinia, so finden wir bei beiden einen centralen Hohlraum als das eigentliche Hauptstück des ernährenden Canal- Systems; einen centralen Hohlraum (Schornstein oder Magen), welcher Sich durch eine einzige grosse Mündung (Osculum oder Mund) nach Aussen öffnet. Von diesem Hohlraum gehen allenthalben Canäle aus, Welche die Körperwand durchziehen und schliesslich an deren Ober- liche durch die Hautporen sich öffnen. Vergleichen wir andererseits emen Schwammstock (z. B. Sycodendrum, Spongilla) und .218 Ernst Haeckel, einen Corallenstock (z. B. Dendrophyllia, Gorgonia), so finden wir in beiden gleicherweise ein ernährendes Canalsystem des Coenen- chyms oder Goenosoms, welches die Hohlräume der einzelnen Perso- nen mit einander in Verbindung setzt. Die Verschiedenheit in der Richtung des Wasserstromes, welche gewöhnlich zwischen beiden Classen angenommen wird, ist für diese nähere morphologische Vergleichung derselben zunächst ganz gleichgültig. Selbst wenn diese Verschiedenheit wirklich constant, allgemein und durchgreifend wäre, würde dieselbe doch nicht im Stande sein, unsere Ansicht von der Homologie des Canalsystems im Schwammkörper und im Corallenkörper zu entkräften. Die Verschie- denheit in der Circulation des ernährenden Wasserstromes in beiden Thierclassen würde bloss beweisen, dass zwischen den einzelnen Theilen des Gefässsystems keine physiologische Vergleichung, keine Analogie mehr besteht, dass diese vielmehr durch Anpas- sung an verschiedene Ernährungs-Verhältnisse verloren gegangen ist. Dadurch würde aber unsere morphologische Vergleichung der ent- sprechenden Theile, ihre Homologie, welche wir auf die Vererbung von gemeinsamen Stammformen zurückführen müssen, in keiner Weise afficirt werden. Wenn man aber das wahre Verwandtschafts- Verhältniss zweier Thiergruppen erfassen will, darf man nur ihre wirklichen Homologien berücksichtigen, d. h. eben diejenigen, auf gemeinsamer Vererbung beruhenden Aehnlichkeiten,, welche allein der wahre Leitstern für jede vergleichende Erklärung sind. Da- gegen muss man gänzlich ausser Acht lassen die auf blosser Anpas- sung beruhenden Analogien, weil diese viel eher geeignet sind, jenes Verwandtschafts-Verhältniss zu trüben und zu verdecken, als zu beleuchten und aufzuklären. Nun ist aber ausserdem hervorzuheben, dass jener Gegensatz in der Richtung des Wasserstromes, welcher in dem Gefässsystem der Schwämme und der Corallen fast allgemein angenommen und als durch- greifend angesehen wird, keineswegs ein absoluter und durchgreifen- der ist. Mixtucno hat bereits gezeigt, dass bei sehr vielen Schwämmen die Mundöffnung oder das Osculum keineswegs bloss das Ausströmen, sondern auch das Einströmen von Wasser vermittelt. Ich selbst habe mich mehrfach durch eigene Beobachtung von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugt. Es dient demnach die Mundöffnung bei vielen Schwämmen, ganz ebenso wie bei den Corallen, eben- sowohl zur Aufnahme, als zur Abgabe des Wassers und der darin enthaltenen Nahrungsbes tandtheile. Von ganz besonderer Wichtigkeit für das Verständniss dieser Ver- Ueber den Organismus der Schwämme ete. 219 hältnisse sind aber diejenigen Schwämme, welche gar keine Hautporen besitzen , und bei denen die einzige Oeffnung der ganz einfachen Magenhöhle das Osculum oder die Mundöffnung ist. Einen solchen Schwamm ohne Hautporen, dessen ganzes coelenterisches Ga- nalsystem , wie bei Hydra, aus einer ganz einfachen Magenhöhle mit einer einfachen Mundöffnung besteht, glaubte MxLucno in seiner Guancha blanca gefunden zu haben. Indessen habe ich mich durch nachträgliche genaue Untersuchung der von Mixıucno selbst ge- Sammelten und mir übergebenen Formen der Guancha überzeugt, dass diese Spongie einfache Hautporen besitzt. Dagegen habe ich selbst Zwei andere, von mir in Neapel gesammelte, mikroskopisch kleine und dabei vollkommen entwickelte (d. h. Eier tragende) Kalkschwämme Untersucht, bei denen wirklich keine Spur von Hautporen vorhanden ist. Der ganze Körper dieser primitivsten Formen der Kalkschwämme besteht aus einem länglich runden Schlauch (Magen) mit einer ein- zigen Oeffnung (Mund) an demjenigen Körperende, welches der An- heftungsstelle entgegengesetzt ist. Ich schlage für diese höchst inter- essante Urform, welche offenbar die Reihe der Kalkschwämme eröffnen muss, den Namen Prosycum vor. Das volle Licht aber fällt auf diese, wie auf alle anderen orga- Nischen Verhältnisse, erst durch die Entwickelu ngsgeschichte. Die ersten Jugendformen der Schwämme, die bewimperten Embryonen, Welche später als Larven mittelst ihres Wimperkleides frei umher- Schwärmen , spenden jenes Licht in der erwünschtesten Weise. Ich habe die Ontogenie dieser jüngsten Formen, welche unter den Kalk- Schwämmen bisher bloss von Sycum und Dunstervillia be- kannt waren, bei einer Anzahl ganz verschiedener Gattungen verfolgt und bin dabei zu folgenden Resultaten gelangt, welche die bisherigen Beobachtungen über die Ontogenie der Schwämme theils bestätigen, theils wesentlich erweitern. -Nachdem das Ei in Folge des Furchungsprocesses in einen kuge- ligen, maulbeerförmigen Haufen von dicht an einander liegenden, Sleichartigen ; nackten, kugeligen Zellen zerfallen ist, erhält dieser maulbeerförmige .Embryo durch stärkeres Wachsthum in einer Rich- lung eine ellipsoide oder eiförmige Gestalt, und bedeckt sich an der Oberfläche mit Cilien. Sodann entsteht im Inneren eine kleine centrale Höhle (der Magen), welche sich ausdehnt und an dem einen Pole der Längsaxe durchbrechend eine Oeffnung erhält, den Mund. Entweder schon, bevor die Mundöffnung des Magens durch- Sebrochen ist, oder jedenfalls bald nachher, sinkt die frei schwim- mende, bewimperte Larve der Kalkschwämme auf den Boden des 220 Ernst Haeckel, Meeres und setzt sich hier fest. Die Anwachsstelle liegt gewöhnlich an dem der Mundöffnung entgegengesetzten (aboralen) Pole der Längs- axe. Der Körper des jungen Schwammes stellt nunmebr einen ein- fachen, länglich runden, festsitzenden Schlauch dar, dessen Höhlung nur. durch eine einzige Oeffnung, durch den der Anheftungsstelle ent- gegengesetzten Mund, mit dem umgebenden Meerwasser communicirt. Der junge Schwamm ist in diesem frühen Jugendzu- stande, wo er einen einfachen becherförmigen Körper mit soliden Wänden und einer einfachen Oeffnung darstellt, gar nicht wesent- lich von einer jungen Goralle verschieden, welche sich noch in derselben frühen Periode der Ontogenesis befindet. Gleichwie aber der gemeine Süsswasserpolyp, die Hydra, uns in seiner einfachen sackförmigen Körperhöhle zeitlebens einen ähnlichen coelenterischen Urzustand dauernd vorführt, wie ihn alle Gorallen in ihrer Jugend durchlaufen, so bleibt jener vorher erwähnte einfachste Kalkschwamm, . das Prosycum, zeitlebens bis zur vollen Reife auf jenem coelente- rischen Urzustande stehen, welchen die übrigen Kalkschwämme rasch vorübergehend in ihrer ersten Jugend durchzumachen haben. Einge- denk nun jenes höchst wichtigen und innigen Gausalnexus, wel- cher überall. zwischen der Ontogenie und Phylogenie existirt — eingedenk des morphogenetischen Grundgesetzes, dass die On- togenie, d. h. die individuelle Entwickelungsgeschichte des Organis- mus, eine kurze und schnelle (durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung causal bedingte) Wiederholung seiner Phylogenie, d. h. der paläontologischen Entwickelungsgeschichte seiner Vorfahren, seines ganzen Stammes bildet, — eingedenk dieser hohen phylogene- tischen Bedeutung aller ontogenetischen Zustände — müssen wir aus jenen einfachen Thatsachen, aus jener ontogenetischen Uebereinstim- mung zwischen den Jugendzuständen der Schwämme und der Coral- len, den höchst wichtigen phylogenetischen Schluss ziehen, dass die Schwämme und Gorallen nahe Bluts verwandte sind, welche von einer und derselben ursprünglichen gemeinsamen Stammform ihren Ursprung herleiten. Diese unbekannte Stammform, von deren specieller Formbildung uns keine fossilen Reste aus der archolithischen Zeit der Erdgeschichte erhalten sind, auf deren einstmalige Existenz wir aber mit voller Sicherheit aus den angeführten Thatsachen schliessen können — ja, von deren allgemeiner Formbeschaffenheit uns sogar heutzutage noch das Prosycum simplicissimum ein ungefähres Bild giebt! — muss einen einfachen becherförmigen Körper mit einer einzigen, der Anheftungsstelle entgegengesetzten Mundöffnung besessen haben. Wir wollen dieselbe mit dem Namen des Urschlauchs, Ueber den Organismus der Schwämme ete. 221 Protascus, — belegen. Aus diesem hypothetischen Protascus nahmen vielleicht als zwei divergente Zweige Prosycum (die Stamm- form der Kalkschwämme) und Procorallum (die Stammform der Corallen) ihren Ursprung. Was nun aber diese unsere Deduction über den gemeinsamen Ur- Sprung und die Stammverwandtschaft der Schwämme und Corallen voll- ends zur Gewissheit erhebt, das ist die bisher gänzlich übersehene und noch von Niemand beachtete fundamentale Uebereinstimmung ‚der Spongien und Corallen (und überhauptaller Goelen- beraten) in dem ontogenetischen Aufbau ihres Körpers aus zwei differenten Zellenschichten oder Keimblät- tern: Entoderm und.Ectoderm. Bei allen Spongien entwickeln sich, ganz ebenso wie bei allen Acalephen (bei allen Corallen, Hydro- medusen und Gtenophoren) , sämmtliche Körpertheile aus der Differen- #irung zweier verschiedener Zellenschichten, einer inneren Bildungs- haut, dem E ntoderm, und einer äusseren Bildungshaut, dem Ecto- derm. Bei allen Spongien, wie beiallen Acalephen, bildet das innere Keimblatt (oder das Entoderm) die epitheliale Auskleidung des ernährenden Canalsystems, sowie die Sporen oder die Geschlechts- producte (Eier und Zoospermien), welche weiter nichts, als sexuell differenzirte Zellen dieses Canal-Epithels sind ; das äussere Keimblatt dagegen (oder das Ectoderm) bildet die gesammte äussere Wand des Canalsystems und die Hauptmasse des Körpers überhaupt, welche sich bei den höheren Spongien und Acalephen in Epidermis, Bindegewebe, Skelettheile,, Muskeln u. s. w. differenzirt. Die aus dem Ento- derm oder der inneren Bildungshaut hervorgegangenen Zellen vermitteln bei den Spongien ebenso wie bei den Acalephen die vegetativen Functionen der Ernährung und Fortpflanzung. Die aus dem Ectoderm oder der äusseren Bildungshaut entstandenen Zellen vermitteln dagegen die animalen Functionen der Bewegung und E mpfindung, und dienen ausserdem als schützende Decken und stützende Skelettheile für den ganzen Körper. Es dürfte - daher nicht unpassend erscheinen, bei allen Coelenteraten, d. h. bei allen Spongien und Acalephen, das Entoderm (oder die innere Bildungszellenschicht) als vegetatives Keim- blat t, und das Ectoderm (oder die äussere Bildungszellen- Schicht) als animales Keimblätt zu bezeichnen. Die weite Per- Spective, welche sich uns aus dieser Auffassung und aus ihrer Ver- Bleichung mit den entsprechenden Verhältnissen der Keimblätter bei den höheren Thieren darbietet, und welche wohl geeignet ist, die 222 Ernst Haeckel, primitive Verwandtschaft aller Stämme des Thierreiches, d. h. die ge- meinsame Abstammung aller thierischen Phylen zu erläutern, werde ich in meiner Monographie der Kalkschwämme näher beleuchten. Ich will zugeben, dass dieses wie mir scheint hochwichtige Ge- setz in vielen einzelnen Fällen gewisse Modificationen erleidet, und dass vielleicht hier und da, sowohl bei den Spongien, wie bei den Acalephen , die beiden Keimblätter oder Bildungshäute, Entoderm und Ectoderm, einander durch locale Substitution vertreten können. Nicht selten geht das Entoderm auf weite Strecken hin verloren und wird dann durch das Ectoderm ersetzt. In manchen, vielleicht in vie- len Fällen, ist an einzelnen Körperstellen (sowohl bei den Schwämmen als bei den Nesselthieren) jene differente Bedeutung der beiden diver- genten Keimblätter nicht so klar ersichtlich oder auch wirklich verän- dert. Es können sich z. B. vielleicht in beiden Thiergruppen Ge- schlechtsproducte auch bisweilen aus dem äusseren Ectoderm, und Muskeln aus dem inneren Entoderm entwickeln. Allein dann sind vermuthlich diese Abweichungen und diese localen Substitutionen der beiden Blätter als secundäre, erst später durch Anpassung entstandene Modificationen zu betrachten. Das ursprüng- liche, primäre, vondergemeinsamenStammform (Protas- cus) aufalleSpongien und Acalephen vererbte Verhält- niss ist wahrscheinlich das oben angegebene: Das Ento- derm bildet als inneres, vegetativesKeimblatt die ernährenden Zellen des Ganalepithels und die durch Arbeitstheilung aus ihnen entstandenen, der Fortpflanzung dienenden Zellen (Keimzellen oder Sporen, Eier und Zopspermien); das Ectoderm dagegen bildet als äusseres, animales Keimblatt die Muskeln, Nerven, Skelet- theile, äusseren Decken u. s. w. Die stärkste Stütze findet dieses Gesetz in dem Bau der vorher er- örterten Jugendzustände beider Thiergruppen. Der becherförmige, aus der wimpernden Larve herzorgegangene Jugendzustand , welcher eine einfache Magenhöhle (oder verdauende Leibeshöhle) mit einer einzigen einfachen Oeffnung (oder Mund) besitzt, und welcher uns in dem noch lebenden Prosycum noch heute das längst entschwundene Bild des Protascus zurückruft, zeigt uns seine einfache, solide Leibeswand (oder Magenwand) allgemein aus den beiden, deutlich differenzirten Bildungshäuten, dem Entoderm und Eetoderm, zusammengesetzt, und zwar ganz ebenso bei den entsprechenden Jugendzuständen der Spon- gien, wie bei denjenigen der Gorallen und der Acalephen überhaupt. Die Kalkschwämme aber dienen auch hier wieder als ganz vorzüglich erläuternde Objecte, weil sie einerseits von allen Schwämmen den Go- 223 Ueber den Organismus der Schwänme ete. tallen am nächsten stehen, andererseits aber in der stufenweisen Aus- bildung ihrer einfachen Organisation, von den einfachsten Prosy- Cum und Olynthus bis zu den höchst entwickelten Dunstervil- lia und € yathiscus, uns ganz wunderschön die fortdauernde Trennung der beiden ursprünglich divergenten Bildungshäute, des Vegetativen Entoderm und des animalen Ectoderm, unbeschadet ihrer Weiteren Differenzirung zu verschiedenen höheren Bildungen vor Augen führen. Bei allen Galeispongien ohne Ausnahme (obwohl bei den einen deutlicher als bei den anderen) springt die fundamentale und ur- Sprüngliche Verschiedenheit der beiden Bildungshäute so deutlich in die Augen und lässt sich in ihrer weiteren Divergenz auch bis zu den höchst entwickelten Formen hin so leicht und klar verfolgen, dass man _ Sie jederzeit augenblicklich demonstriren kann. Es ist daher dieselbe auch denjenigen Naturforschern, welche den Bau der Calcispongien am genauesten untersucht haben, nicht entgangen. Hier und da Sprechen sie alle von den verschiedenen Schichten der Körperwand, aber keiner von ihnen hat ihre allgemeine und genetische Bedeutung hervorgehoben, und keiner hat erkannt, dass das Entoderm aus- schliesslich das die Ernährung vermittelnde Epithel des Canalsystems und die zur Fortpflanzung dienenden Zellen, das Ectoderm dagegen alle übrigen Zellen erzeugt. Aus diesem Grunde möge es gestattet sein, hier noch einige specielle Verhältnisse über den Körperbau der Calci- Spongien anzuführen, deren ausführliche Darstellung und Erläuterung durch Abbildung ich mir auf meine Monographie verspare. Das Entoderm der Galcispongien oder die innere Bildungs- haut, aus der inneren Zellenlage oder dem vegetativen Keimblatt des Embryo hervorgegangen, überkleidet ursprünglich die gesammte Innen- fläche des ernährenden Canalsystems oder des Gastrovascularsystems N Gestalt einer einzigen zusammenhängenden Zellenschicht von Geissel-Epithel. Unter dem Ausdruck Geissel-Epithel (Epithe- lium flagellatum) verstehe ich eine epitheliale Zellenlage, deren Zel- en sämmtlich je ein einziges Flimmerhaar (Geissel oder Fla- sellum) tragen, zum Unterschied von dem Wimper-Epithel (Epi- thelium ciliatum) , dessen Zellen sämmtlich je zwei oder mehrere Flimmerhaa re (Wimpern oder Ciliae) tragen. Geissel-Epithel und imper - Epithel sind als zwei verschiedene Modificationen des Flim- Mer-Epithels (Epithelium vibratorium) aus einander zu hal- ten. Bei allen Schwämmen scheint das Flimmer-Epithel Ausschliesslich in der Form des Geissel-Epithels, nie- Mals inder Form des Wimper-Epithels vorzukommen. Dies 224 Ernst Haeckel, gilt sowohl von den Flimmerzellen, welche die innere Fläche des Canal- systems, als von denjenigen, welche die äussere Fläche der flimmern- den und schwimmenden Larve bekleiden. In beiden Fällen sind die Epithelzellen stets einhaarige Geisselzellen,, niemals mehrhaarige Wim- perzellen. Die Geisselzellen der Spongien sind vollkommen nackt und membranlos; ihr Protoplasma geht unmittelbar in die lange, an der Basis dickere Geissel über. Niemals habe ich an den Geisselzellen einen deutlichen Kern vermisst. Derselbe ist gewöhnlich sehr ansehn- lich, halb oder zwei Drittel so gross, als die Zelle. Gewöhnlich kleiden die Geisselzellen die Wände des Ganalsystems nur in einer einzigen Lage aus; selten schichten sich mehrere Lagen über einander. Solches geschichtetes Geisselepithel findet sich z. B. bei Tarroma und Gla- thrina. Ausser den Geisselzellen erzeugt das Entoderm der Spongien nur noch ein Product, die Eier. Wenn ich hier, dem Vorgange aller Autoren folgend, die Keimzellen oder Reproductionszellen der Schwämme als Eier bezeichne, so geschieht dies nicht ohne grosses Bedenken. Obwohl ich nämlich Hunderte von GCaleispongien auf das Genaueste mikroskopisch untersucht habe, so ist es mir weder bei die- sen, noch bei den von mir untersuchten übrigen Schwämmen jemals gelungen, irgend eine Spur von befruchtenden männlichen Form- Ele- menten, von Zoospermien, aufzufinden. Ich bin dadurch gegen die all- gemein angenommene sexuelle Differenzirung der Spongien überhaupt in hohem Grade misstrauisch geworden. Die einzigen An- gaben von Zoospermien bei Schwämmen, welche einiges Vertrauen ver- dienen (indessen immer noch der Bestätigung bedürfen), sind diejeni- gen von Lisserkünn über Spongilla. Was dagegen Carter als Zoo- spermien der Spongillen beschreibt, sind, wie schon LiEBErkünN erkannte, Infusorien, und was Huxrey als Zoospermien der Thetyen abbildet, sind höchst wahrscheinlich Flimmerzellen. Nicht minder bedenklich sind die Fäden, welche Körrıker als Zoospermien der Esperia beschreibt. Das Misstrauen gegen die Existenz von Zoo- spermien bei den Spongien muss aber um so gerechtfertigter erschei- nen, als einerseits die abgerissenen , sich lebhaft bewegenden Geisseln der Geisselzellen sehr leicht für bewegliche Samenfäden gehalten wer- den können, andererseits aber viele der erfahrensten Beobachter, wie z. B. O. Scumipr und Bowersank, welche Tausende von Schwämmen mikroskopisch untersuchten, gleich mir selbst ganz vergeblich nach männlichen Organen irgend welcher Art gesucht haben. Ich halte es daher für das Vorsichtigste und Gerathenste, vorläufig überhaupt noch die Sexualität der Spongien zu bezweifeln. Dann dürfen aber die zuf Ueber den Organismus der Schwämme etc, < ~ 220 Fortpflanzung dienenden Zellen, die Keimzellen (Gonocyta), nicht als geschlechtliche Eier (Ova), sondern sie müssen als geschlechtslose Keimzellen (Sporae) bezeichnet werden. Die Sporen oder die sogenannten Eier der Spongien habe ich an allen von mir untersuchten Schwämmen vollkommen nackt und mem- branlos gefunden, eben so wie die Geisselzellen, aus denen sie hervor- gehen. Ueberhaupt habe ich niemals in den von mir un- tersuchten Schwämmen irgend eine Spur von einer Membran oder eigentlichen Zellenhaut an den Zellen gefunden. Alle Schwammzellen sind nackte, hüllen- lose Zellen (Gymnocyten). Die Sporen der Caleispongien sind bisher nur von Liverrkünn bei Sycum ciliatum, und von KÖLLIKER bei Tarrus und Dunstervillia geschen. Ich habe ‚dieselben bei keinem einzigen der von mir untersuchten reifen Kalkschwämme ver- misst. Sie sind sehr leicht zu erkennen, da sie sich von den Geissel- zellen sofort durch ihre sehr beträchtliche Grösse und den Mangel der Geissel unterscheiden, andere, selbstständig bleibende Zellen aber (ausser diesen beiden Zellenformen des Entoderms) im Körper der Cal- eispongien überhaupt nicht vorkommen. Die Entstehung der Sporen oder der sogenannten Eier der Schwämme war bis jetzt unbekannt. Ich werde in meiner Monographie den Beweis führen, dass sie unmittelbar aus Geisselzellen hervorgehen, mithin Differenzirungs-Producte des Entoderms oder me- tamorphosirte Geisselzellen sind. Die einfache und höchst bedeutsame Thatsache, dass die Reproductionszellen durch Arbeits- theilung aus den ernährenden Flimmerzellen des Entoderms, des ve- getativen Keimblattes, entstehen, gilt also für die Schwämme ganz ebenso, wie für die Nesselthiere. Nach Körnıker sollen die Sporen von Dunstervillia und Tarrus ausserhalb des Flimmerepithels, im Ectoderm liegen. Indessen gelangen sie dahin erst, wenn sie bei wachsender Volums-Zunahme zwischen den umgebenden Geissel- zellen des Entoderms keinen Platz mehr haben. Sie ragen dann bald mehr in das Eetoderm, bald mehr in das Lumen der Canäle hinein. > Niemals habe ich besondere Sporenbehälter bei den Kalkschwämmen gefunden. Vielmehr können sich die Sporen an den verschiedensten Stellen im Entoderm aus dessen Geisselzellen entwickeln. Was Lir- erkünn bei Sycum als einen besonderen »Behälter der Eier ohne Nachweisbare Structur« beschreibt, habe ich nie gesehen, und ver- muthe, dass diese angeblichen Sporenbehälter quer durchschnittene Canäle sind. Die Sporen der Schwämme haben, wie schon KÖLLIKER hervor- 226 Ernst Haeckel, hebt, eine auffallende Aehnlichkeit mit grossen Ganglien-Zellen. Diese beruht darauf, dass das Protoplasma der Zellen an der Peripherie formwechselnde, verästelte Ausläufer treibt. Die Sporen der Kalkschwämme gleichen grossen Amoeben und führen amoeboide Bewegungen aus, indem sie solche verästelte Fort- sätze ausstrecken und einziehen. Im Ruhezustand sind sie kugelrund oder polyedrisch. Jede Spore besitzt einen sehr grossen, gewöhnlich kugeligen und wasserhellen Kern. Dieser umschliesst einen grossen, runden, dunkeln Nucleolus, und dieser letztere wiederum einen deut- lichen Nucleolinus. Die Spongien sind theils sporenlegend (sporipara), theils lebendiggebärend (vivipara). Bei den sporiparen Schwämmen (z. B. Leucosolenia, Glistolynthus) fallen die reifen Sporen aus dem Entoderm in die Magenhöhle oder in die davon ausgehenden Parietal- Canäle, und werden dann bei den mit Mund versehenen Formen durch den Mund ausgeworfen, während sie bei den mundlosen Spongien durch die Hautporen auskriechen. Dabei wer- den ihnen ihre amoebenartigen Bewegungen wesentlich zu Statten kommen. Bei den viviparen Schwämmen (z. B. Olynthus, Clathrina) entsteht innerhalb des Schwammkörpers (entweder im Magen oder in den davon ausgehenden Parietal-Canälen) aus der einfachen Sporen- Zelle durch fortgesetzte Theilung (»Furchung«) ein kugeliger, aus lauter gleichen, nackten, kernhaltigen Zellen zusammengesetzter Körper (Em- bryo). Die an der Oberfläche desselben gelegenen Zellen strecken je einen fadenförmigen Fortsatz aus und werden so zu Geisselzellen. Sodann entsteht im Innern dieses flimmernden Embryo eine centrale Höhlung (Magen), welche früher oder später nach aussen durch- brechend eine Oeffnung (Mund) erhält. Wie schon oben bemerkt, differenzirt sich dann die Wand dieser einfachen Magenhöhle (Leibes- höhle) in zwei differente zellige Schichten. Die Zellen der äusseren Oberfläche ziehen, nachdem die flimmernde, aus dem Mutterkörper ausgetretene und umhergeschwärmte Larve zur Ruhe gekommen ist, ihre Geisseln ein, verschmelzen mit einander und bilden so das Ecto- derm. Die Zellen dagegen, welche die Magenhöhle umgeben, strecken umgekehrt einen fadenförmigen Fortsatz aus, werden so zu Geissel- zellen und bilden das Entoderm. Erst viel später, wenn der Schwamm seine eigentliche Reife erlangt hat, gehen aus ne Geisselzellen des Entoderms die Sporen hervor. Die Körperwand oder Magenwand der frei umherschwärmenden, eiförmigen, flimmernden Larven, deren ganzes Canalsystem aus einer Ueber den Organismus der Schwämme etc. 227 einfachen Magenhöhle mit Mundöffnung besteht, ist bei den kleineren Kalkschwämmen (z. B. Olynthus, Nardoa) nur aus zwei Zellen- schichten zusammengesetzt , indem sowohl das Ectoderm als das Ento- derm eine einfache Zellenlage bildet. Bei den grösseren Kalkschwäm- men dagegen (z. B. Dunstervillia, Glathrina) kann jede der beiden Zellenlagen in mehrere Schichten zerfallen. Das Ectoderm der Galcispongien oder die äussere Bil- dungshaut, aus der äusseren Zellenlage oder dem animalen Keimblatt des Embryo hervorgegangen, bildet immer die grössere Hälfte des Kör- Pervolums, da dasselbe stets dicker (oft vielmals dicker) als das Ento- derm ist. DasEctoderm besteht ausinnigverschmolzenen, nackten Zellen, deren Kerne in dem vereinigten, und oft später viel- fach differenzirten Protoplasma anfänglich immer und meist auch noch Später deutlich sichtbar bleiben. Die Kerne sind meist länglich rund und häufig von einem Haufen feiner Körnchen umgeben, die sich nicht selten, vom Kern ausstrahlend, nach verschiedenen Richtungen in das Protoplasma erstrecken. Obwohl in dem Ectoderm der .reifen Kalk- schwämme die fast homogen erscheinende, beinahe structurlose, von Kernen und Skelet-Nadeln durchsetzte Grundsubstanz keinerlei Spur von den verschmolzenen, sie zusammensetzenden Zellen mehr erkennen lässt, ist dieselbe dennoch wirklich aus ursprünglich getrenn- ten Zellen darch nachträgliche Verschmelzung dersel- ben entstanden, wie die Ontogenie der Embryonen und Larven deutlich beweist. Das Ectoderm verdient daher nicht den Namen eigent- licher Sarcode, wenn man unter diesem Begriff freiesund ursprüng- liches, noch nicht in Zellen differenzirtes Protoplasma versteht. Passender dürfte dafür vielleicht die Benennung Syncey- tium oder Sarcodine erscheinen. Das Ectoderm der Kalkschwämme, welches durch die Verschmel- zung der ursprünglich getrennten Zellen des äusseren oder animalen Keimblattes sich zu der gewissermassen rückgebildeten Gewebs-Formation der Sareodine oder des Syneytium gestaltet, repräsentirt in physiologischer Beziehung ein Gewebe, welches die Sämmtlichen animalen Functionen des Schwammkörpers vollzieht: B e- wegung, Empfindung, Stützung und Deckung. Das ver- Schmolzene Protoplasma der Sarcodine ist contraetil, empfin dlich, skeletbildend und die Körperoberfläche deekend. Es vereinigt daher gleichsam in einer Person die vier Functionen, welche bei den höheren Thieren getrennt und vertheilt sind auf die vier Gewebs- Formationen der Muskeln , der Nerven, der skeletbildenden Bindesub- Stanzen und der epidermoidalen Decken. 228 Ernst Haeckel, In morphologischer Beziehung bewirkt unter allen Functionen des Ectoderms seine skeletbildende Thätigkeit unstreitig das bedeu- tendste Resultat. Das Skelet der Kalkschwämme und ebenso aller übrigen Schwämme, ist reines Product des Ectoderms, und zwar niemals eine einfache Ausscheidung, ein väusseres Plasma - Pro- duct«, wie ich diesen Begriff in meiner generellen Morphologie um- schrieben habe, sondern stets ein inneres Plasma-Product. Die vielfach ventilirte Streitfrage, ob die Skelettheile der Spongien im In- nern von Zellen entstehen oder nicht, erledigt sich durch die Entwicke- lungsgeschichte. Wenn das skeletbildende Protoplasma noch in Form einer selbständigen, mit einem Kern versehenen Zelle persistirt, ent- stehen die Skeletnadeln im Innern dieser Zelle. Wenn aber die skelet- bildenden Zellen bereits zur Sarcodine verschmolzen sind, entstehen die Skelettheile im Innern dieses Syneytiums. Niemals entstehen die Skelettheile der Spongien an der freien Oberfläche . des Eetoderms, sondern stetsin dessen Innerem. An dem Kalkskelet der Kalkschwämme, durch welches sich diese Spongien von allen übrigen unterscheiden, kann man sich ver- hältnissmässig leicht von dieser Thatsache überzeugen. Die Nadeln des Kalkskelets liegen nämlich hier entweder gänzlich versteckt in dem modificirten Protoplasma des Eetoderm, oder wenn sie aus dessen Ober- fläche frei hervorgegangen, sind sie noch von einer dünnen Schicht des Protoplasma, wie von einer Scheide überzogen. Dieses zuerst von KöL- LIKER bei Tarrus spongiosus (seiner Nardoa spongiosa) her- vorgehobene Verhalten finde ich bei den Kalkschwämmen ganz allge- mein mehr oder minder deutlich vor. Ausserdem enthalten die Kalk- nadeln in einzelnen Fällen auch einen centralen, mit Protoplasma erfüllten Canal, wie er bei den Kieselnadeln der Kieselehwämme fast allgemein vorkommt. Endlich scheint bei vielen (vielleicht allen!) Cal- cispongien der kohlensaure Kalk des Skelets nicht ganz rein abgelagert, sondern innig verbunden zu sein mit einer mehr oder weniger unbe- deutenden Quantität von organischer Substanz (modificirtem Proto- plasma). Bei manchen Kalkschwämmen ist der Antheil der Kohlenstoff- Verbindung an der Bildung der Skelettheile so bedeutend, dass diesel- ben nach Extraction des.kohlensauren Kalks durch Salzsäure in Form und Grösse ganz unverändert bleiben, während beim Glühen nur ein schwacher Rest von molekularem Kalkstaub übrig bleibt. Die Formen der Skelettheile, der Nadeln oder Spicula, sind bei den Kalkschwämmen bekanntlich bei weitem nicht so mannichfaltig als bei den Kieselschwämmen. Es kommen nur folgende vier Grund- formen in verschiedenen Modificationen vor: 4. Einfache Nadeln (linear, Ueber den Organismus der Schwämme ete. 229 cylindrisch oder spindelförmig) häufig. 2. Zweischenkelige Nadeln (gabelförmig oder hakenförmig) sehr selten. 3. Dreischenkelige oder dreistrahlige Nadeln (gleichschenkelig oder ungleichschenkelig, gleich- winkelig oder ungleichwinkelig) bei weitem die häufigste, und zugleich die für die Kalkschwämme am meisten characteristische Form. 4. Vier- Schenkelige oder vierstrahlige Nadeln (deren vierter Strahl gewöhnlich frei in das Canalsystem hineinragt). Die verschiedenen Modificationen dieser vier Grundformen, welche die Beobachter der Kalkschwämme bisher mehr beschäftigt haben, als ihre ganze übrige Organisation, Werde ich in meiner Monographie ausführlich darstellen. Dass die Kalkschwämme unter allen lebenden Schwämmen den Co- tallen am nächsten verwandt sind, dürfte zunächst schon aus der kal- kigen Beschaffenheit des Skelets in beiden Gruppen gefolgert werden. “s kommen aber dazu noch sehr interessante Homologien in der spe- eielleren Differenzirung des Canalsystems bei den höchst entwickelten Formen der Kalkschwämme, welche sich zum Theil selbst durch Anti- Meren-Bildung unmittelbar an die einfacheren Corallenformen anschlies- ‚sen. Es mag daher schliesslich noch gestattet sein, einen Blick auf die Ausbildungsstufen des Ganalsystems bei den Kalkschwäm- Men zu werfen. An der Wurzel des ganzen Systems der Kalkschwämme — oder Was dasselbe ist, ihres Stammbaums — steht das merkwürdige Pro- $ycum, der kleine Kalkschwamm, dessen Canalsystem bloss aus Ma- Senhöhle mit Mundöffnung besteht. An ihn schliesst sich zunächst ` lynthus an, eine einfache Person mit Magen und Mundöffnung, =en Magenwand oder Leibeswand von ganz einfachen Poren durch- setzt ist, Diese Hautporen sind einfache Parenchymlücken, welche "ide Schichten der Leibeswand (Eetoderm und Entoderm) durchsetzen, _ Mstanden durch Auseinanderweichen der Zellen an wechselnden Stel- = “L Eine besondere Canalwand fehlt. Ort und Zahl der Haut- Poren sind bei Olynthus und den nächststehenden Galeispongien “Cucosolenia, Clistolynthus) nicht constant, sondern Wechselnd. Neue bilden sich, während die gebildeten Poren durch “Usammentritt der auseinander gewichenen Zellen wiederum oblite- “ren. So verhalten sich die Poren auch bei Leucosolenia (einem Stockbildenden Olynthus) und bei Glistolynthus (einem Olyn- thus, dessen Mund zugewachsen ist). Bei den grösseren und höher entwickelten Kalkschwämmen gestal- ten sich die einfachen und inconstanten Hautporen allmählig zu blei- ‚enden und constanten Canälen, welche dadurch eine besondere Wand erhalten , dass sich das Geisselepithel der Magenhöhle auf ihre innere Ba. V, 2, 16 230 Ernst: Haeckel, Oberfläche, durch das ganze Ectoderm hindurch, fortsetzt (so in der Familie der Sycariden). Am genauesten untersucht waren unter diesen bisher die Genera Sycum und Dunstervillia, bei denen sich die Hautporen zu sehr ansehnlichen Canälen entwickelt haben, welche ganz regelmässig angeordnet in radialer Richtung die Körperwand -durchsetzen. Die bisherigen. Beobachter haben aber alle übersehen, dass diese radialen Canäle nicht allein innen in den Magen, aus- sen an der Körperoberfläche münden, sondern auch alle unter ein- ander in directer Communication stehen. Die Wände zwischen den einzelnen, sich dicht berührenden Radial-Canälen sind nämlich allent- halben siebförmig durchlöchert und von zahlreichen Communications- Oeffnungen oder Conjunctiv-Poren durchbrochen, durch welche jeder Canal mit allen benachbarten communieirt. Bei einigen Gattun- gen verästeln sich die regulären Radial-Canäle nach aussen hin: in ähnlicher Weise, wie die irregulären Parietal-Canäle in der Wand der Dyssyeiden. Die merkwürdigste Entwicklung erreicht aber das, Canalsystem in dem am Sycarium und Sycum sich anschliessenden: Gyathiscus, bei welchem die horizontalen Scheidewände zwischen den. über ein- anderliegenden Radial-Canälen resorbirt werden, während die ver ti- calen Scheidewände zwischen den neben einanderliegenden Radial- Canälen bestehen bleiben. Dadurch entsteht ein System von radia- len perigastrischen Fächern, welches sich ganz ähnlich verhält, wie das entsprechende System der perigastrischen, strahlig den Magen umgebenden Hohlräume bei den Corallen. Der einzige Unterschied ist, dass die directe Communication zwischen der Magenhöhle und den sie umschliessenden Fächern bei den Corallen durch. die untere Oeffnung des Magens und der perigastrischen Fächer in den gemeinsamen dar- unter liegenden Basalraum der Leibeshöhle erfolgt, bei Cyathiseus dagegen durch je eine longitudinale Reihe von Löchern (Magenporen), welche die Scheidewand zwischen der Magenhöhle und jedem peri- gastrischen Radialfach durchbricht. So zerfällt die Person won Gyathiscus ganz ebensoin ein radiales System von An- timeren, wiejede entwickelte Gorallen-Person. Dass Antimerenbildung beidenSpongien überhauptschon mehrfach auftritt, und dadurch ein noch engerer Anschluss an. die: G0- rallen vermittelt wird, ist bisher gänzlich übersehen worden, und erst MixLucno hat im vorigen Jahre darauf aufmerksam gemacht (1. c. p. 230). Bei Axinella polypoides, bei Osculina polystomella und bei vielen anderen Schwämmen., unter den fossilen namentlich bei Goe- joptychium lobatum, Siphonia costata u. a. springen diesel- Ueber den Organismus der Schwämme ete. 231 ben sofort in die Augen. Diese »radialen« Schwämme sind nicht minder echte » Strahlthiere« als die meisten Corallen. Offenbar er- heben sich aber die Schwämme, bei denen sich so deutlich Antimeren differenziren , in tectologischer Beziehung nicht weniger als die höher entwickelten Corallen über die niederen Schwämme, denen noch jede Antimeren-Bildung fehlt. os Somit bleibt, abgesehen von dem höheren Grade der histologischen ifferenzirung bei den meisten Corallen, nicht ein einziger Character übrig, welcher die Sehwämme durchgreifend von den Corallen trennt. Selbst die den Mund umgebenden Tentakeln, welche bisher ausschliess- iches Rigenthum der Corallen zu sein schienen, beginnen bei einzelnen Chwämmen bereits sich zu entwickeln. Wenigstens möchte ich die öchst merkwürdigen, krausen und gefranzten »Papillen«, welche in einem Kranze die Mundöffnung von Osculina polystomella, einem er merkwürdigsten Schwämme, umgeben, als beginnende Ten- takeln deuten. Uebrigens dürfte auf die Tentakeln der Corallen, als Secundär entwickelte Anhänge, um so weniger Gewicht zu legen sein, als auch Corallen vorkommen, bei denen dieselben fast fehlen, oder nur n Form rudimentärer Knöpfe entwickelt sind (z. B. Antipathes). Dass die Verhältnisse der Stockbildung oder der CGormoge- Nie bei den Corallen und bei den Spongien ganz dieselben sind, be- arf kaum noch besonderer Erwähnung. Die Uebereinstimmung zwi- Schen beiden Thierclassen ist gerade in dieser Beziehung so auffallend, ass sie vorzugsweise es war, welche schon die älteren Naturforscher veranlasste , Schwämme und Corallen im System zw vereinigen. Wir nden bei den Schwämmen keine geringere Mannichfaltigkeit in der Usammensetzung der Personen zu Stöcken, als bei den Gorallen, Md auch die speciellen Modificationen in der Stockbildung, welche durch die mannichfaltigen Formen der unvollständigen Theilung und Nospenbildung bei den Corallen entstehen, finden sich bei den Chwämmen wieder. Nur ein hierher gehöriges Verhältniss mag Noch speciell hervorgehoben werden, weil dasselbe vielfach zu selt- samen Missdeutungen geführt hat. Dies ist die Bildung eigenthüm- ch reducirter Stöcke durch Verwachsun g oder Goncrescenz er Aeste, resp. Personen. Wie bei den bekannten Fächer- “oralen (z. B. Rhipidogorgia flabellum) die eigenthümlichen ormen der (lach ausgebreiteten netzförmigen Stöcke durch vielfache “Onerescenz von Aesten und Anastomose ihrer Hohlräume entstehen, 50 bilden sich bei den Schwämmen nicht allein netzförmig ausgebrei- lete, sondern auch knäuelartig verwickelte Stöcke, indem ebenfalls ihre tockäste, resp. Personen, untereinander an den Berührungsstellen 16* 232 Ernst Haeckel, verwachsen und anastomosiren. Unter den Kalkschwämmen werden diese labyrinthischen Knäuel besonders bei den Nardopsiden und den Tarromiden so dicht, dass man vielfach die Lücken zwischen den er- wachsenen Personen für innere Hohlräume ihres communicirenden Ca- nalsystems gehalten hat. So beschreibt z. B. Körziker bei seiner Nar- doa spongiosa (unserem Tarrus spongiosus) die Lücken und Spalten zwischen den dicht verwachsenen Aesten des Stockes als »Aus- führungs-Canäle« und das innere, flimmernde Ganalsystem (die Hohl- räume der Aeste), welches diesen, wie vielen andern Schwämmen zu- kommt, als »ein Netz von Wimper-Ganälen, wie es noch bei keiner Spongie gesehen ist«. Die merkwürdigsien Resultate entstehen durch fortgesetzte Gon- crescenz der Personen in den Gattungen Nardoa, Nardopsis und Coenostoma, welche ich desshalb in der besonderen Ordnung der Coenosyken zusammengefasst habe. Hier münden nämlich nach er- langter Reife die Magenhöhlen oder »Schornsteine« der verschiedenen Personen, welche einen Stock zusammensetzen und welche durch late- rale Knospenbildung aus einer Person entstanden sind, schliesslich in einen einzigen Hohlraum (eine gemeinsame » Ausströmungsröhre «) zu- sammen, welcher sich durch eine einzige Mündung (einen gemeinsamen Mund) nach aussen öffnet. Da der reife Schwamm hier nur eine einzige Mundöffnung besitzt, ister scheinbar nur eine Person, in Wirk- lichkeit aber ein echter Stock, d. h. ein aus mehreren Personen zusammengesetzter Cormus. In der Jugend besitzt jede Person ihre eigene Mundöffnung,, bis sie später mit ihren Nachbarn verwächst und mit diesen zusammen sich eine gemeinsame Mundöffnung bildet. Wenn man diese wunderbaren Thierstöcke, deren Personen durch übermässige Centralisation den wesentlichsten Theil ihrer Individuali- tät, den Mund, aufgegeben und sich dafür einen gemeinsamen Stock- mund (Cormostoma) angeschafft haben, durch eine besondere Be- zeichnung von den ursprünglichen, vielmündigen Cormen unterschei= den will, so dürften sie vielleicht passend Coenobien genannt wer- den. Als ein solches Coenobium wäre nach meiner, in der generellen Morphologie entwickelten Hypothese auch die ursprüngliche Stammform der Echinodermen, die älteste Asteriden-Form (Tocastra) aufzufassen- Wenn, dieser phylogenetischen Hypothese entsprechend, die ursprüng- liche Seestern-Form wirklich einen Stock von gegliederten Würmer”? (Personen) darstellte, die sich eine gemeinsame Mundöflnung gebildet hatten, so würde dieser anscheinend so wunderbare Vorgang in der That nicht wunderbarer sein, als die thatsächliche, jederzeit ontogene” tisch zu verfolgende Entstehung des Coenobiums einer Nardoa oder Ueber den Organismus der Schwämme etc, 233 Nardops is aus einem Stock von Leucosolenia. Die niederen Coe- nobien der Goenosyken erscheinen so wirklich sehr geeignet, die Ent- stehung der höheren Coenobien bei den viel vollkommeneren Echino- dermen zu erläutern. So eigenthümlich die Nardopsiden und CGoenostomiden mit ihrem einzigen Cormostom auch dastehen, so werden sie (wenigstens die er- Steren) doch auch durch vermittelnde Zwischenformen mit den Leuco- solenien verbunden, aus denen sie hervorgegangen sind. Solche Ueber- Sangsformen sind die Tarromiden, bej denen der Schwammstock nicht ein einziges, sondern mehrere Cormostomen besitzt, bei denen die Mundöffnungen der Personen also nicht alle in eine einzige, sondern Sfuppenweise in mehrere getrennte Stockmündungen verschmolzen Sind. Anderseits aber kann die weitergehende Verwachsung der ur- ‘Prünglich vorhandenen Mundöffnungen aber auch zu ihrem vollstän- digen Verschwinden führen, wie bei den oben angeführten mundlosen Schwämmen. Sowohl die einzelnen Personen (Glistolynthus) als der Aus mehreren Personen zusammengesetzte Stock (Auloplegma) kann durch secundäre Verwachsung seine ursprünglichen Mundöffnungen ein- büssen. Es giebt also unter den Kalkschwämmen sowohl einzelne For- en mit Hautporen, aber ohne Mund (Clistolynthus, Auloplegma) als auch entgegengesetzte Formen mit Mund, aber ohne Hautporen Prosycum). Die hier berührte Erscheinung, dass die scheinbar entgegengesetzten ind extremen Bildungen durch eine vermittelnde Kette von allmähligen Vebergangsformen verbunden werden und somit die Einheit des Orga- Nisations-Typus, d. h. die Einheit der Abstammung, überall trotz der ‚Srössten Mannichfaltigkeit im Einzelnen hervorleuchtet, tritt dem kriti- Schen und unbefangenen Naturforscher bei den Kalkschwämmen, wie i den Schwämmen überhaupt, allenthalben entgegen und lässt deren Studium so äusserst lehrreich, so ungemein fruchtbar, namentlich für , das Verständniss der Descendenz-Theorie erscheinen. Die Sanze Naturgeschichte der Spongienist eine zusammen- ängende und schlagende Beweisführung »für Darwın«. Chon Frırz Müruer und Oskar Scummr haben an vielen einzelnen Bei- Spielen diese unläugbare Thatsache hervorgehoben und ich selbst habe dieselbe allenthalben durchaus bestätigt gefunden. Der Organismus der Spongien hat sich offenhar noch bis in unsere Zeit so flüssig, so beweg- Ich, so biegsam erhalten, dass wir den Ursprung der verschie- dene n Species aus einer gemeinsamen Stammform hier doch Schritt für Schritt auf das Klarste verfolgen können. Nur zwei Schwammformen mögen schliesslich in dieser Bezichung 234 Ernst Haeckel, noch als ganz besonders lehrreich und interessant hervorgehoben wer- den. Das ist die Guancha blanca von Mıkıucno und meine $Syco- metracompressa. Diese beiden Kalkschwämme treten in so ver- schiedenen Formen auf, dass sie bald dieser, bald jener Gruppe im Sy- stem anzugehören scheinen, und dass sie den Systematiker in die äus- serste Verlegenheit setzen. Ich selbst habe mir in dem nachstehenden Prodromus eines Systems der Galeispongien nicht anders über diese Schwierigkeit hinweghelfen können, als dadurch, dass ich eine beson- dere Ordnung, die Meirosyken, für sie gründete. : Guancha blanca von den canarischen Inseln erscheint in ihrer am meisten ausgebildeten Form als einSchwammstock, wel- cheraneinemund demselben Gormus die reifen Formen von nicht weniger als vier ganz verschiedenen Genera trägt, nämlich Olynthus von den Monosyken (Form A von Mı- kıucno), Leucosolenia (Form B) und Tarrus (Form D) von den Polysyken und Nardoa von den Coenosyken (Form G. von MıkzucnHo). In ähnlicher Weise erscheint die am meisten ausgebildete Form der Sycometra compressa aus Norwegen als ein Schwammstock, welcheraneinemund demselben Cormus die reifen For- men sogar von acht verschiedenen Genera trägt, nämlich Sycarium und Artynas aus der Familie der Sycariden, Syci- dium und Artynium aus der Familie der Sycodendriden, Sycocy- stis und Artynella aus der Ordnung der Clistosyken, Sycophyl- lum und Artynophyllum aus der Ordnung der Cophosyken. Als generisch verschieden und nicht als blosse Entwicklungszustände einer Species muss man aber alle diese auf einem Stock vereinigten Formen desshalb betrachten, weil jede derselben fortpflanzungsfähig ist und in ihren ausgebildeten Sporen das beweisende Zeugniss der vollen Reife bei sich führt. Bei diesen höchst merkwürdi- gen und wichtigen Schwämmen ist die organische Spe- cies gleichsam »in statu nascenti« zu beobachten. Wahrscheinlich gilt dasselbe auch von dem Sycarium rhopalo- des ausNorwegen und vonder Ute utriculus aus Grönland, welche letztere Oskar Scummpr beschrieben hat, vorausgesetzt, dass die verschie- denen Formen derselben, welche ich unter die Genera Sycarium, Ar- tynas, Sycocystis d Antynella gestellt habe, auch wirklich ihre specifische Reife durch den Besitz ausgebildeter Sporen bezeugen. Wenn wir schliesslich nochmals auf die Verwandtschaft der Schwämme und Corallen zurückkommen und die Grenze zwischen die- sen beiden Thierclassen künstlich festzustellen versuchen , so bleibt uns eigentlich weiter nichts übrig, als der höhere Grad der histologi- Ueber den Organismus der Schwämme etc. 335 schen Differenzirung bei den Corallen, insbesondere aber der Besitz der Nesselzellen. Kein Schwamm bildet Nesselorgane in- Seinen Ectoderm-Zellen, während diese bei allen Aca- lephen (bei allen Gorallen, Hydromedusen und CGtenophoren Ohne Ausnahme) in grösserer oder geringerer Ausdehnung vorhan- den sind. Freilich wird man zugeben müssen, dass dieser histologische Character an sich sehr geringfügig, und sowohl in Beziehung auf seine Physiologische, wie seine morphologische Bedeutung wenig geeignet ist, eine scharfe Grenze zwischen den Spongien und den übrigen Coelente- raten herzustellen. Diese Grenze erscheint sehr künstlich, wenn man bedenkt, dass es sowohl unter den Würmern, als unter den Mollusken Auch einzelne Formen mit Nesselorganen giebt. Sie wird aber noch Mehr verwischt, wenn man die gesammten Verhältnisse der histolo- Sischen Differenzirung bei den Spongien Corallen in’s Auge fasst und Sich überzeugt, dass in beiden Classen ein weiter Spielraum für den Differenzirungs-Grad gegeben ist. Nicht wenige unter den höher ent- Wickelten Schwämmen nehmen in Bezug auf histologische Differenzi- "ung vielleicht eine höhere Stufe, als manche Corallen oder wenigstens als die Hydren unter den Acalephen ein. Dagegen würde sich ein sehr Wichtiger und durchgreifender Unterschied zwischen den Acalephen und en Spongien ergeben, wenn sich meine oben ausgesprochene Ver- "uthung bestätigen sollte, dass Zoospermien und somit sexuelle Dif- ferenzirung bei- den Spongien noch nicht vorkommen, und dass die ngeblichen »Rier« der Schwämme geschlechtslose Sporen sind. Die nähere Erörterung und Begründung aller hier angeführten Ver- hältnisse behalte ich meiner ausführlichen Monographie der Kalk- Schwämme vor, und richte schliesslich, um den systematischen Theil dieser Arbeit möglichst vollständig zu gestalten, an alle Leser dieser vorläufigen Mittheilung, welche im Besitz von getrockneten oder in eingeist befindlichen Kalkschwämmen sind, die Bitte, mir dieselben “ur Durchsicht und Vergleichung übersenden zu wollen. Die Kalk- Schwämme sind bisher in den zoologischen Sammlungen fast überall so “Pärlich vertreten und ihre Systematik liegt so im Argen, dass der nach- Stehende Prodromus eines Systems der Kalkschwämme ganz von vorn anfangen muss. Ausserdem sind viele Galeispongien im inneren Bau So sehr verschieden, während ihr unscheinbares Aeussere fast gleich erscheint, dass die genaueste mikroskopische Untersuchung aller bisher Sefundenen Formen zur Begründung ihrer Systematik ganz unerläss— lich ist, Prodromus eines Systems der Kalkschwämme. Von Ernst Haeckel. Nota: J.—=Jounston. Bb. = Bowerbank. O. S. = Oskar Schmipr. M. M. =Mr- xLUcHOo-Macray. H. = Haecker. (Ein * vor den Namen der Genera oder Species bedeutet, dass diese neu sind.) Legio: Calcispongiae, Blainville. (Synonym: Grantiae, Frumine. Spongiae calcareae, Bo- wERBAanK). Schwämme mit einem Skelet aus kohlensaurer Kalkerde. I. Ordo: Monosyca, H. Ordnungs-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einePerson miteinerMundöffnung. (Körper meist cylindrisch, spindelförmig oder eiförmig, unverästelt. Magenhöhle (innere Höhlung des Körpers) einfach oder fächerig, stets mit einer einfachen, der An- satzstelle entgegengesetzten Mundöffnung). I. Familia: Prosyeida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet eine ein- fache, schlauchförmige, mit einer Mundöffnung versehene Person, deren Körperwand (Magenwand) ganz solid und nicht durchbohrt ist. *4. Genus: Prosycum, nov. gen. Gattungs-Character: Mundöffnung einfach, ohne Peristom- Krone (ohne Kranz von frei vorragenden Nadeln). Prodromus eines Systems der Kalkschwämme. Species von Prosycum (2): *1. Prosyeum simplicissimum, H. Neapel, H. “2. Prosycum primordiale, H. Neapel, H. I. Familia: Olynthida, H. Familien-Gharacter: Der reife Kalkschwamm bildet eine ein- fache, schlauchförmige, mit einer Mundöffnung versehene Person, deren Körperwand (M (Magenwand) nur von einfachen Hautporen dur obbrodheh ist (die Hautporen sind einfache Parenchym-Lücken, ohne besondere Auskleidung). . Genus: Olynthus, nov. gen. Gattungs-Character: Mundöffnung einfach, ohne Peristom- Krone (ohne Kranz von frei vorragenden Nadeln). Species von Olynthus (5): *3. O. simplex, H. Neapel, H. O. guancha, H. (Guancha blanca, M. M., Var. A). Lanzerote, M. M. “5. O. cyathus, H. Gibraltar, H. 6. O. pocillum, H. (Spongia pocillum, Fasrıcius). Grönland, Fa- BRICIUS, Norwegen. O. hispidus, H. Helgoland. H. Genus: Olynthium, nov. gen. Gattungs-Charakter: Mundöffnung mit Peristom-Krone (von einem besonderen Kranz von frei vorragenden Nadeln umgeben). Species von Olynthium (2). “8. O. nitidum, H. Algoa-Bay. *9. O. splendidum, H. Algoa-Bay. II. Familia: Sycarida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet eine einfache, schlauchförmige, mit einer Mundöflnung versehene Person, deren aad von regulären, radialen Canälen (Radial-Tuben) durchsetzt ist. (Die Radial-Tuben sind von dem flimmernden Entoderm _ @usgekleidet, münden am distalen Ende durch Hautporen nach aussen, am proximalen Ende durch Magenporen in die Magenhöhle, und com- Municiren mit einander allenthalben durch Gonjunetiv-Poren). Ernst Haeckel, “4. Genus: Amphoridium, nov. gen. Gattungs-Character: Skelet besteht bloss aus einfachen (li- nearen) Nadeln. Species von Amphori‘dium (N): 10. Amphoridium viride, H. (Ute viridis, O. S.) Cette, O. S. *5, Genus: Amphoriscus, nov. gen. Gattungs-Character: Skelet besteht bloss aus vierstrahligen Nadeln. Species von Amphoriscus (3): 11. A. chrysalis, H. (Ute chrysalis, O. S.) Lesina, O. S. *12. A. urna, H. Caracas. GOLLMER. *43. A. cyathiscus, H. Australien. *6. Genus: Sycarium, nov. gen. Gattungs-CGharacter: Skelet besteht aus dreistrahligen Na- deln in den Wänden der Radial-Canäle, aus vierstrahligen Nadeln in der Magenwand, deren vierter Strahl frei in die Magenhöhle vorspringt und aus einfachen, frei vorragenden, linearen Nadeln am distalen Ende der Radialcanäle. Mundöffnung einfach, ohne dünnhäutigen Rüssel und ohne Peristom-Krone. Species von Sycarium (6): *1%. S. ampulla, H. Norwegen. *15. S. rhopalodes, H. Norwegen. 16. S. compressum, H. (Grantia compressa, J. Var. A.) Eng- land. Norwegen. 17. S. utriculus, H. (Ute utriculus, O. Schmipt, var. A.) Grön- land. *18. S. villosum, H. Antillen. *19. S. vesica, H. Messina, H. 7. Genus: Syconella, O. Schmipr. Gattungs-Gharacter: Skelet von Sycarium. Mundöffnung in einen dünnhäutigen Rüssel (einen nicht von Radial-Ganälen durchbohr- ten Canal) verlängert, ohne Peristom-Krone. Species von Syconella (3): 20. S. quadrangulata, O. S. Adriatisches Meer, O. S. Prodromus eines Systems der Kalkschwämme. *21. S. proboscidea, H. Rothes Meer, Siemens. *22. S. tubulosa, H. Australien. 8. Genus: Sycum, Risso. Gattungs-Character: Skelet von Sycarium. Mundöffnung mit einer einfachen Peristom-Krone (von einem einfachen Kranz von frei vorragenden Nadeln umgeben). Species von Sycum (48): 23. S. ciliatum, H. (Spongia ciliata, Fagrıcıius). Grönland. Bri- tische Küste. 24. S. arcticum, H. (Sycum raphanus, var. O. Scumipr). Grön- land. 25. S. coronatum, H. (Spongia coronata, Ertis). England (Wey- mouth), Max ScuuLrze. 26. S. giganteum, H. (Grantia ciliata, var. Jounston). Isle of Man. Britannien. 27. S. alopecurus, H. (Grantia ciliata, var. BOWERBANK. ) 28. S. tessellatum, H. (Grantia tessellata, Bowersank.) Nor- Mmannische Inseln, BuckLann. 29. S. ananas, H. (Spongia ananas, Montagu.) Britannien. 30. 5. ovatum, H. (Sycum ciliatum, Lieserkünn). Helgoland. B clavatum, H. Norwegen. ScuiLLing. ao. lanceolatum, H. Norwegen. ScmtLing. *33. S. lingua, H. Norwegen. SCHILLING. 34. S. tergestinum (Sycum ciliatum, O. Scımupr). Triest. 35. S. raphanus, O. S. Dalmatien, O. S. 36. S. capillosum, O. S. Sebenico, O. S. 37. S. setosum, O. S. Corfu, O. S. 38. Humboldti, Rısso. Nizza. Venedig. 39. S. inflatum (Spongia inflata, Derre Curse). Neapel. D. C. 40. 8. petiolatum, O. S. Desterro. Frırz MürLeR. S S S S S S S S S S S S 9. Genus: Dunstervillia, BOWERBANK. Gattungs-Character: Skelet von Sycarium. Mundöffnung mit einer doppelten Peristom-Krone (von einem doppelten Kranz von frei vorragenden Nadeln umgeben, einem inneren verticalen und einem äusseren horizontalen Kranz). Species von Dunstervillia (5): 44. D. elegans, Bb. Algoa-Bay, Bb. Ernst Haeckel. 42. D. coreyrensis, O. S. Corfu, O. S. *43. D. Schmidtii, H. Lagosta, O. S. “4%. D. Lanzerotae, H. Lanzerote, M. M. *45. D. formosa, H. Barbados. 10. Genus: Artynas, Gray. Gattungs-Character: Skelet wie bei Sycarium. Mundöff- nung einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom - Krone. Magenhöhle fächerig, von unregelmässigen Scheidewänden durchzogen. Species von Artynas (4): 46. A. compressus, H. (Grantia compressa, Jounston, Var. B.) Norwegen. 47. A. utriculus, H. (Ute utriculus, O. S., Var.) Grönland. *48. A. rhopalodes, H. Norwegen. *49. A. villosus, H. Antillen. 41. Genus: Ute, O. Scumpr (p. p.) Gattungs-Character: Skelet besteht aus dreistrahligen Na- deln in der Wand der Radial-Canäle, aus vierstrahligen Nadeln in der Magenwand, deren vierter Strahl frei in die Magenhöhle vorspringt, und aus einfachen linearen Nadeln, welche der Längsaxe des Körpers paral- lel laufen únd dicht aneinander gelagert einen festen, äusseren Panzer um das innere System der Radial-Canäle bilden. Mundöffnung einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom-Krone. Species von Ute (2): 50. U. glabra, O. S. Lagosta, O. S. 51. U. ensata, Gray (Grantia ensata, Bb.). Guernsey. BucKLanD. 12. Genus: Cyathiscus, nov. gen. Gattungs-Gharacter: Skelet besteht aus dreistrahligen Na- deln in den radialen Scheidewänden der perigastrischen Fächer, aus vierstrahligen Nadeln in der Magenwand, deren vierter Strahl frei in die Magenhöhle vorspringt, und aus einfachen, linearen Nadeln, welche der Längsaxe des Körpers parallel laufen und dicht aneinander gelagert einen festen, äusseren Panzer um das innere System der Radial-Fächer bilden. . (Die perigastrischen, radialen Fächer, welche in ähnlicher Weise wie bei den Corallen den Magen umgeben, sind wahrscheinlich ent- standen durch Ausfall der horizontalen Scheidewände, welche bei Sy- carium, Sycum ete. die übereinander liegenden Radial-Canäle trennen. Prodromus eines Systems der Kalkschwämme. 941 Jedes perigastrische Fach mündet durch eine Längsreihe von Magenpo- ren in die Magenhöhle und durch mehrere Längsreihen von Hautporen nach aussen). Mundöffnung einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom- Krone. Species von Cyathiscus (1): i *592. C. actinia, H. Honolulu, HALTERMANN. IV. Familia: Dyssycida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet eine einfache, schlauchförmige, mit einer Mundöffnung versehene Person, deren Magenwand von unregelmässigen , verästelten Canälen (Parietal- Canälen) durchsetzt ist. (Die Parietal-Ganäle communiciren vielfach un- ter einander und münden am proximalen Ende durch wenige grosse Magenporen in die Magenhöhle, am distalen Ende durch sehr zahlreiche kleine Hautporen nach aussen). *13. Genus: Dyssycum, nov. gen. Gattungs-Character: Skelet besteht aus dreistrahligen Na- deln in der Körperwand, aus vierstrahligen Nadeln in der Magenwand, deren vierter Strahl frei in die Magenhöhle vorspringt und aus ein- fachen, frei vorragenden Nadeln an der Oberfläche des Körpers. Mund- öffnung einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom-Krone. Species von Dyssycum (b): ` 53. D. fistulosum, H. (Grantia fistulosa, Jonnsron.) Britische Küste. 54. D. penicillatum, H. (Sycinula penicillata, O. S.) Grön- land. 55. D. clavigerum, H. (Sycinula clavigera, O. S.) Grönland, 0.8. 56. D. solidum, H. (Grantia solida, var. solitaria, O. S.) Dal- matien, O. S. *57. D. periminum, H. Perim (Rothes Meer), Smens. *1%. Genus: Dyssyconella, nov. gen. Gattungs-Character: Skelet wie bei Dyssycum. Mundöfl- nung in einen Rüssel (eine dünnhäutige, nicht von Parietal- Canälen durchsetzte Röhre) verlängert, ohne Peristom-Krone. Ernst Haeckel, Species von Dyssyconella (2): 58. D. pumila, H. (Leuconia pumila, Bb.) Guernsey (Nor- mannische Insel). Norman. *59. D. caminus, H. Antillen. 15. Genus: Syceinula, O. Schmipr. Gattungs-Character: Skelet wie bei Dyssycum. Mundöff- nung von einer Peristom-Krone (einem einfachen Kranz von frei vor- ragenden Nadeln) umgeben. Species von Sycinula (3): 60. S. aspera, ©. S. Corfu, Dalmatien, O. Scampr. 61. S. Egedii, ©. S. Grönland. *62. S. echinata, H. Algoa-Bay. II. Ordo: Polysyca, H Ordnungs-Character: Der reife Kalkschwamm bil- det einen Stock mit mehreren Mundöffnungen. (Körper mehr oder weniger verästelt, mit freien oder mit vielfach verwachsenen und anastomosirenden Aesten, bald kleine Bäumchen oder Büsche, bald ein dicht verflochtenes Wurzelwerk oder einen schwammigen Klumpen bildend. Magenhöhlen der den Stock zusammensetzenden Personen mit einander direct oder indireet communicirend,, mit einer besonderen Mundöffnung am freien Ende aller oder doch mehrerer Aeste (Personen). V. Familia: Soleniseida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock mit entwickelten Personen, deren jede eine Mundöffnung besitzt, und deren Magenwände von öftilachen Hautporen durchsetzt sind, wie bei den Olynthiden. 16. Genus: Leucosolenia, BOWERBANK. Gattungs-Character: Magenhöhlen und deren Verbindungs- röhren einfach, nicht fächerig. Mundöffnungen der Personen einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom-Krone. Species von Leucosolenia (24): I. Subgenus: Leuealia. Nadeln sämmtlich einfach (linear). (Der äussere Theil der Nadeln ragt über die äussere Oberfläche vor.) Prodromus eines Systems der Kalkschwämme. *63. L. coralloides, H. Neapel, H. *64. L. troglodytes, H. Neapel, H. I. Subgenus: Leucelia. Nadeln sämmtlich dreistrahlig. (Innere und äussere Oberfläche der Röhren glatt. *65. L. dictyoides, H. Australien. 66. L. himantia, H. (Grantia brotyoides, var. himantia, Jonn- STON.) Britische Küste, Jounsron. 67. L. complicata, H. (Spongia complicata, Montacu). Britische Küste. Monracu. 68. L. guancha, H. (Guancha blanca, var. B, MıxLucno). Lan- Zerote, MIKLUCHO. 69. L. pulchra, O. S. Dalmatien, O. S. III. Subgenus: Leucaria. Nadeln theils einfach (linear) , theils dreistrahlig. (Der äussere Theil der einfachen Nadeln ragt über die äussere Oberfläche vor. *70. L. thamnoides, H. Norwegen- *71. L. robusta, H. Neapel, H. 72. L. Lieberkühnii, O. S. Triest, O. S. 73. L. Fabricii, O. S. Grönland, O. S IV. Subgenus: Leuceria. Nadeln theils dreistrahlig, theils vier- Strahlig. (Der freie Strahl der vierstrahligen ragt in die Magenħöhle hinein. ) 74. L. botryoides, Bb. (Spongia botryoides, Ellis). Britische Küste, Bb. *75. L. Grantii, H. Britische Küste. *76. L. Darwinii, H. Britische Küste. *77. L. Goethei, H. Neapel, H. *78. L. Lamarckii, H. Gibraltar, H. *79. L. Gegenbauri, H. Messina, H. V. Subgenus: Leuciria. Nadeln theils einfach (linear), theils reistahlig, theils vierstrahlig. (Der freie Strahl der vierstrahligen. ragt in die Magenhöhle, der äussere Theil der einfachen Nadeln über die äussere Oberfläche vor. ) 80. amoeboides, H. Helgoland. (Grantia botryoides, LiEBERKÜHN.) “81. variabilis, H. Norwegen. 82. contorta, Bb. Britische Küste, Bb. VI. Subgenus: Leucoria. Nadeln theils einfach (linear), theils “Weischenkelig (hakenförmig), theils dreistrahlig, theils vierstrahlig. 244 ! Ernst?lfaeckel, (Der freie Strahl der vierstrahligen Nadeln ragt in die Magenhöhle, der äussere Theil der einfachen und der äussere Schenkel der hakenför- migen Nadeln über die äussere Oberfläche vor.) *83. L. echinoides, H. Gibraltar, H. *17. Genus: Soleniscus, nov. gen. Gattungs-Character: Magenhöhlen und deren Verbindungs- röhren fächerig, von unregelmässigen Scheidewänden durchzogen und dadurch in zahlreiche, communicirende Fächer zerfallend, in denen sich die Embryonen entwickeln (wie bei Clathrina). SpeciesvonSoleniscus (4): *84. S. loculosus, H. Australien. VI. Familia: Tarromida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock mit vielfach verflochtenen anastomosirenden Aesten und mit ru- dimentären, rückgebildeten Personen, deren rudimentäre Magenhöhlen sich gruppenweise durch gemeinsame Mundöffnungen öffnen. *18. Genus: Tarrus, nov. gen. Gattungs-Character: Ganäle inwendig einfach, glatt, mit . ebenem Entoderm, ohne Papillen und ohne innere Scheidewände. Species von Tarrus (5): *85. T. densus, H. Australien. 86. T. guancha, H. (Guancha blanca, var. D., M. M.) Lanze- rote, M. M. 87. T. reticulatus, H. (Nardoa reticulum, var. O. S.) Dalma- tien, O. S. 88. T. labyrinthus, H. (Nardoa labyrinthus, O. S.) Lesina, O. S. 89. T. spongiosus, H. (Nardoa spongiosa, KörLıker.) Nizza, EsrRTH. *49. Genus: Tarroma, nov. gen. Gattungs-Charakter: Canalwände inwendig zottig, dicht mit hervorragenden Papillen (Wucherungen des Entoderm) besetzt. Species von Tarroma (3): 90. T. canariense, H. (Nardoa canariensis, M. M.) Lanzerote, M. M. Prodromus eines Systems der Kalkschwämme, 245 91. T. rubrum, H. (Nardoa rubra, M. M.) Lanzerote, M. M 92. T. sulphureum, H. (Nardoa sulphurea, M. M.) Lanzerote, M. M. 20. Genus: Clathrina, Gray. Gattungs-Character: Canäle inwendig fächerig, nämlich durch unregelmässige Scheidewände (lamellöse Wucherungen des En- toderm) in zahlreiche, mit einander communicirende Fächer zerfallend, in denen sich die Bab omen befinden. Species von Clathrina (2): 93. C. sulphurea, Gray (Grantia clathrus, O. S.). Sebenico, O. S *94. C. loculosa, H. Australien. VII. Familia: Sycodendrida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock mit entwickelten Personen, deren jede eine e Mundöffnung besitzt, und deren Magenwände von reedega radialen Canälen (Radial-Tu- ’en) durchsetzt sind (wie bei den Sycariden). *21. Genus: Syeidium, nov. gen. Gattungs-Character: Mundöffnungen einfach, ohne Rüssel Si ohne Peristom- Krone. Magenhöhle der Personen ae nicht ächerig. Skelet wie bei Sycarium. Species von Sycidium (2): 95. : S. gelatinosum, H. (Aleyoncellum gelatinosum, BLAINVILLE), Fundort 2 Quoy et Gaimard. NS compressum, H. (Grantia compressa, Jonnston, Var. C.) "itische Küste, Norwegen. *22. Genus: Sycodendrum, nov. gen. Gattun gs-Character: Mundöffnungen ohne Rüssel, mit Pe- ri on-Krone ( (von einem Kranz von frei vorragenden Nadeln magab Asenhöhle der Personen einfach, nicht fächerig. Species von Sycodendrum (2): 97. . ramosum, H. Helgoland, H. "98.8, S. prosumbens, H. Australien. Ba. v, Ernst Haeckel, *93. Genus: Artynium, nov. gen. ° Gattungs-Character: Mundöffnungen einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom-Krone. Magenhöhle der Personen fächerig, von un- regelmässigen Scheidewänden durchzogen. Skelet wie bei Sycarium. Species von Artynium (4): 99. A. compressum, Gray. (Grantia compressa, Jouxsron, Var. D.) Norwegen. 24. Genus: Aphroceras, GRAY. Gattungs-Character: Mundöffnungen einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom-Krone. Magenhöhle der Personen fächerig, von unregel- mässigen Scheidewänden durchzogen. Skelet besteht aus einfachen, spindelförmigen Nadeln, welche der Längsaxe der Personen und des verzweigten Stammes parallel laufen und dicht aneinader gelagert einen festen, äusseren Panzer um das innere System der Radial- Caņnäle bilden (?). ' Species von Aphroceras (4): 100. A. alcicornis, Gray. Hong-Kong. Harran. VII. Familia: Sycothamnida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock mit entwickelten Personen, deren jede eine Mundöffnung besitzt und deren Magenwände von unregelmässigen , verästelten Parietal- Ga- nälen durchsetzt sind (wie bei den Dyssyciden). *95. Genus: Sycothamnus, nov. gen. Gattungs-Character: Personen des Stocks getrennt, nul durch ihre Stiele zusammenhängend. Mundöffnungen einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom-Krone. Species von Sycothamnus (4): *404. S. fruticosus, H. Rothes Meer, Sırmens. 26. Genus: Leuconia, GRANT. Gattungs-Character: Personen des Stocks mit dem grössten Theile ihrer Körperwand verwachsen; nur ihre Magenhöhlen und Mund- öffnungen getrennt. Mundöffnungen einfach, ohne Rüssel und ohne Pe- ristom-Krone. Prodromus eines Systems der Kalkschwämme. 247 Species von Leuconia (8): L. nivea, Bb. (Spongia nivea, Grant). Britische Küste. 3. L. Gossei, O. S. (Leucogypsia Gossei, Bb.) Normannische Inseln. 104. L. stilifera, O. S. Grönland. 105. L. algoensis, H. (Leucogypsia algoensis, Bb.) Algoa-Bay. 106. L. solida, O. S. (Grantia solida , var. socialis, O. S.) Dal- matien, O. S. III. Ordo: Coenosyca, H. Ordnungs-Character: Der reife Kalkschwamm bil- det ein G oenobium (einen aus mehreren Personen zusammengesetz- ten Stock mit einer einzigen gemeinsamen Mundöffnung). Körper ver- ästelt, mit überall verwachsenen und anastomosirenden Aesten, die Schliesslich in eine einzige Mundöffnung zusammenfliessen. - (Seltener \ verwachsen die Personen auch äusserlich zu einem massigen Klumpen, wie bei Coenostomella). IX. Familia: Nardopsida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock mit einer einzigen Mundöffnung, dessen Canalwände nur von Cinfachen Hautporen durchsetzt sind (wie bei den Olynthiden und Soleniseiden). 27. Genus: Nardoa, O. S. Gattungs-Character: Mundöffnung einfach, nicht in einen dünnhäutigen Rüssel verlängert. Species von Nardoa (2): 107. N. guancha, H. (Guancha blanca, var. C., M. M.) Lanze- rote, M. M. K 108. N. lacunosa, O. S. (Grantia lacunosa, Jonnsron). Britische üste, *28. Genus: Nardopsis, nov. gen. . Gattungs-Character: Mundöffnung in einen langen, dünn- “Äutigen Rüssel verlängert. Species von Nardopsis (2): "109. N. gracilis, H. Australien. 140. N. reticulum, O.S. (Nardoa reticulum, O. S.) Dalmatien, 0.8, Kir Ernst Haeckel, X. Familia: Coenostomida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock mit einer einzigen Mundöffnung, dessen Magenwände von un- regelmässig verästelten Canälen durchzogen sind. *29. Genus: Coenostomella, nov. gen. Gattungs-Character: Die Personen des Stockes sind zu einer einzigen Masse verwachsen, deren gemeinsame Mundöffnung in einen dünnhäutigen Rüssel verlängert ist, während die Magenhöhlen der Personen getrennt geblieben sind. Species von Goenostomella (4): *144. Œ. caminus, H. Antillen. IV. Ordo: Clistosyea, H. Ordnungs-Character: Der reife Kalkschwamm bil- det eine Person ohne Mundöffnung. (Der Körper erscheint meistens als eine eiförmige, sphäroide oder zusammengedrückte Blase, deren innerer Hohlraum nur durch Hautporen oder Parietal-Ganäle, aber durch keine grössere Oeffnung (Mund) mit der Umgebung com- munieirt; der Mund ist zugewachsen). XI. Familia: Clistolynthida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet eine Person ohne Mundöffnung, deren Körperwand von einfachen 'Hautpo= ren durchsetzt ist (wie bei den Olynthiden). *30. Genus: Clistolynthus, nov. gen. Gattungs-Charakter: Magenhöhle ganz einfach, ohye Fächer. Species von Glistolynthus (4): *442. C. vesicula, H. Honolulu. Haltermann. XI. Familia: Sycocystida. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet eine Person ohne Mundöffnung, deren Körperwand von regulären radialen Canälen (Radial-Tuben) durchsetzt ist (wie bei den Sycariden). *34. Genus: Sycocystis, nov. gen. Gattungs-Character: Magenhöhle ganz einfach, ohne Fächer. Prodromus eines Systems der Kalkschwänme. Species von Sycocystis (8): *143. S. oviformis, H. Helgoland, H. *444. S. compressa, H. Norwegen. 415. S. utriculus, H. (Ute utriculus, Var., O. S.) Grönland. *32. Genus: Artynella, nov. gen. Gattungs-Character: Magenhöhle fächerig, von unregel- Mmässigen Scheidewänden durchsetzt. Species von Artynella (3): "116. A. compressa, H. Norwegen. a "117. A. rhopalodes, H. Norwegen. 118. A. utriculus, H (Ute utriculus, Var., O. S.). Grönland. XII. Familie: Lipostomida, H. Familien-Gharacter: Der reife Kalkschwamm bildet eine Person ohne Mundöffnung, deren Körperwand von unregelmässigen Yerästelten Canälen durchsetzt ist (wie bei den Dyssyciden). *33. Genus: Lipostomella, nov. gen. Gattungs-Character; Magenhöhle ganz einfach, ohne Fächer. * 449. L. clausa, H. Mogador, H. * > 120. L. capsula, H. Algoa-Bay. Pont. I © D V. Ordo: Cophosyca, H. Ordnungs-Gharacter: Der reife Kalkschwamm bil- det einen Stock ohne Mundöffnun 8. (Der Körper erscheint “ütweder als ein verästeltes Strauchwerk oder als ein wurzelartiges Flechtwerk, aus der theilweisen Verwachsung, oder endlich als ein un- (örmlicher Klumpen, aus der totalen Verwachsung mehrerer Personen Sebildet. Stets sind die Magenhöhlen der Personen mehr oder weniger setrennt, während ihre Mundöffnungen obliterirt sind. XIV. Familia: Sycorrhizida, H. 5 Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen tock ohne Mundöffnung, dessen Canalwände von einfachen Hautporen durchsetzt sind. * t h . Genus : Sycorrhiza, nov. gen. Gattun gs-Character: Der mundlose Stock bildet ein wur- Zelarıi ši ai ET lar tiges Flochtwerk , zusammengesetzt aus communicirenden Röhren, 250 Ernst Haeckel, deren Innenwand glatt (nicht zottig) und deren Höhlung einfach (nicht fächerig) ist. Species von Sycorrhiza (2): 124. S. coriacea, H. (Leucosolenia coriacea,’ Bs.) Britische Küste. *422. S. corallorrhiza, H. Norwegen. *35. Genus: Aulorrhiza, nov. gen. Gattungs-Gharacter: Der mundlose Stock bildet ein wur- zelartiges Flechtwerk, zusammengesetzt aus communicirenden Röhren, deren Innenwand zottig (mit Papillen besetzt) und deren Höhlung ein- fach (nicht fächerig) ist. Species von Aulorrhiza (4): *123. A. intestinalis, H. Mogador. H. *36. Genus: Auloplegma, nov. gen. Gattungs-Character: Der mundlose Stock bildet ein wur- zelartiges Flechtwerk, dessen Aeste communicirende Röhren mit fäche- riger, von unregelmässigen Scheidewänden (Entoderm -Wucherungen) durchsetzter Höhlung sind. Species von Auloplegma (1): *424. A. loculosum. Australien. XV. Familia: Sycophyllida, H. Familien-Gharacter: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock ohne Mundöffnung, dessen Magenwände von regulären Radial- Canälen (Radial-Tuben) durchsetzt sind (wie bei den Sycodendriden). *37. Genus: Sycophyllum, nov. gen. Gattungs-Character: Magenhöhlen einfach, nicht fächerig. Species von Sycophyllum (): *125. S. lobatum, H. Norwegen. *126.S5. compressum, H. Norwegen. *38. Genus: Artynophyllum, nov. gen. Gattungs-ÜGharacter: Magenhöhlen fächerig, von unregel- mässigen Scheidewänden durchsetzt. Prodromus eines Systems der Kalkschwänme. Species von Artynophyllum: *497. A. compressum, H. Norwegen, H. XVI. Familia: Sycolepida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock ohne Mundöffnung, dessen Magenwände von unregelmässigen erästelten Parietal-Canälen durchzogen sind (wie bei den Dyssyciden). *39, Genus: Sycolepis, nov. gen. Gattungs-Character: Der Stock bildet eine flach ausgebrei- tete Rinde oder einen unförmlichen Klumpen, in dessen Parenchym die einfachen (nicht fächerigen ) Magenhöhlen der Personen zerstreut lie- gen, welche nur durch die verästelten Parietal- Ganäle USB gen und nur durch die Hautporen nach aussen münden. Species von Sycolepis (2): *128. S. incrustans, H. Norwegen. SCHILLING, *129. S. pulvinar, H. Indischer Ocean. SCHNEEHAGEN. VI. Ordo: Metrosyca, H. Ordnungs-Character: Der reife Kalkschwamm bil- det einen Stock, dessen constituirende (reife) Perso- nen oder Personen-Gruppen die Formen verschiedener Genera und selbst verschiedener Familien der Kalk- Schwämme zeigen. (Trotzdem die auf einem Cormus vereinigten Personen reif sind, d. h. Sporen oder Embryonen enthalten, und also Sich fortpflanzen,, zeigen dieselben so verschiedene Formen, dass man. Sie isolirt als Angehörige nicht allein verschiedener Species, sondern Sogar verschiedener Genera und Familien betrachten würde.) XVII. Familia: Thecometrida, H. : Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock , dessen constituirende Personen die Formen verschiedener Ge- Nera renien, und dessen Canalwände von einfachen Hautporen durchsetzt sind (wie bei den Solenisciden). i 40. Genus: Guancha, M. M. Gattungs-Character: Ganäle des Stockes einfach, inwendig Weder zoltig, noch fächerig. 252 IE Ernst Haeckel, Synoptische Tabelle über die Familien der Kalkschwämme mit vorwiegender Berücksichtigung der Individualitäts-Verhältnisse. I. Monosyca. Kalkschwamm eine Der= son mit einer Mundöff- nung. U. Polysyca. Kalkschwamm ein Stock. mit vielen Mundöffnun- gen. Magenwand solid, ohne Hautporen M. M. M. M. M. HEL Coenosyca. N Kalkschwamm ein Stock - mit einer Mundöffnung. | IV. Clistosyca. Kalkschwamm eine son ohne Mundöffnung. Per- < V. Cophosyca. Kalkschwamm ein Stock . ` ohne Mundöffnung. VI. Metrosyca. Kalkschwamm ein Stock, welcher aus Personen und Stöcken verschie- dener Arten und Gat- tungen zusammenge- setzt ist. und ohne: Parietal-Canäle. W. mit einfachen Hautporen. W. mit regulären radialen Parie- tal-Canälen. W. mit irregulären verästelten Parietal-Canälen. W. mit einfachen Hautporen. Stock mit entwickelten Personen. W. mit einfachen Hautporen. Stock mit rudimentären Per- sonen. . W. mit regulären radialen Parie- tal-Canälen. W. mit irregulären verästelten Parietal-Ganälen. . W. mit einfachen Hautporen. W. mit irregulären verästelten Parietal-Canälen. - W. mit einfachen Hautporen. . W. mit regulären radialen Parie- tal-Canälen. W. mit irregulären verästelten Parietal-Canälen. . W. mit einfachen Hautporen. |. W. mit regulären radialen Parie- tal-Ganälen. W. mit irregulären verästelten Parietal-Ganälen. . W. mit einfachen Hautporen. . W: mit regulären radialen Parie- tal-Ganälen. 40. AA. 12. 13. Ah, 15. 16. NT: 18, Prosycida. Olynthida. Sycarida. Dyss ; Soleniseida. Tarromida. Sycodendrida. Sycothamnida. Nardopsida. Goenostomida. Glistolynthida. Sycocystida. Lipostomida. Auloplegmida. Sycophyllida, Sycolepida. Thecometrida. Sycometrida. Prodromus eines Systems der Kalkschwämme. 253 II. Synoptische Tabelle über die Familien der Kalkschwämme mit vorwiegender Berücksichtigung der Canalisations-Verhältnisse. I. Aporeuta. Magenwand solid, ohne Hautporen und ohne Parietal-Canäle. N. Microporeuta. Magenwand mit einfachen Hautporen (Parenchym-. Tücken) , ohne Parietal- Canäle. UL. Ortho poreuta, Magenwand mit geraden, tegelmässigen, radialen Bani AER Parietal-Canälen. IV. Clado poreuta. ‘ Magenwand mit ungera- den, unregelmässigen, Verästelten Parietal-Ca- nälen. . Person mit einer Mundöfl- nung. Eine Eine Person mit einer Mundöfl- nung. Personen entwik- kelt, alle mit Mund- öffnung. Personen rudimen- tär, viele ohne Mundöffnung. Ein Stock mit einer Mundöffnung. Eine Person ohne Mundöffnung. Ein Stock ohne Mundöffnung. Ein Stock, welcher aus Personen und Stöcken verschied. Gat- tungen zusammengesetzt ist. Eine Person mit einer Mundöfl- nung. Ein Stock mit vielen Mundöffnung. Eine Person ohne Mundöffnunge. Ein Stock ohne Muudöffnung. Ein Stock, welcher aus Personen und Stöcken verschied. Gat- tungen zusammengesetzt ist. Eine Person mit einer Mundöfl- nung. Ein Stock mit vielen Mundöffnung. Ein Stock mit einer Mundöffnung. Eine Person ohne Mundöffnung. Eine Stock ohne Mundöffnung. Ein Stock mit vielen Mund- öffnungen Prosycida. Olynthida. . Soleniscida. . Tarromida. . Nardopsida. 1. Glistolynthida. Auloplegmida. . Thecometrida. Sycarida. . Sycodendrida. . Sycocystida, S ycophyllida. Sycometrida. Dyssycida. . Sycothamnida, . Coenostomida. . Lipostomida. . Sycolepida. Ernst Haeckel, Prodromus eines Systems der Kalkschwänme. Species von Guancha (1): 130. G. blanca, M. M. Lanzerote. M. M. (Der Stock trägt in seiner höchsten Entwickelungs-Form auf sich vereinigt Formen von vier Gattungen, nämlich: 4. Olynthus, 2. Leucosolenia, 3. Tarrus, 4. Nardoa.) * 41. Genus: Thecometra, nov. gen. Gattungs-Character: Ganäle des Stockes fächerig , inwendig von unregelmässigen Scheidewänden durchsetzt. Species von Thecometra (1): *431. T. loculosa, H. Australien. (Der Stock trägt in seiner höchsten Entwickelungsform auf sich vereinigt Formen von drei Gat- tungen, nämlich: 1. Soleniscus, 2. Glathrina, 3. Auloplegma). XVII. Familia: Sycometrida, H. Familien-Character: Der reife Kalkschwamm bildet einen Stock, dessen constituirende Personen die Formen verschiedener Ge- nera repräsentiren, und dessen Ganalwände von regulären radialen Ganälen (Radial-Tuben) durchsetzt sind (wie bei den Sycodendriden). *42. Genus: Sycometra, nov. gen. . DY © Gattungs-Gharacter: Mundöffnungen der Personen einfach, ohne Rüssel und ohne Peristom-Krone. Skelet wie bei Sycarium. Species von Sycometra (14): "132. S. compressa, H. Norwegen. (Der Stock trägt in seiner höchsten Entwickelungsform auf sich vereinigt Formen von acht Gat- tungen, nämlich: I. Sycarium, 2. Artynas, 3. Sycidium, 4. Astynium, 5. Sycocystis, 6. Artynella, 7. Sycophyllum, 8. Artynophyllum.) Bemerkungen über Cypridina. Von Fritz Müller. Mit Tafel VII u. IX. Die folgenden Bemerkungen über Cypridina stützen sich auf die Untersuchung von drei Arten, die bei Desterro in der Nähe des Stran- des gefangen wurden. Zwei derselben, Cypridina Agassizii ur 13—26)- und G. nitidula (Fig. 9—12), tragen Kiemen und Schliessen sich im Bau der Gliedmaassen an Gru»e’s C. oblon ga an. Die dritte, C-Grubii (Fig. 1—8), ist kiemenlos und erinnert durch as auffallend lange Endborsten der Fühler an Philomedes lon- SicornisLilj. — Ich behalte für alle drei, wie überhaupt für alle Muschelkrebse, die seitliche Augen und die bekannten »geringelien An- hängen besitzen, den Namen Cypridina bei; denn so lange nicht der ‚Bau der Gliedmaassen bei der Mehrzahl der bekannten Arten so weit er- forscht ist, dass man den systematischen Werth der einzelnen Merkmale und die verwandtschaftlichen Beziehungen der einzelnen Arten mit einiger Sicherheit übersehen kahn, erscheint mir die Spaltung der Gat- lung verfrüht. 1. Der griffelförmige Stirnanhang. Grue sah bei Cypridina oblonga einen dünnen, griffelförmi- sen, zweigliedrigen Anhang, der ihm innen am Grunde der Fühler zu Sitzen schien, jedoch nur einmal, und zwar auf der rechten Seite be- Merkt wurde!. Ueber dessen Bedeutung blieb er im Ungewissen. — Einen ähnlichen Anhang besitzen die von mir beobachteten Cypridinen. Fee A) Archiv für Naturgesch. XXV, Bd. 1, S. 332. — Taf, XIL Fig. 5,0, Fig. 4,a. 256 Fritz Müller, Er ist in der That nur einmal vorhanden, entspringt aber nicht vom Grundgliede der Fühler, sondern in der Mittellinie, dicht unter dem grossen unpaaren Auge. Von besonderer Länge, fast so lang wie der Endschenkel der knie- förmigen Fühler, ist der griffelförmige Anhang bei Cypridina Gru- bii (Fig. 2,a Fig. 3.) Wie bei C. oblonga besteht derselbe aus zwei Abtheilungen oder Gliedern. Das Grundglied ist etwas kürzer und dicker als das Endglied und seine Haut derber; gegen das Ende ist es schwach kolbig angeschwollen. Man erkennt in seinem Innern Längs- streifung, die wohl von zarten Fasern herrührt und zwischen den Fa- sern sind in dem kolbig verdickten Theile feine Körnchen eingelagert (Fig. 3a). Das zarthäutige Endglied, das sich gegen die Spitze schwach verjüngt. und abgerundet endet, hat einen ganz wasserhellen Inhalt. Bei Cypridina Agassizii hat der griffelförmige Anhang (Fig. 20 a Fig. 21) etwa die halbe Länge des Endschenkels der Fühler. Er sitzt auf einem besonderen Vorsprunge dicht unterhalb des mittleren Auges; seine beiden Glieder sind von etwa gleicher Länge, das Grundglied aber ist nur halb so dick als das Endglied , gegen das Ende halsartig einge- schnürt und am Grunde mit einem doppelten Kranze zartester Härchen umgeben. Das Endglied ist am Grunde bauchig angeschwollen und nach dem abgerundeten Ende zu schwach verjüngt. Bei Gypridina nitidula erschien, an einem in Holzessig ge- tödteten Thiere, der Anhang als einfacher ungegliederter, am Grunde etwas verdickter Stab mit abgerundeter Spitze. Man wird diesen Stirnanhang der Gypridinen als Sinneswerkzeug betrachten dürfen; welcherlei Empfindungen es vermittle, darüber wage ich keine Vermuthung. Ein »frontales Sinnesorgan«, das freilich nur in seiner Lage mit dem der Oypridinen übereinstimmt, wurde be- kanntlich von Graus bei verschiedenen Gopepoden nachgewiesen !. 2. Die Putzfüsse. Die Gypridinen besitzen jederseits etwa in der Mitte der Körper- länge einen langen, dünnen, »geringelten Anhang,« (Fig. 15 h, Fig. 19), der nach dem Rücken in die Höhe steigt und gegen die Spitze hin mehr oder minder zahlreiche, steife, spitze Borsten trägt, welche ihrerseits wieder mit kurzen, spitzen Dörnchen besetzt sind. Miye Epwarns deutete diese Anhänge als »pattes oviferes«? und alle späteren Beobach- 4) Craus, die freilebenden Copepoden. S.55. Taf. XXXI, Fig. 17. 2) Mine Eowarns, Hist. nat. des Crustacés. Explication des Planches, pag. 28. Bemerkungen über Cypridina. 257 ter, die sich überhaupt über deren Verrichtung ausgesprochen haben, sind ihm in dieser Deutung gefolgt; so Bap, GrusE und Craus. GRUBE erinnert dabei van das ganz ähnlich gebildete Organ, welches beim Weibchen von Limnetis brachyurus als Rückenast des 9. und 10. Fusspaars auftritt und hier nicht zum Halten, sondern zum Tra- gen der Eier dient, indem sie sich um dasselbe zu einem Klumpen backen«. — Eier hat freilich Niemand weder an diesen veiertragenden Füssen«, noch überhaupt innerhalb der Schale von Cypridina gesehen, und so hätte man sich wenigstens wie Gruse auf eine blosse Vermu- thung beschränken und nicht wie Andere jene Deutung als ausgemachte Thatsache hinstellen sollen. Bekanntlich wurde bei Cypris dem letzten Fusspaare ebenso all- gemein und ebenso ohne jede thatsächliche Begründung dieselbe Lei- stung zugeschrieben, bis W. Zenker die jedenfalls richtigere Ansicht aussprach, dass diese ebenfalls aufwärts gebogenen, sehr beweglichen Füsse dazu dienen, »die grosse Kiemenplatte mit ihren gefiederten Haa- ren zu reinigen«. t Das hätte auch für die geringelten Anhänge der Gy- Pridinen auf den rechten Weg leiten können. Dieselben sind in der That nichts Anderes als Putzfüsse. Beobachtet man eine lebende Cypridina nitidula oder eine €. Agassizii mit nicht zu undurch- Sichtiger Schale, so sieht man die geringelten Anhänge, die mit ihrem meist rechtwinklig abstehenden Borstenbesatz fast wie die Bürsten aus- sehen, deren man sich zum Reinigen von Glascylindern bedient, in fast ununterbrochener, lebhafter Bewegung. Einem Ringelwurm vergleich- bar, der aus seiner Röhre weit vorgestreckt nach allen Seiten umher- tastet, kriechen sie und biegen sie sich nach allen Richtungen ; nament- lich an den Kiemen und in deren Umgebung fegen sie und putzen sie fleissig hin und her. Mit den Eiern, die allerdings wenigstens bei €. Agassizii innerhalb der- Schale der Mutter sich entwickeln, haben sie nichts zu schaffen. Sie sind bei beiden Geschlechtern in völlig gleicher Weise ausgebildet. Ich habe die »geringelten Anhänge« Putzfüsse genannt und da- mit schon ausgesprochen, dass ich sie als ein Gliedmaassenpaar be- trachte ; auch von MıuLne Epwarps, Bap und Dana werden sie als Füsse bezeichnet (pattes oviferes, oviferous feet, pes ad ova pertinens). GRUBE, der sie, wie ‚erwähnt, dem Rückenast des 9. und 10. Fusspaares der weiblichen Limnetis vergleicht, sagt von ihnen: »Bei Cypridina Scheint es gar nicht mehr zur Bildung einer freien Fussplatte zu kom- men und blos dieser Anhang ausgebildet zu sein.« Gegen diese Auf- 4\ W. Zenker, Studien über die Krebsthiere. S. 47. 258 Fritz Müller, fassung ist einzuwenden, dass die hinteren Füsse der Muschelkrebse (Cypris, Gythere) gar keinen Rückenast, sondern überhaupt nur eine einzige Gliederreihe besitzen, also ihr gar nicht vorhandener Rückenast sich nicht wohl in den geringelten Anhang umwandeln;konnte. Zu- dem ist auf den Vergleich mit den Eierträgern der Phyllopoden kaum Gewicht zu legen, da die Aehnlichkeit der letzteren mit den Putzfüssen der Cypridinen sich darauf beschränkt, dass beide nach oben gerichtet sind; im Uebrigen ist ihr Bau so verschieden, als ihre Verrichtung ; jene sind ungegliederte, nackte Fäden, diese in zahlreiche Ringe geglie- dert und mit ansehnlichen Borsten bewahrt. Nach Graus ! »erscheint das letzte Extremitätenpaar der Muschelkrebse nach dem Rücken zu _ emporgerichtet, verkümmert zuweilen und wird in seiner Leistung durch einen gekrümmten, geringelten Faden ersetzt, welcher zum Tragen der Eier unterhalb der Schale dient (Gypridina).« Danach scheint Graus, wenn ich ihn recht verstehe, die »geringelten Fäden« nicht als das um- gewandelte Fusspaar, sondern als ein selbständig entstandenes Gebilde zu betrachten, das die Arbeit des verloren gegangenen Fusspaares übernommen hat. Man würde bei dieser Ansicht sich die Verkümme- rung des Fusspaares als Folge der Ausbildung der geringelten Fäden denken können , die seine Arbeit besser verrichteten und es dadurch entbehrlich machten, etwa wie bei einigen Acanthaceen (Mendozia) der Kelch verkümmert, weil er durch die Deckblätter entbehrlich ge- macht worden ist. Einfacher jedoch und natürlicher scheint mir die Annahme, dass die geringelten Anhänge der Cypridinen nichts Anderes sind, als eben das umgewandelte letzte Fusspaar der Muschelkrebse. Bei Gythere sehen wir dieses Fusspaar in seiner ursprünglichen Form und Verrich- tung, dem vorhergehenden gleichend, abwärts gerichtet, der Ortsbewe- gung dienend. Bei Cypris ist dasselbe Fusspaar schon nach hinten und oben gebogen und zu einer neuen Leistung verwendet, doch im Bau noch sehr wenig verändert; nur sind seine Glieder länger, schmäch- tiger geworden und haben, wie mir scheint, eine bedeutend grössere Beweglichkeit erlangt; auch die Endklaue ist sehr beweglich und bis- weilen (nach Zenger) kammartig gezähnt. Bei Gypridina sind die Putzfüsse in hohem Grade für ihre neue Verrichtung vervollkommnet worden; ihre Beweglichkeit ist aufs Höchste gesteigert, indem ihre Glieder in zahlreiche Ringel zerfallen sind, wie es jaauch mit einzelnen Gliedern an verschiedenen Fusspaaren mancher Garneelen (Lysmata, Stenopus) der Fall ist, und statt der spärlichen Borsten von gewöhn- 4) CuAaus, Grundzüge der Zoologie, 4866. S. 208. Bemerkungen über Cypridina. lichem Bau, die sich bei C ypris finden, sind sie mit einer vortrefl- lichen Bürste ausgerüstet. Bei dieser Gelegenheit darf ich wohl darauf hinweisen, dass treff- lich ausgerüstete Putzfüsse auch unter den höheren Krustern, bei Por- cellana, Hippa und Pagurus vorkommen. Es sind dieses die eben- falls nach dem Rücken in die Höhe geschlagenen, aus dünnen, sehr beweglich mit einander verbundenen Gliedern gebildeten Füsse des letzten Brustringes, die man bisher allgemein als »verkümmerte (MILNE Epwarns, TroscHeL, Voer, GERSTAECKER, Craus etc.), »scheinbar über- flüssige« (Voer) Anhänge betrachtet hat. Ich wurde auf ihre Bedeutung zuerst aufmerksam bei einer Porcellana (Polyonyx Greplinii F.M.), die sich in der Röhre von Chaetopterus aufhält und welcher wegen des reichlichen Schleimes, den ihr Wirth absondert, Reinlichkeit be- sonders Noth thut. Ich hielt ein eiertragendes Weibchen dieser Art einige Zeit lebendig und dieses liess die durch Länge und Beweglich- keit ausgezeichneten Putzfüsse fast nie ruhen ; bald senkte es sie tief in die Kiemenhöhle, bald kehrte es seinen Rücken ab, und bald fuhr es damit zwischen den Eiern herum wie ein Bäcker, der Teig knetet. Spä- ter habe ich auch bei anderen Porcellanen, bei Hippa und bei Pagurus die Putzfüsse in Thätigkeit gesehen; sie dienen bei diesen Thieren hauptsächlich zum Reinigen der Kiemenhöhle. Ihre letzten Glieder sind sehr reichlich mit mannichfach gestalteten Borsten besetzt, die Bürsten, Kämme ete. darstellen; bei Hippa sind ausserdem an diesen Putzfüs- sen die Innenränder der Scheere sehr zierlich gezähnelt. Wäre man nicht gewöhnt gewesen, die Bezeichnung »rudimentär« und andere, die früher eine nur bildliche Bedeutung hatten, eben deshalb ziemlich leichtfertig und gedankenlos anzuwenden, so hätte der erste Blick auf ihre prächtige Beborstung überzeugen müssen, dass man in diesen Putzfüssen der Anomüuren nicht verkümmerte Füsse vor sich habe, sondern im Gegentheil für eine besondere, sehr wichtige Verrichtung umsgestaltete und zu grosser Vollkommenheit ausgebildete Gliedmassen. Bei den Krabben, die keine besonderen Putzfüsse haben, wird, beiläufig bemerkt, die Reinigung der Kiemen durch die in der Kiemenhöhle spielenden Anhänge der Kieferfüsse besorgt, deren Bor- stenbesatz eine reiche Musterkarte verschiedener Kammformen bietet. 3. Die Riechfäden und Spürborsten der Fühler. Die Fühler (antennes supérieures pediformes M. Epw.) sind bei verschiedenen Arten von Cypridina in verschiedener Weise geglie- dert und mit Borsten ausgerüstet; selbst die beiden Geschlechter der- 260 Fritz Müller, selben Art zeigen Verschiedenheiten in dieser Beziehung und mehr noch in der Ausbildung der Riechfäden. Von Cypridina Grubii habe ich nur Männchen gesehen. Die Fühler (Fig. 2,b. Fig. 4) zeigen sechs deutliche Glieder ; das erste ist wie gewöhnlich borstenlos und bildet mit dem folgenden ein Knie; das zweite und dritte tragen nur wenige kurze Borsten; am Ende des vier- ten stehen, und zwar an der-Unterseite, drei längere, gerade, einfache Borsten und über ihnen die Riechfädenborste (Fig. 4,a). Diese ist mehr als doppelt so lang als die beiden Endglieder des Fühlers zu- sammen und läuft wie eine gewöhnliche Borste in eine feine dunkelge- randete Spitze aus; ihr unteres Drittel ist spindelförmig verdickt und das zweite Sechstel ihrer Länge an der Unterseite mit einem dichten Büschel zahlreicher Riechfäden besetzt, deren Länge etwa der halben Länge der Borste gleichkommt. Am Ende des letzten Fühlergliedes stehen 5 (oder 6?) grössere Borsten, von denen 4 eine besondere Er- wähnung verdienen. Zwei derselben (Fig. 4,y) laufen nämlich nicht in eine scharfe, dunkelrandige Spitze aus, sondern in einen walzenför- migen, am Ende abgerundeten, sehr zarthautigen Faden, der ganz das Aussehen eines Riechfadens hat. Die beiden anderen Borsten (Fig. 4,0) zeichnen sich durch ihre grosse Länge aus, welche die des ganzen Füh- lers übertrifft; in der ersten Hälfte ihrer Länge trägt jede derselben eine Reihe von sieben kurzen Haaren; die beiden ersten sind gewöhn- liche Haare, die fünf folgenden zartwandig, Riechfäden ähnlich. Beim Männchen vonGypridinaAgassizii (Fig. 20,5) ist die Glie- derung der Fühler ziemlich dieselbe, wie bei G. Grubii, nur sind das 3. und 6. Glied auf der Unterseite mit einander verschmolzen ; oberhalb sind sie deutlich geschieden ; an den Seiten verläuft die Grenzlinie, all- mählich undeutlicher werdend, schief nach unten und hinten. Die Bor- sten am Ende des Fühlers scheinen von einem besonderen, ganz kur- zen siebenten Gliede getragen zu werden. — Der Riechfädenbü- schel (Fig. 20,d. Fig. 22) steht an derselben Stelle wie beiC. Gru bii und ist so mächtig und eigenthümlich entwickelt, dass man ihn auf den ersten Blick eher für einen besonderen Ast des Fühlers, als für eine um- gewandelte Borste nehmen möchte. Es fehlt nämlich das nackte Ende der Borste, welches dieselbe bei C. Grubii sofort als solche erkennen lässt; der spindelförmig geschwollene Theil, hier allein vorhanden, reicht etwa bis zum Ende des Fühlers; seine grösste Dicke kommt etwa einem Viertel seiner Länge gleich. Seine Wand ist dick, stark und unregelmässig quer gerunzelt. Die Riechfäden stehen in etwa sechs Gruppen am oberen, in etwa fünf am unteren Rande; auch die Spitze gabelt sich in mehrere Riechfäden. Nach aussen und hinten vom Riech- Bemerkungen über Cypridina. 261 fädenbüschel steht eine gewöhnliche Borste. Am Ende des sechsten Gliedes und zwar an der Unterseite steht eine starke Borste, die am Ende in zwei kurze, dünnwandige Fäden mit abgerundeter Spitze aus- läuft. — Unter den Endborsten des Fühlers sind hervorzuheben: eine starke, klauenastige Borste (Fig. 17,e) mit leicht aufwärts gebogener Spitze, etwa so lang wie das 5. und 8. Glied zusammen, und eine Borste (Fig. 47,7), die dünner als die übrigen ist und in einen zarthäu- tigen Faden mit abgerundeter Spitze ausläuft. Beim Weibchen von Gypridina Agassizii (Fig. 17) steht an der Stelle des Riechfädenbüschels eine gewöhnliche Borste (Fig. 17,0); am Ende des folgenden Gliedes (wahrscheinlich dem 5. und 6. des Männchens entsprechend) findet sich an gleicher Stelle, wie am 6. Gliede des Männchens, eine ähnliche Borste wie bei jenen, die aber am Ende in drei (bisweilen vier?) Fäden sich spaltet. (Fig. 17,8). Die Endbor- Sten gleichen denen des Männchens; doch sah ich nur an einer dersel- ben, die durch Sförmige Krümmung sich auszeichnet (Fig. 17,6), drei kurze, blasse, seitliche Fäden, während solche beim Männchen zahl- reicher vorkommen. Bei dem Weibchen von Cypridina nitidula ist die Beborstung der Fühler (Fig. 11) fast ganz wie bei C. oblonga Gr. — Bei letzterer Sind das dritte und vierte Glied der Fühler von C. Grubii und C. Agassizii in eins verschmolzen; bei €. nitidula verschmelzen damit auch noch die beiden folgenden Glieder. Dagegen ist das End- glied (beim Männchen von €. Agassizii das 7.) sehr deutlich abgesetzt. Die Riechfädenborste ist dicker und kürzer, die sechs Riechfäden an deren Ende dagegen viel länger, als beiC. oblonga. Unter den End- borsten läuft, wie bei C. Agassizii, eine (Fig. 11,y) in eine riechfa- denähnliche Spitze aus. Bei einem Männchen (Fig. 9), das vermuthlich zu derselben Art gehört, bildeten die Riechfäden ein dichtes Büschel wie bei C. Agas- Sizii, während zwei der Endborsten ungemein verlängert sind, wie bei €. Grubii. Ich kann mich nicht entsinnen, bei anderen Krustern Fächer oder Büschel von Riechfäden am Ende oder an der Seite gewöhnlicher Bor- -Sten gesehen zu haben.’ Die Endborsien mit zarthäutigem Endfaden, dessen abgerundete Spitze bisweilen das Licht etwas stärker bricht, Sind gewöhnlichen Riechfäden schon ähnlicher. Was schon Graus als Wahrscheinlich aussprach, dass die Riechfäden »morphologisch den dunkel contourirten Haaren und Borsten entsprechen möchten !,« wird A) Claus, die freilebenden Copepoden. 4863. S. 53. Bd. V. 2. 262 Fritz Müller, durch ihr Verhalten bei Cypridina zur Gewissheit. — Ebenso eigen- thümlich sind die zarten, seitlichen Fädehen an einzelnen Endborsten, namentlich an den beiden langen Borsten der C. Grubii. Diese langen Endborsten, die LıLsegors als Gattungsmerkmal verwerthet, dürften eine Eigenthümlichkeit des männlichen Geschlechtes sein und als Spü r- borsten beim Aufsuchen der Weibchen dienen ; ich habe sie wenig- stens nur bei männlichen Thieren gefunden!. k. Die Schwimmfüsse (pattes natatoires« M. Enw. »Aeus- sere Antennen« GRUBE). Zunächst ein Wort über die Benennung dieses Gliedmaassenpaares, für welches ich die ältere Bezeichnung von Mine Epwarps beibehalte, trotzdem kein Zweifel darüber obwalten kann, dass es dem zweiten Fühlerpaare der höheren Kruster entspricht. — Es mag zweckmässig | scheinen , einander entsprechende (homologe) Theile überall mit glei- l chem Namen zu belegen , obwohl ich nichts Uebles darin finden kann, dass wir beim Fisch von Brustflossen, beim Vogel von Flügeln, beim Hunde von Vorderbeinen, beim Menschen von Armen reden. Will man aber gemeinsame Bezeichnungen für Reihen entsprechender Theile einführen, so sollten dieselben so gewählt sein, dass sie entweder über- haupt nichts über deren Verrichtung aussagen, oder wenigstens von der ursprünglichen Verrichtung derselben ausgehen. Es liesse sich etwa rechtfertigen, die Flügel der Vögel als Vorderbeine zu bezeichnen; es wäre geradezu lächerlich, die Vorderbeine des Hundes Flügel zu nennen. Und ganz ebenso wie die Flügel umgewandelte Beine , nicht aber die Beine umgewandelte Flügel sind, so sind auch die Fühler derKruster umgewandelte Schwimmfüsse, nicht aber die Schwimmfüsse von Cypridina, Daphnia etc. umgewandelte Fühler. Es scheint mir daher 4) Man erinnert sich, dass bei den Männchen einiger anderen Kruster die hin- teren Fühler ausserordentlich verlängert sind ; so bei den C umaceen und einigen Hyperinen (den Hyperiensanorma les M. Epw.) Dabei sind diese Fühler so dünn und muskelschwach, dass sie nicht zum Halten, sondern offenbar nur zum Aufspüren der Weibchen dienen können. Beachtenswerth ist, dass dieselben Füh- ler, die bei den Männchen so ungewöhnlich verlängert sind, bei den Weibchen 80- wohl der CGumaceen, als der Hyp6riens anormales verkümmern, oder s0- gar (in der Gattung Brachyscelus Sp. Bare) ganz fehlen. Ohne dies Verhalten damit vollständig erklären zu wollen, will ich darauf hinweisen, dass die Männchen diese Fühler nur dann in den ausschliesslichen Dienst des Geschlechtslebens ziehen konnten, wenn ihnen keine anderweitige wichtige Leistung oblag. In diesem Falle aber, wenn sie anderweitig entbehrlich waren, konnten sie bei den Weibchen leichl verkümmern. Bemerkungen über Cypridina. 263 verkehrt, sie Fühler (Antennen) zu nennen, blos weil sie bei andern Krustern zu Fühlern geworden sind !. Das dicke, muskelreiche Grundglied und die langborstige Geissel der Schwimmfüsse (Fig. 2, Fig. 15, Fig. 20,c) wiederholen sich in Pr: sehr sleichförmiger Weise bei allen Cypridinen; um so mannichfacher gestaltet sich nach Art und Geschlecht der innere oder Nebenast dieser Füsse. Er wurde von Baıp vermisst bei C ypridinaBrendae?; win- zig und ungegliedert fand ihn Grusz bei C. oblonga; zweigliedrig, mit zwei kurzen, gekrümmten Endklauen ist er nach Bamp bei C. Mac Anpreı3. Die von Bap und Grüne untersuchten Thiere waren vermuth- lich Weibchen. Zweigliedrig ist der Nebenast auch bei dem Weibchen von Cypridina Agassizii (Fig. 20,7); das erste Glied ist kurz, das *weite reichlich dreimal so lang, fast so lang, wie das dicke Grundglied des Fusses, es ist mit zarten Härchen besetzt, gegen das Ende verjüngt und trägt eine einzige, ihm an Länge etwa gleichkommende Endborste. Bei den Männchen von Cypridina Agassizii (Fig. 23,y), und C. Grubii (Fig. 5), sowie bei dem vermüthlich zu €. nitidula ge- hörigen Männchen ist dieser Nebenast der Schwimmfüsse dagegen drei- Sliedrig und bildet ein Greifwerkzeug, indem das Endglied sich klauen- artig gegen das zweite Glied einschlägt. Bei C. Agassizii und niti- dula ist das Endglied um etwa ein Drittel kürzer, bei C. Grubii fast eben so lang, als das zweite Glied; bei den beiden ersten Arten ist das Endglied nach der scharfen Spitze zu verjüngt und hat einen glatten Greifrand ; bei C. Grubii ist es in ganzer Länge gleich breit, gegen das Ende stark gekrümmt, am Ende abgerundet und sein Greifrand ist mit einigen Höckerchen besetzt. In der Nähe des Gelenkes trägt das Endglied auf der Aussenseite eine Borste, die bei Cypridina Gru- ii nur kurz, bei. Agassizii länger als das Endglied selbst und Noch länger bei C. nitidula ist. 5. Die Kinnbackenfüsse. Pedes mandibulares« Dana. »Mandibelpalpen« Grune. (Fig. 6. Fig. 12. Fig. 15,d. Fig. 20,d. Fig. 24 und 25.) Für Füsse, die an ihrem Grundgliede einen dem Kinnbacken der Ben 1) Wenn Mine Epwaros (Hist. nal. des Crust. II. pag.: 444) von den Copepo- Sagt: »les antennes... de la seconde paire manquent quelquefois et sont d’au- tres fois transformées enrame s,« so ist Letzteres, wie wir jetzt durch CGravs _ Wissen, geradezu falsch; sie sind gerade in diesem Falle nicht umgewandelt, Sondern haben ihre ursprüngliche Form und Verrichtung beibehalten. 2) Barro, Nat. Hist. of the British Entomostraca, S.482. Tab. XXIII, Fig. 6. 3) Bawo, a. a. O. S. 180. Taf. XXII, Fig. 6. den 48* 264 Fritz Müller, höheren Kruster entsprechenden Kaufortsatz tragen, ist wohl kein rei fenderer Name zu finden, als der ihnen von Dana beigelegte der Kinn- backenfüsse (pedes mandibulares). Grupe hat das, was ich mit Dana und Craus Kinnbacken füsse nenne, Kinnbackentaster (oder vielmehr in wissenschaftlicherem Deutsch: »Mandibelpalpen«) genannt und noch andere wahrschein- lich den beiden folgenden Gliedmaassenpaaren zugehörige Theile als »sichelförmigen Anhang« (Fig. 15,e) und »Mandibellade« (Fig. 15,0) dem- selben Fusspaare zugerechnet. Letzteres ist schon aus dem Grunde nicht gerechtfertigt, weil die Kinnbackenfüsse alle Theile wirklich be- sitzen, auf die sie irgend rechtmässiger Weise Anspruch machen kön- nen. Aber auch abgesehen davon ist die Bezeichnung Kinnbackentaster nicht passend. Beiden Nauplius der Copepoden wie der höheren Kruster (Peneus) sind die Gliedmassen des dritten Paares zweiästige Schwimmfüsse ; im Grundgliede derselben entsteht später ein Kaufort- satz, der Kinnbacken (Mandibel). In diesem Zustande verharren sie hei den Muschelkrebsen und vielen Copepoden. Bei diesen Thieren ist also, wie Craus * richtig hervorhebt, der sogenannte Taster »der pri- märe Theil und nichts Anderes, als der Larvenfuss selbst, während wir den Kautheil als ein secundäres Product des basalen Gliedes anzusehen haben«. — Die Nauplius von Peneus verlieren nun beim Uebergang in die Zo&a-Form diesen »Taster« vollständig; es bleibt ihnen nur der anhanglose Kautheil. Ebenso sind die Kinnbacken aller unmittelbar dem Ei entschlüpfenden Zosa stets tasterlos. Erst in weit späterer Zeit sprosst bei vielen höheren Krustern aus dem anhanglosen Kinnbacken wieder ein Taster hervor.. Hier ist also der Kautheil das Frühere, der Taster das später Entstehende, gerade umgekehrt wie bei den Muschelkrebsen und Gopepoden. Möglich wäre es nun allerdings, dass dieser Taster nichts Anderes ist, als der wie- der erschienene und zu einem neuen Dienste verwandte Schwimmfuss des Nauplius, dass also die »Mandibelpalpen« der höheren und niede- ren Kruster wirklich homolog sind. Es ist ja nichts Seltenes, nament- lich bei Pflanzen, dass längst verlorene Theile gelegentlich wiederer- scheinen und auch dafür, dass solche wiedererschienene Theile aufs Neue durch natürliche Züchtung befestigt und zu einer bleibenden Eigenthümlichkeit der Art werden, könnte ich wenigstens ein schlagen- des Beispiel geben. — Ebenso möglich ist es aber, dass der gegliederte Anhang am ;Kinnbacken der höheren Kruster eine Neubildung ist, die mit dem Schwimmfusse des Nauplius in keinem Zusammenhang 1) Craus, die freilebenden Copepoden, S. 26. Bemerkungen über Cypridina. 265 steht. Neue Gliederreihen haben sich ja an den ursprünglich einfachen vorderen Fühlern vieler höheren Kruster entwickelt. — Die Bezeich- nung des dritten Gliedmaassenpaares der Cypridinen als Kinnbacken- taster (Mandibelpalpe) ist daher voreilig, wenn dadurch ausgedrückt werden soll, dass es dem Kinnbackentaster der höheren Kruster ent- - spricht; denn diese Annahme ist unerwiesen und wie mir scheint un- erweisbar. Wäre sie erwiesen, so würde die Bezeichnung dennoch verkehrt sein, weil nicht die Taster der höheren Kruster, sondern die »Schwimmfüsse des Nauplius und die ihnen noch so ähnlichen Kinn- backenfüsse der Gypridinen die ursprüngliche Form darstellen. Un- passend wäre endlich der Name »Taster« auch, wenn er die Leistung dieser Gliedmaassen bezeichnen sollte, die offenbar mehr mit der Orts- bewegung des Thieres und dem Herbeischaffen der Nahrung, als mit dem Betasten zu thun haben. Nach alledem darf wohl die Bezeichnung »Mandibelpalpen« als ungeeignet zurückgewiesen werden. Wie Zenker bei Cypris und Gythere, Baırn bei Gypridina Brendae und Gkuse bei C. oblonga, zähle auch ich an den Kinn- backenfüssen fünf Glieder. Das kurze erste Glied trägt bei Cypridina Agassizii und ni- tidula einen säbelförmigen, nach innen und oben gerichteten Fortsatz, den Kinnbacken. (Fig. 42,œ. Fig. 25). — Bei €. Grubii habe ich denselben nicht gesehen. Der gewölbte Rand des säbelförmigen Kinn- backens ist bei C. Agassizii (Fig. 25) in seiner unteren Hälfte mit mehreren (vier) Gruppen kurzer, steifer Haare besetzt, in seiner oberen Hälfte mit sechs zahnartigen Vorsprüngen versehen, von denen der un- terste ziemlich lang und scharf, die beiden obersten ganz flach und stumpf sind. Die Spitze des Kinnbackens ist abgerundet und trägt zwei Borsten, die eine kürzer, dicker, gerade, blass, die andere eine gewöhnliche Borste, länger, dünner, gebogen. Unter der Spitze findet sich am gewölbten Rande des Kinnbackens ein flacher Ausschnitt, der mit feinen Härchen besetzt ist und an seinem oberen Ende eine blasse, abwärts gerichtete Borste trägt. Man fühlt sich versucht, die zarten Härchen als Schmeckhärchen zu deuten. — Die Haare und die zahnar- tigen Vorsprünge des gewölbten Randes finden sich auch bei G yp dina nitidula; der Kinnbacken endet bei dieser Art in eine scharfe Spitze. Das zweite Glied des Kinnbackenfusses hat bei C. Agassizii und nitidula an seiner hinteren , unteren Ecke einen rückwärts gerich- teten Vorsprung (Fig. 12,8. Fig. 24, ), der am Ende vier steife Borsten trägt. Bei C. Grubii fehlt derselbe. Am Ende des zweiten Gliedes steht bei C. Agassizii ein kleiner 266 Fritz Müller, ungegliederter, dem Hauptaste gleichlaufender Nebenast (Fig. 24,7) den ich bei C. nitidula und C. Grubii nicht gesehen habe. In Betreff der bei den einzelnen Arten ziemlich verschiedenen Be- borstung der Kinnbackenfüsse verweise ich auf die Abbildungen (Fig. 6, Fig. 12, Fig. 24). -— Man erkennt sofort die wesentliche Uebereinstim- mung dieses Fusspaares einerseits mit dem dritten Gliedmaassenpaare der älteren Nauplius, andererseits mit dem Kinnbacken (dem ersten Kieferpaar nach Zenker) vonG ythere und Gypris, zwischen denen es in mancher Hinsicht in der Mitte steht. Wie bei Nauplius überwiegt der eigentliche Fuss an Masse bedeutend den Kaufortsatz und der Ne- benast hat gleiche Richtung mit dem Hauptaste. Bei Gythere und Gypris erscheint der Fuss nur noch als Anhang des Kinnbackens, der Nebenast hat sich senkrecht zum Hauptaste gestellt und ausserdem bei Cypris in ein zartes, dreieckiges mit breiten gefiederten Haaren be- setztes Blatt verwandelt. Es versteht sich nach diesem Hinblick auf Nauplius und Cy- there von selbst, dass man nicht nach noch anderen etwa diesem Fuss- paare zuzurechnenden Theilen zu suchen hat, und dass die von Gruss als »säbelförmiger Anhang« und »Mandibellade« bezeichneten Theile ihm nicht zugehören können. Fühler, Schwimmfüsse,, Kinnbackenfüsse und Putzfüsse sind bei allen Gypridinen in ziemlich übereinstimmender Weise gebildet; was zwischen Kinnbackenfüssen und Putzfüssen liegt, bietet dagegen bei den verschiedenen Arten eine in einem Kreise so engverwandter Formen ganz ungewöhnliche Verschiedenheit dar. Diese Theile, die in ihrer Gesammtheit dem 4., 5. und 6. Gliedmaassenpaare von Cypris und Gythere entsprechen, sind ebenso schwierig zu untersuchen als zu deuten. Die von Mırnz: Epwarns, Litserorg und GruBE gegebenen Deutungen schweben völlig in der Luft; den Aufsatz von Craus »über die Organisation der Gypridinen« kenne ich leider nicht. Ich selbst habe nur beiG ypridina Agassizii eine einigermassen befriedigende Einsicht in Bau und Zusammenhang dieser Gliedmaassen gewonnen, würde aber auch für diese Art über deren Deutung im Einzelnen nur mehr oder minder begründete Vermuthungen aussprechen können, was ich unterlasse, um die Zahl der nur muthmasslichen Deutungen nicht um noch eine zu vermehren. 6. Aeussere Geschlechtsverschiedenheiten. Der langen Spürhaare am Ende der Fühler, die vermuthlich nur den Männchen zukommen, der reichen Riechfädenbüschel, sowie der Bemerkungen über Cypridina. 267 _ Greifanhänge an den Schwimmfüssen, die dasselbe Geschlecht aus- zeichnen, ist bereits gedacht worden. — Bei Cypridina Agassizii sind die Männchen ausserdem viel kleiner (etwa 1,5 Mm. lang) als die Weibchen, (etwa 2 Mm. lang) und daran auf den ersten Blick zu er- kennen. Merkwürdig ist es, dass ich von dieser Art stets bei weitem mehr Männchen als Weibchen gefunden habe; eines Tages (12. Novbr. 1865), an dem ich besonders glücklich im Fange dieser Thiere war, er- beutete ich 57 Männchen und nur 6 Weibchen. — Von C. Grubii habe ich überhaupt nur sehr wenige Thiere gefangen, unter denen sich kein einziges Weibchen befand. — Umgekehrt habe ich von €. nitidula nur Weibchen gesehen, wenn nicht, wie ich vermuthe, ein einzelnes _ dieser Weibchen in der weisslichen Färbung und dem Glanze der Schale gleichendes Männchen (Fig. 9) derselben Art angehört. In diesem Falle würden die Geschlechter bei dieser Art sich auffallend durch die Ge- stalt der Schalen und die Grösse der paarigen Augen unterscheiden. Dass die Eier im hinteren Theile der Schale ausgebrütet werden, wie ich bei Cypridina Agassizii fand, würde deren stärkere Wölbung beim Weibchen, — die langen Spürborsten des Männchens würden das stärkere Vorspringen des vorderen Schalentheiles bei diesem Geschlechte erklärlich machen; die grösseren Augen des Männchens würden eben- - falls nichts Auffallendes haben. Ein letztes unterscheidendes äusseres Merkmal der Männchen bie- tet ihr sehr ansehnliches Begattungsglied. Um dasselbe zu schwel- len und so hervortreten zu lassen, tödtete ich die Thiere, wie ZENKER mit Cypris that, in heissem Wasser. — Das Begattungsglied (Fig. 26,9) besteht aus einem dicken, unpaaren Stamme , der sich in einen rechten und einen linken Schenkel gabelt, von denen jeder wieder in einen äussern und einen innern Ast sich spaltet. Bei C. Agassizii sind alle diese Theile ziemlich schlank, der innere Ast erscheint als unmittelbare Fortsetzung des Schenkels, der äussere ist dünner; beide sind nach dem Ende zu verjüngt und haben eine kahle, abgerundete Spitze. Bei C. Grubii (Fig. 7) sind die Schenkel kurz und dick, fast kuglig und Springen über die Ansatzstelle der Aeste vor; auf dem Gipfel des Vor- Sprungs liegt die Geschlechtsöffnung. Die Aeste sind ebenfalls kurz und dick; ihr Durchmesser beträgt kaum ein Drittel von dem des Schenkels ; am Ende trägt jeder zwei blosse Borsten. Man fühlt sich versucht, das Begdttungsglied für ein umgewandeltes, zweiästiges Fusspaar zu halten. ogo 855 7. Die Kiemen. Die Kiemen der Cypridinen sind bereits vor 30 Jahren von PaiLmrr gesehen und abgebildet, aber nicht als solche erkannt worden. Spätere 268 Fritz Müller, Beobachter scheinen nur kiemenlose Arten untersucht zu haben. Craus spricht noch 1866 allen Muschelkrebsen Respirationsorgane ab '. Mei- ner Angabe, dass bei Cypridina ansehnliche Kiemen vorkommen 2, scheint derselbe keinen Glauben geschenkt zu haben. Parri sah bei Asterope elliptica hinter den Putzfüssen vier wurstförmige Körper am Rücken emporstehen. Das sind die Kiemen. An gleicher Stelle, und bei todten Thieren in gleicher Gestalt, jedoch in grösserer Zahl, finden sie sich bei Gypridina Agassizii (Fig. 15, br. Fig. 26, br.) und nitidula. Bei Gypridina Agassizii entspringt jederseits dicht neben der Mittellinie des Rückens eine Reihe von sieben (bisweilen nur sechs) schmalen, nach oben kaum merklich breiteren Blättern. Sie sind etwas schief eingefügt, so dass der Hinterrand jedes Blattes den Vorderrand des folgenden von aussen deckt. Nahe dem oberen Ende trägt jedes Blatt einen kleinen, warzenförmigen Vorsprung, durch den wohl eine zu enge Berührung derselben verhütet wird. Dem Rande des Blattes entlang verläuft ein einfacher, ziemlich weiter Hohlraum. Bei C. nitidula sind, wenn ich mich recht entsinne, die Kiemen zahlreicher. Dagegen ist ihre Zahl geringer bei ganz jungen Thieren. Junge von G. Agassizii, die die Schale der Mutter noch nicht verlas- sen hatten (Fig. 14), besassen nur drei Kiemenpaare, die von vorn nach hinten an Grösse zunahmen. Die hintersten Kiemen sind also wahr- scheinlich die ältesten, Der Athemstrom wird unterhalten durch die ununterbrochenen Bewegungen des mit langen Fiederborsten besetzten Blattes (Fig. 15,9), welches Gruse den »grossen, blattförmigen Anhang des ersten Maxillen- paares« nennt®. Ich habe versäumt, durch Zusatz feiner Farbtheilchen zum Wasser festzustellen, in welcher Richtung der Athemstrom an den Kiemen vorüberfliesst. — Hinter dem letzten Kiemenpaare trägt der Rücken einen kurzen, walzenförmigen, unpaaren Fortsatz, der schief nach vorn und oben gerichtet und mit einigen kurzen Härchen besetzt ist. Bei ©. Grubii fehlt mit den Kiemen auch dieser Fortsatz voll- ständig. Höchst auffallend ist es, dass die Kiemen auch bei Cypridina oblonga zu fehlen scheinen, die sich im Bau der Gliedmaassen aufs Engste an C. Agassizii und nitidula anschliesst. Gruse’s Zerglie-- 4) Craus, Grundzüge der Zoologie, S. 209. 2) Frırz MüLLer, Für Darwin, 1864, S. 72. 3) In Gruse’s Zeichnung (Arch. für Naturgesch. XXV, Bd. I, Taf. XI, Fig. 4) ist dies Blatt in verkehrter Lage dargestellt; der gewölbte Rand mit dem Fieder- borsten ist nicht der vordere, sondern der hintere. Bemerkungen über Cypridina. 269 derung der C. oblonga ist eine so sorgfältige gewesen, dass er die Kiemen, wären sie in ähnlicher Weise wie bei den letzteren beiden Arten entwickelt, kaum hätte übersehen können. 8. Herz und Blutlauf. Ein Herz habe ich bei Cypridina Agassizii und nitidula gesehen; die wenigen Thiere von C. Grubii, die ich gefangen, hatten ganz undurchsichtige Schalen und ich kann nicht sagen, ob dieser Art mit den Kiemen nicht etwa auch das Herz fehlt. Die Schale der Cypridinen hängt nur auf eine ganz kurze Stelle mit dem Rücken des Thieres zusammen; an dieser von oben durch die Schale gedeckten Stelle, nach hinten und oben von dem mittleren Auge, liegt das Herz. Es bildet bei € ypridina Agassizii (Fig. 16) einen kurzen Sack, der höher als lang und unten weiter als oben ist. Vom Laufe des Blutes, das arm an Blutkörperchen ist, habe ich nur wenig gesehen. Die meisten Thiere sind zu undurchsichtig, um mehr als die Bewegungen des Herzens erkennen zu lassen. Nur von C. Agassizii habe ich ein paar fast farblose Thiere gefangen, die durchsichtig genug waren, um die Blutkörperchen in ihrem Laufe durch Herz und Kiemen verfolgen zu können. In das Herz tritt das Blut von hinten und unten und strömt nach vorn und oben, wo eine Srosse Oeffnung zum Austritt des Blutes zu sein scheint. Von da sah ich den Blutstrom sofort nach unten umbiegen, an der Vorderwand des Herzens hinabsteigen und hinter das mittlere Auge treten. In den Kie- Men steigt das Blut an deren vorderem Rande in die Höhe, am hinte- "en Rande wieder hinab. — In den Fühlern sah ich die Blutkörperchen an der Beugeseite des Knies der Spitze zu, an der Streckseite nach dem Körper zurücklaufen. 9. Allgemeine Bemerkungen. Seit W. Zenker’s vortrefflicher Arbeit über Cypris und Cythere Werden die Muschelkrebse fast allgemein als besondere Ordnung der Truster betrachtet. Das will sagen, dass sie sich selbstständig vom "stamme der Klasse, und nicht von einem der anderen Hauptäste des- selben abgezweigt haben. Nur GErSTAEcKER ! ordnet sie noch neuer- dings den Branchiopoden unter. »Die Ostracoden«, sagt derselbe, ”Schliessen sich den Gladoceren, von denen sie gewöhnlich als eigene Traa a A Perers, Carus und GERSTAECKER, Handbuch der Zoologie. H, 4863, S. 399. 270 Fritz Müller, Ordnung abgetrennt werden, eben so eng an, wie diese den Phyllo- poden..... Die beiden ersten Beinpaare derselben werden zwar ge- wöhnlich als Maxillen beschrieben, geben sich aber nicht nur durch ihren in mehrere Lappen geschlitzten Stamm, sondern auch durch die besonders am ersten Paare stark entwickelte Kieme! als Analoga der Gladoceren- und Phyllopoden-Beine zu erkennen.« Gegen diesen Ver- gleich der Kiefer der Muschelkrebse mit den Beinen der Gladoceren und Phyllopoden ist sicher nichts einzuwenden; nur passt derselbe eben so gut auf die Kiefer der Copepoden und der höheren Kruster (Malacostraca) ; namentlich bei den Jugendzuständen der letzteren ist die Aehnlichkeit bisweilen eine überraschende, so dass auch Craus den Kiefer der Krebslarven »eine Art Phyllopodenfuss « genannt hat. Diese Uebereinstimmung beweist also nichts für eine nähere Verwandtschaft der Muschelkrebse und Branchiopoden; was sie beweist, ist, dass die Branchiopoden, Copepoden, Ostracoden und Malacostraca erst lange nach der Naupliuszeit, dass sie erst dann von dem gemeinsamen Stamme sich trennten, als auch diese den Kinnbackenfüssen zunächst folgenden, bei allen diesen Ordnungen in ähnlicher Weise gebildeten Gliedmaassen bereits entwickelt waren. Die Stammeltern mögen zu dieser Zeit dieselbe Gliedmaassenzahl besessen haben, wie jetzt G y- pris und Gythere; wie bei diesen hinter den Kinnbacken noch vier Gliedmaassenpaare sich finden, so sprosst auch bei dem Nauplius vonPeneus die gleiche Zahl von Fussstummeln hinter den Kinnbacken- füssen gleichzeitig hervor. Die einzige Ordnung, deren Kiefer in ganz abweichender Weise gebildet sind, bei der überhaupt ähnliche Glied- maassen fehlen, sind die Pectostraca Harcrer’s, die Rankenfüsser und Wurzelkrebse; diese mögen schon früher von dem Urstamme der Classe sich getrennt haben; in diesem Falle wäre die Auffassung von Arrn. Mune Epwaros die richtige, der sie als Basinotes allen übri- gen Krustern (Eleutheronotes) gegenüberstellt. Wenn somit Gerstazcrer’s Bedenken gegen die von Zenger, wie A Die bei den Krustern so häufig vorkommenden schwingenden Platten, die mit langen Fiederhaaren besetzt zu sein pflegen, werden, wo man keine besseren Kiemen hat finden können, immer noch häufig, wie hier von GERSTAECKER, als Kie- men bezeichnet, — aber ohne allen Grund. Inallen Fällen, wo ich diese soge- nannten Kiemen an lebenden Thieren untersuchte, fand ich, dass sie zu den blut- ärmsten Theilen des Körpers gehören. Allerdings dienen sie meist der Athmung, aber nur dadurch, dass sie einen Strom frischen athembaren Wassers zuführen. Noch bei den höchsstehenden Krustern, den Krabben, wird der Athemstrom be- kanntlich durch eine solche schwingende Platte geregelt, die das gleiche Recht auf den Namen Kieme hat, wie die entsprechenden Platten an den Kiefern von Cypris- Bemerkungen über Oypridina. 271 mir scheint, genügend begründete Abtrennung der Muschelkrebse als eigener Ordnung nicht stichhaltig erscheinen, so können andererseits die eigenthümlich entwickelten Riechfäden,, der Stirnanhang, die son- derbaren Putzfüsse, die rückenständigen Kiemen der Cypridinen nur als neue Stützen für die Auffassung Zenkun’s betrachtet werden, welcher namentlich auch Craus, der eben so glückliche wie umsichtige Forscher auf dem Gebiete der niederen Kruster, und E. Haeerer in seinem bewundernswerthen Versuche einer »genealogischen Ueber- sicht des natürlichen Systems der Organismen« sich angeschlossen haben. : Für die ziemlich allgemein angenommene nähere Verwandtschaft der Muschelkrebse mit den Rankenfüssern liefert die Betrachtung der Cypridinen keinen neuen Anhalt, man müsste denn den unpaaren Stirnanhang den beiden Fäden vergleichen, welche an ähnlicher Stelle bei den Larven der Rankenfüsser und Wurzelkrebse sich finden. Ich habe früher ! gegen die Annahme einer solchen Verwandtschaft mich ausgesprochen und bis jetzt keinen Grund zur Aenderung meiner An- Sicht gefunden. Die Annahme beruht einzig auf der zweiklappigen Schale der Rankenfüsserpuppen; wenn man aber gesehen hat, wie diese Schale durch das Zusammenklappen eines flachen Rückenschildes Sich bildet, und wenn man unter den Phyllopoden als nah verwandte Familien die nackten Artemien, die von einem einfachen Rücken- Schilde bedeckten Apus und die von einer zweiklappigen Schale um-- Schlossenen Limnadien findet, kann man kaum auf diese Bildung der Schale irgend ein Gewicht legen, wenn es sich um die Verwandt- Schaft ganzer Ordnungen handelt. Unter den drei Familien der Muschelkrebse stehen offenbar die G y- Pridinen am höchsten; die hohe Entwickelung der Sinneswerkzeuge, der Augen, der Riechfäden, zu denen sich noch der Stirnanhang und die Schmeckhärchen (?) am Kinnbacken gesellen, sowie der Besitz von Herz und Kiemen, weisen ihnen diese Stelle an. Trotzdem aber ste- hen die € Ypridinen in mehrfacher Beziehung der Urform der Gruppe unverkennbar näher, als Cypris und Gythere; so darin, dass das "weite Gliedmaassenpaar meist noch einen Nebenast besitzt, und dass das dritte noch einen kräftigen umfangreichen Fuss bildet; beides sind Bigenthümlichkeiten,, die an die Gliedmaassenbildung von Nauplius erinnern. Wahrscheinlich gilt dasselbe von dem Begattungsgliede, das viel einfacher gebaut ist, als bei Gythere und Cypris. Keinenfalls haben sich die höher stehenden Gypridinen aus der niedriger ste- A Für Darwın, 5. 59, Anm. 272 Fritz Müller, henden Form der Cypris oder Gythere, sondern als selbstständiger Zweig aus der Stammform der Muschelkrebse entwickelt. Auf dasselbe Verhältniss stossen wir übrigens auch bei den frei- lebenden Gopepoden, unter welchen » unstreitig die Galaniden zugleich mit den Pontelliden die höchste Stufe einnehmen « (Craus). Auch hier sind gerade diese höchst stehenden Familien in dem umfangreichen Nebenast der »hinteren Antennen«, sowie in dem zweiästigen, den hin- teren Antennen ähnlichen »Mandibularpalpus« der Urform des Nauplius weit ähnlicher geblieben, als alle übrigen Copepoden, — vielleicht weil sie der ursprünglichen Lebensweise, dem freien Umherschwim- men im offenen Meere, treu blieben. CGalaniden und Pontelliden einerseits, Gypridinen an- dererseits, stimmen auch darin überein, dass sie die einzigen Familien ihrer Ordnung sind, die ein Herz besitzen und dieses Herz hat bei bei- den etwa dieselbe Lage; ob genau dieselbe, ist wegen der bei Cypri- dina mangelnden Gliederung des Leibes nicht zu sagen. Dabei drängt sich denn natürlich die Frage auf, wie diese übereinstimmende Lage des Herzens zu erklären sei. — Ehe ich die Beantwortung dieser Frage versuche, kann ich mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, wie scharf und schlagend in diesem Falle der Gegensatz hervortritt, der in der Auffassung der morphologischen Fragen zwischen den Anhängern Dar- wın’s und den Bekennern des Schöpfungsdogma’s ! obwaltet. Während A Durch Professor KrrerstEin erhalten wir neuerdings (Bericht über die Fort- schritte der Generationslehre im Jahre 4867) die unerwartete Belehrung, dass wir die Gegner Darwın’s nicht richtig verstehen, wenn wir glauben, dass sie mit dem Ausdruck Schöpfung wirklich Schöpfung meinen; Schöpfung soll »nichts wei- ter als eine uns unbekannte, unfassbare Weise der Entstehung« heissen. Es soll dadurch nur in verblümter Weise das verschämte Geständniss ausgesprochen wer- den, dass man über die Entstehung der Arten»gar keine Meinung hhabe« und haben wolle. Nach dieser Erklärung des Wortes würde man ebensowohl von der Schöpfung der Cholera und der Syphilis, von der Schöpfung einer Feuersbrunst und eines Eisenbahnunglücks, wie von der Schöpfung des Menschen reden können. Natürlich bedeuten dann auch die beliebten Ausdrücke Schöpfungsplan oder Bau- plan nicht den Plan des Schöpfers, sondern »nichts weiter als eine uns unbekannte, unfassbare« Ursache der Aehnlichkeit verwandter Formen. Verwandtschaft aber bedeutet bekanntlich bei unseren Gegnern nicht wirkliche Verwandtschaft, sondern nichts weiter als Aehnlichkeit. Wenn dieselben von verkümmerten Theilen reden, meinen sie nicht, dass diese Theile wirklich verkümmert sind, d. h. dass sie vor- dem wohl entwickelt waren, sondern nichts weiter, als dass sie klein und nutzlos sind. Wenn sie aber sagen nutzlos, meinen sie nicht wirklich nutzlos, — Nutz- loses konnte ja die unendliche Weisheit nicht schaffen, — sondern nichts weiter als von »unbekanntem, unfassbarem« Nutzen, etc. etc. Aber wie kann erwarten, richtig verstanden zu werden, wer immer etwas Anderes sagt, als was er meint? — Bemerkungen über Oypridinas 275 uns die eben aufgeworfene Frage Schwierigkeiten bietet, die wohl kaum befriedigend zu lösen sind, wird sie unseren Gegnern über- flüssig, vielleicht lächerlich erscheinen; sie werden es selbstverständ- lich finden, dass »dem Bauplan der Classe gemäss« das Herz bei Cypridina an gleicher Stelle liegt, wie z. B. bei Galanus oder Daphnia. Umgekehrt wird es die Anhänger der »alten Schöpfungs- hypothese«, wie sie Weısmann nennt, befremden müssen, dass die Kiemen der Gypridinen am Rücken stehen, der bei keinem anderen Kruster Kiemen trägt. Wir dagegen hätten als wahrscheinlich voraus- sagen können, dass wenn bei Muschelkrebsen Kiemen vorkämen, dass Sie dann in ihrer Lage nicht mit denen anderer Kruster übereinstim- men würden. Denn Kiemen haben sich bei den Krustern überhaupt erst spät entwickelt; selbst unter den Podophthalmen und Edriophthalmen sind bis heute die der Urform zunächst stehenden Gattungen (Mysis, Tana is) kiemenlos geblieben. Die Stammeltern der Muschelkrebse besassen sicherlich keine Kiemen. Die Kiemen von Cypridina also und die irgend eines anderen kiementragenden Krusters sind keinenfalls das Erbtheil eines gemeinsamen Ahnen, viel- mehr haben sich die der ersteren unabhängig entwickelt und es dürfte desshalb eine abweichende Lage derselben mit grösserer Wahrschein- lichkeit erwartet werden, als eine übereinstimmende. — Die gleiche Lage des Herzens bei Calaniden, Pontelliden und Gypridinen würde sich, um auf die oben angeregte Frage zu- Yückzukommen, am einfachsten erklären, wenn wir annehmen dürften, dass schon die gemeinsamen Stammeltern der C opepoden und Mu- Schelkrebse ein Herz an gleicher Stelle besassen und auf die ge- ‚Nannten Familien vererbten, während dasselbe bei der Mehrzahl der Copepoden sowie bei Gypris und Gythere im Laufe der Zeiten verloren ging. Zu Gunsten der Annahme, dass schon die gemeinsamen Stamm- eltern von Copepoden und Muschelkrebsen ein Herz besassen, lässt sich geltend machen, dass schon die Nauplius von Peneus ein Herz haben, wodurch das sehr frühe Auftreten desselben bei den Krustern Wahrscheinlich wird; ferner, dass, wie erwähnt, gerade die mit einem Herzen versehenen und auch sonst höher stehenden Familien beider Ordnungen der Urform unverkennbar ähnlicher sind, als die übrigen Niedriger stehenden, des Herzöns entbehrenden Familien, dass keinen- falls erstere aus letzteren, dass weit eher letztere aus ersteren hervor- 8egangen sein können. Dafür, dass das Herz verloren gehen könne, liefern unter den Gliederthieren die Milben den Beweis. Der Mangel des Herzens scheint bei diesen in ursächlichem Zusammenhange zu 274 Fritz Müller, stehen mit der geringen Grösse; natürlich ist das Herz um so ent- behrlicher, zu je winzigerem Umfange der Körper herabsinkt. Von den Muschelkrebsen wissen wir nun, dass sie früher eine weit ansehn- lichere Grösse erreichten ; auch ohne die handgreiflichen Beweise, die uns ihre versteinerten Schalen liefern, würde die geringe Zahl an Gat- tungen armer, scharf geschiedener Familien schliessen lassen, dass wir in den heutigen Muschelkrebsen nur kümmerliche Reste eines früher weit reicher entfalteten Formenkreises vor uns haben. Möglich, dass in gleicher Weise, wie bei den Milben, auch bei ihnen das Herz mit Abnahme der Grösse geschwunden ist. — Es darf dabei auch der Pyenogoniden gedacht werden. Zenger und Kronx haben bei die- sen Thieren ein Herz nachgewiesen; bei den Arten, die ich unter- suchte, habe ich es nicht gefunden, ohne jedoch dessen Nichtvorhan- densein behaupten zu können; jedenfalls aber war es bei ihnen, wenn vorhanden, ziemlich überflüssig; denn es war keine Bewegung des Blutes wahrzunehmen, die nicht aus den Zusammenziehungen der in die langen Beine eintretenden Blindschläuche des Darms zu erklären gewesen wäre. Immerhin, wenn auch wahrscheinlich, kann die Annahme eines Herzens für die gemeinsamen Stammeltern von CGopepoden und Mu- schelkrebsen nicht als erwiesen gelten. Die zahlreichen Gopepoden ohne Herz (Gyclopiden, Harpac- tiden, Peltidien und Gorycaeiden) und auch Cypris und C y- there haben im Uebrigen nicht das Aussehen verkümmerter Thiere. Und auch ohne jene Annahme lässt sich die gleiche Lage des Herzens bei Calaniden und Cypridinen erklären, wenn man die Weise ins Auge fasst, in der bei den Arten ohne Herz das Blut bewegt wird. »Bei den Gyelopiden, Harpactiden und Peltidien übernehmen die fast rythmischen Bewegungen des Magens, in welchem derselbe zum Theil durch äussere Muskelzüge aufwärts gezogen und dann wie- der in entgegengesetzter Richtung herabgedrängt wird, die Function des fehlenden Circulationsorgans, und bringen die im Leibesraume be- findliche Blutmenge in eine gewisse Strömung.«! — Ganz dasselbe sah ich bei einer grossen, ziemlich durchsichtigen G ypris, bei welcher gleichzeitig auch die Leberschläuche sich regelmässig zusammenzogen. Die Bewegungen der oberen Magenwand, sowie der von ihr nach oben gehenden Muskeln geben ein so täuschendes Bild eines über dem Ma- gen liegenden Herzens, dass ich immer wieder ein Herz zu sehen 1 Cuaus, die freilebenden Copepoden, S., 61, Bemerkungen über Cypridina. 275 glaubte, nachdem ich mich längst auf’s Bestimmteste von dessen Ab- wesenheit überzeugt hatte!. Das Blut wird also von derselben Stelle aus in Bewegung gesetzt bei den Arten mit und bei denen ohne Herz, und an dieser Stelle würde bei letzteren am leichtesten ein Herz sich bilden können, etwa indem die schmalen Muskelzüge, die jetzt hier sich finden, breiter würden, zu einem Schlauche zusammenträten und selbstständig sich zusammenzögen. Die gleiche Lage des Herzens bei Cypridinen und Calaniden würde sich also daraus erklären, dass schon in frühester Zeit, schon bei deren gemeinsamen Stammeltern, wenn denselben auch ein Herz fehlte, doch schon von derselben Stelle aus, wo bei ihren Nachkommen das Herz liegt, die Bewegung des Blutes ausging. — Ich will bei dieser Gelegenheit auf ein ähnliches Verhalten bei Echinoder- men-Larven hinweisen. Bei Tornaria, in welcher Arex. Acassız eine Seestern-Larve vermuthet, liegt bekanntlich über der Grenze von Speiseröhre und Magen eine grosse zum Wassergefässsystem gehörige Blase, von deren vorderem, kegelförmig ausgezogenen Ende ein Muskel zum Vorderende der Larve geht. Muskel wie Blase ziehen sich von Zeit zu Zeit kräftig zusammen. Dicht über der Blase aber fand ich ein Herz. Ich habe die Entwickelung der Tornaria nicht verfolgt; aber nach dem, was wir.durch Aurx. Acassız über die Entwickelung des Wassergefässsystems der Seesternlarven wissen, ist jedenfalls jene Blase früher vorhanden gewesen als das Herz; vor dem Auftreten des letzteren wurde das Blut durch die Bewegungen der Blase und ihres Muskels in eine gewisse Strömung versetzt und das Herz bildete sich an derselben Stelle, von der aus schon früher das Blut in Bewegung, Sesetzt wurde. Unter den bis jetzt bekannt gewordenen Copepoden ohne Herz Stehen einige (z. B. Oithona) den Calaniden so nahe, dass möglicher Weise sich noch Uebergangsformen finden werden, die auch in Bezug auf das Herz die Mitte halten zwischen Calaniden und Cyclopiden oder Corycaeiden, Arten, die ein im Vergleich mit dem der Calaniden un- Yollkommenes Herz besitzen, und solche Arten dürften dann vielleicht, Namentlich durch ihre Entwickelungsgeschichte, Aufschluss darüber seben, ob ihr Herz als ein werdendes oder ein verkümmerndes zu be- trachten sei, und damit die Frage entscheiden, ob die Stammeltern der Copepoden und Muschelkrebse des Herzens entbehrten oder mit einem so apphirina ein Herz beschreibt, dessen Vorhandensein von CrAus auf’s Ent- Schiedenste in Abrede gestellt wird. — Oder haben etwa die beiden Forscher zwei Verschiedene Arten vor sich gehabt, die eine mit, die andere ohne Herz? 276 Fritz Müller, Bemerkungen über Cypridina. Erklärung der Abbildungen. Tafel VIII. Fig. 4—8. Cypridina Grubii, Männchen. Fig. 2. Vorderer Theil des Leibes. a Stirnanhang. b Fühler. c Schwimmfuss. Fig. 3. Stirnanhang. 3a der keulenförmige Theil des Grundgliedes, stärker ver- grössert. Fig. 4. Die 4 letzten Glieder des Fühlers. œ Riechfädenborste. y Riechfäden am Ende des Fühlers. ð Spürborsten. £ Fig. 5. Greifanhang des Schwimmfusses. Fig. 6. Kinnbackenfuss. Fig. 7. Einer der beiden Schenkel.des Begattungsgliedes. « äusserer, f inne- rer Ast. Fig. 8. Eine der beiden Schwanzplatlen. Fig. 9. Männliche Cypridina, vermuthlich das Männchen von C. nitidula. Fig. 410—142. Cypridina nitidula, Weibchen. Fig. 44. Fühler. ə Riechfädenborste. y Riechfaden am Ende des Fühlers. € klauenartige Borste. Fig. 42. Kinnbackenfuss. « Kinnbacken. £ Fortsatz am Grunde des zweiten Gliedes. i Fig. 26 s. u. | Tafel IX. Fig. 43—19. Cypridina Agassizii, Weibchen. Fig. 43. Erwachsenes Weibchen. Fig. 44. Junges, aus der Schale dieses Weibchens genommen. Fig. 45. Weibchen, nach Entfernung der Schale. b Fühler. c Schwimmfuss. d Kinnbackenfuss. e fg viertes bis sechstes I Gliedmaassenpaar. h Putzfuss. q Unpaarer Fortsatz des Rückens. br Kiemen. Fig. 46. Herz. h Putzfuss. Fig. 47. Fühler. « Borste, die an der Stelle des Riechfädenbüschels des Männ- chens steht. $ Riechfädenborste. y Riechfaden am Ende des Fühlers. d Sförmige Borste mit seitlichen Fädchen. € klauenförmige Borste. Fig. 48. Schwimmfuss, von innen. «œ Grundglied. £ erstes Glied des Hauptastes. y Nebenast. Fig. 49. Putzfuss. Fig. 20—26. Cypridina Agassizii, Männchen. Fig. 20. Vorderer Theil des Leibes. a Stirnanhang. b c¢ de wie in Fig. 45. Fig. 21. Stirnanhang unterhalb des mittleren Auges. Fig. 22. Riechfädenbüschel. Fig. 33. Schwimmfuss. œ $8 y wie in Fig. 18. Fig. 24. Kinnbackenfuss #. Fortsatz des 2. Gliedes. y Nebenast. Fig. 25. Kinnbacken. Fig. 26. (Auf Tafel I.) Der hintere Theil des Leibes. p Begattungsglied. g un- paarer Fortsatz des Rückens. br Kiemen. Itajahy. Februar 4869. | Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden, Von Dr. Ant. Dohrn. (Hierzu Taf. X.) 3. Die Schalendrüse und die embryonale Entwicklung der Daphnien, Bei meinen auf Klarstellung der Morphologie und Genealogie der Krebse gerichteten Untersuchungen war es wesentlich, neben den fast ” überall noch aufzufindenden rudimentären Bildungen der Embryonen, über ein Organ klar zu werden, das seit langen Zeiten bekannt, den- noch fast allen Versuchen, es zu verstehen, Widerstand geleistet hatte. Ja, um so wichtiger musste die Erledigung der Frage nach der Natur dieses Organs werden, als durch zwei der ausgezeichnetsten Forscher, durch Levors und G. O. Sans der Versuch gemacht wurde, in diesem Organ die Wiederholung einer Bildung zu finden, die bisher dem Ar- Ihropodenkreise fremd, dagegen bei den Würmern in ganz besonderer usbildung anzutreffen war. Es konnte möglicherweise von da aus nternommen werden, die Arthropoden oder wenigstens die Crustaceen Aus den Würmern herzuleiten und damit einen grossen Schritt vorwärts “u thun auf der Bahn der reformirten Zoologie. Das Organ, das diese wichtige Bedeutung zu gewinnen schien, ist Schalendrüse. Leypre giebt in seiner » Naturgeschichte der Daphniden« pag. 23—31 ausführliche Mittheilungen über die Entwick- ung unserer Kenntnisse dieses Organs. Es hatten sich Zanpacn, Lir- VIN, Jory, Grusr und ZeyKer mit demselben beschäftigt, aber erst Ley- Dig selber versuchte das Organ auf seine eigentliche morphologische edeutung zu bringen und seine Homologa bei anderen Krebsen festzu- Stellen. Er behauptet, die Schalendrüse habe keine Oeffnung, weder Bd y. 2 19 die 278 Dr. Ant. Dohrn, nach innen in den Körper des Thieres noch nach aussen an der Ober- fläche der Schale. Er vergleicht in Folge davon die Schalendrüse der grünen Drüse des Flusskrebses, der er auch jede Mündung nach aussen abspricht. Die Schwierigkeit der Untersuchung dieser Verhältnisse lässt es begreiflich erscheinen, dass über diesen Punkt bald so, bald so geurtheilt wurde, und so treten bald entgegengesetzte Angaben auf, welche der grünen Drüse eine Oeffnung im Basalgliede der untern An- tennen zuschrieben. Leypre selber schwankt in seinem Widerspruch gegen das Sich Oeffnen der grünen Drüse und gewinnt die Vermuthung, dieselbe könne möglicherweise eine Art Wassergefäss sein. »Sollte nicht am Ende,« heisst es a. a. O. pag. 28, »wenn es sich doch bestätigen |. liesse, dass das Organ nach aussen mündet, der gewundene Ganal den Knäueln der »Wassergefässe«, wie wir sie z. B. bei den Hirudineen und Lumbrieinen sehen, entsprechen? Der Inhalt des Canals ist wenigstens allgemein ein helles, keine geformten Theile enthaltendes Fluidum; könnte es nicht von aussen aufgenommenes Wasser sein und könnte man damit nicht in Zusammenhang bringen, dass grade um das Organ herum die Blutströmung in der Schale sich concentrirt, etc. ?%« In der That hat man aufs Bündigste bewiesen, dass die grüne Drüse und ihre zahlreichen Homologa bei Leucifer, Phyllosoma, Gammarus, Asellus, Praniza etc. nach aussen münden; aber erstens ist da- durch noch nichts über die Natur der Drüse ausgesagt, und zweitens bleibt es noch sehr fraglich, ob die grüne Drüse mit der Schalendrüse der Daphnien homolog sei. Durch eine Aeusserung des ausgezeichne- ten norwegischen Crustaceologen G. O. Sars ward aber die Anschauung über die Bedeutung der Schalendrüse noch complicirter. In »Norges Ferskvandskrebsdyr. Første Afsnit. Branchiopoda. Gladocera Gteno= poda. Famil. Sididae et Holopedidae« sagt derselbe in dem, gefälliger Weise vorangeschickten, französischen Auszuge pag. VI: »Le canal caractéristique du test en forme de fronde, la soi-disant glande du test, parait en rapport intime avec la respiration, ce que Mr. Leypie a égale- ment admis. Son contenu toujours parfaitement limpide, complètement, döpourvu de cellules, fait clairement voir que ce ne saurait ètre une glande. Mais il y a beaucoup de raisons pour croire avec ce savant que C'est une espèce d'analogue des vaisseaux aquiferes des Hirudinées et des Lombricinés. Cette supposition semble encore gagner du ter- rain par suite des recherches faites dans cet ouvrage, qui font supp? ser que ce canal, au lieu de former, ainsi qu’on la cru jusqu’a présent, une fronde partout fermée , rentrant en elle même, se trouve au moin? dans les formes en question, en rapport avec une partie très rugueus? et en apparence poreuse du test.« Und weiterhin nach Seite 47 vet Untersuchungen über Bau und Entwieklung der Arthropoden. 279 gleicht der Verfasser die dort erwähnte » meget rugost! “udseende Parti af Skallen« mit der Madr eporenplatte der Echinodermen. Zugleich mit einer Vergrösserung unseres Wissens vom Bau der Schalendrüse, erfolgt also auch eine Erweiterung der Gesichtspuncte, unter denen . wir ihre Betrachtung vornehmen könnten. Ich habe mich lange und eingehend mit der Untersuchung der Schalendrüse von longispina beschäftigt, ohne von der Stelle zu kommen. Endlich gelang es mir an einem recht durchsich- tigen Exemplar einen Schritt vorwärts zu thun. Ich fand an der Stelle, welche fast in der Mitte zwischen oberem und unterem Theile des Canals nach Sars in Verbindung mit einer rugosen Stelle der Schale stehen sollte, eine sehr feine Membran, die sich sackförmig aus- stülpte, dann aber wieder zurücktrat und etwas zusammengezogen lie- gen blieb. Diese Aussackung konnte nur von einer F lüssigkeit hervor- gebracht sein, da aber Wasser das Thier umg gab und keinerlei Verän- derung darin vorging, so schloss ich, es möge eine fettige Flüssigkeit sewesen sein. Ich war aber nicht im Karon woher sie gekommen sei, meinte aber dieselbe Flüssigkeit an einer grossen Kugel zu bemerken, Welche in einem der Ganäle durch Druck hin und her zu schieben war. Darauf entfernte ich durch Präparation ein Paar Beine; dadurch kam ein neuer Druck auf den Körper zu Stande; als ich gleich darauf wie- der die Schalendrüse untersuchte, sah ieh drei grosse Fettkugeln in jenem bereits erwähnten maeno Theile der Canäle. Ich ging weiter und untersuchte alle Stadien der Daphnia longispina. Da begegnete Mir einmal ein Exemplar, dessen Schalendrüsen - Ganäle ganz mit einer grünlich-gelben Flüssigkeit angefüllt war. Woher dies Secret, wenn wir es mit einem vermeintlichen Wassergefäss zu thun haben Sollten ? Nicht lange darauf löste sich mir das Räthsel. Das was von G. O. Sınsals rugose Stelle der Schale beschrieben war, ist ein den Canälen der Schalendrüse anhängenider drüsiger Sack (Taf. X, Fig. 4a). Derselbe mündet durch einen Sehr engen Canal in die are Wandung der eigentlichen Canäle ; Seine Gestalt einfach blasenförmig, der Durchmesser von dem Ausfüh- "ungsgange bis an die gegenüberliegende Wand halb so gross als der Längendurchmesser, Die Hinterwand liegt über dem Hinterrande der Mandibel,, zwischen ihr und den Ganälen kann man ganz sicher das Organ as Während die Wandung der Canäle starr ist, scheint die der Blase nachgiebig zu sein; ihr histologisches Gefüge besteht aus dieser einfachen Wandung, in welcher zahlreiche Zellen halbkugelig Nach innen vorragen. Die Zellen messen 0,009—0,016 Mm. im Durch- Messer, ihr Kern ist klein, misst nur ungefähr 0,002 Mm. Ihre Fär- 49* 280 Dr. Ant. Dohrn, bung ist grünlich-gelb, und so erklärt sich das Vorhandensein der Fettkugeln dieser Farbe, die ich oben erwähnte, und das Angefülltsein der ganzen Canäle mit einer ähnlichen Flüssigkeit. Nachdem ich einmal die Blase völlig deutlich wahrgenommen hatte, gelang es mir, sie in allen Exemplaren wiederzufinden. Es kam mir nun noch darauf an, ihr Verhältniss zu den Canälen näher ins Klare zu setzen. Die Ganäle konnten neben der Blase selbstständige Secretionsorgane sein, konnten auch bloss ein Reservoir vorstellen. Ich musste mich bald für erstere Ansicht entscheiden, denn ich fand, dass die Zellen, welche an den zackigen Wandungen der Ganäle liegen , ge- nau dieselbe Structur, Grösse und denselben grünlich - gelben Inhalt hatten. Freilich scheinen sie nicht immer in gleicher Thätigkeit zu sein, da sie oft farblos und ohne die kleinen Körnchen sich zeigten, welche in den Zellen der Blase fast immer zu beobachten waren. Dass sie aber eine secretorische Thätigkeit haben, glaube ich auch noch be- sonders daraus entnehmen zu können, dass ihre Zahl sehr schwankend ist. Ich fand mitunter Ganäle, deren Lumen fast ganz verengt war durch die zahlreichen und weit vorspringenden Zellen der Wandung. Nun findet man häufig, dass innerhalb des Körpers der Daphnien, also auch besonders der von mir untersuchten Daphnia longispina, eine Menge grünlich-gelber Fetttropfen auftritt; dieselben finden sich in der Schale, in den Beinen, am Bauch, kurz durch den ganzen Körper im Bindegewebe verstreut. Sie sind wahrscheinlich von Bedeutung für den Neubildungsprocess der Schale und die Entwickelung der Eier, deuten also überhaupt wohl einen besonders ausgiebigen Ernährungs- stand des Organismus an. Es war nun noch von Interesse, festzu- stellen, ob die grünliche Färbung und die Häufigkeit der zelligen Ele- mente in der Schalendrüse mit der Vermehrung dieser im Bindegewebe sich findenden grünen Elemente in Zusammenhang oder wohl gar in Abhängigkeit davon stände. Da ist mir denn gelungen, Stücke zu finden, in denen keine Spur von grünen Gewebs- und Zellmassen im Körper zu bemerken war, dennoch aber der Inhalt der Schalendrüse in grünen Zellen bestand, die vollkommen constant in der anhängen- den Blase sich fanden. Daraus folgt also, dass die Thätigkeit der Drüse nicht von jenem allgemein gesteigerten Nahrungszustand abhän- gig ist; es erklärt sich aber auch der stärkere Blutlauf in der Nachbar- schaft der Drüse, da sie dessen zur Secretion benöthigt ist; man braucht denselben dann nicht auf eine Respiration zu schieben, die durch die Wandung der vermeintlich mit von aussen eingedrungenem Wasser gefüllten Ganäle statthaben sollte. Was nun die Homologisirung der Schalendrüse mit der grünen asnan iiia Untersuchungen über Ban und Entwicklung der Arthropoden. 281 Drüse der Decapoden und der Drüse der unteren Antennen der Edrioph- thalmen angeht, so hat darüber nur die Embryologie eine entscheidende Stimme. Nur das will ich noch, ehe ich zu einer Darstellung derselben gehe, hinzufügen, dass der Vergleich\der Schalendrüse und der grünen Drüse mit den blattföormigen Anhängen der Asellus-Embryonen schon allein aus dem Grunde nicht zulässig erscheint, da ein Homo- logon der grünen Drüse nicht wie Leypa (l. c. p. 24) meint, dem Asellus abgeht, sondern deutlich an der Basis der unteren Antennen zu erkennen ist und auch von mir in meiner Darstellung der embryo- nalen Entwicklung des Asellus (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, XII, p. 257) erwähnt, und sogar, wie ich jetzt fürchte, fälschlich als Homo- logon der Schalendrüse angesehen wurde. Ueber die wirkliche Bedeu- tung der blattförmigen Anhänge der Asellus- Embryonen habe ich schon früher eine Ansicht ausgesprochen (On the Morphology of the Arthropoda. Journal of Anatomy and Physiology, II, p. 84); in einer, späteren Darstellung der Embryologie von Tanais werde ich die Be- weise für die Richtigkeit der damals geäusserten Ansicht beibringen. Jetzt gehe ich zur Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Daphnia longispina über, nachdem ich ein paar Worte über die, bisherigen Arbeiten gesagt habe, die sich um die Aufhellung der- selben Verdienste erworben haben. Da sind es wesentlich zwei Arbeiten, die zu nennen sind. Die frühere ist Zanpacn’s bekannte Schrift: »Untersuchungen über die Ent- wicklung und den Bau der Gliederthiere. I. Heft. Die Entwicklung des Phryganiden-Eies. 1854«. Zunvacn schildert in dieser Schrift auf Seite 96 und 97 die embryonale Entwicklung der Daphnia sima hauptsächlich in Rücksicht auf die Entstehung und zeitliche Aufeinan- derfolge der Gliedmaassen. Von seiner Darstellung wird die meinige in einigen Puncten abweichen, — das ist aber vielleicht nur Schuld eines anderen Beobachtungsobjectes. Von besonderer Wichtigkeit war Seine Angabe über das ursprüngliche Auftreten zweier Maxillenpaare, deren eines aber noch während des embryonalen Lebens wieder ver- schwindet. Viel vollständiger ist die zweite, ausgezeichnete Arbeit eines dänischen Zoologen, die erst kürzlich von Cand. P. F. Mürtrr zugleich mit einer vortrefflichen Monographie » Danmarks Cladocera« unter dem Titel »Bidrag til Cladocerernes Forplantningshistorie« in »Na- lurhistorisk Tidsskrift, udgivet af Prof. J. C. Scmepre. Tredie Raekke. Femte Binds første og andet Hefte. Kbebenhavn 1868.« erschienen ist. Der Verfasser giebt eine ausführliche, sehr klare und umsichtige Dar- Stellung der Eibildung in den Ovarien verschiedener Gladoceren (Lep- todora hyalina, Holopedium gibberum, Sidacrystallina, 282 | Dr. Ant. Dohrn, Daphnia galeata und Polyphemus) und fügt daran eine genaue Entwicklungsgeschichte der Leptodora hyalina. Obschon diese Arbeit in vielen Puncten ausführlicher ist als die meinige, möchte ich doch nicht darauf verzichten, die letztere jetzt zu publieiren, da ich sie unter wesentlich anderen Gesichtspuncten gearbeitet habe, als Herr P. F. Mütter, und an einem von Leptodora sehr verschiedenen Re- präsentanten der Gladoceren. Ich veröffentliche sie so, wie ich sie in meinen Notizen finde. 1. Stadium. DasEi ist ein Sommerei. Es misst 0,25 Mm. im Durchmesser. Es enthält einen grünlich-gelben Dotter, eine periphe- rische Keimschicht und ist verschlossen von einer einfachen Membran, dem Chorion. Ich erlaube mir, dabei auf eine Angabe von Lrynie zu- rückzukommen, die dieser ausgezeichnete Forscher bezüglich des Gho- rion in seiner »Naturgeschichte der Daphniden, pag. 64« macht. Es heisst dort: »Es mag zu den gewöhnlichen Erscheinungen gehören, dass ein oder das andere Ei im Brutraume sich wieder auflöst und dann nur davon die Schale übrig bleibt, anders wüsste ich wenigstens die zusammengerollten Häute nicht zu deuten, welchen man so häufig bei den verschiedensten Arten in der Bruthöhle begegnet.« Dies ist in- sofern nicht richtig, als es nicht nöthig ist, dass ein Ei zu Grunde geht, um sein Ghorion im Brutraum zu hinterlassen. Da sich später eine Larvenhaut um den Embryo bildet, wird das Chorion zu einer ge- wissen Periode überflüssig und zu eng für den Embryo; es platzt und rollt sich dann in der eigenthümlichen Weise zusammen, welche Levnıe a. a. O. beschreibt, während der Embryo, umschlossen und geschützt von der Larvenhaut, sich ruhig im Brutraum weiter entwickelt. Eine Thatsache, welche weder Leypie noch auch P. F. MürLer erwähnen, habe ich noch bezüglich des Chorions der Sommereier nachzutragen. Dasselbe zeigt nämlich eine deutliche, anscheinend zellige Structur; die einzelnen Felder derselben sind sechseckig und aufs Schärfste eines vom anderen geschieden (Taf. X, Fig. 13). Entweder ist diese Structur ein Abdruck der cellulären Structur der Schale des Brutrau- mes, die also einen Beweis dafür bildet, dass die Erhärtung der äusse- ren Plasmaschicht erst erfolgt, wenn der Eiinhalt, also die Plasma- Masse mit den Dotter-Elementen, bereits aus dem Ovarium in den Brutraum entleert ist, oder sie ist ein Product der Wandungszellen des Ovariums, wie ja auch die übrigen CGhorien. Der Dotter des Eies besteht aus drei grösseren Fettblasen , die ganz klar sind, und aus vielen anderen, verschieden grossen (0,014, 0,00%, 0,026 und 0,03 Mm.), die innen noch eine starke, licht- brechende Blase enthalten, in der Körnchen suspendirt sind. Die - Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 283 Keimschicht, welche die ganze Peripherie umgab, bestand aus Zellen von 0,008 Mm., welche alle halbkugelig nach aussen vorragten und keinerlei Cuticula oder sonstige Membran um sich gebildet hatten. Beim Zerdrücken des Eies platzte nun das Chorion, der Dotter floss aber nicht regellos aus, sondern die ganze Masse ward durch die Keimhaut zusammengehalten, deren einzelne Zellen vielleicht schon durch Ausscheidung irgend einer Intercellular- Substanz inniger ver- bunden waren, da sie selbst bei stärkerem Druck des Deckgläschens nicht platzten, Die Entstehung dieser Keimhaut habe ich nicht beobachtet, glaube aber, dass die Körnchenkugeln, die im Dotter suspendirt sind, daran wesentlich betheiligt sind. Ein Keimbläschen fand ich nicht. (Nach P. F. Mürser’s Auseinandersetzungen ist dasselbe aber vorhanden und zu beobachten.) In manchen Eiern fand ich, dass die Keimhautzellen 3— grössere helle Bläschen im Innern enthalten, die noch ausserdem von Körnchen umgeben sind. Allmälig platten sich die Zellen der Keimhaut mehr ab, so dass dieselbe auf dem optischen Querschnitt eine helle klare Schicht von 0,008 Mm. bildet, die indess auf dem Rücken sich noch mehr verdünnt. Auf der Bauchseite dagegen sieht man zwischen Keimhaut und Dotter noch eine 0,02 Mm. breite grün- lich - gelbe Plasmaschicht, welche dazu bestimmt zu sein scheint, von den Zellen der Keimhaut aufgenommen zu werden, und so zu deren äusserst raschem Wachsthum zu dienen. Die erste Spur des sich bildenden Embryos ist eine Einstülpung der Keimhaut an der verdickten Seite (Taf. X, Fig. $@d). Diese Ein- stülpung ist halbkreisförmig von einem kleinen Wall von unten her, d. h. von der späteren Bauchfläche umgeben. Oberhalb der halbkreis- förmigen Höhlung liegt eine kleine Verdickung der Keimhaut. Die Ein- stülpung ist die Mundöffnung, die Verdickung die Oberlippe. Nimmt man diese Einstülpung als topographischen Ausgangspunet, so liegen hinter ihr und etwas mehr zum Bauche hin die beiden grossen, runden Mandibelplatten (Fig. 8, III}, welche 0,06 Mm. im Durch- messer halten. Etwas oberhalb der Mundeinstülpung liegen die Srossen Ruderantennen (Fig. 8, I), die als gleich starke Aeste an gemeinsamem Stiel angelegt werden. Sie reichen beinahe um die halbe Peripherie des Eies herum, ihre Aeste sind auch gleich lang. Mit der Spaltungsstelle auf gleicher Höhe buchtet sich auch der Vor- derrand der Antennen etwas ein, so dass auch dadurch eine deut- liche Absetzung von Stiel und Aesten zu Stande kommt. Darüber, nach der Rückenseite zu, über das Stielende der Ruderantennen wenig hinausragend, liegt die obere Antenne (Fig. 8, 1), welche beide 284 Dr. Ant, Dohrn, zusammen nur ein Drittel der Eiperipherie umspannen. Der Mund- Einstülpung gerade entgegengesetzt buchtet sich die dort gleichfalls schon stark verdickte Keimhaut scharf ein, rundet sich nach aussen jederseits von dieser Einbuchtung ab und bildet die erste Anlage der Afteröffnung (Fig. 8, I), die auch die dunklere, grünlich- gelbe Schicht durchsetzt und bis an den eigentlichen Dotter geht. Beim Zer- sprengen des Chorions zeigt sich, dass bereits eine zweite Hülle den Embryo umgiebt: diese Hülle ist die La rvenhaut, und das bis- her geschilderte Stadium der Embryonal- Entwicklung das Nau- plius-Stadium, da es nur die drei typischen Gliedmaassen des Nauplius hervorgebracht hat. Am Schluss dieses Stadiums findet man im Gentrum des Dotters eine einzige röthliche Oelkugel von 0,068 Mm. Durchmesser. Die Embryonalzellen messen 0,012 Mm. 2. Stadium. Nach 17 Stunden (Taf. X, Fig. 9—10). Das Chorion umgiebt in theilweise weitem Abstand den in die Länge ge- wachsenen Embryo. Die Larvenhaut liegt eng an. Der Vorder- kopf ragt jetzt helmartig vor. Auf seiner Unterseite sitzen zuerst die kleinen Antennen, welche eiförmig nach unten gerichtet sind. Zwischen ihnen befindet sich die grosse Oberlippe, die beinahe eine kugel- förmige Gestalt besitzt. Auf gleicher Höhe mit ihr, aber ganz zu den Seiten, liegen die grossen Antennen, mit breitem, zweigliedrigem Stiel und gleich langen eylindrischen Aesten, auf deren Spitzen man bereits drei anwachsende Borsten bemerkt. Auf halber Höhe der nun schon stark verlängerten Oberlippe ragen dieMandibeln hervor. Sie sind abgerundet und durch Oberlippe, Maxillen und vordere Antennen etwas von den Seiten her zusammengedrückt. Die ersten Maxillen liegen dicht unter ihnen, eher etwas nach innen convergirend. Sie sind wesentlich kleiner als die Mandibeln, abgerundet, zuglei&h aber auch von Mandibeln und zweiten Maxillen etwas gepresst. Die zwei- ten Maxillen sind noch kleiner als die ersten, liegen aber etwas nach aussen von jenen. Vordere Antennen, Mandibeln und beide Maxillenpaare werden als einfache, mehr oder weniger halbkugelige Erhöhungen angelegt. Die nun folgenden Extremitäten jedoch legen sich als breite, von der Mitte bis an und über die Seitenwand hinweg- gehende Wülste an. Das erste Beinpaar ist nach hinten und aussen gerichtet, es geht spitz zu; an der Basis findet sich auf der Unterseite ein sehr kleiner Spalt, der ein geringes Stückchen der Gliedmaassen als homolog den folgenden Aesten abscheidet. An der Spitze der Ex- tremität sieht man gleichfalls eine Spaltung, die aber wie die eben er- wähnte durchaus nicht tief geht. Das zweite Bei npaar hat dieselbe Richtung und im Ganzen auch dieselbe Gestalt, wie die vorhergehende Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 2385 Extremität; nur ist ein wesentlicher Unterschied darin, dass die Basal- platte bedeutend breiter und gerundeter ist, auch ist der Spalt an der Spitze etwas tiefer. In der folgenden Extremität, dem dritten Beinpaar, ist der innere Basallappen bereits grösser als die andere Partie des Beines, der Spalt an der Spitze trennt auch ein etwas grösseres Stück ab, als an dem vorhergehenden Bein. Das vierte Beinpaar gleicht in der Anlage völlig dem dritten. Das fünfte end- lich ist erst angelegt mit horizontaler Linie, die kaum einen Spalt zur Aber enzung des Basalstückes besitzt. Die Afterspalte geht tief in die Keimhaut bis an den Dotter; eine Wandung für den Hinterdarm ist noch nicht von den Zellen der Leibeswandung abgespalten, doch erkennt man schon die Linie, wo die Spalte sich bilden wird. Zwischen der Afterspalte und dem gleich zu beschreibenden Schalenrande bemerkt man noch auf der Rücken- seite eine kleine, nach hinten offene halbmondförmige Einstülpung der Rückenwand und darin zwei kleine Fortsätze. Dieselben bilden die erste Andeutung der beiden auf dem Endhöcker des Rückens stehen- den Schwanzborsten,, welche Levne (l. c. p. 47) für homolog mit den gabelförmigen Anhängen der Edriophthalmen hält, — eine Annahme, die ich vorläufig wenigstens nicht zu theilen im Stande bin. An der vordersten Spitze des Kopfes bemerkt man eine zarte halb- kreisartige Contour, die sehr scharf ist. Darunter zeigt sich die Zel- lenwandung leicht verdickt. Diese Contour ist die erste Andeutung des Augenraumes. Unter und hinter demselben liegen zwei von der Hypodermis abgelöste Zellwülste, die wohl den Beginn der Hirn- Masse andeuten. Ueber ihnen liegt etwas Dotter, unter ihnen die vorderen Antennen. Auf gleicher Höhe mit den Mandibeln verbreitert sich dann der Umfang ‘des Körpers wesentlich, da hier die Schale sich zu formen beginnt, Dieselbe bildet ie offenbar durch Einschnürung vom Rücken her, während von unten die Leibeswand herumwächst und so die Faltenbildung und die doppelte Wandung der späteren Schale her- Stellt. Die Seitentheile der Schale bilden in diesem Stadium eine sack- förmige Ausstülpung, welche mit röthlicher, aus dem Dotter stammen- der Flüssigkeit angefüllt ist. Die Contour dieser seitlichen Schalendu- Plieatur sieht man auf dem Rücken zusammenlaufen, aber so zart, dass Sie kaum von der Rückenwandung abgesetzt erben An der Basis der Schalen-Anlage, an der Innenwandung derselben, findet sich eine dicht hinter der Mindäog des Schalenlumens in der Dotterraum des Embryo gelegene Verdickung. Ihre Bedeutung ist mir nicht klar ge- Worden, 286 Dr. Ant. Dobro, 3. Stadium. Die Bildung innerer Organe schreitet fort. Von oben bemerkt, man die Spitzen der Lebersäcke; sie liegen zwischen Dotter und Hypodermis und sind ziemlich schwer zu erkennen. Im Profil gesehen ragt jeder der beiden Schläuche bis an das jetzt schon mit Pigment versehene zusammengesetzte Auge heran. Aussen sieht man bereits eine deutliche Zellschicht für die Bildung der Muskeln be- stimmt. Im Innern ist ein Lumen, das am Grunde sehr eng, an der Spitze etwas weiter ist und zugerundet endigt. Der ganze Schlauch wächst offenbar als Ausstülpung der Darmwand nach oben. Die Schale hat sich weiter über den Körper nach hinten gestreckt; an ihrem Hinterrande entwickelt sich mit ziemlich breiter Basis ein nach hinten auswachsender Kegel, der alsbald rascher wächst, als die bei- den Seitenstücke der Schale und schon etwas gekrümmt ist, ehe er noch so weit gewachsen ist, um über den borstentragenden Wulst des Abdomen hinüber zu reichen. Auch wächst dieser Stachel, — denn ein solcher wird aus dem Kegel -— nicht in Abhängigkeit von den Schalen- hälften , sondern ganz für sich allein, so dass die Seitenschalen sich allmälig an ihn anlegen, während seine Wurzel unverändert stehen bleibt, wo sie ursprünglich lag, und nicht mit dem Weiterwachsen der Schale nach hinten geschoben wird. In diesem Stadium erkannte ich auch die ersten Anlagen der Schalendrüse (Taf. X, Fig. 3). Bei gewisser Tubusstellung erkennt man, dass jede Schalenhälfte, von deren mit röthlicher Flüssigkeit erfülliem Lumen schon oben die Rede war, mit trichterförmiger Mündung in den Leibesraum mündet. Vor dieser Mündungsstelle kann man eine zarte, beinahe kreisförmige Gon- tour erkennen, innerhalb welcher dicht an einander liegende Zellen von ungefähr 0,008—0,009 Mm. Durchmesser zu erkennen sind. Diese Zellen werden deutlich wahrnehmbar, da sich bereits die Wände der Schale so weit getrennt und durch gitterförmige Balken verbunden haben, dass die Blase in dem freien Raum zu erkennen ist. Neben derselben nach hinten zu verläuft ein Canal mit gleich zarter Contour, dessen eines Ende deutlich innerhalb der trichterförmigen Einmündung der Schale in den Leibesraum liegt. Man bemerkt jetzt auch auf dem Rücken in gleicher Höhe mit der Insertion der Ruderantennen eine zarte kreisförmige Contour von ziem- lich bedeutendem Durchmesser. Im Profil erblickt man an derselben Stelle eine buckelförmige Erhöhung der Hypodermis, — die Anlage des Haftorgans (Fig. 10c). Der Hinterdarm ist in den Dotter hineingewachsen,, seine Wandungen haben sich von der Körperwan- dung abgespalten. Die beiden Schwanzborsten auf dem Hinter- leibshöcker sind weiter in die Höhe gewachsen, werden aber von Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 287 scharfer halbkreisförmiger Furche nach vorn hin begrenzt. Ghorion und Larvenhaut bestehen beide noch. 4. Stadium. In diesem Stadium sind sowohl Ghorion wie Lar- venhaut bereits gesprengt, und der aus dem Brutraum herausgenom- mene Embryo schwimmt frei herum. Das Gehirn ist zu einer ein- zigen Masse verschmolzen, zeigt aber noch die Zusammensetzung aus zwei gleichen Hälften. Von den oberen Theilen wendet sich jederseits nach aussen der dicke Nervus opticus, biegt aber sogleich nach oben hin um und begiebt sich an das verschmolzene zusammengesetzte Auge, das durch seine hufeisenförmige Gestalt noch die ursprüngliche Zweiheit andeutet. Gehirn und Nervi optici bestehen noch aus unver- schmolzenen Embryonalzellen. Die beiden Pigmenthaufen des Auges liegen noch getrennt, die dichteren Stellen näher an einander; von Ihnen aus breitet sich das braune Pigment strahlenförmig zwischen die zahlreichen Krystallkegel aus, deren Bildung mir völlig identisch erschien mit derjenigen der Decapoden, über welche ich später einige Notizen zu veröffentlichen habe. Vor Allem scheinen sie viel zahl- reicher zu sein als beim erwachsenen Thier. Auch erkennt man ein- zelne Nervenstränge, die sich vom Bulbus an den dioptrischen Appa- rat begeben; die Kapsel, welche später das völlig verschmolzene Auge umgiebt, ist auch ‘bereits gebildet. Vor dem Gehirn liegt eine spatel- förmige Platte senkrecht von der Mittellinie des Hirns und der Kopf- Wandung ausgespannt. Sie besteht wie das Hirn aus einzelnen kleinen Rmbryonalzellen, scheint also ebenfalls nervöser Natur zu sein. Sie ist nach vorn spitz ausgezogen, ebenso nach unten unter das Gehirn und oben nach beiden Seiten, so dass die Platte sich mit vier Zipfeln an die Umgebung anschliesst. In ihrem Centrum liegt der Pigmentfleck des Entomostraken-Auges. Vor dem Gehirn beugt sich die Kopfkappe nach unten herum. An der Spitze stehen jederseits die beiden Vorsprünge der oberen An- tennen, welche die späteren Nervenstäbchen als 8 kleine glänzende Kegelchen nach aussen haben hervorwachsen lassen. Im Innern der Antennen ist die Scheidung der Hypodermis von den inneren Zell- Massen schon vor sich gegangen, letztere bilden einen länglichen Hau- (en, der durch einen langen, sich verschmälernden Ausläufer mit der Unterseite des Gehirns in Zusammenhang tritt. Ueber dem zusammen- Sesetzten Auge und unter dem einfachen setzen sich Ausläufer der Hy- Podermiszellen an die darunter liegenden Theile an. Die grossen Ruderantennen haben ihre definitive Gestalt erreicht. Die Aeste sind in drei Glieder getheilt (das 4. Glied des einen Astes scheint erst später gebildet zu werden), die Schwimmhaare sind . 288 Dr. Ant. Dohrn, ausgewachsen und lassen eine hellere Guticula und einen matteren Innenraum unterscheiden, haben aber noch keine Schwimmborsten an sich entwickelt. Der Antennenstiel zeigt ein langes Endglied, während das Basalglied in unregelmässige und weiche Faltungen zerfallen, sich nicht mit Deutlichkeit von dem anderen Gliede mehr absetzt. Im Innenraum der Gliedmaassen bemerkt man die Muskelstränge und Nervenbündel, die indess noch nicht weiter histologisch entwickelt sind, als dass sie eine äussere Haut abgeschieden haben. Die Ober- lippe hat die bekannte helmförmige Gestalt angenommen, welche der des Nauplius am Aehnlichsten ist. - Die Hypodermisschicht ist an der Spitze am dicksten, im Innenraum sind allerhand Zellhäufchen. Sie bewegt sich lebhaft auf und ab. Die Mandibeln sind hoch hinauf ge- wachsen, keilförmig nach oben verschmälert. Die ersten Maxillen konnte ich nicht präpariren und ohne Präparation waren sie nicht zu erkennen. Die zweiten Maxillen waren verschwunden. An den Beinen ist als Neubildung der äussere Kiemensack (Appendix vesiculiformis Sars) aufgetreten, während der innere Basalabschnitt sich zu dem Maxillarfortsatz entwickelt hat (Processus maxillaris Sars), welcher bereits seine 4 langen, handschuhfingerartigen Fortsätze am Rande trägt, während die beiden Aeste an der Spitze ziemlich gleiche Ausbildung erlangt haben und einzelne lange Schwimmhaare tragen. Das zweite Beinpaar entwickelt gleichfalls die beiden Aeste an der Spitze zu ähnlichen, schwimmhaartragenden, mehrfach eingeschnürten Theilen, während die breitere Basalplatte zu einer dicht und lang behaarten Platte wird, die nur noch an der Spitze zwei hand- schuhfingerartige Fortsätze trägt. Das dritte und vierte Beinpaar haben den äusseren Ast zu einer breiten Platte entwickelt, an deren Rande grosse, handschuhfingerförmige Fortsätze stehen; die innere Basalplatte ist kammartig mit langen Schwimmhaaren besetzt, zwischen beiden besteht der innere Ast als unscheinbarer, borstentragender Fortsatz. Das letzte Beinpaar endlich entwickelt keine Basalplatte, die beiden Aeste sind fast gleich unbedeutend, auch der äussere Kiemensack ist geringfügiger als bei den übrigen Beinpaaren. Der Hinterleib beugt sich nach der Bauchseite ziemlich weit nach vorn um. Seine obere Wandung ist einfach bis zu der Stelle, wo die beiden Borsten eingelenkt sind. Hier bildet die Wandung einen deutlichen Wulst, der sich eine Strecke weit am Hinterrande hinunter- zieht. Auf der Spitze dieses Wulstes stehen die beiden Schwanz- borsten, die ziemlich lang und gerade in die Höhe gerichtet sind. Sie haben noch keine Schwimmborsten. Die beiden grossen gekrümmten Dornen an der Spitze des Hinterleibes sind schon gebildet, liegen aber Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 289 aufwärts gerichtet der Wandung dicht an und werden von der Cuticula dieser Wandung eingeschlossen. Das Haftorgan besteht jetzt aus einem Haufen grösserer und kleinerer Zellen; die letzteren liegen mehr nach oben und in der Mitte. Die äusseren Zellen wachsen nach oben in die Länge; sie haben alle einen körnigen Inhalt. Auf halber Höhe des ganzen, wulstartig vorragenden Organs findet sich ein scharfer kreisförmiger Chitinring, dessen Bedeutung mir unklar ist. Eine Oeffnung ist an dem ganzen Organ nirgends vorhanden. Dicht hinter dem Organ inserirt sich mit abgerundeter Fläche jederseits der lange und starke Muskel der Man- diben. Ueber die morphologische Bedeutung des Organs gedenke ich an anderer Stelle zu sprechen. Die Schale umgiebt bereits den ganzen Körper und könnte auch auf der Bauchseite einen völligen Verschluss herstellen, wenn die beiden seit- lichen Falten mit einander verschmölzen. Es bleibt indessen nur bei einer Berührung. Wenn das Thier auf dem Rücken liegt, erkennt man die zellige Structur der Schale schwer, wohl aber, wenn es auf dem Bauche liegt; dann kann man die einzelnen Zellen in der oberen Wand erkennen, da ihr dunkler Inhalt sich von der helleren Begren- zung scharf absetzt. Zwischen den beiden Schalenblättern sind bereits deutliche Fortsätze gebildet. Der Rand der Schale wird von einer Reihe deutlicher, dicht an einander liegender Zellen gebildet, aus die- sen Zellen wachsen wahrscheinlich nachher die Dornen aus. Auch er- kennt man besonders deutlich am Rande die Guticula, welche die Schalenmatrix bereits. ausgeschieden hat. Der vorher beschriebene, kegelförmig angelegte Stachel des Hinterrandes der Schale liegt weit herumgekrümmt um den Hinterleib und reicht mit seiner Spitze bis auf die Mitte der Bauchseite. Er besteht jetzt aus einem hohlen Gylin- der, dessen Wandung einzelne dicht an einander liegende Zellen bil- den. In diesem Stadium ist der Stachel noch bis an seine Wurzel frei Und unverwachsen. Bald aber verbindet sich seine obere Wandung mit der oberen Wandung der Schalen, ebenso die untere mit der un- teren Schalenwand und eine spätere völlige Verwachsung nimmt dem Stachel die Selbstständigkeit. Die Schalendrüse ist bereits vollständig ausgebildet. Die Wandungen der Canäle sind etwas dicker als später, auf dem optischen Querschnitt ist das Lumen und der es umgebende Wandungsring sehr deutlich. Der Darmcanal ist vollständig fertig; eine Einstülpung des Oesophagus deutet den Magenabschnitt desselben an, in ihn münden die über dem Auge endenden Lebersäcke. Eine Querspalte vor dem Ende des Canals deutet den Beginn des Mastdarms an, zwischen diesen 290 Dr. Ant. Dohra, beiden Puncten ist die Darmwandung ganz homogen. Das Herz ist etwas diekwandiger als später, sonst ohne Unterschied von dem der ausgewachsenen Daphnia longispina. Auf dieses vierte Stadium folgt nun die Entlassung der jungen Daphnie aus dem Brutraum. Die Veränderungen, welche eingetreten sind, bestehen wesentlich in einer Veränderung der Richtung des Schalenstachels, der jetzt, statt nach unten und auf die Bauchseite ge- krümmt zu sein, mit seiner grösseren und basalen Hälfte mit den Sehalen verwachsen ist, und die freie Endhälfte nach hinten und oben gerichtet emporstreckt. Die Schale zeigt sehr regelmässige Rhomben, mehr dem Hinterrande zu Rechtecke. Die Gitterbalken, welche die beiden Wandungen verbinden, gehen unregelmässig von den einzelnen Feldern ab; so findet man manchmal 2— Verbindungen von einem Felde ausgehend. Die Ränder der Schalen sind an der hinteren Hälfte stark gezähnt; der Schalenstachel hat, so weit er frei ist, 4 Reihen von Zähnen, nach dem Rücken jedoch, wo er mit der Schale verwachsen ist, nur 2 Reihen. Die Schalenfelder des Kopfschildes sind viel un- regelmässiger als die seitlichen. Die Schalendrüse schliesslich ist jetzt ganz deutlich in ihren Beziehungen zu dem jungen Thier zu erkennen. Die Blase besteht aus dicht an einander liegenden, einem Pflasterepithel gleichenden Zellen, und mündet an ihrem hinteren unteren Ende mit sehr deutlichem Ausführungsgange in den Mittelpunct des Labyrinths der Canäle. Das Lumen dieses Ausführungsganges ist halb so gross wie das der Ganäle. Diese selbst lassen noch deutlich ihre Entstehungsweise erkennen. Es gehen nämlich von den Wandungen der einzelnen Canäle Ausläufer aus, welche das Lumen gitterartig durchziehen. Ebenso gehen auch von den Wandungen aussen an die benachbarten Ganäle kürzere Ver- bindungsfäden. Derselbe Canal, in welchen die Blase mündet, öffnet sich in einen kurzen trichterförmigen Ausführungsgang, der sich unter dem nach oben ziehenden Abschnitt der Ganäle verliert, — nach mei- ner Ueberzeugung sich in den Körper öffnet. Die obere Schleife der Canäle geht bis in die Höhe des Herzens. Ueber das ausgewachsene Thier weitere Mittheilungen zu machen ist um so überflüssiger, als in den Arbeiten Levoie’s, Krunzıngun’s und P. F. Mürzer’s, Anderer zu geschweigen, die Organisation ausführlich besprochen ist. Allgemeinere Auseinandersetzungen über die Morpho- logie der Daphnien behalte ich mir für einen Aufsatz vor, in dem ich meine embryologischen Untersuchungen über die Grustaceen abzu- schliessen gedenke. Hier will ich nur noch in Kürze auf die Organisa- Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 291 tion der Schalendrüse und einige Puncte der Entwicklung eines Lyn- ceus und der Daphnia sima eingehen. Die Blase der Schalendrüse von Daphnia sima (Taf. X, Fig. 2) liegt iopographisch genau an derselben Stelle, wie bei D. longispina, d. h. da, wo ein unpaarer Weg des Canals sich in den Körper zu öffnen scheint. Ueber diesem Stück des Canals verbindet sich der Sack mit dem Canalsystem durch eine schmale Mündung. Während bei D. longispina der Sack quer liegt und auf der langen Seite aus- mündet, findet man ihn dagegen bei D. sima der Länge nach gelegen, die Mündung an seinem engen unteren Ende. . Die Schalendrüse des L ynceus unterscheidet sich wesentlich von der der Daphnien dadurch, dass nur ein Canal vorhanden ist und dass die anhängende Blase nicht.vor, d. h. nach dem Kopf zu, son- dern hinter dem Canal liegt und dort von unten in ihn einmündet. Der Canal hat aber noch die Eigenthümlichkeit, dass an seinem unteren Ende sich zwei Reihen von maschenartigen Hohlräumen befinden, wäh- rend die Canäle der Daphnien nur eine Reihe solcher Hohlräume aufweisen. An dem Embryo von Daphnia sima ist besonders das Haft- organ (Taf. X, Fig. 5 u. 6) der Beachtung werth. Dasselbe besteht aus einem umschliessender Wall und einem inneren Kegel. Der letz- tere wurzelt rückwärts näher nach dem Herzen zu, von dort gehen Fa- sern, — wahrscheinlich Muskelfasern, doch vermochte ich darüber Dicht Sicherheit zu gewinnen — nach oben und haben an ihrer Spitze eine kleine gerundete Cuticula-Klappe; diese senkt sich nach allen Seiten, steigt dann aber wieder an den verdickten Hypodermiswan- dungen in die Höhe und bildet einen deutlichen runden Wall um jene Kappe. Sieht man das Haftorgan von oben an, so erkennt man zwei boh- Nenförmige Zellenhaufen im Innern, deren Länge 0,034 Mm. beträgt, ‘deren Breite (d. h. beide zusammen) 0,048 Mm. ausmacht, deren ein- zelne aus Kern und umgebende Körnchenmasse bestehenden Zellen 0,004 Mm. messen. Diese Körper liegen dicht über den hinteren Mus- keln der Ruderantennen. Vielleicht stehen die Fasern, die ich vorher erwähnte, im genetischen Zusammenhange mit diesen Zellhaufen. Auch die Gestalt der Kappe des inneren Faserkegels erkennt man vom Rücken her besser; sie ist kein runder Knopf, sondern ein breiter, Querer, ovaler Wulst. Ich habe nun zwar nie gesehen, dass die jungen Daphnien sich mittelst dieses Apparates an Glaswänden festhalten können, aber das Factum ist von sicheren Beobachtern constatirt, also nicht zu bezweifeln. Da liesse sich nun vermuthen, dass der dazu an- 3ewandte Mechanismus eine einfache Saugpumpe ist, dass der Kegel Sich in der Mitte mittelst der langen Fasern contrahirt, dädurch den 292 Dr. Ant. Dohrn, Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. umgebenden Wall an die Glaswand — resp. Stein — drückt und nun in diesem so geschlossenen Raum die Luft verdünnt. Dicht hinter diesem Apparat beginnt wie bei D. longispina der Schalenstachel (Taf. X, Fig. 7), in dessen Basis das Herz liegt. Man kann die cylindrische Wandung desselben sehr deutlich bis an die stumpfe Spitze verfolgen, welche ein bischen nach unten vorragt. Diese stumpfe Spitze entspricht dem langen aufwärts gerichteten Stachel von D. longispina; sie verschwindet bei erwachsenen Thieren völlig. Dass dieser Stachel, obwohl er unaufhörlich mit den Schalenhälften verwachsen ist, dennoch sein eigenes, rundum abge- schlossenes Lumen besitzt, geht daraus hervor, dass bei stärkerem Druck des Deckgläschens an der Basis grüne Dotterflüssigkeit in ihn hineintrat und bis an die Spitze vordrang. Dadurch ward ganz klar, dass die Höhlung des Stachels von dem Innenraum der Schalen durch eine eigene Wandung getrennt sei. Vom Embryo des Lynceus habe ich nur zu sagen, dass er weder ein Haftorgan noch eine ‘Spur eines Schalenstachels besitzt. Die Schale ist an ihrem Hinterrande scharf kartenherzförmig ausgeschnitten und umgiebt den ganzen Embryo, die Schalendrüse legt sich als ein Strang neben einander liegender einfacher Zellen an. Erklärung der Abbildung. Fig. 4. Schalendrüse einer erwachsenen Daphnia longispina. a Blase. b Canäle. c Mandibel. Fig. 2. Schalendrüse einer erwachsenenDaphnia sima. Bezeichnung wie oben. Fig. 3. Schalendrüsen-Anlage in einem Embryo von Daphnia longispina. r a und b wie oben. b; Eintritt der Canäle in die Körperhöhle. d Balken- bildung innerhalb der Schale. e Spalt zwischen Schale und Körper. 4. Haftorgan eines Embryo von Daphnia longispina. Fig. 5. Haftorgan eines Embryo von Daphnia sima. c oberer Wall. h Herz. Fig. 6. Haftorgan » » » » » c Faserzüge. h Herz. sch Schalendrüsencanäle. i Darmwand. Fig, 7. Rücken eines Embryo von Daphnia sima. c Haftorgan. h Herz. sch Scha- lendrüsencanäle. st Schalenstachel. Fig. 8—13. Daphnia longispina, Fig. 8. Naupliusstadium des Embryo. a Oberlippe. b unterer Wall der Mund- einstülpung. I, II, IH Antennen und Mandibeln. Fig. 9. Vorgeschritteneres Stadium vom Rücken gesehen. c Haftorgan. st Scha- lenstachel. æ Communication des Schaleninnenraums mit dem Körper. Die gelben Umrisse bedeuten die Schalanlage. Fig. 40. Derselbe Embryo von der Seite. Die römischen Zahlen bedeuten die Ex- tremitäten wie bei den Abbildungen zur Embryologie der Cumaceen. e Schalenrand. hek Schwanzhöcker. Fig. 44. Derselbe Embryo vom Bauche gesehen. z Die Afterspalte. Fig. 42, Ein noch weiter entwickelter Embryo. i Darm. k% Auge. st Schalen- stachel. heck Schwanzhöcker. d Lebersack. gl; oberes, gl, unteres Schlundganglion. (Die übrigen Theile des Nervensystems waren nicht zu erkennen.) Fig. 43. Chorion eines Soemmer-Eies. P nn ee Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. Von Dr. Ant. Dohrn. (Mit Taf. XI u. XI.) 7. Zur Kenntniss vom Bau und der Entwicklung von Tanais!. Frırz Mürter berichtet uns, dass es wesentlich eine Eigenthüm- lichkeit der Scheerena sseln gewesen sei, welche ihm, neben dem aufgefundenen Na uplius des Peneus, den Gedanken für die Grund- legung der Crustaceen- Genealogie eingegeben habe. Es heisst auf eite 10 seiner Schrift »Für Darwin«: — eine nähere Untersuchung er- ab, dass diese Asseln treuer als irgend ein anderer der erwachsenen Kruster manche der wesentlichsten Zosaeigenthümlichkeiten, namentlich deren Athmungsweise bewahrt haben. Während bei allen anderen Asseln die Hinterleibsfüsse der Athmung dienen, sind diese bei unserer Scheerenassel reine Bewegungswerkzeuge, in die nie ein Blutkörper- chen eintritt und der Hauptsitz der Athmung ist wie bei den Zoëa in den von reichlichen Blutströmen durchrieselten Seitentheilen des Pan- “ers, unter welchem ein beständiger Wasserstrom hinzieht, unterhalten, Wie bei Zoëa und den erwachsenen Decapoden, durch einen Anhang des "Weiten Kieferpaares, der allen anderen Edriophthalmen abgeht.« Im Bestreben, auf der von Frırz MüLLer betretenen Bahn fortzu- Schreiten , griff ich natürlich nach der ersten Gelegenheit, einer Ta- Naisart habhafı zu werden. Ich fand in Millport ziemlich häufig anais vitta tus; leider aber war die Jahreszeit schon so vorgerückt Und meine Zeit durch die Untersuchung der Cumaceen so in Anspruch Senommen, dass ich keine Eier mehr fand und von der Anatomie nur \nvollkommene Bruchstücke erarbeiten konnte. So machte mir beson- TE 1) Die zu diesen »Untersuchungen« gehörenden Aufsätze 4. Entwicklung und Organisation von Praniza maxillaris, 5. Zur Kenntniss des Baues von Paranthura- ostana , 6. Zur Entwicklungsgeschichte der Panzerkrebse, befinden sich in dem - Bande der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd, V. 3. 20 294 Dr, Ant. Dohrn, ders die Natur und Beschaffenheit der Mundtheile viel zu schaffen, und ich kam zu keiner Klarheit darüber. Als ich später in den zahlreichen und ausführlichen Beschreibungen Kroyer's mich zu belehren suchte, sah ich, dass es diesem sorgfältigen Zergliederer von Grustaceen ebenso wenig gelungen war, und auch die Notizen, welche in Spence Barr’s Sessile eyed Crustacea Vol. Il pag. 120 und 421 zu finden sind, beruhen weder auf Originaluntersuchungen, noch sind sie, wie ich jetzt sagen kann, richtig. Kürzlich dagegen hat derselbe englische Zoolog (Gar- cinological gleanings No. IV. in Annals and Magazin of Natural History for August 1868) auf einen Punkt der Anatomie von Tanais aufmerk- sam gemacht, der gleichfalls mit der Athmungsweise zusammenhängt. Spence Bare beschreibt und zeichnet einen »branchial appendage atta- ched to the first pair of Gnathopoda«. Dieses Organ, das ich anfänglich missverstand, dessen Befestigung an der Aussenwand des vorderen Leibesabschnittes mir indess von Spence Bare persönlich gezeigt wurde, veranlasste mich, die Eier einer Tanais zu untersuchen und deren Entwicklungsgeschichte zu bearbeiten. Ehe ich aber zur Darstellung derselben schreite, habe ich den ana- tomischen Befund des erwachsenen Thieres auseinanderzusetzen; es werden dabei die Probleme zur Anschauung kommen, welche die Em- bryologie zu lösen hatte. Der eigenthümlichste Charakter der Tanaiden ist für den ersten Blick das Panzerschild (Taf. XII. Fig. 6, 7), welches noch daserste Segment des Pereion mit überwölbt. Dasselbe zeigt an den Seiten eine blasen- artige Wölbung: unter dieser Wölbung sieht man die schnellen, im unregelmässigen Perioden erfolgenden Bewegungen des von Spence | Bare beschriebenen »branchial appendage«. Unter dem Panzer sind die Seitenwände des Körpers sehr geschweift, so dass ein ansehnlicher Hohlraum gebildet wird, dessen äussere Wandung Panzer, dessen innere die Körperwand ist. In der Ruhe sieht man jenen »Kiemenan- hang (Fig. 6, 7 f) mitunter der Panzerwandung anliegen, ebenso oft aber sieht man ihn über der Körperwand und da liegt dann sein hin- teres Ende ganz oben im höchsten Winkel des Hohlraums. Ausser diesem Kiemenanhang sieht man noch einen Anhang des Maxillenpaares (Fig. 7. IV), an dessen Ende zwei lange Haare sich befinden, innerhalb des Hohlraums sich auf und ab bewegen. Bei der Präparation gelingt es mitunter, den Kiemenanhang mit der Seitenwand abzulösen ; beide sitzen dann gewöhnlich an dem grossen Scheeren tragenden Beinpaa! (Taf. XII. Fig. 15) fest, so dass Spence Bare beides als zusammenger hörige Bildung beschrieben hat. In der Darstellung der Entwicklungs“ geschichte wird sich zeigen, dass dies mit Unrecht geschehen ist. Die Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 295 Kiemenplatte ist an ihrem hinteren und spitzeren Ende behaart, ist — von oben gesehen — nach aussen convex (Taf. XII. Fig. 1) und nach innen concav, ihre Insertion ist näher dem Vorderende, welches ge- rundet ist, und geht nach unten an die Wandung der Leibeshöhle. Ob hier ein Eintritt von Blut stattfindet, weiss ich nicht festzustellen, — jedenfalls ist aber der befestigende Stiel hohl, sei es nun zur Aufnahme der ihn bewegenden Musculatur oder um die Communication der Leibes- höhle mit der Platte herzustellen. Am Brustskelet folgt nach dem Kopf _ zu auf die Einlenkung dieser Platten eine Chitinleiste, an welcher offen- bar viele Muskeln der Mundtheile ihre Insertion finden. Von ihr aus lagern sich die Mundtheile über, resp. unter einander. Zu unterst, — also nach aussen — das am Grunde verwachsene Maxillarfuss- Paar (Taf. XII. Fig. 3 und 8), das die übrigen Mundtheile verdeckt, darüber und zwar dicht an seiner Basis das erste Maxillenpaar (Taf. XII. Fig. 4 und 10), dessen Insertion mittelst eines nach den Sei- ten wagerecht abstehenden Stieles erfolgt, der sich dann erweitert und nach vorn den Kauast, nach hinten aber den haartragenden beweg- lichen Ast trägt, welcher mit seinen beiden langen Haaren die Kiemen- platte und die ganze Kiemenhöhle rein zu halten hat. Die beiden Haare sind ungleich lang, der längere fast so lang wie der Kauast und der nach hinten gerichtete Ast zusammengenommen. Ueber der Einlenkung des Stiels der ersten Maxille, also zwischen ihm und der Basalplatte des Maxillarfusspaares sitzt ein kleiner blasenförmiger Anhang (Taf. XII. Fig. 10. V), dessen eigentliche Natur ich erst aus der Ent- Wicklungsgeschichte verstehen lernte. Er ragt mit seinem vorderen Theile nach vorn vor, und erinnert im Ganzen an ein Kiemengebilde. Die Mandibeln (Taf. XII. Fig. 5 und 18) sind nicht lang, haben aber einen langen Kaufortsatz , der wagerecht nach innen gerichtet ist, des- sen Ende schräg nach oben zu abgeplattet und mit Zähnen besetzt ist. Das vordere Stück der Mandibel ist gleichfalls fast rechtwinklig um- gebogen, an der Spitze gespalten und der obere Rand sägeförmig ge- zähnt. Die Unterlippe ist einfach und besteht aus 2 gleichmässig abgerundeten Platten , die mit Dornen besetzt sind. Sehr merkwürdig ist dagegen die Gestalt der Oberlippe. Dieselbe besteht aus zwei Theilen: einem oberen und vorderen, der kleiner ist und dicht behaart; ‚er ist deutlich von dem folgenden grösseren getrennt (Taf. XI. Fig. 9a, b). Der grössere ist nach vorn zu völlig abgerundet, von den Seiten her begegnen sich zwei gewulstete Fortsätze wie eine Art Zahnhöcker Mit zwei scharfen Dornen besetzt (Fig. 9 c), und schliessen zwischen Und unter sich einen längeren mittleren Fortsatz ein, dessen Spitze mit Haaren besetzt ist. 20* 296 Dr. Ant, Dohrn, Die Fühler und die Beine sind ganz normal gestaltet: ich übergehe ihre Beschreibung. Nur so viel muss ich erwähnen, dass ich mich nach meinen Erfahrungen unzweifelhaft zu Gunsten von Frırz MüLLER’S An- nahme zweierlei männlicher Formen bei Tanais entscheiden muss; auch bei der von mir in Messina sehr häufig beobachteten Art kamen dieselben Formen neben einander vor; die eine mit langen Scheeren, — die Packer, — die andere mit kürzeren Scheeren, aber zahlreicheren »Riechfäden«, mit ihnen zusammen aber nur eine weibliche Form. Ich gehe nun zur Darstellung der Entwicklungsgeschichte über. Die Eier von Tanais furchen sich, aber nicht regelmässig. Während der Furchung ist das Ei aber schon von 2 Häuten umgeben, deren eine somit das Chorion, die andere die Dotterhaüt oder in- nere Eihaut vorstellt!. Von einer Larvenhaut kann noch nicht die Rede sein, da die Eier nicht über den Anfang der Furchung hinweg waren, als ich die beiden Häute beobachtete. Die äussere Haut, des Ghorion, ist viel weiter und geräumiger als der Ei-Inhalt und bildet sehr viele unregelmässige Falten; die innere schliesst die Dotterballen ein und ist ganz rund ohne Falten. Spence Barre sagt (l. c. II pag. 116) »in the embryonic condition the development is after the manner of the Amphi- poda rather than that of the Isopoda.« Das ist indess keineswegs der Fall. Meine Darstellung wird zeigen, dass eine Aehnlichkeit der Ent- wicklung besteht mit A sellus, mit Oniscus und mit Cuma; — frei- lich weicht Tanais in mehreren wichtigen Punkten von allen übrigen Entwicklungstypen ab und steht ganz für sich allein. Das früheste Stadium, das ich beobachtete, zeigt den Embryo bereits im Besitz aller typischen Gliedmaassen mit Ausnahme der Pleo- poden. Der Keimstreif umgiebt in ziemlich gleicher Dicke den Dotter, nur an einer Seite ist die Masse der Embryonalzellen zahlreicher und ragt in den Dotter weiter hinein. Gerade an dieser Stelle findet sich zugleich die tiefe Einbuchtung, welche Kopf- und Afterende des Em- bryo trennt. Die Kopfplatten ragen tiefer in den Dotter vor, als die An- lage des Pleon und man kann bereits deutlich die Umbiegung der Falte sehen, welche den Hinterrand der seitlichen Kopfplatten zu bilden be- stimmt ist. Sämmtliche Gliedmaassen sind noch in dem Zustande auf- gewulsteter Platten. Nur die beiden Kieferpaare wachsen nach vorn, d. h. nach der Mittellinie des Keimstreifs zu, — alle übrigen Extremi- täten, auch die Beine richten sich im Wachsthum nach oben gegen den Rücken zu. Die beiden ersten Beinpaare, d. h. diejenigen, welche auf 1) Falls wir es hier nicht wiederum mit der Blastodermhaut van BENEDEN’S ZU. thun haben, worüber ich nachträglich keine Gewissheit mehr gewinnen kann. Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden, 297 die beiden Kieferpaare folgen, also das Maxillarfusspaar und das Gna- thopodenpaar sind bedeutend breiter und stärker als die nachfolgenden Beinpaare. Mund- und Afterspalte sind in diesem Stadium noch nicht zu sehen, natürlich auch keine Ober-- und Unterlippe. Rollt man den Embryo so, dass die Rückenseite dem Beschauer zugekehrt wird, so gewahrt man an den Seiten einen scheibenförmigen Wulst (Taf. XI. Fig. 2 iz), welcher mit seiner äusseren Fläche die den Embryo jetzt umgebende Larvenhaut, — welche wie bei den übrigen Crustaceen Sich auch hier nach der Anlage der Keimhaut gebildet hat, — dicht be- rührt und wie es scheint sogar in unauflösliche Verbindung mit der- selben getreten ist. Ich habe leider keine Beobachtungen darüber, ob von Hause aus diese Berührungsfläche bestanden hat, also eigentlich hier die Zellen der Scheibe nur mit der von ihnen abgeschiedenen Cu- ticula in Verbindung geblieben sind, während an den übrigen Theilen die Cuticula von der Matrix getrennt ist, oder ob dieser Wulst erst Später entstanden und an die Larvenhaut herangewachsen ist. Vergleicht man die Gliedmaassenanlage des Tanais- Embryo mit derjenigen des Asellus oder Cu'ma, so ergeben sich zwei wesentliche Unterschiede. Bei Asellus und Cuma ist das Maxillarfusspaar und die sämmtlichen Pereiopoden so angelegt, dass sie mit ihrem Ende nach dem Bauche zu wachsen und so sich schliesslich über einander schieben ; bei Tanais dagegen wachsen sie gerade entgegengesetzt nach dem Rücken zu und liegen zum Theil sehr unregelmässig; beim Asellus findet sich noch im Embryo die Anlage und vorschreitende Entwicklung der Pleopoden statt, bei Tanais dagegen nicht. In letzterer Beziehung gleicht Tanais mehr Guma, wo auch erst spät bei den Männchen die Pleopoden angelegt werden, bei den Weibchen aber gar nicht. Die nächste Entwicklungsstufe (Taf. XI. Fig. 3), die ich untersuchen konnte, war schon wesentlich vorgeschritten, doch lassen sich die Um- bildungen und Neubildungen aus der eben geschilderten unschwer her- leiten. Die Kopfplatten sind weiter nach rückwärts in den Dotter hineingewachsen , die Anlage einer Oberlippe ist zu erkennen, die Mundöffn ung ist vorhanden, unter derselben die Unterlippe als Seringe Wulstung des Keimstreifs. Darauf folgen Segmentanlagen bis an die Grenze des späteren Postabdomens, welches noch keine Spur derselben zeigt. Die Ausbildung der Gliedmaassen ist auch entsprechend Vorgeschritten, die Fühler wachsen in die Länge, der obere weiter als der untere; an dem Aussenrande der Mandibel ist ein Spalt aufge- treten, welcher sie in zwei Abschnitte theilt, deren obere die eigentliche Mandibel, der untere der Kaufortsatz wird; da Tanais an den Mandibeln keine Taster besitzt, erfolgt auch kein Auswachsen der Man- 298 Dr. Ant. Dohrn, dibelanlage nach oben und in gleicher Richtung mit den Antennen, wie ich es von Asellus beschrieben habe. Die erste Maxille hat am Hinterrande eine Einbuchtung erlitten, welche einen allmälig nach hinten auswachsenden Ast von derselben abtrennt. Die zweite Maxille ist unverändert und nimmt auch im Wachsthum nicht zu. Oberhalb ihres Hinterrandes dicht an dem folgenden Maxillarfusspaar findet sich einabgerundetes, einer Gliedmaasse ähnliches Stück (Taf. XI. Fig. 3 f), das mit zugespitztem Ende unter die Anlage des Maxillarfusses reicht: über die morphologische Bedeutung dieses Stückes will ich am Schlusse sprechen. Das Maxillarfusspaar ist in die Höhe gewachsen als ein gerader Stiel; nach hinten hat sich an der Basis ein abgerundeter Fortsatz entwickelt. Das erste Pereio- podenpaar oder die Gnathopoden sind noch weiter hinauf ge- wachsen, und lassen durch ihre jetzt schon bedeutende Dicke erkennen, - dass sie zu den mächtigen Scheerenfüssen geformt werden, welche Tanais charakteristisch sind. An der Spitze macht sich auch schon die Scheerenbildung bemerkbar durch eine Einbuchtung des oberen Hinterrandes. Die fünf darauf folgenden Pereiopoden liegen alle platt der Seite des Embryo an und sind ziemlich scharf zugespitzt. Am Ende des Pleon ist ferner eine Neubildung zu bemerken. Es entstehen dort nämlich jetzt schon die letzten Pleopoden, — die gabelförmigen Anhänge des Asellus — als eine gespaltene rückwärts gerichtete Ex- tremität. In dem frühen und isolirten Auftreten dieser Extremität ist wieder eine grosse Aehnlichkeit mit der Entwicklung von Cuma zu bemerken. Die Afterbildung entzieht sich der Beobachtung, da dieser hinterste Theil des Pleon von den Anhängen und von den Kopfplatten verdeckt wird. Liegt das Ei auf der Seite, so dass man den Keimstreif im Profil sieht, so bemerkt man im Gentrum der Dotteroberfläche einen grossen breiten Ring (Taf. XI. Fig. 3 tz). Die innere Begrenzung des- selben liegt aber höher als die äussere, woraus folgt, dass wir einen sich nach oben verschmälernden und oben abgeplatteten Kegel vor uns haben. Dieser Kegel ist der weiter entwickelte scheibenförmige Wulst, welchen ich vom ersten Stadium beschrieb. Unter ihm etwas nach vorn zu befindet sich ein anderer Ring, der gleichfalls dem Dotter aufliegt: dieser zweite Ring ist die Leberanlage, die hier wie bei Asellus und Cum a angelegt wird. Schliesslich findet sich noch eine gebogene Gontour (Taf. XI. Fig. 3 e), welche zwischen der Leberanlage und den Maxillen von dem Grunde der Mandibel bis an das Maxillarfusspaar geht: diese Gontour haben wir in gleicher Weise schon bei Guma kennen gelernt: es ist die erste Andeutung des Panzers. Alle drei Hüllen umgeben den Embryo auch noch in diesem Stadium, Untersuchungen über Bau und Bntwieklnng der Arthropoden. 299 Das nächste Stadium (Taf. XI. Fig. 4—6) ist gleichfalls sehr lehr- reich. Kopfplatten, Oberlippe, Unterlippe sind wesentlich fortgeschritten in ihrer normalen Entwicklung. Auch Fühler und Mandibeln lassen keine wesentlich neuen Eigenthümlichkeiten be- merken. An den ersten Maxillen ist aber in soweit eine wesent- liche Veränderung aufgetreten, als der hintere Ast sich mehr in die Höhe gerichtet hat und einfach als eine Fortsetzung des vorderen mehr ab- gerundeten Abschnittes erscheint. Legt man den Embryo auf den Rücken, so gewährt das erste Maxillenpaar einen sehr eigenthüm- lichen Anblick; die Gestalt ist aber schwierig zu beschreiben, — ein Blick auf die Abbildung (Taf. XI: Fig. 4. IV) leistet bessere Dienste. Die zweite Maxille hat sich in nichts verändert; sie stellt nach wie vor eine kleine gerundete Platte vor. Unter derselben und ganz deut- lich von ihr getrennt liegt jener merkwürdige Anhang. Er hat sich Jetzt weiter losgelöst und mit seinem freien Ende gleichfalls nach dem Rücken zu gerichtet; seine Basis wird von dem allmälig weiter herab- wachsenden Rande des Panzerschildes bedeckt. An den Maxil- larfüssen sind keine wesentlichen Neuerungen zu bemerken; auch das grosse G nathopodenpaar ist nur in soweit vorgeschritten, als die Anlage der Scheere sehr klar geworden ist. Die Pereiopoden sind stark in die Länge gewachsen, dabei aber zugleich stärker ge- krümmt als bisher. Das Pleon scheint etwas verkürzt zu sein, hat deutliche Segmentabschnitte bekommen, aber noch keine Pleopoden, mit Ausnahme des letzten Paares, das seine Lage völlig verändert hat ‚ nd statt nach rückwärts jetzt nach vorwärts gerichtet ist, d. h. seine normale Richtung vom Pleon nach hinten angenommen. Es ist etwas grösser geworden, besonders beginnt der innere Ast den äusseren im Wachsthum zu überflügeln. Die Afterspalte ist jetzt sehr deutlich zu erkennen, auch die Segmenteinschnitte des ganzen Körpers sieht "man viel deutlicher von oben und im Profil. DieLebern haben die Normale Entwicklung erreicht und wachsen als einfache Säcke nach hinten aus und die beiden über ihnen befindlichen seitlichen kegelförmigen Fortsätze sind stark verlängert, aber in noch un- Seschwächter Verbindung mit der Larvenhaut. Im folgenden Stadium (Taf. XI. Fig. 7) begegnen wir grossen und Wichtigen Veränderungen. Erstlich hat sich die Oberlippe helmartig über die Mundöffnung hinüber gelegt; ihr Unterrand zeigt zwei Ein- buchtungen , welche drei Lappen aus demselben bilden, einen mitt- leren und zwei seitliche. Nach vorn zu zeigt sich indess noch keinerlei Trennung der Oberlippe in zwei Abschnitte. Die Unterlippe ist Unverändert und besteht aus zwei abgerundeten, breiten Platten, die 300 Dr. Ant, Dohrn, mit dem Rande der Oberlippe beinahe zusammenstossen. Zwischen und über sie hinüber ragt der obere Mandi belfortsatz, während der Kaufortsatz noch verhältnissmässig wenig entwickelt ist. Die ersten Maxillen sind noch mehr in die Länge gewachsen , ihre Gestalt ist dadurch vereinfacht; ihr vorderer Rand ist schön gerundet, der hintere Ast wächst immer weiter nach hinten, so dass er schon das Maxillar- fusspaar berührt; der vordere verharrt dagegen in Gestalt einer nicht breiten, gerundeten Platte. Das zweite Ma xillenpaar hat auch noch jetzt keine Spur von Veränderung erlitten. Desto bedeutender aber sind die Umwandlungen des Maxillarfusspaares. Im zweiten von mir beschriebenen Stadium hatte sich an der einfachen Anlage ein doppeltes Wachsthum gezeigt: einmal nach oben, wie die übrigen Beine, dann aber hatte sich an der Basis eine halbrunde Platte nach hinten abgesetzt, die allmälig sich vergrösserte. Jetzt nun hat diese Platte sich auch nach vorn zu von dem Rumpf mehr abgelöst, hat auf der der Mittellinie des Bauches zugewandten Seite eine Einbuchtung erlitten und dadurch einen vorderen und einen hinteren Lappen gewonnen. Der vordere wächst nun nach vorn aus und findet sich in dem eben beschriebenen Stadium fast auf gleicher Höhe mit dem ersten Maxillen- paar, während das eigentliche Bein nach wie vor nach hinten und oben gerichtet ist, einige Andeutungen von Gliederung aufweist und völlig jenen Anhang bedeckt, welcher jetzt auch von dem immer weiter ge- wachsenen Panzerschilde bedeckt wird. Auf der Mitte zwischen der zweilappigen Basalplatte und dem nach oben gerichteten Bein sitzt die unveränderliche Platte der zweiten Maxillen, — also bereits völlig zurückgedrängt durch die sich mächtig entwickelnden Maxillarfüsse, die sich mit den Innenrändern der Basalplatten bereits berühren. Jener Anhang, den man jetzt seiner Lage und Gestalt nach ganz deutlich als den »branchial appendage« Spence Barr’s erkennt, den dieser Forscher als dem Gnathopodenpaar zugehörig betrachtet, hat sich stark gekrümmt und liegt jetzt in der That dicht neben der Basis des grossen Beinpaars, von dessen breiter Fläche sein hinteres Ende bedeckt wird. Das Gna- thopodenpaar selbst zeigt wie auch die übrigen Beinpaare vollstän- dige Gliederung; die Scheere ist jetzt, aus Mangel an Platz — nach hinten gewandt, die Beine sind ebenfalls länger und damit gekrümmter geworden; dagegen sind die kegelförmigen seitlichen Fort- | sätze gänzlich verschwunden und die Larvenhaut umgiebt völlig frei den Embryo. Dafür aber sind als eine wichtige Neubildung die Augen am Vorderrande des Kopfes aufgetreten. Merkwürdig genug liegen die- selben nicht an den Seiten der Kopfplatten, sondern ebenfalls wie bei den Gumaceen zunächst der Mittellinie des Kopfes. Wie schon Frırz -g Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 301 Mürrer geltend macht, sitzen die Augen auf deutlichen Augenstielen, die nur durch eine ziemlich tiefe Spalte von einander geschieden wer- den. An ihrem vorderen Ende findet man je einen braunen Pigmentfleck. Das Ei ist in diesem Stadium noch von der Larvenhaut umgeben. Schliesslich sind die Veränderungen zu erwähnen, welche der Embryo bis zum Auskriechen erleidet (Taf. XI. Fig. 8). Da finden wir nun besonders, dass an der Oberlippe die beiden Spalte tiefer ge- worden sind, und dass die seitlichen Lappen spitz- zugehen und über dem breiteren mittleren convergiren. Ausserdem hat sich an dem oberen Theil der Oberlippe eine deutliche Trennung zugetragen , so dass ein kleinerer Querwulst (Fig. 8 a) ganz von der eigentlichen Ober- lippe geschieden ist, diese aber an ihrem vorderen Rande eine mittlere und zwei seitliche Einbuchtungen aufweist. Die Unterlippe hat gleichfalls an jeder Hälfte eine kleine Einbuchtung des Vorderrandes erlitten; zwischen ihr und der jetzt etwas abstehenden Oberlippe liegen die stark gegen einander gewachsenen Mandibeln, deren oberer Fort- satz am oberen Rande stark gezähnt ist und an der Spitze zwei beson- ders scharfe und starke Zähne trägt, während der Kaufortsatz nur an der Mahlfläche mit Zähnen besetzt ist. Die wesentlichsten Veränderun- gen bringt aber das Maxillarfusspaar hervor, indem der vordere Lappen der basalen Platte (Taf. XI. Fig. 8 VI) stark nach vorn aus- wächst und mit dem der anderen Seite convergirend über die Basis der Unterlippe sich hinüber legt. Es wachsen auch an dem vorderen Rande dieser Platte mehrere Stacheln hervor. Der hintere Lappen hat sich etwas um seine Achse nach hinten gedreht, so dass seine Rundung mehr nach hinten, als nach innen gewandt ist. Nun aber hat sich der beinförmige Theil dieser Extremität nach vorn herumgedreht, — womit ‚auch die veränderte Lage der Lappen der Basalplatte in Zusammenhang Steht; — seine beiden Endglieder haben sich am Vorderrande mit aus- wachsenden Stacheln besetzt, und die Gliederung ist viel sichtbarer, so dass man die vier Glieder neben der Basalplatte deutlich unterschei- den kann. Hinter den beiden Lappen hat sich aber die Basalplatte noch Wesentlich vergrössert und ein grosser kreisförmiger Abschnitt hat sich von der Bauchseite abgesetzt (Taf. XI. Fig. 8 VI), auf dessen vorderem Theil die ganze Extremität jetzt befestigt ist. Durch diese Axenbewe- sung der Maxillarfüsse hat sich aber das Lagerungsverhältniss der davor liegenden Theile vollständig verändert. Die erste Maxille sitzt mit ihrem Stiel unter dem ersten Gliede des Maxillarfusstasters fest, — wenn wir den viergliedrigen, das eigentliche Bein repräsentirenden Abschnitt Taster nennen wollen ; der vordere Ast hat sich wie die Mandibel stark Nach innen gekrümmt, so dass seine mil langen Stacheln besetzte Spitze 302 Dr. Ant, Dohrn, in den Winkel hinein ragt, welchen der vordere Lappen der Basalplatte mit dem Tastertheil bildet. Der hintere Ast dagegen liegt unter dem Taster und ragt darunter hinweg, so dass seine Spitze den gleich zu besprechenden »Kiemenanhang« berührt. Die zweite Maxille ist jetzt ganz in den Hintergrund getreten und sitzt als kleine, gerundete Platte in dem stumpfen Winkel, welcher den Tastertheil des Maxillar- fusspaares mit dem neuen kreisförmigen Abschnitt bildet, der jetzt die eigentliche Basis des ganzen complicirten Apparates bildet. Der »Kie- menanhang« hat sich derweil immer mehr gekrümmt und ist mit seiner Insertion immer mehr hinaufgerückt durch das allgemeine Wachsthum des Vorderkörpers, so dass der ganze Apparat jetzt vor und oberhalb des gleichfalls nach vorn herumgewendeten Gnathopoden- paares sitzt und von der Seite her völlig durch den immer tiefer her- abgewachsenen Seitenpanzer in die Kiemenhöhle eingeschlossen wird. Dass die Beine sich fertig entwickelt haben , dass ferner nach dem Auskriechen bei der nächsten Häutung die Pleopoden erscheinen, dass die gabelförmigen Anhänge sich gliedern etc., das versteht sich von selber und bietet im Vergleich zu den sehr wichtigen und vielen Auf- ‚ schluss gebenden Entwicklungsvorgängen des vorderen Körperab- schnittes der Tanaiden wenig Bemerkenswerthes dar. Es mag mir nun gestattet sein, an diese thatsächlichen Mittheilun-- gen einige Ausführungen und Erwägungen anzuknüpfen. Die Unklar- heit und Unsicherheit, welche bezüglich der Deutung der Mundtheile von Tanais bisher bestand, rührt offenbar von der aussergewöhn- lichen Entwicklung des Maxillarfusspäares und von dem völligen Ent- wicklungsstillständ der zweiten Maxillen her. Ich habe leider die Monographie der Gattung von Liıwsesong nicht einsehen können und weiss nicht, wie derselbe die Schwierigkeiten gelöst hat, über die Krøyer und nach ihm Spence Bare nicht haben Herr werden können. Krøyer sagt bei der Beschreibung von Tanais gracilis (Naturhisto- risk Tidsskrift. Anden Raekkes andet Bind 4846—1849), »über die Mundtheile könne er nichts Näheres berichten ; nur von den Kieferfüs- sen könne er mittheilen, dass die eigentlichen Kieferplatten klein und etwas vierkantig seien, mit einer Borste an dem vorderen Innenwinkel versehen wären, die Palpen seien plump und fünfgliedrig und es fände sich eine kleine, langgestreckt-ovale Geissel oder Anhang an der äusse- ren Seite der Kieferfüsse am Grunde bog at en lille, langstrakt-oval Svebe eller et Vedhaeng findes paa Kjaebefoddernes ydre Side ved Roden« I. c. pg. #09). Und von Tanais tomentosus heisst es: »das zweite Kieferpaar scheint nur aus einer einzigen, einwärts gekrümmten, am Ende leicht zugespitzien Platte zu bestehen, wenigstens bin ich Untersuchungen über Bau und Entwieklung der Arthropoden. 303 nicht im Stande gewesen von irgend einem andern Theil zu berichten, den man für dies Kieferpaar hätte halten können. Die Platte scheint zweigliedrig zu sein, wenn schon undeutlich, am Ende trägt sie eine Borste »som ved Roden er fjerdanned, paa Siderne nogle lange Haar« (l. e. pg. 415). Ich kann nicht mit Sicherheit erkennen, welches Organ mit diesen beiden Beschreibungen gemeint ist, ob der »Kiemenanhang« oder das wirkliche zweite Kieferpaar, welches als Platte an dem Kiefer- fusspaar festsitzt. Dass Frırz Mürıxr mit seinem »Anhang des zweiten Kieferpaares« den Kiemenanhang gemeint hat, geht aus seiner Beschrei- bung desselben Organs in dem Aufsatze »Ueber den Bau der Scheeren- asseln« (Arch. f. Naturg. 1864 pg. 1) hervor. Dort giebt er an, dass ‚>ein lang säbelförmiger Anhang des zweiten Maxillenpaares« die Ath- mung unter dem Cephalothoraxschilde unterhalte. Da tritt nun vor allen eine Frage in den Vordergrund, ob der »Kie- menanhang« in irgend welcher Verbindung mit dem zweiten Maxillen- Paare steht, ob nicht. Seine erste Anlage ist freilich schon ziemlich weit ab von der Platte der Kiefer, aber es wäre doch denkbar, dass ein Anhang so weit nach oben entspränge, da ja auch das Wachsthum der andern Extremitäten nach oben hinauf stattfindet. Auch die erste Ma- xille bekommt ihren zweiten Ast an der oberen und hinteren Seite, wennschon er immer in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Grund- gliede bleibt. Das wären Gründe, welche für diese Meinung geltend gemacht werden können, während andere dagegen einstehen. So vor Allem die völlige Trennung des Anhangs vom Grundgliede, seine selb- Ständigen Bewegungen, seine Gestalt und Einlenkung und — die Mög- lichkeit in der Kieme der Cumaceen , oder vielmehr dem kiemenartigen Organ dieser Thiere, dessen embryonale Anlage ich beschrieben habe (enaische Zeitschr. V, pg. 62) ein Homologon zu schen. Wie bei den Cumaceen mit dem Auftreten des Gephalothoraxschildes der kleine An- hang erscheint, welcher nachher als das lange kahnförmige Organ un- ter dem Schilde verborgen liegt, so erscheint auch bei Tanais dieser Anhang zugleich mit dem Panzerschilde. Bei Cuma liegt aber der An- hang auf gleicher Höhe mit dem ersten Maxillenpaar, während das Zweite seine drei Aeste normal entwickelt, deren einer nach hinten sich richtet und wie bei Tanais der zweite Ast des ersten Maxillenpaares die Reinhaltung der Kiemenhöhle besorgt. Wenn also diese beiden Theile homolog sind, so könnte gar nicht die Rede davon sein, in der Tanais- Kiemenplatte einen Anhang des zweiten Maxillenpaares erblicken zu Wollen, es wäre denn, dass sich nachweisen liesse , wie jener kleine Anhang nur die Spitze der weiter nach hinten wurzelnden und noch nicht in die Erscheinung 'getretenen grossen Platte wäre, welche aller- 304 Dr, Ant. Dohrn, dings über dem ersten Maxillenfusspaare mit der Körperwand zusam- menhängt. Nun kommt dazu, dass der Kiemenapparat bei Cuma in Verbindung mit dem Maxillenfusspaar steht, wie ich 1. c. pg. 71 be- schrieben habe. Wie ich mich aber an einer bei Messina gefangenen und später von mir zu beschreibenden C u ma überzeugt habe, ist diese Befestigung durchaus secundär; die Hauptsache ist, dass die Kieme direct mit der Leibeswand durch einen runden Stiel, den ich auch 1. c. pg. 71 beschrieb, verbunden wird, und dass nicht durch die Be- wegungen desKieferfusspaares, sondern durch eine eigne im Körper gelegene Musculatur dieKieme auf- und abbe- wegt wird. Dadurch wird die Aehnlichkeit der beiden in Frage stehenden Bildungen sehr erhöht, denn auch der Anhang in der Kie- menhöhle von Tanais wird durch eigne Muskeln bewegt. Und da beide auch physiologisch dieselben Leistungen vollbringen, — nämlich die Erneuerung und Bewegung des Wassers in der Kiemenhöhle — so könnte man vielleicht glauben, die Kiemenanhänge der CGumaceen und Ta- naiden seien homolog. Wie nun in Rücksicht auf die allgemeine Morphologie der Grustaceen diese Frage zu entscheiden ist, darüber werde ich meine Meinung in dem allgemeinen Aufsatz am Schluss dieser speciellen Untersuchungen sagen. Aber noch auf einen zweiten Punkt der Aehnlichkeit zwischen Cuma und Tanais habe ich aufmerksam zu machen. Er betrifft die Zweiästigkeit der Gliedmaassen hinter den beiden Maxillenpaaren , die bei Cuma ja so evident ist. Auch bei Tanais existirt davon noch eine Spur grade am Maxillarfusspaar. In dem zweiten von mir beschrie- benen Stadium wächst an der Basis dieser Extremität die erste Anlage des Basallappens aus: diesen Auswuchs, glaube ich, darf man für homolog dem inneren Aste der gleichen Extremität der Cumaceen hal- ten, über dessen Entwicklung l: c. p. 63 das Nähere gesagt ist. Was nun die Anlage und überhaupt das Vorhandensein eines Pan- zerschildes anlangt, so brauche ich nicht erst darauf hinzuweisen, nach welcher Seite dasselbe für die Bestimmung der Genealogie zu verwer- then ist. Darüber werde ich gleichfalls in dem zusammenfassenden Aufsatz am Schluss dieser Untersuchungen mich aussprechen. Und so will ich hier auch nur kurz darauf hinweisen, dass die Embryologie von Tanais mir endlich geboten hat, wonach ich lange und emsig gesucht habe: nämlich ein Homologon der blattförmigen Anhänge der Asellus-Embryonen. Denn dafür muss ich die kegelförmigen Fortsätze erkennen, welche die Seiten des Embryo mit der Larvenhaut in Verbindung setzen. Ihr Entstehen und ihr Ver- gehen gleicht bis auf geringe Abweichungen dem jener merkwürdigen Fig, Fig. Fig. Fig, Fig, Fig. Fig, Fig. Fig, Fig, und hinsichtlich ihrer morphologischen Bedeutung so vielfach missver- Standenen Organe, beide treten nun zusammen als alte Urkunden längst verflossener Zeiten ein und liefern dem Historiker des Krebsstammes untrügliche Beweise in die Hand, wo er die Ausgangspunkte des Edriophthalmen-Zweiges in dem Stamme zu suchen hat. Fig. 44, Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden, 305 Erklärung der Abbildungen. Tafel XI. 4—8. Entwicklung von Tanais Savignyi (?). 4. Frühestes Stadium. Die römischen Ziffern bedeuten dasselbe, wie auf ‘den Tafeln der Cuma-Embryologie. 2. Dasselbe Stadium vom Rücken. 3. Ein etwas späteres Stadium. Extremität XIX ist hinzugetreten. a und b Ober- uud Unterlippe. d Leberanlage. e Andeutung des Panzerschildes. f Kiemenanhang. tz kegelförmiger Fortsatz. 4. Späteres Stadium. Bezeichnung wie oa Noch von Chorion, Dot- 5. Dasselbe Stadium von der Seite. . terhaut, Larvenhaut um- 6. = a vom Rücken. J schlossen. 7. Späteres Stadium. Chorion und Dotterhaut sind abgestreift. k die Augen. Die kegelförmigen Fortsätze sind verschwunden. 8. Vorderkörper eines zum Ausschlüpfen reifen Embryos. Larvenhaut ist gesprengt. a das untere œ, das obere Stück der Oberlippe. Tafel XII. 4—5. Tanais vittatus. 4, Kiemenanhang. a Stiel, welcher denselben an den Leib befestigt. 2. Gnathopode und erste Paar der Pereiopoden. 3. Maxillarfusspaar. a Basalplatte. b vorderer Lappen derselben. c Taster. 4. Erste Maxille. a Kauast. b Kiemenast. 5. Mandibel. 6—49. Tanais Savignyi. 6. Vorderkörper. I. Obere Antennen. VII. Gnathopoden. k Augen. fKie- menanhang in der Kiemenhöhle, in die man von oben hineinsieht. - 7. Derselbe im Profil. Dieselben Bezeichnungen. IV ist der hintere Kiemen- ast des ersten Maxillenpaares (»Packer« nach Frırz Mürzer). 8. Maxillarfuss. 9. Oberlippe. a vorderer, oberer Theil. b unterer Haupttheil. c seitliche, mit Stacheln versehene Wülste. Fig. 40. Mundtheile. IV erste Maxille, IV} Kiemenast derselben. V zweite Maxille als einfache Platte an der Basalplatte von VI dem Maxillarfusspaar befe- stigt. f Kiemenplatte. Obere Fühler. Fig. Pig, Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 42. 43. 14, 45. 46. ME 18. 19 Dr, Ant, Dohrn, Untersuchungen ete. Untere Fühler. Letztes Pleopodenpaar (gabelförmige Anhänge). Ein hinterer Pereiopode. Gnathopoden-Einlenkung. a Kiemenanhang. b Körperwandung, c Gna- thopode. Der auf das Gnathopodenpaar folgende Pereiopode. Scheere des Gnathopodenpaares (»Riecher« nach Fritz MÜLLER). Obere Hälfte der Mandibel. Ein Pleopode. Mittheilungen aus dem chemischen Laboratorium von E. Reichardt. Veber die Zersetzungsproduete des Traubenzuckers bei Einwirkung starker Basen, von Dr. H. Reichardt. Schon im vorigen Jahrhundert beobachtete Lowirz !: dass Aetz- kalk, die Alkalien und bei erhöhter Temperatur auch das Ammoniak den Traubenzucker bräune und erkannte dies als Eigenthümlichkeit des Honigzuckers gegenüber dem Rohrzucker, welcher diese Reaction nicht Siebt. Nach der Trennung der beiden Zuckerarten des Honigs, deren Verschiedenheit Lowırz zuerst nachwies, versuchte derselbe auch die durch Einwirkung des Aetzkalks auf den festen Honigzucker erhaltene Säure zu isoliren, indem er, nach Entfernung der gefärbten Theile Mittelst Kohlenpulvers, aus der Lösung des Kalks und der gebildeten Säure letztere mit Bleiessig ausfällte und den Niederschlag durch Schwe- (elsäure zersetzte. Später, in den Jahren 1837 und folg., waren es besonders einige französische Chemiker, die sich mit der Erforschung der Zuckerarten und so auch mit der Einwirkung der Basen auf dieselben beschäftigten. MaLacurr2 fand, dass beim Auflösen von Zucker in schmelzendem, kau- Stischem Kali und Kochen dieser Lösung Ulminsäure (acide ulmique) und Ameisensäure gebildet werde. Püricor 3 fand zuerst die Glucin- 4) Grer’s Annalen 1792, Bd. I, 292 u. folgd., 345 u. folgd. 2) BerzeLıus, Jahresbericht, 4837, S. 248. 3) Annalen der Pharmacie 4839, Bd. XXX, S. 75. Berzetiws Jahresbericht, 1839, S. 978, 4840, S. 457. 308 H. Reichardt, säure — so von Dumas, von Pgrrcor Kalizuckersäure genannt — als Product der Zersetzung einer Zuckerkalklösung bei längerem Stehen- lassen. Er untersuchte das Bleisalz derselben und gab ihm die Formel 024415015, 6PbO, mit welcher seine Analyse, wie schon Berzeurus be- merkt, nicht ganz stimmt. Bei höherer Temperatur fand Prior andere Zersetzungsproducte. Krystallisirtes Barythydrat und Traubenzucker, bei 100°C. zusammen- geschmolzen, lieferten unter heftigem Ausstossen von Wasserdämpfen eine braune Masse, die mit Salzsäure im Ueberschuss versetzt, einen schwarzen, flockigen Niederschlag abschied. Dieser verhält sich der Japonsäure ähnlich und wurde von Dumas Melasinsäure genannt. PrLı- cot bemerkte ausserdem noch einen nicht flüchtigen , Silbersalze leicht reducirenden Körper, der nicht näher von ihm untersucht wurde. In neuerer Zeit hat Kawauır diese Untersuchungen erweitert. Rocnteper ! berichtet darüber in den Abhandlungen der Wiener Aka- demie, dass von Kawanınr die Glucinsäure als Zersetzungsproduct des Tannins gefunden und sie dann, um ihre Eigenschaften kennen zu ler- nen, durch Einwirkung von Baryt auf Traubenzucker dargestellt wurde. Kawarıer erhielt aber die Glucinsäure nicht, wie Psricor und MULDER (s. später), in trockener Form, sondern in zähflüssiger. Nach der an- gestellten Elementaranalyse bestand sie aus G16 H13013. Einem Baryt- salze gab Kawarıer nach der Barytbestimmung die Formel 2 BaO. Ct6H11011, Die Zersetzung des Traubenzuckers wurde nun weiter von ihm verfolgt und gefunden, dass auch in einer Wasserstoffgasatmo- sphäre bei höherer Temperatur Bräunung eintrete, und dass das beim Kochen übergegangene Destillat wenige Tropfen einer Flüssigkeit, die derselbe für Aceton hält, aufgelöst enthielt. Der Rückstand lieferte nach dem Behandeln mit Kohlensäure gefärbten kohlensauren Baryt, der, zersetzt mit schwefelsäurehaltigem Wasser, eine dunkelbraune Lösung gab, welche nach einigem Stehen braune Substanzen ausschied. Das vom kohlensauren Baryt befreite Filtrat gab, nach Entfernung des noch gelösten Baryts durch Schwefelsäure, beim Kochen ein farbloses Destillat in dem eine Doppelsäure, von RocuLzper — Ameisenessig- säure — genannt, gefunden wurde. Die Analyse des Barytsalzes dieser Säure stimmt nicht mit der theoretischen Formel. Soweit reichen die Kenntnisse über die hier auftretenden Zersetz- ungen. Allerdings hat Murper noch die Glucinsäure und deren Zer- setzungsproduct — die Apoglucinsäure — dargestellt und näher kennen 4) Mathemat. naturwissenschaftl. Sitzungsbericht der Wiener Akademie 1858. Bd. XXX, S. 122. a P" Ueber die Zersetzungsproduete des Traubenzucker ete. 309 gelehrt!. Derselbe erhielt sie aber nicht bei Einwirkung von Basen auf Traubenzucker, sondern aus dem Rohrzucker durch Einwirkung der Schwefelsäure und sagt selbst, dass eine nähere Untersuchung der Glucinsäure wünschenswerth sei. Einwirkung des Baryts auf Traubenzucker. Als Alkali wählte ich wegen der so leichten Abscheidbarkeit und dennoch starken, chemischen Einwirkung den Baryt in der Form des = krystallisirten Barythydrates. Der Zucker war mit Ausnahme einiger, besonders angeführter Fälle der aus Stärke dargestellte, rechtsdrehende Traubenzucker , welcher durch Auflösen in kochendem, starkem Alko- hol, aus dem er beim Erkalten herauskrystallisirt, völlig gereinigt wor- den war, so dass verschiedene Elementaranalysen genau die Formel 012 414014 erwiesen. Mehrfache, vorhergehende Versuche ergaben, dass 11/2 Aeq. Baryt auf ein Aeq. Traubenzucker (Q12H14 014) die geeignetsten Verhältnisse bieten, um sowohl die vollständige Zersetzung des Zuckers zu bewir- ken, als auch die weitere Abscheidung einer Barytverbindung mit einer bisher übersehenen Säure zu ermöglichen. Baryt in der Form eines Möglichst concentrirten Barytwassers wurde, dem angegebenen Ver- ` ! hältnisse entsprechend, mit Traubenzucker , welcher in wenig Wasser Selöst war, versetzt. Bei gewöhnlicher Temperatur färben sich diese beiden Lösungen während des Mischens nur wenig gelber, und erst Dach längerem, tagelangem Stehen wird das Gemisch gelb bis braun. Mit der stärkeren Färbung tritt auch die Bildung eines gefärbten Nie- derschlags auf. Wird die Temperatur erhöht, so färbt sich die Mischung sehr schnell intensiv braun und bei circa 80° C. trübt sich die vorher klar gewesene Flüssigkeit in ihrer ganzen Masse und scheidet sehr bald einen gelbbraunen Niederschlag ab. Bei dieser Veränderung wird die Temperatur im Innern nur wenig erhöht, doch bleibt sie auch nach Entfernung der Flamme bei 81—80° C. einige Zeit constant. In geschlossenen Gefässen zeigt sich bei der sehr rasch eintreten- den Zersetzung keine Volumveränderung, so dass eine chemische Ein- Wirkung der Luft, resp. des Sauerstoffs, nicht stattzufinden scheint. Flüssigkeit wie Niederschlag reagiren stark alkalisch und ziehen beide leicht Kohlensäure an. Diese kann aber unmittelbar nach Been- igung der Reaction nicht nachgewiesen werden. Die Zersetzung des Zuckers verläuft völlig gleich, wenn krystalli— 4) Journal für prakt. Chemie. Bd. XXI, S. 230. Bd. V. 3. 310 H. Reichardt, sirtes Barythydrat und geschmolzener Traubenzucker in dem oben an- gegebenen Verhältnisse gemischt und auf dem Wasserbade zusammen erhitzt werden. Man muss jedoch die Vorsicht gebrauchen, die gebil- dete braune Masse sofort nach der unter heftigem Ausstossen von Was- serdämpfen stattfindenden Zersetzung jeder weiteren Einwirkung der Wärme zu entziehen, um die Bildung der von Pruıcor aufgefundenen Melasinsäure zu vermeiden. Diese Säure scheint erst bei längerem Er- hitzen bis zur Trockne gebildet zu werden und ist wahrscheinlich ein weiteres Zersetzungsproduct. Da die beschriebene Einwirkung des Barytwassers auf Trauben- zucker eine so deutlich begrenzte und charakteristische ist, so wurde der Versuch mit anderen Zuckerarten wiederholt. Rohrzucker, welcher überhaupt nicht so leicht von Alkalien zersetzt wird, giebt auch diese Reaction nicht. Gut krystallisirter, nur schwach gelblich gefärbter In- vertzucker, aus Rohrzucker durch Inversion mittelst sehr verdünnter Schwefelsäure dargestellt, gab aber ganz dieselbe Erscheinung, welche allerdings auch blos durch die in demselben enthaltenen rechts drehen- den Fruchtzucker eingetreten sein konnte. Um darüber Gewissheit zu erhalten, wurde, eigens für diese Prüfung, der noch so wenig unter- suchte, nicht krystallisirbare, links drehende Fruchtzucker aus Invert- zucker dargestellt. Nach Dusrunraur’s Vorschrift wurden 10 Theile Invertzucker und 6 Theile frisch bereitetes Kalkhydrat mit 100 Theilen Wasser gemengt: Das Gemisch erstarrte bald und wurde nach einigem Auswaschen mit kaltem Wasser erst mit der Hand, hierauf mittelst einer hydraulischen Presse zwischen leinenen Tüchern bis zur festen, bröcklichen Masse gepresst. Es muss bei diesen Operationen jede Erwärmung sorgfältig vermieden werden. War das Kalkhydrat oder die Zuckerlösung noch warm, so bilden sich sofort braune Zersetzungsproducte , die eine un7 gemein lösende Wirkung auf den Zuckerkalk ausüben und die ganze Abscheidung desselben verhindern können, oder doch wenigsten® ein sehr braunes Product schliesslich liefern. Nach dem Pressen | wurde die erhaltene Masse festen Zuckerkalkes, der auch in die- | sem Zustande sich bald bräunt, sofort zerkleinert und in klei- nen Portionen, um jede stärkere Erwärmung bei der Zersetzuug zu vermeiden, mit sehr verdünnter Schwefelsäure behandelt. Der 86° bildete Gyps wurde von der schwach sauer reagirenden Lösung abfil- trirt und diese bei gelinder Wärme zuletzt unter Zusatz von etwas Kreide eingedampft. Der so erhaltene Zucker wurde noch in Wein geist gelöst und stellte, nach Verdunsten desselben, eine nur wenig gefärbte, auch nach monatelangem Stehen nicht krystallisirende , zäb- | Ueber die Zersetzungsproduete des Traubenzuckers ete. 311 flüssige Masse dar. Eine wässerige Lösung derselben zeigte die für diese Zuckerart so charakteristische Eigenschaft, den polarisirten Licht- strahl links zu drehen. Dieses Verhalten stimmt mit dem von Duprun- Faut für diesen Zucker angegebenen völlig überein. Mit Barytlösung zeigte auch dieser linksdrehende Zucker ganz die- selben Erscheinungen wie der andere Fruchtzucker, nur scheint Bräu- nung wie Abscheidung etwas früher zu erfolgen. Milchzucker kann in Barytwasser, ohne die geringste Färbung der Flüssigkeit zu verursachen , bei gewöhnlicher Temperatur gelöst wer- den. Beim Erhitzen färbt sich diese Lösung nur sehr allmählig, bei 80% C., aber wird sie intensiv braun, jedoch ohne dass eine Abscheidung stattfindet. Diese erscheint erst bei c. 90° C. und zwar in viel gerin- Serem Massstabe als bei der Zersetzung des Traubenzuckers. Werden Milchzucker und Barythydratkrystalle trocken erhitzt, so tritt die Reac- tion unter Ausstossen von Wasserdämpfen und Erhöhung der Tempe- ratur ein. Saccharumsäure, Die Barytverbindung, welche beim Erhitzen eines Gemisches von Barytwasser und Traubenzuckerlösung sich ausscheidet und. welche auch erhalten wird, wenn die braune, durch Zusammenschmelzen von Barythydrat und Traubenzucker erhaltene Masse so lange mit Wasser verdünnt wird, als sich noch ein Niederschlag bildet, enthält immer etwas glucinsauren Baryt. Man muss, um die in dem Niederschlage enthaltene Säure rein zu erhalten, diesen in Wasser zertheilen und von Verdünnter Schwefelsäure so viel zusetzen, dass die Flüssigkeit schwach Sauer reagirt. Es bildet sich hierbei ein in Wasser lösliches saures Salz, während schwefelsaurer Baryt sich abscheidet. Nach Entfernung des letzteren wird die filtrirte Lösung mit Bleizucker versetzt und der erhaltene Bleiniederschlag schnell ausgewaschen, da er sich an der Luft leicht bräunt. Aus diesem erhält man durch Zersetzen mit Schwefel- Wasserstoff die reine, entschieden sauer reagirende Säure. Ihre Lö- Sung bei gelinder Wärme verdunstet, giebt eine braune, pulverisir- are Masse, welche sich leicht bei erhöhter Temperatur zersetzt, wie es Scheint unter Bildung eines kohlenstoffreicheren Körpers (Melasin- Säure?), Die Säure wurde bei 800 C. getrocknet und dann der Elementar- Analyse unterworfen. 0,3227 grm. gaben 0,5449 grm. CO? und 0,1496 grm. HO H. Reichardt, ber. gef. cu 46,46 546,05 H°? 4,90 5,15 0 48,6% 48,80 Die Analyse entspricht der Formel C!1H90!!, oder, worauf die Zusammensetzung der Salze hindeutet, der theoretischen Formel 01 H6 08 + 3HO. Die Säure ist ein gelbbraunes Pulver von zusammenziehendem Geschmacke, löst sich leicht in Wasser und Alkohol, schwierig und nur wenig in Aether. Die wässrige Lösung färbt sich an der Luft dunkler und scheidet beim längeren Stehen braune Substanzen ab. Auf dem Platinbleche erhitzt bläht sich die trockne Säure nur we- nig auf, unter Ausstossen von sauren Dämpfen. Alkalien färben die Säure dunkler; neutralisirt geben sie beim Eindampfen braune Massen. Kohlensaurer Kalk oder Baryt werden unter Entweichen der Kohlensäure von der Säure zersetzt, es bilden sich saure Salze. Kalkwasser giebt einen geringen, Barytwasser einen stärkeren Niederschlag von entsprechenden basischeren Verbin- dungen. Eisenoxydullösung wird von einer Lösung der Säure nicht gefällt, aber beim Stehen an der Luft durch sie schwarz gefärbt. Eisenchlorid erzeugt mit ihr einen dintenartigen Niederschlag, in verdünnten oder etwas saueren Lösungen aber nur eine intensiv schwarze Färbung, die auf Zusatz von Alkali braunroth wird. Kupfersalze geben in neutralen Lösungen einen graubraunen Nie- derschlag, löslich in vielem Wasser, leichter bei Gegenwart von freier Säure oder freiem Alkali; letzteres löst ihn zu einer, im durchschei- nenden Licht betrachtet, braunen, von oben gesehen aber grün opali- sirenden Flüssigkeit. Aus dieser scheidet sich bei gewöhnlicher Tem- peratur langsam, beim Erhitzen sofort Kupferoxydul ab. Salpetersaures Quecksilberoxydul giebt graue, Quecksilberoxyd graubraune Niederschläge; diese lösen sich ebenso wie die schon er- wähnte Bleiverbindung wenig in Wasser, etwas mehr beim Zufügen von Essigsäure. Salpetersaures Silberoxyd wird graubraun gefällt, e8 tritt jedoch rasch weitere jedenfalls mit Reduction begleitete Verän- derung auf. Brechweinstein giebt nur schwache Fällung ; Leimlösung wird gar 1: nicht gefällt. | Ueber die Zersetzungsproduste des Tranbenzuckers, 313 Barytverbindungen. Mit I Atom Basis erhält man ein Salz, wenn kohlensaurer Baryt so lange mit einer Lösung der Säure digerirt wird, als noch Kohlensäure entweicht. Die schwachsaure Lösung giebt nach dem Eindampfen eine Sraubraune Masse, welche in Alkohol ziemlich unlöslich ist und beim Erhitzen nur sehr schwierig verbrennt. Der Baryt wurde daher schliesslich als schwefelsaurer bestimmt. 0,1166 grm. der bei 100° C. getrockneten Substanz gaben 0,055 gr. BaO, SO? = 30,970/ BaO. BaO, Ctt H608 + 2 HO erfordert 30,79%, BaO. Eine andere Barytverbindung enthielt 2 At. Basis. Aus ihr besteht zum grossen Theil der anfangs bei Einwirkung des Baryts auf Trau- benzucker beschriebene Niederschlag. Man kann aus demselben die Verbindung rein erhalten, wenn der Niederschlag mit Kohlensäure oder Schwefelsäure zersetzt und die dadurch in Lösung gebrachte Säure durch Barytwasser abermals gefällt wird. Der Niederschlag löst sich etwas in Wasser, zieht sehr leicht die Kohlensäure der Luft an und wird, noch feucht erwärmt, zu einer schwarzen, glänzenden Masse, Welche dann schon eine weitere Zersetzung erlitten hat. Er wurde aus diesen Gründen vorsichtig nur über Aetznatronstücken in einer Glocke Setrocknet. So erhält man diese Verbindung als eine gelbbräunliche Masse, welche leicht zerreibbar ist. ; 0,3863 grm. dieser Masse gaben 0,2482 grm. BaO, SO? = 42, 18°/, BaO. 2 BaO, G14H603 +6 HO erfordern 42,38%/,. Kupferverbindung. In neutraler, concentirter Lösung der Säure giebt essigsaures Kupferoxyd einen Niederschlag. Dieser ist in freiem Alkali und freier Säure leicht löslich und zersetzt sich leicht bei höherer Temperatur. Die über Chlorcaleium getrocknete Verbindung wurde in Form eines Stauen Pulvers der Elementaranalyse unterworfen. 0,265 grm. gaben 0,078 grm. GuO. 0,245 grm. gaben 0,276 grm. GO? u. 0,088 grm. HO. ber. gef. 2 CuO. 29,47 29,43 cu 34,17 30,72) Hi0 3,71 3,99 02 35,64 35,86 Die Analyse entspricht der Zusammensetzung: 2 CuO, G14H808 + 4HO. H. Reichardt, Bleiverbindungen. Die Bleiverbindung, welche durch essigsaures Bleioxyd aus einer neutralen Lösung der Säure gefällt wird, ist nur wenig in Wasser, schwierig in Essigsäure, leicht in Salpetersäure löslich. Sie wird ebenso wie es für die zweibasische Barytverbindung angegeben war, an der Luft besonders beim Erwärmen schwarz. Man trocknet sie daher anfangs bei gelinder Wärme, am besten auf porösem Thone. So erhält man die Verbindung in Form einer grauen, leicht zerreiblichen Masse. Nach dem Austrocknen bei 100° G. wurde sie mittelst Elementaranalyse un- tersucht. 0,1603 grm. gaben 0,0925 grm. PbO. 0,3663 grm. gaben 0,2925 grm. CO2 u. 0,0669 grm. HO. ber. gef. 2 PbO 57,77 57,70 ci 21,76 21,77 H7 1,82 2,02 09 18,65 18,51 Demnach wäre die Zusammensetzung dieser Verbindung 2PbO, C14H608+ HO. Bis zu 120°C. erhitzt, verliert sie aber noch ohne sichtbare Zersetzung 1 At. Wasser. 0,1748 grm. verloren 0,0046 grm. —=2,63°%/,. Die Rechnung verlangt für 4 HO, 2,330), Verlust. Ein noch basischeres Bleisalz von fast ganz ähnlichem Aussehen und Verhalten kann man erzielen, wenn mit einem guten Bleiessig die vollständig neutrale Lösung der Säure gefällt wird. Der hierdurch er- haltene Niederschlag wurde schliesslich bei 110° C. ausgetrocknet. Von ihm gaben 0,1346 grm. bei der Bleibestimmung 0,0902 grm. PhO = 68,54°),. 3 PbO, G14H608 erfordern 68,47%, PhO. Gemäss dieser Bestimmungen ist vorläufig die Formel der wasser- freien Säure als C14 H08 zu betrachten und wähle ich einstweilen die Namen Saccharumsäure dafür. Glucinsäure und deren Salze. Ausser Périgor und Kawar hat besonders Murper! die Glucin- säure näher untersucht, als er sie bei der Zersetzung von Rohrzucker . durch Schwefelsäure unter den vielfachen Zersetzungsproducten des- selben auffand. Sie tritt hier auf neben Ulmin- und Huminsubstanzen, 4) Journal für prakt. Chemie (1840) XXI, 230. Ueber die Zersetzungsproduete des Tranbenzuckers ete. 315 Apoglueinsäure, Ameisensäure und unkrystallisirbarem Zucker. MULDER gewann sie aus diesem Gemische, indem er die unlöslichen Ulmin- und Huminsubstanzen abfiltrirte, das Filtrat mit Kreide sättigte, dann bis zur Syrupsconsistenz eindickte und durch Zusatz von Alkohol, der nur sauren, glucinsauren Kalk und unzersetzten Zucker löst, diese letz- teren von den anderen gebildeten Kalkverbindungen trennte. Die Lö- sung wurde mit thierischer Kohle entfärbt und abermals zur Syrup- consistenz eingedampft. Beim Eindampfen wurde das Gemisch wieder Sauer, was nach Murper durch die Bildung von Glucinsäure aus dem noch vorhandenen Zucker zu erklären ist. Der Syrup wurde dann mit so viel Kalkbrei versetzt, als er, ohne undurchsichtig zu werden, auf- lösen konnte; die sauere Reaction war dann fast ganz verschwunden und Zusatz von Alkohol fälle nun neutrales, glucinsaures Kalksalz. Diese Angaben scheinen mir nicht ganz genau zu sein. Erstens wirken schwache Säuren nur sehr gering auf die Umbildung des Zuckers in Glucinsäure; das Sauerwerden beim Eindampfen wird daher nicht von der Bildung der Glucinsäure, sondern von anderweitigen Zer- setzungen dieser Säure herrühren. Zweitens wird ein Gemisch von Glueinsäure und Invertzucker mit Kalkbrei gesättigt, so löst sich ohne Trübung in der Lösung des gebildeten glueinsauern Kalks ziemlich viel Zuckerkalk; die Reaction wird alkalisch und Zusatz von Alkohol fällt neben glucinsaurem Kalke auch noch Zuckerkalk. Murper stellte aus dem Kalksalze, welches allein von ihm unter- sucht ist, die Bleiverbindung dar und aus dieser die Glucinsäure. Von letzterer giebt er an, dass sie schon beim Eindampfen bis zur Syrup- Consistenz, an die Luft gebracht, zur festen Masse erstarre und dann keine Feuchtigkeit anziehe. Angaben, die, wie später gezeigt wird, dem Verhalten der von mir dargestellten Säure vollständig widersprechen. Ptuisor, welcher die Säure aus einer bei Monate langem Stehen zersetzten Zuckerkalklösung gewann, erhielt sie auch beim Eindampfen im luftleeren Raume als eine feste, unkrystallisirbare Masse , die bis zu 1000C, nicht ohne Zersetzung erhitzt werden konnte. Nach dem Be- richte von BerzeLıus! zerfliesst die trockne Säure nicht an der Luft, während sie nach dem der Annalen? begierig Feuchtigkeit anzieht. Welche Ansicht die richtige ist, kann ich, da mir leider die Originalar- beit nicht zu Gebote stand, nicht entscheiden. Kawauıer konnte die Säure nicht in fester Form erhalten. Zur Beurtheilung des Nachfolgenden dürften diese vorausgeschick- ten Bemerkungen nicht unwesentlich sein. 4) BerzeLius, Jahresbericht 4840, S. 458. 2) Annalen der Pharmacie (4839) XXX, 74, 316 H. Reichardt, Die bei der oben beschriebenen Einwirkung des Baryts auf Trau- benzucker nach Abscheidung der Fällung erhaltene Flüssigkeit enthält hauptsächlich glucinsauren Baryt. Um die Glucinsäure aus dieser zu erhalten, wird die Flüssigkeit mit Essigsäure annähernd neutralisirt und mit Bleiessig so lange versetzt, als der Niederschlag noch gefärbt erscheint. Hierdurch wird die in Lösung gebliebene erst besprochene Säure vollständig entfernt. Nach Trennung des gefärbten Nieder- schlages versetzt man das Filtrat so lange mit Bleizuckerlösung und Ammoniak, als noch eine Fällung entsteht. So wird die Glucinsäure fast vollständig als glucinsaures Bleioxyd niedergeschlagen , die Säure wird dann wie gewöhnlich durch Schwefelwasserstoff vom Blei ge- trennt... Verschiedene Versuche zeigten, dass die Säure beim Eindampfen ihrer Lösung an der Luft sich ungemein leicht zersetzt, besonders wenn die Temperatur eine etwas hohe ist. Auf dem Dampfbade er- hitzt gab sie brenzlich sauren Geruch, wurde schwarz und auch nach dem Erkalten nicht fest. Im luftverdünnten Raume aber konnten nur sehr langwierig grössere Mengen der Lösung verdunstet werden. Aus diesem Grunde bemühte ich mich schon bei der Zersetzung der Blei- verbindung, die Säure so concentrirt als möglich zu erhalten, liess sie dann bei einer Temperatur von 40—50°C. in flachen Schalen eindun- sten und stellte sie, sobald sie anfing consistenter zu werden, über Schwefelsäure. So erhielt ich die Glueinsäure, nach langem Stehen, von der Farbe und Consistenz eines hellen, frisch ausgelassenen Ho- nigs. Selbst in dieser Form zieht die Säure ungemein leicht Feuch- tigkeit aus der Luft an und wird dünnflüssiger. Alkohol löst die Glucinsäure in dieser Form nur wenig, Aether in noch geringerem Massstabe. Auf Platinblech erhitzt schmilzt sie unter Ausstossen von nicht unangenehmen, etwa nach gerösteter Brotrinde riechenden Dämpfen, später aber bläht sie sich auf und giebt den eigen- tbümlichen Geruch verbrennender Kohlenhydrate. Alkalien geben mit der Glucinsäure neutralisirt schwierig trocken zu erhaltende Salze. Ammoniak zersetzt die Glucinsäure beim Ein- dunsten ihrer Lösungen sehr schnell, selbst wenn Ammoniak im Ueber- schuss war wird die Flüssigkeit bald wieder sauer und nimmt eine braune bis schwarze Farbe an. Die kohlensauren alkalischen Erden werden von der Glucinsäure unter Bildung von löslichen Salzen zersetzt. Thonerde, sowie die mei- sten Metalloxyde scheinen von der Glucinsäure gelöst zu werden. Nie- derschläge erhielt ich in einer durch Alkali neutralisirten Lösung der Glueinsäure nur durch salpetersaures Quecksilberoxydul, salpetersaures Ueber die Zersetzungsproduete des Traubenzuckers ete. 317 Quecksilberoxyd und basisch-essigsaures Bleioxyd; alle diese Nieder- Schläge sind in mehr Wasser, besonders auf Zusatz von Essigsäure lös- lich, Salpetersaures Silberoxyd giebt einen Niederschlag, welcher durch eintretende Reduction bald schwarz wird. Kupfersalze färben die Lösung der Glucinsäure grün, auf Zusatz von Alkali dunkelgrün ; erwärmt man dann die Lösung vorsichtig, so scheidet sich ein blau- Srüner Niederschlag ab, der sehr bald durch gebildetes Kupferoxydul gelb bis roth wird. Der Elementaranalyse wurde die Glucinsäure nach dem Trocknen über Schwefelsäure unterworfen 0,4777 grm. gaben 0,06675 grm. GO? und 0,2867 grm. HO. ber. gef. 024 38,29 38,17 H24 6,38 6,66 02 55,32 55,17 Dieser Analyse entspricht die empirische Formel C24 H24 0%, Nach der später folgenden Untersuchung der Bleiverbindung be- Steht diese wasserfrei aus 6PbO, C2+H16018. Die Säure scheint dem- Nach 6 At. Basis binden zu können und wasserfrei nach der Formel Qayısoıs zusammengesetzt zu sein. Für die vorliegende wasserhaltige Säure wurde die Formel C H16018, 6HO + 2 aq. Natronsalz. Durch genaue Neutralisation der Säure mit verdünnter Natronlauge Wird ein Natronsalz erhalten, das bei 1000 C. schmilzt, aber beim Er- Kalten erstarrt und sich dann pulvern lässt; dabei zieht es wieder mit Begier Feuchtigkeit an. In der bei 100%C. getrockneten, gelben Masse = Wurde das Natron als schwefelsaures Natron bestimmt. 0,2269 grm. gaben 0,0619 grm. NaO, SO? = 11,93%, NaO. 3 NaO, 2(0%4H16018) +9 HO erfordern 11,89%, NaO. Barytsalze. | Glucinsäure löst kohlensauren Baryt unter Aufbrausen; es bildet Sich ein in Weingeist lösliches, saures, glucinsaures Barytsalz, welches F Nach vorsichtigem Eindampfen eine pulverisirbare, stark hygrosko- Pische , gelbliche Masse darstellt. Bei 100% C. getrocknet gaben 0,2504 grm. derselben 0,0666 grm. BaO, SO3 oder 17,46%, BaO. BaO, C24 H16 018 + 6HO erfordert 17,60% BaO. Aus neutralen oder schwach alkalischen Lösungen von glucinsau- 318 H. Reichardt, rem Baryt schlägt Alkohol ein dreibasisches Salz nieder. Der Nieder- schlag ist nicht immer ganz gleichmässig zusammengesetzt; aus alka- lischer Lösung gefällt enthält er oft etwas mehr Baryt, als die Formel verlangt, und aus schwach sauren Lösungen fällt starker Alkohol auch Verbindungen von geringerem Barytgehalte. Die zur nachstehenden Elementaranalyse benutzte Verbindung wurde durch Alkohol aus einer bis zur schwach alkalischen Reaction mit Barytwasser versetzten Lösung von reiner Glucinsäure ausgefällt. Der Niederschlag zieht leicht Koh- lensäure an und wurde daher schnell mit Alkohol auf dem Filter aus- gewaschen und dann im luftverdünnten Raume über Ghlorcaleium getrocknet. So wurde dieses Salz in Form einer nicht hygroskopischen, gelblich gefärbten, leicht zerreiblichen Masse erhalten. Die Verbrennung desselben im Platin-Schiffehen zwischen Kupfer- oxyd ist auch beim Ueberleiten von Sauerstoffgas schwierig, da der sich bildende kohlensaure Baryt hartnäckig etwas Kohle zurückhält; diese wurde erst durch anhaltendes Glühen an der Luft vollständig verbrannt und besonders in Anrechnung gebracht. 0,175 grm. gaben 0,130 grm. CO? und 0,062 grm. HO; im Schiff- chen hinterblieben 0,0885 BaO, CO? und 0,0015 È. ber. gef. 3BaO 39,08 39,25 024 24,54 24,20 2 3,74 3,93 024 32,67 32,62 Hieraus berechnet sich die Formel 3 BaO, C24 Ht6018 + 6HO. 6 Atome Wasser entweichen bei einer Temperatur von 4200 G. 0,237 grm. verloren bei dieser Temperatur 0,022 grm. HO = 9,29%% Die Formel verlangt 9,19%. In der ursprünglichen Lösung, wie sie bei Einwirkung des Baryt’ auf Traubenzucker erhalten wird, ist nach Entfernung der basischen Verbindung der Säure G!4H$08 grösstentheils glucinsaurer Baryt ent- | halten. i Es lag die Vermuthung nahe, dass dieser durch Alkohol ausgefällt werden könnte. Die erste Fällung durch Alkohol war aber nicht rein, nochmaliger Zusatz von starkem Alkohol schlägt aber eine bedeutend reinere Verbindung nieder. Beide Niederschläge wurden untersucht, | um zu prüfen, in welcher Reinheit auf diese Weise die Verbindung et7 halten werden könnte und ob es nicht zweckmässiger sei, aus ihr die Glueinsäure darzustellen. Doch ist es besser, hierzu die Bleiverbindun®: Ueber die Zersetzungsproduete des Traubenzuckers ete. 319 wie oben angegeben, zu wählen, da durch sie ein reineres Product er- zielt wird. Die Analysen der so erhaltenen bei 100% C. getrockneten Nieder- Schläge ergaben: Von der ersten Fällung: 0,566 grm. gaben 0,457 grm. CO2 u. 0,176 grm. HO; es blieben im Schiffehen 0,302 grm. BaO, CO? u. 0,006 grm. C. Von der zweiten Fällung : 0,477 grm. gaben 0,380 grm. CO? u. 0,151 grm. HO; im Schiff- chen blieben 0,243 grm. BaO, CO2 u. 0,005 grm. €. Die Berechnung giebt für I. I. ber. gef. gef. 3 BaO 40,94 41,4 39,56 ca 25,69 26,33 25,80 H1 3,38 3,45 3,54 oa 29,98 28,78 31,13. Kalksalze. Die Kalkverbindungen entstehen analog den Barytverbindungen ; ich habe nur die saure untersucht, die in nicht zu starkem Alcohol leicht löslich ist. Murer giebt von dieser an, dass sie in Nadeln kry- Stallisire, sagt aber nichts über die Zusammensetzung derselben. Mir ist °S nicht gelungen, weder dieses noch ein anderes Salz der Glucinsäure krystallisirt, zu erhalten. Das eingetrocknete Kalksalz zieht nicht so leicht wie das entsprechende Barytsalz Feuchtigkeit an. Bei 100% C. 5etrocknet und dann zerrieben ist es ein gelbliches Pulver. ‚0,3694 grm. desselben gaben beim Glühen 0,0368. grm. CaO, GO? = 1,679/, CaO. Die Verbindung CaO, C2H16018 + § HO erfordert 7,43%), CaO. Magnesiasalz. Kohlensaure Magnesia wird leicht von der Glucinsäure aufgelöst, aber os wird nicht im Einklange mit dem Verhalten dieser Säure zu Kohlensaurem Baryt oder Kalk, eine relativ grössere Menge Magnesia in ösung gebracht. Ihre Lösung lässt sich leichter als die der vorher- Sehenden Salze unzersetzt eindampfen und giebt dann eine weissgelbe, eicht zerreibbare Masse. Die untersuchten Proben waren bei 100°C. Setrocknet. l. 0,2997 grm. gaben 0,053 grm. MgO = 17,68%. II. 0,3432 grm. gaben 0,0607 grm. MgO = 17,68%. 320 H. Reichardt, I. 0,4048 grm. gaben 0,486 grm. CO? u. 0,1896 grm. HO. II. 0,455 grm. gaben 0,545 grm. CO? u. 0,2107 grm. HO. ber. gef. I W 4MgO 18,26 17,68 17,68 ca 32,88 32,74 3% 69 H2 5,082 5,20 5,15 024 43,83 44,38 44,48 Demnach würde hier ein Abasisches Salz von der Formel 4MgO, C24H16015 + 6HO vorliegen; dasselbe verliert bei stärkerem Trocknen, wenn auch nur langsam, noch Wasser. 0,2997 grm. verloren bei 130° ©. 0,0122 grm. HO = 4,07%, — 13509. 0,0473 grm. HO = 5,77%, — 1800C. 0,0182 grm. HO = 6,07%, — 1700C. 0,0254 grm. HO = 8,47%), Die Formel erfordert für 2? HO = },11%, 3HO = 6,16% LHO = 8,22%), Bis zu einer Temperatur von 1700C., bei welcher das Salz 4 At. Wasser abgegeben hat, kann man es unzersetzt erhitzen; darüber aber beginnt Bräunung und bei 180°C. vollständige Zersetzung, so dass die letzten 2HO für sich nicht ausgetrieben werden können. T Thonerdesalz. Frischgefälltes, noch feuchtes Thonerdehydrat löst sich in Glucin- säure auf; das überschüssig zugesetzte Thonerdehydrat hält aber viel Glucinsäure zurück. Aus löslichen Thonerdesalzen vermochte ich durch ein glucinsaures Salz keine lösliche Thonerdeverbindung zu fällen. Die Lösung der glucinsauren Thonerde reagirt sauer ; sie lässt sid i wie die des Magnesiasalzes leicht ohne Zersetzung eindampfen und giebt nach dem Trocknen bei 100° C. eine gelblich weisse, wenig hygrosko= | pische Masse. Die bei dieser Temperatur getrocknete Substanz wurde | untersucht. 0,4791 grm. gaben 0,657 grm. CO? u. 0,2228 grm. HO. 0,2089 grm. gaben 0,0287 grm. Al?O3. ber. gef. A1203 13,4% 13,77 ca 37,66 37,40 Hm 4,97 5,16 021 43,93 43,67 Die Zusammensetzung ist demnach A1203, C#H!6018 + 3 HO. Ueber die Zersetzungsproduete des Traubenzuckers etc. _ 321 Bei 1450C. getrocknet verlor das Salz ohne sichtbare Zersetzung 6,990), Wasser (0,2009 grm. verloren 0,0145 grm. HO); für 3HO er- fordert die angegebene Formel 7,05°/,. Das Thonerdesalz kann dem- nach bei 1450 C. wasserfrei erhalten werden. Das ungelöst gebliebene Thonerdehydrat hielt, wie erwähnt, noch eine ziemliche Menge Glucinsäure zurück , welche auch durch längeres Auswaschen nicht zu entfernen war. Um die Menge derselben kennen zu lernen, wurde dieses Glucinsäure haltige Thonerdehydrat bei 400°C. getrocknet und der Elementaranalyse unterworfen. 0,2243 grm. gaben 0,109 Al? 0? 0,5802 grm. gaben 0,2686 grm. CO? u. 0,2417 grm. HO. ber. gef. 41 A203 49,60 48,59 gr 12,63 12,62 H46 4,04 4,05 048 33,72 34,74 Es würden demnach circa 41 Aeq. Thonerdehydrat 4 Aeq. Glu- &nsäure zurückgehalten haben; — jedenfalls keine einfache chemische Verbindung. — Eisenoxydulsala. Mit schwefelsaurem Eisenoxydul zersetzt sich die 3 basische Baryt- ' verbindung in schwefelsauren Baryt und glucinsaures Eisenoxydul. Letzteres ist löslich und ertheilt der Lösung eine grüne Farbe; bei 1000C, getrocknet ist es ein grünlich graues, hygroskopisches Pulver. 0,1475 grm. gaben 0,0375 grm. Fe?O3, entsprechend 23,327 FeO; 3FeO, (24 416018 + 6HO erfordern 23, 18°/, FeO. Bleisalze. Kohlensaures Bleioxyd und auch Bleiglätte werden in geringem Massstabe von der Glucinsäure gelöst. Aus den neutralen Lösungen eines glucinsauren Salzes fällt Bleiessig eine 6basische Verbindung. Dabei wird die Glueinsäure nicht vollständig ausgefällt, und Zusatz von Ammoniak giebt, wenn noch Bleisalz in der Flüssigkeit vorhanden war, Weitere nicht constant zusammengesetzte Niederschläge, welche aber Stets mehr als 6PbO auf ein At. Glucinsäure enthalten. Untersucht Wurde der aus neutraler Lösung erhaltene Niederschlag, welcher nach dem Trocknen über Chlorcaleium eine leicht zerreibliche weisse, nicht Nygroskopische Masse bildet. I. 0,540 grm. gaben 0,354 grm. PbO. 0,388 grm. gaben 0,197 grm. CO2 u. 0,084 grm. HO. 322 H. Reichardt, I. 0,360 grm. gaben 0,190 grm. CO? u. 0,075 grm. HO. ber. gef. 1. II. 6PbO 65,14 65,55 ca 14,01 13,85 14,38 H2 2,14 2,40 2,31 0% 18,70 18,20 Nach diesen Analysen ist die Zusammensetzung dieser Verbindung | 6 PbO, C% H16 018 + 6 HO. Beim Trocknen verliert sie leicht den Wassergehalt. 0,264 grm. verloren bei 80°C. 0,009 gem. = 3,10°/, HO. bei 4000C. 0,014 grm. = 4,160/, HO. bei 150°C. 0,015 grm. = 5,640/, HO. Die Formel verlangt für . 4HO : 3,5%% BHO : 4,40), 6HO : 5,3%, Bei dieser Temperatur begann schon Bräunung und Zersetzung. Es entspricht demnach das bei 150°C. getrocknete Bleisalz einer wasserfreien Verbindung der Glucinsäure mit 6 Aeq. Bleioxyd. Die zuletzt durch Zusatz von Ammoniak erhaltenen Niederschläge sind, wie erwähnt, basischer als die vorstehende Verbindung. Einmal erhielt ich bei Untersuchung eines solchen bei 1000C. getrockneten Niederschlags 76,840/ PbO, ein anderes Mal unter gleichen Umständen 77,04%, PbO. Ein 9basisches Salz würde 76,70°/, PbO. erfordern. Diese Analysen, sowohl der Säure wie der gleichfalls durch die Elementaranalyse untersuchten Baryt-, Magnesia-, Thonerde- und Blei- verbindungen, stimmen darin überein, dass sie nicht so viel H ergeben, als nothwendig wäre, um die Glucinsäure als Kohlenhydrat auffassen zu können. Dies widerspricht den vorhergehenden Untersuchungen über Glucinsäure. PtiiGor gab den von ihm untersuchten Bleisalz die Formel: 6PbO, C2H!5 015; Murper fand das Kalksalz aus 2 (CaO, G3H50°) + HO und Kawanıer die im luftleeren Raume bei 100°C. getrocknete Säure aus Q16 H!3013 bestehend. Diese Chemiker haben sämmtlich nur je eine Verbindung untersucht. Bedenkt man, dass sie nach der allgemeinen Annahme glaubten, dass Zucker sich nur unter Wasserabgabe in Glucinsäure umsetze, dass nach dieser Annahme | die Glucinsäure ein Kohlenhydrat sein müsse, so erklärt es sich leicht, | dass sie eine Formel wählten, die dieser Anschauung Ausdruck gab- Es kann auch der von diesen Chemikern zu hoch gefundene Wasser- stoff kaum befremden, da die gewöhnliche Methode der Elementarana- Ueber die Zersetzungsproduete des Traubenzuckers etc, 323 lyse zumeist einen zu hohen Gehalt an H liefert. Die Differenz aber von 2 H bei 24 C ist bei der Berechnung eine so geringe, dass sie innerhalb der möglichen Fehlergrenze liegen kann. Die Höhe der Formel »C2H16018« ist aber durch die Reihe von verschieden basischen Salzen gerechtfertigt, welche nicht leicht einer einfacheren Formel angepasst werden können. Auch PtLicor gab dem Öbasischen Bleisalze eine Formel mit 24 G ; die späteren Untersuchungen Scheinen ohne besonderen Grund dieselbe geändert zu haben. Nach dem bisher Angeführten kann wohl die Ansicht, dass Trau- benzucker bei der Einwirkung von Alkalien nur Glucinsäure bilde, nicht festgehalten werden. Das Auftreten der Säure CH608 ist so bestimmt und gleich anfänglich bei der Einwirkung des Alkali zu be- merken, dass sie nicht als secundäres Zersetzungsproducet aufgefasst werden kann. Zu verwundern ist es, dass diese Saccharumsäure bisher übersehen ist, aber erklärlich durch die Angabe Pruicor's!, dass er die durch Zusatz von Bleiessig erhaltenen gefärbten Niederschläge entfernt habe. In diesen musste natürlich die schon in schwach saurer Lösung durch essigsaures Bleioxyd fällbare Saccharumsäure sein. Aehnlich ist es mit der Untersuchung Kawanıer’s, welcher durch Einleiten von Kohlen- Säure in die durch Baryt zersetzte Traubenzuckerlösung einen gefärbten Niederschlag erhielt. Ein solcher muss, wenn KawArırr nicht mit sehr Verdünnten Lösungen gearbeitet hat, schon vor dem Einleiten von Kohlen- Säure dagewesen sein und ist jedenfalls von ihm nicht weiter beachtet ‚worden. Die starke Färbung jedoch ist KawaLıer schon so aufgefallen, dass er den Niederschlag mit Schwefelsäure. zersetzte und dadurch eine Lösung erhielt, welche nach einiger Zeit braune Substanzen abschied. Dies stimmt vollständig mit dem hier beobachteten Verhalten dieser Säure überein. Kawanıpr hatte also die Saccharumsäure in unreinem Zu- Stande dargestellt, aber nicht untersucht. Was MuLver betrifft, so unter- Suchte dieser überhaupt die Einwirkung starker Säuren auf Zucker. “Wie nach dessen Untersuchung nicht zu bezweifeln ist, dass bei dieser ‚ Einwirkung sich Glucinsäure bilde, so ist es doch fraglich, ob die Saccharumsäure hierbei auch entstehe. Meiner Ansicht nach ist dies Sogar sehr unwahrscheinlich, da freie Säuren sehr leicht eine weiter- gehende Zersetzung der Saccharumsäure unter Bildung von in Wasser Unlöslichen Substanzen bewirken. Die Bildung der Glucinsäure in durch äuren zersetzten Zuckerlösungen ist nach MuLpenr stets mit den braunen ulmin- oder huminartigen Substanzen und Ameisensäure verbunden Sewesen. Nichts beweist daher die Hypothese dieses Chemikers?, dass DL 2; Jahrbuch für prakt. Chem. 1840 XXI, 233 u. 937. 324 H. Reichardt, Zucker sich zuerst nur in Glucinsäure zersetze. VöLckeL! weist in der That nach, dass Zucker bei Einwirkung von Säuren zweierlei Zer- setzungen erleidet. Das Hauptproduct ist Glucinsäure, nebenbei bilde! sich aber Ameisensäure und ein brauner in Alkohol löslicher Körper. Dieses Verhalten ist analog der Zersetzung durch Alkali. Sicher tritt auch hier die Glucinsäure in grösster Menge gegenüber den anderen Zersetzungsproducten auf, ebenso bestimmt bildet sich aber auch gleich anfänglich die Saccharumsäure = C1+H$0®. Die Bildung zweier sauer- stoffreicherer Körper aus einem Kohlenhydrate verlangt noch wasser- stoffreichere Producte, da namentlich keine Sauerstoffaufnahme aus der Luft erwiesen werden konnte. Es wurde in der Einleitung schon angegeben, dass KAwaLıer einige Tropfen Aceton unter den Producten dieser Zersetzung gefunden haben will. Sicher wird ein flüchtiger, indifferenter Körper gebildet, welcher ausgezeichnet ist durch einen eigenthümlichen, penetranten Geruch, der jedem Destillate anhaftet, welches beim Kochen einer Lösung von durch Baryt zersetztem Traubenzucker erhalten wird. Aus solchem Destillate kann durch Schütteln mit Aether der flüchtige Körper getrennt werden. Nach dem Verdunsten des Aethers bleibt eine ölige Flüssig- keit, welche leicht an der Luft verharzt. Die Menge derselben war so gering, dass von einer näheren Untersuchung abgesehen werden musste. Zersetzung der Glucinsäure. Nach MuLdsr zersetzt sich die Glucinsäure beim Sieden ihrer Lö- sung, so wie auch beim Behandeln derselben mit Säuren in der Wärme und beim Luftzutritt; sie zerfällt nach ihm in Apoglucinsäure unter Abgabe von H und O und Steigerung des Cgehaltes, analog dem Ver- halten der Gerbsäüre, der Extractivstoffe etc. MuLper’s Erklärung dieser I Zersetzung ist hier unklar und wohl nicht ganz richtig. Denn wie kann dann die Apoglucinsäure nach ibm C18 H908 wasserstoffreicher sein als die Glucinsäure — nach ihm — ein Kohlenhydrat? Das auch von Murder beobachtete Auftreten von Ameisensäure soll nach ihm im Zu- sammenhang mit der Bildung von Ulminsäure stehen. Kawarıer giebt nichts über die Bildung der Apoglucinsäure an, ob- gleich er ein Zersetzungsproduct der Glucinsäure erhielt, das stets an die Bildung der Apoglucinsäure gebunden ist. Wie schon oben erwähnt wurde, unterwarf Kawauıer die Lösung des durch Baryt zersetzten Traubenzuckers, nach vollständiger Entfernung des Baryts durch einen im kleinen Ueberschuss zugefügten Zusatz von Schwefelsäure, eine! Destillation. Im Destillate befindet sich eine flüchtige Säure — Ameisen- 1) Annalen der Chem. u. Pharmac. IX (1853), 84 u. 86. Ueber die Zersetzungsproducte des Traubenzuckers etc. 325 essigsäure. — Aus der zurückbleibenden Flüssigkeit stellte KAWALIER die Glucinsäure dar. Es ist dies möglich, wenn die Destillation nicht zu lange gewährt hat und besonders nicht bis zur Trockne getrieben war; doch nicht auf die Weise, wie RocaLeper anführt, dass nämlich die Flüssigkeit, nach Entfernung der überschüssigen Schwefelsäure durch Baryt, mit Bleiessig gefällt und der Niederschlag durch Schwefel- Wasserstoff zersetzt worden sei. In diesem Falle würde viel Apogluein- Säure resp. eine mit ihr stark verunreinigte Glucinsäure erhalten worden Sein. Es ist anzunehmen, dass KawaLıer auch die ersten gefärbten Portionen des Bleiniederschlags entfernt hat und RocuLeper, der nur in rossen Zügen über diese Untersuchung berichtet, diesen Umstand un- erwähnt liess. Die Angabe Murpzr’s, dass die Glucinsäure sich leicht in Apogluein- Säure zersetzt, kann ich nur bestätigen ; jedoch geschieht dies nicht ohne ‚Bildung von flüchtigen Säuren , wie sie KAWALIER auffand, so dass die Vereinigung beider Beobachtungen erst der Wahrheit entsprechen wird. 100 grm. Traubenzucker wurden mit der entsprechenden Menge Baryt behandelt, die erst auftretende Abscheidung entfernt und aus dem Filtrate der Baryt durch SO3 genau ausgefällt. Die vom schwefel- Sauren Baryt befreite Lösung wurde in der Retorte gekocht. Im Anfang destilliren nur Spuren der Säure über, später aber grössere Mengen. Da zuletzt die dicklich werdende Flüssigkeit in der Retorte, über der freien Flamme erhitzt, leicht spritzt, so setzt man diese am geeignetsten in ein Paraffinbad und destillirt so bei ca. 1400C ., S0 lange noch Säure übergeht. In der Retorte hinterbleibt dann eine schwarzbraune zähflüssige Masse, die sich nur allmälig bei Zusatz von Wasser wieder auflöst. (War freie Schwefelsäure zugegen, so scheiden sich bald in der Lö- Sung dunkle Massen von unlöslichen Huminkörpern ab!; dabei scheint die Ausbeute der überdestillirten Säure grösser zu werden, vielleicht blos von mehr gebildeter Ameisensäure.) Das Destillat ist farblos und zeigt noch den penetranten Geruch des flüchtigen Oels; dieser rührt nicht von der Säure her, welche rein Nur angenehm sauer riecht. Bei Sättigung mit einer freien Basis färbt Sich das Destillat gelb. Diese Färbung wird beim Eindampfen stärker ünd es scheiden sich dabei schwarze, theerartige Substanzen ab, die Wahrscheinlich auch nur Zersetzungen des beigemischten riechenden Körpers sind. Die mit Kali neutralisirte Säure giebt nach dem Ein- dampfen sehr hygroskopische Krystalle, die sich schwer reinigen lassen Yon den anhängenden gefärbten Bestandtheilen. Mit Baryt neutralisirt 1) s. auch VöLckeı, Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 85, 82. Bd. V. 3. 326 H. Reichardt, erhält man ziemlich feste, leichter zu reinigende Krystallmassen ; diese sind in Wasser löslich, ziemlich unlöslich in starkem Alkohol, welcher sie aus der wässrigen Lösung krystallinisch ausfällt. Auch nach mehr- maligem Umkrystallisiren blieben die Krystalle noch etwas gefärbt; ihre wässrige Lösung reducirte leicht Silbersalze. 0,2409 grm. der über Schwefelsäure getrockneten Krystalle er 0, 2449 grm. BaO, SO? 0,2337 grm. gaben 0,0478 grm. CO? u. 0,0248 grm. HO ber. gef. BaO 67,40 66,74 c2 10,57 10,78 H 0,88 1,16 03 21,1% 21,32 Die Analyse sowie auch das anderweitige Verhalten zeigt, dass die Krystalle vorwiegend aus ameisensaurem Baryt bestanden. Kawarıer fand mehr Kohlenstoff und weniger Baryt und berechnete seine Analyse auf 2BaO, G6H*0% und Rocnıxper glaubt, dass es eine Verbindung einer gepaarten Säure — Ameisenessigsäure — sei. Doch die von ihnen angeführte Analyse stimmt mit der theoretischen Formel nicht und so vermuthete ich, dass hier zwei Säuren vorliegen, die an Baryt gebunden in verschiedenen Verhältnissen unter einander krystalli- T _ siren. Die eine war unbedingt Ameisensäure. Ich suchte sie zu ent- fernen durch Kochen des ursprünglichen Destillats mit Quecksilberoxyd. Dies gelang auch; unter Entweichen von Kohlensäure wurde das Queck- silberoxyd leicht zu metallischem Quecksilber reducirt. Die Lösung blieb noch stark sauer und enthielt etwas Quecksilberoxydul. Bei dem langsamen Verdunsten der Flüssigkeit scheiden sich aber nicht Krystalle in Flittern aus, wie es bei Gegenwart von essigsaurem Quecksilber- oxydul geschehen musste. Durch Barytwasser wurde das Quecksilber- oxydul ausgefällt. Die eingedampfte Lösung zeigte über Schwefelsäure getrocknet nur wenig Neigung zur Krystallisation; es trocknete der grösste Theil zu einer gummiähnlichen, wenig gefärbten Masse ein. Wurde diese mit concentrirter Schwefelsäure befeuchtet, so entwickelte : sich zwar der saure Geruch einer flüchtigen Säure, aber nicht der eigenthümliche der Essigsäure. Beim Zusatz von Alkohol und Erwärmen dieses Gemisches entwickelte sich ein sehr angenehmer ätherischer Ge ruch, der aber nicht dem der Essigsäure ähnelte. Eine concentririe Lösung dieses Barytsalzes gab mit salpetersaurem Silberoxyd keinen Niederschlag, aber mit verdünnter Eisenchloridlösung entstand eine ganz ähnliche Färbung, wie sie ein essigsaures Salz hervorruft. Die bei 100° C. getrocknete Barytverbindung wurde untersucht. Ueber die Zersetzungsproducte des Traubenzuckers etc. 0,220 grm. gaben 0,1925 grm. BaO, SO} 0,230 grm. gaben 0,115 grm. CO? u. 0,0566 grm. HO. ; ber. gef. 2 BaO 57,95 57,45 C8 18,18 18,12 H7 2,65 2,67 o7 21,21 24,76 Dies wäre die Zusammensetzung des essigsauren Baryts mit 1/, HO = BaO, CH30%°-+-1/,HO. Dieses Wasser entweicht bei stärkerem Trocknen ; eine andere Probe, neu dargestellt, gab nach dem Trocknen bei 420°C, 60,05%, BaO (0,142 grm. gaben 0,1098 grm. BaO, CO2). BaO, C4H3 O3 erfordert 60,030/, BaO. Eine dritte Zersetzung ergab ein Barytsalz von folgender Zu- Sammensetzung : 0,1865 grm. gaben 0,1335 grm. BaO, CO2, 0,0906 grm. CO2 u. 0,050 grm. HO = 55,60 0/, BaO, 17,570 u. 2,98 H, gef. BaO 55,60 BaO 56,0 (0; 17,57 Q4 17,6 H 2,95 H4 29 (0) 23,88 04 23,5 Diese letzte Analyse stimmt vollständig zu der Formel von BaO, C1H3 03 + HO, jedoch entweicht das eine Atom Wasser nicht bei 1000C. und stimmen auch sonst die mehrfach wiederholten Reactionen nicht Mit denen der Essigsäure überein, namentlich nicht bei der Bildung des Aethers auf bekannte Weise. Die von MuLper zuerst untersuchte Apoglucinsäure findet sich, wie erwähnt, in dem Destillationsrückstande. Dieselbe Säure bildet sich fast stets auch beim Eindampfen der Glucinsäure oder ihrer Salze bei etwas erhöhter Temperatur. Am besten erhält man die Apoglueinsäure nach der Vorschrift von Muro , wenn zersetzte Glucinsäure mit Kreide neutralisirt, dann bis zur Syrupconsistenz eingedickt und mit Alkohol versetzt wird. Es fällt dann ein flockiger brauner Niederschlag, der nach einigem Stehen sich als zusammenhängende, klebrige Masse am Boden festsetzt und so leicht ‚durch Abgiessen der glucinsauren Kalk enthaltenden spirituosen Lö- ü Sung für sich erhalten werden kann. Diese abgeschiedene Masse löst Man in Wasser, fällt mit Bleizuckerlösung und zersetzt den erhaltenen braunen Bleiniederschlag mit Schwefelwasserstoff. Die so erhaltene Apoglucinsäure hatte im Wesentlichen die Eigen- Schaften, welche MuLver für sie angiebt. Ich führe deshalb nur noch 22 * 328 H. Reichardt, einige wesentliche Reactionen an. Baryt- und Kalk wasser geben mit ihr graubraune Niederschläge. Eisenchlorid giebt eine schwarzblaue Fällung, p welche auch bei Zusatz von etwas Essigsäure bleibt. Alaunlösung giebt in concentrirten Lösungen einen leicht löslichen Niederschlag von apo- glucinsaurer Thonerde. Essigsaures Kupferoxyd giebt nur einen ge- ringen braunen Niederschlag, welchen wenig Natronlauge wieder auf- löst; diese Lösung giebt auch beim Erhitzen keine Reduction. Silbersalze geben einen graubraunen Niederschlag, welcher beim Trocknen eine grünliche, metallisch glänzende Farbe zeigt und dann wohl zum Theil reducirt ist. Die Lösung der Apoglucinsäure reagirt sauer und ist braun, Alka- lien färben sie dunkler. Die getrocknete Säure ist in Alkohol, wenig in Aether löslich und stellt ein braunes, wenig hygroskopisches Pulver dar, welches beim Erhitzen auf dem Platinblech sich wenig aufbläht und schwierig verbrennt. Die bei 100° C. getrocknete Säure wurde untersucht. 0,3186 grm. gaben 0,5995 grm. CO? und 0,1519 grm. HO. 0,0032 grm. unverbrannter C hinterblieben auf dem Schiffchen. ber. gef. er 52,17 52,04 Hu“ 5,31 5,30 oun 12,51 12,69 Diese Analyse entspricht der Zusammensetzung Cs Huon, Bei höherer Temperatur entweicht noch Wasser. 0,1788 grm. verloren bei 1250 C. 0,0073 grm. HO = 4,08°/, bei 4400 C. 0,0165 grm, HO = 9,20°%,. Die Formel C18 H1101 erfordert für 1 Aeq. HO : 4,34% 2 Aeq. HO : 8,700/ Verlust. Demnach würde die Zusammensetzung dieser Säure bei 140C. sein C18H909. Murner, welcher die bei 120°C. getrocknete Säure unter- suchte, fand G18H11010; er spricht aber schon die Vermuthung aus, dass sie bei höherer Temperatur wohl noch 4 At. Wasser verlieren würde. Diese Vermuthung ist durch vorliegende Wasserbestimmung bestätigt worden. Merkwürdigerweise giebt Murver aber der Säure die wasserstofl- reichere Formel C!8H11010, VörckeL! weist schon darauf hin, dass seine Analyse besser auf C18 H10 010 stimmt. 1) Annal. der Chem. u. Pharm. (1853) 85, 86. Ueber die Zersetzungsproducte des Traubenzuckers etc. 329 Das von MuLver erhaltene wasserfreie Bleisalz hatte die Zusammen- setzung PbO, C18 H808. Demnach würde die von mir untersuchte Säure wohl die theoretische Formel C18 H808 + 3HO haben. Die Reactionen der Apoglucinsäure ähneln sehr der zuerst be- Schriebenen Saccharumsäure. Von dieser ist aber die Apoglueinsäure durch die Art der Entstehung, dadurch dass sie Kupfersalze nicht re- dueirt und besonders durch ihre Zusammensetzung unterschieden. Da die Untersuchung der Apoglucinsäure ausserdem nur wesent- lich das bestätigt, was schon MuLprr von ihr angiebt, so wurde sie bis | auf das Angeführte beschränkt. | . Die Bildung der Apoglueinsäure aus der Glucinsäure bei gleich- zeitigem Auftreten der Ameisensäure und einer der Essigsäure isomeren flüchtigen Säure lässt nun eine einfache Erklärung zu. 1 Aeq. Glucinsäure = Q24 H16 018 zerfällt in Apoglucinsäure G13H3 O3 Ameisensäure 02 H O3 Essigsäure C+ H? O3 und 4 Aeq. Wasser H+ O4 G2H16018, G TEENS RT: Die Resultate meiner Arbeit dürften demnach folgende Ergebnisse erweisen: Traubenzucker, sowohl der rechts drehende krystallisirbare wie der links drehende unkrystallisirbare, erleiden in wässriger Lösung durch Alkalien bei gewöhnlicher Temperatur langsam, bei bis zu 80°C. | erhöhter sofort eine Zersetzung. Milchzucker wird unter gleichen Um- \ = Ständen schwieriger und erst bei ca. 90% C. zersetzt. ‚ Die Zersetzungsproducte, wenigstens des Traubenzuckers, sind hierbei: Saccharumsäure von der Zusammensetzung G!4H$03, die schon - bekannte Glucinsäure, welcher die Formel %4 H16 018 zukommt und ein nicht näher bestimmter flüchtiger Körper (Aceton ?). Von den Verbindungen der Saccharumsäure wurden folgende dar- gestellt: Wasserhaltige Säure = G11H608+ 3HO 2Ba O, C14 H608 + 2HO 2 Ba O, C14 H6 O8 -+ 6 HO 2 Cu O, C1H6 08 -+ 4 HO 2PbO, C1H6 08+ HO und 3 PbO, Gt H608. 330 H. Reichardt, Von der Glucinsäure wurden dargestellt: die wasserhaltige Säure C4 Ht6 018 + 6 HO + 2aq. ferner 3 BaO, 2 (C2*H16 018) + 9 HO Ba O, 02 H16018 + 6 HO 3 BaO, Q?4H16 013 Ca 0, C% H16018 + 5 HO 4Mg O, C24 H16 018 + 2 HO A1203, C2H!6 018 3FeO, 024 H16 018 + 6 HO und 6 PbO, C2 H16 0168, Die Glucinsäure zersetzt sich leicht beim Erhitzen ihrer wässrigen Lösung in Apoglucinsäure, Ameisensäure und einer der Essigsäure iso- meren flüchtigen Säure. Das Barytsalz der letzteren wurde untersucht und entsprach bei 120° C. getrocknet der Zusammensetzung BaO, CH? 0°. Von der Apoglucinsäure wurde die Säure dargestellt; bei 1000C. getrocknet entspricht sie der theoretischen Formel G18H808 + 3 HO. Nachschrift von E. ReıcHArpr. Die Untersuchungen der Zersetzungsproducte des Zuckers durch Säuren oder Alkalien sind deshalb so schwierig und gewiss auch un- vollständig erkannt, weil dieselben so äusserst leicht veränderlicher Natur sind, so rasch in die Form der sog. Humusmaterien übergehen. Die von meinem Bruder hier gebotenen Resultate seiner Forschun- gen erweisen zuerst eine Säure, welche in Zusammensetzung und che- mischem Verhalten mit den als Spaltungsproduct auftretenden Säuren der Gerbsäure sehr viel gemeinsames zeigt, ich habe sie, da der Name Zucker in vielfacher Combination schon zu Säuren u. dergl. verwendet wurde, einstweilen Saccharumsäure benannt, um den Ursprung in der Bezeichnung fest zu halten. Wie viel von Saccharumsäure und Glueinsäure bei dieser Zer- | setzung des Traubenzuckers entstehen, ist nicht gut zu entscheiden, da die Trennung beider, wie gewöhnlich, nur sehr unvollständig ausge- führt werden kann ; scheinbar entsteht weit mehr Glucinsäure. Beide Säuren, Saccharumsäure = G!?H$ 0% und Glueinsäure, C24H16018, sind sauerstoffreicher als das Kohlehydrat Zucker; da kein 1 Sauerstoff bei der Zersetzung aufgenommen wird, so müssen sauer- stoffarme Producte noch entstehen. Vielfache Versuche führten aber zü nichts Anderem , als zu dem sehon erwiesenen Vorkommen von Aceton oder dem ähnlichen flüchtigen Körpern. Ueber die Zersetzungsproduete des Traubenzuckers ete, ; 331 Ohne damit die Zersetzung selbst genauer ausdrücken zu wollen, kann man schon durch diese Gombination zur Formel der Kohlenhydrate Selangen, z. B.: 1 Aeq. Saccharumsäure = C1H6 O8 — Glucinsäure = QHO 2 Aeq. Aceton = GS W 02 : G44 H28 028 wofür noch die leichte Verflüchtigung des Acetons sprechen könnte, so dass die grösste Menge desselben sehr leicht der Untersuchung entgehen dürfte; jedenfalls soll diese Zusammenstellung nur als Andeutung die- nen, um bei weitergehenden Prüfungen beachtet zu werden. Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. Von C. Gegenbaur. Hierzu Taf. XIII. Das Skelet der Enaliosaurier gehört zu den nicht allzu zahlreichen fossilen Wirbelthier-Resten, welche sowohl in grösserer Vollständig- keit sich erhalten haben, als auch in verhältnissmässig reicher An- zahl zur Untersuchung gekommen sind. Dem entspricht die ausgedehnte, jene Organismenreste betreffende Literatur, in welcher nicht blos viele und genaue Beschreibungen, sondern auch manche vergleichende Ur- theile niedergelegt sind. Am wenigsten kann letzteres bezüglich der Skelete der Gliedmaassen gelten, die einerseits durch ihre oft vortreff- liche Erhaltung, durch die sie vor den fossilen Gliedmaassenresten anderer Reptilien ausgezeichnet sind, andererseits durch vieles in Zahl, Form und Lagerung ihrer einzelnen Theile ausgesprochene Eigenthüm- liche die vergleichende Prüfung herausfordern. Eine solche Prüfung ist von mir bezüglich der Vordergliedmaassen versucht worden, wobei mehrfache Beschreibungen und bildliche Dar- stellungen der Hauptrepräsentanten als Unterlage gedient haben. Die Ergebnisse dieser Untersuchung mögen in Folgendem vorgelegt werden. Sie dürfen in gleicher Weise auch auf die hintere Extremität Anwen- dung finden, da diese die ursprüngliche Uebereinstimmung mit den Vordergliedmaassen nur in wenigen ganz untergeordneten Punkten, wie z. B. in der Grösse, modifieirt besitzt. Ichthyosaurier. Die Gliedmaassen der Ichthyosaurier werden bekanntlich durch eine sehr grosse Anzahl einzelner Knochenstücke gebildet, die nicht selten noch in ihren gegenseitigen Lagerungsbeziehungen so voll- 333 Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. Ständig erhalten sind, dass der einem Deutungsversuche der ein- zelnen Theile etwa gemachte Einwand der Unvollständigkeit nicht als ‚Stichhaltig gelten kann. Dieses gilt wenigstens für den bei weitem Srössten Theil des Skeletcomplexes, und wenn auch am distalen Ab- Schnitte Lösungen in der Verbindung bestehen, oder die einzelnen Stücke aus ihrer Form eine unvollständige Verknöcherung und damit auch eine nicht vollkommene Erhaltung erschliessen lassen, so spielt gerade dieser Abschnitt für die vergleichende Untersuchung eine ganz Untergeordnete Rolle. Das allgemeine Verhalten der gesammten zu einer Flosse geformten Gliedmaasse spricht sich in einer geringen Differenzirung in einzelne Srössere Abschnitte aus, so dass die einzelnen Skeletstücke bei einem Vorkommen in grösserer Anzahl nur wenig von einander sich unter- Scheiden. Nur Ein Knochen macht davon eine Ausnahme, jener, der die Gliedmaasse dem bezüglichen Gürtel anfügt und zweifellos als Humerus für die Vordergliedmaasse, als Femur für die hintere Gliedmaasse ge- deutet worden ist. Verfolgen wir das Verhalten an den Vordergliedmassen weiter, so finden wir nach jenem ersten grösseren, durch eine Einschnürung am Mittelstücke ausgezeichneten Knochen, stets zwei kleinere, die ganz den Charakter der übrigen tragen, wenn nicht einer von ihnen durch eine laterale Einkerbung ausgezeichnet ist. Cuvırr! hat sie gewiss mit vollem Rechte als Radius und Ulna bezeichnet und ist damit jenen Ana- tomen entgegengetreten, welche glaubten, dass der Vorderarm den Ichthyosauren fehlte. Da nun die nachfolgenden Knochenstücke, wenn auch kleiner, doch jenen beiden Knochen ähnlich sind, bemerkt er, dass der Vorderarm thatsächlich die erste Reihe eines Carpus zu bilden Scheine. Die Bestimmung je eines dieser beiden Knochen als Radius der Ulna ergiebt einige Schwierigkeiten, da beide Seiten des Armske- lets sich häufig ziemlich gleichartig verhalten, und aus dem Verhalten der Knochen selbst keineswegs häufig ein fester Anhaltepunkt gewonnen Werden kann. Es ist somit erklärlich, dass nicht immer der gleiche Knochen als Radius oder Ulna gedeutet ward. Als Kriterium möchte ich das Verhalten des Handskeletes gelten und aus diesem zuerst Radial- und Ulnarseite bestimmen lassen, besonders in jenen Fällen, wo die Orderarmknochen einander gleich sind. Den durch eine Reihe kleiner Rochenstückchen ausgezeichneten Rand sehe ich als den ulnaren an. e Knochen finden sich in verschiedener Ausdehnung aufgereiht, Meist ausserhalb der am Vorderarm beginnenden Reihe gelagert. Die ') Ossemens fossiles, 4 Edit. Tome X. S. 437. 334 C. Gegenbaur, Gründe für diese Deutung liegen in der Thatsache, dass das Extremi- tätenskelet niederer Wirbelthiere radial einen bestimmten Abschluss, ulnar dagegen eine sehr veränderliche Zahl von es zusammensetzenden Theilen besitzt. Im Verlaufe dieses Aufsatzes wird mehrfach näher hierauf eingegangen werden müssen. Wenn bis hierher die vergleichenden Beziehungen nicht gut ver- kannt werden können, so ist der folgende Theil, und damit die ganze übrige Gliedmaasse schwieriger zu verstehen, zumal auch hier nach den einzelnen Arten manche und bedeutende Verschiedenheiten statt- finden. Bei der von Cuvier beschriebenen Form folgen auf drei als erste Reihe des wahren Carpus angesprochene Knochen zwei Reihen von je vier Stücken, welche Cuvier als zweite Reihe des Carpus und als Meta- carpusreihe aufzufassen scheint, da er die Knochenplattenreihen des übrigen Abschnittes als den Phalangen einer Delphinflosse vergleichbar bezeichnet. Während Guvırr, die Vergleichung ganz im Allgemeinen haltend, Beziehungen zu höheren Wirbelthieren anzudeuten scheint, wird von Owen! vielmehr eine Fischähnlichkeit nachzuweisen versucht. Die wesentlichste Verschiedenheit von der Flosse eines Fisches findet OwsX | — abgesehen von dem Schultergürtel — in dem wohlentwickelten Humerus. Dagegen haben nach’ demselben Forscher die Vorderarm- knochen in Kürze und Breite die Fischähnlichkeit bewahrt, und ebenso ‚sind nach demselben die mehrfachen — sieben, acht oder neun — | Finger durch ihre zahlreichen kurzen Gliedstücke ein bezeichnendes Merkmal der Verwandtschaft mit den Fischen. Es wird genügen, diese beiden Autoren aufgeführt zu haben, um zu zeigen, dass die Ver- gleichung sich nur ganz im Allgemeinen bewegt. Andere haben, so- weit mir bekannt, nichts wesentlich Neues kundgegeben. Jene Art der Vergleichung muss aber den heutigen Anforderungen ungenügend er- scheinen, so sehr Guvıer’s Urtheil für seine Zeit werthvoll gewesen ist. Wir haben uns zu erinnern, dass wir es im Garpus nicht mit einer be- . - liebigen Zahl von Skelettheilen, sondern mit ganz bestimmten Theile zu thun haben, die zwar vielfach verändert, rückgebildet, verschmolzen, ja sogar theilweise verschwunden sein können, die aber für all’ Dieses bestimmte Nachweise verlangen. Der Versuch jener Beurtheilung der einzelnen Stücke könnte mit | der Bestimmung des Carpus beginnen, oder der Frage, welcher Theil des reichen, auf die beiden Vorderarmknochen folgenden Complexe’ 1) An verschiedenen Orten, neuestens in: The Anatomy of Vertebrates. vol. I. S. 470, 335 Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. von mosaikartig aneinander gefügten Knochenplatten als Garpus anzu- ‚sehen sei. Die Anwendung des üblichen anatomischen Begriffes des Carpus als eines zwischen Mittelhand und Vorderarm eingefügten, aus ‚ Meist kleinen Knochen zusammengesetzten Abschnittes, ist unausführ- bar, eben weil auch ein Metacarpus nicht an sich unterscheidbar ist, Sondern wiederum die Kenntniss des carpalen Abschnittes voraussetzt. Da also weder Carpus noch Metacarpus von einander morphologisch ge- Sondert sind, sowie auch der den Phalangen entsprechende Endabschnitt nicht von einem Metacarpus differenzirt erscheint, so liegt die Berech- tigung vor, diese sämmtlichen Theile als noch im Zustande der Indif- ferenz befindliche anzusehen. So richtig diese Auffassung an sich ist, So wenig kann sie befriedigen, und auf keinen Fall führt sie die Er- kenntniss über die bereits von Cuvier gesteckte Grenzmarke der Ver- Sleichung. Wir werden uns also einen anderen Weg suchen müssen, um jene Grenze glücklich zu überschreiten. Die Beachtung des hervorgehobenen Zustandes der Indifferenz, in welchem selbst noch die deutlichen, in ihrem morphologischen Werthe erkennbaren Theile, wie z. B. die Vorderarmstücke, stehen, weist uns auf einen niederen Zustand. Dahin weist auch das Schwankende in der Zahl der sogenannten Phalangenreihen bei den einzelnen Arten, Sowie die Verbindung der einzelnen Stücke, welche das gesammte Armskelet zu einem einzigen, nur als Ruder wirkenden Organe, zu einer Flosse, zusammenfügte, keinem Abschnitte eigenartige Leistungen Sestattend. Von den Amphibien aufwärts treffen wir dagegen jene Sonderungen ausgeprägt; auch da, wo der Arm zur Flosse geworden funetionell auf eine niedere Stufe tritt, fehlen sie nicht; das Armskelet der Cetaceen, wohl die niederste Skeletbildung unter den höheren Wirbelthieren , da sie sogar der Gelenke entbehrt, trägt unverkennbar Jene Scheidung in die einzelnen bei Ichthyosaurus vermissten Abschnitte, Und erweist sich dadurch als Rückbildung aus einem höher differen- Arten Zustande, die mit der Ichthyosaurenflosse zu vergleichen heutzu- tage ein grosser Irrthum wäre. . Ausser diesen allgemeinen Verhältnissen verbieten auch die spe- cellen Beziehungen eine Vergleichung mit den höheren Abtheilungen a Vertebraten. In der ersten, den beiden Vorderarmknochen folgenden eihe sind drei, in der darauf folgenden fast immer vier Knochenstücke nun Ein ähnliches Verhalten bietet sich nur bei manchen Säuge- en ren dar, und ist da als ein erworbenes anzusehen, theils durch Ver- ; melzung zweier Stücke der zweiten Reihe, theils durch Ausfall eines ‘Wischen beiden Reihen gelagerten, von mir als Gentrale bezeichneten Nochens, der selbst noch bei Säugethieren in wenigen Abtheilungen 336 C. Gegenbaur, verbreitet vorkommt. Man sehe hierüber das zweite Heft meiner Unter- suchungen zur vergleichenden Anatomie. Leipzig 1865. Da ein solches Centrale die Verknüpfung des Säugethiercarpus mit jenem von Reptilien und Amphibien vermittelt, und sein Mangel bei einzelnen Säugethierord- nungen nur als ein secundärer zu gelten hat, wird sein anscheinendes Fehlen bei Ichthyosauren nicht zu einer Vergleichung mit jenen Säuge- | thieren induciren dürfen, es wird vielmehr die Frage entstehen, ob denn die Auffassung jener beiden aus drei und vier Knochen bestehenden Reihen als Carpus überhaupt richtig ist. Der Zustand der Indifferenz, in welchem sich fast das ganze Armskelet findet, gestattet die vorläufige Annahme der Möglichkeit, dass auch mehr als zwei Reihen zum Carpus gehören können. Bei Amphibien (Urodelen) und Reptilien (Schild- kröten) ist von mir gezeigt worden, dass die Anordnung der Carpus- stücke in Querreihen nicht dem ursprünglichen Zustande entspricht, so dass bei jeder Vergleichung von der Querreihenbildung gänzlich abge- sehen werden kann, Nachdem somit alle nach oben führenden Wege der Vergleichung abgesperrt sind, müssen wir uns nach unten wenden, um dort nach neuen Vergleichungsobjecten zu suchen. Owen hat bereits diese Bahn zu betreten versucht, ohne jedoch, wie oben bemerkt, zu positiven Er- gebnissen gekommen zu sein, denn der Nachweis der Fischähnlichkeit im Baue des Armskelets der Ichthyosauren stützt sich fast ausschliesslich auf Zustände, die aus Anpassungen hervorgingen, und nur auf die functionellen Verhältnisse des Armes Bezug haben. Es wird sogar nachzuweisen sein, dass die meisten jener Eigenthümlichkeiten gar nicht dem »Fischtypus« als solchem, sondern nur einer, hinsichtlich der | Gliedmaassen sehr einförmigen Abtheilung (Teleostier) angehörig sind. | Die Sonderung des secundären Flossenskelets vom primären, um welches es sich hier allein handeln kann, lehrt in den Gliedmaassen der Teleostier wiederum durch Rückbildung modifieirte Zustände kennen, die durch die Ganoiden zu den Selachiern verfolgbar sind. Bei letzteren ist der vollständige Zustand des Skeletes der Gliedmaasse vorhanden, der in jenen anderen Abtheilungen stufenweise Rückbildungen erfährt, wie ich früher (Untersuchungen z. vergl. Anatomie Heft II.) ausführlich nach- gewiesen habe. Somit blieben uns nur die Selachier. Im Baue der Selachierflosse gab sich als durchgreifende Einrich- | tung das Vorkommen einer — oder, wie bei den Rochen, mehrerer — Reihen von Knorpelstücken zu erkennen, welche andere Knorpelstücke; Radien, an sich aufgereiht tragen. Nach der Lagerung der drei typi- schen Basalstücke habe ich das gesammte Flossenskelet in drei Ab- schnitte, Pro-, Meso- und Metapterygium , unterschieden ; das letztere Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. 337 ist der allen Selachiern zukommende, bei den Haien der überwie- sende Theil des Skelets.. Man kann an ihm eine von dem die Verbin- dung mit dem Schultergürtel vermittelnden Basalstücke ausgehende Stamm- oder Basalreihe unterscheiden, an deren einer Seite die Radien Sitzen. Diese Radien erscheinen am einfachsten als Knorpelstäbe, die ei grösserer Länge gegliedert sind und dann aus einer Folge von Knorpelstücken bestehen. Jedes einzelne der letzteren kann wieder in ändere Gestaltungen übergehen , und eine sehr häufige Erscheinung ist die Umwandlung der vierseitigen Gliedstücke in sechsseitige Plättchen, ie mit den benachbarten zu einer Art Mosaik verbunden sind. Gar Nicht selten ist alsdann die Angehörigkeit dieser Plättchen zu einem Strahl deutlich erkennbar, und es ist der Uebergang eines ungegliederten Knorpelstrahls in eine gegliederte Fortsetzung, ferner der Uebergang der einfach vierseitigen Gliedstücke in polygonale Platten continuir- lich verfolgbar. In einem anderen Falle ist solches nur über eine Strecke der Flosse deutlich, während gegen die Peripherie eine Auf- lösung der Plättchenreihen, und eine gewisse Art von Umordnung der- selben erfolgt, aus der eine Anordnung in die Längsaxe der Radien kreuzende Querreihen hervorgeht. Auch da vermag man fast beständig die je einem Radius angehörigen Plättchen zu unterscheiden. Verfolgt man die Längsaxe eines Knorpelradius in die sich aus ihm fortsetzende Plättchenreihe , so geht die Linie häufig aus der Geraden in eine ge- Krümmte Form über. Da die Radien ursprünglich fast immer gerade Sind, so müssen mit der Sonderung des distalen Abschnittes in Plätt- chen zugleich Verschiebungen stattfinden. Ungleicher Wachsthum der Plättchen dürfte dazu den ersten Anlass geben. Wir sehen also, wie in der Selachierflosse eine Einrichtung vor- mmt, die mit der Zusammensetzung der Ichthyosaurenflosse einige Achnlichkeit besitzt: in Querreihen geordnete Skeletstücke, die mehr oder minder deutlich auf Längsreihen, resp. auf gegliederte, längs ver- Aufende Stücke (Radien) bezogen werden können. Die aus der Untersuchung der Selachierflosse gewonnenen Resul- late verwerthend, können wir uns nun die Frage vorlegen, ob nicht Auch im Armskelet der Ichthyosauren derselbe Typus zu erkennen sei, Wie im Skelet der Selachierflosse. Wenn die Frage bejahend beant- Wortet werden darf, so muss sich vor allem nachweisen lassen, dass “me Stammreihe von Knochenstücken besteht, an der seitliche Strahlen Angebracht sind, die auch durch Reihen von Skeletstücken repräsentirt “ein können. Es ist früher von mir gezeigt worden, dass die Basalreihe °S Metapterygiums der Selachier mit einem dem Humerus homologen tücke beginnt und durch Skelettheile sich fortsetzt, die der radialen 338 C. Gegenbaur, Seite des Armskelets höherer Wirbelthiere entsprechen. Suchen wir an der Ichthyosaurenflosse diese Reihe auf, so wird sie also vom Hu- merus und Radius und den darauf folgenden, dem radialen Rande der Flosse angehörigen Knochenplatien gebildet werden. (Vergl. Fig. 4.) Die in der Abbildung dargestellte stärkere rothe Linie bezeichnet diese Reihe. Ihr müssen den Strahlen der Selachierflosse ähnliche Platten- reihen angefügt sein. Auch diese sind nachweisbar, wie durch die feineren rothen Linien in Fig. 4 dargestellt wurde. Jede einer solchen Linie zugehörige Folge von Knochenstücken kann aus einem geglie- derten Skeletstücke gebildet gedacht werden, dessen Theile aus einem ungegliederten Zustande hervorgingen (vergleiche damit Fig. 4), wie solcher für die Selachierflosse ersichtlich ist. Es ist also die fundamentale Anordnung der Skelet- theilebeiderIchthyosauren-Gliedmaasse aus demselben Verhalten ableitbar, welches der Zusammensetzung der Selachierflosse zu Grunde liegt. Wir können in dem zum Bei- spiele gewählten Falle vier Knochenplattenreihen der Haupt- oder Basal- reihe angefügt nachweisen; die erste Reihe beginnt mit der Ulna und wird vom Humerus getragen, die zweite ist dem Radius angefügt, die dritte und vierte sitzen an den beiden auf den Radius folgenden Knochen der Basalreihe. Die erste Reihe scheint (in dem von uns gewählten | Falle) nach ihrem siebenten Gliedstücke in zwei Reihen überzugehen, d. h. sie ist terminal gabelig getheilt. Anderen Arten fehlt dieses Ver- halten, oder es kommt der Uebergang einer Reihe in zwei an einem anderen Abschnitte vor, wie denn nicht blos in dieser Hinsicht, son- dern auch in der Anordnung der secundären Reihen (die aus Strahlen- stücken hervorgingen) auf der Basal- oder Stammreihe eine nicht ge- ringe Mannigfaltigkeit besteht. Da ich die Aufzählung dieser Variationen nicht zu meiner Aufgabe rechne, mag es genügen, auf sie hingewiesen zu haben, Jenen die nähere Untersuchung dieses Verhaltens überlas“ send, denen das bezügliche Material directer zugänglich ist!. In der Auflösung einer Reihe in zwei ist ein ebenfalls im Flossen skelet der Selachier vorkommendes Verhältniss ausgedrückt, das als | 1) Bei Ichthyosaurus integer scheint die Dichotomie der Strahlen zu fehlen: | Sehr deutlich ist sie bei Ichthyosaurus communis. In dem von Cuvier Fig. 3 Pl. 258 | der Oss. Foss. Quatr. Edit. abgebildeten, scheint eine Dichotomie am radialen Rande d vorzukommen, wenn anders die Bezeichnung von Cuvırr die richtige ist. Die ee}. terale Reihe besteht aus kleinen Knochen, ähnlich wie in der auf derselben Tafel I gegebenen Fig. 4 am ulnaren Rande, welche Figur übrigens die innere Ansicht d! in Fig. 3 dargestellten Flosse sein soll. Beide Figuren stimmen jedoch sonst nich! iz ganz überein. Ueber das Gliedmaassenskelet der Bnaliosaurier. 339 Dichotomie der Strahlen, am distalen Ende bei Rochen allgemein, nicht Selten auch bei Haien besteht. Ob übrigens in dem gewählten Para- digma das Vorkommen von sechs Längsreihen gegen das Ende der vorher nur fünf Reihen aufweisenden Flosse nur von jener Dicho- tomie ableitbar ist, muss ich. zweifelhaft lassen. Es besteht noch eine andere Möglichkeit, die nicht einfach beseitigt werden kann. Die frag- liche Doppelreihe besteht nämlich aus einem aus grösseren und einem aus kleinen Tafeln gebildeten Theile, davon der letztere den ulnaren Rand der Flosse einnimmt (siehe Fig. 1). An diesem Rande finden sich nun bei verschiedenen Ichthyosaurusarten kleinere Knochentäfelchen n einer verschieden langen Reihe, die klärlich nicht von einem Strahl abgeleitet werden können, der unterhalb des ersten mit der Ulna be- Sinnenden Strahls an die Basalreihe sich anfügte, sondern der viel- mehr, jene Auffassung festgehalten, über dem ersten ulnaren Strahl an er Basalreihe, also am ersten Stücke derselben, d. i.)am Humerus angefügt gewesen sein muss. Cuvier hat in dem als Fig. 2 auf Pl. 258 (Ossemens fossiles Quatr. Edit.) dargestellten Ichthyosaurusfragmente den grösseren Theil einer solchen Flosse abgebildet, wo eine ulnare Reihe von Knochentäfelchen schon am zweiten Gliede des Ulnarstrahls eginnt. Man kann zwar sagen, dass hier eine dem Ulnarstrahl ange- hörige Dichotomie vorliege, allein das ist ebensowenig sicher als die andere Ansicht, und gerade die Beziehung zum einem Rande der Glied- Maasse lässt Bedenken entstehen. Dieser Rand der Gliedmaasse markirt Sich nämlich dadurch als Ulnarrand, und verlangt besondere Vorsicht in der. Beurtheilung der ihm angeschlossenen Theile, da gegen ihn die Reduetion erfolgt sein muss, so dass sich hier, je nach dem verschie- denen Grade der letzteren, Strahlenglieder in verschiedener Anzahl er- alten haben können, indess andere auf Strecken hin verloren gegangen Sind. Bei der Vergleichung des Armskeletes von Plesiosaurus werde ich auf diesen Umstand zurückkommen. Durch den Nachweis der Uebereinstimmung des Typus des Flossen- Skelets von Ichthyosaurus mit jenem der Selachierflosse könnte man zu ? Vorstellung einer darauf sich gründenden näheren Verwandtschaft eider geführt werden, welche in demselben Grade die Beziehungen zu öher en Wirbelthierorganismen in die Ferne rückte. Diese Vorstellung "nd durch die Beachtung der Thatsache modificirt, dass auch für die öheren Wirbelthiere durch die am Carpus und Tarsus der Amphibien und mancher Reptilien) wahrnehmbaren Einrichtungen eine Ableitung Gliedmaassenskelets von gleichen primitiven Zuständen ausführbar * In meinen Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie (Heft II. habe ich das Schema angegeben, nach welchem die Anordnung NS 164) 340 6 Gegenbaur, der bezüglichen Skelettheile aufzufassen ist: eine Basal- oder Stamm- 1 reihe, welche für die Vorderextremität vom Humerus durch den Radius zum Daumen verläuft, und vier Radien, welche der Stammreihe lateral angefügt, in den vier Fingern enden. In Fig. 3 stelle ich eine Abbil- dung dieses Schema dar, in der zugleich die Differenzirung der Haupt- abschnitte des Armskelets ausgedrückt ward. Bei Zugrundelegung dieses Schema für die speciellere Vergleichung der Ichthyosaurusflosse mit dem Armskelete der höheren Vertebraten stellt sich Folgendes heraus: Auf die beiden Vorderarmstücke folgen drei, die erste Reihe des Carpus zusammensetzende Stücke, davon eines das Radiale der Stammreihe ist,. das zweite als Intermedium, dem zweiten Strahl, das dritte Ulnare, dem ersten, ulnaren Strahl angehört, wie aus der bezüglichen Abbildung leicht zu ersehen ist. Dieselben Stücke finden sich in derselben Lagerung bei Ichthyosaurus. Das Inter“ | medium lässt sehr oft durch Einfügung zwischen Radius und Ulna ein Verhalten erkennen, welches an den Carpus von Salamandrinen erinnert. l Dem Intermedium sind ferner bei unserem Schema in distale Richtung zwei Stücke angefügt, welche ich als Centralia bezeichnete | und welche beide dem einfachen Centrale entsprechen, das von den Amphibien an bis zu Säugethieren sehr verbreitet vorkommt, im Tarsus von Cryptobranchus sich sogar in der für den Carpus nur hypothetische? | Duplicität erhalten hat. Dieselben Stücke finden sich allgemein þei Ichthyosaurus (Fig. 4. c. c.) und dies ist um so wichtiger, als daduroh die bisher nur durch den Tarsus von Cryptobranchus gestützte, sonst rein theoretische Voraussetzung am Carpus, oder vielmehr an dem eine™ solchen homologen Abschnitte, eine feste Begründung empfängt. Zur Seite der beiden Centralia, mit ihnen fast eine Querreihe bik l dend, finden sich ulnar und radial gelagert noch zwei Stücke , welche | mit drei distal von den Centralien liegenden von mir als Garpale 1—8 bezeichnet wurden. (Fig. 3 c. 4—8). Die beiden erstgenannten sind bei Ichthyosaurus, soweit ich die Darstellungen vergleichen kann, con“ stant vorhanden (Fig. 1. c', cd), die drei anderen dagegen (Fig. 3 02, 0°, u 2 sind zuweilen nur durch zwei vertreten, so z. B. bei Ichthyosaurus integer (A. Wacner, Abhandl. der math. physik. Classe der k. Acad der Wiss. zu München, Bd. VI, Abth. 2. Taf. XVI, Fig. 1) auch in eine! | von Cuvırr gegebenen Darstellung (Oss. foss. Pl. 258, Fig. 3. 4), wäh- | rend sie in einer andern Form (l. c. Fig. 2) vollzählig sind. Was die f ersterwähnte Minderung bedingt, ist für jetzt noch nicht sicher wo ermitteln; möglich ist, dass sie durch die Dichotomie eines Strahls be I dingt ist, oder durch eine Vereinigung einer Anzahl der Strahlen: |" Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier, 341 Wahrscheinlich sind die bedingenden Momente für die einzelnen Fälle Sogar sehr verschiedene, was zugleich der Verschiedenartigkeit des “peciellen Baues des Flossenskelets von Ichthyosaurus entspricht. Mit dem Nachweise dieser zehn Knochenstücke, die zu zweien (Radiale und Carpale!) der Stammreihe, im Uebrigen dem proximalen bschnitte von lateralen Strahlen angehören , ist die Erkenntniss eines dem Carpus der höhern Vertebraten entsprechenden Abschnittes ge- Wonnen, und es lassen sich die folgenden fünf Stücke als Homologa eines Metacarpus, die übrigen aber als Phalangen deuten, wenn sie auch sämmtlich unter sich, ja sogar von den Vorderarmknochen for- mell nicht differenzirt sind. Eine Vermehrung der Strahlen bewirkt in jenem Verhalten entsprechende Modificationen , ohne jedoch das als ty- Pisch Bezeichnete aufzulösen.! Das Armskelet von Ichthyosaurus bietet Somit in Zahl und Anordnung seiner Elemente nahe verwandtschaft- liche Verhältnisse zu jenem der höheren Wirbelthiere, und nur das Schwankende in der Zahl der in es eingehenden Radien, sowie die eträchtliche Vermehrung der Gliedstücke der letzteren ergiebt sich als eine Niedere, an die Zustände des Armskelets der Selachier erinnernde Bildung, i Würden die beiden Vorderarmknochen länger gestaltet erscheinen, Und ebenso Metacarpus und Phalangenstücke aus der platten, oft sogar reiten Gestalt in die eylindrische übergegangen sein , und die Phalan- gen mit ihrer Verlängerung eine Reduction in der Zahl erlitten haben, 50 schlösse sich das Armskelet von Ichthyosaurus enge an jenes der Mphibien an. Bei diesen besteht nur noch im Verhalten des Carpus dt bei Ichthyosaurus für den ganzen Skelet-Complex vorhandene Nedere Zustand fort, die übrigen Theile erscheinen dagegen weiter ent- Wickelt, entsprechend der geänderten Verrichtung, in welche die Glied- me, a 1) Daraus geht zugleich hervor, dass das Handskelet der höheren Wirbelthiere a die Pentadactylia beschränkt ist, die schon bei Ichthyosauren ihre Repräsen- anten besitzt, Wenn die vier Finger die Enden von selbst im Carpus noch ganz eutlich nachweisbaren Strahlen sind, so muss eine Mehrzahl von Fingern durch das Verhalten des Carpus erkennbar sein. Von den Amphibien an aufwärts ist aber Qirgends eine Andeutung davon vorhanden. Es ist daher auch von dieser Seite her Nach weishar, wie sebr die Annahme gewisser Skeletstücke bei Amphibien als Rudi- Mente eines sechsten Fingers unzulässig ist. hie Dass die als Monstrosität nicht seltene Polydactylie höherer Wirbelthiere an et gehört, bedarf kaum einer besonderen Erwähnung. Sie könnte als ein ep schlag nur auf Formen bezogen werden, die unendlich weit abstehen, wie Sa Ichthyosaurus und die Selachier, und darin müssten nicht blos in der Zahl der „Ser, Sondern auch in den specielleren Formverhältnissen der Phalangen, wie aller elettheile der Hand jenen niederen Zuständen entsprechende Verhältnisse sich a : - ; a Weisen lassen, von welchen thatsächlich auch die geringste Spur vermisst wird. Buy; 23 342 C. Gegenbaur, maasse eintrat. Dieselbe Weiterentwicklung, welche den einzelnen Abschnitten besondere Function überträgt, äussert sich auch in der zwischen den einzelnen Abschnitten durch aufgetretene Gelenkbildung gestatteten Beweglichkeit. Fassen wir Alles zusammen, so begegnen wir in den Gliedmaassen der Ichthyosauren einer Form, die zwar noch Manches aus einem niedern Zustande bewahrt hat, aber dennoch be- reits alle Elemente höherer Gliedmaassenformen in sich trägt. Das letz- tere überwiegt das erstere, denn das bis auf kleinere Verhältnisse sich erstreckende Uebereinstimmende der Anordnung ist wichtiger als die Verschiedenheit, die sich in der speciellen Form und in der Zahl der Skeletstücke ausspricht. Plesiosaurus. Dem indifferenteren Zustande der Gliedmaassenskelette von Ichthyo- saurus stellt sich das in seinen einzelnen Abschnitten scharf gesonderte Skelet der Extremitäten von Plesiosaurus gegenüber. Beiden Gattun- gen ist nur die ziemlich vollkommene Uebereinstimmung von Vorder- und Hintergliedmaassen und die Umformung derselben zu einer Flosse gemeinsam. Die Vollständigkeit der Erhaltung in sehr vielen Fällen bietet der vergleichenden Betrachtung auch hier eine ziemlich sichere Unterlage, und wenn bei einzelnen Arten auch eine Verschiebung gan- zer Abschnitte, vorzüglich des Carpus stattfand, oder die Kleinheit und mangelnde Ausprägung der untereinander verbundenen Flächen auf eine nicht immer vollständige Verknöcherung schliessen lässt, so treten wieder andere Formen dafür ergänzend ein, und es ist ein Gesammt- bild leicht zu gewinnen. Ein solches bietet die Darstellung, welche Owen! gegeben hat. An der vordern Extremität ist der sehr ansehnliche Humerus an seinen beiden Enden charakteristisch gestaltet. Die Form des distalen ` Endes weist auf eine Gelenkbildung hin. An Länge kommt er etwa einem Drittheil des gesammten Armskelets gleich. Die zwei Knochen des Vorderarmes sind gleichfalls gesonderter. Einer davon, in der Mitte meist etwas eingeschnürt, ist der Radius, der andere ist die Ulna, die eine concave Radialfläche besitzt, indess die entgegengesetzte stark convex erscheint. Die ziemlich platte Gestalt beider Knochen kann als eine Annäherung an die bei Ichthyosaurus vorhandene Form gelten, wenn man nicht, vielleicht richtiger, darin blos eine Anpassung an die Flossennatur der ganzen Gliedmaasse erkennen will. Diese äussert sich auch in der Form der nun folgenden sechs CGarpusstücke, die in 1) Monograph of the fossil Reptilia of the Liassic formations. Part first, Sau- ropterygia. London 1865. Ueber das Gliedmäässenskelet der Enaliosaurier. 343 zwei Reihen angeordnet sind, und am ulnaren Rande häufig noch ein siebentes Stück angelagert haben. Auf den Carpus folgen fünf Mittel- handknochen, welche die aus ähnlich gestalteten Stücken bestehenden Phalangenreihen tragen. Die Zahl der Glieder ist zwar viel geringer als bei Ichthyosaurus, erhebt sich aber noch über die bei den lebenden Reptilien getroffene Zahl. Bei der Beurtheilung dieser Skeletverhältnisse kann man zwei ver- schiedene Wege einschlagen. Man kann einmal die vorhandene Diffe- renzirung als etwas Gegebenes ansehen, und innerhalb jedes Abschnittes die Homologie mit dem nämlichen Abschnitte anderer Wirbelthiere zu bestimmen versuchen. Dieser Weg setzt bereits den Nachweis der Ho- mologie der bezüglichen Abschnitte voraus, und da dieselbe für ein- zelne Stücke evident ist, erscheint vielleicht dieses Verfahren als ein ziemlich gesichertes. Da kein Zweifel sein kann, dass ‘der Humerus von Plesiosaurus jenem der übrigen Wirbelthiere homolog ist, da eben- sowenig ein Bedenken an der Homologie der beiden Vorderarmstücke mit jenen anderer Wirbelthiere sich begründen lässt, warum sollte der Carpus nicht homolog dem Carpus anderer Vertebraten sein, da er doch ebenso charakteristisch gestaltet und deutlich vom Vorderarm und den unzweifelhaften Mittelhandknochen abgegrenzt wird? Da es hier nicht erst des Bestimmens der einzelnen Abschnitte bedarf, erscheint die Sachlage viel einfacher als bei Ichthyosaurus. Die Aufgabe der Ver- gleichung würde sich also auf die Bestimmung der einzelnen Carpus- theile concentriren müssen, da nur noch hier ein Problem besteht. Für die ersten dreiKnochen, von denen der mittlere in der Regel der grösste ist, erhebt sich keine Schwierigkeit, Radiale, Intermedium und Ulnare sind durch ihre Beziehungen zu den Vorderarmknochen sofort bestimm- bar. So sind sie auch von Owen so bestimmt worden, der sie mit den die Anthropotomie entnommenen Namen: Scaphoides, Lunatum und Guneiforme (Triguetrum deutscher Autoren) belegt hat. Die geringe Schwierigkeit, die sich hier ergiebt, scheint fördernd für die Bestimmung der Knochen der zweiten Reihe des Carpus gewirkt zu haben, denn wir finden diese einfach als Trapezium , Trapezoides und Magnum (Capitatum) gedeutet, wenn auch die Lagerungsbeziehungen zu der Mittelhand ganz andere sind, als bei jenen Wirbelthieren, wo die ge- hannten Namen grösseres Recht besitzen. Prüfen wir Dieses näher. Gegen das Trapezium und Trapezoid scheint kein Bedenken geltend gemacht werden zu können; sie tragen hier wie sonst das erste und zweite Metacarpale. Auffallend muss aber sein, dass das Owen’sche Trapezoid auch Beziehungen zum dritten Metacarpus-Kno- chen besitzt, wie bei besser erhaltenen Formen, z. B. bei Plesiosaurus 23* 344 i C. Gegenbaur, rugosus: (Owen, op. cit. Taf. XIV, Fig. 2) deutlich ist. Bedenklicher wird das Verhalten des Magnum. Es trägt in allen von Owen darge- stellten Fällen den vierten Mittelhandknochen, bei Pl. rostratus, ausser jenem auch noch den dritten, und bei Pl. homalospondylus ist der vierte und fünfte mit ihm verbunden. Die Beziehungen, die es bei Säugethie- ren in grosser Beständigkeit zum dritten Metacarpale hat, und ebenso in seinem homologen Stücke bei Amphibien und Reptilien, sind in kei- ner Weise vorhanden, daher der Zweifel an der Richtigkeit der Deutung berechtigt wird. Dieser Zweifel wächst durch die Erwägung, dass das fragliche Os magnum der letzte, ulnare Knochen der zweiten Garpus- reihe ist, indem das fünfte Metacarpale vom Radiale (Cuneiforme Owen) getragen wird. Wenn man von den Knochen des menschlichen Carpus sechs in der Plesiosaurusflosse beschrieben findet, hat man ein Recht, auch nach dem siebenten zu fragen, dem Uneinatum. Im Garpus selbst, wo es ja doch liegen sollte, ist es allerdings nicht nachweisbar, desshalb hat es Owen in einem: ausserhalb desselben gelegenen Knochen ge- sucht. Owey’s Uncinatum liegt an der Ulnarseite des Ulnare (Cunei- forme). So bei Pl. rugosus und macrocephalus. ‚Anderen scheint es zu fehlen. Von allen charakteristischen Eigenschaften des Uncinatum der übrigen Wirbelthiere hat es nur die eine, dass es dem Ulnare (Gunei- forme) angefügt ist, und diese Eigenschaft verhält sich derart, dass sie aufhört, eine Uebereinstimmung mit dem Uneinatum der übrigen Ver- tebraten zu bilden, denn jene Verbindung mit dem Ulnare geschieht nicht am distalen Ende des letzteren, sondern am lateralen. Da also die einzige scheinbare Begründung einer Homologie sich auflöst, und auch niemals eine Verbindung mit Metacarpus-Knochen besteht, wird es mehr ‚als wahrscheinlich, dass das Uncinatum Owen’s nichts mit dem gleichnamigen Skelettheile des Carpus anderer Wirbelthiere zu thun hat, vielleicht gar nicht dem eigentlichen Carpus angehört. Zu den Zweifeln bezüglich des Os magnum kommt also noch die Gonstati- rung.des Fehlens eines Uncinatum im Carpus. Die ganze Vergleichung wird dadurch erschüttert, denn die vorgetragenen Bedenken wirken nothwendig auch auf das Trapezoid. Auch von anderer Seite entstehen Bedenken an der Richtigkeit jener Vergleichung, die sich sofort auf die Säugethiere, ja eigentlich sogar nur auf den Menschen bezieht, da das unter den Säugethieren zwar nicht allgemein vorhandene, aber doch ziemlich weit verbreitete Centrale nicht mit in Rechnung gezogen ist. Bei der vergleichenden Untersuchung eines Reptils oder doch reptilienartigen Wirbeltbiers wird vor allem bei den sonst verwandten Formen Umschau gehalten werden müssen, Auch von dieser Seite ist das Ergebniss der fraglichen Deu- Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. 345 tung nicht günstig, und weder bei Amphibien noch bei Reptilien besteht eine Carpusform, welche mit jenem von Plesiosaurus einige Ueberein- stimmung wahrnehmen liesse. Wenn Owen sagt, dass bei Plesiosaurus die Gliedmaassen eine Entwicklung nehmen, die jener von Chelonia sehr nahe kommt!!, so besteht nach meiner Meinung kein einziges Factum für die specielle Begründung. Eine Verwandtschaft mit einer Ceta- ceenflosse zu erkennen ist nicht unrichtiger. Die Voraussetzung, unter der die bisher geprüften Vergleichungen vorgenommen waren, bestand in der Annahme der zwei Reihen von kurzen, platten Knochenstücken als Carpus, und der darauf folgenden, aus fünf schlanken Knochen gebildeten Reihe als Metacarpus. Die Un- terscheidung gründete sich nur auf die Form der betreffenden Theile. Die Untersuchung von Ichthyosaurus hat gezeigt, dass dort ein Carpus in allen seinen einzelnen Stücken und ebenso ein Metacarpus vorhan- den ist, beide in den sonst diesen Theilen zukommenden Lagebeziehun- gen, aber in der Form der einzelnen Stücke nicht von einander ver- schieden. Die Metacarpusstücke tragen wie die Phalangen den Charak- ter der Garpusstücke. Man konnte aus der dort weiter geführten Ver- gleichung ersehen, dass neben der Form noch andere Dinge in Betracht gezogen werden müssen. Bei solcher Unterordnung des Formellen wird man zu der Frage geführt, ob das unzulängliche Verhalten des Carpus bei Plesiosaurus nicht durch eine Entfremdung eines Theiles des sonst den Carpus bildenden Abschnittes entstanden sei. Wie bei Ichthyo- saurus Metacarpusknochen und Phalangen formell den Carpuscharak- ter tragen, so kann auch einmal der Carpus oder doch ein Theil davon den Charakter von Metacarpusknochen besitzen. Einfacher ausge- drückt würde das heissen: kurze Knochen können in längere über- gehen, also kann ein Carpusknochen formell zu einem Metacarpuskno- chen werden. Da dieses nicht bezweifelt werden kann, und man für die anatomischen Begriffe Garpus und Metacarpus, wie sie einmal üblich, keine anderen Kriterien als die Form der Knochen selbst besitzt, wird die aufgeworfene Frage in ihrer Anwendung für das Armskelet von Plesiosaurus eine Berechtigung erhalten. Die bestimmte Beantwortung der aufgeworfenen Frage wird bei dem Mangel aller in den einzelnen Stücken selbst liegenden Kriterien, nur aus dem Verhalten der bezüglichen Skelettheile zu einander zu erzielen sein. Dieses Verhalten wird dann durch die Beziehung auf das von mir auch bei Ichthyosaurus angewandte Grundschema der Gliedmaassen geprüft werden können. Suchen wir die durch den Ra- a daah aai 1) Anatomy and Physiology of Vertebrates. Vol. I. London 4866. S. 174. 346 C. Gegenbaur, dius verlaufende Stammreibe auf, so finden wir sie durch die zwei radialen Knochen der beiden Carpusreihen in den ersten Finger über- gehend, ganz in Uebereinstimmung mit dem Verhalten bei anderen Wirbelthieren (Vergl. Fig. 2 u. 3). Der erste Strahl wird von Ulna, dem bezüglichen Carpusknochen, Ulnare (Fig. 2 «) und dem darange- fügten Metacarpus mit dem fünften Finger gebildet. Den zweiten Strahl setzt das Intermedium (Lunatum), der dritte Knochen der zweiten Gar- pusreihe (Magnum, nach Owen), der vierte Metacarpusknochen mit dem vierten Finger zusammen. Den vierten Strahl bildet der zweite Knochen der zweiten Carpus-Reihe (Trapezoid nach Owen) und der dritte Meta- carpusknochen mit dem dritten Finger. Endlich finden wir den vierten Strahl durch das zweite Metacarpale mit dem zweiten Finger gebildet. Es erweist sich also auch hier bei Plesiosaurus die Zusammensetzung des Armskelets nach demselben Typus, wie er im Allgemeinen bereits bei der Selachierflosse besteht, und ebenso bei den höheren Wirbel- thieren erkennbar ist. Die Uebereinstimmung im Typischen ist von manchen nicht unbe- deutenden Modificationen begleitet. Das dritte Stück des ersten Strahls gehört sonst dem Carpus an (Fig. 3 0°). Bei Plesiosaurus ist es ein Metacarpusknochen (Fig. 2 c5). Auch das dritte Stück des zweiten Strahles (Fig. 3 c4) ist immer ein Garpusknochen, mit Ausnahme von Plesiosaurus (Fig. 2 ct), wo es den vierten Metacarpusknochen vorstellt. Ebenso ist das zweite Stück des dritten Strahls ein Carpale (Fig. 3 c’), bei Plesiosaurus das dritte Metacarpalstück (Fig. 2 c3), und am ersten Stück des vierten Strahls ist eine ähnliche Veränderung vorhanden, indem es sonst ein Carpalknochen (Fig. 3 02), bei Plesiosaurus der zweite Metacarpusknochen ist (Fig. 2 e2). Die Metacarpusknochen der vier Finger von Plesiosaurus sind demnach bei den höheren Wirbelthieren als Garpalstücke gebildet; es sind dieselben Elemente, die ich als Carpale 2—5 bezeichne, und die dem Trapezoides (c?), dem Magnum oder Gapitatum (c?) und endlich dem Un- einatum (c4 + c) homolog sind. Die beiden, von Owen als Trapezoid und Magnum bezeichneten Knochen des Carpus (Fig. 2 ee) können dagegen nichts anderes sein, als zwei Centralia, jenen homolog, wie wir sie oben bei Ichthyosaurus kennen gelernt haben. Wenn wir uns einen indifferen- ten Zustand des Armskeletes vorstellen, ähnlich wie er bei Ichthyosau- ren besteht, so können wir davon die beiden anderen Formzustände ableiten. Bei der einen Form (Amphibien etc.) gehen mehr Stücke in den Carpus über, weniger bei der anderen Form (Plesiosaurus), indem bei dieser vier, bei der ersten zum Carpus verwendete Knochen in den Meta- carpus übergegangen sind. Dass die in der ersten Form als Grundpha- Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. 347 langen der vier Finger erscheinenden Knochen bei Plesiosaurus die zweite Phalangenreihe der vier Finger bilden müssen, ist selbstverständlich. Es bleibt nun noch das von OWEN als Uncinatum bezeichnete Kno- chenstück zu beurtheilen, welches ausserhalb des Carpus liegt. Solche Stücke scheinen bei Plesiosauren allgemein verbreitet zu sein. Ausser dem eben erwähnten findet sich noch ein zweites am Ulnarrande der Gliedmaassen zwischen Ulna und Ulnare eingefügt. Bei Pl. dolichodei- rus und macrocephalus ist es scheibenförmig, mit seinen Rändern den benachbarten Knochen wenig angepasst; bei Pl. rugosus dagegen keil- förmig zwischen Ulna und Ulnare eingeschoben. Owen hat es als Pisi- forme bezeichnet. Endlich kommt ein dritter Knochen bei Pl. rugosus, nahe am proximalen Ende der Ulna vor. Da all’ diese Knochen (vergl. Fig. 2 p! p?p?) ausserhalb der bereits beurtheilten liegen, und diese sämmtlich bekannte Knochen des typischen Armskeletes in sich be- greifen, wird ihre Herkunft nicht durch Vergleichung der nur jenes Armskelet besitzenden Wirbelthiere aufgedeckt werden können. Wo sie in grösserer Anzahl vorkommen — zu dreien bei Pl. rugosus — bilden sie keine unansehnliche Vergrösserung des Armskelets nach der Ulnar- seite hin. Sie finden sich an jener Seite, an welcher wir gegliederte Strahlen, einer Stammreihe von Skeletstücken angefügt, uns vorstellten, und welche zugleich dieselbe Seite ist, an der bei den Selachiern eine viel grössere Anzahl von Strahlen von der Basai- oder Stammreihe hervortritt. Bei der Frage nach den genetischen Verhältnissen eines Ske- lettheiles ist es viel richtiger an die Abstammung desselben von einem niederen, vielleicht noch ganz fremde Beziehungen bietenden Zustande zu denken und derselben nachzugehen, als sich statt weiterer Bemühung der Vorstellung einer Neubildung hinzugeben. Wir betrachten daher diese Stücke nicht als Neubildungen, Knoeben eigner Art. In dem uns beschäftigenden Falle wird die Forschung bedeutend erleichtert durch die Erkenntniss der Zusammensetzung des Armskelets aus einzelnen Strahlen und der damit gegebenen Uebereinstimmung mit der Selachier- flosse, bei der die Strahlen zudem um vieles zahlreicher sind. Wenn wir annehmen dürfen, dass das eine geringere Anzahl von Strahlen aufweisende Armskelet höherer Wirbelthiere aus einer reichere Strahlen besitzenden Form hervorging, die niederen Wirbelthieren an- gehört, so werden wir im Hinblick auf diesen Zusammen- hang, dieam ulnaren Rande des Skeletsvon Plesiosaurus rugosus gelagerten Knochenstückeals Gliedstücke eines Strahles betrachten dürfen. Verschieden von den übrigen, das typische Armskelet zusammen- setzenden, haben diese Gliedstücke die Verbindung unter sich verloren 348 C. Gegenbaur, und reichen weder zur Stammreihe empor, noch bis zur Hand hinab. Bei anderen erfahren sie weitere Reductionen. Zwei sind bei PI. ma- crocephalus vorhanden, und nur eines, das mittlere von den dreien bei Pl. rugosus, fast zwischen Ulna und Ulnare gelagert, kommt P1. dolicho— deirus zu. Andern Arten fehlt auch dieses, so dass, wenn nicht völliger Mangel, doch eine fehlende Ossification angenommen werden darf, also für jeden Fall eine Rückbildung. Jenes eine bei drei Arten von Plesiosaurus erhaltene Knochenstück ist von Cuyier! schon als Pisiforme bezeichnet worden. Owen ist ihm darin gefolgt. In der That entspricht es in seiner Lagerung jenem Kno- chen, wie er bei Reptilien (Sauriern, Krokodilen) und Säugethieren vorkommt?. Durch die ausserhalb des typischen Garpus befindliche Lage, sowie durch die Beziehungen zur Sehne eines Muskels ward ich früher (Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie, Heft I, 1864) bestimmt, dem Pisiforme eine andere Deutung zu geben und es nach dem Vorgange Anderer für ein Sesambein zu erklären. Bei aus- schliesslich isolirtem Vorkommen am Ulnarrande des ‚Carpus wäre auch kaum eine andere Anschauung zu begründen. Das ändert sich durch die Beachtung anderer am Ulnarrande befidlicher Knochen, zu denen auch die bei Ichthyosaurus vorköfnmenden Reihen gehören. Wie bei Plesiosanyūgs nur vom proximalen Abschnitte des pri- mitiven Strahley Stücke erhalten sind, so finden sich bei Ichthyo- sauruşodie Stücke mehr dem distalen Theile des Strahls entsprechend. Jei lagern an der Seite der Vorderarmknochen und des Carpus, diese mehr in dem Verlaufe der Phalangenreihen. Beiderlei Befunde stehen also in einem sich gegenseitig ergänzenden Verhältnisse zu einander, und aus dem Zusammenhalte beider ergiebt sich aufs überraschendste die Vorstellung eines jenseits des Ulnarstrahls liegenden anderen Strahls, dessen Stücke zum grössten Theile sich nicht mehr vollständig ent- wickeln 3. (Vergl. Fig. 4 p1p2p3pt.) 1) Ossemens fossiles. Tome X. p. 460. 2) Bei Schildkröten hat der .als Pisiforme bezeichnete Knochen eine verschie- dene Lagerung. Am Carpus von Chelonia findet er sich von wesentlicher Grösse dem Carpale 5 angeschlossen. Es entsteht daraus die Frage, ob hier wirklich eine Homologie vorliegt. So lange es sich nur um das Vorkommen Eines ulnaren Rand- _ knochens handelte, war es molivirt, die verschiedene Lage auf Lageveränderung desselben Knochens zu deuten. Das Vorkommen mehrerer Knochen giebt der Mög- lichkeit Raum, dass die in den einzelnen Abtheilungen höherer Wirbelthiere vor- handenen Pisiformia nicht immer homologe Theile sind. 3) Bei Ichthyosaurus reicht diese accessorische ulnare Knochenreihe zuweilen über den Carpus bis nahe an den Vorderarm. (Vergl. Cuvier Oss. foss. Pl. 268, Fig. 2.) Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier, 349 / Jene einzelnen, an der Ulnarseite gelagerten Kno- chenstücke erscheinen als die unansehnlichen Reste einer reicheren Bildung, von der schliesslich nur das Pi- siforme als letzte Spur sich forterhält. Das Skelet der Gliedmaassen von Plesiosaurus ist uns somit nach verschiedenen Seiten von grosser Wichtigkeit. Erstlich zeigt es sich uns bezüglich der allgemeinen Verhältnisse seiner Constitution in völ- liger Uebereinstimmung mit. den Gliedmaassen der übrigen Wirbel- thiere, und hilft damit die verwandtschaftlichen Beziehungen derselben fester begründen. Zweitens bietet es innerhalb dieser Uebereinstim- mung Differenzirungen eigenthümlicher Art, die ihm eine besondere Stelle anweisen, jede Fortsetzung in höhere Formen, soweit sie unter den Lebenden bekannt sind, ausschliessend. In dem Verhalten des Car- pus und Metacarpus wird uns ein neuer Weg gezeigt, den die Differen- zirung dieser Theile eingeschlagen. Er führt uns zur Annahme, dass Plesiosaurus früher als die lebenden Amphibien vom Vertebratenstamme sichabzweigte, und dass, wenn zwar das Gleiche auch von Ichthyosaurus gilt, beide Gattungen als Reprüisen- tanten sehr weit von einander, wie von allen lebenden Amphibien und Reptilien entfernt stehender Abtheilungen, angesehen werden müssen. Erklärung der Abbildungen. Sämmiliche Figuren sind mehr oder minder schematische Darstellungen der vorderen Extremität, und zur Erläuterung der Homologieen der Gliedmaassen nie- derer und höherer Wirbelthiere bestimmt. Fig. 1), Von Ichthyosaurus, zum Theile nach der von Cuvier in den Oss. foss. : 4. Ed. Taf. 258, Fig. 4 gegebenen Abbildung. Fig. gə VonPlesiosaurus, der grösste Theil nach OwEn’s Abbildung von Plesio- saurus rugosus (l. s. c.) Fig. d. Schema des Skeletes der vollständigen Vorderextremität eines Amphibium. Fig. 4. Schema der Bildung der vorigen aus einer Flosse. Bezeichnungen der Skelet-Theile: H. Humerus. R. Radius. U. Ulna. r Radiale (Scaphoides). i Intermedium (Lunatum). u Ulnare (Triquetrum, Cuneiforme). . ec! Carpale t (Trapezium, Multangulum majus). 2 Carpale? (Trapezoides, Multangulum minus). 3 Carpale3 (Magnum, Capitatum). 4 Carpale 4 5 Carpale5 mi—5 Metacarpus. (Uncinatum, Hamatum). Fine Gebärmutter mit mindestens fünfzig Fibroiden. Von B. S. Schultze. Dazu Taf. XIV. Es ist bekanntlich gar nicht selten, dass neben einander in der- selben Gebärmutter eine Anzahl Fibroide vorkommen. Scanzonı! führt an, dass er sich erinnere, ein Präparat gesehen zu haben, an welchem die Gebärmutterwandung 27 derartige Tumoren enthielt. Verr? sagt, die Anzahl der Fibroide in einer Gebärmutter sei selten bedeutend, ausnahmsweise habe Mecker 16, LisrranG 20, Kıwısch 40 in einer Ge- bärmutter angetroffen. Die letztgenannte Beobachtung Kıwısen’s führt auch Kros? als die höchste ihm bekannte Zahl von Fibroiden in einer Gebärmutter an. Hiernach scheint mir, dass ein Fall, in welchem die Zahl der Fibroide grösser ist, der Veröffentlichung werth sei. Das auf Taf. XIV. abgebildete Präparat stammt von einer in hohem Alter verstorbenen, nicht verheirathet gewesenen Dame. Dieselbe wusste seit mehreren Decennien, dass sie eine Geschwulst im Unterleibe hatte, welche stets mehr auf der rechten Seite gelegen haben soll und mit Wahrscheinlichkeit für einen Eierstockstumor angesprochen wurde. Be- schwerden sind von der Geschwulst nie in dem Grade ausgegangen, dass die Patientin zu einer genauen Untersuchung sich hätte bestimmen lassen. Im 80. Lebensjahre erblindete sie, im 83. erlitt sie eine Apo- ; 1) vox Scanzonı Lehrbuch der Krankheiten der weiblichen Sexualorgane, Vierte Aufl. I. Bd. Wien 1867. Seite 249. 2) Verr. Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane im Handbuch der spe- ciellen Pathologie und Therapie von Rup. VircHoW. VI. Bd. I. Abth. II. Heft. II. Aufl. Erlangen 1867. Seite 378. 3) Kros. Pathologische Anatomie der weiblichen Sexualorgane. Wien 1864. Seite A64. Eine Gebärmutter mit mindestens fünfzig Fibroiden. 351 plexia cerebri, an der sie nach achttägigem Krankenlager starb. Mein alter Freund, Herr Medicinalrath Nıcorar in A., sendete mir den frisch aus der Leiche genommenen Unterleibstumor. Das Präparat besteht aus Blase, Vagina, Rectum und dem ganz un- regelmässig durch knollige Tumoren vergrösserten, stark gegen die linke Seite gedrehten Uterus, dessen Fundus durch die Insertion der normalen Tuben und normalen Eierstöcke leicht kenntlich ist. Am Fundus uteri prominirt eine Anzahl unregelmässig gestalteter, vom Peri- tonaeum überzogener, zum Theil steinharter Tumoren von stellenweis ebener, stellenweis höckeriger Oberfläche, deren grösster, pilzförmig gestaltet, über die zahlreichen Unebenheiten seines Randes hinweg- gemessen, 70 Ctm. Umfang zeigt und das Hauptvolum und u gewicht des ganzen Präparates (13 Zollpfund) ausmacht. Nachdem die Vagina von der linken Seite her gespalten worden, wobei sie sich mit frisch ergossenem Blute gefüllt zeigte, wurde eine Sonde durch den Muttermund eingeführt und an einer Stelle, wo die Uteruswand dünn war, dieselbe gegen die Sonde hin eingeschnitten. Von dieser Oeffnung aus wurde die Höhle der Gebärmutter, deren ganz unregelmässig begrenzter Verlauf von links unten nach rechts oben sich erstreckt, theils mit der Scheere, theils mit der Säge offen gelegt. Auch die Gebärmutterhöhle war mit frischem, meist geronnenem Blut in an- sehnlicher Quantität angefüllt. Die Innentfläche ist durch hineinragende feste Tumoren und einige Schleimpolypen uneben. Die festen Tumoren, welche theils unter der Peritonäal-, theils unter der Schleimhautfläche des Uterus prominiren, theils in das Ge- webe seiner Wand eingebettet sind, charakterisiren sich durch Form, Consistenz und Einbettung, sowie durch ihre Textur als F ibroide (Myome), von denen ein grosser Theil, vor Allem der den Fundus rings über- ragende Tumor, verkalkt ist. Vier Fibroide sind vom Schnitt getroffen worden, sechs andere sind vom oberen, fünf andere vom unteren Schnittrand aus theils zu sehen, theils zu tasten. 8 andere sind von der Schleimhautfläche aus, 27 andere von der Peritonäalfläche aus Weutlich als isolirte Tumoren zu erkennen. Somit sind 50 Fibroide am Präparat zu zählen und höchst wahrscheinlich noch zahlreiche andere im Gewebe der Wand eingebettet. In Bezug auf die Textur der Tumoren ist nur zu bemerken, dass sie vom gewöhnlichen Befund der Fibroide oder Myome des Uterus durchaus nicht abweicht. Auch die Verkalkung ist nur durch ihre un- gewöhnliche Massenhaftigkeit ausgezeichnet. Unter dem Peritonäal- überzug ist die Verkalkung an vielen Stellen eine in Platten ausgebrei- tete, im Innern fast überall eine körnige. Die Kalkablagerung ist an 352 i B. S. Schultze, Eine Gebärmutter etc. den meisten Stellen eine amorphe; einzelne, aber zahlreich verstreute - Stellen zeigen Knochentextur. Ueberall zwischen den Kalkablagerungen zeigt der Durchschnitt unter dem Mikroskop noch wohl erhaltene Mus- kelbündel. Die Figur zeigt die Gebärmutter nebst ihren Anhängen von vorn, Blase, Scheide und Mastdarm von vorn und links in nicht ganz 1/, der natürlichen Grösse. Das Präparat ist, behufs der photographischen Auf- nahme, oberhalb des Gebärmuttergrundes am Halse des grössten ihm aufsitzenden Fibroides fixirt worden, so dass der schräg durch die vor- dere Wand des Uterus geführte Schnitt durch die eigene Schwere der Weichtheile klafft. Der Stab «a liegt in der von der linken Seite her aufgeschnittenen Vagina. Er ist durch den in der Figur nicht sichtbaren Muttermund geführt und tritt mit seinem oberen Ende b aus dem die vordere Wand der Gebärmutter trennenden Schnitt wieder zu Tage. Der Stab c ist in die äussere Harnröhrenmündung derartig eingeführt, dass er bei d den Scheitel der Harnblase berührt. e ist das Rectum, welches bei f hinter der linken DovucLas’schen Falte verschwindet. g ist das Franzenende der rechten, h das der linken Tuba, i der linke Eier- Stock, $ das linke Ligamentum rotundum. Von lnach m erstreckt sich mithin der Fundus uteri. Unter dem Peritonäalüberzug desselben pro- minirt eine Reihe kleinerer Fibroide, von denen ‘die beiden links (in der Figur rechts) gelegenen stark verkalkt sind, Den Gipfel des Gebär- muttergrundes nimmt das grösste, sehr stark verkalkte, pilzförmig auf- sitzende Fibroid n ein. Der Schnitt, welcher die vordere Wand der Gebärmutter eröffnet hat, ist schräg von b nach m von links unten nach rechts oben geführt worden. Derselbe hat mehrere interstitielle Fibroide getroffen, von welchen das eine, dessen Schnittflächen bei o und p sichtbar sind, wegen starker Verkälkting mit der Säge getrennt wurde. Das Sk o dieses Fibroids hat sich in seiner lockeren Bindegeweb shülle verschoben, so dass die Schnittränder der Peri- tonäalfläche und des Fibroids nicht mehr correspondiren. Die weite, nach allen Seiten buchtig begrenzte Höhle der Gebärmutter ist von dem reichlichen, dieselbe füllendem Blute gereinigt. Einige der in dieselbe prominirend en Fibroide sind in der Figur wiedergegeben worden, ebenso bei q der grösste der Schleimpolypen, welcher, etwa 4 Cu. lang, mit seinem freien Ende gegen den Muttermund hin Del erstreckt. Ueber Entwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie. Rede gehalten beim Eintritt in die philosophische Facultätzu Jena am 12. Januar 1869. Von Ernst Haeckel. Dem akademischen Lehrer, welcher seinen Eintritt in eine Facultät der herkömmlichen Sitte gemäss durch eine öffentliche Rede einzuleiten hat, bietet sich als das nächstliegende und natürlichste Thema eine Be- trachtung der wissenschaftlichen Aufgaben, welche er in seinem Berufs- fache findet, und der Art und Weise, in welcher er dieselben zu lösen gedenkt. Eine derartige Erörterung kann trivial und überflüssig er- scheinen in jenen zahlreichen Zweigen der Wissenschaft, welche schon seit längerer Zeit eine fest bestimmte Richtung und ein klares Ziel ge- funden haben, und über deren Inhalt, Umfang und Behandlung unter ‚Ihren Lehrern mehr oder minder Uebereinstimmung herrscht. Sie er- Scheint dagegen keineswegs bedeutungslos in denjenigen Disciplinen, welche noch nicht dieses Stadium der Reife erreicht haben, und dem- semäss in sehr verschiedener Weise aufgefasst und behandelt werden. Unter den Naturwissenschaften gilt dies letztere von keiner in höherem Maasse, als von der Zoologie. Ich glaube daher, keineswegs etwas Ueberflüssiges zu thun, wenn ich heute bei meinem Eintritte in die Philosophische Facultät meine eigene Auffassung von den Aufgaben der heutigen Zoologie darlege, und den Sinn erörtere, in welchem ich den in Jena neu errichteten ordentlichen Lehrstuhl für dieses Fach zu ver- treten bestrebt bin. Zum wahren Verständniss einer jeden Erscheinung gelangen wir nur dadurch, dass wir den geschichtlichen Gang ihrer Entstehung und ihres Wachsthums Schritt für Schritt verfolgen. Jedes Verhältniss wird, mit einem Worte, nur durch seine Entwickelungsgeschichte er- kannt. Dieser Grundsatz gilt ebenso von der menschlichen Wissen- 354 ; Ernst Haeckel, schaft, wie von allen übrigen organischen Functionen. Es wird daher zunächst nothwendig sein, einen übersichtlichen Blick auf den Ent- - wickelungsgang zu werfen, welchen die Zoologie im Verlaufe des menschlichen Culturlebens genommen hat. Dieser Entwickelungsgang ist fürwahr seltsam genug, und steht in mancher Beziehung einzig da. Denn wenn wir unter dem Begriffe der Zoologie naturgemäss die vollständige Gesammtwissenschaft von dem Thierleben in allen seinen verschiedenen Erscheinungsformen und Aeusserungen verstehen, die gesammte Morphologie und Physiologie der Thiere, so tritt uns zunächst die befremdende Thatsache entgegen, dass die verschiedenen Zweige der Thierkunde sich in auffallender Isolirung und Unabhängigkeit von einander entwickelt haben; dagegen zum Theil in engstem Zusammenhang mit verschiedenen anderen Wissen- schaften. So ist der grösste Theil der Anatomie und Physiologie der Thiere hervorgegangen aus dem Bedürfniss der menschlichen Anatomie und Physiologie, welche ihrerseits wieder im Dienste der Medicin gross gezogen wurde. Dasselbe gilt von einem Theile der thierischen Ent- wickelungsgeschichte, nämlich derjenigen der Individuen, der Embryo- logie, während der andere Haupttheil derselben, die paläontologische Entwickelungsgeschichte der Thierarten und Thierstämme, völlig von jenem ersten geschieden, im Dienste der Geologie entstand. Die Psycho- logie, ein integrirender Bestandtheil der Physiologie, wurde gänzlich von dieser getrennt, und unter die Vormundschaft einer rein specula- tiven Philosophie gestellt, welche von der unentbehrlichen zoologischen Basis Nichts wissen wollte. Endlich entwickelte sich, ganz unabhängig von allen jenen Disciplinen, eine Systematik des Thierreichs, welche sich lediglich mit der Beschreibung und Classification der verschiedenen Thierarten beschäftigte. Obwohl diese systematische Zoologie den grössten Theil der vorher genannten Disciplinen ignorirte, und höch- stens von der Anatomie eine Anzahl von Daten entlehnte, erhob sie dennoch vor allen den Anspruch, die »eigentliche« Zoologie zu sein, und dieser Anspruch kann gerechtfertigt erscheinen, wenn man als Maassstab das Volum der zoologischen Literatur und den Inhalt ihrer Handbücher betrachtet, welche in der That zum bei weitem grössten Theile der systematischen Zoologie gewidmet sind. Freilich hat in neuerer Zeit einestheils die Physiologie, anderntheils die Anatomie der Syste- matik ihr Privilegium streitig gemacht, und jede für sich will jetzt als die »eigentliche« Zoologie betrachtet werden. Indess ist dieser Streit so wenig erledigt, dass bis auf den heutigen Tag selbst unter den nam- haften Vertretern unserer Wissenschaft die Ansichten über deren Inhalt und Umfang weit auseinander gehen, und bald dieser, bald jener Ueber Entwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie. 355 Theil als die eigentliche Zoologie bevorzugt und den anderen entgegen- gesetzt wird. Den unbefangenen, ausserhalb der Fachgrenzen stehenden Be- obachter muss diese Erscheinung um so mehr befremden, als bereits derjenige grosse Naturforscher des Alterthums, welchen die dankbare Nachwelt als »Vater der Naturgeschichte« verehrt, Arısrorzizs, die Thierkunde als das auffasste, was sie naturgemäss sein soll, als die umfassende Gesammtwissenschaft von den Thieren. Seine klassische »Geschichte der Thiere«, in Verbindung mit den specieller ausgeführten kleineren Schriften, der vergleichend anatomischen Schrift von den Theilen der Thiere, und der ontogenetischen Schrift von der Zeugung und Entwickelung der Thiere, offenbaren uns eine so universelle und grossartige Auffassung der Thierwelt, dass wir es begreiflich finden, wie dieselben mehr als anderthalb Jahrtausende hindurch als zoo- logisches Fundamentalwerk eine Autorität ohne Gleichen geniessen konnten. Bis zum sechzehnten Jahrhundert fand sich kein Forscher, der es unternommen hätte, das von ArısTOTELES begonnene grossartige Unter- nehmen selbstständig fortzusetzen, oder auch nur bestimmte Theile des von ihm entworfenen Wissenschaftsgebäudes im Einzelnen auszuführen. Vielmehr begnügte man sich damit, die Schriften des ArısrortzLzs ab- zuschreiben, zu übersetzen und zu commentiren. Erst als durch die Entdeckung der neuen Welt, durch die Auf- findung des Seewegs nach Ostindien und die zahlreichen anderen Ent- deckunssreisen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts eine Fülle von neuen, bis dahin unbekannten Thieren und Pflanzen nach Europa gebracht wurde, begann die Naturgeschichte aus ihrem langen Schlafe zu erwachen. Zunächst anregend wirkte das Bedürfniss, die neuen Formen zu unterscheiden, zu ordnen und zu benennen, und dies Bedürfniss wurde um so dringender, je mehr verschiedene Pflanzen- arten in den Herbarien, je mehr verschiedene Thierarten in den z00- logischen Sammlungen sich anhäuften. Aber erst im Beginn des acht- zehnten Jahrhunderts kam der grosse Reformator der Naturgeschichte, der mit kühnem Geiste und mit gewaltiger Hand das riesenhaft ange- wachsene Material ergriff, durchgreifend ordnete, und zum ersten Male in dem künstlichen Gebäude eines’ streng logischen Systemes zusam- menstellte. 1735 erschien das epochemachende »Systema naturae« von CARL Linnt, und damit war der feste Grundstein für alle nachfolgende Systematik des Thier- und Pflanzenreichs gegeben. Die von Linnt darin durchgeführte binäre Nomenclatur, die zwiespältige Benen- nungsweise der organischen Formen, welche sich auf die Unterscheidung 356 Ernst Haeckel, der Art (Species) und der Gattung (Genus) gründete, erwies sich so praktisch, dass sie noch heutigen Tages in allgemeiner Geltung steht. Nun war es mit einem Male möglich geworden, die ganze unend- liche Fülle der Thier- und Pflanzenformen übersichtlich zu ordnen und unter den bestimmten bleibenden Namen von Gattungen und Arten in das künstliche Fachwerk des Systems einzureihen. Bald wandten sich daher ganze Schaaren von Naturforschern dem neu eröffneten Ge- biete der organischen Systematik zu. Einerseits die Unterscheidung und Classification der zahllosen verschiedenen Tbier- und Pflanzen- arten, andernseits der ästhetische Genuss an der Schönheit, oder selbst nur das neugierige Interesse an der Curiosität der äusseren Formen, übten eine solche Anziehungskraft aus, dass die grosse Mehrzahl der Naturforscher nach Linné hierin allein schon vollständige Befriedigung fand. Selbst heute noch, nachdem schon längst im Gegensatz zu der reinen Systematik die anatomisch-physiologische Richtung sich kräftig entwickelt hat, ist die literarische Thätigkeit und wenigstens das nu- merische Gewicht ihrer Vertreter so stark, dass sie noch in weiten Kreisen als die »eigentlichen« Zoologen angesehen werden. Noch heute beschäftigen sich weit mehr Naturforscher mit dem Sammeln, Aufbe- wahren, Ordnen und Benennen der Thier- und Pflanzenformen, als mit ihrer anatomischen und physiologischen Untersuchung oder mit ihrer Entwickelungsgeschichte. Noch heute füllen dieselben die bei weitem grössere Hälfte der zoologischen und botanischen Literatur. Schon diese imposante Vergangenheit und die mächtige äussere Stellung der Systematik nöthigt uns hier, unsere eigene Meinung von derselben darzulegen, zumal die Ansichten über Werth und Bedeutung derselben gerade jetzt sehr weit auseinandergehen. Denn während die Einen mit Linné im System der Naturkörper noch heute das eigentliche Ziel der Naturgeschichte erblicken, während Andere darin nur einen übersichtlich geordneten Ausdruck unserer gesammien biologischen Kenntnisse im Lapidarstyl finden wollen, sprechen noch Andere der Systematik überhaupt allen wissenschaftlichen Werth ab. Um in diesem Widerstreit der Meinungen zu einem gerechten Ur- theil zu gelangen, müssen wir unterscheiden zwischen jener rein äusser- lichen Systematik der grossen Menge, deren Ideal ein möglichst voll- ständiges zoologisches Museum und Herbarium ist, und zwischen derjenigen Systematik, welche in dem natürlichen System der Orga- nismen den hypothetischen Ausdruck ihres wirklichen Stammbaums erblickt, und in dessen annähernder Feststellung ein eben so hohes als schwieriges wissenschaftliches Ziel verfolgt. Ueber Entwiekelungsgang und Aufgabe der Zoologie, 357 Die Systematik der ersten Art, die Museums - Zoologie und die Herbariums- Botanik , wie sie bisher ganz vorwiegend getrieben wur- den, verdient allerdings nicht den Namen einer Wissenschaft. Denn jede Wissenschaft muss‘ als solche einen gewissen Schatz von allge- meinen Resultaten und Gesetzen aufweisen können ; sie. muss nach dem Verständniss der Erscheinungen, und nach der Erkenntniss ihrer Ur- sachen streben; sie darf sich niemals mit der blossen Kenntniss ein- zelner Thatsachen begnügen. Das letztere ist aber bei der reinen Systematik ganz gewiss der Fall. Diese will weiter Nichts, als alle ein- zelnen Thier- und Pflanzenformen kennen, beschreiben, und mit Namen unterscheiden. Eine solche rein beschreibende Naturgeschichte kann aber nie eine Wissenschaft sein. Denn der Begriff einer rein descrip- tiven Wissenschaft ist ein innerer Widerspruch, eine Contradictio in adjecto. Wir sind gewiss weit entfernt davon, den hohen praktischen Werth der descriptiven Systematik zu unterschätzen. Sie ist sowohl für die zoologischen und botanischen Sammlungen, als auch für die eigentlich wissenschaftlichen Untersuchungen der Thiere und Pflanzen ganz unentbehrlich. ‚Sie ist ebenso unentbehrlich als diese Sammlungen selbst, und die ganze Verwerthung der zoologischen und botanischen Kenntnisse für das praktische Leben ist von ihr abhängig. Allein eine Praktische und angewandte Wissenschaft ist eben keine reine Wissen- schaft mehr, sondern eine Kunst, und wir werden daher die rein descriptive Systematik der Thier- und Pflanzenformen ebenso als eine Kunst zu betrachten haben, wie die praktische Medicin, die Pharmacie und die Landwirthschaft, denen sie ja auch in besonderem Maasse dienstbar ist. Gänzlich verschieden von dieser künstlichen descriptiven Syste- matik ist diejenige wahrhaft wissenschaftliche Systematik, welche in dem natürlichen Systeme der Thier- und Pflanzenarten den wahren Stammbaum derselben erblickt und aufsucht. Diese genealogische Be- handlung und Auffassung des natürlichen Systems ist freilich erst in der jüngsten Zeit möglich geworden, seitdem Cnarızs Darwin durch seine Reform der Descendenz-Theorie uns zu einem wahren ursäch- lichen Verständniss der organischen Erscheinungswelt geführt hat, Freilich wird es noch lange dauern, ehe auch nur die Hauptzweige des systematischen Stammbaums vollkommen festgestellt sein werden, und die Aufgabe unserer genealogischen Systematik ist höchst verwickelt. Aber dennoch gehört ihr die Zukunft! Nur durch die genealogische Auffassung des natürlichen Systems, welche in den Kategorien oder Gruppenstufen desselben, in den Classen , Ordnungen , Gattungen und Arten lediglich divergente Zweige des wahren Stammbaums erblickt, Bd. V. 3. 24 305 . Ernst Haeckel, welche in der Formverwandtschaft der Organismen ihre wahre Blutsverwandtschaft erkennt, nur durch dieses genealogische Verständniss des Formensystems wird die Systematik zu einer wahren Wissenschaft. Uebrigens hat die descriptive Systematik während der letzten Jahr- zehnte insofern schon mehr und mehr dem wahrhaft natürlichen System der genealogischen Classification sich nähern müssen, als sie gezwungen wurde, immer mehr die gesammten Bildungs- und Entwickelungsver- hältnisse der organischen Formen zur breiten Basis ihrer systematischen Unterscheidung zu machen. Die frühere, von Linné ausgehende Syste- matik war insofern rein künstlich, als sie meistens nur einzelne, und vorzugsweise äussere, leicht kenntliche Merkmale zur Unterscheidung der Arten und Gattungen und selbst der grösseren Gruppen, der Ord- nungen und Classen, benutzte, und bei deren Verwerthung rein logisch verfuhr oder wenigstens verfahren sollte. Die spätere Systematik, ins- besondere seit Beginn unseres Jahrhunderts, fasste aber statt dessen mehr den gesammten Charakter des Baues und namentlich die wich- tigeren inneren Verhältnisse ins Auge, und stützte sich in den letzten Decennien auch schon wesentlich auf die Embryologie. Indem nun immer mehr diese letztere, und überhaupt die gesammte Entwickelungs- geschichte in ihrem fundamentalen Werthe erkannt und auch in der descriptiven Systematik verwerthet wurde, nahm die Classification un- willkürlich immer entschiedener ihre Richtung auf das genealogische, wahrhaft natürliche System, gab aber dabei nothwendig häufig ihren logischen Charakter auf. Denn die streng logische Classification muss nothwendig oft künstlich sein und kann sehr oft aus vielen Gründen nicht mit der genealogischen natürlichen Classification zusammen- fallen. Die synthetische, genealogische Systematik der Zukunft wird mehr als alles Andere dazu beitragen, die verschiedenen isolirten Zweige der Zoologie in einem natürlichen Mittelpunkte, in der wahren Natur- geschichte zu sammeln, und zu einer umfassenden geschichtlichen Gesammtwissenschaft von Thierleben zu vereinigen. Die analytische, descriptive Systematik der Vergangenheit that gerade das Gegentheil, indem sie immer bestrebt war, sich als »eigentliche« Zoologie in den Vordergrund zu drängen, und diejenigen Wissenschaftszweige, die ihr eigentlich erst ihren inneren Gehalt geben, vor allen die Anatomie und Entwickelungsgeschichte, aus dem Gebiete der sogenannten eigent- lichen Zoologie auszuschliessen. Dieses sonderbare Verhältniss lässt sich grossentheils aus der schon vorher berührten Isolirung erklären, in der sich die Anatomie und die übrigen Zweige der Zoologie, grossen- Ueber Entwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie. 359 theils in Zusammenhang mit anderen, fremden Wissenschaften, ent- wickelten. Derjenige Theil der wissenschaftlichen Zoologie, welcher vor allen zunächst von der Systematik hätte gepflegt werden sollen , die Morpho- logie, d. h. die Anatomie und Entwickelungsgeschichte, hat sich eigentlich bis zum Beginn unseres Jahrhunderts vollkommen unab- hängig von der herrschenden systematischen Zoologie erhalten. Ja selbst jetzt noch finden wir von anerkannten Naturforschern und weitver- breiteten Handbüchern die Frage erörtert, ob denn eigentlich die ver- gleichende Anatomie der Thiere zur Zoologie gehöre oder nicht? Allerdings hatte bereits ArısroreLzs erkannt, dass die Naturge- schichte der Thiere auch die Kenntniss ihres inneren Baues umfasse und hatte selbst schon vielfach Thiere zergliedert. Ja, schon sein grosser Vorgänger, Democritus von Abdera, der Begründer der Atomenlehre, hatte seinen Eifer für Thier-Anatomie so weit getrieben, dass ihn seine Mitbürger für wahnsinnig hielten, und ihm den Aufenthalt in ihrer Mitte untersagten. Allein in der Folgezeit wurde die Kenntniss vom inneren Bau des Thierkörpers vorzugsweise durch die Medicin gefördert, Welche schon frühzeitig das dringende Bedürfniss empfand, den inneren . Bau des menschlichen Körpers genau kennen zu lernen. Da aber Vor- urtheil und Aberglauben während des ganzen Alterthums und Mittel- alters der Zergliederung menschlicher Leichen die grössten Hindernisse in den Weg legten, so nahm man seine Zuflucht zur Anatomie der dem Menschen nächstverwandten Säugethiere, und zog aus deren innerem Bau Schlüsse auf die entsprechenden Verhältnisse beim Menschen. Der römische Arzt Craupius GaLenus, welcher im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte, und dessen Schriften über menschliche Anatomie und Pathologie bis zum fünfzehnten Jahrhundert sich einer unumschränkten Autorität erfreuten, schöpfte seine Kenntniss des menschlichen Baues vorzugsweise aus der Zergliederung von Affen. Selbst noch im vier- zehnten und fünfzehnten Jahrhundert wagte man menschliche Anatomie nur in verborgenen Schlupfwinkeln zu treiben, besonders seitdem Papst Bonıraz VIII. den grossen Kirchenbann über Alle ausgesprochen hatte, welche menschliche Leichen zu zergliedern wagten. So be- schränkten sich denn die wissbegierigen Aerzte meistens auf die Ana- tomie der Hunde, Pferde und anderer leicht zugänglichen Hausthiere. Auf diese Weise wurden schon mancherlei Kenntnisse über den inneren Bau des Körpers der höheren Thiere gesammelt. Aber erst im achtzehnten Jahrhundert fing man wieder an, auch die Anatomie der niederen Thiere in ausgedehnterem Maasse zu untersuchen und zu ver- gleichen, und gegen Ende desselben bereiteten namentlich Parras, Pori 24> 360 Ernst Haeckel, und Camper den Boden vor, auf welchem endlich im Anfange unseres Jahrhunderts Guvırr zum ersten Male ein selbstständiges Lehrgebäude der vergleichenden Anatomie errichten konnte. Unter den zahlreichen und grossen Verdiensten, welche sich Cuvier i um die Förderung der Zoologie erwarb, steht oben an die Unterschei- dung der grossen natürlichen Hauptgruppen, welche er Zweige oder Typen des Thierreichs nannte und welche er durch die wesentlichen, constanten Grundzüge ihres inneren anatomischen Baues charakterisirte. Die wichtigsten allgemeinen Resultate der vergleichenden Anatomie wurden dadurch zugleich zum ersten Male für die systematische Thier- kunde verwerthet, und damit der Anfang eines natürlichen Systems gemacht. Da nun Cuyırr gleichzeitig ebenso umfassende Kenntnisse in der thierischen Systematik, als gründliches Verständniss der ver- gleichenden Anatomie besass, musste ihm der innere Zusammenhang dieser beiden Disciplinen völlig klar werden, so dass er sogar die ver- gleichende Anatomie gleichzeitig als die Voraussetzung und als das Ziel der Zoologie bezeichnen konnte. Indessen war diese Verschmelzung weit davon entfernt, allgemein anerkannt zu werden. Vielmehr trat in der Folge eher wieder eine Verschärfung des Gegensatzes zwischen beiden ein, indem man einer- seits die Erforschung des inneren Baues, welche bei den höheren Thieren nur durch Zergliederung möglich ist, der vergleichenden Ana- tomie, andererseits die Beschreibung der äusseren Formen der eigent- lichen, d. h. der systematischen Zoologie zuwies, Hierin lag aber eben ein doppelter Fehler. Denn erstens ist die blosse anatomische Zerglie- derung der Thiere und die Beschreibung ihres inneren Baues noch lange nicht vergleichende Anatomie, sondern vielmehr blosse Zootomie; die Zootomie aber verfährt bloss analytisch und beschrei- bend; die vergleichende Anatomie dagegen, wie ihr Name sagt, syn- thetisch und vergleichend — diese behauptet den Rang einer wahrhaft philosophischen Wissenschaft, worauf jene niemals Anspruch erheben kann; die Zootomie bleibt eine reine Kunst, so gut wie die menschliche Anatomie, so lange diese letztere nicht vergleichend und synthetisch zu Werke geht. Zweitens aber ist es auch falsch, unter Anatomie bloss die Kennt- niss des inneren Baues und nicht der äusseren Körperformen zu verstehen. Vielmehr ist Anatomie die gesammte Kenntniss von den entwickelten oder vollendeten Formen der Organismen , gleichviel ob dieselben äusserlich an der Oberfläche des Körpers zu Tage treten oder nicht. Wenn z. B. Savreny in den unendlich mannigfaltig gebildeten Mundtheilen der Insecten eine und dieselbe gemeinsame Grundform, Ueber Entwiekelungsgang und Aufgabe der Zoologie. 361 einen einheitlichen sogenannten Bauplan nachwies, so war dies reine »vergleichende Anatomie«, obwohl die Mundiheile der Insecten ganz dusserlich liegen und auch von der systematischen Zoologie beständig verwerthet werden, aber freilich nur in entgegengesetztem,, in analy- tischem oder zootomischem Sinne. In gleicher Weise, wie die Lehre von den Organen, welche den Hauptbestandtheil der vergleichenden Anatomie bildet, so hat auch die Lehre von den Elementartheilen derselben, die Gewebelehre, Histo- logie oder Zellenlehre, durch die Medicin angeregt, von der mensch- lichen Anatomie ihren Ausgangspunkt genommen. Allerdings begann der grosse Italiener Marcrıro Mauren schon vor mehr als zwei Jahr- hunderten mit Hülfe des so eben entdeckten Mikroskopes den feineren Bau sowohl des thierischen, als des pflanzlichen Körpers und seine Zu- sammensetzung aus verschiedenen Geweben zu erforschen. Allein so- wohl Marprem und Leruwennosck, als auch die Mikroskopiker des acht- zehnten Jahrhunderts vermochten nicht über eine bunte Sammlung von zusammenhangslosen Thatsachen hinauszukommen, und selbst nachdem Xaver Bicmar 1801 durch seine »Anatomie generale« die erste zusam- menhängende Gewebelehre des Menschen gegeben hatte, verflossen beinahe noch vierzig Jahre, bis Tusonor SCHWANN, angeregt durch Senreien’s kurz zuvor aufgestellte pflanzliche Zell entheorie, seine epochemachenden »Untersuchungen über die Uebereinstimmung im Bau und Wachsthum der Thiere und Pflanzen« veröffentlichte. Damit war der Nachweis geliefert, dass auch der Leib der Thiere ebenso wie der der Pflanzen aus selbstständig lebenden elementaren Organismen oder Individuen erster Ordnung, aus Zellen, zusammengesetzt sei, und dass jeder vielzellige Organismus aus einer einfachen Zelle entstehe. In- dessen wirkte merkwürdiger Weise diese Zellentheorie in der Zoologie _ bei weitem nicht so mächtig und allgemein fördernd, als in der Botanik, wo die Zellenlehre bald so sehr den Hauptbestandtheil der Anatomie bildete, dass man beide Begriffe oft geradezu für identisch annahm. Nur die menschliche Zellenlehre und die damit zusammenhängende Gewebelehre des Wirbelthierkörpers nahm bald einen äusserst kräf- tigen Aufschwung, da’ die wissenschaftliche Medicin ihre fundamentale Bedeutung richtig begriff. Namentlich vermochte der scharfsinnige Vırenow durch seine Gellularpathologie das innere Wesen des Zellenlebens tiefer zu ergreifen und darzustellen, als die grosse Schaar der bloss an den äusseren Zellenformen haftenden Histologen. Dagegen blieb die Gewebelehre der wirbellosen Thiere ausserordentlich zurück, und erst das letzte Jahrzehnt hat in umfassenderer Weise die Ausbeu- tung der unermesslichen hier verborgen liegenden Schätze begonnen. 362 ; Ernst Haeckel, Mehr zu beklagen bleibt aber jedenfalls, dass auch heute noch das eigentliche Verständniss des Zellenlebens den meisten sogenannten 200- logen gänzlich abgeht, und dass die Gewebelehre noch in weit höherem Maasse als die Organlehre, als eine Disciplin betrachtet wird, um die sich die eigentliche Zoologie nicht sehr zu kümmern brauche. In noch weiterem Abstande von der systematischen Zoologie, als die vergleichende Anatomie und Gewebelehre, bildete sich die Ent- wickelungsgeschichte der Thiere aus. Dies gilt von beiden Zweigen derselben, sowohl von der Entwickelungsgeschichte der thieri- schen Individuen, welche gewöhnlich Embryologie, richtiger Onto- genie genannt wird, als von derjenigen der thierischen Arten und Stämme, der paläontologischen Entwickelungsgeschichte oder Ph y- logenie. Für die erstere bildete wieder die Naturgeschichte des Menschen, und das Interesse, welches die wissenschaftliche Mediein an derselben hatte, den Ausgangspunkt. Die menschlichen Anatomen mussten na- türlich auch den Bau und die Entwickelung des menschlichen Embryo in Betracht ziehen. Da aber die frühesten Stadien der embryonalen Entwickelung beim Menschen sowohl als bei den übrigen Säugethieren nur schwer zugänglich sind, so wandte man sich schon frühzeitig an diejenigen nächst verwandten Wirbelthiere, die Vögel, bei denen sich die Entwickelung des Eies bequem von Anfang an verfolgen lässt. Aber obwohl schon im 17. Jahrhundert eine Anzahl Darstellungen von Wirbel- thier-Embryonen aus früheren und späteren Stadien gegeben wurden, so vermochte doch erst Caspar Frigprıcn Worrr in seiner 4759 erschie- nenen »Theoria generationis« das eigentliche Wesen der thierischen Entwickelung, als einer wahren Epigenesis, darzulegen, und selbst dann verfloss noch ein halbes Jahrhundert, ehe dieselbe die verdiente Anerkennung gewann. Als nun im Beginn unseres Jahrhunderts die Embryologie nament- lich durch Panper und Baer einen neuen, mächtigen Aufschwung nahm, waren es wieder vor allen die Wirbelthiere, und in erster Linie die Säugethiere und Vögel, um deren Entwickelungsgeschichte man sich, im Hinblick auf diejenige des Menschen, am meisten bemühte. Aller- dings zeichnete der weitblickende Baer schon in seiner Entwickelungs- geschichte der Thiere, welche vorzugsweise die Wirbelthiere behandelte, in grossen Umrissen auch die Charakterzüge, durch welche sich die verschiedenen Hauptgruppen der wirbellosen Thiere in ihrer Ontogenie unterscheiden.: Indessen begannen eingehendere und umfassendere Studien über die Entwickelungsgeschichte der verschiedenen Wirbel- losen erst einige Decennien später angestellt zu werden, und auch Ueber Entwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie. 363 heute ist, trotz der zahlreichen und glänzenden Entdeckungen der ver- flossenen Jahrzehnte, unsere zusammenhängende Erkenntniss von der Entwickelungsgeschichte der Wirbellosen viel weiter zurück, als die- jenige der Wirbelthiere. Jedenfalls ist aber so viel gewonnen, dass heutzutage in der Zoologie ebenso wie in der Botanik, die wahrhaft wissenschaftlichen Vertreter derselben die Entwickelungsgeschichte als das unentbehrliche Fundament anerkennen, durch welches ein wahres anatomisches Verständniss der entwickelten Formen erst gewonnen werden kann. Freilich beschränkte sich diese Anerkennung bisher nur auf den einen, eben genannten Zweig der Entwickelungsgeschichte, auf die- jenige der thierischen Individuen. Dagegen ist der andere, nicht mindere bedeutungsvolle Zweig derselben bis in die neueste Zeit im auffallendsten Maasse vernachlässigt worden. Das ist die paläontolo- gische Entwickelungsgeschichte der Thierarten, die Phylogenie. Sie hat die Formenwandlungen zu erforschen, welche die wenigen grossen Hauptelassen des Thierreichs, die Phylen oder Stämme, während der langen Perioden der Erdgeschichte unter beständigem Wechsel ihrer Arten durchlaufen haben. Erst seitdem Cnarues Darwin 1859 seine epochemachende Se- lectionstheorie aufgestellt, und dadurch der von Lamarck 50 Jahre früher begründeten Descendenztheorie ihr unerschütterliches causales Funda- ment gegeben hatte, erst seitdem ist es möglich geworden, an diesen wichtigen und interessanten, bisher aber nicht einmal dem Namen nach existirenden Zweig der Zoologie, ernstlich Hand anzulegen. Es erklärt _ sich das daraus, dass das empirische Material dieser Stammesgeschichte sich auf einem weit entfernten Gebiete der Naturwissenschaft, ohne jeden inneren Zusammenhang mit der Zoologie, angehäuft hat. Denn die versteinerten Thierreste, welche im Schoosse der Erde begraben liegen, und welche als »Denkmünzen der Schöpfung« uns die Geschichte der ausgestorbenen Thiergeschlechter von Jahrtausenden her erzählen, Sind zuerst und vorzüglich wegen ihrer Bedeutung für die Entwickelungs- geschichte des Erdkörpers studirt worden. Die Geologen waren es, welche den Petrefacten zuerst eingehende Aufmerksamkeit schenkten, und daher hat sich die Paläontologie gänzlich im Dienste der Geologie entwickelt. Nun liegt der Werth der Versteinerungen für den Geologen vor ` allem darin, dass sie ihm das relative Alter der über einander liegenden, aus dem Wasser abgesetzten Erdschichten anzeigen. Der Zoolog da- gegen erkennt in den Petrefacten die Reste von ausgestorbenen Vor- fahren und Blutsverwandten der jetzt lebenden Thierarten, und er muss aus der gesetzimässigen historischen Aufeinanderfolge derselben 364 Ernst Haeckel, eine wahre Stammesgeschichte derselben, die continuirliche Um- bildungsgeschichte der Speeiesformen, zu construiren suchen. Daher haben z. B. die verschiedenen Säugethierreste für den Zoologen das höchste, für den Geologen nur ein sehr geringes Interesse. Anderer- seits sind die zahlreichen versteinerten Schnecken- und Muschelarten, welche für die Geologie als »Leitmuscheln« zur Bestimmung der Ge- birgs-Formationen die höchste Bedeutung besitzen, für die Stammes- geschichte der Thiere nur von untergeordnetem Werthe. Kein Fehler hat in der bisherigen Behandlung der Zoologie zu so grossen Missgriffen geführt, als jene unnatürliche Trennung der beiden Zweige der Entwickelungsgeschichte. Unmöglich konnte man das eigentliche Wesen der organischen Entwickelungsgeschichte verstehen, so lange sich die Ontogenie und diePhylogenie, die Entwicke- lungsgeschichte der Individuen und diejenige der Arten, nicht um einander kümmerten. Denn thatsächlich stehen ja diese beiden Hälften der Entwickelungsgeschichte im allerinnigsten ursächlichen Zusammen- hang. Die Formenreihe, welche das organische Individuum bei seiner kurzen und schnellen Entwickelung vom Ei an durchläuft, wiederholt uns in grossen und allgemeinen Zügen die Formenreihe, welche seine Vorfahren seit Beginn der organischen Schöpfung in dem langen und langsamen Gange ihrer Stammesgeschichte oder ihres Artenwechsels durchlaufen haben. Oder mit anderen Worten: die Individuenge- schichte, die Ontogenie, ist eine kurze und schnelle, durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bedingte Wiederholung der Stammes- geschichte, der Phylogenie. Die klare Erkenntniss dieses höchst wichtigen Verhältnisses ist von der grössten Bedeutung, nicht allein für die Würdigung der Entwicke- lungsgeschichte, sondern auch der ganzen Zoologie. Aus dem Umstande aber, dass dasselbe erst in der jüngsten Zeit klar erkannt wurde, kann man schliessen, wie weit unsere Wissenschaft noch zurück ist. Die natürliche, genealogische Systematik, welche das System der Thier- und Pflanzenarten als ihren Stammbaum aufzufassen hat, wird erst in Folge jener Erkenntniss, wie wir schon vorher sahen, sich frei ent- wickeln können. Die bisher erwähnten Zweige der Zoologie, die Anatomie und Systematik, die Entwickelungsgeschichte der Individuen und der Stämme, gehören sämmtlich jenem ausgedehnten Gebiete unserer Wissenschaft an, welches man unter dem Namen der Formenlehre oder Morphologie der Thiere begreift. Dieser gegenüber steht als andere Hälfte der Zoologie die Physiologie, die Lehre von den Lebenserscheinungen der Thiere. Wie die Morphologie in die beiden Ueber Eutwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie. 365 Hauptzweige der Anatomie und Entwickelungsgeschichte, so zerfällt die Physiologie in die beiden Hauptzweige der inneren und äusseren, der Gonservations- und der Relations- Physiologie. Die erstere untersucht die Functionen des Organismus an sich, die letztere seine Lebensbe- ‚ tiehungen zur Aussenwelt. Auch diese beiden Disciplinen haben wieder von ganz verschiedenen und weit entfernten Gebieten der Naturwissen- schaft ihren Ausgangspunkt genommen. Was zunächst die äussere oder die Relations-Physiologie betrifft, d. h. die Lehre von den Beziehungen des thierischen ‚Organismus zur Aussenwelt, so zerfällt diese wieder in zwei Theile, die Oecologie und die Chorologie der Thiere. Unter Oecologie verstehen wir die Lehre von der Oeconomie, von dem Haushalt der thierischen Organismen. Diese hat die gesammten Beziehungen des Thieres sowohl zu seiner anorganischen, als zu seiner organischen Umgebung zu untersuchen, vor allen die freundlichen und feindlichen Beziehungen zu denjenigen Thieren und Pflanzen, mit denen es in directe oder indirecte Berührung kommt; oder mit einem Worte alle diejenigen verwickelten Wechsel- beziehungen, welche Darwın als die Bedingungen des Kampfes um’s Dasein bezeichnet. Diese Oecologie (oft auch unpassend als Biologie im engsten Sinne bezeichnet) bildete bisher den Hauptbestandtheil der sogenannten »Naturgeschichte« in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes. Sie entwickelte sich, wie die zahlreichen populären Naturgeschichten älterer und neuerer Zeit zeigen, im engsten Zusammenhang mit der gewöhnlichen Systematik. So unkritisch nun auch meistens hierbei diese Oeconomie der Thiere behandelt wurde, so erwarb sie sich jeden- falls das Verdienst, das Interesse für Zoologie in weiteren Kreisen le- bendig zu erhalten. Viel geringere Theilnahme fand bis vor Kurzem der andere Zweig der Relations- Physiologie, die Chorologie, d. h. die Lehre von der Seographischen und topographischen Verbreitung, von den horizontalen und vertikalen Grenzen der Thierarten, oder die Geographie der Thiere im weitesten Sinne des Wortes. Bisher bestand dieselbe aus einem Wüsten Chaos von bunt zusammengehäuften und unverstandenen That- Sachen, welchem selbst ein ALexanner Humsorpr und ein CARL RITTER nur hier und da ein tieferes Interesse abzugewinnen vermochte. Erst durch Darwın’s Neubegründung der Descendenz -Theorie ist es möglich geworden, die geographische und topographische Verbreitung der Thier- und Pflanzenarten in ihren mechanischen Ursachen zu erkennen, und in ihrem eigentlichen Wesen als einem lebendigen Naturprocess zu er- klären, der wesentlich durch die Wanderungen der Spielarten und ihre Umbildung im Kampfe um das Dasein bedingt ist. Obschon daher noch 366 Ernst Haeckel, in den ersten Anfängen begriffen, lässt uns doch die Ghorologie, ebenso wie die Oecologie der Thiere, schon jetzt eine Fülle der interessantesten Resultate aus der Ferne erblicken. Als anderen Hauptzweig der Physiologie stellten wir vorher der äusseren oder der Relations-Physiologie die innere oder Gonserva- tions-Physiologie gegenüber, welche die Lebensthätigkeit des Organismus in Beziehung auf ihn. selbst untersucht, die Functionen seiner Organe, und vor allen die wichtigsten und allgemeinsten Lebens- erscheinungen, die Functionen der Selbsterhaltung, des Wachsthums, der Ernährung und Fortpflanzung. Dieser zweite Haupttheil der Phy= siologie hat, gänzlich von dem ersten getrennt, seinen Ausgangspunkt (ebenso wie die Anatomie) von der Medicin genommen. Sobald die wissenschaftliche Medicin erkannt hatte, dass für eine richtige Erkennt- niss des kranken menschlichen Körpers nicht nur die Kenntniss seiner Organisation, sondern auch seiner gesammten Lebenserscheinungen im gesunden Zustande die unerlässliche Vorbedingung sei, musste sie die Physiologie des Menschen zur Voraussetzung seiner Pathologie machen. Da aber für viele physiologische Untersuchungen, namentlich für die mit Vivisection verbundenen Beobachtungen und Experimente der menschliche Organismus nicht tauglich ist, so wandten sich die mensch- lichen Physiologen schon frühzeitig an die dem Menschen nächstver- wandten Wirbelthiere, unter denen insbesondere der treue Hund und der unglückliche Frosch das bedauernswerthe Massenmaterial für die Experimental-Physiologie liefern mussten. Freilich war diese aus dem praktischen Bedürfniss hervorgehende Untersuchung gewisser Lebens- erscheinungen an einzelnen Wirbelthieren weit davon entfernt, zu einer wirklichen »vergleichenden Physiologie«zu führen. Eine solche existirt auch heute noch nur dem Begriff und der Aufgabe nach, und die Einseitigkeit der menschlichen Wirbelthier-Ph ysiologen trägt daran vielleicht nicht geringere Schuld, als die Gleichgültigkeit der systema- tischen Zoologen. Soviel ist aber jedenfalls dadurch schon jetzt ge- wonnen, dass das metaphysische Gespenst der sogenannten »Lebens- kraft« nicht bloss von -dem Gebiete der menschlichen, sondern auch der gesammten thierischen Physiologie völlig und für immer verbannt ist. Von diesem mystischen Producte dualistischer Confusion, welches bald als zweckthätiges Lebensprincip, bald als zweckmässig wirkende Endursache, bald als organische Schöpfungskraft so viel Unheil und Verwirrung angerichtet hat, kann jetzt bei einer wahrhaft wissen- schaftlichen Untersuchung und Erklärung der Lebenserscheinungen nicht mehr die Rede sein. Wir wissen jetzt, dass alle Lebenserschei- nungen der Thiere, ebenso wie des Menschen, mit absoluter Noth- Ueber Entwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie. 367 wendigkeit nach grossen mechanischen Naturgesetzen erfolgen, dass sie nicht durch Endzwecke (Causae finales), sondern durch mechanische Ursachen (Causae efficientes) bewirkt werden, und dass sie im letzten Grunde auf physikalisch-chemischen Processen beruhen, auf unendlich feinen und verwickelten Bewegungserscheinungen der kleinsten Theil- chen, welche den Körper zusammensetzen. Aber auch hier in der Physiologie, wie in der Morphologie, wird uns das volle Licht über den natürlichen und mechanischen Zusammenhang aller Erscheinungen erst durch Lamarer’s und Darwin’s Descendenz-Theorie gegeben werden. Sie wird uns zeigen, wie gleich den Formen der Zellen und Organe auch ihre eigenthümlichen Lebensbewegungen, ihre speeifischen Functionen, sich auf dem langen und langsamen Wege fortschreitender Entwickelung und Arbeitstheilung stufenweise und allmählich entwickelt haben. Auf keinem Gebiete der Zoologie wird diese Erkenntniss grössere Umwälzungen hervorbringen, als auf demjenigen der thierischen Psy- chologie, auf welche wir nothwendig jetzt noch zuletzt einen be- sonderen Blick werfen müssen. Denn gerade die Seelenlehre der Thiere hat sich in grösserer Isolirung entwickelt, und ist daher auch in stär- kerem Rückstande geblieben, als alle übrigen Zweige der Zoologie. Hat Ja selbst die menschliche Psychologie, von welcher doch alle ver- gleichende Psychologie der Thiere immer erst ausgegangen ist, sich bisher fast ganz im Dienste einer speculativen Philosophie entwickelt, welche die unentbehrlichen Fundamente der empirischen Physiologie von vornherein verschmähte. Was würden wir heutzutage von einem Botaniker sagen, der das Seelenleben der Pflanzen von ihren übrigen Lebenserscheinungen trennen und das Studium der letzteren der empirischen Physiologie, dasjenige der ersteren aber der speculativen Philosophie zuweisen wollte? Und doch zeigen uns die Seelenerscheinungen mancher Pflanze (wie z. B. der schamhaften Mimose, der empfindlichen Fliegenfalle, und selbst unserer einheimischen Berberitzenblüthe) einen höheren Grad der Vollkommenheit, als diejenigen vieler niederen Thiere, wie z. B. der Schwämme, vieler Corallen, und der Seescheiden oder Ascidien! Diese letzteren aber, die Ascidien, besitzen unter allen wirbellosen Thieren die nächste Blutsverwandtschaft mit den Wirbelthieren; und unter diesen finden wir eine solche ununterbrochene Continuität in der stu- fenweisen Entwickelung des Seelenlebens, dass wir eine zusammen- hängende Fortschrittsreihe aufstellen können von manchen Amphibien, deren geistige Entwickelung weit hinter derjenigen der höheren Wirbel- losen zurückbleibt,, bis zu manchen Säugethieren, die sich vielleicht über die niedersten Menschenstufen erheben. . Erfolgen gelangen, als die speculative Philosophie ohne die empirische 368 Ernst Haeckel, Sobald man auf diesem dunkeln und durch mystische Specu- lationen noch mehr verdunkelten Gebiete diejenigen Untersuchungs- Methoden befolgt, die uns überall in der Biologie zum Ziele führen, die beiden Methoden der Vergleichung und der Entwickelungs- geschichte, so muss man nothwendig zu dem Resultate gelangen, dass auch das menschliche Seelenleben, gleich den übrigen Lebens- functionen, sich im Kampf um’s Dasein langsam, und in gleichem Schritt mit der fortschreitenden Vervollkommnung des Nervensystems, historisch entwickelt hat. Die Untersuchung desselben kann mithin keiner anderen Wissenschaft anheimfallen, als der vergleichenden Physiologie, also einem Zweige der Zoologie. Hier ist nun vor Allem der Punkt, wo die Zoologie in die engste Berührung mit der speculativen Philosophie tritt. Unsere Sorge aber wird es sein müssen, dahin zu wirken, dass diese Berührung nicht zu einer feindlichen Abstossung, sondern zu einer fördernden Annäherung führe. Denn die Zoologie kann nach unserer Ueberzeugung so wenig als irgend eine andere Naturwissenschaft, der philosophischen Specu- lation entbehren. Sie kann eben so wenig ohne dieselbe zu dauernden Basis der Naturwissenschaft. Die höchsten Ziele und Probleme jeder ge- sunden Naturwissenschaft sind allgemeine Erkenntnisse philosophischer Natur. Die tiefsten Fundamente und Stützpunkte jeder gesunden Philo- sophie sind physiologische Gesetze empirischen Ursprungs. Nur in der innigsten gegenseitigen Durchdringung und Förderung können die em- pirische Naturwissenschaft und die speculative Philosophie ihr gemein- sames Ziel erreichen: Erkenntniss der natürlichen Wahrheit. Die Naturforscher, welche stolz auf ihre absolute Empirie, ohne philosophische Gedanken- Operationen die Naturwissenschaft fördern zu können meinen, sind schuld an der entsetzlichen Verwirrung der Begriffe und Urtheile, und an den erstaunlichen Verstössen gegen die natürliche Logik, denen man überall in der zoologischen und. bota- nischen Literatur begegnet, und die jedem Philosophen ein mitleidiges Achselzucken entlocken müssen. Die Philosophen andererseits, welche i bloss durch reine Speculationen, ohne die empirisch - naturwissen- Ei schaftliche Basis, zur Erkenntniss allgemeiner Gesetze gelangen zu können glauben, bauen Luftschlösser, die der erste beste Empiriker mit Hülfe sinnlicher Erfahrungen umblasen kann. Wie nothwendig für den wahren Fortschritt der Wissenschaft, und vor allem der Zoologie, die innigste gegenseitige Wechselwirkung zwi- schen der analytischen Empirie und der synthetischen Philosophie ist, zeigt Nichts mehr, als die grosse Frage, welche gegenwärtig die Ueber Entwiekelungsgang und Aufgabe der Zoologie, 369 denkenden Köpfe in allen Erdtheilen bewegt, die Frage von der »Stel- lung des Menschen in der Natur«. Indem wir selbst diese Frage schon jetzt im Sinne der Descendenz- Theorie für entschieden halten, und demgemäss eine stufenweise Entwickelung des Menschengeschlechts aus einer Reihe von niederen Wirbelthierformen annehmen, stützen wir uns auf das zustimmende Urtheil der grössten jetzt lebenden Natur- forscher, von denen wir nur die berühmten Engländer: Darwın, LYELL, Huxıry, Hooken, Spencer, Lewes nennen wollen, um von den uns näher- stehenden deutschen Naturforschern ganz zu schweigen. Gegenüber den einsichtigen und denkenden Männern, welche unter den zahlreichen Gegnern dieser Lehre noch entgegengesetzter Ansicht sind, können wir aber nicht umhin , hier ausdrücklich hervorzuheben, dass jedenfalls diese »Frage aller Fragen« im eigentlichsten Sinne des Wortes eine rein zoologische ist, und dass der Kampfplatz für ihre definitive Entscheidung einzig und allein das Gebiet der wissenschaft- lichen Zoologie, d. h. der empirisch-philosophischen Thierkunde ist. Denn nur der Zoolog, welcher im sicheren Besitze gründlicher morpho- logischer und physiologischer Kenntnisse ist, und welcher dieselben in Uumfassendem Sinne denkend zu verwerthen weiss, kann das ungeheure Gewicht der Beweisgründe richtig würdigen , welche die Descendenz- Theorie auch in ihrer Anwendung auf den Menschen schon jetzt unum- stösslich begründen. Wenn daher speculative Philosophen ohne die unerlässlichen Kenntnisse in der vergleichenden Anatomie, Entwicke- lungsgeschichte und Physiologie diese Frage behandeln wollen, so blei- ben ihre Beiträge zu deren Lösung ebenso werthlos, wie die Producte der rohen Empiriker, welche aus Mangel an philosophischem Verständ- niss der Thatsachen-Reihen nicht zu deren Combination und specula- tiven Verwerthung befähigt sind. Obgleich nun leider die allermeisten von den zahllosen Abhandlungen, welche jetzt die Stellung des Men- schen in der Natur entscheiden wollen, einer von den beiden letzten Kategorien angehört, so wird doch andererseits ihre definitive Bestim- mung durch die Bemühungen der wahren empirisch - philosophischen Zoologie dergestalt gefördert, dass sich binnen Kurzem schon Lyzur's Prophezeiung bewahrheiten dürfte: »Es wird hiermit gehen, wie immer, wenn eine neue und überraschende wissenschaftliche Wahrheit entdeckt wird: die Menschen sagen zuerst: »Es ist nicht wahr!« alsdann: »Es Streitet gegen die Religion«, und zuletzt: »Das hat man schon lange sewusst.« Indem ich jetzt mit dem Hinweis auf dieses höchste Problem der Wissenschaftlichen Zoologie meine Darlegung von ihren Aufgaben und ihrer Bedeutung schliesse, so hoffe ich, dadurch wenigstens eine an- 370 Ernst Haeckel, Ueber Entwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie, nähernde Vorstellung von der ungemeinen Entwickelungsfähigkeit und der bedeutenden Zukunft unserer jugendlichen Wissenschaft gegeben zu haben. Nachdem die Thierkunde kaum anderthalb Jahrhunderte als selbstständige Wissenschaft überhaupt existirt, und nachdem sie den grössten Theil dieser Zeit in einer kindlichen Anspruchslosigkeit verlebt hat, unbewusst der in ihr schlummernden Kräfte, und ohne Ahnung von ihren hohen Zielen, hat sie seit Beginn unseres Jahrhunderts sich auf eine höhere Entwickelungsstufe dadurch vorzubereiten begonnen, dass sie ihre einzelnen integirenden Bestandtheile, die sich zusammen- hangslos im Dienste anderer, fremder Wissenschaften entwickelt hatten, um sich zu sammeln begann. Seitdem aber vor zehn Jahren CHARLES Darwin das einheitliche Band knüpfte, welches alle diese weit getrennten Disciplinen zu einem mächtigen Gesammtkörper vereinigt, und seitdem er damit dem jugendlichen Riesenleibe der wiedergeborenen Zoologie neues kraftvolles Leben einhauchte, hat sich der Gesichtskreis und das Ziel unserer Wissenschaft unermesslich erweitert. Von allen Seiten lockt sie strebsame und wissensdurstige Arbeiter heran, und verspricht überall die reichste Ernte. Und selbst wenn wir alle übrigen Errungen- schaften der Zoologie gering anschlagen wollten, so würde allein schon ihre unauflösliche Verbindung mit der empirisch-philosophischen An- thropologie ihr die höchste Bedeutung verleihen. Die monistische Philo- sophie der Zukunft wird die vergleichende Thierkunde aus diesem einzigen Grunde gar nicht mehr entbehren können; und so wird sich aus dem kleinen und verachteten Samenkorne der Zoologie ein Wissen- schaftsbaum entwickeln, der in Zukunft alle übrigen Wissenschaften in seinen Schatten aufnehmen wird, und aus dessen Wurzeln sie alle mehr oder minder ihre Nahrung werden beziehen müssen. Ueber Diaethglyoxylsäure-Aether. Von Dr. A. Schreiber. Bekanntlich betrachtet Derus! die Glyoxylsäure nach der Formel C2203 zusammengesetzt. Perkin und Dupra2, welche dieselbe Säure durch Erhitzen des dibromessigsauren Silbers mit überschüssigem Silberoxyd, sowie Fıscurr und Grurner?, welche sie durch blosses Erhitzen des Dichloressigsäure-Aethers mit Wasser und ferner durch Kochen des Natriumsalzes der »Aetherglyoxylsäure« mit Salzsäure er- hielten, gaben ihr auf Grund dieser neuen Bildungsweisen die Formel C2H104, da überdiess die von Derus als glyoxylsaures Ammonium ange- sprochene Verbindung nicht als solches gelten könne und die Desus’sche Formel mit der Zusammensetzung der übrigen Salze nicht in Einklang stehe. Später führten Perky und Duprat- zu Gunsten ihrer Ansicht den Nachweis, dass der Körper €?H? 0? — Glyoxylid, gebildet durch Er- hitzen von trocknem bromglycolsauren Silber mit wasserfreiem Aether — ein Anhydrid und nicht eine Säure ist und dass die Zersetzung der Glyoxylsäure mit Phosphorbromid nach der Gleichung cH cH G O? + 3 PB =G 0°” +3POBr? + 3BrH OH Br verläuft. — Einen entscheidenden Beweis für die Richtigkeit der letzteren Formel liefert die Zusammensetzung des Aethers und Amids der Diaeth- elyoxylsäure aus der Dichloressigsäure, deren Darstellung und Beschrei- bung im Folgenden gegeben werden soll. 1) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. CX. S. 329. 2) Krxunt, Lehrb. Bd. I. S$. 580. 3) Jen. Zeitschr. für Med. u. Naturw. Bd. I. S. 54 u. 55. 4) Zeitschr. für Chemie. 1868. S. 424. A. Schreiber, Diaethglyoxylsäure-Aether. In einer geräumigen Retorte, deren Hals mit Kühlvorrichtung ver- bunden ist und durch deren Tubulus fortwährend ein Strom Wasser- stoffgas zugeleitet wird, bereitet man Aethernatron, indem man auf 90 Gwth: absoluten Alkohol 10 Gwth. Natrium nach und nach in klei- nen Stücken einträgt. Noch ehe das Natriumalkoholat vollständig er- starrt ist, setzt man in den Tubulus einen Scheidetrichter mit 18 Gwth. Dichloressigsäure und lässt die letztere anfangs langsam, später — wenn die Reaction in Folge der Alkoholbildung an Heftigkeit nachlässt — schneller auf die Krystallmasse tröpfeln. Es scheiden sich weisse Salz- krusten von Chlornatrium ab, während die alkoholische Lösung eine braune Farbe annimmt. Die hierbei erfolgende Reaction kann durch folgende Gleichung ausgedrückt werden: ch "o 0 5 C E” + 30215 (ONa) =Q 0C2H5 + 2 NaCl -+ CH (ON). (0) ci ONa Nach einstündigem Kochen des Retorteninhalts wird unter fortge- setzter Wasserstoffzuleitung der Alkohol abdestillirt, der Rückstand in Wasser gelöst und ein wenig angesäuert — um den sich dabei abschei- denden braunen Farbestoff zu entfernen, — die Lösung nach dem Filtriren wieder mit Natriumearbonat neutralisirt und zur Trockne ge- bracht. Die Salzmasse wird mit kochendem absolutem Alkohol er- schöpft, der Auszug eingedampft und die braune zähe Masse mit dem gleichen Volumen absoluten Alkohol und dem gleichen Gewichte Jodaethyl in Glasröhren auf 100°, schliesslich auf 130° erhitzt. In sechs bis acht Stunden ist die Umsetzung vollendet. Nach dem Erkalten ` werden die Röhren, bei deren Oeffnen sich ziemlich starker Druck zeigt, in einen Kolben entleert und mit gewöhnlichem Aether ausgespült; die braune ätherische Lösung wird von dem gebildeten Jodnatrium abfil- trirt, nach dem Abdestilliren des Aethers der bleibende dunkel gefärbte Rückstand mit granulirtem Zink gelinde digerirt und dadurch vom Jod befreit und schliesslich aus einem Oelbad destillirt. Das Destillat, schwach sauer und noch etwas durch Jod gefärbt, wird mit Wasser unter Zu- fügen einiger Tropfen Natronlauge gewaschen und mit Chlorcalcium ent- wässert: durch wiederholte Destillation wird ausser einer nicht unbe- deutenden Menge des von Heintz dargestellten Aetherglycolsäure-Aethers — da die Dichloressigsäure nur sehr schwer frei von Monochloressig- säure zu erhalten ist — ein neuer bei 41990,2 (corr.) siedender Aether, der Diaethglyoxylsäure-Aether erhalten. Ueber Diaethglyoxylsänre-Aether. 375 I. Analyse des erhaltenen Aetherglycolsäure-Aethers. 0,2567 grm. des bei 155—160° siedenden Destillats gaben 0,5115 grm. Kohlensäure, entspr. 0,1395 grm. = 54,3 Proc. Kohlenstoff und 0,2100 grm. Wasser, entspr. 0,023333 grm. = 9,1 Proc. Wasserstoff. ber. gef. = 72 54,5 54,3 — 9,1 9,1 = 8 36,4 — 492. 100,0. II. Analyse des erhaltenen Diaethglyoxylsäure-Aethers. 0,2595 grm. des bei 195—196° siedenden Destillats gaben 0,5160 grm. Kohlensäure, entspr. 0,140727 grm. = 54,2 Proc. Kohlenstoff und 0,2135 grm. Wasser, entspr. 0,023722 grm. = 9,2 Proc. Wasser- stoff. ber. CS = 96 54,5 H46 16 9,4 Ot = 64 36,4 176. 100,0. Der Diaethglyoxylsäure-Aether, welcher dieselbe procentische Zu- sammensetzung wie der Aetherglycolsäure-Aether besitzt, ist eine wasserhelle, das Licht ziemlich stark brechende Flüssigkeit von bren- nendem Geschmack und angenehm obstartigem Geruch. Sein spec. Gew. ist 0,994 bei 18°, während das des Aetherglycolsäure-Aethers 0,978 ist. Mit Alkohol und Aether ist er in jedem Verhältniss mischbar, in Wasser nur etwas löslich. Diaethglyoxylsäure-Amid. Lässt man den Aether mit conc. Ammoniak und absol. Alkohol ge- mischt einige Tage stehen und dann die Lösung über Schwefelsäure eindunsten, so krystallisirt Diaethglyoxyl-Amid aus in grossen farblosen, durchsichtigen Tafeln, die dem rhombischen System anzu- gehören scheinen. Die Krystalle besitzen auf den Tafelflächen Perl- mutterglanz, lassen sich biegen und fühlen sich fettig an. Sie schmelzen bei 76°%,5 und sublimiren etwas über 100° unzersetzt in Nadeln, all- mählich schon bei gewöhnlicher Temperatur. Sie sind geruchlos und von bitterem, salzigem Geschmack, in Wasser und Alkohol leicht löslich. 25 374 - A, Schreiber, Mit starker Säure übergossen, zersetzt sich das Amid in das betr. Am- moniumsalz und Diaethglyoxylsäure. Mit Wasser eingeschlossen und bis auf 100° erhitzt, bleibt es aber unverändert. 0,2480 grm. der über Schwefelsäure getrockneten Krystalle gaben 0,4452 grm. Kohlensäure, entspr. 0,1214418 grm. = 49,0 Proc. Kohlen- stoff und 0,2074 grm. Wasser, entspr. 0,023044 grm. = 9,3 Proc. Wasserstoff. gef. 72 19,3 13 € 9,3 A4 9,4 In der Hoffnung, durch Einwirkung von Dichloressigsäure-Aether auf Natriumalkoholat direct den Diaethglyoxylsäure-Aether zu erhalten, stellte ich ganz in der von Geuruer! beschriebenen Weise alkoholfreies Aethernatron dar und goss zu 2 Mgt. allmählich 1 Mgt. Dichloressig- säure-Aether, die sehr heftige Reaction durch Abkühlen mässigend und die Luft durch einen raschen Wasserstoffstrom ausschliessend. Der Versuch ergab nicht das erwartete Resultat: die Producte waren Alkohol, Chlornatrium, wenig oxalsaures, aber namentlich dichloressigsaures Natrium und ein in ziemlicher Menge sich bildender, amorpher, brauner Körper, der nicht näher untersucht worden ist. Der in absolutem Al- kobol lösliche Theil des Salzgemenges wurde zur Trockne gebracht, die braune, sehr hygroscopische glasige Masse in wässriger Lösung mit Schwefelsäure zersetzt und mit alkoholfreiem Aether ausgezogen. Nach Entwässerung der ätherischen Lösung mit Chlorcaleium wurde der Aether abdestillirt: der saure Rückstand besass den constanten Siede- punkt von 195°, erzeugte, auf die Haut gebracht, sofort Blasen und verhielt sich auch im Uebrigen wie Dichloressigsäure, was durch eine überdies damit angestellte Analyse bestätigt wurde. Da die bei dem Versuch erhaltene Menge Dichloressigsäure etwa der Hälfte des angewandten Dichloressigsäure-Aethers entsprach, so ist anzunehmen, dass die andere Hälfte des letzteren hauptsächlich zur 1) Jen. Zeitschr. für Med. u. Naturw. Bd. IV. S. 244 u. 247. Ueber Diaethglyoxylsäure-Aether. 375 Bildung des braunen amorphen Körpers und des Chlornatriums und in geringer Menge zu der des Natriumoxalats verwandt wurde, unter gleichzeitiger Abscheidung von Wasser, welches die Entstehung des Alkohols und die Bildung des dichloressigsauren Natriums bedingte. Als bei einem Versuch gleiche Mischungsgewichte von Aether- natron und Dichloressigsäure-Aether genommen wurden, konnte nach beendeter Reaction die Hälfte des angewandten Aethers unverändert abdestillirt werden. Die Verwandtschaft der Töne und Farben. Von W. Preyer. Ein unbefangenes Auge unterscheidet im vollkommen reinen Spectrum der Sonne mittlerer Intensität nicht mehr und nicht weniger als acht von einander wesentlich verschiedene Farben — Braun, Roth, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett, Lavendelgrau — welche durch sprach- lich zwar ungenügend bezeichnete, aber deutlich empfindbare Ueber- gänge miteinander zu einem continuirlichen hellen Streifen verbunden sind. Die Zahl dieser Uebergangsfarben ist eine endliche, denn es ent- spricht nicht jede beliebige noch so kleine Aenderung der Schwingungs- zahl eines farbigen Lichtstrahls einer Aenderung der Farbenempfindung. Vielmehr benöthigt die geringste Aenderung dieser eine sehr erhebliche Aenderung jener. Eine wie grosse Veränderung — Vermehrung oder Verminderung — der Schwingungszahlen in der Zeiteinheit erforderlich ist, um eine eben merkbare Veränderung der Farbenqualitätsempfindung zu bewirken, dieser Grenzwerth ist nicht ohne Einschränkungen be- stimmbar, schon weil er für verschiedene Stellen des Spectrum ver- schieden ausfällt. Ein anderes ist die Bestimmung der sieben Intervalle des speetralen Farbenfeldes oder die Ermittelung, um wieviel die Oscilla- tionszahlen verändert werden müssen, damit an die Stelle einer Haupt- farbenempfindung eine andere Hauptfarbenempfindung ohne jedweden Uebergang tritt. Diese Intervalle können entweder sämmtlich gleich oder sämmtlich verschieden oder für einige der acht Farben gleich , für andere ungleich sein. Ich habe gefunden, dass letzteres der Fall ist. Um die Farbenintervalle zu bestimmen, versuchte ich zunächst durch Schätzungen diejenigen Stellen eines continuirlichen Spectrum zu finden, welche dem reinsten Roth, dem reinsten Gelb, Grün u. s. w. entsprechen. Es dienten dazu zwei Kırennorr — Bunsen’sche Spectral- apparate, ein kleiner mit einem Prisma und ein grosser mit zwei Prismen * Die Verwandtschaft der Töne und Farben. 377 aus der Werkstatt von Sreinneit. Lichtquellen waren mir die Sonne, verbrennendes Magnesium, elektrisches Kohlenlicht (mit elektromagne- tischem Regulator von Brownins) und Petroleumflammen. Eine ver- stellbare photographirte Scala und die Fraunnorer’schen Linien gaben das Maass ab beim. Einstellen des Fadenkreuzes. Dieses Verfahren lieferte jedoch keine befriedigenden Resultate, weil die Schätzungsfehler zu gross ausfielen. Brauchbar wird die Me- thode erst, wenn man die der abzuschätzenden Farbe benachbarten Theile des Spectrum abblendet. Man bewerkstelligt dies am einfachsten durch Einfügung von zwei verticalen schwarzen, als Diaphragma wir- kenden Schiebern in das Lumen des Fernrohrs. Durch Annäherung oder Entfernung derselben kann man beliebige Theile des Speetrum abblenden und so die einzelnen Hauptfärben isoliren. Eine solche Vor- richtung ersann schon vor längerer Zeit Max Scaurrze, an dessen Speetroskop ich sie kennen lernte. So sehr auf diese Weise die Farben- bestimmung erleichtert wird, so bleibt doch die Ermittelung der Breite des isolirten Farbenstreifens, d. h. seiner Ränder, in Wellenlängen bei continuirlichen Spectren immer dann umständlich oder ungenau, wenn anderes als Sonnenlicht, welches mitunter tagelang nicht zur Verfügung steht, verwendet wird; denn im Sonnenspectrum ist sowohl die Schätzung durch die Fraunnorer’schen Linien sicherer, als auch die Auffindung der gesuchten Wellenlängen sehr bequem durch Änssrrön’s grosse Tafeln (Speetre normal du soleil. Atlas. Upsal 1868) gegeben. In anderen continuirlichen Spectra aber ist weder das eine noch das andere genau zu erreichen, weil es an Anhaltspunkten beim Schätzen fehlt und man sich ausschliesslich auf die Theilstriche der Scala ver- lassen muss, eine directe Bestimmung der Wellenlängen also hier, wo es sich überdies um hundertfältig zu wiederholende Beobachtungen handelt, die Mühe nicht lohnen würde. Um genau die Orte der einzelnen Hauptfarben und ihre Begrenzung — ausgedrückt in Wellenlängen — zu finden, verwendete ich daher ein anderes Mittel. Discontinuirliche Spectra in grosser Anzahl wurden theils. für sich untersucht, theils untereinander und mit den genannten continuirlichen Spectren verglichen und diejenigen hellen Linien oder von dunkelen Linien begrenzten farbigen Stellen, welche das durch den Aufenthalt im Dunkeln geschärfte Auge als am reinsten roth, am veinsten gelb, grün, blau u. s. w. erkannte, oder welche die ent- sprechenden Stellen des continuirlichen Spectrum begrenzten, gaben die gesuchten Werthe. Dieses Verfahren ist deshalb sehr viel genauer als das ersterwähnte, weil die allmählichen Uebergänge der einen Farbe in die andere nicht störend einwirken, sondern schwarze Zwischen- 378 W. Preyer, räume oder Linien mannichfaltige Abstufungen gewähren, an denen das gleichsam tastende Auge sich ausruhen und halten kann. Den Absorptionspectra farbiger Flüssigkeiten und Gläser kommt hierbei wegen der Breite und meist schlechten Begrenzung der hellen Räume nur eine untergeordnete Bedeutung zu; ich habe sie in sehr grosser Auswahl verglichen und nur zur anfänglichen Orientirung nütz- lich gefunden. Anders die Absorptionspectra farbiger Dämpfe. Hier bieten die zahlreichen oft in gleichen Abständen nebeneinander liegen- den dunkelen Linien ein treffliches Hülfsmittel, besonders Joddampf und Untersalpetersäure sind in dieser Hinsicht ausgezeichnet. Das Hauptmaterial lieferten aber die aus hellen Linien bestehenden Spectra der in der Bunsen’schen Flamme sich verflüchtigenden Metalle und der in Geisster’schen Röhren durch den Inductionsfunken erglühenden Gase. Ich verwendete namentlich die Spectra vom Kalium, Natrium, Lithium, Rubidium, Caesium, Thallium, Indium, Calcium, Magnesium, Baryum, Strontium, Kupfer, Quecksilber, Wasserstoff, Stickstoff, Schwe- fel, Selen, Jod, Brom, Chlor, Fluorkiesel und Fluorbor, welche zusam- men eine genügende Anzahl von reinen gesättigten und intensiven Farben liefern. Man muss nur für einen so vollständigen Ausschluss fremden Lichtes Sorge tragen,. dass der Rand des Gesichtsfeldes, wo es schwarz ist, sich nicht mehr erkennen lässt, was bei dem Spectralap- parat in seiner jetzigen Gestalt nicht allzuschwer erreicht werden kann. Schwieriger und ebenso wichtig ist es, die Intensität der Farben weder zu tief sinken noch zu hoch steigen zu lassen, da nur bei einer mittleren Lichtstärke die Farbenunterscheidung genau ist. Ich habe diese Fehlerquelle nicht ganz beseitigen können, glaube aber nicht, dass sie auch nur eine Bestimmung illusorisch macht, da meine Beobach- tungen äusserst zahlreich sind und sehr gut untereinander übereinstim- men, ausserdem bei der Bunsen’schen Flamme und den GeıssLer’schen Röhren zu grosse Intensitäten nicht leicht vorkommen, zu geringe an sich schon unbrauchbar sind. Ich fand es zweckmässig bei Metall- und Gasspectren die Licht- quelle — Bunsen’sche Flamme oder Gzıssrer’sche Röhre — zwischen die beiden Spalte meiner zwei Spectroskope zu stellen, um einen Ueber- blick des ganzen Spectrum durch den kleineren, eine genauere Analyse durch den grösseren fast gleichzeitig zu ermöglichen. Es würde wenig Interesse bieten, alle meine Bestimmungen einzeln anzuführen, zumal sie leicht wiederholt werden können, wenn man möglichst viele Spectren combinirt — übereinander und aufeinander entwirft. Ich theile da- her nur die Ergebnisse der Einzelbestimmungen nebst einigen Bei- spielen zur Controle mit, indem ich die Wellenlängenbestimmungen von Die Verwandtschaft der Töne und Farben. 379 ÅNGSTRÖM, Mascart, THALEN, DITSCHEINER, wie sie ÅNGSTRÖM (Recherches sur le spectre solaire. Upsal 1868. 4%) zusammengestellt hat, zu Grunde lege und wo diese nicht ausreichen, Kırennorr’s Tafeln zu Hülfe nehme (Untersuchungen über das Sonnenspectrum und die Spectren der chem. Elemente. 2 Thle. 1862 und 1863. 40). Es sind in letzteren mehrere Elemente aufgenommen, welche bei Anssrrön fehlen, aber man kann deren Linien leicht eintragen und so ihre Wellenlänge finden. i Meine Beobachtungen haben nun zu folgenden Ergebnissen geführt. A bedeutet Wellenlänge in Milliontel Millimeter. Das reinste Braun liegt in der Nähe der braunen Kaliumlinie Kaa, deren Wellenlänge nach Lecog (Comptes rendus 6. Sept. 1869) 768 be- trägt. Die beiden erheblich weniger brechbaren, übrigens sehr ungleich intensiven Rubidiumlinien sind gleichfalls braun. Beim Abblenden des ganzen Spectrum der Mittagssonne von A an aber sah ich eine mit der Wellenlängenzunahme schnell dunkeler werdende braune Stelle, etwa so breit wie A bis a, welche da, wo die Rubidiumlinien auftreten, schon schwarzbraun ist; innerhalb dieser ultrarothen Strecke und zwar zwi- schen A = 760 und 770 liegt die Stelle des von Roth ebenso wie von Schwarz — dem Dunkel am Spectrumende — gänzlich freien Braun. Diese Bestimmung ist mir, wegen der Lichtschwäche des Spectrum- endes, wegen der Veränderlichkeit seiner Farbe je nach der Intensität, und weil es mir ausser den Rubidium- und Kaliumlinien an braunen Linien fehlte, die schwierigste von allen gewesen. Das reinste Roth liegt zwischen der Lithiumlinie Zia und B, aber näher bei letzterer als ersterer, wie man beim gleichzeitigen Entwerfen des Lithium- und eines hellen continuirlichen Spectrums erkennt. Gross ist der Unterschied allerdings nicht. Aber ebenso deutlich wie die mit C zusammenfallende Wasserstofflinie Hæ neben Li« orangeroth erscheint, wird das Roth über B hinaus schon bräunlich und die Stelle des von Braun und von Orange gänzlich freien Roth liegt nach allen meinen Schätzungen zwischen A = 678 und 686. Linie B hat 686,7 und 678 bezeichnet die Mitte zwischen B und Lio. Das reinste Orange liegt im prismatischen Spectrum nahe der Mitte von C und D, näher bei D als C. Die Caleiumlinie Ca« liefert sehr reines Orange. Die wenig intensive Lithiumlinie Liß ist hingegen gelb- lich orange. Ihre Wellenlänge beträgt 610,15 (Mascarr). Die schon dem Roth zuneigende Mitte des Raumes zwischen C und D hat À = 622,7. Das von Roth und von Gelb möglichst freie Orange liegt zweifellos zwi- schen A = 610 und 620. Das reinste Gelb ist leicht zu finden, weil es nur einen sehr schma- len Streifen zwischen der doppelten goldgelben Natriumlinie Na« und 380 , W, Preyer, den lichtschwachen grünlich gelben Baryumlinien einnimmt, welche auf der D-Seite von Bay liegen. Eine in diesen Raum fallende intensive zweifache Quecksilberlinie (No. 1076 Kırcunorr) ist vollkommen rein gelb. Ihre Wellenlänge ergiebt sich durch Eintragen in die Tafel von Änssırön zu 576,8. Ueber A = 572 hinaus wird das Gelb schon merklich grün- lich, über 578 hinaus goldgelb (orangegelb). Das von Grün und von Orange vollkommen freie Gelb liegt demnach zwischen A = 572 und 578. Das reinste Grün fällt in die Nähe der höchst intensiven Magne- siumlinie, welche mit b, von Frauxnorsr’s Gruppe b coincidirt, und zwar liegt es auf der F-Seite von b,. Die Baryumlinie Ba « ist für mein Auge schon deutlich gelblichgrün, Ba ß neigt zum Bläulichgrün. Also muss das reinste Grün zwischen beide, d. b. in die Nähe von b fallen. Es liegt in dem Raum zwischen 4 = 510 und 516. Dieses ist die ge- naueste von allen Bestimmungen, weil ich hierbei über die grösste An- zahl von hellen und dunkeln Linien verfügen konnte. Schon früher fand ich ausserdem durch die Untersuchung von zwei Grünblinden ! für das reinste Grün A = 510 als Minimum. Linie b, hat A = 516,688. Das reinste Blau ist im prismatischen Spectrum wegen der grossen Breite des blauen Feldes schwerer zu bestimmen, Doch bin ich zu dem sicheren Ergebniss gelangt, dass die gesuchte Stelle sehr nähe der in dem continuirlichen Spectrum brennenden Magnesiumdrahtes scharf abgegrenzten blauen Linie liegen muss, deren Wellenlänge = 458,6. Genauere wiederholte Betrachtung lehrt ferner, dass das reinste Blau nur sehr wenig nach der F-Seite dieser Linie liegt, weil weiterhin eine Hinneigung zum Grünlichblau ebenso wie unmittelbar auf der G-Seite eine solche nach dem Violettblau merkbar wird. Die indigoblaue Indiumlinie hat A = 455 (Jon. Mütter in Freiburg). Die hellen grünblauen Magnesiumlinien, deren ich 9 zähle, unterstützen als feste Ausgangspunkte wesentlich das Schätzen. Vollkommen rein blau ist ferner die Strontiumlinie Srô, bei der A = 460,7 (Mascarr), ebenso die doppelte Gaesiumlinie Osa und Cs ß. Diese ist, wie man sich leicht durch gleichzeitiges Entwerfen des Strontium- und Caesium-Spectrums überzeugen kann, nur wenig (weniger als ihr eigenes Intervall in mei- nem Apparat) stärker gebrochen als Srd. Im Sonnenspectrum verlegte ich (l. e. S. 327) im Blau von F4 G bis Fẹ G die Stelle, welche sowohl von grüner wie von violetter Beimischung gänzlich frei ist und zugleich die grösste Lichtstärke hat, auf ungefähr F4 G, was A = 467 entspricht. Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass das reinste Blau zwischen A= 458 und 468 liegt. Es ist sehr bemerkenswerth, dass MAxweıL 1) In PrLüGER’s Archiv f. d. ges. Physiologie 1868, S, 316. Die Verwandtschaft der Töne und Farben. 381 (Philos. Transact. 1860) ein Blau von 463,8 (uncorrigirt) als Grundfarbe auf ganz anderem Wege fand. Das reinste Violett liegt in dem stark dispergirten Spectrum meines Apparates ungefähr in der Mitte zwischen G und /,. Betrachtet man möglichst gleichzeitig die Linien des Rubidium R6ß (A = 421,7 Lecoo) und Rba (A = 420,3 id.), die des Kalium Kaß (A = 405,0 id.), des Calcium und des Wasserstofls Hy (A = 410,1 ÅNGSTRÖN), welche sämmt- lich zwischen @ und /, liegen, so findet man von allen stets die Wasser- stofflinie am :reinsten violett, sowohl die Rubidium- wie die Calcium- linie erscheinen daneben merklich bläulichviolett und Kaß wie etwas verschleiert, mit Grau gemischt. Im Sonnenspectrum ist die Aufsuchung des reinen Violett unthunlich wegen der grossen Abhängigkeit dieser Farbe von der Liehtintensität, in Kupferspeetrum leichter. Im Magne- siumlicht und elektrischen Kohlenlicht hingegen fehlt es in dem breiten gleichmässig violetten Felde an Anhaltspunkten zum Schätzen. Ich’ kann daher nur die Gegend zwischen A = 405 (Kaß) und 415 oder die Umgebung der Fraunnorer’schen Linie A (A = 410) als die Stelle des reinsten Violetts angeben. Versuchen wir nun, die Intervalle aus den erhaltenen Zahlen zu ermitteln, so zeigt sich, dass die sieben Farben nicht durch gleiche Intervalle von einander getrennt sind. Setzt man für die sieben er- haltenen Werthe der Schwingungszahlen n À n Milliontel Millim. Billionen in 48 Braun 760 — 770 392 — 987 Roth 678 — 686 440 — 435 Orange 060 189 — 481 Gelb 572 — 578 521 — 516 Grün 540 — 516 585 — 578 Blau 458 — 468 651 — 637 Violett 405 — 445 736 — 719 die abgerundeten Mittel und vergleicht diese miteinander, so findet man, dass zwar Braun, Roth, Orange, Grün und Violett ziemlich be- friedigend in eine arithmetische Reihe mit dem Intervall von etwa i 48.101? Schwingungen in 4° passen, nicht aber Gelb und Blau, und zwar weichen diese beiden Farben so stark ab, dass Beobachtungs- fehler mit Sicherheit auszuschliessen sind. Setzt man die Schwingungs- zahl von Braun = |, so ist die der anderen Färben aus den runden | Mitteln berechnet: 1 Braun Roth Orange Gelb Grün Blau Violett 2 ! A123 A246 1,330. 1,493 4,655 1,808 382 W. Preyer, Diese Schwingungsverbältnisse kommen denen der Töne der diatoni- schen Durtonleiter von c ausserordentlich nahe. In der That kann man, ohne den Spielraum der direct gegebenen Werthe in einem einzigen Falle zu überschreiten, die Tonintervalle Io a2 rn i6 1,666. 1,876 den Farbenintervallen substituiren und die 7 ganzen Töne der c-Dur- tonleiter vollkommen den 7 Hauptfarben der spectralen Farbenoctave parallelisirsn, wie folgende Tabelle zeigt: > Schwingungen Wellenlänge in FRAUNHOFER S Linien TORE era e | Milliont. Millim. | Wellenlänge n. Änsraön. c | 4 388,2 | braun 768,6 | A 760,4 d| è 436,7 | roth 683,2 | ` B 686,7 e | 3 485,2 orange 614,9 | C 656,2 looo 547,6 | gelb 576,4 | D 589,2 g 3 582,3 | grün 512,4 E 526,9 a $ 647,0 | blau 464,4 | F 486,0 h 15 737,9 | violett 409,9 | G 430,7 e’ | 2 776,6 | grau | 384,3 | Mo 393,3 Diese Zusammenstellung verdient ein besonderes Vertrauen durch den Umstand, dass nicht weniger als sechs von den acht Bestimmungen der zweiten beziehlich der vierten GColumne, ganz abgesehen von ihrem vollkommenen Einklang mit meinen sämmtlichen bis zur Erschöpfung des Auges immer wieder und wieder angestellten spectroskopischen Beobachtungen , einer Arbeit entnommen sind, welche die unleugbare Verwandtschaft der Töne und Farben zwar im Allgemeinen nicht be- streitet, aber die Identität der Ton- und Farbenintervalle geradezu für nicht vorhanden erklärt. Diese Arbeit ist die von Lisrins über die Grenzen der Farben im Spectrum im 131. Bande von PoGGENDoRFF’s An- nalen der Physik und Chemie veröffentlichte. Lıstıns kommt zu dem Ergebniss, dass die Farben des Spectrum eine arithmetische Reihe bilden mit der Differenz von 48524.109 (vorbehaltlich späterer ge- nauerer Bestimmung) oder dem halben Farbenintervall c = 24,262 Billionen, wobei die einzelnen Farben in 363,9 bis 800,9 Billionen Schwingungen per Zeitsecunde ausgedrückt werden. Es wäre nach dieser Reihe das braune Spectrumende = 15c, die Mitte des Braun = 16c, die Braun-Roth Grenze = 17c, die Mitte des Roth = 18c, die Orange-Roth Grenze = 19c, die Mitte des Orange = 20c u. s. f. bis Mitte des Lavendel = 32c und die Lavendelgrenze des Spectrum = 33c, zusammen 19 Glieder. Gelingt es nun nachzuweisen, dass nur eines von diesen Gliedern erheblich von dem verlangten Werthe abweicht, | Die Verwandtschaft der Töne und Farben. 383 so ist das ganze Gesetz falsch. Ich bin im Stande, die Unrichtigkeit von mehr als einem der 19 Glieder zu beweisen. Die Mitte des Gelb fällt nach Listns auf 22c oder A = 559,0. Es müsste also Licht von dieser Brechbarkeit für sich im Dunkeln betrachtet vollkommen rein gelb, weder goldgelb noch grünlichgelb erscheinen. Nun zeigt es sich, dass die bekannte helle Galeiumlinie Ca 8 genau die gewünschte Brechbar\eit (Mitte 559,3) besitzt. Sie erscheint aber jedem gesunden Auge grüngelb, ebenso die helle Baryumlinie Bay, welche in dieselbe Gegend des Spectrum zu liegen kommt. Es muss also das reine, das von Grün freie Gelb bedeutend weiter nach D zu liegen, als Lisringe’s berechneter Werth verlangt. Statt auf A = 559,0 zu fallen, fällt es in Wirklichkeit, wie ich gefunden habe, auf 572—578. Der Fehler beruht darauf, dass Lisrins die hellste Stelle im Gelb für die Stelle des reinsten Gelb hielt, während sie grünlichgelb ist. Ferner soll die Grenze von Gelb und Grün = 23c oder A = 534,7 sein. Glücklicherweise hat nach Mascarr’s Bestimmungen die helle Thallium- linie Til& eben diese Wellenlänge, nämlich 534,88. Jedermann nennt die Farbe derselben grün oder gelbgrün, hat das Element doch von dieser grünen Farbe seinen Namen erhalten. Wenigstens wird Nie- mand sie für einen beiden Farben gerecht werdenden Uebergang halten, sondern jeder normale Beobachter das erhebliche Ueberwiegen des Grün über das Gelb constatiren. Es muss also auch die wahre Grenze von Gelb und Grün bedeutend näher bei D liegen, als Lısring’s berechnete Farbenscala verlangt. In Bezug auf das Blau lässt sich in ähnlicher Weise zeigen, dass die Berechnungen nicht genau mit der Beobachtung stimmen. Vor allem kann nach meinem Dafürhalten neben Gyanblau nicht Indigoblau als gleich berechtigte Hauptfarbe des Spectrum mit den anderen figuriren. Indigoblau ist nicht so verschieden von Gyanblau wie Grün von Gelb, wie Orange von Gelb, wie Roth von Braun oder wie irgend zwei andere Hauptfarben des Spectrum. Man kann nur ein Blau gleichwerthig neben diese setzen, welches weder cyanblau noch indigoblau, sondern rein blau ist, und durch cyanblau, grünlichblau, grünblau, blaugrün in grün einerseits, durch indigoblau, violettlich- blau, violettblau, blauviolett, andererseits in violett übergeht. Aber allein durch den Nachweis, dass Lisrine’s Mitte des Gelb in Wirklich- keit grüngelb ist, fällt sein Gesetz. Die Farben des Spectrum bilden keine arithmetische Reihe. Es folgt natürlich aus der Unrichtigkeit zweier Hauptfarbenbestim- mungen, des Gelb und des Blau, nichts gegen die Richtigkeit der übrigen sechs. Ich finde sie im Gegentheil so vollkommen mit meinen eigenen Bedbachtungen im Einklang (nur Lavendel getraute ich mich 384 W. Preyer, der Lichtschwäche wegen nicht zu bestimmen), dass ich sie ohne Aen- derung als Ausdruck meiner Versuche hinstellen konnte, und ich bin überzeugt, dass jeder, welcher sorgfältig und unbefangen prüft, hierin zu denselben Resultaten kommen wird. Uebrigens hat Listine von den 19 Gliedern seiner Reihe nur 8 direct geschätzt und die übrigen daraus berechnet, annehmend, es komme (in dem idealen Spectrum) jeder Farbe dieselbe Breite in Schwingungszahlen ausgedrückt zu, was un- zulässig, weil willkürlich, ist. Eine weitere mächtige Stütze erhält die mitgetheilte Zusammen- stellung der Hauptfarben und ganzen Töne durch Fortsetzung derselben auf die Uebergangsfarben und halben Töne. Ohne den geringsten Z,wang fügen sich diese wie jene dem Gesetz. a Schwingungen | arD | Wellenlänge in | | Intervalle |in 1° Billionen | | Ka« 768 Töne Beispiele zur Controle Linie A 760,4. = rothbraun braunroth roth ; Linie B 686,7. | orangeroth Linie C 656,2 He. | rothorange 5 Fe 639,9 stark. | orange gelborange orangegelb : Linie D 589,2 Na «. gelb Hg 576,8. -Fe 576,2. grüngelb Fe 545,4 stark. gelbgrün ~ | Tilu 534,8. ' grün | 512,4 Linie b4 516,6 Mg. blaugrün | 494,9 Fe 494,9. grünblau | 488,2 Linie F 486,0 H$. blau 464,4 Sr.d 460,6 Cs. violettblau 449,7 blauviolett 120,2 Fe 427,4 stark. violett 109,9 | Hy AAO,A. grauviolett 400,3 | Fe 400,4. violettgrau | 393,5 | Linie Ha 393,3 Ca. lavendelgrau | 384,3 | wo o aa Der N Jo on Re ko” Sen id nio win. a co aa ven FE eno N al I Io ajor ao is PaE io i kn a ei on lo al is Io d o a Von den Folgerungen, welche aus dieser Parallele der Sinnes- Physiologie erwachsen, will ich hier nur eine andeuten: die Gültigkeit des Frenner’schen Gesetzes für Farben in ihrer Abhängigkeit von den Schwingungszahlen. Bisher hat man allgemein behauptet, das psycho- physische Gesetz. gelte für Farben nur bezüglich der Amplitude der erregenden Schwingungen , resp. der Intensität der davon abhängigen Empfindung, nicht aber bezüglich der von der Oseillationszahl ab- Die Verwandtschaft der Töne und Farben. 385 hängigen Farbenqualität. Man konnte sich nicht einmal darüber Rechen- schaft geben, inwiefern das ganze Gesetz durch eine solche Ausnahme in Frage gestellt würde, zumal es für Tonhöhen bedingungslos gilt. Durch die vorliegende Untersuchung fällt die Ausnahme fort, das Wirer-Freuner’sche Gesetz hat eine neue Anwendung gefunden. Von den in ästhetischer Hinsicht wichtigen Gonsequenzen der Ta- belle sei gleichfalls nur eine hier angeführt. Wenn auch nicht alle musi- kalischen Consonanzen angenehme Farbenzusammenstellungen geben — dies war nicht zu erwarten — und selbst umgekehrt nicht alle ange- nehmen Farbenzusammenstellungen musikalische Gonsonanzen liefern, so ist doch im Allgemeinen, wenn es sich um nur zwei Farben han- delt, Schönheit und Hässlichkeit an dieselben Zahlen gebunden wie Wohlklang und Missklang zweier Töne. Die consonirenden Intervalle innerhalb einer Octave sind (Hermnonrz, Tonempfindungen 1863, S. 294, 394): ` die Quinte 3/9 die Quarte 4/; die grosse Sexte 5/3 die grosse Terz 5/4 die kleine Terz 6/, (die kleine Sexte $/;) (die natürliche Septime 1/4) o Alle anderen Intervalle innerhalb einer Octave sind dissonirende _ und schon die beiden letzten (eingeklammerten) sehr unvollkommen. Ebenso sind nun alle Farbenintervalle %/,, %, 5/3, S/a, $/s» (s); C/A angenehm oder zum Wenigsten in malerischem Sinne erträglich, es sind aber nicht alle anderen unschön, z. B. blaugrün und braun. Sehr schöne Quinten sind Roth und Grün (*/,), Violett und Orange (fe), Grün und Braun (9/,), Orange und Blau (/,); Quarten: Grün und Roth (9/4), Blau und Orange (®/,), Braun und Grün (%/,), Violett und Grüngelb (*/ is), Orange und Violett (*/,). Grosse Sexten sind nament- lich : Blau und Braun (*/,), Orange und Grün (®/,). Grosse Terzen: Grün und Rothorange (9/,,), Violett und Grün (*/,); kleine Terzen: Grün und Orange (/,), Grünblau und Gelb (/,) u. s. f. So geben alle Quinten, Quarten, Sexten und Terzen angenehme oder erträgliche Farbenpaare. Aber es ist diese Uebereinstimmung wahrscheinlich nur zufällig, da auch andere Intervalle nicht immer das Auge beleidigen und im Allge- meinen zwei Farben um so besser zusammenpassen, je weniger ihr Schwingungsverhältniss von dem Schwingungsverhältniss zweier com- plementärer Farben abweicht. Nun liegen die Schwingungsverhältnisse aller einfachen complementären Farben innerhalb der Octave zwischen 386 W. Preyer, 1,2 und 1,6! umfassen also die Quinte, die Quarte, die grosse und die kleine Terz, die kleine Sexte. Die natürlichste Erklärung des Wohl- gefallens an Farbenpaaren dieser Intervalle scheint mir die Annahme zu sein, dass durch je zwei Farben, welche zusammen Weiss geben, die nach Youne und HrınnoLrz vorausgesetzten dreierlei farbenempfinden- den Nervenfasern in Summa nahezu oder ganz gleich stark erregt werden, während beim Anblick schreiender Farbencombinationen eine Nervenart, sei es nun die rothempfindende, die grünempfindende oder die blauempfindende, weit stärker als die beiden anderen erregt würde. Wie es sich mit den Farbenaccorden verhält, ist gleichfalls noch zu ermitteln. Ich habe diese Untersuchung in Gemeinschaft mit meinem Bru- der Ernest Prever in Rom erst angefangen. Eine Thatsache aber glauben wir bereits feststellen zu können. Sie betrifft die dreistimmigen Accorde. Wir fanden, dass nicht jeder Stammaccord ohne weiteres in Farben übersetzt werden kann, sondern meistens einer Umlagerung bedarf, wenn die den drei Tönen entsprechenden Farben nicht verletzen sollen, und zwar ergab sich, dass es für die Duraccorde vorwiegend der Quart- sextenaccord ist, welcher malerisch am meisten befriedigt oder die malerisch einzig zulässige, beziehlich erträgliche Reihenfolge der drei Farben liefert. Die Mollaccorde bedürfen hingegen weniger der Um- lagerung. Uebrigens ist es beachtenswerth, dass gerade die schönsten Farbenaecorde auch den wohlklingendsten musikalischen Dreiklängen entsprechen; z. B. die berühmte Zusammenstellung der italienischen Maler: Roth Grün Violett entspricht d g h (G-dur). Ferner Orange Grün Braun ,, e g c (C-dur) Orange Blaugrün Rothbraun entspricht e gis cis, (Cis-moll) Rothorange Grünblau Braun 5 es as c, (As-dur). ‚Ich will die Parallele hier nicht weiter ziehen , und beschränke mich auf die wenigen, aus einer sehr grossen Anzahl beliebig aus- gewählten Beispiele, um zunachst die Aufmerksamkeit anderer auf den Gegenstand zu lenken. Denn es kann auf diesem Gebiete nur durch 1) Ich habe wiederholt das negative Nachbild des Ultraroth, besonders des Braun der Rubidiumdoppellinie (Rb ð hat 4 = ca 790,9 und Rby = 779 Lecog) durch längeres Fixiren auf schwarzem Grunde mir entworfen und es stets blaugrün mit etwas über- wiegendem Grün gefunden. Also selbst an dem Spectrumende würden noch alle drei farbenpercipirenden Nervenfasern gleichzeitig erregt werden. Die Thatsache, dass Blaugrün das negative Nachbild von Braun (auch von Ka«) ist, macht eine Schlussfolgerung Brücke’s (Pogg. Ann. 74, S. 464, 462, 584) sehr zweifelhaft, der zufolge Lavendelgrau das Complement von Braun wäre. Bei allen anderen Farben sind die Complementärfarben und negativen Nachbilder auf Schwarz identisch. Die Verwandtschaft der Töne und Farben. 387 Zusammenwirken Vieler und zwar durch gemeinschaftliche Thätigkeit der Physiologen, der Maler und der Musiker etwas erreicht werden. Zum Schlusse dieser Mittheilung, welche nur als eine vorläufige anzusehen ist, sei eine andere bisher übersehene, aber physiologisch sehr berücksichtigenswerthe Analogie der Farben- und Tonperception einerseits, der Wahrnehmung von Licht und Geräuschen andererseits erwähnt. Es ist eine durch Max Senunrze’s glänzende Entdeckungen sicher festgestellte Thatsache, dass von den Endorganen des Sehnerven in der . Netzhaut, die Zapfen allein die Farbenperception vermitteln, die Stäb- | chen nur Hell und Dunkel unterscheiden. Es geht dies schon daraus hervor, dass in der Nacht und Dämmerung thätige, bei Tage ruhende Thiere, z. B. die Fledermäuse, Igel, Mäuse, Maulwürfe, Eulen nur sehr i wenige oder keine Zapfen haben, hingegen den sonnige Flächen lieben- Eo den Eidechsen die Stäbchen gänzlich fehlen und die Retina der Tag- I vögel äusserst zapfenreich ist. Ferner besitzen in der Vogelretina nur die Zapfen farbige Kugeln, welche das Licht, ehe es in Empfindung um- gesetzt worden, passiren muss. Die Stäbchen sind sämmtlich farblos. Endlich enthält unsere Macula lutea, die Stelle, mit welcher wir Farben am besten wahrnehmen, nur Zapfen. Die Sonderung der Zapfen und Stäbchen nach ihrer physiologischen Function, wie sie Max ScHULTZE aufgestellt hat, ist in der That vollkommen begründet. (Arch. f. mikr. Anat. II, S. 253. 1866.) Im Ohre ist eine Sonderung der peripherischen Endorgane des Hörnerven in zwei Formen gleichfalls nachgewiesen. Während der Schneckennerv im Connex mit den Corrtr’schen Bögen und der Mem- brana basilaris die Empfindung der reinen Töne vermittelt, kann der Vorhofsast mit den von Max ScuuLtzs entdeckten Hörhärchen und den Otolithen nicht dazu dienen, Musik als solche empfinden zu lassen, er vermittelt höchstwahrscheinlich nur die Empfindung von Geräuschen ' (HrımsorLtz, Tonempfindungen 1863. S. 218. 219.) : Wie nun reine Töne auf gleichmässigen periodischen Schwingungen, Geräusche auf einem Wechsel solcher einfachen periodischen Schwingun- t gen beruhen, so kann man auch von reinen Farben sagen, sie beruhen p auf gleichmässigen periodischen Schwingungen, weisses Licht aber auf I einem fortwährenden Wechsel solcher einfachen, es zusammensetzenden regelmässigen Schwingungen. Man erkennt auch die Zusammensetzung in beiden Fällen, das Ohr mit dem Resonator, das Auge mit dem Prisma. Jenes zerlegt die Geräusche in Töne, dieses das Licht in Farben. Ebenso wie wir durch Töne künstlich Geräusche zusammensetzen können, sind wir im Stande, durch Mischen der Farben farbloses Licht 388 W. Preyer, Die Verwandtschaft der Töne und Farben. zu erzeugen und ebenso wie bei der Perception dieses Lichtes die farbenpereipirenden Elemente (die Zapfen) mitwirken müssen, weil sie die einfachen Bestandtheile desselben pereipiren, so muss auch bei jedem Geräusche die abgestimmte Membrana basilaris! mitschwingen, weil die Geräusche aus Tönen zusammengesetzt sind. Aber das Um- gekehrte findet nach dieser Anschauung sowohl im Auge, wie im Ohre in viel geringerem Grade oder gar nicht statt. Wird eine isolirte reine Farbe empfunden, so sind nur die Zapfen thätig, die Stäbchen ruhen; wird ein einzelner reiner Ton gehört, so werden nur die Endigungen des Schneckenastes unseres Hörnerven erregt, die des Vorhofsastes ruhen. Der Vergleich ist so wahrscheinlich, dass ich ihn trotz mangelnder experimenteller Begründung — welche vorläufig unausführbar ist — wenigstens andeuten durfte. 1) Neuerdings hat HeLmHOLTZ den wichtigen Nachweis geliefert, dass die primär mitschwingenden Theile im Ohre nicht, wie er früher für möglich hielt, die Cor- rischen Bögen sein können, da diese nach C. Hasse den Vögeln fehlen, vielmehr die sehr verschieden dicke und zum Mitschwingen trefflich geeignete Membrana basilaris der Schnecke jene Rolle übernehmen kann (Heidelberger naturhistor. Verein 25. Juni 4869), wie es Hensen zuerst aussprach. Kleinere Mittheilungen. Zoochemische Mittheilungen. Von E. Reichardt. Blut und Harn bei Leukaemie. Die Untersuchung beider Flüssigkeiten von an Leukaemie Erkrankten ist schon wiederholt vorgenommen worden, jedoch sind die mir zu Gebote stehenden Ver- öffentlichungen nur gering an Zahl und mehrfache Angaben noch zu bestätigen, so dass ein weiterer Beitrag nicht unerwünscht sein dürfte. Das Material verdanke ich der freundlichen Uebermittelung durch Prof. GERHARDT. Scuerer 1 fand im Blute Leukaemischer 4) einen dem Leim ähnlichen Körper, 2) einen eiweiss-und leimähnlichen, 3) Hypoxanthin, welches er schon früher in der Milz erwiesen hatte und von Gernarpr? im Ochsenblute nachgewiesen worden war, 4) Ameisensäure, Essigsäure und Milchsäure, gleichfalls von ihm früher in der Milz erkannt. Eine spätere Untersuchung gleichen Blutes ergab Scherer Hypoxanthin, Harnsäure, Milchsäure , Leucin und Ameisensäure 3. Porwarczny4 fand nach Scuerer’s Methode in gleichem Blute nur Milch- und Amei- sensäure, auf Essigsäure konnte nicht geprüft werden, aber weder Leim, noch Leucin, oder Hypoxanthin. MOSLER und Könserd untersuchten Blut, durch Aderlass einer leukaemischen Person entzogen, und fanden darin Eiwe iss, Glutin, Harn- säure, Hypoxanthin, Ameisensäure und Milchsäure, Essigsäure konnte nicht nachgewiesen werden. Dieselben Forscher unterwarfen jedoch auch gleichzeitig den Harn der Untersuchung, fanden jedoch »keine sehr wesentlichen Abweichungen in den Mengenverhältnissen der normalen Harnbestandtheile, der Art, dass daraus auf ein der Leukaemie zukommendes, besonderes Verhalten ge- schlossen werden dürfte«. Moster veröffentlicht endlich 48666 verschiedene Prü- fungen des Harn’s an linealer Leukaemie leidender Personen und es gelang, darin 1) Verhandl. der physic. med. Gesellschaft zu Würzburg 1852, Bd. II, S. 321. 2) ebendas. S. 299. 3) ebendas. 1857, Bd. VII, 125; Archiv für pathol. Anatomie v, Vırcnow Ba. XXV, 186 4) Wien, medic. Zeitschrift 1858. Nro. 29—31. 5) Vrroenow’s Archiv 1862, Bd. XXV, 5. 142. 6) Vironow’s Archiv Bd. 37, 8. 43. Bd. V. 3, 2,8. 142. 390 E, Reichardt, stets auch Hypoxanthin nachzuweisen. Die Bestimmungen anderer Bestandtheile, wie Harnsäure, Harnstoff u. s. w., ergaben keine besonders abnormen Verhältnisse. In dem vorliegenden Falle wurden Harn und Blut auf die hier in Frage ge- stellten wichtigen Bestandtheile geprüft und folgende Resultate erhalten: Harnuntersuchung. 48. Dec., Tagesquantität 4300 C. C. Harnstoff = 2,5 Proc. = pro Tag 32, 5 grm. Harnsäure = 0,08 Proc. = pro Tag 4,04 grm. 49. Dec., Tagesquantum 950 C. C. Harnstoff = 2,85 Proc., pro Tag 27 grm. Harnsäure = 0,44 Proc., pro Tag 1,04 grm. 21. Dec., Tagesquantum 41050 C. O. Harnstoff = 2,61, pro Tag 27;4 grm. Harnsäure = 0,062, pro Tag 0,65 grm. Schon vor diesen Bestimmungen waren ein Paar Untersuchungen desselben Harns auf Hypoxanthin ausgeführt worden und zwar sowohl nach der von SCHERER an- gegebenen Methode mittelst Baryt u. s. w., wie nach der von Körner befolgten (Vircmow’s Archiv Bd. 25, S. 448) durch Auskochen des eingedunsteten Urins mit Alkohol u. s. w. Auf keine dieser Weisen konnte bei den wiederholten Prüfungen, von 400 C. C. Harn und mehr, Hypoxanthin nachgewiesen werden. Harnstoffund Harnsäure finden sich nach den erhaltenen Resultaten in reichlichem, jedoch normalem Verhältnisse vor; die Menge der Harnsäure ist gegen- über dem Harnstoff etwas gesteigert, eine bei Leukaemie oft beobachtete Erschei- nung. Die Reaction der Urinproben war sauer, Eiweiss nicht vorhanden. Blut. Von frisch entnommenem Blute wurden mir 2 Proben zur Verfügung gestellt, davon eine leider nicht auf Hypoxanthin geprüft werden konnte, die zweite war so- fort nach Entnahme mit Alkohol versetzt worden. Die erste Probe wurde nach Verdünnen mit Wasser durch Kochen von den Ei- weisskörpern befreit, die nunmehr sich sehr leicht scheidende Flüssigkeit ergab mit Salpetersäure keinen Niederschlag, dagegen mit Gerbsäure reichlich die Fällung des Leims, dessen Gegenwart überhaupt durch die verschiedenen Reactionen er- wiesen wurde. Bei dem Verdunsten der wässrigen Flüssigkeit verhielt sich dieselbe analog dem Leim, eine weitere Abscheidung eines Eiweiss ähnlichen Körpers (SCHERER) konnte nicht beobachtet werden. Mit Schwefelsäure destillirt, wurden in dem Destillate deutlich die Reactionen der Essigsäure erhalten, nicht diejenigen der Ameisensäure; zweifelhaft waren die Prüfungen auf Milchsäure. Die zweite, direct mit etwa der doppelten Menge absoluten Alkohols versetzte Blutprobe mochte etwa 30 grm. Blut betragen haben; die alkoholische Flüssigkeit war klar, ziemlich farblos, die abgeschiedenen Theile sahen wie durch Kochen ge- ronnenes Blut aus. Es wurde filtrirt und das Filtrat im Wasserbade zur Trockne verdunstet, die geronnene Blutmasse aber nach Schkrer in kochendes Wasser einge- tragen und die nun coagulirten Theile gleichfalls durch Filtriren getrennt. Die zuerst erhaltene alkoholische Lösung ergab schr wenig Rückstand, mit demselben wurde nunmehr das wässrige Filtrat der Blutmasse vereint und abermals zur Trockne im Zoochemische Mittheilungen, 391 Wasserbade gebracht; eine Bildung von Häutchen wurde nicht beobachtet. Der Rückstand wurde mit starkem Alkohol behandelt, wodurch eine weisse, flockige Abscheidung eintrat, abfiltrirt löste sich letztere bis auf wenige Flocken Eiweiss völlig in Wasser auf und ergab eingetrocknet 0,123 grm. Leim, wenigstens stimmten die bekannten Reactionen völlig damit überein. Das alkoholische Filtrat wurde zur Entfernung des Weingeistes verdunstet und der Rückstand mit Schwefelsäure versetzt, wodurch ein gelbes Pulver sich ab- schied, welches auf gewogenem Filter gesammelt und nach dem Trocknen bei 1000C. gewogen 0,055 grm. Substanz ergab. Die Prüfung mit Salpetersäure und Kali er- gaben unzweifelhaft die Reactionen auf Hypoxanthin. Das Schwefelsäure haltende Filtrat wurde der Destillation unterworfen, das Destillat reagirte sauer, reducirte Silberlösung und färbte Eisenchlorid = Ameisen- säure; die Prüfungen auf Essigsäure waren sehr zweifelhaft. Der Destillationsrückstand wurde mit reinem kohlensauren Kalk neutralisirt und das wässrige Filtrat zur Trockne verdunstet, in dem Rückstande liessen sich mikroskopisch keine Krystalle von milchsaurem Kalke erkennen, auch traten sonst keine Reactionen auf Milchsäure ein, dagegen hinterblieb in reichlicher Menge ein anderer stickstoffhaltender Körper, dessen Eigenschaften genau mit einem Zer- setzungsproducte des Albumins übereinstimmten, welches Turret bei der Ein- wirkung von Kali erhielt und das ich vorläufig, der Abstammung wegen mit dem Namen Albukalin, bezeichnen will. Turme, damals Assistent bei mir, untersuchte auf meine Veranlassung die Ein- wirkung von Kali auf Albumin und Vitellin, namentlich um die Menge des dabei auftretenden Ammoniaks zu ermitteln u. s. w. Unter den Zersetzungsproducten fand er einen Körper, welcher in absolutem Alkohol schwer löslich, in starkem Al- kohol (9005) vollständig löslich war; die Menge desselben mochte wohl gegen 42—45 Proc. des genommenen Vitellins betragen. Dieser Körper stellt getrocknet eine bröckliche, braune Masse dar, verbrennt mit dem Geruch der Eiweisskörper und zeigt sich, in dünnen Schichten eingetrocknet, unter dem Mikroskope sehr krystallinisch, den bekannten Rfflorescenzen von Salmiak sehr ähnlich, jedenfalls regulär, so dass man zuerst an die Gegenwart von diesem Ammoniaksalz glaubte, bis die vollständige Abwesenheit von Ammoniak überhaupt erwiesen wurde. Turie fand den Körper frei von Schwefel und erhielt die Formel C8 H8 NO6 + HO, welche derjenigen des Glycocolls nahe zu stehen scheint: Albukalin = CSH8NO6 + HO. Glycocoll = C4H4 NO? + HO. Vielleicht spielt das Albukalin eine ähnliche Rolle bei der Einwirkung von Kali auf Albumin , wie das Glycocoll als Zersetzungsproduct der leimgebenden Materie auftritt. Die von Tarile erhaltenen Reactionen, abgesehen von der Krystallisation, sind : Die wässrige Lösung reagirt schwach sauer und giebt mit 4) schwefelsaurem Kupferoxyd eine intensiv smaragdgrüne Färbung, aber selbst nach längerem Stehen keine Fällung ; 2) salpetersaurem Silberoxyd eine weisse, flockige, bald braun-violett werdende Fällung;; 1) Dies. Zeitschrift 1867. Bd. 3, S. 172. E, Reichardt, Zoochemische Mittheilungen. 3) Platinchlorid einen flockigen, gelben Niederschlag ; 4) salpetersaurem Quecksilberoxyd einen sehr voluminösen, flocki- gen, weissen Niederschlag. Aetznatron bewirkt nach einigem Stehen einen weissen Niederschlag. Sämmtliche Reactionen traten bei dem obigen Körper, aus dem Blute Leukae- mischer erhalten, deutlich auf und eine Prüfung auf Ammoniak ergab die Abwesen- heit desselben. Zu der Destillation, um Essigsäure und Ameisensäure zu erhalten, war nur ein Theil der Schwefelsäure haltenden Flüssigkeit verwendet worden, die zweite Por- tion wurde nachträglich ebenso behandelt und gleichfalls die Gegenwart von Amei- sensäure erwiesen. Der Destillationsrückstand, wie oben mit reinem kohlensauren Kalk neutralisirt, liess abermals nach dem Eindunsten die charakteristischen For- men des milchsauren Kalkes nicht erkennen, dagegen zeigten sich würfelige Formen, welche bei wiederholter Lösung und Krystallisation in dieselben salmiak- ähnlichen Krystalle übergingen und alle Reactionen der Lösung wieder gaben , wie sie von dem Albukalin bemerkt worden sind. Da das Albukalin in bedeutender Menge als Zersetzungsproduct des Albumins oder Vitellins durch Kali erhalten wurde , liegt die Folgerung nahe, dass es öfters in den Flüssigkeiten des thierischen Organismus vorkommen möge, analog den an- deren schon bekannten Körpern, Leucin, Tyrosin ete., und fordert diese Nachwei- sung zu weiteren Prüfungen auf. Die Blut- und Harnuntersuchungen führte mein Assistent, Herr SCHRERMESSER, aus. Zusatz. Blut und Harn, deren Untersuchung Herr College ReıcnArpr vornahm, stammen von einem 43 jährigen Manne, der früher dem Branntweingenusse ergeben , als Oe- konom öfteren Erkältungen ausgesetzt, ohne weitere bekannte Ursache seit drei Jahren Athemnoth bekam, .die im Winter sich steigerte. Juni 4868 bemerkte man zuerst bei einer ärztlichen Untersuchung Anschwellung des Unterleibes. Seither Zunahme dieser Erscheinung, Entkräftung, Oedem der Füsse, Neigung zu Diarrhoe. Bei der Aufnahme am 45. Dec. 1868 fand man die Milz der Mittellinie als grosse Geschwulst um 44,6 Ctm. nach rechts überragend, an verschiedenen Stellen 45—24 Ctm. breit, keine Lymphdrüsenanschwellung. Das Verhältniss der weissen zu den rothen Blutkörperchen ergab sich wie 4 : 2,22 — 4 : 2,66. Die Behandlung bestand in Eisen innerlich und kalten Douchen in der Milzgegend. Letztere verkleinerten den Umfang der Milz messbar. Der Kranke verliess nach wenigen Tagen die Klinik wieder. — ' C. Gerhardt. Electrolytische Versuche. Von Dr. Paul Burckhard. Die Electrolyse wurde meistens in kleinen Porzellantiegeln ausgeführt; für die Schwefelverbindungen wurden gebogene Glasröhren benutzt, welche unten für die Pole kleine Aussackungen hatten. Als Erzeuger des Stroms dienten sechs, nur in einigen Fällen zwölf Bunsen’sche Elemente; als Leitungsanzeiger das einfache Schwefelsäure-Voltameter. Als Pole wurden meist Platin- oder Kupferdrähte, bei den Schwefelverbindungen aber Stifte aus dichter Gaskohle angewandt. Die Electo- „lyse der schwer schmelzbaren Verbindungen wurde über der Flamme eines Glas- hläsertisches ausgeführt. Wismuthoxyd: Bi203, leitet nur, wenn es geschmolzen ist, nicht im unge- schmolzenen Zustande. Wendet man als Pole Kupferdrähte an, so ist nach kurzer Einwirkung, während welcher an der Anode Sauerstoffentwickelung stattfindet, die Kathode mit metallischem Wismuth überzogen. Bei Anwendung von Platindrähten schmilzt das an der Kathode gebildete Wismuthplatin ab. Borax: B407Na?. — Nach den Versuchen von CArscHin und TICHANOWITSCH ! leitet wasserfreie Borsäure selbst den Strom von 950 Elementen nicht; gewöhnliche käufliche Borsäure, welche natronhaltig ist, leitet dagegen den Strom schon bei Anwendung von 40 Elementen. Geschmolzener Borax leitet auch einen noch schwächeren Strom ziemlich gut, an beiden Electroden entwickelt sich dabei Gas, wie schon Farapay angiebt. Das an der Anode entwickelte Gas ist Sauerstoff, das an der Kathode dagegen ein solches, welches an die Oberfläche des geschmolzenen Borax angekommen, mit gelber Flamme verbrennt. Gleichzeitig überzieht sich die Platinkathode mit einem schwarzen, losen Ueberzug. Kocht man mit Wasser aus, so hinterbleibt eine schwarze Masse vom Aussehen des amorphen Bors, welche er- hitzt wie dasselbe verglimmt und zu Borsäure verbrennt, Ausserdem bildet sich Borplatin von so grosser Härte, dass es Glas ritzt. Das an der Kathode zugleich mitauftretende und mit gelber Flamme brennende Gas konnte nichts weiter als Na- triumgas sein; es fragte sich nur, ob die Ausscheidung des Natriums unter diesen Umständen vom Strom bewirkt sei oder aber ob vielleicht das Natrium ein durch die Einwirkung von Bor, resp. Borplatin auf geschmolzenen Borax erzeugtes Neben- product sei. Der Versuch hat die letztere Annahme als die richtige ergeben: denn es tritt genau das nämliche Gas und die nämliche mit etwas Geräusch verlaufende Verbrennungserscheinung auch ohne Mitwirkung des Stroms ein, wenn Borplatin in geschmolzenen Borax getaucht wird. Die Electrolyse des Boraxes verläuft demnach 1) Jahresber. f. 1861. S. 49. 394 Paul Burckhard, so, dass derselbe durch den Strom von fünf Elementen in Natriumoxyd, Sauerstoff und Bor zerfällt. Das Natriumoxyd dient, kann man sagen, nur dazu, die Borsäure zum Electrolyten zu machen, erleidet selbst aber keine Zersetzung. Aehnlich dem Borax verhalten sich die Natriumphosphate, nämlich das Pyro- phosphat und Metaphosphat. Das gewöhnliche Natriumphosphat ist unschmelzbar und leitet selbst glühend den Strom nicht. Natrium-Pyrophosphat, P207Na‘. — An der Anode findet starke Sauer- stoffentwickelung statt, an der Kathode ist ebenfalls Gasentwickelung bemerkbar. Die Blasen des Gases entzünden sich an die Luft tretend und verbrennen mit gelber Flamme, ganz wie es bei der Electrolyse von Borax der Fall ist. Gleichzeitig ent- steht Phosphorplatin, welches nach einiger Zeit als Kugel vom Draht abschmilzt. Eine solche isolirte Kugel enthielt 94 Proc. Platin und 6 Proc. Phosphor. Die Electrolyse verläuft hier also der vom Borax analog: der Strom zerlegt das Salz in Sauerstoff, Phosphor und Natriumoxyd, von welchem ein Theil durch Phosphor re- ducirt wird. Natrium-Metaphosphat, PO3Na, verhält sich genau so wie das Pyro- phosphat. Bei Anwendung einer Kupferkathode wird dieselbe stark angegriffen und aufgelöst; gleichzeitig bildet sich glänzendes, hellkupferfarbenes bis silberweisses, sprödes, krystallinisch erscheinendes Phosphorkupfer. Natrium-Wolframiat, Wo O?Na2, leitet geschmolzen den Strom. Am po- sitiven Pol tritt Sauerstoffgasentwickelung ein, während sich am negativen Pol eine feste krystallinische Masse abscheidet, durch die das vorher leichtflüssige Salz dick- flüssig wird. Dabei wird der Platindraht nicht angegriffen. Nach dem Lösen des unzersetzten Salzes in warmem Wasser, dem etwas Ammoniak zugesetzt worden war, blieb ein blaues, schweres, krystallinisches Pulver, das sich durch die Analyse als blaues Wolframoxyd: W205 erwies. 0,2573 grm, desselben verwandelten sich beim Glühen in 0,2660 grm. Wolframsäure [ber. 0,2665 grm.]. — Demnach verhält sich das Natrium-Wolframiat analog der von Barr electrolysirten Molybdän- und Vanadinsäure!. Natrium-Carbonat, CO3Na?, leitet den Strom sehr gut und wird haupt- sächlich in Kohlensäure und Natriumoxyd unter geringer Abscheidung von Kohle zerlegt. Dabei ist die Gasentwickelung an der Anode so heftig, dass Theile des ge- schmolzenen Salzes aus dem Tiegel geschleudert werden. Halbschwefelkupfer, Cu2S, durch Erhitzen etwas zusammengesintert, leitet den Strom, ohne zersetzt zu werden, in gleicher Weise, wie wenn es kalt angewandt wird. Biantimon-Trisulfid, Sb28S3, leitet den Strom und wird dabei zerlegt in Schwefel und Antimon, welches letztere beim Lösen des unzersetzten Schwefel- antimons in Kalilauge zurückbleibt. 1) Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. CX. S. 276 ff. Eleetrolytische Versuche, 395 Analyse eines Bronce- Ringes aus einem heidnischen Grabe bei Tirschneck, nahe Camburg. Von Demselben. Der ovale Ring war mit einer dicken Rinde Malachit bedeckt, deren qualitative Untersuchung neben Kupfer nur Spuren von Zinn ergab. Er wurde zuerst mecha- nisch alsdann mit Hülfe von Essigsäure und verdünnter Salz- und Salpetersäure vollständig davon gereinigt. Die Farbe des Metalls war die einer hellen Bronce. Die Analyse ergab neben Kupfer und Zinn nur eine geringe Menge von Eisen. Angewandt wurden 0,4694 grm. Substanz, welche mit einer Feile aus der innern Seite des Rings herausgefeilt worden waren, Erhalten wurden 0,1490 grm. Zinn- oxyd, entspr. 0,4474 grm. = 25,03 Proc. Zinn, ferner 0,0025 grm. Eisenoxyd, entspr. 0,00162 grm. = 0,35 Proc. Eisen und 0,4384 grm. Kupferoxyd, entspr. 0,3498 grm. = 74,58 Proc. Kupfer. — Die Bronce enthält demnach : Sn = 25,03 Fe = 0,35 | Cu = 74,58 n 99,96, sie besteht also fast genau aus 4 Th. Zinn und 3 Th. Kupfer. Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allge- meinen und der Hintergliedmaassen der Selachier insbesondere. Von C. Gegenbaur. (Mit Tafel XV u. XVI und 7 Holzschnitt-Figuren.) In vorliegender Arbeit soll eine Reihe von mir bezüglich der Gliedmaassen-Skelete der Wirbelthiere unternommener vergleichend- Anatomischer Untersuchungen eine Ergänzung, und auch, soweit dies für jetzt möglich, einen gewissen Abschluss finden. Durch die von einer kleineren Abtheilung aus begonnene, im Laufe der Jahre über Srössere Kreise ausgedehnte Untersuchung der bezüglichen Theile, ward ich in einer dem Umfange des Forschungsgebietes stets adaequa- ten Weise zur Erkenntniss des Zusammenhanges der, für sich betrachtet, oft sehr complicirt erscheinenden Bildungen geführt, und diese Er- kenntniss hat sich nach Beendigung der hier mitzutheilenden Arbeit mir noch vollständiger erschlossen. Je mehr die Gliedmaassen Organe Sind, an denen die Anpassung an äussere, die Lebensweise des Orga- nismus bedingende Verhältnisse tiefgreifende Modificationen hervorruft, desto wichtiger muss es sein, aus der Menge dieser Umwandlungen das Gemeinsame herauszufinden. Die Untersuchung des Skelets der hinteren Extremitäten von Reptilien liess mich zuerst die schwierigen Verhältnisse des Fuss- skelets der Vögel vergleichend beurtheilen und durch die Entwicke- lungsgeschichte desselben gab sich zwischen beiderlei Abtheilungen eine bedeutungsvolle Verbindung zu erkennen. In den Hintergliedmaassen -einer den Reptilien beigezählten fossilen Form — Compsognathus longip es — konnte eine Mittelstufe zwischen Reptilien- und Vogel- fuss gezeigt werden !). Da die wichtigsten Eigenthümlichkeiten jener Fe a 4) Vergleichend anatomische Bemerkungen über das Fussskelet der Vögel. Archiv f. Anat. u. Physiol. 4863. S. 450—472. Bd. V. A. 27 C. Gegenbaur, Gliedmaassen im Verhalten des tarsalen Abschnittes sich ergeben hatten, ward eine Ausdehnung der Untersuchung auf den Tarsus anderer Reptilien nicht nur, sondern auch der Amphibien und Säuge- thiere veranlasst, welcher Untersuchung eine gleiche bezüglich des bis dahin ebenfalls wenig beachteten Carpus sich anschloss 1). — Es hatte sich darin eine gewisse Gleichartigkeit der ersten Bildung des Fuss- und Armskelets herausgestellt, welche Gleichartigkeit durch divergente Differenzirung von beiderlei Gliedmaassen sich auflöste. Die urodelen Amphibien, dann unter den Reptilien die Schildkröten, liessen die Uebereinstimmung der Skeletbildung von beiderlei Gliedmaassen am vollständigsten erkennen. So konnte eine Grundform des Glied- maassen-Skelets aufgestellt werden, deren Modificationen in Vorder- und Hintergliedmaasse von den Amphibien bis zu den Säugethieren nachweisbar war. Mit jener Grundform waren die Gliedmaassen der Fische nicht zu vereinigen. Es fand sich eine bedeutende Kluft, deren Ueber- brückung um so schwieriger schien, als selbst die Verhältnisse der die Gliedmaassen tragenden Skelettheile der Fische unverständlich waren, und sogar Theile des Brustgürtels als Abschnitte des Armskelets be- trachtet wurden. Daraus ergab sich die Nothwendigkeit einer Unter- suchung des Schultergürtels der Fische. Erst nachdem sich die letzteren Theile als Bestandtheilen des Schultergürtels der höheren Wirbelthiere vergleichbar herausstellten, war die Vergleichung der freien Gliedmaasse möglich. Die dem Gliedmaassengürtel angefügten, die Gliedmaasse selbst stützenden Skelettheile in strahlenartiger Anordnung wurden als Multipla des gesammten Skelets (der bezüglichen Gliedmaassen der höheren Wirbelthiere aufgefasst. Arm- und Fussskelet erschienen so als einfache Gebilde, die unter den Fischen bei den Selachiern je durch zahlreiche homodyname Theile vertreten sind, und bei Ganoiden und Teleostiern eine Rückbildung von der Peripherie her erlitten. Die Be- ziehung des Brustflossenskelets zum Armskelete der höheren Wirbel- thiere konnte demnach nur durch Annahme einer bei letzteren aufge- tretenen Reduction verstanden werden 2). Durch die Kenntniss einer grösseren Anzahl von Brusiflossen- skeleten aus allen Hauptabtheilungen der Fische, gestaltete sich jene noch sehr unbestimmte Vorstellung vom typischen Baue der Brustflosse 4) Untersuchungen zur vergleich. Anat. d. Wirbelthiere. I. Carpus und Tarsus. Leipzig 1864. 2) Ueber den Brustgürtel und die Brustflosse der Fische. Jenaische Zeit- schrift. Bd. I, S. 424—125. Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 399 _ zu einer mehr concreten Form). Bei den Selachiern (und bei Chimären) wurde gefunden, dass eine bestimmte Anzahl von Skeletstücken die Verbindung mit dem Schultergürtel vermittelt, drei Basalia, die je eine Anzahl der knorpeligen Flossenstrahlen tragen. Danach wurden drei Abschnitte am gesammten Flossenskelete unterscheidbar : Pro=, Meso- und Metapterygium. Der letztere Abschnitt ergab sich als der Constantere. Aus leicht verständlichen Modificationen dieser Einrich- tungen konnte das Flossenskelet der Ganoiden, und von diesen wieder jenes der Teleostier sammt seinen zahlreichen Umformungen abgeleitet werden. Es eröffnete sich aber auch ein besseres Verständniss der verwandtschaftlichen Beziehungen zum Gliedmaassenskelete der höheren Wirbelthiere. Durch die Erkenntniss von zwei sich verschieden ver- haltenden Elementen im Flossenskelete der Selachier, nämlich der Ra- dien und der Basalstücke, die als Radienträger fungiren, war der erste Schritt zu jenem Verständniss geschehen. Wenn das Metapterygium, Welches in der Selachierflosse aus einer an das Basale sich anschlies- senden Reihe von Knorpelstücken (der Stammreihe) und lateral daran- gefügten Radien besteht, der constanteste Abschnitt ist, so musste ihm eine grössere Bedeutung zukommen als den beiden anderen Abschnit- ten. Es stand zu erwarten, demselben Theile wieder im Gliedmaassen- Skelete der höheren Wirbelthiere zu begegnen. Die Homologie des letzteren mit einem Theile des Brustflossenskelets der Selachier konnte begründet werden, wenn im Gliedmaassenskelet der höheren Wirbel- thiere eine mit einem Basale beginnende Stammreihe und dieser late- ral angefügte Radien gleichfalls nachgewiesen werden konnten. Der Nachweis dieser Einrichtung wurde geliefert. Damit war die Gontinuität der gesammten Gliedmaassenbildungen der Wirbelthiere dargelegt, und es war namentlich die lange vermisste Verknüpfung der niederen Form- »usvände mit den höheren aufgefunden. Meiner damaligen Auffassung zufolge war die Grundform des Gliedmaassenskelets der höheren Wirbel- thiere im Verhältnisse zur Selachierflosse etwas Rückgebildetes; sie war nur aus dem Metapterygium hervorgegangen, indess Pro- und Mesopte- "ygium der Selachier gänzlich verschwunden waren?). Der Ausbil- a. - 4) Untersuchungen zur vergleich. Anat. d. Wirbelthiere. II. 4. Schultergürtel der Wirbelthiere. 2. Brustflosse der Fische. Leipzig 1865. 2) In dieser Weise habe ich mich auch noch in meinen Grundzügen der vergl. Anat. Zweite Auflage. S. 687 geäussert. Indem ich ausführte, dass das Glied- Maassenskelet der höheren Wirbelthiere aus dem Metapterygium der Selachier ab- geleitet werden könne, habe ich nichts von meiner gegenwärtigen Auffassung Speciell Abweichendes ausgesprochen. Die, wie weiter unten dargelegt werden soll, einzige Differenz liegt darin, dass ich die Gliedmaassen der höheren Wirbel- 27* 400 C. Gegenbaur, dungsgrad des gesammten Flossenskelets hatte sich aber schon inner- halb der Abtheilung der Selachier sehr verschieden ergeben. Durch die ansehnliche Entwickelung des Propterygiums bei den Rochen er- schien das Flossenskelet bei diesen vollständiger als bei den Haien, und demnach mussten, in der Voraussetzung, dass eben jene drei Ab- schnitte primitive seien, im Flossenskelete der Haie Rückbildungen an- genommen werden. Das war in Anbetracht der aus dem übrigen Verhalten beider Selachierabtheilungen hervorgehenden gegenseitigen Beziehungen etwas Befremdendes, und ich gestehe, dass mich das Un- natürliche der Ableitung der Haie aus Rochenformen als Consequenz jener Auffassung oftmals gestört hat. Eine anderweite Lösung war aus dem im Brustflossenskelete der Selachier vorhandenen Befunde nicht leicht zu finden. Als aber auch in dem einer specielleren Vergleichung unterzogenen Gliedmaassen- skelete von Plesiosaurus und Ichthyosaurus wiederum nur auf das Metapterygium beziehbare Einrichtungen gefunden waren!) und be- sonders bei letzterem manche auf niedere Zustände verweisende Ein- richtungen sich ergaben, schien mir nothwendig, die Untersuchung der Selachiergliedmaassen durch sorgfältige Prüfung der hinteren Extremität zu vervollständigen. Diese zum Theil schon früher vorbereitete Arbeit war nun im Stande, die oben angeführte Schwierigkeit zu lösen, und hatte, im Zusammenhalte mit meinen älteren Untersuchungen über das Gliedmaassenskelet, das Ergebniss der Aufdeckung einer für sämmt- liche Wirbelthiere geltenden Grundform dieses Skeletcomplexes. Ich habe meine Arbeit in folgende Abschnitte getheilt: 1) Das Skelet der Hintergliedmaasse der Selachier. 2) Vergleichung der Skelete der Gliedmaassen der Selachier. Nachweis der Grundform für beide. 3) Differenzirungserscheinungen im Gliedmaassen- skelete der Selachier. 3) Das Archipterygium als Grundform des Glied- maassenskelets der Wirbelthiere. thiere in Beziehung auf die Selachier nicht als durch Reduction entstanden ansehe, vielmehr in beiden eine in divergenter Weise vollzogene Weiterentwickelung aus einer gemeinsamen Grundform erkennen muss. 4) Ueber das Gliedmaassenskelet der Enaliosaurier. Jenaische Zeitschrift Bd. V, S. 382—349. (Auf der beigegebenen Tafel (XII) ist Fig. 4 als Fig. 3, Fig. 2 als. Fig. 4 und Fig. 3 als Fig. 2 zu bezeichnen, in Uebereinstimmung mit der Auf- führung im Texte.) Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 401 1) Das Skelet der Hintergliedmaassen der Selachier. Die Untersuchung des Skelets der hinteren Gliedmaassen der Se- lachier beginne ich mit jenem der Haie. Die Verbindung mit dem Beckengürtel vermitteln zwei Knorpelstücke, von denen das eine, län- gere, sich zum grössten Theile im Rumpfe nach hinten erstreckt, und nur mit seinem Ende in die freie Flosse übergeht.. Ich bezeichne es in Uebereinstimmung mit dem ähnlichen Stücke der Brustflosse als Basal- stück des Metapterygiums, als letzteres die jenem angefügten Theile des gesammten Flossenskelets betrachtend. (Vergl. Fig. 1—10. 15. 18. B.) Bei Manchen ist dieses Basale gerade gestreckt (Acanthias) , bei Anderen (Mustelus, Seyllium etc.) wenig, endlich bei noch Anderen (Squatina) mehr gebogen, und dabei an seinem vorderen Theile um ziemliches breiter als gegen das Ende hin. Auf dieses Basalstück folgen noch zwei Stücke (b, 5’) bei Heptanchus (Fig. 3), welche beide zusam- men sich wie ein Radius verhalten, jenen ähnlich, die lateral dem Basalstücke ansitzen. Es ist: von vorne herein nicht bestimmt zu sagen, ob diese beiden Stücke wirklich einen Radius vorstellen, oder ob sie die Fortsetzung des Basale bilden, somit der Stammreihe angehörig sind. Sowohl die formale Uebereinstimmung mit einem Radius, als auch der Mangel an diesen Stücken befestigter Radien, lässt, sie als einen Strahl deuten. Bei anderen Haien (Acanthias, Scyllium, Galeus, Muste- lus) ist an der Stelle der beiden sogar nur ein einziges Stück vorhanden, das wieder dem nächst angeschlossenen noch am Basale sitzenden Strahl überaus ähnlich ist. Bei Squatina (Fig. 4) und manchen Gar- charias (Fig. 10) sind dem Basale gleichfalls noch zwei Stücke (oder mit einem Schaltstücke (8) deren drei), angefügt, die, bis auf das letzte, Radien tragen. Daraus geht hervor, dass sie der Stammreihe ange- hören. Das zweite, oder vordere Basalstück (Fig. 4—10 R) trägt nur eine geringe Anzahl von Radien. Es kann dem Basale des Mesopterygiums der Brustflosse verglichen werden, wenn wir annehmen, dass ein Pro- pterygium fehlt. Ob solches gerechtfertigt ist, wird aus dem Verlaufe der Untersuchung hervorgehen. Vorläufig mag jene Bezeichnung für den fraglichen Skelettheil als provisorisch gelten. Am ansehnlichsten ist dieses Stück bei Heterodontus (vergl. Fig. 18), wo es sich noch eine Strecke weit an die Seite des Basale des Metapterygiums (B) an- . legt, und damit ganz in die Reihe von Radien des letzteren einzutreten scheint. Beachtet man, dass auch die Verbindungsart mit dem Meta- pterygium auf dieselbe Weise wie jene der ächten Radien stattfindet 402 C. Gegenbaur, (vergl. die Abbildung), so wird man keinen Zweifel darüber hegen, dass hier einige Strahlen, oder mindestens einer, mit dem als Basale bezeichneten Stücke verbunden sind. Wir wollen dieses besondere Verhältniss der Verbindung von Radien mit einem Basale einstweilen betonen, da es geeignet sein wird, auf die Natur dieses Basalstückes ein Licht zu werfen. Was die Strahlen betrifft, welche den Basalstücken angefügt sind, so bieten sie im Allgemeinen viel einfachere Befunde als jene in der Brustflosse. Ganz einfach sind sie bei Gentrophorus, wo sie auch durch Kürze sich auszeichnen. In ähnlichem Verhalten stellen sie sich bei Acanthias dar. Bei allen sind Endstücke der Strahlen abgegliedert. Immer trifft sich dies für die vorderen Strahlen, indess die hinteren Radien einfache Knorpelstäbe sind. Die Länge der terminalen Glieder ist zwar sehr verschieden, kommt aber nie dem Basalgliede gleich. Etwas complicirter verhält sich Heptanchus. Die letzten sieben Strahlen sind alle einfach. An den nach vorne zu folgenden Strahlen des Metapterygiums ist wie bei Acanthias das Endstück als besonderes Glied abgesetzt, und an den Strahlen des Mesopterygiums sind je zwei Stücke vom Ende abgegliedert und stellen anscheinend unregelmässige polygonale Plättchen vor. Wenn man von den hintersten, Abgliederun- gen besitzenden Radien nach vorne zu die einzelnen benachbarten Strahlen vergleichend prüft, so wird es nicht schwer, die unregel- mässigen Stücke als Gliedstücke von Strahlen, und auch in bestimmter Beziehung zu letzteren, zu erkennen. Diese Einrichtung scheint im speziellen Verhalten einigem Wechsel zu unterliegen, da an der ander- seitigen Flosse desselben Exemplars eine andere Anordnung der Plätt- chen bei einer anderen Form des bezüglichen Basalstückes sich vor- fand. Eine Vergleichung der diesen Befund darstellenden Abbildung (Fig. 3 A) mit Fig. 3 B wird dies ersichtlich machen. Eine ähnliche Abgliederung von Stücken von den Radien ist bei Heterodontus (Fig. 18) wahrzunehmen. Die hintersten Radien sind ‚ gleichfalls einfach. Dann folgen Radien an denen ein Glied abgesetzt ist, darauf solche mit zwei Endgliedern, endlich Radien mit drei Endglie- dern, die polygonal (meist hexagonal) gestaltet sind, und damit zugleich eine Anordnung eingehen, die bei den Notidaniden auch in der Brust- flosse ihre Verbreitung findet (Untersuch. z. vergl. Anat. II. Taf. IX. Fig. 1.2). Am vorderen Basalstück sind diese Plättchen unmittelbar dem Rande angefügt, ohne Dazwischentreten längerer ungegliederter Strahlstücke. Eine andere Form des Verhaltens der Radien ist bei Squatina (vergl. Fig. 4) vertreten. Die hintersten sind einfach. Darauf folgen Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 403 solche, die in drei Stücke gegliedert sind. Das längste Stück ist das an das Basale stossende. Darauf folgt ein kürzeres, dem ein kleines End- stück ansitzt. An den vorderen Radien tritt eine Verbreiterung ein, so dass die terminalen Stücke sich berühren, und von diesen sind noch kleine Stücke abgegliedert, welche auf einer Strecke den lateralen Rand des Flossenskelets umsäumt halten. Diese weiter gehende Gliederung ist an den vordersten Radien mit einer Dichotomie verbunden. Am sechsten und fünften Radius tritt diese am Endgliede auf, und am drit- ten und ersten ist schon das zweite Glied durch kurze Knorpelpaare vorgestellt, während der erste sehr verkürzte Radius in vier Gliedstücke übergeht). In den bisher beschriebenen Fällen war das Verhalten derart, dass neben dem Basale des Metapterygiums noch ein Basalstück dem Schulter- gürtel ansass, welches man dem Basale des Mesopterygiums der Brust- flosse vergleichen durfte. Bei einer anderen Abtheilung der Haie werden manche der bisher sicher scheinenden Punkte in Zweifel gesetzt. Es sind die Seyllien, welche hieher gehören, dann Mustelus, Galeus, Gar- charias. - Bei Seyllium canicula erscheint das Flossenskelet des Weib- chens aus einem langen, schwach gekrümmten Basale des Metapterygiums gebildet, dem die grösste Zahl der Radien (13) ansitzt, indess ein zweites mit dem Beckengürtel articulirendes Stück drei rudimentäre Radien trägt. Diese sind nur durch je ein unansehnliches Knorpelstück dargestellt (vergl. Fig. 4). Es ist auffallend, dass dieses genau in der- selben Reihe liegt, wie die abgegliederten Endstücke der folgenden Radien. Aehnlich verhält sich auch Seyllium° catulus, das in einem männlichen Exemplare untersucht ward (Fig. 6). Die Untersuchung eines männlichen Individuums von Scyllium canicula (Fig. 5) giebt für die letzterwähnte Eigenthümlichkeit Aufschluss. An der Stelle des bereits als Basale eines Mesopterygiums gedeuteten Knorpelstückes sitzt nämlich nur ein einfacher Radius direct am Schultergürtel. Dieser ist, abgesehen von etwas grösserer Breite, in gar nichts von der Mehrzahl der übrigen Radien verschieden, und besteht wie diese aus einem län- geren Basalstücke und einem kurzen Endgliede, welches dem folgenden Radius dicht angeschmiegt ist. Letzterer reicht nicht bis an das Basale 4) Die von Molin (in der anatomischen Abhandlung: Sullo scheletro degli Squali. Vol. VII delle Memorie dell’ Istituto veneto di Scienze etc. 4860) dargestell- ten Flossenskelete sind auch für die genaueren Verhältnisse der Hintergliedmaassen unvollkommen und sehr ungenau. Von den daselbst aufgeführten, auch von mir untersuchten: Acanthias vulgaris, Mustelus vulgaris, Squatina vulgaris ist keine einzige Darstellung den Anforderungen entsprechend, die man an descriptive Vor- arbeiten stellen muss und wodurch sie allein Werth besitzen. 404 6. Gegenbaur, des Metapterygiums; man kann ihn so als dem ersten Radius ansitzend betrachten, wenn man ihn nicht als ein eingeschaltetes Stück beurthei- len will. Wir haben also bei einem männlichen Seyllium den Vorder- rand der abdominalen Flosse von einem den übrigen Radien gleich erscheinenden Skeletstücke gebildet, indess. bei dem Weibchen ein grösseres plattes Knorpelstück besteht, dem drei Knorpelplättchen, wie sie sonst als Enden von Radien erscheinen, terminal angefügt sind. Dieser Befund beim Weibchen mit jenem des Männchens zusammen- gehalten, führt zu dem Gedanken, dass in dem plattenförmigen Stücke des Weibchens drei verschmolzene Radienstücke bestehen mögen. Die drei Endplättchen erscheinen dabei als unverschmolzene terminale Radien- glieder. Diese Auffassung wird bestärkt durch die Verbindungsweise der Knorpelplatte (Fig. 4) mit dem Schultergürtel und dem Basale des Metapterygiums, dem sie etwas mehr, als sonst die Verbindungsfläche eines Radius einnimmt, angelagert ist. Endlich kann auch noch die bei jener Auffassung sich ergebende nahezu völlige Uebereinstimmung der Radienzahl in beiden Geschlechtern angeführt werden. Fünfzehn zähle ich beim Männchen und dreizehn beim Weibchen, mit jenen drei als verschmolzen angenommenen aber sechzehn. Das Flossenskelet von Mustelus (Fig. 7) giebt für das bei Scyl- lium Erläuterte neue Belege ab. Wie die Brustflosse, zeichnet sich auch die Bauchflosse (bei Mustelus vulgaris) durch ziemliche Breite aus. Diese erscheint schon am Basale des Metapterygiums, dessen Ende ein kurzes, einfaches Endstück trägt. Diesem schliessen sich nach aussen und vorne zu sechzehn Radien an. Zwischen dem Endstück und dem un- tersten Radius, dann zwischen dem fünften und sechsten Radius (von unten aufwärts gezählt), liegt je ein Schaltstrahl, der, schmaler als die übrigen, das Basale nicht erreicht. Diese sämmtlichen Radien sind ein- fach, gegen das Ende etwas verbreitert. Von den übrigen Radien ist ein ansehnliches Endstück abgegliedert, welches sich nach hinten zu krümmt. Den Vorderrand bildet wieder eine grössere, vorne und median ausgebuchtete Knorpelplatte, einem Basale des Mesopterygiums ähnlich. Terminal trägt sie vier Knorpelstücke, zwei vordere kleinere und zwei hintere grösere, beide letzteren in Gestalt und Lagerung genau mit den Endstücken von Radien übereinstimmend. Die Knorpelplatte fügt sich mit einem dünneren Theile einem Ausschnitte des Basale ein, scheint also von diesem getragen zu werden. Bei 'genauerer Vaterin A giebt sich jedoch auch eine Verbindung mit dem Beckengürtel. Somit sind letzterem wieder, wie bei anderen Haien, zwei Skeletstücke der Flosse angelenkt. Von diesen finden wir jedoch wiederum für das Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 405 vorderste Eigenthümlichkeiten, die in ihrer Summe für die Entstehung dieses Stückes aus mehreren mit einander verschmolzenen Radien sprechen. Galeus (G. canis) zeigt die Verhältnisse des in Rede stehenden Abschnittes ähnlich wie bei Scyllium gestaltet (Fig. 8). Das fragliche Vorderstück (R) liegt ganz in der Richtung der folgenden Radien und ist von diesen nur durch grössere Breite verschieden, sowie dadurch, dass es mit dem Beckengürtel articulirt. Gemeinsam mit den Radien ist ihm der Besitz eines terminalen Endstückes, vor welchen noch ein zweites Endstück lagert, so dass auch hier die Vorstellung von zwei unter ein- ander verschmolzenen Radiengliedern Berechtigung empfängt. Nehmen wir hinzu, dass jenes Basalstück auch noch mit einer wenn auch klei- nen Stelle der Basale der Stammreihe verbunden ist, so entfernt sich das Verhalten jenes Stückes nur wenig von jenem anderer Radien. Endlich sei hier noch des hinteren Gliedmaassenskelets von Gar- charias gedacht, wo ich (bei C. glaucus) in dem Verhalten des vor- dersten Randstückes im Wesentlichen dasselbe finde wie bei Galeus. Das fragliche Stück ist nur etwas breiter, legt sich aber mehr ‚dem Basale der Stammreihe an, und trägt ebenfalls zwei Endglieder. Diese Sind eine Verschiebung eingegangen, so dass das zweite mehr dem ersten ächten Radius anzugehören scheint. Vergleicht man jedoch Ra- dien und Endglieder von unten her, so wird man die Zugehörigkeit zweier Endglieder zum vorderen Randstücke als unzweifelhaft erkennen (vergl. Fig. 9). Verschieden hievon und mehr mit Mustelus in Ueber- einstimmung verhielt sich ein anderer Carcharias (spec.?), dessen Bauchflosse in Fig. 10 dargestellt ist. Wir sehen also, wie sich bei einer nicht geringen Anzahl von Haien Einrichtungen des Flossenskelets nachweisen lassen, welche die An- nahme eines Mesopterygiums dadurch zweifelhaft machen, dass sie den hieher beziehbaren Abschnitt des Skelets als aus Radien hervorgegangen darstellen. Vor dem Versuche, hieraus Folgerungen zu ziehen, wird eine Prüfung des Flossenskelets der Rochen zur Herstellung einer breiteren Grundlage zweckmässig sein. Das bei den Haien als Basale des Metapterygiums beschriebene Stück hat auch bei den Rochen (Fig. 44—14. 24. B) den Hauptantheil an der Constituirung des Skelets der Bauchflosse. Es bildet nicht nur den grössten Theil der Stammreihe, sondern es trägt auch die über- wiegende Zahl von Radien, die bei den Rochen fast ausschliesslich dem Metapterygium angehören. Bei Rhinobatus (Fig. 12) ist diese Stammreihe des Metaptery- giums am längsten. Auf das ausnehmend lange, gegen dreissig Radien 406 C. Gegenbaur, stützende Basale folgen noch drei kürzere Stücke (b, b’, b"), die mit einem stark verjüngten abschliessen. Dasselbe ähnelt einem einfachen Radius. Kürzer ist das Basalstück bei Raja, wo es (bei R. Schulzii Fig. 11) nur noch ein Stück in der Stammreihe trägt. Ausser dem Basale des Metapterygiums ist noch ein anderes Stück an der Verbindung mit dem Beckengürtel betheiligt. Dieses Stück stellt beiRaja einen starken, den vorderen Rand der Bauchflosse stützen- den Knorpel vor, der an beiden Enden, besonders am proximalen, ver- dickt ist. Am distalen Ende sitzt ihm ein um zwei Dritttheile kürzeres Stück an, worauf noch kleinere folgen (vergl. Fig. 41 R). Wenn wir die in derselben Richtung gelagerten nächstfolgenden ersten Strahlen des Metapterygiums ins Auge fassen, so wird eine Vergleichung der- selben mit der ebenerwähnten Reihe von Knorpelstücken zu dem Re- sultate führen, in letzteren homologe Theile zu erkennen. Jeder der ächten Radien besteht aus einem dem Basale ansitzenden längeren Stücke; darauf folgt ein kürzeres, schwächeres, und diesem sind immer kleiner werdende Stücke angefügt. Der erste Radius entspricht nicht nur in der Gesammtlänge, sondern auch in der Länge seiner einzelnen Theile dem Verhalten der fraglichen Gliederreihe. Die Art der Gliede- rung ist in beiderlei Theilen dieselbe. Es sind also nur zwei Umstände, welche uns die Deutung jener ersten Gliedreihe noch zweifelhaft er- scheinen lassen können. Der erste beruht in der bedeutenden Stärke des bezüglichen Theils, der andere in der directen Verbindung jener Gliedreihe mit dem Beckengürtel. Das erste Bedenken wird man wohl nicht lange ernstlich aufrecht erhalten können, da es nur auf relative Volumsverhältnisse sich stützt, die unter allen Eigenschaften am wenig- sten ins Gewicht fallen dürfen. Um so belangreicher wird dann das zweite Bedenken : die Articulation mit dem Beckengürtel. Wenn wir für die Radien der Flosse die Verbindung mit einem Basalstücke postuliren, so ist der fragliche Theil allerdings kein Radius, und es wäre dann die Frage zu stellen, ob er nicht eben das Stück re- präsentire, welches wir in der Bauchflosse der Haie, wie in der Brust- flosse der Rochen und Haie als Basale des Mesopterygiums angesprochen haben. Ich glaube nicht, dass ein dringender Grund vorliegt, die Ver- gleichung auf diese Bahn zu leiten, denn erstlich ist das fragliche Basal- stück ohne Besatz mit Radien, da es sich eben nur in eine einfache Knorpelstückreihe fortsetzt; es entbehrt somit den Charakter eines Basalstückes, zweitens ist der oben aufgeführte Charakter der Radien durchaus nicht durchgreifend, denn wir kennen ganz unzweifelhafte wirklich bis zum Schultergürtel reichende Radien in dem Brustflossen- skelete von Raja und Myliobatus. Demzufolge wird auch jene vorderste Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 407 Gliedreihe, die bei Raja ausser dem Basale des Metapterygiums mit dem Beckengürtel articulirt, als ein nur beträchtlich verdickter Radius anzu- sehen sein, und das erste starke Stück dieser Reihe ist das Basalstück eines Radius. Bei einer anderen, mir nicht sicher bestimmbaren Art von Raja fand ich ein ähnliches Verhalten (vergl. Fig. 21), aber in Verbindung mit einem anderen wichtigen Umstande. Zwischen dem Basale des Metapterygiums und dem Basale des vordersten mit dem Beckengürtel articulirenden Radius war eine Lücke bemerkbar, die durch Binde- gewebe ausgefüllt ward. Gegen diese Lücke ragten zwei Radien (der dritte ri und vierte r?) vor, die also das Basale des Metapterygiums nicht erreichten. Auch der zweite Radius (r) ergab sich in diesem Verhalten, trat aber weiter in die Flosse zurück. Für diese drei mit dem Basale des Metapterygiums ausser Zusammenhang befind- lichen Strahlen würde es also nur einer geringen Verlängerung be- dürfen, um sich selbständig mit dem Schultergürtel in Articulation zu bringen, wozu alle übrigen Bedingungen bereits gegeben sind. Für die oben mehrmals versuchte Deutung der vordersten Gliedreihe als Radius ergiebt sich hieraus ein neuer triftiger Grund. Einen von dem bisher aufgeführten verschiedenen Zustand findet man bei Rhinobatus (Fig. 12). Mit dem Schultergürtel artieulirt vor dem Basale des Metapterygiums noch ein anderes Stück, welches nicht so leicht als einfaches Basale eines Radius zu bestimmen ist. Es trägt nämlich an seinem terminalen Ende zwei Radien, oder genauer die Endglieder zweier Radien, und hat vor sich noch zwei Knorpel- Stücke liegen, die den Vorderrand der Flosse vorstellen. Nach hinten schliesst sich ihm ein Radius der Länge nach an, der das Basale des Metapierygiums nicht erreicht, während dies beim nächstfolgenden der Fall ist. Es hat so den Anschein, als ob hier ein Mesopterygium vor- läge, welches drei Reihen trüge; die Vergleichung des fraglichen Stückes mit den Basalstücken der übrigen Radien giebt eine Aufklärung in an- derem Sinne, und nachdem einmal die directe Articulation mit dem Schultergürtel für die. Radiennatur keine Schwierigkeit abgiebt, und zweitens das Verschmolzensein von Radiengliedern zu breiteren Stücken eine häufige Thatsache ist, so werden wir das grössere Articulations- stück naturgemässer gleichfalls aus parallelen Basalgliedern von zwei Radien entstanden uns denken. Die terminal darangefügten Endstücke sind dann die getrennt gebliebenen Reste jener beiden Radien, so dass also im Wesentlichen ein Verhalten besteht, welches jenem von manchen Haien, z. B. Scyllium, Mustelus, Galeus etc. ähnlich ist.” Dass dem grösseren Stücke noch ein dritter Strahl wie angefügt erscheint, hat 408 C. Gegenbaur, seine Erläuterung in dem vorhin für Raja beschriebenen Verhalten zu finden, wo gleichfalls ein verkürzter Radius vorkam. Dieser Zustand ist bei Torpedo noch weiter ausgeprägt (Fig. 13). Das Basale des Metapterygiums verhält sich ähnlich wie bei Raja, und trägt eine grosse Anzahl ziemlich weit von einander abstehender Radien, die ein langes und schlankes Basalglied besitzen, auf welches noch zwei kürzere Glieder folgen. Dem letzten derselben sitzen am grössten Theil der Flosse je zwei kleine Endglieder an. Diese Radien enden also dichotomisch. Am dritten Radius (rt), von vorne her ge- zählt, ist eines der beiden feinen Endglieder viel kleiner als das andere, und am ersten und zweiten ist an der Stelle des Gabelgliedes ein ein- faches zugespitztes Knorpelchen vorhanden. Der erste Radius ist nur dreigliedrig. Das letzte Glied des folgenden Radius ist hier nicht ent- wickelt, dagegen hat das dem vorletzten Gliede des folgenden Radius entsprechende Endglied die Gestalt eines Terminalgliedes. Die Gabe- lung geht also allmählich in die einfachere Endigungsweise über. Den vorderen Rand des Flossenskelets bildet, ähnlich wie bei Raja, ein starkes Knorpelstück, dem aber der erste Radius ansitzt, den wir vor- hin bei einer Raja an entsprechender Stelle beginnen sahen. Was. dort aus diesem Lagerungsverhältniss als möglich gefolgert ward, ist hier in klarer Weise ausgesprochen. Auch das terminale Ende des vorderen Randknorpels (R) ist von Bedeutung. Wir finden da zwei Knorpelstücke, einen vorderen brei- teren platten (r) und einen dicht dahinter liegenden schlanken (r”), ‘ der zwei Endglieder trägt. Die Vergleichung dieser drei dem Rand- knorpel angeschlossenen Glieder mit dem folgenden dreigliedrigen Ra- dius (r?) lehrt, dass erstere (r’) einen dreigliedrigen Radius vorstellen, dessen erstes in den folgenden Radien sehr langes Glied bedeutend verkürzt ist. Dieser Radius wäre demnach der erste auf das Randstück folgende. Seine Verkürzung beträgt ebensoviel, als er mit seiner An- fügestelle am Randknorpel nach der Flossenperipherie gerückt ist. Wenn man beachtet, dass er im Vergleiche mit dem folgenden Radius um ebensoviel kürzer ist, als dieser im Vergleiche mit dem nächsten, dritten Radius, dem ersten der das Basale des Metapterygiums erreicht, so wird die gegebene Deutung der fraglichen Gliedreihe, deren Radius- natur man nur wegen ihrer Kürze anzweifeln könnte, völlig unbedenk- lich sein. Wir haben also zwei am Randknorpel sitzende Radien. Was endlich das Randknorpelstück selbst betrifft, so giebt es sich aus der Vergleichung mit Raja als das erste Gliedstück eines Radius kund, der in seiner ferneren Gliederung rückgebildet ist und von der ganzen Glied- reihe nur noch ein kurzes Stück (r) trägt, jenes, welches vorhin bereits Ueber das Skelet der G@liedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 409 erwähnt wurde. Die Annahme einer Verschmelzung aus zwei in ihren Endgliedern am terminalen Abschnitte noch erhaltenen Radien widerlegt sich sowohl durch die Cylinderform der ersten Knorpelstücke, als auch durch die Uebereinstimmung der zweiten terminalen Gliedreihe in der Folge der Glieder mit einem ganzen Radius. Letzteres sehe ich als den Hauptgrund an, da durch jene Thatsache die Existenz noch eines dem genannten Radius angehörigen Stückes, welches in das grosse Stück aufgegangen sein könnte, wenn auch nicht unmöglich, doch äusserst unwahrscheinlich gemacht wird. An Torpedo reiht sich bezüglich des Bauchflossenskelets Tr y- gon an, doch bestehen hier wiederum einzelne Eigenthümlichkeiten. In der Stammreihe folgen dem ansehnlichen Basale (Fig. 14 B) noch drei allmählich sich verjüngende Gliedstücke, die bis auf das letzte Radien tragen. Bis auf den letzten sind sie sämmtlich gegliedert, und zwar von hinten nach vorne bis zum ersten am Basale sitzenden Radius zunehmend. Die Zahl der einfachen Gliedstücke erhebt sich bis auf Sechs. Jeder dieser Radien endigt dichotomisch. Die Gabeläste wer- den wieder aus mehrfachen Gliedern zusammengesetzt. Der uns am belangreichsten erscheinende Vorderrand des Flossenskelets wird, ähnlich wie bei Torpedo, von einem ansehnlichen zum Becken- gürtel gelangenden Knorpelstücke (R) gebildet, welches beim ersten Anblicke in ein gegabeltes Ende auszulaufen scheint. Die genauere Prüfung lässt aber als Fortsetzung dieses Knorpels nur eine einfach Peripherisch verjüngte Gliedreihe erkennen, vor welcher eine zweite Reihe (R’) liegt. Diese gelangt nicht zum Beckengürtel, ihr Basalstück ist vielmehr nur durch ein ganz dünnes Knorpelchen dargestellt, welches eine Strecke weit dem grossen Knorpel (R) sich anschmiegt, um sich dann zu verlieren. Vor dem sonst (bei Raja und Torpedo) als erster Radius erscheinenden starken Strahl liegt also hier noch ein tudimentärer, der nicht in seinem Basale rückgebildet ist. Darin giebt Sich eine Uebereinstimmung mit Rhinobatus (Fig. 12) zu erkennen, bis dann der vordere Rand gleichfalls einen rudimentären, aber am Basale verdickten Strahl besitzt. Die auf den starken Randstrahl folgenden Radien sind gleichfalls bemerkenswerth. Der erste davon (r) schiebt sich zwischen den Randstrahl und den nächstfolgenden ein, ohne die Articulationsstelle mit dem Beckengürtel zu erreichen, indess der andere Strahl dorthin gelangt, wo er dicht vor dem Basale der Stammreihe, theilweise noch letzterem angefügt, hervortritt. Als Ergebniss der in vorstehender Untersuchung mitgetheilten anatomischen Befunde haben wir einen hohen Grad der Uebereinstim- 410 C. Gegenbaur, mung zu constatiren, welche bei aller Verschiedenheit im Einzelnen obwaltet. Den Hauptbestandtheil des Skelets bildet das als Basale des Metapterygiums unterschiedene Knorpelstück mit den darangefügten Radien. Dieser Theil ist der beständigste. Dem Basale folgt mindestens noch Ein Knorpelstück. Bei den Haien stellt dieses nur einen Anhang des Basale vor, den man leicht für einen letzten Strahl, somit für ein vom Basale verschiedenes Gebilde nehmen könnte. So bei Carcharias, Mustelus, Galeus, Scyllium, Acanthias. Bei Heptanchus (Fig. 3) ist dieses letzte Stück durch zwei repräsentirt, es ist gegliedert, aber die Gliederung spricht in der Art wie sie auftritt, nicht für die Radiennatur. Die nächst- folgenden Radien sind ungegliedert, und wo Gliederung auftritt, wie an den noch weiter nach vorne zu folgenden, ist das terminale Stück das kürzere, während im fraglichen Falle gerade das terminale das längere ist, wir werden also jene beiden Stücke (bb’) nicht als einem Radius angehörig deuten, sondern sie als eine Fortsetzung des Basale betrachten, die mit demselben den Flossenstamm oder die Stammreihe bildet. Was für Heptanchus etwa noch zweifelhaft sein könnte, ist für Squatina (Fig. 1) völlig klar. Das Basale (B) läuft hier wieder mit zwei Stücken aus. Das erste (b) davon ist wie bei Heptanchus kürzer aber so breit wie das Ende der Basale, so dass von einer Deutung als Radius keine Rede sein kann. Völlig wird diese Meinung widerlegt. durch die Verbindung dieses Abschnittes mit Radien. Er stellt sich dadurch ganz in dieselben Verhältnisse, die den Charakter des Basale bilden, und indem auch noch dem letzten Stücke (b’) ein Radius angefügt ist, wird für den ganzen Abschnitt die Zugehörigkeit zum grossen Basale erwiesen. Wir erhalten also die Stammreihe bei den Haien aus min- destens zwei Stücken gebildet. Auf das grosse Basale folgt bald nur _ ein Stück, bald folgen deren zwei. Dieser terminale Abschnitt der Stammreihe geht im männlichen Geschlechte verschiedengradige Modi- ficationen ein, die unten beschrieben werden sollen, und deshalb hier ausser Berücksichtigung bleiben mögen. Bei den Rochen erscheint das Basale in ähnlichem Verhalten. Das zweite Stück der Stammreihe trägt stets eine Anzahl von Radien, und bei Rhinobatus (Fig. 12) ist auch noch ein drittes Stück (b’) in Ver- bindung mit einem Strahl. Zugleich bieten einzelne Theile der Stamm- reihe hier einen mehr unmittelbaren Uebergang, so dass ihre Zusammen- gehörigkeit zu Einer Kategorie von Skelettheilen deutlich hervorgeht. Wir fassen also die genannte Stammreihe als eine Folge von Knorpel- stücken, die sämmtlich Radien tragen können, und von denen das vor- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete, 411 derste, mit dem Beckengürtel articulirende als Basale sich besonders ansehnlich entwickelt. Bei den Rochen und bei Squatina tragen . Mehrere Stücke dieser Stammreihe Strahlen, bei den Haien sind letztere auf das Basale beschränkt, und das einzige Terminalstück erscheint (bei dem Weibchen) in der Gestalt eines Radius (Fig. 4 u. 8 b). Die von dem Flossenstamme getragenen Skelettheile bieten unter Sich zwar mannichfache Besonderheiten, sind aber sämmtlich als Radien deutbar. Wo auffallende Eigenthümlichkeiten bestehen, sind diese aus der Vergleichung mit den benachbarten Theilen verständlich zu machen, so dass an der Gleichartigkeit dieser sämmtlichen Gebilde kein Zweifel haften kann. Sie sind nicht bloss zahlreicher sondern auch reicher gegliedert bei den Rochen, wo sie zugleich schlankere Formen aufweisen, während sie bei den Haien kürzer und nur mit Einem End- gliede versehen sind. Die grössere Breite der einzelnen Radien com- pensirt die geringere Anzahl, und die fast regelmässig erscheinende innige Zusammenfügung der gekrümmten Terminalglieder lässt das ge- sammte Flossenskelet der Haie als ein compacteres Gebilde erscheinen. Es liegt dem entsprechend eigentlich nur dem medialen Abschnitt der Flosse zu Grunde, während der laterale freie, von den sogenannten Hornfäden eine Stütze empfängt. Letztere bilden damit eine Compen- sation für die geringere Ausdehnung des knorpeligen Skelets, dessen Radien bei den Rochen bis zum freien Flossenrande vortreten !). Den im Ganzen wenig complicirten Verhältnissen des grössten Ab- schnittes des Gliedmaassenskelets gegenüber erscheinen die den vor- deren Flossenrand darstellenden Theile schwieriger verständlich, da die verschiedenen Formzustände nicht sofort von einander ableitbar Sind. Wir haben diesen Randabschnitt bald durch eigenthümliche Plattenstücke gebildet getroffen, bald aus Gebilden, welche sich als Radien zu erkennen gaben, und im Wesentlichen nur durch die be- E AE N 1) Eine bei der Brustflosse eines Haies (Centrophorus) bezüglich des compen- Satorischen Verhaltens der Hornfäden gemachte Beobachtung mag hier erwähnt werden. Die Untersuchung beider Brustflossen eines Exemplares ergab bei gleicher äusserer Form eine bedeutende Verschiedenheit der Stützorgane. Dem Knorpel- Skelete der einen Flosse fehlte ein grosser Theil des Endes, so dass das übrige, mit der andern Flosse verglichen, einen durch zwei tiefe bogenförmige Einschnitte markirten Rand besass. Die starken Hornfäden bedeckten nicht ganz die Hälfte der Fläche, die an der andern Flosse von ihnen gebildet ward. Dagegen fand sich an ihrer Stelle eine genau von dem eingeschnittenen Rande des Knorpelskelets be- Sinnende Masse nicht parallel gerichteter, sondern sich durchkreuzender feinerer Fäden vor, welche die fehlenden Theile des Knorpelskelets sowie die starken Fäden ergänzten. Dieser ganze Abschnitt hatte den Anschein einer Neubildung, die nach einem wohl sehr frühzeitig entstandenen Defecte der Flosse aufgetreten war. 412 6. Gegenbanr, stehende Ablösung von der Stammreihe (dem Basale des Metapterygium) sich von den übrigen Radien unterscheiden. Dieser in seiner Beziehung zum Metapterygium einem Mesopterygium ähnliche Theil des Flossenskelets muss eingehender geprüft werden. Entweder ist der vorderste Strahl vom Basale abgelöst und articu- lirt selbständig mit dem Beckenknorpel (Raja), oder es sind Theile anderer Radien mit einander verschmolzen und das daraus entstandene Stück ist bei eingetretener Beckenverbindung noch eine Strecke weit mit dem Basale verbunden (z. B. Mustelus, Carcharias, Weibchen von Scyllium). Endlich ist die Verbindung jenes Knorpelstückes mit dem Basale nur auf eine kleine Stelle beschränkt bei Zunahme der Becken- verbindungsfläche (Heptanchus, Acanthias), und das bezügliche Knorpel- stück ist fast frei, und bildet damit jene Form bei der man ein Mesopterygium zu unterscheidem am leichtesten versucht sein möchte. Die Länge der Verbindungsstrecke mit dem Basale richtet sich nach der Anzahl der mit einander verschmolzenen Radien. Wo gar keine Radien verschmolzen sind, wie beim Männchen von Seyllium und bei Raja, besteht jene Verbindung gar nicht, oder sie ist nur eine tan- gentiale. Grösser ist die Verbindungsstrecke wo zwei Radien ver- schmolzen sind (Carcharias, Galeus) oder drei (Weibchen von Seyllium), oder eine noch grössere Zahl (Heterodontus). Aus dieser Vergrösserung des Knorpelstücks unter Ausdehnung seiner Verbindungsstrecke mit dem Basale der Stammreihe geht hervor, dass die vordere Rand- begrenzung.des Flossenskelets ein relativ festes Verhältniss bildet, und dass das Schwankende in der Flächenausdehnung jenes vorderen Stückes durch eine verschiedengrosse Anzahl der in es eingegangenen Radien, die dem Basale angefügt waren, bedingt ist. Letztere sind es, welche eben die Verbindung mit dem Basale vermitteln und bedingen. Man kann somit sagen, dass jenes vordere Randstück durch die Auf- nahme hinter ihm gelegener Radienabschnitte wächst. Dieses Verhältniss ist jedoch keineswegs streng durchgeführt, denn wie einerseits die Verbreiterung eines einzigen Radius besteht, so findet sich andererseits auch eine Verschmälerung des aus einer Mehrzahl von Radien entstandenen Stückes. Dies trifft besonders den proximalen Theil des Stückes, welches distal noch verbreitert die Endglieder der Radien trägt, aus deren Verschmelzung es hervorgegangen sein muss. Scyllium catulus und Mustelus, auch Carcharias (Fig. 10), geben hiefür Beispiele. Die auf diese Weise ermittelte Genese jenes Knorpelstückes hat - nur für jene Fälle ihre Geltung wo lateral, und damit, in Beziehung zu Radien, terminal angefügte Knorpelplättchen als Reste von Strahlen- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc, 413 enden sich erkennen lassen und von der Entstehung des sie tragenden Knorpelstückes sprechendes Zeugniss ablegen. Unter den oben bereits angeführten Flossenskeleten giebt es noch zwei Kategorien, die anders zu beurtheilen sind. Die erste wird von jenen Formen gebildet wo nur Ein terminales Knorpelplättchen vorkommt, ohne dass ein Grund für die Annahme einer Rückbildung anderer besteht. Das Männchen von Scyllium canicula ist ein Beispiel. Da aus dem ganzen Verhalten her- vorgeht, dass wir es hier mit einem einzigen, nur vom Basale abge- trennten, und etwas verbreiterten ersten Roding zu thun haben, er- ledigt eh dieser Fall auf einfache Weise, und ist oben bereiis so aufgefasst worden. Schwieriger ist die Beurtheilung von Acanthias, Heptanchus und Squatina. Bei Heptanchus (Fig. 3) trägt das vordere Randstück (das wir oben als Basale des Mesopterygiums bezeichneten) Ausser eini- gen terminalen Knorpelplättchen noch drei entschiedene Radien an seinem hinteren, der Flosse zugewendeten Rande, und bei Acanthias sind nur die letzteren Stücke vorhanden. Fünf Radien sind endlich bei Squatina (Fig. 1) jenem Knorpel angefügt. Diese Radien sind also mit dem fraglichen Randstücke auf dieselbe Weise in Verbindung wie die dem anderen Basale angefügten Radien. Sie treten in beiden Fällen schräg zu dem sie tragenden Skelettheile. Man kann nicht einfach an- nehmen, dass das bezügliche Knorpelstück aus der Verschmelzung von Theilen der ihm ansitzenden Radien entstand. Die schräge Richtung der Radien zu diesem Stücke würde dieser Annahme entgegenstehen, denn wo immer im Flossenskelet der Selachier verschmolzene Theile von Radien nachweisbar sind, steht die Längsaxe des frei gebliebenen Theiles des bezüglichen Radius senkrecht auf die Queraxe des ver- schmolzenen Stückes. Dass wir aber etwas auf Radien Beziehbares, weil davon Ableitbares, vor uns haben, dürfte aus dem Verhalten bei anderen Selachiern hervorgegangen sein. Der Befund bei Squatina (Fig. 1) und bei Heptanchus (vergl. Fig. 3B), wo das Randstück mit einem terminalen Knorpelplättchen abschliesst, muss hiebei besonders in Betracht gezogen werden, insofern daraus abgeleitet werden kann, dass das fragliche Randstück ein Theil einer Folge von Knorpelstücken ist, die zusammen einen Radius vorstellen, dass es also aus einem einzigen Radius entstand. Ist diese Annahme ie so kommt diesem Radius, der dann der vorderste ist, eine von den ‚übrigen, sämmtlich mehr oder minder parallel liegenden Radien bedeutend divergente Richtung zu. Für das Vorkommen einer solchen Divergenz des ersten unzweifelhaften Radius kann das Verhalten von Seyllium canicula angeführt werden.‘ Beim Männchen schiebt sich hier Bd. V. 4. 28 414 C, Gegenbanr, zwischen den ersten und zweiten vollkommenen Strahl ein das Basale nicht erreichender Strahl ein, der damit diese beiden Radien aus- einander drängt, und dem ersten Radius eine von den übrigen ver- schiedene Richtung giebt. Noch mehr ausgeprägt ist dies Verhalten bei den Rochen, besonders bei Torpedo (Fig. 13). Damit haben wir für die Erklärung des anatomischen Verhaltens bei Acanthias, Heptanchus und Squatina die Basis gewonnen. Nehmen wir an, dass der vorderste Radius eines aus parallel angeordneten Radien zusammengesetzten Flossenskelets, anstatt durch Einen Radius, durch drei hinter ihm eingeschobene aber nicht zum Basale reichende Radien nach vorne gerichtet würde, und dass jene drei Radien von verschiedener Länge wären, der kürzeste am weitesten nach vorne, der längste nach hinten gelagert, so erhalten wir genau denselben Zu- stand, der bei Acanthias und Heptanchus vorliegt. Bei Torpedo sind zwei Radien (Fig. 13 r! r?) in jener Beziehung zu finden. Der nach vorne gerichtete vorderste Radius trägt dann die hinter ihm einge- schobenen, die in ähnlicher Weise mit ihm verbunden sein können, wie die typischen Radien des Basalstückes der Stammreihe. Wir sehen also in dem Verhalten des Flossenskelets der Rochen, dann unter den Haien bei Scyllium die erste Stufe zu der bei Acanthias und Heptanchus weiter entwickelten Einrichtung. Der bei letzteren modificirte vorderste Radius ist den neuen Beziehungen, die er durch die Anfügung hinter ihm liegender Radien gewann, entsprechend angepasst, und die volu- minösere Entwickelung seines Basalstückes, das bei Acanthias ihn allein repräsenlirt, ist im Einklange mit den an es sich inserirenden Muskel- massen. Am weitesten fortgebildet ist dieses Verhalten bei Squatina, wo das verlängerte vordere Randstück der grössern Anzahl der an es angefügten Radien entspricht. Was bei anderen Selachiern durch Ver- schmelzung von Basalstücken vorderer Radien erreicht wird (Hetero- dontus, Mustelus, Rhinobatus) kommt hier durch Verbreiterung eines einzigen Strahlenstückes zu Stande, und darin treffen Acanthias, Heptanchus und Squatina mit den Rajae überein, wie sehr auch sonst Verschiedenheiten im Flossenskelete sich darbieten. Es ist gezeigt worden, dass das am Vorderrande des Skelets der Hintergliedmaassen befindliche, bei erster Betrachtung dem Basale eines Mesopterygiums ähnliche Stück, aus Radien hervorgeht, dass es ent- weder durch einen modificirten, voluminöser entfalteten Radius vorgestellt wird, oder durch Verschmelzung mehrer Radienstücke entstanden ist. Es ist ferner gezeigt worden, dass die Verbindung dieses Stückes mit dem Beckengürtel keine exclusive ist, indem dasselbe auch noch mit dem Basale der { } I $ Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 415 Stammreihe artieuliren kann, ähnlich wie die übrigen Radien. Wenn wir zu dem Wesen eines derartigen als Radius bezeichneten Skelet- theiles die Verbindung mit der Stammreihe rechnen, so sind jene Radien durch ihre mehr oder minder ausgesprochene Entfremdung von dieser Beziehung auch des Charakters der Radien entkleidet. Hierbei wird die Frage entstehen, ob das neue Verhältniss jener Radien als ein Primäres, oder als ein secundäres zu betrachten sei, ob jene Be- ziehung zum Gliedmaassengürtel eine erst erworbene sei oder nicht. Die Vergleichung mit den übrigen Radien, vor Allem aber die That- sache, dass nicht bloss jener eine Radius, oder jene zu einem Stücke “usammentretenden Radien, zum Beckengürtel vortreten, sondern dass hinter diesen Theilen noch manche andere Radien jenes Verhalten dar- bieten, rechtfertigt die Annahme, dass jene Verbindung des vordersten Skeletstückes mit dem Beckengürtel gleichfalls ein secundärer Zustand sein wird!). Erwägen wir noch das Schwankende der Zahl jener in Rede stehenden Radien, sowie die in manchen Fällen theilweise noch bestehende Verbindung mit dem Basale der Stammreihe (des Metapterygium) so wird unsere Annahme noch gesicherter sich dar- Stellen. Wir werden demnach das ursprüngliche Verhalten in der gleichartigen Verbindung aller Radien mit der Stammreihe erkennen, und in dem Austritte eines oder mehrerer Radien von jener Verbindung eine secundäre, aus einer Differenzirung des gesammten Gliedmaassen- Skelets entspringende Erscheinung sehen. Welche Ursache jene Ab- lösung von Radien bewirkt hat, bleibt unbekannt; möglich ist, dass der am Vorderrande des Flossenskelets inserirten, die Flossen nach vorne “u anziehenden, und besonders bei den Rochen auf die Ausbreitung der Flosse wirkenden Musculatur hiebei eine Rolle zukam. Aber auch eine Vermehrung der Radienzahl, sowie eine Verkürzung der Basale des Flossenstamms kann dabei wirksam gewesen sein. Durch die aus meiner Vergleichung entstandene Auffassung der am Vorderrande des Flossenskeletes gelegenen Radien als aus dem ur- Sprünglichen Verbande getretener und auch sonst differenzirier Ge- bilde, gelangen wir nicht schwer zur Construction einer Grundform dieses Skeletes. (Holzschnitt Fig. 1.) 1) Die Zusammensetzung des Bauchflossenskelets der Selachier aus zwei von einander verschiedenen Theilen hat bereits MECKEL (System d. vergl. Anat. I. S. 304) für Raja angegeben, indem er die Radien von der Stammreihe unterschied und zu ersteren auch den direct mit dem Beckengürtel articulirenden Strahl zuzählt. MrckeL war darin also gegen Cuvier voraus, der in dem Basale eines ersten Strahls Aehnlichkeiten mit einem Femur, und in dem Basale der Stammreihe Aehnlich- keiten mit einer Tibia finden wollte, und demnach die Bezeichnung wählte. 28* 416 0. Gegenbanr, Wir finden diese Grundform durch eine Anzahl an einander gefügter Knorpelstücke gebildet, den Stamm des Flossenskelets, an welchem lateral eine grössere ZahlvonschwächerenKnorpelstücken als Strahlen auf- gereiht ist. 1 Wenn wir die Gliederung als das Resultat einer Differenzirung ansehen, so wird der niederste indifferenteste Zustand sowohl den Stamm der Flosse als auch die Radien aus un- gegliederten Knorpelstäben erscheinen lassen (Fig. I. 4), aus welcher Form die andere, ge- gliederte (Fig. I. 2) unmittelbar abzuleiten ist. Je nach der Zahl der Stücke der Stammreihe, nach der Zahl und Gestaltung der Radien, der Art ihrer Gliederung und der Gestalt ihrer Gliedstücke, ferner je nach der Verbindung einzelner Radienglieder unter einander, und der Ablösung der vordersten vom Basalstücke Kit der Stammreihe: entstehen jene oben ge- schilderten mannichfachen Formzustände, welche die Vergleichung als Modificationen, oder besser als Differenzirungen der Grundform kennen lehrt. N a 7] IR = 2) Vergleichung des Skelets der vordern und hintern Gliedmaassen der Selachier. Nachweis der Grundform für beide. Der Nachweis einer aus der Stammreihe und seitlich angefügten Radien bestehenden Grundform des Skelets der hinteren Gliedmaassen scheint die Vergleichung mit dem Skelete der vorderen zu erschweren. Von den von mir früher an der Brustflosse unterschiedenen drei Ab- schnitten des Gliedmaassenskelets ist nur das Metapterygium an den hinteren Gliedmaassen vertreten, nachdem das was auf ein Mesoptery- gium bezogen werden konnte, und vordem auch so von mir aufgefasst wurde, einer andern Deutung weichen muss. Es fragt sich nun, wie man auf diesen neuen Grundlagen die Ver- hältnisse der vorderen Gliedmaassen mit den hinteren in Verbindung bringen kann. Da das Metapterygium bereits die für die hypothetische Grundform erforderten Einrichtungen an sich trägt, werden vorzüglich Pro- und Mesopterygium in Frage kommen. Genauer formulirt wird die Frage sich so gliedern: Ist das Pro- und Mesopterygium , wie wir es an den vorderen Gliedmaassen kennen, ein neuer, in den Elementen Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etg. 417 der hinteren gar nicht existirender Theil, undYist der Mangel dieser Abschnitte ein einfacher Wegfall, etwa durch allmähliche Rückbildung zu Stande gekommen, oder ist im Skelet der Vordergliedmaasse eine Weiterentwickelung des in den hinteren Gliedmaassen Bestehenden vorhanden. Die erste Alternative hat wenig Aussicht auf affirmirende Begrün- dung, da alle oben gegebenen Darlegungen nur dahin führten, die an- scheinenden Basalstücke eines Mesopterygiums von einfachen oder ver- schmolzenen Radien abzuleiten. Da kraft dieses Nachweises kein iriftiger Grund zur Annahme eines ehemaligen Vorhandenseins eines Pro- oder Mesopterygiums in den Hintergliedmaassen besteht, muss auch die Annahme einer Rückbildung als ungerechtfertigt gelten. Da- mit gewinnt die zweite Alternative, zu der wir uns wenden wollen. Betrachten wir zuerst in wiefern die Wahrscheinlichkeit für diese Alternative spricht, um daraus eine weitere Untersuchung zu motiviren. Es erscheint als eine allgemeine Regel, dass homodyname, ungleichartig entwickelte Körpertheile an den hinteren Abschnitten indifferenter er- scheinen als an den vorderen, dass besonders die Gliedmaassen des Schultergürtels viel reichere Umgestaltungen eingehen als jene des Beckengürtels, an denen sich das ursprüngliche Verhalten länger und vollständiger bewahrt. Ein Blick auf die Vordergliedmaassen der Wirbelthiere lässt die Vielgestaltigkeit derselben gegen die Monotonie der hinteren lebhaft contrastiren. Die durch die Lagerung bedingte Be- ziehung zum Gesammtkörper setzt die Vordergliedmaassen häufiger und intensiver der Umgestaltung durch Anpassung aus, als die Hinter- gliedmaassen, denen im Falle allgemeiner Gleichartigkeit der Leistung stets eine verhältnissmässig untergeordnete Rolle zukommt. Die grössere ‚Divergenz in der Entwickelung des Skelets der Vordergliedmaassen spricht sich nicht minder auch innerhalb engerer Abtheilungen, so schon bei den Selachiern aus, und ebenso sehen wir in den hinteren ziemlich übereinstimmende Verhältnisse, selbst in jenen Gruppen die, wie die Rochen und Haie, einen so verschiedenen Bau des Skelets der Brustflossen aufweisen. Man vergleiche die Abbildungen, die ich von letzteren früher gegeben habe, und ebenso jene, die ich gegenwärtig von den Hintergliedmaassen mittheile. Das Gemeinsame besteht bei den letzteren viel mehr als in der Vorderextremität, bei der ganze Ab- schnitte, die bei der einen Abtheilung vorkommen, in einer anderen fehlten oder verkümmert waren. So sprechen also sowohl die allge-- meinen Verhältnisse von beiderlei Gliedmaassen zu einander, als auch die speciellen Befunde an jenen der Selachier für die Wahrscheinlich- keit, dass in den Hintergliedmaassen der letzteren ein niederer, weil 418 C. Gegenbaur, minder differenzirter Zustand der Gliedmaassenbildung im Allgemeinen vorliegt. Schreitet man nun zum Versuche der Vergleichung des Skelets von beiderlei Gliedmaassen, so werden hiezu verschiedene Wege ge- wählt werden können. Man kann einmal aus dem allen Gliedmaassen von Einer Art Gemeinsamen den Typus der Gliedmaassen aufsuchen, und so die für beiderlei Arten von Gliedmaassen gewonnenen Typen in Ver- gleichung bringen, Da aber hiebei die innerhalb einzelner Abtheilungen auftretenden Verschiedenheiten immer noch zu bedeutend mit in die Wagschale fallen können, ziehe ich einen andern Weg vor, der zugleich der nächste ist. Wenn nämlich die oben gegebene Voraussetzung richtig ist, dass beiderlei Gliedmaassen ursprünglich gleichmässig ge- baute Organe waren, bei denen die Sonderung der Vordergliedmaasse durch Weiterentwickelung der in der Hintergliedmaasse stehen geblie- benen, oder in anderer Richtung entwickelten Einrichtungen vor sich ging, so ist die Möglichkeit vorhanden, dieses selbst bei derselben Gat- tung, ja sogar im Individuum nachweisen zu können. Jene Form wird hiezu am geeignetsten sein, welche die bei anderen offenbar mehr um- gewandelten Einrichtungen weniger verändert hat. Als solche For- men betrachte ich die Rochen, deren hintere Gliedmaasse minder complicirte Verhältnisse des Skelets aufweist, indess auch in der Vor- dergliedmaasse bei aller Verschiedenheit in der voluminösen Entfal- tung viele einfachere Einrichtungen vorliegen. In der hinteren Gliedmaasse von Raja findet vi sich ausser dem fast sämmtliche Radien tragen- den Basalstücke noch ein als Radius nachweis- Sea, barer Theil in directer Gelenkverbindung mit NII I einen freigewordenen Radius erklären (Fig. H R), NII da die Vergleichung mit dem homologen Stücke bei manchen Haien (Scyllium etc.) denselben N NN NUN N N. Radius noch in theilweiser Verbindung mit dem RE nn B >] e i e] ir N iag $ N dem Beckengürtel. Wir konnten diesen als B f Nor RI Basale des Stammes nachwies, in dieser Bezie- A IN NN hung also daselbst einen niederen Zustand auf- NN deckt. Bei einer anderen Raja (Fig. 24) war | Wo jener. vordere Randradius nicht der einzige ausser Verbindung mit dem Basale gerathene. Wir fanden die drei nächsten Radien gleichfalls ausser jenem Zusammenhange, und zwar den zweiten und dritten der- selben mit ihrem proximalen Ende gegen den zwischen dem Basale des Stammes und dem mächtigen Randradius liegenden Raum gerichtet. TEE Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 419 Der erste hinter dem Randradius gelegene Strahl ergab sich dagegen auffallend verkürzt (siehe die Abbildung). Wenn man ihn nicht völlig freiliegend, sondern in Zusammenhang mit irgend einem an- deren Skelettheil der Flosse sich vorstellen wollte, so könnte man ihn in keinem Falle mehr dem Stamme anreihen (mit dem er wohl ursprünglich verbunden war), und dem Beckengürtel liesse er sich ebenfalls nicht anfügen, da er von ihm zu weit entfernt liegt. Es bliebe Somit nichts übrig, als ihn dem Basalgliede des Randradius verbunden Sich vorzustellen. Dass ein Radius nicht mehr die Basalreihe erreicht, sondern sich an den vorhergehenden Radius anschliesst, ist auch bei Rhinobatus u. a. beobachtet, nur ist der Randradius hier nicht in so einfachem Zustande vorhanden. Dagegen ist dies bei Tor- pedo (Fig. 12) der Fall, wo zugleich der bei Raja in seiner Verbin- dung schwankende Strahl (r!) dem starken ersten oder Randradius (R) ansitzt, der ausserdem weiter nach der Peripherie noch einen zweiten Strahl (r?) trägt. In jenem an sich unscheinbaren Verhalten erkenne ich einen sehr wichtigen Umstand, der zur Aufklä- rung der Homodynamie von beiderlei Gliedmaassen JH führen kann. Denkt man sich nämlich an der Stelle Rn i = T QI der beiden bei Torpedo (Fig. II) vorhandenen ver- 5 QQ = p 7 ~ kürzten Radien deren eine noch grössere Anzahl, I so werden dieselben von hinten nach vorne zu in I allmählich abnehmender Länge sein müssen, da ihr 3 NSS proximales Endeimmer weiter gegen das distale Ende 3 | x \ des Randradius (R) vorgerückt, immer weiter von der Basis desselben entfernt sein wird. Diese Radien werden sich so am Randradius in ähnlicher Weise aufreihen, wie die anderen an der Stammreihe des Flossenskelets sich finden. Eine derartige Vermehrung der an den Randradius sich inseriren- den Radien wird zweierlei Verhältnisse des ersteren umändern. Erst- ‚lieh wird dieser Vorgang eine Verlängerung des Flossenskelets bedingen und damit, bei nicht in entsprechendem Maassstabe sich vergrössernder Basis, dem vorderen oder Randradius eine andere Richtung geben. Bei geringerer Radienzahl wird der aus dem mit dem Basale der Stamm- reihe gebildete spitze Winkel in einen rechten Winkel übergehen. Bei bedeutender Zunahme der Radien wird jener Winkel einen rechten überschreiten und immer mehr sich öffnen, bis die Längsaxe des Basale der Stammreihe in jene des nach vorne und dann median gelagerten Randradius sich fortsetzen wird. Die zweite Veränderung des Rand- radius betrifft dessen Beziehung zu anderen Radien. Während in dem bei Raja gegebenen Falle, wo nur Ein Strahl gegen den ersten oder 420 C. Gegenbaur, Randradius gerichtet ist, die Natur der letzteren dadurch nicht oder doch kaum geändert wird, bringt die auf gleiche Weise zu Stande kommende Vermehrung der ihm ansitzenden Ra- 17 dien ihn aus den ursprünglichen Beziehungen und 4- macht ihn zu einer Stütze von Radien, womit der RE geänderten functionellen Bedeutung entsprechend Em sein Volum wächst. Ein Radius wird zum Strahlen- =m träger (Fig. IV. R) und tritt damit in die gleichen B II Verhältnisse, welche nur der Stammreihe (B) der III Flosse anfänglich zukamen. Aus dem Randradius ist III ein der Stammreihe gleichartiges Stück geworden, N dessen mit dem Gliedmaassengürtel artieulirendes N Basalstück dem Basale der Stammreihe ähnlich 4 AN ist, sowie die folgenden Gliedstücke (das Ende EN des ursprünglichen Radius) mit jenen der Stamm- bN x r \ reihe verglichen werden können. Dieses aus einer angenommenen Weiterentwickelung der bei Raja und Torpedo gegebenen Anfänge abgeleitete Verhalten findet bei Squa- tina seinen realen Ausdruck. Der ganze vordere Abschnitt des Skelets der Hintergliedmaasse ist in jene Umformung eingetreten. Dasselbe Stück (R), das wir bei Raja und anderen deutlich als Glied eines Radius sahen, ist zu einem eine Mehrzahl von Radien W p tragenden Basale geworden, das selbst in seiner W / PA gekrümmten Gestalt dem hinteren Basale ähn- Y S n lich ist. e i ass i "hen i R TC er Vom Gliedmaassengürtel gehen in Folge der zz geschehenen Veränderungen zwei Stamm- I ——- reihen aus, die hintere, primitive, und die vor- —--— dere, durch Umwandlung der Beziehungen eines u Radius hervorgegangene. Jede dieser beiden B III ~ Stammreihen beginnt mit einem stärkeren Basal- N stücke und trägt eine Anzahl lateral gerichteter, N Sn in den Flossenkörper verlaufender Radien. N ER Die so zu Stande gekommene Form des i AAS Flossenskelets (Fig. V) entspricht in den Haupt- SHATA punkten dem Skelete der Brustflosse der Rochen. Das hier vorhandene Propterygium (R) ist der durch den umgebildeten Randradius und die angefügten Strahlen repräsentirte Abschnitt. Das Meta- pterygium findet in dem schon vorher unter diesem Namen aufgeführten Abschnitte seinen homodynamen Theil. Es handelt sich also nur noch Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 421 um das Mesopterygium. Wenn dieser Abschnitt durch das Pro- und Metapterygium bestimmt wird, indem er alles dazwischen liegende in sich begreift, so werden wir die zwischen den beiden Basalstücken zur Artieulation mit dem Gliedmaassengürtel gelangenden, oder doch die hier beginnenden, mit keinem der beiden Basalien (des Pro- und Meta- pterygiums) verbundenen Radien als Repräsentanten eines Mesoptery- giums ansehen müssen. Die Zahl der in diesem Falle befindlichen Radien wird eine verschiedene sein können. Wir wissen nun aus dem Verhalten der Brustflosse von- Myliobatus und der Vergleichung der- selben mit jener anderer Rochen, dass solche zum Gliedmaassengürtel vortretende Radien mit ihren proximalen Gliedern unter einander sich verbinden und dadurch platte Knorpelstücke herstellen können (vergl. meine Untersuchungen z. vergl. Anat. II, S. 144). Wenn wir nun schon an der abdominalen Gliedmaasse erfahren, dass einfache Radien direct zum Beckengürtel treten, wenn wir ferner die Thatsache in Be- tracht nehmen, dass Gliedstücke von Radien zu Knorpelplatten ver- schmelzen können, so werden wir ein zwi- schen dem Basale des bereits oben statuirten y Propterygiums und jenem des Metapterygiums N liegendes, lateral in Radien übergehendes, d.h. Radien tragendes Knorpelstück (Fig. VI. R Tr m) ebenfalls als aus mit einander verbunde- = nenGliedstücken von Radien hervorgegangen, ohne Wagniss deuten können. Ein solches == durch CGoncrescenz von Basalglie- ge dern von Radien entstandenes Skeletstück ist das Basale des B III Mesopterygiums. III Wir schen so die Ausführbarkeit der 5 IN Ableitung des vorderen Gliedmaassenskelets b IN von den an der Hintergliedmaasse bestehen- AN den Einrichtungen. Wenn wir zunächst noch bei den Rochen verweilen, so würde der Vorgang in der Kürze in Fol- gendem sich darstellen lassen. Der vorderste Radius richtet sich nach vorne zu, indem die hinter ihm gelegene Anzahl von Radien, die nicht mit dem Basale der Stammreihe verbunden ist, sich vermehrt und all- mählich sich ihm anfügt. Dieser Abschnitt bildet das Propterygium 1). 4) Es ist bemerkenswerth, dass der das Propterygium tragende Radius bei Torpedo noch aus derselben Anzahl von Gliedstücken besteht, welche die meisten der Radien des Brustflossenskelets aufweisen, speciell jene, die an das Basale jener Radien und ans Basale des Meso- und Metapterygiums angefügt sind. 422 C. Gegenbaur, Eine Anzahl direet zum Schultergürtel tretender Radien stellt das Meso- pterygium dar, welches sein Basale durch Verschmelzung von Radien- stücken entstehen lässt. Als Metapterygium erscheint dann der übrige Theil des Flossenskelets, welcher durch den mindest veränderten Abschnitt des ursprünglichen Skelets der Gesammtiflosse vorgestellt wird. Ich glaube hervorheben zu müssen, dass bei dieser Ableitung keine Erscheinung in Anspruch genommen wird, die nicht ihre thatsächliche Begründung hat. Wir haben alle Theile bereits als gegeben vor uns, zum Theil sogar in demselben Verhalten. Was wir zur Construction jener Vergleichung als scheinbar neu in Anwendung brachten, war nur eine Vermehrung von Radien, die wir annahmen. Indem sie aber für die Brustflosse (im Vergleiche zur Bauchflosse) zutrifft, ist diese An- nahme nicht blos eine erlaubte, sie ist eine nothwendige. Nachdem wir das Skelet der Vordergliedmaasse aus einer der der hinteren entsprechenden Einrichtung abgeleitet haben, können wir umgekehrt in dem Skelete der Hintergliedmaasse jene Theile nach- weisen, welche denen der vorderen entsprechen. Ueber das Metapte- rygium der Hintergliedmaasse kann nicht der geringste Zweifel ent- stehen. Es war bereits anfänglich erkannt. Als Propterygium wird bei Raja, Trygon und Torpedo (vergl. Fig. 1 9) der Randstrahl (R) zu gelten haben, und als Mesopterygium die beiden Radien, welche zwi- schen beiden Basalstücken gegen den Beckengürtel gerichtet sind. Bei Rhinobatus fehlt das Mesopterygium wie bei Raja Schultzii, bei Trygon und Torpedo. Das Propterygium wird dagegen von vier Radien ge- bildet, von denen die beiden mittleren ihr erstes Gliedstück zu einem Basale verschmolzen haben. Die Haie liefern Bestätigungen der für die Rochen gewonnenen Auffassungen. Hinsichtlich des Verhaltens des vordersten Abschnittes des Bauchflossenskelets können wir zwei Gruppen unterscheiden, die eine umfasst die Scyllien, Carcharias, Galeus, Mustelus und Hetero- dontus. Hier ist der vordere Flossenrand von einem oder mehreren mit einander verschmolzenen Radien gebildet. Dieses Stück artieulirt stets mit dem Beckengürtel. Nach dem für die Rochen Dargelegten, werden wir dasselbe, sowie die ihm distal verbundenen Theile, als Propterygium deuten müssen. Das Mesopterygium fehlt, wie auch in der anderen Gruppe, die aus Squatina, Heptanchus und Acanthias besteht. Hier finden wir aber in der zu der Längsaxe der Radien bestehenden Winkelstellung der Basale des Propterygiums eine wichtige Thatsache, die an das Verhalten des Brustflosse bei den Rochen anknüpfen lässt. Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 423 Das vordere Basalstück, welches von einem einfachen Radius ab- geleitet wurde, ist bei den genannten Haien vorwärts gerichtet, und hat genau jene Stellung, die wir bei dem Versuche, das Brustflossen- skelet der Rochen als eine Umwandlung der in der hinteren Gliedmaasse bestehenden einfacheren Form‘ zu deuten, postuliren mussten. Am wenigsten ist jenes Verhältniss bei Acanthias vorgeschritten, wo der Winkel gegen das Basale des Metapterygiums ein rechter ist. Den rechten überschreitet er bei Heptanchus und auch bei Squatina um Bedeutendes (vergl. Figg. 1, 2, 3) und besonders bei letzterer bietet Sich eine ziemliche Uebereinstimmung mit dem Skelete der Brustflosse. "Wir können also, alles zusammengefasst, kein Bedenken tragen, jenes vordere Basalstück der Bauchflosse als homodynam mit dem Basale des Propterygiums der Brusiflosse anzusehen. Indem wir einen Abschnitt des Bauchflossenskelets der Selachier mit dem Propterygium des Skelets der Brustflosse vergleichen konnten, und der ganze übrige Theil des ersigenannten Skelets aus dem in der Brusiflosse als Metapterygium unterschiedenen Abschnitte besteht, ist für die Bauchflosse der Selachier das Fehlen eines ausgebildeten Mesopterygiums zu constatiren. Wenn auch, wie oben bemerkt, bei Raja durch einige Strahlen gebildete Andeutungen bestehen, so fehlt doch ein differenzirtes Basale. Darin liegt der wesentlichste Unterschied gegen das Skelet R vH der Brustflosse. Da wir das Mesopterygium mit einer Vermehrung der Radien und Verbreiterung der Flossenbasis in Zu- sammenhang stehen sehen, so können wir das Auftreten jenes Theiles mit einer d 2 Flächenvergrösserung des bezüglichen A IS GliedmaassenskeletsinVerbindungbringen, 7 i vas eine Erscheinung, die aber in der Divergenz der Ausbildung von beiderlei Gliedmaassen begründet ist. Der Mangel eines Mesopterygiums im Skelete der Bauchflosse ist ebensowenig ein Ausfall, als das Vorkommen eines solchen Theiles in der Brustflosse eine absolute Neubildung ist. Während in der Bauchflosse eine geringe Anzahl von Radien die Verbindung mit dem Basale des Metapterygiums aufgiebt, mit dem Schultergürtel in Verbindung tretend, geht in der Brustflosse (Fig. VII) eine grössere Anzahl in dieses Verhalten über, und lässt ihre Basalstücke in zwei Knorpelplatten (R. m) verschmelzen, welche als Basale des Pro- und Mesopterygiums von mir aufge- führt worden sind. Das Mesopterygium ist also wie das Propterygium ee 424 C. Gegenbaur, eine Differenzirung aus einem einfacheren Zustande, der in der Hinter- gliedmaasse ersichtlich ist. Durch die erwiesene Möglichkeit der Ableitung des Skeletes der Brustflosse der Selachier von einer Form, die im Skelete der Bauch- flosse erhalten ist, gelangen wir zu der Frage nach einer Grundform des Gliedmaassenskelets. Für die hinteren Gliedmaassen der Selachier ist eine solche oben bereits aufgestellt worden. Ob dieselbe auch für die Vordergliedmaasse gelten darf, ist Gegenstand einer neuen Erörterung. Die wichtigsten Anhaltspunkte dafür finden wir zwar schon bei den Selachiern gegeben, allein unsere Schlüsse werden sicherer sein, wenn wir ihrer Begründung eine grössere Ausdehnung geben. Ich ziehe daher andere Abtheilungen der Fische in den Kreis der Betrachtung. Da wir ausschliesslich Rückbildungen im Brusiflossen- skelet der Ganoiden und Teleostiern im Vergleiche zu den Selachiern antreffen und da auch im Skelete der Bauchflosse ähnliche Verhältnisse walten, müssen diese Abtheilungen hier ohne Berücksichtigung bleiben. Es sind also nur die Chimären und Dipnoi übrig. Für beide habe ich bezüglich des Skelets der Brustflosse bereits früher Mittheilung ge- macht. Hinsichtlich des Skelets der hinteren Gliedmaasse ist für Lepi- dosiren (Rhinoeryptis) die Uebereinstimmung mit den vorderen in allem Wesentlichen nachgewiesen. Perers ') zeigte, dass beiden ein geglie- derter Knorpelstrahl zu Grunde liege. An diesem finden sich zahlreiche | secundäre Knorpelstrahlen, die an der Brustflosse in der ganzen Länge, an der Bauchflosse nur vom zweiten Drittheile an aufgereiht sind. Was Chimära betrifft, so findet sich das Bauchflossenskelet, wie jenes der Brustflosse, dem der Selachier ähnlich. Mit dem Becken- knorpel articulirt aber nur ein einziges Basalstück (Fig. 20 B). Dieses trägt die knorpeligen Strahlen, und läuft gegen den vorderen Flossen- rand in eine Knorpelplatte (R) aus, die ein eigenthümliches Verhalten bietet. Beim Männchen ist dem Basale ein den sogenannten Copulations- apparat tragendes Stück angefügt, welches, wie der letztere, dem Weib- chen fehlt. In allen übrigen Punkten kommt das Flossenskelet des Männchens mit jenem des Weibchens überein. An dem Basalstück der Flosse zähle ich elf Radien, die beiden hintersten, kleinsten, sind dem vorhergehenden ebenfalls unansehnlichen Radius angeheftet. Alle tra- gen ein vom breiteren Ende abgegliedertes Stück. Zwischen dem End- gliede des 4. und 5., sowie des 5. u. 6. und des 6. u. 7. Radius ist je 4) Archiv f. Anat. u. Phys. 1845, S. 2. newer nennen. Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 425 ein dreieckiges Knorpelstückchen eingeschaltet, welche ich als die eigentlichen Enden der je vorhergehenden Radien betrachte. In der - punktirten Linie ist das angedeutet worden. Längs des ersten freien Radius lagert die mit dem Basale verbundene Knorpelplatte des vor- deren Flossenrandes. Sie trägt lateral drei in der Reihe der terminalen Glieder der Radien liegende Knorpelplättchen, davon das letzte einem durch einen Einschnitt von der Platte theilweise getrennten Theile an- sitzt. Dieser ist nach seinem ganzen Verhalten (vergl. Fig. 20) ein unvollständig mit der Platte verwachsener Strahl, und dient dazu, im Zusammenhalte mit den terminalen Plättchen das ganze von dem Basale ausgehende Knorpelstück (R) als aus verschmolzenen Strahlen entstan- den zu erläutern. Ein mit lateralen Strahlen besetztes Knorpelstück bildet also auch hier die Grundlage des Flossenskelets und lässt die Chimären auch bezüglich der Hintergliedmaasse in der Hauptsache mit den Selachiern übereinstimmen. Das Skelet der Bauchflosse einander sonst ziemlich ferne stehender Abtheilungen, wie Selachier, Chimären und Dipnoi, bietet demnach mit Beziehung auf seine Grundform übereinstimmende Verhältnisse dar. Da wir aber das Skelet der Brustflosse der Selachier von jenem der Bauchflosse ableiten konnten, so ist anzu- nehmen, dass auch in ihm die nämliche Grundform zur Differenzirung gekommen sei, so dass also beiderlei Gliedmaassenskelete aus völlighomodynamen Bildungen hervorgingen. Diese hypothetische Skeletform, die oben bereits für die Hintergliedmaassen dargelegt ward, will ich als Archipterygium bezeichnen (vergl. Holzschnitt Fig. 1). Sie ist uns nicht blos wichtig, weil aus ihr die übrigen Flossen- skelete, sowohl jene der vorderen als jene der Hintergliedmaasse in den genannten Abtheilungen der Fische abgeleitet werden können, sondern weil auch die Gliedmaassen der höheren Wirbelthiere aus ihr hervor- gehen. In letzterer Beziehung ist bereits früher aus der Vergleichung der Gliedmaassen der Amphibien die nöthige thatsächliche Basis ge- wonnen worden. Da aber von den Selachiern her auch die Gliedmaassen- skelete der Ganoiden und von diesen jene der Teleostier ihre morpho- logische Deutung empfangen, so bildet jenes Archipterygium den Aus- gangspunkt für die Gliedmaassenbildung in dem gesammten Stamme der gnathostomen Wirbelthiere. Durchgeht man mit Bezugnahme auf das Archipterygium die vor- züglichsten Formzustände, so müssen wir den Dipnoi die niederste Stufe einräumen. Die Stammreihe ist in beiderlei Gliedmaassen gleich- artig. Die Strahlen stimmen gleichfalls überein, und nur der Mangel 426 C. Gegenbaur, der letzteren am vorderen Abschnitte der Hintergliedmaassen ergiebt eine Verschiedenheit. Bei Chimära besteht an der Hintergliedmaasse eine Verschmelzung von vorderen Radien mit dem Basale des Stammes, welchem nur noch eine geringe Anzahl terminal gegliederter Radien ansitzt. In der Vordergliedmaasse ist ausser dem Basalstück des Stam- mes noch ein zweites Stück zum Schultergelenk gelangt, welches ich als den vordersten Radius betrachte, der als Endglied eine Knorpelplatte trägt. Diese wird entweder aus einem verbreiterten Gliedstücke des ersten Radius, oder aus mehrfachen mit einander verschmolzenen Ra- dien entstanden sein müssen. Sie bildet mit dem sie tragenden Basale und einigen an ihrem Hinterende sitzenden Radien das Propterygium, indess der übrige Theil des Flossenskelets das Metapterygium vorstellt. In diese beiden Abschnitte ist also hier das Archipterygium gesondert worden 1). Für die Selachier ist das Archipterygium an der Hintergliedmaasse gleichfalls am wenigsten verändert. Der vorderste Radius tritt vor der Verbindung mit dem Basale heraus an den Beckengürtel. Er bleibt entweder einfach, wenn auch das Volum seiner Glieder wächst (Raja), oder er verschmilzt wenigstens mit seinem ersten Gliede mit den ent- sprechenden Gliedern nachfolgender Radien. In der Lagerung behält er entweder mit den folgenden Radien parallelen Verlauf, oder er richtet Sich nach vorne, mit den folgenden divergirend. Ersteres ist der Fall bei Mustelus, Scyllium, Galeus, Carcharias, wo Gliedstücke von zwei oder drei Radien zu einem Stücke verbunden sind. Eine Mehrzahl ist bei Heterodontus verschmolzen. Sie stellt das Basale des Propterygiums dar. Der andere Fall ist bei Torpedo, Acanthias, Heptanchus und Squatina gegeben. Der erste, terminal meist rudimentäre Radius trägt 4) In der vorgetragenen Auffassung weiche ich von meiner vor vier Jahren (Untersuchungen z, vergl. Anat. II, S.445) gegebenen Deutung der Theile des Brust- flossenskelets der Chimära ab. Was ich damals als Basale des Mesopterygiums bezeichnete, muss ich, den oben für die Hintergliedmaasse der Selachier gewonne- nen Resultaten gemäss, als Theil eines Radius oder mehrerer Radien ansehen. Durch die Bildung eines Propterygiums bei mangelndem Mesopterygium kommt das Brustflossenskelet der Chimären viel mehr mit dem Skelete der Bauchflosse der Selachier, als mit dem der Brustflosse derselben überein, und zeigt damit einen relativ niederen Zustand. Denkt man sich die ersten Radien des Archipterygiums an den Schultergürtel gelangt und unter bedeutender Verbreiterung in zwei kurze Stücke gegliedert, so erhält man die bei Chimära bestehende Form. Da aber auch möglich ist, dass nur das Basale des Propterygiums jenem ersten Radius angehört, und das zweite Stück aus verschmolzenen, jenem anfänglich getrennt ansitzenden Radien entstand, ist die versuchte neue Deutung keineswegs ganz sicher, Durch jede der beiden Deutungen ist jedoch an’s Archipterygium anzuknüpfen. Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete, 427 als Basale des Propterygiums mehrere (2—5) Radien, das Propterygium ist daher vergrössert. Durch die wechselnde Zahl der das Propterygium zusammensetzenden Radien sind diese Abschnitte des Flossenskelets nicht völlig homolog. Wenn wir auch den vordersten Radius des Archipterygiums als homolog annehmen wollten — was sich kaum für alle Selachier sicher begründen lassen dürfte — so sind in einem Falle mehr, im andern weniger Radien mit ihm verbunden und bedingen damit die Unvollständigkeit der speciellen Homologie. Der nicht zum Propterygium verwendete Theil des Archipterygiums bildet als Meta- pterygium den grössten Theil des Flossenskelets. Im Skelet der Brustflosse ist bei den Rochen der erste Radius des Archipterygiums als Träger einer grösseren Radienzahl bedeutend ent- faltet. Er ist vom Stamme des Archipterygiums weiter abgerückt und lässt dadurch eine grössere Anzahl anderer Radien zum Brustgürtel ge- langen. Bei Trygon hat sich aus verschmolzenen Gliedstücken solcher Radien ein besonderes basales Knorpelstück geformt, welches die zwi- schen Pro- und Metapterygium befindlichen Radien trägt, und mit ihnen einen neuen Flossenabschnitt, das Mesopterygium bildet. Hinter dem Basale des Mesopterygium tritt bei Pristis!) ein einziger Radius (vergl. 4) Bezüglich des Brustflossenskelets von Pristis sei Folgendes bemerkt: Die Brustflosse ist hier durch ihre verhältnissmässig geringe Ausdehnung scheinbar mehr im Anschlusse an die Einrichtungen bei Haien, doch ergiebt schon die ge- nauere Vergleichung des äusserlichen Verhaltens, besonders des vorderen Flossen- randes die Beziehungen zu den näheren Verwandten, den Rochen, zu erkennen. Das Flossenskelet selbst ist damit in vollster Uebereinstimmung. Drei Basalstücke stellen die Verbindung mit dem Schultergürtel her. Das Basale des Propterygiums erscheint als ein ähnlich wie bei Raja gekrümmtes, aber viel kürzeres Knorpelstück, Welches keine Gliederung besitzt (vergl. Fig. 28 R). Das zweite Basalstück (m) ist ihm unmittelbar angeschlossen und stellt eine ungleichseitig dreieckige, mit dem Spitzen Winkel gegen das dritte Basalstück gerichtete, aber dasselbe nicht erreichende Knorpelplatte von unansehnlichem Umfange vor. Zwischen diesem und dem Basale des Metapterygiums liegt Bindegewebe. Das dritte Basalstück {B) ist länger, nur etwas schlanker als das erste, dabei weniger gekrümmt. Es läuft in ein dünneres Endstück aus. : Die Radien der Flosse sitzen sämmtlich an der Seite der Basalia und verlaufen am Pro- und Mesopterygium ziemlich gerade nach dem freien Rande der Flosse, dem bezüglichen Basalstücke fast rechtwinkelig angefügt. Die des Mesopterygium bilden den lateralen Winkel der Flosse, sind somit die längsten. Jene des Meta- pterygiums nehmen allmählich eine schräge Verlaufsrichtung an, richten sich all- mählich in spitzem,Winkel zum Basale, so dass die letzten endlich fast in der Fort- Setzung des Basalstücks zu liegen scheinen. Sie erscheinen alle als einfache, eylin- drische Knorpelstücke, die auf ihrem Verlaufe je nach der Länge verschiedenemale Segliedert erscheinen, bis sie am Ende in mehrere feinere Gliedstücke übergehen. Von der zweiten Hälfte des Propterygiums an halten sich die Radien in ziemlich 428 C. Gegenbaur, Fig. 28), bei Raja mehrere Radien für sich zum Schultergürtel, und bei Myliobatus sind aus solchen Radien einige neue Stücke durch Ver- schmelzung entstanden, so dass also das Mesopterygium mehrere Basalia besitzt. Während ich früher diese Stücke für einander ungleichwerthig hielt, bin ich jetzt durch die bessere Erkenntniss des Verhaltens des Mesopterygiums anderer Ansicht, und sehe sie als auf die gleiche Weise aus gleichartigen Stücken entstandene Theile an. Durch die Entwicke- lung eines Mesopterygiums und eines ansehnlichen Propterygiums tritt der übrige Abschnitt des Archipterygiums als Metapterygium im Flossen- skelete der Rajiden zurück und bildet bei Torpedo sogar den bei weiten kleineren Theil des gesammten Skelets der Gliedmaasse t). gleicher Richtung von einander, die an der Insertionsstelle sehr gering ist, so dass sie sich dort fast unmittelbar berühren. Verschieden hiervon verhält sich die vor- dere Hälfte des Propterygiums, die nur von acht Radien eingenommen wird (vergl. Fig. 28), welche fast um die Hälfte ihres Dickedurchmessers auseinander gerückt sind. Es sind dies zugleich die kürzesten Radien des gesammten Flossenskelets, die ebenso der Gliederung, wie der peripherischen Verjüngung entbehren. Dieser Abschnitt des Flossenskelets ist äusserlich nicht bemerkbar, und trägt also nichts zur Vergrösserung der Flosse bei. Den kurzen spärlichen Strahlen dieses Ab- schnittes kommt somit ein anderer Werth zu als den übrigen, und wenn wir diesen Abschnitt mit dem homologen anderer Rochen, z. B. den Rajae, vergleichen, so werden wir nicht anstehen können, darin eine Rückbildung zu sehen. Das ganze Verhalten dieses Abschnitts bewahrt also noch vollkommen das Typische der Rochenflosse und bedingt durch seine Lage die ventrale Stellung der Kiemen- spalten. Der Rochentypus spricht sich auch in dem Befunde der Basalstücke, vorzüg- lich jenes des Mesopterygiums aus. Sie halten die Mitte zwischen den bei Trygon und bei Raja von mir beschriebenen Einrichtungen (Untersuchungen z. vergl. Anat. d. Wirbelthiere. II, S. 443). Während bei Trygon das Basale des Mesopterygiums an jenes des Pro- und des Metapterygiums stösst, ist dasselbe Basale bei Pristis von jenem des Metapterygiums durch eine ziemliche Schichte Bindegewebes geschieden. Dieses Bindegewebe hindert den directen Eintritt mindestens Eines Knorpelradius zur Verbindung mit dem Schultergürtel. Wir werden uns vorstellen dürfen, dass bei etwas weiterer Entfernung des Metapterygiums ausser jenem einen Radius noch andere näher an den Schultergürtel rücken, und dann erhalten wir die Ein- richtung die bei Raja besteht, wo fünf Radien jene Verbindung erlangt haben. So füllt also die Flosse von Pristis in jener Beziehung eine Lücke aus, und wir können für das Verhältniss der allmählichen Vermehrung der in das Flossengelenk eintre- tenden Stücke eine Reihe formiren, die von Torpedo und Trygon, wo nur die drei Basalia als Verbindungsstücke bestehen, durch Pristis zu Raja, und von da zu Myliobatus verläuft, bei welchem ausser den drei Basalien noch zwei aus je einer grösseren Anzahl verschmolzener Radienglieder gebildete Verbindungsstücke vor- kommen. 4) Bei Torpedo ist das Metapterygium bezüglich des Basale wie bei Trygon, aber die Gestaltung dieses Theiles, der sonst bei Raja, Myliobatus und Trygon Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 429 Unter den Haien ist die Ausbildung der drei Abschnitte bei Squa- tina am vollständigsten, wobei eben der überwiegende Antheil des Metapterygiums am Rlossenskelet diese Form den übrigen Haien näher bringt als den Rochen. Das Archipterygium ist bei dem Ueberwiegen des Metapterygiums in der Brustflosse aller Haie weniger als bei den Rochen modificirt. Am geringsten ist die Modification bei Scymnus, wo sie nur in einer Verbreiterung des Basale sich ausspricht, indem Pro- und Mesopterygium gänzlich fehlen. Von den Uebrigen, soweit sie mir bekannt wurden , fehlt nur bei Centrophorus (Fig. 25) und Heterodontus das Propterygium , welches die Andern, wenn auch nur in einem oft üunansehnlichen Basalstücke, besitzen. Die an dem Skelete der Hin- tergliedmaassen wahrgenommenen Verhältnisse lehren, dass die Ent- Stehung des Propterygiums keineswegs an einen dem der Rochen gleich- kommenden Zustand des bezüglichen Skelets geknüpft ist, dass viel- mehr nur die Modification eines oder einiger Radien jene Bildung her- vorruft. Wenden wir diese Thatsache auf die Vordergliedmaassen der Haie an, so finden wir bei Vergleichung der bezüglichen Skeletab- Schnitte, dass nichts jener Deutung entgegensteht, ebenso wie für das Basale des Mesopterygiums die Annahme einer mit dem der Rochen gleichen oder mindestens ähnlichen Bildung gewiss vorausgesetzt wer- den darf. Prüfen wir diese Verhältnisse näher. (Vergl. dazu die Abbildungen auf Taf. IX des zweiten Heftes meiner Untersuchungen.) In allen Fällen, Wo das Propterygium aus mehr Stücken als aus dem blossen Basale be- sieht, giebt sich die Radiennatur ziemlich deutlich zu erkennen. So bei Acanthias, Galeus, Carcharias, (Fig. 26) Pristiurus, Seyllium. Hemiscyllium (Fig. 27). Die dem Basale folgenden Stücke lassen bei Acanthias und Pristiurus nur einen einzigen Radius annehmen. Bei — übereinstimmt, ist eigenthümlich verschieden und besitzt keine sicheren Spuren einer Entstehung durch Verschmelzung von Strahlengliedern, wie sie an den andern wahrnehmbar sind. Das Stück stimmt in der Form m it dem Basalstück eineseinz igen vergrösserten Radius, und als solches möchte ich es jetzt ansehen. Eswürde also bei Torpedo ausser dem ersten Radius des Archipterygiums Noch ein zweiter zu einem Träger von Strahlen geworden sein. Diese Deutung be- stärkt sich durch die Thatsache, dass an dem nach vorn gerichteten Ende der fraglichen Basale noch ein kleines Knorpelstück liegt, das nur als Gliedstück eines Radius angesehen werden kann, und dann muss es dem Basale des Mesopterygiums Zugetheilt werden. Im speciellen Verhalten ist also die Brustflosse der Zitterrochen von jener der übrigen Rajiden sehr verschieden, und. führt uns auf einen anderen Entwicklungsgang. — Den andern Rajiden schliesst sich auch Pristis an, bei dem hinter dem Basale des Mesopterygiums ein freier Radius sich einschiebt, der so- Mit das Verhalten von Trygon und Raja verknüpft. - Ba. V. 4. 29 $ 430 O. Gegenbaur, : Pristiurus ist allerdings das zweite Gliedstück dieses ersten Radius be- deutend verbreitert, das terminale Gliedstück ist dagegen unverändert. Dem nähert sich Scyllium , an dessen Propterygium-Strahle ausser dem Basale drei Glieder bestehen, davon das mittlere ins Gebiet des Meso- pterygiums übergreift. Zwei Glieder folgen auf das Basalglied bei He- miscyllium (Fig. 27, R). Bei Galeus erscheint das zweite Glied des in Frage stehenden Radius mit dem Mesopterygium angehörigen Radien- stücken zusammengeflossen und nur das Endstück ist rudimentär er- halten. Carcharias scheint im Propterygium zwei Radien zu besitzen, von denen einer mit seinen Endgliedern am vorderen Flossenrand liegt, indess ein Glied des folgenden mit einem Gliede eines Radius des Mesopterygiums zu einer Knorpelplatte verbunden ist. Was das Mesopterygium betrifft, so ist für die Zusammensetzung von dessen Basale aus Radiengliedern nur bei wenigen der mir be- kannten Haie ein sicherer Nachweis zu führen, doch fehlen bei den Meisten Andeutungen nicht ganz. Bei Pristiurus ist das auf das kleine Basale folgende Stück dem entsprechenden Abschnitte des Propterygiums ähnlich, und ist wie dieses mit einem einzigen Endgliede versehen. Wenn wir dasPropterygium von einem Radius ableiten durften, ergiebt sich die gleiche Berechtigung auch für das Mesopterygium. Aehnlich verhält sich Hemiscyllium. Zwischen dem Basale des einem Radius ent- sprechenden Propterygium und dem Metapterygium lagert ein Platten- stück, dem zwei nur theilweise verschmolzene Radienglieder folgen, die mit plattenförmigen Endstücken versehen sind. Es kann kein Be- denken bestehen, dass das ersterwähnte Plattenstück aus den völlig verschmolzenen Basalgliedern jener zwei, terminal noch freien Radien entstand, dass also dem Mesopterygium,, wie wir diesen Abschnitt be- zeichnen dürfen, wenn der noch in Plattenstücke modifieirte Radius (R) das Propterygium bildet, im Ganzen zwei Radien zu Grunde liegen. Dazu kommt endlich das Verhalten der Rochen, das gewiss bei der Beurtheilung der Haie nicht ausser Berücksichtigung bleiben darf. Wenn wir sehen , dass der bei den Rochen schwankende Befund des Basale des Mesopterygiums bei den Haien in constanten Zustand übergegangen ist, so ergiebt sich aus dieser Vergleichung, bei einmal festgehaltener Homologie, dass die für die Entstehungsgeschichte jenes Basale bei den Rochen sich ergebenden Verhältnisse auch für die Haie mit in die Waagschale fallen. Das in Rede stehende Basale ist aber auch für die Haie kein Skelettheil sui generis, sondern durch Umwandlung von Ra- diengliedern entstanden aufzufassen. — Die Ableitung desBrust- flossenskelets der Haie aus dem Archipterygium wird also folgendermaassen darzustellen sein: der erste Radius des Archiptery- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 431 gium ist an den Schultergürtel getreten und bildet mit seinem vordern Glied das Basale des Propterygiums. Bei Squatina richtet sich der erste Radius nach vorne, an seinem ursprünglich hinteren, nunmehr lateralen Rande finden nur Radien ihre Insertion. Bei den übrigen Haien behält derselbe Radius die gleiche Richtung mit den übrigen. Seine Endglie- der bleiben entweder auf derselben Stufe wie die der übrigen Radien, (Seyllium , Hemiscyllium , Pristiurus) oder sie erleiden Rückbildungen (Galeus, Carcharias, Acanthias). Wo das Propterygium nur aus dem Basale besteht (Heptanchus), sind die übrigen Glieder entweder rück- gebildet oder verschwunden, oder es ist ein Stück davon ins Basale des Mesopterygiums mit aufgenommen, und die Endglieder sitzen dann dem Basale des Mesopterygiums an. Welcher von beiden Fällen wirklich be- steht, kann vorläufig nicht entschieden werden. Ebenso zweifelhaft ist Heterodontus. Aus dem Auftreten grosser Knorpelplatten, die in ihren Begrenzungslinien die Spuren der Zusammensetzung aus einer Mehrzahl von Radiengliedern zeigen, ist zu ersehen, dass am vorderen Flossenrand ein ergiebiger Verschmelzungsprozess stattfand. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser zu einem Aufhören der Selbststän- digkeit des gesammten Propterygiums führte, dessen Basale dann mit jenem des Mesopterygiums zu einem Stücke zusammengetreten ist. . Da wir die Basalstücke des Pro- und Mesopterygiums von Radien herleiteten , also von Theilen , die eine vielfach nachweisbare Concres- cenz eingehen, so fällt auf die Vereinigung dieser Theile im Ganzen wenig Gewicht. Es kann aber auch daran gedacht werden, dass jene, Nur zwei Basalia erkennen lassende Form des Brustflossenskelets gleich in dieser Weise entstand, dass nämlich in ähnlicher Weise, wie es im Skelet der Hintergliedmaassen sich findet, nur einer oder weniger Radien “ur Articulation mit dem Gliedmaasengürtel gelangen. In diesem Falle Wird ausser dem Metapterygium nur noch ein Propterygium bestehen. Durch diePrüfung der Brustflosse von Centrophorus wurde ich zu dieser Meinung geführt, indem hier (Fig. 25) vor dem sehr breiten Basale des Metapterygiums (B) nur ein relativ kleines dreieckiges Knorpelstück (R) agert, welches angefügter Radien gänzlich entbehrt. Dieses Verhalten Würde grossartige Reductionen voraussetzen, wenn wir das vordere Randstück auf ein Mesopterygium deuteten, denn dann müsste nicht Nur ein grosser Theil des Mesopterygiums (alle Radienenden), sondern Auch das Propterygium weggefallen sein. Ein einfacheres Deutungs- verfahren lässt uns dagegen in dem fraglichen Randknorpel nur das modificirte Basalstück eines Strahls erkennen, dessen Verän- derung jener anderer, am vorderen Flossenrand befindlichen Ra- dien ganz entspricht. Der Bau des Brustflossenskelets von Centro- 29* 432 C. Gegenbaur, phorus t) bietet zugleich eine Vermittelung der meisten übrigen Gat- tungen mit Scyllium, wo das Archipterygium sich in der Brustflosse un- 4) Das Brustflossenskelet von Centrophorus ist noch in anderer Beziehung sehr wichtig. Dem Basale des Metapterygiums (B in Fig. 25) sitzt ein längliches strahlentragendes Knorpelstück (b) an, an dessen medialem Rand ein zweites ähn- liches (b') angefügt ist. An diesem finden wir wieder, wenn auch nur sehr kurze, Radien und zwar mit denen des ersterwähnten Stückes divergirend. An der Seite dieses zweiten länglichen Knorpels ist ein drittes, viel kürzeres Knorpelstück (b”) gelagert, dem ein viertes noch kleineres folgt. Beide tragen gleichfalls einige kurze Radien. Durch diese radientragenden Stücke und die fast rechtwinkelig abbiegende mediane Richtung von b’ und b” empfängt das Gesammiskelet der Gliedmaassen eine eigenthümliche Configuration, die in manchem mit der von Acanthias, bezüg- lich der medianen Endkrümmung auch mit dem Brustflossenskelete der Carcharias (Vergl. Fig. 26) und der Chimären Achnlichkeit besitzt. Die Frage nach der Ent- stehung dieser Krümmung hängt mit der Deutung der beiden längeren radientra- genden Knorpelstücke (b, b’) zusammen. Ihre Anreihung an das Basale (B), sowie ihre Beziehung zu Radien , lässt gegen ihre Deutung als Gliedstücke der Basalreihe schwerlich ein Bedenken zu. Die bestehende einseitige Ausdehnung, durch welche eine Verbindung mit einer grösseren Radienzahl möglich wird (beide Stücke zu- sammen tragen 43 Radien), muss eine Aenderung der Längsaxenrichtung des End- abschnittes der Basalreihe zur Folge haben. Das ganze Verhalten ist somit ein An- passungszustand der Basalreihe an eine grössere Radienzahl. Indem die Structur des Brustflossenskelets von Centrophorus sich durch die gegebene Deutung der einzelnen Theile erklären lässt, wird uns damit zugleich die Aussicht eröffnet zum Verständnisse eines in dem Brustflossenskelete der Notida- niden vorkommenden eigenthümlichen Verhaltens. An dem medialen Rande des Endes des Brustflossenskelets findet sich sowohl bei Hexanchus als bei Heptanchus ein längliches aber schmalesKnorpelstück, dem auf das Basale des Metapterygiums folgenden, anscheinend der Stammreihe angehörigen Stücke angefügt. Bei Hexan- chus schiebt sich zwischen dieses Stück und die Stammreihe sogar noch ein anderes kleines Knorpelstück ein. Ich habe diese Verhältnisse in meiner Arbeit über die Brustflosse der Fische (Abhandlung z. vergl. Anat. der Wirbelthiere II.) abgebildet, (Taf. IX, Fig. 4 u. 2) mit Enthaltung von jeder beurtheilenden Aeusserung, da der ganze Befund mir damals noch unverständlich war. Wenn wir die vorerwähnten, die fraglichen Knorpel an der medialen Seite tragenden Stücke zur Stammreihe rechnen, die medialen Knorpel aber als Radien betrachten — wie es bei der gege- benen Voraussetzung nicht anders geschehen kann — so wird, bei dem ohnehin nor- malen lateralen Radienbesatz, der Stammreihe eine Art von doppelter Fiederung zukommen. Sie würde nach beiden Seiten, medial und lateral, radientragend ange- sehen werden müssen. Daraus würde aber eine wesentlich andere Grundform des Archipterygiums resulliren, dem ebenfalls eine doppelte Fiederung zukommen müsste. Die Vergleichung mit dem Brustflossenskelete von Centrophorus macht nun eine andere Deutung möglich und rettet zugleich die Aufstellung des Archiptery- giums vor einem sonst schwer zu beseitigenden Einwurfe. Wir erfahren nämlich bei Centrophorus , dass auch Stücke der Stammreihe durch einseitige Entwick- lung der Länge nach neben einander sich lagern können (b, b'). Daraus wird mög- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 433 verändert forterhalten zu haben scheint, da nur ein einziges Basale vorkommt. Versuchen wir die Brustflossenskelete der Haie nach dem Verhalten der Basalstücke zu ordnen, so ist der einfache Zustand von Scymnus voran zu stellen. Das durch verbreitertes Basale ausgezeichnete Archi- pterygium bildet das gesammte Gliedmaassenskelet. Bei Centrophorus ist ein Radius noch zum Schultergürtel getreten. Er ist aber nur im Basale vorhanden. In Heterodontus ist vor dem Basale des Metaptery- giums eine grössere Anzahl von Radien in der Schultergelenk verbin- dung; diese Verbindung vermittelt ein einziges Knorpelstück , welches wir aus der Concrescenz von Basalgliedern jener Radien entstanden betrachten. Bei den Notidaniden bildet ein vorderer Radius ein Basalglied (Propterygium) , hinter welchem ein zweites Basale eine grössere Anzahl von Radien trägt (Mesopterygium). Es bildet den grössern Abschnitt des Flossenskelets. Das Metapterygium ist da- gegen etwas zurückgetreten, und ist auch in seinem Basalstücke verhältnissmässig unansehnlich. Hieran reiht sich Acanthias, bei welchem aber das Propterygium durch seine Endglieder sich deut- licher in seiner genetischen Beziehung zu einem Radius darstellt, in- dess das grosse Basale des Mesopterygiums wieder einer Mehrzahl von Radien entspricht. Ist in diesen Fällen eine grössere Anzahl von Radien ausserhalb directer Verbindung mit dem Reste des Archipterygiums, indem ihre Basalglieder grösstentheils zum Basale des Metapterygiums zusammen- getreten sind, so finden wir in einer anderen Reihe mit dem Bestehen dreier Basalia dennoch ein bedeutendes Ueberwiegen des Metaptery- Siums. Bei Galeus und Carcharias entspricht das Propterygium nur einer ganz geringen Radienzahl. Bei Carcharias glaucus wird es von nur einem Radius vorgestellt, bei G. melanopterus (Fig. 26) besteht es scheinbar aus zweien, indem noch ein Gliedstück eines im Mesoptery- gium liegenden Radius mit ihm (r) verwachsen ist. Auch bei den ae lich, jene median der Stammreihe angelagerten Knorpel der Notidaniden zu ver- stehen , indem man sie für den Rest eines Stückes der Stammreihe deutet. Denkt man sich bei Centrophorus das Stück b% der Stammreihe auf einen schmäleren Knorpelstreif reducirt, und dabei die weiter medianwärts ihnen angefügten Theile (b) sammt den hier ohnehin schon rudimentären Radien gänzlich verschwunden, So geht daraus das bei Heptanchus bestehende Verhalten hervor. Damit kann aus dem Vorkommen jener medialen Knorpel bei den Notidaniden kein Grund für die Annahme einer doppelzeiligen Aufreihung der Radien im Ar- Chipterygium geschöpft werden, es ergiebt sich vielmehr nur , dass das Verhalten von Centrophorus auch in Rückbildungszuständen repräsentirt ist. 434 C. Gegenbaur, Scyllien und bei Pristiurus mindern die beiden vor dem Metapterygium liegenden Basalia nur wenig den Werth der letztern, da sie nur ganz wenigen Radien entsprechen, dreien bei Hemiscyllium, zweien bei Pris- tiurus. Ausser bei Scyllium, von dem wir ausgingen, ist bei den letzt- erwähnten Gattungen das Archipterygium am geringsten modificirt. Im Brustflossenskelet der Haie ist daher eine weitere Differenzirung der bereits im Skelet der Hintergliedmaassen wahrnehmbaren Richtung zu erkennen, und damit eine weitere Entfernung von dem Zustande, den wir i Archipterygium annehmen. Die grösste Verschiedenheit bietet der vordere Randabschnitt, sowohl in Beziehung zum Archipte- rygium , als auch im Vergleich der einzelnen Formen unter sich, wäh- rend im hinteren Abschnitte, dem Metapterygium, der Zustand des Archipterygiums am vollständigsten erhalten ist. Dem Verhalten dieses Vorderrandes bei der Action der Gliedmaassen, die mit diesem Ab- schnitte dem Widerstande des nassen Elementes zuerst zu begegnen hat, sowie den Beziehungen zu der an diesen Theilen sich inserirenden mächtigen Musculatur entsprechen die genannten Umwandlungen voll- kommen, wie auch die Auflösung des Archipterygiums in die drei Ab- schnitte des Pro-, Meso- und Metapterygiums mit der Verbreiterung des Flossenskelets und diese wieder mit einer Steigerung von dessen Lei- stung im Einklange steht. Die Ergebnisse unserer Untersuchung führten uns somit zu einer Bestätigung der oben angenommenen Urform des Gliedmaasenskelets, indem die Vergleichung der einzelnen Formzustände die Abweichungen von dieser Urform als Differenzirung nachweisen konnte. Vorderen wie hinteren Gliedmaassen liegt also gleichmässig die- selbe Skeletform im Archipterygium zu Grunde. 3) Differenzirungserscheinungen im Gliedmaassenskelete der Selachier. Die bei der Vergleichung der verschiedenen Formen des Glied- maassenskelets der Selachier sich ergebenden, die Mannichfaltigkeit der Einzelbefunde bedingenden Erscheinungen verdienen eine nähere Betrachtung. Wenn sie auch dieselben sind, die an andern Skelettheilen, ja noch an den Gliedmaassen höherer Wirbelthiere eine wichtige Rolle spielen, so ist doch hier bei den Selachiern der Grad der Excursion, innerhalb dessen sich die Erscheinung bewegt, um vieles bedeu- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 435 tender. Viele der Erscheinungen sind zugleich einfacher, in ihrer Be- deutung für das Gesammtorgan, in dem sie auftreten, leichter verständ- lich. Dies steht in Zusammenhang mit dem niedern Zustande der Ver- bindung der Skelettheile unter sich, die niemals complicirte Gelenke bilden. Nehmen wir den Ausgang von dem Archiptergyium, das wir uns aus einem den Stamm bildenden und zugleich die Verbindung mit dem Gliedmaassengürtel vermittelnden Knorpelstücke und diesem seitlich angefügten Radien vorzustellen haben, so werden die Modificationen theils den Stamm , theils die Radien betreffen. An ersterem, welcher als Stamm des Metapterygiums fortbesteht, finden wir neben Volums- und Gestaltveränderungen als wichtigste Modification die Gliederung, die entweder aus einer Sonderung des ursprünglich einfachen Knorpel- stückes, oder aus einer Neubildung hinter dem primitiven Knorpel ge- legener Stücke, somit aus einer Art von Sprossung hervorgeht. Belangreicher sind die Modificationen des lateralen, aus den Strah- len bestehenden Abschnitts. Sie lassen sich in folgender Weise dar- stellen. a) Anzahl. Der grosse Breitegrad der Variation tritt schon in der im Flossenskelet vorhandenen Anzahl von Radien hervor. Sie ist am bedeutendsten bei den durch bedeutende Entfaltung des Proptergyiums der Brustflosse angezeichneten Rochen , bei Myliobatus weit über 100 steigend. Auch bei Trygon und Raja noch gross, ist sie am geringsten bei Torpedo, auf 50—60 beschränkt, welche Zahl unter den Haien nur von Squatina überschritten wird. In der Bauchflosse sind wieder die Rajae mit der grössten Radienzahl ausgestattet; man zählt bei Rhi- nobatus 32, bei Raja 26 Strahlen. Sie übertreffen darin die Brustflosse der Haie, bei denen Heptanchus mit 26 Strahlen am höchsten geht. 25 finde ich bei Hexanchus und Acanthias, 21 bei Heterodontus; bei Ga- leus 20, Scymnus 17, und die geringste bei Seyllium (14). In der Radienzahl der Bauchflosse der Haie steht wieder Squatina mit 34 Radien obenan. Heptanchus hat 23, Acanthias 18, Seyllium 15. Das Schwankende der Zahl betrifftnichtblos dieGattungen, Sondern findet sich, wenn auch in geringerem Maasse, innerhalb der Art. Ich habe in dem Brustflossenskelet von Acan- thias vulgaris zweimal 26, einmal 30, und dreimal nur 24 Radien ge- funden, auch bei mehreren Exemplaren von Seyllium canicula ähnliche Schwankungen notirt. Diese Thatsache halte ich für bedeutsam im Vergleiche zu der Beständigkeit des Zahlenverhältnisses, die uns im Skelet höherer Wirbelthiere entgegentritt. Der die Schwankungen in der Zahl der Skeleitheile aufweisende Organismus muss als der 436 C. Gegenbaur, - im höheren Maassstabe veränderbare und damit anpassungsfähigere gelten. b) Gliederung. Das Vorkommen von einfachen Knorpelstäben in gewissen Regionen des Flossenskelets, sowie die Einfachheit dieses Zustandes lässtannehmen, dass solcheKnorpelstäbe dem Archipterygium allgemein zukommen, wie denn derartige Gebilde auch bei den Dipnoi als einzige Radienform fortbestehen. Die Gliederung der Knorpelstäbe in Folgestücke ist somit der Ausdruck einer Sonderung, die in der Regel mit einer gewissen Längenentfaltung verbunden ist. Die Zahl der einem Radius zukommenden Gliedstücke ist sehr ver- schieden. Am reichsten ist sie bei bedeutender Breite des Flossenskelets, wie bei den Rochen. Doch zeigt die geringe Ausbildung der Gliederung an der langstrahligen Brustflosse von Carcharias, dass sie noch von andern Verhältnissen abhängig sein muss. Sie läuft bald gleichmässig durch Reihen von Radien, bald bildet sie unterbrochene Reihen, oder beschränkt diese auf Abschnitte des Skelets. Am einfachsten verhält sie sich an den Radien der Bauchflosse der Haie, die meist nur in zwei, höchstens in drei Stücke getheilt sind. c) Dichotomie. Theilung eines Radius in zwei getrennt endende Strahlen scheint in ziemlicher Verbreitung vorzukommen. Es wird je- doch wahre und falsche Dichotomie zu unterscheiden sein. Die letztere findet sich besonders in der Brustflosse der Haie. Sie entsteht durch Verschmelzung zweier benachbarter Basalstücke von Radien, deren Enden dann getrennt auslaufen. Die Verschmelzung der betreffen- den Glieder ist häufig unvollständig, und auch bei vollständiger Ver- schmelzung bleiben nicht selten Spuren der Trennung fortbestehen. Die wahre Dichotomie ist nur bei Rochen und Squatina vorhanden, und zwar nur in der Peripherie des Flossenskelets, indess die falsche näher an der Basis besteht. d) Gestaltveränderung der Radien ist bei den Haien häu- figer als bei den Rochen vorhanden. Als einfachste Form betrachte ich die eylindrische, die sowohl bei den Rochen in grosser Verbreitung ge- troffen wird, als auch bei Haien an solchen Radien vorkommt, welche noch durch den Mangel von Gliederung einem niedern Zustand ent- sprechen. Letztere Radien finden sich am Ende der Hintergliedmaassen z. B. bei Seyllium (Fig. 5, 6) Carcharias (Fig. 8), Galeus (Fig. 9). Als Modification dieser Form ist die Verbreiterung anzuführen , welche mit einer Minderung der Radienzahl verbunden zu sein scheint. Sie trifft den Radius entweder gleichmässig in seiner ganzen Länge, oder nur das Ende desselben. Eine gleichmässige Verbreiterung besteht z. B. an den vordern Radien der Brustflosse von Hexanchus, an den meisten Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 437 Radien der Bauchflosse von Mustelus (Fig. 7) und manchen andern. Die terminale Verbreiterung ist die häufigste, in beiderlei Gliedmaassen vorkommend. Sie geht bei gegliederten Radien auf die Gliedstücke über und lässt die distalen Glieder sich aneinander schliessen, während die proximalen Radienstücke (Basalstücke) bei schlanker Gestaltung durch Interradialräume von einander getrennt sind. Beispiele dieser terminalen Verbreiterung an ungegliederten Radien bietet dieBauchflosse von Mustelus (Fig. 7). An gegliederten Radien ist sie sehr ausgeprägt in der Brustflosse von Heterodontus, Galeus und Seyllium. Bei be- deutender Verbreiterung der Gliedstücke von Radien kommt es zur Plat- tenbildung. Die Glieder geben dabei allmählich ihre Beziehungen zu Radien auf und bilden fünf- oder sechsseitige Tafeln. In der Brustflosse von Heterodontus und der Notidaniden ist dieser Vorgang vom Meta- pterygium auf das Mesopterygium in allen Uebergängen verfolgbar. Im Skelete der Bauchflosse findet er sich seltener vor, z. B. am Proptery- gium von Heptanchus und Squatina. e) Veränderung der Richtung. Der einfache Formzustand der Radien äussert sich auch in der Anordnung am Stamm des Flossen- skelets. Die einfachen Radien in der Bauchflosse der Rochen sind Srösstentheils parallel aufgereiht, ähnlich den Knorpelfäden in den Gliedmaassen von Lepidosiren. Eine Divergenz macht sich erst am hinteren Flossenabschnitte geltend, wo die letzten Radien sich gegen die verlängerte Längsaxe des Stammes zu richten beginnen, und das Flossenskelet entweder noch über den Stamm hinaus nach hinten zu fortsetzen, oder mit dem Ende des Stammes parallel sich lagern. Die Interradialräume sind in diesen Fällen bei der terminalen Verjüngung der Radien immer an der Peripherie des hinteren Flossentheiles in ziem- licher Ausdehnung zu finden, während sie am vorderen Abschnitte der Flosse von gleicher Breite sind. Von dieser Art der Verschiedenheit in der Richtung der Radien sind zwei andere Fälle zu trennen, die eine Divergenz von Radien herbeiführen, und unserer Betrachtung näher liegen, da sie aus der Beschaffenheit der Skelettheile selbst hervorgehen. Der eine Fall von Divergenz der Radien wird durch terminale Verbrei- terung der Radien bedingt. Mit dünnen Basalstücken dicht aneinander Sereihte Radien müssen aus der parallelen Lagerung in die divergirende übergehen, wenn sie gegen das distale Ende zu breiter werden. In sehr vielen Flossenskeleten ist dies der Fall. In der Brustflosse von Hexanchus, von Scyllium und von Squatina ist diese Divergenz sehr auf- fallend. Dasselbe Resultat wird bei Rochen (Torpedo) durch die ter- minale Dichotomie erreicht. Der weitere Fall von Veränderung der Richtung erscheint durch 438 C. Gegenhaur, Auftreten neuer, kürzerer Radien zwischen anderen bedingt. Ob diese den Stamm nicht erreichenden Radien wirkliche Neugebilde sind, oder Radien, die die Verbindung mit dem Stamme verloren und demnach nur zwischen andere Radien eingeschoben sind, muss noch offene Frage bleiben. Am Ende der Bauchflosse von Mustelus (Fig. 7) findet sich ein hierher gehöriges Beispiel, ferner am Vordertheile derselben Flosse von Seyllium (Fig. 5), wo der vorderste Radius gegen den zweiten vollständigen durch ein keilförmiges Einschiebsel divergirt. Dieselbe Divergenz ergiebt sich auch für den ersten Radius von Torpedo (Fig. 12, R). Die Divergenz dieses ersten Radius (R) mit den übrigen Radien muss zunehmen mit der Vermehrung der auf ähnliche Art hinter ihm auftretenden , aber nicht zum Flossenstamm gelangenden Radien. Diese werden dann an dem erwähnten ersten Radius (R) sich aufreihen müssen und damit den genannten Radius in andere Beziehungen bringen. (Vergl. oben S. 419) Somit geht aus der allmählichen Ablen- kung aus einer früheren Richtung ein ganz neues Verhältniss hervor, das zu einer Sonderung des Pro- und Mesopterygiums aus dem Archi- pterygium hinführt. Die ersten Anfänge dieses Verhaltens ergiebt das Bauchflossenskelet; am weitesten ist es da bei Squatina vorgeschritten und im Brustflossenskelet der Rochen erlangt es die höchste Stufe. f) VeränderungeninderAnfügungderRadien. Siemachen sich dadurch geltend, dass der. vorderste Radius vom Stamm abgelöst ist und direct mit dem Gliedmaassengürtel sich verbindet. Im Skelete der hinteren Gliedmaassen ist diese Ablösung in verschiedenen Stadien anzutreffen. Bei Haien (Scyllium, Fig. 5, Mustelus, Fig. 7) ist der erste Radius (R) noch in theilweiser, aber sehr deutlicher Verbindung mit dem Flossenstamm,, oder die Verbindung beschränkt sich nur auf eine kleine Stelle (Galeus, Fig. 9). Unter den Rochen ist sie bei Raja (Fig. 10) ganz geschwunden, der erste Radius (R) artieulirt nur mit dem Beckengürtel. Diesen Weg finden wir auch von andern Radien betreten. Er wird angebahnt durch die Entfernung des ersten Radius von der Anfügestelle des Flossenstammes, so dass mehrere Radien Awi- schen beiden Skeletstücken zum Schultergürtel gelangen können. In der Brustflosse der Rochen treffen wir Beispiele hierfür. Bei Vermeh- rung dieser Radien bildet sich die sub e aufgeführte Lageveränderung des ersten Radius aus, wobei eine Anzahl von Radien jenem ersten Ra- dius sich anfügt, damit also wieder in andere Beziehungen tritt. Die Anfügestellen der Radien sind also dreierlei. Endlich finden sie sich an dem Stamme des Archipterygiums, an jenem Abschnitte, der später das Metapterygium bildet. Zweitens treffen wir sie direct am Glied- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. 439 maassengürtel, das Mesopterygium bildend, und endlich drittens an einem zum Radienträger gewordenen Radius als Propterygium. 8) Verschmelzung (Concrescenz) von Radien trifft nur. die Gliedstücke derselben. Zwei oder mehr parallel gelagerte Glieder ver- binden sich unter einander zu einem Plattenstück. Am häufigsten sind basale Glieder in diesem Zustande anzutreffen und bilden dann nicht selten die falsche Dichotomie (siehe sub c), selten sind es terminale, mit denen immer eine Verschmelzung der. betreffenden Basalabschnitte vorkommt. Die Verwachsung lässt häufig deutliche Spuren zurück. Wir erkennen diese entweder in dem Verhalten der Plattenränder, oder an der Oberfläche der Platte, durch das Fortbestehen des den ur- Sprünglichen Gliedern zukommenden Relief ausgedrückt. Aucheine nur theilweise Goncrescenz ist zu beobachten, z. B. am Mesopterygium der Brustflosse von Scyllium. Am häufigsten findet sich die Goncrescenz am Propterygium der Brustflosse der Haie. Der wichtigste Fall von Concrescenz findet sich am Mesopterygium der Brustflosse. Bei den Rochen bildet sich aus den Basalgliedern eine Anzahl am Brustgürtel articulirender Strahlen, ein Plattenstück, (meh- rere bei Myliobatus),, welches auch bei Haien, aber mit Verlust der Verschmelzungsspuren vorkommt. Es wird zum Basale des Mesoptery- Siums und erscheint dem Basale des Pro- und des Metapterygiums assimilirt. Die Bildung sowohl dieses meist sehr ansehnlichen Basale, als auch die anderer Plattenstücke, kann mit den functionellen Verhält- I nissen der Flossen in Verbindung gebracht werden, welche zwei an der Flossenbasis massivere Skelettheile erheischen. Auch dieGoncres- cenz zeigtsich innerhalb der Artin grosser Variation, wie : ich besonders bei Scymnus fand. An den von drei Exemplaren unter- suchten Brustflossenskeleten besass jedes einige Abweichungen, die in einer Verschmelzung der Basalia von Radien begründet waren. h) Veränderungen des Volums der Radien sind in einem und demselben Flossenskelet, vorzüglich am vorderen und hinteren Ende wahrnehmbar. Wie am vorderen Flossenrande meisteine Volums- zunahme besteht, ist am hinteren häufig eine Abnahme wahrnehmbar, die selbst in bedeutendere Rückbildungen übergeht. Die erwähnte Zu- nahme des Volums erstreckt sich in der Bauchflosse bald über alle Glie- der eines Radius (z. B. bei Raja), bald beschränkt sie sich auf das Ba- salglied (z. B. Heptanchus, Acanthias) , wobei die folgenden Glieder auch gänzlich rückgebildet sein können. Die bedeutendste Volumsver- Srösserung wird dem vordersten Radius mit seiner Umwandlung zu emem Träger des Propterygiums in der Bauch- und Brustflosse von Squatina und in der Brustflosse der Rochen zu Theil. 440 C. Gegenbaur, Was wir schon aus der Vergleichung der verschiedenen Formzu- stände Eines Flossenskelets derselben Kategorie bei verschiedenen Ab- theilungen der Selachier ersehen können: eine bedeutende Schwankung der einzelnen Verhältnisse des Baues, das vermögen wir in noch viel höherem Maasse zu erkennen, wenn wir, eine Gegensatzwirkung er- zielend, die analogen Erscheinungen bei höheren Wirbelthieren herbei- ziehen. Die im Ganzen bei den letzteren viel geringere Zahl der ver- wendeten Skelettheile ist der wichtigste Factor dieses Gegensatzes. Die Anzahl ist eine limitirte, sie steht fest für die einzelnen Abtheilungen, mindestens für die Gattung oder die Art; bei den Selachiern schwankt sie selbst bei der Art, und die Schwankung betrifft da oft Summen von Skelettheilen, welche der Gesammtsumme der Theile des Gliedmaassen- skelets der höheren Wirbelthiere gleichkommen, oder sie sogar noch übertreffen. Auch andere Erscheinungen, das Verhalten der Gestalt, die Beziehungen zu benachbarten Skelettheilen etc. treten bei dieser Vergleichung als bedeutende Differenzen hervor. Wenn bei den höheren Wirbelthieren die Goncrescenz von Gliedmaassentheilen sich auf 3, 4, oder 5 Stücke erstreckt, so betrachten wir sie als eine bedeutende, sogar für grössere Abtheilungen bezeichnend werdende Veränderung. Bei den Selachiern dagegen ist die Concrescenz sehr häufig auf eine viel grössere Anzahl von Skelettheilen ausgedehnt, und ist sogar innerhalb der Art noch häufig in Variationen zu beobachten. Die Erwägung dieser Verhältnisse lässt uns die Folgerung ziehen, dass den einzelnen Stücken des Gliedmaassenskelets der Selachier eine geringere organologische Bedeutung zukommt, als jenen der höheren Wirbelthiere, und dass mit der Minderung der Anzahl der Werth der Einzelstücke steigt. Wenn wir ferner erwägen, wie mit jener Minderung bei den höheren Wirbel- thieren eine bedeutende Individualisirung der einzelnen Skeletstücke erfolgt, so giebt sich darin nicht blos ein die relative Reduction com- pensirendes Moment kund, sondern, was viel wichtiger, eine Er- höhung des functionellen Werthes. Dabei zeigt sich eine unendlich grössere Mannichfaltigkeit in der Ausbildung des Einzelbefundes, indem mit den schon hei den Selachiern bestehenden Differenzirungserschei- nungen noch zahlreiche andere formverändernde Verhältnisse auftreten. Das Gliedmaassenskelet der Selachier ist daher in seiner reichen Ent- faltung als ein niederer Zustand anzusehen, dem der differenzirte Zu- stand des Gliedmaassenskelets der höheren Wirbelthiere als höherer sich gegenüberstellt. s Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete, 441 è 4) Das Archipterygium als Grundform des Gliedmaassenskelets der Wirbelthiere. Die als Archipterygium von mir bezeichnete Urform des Glied- maassenskelets der Wirbelthiere bietet zwei grosse Reihen von Difle- renzirungen dar. Die eine hat bei den Fischen ihre Verbreitung, die andere findet ihre Repräsentanten bei den höheren Wirbelthieren. Unter den Fischen ist die verhältnissmässig vollständigste Erhal- tung bei den Selachiern, Chimären und Dipnoi gegeben, beiden letztern mit den geringsten Modificationen. In den abdominalen Gliedmaassen der Selachier und Ghimären ist der Befund gleichfalls noch einfach, eine Anzahl von Radien ist an eine Stammreihe befestigt, aber die vorder- sten Radien , bei Ghimära theils unter sich, theils mit dem Basale des Stammes verschmolzen, beginnen bei den Selachiern zum Beckengürtel zu treten und bilden unter Veränderungen ihrer Gliedstücke einen an- scheinend selbstständigen Abschnitt des Flossenskelets, ein Proptery- gium. Wir haben von diesem Abschnitte des Flossenskelets sehr ver- schiedene Zustände kennen gelernt, und von der Ablösung eines noch halb mit dem Basale der Stammreihe verbundenen Strahles bis zum Auftreten einer grössern, dann an den ersten abgelösten Strahl befe- stigter Radienanzahl manche Uebergangsformen erkennen können. Die ganze Einrichtung ward als eine Vergrösserung des basalen Theiles des Flossenskelets gedeutet. Sie nimmt an den Vordergliedmaassen zu. Das Brustflossenskelet zeigt diese Vergrösserung weiter ausgebildet, in- dem noch mehr Radien zum Gliedmaassengürtel gelangten. Sie boten theils ansehnliche Volumsveränderungen, wie der erste Radius des Archipterygiums bei Rochen , als Träger des hier sehr reichen Propte- tygiums, theils Verschmelzungen ihrer Basalglieder zu einem fast con- Stant zu nennenden, vor dem Basale des Archipterygiums mit dem Brustgürtel artieulirenden Knorpelstückes (Basale des Mesopterygiums). Der bei diesen Veränderungen übrig bleibende Theil des Archiptery- giums erscheint dann als der hinterste Abschnitt des Flossenskelets, als Metapterygium. Der Vorgang ist demnach als eine Ablösung von Strahlen von der Stammreihe des Archipterygiums, und verschiedengradige Differenzi- rung derselben anzusehen. In der Articulation mit dem Gliedmaassen- gürtel finden sich dann ursprünglich ungleichwerthige Gebilde, das Ba- sale der Stammreihe nämlich, und Radien, oder aus Radien hervorge- Sangene Theile, Knorpelstücke, die bald durch Vergrösserung eines der ersten Glieder eines einzigen Radius, bald durch Concrescenz der- | ne sen en a = 442 C. Gegenbaur, selben Glieder mehrerer Radien entstanden. Die Gleichartigkeit der functionellen Beziehungen verwischt die Spuren des heterogenen Ur- sprungs und sehr häufig ist bei Haien die Gesammterscheinung der drei Basalstücke eine übereinstimmende. Aus Rückbildung des peripherischen Theils des Flossenskelets der Selachier geht jenes der Ganoiden hervor. Der im Metapterygium unverändert bestehende Rest des Archipterygiums ist noch deutlich er- kennbar, dabei sind einzelne, dem Pro- und Mesopterygium homologe Radien gleichfalls in Verbindung mit dem Gliedmaassengürtel. Zu- weilen ist die primitive Verschiedenheit des Archipterygium - Stammes und seiner Radien dadurch ausgedrückt, dass ersterer knorpelig bleibt, indess letztere mit einem Knochenbelege sich bekleiden (Amia). Wäh- rend bei den Ganoiden in der Aufreihung von Radien oder den Rudi- menten derselben am Stamm, der Zustand der Grundform noch kennt- lich war, ist bei den Teleostiern eine weitere Rückbildung eingetreten. Bei Manchen erhält sich noch die Verbindung des primitiven Flossen- stammes mit Strahlen (Siluroiden), aber auch da sind ursprüngliche Strahlen dem Basale jenes rückgebildeten Stammes assimilirt, und nur die Vergleichung mit dem bezüglichen Skelete der Ganoiden lässt die Beziehung erkennen, welche bis zu den Selachiern hinabreicht. Bei den meisten Teleostiern ist die Assimilirung des Flossenstammrestes mit rudimentären nur durch ein Gliedstück repräsentirten Radien eine voll- ständige geworden, und das reiche Gliedmaassenskelet der Selachier ist bis auf einige (4—8) unansehnliche, dem Gliedmaassengürtel verbun- dene Knochenstücke verschwunden. Das aus dem Integumente hervorgegangene secundäre Flossenskelet compensirt das rückgebildete des aus dem Archipterygium entstandenen primären , und lässt die modificirten Reste des letztern nur als Stützen erscheinen, die es zugleich dem Gliedmaassengürtel verbinden. In der vorgeführten Abtheilung der Wirbelthiere erschien das Archipterygium durch zahlreiche Radien ansgezeichnet. Bei Lepi- dosiren sind sie zahlreicher als bei den meisten Selachiern, wo wieder ' die Haie gegen die Rochen zurückstehen. Im Allgemeinen ist das Skelet der Vordergliedmaassen reicher an Radien, als jenes der hinteren Ex- tremität, auch bei Chimären,, bei welchen gegen dreizehn Radien die niederste Zahl bilden. Ausser dieser Vielzahl von Radien und der bei Selachiern und Chi- mären ausgeprägten Erscheinung der Ablösung von Radien vom Stamm des Archipterygiums ist das Variable der Radienzahl eine Eigenthüm- lichkeit jener Abtheilung. Darin drückt sich der niedere Zustand der gesammten Skeletbildung der Gliedmaassen aus. Es ist eine In- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete, 443 differenz in der Zahl, welche auch noch innerhalb der Species ihre Geltung hat. Diesem aus dem vielstrahligen Archipterygium gebildeten Verhalten stellt sich das Gliedmaassenskelet der höheren Wirbelthiere gegenüber. Die in der Zahl beschränkten Radien treten niemals zum Gliedmaassen- gürtel, so dass der Stamm des Archipterygiums jene Verbindung aus- schliesslich vermittelt, er wird mit seinem Basalstücke an den Vorder- Sliedmaassen zum Humerus, an den hinteren zum Femur. Der folgende Theil des Stammes gliedert sich in eine Anzahl von Knochenstücken,, von denen die dem Basalstück (Humerus, Femur) folgenden Radien tragen, indess der erste schon an dem Basalstück sitzt. Die Art der Gliederung der Radien und des Stammes des Archi- pterygiums ist eine mannichfach verschiedene. Bei Ichthyosaurus sind die Gliedstücke beider Theile gleichartig und dabei in grosser Zahl vor- handen. Die Anzahl der Radien schwankt noch, scheint aber sechs oder Sieben nicht zu übersteigen. Die übrigen Wirbelthiere lassen neben der Stammreihe nur noch vier Strahlen unterscheiden, mit meist unansehnlichen Resten eines fünften. Die Stücke der Stammreihe wie der einzelnen Radien sondern Sich nach mehreren aufeinander folgenden Abschnitten, in denen die einzelnen Gliedstücke eine mehr oder minder gleichartige Differenzirung nehmen. Diese transversalen Abschnitte sind dem Basale des Archipte- rygiums angefügt, und die Bedeutung der aus dem Stamme des letztern hervorgegangenen Skeleistücke der Gliedmaassen bewahren nur in we- nigen, namentlich dem terminalen Ende angehörigen Eigenthümlich- keiten, die Spuren der ursprünglichen Verschiedenheit. Die auf den Humerus folgenden Abschnitte sind: Vorderarm mit Radius und Ulna, dann Carpus und darauf Metacarpus mit den Gliedstücken, welche den Fingern zu Grunde liegen. Der erste Finger (Daumen) ist das Stamm- ende des Archipterygiums, durch die Radialseite des Armskelets er- Streckt sich diese’Stammreihe zum Basale, dem Humerus. In den Hintergliedmaassen ist die mahs vóialo Differenzirung eine homodyname. Auf das Femur folgt das Skelet des Unterschenkels, Tibia und Fibula; diesem folgt der Tarsus, welchem wieder mittelst des Metatarsus die Enden der Radien und des Stammes des Archiptery- Siums ansitzen. Das Skelet der grossen Zehe ist das Ende der Stamm- reihe, welche durch die tibiale Reihe der Knochen des Fussskelets zum Femur läuft. Die Skelettheile der einzelnen Abschnitte bieten in ihren Formen bestimmtere Verhältnisse. Die beiden proximalen Abschnitte jeder Glied- Maasse (Humerus, Femur, Radius, Ulna, Tibia, Fibula) bestehen 7 444 C. Gegenbaur, aus längeren Stücken. Im Carpus und Tarsus bleiben die Gliedstücke in den niederen Abtheilungen in mehr indifferentem Zustande und stellen kurze Knorpel- oder Knochenplatten vor. Dagegen ist Mittel- hand undMittelfuss wieder durch längere Knochen repräsentirt, welche Formen in ähnlicher Weise in den Phalangen derFinger und Zehen wie- derkehren. Diese Erscheinung der Bildung transversaler Gliedmaassenab- schnitte kann als »Umgliederung« bezeichnet werden. Aus dem Zustande der primitiven Indifferenz gehen neue Abschnitte hervor, in ‚ welchen ungleichartige Theile (Radien und Theile des Stammes) in an- scheinend gleichartige Theile umgewandelt sind. Die Umgliederung ist zugleich eine Differenzirung in neuer Richtung. Den differenten Ab- schnitten kommen neue Verrichtungen zu. Das Wesentlichste spricht sich in der Auflösung des in der Flosse repräsentirten Hebelarmes aus, der zu einem Systeme von Hebeln sich umgestaltet, in demselben Maasse, als zwischen jenen einzelnen Abschnitten Gelenkbildungen stattfinden. Aus der einfachern Leistung geht somit eine Summe ver- schiedener Leistungen hervor. Während die Skelettheile des Oberarms und Oberschenkels, des Vorderarms und Unterschenkels im Allgemeinen übereinstimmende Ver- hältnisse darbieten , findet eine bedeutendere Divergenz bezüglich des Carpus und Tarsus statt. Eine geringe Anzahl (6) von Skelettheilen er- scheint in der einfachen Plattenform als Carpus und Tarsus von Ple- siosaurus, alle übrigen Wirbelthiere besitzen die Grundform dieses Skeletabschnittes aus zehn Garpus- und Tarsusknochen zusammenge- setzt. (Bezüglich der Plesiosauren siehe diesen Band, S. 332.) Dazu kommt noch als elfies Stück das dem ulnaren Carpusrande angehörige Pisiforme, als Rest eines bei Plesiosaurus noch durch mehrere Stücke repräsentirten Strahls. Die Grundform des aus zehn Stücken bestehenden Mittelabschnittes der Gliedmaassen (decamerer Carpus und Tarsus) bleibt nur ganz sel- ten unverändert bestehen. Die für die einzelnen Abtheilungen meist charakteristischen Veränderungen sind immer Reductionen jener Zahl. Diese gehen theils durch Concrescenz von zwei und mehr Stücken, theils durch Rückbildung einzelner oder mehrerer Stücke hervor. Das letztere Verhältniss sondert sich wieder nach mehreren Richtungen, je nachdem die Rückbildung von einem Schwinden des Strahlenendes (Fingers oder Zehe) begleitet ist oder nicht. Der erstere Fall ist aber als Rückbildung und Schwinden eines grösseren Strahlabschnittes auf- zufassen. Der letztere Fall dagegen kommt vielmehr auf Rechnung einer localen, meist in den Gelenkverhältnissen sich äussernden Verände- Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 445 rung. Die einzelnen, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugethiere be-. treffenden Einrichtungen und Modificationen von Carpus und Tarsus habe ich schon vor längerer Zeit in ihrem Zusammenhange verständlich “u machen gesucht. (Untersuchungen zur vergleich. Anatomie der Wir- belthiere I.), womit die Anknüpfung auch der differentesten Formen an das Archipterygium , oder vielmehr die Ableitung von demselben sich leicht ergiebt. Bei den Amphibien zeigt sich das Skelet der Vordergliedmaassen unter den Urodelen am wenigsten umgestaltet. Nur das Ende der Stammreihe ist verkümmert oder fehlt, so dass die vier vorhandenen Finger nur den vier Radien entsprechen. Die beiden Centralia sind nur durch ein Knorpelstück vertreten. CGoncrescenz einzelner Stücke des Carpus ist sowohl bei Urodelen, als auch bei Anuren, und zwar bei diesen in höherem Maasse vorhanden. Ob solche Verwachsungen auch in dem schwer verständlichen Garpus von Proteus und Siren vorliegen, ist zweifelhaft, und es darf für diese die Möglichkeit der Abstammung von anderen Formen als jene mit decamerem Carpus nicht ganz aus- geschlossen werden. Bezüglich der Hintergliedmaassen sind die Uro- delen wiederum die niederst stehenden. Bei Cryptobranchus ist jene Tarsusform ganz unverändert; bei anderen ist in dem Vorkommen eines einzigen Centrale die bedeutendste Modification gegeben. Das meist fünffingrige Gliedmaassenende stimmt darin mit jenem der Anuren überein, bei denen der Tarsus wieder bedeutend umgewandelt ist. Da der Befund dieses Tarsus nicht sogleich aus der decameren Form sich ableiten lässt, könnte man hier wieder die Beziehung auf diese Form in Frage stellen, und dies um so mehr als am tibialen Tarsus- rande noch Skelettheile vorkommen, welche eine Hexadactylie anzu- deuten scheinen, und auch in der That so aufgefasst worden sind. Wenn man hier nicht auf das klarere Verhalten der Urodelen Gewicht legen will, so wird man doch die Vordergliedmaassen der Anuren in Betracht ziehen dürfen, in welchen die Verhältnisse der Grundform noch deutlich zu erkennen sind. Da nun dieBildung des Skelets an beiderlei Gliedmaassen bezüglich der fandamentalen Einrichtungen eine allge- Mein übereinstimmende ist (wie aus zahlreichen Thatsachen zu er- sehen) , so ergiebt sich daraus die Folgerung, dass auch der Hinter- Sliedmaasse der Anuren kein von der vorderen wesentlich verschiedener Zustand zu Grunde liegen wird. Jene fraglichen Skelettheile können daher für jetzt nur als accessorische Bildungen gelten, Für die Reptilien ist die Abstammung des Gliedmaassenskelets von der bei den Amphibien waltenden Grundform in hohem Grade evi- dent. Die Vordergliedmaassen der Sehildkröten bieten den Amphibien- Bd. V. 4. 30 446 0. Gegenbaur, Carpus unverändert, und nähern sich sogar noch mehr der grundform, da in der Zahl der Finger keine Reduction Platz griff. Grössere Verän- derungen sind dagegen bei den Eidechsen aufgetreten. Ein bei den Schildkröten vorhandenes Carpusstück (Intermedium) ist nicht mehr discret vorhanden. Noch bedeutender ist die Modification bei den Groco- dilen, von denen aus Verknüpfungen mit dem Armskelet der Vögel nachzuweisen sind. Auch bezüglich der Hintergliedmaasse ergiebt sich die Differenzirung in derselben Folge, wenn auch die Richtung dieser Erscheinung von jener an der Vordergliedmaasse eine ganz verschie- dene, eine divergente ist. Die Schildkröten lassen die Verknüpfung mit der Grundform am deutlichsten erkennen. Bei ihnen sind aber im Tar- sus bereits Einrichtungen angedeutet, die bei Eidechsen weiter ent- wickelt und bei Vögeln noch einseitiger ausgeprägt sind, indess die Crocodile im Tarsusbau zwar eine nahe Verwandtschaft mit den Eidechsen offenbaren , aber durch Manches ausserhalb der zu den Vögeln führenden Reihe sich stellen. Da es nicht schwer ist, auch für die Säugethiere die Ableitung des Gliedmaassenskelets von der erwähnten, mit decamerem Garpus oder Tarsus versehenen Grundform vorzunehmen, so sind die hier vor- handenen Einrichtungen gleichfalls als Differenzirungen des Archiptery- giums anzusehen. An beiden Gliedmaassen sind die als Garpus und Tarsus erscheinenden Abschnitte, wenn auch in mancher Beziehung reptilienartig diflerenzirt, doch vollständiger als bei den Reptilien (den Carpus der Schildkröten ausgenommen), so dass die Anknüpfungs- punkte erst unterhalb dieser Abtheilung zu suchen sind. Das selbst- ständige Fortbestehen eines Gentrale, welches im Tarsus der Säuge- thiere als Navieulare allgemein, im Garpus dagegen nur in einzelnen Abtheilungen, und auch da nur bei kleineren Gruppen vorkommt, bietet eine wichtige Verschiedenheit vom Gliedmaassenbaue der Reptilien. Innerhalb der bedeutenderen, für jede grössere Abtheilung der höheren Wirbelthiere geltenden Modificationen bestehen dann noch zahl- reiche, hier nicht näher zu würdigende Umänderungen , theils Ausbil- dungen einzelner Theile nach bestimmten, den verschiedenartigsten Anpassungen entsprechenden Richtungen , theils Reductionen kleinerer oder grösserer Abschnitte, die zum gänzlichen Schwinden der Glied- maassen selbst führen können. Sie sind uns hier nur untergeordnete Verhältnisse, weil sie selbst in ihrem ausgesprochenen Befunde nur ge- ringe Abweichungen des im Gliedmaassenbau der betreffenden grösseren Abtheilung ersichtlichen Typus darbieten. Daher betrachte ich die mannichfachen Gelenkconstructionen, die % a a ER Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen ete. 447 zahllosen Reductionen der Finger und Zehen, wie ihrer einzelnen Gliedstücke, Verschmelzungen und Volumsmodificationen u. s. w. als abseits von der Aufgabe liegend, die ich mir stellte und die wesentlich auf den Nachweis der in den grossen Abtheilungen der Wirbelthiere herrschenden typischen Organisation des Gliedmaassenskelets und auf die Ableitung dieser mannichfaltigen Zustände von einer gemeinsamen Stammform gerichtet war. Die bedeutendsten Modificationen dieser im Archipterygium ge- fundenen Stammform stelle ich schliesslich in folgender Uebersicht zu- sammen : I. Archipterygium mit inconstanter Radienzahl (Polyactinote Form). . Stamm- und Radienglieder ungleichartig differenzirt a) unverändert b) verändert Dıpnor 2 N 1 Sn j N durch CGoncrescenz und aufgelöst durch Ab- von Radien lösung und Verbindung Camära (h. Extr.) von Radien mit dem Gliedmaassengürtel: Cumära (vord. Extr.) SELACHIER mit peripherischer Re- duction GANOIDEN TELEOSTIER 2. Stamm- und Radienglieder gleichartig differenzirt Icurnuvosaurus II. Archipterygium mit constanter Radienzahl (Tetraetinote Form). Transversale Differenzirung in einzelne constante Abschnitte en — > N 1 HexamereGrundformdes ?. Decamere Grundform des Carpus und Tarsus Carpus und Tarsus Presiosaurus AMPHIBIEN REPTILIEN, VÖGEL SÄUGETHIERE Jena, November 1869. Ueber die Modifieationen des Skelets der Hintergliedmaassen bei den Männchen der Selachier und Chimären. Von C. Gegenbaur. Hiezu Fig. 45—24 auf Tafel XVI In der vorhergehenden Darstellung habe ich einen Theil des Ske- lets der Hintergliedmaasse, der ein eigenthümliches Anpassungsverhält- niss eingeht, nur ganz in der Kürze berührt, es ist dies der letzte Ab- schnitt des Flossenstammes, der bei den Männchen der Selachier wie der Chimären zu einer Art von Begattungsorgan verwendet wird. Obgleich diese Organe längst bekannt und ihr Skelet schon von Guver als eine Modification des Flossenskelets gedeutet ist, bleibt doch noch vieles zu ermitteln. Von dem ganzen in einzelnen Abtheilungen sehr complieirten Apparat, der auch in seiner Function viel Räthselhaftes darbietet, sollen hier die Skeletverhältnisse bei einigen Gattungen dar- gelegt werden. Die einfachsten Verhältnisse bietet Seyllium. Das zweite und letzte Glied der Stammreihe ist hier bei den Männchen um bedeutendes grösser als bei den Weibchen und wird von einem cylin- drischen , an beiden Enden: etwas verjüngten Knorpel vorgestellt, der zugleich durch etwas weichere Beschaffenheit sich auszeichnet. Bei Scyllium canicula ist der Knorpel (Fig. 5, b) fast ums Doppelte grösser, als bei Scyllium catulus (Fig. 6, b), womit auch die Ausdehnung des Organs, dem er eine Stütze abgiebt, in Einklang steht. An der media- len Fläche des von diesem Knorpel durchzogenen Anhangs findet sich ein Längsschlitz oder eine Furche, welche in einen hinter dem Anhang beginnenden, schon von J. Davy') bei Sc. Edwardsii beschriebenen, T- A) Researches, Physiological and Anatomical. London 1839, vol. II. S. 452. — Von Raja sind gleichfalls nur die Weichtheile der fraglichen Organe genauer beschrieben. Ueber die Modificationen des Skelets der Hintergliedmaassen ete. 449 blind geschlossenen Sack führt. Derselbe tritt zwischen dem Anhang und dem letzten Radius der Flosse auf die Ventralfläche der letzteren, auf der er sich nach vorne zu erstreckt. Carcharias (C. glaucus) schliesst sich bezüglich des Skelets enge an die Seyllien an. Der erwähnte Knorpel trifft an Gestalt und Umfang mit jenem von Sc. catulus überein (Fig. 9, b). An diese einfacheren Zustände, in denen der bezügliche Skelettheil der Männchen nur durch sein Volum von dem homologen der Weibchen (Vergl. Fig. 4, 5, b) sich unterscheidet, reiht sich ein anderer, bei welchen die sexuelle Differenzirung weiter gediehen ist. Ich finde diesen bei Raja repräsentirt, und zwar in einer Weise, welche mit den mir be- kannten bisherigen Darstellungen dieser Theile in Widerspruch steht. Nach Cuvıer!) wird der Genitalanhang der Bauchflosse mit dem Flossen- skelet durch einen Knorpel verbunden, der wie eine Art von Astragalus erscheint, und an seiner Seite einen ovalen, am unteren Rande zuge- Schärften Knorpel trägt. Cuvier hat diesen als Galcaneum bezeichnet. Dieses Calcaneum articulirt nach hinten mit einem anderen Hauptstücke des Skelets, welches Metatarsus benannt wird, und aus der Verschmel- “ung anderer hervorgegangen sein soll. Dann kommen noch sieben ver- Schieden gestaltete Stücke, die alle zur Zusammensetzung des Anhangs- Skelets beitragen. Die Cuvirn’sche Darstellung scheint für die meisten Späteren Beschreibungen die Grundlage abgegeben zu haben. Srannius 2) Sagt im Allgemeinen, dass die Stütze des Organs durch zahlreiche Knochen- und Knorpelstücke gebildet werde, welche zum Theil blattartig eingerollt, auch eine kurze Strecke weit durch laxe Hautbrücken ver- bunden seien. Die Zahl der einzelnen Stücke wird bei Raja auf 13 an- ‚8egeben. Von dieser ganzen Complication (man vergleiche die bezüg- lichen Öriginalstellen) kann ich gar nichts finden, so dass ich vermuthen Muss, dass die Beschreibung von trockenen und damit sehr veränder- len Skeleten entnommen ward. Dem Basale des Flossenstammes folgt ein kürzeres, eigenthümlich 1) Leçons d’anatomie comparée. Sec. Edit. I, p. 573 und VII, p. 305. 2) Handbuch der Anat. der Wirbelthiere, zweite Aufl. Fische. S. 94 und S. 978. Die Angabe von 43 Knorpelstücken bei Raja scheint Mayer (Fror. N. Not. Nr. 876) entnommen zu sein , dessen Aufsatz von Stannıus als Beschreibungen der fraglichen Anhänge enthaltend eitirt ist. Diese Beschreibung ist aber nur eine Reproduction der Cuvierischen. Dabei scheint ein eigenthümliehes Missverständniss sich einge- Schlichen zu haben. Cuvier giebt nämlich beim Geschlechtsapparat noch einmal den Bau des Flossenskelets (VIH, p. 306), von welchem er die als Femur und Tibia benannten Stücke namentlich aufführt. Zählt man diese zu den von CUVIER einzeln beschriebenen Skelettheilen des fraglichen Apparates, so erhält man 43 Stücke. 450 C. Gegenbaur, gekrümmtes Stück (Fig. 21, b), welches noch Radien trägt, ausserdem aber einen langen, selbst die längsten Radien weit übertreffenden cy- lindrischen Knorpelstab , den ich in drei Abtheilungen (b‘ btt b‘“‘) ge- gliedert finde. Dieser Abschnitt bildet die Stütze ansehnlicher Weich- theile. Er ist nicht schwer von einer Verlängerung des Flossenstammes ableitbar, und ist gegen die vorerwähnte einfachere Form wesentlich nur durch die aufgetretene Gliederung höher differenzirt. Diese Verlängerung der Stammreihe ist die ganze Modification des Bauchllossenskelets der Männchen. An den Radien habe ich keine be- sonderen Abweichungen getroffen. Sie haben auch gar keine direeten Beziehungen zu dem fraglichen Anhange, mit dem sie nur dadurch in Verbindung stehen, dass die, die bekannte Drüse bergende Tasche der untern (ventralen) Fläche der letzten Radien auflagert. Dieselbe tritt, wie oben bei Seyllium erwähnt, mit einer medialen schlitzförmigen Oefinung beginnend, zwischen dem letzten Radius und dem langen Knorpelstabe des Stammes auf die ventrale Fläche über. So istalso an dem Skeletdieses Apparates bei Raja weder ein rin- nenförmiger Knorpel vorhanden, noch bestehen eingerollte Lamellen, und das ganze Organ enthält nichts, was es als «zangenartiges» bezeich- nen lassen könnte. !) Eine dritte Form finde ich bei Acanthias und Heterodontus. Sie ist die complicirteste, wie auch die Flossenanhänge selbst eine be- deutendere Ausdehnung besitzen. Das Basale des Flossenstammes ist ebenfalls hier der Träger des Stützapparates. Bei Heterodontus nimmt übrigens auch der letzte Radius (Fig. 18, 19, r) des Flossenskelets Theil an dem Apparate. Er ist durch ein Knorpelstück vorgestellt, welches zwar, wie die vorhergehenden , ungegliedert ist, aber durch seine be- deutende Grösse und divergirende Richtung sich von ihnen unterschei- det. Bei Acanthias dagegen ist der letzte, theilweise dem Basale des Stammes ansitzende Strahl der kleinste von allen. Auf das Basale folgen bei Heterodontus zwei, von vorn gesehen gleichgrosse Stücke (Fig. 18, B, B’), von denen das vordere lateral (Fig. 19) verschmälert, das hin- tere dagegen in demselben Maasse höher ist. Ich will sie als Zwischen- glieder bezeichnen. Sie tragen hinten (dorsal) einen gleichfalls dem Basale verbundenen Knorpel (b), der, mit dem zweiten Zwischenglied 4) Die Angaben CGuvırr’s, welche Raja rubus C. betreffen, forderten mich auf, eine grössere Anzahl männlicher Rajae in Untersuchung zu nehmen. «Es waren deren sechs Exemplare, sämmtlich in Weingeist aufbewahrt. Fünf davon gehörten den Arten R. clavata, R. batis und R. Schulzii an. In allem Wesentlichen stimmten sie überein, da die Differenzen nur die Länge und Dicke der einzelnen Knorpel- stücke betrafen. Ueber die Modificationen des Skelets der Hintergliedmaassen etc. 451 gemeinsam das Hauptstück (b‘‘) des gesammten Skeletcomplexes an Sich angefügt hat. Ein ähnliches Verhalten ist auch bei Acanthias zu erkennen, nur werden die beiden Zwischengliedstücke durch ein ein- ziges (Fig, 15, 16, £) repräsentirtl. Wenn wir diese Theile von einer Gliederung dés Flossenstammes ableiten wollen, so gerathen wir durch das Schaltstück (b) in einige Verlegenheit, da es etwas der gewöhn- lichen transversalen Gliederung dieser Theile fremdes ist. Dass es aber dennoch dem Stamme angehört, halte ich für sehr wahrscheinlich. Ich Slaube sogar, dass dieses Verhalten auf ein bei Squatina (Fig. 1, £) o auch bei Carcharias (Fig. 10, 2) noch erkennbares Knor- i Stückchen bezogen werden kann, welches bei diesen zwischen dem Ende des Basale und dem ersten Gliede der Stammreihe von der radien- tragenden Seite her eingeschaltet ist. Da nun bei Acanthias das Zwi- schenstück (b) noch einen Radius trägt, der sogar stärker ist als der vorhergehende, so wird das Zwischenstück als der Radialseite des H lossenstarimes zugehörig gelten müssen , und wird dem von Squatina: und Carcharias oben erwähnten homolog io, oder den beiden Zwi- schenstücken (b, b) von Heterodontus. Das Schaltstück sehe ich dem- 5emäss als die eigentliche Fortsetzung des Flossenstammes an, an dem Sich an der radientragenden Seite ein oder zwei Knorpelstücke, die im Gliedmaassenskelete anderer Selachier (Weibehen von Garcharias und Squatina) angedeutet sind, differenzirt haben. Der ansehnlichste Theil des Apparates wird von einem Knorpel- slabe repräsentirt, (Fig. 15, 16, 18, 19 b‘) welcher an Länge dem Ba- sale gleichkommt,, oder es sogar (bei Heterodontus) übertrifft. Bei He- terodontus kommt diesem Stücke durch eine dicke, verkalkte Rinden- schichte cine grosse Festigkeit zu. Es ist von beiden Seitenflächen her etwas comprimirt und bietet auf der lateralen Fläche eine Längsrinne dar, die bis in eine von den vorhin beschriebenen kleineren Knorpel- Stücken gebildete Vertiefung verfolgt werden kann. (Vergl. Fig. 19). Am oberen Theile des Hauptstückes ist die Rinne fast verstrichen, unten dagegen ist sie beträchtlich tief und wird von cinem Fortsatze (a) über- ragt, der vom vorderen, resp. untern Rande des Hauptknorpels aus- geht und lateral und ee (die Flosse in natürlicher Lage gedacht) Serichtet ist. Bei Acanthias ist dieselbe Rinne vorhanden, beginnt aber erst an der untern Hälfte des Hauptstückes. Der sie unten bedeckende Fortsatz (Fig. 15, 16 a) ist bedeutender aufwärts gebogen, so dass Zwischen ihm und dem entgegengesetzten Rande der ‘Rinne nur eine schmale Spalte bleibt. Diesem Fortsatze sitzt ein beweglicher Stachel an, der bei Heterodontus (Fig. 18 a‘) kurz, länger dagegen bei Acan- Ihias ist, wo er eine säbelförmige Krümmung zeigt. Neben diesem 452 C. Gegenbaur, Stachel findet sich noch eine Anzahl anderer Fortsätze, welche vom Ende des Hauptstückes ausgehen und eine in beiden Gattungen ver- schiedene Differenzirung besitzen. Bei Heterodontus folgt unmittelbar auf den Stachel ein beweglicher Fortsatz (e), der bei Acanthias einen Knochenbeleg besitzt und eine etwas gekrümmte Rinne bildet, die in eine löffelförmige Platte ausläuft (Fig. 17 e). Das nächste Stück (i) ist die unmittelbare Fortsetzung des Hauptstückes. Es entbehrt aber der Kalkkruste und schmiegt sich bei Acanthias (Fig. 17) enge an den Sei- tenrand des löffelförmigen Fortsatzes an. Auch bei Heterodontus passt es genau in die Lücke seiner Nachbarstücke, wenn die Spitzen dersel- ben einander parallel gerichtet sind. Das daran angeschlossene Stück bietet in beiden Gattungen ein sehr verschiedenes Verhalten. Ein arti- ceulirendes Knorpelstück (b) ist es bei Heterodontus (Fig. 18, 19, 20), bei Acanthias dagegen ein knöchernes, mit einem Widerhaken en- digendes Gebilde (Fig. 16, 17 c). Der Haken legt sich in die Grube des Löffels, der ihm angepasst erscheint. Das Verhalten beider Stücke ähnelt den verdeckten Haken, wie sie als chirurgische In- strumente gebraucht werden. Der deckende Löffel articulirt zugleich derart mit der Basis des zuerst erwähnten Stachels, dass eine den letz- teren aufrichtende Action zugleich die Schutzrinne vom Haken entfernt, so dass die drei knöchernen Stücke, von einander divergirend ; in eine rechtwinkelig zum Hauptstücke gelagerte Ebene sich legen können. Bei Heterodontus kommt zu diesen Theilen noch ein dem Knorpelstücke nur lose angefügtes schlankes Knorpelstück (Fig. 19 u). Wenn der ganze Apparat aus Theilen des Flossenskelets entstand, so werden die ihn zusammensetzenden Gebilde auch auf jene bezogen werden dürfen. In dieser Hinsicht ist das die beweglichen Enden tra- gende Hauptstück als ein ansehnlich vergrössertes Glied der Stammreihe anzusehen , dem eine Anzahl modificirter Radien angefügt ist. Bei He- _ terodontus ist nur einer dieser Radien mit einem Knochenbelege ver- sehen, in einen Stachel umgewandelt, indess die übrigen Stücke, wenn auch formal differenzirt, doch noch knorpelig sich forterhalten. Bei Acanthias ist diese Differenzirung weiter gediehen, da drei der End- stücke sehr verschieden gestaltete Werkzeuge vorstellen, die sämmtlich knöcherne Textur besitzen. Ueber die functionellen Beziehungen dieser Organe sind aus dem Baue des Skelets derselben keine ganz bestimmten Urtheile zu gewin- nen. Doch kann die Ausrüstung mancher Organe mit Stacheln und Haken für die Meinung, dass sie als Halteapparate fungiren, angeführt werden. Die grosse Verschiedenheit, welche im Skelet dieses Theiles der Hintergliedmaassen sich vorfindet, wird jedoch ohne Zweifel auch a a HELEN d Ueber die Modifieationen des Skelets der Hintergliedmaassen ete. 453 für die Verrichtungen bedeutungsvoll sein, so dass wenigstens das Eine sicher erscheint: dass das functionelle Verhalten keineswegs als Sleichartiges sich herausstellen wird. Die Untersuchung,einer grösseren Anzahl wird den von mir aufgeführten Formen wohl noch manche neue hinzufügen , oder solche, die vom einfacheren Verhalten zum compli- cirtern, wie es bei Acanthias besteht, Uebergänge darbieten. Schon aus älteren Beschreibungen, z. B. jener, die BramviLLe von Selache maxima gegeben hat!),, geht das Bestehen einer grösseren Mannichfal- tigkeit hervor. Die den männlichen Selachiern zukommenden Anhänge der Bauch- flosse finden sich auch bei Chimära, aber in vielen Stücken so sehr verschieden, dass sie vielmehr als eine selbstständig erworbene An- Passung, dann als eine von gemeinsamer Stammform ererbte Einrich- tung angesehen werden dürfen. Da die fraglichen Organe, soweit mir bekannt, nur wenig untersucht sind, möge mir gestattet sein, sie hier näher vorzuführen. Wie Leypi?) angiebt, kommen den männlichen Chimären, ausser dem hakenförmigen, an der Stirne befestigten Organe, «vor und hinter dem After zwei Paar eigenthümliche Halte-(?) Apparate» zu, «das vor dem After gelegene stellt eine rundliche, feste Scheibe dar, mit verschmälerter Basis und innerem sägezähnig gekerbtem Rande». Diese «Sägeplatte», wie ich sie nennen will, wird von einem Knorpel- Stück gebildet, welches von seinem medianen Rande her von einer festen Knochenschichte bedeckt wird, von welcher sechs hakenförmig gegen die Basis der Sägeplatte gekrümmte Zähnchen ausgehen. Diese nehmen gegen die Basis an Grösse zu. Der laterale Theil der Knorpel- platte ist verdünnt, und entbehrt des Knochenbeleges. Dieses Organ sitzt am vordern Rande des Beckenknorpels, der Medianlinie genähert. Seine Form ist aus Fig. 22 A und Fig. 24 A zu ersehen. Es liegt jeder- seits in einer, zum grössten Theile vom äussern Integument gebildeten Tasche, aus der es hervorgestreckt werden kann. Es sind nämlich Muskeln an die Basis der Sägeplatte befestigt, welche ihr verschiedene Stellungen geben können. Beim Weibchen ist nichts auf dieses Organ Beziehbares bekannt. Die hinter dem After gelegenen männlichen Organe (Vergl. Fig. 24) Stellen zwei ansehnliche, mit der Basis der Bauchflossen am hintern medialen Rande zusammenhängende Gebilde vor. An ihrer Wurzel fassen Sie die äussere Oeffnung (g) des inneren Geschlechtsapparates zwischen 1) Annales du Museum 4814, 8. 495. 2) Zur Anatomie und Histologie der Chimaera monstrosa , Archiv f. Anat. und 3 Physiol. 4854, S. 264. 454 C. Gegenbaur, sich und unmittelbar vor ihnen liegen die Mündungen (h) der Perito- nealcanäle. Jedes Anhangsorgan beginnt mit einem musculösen, von glatter Haut überzogenen Abschnitte, der-etwa %/, der Länge des gan- zen Anhanges beträgt. Von diesem Abschnitte, dem Wurzelstücke (Fig. 24 m) laufen drei dicht aneinander geschlossene Fortsätze aus, von denen jeder eine solide, aber unbewegliche Stütze empfängt. Zwei die- ser Fortsätze sind ihrer ganzen Länge nach, aber nicht an der ganzen Oberfläche, von weichem Gewebe bekleidet, welches eine spongiöse Beschaffenheit besitzt und wahrscheinlich ein Schwellgewebe vorstellt. Das dieses Gewebe überziehende Integument ist mit sehr feinen, nach vorne gerichteten Häkchen dicht besetzt und bildet an einem der beiden Fortsätze (q) nahe am Ende einen lateral gerichteten polsterartigen Vorsprung. Der dritte der Fortsütze entbehrt des Besatzes mit spongiösem Ge- webe, und wird nur durch ein eylindrisches, leicht gekrümmtes Stück des Skelets gebildet, welches median und zugleich oberflächlich ver- läuft (Fig. 24 4). Er ist dem einen der beiden mit Schwellgewebe ver- sehenen Fortsätze (s) enge angelagert und drückt sich in den Ueberzug derselben so fest an, dass man glauben könnte, jener Ueberzug sei theilweise auch mit diesem, nur mit einer dünnen Integumentalschichte überzogenen Fortsatze verwachsen. Wenn man jedoch das etwas vor- . agende freie Ende des letzten (s) vom unterliegenden Polster abzuhe- ben versucht, vermag man sich zu überzeugen , dass jene Verbindung nur an der Basis besteht, und dass zwischen beiderlei Theilen nur eine innige Auslagerung stattfindet. An dem medialen Rande des nackten Fortsatzes wird bei jener Manipulation eine gegen den bekleideten Fort- satz (s) gebildete Rinne bemerklich, welche sich an der Wurzel jener Fortsätze in einer leichten Spiraltour aufwärts und nach vorne zu wen- det. Sie geht in einen am hintern obern (dorsalen) Theile des Wur- zelstückes gelegenen tiefen Halb - Ganal über, der nur mit einer schmalen Längsspalte nach aussen communieirt. Diese Längsspalte erweitert sich dicht am Ursprunge des gesammten Anhangs zu einer rundlichen Oeflnung, welche der Mündung (Fig. 24 g) der innern Ge- schlechtsorgane benachbart liegt. Die ganze am Wurzelstücke des An- hangs gelegene Strecke dieses Canals ist von weichem, längsgefal- tetem Integumente ausgekleidet. Wie der nackte Fortsatz dem einen mit spongiösem Gewebe be- deckten anliegt, so sind auch die beiden letzteren, zwar nicht direct, aber eben durch ihren Ueberzug, dicht aneinander gelagert, und lassen eine bis nahe an den Ursprung der Fortsätze reichende Spalte zwischen sich. Diese Spalte hat aber nichts mit der vorerwähnten Ueber die Modificationen des Skelets der Hintergliedmaassen etc, 455 Spalte zu thun, welche in die an der Genitalöffnung beginnende Rinne führt, Das Skelet dieser Anhänge wird vom Basale (Fig. 22 B) des Flossenstammes getragen und besteht aus nur drei discreten Theilen. Das erste Stück ist eine breite, aber senkrecht gestaltete Knorpelplatte, (b) welche lateral rinnenförmig vertieft ist, und nach vorne einen schwach gekrümmten Fortsatz (x) aussendet, an welchem starke Mus- keln sich befestigen. Man wird dieses Stück als ein Glied der Stamm- reihe ansehen dürfen. An ihm sitzt ein zweites, welches eine mit schmalem Fortsatz entspringende, stark gekrümmte Knorpellamelle vor- stellt, welche die auf dem Stücke b befindliche Rinne überwölbt und mit ihrem vordern Rande den Eingang des oben erwähnten Canals be- grenzen hilft. Dieses Stück entspricht einem Radius, wie es denn auch vahe am radientragenden Rande des Flossenstammes befestigt ist. Das dritte Stück endlich ist das complieirteste. Es fügt sich mit breitem Rande an das hintere Ende des vorhergehenden an und kann in einen Körper und drei Fortsätze unterschieden werden, welch’ letztere die Stützen der schon oben erwähnten, zum Theil mit spongiösem Gewebe umkleideten Gebilde sind. Der Körper (b‘) ist lateral rinnenförmig ver- tieft und bildet damit die Fortsetzung der schon am vorhergehenden Knorpel gelagerten Rinne. Diese Rinne am Körper wird gegen das Ende zu überbrückt durch eine schräge, etwas spiralig verlaufende Kante, welche in den Fortsatz c ausläuft, während die Rinne in eine zwischen s und t befindliche Spalte sich verlängert. Die beiden letzterwähnten Fortsätze liegen dicht aneinander, in Fig. 22 und 23 sind sie gegen das Ende etwas von einander entfernt dargestellt. Neben dem ihnen zu Grunde liegenden Knorpel besitzen alle drei Fortsätze einen festeren Ueberzug, der von einer verkalkten Schichte gebildet wird. Eine Glie- derung ist weder am Körper, noch an den Fortsätzen wahrzunehmen, sie sind aneinander unbeweglich und bieten nur elastische Eigenschaf- ten dar. DerSpiralverlauf des Anfanges eines der drei Fortsätze, sowie die dadurch entstandene Rinne auf der lateralen Seite des Körpers wird von einer Drehung des Körpers dieses Skeletstückes abzuleiten sein. Denken wir uns den Körper abgeplattet, so werden sich die Fortsätze So ordnen, dass s der medial gelegene istund q lateral sich anschliesst. Es ist bemerkenswerth, dass an dem Stücke b‘ bei Chimära die- selbe auswärts gerichtete Spiraldrehung besteht, wie sie am Ende des bei Acanthias und Heterodontus beschriebenen Hauptstückes (d‘) eines ähnlichen Apparates in einer lateral gerichteten Lamelle (a) vorkommt. Dadurch wird die Vergleichung mit jenen Gebilden erleichtert, indem Wir auch die Zwischenstücke der Organe der genannten Selachier in 456: _ C. Gegenbaur, dem Knorpel b der Chimära wiederfinden. Aber die Endtheile bleiben dabei beträchtlich verschieden, da sie bei Chimära continuirliche Fort- sätze des Hauptstückes sind, bei jenen Haien dagegen bewegliche und sehr verschiedenartig differenzirte Gebilde. Ob diese auf die Fortsätze der Chimära bezogen werden können, muss für jetzt noch offene Frage sein. Wenn das dreifach getheilte Endstück der Chimära, wie kaum zu bezweifeln, dem Flossenstamme angehört, von dem es die directe Fortsetzung vorstellt, so können seine Fortsätze nicht Radien sein, als welche die Endanhänge bei Acanthias und Heterodontus wegen ihrer Beweglichkeit gedeutet werden konnten. Doch ist immer noch die Mög- lichkeit vorhanden, dass diese Annahme nicht richtig ist und dass doch nur Sonderungen von Theilen des Stammskelets der Gliedmaassen vorliegen , die bei Ghimära in einem indifferenten und damit niedern Zustande geblieben sind. Jena, November 1869. Ueber das Skelet der Gliedmaassen der Wirbelthiere im Allgemeinen etc. Erklärung der Abbildungen. Taf. XV. Fig. 4—40 stellt die Skelete der Hintergliedmaassen von Haien dar, Fig. 44 bis 44 solche von Rochen. Sämmtliche Figuren sind in natürlicher Grösse dar- gestellt. Fig. 4. Squatina vulgaris f. Fig. 2. Acanthias vulgaris f. Fig. 3, A. Heptanchus cinereus f. B. Vordertheil des Flossenskelets der andern Seite. 4. Scyllium canicula fem. Fig. 5. Seyllium canicula mas. 6 Fig. Scyllium catulus mas. Fig. 7. Mustelus vulgaris f. Fig. 8. Galeus canis f. Fig. 9. Carcharias glaucus m. ; Fig. 40. Carchariasspec.? Fig. 44. Raja Schulzii. i Fig. 42. Rhinobatus laevis. Fig. 43. Torpedo oculata (Vordertheil des Flossenskelets). Pig 44, Trygon pastinaca. Figuren-Bezeichnung. Bei Allen : B Basale b, b! b2 folgende Glieder R Randradius (Propterygium). r, ri r? Radien. des Flossenstammes. à Taf. XVI. Fig. 45. Skelet der Hintergliedmaasse eines männlichen Acanthias vulgaris. Fig. 46. Endstück derselben Gliedmaasse in der lateralen Ansicht. Fig. 47. Die Anhänge des Endstückes von der medialen Seite. Fig. 48. Skelet der Hintergliedmaasse von Heterodontus Philipi. Fig. 49. Das Endstück von der lateralen Seite. Fig. 20. Die Anhänge desselben von der medialen Seite. Fig. 94. Skelet des Stammes der Hintergliedmaasse von Raja (spec.?) m. Von den Radien sind nur die Basaltheile dargestellt. Fig. 23. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 24. 25. 26 21. 28. 458 C0. Gegenbanr, Ueber die Modifieationen des Skelets der Hintergliedmaassen ete. Fig, 22. Rechte Hälfte des Beckengürtels mit der Hintergliedmaasse einer männ- lichen Chimära, von vorne (ventral) gesehen. A Bewegliche, am Beckengürtel sitzende Knorpelplatte. C Beckengürtel. c ventraler c1 dorsaler Endstück der Hintergliedmaasse von GChimära von der lateralen Seite gesehen. Abschnitt desselben. Fin Theil der Bauchfläche einer männlichen Chimära mit den Hinterglied- maassen und den Anhängen derselben. A Anhangsstück des Beckens, hervorgestreckt, auf der andern Seite in die Tasche des Integumentes zurückgezogen dargestellt. C Cloake. p Mündungen der Peritonealcanäle. g Mündung der innern Geschlechtsorgane. m Anhänge der Bauchflosse. s t q Fortsätze derselben. Skelet der Vordergliedmaasse von Centrophorus crepidalbus. Skelet der Vordergliedmaasse von Carcharias melanopterus. Skelet der Vordergliedmaasse von Hemiscyllium plagiosum. Skelet der Vordergliedmaasse von Pristis (spec.?). Die Radien sind mit Ausnahme der vordersten acht nicht in ihrer ganzen Länge dargestellt. Figuren-Bezeichnung : i, a folgende Glieder des Gliedmaassenstammes. R Randradius (Propterygium). r, rt r2? etc. folgende Radien. RETTEN A Ueber einen Speetralapparat am Mikroskop. Von E. Abbe. Es gilt in der Beobachtungskunst im Allgemeinen als Grundsatz, die technischen Hilfsmittel zum Studium der Naturerscheinungen, In- Strumente und Apparate, je für eine recht eng begrenzte Verwendung‘ einzurichten, damit nicht durch die Rücksichtnahme auf mehrerlei wenn auch einander nahe liegende Zwecke die möglichst vollkommene An- Passung an einen Hauptzweck verhindert werde. Diese Regel ist un- 2weifelhaft wohl begründet und namentlich niemals ohne Schaden ausser Acht zu lassen, wenn es sich in irgend einer Richtung um die äussersten Leistungen der experimentellen Kunst handelt, die nach dem jeweiligen Stande der Technik als möglich erscheinen. Indessen schliesst dies keineswegs aus, dass es in besondern Fällen auch wieder gerechtfer- tigt und angemessen sein könne, auf die möglichste Erweiterung des Wirkungskreises von Werkzeugen des wissenschaftlichen Gebrauchs Bedacht zu nehmen ; zumal wenn es solche sind, die vermöge ihrer all- gemeinen Verbreitung ein Beobachtungsfeld, auf welchem sie Anwen- dung finden können, Vielen zugänglich machen, die ihm sonst wegen Mangels der erforderlichen Hilfsmittel fern bleiben würden. — Von diesem Gesichtspunkte aus mag man die Vorrichtung beurtheilen, die im Folgenden beschrieben werden soll. Sie bezweckt, den Bereich der Anwendung eines so weit verbreiteten Instruments, wie das Mikroskop n, auf ein Gebiet auszudehnen, das bisher nur durch besondere, einestheils ziemlich kostspielige, anderntheils auch schwieriger zu hand- habende Apparate zugänglich gewesen ist, nämlich auf das Gebiet der Beugungs- und Speetralphänomene; und sie erreicht — wie der Ver- ‚fasser nach den gemachten Erfahrungen glaubt sagen zu dürfen — die- >n Zweck mindestens in so weit, dass sie nicht nur den Bedürfnissen des physikalischen Unterrichts, sondern auch den gewöhnlichen An- 460 E. Abbe, sprüchen beim wissenschaftlichen Gebrauche des Physikers und Ghe- mikers Genüge leisten kann. Das Wesentliche der Sache ist leicht darzulegen. Handelt es sich etwa um die Beobachtung des Farbenspectrums, welches ein Prisma von einer hellen Linie entwirft, und zwar unter der Anforderung, dass das Spectralbild dem Auge unter grösserem Gesichtswinkel als beim di- reeten Sehen erscheine, so kommt es bekanntlich darauf an, durch eine geeignete Sammellinse ein objectives Bild des Spectrums zu ent- werfen und dieses sodann durch eine vergrössernde Linsencombination dem Auge zur Wahrnehmung zu bringen. Bei den üblichen Speetro- skopen wird Beides durch ein Fernrohr erreicht; sein Objectiv erzeugt das verlangte Bild des Spectrums genau so wie das eines beliebigen andern entfernten Objectes, wofern der lichtgebende Spalt entweder wirklich in grosser Entfernung sich befindet oder (was gewöhnlich ge- schieht) durch eine Hilfslinse künstlich in solche versetzt wird; sein Ocular lässt sodann, als Lupe wirkend, jenes Bild unter dem ver- grösserten Gesichtswinkel beobachten. Dabei ist die Brennweite des Objectivs nur insoweit von Bedeutung, als die Grösse des reellen Bildes von ihr abhängt und daher, je kürzer sie ist, ein um so schärferes Ocular erfordert wird, damit eine vorgeschriebene Vergrösserung er- reicht werde. Wenn es aber möglich ist, ohne mit den sonstigen An- forderungen an die Vollkommenheit der Wirkung in Collision zu kom- men, die Ocularvergrösserung beliebig zu steigern, so hindert nichts, die Brennweite des Objectivs beliebig zu reduciren. Eine solche Stei- gerung um ein Wesentliches über das übliche Maas hinaus kann aller- dings mittelst eines gewöhnlichen Oculars nicht oder nur in sehr man- gelhafter Weise bewirkt werden, recht gut aber, und zwar in sehr weitem Spielraume, mit Hilfe des zusammengesetzten Mikroskops. Die Anwendung eines solchen zugelassen, darf dempach die Sammellinse zur Erzeugung des Objectivbildes auf so kurze Brennweite gebracht werden, dass sie selbst sowohl wie das erforderliche Prisma mit dem Mikroskop an dessen eigenem Stativ verbunden werden kann, zugleich aber auch eine ziemlich nahe Lichtquelle ihr gegenüber dieselben Ver- hältnisse bietet, wie für ein Fernrohr von gewöhnlichen Dimensionen eine sehr entfernt gelegene. Dem entsprechend besteht der fragliche Apparat der Hauptsache nach aus einem geeigneten Linsensystem von ca. 25 Mm. Aequivalent- brennweite und 12 — 20 Mm. Oeffnung, welches, in eine cylindrische Hülse gefasst, durch Einstecken in die Tischöffnung eines Mikroskops unterhalb des Tisches so befestigt wird, dass seine optische Axe mit der des Mikroskops zusammenfällt und sein oberer Brennpunkt nahezu | | Ueber einen Speetralapparat am Mikroskop. 461 in die Tischebene zu liegen kommt. Dieses Linsensystem trägt vor sei- ner untersten Linse, durch einen angeschraubten Ring mit seiner Fas- sung verbunden , ein Prisma von entsprechenden Dimensionen, dessen brechende Kante horizontal und zur optischen Axe des Ganzen senk- recht liegt und welches mittelst eines vorstehenden Knopfes um einen gleichfalls horizontalen Zapfen beliebig gedreht werden kann. In einem Abstande von 400—500 Mm. vom Mikroskop ist ein klei- nes Stativ aufgestellt, welches den lichtgebenden Spalt trägt. Er ist natürlich der Prismenkante parallel, also gleichfalls horizontal gerichtet und befindet sich in derselben oder etwas grösserer Höhe über der ge- meinsamen Grundfläche (der Tischplatte) als das Prisma. Die Strah- len, die von ihm ausgehen, wenn ihm durch einen Spiegel Son- nen- oder Wolkenlicht zugeführt wird, oder wenn man eine leuchtende Flamme hinter ihm aufstellt, gelangen daher in horizontaler oder in wenig geneigter Richtung zum Prisma, durchdringen dieses bei geeig- neter Orientirung unter den Bedingungen der kleinsten Ablenkung und treten, durch die Dispersion in die verschieden gerichteten farbigen Strahlenbündel zerlegt, in der Richtung der optischen Axe des Instru- ments aus; daher denn das Linsensystem im Tische desselben ein Ob- Jeetivbild des Spectrums in der gewöhnlichen Einstellungsebene des Mikroskops hervorbringt, welches nun genau so wie jedes andere mi- kroskopische Objeet unter beliebiger Vergrösserung zu betrachten ist. Zur Verwirklichung der hier bezeichneten Forderungen gehört erstens, dass das Prisma gegen die vom Spalte her einfallenden Strah- len so gerichtet werde, dass diese innerhalb des Normalschnittes und zugleich unter dem Minimum der Ablenkung hindurchtreten ; zweitens, dass die Axe des Mikroskops in die Richtung der austretenden Strahlen gebracht werde. — Das Erste wird dadurch erreicht, dass man Prisma sammt Linsensystem um die Axe des letztern und zugleich das Prisma um den zu dieser senkrechten Zapfen, mittelst dessen es von der Fassung getragen wird, so weit dreht, bis der Normalschnitt durch die Mitte des Spaltes geht und die vorderste brechende Fläche von den ein- fallenden Strahlen unter dem Rinfallswinkel der Minimalablenkung ge- troffen wird. Das zweite setzt voraus, sofern ein gewöhnliches ein- faches Prisma Verwendung finden soll, dass man die gemeinsame op- lische Axe des Spectralsystems und des Mikroskops in verticaler Ebene bewegen und in einer bestimmten Richtung feststellen könne. Welches diese sei, ist leicht zu berechnen, wenn man den brechenden Winkel des Prismas und seinen mittleren Brechungsindex , sowie die Neigung der vom Spalte her einfallenden Strahlen gegen die Horizontale kennt. Bezeichnet o den brechenden Winkel, n den Brechungsex- Bd. V 4. 34 E. Abbe, 462 ponenten und u die Minimalablenkung des mittleren Strahls, so ist be- kanntlich sin == M SiN Utp p 9 PA Denkt man hieraus u berechnet, so findet sich der Winkel $, welchen die in der Minimalablenkung austretenden Strahlen mit der Horizontalen bilden , also die der Mikroskopaxe zu ertheilende Lage, esun t wenn unter œ der entsprechende Winkel der einfallenden Strahlen ver- : standen wird. : 4 Bei Mikroskopen , welche , wie die nach englischem Muster gebau- ten, zum Umlegen eingerichtet sind, kann die erforderliche Einstellung natürlich ohne Weiteres bewirkt werden; bei Stativen der gewöhn- lichen Einrichtung dagegen müsste man den Fuss des Instrumentes auf einer keilförmigen Unterlage (deren Winkel im einzelnen Falle nach vorstehender Regel gefunden werden kann) befestigen. Die hieraus ent- springende Unbequemlichkeit lässt sich jedoch vermeiden, wenn man ein Prisma verwendet, wel- ches ausser durch die zwei- malige Brechung noch durch Totalreflexion an einer dritten Fläche ablenkend wirkt. — Um dies zu übersehen, denke man sich ein Prisma, dessen Normalschnitt die Gestalt des Dreiecks ABC besitzt, in sol- cher Stellung, dass irgend ein in der Richtung OP ein- fallender Strahl die Fläche AC unter einem Einfallswin- kel w, trifft, ander Fläche AB total reflectirt wird und nach einer zwei- ten Brechung an BC unter einem Winkel wg austritt. Der Verlauf dieses Strahls ist nun offenbar vom Punkte Q ab derselbe, wie wenn er in einer Richtung O’P’ angelangt wäre, die das Spiegelbild von OP ist, und die nämliche Brechung, die vorher an AC stattfand, an einer Fläche AC’ erfahren hätte, die das Spiegelbild von ‘AC ist; und da ein Gleiches für alle Strahlen , welches ihr Einfallswinkel und welches ihr Brechungsindex sein mag, Geltung behält, so folgt, dass obiges Prisma hinsichtlich der durch Breehung vermittelten , also vom Brechungsindex abhängigen Wirkung, namentlich also in Hinsicht auf die eintretende Farbenzerstreuung, durchaus einem einfachen Prisma mit dem brechen- 1 f f Í b | | | | | | } Ueber einen Speetralapparat am Mikroskop. 463 den Winkel f—« äquivalent ist. Hingegen ist die Gesammtablenkung jedes Strahls, wie man leicht erkennt, um den constanten Winkel 2a grösser als diejenige, die ein unter dem gleichen Einfallswinkel durch das einfache Prisma geleiteter Strahl von derselben Farbe erfahren ha- ben würde. — Demnach hat man durch ein Prisma von obiger Form in seiner Gewalt, die Richtungsverschiedenheit zwischen eintretenden und austretenden Strahlen auf ein vorgeschriebenes Maass v zu bringen und gleichzeitig die Dispersionswirkung eines gewöhnlichen Prismas von ge- gebenem Brechungswinkel p zu erzielen, dabei für eine Farbe — etwa die Mitte des Spectrums — den Bedingungen der Minimalablenkung Genüge leistend. Man hat, wie leicht zu sehen, die beiden Winkel « und $ nur so zu bestimmen, dass die beiden Gleichungen Pa y u +24 =v erfüllt sind, also u 2:8 a 5 ß 2s p+ er 4 zu wählen , hierbei unter u, wie oben, den aus n und g abzuleitenden Werth der Minimalablenkung für das zu ersetzende einfache Prisma verstanden. Soll der Forderung einer totalen Reflexion genügt sein, so muss der Einfallswinkel der Strahlen an der Fläche AC, welcher - beträgt, natürlich kleiner als der Grenzwinkel der Totalreflexion bleiben. Soll z. B. die Richtung der eintretenden Strahlen um 100 gegen die Horizontale geneigt sein, der Austritt aber in verticaler Richtung erfolgen , so ist der geforderte Werth der Gesammtablenkung v = 100°. Hat das betreffende Material — wie es bei dem vom Verfasser ver- wandten stark zerstreuenden Flintglase der Fall ist — einen Brechungs- index n = 1,73 und soll damit die Wirkung eines Prismas von 60% er- zielt werden, so wird, wie die Rechnung zeigt, u gleichfalls 60° (auf die Minute genau) ; daher muss œ = 20°, 8 = 80° gesetzt werden, wo- bei dann, da «+ 3 = 50%, der Bedingung vollständiger Reflexion selbstverständlich genügt ist. So weit die Einrichtungen, welche für die Verwendung des Appa- rats zur Beobachtung des prismatischen Spectrums erforderlich sind. Es ist höchstens noch hinzuzufügen, dass die bei Spectroskopen übliche Scale, welche eine Lagenbestimmung der einzelnen Spectrallinien mög- lich machen soll, leicht ersetzt werden kann durch ein in das Ocular eingelegtes Glasmikrometer mit etwas starken Strichen und nicht zu engen Intervallen. Projicirt sich ein continuirliches Spectrum auf eine 34 * 464 E. Abbe, solche Mikrometerscale, so treten die Theilstriche auf dem farbigen Hintergrunde hinreichend kenntlich hervor. Bei Beobachtung discon- tinuirlicher Speetren dagegen kann man das an sich dunkle Gesichts- feld vorübergehend so weit als erforderlich erhellen, indem man etwas diffuses Licht in das Mikroskop gelangen lässt, sei es mittelst der Spie- gelung einer Prismenfläche, sei es durch ein Stück weissen Papiers, welches man in der Richtung der Axe des Instruments unter dem Prisma hinlegt. Um den Apparat für dasStudium der Beugungsphänomene geschickt zu machen , ist nichts weiter erforderlich, als dass man das Prisma von der Fassung des Speetralsystems entferne und an seiner Statt einen Ring anschraube oder anstecke, mittelst dessen sich die nöthigen Objecte, feine Oeffnungen verschiedener Form, Glasgitter ete., vor der untersten Linse befestigen lassen. Um die Liehtstrahlen, welche vom Spalte oder von einer anders gestalteten Oeffnung an seiner Stelle ausgehen, in die Axe des optischen Systems zu leiten — die jetzt natürlich eine beliebige Lage haben darf — kann für die gewöhnlichen Versuche der an jedem Mikroskop befindliche Planspiegel verwandt werden. Handelt es sich jedoch um vollkommenere Bilder, wie sie gefordert werden, um z. B. die Fraunhofer’schen Linien in einem Gitterspectrum sichtbar zu machen, so benutzt man ein kleines Reflexionsprisma, welches mittelst eines auf den Spiegel aufgeschobenen Ringes vorübergehend an diesem be- festigt wird. Was nun die theoretische Beurtheilung der Leistungsfähigkeit der hier beschriebenen Einrichtung anlangt, so werden hierbei wesentlich drei Dinge in Frage kommen: die zu erreichende Vergrösserung, die Vollkommenheit der Bilder und die Helligkeit, welche bei einer bestimm- ten Vergrösserung erwartet werden darf. — Nach dem, was oben über die Funetionen der einzelnen Theile gesagt wurde, wonach das Spec- tralsystem das Objectiv , Alles zum Mikroskop gehörige dagegen das Ocular eines gewöhnlichen Fernrohrs vertritt, können die für das letz- tere giltigen Regeln auch hier zu Grunde gelegt werden. Es darf also erstens die Vergrösserung, da der Abstand der Lichtquelle (des Spaltes) — ea. 400 Mm. — gegenüber der Brennweite F des Spectralsystems — 95 Mm. — schon als sehr beträchtlich erscheint, ohne merklichen Fehler dem Verhältniss zwischen dieser und der Aequivalentbrenn- weite des Mikroskops gleichgesetzt werden. Gewährt nun das Mikro- skop, d. h. irgend eine bestimmte Combination von Objectiv und Ocu- lar an demselben, für sich betrachtet eine Vergrösserung = N, diese für die gewöhnlich angenommene Sehweite von 250 Mm. berechnet, 50 ist seine Aequivalentbrennweite f bekanntlich EEE Ueber einen Speetralapparat am Mikroskop. 465 250 L= = ‚Mm. ; N demnach die gesuchte Vergrösserungsziffer F N—A 4 T E m, ADOTOU u N. t f ee ıbgerundet 10 Also wird schon durch eine hundertfache Mikro oskopvergrösserung, die mit einem ziemlich schwachen System bequem herzustellen ist, die Wirkung eines zehnfach vergrössernden Fernrohrs erzielt, also dieselbe, welche ein gewöhnliches Spectroskop auf Dreifuss mit Fernrohren von etwa zehn Linien Oeffnung meistens gewährt; und man sie ht, dass auch eine Steigerung der Ve ergrösserung beträchtlich über das obige Maass hinaus immer noch durch Mikroskopsysteme möglich bleibt, welche kaum zu den mittleren an den heutigen Instrumenten gerechnet werden. In Hinsicht auf das zweite, die Reinheit'und Schärfe der Bilder, kann nicht zweifelhaft sein, dass die Anforderungen, welche bei der in Rede stehenden Einrichtung gestellt werden müssen, verhältniss- mässig höher und also schwieriger zu erfüllen sind wie bei den Con- struclionen der gebräuchlichen Art. Die Ansprüche an die Vollkommenheit eines Fernrohrobjeetivs, durch dessen Vermittelung Bilder von vorgeschriebener Gesammitver- srösserung erzielt werden sollen, steigern sich zwar an sich nicht noth- wendig mit abnehmender Preni weite und proportional wachsender Ocularvergrösserung; sie bleiben jedoch nur dann relativ dieselben, wenn die lineare Oeflnung der Linsen in gleichem Verhältniss mit der Brennweite abnehmen darf. Da dies nun aber, wegen der Rücksichten auf die Lichtstärke im vorliegenden Falle unbedingt ausgeschlossen ist, die lineare Oeflnung vielmehr trotz der verminderten Brennweite ein bestimmtes Maass einhalten muss, so wird der Oeffnungswinkel der das Objectivbild formirenden Sstahlenikegel mit abnehmender Focaldistanz rasch grösser und es müssen deshalb die Se hwierigkeiten, das Objectiv in dem erforderlichen Grade aberrationsfrei zu machen, beträchtlich zunehmen. Indess darf hieraus keineswegs geschlossen Herden dass es bei der hier angenommenen E inrichtung unmöglich sei, den: Grad der Vollkommenheit zu erreichen, den ein gutes Fernrohr unter sonst gleichen Umständen gewährt; es folgt vielmehr daraus nur, dass solches Mit denselben einfachen Mitteln nicht möglich sei. Bei den Grössen ver- hältnissen der nach der früher gegebenen Beschreibung ausgeführten Apparate, bei welchen der Brennweite 25 Mm. eine freie Oeflnung von 20, resp. 12 Mm. entspricht, der Oeffnungswinkel also nahe 60° resp. 300 erreicht, konnte also nicht daran gedacht werden, bei einer ge- Wöhnlichen ächroritischen Linse als Objectiv stehen zu bleiben; wohl 466 E. Abbe, aber war zu erwarten, dass durch eine angemessene Gombination aus mehreren Linsen die Aberrationen auch für diese grossen Oeffnungen sich so weit würden beseitigen lassen, als es zur Erzielung hinreichend scharfer Bilder von namhafter Vergrösserung nöthig ist. Dies haben denn auch die in der optischen Werkstatt des Herrn Garl Zeiss in Jena aus- geführten Instrumente vollkommen bestätigt. Das Sonnenspectrum z. B. erscheint bei recht sorgfältiger BRegulirung von Spalt und Prisma in allen seinen Theilen so rein und scharf, dass — nach einer beiläufigen Schätzung — etwa die Hälfte der in der bekannten Kirchhoff’schen Zeichnung aufgeführten Linien wahrgenommen werden können; schon bei etwa achtzig- bis hundertfacher Mikroskopvergrösserung ist das Fraunhofer’sche D deutlich als Doppellinie und sind die dunkeln Strei- fen in der Nähe von G als Gruppen aus sehr vielen feinen Linien zu er- kennen. — Selbstverständlich ist dabei vorausgesetzt, dass das Mikro- skopsystem, welches man zur Beobachtung des Spectral- oder Beu- gungsbildes verwendet, für den in Betracht kommenden Oeffnungswinkel (60° resp. 30%) in gleichem Maasse vollkommen , d. h. hinreichend aberrationsfrei sei, was bei den schwächeren und mittleren Systemen aus den bessern Werkstätten heut zu Tage wohl immer zutreflen wird. Was endlich drittens die Lichtstärke des beschriebenen Spectro- skops anlangt, so ist leicht zu sehen, dass diese, wie bei jedem Fern- rohr, in der Hauptsache nur vom Durchmesser des Objeetivsystems abhängt, vorausgesetzt, dass der Oeflnungswinkel des zur Beobachtung dienenden Mikroskopsystems mindestens dem Oeflnungswinkel der von jenem gelieferten Strahlenkegel gleichkommt ; und zwar wird, wenn man von der Verschiedenheit der zufälligen Lichtverluste absieht, die gesuchte Lichtstärke im Wesentlichen übereinstimmen mit der eines gewöhnlichen Fernrohrs von gleicher Gesammtvergrösserung, dessen Objectiv gleichen Durchmesser mit der untersten Linse des Spectral- systems besitzt. In den beiden Formen, in denen das Instrument aus- geführt wurde, beträgt dieser Durchmesser, wie schon bemerkt, in dem einen Falle 20 Mm. , im andern nur 12 Mm. ; und man wird auch über das erstere Maass nicht erheblich hinausgehen dürfen, wenn nicht einer- seits die Bequemlichkeit der Handhabung, die wesentlich durch die compendiöse Form bedingt ist, leiden, andererseits nicht die Herstel- lung bedeutend kostspieliger werden soll. Es kann daher die neue Einrichtung in Hinsicht auf die Lichtstärke nur mit Fernrohren von höchstens mittleren Dimensionen concurriren; in der grössern Form ausgeführt, wird sie etwa denen von zehn Linien Durchmesser, die man an Spectroskopen gewöhnlich findet, gleichstehen. — Indessen hindert diese Beschränkung keineswegs, die Vortheile auszunutzen, | \ i $ Į $ | a NN Ueber einen Spectralapparat am Mikroskop. 467 welche der Gebrauch stärkerer Vergrösserungen unter geeigneten Um- ständen bieten kann, indem ausser in ganz exceptionellen Fällen grade die Lichtstärke — wie dem Verfasser. scheint — das am wenigsten entscheidende Moment bei den in Rede stehenden Anwendungen ist. Denn benutzt man directes Sonnenlicht, so hat man fastohne Ausnahme mehr um Mässigung, als um Steigerung der Helligkeit sich zu bemühen ; und wie wenig ausserdem bei grossen Instrumenten auf Ausnutzung ihrer Lichtstärke Bedacht genommen wird, ist schon daraus ersichtlich, dass man die Beleuchtung des Spaltes durchweg nur mit einem ebenen Heliostatspiegel bewirkt findet, wobei, wie sich leicht beweisen lässt, wegen des geringen ehe der Sonnenscheibe immer nur ungefähr der hundertste Theil von der Fläche des Fernrohrobjectivs wirklich nutzbar gemacht wird. Bei Beobachtung von Flammenspectren andrerseits ist das Hinderniss für die Wahrnehmung der lichtschwachen Theile meistentheils weniger ihre geringe Helligkeit an sich, als viel- mehr das gleichzeitige Auftreten intensiverer Stellen innerhalb dessel- ben Sehfeldes ; und dieses Hinderniss wird offenbar durch blosse Stei- gerung der Lichtstärke, so wünschenswerth diese natürlich ist, nicht beseitigt, wohl aber dadana. dass man die intensiv leuchtenden Theile thunlichst aus dem Gesichtsfelde entfernt und auch ausserdem vom Auge alle Einwirkungen abhält, welche die Empfindlichkeit für schwache Lichtreize abstumpfen. Ersteres geschieht bei dem hier in Rede stehenden Speetroskop leicht durch eine kleine Drehung des Prismas, resp. der Mikroskopaxe, wenn nöthig unter Beihilfe einer das Gesichtsteld verengenden Blendung, die man vorübergehend in das Ocular einlegt. Für das andere ist es wesentlich — natürlich nur, wenn es sich um schwierige Objecte handelt — dass man nicht allein das Auge gegen blendendes Seitenlicht schütze, sondern auch die nächste Umg gebung des Spaltes und des Mikroskops, soweit von ihr direct oder deck Spiegelung an den Prismenflächen Licht in das Gesichtsfeld ge- langen kann, möglichst verdunkle; weshalb u. A. der Fuss des In- struments am besten mit einem Stück schwarzen Tuchs oder Papiers bedeckt gehalten wird. Entsprechend dem hier Gesagten macht sich denn auch bei dem beschriebenen Apparat ein Bedürfniss nach grösserer Lichtstärke in keiner Weise bemerklich. Schon die kleinere Form, bei welcher Lin- sensystem und Prisma nur 12 Mm. Durchmesser haben, lässt bei Flammenspectren augenscheinlich das Nämliche und des auch mit derselben Leichtigkeit erkennen, wie ein Spectralapparat der bekann- ten Einrichtung in den donaha aa Dimensionen, und erlaubt u. A. 468 E. Abbe, das prismatische Sonnenspectrum schon mit Benutzung des Lichtes einer hellen Wolke unter schwacher Vergrösserung zu beobachten. In Betreff der Aufstellung des Instruments und die Orientirung seiner Theile reichen wenige Bemerkungen aus. — Dass der Spalt parallel sei der Grundfläche des Stativs, welches ihn trägt, die brechende Kante des Prismas parallel dem Zapfen, um den es sich drehen lässt und mit dieser senkrecht zur optischen Axe des Spectralsystems — diese drei Bedin- gungen können bei der Anfertigung ein für allemal erfüllt werden, we- nigstens in soweit, als es irgend erforderlich ist bei einem Gebrauch, : bei dem es sich nirgends um exacte Messungen handelt. Dies voraus- gesetzt, besteht die Aufstellung in folgenden Manipulationen: 1. Man stellt Spaltträger und Mikroskop auf einer ebenen Tisch- platte ca. 400 Mm. von einander entfernt auf und richtet den Spalt nach Augenmaass (vielleicht unter Beihülfe eines kleinen Lineals) senk- recht zur Verbindungslinie. 2. Man befestigt das Spectralsystem in der Tischöffnung des Mi- kroskops, so dass die Kanten des Prismas gleichfalls senkrecht zu jener Verbindungslinie zu liegen kommen. 3. Bei Verwendung eines Prismas mit total reflectirender Fläche bleibt das Mikroskop vertikal stehen ; bei einem Prisma der gewöhnlichen Form dagegen bringt man die Mikroskopaxe in der durch den Spalt gehenden Verticalebene annähernd in diejenige geneigte Lage, welche der Minimalablenkung der mittleren Strahlen entspricht; wobei es zur Vermeidung mehrmaligen Probirens wünschenswerth ist, dass man den Betrag dieser Minimalablenkung für das betreffende Prisma vorher be- stimmt oder vom Verfertiger die betreffenden Notizen erhalten habe. Nach diesen Vorbereitungen wird der Apparat stets so weit orien- tirt sein , dass, wenn man den Spalt etwas weit öffnet, auf irgend eine Art beleuchtet und sodann mit einer schwachen Vergrösserung (der schwächsten , welche das Mikroskop erlaubt) auf den Focus des Objec- tivsystems nahe in der Ebene des Tisches einstellt, bei einer Drehung des Prismas um seine horizontale Axe sowohl die Spiegelbilder des Spal- tes, welche durch Reflexion an den Prismenflächen entstehen, wie auch das Speetralbild desselben nacheinander durch das Gesichtsfeld des Mi- kroskops hindurch passiren. Die letzte Regulirung von hier aus hat nun nichts weiter zu bewirken, als dass jene drei Bilder ungefähr durch die Mitte des Gesichtsfeldes hindurchgehen. Man erreicht dies durch kleine Drehungen des Prismas um die optische Axe des mit ihm ver- bundenen Spectralsystems, welche man, wenn das Mikroskop die Ein- richtung eines drehbaren Tisches besitzt, natürlich durch diese, sonst aber durch Drehen der Hülse des Systems in der Tischöffnung oder REN A nn NE e Ueber einen Speetralapparat am Mikroskop. 469 durch vorsichtiges Verschieben des ganzen Stativs auf seiner Standfläche ausführt. — Ist das Genannte annähernd erreicht, so richtet man schliesslich das Prisma so, dass das Spectrum grade in der Mitte des Gesichtsfeldes erscheint und kann nun, nach Regulirung der Spalt- ; breite, zur Betrachtung desselben mit stärkerer Vergrösserung übergehen. Für die Beugungserscheinungen sind der Vorbereitungen noch we- niger. Hat man an Stelle des Prismas an die Fassung des Linsensystems die Blendung befestigt, welche das zu beobachtende Object, eine enge Oeflnung, ein Glasgitter oder dergl. trägt, so wird der Planspiegel des Mikroskops oder das auf ihm befestigte Reflexionsprisma mit der Hand so gerichtet, dass das betreffende Spectrum oder irgend ein Theil des- selben in der Mitte des Gesichtsfeldes erscheint. Beobachtet man mit einer punktförmigen Lichtquelle, so ist natürlich ihre Stellung gegen das Mikroskop völlig gleiehgiltig; sind aber gitterartige Objecte durch eine lineare Lichtquelle zu beleuchten, so müssen die Linien des Gitters dem Spalte parallel gerichtet werden , wozu die Betrachtung des Bildes selbst die nöthigen Anhaltspunkte bietet. Es mag noch bemerkt werden, dass bei allen Beobachtungen mit Sonnenlicht ein Heliostat keineswegs ein wesentliches Erforderniss ist. Ein kleiner planer oder flach concaver Glasspiegel, an einem hinter dem Spalte stehenden Stativchen so angebracht, dass man ihn mit der Hand beliebig rücken kann, reicht vollkommen aus, das Licht der Sonne, (eventuell auch das einer weissen Wolke) so auf den Spalt zu leiten, dass es zum Prisma oder zum Mikroskopspiegel gelangt, nur dass man alsdann wegen der Bewegung der Sonne öfters nachzuhelfen genö- thigt ist. Nach der eben gegebenen Anweisung ist der in Rede stehende Ap- Parat ohne Umstände und Zeitverlust für den Gebrauch in Stand zu Setzen. Seine Handhabung während der Beobachtung ist jedenfalls Dicht unbequemer, als die jedes andern Speetroskops, hat vielmehr, wegen der compendiöseren Gestalt des Ganzen und wegen der senk- rechten oder wenig geneigten Richtung des Sehens eher einen kleinen Vortheil gegenüber den anderen Einrichtungen. Namentlich scheint dieses der Fall für die Beobachtung der Beugungserscheinungen , die man mit dem kleinen Instrument ganz in demselben Umfang, aber mit einfacheren Mitteln und weniger Umständen wie mit einem Fernrohr zur Anschauung bringen kann. Alle von Scuwern und FRAUNHOFER stu- dirten Erscheinungen dieser Classe, besonders die mannigfaltigen Far- benspectra , welche enge Gitter, einfach oder paarweise gekreuzt, zei- gen, lassen sich theils mit Lampenlicht, theils mit Sonnenlicht auf das Schönste vorführen. Bei diesen Versuchen sowohl, wie bei denjenigen 470 i. Abbe, Ueber einen Speetralapparat am Mikroskop. mit dem prismatischen Spectrum, kommt die Leichtigkeit zu Statten, mit welcher man blos durch Wechseln des Systems oder des Oculars am Mikroskop die Vergrösserung des Bildes zwischen weiten Grenzen verändern kann. Eine schwache Vergrösserung erlaubt, das ganze Spectral- oder Beugungsbild in einer der des natürlichen Sehens fast gleichkommenden Helligkeit mit einem Blicke zur Anschauung zu brin- gen; der Uebergang zu einer beträchtlich stärkeren gestattet, mittelst einer kleinen Drehung des Prismas oder des Beleuchtungsspiegels die einzelnen Theile successive zu durchmustern und auf feinere Details zu untersuchen. Die beschriebene Vorrichtung, die nach den Angaben des Verfas- sers in der optischen Werkstatt des Herrn Carl Zeiss in Jena angefertigt wurde, kann aus dieser in bekannter vorzüglicher Ausführung um mässi- gen Preis bezogen werden, und zwar in den beiden Formen, deren oben Erwähnung geschehen ist. d Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. a Von Dr. Anton Dohrn. 8. Die Uvberreste des Zoöa-Stadiums in der ontogenetischen Ent- wicklung der verschiedenen Crustaceen-Familien. Das Zo&a-Stadium in der ontogenetischen Entwicklung der De- Capoden ist so ausgeprägt und so weit verbreitet, dass, was einst bei Begründung der Krebs - Embryologie durch Rarnke’s Entwicklung des Flusskrebses als Regel erschien, nämlich die Entwicklung des Krebses ohne Z o ëa - Stadium, überhaupt ohne Verwandlung, — heute das grade Gegentheil, die Ausnahme geworden ist. Man kennt bereits eine bedeutende Zahl von Zoöa-Formen der Brachyuren, Ma- Cruren und Anomuren und Frırz Mütter hai uns auch mit der Zoëa- Form zweier Stomato poden bekannt gemacht.!) Durch des- selben Forschers mehrfach angedeutete Meinung?) , in der Zosa den Ur- : Sprung der Insecten suchen zu wollen, hat diese Larvengestalt ein ganz Aussergewöhnliches Interesse bekommen. Dieselbe Anschauung über die genealogische Verbindung der Insecten mit der Zo&a hat sich wei- ze ter ausgebreitet. Zuerst und am ausdrücklichsten folgte ihr Haserku 3, Welcher zugleich die Spinnen und Myriapoden aus derselben Quelle her- zuleiten versuchte. Denselben Weg versuchte ich selbst geraume Zeit | lang; einen Ausdruck fand dies Bestreben in zwei Aufsätzen !). Dann A) Bruchstück zur Entwicklungsgesch. der Maulfüsser. Arch. f. Naturg. 1862, P. 354—361. 2) Vergl. die Verwandlung der Garneelen. Arch. f. Naturg. 4863, p. 13. Fer- ner: Für Darwin p. 33 u. 9. 3) Generelle Morphologie der Organismen, II, p. XCI. . . Derselbe: Natürliche Schöpfungsgeschichte. 4) On the Morphology of the Arthropoda. Journal of Anatomy a. Physiol. I., P. 80 und: Zur Embryologie der Arthropoden. Habilitationsschrift 1868. 472 Dr, Ant. Dohrn, nahm Bessers dieselben Gedanken auf!) , indem er mit dem kugelför- migen Organ der Amphipoden den ursprünglichen Keimhauthügel im Spinnen-Eie verglich. Dann erwähnt dieselben Meinungen, — ohne sie zu theilen — Braver2), und neuerdings haben sich ihr in bedingter Weise angeschlossen Ganin 3) und Van Benepen jun. 4). War die von den genannten Forschern erstrebte Genealogisirung zu Recht bestehend, so gewann in der That Zoëa eine Bedeutung, die weit über die ihr bisher gegebene hinausging. Meine eignen Untersu- chungen, die sich immer weiter ausbreiteten, hatten recht eigentlich die Feststellung dieser Fragen zum Vorwurf; wenn ich mich auch vorläufig über das Endresultat nur kurz aussprechen will, so habe ich doch mit- zutheilen, was ich über die Stellung der Zoëa innerhalb der ganzen Grustaceen-Glasse herausgebracht zu haben glaube. HaecgeL, und mit ihm wahrscheinlich die meisten Zoologen, sehen in der Zo&a eine Larvenform, welche ausschliesslich in der Vorfahren- reihe der Malacostraka bestanden hat. Daraus folgte, dass die gesamm- ten Entomostraken, die Phyllopoden, Girripeden, Daphnien und wie alle die merkwürdigen Formen heissen, — sich von dem gemeinsam seit Nauplius durchlebten Stamm bereits abgetrennt hätten, ehe es noch zur Bildung einer Zo6a gekommen war. So weit wirnun die Ontogenese der Grustaceen kennen, findet sich nur bei Decapoden und Stomatopo- den ein Zo&a-Stadium, und nach Frırz MüLLers Meinung lässt die Re- spirationsweise von Tanais darauf schliessen, dass einstmals auch die lsopoden eine Zo@a-Gestalt besassen. In meinen bereits citirten Aufsätzen vermehrte "ich dann die Beweise für ein Zo&a- Stadium innerhalb der Edriophthalmen, das freilich längst als selbständiges Larvenstadium unterdrückt ist, indem ich den sog. Micropylapparat im Rücken der Amphipoden- und Isopoden-Embryonen für den letzten Ueberrest des Rückenstachels der Zoëa erklärte. Darin ist mir für die Amphipoden die Beistimmung BesseLs geworden, der auf selbständigem Wege zum glei- 1) Einige Worte über die Entwicklungsgeschichte und den morphologischen Werth des kugelförmigen Organs der Ampbhipoden. Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. V., p. 9. 2) Betrachtungen über die Verwandlung der Insecten im Sinne der Descen- denztiheorie. In: Verhandl. d. k. k. zoolog.-botan. Gesellschaft in Wien 1869., p- 299 ff. 3) Beiträge zur Erkenntniss der Entwicklungsgeschichte bei den Insecten. Zeitschr. f. wiss. Zoolog. XIX., p. 394 u. 447. 4) Recherches sur PEmbryogénie des Crustacés. Développement des Mysis. Bull. d. l’Acad. roy. d. Belgique XXVII., p. 239 u. 247. Untersuehungen über Ban und Entwicklung der Arthropoden. 473 chen Resultat kam, wie in dem oben eitirten Aufsatze näher ausgeführt worden ist, Ich vermag aber nicht, in den bisher gebrauchten Kriterien zur Definition der Zoöa mehr als nur einen Theil der Eigenthümlichkeiten betont zu sehen. Frrrz Mörker bestimmt dieselben folgendermaassen !: „Ich möchte den Namen Zoëa auf alle Krebslarven ausdehnen, die zwei Paar Fühler, drei Paar Mundtheile und zwei bis drei Paar Füsse an der Brust besitzen, aber noch der fünf bis sechs letzten Paare der Brustfüsse entbehren.“ Diese Definition passt unzweifelhaft auf die Zosa-Gestalten, die uns jetzt als Larven erhalten sind, aber sollte eine Definition der- Jenigen Zoöa gegeben werden, welche als phyletische Entwieklungsstufe des Krebsstammes bestanden , so würden Geschöpfe einbegriffen wer- den müssen, die der Zoëa, soweit sie Larvenform und uns bekannt ist, Nicht gleichen möchten, da doch in jeder Abtheilung der Krebse, also auch bei den Entomostraken einmal ein Stadium bestanden haben Muss, wo sie jener fünf bis sechs letzten Paare der Brustfüsse entbehr- ten. Ob dies Stadium aber so ausgesehen hat, dass wir es gleichfalls mit dem Namen Zoëa belegen würden, wenn wir es heute fänden, dar- über vermag uns jenes Kriterium der Zahl der Gliedmaassen allein eben nicht aufzuklären, — wir müssen nach andern Kennzeichen su chen. Die charakteristischen Eigenthünlichkeiten der Zoëa erblicke ich aber in ihren verschiedenen Stacheln, die wir als Rücken-, Stirn- und Seitenstacheln kennen. Frırz MüLzer scheint der Meinung zu sein, diese Stacheln seien keine Rigenthümlichkeit der phyletischen Entwicklungs- stufe Zosa gewesen, sondern erst von den Larven der Malacostraka selbst erworben. Anders wenigstens vermag ich die folgenden Worte nicht zu verstehen 2) : ‚Wie die Stachelfortsätze der Zo&a, so sind die Scheeren am vorletzten Fusspaare des jungen Brachyscelus als von der Larve selbst erworben anzusehen.‘ Sollte ich diese Stelle aber auch missyerstehen , jedenfalls scheint mir, dass wir mit Sicherheit auf die Stachelausrüstung der Ur-Zosa schliessen können, aus den überall verbreiteten Rudimenten dieser verschiedenen Stachel. Dass jener «Mieropylapparat» am Rücken der Amphipoden-Embryo- ùen als Ueberbleibsel des Stachels gedeutet werden müsste, erschien mir 50 wahrscheinlich, dass ich an eine ins Einzelne gehende Beweisführung ursprünglich nicht dachte. Erst als mir von mehreren Seiten darin 1) Bruchstück zur Entwicklungsgeschichte der Maulfüsser, p. 361, Anmerkg. 2) Für-Darwin, p. 85. sw 474. Dr, Ant, Dohrn, widersprochen wurde, sah ich mich genöthigt, weitere Aufschlüsse zu suchen und einen vollständigeren Beweis zu versuchen. Derselbe war nur so zu führen, dass bei Decapoden, deren Zoëa keinen Stachel mehr entwickelte, an derselben Stelle, wo dieser Stachel hätte sitzen sollen, eine Zellenanhäufung nachgewiesen wurde, welche mit derjenigen von Edriophthalmen-Embryonen mehr oder weniger identisch wäre. Dieser Beweis gelang mir, als ich in Messina die Embryonen von Pandalus Narval untersuchte. DieZo&a dieses Krebses besitzt nur einen Stirnstachel, der Rückenstachel und die Seitenstacheln sind ver- schwunden. Untersucht man aber den Embryo in den Eihäuten, so gewahrt man dicht an der hinteren Grenze des Panzers auf dem Rücken über dem Herzen gelegen einen Zellhaufen, der bei leichtem Druck des Deckgläschens sich als eine Vorragung ergiebt, die aussen an die Blastodermhaut stösst, welche hier sowohl, wie bei allen andern De- capoden-Embryonen von mir aufgefunden wurde. Dieser Zellhaufen wies in der Mitte eine Vertiefung auf, in die anfänglich die Blastoderm- haut trichterförmig hineingezogen war. Die vorragende Partie des Hau- fens bestand aus kleineren Zellen von 0,005 Mm. Durchmesser; umge- ben war dieser Haufen von grösseren Zellen der Rückenwand, welche weniger dicht waren und 0,048 Mm. maassen. Die Breite des Haufens betrug 0,08 Mm. Die Dicke oder, wenn man will, die Höhe 0,02 Mm., während die Rückenwand nur 0,004 Mm. maass. Diese Angaben zu- sammengehalten mit der Thatsache, dass die fertige Zoëa keinen Rücken- stachel besitzt, machen es höchst wahrscheinlich, dass der eben be- schriebene Zellhaufe das letzte Rudiment dieses Stachels bildet. Diese Angaben können indess noch vervollständigt werden, wenn man einen Blick auf die Art der Anlage des Stachels wirft, wie sie bei der Zoöa des Portu nus puber sich finden. Der Stachel legt sich dort als solider Zellkegel an, dessen Spitze nach vorn zu liegt, während die Basis halbkreisförmig in die Rückenwand sich hineinwölbt. Rund herum liegen die Zellen der seitlichen Wulste , welche die Wurzeln des Stachels in der Rückenwand bilden und allmälig in die letztere über- gehen. Dächten wir nun, eine Rückbildung träte ein, so würde zuerst die Spitze sich nicht mehr so weit über die Rückenwand nach vorn legen, das ganze Gebilde würde sich im Gegentheil’allmälig nur auf seinen Grundtheil beschränken und seine Höhlung würde als jene Ver- tiefung zurückbleiben, wir würden somit das Gebilde erhalten, wel- A ches wir von Pandalus Narval beschrieben haben. Ich habe noch weitere Bezüge ausder Entwicklungsgeschichte des Palinurus anzuziehen. Wir treffen in der Entwicklung dieses merk- würdigen Krebses kein Z o&a- Stadium mehr als freie Larvenform. Die Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthıropoden. 475 Larve, welche das Ei verlässt, ist ein Phyllosoma!). Man hat sich in vielfachen Bedenken bewegt, wie dies Stadium sich zu dem Ent- wicklungsgange der andern Decapoden verhielte. ob nicht aus ihm eine Schwierigkeit für die Genealogisirung erwüchse. Ganz und gar nicht! Die Loricaten Palinurus und Scyllarus — wahrscheinlich auch Ibacus, Pseudibacus ete. — überschlagen das Zosa-Stadium, das zu einer gewissen Periode im Ei zu erkennen ist, und verlassen die Bihülleh als eine merkwürdig abgeflachte,, fast vollständig entwickelte Krebslarve, die etwa die Entwicklungshöhe einer Krabbenlarve zwischen Zoëa und Megalops-Stadium besitzt. Die charakteristische Abge- Nlachtheit der Phyllosomengestalt erschwert nur für den oberflächlichen Blick die Homologisirung, denn der breiteste vordere Abschnitt ist nichts als der Zosa-Panzer, in dessen Höhlung die in vielfache Schläuche getheilten Lebern liegen. Dächte man die Lebern weg, oder zu ein- fachern Organen gebildet und näher der Mittellinie liegend, so würden die Seitenräume des flachen Panzerschildes sich nach unten biegen lassen und man hätte eine Zoëa vor sich, die freilich keinerlei Stacheln mehr trüge und bereits den Weg zur Megalops- Form halb zurückge- legt hätte. Dass dem in der That so ist, geht aus dem Rudiment des Rücken- Stachels hervor, das man an den Embryonen des Palinurus findet. Dasselbe sitzt grade am Hinterrande des vorderen breiten Schildes, dessen Homologie mit dem Zosa-Panzer ich eben betonte, und bildet einen Wulst der Rückenwand. Die Breite der Wandung beträgt 0,02 Mm. und ist dreimal so stark als die Rückenwandung; die Breite des ganzen Wulstes ist 0,070 Mm. An einem Embryo gewahrte ich, dass bei leisem Druck das Rudiment, als ein napfförmiger Wulst sich nach innen senkte, die Wandungen derselben waren viel dunkler als die Rückenwandung, das Ganze erinnerte mich sehr an die Gestalt des Haftorgans der Daphniden-Embryonen und der Evadne. An zwei andern Embryonen löste sich bei Druck die Cuticula des Rückens ab, und die Zellen der Rückenwand wölbten sich jede einzeln nach aussen vor; dagegen bildete der Wulst keine Vorwölbung und keine einzelne Zelle ward discret sichtbar, das ganze Gebilde grenzte sich mit flacher Linie nach aussen ab. Wie begreiflich, ist die Structur des Rudiments hier noch ver- Wischter und rückgebildeter, als bei den Zoöa selber, denn wir haben es schon mit einem Stadium zu thun, welches das Zo&a-Stadium be- deutend überschritten hat. 4) Vergl. Dohrn, zur Entwicklungsgeschichte der Panzerkrebse. Zeitschr. f, W. Zool., XX. 476 Dr. Ant, Dohrn, Bei den Embryonen von Homarus habe ich schliesslich gar keine Andeutung des Rückenstachel- Rudiments mehr gefunden: die Ent- wicklung geht dort rascher und abgekürzter, und obwohl ein Stirn- stachel sich noch bei den ausgekrochenen Larven findet, sind doch schon frühzeitig vom Rückenstachel keine Spuren- mehr zu sehen, Von der Embryologie der Stomatopoden wissen wir nichts: weder Frrrz Mürter noch mir ist es gelungen, Eier und Embryonen zu untersuchen. Dass wir aber an den jüngsten Larven derselben, den Alima’s und Erichthus sowohl Stirn-, wie Rücken- und Seiten- stacheln finden , ist bereits durch Frırz Mürter’s oben eitirle Untersu- chungen bekannt und wird durch eine ausführlichere Darlegung der Larvenstadien von Squilla und Gonodactylus, welche ich in die Reihe dieser Aufsätze einfügen werde, bestätigt werden. Zahlreicher dagegen sind unsre Erfahrungen über das Auftreten des Stachelrudiments innerhalb der Amphipoden und Isopoden. In ersterer Abtheilung ist dasselbe, wie oben bereits erwähnt, zuerst auf- gefunden und fälschlich als Micropylapparat gedeutet worden. Dass wir diesen Zellhaufen der Edriophthalmen-Embryonen nun aber in der That für das Rudiment des Rückenstachels und somit für ein Monument des 7osa-Stadiums zu halten berechtigt sind, — das glaube ich durch die vorstehenden Mittheilungen bewiesen zu haben. Frırz Mürter weist auf dieses Rudiment hin, als allen Amphipoden zukommend ; ich habe es auch bei Idothea- Embryonen gefunden und auf der Tafel zu meiner Habilitationsschrift abgebildet. Es ist dort ähn- lich wie bei Palmurus-Einbryonen nur noch ein dicker Zellhaufen ohne sonderliche Umbildungen. Bei Asellus und andern Isopoden habe ich keine Spur von demselben mehr entdeckt. Dagegen beschrieb ich eine vollkommen identische Bildung bei denGumaceen- Embryonen !) und den Embryonen von Praniza maxillaris?2). Bei beiden erlangt der Apparat keine wesentliche Umbildung, erscheint vielmehr als ein ein- faches Rudiment. Bei den Amphipoden dagegen finden wir allerhand merkwürdige Umbildungen. Ich habe in der eitirten Habilitationsschrift die erste An- lage des Apparates beschrieben. Dieselbe erfolgt, wenn die Keimhaut bereits den ganzen Dotter überzieht, und wird dargestellt durch einen Haufen grosser kugliger Zellen 3). Aus diesem Haufen gehen nun aller- hand sonderbare Umbildungen hervor. Man findet die Larvenhaut stets 4) Jenaische Zeitschrift V., p. 56. 2) Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie XX. 3) Vergl. die Darstellung Bessel’s a. a. O., p. 95. peene Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden, 477 in Verbindung mit demselben ; mitunter wird sie durch einen Aufsatz, der wie eine Krone aussieht, gehalten, manchmal durch eine gruben- oder canalartige Vertiefung, dann fand ich bei einer L ysianassa aus der Scylla bei Messina ein gewölbtes Gitter — kurz die verschiedenartigsten Bildungen , die recht deutlich beweisen, dass dies Organ keine wesent- liche Function mehr erfüllt und darum nicht an eine bestimmte Gestalt gebunden ist. (Vielleicht bieten diese Verschiedenartigkeiten einen brauchbaren Wegweiser für die genealogische Verknüpfung der Amphi- poden unter sich.) Die kronen- oder gitterartigen Aufsätze danken, wie ich direct beobachten konnte, einzelnen umgebildeten Zellen, die ihren Inhalt und Kern verlieren und ganz in die Bildung einer äussern und innern Cuticula aufgehen, ihren Ursprung. Somit finden wir also diesen Rückenstachel entweder vollständig ausgebildet bei vielen Zoëa der Brach yuren oder als Rudiment bei Macruren; wir sehen ihn bei Larven der Stom atopoden und als Rudiment bei Cumacee n, Isopoden und Amphipoden. Und da- mit stände denn in Einklang, dass man die Malacostraken als von der Zo&a gemeinsam a usgehend darstellt. Denn ebenso wieHomarus undAstacus, wiePalinurus und Sc yllarus das freie Zosastadium unterdrückt haben, so ist dasselbe geschehen von den Cumaceen, von Mysis und den Edriophthalmen. Die Entomostraken, die Branchiopoden, Cirripeden, kurz alle andern Crustaceen sollen dagegen ihre definitive Ausbildung erlangt haben, ohne durch ein Zoöastadium gegangen zu sein. Diese Ansicht hat vor allen Dingen die Thatsache für sich, dass wir keiner Z oëa als freier Larve in dem Entwicklungsgange irgend einer der an- geführten Familien begegnen. Aber sie hat gegen sich, dass wir Ge- Slalten wie Nebalia finden, die sichtbar zu den Malacostraken hin- überweisen, dass wir ferner zwischen Ph yllopoden und Mala- °ostraken Homologieen in der Weise aufstellen können , dass erstere die einfacheren, ursprünglichern , letztere die daraus hervorgehenden, verwickelteren Gestalten bilden, —- wir haben schliesslich als ausschlag- Sebendes Argument anzuführen,, dass sich das Zo&a-Stachel-Rudiment bei fast allen Familien der Entomostraken nachweisen lässt. Leider habe ich trotz aller Bemühungen noch keine Phyllopo- den -Eier bekommen können; ich muss also mich begnügen, fremde Forschungen zu benutzen. So sagt Sırorp !): »Mit dem rudimentären einfachen Auge darf jenes problematische blasenförmige Organ nicht verwechselt werden, welches hinter den zusammengesetzten Augen 1) Vergleichende Anatomie der wirbellosen Thiere, p. 445, Anmerk. 8. Ba V A 32 Dr. Ant. Dohrn, 478 gewisser Phyllopoden und Lophyropoden angebracht ist. Bei Apus ent- hält dies Organ einen viertheiligen Kern (s. SCHAFER , der krebsartige Kieferfuss, Tab. Il., Fig. 1b, oder Zappaca De Apodis cancriformis anatome et historia evolutionis p: 48, Tab. Il, Fig. 10 P und Fig. 25); der blasenförmige Körper, welcher sich beiLimnadia hinter dem Auge aus dem Innern des Kopfes gegen die Stirne hin erhebt (s. Brosntrt, Mémoire sur le Limnadia, in Mémoires du Musée d’histoire naturelle tom. VI, p. 88, pl. 13, Fig. 6), soll nach Strauss zur Anheftung des Thieres dienen können (vergl. Museum Senckenberg. Bd. II, p. 126, oder Férussac Bulletin des sciences naturelles. Tom. 22, 1830, p. 333).« Aus diesen Citaten wähle ich die folgenden aus. Die Angaben Zan- pacs lauten : »Praeter oculos compositos, adultis in animalibus organon quoddam reperitur, quod oculum simplicem esse putavit Schaeffer. Inter margines enim oculorum compositorum posteriores eminentia quaedam parva invenitur forma rotunda, margine acuto. Superficies hujus eminentiae albida et nitens est, media autem in ea macula quae- dam conspicitur, quae quasi quatuor lobulis composita, stellae sive crucis formam refert et viventibus animalibus colore sanguineo, mortuis obscuriore et nigro est. Non semper autem tam distincte inter se dis- juncti sunt lobuli, ut figura nostra eos ostendit, sed interdum mihi qui- dem in unam maculam rotundam confluere videbantur. — Haec est hujus partis species externa, quaestione anatomica id reperi. Si testa cephalothoracis externa abstrahitur , ille ejus locus, qui eminentiae su~- perficiei insitus erat, pellucidus et illis testae partibus simillimus repe- ritur, quae oculos compositos obtegunt. Tum si eminentiae illius su- perficiem contemplaris, maculae illae rubrae integerrimae adhuc con- spieiuntur. Apparet autem superficiem obtegens membrana quaedam tenerrima et mollissima, hoc modo constructa. Media ejus pars om- nino est pellucida, margo autem latus colore albido et nitente stru- cturam, ut ita dicam, imperfecte radiatam praebet, quum innumerabiles lineae tenerae ac multis modis inter se conjunctae connexaeque a mar- gine ad mediam partem decurrere videantur. Si haec membrana, quae solute tantum eminentiae insita est et saepe ad testam conternam ad- haerescit, removetur, subito omnes diversi colores auferuntur et tota superficies unum modo colorem subrubrum praebet. Ipsa autem emi- nentia, parieti posteriori illius cavitatis insita, quae ventriculi cordis arteriosi pars anterior est ac supra diligentius descripta, multis filamen- tis solidis componi videtur, quae a margine ejus radiatim ad partes adjacentes se conferunt, a parte media autem per cavitatem illam libere pervadunt et hujus parieti inferiori affixa sunt. Nequaquam autem haec filamenta nervosa, sed magis tendinosa esse videntur et tanta sunt Untersuchungen über Ban und Entwicklung der Arthropoden, 479 soliditate , ut difficile discerpi et dissecari possint. Ilam quidem cavi- tatem nervus, cujus jam supra mentio facta est, e nervo oculi juvenili animali proprii ortus intrat et duos in ramos finditur, sed porro hos persequi non potuit. — Et haec habeo, quae de his partibus dicere possim; ut accuratius perquiram, apta, exemplaria mihi deerant. Itaque quamquam de vera hujus organi natura et functione dijudicare non possum, id minime intelligi potest, quomodo hae partes oculi vice fun- gantur, quum nec lentis nec corporis vitrei vestigium reperiatur. Contra maculae illae rubrae, quae in superficie eminentiae- conspiciuntur, co tantum effici videntur, quod per partem illius membranae supra de- scriptae mediam ac pellucidam illae partes, quas sanguis corde pro- pulsus interfluat, conspiciuntur, — Hoc totum organon in juvenilibus animalibus omnino desiderari et tum demum, quum jam omnes fere ceterae corporis partes perfectionem adeptae sint, existere, infra vide- bimus.« Soweit ZappacH’s Angaben über Apus. Derselbe Forscher erwähnt auch ein Citat aus Jurıne’s Mittheilungen über Argulus, wo dasselbe Organ als Gehirn beschrieben wird. BrocnIarT sagt über Limnadia dagegen Folgendes: »La tete offre à sa partie supérieure un petit appendice vesieulaire, droit, incolore, dont j'ignore lusage.« In einer Besprechung der Mittheilungen Tnomson’s über die Larven der Cirripeden sagt dann Srrauss Dürckneım in Fé- russac’s Bulletin: vet, ce qui les (Limnadia et Pentalasma) rapproche encore davantage, c'est que, dans les Limnadia:il existe au devant du corps un pédoncule court, renfle en haut, par le moyen du quel ces animaux se fixent momentanément aux corps, absolument comme les Pentalasma le font d'une manière permanente.« Und in Uebereinstim- mung mit den Angaben Zanpacn’s bei A pus sagt LEREBOULLET in seinem »Développement de la Limnadie de Herrmann« (Annal. d. scienc. natur. 5. Serie V. p. 308) : »L’appendice pyriforme qui surmonte le front chez l'adulte mexiste pas encore dans la Limnadie, dont la carapace n'est Pas achevée. Il se forme peu à peu par un redressement de la partie du front située dernière les yeux. « Von Limnetis sagt Grusr !): »Ebensowenig scheint ein andrer, vor dem einfachen Auge gelegener Körper (vielleicht eine blos anders beschallene Stelle der Kopfbekleidung) eine solche Bedeutung zu haben. Es ist dies ein länglichrundes, mit einer Reihe von Härchen besetztes Mal (arca oblong: Lovén) , welches wie eine fensterartige Vertiefung aussieht und von dem sich ein dicker herabgekrümmter Strang zum 4) Bemerkungen über die Phyllopoden p. 22. Dr, Ant, Dobru, Unterrande des Auges begiebt, er hat nicht das Ansehen eines Muskels, ist öfters gelblich gefärbt und zeigt mitunter einen gewissen Schimmer. « Es scheint mir, als wenn die hier beschriebene Bildung mit dem in | Rede stehenden Rudiment zusammen gehöre, Eine andere wichtige Aeusserung habe ich aus Leyvie’s Aufsatz über Branchipus anzuführen !), Es heisst dort: »Bei Branchi- pus liegt in der Mittellinie hinter dem Stirnfleck ein Gebilde, über 1 dessen Bedeutung ich gar nichts auszusagen weiss. Es besteht aus einem Ring, der von der Cuticula gebildet wird — der unschlossene Raum beträgt 0,0405” — und nach innen sitzen unter der vom Ringe begrenzten Stelle kleine Säckchen, die hell sind und 0,00675” messen. Bei Larven ist dies Gebilde grösser als beim entwickelten Thier. An Artemia habe ich es vermisst.« Leypie nennt dies Organ »räthsel- haftesOrgan«. Aber sowohl die topographischen Bestimmungen, als die Erwähnung der kleinen Säckchen deuten zur Genüge an, dass wir es mit einem Gebilde zu thun haben, welches die nächsten Beziehungen zu dem Stachelrudiment der Malacostraken- Embryonen hat und somit nicht anders gedeutet werden kann als jenes. Ist aber das Rudiment da, so muss auch einmal das volle Gebilde bestanden haben, mithin müssen die Phyllopoden ein Zoöastadium gehabt haben. Damit stimmt denn auch ihre Berührung mit den Malacostraken durch Nebalia und die Ableitbarkeit der Malacostraken- Organisation aus dem Phyllopodenkörper. Strauss’ Nachricht, dass jenes » räthselhafte Organ« im Nacken der Limnadien zur Anheftung diene, öffnet uns nur den Weg zur Heran- ziehung der Gladoceren. In meinem Aufsatz über die Entwicklung der Daphnien?) habe ich auch der Entwicklung dieses »Haftorgans « ge- dacht. Die Lage, in der wir es finden, entspricht vollkommen derjeni- gen, in welcher es bei den Malacostraken - Embryonen sich zeigt, und seine Structur weicht nur insoferne ab, als hier das Organ nicht func- tionslos ist. Rudimentär müssen wir es immerhin nennen, insofern es das Rudiment des ursprünglichen Stachels ist; aber als Rudiment hat es eine neue Function gewonnen und infolge dessen auch eine etwas verschiedene Structur. Aufsätze oder grubenartige Vertiefungen finden wir nun nicht mehr, aber wir erkennen eine eireuläre Wulstung, welche als Saugnapf dienen kann. Besonders ausgebildet ist dieselbe bei Evadne; leider habe ich zur Zeit, als ich Evadne zu Tausenden ge- 4) Ueber Artemia salina und Branchipus stagnalis. In Zeitschrift f. wiss. Zoo- logie II., p. 304. 2) Jenaische Zeitschrift f. Med. u. Naturw. V. p. Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden 481 fangen hatte, noch keine Beachtung für dieses Gebilde bezeigt, muss also auf eine nur oberflächliche Zeichnung, die ich vor Jahren nahm, und die Nachrichten Lovey’s und Levckart’s mich stützen. Wie be- kannt, beschreibt Ersterer jenes Gebilde als kreisrunden Muskel, wäh- rend Leucrarr ausführlicher darüber spricht !). Ich setze aus Leuckarts Aufsatz nichts Einzelnes her, weil er für die Frage nach der Natur des Rückensaugnapfes der Gladoceren ganz und gar von Wichtigkeit ist, und wohl nachgelesen zu werden verdient. Genug, wenn aus all Die- sem hervorgeht, dass wir in dem Saugnapf das ursprüngliche Stachel- rudiment zu erkennen haben und damit zugleich das Ergebniss ge- winnen, dass auch die Daphnien einstmals als Zo&a bestanden haben. Sollte aber irgend Jemand Anstoss daran nehmen, dass ein Rudi- ment eines Stachels sich zu einem Saugnapf ausbilde, so ist dagegen zu sagen, dass dies nicht merkwürdiger ist, als wenn ohne ein solches Rudiment ein Saugnapf irgendwo am Körper auftritt. Im Gegentheil; Stade da, wo das Rudiment besteht, ist die Vorbedingung zur Ent- slehung eines Saugnapfes bereits gegeben : die kreisförmige Verdickung der Haut. Und der Rückenstachel der Zosa ist ohnehin nicht etwa als eine Guticular-Bildung anzusehen , die durch Auswachsen einer Hypo- dermiszelle zu Stande gekommen sei; der Stachel ist im Gegentheil ur- Sprünglich eine Verlängerung des Schildes, wie uns anderweit anzu- stellende Betrachtungen lehren , und in seine Bildung geht eine höchst bedeutende Zahl von Hypodermiszellen ein. Darüber haben wir freilich weder Nachrichten noch Vermuthungen , was die erste Ausbildung des Saugnapfes bewirkt hat. Indess auch diese Frage wird sich noch eher beantworten lassen, wenn wir das Stachelrudiment als vorhanden an- Sehen, als wenn wir glauben müssten , der Saugnapf habe sich aus heiler Haut plötzlich eingestellt. Bei denOstracoden lässt sich bis jetzt keine Spur des Organs auffinden ; weder hat C la us in seiner neuesten Darstellung der Ent- Wieklung von G ypris ovum?) eine Angabe darüber gemacht, noch ist eS mir gelungen, irgend etwas auf das Rudiment Bezügliches mit Sicherheit zu erkennen. Es ist sehr wohl denkbar, dass alle Spuren desselben völlig erloschen sind, wie ja auch das Naupliusstadium sofort den Charakter des Erwachsenen annimmt durch die Schalenbildung. Dagegen finden wir die mächtigste Entwicklung des Stachelrudi- Be NER 1) Carcmologisches. Archiv f. Naturg. XXV., p. 262. 2) Beiträge zur Kenntniss der Ostracoden. Würzburger naturw. Zeitschrift 1868, p. 454. 482 Dr, Ant. Dohrn, ments bei den Girripeden. Die wichtigste Nachricht darüber ver- danken wir PaAcznstecHer !). Derselbe berichtet: »Was die Art der An- heftung von Lepas betrifft, so war ich früher nach den mit Herrn Pro- fessor Leuckart in Helgoland gemachten Beobachtungen der Ansicht, das wesentlichste Element für dieselbe sei in einem Napfe nach Art des bei Evadne vorkommenden gegeben, welcher provisorisch wirke, bis eine Ankittung an die Unterlage durch Secretschichten denselben ent- behrlich mache. Es besteht allerdings bei diesen Larven ein Höcker in der Medianlinie zwischen den beiden Antennen, dessen Spitze eine von einem muskulösen Wulste umgebene Grube darstellt, und derselbe ist für die Stielbildung von Wichtigkeit. Aber hauptsächlich fungiren jeden- falls die Antennen als Haftorgane, — etc.« Und weiterhin : »Von jener napfähnlichen Hervorragung am Scheitel ausgehend, entwickelt sich als eine breitere, durch die Muskelthätigkeit angedrückte Fläche mit verdickter Haut die Basis des sich allmälig ausziehenden Stiels . . ete.« Diese napfähnliche Hervorragung ist nun wieder nichts Anderes als das Rudiment des Zo6astachels, das hier eine colossale Weiterentwicklung erlangt und zu dem Stiel der Lepaden wird. Auf diese Meinung ver- fiel ich, ehe ich Kenntniss von der ursprünglichen Entstehung des Stiels hatte, weil die topographischen Beziehungen des Stiels und des Saug- napfes der Cladoceren identisch sind und die Function des Lepaden- stiels sich aus der ursprünglicheren jenes Saugnapfes ableiten lässt. Aber viel früher hatte schon Leuckart?) aus denselben Gründen diese Homologisirung angedeutet, die er noch besonders durch den Hinweis auf eine Beobachtung Tnomson’s zu unterstützen weiss. Letzterer sage nämlich, »dass sich die zweischaligen Larven dieser Thiere mit dem Rücken anheften, und dass man hier, in der Nath zwischen den Scha- len bei den noch umherschwirrenden Individuen bereits die spätere Befestigungsstelle unterscheiden könne, Wir sehen somit, dass auch diese, früher so heterogen erschei- nende Krebsgruppe sich leicht in den Stammbaum der Krebse einfügt, und in allernächster Beziehung mit den übrigen steht. Sie hat eben- falls ihr Zo&astadium gehabt und ist somit auch den Malacostraken aufs Nächste verwandt °). 4, Untersuchungen über niedere Seethiere aus Cette Il. Zeitschr. f. wiss. Z00- logie XII., p. 9. 2) A. a. O. p. 264. 3) Dieser Aufsatz war bereits in den Druck gegeben, als mir durch die Freund- lichkeit des Herrn Professor Craus desselben neueste Schrift »Die Cypris-ähnliche Larve (Puppe) der Cirripeden und ihre Verwandlung in das festsitzende Thier. Ein - Beitrag zur Morphologie der Rankenfüssler, Marburg und Leipzig. 1869«, zuging. Untersuehungen über Ban und Entwicklung der Arthropoden. B So bleibt uns nur noch eine Familie zur Untersuchung übrig: die Copepoden. Es scheint keine Spur eines Rückenstachel - Rudiments bei den frei lebenden Copepoden mehr vorzukommen. Der Monograph Diese Schrift scheint den hier vorgetragenen und später auf das Ausführlichste aus- einanderzusetzenden Ansichten jeden Boden zu entziehen, — ich gebe daher ihre wesentlichen Resultate hier im Auszuge und setze meine abweichenden Meinungen in Kürze dagegen. Herr Professor Craus hat die Cypris -ähnlichen Larven von Lepas fasci- cularis und pectinata, sowie von Conchoderma virgata untersucht; ausser diesen benannten jedoch noch mehrere grosse und kleine, welche nicht zu bestimmen waren. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen sind die folgenden: 4) Der von PAGENSTECHER beschriebene geöffnete Vorsprung an den vorderen Seitentheilen der Schale, welchen Darwın als Oeffnung eines Gehörganges in An- Spruch nahm, soll auch nach Craus das Residuum der seitlichen Stirnhörner der zugehörigen Naupliusform sein. »Wenn aber derselbe Autor (PAGENSTECHER) be- merkt, dass dieser conische Höcker keinerlei weitere Organe anzudeuten scheine, so kann ich dem um so weniger beistimmen , als das Seitenhorn der Nauplius- larve an seiner Spitze einentschiedenesSinnesorgan trägt, dessen Spuren auch im späteren Larvenstadium nachweisbar bleiben.« 2) Die Haftantennen der Autoren hält CLAus mit Kronn, Frırz MÜLLER, PAGEN- STECHER und MeEczuıkow für die umgewandelten ersten Extremitäten der zugehörigen Naupliuslarve. Er hält dies Resultat für um so sicherer, als er in dem » Vor- kommen eines sehr mächtigen blassen Cuticularanhanges an den Endgliedern der angehefteten Antennen« das Homologon der zarten blassen Riechfäden erkennt, die an den ersten Antennen bei Entomostraken sowohl wie bei Malacostraken vor- kommen, 3) Für die Haftantennen nimmt Craus vier Glieder in Anspruch, deren erstes und zweites mächtige Muskulatur enthalten und gegen einander knieförmig ge- bogen sind., Das dritte Glied bildet die Haftscheibe, das vierte sitzt frei an dieser und trägt Borsten und jenen Cuticularanhang, der als Sinnesorgan gedeutet ist. 4) An den Cementdrüsen unterscheidet man einen verengerten röhrenförmi- gen Ausführungsgang, der grossentheils in der Antenne verläuft, während der stab- förmige (?), am Ende zuweilen mehrfach ausgebuchtete Drüsenschlauch mitunter im Grundglied der Antenne, mitunter aber auch weit hinein in die Mantelduplica- tur der Schale sich erstreckt. 5) Die Mundextremitäten deutet CrAus folgendermaassen: die sog. Mandibeln mit dem sog. Taster der Oberlippe seien die eigentlichen Maxillen, — homolog den gleichen Theilen der Copepoden — . die Aussenmaxillen und Innenmaxillen Dar- wiw’s aber als äusseren und inneren Kieferfüsse der Copepoden ; — diese Deutung gilt aber nur, falls es sich bestätigt, dass das dritte Extremitätenpaar der Nau- Pliuslarve abgeworfen wird. 6) Craus hält seine frühere Homologisirung des Cirripedienleibes mit dem der Copepoden aufrecht, weist dagegen den Vergleich mit den Ostracoden zurück, Er glaubt die Homologisirung der Copepoden -Schwimmbeine und der Rankenfüsse als zweifellos ansehen zu dürfen, und nimmt an, dass das letzte Ran- kenfusspaar dem Paare von Höckern entspräche, welche sich bei den Cope- Poden am Genilalsegmente oberhalb der Geschlechtsöffnung erheben. Der 484 Dr, Ant. Dohrn, der letzteren, Craus, erwähnt nichts derart und ich kann trotz des aus- drücklichsten Suchens während eines Winters in Messina nichts zur Ergänzung seiner Forschungen in dieser Beziehung beibringen. Man Schwanzanhang des Cirripedienleibes würde dann dem Cyclopsschwanze ent- sprechen. 7) Craus leugnet vollständig die Anwesenheit eines Saugnapfes, mittelst dessen sich die jungen Larven zuerst festsetzen sollen, dessen weitere Entwicklung dann den Cirripedenstiel hervorbrächte. »Man überzeugt sich alsbald , dass der Stiel nichts weiter als den sich ver- längernden Kopftheil des Krebses in Verbindung mit den verschmolzenen Basal- stücken der Haftantennen darstellt und keineswegs etwa der Auswuchs eines am Scheitel zwischen den Antennen gelegenen Höckers mit napfförmiger Grube ist, wie von PAGENSTECHER behauptet wird.« Freilich giebt auch Craus die Anwesenheit eines »kurzen, conischen Vorsprungs zu, in welchen die Vförmigen Chitinsehnen hinein- ragen, welcher gewissermaassen den Verbindungsabschnitt für die Basalglieder der Antennen bilde und mit denselben während der nachfolgenden Häutung eine völlige Verschmelzung zur Bildung des Stieles eingehe«. Hieraus folge, dass in gewissem Sinne der Vergleich des Lepadidenstieles mit dem langausgezogenen Kopfe des Leucifer, den Darwın anführt, zu- treffend sei. Es folgen dann noch Angaben über die Bildung der typischen fünf Schalstücke der Cirripeden, die uns hier nicht weiter interessiren. Diesen Angaben setze ich folgende Meinungen entgegen, deren Begründung demnächst in einem Aufsatz: »Eine neue Naupliusform (Archizoda gigas)« und in der grösseren Schrift: »Geschichte des Krebsstammes, nach embryologischen. anatomischen und palaeontologischen Quellen entworfen. Ein Versuch «, geliefert werden soll: 1) Der offene Vorsprung an den Seitentheilen der Schale ist allerdings der Ueberrest des Seitenhorns der Nau pliuslarve, trägt aber ebensowenig wie dieses ein Sinnesorgan. 5 2) Die Haftantennen sind die Seitenhörner der Naupliusform, welche Cuti- cularanhänge tragen und in ihrem Innern eine Drüse mit röhrenförmigem Ausfüh- rungsgange besitzen. 3) Diese _Drüse ist die Cementdrüse. 4) Die Homologisirung des Cirripedenleibes mit den Copepoden ist un- statthaft. Vielmehr sind die Cirripedenauf Limnadia-ähnliche Krebse zu- rückzuführen, Die Copepoden sind durch Vermittlung der Siphonostomen auf die Cirripeden zu reduciren. 5) Zwischen Kopf und erstem Rankenfusspaar der Cirripeden sind ungefähr zehn Extremilätenpaare und Segmente ausgefallen. : 6) Der Stiel ist hervorgegangen aus einem Homologon des Saugnapfes der Daphnien und der Phyllopoden, welche in dieser Schrift als Rudimente des Zo6astachels gedeutet werden. Die Befestigung mittelst der Seitenhörner und der Gementdrüsen ist der Folge nach secundär, aber die hauptsächlichste. Der Ver- gleich des Lepadidenstieles mit dem langausgezogenen Kopfe des Leueifer lässt sich in morphologischer Beziehung nicht festhalten. Zu 2) bemerke ich noch, wie allerdings eine Möglichkeit, aber, so viel ich nenn N Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 485 könnte darauf hin behaupten, die Copepoden hätten den Weg ihrer Entwicklung gemacht, ohne durch die Zo&a zu schreiten. Wäre es aber nicht nahliegender, zu vermuthen, dass die Gopepoden die Zo&astadien unterdrückt haben, als zu glauben, dass diese einzige Familie der Grustaceen vom Nauplius an einen anderen Weg einge- schlagen hat, als alle übrigen und dennoch in so naher Berührung mit den übrigen geblieben wäre, dass wir die Homologieen ohne Schwie- rigkeit auffinden können ? Wenden wir uns aber zu den parasitischen Gope poden, so wird es uns möglich, diese Vermuthung zur Wahrscheinlichkeit oder zur Ge- wissheit zu erheben , so weit in Fragen dieser Art von Gewissheit zu reden ist. Schon Lsverarr deutet in dem erwähnten Aufsatze darauf hin. In einer Anmerkung sagt derselbe : »Möglicherweise dürfte auch der fadenförmige Haftapparat an der Stirn von Ghalimus und ge- wissen Arten von Caligus als Analogon des Rückensaugnapfes bei den Daphniden betrachtet werden können.« Und es liegt gewiss schr nahe, diese sonderbaren Haftapparate so zu deuten, nachdem einmal die Er- kenntniss gewonnen ist, dass der Stiel der Lepadiden nur ein stark entwickelter und etwas veränderter Saugnapf ist. Indem wir aber auch hier die Entwicklungsgeschichte befragen und das früheste Stadium, das wir von der Bildung des Haftstranges -kennen, zu Rathe zichen, gewinnen wir mehr als eine blosse Vermuthung über die Ableitbarkeit des Haftapparats aus dem Stachelrudiment, denn wir finden, dass in der That die erste Anlage des Stranges in einem Zellhaufen zu suchen ist, der genau den Stachelrudimenten gleicht, welche wir bei den Ma- lacostraken kennen gelernt haben. Schon v. Norpmann berichtet in seiner Beschreibung des Embryo an Achtheres percarum!) von diesem Haftstrange Folgendes: »Eins der ersten Organe, die sich bei der Bildung des Embryo erkennen lassen , ist das-Auge. Es zeigt sich gross, rund und macht sich zwar nicht durch ein gefärbtes Pigment, aber durch eine dunkle Begrenzung leicht bemerkbar.« Darauf beschreibt er einen spiraligen Strang, der sich an. dies »Auge« begiebt. Hören wir aber, was der spätere Unter- Sucher Craus darüber sagt?) : »An dem vorderen Ende des Leibes, da wo der Stirnrand der späteren Larve liegt, bildet sich ein eigenthüm- nn nF kann, keine Wahrscheinlichkeit besteht, dass der kleine Anhang an den aftplatten das rudimentäre erste Extremilätenpaar der Naupliuslarve sei. H 1) Mikrographische Beiträge zur Naturgeschichte der wirbellosen Thiere, zweites deft, p. 80. 2) Zeitschr. f. wiss. Zoologie XI, p. 289. 486 Dr. Ant, Dohrn, liches Organ , welches schon v. Nornnann gekannt, aber fälschlicher- weise für das Auge gehalten hat. Dieses Gebilde, dessen Entstehung wir etwas näher. verfolgen wollen, ist nichts als ein späteres Haftorgan, mit welchem sich die Larve nach der zweiten Häutung befestigt. Das- selbe wird angelegt in Gestalt eines ovalen, mit Kernen durchsetzten Körnchenhaufens, der sich zuweilen in eine rechte und linke Hälfte ge- theilt zeigt. Später hebt sich aus demselben und zwar in der Mittel- linie, ein glänzender homogener Körper hervor, welcher dem Stein- rand der Larve dicht anliegt. Mit diesem Stirnzapfen im Zusammen- hange tritt ein ebenfalls fettig glänzender. medianer Strang in dem feinkörnigen Gewebe auf , der sich auf Kosten des letzteren vergrössert und in spiraligen Windungen zusammengelegt wieder nach vorn zu- rückbiegt. . .« Die ganze Entwicklung des Achtheres zeugt von be- deutender Verkürzung; die äusserst frühzeitige Ausbildung des »ovalen, mit Kernen durchsetzten Körnchenhaufens« legt deutliches Zeugniss davon ab, dass dasselbe einem der frühsten Stadien in der phyletischen Entwicklung des Achtheres angehört hat. Die Ausbildung und Ver- bindung desselben mit andern Gebilden gehört späterer Zeit an, ebenso wie die Stielbildung der Cirripeden. Wir haben überall, besonders aber bei den Malacostraken das frühzeitige Auftreten des Zellhau- fens kennen gelernt, — es wird also nichts dagegen einzuwenden sein, wenn wir beide Zellbaufen mit einander homologisiren und daraus fol- gern , dass auch unter den Vorfahren des Achtheres sich eine Zoëa befunden hat. Da aber erst nach erfolgter Anlage und Ausbildung des Haftapparats die Gyclopsgestalt auftritt, so können wir schliessen, dass da, wo überhaupt ein G yclops erscheint, das Zosastadium zwar vorhergegangen, aber unterdrückt sei, dass also auch für die freileben- den Gopepoden durch Vermittlung der Entwicklungsgeschichte auf ein Zoeastadium geschlossen werden kann. So finden wir also die phyletische Entwicklung des Krebsstammes bedeutend länger, als bisher angenommen wurde, in einer einzigen Entwicklungsreihe enthalten, aus der erst später die verschiedenen Ordnungen sich differenzirten. Ich behalte mir die Darstellung dieser Scheidung der Ordnungen für einen späteren Aufsatz vor: hier will ich noch kurz erwähnen, dass auch von den Seitenstacheln der Zosa sich Rudimente vorfinden, und dass sich allein hierauf die blattförmigen Anhänge der Asellus-Embryonen zurückführen lassen, wie aus der bereits mitgetheilten Entwicklungsgeschichte einer Tanais her- vorgeht. Diese Anhänge sind freilich von andern Forschern anders aufge- fasst worden. In seiner ausgezeichneten Histoire naturelle des Crusta- ze Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 487 ces d’eau douce de Norvège 1. livraison p. 121 sagt G. O. Sars, er glaube, diese Anhänge seien dazu bestimmt, die eiweissartige Flüssig- keit der Bruttasche aufzusaugen und den Embryo so zu ernähren. In derselben Weise erklärt sich dieser Forscher auch das Rückenstachel- rudiment der Amphipoden-Embryonen. Aber zu einer solehen An- nahme berechtigt uns nichts; ich muss mich Van BENEDEN jun. an- schliessen, welcher in seiner Bearbeitung der Asellus- Embryologie t) dieser Hypothese jede Grundlage abspricht. Van BEveDEn sagt an dieser Stelle: »— aussi je préfère les considérer avec Mr. Dohrn comme ne remplissant chez ces animaux aucune fonction spéciale, et peut-ètre repr6sentent-ils à létat rudimentaire un organe qui, chez d’autres crustacés, ont joué un rôle important dans le développement de lem- bryon. Nous dirons, en passant, que nous avons découvert, chez les embryons de Mysis un organe qui, par sa situation, son développement et sa structure, parait être la représentant morphologique des appen- dices foliacés des Asellus, mais qui est plus rudimentaire encore que chez cet Isopode.« In einer zweiten Arbeit über Mysis!) sagt derselbe Verfasser dann: »— Cet organe apparait sous forme d'un mamelon cel- lulaire dans la concavité de la courbe décrite par les antennes supérieu- res, par conséquent, sur les flanes de l'animal. Quand l'embryon s'est entoure de la cuticule nauplienne et qw'il est sur le point de quitter les enveloppes de V’oeuf, le tubercule cellulaire a pris une forme ovale al- longée, et on y reconnait une couche externe de cellules eylindroides, serrées les unes contre les autres, eirconscrivant une petite cavité rem- plie d’un liquide réfringent, qui parait communiquer avec la masse deutoplasmatique. Quelle est la signification de cet organe, et quelles sont ses fonctions?« Hiernach weist Van Bexeven darauf hin, dass die beschriebenen Bildungen mit den blattförmigen Anhängen des Asellus homolog seien, und schliesst mit dem Satze: »Quant à la question de savoir quelle est la signification et la röle de ces organes, je la crois insoluble dans létàt actuel de nos connaissances.« Ich hatte brieflich Herrn Van Beneoen meine Meinung mitgetheilt; derselbe antwortet mir aber, er könne sie nicht theilen: »si on considere que ces organes apparaissent et qu'ils atteignent tout leur développement, avant que l'embryon ait atteint la forme zoéenne, et alors qu'il est pourvu seule- ment des appendices caractéristiques du Nauplius, il me semble que on doit chercher homologue de cet organe, non chez la Zoëa mais 4) Recherches sur PEmbryogénie des Crustacés. Observations sur le Deve- loppement, de l'Asellus aquaticus. Bull. d. ’Acad. roy. d. Relgique XXVII, p. 27. 2) Recherches etc. Développement des Mysis. Bull. d. PAcad. XXVII, p. 244. 488 Dr. Ant: Dohrn, chez les formes naupliennes.« Dieser Grund wäre sicherlich ausschlag- gebend, wenn nicht bei der grossen Verkürzung der Entwicklung, die wir hier finden, das Ineinanderschieben der Stadien so gross wäre, dass wir nicht ohne Weiteres den Grundsatz befolgen können, unter allen Umständen das ontogenetisch früher entstehende auch phylogene- . tisch früher entstanden zu glauben. Sicherlich bestand das Herz der Zo6a zusammen mit nur wenigen Extremitätenpaaren, und alle übrigen Paare der Malacostraken werden erst später erworben: nichts desto _ weniger werden in sämmtlichen Embryonen fast alle Extremitätenpaare angelegt und ziemlich weit ausgebildet, che das Herz gebildet wird. Ebenso ist es unzweifelhaft, dass die gabelförmigen Anhänge des Pleon bei Asellus den Ruderorganen entsprechen, welche neben dem Telson an der Zoëa und allen Malacostraken als letztes Pleopodenpaar bestehen und viel eher in der Stammesentwicklung auftreten, als die übrigen Pleopoden und Pereiopoden. Dennoch legen sich im Embryo des Asellus die Pereiopoden eher an, als die sämmtlichen Pleopoden, das letzte Paar, die gabelförmigen Anhänge, mit eingeschlossen. Bei den Embryo- nen von Tanais dagegen entstehen die Pereiopoden zuerst, dann die gabelförmigen Anhänge, und erst spät die übrigen Pleopoden. Ebenso ist es bei Cuma. Dies ist ein gutes Beispiel von der Schwierigkeit ge- nealogischer Untersuchungen. Ehe man nicht einen Ueberblick über die gesammten Formen eines Thierkreises gewonnen hat, wird man grosse Schwierigkeiten finden in der richtigen Deutung der rudimen- tären Organe; und was die anzuwendenden Prineipien genealogischer Forschung anlangt, so haben sie noch erst ihre Dauerhaftigkeit zu er- proben, haben zu erweisen, ob sie als Gesetze oder als Regeln auf- treten, ob sie als letztere ihre Ausnahmen haben, oder als erstere aus- nahmslos gelten. Bis jetzt ist noch keine einzige Arbeit geliefert, aus der man ersehen könnte, welchen Werth die dedueirten Sätze und Principien haben, wie weit die Anwendung sie umgestalten wird. Wir werden darum auch um so weniger erstaunt sein dürfen, wenn wir auf viele Widersprüche stossen, — allein nur auf diesem Wege können wir endlich zu einem wirklichen Besitz genealogischer Methodik kommen. Ebenso wie die blattförmigen Anhänge gleichzeitig, ja sogar noch vor der Anlage der ersten Extremitäten entstehen, legt sich auch das Rückenstachelrudiment der Amphipoden vorher an. Dennoch bezweifle ich nicht seine Natur als Stachelrudiment. Dächten wir uns andrerseits, bei den Gumaceen-Embryonen kämen dieselben blattförmigen An- hänge vor, wie bei dem Asellus, so würden sie gleichfalls grade über der Leberanlage ihre Insertion haben. Diese Stelle der äusseren Kör- omenen j Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden, 489 perwandung gehört aber den Seitenstücken des Cephalothorax an, der bei den Cumaceen im Gegensatz zu den Isopoden noch besteht. Der Cephalothorax würde also seitliche Fortsätze tragen. Morphologisch- genealogisch betrachtet ist aber das Gephalothoraxschild nichts andres, als das ausgestaltete Zo&aschild, wir hätten also dann seitliche Fort- Sätze auf dem Zosaschilde anzunehmen, und diese Fortsätze wären identisch mit den Seitenstacheln. (Van Beneven irrt ausserdem in der Behauptung, die blattförmigen Anhänge entständen aus dem hinteren Theile der Kopfplatten; sie entstehen vielmehr hinter den Kopfplatten in derselben Queraxe, in welcher die Leberanlagen liegen. Die Kopf- Platten gehören nur dem späteren Kopf und seinen Theilen an, und dieser trägt keine Seitenhörner bei Zoëa.) Ferner habe ich anzuführen , dass ich eine Zeit lang zweifelte , ob Nicht die Saugnäpfe der Da phnien auf ein Rudiment des Stirn- Stachels zurückzuführen wären, weil sich am Hinterrande der Schale ein langer Stachel entwickelt, der erst allmälig mit den Schalenhälften Yerschmilzt, anfänglich aber frei liegt. Ich bin indessen von dieser Meinung zurückgekonmen und halte das von mir als »Schalenstachel« beschriebene 1) Gebilde für einen neuen Erwerb der Daphnien. Nun bleibt mir aber noch ein wichtiges Capitel zur Besprechung übrig. Schon Eingangs bemerkte ich, welche Bedeutung der Unter- Suchung über die Verbreitung des Zo&astadiums unter den Crusta- een zukäme. Fast sämmtliche Forscher, welche die phyletischen Verhältnisse der Arthropoden erörtert haben, sind eben von der Meinung ausgegangen, dass die Zo&a ausser den Malacostraken auch Sämmtlichen Insecten , Spinnen und Myriapoden Stammvater gewesen sel, Wie schon oben bemerkt, theilte ich diese Ansichten. Nach mehrjähriger vergleichender Untersuchung der Arthropoden- Emb "yologie bin ich aber davon zurückgekommen. Je schärfer sich Nach weisen lässt, dass der Nauplius der Stammvater, die Zoëa der Durchgangspunkt aller Grustaceen gewesen ist, um so hinfälliger Werden alle Kriterien, auf welche die. Homologisung der Crustaceen Mit den übrigen Arthropoden gegründet wurden. Ist es nicht ein Merk würdiges Factum, dass an der Lösung einer seit Oxrx’s Zeit auf- 8eworfenen Frage alle Zoologen, und darunter die bedeutendsten und Scharfsinnigsten , vergeblich gearbeitet haben? Oder wäre die soge- nannte Gliedmaassentheorie heute auf gesicherterem Boden als ehedem ? an vergleiche nur einmal die Homologisirung innerhalb der verschie- denen Wirbelthier- Abtheilungen mit derjenigen, welche die Lehr- 1) Vergl; Jenaische Zeitschrift V. f R A 490 Dr. Ant, Dohrn, bücher über die Arthropoden mitzutheilen wissen, — und man wird einen Gegensatz finden, wie zwischen einem massiven Gebäude und einer Strohhütte. Und können wir nach so vielen, besonders in der letzten Zeit gewonnenen Kenntnissen etwa uns rühmen, einer wahren Gliedmaassen - Theorie näher gekommen zu sein? Wahrlich nicht. Der Fehler liegt aber nicht in unserer zu geringen Kenntniss der Anatomie f oder Entwicklung der Arthropoden, sondern darin, dass wir glau- 7 ben, die Frage, welche einer vergangenen Periode der Zoologie ange- hört, müsse nothwendig positiv beantwortet werden. Eine wirkliche Homologie der Gliedmaassen zwischen Krebsen, Insecten, Spinnen und Tausendfüssen kann aber nur versucht werden, nachdem vor- gängig festgestellt worden, dass diese Thierclassen auch auseinander hervorgegangen sind. Dass dies der Fall sei, ist aber bis jetzt nur An- | nahme, freilich eine sehr alte, sie lässt sich aber nach meiner Meinung nach den Fortschritten , welche die vergleichende Embryologie gemacht | hat, nicht mehr festhalten, — im Gegentheil, sie lässt sich mit Erfolg | bekämpfen. Es wird gewiss Niemand eingefallen sein, die Grusta- 1 ceen aus den insecten, Myriapoden oder Spinnen genealogisch her- l leiten zu wollen; die Annahme war immer, dass die Grustaceen, dass d der Nauplius das Ursprüngliche und alle Arthropoden - Abtheilungen — aus ihm ableitbar wären. Allein je sicherer wir in den verschiedenen | Abtheilungen der Krebse das Naupliusstadium auffinden können, selbst | wenn es nur noch als eine blosse Haut persistirt, um so unmöglicher | wird es, etwas Aehnliches für die Insecten z. B. nachzuweisen und I auch die scheinbaren Annäherungen der Ichneumoniden -Larven, die wir durch Ganın kennen gelernt haben, beweisen nach meiner Ueber- zeugung hiefür nichts. Bressers sowohl wie ich selbst haben versucht die Embryonalhäute der Insecten mit der Larvenhaut der Grustaceen zu identificiren, — allein diesen Versuch muss ich als gänzlich miss lungen betrachten. Freilich wissen wir nach den bisher beobachteten örscheinungen absolut nichts mit diesen Häuten anzufangen ; ihre Aub fassung als Hüllen kann nur provisorische Geltung haben und kann ebensowenig ihre functionelle als morphologische Bedeutung erschöpfen. Aber die neueren Untersuchungen fremder Forscher und meine eignen; | die ich zur Aufklärung dieser schwierigen Verhältnisse geführt habe, | lassen auch tiefer in die hier verborgenen Geheimnisse blicken, und I sobald ich diese Untersuchungen zu einem bestimmten Abschlusse ge- | führt habe, werde ich sie veröffentlichen, und nachweisen, dass diesen »Hüllen« die weitgreifendste Bedeutung für den Aufbau des Insecten- körpers zukommt und jede Homologisiring derselben mit Hüllenmem- a nme: branen oder Larvenhäuten gänzlich unstatthaft ist. Untersuchungen über Ban und Entwicklung der Arthropoden. 491 Mit diesen Andeutungen muss ich mich hier begnügen. Lässt sich aber der genealogische Zusammenhang der Insecten und Crustaceen Nicht anders feststellen, als dass man zugiebt, sie stammen beide aus den Würmern ab, so fallen damit auch die Homologisirungen ihrer Gliedmaassen weg. Dann haben wir erst zu suchen , ob sie beide aus einem Punkte des Würmerkreises entspringen , oder ob sie nicht, weit von einander getrennt, aus jenem gemeinsamen Mutterschooss aller höheren Thierabtheilungen entstanden sind. Es ist sehr schwer, dar- auf auch nur vermuthungsweise heute zu antworten, ich enthalte mich auch jeder Meinungsäusserung, die vielleicht doch nach neuen Unter- suchungen modifieirt werden müsste. Esistauch genug, auszusprechen, dass und warum hier noch Alles in der Schwebe ist. Beiträge zur Plastidentheorie. Von Ernst Haeckel. Hierzu Taf. XVII und XVII. 1) Die Plastidentheorie und die Zellentheorie, Die biologische Theorie, welche ich als Plastidentheo rie im dritten Buche meiner generellen Morphologie, und vorzüglich im neun- ten Gapitel begründet habe , ist entsprungen aus dem Bedürfniss, die Zellentheorie auf dem gegenwärtigen Standpunkte ihrer Entwickelung mit der Descendenztheorie in Verbindung und Einklang zu setzen). Fast alle Naturforscher, die nach dem Erscheinen von Darwın’s Werk über die Entstehung der Arten sich zu Gunsten desselben aus- sprachen und in der Descendenztheorie die einzig mögliche Lösung aller morphologischen Fragen erblickten, gingen zunächst auf die organische Zelle, als auf das gemeinsame Formelement zurück , aus welchem durch unendlich mannichfaltige Anpassung und Umbildung der ganze unermessliche Formenreichthum des Thier- und Pflanzenreichs ent- sprungen sei. Die Thatsache, dass fast alle Thiere und Pflanzen ihren individuellen Ursprung einer einfachen Zelle verdanken, dass fast alle Sporen und Eier von Thieren und Pflanzen?) wirklich einfache Zellen sind, rechtfertigte unmittelbar den höchst wichtigen Schluss, dass auch die Arten und Stämme, alle grösseren und kleineren Formengruppen 4) Hascker, Generelle Morphologie der Organismen. 4866. Vol. I, Cap. IX: Morphologische Individuen erster Ordnung : Plastiden: oder Plasmastücke. p. 269 bis 289. 2) Unter Pflanzen - Ei verstehe ich hier natürlich nicht das, was die Botaniker bisher meistens unpassenderweise so nannten, sondern vielmehr die echte Ei- zelle, welche bei den Phanerogamen «Keimbläschen» oder Embryobläschen gè- nannt wurde. Beiträge zur Plastidentheorie. 493 von Organismen, ihren gemeinsamen historischen oder phyletischen Ursprung einer einzigen einfachen Zelle verdanken. Dieser höchst be- deutende Rückschluss von dem einzelligen Ursprung der Individuen auf den einzelligen Ursprung der Phylen oder Stämme ist unmittelbar Serechtfertigt durch das biogenetische Grun dgesetz, welches ich im XX. Capitel der generellen Morphologie (im fünften Buche) mit den folgenden Thesen ausgesprochen habe : »40. DieOntogenesis oder die Entwickelung der organischen Individuen, ist unmittelbar bedingt durch die Phylogenesis, oder die Entwickelung des organischen Stammes (Phylum), zu welchem dieselben gehören. 44, Dio Onto- Senesis ist die kurze und schnelle Recapitulation der Phylogenesis, bedingt durch die physiologischen Functionen der Vererbung (Fort- Pflanzung) und der Anpassung (Ernährung). 42. Das organische In- dividuum wiederholt während des raschen und kurzen Laufes seiner individuellen Entwickelung die wichtigsten von denjenigen Formverän- derungen, welche seine Voreltern während des langen und langsamen Laufes ihrer paläontologischen Entwickelung nach den Gesetzen der Vererbung und Anpassung durchlaufen haben. 43. Die vollständige und Setreue Wiederholung der phyletischen (paläontologischen) durch die Ontetische (individuelle) Entwickelung wird verwischt und abgekürzt durch secundäre Zusammenziehung, indem die Ontogenese einen immer Seraderen Weg einschlägt ; daher ist die Wiederholung um so vollstän- diger, je länger die Reihe der successiv durchlaufenen Jugendzustände ist. 44. Die vollständige und getreue Wiederholung der phyletischen durch die ontetische Entwickelung wird gefälscht und abgeändert durch Secundäre Anpassung, indem sich das Bion während seiner indivi- duellen Entwickelung neuen Verhältnissen anpasst; daher ist die Wie- derholung um so getreuer, je gleichartiger die Existenzbedingungen sind, unter denen sich das Individuum und seine Vorfahren entwickelt haben ,« (Vergl.. auch Frırz Münzen, »Für Darwin). Ich habe mir erlaubt, dieses biogenetische Grundgesetz von dem Wirklichen Causalnexus der Ontogenie und Phylogenie, der individuellen und paläontologischen Entwickelungsgeschichte hier Wörtlich zu wiederholen, weil ich dasselbe für höchst wichtig halte und auch für die nachfolgenden Erörterungen stets im Gedächtniss zu be- halten bitte. Denn die physiologischen Gesetze der Vererbung und An- Passung und ihre Wechselwirkung im Kampfe ums Dasein gestatten uns, mit Hülfe jenes Grundgesetzes die Vorgänge der organischen Ent- ‚Wiekelung wirklich zu verstehen und als die nothwendigen Folgen von Mechanisch wirkenden Ursachen (Gausae eflicientes) zu erklären. Ohne Ba. V. 4. 33 494 Ernst Haeckel, jenes Grundgesetz dagegen ist ein wirkliches Verständniss der Er- scheinungen in der Entwickelungsgeschichte überhaupt nicht möglich. Wenn es nun also durch die Anwendung jenes Gesetzes unmittel- bar möglich wurde, auf eine einfache organische Zelle, als auf die ur- sprüngliche gemeinsame Wurzelform aller Organismen zurückzugehen, und wenn demgemäss die einfache Zelle nicht blos das anatomische Formelement, der gemeinsame Baustein aller Thiere und Pflanzen blieb, sondern auch ihre historische Urform, ihre gemeinsame Stammwurzel wurde, so mussten sich doch alsbald neue Schwierigkeiten für diese Theorie aus den beiden Fragen ergeben: Wo kam die erste Zelle her, welche die Stammform aller folgenden wurde? Und wie verhalten sich jene zahlreichen niederen Organismen, die weder selbst den Formwerth einer Zelle besitzen, noch aus echten Zellen zusammengesetzt sind? Indem wir die Beantwortung der ersten Frage einer nachfolgenden Be- trachtung über Moneren und Urzeugung vorbehalten, wollen wir hier zunächst die Erörterung der zweiten Frage in Angriff nehmen. Als Ausgangspunkt für diese Erörterung muss immer die Thatsache festgehalten werden, dass noch gegenwärtig eine grosse Anzahl von niederen Organismen existirt, auf welche wirklich der Begriff der Zelle in dem üblichen Sinne durchaus nicht angewendet werden kann. Den Begriff der Zelle halten wir dabei in derselben Umgrenzung fest, in welcher er nach dem Vorgange von Max ScuuLrze gegenwärtig von der grossen Mehrzahl der Histologen angenommen und beibehalten wor- den ist. Diese Feststellung des heutigen Zellen - Begriffs, die bedeu- tendste und folgenreichste Reform der Zellenlehre seit ScHLEIDEN und Scuwann, war zwar schon durch Remakxs wichtige Untersuchungen über die hüllenlosen Furchungskugeln und Embryonalzellen (1850—1855) angebahnt, bestimmt.und mit dem vollen Bewusstsein ihrer weitrei- I chenden Tragkraft jedoch erst von Max Scnuurze 1860 in seinem Aufsatze über: »Die Gattung Cornuspira unter den Monothalamien ete.« mit den Worten ausgesprochen: »Die Zelleaufdem ursprünglichen membranlosen Zustande stellt nur ein nacktes Proto- plasma-Klümpchen mit Kern dar.« (l. c. p. 299). Die aus- führlichere Begründung dieses Satzes gab derselbe dann 1861 in dem Aufsatze: »Ueber Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle zu nennen habe.« Der Hauptsatz desselben : »Eine Zelle ist ein Klümp- chen Protoplasma, in dessen Innerem ein Kern liegt« (l. c. p. 44) ist | daselbst ausführlich begründet und durch Beispiele erläutert. Ich selbst hatte mich schon, gelegentlich meiner in Neapel (im Som- mer 1859) und in Messina (im Winter 1859/60) angestellten histologi- schen Untersuchungen, bei vielen niederen Thieren davon überzeugt, EEE, een mn Beiträge zur Plastidentheorie, 495 dass wirklich vollkommen membranlose Zellen existiren, die geformte fremde Körper mittelst amoeboider Bewegungen in ihren nackten, wei- chen Protoplasmaleib aufnehmen können. An einer Thetis fimbria, welche ich behufs Untersuchung des Gefässsystemes mit in Wasser fein zertheiltem Indigo injieirt hatte, machte ich am 10. Mai 1859 in Neapel die Beobachtung, dass die Indigokörnchen in das Innere der Blutzellen massenhaft aufgenommen wurden, und lieferte damit zum ersten Male den thatsächlichen Nachweis, dass feste Körper von nackten Zellen nach Art freier Amoeben »gefressen«, in das Innere ihres hüllenlosen Protoplasma — Leibes aufgenommen werden können 1). Den Fortschritt, welchen die Zellentheorie durch den wirklichen Nachweis vollkommen membranloser Zellen und durch die von Max Senurrze darauf begründete Reform des Zellenbegriffes machte, war höchst bedeutend, und viel folgenreicher, als damals von den meisten Histologen geahnt wurde. Unter allen Fortschrittien, welche sowohl die Morphologie, als die Physiologie der Zelle in dem letzten Decennium Semacht haben, kann sich keiner an folgenschwerer Wichtigkeit mit jener Reform messen. Mit der Hülle, welche nach der herrschenden, von Scureiwen und Scuwann überkommenen Anschauung jede Zelle umschliessen sollte, mit diesem Dogma von der Bläschen-Natur der Zelle fielen die wichtigsten Schranken, welche bis dahin den freien Fortschritt und die weitere Entwickelung der Zellentheorie gehemmt hatten. Allerdings entstanden schon gleich im Beginn dieser weiteren Ent- Wickelung neue Schwierigkeiten. Die umfassenden Studien, welche Srade in jenen Jahren über viele bis dahin wenig oder gar nicht be- kannte niedere Organismen angestellt worden waren, die Untersuchungen von Max ScnuLrze über verschiedene Rhizopoden, von De Bary über die Myxomyceten, von Crararkpe und Lacumann über die Infusorien, meine eigenen Arbeiten über die Radiolarien, lehrten eine Menge von Organis- men kennen, bei denen der kaum gewonnene neue Zellenbegriff aufs Neue durch die Thatsachen gefährdet oder überhaupt nicht anwendbar erschien. Indessen war Max ScHuLrze, der diese neuen Schwierigkeiten wohl erkannte, auch sogleich bemüht, sie aus dem Wege zu räumen. Er führte schon in der Arbeit über Cornuspira den Nachweis, dass die contractile , festflüssige, eiweissartige Substanz, welche den wich- \igsten Leibesbestandtheil der genannten Organismen und insbesondere aller Rhizopoden bildet, und welche seit Dusarnın unter dem Namen Sarcode bekannt war, mit ‘dem Zellen - Protoplasma der höheren 1) Hacker, Monographie der Radiolarien (1862), p. 104, 33" 496 Ernst Haeckel, Thiere und Pflanzen identisch sei. ScuurLrze nahm an, dass dieses Pro- toplasma oder die Sarcode der Rhizopoden , welche, nackt in das um- gebende Wasser hineinragend, die bekannten formwechselnden Pseu- dopodien bildet, aus Zellen entstanden sei, und glaubte damit den »Triumph der Zellentheorie auch über diese niedersten organischen Gebilde ausgedrückt zu haben«. In seiner trefflichen Schrift über »das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen« (1863) ist diese Anschauung ausführlich begründet. Ich werde darauf nachher in dem Abschnitt über »die Plastiden und das Protoplasma der Rhizopoden« noch näher zurückkommen. Die Theorie, dass die früher sogenannte Sarcode der Rhizopoden und anderer Protisten wirklich als freies, nacktes, hüllenloses Proto- plasma, gleich demjenigen der Thier- und Pflanzenzellen zu betrachten sei, und dass also in allen Organismen ohne Ausnahme überall eine eiweissartige, festflüssige, contractile Substanz, das Plasma oder Proto- plasma, der wichtigste Körperbestandtheil und der eigentliche Träger der Lebenserscheinungen sei, diese »Protoplasma-Theorie« kann jetzt als fast allgemein anerkannt gelten. Denn in der That hat sich bei allen Organismen, ohne eine einzige Ausnahme, dieses Protoplasma im ersten Beginne der individuellen Existenz des Organismus, im Eizu- stande oder im Sporenzustande, als der wesentlichste, wenn nicht ein- zige Körperbestandtheil herausgestellt. Anders aber verhält es sich mit dem zweiten Theile von SceuvLrze’s Theorie, dass das nackte Protoplasma oder die Sarcode vieler niederen Organismen in allen Fällen »aus Zellen entstanden« sei. Für viele der niedersten Organismen ist dieser Satz nicht haltbar und grade dieser Umstand hat mich zu meiner Plastiden- Theorie geführt. Es sind nämlich inzwischen, zum grossen Theile durch meine eigenen Untersuchungen, eine grosse Anzahl von niedersten Organismen bekannt geworden, deren Sarcodekörper oder Plasmaleib zu keiner Zeit des Lebens eine Spur von Kernen zeigt, und bei denen demgemäss nach Sonuurze’s eigener Zellendefinition von einem Zusammenhange mit einer Zelle überhaupt nicht die Rede sein kann. Vergeblich suchen wir nach Kernen in dem structurlosen Körper der Moneren, der zeitlebens einzig und allein aus homogenem Protoplasma besteht. Vergeblich su- chen wir nach Kernen in dem Sarcode-Körper der meisten Polytha- lamien und vieler anderen Acyttarien oder niederen Rhizopoden. Ebenso assen sich keine Kerne auffinden in dem Protoplasma von vielen ande- ren Organismen aus jener zweifelhaften, zwischen Thierreich und Pflanzenreich mitten inne stehenden Gruppe von niederen Organismen, die weder echte Thiere, noch echte Pflanzen sind, und die ich als Beiträge zur Plastidentheorie. : 497 Reich der Protisten« im siebenten Capitel der generellen Morphologie aufgestellt und in meiner Monographie der Moneren näher erörtert habe. Dass dieser absolute Mangel von Zellenkernen in dem Protoplasma zahlreicher Protisten eine Thatsache von schwerem Gewichte ist und nothwendig eine Modification der Zellentheorie bedingen muss, habe ich schon an jenen Orten ausgeführt und in meiner Plastidentheorie aus- gedrückt. Denn ich bin mit Scnunrze, GEGENBauR und anderen Histologen der Ansicht, dass der Zellenkern ein histologisches Element von Srösster Bedeutung bleibt, wenn uns auch seine specielle Function noch heute fast eben so dunkel ist, wie zu ScuLemens und Scuwanns Zeiten. Vielleicht vertheilen sich in der kernhaltigen Zelle die beiden formbildenden Functionen des elementaren Organismus in der Weise auf ihre beiden activen Hauptbestandtheile, dass der innere Kern die Fortpflanzung und Vererbung, das äussere Protoplasma die Ernäh- rung und Anpassung vorzugsweise und oft vielleicht ausschliesslich vermittelt (Gen. Morph. I, p. 287). Vielleichtist die Arbeitstheilung zwi- schen Nucleus und Plasma von anderer Bedeutung. Wenn wir aber bedenken, dass der Kern in den wichtigsten organischen Zellen, in denjenigen , welche ursprünglich den ganzen individuellen Organismus für sich repräsentiren,, in den Eiern und Sporen aller höheren Thiere und Pflanzen niemals fehlt, und wenn wir ferner erwägen , dass in allen echten Zellen der Kern und das Plasma ursprünglich die beiden einzigen Formbestandtheile sind, und oft zeitlebens die einzigen blei- ben, so geht schon hieraus die fundamentale Bedeutung des Kernes un- zweifelhaft hervor. Dieselbe hier besonders zu betonen erscheint dess- halb passend, weil in neuerer Zeit von mehreren Seiten Versuche ge- macht worden sind, den Nucleus als einen ganz unbedeutenden und untergeordneten Bestandtheil der Zelle in seinem morphologischen und physiologischen Werthe herabzudrücken und etwa den Fettkörnern, Stärkekörnern und anderen secundären »Zelleninhaltstheilen« oder »Plasma -Producten « an die Seite zu stellen. Wenn in neuester Zeit Sogar einzelne Beobachter so weit gegangen sind, ‚den Kern als ein . »Kunstproduct«, als einen in natura nicht präexistirenden Bestandtheil hinzustellen, so lässt sich dagegen nur erwidern, dass diese Histologen Niemals durchsichtige Theile von lebenden Thieren untersucht haben Müssen, in denen man, vorzüglich in den ganz durchsichtigen pela- gischen Seethieren, den Kern innerhalb derZellen, in den unverletzien lebenden Thieren jederzeit mit Leichtigkeit nachweisen kann. Wenn man nun einerseits diese hohe Bedeutung des Zellenkernes und seine allgemeine Verbreitung in den Zellen der höheren Organis- 498 Ernst Haeckel, men, andererseits aber die Thatsache erwägt, dass in dem Protoplasma- Leibe vieler niederer Organismen wirklich jeder Nucleus zeitlebens fehlt, so lässt sich meiner Ansicht nach dieses Verhältniss nur dadurch einfach und klar in die Zellentheorie einfügen, dass man die echten, d. h. kernhaltigen Zellen als höher entwickelte Elementar-Orga- nismen betrachtet und scharf unterscheidet von den niederen, kern- losen Plasmastücken, für welche ich in meiner Individualitätslehre die Bezeichnung Gytoden oder Gellinen vorgeschlagen habe. Beide verschiedenen Formen von Elementar-Organismen betrachte ich als selbständige »Individuen erster Ordnung«und fasse sie als solche unter dem Namen der Bildnerinnen oder Plastiden zusammen. Für die phyletische Entwickelungsgeschichte der Organismen ist aber diese Unterscheidung der kernlosen von den kernhaltigen Plastiden von der grössten Bedeutung. Denn die ersteren, die Gytoden oder Cellinen, stellen den ursprünglichen und niederen Zustand der Plastide dar, die letzteren, die Zellen, den späteren und höher entwickelten Zustand. Durch Urzeugung können ursprünglich nur ganz einfache Gytoden, wie die Moneren sind, entstanden sein. Erst später haben sich im Laufe der phyletischen Entwickelung aus den kernlosen Gytoden durch Diffe- renzirung des inneren Kernes und des äusseren Gytoplasma die Zellen entwickelt. Diesen phyletischen Entwickelungsprocess würden uns noch gegenwärtig im Laufe ihrer individuellen Entwickelung jene Pla- stiden wiederholen, und dem oben angeführten ontogenetischen Grund- gesetz entsprechend recapituliren, welche aus dem ursprünglichen kernlosen Gytoden — Zustande später in den kernhaltigen Zellenzustand übergehen. Durch diese Plastiden-Theorie wird die Zellen- Theorie in einer Weise modifieirt, welche es gestattet, dieselbe mit dem Beginne der Phylogenie, mit der Urzeugungshypothese und mit der ganzen natürlichen Geschichte der Erde in Zusammenhang zu bringen, und ein wirkliches historisches Verständniss von der paläontologischen Entwickelung des Zellenlebens zu gewinnen. Bei allen denjenigen Organismen (und das ist die grosse Mehrzahl), welche ihren individuellen Ursprung aus einer kernhaltigen Zelle neh- men, sei dieselbe nun Ei oder Spore, können echte und ursprüngliche Gytoden natürlich nicht mehr vorkommen. Denn alle später den Körper zusammensetzenden Plastiden müssen von jener ersten echten Zelle ab- stammen und gleich dieser ursprünglich kernhaltige Zellen sein. Wenn also auch hier später oft kernlose Plastiden sich vorfinden, so müssen dieselben durch Rückbildung, durch Verlust des Kernes, aus echten kernhaltigen Zellen hervorgegangen sein. Solche Schein- Gytoden sind Tr Beiträge zur Plastidentheorie. 499 a 2. B. die rothen Blutzellen und die verhornten Epidermisplatten der ` Bäugethicre. Um diese rückgebildeten kernlosen Zellen von den ur- Sprünglich kernlosen Gytoden zu unterscheiden, ist es vielleicht passend, die ersteren mit dem Namen Dyscytoden zu belegen. Die grösste Bedeutung messen wir natürlich unserer Plastiden- theorie für das Verständniss der Entwickelungsgeschichte oder Bio- genie der Plastiden bei, und auch hier muss nothwendig wieder das biogenetische Grundgesetz von dem Causalnexus der phyletischen und ontetischen Entwickelung zur Geltung kommen. Vielleicht werden uns hier die ersten Vorgänge bei der Entwickelung des individuellen Organismus mit Hülfe jener Theorie noch zu sehr wichtigen Erkennt- nissen verhelfen. Wie bekannt, sind noch gegenwärtig die Ansichten über das Verhalten der Eizelle und ihres Kerns bei dem Beginne der Furchung getheilt. Die Einen behaupten, dass die Kerne der Fur- chungszellen directe Abkömmlinge des Eikernes sind und aus dessen Theilung hervorgehen. Dies Verhalten ist von Bär bei Echinus, von Jomannes MürLer bei Entoconcha, von Grernsaur bei Sagitta und ver- schiedenen Siphonophoren, von Leypre bei verschiedenen Wirbellosen und neuerdings von mir selbst wieder bei mehreren Siphonophoren positiv beobachtet worden. Die Anderen behaupten dagegen, dass in vielen (keineswegs in allen) Fällen das Keimbläschen verschwinde und dann nachher ein neuer Kern entstehe, aus dessen wiederholter Thei- lung die Kerne der Furchungszellen hervorgehen. Wenn diese letztere, negative Beobachtung richtig ist, so wäre dieser Vorgang vielleicht als ein Rückschlag der Zellenform in die ursprüngliche Gy- todenform aufzufassen. Der individuelle Entwickelungseyclus würde dann mit einem ontetischen Zurückgehen auf jenes primitive Cyloden- Stadium des einfachen Moneres beginnen, welches wir rückbeziehen müssen auf den phyletischen Anfangszustand des ganzen Stammes, aus dem sich der betreffende Organismus entwickelt hat. 2) Bathybius und das freie Protoplasma der Meerestiefen. Hierzu Taf. XVII. 4. Huxızy’s Untersuchung des Bathybius. Unter allen bisher beobachteten Moneren -Formen vielleicht die Wichtigste und merkwürdigste ist der von Huxıry entdeckte und als 500 ` Ernst Haeckel, Bathybius Haeckelii beschriebene Organismus). Dieses höchst interessante Moner scheint in ungeheuren Massen die tiefsten Abgründ:. des Meeres, gewöhnlich von 5000 Fuss an bis über 25,000 Fuss hin- unter zu bedecken, bald in Form von amoeboiden Cytoden, gleich der Protamoeba, bald in Form von netzförmigen Plasmodien, gleich einem ausgebreiteten Protogenes oder Myxodictyum, und gewöhnlich in Ver- bindung mit den eigenthümlichen Körperchen,, welche Huxıry als Dis- colithen,, Cyatholithen und Coccosphaeren beschrieben hat. Die wichtigste Thatsache, die aus Huxıey’s sehr sorgfältigen. Unter- suchungen des Bathybius hervorgeht, ist, dass der Meeresgrund desoffenen Oceansin den bedeutenderen Tiefen (unter- halb 5000 Fuss) bedeckt ist. mit ungeheuren Massen von freiem lebenden Protoplasma, und dieses Protoplasma verharrt | hier in der einfachsten und ursprünglichsten Form, d. h. es hat über- | haupt noch gar keine bestimmte Form, es ist noch kaum individualisirt. Man kann diese höchst merkwürdige Thatsache nicht ohne das tiefste Staunen in nähere Erwägung ziehen, und muss dabei unwillkührlich an den »Urschleim« Oxens denken. Dieser universale Urschleim der älteren Naturphilosophie, der im Meere entstanden sein und der Urquell alles Lebens, das productive Material aller Organismen sein sollte, die- ser berühmte und berüchtigte Urschleim, dessen umfassende Bedeu- tung eigentlich schon implicite durch Max Scenurrzw’s Protoplasma- Theorie begründet war, — er scheint durch Huxıay’s Entdeckung des Bathybius zur vollen Wahrheit geworden zu sein! Die äussere Veranlassung zur Entdeckung dieser submarinen Ur- schleim-Lager gaben die grossartigen Untersuchungen des Tiefseegrun- des, welche seit dem Jahre 1857 in dem Nord- Atlantischen Ocean be- hufs Legung des transatlantischen Telegraphen-Kabels angestellt wur- den. Zuerst stiess man darauf bei der Untersuchung des atlantischen »Telegraphen -Plateau«, jener mächtigen Tiefsee- Ebene, welche mit einer durchschnittlichen Tiefe von 12,000 Fuss sich von Irland bis Neu- fundland erstreckt und nach Süden gegen die Azoren hin in noch be- trächtlichere Tiefen abfällt. Capitän Dayman, der Commandant des englischen Kriegsschiffes »Gyclops«, welcher 1857 zuerst dieses Tele- graphen -Plateau genauer untersuchte, fand seinen Boden überall mit einem äusserst feinpulverigen, zähen und klebrigen Schlamme bedeckt. Huxrey, der einen Theil dieses Schlammes zur Untersuchung erhielt, fand darin grosse Mengen von eigenthümlichen runden Körperchen, die 4) Huxuey, On some organisms living at great depths in the north-atlantic ocean. Journal of microscopical science, Vol. VIIL, N. S. 1868; pe 15. DIE IV: Beiträge zur Plastidentheorie. 501 er Goccolithen nannte. Dieselben waren meist elliptische Scheiben und bestanden aus concentrisch geschichteten Lagern von kohlensaurem Kalk, die ein helleres Centrum einschlossen ; sie zeigten eine gewisse Aehnlichkeit mit Protococcus- Zellen oder mit gewissen Formen von Amylum-Körnern. Dieselben Goccolithen wurden sodann von Dr. Waıricn wieder ge- funden, welcher die Expedition des englischen Kriegsschiffes »Bulldog« begleitete, die unter Führung von Capitän Mc. Crinrock 1860 den at- lantischen Tiefgrund zwischen den Far-Oer, Grönland und Labrador zu untersuchen hatte. Auch hier enthielt der feinkörnige klebrige Mee- resschlamm Massen von Coccolithen, und ausserdem grössere kugelige Körperchen , die fast aussahen, als ob sie aus vielen Coceolithen zu- Sammengesetzt seien. Dr. Warzicn nennt diese Kugeln Coccosphae- ren und vermuthet, dass die Coceolithen aus Coccosphaeren hervorge- sangen, und dass sie identisch seien mit ähnlichen Körperchen, welche schon früher Sorey in der Kreide beobachtet hatte. In der That enthält die Kreide Mengen von Coccolithen und Cocco- Sphaeren, welche nach den übereinstimmenden Untersuchungen von Sorpy und Huxuay ganz denjenigen gleichen , die noch jetzt so massen- haft in dem klebrigen Schlamme der grössten Meerestiefen vorkommen. Schon Sorry hatte behauptet, dass dieselben nicht etwa krystallinischer, sondern organischer Natur seien. Im Jahre 1868 nun nahm Huxrrv eine erneute Untersuchung jenes Tiefseeschlammes mit Hülfe eines ausgezeichneten Mikroskops von Ross vor, und die höchst bedeutsamen Resultate dieser Untersuchung sind in dem vorher erwähnten Aufsatze mitgetheilt und durch eine Tafel Ab- bildungen illustirt. Das Wichtigste, was Huxızy bei der erneuten, gründlichen und durch sorgfältige mikrochemische Analyse erweiterten Untersuchung des atlantischen Tiefseeschlammes entdeckte, war der Nachweis , dass dieser Schlamm zu einem sehr grossen Theile aus nackten , freien Pro- toplasma- Klumpen besteht. »Diese Klumpen sind von allen Grössen, von Stücken, die mit blossem Auge sichtbar sind, bis zu äusserst klei- nen Partikelchen. Wenn man sie der mikroskopischen Analyse unter- wirft, zeigen sie — eingebettet in eine durchsichtige, farblose und Structurlose Matrix — Körnchen, Coccolithen und zufällig hineingera- thene fremde Körper.« Die Körnchen variiren in Grösse vom vierzig- tausendsten bis zum achttausendsten Theile eines Zolles und sind in Haufen von verschiedener Grösse und Beschaffenheit versammelt. Die einen Haufen sind ganz unregelmässige Streifen, während die anderen eine bestimmt umgrenzte, ovale oder rundliche Form besitzen. Einige 502 Ernst Haeckel, Haufen erreichen einen Durchmesser von ein Tausendstel Zollund mehr, während andere nicht mehr als den dritten oder vierten Theil so gross sind. Die kleinsten Körner sind rund. Von den grösseren sind manche biconcave ovale Scheiben , andere ruthenförmig, die grössten unregel- mässig. Jod färbt die Körner gelb, während sie die Matrix nicht affi- eirt. Verdünnte Essigsäure löst rasch alleKörnchen bis auf die feinsten, scheint aber die Matrix nicht zu verändern. In mässig starken kausti- schen Alkalien schwillt die Matrix auf. Die Körnchen werden durch schwache Alkalien wenig affıeirt, aber durch starke gelöst. Huxıey konnte an den Körnerhaufen weder eine Spur von einem eingeschlosse- nen Kern, noch von einer umhüllenden Membran entdecken. In der Mehrzahl der Körnerhaufen fand er einzelne oder mehrere Coccolithen liegen, bald mehr oberflächlich, bald mehr in der Mitte der Körnerhau- fen; im letzteren Falle sind sie fast immer klein und unvollkommen entwickelt. Huxrey unterscheidet zwei verschiedene Formen von Goceolithen, welche er Discolithen und Gyatholithen nennt. Die Discolithen sind ovale, concentrisch geschichtete Scheiben, plan- oder etwas concav- convex, mit einem schmalen vorspringenden Rande auf der convexen Seite, so dass sie die Form eines Spucknapfes oder einer Blumentopf- Unterschaleannehmen. DieG yatholithen haben eine noch auffallen- , dere Gestalt. Sie gleichen nämlich ganz den gewöhnlichen Hemde- knöpfchen oder Manchettenknöpfchen und bestehen aus zwei parallelen, ovalen oder kreisrunden Scheiben, welche durch einen sehr kurzen, eylindrischen Mitteltheil fest miteinander verbunden sind. Wie gewöhn- lich bei den Manchettenknöpfchen, ist die eine von den beiden parallelen Scheiben plan , die andere concav -— convex. Die Coccolithen bestehen keineswegs bloss aus kohlensaurem Kalk, sondern zugleich immer aus einer gewissen Menge organischer Substanz, die auf das Innigste mit ersterem verbunden ist; wie die chemische Reaction ergiebt, ist diese organische Substanz als mehr oder weniger verändertes Protoplasma aufzufassen. Durch starke Säu- ren werden dieCoccolithen rasch und vollständig aufgelöst. Wenn man aber langsam schwache Essigsäure einwirken lässt, so wird der koh- lensaure Kalk allmählich ausgezogen und es bleibt ein äusserst zarter, fein granulirter Rest von organischer Substanz zurück, der inForm und Grösse ganz dem ursprünglichen Cocecolithen gleicht. Durch starke Lö- sungen von kaustischen Alkalien werden die Gyatholithen ebenso wie die Discolithen vollständig zerstört. Die Coccosphaeren fand Huxrey immer sehr spärlich im Verhält- niss zu den Coceolithen. Er unterscheidet von ersteren zwei verschie- Beiträge zur Plastidentheorie, 503 dene Formen, cinen lockeren und einen compacten Typus. Die com- pacten Goccosphaeren scheinen aus dicht zusammengedrängten, die lockeren Goccosphaeren dagegen aus lose zusammengehäuften Cyatho- lithen zusammengesetzt zu sein. Während Sonny glaubt, dass die Cyatholithen durch Zertrümmerung der Goccosphaeren entstehen , hält Huxıev es umgekehrt für mehr wahrscheinlich , dass die Coccosphaeren durch Aggregation von Cyatholithen zu Stande kommen. Vielleicht ha- ben aber auch beide Formen nichts mit einander zu thun. Jedenfalls würde nicht eine von beiden Formen als nothwendiges Entwickelungs- stadium der anderen anzusehen sein, da man sowohl von den Gocco- Sphaeren als von den Gyatholithen Formen von allen verschiedenen Grössen findet. Was nun endlich die Deutung dieses höchst merkwürdigen Befun- des betrifft, so glaubt Huxıry, dass alle diese verschiedenen Formen von Kalk -Körperchen, und zwar die Coccosphaeren sowohl als die Coceolithen (Discolithen und Cyatholithen) als verkalkte Protoplasma- Stücke zu betrachten sind, und morphologisch vergleichbar den Spi- cula der Radiolarien und Spongien. Die massenhaft im Tiefseeschlamme zerstreuten Protoplasmaklumpen, welche Huxıey unter dem Namen Bathybius als eine besondere Monerenform beschreibt, würden sich demnach zu den darin enthaltenen Coceolithen und Coccosphaeren ähn- lich verhalten, wie die Weichtheile von Sphaerozoen oder von Spongien zu den von ihnen producirten Spicula. Dem Exemplare der genannten Abhandlung überdenBathybius, welche mir Huxıry freundlichst übersendete, hat der Verfasser noch eigenhändig am 16. October 1868 die sehr wichtige Bemerkung beige- fügt: »In einer der Tiefsee-Grundproben, welche ich soeben durch CARPENTER und WyviLLe Tuomson aus der Nordsee erhalten habe, finde ich den Bathybius Haeckelii in Form eines Netzwerks von Protoplasma.« Bei der ausserordentlichen Bedeutung, welche der merkwürdige Bathybius für die Plastiden - Theorie und die Urzeugungsfrage be- Sitzt, musste es mir natürlich äusserst erwünscht sein, diese wichtige Monerenform selbst untersuchen zu können. Im letzten Herbste wurde ‚mir dazu unverhoffte Gelegenheit. Mein verehrter College, Herr Pro- fessor Prever , hatte die Güte, mir ein Gläschen mit Tiefseeschlamm zu überlassen, welches er durch Herrn Randropp in Thorshavn auf den Faroer erhalten hatte. Dieses Gläschen trägt die Aufschrift: »Dredged of Professor Tuomsow and Dr. Carpenter with the Steamer Porcupine on 2435 fathoms. 22. Juli 1869. Lat. 470 38”. Long. 190 4".« Der Schlamm, welcher dieses Gläschen in Weingeist wohl conser- 504 Ernst Haeckel, virt erfüllte, zeigte die bereits bekannten Charaktere und zeichnete sich namentlich durch seine enorm klebrige Beschaffenheit aus. Selbst in dem Weingeist war diese zähe Adhäsionskraft, die offenbar vorzugs- weise, wenn nicht ausschliesslich, den darin enthaltenen Protoplasma- massen zuzuschreiben ist, noch so auffallend, dass der Schlamm an eingestochenen Nadeln beim Herausziehen eben so fest haftete, wie etwa eine dickflüssige Lösung von Ganada-Balsam oder Honig. In Weingeist zeigte der äusserst feinkörnige Schlamm eine blass bräunlich graue Farbe und eine scheinbar ganz homogene Beschaffenheit. Getrocknet bildete er ein äusserst feines, grauweisses Pulver, sehr ähnlich feiner Schlemmkreide. Ueber die Resultate meiner Untersuchung dieses Schlammes, welche ich mit möglichster Sorgfalt und Vorsicht auszuführen bestrebt war, kann ich mich im Ganzen ziemlich kurz fassen. Im Wesentlichen kann ich alle Angaben von Huxıry bestätigen, doch auch nach einigen Richtungen hin dieselben vervollständigen und erweitern. In Betreff des wichtig- sten Verhältnisses, nämlich des freien Protoplasma, habe ich nament- lich durch die Anwendung der Carmin-Tinction, die von Hvxıry nicht versucht worden zu sein scheint, einige wichtige ergänzende Resul- tate erhalten. 2. Zusammensetzung desBathybius-Schlammes. Meine ersten Versuche mit dem Bathybius -Schlamme waren dar- auf gerichtet, die Qualität und Quantität des freien Protoplasma in dem- selben näher zu bestimmen. Die Behandlung desselben mit ammo- niakalischer Garminlösung gab in dieser Beziehung die überraschendsten Resultate. Es zeigte sich sofort, dass die Quantität der durch Carmin roth gefärbten Substanz, die ich auch auf Grund anderer ergänzender Reactionen entweder als eigentliche Protoplasmakörper, oder doch als diesen nächstverwandte, stickstoffhaltigeund sicher zum grössten Theile eiweissartige Verbindungen ansehen musste, höchst beträchtlich war. In der mir übersendeten Grundprobe scheinen diese durch Garmin sich roth färbenden Substanzen sehr gleichmässig durch die ganze Schlamm- masse verbreitet zu sein, in den verschiedenen Formen, die ich so- gleich beschreiben werde. Soweit eine annähernd sichere Schätzung in diesem Falle möglich ist, scheint mir in den meisten von mir unter- suchten Theilen der Grundprobe die gesammte Quantität der durch Car- min sich roth färbenden Substanz mindestens ein Zehntel bis ein Fünftel des Gesammtvolums zu betragen. An manchen Präparaten betrug sie selbst die grössere Hälfte. Daher erscheint der mit Carmin gefärbte Schlamm auch für das blosse Auge grau-röthlich oder blass-bräunlich- j Beiträge zur Plastidentheorie. 505 roth (selbstverständlich nach sorgfältigem Auswaschen der gefärbten Masse). Noch viel intensiver tritt die röthliche Farbe hervor, wenn man durch verdünnte Salzsäure allen kohlensauren Kalk entfernt hat. Die Menge der geformten, in dem Protoplasma zerstreuten Kalkkörperchen, der Coccolithen und Coceosphaeren, war in meiner Grundprobe höchst beträchtlich. Nach ganz ungefähren Schätzungen mag sie bald etwa ein Drittel oder ein Viertel, bald nur ein Zehntel bis ein Zwan- Zigstel von der Quantität des Protoplasma betragen. Bevor ich nun die verschiedenen Formen beschreibe, welche die durch Garmin Sich roth färbenden nackten Körperchen des Schlammes darbieten, will ich erst noch die übrigen geformten Bestandtheile anführen, die ausserdem den Schlamm constituiren. Es sind folgende : 1. Globigerinen in sehr grosser Menge, und in allen Grössen und Stadien der Entwickelung, zum grössten Theile noch vollständig mit Protoplasma erfüllt. Auch Huxuey fand in seinen Grundproben, dass die Globigerinen einen sehr ansehnlichen Theil des Schlammes ausmachen, und wirft dabei die Frage auf: »In Erwägung, dass alle Spuren von Reproductionsvorgängen bei den Globigerinen zu fehlen scheinen, ist es vielleicht möglich , dass diese einfach mit Schalen ver- sehene Abkömmlinge von so einfachen Lebensformen wie Bathybius Sind, der sich gewöhnlich nur in seiner nackten, einfachsten Form fortpflanzt?« 2) Acyttarien (Monothalamien und Polythalamien) aus verschiedenen Familien, in sehr geringer Menge, insbesondere einzelne Rotalien, Textilarien und Polystomellen ; ferner einzelne sehr Brosse Monothalamien. Unter diesen sind bemerkenswerth mehrere Formen von Cornuspiren , Ovulinen und Verwandten. 3) Radiolarien in ziemlich grosser Menge, obwohl viel spär- licher als die Globigerinen, meistens leere Kieselschalen, selten mit wohl erhaltener Gentralkapsel und übrigen Weichtheilen. Die meisten Radiolarienformen gehören den Familien der Cyrtiden, Ommatiden und Disciden an. Selten sind dazwischen einzelne Schalen von anderen Fa- Milien und zerstreute Spicula von Sphaerozoen. 4) Diatomeen in ziemlich grosser Menge, jedoch zum grössten Theile nur Goscinodisken, sehr wenige andere Formen, Navi- cula, Surirella etc. 5) Spicula von Spongien, und zwar nur Kieselnadeln, in sehr geringer Menge und meist zertrümmert. 6) Anorganische Fragmente, theils krystallinischer, theils nicht krystallinischer Natur, in ansehnlicher, jedoch verhältniss- Mässig nicht bedeutender Menge. Einerseits sind dieselben meistens 506 ‚Ernst Haeckel, nur sehr klein, und andererseits treten sie auch im Ganzen gegen die überwiegende Masse der genannten organisirten Bestandtheile auf- fallend zurück. Bei dieser ganz eigenthümlichen und wie es scheint sehr constan- ten Zusammensetzung des von mir untersuchten Tiefsee-Grundschlam- mes ist es vielleicht nicht ohne Interesse, alle diejenigen harten Skelet- theile von Seethieren namhaft zu machen, die man mit mehr oder minder grosser Wahrscheinlichkeit noch in demselben erwarten sollte, die sich aber merkwürdigerweise entweder gar nicht oder nur in sehr geringen Spuren, in ganz vereinzelten Fragmenten vorfinden. Diese vermissten Bestandtheile sind: 1) Knöcherne Skelettheile von Fischen. 2) Chitin- Skelettheile von Grustaceen. 3) Kalkschalen von Mollusken. 4) Kalkskelete von Echinodermen. 5) Kalkskelete von Korallen. Was nun den Ursprung der verschiedenen vorher aufgeführten Be- standtheile des Bathybiusschlammes anbetrifft, so darf nicht übersehen werden, dass ein grosser Theil derselben wahrscheinlich die Skelet- theile oder Skelete von pelagischen Organismen sind, die an der Ober- fläche des offenen Meeres lebten, die aber nach dem Tode auf den Bo- den sanken. Dies gilt namentlich, wie schon Huxtey hervorhebt, wahr- scheinlich von allen Radiolarien und Diatomeen (mit Ausnahme der Coseinodisken ?) , vielleicht auch von einem Theile der Globigerinen. (?) Ich komme nunmehr zur Beschreibung der verschiedenen Formen von Protoplasmakörpern in diesem Schlamme, welche ich als solche mit Recht in Anspruch nehmen zu dürfen glaube. Alle diese Formen zeigen die chemischen Reactionen, welche allgemein als charakteristisch für das Protoplasma angesehen werden. 3. Structur und Form des Bathybius-Protoplasma. Obgleich das Protoplasma von Bathybius wie, von den übrigen Mo- neren, in gewissem Sinne als »formlos und structurlos« zu bezeichnen ist, so zeigen sich dennoch einerseits in den äusseren Umrissen der Plasmastücke,, andererseits in der histologischen Beschaffenheit dersel- ben mehrfache Verhältnisse, die eine besondere Erörterung nöthig machen. Die Structur- und Formverhältnisse des Protoplasma von Ba- thybius zeigten sich in der von mir untersuchten Grundprobe man- nichfaltiger und zum Theil auch anders, als es nach Huxıry’s Angaben in dem von ihm untersuchten Grundschlamme der Fall war. Ich werde dieselben daher hier so genau als möglich schildern. Beiträge zur Plastidentheorie, 507 Huxıry unterscheidet in dem Protoplasma seines Bathybius zweierlei Substanzen, nämlich erstens eine farblose, formlose und structurlose durchsichtige Matrix, und zweitens verschieden geformte Haufen von Körnern, welche in diese eingebettet sind. Obwohl er beide zusammen für Protoplasma erklärt, so giebt er doch selbst bemerkens- werthe Unterschiede in dem chemischen Verhalten derselben an. Die »Körnerhaufen« färbten sich durch Jod gelb und wurden durch ver- dünnte Essigsäure rasch gelöst, während die gallertartige»Matrix« durch beide Reagentien nicht affieirt wurde. Dagegen bewirkte eine mässig Starke Lösung von kaustischem Alkali eine Anschwellung der Matrix, während sie die Körnchenhaufen wenig veränderte. Huxrev vergleicht fernerhin diese gallertartigen Protoplasmamassen einem »Meerqualster« von Sphaerozoen, aus dem man die »Gentralkapseln« entfernt hat. Die- ser Vergleich ist in der That ziemlich zutreffend. In dem von mir untersuchten Grundschlamme ist das Protoplasma zum grössten Theil in anderer Form enthalten, nämlich ohne die » gal- lertige Matrix« von Huxıev. Allerdings kommen daneben auch vielfach Structurlose Gallertstücke vor, welche Protoplasmahaufen einschliessen und das von demselben beschriebene Verhalten zeigen (Fig. 5). Allein die grössere Hälfte der von mir untersuchten Plasmastücke (— ich glaube annehmen zu dürfen, mehr als zwei Drittel derselben —) zeigt keine Spur von jener Matrix. Keineswegs ist dieselbe ein constanter Beglei- ter der »Körnerhaufen«, vergleichbar einer »Grundsubstanz«, in welche die letzteren eingebettet sind. Was nun zunächst die eigentliche Beschaffenheit dieser »gallertigen Structurlosen Matrix« betrifft, so kann dieselbe nach Huxıky’s eigenen Angaben nicht als wirkliches Protoplasma betrachtet werden. Schon allein der Umstand, dass dieselbe durch Jod nicht gelb gefärbt wird, Scheint mir dies hinreichend zu beweisen. Denn wie verschiedenartige Modificationen auch das Protoplasma zeigt, so verliert es doch als sol- ches niemals die Eigenschaft, durch Jod mehr oder minder intensiv gelb oder gelbbraun gefärbt zu werden. Dazu kommt nun aber noch, dass, Wie meine oft wiederholten Versuche zeigen, jene Matrix auch durch Carmin nicht roth, durch Salpetersäure nicht gelb gefärbt wird. Auch Salzsäure und verdünnte Schwefelsäure bringen keinen besonderen Effect hervor, ausser einer mässigen, offenbar durch Wasserentziehung bedingten Schrumpfung. In Alkalien dagegen quillt sie auf. Alle diese Reactionen beweisen, dass die Matrix jenen wasserreichen, indifferenten Gallertformen ziemlich nahe steht, wie sie die Hauptmasse des Medu- Senkörpers bilden. Huxırv selbst vergleicht sie auch ganz passend der Structurlosen, in ihren Reactionen sich ähnlich verhaltenden Gallert- 508 Ernst Haeckel, masse, welche von den sterbenden Radiolarien ausgeschwitzt wird. Ich möchte daher auch annehmen, dass diese Gallertmatrix beim leben- den Bathybius gar nicht existirt, und vielmehr ein »Leichenphänomen« ist, ein Plasmaproduet, welches beim Absterben desselben entsteht, In dieser Vermuthung bestärkt mich der Umstand, dass die meisten Plasmastücke, welche von einer solchen Gallertschicht umgeben sind, nicht dieForm von amoeboiden Stücken, netzförmigen Strängen u. s. W. zeigen, sondern von abgerundeten Klumpen, welche mehr oder minder zusammengezogen oder bröckelig erscheinen (Fig. 5). Als echtes Protoplasma des Bathybius betrachte ich nur die- jenigen Stücke, welche folgende, für diese Substanz charakteristische Reactionen zeigen: 4) Rothe Färbung durch ammoniakalische Garmin- lösung; 2) gelbe Färbung durch Jod (Jod in Jodkalium gelöst) ; 3) gelbe Färbung durch Salpetersäure. Diese drei Reactionen, die zuverlässig- sten und unfehlbarsten unter allen für Protoplasma angegebenen, fand ich bei allen den Protoplasmastücken, welche ich in den folgenden Zeilen als solche beschreiben werde. Die in der mikrochemischen Praxis wichtigste Reaction, die rothe Garminfärbung, trat bei Bathybius bald mehr, bald minder intensiv ein, besonders schön, nachdem das Präparat vorher mit verdünnter Essigsäure oder Salzsäure behan- delt war. Gegen saure und alkalische Lösungsmittel verhalten sich be- kanntlich die verschiedenen Modificationen des Protoplasma ziemlich verschieden. Dasjenige desBathybius wurde durch verdünnte Essig- säure stark afficirt. Huxıey giebt an, dass an seinen Präparaten die Protoplasmakörner, mit Ausnahme der kleinsten, dadurch rasch gelöst wurden. Eine Lösung derselben habe ich an meinen Präparaten nie- mals beobachtet, wohl aber eine sehr starke Quellung. Unmittelbar nach der Einwirkung der Essigsäure werden die Plasmastücke oder Cytoden sehr blass, wasserhell und sehr schwach lichtbrechend, so dass man die zarten Gontouren oft kaum mehr wahrnimmt. Wenn man dann aber das Präparat wieder mit Wasser auswäscht, so ziehen sich die aufgequollenen Plastiden wieder zusammen und gewinnen nahezu ihre frühere Form und Grösse. Ebenso wie verdünnte Essigsäure wirkt auch verdünnte Salzsäure. Aehnlich wirken auch verdünnte kaustische Al- kalien und kohlensaure Alkalien ein. Die Cytoden quellen und werden durchsichtiger, blasser contourirt. Durch concentrirte kaustische Alkalien quellen sie noch stärker und werden bei nachfolgendem Wasserzusatz völlig aufgelöst. Durch concentrirte Schwefelsäure werden die Plasma- stücke unter blass rosenrother Färbung gelöst. Wenn man die Protoplasmastücke oder Gytoden des Bathybius, Beiträge zur Plastidentheorie. "509 welche durch die angegebenen Reactionen sich als solche documentiren, mit Hülfe der stärksten Vergrösserungen genau untersucht, so gewinnt man in einigen Fällen ein Bild, als ob die scheinbar structurloge Masse aus einer Menge sehr kleiner runder Körnchen (jedenfalls von weniger als 0,0014 Mm. Durchmesser) zusammengesetzt sei, welche durch eine Minimale Quantität heterogener Substanz verbunden seien. In vielen anderen Fällen dagegen ist man nicht im Stande, von einer derartigen Zusammensetzung irgend eine Spur wahrzunehmen , und es ist daher wohl leicht möglich, dass jenes Bild durch leichte Unebenheiten auf der Oberfläche der Cytoden veranlasst wird. Die Grösse der Bathybius-Cytoden unterliegt sehr beträchtlichen Schwankungen. Doch habe ich in der von mir untersuchten Probe keine Protoplasmastücke isoliren können, welche mehr als 0,3 Mm., oder höchstens 0,5 Mm. Durchmesser erreicht hätten. Die grösseren Stücke, insbesondere die von Huxı.ry schon erwähnten Klumpen, die mit blossem Auge sichtbar sind, ergeben sich bei genauerer Untersuchung als lockere Aggregate von mehreren zusammengeklebten, aber nicht wirk- lich verschmolzenen Massen. Die Mehrzahl der grösseren Gytoden hat einen Durchmesser von 0,05—0,08 Mm. Doch gehen sehr viele bis zu 0,1 Mm. Die kleineren Cytoden haben die verschiedensten Dimensio- nen, bis unter 0,005 Mm. hinab. Was nun die Gestalt der Protoplasmastücke des Bathybius be- trifft, so ist dieselbe durchaus unregelmässig, wie schon ein Blick auf die Figuren 1—10 ergiebt. Im Allgemeinen kann man compacte Klum- pen und netzförmig verbundene Stränge unterscheiden. Die compacten lumpen (Fig. 5—10) haben sehr häufig ganz dieselben Umrisse, wie 3ewöhnliche Amoeben. Die Protoplasmanetze dagegen haben dieselben Onturen, wie viele Myxomycetenformen. Meistens sind die Stränge des Sarcodeneizes breit (Fig. 1, 2), seltener schmal (Fig. 3), und sehr Selten so fein 'fadenförmig, wie es bei den Rhizopoden gewöhnlich der Fall ist. Die Pseudopodien, die unregelmässigen Fortsätze des "oloplasma, die an der Peripherie der Klumpen und Netze her- Yortreten, sind gewöhnlich stumpf abgerundet und sehr unregelmässig, Sehr selten spitz. Ausser den unregelmässigen Stücken und Netzen des Protoplasma, Welche man als eigentlichen Bathybius betrachten muss, finden sich in tem Schlamme dazwischen auch spärlich Kugeln von Protoplasma zer- Streut, von 0,005 bis zu 0,03 Mm. Durchmesser. Bald sind diese nacki (Fig, 11), bald von einer ziemlich dicken (bis 0,002 Mm. Dicke erreichen- den) hellen , strueturlosen Gyste umschlossen (Fig. 12). Niemals habe Ich in diesen Protoplasmakugeln Discolithen oder Cyatholithen ange- Ba. V. 4. 34 510 Ernst Haeckel, troffen. Ob dieselben zu den Cytoden des Bathybius in genetischer Be- ziehung stehen , bleibt dahin gestellt. Das Mengenverhältniss, in welchem die Discolithen und Gyatho- lithen in die Protoplasmakörper des Bathybius eingebettet sind, ist sehr wechselnd. Das gewöhnliche Durchschnittsverhältniss stellt Fig. 4 dar. Es giebt aber auch Cytoden, welche von Coceolithen so vollge- pfropft sind, dass das Volum derselben sich zu dem des Protoplasma wie 1:3, oder selbst wie 2: 3 verhalten mag. Andererseits ist jedoch hervorzuheben, dass auch viele grössere und kleinere Cytoden zu finden sind, welche gar keine Coccolithen enthalten. Solche sind in Fig. 2 und 3 dargestellt. Ausser den Coceolithen und ausser den zufälligen frem- den Einschlüssen enthalten die meisten Protoplasmastücke noch eine gewisse Quantität von sehr kleinen, ganz unregelmässig geformten Körnchen , welehe zum Theil weder in Säuren, noch in Alkalien löslich sind (Fig. 6). Sehr zahlreiche Coccolithen, sowohl Discolithen als Gyatholithen, sind in dem Bathybiusschlamme stets frei, nicht in Protoplasmastücke eingeschlossen, zu finden. Dasselhe gilt von allen Coccosphaeren, welche ich beobachtet habe. 4. Die Coceolithen und Coccosphaeren. Die kleinen geformten Kalkkörperchen,, Coceolithen und Cocco- f spbaeren , welche man in so ungeheuren Mengen in den Grundproben l der grössten Meerestiefen antrifft, sind äusserst merkwürdige Körper. Die Coccolithen sind, wie schon bemerkt, zuerst 1858 von Huxıev, die Coccosphaeren dagegen 1860 von Warrıcn entdeckt und benannt wor- | den. Beide Körperchen sind dadurch noch yon besonderem Interesse, dass sie ebenso massenhaft, wie in dem heutigen Tiefseegrund, auch fossil in der Kreide vorkommen , wie zuerst yon Sorsy nachgewiesen worden ist. - Uebrigens sind die Coccosphaeren immer viel seltener als I - die Coccolithen, und treten ganz gegen letztere zurück. In den von 3 mir untersuchten Tiefseegrundproben sind die Coccosphaeren äusserst selten: es kommen hier vielleicht auf hunderttausend oder selbst auf eine Million Coccolithen höchstens eine oder einige wenige Goccosphae- l ren. Den von Huxıev, Waruicn und Sorsy gegebenen Beschreibungen a der Coccosphaeren vermag ich nichts wesentlich Neues hinzuzufügen dagegen bin ich durch sehr ausführliche Untersuchungen , welche ich mit Hülfe einer Vergrösserung von 700—4200 über die Goccolithen / ausgeführt habe, in den Stand gesetzt, die Kenntniss dieser sonder- | baren Gebilde mehrfach zu erweitern. Ich werde jetzt zunächst bloss Beiträge zur Plastidentheorie. 511 die Beschreibung der Coccolithen geben und erst nachher ihre Bedeutung für den Bathybius erläutern, Huxey unterscheidet von den Coccolithen zwei verschiedene For- men, welche er Discolithen und Cyatholithen nennt. Die Discolithen (Fig. 43—49). sind einfache Scheiben (Monodisci). Die Cya- tholithen (Fig. 54—80) dagegen sind Doppelscheiben (Ampbi- disei), zusammengesetzt aus zwei einfachen Scheiben, welche sehr nahe bei einander und mit ihren Flächen parallel liegen, und im Gen- trum durch eine kleinere Mittelscheibe oder eine dicke centrale Axe fest miteinander verbunden sind. Sehr treffend vergleicht sie Huxırv mit einem Hemdeknöpfchen oder Manchettenknöpfchen. Im Bau glei- chen sich beide Formen von Coccolithen übrigens ganz, wie sich so- gleich aus der näheren Beschreibung ergeben wird. Man kann jeden- falls anatomisch (und wahrscheinlich auch ge netisch) die Gyatho- lithen als paarweise verbundene Discolithen betrachten, in gleicher Weise wie die Coceosphaeren kugelige Haufen von verwachsenen Coc- colithen darstellen. Im Allgemeinen lassen sich an den Coccolithen (sowohl Discolithen als Cyatholithen) bei sehr genauer Untersuchung von innen nach aussen folgende fünf verschiedene Theile unterscheiden, die wegen ihrer ver- Schiedenen Lichtbrechung sich scharf von einander abheben: 1) Ein einfaches oder doppeltes Gentralkorn (a), stark lichtbrechend. 2) Ein heller, dünner, das Centralkorn umgebender Ring, das Mark- feld (b), schwach lichthrechend. 3) Ein dunkler, dicker, das Mark- feld umschliessender Ring, der Markring (c), stark lichtbrechend. 4) Ein matter, granulirter , breiter, den Markring umgebender Ring, der Granul aring oder Körnerring (d) , schwach lichtbrechend. 5) End- lich zu äusserst ein dunkler, structurloser , schmaler Ring, der Aus- Senring (e).. Wir werden diese fünf Zonen sogleich bei den einzelnen Formen der Goccolithen noch näher betrachten, wollen jedoch schon bier die Bemerkung vorausschicken,, dass nicht immer alle fünf Zonen entwickelt sind. ‚Am stärksten lichtbrechend ist der Markring (c), Dächstdem das Gentralkorn (a); dann folgt der Aussenring (e); noch Schwächer lichtbrechend ist der Körnerring (d) und am schwächsten das Markfeld (b). In chemischer Beziehung verhalten sich alle drei Formen von Gon- Cretionen wesentlich gleich. Sowohl die Discolithen, als die Cyatholithen und Goccosphaeren bestehen aus kohlen- Saurem Kalk, verbunden mit organischer Substanz. Die Verbindung der beiderlei Substanzen ist so innig, dass die Form der Coneretion ziemlich unverändert bleibt, wenn man sehr vorsichtig 34 * 512 Ernst Haeckel, durch allmähliche Einwirkung sehr verdünnter Säuren den Kalk aus- zieht. Durch plötzlichen Zusatz starker Säuren werden sie dagegen völlig zerstört. Ebenso werden sie durch caustische Alkalien, welche sie in der Kälte wenig oder gar nicht angreifen, beim Erhitzen zerstört. Die organische Grundlage der Concretion, welche bei vorsichtiger Ex- traction des Kalks zurückbleibt, als ein sehr zartes, biegsames Häut- chen, wird durch Jod blass gelb, ‚durch Garmin blass roth gefärbt, durch Alkalien gelöst. Am stärksten färbt sich diejenige Schicht der Concretion, welche wir sogleich als Granularzone beschreiben werden. Die Discolithen (Scheibensteinchen) oder die monodisken Goccolithen sind entweder kreisrunde oder elliptische, einfache Scheiben (Fig. 13—49). Die kleinsten erkennbaren Anfänge derselben messen kaum 0,004, die grössten ausgebildeten Formen 0,02 Mm. Die Mehrzahl der grösseren Discolithen hat einen Durchmesser von ungefähr 0,01—0,015 Mm. Fig. 13—25 zeigt die kreisrunden, Fig. 26—40 die en Scheiben in der Flächenansicht. Fig. 41—49 giebt die ver- schiedenen Profilansichten. Huxıev giebt von den Discolithen folgende Beschreibung: Die Dis- colithen sind ovale scheibenförmige Körper mit einem dicken, stark lichtbrechenden Rand und einem dünneren Centralstück, das zum gröss- ten Theil von einem matten, wolkenähnlichen Fleck eingenommen wird. Der Contur dieses Fleckes entspricht dem der inneren Kante des Ran- des, von dem er durch eine helle durchsichtige Zone getrennt ist. Ge- wöhnlich sind die Discolithen leicht convex auf der einen, leicht concav auf der anderen Seite, und der Rand springt auf der convexen Seite in Form und Gestalt eines dünnen Riffes vor (ganz ähnlich wie bei einem gewöhnlichen Untersatz von einem Blumentopf). Diese Beschreibung passt nicht auf alle Discolithen, sondern bloss auf einen Theil der Körperchen , die ich als solche hier justo ifsa! Ich glaube mich überzeugt zu haben, dass auch ein grosser Theil der kreisrunden Scheiben einfache Discolithen, und nicht amphidiske Gya- tholithen sind, wie Huxıry anzunehmen scheint. Die kreisrunden Schei- ben sind jedoch von etwas anderer Structur als die ovalen oder ellip- tischen , wesshalb sie eine besondere Betrachtung verdienen. Indessen ist zu bemerken, dass beide Formen nicht scharf zu trennen, vielmehr durch allmähliche Uebergänge miteinander verbunden sind. Die kreisrunden Discolithen (Fig. 13—25) lassen in ihrer am meisten entwickelten Form (Fig. 24, 25) von innen nach aussen die vorher schon angeführten fünf Theile unterscheiden. 1) Ein centrales. Stück, das Centralkorn (a) von kugeliger oder unregelmässig rund- licher, bisweilen etwas eckiger Form, von ungefähr 0,001 Mm, Durch- Beiträge zur Plastidentheorie. 513 Messer, stark lichtbrechend. 2) Ein heller, schwach lichtbrechender Ring, das Markfeld (b), structurlos, blass, anscheinend dünner, als der übrige Theil der Scheibe, ungefähr, 0,001 Mm. breit, oder noch etwas breiter. 3) Ein dunkler, stark lichtbrechender Ring, der Mark - ring (c), anscheinend der dickste Theil der Scheibe, jedoch oft nur ungefähr 0,0005 Mm. dick, anderemal mehr als doppelt so dick. 4) Ein körniger, schwach lichtbrechender Ring, der Körnerring (d), durch seine granulirte Beschaffenheit von der übrigen Scheibe auffallend ver- schieden , ebenso durch den unregelmässigen, oft fast wellenförmigen Contur, durch welchen er sich von dem fünften Ringe absetzt, ge- wöhnlich 0,003—0,004 Mm. breit. 5) Zu äusserst ein schmaler heller, Structurloser Aussenring (e) von 0,001 —0,002 Mm. Breite, biswei- len deutlich radial gestreift. Die grosse Mehrzahl der kreisrunden Discolithen zeichnet sich vor der Mehrzahl der elliptischen dadurch aus, dass das Centralkorn (a) fehlt (Fig. 20—22). Das Centrum der Scheibe wird also von dem Mark- feld (b) gebildet, welches von dem Markring (c) umschlossen ist. Die stufenweise Entwicklung dieser Discolithen lässt sich leicht verfolgen (Eie. 43 9). Zuerst entsteht bloss das Markfeld (Fig. 13). Um dieses lagert sich der Markring ab (Fig. 14). Um den Markring herum bildet sich der Körnerring (Fig. 15, 16, 21, 22). Endlich zuletzt entsteht der Aussenring (Fig. 19, 20). Die elliptischen oder ovalen Discolithen (Fig. 26—40) haben selten einen ganz regelmässig elliptischen, meist einen etwas ünregelmässigen, länglich runden Umriss. Die Ränder sind gewöhn- lich etwas verbogen. Der längere Durchmesser ist in der Mehrzahl nahezu doppelt so gross, als der kürzere, selten noch grösser. Oft ver- hält sich aber der längere zum kürzeren auch nur = 3:2, oder selbst Tak e3 raDie länglich-runde Gestalt dieser Scheiben wird offenbar schon durch die längliche, stäbchenförmige Gestalt des Gentralkorns (a) be- dingt, um welches sich dann die vier anderen Zonen in entsprechend 5estreckter Gestalt anlagern. Auch hier bei den elliptischen (ebenso Wie bei den kreisrunden) Discolithen lässt sich die Entstehung der Con- eretion leicht von Anfang an verfolgen. Man begegnet vielen in dem Protoplasma vertheilten kleinen stäbchenförmigen Kalkkörperchen, die 0,002--0,004 Mm. lang und etwa ein Viertel so dick sind. Das sind die Centralkörner (Fig. 26). Viele von diesen zeigen bereits einen hellen , schmalen Rand, das Markfeld (Fig. 27). Um dieses letztere bildet Sich dann ein dunkler dickerer Ring, der Markring (Fig. 28, 29). Diese letzteren Formen sind die von Hexuey als Discolithen be- Schriebenen Formen. Nun kommen aber auch noch grössere Scheiben 514 Ernst Haeckel, vor, welche man bei Betrachtung von der Fläche mit ausgebildeten Gyatholithen verwechseln könnte (Fig. 30—32). Wenn man sie aber auf den Rand stellt (Fig. 45—49), zeigt sich, dass sie keine Doppel- scheiben , sondern einfache Scheiben sind. Der Markring (c) ist hier noch von einem breiten, granulirten Körnerring (d) umgeben, der sich ganz wie bei den Cyatholithen verhält, und einen unregelmässig höckerigen oder wellenförmigen äusseren Contur zeigt. Um diesen letzteren legt sich endlich bei den grössten Formen (Fig. 31, 32) noch ein dunkler schmaler Aussenring (e). Die elliptischen Discolithen zeichnen sich sehr häufig dadurch aus, dass das Gentralkorn doppelt ist (Fig. 33—40). Das Markfeld, welches die beiden Gentralkörner umschliesst, zeigt dann häufig in der Mitte zwischen beiden eine Einschnürung (Fig. 34), die oft als eine scharfe Querlinie auftritt (Fig. 37, 38) und dann wohl als Verwachs- ungsnath der beiden Hälften zu deuten ist. In diesem letzteren Falle scheinen also die beiden Gentralkörnererst miteinander zu verwachsen, nachdem schon das Markfeld um beide sich gebildet hat. Anderemale dagegen bildet sich letzteres vielleicht gleichzeitig um zwei nahe bei- sammenliegende Centralkörner (Fig. 33, 34). Die weitere Entwicke- lung der concentrischen Ringe lässt sich auch hier ebenso wie bei den kreisrunden Discolithen leicht verfolgen (Fig. 26—40). Die Gyatholithen (Napfsteinchen) oder die amphidisken Coceolithen haben eine höchst sonderbare Gestalt (Fig. 54—80). Dieselbe ist bereits von Huxtey richtig erkannt und vortrefflich beschrie- ben worden. Doch bleibt immerhin noch manches hinzuzufügen, und wie ich glaube, auch anders zu deuten. Wie schon bemerkt, besteht jeder Cyatholith aus zwei Scheiben, welche mit ihren Flächen parallel und sehr nahe aneinander liegen, und in der Mitte durch eine kurze und dicke, im Centrum beider angebrachte Axe fest verbunden sind. Wenn man die Profilansicht (Fig. 61—69) mit der Flächenansicht (Fig. 70-—-80) vergleicht, wird dies vollkommen klar werden. Gewöhnlich ist die eine Scheibe kleiner , flach und kreisrund, die andere Scheibe grösser, convex vorgewölbt und elliptisch. Somit haben die gewöhn- lichen Cyatholithen ganz die Form eines ordinären Hemdeknöpfchens oder Manchettenkuöpfchens. Wenn man die Cyatholithen von der Fläche betrachtet (Fig. 70—80), so scheinen sie genau die Structur der eben beschriebenen Discolithen zu haben. Auch bier liegt im Centrum der Goncretion ein stark licht- brechendes Centralkorn (a), entweder einfach (Fig. 72, 79) oder dop- pelt (Fig. 73, 78, 80). Das helle Markfeld (b), welches das Gentralkorn umschliesst, wird nach aussen von dem dunkeln Markring (c) umgeben. enr passae Beiträge zur Plastidentheorie. 515 Dann folgt die breite Körnerzone (d) und endlich der dunklere schmale Aussenring (e), letztere beide oft deutlich radial gestreift. Von der Fläche betrachtet, sind also die monodisken und amphidisken Cocco- lithen nicht zu unterscheiden. Sobald mansie jedoch auf den schmalen Rand stellt und nun im Profil betrachtet, gewahrt man, dass die ersteren einfache, die letzteren paarweise verbundene Scheiben sind. Die Randansicht der Cyatholithen gewährt übrigens keineswegs immer dasselbe Bild, sondern variirt mannichfach (Fig. 64—69). Ge- wöbnlich allerdings ist die kleinere Scheibe eben, oder nur wenig con- vex gegen die grössere gewölbt; die grössere dagegen ist stärker nach aussen vorgewölbt, concav -convex (Fig. 62, 65, 66). Seltener sind beide Scheiben eben (Fig. 61, 68). Es kommt aber auch vor, dass beide Scheiben nach aussen convex vorgewölbt sind, und somit ihre Concavitäten gegen einander kehren (Fig. 69). Der seltenste Fall scheint zu sein, dass beide Scheiben nach aussen concav, dagegen mit den convexen Flächen gegen einander gewölbt sind (Fig. 63). Am schwierigsten zu beurtheilen ist die Natur der Zwischensub- Stanz und der centralen Axe, welche die beiden Scheiben miteinander verbindet. Huxzey spricht sich darüber nicht näher aus. Er unter- scheidet ein centrales, ovales, dickwandiges Körperchen in der Axe zwischen beiden Scheiben, und rings um dieses herum eine körnige »intermediate substance«, von der Ausdehnung der kleineren Scheibe, wahrscheinlich Protoplasma. Auch meine sehr sorgfältige und gedul- dige Untersuchung von Tausenden von Cyatholithen hat mir darüber keinen sicheren Aufschluss gegeben. Doch glaube ich, die körnige »intermediate Substanz«, welche der breiten »Körnerzone« (d) beider Scheiben entspricht, und mit derselben wirklich zusammenhängt, als eine Lage von modifieirtem Protoplasma mit ziemlicher Sicherheit deu- ten zu dürfen, Das centrale Körperchen dagegen ist ein Kalkzapfen, welcher die Centra beider Scheiben fest verbindet. Bei der ganz ausserordentlichen Schwierigkeit, welche die Deutung des mikroskopischen Bildes bei so kleinen und schwer zu untersuchen- den Körperchen darbietet, ist es gerathen, selbst die subjective Auf- fassung der einfacheren Verhältnisse nur mit grosser Vorsicht proviso- risch hinzustellen. Das gilt auch von der folgenden Ansicht über die Entstehung der Cyatholithen, welche von Huxırv’s Deutung abweicht, Welche aber noch sehr der weiteren Prüfung bedarf. Es scheint mir Nämlich bei der Mehrzahl der Cyatholithen die kleinere flachere Scheibe aus einem kreisrunden Discolithen ohne Gentralkorn, die grössere con- vexe Scheibe dagegen aus einem elliptischen Discolithen mit Gentral- korn gebildet zu sein. Das zapfenförmig verlängerte und konisch vor- 516 Ernst Haeckel, springende Gentralkorn der letzteren isleingesenkt in das centrale Mark- feld der ersteren, welches entweder eine verdünnte Scheibenmitte, oder selbst ein centrales Loch enthält. Wahrscheinlich entstehen die Gyatho- lithen von Anfang an, wenigstens zum grössten Theil, als Doppel- scheiben. Vielleicht aber verbinden sich in vielen Fällen auch spä- ter erst zwei schon ausgebildete Discolithen durch centrale Verwachsung miteinander. Neben den gewöhnlichen Eyatholithen, welche aus einem kleineren kreisrunden und einem grösseren elliptischen Discolithen zusammenge- setzt sind, kommen übrigens auch vielfach Cyatholithen vor, welche aus zwei ovalen oder elliptischen, und noch zahlreicher kleinere Cya- tholithen, welche aus zwei kreisrunden Discolithen zusammengesetzt zu sein scheinen. Bei der grossen Schwierigkeit aber, welche die Isolation der winzig kleinen Cyatholithen und ihre Betrachtung auf dem schmalen Rande darbietet, ist es zur Zeit sehr misslich, etwas Be- stimmtes über das Verhältniss dieser verschiedenen Formen zu einan- der zu sagen. Aus demselben Grunde ist auch ihre Genese so schwer zu beur- theilen. Man findet in jeder Probe von Bathybiusschlamm massenhaft Coccolithen von allen Entwickelungsstadien durcheinander, kreisrunde und elliptische, einfache und Doppelscheiben. Man kann den Ansatz der vier äusseren concentrischen Ringe um das Centralstück sehr leicht verfolgen. Wie sich aber die monodisken zu den amphidisken Cocco- lithen bezüglich ihrer Entstehung verhalten, ist sehr schwer zu sagen. Ueber die Goccosphaeren oder Kernkugeln kann ich mich sehr kurz fassen. In der von mir untersuchten atlantischen Grundprobe von 14,600 Fuss Tiefe, welche die Bathybius-Cytoden mit ihren Cocco- lithen in so ungeheuren Mengen enthält, sind die Coceosphaeren da- gegen nur äusserst spärlich vorhanden. Einige derselben habe ich in Fig. 50—53 abgebildet. Vielleicht kommt hier auf eine Million Cocco- lithen kaum eine Goccosphaere. Der Bau dieser Kugeln ist sehr schwie- rig zu untersuchen. Sie erscheinen ziemlich undurchsichtig und stark lichtbrechend;; und da sie so selten und schwer zu isoliren sind, so kann man nicht viel Versuche mit ihnen anstellen. Ich glaube jedoch, dass die Goccosphaeren weiter nichts, als Aggregate von Discolithen (vielleicht auch von Gyatholithen) sind, die erst secundär durch Ver- klebung und Verkittung von mehreren vorher getrennten Coccolithen entstanden sind. Die entgegengesetzte Ansicht von Sorsy und WAaLLIcH, dass die Goccolithen durch Zerbrechen von Goccosphaeren entstünden, halte ich mit Huxuey für unwahrscheinlich. LE anna Beiträge zur Plastidentheorie. 817 Die einzelnen Kalkscheiben , welche in tangentialer Lagerung die CGocwosphaeren zusammensetzen (Fig. 50—83), sind in ihrer Struetur nicht von Discolithen zu unterscheiden. Ich glaube an solchen Stücken, welche ich durch Zerdrücken der Kugeln isolirte, alle fünf Theile der Coceolithen wahrgenommen zu haben, auch die Granularzone, welche Huxtey vermisste. Für die Identität der einzelnen Coceosphaerentheile mit den Coceolithen scheint mir auch der Umstand zu sprechen, dass man alle verschiedenen Formen der Discolithen in den ersteren wieder- findet. Manche Coccosphären sind aus kreisrunden Discolithen zusam- mengesetzt (Fig. 52), andere aus ovalen oder elliptischen; und bei die- sen letzteren sind die Discolithen bald mit einem einfachen Centralkorn verschen (Fig. 50, 51), bald mit einem doppelten (Fig. 53). Sehr be- merkenswerth erscheint jedoch der Umstand, dass die Scheiben einer und derselben Coceosphaere meistens (nicht immer!) von einerlei Art sind. Wichtig für die Identität der Coccolithen und der Goccosphaeren- Stücke erscheint mir endlich die Thatsache, dass die ähnlichen (oder identischen ?) Concretionen der Myxobrachia ebenfalls zum Theil Coccolithen, zum Theil Coccosphaeren sind. -Ë Ursprung und Natur des Bathybius. Die Thatsache, dass ungeheure Massen von nacktem lebendem Pro- toplasma die grösseren Meerestiefen in ganz überwiegender Quantität und unter ganz eigenthümlichen Verhältnissen bedecken, regt zu so zahlreichen Reflexionen an, dass man darüber ein Buch schreiben könnte. Was ist dieser Bathybius für ein Organismus? Wovon lebt er? Wie entstand er? Was wird aus ihm? Welche Bedeutung hat er für die Oekonomie der Natur in diesen ungeheuren Abgründen, die ausserdem Nur von wenigen Protisten bewohnt werden? Dass die Cytoden des Bathybius, welche gewissermaassen eine le- bendige Schleimdecke auf dem Boden der Meeresabgründe bilden, hier wirklich leben, geht aus allen eben beschriebenen Verhältnissen mit Sicherheit hervor, und ist ausserdem im letzten Sommer von Gar- PENTER und WyvirLe Tnonson direct beobachtet worden. Dieselben nahmen die charakteristischen Protoplasma - Bewegungen an dem eben heraufgeholten Bathybius wahr. »This mud was actually alive; it stuck together in lumps, as if there were white of egg mixed with it; and the Slairy mass proved, under the microscope, to be living sarcode !).« Auch sind die wohl erhaltenen Formen der todten, in Weingeist aufbe- 41) Wyvinte Tuonson, On the depths of the Sea: Ann. and Mag. of nat. hist., 1869, Vol, IV, p. 1a. t 518 Ernst Haeckel, wahrten Protoplasmastücke ganz dieselben, wie die bekannten amoe- boiden Formen der Myxomyceten, Protamoeben u. s. w. Die vielleicht sich zunächst aufdrängende Vermutbung, dass die freien Protoplasmakörper des Bathybius von irgend einem andern Orga- nismus herrühren, wird bei eingehender Betrachtung durch Nichts be- stätigt. Wovon sollen sie herkommen? Der einzige Mitbewohner der Meeresgründe,, der hierbei noch in Frage käme, würde die Globigerina sein. Doch lässt sich keinerlei genetischer Zusammenhang zwischen dieser und dem Bathybius nachweisen. Wyvırır Tnonson meint, dass die freien Protoplasmalager des Bathybius »eine Art von diffusem My- a celium der verschiedenen Spongien seien«, die sich bisweilen in grösse- ren Meerestiefen vorfinden. Aber diese letzteren sind viel zu selten, um jene Massen zu erklären, abgesehen davon , dass jene Vermuthung an sich sehr künstlich und gezwungen erscheint. Wie wäre dann der Zusammenhang der Coccolithen und Coccosphaeren mit den Bathybius- Cytoden zu erklären? Auch enthalten ansehnliche Mengen des Tief- grundschlammes oft keine Spur von Schwammnadeln, die man doch sonst in beträchtlicher Quantität finden müsste. Es bleibt demnach nichts übrig, als die von Huxrry ausgespro- chene Ansicht, dass die Protoplasmakörper des Bathybius selbstständige lebende Organismen von denkbar einfach- ster Art seien, mögen nun die Coccolithen und Gocco- sphaeren dazu gehören oder nicht. Jedenfalls wird dann Ba- thybius nach Huxırv’s Vorgang zu meinen Moneren zu stellen sein, und diese niederste Protistenklasse mit einer höchst interessanten und wichtigen neuen Gatlung vermehren. Dass die Coccolithen und Coccosphaeren als Ausscheidungen des Bathybius - Protoplasma zu betrachten und also den Spicula der Schwämme und Radiolarien zu vergleichen sind, wie Huxrey meint, halte ich zwar für sehr wahrscheinlich, aber doch nicht für ganz sicher ausgemacht. Ich habe nämlich in dem atlantischen Ocean bei den ca- ' narischen Inseln eine höchst sonderbare Radiolarienform, den Thalassi- collen nächstverwandt, beobachtet, die sich durch den Besitz von Kalkspi- cula auszeichnet, welche den Coccolithen und Goccosphaeren jedenfalls höchst ähnlich, wenn nicht mit diesen identisch sind. Ich werde diese merkwürdige Protistenform in dem folgenden Abschnitt als Myxo- brachia näher beschreiben (Vergl. Taf. XVII). Die schwierigsten Räthsel bieten die Verhältnisse der Ernährung und Fortpflanzung des Bathybius und der mit ihm gesellig lebenden (lobigerinen dar. Wo kommen alle diese Protoplasmamengen her? Wie erhalten sie sich am Leben? Was wird aus ihnen? Den herkömmlichen Beiträge zur Plastidentheorie. 519 Anschauungen folgend, werden die Meisten sowohl den Bathybius als die Globigerinen für Thiere halten. Wenn dieselben aber als Thiere leben und sich ernähren sollen, wo nehmen sie das Protoplasma her, das sie zu ihrer Ernährung brauchen? Das Pflanzenreich, aus welchem das Thierreich direct oder indirect seine Protoplasma-Nahrung bezieht, kommt hierbei gar nicht in Betracht; denn obgleich die neueren Tief- 8rund-Untersuchungen dargethan haben, dass das Thierleben tiefer hinabgeht, als man bisher glaubte, dass viele Thiere bis 3000 Fuss und einzelne bis unter 5000 Fuss hinabgehen, so stimmen doch alle Beobach- ter darin überein , dass das Pflanzenleben schon bei 1000 Fuss höchst Spärlich und bei 2000 Fuss Tiefe gänzlich erloschen ist. Wennnun auch für jene Thiere die erforderliche Nahrungszufuhr aus den zahlreichen aufgelösten organischen Stoffen angenommen werden kann, die bis in jene Tiefe hinab im Meerwasser vertheilt vorkommen, so erscheint diese Annahme doch kaum mehr möglich für die ausgedehnten Abgründe des offenen Oceans, die zwischen 20,000 und 30,000 Fuss Tiefe erreichen. Und was wird dann weiter aus dem Bathybius, selbst wenn seine Ernäh- rung sich so erklären liesse? Entsteht nicht hier vielleicht fortwährend das Protoplasma durch Urzeugung? Hier stehen wir vor einer Reihe von dunkeln Fragen, auf welche erst von späteren Untersuchungen Ant- wort zu hoffen ist. 3. Myxobrachia von Lanzerote. Hierzu Taf. XVII. Die Goccolithen und Goccosphaeren, welche in so ungeheuren Massen den Boden der Meeresabgründe bedecken und so wesentlichen Antheil an der Kreidebildung nehmen, sind bisher noch nirgend anderswo an- Betroffen worden. Ein Zusammenhang derselben mit irgend einem an- deren Organismus, als den Cytoden des Bathybius, war bisher völlig unbekannt. Um so mehr scheint es gestattet, hierein zwar noch dunkles aber jedenfalls schr merkwürdiges Verhältniss zu beschreiben, welches ich im Februar 1867 auf der canarischen Insel Lanzerote beobachtete. Ich fand dort nämlich Kalkkörperchen, welche den Coccolithen und Coceosphaeren höchst ähnlich — wenn nicht identisch! — sind, einge- bettet in den extracapsularen Sarcodekörper eines Radiolars, welches den Thalassicollen nächstverwandt ist. Wenn man bei Windstille und glatter See aus dem Hafen der Insel “anzerote (Puerto del Arrecife) eine Strecke weit hinausrudert, so be- l 520 Ernst Haeckel, merkt man bisweilen schon vom Boote aus an der Oberfläche schwim- mend sonderbare farblose Gallertkörperchen von ungefähr einem hal- ben Zoll Länge, welche bald die Form einer langgestreckten Keule haben (Fig. 1, 2), bald gewissen Echinodermenlarven ähnlich sehen (Fig. 3, 1). Die letzteren zeigen einen länglich -runden Körper, von welchem eine Anzahl kegelförmiger schlanker Arme herabhängen. Jeder Arm ist von einem gelben Axenstreifen durchzogen. Diese Streifen vereinigen sich in einem gelben Flecke, welcher dieMitte der ovalen Gallertmassen einnimmt. Durch die Axe der einfachen keulenförmigen Gallertmassen geht nur ein gelber Streifen der Länge nach hindurch. Das untere dünne Ende dieser letzteren und ebenso die Armspitzen der ersteren Form sind trüb weisslich, undurchsichtig, mit einem Knopf besetzt. Beim ersten Anblick weiss man nicht, was man aus diesen son- derbaren Körpern machen soll. Bringt man dieselben jedoch unter das Mikroskop, so erkennt man sofort, dass die gelben Streifen aus Massen von gelben Zellen der Radiolarien zusammengesetzt sind, dass in der Mitte eine Gentralkapsel liegt und dass von der Oberfläche der Gallert- masse dichte Pseudopodienbündel ausstrahlen. Man weiss jetzt, dass man ein Radiolar aus der Gruppe der Thalassicollen vor sich hat, aber durch seine sonderbaren Fortsätze ganz von der gewöhnlichen Form abweichend. Wir wollen vorläufig dasselbe als Repräsentanten einer besonderen Gattung, Myxobrachia (Schleimarm) betrachten, und die vielarmige Form M. plu teus, die enarmigeM. rhopalum nennen. Um jeden Verdacht, dass die sonderbaren Formen Kunstproducte seien, zu vermeiden, bemerke ich, dass sie mit der grössten Vorsicht, ohne sie irgend zu berühren, mittelst eines geräumigen Glashafens von der Oberfläche des Meeres geschöpft wurden, und sich darin mehrere Tage lebendig erhielten. Sie schwammen beständig an der Oberfläche, in- dem die abgerundete obere Seite des Körpers den Wasserspiegel (M. bis N. Taf. XVII.) berührte, während die Arme frei herabhingen. Myxobrachia rhopalum (Fig. 1, 2) ist eine keulenförmige Gal- lertmasse, welche bald mehr birnförmig (Fig. 1), bald mehr langge- streckt keulenförmig erscheint (Fig 2). Das dicke Ende der Keule be- rührt mit seiner Wölbung die Oberfläche des Wasserspiegels, während das dünne Ende senkrecht herabhängt. Die beiden abgebildeten For- men stellen zwei Extreme der Keulengestalt dar. Die gedrungene Form (Fig. 4) war 8 Mm. lang, bei 6 Mm. grösster Breite. Die gestreckte Form (Fig. 2) besass 14 Mm. Länge bei 5 Mm. grösster Breite. Myxobrachiapluteus (Fig. 3—10) stimmt in den meisten we- sentlichen Verhältnissen, namentlich im Bau der Gentralkapsel und der diese umschliesende Alveolenhülle ganz mitM. rhopalum überein und Beiträge zur Plastidentheorie. 021 | unterscheidet sich wesentlich nur dadurch, dass die Sarcode - Gallerte } Sich nicht in einen herabhängenden Fortsatz oder Arm verlängert, sondern in sechzehn Arme, welche ihr ein höchst sonderbares Aus- sehen geben. Die länger gestreckte Form von M. pluteus (Fig. 3) ist !2 Mm. lang und 6 Mm. breit; die flacher ausgebreitete Form (Fig. 4) ist ungefähr 8 Mm. breit und 6 Mm. lang. Die kugelige Centralkapsel (Fig. 4—4 c, Fig. 6) ist in beiden Myxobrachiaformen von derselben Grösse und Zusammensetzung. Sie hat einen Millimeter Durchmesser, ist ziemlich fest, ganz undurchsich- tig und bei auffallendem Lichte schneeweiss gefärbt. Bei schwacher Vergrösserung erscheint ihre Oberfläche sehr regelmässig von blutrothen Punkten besetzt. Die Membran der Centralkapsel ist sehr fest und derb, 0,004 Mm. dick, structurlos, und dicht von sehr feinen ra- dialen Porenkanälen durchsetzt. Im Centrum der Gentralkapsel liegt die ansehnlicheBinnenblase (Vesicula intima), deren Durchmesser ein Drittel von dem der er- Steren beträgt (Fig. 5). Diese Binnenblase zeigt ganz dieselbe eigen- Ihümliche Beschaffenheit, welche bis jetzt nur bei meiner Thalassi- colla pelagica bekannt war (Radiolarien, p. 248, Taf. I, Fig. 5). Der kugelige Mittelkörper der Binnenblase ist nämlich mit sehr zahlrei- chen fingerförmigen Ausstülpungen besetzt, welche in radialer Richtung von dem ersteren abstehen. Die Zahl dieser radialen Blindsäcke ist auf ungefähr 100 (bei verschiedenen Individuen 80—120) zu schätzen, also viel bedeutender , als bei Thalassicolla pelagica (30—40). Auch sind die Blindsäcke viel länger, als bei letzterer , indem ihre Länge dem Durchmesser des kugeligen Mittelkörpers gleichkommt, oder ihn sogar noch übertrifft. Die ganze Binnenblase sammt ihren fingerförmigen Aus- Slülpungen ist von einer eiweissartigen (?) Substanz erfüllt, welche Structurlos, zähflüssig, wachsähnlich, schwach lichtbrechend und von gelblicher Farbe ist. Die Membran der Binnenblase ist sehr zart und dünn, aber doch ziemlich fest. Die Zwischenräume zwischen den Blindsäcken der Binnenblase sind von zähflüssigem, trübkörnigem Protoplasma erfüllt, das sich auch in geringer Quantität zwischen den kugeligen Zellen findet, die den haupt- Sächlichsten Inhaltsbestandtheil der Centralkapsel bilden. Diese Zellen Sind hier von zweierlei Art. Der äussere, peripherische Theil des Kap- Selraums wird von sehr kleinen, hellen kugeligen Zellen einge- nommen (Fig. 6i, Fig. 12), welche mit den bei allen Radiolarien in der Centralkapsel constant N »wasserhellen, kugeligen Bläschen« identisch sind ( (Radiolarien, S. 71). Dieselben SH echte, kernhaltiee Zellen von 0,008 Mm. Beine, mit klarem Inhalt, von Ernst Haeckel, einer zarten Membran umschlossen (Fig. 42). Wahrscheinlich haben sie die Bedeutung von Sporen oder Keimkörnern. Weiter nach innen, in der unmittelbaren Umgebung der Binnenblase, liegen statt deren drei bis viermal grössere, dunklere, stark lichtbrechende ku- gelige Zellen, welche einen grossen Nucleus und Nucleolus ein- schliessen (Fig. 7). Oft sieht man sie in der Theilung begriffen, paar- weise oder zu vieren verbunden (Fig. 7 B, C). Endlich befindet sich noch unmittelbar an der inneren Fläche der Centralkapsel, ihrer Membran fest anliegend und durch dieselbe hindurch schimmernd, eine grosse Anzahl von kleinen blutrothen Oelkugeln (Fig. 6). Diese haben nur 0,006 Mm. Durchmesser und sind in Zwischenräumen von 0,012 Mm. sehr regelmässig vertheilt, wodurch die zierliche rothe Punktirung der Kapseloberfläche entsteht. Die Hauptmasse des Körpers wird bei beiden Myxobrachiaarten von einer structurlosen Sarcode-Gallert (d) gebildet, deren ganze glatte Oberfläche dicht mit sehr zahlreichen, feinen und kurzen Pseu- dopodien bedeckt ist (e). Das Volum dieser gallertig aufgequollenen Protoplasmamasse ist so bedeutend, wie man es bisher nur bei den Po- Iyeyttarien (den Radiolarien mit zahlreichen Gentralkapseln) ‚kannte. Bei einem lebenden Monocytiarium (einem Radiolar mit einfacher Centralkapsel) war eine so ansehnliche Quantität von Sarcodegallert bis jetzt noch nicht beobachtet. Excentrisch in dem oberen Theile dieses ziemlich festen und consistenten Gallertkörpers liegt die Gentralkapsel (c). Sie ist rings umschlossen von einer voluminösen Hülle, gebildet aus jenen sonderbaren hellen Blasen, die ich (1862) in meiner Mono- graphie der Radiolarien als extracapsulare Alveolen beschrieben habe (Fig. 1—4a, Fig. 6a). Dieselben erscheinen hier als kugelige oder ellipsoide, oft auch eiförmige Blasen, die kleineren von 0,4 Mm., die grössten von 1—1!/, Mm. Durchmesser. Sie scheinen aus einer dünnen Protoplasmahülle, die einen Kern enthält und eine wässerige Flüssigkeit umschliesst, zu bestehen und demnach den Formwerth von echten, kernhaltigen Zellen zu haben. ‚Vielleicht ist der Vergleich die- ses Alveolengewebes mit derjenigen grosszelligen Modification des Binde- gewebes, welche bei niederen Thieren (Würmern, Mollusken, Crusta- ceen) als »Blasengewebe« so verbreitet ist, nicht unpassend. Die Alveo- len bilden bei beiden Arten von Myxobrachia dicht zusammengedrängt eine birnförmige Masse, welche in ihrem dünnen, nach unten gekehrten Ende die excentrische Gentralkapsel umschliesst. Die Oberfläche der birnförmigen Alveolenmasse, welche 4 Mm. lang, 3 Mm. breit ist, er- scheint ganz scharf von der Sareodegallert abgegrenzt, von welcher sie Die Centralkapsel ist unten, in dem dünnen rings umschlossen ist. Beiträge zur Plastidentheorie. 523 Ende der birnförmigen Alveolenhülle, nur von einer dünnen Schicht sehr kleiner Alveolen bedeckt, während sich oberhalb derselben die grossen Alveolen zu einem dicken Haufen aufthürmen (Fig. 4—4 a). Rings um die Gentralkapsel, innerhalb der Alveolenhülle und zwi- schen deren Blasen zerstreut, liegt eine sehr grosse Menge von gelben Zellen und von Oelkugeln. Die extracapsularen Oelkugeln oder Fettkugeln (f) sind im Ganzen bei den Radiolarien sehr selten zu finden. Ich habe sie zuerst bei Collozoum pelagicum beschrieben (Radio- larien, p. 525; Taf. XXXI, Fig. 4). Beide Formen von Myxobrachia hesitzen sie in grosser Menge, mindestens einige hundert. Es sind stark lichtbrechende , farblose und structurlose Fettkugeln , alle von nahezu gleicher Grösse (0,018—0,024 Mm. Durchmesser). Von den kleinsten Alveolen, die dieselbe Grösse haben , unterscheiden sie sich auffallend durch ihre viel stärkere Lichtbrechung. Sie sind so angeordnet, dass sie von der oberen Fläche der Centralkapsel in radialen Reihen nach oben hin ausstrahlen. Je näher der Centralkapsel, desto dichter ge- drängt liegen die Oelkugeln in den radialen Reihen, deren man zwischen 30 und 50 zählen kann; auf jede Reihe kommen 5—10 Oelkugeln. Die Obere (von der Centralkapsel entfernte) Hälfte der Alveolenhülle ist frei von Oelkugeln. Auch in der Sarcodegallert sind die letzteren nicht zu finden. Die extracapsularen gelben Zellen (g) welche Amylumkör- ner enthalten und welche ungefähr halb so gross wie die Oelkugeln Sind (von 0,042—0,015 Mm. Durchmesser) liegen in dichten Haufen um die Centralkapsel herum und strahlen von da reihenweise in die Alveo- lenhülle aus. Jedes Individuum vonMyxobrachia enthält mindestens tausend , oft wohl mehr als zehntausend gelbe Zeilen. Die gelben Zel- len, welche mit den Protoplasmaströmen durch den Körper wandern, beschränken sich zu Zeiten auf die Alveolenhülle, in der sie radiale Streifen bilden (Fig. 4); zu anderen Zeiten dagegen, und zwar gewöhn- lich, erstreckt sich bei M. rhopalum ein dicker Axenstreifen, welcher aus hunderten von gelben Zellen zusammengesetzt ist, aus der Alveo- lenhülle in den Keulenstiel, in den langen Fortsatz der Sarcodegallert hinein , welcher nach unten frei hinabhängt (Fig. 2). Ebenso läuft bei M. plu teus ein dicker, aus zahlreichen gelben Zellen zusammenge- Setzter Strang in der Axe jedes der sechzehn Arme bis zur Spitze (Fig. 3, 4). Die Vermehrung der gelben Zellen zeigt Fig. 11. Der Sarcodekörper oder das extracapsulare Protoplasma bildet, wie bei allen Radiolarien,, eine dicke Schleimschicht (Matrix), welche unmittelbar die Gentralkapsel umschliesst und von welcher zahl- reiche Ströme von Sarcode oder Protoplasma ausstrahlen. Diese ver- 524 Ernst Haeckel; zweigen sich zwischen den Alveolen und treten schliesslich an der Aus- senfläche der Alveolenhülle in die mächtige Sarcodegallert über, welche die letztere umschliesst (d). Niemals bilden die Protoplasmafäden zwischen den Alveolen die sonderbaren grossen Sarcodeplatten, welche die nahe verwandte Thalassicolla pelagica auszeichnen (Radio- larien, S. 247, Taf. I, Fig. 1). Die dicke Masse der Sarcodegallert (d), welche ungefähr die Consistenz eines mässig derben Medusen- schirms besitzt, erscheint structurlos, jedoch fein und dicht radial ge- streift. Bei starker Vergrösserung erscheinen die strahlenden Streifen aus sehr kleinen Sarcodekörnchen zusammengesetzt. Die Sarcodegallert besitzt äusserlich eine glatte Oberfläche, von welcher tausende von sehr feinen und kurzen Pseudopodien (e) dichtgedrängt ausstrahlen. Diese zeigten an den lebend im Glase gehaltenen Myxobrachien tage- lang das Phänomen der Protoplasmabewegung, das Verästeln und Verschmelzen der Fäden, die Körnchenbewegung etc. in sehr klarer Weise. Der sonderbarste und eigenthümlichsteKörpertheil der Myxobrachia sind die langen Arme, die Fortsätze der Sarcodegallert, von denen einer beiM. rhopalum, sechzehn beiM. pluteus in das Wasser hin- abhängen. Wieschon bemerkt, ist dieAxe derselben von einem Strange von dicht gedrängten gelben Zellen durchzogen, welche von der Alveo- lenhülle aus bis in die Spitze der Arme hineingehen. Am Ende der letzteren befindet sich eine knopfförmige kugelige Anschwellung, welche undurchsichtig und bei auffallendem Lichte weiss ist. Bei starker Ver- grösserung ergiebt sich, dass dieser weisse Knopf aus sehr zahlreichen (mindestens mehreren hundert) Kalkconcrementen besteht, welche den Goccolithen und Coccosphaeren des Bathybiushöchstähnlich, und vielleicht mit ihnen identisch sind (Fig. 9, 10). Bei Myxobrachia pluteus erhält der Körper durch die kuppel- förmige Wölbung des oberen Theils, welcher den Wasserspiegel des Meeres berührt und durch die regelmässige Vertheilung der sechzehn herabhängenden Arme ein höchst sonderbares Aussehen, das sehr an gewisse Echinodermenammen (Pluteus, Brachiolaria) erinnert (Fig. 3, 4). Die Form wechselte übrigens bei einem und demselben Indivi- duum im Laufe eines Tages mehrmals, indem der Körper vermöge sei- ner Contractilität bald länger und schmäler (Fig. 3), bald kürzer und breiter wurde (Fig. 4). Dabei blieb jedoch während der beiden Tage, an denen ich das Radiolar in meinem Glase lebendig hielt, die Zahl, Grösse und Beschaffenheit der sechzehn Arme unverändert. Diese letz- teren waren der'gestalt vertheilt, dass man durch den ganzen Körper Beiträge zur Plastidentheorie, 525 zwei auf einander senkrechte Ebenen legen konnte, von denen jede den Körper in zwei congruente Gegenstücke oder Antimeren zerlegte. My- xobrachia pluteus hat demnach die stereometrische Grundform der Orthostauren oder der Rhomben pyramide (Generelle Morpho- logie, 1, S. 488). Die sechzehn Arme sind in der Weise vertheilt, dass “wei bedeutend längere Arme in der Mitte parallel neben einander her- abhängen. Die übrigen vierzehn Arme bilden zwei übereinander lie- gende Gürtel, von denen der obere acht, der untere sechs Arme trägt. Jeder Arm ist kegelförmig und am Ende mit einem Knopfe versehen. Die zablreichen gelben Zellen, welche von der Alveolenhülle ausgehend, in Form eines centralen Axenstranges jeden Arm durchziehen, erschei- nen gegen die Spitze hin dichter zusammengehäuft. Die Concretionen von kohlensaurem Kalk, welche dicht “usammengedrängt die knopfförmige Anschwellung am Ende jedes Armes von Myxobrachia pluteus, und ebenso die einfache untere An- Schwellung von M. rhopalum erfüllen, verdienen jedenfalls besondere Aufmerksamkeit, mögen dieselben nun mit den Coccolithen und Cocco- Sphaeren des Bathybius identisch sein oder nicht. Zu meinem grossen Bedauern kann ich diese wichtige Frage nichtentscheiden, da ich leider keine Präparate von Myxobrachia mehr besitze und auf Lanzerote ver- Säumt habe dieselben zu messen und möglichst genau auf ihre Structur “u untersuchen, Nach den mitgebrachten Zeichnungen (Fig. 8, 9, 10) Wird bei beiden Formen von Myxobrachia die grössere Hälfte der Kalkkörperchen von Scheiben gebildet, welche den Coceolithen ganz ähnlich sind (Fig. 9 A—C) , die kleinere Hälfte dagegen von kugeligen : Conglomeraten solcher Scheiben , die die grösste Aehnlichkeit mit Coc- Cosphaeren zeigen (Fig. 10 B—(). Unter den ersteren sind sowohl kreisrunde (9 A) , als ovale Scheiben , und die letzteren theils mit ein- fachem (9 b) , theils mit doppeltem Gentralkorn (9 C). Im Uebrigen lau- fen die concentrischen Ringe ganz ähnlich wie bei den Coceolithen um das Centralkorn herum. Ob die Scheiben alle Monodisken waren (wie die Discolithen des Bath ybius), oder ob auch Amphidis- ken (wie die € yatholithen) darunter vorkamen, habe ich leider fest- “ustellen versäumt. Die kugeligen Coneretionen (Fig. 10), welche den Coceosphaeren höchst ähnlich waren, zeigten sich gleich diesen bald aus wenigen (6—8), bald aus zahlreichen (20—40) scheibenförmigen : Coneretionen zusammengesetzt. Wenn man die beiderlei Bildungen Mit verdünnter Essigsäure oder Mineralsäuren behandelt, so bleibt (ganz ebenso wie bei den Coceolithen und Coccosphaeren des Bath y- bius) ein organischer Rückstand von derselben Form und Grösse zu- rück , jedoch geschrumpft und unregelmässig. Bd. V. 4. 35 526 Ernst Haeckel, Was sind und was bedeuten nun diese räthselhaften Kalkkörper- chen in den canarischen Myxobrachien? Als ich dieselben auf Lanze- rote untersuchte, glaubte ich sie als eine eigenthümliche Form von Spi- cula deuten zu müssen , wie dergleichen bei so vielen anderen Radio- larien (Thalassosphaeren und Sphaerozoen) vorkommen. Allerdings waren Kalkausscheidungen bei den Radiolarien bisher nicht mit Sicherheit bekannt. (Das angebliche kalkschalige Radiolar, welches ALEXANDER Stuart als Coscinosphaera ciliosa beschrieben hat, ist die längstbekannte Polythalamienform Globigerina). Indessen be- stehen auch nicht alle Radiolarien-Skelete aus Kieselerde. Ferner finden sich ähnliche Goneretionen als Spieula beiThalassosphaera morum (Radiolarien, S. 260). Freilich muss ich gestehen, dass ich jetzt etwas zweifelhaft bin, ob jene Kalkspicula wirklich der Myxobrachia ange- hören, und nicht vielmehr aus einem anderen Organismus aufgenommen sind. Wäre das Letztere der Fall, so würde die regelmässige und auf- fallende Gestalt derMyxobrachia pluteus schwer zu erklären sein. Dafür, dass die Kalkconeremente mit der Nahrung aus einem an- deren Organismus aufgenommen sind und möglicherweise erst in Folge ihrer Ansammlung an bestimmten Körperstellen die sonderbare Form des Ganzen hervorgebracht haben, spricht vielleicht noch der Umstand, dass bei Lanzerote ziemlich häufig eine echte Thalassicolla (Radiolarien, S. 246) vorkommt, welche in der Bildung der Gentralkapsel und der Alveolenhülle vollständige specifische Uebereinstimmung mit der Myxo- brachia zeigt. Ich will dieselbe wegen der rothpunktirten Gentralkap- sel Thalassicolla sanguinolenta nennen. Insbesondere ist die Form der Binnenblase, der Inhalt der rothpunktirten, milchweissen - Centralkapsel, ferner der Mangel des extracapsularen Pigments, an dessen Stelle in der Alveolenhülle die sonst so seltenen extracapsu- laren Oelkugeln liegen , bei beiden Radiolarien ganz übereinstimmend. Die sonderbaren Arme aber und die an ihren Enden befindlichen Knöpfe mit Kalkconcretionen, welche den eigentlichen Charakter der Myxo- brachia bilden, fehlender Thalassicolla sanguinolenta gänzlich. Vielmehr. ist hier der ganze Körper, wie bei den anderen echten Tha-- lassicollen,, eine regelmässige Kugel ohne alle Fortsätze und ohne Spi- cula. Die Alveolenhülle umgiebt die Gentralkapsel in Form einer con- centrischen Kugel und die Pseudopodien, sowie die begleitenden radia- len Streifen von gelben Zellen , ebenso die radialen Reihen von extra- capsularen Oelkugeln an der Oberfläche der Gentralkapsel, strahlen. nach allen Richtungen hin gleichmässig aus. Da jedoch alle beobach- teten Exemplare der Thalassicolla sanguinolenta kleiner als die aus- nehmend grossen Myxobrachien waren , so wäre es immerhin möglich, Beiträge zur Plastidentheorie. ST dass die ersteren die Jugendform der letzteren bilden, und dass die Myxobrachia erst secundär, durch Entwickelung der Arme und Bildung der Spicula aus der Thalassicolla entsteht. Wenn die Kalkkörperchen derMyxobrachien wirklich mit den Coc- eolithen und Coccosphaeren identisch sein sollten (was jedenfalls noch des Beweises bedarf) , so wird die räthselhafte Natur der letzteren dadurch nicht aufgeklärt. Wie kommen sie an die Oberfläche des Meeres? Und in welcher Beziehung stehen sie einerseits zu dem nur die Abgründe bewohnenden Bathybius, andererseits zu den rein pelagischen Myxo- brachien? Dass die ungeheuren Massen der alle Abgründe bedeckenden Coceolithen- und Coccosphaeren-Myriaden weiter nichts seien, als die Spicula von pelagischen Myxobrachien, welche nach deren Tode auf den Meeresboden gesunken sind, ist wohl höchst unwahrscheinlich. Jede Weitere Speculation aber über den Zusammenhang und die Bedeutung dieser sonderbaren Formen erscheint gegenwärtig verfrüht. Licht ist erst von ferneren Beobachtungsreihen zu hoffen. Wenn die Myxobrachia mit ihren sonderbaren Armen und Spicula- knöpfen eine constante Radiolarienform und nicht bloss eine zufällige Bildung sein sollte, so würde sie eine besondere neue Gattung in der Familie der Colliden und in der Subfamilie der Thalassosphaeriden bil- den, mit folgendem Gattungscharakter: Myxobrachia: Gentralkapsel kugelig , mit Binnenblase (Vesicula intima). Der extracapsulare Sar- codekörper in einen oder mehrere herabhängende armartige Fortsätze verlängert, deren knopfförmige Enden Haufen von Kalkconcretionen (Spicula) umschliessen. Die Gentralkapsel liegtexcentrisch in der birn- förmigen Alveolenhülle, welche nach dem oberen (den Armen entgegen- gesetzten und kuppelförmig gewölbten) Theile des Sarcodekörpers hin kolbenförmig angeschwollen ist. 4) Die Plastiden und das Protoplasma der Rhizopoden. Eine der wesentlichsten Stützen für meine Plastidentheorie liefert die höchst interessante und formenreiche Classe der Wurzelfüsser oder Rhizopoden. Ich verstehe hier diese Protistenclasse in demselben Um- fange, in welchem ich sie 1866 in der generellen Morphologie begrenzt habe. Ich scheide also aus der Rhizopodenclasse aus die Moneren,, die Protoplasten oder Amoeboiden (Amoeben, Arcellen, Gregarinen etc.) und die Myxomyceten. Demnach bleiben als echte Rhizopoden übrig 3B * 528 Ernst Haeckel, die beiden grossen Subclassen der Acyttarien (Monothalamien und Polythalamien). und der Radiolarien (Monocytlarien und Polyeyt- tarien), sowie auch die kleine, zwischen beiden Subelassen in der Mitte stehende Gruppe der Helio zoen (Actinosphaerium Eichhornii, von Stein, Cystophrys Haeckeliana und C. oculea von Arcuek) und deren Verwandte. Die Veranlassung, das Verhältniss dieser echten Rhizopoden zur Plastidentheorie hier noch besonders hervorzuheben, liegt für mich einerseits darin, dass diese Protisten mir ganz besonders für das Vei- ständniss meiner Theorie wichtig und lehrreich zu sein scheinen und andererseits darin, dass ich gegenwärtig, der letzteren entsprechend, ‚meine früher ausgesprochenen Ansichten über die Sarcode oder das freie Protoplasma der Rhizopoden etwas modificiren muss. Was zunächst diesen letzteren Punkt betrifft, so habe ich 1862 in meiner Monographie der Radiolarien den Beweis zu führen gesucht, dass das Protoplasma sämmtlicher Rhizopoden (sowohl der Radiolarien, als der Heliozoen und Acyttarien) entstanden sei aus der Verschmelzung von mehreren Zellen (l. c. p. 107, 165 ete.). Diese Auffassung befand sich in voller Uebereinstimmung mit Max Senturze’s Protoplasmatheorie, in welcher sich derselbe mit folgenden Worten über dieses Verhältniss ausspricht : »Als nacktes, freies, contractiles Protoplasma deute ich die contractile Substanz aller grösseren Rhizopoden. Ob sie aus einer Zelle oder aus mehreren Zellen entstanden ist, bleibt zunächst gleichgültig. Sie ist Protoplasma und damit ist ihr Wesen und ihr Ursprung bezeichnet. — Man hat sie bisher Sarcode genannt. Wenn ich jedoch vorschlage,, sie von jetzt ab Protoplasma zu nennen, so liegt darin der Triumph derZellentheorie auch über diese niedersten organischen Gebilde ausgedrückt. — Bei allen Protozoen, und das möchte ich für charakteristisch halten, waltet wenigstens in gewissen Bezirken des Körpers und behufs Erfüllung gewisser Functionen die Neigung der Zellen vor, zu einer grösseren Protoplasmamasse zu- sammenzuschmelzen, in welcher dann nur die Zahl der persisti- renden Kerne etwa noch den Ursprung der Masse aus Zellen an- deutet.« (Max Scnurtze, die Gattung Cornuspira etc., p. 300). Diese Auffassung der. Rhizopoden-Sarcode ist zum Theil gewiss richtig und gilt wahrscheinlich für alle jene Rhizopoden, deren Körper wirklich aus echten Zellen, d. h. aus kernhaltigen Protoplasma- klümpchen ganz oder theilweise besteht und also wahrscheinlich auch aus einer echten Zelle hervorgeht. Solche Zellen finden sich in der cen- tralen Körpermasse von Actinosphaerium. Solche echte Zellen kommen aber auch im Körper aller ausgebildeten Radiolarien vor, EEE REDE e Beiträge zur Plastidentheorie, 529 AlsunzweifelhafteZellen desRadiolarienkörpers habe ich schon in meiner Monographie (1862) eine Anzahl von verschiedenen Formelementen nachgewiesen. Dahin gehören vor allen die merkwür- digen , ausserhalb der Gentralkapsel befindlichen und an den Fäden der extracapsularen Sarcode fortbewegten gelben Zellen (l.c. p.84), über deren kürzlich von mir entdeckten Amylumgehalt der nächstfol- gende Abschnitt nähere Angaben bringen wird. Dahin gehören ferner die intracapsularen Pigmentzellen und Alveolenzellen (l. c. p. 77), die Centripetalen Zellgruppen von Ph ysematium u. s. w. Dagegen habe ich mich damals über die Zellennatur der »kugeligen, wasser- hellen Bläschen «, welche den wichtigsten und allein constanten Inhaltsbestandtheil der Gentralkapsel bilden, sehr vorsichtig und zu- rückhaltend ausgesprochen (l. c. p. 71). Ich erklärte es zwar für »sehr Wahrscheinlich, dass sie in der That als Zellen, und zwar als zur Fortpflanzung dienende Keime (Eier- oder Keimzellen) anzusehen sind« und führte als Argument für ihre Zellennatur besonders ihre regel- mässige Grösse und Vermehrung durch Theilung an. Indessen ver- mochte ich doch den wichtigsten Beweis, die Erkenntniss des Zellen- kerns, damals nicht mit Sicherheit zu führen. Neuere Untersuchungen, die ich mit Hülfe stärkerer Vergrösserungen und vielfacher mikroche- Mischer Versuche an lebenden Radiolarien auf der canarischen Insel Lanzerote ausführte, haben jenen Beweis vollständig geführt. Insbe- sondere eingehende Untersuchungen an verschiedenen Thalassicollen, an der vorher beschriebenen Myxobrachia und an mehreren Arten von Gollozoum und Sphaerozoum haben mich vollständig von der Anwesenheit eines genuinen Zellenkerns in jenen »Bläschen« überzeugt!). Sowohl dieser Nucleus, als das umgebende wasserhelle, hyaline Pro- toplasma des ganzen kugeligen Bläschenkörpers färben sich durch Car- Min intensiv roth, durch Jod dunkelgelb. Der Kern wird dunkler als das Plasma gefärbt. Die in der Gentralkapsel aller Radiolarien vorkom- menden »kugeligen wasserhellen Bläschen« sind also in der Thatechte Zellen. Meine schon 1862 ausgesprochene Vermu- thung, dass diese Zellen Fortpflanzungszellen seien, ist mir ar durch meine neueren canarischen Untersuchungen bis zur vollen Persönlichen Ueberzeugung wahrscheinlich geworden; jedoch habe ich leider den objectiven Beweis für diese subjective Ueberzeugung noch nicht führen können, da auch meine neueren Bemühungen, die fast sanz unbekannte Ontogenie der Radiolarien aufzuklären, resultatlos ZW 1) Taf. XVII, Fig. Zellen der Myxobrach 12 zeigt drei von den kleinen intracapsularen kugeligen ia; die grösseren sind in Fig. 7 abgebildet. 530 irast Haeckel, geblieben sind. Das Wahrscheinlichste ist, dass jene in der Central- kapsel enthaltenen Zellen Sporen sind, welche entweder innerhalb derselben , oder nachdem sie durch Bersten der Kapsel frei geworden sind, sich durch wiederholte Theilung zu einem vielzelligen Körper entwickeln. Von den Zellen dieses letzteren und ihren Abkömmlingen werden sich einige zu gelben Zellen, andere zu Pigmentzellen, andere zu Sporen ausbilden, während noch andere wahrscheinlich durch völ- lige Verschmelzung den Sarcodekörper oder das freie Protoplasma der Radiolarien bilden werden. Bei Jugendformen von Radiolarien aus ver- schiedenen Familien, insbesondere verschiedenen Acanthometren, Acanthodesmiden und Sponguriden, welche ich 1866 auf Lanzerote beobachtete, habe ich mich überzeugt, dass eine Gentralkapsel noch nicht existirt, dass der centrale Theil des Protoplasmakörpers aber den- noch eine Anzahl von Zellen umschliesst. Die jugendlichen Ra- diolarien, denen die Gentralkapsel noch fehlt, sind also morphologisch den Heliozoen (Actinosphaerium, Gysto- phrysete.) äquivalent. Während es nun einerseits nicht zweifelhaft sein kann, dass im Körper aller Radiolarien , sowohl innerhalb als ausserhalb der Gentral- kapsel echte, kernhaltige Zellen vorkommen, so steht es andererseits eben so fest, dass mindestens einem Theile der Acyttarien (Monothala- mien und Polythalamien),, ja vielleicht allen Acyttarien echte Zellen völlig fehlen. Wenn wir die Anwesenheit eines Kernes für den Begriff der Zelle als unentbehrlich ansehen , so suchen wir bei den meisten Acyttarien ganz vergeblich nach solchen. Allerdings finden sich in der Sarcode oder dem freien Protoplasma bei einigen Formen von Gromia und Globigerina, sowie bei einigen anderen Acyttarien rundliche granulirte Körperchen, welche gewöhnlichen Zellenkernen sehr ähnlich sehen. Allein abgesehen davon, dass die wahre Nucleus- natur dieser »Kerne« noch nicht näher untersucht und sicher bewiesen ist, müssen wir auf der anderen Seite die Thatsache hervorheben; dass bei der grossen Mehrzahl der Acyttarien keine Spur von solchen »Ker- nen« im Protoplasma zu finden ist. Dasselbe erscheint entweder voll- kommen homogen und structurlos, wie bei Protogenes, oder es be- ginnt sich in eine differente Rinden- und Markschicht zu sondern. Echte Zellenkerne oder Nuclei kommen dabei nirgends zum Vorschein. Auch in derOntogenie der Acyttarien, soweit man diese bis jetzt kennt, ist von Kernen, und mithin von Zellen, nirgends die Rede. Die Poly- thalamien, welche die Hauptmasse der Acyttarien bilden, scheinen sich in der einfachsten Weise durch Sporenbildung fortzupflanzen, indem einzelne kleine Stückchen ihres homogenen Plasmaleibes sich von dem Fr Beiträge zur Plastidentheorie. 531 umgebenden Protoplasma sondern und (oft noch innerhalb des Mutter— leibes) zu neuen Individuen entwickeln. Diese Keimkörner oder Sporen sind aber auch kernlose Gytoden, keine kernhaltigen Zellen. Da nun der Protoplasmakörper aller oder doch der meisten Acyt- tarien (sowohl Monothalamien als Polythalamien) zu keiner Zeit ihres Lebens Kerne enthält, so kann weder von einer »Zusammensetzung« desselben aus Zellen die Rede sein, noch dürfen wir sagen, derselbe sei »ydurch Verschmelzung von Zellen entstanden«. Dieser Satz gilt so- wohl in ontogenetischer, als in phylogenetischer Beziehung. Sowie der individuelle Sarcodekörper der Acyttarien nicht »durch Verschmelzung von Zellen entstandenc ist, so ist auch diese ganze Abtheilung von Rhi- zopoden nicht aus einer oder mehreren Zellen hervorgegangen. Viel- mehr haben wir es hier überall nur mit Gytoden, mit kernlosen Plasti- den zu thun. Phylogenetisch betrachtet sind demnach die’ Acyttarien auf der primitiven Stufe einfacher Gytoden oder Gellinen stehen geblieben undrepräsentiren somit den ur- sprünglichen Stamm der Rhizopodenclasse. Erst später können aus ihnen durch Differenzirung von Kernen im Protoplasma, also durch wirkliche Zellenbildung, die höheren Rhizopoden entstanden sein. Unter diesen bilden aber noch heute die Heliozoen (Actinosphaerium, Gystophrys etc.) eine vortrefflich vermittelnde Uebergangsstufe zu den echten Radiolarien, die sich durch den Besitz der Gentralkapsel so we- sentlich auszeichnen. Für die Systematik der Rhizopoden ergeben sich hieraus folgende Reflexionen: DaskünstlicheSystem, welches eine streng logische Classification erstrebt, muss die Acyttarien (wenigstens die grosse Mehr- zahl derMonothalamien und Polythalamien) von den übrigen Rhizopoden trennen und mit den Moneren vereinigen, weil ihr Protoplasma keine Kerne enthält, also auch nicht aus » Zellen « zusammengesetzt ist; da- gegen würden hiernach die Heliozoen und Radiolarien, als wirklich zellige Organismen, mit den ebenfalls zelligen Myxomyceten verbunden werden können. Jedoch entsteht’hierbei die Schwierigkeit, dass das freie Plasmodium der Myxomyceten späterhin kernlos ist, obwohl die Sporen echte, kernhaltige Zellen darstellen. Der kernhaltige Proto- plasmakörper, welcher hier wirklich durch Verschmelzung echter Zellen entstanden ist, geht später, durch Verlust der Kerne in einen homo- genen Sarcodeleib über, welcher, streng morphologisch betrachtet, keinen Zellencomplex mehr darstellt, sondern einen Gytodencomplex, oder genauer: einen »Dyscytodencomplex« (s. oben S. 499). Das natürliche System der Rhizopoden dagegen, welches eine wahre genealogischedlassification erstrebt (und dabei häufig keines- 532 Ernst Haeckel, wegs logisch die Charaktere der Gruppen feststellen muss!) wird im- merhin, auf Grund der sonstigen nahen Verwandtschaftsbeziehungen, die cylodigen Acyttarien mit den zelligen Heliozoen und Radiolarien in derselben Classe vereinigt lassen können und die ersteren einfach als die früheren phyletischen Entwickelungszustände der letzteren betrach- ten. Die Stufenleiter, welche von den Acyttarien aufwärts durch die Heliozoen zu den Radiolarien empor steigt, stellt eine phylogenetische Fortschrittsreihe dar. 5) Amylum in den gelben Zellen der Radiolarien. Als ich im Laufe des letzten Herbstes meine Radiolariensammlung durchmusterte, um womöglich noch einiges Genauere über die Be- schaffenheit der Zellen im Körper dieser Protisten festzustellen, wurde ich nicht wenig durch die ganz unerwartete Entdeckung überrascht, dass die sonderbaren extracapsularen »gelben Zellen« derselben Stärkemehlkörner enthalten. Als ich nämlich Radiolarien aus ver- schiedenen Familien mit Jodlösung behandelte, um das Protoplasma der Zellen in den Centralkapseln gelb zu färben, wurden zu meinem Erstaunen die gelben Zellen ausserhalb der Gentralkapsel dunkel violett- blau gefärbt und die nun vorgenommenen Versuche mit anderen Rea- gentien ergaben, dass der Inhalt dieser Zellen sich auch in jeder anderen Beziehung wie echtes Stärkemehl verhält. Die extracapsularen »gelben Zellen« der Radiolarien habe ich in meiner Monographie derselben ausführlich beschrieben und durch Ab- bildungen erläutert !). Sie finden sich constant bei allen ausgebildeten Radiolarien, mit Ausnahme der Acanthometriden, und liegen stets ausserhalb der Centralkapsel. Hier findet man sie bald unmittelbar an der äusseren Oberfläche der Gentralkapsel, eingeschlossen in die Schleim- schicht der »Matrix«, welche die letztere umhüllt, bald weiter ausser- halb an den Pseudopodien, die von diesem Sareodemutterboden aus- strahlen. Durch die strömenden Bewegungen, welche in der Sarcode oder dem Protoplasma der lebenden Radiolarien beständig stattfinden, werden die gelben Zellen passiv mit fortgerissen, und finden sich daher A) HarckeL , Radiolarien p. 84—87. Vergl. die Abbildungen der gelben Zellen von Thalassicolla (Taf. I, Fig. 2, Taf. II, Fig. 3), von Thalassosphaera (Taf. XI, Fig. 4), von Rhizosphaera (Taf. XXV, Fig. 4, 8), von Sphaerozoum (Taf. XXXII, Fig. 2, 4), vonCollosphaera (Taf XXXIV, Fig. 3, 5) und von Collozoum (Taf. XXXV, Fig. 8, 44—414). Beiträge zur Plastidentheorie, 533 in der mannichfaltigsten Weise innerhalb der Strahlenzone, die durch die Pseudopodien gebildet wird, zerstreut. Die Zahl und Grösse der gelben Zellen ist bei den verschiedenen Radiolarien sehr wechselnd, und auch bei einem und demselben Indi- viduum zu verschiedenen Zeiten verschieden. Bisweilen ist jede einzelne Gentralkapsel von mehr als hundert gelben Zellen umgeben, während andermale nur zwei bis fünf, oder selbst nur eine einzige sich findet. Die grössten haben 0,025, die kleinsten 0,005 Mm. Durchmesser. Der ge- wöhnliche Durchmesser beträgt zwischen 0,008 und 0,012 Mm. Die Form der gelben Zellen ist meistens rein kugelig, seltener abgeplattet oder ellipsoid verlängert (Taf. XVIII. Fig. 11). Die derbe Membran der kugeligen Zellen umschliesst einen festflüssigen Protoplasmakörper von ziemlicher Consistenz, der sich durch constant gelbe Färbung auszeichnet. Das Gelb variirt von blassem Schwefelgelb bis zu dunkelm Braungelb, ist aber meistens lebhaft citrongelb oder goldgelb Das gelbe Proto- plasma umschliesst einen Zellenkern, dessen Durchmesser gewöhnlich - die Hälfte oder ein Drittel des Zellendurchmessers beträgt. Der Kern ist ein scharf contourirtes, helles, gewöhnlich kugeliges Körperchen, welches oft noch einen deutlichen Nucleolus enthält. Neben dem Kern findet sich in dem Protoplasma der gelben Zellen eine gewisse Anzahl von Körnern, meistens 3—6 grössere und 20 —30 kleinere Gra- nula. Die grössten Körner übertreffen bisweilen den Kern an Durch- messer und erreichen ungefähr die Hälfte des Zellendurchmessers. Die Form dieser Granula ist verschieden, bald kugelig, bald scheibenförmig, bald unregelmässig rundlich oder vieleckig. J. Müruzr beschrieb schon 1855 diese »äusserst kleinen Körnchen« und erklärte dieselben für die Ursache der gelben Farbe. In meiner Monographie bin ich dieser An- nahme gefolgt (p. 85), fügte jedoch hinzu : »dass ausser den gelben Pig- mentkörnchen auch der übrige flüssige Zelleninhalt (das Protoplasma) noch (gelb) gefärbt sei, habe ich bisweilen mit Bestimmtheit ermitteln können.« (p. 86). Durch meine neueren Untersuchungen bin ich zu der Ansicht gelangt, dass die gelbe Färbung nicht von den Körnern her- rührt, sondern auf Rechnung einer gelben Pigmentlösung zu setzen ist, welche das ganze Protoplasma der Zellen durchtränkt. Dass die gelben Zellen der Radiolarien echte Zellen im strengsten histologischen Wortsinne sind, und zwar von einer Haut umschlossene kernhaltige Zellen, darüber kann nicht der geringste Zweifel obwalten. Auch sind dieselben von allen Beobachtern der Radiolarien als solche anerkannt, mit einziger Ausnahme von ALEXANDER Stuart, welcher die- selben »eher als Kerne zu betrachten geneigt ist«. Diese Differenz erklärt sich sehr einfach daraus, dass Stuart gar keine gelben Zellen gesehen 534 Ernst Haeckel, hat. Denn das Radiolar (Coscinosphaera ciliosa), von welchem er die- selben beschreibt, ist kein Radiolar, sondern ein Polythalamium D Nichts beweist sicherer die unzweifelhafte Zellennatur der gelben Zellen, als ihre jederzeit leicht zu beobachtende Fortpflanzung, welche schon von Jonannes MüLer und später von mir ausführlich be- schrieben worden ist (l. c. p. 86). Man kann fast an jedem Radiolar neben den einfachen gelben Zellen solche antreffen, die in Theilung be- griffen sind. Zuerst zerfällt der Kern in zwei Stücke, dann das Proto- plasma. Noch innerhalb der Mutterzellen umgiebt sich jede der beiden kugeligen Tochterzellen mit einer Membran und wird dann frei, indem die Haut der Mutterzelle gesprengt wird. Nicht selten sah ich auch vier Tochterzellen in einer Mutterzelle (vergl. Taf. XVIIL, Fig. 14 A—C, ferner meine Monographie, Taf. XXXII, Fig. 2; Taf. XXXV, Fig. 41—13). Wenn man die gelben Zellen der Radiolarien mit carminsaurem Ammoniak behandelt, so färbt sich der ganze Inhalt der kugeligen Zel- len lebhaft roth , jedoch der Kern viel intensiver als das Protoplasma. Wenn man aber dann die gefärbten Zellen in Wasser zerdrückt, so sieht man, dass die den Kern umgebenden Körner, die angeblichen »Pig- mentkörner« sich nicht durch das Carmin gefärbt haben. Der Nucleus tritt auch durch Essigsäure deutlich hervor. Auch in allen übrigen Reactionen verhält sich Kern und Protoplasma der gelben Zellen, wie bei jeder gewöhnlichen Zelle. Nur der gelbe Farbstoff, welcher an dem Protoplasma zu haften scheint, bedingt gewisse Eigenthümlichkeiten. Durch coneentrirte Mineralsäuren wird derselbe blass grünlich gelb. Ganz eigenthümlich ist das Verhalten der gelben Zellen gegen Jod. Schon 1855 gab Jonanxes Mürter an, dass die gelben Zellen durch Jod intensiv gelbbraun oder dunkelbraun gefärbt werden , im Gegensatz zu den »Nestern« (Gentralkapseln) , deren Inhalt durch Jod heller oder dunkler gelb wird. Er fand ferner, dass Jod und Schwefelsäure, oder Jod und Salzsäure die Färbung der gelben Zellen in ein intensives‘ Schwarzbraun verwandelt, während die Centralkapseln dadurch nicht dunkler werden. Setzt man dann aber kaustisches Kali oder Natron hinzu, so werden die gelben Zellen ganz hell, farblos und durchsichtig. Wird nun wieder das Alkali durch Schwefelsäure oder Salzsäure neu- tralisirt, und nochmals Jod zugesetzt, so tritt wiederum die ' intensiv 4) Die von SıuArt (Zeitschr. f. w. Z. 4866. XVI, p. 328; Taf. XVII) in Fig. 2 und 3 abgebildete Form von Coscinosphaera ist die längst bekannte, mit feinen Kalkstacheln besetzte Globigerina echinoides, welche in grossen Mengen an der Oberfläche des Mittelmeers schwimmt; die in Fig. 4 abgebildete Form ist Hs: abgelöste letzte Kammer derselben (Orbulinaechinoides). Natürlich hat sie keine Centralkapsel. Die angeblichen »gelben Kerne« sind Pigmentkörner. Beiträge zur Plastidentheorie. ° 939 dunkelbraune oder schwarzbraune Färbung ein. Wie schon MüLLER fand, kann man diese abwechselnde Behandlung der gelben Zellen mit Alkalien, welche sie entfärben, und mit Jod und Schwefelsäure, welche sie schwärzlich färben, mehrmals wiederholen. Ich habe die Versuche Mürzer’s an den lebenden Radiolarien, welche ich in den Jahren 1856— 1867 in Nizza, Neapel, Messina und auf der canarischen Insel Lanzerote untersuchte, vielfach wiederholt und be- stätigt gefunden. Jedoch fiel mir schon damals auf, dass die Färbung der gelben Zellen durch Jod und Schwefelsäure häufig nicht »intensiv dunkelbraun oder schwarzbraun«, sondern vielmehr violettbraun, rein violett, oder selbst violettblau erschien. Aber im Hinblick auf die sehr geringe Grösse des Objectes wagte ich nicht, daraus auf einen Gehalt an Amylum oder Cellulose zu schliessen. Als ich nun im letzten Herbste mit stärkeren Vergrösserungen, als mir früher zu Gebote standen, (mit Objectivsystemen von Zeıss und von Harrnack, die ein klares Bild noch bei einer Vergrösserung von 700 bis 1000 geben) wiederum die gelben Zellen der Radiolarien untersuchte, kam ich zu der sicheren Ueberzeugung, dass die gelben Zellen wirklich echtes Amylum enthalten, oder doch eine diesem ganz nahe stehende, geformte , stickstofffreie Kohlenstoffverbindung. Die Radiolarien, an denen ich diese histologischen Untersuchungen ‚anstellte, waren von mir theils in Messina, theils in Arrecife (auf der canarischen Insel Lanzerote) gesammelt und gehörten folgenden Species an: Thalassicolla pelagica (Monographie der Radiolarien, Taf. I) T. nu- eleata (Taf. II, Fig. 1—8), Collozoum inerme (Taf. XXXV), Sphaero- zoum italicum, S. spinulosum, S. ovodimare, S. punctatum (Taf. XXXII), Ahäpiiidenstihe acuferum (Taf. XXXII, Fig. 9, 10) und Collosphaera Huxleyi (Taf. XXXIV). Alle diese Hadio)äiien gehören zu jenen Grup- ‚pen, die sich. wegen der besonderen Grösse ihrer gelben Zellen vor- züglich für diese Untersuchung eignen, und da das Resultat der Unter- suchung bei allen Arten dasselbe war, kann ich dasselbe, ohne auf die einzelnen Speeies einzugehen , kurz in Folgendem zusammenfassen. Vorausschicken muss ich, dass alle untersuchten Radiolarien in Liquor conservativus aufbewahrt waren, und ihre feineren histologi- schen Eigenthümlichkeiten darin trefflich erhalten hatten. Dieser Liquor, aus zwei Theilen Kochsalz, einem Theil Alaun und einer geringen Spur Sublimat zusammengesetzt, hatte vielleicht insofern chemisch ändernd auf die Präparate eingewirkt, als darin der Sublimat, wie gewöhnlich, sich zersetzt hatte, und somit wahrscheinlich eine sehr geringe Quan- lität Salzsäure frei geworden war. Auch war möglicherweise etwas Alaun zersetzt und dadurch eine Spur Schwefelsäure frei geworden. 536 Ernst Haeckel, Sobald ich nun ein in dieser Flüssigkeit conservirtes Radiolar mit einem Tropfen Jodlösung (Jod in Jodkalium gelöst) behandelt bei einer Vergrösserung von mindestens 700 unter dasMikroskop brachte, wurde ich stets von einer intensiv blauen Färbung der gelben Zellen über- zeugt. Das Blau war ganz reines Dunkelblau, und wie bei den ver- schiedenen Modificationen des Amylum bald mehr indigo-, bald mehr violettblau, röthlich blau oder schwarzblau. Die Färbung haftete ganz deutlichnur an den im Protoplasma liegenden ge- formten Körnern, welche Jonanses MüLrer und ich selbst früher für gelbe Pigmentkörner gehalten hatten. - Das Protoplasma selbst, sowie der Zellenkern waren durch das Jod intensiv gelb gefärbt, wie sich be- sonders deutlich beim Zerdrücken der Zellen zeigte. Innerhalb der Zelle wurde der gelbe Kern meist ganz durch die blauen Körner verdeckt. Je zahlreicher und grösser die im Protoplasma liegenden Körner waren, je mehr sie den Zellenraum erfüllten, desto intensiver schwarzblau war die ganze Zelle. An jungen Zellen, welche bloss eines oder ein paar kleine Körner enthielten, wurden bloss diese blau ge- färbt, und die übrige Zelle gelb. Die blaue Färbung der gelben Zellen trat unmittelbar nach dem Zusatz der Jodlösung ein, und zwar ganz ebenso, wenn vorher Säuren eingewirkt hatten, als wenn dies nicht der Fall gewesen war. Auch der nachherige Zusatz von Schwefelsäure, Salzsäure, Essigsäure , ver- änderte die blaue, durch Jod allein hervorgerufene Färbung nicht. Die Centralkapseln wurden bei derselben Behandlung intensiv goldgelb gefärbt. Beim Zerdrücken derselben zeigte es sich, dass die grosse cen- trale »Oelkugel«, welche bei den Collozoen, Sphaerozoen,, Collosphae- ren u. s$. w, in der Mitte der Gentralkapsel liegt, farblos geblieben war, und dass die intensiv gelbe Färbung bloss von den kugeligen oder po- Iyedrischen Zellen herrührte, die rings um die centrale Oelkugel den Kapselraum erfüllen, und die ich vorher als die wahrscheinlichen Spo- ren der Radiolarien in Anspruch genommen habe. Die dunkelblaue Färbung der gelben Zellen durch Jod verschwand sofort nach Zusatz kaustischer Alkalien. Sobald das Kali oder Natron eingewirkt hatte, quoll die gelbe Zelle beträchtlich auf, und wurde ganz hell, farblos und durchsichtig. Die Umrisse der deutlich aufge- quollenen Körner waren dann als feine Linien noch sichtbar. Wenn ich das Alkali durch eine Säure (Schwefelsäure, Salzsäure oder Essig- säure) neutralisirte, und dann wieder einen Tropfen Jod zusetzte, so trat sofort wieder die intensiv blaue Färbung der gelben Zellen ein. Dieselbe erfolgte aber ebenso, wenn ich das Alkali durch reichliches Abspülen mit Wasser von dem Präparate entfernt hatte, und dann Beiträge zur Plastidentheorie. 537 einen Tropfen Jodlösung hinzusetzte. Die blaue Färbung trat ebenso wieder ein, wenn ich Jodlösung in grossem Ueberschuss zu dem Al- kalipräparate gesetzt hatte. Die abwechselnde Färbung durch Jodlösung und Entfärbung durch Alkali konnte ich drei bis vier Mal wiederholen, ehe die gelben Zellen mit ihrem Inhalte zerstört wurden. In allen diesen Beziehungen verhielten sich die Körner in den gel- ben Zellen der Radiolarien genau wie echteAmylumkörner. Auch in allen übrigen chemischen Beziehungen konnte ich nicht den gering- sten Unterschied auffinden. ZurControlle stellte ich bei jedem Versuche mit den gelben Zellen einen parallelen Versuch mit verschiedenen Sor- ten von Stärkemehlkörnern an und erhielt in allen Fällen genau dasselbe Resultat. Auch die wiederholte Entfärbung durch Alkali und Blaufär- bung durch Jod erfolgte bei den gelben Zellen und bei den vegetabili- schen Amylumproben genau in derselben Zeit und in derselben Weise. Ich kann demnach nicht den geringsten Zweifel mehr darüber hegen, dass die geformten Körnerin den gelben Zellen derRadio- larien aus einer Substanz bestehen, die nicht von dem Amylum der Pflanzen unterscheidbar ist. Die abweichenden Angaben, die Jonanxes Mürıer und ich selbst früher über die Jodreaction der gelben Zellen gemacht haben, erklären sich, wie ich jetzt glaube, einfach daraus, dass wir bei unseren frühe- ren Untersuchungen zu schwache Vergrösserungen anwendeten. An den lebenden Radiolarien verdeckte bei nicht hinreichend starker Ver- grösserung die intensiv gelbe Färbung des Protoplasma die durch Jod erfolgte blaue Färbung der darin versteckten Körner. Das dunkelgelbe Protoplasma zusammen mit dem violetten Blau der Körner gab eine dun- kelbraune oder schwärzlichbraune Färbung. Auch bei den kürzlich von mir untersuchten Präparaten aus Liquor conservativus tritt die blaue Farbe erst bei 400 maliger Vergrösserung deutlich hervor, und wird um so klarer und reiner, je stärker die Vergrösserung wird, und je mehr sich die rein blauen Körner von dem umhüllenden gelben Protoplasma ab- heben. Bei so kleinen Körpern , wie es die Amylumkörner der gelben -Zellen sind, ist dieser Umstand von grosser Wichtigkeit. Bei einer Ver- grösserung von nur 300 und darunter erscheinen die gelben Zellen nach Jodfärbung gewöhnlich schwärzlich, weil das Violettblau der Körner mit dem Dunkelgelb des Protoplasma und des Nucleus zusammenwirkt. Vielleicht tritt aber die blaue Farbe an den in Liquor aufbewahrten ‚Präparaten auch desshalb deutlicher hervor, weil durch den Liquor die natürliche, gelbe Pigmentirung des Protoplasma vernichtet wird. An allen Liquorpräparaten erscheinen die gelben Zellen entweder ganz farblos, oder nur ganz schwach gelblich gefärbt. Wahrscheinlich ist En Ernst Haeckel, diese Entfärbung der Wirkung des Alaun, vielleicht auch einer‘ Spur von freier Salzsäure zuzuschreiben. Jedenfalls erleichtert sie das Her- vortreten der blauen Jodreaction. In dieser Weise erklärt sich, wie ich glaube, die abweichende An- gabe, welche Jonannes Mürter zuerst von der Jodreaction der gelben Zellen machte, und welcher ich in meiner Monographie nicht zu wider- sprechen wagte, trotzdem mir schon damals häufig der Farbenton der durch Jod sehr dunkel oder fast schwärzlich gefärbten gelben Zellen eher blau statt braun zu sein schien. Will man diese Erklärung nicht gelten lassen , so müsste man annehinen, dass die Substanz der Gra- nula in den gelben Zellen durch die mehrjährige Aufbewahrung in Li- quor conservativus erst in Amylum umgewandelt worden sei. Diese Annahme scheint mir aber wenig Vertrauen zu verdienen, und man würde auch dann noch annehmen müssen, dass jene Körnersubstanz aus einer dem Stärkemehl sehr nahe stehenden Verbindung bestehe, die sich durch Jod allein braun oder gelb färbe, ähnlich dem Inulin der Pflanzen. ‚Die Spur von freier Salzsäure (aus zersetztem Sublimat ent- standen), oder von freier Schwefelsäure (aus zersetztem Alaun entstan- ‚ den), die möglicherweise in dem Liquor conservativus vorhanden ge- wesen wäre, müsste dann genügt haben, jene amyloide Körnersubstanz in wirkliches Amylum überzuführen. Es entsteht nun die Frage, wie dieser sonderbare Fund von Amy- lum in Radiolarienzellen physiologisch und systematisch zu verwerthen ist. Dass die gelben Zellen zu dem Organismus der Radiolarien gehö- ven, und dass die Stärkekörner sich in den gelben Zellen erst gebildet haben, kann nicht zweifelhaft sein. Von aussen können sie in die von einer derben Membran fest umschlossenen Zellen nicht hinein gelangt sein. Sie müssen also Producte des Stoffwechsels eben dieser Zellen selbst sein. Und dass dieselben jedenfalls irgend eine bedeutende phy- siologische Rolle im Organismus dieser Protisten spielen müssen, scheint ebensowohl aus ihrer allgemeinen Verbreitung bei allen Radiolarien, wie aus ihrem massenhaften Entstehen und Vergehen hervorzugehen. Wenn man erwägt, welche hohe physiologische Bedeutung, be- trächtliche Anhäufung und allgemeine Verbreitung dem Amylum im Pflanzenorganismus zukommt, und wenn man andrerseits bedenkt, wie selten, spärlich und bedeutungslos sein Vorkommen im Thierkörper ist, so könnte man wohl geneigt sein, in dem massenhaften Vorkommen von Stärke bei den Radiolarien einen Charakter zu finden, der ihren systematischen Platz im Protistenreiche von der animalen Grenzmarke entfernt und der vegetabilen Grenzmarke nähert. Obgleich gewiss an sich die blosse Production grosser Amylummengen nichts für die vege- Beiträge zur Plastidentheorie. 539 tabilische Natur eines Organismus beweist (— so wenig als der Cel- lulosemantel der Tunicaten oder das Ghlorophyli der Hydra viridis —) so darf man doch andrerseits nicht vergessen, dass ein solcher chemi- scher Vegetabiliencharakter bei einer zweifelhaften Protistengruppe ein ganz anderes Gewicht besitzt, wie bei einer unzweifelhaften Thier- gruppe. Jedenfalls wird dadurch bei den Radiolarien die Existenz von wichtigen Vorgängen des Stoffwechsels und der Ernährung dargethan, welche im Pflanzenreich fast allgemein verbreitet sind, im Thierreich sehr selten oder fast nie vorkommen. Und dabei ist ferner noch zu be- denken, dass dieQuantitätdesAmylum, das in den gelben Zel- len der Radiolarien sich bildet, in vielen Fällen höchst beträcht- lich ist. Bei manchen Thalassicollen , Collozoen und Sphaerozoen , wo auf eine einzelne Gentralkapsel mehr als hundert gelbe Zellen kommen, und wo die Gentralkapsel selbst weniger als hundert, und viel kleinere Zellen einschliesst, wird das gesammte Volum des Amylum, das darin abgelagert ist, grösser sein, als das ganze übrige Volum des Körpers. Mehr als die Hälftedes ganzen Radiolarienorganismus wirdindiesen Fällen aus Stärkemehl bestehen! ` Leider sind nun zur Zeit die Mittel zur Lösung dieses Räthsels nur sehr ungenügend. Die eigentliche physiologische Bedeutung der son- derbaren gelben Zellen , die unter allen Protisten nur den Radiolarien zukommen, war uns bis heute noch so gut wie unbekannt. JOHANNES Mürrer hatte anfänglich die Vermuthung geäussert, dass die gelben Zellen bei der Fortpflanzung betheiligt, und entweder Sporen oder Keime von jungen »Nestern« (Centralkapseln) seien. Später zeigte er selbst, dass diese Annahme unhaltbar sei, wagte jedoch keine andere Vermuthung über ihre Bedeutung auszusprechen. Nur der Guriosität halber mag hier beiläufig ein possierlicher Einfall von ALEXANDER STUART erwähnt werden, »dass das Aufsteigen und Niedersinken der Radiola- rien im Meere auf plötzlichem Ortswechsel der gelben Körper beruht, die bald nach aussen auf die Pseudopodien treten, bald in das Innere des Weichkörpers sich zurückziehen«!! Diese physikalische Theorie lässt sich nur mit derjenigen Münc hhausen’s vergleichen, der sich an seinem eigenen Zopfe aus dem Sumpfe ziehen wollte; sie schliesst sich den übrigen Ideen und Angaben Sruarrs würdig an. In meiner Monographie der Radiolarien hatte ich zu zeigen ver- sucht, dass die einzige physiologische Function der gelben Zellen, von der man sich eine einigermaassen klare Vorstellung bilden könne, auf dem Gebiete der Ernährung oder des Stoffwechsels liegen müsse. Aus dem massenhaften Entstehen und Vergehen der gelben Zellen, aus ihrer lebhaften Fortpflanzung und aus ihrem übrigen Verhalten glaubte ich 540 Ernst Haeckel, auf eine sehr kurze Lebensdauer derselben schliessen zu können, und knüpfte daran weiter die Vermuthung, dass die gelben Zellen »secer- nirende Zellen« seien, gewissermaassen freie Leberzellen oder einzellige Verdauungsdrüsen, deren durch Bersten der Membran frei werdender Saft zur Auflösung der aufgenommenen Nahrung durch die Sarcode mit-- wirkt (l. c. p. 137). Auch jetzt noch scheint mir diese Hypothese, in Ermangelung einer besseren, nicht ganz zu verwerfen, wenn sie auch noch wesentlich zu modifieiren sein dürfte. Jedenfalls hat die Ent- deckung des Amylum meine Behauptung, dass die eigentliche physio- logische Bedeutung der gelben Zellen im Gebiete der Ernährung zu su- chen sei, nur bestätigt. Es wird dabei nicht unpassend sein, an die grosse Rolle zu erinnern, welche das Stärkemehl bei der Ernährungs- thätigkeit der Pflanzen spielt. Bekanntlich wird das Amylum im Pflanzenorganismus als einer der wichtigsten Reservestoffe betrachtet, als ein überschüssiges Pro- duct des Stoffwechsels, welches in den Pflanzenzellen abgelagert und aufgespeichert wird, um später bei gelegener Zeit wieder gelöst und als Baumaterial für die Cellulosemembranen etc. verwendet zu werden. Da jedoch die letzteren im Radiolarienorganismus fehlen und auch sonstige Theile desselben nicht bekannt sind, für deren Aufbau die aufge- speicherten Amylumkörner als Reservematerial unmittelbar verwendet werden könnten, so muss die specielle Erforschung der Rolle, welche das Stärkemehl in den gelben Zellen bei der Ernährung der Radiolarien spielt, künftigen Untersuchungen überlassen bleiben. 6) Die Identität der Flimmerbewegung und der amoeboiden Proto- plasmabewegung. Gelegentlich der. Untersuchungen über lebende Kalkschwämme, welche ich im August und September 1869 bei Bergen an der norwe- gischen Küste änstellte, gelang es mir, die unmittelbare Verwandlung von flimmernden Epithelialzellen in amoeboide Zellen nachzuweisen, und somit ein histologisches Desiderat zu erfüllen, welches durch die Untersuchungen der letzten Jahre immer mehr in den Vordergrund ge- drängt worden war. Die neueren physiologischen Untersuchungen über die Flimmerbewegung, vor allen die sehr ausführliche und vortreflliche Arbeit von Dr. WırueLm Engeımann') , ferner namentlich die früheren 4) Th. W. EsceLmann, über die Flimmerbewegung. Vergl. diese Zeitschrift 4868, Vol. IV, p. 324, und namentlich p. 470—478. x = Moe a oea Beiträge zur Plastidentheorie. 541 Untersuchungen von Dr. M. Roru t) haben die nahen Beziehungen der Flimmerbewegung zu der amoeboiden Bewegung immer stärker her- vorgehoben und dargethan, dass (entgegengesetzt den früheren An- nahmen) in physiologischer Beziehung die Flimmerbewegung der amoe- boiden Bew egung näher steht, als der Muskelbewegung. Die frühere Annahme, dass die Flimmerhaare äusserlich der »Zel- lenmembran« aufgesetzt, oder als Auswüchse der letzteren zu betrach- ten seien, darf jetzt als ganz beseitigt angesehen werden. Viele (viel- leicht die meisten) Flimmerzellen sind nackte, membranlose Zellen. Die flimmernden Fortsätze der Zelle, seien dieselben eine einfache Geissel oder mehrfache Gilien, sind stets directe Fortsetzungen des Protoplasma der Zellen, und man sieht daher mit Recht die Flimmerbewegung als eine Folge der Gontractilität an, die dem Protoplasma und seinen un- mittelbaren Fortsetzungen innewohnt. Jedoch gilt es in der Histologie noch nicht als empirisch bewiesen, dass wirklich die Flimmerzellen aus contractilen Zellen sich entwickeln. Roru sagt in seinen Untersu- chungen : »Es wäre nun noch, was mir bisher nicht mit Sicherheit hat gelingen wollen, der Nachweis zu liefern, dass die Flimmerzellen aus contractilen Zellen sich entwickeln.« Auch EnceLmans sieht die Identi- tät der Flimmerbewegung und der Protoplasmabewegung noch nicht als erwiesen an, obwohl er die nahe Beziehung zwischen beiden Bewe- gungsformen ausdrücklich hervorhebt. Beobachtungen über verschiedene niedere Organismen , die ich im Laufe der letzten Jahre angestellt habe, führten mich schon seit län- gerer Zeit zu der Annahme, dass die Flimmerplastiden unmit- telbar durch Verwandlung von amoeboiden Plastiden entstehen, und dass mithin die Flimmerbewegung nur eine bestimmte Modification der amoeboiden Protoplas- mabewegungist. Gegenwärtig kann ich für diese Annahme den direeten Beweis liefern. Bei der nachfolgenden Darlegung dieses Ver- hältnisses erscheint es von Wichtigkeit, die beiden Modificationen der Flimmerbewegung zu unterscheiden, welche ich in meinem Aufsatze über den Organismus der Schwämme ete.?) als Geisselbe- wegung und Flimmerbewegung getrennt habe. Denn es ist sicher nicht ohne tiefere Bedeutung, dass in einer ganzen grossen Classe von Thieren, wie die der Schwämme ist, alles Flimmerepithel aus- ee I A 4) Dr. M. Rora, über einige Beziehungen des Flimmerepithels zum cohtractilen Protoplasma. Virchows Archiv B. 37, p. 184. 2) Harckel, über den Organismus der Schwämme etc. (Diese Zeitschrift Bd. V, p. 233). Bd. V. 4. : 36 q 542 Ernst Haeckel, schliesslich Geisselepithel (E. flagella tum) ist, dessen Plastiden nur je eine Geissel, ein isolirtes Flimmerhaar, tragen, während bei den meisten höheren Thieren das Wimperepithel (E. ciliatum) vor- herrscht, dessen Plastiden mit je zwei oder mehreren Flimmerhaaren, Cilien oder Wimpern versehen sind. Wenn auch die Flimmerbewegung -þei den einhaarigen Geisselplastiden und bei den vielhaarigen Wimper- plastiden wesentlich identisch ist, so sind doch beide Formen als zwei mehr oder minder bedeutende Modificatignen eines gemeinsamen Grund-. phänomens (Motus vibratorius) aufzufassen. Die Verwandlung der Geisselbewegung (Motus flagel- laris) in dieamoeboideProtoplasmabewegung habe ich in der einfachsten Form bei Protomyxa aurantiaca nachgewiesen }) ; sie lässt sich ebenso bei der norwegischen Protomonas Huxleyi ver- folgen. Die nackten Protoplasmakugeln, welche bei diesen Moneren aus dem Zerfall des encystirten kugeligen Sarcodekörpers hervorgehen und welche nachher als »Schwärmsporen« die Fortpflanzung vermitteln, ver- wandeln sich noch innerhalb der Kapsel in eine birnförmige Cytode mit einem langen haarfeinen Fortsatze. Nachdem sie die Gyste ver- lassen haben , schwärmen sie eine Zeit lang, wie ein Flagellat, mittelst jener Geissel umher, und gehen dann unmittelbar in amoeboide Gyto- den über. Die Geissel wird nur noch als amoeboider Fortsatz benutzt und gleichzeitig treten andere ähnliche spitze Fortsätze an verschiedenen Stellen des kleinen Plasmastückes hervor. Die betreffenden »Schwärmsporen« der Protomyxa sind kernlose Plastiden, also Cytoden. Aber auch bei Schwärmsporen, welche einen Kern enthalten, also echte Zellen sind, ist derselbe Uebergang aus der Geisselzelle in die amoeboide Zelle schon mehrfach constatirt worden. Die erste und älteste, hierher gehörige Beobachtung dürfte von De Bary herrühren, welcher in seiner Monographie der Myxomyceten?) aus- führlich beschreibt, wie die nackten Fortpflanzungszellen dieser Pro- tisten aus ihrer Sporenhülle in Gestalt einfacher Amoeben hervorschlü- pfen, dann eine Geissel hervorstrecken und in Form von Flagellaten umherschwimmen, und endlich in den Amoebenzustand zurückkehren, um darin’zu verharren. In gleicher Weise sah Grark einzelne Flagel- laten ihre Geissel einziehen und sich nach Art der Amoeben durch Aus- streeken und Einziehen formveränderlicher Fortsätze umherbewegen 3). ara $ 4) HAECKEL , Monographie der Moneren. S. 85. 2) De Bary, Die Mycetozoen, Zeitschr. für wiss. Zool. 4860, Vol. X, 8. 455. 3) James CLARK, Spongiae ciliatae as Infusoria Flagellata. Memoirs of Boston Society nat. hist. 1867, Taf. IX, X. Mn » « Beiträge zur Plastidentheorie. 543 Man könnte diesen Beobachtungen entgegenhalten, dass es sich hier um einzelne, selbstständig lebende Plastiden handle, nicht aber um solche Plastiden, wie sie schichtenweis aggregirt in den Flimmerepithelien auftreten. Um so wichtiger war es mir, durch die Eingangs erwähnte Beobachtung feststellen zu können , dass auch an flimmernden Epithe- lialzellen dieselbe Umwandlung vorkommt. Als ich nämlich bei Bergen. an lebenden Kalkschwämmen aus der Gattung Leucosolenia, Bower- BANK (Grantia, Lieserkünn) das Flimmerepithel untersuchte, welches dort in Form einer einzigen Lage von Geisselzellen das ernährende Ca- nalsystem auskleidet, bemerkte ich zu meiner grossen Ueberraschung, dass die durch Zerzupfen isolirten Geisselzellen nach einiger Zeit in amoeboide Zellen übergingen. Die lange und ziemlich starke Geissel, welche jede Epithelialzelle des Entoderm trägt, und welche sich wäh- rend des Lebens lebhaft schlagend bewegt, fing zuerst an, langsamer zu schwingen. Allmählich wurden die Schwingungen sehr langsam und ganz unregelmässig. Zugleich wurde der geisselförmige Fortsatz des Protoplasma kürzer und dicker, und endlich ganz in den nackten Pro- toplasmaleib der Zelle zurückgezogen. Gleichzeitig aber begann der letztere, eine grössere Zahl’ (bis gegen 20 und 30) von spitzen, geissel- artigen Fortsätzen an verschiedenen Stellen seiner Oberfläche hervor- zustrecken, diese bewegten sich langsam und wurden wieder eingezo- gen, während neue spitze Fortsätze an anderen Stellen der Oberfläche vortraten. Kurz, die einzelnen Zellen nahmen die Form einer kleinen Amoeba radiosa an und krochen in dieser wechselnden Form lange Zeit umher. Aber auch bei solchen Epithelialzellen der Leucosolenia, die noch reihenweis oder selbst in grösseren Lappen zusammenhingen, war gleicherweise der Uebergang der Flimmerzellen in amoeboide Zellen wahrzunehmen , nur mit dem Unterschiede, dass hier die amoeboiden Fortsätze nur an den beiden freien Flächen des Lappens oder Streifens hervortraten, der durch die noch fest zusammenhängenden, zahlreichen Geisselzellen gebildet wurde. Ich werde diesen Vorgang in meiner, in der Ausführung begriffenen »Monographie der Kalkschwämme« ausführ- lich beschreiben und durch Abbildungen erläutern. Die Entstehung der Wimperbewegung (Motus ciliaris) aus deramoeboiden Protoplasmabewegung habe ich zuerst 1866 auf der canarischen Insel Lanzerote beobachtet, und zwar an den Furchungskugeln , welche aus der Eifurchung der Siphonophoren her- vorgehen !). Diejenigen Zellen, welche an der Oberfläche des kugeligen, 4) HAsckEL, Entwickelungsgeschichte der Siphonophoren. Utrecht, 1869. Taf. VI, Fig. 36; Taf. XIV, Fig. 93. 36* 544 Ernst Haeckel, aus gleichartigen nackten Furchungszellen zusammengesetzten Zellen- _haufens sich befinden, beginnen nach Art der Amoeben zahlreiche, formwechselnde Fortsätze hervorzustrecken. Diese langsam sich bewe- genden Fortsätze der nackten amoeboiden Zellen gehen nachher direct in schlagende Wimpern oder Gilien über. So überzieht sich der ganze kugelige Zellenhaufen mit einem zusammenhängenden Flimmerepithel. Jede Epithelialzelle trägt mehrere Flimmerhaare, und diese gehen un- mittelbar aus den stumpfen fingerförmigen Fortsätzen der amoeboiden Zellen hervor. Die gleiche Beobachtung habe ich im letzten Herbste an einer sehr sonderbaren neuen Protistenform gemacht, die ich demnächst unter dem Namen Magosphaera planula beschreiben werde. Dieselbe reprä- " sentirt eine neue selbstständige Gruppe des Protistenreichs. Die mit vie- len Wimpern bedeckten birnförmigen Zellen, welche den kugeligen Körper zusammensetzen, gehen aus amoeboiden Zellen hervor und gehen nachher selbst wieder in amoeboide Zellen über. 7) Die Plastidentheorie und die Kohlenstofftheorie. Die lebhaften Kämpfe, welche gegenwärtig noch über die Ent- wickelungstheorie geführt werden, und welche früher oder später mit ihrem vollständigen Siege endigen müssen, bringen schon jetzt den grossen Vortheil, dass die flach gewordene empirische Naturforschung sich wieder zu vertiefen und auf die philosophischen Grundfragen der Erkenntniss zurückzugehen beginnt. Unter diesen Grundfragen drängt sich eine immer mehr in den Vordergrund. Giebt es nur eine Natur, in der überall und jederzeit dieselben nothwendigen Gesetze gelten? Oder giebt es zwei grundverschiedene Naturgebiete , eine anorganische Natur, in welcher nothwendig wirkende Ursachen (Gausae efficien- tes) ausschliesslich thätig sind, und eine organische Natur, in welcher daneben noch zweckmässig schaffende Ursachen (Causae finales) wirksam sind? Die Anhänger der Entwickelungstheorie bejahen die erstere, die Gegner die letztere Frage. Die ersteren stützen sich auf ihre monistische und mechanische, die letzteren auf ihre dualistische und teleologische Naturanschauung. Die Gründe, welche für die monistische Ansicht von der Einheit der Natur sprechen, habe ich im zweiten Buche meiner generellen Mor- _ phologie, und namentlich im fünften Kapitel derselben ausführlich be- handelt. Als letzte Gonsequenz der universalen Entwickelungstheorie, Beiträge zur Plastidentheorie, 545 durch welche zugleich jene monistische Weltanschauung auf das Festeste gestützt wird, habe ich daselbst meine Kohlenstofftheorie begründet. Da diese Kohlenstofftheorie eben so entschiedenen Beifall bei den An- hängern der Entwickelungslehre'!), als lebhaften Widerspruch bei ihren Gegnern?) hervorgerufen hat, sei es mir hier schliesslich gestattet, nochmals auf den innigen Zusammenhang hinzuweisen, welcher zwi- schen der Kohlenstofftheorie und der Plastidentheorie besteht. Es ge- nügt dafür die denkende Erwägung der nachstehenden Sätze, für welche die ausführlichen Beweise im zweiten und dritten Buche der generellen Morphologie enthalten sind. 1. Die Formen der Organismen und ihrer Organe entstehen sämmt- lich durch ihre Lebensthätigkeit und zwar allein durch die Wechsel- wirkung, welche zwischen zwei physiologischen Functionen, der Ver- erbung und Anpassung besteht. 2. Die Vererbung ist eine Theilerscheinung der Fortpflanzung, die Anpassung dagegen eine Theilerscheinung der Ernährung der Organis- men. Diese beiden physiologischen Functionen beruhen aber, wie alle anderen Lebensthätigkeiten , auf der Beschaffenheit der physiologischen Organe, durch welche sie bewirkt werden. 3. Die physiologischen Organe des Organismus sind entweder ein- fache Plastiden (Gytoden oder Zellen) ; oder sie sind Theile von Plasti- den (z. B. Kerne der Zellen, Flimmerhaare des Protoplasma); oder sie sind aus mehreren Plastiden zusammengesetzt (die grosse Mehrzahl der Organe). In allen diesen Fällen sind die Formen und Leistungen der Organe auf die Formen und Leistungen der Plastiden zurückzuführen. 4. Die Plastidenssind entweder einfache Gytoden (structurlose und kernlose Protoplasmastücke) oder Zellen; da aber auch diese letzteren durch Differenzirung des inneren Kerns und des äusseren Protoplasma ursprünglich erst aus Gytoden entstanden sind, so lassen sich die For- men und Lebenseigenschaften aller Plastiden auf einfachste Cytoden als ihren ersten Ausgangspunkt zurückführen. 5. Die einfachsten Gytoden, aus denen alle übrigen Plastiden (Cy- toden und Zellen) erst durch Vererbung und Anpassung entstanden sind, bestehen wesentlich und nothwendig aus weiter nichts, als aus einem Stückchen von structurlosem Protoplasma, einer eiweiss- artigen, stickstoffhaltigen Kohlenstoffverbindung; alle übrigen Bestand- 4) Georg Seipuırz, die Bildungsgesetze der Vogeleier in histologischer und ge- netischer Beziehung, und das Transmutationsgesetz der Organismen. Leipzig 4869. 2) Herrien Burr (Professor der Physik in Giessen) : Ueber den Entwickelungs- gang der Naturwissenschaften. Giessen, 1868. > 546 Ernst Haeckel, theile der Plastiden sind erst secundär aus dem Protoplasma entstanden þPlasmaproducte«). ; 6. Die einfachsten selbstständigen Organismen, welche wir kennen, und welche überhaupt denkbar sind, die Moneren, bestehen in der That zeitlebens aus weiter nichts, als aus einer einfachsten Cytode, einem structurlosen Stückchen Protoplasma; und da sie dennoch alle Lebens- thätigkeiten (Ernährung , Fortpflanzung , Reizbarkeit, Bewegung) voll- ziehen, sind diese letzteren hier offenbar an das structurlose Protoplasma gebunden. 7. Das Protoplasma oder der Bildungsstoff (auch Zellstoff oder Ur- schleim genannt) ist daher die einzige materielle Grundlage, an welche ausnahmslos und nothwendig alle sogenannten »Lebenserscheinungen« ursprünglich geknüpft sind; will man die letzteren als Ausfluss einer besonderen, von dem Protoplasma unabhängigen Lebenskraft ansehen, so muss man nothwendig auch die physikalischen und chemischen Eigenschaften jedes anorganischen Naturkörpers als Ausfluss einer be- sonderen, nicht an seinen Stoff gebundenen Kraft ansehen. 8. Das Protoplasma allerPlastiden ist, gleich allen anderen eiweiss- artigen oder Proteinkörpern, aus vier unzerlegbaren Elementen, Koh- lenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff zusammengesetzt, zu denen sich häufig, jedoch nicht immer, als fünftes Element noch Schwe- fel gesellt. 9. Die Formen und Lebenseigenschaften des Protoplasma sind be- dingt durch die eigenthümliche Art und Weise, in welcher sich der Kohlenstoff mit den drei oder vier anderen genannten Elementen zu ver- wickelten Verbindungen zusammengesetzt hat; kohlenstofflose Verbin- dungen zeigen niemals jene eigenthümlichen chemischen und physikali- schen Eigenschaften, welche nur einem Theile der Kohlenstoffverbin- dungen (den sogenannten »organischen Verbindungen«) ausschliesslich zukommen; desshalb hat auch die neuere Chemie die Bezeichnung »or- ganische Verbindungen« durch die tiefer greifende Bezeichnung: » Koh- lenstoffverbindungen« ersetzt. 10. Der Kohlenstoff ist demnach dasjenige Element, derjenige un- zerlegbare Grundstoff, welcher vermöge seiner eigenthümlichen physi- kalischen und chemischen Eigenschaften den verschiedenen Kohlenstoff- verbindungen ihren eigenthümlichen »organischen« Charakter aufprägt und insbesondere das Protoplasma, den »Lebensstoff«, zur materiellen Basis aller Lebenserscheinungen gestaltet. 11. Die eigenthümlichen Eigenschaften, welche das Protoplasma und die davon secundär abgeleiteten übrigen Gewebe und Körperbe- standtheile der Organismen auszeichnen, insbesondere ihr festflüssiger A; 1 | E Beiträge zur Plastidentheorie. 547 ‚Aggregatzustand, ihr beständiger Stoffwechsel (einerseits die leichte Zersetzbarkeit, andererseits die leichte Assimilationsfähigkeit) und ihre übrigen »Lebenseigenschaften« sind also einzig und allein durch die eigenthümlichen und verwickelten Verhältnisse bedingt, in denen sich unter gewissen Umständen der Kohlenstoff mit den übrigen Elementen zu verbinden vermag. 12. Die sämmtlichen Eigenschaften der Organismen sind demnach in letzter Instanz durch die physikalischen und chemischen Eigenschaf- ten des Kohlenstoffs und der mit ihm verbundenen übrigen Elemente ebenso mit Nothwendigkeit bedingt, wie die sämmtlichen Eigenschaften jedes Salzes und jeder anorganischen Verbindung durch die physika- lischen und chemischen Eigenschaften der sie zusammensetzenden Ele-. mente bedingt sind. Wenn diese zwölf, in der generellen Morphologie ausführlich be- gründeten Thesen richtig sind, wenn demnach mit Hülfe meiner Plasti- dentheorie und Kobhlenstofftheorie die »Einheit der Natur« erwiesen ist, so dürfte damit, wie SkipLirz ((l. c.) hervorgehoben hat, ein Fort- schritt zu dem hohen Endziel der Biologie gethan sein, welches CARL Ernst Barr in seiner klassischen Entwickelungsgeschichte der Thiere mit den Worten bezeichnet hat: »Die Palme aber wird der Glückliche erringen, dem es vorbehalten ist, die bildenden Kräfte des thierischen Körpers auf die allgemeinen Kräfte oder Lebensrichtungen des Welt- ganzen zurückzuführen.« Erklärung der Abbildungen. Taf. XVII, Bathybius Haeckelii (Huxrex). Fig. 4—42. Protoplasmakörper von Bathybius. Fig. Fig. Fig. 1, Eine grössere Cytode von Bathybius mit eingebetteten Coccolithen. Das Protoplasma, welches viele Discolithen und Cyatholithen enthält, bildet ein Netzwerk mit breiten Strängen. Vergr. 700. . Eine grössere Cytode von Bathybius, ohne eingelagerte Coceolithen. Das Protoplasma, welches viele sehr kleine unregelmässige Körperchen ent- hält, bildet ein Netzwerk mit breiten Strängen. Vergr. 700. . Eine kleinere Cytode von Bathybius ohne eingelagerte Coccolithen. Das Protoplasma bildet ein weitmaschiges Netzwerk mit schmalen Strängen. Vergr. 700. . Eine grössere Cylode von Bathybius, deren eingelagerte Coccolithen durch Säure gelöst sind. In dem Protoplasma, das ein Netzwerk mit breiten Strängen bildet, sind viele unlösliche kleine Körperchen zurückgeblieben. Vergr. 700. . Eine kleinere Cytode von Bathybius, deren Protoplasmakörner theilweise durch ausgeschwitzte Gallertmasse (»Matrix«) getrennt sind. Vergr. 700. 6. Eine kleinere Cytode mit verzweigten Fortsätzen (Pseudopodien). Vgr. 700. 9. 10 le 12, . Eine amoebenförmige grosse Cytode, welche zwei Cyatholithen um- schliesst. . Eine amoebenförmige kleine Cytode, welche einen kreisrunden Discolithen umschliesst. Vergr. 700. Ein Haufen von grösseren Protoplasmakörnern, Vergr. 4000. Ein Haufen von kleineren Protoplasmakörnern. Vergr. 4000. Eine nackte Protoplasmakugel (Plasmosphaera). Vergr. 1000. Eine encystirte Protoplasmakugel (Plasmocystis). Vergr 1000. 43—25. Kreisrunde Discolithen auf verschiedenen Entwickelungsstufen , von der Fläche gesehen. Vergr. 1000. 26—40. Elliptische Discolithen auf verschiedenen Entwickelungsstufen, von der Fläche gesehen. Vergr. 1000. 44—49. Kreisrunde und elliptische Discolithen, von dem schmalen Rande ge- sehen. Vergr. 1000. 50—53. Coccosphaeren. Vergr. 4000. TS Eee RE E Beiträge zur Plastidentheorie. 549 Fig. 54—60. Cyatholithen, halb von der Fläche (der kleineren Scheibe), halb von dem Rande gesehen, auf der grösseren Scheibe schräg aufliegend. Vergr. 4000. Fig. 64—69. Cyatholithen, von dem schmalen Rande gesehen. Vergr. 4000. Fig. 70—714. Cyatholithen, von der Fläche der unteren, kreisrunden, kleineren Scheibe gesehen. Vergr. 4000. Fig. 72—80. Cyatholithen, von der Fläche der oberen, elliptischen , grösseren Scheibe gesehen. Vergr. 4000. 3 Die Buchstaben bedeuten von Fig. 43—80 dasselbe, nämlich: a) Cen- tralkorn, b) Markfeld, c) Markring, d) Körnerring, ej) Aussenring. Taf. XVIII. Myxobrachia. Fig. 1,2. Myxobrachiarhopalum. Fig. 3—10. Myxobrachia pluteus. Die Buchstaben bedeuten in allen Figuren dasselbe, nämlich : ; 1 a) Extracapsulare Alveolen. | b) Binnenblase (Vesicula intima). c) Centralkapsel. d) Sarcodegallert (extracapsulares Protoplasma). e) Pseudopodien an deren Oberfläche. . f) Extracapsulare farblose Oelkugeln. g) Gelbe amylumbhaltige Zellen. h) Goncretionen (Coccolithen und Coccosphaeren ?). i) Intracapsulare kleine helle Zellen (Sporen ?). k) Intracapsulare grosse dunkle Zellen. l) Intracapsulare rothe Oelkugeln. M N Der Wasserspiegel des Meeres. Fig. 4. Myxobrachiarhopalum, die zusammengezogene, gedrungene Form. Vergr. 40. Fig. 2. Myxobrachia rhopalum, die langgestreckte schlanke Form. Vergr. 40. Fig. 3. Myxobrachia pluteus, langgestreckt, mit herabhängenden Armen. Vergr. 410 Fig. 4. Myxobrachia p luteus, abgeflacht, mit ausgebreiteten Armen. ` Vergr. 40. Fig. 5. Die Binnenblase (Vesicula intima). Vergr. 480. Fig. 6. Die Centralkapsel , links geöffnet, so dass man in der Mitte die Binnen- blase und nach aussen davon die kleinen Zellen sieht. Rechts sieht man die Oberfläche der CGentralkapsel, durch welche die intracapsularen Oel- kugeln (l) als rothe Punkte durchschimmern. Oben ist noch ein Theil der extracapsularen Sarcode erhalten, und der Alveolenhülle, zwischen deren Alveolen sie sich ausbreitet. Vergr. 60. Fig. 7. Grosse Zellen aus der inneren Zone des Inhaltes der Centralkapsel, welche ] zunächst die Binnenblase umgeben. A. Eine einzelne Zelle. B. Zwei zu- I sammenhängende Zellen (Theilung?). C. Vier zusammenhängende Zellen (Viertheilung?). Vergr. 400. Ernst Haeckel, Beiträge zur Plastidentheorie, 8. Das Ende eines armartigen Fortsatzes der Sarcode-Gallert, mit dem ter- minalen Knopfe, der mit kalkigen Concretionen (Coccolithen und Cocco- sphaeren?) erfüllt ist. Vergr. 400. : 9. Scheibenförmige Kalkkörper, welche den Coccolithen sehr ähnlich sind. A. Kreisrunde Scheibe. B. Ovale Scheibe mit einfachem Centralkorn. C. Ovale Scheibe mit doppeltem Gentralkorn. Vergr. 500? ig. 40. Kugelige Concretionen, aus scheibenförmigen Kalkkörpern zusammenge- setzt, welche den Coccosphaeren sehr ähnlich sehen. A. Kleinere, B. mitt- lere, C. grössere Form der kugeligen, Goccosphaeren ähnlichen Kalkkörper- Vergr. 500? ig. 44. Extracapsulare, amylumhaltige gelbe Zellen. Die Körner rings um den Kern der Zellen sind Stärkemehlkörner. B. Zwei gelbe Tochterzellen in einer Mutterzelle. C. Vier Tochterzellen in einer Mutterzelle. Vergr. 400. "ig, 42. Drei kleine helle Zellen (Sporen?) aus dem peripherischen Theile des In- halts der Centralkapsel. Vergr. 400. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig. f Venaische Zeitschrift Bd. V. | | I_A Z C S O0 200000 A Dohrn del, Hagenschieber so Taf. M. 5 SS EIS SE oe DES Er og FED Ex Wagenschieber se A, Dohrn del, Taf. iM. Venaısche Zeitschrift, Bd. V. Drud v.E.Giätsch, Jena. I ‚Senarsche Zeitschrif® Bo V üller lith. G.M k. Ant. Dohrn del. TELA enaische Zatschriê BdL V - Q.Müller lith. Jenaische Zeitschrift Bd. V. Taf. WM. Ad, Aur. sit. — dhet art. o a N N lith.v. G. Müller, Jena Jenansohe Zeitschrift, Bd. V. Taf. W. Fritz Müller del. C Miller lih Taf. IX. Venaische Zeitschrift, Bd V. ith. 1 i G Müller Fritz Müller del. Bf X. Jenaische Zeitschrift, Bd. V. G. Müller lith. Ant. Dohrn del ` Farbendruck v.E. Taf XN. Jenarsche Zeitschrift Bd V Ant. Bohrn gez ak All : ısche Zeitschrift Bd V Jena G.Müller lith. Jenaisehe Zeitschrift Bd K -oR Taf MK Lith. Anst. v. E. Ciktseh, Jena Gegenbaur gez. Jenaische Zeitschrift, Bd. V. £ Taf AV: Gegenbaur gez. Jenaische Zeitschrift. Da. V. Bene nina Bin wenn nn | | Taf. AM. HHaecke dd. Jenaische Z eitsch rft. Bd y. N ae ug an B Haeckel del 5 : R Hagensch | N 3 2044 106 263 304