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MONATSBERICHTE

DER

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

ZU BERLIN.

Aus dem Jahre 1870.

Mit 13 Tafeln.

BERLIN 1871.

BUCHDRUCKEREI DER KGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT) UNIVERSITÄTSSTR. 8.

IN COMMISSION IN FERD. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG. HARRWITZ UND GOSSMANR.

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MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

Januar 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr Kummer.

3. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Mommsen las über einige bei Assuan aufgefundene rö- mische Inschriften.

6. Januar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Riefs las über die Theorie der neuesten Elek- trophormaschine und der überzähligen Conductoren.

Bei der Beurtheilung von Influenzmaschinen herrscht noch grolse Verwirrung. Während im Laufe der letzten Jahre drei oder vier Influenzmaschinen als wesentlich neue beschrieben wurden, in welchen leicht alte Apparate zu erkennen sind;, ist die neueste Elektrophormaschine vom Erfinder, dem Dr. 'Holtz, als ‚eine alte Maschine in neuer Gestalt eingeführt: worden, ') ‚obgleich sie mir wesentlich neu erscheint. Das von mir vor drei Jahren ange- wandte Prineip zur Unterscheidung solcher Maschinen besteht darin,?) dafs man die durch Influenz erregten Elektrieitäten in

1) Poggend. Annalen 136. 171. 2) Akad. Monatsb. 1867 203. [1870] | | '

2 Gesammtsiützung

Betracht zieht, und die Maschinen nach den Combinationen dieser Elektrieitäten ordnet, welche sie benutzen. Eine Maschine also von noch so ungewöhnlichem Aussehn, welche eine bereits be- nutzte Combination der Influenzelektricitäten anwendet, ist als we- sentlich alte, und eine Maschine, einer bekannten im Aussehn noch so ähnlich, ist als wesentlich neue Maschine anzusehn, wenn sie eine Combination benutzt, die noch keine Anwendung gefunden hat. In diesem Sinne habe ich meine Meinung über die neueste Elektrophormaschine zu begründen.

Die Elektrophormaschinen zeigen im Allgemeinen einen Pa- pierkuchen, davor einen Metalleconductor, der mit einem Metall- kamm endigt, und eine Glasscheibe, die zwischen beiden rotirt. Nachdem der Papierkuchen elektrisirt worden, kommen durch Dop- pel-Influenz drei nachweisbare Portionen von Elektricität zum Vorschein: im Conductor die Menge + m, auf der (dem Kuchen zugewandten) Vorderfläche der Glasscheibe die Menge p, auf ihrer Hinterfläche die Menge m. Ich erinnere daran, dals m und p ächte Brüche sind, wenn der erregende Kuchen die Elek- trieitätsmenge 1 besitzt und dafs hier die Vorzeichen die Elek- trieitätsart in Bezug auf die der Kuchen angeben. Vom positiv elektrischen Kuchen erregt, bezeichnet + m positive m und p negative Elektricität, vom negativen Kuchen erregt, —m und —p positive, + m negative Elektricität.

Die vor drei Jahren bekannten drei Elektrophormaschinen mit Doppel-Influenz habe ich am angeführten Orte folgendermaafsen geordnet, wobei ich hier noch äufsere Kennzeichen hinzusetze:

Töplers Maschine benutzt die Elektricitätsmenge m und besitzt in einfachster Einrichtung drei drehbare Glasscheiben.

Holtz erste Maschine benutzt die Combination der Mengen (+ m) (— m) (— p) und besitzt nur Eine drehbare Scheibe.

Holtz zweite Maschine benutzt die Combination (+ m) (— m) und besitzt zwei Scheiben, die in entgegengesetzter Richtung ge- dreht werden und abwechselnd die Rolle der Papierkuchen über- nehmen. |

Als zu neuen Maschinen brauchbar hatte ich die Combi- nationen (+ m) (— p) und (— m) (— p) bezeichnet.

Die neueste von Holtz construirte Elektrophormaschine, deren Theorie hier folgt, gebraucht neben der Combination, (+ m) (— m) (— p) die Combination (— m) (—p) und besitzt Eine drehbare

vom 6. Januar 1870. 3

Scheibe. Ich will diese Maschine, des leichteren Verständnisses wegen, zuerst in der einfachen Form beschreiben, in der ich sie benutzt habe, bei welcher nur (— m) (— p) zur Anwendung kommt, und dann die Einrichtung anführen, die ihr Holtz gegeben hat. Eine vertikale drehbare Glasscheibe von 15 Zoll Durchmesser befindet sich zwischen einer ihr parallelen ruhenden mit 2: Aus- schnitten versehenen Glasscheibe und 2 horizontalen, der Mitte der Ausschnitte gegenüberliegenden Metallkämmen, deren Stiele in ge- wöhnlicher Weise mit 2 verschiebbaren Metallstäben, den Elek- troden, verbunden sind. An der freien Fläche der ruhenden Scheibe, entfernt von den Ausschnitten, ist in einem gegen den Horizont geneigten Durchmesser, über und unter der Ebene der Kämme, ein etwa 4 Zoll langes $ Zoll breites Papierstück (der Kuchen) befestigt, von welchem ein 13 Linie breiter, nahe 5 Zoll langer Papierstreifen zum nächsten Ausschnitte geht und mit einer in den Ausschnitt hineinragenden Cartonspitze endigt. Jede Cartonspitze tritt etwa 1 Zoll vor den Metallkamm ihrer Seite hervor. Den beiden Papierkuchen stehen zwei Metallkämme (zur Unterscheidung die schrägen genannt) gegenüber, die dauernd mit einander metallisch verbunden sind. Die Scheibe wird, wie an der alten Maschine, in der Richtung von einer Cartonspitze zu dem mit ihr verbun- denen Kuchen schnell umgedreht. Zur bequemen Darstellung der Figur denke man sich, wie es Hr. Bertin gethan hat,!) statt der beiden Glasscheiben einen hohlen Glaseylinder um seine Axe drehbar, in einen ruhenden Cylinder gesteckt, nnd zeichne deren Quer- schnitt. Die Metallkämme kommen dann in der Bildebene zu liegen.

Fig. 1.

12?

) Annal, de chimie (4) 13. 190, 1 %

4 Gesammtsitzung

Der innere Kreis entspricht der rotirenden, der äufsere punk- tirte der ruhenden Glasscheibe der Maschine. Die schrägen mit einander verbundenen Metallkämme sind bei A und A, die horizon- talen Kämme mit den zum Experimente dienenden Elektroden bei e und e deutlich, die Papierkuchen bei a und 5 nebst ihren Ver- längerungen bis zu den Ausschnitten der ruhenden Scheibe, vor welche die Cartonspitzen m und n hervortreten.

An der alten (ersten) Holtz’schen Maschine sind nur zwei Metallkämme mit gegenüberliegenden horizontalen Papierkuchen vor- handen, und jeder Kamm hat eine zwiefache Bestimmung: er em- pfängt Elektriecität von der gedrehten Scheibe durch sogenannte Einsaugung!) zur Abgabe an die mit ihm verbundene Elektrode und er elektrisirt die Scheibe mit entgegengesetzter Art. Diese Elektrisirung ist abhängig von der Elektrieität, welche die Elektrode bereits besitzt, nimmt mit zunehmender Menge dieser Elektricität schnell ab und hört bald auf. Die sogenannte Einsaugung von EI. durch den Metallkamm nimmt zwar gleichfalls ab mit steigen- der Elektrisirung der Elektroden, aber bei Weitem langsamer, weil die elektrische Glasfläche dem Kamme näher steht, als die elektrische Papierfläche. Entfernt man die Stelle der Elektrisirung der Scheibe von der Stelle der Einsaugung, so läfst sich eine grölsere Dichtigkeit in den Elektroden erlangen. Diese Trennung der beiden Stellen ist bereits in Töpler’s Maschine und in Holtz’ zweiter Maschine vorgenommen und jetzt in der hier betrachteten Elektrophorma- schine. Die horizontalen Kämme e dienen als Einsauger, während die schrägen Kämme A die Glasscheibe mit Elektricität versehen, also mit den ihnen gegenüberstehenden Papierkuchen die Rolle der Reibzeuge an der gewöhnlichen Elektrisirmaschine übernehmen.

1) Einsaugung bezeichnet den Erfolg der Erregung eines Metallstückes durch Infuenz, die sich von der gewöhnlichen Erregung dadurch unterschei- det, dafs dabei die erregende Elektricität zerstört wird. Der Metallkamm der Maschine wird von der Elektrieität der rotirenden Scheibe ebenso in- fluencirt, wie von dem elektrischen Papierkuchen, aber die Elektrieität des Kuchens bleibt erhalten, während die der Scheibe durch die vom Kamme elektrisirte Luft vernichtet wird. In beiden Fällen erhält der mit dem Kamme verbundene Metallstab Elektricität derselben Art, die der erregenden gleich- namig ist, aber bei der Erregung durch den Papierkuchen wird nebenbei die Glasscheibe mit der ausströmenden (ungleichnamigen) Ei. geladen.

vom 6. Januar 1870. 5

Da diese schrägen Kämme mit einander verbunden sind, so kön- nen, während die Maschine in Gang gesetzt wird, die Elektroden unverbunden bleiben. Dies ist auch bei Holtz’ zweiter Maschine der Fall, während an seiner ersten Maschine die Elektroden in Berührung sein müssen.

Die neue Maschine wirkt in folgender Weise. Es sei der Papierkuchen d negativ el. gemacht; der ihm gegenüberstehende ‚Metallkamm % erhält durch Influenz negative El., die aber sogleich verschwindet, weil jener mit dem diametralen Kamme verbunden ist. Die Glasscheibe vor dem Kamme wird auf beiden Flächen positiv elektrisch und, in der Richtung. des Pfeiles rotirend, zu der Cartonspitze m des zweiten Kuchens geführt, den die Vorderfläche der -Scheibe mit positiver Elektrieität versieht, wonach der hori- ‚zontale Kamm e-+ die Elektrieität der Hinterfläche aufnimmt. Der -Papierkuchen a ist nun positiv elektrisch, er erregt in seinem Metallkamme positive Elektricität, die wiederum verschwindet, und versieht beide Flächen der vor ihm befindlichen Glasscheibe mit negativer El., die zur weiteren Elektrisirung des Kuchens 5 und zur Verstärkung der El. der Elektrode e— verwendet wird. Diese Verstärkung wird länger fortdauern, als an der alten Maschine, ‚weil die Doppel-Influenz stets an den nicht elektrischen Kämmen % wirkt. Der die Kämme verbindende Metallstab erhält nämlich von den Kämmen ziemlich gleiche Mengen entgegengesetzter El. und ‚soll neutral bleiben; man kann ihn mit Vortheil zur Erde ableiten. Es wird sich daher an dieser Maschine eine Flasche zu höherer ‚Dichtigkeit laden, ein längerer Entladungsfunke erhalten lassen.

Eine alte (erste) Holtz’sche Maschine ist in wenigen Minuten in die hier beschriebene zu verwandeln, indem man die ruhende Glasscheibe durch eine mit andern Papierbelegungen versehene er- ‚setzt, und zwei schräge mit einander metallisch verbundene Metall- kämme anbringt. Zu einer Zeit, als meine alte Maschine Funken ‘von nur 24 Zoll Länge lieferte, gab sie nach Verwandlung in die neue Maschine, bei Anwendung derselben rotirenden Scheibe, der- selben Ladeflaschen und Elektrodenendigungen (Kugeln von 82 Lin. Durchmesser) Funken von 54 Zoll Länge.

Vergleicht man in dieser Weise die erste Holtz’sche Maschine _ mit der neuen und erzeugt Funken gleicher Länge, so findet man ‚den Funkenstrom der alten Maschine ungleich dichter als an der neuen, eine Folge davon, dafs an der ersten Maschine jede Elek-

6 Gesammtsitzung

trode zwei Portionen Elektrieität, an der letzten nur Eine davon empfängt. Die in der Elektrode selbst erregte Elektrieität fügt sich in der alten Maschine zu der durch die el. Glasfläche erregten El., während in der neuen der Funke nur von der letzten Erregung herrührt. Auch tritt an der neuen Maschine ein Polwechsel häu- figer ein, als an der alten, weil den Elektroden keine Kuchen ge- genüberliegen, die mit ihnen die gleiche Elektricitätsart besitzen und dadurch das Austreten der in den Elektroden angesammelten El. erschweren.

Beide Mängel hat Holtz vermieden, indem er an dem Rande jedes Auschnittes (bei m und n der Figur) einen horizontalen Pa- pierkuchen angebracht hat, welcher die Cartonspitze trägt'). So habe ich die Maschine ausgeführt gesehen, die also 2 Ausschnitte, 2 Paare von Metallkämmen und ihnen gegenüber 2 Paare von Pa- pierkuchen besitzt und als die Verbindung der alten Elektrophor- maschine, welche die Combination (+ m) (—m) (—p) mit der neuen, die nur (— m) (— p) benutzt, anzusehen ist. Das Spiel dieser zusammengesetzten Maschine zeigt bei geöffneten Elektroden drei Phasen.

So lange die von einander entfernten Elektroden nicht oder schwach elektrisch sind, geht die Doppel-Influenz von den horizon- talen Papierkuchen aus, und jede Elektrode erhält Influenzelektri- cität sowol durch die auf ihrem Kuchen, wie durch die auf der rotirenden Glasscheibe befindliche Elektrieität, oder, wie man be- quemer sagt, jeder Elektrodenkamm wird durch seinen Kuchen elektrisirt und saugt die El. der Scheibe ein (siehe Anmerk. S. 4). Aber nicht alle der Scheibe mitgetheilte Elektrieität wird eingesaugt. Weil nämlich die Scheibe, ehe sie an einen Elektrodenkamm tritt, einem schrägen Kamme vorbeigeht und diesem näher steht, als der auf der ruhenden Scheibe befindliche Kuchen, so wirkt die Elek- trieität der rotirenden Scheibe stärker auf den schrägen Kamm, als die ihr entgegengesetzte Elektricität des Kuchens, und in Folge davon wird ein Theil der Elektricität der Scheibe vernichtet. Mit

!) In der Abbildung der Maschine, Poggd. Annalen Bd. 136 Taf. 5 obere Figur, hangen die beiden Papierkuchen jeder Seite nicht durch einen schmalen Papierstreifen, sondern in ganzer Breite zusammen, eine spätere anwesentliche Änderung.

vom 6. Januar 1870. 7

steigender Ladung der Elektroden tritt die zweite Phase ein: die Doppel-Influenz der horizontalen Kuchen nimmt ab, auf die roti- rende Scheibe strömt vom Elektrodenkamme weniger Elektricität, die Doppel-Influenz der schrägen Kuchen wird merklich, vermehrt die El. der Scheibe und nimmt so lange zu, bis sie zuletzt, wenn die Elektroden nicht mehr erregbar sind, allein vorhanden ist. In dieser, dritten Phase wirken die horizontalen Kämme nur als Ein- sauger, die schrägen nur als Erreger.

Ist der Funke ausgebrochen, die Elektroden demnach nur schwach elektrisch, so beginnt das Spiel von Neuem. Man sieht, dafs die Maschine sowol bei offenen wie geschlossenen Elektroden erregt werden kann, und dafs sie bei geschlossenen oder abgelei- teten Elektroden bei der ersten Phase stehen bleibt und weniger El. zum Gebrauche liefert, als die alte Maschine, welche die Com- bination (+ m) (— m) (— p) allein benutzt, hingegen bei geöffneten Elektroden mehr El. liefert, wenn sie die zu den drei Phasen nö- thige Zeit hindurch wirkt. Im Finstern wird das beschriebene Spiel der Maschine dadurch sichtbar, dafs je zwei einander nächste Kämme (zusammenhängenden Kuchen zugehörig) bei weit geöffne- ten Elektroden die gleiche Lichterscheinung zeigen, bei geschlosse- nen Elektroden die entgegengesetzte (Garben und Sterne).

Der Vorzug der neuen zusammengesetzten Maschine vor der neuen einfachen besteht nicht nur darin, dafs sie, wie oben erörtert wurde, an Elektrieität ergiebiger und dafs bei ihr der Polwechsel erschwert ist, sondern auch darin, dafs sie eine gröfsere Ansamm- lung von El. erlaubt. Die horizontalen Papierkuchen unterstützen nämlich die Einsaugung der El. der Scheibe durch die Elektroden- kämme; wenn die Kämme der einfachen Maschine so stark elek- trisch sind, dafs sie von der Scheibe keine El. mehr aufnehmen, so werden sie es an der zusammengesetzten Maschine thun, weil die ihnen gegenüberliegenden Kuchen El. derselben Art besitzen, von der die aufzunehmende El. ist. Da nun die Länge der Fun- ken von der Dichtigkeit der angesammelten El. abhängt, so wird die zuletzt beschriebene Maschine die längsten Funken liefern. An meiner nicht dazu gebauten sondern nur eingerichteten Maschine, deren rotirende Scheibe 15 Zoll breit ist, erhielt ich Funken von 6 Zoll, und an einer eigens für lange Funken gebauten Maschine mit 14zölliger Scheibe habe ich Funken von nahe 7 Zoll Länge gesehen.

8 Gesammtsitzung

Ein Polwechsel der Maschine wird in den häufigsten Fällen dadurch herbeigeführt, dafs die Elektrodenkämme bei zu grolser el. Dichtigkeit ihre Elektricität auf die rotirende Scheibe ausströmen. Die von einer Elektrode mit ihrer El. geladene Scheibe geht dem zur Elektrode gehörigen Kuchen nahe vorbei, der Elektrieität der- selben Art besitzt, und in Folge davon diese Elektrieität durch die Cartonspitze auf die von der Elektrode abgewandte Scheibenfläche strömen läfst. Die Scheibe bringt bei der Rotation an die Carton- spitze des diametralen Kuchens die entgegengesetzte Elektrieität von der, die sie ihm früher zugeführt hatte und entladet ihn. Um ein Beispiel zu geben: die negative Elektrode ströme negative Elek- trieität auf die ihr zugewandte Scheibenfläche, diese geht an dem negativen Kuchen vorbei, der in Folge davon negative El. auf die abgewandte Scheibenfläche strömen läfst; die erste Fläche verliert ihre Elektrieitäit am schrägen Kamme, die zweite bringt ihre ne- gative El. zur Cartonspitze des positiven Kuchens, der dadurch entladen wird. Besitzen beide Kuchen Elektrieität in nahe gleicher Menge, so werden sie entladen, die Maschine erlischt; sind die Mengen ungleich, so behält Ein Kuchen die ihm zugeführte Elek- 4rieitätsart und die Maschine kommt mit vertauschten Polen wieder in Wirksamkeit. Aufser dieser Veranlassung des Polwechsels tritt ‚noch eine andere ein, wenn die Elektroden eine starke el. Dichtig- keit plötzlich verlieren. Dies zeigt ein auffallender Versuch. Man errege die Maschine bei geschlossenen Elektroden; sie wird, so lange die Scheibe gedreht wird, ohne Polwechsel in Thätigkeit bleiben. Öffnet man aber die Elektroden, nimmt eine Anzahl langer Funken, schliefst die Elektroden oder bringt ihre Enden einander nahe und setzt die Drehung der Scheibe fort, so erlischt (unter Umständen) die Maschine oder wechselt ihre Pole. Bei schlechter (leitender) Beschaffenheit der rotirenden Scheibe geschieht Dies ‚immer, bei guter Beschaffenheit zuweilen, aber auch bei dem befs- ten Glase habe ich es eintreten sehen, wenn die Luft sehr feucht war. Der Versuch ist ein gutes Prüfungsmittel für die rotirende Scheibe. Die Ursache dieser Erscheinung ist, wie früher, das Ausströmen der Elektricität der Papierkuchen auf die rotirende Scheibe. Früher wurde es durch die von den Elektroden ausge- ‚strömte Elektrieität veranlafst, hier dadurch, dafs die Elektroden- kämme, so lange sie stark elektrisch sind, das Ausströmen der gleichnamigen Elektricität aus den ihnen nahestehenden Carton-

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spitzen hindern, und dafs ‘diese Hinderung aufhört, wenn die Kämme unelektrisch werden. Natürlich erfolgt die Ausströmung um so leichter, je dichtere Elektrieität der Kuchen besitzt und je besser leitend die ihr naheliegende Glasfläche ist.

Je längere Funken von einer Elektrophormaschine genommen werden, desto mehr Gelegenheit wird zu einem Polwechsel gegeben. Die Elektroden und die mit ihnen verbundenen Flaschen müssen zu grofser Dichtigkeit geladen werden, leicht strömt, vor dem ‚Ausbruche eines Funkens, die Elektrieität der Flaschen und danach die der Kuchen auf die Scheibe, oder nach dem Ausbruche des- ‚selben, der die Elektroden schwach elektrisch zurückläfst, die

Elektrieität der Kuchen allein, und in jedem von beiden Fällen

erfolgt das Erlöschen oder der Polwechsel der Maschine. Die ‘gröfste Länge, bis zu welcher man die Funken ohne diese Störung ‘bringen kann, ist nicht nur nach der Maschine verschieden, die man benutzt, sondern auch bei derselben Maschine nach dem Zu- stande der Luft. Zur Erlangung einer Reihe von Funken gleicher Richtung und bedeutender Länge wird daher die Elektrisirmaschine ein besseres Mittel bleiben als die Elektrophormaschine.

Die überzähligen Conductoren.

Das erörterte Spiel der Maschine mit zwei Paaren von Papier- kuchen gibt Rechenschaft über den bisher unerklärten Nutzen der überzähligen Conductoren an der ersten Holtz’schen Maschine. So werden von Holtz zwei diametral gestellte Metall- kämme vor der rotirenden Glasscheibe genannt, unbelegten Stellen der ruhenden Scheibe gegenüber. Jeder Kamm ist entweder mit der ihm in der Richtung der Drehung folgenden Elektrode ver- bunden, oder beide Kämme sind mit einander verbunden.') Hat die Maschine lange geruht, so verhindern die überzähligen Con- ductoren ihre Erregung, ist sie aber kurz zuvor längere Zeit in Gang gewesen, so wirkt die Maschine weiter fort und die Conduc- toren erschweren die Umkehrung der Polarität der Elektroden. Diese Wirkung ist folgendermaafsen abzuleiten. :

Die rotirende Scheibe wird, wie ich bei der Beschreibung der alten Maschine gezeigt habe, durch ihren horizontalen Durchmesser

1) Poggd. Annal. 127. 323.

10 Gesammtsitzung

in entgegengesetzt elektrische Hälften getheilt.') Die obere Hälfte der rotirenden Scheibe Fig. 2 sei auf beiden Flächen negativ, die untere positiv, es seien die überzähligen Conductoren a und 5 nicht vorhanden. Bei der gebotenen Richtung der Drehung der Scheibe erhält die Elektrode wie der Papierkuchen zur rechteu Hand negative El., die zur linken positive. Nun seien die Elek- troden so stark elektrisch geworden, dafs sie durch ihre Papier- kuchen nicht mehr erregt werden. Die rotirende Scheibe tritt unelektrisch an die Elektroden; es strömt von jeder Elektrode die auf ihr angesammelte El. und in Folge davon, wie oben angegeben wurde, auch die El. der Kuchen auf die Scheibe. Durch die Ro- tation wird positive El. znm negativen Kuchen gebracht, negative zum positiven, und die Maschine erlischt oder wirkt mit verwech- selten Polen weiter fort. Dies wird erschwert durch Anbringung der überzähligen Conductoren a und b, von welchen jeder mit der in der Drehungsrichtung der Scheibe folgenden Elektrode metal- lisch verbunden ist.

Fig. 2.

Wie ich nämlich am angeführten Orte angegeben habe, liegt der negativ elektrischen Hälfte der rotirenden Scheibe die durch Influenz positiv gewordene Hälfte der ruhenden Scheibe parallel nahe, und der positiven Hälfte die negativ gewordene.”) Indem die elektrisch

1) Akad. Monatsber. 1867. 193.

2) Es ist ein bekannter Versuch dafs wenn die Maschine (auch ohne überzählige Conductoren) längere Zeit gewirkt hat, und die ruhende Scheibe, der Drehungsrichtung der beweglichen entgegen, so weit verschoben wird, dafs die Elektrodenkämme unbelegten Stellen der ruhenden Scheibe gegenüber-

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gewordene ruhende Scheibe auf die überzähligen Conductoren er- regend wirkt, verhindert sie, dafs die rotirende Scheibe unelek- trisch an die Elektrodenkämme tritt, hebt also diesen Grund des Polwechsels der Maschine auf. Indem z. B. die linke Seite der rotirenden Scheibe an den überzähligen Conductor a tritt, wird sie auf beiden Flächen negativ elektrisch und theilt dem negativen Kuchen und der Elektrode e— negative El. mit. Wenn nämlich die Elektrode e + so stark positiv elektrisch ist, dafs sie vom positiven Kuchen nicht mehr erregt wird, so kann die positiv elektrische ruhende Scheibe dennoch den Conductor a erregen, weil dieser negativ elektrisch ist. Die Elektrode e— erhält aber hier- durch keine Verstärkung ihrer Elektrieität. Der Conductor a kann nämlich, nach dem Grundgesetze der Influenz, auf die Scheibe nur gerade so viel negative Elektricität strömen lassen, als er selbst positive El. zurückbehält, und diese Elektricität gibt er der mit ihm verbundenen Elektrode e—, zerstört also die zugeführte ne- gative El.

So lange die Elektrodenkämme noch erregbar sind und die Scheibe mit El. versehen, wird diese Elektrieität nutzbar, da ein Theil derselben von je einem Conductor aufgenommen zu einer der Elektroden geführt, das Übrige von der Elektrode direkt aufge- nommen wird. Die elektrische Dichtigkeit in den Elektroden wird durch die Conductoren theils dadurch verstärkt, dafs diese die Ausdehnung der mit ihnen verbundenen Elektroden vergröfsern, die Zeit also verlängern, während welcher die Elektroden erregbar bleiben, theils dadurch, dafs durch sie die Kuchen stärker elek- trisirt werden, die nun länger auf die Elektroden zu wirken ver- mögen. Die Figur macht nebenbei deutlich, weshalb die Conduc- toren die Erregung der Maschine verhindern. Es sei der positive Kuchen elektrisch; die zolene Scheibe gibt ihre ganze negative El. an den Conductor a ab, weil die ruhende Scheibe noch nicht

stehn, die Maschine kürzere oder längere Zeit fortwirkt, ganz so, nur mit geringerer Elektricitätsmenge, als ob die Papierkuchen den Kämmen gegen- überständen. Daraus folgt, dafs die ruhende Scheibe unterhalb des nega- tiven Kuchens in der Figur negativ, und oberhalb des positiven Kuchens po- sitiv elektrisch ist. Diese Elektrieität der ruhenden Scheibe unterstützt die Aufnahme der El. der rotirenden Scheibe durch die Elektrodenkämme.

12 Gesammtsitzung

elektrisch geworden ist, die rotirende Scheibe tritt unelektrisch an den Kuchen der Elektrode e— und kann ihn nicht elektrisiren. Ist der Conductor a kurz und nicht mit der Elektrode e ver- bunden, so nimmt er nur wenig Elektrieität von der Scheibe auf und läfst so viel davon zurück, um die Maschine in Gang zu setzen.

Die in den überzähligen Conductoren erregte Elektrieität wird fortgeschafft, wenn man ihre Verbindung mit den Elektroden (nach Holtz: Seitenverbindung) aufhebt und beide Conductoren durch einen Metall-Drath oder Stab mit einander verbindet (direkte Ver- bindung)'); dann gleichen sich die beiden entgegengesetzten Elek- trieitäten der Conductoren aus, die von ihnen auf die Scheibe aus- geströmte Elektrieität gelangt nutzbar in die Elektroden, und diese können zu höherer Dichtigkeit geladen werden, weil die Erregung der Conductorenkämme unabhängig von der Elektricitätsmenge ist, welche die Elektroden besitzen. Es entsteht aber der Nachtheil, dafs in gleicher Zeit eine viel geringere Tlektrieitätsmenge von der

Maschine geliefert wird, als früher. Wenn die Conductoren fehlen

oder mit den Elektroden verbunden sind, so tritt die von jeder Elektrode der Scheibe mitgetheilte El. (abgesehn von der Zer- streuung in die Luft) vollständig in die diametrale Elektrode ein, bei unter einander verbundenen Conductoren nur zum Theil. Um

ein Beispiel zu geben: Wenn die Conducteren a und 5b in Fig. 2

mit einander verbunden sind, so geht von der negativen El., welche die Elektrode e + der Scheibe mittheilt, ein grolser Theil auf den Conductor a über, weil die ruhende Scheibe, a gegenüber, noth- wendig weniger dichte positive Elektricität besitzt, als der positive Papierkuchen. Die von a aufgenommene negative Elektrieität gleicht sich im Verbindungstabe mit der vom Conductor b aufgenommenen positiven El. aus und geht für den Effekt verloren. Erst wenn die Elektroden aufgehört haben, erregt Zu werden, verstärken die Conductoren die El. der Elektroden, erlauben also längere Funken und erschweren den Polwechsel der Maschine. Weniger Elek- trieität wird durch die Conductoren vernichtet, die Maschine wird

1) Dafs behufs langer Funken die direkte Verbindung vortheilhafter ist, als die Seitenverbindung, hat Poggendorff gezeigt, und dabei die über- zähligen Conductoren nicht normal, sondern schräg gegen die Verbindungs- linie der Elektroden gestellt. Pogg. Annal. 136. 171. |

vom 6. Januar 1870. 13

ergiebiger, wenn man die den Conductoren geßenüberliegenden Stellen der ruhenden Scheibe ebenso stark elektrisch macht, wie die Kuchen es sind, was geschieht, wenn man auf der ruhenden Scheibe, jedem Conductor gegenüber, ein Papierstück anbringt und durch einen Papierstreifen mit dem in der Drehungsrichtung vor- angehenden Kuchen der Maschine verbindet, in andern Worten: indem man die neue Maschine herstellt, die oben betrachtet wurde. Dies ist, nach meiner Erfahrung, stets gerathen, wenn man lange Funken erhalten will. Die überzähligen Conductoren allein sind von unsicherm Gebrauche, da ihre Wirksanıkeit verlangt, dafs die »uhende Scheibe stark elektrisch sei, was erst nach längerer 'Thä- tigkeit der Maschine, nicht bei jeder rotirenden Scheibe und bei derselben Scheibe nicht zu jeder Zeit in gleichem Maafse der Fall ist. Die beschriebene neue Elektrophormaschine mit zwei Kuchen- paaren ist dagegen stets leicht und sicher aus der alten Maschine mit zwei Kuchen herzustellen!) und sogleich erregbar.

Hr. Mommsen legte die von den Herren Bormann, Hen- zen, Hübner und Renier erstatteten Berichte über den Fortgang der Arbeiten am Corpus insceriptionum Latinarum während des Arbeitsjahrs 1. Nov. 1868 31. Oct. 1869 nebst seinem eigenen Berichte vor.

Hr. Henzen zeigt an, dafs der erste Theil des Manuscripts

der urbanae, den gröfseren Theil der sacrae umfassend, zum Ab- druck nach Berlin abgesendet und das übrige für den ersten Band der urbanae erforderliche Material ebenfalls im Wesentlichen druck- fertig sei. In Folge dessen ist sofort das nach Berlin gesandte Manuscript hier durch Hrn. Henzens bisherigen Gehülfen bei der Ausarbeitung dieser Abtheilung, Hrn. Bormann, einer schliefs- lichen Druckrevision unterzogen und unter dessen Leitung der Druck derselben der sechsten des ganzen Werkes in Angriff genommen worden. Hr. Hübner hat den Druck des zweiten Bandes, der Spanien und Portugal umfafst, beendigt und ist der-

1) Es genügt,. die schrägen Papier-Kuchen und -Streifen an der ruhen- den Scheibe mit Wachs zu befestigen.

14 Gesammtsitzung

selbe zu Michaelis 1869 erschienen. Die Vorarbeiten für die sie- bente, Britannien, Gallien und Germanien umfassende Abtheilung sind so weit vorgeschritten, dafs zu Anfang des J. 1870 mit dem Druck der britannischen Inschriften begonnen werden kann. Hr. Renier hat im Herbst 1869 einen grofsen Theil derjenigen Pro- vinzen des mittleren Frankreichs besucht, die noch nicht von ihm durchforscht worden waren, und denkt im Laufe des nächsten Jahres diese Reisen abschliefsen zu können, während gleichzeitig die littera- rischen Vorarbeiten für Frankeich von ihm energisch gefördert werden. Der Druck der französischen Inschriften wird sich also an den der englischen und deutschen ohne Unterbrechung anschliefsen können. Gleichzeitig hat Hr. Renier seine Collectaneen für Africa nicht blos durch Einreihung alles neu Gefundenen ergänzt, sondern auch für die bisher von ihm nur unvollkonmmen durchforschte Provinz Oran neue und werthvolle Grundlagen gewonnen. Der Druck der von Hrn. Mommsen bearbeiteten Bände ist in Band III von S,456 bis S. 640, in Band V von $. 88 bis S. 168 vorgeschritten; es ist ferner theils durch eine Reise des Hrn. G. Wilmanns, jetzt Professors in Dorpat, eine für Steiermark gebliebene Lücke aus- gefüllt, theils durch eine Reise Hrn. Mommsens das für Piemont und den östlichen Theil der Lombardei noch mangelnde Material herbeigeschafft und gesichtet worden. Der Druck des von Hrn. Zangemeister übernommenen vierten Bandes, die pompeianischen Wand- und Griffelinschriften enthaltend, ist in diesem Jahr nicht vorgeschritten. Die finanzielle Lage des Unternehmens konnte als durchaus befriedigend bezeichnet werden. Ob durch den Über- gang des Drucks auf eine andere mit gröfseren Räumlichkeiten versehene Offiein die angestrebte raschere Förderung des Erschei- nens erreicht werden wird, läfst sich zur Zeit noch nicht sagen, da der Wechsel erst in den Sommermonaten ausgeführt worden ist.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vor- gelegt: Bartolomeo Borghesi, Oeuvres completes. Vol.5.6. Paris 1868. 1869. 4. Catalogue of scientifie Papers. Vol. HI. London 1869. 4. Recueil des ordonnances de la principaute de Liege. Deuxieme Serie. Vol, 1. Bruxelles 1869, 4. Mit Rescript vom 23, Dec. 1869,

vom 13. Januar 1870. 15

- F. de Botella, Deseripcion geologico-minera de las provincias de Murcia y Albacete. Madrid 1869. fol.

Greenwich Observations in the year 1867. London 1869. 4.

Bulletin of the Museum of Comparative Zoology. no. 9—13. Cambridge 1869. 8.

Schriften der südslavischen Akademie. Heft 9. Agram 1869. 8.

Hugueny, Le coup de foudre de l’ile du Rhin. Strasbourg 1869. 4.

Peters, Die Burgkapelle zu Iben. Bonn 1869. 4.

Naphegyi, The grand review of the dead. (Poem.) New York 1869. 8.

13. Januar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Pertz las über den 21sten Band der Scriptoren der mo- numenta Germaniae und die Octavausgaben des Helmold, Arnold, Monumenta Welfica und Gisleberti chronicon Hannoviae.

' An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Abhandlungen der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft. 7. Bd. 1. u. 2. Heft. Frankfurt a. M. 1869. 4.

Berliner Astronomisches Jahrbuch für 1872. Berlin 1870. 8.

Atti della societa italiana delle scienze naturali. Vol. XII, 1. Milano 1869. 8.

Annales academici, 18664—1865. Lugd. Bat. 1869. 4.

17. Januar. Sitzung der physikalisch-mathemati- schen Klasse.

Hr. W. Peters las über den Ductus pneumaticus des Unterkiefers bei den Crocodilen. | Eine der wichtigsten Aufgaben der wissenschaftlichen Zoologie ist die Erforschung der homologen oder genetisch gleichen Organe bei den Thieren desselben Typus. Die äufserst mannichfaltige Form und Entwickelung der bei den verschiedenen Thieren vorkommen- den identischen Theile, ihre wechselnden mehr oder weniger inni-

16 Gesammtsitzung

sen Beziehungen zu den sie umgebenden Theilen und die Modifi- cationen dieser letzteren machen solche Untersuchungen oft äufserst schwierig und führen bei den verschiedenen Forschern zu den ver- schiedensten Resultaten.

In der Geschichte der Wirbelthiere finden wir in dieser Hin- sicht nichts, was zu der Aufstellung so verschiedener Ansichten Veranlassung gegeben hätte, wie das Bestreben, die den Gehör- knöchelchen der Säugethiere homologen Theile bei den anderen Wirbelthieren und das diesen zukommende Quadratbein bei den Säugethieren aufzufinden. Ich selbst bin angeregt worden, der Akademie mehrere auf diesen höchst interessanten Punkt bezüg- liche Mittheilungen zu übergeben') und hatte geglaubt, das für diesen Gegenstand mir vorliegende sparsame Material erschöpft zu haben.

Eine neuere Abhandlung von Hrn. Huxley über denselben Gegenstand?) hat mich indessen veranlafst, meine Untersuchungen noch einmal sorgfältig zu wiederholen. Wenn ich dabei auch nicht zu einem anderen Endresultat habe gelangen können, so habe ich doch einige Berichtigungen und Erläuterungen hinzuzufügen, wel- che zur Vervollständigung meiner früheren Mittheilungen nicht un- wichtig sein dürften.

Hr. Huxley hat an einem jungen Crocodilus biporcatus die Beobachtung gemacht, dafs das Quadratbein zwei grolse Luftzellen enthält, welche durch einen ganz kurzen pneumatischen Gang (den er für ganz identisch mit dem von Stannius beobachteten hält) mit dem Gelenktheil des Unterkiefers unmittelbar hinter und über dem Gelenk in Verbindung gesetzt werden und hiervon eine bildliche Darstellung gegeben.°) Er hat ferner einen nicht mit dem Ham- mer in Verbindung stehenden länglich dreieckigen Knorpel gefun- den, welcher zwischen jenem und dem Ductus pneumaticus gele- gen ist und er hat keine Grenze (kein Gelenk und keinen Zwi- schenknorpel) zwischen Hammer und Columella finden können und schliefst nun, dafs überhaupt keine ursprüngliche Knorpelverbindung zwischen dem Hammer und dem Meckelschen Knorpel des Unter-

1) Monatsberichte. 1867 p. 725u.779; 1868p.592; 1869 p.9. 2) Proceed. Zoolog. Society. Lond.1869.p.391. 3). 1; 6. 2.394. Fig.1.

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kiefers existire, sowie, vorzüglich nach dem Verhalten dieser Theile bei Sphenodon,!) dafs der von mir als Hammer (identisch mit dem von Breschet bei Vögeln entdeckten) gedeutete grofse Knorpel ein doppelter Auswuchs des Stapes (Columella) sei, den er mit dem Ambos der Säugethiere vergleicht, während er als Homologon des Hammers nun nicht mehr den Gelenktheil des Unterkiefers, sondern das Quadratbein betrachtet.

Dafs diese von Hrn. Huxley durchgeführte Deutung meiner Vorstellung nicht fern lag, ehe ich an die Untersuchung des Cro- codils ging, wird man leicht aus meiner ersten?) und zweiten?) Mittheilung ersehen und ich kann hinzufügen, dafs mein Freund, Hr. Flower, in der mit ihm über diesen Gegenstand geführten Oor- respondenz schon am 11. December 1867 die Vermuthung aussprach, es wäre vielleicht der Hammer allein das Quadratbein. Es dürfte dar- aus hervorgehen, dafs wenn ich bei der Untersuchung des Croco- dils und der Vögel schliefslich zu einem ganz anderen Resultat kam, dieses nicht die Folge einer vorgefalsten Meinung war, son- dern trotz der letzteren geschah.

Vielleicht würde es mir ebenso ergangen sein mit Hrn. Hux- ley’s Arbeit, wie es ihm mit der meinigen ergangen ist, wenn ich nicht glücklicherweise neuerdings Crocodilfötus (merkwürdigerweise in den meisten europäischen Sammlungen eine grofse Seltenheit!) erhalten hätte, die ungefähr in demselben Alter stehen, wie der von Hrn. Huxley untersuchte. Ich fand sogleich ohne Schwie- rigkeit den von ihm dargestellten Gang zwischen dem Gelenktheil des Unterkiefers und dem Quadratbein so wie letzteres ganz pneu- matisch und oben offen mit der Trommelhöhle communicirend. Von dem hinteren Ende des äufseren beilförmigen Hammerfort-

1) Ich mufs mich jeder Vermuthung über eine anderweitige Deutung der in Rede stehenden Theile bei SpAenodon enthalten, da es mir nicht ge- lungen ist, ungeachtet vieljähriger Bemühungen ein Exemplar dieses neusee- ländischen Sauriers zu erhalten.

2) Monatsbericht. 1867. p.729. „Es ist möglich und erscheint mir sogar wahrscheinlich, dafs der Hammer bei den Vögeln mit zur Bildung des Qua- dratbeins beiträgt.“

3) Ibid. p. 780. „Auffallend ist ferner die aufserordentliche Gröfse des langen Hammerfortsatzes, der im Verhältnifs zu der Gröfse des ganzen Thie- res. eine so riesige Entwickelung zeigt, wie bei keinem anderen Säugethier.“

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18 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

satzes geht ein gekrümmter dünner Knorpelfaden aus, der bald et- was dicker und platter (Stylohyoid-Knorpel Huxley’s) wird und dann sich zuspitzend fadenförmig dünn in der Richtung nach dem Foramen pneumaticum des Unterkiefers hin sich verliert. Eine Continuität der Columella und des Hammerknorpels an den mir vorliegenden Exemplaren verschiedenen Alters muls ich dage- gen entschieden bestreiten, denn derselbe (der extrastapedial und suprastapedial cartilage Huxley’s zusammen) setzt sich mit seiner kurzen Basis durch eine regelmäfsige Convexität gegen das verschie- den aussehende äufsere Columellen-Ende ab,') dessen Deutung als rudimentären Ambos ich aber längst aufgegeben habe, nachdem ich mich wiederholt von dem Mangel desselben bei den Vögeln über- zeugt habe. Aber dafs ein Organ, welches, wie der Ambos, bei den Säugethieren gradatim von den höheren zu den niederen all- mählig abnimmt, indem es bei Tachyglossus?) zu einer kleinen plat- tenförmigen Epiphyse des Hammers wird, bei den Vögeln aber spurlos verschwunden ist, nun auf einmal bei den noch niedriger stehenden Crocodilen in Form einer grofsen, wenigstens 8 bis 10 Millim. langen und breiten Platte aufs Neue auftreten sollte, dürfte wenig Wahrscheinlichkeit für sich haben. Hr. Huxley hat bei dem Tachyglossus ebenfalls den grolsen Hammermuskel beschrie- ben und die interessante Beobachtung gemacht,‘ dafs der Muse. sta- pedius bei den Schnabelthieren ganz fehlt. Trotzdem nun das Aufsehen des Amboses in den Hammer bei dem Tachyglossus die eng- sten Beziehungen dieser beiden Gehörknöchelchen zu einander noch mehr beweist, hebt Hr. Huxley im Gegentheil die Beziehungen zwi- schen Ambos und Stapes als engere hervor und trotzdem der Sta- pediusmuskel bei den Schnabelthieren bereits ganz verschwindet, ist ihm der bei den Crocodilen äuftretende Muskel’) nicht der Hammermuskel, sondern der Stapedius oder vielmehr, da er den

1) Bei den Vögeln liegt der bereits von Breschet „Hammer“ genannte entsprechende Knorpel anfangs lose vor der Columella, während von dem äufsern Ende dieser letzteren ein Fortsatz ausgeht (Monatsber. 1868. pag. 598 Taf.1Fig.4u. 4a), welcher sich mit dem Zungenbeinbogen verbindet.

2) Echidna ist ein viel früher von Forster an eine Aalgattung ver- gebener Name.

3) Dieser Huxley’sche Muskel ist übrigens ganz verschieden von dem

von mir beschriebenen M. malleus.

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grofsen von mir als Hammer gedeuteten Knorpel als den aus dem Stapes hervorsprossenden Ambos betrachtet, ein ganz neuer Ambosmuskel.

Ich hatte bisher nur jüngere Embryonen in Weingeist und allerdings für die Untersuchung leicht täuschende Schädel gröfserer Exemplare zur Disposition.

Bei dem ganz jungen Embryo des von mir abgebildeten!) Crocodilus biporcatus bin ich durch die grofse Ähnlichkeit, die das knorpelige Quadratbein in diesem Stadium mit dem Hammerknor- pel hat, und aus zu grofser Schonung für das seltene Object zu einer Verwechselung beider verleitet worden und so in denselben Fehler verfallen, auf den ich früher selbst?) ebenso wie Hr. Hux- ley jetzt?) aufmerksam gemacht haben. Wenn dieses auch an dem ganzen Sachverhalt nichts ändert, so bin ich doch gern bereit, einen Irrthum einzugestehen, auf den ich durch die belehrende Abhand- lung des Hrn. Huxley aufmerksam gemacht worden bin.

In diesem Stadium nun ist der Meckelsche Knorpel bis zu seinem hinteren in dem Articulare gelegenen Theile ganz solide. Die nächstfolgenden Stadien fehlen mir und es wäre sehr erwünscht, wenn die Naturforscher in den krokodilreichen Gegenden Suiten von Crocodilembryonen für diese so wichtigen Untersuchungen sam- meln wollten. In einem bedeutend älteren Embryo von Crocodilus vulgaris, ebenfalls bereits von mir in natürlicher Gröfse abgebil- det,*) der aber jünger als der von Hrn. Huxley abgebildete von

1) Monatsber. 1868.p.598. Taf.1 Fig.1.

2) Monatsber. 1867.p.727. „Ohne namentlich auf diesen letzten Um- stand Rücksicht zu nehmen, ist aus der Ähnlichkeit, welche zwei aus dem Meckelschen Fortsatz hervorgehende oder mit demselben zusammenhängende Theile, der Gelenktheil des Unterkiefers der Vögel und Amphibien und der hinter dem Unterkiefer liegende Hammer der Säugethiere zu einer gewissen Entwickelungszeit mit einander haben, auf die Homologie dieser Theile ein Schlufs gemacht u. s. w.“

®) 1. c.p.403. „and as the incus and the malleus ossify, no- thing can seem closer than the resemblance which they bear to the guadratum and the articulare respectively. Hence Reichert conceived that the guadratum was the homologue of the incus, and the malleus that of the articulare, and I have fallowed him. But the study of Sphenodon and of the Crocodile has led me to believe’ that we have fallen into an error.“

*) Monatsber. 1868. p.598 Ta£.1. Fig. 2.

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20 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Cr. biporcatus ist, bildet der Knorpel des Artieulare noch ein Con- tinuum mit dem vorderen Ende des Meckelschen Knorpels. Er bil- det aber auch bereits eine Höhle und diese Höhle hängt durch einen ganz kurzen Gang, der noch kürzer ist als in dem Huxley- schen Falle, mit dem ganz hohlen Os quadratum zusammen. Die- sen letzteren habe ich nun in Verfolgung des dünnen Knorpelstrangs, welcher Hammer und Articulare verbindet, übersehen, indem ich, wie man sehen wird, nur die Richtung des bleibenden Ductus pneu- matieus und nicht die des von Hrn. Huxley beschriebenen provi- sorischen (das Endstück des bleibenden) vor Augen hatte.

Zur Orientirung über diesen Gegenstand möge das isolirte Quadratbein (Taf. I Fig.1) eines, 50 Centimeter langen, gespreng- ten Schädels von Crocodilus porosus Schneider (Cr. biporcatus Cuv.) dienen, also von derselben Art, an welcher Hr. Huxley seine Untersuchung gemacht hat.

Durch den an der oberen inneren Seite des Quadratbeins ge- legenen Lufteanal (dp.) ist zuerst eine Sonde hindurchgeführt. Darauf ist derselbe in der Art aufgemeifselt worden, dafs der An- fang und das Ende, an welches letztere sich der fibröse Ductus pneumaticus anschliefst, so wie zwei mittlere kleine Brücken ste- hen geblieben sind, um ein deutliches Bild von dem Verlaufe und von dem Durchmesser der verschiedenen Gegenden des Canals zu haben. Von keiner Stelle dieses Canals geht irgend ein Neben- canal ab in das Innere des Knochens und auch an anderen Schä- deln, wo das hintere Ende des Canals blosgelegt ist, findet sich keine Spur eines in das Innere des Quadratbeins eindringenden Canals. Auch ist hierzu um so weniger irgend eine Veranlassung, als die inneren Luftzellen des fötalen Quadratbeins, wie mitten durch diesen Knochen in verschiedener Richtung geführte Schnitte lehren, nun, verschwunden sind und an deren Stelle sich nur mehr oder minder grolse ringsum geschlossene Markzellen finden. Auch das Os articulare ist bei demselben Exemplare von Croc. porosus nun fast ganz solide und der feine Luftcanal ist äufserst eng und führt durch ein langes nach innen, unten und vorn gerichtetes Ua- nälchen in eine dreizellige Knochenhöhle.

Es dürfte hieraus hervorgehen, dafs der von Hrn. Huxley beschriebene provisorische Luftkanal zwischen dem Articulare und Quadratbein sehr verschieden ist von dem hier beschriebenen blei- benden Luftcanal, welcher das Articulare direct mit der Trom-

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melhöhle in Verbindung setzt und welcher auch von Stannius offenbar nicht seinem ganzen Verlauf nach verfolgt worden ist.') Dieser bleibende Luftcanal hat in den früheren Entwickelungssta- dien dieselbe Richtung wie der embryologische Knorpelfaden, von dem der von Hrn. Huxley beschriebene „Stylohyoidknorpel“ ein Ru- diment ist. Der Canal für den Knorpelstrang liegt aber oberfläch- licher und fällt nachher mit dem für den Nervus facialis zusam- men, wird daher verhältnifsmäfsig immer kürzer und der Knorpel in seinem Endtheile nur durch einen Bindegewebsstrang repräsentirt, während jener Luftkanal an Länge mit dem Wachsthum des Schä- dels immer zunimmt.

Die Entwickelungsstadien zu verfolgen, welche zwischen die- sen verschiedenen Bildungen (der vollkommenen Pneumaticität des Quadratbeins und der Reduction auf den feinen Luftcanal) liegen, dazu werden ganze Reihen von Exemplaren erforderlich sein. Die vorliegenden Mittheilungen dürften jedoch genügen, um zu zeigen, wie viel uns noch fehlt an einer erschöpfenden Kenntnifs der bekann- testen Thiere und wie fern wir daher noch sind von einer Erkennt nils der für das Thierreich allgemein gültigen Gesetze.

!) Er würde sonst (Handbuch der Zootomie. 1856.1I. p.58) nicht gesagt haben, dafs die Unterkieferzellen durch den Canal mit „den Luftzellen der Schädelknochen“* communiciren.

Erklärung der Abbildungen. .

Taf.I. Fig. 1. Quadratbein von einem 50 Centimeter langen Schädel des Crocodilus porosus Schneider, durchsägt, von oben gesehen. dp. Luft- canal; c. c. Markzellen. In natürlicher Gröfse.

Fig. 2. Os articulare desselben, durchsägt. dp. Luftcanal; cp. Luftzel- len. In natürlicher Gröfse.

Taf. II. Fig. 1. Meckelscher Knorpel (/, !), geöffnete Höhle desselben (cav.), knorpeliger Verbindungsstrang (x, x) mit dem Hammer (m) von Cr. vulgaris, dessen Kopf Monatsberichte 1868 p. 598 Taf.1 Fig.2 in natürlicher Gröfse abgebildet ist. dp. Luftgang; g. Quadratbein; md. Unterkieferknochen. Viermal vergröfsert.

Fig. 2. Längsdurchschnitt des Quadratbeins und der angrenzenden Theile von Alligator lucius (total 82 Centim., Kopf 144 Cent. lang), um den Verlauf des Ductus pneumaticus und die Lage des (auf Huxley’s Stylohyoid- Knorpel) reducirten, zu dem Zungenbeine beziehungslosen, Knorpelstranges mit dem umgebenden Sehnengewebe von der Seite zu zeigen. o. Auge;

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22 Gesammtsitzung vom 20. Januar 1870.

m. Hammer; t. Membran tympani; c. Columella; x. Rest des knorpeligen Verbindungsstranges zwischen Hammer und Meckelschem Knorpel; x. sehnig gewordener Theil des Verbindungsstranges; /. Meckelscher Knorpel; nd. Un- terkiefer; sm. Oberkiefer; q. Quadratbein; oc. Oceipitale laterale; ms. Kau- muskel. In natürlicher Gröfse.

Fig.3. Obere Ansicht von denselben Theilen nach Abtragung eines Theils des Quadratbeins. Bezeichnung wie in Fig. 2. In natürlicher Gröfse.

Fig. 4—7. Hammer und Knorpelstrang in verschiedenen Stadien; Be- zeichnung wie in Fig. 1 u. 2.

Fig.4. Seitliche Ansicht dieser Theile von einem 35 Mm. langen Kopf eines Crocod. acutus, an welchem der -Knorpelstrang an einer kleinen Stelle bereits sehnig geworden ist. Sechsmal vergröfsert.

Fig. 4a. Dasselbe von oben und hinten gesehen.

Fig. 5. Seitliche Ansicht derselben Theile von dem 43 Mm. langen Schädel eines Crocodilus acutus, wo der Knorpelstrang sich vom Hammer abzulösen beginnt und der untere Theil ganz sehnig geworden ist. Fünfmal vergrössert.

Fig.6. Dasselbe von einem 8 Centim. langen Schädel von Alligator lu- cius, an welchem der Verbindungsstrang deutlich vom Hammer getrennt ist und in den unteren $ sehnig geworden ist. Dreimal vergröfsert.

Fig. 7. Dasselbe von einem 144 Centimeter langen Schädel eines Allı- gator lucius, bei welchem nur ein kleiner von dem Hammer entfernt liegen- der Knorpel (Huxley s Stylohyoidknorpel) von dem knorpeligen Verbindungs- strange übrig geblieben ist. Anderthalbmal vergröfsert.

Fig. 8. Columella mit einem Theil des Hammers von einem 39 Millim. langen Schädel des Crocodifus acutus, um den Gelenkkopf des Hammers zu zeigen. Bezeichnung wie oben; 4. Knorpeliges, noch nicht verknöchertes Stück der Columella. Achtmal vergrölsert. ?

Fig.9. Columella des auf Taf.1 abgebildeten Croc. porosus, um die Gelenkgrube derselben an ihrem äufsern Ende zu zeigen. In doppelter Grösse.

Die Fig. 2 bis 8 sind nach Präparaten und Zeichnungen des Hrn. Dr. Max Fürbringer abgebildet worden.

90. Januar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Trendelenburg las zur Geschichte des Wortes Person.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

H. Gradl, Lieder und Sprüche der beiden Meister * Spervogel. Prag 186927 8.

Mittheilungen der K. K. Central- Commission für Erforschung der Baudenk- Yale: XMitJahre. © Tan.-PebriO Wien 1870. 4

Öffentliche Sitzung vom 27. Januar 1870. 23

Nova Acta Reg. Soc. Sc. Upsaliensis. Ser. II. Vol. VII. Fase. I. Upsala 1869. 3.

Upsala Universitets Ärsskrift for 1868. Upsala 1869. 8.

Rapports de la commission hydrometrique. Annee 24. 25. Lyon 1867.

1868. 8. Palombo, Della proprieta e degli ordinamenti sociali Studi. Napoli 1869. 8.

27. Januar. Öffentliche Sitzung der Akademie zur Gedächtnilsfeier Friedrichs 1.

Ihre Majestät die Königin und Seine Königliche Hoheit der Kronprinz geruhten der Sitzung beizuwohnen.

| Zur Einleitung las Hr. Curtius folgenden Vortrag des per-

sönlich verhinderten Secretars Hrn. Trendelenburg:

Aus Friederichs des Grofsen politischen Vermächtnissen.

Friederich der Grofse schrieb im Jahre 1752, also in jenem Jahrzehnt erfolgreichen Schaffens, das zwischen den Dresdener Frieden und den Anfang des 7jährigen Krieges fällt, das Schrift- ‚stück, an das wir heute in dankbarer Erinnerung einige Betrach- tungen anknüpfen. Es war die Zeit, da er im Frieden sein durch Siege neu befestigtes Land anbaute, da er der deutschen Welt das Beispiel der ersten Justizreform gegeben hatte, da er für den freien Handel der Neutralen im Seekrieg gegen das mächtige England stritt und das Recht der Vernunft gegen die Willkühr der alten Seerechte wahrte; es war die Zeit, da er eben seine „Kunst des Krieges* und andere Gedichte und seine Geschichte des Hauses Bran- denburg unter dem Titel der Werke des Philosophen von Sanssouci veröffentlicht hatte. In dieser Zeit schrieb er, die Gegenwart und die Zukunft seines Staates bedenkend, ein „politisches Testament“ (testa- ment politique), das er mit dem Datum des 27. August 1752 versah und in das Archiv niederlegte. In einer späteren Zeit seines Le- bens kam der König auf dies Vermächtnils zurück. Nach dem siebenjährigen Kriege, da die Weltstellung verändert war, schrieb er ein zweites politisches Testament und datirte es vom 7. No- vember 1768. In den Grundgedanken ist es mit dem ersten das-

24 Öffentliche Sitzung

selbe, in allgemeinen Betrachtungen sparsamer, in den Einzelheiten von Nachrichten und Entwürfen reicher.

Um dieselbe Zeit schrieb der König, wie jene politischen Testa- mente, mit eigener Hand einen letzten Willen, vom 8. Januar 1769 datirt, in welchem er über seinen gesammten Nachlafs verfügte; er schrieb diese letzte Verfügung, die Geldeswerth und Eigenthum betraf, nach den Landesgesetzen auf einen Stempelbogen, wie zum letzten Zeichen, dafs er die kleinsten Gesetze des Staates, wie die gröfsten gleich achte.

Dieses sogenannte Privattestament ist in die Ausgabe der Werke Triederichs des Grofsen, welche die Akademie der Wissenschaften leitete, aufgenommen !); jedoch nicht jene ersten.

Andere Befehle, welche der König für den Fall seines Todes erliefs, haben mehr eine Bedeutung für den Augenblick; sie fassen die Wechselfälle des Krieges ins Auge, wie z. B. der Brtef an den Prinzen von Preufsen, seinen Bruder, vom 8. April 1741, den er zwei Tage vor dem Zusammenstols bei Mollwitz schrieb”), jene „geheime Anweisung“ (instruction secrete), die der König unter dem 10. Januar 1757 seinem Minister, dem Grafen Fink von Finkenstein gab, oder der Befehl, den er 3 Tage vor der Sehlacht von Zorndorf unter dem 22. Aug. 1758 erliefs”) und mit den Worten überschrieb: Ordre an meine Generale.dieser Armee, wie sie sich im Fall zu verhalten haben, wenn ich sollte todt geschossen wer- den, und in dem sich, nach der Anordnung des sofort seinem Neffen zu leistenden neuen Eides und der Bestellung des Prinzen Heinrich zum Vormund, die ergreifenden Worte finden: „Ich will, dafs nach meinem Tode keine Umstände mit mir gemacht werden“; ein Jahr später nach der Niederlage bei Kunersdorf, da der König den Ver- lust des Vaterlandes nicht glaubte zu überleben, die Instruction vom Tage der Schlacht, 12. Aug. 1759, für den General-Lieute- nant von Fink *), in welchem die Worte: indessen, was mein Bruder befehlen wird, das mufs geschehen; an Meinen Neveu mufs die Armee schwören. Diese Befehle versetzen uns in die Lage

1) Werke Ausg. 1846. ff. VI, p- 215 f.

2) Werke XXVIJ, p. 85.

3) Werke XXVI, p. 533 £.

4) Werke XXVIL, 2, p. 305, vgl. Brief an den Prinzen Heinrich vom 16. August 1759. XXVI, p. 19.

vom 27. Januar 1870. 25

des Augenblickes, der sie entsprangen, und bewegen unsere Mit- empfindung für die entschlossene Hand, die sie schrieb.

Jene politischen Testamente, aus denen bereits Leopold von Ranke’s neun Bücher Preufs. Geschichte charakteristische Züge mit- getheilt haben '), sind so vielseitig, wie die weise und kluge Kunst zu regieren, die sie behandeln.

Bei der mir gestatteten Durchsicht fiel mein Blick auf die bleibenden Gedanken, die nach Friederichs des Grofsen Anschauung seinem Staate zum Grunde liegen und darum seine Zukunft bedingen. Ein Historiker wird andere Seiten finden, namentlich wird es ihn anziehen, wie Friederich die politische Lage Preufsens im Jahre 1752 und im Jahre 1768 ansah; denn ungeachtet der weit aus- sehenden Gedanken, in welche die Zukunft eines strebenden Staates führt, ist in dem politischen Vermächtnils die Sorge für den näch- sten Tag und das nächste Jahr sichtbar.

Es mag mir erlaubt sein, die bezeichneten Seiten, auf die ich achtete, herauszuscheiden. Wir werden darin keinen neuen Ge- danken begegnen, keinen Gedanken, die nicht Friederich der Grofse in seinen Abhandlungen und in seinen Denkwürdigkeiten oder in seinen Briefen ansgesprochen hätte. Aber es hat vielleicht einen Reiz zu sehen, wie er sie auf seinen Staat anwendet und sie in ihm als Grundsätze fortzupflanzen wänscht.

Während des Aufenthaltes auf dem Schlosse zu Rheinsberg hatte sich der König als Kronprinz in edler Vorbereitung auf sein königliches Amt mit den Grundsätzen der Staatsweisheit beschäf- tigt. Von Machiavell hatte er die nüchterne Klugheit gelernt, die dem Mann der Geschäfte nöthig ist, aber von dem Unedeln in den Maximen, die Machiavell in dem Musterbilde seines Fürsten zeichnet, zurückgestofsen, hatte er eine Widerlegung von Machiavells Fürsten geschrieben. Gedanken, die er in dieser Schrift, seinem Antima- chiavell, ausspricht, leiten ihn sein Leben hindurch. In Rheins- berg, hatte er (1738) seine Betrachtungen über den gegenwärtigen Zustand des Staatenkörpers von Europa geschrieben und darin je- nen politischen Blick und Überblick geübt, mit dem er später um die Mitte der vierziger Jahre des Jahrhunderts das bewunderungs- würdige erste Kapitel in der „Geschichte seiner Zeit“ entwarf, das

‚einleitende Kapitel, in dem er den Zustand Preufsens und Europa’s

!) z.B. Bd. IH, p. 476, 402, 419.

26 Öffentliche Sitzung

zur Zeit seiner Thronbesteigung, die Charaktere der Fürsten Euro- pa’s, ihre Minister und Feldherrn, die gegenseitige Machtstellung der Staaten, in die er eingetreten, zusammenfassend darstellte. In den Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg, die der König im Jahre 1747 und 1748 durch Darget, seinen Privatsecretair, einen wissenschaftlichen Mann aus seinem vertrauteren Kreise, in dieser Akademie lesen liefs, hatte er den grofsen Kurfürsten in gro[sen Zügen gezeichnet, und man sah darin ein Vorbild, dem er nach- eiferte, dagegen hatte er die Regierung des ersten Königs mit offe- nem Freimuth und unverhaltener Schärfe beurtheilt, und man er- kannte darin das Gegentheil dessen, was er wollte und erstrebte. In dem Geiste dieser Schriften schrieb Friederich der Grofse seine politischen Vermächtnisse, mitten in den Zuständen und Bedürf- nissen Preufsens seine Stellung nehmend.

Der König will mittheilen, was ihn als Steuermann des Staats die Erfahrung gelehrt hat. Ohne in das Kleine des Besonderen einzugehen will er die Dinge im Grofsen fassen. Darnach be- trachtet er die vier Hauptpunkte, mit welchen die Regierung zu thun hat, die Rechtspflege, den klugen Haushalt der Finanzen, die kräftige Erhaltung der militairischen Zucht und endlich die Kunst, die richtigsten Mafsregeln zur Förderung der politischen Interessen zu ergreifen. Wie in den Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg ') falst er dabei den Fürsten als den ersten Diener und die erste Obrigkeit des Staates auf.

Vor Allem will der König seinen Staat in Gerechtigkeit ver- fafst wissen. Mit Befriedigung sieht er auf die Reform der Ge- setze und des Prozefsverfahrens, die er eingeleitet hat, und wie in dem Eingang zu seiner Geschichte des siebenjährigen Krieges °) erwähnt er dankbar der Verdienste des Grofskanzlers Cocceji, der sich mit Kraft und Einsicht der mühevollen Arbeit der Rechtsver- besserung unterzogen habe. Wenn es im Testament aus dem Jahre 1768 so scheint, als habe der König schon wahrgenommen, dafs es mit der Justizreform Cocceji’s nach dessen Tode zurückgegangen, so beharrt er doch in derselben Richtung. Für sich selbst betont er den Grundsatz, dals es dem Fürsten nicht zieme, zur Entschei- dung der Prozesse sein Ansehn ins Mittel zu legen. Es müssen,

1) Werke I, p. 123. 2) Werke IV, p. 1£., vgl. IS, p- 30 £., IX, p- 232.

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sagt er, die Gesetze allein regieren, und die Pflicht des Fürsten beschränkt sich auf ihren Schutz.

Friederich der Grofse hat ein Gefühl für das, was in dem Staate, dem der grofse Kurfürst seine Wege wies und dem sein Vater die Mittel der Macht zusammenhielt, an Bedingungen der Zukunft angelegt ist, und wiederum für das, was ihm fehlt, um, ein Staat unter Staaten, diese Anlage zu erfüllen. Er fühlt den Widerspruch zwischen dem Staat, der erstehen soll und seinen beschränkten Mitteln sammt seiner ungünstigen gefährlichen Lage, zwischen dem Beruf, den jeder wirkliche Staat in sich trägt, und der drohenden hemmenden Macht der Nachbaren, die den gesunden Keim zu ersticken trachten. An der Lösung dieses Widerspruchs, an der Bewältigung dieses Widerstreites, arbeitet sein ganzes Leben.

Als die Grundbedingung eines Staates, der Staat ist, erkann- ten die alten Philosophen die Zulänglichkeit, das Wort im edelsten Sinne genommen. Der Staat, führten sie aus, müsse zulänglich und dadurch in sich selbst gegründet sein: zulänglich an Macht, um die Gesetze zu schützen, zulänglich in den rechten Quellen aller Kraft, in den Erzeugnissen des Landes, in der Erziehung eines gesunden Nachwuchses, in der. Bildung guter und tapferer Bürger, zulänglich nach aufsen in genügender Macht zur Abwehr des Angriffs, zur Hut seiner Freiheit, zur Wahrung seiner unab- hängigen Bewegungen. Wir dürfen diesen alten Begriff anwenden und mit ihm sagen, dafs Friederich der Grofse auf eine solche sittlich gedachte Autarkie seines Staates alle Gedanken und alle Fürsorge richtete; und er weils, dafs er sie nirgends schöpfen kann, als aus der Kraft seines Landes und der Tugend seines Volks und der Weisheit seiner Regenten. Dies Gefühl geht ausgesprochen und unausgesprochen durch seine Schriften wie durch seine beiden politischen Vermächtnisse und, was mehr ist, durch seine Thaten.

In ‘diesem Sinne bedenkt er in seinem politischen Testament den Mangel an Hülfsquellen im eigenen Lande, die zerrissene geo- graphische Lage, die bedrohten langen Grenzen, die Eifersucht der europäischen Mächte, und denkt auf Mittel ihnen zu begegnen.

In diesem Sinne nennt er sein Land arm, das ungeachtet dreier zwischenliegender Regierungen, ungeachtet des Friedens während einer derselben noch die Spuren der Verwüstung aus dem ver- heerenden 30jährigen Kriege an sich trage. Er sucht die Mittel auf, das Land zu heben, und führt mit Befriedigung an, was in

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dieser Richtung schon von ihm gethan sei, die Entwässerungen von Landstrichen, die Einführung des Seidenbaues, die Förderung von Wollenspinnereien, von Seiden- und Wollen-Manufacturen, die asiatische Handelsgesellschaft zu Emden, die Seeverbindung von Emden und Stettin, die Hebung des Stettiner Handels u. s. w. Der König sieht in dem Geschehenen nur die Anfänge zum Anbau des Landes; er empfielt einen weiteren Plan, der durch alle Provinzen geht; und was er im Jahre 1752 in seinem Vermächtnifs als nützlich empfielt, das hat er später die Freude gehabt, zu einem grolsen Theil selbst auszuführen und ausgeführt zu sehen, wie die Urbarmachung der Oderbrüche noch vor dem siebenjährigen Kriege und nach dem- selben die Urbarmachungen in Hinterpommern, die Austrocknungen auf Usedom. So hat er sich früh in grofsem Plan die Unternehmun- gen zum Besten des Landes vorgezeichnet. Derselbe Scharfblick, der das Grofse erspähte, sah in das Kleine. So bemerkt er, was an Manufacturen seinem Lande noch fehle; es bedarf mehr Messer- schmiede, als sich in Neustadt- Eberswalde angesiedelt haben, mehr Knopfmacher, mehr Handschuhfabriken, mehr Buchdruckereien. „Wenn er bis in die kleinsten Dinge herabstieg“, sagt einmal der König!) von seinem Vater, „so that er es, weil er überzeugt war, dafs das Vielfache des Kleinen die grofsen Dinge bilde.“ Den Geist des Details, den Friederich an seinem Vater hochhält, hat er von ihm geerbt, aber immer spiegelt sich ihm in dem Kleinen das Grofse. So macht er, um eine Kleinigkeit hervorzuheben, im Blick auf das erworbene Ostfriesland, darauf aufmerksam, dafs die Friesen ihre Lumpen zur Papierfabrication nach Holland verkaufen; es müsse dafür gesorgt werden, dafe sie künftig über Stettin nach einer in Pommern anzulegenden Papiermühle gehen. Es ist ein Zug, wie der König, wo es immer angeht, die getrennte neue Pro- vinz mit den alten, die ihm den Körper. des Landes ‚bilden, zu verknüpfen bedacht ist, und wie er im Sinne jener Zulänglichkeit nicht will, dafs selbst das Geringste aus dem Lande gehe, was dem Lande selbst zu Gute kommen kann. Friederich der Grofse sagt in einer Abhandlung 2), die er schon im Jahre 1749 in der Akademie lesen liefs, von der vorangehenden Verwaltung: „Unser

1) In den Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg. Werke I, p. 125. 2) Über die Sitten und Gebräuche unter der Dynastie der Hohenzollern. Werke I, p. 236.

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Handel war noch nicht geboren; die Regierung erstickte ihn in Folge von Grundsätzen, welche seinen Fortschritt geradezu hinder- ten.* So will er in seinem politischen Vermächtnifs den Zwischen- handel fremder Völker vermieden wissen und empfielt directen Handelsverkehr einzuleiten; er will durch Eingangszölle auf aus- ländische Erzeugnisse und durch Befreiung von Auflagen und durch zweckmäfsige indirecte Steuern den Gewerbfleils des Landes heben und zugleich die Einnahmen des Staates mehren. Der König kennt in dieser Richtung das Eigenthümliche der einzelnen Provinzen und will darnach die Verwaltung für jede eigenthümlich. So sagt er im Vermächtnifs von Schlesien: „der Handel mit Leinen und Tuch, welches diese schöne Provinz erzeugt, verdient von den Fürsten ermuntert zu werden. Das Leinen bringt Schlesien fast ebenso viel ein, als Peru dem König von Spanien einträgt.®

Indem Friederich der Grofse die Anleitung giebt, das Land anzubauen, wird ihm die Volkswirthschaft zur Staatswirthschaft, der zulängliche Erwerb im Volk zum Mittel für die zulänglichen Finanzen des Staats. In ihnen sieht er die Bedingung politischer Selbstständigkeit; und der bürgerliche Grundsatz der Sparsamkeit, auf dem der Einzelne sein Haus sicher bauet, ist ihm, wie dem grolsen Kurfürsten und seinem Vater, ein Grundgesetz des Staates. Das Urtheil, das er in den Denkwürdigkeiten des Hauses Branden- burg über den prachtliebenden König Friederich I gefällt hatte, hat dieselbe Wurzel.

In die Beispiele der Geschichte blickend schreibt der König im politischen Vermächtnifs von 1752: „Soll das Land glücklich, will der Fürst geachtet sein, so muls er nothwendig Ordnung in seinen Finanzen halten. Niemals hat sich eine arme Regierung Ansehn erworben. Enropa lachte über die Unternehmungen des Kaisers Maximilian; denn dieser Fürst, zwar begierig Schätze zu- sammenzubringen, aber in seinen Ausgaben verschwenderisch, hatte, wenn es darauf ankam einzusetzen, nie Geld; die Italiener, die ihn kannten, nannten ihn den Maximilian ohne Heller (Maximiliano senza denari). Wir haben erlebt, dafs die Zerrüttung, in der Kaiser Karl VI seine Finanzen hinterliefs, die Königin von Ungarn nö- thigte, von England Hülfsgelder zu nehmen, was sie in Abhängig- keit von König Georg brachte und ihr einige schöne Provinzen kostete, die sie theils uns, theils dem Könige von Sardinien abtrat. Diese weise Fürstin, die es erfahren, wie sehr der Mangel an baa-

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rem Gelde ihrer Sache Eintrag gethan, arbeitet mit unablässigem Fleifse die gestörte Ordnung herzustellen. Wären die Finanzen Sachsens wohl verwaltet gewesen, so hätte es in dem Kriege, der 1740 begann, eine Rolle spielen können, aber da es verschuldet war, gab es sich den Meistbietenden bin und hatte nach allen Seiten Unglück. August gewann nichts an unserer und der Fran- zosen Seite; und er wurde vernichtet, als die englischen Hülfs- gelder ihn gegen Preufsen kehrten. Hätte er seine Koffer voll gehabt, so brauchte er seine Interessen nicht für so mäfsige Sum- men zu verkaufen. Dasselbe Holland, welches das Joch seiner Zwingherrn abschüttelte und früher bis nach dem Erbfolgekriege eine so grofse Rolle in Europa spielte, dieser selbe Freistaat wird heute kaum unter die grofsen Mächte gezählt, und zwar weil seine Regierung mit Schulden belastet, und, was schlimmer, ohne Credit ist. Wenn Frankreich fortfährt schlecht zu wirthschaften, wie es heute thut, so wird es trotz seiner grolsen Macht von seiner Höhe sinken und seinen Nebenbuhlern ein Gegenstand der Verachtung werden können.“

In derselben Beziehung sagt der König im Vermächtnifs des Jahres 1768 von Preufsen:

„Wir haben weder ein Mexico noch ein Peru und keine solche auswärtige Niederlassung, deren Handel die Besitzer bereichert. Preufsen hat seine Hülfsquellen nur in sich selbst, ziemlich un- fruchtbaren Boden, arme Einwohner. Dessenungeachtet ist dieses Land durch grofse Ordnung und Gewerbfleifs im Stande gewesen, einen harten verderblichen Krieg gegen die gröfsten Monarchen Europa’s zu führen; und nach sieben Jahren der Unruhe fanden sich Österreich, Frankreich und England von Schulden belastet, während wir keine hatten, und uns noch Mittel genug blieben, die zerstörten und halb verödeten Provinzen wieder herzustellen.“

So darf der König mit seltener Befriedigung die eigene Er- fahrung Preufsens zum Zeugen nehmen und durch sie den Grund- satz des Haushalts seinem Staate einprägen und der Verwaltung und den Ausgaben die Richtung vorzeichnen.

Wie in den Finanzen, so hat Friederich der Grol[se nach allen Seiten im Auge, dafs der Staat auf Macht als auf seine Grundfeste gegründet ist. Da sich die Macht in der Wechselwirkung der Staaten mifst und erprobt, so führt dies auf die Lage des Landes unter den andern Ländern.

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Friederich der Grofse betrachtete die Landkarte, auf welcher seinem Lande die Bedingungen zu einem zulänglichen, in sich ab- geschlossenen, in sich selbst gegründeten Staate nicht gegönnt wa- ren, mit nüchternem Blicke.

Ähnlich wie in dem einleitenden Kapitel zur „Geschichte seiner Zeit“ !), sagt der König im politischen Testament vom Jahre 1752:

„Die Provinzen der preufsischen Monarchie sind fast alle von einander getrennt. Der Körper des Staates, in dem seine Kraft ihren Sitz hat, ist das Kurfürstenthum, Pommern, Magdeburg, Hal- berstadt und Schlesien. Diese Provinzen, das Herz des König- reichs, verdienen hauptsächlich die Aufmerksamkeit des Fürsten, weil man hier sowol für das Innere wie für die Vertheidigung dieser Provinzen sichere Anordnungen treffen kann. Preufsen, durch das polnische Preufsen von Pommern getrennt, ist mit Polen und mit Rufsland benachbart, dessen Kaiserin in Curland allmächtig ist. Das Herzogthum Cleve und Friesland berühren Holland. Schlesien grenzt an Böhmen, Mähren und sogar an Ungarn. Das Kurfürsten- thum und das Gebiet von Magdeburg liegen um Sachsen herum. Pommern ist nur durch die Peene von den deutschen Besitzungen des Königs von Schweden getrennt, und das Fürstenthum Minden ist mit Land von Hannover, Münster, Kassel, Hildesheim und Braun- schweig untermischt.“

„Ihr seht, dafs wir durch diese geographische Lage Nachbaren der grölsten Fürsten Europa’s sind; alle diese Nachbaren sind ebenso viele eifersüchtige oder ebenso viele geheime Feinde unserer Macht. Die örtliche Lage ihrer Länder, ihr Ehrgeiz, ihre Inter- essen, alle diese verschiedenen Verbindungen bilden die Grundlage ihrer mehr oder weniger versteckten Politik je nach Zeit und Um- ständen.*

In diesen Zügen empfinden wir die Unmöglichkeit, die der König überkommen hatte, die Lage zu lassen, wie sie war. Ent- weder mulste der Staat des grofsen Kurfürsten mit seinen Keimen sich selbst aufgeben, oder er mufste vorwärtsdringen und sich nach aufsen wie nach innen fester gründen. Zwischen beiden gab es für Friederich den Grofsen keine Wahl. Er weils, was er wol- len mufs.

!) Werke II, p. 47.

32 Öffentliche Sitzung

Bezeichnend schreibt der König in dem Vermächtnifs:

„Machiavell sagt, dafs eine uneigennützige Macht, welche sich mitten zwischen ehrgeizigen Mächten befände, zuletzt unfehlbar untergehen würde. Es thut mir sehr leid, aber ich mufs einge- stehen, dafs Machiavell Recht hat. Daher müssen die Fürsten nothwendig Ehrgeiz haben, aber er mufs weise, gemäfsigt und von Vernunft durchleuchtet sein.* Der Ehrgeiz Friederichs ist die Macht und die Wohlfahrt seines Staats, die in ihm, dem Könige, bewulst und zur Springfeder alles Strebens werden.

Wenn die Eichel, die den mächtigen Baum in sich trägt, in dürrem Erdreich der Bedingungen entbehrt, dafs sich entwickele, was in ihr liegt: so strebt sie, ehe sie sich in ihren Untergang fügt, zu erreichen, was ihr fehlt; keimend streckt sie darnach ihre Wur- zeln und treibt sie ihre Schossen. So arbeitet der Same im Kampf um das Dasein. In ähnlicher Arbeit steht der Staat Friederichs des Grofsen nach aufsen und nach innen. Je edler der Keim ist, der in ihm liegt, desto edler ist sein Kampf um das Dasein, sein Kampf um die Bedingungen seiner Entwickelung.

In diesem Sinne stellt der König der Politik des Fürsten die Aufgabe, neben der Verwaltung des Innern und der Förderung der Interessen und neben der Handhabung und Aufrechthaltung des Regierungssystems die Sicherheit des Staats zu befestigen und so weit es geht, auf üblichem und erlaubtem Wege die Besitzungen und die Macht und das Ansehen der Fürsten auszudehnen.

Für den Staat, der zwar einen Körper hatte, aber Theile von dem Körper getrennt und in die Ferne hinausgeworfen, war es ein natürlicher Trieb, diese Theile zu wirklichen Gliedern zu machen; cs war daher eine Bedingung der Sicherheit gegen Angriffe und eine Bedingung zur gegenseitigen Hülfe und zum Austausch der Kräfte, die zerstückten Theile des Landes mit dem Ganzen zu einigen, und daher das Gebiet abzurunden und in seinen offenen Seiten zu schützen. Friederich der Grofse ist, so weit es an ihm liegt, in dieser Richtung unablässig thätig, wie z. B. in den Mitteln, das Land zu sichern, Festungen zu bauen, oder, wo er noch nicht zu bauen im Stande ist, den Plan zum Bau zu entwerfen. An- deres hat er nicht in seiner Gewalt und mufs die Erfüllung des nothwendigen Bedürfnisses der Geschichte überlassen. In dieser Richtung bewegen sich des Königs Wünsche, die er seinen poli- tischen Traum nennt. Einige sah er selbst erfüllt, andere seine

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Nachkommen. Es ist im Vermächtnifs von 1752 sein Wunsch, dafs sich einst der stetige Zusammenhang von Pommern und Preufsen, der durch das zwischenliegende polnische Preufsen unterbrochen war, zur innigern Verbindung mit dem Hauptlande herstellen lasse. Es erschien ihm für den Staat nothwendig und dieser Gedanke leitete seine spätere Politik in den Wirren Polens, welche die Theilung herbeiführten.

In der gefährlichen Lage, in der Friederich seinen Staat wulste, ist es für seine Weisheit und seinen Willen bezeichnend, dafs er die schwierige Aufgabe allein auf die Kraft seines Staates stellt, einem tapfern geschulten Heere, der Bereitschaft der ersparten Mittel und der Treue und dem Geiste seines Volkes vertrauend.

„Hütet euch wohl,“ sagt er, „euer Vertrauen auf die Zahl und die Treue euerer Verbündeten zu setzen; zählet nur auf euch selbst.“ i | Und ebenso sagt er an einer andern Stelle, im Vergleich mit deutschen Fürsten und Städten, die sich in fremde politische Ab- hängigkeit verkauft haben, mit Befriedigung: „wir (wir Branden- burger) haben niemals von irgend jemanden Hülfsgelder empfangen“ und streng tadelt er, wie in den Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg, den ersten König, der im spanischen Erbfolgekrieg anders verfahren war. Wer Subsidien nimmt, Dindet sich die Hände und spielt nur eine zweite Rolle.

Der König verliefs wenige Jahre später diesen Grundsatz. Zwei Tage vor der Schlacht bei Kunersdorf, in der er mit Leib und Leben um das Dasein kämpfte, gegen das halb Europa sich erhoben hatte, am 10. Aug. 1758 schreibt er, ungewils was ihm selbst zustolsen könne, vorsorgend an seinen Bruder den Prinzen Heinrich'): „Was die Finanzen betrifft, so glaube ich Euch unter- richten zu müssen, dals mich alle die Verlegenheiten, die uns zu- letzt trafen, und vornehmlich die, welche ich noch voraussehe, ge- nöthigt haben die englischen Hülfsgelder anzunehmen, die indessen erst im Monat October zahlbar sein werden.“ Man hört es den Worten an, wie ungern der König sich dazu entschlossen hatte. Aber in Wahrheit hatte er den Grundsatz nicht gebrochen. Es war keine Gefahr in Englands Abhängigkeit zu gerathen; es galt vielmehr der Unabhängigkeit Preufsens. Die Feinde sogen damals

!) Werke XXVI, p. 180. [1870] | 3

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Preufsen und Westphalen aus. In dieser Noth mufste der König Geldhülfe annehmen und er nahm sie von dem für den Helden- könig begeisterten England. Es waren heifsere Tage, als die Tage des Königs Friederichs I., den Friederich der Grofse angeklagt hatte '), dafs er mit dem Blut seiner Völker Handel getrieben habe in Verträgen mit den Holländern und Engländern.

In der Lage des Landes, das Feinde ringsum und selbst zwischen seinen Grenzen hatte, legt der König das gröfste Gewicht auf ein geschultes, schlagfertiges, tapferes Heer. Immer hat er den Krieg, der ausbrechen kann, im Auge. Für ihn hält er die Mittel bereit. Die Kriegskasse muf[s immer einen Fonds von 680000 Thlrn. hinter der Hand haben, um dem Heere, wenn e$ ins Feld rücken soll, den Sold eines Monats vorstrecken zu können, und dieser Fonds, sagt der König, muls unantastbar sein.

Dafs sein Adlerblick schon im Jahre 1752 die Möglichkeit eines langen Krieges voraussah, beweist eine Stelle seines Ver- mächtnisses. Nachdem er gezeigt hat, wie der Fürst in den Aus- gaben zugleich sparsam und grofsmüthig sein solle, fährt er fort: Wir brauchen ungefähr 5 Millionen zu einem Feldzug, also 20 Mil- lionen geben vier. Diese 20 Millionen zu sammeln und die andern Kassen zu füllen, ist eine Pflicht des Monarchen; es ist eine Sorge, die er sich nicht erlassen darf und die das Volk ihm Dank weils, wenn es sich in Kriegszeiten von keinen neuen Auflagen gedrückt sieht.“

Da der König die Erfahrung des siebenjährigen Krieges hinter sich hat, da er die Wahrscheinlichkeit bedenkt, dafs sich noch ein- mal die Kräfte von Österreich und Rufsland, von Frankreich und Schweden, gegen ihn vereinigen können und dann mit äufserster Anstrengung .den Krieg führen werden, sagt er in seinem Testa- ment vom Jahre 1768: „wenn ich noch einige Jahre lebe, werde ich die Zahl des Heeres auf 166000 Mann bringen können.* Da aber die Feinde mehr Truppen aufbringen können, so will er, dafs die preufsischen durch Tüchtigkeit mehr vermögen.

Den Geist und die Zucht des Heeres, in dem der Fürst sein eigener Kronfeldherr sein soll, stellt der König in erste Linie; die Verdienste des Adels im Heere hält er hoch und bedauert es im- mer wieder, für tapfere Offiziere und Soldaten nicht Belohnungen genug zu haben. Er will den eigenen Adel zum Heeresdienst,

1) Werke I, p. 121.

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keinen fremden; denn die Fremden, sagt er, gehen leicht in andere Dienste über und bereichern dann die Fremden mit unsern Kennt- nissen.

In der Geschichte sieht der König mit dem Verlust der Dis- ciplin den Staat sinken. So in Schweden, so in Holland.

„Das zweite Beispiel, das ich erlebt habe,“ sagt der König im Vermächtnifs von 1752, „betrifft die Holländer. Ihre Truppen waren unter dem Fürsten von Oranien das Vorbild der europäi- schen Landwehr; und die Preufsen haben von ihnen die Ordnung und die Kunst des Krieges gelernt. Nach dem Tode des Königs Wilhelm regierten die Kaufleute von Amsterdam, mit den Titeln von Stadtschreibern, Rathspensionären und Generalstaaten geziert, den Staat. Sie machten ihre Ladendiener zu Offizieren, und ver- achteten die Vertheidiger des Freistaats. Alter und Tod nahmen ‚ihnen ihre guten Offiziere. Die Obersten wurden die Pächter ihrer Regimenter; die Subalternen verweichlichten sich; die Hefe des Volks, der Auswurf der Nation ergriff das Kriegshandwerk und wegen Mangels an Mannschaft warb man Söldner an. Niemand hatte das Auge auf die Truppen. Der Krieg überkam sie und der verächtliche Haufe dieser republicanischen Miliz wurde gefan- gen genommen. Man bedeckte sich durch Feigheit mit Schmach. Flandern wurde von den Franzosen genommen und Holland fiel auf Gnade und Ungnade in Ludwigs XV. Hand, wenn er seine Vortheile benutzen wollte oder konnte.“ „Ihr seht also, wie wich- tig es für jedes Reich ist, besonders aber für eine heranwachsende Macht, dafs der Fürst sein Feldherr sei, auf die Strenge der Zucht seine Hand halte, und dafs ihn dabei auch das Kleinliche in den Einzelheiten nicht verdriefse.* „Ich bin“, schliefst er, „von Kind auf im Heere aufgezogen.“

Wie die Strategie des Krieges, denkt sich der König die Klugheit der äufsern Politik. Daher verlangt er in ihr, verschwie- gen zu Sein, sich selbst zu beobachten, der eigenen Affecte Herr zu sein, seine Absichten zu verdecken, seinen Charakter zu ver- hüllen und nichts sehen zu lassen, als eine gemessene und durch die Gerechtigkeit gemilderte Entschlossenheit. !) Und wie Polybius von dem Feldherrn verlangt, dafs er die Affeete in dem Charakter seines Gegners kenne und in die Berechnung seines Planes auf-

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.!) une fermete mesuree et temperee par la justice.

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nehme: so will Friederich der Grofse, dafs in den äulsern Ver- handlungen die Staatskunst es verstehe, die fremden Affecte, wie die Eitelkeit, Eigenliebe, richtig zu benutzen. Es ist überhaupt, als ob zwischen den Staaten mitten im Frieden die Listen des Krieges gelten sollen. Friederich hat in der nach seinem Tode (1788) herausgegebenen Geschichte des siebenjährigen Krieges') von dieser dunkeln Seite seines Verfahrens kein Hehl gehabt. Es mag sein, dafs die Staatskunst zwischen Staaten erst offener wer- den wird, wenn mehr und mehr friedliche Bande, durch die Ver- schlingung der Interessen in gegenseitigen Verträgen befestigt, die Völker mit einander verketten.

Der König hat immer wachsam seine Gegner im Auge und bezeichnet die politische Lage der Staaten in ähnlicher Weise, wie im 2. Kapitel seiner Geschichte des siebenjährigen Krieges, nur nackter, und die Linien gehen immer zu dem Augenpunkt hin, der in Preufsen seinen Standort hat.

Dabei ist sein Urtheil gerecht und entbehrt der offenen An- erkennung für den Gegner nicht, das Zeichen des freien, in der Wahrheit gegründeten Charakters.

So schreibt der König in dem Vermächtnifs von 1768:

„Die Macht Oesterreichs verdient hesondere Beachtung. Dies Haus der Cäsaren hatte sich seit der Zeit Karls V.. mehr und mehr geschwächt. Unter der Regierung Karls VI. hob es sich wieder; aber nach dem Tode dieses Kaisers und dem Erlöschen des Mannsstammes glaubte Europa, e8 sei verloren. Eine Frau erhob es wieder und behauptete es mit Festigkeit. Sie wurde der Abgott eines vor Kurzem noch anfrührerischen Volkes, das sie für ihre Sache in den Kampf führte. Diese Frau regiert noch jetzt. Wenn sie die verlorenen Provinzen noch nicht durch andere er- oberte ersetzt hat, so hat sie doch, ihre Finanzen ordnend, Schätze sefunden, und ihre Einkünfte belaufen sich so hoch, wie die des Kaisers Karl VI. selbst zu der Zeit, da er Neapel besals. Man berechnet ihre jährlichen Einkünfte auf 26 Millionen. Wirklich unterhäli sie 140000 Mann und kann diese Zahl, wenn Zeit und Umstände es erfordern, auf 200000 steigern. Ihre Macht würde noch furchtbarer sein, wenn sie nicht jährlich 8 Millionen Thaler abrechnen müfste, theils um die Dividende zu zahlen, theils für

1) Werke IV. S. 34 f S. 83.

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einen Fonds zur Tilgung der während des letzten Krieges gemachten Schulden. Sie hat die Kunst verstanden fähige Minister zu finden und zu wählen; und ihr Ministerrath ist durch Weisheit und syste- matisches Verfahren dem aller andern Könige überlegen; sie han- delt aus sich selbst. Ihr Sohn läfst sich von ihr in den Geschäften belehren und folgt ihren Antrieben.* „Die Königin von Ungarn,“ sagt Friederich an einer andern Stelle ehrend, „gehört zu den we- nigen Fürsten, die sich über die schlechte Erziehung ihrer Jugend erhoben haben. Ihr Geist hat über diese triumphirt.“ „Der Fürst Kaunitz und Hatzfeld,* fährt der König in jenem Zusammenhang fort, „sind ihre besten Minister. Die Generale, die den gröfsten Namen haben, sind Lasci und Loudon; wenn sie diese verlöre, würde es ihr schwer werden, unter der grofsen Zahl der übrigen ihres Gleichen zu finden. Indessen ist bis jetzt die österreichische Kavallerie schlecht, die Infanterie taugt mehr, besonders als Posten; und ihr Korps der Artillerie ist so gut als möglich. Prägt es euch wohl ein, dafs es keinen grofsen Fürsten giebt, der nicht den Gedanken mit sich herumtrüge, seine Herrschaft zu erweitern. Die Kaiserin-Königin hat ohne Zweifel ihr Eckchen Ehrgeiz, wie die andern. Die Politik verlangt, dafs solche Vorhaben mit un- durchdringlichem Schleier verhüllt bleiben und dafs man die Aus- führung verschiebt, weil die Mittel zum Erfolge fehlen. Man darf also das System des Friedens, welches der Wiener Hof zur Schau trägt, nur den 180 Millionen Thalern, die er schuldet, zuschreiben. Sie würden ihn, wenn ein Krieg zustielse, ehe er einen ansehn- lichen Theil dieser Summe getilgt hätte, zu einem Bankerott nö- thigen.“ ')

So sehr auch der König auf den Krieg gerichtet und gerüstet ist und seinem Staat gebietet, immer auf dem Wachtposten zu sein, so wenig will er den Krieg als solchen. „Ein Fürst,“ sagt er in dem Vermächtnifs von 1768, „der aus Unruhe, aus Leichtsinn, aus schlechtem Ehrgeiz?) Krieg beginnt, ist so verwerflich, wie ein Richter, der sich des Schwertes des Gesetzes bedient, um einen Unschuldigen zu verderben. Dann ist der Krieg ein guter Krieg, wenn man ihn unternimmt, um das Ansehn eines Staates aufrecht zu halten, um seinen Verbündeten zu Hülfe zu kommen, um die

ı) Vgl. Werke IV, p. 8. ?). une ambition desordonnee.

33 Öffentliche Sitzung

Entwürfe eines ehrgeizigen Fürsten, der unseren Interessen schäd- liche Eroberungen vor hat, im Zaum zu halten.“

Wie Friederich selbst ein ritterlicher König ist, so will er sein Heer mit edler Gesinnung erfüllen. „Die Ehre,“ schreibt er (1768), „das Verlangen nach Ruhm, das Beste des Vaterlandes, müssen alle die beseelen, welche sich den Waffen widmen und keine niedrige Leidenschaft darf so edle Gesinnungen beflecken.“ Der Fürst, der mitten im Heere steht, soll ihm mit seinem Bei- spiel diese Empfindungen einflöfsen. Denn „alle Welt,“ sagt Friede- rich, „hat in monarchischen Staaten ihre Augen auf den Monarchen. Die öffentliche Meinung folgt seinem Geschmack und scheint be- reit, die Eindrücke, die er giebt, in sich aufzunehmen.“ In dem Adel sieht der König den Träger des militairischen Geistes. „Es ist nöthig,* schreibt er im Vermächtnifs von 1752, „zu verhindern, dafs der Adel in fremde Dienste trete, und seinen Sinn für Ge- meinschaft und Vaterland zu wecken. Daran habe ich gearbeitet und im Laufe des ersten Krieges habe ich alles Mögliche gethan, um den Namen Preufsen durchzuführen, und um die Offiziere zu lehren, dafs sie alle, aus weleher Provinz sie seien, als Preufsen gelten und dafs alle Provinzen, wenn auch zerschnitten, zusammen Einen Körper bilden.“ So pflanzt damals der König durch das Heer das Gefühl des Einen Ganzen in das Volk, schmilzt die spröde Gaugesinnung in Vaterlandsliebe und pflegt das Bewulst- sein des zusammengehörigen Ganzen in den Einzelnen. Dem sich aufopfernden Muthe giebt er dadurch einen gröfseren Gegenstand und dem in die Heimat zurückkehrenden Soldaten eine Bedeutung für die Empfindung im Volk.

Friederich der Grofse kennt den Vorzug der Monarchie, der es leichter wird, Jeden an die Stelle zu bringen, für die er am fähigsten ist. „Wenige Menschen,“ sagt er, „sind ganz ohne Ta- lent geboren. Jeden nun an seine Stelle setzen, das heiflst, aus allen zusammen einen doppelten Vortheil ziehen; es heifst, sich in keinem täuschen und dem Ganzen der Regierung mehr Kraft und Nachdruck geben, weil Alles dient und Alles im Stande ist, nütz- lich zu dienen.“

Die strenge Pünktlichkeit in der Pflichterfüllung, die er vom Militair fordert, fordert er ebenso von den Beamten. Die Offiziere hält er zum Dienst im Staat geschickt, weil sie es verstehen, zu gehorchen und sich selbst Gehorsam zu verschaffen. Über die Staats-

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diener ist er wachsam, besonders im auswärtigen Amte; „denn,“ sagt er in seiner düstern Anschauung, „das Milstrauen ist die Mutter der Sicherheit und nur der, der die Menschen nicht kennt, darf ihnen trauen (1768). Treue Dienste behält er in dankbarem An- denken, wie z. B. den Eifer und die Anhänglichkeit der märkischen „Landschaft,“ die ihm im Feldzuge von 1744 auf ihren Credit Summen vorgestreckt, um den Krieg weiter führen zu können, Summen, ohne welche er aus gänzlichem Mangel an baarem Gelde verloren gewesen wäre. Wiederholt spricht der König die Hoch- achtung für sein Volk aus, dergestalt, dafs er sich es zur Ehre rechnet, ein solches zu regieren'). „In diesem Staate,“ schreibt er, „sind weder Parteiungen noch Empöruugen zu fürchten. Man braucht in der Regierung nur Milde anzuwenden und keinen Ver- dacht zu hegen, als etwa gegen einige verschuldete oder unzufrie- dene Edelleute oder einige Domherrn oder Mönche in Schlesien, welche jedoch, weit entfernt, sich offen zu erklären, ihre schlechten Umitriebe darauf beschränken, sich zu Kundschaftern unserer Feinde herzugeben.* „Ich habe gesagt und wiederhole es,* schreibt der König an einer andern Stelle, „in diesem Lande kommt man mehr in Verlegenheit hinreichende Belohnungen für die guten Handlungen zu finden, als dafs man genöthigt wäre, böse zu bestrafen. Man kann nicht genug die Tugend schätzen und die, welche sie üben, ermuntern. Es ist das Interesse des Staats, dafs sich seine Bürger alle zu ihr bekennen. Darum mufs man sie hervorheben, ja die guten Handlungen selbst gröfser erscheinen lassen, um ihnen, wo möglich, gröfseren Glanz zu verleihen und edeln empfänglichen Seelen Nacheiferung einzuhauchen. Gesetzt auch, dafs ein Mann, der von Natur nicht die Erhebung der Seele hätte, welche den höher angelegten Geistern eigen ist, eine gute Handlung aus Hunger nach Ehre und Belohnungen thäte, so ist damit doch viel gewon- nen; und obschon der Beweggrund der Handlung an sich niedrig wäre, so ist die schöne Handlung darum doch dem Gemeinwohle nicht weniger nützlich, Die nützlichsten Tugenden des Bürgers sind: Menschlichkeit, Billigkeiß Tapferkeit, Wachsamkeit und Liebe zur Arbeit. Diese bilden nützliche Menschen, sei es für die bürger-

lichen Geschäfte oder den Dienst im Heere.*

!) S. das Testament über den Nachlafs in den Werken VI, p. 215.

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AU "Öffentliche Sitzung

Wenn Friederich der Grofse in diesen und andern Stellen die Springfeder des Ehrgeizes in Bewegung setzt, und die aus Ehr- geiz vollzogene Tugend um ihres Nutzens willen lohnt: so vergilst er das Wort eines ihm wohlbekannten alten Geschichtsschreibers, der, den Ehrgeiz der Römer betrachtend, ihn einen Fehler nennt, wenn auch einen Fehler in der Nähe der Tugend. Friederich der Grofse selbst ist von der Tugend, die ihre Lust in sich hat und nicht von Ehre und Lohn abhängt, beseelt. Von dem Edelsinn im Geben sagt er an der Stelle, wo er von dem Fürsten beides fordert, Sparsamkeit und Grofsmuth: „Die grofsmüthige Freigebig- keit ist eine hellsehende Tugend, weil sie mit Kenntnifs der Ur- sache handelt. Wenn dieser Edelsinn aufrichtig ist, so ist er be- scheiden, sanft, fordert keine Erkenntlichkeit und ist nicht bemüht den Ruf seiner Wohlthaten zu verbreiten.“

Man hat oft Friederiehs des Grofsen Bestreben, der seinem Volke die Strenge der Pflicht einprägte, mit Kants Lehre verglichen, der gleichzeitig die Pflicht zum Mittelpunkt der Sittenlehre machte, aber doch nicht die Pflicht um der Ehre, sondern die Pflicht um der Pflicht willen.

In unserm gemeinsamen Leben liegt die Quelle einer solchen Gesinnung, die dem Menschen an sich Werth und Würde giebt, in der Religion, die das Gute um Gottes willen, oder, was un- gefähr denselben Sinn hat, das Gute um Christi willen zu wollen und zu thun gebietet.

Friederich der Grofse setzt in seinem Vermächtnifs diese Seite des menschlichen Lebens hintan, obgleich er sich der Rechts- pflichten gegen die Kirchen bewufst ist. „Ich bin neutral,“ sagt er, „zwischen Rom und Genf. will Rom in Genf eingreifen, so zieht es den Kürzern; will Genf Rom unterdrücken, so wird Genf verurtheilt. Auf diese Weise kann ich den Religionshals mindern, - indem ich allen Theilen Mäfsigung predige und versuche sie zu vereinigen, indem ich ihnen vorhalte, dafs sie alle Bürger Eines Staates sind, und dafs man einen Menschen ebenso lieben kann, der einen rothen, als einen andern? der einen grauen Rock trägt. Ich habe versucht mit dem Papst gute Freundschaft zu halten, um dadurch die Katholiken zu gewinnen und ihnen begreiflich zu machen, dafs die Politik der Fürsten dieselbe ist, mag auch die Religion, nach der sie genannt werden, verschieden sein.

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Der Gedanke an die Zukunft seines Staates verbindet sich dem Könige mit dem Gedanken an die Zukunft seiner Regenten. „Die Königreiche,“ sagt er, „sind von den Männern abhängig, die sie regieren. Erinnert euch, dafs England unter Cromwell geachtet, unter Karl II. verachtet wurde.“

Indem der König nach dieser Seite die Geschicke der Staaten überdenkt, beunruhigt ihn der Gedanke an eine Minderjährigkeit, die im Laufe der Zeit eintreten könne. „Wenn die Gottheit, schreibt er, „sich um das menschliche Elend kümmert, wenn die schwache Stimme des Menschen bis zu ihr gelangen kann, so darf ich dieses unbekannte und allmächtige Wesen anrufen, es wolle diesen Staat vor der Geifsel einer Minderjährigkeit bewahren. Es giebt kein Beispiel, dafs die Regierung eines Vormundes eine glück- liche gewesen wäre. Alle Beispiele, von denen uns die Geschichte berichtet, sind durch die Mifsgeschicke des Volkes, durch Spal- tungen und oft durch äulsere und innere Kriege bezeichnet. Nicht Bürgerkriegehat Preufsen während einer Minderjährigkeit zu fürch- ten, aber eine schwache Regierung, schlechte Verwaltung der Fi- nanzen, eine schwankende Politik, eine Erschlaffung der militai- rischen Zucht und den Verfall in der Ordnung der Truppen, welche sie bis jetzt unbesiegbar gemacht hat. Was wir besonders in die- ser Zeit der Schwäche zu fürchten hätten, wäre ein Krieg.“

Es ist an uns, an dieser Stelle nicht schweigend vorüberzu- gehen, sondern dankbar zu gedenken, dafs die Fügung, die in keines Menschen Hand steht, bis dahin unserm Vaterlande ge- währte, was Friederich der Grofse hier für seinen Staat von der Vorsehung erbittet; wolle Gott, dafs das unschätzbare Gut, das in der durch keine Minderjährigkeit unterbrochenen Kette starker, selbst denkender, selbst wollender Fürsten liegt, bis in die fernsten Zeiten sein Erbtheil sei.

Friederich dem Grofsen trat alsbald, da nach wenigen Jahren sein Bruder, der Prinz von Preufsen, unerwartet starb, die Sorge näher, die diese Stelle ausspricht. Man sieht es aus dem Briefe voll Liebe, den er aus dem Felde nach der empfangenen Nachricht unter dem 25. Juni 1758 an seinen Bruder, den Prinzen Heinrich schrieb '). Ähnliche Gedanken liegen in seiner Seele, da zu einer

‚Zeit, in welcher der Mannsstamm des königlichen Hauses auf we-

!) Werke XXVI, p. 172£.

42 Öffentliche Sitzung

nigen Augen stand, 20 Jahre alt, der blühende Prinz Friederich Heinrich, der zweite Sohn des verstorbenen Prinzen von Preulsen, durch den Tod dahin gerafft wurde, und der König an seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, unter dem 27. oder 28. Mai 1767 einen Brief schrieb, auf den seine 'Thräne fiel. „Ich habe dies Kind, wie meinen eigenen Sohn geliebt; der Staat verliert an ihm viel; meine Hoffnungen schwinden mit ihm“ ').

Für den Fall der Minderjährigkeit empfiehlt der König in dem Vermächtnifs den nächsten Verwandten und keine Frau zum Vor- inund einzusetzen, und ihm allein die volle Macht in die Hand zu. geben, ohne seine Beschlüsse an die Genehmigung eines ihn um- gebenden Raths zu binden. „So wenig es Newton möglich gewesen wäre,“ fügt er hinzu, „sein System der Anziehung zu gestalten, wenn er im Verein mit Leibniz und Descartes gearbeitet hätte, ebensowenig kann ein System der Politik gebildet und durchge- führt werden, wenn es nicht aus Einem Kopfe entspringt.“

Der König, der in dem Regenten die Zukunft: des Landes sieht, befielt vor Allem Sorgfalt der Erziehung, und während einer Minderjährigkeit fürchtet er vornehmlich Schmeichler, die das Junge Gemüth verderben. Er vertrauet den richtigen Einwirkungen, wie in seiner spätern Abhandlung über die Erziehung. Er will die Erziehung der Fürstensöhne ebenso weit von Härte als von Schmeichelei entfernt wissen. Schon im Antimachiavell hat er das Gift der Schmeichelei geschildert, welche sophistisch Mängel be- schönige und verkleinere, und die Fehler mit dem Schein von Tu- genden umkleide, indem sie Rauhheit und Rohheit Strenge der Gerechtigkeit, Verschwendung Freigebigkeit nenne und Ausschwei- fungen mit dem Schleier des Vergnügens umhülle. Vor Allem will der König eine richtige Gewöhnung zur Pflicht. „Die Gewohn- heit,“ sagt er, „hat eine herrschende Gewalt über die Menschen; sie kann sie zum Guten führen, wie zum Bösen; und es ist ein vorzügliches Verdienst einer weise geleiteten Erziehung, dafs die Kinder in der Gewohnheit ihrer Pflichten aufwachsen. Man kann hierdurch dem Mangel der natürlichen Anlagen nachhelfen.“ Wie- derum fordert er, dafs man den Fürstensohn an ein arbeitsames, thätiges und mäfsiges Leben gewöhne und in ihm den Samen der Tugenden, welche die Natur ihm zugetheilt hat, pflege.“ Damit

1) XXVI p. 307. Vgl. memoires de 1763 iusqu’ & 1775 VI, p. 28. &

vom 27. Januar 1870. 43

er sie eigenthümlich entwickele, will der König ihm Freiheit ge- währen; er soll die Menschen selbst kennen lernen, selbst hören, selbst urtheilen. Indem der König die Tugenden von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen möchte, die sein eignes Wesen sind, lenkt er die Erziehung besonders auf die Menschlichkeit hin, die Humanität, die menschlich heifse, weil sie in unserer Natur liege und jedem Sterblichen gleichsam jinnewohne, das Mitgefühl des Menschen mit dem Menschen.

Wie in dem Fürstensohn, liegen ihm die Sitten des Volks am Herzen. Da er nach dem siebenjährigen Kriege einen gröfseren Luxus bemerkt hat, warnt er dagegen in seinem Vermächtnifs vom Jahre 1768. Wo er einreilse, wolle keiner dem andern in Aus- gaben etwas nachgeben und die Ausgaben gelten als Mafs des An- sehens. So sei es in Frankreich und England, in Rufsland und selbst in Österreich. „Halten wir uns“, sagt er, „an Einfachheit; bewahren wir unsern Adel und unsere guten Eigenschaften, oder, wenn ihr wollt, unsere deutschen Tugenden. Ahmen wir nach, was die Nachbarn Gutes haben, und hüten wir uns ihre Fehler nachzuahmen.*

So möchte Friederich die Fürstensöhne und ‘das Volk, den Adel und das Heer durch Bildung und Tugenden für die Zukunft seines Staates erzogen wissen; und im Sinne eines solchen Ver- mächtnisses hofft er, dafs sein Preufsen einst eine der angesehen- sten Mächte Europa’s werde.

Friederich der Grofse schliefst das Testament über seinen Nachlafs mit den Worten: „In dem Augenblick, wo ich das Leben aushauchen werde, sollen meine letzten Wünsche für die Wohl- fahrt dieses Reiches sein. Möge es immer mit Weisheit, Gerech- tigkeit und Kraft regiert werden, der glücklichste der Staaten durch die Milde des Gesetzes sein, der in billigster Gleichheit verwaltete in Bezug auf die Finanzen, der am tapfersten vertheidigte durch ein Heer, das nur Ehre und edlen Ruhm atlımet, und möge es dauern und blühen bis an das Ende der Zeiten.“

Wir danken Allen, die auf dem so gelegten Grunde während des inzwischen verflossenen Jahrhunderts in guten und schweren Tagen treu dafür gearbeitet, dafs sich bis dahin mit Gottes Hülfe des grolsen Königs letzter Wunsch erfüllte.

44 Öffentliche Sitzung

Hr. Haupt, Secretar der philosophisch-historischen Klasse, gab hierauf Bericht über die seit dem 28. Januar voriges Jahres, als dem Tage der vorjährigen öffentlichen Sitzung zum Andenken Friedrichs des Grofsen vorgekommenen Veränderungen im Perso- nalstande der Akademie.

Derselbe verkündigte sodann das Folgende.

Die durch das Allerhöchste Patent vom 18. Juni 1844 ange- ordnete Commission, welche Seiner Majestät dem Könige das beste in den Jahren 1863 bis Ende 1867 erschienene Werk über deut- sche Geschichte behufs Ertheilung des zum Andenken an den Ver- trag von Verdun gestifteten Preises zu bezeichnen hatte, ist, nach- dem von deren Einberufung im Jahre 1868 mit Allerhöchster Ge- nehmigung Abstand genommen war, nach erfolgter Ernennung der Mitglieder im vorigen Jahre vorschriftsmäfsig zusammengetreten. Dieselbe hat zufolge Berichtes vom 24. November v. J. dem Werke von Dümmler, Professor zu Halle, “Geschichte des Ostfränkischen Reichs, 2 Theile, Berlin 1862. 1865” den Preis zuerkannt. Seine Majestät der König haben geruht diesen Beschlufs der Commission mittels Allerhöchsten Erlasses vom 29. v.M. und J. Allergnädigst zu bestätigen und dem Professor Dümmler für das gedachte Werk den stiftungsmäfsigen Preis von Eintausend T’halern Gold nebst einer goldenen Denkmünze auf den Vertrag von Verdun zu ertheilen.

Auf Grund der Bestimmung in der Allerhöchsten Ördre vom 92. December 1862 wird dies durch die Akademie hiermit öffent- lich bekannt gemacht.

Hierauf las Hr. du Bois-Reymond, als Vorsitzender des Curatoriums der Humboldt-Stiftung für Naturforschung und Reisen, folgenden Bericht, zu dessen Erläuterung Hr. Kiepert eine Wand- carte der Länder zwischen Chartum und dem Äquator angefertigt hatte.

Das Curatorium der Humboldt-Stiftung für Naturforschung und Reisen erstattet statutenmäfsig Bericht über die Wirksamkeit der Stiftung im verflossenen Jahre.

Die bei Gelegenheit der Säcularfeier der Geburt Alexan- der’s von Humboldt am 14. September v. J. neuerwachte Theil-

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nahme für dessen Andenken ist auch der Stiftung zu Gute ge- kommen. Es sind der Stiftung zugegangen: 1) Von Hrn. Pri- vatdocenten Dr. Kny hierselbst 80 Thlr.; 2) Von Hrn. Dr. Hei- depriem in Üöthen 82 Thlr. 7 Sgr. als Ertrag einer an der landwirthschaftlich-chemischen Versuchsstation für das Herzogthum Anhalt-Cöthen veranstalteten Sammlung; 3) von Hrn. Professor Dr. H. Knoblauch in Halle 110 Thlr. als Ertrag einer dort ver- anstalteten Sammlung; 4) von Hrn. Professor Dr. Ed. Grube in Breslau 312 Thlr. als ein Theil des Kassenbestandes des ehema- ligen akademischen Zirkels daselbst, der bei seiner Auflösung diese Verwendung jener Summe beschlofs. Das Capital der Stiftung ist somit seit vorigem Bericht um 584 Thlr. 7 Sgr. gewachsen.

Hrn. Dr. Reinhold Hensel sind für das Jahr 1869 500 Thlr. zum Zweck der weiteren Bearbeitung des von seiner Reise mitge- brachten, die Wirbelthiere betreffenden Materiales ausgezahlt wor- den. Diese Bearbeitung schreitet stetig vor, und liefert viele werthvolle Ergebnisse, welche sich aber ihrer Natur nach nicht zu einer Zusammenfassung an dieser Stelle eignen.

Die laut vorigem Bericht im Jahr 1869 zu Stiftungszwecken verwendbare Summe von 2500 Thlrn. ist auf Beschlufs der Aka- demie Hrn. Dr. Georg Schweinfurth aus Riga, zur Fortset- zung seiner mit den Mitteln der Stiftung begonnenen botanischen Reise in den südwestlichen Nilländern, überwiesen worden.

Die letzten Nachrichten, welche der vorige Bericht über Hrn. Dr. Schweinfurth gab, waren aus Chartum vom 10. De- cember 1868. Sie zeigten den Reisenden im Begriff mit einer Handelsexpedition des dortigen koptischen Grofshändlers Ghat- tas nach dem oberen weilsen Nil aufzubrechen, und rühmten die wohlwollende und energische Unterstützung, welche Seine Excellenz der Vicekönigliche General-Gouverneur des Sudans, Dschiaffer Pascha, Hrn. Dr. Schweinfurth hatte angedeihen lassen.

Das Curatorium hat in Verbindung mit der Akademie die An- wesenheit Seiner Hoheit des Khedive in Berlin während des vorigen Sommers dazu benutzt, um Höchstdemselben eine Dank- adresse für die von ihm Dschiaffer Pascha gnädigst ertheilten "Weisungen zu überreichen und Seine Hoheit um die Erlaubnils zu bitten, auch Dschiaffer Pascha ein Dankschreiben über- senden zu dürfen.

46 Öffentliche Sitzung

Die nächsten seit vorigem Bericht eingetroffenen Briefe des Reisenden waren von Faschoda (Denab), dem äufsersten ägyp- tischen Militärposten am Bahr el Abiad, am 2. und 3. Februar geschrieben, und am 5. April hier eingetroffen. Sie geben ein lebendiges Bild der dreiwöchentlichen Nilfahrt bis Faschoda. Die Barke des Ghattas, in welcher der Reisende Chartum am 5. Januar verliefs, trug aufser ihm, seinen 6 Dienern und einer zur Besorgung der Küche angekauften schwarzen Sklavin noch 15 dem Ghattas ge- hörige sogenannte Soldaten, d. h. mit Büchsen bewaffnete Nubier, 8 Schiffer und eine Köchin für diesen Theil der Gesellschaft. Der weilse Nil fliefst durch ein weites Flachland; grasreiche Steppen oder Buschwald bilden die Ufer, erst südlicher tritt stellenweise üppiger Urwald auf. Unzählige Zebuheerden, der Reichthum der Anwohner, beleben das Land, Schaaren von Wasservögeln, darunter ganze Flottillen von Pelikanen, bevölkern den Strom; Krokodil und Nil- pferd werden immer häufiger. Am 5. Tage der Fahrt kommt westlich das durch Kotschy den Botanikern bekannte Felsenge- birge Araschkol in Sicht. Am 6. Tage gelangt man oberhalb el Es in das inselreiche Gebiet der Schilluks, eines kräftigen Neger- stammes, der sich, nur hie und da durch die Baggara-Araber un- terbrochen, bis Faschoda erstreckt. Hier trat zuerst das in den oberen Gegenden immer reichlichere Schwimmholz Ambatsch, (Her- miniera elaphroxylon) auf, ein im Strome wurzelndes Holzgewächs mit zartgefiederten Blättern und grofsen hochdottergelben Schmetter- lingsblüthen,‘ aus dessen überaus leichtem Holze Flösse gezimmert werden, die acht Mann über Wasser halten und leicht von Einem getragen werden.

Am 24. Januar landete die Barke in Faschoda. Hier, am Halteplatz aller Chartumer Handelsschiffe, mufste die Ankunft der von Chartum nachfolgenden Barken erwartet werden, da am oberen weifsen Nil einzelne Fahrzeuge Überfällen ausgesetzt sind. Die Rastzeit wurde zur Verpackung der bis dahin gemachten Samm- lungen benutzt. Bei dem ägyptischen Gouverneur, den Hr. Dr. Schweinfurth am 1. Februar in seinem Lager oberhalb Faschoda aufsuchte, fand er eine sehr zuvorkommende Aufnahme, und lernte er den König der Schilluks kennen.

Nach Eingang dieser Nachrichten, welche zu den besten Hoff- nungen für den Fortgang des Unternehmens berechtigten, blieb acht Monate (vom 5. April bis 6. December) jede Kunde vom

vom 27. Januar 1870. 47

Reisenden aus, und die Besorgnifs um ihn wurde gesteigert durch ein im October eingetroffenes Schreiben des um die Schweinfurth’- sche Reise sehr verdienten norddeutschen Viceconsuls in Chartum, Hrn. Duisberg, wonach in Folge der durch Sir Samuel Baker’s Expedition unter den Negerstämmen verbreiteten Aufregung ein An- griff auf Factoreien der Chartumer Händler erfolgt sei und mit deren Vernichtung geendet habe. Glücklicherweise war diese Besorgnifs unbegründet, und das Ausbleiben der Briefe erklärte sich dadurch, dafs die Handelsbarken des Ghattas, zum Theil, wie es scheint, allerdings wegen jener Unruhen, die Rückkehr nach Chartum unge- wöhnlich spät angetreten hatten. Eine Reihe von Briefen des Reisenden, vom 24. März bis 31. August reichend, gelangte so erst am 23. October nach Chartum und am 6. December nach Berlin.

Wir ersehen aus diesen Briefen, dafs auch der zweite Theil der Stromfahrt in der Zeit vom 5. bis 22. Februar glücklich zu- rückgelegt wurde. Es ist dieser Theil der Fahrt der beschwer- lichere wegen der oberhalb der Sobat-Mündung beginnenden sumpf- artigen Ausbreitung des Stromes und seines durch eine üppige Vege- tation gehemmten labyrinthartigen Laufes. Hier, wo stellenweise die Barken durch die Sumpfpflanzen hindurchgeschleppt werden müssen, ist die wahre Heimath des Papyrus, der mit seinen 15 Fufs hohen Halmen und riesigen Dolden undurchdringliche Dickichte bildet. Eine von dem Reisenden angelegte Sammlung von Dolden, Halmen und Wurzelstöcken wird die Entscheidung des Streites ermögli- chen, ob der einst in Ägypten gebaute Papyrus des oberen Nils einerlei sei mit dem syrischen und sieilianischen oder nicht. Zuletzt führte die Fahrt durch den an dem Zusammenfluls des weilsen Nils, der oberhalb von hier Bahr el Djebel heifst, mit dem Bahr el Ghasäl gelegenen See No, den Bahr el Ghasäl hinauf nach der Meschra el Req (auf älteren Karten Port Reg), dem Hafenplatze für die Barken aller Handelsunternehmungen in den Ländern südlich vom Bahr el Ghasäl.

In der Meschra verweilte der Reisende einen Monat (vom 22. Februar bis 25. März), theils um seine Sammlungen zu ver- packen, theils um die Ankunft der Träger zu erwarten, die von der grolsen Seriba des Ghattas zum Abholen des Gepäckes ver- tragsmälsig gesandt werden mulsten. Die Umgegend zeigte sich minder ergiebig für Botanik als für Zoologie, es wurden nament-

48 Öffentliche Sitzung

lich viele Wasservögel erlegt, auch interessante Menschenschädel erbeutet. Bei der dortigen Bevölkerung war Fräulein Tinne, die 1863 nicht weit von hier ihre Mutter durch den Tod verlor, und seitdem selber dem Martyrologium der Afrika-Reisenden ihren Namen hinzugefügt hat, noch in lebhaftem Andenken.

Nach anstrengender sechstägiger Landreise kam Hr. Dr. Schweinfurth mit seiner Dienerschaft, 70 ihm entgegengesand- ten Trägern und zwei Eseln am 31. März wohlbehalten auf der grolsen Seriba des Ghattas an, wo dessen Hauptagent, der seine sämmtlichen Seriben befehligt, ihn auf das Freundlichste aufnahm. Die grofse Seriba liegt ziemlich unter N. B., zwischen dem Dsehur- und Tondiflusse, von welchen der erste für den haupt- sächlichsten unter den vielen Flüssen gilt, die. in der Ge- gend der Meschra sich zum Bahr el Ghasäl verbinden. Die Seriba zählt etwa 2000 Bewohner, von denen 200 Soldaten sind. Sie leben sämmtlich in dicht gedrängten, korbähnlichen, aus Bambus erbauten und mit Stroh gedeckten Hütten. Hr. Dr. Schwein- furth liefs sich in zwei eigens für ihn erbauten Hütten häuslich nieder, indem er sich aus mitgebrachten Brettern Tische und an- deres Hausgeräth verfertigte. Ein Hühnerhaus und eine Schaaf- hürde vervollständigten die wirthschaftliche Einrichtung.

Die Umgegend der Seriba wird als ein leicht ansteigendes Hügelland beschrieben, hie und da von Felsreihen aus einem rothen porösen Thoneisenstein unterbrochen. Steppen und Grasniede- rungen von mannshohen Gräsern wechseln mit Buschwald, Hoch- wald und Bambushorsten; auch Sümpfe und Regenteiche fehlen nieht. Die Flora ist sehr reich und im Allgemeinen auffallend verschieden von der des ägyptischen Sudans und der abessinischen Tiefländer, während sie mit der westafrikanischen entschiedene Ähnlichkeit zeigt. Besonders zahlreich sind die Gattungen der Bäume, von denen viele elsbare Früchte tragen; zu den ansehn- liehsten gehören die äthiopische Fächerpalme Deleb (Borassus Aethiopum), die Ölpalme, die Mimosengattung Parkeria, der Butter- baum (Butyrospermum), der afrikanische Fieberrindenbaum (Crosso- pteryx) und mehrere breitkronige Ficus-Arten. Der Milchsaft von Carpodinus, einem Baum aus der Familie der Apocyneen, im frischen Zustande klebrig, und zu einer der Guttapercha ähnlichen wasserdichten Masse eintrocknend, bot dem Reisenden ein will-

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kommenes Mittel, um Pakete getrockneter Pflanzen vor Regen und Insecten zu schützen.

In gegenseitigen Entfernungen von 4 bis 6 Stunden liegen am Dschur- und Tondiflusse zahlreiche kleinere Seriben zerstreut, von denen der Reisende schon viele besucht hat, wobei er stets gut auf- genommen wurde. Ohne jede Gefahr konnte er in Begleitung we- niger Bewaffneter mehrtägige Ausflüge von seinem Wohnort aus unternehmen. Ungeachtet der Regenzeit, deren gröfseren Theil er bei Absendung der letzten Briefe bereits überstanden hatte, war seine Gesundheit stets gut, während seine Diener ab und zu von Fieber litten.

Auch äufsere Gefahren, die ihn zuweilen bedrohten, gingen glücklich an ihm vorüber. So am 14. Januar, wo bei Landung auf einer der Schillukinseln ein im Röhricht aufgescheuchter Büf- fel in seiner unmittelbaren Nähe einen Diener erheblich ver- letzte; am 22. Januar, wo ein Schwarm grofser Bienen seine Barke überfiel, vor deren furchtbaren Stichen er und die Mann- schaft sich nur dadurch retteten, dafs sie sich mit Tüchern und Fellen bedeckt mehrere Stunden lang auf dem Boden der Barke niederlegten; endlich am 22. Mai in der Seriba, wo der Blitz in eine von der seinigen nur wenige Schritt entfernte Hütte einschlug, sechs Menschen tödtete, und die Hütte in Brand steckte.

Die Briefe des Hrn. Dr. Schweinfurth sind in der Zeit- schrift der hiesigen geographischen Gesellschaft und in Hrn. Pe- termann’s „Mittheilungen“ abgedruckt. Mit den jüngsten Briefen sind auch wissenschaftliche Manuseripte angelangt: geographische von einer Karte begleitete Mittheilungen, die nach des Reisenden Wunsch Hrn. Professor Koner übergeben wurden, meteorolo- gische Aufzeichnungen und eine Handschrift botanischen Inhalts, welche nach dem Leben entworfene Beschreibungen der in den Ländern südlich vom- Bahr el Ghasäl bis zum 7. Grade N. B. beobachteten neuen oder zweifelhaften Pflanzen enthält. Die Zahl der in diesem Bereiche vom Mai bis Juli aufgefundenen Pflanzen- arten beträgt 660, die Zahl der auf der ganzen Reise bisher ge- sammelten Arten 2322.

Von den Sammlungen des Reisenden sind schon zwei Ab-

theilungen, die erste im April vorigen Jahres, die zweite im Laufe

dieses Monats angelangt; sie enthalten die auf der Reise bis Fa- [1870] 4

50 Öffentliche Sitzung vom 97. Januar 1870.

schoda gesammelten Naturalien, und sind in den betreffenden Kö- niglichen Museen niedergelegt.

Was Hrn. Dr. Schw einfurth’s weitere Pläne betrifft, so haben die bisher so günstigen Erfolge seiner Reise und das gute Ein- vernehmen mit der Handelsgesellschaft des Ghattas ihn ermutbigt, sich einer von diesem beabsichtigten, Anfangs November nach beendigter Regenzeit zu unternehmenden grofsen Expedition in das Hochland der Njam-Njam anzuschliefsen, das die Scheide zwischen den dem Nil und den dem Niger zufliefsenden Gewässern zu bil- den scheint: eine naturgeschichtlich völlig unbekannte Gegend, die erst von einem einzigen Europäer, dem Italiäner Piaggia, betreten wurde. Diese Expedition, auf welcher allem Vermuthen nach Hr. Dr. Schweinfurth gegenwärtig begriffen ist, war auf 4—6 Monate veranschlagt.

Ist auch keinen Augenblick zu vergessen, dafs Hr. Dr. Schweinfurth in einer Gegend weilt, die auf die Länge sich noch jedem weilsen Eindringling in der einen oder anderen Art verderblich erwies, SO darf man andererseits behaupten, dafs so acclimatisirten und doch ungeschwächten Leibes, bei geringen Mitteln so gut ausgerüstet, bei aller Verwegenheit so besonnen und in Allem, was Erfolg sichern kann, schon so erfahren wie er, vielleicht noch kein Reisender in das Herz des gefürchteten Conti- nentes drang; während sein vielseitiger F orschungstrieb und seine rastlose Arbeitskraft, in Ländern fast so neu als werde, um mit Darwin zu reden, ein anderer Planet betreten, eine des Na- mens der Humboldt-Stiftung würdige wissenschaftliche Ausbeute hoffen lassen.

Die im laufenden Jahre zu Stiftungszwecken verwendbare Summe beläuft sich, abgeseben von 375 Thlrn., die für Hrn. Dr. Hensel, und von 600 Thlen., die für Hrn. Dr. Schweinfurth reservirt werden, ordnungsmäfsig abgerundet auf 2200 Thlr.

Siüzung der philosoph.-kistor. Klasse vom 31. Januar 1870. 51

31. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Kirchhoff las: über eine jüngst publicirte, ver- muthlich lakonische Urkunde.

Unser Vorratl griechischer archaischer Inschriften auf Bronze ist in der letzten Zeit durch zwei Cabinetstücke vermehrt worden, eine lokrische gröfseren Umfanges und eine weniger umfangreiche von Tegea, welche man zunächst für arkadisch halten sollte. Was mich veranlafst, hier einige Bemerkungen über die letztere mitzutheilen, ist lediglich der Umstand, dafs die Erklärung des Denkmals durch die im Übrigen durchaus sachgemäfse und ein- sichtige Besprechung des ersten Herausgebers, Hrn. Eustratiades (E.pruegis Roy amorRoyızy N. F. n. 410, T£f. 50«, 5), noch nicht so

_ weit gefördert erscheint als es möglich und nothwendig ist, um

die Bedeutung der Urkunde für unsere Kenntnils in ihrem ganzen Umfange erkennen zu lassen.

Ich constatire zunächst, dafs das Alphabet der Insehrift aller- dings in allen Punkten genau der Vorstellung entspricht, welche auf Grund der wenigen bisher bekannten altarkadischen Inschriften von dem Character des Alphabets dieser Gegend sich hatte bilden lassen. Dagegen bieten die sprachlichen Formen der Urkunde eine Reihe von Abweichungen von denen einer bekannten jüngeren Te- geatischen Steinschrift (Jahrb. f. Phil. u. Pädag. 1861. S. 585 ff.), auf welche wir bisher für die Erkenntnifs der Eigenthümlichkeiten des arkadischen Dialektes wenn nicht ausschliefslich, doch vor- nehmlich angewiesen waren. Ich gebe im Folgenden eine Zu- sammenstellung dieser Abweichungen.

1. Die Bronze schreibt im Anlaut der Worte das Vau, wo es erwartet werden darf, die Steinschrift bietet keine Spur desselben, auch da, wo man es erwarten sollte.

2. Der Verbalendung -vrı, wie sie die Bronze hat, steht auf der Steinschrift -vsı gegenüber. Desgleichen lauten die Zahlwörter von Hundert bis Neunhundert auf jener auf -srıor, auf dieser auf -«sıcı aus. Im Zusammenhang da- mit steht auch, dafs die Präposition, deren attische Form eos ist, auf der Steinschrift vos lautet, während der Dia- lekt der Bronze zor! festgehalten zu haben scheint (roS- izovTec).

4*

[eb |

12)

Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Der Nominativ des Artikels im Plural lautet auf der Bronze ro rei (ra), auf der Steinschrift or («t za).

Gegen «ro der Bronze steht «zu der Steinschrift.

In der dritten Person des Singulars im Medium und Pas- sivum bietet die Bronze in der Endung -ra:, die Stein- schrift regelmäfsig -roı.

Die Partikel & wird auf der einen (Vorder-) Seite der Bronze consequent «i, auf der anderen (Rück-) Seite fünf- mal e? und nur einmal noch «ai geschrieben. Die Stein- schrift hat durchgängig «t.

Der Infinitiv des Verbum Substantivum lautet auf der Bronze Zusr, auf der Steinschrift zvaı.

Vergleicht man mediale Imperativformen, wie anussOw (Sing.) und !rera«s«sSwv (Plural) der Steinschrift mit ar- 2225>w (Sing.) und dverosSw (welches viermal begegnet und dem Zusammenhange nach in allen diesen Fällen die dritte Person Plur. des Imperativs sein mufs, obwohl es als solche noch ungelöste Schwierigkeiten darbietet) der Bronze, so zeigt sich auch in diesen Bildungen eine nicht unerhebliche Divergenz.

Die Bronze bedient sich ausschliefslich der Partikel »« in den Verbindungen « (&) und &re z«, die Stein- schrift hat ebenso regelmäfsig «v in der Verbindung ei- av und den conjunctivischen Relativsätzen: ro, r@ av; orı ori dv; dse av, so wie in dem räthselhaften u27r7 a. In be- stimmten Fällen erscheint vereinzelt EIKAN, was man sich zav zu lesen gewöhnt hat, das aber wohl richtiger als & z&v d.h. & za @v zu deuten ist.

Es liegt auf der Hand, dafs mit Ausnahme etwa von n. 3. 8. 9, in allen übrigen Fällen die Formen der Bronze entweder die ursprünglichen sind, aus welchen die der jüngeren Urkunde sich entwickelt haben, oder wenigstens jenen näher stehen, als die letzte- ren, und dafs, da beide Denkmäler zeitlich weit von einander ab- liegen, die Möglichkeit nicht bestritten werden kann, dafs beide dem- selben Dialekte angehören, wenn sie auch verschiedene Entwicke- lungsstadien desselben vertreten mülsten; n. 6 zeigt sogar den Über- gang bereits in der Epoche des älteren Denkmales in Vollzug be- oriffen. Dagegen ist es ebensowohl möglich, ja in Anbetracht der oben ausgeschiedenen Fälle sogar wahrscheinlich, dafs wir Denk-

vom 31. Januar 1870. 53

mäler verschiedener Dialekte vor uns haben, also das Idiom der Bronze nicht das von Tegea ist. Weder der Fundort, wie sich zeigen wird, noch das Alphabet, welches in dieser Gestalt nicht etwa blos in Arkadien, sondern im ganzen Peloponnes, mit Aus- nahme von Argos, Korinth und der Insel Ägina, das gemeinübliche war, sind geeignet die Frage endgültig zu entscheiden. Ich komme auf diesen Punkt weiter unten zurück.

Zu bedauern ist, dafs der Graveur seine Arbeit sehr nach- lässig gethan, und sich mehrfach Buchstabenversetzungen und Aus- lassungen hat zu Schulden kommen lassen. Die meisten dieser Fehler sind von dem Herausgeber berichtigt worden, auch seine Lesung verdient im Allgemeinen Billigung, obwohl an einzelnen Stellen eine Änderung nöthig scheint. Ich setze daher den Text der Urkunde her, wie ich glaube, dafs er gelesen werden mufs, bemerke darunter die Fehler des Originals und begründe die mir nothwendig scheinenden Abweichungen von der Lesung des Heraus- Sebers in der Kürze.

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frei.

a. b. , n Ü \ a, > Bovdıe ro BrAayalı dın- Movlıa - mapza9yaa To 1 m j} Ü 2 zarıla nvai. Prayalın rergazarıcı 2 P) N 6) 3 RR nenn. . avderitw, Mval agyvpiu. ' 3 SE »9 Sc er > DR E ai ÖdE 2 amoDary, TWV TeH- ei nlev zu Quwn, auros av- 3 5 > U J ® , \ \ 4 vwv | YMEV, EmEIı HR MevTs FE- EAETOUW, al de | un Cwn, To 4 en» »19 \ N) 9 ..7E8 | vBuvri. vior aveAocTw Tor yor|rıor, ETEL b) > Sy \ y N, y A 6 a 0E 2a N yeryrelı mevrs za Hlaswvrı mevre Ferele. 6 Er 3 \ 5 \ m \ 1 Ferwv, Emieisarov nlaev’ | dıa- ei ÖE 28 an Cwvru, Tal SUu- 17 m \ \ J > \ J yuausv de TWG Teyeorels] | Yarspzs | MVEROTIUW Ta yvy- IN Ü 8 . zarcv Seduov/ Fiat. NO J \ or a \ frei. ei öde za m | Slälrı, vu 8 / > Ü voor AveAorTu. > J \ IQ m si de ze | un voDa davr, 9 \ B)] AI e) TO ATTTTE moTırovrles cv- 10 EOTTW. 6) b) \ ei de. avıbıreyuvrı, rloı 11 m Ö / \ Teysaraı Oayvovrw zaroV | SJeSuov. 12

mama

54 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

a. 2. in der Lücke vTOEHITO || 6. TETNETON || d. 2. TIE TPAKATIAI \ 9— 10. TOIZAZI£TATOOIK|EX | 10—11. ANOIAE- coNTJo!.

In der zweiten Zeile der Seite « liest der Herausgeber wi edros [ef 76 (oder Fe) Aver2rSo. Weder 7% im Sinne des sonst auf der Bronze durchweg gebrauchten &uy ist wahrscheinlich, noch das Adverbium +5 oder gar 5 für reüro glaublich; dazu kommt, dafs unter allen Umständen «uros falsch bezogen erscheint. Die Schrift ist auf dieser Seite der Platte absichtlich getilgt und darum schwer zu lesen; ich glaube, dafs eine nochmalige genaue Prüfung der Stelle ergeben wird, dafs auch hier nichts Anderes gestanden hat, als was die analoge der anderen Seite erwarten läfst, nämlich ar 26 eur; auros avererTw.

In der sechsten Zeile hat sich der Herausgeber damit begnügt das verschriebene werverov in mivr’ irav zu ändern. Da die Bronze aber wiederholt Firs« schreibt, so war ein weitergreifender Fehler anzunehmen.

a

In derselben Zeile liest der Herausgeber Imidizerov Nuev und versteht unter Zrıdizaror die Verwandten, welche in Ermangelung von Kindern Erbansprüche erheben konnten. Dies würde sich hören lassen, wenn das Wort seiner Bildung nach aktiven Sinn haben könnte, was nicht der Fall ist. Die Lesung, welche ich vorschlage, bedarf keiner Rechtfertigung; höchstens bleibt zweifelhaft, ob auch hier wieder ein Irrthum des Graveurs anzunehmen und Zmıidızasrov herzustellen ist; Zrıdızau neben Zridızulwn wülste ich wenigstens sonsther nicht zu belegen. Jedenfalls ist der Sinn: Sind keine Kinder am Leben, so soll Epidikasie verstattet sein, natürlich für diejenigen, welche auf Grund ihrer Verwandtschaft mit dem De- ponenten glauben Ansprüche auf das Depositum geltend machen zu können.

In der ersten Zeile der anderen Seite accentuirt Hr. Eustra- tiades magRaTyA als Verbalform und wundert sich mit Recht, dafs der somit in erster Person von sich redende Deponent nicht bei Namen genannt sei, da Xuthias dann nothwendig-als die Person zu betrachten wäre, bei der das Depositum hinterlegt wurde. Es genügt zu bemerken, dafs die Unterdrückung des Augmentes, welche diese Lesung voraussetzt, ganz unzulässig ist. Vielmehr ist mit anderem Accente vagzeI(I)yze als Substantivum zu nehmen und

vom 31 Januar 1870. 55

Xuthias dann die Person, in deren Interesse das Depositum hinter- legt worden ist, d. h. der Deponent selbst.

Die Bronze war auf beiden Seiten beschrieben; jede Seite enthält eine besondere selbstständige Urkunde über die geschehene Hinterlegung eines Depositums von resp. 200 und 400 Minen Silbers. Zweifellos sind Minen äginäischen Fufses zu verstehen, so dafs jene Ziffern die ansehnlichen Beträge von etwa 7250 und 14500 Thalern repräsentiren. Der Deponent ist in beiden Fällen dieselbe Person, Xuthias, des Philachäos Sohn, die Urkunden liegen also zeitlich höchstens um einige Decennien auseinander, worauf ohne- dem die Gleichartigkeit des Schriftcharakters hinweist. Auf der- jenigen Seite, welche die Urkunde über 200 Minen enthält, ist die Schrift absichtlich, wenn auch nicht bis zu völliger Unleserlichkeit, getilgt, woraus, wie der Herausgeber richtig bemerkt, zu schliefsen ist, dafs diese Seite zuerst beschrieben war: als später Xuthias das Depositum um weitere 200 Mine vermehrte und auf die Höhe von 400 brachte, wurde die ältere Urkunde kassirt, und eine neue über 400 Minen auf der anderen Seite ausgestellt. Hierzu stimmt cs, dafs auf a noch regelmäfsig «i, auf b bereits überwiegend & geschrieben ist. Beiden Urkunden sind Bestimmungen über die eventuelle Aushändigung des Depositum an den Deponenten oder, nach dessen Tode, an seine Erben angehängt; diese Bestimmungen sind in beiden dem Wesen nach identisch, auf der jüngeren Ur- kunde nur genauer detaillirt, als auf der älteren, welche sich mit einer mehr summarischen Fassung begnügt. Neu ist in jener nur die durchaus nicht selbstverständliche Verfügung, dafs in Erman- gelung chelicher Kinder die etwa vorbandenen unehelichen vor den ayyırreis zur Erhebung des Depositums berechtigt sein, also in Bezug auf dieses Erbenqualität besitzen sollen.

An dieser Verordnung hat der Herausgeber mit Recht An- stofs genommen, da sie mit einem bekannten Grundsatz des helle- nischen Familienrechtes unvereinbar ist und die 400 Minen doch auch nicht als voSei« betrachtet werden können, weil im Falle des Vorhandenseins einer ehelichen Descendenz letztere vor den voSce ausdrücklich zu Erben berufen wird. Eine Lösung dieser Schwie- rigkeit ist nicht versucht worden; vielleicht wird es den folgenden

Erwägungen gelingen darzuthun, dafs sie nur scheinbar ist.

Auf den ersten Blick wird Mancher geneigt sein, in dem De- ponenten Xuthias des Philachäos Sohn einen Bürger von Tegea

56 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

voraüszusetzen. Allein die gleichlautende Schlufsbestimmung bei- der Urkunden, der zufolge in auf das Depositum bezüglichen Rechts- händeln ‘die Tegeaten nach dem Gesetz’ d. h. Tegeatische Richter nach dem in Tegea geltenden Rechte entscheiden sollen, beweist unwiderleglich, dafs Xuthias ein Ausländer war, weil nur in diesem Falle ihre Hinzufügung nothwendig, im anderen, weil selbstver- ständlich, rein überflüssig sein mufste. Durch Unterbringung sei- nes Vermögens, soweit es in baarem Gelde bestand, oder eines Theiles desselbrn im Auslande hatte er nun das Depositum der Einwirkung des heimischen Rechtes und der Entscheidung der richterliehen Behörden seiner Heimath, deren Urtheile für das Aus- land wirkungslos waren, entzogen und sich völlig freie und will- kürliche Disposition über dasselbe gesichert; der Modus der Aus- händigung wurde durch ein Privatabkommen mit der Stelle, bei welcher deponirt worden war, geregelt und letztere an die Bestim- mungen desselben gebunden. Dieses Übereinkommen war für die Erben des Deponenten unanfechtbar, weil der Depositar die Ent- scheidungen ausländischer Gerichte nicht zu respectiren hatte, die Gerichte von Tegea aber in Sachen der Erben als Ausländer nicht competent waren, aufser in. den Fällen, in denen sie das Über- einkommen selbst als competent anerkannte und dadurch auch die Erben nöthigte, sich ihrer Entscheidung zu unterwerfen, weil der Depositar vertragsmäfsig nur der Entscheidung tegeatischer Richter Folge zu geben gehalten war. Bei dieser Lage der Sachen begreift es sich vollkommen, wie der Deponent Verfügungen über einen "Theil seines Vermögens zu treffen im Stande war, durch welche die ayyırreis in ihren Rechten benachtheiligt wurden, ohne be- fürehten zu müssen, dafs die Vollstreckung seines Willens durch deren Einspruch werde behindert werden. Die Motive, welche ihn dazu veranlafst haben, vermögen wir natürlich nicht zu beurtheilen, allein die faktische Möglichkeit von etwas der rechtlichen Theorie nach Unmöglichen ist darum nicht minder erwiesen.

Es kann auffallen, dafs der Depositar, dessen Wohnsitz zu Tegea gewesen sein muls, in keiner der beiden Urkunden genannt oder bezeichnet wird. Es folgt daraus aber eben nur, dafs der- selbe nicht ein Privatmann gewesen kein kann, weil in diesem Falle die Urkunde ihn unbedingt zu nennen gehabt hätte; für den Fall aber, der dann als allein möglich noch übrig bleibt, war eine Nennung oder Bezeichnung des Depositars überflüssig. Wir wissen, dals

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die Hellenen ihre Tempel, sowohl die der engeren, wie der wei-

teren Heimath, im letzteren Falle namentlich die von ausgebrei- tetem Rufe und Einflusse, wie den delphischen u. a. als Depositen- banken zu benutzen pflegten, und dafs dies ebensowohl von Staaten als von Privatleuten geschah. Die auf solche Depositionen be- züglichen Urkunden wurden natürlich in den Tempeln selbst auf- bewahrt und ausgehängt, und dieser Umstand machte auf ihnen eine besondere Angabe über den Depositar oder den Ort der De- position entbehrlich, wenn er sie auch nicht unbedingt ausschlols. Jedenfalls deutet das Fehlen einer solchen Angabe auf den vor liegenden Urkunden darauf hin, dafs Xuthias sein Capital bei einem "Tempel in Tegea hinterlegt hatte, der zugleich die Urkunde darüber bewahrte. Ohne Zweifel war es der berühmte, im ganzen Pelo- ponnes und auch über die Grenzen desselben hinaus hochange- sehene Tempel der Athene Alea, dessen Asylschutz selbst von spartanischen Flüchtlingen wiederholt in Anspruch genommen und auch von dem Vororte des peloponnesischen Bundes stets respectirt worden ist. Bekanntlich wurde der alte Tempel Ol. 96, 2 durch eine Feuersbrunst zerstört und dann durch den Neubau des Skopas ersetzt (Pausanias 8, 45. 4); allein es können durch diesen Unfall nicht alle Urkunden und Weihgeschenke, die der alte Tempel barg, verloren gegangen sein. Wenigstens waren die Fesseln der Lake- dämonier, welche Herodot (1, 66) im alten Tempel sah, im neuen noch zu Pausanias Zeiten (8, 47. 2) vorhanden, wenn auch vom Rost zerfressen; auch das bronzene Pallasidol, welches in Tegea gefunden sein soll und sich jetzt in Athen befindet (BDulletino dell’ inst. arch. 1865. p. 131), und dessen Basis die Aufschrift trägt:

ANE®EKENTA®BENAÄIAI

mu[s aus dem Inventar des alten Tempels stammen, da die Buch- stabenformen der Widmung auf die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. hinweisen '). Unsere Bronze wäre das dritte nachweisbare Beispiel dieser Art; ein viertes bietet eine weiter unten zu berüh- rende Steinschrift, welche wenigstens im Temenos des Tempels vor Ol. 96, 2 aufgestellt gewesen sein muls.

1) zaSyvala nöthigt zu der Annahme, dafs der Stifter des Weihgeschenkes ein Athener war.

ee

TE en

58 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Man wird den Umstand, dafs die Nationalität des Xuthias in den Urkunden keine ausdrückliche Bezeichnung gefunden hat, nicht gegen die oben verfochtene Annahme geltend machen wollen, dafs er nicht von Tegea, sondern ein Ausländer war; aber nicht unerwünscht wäre es, zu wissen, in welcher Gegend von Hellas seine Heimath zu suchen ist. Posidonios bei Athenaeos 6, 233 berichtet, dafs die Spartaner, um das Verbot des Privatbesitzes von Gold oder Silber zu umgehen, gewohnt gewesen seien, ihre Baarschaften bei den benachbarten Arkadern zu deponiren: Awze- Smımorıoı Öumo rwv Evuv ZunAverevor sircpegsiw eig vr Zragrıv, ws 6 auros irroger Iorsıdwnıos, zu zrarTan eegryugov ze ygurcv EHTRVFO nev oudev Yrrov, magazursriIevro Ö: rois Gmogoıs ’Agzasın, und ich halte es auch aus andern Gründen für sehr wahrschein- lich, dafs Xuthias ein Spartiate war. Das Alter der Bronze, welche nach dem allgemeinen Charakter der Schrift unzweifelhaft der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. angehört, steht einer solchen Annahme nicht entgegen; denn wenn man auch der Überlieferung, wonach jenes Verbot des Besitzes von Gold und Silber bereits von Lykurgos erlassen sein soll, keinen Glauben schenkt, so wird man doch auch nach der andern Seite die entgegengesetzte An- gabe, der Besitz von Gold und Silber sei in Sparta den Privaten kurz nach dem Ende des peloponnesischen Krieges bei Todesstrafe verboten worden, nicht so verstehen dürfen, als habe vor dieser Zeit ein solehes Verbot überhaupt nicht existirt; vielmehr ist an- zunehmen, dafs um diese Zeit auf die bekannte Veranlassung hin das ältere Verbot nur von Neuem eingeschärft und die Strafe der Übertreter erhöht worden ist. Auch die Schrift der Bronze kann ebensowohl lakonisch als arkadisch sein, da die Alphabete beider Gegenden vollkommen identisch waren. Entscheidend aber scheint mir die Sprache der Urkunden zu sein.

Denn war, wie bemerkt, Xuthias ein Ausländer, so fällt da- durch auf die oben besprochenen dialektischen Abweichungen der Bronze von den sonst bekannten Formen des tegeatischen Idioms ein neues Licht und es läfst sich die Vermuthung nicht leicht ab- weisen, dafs zwischen jener Thatsache und diesen Erscheinungen ein ursächlicher Zusammenhang Statt finde. Es scheint zwar natürlich, anzunehmen, dafs dergleichen Urkunden von der Behörde des Tempels, bei welchem deponirt worden war, ausgestellt wur- den; dafs dies aber thatsächlich wenigstens nicht immer der Fall

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war, beweist unwiderleglich eine Steinschrift gerade derselben Fundstätte. Das an der Stelle des alten Tegea gefundene Frag- ment C. I. @. 1511, welches den Anfängen des peloponnesischen Krieges angehören muls, enthält ein Verzeichnifs von Beiträgen in Gold und Silber, welche von verschiedenen Staaten und Privaten an die Lakedämonier zu Kriegszwecken gezahlt worden waren; die Aufstellung der Urkunde in Tegea kann aus keinem andern Grunde erfolgt sein, als weil die auf ihr verzeichneten Summen eben an diesem Orte hinterlegt waren, aller Wahrscheinlichkeit nach gleichfalls beim Tempel der Athene Alea, wie wir denn wissen, dafs die Spartaner Staatsgelder z. B. beim Tempel zu Delphi zu deponiren pflegten; in den Zeiten des peloponnesischen Krieges bedingten die Verhältnisse die Nothwendigkeit, einen näher gelegenen Ort zu wählen, und eignete sich für die Aufbewahrung _ von Geldern, welche für Zwecke des peloponesischen Bundes ver- wendet zu werden bestimmt waren, kaum ein anderer Tempel mehr, als der im ganzen Bereiche des Bundesgebietes angesehene tegeatische. Ohne Zweifel war auch diese Urkunde im Temenos des Tempels aufgestellt. Gleichwohl weicht auch ihre Sprache von der jener tegeatischen Steinschrift in folgenden Punkten ab:

1) Das Vau ist im Anlaute verschiedener Worte noch le- bendig.

2) Die Namen der Zahlwörter von zweihundert an endigen auf -«rıo, nicht -@sıoı; dem wos der tegeatischen Urkunde steht hier #=crı gegenüber; vgl. das häufige rorcu oder zorren 0).81.0V.

3) Die männliche Form des Artikels im Plural lautet rc, nicht ot.

4) Der Genetiv der Einheit von männlichen Stämmen der ersten Declination zeigt die gemeindorische, durch Contraction aus -«o entstandene Endung (in Ar[z]zd« vice), während tegeatische Inschriften (C. I. G. 1513. 1514) ihn auf -«v endigen lassen (Eiuy?ıdav, "Arorruvdav), ja diese Endung sogar auf die weib- lichen Stämme derselben Declinationsklasse übertragen; vgl. dawev, Zoyuwiev, Erdozeö der mehrerwähnten Steinschrift.

Von dieseu Abweichungen lassen sich 1, 2 und vielleicht auch noch 3 unter der Voraussetzung erklären, dafs der Dialekt der Inschrift nichtsdestoweniger der von Tegea sei, allein Nr. 4 schlielst diese Möglichkeit aus; denn von dem aus «o entstandenen « der älteren Urkunde ist zu dem «u der jüngeren tegeatischen In-

60 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

schriften kein Übergang denkbar. Mit Recht hat daher Ahrens geleugnet, dafs der Dialekt unserer Urkunde der tegeatische sein könne, und die Behauptung aufgestellt, welche, wenn jene Fol- gerung zugegeben wird, unausweichlich wird, dafs er als lakonisch in Anspruch zu nehmen sei; auch ich habe daher seiner Zeit kein Bedenken getragen, die Inschrift als einen Beleg lakonischer Schreib- weise zu verwenden. Ist dem aber so, und es kann nicht anders sein, so ist auch erwiesen, dafs die Urkunde nicht von dem De- positar, der Tempelbehörde zu Tegea, sondern den Deponenten, den Lakedämoniern, ausgestellt worden ist.

Das Gleiche für unsere Bronze anzunehmen, unterliegt also gar keinem Bedenken. Dann aber dürfte es auch schwerlich zu- fällig sein, dafs, abgesehen von den Fällen, in denen eine Ver- gleichung nach der Lage der Überlieferung nicht möglich ist, die Bronze und die als lakonisch erkannte Steinschrift in dialektischen Eigenheiten überall da übereinstimmen, wo beide vom tegeatischen Idiom, so weit es uns bekannt ist, abweichen, wovon sich zu überzeugen ich den Lesern überlassen kann'). Ich wage also die Behauptung aufrecht zu erhalten, nicht nur, dafs Xuthias ein Spar- tiate war, sondern auch, dafs die ihn betreffenden Urkunden von ihm und in seinem, d. h. dem lakonischen Dialekte ausgestellt sind. Was dagegen bei oberflächlicher Betrachtung vom sprach- lichen Standpunkte etwa noch vorgebracht werden könnte, dient bei genauerer Prüfung meiner Annahme nur zu weiterer Unter- stützung. <

1) Nach der gemeinen Überlieferung setzte der lakonische Dialekt » für $ im An- wie im Inlaute; unsere Bronze schreibt dagegen ZovSie (bis), aroTavn, SeSuov (bis), FagAu Sir, Suyarzgss, voSo: (bis), moSizovrec, der verschiedenen dverirOw und averosIw gar nicht zu gedenken. Allein nicht nur die Tafeln von Heraklea kennen kein » für $, sondern auch alle altlakonischen, im nationalen . Alphabet geschriebenen Inschriften ohne Ausnahme halten das I fest und schreiben za Ieigur, aveIyze (öfter), ’ASavaig, TeIgimmu,

1) Die Vergleichung mit anderen lakonischen Sprachdenkmälern ergiebt, dafs aufserdem die Verbalendungen -vrı, -raı, die Infinitivform Anev, die Form der Präposition uno, die Partikeln al und dem lakonischen Sprachgebrauche gemäfs sind; ebenso die Endung des Imperativs in Jıayövrw, welche freilich auch arkadisch und gemeindorisch ist.

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Barassınv, S[e]o, ASavator, KogivSior, TiguvSucr, Ozsmins, KuSvio; keine einzige von ihnen bietet ein « für $. Letztere Schreibart gehört den Zeiten nach dem Ende des peloponnesischen Krieges an und kann nur für sie urkundlich belegt werden. Wenn daher die Überlieferung des Textes der Alkmanischen Fragmente und der lakonischen Stellen bei Aristophanes und Thukydides diese Ortho- graphie befolgt, so mufs geurtheilt werden, dafs hierin die Ein- wirkung einer grammatischen Recension zu erkennen ist, welche die Schreibweise einer späteren Zeit zum Maflsstabe nahm.

2) Die Bronze schreibt Oaswvr:, bewahrt also inlautendes r zwischen Vokalen, welches doch nach der Überlieferung der Gram- matiker im lakonischen Dialekte in den-Spiritus asper überzugehen pflegte. Und in der That bieten die altlakonischen Inschriften in Übereinstimmung damit Formen wie &woirs, Zvizas, VIraas, “Ayyisroaros und sogar Hoc:davos. Aber keine von denen, auf welchen sich diese Schreibung findet, kann über den Anfang des peloponnesischen Krieges hinaufgerückt werden und die lakonischen Stellen bei Aristophanes, in denen die Überlieferung sie gleichfalls (wenn auch ohne Consequenz) bietet, sind eben auch nicht älter. Da- gegen zeigen nicht nur die Tafeln von Heraklea, sondern auch die Fragmente des Alkman durchaus keine Spur dieses Überganges, sondern bewahren regelmäfsig das v. Es folgt hieraus, dafs die Verflüchtigung des « zwischen Vokalen erst in der Zeit zwischen dem Ende des 7. Jahrhunderts und den Anfängen des peloponnesi- schen Krieges in den Dialekt einzudringen begonnen haben kann, und dafs auf Urkunden, welche diesem Zeitraum angehören, nicht ohne Weiteres der Spiritus statt des « erwartet oder gar verlangt werden darf. Vielmehr ist aus den Urkunden wo möglich zu lernen, bis zu welchem Zeitpunkte sich das & behauptet hat. Nun schreibt das platäische Weihgeschenk, aus der Zeit unmittelbar nach den Perserkriegen, welches als eine lakonische Urkunde zu betrachten ich das Recht zu haben glaube, noch ®rearıoı; bis wenigstens in diese Zeit also war das « zwischen Vokalen fest

geblieben. Kann also die Bronze als dem platäischen Weihge- schenke gleichaltrig oder gar als älter betrachtet werden, so ist eine Schreibung wie 7Carwvr: auf ihr nicht nur unanstölsig, son- dern sogar die allein mögliche und darum zu erwartende. In der That stammt sie aus derselben Zeit wie jenes. Um dies zu erwei-

sen, wird es vollkommen genügen, die Buchstabenformen beider Fr

62 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Urkunden einander gegenüber zu stellen; ich füge die Varianten der übrigen lakonischen Inschriften hinzu und bemerke nur noch, dafs die Richtung der Schrift auf beiden wie auf den meisten der übrigen rechtsläufig ist, während die wenigen älteren meist ent- weder linksläufig oder in furchenförmig geordneten Zeilen geschrie- ben sind.

Das Platäische Die Bronze: Weihgeschenk: a. b. REN A A FRE B B 3. 7G C C A sd D D WE E EEE ad ze F F ee : ne Bude B 1 9». 8 © ® © 10. I | | 1m iK K K 12 A AN 13. M M M 34. N N N 15. O 0) 1693 n n LER : RR I zZ zZ 19:7, 18 T DOM V V 21. ® ® ® ER (&) ri m @ 23. V (x) Vo VM)

1. Später A || 2. Auf anderen Inschriften B || 3. Auf einer älteren Urkunde < || 5. Aufälteren & || 6. Auf älteren F || $. Auf anderen E bis in den Anfang des peloponnesischen Krieges, später

P

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geöffnet H. Das Weihgeschenk schreibt "Egmovns, wie die Bronze „Baswvrı || 9. Später, doch noch neben Hi, in vereinfachter Form © || 12. Später A || 17. Auch eckig R und auf anderen die ein- fachere Form P || 18. Auf den älteren Urkunden dreistrichig $ || 20. Auf anderen auch Y || 23. Auf anderen auch Y ||

Die Übereinstimmung kann nicht gröfser sein. Ich glaube daher an meiner Annahme, dafs Xuthias ein Spartiat war und die von ihm ausgefertigten Urkunden, obwohl in Tegea aufgestellt, nach Sprache und Schrift als lakonisch zu betrachten sind, so wie, dafs sie aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. herrühren, unbedenklich festhalten zu können.

Aber, wird man fragen, wie kam ein Spartiat dazu "Achäer- freund’ zu heifsen !), da doch das Verhältnifs der herrschenden Spartiaten zu ihren Unterthanen und Leibeigenen achäischer Ab- kunft notorisch zu allen Zeiten ein keineswegs freundliches war? Ich erwidere darauf, dafs auch diese Regel ihre Ausnahme hatte _ und dafs nachweislich diejenigen Elemente im Schoofse der spar- tanischen Bürgerschaft, welche sich in Opposition zu den beste- henden Zuständen befanden, im Besonderen die Glieder der beiden Königsfamilien, es mitunter nicht verschmähten sich auf die Sym- pathien der achäischen Unterthanenschaft zu stützen und als Ver- treter ihrer Interessen zu geriren; wollte doch König Kleomenes I. lieber als Achäer, denn als Dorer gelten (Herodot 5, 72), woraus meiner Ansicht nach noch keineswegs folgt, dafs die Königsfamilie der Agiaden wirklich achäischer Abkunft war, wie man wohl an- zunehmen pflegt. Wem indessen diese Auskunft nicht genügt, mag meinetwegen annehmen, dafs Xuthias nicht Spartiat, sondern La- kedämonier, d. h. achäischer Periöke war.

Ich füge zum Schluls noch eine Bemerkung hinzu. Wenn in beiden Urkunden übereinstimmend verordnet wird, dafs die Söhne des Deponenten nach dessen Tode zur Erhebung des Depositums berechtigt sein sollen, sobald sie das fünfte Jahr vom Beginn der +Cu zurückgelegt, so ist damit offenbar der Zeitpunkt bezeichnet, mit welchem nach dem in der Heimath des Deponenten geltenden

!) Dafs der Name des Sohnes, Xuthias, Verwandschaft mit dem des Vaters des mythischen Schaegs, Xuthos, zu verrathen scheint, ist wohl nur zufällig zu nennen.

64 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Rechte sie befähigt wurden, die selbstständige Verwaltung ihres ererbten Vermögens anzutreten. Ist, wie es allen Anschein hat, einer Angabe, welche sich unter den Herodotischen Glossen findet, zu trauen, so dauerte in Sparta das Alter der Ephebie vom 14. bis zum 20. Jahre: &prBevs: de mag alrois 6 mals ame Erwv TO Mey gt zo) 2. War also Xuthias, wie ich annehme, Spartiat, so erläutert. sich jene Bestimmung dahin, dafs seine Söhne mit dem vollendeten 18. Jahr, d.h. um die Zeit, zu der sie in die Altersklasse der so- genannten Werr.sigeves eintreten würden, den Besitz des deponirten Vermögens antreten sollten, und würde dadurch unter den ange- deuteten Voraussetzungen der Zeitpunkt des Eintritts der civilrecht- lichen Mündigkeit in Sparta für uns bestimmt sein.

Hierauf kam zum Vortrage der folgende

Bericht über die Handschriften von Arborea.

Die Frage über die Authenticität der in Oristano auf der Insel Sardinien in den letzten Decennien zum Vorschein gekom- menen, unter dem Namen der Handschriften von Arborea bekann- ten Pergament- und Papierhandschriften ist seit dem Jahre 1846, wo das erste derartige Document veröffentlicht wurde, vielfältig verhandelt worden, ohne dafs doch, wenigstens in Deutschland, viel mehr dafür geschehen wäre, als dals man sich, ohne weiteres Eingehen in die Sache, theils dafür, theils und häufiger dagegen entschied. Auch die grofse mit einer Reihe sorgfältiger Tafeln ausgestattete Gesammtpublication derselben durch Hrn. Pietro Martini!) rief keine genauere Untersuchung der Echtheitsfrage hervor. WHiedurch veranlafst sprach Hr. Baudi di Vesme, Mit- glied der Akademie der Wissenschaften von Turin und, wie auf anderen wissenschaftlichen Gebieten, so auch auf dem der sardini- schen Geschichte und Sprache seit längerer Zeit thätig, gegen den mitunterzeichneten Hrn. Mommsen bei dessen Anwesenheit in Turin

1) Pergamene, codici e fogli cartacei di Arborea. Cagliari 1863. 4. pp. 544. Dazu Appendice 1865. pp. 250.

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im März v. J. den Wunsch aus, dafs die hiesige K. Akademie die Frage einer sorgfältigen Prüfung unterziehen möge, und erbot sich zu diesem Ende die Übersendung einer genügenden Anzahl dieser jetzt sämmtlich in der öffentlichen Bibliothek von Cagliari aufbewahrten Handschriften nach Berlin zu veranlassen. Die phi- losophisch-historische Klasse der Akademie, von dieser Aufforderung in Kenntnils gesetzt, verkannte nicht die ernstlichen Bedenken, welche der Übernahme einer solchen Prüfung sich entgegenstellten, glaubte aber dennoch ein für den Auffordernden selbst sowohl wie für die Akademie gleichmäfsig ehrenvolles Vertrauen nicht anders erwiedern zu dürfen als durch Annahme des Auftrags. Selbst- verständlich konnte nicht davon die Rede sein eine wissenschaft- liche Frage durch einen akademischen Beschlufs entscheiden zu wollen; es lag der Klasse nur ob diejenigen ihrer Mitglieder, die für die verschiedenen hiebei in Betracht kommenden Fragen die fachkundigsten erschienen und die zugleich zu der Übernahme dieses Auftrages sich bereit fanden, zu einer solchen Prüfung zu veranlassen und deren Ergebnisse, welcher Art sie immer sein mochten, als Beitrag zur Klärung der keineswegs unwichtigen Frage der Öffentlichkeit zu übergeben. In diesem Sinne wurden in der Klassensitzung vom 7. Juni v. J. die Unterzeichneten mit der Prüfung der sardinischen Handschriften beauftragt und die- selben zugleich ermächtigt andere geeignete Gelehrte, die nicht der Akademie angehören, bei dieser Prüfung mit zuzuziehen. Nachdem Hr. Vesme von diesem Beschlufs in Kenntnifs gesetzt war, übersandte er versprochener Mafsen sechs dieser Documente im Original'), woneben andere in photographischen Nachbildungen oder in den Martinischen Stichen ebenfalls zur Beurtheilung vor- lagen. Die Beschreibung jener sechs Handschriften gab Hr. Vesme in dem folgenden, an den mitunterzeichneten Hrn. Mommsen ge- richteten Schreiben.

Quod tibi ante paucos menses versanti in hac nostra civitate sum pollieitus, impetraturum a Rectoribus Athenaei Caralitani, ut selectas quasdam e chartis manuscriptis Arboreensibus, de quibus magna inter doctos contentio est, concederent, ad vestram Scientia-

!) Nachträglich kam zu diesen noch ein siebentes hinzu.

[1870]

on

66 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

rum Academiam transmittendas, vestroque examini subjiciendas, id prospere successit. Chartas eas a me accepisti; jam eas tu ipse et nonnulli e collegis tuis, aliique docti viri, manibus tractaverunt; si quas insuper desideratis, eas me, ut priores illas, impetraturum confido. Ipse quidem e magna chartarum Arboreensium copia eas delegi, quas ad judieium de ipsarum palaeographica sinceritate fe- »endum utiliores futuras existimavi, et vobis argumenti ratione ac- ceptiores; tum quas, ipsa rerum de quibus agerent novitate aut gravitate, magis dubias, atque ideo examine vestro digniores exi- stimavi.

En nune chartarum quas misi enumerationem; cui interseram adnotationes quasdam meas; rationes insuper afferam, quibus ad- ductus singulas quasque potissimum delegerim.

I. Membrana palimpsesta, cujus vetustior scriptura est sae- culi VII ineuntis. Qui primus hanc membranam, et plerasque e chartis Arboreensibus edidit, vir elarissimus et honestissimus, idem- que dum viveret mihi amieissimus, nunc jam ferme ante triennium patriae et amicis immaturo fato ereptus, Petrus Martini, opinatus est, vetustiore scriptura exhiberi fragmentum chroniei de Sarrace- norum incursionibus, aliisque rebus Sardicis, ineunte saeculo VII. Mihi alia sententia est: habere nos prae manibus fragmentum auto- graphum epistolae Caralitani cujuspiam, enarrantis ea quae notatu digniora acciderant in sua civitate et finitimis locis, nec temporis nee locorum servato ordine, sed ut epistolam sceribenti singula quaeque se offerebant. De anno etiam quo litterae conscriptae sint, dubitari vix potest; cum enim duodecim anni elapsi dicantur a prima Arabum invasione, hanc autem esse ad annum DCCX re- ferendam jam satis constet, scripta epistola dicenda erit anno DCCXXI; quo nempe ipso anno sancti Augustini Hipponensis episcopi corpus redemptum fuit a Luitprando Langobardorum rege, et in Italiam advectum.

Ad vetustiorem elutam et evanidam scripturam resuscitandum Petrus Martini, seu verius Ignatius Pillito, a quo universae hae Arboreenses chartae primum lectae et transscriptae sunt, usus fue- rat galla diluta; sed parum prospero Successu, ita ut ejus editio multis adhuec lacunis hiet. Postea, antecessore quodam Caralitano docente, Ignatius Pillito atque ipse ego usi sumus parte una acidi gallici cum novem partibus aquae distillatae; cujus efficacioris re-

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medii ope, et quod membranam non corrumpit ac vix foedat, la- cunae aliquot suppletae sunt; reliquae etiam, ni fallor, suppleri possunt.

Recentior scriptura, quam ad priorem saeculi XV partem re- ferendam esse, mihi sententia est, exhibet fragmentum, prineipio tamen et fine mutilum, pervenustae narrationis, antiquissimo italico nostro idiomate, amorum Helenae filiae Gonnarii Judieis Arbore- ensis, cum Constantino Judice Gallurensi; cui etiam ode inest, sive ipsius Constantini, sive, quod verius existimo, ejus nomine, qua obduratum Helenae animum flectere conatur. De aetate et auc- tore narrationis et carminis videndus Martini, Pergamene d’Arborea, ecc. pag. 114; tum quae ipse disserui in Commentatione Di Gherardo da Firenze e di Aldobrando da Siena, poeti del secolo XII, e delle origini del volgare illustre italiano, $. 39.

Hane autem membranam vestro examini subjiciendam delegi, primum quia omnium antiquissima, post unam eam paucis annis antiquiorem, sed jam et accurate editam, et Academiae nostrae Taurinensis judicio comprobatam, quae Deletonis hymnum de Ja- leto servavit; vide Memorie della R. Accademia delle Sceienze di To- rino, Serie II, Vol. XV, Parte II, pag. 305 e seguenti. Quin et eo ipso quod sit palimpsesta, non una ratione conferre ad sincerum de hisce chartis ferendum yudicium videbatur. Accedit, quod hac una membrana duo, et argumento, et longo temporis intervallo in ter se dissita, antiqua monumenta uno intuitu vestris oculis sub- Jieiuntur. Me movit etiam rerum, quae tum vetustiore tum recen- tiore scriptura exhibentur, gravitas et praestantia. Epistolae enim fragmentum multa habet notatu digna de Caralitanae civitatis anti- quis monumentis et historia; et Jalus seu Jaletus ibi memoratur; ut sic quae priore membrana traduntur, haec quoque jam sua auc- toritate confirmet: tum sancti Ignatii, veteris illius Ecclesiae Pa- tris, patriam fuisse Noram Sardiniae („quod ejus cocives Nuran.“); cf. Martini, Pergamene ecc. d’Arborea, pag. 531 e 540. Recentior autem scriptura servavit insigne antiquitate et praestantia, et vel nunec post alias plures cognitas chartas Arboreenses unicum soluta oratione, si minuta quaedam excipias, specimen nascentis tunc ita- licae linguae. Sed de hujusmodi antiquissimis italici sermonis re- liquiis pauca infra adnotabo oportuniore loco.

II. Membrana saeculi XIII, exhibens partem epistolae viri inter Sardos aetatis suae longe doctissimi Georgii de Lacono ne-

63 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

poti suo (puto fratris filio) Petro de Lacono. De hac membrana conferendus Petrus Martini, Nuove Pergamene d’Arborea, Cagliari, Timon, 1849, pag. 101 e seguenti; et Pergamene ecc. d’Arborea, Pag. 139158 e 530-534. Membrana inferiore parte mutila est; supe- riore parte non quidem mutila, ut priori Editori visum, sed, quod nemo hactenus animadvertit, superstiti huic aliam praesutam fuisse, suturae vestigia manifesto produnt. Gravius est ad rem nostram, quod, meo quidem judicio, non hoc est epistolae Georgi de Lacopo exemplum serius confectum, sed ipsa epistola nepoti Petro missa, et ab co cum aliis chartis quampluribus ad historiam Sardicam pertinentibus (vide Martini, Pergamene ecc., Pq9. 93, 103, 130, 139), guarum maximam partem procul dubio ipse Georgius collegerat, religiose asservata. Non tamen esse hoc ipsum Georgii de Lacono autographum ea significatione contendo, quasi integram membranam ipsius manu perscriptam affirmem; fieri enim facile potuit, ut quae ipse in schedis digessisset, et forte diuturno studio retractasset, amanuensi describenda in hac membrana mandaverit. Üerte ab ejus mann sunt verba quaedam passim postmodum adjeeta, quae non sunt seribae corrigentis si quae per incuriam erraverat, sed ipsius auctoris, quae prius scripserat accuratius et plenius expla- nantis. Confer Martini, Pergamene ecc. d’Arborea, pag. 531, lin. ult. _-532, lin. 7; pag. 932, lin. 11; lin. 6 —27; lin. 31—32; pag. 533; lin. 1-2 e lin. 9.

Scripta autem est epistola vivo adhue et regnante Comita Ju- dice Arboreae, atque ideo inter annum MCOXXXVIH et MCCLHI. Sub initium ejus regni scriptam puto; Comita enim extremis regni sui annis „bonis initiis malos eventus habuit“.

Delegi Academiae vestrae mittendam hane membranam, primum quia sinceritatem suam ipso adspectu proditura mihi videbatur; dein ob ea quae versu nono leguntur de Tigellio: „suis nobis transmissis poesibus, quas autem vorans tempus wagna ex parte paullatim confecit“; unde apparet, quod neutiguam mireris, Tigellii carmina diu in Sardinia lectitata fuisse, et saeculo XIII ineunte nondum prorsus interlisse. Movit etiam, quod huic epistolae insertae sint quinque stanliae cantionis (ita cum Dante appellabo) poetae Caralitani Bruni de Thoro; ita ut ejus carminum antiquitas et sinceritas, quae se carmina ipsa legenti jam satis prodit, novo veteris hujus membranae et Georgii de Lacono testimonio con-

firmetur. Exemplar photographicum maxımae partis hujus mem-

vom 31. Januar 1870. 69.

branae, mea cura ante aliquot annos perfectum (vide Martini, Pergamene ecc., pag. 530) ad vos nuper misit Michael Martini, Petri frater.

Ad membranas Arboreenses notandum, omnes, una excepta quinta (nam membranae laeinia quam sub numero VIII edidit Martini, Pergamene ecc., pay. 217—218 e 539 —540, non est Arboreensis, sed Polae a Pillito reperta, suturae veteris cujusdam libri firmandae apposita), in usum tegendorum librorum adhibitas fuisse; quod uti mutilandarum causa fuit, ita earum saltem partem ab interitu vindicavit. |

III. Codex chartaceus, saeculi XV ante medium, integer, foliorum 158; exhibet vitas illustrium Sardorum collectas a Sertonio Phausaniensi saeculo IV, sed refectas et corruptas, primum exeunte saeculo VII aut ineunte VIII, a Deletone et Narcisso jussu Jaleti regis; dein iterum ab Antonio, ut videtur, episcopo Ploacensi sub finem saeculi XIII; prae ceteris pristinam formam servare mihi videtur vita Tigellii. Occasione alicujus personae aut loci in singulis vitis memorati, adjecta passim sunt excerpta nonnulla ex aliis Sardis scriptoribus, a Bus per Sertonium collectarum corpore prorsus aliena.

De hoc codice videnda quae primus tradidi in Bollettino Archeo- logico Sardo, Vol. X (1864), pag. 99; tum quae Martini, Appendice alla Raccolia delle Pergamene ecc. d’Arborea, pag. 3e seguenti.

Eum examini vestro commendat rerum quae exhibet novitas et gravitas, et ipsarum veritas detectis longo demum tempore post 'scriptum codicem monumentis confirmata.

IV. Codex chartaceus ejusdem aetatis, foliorum 24, integer; quo exhibetur Contio habita ab oratoribus quarumdam Sardiniae eivitatum coram Stephano novo Praeside, imperante Constantinopoli Constantino Pogonato; adjectae sunt, et praecipuam codieis partem constituunt, amplae ac maximi ad historiam momenti Notae seu explanationes, Severino adscriptae, Caralitano, monacho et trivii magistro; cujus inter chartas Arboreenses superest etiam breve Chronicon eorum, quae memorabilia in Sardinia acciderunt ab anno DOCLXXVIII ad annum DCCCXIII, quod editum primum, uti et haee ipsa Contio cum suis Adnotationibus, a Salvatore De Castro (Nuovi Codici d’ Arborea, publicati dal Canonico cav. Salvator Angelo De-Castro; Cagliari, 1860, pay. 59—79), et denuo a Petro

70 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Martini, Pergamene ece. d’Arborea, pag. 244 251. De hoc codice videndus Martini, Pergamene ece., pag. 221 e seguenti.

V. Codex chartaceus, ejusdem aetatis, foliorum item 24; utrum integer sit an fine mutilus, affirmare non ausim; vide quae hac de re tradidi in Commentatione Di Gherardo da Firenze ece., $. 15, sub finem. Deseriptum videre est apud Martini, Appendice alla Raccolta delle Pergamene ece., pag. 138 segg.; et & memet ipso in Commentatione Di Gherardo da Firenze ecc., $. 11—15. Exhibet excerpta carmina poetarum saeculi XII Bruni de Thoro Caralitani, et Aldobrandi Senensis, tum breve fragmentum Gherardi Florentini; demum quaedam carmina Sardoa ejusdem Bruni. Ex his maximam partem unus hie codex servavit; sunt tamen quaedam Bruni, quae prostant etiam in membrana Arboreensi auctori coaeva (judicio etiam Caroli Milanesi, Palaeographiae olim Professoris, quem ea potissimum inspecta movit, ut de sinceritate harum reliquiarum nascentis tunc italicae linguae omnem dubitationem abjiceret), de qua videndus Martini, Pergamene ecc., 130 segg., et Appendice alla Raccolta ecc., pag. 149—153; tum Vesme, Di Gherardo ecc., $. 21; ac praeterea, ut supra monuimus, quinque stantiae cantionis Bruni ad Pretiosam leguntur in membrana saeculi XIII, quam supra descripsi sub numero U. At praeterea carminum Aldobrandi Senensis quae hoc codiee habentur pars servata est duplici alio manuscripto codice, supparis aetatis, Florentino altero, altero Senensi, utrisque ex Panormo transmissis. Senensis codieis Berolinum misi paginam photographice expressam. Et sane Aldobrandi nomen et aetas primum innotuere non chartis Arboreensibus, sed per Adolphum Bartoli e codice Florentino;. sed tum invento fides non stetit. Qua ‘de re videndi Martini, Appendice alla Raccolta delle Pergamene ecc., pag. 142—144; et Vesme Di Gherardo da Firenze ecc., $. 3.

VI. Ejusdem ferme aetatis folia undeecim, quorum duo dimidiata (pauca praeterea alia adhuc sunt apud inventores) avulsa e codice item chartaceo; quorum prioribus continentur carmina italica, ceteris Sardoa carmina: illa quidem saeculi XII, Bruni et Gherardi; haee vero diversorum poetarum et aetatum. Egi de hoe manuscripto codice in Commentatione Di @herardo da Firenze ecc., $. 16 et 75, tum in Nuove Notizie intorno a Gherardo ecc. Si perpauca excipias quae ipse edidi, ea quae his foliis continentur nondum. in lucem prodierunt; imo carmina italica, ob seripturae difficultatem, nondum

vom 31. Januar 1870. | ‘1

exscripta sunt. E Sardois carminibus nonnulla sunt codiei ipsi coaeva, et ea quidem tum maximi momenti ad historiam Sardiniae illustrandam, tum ad hanc ipsam quaestionem de chartarum Arbore- ensium origine et Sinceritate.

Nobis Italis vix quidpiam majus et insperatius in re litteraria accidere poterat, quam ut Italiei scriptores in lucem prodirent, tum iis qui pro antiquissimis in hanc diem habiti sunt, integro saeculo antiquiores, tum non uno respectu praestantiores. Hine quamvis nunc Italorum plerique aut otio torpentes (pudet dicere!) aut aliis distrieti curis bona studia passim negligant, non defuere tamen, qui magni momenti quaestionem agitarent. Inter eos qui, veteris nostrae italicae linguae studio insignes, inspectis codieibus, et poesibus perpensis, earum sinceritatem propugnarunt, principem procul dubio locum tenet Caesar Guasti, in Archivio Oentrali Florentino a supremo Rectore Francisco Bonaini secundus, Aca- demiae quam della Orusca vocant Socius, et editis operibus de antiquis nostris scriptoribus clarus; cujus sententiae accessere plures docti viri, inter quos memorasse sufficiat Fransciscum Zambrini, Bononiensem, et Lucianum Banchi, Senensem. Adhuc aversantur nonnulli, inter quos insignis sane vir Alexander D’Ancona, Ante- cessor Pisis, et Adolfus Borgognoni, Ravennae; neque id mirum; nee enim quae teneris ab unguiculis quispiam didieit ac pro veris et certissimis habuit, facile rejiciat, ut novis atque ob id-ipsum suspectis fidem accommodet. Quibus vero nitantur argumentis, ‘qui inter Italos antiquissimorum carminum quae nuper in lucem prodierunt sinceritatem respuunt, et quaenam illis de origine ac aetate chartarum Arboreensium, tum codicum Florentini et Senensis, sententia sit, nec ipsi nec alius quispiam adhuc prodidit; omnes tamen fatentur, non hujusmodi esse quaestionem quae silentio et contemptu solvi possit, quo uno litterariae fraudes plerumque corruunt, sed validis argumentis et diligenti ipsorum monumentorum examine. Mihi ea sententia est, praeter rei novitatem et ipsam, si ita loqui fas sit, ejus molem, nullum alicujus momenti argumentum contra harum chartarum fidem et antiquitatem posse afferri; sed ob hanc ipsam rei novitatem et inventi praestantiam non defuturos e coaevis nostris, qui in eis rejiciendis aut saltem pro dubiis habendis perdurent, vel si, ut mihi fert animus, earum sinceritas ‚Academiae vestrae et aliorum qui eas perpenderint doctorum virorum Judieio firmetur; tanta est longae et inveteratae opinionis vis, et

72 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

mutandae sententiae diffieultas! Credent et recipient, nullo jam adversante, filii nostri; et temporis lapsu, qui fraudes et spuria monumenta quamplurima in dies contemptui et oblivioni tradit, sinceris hisce veritas fidem adstruet, ac, quem in re nova ac nuper inaudita frustra speres, diu cognita consensum faciet.

Sed antequam longae huic epistolae finem faciam, unum hoc monitos adhuc velim te et reliquos vestrae Academiae Socios: me, chartarım Arboreensium sinceritatem propugnantem, de sola palaeo- graphica earum fide loqui. Rerum quae chartis ipsis exhibentur auetoritas longiore disputatione tractanda est tun demum, cum ipsa manuscriptorum sinceritas sit extra dubitationem posita; et de singulis quae in is libris narrantur, non de tota simul, tum aetate, tum origine, tum ipsa rerum indole haudquaquam parl, ehartarum Arboreensium congerie ferendum erit judicium.

Scribebam Taurini, pridie nonas novembres, anno MDCCCLXIX.

Die Unterzeichneten fanden es angemessen, die HH. Alfred Dove, Philipp Jaffe und Adolf Tobler um ihre Mitwirkung bei der Prüfung der Handschriften zu ersuchen, die demgemäfs bereitwillig gewährt ward.

Die paläographische Untersuchung erschien der Commission als die hauptsächliche, insbesondere deshalb, weil die Vertheidiger der Fragmente sich stets vorzugsweise auf die Autopsie der Ori- ginale gestützt hatten und weil ja überhaupt die Intervention der Akademie zunächst für diese Prüfung angerufen worden war, da über die anderen einschlagenden Fragen auch auf Grund der Mar- tini’schen Publication hin jeder Sachverständige im Stande war zu urtheilen. Das unter A angeschlossene Gutachten des Hrn. Jaffe erledigt diese Frage in definitiver Weise, indem es in den ersten 14 Zeilen der oben mit II. und den ersten zwei Seiten der oben mit III. bezeichneten Handschrift eine wohl selbst im Ge- biet der Fälschungen bisher unerhörte Reihe von paläographi- schen Unmöglichkeiten aufweist. Die Commission hielt es für angemessen die förmliche Motivirung des Urtheils auf diese wenigen ‚Abschnitte zu beschränken, da die Fortsetzung der gleichen undank- baren Arbeit zu nichts geführt haben würde; während andererseits die sämmtlichen Documente von Arborea sachlich in dem Grade unter einander connex und correlat sind, dafs schon aus diesem Grunde die nachgewiesene Fälschung eines derselben den Nach-.

vom 31. Januar 1870. Ta

weis für alle in sich trägt. Die Commission erklärt aber aus- drücklich, dafs unter allen Stücken, die im Original oder in Ab- bildung ihr vorgelegen haben, nicht ein einziges sich befindet, dessen Echtheit irgend einem ihrer Mitglieder auch nur wahr- scheinlich erschienen wäre, und dafs, nach der gewissenhaften Überzeugung der Unterzeichneten, die gesammte Masse der soge- nannten Fragmente von Arborea, bei aller ihrer Verschiedenheit unter einander, dennoch von einem Fälscher oder mindestens einer Fälschergruppe angefertigt worden ist.

Obwohl hiermit die Commission die ihr gestellte Aufgabe a als erfüllt ansah, erschien es ihr doch angemessen, die Prüfung nicht auf die Paläographie der Documente zu beschränken, sondern die naheliegende Frage, wie die Documente von Arborea in sprach- licher wie in sachlicher Hinsicht zu den sonstigen wissenschaftlich gesicherten Thatsachen sich verhalten, wenigstens in einer Anzahl von Beispielen zu erörtern. Denn es leuchtet ein, dafs diese mannichfaltigen und inhaltreichen Urkunden durch die Beschaffen- heit des in ihnen gebrauchten Lateinischen und Altitalienischen, durch ihr Verhältnifs zu dem, was anderweitig über die ältere und neuere Geschichte der Insel Sardinien und Italiens überhaupt fest- steht, ebenso sehr, wenn sie echt waren, vielfältige und deutliche Beweise der Echtheit in sich tragen mulsten, wie im umgekehrten Fall ebenso vielfältige und ebenso deutliche Beweise der Unecht- heit. Aus diesen Erwägungen sind die weiteren, diesem Bericht unter B. C. D beigefügten Specialuntersuchungen hervorgegangen. Sie haben, jede unabhängig angestellt, durchaus zu demselben Ergebnifs geführt wie die paläographische des Hrn. Jaffe: so- wohl diejenige des Hrn. Adolf Tobler über die in dem Akt- italienischen dieser Documente auftretenden sprachlichen Eigen- thümlichkeiten (Anl. B), wie diejenige des Hrn. Alfred Dove über das Verhältnifs derselben zu den gesicherten Thatsachen der mittelalterlichen Geschichte (Anlage C), wie endlich die- jenige des mitunterzeichneten Hrn. Mommsen über die von dem Urheber dieser Documente mitgetheilten oder benutzten römischen Inschriften (Anl. D). Alle diese Untersuchungen ergaben zugleich sichere Anzeichen dafür, dafs hier eine Fälschung neuesten Datums vorliegt, angefertigt mit Benutzung von Büchern und Inschriften, die erst in den letzten Decennien veröffentlicht worden sind.

Das Ergebnifs der Untersuchung ist also dahin zusammen zu

74 Sitzung der philosophisch-historischsn Klasse

fassen, dafs die sämmtlichen unter dem Namen der Documente von Arborea publieirten Urkunden falsch sind und dafs gegen die- selben, ebenso wie gegen die ligorischen Inschriften oder die simonideischen Handschriften, die Vertreter des ganzen einschlagen- den philologisch - historischen Forschungsgebiets gleichmäfsig Ein- spruch erheben. Haupt. Mommsen.

Anlage A,

Von den zahlreichen, in Arborea zum Vorschein gekommenen und zumeist durch Pietro Martini stattlich edirten Handschriften, deren Echtheit aus inneren Gründen angefochten und aus äufseren in Schutz genommen wird, haben mir zur Prüfung ihres paläogra- phischen Charakters im Ganzen sieben Stücke vorgelegen: zwei Membranen (eine gröfsere und eine kleinere) und fünf Papier- codices.

Eine vorläufige Betrachtung zeigte, dafs die Schriftart der gröfsern Membran’) dem 15ten Jahrhundert angehört und, indem ich an der kleinern?), die einen Palimpsest darstellt, die primäre in jüngerer römischer Cursive gehaltene Schrift aulser Acht liefs, dafs ebensowohl ihre secundären Züge wie die Formen der übrigen Handschriften etwa dem löten Jahrhundert zuzurechnen seien.

Nachdem dann die Untersuchung, von der anfänglich verwir- renden Mannigfaltigkeit der Stücke und ihrer Schriftsorten unbeirrt, den Erzeugnissen einzeln und mit schärferer Aufmerksamkeit sich zugewandt hatte, gewährte ihr Gesammtergebnifs mir die volle Überzeugung, dafs mit diesen Handschriften der gelehrten Welt ein Betrug gespielt worden ist.

Am augenfälligsten ist die Unechtheit in der scheinbar dem 13ten Jahrhundert angehörenden Schrift der grölsern, 104 Zeilen enthaltenden Membran, von welcher auch ein Facsimile hier ein- getroffen ist und deren Inhalt Pietro Martini herausgegeben hat, Pergamene codici e fogli cartacei di Arborea p. 139— 157.

Schon die Grundstriche der einzelnen Buchstaben verrathen den modernen Schreiber, der von der eigenthümlichen und unver-

1) Sie ist in dem oben abgedruckten Brief Vesmes mit II bezeichnet. 2) Vesmes n. I.

vom 31. Januar 1870. 75

rückbaren Federhaltung einer mittelalterlichen Hand keine sichere Kenntnifs besafs. Sie entbehren daher der Gleichmäfsigkeit nicht allein in verschiedenen Buchstaben, sondern verlaufen auch einzeln genommen ungleichmäflsig. Hierdurch erhält das Document ein höchst verdächtiges Aussehen, wie es unter gewissen Verhältnissen ausreichen müfste, die Glaubwürdigkeit einer Urkunde zu er- schüttern.

Allein diese allgemeine Wahrnehmung welche, für sich hingestellt, natürlich Gegner gefunden hätte wird noch von an- deren Merkmalen mehr als unterstützt.

Bekanntermafsen ist der Consonant ö im Mittelalter durch das- selbe Zeichen sichtlich gemacht worden wie der Vocal i. Man kannte zwar ein nach unten verlängertes i, jedoch nicht als Conso- nanten, nicht als Jod. Der Fälscher aber vermag sich dieses mo- dernen Buchstabens nicht zu erwehren, wie’ die folgenden Beispiele zeigen, denen ich die Nummern der sie enthaltenden Zeilen in Klammern hinzufüge:

1j9 huius (3. 24), juuenili, juvenis (5), Jactabatur, deje- cit (7), judicem (8), major (10), jucunde (11), Jocunditatem, cujus (12), jus (19), ejusque (24) u. Ss. w.

Entscheidender als diese unmittelalterliche Verwendung des Jod fallen gegen den Schreiber seine Abbreviaturen ins Gewicht, durch die wir belehrt werden, dafs er nicht einmal die Anfangs- gründe der Paläographie inne hatte. Schon die ersten 14 Zeilen dieses umfassenden Stücks auf die ich mich beschränken will

gewähren in dieser Beziehung hinlängliche Proben.

Das Jedem wohlbekannte unten durchstrichene p, das p ver- wendet er zwar einigemal richtig für per, zugleich aber auch wider alles Herkommen und wider die allgemeine Regel, dafs jeder Ab- kürzung ein feststehender Werth zukommt, für prae, pri, prin, pru und pur.

1) für prae: pcepia = praecepta (3); pditus praeditus (omni virtute) (5); pstans = praestans (5); pbedi = prae- bendi (7).

2) für pri und prin: pmus primus (12); ppes = principes (6).

3) für pru: pdetiam = prudentiam (6).

4) für pur: expg*e = expurgare (13).

76

Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Ebenso wenig hatte er eine Ahnung davon, dafs das über-

strichene p, D oder p unabänderlich die Bedeutung prae hatte.

Ihm gilt es auch für par, per und por:

1) für par: pi = pari (3).

2) für per: psoa = persona (3); recupavit —= recuperavit (3);

2 5 2 R 2 despans —= desperans (5); opa opera (6); excepunt exceperunt (6).

3) für por: lepibs leporibus (11).

Er verwendet zum Überstreichen des p eine nach unten ge- öffnete Schleife. Eine Bildung, die ihm noch wider allen und je- den Brauch in vielen anderen Fällen hilft. Denn die übergesetzte Schleife heifst ihm ar, er, ir, or, ori, ra, re, ri, ro und ur.

1) ar: 2) er:

3) ir: 4) or:

5), 91: 6) ra:

Dre: S)ert: 9) ro:

10) ur:

c&mibs carminibus (4); b*bar9 barbarus (14).

$moe sermone (1); genosa generosa (2); pat pa- ter (2).

itute = virtute (5).

robzati roborati (2); lab*es = labores (2); intem = mortem (5); exnare = ewornare (5); pribs ac lepibs = floribus ac leporibus au

memam memoriam (4).

mi&ri = mirari (1); Juia = gravia (2); jta = grata (3); ins = trans (6); fier frater (7).

insftavit iransfretavit (6).

patä patriam (1); »9 prius (14).

co&nam = coronam (1); iniduci = introduei (9).

Q expositus = expositurus (4); Cant = curant (13).

Wie ns nunc heifst und te tunc, so wurde für hunc im Mittel- alter hc geschrieben. Jedem, der schreiben gelernt hatte, war diese Kategorie geläufig. Der Falsarius kennt sie so wenig, dals er ha einige Male für haec setzt (3. 4), dann wieder für hac (7) und drittens für hoc (10). Dagegen erfand er sich für hune eine eigene Abkürzung, die im Mittelalter Niemand kannte: häc (9. 12).

vom 31. Januar 1870. 77

Mit diesen Beispielen ist die Fluth paläographischen Wider- sinns, der schon die erwähnten ersten 14 Zeilen des Schriftstücks überströmt, lange nicht erschöpft. Da kommen noch Abbreviatu- ren vor wie: mhi = mihi (1.3); ti = tibi (4.9); maga —= magna (3); pt = praeter (4); pst = post (5); quü = quum (1.2); alig —= ali- quod (1); glriam = gloriam (4) und vieles Andere noch, das die Unwissenheit des Schreibers auf Schritt und Tritt zu erkennen giebt.

Nachdem die ganze Armseligkeit des Unternehmens an dem einen Stück zur Evidenz gelangt war, erstaunte ich nicht, als in der einen Papierhandschrift!) (edirt von Martini, Appendice alla raccolta delle pergamene, dei codici e fogli cartacei di Arborea, Cagliari 1865) genau derselbe Schreiber sich kundthat. Schon die ersten zwei Seiten die ich ausschliefslich berücksichtige lehr- _ ten das zur’ Genüge.

Da erscheint wieder jene vielbedeutende Schleife als ar, er, ON NAQ,.Fae, 10.

1) als ar: mia —= carmina; bäb2e = barbare (vergleiche oben Seite 76 Zeile 13).

& 2) als er: pat = pater; integrima = integerrima; potu*unt = Po- tuerunt.

Laer ®

3) als or: memie = memorie. 2 Ss ee Ä £ 4) als ra: gt —= contra; guati = gravati; ilustuit ilustravit.

2 5) als rae und re: jco = graeco; frat Jratre.

Ein ähnlicher Wirrwarr wie von der Schleife wird hier auch von dem überschriebenen i erzeugt. Da heifst p wohl einmal rich- tig pri aber auch schon zweimal auf der ersten Seite fast unglaub- licher Weise post; glo’osa heifst gloriosa; m’a = mira; m’acula miracula; sat'is = satiris; clisma = clarissima; plu'es = pluries.

Daneben wuchern auch hier allerorten noch besondere Selten- heiten, wie cäa causa; süs = suis; archppo = archiepiscopo; Mago magno; retult retulit; esst = esset; alis = alüs; idm = idem; : fidm = fidem; eadm = eadem; orbaim —= orbatam.

1) Vesmes n..II.

73 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

So wenig also jene Membran im 13ten Jahrhundert beschrie- ben worden ist, ebensowenig gehört diese Papierhandschrift ins 15te Jahrhundert. Das heifst, die Schriftstücke sind damals nicht entstanden, als die Kunst zu lesen und zu schreiben gleicherweise auf der Kenntnifs der Abbreviatur beruhte wie auf der des Alpha- bets. Sie sind Erzeugnisse einer Zeit, da wie in unseren Ta- gen die Abkürzungen nicht mehr dem Lehrkreis der Schulen angehörten, und stammen von einem Autodidakten, der von den Gesetzen, die auf dem Felde der mittelalterlichen Abkürzungen herrschen, sich falsche Begriffe gebildet hatte.

Schwerlich aber mit Erfolg dürfte man die Behauptung wa- gen, in Sardinien sei das Schreibwesen so eigenthümlich entwickelt worden, dafs in jenen Abbreviaturen sich nur ein besonderes, der Insel ausschliefslich angehöriges System geltend mache'). Denn was wir da wahrnehmen, ist überhaupt nicht System sondern Con- fusion.

Es ist nicht denkbar, dafs in den Sardinischen Schulen gelehrt worden wäre, das unten durchstrichene p: 9 könne man setzen für per, prae, prin und pur, das überstrichene p: p dürfe benutzt wer- den für prae, par, per, por, man könne eine und dieselbe Schleife anwenden für ar, er, ir, or, ori, ra, Te, ri, ro und ur u. S. W. Eine solche Lehre würde ungefähr dieselbe Wirkung gehabt haben, wie wenn gestattet worden wäre, dafs man das Schriftzeichen 5 auch setzen dürfe für c, ©, r, u und ? und zu gleicher Zeit auch den Buchstaben e zur Bezeichnung von d, f, 9, k, I, m u. Ss. w.

Der Zweck des Schreibens ist, den Gedanken lesbar machen; mit jenem Durcheinander von Abkürzungen wäre erreicht worden, dafs der Sardinische Priester in einem aus Rom kommenden Mis- sale sich nicht zurecht gefunden hätte, dafs ein Brief aus Arborea in Pisa räthselhaft erschienen wäre, dafs in Sardinien weder eine unzweideutige Rechtsurkunde aufgesetzt noch überhaupt von einem Menschen des Nachbars Schrift sicher hätte verstanden werden können. . Diese Folge wäre eingetreten, wenn man —— um einige

1) Wenn aus einem nachträglich von Baudi de Vesme eingeschickten Document erhellt, dafs in sardinischen Schriftstücken des 16. und 17. Jahr- hunderts das j als Consonant auftritt, so beweist dies nur, dafs man in Sar- dinien an der allgemeinen Entwicklung der Schrift theilgenommen hat; denn in jenen Jahrhunderten war der Buchstabe überall in Geltung.

ee I

vom 31. Januar 1870. 19.

Beispiele zu geben beim Schreiben nicht unterschieden hätte parco, praeco und porco; prius und purus; princeps und praeceps; portio und pretio; permittere und praemittere; pergere und purgare; carminis, criminis und cur minis; dare, dire, dure und de re; Tro- ianus, Traianus, Turianus, ter Janus und tori anus; flore, flare und Jlere; frater, fratri und fratre u. S. w.

Nicht die eigenen Städtenamen Sardiniens hätte man bei sol- chem Schreiben vor Mifsdeutungen bewahrt. Denn *b2ea hätte al- lerdings gelesen werden können Arborea, aber auch orba rea, ro- borea, robur ea und urbi rea. Und Calis konnte man zwar lesen: Caralis, zugleich jedoch auch cera lis, cura lis, coralis. Ebenso

a2 konnte tris heilsen Turris, aber auch terris und torris.

Welcher Sardinier aber wird zugeben wollen, seine Vorfahren seien so thöricht gewesen, wie zu eigener Verunchrung eine beson- dere Methode zu erfinden und zu üben, vermittelst deren man $dus beliebig lesen konnte: Sardus oder surdus; absdis: ab Sardis oder absurdis; sdi: Sardi oder sordi; sdidiwini: Sardi divini oder sor- didi vini; sdi dati: Sardi dati oder sordidati?

Zu den voranstehenden Bemerkungen sind die ersten 14 Zei- len der einen Membran und die ersten zwei Seiten einer der Pa- pierhandschriften herangezogen worden. Bedarf es noch eines Wei- teren? Wäre es nöthig, für dasselbe Resultat auch aus den an- deren hierhergelangten Handschriften die Beweise aufzuhäufen, oder gar alle übrigen Stücke zu durchforschen, die in den letzten 24 Jahren in Sardinien ans Tageslicht gebracht wurden, die in der Bibliothek zu Cagliari aufbewahrt werden und die allesammt so harmonisch zusammenwirken, die Geschichte Sardiniens durch Thatsachen, Helden und Dichter zu beleben, und zu gleicher Zeit seine Literatur mit Inschriften, Annalen, Historien und Gesängen zu bereichern ?

Würde es ferner der Mühe lohnen, mit vielen Worten darzu- stellen, was bei einer unmittelbaren Betrachtung mit wenigen Fin- gerzeigen erwiesen werden kann: in wie augenfällig artificieller Weise das schmutzige Ansehen erzeugt ist, welches neben den er- borgten Schriftzügen die Bestimmung hat, die jungen Werke alt erscheinen zu lassen? wie die Blätter ganz oder nur ihre Ränder in mannigfache Flüssigkeiten eingetaucht, wie über gröfsere und kleinere Partieen fliefsender oder zäher Schmutz sei’s ergossen, sei’s

80 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

angespritzt, sei’s auf- und niedergestrichen worden ist? Diese Merkmale fügen zu den paläographischen Kriterien der Fälschung nur noch einige sehr äufserliche Momente, die hier erwähnt zu haben genügen mag.

Pbilipp Jaffe.

Anlage B.

Dafs die romanischen Sprachen, in bewufstem Unterschiede von der lateinischen, schon in früherer Zeit bestanden haben als diejenige ist, in welche die ältesten bis jetzt bekannten zusammen- hängenden Denkmäler hinaufreichen, wird Niemand bezweifeln, und so ist denn auch nicht ohne Weiteres auf die Aussicht zu verzichten, es werde der Wissenschaft noch der eine oder andere Fund vor- behalten sein, welcher altromanische Sprache noch vor dem 9. Jahr- hundert, in mehr als ein Wort oder eine Phrase umfassender Aus- dehnung durch die Schrift festgehalten, der Gegenwart zur Kennt- nifs bringe. Dafs gerade die Insel Sardinien die Heimat solcher Aufzeichnungen sein würde, war dagegen nicht eben wahrscheinlich; wir erwarten sie eher aus denjenigen Theilen des romanischen Gebietes, wo schon in früher Zeit die Volkssprache hinsichtlich ihres lautlichen Verhaltens so bedeutende Verschiedenheit von der lat. Sprache der Kirche, des Gesetzes, der Schule zeigt, dafs das Verständnifs dieser Letzteren dem Ungeschulten nicht mehr zuzu- muthen ist; und erwarten sie zuletzt aus solchen Theilen des Ge- bietes, deren Sprache noch heute, wie die sardinische Mundart es thut, mit verhältnifsmäfsig viel gröfserer Treue als die Schwester- idiome an Sylbenzahl, vocalischen und consonantischen Lauten der lateinischen Wörter fest gehalten hat. Diese Verhältnisse sind freilich nicht das allein Entscheidende; es kommt dazu, dafs die gesammte Culturlage, politische Ordnung, geistige Bildung u. 8. w. Aufzeichnungen in der Landessprache begünstigen, und dafs anderer-

seits die Erhaltung des Niedergeschriebenen durch eine gewisse Stä-

tigkeit der Interessen erleichtert werde. Auch in dieser Beziehung schien Sardinien zum mindesten in nicht günstigerer Lage als irgend ein Theil des romanischen Gebietes, die Donaufürstenthümer etwa ausgenommen.

N

vom 31. Januar 1870. sl

‚Indefs liegen nun einmal Denkmäler der besprochenen Art von sardinischer Herkunft vor; allerdings nicht blofs solche, die über alle bis jetzt bekannten romanischen Aufzeichnungen hinauf- steigen, sondern auch, aber nicht weniger erwünscht, solche, die blofs für die Geschichte der italiänischen Literatur und Sprache von Bedeutung sind; aber von nicht geringer; denn ganze Jahr- hunderte literarischer Verwendung sowohl der italiänischen Sprache als der sardinischen Mundart, kunstliebende Fürsten, dichterisch thätige Kreise sind der Forschung gewonnen, und, was Italien be- sonders erfreuen mulfs, dieses älteste literarische Treiben: ist gleich- zeitig mit dem der Provenzalen oder reicht über dasselbe hinauf, und da die zahlreichen biographischen Notizen, welche die Denkmäler begleiten, keineriei Hinweisung auf provenzalische Vorbilder enthalten, so ist der italiänischen Dichtung einheimischer Ursprung erwiesen.

Aber gerade die Massenhaftigkeit und das Gewicht des so plötzlich und so durchaus unvermuthet Gefundenen erregt Besorg- nils und mahnt, zu untersuchen, ob die Ächtheit der Denkmäler anzunehmen sei, oder ob man in den sämmtlichen Schriftstücken ein Werk der Fälschung zu sehen habe. Im Folgenden soll dar- gelegt werden, was dem Unterzeichneten die Denkmäler hinsicht- lich der in denselben vorliegenden Sprache und ihres Inhaltes, so- weit er die Literaturgeschichte interessirt, als unächt erscheinen läfst. Was die Herkunft derselben betrifft, so mag hier zuerst der Umstand berührt werden, dafs der ganze Schatz, so sehr ge- wisse Theile desselben literarisches Eigenthum der Halbinsel sind und in Toscana bekannt gewesen und gelesen worden sein müssten, in dem Einen Arborea gehoben ist, mit alleiniger Ausnahme einiger (4) Blätter, die im Florentiner Staatsarchiv liegen und über deren früheren Standort nichts mitgetheilt wird; denn ein zweites, in Siena befindliches Manuscript von 22 Blättern, kann nicht in Be- tracht kommen, da es erst 1862 durch Schenkung eines anonym gebliebenen Palerınitaners dahin gekommen ist. Auch der That- sache ist gleich hier zu gedenken, dafs die Documente zum gröfsten

Theile im Allgemeinen den Charakter der Schrift des 15. Jahr-

hunderts zeigen, während sie im 12. oder im 13. Jahrhundert ver- falst sein sollen, und dafs schwerlich ein einziger Abschreiber des 15. Jahrh. der Urheber der für das Werk einer unverstellten Hand unter sich doch allzu verschiedenen Züge auf sehr mannigfach

markirtem Papiere ist. Es würde dieser Umstand Auf ein in jener [1870] | 6

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Zeit rege gewordenes Interesse (mindestens Eines Sammlers, wahr- scheinlieh aber verschiedener Liebhaber) für die ältesten litera- rischen Denkmäler der engeren und der weiteren Heimat hin- weisen, welches mit der Thatsache der vollständigen Verschollen- heit jener Schriften sich nieht leicht vereinigen läfst. Insbesondre ist schwer zu begreifen die Art, wie der Hirtenbrief eines Bischofs “n sardinischer Prosa vom Jahre 740 auf uns gekommen sein soll: dieses Document (Pergam. 184) von keineswegs schr wichtigem Inhalte ein Bischof ermahnt seinen Clerus und vielleicht auch die Laien seines Sprengels zum Beharren im Glauben und nennt am Schlufs ein paar Prälaten, mit denen er in nächster Zeit kommen werde um seinen Bruder zu weihen, wegen des Todes des Felix, der in einem Kriege erfolgt sei, darin 1500 Sarazenen und 80 Sarden in Einer Nacht den Tod gefunden hätten war schon zur Zeit des judex Saltaro, dessen Regierung 1079 begonnen haben soll, in dem nämlichen trostiosen Zustande, in welchem es jetzt vorliegt, d. h. 'so voller Lücken, dafs es weder irgend wem zur Erbauung gereichen, noch als Beweismittel in irgend welchen Rechtsfällen dienen Konnte; gleichwohl liefs Saltaro es auf Fol. 167 einer Actensammlung eintragen, die er veranstaltet hatte, und sein Notar fügte der Abschrift ein Zeugnifs bei des Inhaltes, das Original habe sich in einem solchen Zustande der. Zernagung be- funden, dafs nichts als das abschriftlich Mitgetheilte ihm zu ent- nehmen gewesen sei. Die Lücken der Abschrift zeigten verschie- dene Länge, ohne Zweifel in genauer Wiedergabe der Vorlage. Jene Actensammlung kam im 14. Jahrhundert in die Hände eines Torbeno, der seinem Halbbruder, dem judex Mariano IV, von der- selben eine sehr genaue Beschreibung nebst Auszügen lieferte, die Foliozahlen zu jedem Stücke angab, die Lücken bezeichnete und ‚dabei eine: Sorgfalt an den Tag legte, die zwar ihm alle Ehre macht, die aber in diesem Falle ebenso wenig zu begreifen ist, wie das: Interesse, welches die ganze Mittheilung für Mariano haben konnte. Seinen Brief copirte 1385 ein Unbekannter aus un- bekannten Gründen, und diese Abschrift ist in Arborea ‚gefunden; es ist eine Handschriftbeschreibung, wie män sie ‚heutzutage etwa in einer gelehrten Zeitschrift zum Abdrucke bringt.

Nicht minder. unglaublichen Umständen verdanken wir die Erhältung einer Reihe altitaliänischer Sprachproben, (Append. 115), welche an Vollständigkeit für die verschiedenen Jahrhunderte und

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an genauer Datirung der einzelnen Bestandtheile wenig zu’ wün- schen läfst. Im Jahre 1271 wurde ein sardinischer Kaufmann von einem Römer seiner Sprache wegen angegriffen; da er sicli dem Gegner nicht gewachsen fühlte, wandte er sich an einen gelehrten Landsmann, Comita de Orru, und der setzte für ihn eine Denk- schrift auf, deren Inhalt sich der Gekränkte nur: einzuprägen brauchte, um Argumente in Menge zur Verfügung zu haben, welche geeignet waren, ‚den Römer zur Achtung vor der sardinischen Sprache zu zwingen. Comita brauchte sich das Material für seine Schrift nicht erst zu sammeln; ihm lag, von’dem Neffen des Ver- fassers geborgt, ein: leider: seither verschwundenes Werk vor, das alles Nöthige in bester Ordnung und Vollständigkeit bot, die „Ge- schichte der sardinischen Sprache“ von Giorgio. von: Lacon (geb. 1177, gest. 1267)., Unter diesem Titel (historid de ssa lingua sar- desca) hatte der gelehrte Verfasser der ebenfalls noch nicht wieder gefundenen „Mater Sardinia cognita“ ein Werk geschrieben, in wel- chem ‚er, gestützt auf zahlreiche selbstgesammelte sprachgeschicht- liche Documente, ‚Inschriften, Briefe, Gedichte u. s. w. und auf Beobachtungen, die er, zu diesem Zwecke kostspielige Reisen nicht scheuend, in Italien, Frankreich und Spanien gemacht hatte, über die Identität der sardinischen Sprache mit der rustiken Sprache der Römer und über ihr. Verhältnifs zur italiänischen, spanischen, französischen und provenzalischen allen wünschbaren Aufschlufs gab. Aus dieser Fundgrube zog Comita soviel ihm nothwendig schien, und da auch von seiner Denkschrift im 15. Jahrhundert eine Copie an- ‚gefertigt wurde, die nach Arboreä gelangt ist, so besitzen nun auch wir nicht blofs den Kern von Giorgio’s sprachgeschichtlichem Wissen, welches Martini.den Ausruf thun läfst: Bello ravvicinamento delle opi- nioni d’un dottissimo Sardo del XIII secolo eon quelle dei grandi filo- logi del XIX!, sondern auch wenigstens einen Theil der von ihm ge- sammelten Materialien. ‚So viel als Beispiel, auf wie wunderlichen Wegen die alten Sprachproben zu uns gelangt sein sollen.

Fassen wir nun die Sprache der ältesten aus Arborea gewon nenen Denkmäler ins Auge, so befremdet bei fast allen die geringe ‚Verschiedenheit. des Sprachzustandes von demjenigen, welcher in den früher bekannten ältesten Denkmälern, die doch um Jahrhun- derte jünger sind, sich kund gibt. Nirgends z. B. zeigt sich die geringste Spur einer Unterscheidung des Nominativs der Nomina 6*

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vom Casus obliquus in den sardinischen Denkmälern des 8. Jahr- hunderts, während die beiden romanischen Sprachen Galliens bis ins 14. Jahrhundert diesen Rest der lat. Nominalflexion festge- halten haben; und doch wäre gerade im Sardinischen, welches das auslaut. s sonst duldet und in der Verbalflexion bis auf den heu- tigen Tag aufweist, ein ähnliches Festhalten am lat. Vorbilde durch kein lautliches Hindernifs unmöglich gemacht worden, wie etwa im Italiänischen. Spuren der Erhaltung des auslaut. m in tonlosen Endungen zeigen sich freilich in dem Liebesliede des Schäfers Gitilinus vom Jahre 800 (Pergam. 466); aber einmal er- scheint dieses m in zahlreichen Wörtern des nämlichen Denkmals, welehe es nach Analogie ebenfalls haben müssten, nicht, so dafs man annehmen mufs, es danke sein Vorkommen in einzelnen Fällen nur einer Gewöhnung des Schreibers an lat. Texte, unı so mehr, als der früher erwähnte Hirtenbrief von 740 dasselbe auch nicht kennt; sodann ist gerade das auslautende m derjenige lateinische Laut, der in tonlosen Sylben in keiner romanischen Sprache eine Spur hinterlassen hat. Dafs vielfach ipsu geschrieben ist, hat ebenfalls kein Gewicht, denn die Formen mit assimiliittem p und die gekürzten ohne i, wie sie die Mundart Sardiniens jetzt ver- wendet, stehn überall gleichberechtigt daneben. In einer Beziehung stehn die ältesten sardinischen Denkmäler aus Arborea der jetzigen Mundart sogar näher als dasjenige, welches bisher für das älteste gehalten wurde und dessen Ächtheit aufser Zweifel steht, die Sta- tuten von Sassari aus dem Jahre 1316 (Hist. Patr. Monum. X). Das alte Perfectum des Indicativs (1. conj. cantdi, dsti, dit; da- neben andre, die lat. Formen getreu wiederholende Perfeeta, wie fechit, fuit, ‘deit u. del.) ist das in jenen Statuten allein vor- kommende; von den in der gegenwärtigen Mundart dafür einge- tretenen Formen cantesi, cantesti, cantesit; factesit und dgl. zeigt sich dort noch keine Spur; aber gerade diese Formen treten nun in den Pergamene als älteste auf, naresint im Hirtenbrief, moresit ebenda; auch Comita de Orru in seiner linguistischen Denkschrift von 1271 sagt eunservesit, cantesit, ponesit und dgl. und schreibt doch, wie er selbst sagt, die alte Mundart der Berggegenden (App. 120); er untermischt dann allerdings diese Formen mit eitarit, | usarit, furit und dgl., welche aber ebenfalls denen der Statuten an Alterthümlichkeit nachstehn und nach Analogie der Pluralformen auf arunt gebildet scheinen.

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Auch die neugefundenen Denkmäler der eigentlichen italiäni- schen Sprache, wie sie, in Toscana ursprünglich heimisch, von alten Florentinern, Senesen, aber auch Genuesen und Sarden in literari- schen Werken verwendet erscheint, zeigen eine bei ihrem hohen Alter überraschende Übereinstimmung mit denjenigen, welche man bisher für die ältesten gehalten hat. Kaum eine Form findet sich, die nicht bei Guittone ihre Parallele hätte. Der altit. Conditionalis auf ara, era, ira (ruhend auf dem lat. Plsqpf. Ind.), den man in neuster Zeit bei Vincenzo d’Alecamo und schon früher auch bei zahlreichen Dichtern aus anderen Gegenden Italiens nachgewiesen hat (Nan- nucci, Verbi, 1843 p. 323), tritt hier sogar nur sehr selten auf. Auch gewisse Wörter, welche bei den altitaliänischen Dichtern auffallen, weil sie eine den ital. Lautgesetzen zuwiderlaufende Behandlung der lat. Laute zeigen, welche aber bei diesen notorischen Nach- ahmern der provenzalischen Trobadors ihre Erklärung in dem Um- stande finden, dafs die Nachahmung des dichterischen Verfahrens eines fremden Volkes auch in der Einführung nicht nationaler Wörter sich kund zu geben pflegt, begegnen schon bei dem neuentdeckten alten Gherardo da Firenze und seinen Schülern, die mit den älte- sten Trobadors gleichzeitig gelebt haben und bei denen sonst keinerlei Bekanntschaft mit provenzalischer Dichtung bezeugt ist; sie brauchen lausor, zambra, ciera, bealtate (pr. lauzor, fz. chambre, chere, beaute) u. dgl., welche alle nur im prov. und im französ. Sprachgebiete heimisch, in Italien nur Fremdwörter sein können. Hier und da erscheinen dagegen allerdings Wörter, welche sonst noch kein romanisches Denkmal aufgewiesen hat und die man daher unter die von der Volkssprache früh aufgegebenen zu zählen gewohnt gewesen ist; so ore der Mund, more die Sitte, (dieses wenigstens im Französischen seit lange, aber nur im Plural, vor- handen); conquerere sich beklagen, (dieses allen romanischen Spra- chen unbekannt und schon darum nicht recht passend, weil conqueri oder romanisch conquerere mit con-queerere, das aufser Italien an die Stelle von conguirere trat, zusammenfallen musste); audere wagen (ebenfalls überall aufgegeben, vermuthlich, weil es von audire sich kaum unterschied, und durch ausare ersetzt). Die beiden letzt- genannten Wörter hat man freilich auch an je einer Stelle des Guittone gefunden; aber diejenige, wo das Erstere vorzukommen scheinen möchte, ist kaum zu verstehn, immer aber noch eher, wenn man concherere gleich dem fz. conquerir oder prov. conquerer

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setzt; diejenige wo Guittone aude audet vielleicht verwendet verständlich ist auch sie nicht und die des G&. Guinicelli , wel- chem Guittone auf die nämlichen Reime antwortet, und der es un- zweifelhaft lat. audet verwendet, gehören überkünstlichen Reime- reien an, deren Anlage ‚einen Latinismus erlaubt scheinen lälst, während die Pergamene (122) die Form in Prosa und im Munde einer Amme vorführen.

Bei andern Wörtern erheben sich Bedenken anderer Art: da begegnet z. B. oft plusor; das Wort ist allerdings altit. oft ver- wendet, nie aber anders als adjectivisch, wie das ihm entsprechende prov. plusor und fz. plusieurs; hier nun steht es ohne Weiteres wie das it. Adverbium piü@, auch bei Verben. Sollte hier. eine zu sorglose Benutzung der Commentare zu altitaliänischen Dich- tern, in welchen allerdings plusor durch pi“ erklärt werden mufste, da die ital. Sprache jetzt zur Wiedergabe des alten Adjectivs kein anderes Wort mehr hat als dieses Adverbium, an einem, Fälscher sich rächen? Aehnlich scheint es sich mit adesso zu verhalten. Dieses Wort heifst altit. nicht. blofs „jetzt“, sondern, gleichwie prov. ‚und afz. ades, ganz gemäls seiner Herkunft von «ad ipsum, auch „zugleich, alsbald“; es ist daher mehrfach von Commentatoren mit „allora* erklärt worden, so namentlich oft von ‚Salvini. zu Guittone, (dessen Sprachgebrauch überhaupt dem Leser der .arbor. Denkmäler in Versen und in Prosa’ so oft in Erinnerung ge- bracht wird). Nun zeigt sich aber mehrfach in den arbor. Denk- mälern adesso .da verwendet, wo zwar allora ganz gut stehen würde, 'adesso aber gar nicht gesagt werden kann, z. B. ne voi rimarr& adesso (d. h. wann ihr einmal alt und verblüht sein wer- det) lo voito conforto u. 8. f., Pergam. 120. —. Canto una poesid „ein Gedicht“ lesen wir in einem Prosa-Roman, der dem 12. Jahrh. angehören soll (ebenda 122); barbaro wird. ein Gärtner ‚ebenda genannt, der sich weigert, eine Blume herzugeben, so lange. sie noch frisch ist; dasselbe Prosa-Werk braucht in einer Weise, die sicher nie statthaft gewesen ist, den Ausdruck mischiatamente etwa für „qua. e 14“, in der Verbindung nämlich: „es wird Euch

dann keine Freude mehr gewähren di. correre mischiatamente infra.

le zambre a vostri mirador*, (zu Einer Person gesagt). Auffallender noch sind ‚einige Erscheinungen der Syntax der

arbor. Denkmäler: Es war bekannt, dafs Vergleichungssätze, die

sich an einen Comparativ, d. h. ein von ‚piü oder meno begleitetes

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Adjectiv anschliefsen, des einleitenden che entrathen, dafs sie.gleich mit dem non. beginnen ‚können, welches in solchen ‘Sätzen. das Verbum zu begleiten pflegt (Diez III, 384); es war nicht auffal- lend, wenn das Gleiche hinter den einfachen Comparativen (maggiore, minore, pia, meno, peggiore u. dgl.) sich zeigte, wenn z.:B. Guit- tone I, 16 sagte: maggio (= majus) & cominciare, non & seguire, oder II, 98: tw paghi pie, non fa quello u. dgl.; aber dafs auch hinter Adjectiven oder Adverbien im Positiv gleich gestaltete Vergleichungs- sätze in gleichem Sinne möglich ‘seien, war bisher unerhört; die Denkmäler von Arborea bevorzugen diese Construction, von der man nicht recht begreift, wie sie verstanden werden konnte: la bocca pande (d. h. si apre) a dolei e piacenti camti, non furon delle Sirene, Pergam. 119; amador[i] forte allumati dai suoi raggi, non fere vetro, ebend.; la pelle (einer Frau). piana e lucente, non e il. piano del mare, u luna fere, 120 (auch stylistisch bemerkens- werth!), und so unzählige Male. Es war bekannt, dafs auch im Italiänischen unter Umständen (ähnlich wie im Englischen) das Relativpronomen entbehrlich ist, wie denn , Guittone L,. 37 sagt: non vive alcun uom, dicesse che in voi manca alcuna cosa u. dgl., ebenso, dafs die Alten blofses che = quod) brauchen, wo jetzt ciö che gesagt werden mufs; dafs man aber sowohl ciö als che, nicht blols das. Relatirpronomen, sondern. auch das,.,worauf sich: der Relativsatz bezieht, streichen und dem Leser zumuthen kann, gleichwohl zu verstehn, zeigen wohl ganz allein die Dichter von Arborea; hier lesen wir: vo: sta. catun desia, und das heifst: in voi sta ciö che ciascun desidera, 490b. Es werden nämlich auch Präpositionen in fast unbeschränkter Ausdehnung nach Belieben oder Bedürfnifs gesetzt oder unterdrückt. Da altfrz. und prov. der Unterdrückung der Präposition « (= .ad) vor einem Nomen, das eine Person bezeichnet, nichts im Wege steht, wofern das Nomen die Stellung eines lat. Dativobjeetes einnimmt und nicht etwa zur Bestimmung ‚des Zieles dient, da ferner auch ‚altitaliänisch, wenigstens, beim betonten '-Personalpronomen, die nämliche Er- scheinung vorkommt, . wie der Herausgeber des Guittone fast auf jeder Seite seines ‚Dichters besonders notirt,; so kann das häufige Vorkommen; der 'nämlichen. Unterdrückung der Präposition a in den arbor. ‚Denkmälern keinen Anstofs erregen. Man wird aber sich schwer entschliefsen zu glauben, es sei zu irgend einer Zeit

möglich ‚gewesen, zu, sagen: Poi- legate stanno, || Voi vertu statt.

88 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

legate a voi, Pergam. A91a, oder: menan vita, se morenti für menan a vita, ebend. 119, oder vollends: prodezza di proe guerrier pugnate in ver Comono für proderza di prode 9. colla quale pugnate, ebend. 491a. Wer würde dergleichen je verstanden haben! Frei- lich Gherardo aus Florenz, das Haupt der Dichterschule, welcher wir die Mehrzahl der poetischen Erzeugnisse aus Arborea zuschreiben sollen, muthet seinen Lesern, denn an Hörer kann da nicht gedacht werden, ein Mafs des Scharfsinns zu, mit welchem ausgerüstet man der Präpositionen und der Relatirpronomina nicht mehr bedurfte; er erlaubt sich doch wohl in der Voraussetzung, irgend wer werde ihn verstehn Inversionen in der Art der folgenden:

Scolar neseiente di mio sento punto || Da te für

Nesciente di mio punto sento scolar da te, d. h.

‚Ungewils über mein Lebensende gedenke ich zu scheiden von dir. Das Verständnifs auch dieser Stelle verdankt man Herrn Pillito.

Einige der Thatsachen, welche sich aus der Ächtheit der Denkmäler von Arborea ergeben würden und sich für die Heraus- geber auch wirklich ergeben haben, mögen zum Schlusse noch angeführt sein, jedoch ohne dafs weitere Erörterungen daran ge- _ knüpft werden.

Im 7. Jahrhundert hat der König Jaletus die Verwendung der auf ipse beruhenden Formen des bestimmten Artikels in Sar- dinien eingeführt, nachdem bis dahin (wie in den andern romani- schen Ländern) auf :lle zurückgehende Formen in solcher Stellung gebraucht worden waren.

Im 13. Jahrhundert arbeitet ein Sarde eine Geschichte seiner Sprache aus, nachdem er, um sich dafür zu befähigen, lange und kostspielige Reisen auf dem Continente gemacht und Sprachdenk- mäler gesammelt hat, die er unter Angabe des Jahres ihrer Ab- fassung seinem Werke einverleibt; er spricht darin die Ansicht aus, die italiänische, die französische, die provenzalische und die spa- nische Sprache seien mit der sardinischen Eines Ursprungs und im Grunde Eins mit der römischen lingua rustica.

Zu Anfang des 12. Jahrhunderts hat in Florenz eine Schule der Kunstdichtung bestanden, aus welcher fruchtbare Dichter her- vorgegangen sind; ein Sarde unter ihnen hat abwechselnd in der Sprache seines Meisters und in derjenigen seiner Heimat gedichtet; ein sehr gelehrter, d.h. mit dem Alterthum vertrauter Senese, der

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ebenfalls der Schule angehört, hat „amore exarsus ob suam linguam italicam“ und „carmina latina spernens“ sich ausschliefslich der ital. Dichtung gewidmet; namentlich er hat in formvollendeten, kunst- reichen, an Kraft des Ausdrucks und Bedeutung der Gedanken bis auf Dante nicht erreichten Gedichten eine glühende Liebe zum italiänischen Gesammtvaterlande, einen tiefen Schmerz über die odii ver cittadi germane niedergelegt, zur Verbrüderung gegenüber der Fremdherrschaft aufgerufen. Weder von ihm jedoch, noch von der ganzen Dichterschule hat bis 1847 irgend ein Mensch das Geringste gewulst mit Ausnahme jener Liebhaber des 15. Jahrhunderts, welche schweigend abschrieben, was damals noch aufzutreiben war. Es ist namentlich Dante die Existenz jener Dichterschule durchaus unbekannt geblieben, ihm, der so eifrig nach Allem forschte, was an Kunstdichtung in romanischer Zunge vor ihm geschaffen wor- den war, der das Gedicht des Vincenzo d’Alcamo, der die Werke der sieilischen Schule, die der bolognesischen Dichter, der die Mundarten aller Landestheile kannte und mit stolzer Freude hin- wies auf die vor ihm oder neben ihm gemachten Versuche, eine Sprache italiänischer Kunstdichtung zu pflegen. Wenn indessen Dante jener trefflichen Vorgänger nicht ausdrücklich gedenkt und keine Stelle ihrer Werke anführt, so soll er nach der Ansicht der Herausgeber, welche sich die Beredsamkeit seines Schweigens nicht zu verhehlen scheinen, dieselben doch im Sinne gehabt haben, wenn er Vita Nova c. 25 sagt, weiter als 150 Jahre aufwärts könne man die Spur der Dichtung in lingua volgare nicht ver- folgen. Da nun von den bisher bekannten ital. Gedichten keines um 150 Jahre älter sei als die Vita Nova von 1291, so müsse Dante beim Niederschreiben dieser Worte an jene älteste, erst jetzt wie- der bekannt gewordene Dichterschule seiner Heimat gedacht haben. Der Dante’sche Satz: noö non troviamo cose dette anzi il presente tempo per CL anni, darf jedoch nicht ohne seinen Vordersatz eitirt werden, welcher lautet: se volemo cercare in lingua d’oco e in lingua di si, und welcher ihm die ganze ihm zugeschriebene Be- weiskraft nimmt.

Das Vorstehende dürfte genügen, um die Verwerfung der arbor. Denkmäler vom Standpunkte der Sprachbetrachtung und der literar- historischen Erwägungen zu rechtfertigen. Dafs die Sar- dinier sich in diesen Zeugnissen ihrer Cultur als ein Volk dar- stellen, welches Interessen hegt, für die dem gesammten übrigen

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Abendlande in der nämlichen Zeit jeder Sinn abgeht, als ein Volk, welches andererseits unberührt, geblieben ist von dem, was die übrigen Völker des Mittelalters erfüllt, dafs nirgends eine naive Anschauung, vorherrschend moderne Gedanken in künstlich. unge- lenkem Ausdruck ‘sich darin wahrnehmen lassen, würde nicht schwierig darzuthun sein, würde aber mehr Zeit und eine ausführ- lichere Darlegung erheischen, als man solchem Gegenstande gern zuwendet.

Adolf Tobler.

Anlage.C.

Wenn es leicht erscheint, den Inhalt der sogenannten „Perga- mente und Papiere vou Arborea*, was die Geschichte Sardiniens im. Mittelalter anlangt, als einen einzigen grolsen Anachronismus zu erkennen, durch. welchen der Insel ein vormaliger Kulturzustand beigelegt wird, wie er selbst heute höchstens als Ziel patriotischer Wünsche vorhanden ist, so fällt es doch schwer, die Erdichtungen nn Einzelnen als; solche zu erweisen. An ‚eigentlichen Urkunden gebricht es in dem ‘Funde; ‚gleichzeitige, wohldatirte, sich für authentisch gebende Aufzeichnungen sind überhaupt selten; das auswärtige Element der sardischen Geschichte, wo eine Kontrole bald ausführbar wäre, tritt völlig in Schatten gegen das einheimische. Wer aber den bisher so lückenhaften Zustand. des letzteren kennt, wird einräumen, dafs es einer positiven Gesammtdarstellung des historisch : Echten bedürfte, um ‚das Falsche nachhaltig. zu ver- drängen. : Zudem ist, wie Freund und Feind bekennen muls, die Stellung der Papiere von Arborea eine solche, dafs, wenn sie eine Fälschung sind, dieselbe nur auf Grund von Manno’s. ‚storia di Sardegna und der früher. schon bekannten, zum Theil. aber erst jetzt in Toia’s Codex diplomaticus abgedruckten Urkundenschätze von Cagliari gemacht sein. kann.. Wie .oft. hebt; nieht der fleilsige und durchaus ehrlich für seine pergamene begeisterte Herausgeber Pietro Martini die Übereinstimmung derselben sogar. mit Manno’s blofsen Vermutbungen freudig hervor! Meine Aufgabe soll ‘es hier sein, die Unechtheit. der Documente, die Ja bekanntlich mit einan- der stehen und fallen, an einem auffallenden Beispiele darzuthun, an einem andern aber den, Grad der von dem Verfasser bei Be-

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nutzung Seiner modernen Materialien angewandten Kritik aufzu- zeigen. ‚Ich greife in die Zeit der Saracenenkriege des 11. Jahr- hunderts, weil eben’ für diese neuerdings durch die Publicationen Amari’s von arabischer und Bonaini’s von pisanischer Seite her neues, von Manno ungeahntes Licht gewonnen ist.

Unter den auf die Saracenenkämpfe nach. dem Jahre 1000 bezüglichen Stücken macht, aufser der sardischen Marseillaise des Ilfredico vom Jahre 1001, Anspruch auf Gleichzeitigkeit dem In- halte nach nur die Instruktion seines Bruders Umberto, Erzbischofs von Cagliari, für seinen Gesandten nach Genua und Rom (Per- gamene p. 475), ein um so interessanteres Document, als dadurch beiläufig die Abstammung des Hauses Savoyen von den alten Kö- nigen Italiens uns offenbart worden. Die Datirung desselben durch Martini ‚auf circa 1020 ist nach dem Gesammtinhalt der pergamene unwiderleglich: es muls den ersten Lustren des 11. Jahrhunderts angehören; die Entzifferung der unerhörten Abbreviaturen durch den gewandten Pillitu ist ebenso überzeugend wie überraschend. Leider findet sich 'jedoch ‘unter den wenigen 'für Jedermann les- haren Stellen der Passus: reliquis. vero consulibus distincte salutem dic cum ‚amoris vinculo, woraus sich gleichzeitig für das vorauf- gehende Co. Raineum unzweifelhaft die Lösung consulem Rainerium ergiebt. Mit einem Worte: die Consularverfassung, deren Entstehung in Genua bekanntlich in die letzten Jahre des 11. Jahrhunderts fällt, ist hier um 70 Jahre vorausdatirt. Ich beziehe mich neben. dem 5. Abschnitt, Bd. II, von Hegel’s Geschichte der Städtever- fassung besonders auf die neuere Arbeit von Ad. Pawinski: „Zur Entstehungsgeschichte des Consulats in den Communen Nord- und Mittel-Italiens* (Berlin 1867), wo gerade die genuesischen Ver- hältnisse sorgfältig erörtert sind und insbesondere auch die Irr- thümer Raggio’s in den Anmerkungen zu den. Statuta Consulatus von 1143 (Mon. Hist. Patr. Leg. Muncp. T. I, p. 254, 262, 263, 289) ihre Erledigung finden. Vielleicht hat eben der. Vorgang Raggio’s unseren Schreiber von Arborea sicher gemacht; denn, gab man einmal: für 1039 Consuln in Genua zu, so kam es auf 20 Jahre früher auch nicht an; oder er folgte dem Beispiele des ‚Breviar. Pisan. 'histor. (Muratori SS. VI, 'p. 167), das ihm auch sonst unverfänglich erschienen. ist und das sich hier ebenfalls bei der Anführung pisanischer Consuln und des Bischofs Lambert unter 1017 um 70. Jahre vergriffen hat.

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Wenn dies Beispiel ein falsum darthut, welches doch auch dem 15. Jahrhundert zugesprochen werden könnte, so wird die folgende Kritik der Geschiehte des Königs Museto, wie sie aus den Papieren von Arborea hervorgeht, die Zeit ihrer Abfassung näher bestimmen lassen. Ich befinde und befand mich hierbei fast in völliger Übereinstimmung mit Amari, noch ehe seine treffliche Darstellung zuerst in der Nuova Antologia, Maggio 1866, erschien; zugleich mache ich im Folgenden Gebrauch von brieflichen Mit- theilungen des rühmlich bekannten Kenners pisanischer Geschichte, Herrn Theodor Wüstenfeld in Göttingen. Leider muls ich weit ausholen, um zum Ziele zu treffen.

Dafs Fälschungen in der Geschichte Mog£hid-ibn-Abd-Allah's, Herrn von Denia, des den Italienern als König Museto bekannten Eroberers von Sardinien, schon seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sich finden, dafs sie nachher von Jahrhundert zu Jahrhundert in’s Enorme wachsen, ist natürlich: seine Vertreibung von dort durch Pisaner und Genuesen 1015—16 legte den Grund zu dem rivali- sirenden Streben beider Communen nach der Herrschaft über die Insel. Mit dem wachsenden Kampfe beider darüber mufste patrio- tische Tradition und patriotischer Betrug immer emsiger jene grund- legende That auszuschmücken, deren Verdienst sich allein beizu- messen, die vorwiegende oder ausschliefsliche Berechtigung der Vaterstadt daraus abzuleiten suchen. Eine vergleichende Betrach- tung der pisanischen Quellen, wie sie erst jetzt durch Bonaini’s Editionen (Archiv. stor. VI.) möglich ist, thut das überzeugend dar. Die ältesten beiden Quellen, Lorenzo Vernese’s Gedicht von ce. 1114 und Marangone’s Chronik aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts sind durch eine weite Kluft von den späteren getrennt. Jener schrieb über König Musetus gerade ein Jahrhun- dert später aus mündlichen pisanischen und sardischen Traditionen; Marangone nahm seine Notizen für die ältere Zeit, wie sich auf den ersten Blick ergiebt, aus älteren, vor 1135 verfalsten Auf- zeichnungen. Wer aber die Jahre 1004—1136 bei ihm mit den bei Baluze Miscell. I, 130 und bei Muratori VI, 107 abgedruckten Chroniken vergleicht, wird gewifs mit Wüstenfeld, was sich dort übereinstimmend über Pisa selbst für die Jahre bis 1099 findet, auf gleichzeitige, authentische, überall pisanisch datirte, um 1099 abgeschlossene Aufzeichnungen zurückführen, welche dann mit einer Reihe von Kaisern und irgend einer beneventanischen Chronik in

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eine Art Annalen verarbeitet, einmal von einem Kanonikus in Lucca abgeschrieben und dort deponirt (daher Baluze), ein andermal in Pisa selbst durch Notizen bis 1135 erweitert worden (daher Mura- tori). Demnach dürfen wir also Marangone’s Daten von 1004—99 als älteste, sicher dem 11. Jahrhundert selber angehörige Nach- richten ansprechen.

Nun finden sich aber Lorenzo’s Gedicht wie Marangone in Bezug auf die beiden Kriegszüge Pisa’s nach Sardinien gegen Mo- gehid von Denia von 1015 u. 16 (denn dafs Lorenzo diese Jahre meint, hat nie Jemand bestritten) mit den arabischen Quellen über dieselben Ereignisse, die uns Amari kennen gelehrt, vornehmlich mit Ibn-el-Athir, in einer Harmonie, wie man sie bei gegnerischen Schreibern zu finden erstaunen mufs. Wie sollte man ihnen da nicht auch darin Glauben schenken, dafs nach 1016 weder ein fernerer Kampf mit Mogehid, noch überhaupt ein Saracenenkrieg auf und um Sardinien stattgefunden hat? Marangone zwar sch weigt nur, aber sein Schweigen ist gewichtig, da er sowohl jene Züge von 1015 u. 16 wie die späteren Exkursionen nach Afrika und Spanien von 1035, 1087, 1113—14 treulich berichtet. Ibn-el-Athir jedoch läfst nicht nur, wie seine Landsleute alle, Mog£hid in Spa- nien weiter leben und sterben, sondern versichert kurz und bündig, dafs seit 1016 Sardinien niemals wieder von Saracenen angegriffen worden sei. Zum selben Resultate führt uns Lorenzo, wenn er von jenem Kampfe die Sicherheit der Sarden und die Unterthänig- keit ihrer Könige unter Pisa datirt und wenn er andrerseits die Rückgabe des gefangenen jungen Ali an den Vater und das von daher durch Generationen fortlebende höchst freundschaftliche Ver- hältnifs zwischen den Albizoni von Pisa und Mogehid sammt sei- nem Hause beschreibt. Dies ist so gewils wie irgend ein Theil der Darstellung Lorenzo’s, denn hiervon geht er aus; die ganze Geschichte Mog£hid’s dient nur zur Erläuterung der eben jetzt 1113 dem Pietro Albizoni seitens des Herrschers von Majorka ge- machten Eröffnung. Doch genug: aus der Vergleichung unserer drei trefflichen Quellen ergiebt sich für Jedermann mit Sicherheit, dafs 1016 der letzte Streit um Sardinien mit Mog£hid ausgefochten ist. Was andererseits die Ereignisse vor 1015 betrifft, wo Maran- gone zu 1004 (ich vulgarisire stets die era pisana) lakonisch die Einnahme Pisa’s durch Saracenen, und zu 1011 die Zerstörung der Stadt durch einen spanischen Heereszug erwähnt, so könnte

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sich "hier fragen, ob nicht diese Unthaten, besonders die letztere, dem nämlichen Mog£hid zur Last zu legen, und ob. nicht auch Sardinien dabei berührt worden sei? Beides ist ebenso wahr- scheinlich, als eine persönliche T'heilnahme Mog£hid’s daran uner- weislich, während eine wirkliche Eroberung der Insel in jenen Jahren aus unseren drei Gewährsleuten entschieden verneint wer- den muls.

Das 11te Jahrhundert über befand sich Pisa im wenig bestrit- tenen Besitze des sardinischen Handelsmonopols (denn von andrer Herrschaft kann damals keine Rede sein); erst mit dem Beginne des 12ten tritt ernste Concurrenz von Seiten des aufblühenden Genua ein. Was man sich erkämpfen wollte,' suchte man sich auch historisch zu vindieiren; daher die erste ruhmredige Lüge der Genuesen gegen Barbarossa 1164 über die Gefangennahme Muse- to’s durch ihre Väter. Ganz andere tendenziöse Erdichtungen ent- hält dann schon das von Michael de Vico 1371 copirte Breviarium Pis. hist.; das jedoch seinem Inhalte nach, da es! vor. 1270 abbricht, dem dritten Viertel des 13ten Jahrhunderts, einer Zeit erneuten heftigen Streits um Sardinien angehört! In welchem Sinne hier der zu Grunde liegende Text Marangone’s gefälscht ist, leuchtet ein, wenn man die Jahre 1015 u. 16 betrachtet. : Die Schenkung der Insel an Pisa durch Papst Benedikt ist eine sehr unglückliche Nachbildung der geistlichen Unterwerfung Sardiniens unter das pi- sanische Bisthum durch Urban IH., die Kreuzpredigt' auf Geheils. Benedikts ist nach der echten des Paschalis von 1113 ‚ersonnen; “der imaginirten Consuln und’ des Bischofs Lambert ist schon oben gedacht worden. Dafs die Genuesen 1016 den Streit begonnen haben, nimmt dann nicht Wunder zu lesen. Wenn so die wirklich beglaubigte Unternehmung jener Jahre verunstaltet ist, so richtet sich die Wiederkehr und abermalige Vertreibung Mog£hid’s 1020 und die zweite Rückkehr und Gefangennahme desselben Mannes, der doch in Wahrheit 1044 in Spanien starb, im Jahre. 1049. von selbst als: baares Märchen. Es ist einfache Multiplikation, wie denn.zw.1049 auch: noch einer.neuen päpstlichen Schenkung ge dacht wird, während den Centesen zu 1020 diesmal Habsucht an- gehängt wird, vermöge deren sie sich vorher den Schatz des Fein- des ausbedingen, den sie auch erhalten. Dies alles wie auch den ‚von. den Pisanern bekämpften Araberzug über Cagliari bis. vor Rom von 1001 wird ‚der Urtheilsfähige; die echten Quellen im

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Auge, nicht etwa für halb wahre, anderweit entlehnte Kunde, son- dern für freie Dichtung oder bewufste Erschleichung halten müssen.

Ich mufs es mir versagen, den von Jahrhundert zu Jahrhun- dert vergröfserten und vergröberten Mythos vom 'Könige Museto weiter durch Ranieri Sardo und Benvenuto da Imola bis zu Ron- cioni und Tronci oder bis zu Lorenzo Bonincontro zu verfolgen; es ist eine der prächtigsten historischen Staublawinen, die man fallen sehen kann, bis denn am Ende die Wahrheit ganz verdun- kelt, ein halbes Jahrhundert von 10001050 mit dem Namen Mog£hid’s erfüllt, durch das in’s Ungeheure verzerrte Bild zweier kurzer Sommerfeldzüge bedeckt wird.

Heut freilich nach Bonaini’s Publikationen, nach Amari’s Ar- beiten, durchschauen wir die Sache leicht; früher aber war es an- ders. Bewundern mufs man hier wie überall Muratori, der ohne unsere Hülfsmittel in seinen Annali schon hie und da seine Be- denken über die Wiederholungen des Breviarium äufsert, das für ihn doch noch fast originalen Werth besitzen mulste.. Auch Manno verfährt nicht‘ ‘ohne Vorsicht, allein er schwankt döch unentschie- den zwischen Glauben und Zweifeln dahin; das Verhältnifs seiner Quellen zu studiren hat er unterlassen. Und auf dem Standpunkte blieben dann die sardischen Gelehrten so ziemlich stehen. Was sie nach Muratori’s und Manno’s Vorgang eifrig und glücklich be- kämpften, waren ‘die Theorieen Benvenuto’s u. Andrer über den pisanischen Ursprung der Judikate und die damit eng zusammen- hangende Vorstellung einer vorhergehenden längeren Araberherr- schaft etwa vom 9ten bis ins -L1te Jhdt.; überhaupt ermäfsigten sie die ‚Überschätzung der pisanischen Oberhoheit mit Erfolg. In Bezug auf die Saracenenkämpfe aber verfährt noch 1861 Tola im Codex p. 139 ganz eklektisch, arglos Tronci und Folieta. neben den alten Chroniken citirend. Und so vertheidigt auch im selben Jahre Martini in seiner storia delle invasioni degli Arabi den Inhalt der pergamene d’Arborda mit unbefangenem Gleichmuth aus Bonin- contro wie aus Marangone, aus Tronei und Roneioni nicht minder als aus Ibn-el-Athir; jeden Beleg begrüfst ‚er mit gleicher Freude, ‚jeden Widerspruch mit der Quelle ersten oder letzten Grades hält ‚er für gleich unerbeblich. Kein Wunder denn also, dafs mit. glei- ‚cher Naivetät wie. der hochverdiente aber verblendete. Vertheidiger "auch der unbekannte Verfertiger der 1845 64 hervorgezogenen pergamene verfahren ist. Ein Dokument wird hinreichen, das zu

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erhärten; wir wählen die „Breve historia de su ree Musetu in ssa Africa* (cd. cart. 5). Sie ist angeblich ein Auszug aus dem be- rühmten Geschichtswerk Mater Sardinia cognita des Jorgiu de La- con, welches dieser in der zweiten Hälfte des 13ten Jhdts. und zwar aus sardischen gleichzeitigen Chroniken und andern Aufzeich- nungen zusammengestellt hatte.

Schon die Überschrift erregt unser Erstaunen. Wie? Museto König in Afrika? In der That wird er auch in der Geschichte selber als Afrikaner behandelt. Die gleichzeitigen Sarden lebten also alle im Irrthum über die Heimath ihres Drängers! Mit vor- sorglicher Angst sahen sie zwar mehrere Male richtig seiner Wie- derkehr entgegen, von wannen er aber wiederkommen mulste, blieb ihnen verborgen! Lorenzo Vernese giebt völlig genau die Heimath Museto’s als Denia und die Balearen an; die sardischen Fürsten, die 1113—14 mit den Ihrigen den pisanischen Zug nach den Balearen mitmachten, mufsten da so gut wie Lorenzo die Wahr- heit erfahren, mufsten sie daheim mittheilen sie war wichtig genug mindestens einige der vielen sardischen Chroniken, welche Jorgiu de Lacon durehstudirte, mufsten sie aufnehmen. Doch wozu ein Weiteres? Die Sache liegt einfach: Marangone schon und überhaupt die kurzen pisanischen Noten lassen Mog£hid 1016 nach Afrika fliehen. Gewifs ein Irrthum, aber zum Afrikaner ward er so doch noch nicht, das geschah erst dadurch, dafs sein Name von einigen später mit dem Zuge der Pisaner von 1035 gegen das afrikanische Bona in Verbindung gebracht ward. Von Sardo aber bis auf Manno, ja bis Tola blieben die Neueren bei dem Irrthume, nur Roncioni entnahm aus seinem Lorenzo Vernese die wahre Heimath Museto’s und vor Amari wies schon 1845 Wenrich (Res ab Arabibus gestae) nach den Balearen. Diesen kannte der Ver- fasser der pergamene wohl nicht, oder er hielt sich an seinen Manno und verachtete selbst die Autorität Lorenzo’s. So hat er durch eigenen verzeihlichen Irrthum seinem angeblichen Autor einen unverzeihlichen in die Schuh geschoben. Doch weiter! Über den Inhalt kann ich mich sehr kurz fassen. Sechs Einfälle Mo- gehid’s in Sardinien werden aufgezählt, 1000, 1002, —1012, 107, 1022, 1050—52 (?), fünf Mal wird er verjagt, das sechste gefangen. Die Pisaner sind bei den fünf letzten Feldzügen betheiligt, die Genuesen nur beim vierten und fünften; anno 1000 kämpfen die

sardischen Heroön allein, beim letzten Strauls dagegen auch sogar

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christliche Spanier, die wir sogleich näher untersuchen wollen. Rachezüge gegen Pisa unternimmt Mog£hid nach 1002 und nach 1012; der Papst (immer ungenannt) fordert zum dritten, vierten und sechsten Zuge auf. Während es nach der von uns gewonnenen Anschauung der Quellen keinen Augenblick zweifelhaft ist, dafs wir es mit einer Compilation verschiedener pisanisch datirter Ereig- nisse zu thun haben, welche aus Zeiten bereits hoch entwickelter Museto-Fabel stammt, müssen wir jedoch gleich bemerken, dafs nichts von päpstlichen Privilegien für Pisa bei unserem Autor zu lesen ist und dafs bei aller Anerkennung pisanischer Hülfsleistung doch die Thaten und Leiden der Insulaner den Hauptstoff der Erzählung bilden und natürlich darunter viel bisher aus auswär- tigen Quellen gänzlich Unbekanntes zum Vorschein kommt. Wenn Jorgiu de Lacon hierin Farbe bekennt, so erscheint doch die Auf- nahme eines Zuges rein pisanischer Überlieferung in die sardische Erzählung als höchst ungereimt, ich meine die des Vertrages zwi- schen Pisanern und Genuesen wegen Tiheilung der Beute. Im Breviarium steht zuerst die Nachricht, dafs die Genuesen den Schatz des Königs erhalten, weil sie anders nicht hätten mitziehen wollen; offenbar sind sie hier als habsüchtig gebrandmarkt gegen- über den Pisanern, die ohne Beutegier in den heiligen Kampf gehen. Bei Sardo und Benvenuto ist diese Geschichte so umge- wandelt worden, dafs die Städte vorher einen Vertrag schliefsen, wonach Genua die bewegliche Beute, Pisa der Besitz des Landes selber zufallen sollte. Diese Anekdote des 14. Jahrhunderts, die besonders bei Benvenuto vortrefflich zu der von ihm erzählten sofortigen Besitznahme und Eintheilung des Landes durch die Pi- saner palst, steht mit den erlogenen päpstlichen Schenkungen völlig auf einer Linie, nur dafs sie zugleich thörichter und boshafter ausgedacht ist. Es gewährt eine deutliche Vorstellung von der kritischen Gabe des Erzählers von Arborea, wenn er die Vertrags- fiktion ebenso ausführlich seinem Fabrikate eingeflochten, wie er die päpstlichen Schenkungen daraus ferngehalten hat. Das Motiv jedoch leuchtet ein: die letzteren thaten der Idee der sardischen Unabhängigkeit Eintrag, auch sind sie längst ernstlich bestritten worden; der Vertrag schien weniger bedenklich, ja durch eine neue Motivirung, welche die pisanische, von den Genuesen niemals aner- kannte Fabel zum genuesischen Produkt umstempeln müfste, wird sogar Anlafs gegeben, die sardische Tapferkeit und ihren Ruf zu

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verherrlichen. Der Vertrag wäre danach eine pfiffige List der Genuesen, um Pisa in gefährlichen Krieg mit den Sarden zu stür- zen und so ganz leer ausgehen zu lassen.

Doch ich eile zum Schlusse. Der sechste Einfall Mog£hid’s aus der Mitte des 11. Jahrhunderts (1050 oder 51) soll mir dienen, unserm Fälscher noch mehr in die Karten zu sehen. Die Erzählung, die er hier giebt, basirt durchaus auf der des sogenannten Lorenzo Bonineontro, eines angeblichen Schriftstellers des 15. Jahrhunderts, ‚den Gaietani zuerst 1638 bekannt machte; wir finden den betreffen- den Passus dann wieder abgedruckt bei Muratori SS. IH, 1, p. 401. Bonineontro erzählt den zuerst im Breviarium auftauchenden Museto- Krieg von 1049 (50 oder 51) in origineller Weise: nicht der Staat Pisa, sondern eine Anzahl pisanischer Nobili unternehmen wegen Ermattung der Gemeinde auf Privatfaust den Zug und theilen nach dem Siege die Insel unter sich und ihre Genossen von Genua efc.; die Eintheilung wird genau verzeichnet. Schon Manno wies auf die viel, zum Theil Jahrhunderte spätere Festsetzung der einzelnen edlen Häupter in den bezeichneten Distrikten hin. Das ganze Machwerk ist interessant, weil das Prinzip, späteren Besitz durch erdichtete historische Rechtsansprüche zu bekräftigen, das man so lange für den Staat Pisa hatte walten lassen, hier auf die einzelnen Familien übertragen ist. Unser Chronikant hat sich, durch Manno gewarnt, vor der Wiedergabe der ihm ohnehin fatalen pisanischen Familien-Legenden gehütet, alles Andere aber nimmt er ruhig von Bonincontro herüber, begeht dabei aber böse Fehler. Der Wjährige Musettus, seine Gefangennahme und sein Tod im Kerker zu Pisa macht ihm keine Sorgen, weil er die arabische Notiz von Mog£hid’s "Wode 1044 nicht kannte. Wenn aber Bonincontro sagt: Musettus Africae rex ingenti navium apparatu e& Hispania movens, so erkennen wir darin eine schlechte Combination der wahren spanischen Hei- math und der falschen afrikanischen des Saracenen. Was macht der Arborese daraus? Ihm ist Museto zweifellos Afrikaner, er verändert daher den Aufbruch von Spanien in Hülfsleistung spani- scher Mauren. Aber noch mehr: unter den erlauchten Theilnehmern an der Eroberung und Theilung Sardiniens erscheint bei Lorenzo ein Bernardus Centilius Comes Modicae Hispani generis, der nach- her in dem Theile Sardiniens juxta Sawerim angesiedelt wird. Christliche Grafen von Modica im Val di Noto gab es 1050 lange vor der normannischen Eroberung überhaupt nicht; eine spanische

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Familie kann die sicilische Grafschaft erst unter den Aragonesen erhalten haben. Im-15. Jahrhundert wird dann unter der arago- nischen Herrschaft über Sardinien das ehemals spanische Grafen- geschlecht von Modica Grundbesitz in der Gegend von Sassari erworben haben. Dem zu Ehren ist dann sein Ahn Bernardo Centilio neben die der Gherardeschi, Malaspina u. s. w. in’s Jahr 1050 hineingedichtet worden. Seine Person erschien unserm Fäl- scher weniger bedenklich, als die Nobili Pisa’s und Genua’s. Aber die spanische Abstammung des sieilischen Grafen verdreht er aus Willkür oder gar aus Unkenntnifs der Lage Modica’s so, dafs Graf Bernhard ein wirklich spanischer Graf wird und mit Ispaniolos bemannte Schiffe herbeiführt, mit denen er auf die Saracenenjagd ausgezogen war.

Ein frappantes Zeugnifs für die Benutzung Manno’s legt end- lich, um anderer zu geschweigen, die Schlufsnote ab, die unserer historia de su ree Musetu angehängt ist. Manno hatte besonders gegen den Zug von 1050 überhaupt die stärksten Zweifel nicht unterdrückt; die 50jährige Dauer der Raubzüge Mog£hid’s schon allein entlockte ihm dann wenigstens die zaghafte und freilich sehr unglückliche Vermuthung, dafs hier von einem andern Museto die Rede sei, Sohn oder Enkel, ‘wie auch Martini meinte (vgl. storıa delle invas. pag. 154). Hätte Manno damals die echten Quellen der Geschichte des Königs gekannt, die uns vorliegen, er würde freilich um der Erklärung eines Märchens willen keine Conjektur gemacht haben. Unser Arborese nun adoptirt beides, die Zweifel wie die Ausflucht Manno’s; in der Anmerkung aus dem 15. Jahr- hundert legt er dem sardischen Historiker Ferdinandus de Fonte, einer unbekannten Figur vielleicht des 14. Jahrhunderts, den Zweifel in den Mund, einer gelehrten arboresischen „comissio deputata super tramsumptis chronacarum“ aber aus dem 15. Jahrhundert die Vertheidigung des Y0jährigen Museto, der im Texte figurirt; zu- gleich aber hat die Commission auch die Frage wegen eines zweiten Museto ventilirt, ist aber so wenig wie 500 Jahre später Manno zur Entscheidung gekommen.

Wenn man diese wenigen Bemerkungen über die historia de su ree Musetu zusammenfafst, ergiebt sich klar, dafs dieselbe ein ganz modernes Machwerk ist, das ohne Kritik die nun durch neuere Forschungen weit überholten Ansichten Manno’s zur Grund- lage hat, zum Theil aber auch, wie in der Benutzung einzelner

ne

100 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

spätpisanischer Erdichtungen, die Besonnenheit des verdienten sar- dischen Historikers ganz aufser Acht lälst, hierbei aber mit mehr oder weniger Geschick die pisanischen Elemente der Fabel durch nationale zu ersetzen sucht; eine Tendenz, welche die gesammten pergamene d Arborea gleichmäfsig beherrscht, auf Kosten der con- tinentalen Eroberer Römer, Germanen, Byzantiner, Araber, Italiener, Aragonesen den sardischen Ruhm zu verherrlichen.

Alfred Dove.

Anlage D.

Die Unechtheit der Inschriften, welche Martini aus den angeblichen Notizbüchern eines im J. 1510 verstorbenen Notars Michael Gilj $. 429 fg. abgedruckt hat, ist.schon von dem er- sten Herausgeber derselben, dem verdienten Alberto la Marmora, späterhin zugegeben und ebenso von mehreren anderen der ein- siehtigsten Turiner Gelehrten, unter denen ich Domenico Promis nenne (das. $. 521), ausdrücklich anerkannt worden. Dafs spätere Funde den Inhalt derselben bestätigten und weiter ausführten, so Martinis Papierhandschrift N. 4 die Inschrift N. 3 (Martini S. 434) und Martinis Papierhandschrift N. 3 die Inschrift N. 6 (Martini S. 436), kann nur auf diese Papierhandschriften selbst ein ungün- stiges Licht werfen; an der Thatsache der Fälschung selbst wird dadurch nichts geändert. Dieselbe steht sachlich und sprachlich vollständig fest. Namenbildungen wie Marcus Florus Sem. J Marcus Restitutus dieser ein Statthalter von Sardinien! —, Atilius Luei f., welcher zugleich ein Freigelassener des Servius Secundus ist; eine Orthographie wie moerentes; Redewendungen wie orator Cornensis, qui in Tonalum Turr(itanum) oratio(nem) hab(uit); wie suae uxoris cineribus se iunzit; cuius erat libert(us) ae in suis (soll heilsen eius) negot(üs) geren(dis) fidus proc(urator); praeci(bus) suae sponsae Nerinae chrilstijanae in rest[itutio]ne templ& [Fo]rtunae die[ati o]peram suam praestalre recjusans zeigen auf das Evidenteste, nicht blofs dafs dies moderne Fabricate sind, sondern auch, dafs sie von einem Fälscher herrühren, der von römischer Sitte und römischer Sprache nicht das geringste Verständnifs hatte _ charakteristisch dafür ist insbesondere das durchaus nach dem

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modernen Italienisch angewandte Possessivum. Sind sie aber falsch, so können sie nicht vor dem J. 1820 verfertigt sein. Denn obwohl wenigstens diejenigen Steine, die aus römischer Zeit sein sollen, so vollständig verkehrt sind, dafs im Ganzen genommen bei diesem Falsar nicht einmal von echten Mustern die Rede sein kann, so ist doch evident, dafs der Statilius von Turres, der auf Bitten seiner frommen sposa Nerina sich weigerte bei dem Wieder- aufbau des Fortunatempels mit Hand anzulegen, gefälscht ist in Veranlassung der bekannten Turritaner Inschrift über den Wieder- aufbau des templum Fortunae cum basilieis et columnis durch den Statthalter von Sardinien unter den Philippi M. Ulpius Victor. Diese Inschrift aber (della Marmora voy. en Sard. 2,479 n. 34) wurde zuerst bald nach ihrer Auffindung von Baille im J. 1820 in den Schriften der Turiner Akademie bekannt gemacht. Dafs der im J. 1510 verstorbene Notar Gilj bereits Gelegenheit gehabt hat sie zu lesen und sie für seine schlechten Scherze auszubeuten, ist schwer zu glauben.

Noch in einer andern Hinsicht ist die .‚Epigraphik bei den Handschriften von Arborea betheilig. Die ehemals Garnerische als Anhang zu seiner Gesammtpublication von Martini im Jahre 1865 herausgegebene Handschrift enthält acht der zwölf Biographien berühmter Sarden, welche angeblich Sertonius aus Phausanias (so!), der im Jahre 441 n. Chr. achtzigjährig starb, verfalst hat, die dann wieder aufgefunden wurden unter dem König Jaletus von Sardinien zu Anfang des achten Jahrhunderts und uns erhalten sind in einer Abschrift des funfzehnten. Die Masse der Ungereimtheiten und Unmöglichkeiten aller Art auseinander zu setzen, welche dieser sardinische Suetonius enthält, würde zu nichts führen, um so mehr, da die Ausrede ja vorgesehen ist, dafs hier am Ende des 5. Jahr- hunderts aus dem Volksmunde gemachte Aufzeichnungen vorliegen. Aber das Verhältnifs dieses Products zu den Inschriften neuester Findung darf nicht übergangen werden. Unter zahlreichen bisher unbekannten römischen Statthaltern Sardiniens, von denen die meisten schon durch die gänzlich unrömischen Namen (z.B. Marcus Elio, Jurgius Susinius, Gaius Nestor) sich hinreichend charakterisiren, “treten hier auch verschiedene bereits bekannte auf, insbesondere in der Biographie des Siphilio, eines dem Sertonius zufolge sehr berühmten sardinischen Philosophen, Vipsanius Laenas, der nach Taeitus (ann. 13,30) im Jahre 56 n. Chr. wegen Erpressungen in

102 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

der Provinz Sardinien verurtheilt ward. Es heifst hier von ihm also (p. 25): habetur de Siphilione, quod ea tempestate, qua popularis tumultus Karali excitatus fuit, causa avaritie cuwiusdam Vipsani Lene (Genetiv!) presidis ipse, iuvenis licet annorum XXX VII, atamen suorum concivium animos sedavit, spondens se ad consulem Quintum Volusianum amicum suum rescripturum Dies ist Q. Volusius, Consul aller- dings in demselben Jahr nach Angabe desselben Taeitus 13,25. Nee spem fefellit eventus, fährt Sertonius fort, nam ut Nero rescivit, exilio Vipsanium damnavit, worauf dann Siphilio einen Tractat schrieb unter dem eleganten Titel de modo quo iniurie reparande. Als Nachfolger dieses Vipsanius wird weiter genannt C. Caesius Arpius, und zwar in folgender Randnote: guod (die genannte Schrift) ©. Cesio Arpio iustissimo ac omestissimo Sardinie proconsule, qui balnea portus itinera teatra ac similia alia restauravit ac auwit teste Marcobo ac Melchiade, dicavit. Ohne Zweifel ist kein anderer gemeint als C. Caesius Aper, der nach Inschriften im Jahre 60 Cohortenpräfeet und später kaiserlicher Statthalter (legatus pro praetore) von Sar- dinien gewesen ist. Dies wies Borghesi in: Bullett. del!’ Instituto 1356 $. 140 f. nach, wo die Inschrift von Sestinum, aus der Apers Statthalterschaft von Sardinien uns .bekannt ist, zum ersten Male gedruckt ward; Borghesis Aufsatz wurde bald darauf von dem verdienten Spano Bull. archeol. sardo IV (1355) p. 181 wieder- holt. So liegt der Thatbestand, auf den man sich häufig berufen hat zum Beweise dafür, dafs positive Angaben der Handschriften von Arborea durch später gefundene Inschriften bestätigt worden sind 1). Es kommt dabei nur darauf an, dafs man sich über das ‘später gefunden’ verständigt. Allerdings ist die Inschrift unstreitig um Jahrhunderte später gefunden, als die fragliche Handschrift nach Angabe ihrer Vertreter geschrieben ist, das heilst als das funfzehnte Jahrhundert. Indefs ist dies eben diejenige Handschrift Vesmes n. III —, deren paläographische Beschaffenheit Hr. Jaffe oben S. 77 gewürdigt hat; und ebenso unstreitig mangelt jeder Beweis dafür, dals die fragliche Randbemerkung vor dem Jahre 1856 von irgend einem glaubwürdigen Mann gesehen worden ist. Zwar sagt Vesme?): jino

1!) Zunächst hierauf geht die defsfällige Äufserung Vesmes (oben S. 69).

2) Nuove notizie intorno a Gherardo da Firenze. Bologna 1869 8. 10.

vom 31. Januar 1870. 103

dal 1850 era noto, e stato visto da parecchi, quel codice, che, acquistato poco dopo dal Signor Cesare Garneri, fu poscia da wi donato alla Biblioteca di Cagliari. Es ist in hohem Grade zu bedauern, dafs in einem solchen Fall, wo es sich um eine Fälschung handelt und dieselbe gewissenhafte Genauigkeit und strenge Feststellung der Thatsachen, wie sie im Criminalprozefs erfordert wird, auch von den an einer solchen literarischen Fehde Betheiligten gefordert werden darf und muls, die Vertheidiger der Pergamente über die wichtigsten Daten sich auf so allgemeine und so oberflächliche Angaben beschränken, wie beispielsweise dies 'visto da parecchi ist. Indefs dies ist ein Versehen mehr in der Form als im Wesen der Sache; in die Thhatsache selbst setze ich keinen Zweifel und bin überzeugt, dafs der allerdings erforderliche —£ Beweis nachgeholt werden kann. Aber auch die Thatsache als vollständig bewiesen angenommen, so wird ihr jede Beweiskraft dadurch entzogen, dafs der fragliche Satz am Rande der Handschrift steht und von dem gewissenhaften Herausgeber selbst ausdrücklich als späterer Nach- trag bezeichnet wird. Nun steht aber keineswegs fest, dafs, wenn auch die Handschrift bereits 1850 vorhanden war, nicht noch nach- her es dem Fälscher möglich gewesen ist einzelne Blätter dersel- ben zu vertauschen oder wenigstens Nachträge an den Rand zu schreiben. Die wie fast alle diese Documente schwer zu lesende Handschrift hat sich längere Zeit in den Händen von Abschrei- bern befunden; wer bürgt uns dafür, dafs nicht einer von diesen der Fälscher ist oder mit dem Falscher in Verbindung stand? und was beweist die Existenz der Handschrift im Jahre 1850 dafür, dafs damals auch schon jene Randbemerkung in derselben stand? Wenn am Rande eines Kaufbriefes ein ähnlicher Zusatz sich vorfände, welches Gericht würde darauf hin entscheiden? Notorisch ist nur, dafs die Inschrift zuerst 1856, die handschrift- liche Notiz zuerst 1865 gedruckt worden ist und der Urheber der letzteren also gar wohl im Stande gewesen sein kann von jener Gebrauch zu machen. Es wird hienach kaum noch erforderlich sein darauf hinzuweisen, dafs, wie schon aus Martinis Vorrede append. p. 14. 15 hervorgeht, dem Verfertiger des Garnerischen Codex auch noch zwei andere echte Inschriften neuester Findung vorgelegen haben, die des Isis- und Serapis-Tempels von Suleci (della Marmora 2, 479, Nr. 33), zuerst herausgegeben von Gazzera 1830, und die der Cornelia Tibullesia, zuerst herausgegeben von della

104 Sitzung der phys.-hist. Klasse vom 31. Januar 1870.

Marmora 1840 (a. a. O. p. 492 Nr. 63). Für mich ist das Ergebnifs dieser Untersuchung, dafs die Garnerische Handschrift nach dem Jahre 1840 verfertigt und nach dem Jahre 1856 von ihrem Verfer-

tiger mit Nachträgen versehen worden ist.

Th. Mommsen.

MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

Februar 1870. |

Vorsitzender Sekretar: Herr Kumm er.

3. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Lepsius las über die altägyptischen Jahreszeiten und Monate.

Hr. Curtius überreichte der Akademie im Äuftrage des Ver- fassers die Historische Topographie von Akragas in Sicilien von Dr. Julius Schubring (Leipzig bei Engelmann 1870) und machte auf den, günstigen Umstand aufmerksam, dafs den von der Aka- demie unterstützten Untersuchungen Schubring’s die neue Aufnahme der Terrains durch den Italianischen Generalstab in hohem Grade zu Gute gekommen sei.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Correspondenzblatt des zoologisch - mineralogischen Vereins in Regensburg. 23. Jahrg. Regensburg 1869. 8. Er Bonsdorff, Kritik der allgemein angenommenen Deutung der Fur- cula bei den Vögeln. Helsingfors 1869. 4. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin. 2. Jahrg. Ber- lin 1869. 8. / Ä [1870] fe)

106 Gesammtsitzung

Atti dell’ accademia di scienze morali e politiche. Vol. 4. Napoli 1869. 4.

Archivio per la zoologia. Serie II, Vol. 1. Torino 1869. 8.

Baumhauer, Archivees neerlanduises. Tome 4. La Haye 1869. 8.

Annuaire de l'academie de Bruxelles. Annee 36. Bruxelles 1870. 8.

Nyt Magazin for Naturvidenskaberne. Vol. 16. Christiania 1869. 8.

Diplomatarıum norvegicum. XIV. Christiania 1869. 8.

Norwegische Statistik. Christiania 1868—69. 4. 20 Hefte.

Flateyjarbok. III, 2. ib. 1868. 8.

Botten-Hansen, La Norvege literaire. Christiania 1868. 8.

Thomas Saga Erkibyskups. Efter gamle Haandskrifter udgiven af €. R. Unger. Christiania 1869. 8.

Forhandlinger Videnskabs-Selskabet i Christiania aar 1868. Christiania 1869. 8.

Bet Kongelige Norske Videnskabers Selskabs Skrifter i det 19de Aarhun- drede. V, 2. Throndhjem 1868. 8.

E. Sparano, L’origines ed il progresso delle nazioni. Caserta 1869. 8.

Giolo, Avvertimenti di agricolton. Rovigo 1864. 8.

Garein de Tassy, Histoire de la literature hindouie et hindoustanie. Ed. II. Tome 1. Paris 1870. 8.

10. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. W. Peters las eine Abhandlung über die afrikani- schen Warneidechsen, Monitores, und ihre geographi- sche Verbreitung, von welcher im Folgenden ein Auszug mit- getheilt wird.

Die Monitoren sind unter allen Eidechsen durch ihre Grölse ausgezeichnet, indem einzelne Arten eine Länge von 24 Meter (7 Fufs) erreichen. Sie stehen iu dieser Hinsicht nur den Croco- dilen nach, mit denen sie seit den ältesten Zeiten von Reisenden verwechselt worden sind. Indessen finden wir sie schon bei den alten griechischen Schriftstellern unter dem Namen der Landceroco- dile von den Flufscrocodilen oder eigentlichen Crocodilen unter- schieden, indem z. B. Herodot unter den Thieren der libyschen Wüste der Landcrocodile (2g020021A01 Agoraıcı) VON mehr als 4 Fuls Länge erwähnt,

vom 10. Februar 1870. 107

Cuvier hat zuerst und zwar im Jahre 1817') die hierher ge- hörigen Arten in eine Untergattung, welche er Monitor nannte, zu- sammengefafst und die äufseren Merkmale angegeben, welche sie von anderen verwandten den heilsen Gegeuden Amerikas angehörigen Gattungen unterscheiden, mit denen sie sowohl vor als nach ihm von verschiedenen Autoren unrichtigerweise vereinigt worden sind. Man kennt jetzt an zwanzig Arten, welche sämmtlich der östlichen Hemisphäre angehören und in Africa, Asien und Australien ver- breitet sind.

Sie sind von Fitzinger, Wagler und Gray in verschiedene Gattungen vertheilt worden, während Dumeril und Bibron in ihrem grolsen Werke über die Reptilien dieselben in eine einzige Gattung vereinigt haben, für welche sie den Namen Varanus an- _ genommen, unter welchem diese Thiere von Merrem im Jahre 1820?) aufgeführt worden sind.

Es sind die einzigen Eidechsen der östlichen Hemisphäre, wel- che, wie die Schlangen, eine schmale, tiefgespaltene, in eine Scheide zurückziehbare Zunge haben. Ein ganz ähnlicher Zungenbau fin- det sich aufserdem nur bei den amerikanischen Eidechsengattungen Tejus. und Ameiva und das hat früher Veranlassung gegeben, sie mit diesen in eine einzige Gattung zu vereinigen. Aber schon die ganz verschiedene Pholidosis, namentlich die grofsen regelmäfsigen Kopfschilder der letzteren im Gegensatz zu der aus kleinen Schup- pen bestehenden Kopfbedeckung der Monitoren unterscheidet diese auf den ersten Blick. Die aus gröfseren länglichen, ringförmig von Körnchenschuppen umgebenen und in regelmäfsigen Querreihen ge- ordneten Tuberkeln bestehende Bekleidung der obern Seite des Körpers, die an der innern Seite der Kiefer sichtbare verbreiterte Basis ihrer Zähne sind fernere Merkmale, welche diesen Eidechsen ausschliefslich zukommen. Alle haben vier wohl entwickelte fünf- zehige Extremitäten mit fünf Krallen und keine Schenkelporen. Die Merkmale, nach welchen die Cuvier’sche Gattung Monitor in mehrere Gattungen zersplittert worden ist, sind hergenommen von der mehr oder weniger zusammengedrückten Form des Schwan- zes, der mehr rundlichen oder ovalen Form und der geringeren

1) Regne animal. II. p. 24. ?) Versuch eines Systems der Amphibien. 1820. p. 58.

S*

108 Gesammtsitzung

oder gröfseren Entfernung der Nasenlöcher von den Augen und der Form der Zähne. Mit Recht haben aber schon Dumeril und Bibron darauf aufmerksam gemacht, wie diese Merkmale an Werth verlieren, theils dadurch, dafs sich, wenn man alle bekannten Ar- ten betrachtet, ein allmähliger Übergang zwischen den extremen Formen beobachten läfst, theils dadurch, dafs bei verschiedenen Arten je nach-dem verschiedenen Lebensalter die Zähne eine sehr verschiedene Gestalt annehmen. Auch ieh kann mich nur ihrer Ansicht anschliefsen, dafs, so lange uns nicht andere wichtigere Merkmale zur Unterscheidung vorliegen, die Vertheilung sämmt- licher Arten in eine einzige Gattung, vielleicht mit mehreren Un- tergattungen, naturgemälser ist.

Es dürfte auffallend erscheinen, dafs bei der Gröfse dieser Thiere, deren einzelne Arten in den verschiedenen Welttheilen mei- stens eine sehr weite Verbreitung haben, die Unterscheidung der Arten noch nicht zu einem Abschlufs gekommen ist, was doch grade für die geographische Verbreitung, an welche sich die Lö- sung so vieler allgemeiner Fragen anknüpft, eine so grolse Wich- tigkeit bat.

Das Material, welches mir zu Gebote steht, ist nicht hinrei- chend, um diese Frage hier ganz zu lösen. Nur in Bezug auf die afrikanischen Arten liegt mir ein solches vor, wie es vielleicht in keiner anderen Sammlung vorhanden sein dürfte. Aus Nord- und Nordostafrika besitzen wir Exemplare aus der Sammlung der Hrn. Ehrenberg und Hemprich, aus dem Caplande von Krebs, aus Süd-Ostafrika von dem Baron Carl von der Decken, aus mei- ner eigenen Sammlung und aus den sehr wichtigen Sammlungen von Säugethieren und Amphibien, welche unser Museum der hiesi- gen Mission durch Hrn. Grützner verdankt, und von der West- küste haben wir mehrere Exemplare durch Hrn. Halleur, Ungar, Dr. Finsch und Dr. Hartlaub erhalten.

1. Monitor nilotieus Hasselquist.

Diese Art, welche mit der folgenden von den meisten Autoren vereinigt worden ist, unterscheidet sich durch das stets viel dunk- lere Colorit und vorzüglich dadurch, dafs die Nackenschuppen klei- ner als die Rückenschuppen sind, während das Umgekehrte bei al- len übrigen afrikanischen Monitoren der Fall ist. Sie scheint aus- schliefslich dem Nilgebiete anzugehören.

vom 10. Februar 1870. 109

2. Monitor saurus Laurenti. Lacerta capensis Sparrmann. Tupinambis stellatus Daudin. Varanus nilotieus, Dum&ril et Bibron ex parle.

Eine im Osten von Zanzibar bis nach dem Caplande und an der Westküste in Guinea verbreitete Art, welche die vorige in die- sen Gegenden vertritt. Sie hält sich wie jene in der Nähe des Wassers auf und kann auch an Baumstämmen hinaufklettern. So traf ich im Lupatagebirge ein Exemplar, welches sich einen Ruhe- platz auf einem circa 3 Meter hohen Baumstamm zwischen den Ästen ausgewählt hatte, von dem es sich bei meiner Annäherung herabstürzte, um ins Wasser zu fliehen.

3. Monitor albogularis Daudin. / Tupinambis albogularis Daudin. Varanus albogularis Dumeril et Bibron. Varanus albogularis A.Smith.

Eine Art, welche bisher mit Bestimmtheit nur in dem südöst- lichen Theile Afrikas, vom 15 bis 27° S. Br. gefunden worden ist, sich durch die kleineren Schuppen leicht von den beiden folgenden Arten unterscheiden läfst.

4. Monitor ocellatus Rüppell.

Aus Abessinien und Kordofan. Mit der vorhergehenden Art durch die unmittelbar vor den Augen befindlichen Nasenlöcher, mit der folgenden durch die, besonders am Nacken, grofsen Schup- pen übereinstimmend. |

5. Monitor exanthemalicus Bo sc. Lacerta exanthematica Bosc, Act. Soc. d’hist. nat. Paris. 1799. Taf.5. Fie.3. Tupinambis exanthematicus Daudin. III. p. 80. Varanus ocellatus Dum. Bibr. III. p.496. Regenia ocellata Gray Catal. Liz. p.9.

Von den beiden vorhergehenden verschieden durch die Entfer- nung der Nasenlöcher von den Augen, die reichlich halb so grols ist, wie ihre Entfernung von der Schnauzenspitze.

Sie ist bis jetzt ausschliefslich an der Westküste Afrikas, vom Senegal bis Angola gefunden worden.

6. Monitor griseus Daudin. Tupinambis griseus Daudin. VII. p.352. Tupinambis arenarius Geoffroy.

110 Gesammtsitzung

Varanus scincus Merrem. Varanus arenarius Dum. Bibr. Aus dem nördlichen Africa (Ägypten, Tripoli, Algerien), Arabien (durch Ehrenberg) und Pers ien.

Hr. W. Peters gab ferner einen Beitrag zur Kenntnifls der herpetologischen Fauna von Südafrika.

Hr. Dr. H. Meyer, welcher sich mehrere Jahre in Hantam (Calviniadistriet, Oorlogsrivier, S. W. Africa) aufgehalten, hat eine in der dortigen Gegend gemachte Sammlung von Ärthropoden und Amphibien mitgebracht, über welche letztere ich mir eine Mitthei- lung vorzulegen erlaube, da sie auflser mehreren seltenen unserem Museum noch fehlenden Arten eine neue Gattung von Geckonen enthält, und die Kenntnifs des Fundorts für die geographische Ver- breitung von Interesse sein dürfte. Ich verbinde damit die Vorlage von zwei mir von Hrn. Sundevall zur Ansicht mitgetheilten eigen- thümlichen Batrachiern, welche Hr. Wahlberg im Kafferlande entdeckt hat und von denen A. Smith in seinen Illustrations of the Herpetologie of South Africa eine kurze Beschreibung lieferte.

SAURI. 1. Chamaeleo pumilus Latreille. Hantam. 9. Chamaeleo namaquensis Smith. Hantam und Orangeri-

vier.') 3. Pachydactylus Bibronü Smith. Hantam. 4. Pachydactylus capensis Smith. Hantam. 5. Pachydactylus mariquensis Smith. Hantam. Chondrodactylus nov. gen.”) Differt a Stenodactylo unguium defectu (, pholidosi notaei hete- rogenea).

1) Da Merrem bereits, wenn auch nur nach einer Seba’schen Abbil- dung, einen Oh. calcaratus aufführt, habe ich den Namen der von mir so benannten und beschriebenen Art (Monatsbericht. 1869. p.445) in Oh. calcarifer umgeändert.

2) xovdpo;, granum, Saxtuiog.

vom 10. Februar 1870. 1ll

6. Ch. angulifer n. sp. (Taf. Fig. 1). Ch. supra cinereofuscus, fascüs fusco-nigris latis angulatis or- natus.

Im Habitus ähnlich dem Stenodactylus guttatus, aber mit kür- zerer Schnauze und mit kurzen Stummelzehen. Kopf um 4 brei- ter als hoch. Schnauze 4 länger als das Auge, welches genau in der Mitte zwischen der Schnauzenspitze und der Ohröffnung liegt. Nasenlöcher zwischen drei convexen Schildchen gelegen, von denen das gröfste innere mit dem der anderen Seite zusammenstölst. Schnauze mit convexen Schuppen bedeckt, welche sich bis zum Hinterhaupte hinaufziehen, von wo an viele runde gekielte Tuber- keln zwischen der feineren Granulation des Rückens hervorragen, welche nach den Körperseiten hin an Gröfse abnehmen. Das obere rudimentäre Augenlid ist mit einer Reihe platter Schuppen bedeckt, während das untere feine Körnchen zeigt, welche sich vor dem Auge, nach den Supralabialia hin, allmählig gröfser werdend, hin- ziehen. Die Ohröffnung bildet eine mälsig grolse schiefe, am vor- dern Rande grade, am hintern Rande convexe Spalte. Supralabialia 10 bis 11; Infralabialia 11 bis 13. Der hintere bogenförmige Theil der Lippen ist mit kleinen Körnchen gerändert. Das Rostrale ist breiter als das Mentale, welches länger als breit und hinten abge- stumpft ist. Die untern Theile der Körperseiten sind mit convexen Schuppen bekleidet, welche viel gröfser sind als die feinen Granula des Rückens.. Die Kehle und Submentalgegend ist sehr fein ge- körnt, wobei die kleinen convexen Schüppchen nach der Lippe hin allmählig gröfser werden. Brust und Bauch sind mit kleinen dach- ziegelförmig gelagerten glatten Schuppen bekleidet. Auf dem Schwanze stehen die gröfseren stärker gekielten Tuberkeln in Querreihen und die Unterseite desselben ist mit flachen Schuppen bekleidet, welche merklich gröfser sind als die der Ventralgegend.

Die vordere Extremität ragt nach vorn gelegt mit dem läng- sten Finger eben über das Auge hinaus, während die hintere bis an die Achselgrube reicht. Die Innenseite des Ober- und Unter- arms ist fein granulirt, die Aufsenseite mit convexen Schuppen be- kleidet, unter denen einige auf dem Unterarm tuberkelförmig her- vorragen. Alle Finger sind kurz, der 1. ein wenig, länger als der 5., dann folgt der 2., 4. und 3.; Hand und Finger sind oben mit glatten Schuppen bekleidet; Hand- und Fingersohlen fein granulirt und zwar stehen die Granula unter den Fingern in 10 bis 12 Längs-

112 Gesammtsitzung

reihen. An der Basis der Hand und jedes Fingers tritt die Haut wulstartig hervor. Der Oberschenkel ist unten und hinten fein granulirt, vorn mehr oder weniger dachziegelförmig beschuppt, oben mit Tuberkeln versehen. Der Unterschenkel ist an der innern Seite mit convexen Schuppen an der äufsern mit Tuberkeln und feinen Körnchen bekleidet. Die Zehen nehmen von der 1. bis 4. progressiv an Länge zu, die 5. steht der Länge nach in der Mitte zwischen der 2. und 3. Die Beschuppung des Fufses und der Zehen ist ganz ähnlich wie die der Hand und Finger. Nirgends kann ich die Spur eines Nagels entdecken.

Oberseite des Kopfes dunkelbraun mit undeutlichen dunkleren Längsstreifen zwischen den Augen. Auf jeder Schläfe ein dunkler Fleck, welcher sich nach oben, hinten und innen auf die Seite des Hinterhaupts ausdehnt. Auf der Mitte des Hinterhaupts ein dunk- ler Fleck, welcher sich in einen mittlern Längsstreifen fortsetzt, der sich mit einer breiten winkligen schwarzgeränderten Querbinde über der Schultergegend vereinigt. Eine zweite breite Querbinde auf der Körpermitte, eine dritte (zuweilen fehlende) vor und eine vierte auf der Sacralgegend. Die dunklern Ränder dieser Quer- binden werden jederseits entweder durch einen hellern Saum oder durch helle Flecken hervorgehoben. An den Körperseiten runde helle Flecke auf der dunklern netzförmigen Grundfarbe. Schwarz mit vier breiten schwärzlichen Querbinden, welche durch schmale - gelblichweilse Zwischenräume getrennt werden. Die ganze Unter- seite bräunlichgrau.

Totalläinge - » . . 09085 Vord. Extremität . . 09023

Kopflänge . . » 0%0185 Hand mit 3. Finger . 020065 Kopfbreite, .. + .. 0%0142 Hint. Extremität, +... _Da022

Kopfhöhe ...... » 0,011 Fufs mit 4. Zehe . . 0%0085 Schwanz er 07032

Fünf Exemplare aus dem Calviniadistrict, Oorlogsrivier.

7. Agama hispida Linne.

Lacerta hispida Linne, Syst. nat. ed.X. p-205.

! Agama hispida Gravenhorst, Nov. Act. Acad. ©. L. Nat.Cur. XVI. 2. Taf. 64. Fig.1—8.

Agama aculeata Merrem, Syst. Amphib. p.53.

Trapelus hispidus Kaup, Isis. 1827. p. 616. Taf. 7.

Agama aculeata et spinosa DumeriletBibron, Erp. gen. IV. p. 499 & 502.

vom 10. Februar 1870. 113

Ich kann die Merkmale, welche Dumeril und Bibron zur Unterscheidung von 4. aculeata und hispida angeführt haben, nur für individuelle und sexuelle halten. Der schlankere Körper und längere Schwanz (Seba. II. Taf.8. Fig.6) kommt den Männchen, der breitere Körper und der kürzere Schwanz (Seba. I. Taf.83. Fig 1.2, Taf. 109. Fig.6; IH. Taf.8. Fig.7) den Weibchen zu. Die Original- exemplare von Gravenhorst’s A. hispida habe ich durch Hrn. Grube’s gütige Vermittelung untersuchen können und zeigen die- selben, wenn auch schwach, deutliche Kiele der Bauchschuppen. Die mehr oder weniger stachlige Beschaffenheit der Schuppen um das Oceipitale und auf den Gliedmafsen hängt aller Wahrschein- lichkeit nach eben so wie die geringere oder stärkere Entwickelung der Kiele der Bauchschuppen von der Jahreszeit ab. Übrigens erlaube ich mir noch zu bemerken, dafs die von Seba II. Taf. 8 Fig. 6 abgebildete Art die dritte Zehe länger als die vierte hat, nach der diagnostischen Tabelle von Dumerilet Bibron das Ge- gentheil stattfinden soll, während in der Beschreibung von A. acu- lenta nichts über diesen Punct erwähnt ist. Auf der anderen Seite zeigt dieselbe Figur verlängerte Stachelschuppen auf dem Kopfe und den Extremitäten, welche nach ihrer Beschreibung A. aculeata nicht haben soll. Calvinia- District.

8. Agama atra Daudin. ! Agama aculeata Merrem, Beitr. Gesch. Amph. III. p.91. Taf. 5. Agama atra Dumerilet Bibron, 1.c. IV. p.403. Agama atra et capensis (aculeata) Gray, Cat. Liz. 256. 257.

Wir besitzen das Originalexemplar aus der Sammlung des Gra- fen von Borcke (Nr. 750. Mus. Berol.), nach welchem Merrem seine A. aculeata abgebildet und beschrieben hat und ich weils nicht, aus welchem Grunde Dumeril et Bibron angenommen ha- ben, dafs nur die Abbildung und nicht die Beschreibung Merrems auf diese Art zu beziehen sei. Die Seitenfalten des Rückens sind bald vorhanden, bald fehlen sie und eben so sind zwar in den meisten Fällen hervorspringende Schuppen mit längern Spitzen und von etwas beträchtlicherer Gröfse unter den seitlichen Rücken- schuppen bemerkbar, während bei einzelnen Exemplaren die Be- Schuppung hier. ganz homogen ist. Hantam.

9. Agama armata Ptrs.

Ein einziges sehr grolses Exemplar, ausgezeichnet durch die grölsere Zahl der Supralabialia, 15 anstatt 12 oder 11, von dem Orangerivier.

114 Gesammtsitzung

10. Eremias Knoxü Edwards. Hantam. 11. Eremias capensis (et laticeps) Smith.

Von dieser Art liegen gegen 20 Exemplare vor, die nicht al- lein in der Farbe, sondern auch in der Pholidosis so varliren, dafs :ch es für mehr als zweifelhaft halten mufs, ob E.laticeps davon zu trennen sei. Einige haben ganz dieselbe schwarze Grundfarbe mit fünf goldgelben Linien, wie eine Varietät von E. lugubris (Smith 1. c. Taf.46. Fig.2 = E. lugubris et dorsalis Dumeril et Bibron), andere zeigen gelbweilse Puncte zwischen diesen Linien, bei andern werden die Linien undeutlich und es tritt statt deren eine netzför- mige Zeichnung auf und bei zwei Exemplaren sind die hellen Li- nien ganz verschwunden und die Zeichnung ist ähnlich wie bei Smith auf Taf. 4.5. Fig. 2. Bei einigen stofsen die beiden Supra- orbitalschilder mit ihrem ganzen innern Rande an das Frontale, bei anderen tritt vorn eine Reihe kleiner Schuppen dazwischen und bei anderen sind sie vollständig durch eine solche Reihe von dem Frontale getrennt, ohne dafs die verschiedene Färbung dieser verschiedenen Beschuppung entspräche. Es finden sich 4, 5, 6 oder 7 Supralabialia vor dem an den Lippenrand tretenden Infraoculare. Hantam.

12. Eremias lineo-ocellata Smith. Hantam.

13. Lacerta Delalandii Edwards. Hantam.

14. Euprepes trilineatus Schneider. Hantam.

15. Euprepes vittatus Olivier, var. occidentalis Ptrs. Hantam. Euprepes Olivierü Smith, Illustr. S. Afr. Rept. Taf.31. Fig. 3.4.5.

Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit zu bemerken, dafs die von mir zu dieser Art gezogenen Exemplare (E. varius Ptrs., Mo- natsberichte. 1867. p.20) nicht zu der von Smith abgebildeten Art gehören, wie ich angenommen hatte.

16. Typhlosaurus ceeus Cuvier. Hantam. Acontias cecus Cuvier, Regne animal. 1817. II. p. 60. Typhlosaurus cecus Wiegmann, Herpetologia mexicana p. 54.

OPHIDIl. 17. Onychocephalus Lalandii Schlegel. Hantam. 18. Coronella cana Linne. Calvinia-Distriet. 19. Psammophis sibilans Linne. Hantam. 20. Philothamnus semivariegatus Smith. Orangerivier. 21. Poecilophis lacteus Linne. Hantam. 22. Aspidelaps lubrieus Laurenti. Hantam.

(sb

Mona

vd. äkad d’Wissensch. Berlin 1870 p. 115

%

S

2

1.Chondrodaetylus angulifer 2 Arthroleptis Wahlbersii > Inperohus tuberilinsuis CF Schmidt, sezulih.

vom 10. Februar 1870. 115 93. Naja hajeLaurenti. Hantam. 24. Vipera cornuta Daudin. Calvinia-Distriet und Oran- gerivier. BATRACHIA.

1. Arthroleptis Wahlbergiüi Smith. (Taf. Fig. 2.)

Arthroleptis Wahlbergü Smith, Illustr. Zool. S. Afr. Rept. App. p. 24.

Diese Art ist, wie ich mich durch directe Vergleichung habe überzeugen können, durch die längere und spitzere Schnauze, das kleinere Trommelfell, etwas andere Proportionen der Extremitäten und die Färbung leicht zu unterscheiden von A. pecilonotus, von der ich eine ausführliche Beschreibung gegeben habe (Monatsbericht. 1863. p.446).

Von J. Wahlberg im Kafferlande entdeckt.

2. Hyperolius tuberilinguis Sundevall. (Taf. Fig.3.)

Hyperolius tuberilinguis Sundevall, Smith. c.p.26.

Der Smith’schen Beschreibung dieser durch ihre Zungenbil- dung ausgezeichneten Art habe ich noch hinzuzufügen, dafs das Trommelfell versteckt ist.

Ebenfalls von Wahlberg im Kafferlande entdeckt. Aufser dem mir vorliegenden Exemplare waren nach Hrn. Sundevalls Mittheilung noch zwei andere Exemplare mit derselben Zungenbil- dung an Hrn. A. Smith zur Untersuchung gesandt worden, die verloren gegangen zu sein scheinen. Um so willkommener dürfte daher eine Abbildung des noch übrig gebliebenen Exemplars sein, welches dem Museum zu Stockholm angehört.')

!) Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit den Namen von Hemidactylus variegatus Ptrs. (Monatsberichte 1868 p.449; C. v. d. Decken Reisen. III. p.13. Amphib.-Taf. II; non Dumeril et Bibron) in H. picturatus umzuändern.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1. Chondrodactylus angulifer Ptrs., in natürlicher Gröfse; Fig. la. Un-

terseite der rechten Hand 5mal vergröfsert.

Arthroleptis Wahlbergü Smith, in natürlicher Gröfse; Fig. 2a. auf-

gesperrtes Maul einmal vergröfsert.

Fig. 3. Hyperolius tuberilinguis Sundevall, in natürlicher Gröfse; Fig. 3a. | aufgesperrtes Maul in doppelter Gröfse,

= 03 1)

116 Gesammtsitzung

Hr. Weierstrals legte eine Abhandlung des Hrn. Kostka zu Elbing Über die Auffindung der ellipsoidischen Gleichge- wichtsfiguren einer homogenen, um eine feste Axe rotirenden Flüssigkeitsmasse, wenn deren Dichtig- keit und Umlaufszeit bekannt sind. vor!). Es sei D die Dichtigkeit, 7T die Umlaufszeit einer um eine feste Axe rotirenden Flüssigkeitsmasse, f der Proportionalitätsfak- tor des Newtonschen Gravitationsgesetzes: dann giebt es bekannt-

1) Hr. Richelot, Correspondent der Akademie, der diese Arbeit ein- gesandt hat, schreibt darüber Folgendes:

„So viel ich weils, ist keine geeignete und sichere Methode bis jetzt be- kannt gemacht, die Axenverhältnisse des dreiaxigen Gleichgewichtsellipsoids zu berechnen.

Dies veranlafste mich am Anfange des Jahres 1868 meinem oben ge- nannten, talentvollen Schüler, nachdem er während seiner Universitätsstudien in diese Untersuchungen und in die Theorie der elliptischen Funktionen von mir eingeführt war, die Aufgabe zu stellen, eine solche Näherungsmethode zu suchen und an demjenigen Resultat namentlich zu prüfen, welches von dem ausgezeichneten Schüler J acobi’s, dessen Namen in diesen Untersuehungen rühmlichst bekannt ist, gewifsermafsen noch unter den Auspizien seines un- sterblichen Lehrers gefunden und später von allen Geometern als richtig an- genommen war. Ich meine die Axenverhältnisse bei der Umdrehungsgeschwin- digkeit unserer Erde, die Hr. Prof. O. Meyer im 24. Bande des Crelleschen Journals zuerst angegeben hat, ohne die Art der Berechnung anzuführen. Ohne letztere zu kennen, hegte ich doch seit längerer Zeit Bedenken gegen die mir von Jacobi und Meyer darüber angedeutete Art der Berechnung und hielt die Resultate für unrichtig.

Hr. Kostka hat in jeder Beziehung meine Erwartungen vollkommen gerechtfertigt. Seine von ihm ausgedachte, in demselben Jahr mir mitgetheilte Näherungsmethode fand ich sicher und geeignet; aber sie gab völlig abwei- chende Zahlenresultate für das genannte Beispiel.

Die Wichtigkeit des Gegenstandes, sowie die Eigenthümlichkeit seines Verfahrens veranlafste mich, Hrn. Kostka vorzuschlagen, die Resultate noch auf andere Weise zu prüfen. In Folge dessen fand er eine andere, einfachere Methode. Es ist dieselbe, welche ich Ihnen in einem das Wesentlichste ent- haltenden Auszuge, den ich der Akademie vorzulegen bitte, mittheile.

Königsberg, den 30. Januar 1870. F. Richelot.“

vom 10. Februar 1870. 117

lich für jeden Werth der Zahl V= zwischen O und 0,18711

27 D/T? zwei Rotationsellipsoide und ein dreiaxiges als Gleichgewichtsfigu- ren, zwischen V = 0,18711 und V = 0,2246 nur zwei Rotations- ellipsoide. Die Frage, wie zu jedem gegebenen Werthe von V die zugehörigen ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren zu ermitteln sind, wird im Folgenden für den Fall eines sehr kleinen V behandelt, der hauptsächlich bei physikalischen Problemen Anwendung findet. Hierfür ist, wenn A, B, C die drei Axen, C die Drehungsaxe:

nahe 1 für das eine Rotationsellipsoid,

|

nahe O0 für das andere

1

nahe 0, 5 nahe 1 für das dreiaxige Ellipsoid.

PO AIA AI

1: O2 Die beiden Rotationsellipsoide sind, falls =, = cos« gesetzt, also sin® die Excentrieität ist, durch die Gleichung be- stimmt: «(3 +1g°’«) stge

RE ’- re

Um den Werth « nahe 0 zu finden, entwickele ich nach Potenzen

von tge«, wodurch: 2 ntg?” a a La, u In 1) (2n +1) (2n +3)

Dieser Gleichung kann man die Form geben:

as Au ıE: 0,0236 tg° & + 0,015 EEE m [04 1+$tg’« 4 49 5 on

Daher ist ein Näherungswerth bei kleinem F:

15V

2) ee Fr 0

118 Gesammtsitzung

Setzt man dies in die rechte Seite der vorigen Gleichung ein, so erhält man noch genauer:

15V (=) & I) (=) rn ger —+- 0,0289 + 0,057 1 —— an 4 49\ 4 4 4 ra In EB Bu: 0289 = o 057 base Pi Gr EnErt) Gr u) Ra } Diese Formel liefert noch für 7 = 0,009 den Werth von tg’« bis zur

7. Dezimale richtig; denn hierfür ist tg!’ = (7 F)< 00000005.

Das Axenverhältnifs ist dann: R AB 3 ie tete ee. 2b [} . N N 1-+t 2 —— 1-4 —- —-- —— an 8 ) FAR ©; 8“) Wer er

Für den der Erde zukommenden Werth: V = 0,0022997 ergiebt sich tg’« = 0,008688144 und

A B —— © 1,00433467 .

7E Um den Werth & nahe z zu finden, entwickele ich 1) nach Po- tenzen von cotg«, wodurch:

2V 8 5 = neotg”"« 7 eotga— cotg”a + 3cot Ser 2 (—1) Sees Tr 5 a Sr ( En—3)@n—ı)

Hieraus läfst sich ableiten:

TE

2V 16V ee (: =) cotge 3,485 cotg’« + 6 cotg’ae 4cotg’« , T

woraus der Näherungswerth:

3 a ae Ss may nn I: Weil tg« sehr grols, genügt die Kenntnils der 4. Dezimale; die

Formel 3) liefert diese noch richtig für 7 = 0,01, wofür das fol-

vom 10. Februar 1870. 119

| nr | sende Glied 1,1 () < 0,000045 wird. Das Axenverhältnifs 7 ist: 3.) A B eo MM 8 re a een mern

Hieraus ergiebt sich für V = 0,0022997:

2 680,4939 BEE LO, DE

2.

cos gesetzt,

e>/Kos

Das dreiaxige Ellipsoid ist, = cos«,

durch die Gleichungen bestimmt:

20 [- 2(1+2) J Vua+2(ı+zcos’a)(1+z TEE

4a) V = cos?’« cos

4b) V = sin’« N J VYlı+2)(1 + zcos’a)(1-+2cos?ß) (i)

Dieselben sollen mit Hülfe der S-Funktionen entwickelt werden. Man setze daher:

ar 2 2 == le? und a = ampl (u, k) 9

wodurch = =— ampl(X—u,k),

dann ist für diejenige aus 4) abgeleitete Gleichung, welche V nicht enthält, der Ausdruck in elliptischen Funktionen:

2 Su was a3 RNIT "= [222 (1+ X = k & C «)|

kkZu— Zuw+ K) k? (4 u) RQ@+ m, 2K Sa Re Ss" wo Zu = it Zu +K)= ns PT Ru+K) 9 eh

T DS; wg Jg

120 Gesammtsitzung

Ferner lautet diejenige Gleichung, aus welcher das Integral der zweiten Gattung eliminirt ist:

via Mn 1 RT... 4er 1. a leu A’u cu nn OL eu Au)

Beide Gleichungen enthalten nur Potenzen von g’; dag=0 wird für V = 0,18711, sind in der Nähe dieses Werthes die Entwick- lungen nach q zu benutzen. Es zeigt sich aber, dafs q sehr schnell wächst, so dafs für die meisten Werthe von V es passender ist,

die Entwicklungen nach g, = e X, zunehmen. Namentlich sind dieselben in der Nähe von Y= 0 zu wählen, weil mit V zu- gleich der Null sich nähert.

Setzt man also u— iv, so gehen die beiden eben erwähnten Gleichungen in folgende über:

E E 1 1 } 2 EB, Yu amukı, 208 Re SER RE alcE2 7a (= ı) Fr ci -)} 1 2

1 LERC+N)+ ACH) +R Ze) 0 iv C,v

ce?

1 Av

W zlete + ein +aiv—al+3

v A?v ec? v

Aıv 5 c?v E41 +6 V . SıVY CıV Aıv

Hier sollen mittelst der bekannten Relationen zwischen elliptischen und S-Funktionen die Argumente

u),

eingeführt werden. Dabei werde ich aber sogleich mehrere Ver- nachlässigungen eintreten lassen.

(6 } . ® Weil 2 stets zwischen 1 und 0, liegt « stets zwischen 0 und K-u T : : DIE AS So also % zwischen 0 und X; daher ist ghe" = ! für jeden

Werth von V ein echter Bruch. Die Division der Gleichungen 4) zeigt ferner, dafs:

vom 10. Februar 1870. 121 cotgam(u, k) < k,tgam(u,k).

Haben wir aber irgeud zwei reelle Argumente % und v, so wird stets:

cotgam(u,k) = k,tgam(v,k) sein,

K ist.

Vila AJIV

je nachdem u+v

Daher ist für unsern Fall 24 > K und-g,e?*ı stets ein unech- ter Bruch. Es ergiebt sich also die Reihenfolge:

Ga a zer ner ı und ge ı dg,.

Es scheint ferner bei flüchtiger Überlegung, gıe”ı werde 1 für V= 0, weil a z k= 1 wird; aber, sobald g, so klein ist,

dals es vernachläfsigt werden kann, werden die Axenverhältnisse unseres Ellipsoids:

woraus folgt, dals g,e’ı —0 ist für VY=0.

Es seinun V so klein, dafs g| e”ı < 0,005, so ist g, <0,000025 und gqje”: < 0,000000125. Vernachlässigen wir also im Folgenden gie?’”ı, qıe“ı,, e"?°ı, welche alle noch kleiner sind als g? e*ı, dagegen vorläufig keine Potenz von g,e”ı selbst: dann können die beiden in v und %, ausgedrückten Gleichungen auf die Form ge- bracht werden:

5) .. j 2(a, —3)e*ı gıe!ı 10gı 94 0"°*%ı 1 1,4 qne2ın gr —2e #1 +29} ur, Faiglen

6) ER (&, 3) e?ı

14 = 2 Ri „ti+gle?”ı—4e ?1489,+9e?*ı +24g1erı) —126?Fı —6grerı

=

1+4etı +2e?*ı 12gj etı gje‘”ı

Eine erste Näherung werden wir erhalten, wenn wir Alles aufser gıe”ı vernachlässigen. Dies giebt: [1870] 9

122 Gesammtsitzung

V F P:-,. ae ei Zee 7 a ee re ) g: 2(1 3%) Br 9) 4

is ist also eine transcendente Gleichung von der Form

Ze —=m zu lösen. : - er age Dieselbe hat, falls m ein positiver echter Bruch < ist, e ®

eine Bedingung, die 9 erfüllt, zwei reelle positive Wurzeln

für z, die eine zwischen 0 und 1, die andere zwischen 1 und &; letztere ist hier zu wählen, weil im Grenzfalle (” = 0) x,, also auch z= 2, 3 unendlich grofs wird. Ein Näherungswerth für diese Wurzel wird wol am besten aus der Form:

logz = logm + zloge gefunden, kennt man einen solchen = z,, So ist:

3 Zn me’o 2 = zog

meo—L1l

falls (z z,)” vernachlässigt werden kann. Es seien nun die Näherungswerthe g,,2; gefunden: man be- rechne mit denselben die rechte Seite in 5) und 6), setze g,e”ı

= glei + &£, so läfst sich £, und dann, indem man x, =aı+7 setzt, dieses z durch einfache Formeln bestimmen. Wenn man (g,ı e*ı)° vernachläfsigt, werden diese Formeln der zweiten Nähe- rung in ihrer einfachsten Gestalt:

(ei = qleri +4gi + 6gleri + 2(gleri)? +4(gleri)®

x 94! 4e-?21 +2,04 EN 12Q1 735246 tz6gı,e,4 8) .. ; 1+4g,eı + (gı eı)?

es

1 == an a

.

1 a =%ı+ 1 mer 1

Durch 7) und 8) sind die Wurzelwerthe g, und x,, welche unsern beiden simultanen transcendenten Gleichungen genügen, unter der Annahme bestimmt, dafs g,e*ı < 0,005, also dafs alle vernachläs-

vom 10. Februar 1870. 123.

sisten Gröfsen (g, eı)?, qie?ı,e”°?ı, gte?”ı erst in der achten Dezimale einen Werth haben. Diese Annahme aber ist gewils richtig für V < 0,009, so dafs hierfür durch 7) und 8) die Wur- zeln direkt zu finden sind. Die Axenverhältnisse werden dann:

x! ( 2

1 A de“ Surgietrretirlgiert)’—gır(lgieti)’+(gierr)t = C

1+2g,e%ı + 2(qg1e?r)? 491 Sgie?ı + 2(q,e?ı)? \ + 2(gne1).

8.

Die Anwendung der soeben entwickelten Formeln habe ich für den Werth von V gemacht, welcher der Erde zukommt, also V = 0,0022997.

Man findet aus 7):

1 gr er = 20:0011:55163 20 = 29.302163,

woraus 91 = 0,0000001054 .

Die zweite Näherung liefern dann die Gleichungen 8):

g,e”ı = 0,001155588 2, = 9.303238 = 0,0000001054 «

Die Gleichuugen 9) liefern endlich:

= 52,4425

also wesentlich verschieden von den Zahlen, welche Meyer in

A == 19,57 :und

Crelle’s Journal Bd. 24 angegeben hat, nehmlich 5

1,018. Doch hatte ich schon im Sommer 1868 auf ganz an-

[9

9%

124 Gesammtsitzung

derem, sehr viel weitläuftigerem Wege, als dem hier verfolgten, A B gefunden: eh 52,36214 , Bot 1,0023015.

Um aber meine Zahlen noch in anderer Weise zu prüfen, habe ich die Gleichungen 4) nach Potenzen von tg? & entwickelt, wo- durch man folgende, in unserm Falle stark konvergirende Reihen erhält:

2c08’e & (2n +1) (2n—1)...3 4a V = VER} > Yale” 1 m t 2" ) sin’«cos® en ) 2n.(2n 2)... 2 5 IT +1 cotg’*& In+2 cotg? "+? «} 2am 0, © an +1) (2R 1)... 3 ee ee sin«cos’® o an.(an 2)... 2 Tr2 cotg?’ "+? «x Un cotg? "til a i en ı gesetzt ist. Die J’s erhält man ent-

weder durch die Formel:

,@n —1)(2n 3)... 3 Be - == (— ee ne —— ne Ye (2n 2) (2n 4)... 2 1— sine en

f en ale

an 2 ee oe

(an 1) (2n —3)...5 tg’« en nat MIN TS a 2

oder, für unsern Zweck bequemer, successive durch die Gleichungen:

1 + sine x 2ER) une 1 Sına

On— A, +e@nr - A = tE@°%72.c008e;

Man findet für die oben berechneten Werthe von = 2 erstnd

vom 10. Februar 1870. 125

J, cotg”« 3,1549209 J,cotg?”«& J;cotg!« 0,2481793 J; cotg* a J, cotg® « = 0,0832064 .

Die rechte Seite von 4a) wird:

0,00230087 0,00000126 —= 0,00229961 , die rechte Seite von 4b) wird:

0,00230503 0,00000537 = 0,00229966

anstatt 0,0022997. Die Differenz ist also eine 1 in der siebenten Stelle; jene oben gefundenen Zahlen sind dadurch wol genügend bestätigt. Berechnet man diese Ausdrücke mit den Meyerschen _ Werthen, so wird die rechte Seite von 4a) = 0,01155 und die von 4b) wird 0,0175 anstatt 0,0022997.

Die Gleichungen 2), 3), 7), 8), 9) liefern also die Axenver- hältnisse aller drei ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren mit hin- reichender Genauigkeit für 7 < 0,009. Für gröfsere Werthe von V werden sie immerhin noch sehr brauchbare Näherungswerthe geben.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Transactions of the Cambridge Philosophical Society. Vol. XI, Part 2. Cambridge 1869. 4.

Bijdragen tot de Taal- Land- en Volkunde. IV, 2.3. Gravenhage 1870. 8.

Notiser ur Sallskapets pro Fauna et Flora fennica Förhandlingar. Fasc. 10. Helsingfors 1870. 8.

Silliman's Journal of science and arts. no. 144. New Haven 1869. 8.

A. Peyron, Za prima tavola di Eraclea. Torino 1869. 4.

126 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

14. Februar. Sitzung der phy sikalisch-mathemati- schen Klasse.

Hr. Dove las über die Compensation der in Europa im Ja-

nuar 1870 beobachteten Kälte durch eine ungewöhnliche Erhöhung

der Temperatur in Amerika.

Hr. Ehrenberg machte vorläufige Mittheilung über die Bacillarien-Bänke im Hochlande Californiens.

Durch eine sehr glückliche Thätigkeit der geologischen Ge- lehrten der Vereinigten Staaten Nord-Amerikas sind so bemerkens- werthe Erweiterungen unserer Kenntnifs der aus mikroskopischen Lebensformen bestehenden kieselerdigen Gebirgsmassen ganz NeUeT- lich entwickelt und meiner eigenen Beurtheilung zugänglich ge- macht worden, dafs ich für angemessen halte der Akademie schon jetzt eine vorläufige Mittheilung darüber vorzulegen. Schon 1843 und 1845 wurden mir durch die Vermittlung des seitdem verstorbenen Professor Bailey die von Professor James Dana vom unteren Columbia River in Oregon mitgebrachten Proben von Gebirgs- schichten, aus kieselerdigen Bacillarien - Schaalen bestehend, zur Kenntnifsnahme und specielleren Analyse übersandt, welche in den Monatsberichten jener Jahre publicirt worden sind.

Noch weit auffallendere Verhältnisse solcher anstehenden Ge- birgsschichten entdeckte Kapitain Fremont bei seinen kühnen und glücklichen Untersuchungen des Hochlandes von Oregon und Oali- fornien am Fallriver, wo er bis 500 Fufs mächtige, 100 Fufs hoch mit Basalt überlagerte, steile Felswände des T'hales bildende, weilse, scheinbar thonige, für Porzellanthon gehaltene, Gebirgsschichten fand. Über diese mir ebenfalls übersandten Proben habe ich, i. J.:1849') publieirte, Mittheilungen vorgelegt. Es war mir damals gelungen,

aus beiden Gebirgsschichten zusammen 146 verschiedene Formen- arten als ihre Hauptelemente namentlich darzulegen. Beides, beson- ders aber die letztere Masse ausschliefslich, hatte den Charakter |

1) Monatsbericht d. Ak. 1849 p. 76.

vom 14. Februar 1870. 127

von Sülswasserbildungen, nur 3 vereinzelte Formen des ersteren spra- chen als Meeresgebilde an. Die unerhörte Mächtigkeit und Lage- rung als 500 Fufs hohe Felswände von Bacillarien sind bisher ohne Gleichen geblieben und überbieten auch die im vorigen Jahre mitgetheilten Verhältnisse der mexikanischen Hochgebirge bei Weitem.

Seit 1849, seit nun 20 Jahren, sind keine weiteren Erläute- rungen aus jenen unwirthlichen Gegenden des californischen Hoch- landes erreichbar gewesen. Die Epoche machende grofse industrielle Unternehmung der Eisenbahn vom Mississippi nach dem Stillen Ocean hat erst neuerlich Aufschlüsse der merkwürdigsten Art aus den zu durchbrechenden Hochgebirgen zu gewinnen erlaubt. Der Staatsgeolog der Vereinigten Staaten Nord - Amerikas Professor Whitney in Cambridge hat umfassende Untersuchungen der Ver- breitung und Mächtigkeit der californischen Bacillarien-Biolithe an- gestellt und über dieselben einen ausführlichen Bericht in den Schriften der Akademie der Wissenschaften zu San Franeisco ver- öffentlicht.

Nachdem mir bereits zu Anfang des vorigen Jahres eine sehr sauber verpackte und etikettirte Reihe von 35 Proben verschiede- ner biolithischer Gebirgsarten durch Hrn. Baron von Gerolt, den Gesandten des norddeutschen Bundes in Washington, zur Kenntnifs- nahme und Analyse zugesandt worden waren, sind mir auch neu- erlich auf demselben Wege Proben jener Porzellanerden- oder Kaolin-artigen, zuweilen auch Brennthon (Fireclay) und Pfei- fenthon, auch sogar von verschiedenen Reisenden Magnesia genann- ten, zum Erstaunen hohen Gebirgsschichten übermittelt worden, und der Professor Hague in Cambridge hat aus eigener Anschauung Erläuterungen specieller Art hinzugefügt. Nach den Berichten des Professor Whitney finden sich diese mächtigen Lager polygastri- scher Infusorien, welche von mir als Baeillarien bezeichnet worden sind, aulser in Oregon auch in dem californischen Hochlande zwi- schen der Sierra Nevada und den Rocky Mountains, dem sogenann- ten „Great Basin“, in ganz unerwarteter Ausdehnung und hier und da in einer Mächtigkeit, welche jene 500 Fufs am Fallriver um das Doppelte übersteigt. Die beiden viele Tausende von Quadrat- _ meilen umfassenden Territorien Nevada und Utah enthalten an vie- len Punkten grofse Bänke solcher Infusorienerden, welche durch tief eingerissene Thäler oft im Profil gesehen werden, zuweilen mit

EEE

128 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Bimsteinstaub, Geröll und Basalttuff abwechselnde mehr oder we- niger dicke Schichten bildend. Die Mächtigkeit derselben ist zu- weilen, wie nach Hrn. Professor Hague im Humboldt-Thale, im schroffen Abfall so stark erkennbar, dafs sie sich auf 1000 Fufs erstreckt.!) Oft sind sie auch hier wie in Oregon oberhalb mit einem Basaltlager überdeckt. Im Nevada-Territorium ist besonders der Humboldt-Distriet, Humboldt Valley, mit dergleichen weilsen Gebirgswänden versehen, und auch an den Umgebungen des Salz- sees finden sich solche Gebirgsmassen. Die mir zugekommenen Proben, welche speciell diese Verhältnisse zu erläutern bestimmt sind, betreffen 5 Örtlichkeiten, 2 vom Nevada-Territorium (Truckee River und Humboldt Valley) und 3 vom Salzsee des Mormonen-

landes im Territorium Utah. Ich habe mir nicht versagen können ge Übersicht dieser SO höchst

und bereits angelegen sein lassen ein! Itnisse zu gewinnen und hoffe,

merkwürdigen ehemaligen Lebensverhä wenn auch langsam, durch gleichartige Behandlung eine den schon vorhandenen Kenntnissen vergleichbare Erläuterung dieses Gegen- standes herbeiführen zu können. Für jetzt möge es genügen, fol- gende Thatsachen dieser Erscheinung zu berühren. Aus den Mittheilungen des verdienstvollen Geologen Professor Whitney geht hervor, dafs ungeheure ehemalige Seen ‚des cali- fornischen Hochbassins staunenswerthe Ablagerungen im Thalboden bewirkt haben, welche beim allmäligen Abfliefsen der Gewässer in tiefer gelegene Thäler und Schluchten, oft selbst Berge bildend, sich verbreitet haben. Dabei ist allerdings kaum ein Maaflsstab festzu- stellen, bis zu welcher Mächtigkeit diese Lager im Bereiche der Seen sichtbar werden können. r

Wenn hierbei Hr. Professor Whitney die Meinung ausspricht,

als sei dies im Widerspruch mit früheren Vorstellungen und als habe ich solche Massen für Auswürflinge aus der Tiefe der Vul- kane gehalten, so möchte ich bemerken, dafs diese Ansicht niemals die meinige gewesen ist, dafs ich sie vielmehr bekämpft habe. Seit-

dem die Moya und die Asche des Imbaburu-Vulkans in Quito fstoff durch verkohlte Pflanzen-

von mir als vulkanischer Auswur g von graphitartiger

reste nachgewiesen, ist auch die Vorstellun

1) In the region of the Humboldt desert there are beds, stratified and conformable with the tertiary rocks, which judging from the outcross of the | strata must be from 500 to 1000 feet thick.

vom 14. Februar 1870. 129

Urkohle aus dem Innern der Erde als dortige torfartige Erschei- nung unmöglich geworden. Wohl aber ist das durch eingestürzte thätige Vulkankegel zerrissene und verkohlte Oberflächenverhält- nifs mit seiner Pflanzendecke als deutlichster, wahrer, aber sekun- därer Auswurfstoff nicht in Zweifel zu ziehen. Bei manchen hierzu gehörigen Tuffen sind die feinen organischen Theile durch Hitze verändert oft sehr unkenntlich geworden und darauf besonders habe ich meine Aufmerksamkeit gelenkt. Dafs jene Phytolitharien- massen als Grastheile bei Mexiko nicht in Seen gebildet sein konn- ten, dürfte ebenfalls unbezweifelt bleiben.

Ganz besonders bemerkenswerth ist bei den californischen Bio- lithen der Umstand, dafs sie doch wohl in Höhen von 4—5000 Fufs über dem Meere, also denen von Mexiko fast ähnlich, abgelagert sind. Allein sie sind den mexikanischen Gebirgsschichten dieser Art dadurch ganz unähnlich, dafs sie nicht blofse Sülswasserge- bilde, sondern auch nicht wenige entschiedene Meeres- oder Salz- formen unter sich führen. Die Gattungen: Coscinodiscus, Diploneis, Craspedodiscus, Grammatophora (und Biddulphia am Columbia River) sind meinen in der Mikrogeologie mitgetheilten und anschaulich gemachten Erfahrungen zufolge niemals im reinen Sülswasser, aber regelmäfsig als Meeresgebilde vorgekommen. Nur einige Male sind Fragmente eines Coscinodiscus?, wie in Bilin (Mikrogeologie Tab.XI. Fig. 4) anschaulich geworden, deren Natur aber auch anderen Süls- wasserbildungen nahe steht; z. B. Ooscinophaena Discoplea (Mikro- geologie Tab. XXXVA. XIIIA. Fig. 1). Es gehören auch mehrere - Formen der Spongolithen der californischen Gebirge wohl kaum zu den Süfswasser-Spongillen. Wenn man sich also Süfswasser- Bassins im californischen Hochlande denken soll, so fehlt ihnen jener reine Sülswasser-Charakter der mexikanischen Gebirgsschich- ten. Dagegen ist die noch vorhandene Existenz des grolsen Salz- sees in Utah ein deutlicher Hinweis, dafs auch in frühesten Zeiten salzige Gewässer alle Seen des Hochlandes dort erfüllt haben könn- ten. Nur ist dann der Umstand schwierig zu erläutern, dafs doch die Hauptmassen jener ungeheuren Lebensablagerungen sich als Sülswasserformen weit vorherrschend zu erkennen geben.

Dafs die vulkanischen Feuer jener Länder, wie es auch in Me- xiko der Fall ist, auf diese Massen, etwa Hebung ausgenommen, gar keinen Einflufs ausgeübt haben, ergiebt sich mit voller Deutlichkeit aus der schönen Erhaltung aller Formen, die, ohne Spuren von Ein-

150 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

wirkung vulkanischer Hitze, zum grofsen Theil ganz geblieben oder nur einfach zerbrochen sind. Nicht unwesentlich scheint das mir gelungene Auffinden von Cypris-artigen Kalkschalenformen, wie in Mexiko, deren Gestalt jedoch eigenthümlich ist.

Das Massenverhältnifs der Formen in den fünf geprüften Ge- birgsproben hat ergeben, dafs die Masse am Truckee River fast. ausschliefslich aus Gallionella granulata und @. sculpta besteht mit zahlreichen Coscinodiscus-Fragmenten. Im Ganzen wurden bisher 94 Polygastern-Arten, 15 Phytolitharien, darunter 6 Spongolithen da- selbst beobachtet. Hierunter ist Yoseinodiscus radiatus Meeresform, die übrigen alle sind Süfswassergebilde.

Von den Massen am Humboldts-Flufs (Humboldt Valley) bil- den die Hauptelemente wieder Gallionella granulata und G. sculpta mit besonders auffälligen zahlreichen, zum Theil unbekannten Spon- golithen, von denen 45 Arten sich ebenfalls als Meeresgebilde an- sprechen lassen, wozu auch Fragmente des Coscinodiscus radiatus und C. subtilis sich gesellen. Im Ganzen sind hierin bis jetzt 9 Arten Polygastern, 15 Arten Phytolitharien, darunter 14 Spongo- lithen hervorgetreten.

Die drei Proben vom Salzsee in Utah sind zwar unter sich in der Mischung etwas verschieden, haben aber den gemeinsamen Charakter, abweichend von den Nevada-Gebirgen, dafs ihre Mas- sen aus Amphora libyca, Synedra spectabilis, Fragilaria rhabdosama und F. pinnata, sowie aus Surirella Testudo, Funotia Argus, Gram- matophora stricta, sammt Navicula bohemica überwiegend gebildet sind. Im Ganzen haben sich 84 Arten Polygastern, 6 Phytolitha- rien, 4 Geolithien und 1 Art kalkschaliger Cypris darin verzeich- nen lassen. Unter diesen Formen sind 6 entschiedene Meeresfor- men oder Salzwasserformen. Alle aulser den genannten Haupt- massenformen, besonders die Meeresformen, sind mehr oder weni- ger vereinzelt in diese Masse eingestreut. In diesen letzteren Ört- lichkeiten macht sich auch eine Beimischung von feinen Sandtheil- chen bemerklich, welche zum Theil doppelt lichtbrechend sind. Auffallend bei allen diesen Verhältnissen ist es, dafs nur sehr sel- tene Spuren von Grasphytolitharien vorhanden sind und dafs in auffälliger Weise Campylodiscus Clypeus mit Navicula bohemica, wie in Mexiko und Böhmen, vorkommen. |

Ich schliefse diese vorläufigen Bemerkungen damit, dafs die ‘hier zur Kenntnils gekommenen 134 Arten organischer Elemente

vom 14. Februar 1870. 131

(97 Polygastern, 31 Phytolitharien, 4Geolithien und 1 Cypris) mit den früher am Columbia River und am Fallriver in Oregon analysirten Gebirgsschichten 223 Arten betragen, die aber die sämmtlichen Elemente noch bei Weitem nicht darstellen können, welche weite- rer Analysen bedürfen. Es sind in der Mikrogeologie auf Tafel XXXII und XXXVII 48 dieser Formen im Jahre 1854 abgebildet worden.

Da der Mormonenstaat von Utah am Salzsee bereits so viele industrielle Kräfte besitzt und wahrscheinlich mit Trinkwasser nicht Sehr begünstigt ist, so dürften artesische Brunnen wie in Mexiko dort leicht und zahlreich ausgeführt und weiter ausführbar sein, deren Bohrerden zu überwachen und zu sammeln ein ansehnliches Interesse hat. Ebenso schr ist es aber auch wünschenswerth, dafs die neuesten Ablagerungen und lebenden Spongillen als Oberflächen- schlamm und Gebilde des Salzsees der mikroskopischen Prüfung zugänglich werden. Sollten sich die Meeresformen in diesem Salz- see nicht lebend finden, so würden die grolsen Lager jener Bio- lithe als einer früheren Bildungszeit zugehörig durch ihre Elemente bezeichnet sein, sowie auch Professor Hague in seinem beigefüg- ten ausführlichen Schreiben dieselben als Tertiärbildung aufgefafst hat, während sie Professor Whitney der neuesten Erdbildung mit überweist. Das ursprüngliche Zustandekommen brackischer Baecil- larien- und Spongolithen-Lager auf Hochgebirgen dürfte einer wei- teren Erläuterung sehr würdig sein.

Eine technische Verwendung dieser Bacillarien-Tripel soll zur Abschwächung der gefahrvollen zufälligen Explosion des „Dyna- mit“ genannten gewaltigen Sprengmittels des Nitro-Glycerin viel- fach jetzt stattfinden.

Überblickt man die bisher bekannt gewordenen, nur durch künstlich verstärkte Sehkraft erkennbaren fossilen Überreste des feinen Lebens, so tritt die seit 1830 hier vorgetragene Polythala- mien-Kalkbildung durch kalkschalige Elemente, gewöhnlich Schreib- kreide genannt, in meist 800 bis 1000 Fufs Erhebung, den Boden vieler grofser Länder bildend, am meisten hervor. Diesen zur Seite ist seit 1844 eine bis 1100 Fuls mächtige kieselerdige Poly- _ cystinen - Mergelbildung der Insel Barbados und auch der Nico- baren - Inseln nachweisbar geworden. Neben vielen weniger ho- hen Gebirgsschichten tritt nun hiermit das organische Kieselelement in den Hochländern Californiens als bis 1000 Fuls mächtige und

132 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

in der Verbreitung auch das mexikanische Gebirge weit überragende Erscheinung zu Tage. So wachsen denn die Erscheinungen eines unsichtbaren und doch mächtig wirkenden Lebens zu erfreulicher Genugthuung ruhiger Forschung in grolsem Maalsstabe weiter.

Hr. Weierstrafs machte folgende Mittheilung des Hrn. Ket- teler in Bonn: Über den Einflufs der ponderablen Moleküle auf die Dispersion des Lichtes und über die Bedeutung der Constanten der Dispersionsformeln.

Während die in letzter Zeit von Mascart') veröffentlichten Messungen des ultravioletten Spektrums sowie die von mir?) un- ternommene Untersuchung der Dispersionsverhältnisse der Gase bereits einen ziemlich weiten Überblick gestatten über den Verlauf der Dispersionscurve als einer Funktion von Wellenlänge und Dichtigkeit, währenddefs hat auch die Theorie insbesondere durch die trefflichen Arbeiten Briot’s?) einen neuen Aufschwung ge- nommen und durchaus neue und fruchtbare Prinzipien aufge- stellt. 3

Es liegt daher die Frage nahe, ob es nicht möglich sei, aus dem vielen vorliegenden Material mit Innehaltung eines streng kri- tischen, empirischen Standpunktes zu einer Formel zu gelangen, die einerseits bei der bis jetzt erzielten Genauigkeit der Versuche als die einzig zulälsige und dabei als die dem heutigen Stande der Theorie einzig entsprechende erachtet werden müsse.

1) Mascart, Ann. de l’&cole normale, t. I. und Ann. de chim. 4 serie, t, XIV.

?) Ketteler, Beobachtungen über die Farbenzerstreuung der Gase, Bonn 1865. Monatsberichte der Königl. Akademie, November 1864. Sitzungsberichte der Niederrhein. Gesellschaft, Dec. 1868.

3) Briot, Essais sur la theorie mathematique de la lumiere. Paris 1864.

doms 1a Felruar 1870: 133

Die Anforderungen, die man an eine rationelle Dispersions- formel zu stellen berechtigt ist, lassen sich meines Erachtens in die vier folgenden Punkte zusammenfassen:

1. Eine rationelle Formel mufs bei einer bestimmten Dich- tigkeit des dispergirenden Mittels für den ganzen bekann- ten Umfang der prismatischen Strahlung die einzelnen Far- ben in richtiger räumlicher Aufeinanderfolge aus den Wellenlängen berechnen lassen.

2. Ihren Constanten muls, etwa in analoger Weise wie bei der bekannten Interpretation Christoffel’s') (bezüglich zweier Cauchy’schen Oonstanten) eine specifisch physika- lische Bedeutung untergelegt werden können.

3. Bei Dichtigkeitsänderungen seitens der dispergirenden Sub- stanz müssen diese Constanten in einer einfachen, den Gas- versuchen entsprechenden Weise an den Änderungen der Molekular-Constitution participiren. Speciell also müssen

4. an der Gränze der Verdünnung die Indices sämmtlicher Farben gleichzeitig den gleichen Gränzwerth 1 erreichen.

Demnach wird eine Arbeit, die sich dieses Ziel gestellt hat, naturgemäls in drei entsprechende Abschnitte zerfallen. Es sind zunächst die einzelnen vorgeschlagenen Ausdrücke auf dem Wege der Rechnung hinsichtlich ihres Baues und der Anzahl ihrer Glie- der nach dem Grade ihrer Leistungsfähigkeit zu beurtheilen. So- dann werden die mathematischen Charaktere der gewonnenen Con- stanten Hervorgehoben, die Constanten also nach der formellen Seite interpretirt werden müssen. Endlich mufs jede derselben als Ausflufs der bei der Dispersion zur Mitwirkung kommenden Kräfte erklärbar sein und darnach definirt werden.

Ich habe es versucht, die hier besprochene Aufgabe ihrer Lö- sung entgegenzuführen.

Es wurden zu dem Ende in sehr mannigfacher Weise berech- net: die Messungen Mascart’s, betreffend das ordinäre und extra- ordinäre Spektrum des Kalkspath und Quarz sowie das Spektrum eines stark zerstreuenden Flintglases, Messungen, die sich aulser auf die optischen auch auf einen mehr oder minder grofsen Theil der ultravioletten Strahlen erstrecken, ferner die Indices des Wassers, die bei Anwendung der gebräuchlichen Formeln eine be-

1) Christoffel, Monatsberichte der Königl. Akademie, Okt. 1861.

134 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

merkenswerthe Anomalie zeigen, die Indices des schweren Merz’- schen Flintglases, für das van der Willigen') zwischen den Fraunhofer’schen Linien A und 7 nicht weniger als zweiund- fünfzig Linien berücksichtigt hat, sowie endlich das Spektrum des Schwefelkohlenstoff von Verdet?) und die drei Hauptspektren des Arragonit von Rudberg. Dabei wurden die Constanten der zu vergleichenden Ausdrücke zum Theil aus einzelnen Beobachtungen, zum Theil mittelst Gruppirung sämmtlicher disponibler Gleichungen und zum Theil mittelst Anwendung der Methode der kleinsten Qua- drate berechnet.

Zugleich war für die Abschätzung und Würdigung der mit einander concurrirenden Ausdrücke das Kriterium maalsgebend, dafs diejenige Reihe, resp. diejenige Combination von Reihen, welche bei gleicher Brauchbarkeit die kleinste Anzahl Constanten, also die stärkste Convergenz besitzt, vor allen übrigen den Vorzug ver- dient.

Das Resultat dieses Theiles der Arbeit läfst sich dahin zu- sammenfassen, dafs:

1) die reine Cauchy’sche Reihe, d. h. diejenige, deren Glieder

£ortschreiten nach Potenzen der reciproken Quadrate der in-

r r 2. r . u neren Wellenlänge ( a der Erfahrung nicht genügt,

N

dafs dieselbe

2) durch ein das Quadrat der direkten Wellenlänge enthalten- tendes Glied ergänzt werden müsse, und dals so im Gan- zen vier Glieder erforderlich sind und ausreichen, dafs man endlich auch

3) die die Wellenlängen enthaltenden Glieder in einer gewis- sen abschliefsenden Weise zusammenfassen dürfe, ohne da- durch der empirischen Brauchbarkeit irgendwie Abbruch zu thun.

Die so gewonnene Dispersionsformel hat vier Constanten, und da je zwei derselben sich als zusammengehöriger charakteristischer Index und charakteristische Wellenlänge entsprechen, so folgt, dals jede dispergirende Substanz durch zwei bestimmte, ihr eigenthüm- liche Strahlen physikalisch definirt ist. Von den beiden charakte-

1) y. d. Willigen, Archives du Musee Teyler, t. I. 2) Verdet, Ann. de chim. 3 serie, t. XIX.

vom 14. Februar 1870. 135

ristischen Wellenlängen kann wenigstens ideell oder auch prak- tisch die eine unendlich grofs werden, so dafs dann die Anzahl der Constanten sich anf drei redueirt. Der eine der beiden ge- nannten Strahlen begränzt das Spektrum auf der ultravioletten Seite ich nenne seine Elemente No, lo, ?o —, der andere auf der ultrarothen Seite, und seine Elemente heifsen YA schen beiden liegt dann noch ein dritter ausgezeichneter Strahl, dem im Allgemeinen auf der Dispersionscurve ein unbestimmter Punkt (n,, !ı,?,) entspricht. Nur in dem eben erwähnten Spe- eialfall wird 7, = 1; = wo, und der Index wird ein asymptotischer Gränzindex (nn =n; = n,) auf der ultrarothen Seite des Spek- trums.

Falst man die Abhängigkeit der eiuzelnen Glieder der Dis- ' persionsformel von der Dichtigkeit ins Auge, so ergibt sich, dafs dasjenige Glied, welches (in der ungeschlossenen Reihe) die direkte Wellenlänge enthält, bei Abnahme der Dichtigkeit rascher abnimmt als die übrigen, so dafs an der Gränze der Verdünnung die Zahl der merklichen Glieder und folglich die der Constanten sich stets auf drei reducirt.

Ich definire dabei analog dem Begriffe der sogenannten brechen-

2 2 0

den Kraft n3 1 den Quotienten als dispergirende Kraft. N;

Führt man zugleich in die Dispersionsformel diejenige Gröfse ein, die als Gränzwellenlänge (A,) an der Gränze der Verdünnung (d= 0) deflnirt werden mufs, so zeigt sich, dafs diese Gröfse bei Gasen von der Dichtigkeit unabhängig ist, dafs dasselbe wahr- scheinlich der Fall ist für den flüssigen Zustand, und dafs selbst die Einwirkung der Krystallisationskraft sie anscheinend nicht ver- ändert.

Was schliefslich die Beziehungen zur Theorie betrifft, so denke ich mir mit Briot die dispergirenden Medien als Aggregate aus ponderablen und Äthermolekülen und zwar. derart, dafs jedes pon- derable Molekül mit einer Atmosphäre von verdichtetem Äther um- geben ist, und dafs innerhalb der so gebildeten intramolekularen Zellen die Dichtigkeit des Äthers von einer zur andern periodisch varürt, etwa wie momentan die Dichtigkeit der Luft zwischen den Dichtigkeitsmaximis einer longitudinalen Klangwelle. Es sind dann dreierlei Arten von Kräften in Betracht zu ziehen, Attraction zwi- schen den ponderablen Molekülen, Attraction zwischen ponderablen

136 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

und Äthermolekülen und Repulsion zwischen den Äthertheilehen. Sofern nun im Allgemeinen von der ersteren abstrahirt werden darf, so verbindet sich die zweite mit der dritten zu einer Resul- tirenden, und zwar zeigt sich die Attraetion zwischen ponderablen und Äthermolekülen einmal als statische, die Anordnung des Äthers modificirende Kraft, dann aber auch als dynamische, die Schwin- gungen des Äthers beeinflussende Kraft.

Dem entsprechend zeige ich, dafs die drei Arten von Gliedern, welche die Dispersionsformel enthält, auf drei besondere physika- lische Kräfte zurückzuführen sind. Das constante, von der Wel- lenlänge unabhängige Glied repräsentirt die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit, mit der sich in einem gleichförmig isotropen Medium von der gleichen mittleren Dichte (aber unendlich dünn gedacht) sämmt- liche Farben fortpflanzen würden.

Das, das Quadrat der direeten Wellenlänge enthaltende Glied rührt her von der direkten, dynamischen Einwirkung der ponde- rablen Moleküle auf die schwingenden Äthertheilchen und wird für Gase zwar nicht vernichtet, aber doch unmerklich.

Die beiden übrigen, die ersten quadratischen Potenzen der re- ciproken Wellenlänge enthaltenden Glieder messen die Stärke der Concentration der Ätherhüllen um ihren ponderablen Kern und da- mit die Amplitüde der periodischen Modificationen der Dichtigkeit des Äthers.

Zwischen der Amplitüde «a und der zerstreuenden Kraft besteht die einfache Relation:

N Ä , 1 er und ich definire die Constante er oder das Verhältnifs der zer- 1

streuenden Kraft zur Amplitüde als das Zerstreuungsvermögen. Das Zerstreuungsvermögen eines dispergirenden Mittels ist wesent- lich bedingt durch den Charakter oder die Form der periodischen Ungleichheiten, diese letztere aber nur abhängig von der chemischen Substanz, dagegen unabhängig von der Dichtigkeit.

Für Gase ist die Amplitüde «a der Quadratwurzel aus ihrer Dichtigkeit proportional.

Endlich läfst sich rücksichtlich der Gröfse a, (proportional mit A.) noch der folgende Satz aussprechen: Wird die Dichtigkeit

vom 14. Februar 1870. 137

einer dispergirenden Substanz, die wie Schwefelkohlenstoff seitens ihrer ponderablen Moleküle nur eine äufserst schwache direkte Ein- wirkung bethätigt, vom Gränzzustand (d—= 0) an continuirlich ge- steigert, so wird die zugehörige Curve der Dispersion einmal, bei einer ganz bestimmten Dichtigkeit, in eine Lage kommen, deren mathematischer Ausdruck die Christoffel’sche Formel ist; die dieser Dichtigkeit entsprechende Amplitüde ist angenähert a,.

Für den gedachten Specialfall ist:

Ebenso einfach ist die Beziehung, die auf der anderen Hälfte _ der Dispersionseurve den Gränzstrahl (nz, 1,,?%,) mit dem charak- teristischen Mittelstrahl verbindet.

Nenne ich X’ den Coefficienten des die direkte Wellenlänge enthaltenden Gliedes und setze k— n?k', so bestehen die Glei- chungen:

N, 1

IT =-—. a ok

Die erstere bleibt gültig für alle nicht zu grofsen Werthe von k,

2 2 die zweite ersetzt sich für den Specialfall A Pinaahh. durch die

2 V

S LS}

Proportion:

Dem entsprechend wäre das Spektrum der Refraetion zwischen den Gränzen:

N, = n,Yy2 n,;, = n,V2

N. = Ang

enthalten, den Christoffel’schen Specialfall vorausgesetzt.

Schreibt man uw, v2; so ist:

w3 7 ay2 [1870] | 10

138 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 14. Februar 1870.

unter & die Lichtgeschwindigkeit im freien Weltäther verstanden, die Gränzgeschwindigkeit, die in einem unendlich dünnen Gase von einer unendlich grofsen Welle höchstens erreicht wird. Diese Ge- schwindigkeit mufs aber angenähert schon in den gewöhnlichen Gasen endlichen Wellen von einer gewisseu beträchtlichen Gröfse an zukommen. Sie fällt nahezu zusammen mit derjenigen Con- stanten c = 59320 Meilen,

die von Kohlrausch und Weber definirt ist als diejenige rela- tive Geschwindigkeit zweier elektrischen Massen gegen einander, bei der sie nicht mehr auf einander einwirken.

Auf eine Beziehung zum Leitungsvermögen für Elektrieität deutet ferner das Verhalten des Coefficienten k. Ordnet man näm- lich die durchsichtigen Mittel je nach der Gröfse desselben in Grup- pen, so stellen sich anscheinend einerseits Wasser, Schwefelsäure und Chlorzinklösung, andererseits Schwefelkohlenstoff, Phosphor und Arragonit (y) als die extremen zusammen.

Die Formel selbst, die sich mit Nothwendigkeit aus der Er- fahrung zu ergeben schien, und von der ich wohl hinzufügen darf, dafs sie durch Briot’s Theorie eine gewisse Bestätigung erhalten, hat die Form:

vo: dl! ı Ba TB DR wenn v die der inneren Wellenlänge Z=v.T entsprechende Fort- pflanzungsgeschwindigkeit bedeutet. 4A, B,C, D sind Constanten, von denen B und D, reciprok genommen, wenigstens für die un- tersuchten optischen Mittel Gröfsen derselben Ordnung sind.

Dem Gesagten zufolge wirkeu zur Hervorrufung der Disper- sion im Allgemeinen zwei wesentlich verschiedene, nicht parallel laufende Kräfte zusammen, und wie z. B. beim Schwefelkohlenstoff der Einflufs der einen stark zurücktritt, so mag es andere Mittel geben, in denen umgekehrt die periodische Modification des Äthers klein ist gegen die direkte Einwirkung der ponderablen Moleküle.

Sollte nnn ein wohlbekannter Versuch von Quincke auf die Me- talle als diese letzteren hindeuten, so halten sich bei der Disper- sion des Wassers beide Arten von Kräften nahe das Gleichgewicht. Und wenn man annimmt, dafs bei Abnahme seiner Dichtigkeit eine jede derselben zwar regulär, aber ungleich schnell geschwächt

Gesammtsitzung vom 17. Februar 1870. 139

wird, so findet vielleicht auch die Anomalie, die seine Indices un- terhalb des Dichtigkeitsmaximums zeigen, eine naturgemälse Er- ‚klärung,

Hr. Weierstrafs machte sodann im Anschlufs an die am 2. December v. J. gelesene Notiz eine weitere Mittheilung aus seinen Untersuchungen über die 2nfach periodischen Funktionen.

17. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Petermann las über die Eroberung von Jerusalem durch Saladin und dessen weitere Thaten im Jahre 1187 n. Ch. nach

| Imäd el Ispahäni.

Hr. Ehrenberg legte ein an ihn adressirtes arabisches Schrei- ben des ägyptischen Gouverneurs im Sudan, Djafer Pascha, vor, worin derselbe seinen Dank für die Anerkennung seiner Theil- nahme an den Bestrebungen des Naturforschers Hrn. Dr. Schwein- furth ausspricht und auch für die Zukunft seine den Absichten der Akademie entsprechende gröfste Bereitwilligkeit der Beförderung derselben anzeigt.

Hr. Pertz legte den Ersten Band der von ihm veranstalteten Sammlung von Schrifttafeln zum Gebrauche bei diplo-

. matischen Vorlesungen Hannover im Verlage der Hahn- schen Hofbuchhandlung 1869, 97 Platten nebst 3 Bogen Inhaltsver- zeichnissen in Folio vor, und erklärte sich darüber wie folgt:

Als bei Entwerfung des Plans der Monumenta Germaniae die Ausstattung und Beglaubigung der Texte durch getreue Schrift- 10*

140 Gesammtsitzung

muster beschlossen wurde, bedachte ich die Leichtigkeit, durch eine Zusammenstellung der einzelnen auf diese Weise im Laufe der Zeit zu gewinnenden Musterbilder den fühlbaren Mangel zweckmä- (siger und mannigfaltig nützlicher Hülfsmittel für das diplomatische Studium zu ersetzen. Es würden sich somit zwei verschiedene Theile, einer für Bücher, der andere für Urkunden bilden lassen, wenn grundsätzlich auch bei Herausgabe der letzteren auf Nachbil- dung einer geeigneten Urkunde jedes Königs und Kaisers gehalten, und die Elemente einer deutschen Diplomatik in der Zeitfolge ge- wonnen wären. An diesen letztern Theil wird mit dem nahe bevor- stehenden Erscheinen der Kaiserurkunden gedacht werden. Die Erfordernisse des ersten sind allmälig mit dem Vorschreiten der Scriptoren und Leges zusammengekommen, indem der Herr Verle- ger der Monumenta meinem Wunsche durch Veranstaltung einer et- was erhöheten Zahl Abdrücke der für die Auflage der Monumenta erforderlichen Schrifttafeln entsprochen, und jetzt das Zusammenle- gen der in zehn Heften einzeln erschienenen Handschriftentafeln der vorliegenden 22 Bände veranstaltet hat. Die wissenschaftliche Vereinigung derselben ist durch Professor Dr. Karl Pertz ausge- führt, welcher dem Bande eine chronologische Übersicht der in den sämmtlichen Schrifttafeln enthaltenen Arten in folgender Ordnung vorgesetzt hat: I. Uncialschrift. II. Beneventanische Schrift. II. Angel- sächsische Schrift. IV. Karolingische Halbeursive. V. Mi- nuskelschrift nach ihrer Entwickelung in Folge der Jahr- hunderte, dem 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. unserer Zeitrechnung. Die beschränktere Zahl der Uncial - Proben wird durch die be- vorstehenden Mittheilungen aus den ältesten Handschriften der Me- rowinger, Langobarden, Gothen und Römer vervollständigt werden. Die Sammlung empfiehlt sich durch ihre Mannigfaltigkeit, die Treue, Gröfse und den Werth ihrer ausgewählten Bestandtheile und ihre leichte Zugänglichkeit.

vom 1/7. Februar 1870. 141

Hierauf wurde der folgende Aufsatz des Hrn. Gerhardt in Eisleben mitgetheilt: Zur Geschichte der Algebra in Deutschland. Zweiter Theil.

In dem ersten Theil (Monatsberichte 1867 S. 38 ff.) habe ich aus den bisher zugänglichen Druckschriften die Anfänge der Al- gebra in Deutschland dargestellt. Es blieben die Fragen zu erle- digen: aus welcher Grundlage haben die ersten deutschen Algebri- sten, Henricus Grammateus (Schreyber aus Erfurt) und Christoff Rudolff von Jauer geschöpft? haben sie sich an arabische oder italienische Schriftsteller angeschlossen? und was haben sie selbst- ständig geleistet?

Hierzu war eine Durchmusterung der in den Bibliotheken von Wien, München, Nürnberg vorhandenen Manuscripte nöthig; ich habe sie im Sommer 1867 ausgeführt. Mein Plan, vor allem nach lateinischen Übersetzungen arabischer Schriftsteller über Algebra zu suchen, wie deren Libri (Hist. des mathe&mat. en Italie, Tom. I. p- 253) von der Algebra des Mohammed ben Musa als in der Kai- serlichen Bibliothek zu Paris vorhanden erwähnt, war für Wien wenigstens ohne Erfolg’); in München dagegen fand ich in der Handschrift n. 14908, die aus der Benedietiner-Abtei St. Emmeran stammt und die das gesammte mathematische Wissen um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Deutschland enthält”), das Bruchstück

!) Ich bemerke, dafs vielleicht noch manches, was mir entgangen, durch die begonnene genaue Catalogisirung der Manuscripte der Wiener Bibliothek zu Tage gefördert werden kann. Dasselbe gilt von der Bibliothek in München. |

?) Der Codex enthält: Modum reductionis minutiarum vulgarium atque physicarum dissimilium denominationum ad eandem denominationem commu- nem et reductionis integrerum ad minutias et e converso subjungere, aus dem Jahr 1457; es wird darin über die Additio, Subtraetio, Duplatio, Dimidiatio, Multiplicatio, Divisio in Brüchen gehandelt, ferner de radice quadrata in mi- nutiis, extractio radicis cubicae in minutiis, Regula fractionis fractionum; dar- auf folgt in deutscher Sprache: von geraden und ungeraden Zahlen, von per- fecten Zahlen, Progressio; nach vielen Beispielen kommt die Regula falsi, alsdann Ampliatio Regulae Proportionum, De aurea Regula vel de tre (die beigebrachten Beispiele zum Theil deutsch, zum Theil lateinisch), Regula ligar (d. i. Mischungsrechnung), Regula positionis, Conversa regula de tre, Regula

142 Gesammtsitzung

eines Auszugs aus der Algebra des Mohammed ben Musa in deut- scher Sprache aus dem Jahre 1461. Dasselbe lautet:

Machmet in dem puech algebra un almalcobula hat gepruchet dise wort census, radix, numerus. ÜCensus ist ain yede zal die in sich selb multiplieirt wirt, das ist numerus quadratus. Radix ist die wurtz der zal oder des zins. Numerus ist ain zal für sich selb gemercket, nit alz sie ain zins oder ain wurtz ist. Aus den dingen merkt er 6 ding: das erst wann der eensus sich gelichet den wurtzen, daz ander so der census sich gelichet der zal, daz drit so sich dye zal gelichet den wurtzen, das 4 so sich der cen- sus vnd die wurtzen gelichent der zal, als ob man spreche, ain eensus vnd 10 wurtz gelichent sich 32.') Daz fünft ist so sich der census vnd die zal gelichent den wurtzen, das sechst so sich die wurtzen vnd die zal gelichent dem census.

* Dar?) vmb sprech ainer: gib mir ain zensus vnd zuech dar- von sin wurtz vnd von dem daz vberbelyb an dem census zuech och aufs dye wurtz, die zwo wurtz tue zusamen daz 2 zal daraufs werden. So aber daz nit in der sechs regel ainer stat, so bring

augmentationis, De societatibus aenigmata (Gesellschaftsrechnung), De Mone- tibus, Divinari (d. i. Zahlen errathen). Hierauf folgt das oben vollständig mitgetheilte Bruchstück der Algebra aus dem Jahr 1461. Ferner enthält der Codex: Algorismus Proportionum Nicolai Orem (d.i. Nicolai Oresmii) aus dem Jahr 1456; Thomae Bradwardini geometria; Geometrica practica cum figuris; Nieolai de Cusa liber de geometrieis transmutationibus, Ejusdem Trac-

tatus de mathematieis complementis. 1) Soll heifsen 39, wie in der Algebra des Mohammed ben Musa steht. 2) Das folgende Beispiel behandelt die Gleichung z<+Va?—r=?2. Der Gang der Auflösung lälst sich so darstellen: 5 2 2 —=2—% 2x —=4—4r+ a 2 —=4—3r +?

sc =4 = 14 an

Dies Beispiel findet sich in der von Libri publieirten lateinischen Übersetzung l. ce. p 296.

vom 17. Februar 1870. 143

es in ain regel also. Es sollen die zwo wurtz 2 numero gelich gesin, so kompt es in die dritten regel, darumb zuech ab von den % numero die wurtzen dez census, so belyben 2 minder der wur- tzen defs zins, dafs selb belybend ist gelych der wurtzen defs dafs ain census überbelybt sein wurtz darvon gezogen wurt, daz du aber habest dez gelychnufs daz überbelybt, so multiplieir die 2 dragmas minder ainer wurtzen in sich selb, so kommen 4 dragma vnd ain zins minder 4 wurtzen, daz wurt gelich dem daz überbe- ]ybt an dem census, wann sein wurtz darvon wart gezogen. Nun zuech darvon dye gemindert wurtz, so belybt 1 census vnd 4 drag- me gelich ain census vnd 3 wurtz. Nun tu baindenthalb den zins darvon, so beleybt dennocht (?) dafs übrig gelich, dafs ist 4 dragme sind gelych 3 wurtzen. So muls ain wurtz 14 sein. wann 3mal 13 macht 4, multiplieir 14 in sich selb, so kompt 4$, daz ist der census vnd sein wurtz ist 14, vnd wann tue 1z tust von 1, so belyb #, die wurtz von $ ist $, die 3 zu der wurtzen 16, Jdaz ist 14, macht 2 gantz.

So weit zur Zeit bekannt, ist dies die erste Erwähnung der Algebra in Deutschland.

In der Wiener Bibliothek gelang es mir das Manuscript auf- zufinden, das zum Theil wenigstens die Grundlage zu den Schrif- ten von Henr. Grammateus und Ch. Rudolff bildet. Es ist dasselbe Manuscript, das aus dem Nachlasse Stöberl’s (Stiborius) in die Wiener Universitätsbibliothek kam (Monatsberichte 1867 S. 46), und die Aufschrift hat: Regule Cose vel Algobre.') Es enthält im Anfang eine übersichtliche Zusammenstellung der Re- geln über die algebraische Addition, Subtraction und Multiplication. Von der letztern geht es weiter zu den Potenzen und deren Be- zeichnung, so dafs hier die Regeln der Division ganz fehlen. Dar- auf folgen unter der Aufschtift: Incipit Algorithmus de integris que subsequuntur regulis deserviens, die Regeln über die Addition, Subtraetion, Multiplication, Division von algebraischen Summen, wobei für jede Operation mehrere Beispiele beigebracht sind, deren

1) Das Manuscript besteht aus 33 Blättern in fol. und findet sich zu- gleich mit mehreren andern Manuscripten aus dem Nachlafs Stöberl’s in einem Bande n. 5277. Da unter den darin aufgeführten algebrsischen Auf- gaben eine ziemliche Anzahl in deutscher Sprache beigebracht wird, so dürfte die Abfassung desselben um die Mitte des 15. Jahrh. zu setzen sein.

144 Gesammtsitzung

Resultate durch eine „Probatio® als richtig dargethan werden. Die Behandlung der Division algebraischer Summen ist äufserst man- gelhaft und undeutlich; es wird hierbei auf die später folgenden Gleichungen verwiesen. Nächstdem kommt Bruchrechnung und Regula de tri. Hieran schliefsen sich: Regule equationum Intro- duetorie in omnia que deinceps sequuntur dogmata (d. i. Beispiele). Diese Regeln, acht an der Zahl, beziehen sich auf die folgenden Formen von Gleichungen:

32—=6,30° = 12, 22° =16, 0, == 82, 92° +4 = 20,42” +8= 12, ar 12 mean

>} rt =.

Um von diesem Theil des Manuscripts eine Anschauung zu geben, soll der Anfang hier mitgetheilt werden: Quarum prima est quan- docunque due denominationes coequantur, quarum una naturali se- rie aliam sequitur, tunc prima per secundam dividatur, et quotiens ostendit quesitum.

Exempla. 3% 6P 43 8% uf sunt aequales 198 facit 1%2P 633 12 ce 7 alt 1433 83 + ce 16 alt

Secunda regula

facta relatione duarum denominationum quarım una non immediate sequitur aliam, sed una silentio pertransitur, tunc prior per poste- iorem dividatur, et quotientis radix quadrata docet optatum.

Exempla. 33 12 p 4ce | 16% 533 ® sunt aequales 3 203 Sacit 1%2% 6 alt | 24 ce 7;tce) | 28 33

vom 17. Februar 1870. 145

Nachdem nun für eine jede dieser acht Hauptregeln eine An- zahl Beispiele, die Mehrzahl lateinisch, andere in deutscher Spra- che, mit ihren Lösungen beigebracht sind, folgen noch eine neunte und zehnte Regel, die des Folgenden wegen hier wörtlich angeführt werden sollen. Nona regula: Quum 3 assimilatur % de &, punc- tus (sic!) de % deleatur, 3 in se ducatur, et remanent adhuc inter se aequalia. Decima regula: Quum 5 assimilatur & de 3, tunc punctus de 3 deleatur, 3 ex altera parte in se ducatur, et remanent adhuc inter se aequalia. Das vorletzte Blatt des Manuscripts enthält ein Tableau unter der Aufschrift: Regule Cosse, in wel- chem die 24 Formen von Gleichungen!) zusammengestellt sind, die von Adam Riese ebenfalls angegeben und auch von Ch. Ru- dolff und Stifel erwähnt werden. Beide Angaben, die des in Rede stehenden Tableaus uud wie sie von Riese aufgezählt wer- den, folgen hier in der gegenwärtig üblichen Zeichensprache mit Weglassung der Üoefficienten:

!) Ich habe sie in dem ersten 'Theil (Monatsberichte 1867 S. 49) mit dem nicht passenden Ausdruck „Rechnungsregeln“ bezeichnet; es ist leicht zu sehen, dafs diese 24 Formen aus den 8 Hauptgleichungen speecialisirt sind. Deshalb wurden sie auch später von Ch. Rudolff, Riese, Stiefel ver- worfen.

146 Gesammtsitzung

Formen des Tableaus Nach Riese nm % I. er 2.2 =. ı.,.n=«" 3,0 = «° 3.0= u 4,2? =.“ A.n=x-+» / in = B.e=n-+au? 6.2 = 6b. n+kr=ı? 1.2 =ı° ee He 8.n =. ee ner gg 0 m 10.2 =e#+: 10.2 =«’ 1.2 =.?-+.° 1l.® =a-+r 12. =ıH+$n 2.2°=ı?" +8 3.0 =-r’+ı 13. 14. at = a’+.° 14. + =»? 5.2 =. +n dat en 16.2? = a’ +. 16.0? =a’+uat 1.0 =. + 17.23 =a’+« 18. n a? +. 18.0 = a’ + « 9..=ı?" +n 19. © = Va 2. =ıt+tn 20. x = Ver? ln =«#° N 2.2 =«* 29.n =a’+ax° Dana = t 93.0 —=n-+a« ee 4.at=a’+n.)

1) Abgesehen von der Reihenfolge stimmen die Formen in beiden Auf- zählungen überein, denn offenbar fehlen in den beiden letztern Formen des Tableaus die Wurzelzeichen, die in n. 19 und 20 nach Riese erscheinen.

vom 17. Fobruan 1870. : 147

Die folgende Seite des Manuscripts enthält verschiedene Bemer- kungen, Zusammenstellung von bereits Erwähntem, Beispiele u. s. w. Hiervon ist die erste Bemerkung besonders wichtig: Per punctum intellige radicem.

Was das in Rede stehende Manuscript besonders eharakterisirt und wodurch es sich wesentlich von andern Handsehriften und vielen ersten Druckwerken unterscheidet, ist die schematische Art des Ausdrucks: die Regeln, die sonst nur in Worten gegeben wer- den, sind hier auf kurze Weise möglichst durch Zeiehen ausge- drückt. So lautet z.B. der Anfang:

Conditiones eirca + vel in additione

+ et +

iR > > facit >> addatur non sumendo respectum quis nu- et. =

merus sit superior. et TI . . . . >> simplieiter subtrahatur minor numerus a

a: . . . . majori et residuo sua ascribatur nota.

Si fuerit |

Conditiones eirca + et in subtractione.

Si fuerit + et + vel et —, existente numero superiore ma- jore, fiat subtractio et relicto sua ascribatur nota. Si inferior ex- cesserit superiorem, fiat subtractio et residuo apponatur nota aliena.

. ; —+ et ]) addatur absque ullo respectu superioris [+ Si fuerit | q P P |

ib eg et inferioris, quaesitum ad excessum pro- ductum habebit

Diese schematische Darstellung ist offenbar die Folge des Gebrauchs der Zeichen + und —, die in Deutschland zuerst auftreten. Es konnte nun demjenigen, der nicht blofs mechanisch rechnete, dem es vielmehr um die Ausbildung der Wissenschaft zu thun war, nicht entgehen, dafs die Einführung anderer Zeichen für die übri- gen Operationen von grölstem Nutzen sein mülste. In Bezug hier- auf ist hervorzuheben, was meines Wissens noch nicht geschehen ist, dafs die Einführung des Wurzelzeichens ebenfalls den deutschen Algebristen zu verdanken ist. Um dies deutlich auseinander zu setzen, mu/s auf die indischen und arabi- schen Mathematiker zurückgegangen werden.

148 Gesammtsitzung

Bekanntlich ist in dem Werk Bhascara’s (12. Jahrh. n. Chr.) Lilawati genannt, eine Abhandlung über die Arithmetik der Inder enthalten. Ich entnehme daraus die Ausziehung der Quadratwur- zel, und zwar nach der Übersetzung Taylor’s (Bombay 1816), die das Verfahren und die Erläuterungen des Commentators Ga- nesa vollständiger giebt, als die Bearbeitung Colebrooke’s. Da die genannte Übersetzung äufserst selten ist, SO will ich die Stelle hier vollständig reprodueiren. Bhascara’s Vorschrift zur Aus- ziehung der Quadratwurzel lautet:

Of the Square Root.

Subtract from the last uneven period the greatest square which it contains. Set down double the square root in a separate line, and after dividing by it the next even period, subtract the square of the quotient from the next uneven period, and also set down double this quotient in the line: Then divide the next even period by the number in the line, and on subtracting the square of the quotient from the next uneven period, set down double this quo- tient in the line. Thus repeat the operation thro’ all the figures. "The half of the separate or quotient line is the root.

Dazu giebt Taylor folgende Explication, zugleich mit der Übersetzung des Commentars von Ganesa: |

The figures in the first, third, fifth ete. places, reckoning from the right, are called visama or uneven, and are marked by a perpendi- cular stroke. Those in the second, fourth, sixth etc. places, are cal- led sama or even, and are marked by a horizontal stroke. In the operation the period receives its name from the denomination of the first figure on the right hand. When the first figure on the right is une- ven, the periodis called uneven; when this first figure is even, the period

is called even. Thus in the subsequent example of extracting the squa- I re root of 88209, the numbers 48, 122, 410, 49, are respectively na-

med even, uneven, even, uneven. The details of the operation are

11-1 thus given in the commentary, tacking for exemple 88209. „Make |

the marks even and uneven. Here the last uneven figure is 8; from this subtract 4 which is the square of 2, and there remains

11-1 of the square number 48209: Then multiply the root of 4 by 2, the product is 4; set this down in a separate line, and by it di-

I1— - vide te next even period 48; the quotient is 9, and there remains

vom 17. Februar 1870. 149

' It! of the square 12209; subtract 81 which is the square of the quo- 1-1 tient 9 from the next uneven period 122; there remains of the

1-1 square 4109: Then multiply the quotient 9 by 2; the product is 18, which being put down in the separate line below 4, one place forward, the sum is 58: By this number divide the next even pe-

riod 110; the quotient is 7, and there remains of the square 19; from this uneven period subtract 49 which is the square of 7; no remainder is lest: Then multiply the quotient 7 by 2, the product is 14; put this down in the separate line one place forward, and add together the different products in the separate line; their sum is 594, and the half of this is 297, which is the root of the square 88209.“

Will man sich von der praktischen Ausführung des hier be- schriebenen Verfahrens eine Vorstellung machen, so mus man wis- sen, dafs die Inder auf einer kleinen weilsen Tafel von 12 Zoll Länge und 8 Zoll Breite, die mit rothem Sand bedeckt war, rech- neten; mit einem Holzstift entfernten sie den Sand, so dafs die Ziffern auf dem weilsen Grund der Tafel sichtbar wurden. Leicht konnten die Ziffern, die nicht mehr gebraucht wurden, mit dem Finger ausgewischt werden, so dafs nur die Ziffern, die unmittel- bar bei der Rechnung in Betracht kamen, auf der Tafel vorhanden waren.) Demnach wird das obige Beispiel sich so darstellen:

| 09 22 2-34

I—|

882

I-1-—|

18209 oa

1-1-|1

19309 58

—I1-—|

1109 N, es ey 19 ee

)997

mit dem Unterschied, dafs die Zahlen 83209, 48209, 12209 u. s. w. nicht zusammen auf der Tafel vorhanden sind, sondern immer nur eine. Daraus erklärt sich denn auch die eigenthümliche Bestim-

!) Taylor Lilawati, Introduction.

150 Gesammtsitzung

mung der Wurzel, dafs nämlich durch Halbirung der Summen der Producte, die man zur Bestimmung der Divisoren bildet, die Wur- zel gefunden wird: es ist eben auf der Rechentafel zuletzt nichts weiter vorhanden, als jene Summe.

Dies Verfahren der indischen Mathematiker in Betreff der Wurzelausziehung wurde von den Arabern aufgenommen; äulser- lich machten sie einige Abänderungen, sie liefsen z. B. bei der Eintheilung der Zahl die Horizontalstriche weg und setzten an die Stelle der Verticalstriche Punkte, neben welchen die Ziffern der Wurzel ihre Stelle erhielten’) Am ausführlichsten beschreibt ein arabischer Mathematiker der spätesten Zeit (aus dem 15. Jahrh.) Abul Hasan Ali ben Mohammed Alkalsadi in seiner Arithmetik die dabei befolgte Praxis: La?) pratique de cette operation con- siste & compter les rangs du (nombre propose) en (disant alternative- ment) „racine, point de racine“, jusqu’ä la derniere place qui soit affeetde de „racine“; puis & chercher un nombre que vous poserez

1) Ein Beispiel macht das Verfahren sofort deutlich:

> Ro N 3 :D lege d.h. ı|2|8 Ir 9

N FR P|. 3m = wer

be] © 2 RE = we 5 ee nalen EB Sl BEN u A a 2 ya

2) Nach der Übersetzung von Woepcke. Rom, 1859.

vom 17. Februar 1870. 151.

sous cette (derniere place), que vous multiplierez en lui-m&me, et lequel alors fera evanouir ce (nombre) qui est plac& au-dessus de lui, ou en laisse un reste. Ensuite vous prenez le double du nom- bre qui avait ete multiplie en lui-m&me, vous le faites reculer (de maniere qu’il se trouve) au-dessous de la place qui est affectee de „point de racine*, et vous cherchez un nombre que vous poserez sous la (place) precedente affectee de „racine*, et lequel, multiplie par le nombre redoubl& et par lui-m&me, fasse Evanouir ce (nom- bre) qui est place au-dessus de lui, ou en laisse un reste. Et ainsi de suite jusqu’& la fin de l’operation.')

Was hier sofort in die Augen springt, ist dafs der Punkt das Zeichen für die Wurzel geworden ist. Diese Auffassung wird nicht nur bestätigt durch die oben mitgetheilten, aus der Wiener Handschrift entlehnten Stellen, in welchen geradezu „punctum“ für Wurzel gebraucht wird, sondern auch durch Adam Riese, in dessen Manuscript gebliebener Algebra die 19te Regel so lautet: Ist, so 3 vergleicht wird v‘ vom radix, sol man den % in sich mul- tiplieiren vnnd das punct vor dem Radix aufsleschn.

Gehen wir nun zu den ersten gedruckten algebraischen Schrif- ten von Hen. Grammateus und Ch. Rudolff über, so befolgt der erstere das Verfahren der arabischen Mathematiker in Betreff der Ausziehung der Quadratwurzel. Er giebt folgende Regel: Distinguere oder vorzaichen dein vorgelegte zahl mit puncten anzufahen von der rechten handt also das auff der ersten figurn stehe ain punkt, auff der dritten aber ein punct, und darnach auff der fünfften figurn auch ein punct, und also wei- ter allemal auff die nechsten dritten figurn ain punct, also werden allezeit die punctlein gesatzt auff die ungeraden stat, als auff die 1. 3. 5. 7. 9. 11 etc. stat, und wie viel punct sein, also viel komen figurn in die zal welches die würtzel ist u.s. w. Doch Grammateus bleibt hierbei stehen und bedient sich in der Be-

1) Das hier beschriebene Verfahren ist etwas anders als in dem obigen Beispiel; es stellt sich so dar: 436 133225 3.6.5 6 72

152 Gesammtsitzung

handlung der algebraischen Aufgaben 2ten Grades stets des wört- lichen Ausdrucks „radix quadrata*. Anders Ch. Rudolff; im Tten Capitel des ersten Theils seiner Algebra, worin er über den algo- rithmum de surdis quadratorum (d. i. über irrationale Quadratwur- zeln) handelt, bemerkt er: Zu mercken daz radix quadrata in di- sem algorithmo von kürtz wegen vermerckt würt mitt solchem cha- racter Y, als v4 bedeutet radicem quadratam aufs 4; ferner im Sten Capitel, welches den algorithmum de surdis cubicorum ent- hält: Würt radix eubica in disem algorithmo bedeut durch solchen character w/, als w’8 ist zu versteen radix cubica aufs 8; dage- gen bezeichnet er die Wurzel des vierten Grades durch w. Die Inconsequenz, die in der Bezeichnung der Wurzeln der verschiede- nen Grade hier sich zeigt, beseitigte Mich ael Stifel; er gebraucht sowohl in der Arithmetica integra als in der Cofs Ch. Rudolff’s

folgende Zeichen: 2, Y, Veen y, an welchen man noch se- hen kann, dafs sie aus dem Punct entstanden sind. Aus diesen Wurzelzeichen Stifel’s ist im Lauf der Zeit das gegenwärtige y geworden.

Demnach ist die bisherige Annahme, dafs das gegenwärtig ge-

brauchte Wurzelzeichen aus B, welches die italienischen Mathe- _

matiker als Abkürzung von Radix gebrauchen, hervorgegangen sei, durchaus unbegründet.

Was nun die weitere Benutzung des Wiener Manuscripts von Seiten der ersten deutschen algebraischen Schriftsteller, Henr. Grammateus und Ch. Rudolff, anlangt, so erscheint der al- gebraische Theil der Schrift des erstern nicht unmittelbar abhängig von demselben; der Verfasser bewegt sich durchaus freier als Ch. Rudolff, und hat offenbar noch andere Quellen gehabt.') Dage- gen hat Ch, Rudolff nach dem Wiener Manuscript gearbeitet”);

1) Hierauf scheinen die Worte in der Vorrede hinzudeuten: Als aber ich ain zeyt jn der kunst arithmetica vnd geometria etlich schöne vnd be- hende regeln jn villerlay sachen dienstlich zusammen gezogen u. S. W.

2) Damit stimmt das was Stifel in der Vorrede zu Rudolf£f’s Cofs berichtet: Was aber dieser Christof Rudolff bey etzlichen für Dank hab, will ich mieh nicht jrren lassen. Ich höret auff ein zeit jm grewlich vnd vnehristlich fluchen, das er die Cols hatte geschriben, vnd das beste (wie der flucher sagt) hette verschwigen, nemlich die Demonstrationes seyner Re-

vom 17. Februar 1870. 143

wenigstens was die Theorie der algebraischen Gleichungen betrifft, so ist diese unmittelbar daraus entlehnt. Aber er beherrscht den ihm gebotenen Stoff selbstständig; er bleibt bei den acht Haupt- fällen der Gleichungen stehen und verwirft die daraus hervorge- gangenen 24 speciellen Fälle. Mehr aber als dieses ist hervorzu- heben, dafs Rudolff von der Überzeugung durchdrungen ist, dafs - die Gestaltung der Wissenschaft von einer Zeichensprache abhängt.!) Dadurch dafs er das Wurzelzeichen einführte und dafs er die Zei- chen + und durchgehends anwandte, wurde er der Begründer der algebraischen Zeichensprache und errang so ein Übergewieht der deutschen Mathematiker über die Leistungen anderer, besonders

italienischer Algebristen, was bereits Hutton und Chasles aner- "kannt haben.

An eingegangenen Sehriften wurden vorgelegt:

Sechszehnter Bericht der Philomathie in Neisse. Neisse 1868. 8.

Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit. Neue Folge. 16. Jahrgang. Nürnberg 1869. 4.

Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande. Heft XLVII u. XLVIII. Bonn 1869. 8.

Il nuovo Cimento. Dez. Pisa 1869. 8.

A. Pall&, Über Meningitis. Athen 1869. 8.

Lacolonge, Recherches sur le ventilateur. Paris 1869. 8.

geln. Vnd hette seine Exempla (wie er saget) aufs der librey zu Wien gestolen.

1) Das bezeugen alte bücher nit vor wenig jaren von der cols geschri- ben, in welchen die quantitetn, als dragma, res, substantia etc. nit durch character, sunder durch gantz geschribne wort dargegeben sein, vnd sunder- lich in practieirung eines yeden exempels die frag gesetzt, ein ding, mit sol-

chen worten, ponatur vna res. Aus der Vorrede zum zweiten Theil der Cofs Rudolff’s.

[1870] | 11

154 Gesammtsitzung

94. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. A. W. Hofmann las. über die Darstellung der Äthylamine im Grossen.

Seit es mir!) gelungen war, die äthylirten Ammoniake mit Hülfe des Brom- oder Jodäthyls darzustellen, hat man mehrfach versucht, statt dieser Agentien andere anzuwenden. Der Gedanke lag nahe, die Brom- und Jodverbindung durch das Chlorid zu ersetzen und es schien für diesen Ersatz einmal die weit gröfsere Zugänglichkeit des Chlors zu sprechen, dann aber auch das viel niedrigere Atomgewicht des Chlors und schliefslich die gröfsere Unlöslichkeit des Chloram- moniums in Alkohol, verglichen mit der des entsprechenden Bro- mids und Jodids, welche eine leichtere und vollständigere Scheidung des Ammoniaks von seinen äthylirten Abkömmlingen versprach. Die ersten Versuche über die Einwirkung des Chloräthyls auf das Ammoniak sind von Hrn. Stas’) angestellt worden. Dieser Che- miker beobachtete, dafs eine Lösung von Chloräthyl in mit Am- moniak gesättigtem Äther nach längerer Zeit schöne Krystalle von salzsaurem Äthylamin absetzte. Eingehender ist das Verhalten des Chloräthyls zum Ammoniak etwas später von Hrn. C.E. Groves’)

in meinem Laboratorium untersucht worden. Derselbe fand, dals

sich bei sechs- bis siebenstündigem Erhitzen von Chloräthyl mit dem dreifachen Volum starker alkoholischer Ammoniaklösung auf 100° vorzugsweise chlorwasserstoffsaures Äthylamin neben kleinen Mengen chlorwasserstoffsauren Diäthylamins und Triäthylammonium- chlorids bildet. Es mir nicht bekannt geworden, dafs diese Ver- suche von Andern wieder aufgenommen worden sind, auch lagen bisher keine Ermittelungen vor, welche die Chemiker hätten ver- anlassen können, dem Chloräthyl vor dem altbewährten Bromid und Jodid den Vorzug zu geben.

In letzter Zeit war ich genöthigt, zur Fortsetzung meiner Ar- beit über das Äthylsenföl eine gröfsere Menge von Äthylamin zu bereiten. Ein eigenthümliches Zusammentreffen von Umständen

hat mich veranlafst, die Darstellung der Äthylbasen durch die Ein- |

wirkung des Chloräthyls auf Ammoniak von Neuem zu versuchen,

1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXIN. 159. 2) Stas, Kekul&’s Lehrbuch. Bd. I. S. 455. 3) Groves, Chem. Soc. Qu. J. XIIL, Ss. 341.

vom 24. Februar 1870. 155

Die interessanten Beobachtungen des Hrn. ©. Liebreich über die physiologischen Wirkungen des Chloralhydrats haben schnell zu einer schwunghaften industriellen Gewinnung dieses merkwäür- digen Körpers geführt. Mehrfach bereits ist die Chloralindustrie Gegenstand der Besprechung im Schoofse der chemischen Gesell- schaft gewesen, und es sind zumal die Mittheilungen der HH. Mar- tius und Mendelsohn-Bartoldy'), sowie der HH. Müller und Paul?) hier zu erwähnen. Diese betreffen indessen nur die Eigenschaften und die Darstellung des Chlorals. Die gleichzeitig in dieser Fabrikation auftretenden Nebenproducte sind bis jetzt - kaum beachtet worden. Ich wurde zuerst von Hrn. Gustav Krämer, der sich ebenfalls eingehend mit der Gewinnung des Chlorals beschäftigt hat, darauf aufmerksam gemacht, dafs sich bei der Darstellung dieses Körpers eine erhebliche Quantität von Ne- benproducten bildet, welche stets gröfsere Mengen von Chloräthyl enthalten. Von diesen Nebenproducten und zumal von dem flüch- tigeren Antheile derselben, waren während der letzten kalten Tage in der Fabrik des Hrn. E. Schering viele Kilogramme condensirt worden. Durch die Güte der HH. Schering und Krämer . stand mir- eine reichliche Menge dieses interessanten Productes zur Verfügung. Wie ich es erhielt, stellt dies Product eine farblose, durchsichtige, in Wasser unlösliche und untersinkende Flüssigkeit dar, von so niedrigem Siedepunkte, dafs sie schon bei der Berüh- rung mit der Hand ins Kochen kommt. Die reichlich entwickel- ten Dämpfe sind entzündlich und brennen mit rusender grünum- randeter Flamme. Mit eingesenktem Thermometer destillirt, beginnt die Flüssigkeit bei 17—18° zu sieden. Der Siedepunkt steigt lang- sam auf 30—32°, wo er einige Augenblicke constant wird, dann rasch bis auf 50°, bei welcher Temperatur fast alles übergegangen ist. Setzt man die Destillation noch weiter fort, so ist bei der Temperatur des siedenden Wassers nichts anderes als eine kleine Menge krystallisirter Substanz zurückgeblieben.

Ich war begierig zu erfahren, in wie weit sich dieses Product für die Darstellung der Äthylbasen würde verwerthen lassen. Gleich die ersten Versuche, bei denen ich von Hrn. Fr. Hobrecker mit gewohntem Eifer und Geschick unterstützt worden bin, haben so

!) Martius und Mendelsoh-Bartholdy, Berichte 1869, S. 353. ?) Müller und Paul, Berichte 1869, S. 541. N u

156 Gesammtsitzung

erfreuliche Resultate ergeben, dafs ich nicht umhin kann, die Aka- demie schon in der heutigen Sitzung auf diese fast unerschöpfliche Quelle von Material für die Darstellung der äthylirten Ammo- niake aufmerksam zu machen, obwohl verschiedene Versuche, wel- che durch die erwähnte Beobachtung angeregt wurden, noch nicht zum Abschlufs gekommen sind.

Zur Erzeugung der Äthylbasen behandelt man die bei der Fabrikation des Chlorals entweichenden, durch geeignete Abkühlung condensirten flüchtigsten Nebenproducte mit einer starken Lösung von Ammoniak in Alkohol, in geschlossenen Gefässen bei 100°. Ich habe die Digestion Anfangs in emaillirten Eisengefälsen vorgenom- men, mich aber später, nachdem ich gefunden hatte, dafs das Eisen unter den gedachten Umständen kaum angegriffen wird, eines gros- sen nicht emaillirten schmiedeeisernen Digestors bedient, dessen Deckplatte aufgeschraubt war, So dafs die Flüssigkeiten durch eine kleine leicht verschraubbare Öffnung eingebracht wurden. Dieselbe Öffnung diente alsdann auch zur Entleerung der Digestionsproducte, Wässriges Ammoniak wirkt gleichfalls, nur langsamer; auch wer- den in diesem Falle die eisernen Gefässe stark angegriffen. Bei Anwendung der wässrigen Ammoniak-Lösung läfst sich stets die Bildung einer kleinen Menge Alkohols constatiren. Weahrschein- lich wird indessen auch bei Anwendung alkoholischer Lösungen etwas Alkohol und vielleicht sogar Äther aus dem Chloräthyl er-. zeugt. Bei gewöhnlicher Temperatnr wird das Gemenge von Chloriden sowohl von wässriger als auch von alkoholischer Am- moniaklösung nur äufserst langsam angegriffen.

Nach mehreren Präliminarversuchen zeigte es sich, dafs die mir zur Verfügung stehende Mischung von Chloriden bei der Di- gestion mit dem dreifachen Volumen Alkohol von 95 pOCt., der bei mit Ammoniak gesättigt war, befriedigende Ergebnisse lieferte. Der Digestor, dessen ich mich bediente, hat eine Capacität von 5 Litern; er wurde mit 500 Cub. Cent. der Chloride und der ent- sprechenden Menge alkoholischen Ammoniaks beschickt. Nach

einstündigem Erhitzen im Wasserbade war die Reaction vollendet. |

Das noch immer stark ammoniakalische nur wenig gefärbte Reac- tions-Product wurde zunächst durch ein Filter von dem reichlich gebildeten Salmiak geschieden und alsdann im Wasserbade destil- lirt. Aus den ersten Antheilen des alkoholischen Destillates schied sich auf Wasserzusatz eine nicht unbeträchtliche Menge einer

vom 24. Februar 1870, | 157

schweren öligen Flüssigkeit, offenbar die höher chlorirten Chlor- äthyle enthaltend, von der ich für heute nur bemerken will, dafs sie, wie sich aus dem Siedepunkt alsbald ergab, kein Chlor- äthyl mehr enthält. Die späteren Antheile der Destillation sind schwaches alkoholisches Ammoniak, welches, um für eine zweite Operation verwendbar zu sein, nur wieder gesättigt zu werden braucht. Sobald die Destillation im Wasserbade erlahmt, wird die Flüssigkeit in einer offnen Schale zunächst auf dem Wasserbade und endlich bei höherer Temperatur erhitzt, bis die letzten Spuren Alkohol ausgetrieben sind. Beim Erkalten erstarrt die Flüssigkeit zu einer faserigen Krystallmasse der Chlorhydrate der äthylirten Ammoniake, denen nur aufserordentlich wenig Salmiak beige- mengt ist. / Auf Zusatz von concentrirter Natronlauge zerlegen sich die Chlorhydrate der Aminbasen und ein Gemenge von Äthyl-, Diäthyl- und Triäthylamin steigt auf die Oberfläche der wälsrigen Salzlö- sung, während eine kleine Menge Ammoniak entweicht. Die freien äthylirten Ammoniake brauchen nur noch mittelst eines Scheide- trichters abgehoben und eine Nacht über starres Natriumhydrat gestellt zu werden, damit sie alles Wasser verlieren. Bei der Destillation erweist sich die farblos durchsichtige Flüssigkeit als ein Gemenge von Äthylamin, Diäthylamin und Triäthylamin in etwa gleichen Theilen; die Flüssigkeit fängt bei etwa 20° an zu sieden; der Siedepunkt steigt dann auf 108°, allein schon bei 95° ist fast die ganze Menge der Flüssigkeit übergegangen.

In den Versuchen, deren Ergebnisse ich der Akademie vorzu- legen die Ehre habe, wurden 5 Liter des bei der Fabrikation des _ Chlorals als Nebenproduct auftretenden Öles in Arbeit genommen. Die Operation war mit fünf oder sechs Digestionen vollendet und es wurden etwa 14 Liter wasserfreier Basen erhalten.

Leider hatte ich bei diesen Versuchen von Neuem Gelegenheit, die schon früher gemachte Erfahrung!) zu bestätigen, dafs es hoff- nungslos ist, die drei Äthylbasen durch Destillation von einander scheiden zu wollen. Diese Erscheinung ist gewifs befremdlich, wenn man bedenkt, dafs zwischen den Siedepunkten sowohl des Äthyl- und Diäthylamins, als auch des Diäthyl- und Triäthylamins ein Temperaturintervall von nahezu 40° liest. Man muls um die

!) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XI. S. 66.

158 Gesammtsitzung vom 24. Februar 1870.

r früher!) von mir be-

drei Basen von einander zu scheiden, zu de her seine Zuflucht

schriebenen Trennungsmethode mit Oxalsäureät Möglich indessen, dafs das reichliche Material, welches

nehmen. Verfügung steht, einfachere Trennungsmethoden aufzufin-

jetzt zur

den gestatten wird. Die hier mitgetheilten Ergebnisse haben mich veranlafst, auch

das Verhalten anderer Alkoholchloride und zumal des Chlormethyls zum Ammoniak einer eingehenderen Prüfung zu unterwerfen. In einer der nächsten Sitzungen hoffe ich, der Akademie über den

Erfolg dieser Versuche berichten zu können.

!) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XI. 66.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vor-

gelegt: Zeitschrift der deutschen morgenländ. Gesellschaft. 23. Bd. 4. Heft. Leip- zig 1869. 8. Hedwigia. Ein Notizblatt für kryptogamische Studien. 8. Bd. Dresden 1869. 8.

d Mittheilungen des siebenbürgischen Vereins für Natur- 12. Jahrg. Hermannstadt 1861. 8. 14. Band.

Verhandlungen un wissenschaften in Hermannstadt.

Abhandl. der Königl. Gesellschaft der Wissensch. zu Göttingen. Göttingen 1869. 4.

Carl Karpf, Tori i ebaı, lichung. Hamburg 1869. 8. Ruhethal 16. Febr. 1870.

Regel, Sertum ‚petropolitanum. Petersburg 1869. fol. ben d. d. Petersburg 3. Dez. 1869.

Bulletino meteorologieo. Anno III. Torino 1868. 4.

Atti della accademia delle scienze di Torino. Vol. 4. Torino 1869. 8.

Duby, Choix de eryptogames exotiques. (Suite.) Geneve 1869. 4.

Die Idee Shakespeare und deren Verwirk- Mit Begleitschreiben des Verfassers d. d.

Mit Begleitschrei-

Sitzung der philosoph.-histor. Klasse vom 28. Februar 1870. 159

28.Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Curtius sprach über griechische Personennamen.

Für kein Gebiet der klassischen Alterthumskunde ist in der letzten Zeit der Stoff so massenhaft angewachsen, wie für die Kenntnifs der griechischen Namen, deren wissenschaftliche Betrach- tung, kein Sachkenner als eine unnütze Arbeit ansehen wird, und nachdem ich früher einen Abschnitt der geographischen Onomato- logie behandelt habe'), um den Versuch zu machen, was sich auf diesem Gebiete erreichen lasse, um die Naturanschauung der Grie- chen und die wesentlichsten Gesichtspunkte ihrer Namengebung kla- rer zu machen, lege ich heute einige Studien über griechische Per- sonennamen vor, um darauf hinzuweisen, wie dieselben als Quel- len der Volksgeschichte zu benutzen sein möchten.

Wenn Proklos zu Plato’s Kratylos zwei Arten von Personen- namen unterscheidet, solche, welche Begriffe und solche, welche Individuen bezeichnen, so würden im eigentlichen Sinne nur die letzteren Eigennamen sein. Indessen sind auch diese, wie man schwerlich bezweifeln wird, ursprünglich appellativ und haben nur willkürlich eine rein individuelle Bezeichnung erhalten. Von den Griechen aber ist dieser Zusammenhang immer sehr lebhaft em- pfunden worden. Sie haben eine entschiedene Vorliebe für inhalt- volle Namen mit durchsichtiger Bedeutung, und wenn es unter den griechischen Namen manche giebt, welche wie inhaltleere Laut- gruppen aussehen und scheinbar ohne Zusammenhang dastehen, so liegt der Grund wohl darin, dafs die Eigennamen z. Th. sehr alten Sprachperioden angehören. Die Griechen betrachteten ihre Eigennamen als ein wesentliches Kennzeichen ihrer Nationalität und sahen es als etwas Entehrendes an, wenn Freigeborene unter ihnen ausländische Namen trugen.

MITYECV Yag Ovolac (bevyıazov Yuvalz eygıw (Athen. p. 578). Ihr Sinn für das Schöne und Gute ist in ihren Namen wie in ihren Kunstwerken ausgeprägt. Sie vermeiden alle Namen von üblem Klange, mochte derselbe nur in den Lauten, oder auch in der Bedeutung liegen, also eine za@zoPwr.« oder eine dvspruie sein,

1) Götting. Nachrichten 1861 Julius.

160 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

und liebten es vielmehr .die edelsten Richtungen des Volksgeistes sowie die am meisten geschätzten Tugenden in ihren Eigennamen ausgeprägt zu schen. Andererseits wulsten sie die gleichlautenden Begriffs- und Eigennamen in sehr bestimmter und praktiseher Weise zu unterscheiden, und zwar nicht nur durch den Tonfall, sondern, wenn wir den alten Grammatikern glauben, auch durch den Hauch, indem bei eomponirten Eigennamen die Interaspiration gehört, bei den gleichlautenden Appellativen aber nicht gehört wurde. Man unterschied dbiAimmos von ®iruırros, alabıaros von ’Alpiedos, und er- reichte für das Ohr, was in alten und neuen Sprachen nur durch Schriftweisen erzielt worden ist (Schol. Od. 8, 114. Lehrs Arist. ed. alt. p. 315).

Die griechischen Personennamen sind aber nicht nur für das Volk im Ganzen ein Spiegel seiner Eigenthümlichkeit und gleich- sam der Niederschlag seiner ethischen Vorstellungen, sondern auch für die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Volksstämme, Land- sehaften und Städte. Man erkennt in ihnen die vorherrschenden Lokalkulte die reinere oder gemischtere Nationalität, die geringere oder höhere Idealität der Geistesrichtung, die Beziehungen zum Auslande sowie die innerhalb der Gemeinde vorherrschenden Be- schäftigungen. Dies sind die dvouare amd ruv mockewv, wie sie Apollodoros nach Athenaeus 172 F. zusammengestellt hat. Wenn man also in einer Gemeinde eine Reihe solcher Namen fand, wie "Agrusirgayos, ’EAsoöurrs; ’IySußoros, Newz0g05, so erkannte man SO- fort, dafs hier ein Tempelinstitut das Centrum war, von dem die Gemeindeglieder ihren Erwerb, ihre Beschäftigungen und dann auch thre Namen erhalten hatten, wie es in Delos der Fall war. Auch bei dem vielseitigst entfalteten Leben konnte man immer noch einen Lokalton der Eigennamen erkennen, und wenn die Athener ihren zum Export bestimmten Thongefälsen den Character der Heimath recht deutlich aufdrücken wollten, so schmückten sie dieselben mit den bei ihnen landesüblichen Namen, und Jedermann nahm die Ge- fäfse als attisch hin. Wir haben nach und nach für Delphi, für Aetolien, für Böotien, auch für Thasos und Rhodos einen Über- blick der dort üblichen Namenreihen , und man wird nicht ver- kennen, dafs damit ein Material für Stamm- und Ortsgeschichte gewonnen ist, welches lange noch nicht genügend verwerthet ist. Die landschaftlichen Personennamen haben gleich den Landesmün- zen ihr charakteristisches Gepräge, aber es bildete sich allmählich

vom 28. Februar 1870. 161

auch in den Namen eine »owr. Beliebte Namen wie Adistwv daher das Sprichwort woAAcs ci "Agisrwvss finden sich in Athen, Sparta, Korinth, Kyrene, und wir sind bei Weitem nicht so sicher, um z.B. wie es bei den Untersuchungen über das Vaterland des Tyrtaios geschehen ist, die auf @goros ausgehenden Eigennamen als unbedingt lakedämonisch in Anspruch zu nehmen. Die grie- chischen Namen aufserhalb des griechischen Volksgebiets, wie z. B. in Carthago, zeigen uns die Hellenen in der Diaspora; ungriechi- sche Namen in Griechenland das Eindringen fremder Elemente. Auch nach der Zeit lassen sich die Namen gruppiren und kleine Abweichungen genügen, um die klassische Zeit von der spätern zu unterscheiden, wie dies schon Meineke in dem an feinen ono- matologischen Beobachtungen reichen Vortrage über die Epidemien des Hippokrates gezeigt hat (Monatsbericht 1852).

Endlich sind auch die Ständenamen von Wichtigkeit, weil sie uns den Bestand der Zünftigkeit erkennen lassen und uns zeigen, was die Alten bei den einzelnen Ständen der Gesellschaft, bei dem der Künstler, der Ärzte, der Priester als das Charakteristische an- sahen. Die Charakternamen bilden ein reiches Material, um den Witz des Volks und seine Lebensanschauungen kennen zu ler- nen. In die gemüthlichen Beziehungen des häuslichen Zusammen- lebens, welche sich sonst der geschichtlichen Betrachtung ganz ent- ziehen, führen uns die Sklavennamen, namentlich die der späteren Zeit; denn wir können auch hier gewisse Moden erkennen. In diesen Namen erging sich der Volksgeist ohne durch Herkommen beschränkt zu sein. Zur Zeit der delphischen Manumissionsurkun- den herrschte in der Namengebung schon eine gewisse sentimen- tale Tändelei (Hvgoreod, Aosxers, Kossube, “Höcie !); wobei viel- leicht zu erwägen ist, dafs es besonders vertrauliche Verhältnisse waren, aus denen die Manumission hervorging.

Ursprünglich haben die Sklaven, weil sie keine Personen sind, auch keine Personennamen, sondern nur dvonara drd zuv 2Svür.

Nach der Sitte, welche wir in Athen finden, benennt der Haus- herr unbedingt die freien wie die unfreien Mitglieder seines Haus- Standes; er ist zUnos od novor SerInı dm Eoyis Fouvone, AIR zav rar eEm.enbar BovAwvrar, zer arorrgü&cı Dem. 1006. Es bedarf

!) G. OCurtius Berichte der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1864 S. 235.

162 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

also nur einer Anmeldung und einer Veröffentlichung durch die Ausrufer. Von Staatswegen geschieht nichts in Betreff der Namen- gebung, als dafs etwa zu Ehren einzelner Personen, wie des Har- modios und Aristogeiton, die Verwendung ihrer Namen für Un- freie verboten wird. Der Staat hat ein unverkennbares Interesse daran, dafs eine gewisse Ordnung in der Namengebung herrsche und den Unzuträglichkeiten vorgebeugt werde, welche aus Verwechs- lung der Personen entstehen. Aber auch hier mischt er sich un- gern ein und Mantitheos kann es nicht durchsetzen, dafs ihn die Richter im alleinigen Besitze seines Namens schützen. In der Ge- meinde selbst aber wird das ulvew dmı roü övomaros als Pflicht und eine Sache des Anstandes angesehen; willkürliche Namensänderun- gen zeugen von Unzuverlässigkeit, wie bei Aischines.

Die väterliche Willkür in Betreff der Namengebung wird durch die Tradition beschränkt. Die Familiennamen bilden den Faden, welcher die einzelnen Glieder an einander reiht. Der Name ist etwas Heiliges, von dem auch das u zuweiv gilt. Er bezeugt, wie die Todtenspende, den Glauben an den das Grab überdauernden Zu- sammenhang der Hausglieder; er ist das Unterpfand für das Ge- dächtnifs der Verstorbenen und zugleich eine Weisung für die Nach- geborenen, der Haussitte treu zu sein; sie werden also gegeben, wie die Alten es ausdrücken, meös nuriarv ze 205 Zirmıda.

Eine weitere Beschränkung der Willkür lag in der auch aus- serhalb Athen, namentlich in Böoiien (Keil Sylloge p. 531, 557) nachgewiesenen Sitte, dem ältesten Sohne den Namen des Grols- vaters väterlicher Seite als ehrende Mitgift zu verleihen, eine Sitte, welche im semitischen Morgenlande zu Hause ist (Luynes Num. des Satr. p. 89) und ihre gute physiologische Begründung hat. Darauf beruht der Gebrauch zweier Familiennamen, welche alter- niren, und es ist von Interesse, das Verhalten derselben zu einander in das Auge zu fassen, namentlich bei Compositen, welche schon des vollen Klangs wegen in den vornehmeren Familien besonders beliebt waren. Wir finden nämlich in der Regel ein Namen- thema, welches beiden gemeinschaftlich ist, während das andere wechselt. Also A bleibt und B ist das unwesentliche Element oder umgekehrt; dabei ist auch der Umstand zu erwähnen, dafs das unwesentliche Element, mag es A oder B sein, auch in dem einen Namen ganz fehlen kann und in dem andern nur wie ein erweiterndes Sufix eintritt (wie auch zuweilen nur durch alterni-

vom 28. Februar 1870. 163

rende Suffixe aus einem Stamme zwei Familiennamen gebildet wer- den, z.B. Tolmaios und Tolmides). Zu der ersten Klasse gehören Archeneos und Archemachos, Kallistratos und Kallikrates, Kriton und Kritobulos, Hermon und Hermokrates. Zu der zweiten Eupo- lis und Sosipolis, Apollodoros und Aiautodoros, Timokles und Po- lykles. Zuweilen ist es eine blofse Assonanz, welche die beiden Namen verbindet, wie Anytos und Anthemion, Krios und Polykri- tos. Auch kommt es vor, dafs A und B ihre Stellen tauschen, wie in Aristonikos und Nikophanes, Bularchos und Aristobulos. Endlich giebt es noch eine interessante Gruppe von Familienna- men, wo die Übereinstimmung im Sinne liegt, wie Atrometos und Aphobetos, Pythios und Apelles, Philumenos und Eros. Man er-

kennt das Streben, die Namen paarweise zu verbinden und durch _ die Anw 'endung zweier Namen das fehlende gentilicium zu ersetzen. Ähnliches findet sich einzeln auch aufserhalb Athen und aufserhalb Griechenland, wie die Familiennamen Pharnakes und Pharnaba- zos beweisen.

In Bezug auf die Namenthemata haben schon die Alten (Athen. 748) einen durchgreifenden Unterschied geltend gemacht, den der profanen Namen («Se«) und den der Seopder, welche dem Siegelsteine gleich einen Gott als Zeichen an sich tragen, und den Anschlufs eines Hauses an einen bestimmten Cult erkennen lassen. Wenn ein Gott gewissermalsen zu den F amiliengevattern gehörte, so fühlten sich die Mitglieder ihm verpflichtet. Davon zeugen z. B. die von der Mutter einer Demetrias für ihre Tochter der Demeter dargebrachten Weihgeschenke (C. 1. Gr. n. 2108). Der Name ist eine Sei@ ErizAysıs und kann, wie es ©. 1. Gr. 6012 spielend ge- schieht, als ein Gottesgeschenk bezeichnet werden. Was durch solche Namen erzielt wird, nennt Plutarch (de def. or. ce. 21) suv- reraySaı Sew; sie lassen auf eine gewisse feierliche Verleihung schliefsen, nach Art der unter Auspicien stattfindenden Namenge- bung der Heroenzeit (Pind. Isthm. 5. 50) und auf priesterlichen Einfluls, ebenso wie die oben erwähnten delischen Namen, nur mit dem Unterschiede, dafs die letztern aus der Hierodulie erwachsen sind. Bei der andern Namensgattung verschwinden alle religiösen Einwirkungen und es treten ohne Einschränkung alle Lieblingsideen des Volks (vie, dofe, aIEvog, AEYN» Bovrr, Ray > ÖrMos u. S. w.) als beliebteste Namenthemata auf.

164 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Hat man sich die Beschränkung deutlich gemacht, welche durch erbliche Tradition der väterlichen Willkür gesetzt war, so ist es andererseits von Interesse, die Abweichungen von der Tradition nach ihren verschiedenen Arten und Veranlassungen in das Auge zu fassen.

Zunächst ist zu bedenken, dafs nur in Betreff des Stammhal- ters von einer Gebundenheit des Familienvaters die Rede sein kann. Es ist also ganz verkehrt, wenn Gleichnamigkeit von Vater und Sohn als etwas griechischer Sitte Widersprechendes bezeichnet wird (Petersen Archäologie S. 91). Der Sohn der Aspasia erhielt zu seiner Legitimation den Namen Perikles. Starb der Erstgeborene im Vaterhause, so dürfen wir vielleicht annehmen, dafs der jüngere Bruder in seinen Namen einrückte, weil derselbe ein gerßelov war und mit Erstgeburtsrechten zusammenhing. Dafs auch Erstgeborene den Vaternamen tragen konnten, zeigen Demosthenes, der jüngere Meidias u. A.

Die Abweichungen von der Familientradition bestehen zunächst in Veränderungen des Erbnamens; das sind entweder Koseformen, welche den ursprünglichen Namen verdrängen, wie ’Agisrurdos für ’Agıorordns; "HavAros für Hoazr4s; "Andıs für ’Anbıagaos und viel- leicht Zeüäıs für Zeu&ımmos (Sauppe zu Protagoras p. 318), oder was häufiger ist, nobilitirende Trweiterungen, namentlich durch patronymische Endung: Zımwv, Zıuwviors, Mvyoagy,0S; Mon sagy ons; der Einzelne erscheint dadurch als das Glied einer Reihe von Ge- schlechtsgenossen; es ist die antike Art des Baronisirens. Jede Verlängerung hat etwas dem Ohre Imponirendes und dient dazu, dem Namen statt des bürgerlichen Klanges (noobn Fameıy) einen hochtrabenden Anklang zu geben, der an den Kothurn der Bühne erinnerte; daher neoph rgayım. Der reich gewordene Stephanos nennt sich sofort Biroorihavos, zur Yormerer mgosSeis (Brunck. Anal. II, 154). Von den amplificirenden Namensufüxen, welche sich im Neugriechischen erhalten haben, habe ich in den Göttinger Nachrichten 1857 S. 307 gehandelt.

Wirkliche und vollständige Namensänderungen oder Metono-

masien finden statt, wenn die Person, welche mit der Namenge- bung zu einer solchen geworden war, in ein neues Leben übergeht, also vor Allem wenn Menschen Heroen werden, wie der Schafhirt Pixodaros, der Entdecker der Steinbrüche bei Ephesos; ita statim honores decreveruut ei et nomen mutaverunt, ut pro Pixodaro Euan-

vom 28. Februar 1870. 165

gelos nominaretur (Vitruv. p. 252 ed. Rose). So wurde, weil er einen Gott empfangen, Sophokles zum Dexion (nach Analogie von Eurygyes und Androgeos, Thyone und Semele), Oimus zum Dexa- menos. Nomen mutare ist Vergötterung; daher der Titel Merwvo- nasier für das Buch des Nikanor bei Athen. 296d.

Eine wesentliche Veränderung der Persönlichkeit ist auch der Übertritt aus dem Privatleben in den Fürstenstand; so erhält Lyside als Fürstin von Korinth den Ehrennamen Melissa. Aus Aeropos wird ein Archelaos, aus Andreas Orthagoras, aus Athenion Aristion; die Identität von Iason und Prometheus ist sehr wahr- scheinlich (Gr. Gesch. III,766). Ich bin überzeugt, dafs wir von den griechischen Tyrannen meistens nur den Dynastennamen kennen, Aristonymos, Polykrates, Leodokos, Periandros, Philokypros etc.

Auch der Übertritt aus einer Nation in eine andere ist wie eine neue Geburt, daher wird aus der Gallischen Petta eine Aristoxena (Athen. 576); es ist ein Beispiel der Umnennungen, wie sie häufig in den Colonien vorkamen bei Verheirathung der Eingebornen mit Hellenen. Ferner der Übertritt aus dem profanen Leben in ein heiliges, ein ganz dem Gottesdienste gewidmetes. Da werden die Individuen geweiht und empfangen als ösıwSzvres anstatt des Familiennamens, den sie ablegen, einen neuen Namen; sie werden erst dvwvuno: und dann isgwvuno.. Lucian. Lexiph.10.') Im Cultus herrscht das Symbol. Daher soll auch der Name ein Symbol des Dienstes sein gleich den anderen Attributen desselben und das Auf- gehen der Persönlichkeit in den Dienst bezeichnen. Darum hiels der Fackelträger auch Daduchos. Das Zusammengehen von nomen und omen, was die Griechen $egwvuni« nennen, ist bei den Heilig- thümern zu Hause, wie die priesterlichen Namen Butes, Hieron, Hieronymus, Hierophantes, Athenion, Pyrphoros, &mı Bunw u. S. w. zeigen. Vergleiche Böckh C. 1. Gr. I. p. 325b. Hermogenes ist

!) Wie weit verbreitet diese Art der Metonomasie ist, die darin besteht, dafs der Anfang eines neuen Lebens durch einen neuen Namen bezeichnet wird, bedarf keines gelehrten Nachweises. Ich erinnere nur an die Be- nennung der Apostel bei Antritt ihres Amts, an die Taufnamen der Wieder- geborenen und an die Art, wie sich Einige der ersten Humanisten dadurch von den bürgerlichen Verhältnissen lossagten, dafs sie klassische Namen an- nahmen und z. B. aus einem Sanseverin zu einem Julius Pomponius Luetus wurde (Burckhart Cultur der Renaissance Aufl. 2. S. 195).

166 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

der Namen eines Hermespriesters (Arist. Rhet. ed. Spengel II, 330). In Athen folgte der Gebrauch der Amtsnamen Basileus und Basi- lissa der Analogie der Hieronymie.

Von den priesterlichen Amtsnamen sind diejenigen zu unter- scheiden, welche in den priesterlichen Geschlechtern als Erbnamen gebräuchlich waren, wie der Name Timotheos bei den Eumolpiden (Rehdantz Vit. Iph. p. 46). Es gab Priestergeschlechter, in denen derselbe Name ohne Wechsel herrschte, wie die Inschrift aus My- tilene zeigt im ©. 1. Gr. n. 2186, wo Euxenos in sechs Generationen wiederkehrt und die Abstammung nicht als Ergänzung des Perso- nennamens angeführt wird, sondern als Bezeichnung des priester- lichen Erbadels; daher die Ausdrücke mais und &rcyovos. Die wirk- liche Descendenz wird hier hervorgehoben, weil die Geschlechter, die ein erbliches Priesterthum hatten, sich durch Adoption ergänzten und sich so bis in späteste Zeit erhielten, wie die Jamiden in Olym- pia. Dafs nicht überall gleiche Namensitte herrschte, zeigen die Priesterkataloge aus Halikarnass C. 1. Gr. n. 2659.

Der Vaternamen gehört nach gewöhnlichem Gebrauche zum Personennamen (daher der Ausdruck 222) %0Qei res), indem beide zusammen erst den vollen Namen bilden. Es ist also auch eine Metonomasie und eine ihrer Entstehung nach der Hieronymie ver- wandte, wenn der Vatername in der Weise verändert wird, um dadurch anzudeuten, dafs J emand aus seinem Geburtsstande heraus- und in andere Verhältnisse eingetreten sei, in welchen die angebo- renen als unwesentlich verschwinden. In dem Spielen mit dem Vaternamen zeigt sich die Natur der Griechen auf eine sehr be- zeichnende Weise, ihre Abneigung gegen trockene Überlieferung, ihr Streben, das geistig Zusammengehörige auch leiblich in Ver- bindung zu bringen, ihre Gewandheit, die Person durch fingirte Va- ternamen in witziger Weise zu charakterisiren, wofür die Komödie an Beispielen unerschöpflich ist. Von den gemachten Genealogien auf dem Gebiete der Literaturgeschichte hat A. Schöne in seinen Untersuchungen über das Leben der Sappho eine lehrreiche Über- sicht gegeben. Wissenschaft und Kunst absorbiren das natür- liche Leben. Nach Analogie von Aristoteles 5 IDerwvos werden auch die bildenden Künstler nach dem Meister benannt; bei ihnen hat die Familientradition aber eine ganz andere Bedeutung und in unzähligen Fällen ist der Vater auch der Lehrer, und pe«Syrys beim Genetiv zu ergänzen, wie es in römischer Zeit bei Stephanos und

vom 28. Februar 1870. 167:

Menelaos ausdrücklich beigeschrieben ist. Mit dieser Auffassung des Vaternamens hängt der eigenthümliche Gebrauch der patrony- mica zusammen, wenn z. B. EvgvxAsidaı Leute bezeichnet, welche die Profession des Eurykles treiben.

Andere Gründe zum Aufgeben der Familientradition liegen in persönlichen Beziehungen, aus denen Wahlverwandschaften hervor- gehen, welche sich in die Blutsverwandtschaft als gleichberechtigt einschieben; das sind die Namen zar« dı%ıav und Eeviav, wie Kle- archos seinen Erstgeborenen Timotheos nannte, wie in die Familie der Endios der Name Alkibiades aufgenommen wurde und durch den attischen Feldherrn der Name Phormion in Akarnanien lan- desüblich wurde. Ein besonderes Beispiel von diesem övonagsw Erı Tw öromeri rwos ist Eusebios, welcher seines Freundes Pamphilos Namen dem seinigen im Genetiv anfügte, um anzuzeigen, wie seine ganze Existenz von ihm abhängig und mit ihm verschmolzen sei. Ich weifs nicht anzugeben, wie weit ihm hiebei ältere Analogien vorlagen, aber wir sehen auch hier wieder, wie zwei Namen zusam- men gleichsam eine Firma bildeten, in welche Beziehungen der verschiedensten Art aufgenommen werden konnten.

Die auf Gastfreundschaft beruhenden Namen theils Perso- nennamen, theils Ethnika (Magnes, Eretrieus), theils Ortsnamen (Samos, Nikopolis) sind von geschichtlichem Interesse, weil sie uns die versteckteren Beziehungen zwischen den verschiedenen Städten Griechenlands sowie zwischen hellenischen und ausländi- schen Staaten erkennen lassen. Syrakus und Theben finden sich durch Namen wie Thrasydaios und Boiotos verbunden (Urlichs Skopas S. 73 Anm.). Wir erkennen die Beziehungen der Tyran- nen zu den orientalischen Dynastien, wenn wir bei den Kypseliden die Namen Psammetichos und Gordios antreffen, am Hofe des Po- lykrates den Namen Smerdis (Duncker Gesch. des Alt. II? S. 797). Hierher gehören auch der Neleidenname #gUyıoc, der Name Myötos in Larisa (Xen. Hell. p. 89 das.), O2rr«ros im Hause der Pisistra- tiden. Der Name Libys bei Lysanders Bruder läfst, mit andern Nachrichten vereinigt, keinen Zweifel darüber, dafs Lysandros mit Libyen und insbesondere mit dem Ammonion in Beziehun- gen stand, welche er zur Befriedigung seines Ehrgeizes ausbeuten wollte. Aiginetes, der Sohn des Königs Pompos (Paus, 8,5. 8), bezeichnet durch seinen Namen, dafs diesem König, welcher das Binnenland zuerst mit der See in Verbindung gesetzt haben sollte,

168 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

die Aegineten besonders hülfreich gewesen sind. Aus der geschicht- lichen Zeit giebt es kein interessanteres Beispiel freigewählter Na- mengebung als die bekannte Namengruppe in der Familie Kimons, der seine Zwillinge Eleios und Lakedaimonios nannte und den drit- ten Thessalos. Diese Ethnika sind also nicht als aus Gastfreund- schaft erwachsene Namen anzusehen, aber als nach Analogie der- selben gemachte, dazu bestimmt, im Sinne des Hausherrn die Stel- lung der Familie zu den Parteifragen der Gegenwart zu charakte- risiren und den Kindern ihren Standpunkt anzuweisen; einem ein- seitigen Attieismus gegenüber waren sie als Träger solcher Namen zu Vertretern einer so zu sagen grolsgriechischen Richtung designirt.

In ähnlicher Weise wurden auch Orts- und Landesnamen ge- braucht. Jason von Pherai nannte seine Tochter Thebe; als die Verbindung mit dieser Stadt ihm den Weg zu öffnen schien, um seine Herrschaft zu sichern. T'hemistokles dienten die Namen seiner Töchter als eine Art von Programm seiner auswärtigen Politik, indem er mit Italia, Asia, Sybaris theils in weiterem theils in engerem Sinne die Punkte andeutete, auf die sein Blick vorzugS- weise gerichtet war, um attischen Einflufs bis dahin geltend zu

C) J machen. Es waren also Namen zer &Amıd« und bezeugen das oO .

kühne Selbstvertrauen des Mannes. Wir sehen also, wie in der Zeit grolser Parteispannung die Onomatothesie einen politischen Charakter annahm und die Familiennamen zu politischen Parolen wurden. Auch Perikles schlols sich dieser Sitte an, indem er sei- nen zweiten Sohn Paralos nannte. Dafs man zuweilen auch glor- reiche Ereignisse, welche mit der Geburt eines Kindes zusammen- trafen, im Namen desselben angedeutet habe, scheint aus der Er- klärung des Namens Euripides bei Priscian 1, 68, 3 Hertz hervor- zugehen.

Solche Wahlnamen dienten aber nicht nur, um die Richtung der Namengeber zu bezeichnen, sondern sie wurden auch im öflent- lichen Leben angewendet, wenn es darauf ankam, bei internationa- len Geschäften solche Staatsangehörige verwenden zu können, de- ren Namen dem Gelingen förderlich zu sein schien.

Lakedaimonios wurde mit 10 Schiffen nach Kerkyra gesendet,

nicht wie Stesimbrotos dem Perikles Schuld gab, um den Sohn des Kimon in Gefahr und Schande zu bringen, sondern um schon durch den Namen des Geschwaderführers zu bezeugen, dafs man keine Feindseligkeit gegen Sparta im Sinn trage. Die Lakedämo-

vom 28. Februar 1870. 169

nier dagegen schickten, als sie ernstlich Frieden wollten, einen Athenaios als Commissar zu den schwierigen Verhandlungen an der thrakischen Küste Eben so deutlich ist die Absicht, wenn die unglücklichen Platäer in letzter Stunde einen Mitbürger Namens Lakon zu ihrem Sprecher machen, um den Lakedämoniern in sei- ner Person die traulichen Beziehungen, welche durch das griechi- sche Volk hindurch gehen, noch einmal an das Herz zu legen, oder wenn Agesilaos, um bei seinem Abschiede die kleinasiatischen Städte zu beruhigen und sein Verhältnifs zu ihnen auszudrücken, einen Harmosten Euxenos bei ihnen zurückläfst.

Nach solchen Analogien muls man auch wohl zugeben, dafs es kein Zufall ist, wenn der Wortführer der O1. 109, 4 von Athen an König Ochos abgeordneten Gesandtschaft Ephialtes hiefs, so schmäh- lich auch die Reminiscenz an den Verrath der Thermopylen war.

Wir sehen, welcher Werth in Öffentlichen Dingen auf den Namen gelegt wurde. Wir finden einen Dorieus als Führer der antiathenischen Partei in Thurioi, einen Athenagoras an der Spitze der Athenerfreunde in Syrakus, und wenn sich auch nicht nach- weisen läfst, dafs die Griechen in so ängstlicher und pedantischer Weise, wie die Römer, die im Namen liegende Vorbedeutung be- rücksichtigt haben, so sind die Grundanschauungen doch dieselben, und dies zeigt sich z. B., wenn bei Rückkehr in das von Thra- sybulos befreite Athen ein Aisimos Zugführer ist, wenn man einen Hermogenes zum Gesandten wählt, einen Polystratos zum ersten Söldnerhauptmann und einen Eukles zum Boten des marathonischen

Siegs.

[1870] 12

| | |

Nachtrag.

24. Februar. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. A. W. Hofmann las ferner Nachträgliche Bemer- kungen über die Entschwefelungsproducte des Diphe- nylsulfocarbamids.

In einer der Akademie vor einigen Monaten vorgelegten Mit- theilung habe ich gezeigt, dafs der diphenylirte Sulfoharnstoff bei der Entschwefelung mittelst Bleioxyds in alkoholischer Ammoniak- lösung eine schön krystallisirte Base von der Zusammensetzung

C,H,sN;

liefert.') Ich liefs es damals unentschieden, ob diese Base mit dem früher von mir erhaltenen Melanilin?) identisch oder nur isomer sei. In letzter Zeit habe ich Gelegenheit gehabt, das durch Enntschwefelung gebildete Product mit einem durch die Einwirkung des Chlorcyans auf Anilin erhaltenen schönen Präparate, welches Hr. Dr. Salkowski mit grofser Sorgfalt dargestellt hatte, zu ver- gleichen, und hege auf Grund dieser Vergleichung hin keinen Zwei- fel mehr, dafs hier Isomerie nicht Identität stattfindet.

Um Irrthümer möglichst auszuschliefsen, wurden die beiden Basen in die schwerlöslichen, aber leichtkrystallisirbaren Nitrate verwandelt und aus diesen Salzen erst wieder abgeschieden, nach- dem dieselben vier bis fünf Mal umkrystallisirt worden waren. Die freien Basen wurden alsdann nochmals wiederholt als Alkohol umkrystallisirt.

1!) Hofmann, Monatsberichte 1869, 589. ?) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXVII 129.

172 Nachtrag.

Eine bemerkenswerthe Verschiedenheit zeigte sich alsbald in der Kıystallisationsfähigkeit beider Substanzen. Die neue Base krystallisirt ungleich leichter, als die alte; auch sind die Krystalle derselben, lange abgeplattete Nadeln, viel besser ausgebildet, als die verworrenen Krystallisationen des früher erhaltenen Körpers. Auch in der ungleichen Löslichkeit tritt diese Verschiedenheit in bestimmter Weise hervor: 100 Gew.-Th. Weingeist von 90 pCt. lösen 18 Gew.-Th. des alten Melanilins und nur 9,6 Gew.-Th. des neuen. Endlich läfst die Bestimmung des Schmelzpunktes der bei- den Basen keinen Zweifel. Das alte Melanilin, dessen Schmelz- punkt ich früher nur annähernd als zwischen 125° und 130° lie- gend angegeben hatte, schmilzt bei 131°, die neue Base erst bei 147°. Die Versuche wurden zum Öfteren mit denselben Ergeb- nissen wiederholt.

Ich schlage vor, den Namen Melanilin ganz fallen zu las- sen und die beiden Basen als Diphenylguanidine, und zwar die durch Entschwefelung entstehende als «-, die mittelst Chloreyan dargestellte als @-Diphenylguanidin zu bezeichnen. Dieser Namentausch ‘empfiehlt sich um so mehr, als die Bezeichnung Me- }anilin, welche an eine nahe Beziehung der so genannten Base . mit dem von Liebig entdeckten Melamin erinnern sollte, ihre Bedeutung verloren hat, seit ich das wahre Melanilin, d.h. das triphenylirte Melamin, über welches ich der Akademie in einer spätern Sitzung berichten werde, in diesen Tagen entdeckt habe.')

In welcher Weise immer man die Isomerie der beiden diphe- nylirten Guanidine erklären will, so viel ist gewils, dafs sich die Atome in den Abkömmlingen beider Körper wieder gleichmälsig lagern. Durch die Einwirkung des Cyangases auf das 2-Diphenyl- guanidin entsteht der Körper, den ich mit dem Namen Dieyano- melanilin?) bezeichnet habe, und letzterer verwandelt sich unter dem Einflusse der Säuren zunächst in Melanoximid und schliefs- lich in Diphenylparabansäure.‘)

Alle diese Körper bilden sich mit der gröfsten Leichtigkeit auch aus dem «-Diphenylguanidin; ich habe aber bei der sorgfäl-

1) Hofmann, Monatsberichte 1869, 791. 2) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXVII, 159 und LXXIV, 1. 3) Hofmann, Royal Soc. Proc. XI, 275.

Nachtrag. 173

tigen Vergleichung der aus der «- und &-Varietät entstehenden Verbindungen keine Verschiedenheit mehr wahrnehmen können; ich halte dieselben für identisch. Die auf beiden Wegen erhalte- nen Dieyanverbindungen schmelzen bei 154°; der Schmelzpunkt der Diphenylparabansäure, ob aus der «- und £-Abart dargestellt, liegt bei 204°.

Die beschriebenen Versuche haben mich an einen dritten Kör- per erinnert, den ich vor einiger Zeit durch Behandlung des nor- malen Guanidins mit Anilin erhalten und dem ich irrthümlich eben- falls die Zusammensetzung des diphenylirten Guanidins (Melanilins) beigelegt habe!). Wenn ein Guanidinsalz mit einem Überschusse von Anilin zum Siedepunkt der letzteren erhitzt wird, so entwickeln sich Ströme von Ammoniak und beim Erkalten erstarrt die Flüs- sigkeit zu .einem Krystallbrei, aus dem sich durch geeignete Be- handlung mit Wasser und Alkohol ein in schönen Nadeln krystalli- Sirender Körper darstellen läfst.

Indem ich die Reaction nach der Gleichung

CH,N;0+2C,H,N = C,H, N, +H,0+2H,N

interpretirte, glaubte ich in dem krystallisirten Producte ein diphe- nylirtes Guanidin

0,H,N, = CH, (C;H,),N; zu erblicken.

Die Auffindung des «-Diphenylguanidins, welches sich bei der Entschwefelung des diphenylirten Sulfoharnstoffs in Gegenwart von Ammoniak bildet, hat mich veranlafst, auch den phenylirten Guani- dinabkömmling nochmals darzustellen. Ich habe mich bei diesem Versuche, welcher in etwas grölserem Maalstabe ausgeführt wurde,

überzeugt, dafs die Einwirkung des Anilins auf den Guanidin nicht in dem oben angegebenen Sinne, sondern nach der Gleichung

CH,N;0 +2C,H,N = C,,H,N,0 + 3H,N

verlauft, dafs mithin der unter den bezeichneten Bedingungen ge-

bildete krystallisirte Körper nicht diphenylirtes Guanidin, sondern diphenylirter Harnstoff ist.

‘) Hofmann Monatsberichte 1868, 464,

174 Nachtrag.

C,3H2,N,0 = CH;(C;H,); N, 0.

Im Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt unterscheiden sich in der That beide Körper nur wenig.

Diphenylguanidin Diphenylharnstoff Kohlenstoff 73.93 73.63 Wasserstoff 6.16 5.66

Zwei Verbrennungen hatten ergeben Kohlenstoff 74.00 und 73.95, ferner Wasserstoff 6.27 aus 6.21, Zahlen, welche der Zusam- mensetzung des diphenylirten Guanidins noch näher kommen als des diphenylirten Harnstofis. Leider war die Bestimmung des Stickstoffs unterblieben, welche die Natur des Körpers alsbald ent- hüllt haben würde.

Ich habe jetzt den in Rede stehenden Körper durch ein genaue- res Studium seiner physikalischen Eigenschaften, namentlich durch die Bestimmung des Schmelzpunkts, welcher bei 232° gefunden wurde, mit dem auf gewöhnliche Weise dargestellten Diphenylsulfoharnstoff identifieirt. Die Bildung des diphenylirten Harnstoffs aus dem Guanidin hat nichts Befremdliches, wenn man bedenkt, mit wel- cher Leichtigkeit das Guanidin unter Ammoniakverlust in normalen Harnstoff übergeht.

CH,N,O=H,N+CH,N,O.

In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuerdings folgende akademische Abhandlungen aus dem J ahrgang 1869 er- schienen:

EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikroskopi- schen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko. Preis: 1 Thir. 15 Sgr.

Lersivs, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen und einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie. Preis: 15 Sgr. ® Rorn, Beiträge zur Petrographie der plutonischen Gesteine. Preis: 3 Thlr. 7 Ser. 6 Pf. MaAcxus, Über Emission, Absorption und Reflexion. Preis: 15 Sgr.

In den Abhandlungen der Akademie sind in den Jahrgängen 1852, 1853, 1862, 1864 keine Mathematischen Klassen enthalten.

MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN. |

März 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr Kummer.

3. März. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Homeyer las über Hausmarken und legte lithogra- phirte Tafeln zur Erläuterung vor.

Er beabsichtige über die Geschichte, die Verbreitung und die Verwendung der sog. Haus- und Hofmarken im germanischen Europa eine gröfsere Arbeit zu veröffentlichen. Derselben werden nicht nur einzelne Figuren im Texte selber einverleibt, sondern auch vierundvierzig Tafeln als Anlagen beigegeben werden. Sie sollen die ungemeine Fülle der Erscheinungen zur weiteren An- schauung bringen. Sie sollen, indem sie die Marken massenweise für ganze Kreise, Ortschaften, Genossenschaften zusammenstellen, über die mancherlei Weisen belehren, durch welche die Unter- scheidbarkeit der Zeichen im Leben erreicht worden. Sie mögen endlich mittels der Fixirung eines gegenwärtigen Zustandes dazu verhelfen, die künftigen Änderungen und Schicksale der alten Sitte genauer zu verfolgen.

Diese Beilagen sind vorweg lithographirt worden, um sie beim spätern Druck der Hauptarbeit selber bestimmter anziehen zu kön- nen. Ihre heutige Vorlage wurde mit Erklärungen begleitet. Hier folgt eine summarische Übersicht. :

Die Tafeln I bis XXXVII sind nach Ländern und Orten ge- ordnet. Sie beginnen mit Skandinavien, führen zu England, zu

[1870] | 13

176 Gesammtsitzung

den Niederlanden, treten mit Oldenburg in Deutschland ein, folgen dem Rande der Ostsee bis in die Gegend von Danzig, gehen dann von dem Meere ab, gelangen zunächst durch das übrige Nord- deutschland von Ost nach West nach dem Rheine und schliefsen mit Süddeutschland und der Schweiz.

1. Island.

A. 23 Marken aus Siegeln der Bischöfe und andrer Standes- personen von 1373 bis 1631, mitgetheilt von Hrn. Archivar Jon Sigurdsson zu Kopenhagen. B. Zeichen in Felshölen, vielleicht von deren Besuchern eingegraben, welche in das 12te oder 1öte Jahrh. gesetzt werden. Anhangsweise ein kleiner, mit Zeichen bedeckter Stein aus einem alten, im J. 1838 in Virginia entdeck- ten Grabe.

II. Schweden.

Zeichen aus einer Sammlung von 75 mit Löchern versehenen kleinen Holzscheiben (Bricken), die etwa den Rindern um die Hör- ner gehängt oder als Looshölzer, s. Germanisches Loosen SZ benutzt wurden.

III VII. England.

Die dritte Tafel giebt A) Handzeichen von Landleuten aus Urkunden des 1’ten Jahrhunderts, B) die Marken, welche die Schwanhalter den Schnäbeln dieser Thiere auch noch gegenwärtig eingraben lassen u. a. die Marken der Königin Victoria und des Eton College.

Die 300 Nummern der Tafeln 4 bis 7 gehören einer von Ewing in den Schriften der Norwicher Alterthumsgesellschaft 1850 edirten, aus Siegeln, Unterschriften, Grabsteinen und allerlei Bau- lichkeiten des l4ten bis zum 1’7ten Jahrh. entnommenen Samm lung an. Vgl. Monatsberichte der Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1863 S. 578.

VII. Niederlande. A. Grabzeichen des 17ten Jahrhund. aus Delft. B. Hand- zeichen auf einer Schuldverschreibung von 1481 zu Leyden. C. Zeichen auf einem alten Thurm des Tempelhofes zu Nieupoort.

vom 3. März 1870. 177

D. Handzeichen in einem „Venditiebook“ von 1632 im Archive daselbst.

IX, X. Oldenburg.

Aus einer Mittheilung des Geh. Archivraths Leverkus stam- men 148 Zeichen hauptsächlich von Siegeln und Unterschriften des 16ten und 17ten Jahrh. 1) aus der Herrlichkeit Knyphausen, na- mentlich aus den Kirchspielen Sengewarden, Ackum, Fedderwarden, 2) aus dem Jeverlande, Kirchspiel Wangeroge u. s. w., 3) aus Stad- und Butjadinger Land, 4) aus der Grafschaft Oldenburg, Kirchspiele Edewecht, Westerstede, Varel, Zwischenahn, Bockhorn.

XI.

A. Aus Mölln in Lauenburg Marken von Leichensteinen 1584 bis 1768, von Kirchenstühlen der sog. Feuergraven, von den zehn Brauhäusern. B. Aus Schöneberg im Ratzeburgischen, Hand- zeichen unter einer Urkunde von 1622,

XI—XVIl Lübeck.

Die zwölfte Tafel giebt 62 Zeichen von den Grabsteinen der zu St. Jacobi von 1606 bis 1655 beerdigten Personen nach dem dortigen „Steinbuche“.

Die Tafeln 13 bis 16 liefern 364 Siegelmarken, von H. Ma- ler Milde zu Lübeck aus Urkunden theils Lübscher Einwohner, theils andrer Nationalen des europäischen Nordens von 1341 bis 1519 alphabetisch zusammengestellt.

XVIH. Rostock.

A. Abbildung eines 1831 im Schutt gefundenen mit Zeichen, Buchstaben und Zahlen u. a. 1606 bedeckten Stücks eines starken Hirschgeweihes. B. Die 56 Marken an dem Altarschranke eines früheren Nonnenchors der Klosterkirche zum H. Kreuz.

XV.

In dem Kirchspiel Rövershagen bei Rostock hat sich der Gebrauch der Hausmarken, namentlich auch zur Bezeichnung der Looskaveln lebendig erhalten. Die Tafel giebt deren 125 aus den Ortschaften Over - Mittel - Niederhagen, Hinrichshagen, Sandberg, Torfbrück, Wiethagen, Sandhagen.

13*

a a N Aa En rn

178 Gesammtsitzung

XIX.

Proben der Zeichen auf den Kirchenplätzen zu Warnemünde v. J. 1590, welche jetzt durch ein neues Gestühl ersetzt werden sollen, vgl. Monatsb. a. a. O. 578.

xXX., Rügen.

A. Siegelmarken von Bauern aus dem 16ten Jahrhundert. B. Hand- und Hauszeichen von acht Halbbauern und Kossäten zu Gagern auf der Halbinsel Mönchgut unter einem Pachteontract v. J. 1832. C. Zeichen, die noch an Gebäuden, Leichensteinen, Ge- räthen in verschiedenen Ortschaften der Halbinsel Wittow z. B. zu Vitte nahe bei Arcona vorkommen. D. Noch übliche Bauer- und Büdnermarken von Mönchgut.

XXI Greifswald.

In den Gängen der dortigen Kirchen liegen noch zahlreiche Grabsteine mit den Zeichen der Beerdigten. Die hier unter 69 Nummern nach Hrn. Prof. Böhlau mitgetheilten stammen aus der Marienkirche und gehören den J. 1363 bis 17 34 an, vgl. Monats- bericht 577.

XXI.

Marken der zahlreichen Fischer der Pommerschen Oderstädte Greifenhagen (58) und Garz (47). Häufig aus I und X zu- sammengesetzt gelten sie doch nicht als Zahlen, sondern als Haus- marken mit Bezeichnung derselben als Kreuze und Kerben, vergl.

M.-B. 580.

XXIII XXVIII Provinz Preufsen.

Die Marken dieser Tafeln haften sämmtlich an ländlichen Ge: höften und stehen noch in lebendigem Gebrauch.

Nr. XXIII giebt die Hofmarken der Dörfer Praust, Zipplau, Rostau, Müggenhal auf der Danziger Höhe; XXIV der Ortschaf- ten Weslinke, Gottswalde, Reichenberg, Scharfenberg aus dem Dan- ziger Werder. Die übrigen Tafeln fallen auf den Marienbur- ger Werder, für den der Landrath Hr. Parey aus 83 Ortschaf- ten über 800 Marken zusammengebracht und zur Veröffentlichung | mitgetheilt hat, M.-B. 579.

vom 3. Marz 1870. 179 °

XXIX. Polnische Adelswappen.

Sie sind hier aufgenommen einmal um die Übereinstimmung mancher derselben mit Germanischen Hausmarken zu belegen, so- dann um zu veranschaulichen, wie zahlreiche einzelne Adelsge- schlechter einem grolsen Wappenverbande mit einem Gesammt- zeichen angehören, welches dann in den Wappen der besondern Familien als Grundform, wenn auch mit gewissen Beizeichen oder verschiedenen Tinkturen, wiederkehrt. Die Tafel giebt 67 solcher hausmarkenähnlicher Grundzeichen und bei einigen derselben auch die Variationen der einzelnen zum Verbande sich zählender Ge- schlechter an.

XXX, XXXI. Mark Brandenburg.

Die erste Tafel enthält noch übliche Hofzeichen aus ländlichen Ortschaften, A) von Jänickendorf im Kreise Lebus (M.-B. 579), B) von Pewesin, Roskow, Wachow, Gohlitz im Westhavellande.

Die andre theilt die hundert auf einer Tafel in der St. Gott- hardskirche zu Brandenburg a. H. angebrachten Zeichen der Tuch- machergilde mit, die im J. 1623 die dortige Kanzel renoviren liefs, M.-B. 578. |

XXXIIl Lüneburg.

Auf die Saline (Sülze) daselbst beziehen sich A) 42 Zeichen

der Corporation der Salzpächter vom J. 1584, B) 24 der zu den „Sülzhäusern“ gehörigen Marken von 1785.

XXXIHN, XXXIV. Erfurt.

Sie stellen unter 50 Nummern die von H. Major Böckner aus dortigen Siegeln, Grabsteinen, allerlei Baulichkeiten, Glasge- mälden u. s. w. gesammelten Zeichen in ihren Schilden dar,

M.-B. 579.

XXXV. Rheinpreufsen.

A. Dreifsig zu Schweinschied bei Meisenheim noch jetzt in Gemeindeangelegenheiten benutzte „Familien und Hausmarken“. B. 80 zu Masterhausen am Hunsrück im 18ten Jahrhundert zu vielfachen Zwecken verwendete Zeichen dortiger Bürger.

150 Gesammtsitzung

XXXVIL Tyrol.

Als Beispiele der hier üblichen, sehr einfachen, oft in Buch- staben übergehenden Formen sind die Zeichen der Orte Untermie- ming und Fiecht im Oberinnthal gegeben.

XXXVIH. Schweiz.

1. Drei und dreifsig Marken an Gebäuden, Gerätlischaften oder aus Siegeln Schwyzer Familien.

%. Zwölf Zeichen von Milchlieferanten des Wirthes zum Al- penclub im Maderanerthal, Canton Uri, auf einer sog. Milchbeile (Kerbstock) eingegraben, M.-B. 581.

3. Dreifsig von den 120 zu Münster im C. Wallis gebräuch- lichen Häuserzeichen, M.-B. ebd.

A. Aus einer alten deutschen Niederlassung zu Alagna in Piemont, südlich vom Monte Rosa, 39 noch übliche Marken, deren Eigner theils deutsche theils italienische Namen führen, M.-B. ebd.

Die sieben noch übrigen Tafeln sind theils nach Personen- classen theils nach Gegenständen der Bezeichnung geordnet.

XXXVII, XXXIX. Steinmetzzeichen (vgl. M.-B. 582).

Ältere Formen derselben, welche oft geradezu irgend ein Werk- zeug wiedergeben, sind mitgetheilt von der 1263 ff. erbaueten Hei- ligengeistkirche zu Mainz, von der Burg Landeck in Pfalzbaiern aus der Hohenstaufenzeit, vom deutschen Eck zu Coblenz 1275, von der Coblenzer Moselbrücke, unter denen die Nr. 1 bis 108 dem J. 1340 f., die Nr. 109—116 aber einer späteren Zeit an- gehören.

Diese letzteren, ferner die dem Wolfenb üttler Schlosse und die den sog. Heunensäulen bei Miltenberg am Main entnommenen tragen die Stabform und begnügen sich mit einer blofsen Andeu- tung des Werkzeuges im Querstriche.

XL. Die Tafel giebt A) 30 Zeichen von Buchführern (Verlegern und Buchdruckern), B) 40 Zeichen von B aumeistern, unter ihnen

die von 28 im J. 1658 zu Strafsburg versammelten Werkmeistern, | welche dem Typus der Heunensäulen (XXX VIII) nahe stehen. |

vom 3. Marz 1870. 181

XLI. Künstlerzeichen.

Proben von Zeichen A) der Maler, B) der Bildhauer, C) der Graveure, D. sonstiger Künstler, sämmtlich im Hausmarkentypus.

XLII. Zeichen von Schiffsgütern und Schiffen.

1. Auszug aus einer Pergamentrolle, welche die nach Thorn bestimmten Waaren eines im J. 1377 an der Jütischen Küste ge- strandeten Schiffes, behufs deren Wiedererlangung, mit ihren Eigen- thümern und Marken verzeichnet. 2. Sieben Zeichen, welche im J. 1856 auf Helgoland von den Schalupen der dortigen Com- pagnien noch neben Bild und Namen geführt wurden.

XLIII Familienzeichen.

Die Abwandelungen, welche ein Familienzeichen zur Unter- scheidung der einzelnen Gliederungen des Geschlechts erleidet; dar- gelegt in 49 Beispielen aus Danzig, Fehmarn, den Werdern bei Hamburg, Holland, Pommern, Rügen, Schleswig und der Schweiz.

XLIV. Acker- und Holzmarken.

I. Von den einfachen, in Äcker oder Wiesen gepflügten oder geschnittenen Zeichen sind 16 aus England, 12 noch heute ge- bräuchliche aus dem Mansfelder Gebirgskreise mitgetheilt.

II. Von den gleichfalls simpeln, in Holzstücke (Sägeklötze) meist durch die Axt einzuschlagenden Marken sind unter A) die durch ein gewisses System geordneten Zeichen der Glieder der Schiffer- und Flöfsergesellschaft im Murgthal gegeben; B) die ähnlichen aus dem Lechthal in Tyrol; C) die zu Gramais ebendaselbst im J. 1690 gebräuchlichen, welche zugleich zur Un- terschrift dienten. Unter D) endlich zehn der im Bayerschen Frankenwalde üblichen, den gewöhnlichen Hausmarken ähn- lichen, aus dem Flofszeichencataster zu Kronach mitgetheilten Marken.

182 Gesammtsitzung

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin im J. 1869. Berlin 1870. 4.

Publicationen des Litterarischen Vereins in Stuttgart. 96.—99. Publication.

Tübingen 1869. 8.

P. Gall Morel, Ofenbarungen der Schwester Mechtild von Magdeburg, oder das fliefsende Licht der Gottheit. Regensburg 1869. 8. Mit Be- gleitschreiben des Hrn. Verf. Einsiedeln 12. Febr. 1870.

Schweizerische Meteorologisch Beobachtungen. Dech. 1868. Jau. u. Febr. 1869. Bonn 1869. 4.

10. März. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Petermann las den zweiten Theil seiner Abhandlung über die Eroberung von Jerusalem durch Saladin.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Archives du Musee Teyler. Vol. IE, 4. Harlem 1869. 3.

Bulletin de la societe des naturalistes de Moscou. no.2. Moseou 1869. 8.

Archäologische Zeitung. Neue Folge. Bd. 2. Berlin 1869. 4.

Bulletin de lacademie de Petersbourg. Vol. 14, no. 1—3. Petersbourg 1869. 4.

Memoires de lacademie de Petersbourg. Vol. 13. no. 8. Vol.14, no.1—7. Petersbourg 1869. 4.

Egger, L’hellenisme en France. Vol. 1. 2. Paris 1869. 8.

14. März. Sitzung der physikalisch - mathemati- schen Klasse.

Hr. Dove las: 1) Über die Wärmeverbreitung im Polarmeer. 3) Über die Kälte im gegenwärtigen Frühjahr (s. Nachtrag).

vom 17. März 1870. 183

17. März. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Buschmann las den Schlufs von Zusätzen zu der ersten Abtheilung seiner sonorischen Grammatik: dem Lautsystem.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger. 1869, no. 3. Kjobnhavn 1869. 8.

Mittheilungen aus dem Osterlande. 19, 1.2. Altenburg 1869. 8.

d’Arbois de Jubainville, Recherches sur lanneau sigillaire de Pouan. Paris 1869. 8.

Esus, Euzus. Paris 1869. 8.

-— Le Baron de Jaujoz. Paris 1869. 8.

24. März. Öffentliche Sitzung der Akademie zur Feier des Geburtsfestes Sr. Majestät des Königs.

Der vorsitzende Sekretar Hr. Kummer eröffnete die Sitzung mit einer Rede, in welcher er die culturgeschichtliche Bedeutung der 'Thaten des Königs betrachtete und namentlich die durch die- selben gesicherte nationale Grundlage der ferneren Entwickelung deutscher Wissenschaft hervorhob. Derselbe gab hierauf einen Be- richt über die gröfseren Arbeiten und Unternehmungen der Akade- mie, nämlich die Herausgabe des Corpus Inscriptionum Latinarum, des Corpus Inscriptionum Graecarum und des Index zum Aristo- teles. Zum Schlufs hielt Hr. Petermann einen Vortrag über die Eroberung Jerusalems durch Saladin.

28. März. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Müllenhoff las Beiträge zur Geographie der Alten.

184 Gesammtsitzung

91. März. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Weber las über das Rämdyana.

Hierauf legte Hr. du Bois-Reymond folgenden Aufsatz vor:

Neue Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den motorischen Nerven der Menschen, ausgeführt von N. Baxt aus Petersburg. Mitgetheilt von Urn. H. Helmholtz, correspondirendem Mitgliede der Akademie.

In der Sitzung vom 29. April 1867 habe ich der Akademie Mittheilung gemacht über Versuche, welche Hr. N. Baxt in mei- nem Laboratorium unternommen hatte, um die Fortpflanzungsge- schwindigkeit der Reizung in den motorischen Nerven des leben- den Menschen nach einer Methode zu bestimmen, wobei die pSy- chischen Thätigkeiten des Experimentirenden zur Erregung der motorischen Nerven nicht in Anspruch genommen werden. Es wurde damals der Nervus medianus bald am Oberarm, bald am Handgelenk gereizt. Der Vorderarm und die Hand waren in eine Gypsform unverschieblich eingelegt, und die Zuckung der Muskeln des Daumenballens wurde durch einen hölzernen Stab auf den Schreibhebel des für die Versuche mit Froschmuskeln construirten Myographion. übertragen. Übrigens wurden mit den genannten Ab- änderungen die Versuche wesentlich nach demselben Prineipe aus- geführt, wie die zur Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den motorischen Nerven des Frosches.

Es ergaben sich hierbei Fortpflanzungsgeschwindigkeiten in drei Versuchsreihen von 31. 53, 33. 39 und 37. 49 Meter für die Secunde. |

Bei der Wichtigkeit dieses Resultats und in der Hoffnung auch noch einige andere damit zusammenhängende Fragen entscheiden zu können, beschlossen wir die Methode zu möglichster Genauig- keit auszubilden, und ich liefs defshalb (nach einem schon früher von A. Fick angegebenen Plane) ein Pendelmyographion bauen, im Wesentlichen aus einem schweren und festen eisernen Pendel

vom 31. März 1870. 185

bestehend, dessen ganze Schwingung nahehin zwei Secunden dauerte, und welches an seinem untern Ende eine rechteckige ebene Glas- tafel trägt, auf der die Zuckungscurven geschrieben werden. Das Pendel wird vor dem Versuche in schräger Lage durch einen Sperr- haken gehalten; sobald dieser gelöst wird, fällt es, löst in der Mitte seiner Bahn den Inductionsschlag aus, der den Nerven trifft, und wird schliefslich beim Rückschwunge vom Beobachter wieder aufgefangen und hinter den Sperrhaken gelegt. Somit dauert jeder Versuch nur zwei Secunden, und man kann schnell hintereinander sehr viele Zuckungen zeichnen. Um dies zu können, läfst sich die Glasplatte mittels einer Schraube am Pendel auf- und abschieben. Eine gleiche Platte an der andern Seite des Pendels, welche die entgegengesetzte Bewegung macht, bewirkt, dafs die Schwingungs- dauer dabei nicht geändert wird.

Die Zuckungscurven erhalten auf dem neuen Apparat viel be- trächtlichere Höhe (20 bis 40 Millim.) und Länge, so dafs auch ihre Entfernung von einander viel genauer gemessen werden konnte. Letzteres geschah mit dem Ophthalmometer.

Unsere Hoffnung, genauere Resultate zu erhalten, erschien nach den ersten Versuchsreihen mit dem neuen Apparate zunächst fast ganz vereitelt zu sein. Bei den Versuchen Ende des Sommers 1868, im Winter 18$$ und Anfang des Sommers 1869 fanden sich ziem- lich ähnliche Werthe der Fortpflanzungsgeschwindigkeit für die Ner- venstrecke vom Ellenbogen zum Handgelenk, wie die früher mitge- theilten für die Strecke von einer obern Oberarmstelle (vom untern Ennde des Deltoideus) zum Handgelenk, dazwischen aber auch viel grölsere für die Nervenstrecke zwischen Deltoideus und Ellenbogen- gelenk. Die Werthe der Fortpflanzungsgeschwindigkeit für die Strecke vom Ellenbogen bis zum Handgelenk wurden ziemlich über- einstimmend erhalten, sowohl bei Reizung des N. medianus, wo- bei die Contractionen der Muskeln des Daumenballens verzeichnet wurden, als auch bei anderer Einrichtung der Gypsform und bei Reizung des N. ulnaris, wobei die Contractionen der Mm. ab- ductor indicis et adductor pollieis verzeichnet wurden. Diese Werthe für die Strecke vom Ellenbogen zum Handgelenk waren:

Reizung des N. medianus: 30.3904 Meter als Mittel aus 9 Curvenpaaren,

186 Gesammtsitzung

Reizung des N. ulnaris: 97.8081 Meter als Mittel aus 9 Curvenpaaren, 328327 USB > HB \ 29.5142. 18 » „RE & also im Mittel 30.1488 Meter in der Secunde. Von Mitte des Sommers 1869 fanden sich aber ganz regel mäfsig gröfsere Werthe der Geschwindigkeit für die grofse Strecke vom untern Rande des Deltoideus bis zum Handgelenk, und zwar: 62.1462 Meter als Mittelwerth aus 12 Curvenpaaren, BAROIIDNEE 5 ln R ET.I2T2 4 y 5 BEE 4

also im Mittel 64.5611 Meter in der Secunde.

Mancherlei Veränderungen in der Methode der Reizung und in den sonstigen Anordnungen der Versuche änderten nichts an diesen letzten Resultaten, bis endlich mit Anfang des Winters wie- der kleinere Zahlen auch für diese grofse Strecke erhalten werden konnten.

Dieser Umstand schien anzuzeigen, dafs die Temperatur die Ursache dieser Schwankungen sein müsse, obgleich die Verände- rung der Temperatur der tiefer gelegenen Theile des menschlichen Körpers, der Muskeln und Nerven, so lange nicht gerade ein Ge- fühl des Unbehagens durch sie hervorgerufen wird, nach den bis her vorliegenden Beobachtungen nur sehr geringe Gröfse haben kann. Diese Vermuthung hat sich vollständig bestätigt. Wir haben an demselben Versuchstage absichtlich hinter einander Veränderungen der Temperatur des zuckenden Armes hervorgebracht, und es ge- lang auf diese. Weise abwechselnd bald, bei höherer Temperatur, grölsere, bald, bei stärkerer Abkühlung, namentlich des Vorder- arms, kleinere Werthe der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu er- halten.

Versuchsreihe I. Das Handgelenk wurde durch eine Eis- blase gekühlt, während der Arm in der Gypsform lag. Die brauch- baren Curven der ersten Tafel gaben eine Fortpflanzungsgeschwin- digkeit von 41.2752 Meter, die einer zweiten Tafel, wobei die Abkühlung mehr eingewirkt haben wird, 36.4765 Meter in der Se- cunde. Darauf wurden die Gypsplatten etwas gewärmt und das Handgelenk mit einer Blase voll Wasser von 40° C. bedeckt. Die Curven der ersten: Tafel gaben dabei eine Fortpflanzungsgeschwin- digkeit von 45.2332 Meter, die einer zweiten Tafel, wo die Er-

vom 31. März 1870. 187

wärmung mehr eingewirkt haben wird, eine Fortpflanzungsgeschwin- digkeit von 51.8016 Meter in der Secunde. Es ist zu bemerken, dafs auch bei dieser Erwärmung der Vorderarm zu einer behag- lichen warmen Temperatur nicht gekommen war.

Versuchsreihe U. Der Arm wurde bei Winterkälte vor dem Versuche stark abgekühlt. Höhe der Zuckungen nur 15 bis 17 Millim., deshalb die Bestimmung der F ortpflanzungsgeschwindigkeit unsicher, etwa 47.22 Meter. Darauf wurde der Arm durch die erwärmten Gypsplatten und warme Bedeckung gewärmt. Die Zuckungshöhe steigt auf 26 Mm., die Fortpflanzungsgeschwindigkeit für die Curven der ersten Tafel auf 54.1755 Meter, für die der zweiten Tafel auf 56.7808 Meter. Endlich wird der untere Theil des Vorderarms wieder durch eine Eisblase gekühlt. Die erste Tafel ergiebt im Mittel 47.7276 Meter, die zweite Tafel 38.2331 Meter Fortpflanzungsgeschwindigkeit; die Höhe der Zuckungscurven sinkt dabei wieder bis auf 14 Millim.

Hinsichtlich des erwärmten Armes gilt übrigens auch hier, obgleich in geringerem Grade, dieselbe Bemerkung wie bei Ver- suchsreihe I.

Versuchsreihe III. Um eine möglichst grofse Steigerung der Temperatur des Unterarms zu erreichen, wurde das Zimmer ziemlich stark geheizt, die Gypsform erwärmt und äufserlich mit erwärmten Sand umgeben. Im Anfang wurde die Fortpflanzungs- geschwindigkeit für die Strecke zwischen Handgelenk und unterm Rande des Deltoideus bestimmt, und gleich 61.4185 Meter gefun- den (Mittel aus 10 Curvenpaaren). Dann wurden zwei Tafeln voll Curven gezeichnet, welche der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zwi- schen unterm Ende des Oberarms und Handgelenks entsprechen; der Werth dieser Geschwindigkeit betrug 57.3400 Meter (Mittel aus 8 Curvenpaaren). Endlich wurden die Versuche für die län- gere Strecke noch einmal wiederholt und ergaben nun eine Fort- pflanzungsgeschwindigkeit von 89.4272 Meter (Mittel aus 10 Cur- venpaaren.. Dabei war die Höhe der Zuckungen von 21.4 Mm., ihrem Mittelwerthe im Anfang, bis auf 30 Mm. gestiegen.

Versuchsreihe IV. Ein Versuch den Oberarm durch eine Eisblase in einem ziemlich stark geheitzten Zimmer abzukühlen, so dals der Unterarm warm blieb, brachte keine erhebliche Ände- rung hervor. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit ergab sich im Mittel aus 5 Versuchen 50.6262 Meter in 1 Secunde, ein Werth,

188 Gesammtsitzung

der etwas kleiner ist, als er sich unter übrigens gleichen Umstän- den ohne die Eisblase ergeben haben würde.

Ts ist hierbei noch zu bemerken, dafs die Versuche mit ab- gekühltem Vorderarm immer nur wenige brauchbare Curvenpaare geben, weil das Zuckungsmaximum bei Reizung der Nerven am Handgelenk dann sehr geringe Höhe hat, und man stark abge- schwächte Inductionsschläge zur Reizung der obern Nervenstelle anwenden mufs. Deren Wirkung ist aber ziemlich unregelmäfsig, und es gelingt dann nur selten, zwei an Höhe wenigstens nahehin gleiche Curven von den beiden Reizungsstellen neben einander zu zeichnen.

Wird der Vorderarm gewärmt, So wächst das Zuckungsmaxi- mum der untern Nervenstelle stets erheblich, obgleich es uns bis- her doch nicht gelungen ist, e8 dem von der obern Stelle bei der- selben Stärke des Inductionsschlags zu erhaltenden ganz gleich zu machen. Es ist dann aber viel leichter eine Stellung der Induc- tionsrollen zu finden, welche mit ziemlich grofser Regelmäfsigkeit Zuckungen der verlangten Höhe auch von der obern Nervenstelle her giebt, so dals es unter solchen Umständen leicht ist schnell hinter einander eine grolse Anzahl brauchbarer Curvenpaare zu er- halten.

Die Versuche über Fortpflanzungsgeschwindigkeit zwischen Ellenbogengelenk und Handgelenk ergaben regelmäfsig eine kleinere Geschwindigkeit als zwischen Deltoideus und Handgelenk, wie es aus den zuerst angeführten Versuchen, die übrigens bei etwas nie- drigerer Temperatur als die zuletzt angeführten angestellt worden sind, und ebenso aus der Versuchsreihe HI zu ersehen ist. Die Ursache davon kann in dem Umstande gesucht werden, dafs die Nerven im Vorderarm regelmäfsig kälter sind als im Oberarm; es könnte dabei aber auch an eine ungleichförmige Geschwindigkeit des Nervenreizes gedacht werden. In unsern Versuchen war eben selbst nach der eine Stunde lang fortgesetzten Einwirkung eines änfsern warmen Mediums der erwähnte Unterschied in der Fort- pflanzung nicht ganz verschwunden.

Andererseits ergaben einige, wegen Kleinheit der Strecke al- lerdings nicht sehr sichere Bestimmungen der Fortpflanzung zwi-

vom: 31. März 1870. 189

schen Deltoideus und Ellenbogengelenk grofse Werthe der Ge- schwindigkeit. Da es zweifelhaft erscheinen konnte, ob die geringe Geschwindigkeit bei kaltem Vorderarm nicht herrühre von einer langsamern Fortpflanzung schwächerer Reizungen, wie sie unter solchen Umständen an der obern Stelle angewendet wurden, so wurden die Ordinaten von Curven mit einander verglichen, welche von derselben Stelle aus mit verschiedener Stärke der Reizung hervorgebracht waren, aber gefunden, dafs sich ihre Ordinaten für gleiche Zeiten nach der Reizung fast genau in dem Verhältnifs der verminderten Gesammthöhe vermindern und keine Verzögerung der schwächern Zuckungen zu bemerken ist.

Es sei noch erlaubt einige Resultate zu erwähnen, welche bei den Versuchen mit abgeänderten Reizungsmethoden gelegentlich er- halten wurden.

Um vom Handgelenk aus Zuckungen von gröfserer Stärke zu erhalten, als sie ein einzelner Öffnungsinductionsschlag lieferte, versuchten wir zwei schnell hintereinander zu gebrauchen. Es zeigte sich dabei, dafs die Zeit, welche zwischen beiden Schlägen verfliefsen mufste, ehe der zweite Schlag im Stande war die maxi- male Wirkung des ersten ein wenig zu verstärken, 545 Secunde betrug. Bei einer Zwischenzeit von „1, Secunde war die Verstär- kung schon bedeutend. In dieser Beziehung verhält sich also der menschliche Nerv denen des Frosches nahezu gleich.

Zweitens versuchten wir auch constante Ströme zur Reizung zu verwenden, diese gaben aber am lebenden Menschen leicht Te- tanus, namentlich bei absteigender Stromesrichtung. Die Oscilla- tionen, welche man dabei im Muskel fühlt, konnten auch mit Hülfe des Myographions verzeichnet werden. Es ergaben sich für die ersten Oscillationen dieser Art unmittelbar nach Beginn des Stro- mes folgende Werthe:

190 - Gesammtsitzung

Zeitdauer der Oscillationen in Secunden. Batterie 1 | 2 | 3 „alur SUN EEBEBE NEN BB RE ee 1l Groves 0.0939 0.0912

Kleine 0.0883 0.0897 0.0906 0.0892

EEE BROS ERREGER EEE genen

15 Groves 0.0927 0.0876 Kleine 0.0925 0.0860 0.0962 0.0856 0.0859 0.0907 0.0863 0.0328 0.0901 0.0854 0.0340

Die Vorzüge der bei den Versuchen über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit gebrauchten neuen Untersuchungsmethoden leuch- tet unter Anderem aus der Übereinstimmung der einzelnen Ner- suche einer jeden Versuchsreihe hervor. Um den Grad dieser Übereinstimmung zu zeigen, möge beispielweise folgende Zusam- menstellung nur einer Versuchsreihe dienen, wobei wegen der Be- deutung der einzelnen Buchstaben auf den Eingangs erwähnten Be- richt verwiesen werden mag. D ist nämlich das Mittel der ge- messenen Horizontalabstände eines einzelnen Curvenpaares, Au die Zuckungshöhe von der untern, A, die von der obern Ner- venstelle, A+B(h,—h,) die aus der im angeführten Bericht angegebenen Interpolationsformel berechneten Werthe der Horizon- talabstände; in der letzten Verticalcolumne sind die Differenzen der gemessenen und berechneten Werthe der Horizontalabstände angegeben.

vom 31. Marz 1870. 191

ne rn rn

| D | ho | | en ag Differenz Een |.

1 | 3.8537 35.35 36.1 4.0182 | -+0.1645 2 | 4.3975 36.0 35.8 4.3392 | —-0.0583 3 | 3.8274 34.355 | 35.7 3.8013 | —0.0261 4 | 3.8069 33.9 34.7 3.9897 | 40.1898 5 | 43177 35.4 35.2 4.3402 | +0.0225 6 | 4.9577 36.3 36.7 4.1406 | —0.1171 EN 113:8526.5 1313641 37.0 3.9736 | +0.1210 8 | 3,9614 367 38.3 3.7498 | —0.2116 9 | 4,4304 37.55 37.3 4.3523 | —0,0781

Wie man sieht, stimmen sowohl die einzelnen gemessenen Horizontalabstände, als die gemessenen und berechneten Horizon- talabstände viel mehr unter einander, als die früher mitgetheilte Zusammenstellung.

Nach Ausführung mancher noch mangelnden Versuche wird die ausführlichere Auseinandersetzung der Resultate dieser Unter- suchung von N. Baxt ausgearbeitet und veröffentlicht werden.

Hr. A. W. Hofmann las über substituirte Melamine.

Die Thatsachen, welche ich heute der Akademie vorzulegen mir erlaube, wurden bei der weiteren Ausführung von Versuchen | ermittelt, über die ich bereits in einer früheren Sitzung berichtet | habe.') [4 In einem Aufsatze: Zur Geschichte der geschwefelten Harn- stoffe, habe ich gezeigt, dafs der monoäthylirte Sulfoharnstoff bei der Entschwefelung mit Blei- oder Quecksilberoxyd in eine Base | übergeht, welche ich unter dem Namen Triäthylmelamin be- | schrieben habe.

3CH,(0,H,)N,8 = 3H,S + C,H, (0,H,),N,.

") Hofmann, Monatsberichte 1869, 791. [1870] 14

192 Gesammtsitzung

Bei der Fortsetzung dieser Versuche hab’ ich zunächst con- statirt, dafs der monomethylirte und der monoamylirte Harnstoff bei der Entschwefelung mit Bleioxyd das entsprechende trimethylirte und triamylirte Melamin liefern.

Das Trimethylmelamin krystallisirt aus Wasser sowohl als auch aus Alkohol in feinen farblosen Prismen, die eine stark alkalische Reaction besitzen und sich beim Erhitzen verflüchtigen ohne vorher zu schmelzen. Aus der mit möglichst wenig Chlor- wasserstoffsäure versetzten Lösung des Salzes scheiden sich auf Zusatz von Platinchlorid gut ausgebildete Blättchen eines in Was- ser und Alkohol ziemlich unlöslichen Platinsalzes aus, dessen Ana- lyse zu der Formel

C,H, N;PtCl, = C,H,(CH,),N;, 2HCI, PtCl,

führt. Das Trimethylmelamin wird, wie die entsprechende Äthyl- verbindung durch Salzsäure unter Abspaltung von Ammoniak zer- setzt. Es ist mir indessen nicht gelungen, das offenbar hier zu- nächst auftretende Trimethylammelin festzuhalten. Die Reaction geht alsbald weiter.

Das aus dem wohlkrystallisirten Amylsulfoharnstoff, dessen Schmelzpunkt bei dieser Gelegenheit zu 93° gefunden wurde, dar- gestellte Triamylmelamin wird als ein stark alkalischer zäher Syrup erhalten, der selbst nach langem Stehen nicht fest wird. Er ist unlöslich in Wasser und wässeriger Salzsäure. Die Lö- sung des salzsauren Salzes in Alkohol liefert auf Zusatz von Platinchlorid ein Haufwerk von gelben Krystallen, welche löslich in Wasser, weniger löslich in Alkohol sind. Sie enthalten

GH, N, PtC, = C;H,(C;H Ns, 2HOL, PiOh.

Auch bei dem Triamylmelamin liels sich beim Kochen mit Salzsäure ohne Schwierigkeit das Austreten von Ammoniak nach- weisen. Allein auch in dieser Reihe wollte es nicht gelingen, aus den Zersetzungsproducten das substituirte Ammelin zu isoliren.

Schon in meiner ersten Mittheilung über diese Klasse von Verbindungen hab’ ich die Vermuthung ausgesprochen, dafs die substituirten Melamine nicht das directe Enntschwefelungs - Product der geschwefelten Harnstoffe seien,') dafs ihrer Entstehung vielmehr

1) Hofmann, Monatsberichte 1869, 794.

vom 31. März 1870. 193

die Bildung der substituirten Cyanamide vorausgehe. Was ich da- mals vermuthete ist mir durch neue Versuche, die ich zumal in der Äthylreihe ausgeführt habe, zur Gewifsheit geworden. Das directe Entschweflungsproduct des Monoäthylharnstoffs ist nicht alkalisch, krystallisirt nicht, liefert kein krystallinisches Platin- salz. Erst nach mehrmaligem Eindampfen auf dem Wasserbade wird das Product plötzlich alkalisch, krystallisirt alsdann bei der Berührung mit einem Glasstabe hd liefert das charakteristische wawellitartig krystallisirende Platinsalz.

Für die Richtigkeit der Interpretation, dafs sich hier zu- nächst Äthyleyanamid bilde, welches erst später in Triäthylamin übergehe, liefs sich noch ein weiterer Beweis in dem Verhal- ten des auf gewöhnliche Weise dargestellten Äthyleyanamids bei- bringen. Dieser Körper ist, ebenso wie das Methyl- und Phe- nylceyanamid, den Chemikern aus den schönen Untersuchungen von Cahours und Clo&z bekannt,!) welche diese Substanzen durch Behandlung der betreffenden Aminbasen mit gasförmigem Chloreyan erhalten haben. Beim Einleiten von Ohlorcyangas in eine ätherische Lösung von Äthylamin hab’ ich in der That genau die Erscheinungen beobachtet, welche die genannten Chemiker be- schreiben. Die von dem ausgeschiedenen Äthylaminchlorhydrat abfiltrirte ätherische Lösung hinterliefs nach dem Verdampfen des Äthers das Äthylcyanamid als einen neutralen und unkrystallisir- baren Syrup, welcher mit Salzsäure und Platinchlorid kein kry- stallinisches Platinsalz lieferte, sich also gerade so verhielt wie das Entschwefelungsproduct des Monoäthylsulfoharnstoffs. Zwei- bis

dreimal in Wasser gelöst und auf dem Wasserbade eingedampft

lieferte dieser Syrup eine alkalische Flüssigkeit, aus der sich Kry- stalle absetzten, welche alle Eigenschaften des aus dem Sulfoharn- stoff dargestellten triäthylirten Melamins besafsen.

Nach dieser Beobachtung nimmt denn auch die Umbildung durch die Wärme, welche Cahours und Clo£z für das Äthyl- cyanamid angeben, eine einfachere Form an. Diese Chemiker fanden, dafs sich bei der Destillation des Äthyleyanamids eine bei 190° siedende Flüssigkeit von der Formel

C,H,oNa = CN(C,H,),; N

!) Cahours u. Clo&z, Ann. Chem. Pharm. XC., 91.

14*

194 Gesammtsitzung

bildet, welche Cahours und Clo&z als Diäthyleyanamid er- kannt haben, während gleichzeitig eine feste krystallinische Base entsteht, welche die Zusammensetzung

C,H,N, = C,H, (0,H,) N;

besitzt, und die ich als Äthyldieyandiamid ansprechen möchte. Offenbar sind diese Verbindungen keine direeten Zersetzungspro- ducte des Äthyleyanamids, sondern entstehen aus dem bereits poly- merisirten Körper, aus dem Triäthylmelamin.

C,H, (C,H,),; N; = CN (C,H,),N-+ GH; (C,H,)N,

Die Zersetzungsproducte des Triäthylmelamins sind, wie schon die hier aufgeführte Umbildung durch die Wärme andeutet, in mehr als einer Beziehung interessant. Die Möglichkeit diesen Körper mittelst Chloreyan auf eine einfachere und weniger kostspielige Weise darzustellen, als aus dem äthylirten Sulfoharnstoff, hat mich veranlafst, die Umwandlungen des triäthylirten Melamins etwas genauer zu untersuchen. Für heute will ich nur bemerken, dals das Triäthylmelamin in der That, wie ich dies bereits früher vermuthet hatte,') durch längere Behandlung mit Säuren unter Ammoniakabspaltung und Aufnahme von Wasser in Cyanursäure- äthyläther übergeht. Beim einfachen Aufkochen mit Salzsäure verwandelt es sich, wie bereits früher gezeigt wurde, in Triäthyl- ammelin

C,H,(6H,);N, + H,0 = C,H, (C,H,),N,;O+H;N; durch mehrstündige Digestion mit Salzsäure in geschlossener Röhre “entsteht Cyanursäureäthyläther welcher durch seine physikalischen Eigenschaften, zumal durch sei- nen Schmelzpunkt (85°) und durch seine Zersetzungsproducte iden-

tifieirt wurde. Das zwischen dem T riäthylammelin und dem Cya- nursäureäthyläther in der Mitte liegende Triäthylammelid

C, H (C H,); N, O,

hab’ ich bis jetzt trotz vieler Versuche nicht fassen können.

1) Hofmann, Monatsberichte 1869, 797.

vom 31. März 1870. 195

Ich habe mir das Vergnügen nicht versagen wollen, das hier für die Äthylkörper Ermittelte schliefslich auch noch einmal in der Phenylreihe zu beobachten.

Es wurde also zunächst der Monophenylharnstoff entschwefelt, den ich vor längerer Zeit bei der Einwirkung von Ammoniak auf Phenylsenföl erhalten hatte.') Wie nach den Ergebnissen in der Äthylreihe zu erwarten stand, liefert dieser Körper bei der Be- handlung mit Bleioxyd keinen sauerstoffhaltigen Harnstoff, sondern es entsteht zunächst Phenyleyanamid mit all’ den Eigenschaf- ten, welche Cahours und Clo&öz dem durch die Einwirkung von Chloreyan auf Anilin erhaltenen Körper beilegen. Die von dem Bleisulfid abfiltrirte alkoholische Lösung hinterläfst nach dem Ab- dampfen auf dem Wasserbade eine durchsichtige, spröde, colopho- niumartige Masse, welche keinerlei krystallinische Structur zeigt. Wird dieselbe aber in Alkohol wieder gelöst, und einige Stunden lang gelinde erwärmt, so beginnen sich beim Erkalten Krystalle auszuscheiden. Ähnliche Krystallbildung erfolgt auch nach mehr- tägigem Stehen in der Kälte. Es gelingt jedoch nicht leicht, die ganze Menge der colophoniumartigen Masse in Krystalle überzu- führen.

Diese Krystalle sind in Alkohol und Äther aufserordentlich löslich; aus letzterem krystallisirt die Verbindung in zolllangen con- centrisch vereinigten Nadeln, in Wasser ist dieselbe schwer löslich. Die Krystalle schmelzen schon bei 36 bis 37°; einmal geschmol- zen, erstarren sie nur äulserst langsam, gewöhnlich erst bei der Berührung mit einem festen Körper. Auch in Salzsäure sind sie vollkommen unlöslich und es gelingt nicht, eine Platinverbindung aus denselben darzustellen. Die leicht schmelzbaren Krystalle sind nichts anderes als das Phenylcyanamid.

Schon bei gewöhnlicher Temperatur verwandelt sich das Phe- nyleyanamid nach längerer Zeit in Triphenylmelamin, welches sich alsbald durch seine viel geringere Schmelzbarkeit von der ur- sprünglichen Verbindung unterscheidet. Der Übergang in die tri- moleculare Verbindung scheint um so leichter zu erfolgen, je rei- ner der monomoleculare Körper ist. Das auf dem Wasserbade geschmolzene vollkommen reine Amid erstarrt oft schon nach eini-

!) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. IX. 276.

196 Gesammtsitzung

gen Augenblicken zu dem bei weit höherer Temperatur als der Siedepunkt des Wassers schmelzenden Triphenylmelamin.

Die polymerisirte Verbindung, behufs völliger Reinigung mehr- mals aus Alkohol umkrystallisirt, stellt wohl ausgebildete, pyrami- dal endende Prismen dar, welche in kaltem Wasser unlöslich, in siedendem sehr schwer löslich sind; in Alkohol und Äther, zu- mal in der Wärme, sind sie leicht löslich. Die kochend gesättigte, wälsrige Lösung setzt den Körper beim Erkalten in haarfeinen Na- deln ab. Die Krystalle schmelzen, ohne eine Veränderung zu er- leiden, bei 162—163°.

Die Analyse weist diesem Körper als einfachsten Ausdruck die Formel

C,H,N; an; allein die Untersuchung des Platinsalzes, welches als ein gel- ber, gut krystallisirter Niederschlag fällt, zeigt unzweideutig, dafs hier die trimoleculare Verbindung vorliegt. Das Platinsalz hat nämlich die Formel:

C,H, N;PtCl,; = C,H, (0,H,),N;, 2HO1, PtCl.

Die schwer schmelzbaren Krystalle stellen also das tripheny- lirte Melamin dar, welches aus dem durch Entschweflung des Mo- nophenylharnstoffs zunächst gebildeten Phenyleyanamid durch Po- lymerisation entstanden ist.

Ich habe mich durch den Versuch überzeugt, dafs das nach dem Verfahren von Cahours und Clo&z durch Behandlung von Anilin mit Chloreyan erhaltene Phenyleyanamid beim längeren Er- wärmen gleichfalls in Triphenylmelamin übergeht, welches durch Aas Studium seiner Eigenschaften, zumal seines Schmelzpunktes und seiner Zersetzungsproducte, mit dem durch Entschweflung des Monophenylharnstoffs gewonnenen identifieirt wurde. Bei der Dar-

stellung des Phenyleyanamids durch Einwirkung von ÜObloreyan

auf Anilin wurde in einigen Operationen der gesuchte Körper beim Verdampfen des Äthers Anfangs gleichfalls in Gestalt einer zähen zu einer colophoniumartigen Substanz erstarrende Harzmasse er- halten, welche nur allmählig in den krystallinischen Zustand über- ging. Bei anderen Darstellungen, in denen frisch destillirtes, voll- kommen farbloses Anilin angewendet worden war und das Chlor- cyangas im Überschufs eingewirkt hatte, blieb das Phenyleyana- mid beim Verdampfen des Äthers im Zustande völlig reiner Kry-

vom 21. März 1870. 197-

stalle vom Schmelzpunkt 36° zurück. Bei der so erhaltenen, voll- kommen reinen Substanz erfolgt der Übergang in die trimoleculare Verbindung niit besonderer Leichtigkeit.

Nach den Erfahrungen, welche ich über die Veränderungen des Triäthylmelamins unter dem Einflusse der Säuren eingesam- melt hatte, lag der Gedanke nahe, auch das Verhalten des Triphe- nylmelamins gegen Säuren zu studiren. Schon Aufkochen mit Chlorwasserstoffsäure ist hinreichend, um aus dem triphenylirten Melamin Ammoniak abzuspalten; allein wenn es mir schon bei der triäthylirten Base nicht gelungen ist, sämmtliche von der Theorie in Aussicht gestellten Verbindungen zu erhalten, so ist die Ausbeute bei dem Triphenylkörper noch unergiebiger gewesen. In der That ist es mir weder geglückt, ein triphenylirtes Ammelin, noch ein triphenylirtes Ammelid darzustellen. Erhält man eine mit Salzsäure versetzte. alkoholische Lösung von Triphenylmelamin kurze Zeit im Sieden, so scheiden sich beim Erkalten glänzende Prismen aus, welche nichts anderes sind, als cyanursaures Phenyl

O,, H,;; N; 07 = Ö, (C,H), N;0;

dessen Bildung der des Cyanursäureäthyläthers vollkommen ana- log ist: 0;H,(C;H,);N, + 3H,0 = (,(C;H,),N50, +3 N;N.

Der Oyanursäurephenyläther setzt sich aus der salzsauren al- koholischen Lösung nur langsam ab. Man kürzt die Darstellung, indem man die saure Lösung mit Alkali abstumpft, zur Trockne verdampft und den durch Wasser von Salz befreiten Rückstand . aus siedendem Alkohol umkrystallisirt. Man erhält auf diese Weise sehr schöne, wohl ausgebildete, farblose Prismen mit grader End- fläche, welche bei 264° schmelzen. Der cyanursaure Phenyläther ist in kaltem und siedendem Wasser unlöslich; in kaltem Alkohol ist er schwer, leichter in siedendem löslich; auch in Äther löst er sich auf. Vergeblich hatte ich gehofft, das ceyanursaure Phenyl bei der Destillation geradezu in cyansaures Phenyl (Carbanil), dessen Darstellung noch immer die gröfste Schwierigkeit bietet, übergehen zu sehen. Der cyanursaure Phenyläther läfst sich zum grofsen Theile ohne Zersetzung verflüchtigen, obgleich der heftig riechende, thränenreizende Dampf, welcher sich entwickelt, die Spaltung eines Theiles des Cyanursäurephenyläthers nicht verken- nen lälst.

198 Gesammtsitzung

Das Phenyleyanurat, welches sieh aus dem Triphenylmelamin bildet, ist offenbar identisch mit dem Körper, welchen ich früher!) durch Polymerisation des Phenyleyanats mittelst Triäthylphosphin erhalten habe. Leider besafs ich von dem so dargestellten Kör- per keine Probe mehr, um einen letzten Zweifel, der noch hätte bleiben können, durch den Versuch zu entfernen. Ich beabsichtige aber das Studium des Phenylcyanats wieder aufzunehmen und werde alsdann Gelegenheit haben, diese Beobachtung nachzutragen.

Hrn. F. Hobrecker bin ich für die mir bei Anstellung der beschriebenen Versuche geleistete Hülfe zu bestem Danke ver- pflichtet.

Hr. A.-W. Hofmann las ferner über eine gemeinschaftlich mit Hrn. Otto Olshausen ausgeführte Arbeit: Über die Iso- meren der Cyanursäure-Äther.

Schon vor längerer Zeit hat Hr. Clo&z?) unter dem Namen Cyanätholin einen merkwürdigen Körper beschrieben, welcher die Zusammensetzung des Cyansäureäthyläthers, aber keineswegs die Eigenschaften desselben besitzt. Von letzterem unterscheidet er sich namentlich in seinem Verhalten zu den Alkalien, welche nach den Beobachtungen von Clo£&z Ammoniak, nicht Äthylamin, aus demselben entwickeln. Mit den Säuren vereinigt sich das Cyan- ätholin nach Clo&z zu krystallisirbaren Salzen, von denen indessen bis jetzt nicht ein einziges genauer untersucht worden ist. Über- haupt ist es auffallend, wie wenig sich die Aufmerksamkeit der Chemiker diesem merkwürdigen Körper zugelenkt hat. Hr. Clo&z hat sich mit der Entdeckung des Cyanätholins und der Feststellung seiner Zusammensetzung begnügt; er ist kaum mehr auf diesen Gegenstand zurüekgekommen. Von Arbeiten anderer Chemiker, welche das Cyanätholin betreffen, sind uns nur einige wenige, aber nicht unwichtige Versuche von Hrn. Gal?’) bekannt geworden.

1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. Sup. I. 57. 2) Clo&z, Compt. Rend. XLIV. 482 und Ann. Chem. Pharm. CII. 354.

3) H. Gal, Compt. Rend. LXIL 527 und Ann. Chem. Pharm. OXXXVL. 127.

vom 31. März 1870. | 199

Nach seinen Beobachtungen verwandelt sich das Cyanätholin bei der Behandlung mit Kalilauge in Kaliumeyanat und Alkohol, bei der Einwirkung von Chlorwasserstoffsäure in Cyanursäure und Chloräthyl; und Gal und Clo&z sprechen in Folge dieser Erfah- rungen die Ansicht aus, das Cyanätholin sei der wahre Äther der Cyansäure, welcher auf den Typus Wasser zu heziehen sei:

H CN C,H, CN

u[0 uf 0 jo HARZ während das schon früher bekannte Äthyleyanat des Hın. Würtz dem Typus Ammoniak entspreche

H C,H A| N a N w N C N ı N H H 25

Es braucht kaum erwähnt zu werden, wie vollkommen diese Auffassung durch die seit jener Zeit erfolgte Entdeckung der Iso- nitrle und der den Schwefeleyanwasserstoffsäureäthern isomeren Senföle bestätigt worden ist.

Die Bildung des Cyanätholins, welches bekanntlich durch die Einwirkung des Chlorcyans auf Natriumäthylat erhalten wird, be- gründet eine nahe Beziehung dieses Körpers mit dem von den HH. Cahours und Clo&z!) entdeckten Äthylcyanamid, welches bei der Behandlung von Äthylamin mit Chloreyan entsteht. Dasselbe Agens, auf äthylirtes Wasser und äthylirtes Ammoniak einwirkend, veranlafst die Bildung in dem einen Falle von Äthylcyanat, in dem andern von Äthyleyanamid. Wenn nun aber eine gewisse Analo- gie zwischen Cyanätholin und Äthyleyanamid, die sich vielleicht am besten in den Formeln

CN(C,H)O und CN(C,H,)HN

spiegelt, nicht zu verkennen ist, so mulsten die Beobachtungen über die leichte Polymerisation des Äthyleyamids, über welche der Eine von uns erst heute noch der Akademie Mittheilung gemacht hat, ganz naturgemäfs die Frage anregen, ob sich das Cyanätholin nicht in ähnlicher Weise werde polymerisiren lassen, wie das Äthyleyanamid, in anderen Worten, ob nicht auch eine Reihe von

!) Cahours und Clo&z, Ann. Chem. Pharm. XC. 91.

200 Gesammtsitzung

Verbindungen existire, welche den bereits bekannten Cyanursäure- äthern isomer sind.

Die zur Lösung dieser Frage unternommenen Versuche sind in der Methyl-, Äthyl-, Amyl- und Phenylreihe angestellt worden.

Wir beginnen unsere Mittheilung mit der Beschreibung der Versuche in der Methylreihe, obwohl die ursprünglichen Unter- suchungen in der Äthylreihe ausgeführt worden sind, weil uns gerade die Methylkörper alsbald die befriedigendsten Aufschlüsse geliefert haben.

Versuche in der Methylreihe.

Leitet man einen Strom von Chlorcyangas in eine verdünnte methylalkoholische Lösung von Natriummethylat wir haben in der Regel 20 Grm. Natrium in etwa 400 Grm. wasserfreien Me- thylalkohols aufgelöst 50 scheidet sich eine reichliche Menge von Kochsalz aus. Fährt man mit dem Einleiten fort, bis die Flüssigkeit nach Chlorcyan riecht, und destillirt alsdann den über- schüssigen Methylalkohol ab, so bleibt ein braunes Öl zurück, demjenigen ähnlich, welches Clo&z bei dem entsprechenden Ver- suche in der Äthylreihe erhalten und unter dem Namen Cyanätho- lin beschrieben hat. Dieses Öl bleibt oft lange flüssig; zum öfte- ren aber erstarrt es nach einiger Zeit. Häufig aber bildet sich entweder gar kein oder nur ganz wenig Öl und es bleibt alsbald nach dem Abdestilliren des Methylalkohols ein zu brauner Kry- stallmasse erstarrender Rückstand. Die Reinigung der Substanz bietet keine Schwierigkeit: ein- bis zweimaliges Umkrystallisiren aus siedendem Wasser, in dem die Krystalle leicht löslich sind, während sie sich in kaltem Wasser nur wenig lösen, und schliefs- lich Behandlung mit ein wenig Thierkohle entfernen den Farbstoff. Allein die nunmehr farblos gewordenen Krystalle erweisen sich unter dem Mikroskop alsbald als ein Gemenge zweier Verbindun- . gen, von denen die eine, in feinen Nadeln anschiefsende, die leich- ter lösliche ist, während die andere, in rhombischen Tafeln sich absetzende, sich schwerer löst. Man kann beide mit Aufopferung eines mittleren Mischproductes durch mehrfaches Umkrystallisiren aus heilsem Wasser in reinem Zustande erhalten. Man trennt sie aber besser durch ihre ganz aufserordentlich verschiedene Löslich- keit in Äther, welcher die Nadeln löst und die rhombischen Ta- feln ungelöst zurückläfst.

vom 31. März 1870. 201

Cyanursäure-Methyläther. Verdampft man den Äther, welchen man von dem Krystallgemische abgegossen hat, so bleibt eine kry- stallinische Masse, welche sich aus Alkohol, besser aber aus heis- sem Wasser umkrystallisiren läfst. Die so erhaltenen Nadeln be- sitzen die Charaktere einer reinen Substanz. Bei der Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Stickstoffbestimmung, welch’ letzteres Element sich mit Leichtigkeit in der Form von Ammoniak wiegen lälst, er- gab sich als einfachster Ausdruck die Formel

C;,H,NO;

aber es bedarf nur einer näheren Prüfung des hier vorliegenden Productes, um zu erkennen, dafs dasselbe nicht das Methyleya- nat, sondern das Trimethyleyanurat, nicht die monomoleculare, sondern die trimoleculare Verbindung ist. Der Schmelzpunkt der Krystalle liegt bei 132°, der Siedepunkt wir waren nur im Be- sitz einer bescheidenen Menge zwischen 160 und 170°, Diese Eigenschaften bezeichnen unzweideutig eine trimoleculare Verbin- dung, ein Cyanurat.

Es würde gleichwohl geboten gewesen sein, in der Gasvolum- gewichtsbestimmung eine experimentale Bestätigung dieser Andeu- tungen zu suchen, wenn nicht der Versuch an einem eigenthüm- lichen Verhalten des neuen Körpers gescheitert wäre, welches in- dessen kaum minder bezeichnend für sein Moleculargewicht ist, als die Ermittelung seiner Dampfdichte gewesen sein würde. Wird das neue Cyanurat in einer Retorte erhitzt, so destillirt es über, ohne dafs ein bemerkenswerther Rückstand bleibt, und das Destillat erstarrt als- bald wieder zu einer weilsen Krystallmasse. Allein diese Krystalle sind nicht mehr der unveränderte Körper; der Schmelzpunkt der- selben ist von 132 auf 175° gestiegen, die Krystallform ist eine ganz andere geworden: an die Stelle der feinen Nadeln sind kurze dicke Prismen mit scharf entwickelten Endflächen getreten. Man erkennt ohne Schwierigkeit, dafs der neue Cyanursäureäther durch Atomwanderung im Moleeule, welche man durch die Formeln

en eco, ons Vai oh Ns

andeuten könnte, in den alten längst bekannten Äther übergegan- gen ist. Wollte man sich auf die sorgfältige Untersuchung der physikalischen Eigenschaften nicht verlassen, so würde es hinrei-

| 202 Gesammtsitzung

chen, das Verhalten des Körpers vor und nach der Destillation gegen Reagentien zu vergleichen. Vor der Destillation mit Kali erhitzt, liefert er Cyanursäure und Methylalkohol:

(CN); (CH;);

Wird er nach der Destillation derselben Behandlung unterworfen, so entsteht Methylamin und Kohlensäure:

(CO); (CH;);

Die beschriebenen Versuche dürften hinreichen, um die Natur des neuen Cyanursäureäthers festzustellen. Weitere Anhaltspunkte für die Beurtheilung dieses Körpers mufsten sich bei dem Studium der Veränderungen ergeben, welche die Einwirkung des Ammoniaks auf denselben in Aussicht stellte.

Wenn der Äther einer einbasischen Säure bei der Behandlung mit Ammoniak durch Austausch des primären Alkoholfragmentes

} Or: 31,06 en 0, + 3(CH,HO). 3

In+ 3H,0 =3 Be N] +3C00,. 2

gegen das primäre Ammoniakfragment direet in das Amid über- geht, der Äther einer zweibasischen Säure aber zunächst den Äther einer Amidosäure liefert, so muls dem eigentlichen Amide einer dreibasischen Säure die Bildung eines ersten und zweiten Amido- säureäthers vorausgehen. Nach dieser Auffassung durfte man bei

der Einwirkung des Ammoniaks auf den Cyanursäuremethyläther

CH,O

C,N, [c H,O

CH,O

die Entstehung der Körper

CH,O CH,O H,N C,N;, [0,0 C,N, | H,N C,N; [in H,N H,N H,N Dimethyläther der Amido- Methyläther der Triamid der cyanursäure Diamidocyanursäure Cyanursäure.

erwarten, nicht der Möglichkeit zu gedenken, dals die Alkohol- fragmente auch noch gleichzeitig gegen Wasserfragmente ausge- tauscht werden konnten.

Wir sind bisher nur auf einen der hier verzeichneten Körper gestofsen, nämlich auf den

vom 31. März 1870. 203

Dimethyläther der Amidocyanursäure. Diese Verbindung bildet sich bei der Einwirkung des Ammoniaks auf den neuen Cyanur- säuremethyläther, allein es ist nicht ganz leicht, sie auf diese Weise rein zu erhalten, in der Regel geht die Reaction weiter und es entsteht ein Gemenge von Substanzen, deren Trennung uns bis jetzt nicht gelungen ist. Die fragliche Verbindung entsteht aber immer in mehr oder minder grofser Menge als Nebenproduct bei der Darstellung des Trimethyleyanurats; es ist dies in der That der schon oben erwähnte, in Äther unlösliche Körper, und da aus- ser den beiden genannten Körpern kein weiteres Product gebildet wird, so ist es leicht, die dimethylirte Amidosäure rein zu er: halten.

Die neue Verbindung krystallisirt aus heifsem Wasser in schö- nen rhombischen Tafeln, geruch- und geschmacklos, erst bei 212° schmelzend. Sie ist in kaltem Wasser viel schwerer löslich, als der cyanursaure Äther; schwer löslich in kaltem, leichter löslich in heifsem Alkohol, fast unlöslich in kaltem Äther.

Die Formel

CH,O CH, N,O, CN, [010 H,N

wurde durch Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Stickstoffbestimmung und überdies durch die Analyse eines in schönen Nadeln krystal- lisirenden Silbersalzes

C,H,N,O,, AgNO,

festgestellt, welches auf Zusatz von Silbernitrat zu der salpeter- sauren Lösung des Amidoäthers und Umkrystallisiren des zunächst gebildeten Niederschlages gewonnen wird.

Bei der Behandlung mit wäfsrigem Ammoniak in zugeschmol- zener Röhre werden dieselben Producte erhalten, welche in dem analogen Processe aus dem Äther entstehen. Sie sind noch nicht untersucht; es ist indessen festgestellt, dafs hierbei, wie dies nicht anders erwartet wurde, Methylalkohol austritt.

Was schliefslich die Bildung des Amidoäthers bei der Einwir- kung des Chlorcyans auf das Natriummethylat anlangt, so entsteht derselbe offenbar in Folge von Spuren Wasser, welche bei dem * Processe kaum ausgeschlossen sind. Das Wasser veranlafst zu- nächst die Bildung von Salzsäure und Cyansäure, welche letztere

204 Gesammtsitzung

in Kohlensäure und Ammoniak zerfällt. Ammoniak und Cyanur- säuremethyläther in condicione nascendi zusammentreffend , liefern Methylalkohol und den Amidoäther.

In der That ist dem in dem Processe ausgeschiedenen Koch- salz eine nicht unerhebliche Menge Cyanat und Carbonat beige- mengt.

Versuche in der Äthylreihe.

Unsere ersten Versuche wurden in dieser Reihe angestellt, und wir haben in ihr eigentlich mehr gearbeitet, als in der Methylgruppe. Wir sind gleichwohl bis jetzt nicht im Stande gewesen, den Cya- nursäuretriäthyläther im reinen Zustande zu erhalten; wir haben dagegen die Äther der beiden Amidosäuren fassen Können.

Was zunächst die Erscheinungen bei der Einwirkung des Chloreyans auf das Natriumäthylat betrifft, so gestalten sich die- selben genau wie bei der analogen Behandlung des Methylats, und wie sie überdies von Hrn. Clo&z beschrieben worden sind. Wir haben indessen öfter schon in erster Instanz einen festen Körper erhalten; meist jedoch bildete sich nur ein Öl, und aus diesem setzten sich dann gewöhnlich nach einiger Zeit Krystalle an, deren Ausbeute in verschiedenen Darstellungen aufserordentlichen Schwan- kungen unterworfen war. Wir glaubten begreiflich zunächst, dafs hier die trimoleculare Modification des Cyanätholins vorliege; allein die Analyse zeigte, dafs diese Krystalle trotz ihrer Schönheit ein Gemenge sind, welches das gesuchte Cyanurat, wenn überhaupt, nur in geringer Menge enthält. ie bestehen, wie vielfache Analysen darthaten, aus einem Gemenge der Äthyläther der beiden Amido- säuren, deren Trennung einige Schmerzen gekostet hat.

Diäthyläther der Amidocyanursäure. Durch Behandlung mit Thierkohle und sehr häufiges Umkrystallisiren einer nicht unbe- trächtlichen Menge der aus dem rohen Cyanätholin abgesetzten Krystalle gelang es, zarte weifse Prismen zu erhalten, welche den Schmelzpunkt 97° zeigten; dieser Schmelzpunkt blieb auch nach mehrfachem Umkrystallisiren aus Wasser unveräudert, ein Verhal- ten, welches die Reinheit der Substanz erschliefsen liefs. Derselbe Körper wird erhalten, wenn das rohe Cyanätholin einige Stunden lang mit wälsrigem Ammoniak in geschlossener Röhre erhitzt wird. Die Digestion darf aber nicht zu lange fortgesetzt werden, weil

vom 31. März 1870. 205

sonst andere Producte, zumal ein in Wasser fast unlöslicher amor- pher Körper, gebildet werden.

Die Analyse der Krystalle, welche auch in Alkohol und selbst in Äther, besonders unter Mitwirkung der Wärme, löslich sind, hat gezeigt, dafs dieselben die dem Amidoäther der Methylreihe entsprechende äthylirte Verbindung sind, also die Zusammen- setzung

C,H,O CGH3N,O,= C,N, ur O 2 besitzen. Die diäthylirte Amidocyanursäure verbindet sich in zwei Verhältnissen mit Silbernitrat. Je nachdem man die in Salpeter- säure gelöste Substanz oder Silbernitrat im Überschufs anwendet, erhält man die Verbindungen:

20,H,N,0,, AgNO, oder C,H,N,O,, AgNO,

Beide Salze krystallisiren in Nadeln. Das letztere kann ohne bemerkenswerthe Zersetzung aus siedendem Wasser umkrystallisirt werden, das erstere zersetzt sich beim Umkrystallisiren, indem es allmählig in das zweite Salz übergeht. | Äthyläther der Diamidocyanursäure. Aus einer Lösung der ' eben beschriebenen, jedoch noch nicht völlig gereinigten Verbindung, welche mit concentrirter Ammoniakflüssigkeit längere Zeit stehen geblieben war, hatten sich weiflse Krystalle abgesetzt, welche zwi- schen 190 und 200° schmolzen und sich in Alkohol weit schwerer lösten. Bei der Analyse (Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Stickstoff- bestimmung) dieser Krystalle wurden Zahlen erhalten, welche sie als den Äthyläther der Diamidocyanursäure, als

C,H,O GN,O= ON] HEN H,N

charakterisiren. Auch diese Verbindung liefert, in Salpetersäure ‚gelöst und mit Silbernitrat versetzt, feine Krystallnadeln, welche jedoch noch nicht analysirt worden sind.

206 Gesammtsitzung

Versuche in der Amylreihe.

Wir haben in dieser Reihe bis jetzt nur qualitativ gearbeitet. Das Product der Einwirkung des Chloreyans auf das Amylcyanat ist ölförmig. Es destillirt bei etwa 200°, wie es scheint, nicht ohne tiefgreifende Zersetzung. Die letzten Destillationsantheile er- starren zu weifsen, seideglänzenden Krystallen, die sich durch Lö- sen und Umkrystallisiren leicht rein erhalten lassen. Wir sind geneigt, diese Substanz für das Amyleyanurat zu halten, allein es liegen bis jetzt keine Zahlen vor, auf welche sich diese Annahme stützt.

Versuche in der Phenylreihe.

Schliefslich möge hier noch eines Versuches gedacht werden, welcher in der Phenylreihe ausgeführt wurde. Chloreyan wirkt auf Natriumphenylat, welches in diesem Falle in absolutem Alko- hol aufgelöst wurde, mit derselben Energie, wie auf die andern Natriumverbindungen. Die von dem ausgeschiedenen Kochsalze abgegossene Flüssigkeit lieferte auf Zusatz von Wasser ein in Was- ser untersinkendes Öl, welches der Destillation unterworfen wurde. Was zunächst überging bestand aus fast reinem Phenol; die Destil- lation wurde unterbrochen, sobald ein Tropfen des Rückstandes zu einer Krystallmasse erstarrte, welche sich in kaltem Alkohol als fast unlöslich erwies. Der Destillationsrückstand wurde alsdann mit Alkohol gemischt und auf einem Filter mit kaltem Alkohol ausgewaschen. Der bereits weils gewordene Krystallbrei wurde alsdann aus einer grofsen Menge siedenden Alkohols umkrystalli- sirt. Beim langsamen Erkalten schieden sich lange feine Nadeln aus, welche in Wasser und Äther fast unlöslich sind, sich aber in Benzol auflösen.

Die Analyse dieser Krystalle führte zu der Formel

C,H,NO.

Aus der Bildungsweise derselben, sowie aus ihrem ganzen Habitus aber schliefsen wir, dafs dieselben die trimoleculare Verbindung, das Phenylceyanurat

(6 C,,H,,N;0; TE C,N; [c

vom 31. März 1870. 207

darstellen, welches der im Anfange dieser Note beschriebenen Me- thylverbindung entspricht.

Der Schmelzpunkt der Krystalle wurde zu 224° gefunden, also wesentlich niedriger, als der der isomeren Verbindung (264°), über welche der Eine von uns') am heutigen Abend der Akademie berichtet hat. Von letzterer, welche man jetzt als Isocyanursäurephe- nyläther ansprechen muls, unterscheidet sich das neue Oyanurat auch ganz unzweideutig, was Krystallform und Verhalten gegen Lösungsmittel anlangt. Ob auch die Phenylverbindung, wie der Methylkörper, durch die Einwirkung der Wärme sich umlagert und in das schon bekannte Cyanurat übergeht, mu/s noch ermittelt werden.

Wir können diese Mittkeilung nicht schliefsen, ohne den HH. R. Bensemann und K. Sarnow für die Bereitwilligkeit zu dan- ken, mit der sie uns bei der Ausführung der beschriebenen Ver- suche haben unterstützen wollen.

Hr. W. Peters las über die Verwandtschaft der Cte- nodactyli mit den Chinchillen und anderen Gruppen der Nager.

Als Resultat einer ausführlichen Untersuchung des Gesammt- baues der eigenthümlichen afrikanischen Nagethiergattungen Oteno- dactylus und Pectinator wurde mitgetheilt, dafs dieselben in allen wesentlichen Theilen von den Dipoda abweichen und hierin mit den Hystriciformes übereinstimmen, theils den Chinchillen, theils den Octodontes oder auch den Echinomyes sich anschliefsen, in ein- zelnen Punkten aber auch eine Hinneigung zu den Murinen zeigen.

1!) Hofmann, Monatsberichte 1870, 197. [1570] 15

208 Gesammtsitzung vom 31. März 1870.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt: Neues Lausitzisches Magazin. 47. Bd. 1. Heft. Görlitz 1870. 8. Vierteljahresschrift der Astronomischen Gesellschaft in Leipzig. 5. Jahrg. 1. Heft. Leipzig 1870. 8. Zur Erinnerung an Wilh. Wackernagel. Basel 1870. 8. Achtundzwanzigster Bericht über das Museum Francisco-Carolinum. Linz 1869. 8. Glasnik. Vol. 8. 9. Belgrad 1869. 8. Almanaque nautico, para 1871. Cadiz 1871. 8. Jahrbücher der Gelehrten Gesellschaft in Krakau. 39. Bd. Krakau 1870. 8. Mit Begleitschreiben d. d. Krakau 20. März 1370. Publications de la societe archeologique. Vol. 24. Luxembourg 1869. 4. Wild’s Repertorium für Meteorologie. 1. Bd. 1. Heft. Petersburg 1869. 4. Ed. de la Barre-Dupareg, Du nombre des tuds dans les batailles. Paris 1870. 8. Mit Schreiben vom 20. März 1870.

Nachtrag.

14. März. Sitzung der physikalisch-mathemati- | schen Klasse.

Hr. Dove las über die Temperaturvertheilung im Winter 18%.

Wenn von vornherein es unwahrscheinlich ist, dafs der Polar- und Äquatorialstrom, welche unsere Witterungsverhältnisse bestim- men, uferlos wie sie sind, je genau in denselben Betten flielsen werden, welche sie einmal früher einnahmen, wenn also die in der jährlichen Periode identisch wiederkehrende Insolation eine nicht identische Atmosphäre vorfindet, auf welche sie wirkt, so darf doch die Hoffnung nicht aufgegeben werden, in dem scheinbar willkühr- lichen Wechsel des Verlaufs jener Ströme annähernd sichere An- haltspunkte zu gewinnen dafür, wie eine bestimmte anomale Tem- peraturvertheilung in die ihr folgende übergeht. Natürlich kann

-bei dem mächtigen Querschnitt dieser Ströme eine derartige Unter--

suchung nur an die gleichzeitige Betrachtung einer grolsen Anzahl von Stationen sich anknüpfen, da das an einer bestimmten Stelle mit einem früheren Vorkommen identisch Erscheinende in weiter Entfernuug von jener Stelle als ein durchaus Ungleichartiges sich herausstellen kann, indem dieselbe Temperatur an jener durch einen ganz anders gerichteten Luftstrom hervorgerufen werden kann. Aufserdem mufs, um zu wilsen, ob eine in einem bestimmten Jahre sich zeigende Aufeinanderfolge der Erscheinungen bereits früher in entsprechender Weise hervortrat, eine vieljährige Beobachtungsreihe vorliegen. Dies bestimmte mich in meinen seit 1838 ununterbro chen fortgesetzten Untersuchungen über die nicht periodischen Ver- 15*

210 Nachtrag.

änderungen der Temperaturvertheilung auf der Oberfläche der Erde die Witterungsgeschichte der Vergangenheit, soweit Beobachtungen vorlagen, numerisch durch Abweichungen von normalen Werthen darzustellen. Ich habe diese Geschichte in dem zweiten Theile mei- ner klimatologischen Beiträge 1869 für monatliche Mittel und in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1869 für fünftägige Mit- tel bis zur Gegenwart fortgesetzt. An dieses so zu einem Ab- schlufs gelangte Material knüpfen sich die nachfolgenden Bemer- kungen über den eben verflossenen Winter 1845-

Dieser Winter war in Deutschland streng. Der Februar in Claussen bei Lyck entsprach der mittlern Wärme dieses Monats in Archangel, Catherinenburg und Orenburg, die Temperatur von Ratibor und Landeck war die von Smolensk. In Bunzlau glaubte man sich nach Moscau versetzt, Breslau war sogar kälter. Königs- berg und Conitz entsprachen Ufa, Tilsit war Novgorod geworden, Berlin hatte eine niedrigere Temperatur als Abo, Schwerin wurde Kiew. Frankfurt a. M. und Friedrichshafen am Bodensee wurden Memel, Trier entsprach Posen, Canstadt bei Stuttgard hatte sich in Bromberg verwandelt, Wiesbaden fürchtete seinen Ruf als deut- sches Montpellier zu verlieren, denn es war kälter als im vieljäh- rigen Mittel das ostpreulsische, kälter als Elbing. Da aber die Kälte erst nach der Mitte Januars beginnt, dessen Anfang unver- hältnifsmäfsig mild war, und nach der Mitte Februars die inten- sive Strenge des Winters gebrochen wurde, dadurch dafs am 21. Februar ein warmer das Barometer stark herabdrückender SW das ganze westliche und mittlere Europa überströmte, so geben die Monatsmittel nur eine annähernde Anschauung der eigentlichen Er- niedrigung unter die normale Wärme. Um diese deutlicher hervor- treten zu lassen, habe ich daher im Folgenden bestimmt, um wie wiel der monatliche Zeitraum vom 21. Januar bis 19. Februar käl- ter war als ihm im Mittel zukommt (Grade Reaumur wie über- haupt).

Claussen bei Lyck —8.01.

Ratibor 7.58, Königsberg —7.45, Bromberg 7.44, Tilsit —7.34, Breslau 7.13.

Zechen —6.85, Conitz —6.76, Landeck —6.70, Posen —6.64, Eichberg —6.35, Ulm —6.32, Memel —6.28, Grüllenburg —6.27, Frankfurt a. d. ©. —6.09, Görlitz —6.01.

Nachtrag. 211

‚Gorisch —5.98, Wermsdorf —5.95, Riesa 5.95, Dresden —95.93, Hela —5.80, Leipzig —5.69, Zittau —5.68, Erfurt —5.61. Regenwalde —5.59, Reizenhain —5.55, Zwickau —5.53, Stet- tin —9.52, Zwenkau —95.49, Gorisch —5.41, Freiberg— 5.39, Heilbronn —5.39, Bautzen —5.35, Elster —5.32, Anna- berg —5.23, Heidenheim —5.17, Cöslin —5.15, Berlin —5.15, Hinrichshagen —5.05, Hechingen —5.09.

Halle —4.99, Darmstadt —4.98, Rehefeld —4.94, Schopfloch

in —4.90, Sondershausen —4.90, Friedrichshafen —4.88, Heiligenstadt —4.85, Wien —4.85, Hannover —4.68, Göt- tingen —4.62, Mühlhausen —4.60, Hohenzollern —4.59, Hinterhermsdorf —4.58, Frankfurt a. M. —4.50, Issny —4.48, Calw —4.40, Kreuznach —4.39, Freudenstadt —4.33, Oberwiesenthal —4.31, Schwerin 4.20, Güters- lIoh —4.19, Boppard —4.08, Lüneburg —4.07, Kirche Wang —4.07.

Putbus —3.99, Schönberg —3.88, Birkenfeld —3.87, Rostock 3.82, Löningen —3.75, Lübeck 3.73, Stuttgard —3.70, Clausthal 3.66, Oldenburg 3.64, Olsberg —3.58, Wu- strow 3.55, Otterndorf —3.50, Trier —3.50, Cöln —3.44, Lingen —3.42, Orefeld 3.56, Eutin —3.34, Cleve —3.22, Münster —3.19, Emden 3.19, Brüssel —3.16, Jever

—3.13. Paris 2.41. Rom —1.74.

Lissabon —0.65.

Auf dem Plateau der masurischen Seeen fehlten also jedem Tage einen Monat lang 8 Grad. Das ist viel für ein ohnehin nicht begünstigtes Land. |

Klarer natürlich tritt die eigentliche Vertheilung in der Ab- weichung der fünftägigen Mittel von ihrem normalen Werthe her- vor. »ie ist die folgende. Die „Unterschied“ überschriebene Co- lumne bezeichnet, um wie viel der Wärmeüberschufls am 6—.10 Januar die Erniedrigung von 5—9 Februar übertrifft. Beide ex- treme Abweichungen sind durch den Druck hervorgehoben.

212 Nachtrag. I Lau az

25er 11-15 1620 | 21-25 | 26-30

ii I al

Memel 9.429 19.5.16 3,66 | —0.87 | —0.90 | —4.49 Tilsit 2.89 | 5.54 3.57 | —0.99 | —1.93 | —6.45 Claussen N Al) 2.96 | —0.30 | —1.74 | —8.21 Königsberg 2.92) Dal 3.47 | —0.42 | —1.44 | —5.59 Hela 172), Sa Gt 0.62 | —0.56 | —2.81 Conitz 1.99 41° 9209 3.31 | —0.60 | —1.76 | —2.24 Bromberg 1.40 | 5.43 3.67 0.34 | —1.80 | —3.83 Posen 2.20 | 5.60 3.65 0.60 | —1.95 | —2.25 Zechen 1581 1129 3.43 0.55 | —2.10 | —2.76 Breslau 2.292.,.9.89 3.29 0.31 | 3.02 | —3.84 Ratibor 31210 9.47 3.14 1.22 | —1.80 | —6.74 Landeck 3140| 9.67 23.05 | —0.20 | —3.49 | —5.33 Eichberg 1.261.059 a 0,31 | —3.65 | —4.64 Wang 4.89 | 5.89 1.95 | —0.69 | —4.35 | 4.24 Görlitz 2.95 | 5.26 2.90 0.00 | —3.29 | —3.17 Zittau 2.12 | 4.68 3.0720-0.14..10-2.96 |. 2,49 Hinterhermsdorf 1.510) (4.098 9.64. | 1,52 | 2,81 | 2.04 Bautzen 25040 9.00 2.94.17 0.70 306. 23.32 Dresden 0:93 | 4.86 2,80 | —0.54 | —3.58 | —3.51 Grüllenburg 4.21 | 5.48 er | ei | de Freiberg 4.13 | 4.39 222 | —1.32 | 401 43.172 Rehfeld 2.50 | 5.17 2.55 |! —1.03 | —3.70 | —3.20 Reizenhain 3.79 | 5.48 275 | —1.16 1, —4.25 | 8.85 Annaberg 4.76 | 4.79 1.98 | —1.45 | —4.74 | 4.00 Oberwiesenthal 5212 72:00 0.87 | —1.12 | —4.22 | —3.12 Elster 1.6700 4.95 2.90 0.16 | —3.08 | —3.90 Zwickau 4a 0.06 a re | Chemnitz Sec dd 3,01 | —0.26 | 83.44 | —3.15 Wermsdorf 3.62 | 5.06 2,73 1 0.31 | —3.58 | 3.30 Riesa 2.441 A.dl 355} -—-1.04 | —3.32 | 2.86 Gorisch 2.46 | 5.62 3.23 0.58 | 2.89] > 3.19 Torgau 2.901 9.92 3 0.64 | —2.75 | —2.51 Leipzig Dazanı 9.09 3.10 0.12 | —3.35 | —2.76 Zwenkau 4.111. 9.08 3.44 0.06 | —3.45 | —2.93 Halle 3.58 | 5.88 3.58 0.46 | —2.91 | —1.89 Erfurt 4.99 | 6.45 3,73 | —0.06 | —3.42 | —3.18

Sondershausen 3.74, 6.17 3.85 | —0.09 | —3.50 | —1.82

Nachtrag. 215

Februar

Unterschied 31—4 | 5 | 10-14 | 15-19 | 20-4 | 25—1 eo Da 9.235 0.6071 21.08 1.40 17.69 10.990 - 14.57, 9.53, 2.183 0.51 1.48 19.91 oa 39 7.8 he 37a = 0.87 1.66 21.10 lo 1.37.1010 301: 0.89 1.67 19.74 Tan ee ee 13.31 9,0 | | ae eo ee 1.10 19.67 ae JADE 852 4.070 51.67 1.43 20.85 9.62 | =14.98 | 8.33..|. 3.23 || 1.46 1474 20.58 a FE En 1.50 20.81 9.03 |—16.04 | 8.87 | —3.62 —1.39 1.20 21.93 Boa 11.301: 7ATa oz. 1.604: 31.37 22.83 = 6620| 50.15.|25 6.4681 3.199) > 1,54 1.79 22.82 2.65 | =12.66 | = 9.070 -3.010 1 —1.05 2.33 20.01 082 50.92. 6.105} 73.685, 9,39 4.31 11.81 100 193.65, 9.02 .—3.29, | 1.69 1.60 18.91 278, 9:19 | 2.3.64, 1,°2.9052 1.92 17.46 ns 925,852 | =3.25..1..-2.60 0.78 13.78 73071 - Il 926 | —4a15 | 1.28 0.47 1A 4.48 | —10.32| 9.24 | —447 | —2.09 lt 15.18 4.13 |— 10.11 | —10.24| —-5.38 | —2.35 1.21 15.72 2.716 |— 7398| 9.16| —4.74 | —2.66 1.19 13.55 4.14 |— 9.44| -- 6.356 | —2.31 99 0.56 14.61 = zaaaı 10H, = 6.82°10—-3.42° 9,50 0.61 15.99 2.72 |— 8.49| 7.35 | —4.07 —2.93 1.00 13.28 0.05. |-- 179.39 I 6.917107 2.6701 2,88 1.97 14.80 4011 ,9.52 == 7.615 5—3.83: | 2,51 1.01 14.47 3.62 |— 8.90|— 8.32 | —4.82 | —2.41 1.92 14.96 | 262 I|— 7.84 |— 7390| —415 | —2.38 1.50 15.03 1 = 23.22 |-11.36| 925 | —5.00.| —1.97 1.40 16.42 | 4.39 | —11.64 | 9.06 | —4.46 | —2.54 1.15 "16.35 | 195, 719.09,. 0 919. 465.1 224.87 3.24 17.71 ri eo Ag 38 1.79 0.71 17.34 092.93 | 11.49 | 8.95 | —4.66 | —2.13 1.10 16.58 Ez.0o% —- ao a1) 489] —1.77 1.26 15.24 E2.21 1—10.61|— 8.30 °|-—-4.00: | ı—1.87 1.93 15.99 E62 10.261.845] 4.76] 11.84 1.94 16.71

Es 9.8E er 7.885, |: —4.19 | 7 —1.99 | 16.05

214 Nachtrag.

N

Lau wär

RW. 11-15 16-20 |21—2 26-30 DEE BEER, EOHIEEREEN EHER RES) BEER DERREREGEEE BE

Mühlhausen 6.61 —13.82 | —1.83 Heiligenstadt 5.81 —3.92 | —3.09 Wernigerode 3.98 —5.07 | —2.55 Clausthal | 4.04 | 202 Göttingen LO 3.91 | —3.28 Copenhagen 4.65 20,70 1.26 Cöslin | —0.93 | —0.65 Regenwalde 5. —1.09 | —0.36 Stettin 4.35 1.41 | —0.19 Putbus Aal let 0.64 Wustrow 4.29 a) 0.78 Rostock 4.89 38 0.54 Schwerin 5.58 --2.17 | —0.22 Hinrichshagen 5.48 2.03 | —0.35 Berlin 5.76 —2.35 | —0.94 Frankfurt 5.95 —12345 | —1.74 Schönberg 5:00 12.82 | —0.88 Lübeck 4.93 2.00 0.92 Eutin 5.43 —1.63 | —0.37 Kiel 5.00 4,61 0.32 Neumünster 5237 902 ot Altona 5.92 —2.07 | —0.34 Otterndorf 5.47 —1.61 | —0.16 Lüneburg 5.60 12.49 | —0.45 Hannover 5.58 —3.60 | —1.84 Oldenburg 5.14 —1.98 | —1.45 Jever 4.49 —1.33 | —0.75 Emden 4.24 —1.32 | —1.25 Lingen 4.53 —2.65 | —1.79 Löningen 4.79 —12.56 | —2.11 Münster 5.06 9,88 ,| 2.41 Gütersloh 4.86 —3.83 | —3.62 Olsberg 5.49 ea), 308 Cleve 4.39 —2.93 | —2.13 Crefeld 4.93 —3.02 | —2.04 Cöln 4.98 era ilsrnl Boppard 5.49 2.34 | —3.85

Nachtrag. 215

Februar

314 | eg | 10-14 | 15-19 | 20-24 | a | ntereenied =945 1.,9.201—7.99 6m 143 1.15 15.81 —094 | 9.20) —7.91 = 2.0701 21.67 2.18 15.01 125 |— 6.13 | —8.53 | —4.27 | —2.52 2.92 12.84 —0.79 |— 8.20| —7.46 41000 2 175 0.99 13.90 el. 1.508 | 3.20. 43,46 10.15 ll 3.38) —1.52 0.81 17.32 12.932 7 811 23.38. 20.71 1.01 18.05 —12.65 | —8.26 3.0 10% 1.07 17.00 10.390552 3.037, —1.45).8. 20.42 14.70 ee 3.47: | .—1.86 0.40 14.20 —10.31| —4.96 —3.58- |: —1.49 1.12 15.20 —10.26 | —5.99 | —3.90 | —1.67 1.08 15.79 = m04 7.00 —3.85£. | -—-1.75 1.52 17.52 039, 7.5 Ay 145 1.25 18.11 ao 375 be er 156 1.07 19.82 u) 440 3.47% 9 21,84 1.57 15.05 Ba ent a le 0.96 14.42 oA AT 3312 1.59 1.13 13.88 71.82 | —5.57 | —3.42 | —1.47 0.95 12.82 _ ZynA Nr 5.81 —3.79 | —2.06 1.48 15.12 9.95| —5.03 —3.69 | —1.81 0.88 15.87 —8.99,| 557 3.1 299 1.79 14.40 = AR 7.08 394, 11.63 2.47 15.07 = 107,0 7.69 3.82 = 176 2.26 15.68 u el ul a 177 13.98 27.9017 9.01 la 2.33 12.39 2069 75.72 —3.37 2 jeor 1.18 11.93 1.03| —6.43 3980| 1.68 2.28 11.21 8.37| —6.31 159 2.23 13.16 5.20 | —6.50 | —3.11 | —1.72 2.79 12.16 6.18 | —7.24 | —3.88 = ng5 2.32 12.10 4.96 | —7.16 | —3.33 | —1.64 2.78 13.08 4.30 | —6.89 | —3.82 | —1.91 3.09 11.29 4.67 | —6.68 | —4.29 | —1.68 3.27 11.61 5.18 | —6.23 | —4.07 | —2.47 1.48 11.21

5er 705,346. | —=N97 1.81 12.54

216 Nachtrag.

Te

aa war

je, 310 1-1 16—20 | 21—25 | 26—30 ee nn ne nn Trier 4.05 | 5.41 2.55 0.56 | 2.95 3.16 Brüssel 3.79, 179.40 2.28 0.13 | —3.18 | —2.97 Birkenfeld ey a: | 0.54 | —3.33 | —3.30 Kreuznach 0.30 | 5.60 2.97 0.93 ı —2.85 | —3.90 Frankfurt a. M. 1.48:,+9:06 2.02 0.50 | —2.86 | —3.50 Darmstadt 2.50 | 4.63 2.10 0.20 | —3.84 | —4.24 Heilbronn 0.65 | 4.36 3.02 0.57 | —3.60 | —5.66 Stuttgard 2.59 | 5.32 3.30 0.49 | —3.54 | —1.42 Hechingen 3.141081 98.19 1 —0.28 | —5.03 | —6.51 Hohenzollern 5.04 | 4.25 1.16 178 Ne In1g N 08 Calw 1.67 | 4.24 2.90 1.28 | —4.89 | —6.69 Freudenstadt 4.26 5.04 2.43 1.2056 | 5.00] —6ri6 Ulm 0.01 1,,3.80 9.41 | —o.11 | —4.28 | —6.82 Heidenheim BB 2.89 0.96 | —3.13 | —4.47 Schopfloch 4.20 | 4.30 2.00 | —-0.92 | —5.95 | —5.26 Issny 2.98 | 4.95 2.00 | —0.17 | —6.51 | —5.98 Wien 1.712 03:08 2.62 1.02 | —1.35 | —4.34 Friedrichshafen —0.41 2.67 2,57 | —0.17 | —4.45 598 Rom 6A 1.92 11.83 | 21.32 at —6.04 Lissabon 072,210 0.72 | —0.39 | —9.68| —3.28

Durch Oberschlesien sind also innerhalb eines einzigen Mo- nats 22 Isothermen von R. hindurchgegangen , durch Cöln nur, 11.

Aus der Tafel geht entschieden hervor:

1) dafs die Abkühlung auf dem Beobachtungsgebiet am stärksten an der Ostgrenze von Deutschland ist und nach West hin erheblich abnimmt,

2) dafs die Meeresnähe (Hela, Wustrow) sie abstumpft,

3) dafs sie auf den hochgelegenen Stationen (Kirche Wang an der Schneekoppe) bedeutend geringer ist, was ich früher schon vielfach nachgewiesen habe,

Nachtrag. 217

wmebruwatr

Unterschied

31—4 | 5-9 | 10 | 1519 9024 | 35—1 —0.06 - 4.88 | —6.91 | —3.74 | —2.58 1.93 12.32

DD 054, 849, = 6.12 | 3:90 13.89 —0.75 a 2 een. 319 29 1.35 11.93 = 9.08 a [DE ae) oe a: 1.27 12.65 909 |. n2la) —1D88.| 3.838 | 2.05 1.66 12.44 oma SAN 270 9383| DAT 1.78 12.47 ne N ee ee ee 1.59 12.83 oe ln. 96 9 1.45 —N99 3.29 12.28 > el ar 3.69 13.57 = eos 12-104.56 11 -0.81 | 72.66..|, 2:73 3.89 10.85 = 2.0509, 0159| 113% 1.64 0.89 10.39 eo 2599, :6.5851.29 091° 2,68 9,436 172..14.62 en ey 702 1.-.2:09 |, 1.6 0.40 13.38 A 03500) 6.03.02 1.32 1,153 | --025 12.53 oT Ba Tin zes | 2970 1.89 12.18 9,1028 ,..-545 | omB@r rolle | 2910 11.83 O2 | VE ne a ne 13.54 280210282, 6.192 | = 1.39 | 2.167 070.19 9.49 OMA 1.98 0.75 2460 0.72 8.50

0.10 1207 1.08 0.76 1.33 5.01

4) dafs sie im westlichen Europa (Westphalen, Rhein, Belgien) später eintritt als im östlichen, dafs hingegen Süddeutschland sich an Osteuropa anschliefst. Das Fortrücken der Kälte erfolgt also von NO nach SW.

Auch in den absoluten Extremen spricht sich, natürlich mit Berücksichtigung der geographischen Breite, das aus, was aus den Abweichungen hervorgeht. Die folgende Tafel enthält die mir bis jetzt zugegangenen gröfsten Kältegrade (R), welche mit Ausnahme von Spanien, Südfrankreich und Italien, wo sie Ende Januar ein- tritt, auf den Februar fällt.

218 Nachtrag.

Elverum in Norwegen —31.2.

Haparanda 29.4.

Hochwald in Mähren —28.2, Czernowitz 28.0, Dobrzechow in Galizien —28.0.

Teschen 27.9.

Claussen bei Lyck 26.8.

Hermanstadt in Siebenbürgen —25.1, Moscau —25.0, Helsing- fors 25.0.

Lemberg 24.4, Poronin —24.4, Landeck in Schlesien —24.0, Conitz 24.0, Petersburg —24.0.

Ratibor 23.7, Königsberg —23.2, Krakau 23.2.

Eichberg bei Hirschberg —22.9, Riga —22.3, Tilsit —22.2, Tröpolach in Kärnthen 22.0.

Bromberg 21.6, Klagenfurt —21.4, Upsala —21.2, Memel 21.0. |

Breslau —20.7, Altenfurt —20.5, Lauenburg in Pommern —20.5, Seeshaupt am Starenberger See 20.0.

Bunzlau —19.8, Vinkovee —19.7, Zechen bei Bojanowo —19, Posen 19.4, Obir —19.0.

Cöslin —18.8, Mägdesprung —18.8, Dovre in Norwegen —18.8, Görlitz —18.5, Grube Meiseberg —18.2, Harzigerode —18.0.

Regenwalde 17.6, Ischl —17.6, Debreezin —17.4, Christiania 17.4, Stettin —17.4, Promenhof in Böhmen —17.3, Kirche Wang —17.0.

Hinrichshagen in Mecklenburg —16.9, Frankfurt a. O. —16.8, Grofsbreitenbach —16.6, Rohrbrunn im Spessart 16.6, Duschberg im bayerischen Wald —16.5, München —16.2,

. Wien —16.0, Wustrow —16.0, Hela 16.0, Sandösund 16.0.

Berlin —15.8, Erfurt —15.6, Szegedin —15.2, Schopfloch —15.2, Ebrach im Steigerwald —15.0, Torgau 15.0, Biberach 15.0.

Putbus —14.8, Halle —14.8, Clausthal 14.8, Heiligenstadt 14.6, Sonderhausen 14.6, Mühlhausen 14.6, Heiden- heim —14.5, Marnitz —14.5, Rostock 14.0.

Agram —13.7, Bludenz —13.6, Johanniskreuz in Pfälzerwald —— 13.6, Tromsö 13.6, Schwerin 13.5, Neumünster 13.9, Hannover —13.4, Fulda —13.4, Vardö —13.3, Caleves

Nachtrag. 219

—13.2, le Puy —13.2, Altona —13.1, Marburg —13.0, Olsberg —13.0, Lüneburg 13.0, Lübeck 13.0. Löningen —12.7, Göttingen —12.7, Benoile Veaux —12.6, Lingen —12.5, Emden —12.5, Ulm —12.5, Cassel —12.4, Oldesloe —12.3, Gram —12.3, Arnsberg —12.2, Schön- berg in Mecklenburg —12.2, Birkenfeld —12.1, Altmor- chen —12.0, Oldenburg —12.0, Aschaffenburg —12.0, Frankfurt a. M. —12.0, Hohenzollern —12.0, Segeberg 12.0, Neustadt a. d. Ostsee —12.0, Husum 12.0.

Hamburg —11.9, Issny —11.7, Hechingen —11.6, Abtei Laach —11.6, Mergentheim —11.5, Hanau —11.5, Mandal in Norwegen —11.5, Wilhelmshafen —11.3, Cleve —11.2, Otterndorf —11.2, Darmstadt —11.2, Foix —11.2, Mün- ster —11.0, Heilbronn —11.0, Copenhagen —11.0, Brönö —11.0. |

Freudenstadt 10.8, Canstadt —10.7, Jever 10.7, Bodö —10.6, Leirdal —10.6, Hearth Content in Neufundland —10.6, Bourg —10.6, Meldorf —10.5, Tondern —10.5, Brüssel 10.5, Lille —10.4, Crefeld —10.4, Calw 10.3, Güters- loh —10.2, Metz —10.2, Trier 10.0, Stuttgard —10.0, Friedrichshafeu 10.0, Verdun —10.0, Weser-Leuchtthurm —10.0, Appenrade —10.0, Hadersleben —10.0.

Wiesbaden —9.8, Cappeln —9.8, Woltersmühle —9.7, Hohen- heim —9.6, Ichtrazheim —9.6, Chatillon —9.6, Flensburg 9,9, Boppard —9.4, Cöln —9.4, Paris —9.0, Rodez 9.0.

Kreuznach —8.9, Versailles —8.8, Soissons —8.8, Aubervilliers —8.8, Ronen —8.7, Corne —8.6, Poitiers —8.3, Vendome 8.2, Montargis —8.1, St. Maur —8.1, Blois —8.0, Aosta —8.0.

Cap Grinez —7.7, Bergen —7.6, Nantes 7.2, Tours —7.0.

Skudesnes —6.7, Christiansund —6.6, Subiaco —6.6, Montpel- lier —6.5, Isle d’Aix —6.2, Mailand —6.0, Florenz —6.0.

Lesina —5.9, Bozen —5.9, Constantinopel —5.9, Ferrara —5.9, Fecamp —5.8, Lavallade —5.6, Madrid —5.4, Smeaton —9.4, Bezieres —5.2, Lorient —5.0, Aalesund —5.0, Florö —5.0.

Pola —4.8, Eallabus —4.7, Stonyhurst —4.2, Beyrie —4.0,

Rom —3.8, Tivoli —3.8, Biariz —3.6, St. Matthieu —3.5.

220 Nachtrag.

Durazzo —2.9, Marseille 2.7, Civitavecchia —2.6, Murcia 2,6, Larressore —2.0.

Santiago —1.9, Cannes —1.6, Ancona —1.0, Sieie 0.8. Bag- dad O0.

le Grognon 0, Perpignan 0.2, Athen 0.9.

Neapel 1.6, Palermo 1.6, Lissabon 1.4.

Ponta Delgada (Azoren) 6.0.

Zur Vervollständigung des Bildes fehlen noch die Beobach- tungen der Systeme von Niederland, England, Schottland, Schwe- den, Rufsland, Österreich, Schweiz, Italien, Spanien und Nordame- rika, deren ausnahmsweise frühe Veröffentlichung äufserst wün- schenswerth wäre, ehe das Interesse für das eben Erlebte sich ver- wischt.

Die nach West hin stets abnehmende Abkühlung deutet schon darauf hin, wo wir den compensirenden warmen Strom zu suchen haben, dies ist in Amerika. „Juni im Januar“ ist die Überschrift eines am‘ 927. Januar: in. der New York Evening Post erschienenen Artikels. „Heute“, heifst es in demselben, „ist ein Maitag, oder richtiger zu sagen ein J unitag. Die Witterung ist die auffallend- ste seit vielen Jahren erlebte. Südliche Winde haben in einer in dieser Jahreszeit unerhörten Weise geherrscht. Wenn es stürmt, haben wir Regen statt Schnee, jeder Sturm schlols mit Wärme, der Boden ist frei von Frost wie sonst im Mai. Auf Lond Island stehen Blumen in voller Blüthe, die Knospen der Bäume sind fast im Aufbrechen. Bleibt das Wetter so, so wird man Erbsen auf den Markt bringen zu der Zeit, wo man sie sonst säet.“

Der Januar von New York war 3019 zu warm, die 'Tempe- ratur des Februar durch den im letzten Drittel des Monats eintre- tenden Polarstrom erniedrigt nahe normal, die Abweichung nämlich __0993. Die westliche Grenze des Äquatorialstroms, welcher den innern und atlantischen Staaten von Nordamerika diese warme und feuchte Witterung brachte, schreibt mir Dr. Blake aus San Fran- cisco, fiel in das Thal des Missisippi, denn in Californien herrschte vom Oktober bis zum Februar ein Polarstrom, der nach Westen hin wiederum von einem Äquaterialstrom begrenzt war, denn alle nach San Francisco kommende Schiffscapitäne berichteten, dafs sie besonders im December unfern der Küste auf dem stillen Ozean mit schwerem Wetter bei starkem SWwinden zu kämpfen gehabt

Nachtrag. 221

hätten. Erst am 7. Februar (zu derselben Zeit also, wo im öst- lichen Deutschland die Kälte ihre gröfste Intensität und das Baro- meter eine enorme Höhe erreichte), kündigte sich der Äquatorial- strom an, der am 9ten die Grundfläche der Atmosphäre berührte, nachdem er schon etwas früher in der 8000 Fufs hohen Virginia City sich gezeigt hatte. Am 21ten Februar traf die Ostseite des von den Küsten Californiens verdrängten Polarstromes die ameri- kanischen Küsten des atlantischen Ozeans, (an demselben Tage also, an welchem Europa von dem Äquatorialstrom überfluthet wurde, der am 21ten das Barometer zu einem erheblichen Minimum erniedrigend, schliefslich am 28. die Temperatur auf unsern ganzen Be- obachtungsgebiete so erhöhte, dafs, freilich vorübergehend, überall Frühlingswärme an die Stelle der eisigen Winterkälte trat.) Ich glaube wohl hier die Bemerkung hinzufügen zu dürfen, dafs die in dem Abschnitt „Stürme durch seitliche Einwirkung entgegengesetz- ter Ströme auf einander“ (Gesetz der Stürme 3. Aufl. p. 222—312) . geltend gemachten Ansichten in diesem Beispiel eine Bestätigung finden, wie sie entscheidender nicht verlangt werden kann.

Ich habe in frühern Abhandlungen durch Berechnung der ther- mischen Abweichungen (Abh. der Berl. Akad. 1858 p. 423) nach- gewiesen, dafs ein am nördlichen Ural beginnender Polarstrom, durch die Drehung der Erde bei seinem Fortschreiten eine nord- östliche Richtung annehmend, in sein Abkühlungsgebiet auch die Südspitzen Europas aufnimmt und dies in dem 1864 erschienenen Atlas der Monats- und Jahresisothermen in der Polarprojection durch den Entwurf der Isametralen z. B. für Januar 1850 veran- schaulicht. Fällt der Ursprung desselben hingegen an die nörd- lichen Ufer der Ostsee, wie z. B. 1814 in die Gegend von Peters- burg, so trifft diese Kälte vorzugsweise Frankreich und England, während die Linie normaler Temperatur nach Oberitalien fällt, so dafs Italien selbst nicht in das Kältegebiet aufgenommen ist. Ver- ändert sich nun der Strom in der Weise, dafs der erste Fall in den zweiten übergeht, d. h. breitet sich der Polarstrom schon an seinem Ursprunge seitlich nach Westen aus, indem dem durch die Verdichtung der intensiv kalten Luft gesteigerten Seitendruck die durch Wärme aufgelockerte Luft des westlich daneben fliefsenden Äquatorialstromes nur einen geringen Widerstand entgegenzustellen vermag, so wird die sich über Europa verbreitende Kälte zuerst im südöstlichen Europa auftreten, dann im mittleren und endlich

222 Nachtrag.

auch in das nordwestliche übergreifen. Dies war nun der Fall in dem eben verflossenen Winter. Der erste Einbruch des Polarstro- mes rief im Confliet mit südlichen Winden besonders in den öster- reichischen Gebirgen ungeheure allen Verkehr hemmende Schnee- fälle hervor, welche im December Kärnthen unter eine 3 bis 4 Fufs hohe Schneedecke begruben. Durch diesen Schneewall (analog der auf den Eisfeldern des Polarmeers von Scoresby beobachteten Er scheinung), gegen das Eindringen warmer feuchter Luft geschützt, erreichte die nördlich davon gelagerte wenig bewegte Luft einen auffallenden Grad der Trockenheit, so dafs bei vollkommen heite- rem Himmel die Ausstrahlung erheblich sich steigerte und dadurch besonders die Wärme der untern Luftschichten entschieden herab- drückte. Da in dieser Zeit über England nach Norwegen hinauf der Äquatorialstrom noch herrschte, trat in Ostpreufsen die Kälte Mitte Januar mit schwachem SOwinde ein, indem die ohnehin im Januar, wie ich gezeigt habe, im Mittel im nördlichen Deutschland nicht von Ost nach West, sondern von Nord nach Süd laufenden Isothermen aus den angegebenen Gründen Anfang Januar sogar nach Ost hin geneigte Scheitel erhielten. Auf diese Weise erklärt sich, dafs das barometrische Maximum in Ost- und Westpreulfsen, Pommern, Mecklenburg, Dänemark, der Mark, Schlesien, Galizien, Österreich, Sachsen bis Kassel hin auf den 6ten Januar, den Tag der gröfsten Kälte, fällt, und in Tilsit so bedeutend wird, dafs der Druck der Atmosphäre den mittleren um einen ganzen Zoll über- trifft, während hingegen in Oberitalien, Südfrankreich, Spanien, Schwaben, Hessen, der Rheinpfalz, von Boppard bis zum Boden- see der höchste Druck schon am lten eintritt. Die lange Dauer der Kälte erklärt sich aber dadurch, dafs im Süden ein Stausturm den Abflufs verhindert. Secchi berichtet im Februarheft des Bul- letino, dafs in Subiaco am 13ten Februar ein die Wärme der Luft auf 14°4 erhöhender Südost wüthend einbrach, der mit einem die ganze Küste von Ligurien treffenden rothen Staubfall verbunden war, in Subiaco und Rom von wenig Regen, in Piemont von starkem Schneefall begleitet. Als eine Wirkung des Aufstauens könnte es angesehen werden, dafs das barometrische Maximum am Nieder- rhein zwischen dem 10ten und 12ten eintritt, in Brüssel am 11ten Abends, auch in England und Norwegen auf den löten und l4ten fällt. Da aber am Rhein nicht das fünftägige Mittel vom 5-—9Iten Februar das niedrigste ist, sondern das vom l0ten zum 14ten.

Nachtrag. 223

Da die niedrigste Wärme auch in Belgien und England auf den l2ten Februar fällt, so kann das Hervortreten des barometrischen Maximums- unmittelbar auf eine thermische Ursache zurückgeführt werden. Erst am 21sten Februar gelang es dem Äquatorialstrom den Polarstrom überall zu verdrängen. Von Memel bis Palermo, Athen und Constantinopel ist dies der Tag des niedrigsten Baro- meterstandes, ein Tag, an welchem in Alexandria der Chamsin die Schattenwärme über 26° erhob, während im mittleren Europa erst der 28te der wärmste Tag ist, an welchem in Ratibor das Thermometer 33 Grad höher steht als am 6ten.

In dem vorliegenden Beispiel finden also, wie es überhaupt

immer der Fall ist, die Bewegungen des Barometers ihre einfache Erläuterung, wenn mit dem Stande desselben die gleichzeitige Ver- theilung der Wärme und Feuchtigkeit in Untersuchung gezogen wird, aufserdem die Richtung beachtet, in welcher die bewegte "Luft fortschreitet. Zusammenstellungen gleichzeitiger Barometer- Stände an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche ohne diese Be- rücksichtigung, wie sie auch jetzt noch publieirt werden, sind voll- kommen ungeeignet, meteorologische Fragen zu erledigen.

Da seit dem kalten Februar 1865 erst fünf Jahre verflossen sind, so ist die Erinnerung an denselben noch nicht verwischt, und es wurde daher oft in den Gesprächen über den diesjährigen stren- gen Winter an ihn erinnert, während des furchtbaren Nachwinters von 1845 nicht mehr gedacht wurde. Dies würde gewils gesche- hen sein, wenn Hr. Wolfers seine Vergleichung der Temperaturen von Berlin in spätern Jahrgängen mit frühern auf 1870 ausgedehnt hätte. Die Übereinstimmung, die ich für Januar und Februar in Beziehung auf Abnahme und Zunahme der Temperatur zwischen 1570 und 1865 fand, veranlafsten mich die der Akademie gemach- ten Mittheilungen nicht unmittelbar zu veröffentlichen, da ich zu wissen wünschte, ob dieser Parallelismus sich auch auf den März ausdehnen würde. Die folgende Tafel zeigt, dafs das wirklich der Fall ist, obgleich das Material für diesen Monat noch erheblichere Ergänzungen bedarf als das für den Februar bereits vorliegende. Im Jahr 1865 fällt im Januar die höchste Wärme etwas später als 1870, das wärmste fünftägige Mittel ist nämlich 1865 das vom llten bis 15ten, 1870 hingegen vom 6ten bis lOten, die tiefste Erniedrigung fällt aber in beiden Jahren übereinstimmend zwischen den öten und Iten Februar. Für das nordöstliche Deutschland

[1870] 16

294

fällt die gröfsere Temper zwischen dem 12ten und 16ten, Ilten, aber dieser Nachw ein zweites Kältemaximunı

Nachtrag.

aturerniedrigung im März des Jahres 1570

1865 zwischen dem 17ten und

auf den Zeitraum vom 97ten bis 3lten März.

hindureh sich erhaltender Parallelismus des tur ist so überraschend, dafs man sich zu der

fühlt, ob sie noch längere Zeit erhalten wird.

Zukunft entscheiden.

| 25 | ist | 1

dub ud a a nn

Memel 1.85 'Filsit 1.72 Claussen 1.53 Königsberg 1.60 Hela —0.16 Conitz 0.50 Cöslin 7, Regenwalde 1.60 Stettin 1.44 Putbus 0.51 Wustrow 0.48 Rostock 0.69 Schwerin 0.89 Schöneberg 0.95 Kiel 1.01 Neumünster 119 Altona 100) 86) Lübeck 1.05 Eutin 1.48 Otterndorf 1.41 Lüneburg 1.59 Berlin 1.61 Frankfurt a. d. ©. 1.77 Posen 2.26 Bromberg 2.00 Ratibor 2.30 Zechen 1.69 Breslau 2.05 Landeck 2.35 Eiehberg. 2.19

—1.53 3.18 —3.34 9,83 192 80 —_ 2,26 29.38 leg E90 —1.30 1.38 ae! 1.47 1.05 195 —1,09 17 —0.91 2.0.75 —0.65 180 a) 1 220 Ar —3.09 34 2,84 2.95

1.48 —3.61 3.54 —3.97 —1.35 3.91 —4.11 —4.32 3.27 3.09 2.40 2.24 2.03 1.87 2.32 2.86 —2.30 2.32 —}.89 1.91 —2.18 —2.01 3.11 —3.08 —4.57 2.91 —4.50 3.47 3.93 —4.,38

—4.51 —4.38 5.97 —4.28 —1.19 -—4.2)9 2.62 2.66 2.71 2.21 —1.25 —1.95 —1.51 —1.10 —1.38 —1.50 1.30 —1.07 —1.40 —0.76 —0.09 1.65 2.33 2.44 3.79 3.99 3.46 —3.08 —2.85 1.94

1.02 —1.13 —1.81 —0.62 1.90 1.73 1.40 —0.90 1.23 —0.83 —0.88 —1.16 —1.51 —1.17 —1.23

—1.57

—-2.06 —1.18 —1.43 —0.93 —0.85 —1.17 -——1.59 —1.07 —1.61 —1.50 —1.67 —1.81 2.35 2.08

inter erreicht im westlichen Deutschland und dies fällt sowohl 1865 als 1870 Ein drei Monate Ganges der Tempera- Frage veranlalst Darüber mufs die Die Abweichungen im März 1870 sind:

2—16 | ei | 32—26 | 9-31

a a

1.03

0.57

0.92 0.22 1.42 —0.58 —1.34 —0.28 —1.67 1.83 92.06 2.37 2.55 2.29 —1.91 2.28 3.17 2.57 2.01 —1.82 —1.21 1.74 1.82 —1.01

0.66

—1.81 —1.65 2.08 2.51 2.50

Nachtrag. 295

2—6 | 7] | 13—16 | el | 22—26 | 27—31

Görlitz 22021 23:072| 3.590 92 Hrszp | o1on | 729.76 Wang 302 oa Bolgal E21.694 | 1.9100. 2.69 Torgau 3 en ee N RT Halle oo os 0.874, 2.05 0958 Erfurt Ma 9:07. . 247.1. 0.29% | —-2.50 | 23:00 Mühlhausen 1731-036 | 2.07 0.49: ı 1.72 | 2.40 Heiligenstadt 2.251 —1.06 | —2.28 | —0.10 | —2.31 3.04 “Clausthal Da or, oa 005 DAS 3097 Hannover 731, 081), 150 osE als 2008 Oldenburg 2.39 | —0.92 | —1.17 | —0.03 | —1.84 —2.81 Jever ah DET 0:60 10,29. 133 1 909 Emden 27311090. 01.04 DB elle 22008 Lingen 1.80, 105°. 149 0385. -1.95 |. 3.02 Löningen 1.89 | —0.79 | —1.26 836 1.80 | os Münster 2260, 0As 1098 1031 | 2.15 [72099 Gütersloh 2.251 —0.83 | —1.75 0.62 | —2.44 —3.09 Olsberg 2608 1.00 1.1.78 1.024 988. 0339 Cleve 2.36 .—0.63 | 2.13 AD 2.29 |, 23.07 Crefeld DU 0:6 1 1.710 2.090 9.098 998 Cöln 2.68 | —0.62 | 2.82 0601 | 204 0,8 Boppard ae re 05%: 21.99. 2950 Trier 2.81 0.78 | 2.45 3 Bo bi, De EL 6 a 2 Frankfurt a. M. 0.61 | —2.59 | —3.21 | —3:04 | —2.48 | —2.08 Darmstadt 1.33 —1.72 | —2.54 0:09, | —3.08- | 3.23 Hechingen 2.711 —0.88 | —2.98 | —0.04 | —3.15 | —2.40 Hohenzollern 2.45 | —2.22 | —3.44 | —0.73 | —3.83 36 Stuttgart 156 oT Do 0.086 | > 3.10. 20280 Heilbronn 0.00 | —1.56 | 3.25 —0.62 —3.36 —.2.98 Freudenstadt 250) 1.1920 3:30 o.ls) | 3a 9 Calw 0:90, —- 0.09 1. 9:94 a een . Ulm 0.09 | —1.33 | —3.17 | —0.79 | —3.93 | —-3.79 Schopfloch 2.30 | —-1.55 | —3.48 | —0.50 | —4.39. | 3.57 Heidenheim —0.14 | —0.89 | —4.56 | —0.37 | —3.88 | —3.10 Issny 2,50, 20.97.2 3.42 17 0.46) | 3.75 | 000 Friedrichshafen os 1.752 354 || 0.95: | —A.1Z | 4,60

Die Vergleichung der extremen Abweichungen in 1870 und 1865 enthält die folgende Tafel:

16*

226

Nachtrag.

Memel Tilsit Claussen Königsberg Hela Conitz Bromberg Posen Zechen Breslau Ratibor Landeck Eichberg Wang Görlitz Zittau

Hinterhermsdorf

Bautzen Dresden Grüllenburg Freiberg Rehefeld Reizenhain Annaberg Oberwiesenthal Elster Zwickau Chemnitz Wermsdorf Riesa

Torgau Leipzig Zwenkau Halle

Erfurt Sondershausen Mühlhausen Heiligenstadt

Januar

6—10

5.16 5.54 5.79 5.37 3.25 5.09 5.43 5.60 5.29 5.89 5.47 5.67 7.35 5.89 5.26 4.68 4.53 5.00 4.86 5.48 4.39 5.17 5.48 4.79 5.21 4.95 6.06 7.13 5.06

ee

5.92 5.09 5.68 5.88 6.45 6.17 6.61 5.81

|

1370

Februar

5—)9

12.53

14.37 |

15.39 —-14.37 10.06 14.58 15.42 14.98 15.52 16.04 17.36 17.15 12.66 6.92 —13.65 12.78 9.25 9.71 10.32 10.24 9.16 9.44 10.51 8.49 9.59 9.92 8.90 2.90 11.36 11.64 11.42 11.49 9.56 10.61 10.26 9.88 9.20 9.20

März

Januar

1865 Februar

9—)9

8.69 ı 9.90 9.68 9.33 7.19 9.07 8.99 8.27 7.81 9.46 10.19 8.56 7.86 6.29 8.47 9.19 7.71 9.07 8.93 9.69 8.95 8.40 8.79 8.24 7.07 9.02 10.08 9.13 8.44 9.46 8.49 9.87 9.78 9.62

10.20 —10.33 10.85 10.16

März 17-26 Dar ol

—o

9.80 —6.99 6.94 —6.47 —4.20 —6.18 —9.61 4.80 —4.67 —).92 —6.29 —6.85 —6.41 -—6.82 —9.71 —6.79 7.61 --9.69 —-5.68 —6.61 —6.12 17.48 7.08 —6.67 —6.94 —1.39 1.36

IE

—9.66 —5.26 —4.87 09 —9.91 el 0 —6.69 7.45 —6.49

Nachtrag. 927

1870 1865

Januar | Februar | März Januar | Februar | März

610 | 59 a 1-15 So Wernigerode 4.92 4.54 | —9.71 | —6.58 Clausthal a a) 3.30. | 8.11 Re 657 Göttingen 5.70) | 8.20 4.09 | —9.68 | —6.08 Cöslin Je eoan tr 5.15: 9.070 ss Regenwalde 5.11 | 12.94 —4.32 4.56 —8.51 —5.28 Stettin 435 area 77 4.46) | —8.06:| 4496 Putbus 4311 | 10.39,083.09 3.52 | 5.972 0200058 Wustrow 299) 9917 240 3.84.| 6.08 | 4096 Rostock 2891 103100937 4931 6.07, 2979 Schwerin 5.53 | -10.26| 2.55 427 |. —8.15 | 4.68 Hinrichshagen 5.48 |—12.04| —3.25 4.79 | —8.27 | —4.77 Berlin Be 12350901 463 | - 799, es Frankfurt a. d. O. ar een 4.93 | —8.26 | —4.90 Schönberg oz Sa 2209 A ars Lübeck A | 20a Ta rn Eutin Baal 8.45. 2.01 4.18, 1:06.98, 1702 103 Kiel 5200. ,7.80, 939 og Form Te Neumünster >31 | DNA 2.86 a == Sn Altona 5.92 |— 9.95 | —3.17 a EEE Ötterndorf 5.47 | 8.93| —1.82 2 ae ee Lüneburg 5.60 | 9.47| —1.21 ha ee Hannover 5.58. | 10.10 | 2.62 2.52 EI.46 —6.04 Oldenburg 5.14 | 8.54 | —2.81 4.27 | —8.42 | —4.47 Jever 4.49 | 7.90 | —2.29 3.90 —7.09 —4.05 Emden 4.94 | —.7.69| 2,68 3.65 | —6.81 | —4.32 Lingen 4.83 | 7.03 | —3.02 A142 | 3.33.10 05200 Löningen ie I ee) 38.96 | —8.46 | —5.04 Münster 5.06 |— 6.50 | —2.40 4.05.0820. 549 Gütersloh 4.86 | 7.24| —3,09 DS re Olsberg 5.92 |— 7.16 | 3.32 3.49, We lo Cleve 4.40 | 6.89 | —3.07 | Crefeld 4.93 | 6.68 | —2.94 Sa Nee Cöln 4.98 | 6.23 | 2.58 3.73, 0226.74, 5.98 Boppard 5.49 | 7.05 | —2.50 352, GA 535 Trier Da eo oo oa Birkenfeld erlen 340° 711 509

Kreuznach 5.60 | 7.05 2,99 | —6.90 | —5.33

228 Nachtrag.

ar

1870 1865

Januar | Februar | März Januar | Februar | März

e-ı0| 5-9 |, | nı-ı5| 5-9 , Frankfurt a. M. 5.06 | 7.38 | —3.21 2.85 | —7.93 | —5.70 Darmstadt 4.63 |— 7.84 | —3.23 2.70 | —8.21 | —6.31 Heilbronn 4.36 | 8.47 | —3.36 215 | —7.96 | —6.43 Stuttgard 5.32 | 6.96| —3.12 2.58 | —743 | —6.27 Hechingen 5.87 | 7.70) —3.15 3.46 | —8.29 | —6.18 Hohenzollern 5.04 | 6.81| —3.83 3.80 | —8.76 | —6.95 Calw 4.24. |— 6.15 | —3.50 2.15 | —6.91 | —5.32 Freudenstadt 5.04 |— 6.58 | —3.30 3.65 | —6.83 | —5.82 Ulm 3.80 |— 9.58| —3.93 2.01 | —7.36 | —6.37 Heidenheim 3.93 |— 83.60 | —5.00 3.17 | —6.21 | —5.82 Schopfloeh 4,30 | 7.88 | —4.39 3.80 | —8.48 | —6.89 Issny 4.95 |— 6.88 | —4.42 3.27 | —8.53 | —95.55 Wien 3.08 | —-10.76 | —0.85 4,59 | —7.84 | —5.62 Friedrichshafen 2.67 |— 6.82 | —4.54 3.53 | —-723 | —6.37.

Die mitgetheilten Zahlen zeigen, dafs die Kälte im Februar zwar im südlichen und westlichen Deutschland 1865 und 1870 nahe gleich war, dafs die Intensität derselben aber im östlichen im Jahr 1870 eine viel bedeutende war als 1865. Umgekehrt war die Abkühlung Ende März 1865 viel erheblicher als 1870. Der Mai 1865 war ungewöhnlich warm mit‘ starkem Rückschlag im | Juni. Wird 1870 dem entsprechen? Das wenigstens zeigt sich, dafs nach den Stürmen der letzten Jahre die Atmosphäre zu frü- heren Zuständen zurückzukehren vermochte.

Durch fünftägige Mittel können die gleichzeitigen Wärme- erscheinungeu in Amerika für 1865 nicht dargestellt werden. Ich füge daher in der folgenden Tafel nur die Abweichungen der mo- natlichen hinzu. Die neben den Namen stehende Zahl bezeich- net, aus wie viel Stationen der einzelnen Staaten die Werthe er- halten wurden. Der vollständige Gegensatz dieser Abweichungen zu dem der 200 europäischen Stationen, deren Abweichungen ich (Klimatologische Beiträge p. 194—200) mitgetheilt habe, bestätigt von Neuem die übereinstimmenden Erscheinungen der Jahre 1865 und 1870.

Nachtrag. 229

Januar Februar März Maine 5 —0.90 0.67 | 2.04 New Hampshire 4 —0.90 0.58 2.53 Vermont 4 —0.76 —0.58 4.46 Massachusets 12 —0.45 0.71 2.93 Connecticut 4 —1.73 0.80 2.31 New York 18 —0.84 0.18 2.84 New Jersey 4 —0.27 0.09 2.98 -Pennsylvanien 19 —0.09 —0.71 2.76 Marylaud 5 —0.27 —0.04 2.76 Ohio 19 —1.96 0.18 2.58 Michigan 7 0.0 1.91 2.76 Indiana 4 —1.29 1.47 2.62 Illinois 13 —0.36 2.18 0.40 Wisconsin 13 —2.80 3.07 0.58 Jowa 8 0.04 2.40 —0.80

Im Februar treten bereits in den innern Staaten hohe positive Differenzen hervor, wo in den atlantischen Staaten die Temperatur noch fast normal ist. So wie im März die Abweichungen in die- sen bedeutend werden, sind sie unbedeutend in den innern. Ganz dasselbe zeigte sich im Jahr 1845. Wir glauben daher den Satz aussprechen zu dürfen:

Anomale in Europa hervortretende Kälte be- wegt sich im Allgemeinen von Ost nach West also von Europa nach Amerika hinüber, wäh- rend die darauf folgende anomale Wärme in ‚entgegengesetzter Richtung dann sich von West nach Ost fortpflanzt.

Für 1845 mögen folgende Bemerkungen genügen, da die Ab- weichungen der Monatsmittel Februar und März (Klimatologische Beiträge Il. p. 255—255) gegeben sind.

Das Jahr 1845 ist eins der ausgezeichnetsten durch die bis

in das Spätfrühjahr andauernde Kälte. Am 1. März waren in Nord-Deutschland alle Eisenbahnen in Schnee vergraben, so dafs

230 | Nachtrag.

überall Militär aufgeboten wurde, um sie frei zu machen. In der zweiten Hälfte des Februar waren in Bessarabien, Volhynien und Podolien grofse Schneestürme, ebenso in Ungarn und Siebenbürgen ungeheure Massen Schnee gefallen. Auf dem St. Gotthard soll der Schnee im März 30 Fuls tief gewesen sein. In Augsburg fro- ren am 10. Februar die Wasserwerke bei —22° R. ein;' am 14. war der Rhein bei Mannheim völlig zugefroren, in gleicher Weise der Untersee des Bodensee. Diese Kälte verbreitete sich dann auch nach Scandinavien, wo ‘vorher milde Witterung geherrscht hatte. Der Sund war seit dem 23. Februar zugefroren, ebenso der grofse Belt. In Christiania stand am 20. Februar das Thermo- " meter —94° B., in Metz 15.0, in! Lyon 14.4, m Paris —9.4, am 10Oten —12° in Brüssel. Um diese Zeit war strenger Winter in Algerien, es fielen dort grofse Schneemassen; ebenso in Marocco, so dafs die dortige Küste und die gegenüberliegende spanische mit Schnee bedeckt waren. Am 8. März stellte sich das Eis des Rhei- nes von Neuem, ja am 12. März schneite es bei Montpellier und noch Mitte Mai in den Vogesen und dem Schwarzwald. Bei Frag war die Moldau 114 Tage mit Eis bedeckt, am längsten seitdem man Beobachtungen besitzt, da die mittlere Dauer nur 66.4 Tage beträgt. Die mittlere Dicke des Eises betrug an der Prager Brücke 19.8 Zoll, an den Pfeilern 21.9. Bei so lang anhaltender Kälte verspätete sich daher die Vegetation auffallend. Das Schneeglöck- chen blühte am Spirdingsee in Ost-Preufsen, 30 Tage später als gewöhnlich, in Brüssel 31 Tage, die Verspätung war also gleich an so entfernten Orten, obgleich dort die Blüthe auf den 14. April fiel, hier auf den 25. März.

Auf der 15. Tafel des Atlas habe ich für den Februar und für den März die Isametralen entworfen. Im Februar fällt die kälteste Stelle in die Gegend von Wilna. Die nördliche Grenze des kalten Stromes läfst sich nur erreichen, wo er, bisher ganz Europa umfassend, sich auf dem Meere nach Süden herabsenkt und durch den nördlichsten Küstensaum von Schottland geht. Im März ist die kälteste Stelle mehr nach Westen gerückt. Sie bildet eine Berlin mit Warschau verbindende Linie. Der Strom ist aber zugleich schmaler geworden. Seine Nordgrenze ist bis in die Mitte von Lappland herabgekommen, während die südliche Grenze von der Mitte Spaniens durch die von Sardinien hindurchgeht und

Nachtrag. 231

| Griechenland unter sich läfst, endlich von der Krimm aus schnell | in der Richtung von SW nach NO hinaufläuft.

* Die Karten deuten, da sie nur Europa umfassen, den daneben fliefsenden warmen Strom nur an, der in Amerika zur vollen Herr- schaft gelangt.

Die grölste Abkühlung im Februar 1845 ist das fünftägige Mittel vom 10ten bis l4ten. Sie war in Archangel —9.74, Petersburg —8.50, Mitau —9.84, Arys —9.98, Breslau —9.09, Stettin —7.38, Berlin 8.31, Leipzig —7.öl, Jena —8.50, Arnstadt —-10.27, Aschersleben —7.14, Brocken —7.10, Braunschweig &.8,87, Gü- tersloh 8.20, Peissenberg —9.50, Genf —6.38, Moscau —5.60, Brüssel 7.91, Paris —6.79, London —4.41, Dublin —2.18, die im März das Mittel vom 12. bis 16. Sie warin Archangel 10.11, Petershurg —10.39, Mitau —10.62, Arys —12.92, Breslau —9.49, Stettin —10.34, Sülz —12.09, Berlin —11.20, Leipzig —10.33, Jena —9.75, Aschersleben —10.20, Arnstadt —9.85, Brocken 8.27, Braunschweig —9.91, Gütersloh —10.97, Moscau —6.68, Brüssel 8.79, Paris —7.47, London 7.19, Dublin —5.59, wo- gegen 1865 und 1870 erheblich zurücktreten, obgleich die Zeit des Eintritts dieselbe, da der Überschufs der Wärme im Januar im westlichen Europa auch auf denselben Zeitraum 6.—10. Jan. fällt. Er ist in Petersburg 7.33, Archangel 7.34 (vom 11.—15), Mitau 4.97, Arys 5.39, Stettin 4.14, Berlin 4.70, Breslau 4.61, Leipzig 9.97, Jena 4.10, Breslau 4.61, Aschersleben 5.10, Brocken 7.46, Braunschweig 4.03, Gütersloh 3.16, Brüssel 3.03, Paris 1.65, Lon- don 3.04, (beide 11—15,) Dublin 2.71.

Die hier mitgetheilten Ergebnisse zeigen, dafs wir dem Ver- ständnifs der nicht-periodischen Veränderungen einen Schritt näher getreten sind.

Die Übereinstimmung, welche wir in den Temperatureurven des Januar und Februar des Jahres 1865 und 1870 fanden, führt natürlich schliefslich zu der Frage, wie sie sich vorbereitet, oder mit andern Worten, wo wir annehmen dürfen, dafs sie beginnt. Es ist oben schon angedeutet worden, dafs der ungewöhnlichen | Milde der ersten Hälfte des Januar eine zeitweise das südliche | Deutschland vorzugsweise umfassende Kälte, welche zu enormen

232 Nachtrag.

Schneefällen Veranlassung gab, vorherging. Die Abweichung des fünftägigen Mittels vom 27. bis 31. Decenber ist nämlich, wenn wir von Ostpreufsen nach dem Bodensee gehen, folgende:

Memel —0.66, Tilsit —4.02, Claussen —3.70, Königs- berg —3.46, Hela —3.15, Cöslin —2.92, Regenwalde 2.86, Stettin 3.04, Conitz —2.98, Bromberg —3.91, Posen —1.99, Zechen —2.16, Breslau —0.98, Ratibor 1.04, Landeck —0.08, Eichberg —1.56, Wang —0.92, Görlitz —1.04, Frankfurt —3.71, Berlin —3.42, Torgau 2.67, Halle —3.55, Langensalza —4.18,' Erfurt —3.85, Gotha 3.24, Mühlhausen —4.31, Sondershausen —4.41, Heiligenstadt —2.86, Wernigerode —3.25, Clausthal 3.24, Göttingen —3.31.

Hinrichshagen —3.13, Putbus 2.13, Wustrow —2.28, Rostock —3.15, Schwerin —3.12, Schönberg 2.76, Lü- beck 2.41, Eutin —2.26, Kiel —2.37, Neumünster —2.75, Altona 2.60, Otterndorf —2.79, Lüneburg —3.38, Han- nover —2.92, Oldenburg —2.45, Jever —1.93, Emden —2.51, Lingen —2.50, Löningen —2.46, Münster 2.15, Gütersloh —3.09, Olsberg —2.43, Cleve —2.95, Crefeld 3.73, Cöln —3.16, Boppard —3.66, Trier —3.98, Bir- kenfeld —5.51, Kreuznach —5.53, Frankfurt —4.52, Darm- stadt —5.19, Calw —8.05, Heilbronn 9.35, Stuttgard —6.07, Freudenstadt —5.09, Hechingen —6.94, Hohen- zollern —6.28, Schopfloch —5.62, Issny —5.12, Frie- drichshafen —5.09, Ulm 7.75, Heidenheim —8.17.

Die Zunahme der Abkühlung von NO nach SW hin tritt evi- dent hervor. Sie erstreckt sich auf das südliche Europa. Da hier

die normalen mittleren Werthe fehlen, so mögen die absoluten Ex-

treme die Stelle der Abweichung vertreten. Die früher mitgetheil-

ten bezogen sich auf Januar und Februar 1870. Die des Decem-

bers 1869 sind, wie aus der Vergleichung mit jenen hervorgeht,

an vielen südlichen Stationen die bedeutendsten des ganzen Win- ters. Diese Extreme sind (R.):

le Puy —15.0, Aosta —11.2, Caleves 10.8, Foix

—-9.9, Ichtratzheim —9.4, Doulevant —).5, Auxerre —9.2,

Rodez —8.8, Metz —8.3, Beauficel —8.2, Soissons —8.0,

Pavia —8.0, Fecamp 7.9, Montargis 7.6, Turin —1.3,

Nachtrag. 233

Chatillon —7.2, Poitiers —7.2, Verdun —7.1, Lugano 7.0, Ferrara —7.0, Mantua —7.0, Padua 7.0, Mon- culieri —6.4, Reggio (Emilia) —6.8, Biella —6.7, Mont- pellier —6.6, Sacra di S. Michele —6.5, Guastalla —6.4. Beyrie —6.2, Cremona —6.2, Mondovi —6.0, Rouen —6.0, Cosne —5.9, Modena —5.9, Marseille —5.8, Mai- land —5.8, la Charite —5.8, Lavallade —5.6, Casale —5.6, Monferato —5.6, St. Matthieu —5.4, Blois —5.4, Alessandria —5.4, Pinerolo —5.3, Aquila —5.3, Brescia —5.2, Nantes —5.2, Tours —5.0, Tarbes —4.8, Cannes —4.8, Lorient 4.5, Bezieres —4.4, Perpignan —4.0, Biariz —3.6, Siena —3.4, Isle d’Aix —3.3, Bologna —3.1, Murcia —3.0, Camerino —3.0, Perugia —2.9, Ferrara 2.8, Santiago 2.8, Forli —2.3, Urbino —2.2, Chiog- gia —2.2, Florenz —1.6, Livorno —1.5, Venedig —1.2, Genua —0.4, Rom —0.2, Chieti 0.2, Jesi 0.2, Velletri 0.8, Neapel 1.4, Catanzaro 3.4, Catania 4.2, Palermo 4.7.

Im südlichen Deutschland war dieser starken Abkühlung eine sehr hohe Temperatur vorhergegangen, so dafs das Mittel vom 17ten bis 2l1ten December an manchen Orten 11 bis 13 Grade höher ist als das vom 27ten bis 3lten. Es ist nun interreesant, dafs im December 1864 ebenfalls der Wärme zu Anfang des Ja- nuar eine auf das letzte Drittheil des Decembers fallende starke Kälte vorhergeht, aber das Maximum derselben fällt auf den 22ten bis 26ten und ist sehr intensiv in Schlesien. Hier verliert sich also der Parallelismus beider Jahre, denn in Süddeutschland fehlt auch die auf den 17ten bis 2l1ten December hervortretende hohe Temperatur.

Den entschiedensten Gegensatz zu Europa bildet auch im De- cember 1869 Amerika. In South Trenton in New York wird die Luft zu Weihnachten balsamisch mild genannt, in Zuny Station in Virginien pflückte man am Neujahrstage blühende Rosen im Freieu. Diese nach früherer Kälte eingetretene Milde umfalste die nörd- lichen Staaten, denn in Steuben, Lisbon, Norway in Maine ver- schwand der Schnee am 3lsten. Von Buffalo schrieb man, die Luft sei frühlingsmäfsig. In den innern Staaten trat diese Wärme so plötzlich ein, dafs in West Bend in Jowa das auf —20.9 her- abgesunkene Thermometer sich 3°6 über den Frostpunkt erhob,

234 Nachtrag.

während man in Monroe City die letzten Tage des December als verspäteten Indianersommer bezeichnete.

Am 2ten und dten Januar strich hingegen ein äulserst hefti- ger Schneesturm über Neu-England, über die innern Staaten, die südlichen diesseits des Alleghanies, und westlich über die Seeen nach Michigan hin. In Lunenburg in Massachusets war er zuerst NW, dann SO, zuletzt SW, in Newark in New Jersey SO. S. SW, welches auf eine Cyelon deuten würde, wenn er nicht in Buf- falo wüthende SWGale genannt und in Massachusets überall als Gale bezeichnet wurde. Dies macht es wahrscheinlich, dafs. es ein heftiger aber von dem herrschenden Äquatorialstrom zurückge- wiesener Angriff des Polarstromes war. Diefs gilt entschieden von dem vom l4ten bis l5ten Januar einbrechenden und am 17ten auf grofse Strecken als heftiger Gewittersturm auftretendem Winde. Die plötzlich hervortretende enorme Abkühlung von knrzem Be- stand ist ein Beleg dafür. Ein Nordwind, heifst es von Leyden N. Y., brachte die Wärme auf —20.4, bevor er aber New York erreichte, wo die Temperatur —”7.1, warf ihn der Südwind zurück und steigerte die Temperatur in 48 Stunden um 24° R. In North Hammond N. Y. stieg vom l4ten zum löten die Wärme von 20.4 auf 6.2 in 20 Stunden. Das vorhergehende Fallen war ebenso rasch. In Peoria in Illinois fiel am 16ten bei dem Gewit- tersturm das Thermometer 20° R. in 10 Stunden, in Wartensburg Mo. stand am l5ten Mittags das Thermometer 14°2, Abends 9 Uhr 16.0, also 30° Abkühlung in 9 Stunden, in West Union 2 m 10 Stunden. In Winnebago in Illinois fiel es in 9 Stunden 1975, in Peoria 20° in derselben Zeit, in Guttenberg in Jowa 21.7 in 81 Stunden, in Leavenworth (Kansas) fiel es am 16ten 23° in 8 Stun- den, in Le Roy am 17ten in 10 Stunden von 9.8 auf —10.7, in Couneil Grove sank die Temperatur 11° in 3 Minuten, als der heftige Südwind in einen Nordwiud sich verwandelte. Aufser die- sem kalten Nordsturm wird der Monat überall als „pleasant“ be- zeichnet. Einige Beispiele mögen genügen, welche den Gegensatz zu dem warmen Anfang des Januars in Europa und der Abkühlung in der zweiten Hälfte deutlich hervortreten lassen. Die vor dem Namen des Staates stehende Zahl bezeichnet die höchste in dem- selben beobachtete Wärme.

Nachtrag. 235

10.7 Maine. Houlton: eisig bis zum 2ödsten, Steuben: Schnee ver- schwindet am 16ten, Flüsse und Buchten eisfrei am ölsten, West Waterville: Monat mild und feucht, 3031 wärmer als im sechsjährigen Mittel, Gardiner: Monat 9.05 wärmer als 34j.M., Norway: warm open January, Cornishville: 3°89 wärmer als 41j. M.

10.2 New Hampshire. Gofstown Center: warm und feucht, Frost aus dem Boden am 3lsten.

8.9 Vermont. Graftsbury: warmer Januar, Schnee endet in Re- gen, East Bethel: seit vielen Jahren am wärmsten, Mid- dlebury: wärmster Januar in 16 Jahren, Panton: Veil- chen im Garten am 4ten.

14.7 Massachusets. Kingston: kein Frost im Boden den ganzen Monat, Topsfield: oft wie im April, Georgetown: Crocus blühte an sonnigen Stellen, die Bäche offen den ganzen Monat, West Newton: Löwenzahn und Stiefmütterchen blühen am 27sten, Lunenburg: mildester Januar seit 1851, Worcester: Weidengebüsch in Blüthe am 28sten.

11.6 Connecticut. Middletown: Flüsse eisfrei den ganzen Mo- nat, Rothkehlchen am 23sten.

16.0 New York. Palermo: 1863 ausgenommen der wärmste Ja- nuar in 17 Jahren, Depawille: 2222 über dem sechs- zeitigen Mittel.

16.0 New Jersey. Newark: Aufser 1858 seit 26 Jahren am wärmsten, 3°2 über dem Mittel, Moorestown: wärmster hier bekannter Januar, Frösche am 17ten, Löwenzahn blüht am 25sten, Rio Grande: Frühlingsmorgen, die Vögel singen am 26sten, Haddonfield: Löwenzahn am l6ten, Veilchen am 23sten, gelber Jasmin am 26sten.

14.7 Pensylvanien. Nyces: sehr mild, Rothkehlchen und Krähen am 27sten, Dyberry: 4°44 über dem fünfjährigen Mit- tel, Falsington: Delaware eisfrei am 26sten, Philadel- phia: der wärmste Januar in 13 Jahren, 3°89 zu warm, Germantown: Spirea belaubt, Löwenzahn und Jasmin blühen am 27sten, Factoryville: Flüsse offen, überall Gewitter am 17ten, ebenso in

21.5 Virginien. Johnsontown: Pfirsich blühten am 31sten, Hamp- ton: babylonische Weide voll belaubt am 31sten, nicht eine Schneeflocke den ganzen Monat, Zuni Station: Ahorn (Acer rubrum) blüht, Wiesen grün, ist dies Win- ter?, Piedmont Station: Vögel singen am 12ten, der Zaunkönig ist hier geblieben, blue birds am 16ten, Lynehburg: Kartoffeln gepflanzt, die am l4ten gesäten Erbsen keimen am 24ten.

236 Nachtrag.

20.4. Süd-Carolina. Anderson: Erle blüht am 1Sten, Gowdeys- ville: warm und schön vom 12ten zum ölsten, Klee und Weizen steht schön.

23.1 Florida. Pilatka: warm vom 6ten bis 3lsten, Orangen, Pfirsiche und Pflaumen blühen.

19.6 Louisiana. New Orleans: Erdbeeren blühen vom 12ten bis Ilten, Sommertage vom 24ten bis 3lsten, aber die Nächte kühl.

17.8 Tennessee. Austin: prachtvolles Wetter nach dem Gewit- tersturm am 17ten, Trenton: warmer feuchter Winter.

15.1 Ohio. Viel Regen und Schnee. -

14.2 Kentucky. Dasselbe.

9.8 Jowa. Waterlow: mildester Winter seit vielen Jahren, Lo- gan: dasselbe.

8.0 Michigan. Litchfield: Monat mild aber 1°9 kälter als 1869, Northport: kein Eis in der Bay.

16.0 Hllinois. Aurora: Monat mild, den Sturm am 16ten ausge- nommen.

6.2 Wisconsin. Baraboo: mildester hier bekannter Winter.

16.0 Kansas. Couneil Grove: aufser dem schnellen Fall am 16ten und 17ten der Monat angenehm.

7.1 Utah. Harrisburg: erste Hälfte des Monats kälter als seit 9 Jahren.

90.4 Californien. Chico: seit dem l6ten growing weather, Wat- sonville: mehr Frost und weniger Regen als gewöhnlich, Vacaville: Dürre in Süd-Californien gefürchtet.

83.4 Montana Territory. Dear Lodge City: der wärmste hier bekannte Januar.

14.2 Washington Territory. Walla-Walla: Frost am 25sten aus dem Boden, Butterblume blüht am 29 sten.

Der Übergang von den Ostküsten zu den Westküsten tritt, wie er von Dr. Blake geschildert wurde, also deutlich hervor. Welcher Gegensatz der Vereinigten Staaten zu dem Zurückbleiben der Vegetation in Europa, und zu dem nur durch kurze Zwischen- räume der Wärme nicht enden wollenden Winter.

nnd

In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuerdings folgende akademische Abhandlungen aus dem Jahrgang 1869 er- schienen:

EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikroskopi- schen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko. Preis: 1 Thlr. 15 Sgr.

Lersivs, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen und einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie. Preis: 15 Sgr. Rorn, Beiträge zur Petrographie der plutonischen Gesteine. Preis: 3 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf.

MAcnus, Über Emission, Absorption und Reflexion der bei niederer Tem- peratur ausgestrahlten Wärmearten. Preis: 15 Sgr.

Buschmann, Grammatik der sonorischen Sprachen: vorzüglich der Tarahu-

mara, Tepeguana, Cora und Cahita; als IX. Abschnitt der Spuren der aztekischen Sprache. 2. Ahth. der Artikel, das Substantivum und Adjectivum.

Preis: 3 Thlr. 15 Sgr.

Rorn, Über den Serpentin.

Preis: 14 Sgr.

Hagen, Über die Bewegung des Wassers in cylindrischen, nahe horizonta- len Leitungen, und über die Bewegung des Wassers in vertikal abwärts gerichteten Röhren.

Preis: 12 Sgr.

Zur Nachricht.

ji In den Abhandlungen der Akademie sind in den Jahrgängen 1852, 1853, 1862, 1864 keine Mathematischen Klassen enthalten.

MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

April 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr Kummer.

7. April. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. C. Rammelsberg las über die Stellung des Thal- lıiums in der Reihe der Elemente.

Unter den in neuester Zeit entdeckten Elementen nimmt kei- nes das Interesse so vielfach in Anspruch als das Thallium. Nie- mand wird einen Augenblick zweifelhaft sein, dafs Rubidium und Cäsium sich in jeder Beziehung dem Kalium anreihen, dafs dem Jndium ein Platz in der Nähe des Zinks gebührt. Aber wohin gehört das Thallium? Seine physikalischen Eigenschaften, sein Verhalten zum Chlor, Brom, Jod, zum Schwefel u. s. w. stellen es zu den schweren Metallen, in die Nähe des Bleis. Die leichte Löslichkeit seines Oxyds und Hydroxyds und die stark alkalischen, ja ätzenden Eigenschaften des letzteren stempeln es im Gegentheil zu einem wahren Alkalimetall, und die Isomorphie seiner Salze mit denen des Kaliums (Ammoniums, Natriums) ist ein weiterer Grund, das Thallium zur Gruppe des Kaliums zu rechnen.

So zahlreich die bisher bekannt gewordenen Thatsachen sind, welche die Thalliumverbindungen betreffen, so bleibt doch noch manche Lücke auszufüllen; es sind, wie mir scheint, besonders jene eigenthümlichen Verbindungen noch genauer zu studiren, wel- che den höheren Oxyden des Thalliums angehören. Das Nachfol- gende ist nur ein kleiner Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe, welche in der Seltenheit des Materials ihre Schwierigkeiten hat.

[1870] 17

238 ü Gesammtsitzung

Im Anschlufs an frühere Arbeiten habe ich mich bemüht, die Jodate und Perjodate des Thalliums darzustellen, und werde die erhaltenen Resultate hier kurz angeben. Dabei sei bemerkt, dafs das Atomgewicht Tl = 204 angenommen, d.h. dafs das Thallium als einwerthig betrachtet ist. Allein aufser dem Oxyd TI’O giebt es ein braunes Sesquioxyd, T1?O°, ein entsprechendes Tri- oder Hexachlorid (TICI? FICI°), und selbst eine Reihe von Oxy- salzen, deren Molekül 2 At. Thallium (Fl) enthält, die daher Di- thalliumsalze genannt sind. In diesen Verbindungen ist die Gruppe Tl sechswerthig, gleich Al, Fe, Mn, er.

Jodsaures Thallıum.

Thalliumjodat entsteht, wenn eine Auflösung von Thallium- hydroxyd mit Jodsäure versetzt wird. Es fällt in Form eines weifsen Pulvers nieder. Auch aus Thalliumsalzen und einem lös- lichen Jodat ist es leicht zu erhalten. Sein Ansehen verräth keine erkennbare krystallinische Natur; in Wasser ist es kaun, in Sal- petersäure schwer löslich. Bei 150° ist es noch unverändert, und enthält überhaupt kein Wasser. Die Analyse bestätigte die For- mel T1JO°.

berechnet gefunden TI = 53,82 T R ee 87.33 87,35 3.07.°12,067

100

Bei stärkerem Erhitzen schmilzt es zu einer braunen Flüssigkeit, entwickelt Sauerstoff und Jod, und liefert ein reichliches Sublimat von Thalliumjodid. Hierbei werden Glasgefäfse dureh die gleich- zeitige Bildung des Oxyds TI’O stark angegriffen.

Dithalliumjodat entsteht, wenn frischgefälltes braunes Thal- liumsesquioxyd mit einer Auflösung von Jodsäure erwärmt wird. Dabei löst sich keine Spur Thallium in der Säure auf, das braune Oxyd aber verwandelt sich in ein bräunlichgraues schweres kry- stallinisches Salz, welches durch Wasser nicht verändert wird und selbst in Salpetersäure schwer löslich ist. Es giebt sich als ein - Dithalliumsalz dadurch zu erkennen, dafs seine salpetersaure Auf- lösung von Alkalien braun gefällt wird, oder dadurch, dafs es bei |

vom 7. April 1870. 239

der Behandlung mit Kalilauge unter Abscheidung des braunen Oxyds eine thalliumfreie Auflösung giebt.

Bei der Schwierigkeit der direkten Thalliioinbestirkntnig darf es nicht befremden, wenn die Analyse solcher Salze etwas zu wün- schen übrig läfst. Im vorliegenden 'Fall war jedoch mit Sicherheit festzustellen, dafs 3 At. Jod auf 1 At. Thallium kommen, so dafs für das Dithalliumjodat die Formel

T1J6018 + 3agq ‚gerechtfertigt erscheint.

Berechnet gefunden Tl = 27,00 27,3 6J 50,40 48,6 180 19,03 sad RT. 100. Oder 2T1J 45,78 43,57.

Beim Erhitzen giebt es Wasser, schmilzt und verhält sich im Übrigen ungefähr so wie das zuvor beschriebene Salz.

Überjodsaures Thallium.

Thalliumperjodat. Durch Sättigung einer Auflösung von Thalliumhydroxyd durch reine Überjodsäure entsteht ein weilser Niederschlag. Einen ebensolchen erhält man durch Vermischen der Lösungen von Thalliumnitrat und von halb überjodsaurem Kali (K2J?0°). Allein die weilse Farbe verwandelt sich bald in eine gelbe und nach dem Auswaschen und Trocknen ist die Substanz gelb, theilweise röthlich. Die Versuche, welchen man dieselbe un- terwerfen kann, namentlich ihr Verhalten gegen Alkalien und ge- gen Säuren, liefern den Beweis, dafs sie gar kein Perjodat, son- dern ein Gemenge der beiden zuvor beschriebenen Jodate ist. Es giebt kein Thalliumperjodat, weil Überjodsäure das Thalliumoxyd in Sesquioxyd verwandelt, wobei sie selbst zu Jodsäure redueirt wird. | A

Dithalliumperjodat. Trägt man das braune Oxyd T1O3 in eine Auflösung von H’JO®, so verwandelt es sich in ein schwe- res hellbraunes Pulver, aber es löst sich nichts in der freien Säure 1%*

240 Gesammtsitzung

auf. Dieses Pulver ist ein reines Dithalliumsalz; durch Kalilauge zersetzt, scheidet es braunes Oxyd ab, während die alkalische Flüssigkeit, welche kein Thallium enthält, auf Überjodsäure reagirt.

Die Analyse läfst nicht ganz klar erkennen, ob es ein Drit- tel-Perjodat oder eine Verbindung von Drittel- und Viertel-Perjodat ist, d. h. entweder

TB J?016 + 30aq (1)

oder

FI JO +9%aq (MD

berechnet gefunden 1. 11. Thallium 53,84 56,06 55,71 Jod 11,170 710947 9.35

Sauerstoff 11,26 11,21 Wasser 23,74 22,26 100 100

Im zweiten Fall dürfte dieses aus sehr saurer Flüssigkeit abge- schiedene und dennoch sehr- basische Salz als | T1J6 0%

ch ar

zu betrachten sein.

Seitens der Jodate und Perjodate entfernt sich das Thallium sehr weit vom Kalium; sein Verhalten zu Überjodsäure stellt es namentlich in eine Reihe mit Kobalt, Eisen und Mangan, wie sich dies aus meinen früheren Untersuchungen der überjodsauren Salze deutlich ergiebt. lakır

Die höheren Chloride, Bromide und Jodide des Thalliums und.deren Doppelsalze.

Man weils, dafs das Thalliumehlorid TICl beim Schmelzen Sm Chlorstrom höhere Chlorverbindungen liefert. Doch ist dies keine passende Methode ihrer Darstellung, weil sie stärkerer Hitze | nicht widerstehen. Beim Behandeln mit Wasser bleiben blafsgelbe | Blättchen zurück, welche, wie ich mich überzeugt habe, TECH \ sind.

vom 7. April 1870. AR

Wird die Lösung eines Thalliumsalzes mit unterchlorigsaurem und freiem Alkali vermischt, so entsteht ein dunkelbrauner Nieder- schlag von Dithalliumoxyd (Thalliumsesquioxyd) #103, wel- ches sich in Chlorwasserstoffsäure leicht auflöst, wobei sich nicht merklich Chlor entwickelt, wiewohl beim Verdünnen ein wenig T12C13 abgeschieden wird. Versetzt man diese Auflösung mit Chlorkalium oder Chlorammonium, so erhält man beim Verdunsten schön krystallisirte Doppelsalze, die ich zur Ergänzung früherer unvollständiger Angaben von Nickles und Willm auf ihre Form und Zusammensetzung näher untersucht habe.

Kalium-Dithalliumchlorid und Ammonium-Dithal- liumchlorid schiefsen in farblosen, durchsichtigen Krystallen an, welche auf den ersten Blick regulär zu sein scheinen, jedoch vier- $liedrig sind. Herrschend ist ein Quadratoktaöder, in den End- kanten 116° 12’, in den Seitenkanten 96° 44’ messend, zu welchem das erste stumpfere, beide quadratische Prismen und die Endfläche hinzutreten. Das Axenverhältnifs a:c ist = 1: 0,795, und beide Salze differiren in den Winkeln nur wenig.

Die Analyse zeigt, dafs sie auch analog zusammengesetzt sind, nämlich:

3KCl | 3 AmCl

TICH + 2agq und TICB + 2aq oder

6KCI y 1 6AmCI

EC in ic) + **4

Diese Doppelsalze sind sehr stabil; sie werden vom Wasser, auch beim Kochen, nicht zersetzt. Chlorwasserstoffsäure entwickelt kein Chlor. Alkalien scheiden braunes FlO® ab; ist aber ihre Auflösung ‚hinreichend sauer, so wird sie von Ammoniak nicht ge- fällt. Platinchlorid fällt nur K oder Am, nicht das TI aus; Jod- kalium scheidet TlJ und freies Jod ab. Alle reducirenden Mittel bewirken eine Fällung von TICI.

Doppelsalze von Dithalliumbromid.

Das Bromür TlBr gleicht dem Chlorür vollkommen. Auf Zusatz von Brom löst es sich in Wasser leicht auf, indem es sich

242 Gesammtsitzung

n TIBr® oder TlBr6 verwandelt. Denn die mit KBr versetzte Flüssigkeit liefert beim Verdunsten gelbliche Krystalle eines Dop- pelsalzes, welches nach meinen Versuchen

3KBr 3 Er 3KPBr vorg 3 a ee 4

ist. Ihre Flächen sind für genaue Messungen nicht glänzend ge- nug; sie erscheinen als Würfel in Kombination mit dem Okta&der und Granatoöder und die gefundenen Werthe sprechen allerdings für reguläre Formen.

Doppelsalze von Dithalliumjodid.

Jodthallium, T1J, ist in Jodkalium unlöslich; fügt man aber Jod hinzu und läfst die dunkelgefärbte Flüssigkeit verdunsten, so schiefsen schwarze Krystalle an, welche durch Umkrystallisiren aus Alkohol von beigemengtem K.J zu befreien sind. Es sind re- guläre Oktaöder mit Würfelflächen, sie haben starken Glanz, sind roth durchscheinend und geben ein rothes Pulver. Ich habe für _ dieses Kalium-Dithalliumjodid die Zusammensetzung

SreH a ee OR et opel I logge q

gefunden, also entsprechend dem Bromsalze, mit welchem es iso- morph ist.

Dieses Doppelsalz ist weit weniger beständig als die früheren; schon in gelinder Wärme giebt es Jod; Wasser zersetzt einen Theil, unter Abscheidung von TlJ und Jod.

Ganz anders verhalten sich die Oxysalze, welche aus der Einwirkung von Säuren auf das braune Sesquioxyd 10? entste- hen. Sie werden nämlich von Wasser vollständig zer- setzt, und das braune Oxyd, welches sich dabei abscheidet, ist, wie es scheint, rein, d. h. kein basisches. Salz. Es ist schwer, diese Dithalliumsalze rein zu erhalten, da sich das Sesquioxyd erst beim Erwärmen in Säuren auflöst, wobei immer etwas gewöhn- liches Thalliumsalz entsteht.

Es ist mir leider nicht geglückt, das Sulfat und das Nitrat in bestimmbaren Krystallen zu erhalten, ich kann daher den Angaben Strecker’s nichts Neues hinzufügen. Blos das essigsaure Di-

vom 7. April 1870. 243

thallium bildet farblose durchsichtige zweigliedrige Krystalle, Rhombenoktaöder, deren Endkanten 123° 30' und 79° 34’, und de- ren Seitenkanten 129° 0' messen. Sie sind tafelartig durch Aus- dehnung der Endfläche, bräunen sich aber an der Luft sehr bald.

Isomorphie der Thalliumverbindungen mit anderen.

Die früheren Beobachtungen über die Form der Thalliumsalze sind neuerlich durch Des Cloizeaux sehr vervollständigt wor- den.!) Die Thatsache, dafs sie mit den Salzen des Kaliums (Ru- bidiums und Ammoniums) isomorph sind, hat hierdurch in mehr- facher Hinsicht eine Bestätigung erfahren, und so haben wir denn folgende in Form und Zusammensetzung sich entsprechende Salze:

Nitrat TINO? = KNO3 Perchlorat TICIOt = KCI0%

|

U Doppelsulfate TIER 82 08 +6aq = K?RS?0° + 6aq

Alaun TERSO1 + 24aq = K2RSt016 + 24aq

Ferrocyanür TiFeCy° + 2aq = Rb?FeCy° + 2aq Oxalat H>T1C?08 + 2aq = H’KC?08 + 2aq

Tartrate HTIC*H?0% HKC#+H*0%

NaT1C?H?06 +4aq = NaKC®H?0$ +4aq TI(SbO)JC?H?08 +aq = K(SbO)C?!H?0° + ag.

Aber von besonderem Interesse sind die Phosphate, weil sie die isomorphe Vertretung der einwerthigen Tl, K, Na, Am durch Was- serstoff darthun. Denn es sind isomorph:

H? TIP O* und HAm?P 0% HTEPO# und H2AmPO% HTEPO:-+aq und H?NaPO? + aq.?)

1) Lamy et Des Cloizeaux, Etudes chimiques, optiques et cristallo- graphiques sur les sels de Thallium. Ann. Ch. Phys. (4) 17,310. 2) S, meinen Aufsatz in den Bericht. d. d. chem. Gesellsch. 1870 S.276.

244 Gesammtsitzung

Leider gestatten die Formen der Dithalliumsalze, welche iclı prüfen konnte, keinen Vergleich, weil krystallisirte analog zusam- mengesetzte Verbindungen nicht bekannt sind.

Es scheint unmöglich, dem Thallium einen bestimmten Platz unter den übrigen Elementen anzuweisen. Nur so viel ist sicher, dafs es physikalisch wie chemisch ein Metall, und zwar ein sehr elektropositives ist. Obwohl es bei niederer Temperatur das Was- ser nicht zersetzt, oxydirt es sich an.der Luft doch weit schneller als Blei, Magnesium oder Aluminium.

Seine Ähnlichkeit mit den Alkalimetallen liegt aber besonders darin, dafs sein Hydroxyd ein entschiedenes ätzendes Alkali ist und dafs die von demselben gebildeten Salze durch ihre Löslich- keit und ihre Krystallform sich unmittelbar den Alkalisalzen an- reihen.

Dagegen sind die Haloidsalze durch Unlöslichkeit und Fär- bung den entsprechenden Salzen des Silbers, freilich auch des Bleis, ähnlich. Ebenso ist Schwefelthallium nur den Sulfureten der Schwermetalle vergleichbar.

Durch seine höheren Oxydations- und Chlorstufen entfernt sich das Thallium ganz und gar von den Alkalimetalien. Dem "F1O® und TICI®, analog erscheinen die Verbindungen von Al, Mn, Fe, Er, Ce und Bi, Und doch stehen jene gleichsam für sich da. F]O3 wird durch Erhitzen zu #10, während MnO3 und €eO? höchstens zu R?O%, die übrigen aber gar nicht redueirt werden. Das durch Auflösen in HCl entstehende FICI6 ist weit beständi- ger als MnCl® oder CeCls, jedoch nieht in dem Malse wie die übrigen RC. Die Oxysalze werden von Wasser zersetzt; dies ist aber eine den Salzen jener & sehr allgemein zukommende Eigen- schaft, weniger hervortretend bei denen von Er und Al, stärker beim Fe, und noch stärker bei Mn, Ce und Bi. Dimangansulfat (schwefelsaures Manganoxyd) = MnS3O12 zerfällt durch Wasser in MnO3 und 3H2SO%, also genau so wie das Dithalliumsalz F1S3012, Ce und Bi aber liefern hierbei bekanntlich nur basische Salze. Ich, erinnere daran, dafs auch schon in dem Verhalten des Thalliums zur Überjodsäure seine Beziehungen zum Mangan gleieh- sam angedeutet sind. |

Ist das Atg. des Thalliums 204, entsprechend dem 'Du- long-Petit’schen ‚Gesetz, so ist Tl ein einwerthiges Element gleich dem Kalium, Silber u. Ss. w. Das chemische Verhalten und

vom 7. April 1870. 245

die Krystallform der monatomen Thalliumverbindungen verleihen dieser Annahme eine feste Stütze.

Während wir aber bei den Alkalimetallen und dem Silber auf keine Weise höhere Chloride etc. darzustellen vermögen, gelingt dies bein Thallium. Dadurch entstehen Verbindungen, in deren Mol. 2 At. Thallium als ein sechswerthiges Atomenpaar enthalten sind. Sind dieselben, wie wir wohl annehmen müssen, unter sich verkettet, so wäre das Thalliumatom wenigstens vierwerthig, wie dies für die in der Regel zweiwerthigen Fe, Mn, Ce u. s. w. gilt.

Aber es ist noch eine andere Möglichkeit, die nämlich, dafs sich das Thallium in diesen höheren Chloriden, Oxyden und Sal- zen verhielte wie das Uran, d.h. dafs sie ein zweiwerthiges Ra- dikal (T120O2) einschlössen, oder ein entsprechendes (T1?C1%).

Weitere Untersuchungen sollten auf diesen Punkt gerichtet sein.

. Hr. Poggendorff berichtete mündlich über eine neue In- fluenzmaschine, die nicht allein die doppelte Kraft der gewöhnlichen besitzt, sondern auch in jeder andern Beziehung als die vollkom- menste unter den bisher dargestellten zu betrachten sein möchte. Da er nächstens der Akademie eine ausführliche Mittheilung über diese Doppelmaschine zu machen gedenkt, so sei hier nur erwähnt, dafs sie nach dem von ihm im Januarheft der Monatsberichte von 1869 S. 55 angedeuteten Prineip construirt worden ist, und die practische Anwendbarkeit dieses Princips in befriedigendster Weise dargethan hat.

Hr. Dove machte eine Mittheilung über. die Witterung des vergangenen Winters.

246 Gesammtsitzung

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Verhandlungen der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. Jahrg. 1869. 19. Bd. Wien 1869. 8.

Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. 8. Bd. München 1869. 8.

Verhandlungen der Physik.-Mediz. Gesellschaft in Würzburg. Neue Folge. 1. Bd. 4. Heft. Würzburg 1869. 8.

Mittheilungen der k. k. Central-Kommission zur Erforschung der Baudenk- male. 15. Jahrg. März-April. Wien 1870. 4.

Lotus. Zeitschrift für Naturwissenschaften. 19. Jahrg. Prag 1869. 8.

W. J. A. Jonckbloet’s Geschichte der Niederländischen Literatur, übersetzt von W. Berg. 1. Bd. Leipzig 1870. 8.

Anales de la Universidad de Chile. ANo 1867. 1868. 8.

Berichte an den Congre/s des Staates Chile. 9 Bände. Santiago 1868. 8.

Annuario estadistico de la repuhlica de Chile. Entrega 9. Santiago 1868. 8.

Observations made at the U. St. Naval Observatory, during the year 1866. Washington 1868. 4.

The American Ephemeris for 1871. Washington 1868. 8.

Tables to facilitate the reduction of places of the fixed stars. Washington 1869. 8.

(Settimani) D’une seconde nouvelle methode pour determiner la parallaxe du soleil. Florence 1870.. 8.

Berichte der südslavischen Akademie. 10. Heft. Agram 1870. 8.

Second Radcliffje Catalogue, containing 2386 stars. Oxford 1870. 8.

25. April. Sitzung der physikalisch-mathemati- schen Klasse.

Es wurden verschiedene geschäftliche Angelegenheiten erledigt.

vom 28. April 1870. 247

28. Aprıl. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Haupt las über die Perser des Aeschylus.

Hr. G. Rose legte eine Untersuchung des Dr. P. Groth vor:

Über Beziehungen zwischen Krystallform und chemischer Oonstitution bei einigen organischen Verbindungen.

Alle bisherigen Versuche, die für den unorganischen Theil der Chemie so eminent wichtig gewordene Lehre des Isomorphismus auf die organischen Verbindungen anzuwenden, haben zu keinem befriedigenden Resultate geführt, weil die verschiedenen, in den letzteren befindlichen, Atomgruppen nicht in demselben Verhältnifs zu einander stehen, wie z. B. verschiedene isomorphe Metalle in den Salzen von gleicher Constitution. Die Resultate einiger Unter- suchungen, welche allerdings zu dem Endzweck unternommen wur- den, gesetzmäfsige Beziehungen zwischen Krystallform und che- mischer Constitution bei organischen Verbindungen zu finden, führ- ten den Verfasser zu der Überzeugung, dafs man bei diesen For- schungen einen ganz andern Weg, als bisher, einzuschlagen habe. Statt gleich krystallisirte Körper aufzusuchen, erweist es sich vielmehr als vortheilhaft, die Verschiedenheiten der Krystall- formen chemisch verwandter Körper zu studiren, d. h. die Frage bei der Aufsuchung gesetzmäfsiger Relationen in folgender Weise zu stellen:

„Es sei die Krystallform einer chemischen Verbindung, von welcher sich zahlreiche Derivate ableiten, als gegebene Thatsache vorliegend (wobei der Versuch, diese selbst aus der chemischen Constitution der Verbindung herzuleiten, beim jetzigen Stand der Wissenschaft als ein durchaus verfrühter bezeichnet werden mufs); welche Ände- rung erfährt diese gegebene Krystallform nun durch den Eintritt eines bestimmten, Wasser- stoff substituirenden, Atoms oder einer Atom- gruppe?“ ,

248 Gesammtsüzung

Durch die Untersuchung einer Reihe von Derivaten derjenigen Grundverbindung, von welcher sich die Hälfte der organischen Körper, die aromatischen, ableiten, nämlich des Benzols, hat sich das Resultat ergeben, dafs es gewisse Atome und Atom- gruppen giebt, welche, für H in das Benzol und dessen Abkömmlinge eintretend, die Krystallform derselben nur in mälsiger Weise alteriren, so dafs man im Stande ist, die Form des neuen Körpers noch mit der des ursprünglichen zu vergleichen. Die Änderung ist z. Th. derart, dafs z. B. bei "hombischen Substanzen das Verhältnifs zweier Axen, also die Gröfse der Winkel in der betreffenden Zone, dieselbe bleibt (mit den kleinen Unterschieden, wie sie isomorphe Körper zeigen), wäh- rend nur die dritte Axe durch den Eintritt eines neuen Stoffes in das Molecül eine erhebliche Änderung ihres Werthes erfährt. Zu den in dieser Weise wirkenden Atomgruppen gehören besonders das Hydroxyl HO, und die Nitrogruppe NO,.

Die wichtigsten Beispiele werden das Gesagte erläutern'):

Das Benzol C,H, ist rhombisch?) und krystallisirt in Pyramiden, welche sich auch der optischen Untersuchung als grad- rhombische erwiesen, von dem Axenverhältnils:

a:b:c = 0,891 :1: 0,799.

1. Das erste Hydroxylderivat desselben, das Phenol, kry- stallographisch zu bestimmen, hat mir bisher noch nicht gelingen wollen. Die durch langsames Erstarren des geschmolzenen darge- stellten langen Nadeln sind so zusammengesetzt, dafs man sie nicht messen kann. Indefs zeigte sich bei deren optischer Untersuchung, dafs die Substanz, wie die vorige, rhombisch ist.

1) Überall, wo kein Beobachter angegeben ist, rühren die Bestimmungen, deren. Detail später in Poggend. Ann. mitgetheilt werden soll, vom Verfasser her. Bei den übrigen Substanzen war oft, um die Beziehungen deutlicher hervortreten zu lassen, eine andere Aufstellung der Krystalle zu nehmen, als sie der ursprüngliche Beobachter gewählt hatte.

2) Die starke Kälte des vergangenen Winters gestattete die Herstellung gröfserer Räume von so niedriger Temperatur, dafs das bei —+-3° schmelzende B. nicht nur gut krystallisirt, sondern auch gemessen werden konnte. Die: Messungen sind freilich nur sehr angenäherte, da die Substanz selbst bei einer Kälte von mehreren Graden unter O0 noch so flüchtig ist, dafs die Flä- chen nach kurzem Verweilen des Krystalls auf dem Goniometer schon ganz uneben sind. |

vom 28. April 1870. | 249

2. Das Resorcin, d. i. Benzol, in welchem 2 Atome H durch HO vertreten sind, ist sehr wohl bestimmbar. Es ist eben- falls rhombisch (mit ausgezeichneter Hemimorphie); sein Axen- verhältnifs: 1

a2 bue"—20,9101: 19:0,5407

also a: b gleich dem Benzol (die Differenz ist nicht gröfser, als.

der mögliche Beobachtungsfehler bei diesem), die Axe ec beträcht- lich geändert.

Das zweite von den drei isomeren Bioxylderivaten des Ben- zols, welche sich nur durch die relative Stellung der Gruppen HO unterscheiden, das Brenzcatechin, ist ebenfalls rhombisch, aber bisher noch unvollständig bekannt, so dafs man z. Z. nicht bestimmen kann, welche Axe und wie stark sie geändert ist. Iso- morph mit dem vorigen ist es nicht, da der einzige bekannte Win- kel desselben an jenem nicht vorkommt.

Das Hydrochinon endlich wird von Gerhardt als rhombisch angegeben, indes ohne Messungen; ich erhielt anders, als gewöhn- lich, dargestellte Krystalle, welche rhombo&drisch waren; jedenfalls liegt hier Dimorphie vor, wofür auch noch der Umstand spricht, dafs das horizontale Prisma des Resoreins, mit dem die hypothe- tische rhombische Form des Hydrochinons ja in naher Beziehung stehen mülste, fast Winkel von 120° hat (dimorphe Körper haben gewöhnlich in gewissen Zonen sehr ähnliche Winkel).

3. Für das eine Trioxylderivat, die Pyrogallussäure, liegen keine sichern Angaben vor. Hr. Rammelsberg vermuthet (Krystallogr. Chemie, p. 346), dafs die angeblich an Gallussäure angestellten Messungen Brooke’s sich auf jenen Körper bezögen. Iu der That zeigen die gemessenen Winkel Ähnlichkeiten mit de- nen des Resoreins; doch mufs die Bestimmung der Pyrogallussäure jedenfalls wiederholt werden.

Der Eintritt von Hydroxyl scheint also die Kry- stalle dieser Substanzen nur in einer Richtung zu än- dern, mit Beibehaltung ihrer Form in den übrigen Rich- tungen und ihres Krystallsystems.

Weit vollständiger, als die Wirkung des Hydroxyl, können wir die der Nitrogruppe NO, studiren. Zunächst bietet sich dafür die Reihe der nitrirten Phenole dar:

250 Gesammtsitzung

1. Das gewöhnliche Mono-Nitrophenol ist, wie ich op- tisch nachweisen konnte, rhombisch, wie das Phenol selbst; die Prismen desselben sind sehr genau zu messen, dagegen die Endflächen so unvollkommen ausgebildet, dafs der einzige Winkel, den ich bestimmen konnte, nur zu einem ganz unsichern Werth der Verticalaxe führt, indem die benutzte kleine Octaöderfläche so gerundete Kanten hatte, dafs nicht sicher zu entscheiden war, ob sie auf das Prisma grade oder schief aufgesetzt sei. Es ist

a:b:ec = 0,873 :1: (0,60?)

wobei ich mir die genauere Bestimmung des letztern Werthes vor- behalte, bis es gelungen, bessere Krystalle der Substanz zu be- schaffeu.

9. Binitrophenol ist bereits von Laurent gemessen und von Hrn. v. Lang optisch untersucht worden. Dies hat:

a:b:e = 0,933 : 1: 0,753.

5)

3, Trinitrophenol nach Mitscherlich: a:b:c = 0,937: 1: 0,974.

Man sieht hier also deutlich, dafs bei gleichbleibendem Krystallsystem und fast unverändertem Verhältnifs a:b, ‚der Eintritt einer neuen NO,-Gruppe immer nur die dritte Axe, und zwar stets in demselben Sinne, än-

dert.')

1) Es liegt die Vermuthung nahe, dafs dies auch um gleich viel ge- -schehe. Unter dieser, allerdings noch sehr unsichern, Annahme, und unter der ebenso wenig bewiesenen, dafs das erste in das Phenol eintretende NO, dieselbe Änderung hervorbringen, könnte man rückwärts das Axenverhältnifs des Phenols aus der Differenz von Di- und Trinitrophenol berechnen (beim Mononitrophenol ist c zu unvollkommen bestimmt, um in Betracht zu kommen). Unter denselben Annahmen könnte das Axenverhält- "nifs des Phenols aufserdem das Mittel derjenigen von Benzol und Resorein sein. Die Berechnung auf beiden Wegen liefert genau dasselbe Verhältnils für a:b, für e aber einen gerade halb so grofsen Werth auf dem ersten Wege, als auf dem zweiten (also rationaler Co£fficient). Ferner zeigt diese hypothetische Kıystallform des Phenols in einer Zone ganz gleiche Winkel mit der Isonitrophensäure, dem Isomeren des Nitrophenols, welches nach Hrn. v. Kokscharoff allerdings monoklinisch krystallisirt. Es ist schwer an-

RR vom 28. April 1870. 251

"Das «-Chloranilin C;H,CHNH;3) ist nach Hrn. Des Cloi- seaux’s Messung rhombisch mit dem Axenverhältnifs

aenbirc 0,804 710:70:,999:

Das entsprechende Nitrochloranilin C;H; (NO,)CI(NH;,) ge- hört demselben System an. Nach demselben Beobachter:

abe EM: IT:

Also durch die Nitrogruppe eine Änderung, wieder nur in einer Richtung, und zwar in demselben Sinne, ja von nahe gleicher Gröfse, wie bei den nitrirten Phenolen.

Das «-Nitrochlorbenzol (Chlorbenzol selbst ist flüssig) ist rhombisch, aber nur unvollständig bekannt; zwei seiner Axcn verhalten sich wie 1: 0,515 (nach Hrn. Jun gfleisch).

Vom Binitrochlorbenzol hat Hr. Jungfleisch (Ann. chim. phys. [4], 15. Bd.) zwei isomere Modificationen dargestellt, welche Hr. Des Cloiseaux krystallographisch untersucht hat. Nach die- sem sind sie beide ebenfalls rhombisch, wie der erste Körper, und haben die Dimensionen:

«-Chlorbinitrobenzol: a:b:e = 0,809 :1: 0,713, R- n 5 ea nal: 38.

Diese beiden Isomeren deriviren krystallographisch vielleicht derart von Nitrochlorbenzol, dafs eines der beiden unbekann- ten Axenverhältnisse desselben nahe ungeändert blieb, die dritte Axe dagegen varlirte, und zwar verschieden, je nach der relativen Stellung der Nitrogruppen.

Auch zwischen Bichlorbenzol (Des Cloiseaux) und Nitro- bichlorbenzol (Jungfleisch) zeigen sich in gewissen Zonen Win- kelähnlichkeiten; doch ist letzteres unvollständig bekannt.

zunehmen, dafs dies Alles auf Zufall beruhe; doch mufs erst eine genane Bestimmung des Phenols selbst die Frage entscheiden. Der Einflufs der re- lativen Stellung der Gruppen NO, und HO bei den nitrirten Phenolen kann "wegen deren unvollkommener Kenntnifs ebenfalls noch nicht beurtheilt werden. } |

252 Gesammtsitzung

Alle Beispiele zeigen also übereinstimmend, dafs der Ein- tritt von NO, die Krystallform nur in einer Richtung wesentlich ändert.

Eine weit energischere Wirkung übt die Substitution durch Chlor, Brom u. s. w. aus, welche regelmäfsig zugleich eine Än- derung des Systems in ein weniger reguläres nach sich zieht. Trotzdem bleiben auch dann noch die Winkel einer Zone den entsprechenden an der unveränderten Sub- stanz nahe gleich.

Die Chlorsubstitutionsreihe des Benzols ist nur unvollständig bekannt:

1. Das Benzol selbst leitet sich von einem rhombischen Prisma von eirca 964° ab.

3. Das Bichlorbenzol (und Bibrombenzol, welches da- mit isomorph ist) ist monoklinisch geworden; sein Prisma ist aber 98° 40' (n. Des Clois.). |

3, Das Tetrachlorbenzol hat dasselbe System und ein Prisma von 96° 17’ (Des Clois.), also beide dem des Benzols sehr ähnlich.

Das Tri- und Pentachlorphenol haben nach Laurents Messungen ein gleiches Prisma von 110°; die übrigen Dimensio nen sind unbekannt.

Das Binitrophenol ist, wie wir oben ‚sahen, rhombisch; eine prismatische Zone desselben hat die Winkel 106° 0’ und 74° 0".

Tritt ein Atom Brom für Wasserstoff ein, so wird es mo- noklinisch, aber mit einem Prisma von 106° 30' und 73° 30".

Chlornitrobenzol zeigt mit Bichlornitrobenzol und dieses wieder mit Trichlornitrobenzol ebenfalls je in einer, Zone ähnliche Winkel, doch sind diese Körper z. Z. noch unvoll- ständig untersucht (von Hrn. J ungfleisch).

vom 28. April 1870. 253

Wir sehen also in allen sicher bestimmten Fällen durch den Eintritt eines Cl(Br)-Atoms das Krystallsystem sich ändern, we- niger regelmäfsig. werden. Dagegen scheint der Eintritt eines drit- ten Cl-Atoms wieder eine mehr symmetrische Structur des Mole- cüls herzustellen; dafür spricht wenigstens das nach Hrn. Jung- fleisch wahrscheinlich rhombische Trichlorbenzol, ebenso das rhombische Trichlorphenol und Perchlorbenzol.

Eine in ähnlicher Weise starke, aber auch vorwiegend einsei- tige Änderung der Krystallform bedingt endlich auch der Eintritt von CH;,, wenigstens weist darauf folgendes Verhältnifs hin:

Monochloranilin: rhombisches Prisma von 93° 5%',

Monochlortoluidin: monoklin. Prisma von 94° 5%.

Nach der wohl ziemlich allgemein adoptirten Ansicht von Hrn. Erlenmeyer hat das Naphtalin mit dem Benzol ana- loge Molecularstructur; dasselbe ist monoklinisch mit dem Axen- verhältnifs:

abc = 11,399: 11,428 y = 56° 31". Der Eintritt von HO bedingt hier ebenso, wie beim Benzol, keine Systemänderung, sondern nur eine vor- wiegende Variation der einen Axe. Die beiden isomeren _ Naphthole haben die Dimensionen:

@-Naphthol: a:b:c = 1,475:1: 1,802. y = 62° 40". P- 2 Bin 31,369: 1 chin 60.

Die verticalen Prismen beider (von dem Verhältnifs a: b ab- hängig) sind denen des Naphtalins sehr nahe gleich. Daraus er- scheint es wahrscheinlich, dafs das weitere Studium der Naphta- - [1870] 18

254 Gesammtsitzung

linderivate ebenfalls interessante Beziehungen zwischen deren Krystallformen ergeben werde.

Die analoge Molecularstruetur des Benzols, Naphtalins und Anthracens (vgl. Gräbe und Liebermann, Ann. d. Cbem. u. Pharm. 1870) zeigt sich auch in einer grolsen Ähnlichkeit ihrer Krystallformen. Obgleich verschiedenen Systemen angehörig, zei- gen sie doch alle das gleiche verticale Prisma:

Benzol: Rhombisches Prisma von 965°; Naphtalin: Monoklin. Prisma von 98° 40'; Anthracen'): do. do. „uba9dE-

Was nun die oben zusammengestellten Beispiele für die Än- derung der Krystallformen durch den Eintritt gewisser Atomgrup- pen betrifft, so mufs es zwar weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, die Zahlengesetze für diese Änderungen aufzufinden; aber auch die noch unvollständig vorliegenden Thatsachen bewei- sen bereits die Eingangs ausgesprochene Behauptung, dafs es Atome und Atomgruppen gäbe, welche durch ihre Substitution für Was- serstoff die Krystallform eines Körpers nur in gewisser Richtung ändern. Es wird vielleicht geeignet sein, die in Rede stehende Er- scheinung immer mit einem einzigen Worte bezeichnen zu können, und die gesetzmälsige Änderung einer Krystallform durch den, Wasserstoff substituirenden, Eintritt eines neuen Atoms oder einer Atomgruppe etwa mit dem Namen Morphotropie“ zu belegen.

Es würden dann z. B. unter den oben angeführten Fällen das Mono-, Bi- und Trinitrophenol zu einander im Verhältnifs der Morphotropie stehen, „eine morphotropische Reihe“ bilden. Man würde dann von der „morphotropischen Kraft“ eines Elementes oder einer Atomgruppe in Bezug auf eine Verbindung

h7]

1) Photen von Hrn. Fritzsche, von Hrn. v. Kokscharoff und mir gemessen.

vom 28. April 1870. 255

zu sprechen haben. So würde z. B. die morphotropische Kraft des Hydroxyls und der Nitrogruppe in Bezug auf Benzol, Phenol u. s. w. als eine sehr mälsige bezeichnet werden müssen, welche nur eine Axe um einen bestimmten Werth ändert, ohne das Krystallsystem zu alteriren. Dagegen wäre die morphotropische Kraft des Chlors u. 8. w. eine weit intensivere (vgl. oben). Es läfst sich theoretisch leicht voraussehen, von welchen Umständen der Betrag der mor- photropischen Kraftäufserung abhängen mufs:

1. Von der specifischen morphotropischen Kraft des substituiren- den Atoms oder der Atomgruppe.

2. Von der chemischen Natur derjenigen Verbindung, in wel- cher die Substitution vor sich geht. Die Gruppe CH, z.B. än- _ dert nicht jede Verbindung in gleicher Weise, daher sind homo- loge Körper einander in ihren Krystallformen theils mehr, theils weniger nahe stehend. Die zwischen solchen bestehenden entfern- teren Beziehungen, welche Laurent als „Isomorphie in verschie- denen Systemen“ auffalste, Hr. Hjordahl (J. f. pract. Chem., 94. Bd.) noch weiter ausführte und „partiellen Isomorphismus“ nannte, lassen sich jedenfalls alle durch Morphotropie erklären.

3. Von dem Krystallsystem der zu verändernden Verbindung. Es liegt auf der Hand, dafs eine viel gröfsere formändernde Kraft dazu gehört, einen regulären Krystall zu alteriren, als einen der andern Systeme, weil bei jenem eine blofse Änderung der Win- kel, ohne einen vollständigen Weehsel des Krystallsystems, un- möglich ist.

4. Von der relativen Stellung der neu eintretenden Gruppe zu den andern Atomen des Molecüls. Aus einem oben angeführten Beispiele scheint hervorzugehen, dafs der Eintritt derselben Gruppe an verschiedenen Stellen des Molecüls dieselbe Axe, aber in ver- schiedener Weise ändert. Von der gröfsten Wichtigkeit für die Beantwortung dieser Frage würde die Vervollständigung der kry- stallographischen Kenntnils der beiden Isomeren des Resorcin,

nämlich des Brenzcatechin und Hydrochinon, sein, welche ich da-.

her ausführen werde, sobald es mir gelingt, die betreffenden Sub- stanzen in geeignetem Zustande zu erhalten.

Als sicher ist indefs wohl anzunehmen, dafs die Krystall- formen isomerer Körper stets verschieden sind, und zwar 18*

256 Gesammtsitzung'

um so mehr, je gröfser ihre chemische Verschiedenheit durch die Art ihrer Isomerie ist.

Wenn gewisse Atomgruppen, wie HO und NO,, nur solche Änderungen hervorbringen, dafs die neuen Formen noch mit den frühern vergleichbar sind, so entsteht die Frage, ob es nicht auch unter den Metallen solche mit geringer morphotropischer Kraft giebt. Dann müfste eine (Hhaltige) Säure mit dem Salze, welches das betreffende Metall für H enthält, im Verhältnifs der Morpho- tropie stehen. Dies ist in der That der Fall; doch ist die Zahl der, zur Aufsuchung solcher Beziehungen benutzbaren, krystallo graphisch untersuchten Säuren und Salze eine sehr geringe, weil man nur diejenigsn in Betracht ziehen kann, bei welchen Säure, wie Salz wasserfrei krystallisiren.')

Es liegen aus der Gruppe der aromatischen Säuren zwei Bei- spiele vor:

1. Die Form der Pikrinsäure (Trinitrophenol) wird durch den Eintritt eines Kalium-Atoms für H nur in einer Richtung geändert. Es ist:

2;3b:o Pikrinsäure: C,H;(NO;,);.OH: Rhombisch: = 0;937 :1.:.0,974, Pikrins: Kak: C,H,(NO,)ı.OKasız un din. 10,912 212022

Ammonium bringt hier dieselbe Änderung hervor, d.h. das Ammoniumsalz ist dem Kaliumsalz isomorph.

%. Ähnlich verhalten sich zu einander Phtalsäure (nach Hrn. Scheibler) und saures phtals. Ammonium (letzteres nicht sehr genau von Gerhardt gemessen):

a:b:c Phtalsäure: C,H,(COOH)(COOH): Rhombisch: 0,855: 1: 1,363, Phtals. Am-

monium: C,H,(COOH)(COOAm): 5 0,453 :1:1,327.

1) Man kennt noch nicht die Rolle, welche in Verbindung mit anderen Körpern das Wasser in krystallographischer Hinsicht spielt. Dies ist ein specieller Fall der allgemeinen Frage nach dem Zusammenhang der Krystall- form einer molecularen Verbindung mit den Formen der beiden Be- ständtheile, einer Frage, auf welche ich in einer spätern Mittheilung zurück- zukommen hoffe.

vom 28. April 1870. 257

Kalium und Ammonium haben also eine morphotropische Kraft in Bezug auf die Pikrin- und die Phtalsäure, welche sich mit der von HO und NO, vergleichen läfst. Da sie fast in allen Verbindungen isomorph sind, so mu[s man ihnen eine nahe gleiche specifische morphotropische Kraft zuschreiben. Ob deren Äufse- rung allgemein eine ähnliche ist, wie in obigen Fällen, mufs vor- läufig dahingestellt bleiben. Dafs diese Beziehungen jedoch über den Kreis der hier besprochenen Verbindungen hinaus verfolgt zu werden verdienen, darauf deutet ein Beispiel hin, dessen Kenntnifs wir Hrn. Rammelsberg verdanken (Berichte d. d. chem. Ges. 1870):

Die beiden Salze

HTl,PO,-+aq und H,NaPO, + aq zeigen eine bemerkenswerthe Ähnlichkeit ihrer Form; dem zweiten ist sicher isomorph das entsprechende Thalliumsalz; wir hätten also zu vergleichen, wobei R das Alkalimetall bedeutet: H,RPO,+aq und HR,PO, aa. Die Axenverhältnisse sind für den angegebenen Fall:

1) H,RPO, +aq: Rhombisch: a:b:c = 0,934: 1: 0,657. 2) HR,PO, tag: 9 9 >= 0,931:1: 0,782. Also eine Morphotropie durch den Eintritt eines zweiten R- Atoms, in ganz derselben Weise, wie oben beim Kalium (Hr. Ram- melsberg, s. a. a. O., war, um die beiden Salze in das Gewand der Isomorphie zu kleiden, zu der Annahme gezwungen, die Hauptaxe c der einen Substanz müsse mit dem Coöäfficient 2 auf die der andern bezogen werden). Ebenso verhalten sich zu ein-

ander die beiden monoklinen Salze: H,TIPO,;: a:b:c = 3,175:1:1,458., = 88° 16". HAm,PO,:„ = 3,043:1:1,198. , = 88° 0". Hier ist also ebenfalls nur die Axe ce durch die Substitution eines H durch ein Alkalimetall-Atom verändert worden.

Hier bietet sich also, besonders mit Rücksicht auf die Bezie- hungen zwischen Isomorphie und Morphotropie, der weitern For-

258 Gesammtsitzung vom 28. April 1870.

schung ein weites und ergiebiges Feld dar, auf welches in dieser ersten Mittheilung über den Gegenstand nur hingewiesen werden konnte.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

R. G. Stillfried, Beschreibung und Geschichte der Burg Hohenzollern. Berlin 1870. 8.

Abhandlungen herausgegeben vom naturwissenschaftlichen Verein zu Bremen. 2. Bd. 2. Heft. Bremen 1870. 8.

Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft. 22. Bd. 1. Heft. Ber- lin 1870. 8. |

Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1870. 20. Bd. Jan.—März. Wien 1870. 8.

Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt. Jan. 1870. Wien 1870. 8.

Bericht des naturwissenschaftlichen Vereins in Pesth. Pest 1869. 4.

Archivio per la zoologia. Vol. II, 1. Torino 1870. 8.

Dumast, De la sericulture. Nancy 1870. 8.

Schuchardt, Über einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälschen. Gotha 1870. 8.

In Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung sind neuerdings folgende akademische Abhandlungen aus dem Jahrgang 1869 er- schienen:

EHRENBERG, Über mächtige Gebirgsschichten vorherrschend aus mikroskopi- schen Bacillarien unter und bei der Stadt Mexiko. | Preis: 1 Thir. 15 Sgr. | Lepstus, Über den chronologischen Werth der Assyrischen Eponymen und einige Berührungspunkte mit der Aegytischen Chronologie. nn Preis: 15 Sgr. | Rorn, Beiträge zur Petrographie der plutonischen Gesteine. Preis: 3 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf. MaAcntus, Über Emission, Absorption und Reflexion der bei niederer Tem- peratur ausgestrahlten Wärmearten. | Preis: 15 Sgr. BUSCHMANN, Grammatik der sonorischen Sprachen: vorzüglich der Tarahu- mara, Tepeguana, Cora und Cahita; als IX. Abschnitt der Spuren der aztekischen Sprache. 2. Ahth. der Artikel, das Substantivum und Adjectivum.

Preis: 3 Thlr. 15 Sgr.

Rorn, Über den Serpentin. Preis: 14 Sgr.

HAGEN, Über die Bewegung des Wassers in cylindrischen, nahe horizonta-

len Leitungen, und über die Bewegung des Wassers in vertikal . abwärts gerichteten Röhren.

Preis: 12 Sgr.

Zur Nachrickt.

In den Abhandlungen der Akademie sind in den Jahrgängen 1852, 1853, 1862, 1864 keine Mathematischen Klassen enthalten.

MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

Mai 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond.

5. Mai. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Ehrenberg gab ausführliche Mittheilungen über die wachsende Kenntnifs des unsichtbaren Lebens als fels- bildende Bacillarien in Californien, von denen folgender Auszug hier mitgetheilt wird.

Da noch immer bis heut auch die ungebundensten Natur- anschauungen, dem Leben einen materiellen Anfang zuzuschreiben, ohne Beweis im Bereiche der Speculation geblieben sind, so scheint es wohl bemerkenswerth, dafs sich die Verbreitung der Lebensthä- tigkeit in den, den gewöhnlichen Sinnen des Menschen unzugäng- lichen, dem kleinsten Raume zugewandten Verhältnissen auffallend erweitert. Es war zuerst das Kalkelement, das 1838 jenseits der Gren- zen des natürlichen Sehorgans, als des schärfsten Sinnes, am ergie- bigsten verfolgt werden konnte. Diesen Polythalamien-Kalk Soldani’s, nach D’Orbigny öfter Foraminiferen-Kalk genannt, sehr verschie- den von den mit blofsem Auge erkennbaren früheren Auffassungen, welche ausführlicher 1838 in den Abhandlungen der Akademie in Übersicht gebracht worden und deren felsbildende Formen unter dem Namen der Nautili und Miliolae bewundert worden sind, hat die weiter fortgesetzte mikroskopische Forschung zu noch wirksa- meren Lebensverhältnissen seitdem verfolgt. Nicht nur Hunderte oder Tausende von Lebensformen sind in jedem Kubikzoll der

kreideartigen Massen nachgewiesen worden, sondern die neuere [1870] | 19

260 Gesammtsitzung

Beobachtungsmethode hat damals schon Hunderttausende und oft noch weit mehr solcher unsichtbarer Lebensbestandtheile bis zur Hälfte der Masse zur Kenntnils gebracht.

Gleichzeitig mit diesen Erkenntnissen hat sich seit 1836 auch das Kieselelement durch das Mikroskop erschliefsen lassen und wenn diese Erkenntnisse bisher sich mehr in lokalen, wenig aus- gebreiteten Oberflächenverhältnissen darstellbar machen liefsen, so trat schon im vorigen Jahre ein so weit ausgebreitetes Wirken die- ses Lebens in Mexiko hervor, dafs es die früheren weit übertraf. Noch weit gröfsere Verbreitung hat in jüngster Zeit dieses unsicht- bare und doch hohe Felsen bildende Leben in Californien erken- nen lassen, worüber ich heute der Akademie einige Mittheilungen zu machen gedenke. |

Die am Schlufse des für die Abhandlungen der Akademie be- stimmten Vortrages zusammengestellten Ergebnisse sind hauptsäch- lich folgende:

1. Die in den Jahren 1845, 1849 und 1853") durch die Be- mühungen amerikanischer Gelehrter meiner Analyse zugeführten Gebirgsproben aus Kieselschalen von Bacillarien sind durch fort- gesetzte Nachforschungen bei Gelegenheit der grolsen Eisenbahn- arbeiten vom Mississippi bis zum Stillen Ocean in noch weit grölsere Massenverhältnisse eingetreten, SO dafs in mehreren Tau- send (engl.) Quadratmeilen Ausdehnung vielfache Wiederholungen solcher Bänke aufser Zweifel gestellt sind, deren Mächtigkeit sogar. bis 1000 Fufs beträgt. "Sie haben meist die Farbe des weilsen Pfeifenthons.

9. Die organischen Formen der hier vorgelegten Analysen aus fünf neuen Örtlichkeiten, welehe sämmtlich im Hochlande von

Californien in 4200-6000 Fufs Erhebung vorkommen, gehören in |

Übereinstimmung mit den drei früher publieirten Analysen aus Oregon und der ealifornischen Küste schon bekannten Gestaltun- gen, also keiner neuen Klasse noch Familie des Organischen an. 3, Es ist bemerkenswerth, dafs die californischen grofsen Ab- lagerungen dieser Art mit den von Mexiko angezeigten mannigfach übereinstimmen und. mit diesen zusammen So bedeutende Ober- Aächenverhältnisse gleichartig erscheinen lassen.

1) In dem Monatsbericht vom Februar d. J. ist irrthümlich das Jahr 1843 anstatt 1853 angegeben.

vom 5. Mai 1870. 361

4. Ein wesentlicher Unterschied der californischen Bacillarien- bänke von den mexikanischen hat sich darin begründen lassen, dafs während in Mexiko die mikroskopischen Elemente solcher Biolithe sich in zwei grolse Massenverhältnisse reiner Süfswasserbildung im Hochlande scheiden, in Polygastern-Biolithe und Phytolitharien- _ Biolithe, mit entschiedenem Ausschlufs von Meeresformen, die cali- fornischen grolsen Felsbildungen nur in einer Lokalität am Fallriver den reinen Sülswasser-Character, jetzt auch hier zweifelhaft, gezeigt haben, und in Californien an den Küsten Meeresgebilde in den Biolithen überwiegen, auch im Hochlande dergleichen überall den Sülswasserbildungen vereinzelt eingestreut sind.

In Californien ist eine Bedeckung dieser Biolithschichten _ durch vulkanische Tuffe, Geröll, Sandstein, auch sehr häufig durch Basalt angezeigt, zuweilen in einer Mächtigkeit von 100 Fufs und mehr und über grofse Wüstenflächen sich verbreitend.

6. Aus den bisher analysirten Proben ergiebt sich kein Ein- fluls vulkanischer Hitze auf die wohlerhaltenen Kieselschalen oder deren Bruchtheile.. Ebensowenig haben aber organische Erfüllun- gen derselben ihre fortdauernde Lebensfähigkeit bekundet. Es sind überall abgestorbene fossile Verhältnisse.

7. Besonders im Nevada-Distrikt sind die Zahlenverhältnisse der californischen Bacillarien-Massen denen von Bilin in Böhmen vergleichbar, da sie sich ebenfalls auf rundliche Gallionellen be- ziehen, obschon eine reichliche Zwischenmasse, anscheinend von Kieselmark, dabei erkennbar ist.

8. Da das schwach bläuliche oder farblose Wasser in seiner Verbindung mit Luft als schneeweifser Schaum erscheint, so mö- gen auch diese an sich durchsichtigen und farblosen Bacillarien- Schalen durch ihr zelliges Gefüge und ihre Zwischenräume die weilse Farbe als reflectirtes Licht bedingen.

9. Die Reinheit der thonartig weilsen mächtigen Schichten von allen vulkanischen Bestandtheilen läfst schlielsen, dafs in der Bildungszeit jener bis 500 und 1000 Fufs hohen Lager vulkanische Eruptionen und Projectile gar nicht stattgefunden haben, vielmehr eine ruhige Fortbildung entweder unter Wasser oder unter einer festen Bedeckung anzunehmen sei. Wären die jetzt auf diesen Schichten lagernden vulkanischen Eruptivstoffe auf die unbeschützte, nur vom Wasser bedeckte feine Biolithmasse aufgeworfen worden, so würden sie nothwendig in dieselbe haben eindringen und sich 19*

262 Gesammtsitzung

mit ihr vermischen müssen. Es scheint hieraus der Schlufs be- rechtigt zu sein, dafs die Auflagerung der Projectilen nur erst nach Ablauf des Wassers und Abtrocknung der Biolithe stattgefunden haben könne. Ebenso ist die Abschwemmung dieser Massen aus den obern Seegründen in tiefer liegende Bassins, sowie jede tumul- tuarische Bewegung von dabei stets unreinen Gewässern deshalb nicht denkbar, weil solche Trübungselemente vorherrschend fehlen. So scheinen denn, wie in Mexiko, auch hier ruhige Ablagerungen die überwiegende Reinheit der Biolithe zu bedingen.

10. Die Mischung von Spongolithen und Meeresformen in den californischen Bacillarien-Biolithen erlaubt nicht an jene Vor- stellung der Entwicklung unter Haideboden zu denken, die ich bei Gelegenheit der Lüneburger-Lager in Ebsdorf und Oberohe 1847 in Betracht gezogen habe, da beide genannte Formen zu zahlreich sich finden. Auch ist die Vorstellung, dafs die beigemischten Meeres- formen aus einer vorweltlichen fossilen Ablagerung zufällig beige- mischt seien, deshalb nicht annehmbar, weil dieselben so vereinzelt, stetig und in geringer Variation beigemischt sind.

11. Die an der californischen Küste vorhandenen wirklichen Meeresablagerungen zeigen einen mafsgebenden und ganz verschie- denen Character des dortigen Meeres. Dieser Character ist auch von ansehnlichem Gewicht den neueren Vorstellungen gegenüber, als sei der Meeresgrund einer Fortsetzung der Kreidebildung ver- gleichbar, welche von Forbes ausgesprochene Ansicht seit 1854 da- hin abgeändert ist, dafs der jetzige Meeresgrund überall nicht der polygasternlosen Kreide, sondern den mit Polygastern und Poly- ceystinen erfüllten neueren (sieilianischen) Mergeln anzureihen ist.

12. In Californien giebt es wie in Mexiko reine Kieselbiolithe von Bacillarien und mergelartige durch Beimischung von kohlen- saurem Kalk. In beiden Hochländern ist der die Mergel bildende kohlensaure Kalk ohne alle Spur von Meeresgebilden, ohne Poly- thalamien, aber durch Cypriden-Schalen characterisirt, deren Mas- sen durch sehr zahlreiche Fragmente bezeichnet sind, während ein formloser feiner Kalkmulm nur die weitere Auflösung solcher Mas- sen zu erkennen geben mag, wenn er nicht aus dem einst kalkhal- tigeren Wasser bei Abkühlung sich abgesetzt hat.

13. Die Zahl der mit den jetztlebenden übereinstimmenden Formen des Hochlandes beträgt von den bis jetzt in Californien | ermittelten über 230 Arten 121, so dals c. 112 Formen übrig blei- |

vom 5. Mai 1870. 263

ben, von denen jedoch nur etwa 52 neue Arten characteristisch sind. |

14. Die hauptsächliche Massenentwicklung scheint, wegen des Mangels sehr kleiner, gleichartiger, die halbe Gröfse der Gröfsten nicht erreichenden Formen nicht durch Keimbildung, sondern durch Selbsttheilung erfolgt zu sein.

15. Da die Mächtigkeit der californischen Lager beobachtungs- gemäls in den vulkanisch thätigen Gegenden am gröfsten sein soll, so dürfte die Bodenerwärmung und der gröfsere Kieselgehalt war- mer Gewässer zu den Bedingungen dieser Erscheinungen allerdings auch nach Professor Whitney’s Auffassung so annehmbar sein, wie die auf der Insel Ischia 1858 gewonnenen Erfahrungen mit denen . aus Malka in Kamtschatka 18453 bereits direkt angezeigt haben, wozu auch die 1840 von Carl Ritter mitgebrachten heilsen Quell- absätze von der Insel Neo-Kaimene bei Santorin gehören.!)

16. Kargheit an Kieseltheilen von Gräsern und Mangel an bituminösen Erscheinungen characterisiren die californischen Hoch- lands-Ablagerungen im Gegensatz zu den mexikanischen und deu- ten darauf hin, dafs seit der Bildungsperiode dieser biolithischen Massen die Oberflächen Californiens stets wie jetzt sehr vegeta- tionsarm gewesen sind. Wenn dagegen die Meeresbiolithe der Küste nach Whitney viel bituminöse, industriell zu verwerthende Einschlüsse ergeben haben, so geht daraus hervor, dafs jene Küsten- striche seit alter Zeit irgendwie vegetationsreich waren, während das Hochland stets Wüste war. |

17. Einer der Hauptgegenstände dieses Vortrags betrifft die Wichtigkeit und jetzt schon vorhandene Möglichkeit, durch photo- graphische Darstellung zweckmäfsiger Vergröfserungen diesen, jen- seits der natürlichen Sinneskraft liegenden Gegenstand von indivi- duellen Vorstellungen ganz abzulösen und objectiv zu machen, wo- durch die Photographie ihre Wichtigkeit für mikroskopische Zwecke und bei gehöriger Vorsicht grolsen Werth erlangt.

So treten denn immer neue grolse Gebirgsmassen verschiede- ner Stoffelemente als Überreste nicht der Zerstörung, sondern eines ehemaligen unsichtbar wirkenden organischen Lebens in die Erscheinung. Wer möchte nicht fragen, wie tief und weit diese,

1) Monatsberichte 1840 p. 206.

264 Gesammtsitzung vom 5. Mai 1870.

auch den schärfsten menschlichen Sinnen entzogenen Lebenskräfte und Lebenswirkungen reichen und sich den ferneren Nachforschun- gen erschliefsen mögen.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preufs. Rheinlande u. West- phalens. 26. Jahrg. Bonn 1869. 8.

Joseph Hyrtl, Die Bulbi der Placentar- Arterien. Wien 1870. 4.

—, Die Blutgefäfse der menschlichen N achgeburt. Wien 1870. 4. Mit Begleitschreiben des Verf. v. 29. April 1870.

Berichte über die Verhandlungen d. K. Sächs. Gesellsch. der W issenschaften zu Leipzig. Mathem.-Physik. Klasse. 1867. III. IV. 1868. I. II. III. 1869. I. Leipzig. 4 Hefte 8.

Abhandlungen. 14. Bd. Leipzig 1869. 8.

Preisschriften, gekrönt und herausgegeben von der Fürstl. Jablonowski’schen Gesellschaft in Leipzig. Leipzig 1870. 8. (Mit 1 Mappe, enthaltend 15 Tafeln.)

Sitzungsberichte der k. bayr. Akad. d. Wissensch. zu München. 1870. 1. 1. Heft. München 1870. 8.

Proceedings of the London Mathematical Society. Vol. II. London 1869. 8.

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger. 1868, 1870. no.1. |

Silliman, Journal of science. no. 145. New Haven 1870. 28.

9. Mai. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Rödiger sprach über einige zum Theil fragmen- tarische phönikische Inschriften aus Cypern.

Die Insel Cypern hat sich nächst dem karthagischen Gebiet bisher als der reichste Fundort phönikischer Inschriften erwiesen. Die Ausgrabungen haben in den letzten Jahren wieder eine grolse

Zu Rödiger's B erreh Cit. XLVI.

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264 Gesammtsitzung vom 5. Mai 1870.

auch den schärfsten menschlichen Sinnen entzogenen Lebenskräfte und Lebenswirkungen reichen und sich den ferneren Nachforschun- gen erschliefsen mögen.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preu/s. Rheinlande u. West- phalens. 26. Jahrg. Bonn 1869. 8.

Joseph Hyrtl, Die Bulbi der Placentar- Arterien. Wien 1870. 4.

—, Die Blutgefäfse der menschlichen Nachgeburt. Wien 1870. 4. Mit Begleitschreiben des Verf. v. 29. April 1870.

Berichte über die Verhandlungen d. K. Sächs. Gesellsch. der Wissenschaften zu Leipzig. Mathem.-Physik. Klasse. 1867. TIL. IV. 1868. 1. 11.2117 1869. I. Leipzig. 4 Hefte 8.

Abhandlungen. 14. Bd. Leipzig 1869. 8.

Preisschriften, gekrönt und herausgegeben von der Fürst. Jablonowski’schen Gesellschaft in Leipzig. Leipzig 1870. 8. (Mit 1 Mappe, enthaltend ı5 Tafeln.)

Sitzungsberichte der k. bayr. Akad. d. Wissensch. zu München. 1870. 1. 1. Heft. München 1870. 8.

Proceedings of the London Mathematical Society. Vol.II. London 1869. 8.

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger. 1868, 1870. no.1. |

Silliman, Journal of science. no. 145. New Haven 1870. 8.

9. Mai. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Rödiger sprach über einige zum Theil fragmen- tarische phönikische Inschriften aus Cypern.

Die Insel Cypern hat sich nächst dem karthagischen Gebiet bisher als der reichste Fundort phönikischer Inschriften erwiesen. Die Ausgrabungen haben in den letzten Jahren wieder eine grolse

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Sitzung. der philosoph.-histor. Klasse vom 9. Mai 1870. 265

| Ausdehnung gewonnen und eine beträchtliche Menge von Alterthü- | mern, phönikische, griechische und einheimisch-ceypriotische zu Tage | gefördert, darunter auch eine gute Anzahl phönikischer Inschriften. Die ersten in Europa bekannt gewordenen cyprischen Inschriften | sind die, welche Richard Pococke im J. 1738 an Ort und | Stelle copirte und im 2. Bande seiner Reisebeschreibung (Descrip- tion of the East. London 1745) publieirte. Bald darauf sah ein | englischer Arzt Namens Porter die Steine wieder, nahm bessere | Copien davon und brachte Einen derselben, Nr. 2 bei Poc., nach ' England, der seitdem in Oxford in der Bodlejana aufbewahrt wird. | Spätere Reisende haben vergebens nach den übrigen Steinen ge- | sucht, namentlich auch Carsten Niebuhr (s. Deutsches Museum, April 1787, S. 300 ff. und den von Olshausen im J. 1858 edir- | ten 3. Band von Niebuhr’s Reisen $. 23). Schliefslich brachte | man in Erfahrung, dafs ein türkischer Gouverneur schon im J. | 1749 jene Steine zum Bau einer Wasserleitung verwendete, und | zwar sollen sie zu Kalk verbrannt worden sein. S. Gesenius, seripturae linguaeque Phoeniciae monumenta, p. 123. Schröder, | die phöniz. Sprache, Halle 1869, S. 48.

Unter den 33 Inschriften Pococke’s, welche alle zu den Ruinen des alten Kition gehörten, sind aber zwei, Nr. 9 und 19, gar nicht phönikisch, sondern armenisch. Ich habe zuerst darauf aufmerksam gemacht (in einer Anzeige des erwähnten 3. Bandes der Niebuhr’schen Reise) in den Halle’schen Jahrbüchern 1338, Nr. 30, S. 235, nachdem im J. 1837 auch Gesenius, der sie mit | seinen Vorgängern noch für phönikisch hielt, a. a. ©. p. 139 ge- | sagt: „de Cit. IX (et XIX) legenda et omnes desperarunt et ego | despero.* Die Pococke’sche Zählung und Bezeichnung wurde | demungeachtet beibehalten und fortgeführt. Zunächst wurden drei | vonL.Ross mitgetheilte, auch von mir in Ross’ Hellenica I. (1846 U 8.118 ff.) behandelte Inschriften als Citiensis XXXIV, XXXV und XXXVI bezeichnet, dann fünf vom Grafen de Vogüe gefundene ' als Cit. XXXVII—XLI (im Journ. asiat. VI® ser. tom. X. 1867, - p.65 ff, auch in dessen Melanges d’archeol. orientale p. 1 ff.). | In dieser Zählung fortfahrend bezeichne ich die jetzt vorge- | legten kleinen Inschriften, die wohl alle aus Kition oder dessen nächster Umgebung stammen, mit Cit. XLII u. s. w. Die Originale gehören sämmtlich zu der reichen Sammlung des Hrn. S. di Ces- nola, amerikanischen Consuls in Larnaka. Die Copien sind mir

266 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

von Hrn. Lepsius mitgetheilt, wir verdanken sie der gütigen Ver- mittelung unseres correspondirenden Mitglieds, des hiesigen ameri- kanischen Gesandten Hrn. Bancroft. Die Inschriften sind bis auf ein paar Ausnahmen sehr kurz, zum grölsten Theil fragmen- tarisch, von Stücken zerbrochener Alterthümer entnommen, aus de- ren Überbleibseln sich schwerlich immer ein sicherer Schlufs auf Form und Bestimmung des Ganzen machen liefs. Es fehlt mir daher, mit einer Ausnahme (s. unten zu Cit. XLII u. XLIII) jegliche Notiz solcher Art, was die Deutung und Beziehung der Inschriften sehr schwer und unsicher macht. Selbst das Fehlen einer Notiz über das Material eines Monuments kann unter Um- ständen leicht irre führen, wie es z. B. vorgekommen ist, dafs man nach einer paläographisch und sprachlich allenfalls zulässigen und an sich scharfsinnigen Conjeetur eine Inschrift von der Widmung eines Altars aus Cedernholz reden liefs, während sich dann auswies, dafs der Altar Marmor war.

Was den Fundort der Inschriften betrifft, so findet sich nur bei zweien der mir vorliegenden Copieen (Cit. XLII u. XLIM) be- merkt, dafs sie in den Ruinen der Stadt Kition gefunden worden. Wahrscheinlich kann aber diese Bemerkung auch für die übrigen oder doch für die meisten derselben gelten. Wenigstens sagt Ge. Colonna Ceccaldi in seinem Artikel „Decouvertes de Chypre“ (Revue archeol., Jan. 1870, p. 26), dals Hr. Cesnola bei den Ausgrabungen, die er auf einem etwa 15 Meter hohen, in geringer Entfernung südwestlich von Larnaka, also im Bereich des alten Kition gelegenen Hügel machen liels, Reste von Mauerwerk und Substructionen von kleinen Mauersteinen zu Tage legte und eine ziemlich grofse Anzahl zerstreuter, mit phönikischer Schrift verse- hener Marmorstücke sammelte. Zu diesen werden wohl die mei- sten der uns vorliegenden Inschriften, wenn nicht allesammt gehö- ren, unter welcher Voraussetzung ihre grofsentheils fragmentarische Beschaffenheit sich erklärt. Auch nehmen sich die Schriftzüge so aus, als seien sie mit Leichtigkeit in ein nicht allzu hartes Material eingeschnitten, wozu die Angabe von Marmorstücken recht wohl palst. In dem erwähnten Artikel ist auch von andern Ausgrabun- gen die Rede, namentlich von einem Gräberfund, wo irdene Ge- fäfse verschiedener Art, u.a. auch Krüge (des jarres) mit phöniki- schen schwarz gemalten Inschriften (tracdes @ l’encre) zu Tage ka- men; doch wird dabei der Name Cesnola nicht genannt. Von Be-

vom 9. Mai 1870. 967

lang für die richtige Auffassung der Inschriften könnte es unter Umständen auch sein zu wissen, welcher Art und Form und zu welchem Gebrauche die Monumente waren, denen sie angehören. Aber auch darüber habe ich nur eine kurze Notiz in der Beischrift zu der Copie von Cit. XLII: „Fragments des coupes ou vasques“, ‘die ich indefs schon wegen ihrer Fassung auf alle Stücke zu be- ziehen ein Recht zu haben glaube..

Es würde freilich als ein glücklicher Umstand zu betrachten sein, wenn diese zertrümmerten Alterthümer, diese Trinkgefälse, Schalen und dgl. sammt den Inschriften noch vollständig und un- versehrt vorhanden wären; aber immerhin halte ich’s der Mühe werth, diese Überreste phönikischer Steinschriften zu publiciren, wenngleich fast alle äufserst kurz sind, ja von mehreren derselben nur ein Wort, ein Name oder ein paar Buchstaben übrig sind. Immer noch sind der bekannt gewordenen phönikischen Schriftmo- numente so wenige, unsere daraus allein oder doch hauptsächlich zu schöpfende Kenntnifs der phönikischen Sprache und des phöni- kischen Alterthums, trotz der anerkennungswerthen Erfolge neuerer Forschungen, in lexicalischer Hinsicht noch so dürftig, in gramma- tischer zum Theil noch so unsicher, in sachlichen Beziehungen noch so lückenhaft, dafs jeder neu auftauchende Text leicht irgend eine Erweiterung, eine erwünschte Bestätigung oder ein Correctiv unserer bisherigen Kenntnisse an die Hand giebt. Auch die neuer- lich, besonders von de Vogüe glücklich angebahnte Geschichte der phönikischen Schrift, die uns allmählig einen festeren Anhalt für die Beurtheilung des Zeitalters der Monumente geben mufs, bedarf noch der Vermehrung urkundlicher Zeugnisse. Und so glaube ich keinen Tadel der Kenner fürchten zu müssen, wenn ich auch den an sich unbedeutendsten epigraphischen Fragmenten, über deren Sinn und Bedeutung ich vielleicht kein Wort mit Sicherheit sagen kann, den Weg in die Öffentlichkeit nicht versage.

Die auf der beigegebenen Tafel abgebildeten Inschriften will ich an diesem Orte nicht mit einem ausführlichen Commentar ver- sehen, wozu sie sich kaum eignen; ich beschränke mich darauf, sie in hebräische Schrift umzuschreiben und kurze Bemerkungen oder Vermuthungen zu ihrer Erklärung zu geben ohne alle Mög- lichkeiten der Deutung zu erschöpfen. Es sind folgende:

Cit. XLII. rboınund Rd "m “ns wm Unsicher, weil un- deutlich, ist der erste Buchstab, er könnte allenfalls auch ein n

268 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

sein, doch sehe ich darin eher ein m. Der vierte Buchstab scheint oben defect zu sein, ich ergänze ihn zu einem ”. Auch der letzte ist zweifelhaft, 7, oder y, oder zu x zu ergänzen, oder zu p, wenn es nicht etwa ein 7 sein soll. Wie ich die Worte der Inschrift abgetheilt habe, würden sie bedeuten können: Eilends bringe Segen (Begrüfsung) von mir meinem Herrn, dem Esmun- milleth (oder E$munmalach). wm Imper. eile, oder als Adv. eilends, wie hebr. ws Ps. 90, 10. 132 Imper., segnen, auch in den verwandten Sprachen für Glück wünschen, grülsen, frei- lich gewöhnlich mit dem Acc. der Person, hier dem = gegenüber mit &. Am Ende der Zeile steht einer der besonders in cyprischen und karthagischen Inschriften viel vorkommenden, mit dem Got- tesnamen Esmän (= AZKAHIIOS, AESCOLAPIUS in der Sardi- nischen Trilinguis) zusammengesetzten Personennamen. Der zweite Theil dieses Compositums ist zweifelhaft wegen der Unsicherheit des letzten Buchstab’s.. Für nn finde ich keine passende Bedeu- tung, wenn es nicht etwa für v>n steht und der Name Esmün hat gerettet bedeutet. Dieselbe Bedeutung könnte möglicher Weise p5n (s. unten Cit. XLIV), wie auch haben, oder wäre dieses var (£onmvsurys, interpres) auszusprechen? (vgl. von als Ap- pellativum Cit. XXXVII, 3.5., und das freilich zweifelhafte vanızy Cit. XIV, 2); n>n gäbe auch einen Sinn, noch besser aber TB: Vgl. überhaupt unten Cit. XLIV. Unsere Inschrift steht auf einem zerbrochenen Gefäls (s. die Tafel) aus weilsem Marmor, wie eine Beischrift der Copie besagt. Das Gefäfs mag von einem Un- tergebenen als Geschenk an den in der Inschrift genannten Herrn übersendet worden sein. Die Form der Anrede an das Gefäfs hat etwas Befremdendes; etwas erträglicher wäre sie, wenn man "73 als Substantiv (Segen) in der Bedeutung Geschenk nähme, wel- che das hebr. 7372 und das syr. IA>:sa> hat: Eile, o Gabe, von mir zu .... Wenn freilich die Inschrift vorn defect wäre und vor dem beschädigten und etwas unsicheren m des Wortes vn noch andere Buchstaben gestanden hätten, dann würde die auffäl- lige Anrede vielleicht ganz wegfallen.

Cit. XLIII. Diese Inschrift steht auf einem Stein, ebenfalls weilsem Marmor nach der Beischrift, der nach seiner Form zu ur- theilen (s. die Abbildung) wohl als Gewicht gedient hat. Als In- schrift müssen wir dann nach Analogie anderer Gewichtstücke die Angabe der Schwere des Gewichts erwarten, und darauf deuten

vom 9. Mai 1870. 269

die phönikischen Zahlzeichen, die 9 Einer zu je drei gruppirt, da- vor das Zeichen für 10, wenn der kleine horizontale Strich am Rande der Figur dafür gelten kann, und dahinter vielleicht das Wort zbrw, also das Ganze: abpw III IL IN = d.i.19 Sekel. Den Schriftzeichen nach wäre indefs diese Erklärung etwas gewagt, denn das p kommt nur in aramäischen Schriften bisweilen einigermafsen ähnlich vor, und das & nähert sich der Quadratschrift, wenn die Figur nicht in der Copie oder auf dem Steine selbst verkümmert ist. Eher ist das Wort zu lesen m:3»w d.i. acht. Dann muls man aber den Strich am Rande wie auch den letzten sehr kleinen Strich der 9 für zufällige und nicht geltende Striche des Steines oder der Copie ansehen, so dafs auch die Zahlzeichen nur die Zahl 8 aus- drücken, wie solch doppelter Ausdruck einer Zahl, einmal in Zif- fern, dann nochmals durch das Zahlwort, oder umgekehrt, be kanntlich auch sonst vorkommt, z. B. Sidon. I, 1. Das Wort für Sekel oder eine andere Gewichtsbezeichnung ist dann zu ergän- zen, was im Phönikischen ebenso gewöhnlich gewesen zu sein scheint wie im Hebräischen. Eine Angabe über das wirkliche Ge- wicht des Steines liegt mir nicht vor.

Cit. XLIV. pbosnwnb sand [a] 73% d.h. (Ich) der Die- ner meines Herrn (weihet, reicht dar diesen Krug oder dgl.) meinem Herrn, dem Esmünmalag. So als Widmung ist diese Inschrift jedenfalls zu fassen. Die Ergänzung des vierten Buch- staben als x ist unzweifelhaft, unsicher dagegen der letzte Buch- stab. Den Schriftspuren nach scheint 7 am nächsten zu liegen, obwohl sich p&n oder 7%» nur etwa nach dem arab. ‚il (glätten, auch schmeicheln) etwa durch gütig behandeln deuten lielse, oder durch retten (auch v>n retten, entschlüpfen lassen geht von glatt aus, vgl. lat. elabi), was für den Namen Esmäünmalag oder Esmünmilleg eine passende Bedeutung hergeben würde. Vgl. oben zu Cit. XLII.

Cit. XLV. Diese Inschrift setze ich aus zwei Marmorstücken zusammen, welche zusammengehört haben und laut einer der Co- pie beigeschriebenen Notiz an der Stelle des Bruches an einander passen („are fit unto each other“), so dals die Schrift von dem einen zum andern ohne Unterbrechung fortläuft. Leider jedoch ist auch das Ende der so zusammengefügten Zeile noch defect. Das Vorhandene ist: 5*’ewrn>]ba m Es gebe (oder gab) Melkarth Ruhm dem... Der bekannte Stadtgott von Tyrus Melkart kommt

270 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

in den Inschriften gar oft vor, aber stets ist der Name rAp>n (pen, "psm) geschrieben mit p, während hier ein deutliches > steht. Liest man König oder er hat regiert, so bleibt nS undeutlich. Es mag also ein Versehen des Steinhauers sein. Zu bemerken ist der Punkt, der hier dreimal als Worttheiler erscheint. Auch in andern phönikischen Inschriften findet er sich zuweilen, am consequentesten in Cit. II und Tugg., auch schon in der moabitischen Inschrift des Königs Mesa. Vor dem Worte ew fehlt der Punkt, doch hebt sich dasselbe durch etwas gröfseren Zwischenraum vom vorhergehenden ab. Man könnte in graphischer Beziehung mit demselben Recht lesen; ich ziehe aber rd (Name, Ruhm) vor, weil es hier einen passenderen Sinn giebt als &3 (Tag) oder gar z> (Meer).

Cit. XLVI wieder ein Bruchstück, der Name am Ende aber- mals mit E$min zusammengesetzt. Das dem Namen vorangehende Wort kaum ein anderes als "x, trotz der Schwierigkeit, das zweite offenbar defecte Zeichen zu einem 7 zu ergänzen. Das Ganze eine wahrscheinlich nur aus diesen beiden Worten bestehende Widmung irgend eines Gefälses oder eines andern Utensil aus Stein, dann aber vorn nothwendig durch ein hinzuzufügendes > zu ergän- zen, also: ...:mwnb »ı4n[>] d. i. Meinem Herrn, dem ESmün... Ich gestehe, dafs diese Operation etwas gewaltsam erscheinen kann, ich weifs aber für jetzt über die Vorlage keine andere Auskunft zu geben.

Cit. XLVI. most il Fragment, enthaltend die Zahl neun (vgl. oben Cit. XLIII) und das Wort m"= im Monat, dem- nach Theil einer Inschrift mit Datum. Der beschädigte Buchstab vor 7 ist entweder zu einem 5 zu vervollständigen (nach Sidon. 16%: an) oder zu 5 (nach Cit. I, 1: x»n 795, Cit. XXX VII, RS ORT RVTN ann doch dieses, wenn sich die Zahl 9 auf den Monatstag bezieht und demnach =%°=2 voraus- gegangen ist, nach Analogie der eben angeführten Stellen das wahr- scheinlichere.

Cit. XLVII. ..» jmobn 5. Die Mitte dieses Bruchstücks zeigt uns einen deutlich geschriebenen Namen Malkjathan (oder, wie er auch ausgesprochen werden kann, Melekjathan, oder Melek- jitten, oder auch Malkithan), der längst aus Cit. IV, 2 und Cit. XX, 2 bekannt war, der uns aber erst neuerlich in Cit. XXXVII und Cit. XXXVII und durch de Vogüe’s glückliche Combination auch in Cit. I als der Name eines Königs von Kition (“rs 75») und Idalion

vom 9. Mai 1870. 971

. (os=8) entgegengetreten ist. Es ist mir nicht unwahrscheinlich, dafs

4

sich auch hier der Name auf diesen oder einen gleichnamigen König bezieht, sofern sich die dem Namen voraufgehenden Buchstaben 5 leicht zu 7525 ergänzen lassen, welches Wort ihm auch in jeder der drei genannten Inschriften voraufgeht, und ebenso der dem Namen fol- gende gebrochene Buchstab sich als n erweist und denselben Bei- satz vermuthen läfst, welchen die anderen Inschriften haben, näm- lich 5>7x4 75 75a König von Kition und Idalion.

Cit. XLIX. Unter dieser Numer stelle ich die noch übrigen mir vorliegenden Copien kleiner und kleinster Schriftstückchen zu- sammen, nicht als wenn sie alle zu Einer Inschrift gehört haben könnten, sondern nur weil jedes einzelne Stück für sich zu wenig Bedeutung hat, um als eine besondere Inschrift neben den obigen aufgezählt zu werden. Damit will ich nicht behaupten, dafs nicht eins oder das andere seine Selbständigkeit haben könne, wenn es z.B. nur den Namen des Besitzers oder den des Verfertigers eines Gefälses enthalten sollte; auch ist ja möglich, dafs einige von ihnen zu einer und derselben Inschrift oder zu einer der vorangehenden Numern gehört haben können; aber, wie sie vorliegen, erscheinen sie doch mehr als Trümmer.

Die einzelnen Stücke dieser Collectivnumer sind:

a) n»>bo, der bei Cit. XLVIII besprochene Name.

b) mapbn der Name Melkart, vgl. Cit. XLV.

ec) "rs wenn selbständiges Wort, vielleicht = hebr. rs meine Zeit, oder wie in "es Un der zu gelegener Zeit kommt, 3 Mos. 16, 21, oder der Personenname »n» 1 Chron. 2, 35 u. a.

d) Sasmwn s. Cit. XLII.

e) ma zu lesen 1 74a von diesem Duft, vielleicht in Be- ziehung auf ein Gefäls mit wohlriechenden Substanzen, möglicher Weise auch ma ein Wort für solches Gefäls, wie hebr. nyupn

06 Räucherpfanne, arab. pam Kohlenbecken, oder zu lesen 7 772 vom

.

Hauche dieses... u. s. w.

f) in gewils fragmentarisch, vielleicht die beiden letzten Buch- staben von einem der Namen, die auf jn> ausgehen.

8) nm der erste Buchstab defect, vielleicht 4, aber auch so wohl nur Bruchstück eines Wortes.

h) ws wahrscheinlich .öx Mann, oder das Relativpronomen,

272 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

wenn die dahinter stehende Spur der Anfang eines folgenden Wor- tes war, oder zu jaUn oder dgl. zu ergänzen.

j) bw die Buchstaben deutlich, der letzte wahrscheinlich das Pronomen 7 dieser, aber für x>® (allenfalls x W[x] = hebr. Sin »6) vermuthlich x5» zu schreiben und zu lesen non es ist voll, oder a>n fülle.

k) son ganz fragmentarisch.

]) s’nos vielleicht nA4 Geschlechter und ein unvollständi- ges Wort ..=", oder ..S na4 meine Geschlechter in...

m) x22 d.i. xı2 sein Sohn.

n) 265 d.i. 232 sie alle, oder in anderem Zusammenhange e5a Gefälse, Geräthe, Waffen.

0) ebram würde ich lesen 265m 531 und der Oberste ihres Heeres (oder mit Singular-Suffix: seines Heeres), oder Bon Sur und die Menge ihres Reichthums, je nach dem Zusammen hange des vollständigen Textes.

p) .eım vielleicht Minen (= j?n auf den assyrischen Ge- wichten), Plural von nn eine Mine, griech. uv&, oder E3Ü Jahre. Denn der defecte erste Buchstab war offenbar n oder w. Der hinter diesem Worte stehende Buchstab läfst sich am Leichtesten zu 5 ergänzen.

gq) on s. oben zu h.

Hr. Kirchhoff legte die folgende Mittheilung des Hrn. Dr. Ulrich Köhler in Athen vor:

Über zwei Inschriften aus dem äu[lseren Kerameikos von Athen.

Unter den Grabmälern der im Kampfe für das Vaterland Ge- bliebenen, welche den vom Dipylon nach der Akademie führenden Weg einfalsten, erwähnt Pausanias I. 29, 11 das Vanamıl der im Sommer 394 bei Korinth Gefallenen: zeivra: de zur or megı KoowIcv mErovres" 2dyAwee 8 0UX%, YıSr & ö SZ, EvraüIe za aüsıs Ev AN a Toüs Ümd "EAMyvwv zaAoumevous dvögsiaus To under aveu FUNKE eivar, ei un Sauer Tors zur "A9yvaiwv, erı Ö2 zur Bawrwv HgaTHEaVrEeS Ürregov Um Bo:wrwv lMovov ev Asvzrgors Es TOoToV-

/ . . . . . . Fov ®zeruSysev. Mit dieser Angabe darf eine Inschrift in Verbin-

*

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NEOKAEIAHZ

ÄAHMOKAEHZ AEEINERZ ENAHMOZ

OEATTENOZ $ANHZ

vom 9. Mai 1870. 273

dung gebracht werden, welche vor längerer Zeit aufgefunden, jetzt erst ans Licht gezogen worden ist.

An dem Wege, welcher sich von der modernen Piräusstrafse kurz vor der Kirche ‘Ayı« Tauwda in nördlicher Richtung nach der alten Akade-

mie abzweigt, ungefähr zweihundert Schritt von

der Piräusstralse, befindet sich rechts ein un- förmliches Mauerstück und daneben eine Zie- gelbrennerei. In dem Bereiche der letzteren ist vor 9 Jahren eine Palmettenkrönung von circa 24 Meter Länge aufgefunden worden, auf deren unterem Rande die nebenstehende In- schrift eingegraben ist. Die letzten Worte reichen bis in die Mitte des Steines, dessen rechte Hälfte leer ist. Die Kenntnifs dessel- ben wird Professor Kumanudis verdankt, welcher die Aufschrift zuerst in einer hiesigen Zeitung mitgetheilt hat.

Der angegebenen Vertheilung nach zu schliefsen ist die Inschrift so zu lesen, dafs nach den Worten os inrins ameSavov Zv Ko- givSw zunächst in der zweiten Zeile fortzufah- ren ist &duragyos "Avrubavys und ebenso im Folgenden, so dafs im Treffen bei Koroneia nur der eine Reiter Neo#%.1d45 geblieben wäre, Dafs der in der zweiten Zeile an der fünften Stelle genannte As&irews bei Korinth gefallen war, wissen wir durch das ihm besonders vor dem Dipylon errichtete und dort vor einigen Jahren wieder aufgefundene Denkmal. Wenn es daher auf dem letzteren heilst, Dexileos sei gefallen &v KogivSw Tav mevre immewv, SO muls sich dies auf eine besondere uns nicht über- lieferte‘ Episode jener Schlacht beziehen, denn ich finde nicht aus, wie man die neugefundene Inschrift so lesen könnte, dafs auf Korinth 5 Reiter und unter diesen Dexileos kommen,

274 Sitzung der phys.-hist. Klasse vom 9. Mai 1870.

Die Angabe des Pausanias über das Grabmal der bei Korinth Gefallenen ist so allgemein gehalten, dafs sich nicht mit Bestimmt- heit sagen läfst, ob er das neu aufgefundene Denkmal im Sinne gehabt habe. Dieses bezieht sich nur auf Reiter, während nach dem Schlachtbericht des Xenophon der Verlust der Athener bei Weitem gröfser gewesen sein mufs. Es scheint, dafs die Ritter ihren bei Korinth und Koronea gefallenen Kameraden ein beson- deres Denkmal gesetzt hatten, so wie dem Dexileos seine Anver- wandten.

Dafür dafs das Denkmal des Letzteren vor dem Dipylon ge- standen habe, haben die seit einigen Wochen mit glücklichem Er- folge wieder aufgenommenen Ausgrabungen bei der Hagia Triada ein neues Zeugnils in der nachstehenden, dem Schriftcharakter nach in die Mitte des vierten Jahrhunderts gehörigen Inschrift ge- liefert:

Ho P[o]z THZOAOYTHEZ EAE[YJZ IN AAE

Die nach Eleusis führende Strafse oder ieo« ööos nämlich mün- dete, wie bekannt, in das Dipylon ein, und zwar, wie meines Er- achtens aus dem Bericht über die Eroberung Athens durch Sulla und den darin gebrauchten Singularen Teer” und ieg« zur mit Nothwendigkeit zu schliefsen ist, in den nordwestlichen der beiden Thorwege, welche zusammen das Dipylon bildeten.

Hr. Mommsen legte zwei Handschriften des Antonius Augu- stinas aus der Senkenbergischen Bibliothek in Giessen vor.

Gesammtsitzung vom 12. Mai 1870. 275

12. Mai. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Poggendorff las: Über einige neue, merkwürdige Eigenschaften der diametralen Conducetoren an der Elek- tromaschine, und eine darauf gegründete Doppelma- schine dieser Art.

Wenn ich hier, nach Analogie mit anderen längst in die Wis- senschaft eingeführten Wortgebilden, wie Elektrometer, Elektroskop, Elektrophor u. s. w. den Namen Elektromaschine zur Bezeich- nung der von Hrn. Dr. Holtz erfundenen Maschine gebrauche, so geschieht es nicht aus Neuerungssucht, sondern weil ich ihn für passender halte als die bisher vorgeschlagenen. Er ist möglichst kurz, unterscheidet die neue Maschine hinreichend von der gewöhn- lichen Elektrisirmaschine, und ist dabei von jeder Theorie unab- hängig. Namen, welche zugleich eine Theorie aussprechen, wie vorzüglich sie auch zur Zeit ihrer Bildung erschienen sein mögen, können doch im Laufe der Jahre unzweckmäfsig werden, weil un- terdels die Theorie eine andere geworden ist (wie das die einst so gerühmte Nomenclatur der antiphlogistischen Chemie zur Genüge beweist), und vollends müssen sie beanstandet werden, wenn die ihnen zum Grunde gelegte Theorie schon vorweg nicht einwurfs- frei ist.

Daher habe ich mich auch nicht entschliefsen können, den Namen Elektrophormaschine anzunehmen, zumal derselbe ge- eignet ist, die Originalität und den Werth einer Erfindung, die dem Studium der s. g. Reibungs-Elektricität einen so bedeutenden Im- puls verliehen hat und noch ferner verleihen wird, in den Augen der Urtheilslosen herabzusetzen.

Meiner reiflichen Einsicht nach hat die Elektromaschine (in ihren beiden Gestalten mit einer und mit zwei rotirenden Scheiben) nichts weiter gemein mit dem Elektrophor, als dals sie, wie die- ser, den unvermeidlichen Zerlegungsprocefs bei allen Wirkungen der freien Elektrieität, die Influenz nämlich, zu ihren Zwecken be- nutzt, aber in so neuer und eigenthümlicher Weise, dafs sie sich dadurch weit mehr vom Elektrophor entfernt, als dieser von der Leidner Flasche.

[1870] 20

276 Gesammtsitzung

Eine entladene Flasche ist ein geladener Elektrophor, sagt schon der alte Gehler'), und in der That beruht die Ver- schiedenheit beider Instrumente weniger auf ihrer Construction als auf ihrer Gebrauchsweise. Macht man an der Flasche (oder Fran- klin’schen Tafel) einen der Belege beweglich, so hat man ein In- strument, welches man ganz nach Belieben entweder als Flasche (Tafel) oder als Elektrophor benutzen kann.

Dennoch hat man von Volta ab bis auf unsere Zeit den Elek- trophor immer als ein besonderes, von der Flasche verschiedenes Instrument betrachtet, und seinen Begriff auch auf den Fall be- schränkt, wo das isolirende Intermedium entgegengesetzte Elektri- citäten an seinen beiden Seiten besitzt.

Hat man aber dazu ein Recht gehabt, so ist man gewils in noch höherem Grade befugt, einem Instrument, welches in so we- sentlichen Punkten verschieden ist vom Elektrophor, einen Namen beizulegen, der nicht an diesen erinnert.

Darum werde ich es von jetzt ab Elektromaschine nennen, ohne damit irgendwie einen Zwang ausüben zu wollen. Wem der Name nicht gefällt, mag sich desselben enthalten. Die Zukunft wird lehren, welche der vorgeschlagenen Benennungen am Ende den Sieg davon trägt.

Nach diesen Vorbemerkungen will ich zum eigentlichen Ge- genstand meiner heutigen Mittheilung übergehen.

Eigenschaften des diametralen Conductors.

Der von mir zuerst angewandte schräge oder besser diame- trale Hülfseonductor, welcher später von Hrn. Dr. Holtz durch Drehbarkeit und Gegenüberstellung quadrantaler Papierbelege an der festen Scheibe verbessert worden ist, besitzt eine ganze Reihe merkwürdiger Eigenschaften, derentwegen er einen der interessan- testen Theile der Elektromaschine ausmacht.

Er wurde ursprünglich erdacht, um das Erlöschen und Um- kehren des Stromes zu verhindern, welches eintritt, wenn die in Kugeln endigenden Elektroden zu weit auseinander gezogen wor- den und ihnen wohl gar noch Flaschen angelegt sind. Bei trock-

!) Physikal. Wörterbuch (1787) Bd. 1 S. 827.

vom 12. Mai 1870. 277

ner Luft und Reinheit der Glasflächen erfüllt er diesen Zweck, einzelne Anomalien abgerechnet, meistens auch sehr gut, und da- durch hat er wesentlich dazu beigetragen, die Brauchbarkeit der Elektromaschine zu erhöhen, sobald es sich darum handelt, lange Büschel und Funken zu erzeugen, oder grofse Flaschen und Batte- rien zu laden.

Dagegen ist er zur Beobachtung der magnetischen Kraft des Stromes oder der Erscheinungen in stark verdünnten Gasen ganz überflüssig; denn allemal wenn die Elektroden durch einen Leiter mit einander verbunden sind, übt er durchaus keine Wirkung aus. Selbst wenn die Elektroden in freier Luft in Spitzen auslaufen, wirkt er nur äufserst schwach.

Die Wirkung des diametralen Conductors tritt also nur ein, wenn dem Übergang der Elektricität zwischen den Elektroden ein ge- wisses Hindernifs in den Weg gelegt ist. Allein was man bis- her noch nicht beobachtet zu haben scheint sie ist auch abhän- gig von dem Winkel, welchen er mit der, die Elektrodenkämme verbindenden Horizontallinie macht. Bei meinen früheren Versu- chen war ich auf den Winkel von 45° beschränkt, weil meine Ma- schine, welche eine von älterer Einrichtung war, keine andere Stellung für diesen Conductor erlaubte. Durch die Drehbarkeit, welche ihm Hr. Dr. Holtz gegeben hat, kann man nun den Win- kel beliebig verändern, und hat dadurch Gelegenheit zu beobach- ten, dafs sich der Winkel, von 45° ab, nicht nur ohne Schaden bis zu 90° vergröfsern läfst, sobald nur die Papierbelege an der Rückseite der ruhenden Scheibe eben so weit reichen, sondern auch, dafs er gleichfalls ohne Nachtheil beträchtlich verkleinert werden kann.

Allein es hat dies seine Gränze. Nähert man sich einem Winkel von 10° bis 15°, so tritt ein Punkt ein, wo, ungeachtet in dem drehbaren Öonductor ein starker Strom vorhanden ist, wie man dies im Dunklen an den Licht-Erscheinungen an seinen Käm- men sieht, dennoch der Übergang der Elektrieität zwischen den Elektroden gänzlich aufgehoben wird.

Während also der Hülfsconduetor die nutzbare Wirkung der Maschine bei gröfsern Winkeln, wenn auch nicht verstärkt, doch wenigstens in ihrer Stärke erhält, so dafs man ihn ganz füglich Conservator nennen könnte, schwächt und vernichtet er sie

bei kleinen Winkeln.

20 *

278 | Gesammtsitzung

Der Werth dieses Vernichtungswinkels ist verschieden nach dem Abstande zwischen den Elektroden und auch nach dem Durchmesser der Kugeln, in welchen die Elektroden endigen. Je gröfser dieser Abstand ist, desto gröfser ist auch jener Winkel, ohne ihm gerade proportional zu sein. Bei Funken von 7 bis 8 Zoll Länge kann er wohl auf 30° und darüber steigen.

Auch bleiht der Winkel bei Fortdauer des Stromes nicht con- stant. Anfangs genügt vielleicht schon ein Winkel von 30° um die Funken zu unterdrücken; allein bei fortgesetzter Drehung der Maschine kommen sie wieder zum Vorschein, und es bedarf zu ihrer Vernichtung einer abermaligen Reduction des Winkels, welche sich nach einiger Zeit vielleicht aufs Neue als ungenügend erweist, bis man endlich zu einem Minimalwerth gelangt, bei dem die Fun- ken bleibend verschwinden.

Aber was besonders bemerkenswerth ist: jener Winkel ist auch bei gleicher Gröfse des gegenseitigen Abstandes der Elektroden verschieden nach der Lage desselben zwischen den Elektrodenhal- tern. Der nämliche Winkel, der, wenn dieser Abstand auf Seite des positiven Elektrodenhalters liegt, die Entladungsfunken der Flasche vernichtet, läfst Funken von gleicher Länge unverändert bestehen, wenn der Abstand nach Seite des negativen Elektroden- halters hin versetzt wird. Es hängt dies wohl zusammen mit der schon früher, als noch keine schrägen Conductoren üblich waren, von Hrn. Dr. Holtz gemachten Erfahrung, dafs man überhaupt, um gute Funken zu erhalten, nur die negative Elektrode aus der Mitte entfernen dürfe, nicht die positive.

Der Einflufs des erwähnten Winkels auf die Wirkung des dia- metralen Conductors zeigt sich übrigens auch in dem Fall, wo ihm keine grofsen Papierbelege gegenüber stehen. Hat dieser Winkel einen beträchtlichen Werth, z. B. 45°, so ist es nicht mög- lich, die Maschine auf eine der bekannten Weisen in Thätigkeit zu setzen, und daher war ich früher, um diese Erregung zu bewerkstel- ligen, genöthigt, entweder den Conductor zu entfernen oder die Ver- bindung zwischen seinen Kämmen aufzuheben. Bei der neuen Ma- schine ist dies nicht mehr nothwendig; man braucht den Winkel nur bis 10° oder 15° zu verringern und kann sie dann mit Leich- tigkeit auf die gewöhnliche Art erregen.

Hat man einmal die Maschine auf diese Weise in Thätigkeit gesetzt und erhält sie einige Zeit darin, damit die ruhende Scheibe,

vom 12. Mai 1870. 279

von welcher der schräge Conductor seine Wirksamkeit empfängt, recht stark elektrisch werde, so kann man diesen unter einen grös- seren Winkel (etwa 45°) einstellen, und dabei wahrnehmen, dafs er dann ohne Papierbeleg an der Rückseite der ruhenden Scheibe fast eben so stark wirkt wie mit ‚demselben. Ich habe mit ihm in ersterem Falle Büschel und Funken von 6 Zoll Länge er- halten.')

Wenn die Wirkung ohne Papierbelege auch etwas schwächer ist, so hat sie doch andererseits den Vorzug, dafs dabei die Um- kehrungen des Stroms, wenn überhaupt noch möglich, viel kräfti- ger verhütet werden als bei Anwendung von Papierbelegen.

Es scheint dieses mit der Leitungsfähigkeit der Belege zusam- men zu hängen, denn wenn man dieselbe erhöht, z. B. das Papier durch Stanniol ersetzt, treten die Strom-Umkehrungen ungleich leichter ein.

So lange die Elektroden einander berühren oder durch einen Leiter, z. B. eine Flüssigkeit, eine Geilslersche Röhre, verbunden sind, hat man zwischen ihnen einen kräftigen Strom, der dem bei Anwendung von Papierbelegen stattfindenden, durchaus nicht nach- steht. Sowie man sie aber in freier Luft auseinander zieht, nimmt dieser Strom rasch ab, und bald, wenn der Abstand zwischen ihren Kugeln auf einige Zoll gebracht ist, erlischt er gänzlich, ungeach- tet dann in dem schrägen Conductor selbst, wie immer, wenn der Strom zwischen den Elektroden schwach oder Null ist, ein star- ker Strom auftritt, der lange und helle Lichtpinsel aus dem positi- ven seiner Kämme auf die rotirende Scheibe absendet.

Besonders leicht tritt die Strom- Umkehrung ein, wenn der diametrale Conductor lothrecht steht, oder aus der Lage 45° in die lothrechte Stellung gebracht wird.

1) Ebenso sind die Erscheinungen, wenn hinter den Kämmen des Con- ductors zwar kleine Papierbelege angebracht sind, diese aber nicht mit den Belegen hinter den Elektroden in leitender Verbindung stehen.

Um die volle Wirkung des Conductors zu erhalten, werden gewöhnlich die ersteren Belege durch einen schmalen, gekrümmten Papierstreifen mit den letzteren verbunden. Ich gebe indefs quadrantalen Belegen, die durchweg so breit wie die Kämme lang sind, den Vorzug, weil man dabei die Wirkung des diametralen Conductors unter jedem Winkel studiren kann.

230 Gesammtsitzung

Die Wirksamkeit des diametralen Conductors ist immer mit einem in ihm vorhandenen Strom verknüpft. Ohne denselben wirkt er nicht, obgleich er mit demselben, wie schon erwähnt, auch un- wirksam sein kann. Man erkennt das Dasein und die Richtung dieses Stromes an den Lichtpunkten und Lichtpinseln, die an den Kämmen des Conductors auftreten.

Besser aber lassen sich die einzelnen Phasen und Schwankun- gen des im Conductor vorhandenen Stromes studiren, wenn man, wie ich es gethan habe, die Kämme desselben durch ein isoliren- des Mittelstück trennt und sie darauf durch eine geeignete Spec- tralröhre (eine enge, an beiden Enden zur Kugel erweiterte Röhre, die daselbst eingeschmelzte Platindrähte enthält und mit stark ver- dünntem Wasserstoff oder Stickstoff gefüllt ist) wiederum verbin- det. Die Wirkung eines so eingerichteten Hülfsconductors ist einem metallischen vollkommen gleich, aber bei weitem instructiver und augenfälliger, wenn man im Dunklen beobachtet. Hier einige Bei- spiele davon.

Wenn man, vor der Maschine stehend, dieselbe so erregt, dafs der linke Elektrodenkamm negative Elektricität ausströmt, und wenn zugleich der Conductor so gestellt ist, dafs seine obere Hälfte eben- falls nach der Linken um 45° gegen den Horizont neigt, so ge- wahrt man, falls auch die Elektroden zusammengeschoben sind, dafs sein oberer Kamm gleich nach der Erregung positive Elek- trieität aussendet, denn in der oberen Kugel der Spectralröhre erscheint das bekannte blaue negative Licht. Dies dauert aber nur eine Weile, dann erlischt es; nun kann man die Elektroden mehre Linien auseinander ziehen, ohne dafs die Röhre irgend wel- ches Licht sehen läfst. Sowie man aber die Elektroden weiter von einander entfernt, wird die Röhre wieder leuchtend, und zwar so, dafs nun das blaue Licht in ihrer unteren Kugel erscheint. Der Strom in dem Conductor geht also jetzt gegen vorher in umge kehrter Richtung und diese behält er bei allen ferneren Vergrölse- rungen des Abstandes zwischen den Elektroden. Überhaupt ist, wie schon gesagt, der Strom in dem Conductor immer am stärk- sten, wenn er zwischen den Elektroden am schwächsten, vielleicht gar Null ist.

Waren dagegen bei Erregung der Maschine die Elektroden nicht in Berührung gebracht, so hat der Strom in dem Conductor

vom 12. Mai 1870. 281

sogleich die letztere Richtung und es findet also keine Umkehrung desselben statt.

Einen Strom von gleicher Richtung, und zwar einen sehr in- tensiven, zeigt auch der Conductor, sobald einmal die Maschine erregt ist, wenn man ihn so weit nach der Rechten dreht, dafs ihm kein Papierbeleg mehr gegenüber steht. Hierbei müssen aber die ' Elektroden auseinander gezogen sein; schiebt man sie zusammen, so verschwindet das Licht in der Röhre.

Andrerseits, wenn man bei der letzteren Stellung des Conduc- tors die Maschine in genannter Weise erst erregt, erhält man das blaue Licht wiederum in der oberen Kugel der Röhre, voraus- gesetzt, dals die Elektroden zusammengeschoben sind; zieht man sie auseinander, so erlischt es gänzlich und mit ihm natürlich auch der Strom.

In allen diesen Fällen war die Gegenwart grolser Papierbe- lege hinter den Kämmen des Conductors vorausgesetzt. Dieselben Erscheinungen zeigen sich aber auch ohne diese Belege fast noch besser ausgebildet.

Einflufs des diametralen Conductors auf die Erregungsweise der Elektromaschine.

Bekanntlich ist die Elektromaschine keine primitive Elektrici- tätsquelle, sondern ein Werkzeug zur Vervielfältigung einer ihm mitgetheilten kleinen Menge freier Elektricität, die ebensowohl aus der Voltaschen Batterie oder dem Inductorium, als aus der Elek- trisirmaschine oder einer geriebenen Ebonitplatte herstammen kann, weshalb denn das Product dieser Vervielfältigung sich im Allge- meinen nicht einmal als Reibungs-Elektrieität betrachten läfst, ob- gleich es für gewöhnlich dieser seinen Ursprung verdankt.

Gerade durch diesen ihren secundären Character erlangt aber die Elektromaschine, besonders wenn man das Verhalten des dia- metralen Conductors dabei in Betracht zieht, ein Interesse, welches Elektrisirmaschine und Elektrophor nicht gewähren.

Während nämlich die Elektrisirmaschine nur durch Reibung, und der Elektrophor nur durch Reibung oder Mittheilung zur Wirk- samkeit gelangt, ohne dabei eine bemerkenswerthe Erscheinung zu

282 Gesammtsitzung

zeigen'), kann, wie ich schon früher dargethan habe (Monatsberichte 1869, April) die rechtläufig gedrehte Elektromaschine erster Art auf dreierlei Weisen in Thätigkeit gesetzt werden.

Erstens von der Rückseite her, nach dem gewöhnlichen Ver- fahren, indem man einem der Belege durch Vertheilung oder Mit- theilung Elektrieität zuführt.?)

Zweitens von der Vorderseite her, indem man aus einer an- deren Elektricitätsquelle, einer geladenen Flasche oder einer zwei- ten Maschine, Elektrieität durch die Metallkämme der Elektroden auf die rotirende Scheibe ausströmen läfst.

Und drittens auf intermediäre Weise mittelst der ruhenden Scheibe, nachdem man dieselbe durch vorherigen Gebrauch der Maschine in ihrer oberen und unteren Hälfte entgegengesetzt elek- trisch gemacht und die Belege ableitend berührt hat.

1) Die leichteste Art, einen Elektrophor zu erregen, besteht darin, dafs man den Kuchen desselben einige Male zwischen den Elektroden der Elek- tromaschine hin- und herführt. Man erhält dadurch nach Belieben, je nach- dem wie man ihn in die Form einlegt oder zugleich mit derselben elektrisirt hat, einen negativen oder einen positiven Elektrophor, der bei der ersten Schlies- sung Funken von überraschender Kräftigkeit giebt. Es dürfen aber bei die- sem Procefs die Elektroden nur in Spitzen auslaufen, nicht in Kugeln, weil sonst der Kuchen, wenn er etwas dünn ist, leicht von den Funken der Ma- schine durchbohrt wird.

2) Es ist ganz einerlei, ob dem einen Beleg z. B. positive Elektricität durch Berührung mitgetheilt wird, oder dieselbe in distans vertheilend auf ihn wirkt. In beiden Fällen sendet der Bad, Elektrodenkamm negative Elektricität aus.

Bemerkenswerth ist auch, dafs während es, um die Maschine auf solche Weise in Thätigkeit zu setzen, nur einer geringen Elektricitätsmenge bedarf, die dann durch das Spiel der Maschine selbst bis zu einem gewissen Punkt vermehrt wird, eine weitere Vermehrung derselben durch künstliche Mittel durchaus nichts zur Verstärkung der Wirksamkeit der Maschine beiträgt.

Leitet man z. B., während die Maschine in Thätigkeit ist, positive Elek- trieität auf ihren positiven Beleg, und negative auf ihren negativen, aus einer zweiten Maschine, so wird der Strom der ersteren dadurch nicht im Minde- sten verstärkt.

Dagegen wird dieser Strom augenblicklich vernichtet und auch wohl um- gekehrt, sowie man die zweite Maschine im entgegengesetzten Sinne auf die Belege der ersten wirken läfst.

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Auf diese dritte Erregungsweise scheint der Hülfsconductor ganz ohne Einflufs zu sein. Und auf die erste wirkt er nur inso- fern, als er, wenn ihm keine Papierbelege gegenüber stehen, sie gar nicht zu Stande kommen läfst, sobald er nicht einen kleinen Winkel mit der Verbindungslinie der Elektrodenkämme macht, wie schon vorhin gesagt.

Desto entschiedener und merkwürdiger aber ist sein Einfluls auf die zweite Erregungsweise. Ich habe darüber schon im Mo- natsbericht vom Januar des verflossenen Jahrs eine vorläufige No- tiz gegeben, und will nun hier die Sache ausführlicher behandeln. Diese Erregungsweise kann sowohl durch geladene Flaschen als durch den Strom einer zweiten Elektromaschine bewerkstelligt wer- den. Beide Methoden haben ihr Eigenthümliches.

Erregung der Maschine durch geladene Flaschen.

Erster Fall: Maschine ohne Hülfsconductor. Legt man zwei entgegengesetzt geladene Flaschen, deren äufsere Belege in metallische Verbindung gesetzt sind, mit ihren Knöpfen an die, zur Verhütung einer Entladnng zwischen ihnen, hinreichend aus- einander gezogenen Elektroden, und bringt darauf die Maschine rechtläufig, d. h. den Zähnen ihrer Papierbelege entgegen, in Rotation, so erfolgt eine stille Entladung der Flaschen gegen die rotirende Scheibe. Dabei geht von der positiven Flasche (d.h. von ihrem inneren positiven Belege) positive Elektricität, und von der negativen negative Elektricität auf die Scheibe über, wie man dies im Dunklen aus den Licht-Erscheinungen an den Elektroden- kämmen deutlich ersieht.

Durch diese Entladung gelangt die Maschine zur Thätigkeit, in solcher Weise, dafs sie, nachdem die Flaschen erschöpft sind, den eingeleiteten Procefls in gleicher Richtung fortsetz. Da nun, wenn der eine Kamm fortdauernd positive, und der andere fort- dauernd negative Elektrieität aussendet, die Knöpfe der Elektroden nothwendigerweise eben so fortdauerud die entgegengesetzten Elek- trieitäten an die Flaschen abgeben müssen, so werden diese wie- derum geladen, und zwar in umgekehrtem Sinn, wie sie es vor- her waren.

Allein die so umgekehrt geladenen Flaschen wirken auf die Maschine zurück, erregen sie im entgegengesetzten Sinn, um sie nach kurzer Zeit wiederum im ursprünglichen Sinn zu be-

234 Gesammtsitzung

leben, und so fort, eine ununterbrochene Reihe von Strom-Umkeh- rungen bewirkend.. Um die Maschine in einem bestimmten Sinn erregt zu haben, mufs man demnach die Elektroden zur rechten Zeit schlie(sen und die Flaschen entfernen.

Zweiter Fall: Maschine zwar mit Hülfsconductor armirt, aber ohne Papierbelege dahinter. In diesem Falle findet bei der eben beschriebenen Operation wohl eine stille Entladung der Flaschen gegen die Scheibe statt, aber keine umge- kehrte Ladung derselben, da die Maschine nicht zur selbstständigen Thätigkeit gelangt. Die Licht-Erscheinungen an den Kämmen der Elektroden und des Conductors während der Entladung sind nur schwach, und zeigen, dafs während derselben, bei schräger Stel- lung des Conductors, die benachbarten Kämme entgegengesetzt elektrisch sind, also, im Kreise herumgezählt, auf zwei positive Kämme zwei negative folgen.

Dritter Fall: Maschine mit Hülfsconductor und Pa- pierbelegen dahinter. Dieser Fall bietet eine ganz ano- male Erscheinung dar. Die positiv geladene Flasche sendet nämlich bei rechtläufiger Drehung der Maschine nicht positive, sondern negative Elektricität gegen die rotirende Scheibe, und die negativ geladene ebenso positive.) Eine stille Entladung der Flaschen findet nicht statt, im Gegentheil eine stärkere La- dung derselben im ursprünglichen Sinn, während die Maschine, verglichen mit dem ersten Fall, wo kein Conductor vorhanden war, im umgekehrten Sinn zur selbstständigen Thätigkeit gelangt.

Die geladenen Flaschen verlieren also nichts von der in ihnen angehäuften Elektrieität, nehmen vielmehr noch neue derselben Art aus der rotirenden Scheibe auf, ungeachtet diese erst durch sie elektrisch gemacht wird.

Die Ladung der Flaschen, um diese Wirkung hervorzubringen, braucht gar keine starke zu sein. Zwei Flaschen, jede von 73 Quadratzoll äufserer Belegung, die an einer anderen Elektroma- schine durch eine einzige Kurbeldrehung geladen worden waren, so schwach, dafs sie sich zwischen Kugeln von 10 Lin. erst ent-

!) Dreht man die Maschine rückläufig, so verhält es sich umgekehrt. Die positiv geladene Flasche oder vielmehr ihr positiver Knopf z. B. sendet positive Elektrieität auf die Scheibe.

vom 12. Mai 1870. 285

luden, wenn diese bis zu 3 Lin. zusammengeschoben wurden, reich- ten hin, die anomale Erregung hervorzurufen, welche ihnen nun eine viel höhere Ladung ertheilte, eine Ladung von 4 Zoll Schlag- weite und darüber.

Diese merkwürdige Erzeugung und Einsaugung von Elektrici- tät durch partiell geladene Flaschen ist nicht blofs der eben ge- nannten Combination eigen, sondern zeigt sich auch in zwei an- dern, sehr verschiedenen Fällen, von denen ich weiterhin sprechen werde.

Das verschiedene Verhalten geladener Flaschen gegen die noch unerregte Maschine, je nachdem diese mit einem diametra- len Conductor versehen ist oder nicht, giebt übrigens eine einfache Erklärung der Thatsache, dafs wenn man Flaschen von einiger Gröfse an der bereits thätigen Maschine zu laden versucht und diese mit keinem Conductor versehen ist, der Strom derselben sich umkehrt, dafs dies aber nicht geschieht, sobald ein Conductor zu- gegen ist. Im ersten Fall wirkt nämlich die Flasche der Maschine entgegen, im zweiten Fall aber nicht.

Erregung der Elektromaschine durch den Strom einer andern.

Erster Fall: Beide Maschinen ohne diametralen Conductor. Wird der Strom der einen Maschine auf die rechtläufig rotirende Scheibe der anderen, noch nicht erregten ge- leitet, so kommt auch diese in Thätigkeit und zwar in gleichem Sinne mit der ersteren, so dafs jeder der Verbindungsdrähte an seinen Enden oder Metallkämmen entgegengesetzte Elektrieitäten aussendet.

Werden die beiden Maschinen erst einzeln erregt und dann gleichsinnig verbunden, so ist auch nach der Verbindung der Strom in beiden ein gleichsinniger. Werden sie aber, nach der Erregung, widersinnig verbunden, so erlischt der Strom in beiden.

Zweiter Fall: Die eine Maschine ohne Oonductor, die andere mit demselben. Wird die Maschine 4, die kei- nen Hülfsconductor hat, erst erregt, und alsdann ihr Strom auf die noch unerregte Maschine B, die mit Conductor versehen ist, geleitet, so kommt auch diese in Thätigkeit, momentan in wider- sinniger Richtung mit dem Strom von 4; allein sie übt auf die- sen eine Reaction aus, kehrt ihn nämlich um, so dafs dann doch die Ströme bei der Maschine in gleicher Richtung gehen, aber ent-

286 Gesammtsitzung

gegen der, welcher man den Strom von A ursprünglich eingeprägt hatte.

Hat man die mii Conductor versehene Maschine D zuerst er- regt und ihren Strom auf die unerregte A geleitet, so findet eine solche Reaction oder Umkehrung nicht statt. Der Strom von A ist gleichsinnig mit dem von D, der auch nach der Verbindung seine ursprüngliche Richtung bewahrt.

Dritter Fall: Die eine Maschine ohne Conductor, die andere mit Conductor, aber ohne Papierbelege da- hinter. Der Strom der ersten Maschine A bringt die andere B nicht zur selbstständigen Thätigkeit; während der Einströmung bemerkt man zwar Licht-Erscheinungen an den Kämmen von 2, aber sie sind schwach, werden immer schwächer und verschwinden endlich mit dem gleichzeitigen Erlöschen des Stroms in 4.

Vierter Fall: Beide Maschinen mit Conductoren, aber nur die eine mit Papierbelegen dahinter. Die Maschine A mit Belegen erregt ganz deutlich in der Maschine B ohne Belege einen gleichsinnigen Strom; aber dieser Strom besteht nur während der Einströmung und so lange man B in Rotation erhält. Dabei findet in A kein Erlöschen des Stromes statt. Der ganze Vorgang hat Ähnlichkeit mit dem in zweiten Fall der Erre- gung durch Flaschen.

Fünfter Fall: Beide Maschinen mit Conductoren und Papierbelegen dahinter. Dieser Fall ist wiederum ganz anomal. Leitet man nämlich den Strom der einen Maschine auf die zwar in Rotation versetzte, aber noch unerregte zweite Ma- schine, so kommt diese in widersinniger Richtung zur selbst- ständigen Thätigkeit, also so, dafs ihr Strom dem der ersten Ma- schine entgegengesetzt ist. In Folge defs hat man die merkwür- dige, im Dunklen schon durch den blofsen Anblick erkennbare Er- scheinung, dafs die Verbindungsdrähte aus den Kämmen an ihren Enden einerlei Elektricität aussenden und aus ihrer Mitte die entgegengesetzte. Der eine Draht strahlt solchergestalt an beiden Enden positve und in der Mitte negative Elektriecität aus; der andere an den Enden negative und in der Mitte positive.

Dasselbe geschieht, wenn man zwei mit diametralen Conduc- toren versehene Maschinen erst einzeln erregt und dann widersin- nig verbindet. Die Ströme derselben löschen einander nicht aus,

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wie im Falle der Abwesenheit dieser Conductoren, sondern ver- harren unverändert in ihrer Widersinnigkeit.

Verbindet man andrerseits dieselben vorher erregten Maschi- nen gleichsinnig mit einander, so kehrt der Strom der einen den der andern um, und die Maschinen wirken also dann doch wie vorhin einander entgegen. Welche der beiden Maschinen dabei das Übergewicht erlangt, hängt theils von der Kräftigkeit derselben ab, theils aber, und, wie es scheint, hauptsächlich davon, welche von ihnen, nach der Verbindung mit der andern, zuerst in Bewegung gesetzt ward. Die zuerst bewegte Maschine überwältigt die andere. |

In allen diesen drei Fällen ist kein Strom in den Verbindungs- drähten vorhanden. Denn wenn man sie an einer Stelle unter- bricht und daselbst eine Geifslersche Röhre einschaltet, bleibt dieselbe dunkel, sobald nur beide Maschinen gleich stark wirken.

Von dieser merkwürdigen Anordnung der Elektricität auf den Verbindungsdrähten kann man eine Nutzanwendung machen, darin bestehend, dals man zwischen beiden Drähten eine Brücke schlägt. Man erhält dann in dieser Brücke einen Strom, welcher gleich ist der Summe der Ströme beider Maschinen.

Schon in der kurzen Notiz im Januarheft der vorjährigen Mo- natsberichte, aus der ich die eben angeführten Worte entlehne, sagte ich, dafs sich, gestützt auf diese Thatsache, eine Maschine von doppelter Kraft einer einfachen construiren lasse, unterliefs es aber damals die Idee zur Ausführung zu bringen. Seit einigen Monaten bin ich jedoch im Besitz einer solchen Doppelmaschine, vortrefflich ausgeführt von dem Mechanikus Borchardt, die allen meinen von ihr gehegten Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen hat. Bevor ich indels zur Beschreibung dersel- ben übergehe, will ich hier einige andere Beobachtungen mitthei- len, die mit den bereits auseinander gesetzten in enger Beziehung stehen.

Neue Erregungsweise der Elektromaschine. Bei allen bisherigen Erregungsweisen mufste man die Maschine erster Art, damit sie zur 'Thätigkeit gelange, rechtläufig, d.h. den Zähnen der Belege entgegen, rotiren lassen. Es ist dies aber

283 Gesammtsitzung

keine absolute Nothwendigkeit. Sie kann auch durch rückläu- fige Rotation in Thätigkeit versetzt werden.

Einen ersten Fall der Art habe ich bei Gelegenheit meiner Untersuchung über das Holtzsche Rotationsphänomen beobachtet, damals aber unerwähnt gelassen.

Leitet man nämlich den Strom einer Maschine A, die mit Conductor und Papierbelegen dahinter versehen ist, auf eine zweite Maschine B, welche keinen Corductor hat, so kommt diese, wenn sie hinreichend beweglich ist, nach einem kleinen Anstofs, in Ro- tation, und zwar nach der einen Richtung ziemlich eben so gut als nach der anderen.

Das Nämliche ist der Fall, wenn die Maschine B zwar einen Conductor hat, derselbe aber so gestellt ist, dafs ihm die grolsen Papierbelege nicht gegenüberstehen. Bringt man ihn jedoch in die Stellung vor diesen, so vermag die Maschine merkwürdigerweise nur in einer Richtung zu rotiren, nämlich in der rückläufigen.

Unterhält man nun diese rückläufige Rotation eine Zeitlang, trennt dann die Maschine ZB von der andern A, und setzt sie mit- telst der durch die Hand gedrehten Kurbel in rechtläufige Ro- tation, so giebt sie einen starken Strom, welcher dem von 4, der anfangs auf sie einströmte, in Richtung entgegengesetzt ist.

Ein zweiter Fall ist dieser. Man leitet den Strom der Ma- schine A, die mit Conductor und Papierbelegen versehen ist, auf die Maschine B, aber nicht wie immer bisher durch ihre Elektro- denkämme, sondern durch die Kämme ihres Conductors, die zu diesem Zweck von einander isolirt sein müssen, jedoch nicht noth- wendig Papierbelegen gegenüber zu stehen brauchen. Dreht man nun die Maschine B, gleichviel ob rechtläufig oder rückläufig, so gewahrt man an den Licht-Erscheinungen, die im Dunklen an den Kämmen sichtbar sind, dafs während der Einströmung in D ein Strom erregt wird, der dem von A in Richtung entgegengesetzt ist, der aber, sowie man B von A abtrennt und fortgesetzt recht- läufig dreht, seine Richtung umkehrt, folglich gleiche Richtung mit dem erregenden Strom von A bekommt.

Ich halte dafür, dafs diese beiden Fälle, obwohl in der Form von den bisher bekannten Erregungsweisen verschieden, dennoch im Wesen zusammenfallen mit derjenigen, welche ich vorhin die intermediäre genannt habe, dafs sie nämlich aus einer entgegen-

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gesetzten Elektrisirung der beiden Hälften der ruhenden Scheibe hervorgehen.

Die rückläufige Rotation, von der eben die Rede war, läfst sich auch mittelst geladener Flaschen hervorbringen, die man der noch unerregten Maschine anlegt.

Interessanter macht sich aber der Versuch, wenn man an die bereits erregte Maschine ein Paar etwas grofser, ungelade- ner Flaschen ansetzt (ich nehme sie von 75 und von 152 Quadrat- zoll äulserer Belegung eine jede) und die Elektroden 4 bis 5 Zoll auseinander zieht, um ihnen eine recht starke Ladung ertheilen zu können, und nun rechtläufig dreht. Schon hiebei spürt man fühlbar, dafs sich die Maschine um so schwerer drehen läfst, je mehr man dem möglichen Maximum der Ladung nahe kommt. Hat man dieses Maximum ungefähr erreicht und läfst nun die Kurbel los, so beginnt die Maschine durch die Reaction der Flasche aus freien Stücken rückläufig zu rotiren, und zwar trotz des Schnurlaufs (wenn er nur nicht zu stark gespannt ist) ziemlich rasch und wohl so lange, dafs die Scheibe 25 bis 30 Umgänge macht. Entfernt man die Schnur, so rotirt sie natürlich viel schnel- ler und länger. Auch zu dieser Rotation, bei welcher die Flaschen still entladen werden, und jede derselben diejenige Elektrieität auf die Scheibe aussendet, mit welcher sie geladen war, ist nothwen- dig, dafs die Maschine mit einem vor den Papierbelegen stehenden diametralen Conductor versehen sei; sonst erfolgt sie nicht.

Dals diese interessante Form des Holtz’schen Rotationsphä- nomens bisher noch nicht beobachtet worden ist, ungeachtet man seit fünf Jahren so oft Flaschen an der Maschine geladen hat, hat seinen Grund wohl darin, dafs die Maschine einerseits nicht be- weglich genug war und andrerseits auch keine Einrichtung besalfs, um grölsere Flaschen mit ihr zu verbinden, was nur mittelst der weiterhin beschriebenen Teller auf den Elektrodenhaltern leicht und bequem zu bewerkstelligen ist.

Erregung der Elektromaschine erster Art bei Vertauschung der Elektroden gegen den diametralen Conductor.

Im Aprilheft der Monatsberichte von vorigem Jahre habe ich eine Gebrauchsweise der Elektromaschine erster Art beschrieben,

290 Gesammtsitzung

die auf eine Vertauschung der Elektroden gegen den diametralen Conductor hinausläuf. Es wird nämlich die ruhende Scheibe, welche mit zwei gezahnten Belegen von geringer Breite versehen sein muls, so gestellt, dafs der eine dieser Belege senkrecht unter dem andern liest. Bringt man nun vor ihnen den diametralen Hülfsconductor ebenfalls in lothrechter Stellung an, so kann man die Maschine (sobald nur die Elektroden hinreichend auseinander gezogen sind) auf die gewöhnliche Weise von der Rückseite her erregen, und bekommt dann in dem Conductor den Hauptstrom, wie ich ihn nannte, und in den Elektroden der horizontalen Kämme, denen keine gezahnten Belege gegenüberstehen, den Nebenstrom, der allein nutzbar ist.

Ich zeigte dann, dafs dieser Nebenstrom die Differenz zweier entgegengesetzten Ströme ist, deren einer von der vorderen rotiren- den Scheibe und der andere von der hinteren ruhenden ausgeht, und dafs man den letzteren schwächen oder vernichten müsse, wenn man eine anhaltende Wirkung zu erhalten wünscht. Dies gelang mir, indem ich die ruhende Scheibe hinter den Elektrodenkämmen mit grolsen Ausschnitten versah, denen keine Belege angefügt waren.

Als ich jetzt die letztere Combination auf ihre Erregung näher untersuchte, fand ich, dafs, wiewohl man sie durch Elektrisirung der Belege von der Rückseite her ganz leicht in Thätigkeit setzen kann, dieses durch Einströmung von Elektricität auf die vordere rotirende Scheibe mittelst der Elektrodenkämme nicht zu bewerk- stelligen sei. Ich mochte die Elektroden mit geladenen Flaschen oder mit einer anderen Maschine verbinden: die genannte Combi- nation kam nicht zur Wirksamkeit.

Ich vertauschte nun die Scheibe mit vier Ausschnitten gegen die mit zwei und daran sitzenden Belegen, und siehe da: jetzt war eine Erregung von der Vorderseite her durch die Elektroden möglich.

Legte ich geladene Flaschen an, so wurden sie nicht still entladen, sondern stärker geladen; sie boten also denselben anomalen Fall dar, der vorhin S. 284 besprochen wurde, ungeach- tet es hier der Hülfsconductor selber war, in welchem der Vorgang stattfand.

Ähnlich verhielt es sich, als der Strom einer anderen Ma- schine durch die Kämme der als Hülfsconductoren fungirenden

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Elektroden auf die rotirende Scheibe geleitet wurde. Die Verbin- dungsdrähte strömten einerlei Elektrieität aus ihren Enden aus, und die erregte Maschine, abgetrennt von der erregenden, gab einen Strom, der in Richtung dem der letzteren entgegengesetzt war.

Verhalten der lateralen Conductoren.

Es ist nicht allein der diametrale Conductor, welcher die Fä- higkeit besitzt, den Strömen zweier vereinten Maschinen eine wider- sinnige Richtung zu geben und zu erhalten: auch der laterale oder überzählige Conductor, den Hr. Dr. Holtz in der ersten Zeit zur Verhütung der Strom-Umkehrungen auwandte, ist mit dieser Eigenschaft begabt, jedoch in geringerem Grade.

Der laterale Conductor besteht bekanntlich aus einem Metall- kamm, der vertikal entweder oben oder unten vor der Scheibe in quadrantalem Abstand von den Elektrodenkämmen angebracht und mit einem der letzteren durch einen Bügel metallisch verknüpft ist. Zur Erhöhung seiner Wirksamkeit wird an die ruhende Scheibe ein quadrantaler Papierbeleg angelegt, der sich gegenüber von dem unverbundenen Elektrodenkamm bis gegenüber zu dem Conductorkamm erstreckt. Statt eines solchen lateralen Conduc- tors können auch deren zwei angewandt werden, einer oben und einer unten.

Um nicht zu weitläuftig zu werden, will ich nicht alle hier möglichen Fälle in Betracht ziehen, sondern nur einige der inter- essanteren.

Erster Fall: Erregende Maschine A mit diametra- len Conductor und Belegen dahinter. Die andere Ma- schine B mit vertikalem Kamm oben, Bügel rechts, Be- leg links.

Der Strom der Maschine A erregt schon während der Ver- bindung derselben mit B in dieser einen ihm entgegengesetz- ten Strom, der sich auch nach der Trennung beider Maschinen erhält. Der vertikale Hülfskamm strömt dabei positive Elektri- eität in langen Pinseln aus, wenn der mit ihm verbundene links liegende Elektrodenkamm die ‚negativen Lichtpunkte zeigt. Am rechtsliegenden positiven Elektrodenkamm erscheinen während der Einströmung nur schwache Pinsel, nachher stärkere.

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292 Gesammtsitzung

Zweiter Fall: Maschine A wie vorhin armirt. Ma- schine B mit vertikalem Kamm unten, Bügel links, Be- leg rechts.

Dieser Fall ist identisch mit dem ersten, da das Ganze von Conductor, Bügel und Beleg in der Maschine DB nur um 180° ge- dreht ist. Man erhält also auch in diesem Fall in B einen wider- sinnigen Strom mit dem in A.

Dritter Fall: Maschine A wie vorhin armirt. Ma- schine B mit vertikalem Kamm oben und unten, Bügel oben rechts, unten links, Beleg oben links, unten rechts.

In diesem Fall erregt der Strom A nur einen äulserst schwa- chen Strom in 2, der vielleicht blos einer Unregelmäfsigkeit in dieser Maschine seine Entstehung verdankt.

Vierter Fall: A wie vorhin armirt; BD mit vertika-.

lem Kamm oben oder unten; Beleg und Bügel auf einerlei Seite.

In diesem Fall giebt Z einen gleichsinnigen Strom mit dem von A, wie wenn der laterale Conductor nicht da wäre.

Ist die Maschine A nicht mit diametralen Conductor und Be- legen armirt, so hat man im ersten Fall wiederum das interessante Schauspiel der Reaction, von welcher schon 8. 285 die Rede war. Der Strom von A erregt in B einen entgegengesetzt gerichteten und wird darauf von diesem umgekehrt, so dafs nun beide Ströme in gleicher Richtung gehen.

Geladene Flaschen verhalten sich gegen die mit dem lateralen Conductor armirte Maschine genau so wie gegen die mit dem dia- metralen Conductor versehen.

Im ersten und zweiten der eben erwähnten Fälle zeigen sie die anomale Erscheinung, dafs sie die entgegengesetzte Elektrieität von der, mit welcher sie geladen wurden, auf die Maschine ausströmen, und im vierten Falle die gleiche.

Verhalten der Elektromaschine zweiter Art.

Die Elektromaschine zweiter Art, d. h. die mit zwei wider- Sinnig rotirenden Scheiben ist neuerdings von Hrn. Dr. Holtz wesentlich gegen die frühere verändert worden. Nicht allein, dafs

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die Scheiben vertikal gestellt sind, während sie früher horizontal lagen, ist auch die Maschine mit zwei beweglichen diametralen Conductoren versehen. Der eine befindet sich auf Seite der Elek- troden, der andere auf der Rückseite der Scheiben, wogegen die frühere Maschine vier oder fünf feststehende Metallkämme besafs.

Nur der erste dieser drehbaren Conductoren ist gewissermas- sen als überflüssig zu betrachten, da die Maschine auch ohne ihn zur Wirksamkeit gelangt und er nur den Zweck hat, die Strom- Umkehrungen zu verhüten, welchen Zweck er übrigens nur bedin- gungsweise erfüllt. Der zweite Conductor dagegen, der an der Rückseite der Scheiben, der für gewöhnlich lothrecht gestellt wird, ist unumgänglich nothwendig: ohne ihn ist keine Wirkung der Maschine möglich.

Von diesem letzteren werde ich hier absehen, da es nicht in meinem Plan liegt, gegenwärtig in eine vollständige Untersuchung über die Elektromaschine zweiter Art einzugehen. Ich werde nur den vordern Conductor in Betracht ziehen, um sein Verhalten mit dem des entsprechenden Conductors an der Maschine erster Art zu vergleichen.

Zuvörderst mufs ich bemerken, dafs zwischen diesen beiden Conductoren ein wesentlicher Unterschied besteht. Bei der Ma- schine erster Art kann der drehbare Conductor so ziemlich eine jede Lage haben, und man erhält doch immer zwischen den Elek- troden, wenn sie nur nicht zu weit von einander stehen, eine mehr oder weniger kräftige Wirkung. Bei der Maschine zweiter Art dagegen mufs der vordere Conductor eine durch die Rotation be- dingte Lage haben, wenn man überhaupt eine nutzbare Wirkung erlangen will.

Wenn die vordere Scheibe in rechtläufige d. h. schraubenrechte Rotation versetzt ist, mufs der Conductor vor ihrem ersten und dritten Quadranten stehen; steht er vor dem zweiten und vierten Quadranten, so erhält man zwischen den Elektroden, auch wenn sie einander noch so sehr genähert sind, gar Keine Wirkung, nicht weil die Maschine alsdann keine Elektrieität entwickelte, sondern weil dieselbe ihren Weg lediglich durch die beiden Oonductoren nimmt. Um in diesem Fall einen Strom zwischen den Elektroden zu erhalten, mufs man die vordere Scheibe in rückläufige Rota-

tion versetzen.

91°

294 Gesammtsitzung

In der Erregungsweise dnrch Elektrieität, die man mittelst der Elektrodenkämme auf die vordere rotirende Scheibe einströmen läfst, findet gar kein Unterschied zwischen den Maschinen zweiter und erster Art statt, die Elektrieität mag nun von geladenen Fla- schen oder von einer andern Maschine geliefert werden.

Die Flaschen senden entweder dieselben Elektricitäten, mit denen sie geladen sind, oder die entgegengesetzten auf die rotirende Scheibe, je nachdem die Maschine ohne oder mit vorderem Con- ductor versehen ist, ganz wie in den analogen Fällen der Erre- gung der Maschine erster Art (S. 233 u. 284).

Ebenso verhält sich die Maschine zweiter Art gegen den Strom einer Maschine erster Art, die mit Conductor und Papier- belegen versehen ist. Ohne Conductor kommt sie in gleichsinni- ger, mit demselben in widersinniger Richtung gegen letzteren zur Thätigkeit.

Soll indefs bei der Maschine zweiter Art der Conductor eine nutzbare Wirkung ausüben, so muls er, wenigstens wenn man rechtläufig dreht, vor dem ersten und dritten Quadranten stehen. Ist das nicht der Fall, steht er vor dem zweiten und vierten Qua- dranten, so erhält man zwischen den Elektroden der Maschine kei- nen Strom, man mag die eine oder die andere Elektricitätsquelle auf sie einströmen lassen.

Die Maschine kommt freilich auch in diesem Falle zur vollen Thätigkeit, aber dieselbe ist keine nutzbare, da sie beschränkt ist auf die beiden Conductoren, den vorderen. und den hinteren, die aus ihren unteren Kämmen lange positive Lichtpinsel aussenden, wenn der rechten Elektrode negative und der linken positive Elek- trieität zugeführt wird. Diese Thätigkeit besteht sowohl während der Einströmung als nach derselben. Dreht man, nach Abtrennung von der erregenden Maschine, den Conductor in den ersten und dritten Quadranten zurück, und läfst darauf die vordere Scheibe rechtläufig rotiren, so bekommt man zwischen den Elektroden einen Strom, der dem von jener Maschine gleichgerichtet ist.

Stellt man denselben Versuch mit geladenen Flaschen an, in- dem man die positive an die linke Elektrode und die negative an die rechte anlegt, während der Conductor vor dem zweiten und vierten Quadranten steht, so bekommt man ganz dieselbe Erschei- nung, d. h. nur Lichtphänomen an den beiden Conductoren, deren untere Kämme positive Lichtpinsel aussenden, aber keinen Strom

vom 12. Mai 1870. 295

’zwischen den Elektroden. Entfernt man dann die Flaschen, die hierbei still entladen werden, stellt den Conductor vor den ersten und dritten Quadranten, so erhält man, immer rechtläufige Rotation bei der vorderen Scheibe vorausgesetzt, zwischen den Elektroden einen Strom von eben der Richtung, wie ihn die Flaschen bei Abwesenheit des vorderen Conductors erregt haben würden.

Beschreibung der neuen Doppelmaschine.

Die Construction dieser Doppelmaschine wurde, wie schon ge- sagt, durch die Thatsache an die Hand gegeben, dafs zwei einfache Maschinen, sobald sie mit diametralen Conductoren und Papierbe- legen armirt sind, bei ihrer Verbindung Ströme von entgegenge- setzter Richtung liefern, die, wenn man zwischen den Verbindungs- drähten eine Brücke schlägt, dieselbe in gleicher Richtung durch- laufen, folglich sich daselbst addiren.

Zu dem Ende sind, wie die Abbildung auf beigefügter Tafel zeigt, auf einem Fufsbrett zwei einfache Maschinen erster Art von der neuen Einrichtung mit einseitiger Axe parallel neben einander aufgestellt, solchergestalt, dafs die rotirenden Scheiben, die 15# par. Zoll im Durchmesser halten, nach innen liegen.") In der Mitte des Abstandes zwischen beiden Maschinen, der sehr nahe 10 par. Zoll beträgt, erheben sich zwei starke Ebonitsäulen, wel- che die Elektroden tragen. Jede dieser Elektroden besteht zunächst aus einem horizontalen Arme, der die elektrische Verbindung bei- der Maschinen herstellt, und gegen die rotirenden Scheiben dersel- ben an beiden Enden in Metallkämmen ausläuft. Von der Mitte dieser Arme gehen messingene Träger senkrecht in die Höhe, oben in Kugeln endigend, deren horizontale Durchbohrungen die ver- schiebbareu Theile der Elektroden aufnehmen.

Alle diese metallenen Theile sind hohl und von beträchtlichem Durchmesser (8 bis 9 Lin.), wodurch ein wesentlicher Fehler in

1) Aus dem vorhin $. 291 und $. 292 Mitgetheilten wird einleuchtend sein, dafs die neue Doppelmaschine auch aus Maschinen erster Art, wenn sie mit lateralem Conductor versehen sind, sowie aus Maschinen zweiter Art

zusammengesetzt werden könnte. Es würde dies Beides aber keinen Vortheil gewähren.

296 Gesammtsitzung

der bisherigen Construction der Elektromaschinen, die Ausstrahlung von Elektrieität aus den dünnen Stangen nämlich, vermieden wird. Zu gleichem Zweck sind die verschiebbaren Elektroden an ihren äufsern Enden nicht mit Ebonit-Handgriffen versehen, sondern mit ' Metallkugeln von gut 24 par. Zoll Durchmesser. Durch diese Ein- richtung ist die schädliche Ausstrahlung vermieden; sie macht aber einen Ebonitschlüssel nöthig, um die Elektroden während des Stro- mes verschieben zu können, was übrigens nur selten nothwendig sein dürfte.

Wegen der beträchtlichen Dicke der Elektroden können auf ihre einander zugewandten Enden nicht unmittelbar Kugeln aufge- steckt werden. Die Röhren, aus denen die Elektroden gebildet sind, haben daher vorn auf einer Strecke von etwa anderthalb Zoll eine metallische Füllung, in deren Durchbohrung aufgeschlitzte Stifte eingeschoben sind. Auf die herausragenden Enden dieser Stifte werden nun die Kugeln aufgesteckt, zwischen denen man Funken überschlagen lassen will.

Jede der Maschinen hat einen besondern Schnurlauf, aber beide Schnurläufe werden durch eine gemeinsame Kurbel, deren Axe zwei gleich grofse Rollen trägt, in Bewegung gesetzt. Die Schnüre sind vorher möglichst gleichlang gemacht, so dafs eine geringe Verstellung der Axe, ohne weitere künstliche Vorrichtung, hinreichend ist, sie in gleicher Spannung zu erhalten.

Die Rotation beider Scheiben geschieht also mit gleicher Ge- schwindigkeit, und, mechanisch genommen, auch in gleicher Rich- tung. Allein in elektrischer Beziehung rotiren beide Scheiben ent- gegengesetzt, weil nämlich die Elektrodenkämme für die eine an der linken Seite und für die andere an der rechten liegen. Des- halb haben auch die gezahnten Belege der einen Scheibe die um- gekehrte Lage von denen der andern. Die Rotation wird übrigens durch die zwei Scheiben nicht im Geringsten erschwert; die Dop- pelmaschine rotirt eben so leicht, wie die einfache.

Von sonstiger Einrichtung der Doppelmaschine will ich nur erwähnen, dafs die lothrechten Stützen, welche die verschiebbaren Elektrodentheile tragen, aus zwei in einander geschobenen Röhren bestehen, damit sie nach Bedürfnis verlängert werden können, um so die Elektroden nicht allein in Niveau mit den oberen Scheiben- rändern zu bringen, sondern auch noch einige Zoll darüber zu er- heben; dafs ferner die Kugeln am obern Ende der lothrechten

vom 12. Mai 1870. 297

Träger auch eine vertikale Einbohrung besitzen, um kleine Ebonit- stützen aufzunehmen, welche zum Halten von Geilslerschen Röh- ren, Thermometern oder anderen Gegenständen bestimmt sind; endlich dafs der Maschine, statt zwei Flaschen, vier von der be- kannten Form und Gröfse beigegeben sind, welche an die unteren Querarme der Elektroden angesetzt werden.

Von ruhenden Scheiben habe ich dreierlei Paare angewandt. Erstens die gewöhnlichen mit zwei Ausschnitten und daran sitzen- den gezahnten Belegen. Zweitens die von mir bei der S. 290 er- wähnten neuen Combination benutzten mit vier Ausschnitten, von denen zwei ohne gezahnte Belege sind. Und drittens die früher von mir empfohlenen (Monatsberichte, 1869, April) ohne Ausschnitt mit blofsen Durchbohrungen. Für gewöhnlich habe ich indefs das erstere Paar angewandt, und mich der beiden anderen nur zu be- sonderen Zwecken bedient.

Um die Maschine auseinander nehmen zu können, ist von Hrn. Borchardt die Vorrichtung getroffen, dafs die Elektroden- kämme in einer in den Ebonitsäulen befestigten Hülse stecken und diese Säulen selbst wiederum um 90° drehbar sind. Demge- mäfs werden die Kämme erst ein wenig von den Scheiben abge- schoben'), dann senkrecht gestellt, und nun die Ebonitsäulen um 90° gedreht, nachdem man die zu ihrer Befestigung dienenden eisernen Schraubenmütter am Fufse derselben etwas gelüftet hat. Jetzt kann man die Scheiben abtrennen, um sie entweder zu reinigen oder durch andere zu ersetzen.) Zur Wiederherstel-

1) Statt dessen kann man auch die an dem einen Ende der Elektroden- kämme befindlichen Ebonitschrauben, welche zum Auseinanderhalten der bei- den Scheiben dienen, so weit zurückdrehen, dafs sie vor der rotirenden Scheibe vorbeigehen.

?) Die rotirenden Scheiben dieser Doppelmaschine sind nicht gefirnifst, die ruhenden sind es schwach. Um letztere von dem Staube zu reinigen, der sich auf sie absetzt, hat man sie bekanntlich mit einem nassen Lappen oder mit feuchtem Löschpapier abzuwischen. Bei längerem Gebrauche bilden sich aber auch Flecke auf denselben, die nicht auf diese Weise zu entfernen sind. Um diese fortzuschaffen und den Scheiben ihre ursprüngliche Sauber- keit zu geben, ist nichts geeigneter als das Abreiben mit Petroleum, wel- ches auch von der Scheibe der gewöhnlichen Elektrisirmaschine die bekann- ten schwarzen Amalgamflecke am schnellsten fortnimmt. Äther ist weniger gut, zumal er den Firnifs angreift, wenn er nicht alkoholfrei ist.

m nn Le ——————

298 Gesammtsitzung _

lung der Maschine wird begreiflich in umgekehrter Weise ver- fahren.

Erregungsweise der Doppelmaschine.

Die Doppelmaschine läfst sich durch jede der drei vorhin (S. 282) beschriebenen Methoden mit grofser Leichtigkeit in Thä- tigkeit setzen. |

Die erste derselben, die Erreguug von der Rückseite her, be- werkstellige ich gewöhnlich, wie bei der einfachen Elektromaschine, durch eine kleine Flasche (von etwa 20 Quadratzoll äufserer Be- legung), die an einer Elektrisirmaschine von auch nur geringer Gröfse geladen worden ist. Wenn man eine solche Maschine zur Hand hat, finde ich dies Erregungsmittel bequemer und sicherer als das der geriebenen Ebonitplatte, deren Rlektrisirung durch Rei- bung bisweilen viele körperliche Anstrengung erfordert.

Vor Anlegung der Flasche müssen jedoch, wenn die diame- tralen Conductoren einen beträchtlichen Winkel mit dem Horizont bilden, die Scheiben schon fest mit grolsen Belegen versehen sein. Ist dies nicht der Fall, und will man sie nicht mit Wachs u. dgl. ankleben, weil dies das beim Experimentiren oft nöthige Abnehmen derselben erschwert, so mufs man die Scheiben erst anderweitig elektrisiren, damit die Belege durch elektrische Adhäsion haften bleiben. Diese Elektrisirung geschieht am einfachsten, wenn man die erwähnten Elektroden, bevor man die Flasche anlegt, einen kleinen Winkel mit dem Horizont machen läfst. Die Belege ad- häriren dann bald und bleiben tagelang haften, wenn auch unter- defs die Maschine ganz wirkunglos geworden ist.!)

1) Die blos adhärirenden Belege zeigen bisweilen die eigenthümliche Er- scheinung, dafs sie während des Stromes von den Scheiben abgestofsen, förm- lich aufgerollt und weggeschleudert werden. Vorzugsweise beobachtete ich dieses, wenn sie aus dem allerdünnsten Postpapier geschnitten waren, wel- ches im Übrigen, aufgeklebt, seinem Zweck sehr gut entspricht. Ich wende daher etwas diekeres Papier an, bei welchem der genannte Übelstand selte- ner eintritt. Wenn er auch bei diesem erfolgt, was gewöhnlich an dem den Zähnen zugewandten Ende der Belege zuerst zu geschehen pflegt, so drücke ich das Papier durch einen Ebonitstreifen wiederum sanft gegen die Scheibe.

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Um die Doppelmaschine schnell zu erregen, ist es gut, die Elektroden zuvor auseinander zu ziehen. Legt man dann die Flasche an einen der Belege der einen Partialmaschine, so kom- men beide gleichzeitig in entgegengesetzte Thätigkeit.')

Es schadet freilich nicht, wenn die Elektroden zusammenge- schoben sind; denn kommt auch dann zunächst nur diejenige Par- tialmaschine in Thätigkeit, welche man mit der Flasche berührt hat, so bringt doch diese die zweite auch zur Wirksamkeit, sowie man die Elektroden auseinander zieht. Nur geht dann der Erre- gungsprocels etwas langsamer von Statten.

Bei zusammengeschobenen Elektroden kann man auch die bei- den Partialmaschinen gleichsinnig erregen, indem man die eine an ihrem linken und die andere an ihrem rechten Beleg mit der Flasche berührt. Diese Gleichsinnigkeit erhält sich, so lange die Elektroden in Berührung bleiben und selbst noch ein Weile, nachdem man diese auseinander gezogen hat; allein es dauert nicht gar lange, so kehrt sich der eine oder andere Partialstrom um, beide gehen widersinnig und dadurch kommt dann der Doppel- strom zwischen den Elektroden zum Vorschein.

Ist einmal die Doppelmaschine vollständig erregt, so kann man ohne Nachtheil die diametralen Conductoren entfernen, sobald nur die Elektroden in Berührung gehalten werden. Ja man kann diese sogar um einen Zoll und mehr auseinander ziehen, ohne die Wiedersinnigkeit der Partialströme zu stören, und ohne also den Doppelstrom zu vernichten. Entfernt man sie aber weiter, so kehrt sich der Strom der einen oder andern Partialmaschine um, läuft mit dem der zweiten gleichsinnig und damit hat dann der Doppel- strom seine Endschaft erreicht.

Hat man vor der Erregung die Conductoren abgenommen, so kann begreiflich von dem Doppelstrom nicht die Rede sein; allein, wenn dabei die Elektroden zusammengeschoben sind, so kommt doch bei Anlegung der Flasche eine der Partialmaschinen zur

1) Dieselbe Übertragung von einer Partialmaschine zur andern findet auch statt, wenn die ruhenden Scheiben vier Ausschnitte haben, zwei mit kleinen Belegen und zwei ohne dieselben. Die Elektroden, deren Bogen hierbei die Stelle des diametralen Conductors vertritt, müssen aber nothwendig auseinan- der gezogen sein, sonst erfolgt keine Erregung.

300 Gesammtsitzung

Wirksamkeit, nämlich diejenige, deren Beleg man berührt hat; die andere bleibt unthätig. Sie verharrt in dieser Unthätigkeit selbst wenn man die Elektroden ein wenig auseinander zieht, allein nur eine Zeitlang, dann wird auch sie durch den Einflufs der ersten Maschine erregt, und da es gleichsinnig mit dieser geschieht, ver- schwindet damit zwischen den Elektroden der Partialstrom, den man anfangs bekam.

Bei der zweiten Erregungsmethode, von der Vorderseite her durch geladene Flaschen oder einen Maschinenstrom, kommen diese Verhältnisse nicht vor, da sie nothwendig eine Trennung der Elek- troden voraussetzt. Sonst aber zeigt dabei die Doppelmaschine alle die Merkwürdigkeiten, welche der einfachen Maschine eigen sind.

Es versteht sich übrigens von selbst, dafs die Doppelmaschine vermöge ihrer beiden Partialmaschinen Gelegenheit giebt, alle die Erscheinungen zu beobachten, welche bei gegenseitiger Einwirkung zweier einfachen Maschinen auftreten und vorhin (8. 285). beschrie: ben wurden. |

Ebenso kann man leicht das S. 283 erwähnte Rotationsphä- nomen darstellen. Wenn man nämlich an der vollständig mit Con- ductoren und Papierbelegen armirten Doppelmaschine die eine der Partialmaschinen von ihrem Schnurlauf befreit, und nun die andere mittelst der Kurbel rechtläufig dreht, so geräth die erstere von selbst in eine ganz schnelle rückläufige Rotation, sobald nur die Elektroden hinreichend auseinander gezogen sind. Dabei senden die an einem und demselben Querarm befindlichen Elektrodenkämme entgegengesetzte Elektrieitäten aus, so dafs also von einem Dop- pelstrom nicht die Rede sein kann. Hat man den Conductor vor die unbelegten Quadranten der ersten Partialmaschine gestellt, so vermag ihre bewegliche Scheibe in beiden Richtungen zu rotiren, aber nicht so schnell. An der rückläufig rotirenden Scheibe haben übrigens die positiven Lichtpinsel eine verkehrte Lage, sind nämlich zwar, wie immer, dem Sinn der Rotation entgegen ge- richtet, aber auch entgegen den Zähnen der Belege.

Leistungen der Doppelmaschine.

Von den Leistungen der Doppelmaschine will ich hier nur die leuchtenden Entladungen in Betracht ziehen, die in freier Luft

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“mit und ohne Beihülfe von Flaschen zwischen ihren Elektroden stattfinden.

a) Entladungsströme mit Beihülfe von Flaschen.

Unter Funken sind hier immer die Entladungsfunken der klei- nen, der Maschine beigegebenen Flaschen von 103 Quadratzoll äufserer Belegung und 14 Lin. Glasdicke verstanden.

Zwischen Kugeln von 10 par. Lin. Durchmesser erhalte ich diese Funken, ohne die Elektroden vorher einander näher gestellt zu haben, so lang, wie es die Dimensionen der Maschine gestatten, d. h. von 8 par. Zoll (21,7 Centim.) Länge, was den Abstand zwischen den Elektrodenkämmen fast um einen halben Zoll über- trifft.‘) Dabei sind sie von einer Kräftigkeit, wie man sie bisher von Scheiben gleicher Gröfse noch nicht erhalten haben möchte, und noch mehr ist dies der Fall, wenn man alle vier der Maschine beigegebenen Flaschen anwendet. Ich glaube sogar, dafs man die Intensität der Funken, ohne Benachtheiligung ihrer Länge, noch viel weiter erhöhen könnte, wenn man gröfsere Flaschen von ge- eigneter Gestalt und hinreichender Breite ihres unbelegten Randes anwendete.

Es ist aber nicht allein die Länge und Kräftigkeit der Funken, wodurch sich die Doppelmaschine zu ihrem Vortheil aus-

1) Zwischen gröfseren Kugeln sind sie natürlich kürzer. Kugeln von 18 Lin. Durchmesser geben nur 5zöllige Funken. Nehme ich aber blofs zur negativen Kugel eine von 18 Lin., so sind die Funken wiederum so lang als es dann die Dimensionen der Maschinen verstatten, nämlich 74 Zoll.

Als eine zwar nicht ganz unbekannte, aber doch immerhin bemerkens- werthe Thatsache will ich hier noch anführen, dafs, wiewohl man zwischen Kugeln von 10 Lin. Durchm. die Funken ohne alle Schwierigkeit von 8 Zoll Länge erhält, sie doch verschwinden, wenn man die negative Elektrode etwa 2 Zoll einschiebt, und erst wieder zum Vorschein kommen, wenn man diese Einschiebung bis auf etwa 6 Zoll verlängert hat. Im dem Intervall von 4 Zoll (worin man freilich durch einen der negativen Elektrode genäherten Metallkamm die Funken auch wieder hervorrufen kann) erscheint an der ne- gativen Elektrode ein kurzer zischender Büschel und an der positiven blaues Glimmlicht.

Endigt die negative Elektrode in einer Kugel von 18 Lin. Durchmesser oder endigen beide Elektroden in einer solchen Kugel, so ist von ebenge- nannter Erscheinung nichts zu sehen,

302 Gesammtsitzung

zeichnet, sondern auch die Leichtigkeit und Sicherheit, mit der man sie erhält.

Meine einfache Maschine, eine sehr gute der neueren Construc- tion, giebt auch wohl Funken von 7, ja sogar von 8 par. Zoll, aber sie giebt sie nur selten, die letztern sogar äufserst selten, und, wenn sie dieselben giebt, so geschieht es nur für eine Weile; dann verschwinden sie, und es ist nicht möglich, sie und selbst kürzere wieder hervorzurufen.

Bei der Doppelmaschine dagegen erscheinen die Funken vom ersten ab in ununterbrochener Reihenfolge, so lange wie man will, schon bei ganz langsamer Rotation der Scheiben (etwa 3 bis 4 Umläufe in der Sekunde) und ohne dafs man nöthig hat, die Elek- troden erst auf einen kleineren Abstand einzustellen. Diesen Vor- zug schreibe ich dem Umstande zu, dafs durch die beträchtlichen Dimensionen ihrer metallischen Theile die schädliche Ausstrahlung vermieden ist, welcher die bisherigen Maschinen in so hohem Malse ausgesetzt sind.')

Die Funkenbildung in der Doppelmaschine bestätigt in recht auffallender Weise das, was vorhin $. 277 über die Nothwendig- keit eines bestimmten Winkels für den Conductor gesagt worden ist. Um das Maximum der Funkenlänge von 8 par. Zoll zu er- halten, reicht ein Winkel von 45° gegen den Horizont nicht aus, vielmehr müssen die Conductoren bis zu 70°, 75° und mehr ge- neigt werden. Andererseits kann man beobachten, dafs sich bei einem Winkel von 30° kürzere Funken, z. B. won 4 Zoll Länge,

1) Ich zweifle daher auch gar nicht, dafs die einfache Maschine, wenn man sie mit ähnlichen voluminösen Elektroden versähe, wie sie die neue Doppelmaschine besitzt, auch eben so lange Funken mit Sicherheit geben würde wie letztere, nur freilich nicht in solcher Menge. Die Länge der Funken scheint unter gleichen Umständen, wie auch schon früher bemerkt worden, nur von der Gröfse der rotirenden Scheibe abzuhängen, oder, ge- nauer gesprochen, von der Länge der Kreisbögen, welche die Theile dieser Scheibe von dem einen Elektrodenkamm zu dem andern zurückzulegen haben. Viel länger als der gegenseitige Abstand dieser Kämme können die Funken überhaupt nicht werden. Zuweilen schlagen sogar schon bei geringerem Ab- stande der Elektroden von einander die Funken nicht zwischen diesen über,

sondern von dem einen Kamm zum Conductor und von diesem zum andern Kamm.

vom 12. Mai 1870. 303

wohl auf Seite des negativen Elektrodenhalters entwickeln lassen, nicht aber auf Seite des positiven.

Eine andere merkwürdige Beobachtung, die man freilich bei jeder Elektromaschine, nur nicht so ausgeprägt wie bei der Dop- pelmaschine machen kann, besonders wenn man Fuuken von $ Zoll durch sie entwickelt, betrifft die Einwirkung von Spitzen auf die Funkenbildung.

Nimmt man einen Metallkamm in die Hand und nähert ihn, während des Überschlagens der Funken, der äufsern Kugel der positiven Elektrode nur einen Augenblick, so verschwinden die Funken, und es dauert eine ganze Weile, ehe sie wiederum zum Vorschein kommen. Sie folgen dann in einem relativ langsamen Tempo auf einander, das aber, bei gleicher Rotationsgeschwindig- keit der Maschine, beschleunigt wird, wenn man nun den Kamm gegen die äulsere Kugel der negativen Elektrode hält. Eine einzige Spitze, eine feine Nähnadel, thut dieselben Dienste,

Je gröfser die Funkenlänge ist, desto gröfser ist auch die Entfernung, von welcher aus die Spitzen diese fast magische Wir- kung ausübten. Achtzöllige Funken werden schon aus einer Ent- fernung von sechs Zoll vernichtet, und aus einer fast eben so STO- [sen wieder hergestellt. Zu grolse Nähe des Kamms an der ne- gativen Elektrode ist übrigens auch schädlich; sie unterdrückt die Funken ebenfalls und veranlafst das Ausbrechen eines Lichtbüschels aus der positiven Elektrode.

Schon früher ist von mir und Anderen beobachtet worden, dafs, wenn anfangs die Funken nicht oder nicht recht erscheinen wollen, man sie hervorlocken oder in besseren Gang bringen kann, wenn man der negativen Elektrode einen Knöchel nähert. Die- selbe Wirkung übt in höherem Grade ein Spitzenkamm oder eine Nähnadel aus.

Auf kürzere Funken, etwa von 2 bis 3 Zoll Länge, hat eine Spitze keine so entschiedene Wirkung; doch läfst sich auch bei diesen wahrnehmen, dafs sie dieselben verlangsamt oder beschleu- nigt, je nachdem sie der positiven oder negativen Elektrode ge- nähert wird.

b) Entladungsströme ohne Flaschen.

Die Entladungsströme zwischen den Elektroden der Elektro- maschinen ohne Mitwirkung von Flaschen sind so mannigfaltie,

304 Gesammtsitzung

dafs die herkömmliche Unterscheidung der drei Formen von Funken-, Büschel- und Glimm-Entladung kaum eine ausreichende Anwendung auf sie gestattet. Sie wechseln aufserordentlich nach Gröfse und Gestalt der vordern Enden der Elektroden, nach Gröfse und Lage des Abstands zwischen ihnen.

Bis auf etwa einen halben Zoll auseinander gezogen, hat man zwischen den Elektroden ein lichtschwaches violettes Band, das an der positiven Seite in einem scharf abgeschnitten hellen Theil von Linienlänge endigt und dadurch das leichteste Erkennungsmittel des positiven Pols abgiebt. Wenn der Strom stark ist, und be- sonders wenn zugleich die Kugeln grofs sind, zerfällt dies violette Band in mehre ebenso gefärbte Bänder, die, offenbar vermöge der Erwärmung der Luft, nach oben gekrümmt sind, sich bald vereini- gen, bald wieder trennen. Welchen Namen soll man diesen Licht- Erscheinungen beilegen? Es sind weder Büschel, noch Funken, in welche letztere sie aber augenblicklich übergehen, sowie man die positive Elektrode ableitend berührt.

Entfernt man die Elektroden um einen Zoll und etwas mehr von einander, so erfolgt der Übergang der Elektricität zwischen ‘hnen in sehr hell leuchtenden Streifen, die sich ebenfalls bald trennen, bald wieder vereinigen, und die nach der negativen Elek- trode hin ganz deutlich einen dunklen Raum erkennen lassen.

Diese Lichtstreifen, welche man wohl schon als eigentliche Funken betrachten kann, erscheinen noch bei einem Abstand von anderthalb Zoll zwischen den Elektroden, aber nur dann, wenn dieser Abstand auf der positiven Seite liegt, d. h. die positive Elektrode weit ausgezogen und die negative weit hineingeschoben ist. Liegt der Abstand auf der negativen Seite, so erhält man statt der compacten Lichtstreifen bereits einen in der Mitte aufge- schwollenen Büschel, in welchen von der positiven Elektrode aus geschlängelte Funken hineinfahren.

Es würde ermüdend sein, alle die Formen zu beschreiben, welche der leuchtende Übergang der Elektrieität je nach der Ent- fernung, Gröfse und Lage der Elektrodenkugeln annehmen kann. Ich will nur bemerken, dafs, wenn diese Kugeln, nach der positi- ven Seite hin, einen gewissen Abstand von einander hahen, man keinen sie verbindenden Lichtstreifen oder Lichtbüschel bekommt, sondern ein blaues Glimmerlicht an der positiven Kugel und einen

vom 12. Mai 1870. 305

kurzen lichtschwachen Büschel.an der negativen, während sich zu- gleich ein tiefer Ton hörbar macht, der in einen hohen zischenden übergeht, sowie man der positiven Elektrode einen Metallkamm nähert oder ihn ableitend berührt. Dieser Abstand entspricht den „schwachen Funken“ des Hrn. Riefs, die man sogleich be- kommt, sowie man kleine Flaschen anlegt. Ich habe indefs diese Erscheinung nur bei der einfachen Elektromaschine gut beobachten können.

Bei der Doppelmaschine ist begreiflich die Büschelbildung viel kräftiger als bei der einfachen, und wegen der Gröfse der Ober- fläche, welche die Elektricität bekleiden mufs, ehe sie die zum Durchbrechen der Luft erforderliche Dichtigkeit erlangt hat, eine weniger continuirliche als bei letzterer.

Lange Büschel erhält man schon ganz gut zwischen zwei Ku- geln von 10 Lin. Durchmesser, nur sind sie dünn; kräftiger, aber freilich kürzer, sind sie zwischen zwei Kugeln von 18 Lin. Durch- messer. Am längsten, über 7 Zoll lang und zugleich sehr kräftig, habe ich sie erhalten, wenn ich die positive Elektrode mit einer der kleinern Kugeln und die negative mit einer der gröfsern versah. Nicht ganz so lang, aber fast noch schöner bekam ich den Bü- schel, als ich die negative Kugel durch eine Scheibe von 6 Zoll Durchmesser ersetzte. Er hatte dann gewissermafsen die Gestalt eines Paraboloids, dessen Basis der Scheibe zugewandt war. Ob- wohl auf dem scharfen Rand dieser aus dünnem Zinkblech ge- schnittenen Scheibe einzelne Punkte von Glimmlicht erschienen, so schadete dies doch dem Büschel durchaus nicht; er war besser aus- gebildet als bei zwei andern Scheiben mit umgelegten Rändern.

Bei der Elektrisirmaschine besteht der positive Büschel ge- wöhnlich zunächst der Kugel, von welcher er entweicht, aus einem kurzen hellen Stiel, der sich weiterhin zu zarten Lichtfäden aus- breitet. Bei der Elektro-Doppelmaschine dagegen schiefsen, wenn der Abstand zwischen den Elektroden einige Zoll beträgt, fortwäh- rend verästelte und ziemlich compacte Blitze von der positiven Ku- gel aus in die zarte Lichthülle hinein, die sich bis zur negativen Elektrode erstreckt.

Diese Erscheinung wird in hohem Grade verstärkt, wenn man die Maschine mit grofsen Conductoren versieht, ähnlich denen, die bei den Elektrisirmaschinen üblich sind.

306 Gesammtsitzung

Schon in meiner Arbeit: „Über die Wärme-Entwicklung in der Luftstrecke elektrischer Entladungen,“ ') habe ich gezeigt, dafs es für die Wirkung solcher Conductoren gar nicht nöthig ist, sie der Länge nach von dem Strom durchlaufen zu lassen, sondern dafs es hinreicht, sie demselben seitwärts anzusetzen, um SO für die Elektrieität gleichsam eine Sackgasse zu bilden. Sie wirken also nieht sowohl durch ihr Leitungsvermögen, als vielmehr dadurch, dafs sie wegen ihrer grofsen Oberfläche eine bedeutende Anhäufung von Elektrieität gestatten, ohne sie, wie in der Leidner Flasche, zu verdichten. Deshalb und um sie von den früher besprochenen Hülfsconductoren genügend zu unterscheiden, finde ich es auch zweckmälsiger, sie Colleetoren oder Cumulatoren zu nennen als Conductoren.

Vermöge der eben genannten Eigenschaft ist es nun leicht, jede Elektromaschine und also auch die Doppelmaschine, wenn sie die von mir gewählte Einrichtung besitzt, mit Collectoren oder Cumulatoren zu versehen. Ich ziehe nämlich oben aus den Ku- geln, welche die verschiebbaren Theile der Elektroden aufnehmen, die kleinen, zum Tragen von Hülfsapparaten bestimmten Stützen heraus und stecke statt deren die Zapfen hinein, welche an einem Ende der Colleetoren angebracht sind. Diese, welche also senk- recht stehen, haben bei eylindrischer Gestalt eine Höhe von 2 Fufs und eine Oberfläche von 24 Quadratfufs, ein jeder. Sind sie aus dünnem Blech gearbeitet, so beschweren sie die Maschine durchaus nicht, und lassen sich eben so leicht entfernen als wieder auf- setzen.

Statt der ganz metallenen Colleetoren habe ich auch wohl Leidner Flaschen oder blofis äufserlich mit Stanniol belegte Glas- cylinder angewandt, die auf Tellern ruhen, welche mittelst Zapfen oben in den Tragekugeln der Elektroden befestigt sind.”) Diese

1) Monatsberichte, 1867, Mai.

2) Diese Teller sind von Holz, halten nahe 6 Zoll im Durchmesser und haben einen wulstigen Rand, um die Flaschen am Abgleiten zu hindern; ihre metallenen Zapfen, durch welche sie mit den Elektroden in leitender Verbin- dung stehen, gehen durch bis zur obern Fläche, die mit Stanniol belegt ist. Will man die darauf gestellten Flaschen laden, so müssen natürlich ihre in- neren Belege leitend verbunden werden. Solche Teller sind sehr bequem, um grölsere Flaschen zu laden, für die sonst kein Platz ist an der Maschine. Ich habe daher sowohl die einfache als die doppelte mit ihnen verschen lassen.

vom 12. Mai 1870. 307

halb gläsernen Collectoren wirken ähnlich wie die metallenen, aber wegen ihrer geringeren Gröfse natürlich schwächer.

Schon die kleineren Collectoren zeigen die aus der positiven Elektrodenkugel hervorschief[senden Blitze in sehr verstärktem Grade und noch mehr ist dies der Fall bei den grofsen metallenen.

Bei letzteren ist es nicht mehr ein reiner Büschel, was man erhält, sondern ein Gemisch von Büscheln und Funken. Durch eine zarte Lichthülle von ellipsoidischer Gestalt schlagen fortwäh- rend Funken von einer Elektrode zur andern über, in so rascher Folge, dafs sie als ein zusammenhängender, vielfach geschlängel- ter Blitz erscheinen. Diese Funken, welche man von 7 Zoll Länge erhalten kann, sind bei weitem nicht so compact, so hell und ge- räuschvoll wie die Entladungsfunken der Leidner Flasche, aber man sieht sie doch noch sehr gut bei hellem Tageslicht, im Dunk- len freilich viel schöner. Sie haben viele Ähnlichkeit mit den Funken der Elektrisirmaschine.

In dieser ausgeprägten Gestalt zeigt sich die Erscheinung, wenn die Maschine mit zwei Collectoren versehen ist, und zugleich die positive Elektrode in einer kleineren Kugel (10 Lin. Duchmes- ser) und die negative in einer gröfsern (18 Lin. Durchm.) endigt.

Nimmt man den negativen Oollector ab, so sind die von der positiven Elektrode ausgehenden Funken kürzer, nicht mehr die negative Elektrode erreichend, aber dafür verästelter, während andrerseits der ellipsoidische Büschel heller und ausgebildeter er- scheint.

Nimmt man dagegen den positiven Collector fort, so erhält man keine blitzähnliche Funken, sondern statt deren an der posi- tiven Elektrode einen gestielten Büschel, dessen Lichtfäden stark divergiren und sich bisweilen von den Fäden des negativen Bü- schels ganz abtrennen.

'Der Einflufs eines Metallkamms oder einer Spitze auf diese Büschel und blitzähnlichen Funken ist fast noch stärker als auf die compacten Entladungsfunken. Schon aus mehr als 6 Zoll Ab- stand von der positiven Elektrode vernichtet er sie gänzlich, und aus eben so grofser Entfernung von der negativen Elektrode ver- stärkt und beschleunigt er sie, wie man dies namentlich an dem schnelleren Tempo des knackenden Geräusches der Funken ver- nimmt.

[1870] | 22

308 Gesammtsitzung

Vergleich der neuen Doppelmaschine mit der älteren des Hrn. Holtz.

Obwohl die neue Doppelmaschine die einfache begreiflich in allen Wirkungen übertrifft, so ist es doch vorzugsweise die Bildung von Funken und Büscheln, worin sich diese Überlegenheit aus- spricht. Dies gilt auch in Betreff einer Maschine, die ihr eigent- lich an Wirkung gleich sein sollte, nämlich in Betreff der früher von Hrn. Dr. Holtz construirten Maschine, deren ruhende Scheibe vier s. g. Elemente oder Erregungsstellen besitzt.

Diese Maschine, der ich neuerdings eine einfachere Gestalt gegeben habe,') ist, wiewohl sie nur eine ruhende Scheibe besitzt, doch auch als Doppelmaschine zu betrachten, da sich darin eben- falls zwei Partialströme von entgegengesetzter Richtung unterschei- den lassen, die hier bemerkenswertherweise ohne schrägen Oonduc- tor zu Stande kommen, und sich in einer Brücke zu einem gleich; gerichteten Strom vereinigen.

So wie ich diese Maschine absfndert habe, steht vor den lothreehten Belegen der diametrale Conductor und vor den horizon- talen der aus den zusammengeschobenen Elektroden gebildete Bo- sen. Verbindet man nun Conductor und Bogen in ihren Mitten durch einen Leiter und erregt einen der gezahnten Belege auf ge- wöhnliche Weise, so erhält man in dieser Brücke (die aber bei der Erregung ganz geschlossen sein mufs oder wenigstens nur durch eine sehr kleine Luftstrecke unterbrochen sein darf) den Summenstrom, wobei die Kämme der Elektroden beide z. B. posi- tive Elektrieität ausströmen, wenn die Kämme des Conductors beide negative abgeben.

Insofern kommt also diese Maschine mit der neuen Doppel- maschine überein; allein in anderer Beziehung weicht sie sehr zu ihrem Nachtheil von dieser ab.

So lange nämlich die Brücke aus einem Leiter besteht, thut sie gute Dienste, und daher mag sie bei Beobachtung der magne- tischen Wirkung oder der Erscheinungen in stark verdünnten Ga- sen ziemlich eben so viel leisten als die neue Maschine. Sowie man aber die Brücke in freier Luft irgendwo unterbricht, um Fun- ken zu erzeugen, nimmt der Strom rasch ab, und ehe man diese

1) Monatsberichte 1869, April, S. 327.

vom 12. Mai 1870. 309

Luftstrecke bis zu einem Zoll verlängert hat, ist er gewöhnlich ganz erloschen. Von Büscheln ist überdies gar nicht die Rede.

Diesem Mangel ist nicht durch einen Hülfsconductor abzuhel- fen, der auch hier gar nicht die Rolle wie bei der neuen Doppel- maschine spielen würde, da die Widersinnigkeit der Partialströme schon ohne ihn vorhanden ist.

Die Abnahme der Funkenlänge, welche Hr. Dr. Holtz auch bei andern Maschinen wahrgenommen hatte, wenn er die Quantität der Elektrieität durch Vermehrung der Erregungsstellen an einer Scheibe zu vergröfsern suchte, sowie ähnliche Beobachtungen, die ich bei Verknüpfung zweier Maschinen durch Drähte machte, schie- nen der Vermuthung Raum zu geben, dafs Funkenlänge und Elek- trieitätsmenge in einem umgekehrten Verhältnifs zu einander stän- den, und ich mufls bekennen, dafs es zum Theil der Wunsch war, hierüber ins Reine zu kommen, der mich bewog, die neue Doppel- maschine construiren zu lassen. Durch sie ist denn diese Vermu- thung gründlich widerlegt.

Schlufsbemerkung.

Die neue Doppelmaschine ist, glaube ich, die vollkommenste Elektromaschine, welche bisher dargestellt worden, in Betreff so- . wohl der Kräftigkeit ihrer Leistungen, als der Eleganz und Zweck- mäfsigkeit jhrer Construction. Ihr Bau ist ein ganz symmetrischer, und der Experimentator, welcher ihre Wirkungen einem gröfsern Auditorium zu zeigen hat, ist dabei sowohl diesem als der Ma- schine mit den Augen zugewandt. Sie eignet sich also ganz vor- züglich zu Vorlesungen, zumal sie, viel leichter als die einfache Maschine, durch einen Glaskasten gegen die feuchte Atmosphäre einer grofsen Versammlung geschützt werden kann.

Dabei besitzt sie die nicht genug zu schätzende Tugend frei zu sein von den so störenden Strom-Umkehrungen; wenigstens habe ich dieselben bei trockner Luft bis jetzt nicht wahrnehmen können, obgleich ich sie mit allem Fleifse absichtlich hervorzurufen suchte.

Täusche ich mich nicht, so hat mit dieser Maschine, falls nicht etwa noch ein ganz neues Princip aufgefunden wird, die weitere Vervollkommnung derselben ihren einstweiligen Abschlufs

22°

310 Gesammtsitzung gefunden. Freilich könnte man sie was ich übrigens nicht einmal für rathsam halten möchte in grölserem Mafsstabe dar-

stellen und dadurch ihre Wirkung ansehnlich steigern; aber schwer- lich wird man doch über das Doppelte der Leistungen einer ein- fachen Maschine von gleichen Dimensionen hinauskommen, sobald man auf grofse Funkenlänge bestehen bleibt.

Will man diese aufgeben, so bietet allerdings der schon von Hın. Dr. Holtz eingeschlagene Weg, nämlich Vermehrung der Erregungsstellen an einer und derselben Scheibe, ein Mittel dar, die Quantität der Elektrieität bedeutend zu vergröfsern. Ein Probe-Exemplar dieser Art, welches ich der Güte des Erfinders verdanke, und an einer Scheibe von fast drittehalb Fuls Durch- messer 20 Erregungsstellen besitzt, also die Elektricitätsmenge der einfachen Maschine verzehnfachen sollte, leistet in dieser Beziehung allerdings Bedeutendes, ist aber den Strom-Umkehrungen und an- deren Mängeln in dem Maalse ausgesetzt, dafs man durch sie den beabsichtigten Zweck noch nicht als erreicht ansehen kann.

Die hier beschriebene Doppelmaschine hat nicht allein einen erofsen praetischen Werth, sondern auch ein theoretisches Interesse von Bedeutung. Denn, wie vorhin gesagt, beruht ihre Wirkung darauf, dafs die Ströme der Partialmasehinen in entgegengesetzter Richtung gehen, und, damit sie dieses thun, müssen diametrale Con- ductoren angebracht sein. Ohne solche Conductoren entwickelt die Doppelmaschine genau eben so viel Elektrieität wie mit den- selben; aber diese schlägt einen andern Weg ein, geht zwischen den rotirenden Scheiben gleichsam im Kreise herum, indem die Partialströme eine gleiche Richtung annehmen, Dadurch wird aber die Nutzwirkung vollständig annullirt. Zwischen den Elektroden geht durchaus kein Strom über, sobald beide Maschinen von glei- cher Kräftigkeit sind.

Die Eigenschaft des diametralen Conductors, den Partialströ- men eine entgegengesetzte Richtung zu geben, nicht minder wie die analoge, die partielle Ladung von Flaschen zu erhöhen, scheint mir eine sehr wunderbare zu sein, welche sich für jetzt eben sa wenig theoretisch erklären läfst, als man sie schwerlich a priori aufgefunden haben würde.

310 Gesammtsitzung gefunden. Freilich könnte man sie was ich übrigens nicht einmal für rathsam halten möchte in gröfserem Mafsstabe dar-

stellen und dadurch ihre Wirkung ansehnlich steigern; aber schwer- lich wird man doch über das Doppelte der Leistungen einer ein- fachen Maschine von gleichen Dimensionen hinauskommen, sobald man auf grofse Funkenlänge bestehen bleibt.

Will man diese aufgeben, so bietet allerdings der schon von Hın. Dr. Holtz eingeschlagene Weg, nämlich Vermehrung der Erregungsstellen an einer und derselben Scheibe, ein Mittel dar, die Quantität der Elektrieität bedeutend zu vergröfsern. Ein Probe-Exemplar dieser Art, welches ich der Güte des Erfinders verdanke, und an einer Scheibe von fast drittehalb Fufs Durch- messer 20 Erregungsstellen besitzt, also die Elektrieitätsmenge der einfachen Maschine verzehnfachen sollte, leistet in dieser Beziehung allerdings Bedeutendes, ist aber den Strom-Umkehrungen und an- deren Mängeln in dem Maalse ausgesetzt, dafs man durch sie den beabsichtigten Zweck noch nicht als erreicht ansehen kann.

Die hier beschriebene Doppelmaschine hat nicht allein einen grofsen practischen Werth, sondern auch ein theoretisches Interesse von Bedeutung. Denn, wie vorhin gesagt, beruht ihre Wirkung darauf, dafs die Ströme der Partialmaschinen in entgegengesetzter Richtung gehen, und, damit sie dieses thun, müssen diametrale Con- ductoren angebracht sein. Ohne solche Conductoren entwickelt die Doppelmaschine genau eben so viel Elektricität wie mit den- selben; aber diese schlägt einen andern Weg ein, geht zwischen den rotirenden Scheiben gleichsam im Kreise herum, indem die Partialströme eine gleiche Richtung annehmen, Dadurch wird aber die Nutzwirkung vollständig annullirt. Zwischen den Elektroden geht durchaus kein Strom über, sobald beide Maschinen von glei- cher Kräftigkeit sind.

Die Eigenschaft des diametralen Conductors, den Partialströ-

men eine entgegengesetzte Richtung zu geben, nicht minder wie die analoge, die partielle Ladung von Flaschen zu erhöhen, scheint mir eine sehr wunderbare zu sein, welche sich für jetzt eben sa wenig theoretisch erklären läfst, als man sie schwerlich a prior: aufgefunden haben würde.

Nonatsberreht d.h AdW Hear IS 10.

C. Lane th:

an

com 12. Mai 1870. all

Hr. W. Peters las über Platemys tuberosa, eine neue Art von Schildkröten aus British-Guiana.

Unter den vielen interessanten Gegenständen aus British-Gui- ana, welche die Königlich zoologischen Sammlungen dem Eifer des Hrn. Richard Schomburgk verdanken, befindet sich ein Exem- plar einer Schildkröte in Weingeist, welches die wahrscheinlich sehr feinen Hornschilder verloren hat, sonst aber sehr wohl erhal- ten ist, und in seinem Reisewerke als „Platemys Hilarü Dum.

Bibr.“ aufgeführt wurde") Die hiesige Sammlung von Schild-

kröten war zur Zeit der Herausgabe jenes Werkes verhältnifsmä- fsig sehr arm und die Pl. Hilarii nur nach der Beschreibung in der Erpetologie generale (II. p. 429) bekannt, während erst vor wenig Jahren eine Abbildung derselben in dem Werke von Ca- stelnau über die südamerikanische Fauna erschienen ist.”) Diese letztere liefert aber den Beweis, dafs Pl. Hilarii in keiner Hinsicht von Pl. Geofroyana Schweigger verschieden ist, sondern sehr wahrscheinlich nach jungen Exemplaren dieser letztern aufgestellt wurde, wie dieses sowohl aus dem in unserm Museum befindlichen Originalexemplare von Pl. Geofroyana Wagler’s, wie aus der Vergleichung der reichen Sammlung des Hrn. Hensel aus Rio Grande de Sul und der Beschreibung in der Erpetologie generale hervorgeht. Das vorliegende Exemplar gehört dagegen einer sehr verschiedenen, durch die Convexität und die entwickelten Höcker ihres Rückenschildes sowie durch ihre Färbung sehr ausgezeichne- ten neuen Art an, über die ich mir erlaube, der Akademie eine genauere Mittheilung vorzulegen.

Platemys tuberosa.n. sp. (Taf. 1.2.) Pl. iesta altiore, carina spinali distincta, scutis vertebralibus costa- libusque carinato-tuberosis; supra fusca, albo-fimbriolata, subtus al-

bida nigro-rivulata.

Platemys Hilarü Troschel, R. Schomburgk, Reisen in British-Guiana,

III. p.647. (non DumeriletBibron). Der Kopf dieser Schildkröte hat eine ähnliche Form wie der von Pl. @eoffroyana, die dünne Hornbekleidung der Oberseite des- selben ist in ähnlicher Weise in schuppenförmige Abtheilungen zer-

1) R. Schomburgk, Reisen in British-Guiana, III. p. 647. 2) Castelnau, Exped. dans l’ Amerique du Sud. Rept. p.7. Taf. 1.

312 Gesammtsitzung

fällt und die Schläfengruben sind oben, wie man durch die Haut fühlen kann, durch eine Knochenbrücke von einander getrennt, welche doppelt so breit ist, wie die Interorbitalgegend. Die Augen sind einander mehr genähert und weniger entfernt von dem Lip- penrande als bei Exemplaren gleicher Grölse jener Art, auch er- scheint die Schnauze merklich kürzer, indem ihre Länge 3 des Augendurchmessers gleich kommt. Die Haut des Halses erscheint grob granulirt oder knotig., Die Dorsalseite des Vorderarms ist mit zwei bis drei Reihen halbmondförmiger Schuppen, der hintere häutige Saum mit viel gröfseren platten Schuppen bekleidet und die sehr entwickelten Schwimmhäute, welche die fünf Finger bis zu den Krallen mit einander verbinden, ragen mit ihren freien con- vexen Rändern zwischen den letzteren hervor. Auf dem Unter- schenkel findet sich vor den beiden hintern Reihen halbmondför- miger Schuppen nur eine unvollkommene dritte Reihe mit kleine- ren ähnlichen Schuppen und unter den grofsen Schuppen seines Vorderrandes ragt die gröfste vorletzte höckerartig hervor; die Schwimmhäute der Zehen sind ähnlich entwickelt, wie die der Finger. Der Schwanz ist kurz und seine Haut grob granulirt.

Der Panzer ist höher als bei irgend einer andern Art, was besonders herrührt von der stark gekielten Beschaffenheit der drei inittleren Vertebralschilder; er ist verhältnifsmäfsig breiter als bei gleich grofsen Pl. Geoffroyana. Die tuberculöse Beschaffenheit der Costalschilder ist unter den bisher bekannten Arten von Platemys (Hydraspis Gray) characteristisch für diese Art.

Das Sternum ist vorn mehr bogenförmig, weniger grade ab- geschnitten. Die Gularplatten sind verhältnifsmälsig kleiner und kürzer, indem die Seiten des Winkels, mit welchem das Intergulare zwischen den Brachialplatten liegt, eine gröfsere Ausdehnung haben als bei Pl. Geoffroyana. Die Pectoralplatten sind nicht allein län- ger als die Brachialplatten, sondern auch als die Abdominalplatten und der innere Rand der Analplatten ist viel länger als der der Femoralplatten.

Die Farbe der Oberseite des Kopfes und Halses ist jetzt braun. Eine breite schwarze Längsbinde an dem oberen Theile der Hals- seite theilt sich hinter dem Trommelfell nach vorn gabelförmig in einen oberen über das Trommelfall bis zum Auge verlaufenden Ast, dem ein seitlicher Schnauzenstreif entspricht, und in einen unteren an den Mundwinkel gehenden und die Lippenränder ein-

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vom 12. Mai 1870. 313

fassenden Ast. Eine untere seitliche Halsbinde vereinigt sich vorn mit einer hufeisenförmigen Binde am innern Rande des Unterkie- fers und die Unterseite des Halses ist durch zwei unregelmäflsige tortuöse Längsbinden ausgezeichnet. Die Fufs- und Handsohlen, sowie die Aufsenseite der Extremitäten sind schwarz, am vordern und hintern Rande gelblich weils gesäumt. Der Panzer ist oben braun, undeutlich gefleckt, am Rande mit einem schmalen weilsen Saum. An der Unterseite haben die vorderen und seitlichen Rand- schilder einen mittleren schwarzbraunen Längsstreifen und der weilse Grund des Sternums ist ausgezeichnet durch breite geschlängelte Binden und Flecke von schwarzbrauner Farbe. Kopflängse . . . . 020315 Länge des Panzers. . 0%127 opfpreite . ..1..1..02..00026% Breite‘, A 010 Kopfhöhe ,. . ... ..02015” -Höhe!:, 5 .. . 09045 Das einzige Exemplar stammt nach der Angabe des Hrn. Ri- chard Schomburgk aus dem Cotingaflusse am Roraimagebirge in British-Guiana.

Erklärung der Abbildungen.

Taf.1. Fig.1. Platemys tuberosa Ptrs. von unten; Fig.2. Kopf derselben von oben. Taf.2. Fig.1. Panzer derselben von oben; Fig.2. derselbe von der linken Seite.

Sämmtliche Figuren in natürlicher Gröfse.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, . phil.-hist. Klasse. 61. Bd. 2. u. 3. Heft. 62. Bd. 1.—4. Heft. Math.-naturw. Klasse. 1869. 1. Abth. Nr. 3—7. 2. Abth. Nr. 4—7. Wien 1869. 8.

Denkschriften der Kgl. Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-histor. Klasse. 16. u. 18. Bd. Mathem.-naturw. Kl. 29. Bd. Wien 1869. 4.

Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen. 41. Bd. 1. u. 2. Heft. Wien 1869. 8.

314 Gesammtsitzung

Almanach der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. 19. Bd. Wien 1869. 8.

Tabulae codiecum. Vol. I. Wien 1864. 8.

Hebra, Atlas der Hautkrankheiten. 7. Lieferung. Wien 1869. fol.

Jelinek, Temperaturverhältnisse der Jahre 1848—1863. Wien 1869. 4.

Alfred v. Reumont, Geschichte der Stadt Rom. 3. Bd. Berlin 1870. 8. Mit Begleitschreiben des Hrn. Verf. d. d. Bonn 1. Mai 1870.

Annalen der k. Sternwarte bei München. 17. Bd. u. 19. Supplementband. München 1869. 8.

G.L. v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. 2. Bd. Erlangen 1870. 8.

Bulletin de la Societe des Naturalistes de Moscou. Annee 1869. Nr. 4. Moscou 1870. 8.

W. Carssen, Über Aussprache, Vokalismus und Betonung der Lateinischen Sprache. 2. Bd. Leipzig 1870. 8.

Memoirs of the Geological Survey of India. V, 7—10. VI, 3. Calcutta 1868. 4.

Hirsch et Plantamour, Nivellement de precision de la Suisse. Livr. 3. Geneve 1870. 4.

M. Haug, An old Pahlavi-Pazand Glossary. London 1870. 8.

G. di Siena, Commedia di Dante Allighieri, con note. Napoli 1870. 8.

Annuaire de l’association pour l’encouragement des etudes grecques. Annee 4. Paris 1870. 8.

19. Mai. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Rammelsberg las über die Zusammensetzung der Meteorite von Shalka und von Hainholz.

Die Meteorite, mineralische Massen, welche aus dem Welt- raum auf die Oberfläche der Erde gelangen, bieten in Betreff ihres Ursprungs und ihrer Bewegung der Astronomie, hinsichtlich der ihren Fall begleitenden Erscheinungen der Physik Stoff zu wich- tigen Erörterungen dar. Das Interesse, welches sie an und für sich als Bruchstücke kosmischer Substanzen haben, steigert sich, wenn wir ihre materielle Natur erforschen und sie mit den telluri- schen Substanzen vergleichen. Mineralogische Beobachtung und

vom 19. Mai 1870. 315

chemische Untersuchung führen uns zur Kenntnifs dieser ihrer ma- teriellen Natur, und schon liegt ein werthvolles Material vor, ge- nügend, um daraus Schlüsse und Vergleiche abzuleiten, allerdings unvollständig, insofern wir von manchen Meteoriten noch keine ge- naue Untersuchung haben. |

Soweit unsere Erfahrung reicht, steht fest, dafs die Elemente der Meteorite nur solche sind, die auf der Erde vorkommen. Es ist ferner ausgemacht, dafs diese Elemente in ihnen ganz in glei- cher Art zu bestimmten Verbindungen gruppirt sind, wie in den Mineralien. Die Mineralien der Meteorite sind aber auch nach Form und Zusammensetzung ident mit gewissen wichtigen und weitverbreiteten Mineralien, welche in den älteren krystallinischen und in den neueren vulkanischen Gesteinen vorkommen. Es sind Silikate von Eisen, Magnesia, Kalk, Thonerde und wenig Alkali.

Eine grofse Zahl von Meteoriten, aber nicht alle, enthält frei- lich metallisches, nickel- und phosphorhaltiges Eisen, dessen Vorkommen auf der Erde nicht nachgewiesen, dessen Existenz überhaupt in den uns zugänglichen oberflächlichen Theilen der Erd- masse deswegen nicht wahrscheinlich ist, weil es den Angriffen von Wasser, Sauerstoff und Kohlensäure, welche in diesen oberen Theilen der Erdrinde fast überall chemische Prozesse hervorrufen, keinen Widerstand leisten, sich oxydiren würde. Man kann mit Sicherheit behaupten, dafs jene Agentien auf die Meteorite, bevor dieselben in den Bereich der Erde gelangen, noch nicht eingewirkt haben.

Die Meteorite sind den tellurischen Gebirgsarten vergleichbar; ihre Eintheilung und Unterscheidung beruht also auf der Natur der sie bildenden Mineralien. Auch bei ihnen giebt es wesentliche und accessorische Gemengtheile, und zu diesen letzteren gehören Schwefeleisen und Chromeisenerz.

Gustav Rose hat nach diesem allein richtigen Princip die Meteorite in Gruppen gebracht!) und diese mit besonderen Namen belegt. Eine solche Gruppe ist wohlbegründet, wenn wir die Ge- mengtheile des Ganzen, d. h. die einzelnen Mineralien, genau ken- nen. Dies gilt z. B. von den Pallasiten, deren Typus die be- kannte Pallasmasse bildet; Meteoreisen mit eingewachsenen Oli-

!) Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. Abhandl. der Akade- mie v. J. 1869.

316 Gesammtsiüzung

vinkrystallen. Es gilt ebenso von den Eukriten, welche aus Augit und Anorthit bestehen, ein Resultat, welches von G. Rose schon 1825 durch mineralogische Beobachtung begründet, von mir später durch die chemische Analyse festgestellt wurde.

Wo aber über die Natur der Mineralien noch Zweifel herr- schen, wo die Feinheit der Gemengtheile der Beobachtung hinder- lich ist, wo die Seltenheit des Materials Untersuchungen verhindert hat, sind diese Gruppen nicht scharf definirt, und ihre Feststellung ist erst durch neue Arbeiten zu hoffen. Zu diesen Gruppen oder Abtheilungen gehören z. B. Chondrit, Howardit, Chladnit und Shalkit.

Ich will heute die Aufmerksamkeit zunächst auf den Shal- kit lenken und durch die Resultate meiner Untersuchung darthun, dafs auch diese Art von Meteoriten jetzt als sicher festgestellt be- trachtet werden kann.

I. Der Meteorit von Shalka.

G. Rose nennt den am 30. November 1850 bei Shalka in Bengalen gefallenen Stein, der beim Fall in viele Stücke zersprang, und wovon das Meiste in Caleutta und im British Museum sich befindet, Shalkit, indem er ihn also für verschieden von allen übri- gen erklärt. Ich brauche nicht auf die äufseren Charaktere der kleinkörnigen Masse einzugehen, weil dieselben von Haidinger und von G. Rose ausführlich beschrieben sind. Aber es ist be- merkenswerth, dafs Ersterer das Ganze, in welchem kleine Kıy- stalle von Chromeisenerz eingewachsen sind, trotz wechselnder Fär- bung, nur für ein Mineral hält, welcher Meinung G. Rose nicht beitritt, theils aus mineralogischen Gründen, theils deswegen, weil das feine Pulver des Meteorsteins von Säuren theilweise zersetzt wird, wie er sich überzeugte, so dafs er Olivin, und zwar in über- wiegender Menge, als Gemengtheil des Shalkits voraussetzt.

Nun ist dieser Meteorit allerdings von C. v. Hauer!) analy- sirt worden, welcher (nach Abzug von Chromeisenerz) fand:

!) Wien. Akad. Berichte Bd. 41.

vom 19. Mai 1870. 517

Sauerstoff Kieselsäure 57,66 30,75 Eisenoxydul 20,65 4,59 Magnesia 19,00 7,60 12,63. Kalk 1,53 0,44 98,54 i Die Analyse ist an sich wegen des Verlustes von 1,2 p. C©., den man nicht zu deuten vermag, nicht recht befriedigend. Hält man sich an die Zahlen, so ist es ein dem Olivin und dem Broneit quali- tativ gleiches Silikat, mit dem Sauerstoffverhältnifs 1: 2,435 oder nahe == 12 2,5, Während nun Haidinger in dieser angeblich zwischen einem Bi- und Trisilikat stehenden Verbindung ein bestimmtes, von ihm Piddingtonit genanntes Mineral sehen will, nimmt G. Rose das Ganze als ein Gemenge von Singulosilikat von Mg und Fe (Oli- vin) und von Trisilikat von Mg (Shepardit) und zwar in dem Ver- hältnifs

| 2 Me2$i3 08

Resi O1 Sauerstoff = 1: 2,33, l

wiewohl

IR? Si O% na Then 22

der Analyse am nächsten kommen, und

| 3 Mg28i3 08

| 5Me2Si3 O8

R2 Si 04 a 22:55 die nächst einfachste Proportion geben würde. Aber aus zwei Gründen ist diese Deutung unannehmbar. Zuvörderst beruht die Annahme des als Shepardit bezeichneten Trisilikats von Mg auf der Voraussetzung, dafs ein solches Silikat wirklich existire, und die Hauptmasse der Chladuite, zunächst des Steins von Bishop- ville, ausmache; allein die Analysen von Shepard und von Sar- torius, welche zu dieser Annahme Veranlassung gegeben haben, sind durch meine späteren Versuche, durch die von Smith und die Schmelzresultate Daubre&e’s als völlig unrichtig nachgewiesen, die Substanz ist Bisilikat von Magnesia, ist Enstatit, wie Kenn- - gott schon längst vermuthet hat, ein in den Meteoriten mehrfach

318 Gesammtsitzung

auftretendes Glied der Augitgruppe, welches sich zum Broneit ver- hält, wie Forsterit zu Olivin.

Aber es ist überhaupt kein Magnesiatrisilikat im vorliegenden Fall anzunehmen, denn da in Hauer’s Analyse das Atomverhält- nifs von Fe:Mg(Ca) = 4:7, also nahe 1:2 ist, so würde der Olivin gar keine Magnesia enthalten, ja nach den beiden letz- ten Formeln würde das Trisilikat selbst eisenhaltig sein müssen.

Wir müssen auf Hauer’s Analyse zurückkommen. Läfst sich auch aus den mitgetheilten Zahlen kein Grund, sie anzuzweifeln, entnehmen, so lehrt doch die Erfahrung, dafs die Analyse von ma gnesiareichen Silikaten immer unrichtig ausfällt, wenn man versäumt, die Kieselsäure noch besonders zu prüfen. Ich habe bei den Horn- blenden den Beweis dafür geliefert. Es bedurfte also für den Stein von Shalka einer neuen Untersuchung, und eine solche wurde da- durch möglich, dafs G. Rose mit gewohnter Liberalität von den wenigen Fragmenten, welche die hiesige Samınlung besitzt, mir die nöthige Menge zur Verfügung stellte.

An ein Auslesen der einzelnen Körner der durch den Finger- druck leicht zerreiblichen Masse war nicht zu denken. Ich suchte, wie ich es schon früher bei Bishopville gethan, durch Schlämmen des feinen Pulvers mit Wasser und Analyse des leichteren und des schwereren Theils zu entscheiden, ob das Ganze aus einem Silikat oder aus mehreren bestehe.

Der schwerere (gröbere) Theil wurde mit Fluorammonium und Schwefelsäure aufgeschlossen; seine Menge betrug nur 0,78 Grm. Der leichtere Theil wurde mit reiner Schwefelsäure, der 4 Wasser zugesetzt war, in ein Glasrohr eingeschmolzen und eig Zeit auf 200° erhitzt. Dabei blieb das Feste pulverig, die saure Flüssigkeit war durch Chromgehalt grün. Zu diesem Ver- such konnten 2 Grm. verwendet werden.

Was zunächst diesen leichteren Theil betrifft, so zeigte sich, dafs die Säure nur wenig Silikat zersetzt hatte, was beweist, dafs der Shalkit nicht vorwiegend Olivin enthalten kann. Das Resultat der Behandlung mit Schwefelsäure war nämlich:

Berechnet man das zersetzte so erhält man:

berechnet zu:

Von dem Unzersetzten

a. b. Kieselsäure 55,55 Eisenoxydul 17,01 16,25 Magnesia 27,96 Kalk h nn 0,09 Natron 0,92 Chromoxyd 0,23 0,23

vom 19. Mai 1870. 319 Kieselsäure 3,84 Eisenoxydul 3,91 Magnesia (Ca, Spur) 3,17 Eisenoxydul a RE Chromoxyd 1,44) Unzersetztes 86,43 99,46

Silikat (10,92 p. ©.) auf 100 Theile,

Sauerstoff Kieselsäure 35,17 18,76 Eisenoxydul 35,80 7,95 \ 19.56 Magnesia 29,05 11,61 ; 100

Dies ist also Olivin, der 2 At. Fe gegen 3 At. Mg enthält,

3Mg?SiO% | 2 Fe?SiıO% }

140 = Si O2 36,23

FeO 34,78 MgO 28,99 100

HS = 4AFe = 224 6Msg 144 20:0 = 320 828

wurden zwei Analysen gemacht

(a. mit kohlensaurem Natron, b. mit Florwasserstoffsäure).

Mittel Sauerstoff 55,55 29,63 10,98. 3.06%

27,73 11,09 15,0 0,09 0,02

0,92 0,23}

0,23

320 Gesammtsitzung

Dieser Theil ist also Bisilikat, ist Broneit, mit 1 At. Fe gegen 3 At. Mg, also [ Fe sid? 3MgSiO?

berechnet zu:

4Si = 112 = SiO? 55,56 Fe = 56 FeO 16,66 3M&= 72 . MgO 27,78 120 = 192 100 432

Hiernach besteht also der leichtere Theil des Steins von Shalka aus:

86,15 Broneit

10,92 Olivin

2,59 Chromeisenerz

99,46

Der schwerere Theil liefs sich wegen seiner geringen Menge nur als Ganzes untersuchen; ich gebe nachstehend die erhaltenen Werthe und stelle die des leichteren daneben, wie sie sich aus den mitgetheilten Daten berechnen lassen.

a. b.

Schwererer (gröberer) Theil. Leichterer (feinerer) Theil. Kieselsäure (52,25) = 52,64 53,13 Eisenoxydul 20,03 20,18 19,32 Magnesia 23.96 26,19: 27,80 Kalk 1,03 1,03 0,07 Natron - 0,81 Chromoxyd 0,45 100 101,13 Eisenoxydul 0,28

100

Beide Theile sind fast gleich, denn die V. G. von Olivin und Bron- eit sind zu wenig verschieden, als dafs der Schlämmprozels ihre relative Menge in beiden wesentlich hätte ändern können. Die Analysen aber constatiren zugleich, dafs das Ganze basischer als ein Bisilikat ist, und sie treten dadurch den Angaben

vom 19. Mai 1870. 321

Hauer’s, die das Gegentheil erweisen sollen, aufs schärfste gegen- über. Es ist nämlich der Sauerstoff der RO und der SiO?

in a = 15,21: 23,07 =1:1,3 inab>== 1561: 28,93 11,85.

Wollte man aus diesen Proportionen die Mengen des Olivins und Broneits berechnen, so hätte man in

a. b. Be Sa 12R SiO3 R2SiO® { R?SiO® und wenn R im Bisilikat F?Mg*, im Singulosilikat aber

3 Fe?’ Mg? ist, so würde

a. b. Broneit 83,9 88,67 Ä Olivin 16,1 11,33 100 100.

Meine direkte Analyse von b hat aber in der That

88,75 Broneit 11,25 Olivin 100.

gegeben. Shalkit ist also Broneit und Olivin.

Nach Haidinger ist das V. G. der ganzen Masse 3,41, während Broncit = 3,20 3,25, Olivin = 3,50 3,90 ist, was von dem Verhältnifs Fe:Mg abhängt. Dem gröfseren Gewicht des Olivins entspricht es vollkommen, dafs der schwerere Theil (a) olivinreicher, broncitärmer ist. Sein Sauerstoffverhältnils deutet auf 16 p. ©. Olivin in dem Gemenge.

Giebt es noch andere Meteoriten derselben Art? Weahrschein- lich, doch fehlt es an Untersuchungen. Hier sei nur daran erin- nert, dafs die reine Broncitsubstanz als Meteoritenmasse auf- tritt, nämlich in dem am 26. Juli 1843 gleichfalls in Hindostan gefallenen Stein von Manegaum (Mallygaum bei G. Rose). Erst vor Kurzem hat Maskelyne gezeigt'), dafs die grünlichgelben

1) Proceed, R. Soc. XVIII. 156.

322 Gesammtsitzung

Körner, aus welchen er besteht, die Krystallform des Broncits und ein V. G. = 3,198 haben, und dafs sie nach seiner Analyse die Mischung Fe SiO3 { 2 Mg SiO? }

darstellen. Aber auch die Analyse des ganzen Steins ergiebt ne- ben 1 p. C. Chromeisenerz genau dasselbe Silikat.!)

II. Der Meteorit von Hainhol:.

Diese merkwürdige Masse wurde im J. 1856 in der Nähe von Paderborn von Dr. Mühlenpfordt aufgefunden. Ihre Fallzeit ist unbekannt, aber die äufserliche und bis zu einer gewissen Tiefe eingedrungene Veränderung beweist, dafs sie lange in der Erde gelegen hat. Es ist ein Mesosiderit, d.h. ein Gemenge von Meteoreisen, Olivin und Augit, analog dem M. aus der Sierra de Chaco, welchen G. Rose ansführlich beschrieben hat. Da bisher noch keine durchgreifende Untersuchung eines dieser Meteoriten versucht ist, so habe ich, durch G. Rose mit dem er- forderlichen Material versehen, die Analyse des M. von Hainholz unternommen. Es ist aber daran zu erinnern, dafs die ursprüng- liche Natur der Gemengtheile sich nur durch eine Correction der analytischen Resultate darstellen läfst, indem man der Aufnahme von Sauerstoff und Wasser in den äulseren Parthieen Rechnung trägt. |

Beim Pulvern des Steins bleiben die gröberen Partikel des Meteoreisens zurück. Eine von Silikattheilchen nicht ganz freie Probe desselben, mittelst einer Lösung von Quecksilberchlorid zer- legt, gab nach Abzug jener und nachdem eine kleine Menge Ma- gnesia (0,69 p. C.) in der Form der Olivinbasen (FeO + 3MgO) gleichfalls abgerechnet war,

Eisen 93,834 Nickel 6,16 100.

!) @. Rose hatte diesen Meteorit nach dem äulsern Ansehen eines Stückchens von 0,03 Loth zu den Howarditen gestellt,

vom 19. Mai 1870. 323

Das Meteoreisen, Fel®Ni etwa, ist also eins der nickelärme- ren und steht dem von Arva, Lenarto, Schwetz, Seeläsgen, Braunau, vielen amerikanischen, sowie dem M. der Chondrite von Pultusk Seres, Blansko sehr nahe, während die Mehrzahl des letzteren mehr Nickel enthält.

Das feinere Pulver, welches nach der Absonderung jener grö- beren Eisentheile übrig blieb, wurde gleichfalls mit Quecksilber- chloridauflösung behandelt, um die Menge der metallischen Theile zu bestimmen. Der Rückstand ward mit Chlorwasserstoffsäure digerirt, um das Singulosilikat (Olivin) zu zerlegen; aus dem Rückstande wurde die zu jenem gehörige Kieselsäure ausgezogen, worauf er für sich weiter untersucht wurde. Ein besonderer Ver- such bestimmte den Wassergehalt. |

So ergaben sich

Eisen 4,12

Nickel 1,05 h Bl Kieselsäure 20,04 Durch Säure zersetzt | Misenosya 22 20) 66,61 Magnesia 24,37 Kieselsäure 13,20 \ Eisenoxydul 3,51 | Magnesia 6,15 \ Thonerde 0,72

Unzersetzt 23,98

Chromeisenerz 0,50 Glühverlust (Wasser) 2,86 98,72

Das Nickeleisen würde 20,3 p. C. Nickel enthalten, also dreimal mehr als die vorhergehende Untersuchung geliefert hat. Man sieht also, dafs bei dem langen Liegen des Meteorits viel Eisen in Oxyd (Oxydhydrat) sich verwandelt hat, welches in dem sauren Auszuge erhalten ist.') Man darf also mit vollem Recht dem Nickel so- viel Eisen hinzurechnen, als nach dem zuvor Angeführten ursprüng- lich vorhanden war. Indem man den Rest im Olivin als Oxydul nimmt (welches gleichfalls zum Theil Oxyd geworden ist), erhält man:

1) Nickel fand sich in ihm nicht.

[1870] 23

324 Gesammtsitzung

\ Eisen 10,88 Meteoreisen a ä es 11,93 Kieselsäure 20,04 Olivin | Bisenoxyaul 13,51 } = 57,92

Magnesia 24,37

Kieselsäure 13,20

.. | Eisenoxydul 3,51 Augit, | Magmesieb a6, 18. Pam Par

Thonerde 0,72

Chromeisenerz 0,50

Betrachtet man nun die Mischung der beiden Silikate näher, so sieht man, dafs es beim Olivin an Säure fehlt, während der Augit deren zu viel hat. Dies ist eine Folge der analytischen Methoden und nöthigt zu einer kleinen Oorrection, sodafs

Kieselsäure 21,09 Olivin | Eisenoxydul 13,51 58,97 Magnesia 24,57 Kieselsäure 12,15 Eisenoxydul 3,51 Magnesia 6,15 Thonerde 0,72

Ausgit 22,99

Wird endlich das Ganze auf 100 Theile reducirt, so hat man

Meteoreisen 12,70

Olivin 62,78

Augit 24,00

Chromeisenerz 0,52 100

Von Schwefel habe ich nur Spuren gefunden.

Natürlich gilt das Verhältnifs dieser Gemengtheile nur für die untersuchte Probe, von welcher die gröberen Eisentheile abgeson- dert waren. In dieser Hinsicht sind die einzelnen Theile der gan- zen Masse sehr ungleich beschaffen.

Nimmt man nun die Zusammensetzung der beiden Silikate für sich:

vom 19. Mai 1870.

325

Olivin Augit Sauerstoff Sauerstoff Kieselsäure 35,77 19,08 53,93 23,76 Eisenoxydul 22,91 5,09 15,58 3,46 Magnesia 41,32 a Re 27,30 a IR Thonerde 3,19 1,49 100 100

so sieht man, dafs beide Silikate 1 At. Eisen gegen $ At. Magne- sium enthalten. Der Augit ist aber Broncit, und in ihm ist 1 Mol. Thonerde mit etwa 8 Mol. des Bisilikats verbunden.

Wir haben also

[ Fe? Be s! FeSı03 N 3 Mg? SiO! | 3MgSiO3 A103 Berechnet: 0? 38,46 Si O2 53,95 Fe O 23,08 FeO 16,19 MgsO 38,46 MgO 26,98 100 A103 2,88 100

Die beiden Meteorite, welche uns hier beschäftigt haben, der vor 20 Jahren gefallene von Shalka und der seiner Fallzeit nach unbekannte von Hainholz, beide bestehen aus Olivin und Broncit, aber bei dem letzten tritt noch Meteoreisen hinzu.') Während der Broneit beider so sehr verschiedener Massen dieselbe isomorphe Mischung von Bisilikaten ist, 1 At. Eisen gegen 3 At. Magnesium enthält, unterscheidet sich ihr Oliyin, die isomorphe Mischung der Singulosilikate der nämlichen Metalle. In Shalka ist die Mischung Fe:Mg = 2:3, in Hainholz = 1:5 At.

Die Olivinsubstanz erscheint für sich in Chassigny und ziem- lich rein auch in Alais (in beiden Fe:2Mg); der Broneit bildet für sich den M. von Manegaum (Fe:2Mg). Ein Gemenge beider ist Shalka (Olivin = 2Fe:3Mg, Broncit = Fe: 3Mg).

1) In Shalka überwiegt der Broneit, in Hainholz der Olivin.

326 Gesammtsitzung vom 19. Mai 1870.

Eine Parallelreihe entsteht durch das Hinzutreten des Nickel- eisens oder Meteoreisens, welches mit Olivin die Pallasite dar- stellt (O. der Pallasmasse = Fe:8Mg, von Brahin und von Ata- cama Fe:4Mg), während es mit Broneit (Fe:4Mg) die ähn- lichen Massen von Breitenbach, Steinbach, Rittersgrün, und endlich mit Olivin und Broncit die Mesoderite bildet, von denen für jetzt blos Hainholz (Olivin gleichwie Broneit = Fe:3Mg) näher er- forscht ist.

Ich hoffe, demnächst zeigen zu können, dafs wenigstens ein Theil der Chondrite dasselbe Gemenge darstellt wie Hainholz, d.h. wie die Mesosiderite.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

O. Böttger, Beitrag zur Kenntnifs der Reptilien Spaniens und Portugals. Offenbach a. M. 1869. 8.

E. Crzyrnianski, Chemische Theorie auf der rotirenden Bewegung der Atome basirt. 2. Aufl. Krakau 1870. 8.

Mommsen, Histoire de la monuaie rumaine, traduite par le Duc de Bla- cas. Nol. HM. BarsM1870.7 88.

Bulletin de la societe geologique de France. 1868, no. 5. 1869, no. 2.3. Baris 1869. 8.

Bulletin des sciences matematiques et astronomiques, redige par Darboux. Tome I, 1. Paris 1870. 8. |

A complete Collection of the Poems of Tukerama. Vol. I. Bombay 1869. 8. Im Auftrag des Government of Bombay eingesendet von Trübner et Co.

23. Mai. Sitzung der physikalisch-mathemati- schen Klasse.

Hr. Ewald las über einige die Geologie der Anden betref- fende Fragen.

Monatsber. d. Berl. Mad. d. Wiss. Juni 1870. Pag. 3897.

XI DI BA

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NA N

kd.

MONATSBERICHT

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

Juni 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond.

%. Juni. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. G. Rose las über den Zusammenhang zwischen hemiödrischer Krystallform und thermo-elektrischem Verhalten beim Eisenkies und Kobaltglanz.

Eisenkies und Kobaltglanz sind bekanntlich die Hauptbeispiele von Krystallen des regulären Systems, die die dodekaödrische oder parallelflächige Hemiödrie zeigen. Bei beiden, besonders dem er- stern, kommen eine grolse Menge von einfachen Formen und Com- binationen vor; indessen war es immer auffallend, dafs bei diesen nur, oder vorzugsweise Formen der einen Stellung vorzukommen schienen, während doch bei den Substanzen, deren Formen die te- traödrische oder geneigtflächige Hemiddrie zeigen, die verschiedenen hemiödrischen Formen der einen Stellung wie der andern häufig allein oder miteinander combinirt vorkommen; so beim Borazit, Fahlerz und der Zinkblende. Man hat allerdings beim Eisenkies Krystalle beschrieben, die Combinationen von Formen beider Stel- lungen sind, doch gehören dergleichen Krystalle zu den "gröfsten Seltenheiten, zumal wenn man bedenkt, wie sehr der Eisenkies in der Natur verbreitet ist, und dafs er sich auf den verschiedensten Lagerstätten und zu den verschiedensten Zeiten gebildet hat.

So beschrieb schon Haüy!) Eisenkieskrystalle, an welchen nicht nur die Pentagondodekaäder (a:ga: coa), sondern auch an-

1) Traite de Mineralogie, 2 ed. t.4 p. 56 Fig. 211 und p. 57 Fig. 215. [1870] 24

328 Gesammtsitzung

dere, an welchen die Diplo@der') (a:4a:3a) in beiden Stellungen vorkommen. Die ersten finden sich in einer Combination mit dem Oktaöder und Leucitoöder, das Okta@der herrscht vor, die Flächen des Leucitoöders bilden Zuspitzungen der Ecken, und die Flächen der beiden Pyritoöder die Abstumpfungen der Kanten der Zu- spitzung. Die andern finden sich in Combination mit dem Oktaöder, einem Triakisoktaöder, dem Leucitoöder und Hexaöder; auch hier herrscht das Oktaöder vor, das Triakisoctaöder (a:4a:3a) bildet die Zuschärfung der Kanten, die Flächen der beiden Diplo&der er- scheinen als achtflächige Zuspitzungen der Ecken, zu denen nun noch untergeordnet die Flächen des Leueitoöders und Hexaöders hinzutreten. Die Flächen der Pyritoöder und Diploöder beider Stellungen sind von gleicher Gröfse gezeichnet und eine Verschie- denheit in dem Ansehen derselben ist nicht angegeben; ebenso we- nig der Fundort beider Krystalle.

Eisenkieskrystalle mit den Flächen beider Pyritoöder als Ab- stumpfungsflächen der sämmtlichen schärferen Kanten des Leuei- toöders hat später auch Breithaupt”’) an einem Stücke der Wer- nerschen Sammlung in Freiberg erkannt und beschrieben, leider auch hier ohne den Fundort desselben zu kennen.°)

1) Ich gebrauche hier, wie schon seit langer Zeit in meinen Vorlesun- gen für die Ausdrücke Trapezoid-Ikositetraöder (Mohs) oder Dyakis-Dode- kaöder (Naumann) den kürzern Ausdruck Diplo@der, worin ich mir erlaubt habe, den Namen Diploid von Haidinger umzuändern.

2) Journal für prakt. Chemie von Erdmann und Schweigger-Sei- del Bd. 4 S. 264.

3) Da es mir sehr darum zu thun war, Krystalle mit solchen Flächen, die sich in dem Berliner mineralogischen Museum gar nicht befinden, aus eigener Ansicht kennen zu lernen, so bat ich Prof. Weisbach, mir die Stufe mit den beschriebenen Krystallen zur Ansicht zu schicken, was er mir auch freundlichst gewährte. Die Krystalle, an denen die beiden Pyrito@der vorkommen, haben nur die geringe Gröfse von höchstens einer Linie Durch- messer und sind in einem kleinen Drusenraum einer derben Eisenkiesmasse aufgewachsen. Es sind Combinationen des Oktaeders, Leucito&ders mit den beiden Pyritoödern, ganz wie bei den von Haüy beschriebenen Krystallen, nur dafs hier noch die Flächen des Hexaöders hinzutreten. Die Flächen der Pyritoöder erscheinen als Abstumpfungen der Kanten der Zuspitzung des Ok- taöders, aber die einen abwechselnden Abstumpfungsflächen sind merklich grö-

vom 2. Juni 1870. 329

Combinationen von dem Diploöder (a:4a:4a) mit dem Py- ritoöder verschiedener Stellung, wo also das Pyritoöder an den schärfern Kanten durch die Flächen des Diploöders abgestumpft erscheint, haben später auch Naumann!) und Zippe?) beschrie- ben. Sie nehmen dabei an, dafs das Pyrito@der erster und das Diplo@der zweiter Stellung sei. Fundörter werden von beiden Autoren nicht angegeben.

Combinationen des Pyritoöders und Diploeders (a:4a:4a) der einen und des Diploöders (la:4a:1a) der andern Stellung beschreibt Levy’). Die Flächen des letztern Diploöders erschei- nen untergeordnet am erstern als Abstumpfungsflächen der mittlern Kanten; das Hexaöder tritt auch noch hinzu; Diplo@der 123?) und Pyritoöder werden in erster Stellung, das Diplo@öder 345 dem- nach in zweiter Stellung angenommen.

In seiner grofsen Arbeit über die Italiänischen Eisenkiese giebt Strüver°) noch 5 Pentagondodekaäder an, die in Vergleich mit dem mit ihnen zusammen vorkommenden Pyritoöder in entgegen- gesetzter Stellung stehen, sowie auch ein Diploöder 234, das wie das

fser als die andern, und die grölsern haben neben sich noch schmale Ab- stumpfungsflächen der Combinationskanten mit dem Leucito@der, wahrschein- lich die Flächen des Diploeders (a:4a:1a); die Flächen des Oktaöders und Hexaöders sind stark glänzend und glatt, die Flächen der beiden Pyri- to@der auch glänzend, die schmälern Pyritoöderflächen aber schwach horizontal nach den Combinationskanten mit dem Hexaöder gestreift; die Flächen des Leu- citoöders sind ganz matt durch kleine dreieckige Eindrücke, die durch die Hexaöderflächen hervorgebracht werden, daher die Leucito@derflächen in der Richtung der Hexaöderflächen schillern. Die Flächen der beiden Pyrito@der sind demnach in ihrem Verhalten doch sehr verschieden.

1) Lehrbuch der Mineralogie Berlin 1828 S. 563 Fig. 45. 2) Leichtfafsliche Anfangsgründe der Naturgeschichte des Mineralreichs 1839 Th. 2 S. 512 Fig. 220. \

®) Description d’une collection de Mineraux form&e par Heuland, Lon- don 1837 t. 3 p. 134 pl. 68 Fig. 10.

*) Ich werde in dem Folgenden öfter wie hier geschehen die abgekürzte Millersche Schreibart 123 statt (a:4a:4a) und 345 statt (Za:}a:+a) ge- brauchen.

5). Studi nella mineralogia italiana, pirite del Piemonte et dell’ Elba, Turino 1869 p. 6.

24*

330 Gesammtsitzuny

von Levy angeführte und mit ihm gemeinschaftlich vorkommende Diploöder 345 in entgegengesetzter Stellung zu dem Diploöder 123 steht.') Das Pentagondodekaöder 560 zweiter Stellung, das sich auch unter den Pentagondodekaödern Strüvers findet, wird auch von Hessenberg?) bei einem Krystalle wahrscheinlich von Tra- versella, an welchem das Pyritoöder vorherrscht, und Hexaöder, Leucitoöäder und die Diploöder 123 u. 124 untergeordnet hinzutre- ten, aufgeführt.

Dies sind die sämmtlichen mir bekannten Formen des Eisen- kieses, die als in zweiter Stellung vorkommend beschrieben sind. Es sind nur sehr wenige, und diese sind auch nur an einzelnen Krystallen vorgekommen. Strüver hat in den grofsen Turiner Sammlungen nur 9 Krystalle gesehen, an welchen hemiedrische Formen in zweiter Stellung vorkommen. Indessen ist durch diese Beobachtungen doch ausgemacht, dafs solche Formen vorkommen. Man hat sie aber immer nur erkannt, wenn sie mit Formen der ‘andern Stellung in Combination vorkommen, und hat die herr- schenden Formen für Formen erster Stellung, die untergeordnet vorkommenden für Formen zweiter Stellung gehalten. An einem bestimmten Beweise für die Richtigkeit dieser Annahme fehlte es aber ganz. Ob daher die herrschenden hemiödrischen Formen stets der ersten oder einer und derselben Stellung, die untergeordnet vorkommenden stets der zweiten Stellung angehören, ist noch gar nicht ausgemacht.

Ich hatte mich deshalb schon lange mit diesen Fragen be- schäftigt. Da doch das Vorkommen von Formen beider Stellun- gen beim Eisenkies erwiesen ist, schien es mir wahrscheinlich, dafs man auch Mittel finden müfste, die Formen beider Stellungen, auch wo sie nicht miteinander in Combination getreten sind, zu erken- nen, und wo dies der Fall ist, auszumachen, welche von diesen erster und welche zweiter Stellung sind. Bei den Krystallen aller übrigen Substanzen, die in hemiödrischen Formen beider Stellun- gen vorkommen, unterscheiden sich die der einen Stellung so be- stimmt von denen der andern durch verschiedene Gröfse, Streifung

1), Asa. NO. Pig. 118.

!) Abhandl. der Senkenbergschen naturforschenden Ges. in Frankfurt au M, Be 7 .N.9 S460.

vom 2. Juni 1870. 331

oder Glanz der Flächen, durch verschiedene Combination mit an- dern hemiödrischen Formen, durch Häufigkeit des Vorkommens, pyro-elektrisches Verhalten, sowie durch die regelmäfsigen Eindrücke, die man durch Ätzung auf den Flächen erhält. Bei dem Borazit z. B. sind die Tetraöder erster Stellung stets glänzender als die zweiter, sie finden sich häufiger, fehlen nie, erscheinen in Combi- nation mit einem Hexakistetraöder, und in ihnen liegen die antilo- gen elektrischen Pole, dagegen die Tetraöder zweiter Stellung häufig fehlen, in Combination vorkommen mit einem Triakistetraäder, und in ihnen die analogen elektrischen Pole liegen. Die Gröfse der Tetraöder ist verschieden, doch sind gewöhnlich die Flächen des ersten Tetraöders gröfser als die des zweiten.) Beim Quarz sind die Flächen des Hauptrhombo&äders gröfser und glänzender als die des Gegenrhomboäders, nach den Combinationskanten mit dem er- steren sind die Rhombenflächen gestreift, unter dem Hauptrhom- bo&der liegen die Flächen der gewöhnlichen Trapezoöder erster Ordnung, unter dem Gegenrhomboöder keine oder andere, die viel seltener vorkommenden Trapezoöder zweiter Ordnung. Auch die vorkommenden spitzern Rhomboöder sind unter dem Hauptrhom- boöder gewöhnlich andere als unter dem Gegenrhomboäder.”) Sehr entscheidend sind ferner, wie Leydolt so schön dargethan hat’), _ die durch Ätzung mit Flufssäure entstehenden regelmäflsigen Ein- drücke; sie sind linienartig und werden durch Flächen hervorge- bracht, die den Flächen des ersten stumpfern Rhomboöder des Ge- genrhomboöders parallel gehen, sind daher auf dem Hauptrhom- boöder horizontal und parallel den Combinationskanten mit dem ersten sechsseitigen Prisma, auf dem Gegenrhombo&der schief und parallel den Kanten mit dem zweiten sechsseitigen Prisma; eine Verschiedenheit, die die verschiedenen Zwillingskrystalle beim Quarz so leicht und sicher erkennen läfst.

Alle diese Mittel schienen beim Eisenkies nicht auszureichen. Da die Flächen der Pyrito@äder von Traversella und von vielen

1) Vergl. Abh. d. k. Akad. d. Wiss. zu Berlin von 1844 S. 261.

®) A. a. O. 1843 S. 82.

3) Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Kl. d. k. Akad. d. Wiss. von 1855 B. 15 S. 59.

332 Gesammtsitzung

andern Orten horizontal parallel ihren Grundkanten, die Pyrito@der von Elba, Kongsberg, Copiapo vertical, parallel den Normalen auf . den Grundkanten gestreift sind, so schien’ dies ein einfaches Mit- tel abzugeben, die Pyrito@der beider Stellungen zu unterscheiden, indem man die horizontal gestreiften für Pyritoöder der einen (er- sten) Stellung, die vertical gestreiften für Pyritoöder der andern (zweiten) Stellung halten könnte. Aber die Streifung hält nicht aus, die Flächen sind oft vollkommen glatt, oder sie sind theils horizontal, theils vertical gestreift, und was die Hauptsache ist, die horizontal und verticalgestreiften Pyrito@der finden sich in Traver- sella und Elba in denselben Combinationen mit den Diploödern 123 u. 124. Die Flächen des Oktaöders sowohl als des Hexae- ders sind ferner in Combination mit dem horizontal und vertical gestreiften Pyritoöder oft parallel ihren Kanten mit dem Pyrito&- der gestreift, wie beides bei den Krystallen von Traversella und Elba zu sehen ist. Überhaupt zeigte sich die Streifung der Flächen des Eisenkieses im Gegensatz zu der der meisten übrigen Krystalle sehr unbeständig, die Flächen des Oktaöders z. B. kommen nach dem Pyritoöder (Brosso), dem Leucitoöder (Elba) und dem Diploöder 124 (Brosso), die Flächen des Diplo@ders 123 nach den Flächen des Oktaöders (Elba) oder nach den Flächen des Hexaäöders (Brosso) oder stellenweise nach dem einen oder dem andern gestreift vor. Die Streifung schien so bei dem Eisenkies gar kein Anhalten zu gewähren.

Ebenso unzureichend bewiesen sich die durch Ätzung erhalte- nen Eindrücke. Ich hatte schon vor längerer Zeit dieselben un- tersucht, die Krystalle wurden in Königswasser ein bis zwei Mi- nuten erhitzt und die geätzten Oberflächen dann unter dem Mikro- skop im reflectirten Lichte, oder besser noch, die von ihnen ge- machten Hausenblasenabrücke im durchgehenden Lichte betrachtet. Letztere wurden auf dieselbe Weise dargestellt, wie es Leydolt in seinen Abhandlungen über Quarz und Aragonit vorschreibt. Die auf diese Weise erhaltenen Eindrücke in dem Eisenkies sind oft sehr nett und zierlich, sie sind aber auf den gleichen Flächen aller Eisenkieskrystalle, die ich untersucht habe, dieselben, mögen diese eine Beschaffenheit haben, welche sie wollen, wenigstens habe ich einen wesentlichen Unterschied bei ihnen nicht erkennen können. Auf den Pyritoöderflächen sind die Eindrücke symme- trische Fünfecke (Fig. 3), im Allgemeinen ähnlich denen der Flä-

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chen des Pyritoöders selbst, nur verkehrt liegend, indem ihr stumpf- ster Winkel gegen die Grundkante gerichtet ist. Betrachtet man eine Fläche eines geätzten Pyritoöders bei hellem Kerzenlicht mit der Lupe, so erhält man, wenn man das Licht von der Fläche re- flectiren läfst, den Schiller der Eindrücke von den fünf umgeben- den Pyritoöderflächen, die Eindrücke werden also durch diese Flächen hervorgebracht, doch scheinen mir bei den Eindrücken, wo die Ätzung am besten gelungen war, die der Grundkante an- liegenden Kanten parallel zu sein, wie auch die Fig. 3 sie darstellt. Läfst man das Licht in der Richtung einer Hexaöderfläche reflec- tiren, so erhält man den Schiller der Eindrücke von den sämmt- lichen 4 Pyritoöderflächen, die die Hexaöderfläche umgeben. Mit einer Oktaöderfläche schillern zugleich die Eindrücke der sämmt- lichen diese umgebenden Pyritoöderflächen; auch mit den Leuci- toöderflächen schillern die Pyritoöderflächen. In den Eindrücken müssen sich also auch Flächen aller der genannten Formen befin- den, die parallel den Abstumpfungsflächen der Grundkanten des Pyritoöders sind auch zuweilen recht deutlich.

Auf einer Hexaöderfläche erhält man Eindrücke von zwei symmetrischen Fünfecken, die mit ihren Grundlinien aneinander stofsen (Fig. 2). Sie werden durch die Pyritoäderflächen hervor- gebracht, was man annähernd durch die Messung mit dem Re- flexionsgoniometer bestimmen kann. Auf einer Oktaöderfläche er- hält man dreieckige Eindrücke, deren Seiten den Kanten des Ok- taöders mit dem Pyritoöder parallel gehen und auch durch die Flächen dieses hervorgebracht werden (Fig. 1). Die Ätzeindrücke werden also aufser den Pyritoöderflächen nur durch Flächen holoädrischer Formen hervorgebracht und sind daher überall gleich, mögen die Flächen, auf denen man sie darstellt, einer Form der einen oder der andern Stellung angehören.

Im Jahre 1857 machte nun Marbach') die wichtige Ent- deckung, dafs die verschiedenen Krystalle von Eisenkies und Ko- baltglanz nach ihrem thermo-elektrischen Verhalten in zwei Classen zerfallen in der Weise, dafs die Krystalle der einen Classe in der thermo-elektrischen Spannungsreihe jenseits des positiven Antimons, die der andern Classe jenseits des negativen Wismuths zu stellen sind, in Folge dessen je zwei Krystalle der verschiedenen Classen

1) Comptes rendus 1857 t. 45 p. 707.

354 Gesammtsitzung

untereinander einen stärkern Gegensatz bilden als die Combination Antimon und Wismuth.')

Marbach gab nicht an, wie die positiven und negativen Kry- stalle in krystallographischer Hinsicht sich unterscheiden. Er führte nur an, dals er von 58 Krystallen 34 gefunden habe, die sich ge- gen Kupfer positiv und 20, die sich dagegen negativ verhielten, während 4 andere die sonderbare Eigenschaft hätten, an verschie- denen Punkten ein entgegengesetztes thermo-elektrisches Verhalten zu zeigen. Er versprach in kurzer Zeit in einer ausführlichen Abhandlung in Poggendorffs Annalen das Nähere seiner vielen Versuche anzugeben. Biot legte die Entdeckung der Pariser Aka- demie vor, auf die Wichtigkeit und das Interesse, welches sie er- wecken müfste, aufmerksam machend, indem sie ein neues Beispiel liefere, wie Molecüle von derselben chemischen Beschaffenheit sich zu Krystallen derselben Form mit ganz entgegengesetzten physika- lischen Eigenschaften zusammenlegen könnten; aber die ausführ- liche Abhandlung, die Marbach angekündigt hatte, erschien nicht und ist auch bis jetzt noch nicht erschienen.

Von der Überzeugung durchdrungen, dafs das verschiedene elektrische Verhalten des Eisenkieses mit seiner Krystallform in Zusammenhang stehen mülste, fing ich im Winter 1858—59 selbst an, die Versuche von Marbach zu wiederholen. Ich vereinigte

1) Ich kann nicht unterlassen hier zu bemerken, dafs Prof. Hankel mich darauf aufmerksam gemacht hat, dafs er schon 13 Jahre früher als Marbach in einer Abhandlung in Poggendorffs Ann. von 1844 Bd. 62 S. 197, in welcher er das thermo-elektrische Verhalten verschiedener Mine- ralien untersucht, gezeigt hat, dafs Kobaltglanz von Tunaberg in Oktaödern krystallisirt gegen Kupfer negativ, in Hexaödern krystallisirt dagegen positiv, ferner Eisenkies aus Piemont in Combinationen des Hexaöders und Octaöders krystallisirt gegen Kupfer negativ, dagegen von Elba und Piemont in Pyrito&- dern, und in Combinationen des Pyritoöders mit einem Diplo@der krystallisirt positiv wäre. Hankel hat also ganz richtig schon beobachtet, dafs diesel- ben Substanzen wie Kobaltglanz und Eisenkies bei verschiedener Krystallform sich ganz verschieden thermo-elektrisch verhalten können; er hebt dies auch am Schlusse seiner Abhandlung hervor, aber er hat dieser wichtigen Beob- achtung keine weitere Folge gegeben, und Marbach erwähnt ‚ihrer nicht,

scheint demnach also nicht durch sie zu seiner wichtigen Entdeckung geführt worden zu sein.

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mich mit Prof. Schellbach, der gern meinen Wünschen entge- genkam, mit ihm gemeinschaftlich die Versuche anzustellen. Sie bestätigten vollkommen die Angaben von Marbach, wurden auch eine Zeitlang fortgesetzt, dann aber aufgegeben, da sie zu keinem Resultate führten, indem sich ergab, dafs die auf gleiche Weise ge- streiften Hexaöder von Traversella und von Tavistock sich ganz verschieden thermo-elektrisch verhielten, das eine positiv das andere negativ war, und die horizontal, parallel den Grundkanten gestreif- ten Pyritoöder von Traversella ebenso wie die senkrecht zur Grund- kante gestreiften Pyrito@der von Elba positiv waren.

Darauf beschäftigte sich Friedel!) mit derselben Untersu- chung; auch er erkannte bei seinen Versuchen die beiden Varietä- ten des Eisenkieses, doch konnte auch er nicht den mindesten kry- stallographischen Unterschied zwischen den Eisenkieskrystallen, die die entgegengesetzten thermo-elektrischen Eigenschaften besäflsen, auffinden. Indessen beobachtete er, dafs die schönen Hexaöder von Traversella in Piemont zuweilen an ihrer Oberfläche unregel- mälsig begränzte Stellen zeigten, die in gleicher Richtung, doch feiner als der übrige Theil der Flächen gestreift wären, und die ihn an die ähnlichen Erscheinungen bei den Zwillingskrystallen vom Quarz erinnerten. Die feiner gestreiften Stellen zeigten sich immer von einem entgegengesetzten Verhalten, als wie die umge- benden glänzenden, daher er geneigt war, anzunehmen, dafs die Existenz der beiden Varietäten des Eisenkieses an die rechts- und links-hemiädrischen Krystalle gebunden wäre, die krystallogra- phisch gleich und congruent, wenn sie getrennt, sich doch in den Zwillingen durch Verschiedenheiten des Glanzes verriethen. Frie- del erkannte also wie Marbach, dafs die beiden thermo-elektri- schen Varietäten sich in einem Krystalle zusammenfinden; er ver- folgte aber die Untersuchung der Eisenkieskrystalle in dieser Rich- tung nicht weiter, sondern von der Betrachtung ausgehend, dafs 2 entgegengesetzte Ecken der gestreiften Eisenkies-Hexa@der nicht congruent wären, suchte er nachzuweisen, dals der Eisenkies pyro- elektrisch wäre, eine Ansicht, die er aber doch später wieder auf- gegeben hat’).

1) Institut vom 27 Dec. 1860 N. 1408 S. 420. 2) Ann. de chemie (4) 1869 t. 16 p. 14.

336 Gesammtsiüzung

Im vorigen Jahre erschien nun die grofse Abhandlung von Strüver über die Italiänischen Eisenkiese.!) Er beschreibt hier nur die Krystalle von 3 Fundörtern, von Traversella, Brosso und Elba, und führt doch auf 154 verschiedene Combinationen, die alle mit Genauigkeit gemessen und bestimmt, und mit einer Sorgfalt und Vollkommenheit gezeichnet sind, die bei dieser Fülle wahrhaft bewunderungswürdig ist. Er hat dabei die Zahl der bekannten einfachen Formen fast verdoppelt, da von den aufgeführten 54 ein- fachen Formen 24 neu hinzugekommen sind.?)

Strüver hat sich auch mit dem thermo-elektrischen Verhalten des Eisenkieses beschäftigt, aber nur so weit, um sich von der Rich- tigkeit der Marbachschen Versuche zu überzeugen, und war auf

1) Studi sulla mineralogia italiana, pirite del Piemonte e dell’ Elba, Torino 1869.

2) Unter den (a. a. O. S. 6) aufgeführten 54 Formen des Eisenkieses befinden sich 2 von Descloizeaux und 3 von Strüver nicht mit Sicher- heit angegebene Formen; unter den 30 bekannten Formen sind ferner 2 von mir in meiner Krystallographie angegebene Formen aufgeführt, die Pentagon- dodekaöder 230 und 240 zweiter Stellung, die aber nicht wie die erster Stel- lung beobachtet sind, was zu bemerken ich unbedachter Weise nicht angege- ben hatte, und ebenso ist das Diploöder 124 zweiter Stellung nach Mohs irrthümlich aufgeführt. Mohs führt in der ersten Ausgabe seiner Mineralo- gie S. 537 diese Form als bei der Varietät von Petorka in Peru, die Haüy beschrieben hat, vorkommend auf, nimmt aber hier die Fläche des Leucito&- ders (0 bei Haüy) für die Fläche des Diploöders 124 zweiter Stellung und

uz bezeichnet sie mit N ein Irrthum, der auch in die zweite Ausgabe von Mohs Mineralogie, die Zippe besorgt hat, Th. 2 S. 511, und daraus in Strüvers Abhandlung übergegangen ist. Der Irrthum von Mohs ist wohl dadurch entstanden, dafs Haüy bei der Beschreibung der Varietät von Pe- torka (trait& de mineralogie, 2. &d. t.4 p. 57) für das Leucitoöder nicht das

2 Zeichen A = 0, wie bei Fig. 211, genommen hat, sondern um die Ver- wandtschaft desselben mit den Diplo@dern 123 = f und 124 = s zu bezeich-

1 3 nen, es als intermediäre Dekrescenz bezeichnet hat, also (A?B?G!) (A?B?G!) 0" f (A2 B? G!), welches erste Zeichen von Mohs falsch übersetzt ist. Zieht man s

von den 54 angegebenen einfachen Formen die 5 unsicher bestimmten und die 3 irrthümlich angegebenen ab, so bleiben beim Eisenkies noch 46 mit Sicherheit bestimmte einfache Formen übrig.

vom 2. Juni 1870. 337

eine genauere Untersuchung nicht eingegangen. Das Studium seiner Arbeit war aber Veranlalsung, dafs ich meine angefangenen Arbei- ten des Eisenkieses wieder aufnahm. Das thermo-elektrische Ver- halten desselben mufste an einer grölsern Zahl von Krystallen be stimmt werden. Dr. Groth bot mir freundlichst seine Hülfe zur Anstellung der Versuche an, und Prof. Magnus verstattete gern, dafs wir sie in seinem Laboratorium und mit den Instrumenten des unter seiner Leitung stehenden physikalischen Apparats an- stellen konnten.") Die Versuche wurden auf ähnliche Weise ge- macht, wie sie Marbach angestellt hatte, und nur in soweit ab- geändert, als zwei mit einem Galvanometer in Verbindung gesetzte Kupferdrähte, deren freie Enden etwas abgerundet und von einer metallischen Oberfläche waren, von beiden Seiten je an eine der zu untersuchenden Flächen des Krystalls angelegt, und jedesmal einer derselben in einiger Entfernung vom Krystall erwärmt wurde, statt dafs Marbach das Ende des Kupferdrahts mit der Gaslampe erwärmt und dann erst an den Krystall angelegt hatte Durch obiges Verfahren wurden alle secundären Ströme, welche durch das Anlegen selbst hervorgebracht werden konnten, vermieden. Die Stromesrichtung wurde an einem gewöhnlichen Spiegelgalvanome- ter mit Scala und Fernrohr abgelesen. Diese empfindliche Methode war nothwendig, weil manche Krystalle ihrer schlechten Leitungs- fähigkeit halber nur schwache Ströme gaben.

Wir haben auf diese Weise 179 Krystalle?) untersucht; viele derselben wurden zu wiederholten Malen, und wenn sie sich als Zwillingskrystalle herausstellten, an sehr verschiedenen Stellen un- tersucht, so dals wir eine sehr grofse Zahl von Versuchen gemacht haben, deren Anstellung sich Dr. Groth mit grofsem wissen- schaftlichen Eifer und Geschick unterzog, was hier auch öffentlich anzuerkennen ich nicht unterlassen kann. Die Krystalle zu diesen Versuchen wurden gröfstentheils aus der reichen Sammlung des Berliner mineralogischen Museums genommen, doch konnte ich durch die Gefälligkeit der Hrn. Hauchecorne und Eck, Ewald und Tamnau auch Krystalle aus der hiesigen Bergakademie sowie

1) Leider hat Magnus die Beendigung dieser Versuche, an die er so vielen Antheil nahm, nicht mehr erleben können.

2) Unter diesen befinden sich 71 positive und 62 negative Krystalle und 46 Zwillingskrystalle mit positiven und negativen Individuen.

338 Gesammtsitzung

hiesiger Privatsammlungen benutzen. Die Hrrn. Weisbach und Stelzner sandten mir die oben erwähnte Eisenkiesdruse aus der Wernerschen Sammlung, Prof. vom Rath sandte mir einen schö- nen grofsen Zwillingskrystall mit durcheinander gewachsenen In- dividuen von Elba aus der Bonner Sammlung, Prof. Römer einen grolsen Krystall von Waldenstein, Dr. Hessenberg den oben $S. 330 erwähnten Krystall von Traversella. Von ganz besonderem Werthe waren mir aber die schönen Krystalle, die ich durch die Güte der Hrn. Sismonda und Strüver auf meine Bitte aus den öffentlichen Turiner Sammlungen erhielt und auf die ich durch die Strüversche Abhandlung aufmerksam gemacht war,') was ich alles nur mit grolsem Danke anerkenne.

Aus den angestellten Untersuchungen hat sich nun das unzwei- felhafte Resultat ergeben, dafs sich die Krystalle des Eisen- kieses und des Kobaltglanzes in Krystalle erster und zweiter Stellung bestimmt unterscheiden lassen, von denen die einen positiv, die andern negativ sind, dafs das thermo-elektrische Verhalten des Eisenkieses und Kobaltglanzes also im genauen Zusammenhange mit der Hemiödrie der Krystalle steht. Ich werde in dem Folgen- den die positiven Krystalle als Krystalle erster Stellung, die nega- tiven als Krystalle zweiter Stellung betrachten, werde aber jetzt nur eine Übersicht der einfachen Formen, die ich unter den unter- suchten positiven und negativen Krystallen beobachtet habe, folgen lassen, und nur im Allgemeinen Einiges über die Beschaffenheit der Flächen der einfachen Formen, die Häufigkeit des Vorkommens derselben und die beobachteten Zwillingskrystalle angeben, die ge- nauere Beschreibung der untersuchten einfachen und Zwillingskry- stalle mir für eine spätere Zeit versparend.

1) Es waren 5 Stufen mit den in den Fig. 110, 111, 128, 144 u. 177 der Strüverschen Abhandlung abgebildeten Krystallen.

oR) 3 ‘quo, ul 0191| (eit:et:e) f "17 'quog ut | ges (ei:et:ef) 1 "07 "quoy) uf ‘qwog ur pum Sıpugjsgsapes | u | FzI | (er:er:e®) hi ‘6 ‘qwog ul ‘quioy ur pun Srpuggsisgpes | s | gal | (er:er:®e) aopgopdrqt "SI uopeul 0,9 | (Boo:e$:®) 5 "Lu ‘quo uf 095 | Bo:er:®) : '9L "quo ut ‘quog ur 067 | Ro:ef:e) E CI TO JAUL orE | Wo:er:®e) £ TI ‘qwon) ul 08z | (wo:ef:e) = "et : ‘quog) ur 09 | Wo:er:®) R "Sı ÖS quwog ur pun Srpug4sjsqjos ‘quo/) ur pun Srpuy4s}sqjos 031 | Bo:ef:®e) h Int o quo) ul p: | 0er | eo :ef:e) | 1Dpgeyopopuoseyuag ‘OT S guy ul ges | (ee:ez:e) 2 "6 S ‘quoy) ul al ale) 5 ‘8 S ‘quuoy) ur sıt | er:er:e)| > PPgepfosiyeLu] ', puaydsı1ay "Mnz "qwoN) UT ‘quo uI zal (e2:8:e) ‘9 S ‘qwog ut sg | (eg:w:e) i ‘G quo) ul eeI (ef:e:®e) IOPIEI}IJISON] "F "quo,) ur ‘qwo/) ur pum Stpuggsisgpps| p | OIT | (Bo:e:e) dOpge7PpocL 'E ’qwor) ur pun Zıpug4sIsqfas -quwoy) ur pum Sıpuwgsjsgpps | 0 | III (e:e:®) A9P98IJO 'Z "quo ur pun Zrpuwjsjsqjos | uoreurquion) ur pun Sıpumıssgpps | ® | 00T | (Be:eoo:e) A9p3eXoH "I SEE | POTT. | so M UOULIO,T SALBSOU uUaULIoT 9Anısod N, Dell MIO] Jop aweN Sunuwp1zag

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340 Gesammtsitzung

Häufigkeit und gegenseitige Gröfse der verschiedenen einfachen Formen.

Hexaöder sowohl selbstständig als in Combinationen kommen im Allgemeinen häufiger bei den positiven als negativen Krystal- len vor; dagegen umgekehrt sich Oktaöder viel häufiger bei nega- tiven Krystallen finden. Das Dodekaöder habe ich nur einmal selbstständig, und auch dann nur in kleinen Krystallen, die posi- tiv sind, beobachtet.) Von Ikositetraädern ist eigentlich nur das Leueitoöder zu erwähnen, die stumpfern sind nur sehr selten und bei negativen Krystallen vorgekommen. Auch das Leucitoöder findet sich vorzugsweise bei negativen Krystallen und kommt in den Combinationen herrschend nur bei diesen allein vor. Die Triakisoktaöder sind immer nur klein und untergeordnet beobach- tet. Unter den Pentagondodekaädern ist das Pyritoeder das häu- figste, und allein selbstständig vorgekommen; es ist die eigentliche charakteristische Form des Eisenkieses, und gleich häufig bei den positiven wie bei den negativen Krystallen. Stumpfere und schär- fere Pentagondodekaöder kommen nur untergeordnet und fast nur an den herrschenden Pyrito@dern vor; stumpfere sind selten, die schär- fern häufiger, und beide vorzugsweise an negativen Krystallen vor- gekommen, so dafs man solche schon an dem Vorkommen dieser Flächen vermuthen kann. Von den Diploödern kommen besonders zwei vor, die Diploöder 123 und 124; ersteres ist besonders charakte- ristisch für die positiven, letzteres für die negativen Krystalle, und da nach Strüver unter den Italiänischen Eisenkiesen ersteres vorzugs- weise in Traversella, letzteres in Brosso vorkommt, so scheint doch auch die Beschaffenheit der Lagerstätte einen Einflufs auf die thermo-elektrische Beschaffenheit der sich auf ihr bildenden Eisen- kiese gehabt zu haben.

Unter den seltenern Diplo&dern ist mir besonders das Diplo£&- der 1610 vorgekommen. Ich hatte es. schon bei meinen ersten Untersuchungen des Eisenkieses beobachtet an einem schönen gro- {sen flächenreichen Krystall aus Piemont, später beobachtete ich es an Krystallen von Lichtfeld in Siegen, Schemnitz, Cornwall, Me- xico und Dognatzka; es ist stets negativ befunden.

1) Aus der Wälderkohle von Bölhorst bei Minden. Hr. Dr. Krantz hatte die Freundlichkeit, mir einige dieser selten vorkommenden Krystalle zu verehren. Quenstedt erwähnt ihrer auch in seinem Handbuche der Mineralogie S. 662.

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Beschafenheit der Flächen der verschiedenen einfachen Formen.

Die Beschaffenheit der Flächen bleibt sich nicht überall gleich, und fällt in den verschiedenen Combinationen oft verschieden aus, doch kann man darüber im Allgemeinen Folgendes festsetzen, Die Flächen des positiven Hexaöders sind vorzugsweise und häufig sehr stark gestreift parallel den stumpferen Combinationskanten mit dem Pyritoöder (Traversella). Die Flächen des negativen Hexaöders sind auch wohl auf eine ähnliche Weise gestreift, doch feiner (Tavistock), nicht selten aber ganz glatt und stark glänzend (Traversella). In den positiven Combinationen des Hexaöders mit dem Pyritoöder und Diplo&der 123 ist die Hexa&derfläche oft pa- rallel den Kanten mit diesen beiden Formen gestreift (Elba, Tra- versella),') und ebenso in den positiven Combinationen des Hexa&- ders mit dem Pyritoöder und dem Diploöder 124 (Rodna).

Zuweilen finden sich auf den Hexaöderflächen kleine quadra- tische Eindrücke; bei den positiven Krystallen gehen ihre Seiten parallel den Kanten mit dem Dodekaöder (Fig. 6) und werden wahrscheinlich auch durch die Flächen des Dodekaöders hervorge- bracht. Sie finden sich auf Krystallen von Elba, wo sie indessen nur klein, fast mikroskopisch sind. Bei den negativen Krystallen gehen sie parallel den Kanten mit dem Oktaöder, und werden auch durch die Flächen des Oktaöders hervorgebracht (Fig. 7). Sie sind, wo sie sich finden, gröfser als die vorigen, oft sehr bedeutend grofs, wie bei Krystallen von Traversella.?)

Die Flächen des positiven Oktaöders sind oft gestreift paral- lel den Kanten mit dem pos. Pyrito&der, besonders sind sie aber cha- rakterisirt durch kleine dreieckige Eindrücke, die in der Richtung der Hexaöderflächen schillern und durch diese auch hervorgebracht werden, deren Seiten also parallel mit den Kanten des Okta&ders gehen (Traversella, Elba).”) Die Flächen des negativen Oktaöders sind vorzugsweise parallel den Kanten mit dem negativen Pyrito&- der gestreift; kleine dreieckige Eindrücke finden sich auch hier, sie schillern aber in der Riehtung der Oktaöderflächen und werden auch durch diese hervorgebracht; ihre Seiten gehen auch noch den

1) vgl. Strüver's Fig. 176. 2) vgl. Strüver's Fig. 174. 3) vgl. Fig. 4 und 10 und Strüver's Fig. 176.

342 Gesammtsitzung

Kanten mit dem Oktaöder parallel, doch haben sie eine umgekehrte Lage wie die vorigen (Elba, Brosso, Immenkippel bei Bensdorf).') Streifung und Eindrücke finden sich gewöhnlich zu gleicher Zeit; bei einem merkwürdigen Krystall der Turiner Sammlung, den Strüver beschrieben und in den Fig. 177 u. 157 gezeichnet hat, sind aber diese Eindrücke ganz nach den Stellen der Oktaöder- fläche gedrängt, wo sich keine Pyritoöderflächen finden und die Pyritoöderflächen erster Stellung liegen würden, wenn sie da wären.’)

Bei den negativen Krystallen von Elba, bei welchen die Ok- taöderflächen nur untergeordnet an den senkrecht gestreiften Pyri- toöderflächen vorkommen, bringen die Leueitoöderflächen, wie sie die senkrechte Streifung auf den Pyritoöderflächen verursachen, auch eine Streifung auf den Oktaöderflächen hervor.“) Bei ne- gativen Krystallen von Brosso findet sich auch auf den Oktaöder- flächen eine Streifung nach dem Diploöder 124.°)

1) vgl. Fig. 5 und Strüver's Fig. 177.

2) Strüver schliefst aus dieser Vertheilung der Eindrücke auf der Oktaöderfläche, dafs der Krystall vielleicht ein Zwilling sein könnte; dies ist jedoch nicht der Fall. Der Krystall befand sich unter denen, die Hr. Strü- ver die Güte hatte, mir zur Ansicht zu schicken, ich untersuchte ihn mit Dr. Groth sehr sorgsam, und wir konnten uns überzeugen, dafs er sich in thermo-elektrischer Hinsicht vollkommen wie ein einfacher negativer Krystall verhielt. Auch sieht man die Streifen, die den Kanten mit dem Pyrito&der parallel gehen, wenn man sie unter dem Mikroscop betrachtet, zum Theil in gleicher Richtung in die Felder fortsetzen, in welchen die dreieckigen Ein- drücke enthalten sind; die Streifung erscheint nur nicht so regelmäfsig, wie sie gezeichnet ist, und findet auch nicht blofs parallel den Kanten mit dem Pyritoöder, sondern auch mit dem Oktaöder statt.

3) Diese Streifung, die auch Quenstedt in seiner Mineralogie angiebt (S. 662), ist von Strüver nicht beobachtet worden (a. a. O. S. 35). Die Krystalle von Elba, an denen sich diese Streifung findet, sehen aus wie die, welche Strüver in Fig. 186 seiner Abhandlung gezeichnet hat, nur dafs sich bei ihnen nicht das Diploeder 124, sondern das Leucitoöder findet. Bei den Zwillingskrystallen mit durcheinander gewachsenen Individuen erscheint diese Streifung auf den gleichliegenden Oktaöderflächen beider Individuen parallel.

4) vgl. Strüver's Fig. 188.

vom 2. Juni 1870. 343

Die Flächen des positiven Dodekaöders sind glatt und glänzend (Cornwall, Zwilling) oder ziemlich glatt (Bollhort bei Pr. Minden); die Flächen des negativen Dodekaöders sind glänzend und nach der kurzen Diagonale gestreift (Chile, Immenkippel bei Bensdorf), oder matt und nach der langen Diagonale gestreift (Cornwall, Zwilling, 'Lobenstein, Jonswand in Lappland).

Die Flächen des positiven Leueitoöders sind meistens glän- zend, die des negativen bei Krystallen von Erbach parallel mit den Kanten des Hexaöders fein gestreift, bei den oben erwähnten Krystallen aus der Wernerschen Sammlung, von denen es zweifel- haft ist, ob sie positiv oder negativ sind, erscheinen die Flächen durch dreieckige Eindrücke, welche von den Hexaäderflächen her- vorgebracht werden, ganz matt.

. Die Flächen des positiven Pyritoöders sind, wo es selbststän- dig oder herrschend vorkommt, vorzugsweise horizontal parallel den Kanten mit dem Hexaöder gestreift; sehr häufig wechseln beide Flächen in treppenartigen Absätzen. Zuweilen kommt neben der horizontalen eine senkrechte vor, wie bei den stark glänzen- den Krystallen von Zacatecas in Mexico, die hier durch die Flä- chen des Diplo&ders 124 hervorgebracht wird. Die Pyritoöder- flächen scheinen wie mit niedrigen reetangulären Streifen bedeckt, deren Randflächen durch die Hexaeder- und die Diploöderflächen‘ gebildet werden, und die von verschiedener Breite und auf den Pyritoöderflächen bald nur einzeln, bald in grofser Menge erschei- nen.) Bei positiven Krystallen von Elba, wo das Pyritoäder noch in Verbindung mit dem Oktaöder und dem Diploöder 123 vorkommt, erscheinen die ganzen Pyritoäderflächen senkrecht zur Grundkante gestreift; wenn man die Streifung aber genau betrachtet, so sieht man, dafs sie auf ganz ähnliche Weise hervorgebracht wird, wie bei den Krystallen von Zacatecas, nur dafs hier die Streifen viel feiner und schmaler, und nicht so unterbrochen sind.

Die Flächen des negativen Pyritöäders sind vorzugsweise senk- recht zur Grundkante gestreift. Die Streifung rührt hier von den Leueitoöderflächen her; dies sieht man sehr deutlich bei den Kry- stallen von Elba, wo das Pyritoöder vorherrscht, und Okta&öder und

!) Fig. 9 stellt eine solche Pyritoöderfläche nur ein halbmal vergrölsert dar; die Hexaöder- und Diploöderflächen sind bei den Streifen als sehr schmal meistentheils in der Fig. fortgelassen.

[1870] 25

344 Gesammtsitzung

Leueitoöder nur untergeordnet hinzutreten; ebenso bei Krystallen aus Copiapo, wo das Hexaäder mehr vorherrscht. Die Streifung ist sehr geradlinicht und unterscheidet sich sehr bestimmt von der verticalen durch das Diploöder 124 hervorgebrachten Streifung, die bei den positiven Elbaer Eisenkieskrystallen vorkommt.

Aufser den Streifen finden sich noch,. sowohl bei den positi- ven wie negativen Krystallen dreieckige oder trapezoidale Ein- drücke (Fig. 8), die in der Richtung der Hexaöder- und der Oktaeder- flächen schillern, und daher auch durch diese hervorgebracht wer- den; ihre Seiten gehen also auch den Kanten mit dem Hexaäder und Oktaöder parallel. Diese Eindrücke sind aber dieselben bei den positiven wie bei den negativen Krystallen. Sie sind oft nur klein und von einander getrennt, wie bei den positiven Pyrito@dern von der Himmelfahrt bei Freiberg und bei den grofsen schönen Cubo-Oktaödern von Traversella, an denen die Pyrito@derflächen nur untergeordnet erscheinen; in andern Fällen sind sie grölser wie bei den grofsen Krystallen von Elba, bei denen die Pyrito&- derflächen vorherrschen, in deren Mitte sie dann so zusammenge- häuft sind, dafs diese Stellen dadurch ganz drusig erscheinen. Sie kommen so bei den zart vertical gestreiften positiven Krystallen vor, wo die Eindrücke aulser den Oktaöderfiächen noch durch die Diploöderflächen 123 gebildet werden, als auch bei den stark ge- streiften negativen Krystallen, bei denen die Diploederflächen fehlen.

Die schärfern Pentagondodekaeder, die sämmtlich negativ sind, erscheinen selten recht glatt und glänzend, sie sind meistens hori- zontal gestreift, und dann auch ebenso das negative Pyvitoöder, zu dem sie gewöhnlich untergeordnet hinzutreten. ;

Das Diploeder 125 ist charakteristisch für die positiven Kry- stalle, und ist dann stets sehr glänzend, zuweilen auch ganz glatt, gewöhnlich aber mit einer Streifung versehen, theils mit einer Längsstreifung parallel den Kanten mit dem Oktaöder (Elba), theils mit einer Querstreifung, parallel den Kanten mit dem Diplo&der 124 (Traversella).. Zuweilen kommen Längs- und Querstreifung auf derselben Fläche vor, wie dies bei Krystallen von Elba nicht sel- ten der Fall ist und auch Strüver angiebt in seiner Fig. 183. Die Längsstreifung rührt gewöhnlich von den Oktaöderflächen her, doch zuweilen auch von den Pyritoöderflächen, und bei manchen Krystallen wechselt Streifung nach den Octaöderflächen mit Strei-

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fung nach den Pyrito@derflächen ab, und die zwischen Oktaöder- und Pyrito&derfläche liegende Diploöderfläche ist nach dem Diplo&- der 124 gestreift und enthält auch viereckige Eindrücke in dieser Richtung.

Das negative Diploöder 123 kommt nur selten vor, und ge- wöhnlich sehr untergeordnet, selten herrschender. Es findet sich so an den positiven Pyritoädern von Traversella, wo seine Flä- chen ganz rauh und drusig und auch mit Eindrücken versehen sind, die sämmtlich in der Richtung des Hexaöders schillern.

Das Diploöder 124 kommt am häufigsten bei negativen Kry- stallen von Brosso vor, bei denen das Oktaäder herrscht und Di- plo&der und Hexaäder untergeordnet hinzutreten; es ist dann in der Regel glänzend, und erscheint auch so bei einem losen Kry- stalle von Rodna in Siebenbürgen, wo es vorherrscht und öfter durch die Flächen des Hexaöders unterbrochen wird. Dieselbe Öombination kommt aber hier auch bei positiven Krystallen dieses Fundorts vor; die Krystalle sitzen bei mehreren Stücken des mi- neralogischen Museums auf schön krystallisirter Blende; das Di- plo@der ist matt, und nur in der Richtung des Hexaöders glänzend, nach welchem es fein gestreift ist; Hexa&äder und Pyritoöder er- scheinen stark glänzend. Indessen kommt das negative Diploöder 124 bei den vorhin erwähnten positiven Krystallen von Traversella auch matt und drusig vor, und erscheint hier mit den matten, rauhen, ebenfalls nach dem Hexaöder gestreiften negativen Diplo@der 123.

Das Diplo&der 16 10, welches ich nur bei negativen Krystal- len beobachtet habe, erscheint, wo es auch vorkommt, stets sehr glatt und glänzend, so dafs es sich zu den schärfsten Messungen eignet.

Zwillingskrystalle.

Regelmäfsige Verwachsungen zweier Krystalle zu Zwillings- krystallen kommen bei dem Eisenkies sehr häufig vor und viel häufiger als man bis jetzt angenommen hat, da man einen grolsen Theil derselben bisher ganz verkannt, und nur die deutlichen, mit durcheinander gewachsenen Individuen für solche genommen hat. Die Zwillingskrystalle, die beim Eisenkiese vorkommen, sind aber zweierlei Art; die beiden Krystalle, die untereinander regelmäfsig verwachsen vorkommen, sind entweder thermo-elektrisch einerlei Art oder sie sind verschieden. Beide zerfallen wieder in 2 Ab-

25 *

346 Gesammtsitzung

theilungen, bei den erstern sind die verwachsenen Krystalle ent- weder beide positiv oder beide negativ, und der eine erscheint ge- gen den andern um eine der 3 rechtwinkligen Axen um 90° ge- dreht; bei den letztern, bei denen der eine Krystall positiv, der andere negativ ist, stehen beide gegeneinander in Zwillingsstellung oder sie haben ihre parallele Stellung behalten.

1. Zwillingskrystalle, bei welchen beide Individuen thermo-elektrisch einerlei Art sind.

Wenn man einen solchen Zwillingskrystall parallel einer Hexae- derfläche mit einem scharfen Meilsel spaltet, so kann man auf der Bruchfläche von einer Gränze zwischen den beiden Individuen in der Regel nichts sehen. Läfst man die Bruchfläche poliren, so zeigen die beiden Individuen öfter wohl etwas Verschiedenheit im Glanze, so dafs man die Gränzen schon erkennen kann, ganz vortrefflich sieht man sie aber, wenn man die Bruchfläche ätzt; es entstehen nun die oben $. 333 beschriebenen Eindrücke parallel den Pyritoöderflächen, die in jedem Individuum verschieden liegen. Die Bruchfläche jedes Individuums glänzt nun in der Richtung ihrer Pyritoöderflächen, während die andere ganz matt ist, die nun ihrerseits glänzt, während die erste matt erscheint, wenn man die geätzte Fläche um die Zwillingsaxe um 90° dreht. Die Gränzen zwischen beiden Individuen ‚gehen unregelmäfsig, nie genau durch ‚die Diagonalen der Hexaöderfläche, sind aber sonst ganz gerad- linicht.

a) Positive Zwillingskrystalle der Art wurden von 4 Fundörtern untersucht: von Elba, vom Dörrel bei Pr. Oldendorf in Hannover, von Leiwa in Columbien und einem andern Vorkom- men von Elba.

Die Krystalle von Elba sind von 3—4 Linien Gröfse und auf einer derben Eisenkiesmasse aufgewachsen. Sie sind sämmtlich vorherrschend Pyritoöder, die Grundkanten nur schwach abgestumpft durch die Hexaöderflächen; die Krystalle sind durcheinander ge- wachsen, die Hexaöderflächen der beiden Krystalle kreutzen sich also rechtwinklig und fallen in eine Ebene. Die Flächen der Py- ritoöder sind horizontal gestreift.

Bei dem Eisenkies vom Dörrel sind bei einer Stufe des mi- neralogischen Museums die Krystalle nur ein wenig kleiner und

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auf schön krystallisirtem Eisenspath aufgewachsen; ') sie sind eben- falls vorherrschend Pyritoöder, Hexaöder und ein stumpferes Pen- tagondodekaöder treten nur untergeordnet hinzu. Die Krystalle sind aufserordentlich glänzend; das Pyritoöder ist schwach, das stumpfere Pentagondodekaöder stark horizontal gestreift.

Von den Krystallen von Leiwa besitzt das mineralogische Mu- seum 3, sie sind reine Pyritoöder, etwas gröfser als die vorigen von etwa 6—8 Linien im Durchmesser, horizontal gestreift und äus- serlich braun angelaufen. Bei einem derselben hatte ich 2 sich recht- winklich schneidende Hexaöderflächen anschleifen lassen; man sah dabei, dafs er einen Kern hatte, der mit einer Schale späteren Absatzes gleichmäfsig bedeckt war, so aber, dafs man die Gränze zwischen Schale und Kern auf den Schliffflächen deutlich erkennen konnte, Schale und Kern zeigten sich beide positiv.

Die zweite Varietät der Zwillingskrystalle von Elba sind Com- binationen des Diploöders 123 mit dem Pyrito@der, Hexa&der und Ok- taöder, wie sie Fig. 36 in Strüver’s Abhandlung darstellt. Die Diplo@der sind meistentheils vorherrschend, und nach den Kanten mit dem Oktaöder und Pyrito&der, wie oben S. 344 angegeben, stark gestreift, das Pyritoöder schwach senkrecht gestreift, Hexaöder und Oktaöder glatt; die Flächen des erstern enthalten stellenweise die kleinen oben $. 341 beschriebenen Eindrücke. Die Mineralien- sammlung der Bonner Universität besitzt einen über zollgrofsen prachtvollen Zwilling, bei dem die beiden Krystalle vollständig und sehr symmetrisch durcheinander gewachsen sind, der mir durch freundliche Vermittelung des Prof. vom Rath zur Untersuchung geschickt wurde; das Berl. mineral. Mus. besitzt mehrere kleinere Krystalle der Art, die aber einfach sind, und nur einen bei dem 2 In- dividuen durcheinander gewachsen sind, doch nicht so vollkommen und regelmäfsig als bei dem Bonner Krystall. Die Krystalle sind auf dünn tafelförmigen mit den Rändern aufsitzenden Eisenglanz aufgewachsen, deren Eindrücke die losen Krystalle des Eisenkieses enthalten. | |

b) Zwillingskrystalle bei denen die beiden Indivi- duen negativ sind. Von diesen sind Eisenkieskrystalle von 4

!) Das mineralog. Museum verdankt diese Stufe Hrn. Dr. Lasard, der auch das Vorkommen beschrieben hat (Zeitschrift d. d. geol. Se von 1867 B. 19 S. 16).

348 Gesammtsitzung

Fundörtern untersucht: von Elba, Vlotho bei Pr. Minden, Pfitsch in Tyrol und Eisenerz in Steiermark.

Von Elba ein über 2 Zoll grofser Zwilling, hauptsächlich aus einem Pyritoöder bestehend, aus dem das andere Individuum in einzelnen Theilen herausragt; nur sehr untergeordnet treten Hexaö- der, Oktaöder und Leucitoöder hinzu. Die Flächen des Pyritoöders sehr stark und geradlinicht parallel den Kanten mit dem Leuci- toöder und durch dieses gestreift.

Die Krystalle von Vlotho kommen in grolser Menge in Keu-

permergel eingeschlossen vor; sie sind nur einige Linien grols, gröfstentheils einfache Pyritoöder und zu Zwillingen oft aber sehr regelmäfsig, durcheinander gewachsen. Sie sind so wie man sie in den Sammlungen sieht, gewöhnlich mehr oder weniger vollständig in Göthit umgeändert; zuweilen nur auf der äulsersten Oberfläche; solche sind zur Untersuchung genommen, nachdem sie zuvor durch heilse Chlorwasserstoffsäure von ihrer bedeckenden braunen Haut befreit waren. Die Krystalle von Eisenerz in. Steiermark in dem Berliner Museum sind kleiner als die von Vlotho, aber ganz frisch. Sie sind lose, vielleicht sind sie aber früher in Eisenspath eingewach- sen gewesen, denn sie zeigen aulser dem Pyritoöder noch die Flä- chen eines schärfern Pentagondodekaöders 340, was bei Eisenkies- krystallen, die in Eisenspath vorkommen, öfter der Fall ist, z. B. in Lobenstein. Die Flächen sind nicht besonders glänzend, aber nicht gestreift.

Von Pfitsch besitzt das Berliner Museum nur einen 4 Linien grofsen Krystall, zwei durcheinander gewachsene Pyrito&der. Die Flächen sind etwas uneben, doch deutlich vertikal gestreift; aufser den Flächen des Pyritoöders kommen noch untergeordnet die des Oktaöders vor, von denen hier besonders an einer Ecke zwei den verschiedenen Individuen angehörige Flächen sehr schön sternför- mig durcheinander gewachsen sind.

2. Zwillingskrystalle, bei welchen das eine Individuum positiv, das andere negativ ist.

a) Beide Individuen in Zwillingsstellung. Es sind dies die Zwillingskrystalle, die erst durch die Untersuchung ihres thermo-elektrischen Verhaltens erkannt worden sind. Die Flächen des einen Krystalls kommen hierbei vollständig in die Lage des

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andern, und der Zwilling erscheint hier wie ein einfacher Krystall, wenn man nicht auf die Beschaffenheit der Flächen achtet. Die Krystalle des Zwillings sind aneinander gewachsen oder durchein- ander gewachsen; gewöhnlich ganz unregelmäfsig und Theile des einen durch den andern oft vollständig getrennt. Die Flächen des Zwillings erscheinen dann, wenn die Flächen des positiven und negativen Krystalls in ihrer Beschaffenheit sehr verschieden sind, wie gefleckt. Man findet diese Art der Zwillinge sehr ausgezeich- net bei den Italiänischen Eisenkiesen von Traversella, Brosso und Elba.')

Von Brosso wurden 8 Krystalle untersucht, die vorherrschend Combinationen des Hexaöders und Oktaöders sind, und an denen untergeordnet die Flächen des Pyritoöders und des Diplo&ders 123 erscheinen. Die gleichnamigen Flächen sind sehr unregelmälsig ausgedehnt, und Pyritoäder und Diplo&der treten auch ganz un- regelmäfsig hinzu.’) Die Krystalle sind von dem Ansehn wie die, welche Strüver in den Fig. 166, 167 u. 169 dartellt. Die Flächen des Hexaöders gehören gröfstentheils dem neg. Krystalle an, sie sind glatt und glänzend oder haben die oben S.341 angegebene schwa- che Streifung nach den Seiten eines langgezogenen Sechsecks wie die pos. Krystalle. Stellenweise sind sie aber öfter stark gestreift, die Streifen ganz unregelmäfsig begränzt, und diese so stark ge- streiften Stellen gehören dem positiven Krystalle an. Die Okta&

1) Leider bin ich bei den Italiänischen Eisenkiesen des Berl. min. Mu- seums oft ganz unsicher über die Fundörter, da die Zettel fehlen oder nicht genau genug sind. Die von Strüver angegebenen Kennzeichen für die Fundörter aus den begleitenden Mineralien, Magneteisenerz und Dolomit für Traversella, Schwerspath für Brosso, Eisenglanz für Elba, verlassen einen, wenn man es mit losen Krystallen zu thun hat. Es wäre vielleicht gut ge- wesen, wenn Strüver bei der Erklärung der schönen Figuren der Kupfer- tafeln wie die jedesmaligen Combinationen so auch die Fundörter angegeben hätte; man hätte dadurch für die Bestimmung der Fundörter noch ein wei- teres Anhalten. Bei vielen stehen zwar die Fundörter in der Beschreibung der einfachen Formen, aber doch bei weiten nicht bei allen.

2) Diese Unregelmäfsigkeiten in der Gröfse und in dem Auftreten der gleichnamigen Flächen charakterisiren diese Art der Zwillingskrystalle, daher wohl zu vermuthen ist, dafs der gröfste Theil der von Strüver Taf. XII gezeichneten Krystalle solche Zwillingskrystalle sind.

350 Gesammtsitzung

derflächen gehören theils dem negativen, theils dem positiven Kry- stalle an. Die negativen Flächen sind in der Regel ganz glatt, die positiven aber gestreift nach den Flächen des positiven Di- ploöders 123, und aufserdem mit den kleinen oben S. 341 beschrie- benen dreieckigen Eindrücken versehn, die durch die Flächen des Hexaöders hervorgebracht werden. Die Pyritoederflächen sind matt und mit den oben $. 344 beschriebenen kleinen dreieckigen oder trapezoidalen Eindrücken versehn, die durch die Oktaöder- und Hexaöderflächen hervorgebracht werden; die Diplo@der sind paral- lel den Kanten mit dem Oktaöder gestreift, stets positiv. Fig. 10 stellt die horizontale Projeetion eines solchen Zwillings dar, bei dem die vordern Oktaöderflächen O0 positiv und voller kleiner Ein- drücke sind, die in der Richtung der Hexaöderflächen prächtig schil- lern, die hintern Oktaöderflächen 0’ sind meistens negativ, die der un- tern Seite dagegen sämmtlich positiv. Die Hexaöderflächen sind bis auf die zur Seite rechts liegende Fläche sämmtlich negativ, und alle glatt und glänzend. An der hintern Seite erscheint noch eine kleine negative Pyritoöderfläche 4d’, an derselben Stelle wo 2 positive Diploöderflächen liegen mülsten. Fig. 11 ist ein gröls- tentheils negativer Krystall, an dem nur die kleine stark gestreifte Stelle der obern Hexaöderfläche a’, sowie einige mehr oder weni- ger stark hervorspringende Diploöderecken von 123 auf den vor- dern Oktaöderflächen 0’ positiv sind. Bei einem andern Krystalle sind 5 Hexaöderflächen positiv und nur eine negativ, und diese an allen 4 Ecken von den positiven glänzenden Flächen des Diplo&- 123 umgeben. Eine parallel einer Hexaöderfläche gelegte Bruch- fläche zeigt trotz des starken Glanzes auch ohne Ätzung die Gränze beider Individuen ziemlich deutlich; sie verläuft hier auf der Bruchfläche ganz unregelmäfsig und krummlinicht; geätzt sieht man sie noch besser, trotzdem dafs nun in beiden Individuen die pyritoödrischen Eindrücke eine gleiche Lage haben. Die des ne- gativen Krystalls sind mehr in der Richtung der Grundkante ver- längert, sind meistentheils feiner und liegen dichter nebeneinander, daher die geätzte Bruchfläche des negativen Krystalls weniger glänzt als die des positiven.!)

1) Bei weiterm Studium wird es deshalb gewifs noch möglich sein, zwischen den Ätzeindrücken der positiven und negativen Flächen beim Eisen- kies einen Unterschied zu finden.

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Von Traversella wurden 4 über zollgrofse Zwillingskrystalle untersucht. Sie sind Combinationen eines Pyritoöders, welches vorherrscht mit dem Hexaöder und den Diplo@dern 123 und 124, die untergeordnet hinzutreten. Pyritoöder und Hexaöder sind sehr glänzend und schwach gestreift parallel den stumpfern Combina- tionskanten, die sie bilden; die Diplo&äder sind ganz matt und dru- sig von lauter kleinen hervorragenden Ecken, sie schillern aber sämmtlich in der Richtung der Oktaöderfläche, und werden also auch zum Theil durch eine solche Fläche begränzt. Die Flächen des Diplo&ders 123 werden aber stellenweise durch ganz glänzende Streifen, die den Combinationskanten des Diploöders mit dem Hexaöder oder dem Diploöder 124 parallel gehen, oder ganz unregelmäfsig begränzt sind unterbrochen. Pyritoöder uud He- xaöderflächen sind positiv, die matten Dipto@derflächen 123 und 124 sind negativ, die glänzenden Stellen auf ihnen dagegen wieder positiv. | '

In Brosso kommt die nämliche Combination mit vorherrschen- den Octaöderflächen vor (vergl. Strüver Fig. 168), aber hier sind diese negativ, Pyritoöder und Diploöder 123 positiv; auch sind hier sämmtliche Flächen glänzend, die des Oktaöders gestreift parallel den Kanten mit dem Pyritoöder, die des Diploöders 123 parallel den Kanten mit dem Hexaöder und dem Diplo@der 124; die Kry- stallflächen sind auch sehr unregelmäfsig ausgedehnt. Der nega- tive Krystall ist hier oft sehr vorherrschend; das Diplo&der 123 bildet bei einem Krystalle des Berl. mineralog. Museums nur an den Ecken eine positive Schale, die nicht sehr dick ist, und im Bruch sehr scharf an dem übrigen negativen Theil abschneidet.

Hierher gehört auch der merkwürdige Krystall von Brosso, den Strüver $S. 21 seiner Abhandlung beschrieben und Fig. 144 vortrefflich abgebildet hat, und den er die Güte hatte, mir zur An- sicht zu schicken. Er besteht aus einer Gruppe von 2 Krystallen mit ganz verschiedenen Combinationen von Flächen, die in schein- bar paralleler Stellung mit ganz unregelmäfsig laufenden und deut- lich sichtbaren Gränzen miteinander verwachsen sind. Beide ent- halten das Pyrito&der vorherrschend, der eine aufserdem etwas mehr untergeordnet die Flächen des Leucitoöders, und noch mehr die Flächen des Hexaöders und des schärfern Pentagondodekaeders 405; der andere die Flächen des Oktaöders in ungefähr gleicher Gröfse mit dem Pyritoöder und klein die Flächen des Diploeders

352 Gesammtsitzung

124. Der erste Krystall ist positiv, der andere negativ. Strüver sagt: der Krystall kann nicht für einen Zwilling gehalten werden, da die Flächen des Pyritoöders des einen Individuums parallel den Flächen des andern sind; das elektrische Verhalten klärt die Er- scheinung auf, auch sind die Combinationen die gewöhnlichen, die bei positiven und negativen Krystallen vorkommen.')

In Traversella kommen noch andere mehrere Zoll grolse Kry- stalle vor, die oft nur reine Pyritoöder und horizontal gestreift sind; die Streifung ist häufig sehr grob und unterbrochen, und der Krystall erscheint dann oft aus mehreren Individuen zu bestehen, deren Grundkanten nicht genau untereinander parallel sind. Ein Krystall aus der Sammlung des Dr. Tamnau, an welchem die Streifung feiner ist, erschien vollkommen positiv, die mit grober Streifung zeigten sich gröfstentheils als Zwillingskrystalle, positiv und negativ, und die Gränze zwischen beiden ist oft deutlich zu verfolgen. Manche enthalten an den einzelnen gleichkantigen Ecken des Pyritoöders noch untergeordnet die glänzenden Flächen des Ok- ta&ders und des Diploöders 123, und diese Stellen zeigten sich stets positiv.

Bei einer groisen Druse des Berl. min. Museums von Traver- sella, an welcher die Eisenkieskrystalle, gröfstentheils reine Pyri- toöder von verschiedener Gröfse, mit gröfsern und kleinern Krystal- len von Dolomit aufgewachsen sind, erscheinen die Eisenkieskry- stalle matt, aber da, wo der bedeckende Dolomit mit dem Messer oder mit Chlorwasserstoffsäure weggenommen war, stark glänzend. Die glänzenden Slellen liegen stets tiefer als die matten, und sind scharf begränzt. Offenbar hatte hier die Eisenkiesbildung nach dem Dolomitabsatze noch einmal begonnen und eine schwache Lage auf dem von Dolomit nicht bedeckten Theil gebildet. Die ent- blöfsten glänzenden Stellen zeigten sich bei einem kleinen Krystalle negativ, die matten schwach positiv. Bei einem grölsern Krystalle war die Bruchfläche mit welcher derselbe aufgesessen hatte positiv, eine matte Stelle auf einer Pyritoöderfläche auch positiv; eine sehr

1) Bis auf das schärfere Pentagondodekaäder, da bisher ein schärferes überhaupt bei positiven Krystallen noch nicht beobachtet ist; dasselbe Penta- sondodekaöder kommt bei dem mir von Hrn. Strüver ebenfalls gesandten Krystalle Fig. 128 negativ vor.

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glänzende Stelle auf einer andern Pyritoöderfläche negativ, auf einer dritten Fläche ebenfalls negativ, eine Ecke, an welcher eine Oktaöderfläche und kleine Flächen des Diplo@ders 123 erschienen, auch positiv. Wegen des positiven Bruches im Innern scheint hier also eine mehrfach sich wiederholende Bildung von positiven und negativen Eisenkies stattgefunden zu haben.

Etwas Räthselhaftes bieten gewisse grofse schön nieder und glänzende Krystalle von Elba dar, die Combinationen des Py- ritoöders mit Hexaäder, Oktaöder und Diploöder 123 sind, deren Pyritoöderflächen schwach vertical gestreift sind mit drusigen Ein- drücken in der Mitte und deren Diplo@der die doppelte Streifung haben. Hier sind die Pyritoöderflächen auf einer Fläche zuweilen positiv, aufeiner andern negativ, und die vom Diplo@der umgebenen Oktaöderflächen positiv oder negativ. Da man nie weils, wie im Innern die Gränzen des positiven und negativen Krystalles laufen, so ist es sehr möglich, dafs ein Theil des negativen Krystalles sich nahe unter der Oberfläche des positiven hinzieht; ist nun die Erwärmung von Kupferdraht aus erst bis zur Berührungsstelle des- selben mit dem Krystall gelangt, so wird ein Strom erregt, dessen Richtung den Krystall als positiv characterisirt, aber bald, wenn die Temperaturerhöhung bis zur Gränze zwischen -positiveu und negativen Krystall eingedrungen ist, tritt dann ein stärkerer ent- gegengesetzter Strom auf.

Sehr mehrkwürdig sind einige lose Krystalle in der Sammlung der Bergakademie, die angeblich aus Cornwall stammen; die Kry- stalle sind 3 bis 4 Linien gro(s und vorherrschend Dodekaöder, an deren vierflächigen Ecken untergeordnet die Flächen des Diploeders 16 10, die Pyitoöder- und Hexaöderflächen erscheinen, und deren Kanten durch die Leueitoöderflächen schwach abgestumpft sind. Die Dodekaäderflächen sind zur Hälfte nach dem der Pyritoeder- fläche anliegenden Theile stark glänzend und glatt, und zur andern Hälfte ganz matt. Hexaöder, Pyritoöäder und Diplo@der glänzend, das Leucitoöder ist matt. Das Matte der letztern und der Hälf- ten der Dodekaäderflächen rührt von einer zarten Streifung paral- lel den Kanten mit dem Oktaöder her, dessen Flächen selbst nicht da sind; alle um eine dreiflächige Ecke des Dodekaöders gelege- nen Dodekaäder- und Leucitoöderflächen schillern daher, silberweils glänzend, in der Richtung der Oktaöderflächen, was diesen Kry-

354 Gesammtsitzung

stallen ein schr eigenthümliches Ansehn giebt.') Hexaöder, Pyri- toöder und Diploöderflächen sowie die matten Theile der Dode- kaöderflächen sind positiv, die glänzenden Theile negativ. Die Krystalle sind also sehr regelmäfsige Zwillingskrystalle mit durch- einander gewachsenen Individuen.

Diesen in mancher Rücksicht ähnlich sind kleine Krystalle von Immenkippel bei Bensdorf des mineralog. Museums. Diesel- ben sind Combinationen des Oktaöders mit den untergeordnet hin- zutretenden Flächen des Dodekaöders, Pyritoöders und Hexaöders. Letztere Flächen sind glatt, die Dodekaöderflächen haben eine Streifung nach der kurzen Diagonale, die sich auf den Pyrito&der- flächen fortsetzt. Die Oktaöderflächen sind matt und mit kleinen mikroskopischen dreieckigen Eindrücken versehen, deren Seiten den Kanten des Oktaöders parallel sind und von dem Hexa&der herrühren. Hexaöder, Pyritoöder und Dodekaöder sind negativ, die Oktaöderflächen positiv, was auch schon die dreieckigen Ein- drücke beweisen.” )

db) Zwillingskrystalle, beide Krystalle in paralleler Stellung.

Hierher gehören alle die seltenen Fälle von Krystallen, bei denen man hemiödrische Formen in beiden Stellungen beobachtet hat, denn hier ist stets anzunehmen, dafs die Formen der einen Stellung positiv, der andern negativ sind. Wir haben allerdings nur einige solcher Krystalle untersucht, die sich auf einer kleinen Stufe befinden, die mir Hr. Strüver gütigst gesandt, doch waren diese Krystalle entscheidend, da bei ihnen das Verhältnifs so ge- funden wurde, wie angegeben. Die oben S. 328 erwähnten Kry-

1) Die Krystalle haben im Ansehn die gröfste Ähnlichkeit mit der von Strüver Fig. 128 abgebildeten und S. 26 beschriebenen Combination wahr- scheinlich von Brosso, nur findet sich hier statt des glänzenden Theiles der Dodekaöderflächen das Pentagondodekaöder 409.

2) Hierher gehören weiter auch wohl die Krystalle, die Strüver S. 38 seiner Abhandlung beschrieben und Fig. 181 abgebildet hat. Es sind Pyri- toöder von Traversella, die an den Grundkanten schwach abgestumpft sind; auf den Pyritoöderflächen finden sich kleine hervorragende Ecken von einem Diploöder, vielleicht 851, an welche noch die Flächen des Hexaäders und des Pyritoöders hinzugetreten sind, welche den gleichnamigen Flächen des Krystalls, worauf sie aufgewachsen, parallel sind.

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stalle, die Hr. Weisbach die Güte hatte, mir aus der Freiberger Sammlung zu schicken, waren zu klein und miteinander zu sehr ver- wachsen, um ein entscheidendes Resultat geben zu können, doch fin- den sich auch hier einzelne Flächen und Bruchstellen positiv, andere negativ, so dafs sich wenigstens die Anwesenheit von positiven und negativen Theilen ergab. Ebenso gab auch der von Hrn. Hes- senberg oben $. 330 erwähnte Krystall, der mir freundlichst zur Ansicht geschickt wurde, kein Resultat, da die Fläche des Penta- gondodekaöders zweiter Stellung für die Untersuchung zu klein war, sie ist in der That noch kleiner als sie in der Figur dargestellt ist. Der ganze Krystall wurde nur negativ gefunden.

Die von Hrn. Strüver gesandte Stufe enthielt drei Krystalle von der in Fig. 111 seiner Abhandlung abgebildeten Combination. Sie besteht aus dem Hexaöder, dem Dodekaöder, den beiden Py- ritoödern, einem flachern Pentagondodekaäder 105, dem Oktaöder und Leucitoäder. Das Hexaöder herrscht vor, alle übrigen Flä- chen sind untergeordnet und so wie in der Figur dargestellt ist. Das Pentagondodekaöder 103 erscheint nur bei dem einen Pyrito&- der, das sich aber im Ansehn nicht wesentlich von dem andern unterscheidet, alle Flächen sind glänzend. Die Krystalle sind auf- gewachsen, doch ist bei allen eine Hexaöderecke mit den umgeben- den Flächen frei. Das Pyritoöder, bei welchem sich das Penta- gondodeka&der 103 befand, zeigte sich negativ, das wobei dieses fehlte, positiv; bei einigen Flächen waren die Resultate ganz ent- scheidend, in andern Fällen wurde auch bei dem Pyritoöder ohne das Pentagondodekaöder 103 der umgekehrte Strom erhalten; of- fenbar war in dem Zwillinge die negative Masse vorherrschend, und zog sich in dem letzten Falle wohl unter der positiven weg, so dafs dann die negative auch hier den Ausschlag gab. Die Gränzen zwischen den positiven und negativen Individuen ist bei allen 3 Krystallen nicht sichtbar.‘ )

/

1) Bei einer andern Stufe mit Krystallen, die mir auch Hr. Strüver schickte und auf welcher die Krystalle die in Fig. 110 abgebildete Form hatten, waren die Krystalle auf der Oberfläche in Eisenoxydhydrat umgeän- dert und dadurch nicht leitend geworden, obgleich die entstandene Haut nur sehr düun war. Da ich nicht das Recht hatte mit Chlorwasserstoffsäure die nicht leitende Hülle zu entfernen, so konnten die Krystalle für meine Zwecke nicht benutzt werden.

396 Gesammtsitzung

Wahrscheinlieh gehören hierher noch 2 Krystalle des Berl. mineralog. Museums vermuthlich von Brosso. Es sind 5 bis 6 Linien grofse Oktaöder, an den Ecken mit den Flächen des Hexae- ders, Pyritoöders und Diploöders 123 begränzt, die nur ganz un- tergeordnet hinzutreten. Diese letztern Flächen sind glänzend, die Oktaöderflächen matt, aber ebenfalls silberweils metallisch glänzend in der Richtung der Flächen eines Pyrito@ders entgegengesetzter Stellung. Betrachtet man die Oktaöderflächen oder besser noch einen von ihnen gemachten Hausenblasenabdruck unter dem Mi- kroskop, so sieht man, dafs sie mit lauter kleinen dreiseitigen Py- ramiden bedeckt sind, deren Flächen dem Pyrito@äder der entgegen- gesetzten Stellung angehören. Untersucht man das thermo-elektri- sche Verhalten der Flächen, so findet man die des Hexaöders stark positiv, die Flächen des Oktaöders auch, aber einen merk- lich schwächern Strom liefernd; es ist daher wahrscheinlich die ganze Erscheinung so zu deuten, dafs die Krystalle positiv, aber auf der Oberfläche mit negativen Krystallen bedeckt sind, die aber so klein sind und nur eine so dünne Decke auf der Oberfläche bilden, dafs bei der Erwärmung die drunter liegende positive Masse in Bezug auf die Stromesrichtung bald die Oberhand gewinnt. Diese kleinen Krystalle würden dann aber nicht in Zwillingsstel- lung stehen, sondern in paralleler Stellung, sodafs die Krystalle Zwillingskrystalle der vierten Art sind.')

Man könnte auch annehmen, dafs die Krystalle Zwillingskry- stalle erster Art wären und die geringe Leitung auf der Oktaäder- fläche nur daher käme, weil die Flächen rauh wären, indessen sind in diesem Falle die in Zwillingsstellung stehenden Krystalle stets gleich ausgebildet, und es ist noch nicht der Fall vorgekommen, dafs der eine Krystall ungleich gegen den andern und der eine wie hier ein Oktaöder, der andere, oder wie hier die andern, Py- ritoöder sind, daher die erstere Meinung wohl die wahrschein- lichere ist.

1) Ähnliche Betrachtungen könnte man freilich auch bei den S. 343 beschriebenen und Fig. 9 abgebildeten Krystallen anstellen; auch hier könn- ten die aufliegenden dünnen Streifen negativen Krystallen angehören, die aber auch hier ganz dünn sein müfsten, denn die Untersuchung hat hier überall nur positive Elektricität gegeben.

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Positive und negative Krystalle in unregelmä/siger Ordnung nebeneinander.

Positive und negative Krystalle von Eisenkies finden sich öf- ter auf einer und derselben Stufe oder einer und derselben Gruppe in unregelmäflsiger Verbindung neben einander. So enthält das mineralogische Museum einen zollgrofsen Krystall von Traversella, eine Combination des Hexaöders, Oktaöders und Pyritoäders mit etwas unregelmäfsiger Ausdehnung der Flächen, doch ungefährem Gleichgewicht der Formen. Die Hexaöderflächen sind glatt, aus- ser einigen Unterbrechungen durch die Pyritoöderflächen, die Ok- taöderflächen ebenfalls glatt, nur sind an einigen Stellen die Ecken des Diplo@ders 123 in paralleler Stellung hervorgebrochen, die Flächen des Pyritoöders sind senkrecht gestreift, wenn auch an einer grolsen Fläche nur stellenweise, und daneben glatt. Auf einer Hexaöderfläche ist ein kleinerer Krystall aufgewachsen, bei den die Hexaöderflächen vorherrschen, die Pyritoöderflächen mehr untergeordnet vorkommen, und an dessen Ecken, von denen drei sichtbar sind, die Flächen des Diploöders 125 erscheinen; die Hexaöderflächen sind glatt, und wie bei dem grofsen Krystall nur stellenweise durch die Pyrito@derflächen unterbrochen, die Pyrito&- der- und Diploöderflächen ebenfalls glatt. Der grolse Krystall ist bis auf die aus den Oktaöderflächen hervorragenden Diploäderecken negativ, selbst auf den ganz glatten Stellen der Pyritoäderflächen neben den gestreiften, die Diploöderecken sind aber positiv; der grolse Krystall also schon ein Zwillingskrystall. Der kleine Kıy- stall ist positiv, die Combination auch vollkommen einer positiven gemäls, aber die Verwachsung beider Krystalle ist ganz zufällig, ein bestimmtes Gesetz der Verwachsung scheint nicht statt zu finden.

In dem Museum befindet sich ferner eine Druse aus Cornwall ohne nähere Bestimmung, die auf der (untern) Bruchfläche vorzugs- weise aus Kupferkies besteht, in welchem Eisenkies und Quarz eingemengt ist; der erstere stets in regelmäfsig ausgebildeten Kry- stallen, die öfter zu Krystallgruppen vereinigt sind; sie sind He- xaöder, auf den Flächen stark gestreift und 3 bis 4 Linien grofs. Krystalle von derselben Form erscheinen auch auf der obern freien Seite der Stufe in einzelnen Gruppen auf dem Kupferkies aufge- wachsen und hier zusammen mit schneeweilsen Quarzkrystallen;

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aber diese in Hexaödern krystallisirten Eisenkieskrystalle werden zum Theil von andern Gruppen von Eisenkieskrystallen bedeckt, die eine andere Form haben und Combinationen des vorherrschen- den Oktaöders mit dem Hexaöder sind. Sie sind kugelich zusam- mengehäuft, bunt angelaufen, dennoch glänzender als die Hexaäder, und da sie diese bedecken, späterer Bildung als diese.

Die reinen Hexaöder sind auf manchen Flächen positiv, auf andern negativ, also Zwillingskrystalle, ohne dafs man auf den Krystallflächen eine Gränze zwischen den positiven und negativen Krystallen sehen kann. Sie gleichen im Ansehn und in ihrem thermo-elektrischen Verhalten andern Eisenkieskrystallen von Ta- vistock in Devonshire, die lose oder in losen Gruppen in dem mi- neralogischen Museum sich befinden, nur etwas grölser sind.) Die angelaufenen Krystalle sind positiv, was bei den vorherrschen- den Oktaöderflächen auffallen kann. Auch die Quarzkrystalle zei- gen darin etwas Eigenthümliches, dafs sie nur auf einer äufsern Schicht schneeweils und undurchsichtig, im Innern aber graulich- weifs und durchsichtig sind.

Hierher sind endlich noch zwei Stufen von Chachiyuyo del oro bei Copiapo in Chile zu rechnen, die wie die vorigen ein Ge- menge von Kupferkies mit Eisenkies und Quarz sind. Kupferkies ist vorherrschend, auf der einen (obern) Seite findet er sich allein mit Quarz in grofsen undeutlichen Krystallen, die an der Ober- fläche angelaufen, blauschwarz und matt, im Bruch aber frisch und stark glänzend sind. Der Quarz ist in prismatischen Krystallen krystallisirt. Auf der Unterseite und im Innern ist der Kupfer- kies sehr drusig und mit vielem Eisenkies gemengt, der in den vielen Drusen deutlich auskrystallisirt und aufserordentlich glän- zend ist. Die Krystalle sind von verschiedener, 1 bis 4 Linien Gröfse, sie sind aber zweierlei Art; in beiden ist das Hexaöder vorherrschend, und die Pyrito@derflächen erscheinen nur als Ab- stumpfung der Kanten, aber in dem einen Falle ist es senkrecht gestreift, und zeigt an den Ecken, wenn auch nur klein, doch sehr stark glänzend, die Flächen des Okta@ders, Leueitoäders und des

1) Diese letztern sind von Dr. Krantz‘ erworben, und es wäre mög- lich, dafs auch die Stufe daher stammt und der auf dem Zettel angegebene Fundort ungenau ist.

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Diplo@ders 124; in andern Fällen ist es horizontal gestreift, und an den Hexaöderecken erscheinen ebenfalls klein und stark glän- zend die Flächen des Diploöders 123 mit den Oktaöderflächen. Die letztern Krystalle sind positiv, die erstern negativ, was auch schon aus der Combination der Flächen hervorgeht. Die negati- ven Krystalle sind der Zahl nach vorherrschend; bei den kleinern Krystallen fehlen aber in der Regel die an den Hexaöderecken auftretenden Flächen und man sieht dann nur Combinationen des vorherrschenden Hexaöders und Pyritoöäders. Bei dem starken Glanze des Eisenkieses und Kupferkieses, bei letzterm freilich nur im Bruch, und den ebenfalls glänzenden Quarzkrystallen haben die Drusen ein schönes Ansehn.

Kobaltglanz.

Die Kıystalle des Kobaltglanzes sind viel weniger verbreitet, als die des Eisenkieses, und bestehen in den zwei Hauptfundörtern, die man kennt, in Tunaberg in Schweden und Skutterud in Nor- wegen, nur aus wenigen einfachen Formen, die an beiden Orten dieselben sind, obgleich der Kobaltglanz in Tunaberg auf einem Ku- pferkieslager und die schönsten Krystalle in Kupferkies, in Skut- terud in Glimmerschiefer eingewachsen vorkommen. Die ersteren finden sich häufiger und kommen in gröfsern Krystallen vor als die letztern, bei beiden sind aber nur Combinationen bekannt des Pyrito&ders, Hexaöders, Oktaöders und eines stumpfern Pentagon- dodekaäders, dessen Flächen gewöhnlich nur untergeordnet als Ab- stumpfungen der Kanten des Pyritoöders und Hexaöders erschei- nen, aber in allen Krystallen der Universitätssammlung zu stark gestreift sind, parallel den Kanten mit dem Hexaöder, um die Nei- gungen desselben bestimmen zu können. Es wurden von dem Kobaltglanz von Tunaberg 17, von Skutterud 2 Krystalle unter- sucht; von den erstern ‚wurden 8 positiv und 9 negativ; von den letztern 1 positiv und di negativ gefunden. Bei den positiven Kry- stallen von Tunaberg herrschen die Hexaäderflächen vor, Pyrito&- der und Oktaöder treten nur untergeordnet hinzu; bei den nesati- ven die Oktaöderflächen, und bei diesen allein finden sich die Flä- chen des stumpfern Pentagondodekaäders, so dafs wir in diesem ein Mittel hatten, im Voraus das thermo-elektrische Verhalten der Krystalle zu bestimmen, was bei den untersuchten nie trügte. Bei den beiden Krystallen von Skutterud war dies Verhalten ganz [1870] | 26

360 Gesammtsitzung

ebenso, bei dem negativen Krystalle herrschen die Oktaederflächen vor, und es finden sich hier wenn auch klein noch die Flächen des stumpfern Pentagondodekaäders. Nur bei einem Krystalle aus Tunaberg fanden sich diese Flächen vorherrschend, die Flächen des Oktaöders nur untergeordnet, so dafs der Krystall wie ein Hexaöder mit zugerundeten Flächen erscheint; seine Gröfse ist dabei nicht unbedeutend, indem er zwischen zwei parallelen He- xaöderflächen einen Durchmesser von einem Zoll hat. Zwillings- krystalle haben sich unter den Krystallen des Kobaltglanzes nicht gefunden.

Das Vorherrschen der Hexaöderform bei den positiven, das der Oktaöderform bei den negativen Krystallen hat der Kobalt- elanz mit dem Eisenkies gemein. Stumpfere Pentagondodekaöder, die beim Kobaltglanz so entscheidend sind, kommen beim Eisen- kies nur selten vor, Strüver giebt deren mehrere an, und unter den überschiekten Krystallen war der, bei dem sich ein solches befand, negativ, wie beim Kobaltglanz, indessen kommt ein solches auch bei dem positiven Eisenkies vom Dörrel vor (vergl. S. 346), so dafs also das Vorkommen der stumpfern Pentagondodekaeder beim Eisenkies nicht mit der Sicherheit negative Krystalle voraus- setzt, als dies bis jetzt beim Kobaltglanz der Fall ist. Streifungen der Flächen kommen beim Kobaltglanz, ausgenommen bei dem stumpfern Pentagondodekaeder, nicht vor; hierdurch ist also kein Anhaltspunkt für die Bestimmung des thermo-elektrischen Verhal- tens gegeben, und man ist also bei dem Kobaltglanz für die Vor- ausbestimmung der negativen Krystalle nur auf das Vorkommen der stumpfern Pentagondodeka&der und das Vorherrschen der Ok- taöderform angewiesen.

Vergleichung der Zwillingskrystalle des Eisenkieses mit denen anderer hemiedrischer Krystalle.

Die vier angeführten Arten von Zwillingskrystallen kommen in ganz ähnlicher Weise wie beim Eisenkies auch bei andern’ Sub- stanzen von hemiödrischer Krystallisation vor, wie namentlich beim Quarz. Regelmäfsige Verwachsungen von 2 rechten oder 2 linken Krystallen, d. h. von 2 Krystallen erster und zweiter Stellung, fin- den sich bei diesem besonders häufig, Sie sind am besten zu er- kennen, wenn Haupt- und Gegenrhomboöder in ihrem Glanze recht

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verschieden, und die Flächen des erstern glänzend, die andern matt sind. Da die Flächen des Hauptrhomboöders hierbei in die Lage des Gegenrhomboäders kommen und die Gränze zwischen beiden Krystallen gewöhnlich unregelmäfsig über die Flächen hinläuft, so sind diese auf der einen Seite der Gränzlinie glänzend, auf der andern matt. Dies sind die Krystalle, die Haidinger zuerst als Zwillingskrystalle erkannt hat, und von denen ich gezeigt habe!), dafs es Zwillingskrystalle von 2 rechten oder 2 linken Individuen sind.

Regelmäflsige Verwachsungen von einem rechten und einem linken Individuum in Zwillingsstellung machen sich im Äufsern seltener kenntlich; ich habe ihrer in meiner Quarzabhandlung nicht erwähnt, aber seit der Zeit mehrere auch äufserlich deutlich er- kennbare von Jerischau in Schlesien durch Hrn. Brücke erhalten, der sie in seiner ausgezeichneten Mineraliensammlung entdeckt hatte, einen andern solchen Zwillingskrystall von Prieborn in Schlesien auch selbst in dem mineralogischen Museum beobachtet. Sie kommen indessen häufig bei Krystallen vor, die äufserlich wie einfache erscheinen, als blofse Combination des sechsseitigen Pris- mas mit den beiden Rhomboedern, wie bei den Marmoroscher Quarzkrystallen, und können durch Ätzung der Flächen mit Flufs- säure erkannt werden, wie dies Leydolt gezeigt und in Taf. I Fig. 1 seiner Quarzabhandlung”?) dargestellt hat. Die Individuen begränzen sich immer hierbei mit graden Begränzungsflächen im Gegensatz zu den vorigen, die sich stets mit krummen begränzen, worauf Leydolt aufmerksam gemacht hat.

Verwachsungen von rechten und linken Individuen in paralle- ler Stellung kommen mit aneinander gewachsenen Individuen bei den Schweizer Bergkrystallen, mit durcheinander gewachsenen In- dividuen bei Quarzkrystallen aus den Höhlungen der Mandelsteine vor. Die erstern hatte schon Wackernagel krystallographisch bestimmt°) und Dove optisch untersucht*), und es wurde dadurch bewiesen, dafs die rechten und linken Trapezflächen dieser glei-

!) Abhandlungen der k. Akademie d. Wiss. zu Berlin von 1844 S.233. ?) Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe der kaiserl. Akad. der Wiss. in Wien von 1855 B. 15 S. 59. 3) Kastner’s Archiv für die gesammte Naturlehre von 1825 B.5 8.75. *) Poggendorffs Ann. 1837 B. 40 S. 607. 26*

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cher Art und die beiden Krystalle rechts- und linksdrehend wären. Die durcheinander gewachsenen Krystalle wurden von Haidinger bei Krystallen aus den Vendyahbergen in Ostindien beobachtet!) und von mir bei Krystallen aus Brasilien näher be- stimmt?), und es wurde dadurch gezeigt, dals die rechten und lin- ken Trapezflächen gleich wären. Leydolt hatte dergleichen Zwil- lingskrystalle durch Ätzung der Flächen erkannt und dabei gezeigt, dafs sich auch hier die beiden Krystalle in geraden Flächen be- gränzen. Groth hat nun neuerdings auch die von mir gemesse- nen Krystalle, die so ganz das Ansehen von scaleno@drischen Com- binationen haben und daher auch für solche gehalten werden könn- ten, in optischer Hinsicht untersucht?), und indem er die verwach- senen Individuen rechts- und linksdrehend gefunden hat, jeden Zweifel an ihre Zwillingsnatur gehoben.

Bei dieser grofsen Übereinstimmung der Zwillingskrystalle des Eisenkieses und Quarzes ist es auffallend, dafs in Rücksicht des Verlaufs der Gränzen zwischen den beiden Individuen in den Zwil- lingskrystallen die des Eisenkieses und des Quarzes sich gerade umgekehrt verhalten. Bei den Zwillingskrystallen von Individuen oleicher Stellung sind beim Eisenkies die Gränzlinien auf der Bruch- fläche des Zwillings geradlinicht, beim Quarz krummlinicht, und bei den Zwillingskrystallen von Individuen ungleicher Stellung diese Gränzlinien beim Eisenkies krummlinicht und beim Quarz gerad- linicht. Der Grund dieses Unterschiedes ist nicht einzusehen.

Wenn aber so das analoge Vorkommen des Quarzes zur Be- stätigung der beobachteten Zwillingskrystalle des Eisenkieses dient, und es bei diesen durch die Untersuchung des optischen und thermo- elektrischen Verhaltens erwiesen ist, dals wenn bei einem und dem- selben Krystalle sich hemiedrische Formen beider Stellungen in ihren parallelen Stellungen finden, man es mit Zwillingskrystallen und mit regelmäfsigen Verwachsungen von Krystallen erster und zweiter Stellung zu thun hat, so scheint man genöthigt zu sein, auch eine ähnliche Annahme bei den tetraödrischen Krystallen zu machen, wo das Zusammen-Vorkommen von Formen erster und zweiter Stellung eine sehr gewöhnliche Erscheinung ist; wie beim

1) Journ. of Sc. 1824 V.1 p. 322. 2) Abh. d. k. Akad. d. Wiss. von 1844 S. 256. 3) Poggendorffs Ann. von 1869 B. 137 S. 435.

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Borazit, Fahlerz und der Zinkblende. Es fehlen uns nur hier die Mittel dies auszumachen, und es muls weitern Untersuchungen vor- behalten bleiben, darüber zu entscheiden. Die Versuche, die, wir übrigens beim Kupferkies anstellten, bestätigten diese Ansicht nicht, denn wir fanden bei ihm die beiden Tetra&der erster und zweiter Stellung gleich und zwar negativ thermo-elektrisch.

Theorie der hemiedrischen Formen überhaupt.

In seinen krystallographischen Werken!) stellt Naumann die Ansicht auf, dafs die holo@drischen Formen, die mit hemiödrischen vorkommen, nur scheinbar holoödrische, in der That aber hemi£- drische Formen und zwar Gränzformen derselben sind; indem er die sämmtlichen Formen des regulären Systems aus den Hexakis- oktaädern als ihren eigentlichen Repräsentanten ableitet, zeigt er, dafs nach den beiden allein vorkommenden Arten der Hemiödrie durch Wegfallen der einen oder der andern an den abwechselnden Hexaöderecken liegenden sechsflächigen Flächengruppen oder der diese repräsentirenden dreiflächigen Flächengruppen oder blofsen Flächen aus ihnen die Hexakistetraöder, Deltoöder (Deltoiddode- kaöder), Triakistetraäder und das Tetra&der und ferner auch die Tetrakishexaäder und das Dodekaäder und Hexaöder; durch Weg- fallen der einen oder der andern an den abwechselnden mittlern Kanten gelegenen Flächenpaare oder der diese repräsentirenden Flächen die Diploöder und Pentagondodekaäder und ferner auch die Ikositetra&der, Triakisokta&äder und das Dodekaöder, Oktaöder und Hexaöder entstehen.”) Die drei letztern Arten von Formen, die nach dem erstern Gesetze entstehen, sowie die fünf letztern Ar- ten, die nach dem zweiten Gesetze entstehen, sind zwar von den holo@drischen Formen ihrem Ansehen nach nicht verschieden, wohl aber ihrer Natur und Entstehungsweise nach, und müssen deshalb als hemiödrische Formen betrachtet werden. Es ist dies nur eine theoretische Ansicht von Naumann, sie giebt, wie er selbst sagt, für alle diese Formen kein in die Augen fallendes Resultat.’) In

1) z. B. Elemente der theoretischen Krystallographie S. 92 ete.

?) Die am angegebenen Orte S. 94 und 99 gegebenen Figuren machen diese Entstehungsweise der hemiödrischen Formen sehr anschaulich.

3) Vergl. Naumann Anfangsgründe der Krystallographie S. 35. Man

könnte hiergegen das Ansehen der oben S. 342 erwähnten und von Strüver

364 Gesammtsitzung

dem Obigen ist der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht ge- geben; die Oktaöder und Hexa@der, die beim Eisenkies vorkom- men, und ebenso die seltneren Dodekaöder, Ikositetraöder und Tria- kisoktaöder sind wirklich hemiödrische Formen, denn sie verhal- ten sich ebenso wie die beim Eisenkies vorkommenden Pentagon- dodekaöder und Diploöder, und sind wie diese thermo -elektrisch positiv oder negativ; ebenso sind sie auch in ihren Combinationen und gröfstentheils auch in dem Ansehen ihrer Flächen verschieden. Was von den dodekaödrischen hemiödrischen Formen bewiesen ist, muls dann auch für die tetraädrisch hemiedrischen Formen gelten. Die angeführten Untersuchungen über die thermo- elektrischen Eigen- schaften des Eisenkieses und des Kobaltglanzes sind demnach auch für die Theorie der hemiödrischen Formen im Allgemeinen von Interesse.

Erklärung der Figuren.

Fig. 1—3 Ätzeindrücke bei positiven und negativen Eisenkieskrystallen. 1 auf einer Okta&derfläche S. 333. AERO. Hexaäderfläche S. 333. „38 Pyritoöderfläche S. 333. Fig. 4—8 natürliche regelmäfsige Eindrücke. 4 auf einer Fläche des positiven Okta&ders 0 Ss. 341.

LO a RER x negativen a 0' S. 341. 6, 5 s r positiven Hexaöders a S. 341. SR A negativen N a S. 341. ER s positiven und des negativen Pyrit. zd S. 341.

9 Fläche des positiven Pyritoöders des Eisenkieses von Zacatecas in Mexico S. 343. |

10 horizontale Projection eines Eisenkieszwillings von Traversella, aus einem positiven und negativen Krystalle bestehend. Die Flächen des positiven Oktaöders haben die hemiödrischen Eindrücke von Fig. 4 S. 350.

11 horizontale Projection eines negativen Eisenkieskrystalles von Traver- sella, auf dessen Hexaöder- und Oktaöderflächen einzelne Theile eines positiven Krystalls in Zwillingsstellung hervorgetreten sind. Die Flächen des Pyritoöders haben die Eindrücke von Fig.8 S. 350.

in seiner Abhandlung Fig. 177 gezeichneten Flächen des negativen Oktaäders Fig. 157 anführen, weil hier die dreieckigen Eindrücke sämmtlich an den Stellen der Oktaederfläche liegen, die den fortgefallenen abwechselnden Flä- chen an der 6flächigen Ecke der Hexakisokta&der entsprechen. Doch ist dies Vorkommen nur eine seltene Erscheinung.

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Hr. Dove las über die Zurückführung der jährlichen Temperaturcurve auf die ihr zum Grunde liegenden Bedingungen.

Wenn mit zunehmender Mittagshöhe der Sonne die Wärme sich erhöht, so geschieht dies bei derselben geographischen Breite unter verschiedenen Längegraden sehr verschieden. Man braucht nur einen Blick auf die von mir in der Äquatorial- und Polarpro- jection entworfenen Monatsisothermen zu werfen, um sich zu über- zeugen, dafs die Bewegung der Isothermen vom Äquator nach dem Pol hin sehr ungleich erfolgt, so dafs ihre Gestalt sich un- unterbrochen verändert, und zwar so bedeutend, dafs im mittleren Europa ihre Richtung im Sommer senkrecht steht auf der, in welcher sie während des Winters verlaufen. Fügt sich unter dem Einflufs der intensiven Kälte des Januars, dafs durch Meeres- buchten, Meeresengen und grolse Süfswasserspiegel mannigfach ge- gliederte Nordamerika zu einem grofsentheils mit Eis bedeckten Continent zusammen, so fallen alle die Winterkälte mildernden Wirkungen einer bewegten flüfsigen Grundfläche hinweg, wodurch sich erklärt, dafs bis nach Philadelphia hinunter nun erst die Kälte ihr Maximum erreicht und daher dieses nicht wie bei uns in die erste Hälfte des Januar, sondern in die des Februar fällt. Wäh- rend in der alten Welt daher dann schon alle Isothermen in der Bewegung nach Norden begriffen sind, nähern sie sich dort noch dem Äquator. Entledigen sich im Frühjahr die bis dahin ge- schlossenen Meeresbuchten ihrer Eisdecken, so wirken die nach Süden treibenden Eismassen abkühlend auf die ihnen benachbarten Ufer, und es rückt daher der concave Scheitel der Isothermen, welcher im Januar in die Mitte des Continents fiel, nach den Ostküsten, nach Newfoundland. In derselben Zeit hat in Sibirien, die grofsartige Auflockerung begonnen, welche veranlalst, dafs dort die barometrische Jahrescurve eine regelmässige concave Einbie- gung bildet, deren tiefster Punkt auf den wärmsten Monat fällt. An dieser kann sich aber Europa nicht betheiligen, denn die kalte Luft des nordatlantischen Ocean bricht nun über Europa herein, um die asiatische Lücke auszufüllen. Daher sinkt in Europa das Barometer nur bis zum April, und erhebt sich dann zu einer den Sommer bezeiehnenden convexen Krümmung, die im Herbste sich endet. Die eindringende kalte Luft hemmt natürlich das Fort- schreiten der Isothermen nach Norden, die Anfang Mai starke Er-

366 Gesammtsitzung

wärmung verlangsamt sich bedeutend, ja es tritt nicht nur in die- sem Monat, sondern auch noch auffallender im Juni eine Rückbe- wegung ein, welche den Eintritt unserer Regenzeit bezeichnet. Die folgende Tafel wird das zur Anschauung bringen.

Ich habe in derselben die Differenzen zwischen den auf ein- ander folgenden fünftägigen Mitteln des Mai und Juni bestimmt. Zahlen ohne Zeichen deuten also eine Temperaturzunahme an,

Mai 1—5 6—10 11—15 16—20 21—25 Einplands 227 See 0.33 0.13 0.61 0.53 Niederland. . .. 5 0.60 —0.19 0.39 0.81 Rheinland f97r.D..20 109 1.50 0.61 0.61 0.54 Westphalen . .. 4 1.65 0.39 0.63 0.55 Oldenburg u. Hannover 10 1.25 1.07 0.73 0.52 Brandenburg 6) 1.40 1.33 0.79 0.46 Mecklenburg 6 1.41 0.93 1.61 0.54 Holstein B) 1.28 1.07 1.22 0.24 Pommern et RE 1297 1.24 0.76 0.82 Westpreulsen . . . 3 0.77 1.39 0.98 0.84 Östpreufsen 4 0.38 1.89 1.06 0.67 Posen 2 1.02 1.78 0.79 0.48 Schlesien ale. Aerl 0.24 1.79 0.09 0.32 Sachsens. et. 18 1.16 1.56 —0.23 0.89 Thüringen . PR) 1.54 0.99 0.66 0.45 Böhmen, . . “2... 1.49 1.50 0.10 0.37 Mähren 7. „002,6 1.22 1.81 —0.21 0.33 Galizien ed 0.79 1.85 —0.46 - 0.24 Siebenbürgen . . . 3 1.30 1.45 —0.93 0.06 Ungarn: DE Ser 2a ]j4 1.22 1.77 —0.46 0.39 Österreich u. Steiermark 20 1.31 1.24 0.04 0.55 Kärnthen u. Krain . 16 1.31 1.89 0.38 0.43 Dalmatien +47 „uea=248 1.05 1.00 0.52 0.11 Tirob >42... .2 0.0710 1.26 0.53 0.59 0.54 Schweiz 0.94 0.34 0.46 1.28

Be

Wärttemberg . . . 10 148 . 0.91 0.27 0.11

Scandinavien Er | 0.69 0.26 0.43 0.53

Nördliches Rufsland . 4 0.96 0.89 1.45 0.10

Westliches Rufsland . 5 1.37 1.31 0.73 0.42 -

Ural 3 0.87 0.71 1.52 —0.30 b)

Sibirien . 0.99 1.21 0.81 1.38

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Zahlen mit negativem Zeichen eine Temperaturabnahme, kleine Zahlen ohne Zeichen, welche grofsen folgen eine Verlangsamung der Zunahme der Wärme. Um die Tafel abzukürzen, habe ich die 218 einzelnen Stationen zu Gruppen verbunden, welche durch die vorstehende Bezeichnung erläutert werden. Die neben dem Namen der Gruppe stehende Zahl giebt die Anzahl der Stationen an, aus welchen die mittleren Werthe bestimmt wurden.

Juni 26—30 31—4 5—9 10—14 15—9 20—24 ° 25—29

0.52 0.43 0.21 0.46 0.22 0.10 0.41 0.38 0.73 0.36 0.49 0.02 0.19 0.20 1.58 1.32 0.393 —0.48 —0.38 0.91 0.39 0.41 1.43 0.42 —0.51 —0.36 0.70 0.10 0.40 0.93 0.57 .°—0.06 —0.13 0.81 0.05 0.62 1.25 0.31 —0.29 —0.35 0.33 0.05 0.37 0.90 0.90 0.26 —0.51 0.41 —0.04 0.63 0.42 0.99 0.16 —0.38 0.73 —0.06 0.53 0.84 1.26 0.08 —0.71 0.61 —0.07 0.69 0.65 1.01 0.21 —0.41 0.28 0.01 0.37 0.80 1.18 0.28 —0.08 0.09 —0.35 0.53 1.42 2.00 —0.44 0.16 0.36 —0.02 1.01 1.42 0.42 —0.28 0.91: 0.62 0.03 0.59 1.68 0.0.8 —0.01 0,92 0.71 0.18 0.73 1.31 0.585 —0.27 —0.90 0.94 0.21 1.01 1.49 0.57 —0.27 —0.62 0.64 0.05 1.02 1.71 0.61 —0.47 —0.33 0.38 —0.04 1.03 1.57 0.60 —0.23 —0.06 0.17 —0.14 1.08 1.52 0.02 °—0.13 0.21 0.27 —0.29 0.75 1.56 0.52 °—0.24 —0.45 0.59 —0.02 0.44 1.11 0.34 °—0.14 —0.67 0.76 0.50 1.04 1.09 0.37 °—0.05 —0.64 0.98 0.52 0.83 0.81 0.831 —0.00 0.30 0.39 0.51 0.91 1.09 0.58 —0.15 —0.76 0.84 0.85 0.35 0.84 0.31 0.07 —0.03 0.28 0.48 1.20 0.87 0.24 —0.28 —1.19 1.03 0.80 0.54 0.47 0.67 0.90 0.89 0.06 0.18 0.87 0.83 1.37 0.57 0.42 0.52 0.18 0.23 0.48 0.75 0.98 0.44 —0.07 0.21 0.63 1.05 0.26 0.51 1.25 0.16 1.07

1.02 0.63 1.33 0.30 0.50 0.95 1.02

368 Gesammtsitzung

Eine Abkühlung am Ende der ersten Hälfte des Mais ist ent- schieden für das mittlere Deutschland angedeutet, noch deutlicher die in der Mitte des Juni, welche einen längeren Zeitraum aus- füllt, ja am Ende des Monats nach kurzer Abschwächung wieder zunimmt. Jenes sind die sogenannten gestrengen Herrn, dies, weil sie mit der Schafschur zusammenfällt, die Schaafkälte in der Terminologie unsrer Landwirthe.

In den 1856 von mir veröffentlichten Rückfällen der Kälte im Mai habe ich gezeigt, „dafs ein kaltes Frühjahr in Europa vor- zugsweise dann einem milden Winter folgt, wenn in Nordamerika der Winter streng war, dafs also, wenn Polarströme im Winter über Amerika lange Zeit dem Äquator zugeflossen sind, während Aequatorialströme über Europa hin dem Pole zuströmten, die kalte Luft jener endlich die Wärme dieser erniedrigen muls, daher ein Nachwinter folgt, indem der als Nordwest einfallende kalte Strom, den Südwest verdrängend, eine schnelle Drehung nach Nordost beschreibt, wo dann der südliche Strom durchbrochen wird und auf die Westseite des Polarstroms zu liegen kommt. Der Polar- strom wird dann später, wahrscheinlich in höheren Breiten, von dem Äquatorialstrom durchbrochen, und dadurch von seiner in diesem Theile des Jahres bereits in den nordamerikanischen Polar- ländern liegenden Quelle abgeschnitten, so dafs seine Dauer ver- hältnissmäfsig kurz, oder vielmehr die Erscheinung jenes Kampfes eine mehrfach sich wiederholende ist.“

Der Anblick der vorher mitgetheilten Tafel beweist, dafs die Tendenz zu Rückfällen nicht auf bestimmte Tage beschränkt ist, sondern sich eine längere Zeit hindurch erhält. In naiver Weise erwartet man daher, wenn die gestrengen Herrn sehr warm sind, dafs sie dann nach dem alten Calender eintreten werden. Sind die Abweichungen der verschiedenen Stationen auf Mittel derselben Jahrgänge bezogen (und das gilt hier für die des preufsischen und österreichischen Beobachtungssystems), so zeigt sich eine auffallende Übereinstimmung zwischen denselben, hingegen eine Verschiebung der Einbiegung, wenn andere Jahrgänge den Mitteln zum Grunde gelegt werden. Aufserdem zeigt sich deutlich, dafs die Erschei- nung selbst auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist, nach dessen Grenzen hin sie abnimmt. Auch tritt deutlich ein Fortschreiten hervor. Im Juni beginnt die Abkühlung früher im westlichen Deutschland als im östlichen, während im Mai die Bewegung mehr

vom 2. Juni 1870. 369

von nach SW hin erfolgt, denn die trois saints de glace in Frankreich und die drei Eismänner in Süddeutschland: Pancratius, Servatius, Bonifacius sind einen Tag später als die gestrengen Herrn in Norddeutschland: Mamertus, Pancratius und Servatius.

Aus den Bestimmungen der mittleren Windesrichtung wissen wir, dafs diese im Winter in Europa auf die Südwestseite der Windrose fällt, im Sommer auf die Nordwestseite. Das als Folge dieses Wechsels entstehende Herabdrücken der in starkem Steigen begriffenen Temperaturcurve leitet unsre Regenzeit ein, aber auch diese ist nicht an bestimmte Tage geknüpft. Während in Norddeutschland der 27. Juni: die sieben Schläfer, als ent- scheidender Loostag gilt, heifst es in andern Gegenden Deutsch- lands:

Regnets am Johannistag Eine nasse Erndt man gewarten mag in England hingegen: If the first of July it be rainy weather T’ will rain more or less for four weeks together.

Aus den von mir seit 1836 veröffentlichen Untersuchungen über die nicht periodischen Veränderungen der Temperatur, geht entschieden hervor, dafs erhebliche Abweichungen, welche in ver- schiedenen Jahren von der regelmäfsigen Zu- und Abnahme der Temperatur hervortreten, durch allgemeiner wirkende Ursachen her- vorgerufen werden, welche durch längere Zeiträume hindurch fort- wirkend sie zu einem Maximum steigern, von dem sie wiederum allmählig zu normalen Werthen zurückkehren. Dafs diese Ursachen nicht kosmische, sondern tellurische seien, geht daraus hervor, dafs die gleichzeitigen Abweichungen auf grofsen Flächen der Erdober- fläche sich stets in der Weise compensiren, dafs einem Zuwenig auf einem bestimmten Gebiet ein Zuviel auf einem benachbarten entspricht. Die in den einzelnen Abhandlungen zerstreuten ent- scheidenden Belege habe ich in den klimatologischen Beiträgen II. p- 255—278 zusammengestellt. Dafs diese Ursachen in den neben einander fliefsenden Äquatorial- nnd Polarströmen zu suchen seien, dafür enthält das Märzheft des Berichts einen neuen entscheiden- den Beleg. Warum aber in einem Jahre der zurückkehrende obere Passat gerade an dieser bestimmten Stelle herabsinkt, läfst sich jetzt noch nicht beantworten, aber der Weg läfst sich andeuten, welcher schliefslich zu dem Ziele führen wird.

370 Gesammtsüzung

Der herabsinkende Äquatorialstrom findet in den einzelnen Abschnitten des Jahres eine durch die Monatsisothemen dargestellte sehr verschiedene Temperatur-Vertheilung. Seine Wirkung wird daher auch eine wesentlich verschiedene werden, doch ist es wahr- scheinlich, dafs das zu denselben Zeiten in verschiedenen Jahren erfolgende Herabkommen übereinstimmendere Folgen haben wird, als das zu verschiedenen Zeiten des Jahres eintretende. Dasselbe gilt natürlich für den Polarstrom, dessen Gebiet eben durch jenen bestimmt wird. Ist dies der Fall, so müssen die Anomalien der einzelnen Jahrgänge sich in gewisse Gruppen zerlegen lassen, die durch die Übereinstimmung des Ganges der Temperatur von an- dern Gruppen sich wesentlich unterscheiden.

Daraus folgt, dafs die Temperaturcurve des Jahres im lang- jährigen Mittel durch Superposition jener Gruppencurven ihre de- finitive Gestalt erhält. In dieser Curve werden sich, (analog den resultirendem Wellensystem in dem Youngschen Wellenapparat bei Übereinanderschichten verschiedener Wellensysteme) an Stellen Ein- biegungen zeigen, die an sich ohne Bedeutung eben nur jenen ver- schiedenen Systemen ihre Entstehung verdanken. Von diesem Ge- sichtspunkte aus, erscheint das Bestreben, die Einbiegungen der Temperaturcurve direct auf gleichzeitige kosmische oder tellurische Ursachen zurückzuführen, als ein durchaus verfehltes.

Giebt es nun solche Gruppen?

In der im März Heft 1870 der Berichte der Akademie abge- druckten Abhandlung „über die Temperatur-Vertheilung im Winter 1869—1870“ habe ich dies an einem bestimmten Beispiele zu er- weisen gesucht. Die Übereinstimmung in der Gestalt der Tempe- ratureurve des Winters von 1869—1870 und 1864—1865 würde, wenn sie allein stände, aber nur als ein Curiosum zu betrachten sein, da unter einer grofsen Anzahl möglicher Fälle, sich schliefs- lich auch einmal sehr ähnliche finden werden. Eben um zu zeigen, dafs hier nicht eine blofse Zufälligkeit vorliege, erstreckte ich die Vergleichung auf 1845. Ich habe aber einen Hauptbeleg dafür, dals es sich um einen bestimmten Typus der Erscheinungen handle, nicht erwähnt, den Winter von 1855. Die von mir für diesen in der Darstellung der Wärmeerscheinungen durch fünftägige Mittel II. p. 228 333 berechneten Werthe bezogen sich nämlich, und zwar für viel weniger Stationen, nur auf zehnjährige Mittel, wäh- rend die für 1870: berechneten für zwanzigjährige gelten. Ich

vom 2. Juni 1870. 371

habe daher jene Abweichungen von Neuen berechnet, sie ebenfalls auf die zwanzigjährigen Mittel bezogen. Die Vergleichung der in folgenden Tafel enthaltenen drei Bestimmungen mit der im März- heft p. 212—217 pro 1870 gegebenen zeigt die analoge Vertheilung, in welcher die Maxima der positiven und negativen Abweichungen ebenfalls auf den 6—10 Januar und auf den 10—14 oder 15—19 Februar fallen. Zu den dort für 1870 mitgetheilten Stationen kön- nen nachträglich noch zwei hinzugefügt und eine vervollständigt werden. |

urn

Danzig | Ofen | Wernigerode 1870 Januar 1—5 1.22 4.38 4.92 6—10 4.21 4.72 3.58 11—15 2.40 2.94 2.77 16-20 | 0.20 1.80 135 231—25 | 0.9 0.22 5.07 26—30 | 3.94 5.53 2.55 Februar 31—4 12.02 3.81 0.00 5—9 13.12 10.24 —10.64 10-14 | 7.99 —_ 378 9172 15-19 | 3.14 001 2.598 ee a aaa 235—1 0.22 0.73 2.93 Unterschied | 17.93 | 14.96 | 15.56

Für 1855 sind die Abweichungen folgende:

372 Gesammtsitzung

Januar 1855

ug | 610 11-15 16—20 21-2 26-30

ss TE EEE Pe RE EEE

Memel 2.62 5.34 0.68 |— 7.46) —6.04 | —6.44 Tilsit 2.65 5.29 153 1 = 9.171692 057 Claussen 3.21 5.47 1.15 1 9.69 | —6.90 | —6.77 Königsberg 3.36 5.34 0.81 | —10.32| —6.44 | —6.95 Hela 2.52 4.02 1.09 |— 6.52) —4.09 | —3.14 Conitz 3.42 4.98 1.09 7.38 0 Don se A Bromberg 3.20 5.26 1.47 | 8.03) —4.05 | —5.73 Posen 3.58 5.40 1.16 | 2.2229 5.29 Zechen 3.88 38 9740| 2791-251 = 506 Breslau 3.88 5.34 0.33 | —6.7U a. A Ratibor 3.66 5.03 0.33 | 6.33 | —2.34 | —5.24 Görlitz 3.80 5.29 | —0.43 |— 7.51| —3.44 | —4.45 Dresden 3.85 5.16 | —0.09 |— 6.55 | —3.74 | —3.77 Torgau 4.17 4.88 0.13 | 6.50 | —4.56 | —4.15 Leipzig 3.93 5.10 0.25 | 7.61 | —4.22 | —3.66 Halle 4.28 5.15 0.30 | 6.98| —5.17 | —4.09 Erfurt 4.24 5.26 0.30 | 8.00| —5.59 | —4.57 Mühlhausen 3.74 5.62 0.23 |— 771 | —6.04 | —4.13 Heiligenstadt 4.00 4.55 | —0.75 |— 9.29 | —5.64 | —4.79 Wernigerode 3.43 4.11 | —0.34 | 8.43 | —5.99 | —4.48 Clausthal 2.39 2.85 | —1.78 |— 7.58| —4.97 | —4.55 Cöslin 3.62 4.77 a era Zar Stettin 3.73 5.00 1.33 | 6.85 | 2.96 | 3.25 Putbus 2.96 4.19 0.62. 5.22, 2.31 1 -2.67 Wustrow 2.87 4.05 1.08 | 5.95 |. —2.89 | —3.00 Rostock 3.33 4.41 0.84 | 6.31| —3.20 | —3.26 Schwerin 3.91 5.00 0.80 | 5.87 | —3.31 | —3.32 Hinrichshagen 3.62 4.85 0.68 |— 6.62 | —3.37 | —3.55 Berlin 4.06 3.39 0.611 667 316 12309 Frankfurt a. O, 4.23 5.83 0.90 | 6.64 | —2.39 | —3.78 Schönberg 3.44 4.69 0.99 | 7.05 | —3.98 | —3.92 Kiel 2.43 4.33 0.52 |— 5.48| —4.52 | —3.58 Otterndorf 4.22 4.74 1.31 |— 5.27| —4.65 | —3.73 Lüneburg. 4.10 51 0.48 | 6.40 | —5.27 | —4.33 Hannover 3.76 3.95 | —0.47 | 8.06) —6.89 | —5.13 Emden 3.20 3.86 0.89 | 6.20) —6.37 | —3.77

vom 2. Juni 1870. 318 Februar 1855 Unterschied

314 | 519 | 10-14 | 15-19 | 20—24 Ä 9

Bas EHI RE 73H 773 8.2—5.60 | —2.41 13.07 634 | —774 | 850| 7.70 | —7.00 | —2.26 13.79 7.79 | —8.98 |— 944 !—10.26| —9.01 | —3.91 15.73 6.39 | —748 |— 9.17 | 8.77 | —8.27 | —2.33 14.51 444 | —441 |— 6.65 | -- 5.64 | —6.15 | —2.85 10.67 744 | —522 |— 844|— 6.14 | —733 | —2.21 13.42 931 | —6.14 |— 9.57 | 710 | —9.07 | —2.84 14.83 9.46 | —6.56 |—10.02 | 8.45 | —747 | —2.15 15.42 —10.21 | —6.76 | —10.56 |— 7.93 | —6.87 | —1.47 15.94 9,73 | —5.38 |— 9.77 | 816 | —6.60 | —0.29 15.11 u g.89 23:48 17.9720 7.43) 8 —7.18:.|: —0.95 12.46 9,87 | —448 |— 832 |— 8.54| —5.86 | —1.24 13.83 7.933| —475 |— 831 |— 9.16 | —5.61 | —1.42 14.32 936 | —4.583 |— 8.91 |— 9.14| —6.36 | —1.74 14.02 480 | —426 |— 8.05 |— 9.26| —5.53 | —1.21 14.36 9.95 | —4.37 | 8.48 | —10.32 | —6.07 | —1.43 15.47 9.04 | —3.41 |— 7.51 |—11.07| —6.20 | —0.68 16.33 8.06 | —2.86 |— 6.78 |— 9.77) —6.03 | —0.22 15.39 6.64 | —3.49 | 7.10 |—10.49| —5.22 | —0.22 15.04 7.56 | —4.50 |— 834 |—10.03| —6.11 | —1.01 14.14 555 | —3.44 | 6.67 |— 9.32| —5.69 | —0.69 12.17 137 | —439 |— 845 | 6.58 | —6.61 | —2.61 13.22 = 7.64 | —472 |— 851|— 7.52 | —6.78 | —2.08 13.51 568 |. —417 | 6.84 |— 71.53| —6.53 | —3.03 11.72 643 | —420 |— 7.07 |— 8.43) —6.72 | —2.56 12.48 6.67 | —a.73 |— 7.03 \— 8.35| —6.94 | —2.14 12.76 7.27 | —450 |— 820 |— 8.75| —7.08 | —2.15 13.75 7.82 | —5.01 |— 830 |— 8.36| —6.91 | —2.39 13.21 8.63 | —5.17 |— 9.02 | 835 | —6.71 | —1.97 14.37 a Bora 59 8,39 —6.00 | —1.91 15.22 7.60 | —5.01 |— 7.34 |— 9.46 | —7.54 | —2.92 14.15 7.00 | —4.70 |— 9.08 |— 9.91| —8.30 | —4.08 14.24 7855| —492 |— 7.95 |— 9.68| —7.61 | —2.51 14.42 8.62 | —426 |— 9.30 |— 9.26 | —7.99 | —1.27 14.41 Een 555 | 894 | —11.45| —7.12 | —2.56 15.40 8,69| —5.11 | 774 |— 9258| —7.10 | —2.09 13.14

374 Gesammtsitzung

Januar 1855

1.1.0 U re ee 11—15 | 16—20 | 21—25 | 26—30 Lingen 3.94 4.41 0.14 | —8.09 | —7.99 | —5.01 Münster 3.55 3.83 | —ı113 | —8.33 | —7.03 | —5.34 Gütersloh 3.40 3.39 | —125 | —8.70 | —6.67 | —5.44 Cleve 3.67 4.02 | —0.21 | —7.25 | —6.66 | —4.80 Crefeld 4.28 3.92 | —0.91 | —7.85 | —6.48 | —5.59 Cöln 3.58 :|- 3.061 1°—1.500] 7.81 | 6.43 | 6.50 Boppard 4.23 3.73: —0.821| CE8:36: 126.18. u 7.34 Trier 3.98 3.56 | —0.39 | —7.76 | 5.10) 56 Brüssel 3.33 3.50 | —0.37 | —5.99 | —5.26 | —4.66 Kreuznach 4.55 423 | —0.31 | 7.86 | —6.06 | 8.42 Frankfurt a. M. 4.20 3.654 0 —0.187| 8:57 225,74 0701 Darmstadt 3.95 STıE 0.980] 2857 u 622 Stuttgard 3.60 1.707. 12—1.211 8.45 12-7.33 82 :9:03 Calw 4.48 2.59 ° | —0.32 | ’—6.77 | —6.79 | 9.01 Ulm 2.68 1.97 | —2.59 | —6.80 | —4.20 | —8.02 Heidenheim 9:89.:11—0.368 175-2.970h 6.89 | 23.76) Be Sie Schopfloch 4.25 3.38 | —3.68 | —6.29 | —5.56 | —8.96 Issny 3.99 0.22 | —1.93 | —5.63 | —2.45 | —6.66 Friedrichshafen Friedrichshafen | 4.19 | 1.22 | —0.50 | —6.79 | —3.23 | —7.15 122%|72.0.5091 6.29 0£-323 | 2495

-In dem Zeitraum von 26 Jahren sich 4mal, nämlich 1845, 1855, 1865, 1870, wiederholende so bedeutende Anomalien müssen natürlich einen Einfluls haben auf die Gestalt der aus einer langen Beobachtungsreihe bestimmten mittleren Werthe. Um die Gröfse desselben zu bestimmen habe ich für 6 Stationen die Mittelwerthe von 1845—1870 bestimmt, und dann die, welche aus 22 Jahren unter Wegfall jener 4 Jahre sich ergeben. Die Unterschiede dieser Mittel sind folgende:

vom 23. Juni 1870. 375

er

Februar 1855

Unterschied

a | en) | 10—14 | 15—19 | 20—24 | a —8.09 447 |, 746 ey —8.09 | —1.48 15.95 —6.58 —4.01 | --7.35 | —11.28| —6.62 | —0.92 15.11 —6.85 | —3.88 | —7.18 | —10.48| —6.31 | —0.86 13.88 7.18 —3.88 | —7.59 | —10.62| —7.14 | —0.69 14.64 6.53 —285 | —7.21 |—10.73| —6.34 | —0.08 15.01 —5.02 —2.73 | —6.57 | —10.49| —6.36 | —0.88 14.07 —5.63 —2.74 | —5.54 | 9.50| —4.91 0.84 13.73 —4.03 —243 | —5.34 | 8.80| —5.14 0.44 12.78 —5.24 —3.71 | —7.63 | 9.39| —6.59 0.40 12.39 Ale, —1.82 | —4.29 |— 8.83 | —4.88 1.12 13.38 —5.62 —235 | —5.47 | 8.67| —4.72 0.04 12.87 —5.25 —1.00 | —4.36 |— 8.19| —3.78 0.74 12.14 3.13 —0.83 | —4.00 | 7.64| —3.63 0.86 11.24 —0.34 0.80, 1.52 | —. 6.981 1.30 1.53 11.04 1.36 0.45 | —0.17 | 6.32| —1.49 1.16 9.00 = .0N = 1609| 2.330 1 1804| 2220.30 1.36 10.56 —1.49 (4.21) | —1.33 | 6.34| —1.80 1.06 10.69

2.16 0.89 0.16 |— 3.17| —0.89 1.97 7.16

0.00 0.13 | —136 | 5.29. —2,38 1.59 9.57

| Claussen | Breslau | Stettin Berlin | Leipzig Gütersloh ——— ee EEE EEE Januar 1—5 0.16 0.26 0.27 0.26 0.33 0.31 6—10 0.79 0.77 0.64 | 0.76 0.73 0.53 11—15 0.49 0.50 0.41 0.44 0.43 0.27 16—20 —0.14 —0.15 —0.20 | —0.19 —0.16 | —0.59 21—25 —0.41 —0.29 —0.32 —0.37 —0.40 —0.51 26—30 —0.48 —0.30 | —0.20 | —0.27 —0.30 | —0.61 Februar 31—4 —1.25 —1.03 —0.98 —0.91 —0.75 —0.61 5—9 —1.55 —1.52 —1.14 | —1.29 —1.27 —0.64 10—14 —1.53 —1.53 —1.47 —2.16 —0.98 —1.44 15—19 —1.15 | —0.834 —0.84 | —0.86 —0.94 = 096 20—24 —0.34 | —0.12 —0.80 —0.80 —0.75 —0.84 25—1 —0,51 0.65 —0.72 —0,66 —0.33 —0.32

[1870] 27

E =. En EEE EEE ra EEE

376 Gesammtsitzung

Die regelmässige Zunahme und Abnahme der Differenzen spricht für sich selbst. Die nach den positiven Differenzen in der ersten Hälfte des Sommers eintretenden negativen, welche in der Mitte des Februar ihren gröfsten Werth erreichen und sich in der Regel den März hindurch fortsetzen, erinnern an die bekannten Witterungsregeln (da zu diesen noch die hinzukommen, in welche

der ganze Januar warm war).

Grüne Weihnachten, weilse Ostern.

If Janiveer Calends be summerly gay ’Twill be winterly weather till the Calends of May.

If the grass grows in Janiveer It grows the worse for all the year.

Quando Gennaio mette erba Se tu hai grano, e tu lo serba

Die Winter, in welchen bereits in der ersten Hälfte des Som- mers die Temparatur erheblich unter ihren normalen Werth sinkt, gehören einer andern Klasse von Wintern an. Hier beginnt die Temperatur-Erniedrigung einen vollen Monat früher, als bei den vorher betrachteten. Vergleicht man z. B. für Breslau den mitt- leren Werth der Winter von 1792, 1795, 1799, 1803, 1805, 1809, 1811, 1823, 1827, 1838, 1847, 1848, 1850, 1854, 1861 mit dem 75 jährigen Mittel von 1791—1865, so erhält man:

December

| | 7-11 12-16 17-21 22726 27 51

JRR IRBNEH VURENFRRIRRRUUINGEL CE 00 DEN En en! allgemeines Mittel —0.05 —0.09 —0.36 —0.14 —0.26 15 strenge Winter 10.39 2.178 —3.65 AN rot

Di Miremu 102 Bien A Wie en Unterschied | —0.27 —2.69 —3.30 —3.88 —41l

Januar

| 1-25" 6-10 711-1516 202125 2650

LE a pr a LI a

allgemeines Mittel| —2.87 —3.45 —3.37 —2.54 —2.35 —1.61 15 strenge Winter | —6.12 —6.44 759. 5.1 —659 3.02

ber || pe ae a Unterschied | —3.25 —2.99 —4.22 —3.17 —4.24 —2.11

Bis tief in den März eingreifende Temperatur-Erniedrigungen, die eigentlichen Nachwinter, beginnen in der Regel in der Mitte

vom 2. Juni 1870. 31

I

des Februar, wobei es aber auch vorkommen kann, dafs ein sol- cher intensiver Nachwinter wie z. B. 1845 sich unmittelbar an einen der ersten Klasse anschliefst. Vergleicht man für Breslau die Winter 1792, 1796, 1800, 1804, 1808, 1814, 1815, 1845, 1853 mit dem 70 jährigen Mittel, so erhält man:

Februar _ | 10—14 15—19 20—24 25—1

allgemeinesMittel]| —1.67° —1.13 —0.60 0.07 9 Nachwinter —9.42 —3.56 —4.01 —5.64

Unterschied Dee, März | 2-6 7-11 12—16 17—21 22—26 27—31 allgemeinesMittel| 0.53 0.75 0.97 1.53 2017 2.98 -9 Nachwinter —3.42 —3.31 —3.11 —2.01 —0.59 1.13 Unterschied an 0 er

während die Winter 1845, 1855, 1865, 1870 folgende Differenzen geben:

Januar | 1-—-5 6—10 11—15 16—20 21—25 26—30 allgemeines Mittel | —2.87 —3.45 —3.37 —2.54 —2.35 —1.61 4 Winter 1.59 4.78 2.49 —0.99 —2.44 —1.49 Unterschied | 446 823 586 155 —0.09 0.12 Februar ' | 83l—4 5-9 10—14 15—19 20—24 25—1 allgemeines Mittel | —1.21 —1.46 —1.67 —1.13 -—0.60 0.07 4 Winter —4.83 —1.37 —8.16 —4.68 —3.81 —1.89 Unterschied 3:62 5:91 57 6.49 23.550 3.21 1.96

Aus der Combination dieser Gruppen allein erläutert es sich, dafs selbst in so langjährigen Mitteln die Winterkälte-ein zweites relatives Minimum im Februar erreicht, welches nicht durch Winter wie 13848 und 1850, wo auf einen sehr kalten Januar ein sehr war- mer Februar folgt, abgeglichen wird.

- Da die Anfänge jener Früh-, Mittel- und Nachwinter grade 20:

378 Gesammtsitzung

in die Mitte des Decembers, Januars und Februars fallen, so konnten sie durch monatliche Werthe nicht gefunden werden.

Eine Ausdehnung dieser Betrachtungen auf andre Abschnitte des Jahres mufs spätern Untersuchungen vorbehalten werden. Hier sollte nur der einzuschlagende Weg angedeutet werden. Aller- dings hat man auch schon früher verschiedene Jahrgänge unter einander verglichen, aber man hat zu lange Zeiträume in Betracht gezogen, um eine gewisse Anzahl mit einander nicht der Zeit nach zusammenhängender Überschüsse zu Wärmesummen zu combiniren, in gleicher Weise von einander getrennte Temperatur-Erniedrigun- gen. Die hier mitgetheilten Untersuchungen zeigen, dafs das Quan- tum hier nicht das Entscheidende ist, sondern die Gestalt der Temperaturcurven in ihrer eigenthümlichen Aufeinanderfolge von Hebungen und Senkungen. Für jetzt ist es freilich nur möglich auf einem verhältnifsmäfsig beschränkten Gebiete solche Arbeiten auszuführen. Durch die consequent durchgeführte Darstellung des innerhalb des österreichischen Beobachtungssystems gewonnenen Materials durch fünftägige Mittel hat Hr. Jelinek es mir mög- lich gemacht, die seit 1848 auf dem Gebiete des preufsischen Be- obachtungssystems gewonnenen Ergebnisse auf einem viel umfassen- derem Terain zu untersuchen. Von der türkischen und russischen Grenze bis zur französischen, von der Nord- und Ostsee bis zum adriatischen Meere wird die Natur in gleicher Weise befragt und hoffentlich wird sie ihre Antwort nicht versagen.

Dem starren Festhalten einer verfehlten Richtung in der Wis- senschaft gegenüber, ist es nun erfreulich zu sehen, dafs in den. Vorstellungen, welches der unbefangene nicht streng wissenschaft- liche Beobachter über die Witterung sich ‚bildet, eine von jenen Irrthümern freie Anschauung sich bewahrt hat. Diese liegt in der Bezeichnung Loostage oder Lurtage. Durch das Wort Tag betheiligt sich allerdings auch er an den vorher gerügten Irr- thümern, aber das Wort Loos spricht es entschieden aus, dals es Tage giebt, an welchen sich das Loos der zu erwartenden Witte- rung für längere Zeit entscheidet, eine Zeit, wo man zu lauern (aufzulauern) habe, um auf das Kommende vorbereitet zu sein.

Als ich für die Abweichungen der einzelnen Jahrgänge von ihrem vieljährigen mittleren Werthe die jetzt allgemein angenom- mene Bezeichnung „nieht periodische Veränderungen“ vorschlug, um eben anzudeuten, dafs das Suchen von. Perioden nicht die ein-

vom 2. Juni 1870. | 3179

zige der Meteorologie gestellte Aufgabe sei, wurde die Bemerkung gemacht, dieser Name sei nicht passend, da möglicher Weise in diesen Veränderungen Perioden verborgen seien. Die hier mitge- theilten Untersuchungen zeigen, dafs eben das Nichtperiodische den Schlüssel giebt für die Erklärung des Periodischen.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Sitzungsberichte der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. Jahrg. 1869. Prag 1869. 8.

W. R. Weitenweber, Aepertorium sämmtlicher Schriften der k. böhm. Gesellschaft d. Wiss. vom Jahre 1769—1868. Prag 1869. 8.

Abhandlungen der k. böhm. Gesellschaft der Wiss. v. ar 1869. 6. Folge. 3. Bd. Prag 1870. 4.

Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft. 12. Bd. 2. Heft. Ber- lin 1870. 8.

Wissenschaftliche Begründung der Rechnungsmethoden des Centralbureaus d. Europ. Gradmessung. Berlin 1870. 4.

F. v. Zieglauer, Harteneck, Graf der sächsischen Nation, und die sieben- bürgischen Parteikämpfe seiner Zeit. 1691—1703. Hermannstadt 1869. 8.

Jos. Trausch, Schriftsteller - Lexika oder biographisch-literärische Denk- blätter der Siebenbürger Deutschen. 1. Bd. Kronstadt 1868. 8.

Archiv des Vereins für siebenbürg. Landeskunde. Nene Folge. 8. Bd. 3.H. 9. Bd. 1. Heft. Kronstadt 1870. 8.

Von der belgischen Akademie der Wissenschaften:

Memoires couronnes. Tome 34. Bruxelles 1870. 4.

Collection in 8. Vol. 21.

Bulletins. Vol. 37. 38. Bruxelles 1869. 8.

Annuaire. Annee 36. 37. Bruxelles 1869. 8.

Collection de Chroniques belges inedites. 3 voll. ib. 1869. 4.

Annales de l’observatoire. Tome 29. Bruxelles 1869. 4.

Quetelet, Observations sur les phenomenes periodiques. ib. 1869. 4.

—, Physique sociale. 'Tome Il. Bruxelles 1869. 8.

Memoires de la societe des sciences naturelles de Strasbourg. Tome IV, 2.

Publikationen d. Archäolog. Instituts in Rom für 1869.

Conestabile, Dei monumenti di Perugia etrusca e romana. Vol. IV. Perugia 1870. 4. mit Atlas.

Garcin de Tassy, Histoire de la literature hindoue. Vol.II. Paris1870. 8.

Nederlandsche Gedichten wit de 14. eenio, witgegeven door F. A. Snellaert. Brüssel 1869. 8.

Bellucci, Sull' ozono Note e riflessioni. Prato 1869. 8.

Bulletin de la societe de sciences naturelles de Strasbourg. Annee 1, no. I 11. Annee 2, no. 1—7. Strasbourg 1868—1869. 8.

380 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

13. Juni. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Olshausen sprach über den gegenwärtigen Zustand der alt-testamentlichen Textkritik und legte die nachfolgenden Bei- träge zur Kritik des überlieferten Textes im Buche Ge- nesis vor.

Cap. 1, 14. Vielleicht ist zu lesen: £r7s;n5, abhängig sammt dem Folgenden von nnd. Indessen scheint die jetzige Lesart schon bei Ps. 104, 19 zum Grunde zu liegen.

24. Die Anordnung ist hier weniger angemessen, als im fol- genden Verse, auch die Behandlung im Einzelnen minder conse- quent; doch mag dies nicht von einer Entstellung des Textes herrühren, sondern der Redaction zur Last fallen.

26. Für yasıy-bası wird zu lesen sein: ya ma=bas3; worauf schon von andrer Seite aufmerksam gemacht ist.

25. noaın nn rasen ist anstöfsig; vielleicht ist der Vers un- vollständig.

30. Vor onleze An scheint "nn zu fehlen.

Cap. 2, 2. wen wird das erste Mal in wein zu verwandeln sein, mit LXX. Sam. Syr.

19. mm Wer ist störend, wie bereits von verschiedenen Seiten anerkannt ist, und mufs wenigstens hier getilgt werden.

20. Für 24x63 ist wahrscheinlich z9x71 zu lesen.

25. Vielleicht war hier Ba°>, beabsichtigt; al ee GE Das Auge irrte leicht auf die folgende Zeile ab.

Cap. 3, 10. Vielleicht war beabsichtigt: xz7ns1; vgl. v. 8.

16. Zu Anfang wird die Bindepartikel 1 vermifst. Statt nm erwartet man etwa: j2yn2. Vgl. deshalb mein Lehrb. 8. 407.

17. Für 2985) war 29854 auszusprechen. mbann ist an- stölsig; man erwartet etwa man ann, vgl. v. 19.

21. Auch hier war e7s5 zu sprechen.

Cap. 4, 4. Ob in jma>raı die Pluralform des Nomen beabsich- tigt war, ist zweifelhaft.

7. DBedenklich ist der kurze und unklare Ausdruck rxb; fer- ner der Gebrauch von nxz7 als mase.; sodann der ganze Inhalt des Satzes: wenn du nicht gut handelst, liegt die Sünde vor der Thür; endlich die genaue und doch unpassende Übereinstimmung

vom 13. Juni 1870. sl

des zweiten Halbverses mit 3, 16. Dals der Text richtig über- liefert sei, ist höchst unwahrscheinlich, ob die LXX., die sich eben helfen mufsten, so gut sie konnten, einen abweichenden Text vor sich hatten, mindestens zweifelhaft. |

8. Eine Lücke am Schlusse des ersten Halbverses anne men ist unvermeidlich, wenn "ax festgehalten wird; es fehlt dann wenigstens: nn 732, das Sam IX. Syr. u. A. er- gänzen. Vielleicht ist aber mit Böttcher statt “an? zu lesen: Sau, er lauerte auf. Ganz in demselben Sinne findet sich freilich die Verbindung mit der Praeposition Us sonst nicht; doch ist eine solche an sich durchaus unbedenklich und überdies wird a& Hiob 14, 16 in demselben Sinne mit %s und 2 Sam. 11, 16 in nahverwandtem Sinne auch mit OR verbunden.

13. Vermuthlich war beabsichtigt: San.

18. Auch das zweite Mal wird Sana zu lesen sein.

22. un ist wahrscheinlich blofs Glossem zu Uhr, welches in die Stelle eingedrungen ist, wo ehemals die Worte u oiz

=x gestanden haben werden.

& 5, 3. Hinter “51 kann 3 nicht wohl entbehrt werden.

23. Statt mM rd mit verschiedenen Handschriften 977° zu lesen sein, wie v. 8. 11. 14. 17. 20. 27.

29. massiy=ya befriedigt nicht; es war etwa Mann naay7n beabsichtigt.

3l. Auch hier wird 79 herzustellen sein; s. zu v. 23.

Er 6, 3. Für m ist vielleicht 755 zu lesen, oder wie Andre vorgeschlagen haben, non. Das räthselhafte ssü2 könnte etwa aus zäh un> entstanden sein: auch er ist mit Fleisch ange- than, d. h. mit Sinnlichkeit behaftet.

4. Das Ganze glossenhaft, aber so, dafs der zweite Halbvers wieder als Anmerkung zu dem ersten erscheint. Mit Jaım8 sollte übrigens die erste Bemerkung ursprünglich geschlossen werden und das Folgende bis emb ist ebenfalls nachträglich bei- gefügt, ohne sich an das Vorhergehende in angemessener Weise anzuschliefsen.

13. yarıınr ist nicht unbedenklich; man erwartet etwa yanıbym.

14. De Lagarde (Onomastica saera I. p. 95) schlägt vor zu lesen: ap 2, womit die ursprüngliche Gestalt des Textes in der That wieder hergestellt zu sein scheint.

352 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

17. © hätte wohl nicht so eng mit Starr verbunden werden

sollen, wie durch die Accentuation geschehen ist; vgl. 7, 6. Cap. 7, 13. nöSs in der Femininform (vor u) wird hier so we nig, als Hiob 1, 4 beabsichtigt gewesen sein.

21. Die Worte yasııoy wann fallen an dieser Stelle sehr auf; auch wird w247 vor denselben ungern vermifst, vgl. 1, 26. 7, 14. 8, 17. Wahrscheinlich ist der Text hier beschädigt und in Unordnung gerathen, wie es ähnlich auch 8, 19 der Fall ist.

23. Die bestbeglaubigte Lesart ma» ist unbedenklich, obgleich auch nz») in Nipral zulässig gewesen wäre.

Cap. 8, 8. Wahrscheinlich fehlen zu Anfang die Worte: m; oybal 2m real oder vielmehr Sms; vgl. v. 10. 12.

10..0In Übereinstimmung mit v. 12 wird rk herzustellen sein.

19. Der Text scheint in Unordnung gerathen zu sein; vgl. zu: d, 21.

Cap. 9, 4. 327 wöesa bleibt immer anstöfsig, hier, wie Lev. 17, 14.

8. Das zweite Hemistich ist unbedenklich; in den an sich klaren Satz zan7 VER UENIN San Tyan ist das erläuternde Glied Ya Um m eingeschoben, in dem Sinne von Um m vs ET,

10. Die Weitschweifigkeit des Ausdrucks ist auffallend und insbesondere erregen das zweite zanx und die Schlufsworte yarınn >> Bedenken. Letztere fehlen in den meisten Hand- schriften der LXX.

26. 27. Der Text bietet mancherlei Anstofs. Am Schlusse von v. 26 mufste man 5 erwarten statt 125, welches hier durch- aus nicht am Platze ist, aber auch nicht durch Versehen aus 5 entstanden sein kann. Übrigens würde auch 55 nicht gut auf 2) bezogen werden können, sondern nur auf SU N mm, was doch schwerlich beabsichtigt war. Das ganze zweite Hemistich ist daher verdächtig, und zwar um so mehr, da es sich v. 27 wiederholt. V. 27 fällt es zunächst auf, dafs Jebe> in Sem’s Zelten wohnen soll, obgleich ihm eigner Raum nicht fehlen kann. Vielleicht würden die Worte eumsnna 161 besser das. zweite Hemistich von v. 26 bilden und auf Jahwz bezogen werden. Dann würde das zweite Hemistich v. 27 bleiben und auf beide Brüder bezogen werden können, während es v. 26 ganz zu tilgen wäre. Doch bliebe der Übergang von Jazpe$ allein auf beide

vom 13. Juni 1870. 583

Brüder zusammen ein unerwartet rascher, und insbesondere be- denklich, dafs K’nasan nicht blofs dem Sem, sondern auch dem Jede> dienen soll, was der Anschauungsweise des Hebraeers zu widersprechen scheint.

29. Ob auch hier mit vielen Handschriften und Ausgaben mr» zu lesen sei, wie bei 5, 23. 31 wahrscheinlich war, ist zweifelhaft.

Cap. 10, 3. Für n2% giebt 1 Chr. 1, 6 n2'7; welche von beiden Formen die richtige ist, läfst sich nicht mehr entscheiden.

4. Dasselbe gilt von 2377 und 2719, wie 1 Chr. 1, 7 ge- lesen wird.

5. Bei Vergleichung von v. 20. 31 wird es wahrscheinlich, dal der Text ursprünglich etwa so lautete: ensaına nay=2a MEN “325; worauf schon anderweit aufmerksam gemacht ist. Die ersten | Worte ca IR 17983 5 mann würden dann wohl als eine in den | Text eingedrungene Randbemerkung zu betrachten sein.

8— 12 mögen spätere Erweiterung des Textes sein, wofür die Art ihrer Einführung spricht, sowie die Erwähnung des Aus- zuges vas’sür’s (v. 11) aus Sinsär. Das zweite Hemistich von v.12 scheint ursprünglich eine auf Nin’w& sich beziehende Randbemerkung gewesen zu sein, vgl. Jon. 1, 2. 3, 3.

13. Wenn auch die z»27> mit den Eranb Nah. 3, 9 u.ö. und den Enab Dan. 11, 43 identisch sein werden, beruht doch die Schreibart hier schwerlich auf einer Entstellung des Textes.

14. Die Worte arme Sin "02 Sun scheinen eine Rand- bemerkung zu dem folgenden Ssahes-pnN zu sein; vgl. Jer. 47, 4. Am. 9, 7, wornach die jetzige Gestalt von Deut. 2, 23 ebenfalls bedenklich erscheint.

15—18. In dieser Aufzählung vermifst man den Namen en, vgl. Ex. 3, 8. Deut. 7,1; vielleicht ist derselbe durch ein Versehen ausgefallen.

19. Der Gebrauch von 79 neben 7>x2 braucht keinen Anstols zu gewähren; Letzteres deutet hier nur die Richtung an, nicht den terminus ad quem. Ähnlich ist Num. 13, 21.

21. Vielleicht ist x177 zu Anfang des zweiten Hemistichs zu wiederholen. Ob ns wirklich durch die Accentuation näher mit ran als mit 78 zu verbinden war, ist zweifelhaft.

93, Statt © giebt 1 Chr. 1, 17 zön, was wegen V.2 und 1 Chr.1, 5 bedenklich, aber nicht nothwendig falsch ist.

984 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

30. zspz 7 fügt sich nicht gut in den Satz ein; vielleicht fehlt > vor dieser Ortsbezeichnung, vgl. v. 19.

31. Anstatt cmya5 war eher cmius zu erwarten; vgl. v..5:20.432. ‚le

Cap. 11, 4. Die Worte m yrzs-j2 schliefsen sich an das Vorher- gehende nicht gut an, wenn £U hier die Bedeutung von Namen, Ruhm haben soll.

30. 5, nur hier, und als K’ Si? in einem Theile der Hand- schriften 2 Sam. 6, 23, beruht entweder auf einer zufälligen Ent- stellung des Textes, oder ist als eine dialectische Eigenthümlich- keit des Schriftstellers anzusehen.

31. 2 ist anstölsig; man erwartet 27 im Singular, wie der Syrer liest. Sam. LXX. Vulg. geben dafür cnn nm.

Cap. 12, 3. Vielleicht war der Plural meer beabsichtigt.

6. Die zweite Ortsbestimmung 772 Pos 9 ist. vielleicht nachträglich eingefügt.

16. Die Knechte und Mägde scheinen durch irgend ein Ver- sehen an die verkehrte Stelle gerathen zu sein, zwischen die Esel und Eselinnen. Vielleicht waren sie ursprünglich gar nicht mit erwähnt.

Cap. 13, 10. Die einzelnen Angaben im zweiten Hemistich sind nicht gut geordnet und zum Theil auch ihrem Inhalte nach be- denklich. Die Worte mAasnsı EFOnN mim nad "eb scheinen ursprünglich eine Randbemerkung gewesen zu Sein. Das Fol- gende mülste sich gleich an das erste Hemistich anschlielsen; aber neben mm=jas ist SAsn YR3 überflüssig und selbst an- stöfsig. Die letzten Worte “22 mas bilden auch für den sicher echten Theil des Verses einen passenden Schluls: „denn sie war wasserreich gleich dem Garten Jahwx’s bis nach Gösar hin.“

11. Statt 2772 sollte man maqp erwarten, doch läfst sich jenes vielleicht rechtfertigen.

Cap. 14, 1. 2. Wahrscheinlich ist nach älterem Vorschlage zu lesen: "3 Soyanı SAaR ana 15 worauf dann die beiden Verse hätten zu einem einzigen verbunden werden sollen. Das zweite Hemistich von v. 2 ist vielleicht erst später hinzugefügt, wobei versäumt wurde die Praeposition gehörigen Orts zu wiederholen.

4. Das Subject ist nicht näher bezeichnet; doch braucht dar- aus nicht gerade auf eine Lücke im Texte geschlossen zu werden. Wahrscheinlich ist aber mit dem Samarit. zu lesen: maasmöbunn.

vom 13. Juni 1870. 385

5. Der Ortsname =7 beruht vielleicht auf einer Entstellung des Textes. Die LXX. sprachen 272 aus statt zi72, das ihnen fremd sein mochte, trafen damit aber schwerlich das Richtige. Hieronymus (Quaestiones Hebr. in libr. Genes., p. 22 sq. Lagarde) las ana; vielleicht war ursprünglich nar2 geschrieben.

9. Der ganze Vers mit der Umstellung der Zahlen am Schlusse ist wohl als ursprüngliche Randbemerkung anzusehen.

12. Die Worte eyss 'ma7ja stehn an der unrechten Stelle und sind vielleicht blofs Randbemerkung gewesen, die mit v. 14. 16 nicht ganz übereinstimmt.

14. Der Cod. Sam. hat p91, er musterte, was möglicher- weise das Ursprüngliche war. LXX.: 7: Surre.

15. Nicht ohne Grund hat man an par Ansto[s genommen;

mit dem dafür vorgeschlagenen an ist vielleicht das Richtige _ | getroffen. | Cap. 15, 2. Das zweite Hemistich ist unverständlich und die Er- | klärung des p&a”js durch „Erbe“ unzulässig. Die Worte sn pwa3 haben das Ansehen einer Randbemerkung zu dem dunkeln Ausdruck p&ön. Was hier etwa erwartet werden durfte ist im folgenden Verse gesagt und wird durch znax "any so eingeführt, als wenn es sich unmittelbar an v.1 anschliefsen sollte. Die

Dunkelheit von v.2 mag die spätere Anfügung von v. 3 ver- anlafst haben, eine Herstellung des unklaren Hemistichs aber wird kaum mehr möglich sein.

‚4. Für mm war vielleicht “71 beabsichtigt.

10. Die Worte 1727) rnap> Ianamdn ;mm sind unbedenklich: „und legte eins (nemlich) das Stück davon dem andern gegenüber.“ Es ist s. v. a. 97 nnp> Um vuanam mM.

12. as und maUr neben einander sind sehr anstölsig; eins oder das andre wird Glossem sein, wahrscheinlich das Letztere. LXX.: $2ßos ozorswos, was nicht zu billigen ist.

13. Der Name mn scheint hinter ax» ausgefallen zu sein. | 19—21. Man vermilst hier die "Hiwwiter (77), deren Name

vielleicht nur durch Versehen ausfiel.

Cap. 16, 5. Das zweite » in an ist schon in der officiellen Grundlage der jetzigen Gestalt des Textes in Übereinstimmung mit der herrschenden Sehreibweise durch übergesetztes Punctum getilst. .

386 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

13. Das zweite Hemistich giebt keinen klaren Sinn, auch dann nicht, wenn man »s4 in "sa umändern wollte. Die Rich- tigkeit des Textes bleibt daher zweifelhaft. De Lagarde (Ono- mast. sacra II. p. 95) will ==7 streichen, was bedenklich ist. Eher könnte Sı7 zu tilgen sein, entstanden etwa aus Sa, das hinter xapm1 einen passenden Platz gefunden hätte. Die vor- handene Unklarheit wird indessen durch Änderungen dieser Art nicht gehoben.

14. Der Name des Brunnens ist nach Form und Sinn un- klar, aber Änderung kaum zulässig. Hinter n:7 ist vielleicht n“r7 ausgefallen, oder auch m:37 zu lesen.

Cap. 17, 10. Wahrscheinlich ist zu lesen: »n’ya nis rt; vgl. v.1l und 9, 12. Die Worte ITS enr par sind überflüssig, vgl. v. 11, und vielleicht nachträglich aus v. 7 ergänzt. Das zweite Hemistich ist unbedenklich.

Cap. 18, 3. Ursprünglich mag die Aussprache „Ss beabsichtigt gewesen Sein.

9. Das Wort 6x hat einst durch die darüber gesetzten Puncte getilgt werden sollen, zwar unnöthiger Weise, aber im Anschlufs an das nach einer älteren Handschrift bereits verbes- serte Exemplar, das zu officiellem Ansehen gelangte.

10. sm hätte wohl mit den LXX. als Feminin punctirt wer- den sollen.

12. Man hat zu erklären: „ist mir (denn), nachdem ich alt geworden, Liebeslust zu Theil geworden, während mein Herr alt ist?* Eine Änderung des Textes ist unnöthig.

19. Das erste 7925 erschwert das Verständnifs sehr und ist vielleicht nur durch ein Versehen in den Text gerathen. Das zweite Hemistich würde besser fehlen, doch kann es zur Noth ertragen werden.

20. Zu Anfang der Rede mag nad ausgefallen sein. Vgl. de Lagarde, Onomast. sacra II. p. 95.

21. Das Singularsuffix in mnpyxa7 kann richtig sein, obgleich v.20 zwei Städte genannt waren; gemeint wäre S’öom, das auch im Folgenden allein hervortritt. Die Punctatoren behan- deln 7227 nicht als Particip, sondern als Perfect mit dem Ar- tikel statt der Relativpartikel; ob mit Recht, ist fraglich. Statt >> war vielleicht 2b2 beabsichtigt. y78 ist zwar entbehrlich, aber doch erträglich.

vom 13. Juni 1870. 387

24. cipa als Fem. gebraucht, was wenigstens sehr selten ist. Vielleicht ist aber das Suffix auf das vorhergehende y7 zu beziehen, oder auf das dem Schriftsteller im Sinne liegende 250, vgl. 19, 13.

Cap. 19, 4. 240 os ist vielleicht nur Glossem zu den vorher- gehenden Worten.

9. Dasselbe gilt von dem Worte vo" 2.

12. nr, im Singular und ohne alle nähere Bestimmung, ist an sich und bei Vergleichung von "nm v. 14 sehr anstöfsig. Wahrscheinlich ist der Text beschädigt.

13. Vielleicht war nnp9& beabsichtigt, wie 18, 21. Das Fe- mininsuffix bezöge sich dann, wie das am Ende des Verses, auf =50, welches mit den Worten }7 Eipa gemeint ist.

16. Die Praeposition in roarıa erregt Bedenken; beabsichtigt war wohl eher naar 12.

17. Statt as erwartet man vielmehr aut. Die Worte mass sind unbedenklich, wenngleich über die Erklärung ge- stritten werden kann.

19. Der Übergang in die singularische Anrede kann nicht auf einer Entstellung des Textes beruhen und ist lediglich der Redaction zuzuschreiben.

24. oraimn ist vielleicht nur Glossem zu den vorhergehen- den Worten, deren Echtheit nicht so leicht bezweifelt werden kann.

26. Amon statt unb nun gewährt keinen erheblichen Anstols.

s0. Der Artikel in ee fällt auf; es kann indessen damit auf eine zur Zeit der Abfassung dieses Theils der Gen. hin- reichend bekannte Höhle hingedeutet sein.

33. Man hat in Übereinstimmung mit v. 35 ann nar> >2 her- zustellen; vgl. zu 30, 16.

Cap. 20, 6. Die Schreibart on beruht vielleicht nur auf einem Versehen.

12. max = zıas scheint durch Jos. 7, 20 hinreichend geschützt.

16. Das zweite Hemistich ist völlig unverständlich und ohne Zweifel stark entstellt.

Cap. 21, 6. 7. Diese beiden Verse sollten vielleicht vor v. 3 stehn.

12. Der Ausdruck im zweiten Hemistich ist nicht ganz klar, kann jedoch richtig sein.

383 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

14. Wahrscheinlich ist zu lesen: ram Sayın ins emb-mpn [1 om Zoe“ nn" ir > masu-s9 a) ma Dem steht u das un v. 15 nicht entgegen, da bei dieser Fassung über die Art und Weise, wie der Knabe fortgebracht wurde, gar nichts aus- gesagt ist.

20. Statt röp man wird nach Jer. 4, 29 zu lesen sein: nd man.

22. Die Worte insy-yo SarEN gehören schwerlich hieher und mögen unpassender Weise aus v. 32 nachgetragen sein.

25. Von dem Brunnen war bisher nicht die Rede; die Be- zeichnung desselben als eines schon bekannten fällt der Redaction zur Last.

33. Abrahams Name ist vielleicht ausgefallen.

Cap. 22, 13. Statt ms ist mit Sam. LXX. Syr. u. a. mn zu lesen und dann wohl die Lesart i7x>, der äufserlich besser be- glaubigten Lesart mx}, vorzuziehen.

14. Das zweite Hemistich ist vermuthlich ein späterer Zusatz, dessen Fassung nicht gut gelungen ist.

21. Die Abweichungen von den Angaben Cap. 10, 22 beruhen nicht auf Entstellung des Textes.

Cap. 23, 1. Der Schlufs ist ganz überflüssig und mag als Inhalts- angabe einst am Rande gestanden haben.

5. Wegen :b "and s. zu v. 13. |

10. Die Construction "i} 555 ist einigermalsen anstölsig und vielleicht dieser ganze Schlufs später hinzugefügt. Vgl. zu v. 18.

1l. Vel. zu v. 13.

13. Hinter nax-en 78 werden einige Worte ausgefallen sein, wie etwa: nayrey Tom mo>. Ähnliches dem Sinne nach suchte Hitzig (Begriff der Kritik, S. 141) auf andrem Wege zu gewin- nen. "5 mit dem Imperativ nur hier und an sich bedenklich. Hitzig (a. a. O., 8.140 f.) will freilich auch v. 6 »2nW »5 her- stellen, indem er das schliefsende "5 des vorhergehenden Verses heranzieht, verfährt ebenso bei v. 14. 15, wo "saV TR » ge- lesen werden soll, und liest endlich v. 11 mit etwas anderer Orthographie $ »>4x-»>b. Die Gleichartigkeit in allen vier Stel- len, die auf diese Weise erreicht wird, ist sehr ansprechend. Man hätte anzunehmen, dafs die Verbindung von »> mit dem Imperativ ehemals zulässig war, aber frühzeitig aufser Gebrauch kam, wodurch denn die Umgestaltung .von v. 6. 11. 15 veranlafst

vom 13. Juni 1870. 389

wurde. Nur hier (v. 13) liefs sich ein ähnliches Verfahren nicht wohl anwenden; denn die Veränderung von »5 in °5 bei den LXX. verdient wenig Lob. Im Übrigen wäre die Verbindung 5 =ianb v.5. 14 an sich nicht verwerflich; ganz ähnlich ist Lev. 11, 1 cmas "and.

14. Wegen 55 "and vgl. zu v. 13.

18. 553, ebenso anstölsig wie 555 v. 10; man erwartet etwa: 23 mn

19. an wm won fällt auf neben v.2 und 13, 18, wozu auch 35, 27 zu vergleichen ist. Hier mag ursprünglich der Name xynn allein im Texte gestanden haben.

Cap. 24, 30. as mar ohne Subjeetsausdruck braucht keinen An- stofs zu gewähren.

82. Vielleicht war x221 beabsichtigt, wie J. D. Michaelis le- sen wollte.

33. Der Änderung im Q’ri, Sion statt 2091, hätte es viel- leicht nicht bedurft, wenn Letzteres activisch gefalst werden konnte. Im entgegengesetzten Falle wäre die Passivform auch | wohl 50, 26 herzustellen gewesen. Die Punctation cur» ist übrigens verwerflich.

38. norer ist unbedenklich.

39. an, defectiv geschrieben, wahrscheinlich auf Veranlassung von ax v. 40.

55. Vor ann ist vielleicht Wr ausgefallen; vgl. 29, 14.

62. "a aan na ist sehr anstölsig. Sam.: 1 83 "aaa 83; LXX.: Zrogsvero die TS Eon inov Zara To esag art banseus. Auch dies sagt wenig zu. Houbigant: aan Asa Ein na, vgl. 25, 11; vielleicht richtig. Auch “x=2» x2 könnte genügen und daraus würde sich die vorliegende Entstellung des Textes am einfach- sten erklären; s. de Lagarde, Onomast. sacra II. p. 9.

67. Hinter mon fehlt wahrscheinlich: x.

Cap. 25, 13. tina fällt nach dem Vorhergehenden auf, wird aber nur von nachlässiger Redaction herrühren.

15. Die Lesart 777 verdient den Vorzug vor der Lesart 77; vel. 1 Chr. 1, 30. Ob ursprünglich “7 beabsichtigt war, bleibt zweifelhaft. Die Localform 27p fällt zwar auf, wird aber doch beizubehalten sein.

18. namen hält Nöldeke (Untersuchungen zur Kritik des A.T. S.26. Anm.1) für verdorben, wozu kaum hinreichender Grund

390 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

vorhanden zu sein scheint. Am Schlusse findet sich eine Lücke. Man erwartet etwa: momım »>-m>z3 oder onyausb meer mom. "2

22. Ob das erste Hemistich vollständig erhalten sei, ist zwei- felhaft; vielleicht lielse sich am Schlusse desselben 75x ergänzen.

26. Auch hier war eher #727) zu erwarten, wie v.25}

25. Sam.: Am, vielleicht richtig, wenn auch nicht grade nöthig.

Cap. 26, 2. 3. Der Widerspruch zwischen den beiden Befehlen fällt ausschliefslich der Redaction zur Last. Die ganze Stelle v.2—5 ist später eingefügt; vgl. Hitzig, Begr. der Krit. $.169 f.

12. Statt orasö drücken LXX. Syr. cmsin aus; vielleicht richtig.

25. missa und gleich daneben *>">"2 braucht keinen Anstofs zu gewähren, ist vielmehr ganz angemessen, da das Pluralsuffix in beiden Formen nicht die gleiche Geltung hat.

Cap. 27, 3. Das K’Si0 nz (neben x v.5. 7) beruht wohl auf einem Versehen, wozu das vorhergehende "21 Anlafs gab.

24. Die Auslassung der Fragepartikel ist unbedenklich.

29. Das K’Siß nnwm beruht wohl nur auf einem Schreib- fehler.

31. Die Punctation 27» fällt auf; man erwartete eher zz, doch läfst sich auch jenes rechtfertigen.

33. 34. Hitzig, Begriff der Kritik S. 126 ff., will lesen: sada m jiaateı; wahrscheinlich mit Recht.

39. Der Vers bildet ein Gegenstück zu v. 28 und na steht hier in der Bedeutung von ohne. Obgleich man den Gegensatz zu v. 23 gern schärfer ausgedrückt sähe, darf doch die Richtig- keit des Textes schwerlich bezweifelt werden. |

40. Der Sinn von an ist so dunkel, dafs man auf eine Entstellung des Textes schliefsen darf. Die LXX. sprachen dafür AR, womit Nichts gewonnen ist. Im Übrigen ist dort iviz av und &x?.vreıs zu lesen.

42. cerına scheint durch Jes. 1, 24 hinreichend gerechtfertigt.

44. 45. Der Schlufs von v. 44 und der Anfang von v. 45 können kaum neben einander bestehen. LXX. blols: ws Foo amoorgs cu Tov Sunov zu Fuv oaynv To aderdboV ou mo vol.

46. Die Minuskel rührt von einem Versehen her, durch wel- ches das zweite p ausgelassen war. Erst rm-niswa und dann

vom 13. Juni 1870. 391

noch ya Phaa ist sehr anstölsig, Die LXX. lassen das erste weg.

Cap. 28, 11. cipe2 ist anstölsig, da keine Ortsbezeichnung vor- hergeht, auf welche sich das bestimmte Nomen beziehen könnte. Vielleicht ist thpaa (oder mn Eipa2) zu lesen.

22. Der Übergang in die zweite Person im zweiten Hemistich beruht nicht auf Beschädigung des Textes, sondern auf unge- schickter Redaction.

Cap. 29, 2. 28771 richtig; es ist der Stein, mit dem die Öffnung des Brunnens regelmäfsig verschlossen wird.

9. Vor imı=ja ist vielleicht Sxinama ausgefallen.

10. Das dreimalige van ss fällt auf und kann zum Theil auf blofsem Versehen beruhen.

24. Die Wortordnung weniger natürlich, als v.29, doch viel- leicht erträglich.

Cap. 30, 11. DBeabsichtigt war ohne Zweifel 732; vgl. v.13 »Süna, wobei der Umstand, dafs dort ein Pronominalsuffix angehängt ist, von keinem Belang ist, weil dies von dem Unterschied der Bedeutungen von =: und "un herrührt.

15. Ampb3, als Infinitiv mit der Praeposition 5 punctirt, läfst sich vertheidigen; möglich ist aber, dafs ursprünglich Ama im Perf. beabsichtigt war.

16. s»7 für sim, wie 19, 33, auch hier wahrscheinlich nur Schreibfehler; vgl. noch zu 32, 23. 38, 21. 1 Sam. 19, 10.

20. on gewährt Anstofs; vielleicht stand ursprünglich "nnisy da.

3l. Statt Soun wird Yaunı zu lesen sein.

32 —36. Die Bestimmung des Lohns ist nicht ganz klar und jedenfalls unvollständig, indem des künftig fallenden bunten Viehs hier gar nicht gedacht wird. Auch das Verfahren bei der Aussonderung des bunten Viehs bleibt undeutlich; die erste Person Sa»3 v. 32 stimmt nicht zu v. 35. 36, wo Laban Subject ist. Dies alles wird aber Schuld der Redaction sein und nicht auf Beschädigung des Textes beruhen. Gleiches gilt von dem Wechsel der, Ausdrücke p) v. 32. 33 und Empsn v. 35, in welcher Hinsicht auch v. 39. 40 und 31, 8. 10. 12 zu ver- gleichen sind.

37. Statt Dem durfte man mispa erwarten und auf diesen Pluralbegriff bezieht sich jedenfalls das folgende jn2, obgleich [1870] 28

92 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Goa rispm sonst masc. ist, Zach. 11, 7. 14. Statt gie wäre etwa een erwünschter; vielleicht war auch eine andere Aus- sprache beabsichtigt.

38. Die Worte zyaz rinpgaund vielleicht auch die darauf folgen- den bis einschliefslich N haben das Ansehen einer Randglosse, die dem ursprünglichen Texte fremd war. Die auffallende Form n»amn wird doch schw erlich anzufechten sein; vgl. zu v.41.

40. Die Darstellung ist unklar und nicht ohne inneren Wi- derspruch, welcher durch Ausstolsung der Worte 7m] u. Ss. w. (bis zum Ende des ersten Hemistichs) gehoben werden kann. Von gefleckten Thieren, die in Labans Heerde bleiben, ist dann nicht die Rede. Jene Worte mögen durch ungeschickte Über- arbeitung in den Text gekommen sein. Der Vorschlag Tps-ER in Tes-ba zu verwandeln ist nicht Unben nEBT eher wünschte man der Conformität halber Tasbn- En.

41. Das Aceusativ-Suffix in an ist in hohem Grade an- stölsig. Man wird versucht etwa nama zu schreiben, vgl. v. 88; allein der Gebrauch von 5 als Conmnetieh ist dem Hebräischen fremd. Es mag daher eher ein Fehler in den Consonanten stecken, der durch die Nachbarschaft von v. 38 leicht veranlafst werden oe

Cap. 31, 9. Das Suffix in z2=s, statt der Femininform verwen-

det, N nicht auffallen, wenn nicht letztere v. 6. 7 gebraucht wäre. Der Mangel an Übereinstimmung wird der Redaction zur Last fallen.

13. En vor dem Genitiv ist unzulässig; wahrscheinlich ist hinter dem Worte eine Lücke anzunehmen und etwa in der Weise auszufüllen, welche die LXX. an die Hand geben.

18. Die Worte weR mp2 u. 8. bis zum Schlusse des Hemistichs gehören wohl dem are Texte nicht an.

20. ist hier eigenthümlich gebraucht; doch braucht die Richtigkeit des Textes nicht bezweifelt zu werden. Man erkläre: „Jakob täuschte den Laban, darum dafs er“ d.h. „inso- fern er“ oder „indem er“ „ihm nicht anzeigte, dals er fiehen (davon gehn) wollte“. Das Ungewöhnliche des Aus- drucks sucht der Samaritanische Text zu meiden, indem er “> statt giebt, was schwerlich vorzuziehen ist. Dafs Laban hier (und v.24) wieder als „der Aramäer“ bezeichnet wird, ist zwar sehr überflüssig, aber lediglich Sache der Redaction.

vom 13. Juni 1870. 393

30. Das zweite Hemistich hätte wohl, als Rede Labans be- zeichnet, hinter v. 31 stehn und dann v. 32 als Worte Jakobs eingeführt werden sollen; doch wird auch hier lediglich die Re- daction ungeschickt sein.

32. Die Construction xxan Non statt np nyam SöN ist sehr bedenklich, Abhülfe aber nicht leicht zu gewinnen.

39. Die Worte miöpen "72 werden wohl an das Ende des Verses gehören. Auch mag mNDmN statt der syncopirten Form herzustellen sein.

40. Das isolirt da stehende nor fällt auf, doch läfst es sich vielleicht rechtfertigen.

44. Vielleicht sind vor dem zweiten Hemistich einige Worte ausgefallen, wie etwa: San "nos.

45—54. Die Erzählung wird hier sehr verwirrt, indem zwei- erlei Relationen in nicht geschickter Weise mit einander ver- schmolzen sind. Für mp1 v. 46 wird nach einem älteren Vor- schlage, unter Zustimmung von de Lagarde (Onomast. sacra II. p. 95), op6m1 herzustellen sein. Eine Beschädigung des Textes, die nicht der Redaction zur Last fallen kann, zeigt sich v. 49 zu Anfang, wo nexem aufserhalb aller Satzverbindung steht und die Anknüpfung an das Vorhergehende und das Nachfolgende gleich mangelhaft ist. Eine Wiederherstellung des ursprüng- lichen Textes scheint unmöglich. V.50 haben die Worte Eman TOR ganz das Ansehen einer in den Text eingefügten Randbemerkung.

Ban. 82, 7. Wahrscheinlich ist zu lesen: ‚AANIP> Nr on SM.

9. Statt Ras ist ms zu schreiben, da das Wort ira hier sonst als Masculin behandelt ist.

23. s. zu 30, 16.

31. 32. Der Wechsel der Formen =: und Inne beruht auf zufälliger Entstellung.

33. Ein Subjectsausdruck bei >32 wird ungern vermilst und ist vielleicht durch Versehen oder in Folge einer Beschädigung des Textes ausgefallen.

Cap. 33, 4. Vielleicht war ursprünglich ne mit Singularsuffix beabsichtigt. Die Puncte über dem Worte inpem sollten die ‚Tilgung desselben andeuten, welche aber von der bei der Punctation zum Grunde gelegten Tradition mit Recht nicht an- erkannt wurde.

28*

394 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

90. Für einen Altar scheint der angeführte Name so wenig passend, dafs man geneigt sein könnte zu lesen: "a ENG NP. Ähnlich die LXX.: zu: Zrezaresaro Tov Deov Irgev... Doch ist es sehr zweifelhaft, ob damit das Richtige Behafien wäre, da eine Namengebung beabsichtigt gewesen sein wird, welche nur bei der Redaction mifsverstanden wurde. Übrigens vgl. zu.'355 7:

Cap. 34, 13. Das zweite Hemistich steht offenbar an ungehöriger Stelle. Zur Noth könnte es hinter den Namen c£>s% treten; wahrscheinlicher ist, dafs es eine freilich sehr überflüssige Randbemerkung war, die in den Text eindrang. Ganz unzu- lässig ist aber auch in seiner jetzigen Stellung das Wort 927715 jeder Anstofs wäre beseitigt, wenn es mit may2a den Platz tauschte.

23. mans neben nıpa ist nicht anstöfsig; es bedeutet hier lediglich das Lastvieh, wie 36, 6 u. ö.

24. Die Wiederholung der Worte nah=bs fällt auf und beruht vermuthlich auf einem Versehen. Die LXX. lassen die Worte aus.

25: mus, zu er gehörig, hat denselben Sinn wie etwa: mus n25n m. Die Ausdrucksweise ist befremdlich, doch scheint der Sprachgebrauch gesichert; vgl. besonders Ez. 30, 9 und die analogen Fälle Hab. 2, 19. Prov. 5, 25.

97. Man vermifst zu Anfang die Bindepartikel, welche LXX. und Andre ergänzen. Ob das zweite Hemistich an der rech- ten Stelle stehe, ist zweifelhaft.

29. 21 wäre wohl zum zweiten Hemistich zu ziehen, dann aber ch nn statt des folgenden ra) zu schreiben gewesen.

Cap. 35, 7. Der Ort, um den es sich hier handelt, hat sicher nur den Namen onmıs (nicht Dn-pna Ss) geführt. Es wird hier ein ähnliches Milsverständnifs der Quelle obwalten, wie bei 33, 20. Der Plural Joy wird der Quelle entnommen und die Abänderung in den Singular nur aus Unachtsamkeit unterblie- ben sein.

16. vpms neben ariopr v. 17 braucht keinen Anstol[s zu ge- währen.

22. Am Schlusse des Verses ist eine Lücke anzunehmen, die sich auch äufserlich kenntlich macht.

vom 13. Juni 1870. >99

26. Vielleicht war 351755 beabsichtigt, wie 36, 5. yes ann pafst nach v. 16 nicht auf Josep; die Ungenauigkeit fällt aber der Redaction zur Last.

27. Vgl. zu 23, 19. Auch hier mag »ayn7 np und an aa nachträglich in den Text aufgenommen sein, oder doch, wenn 23, 19 mafsgebend sein kann, Ersteres allein.

Cap. 36, 2. 3. Der Widerspruch zwischen der Bezeichnung man 92» und der folgenden Aufzählung, die nur zwei kenaanitische Weiber und ursprünglich wohl nur ein solches erwähnt, desgleichen die Abweichungen von 26, 34. 27, 46. 28, 9 hin- sichtlich der Eigennamen, werden von der Redaction verschuldet sein. Übrigens war hier (und v. 14) anstatt jyarnz nach hebr. Sitte vielmehr 2-73 zu erwarten, da m:2 der Sohn des Gisön (oder Ci£‘son) ist, nicht die Tochter; s. v. 24. Doch wird nicht etwa mit den LXX. x”'2 herzustellen sein; vielmehr ist x-r= als eine gegen die herkömmliche Form solcher genealogischer Angaben verstofsende spätere Ergänzung zu betrachten, wel- che entweder durch ein Mifsverständnifs von v. 25 veranlafst ist, oder auf einer von der Stammtafel v. 20 ff. abweichenden Überlieferung beruht. Eine nachträgliche Ergänzung gleicher Art findet sich v. 39. Statt "za war nach v. 24, vgl. mit v. 20, rn zu erwarten; die jetzige Lesart beruht wahrschein- lich auf einem Versehen oder auf zufälliger Beschädigung des Textes.

5. Mit dem Q’ri ws> (hier und v. 14) stimmt v. 18 und 1 Chr. 1, 35 überein.

6. Wegen mar2 neben mıpn s. zu 34, 23. Hinter PORTan ist unzweifelhaft der Name des Landes ausgefallen, wahrschein- lich 22, wie der Syrer ergänzt; indessen vgl. man Nöldeke, Untersuchungen $. 30 Anm.

8. Die letzten Worte vielleicht ursprünglich blofs Rand- bemerkung.

10. Warum die Söhne der dritten Frau hier übergangen und erst v. 14 nachgeholt werden, ist unklar; doch ist kein Grund vorhanden, an eine Entstellung des Textes zu denken.

11. Statt ex (hier und v.15) giebt 1 Chr. 1, 36 »zx.

13. Wie die Bedeutung der Namen n72 und MIT einen ge- wissen Gegensatz bildet, so mag auch bei den beiden folgenden Namen (hier, sowie v. 17 und 1 Chr. 1, 37) etwas Ähnliches

396 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

beabsichtigt und deren ursprüngliche Gestalt 7=& und 72 (dort- hin und von hier) gewesen sein.

14. Velez zu v.2. 3 und 5.

15. Das K’Siß “an kann nur auf Entstellung beruhen. Wegen ex s. zu v. 11. Tıp war nach v. 11 und 1 Chr. 1, 36 eher im folgenden Verse zu erwarten.

16. Die Erwähnung von np an dieser Stelle scheint auf irgend einem Irrthume oder ungeschickter Interpolation zu be- ruhen; vgl. v. 18, womit v. 14 (und 1 Chr. 1, 35) überein- stimmt.

20. »“nä, Ci@söns Bruder, hier und v. 25, und »?nä, Gil- »öns Sohn, v. 24, sind ursprünglich wohl identisch; die verschiedne Stellung, welche der Repraesentant eines und desselben Stammes oder Geschlechtes in verschiedenen Geschlechtsregistern einnahm, hätte hier nicht die Aufführung zweier Personen gleiches Na- mens veranlassen sollen. Derselbe Fall wiederholt sich bei Disön, dem Bruder (v. 21) oder Sohne (v. 25) des s*na. Übri- gens ist zu beachten, dafs die Handschriften der LXX. zum Theil zwischen ’Av« v. 20. 25 und wa, 'Qvas oder ’Qvar v. 24 auch einen formellen Unterschied machen.

21. Statt sis nennen die LXX. hier und v. 28. 30 ‘Pırwv (oder ‘Pzowv).

2%. Für =a°7 giebt 1 Chr. 1, 39 znin.— Auffallend ist, dafs hier (und in der Chronik) die Schwester Lotäns nach dessen Söhnen, und nicht, wie sonst üblich, nach ihren Brüdern auf- geführt wird.

23. Statt sew bietet 1 Chr. 1, 40 »Ew.

24. Vor ms ist vielleicht ein Name ausgefallen; doch kann die Bindepartikel, welche bei den LXX. Sam. Syr. und auch 1 Chr. 1, 40 fehlt, auch blofs von einem Versehen herrühren. Das Wort zo7, welches schon als eraE eyouevov die Aufmerk- samkeit auf sich zieht, läfst sich - mit einiger Sicherheit nicht mehr erklären und setzte bereits die alten Übersetzer in Ver- legenheit. LXX.: rov ’Ianew; Sam. Onk. drücken zraum aus, vgl. Gen. 14, 5. Deut. 2, 10. 11, Syr. zv27. Die Erklärung der Vulg. durch aquae calidae etymologisch zu rechtfertigen will nicht gelingen. Bei unsrer Unbekanntschaft mit der “höritischen Sagengeschichte ist es natürlich nicht möglich zu ermitteln, was »2n& in der Wüste gefunden; vielleicht fand er ganz einfach

vom 13. Juni 1870. 397

zargon, seinen Vetter, v. 22, mit welchem irgend etwas Unge- wöhnliches vorgegangen sein mag, das längst vergessen war, als die jetzige Aussprache des Textes festgestellt und mit Übersetzung desselben begonnen wurde.

25. Die ersten Worte lassen mehr als den einen Namen 757 erwarten; doch s. ähnliche Fälle 46, 23. Num. 26, 8. 1 Chr. 1, 41. 2, 8. Übrigens vgl. in Bezug auf diesen zu v.20.— Das zweite Hemistich steht mit v. 2. 14 in Folge der dort nachge- tragenen Bezeichnung js=23"n2 in Widerspruch, da es nicht zwei- felhaft sein kann, dafs der hier genannte »’na der Bruder des CiCsön (v. 20), nicht dessen Sohn (v. 24) sein soll. Bei dem Nachtragen der Worte x-ns v. 2. 14 mag die hier vorliegende Stelle des 'höritischen Geschlechtsregisters benutzt, aber mils- verstanden sein.

26. Hier war statt 757 ohne Zweifel 15°7 zu nennen, vgl. v. 21; Disän folgt erst v. 28 an geeigneter Stelle. LXX. rich- tig: Aysar. Auch 1 Chr. 1, 41 steht das Richtige; statt = wird aber dort j%7 geschrieben. |

27. Statt ;p>ı wird mit Rücksicht auf Num. 33, 31. 32. Deut. 10, 6 jp»>7 zu lesen sein. Auch 1 Chr. 1, 42 steht jp2S, wo nur die Bindepartikel vor dem Namen wieder herzustel- len ist.

28. 30. Wegen jö"7 vgl. zu v. 21.

32. Die Form „oa (hier und 1 Chr. 1, 45) ist unverdächtig, wenn auch die Person mit dem -isa"j2 z»b3 identisch ist.

35. Für 72 geben die LXX. Basaö, für an Ter>ada (oder T': SSeia) h

36. LXX.: Nauadz oder Iaranı, und Massizze (oder Mea- Gert). h

39. LXX.: 'Agaö (oder "AgaT) vies Ba3«ö (oder Baga9); vgl. v. 35. Statt des zweiten n2 geben die LXX. 73; vgl. zu v. 2.

40—43. LXX. weichen in den Consonanten der Eigennamen theilweise ab. Statt sy v. 40 war vielleicht ;,>2 zu schrei- ben, vgl. v. 23, und statt nn» etwa jan, vgl. v. 26. LXX. an erster Stelle freilich Twr.«, nicht Tw2.uv ‚„ wie v. 23, an zweiter aber "IeSes (oder 'IeQes). Statt ie v. 41 findet sich Num. 33, 42 5 Eusebius Onomast. spricht für die Lesart der Gen. Die Form =4°s ist nicht anzufechten, auch wenn ur 1 Chr. 4, 15 dieselbe Person bezeichnen sollte.

398 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

Cap. 57, 2. Die ersten Worte passen schlecht zu der nachfolgen- den Erzählung und mögen früher an einer andern Stelle gestan- den haben. Übrigens scheint der Text durch Interpolation entstellt zu sein. Die Worte nos an 22 Nam) können nicht füglich heifsen: und er war (als dienender) Bursche bei den Söhnen Bilhäs u.s.w. Allerdings ist Geh’zi "22 sussn puer Elisae 2 Reg. 5, 20, vgl. 2 Reg. 4, 12. 8, 4 und Stellen wie 1 Reg. 20, 15. 17. 19. 2 Reg. 19% 6, schwerlich aber sagte man „Bursche bei jemand“. Daher wird “22 hier ledig- lich den jungen Menschen bedeuten, die folgenden Worte aber (bis an vo einschlielslich) werden als eine nachträglich und ungeschickt eingefügte Erläuterung zu dem vorhergehenden aSTnN anzusehen sein, welche wegen v.21 angemessen scheinen konnte. Die noch übrig bleibende auffallende Erscheinung, dafs der unbestimmtere Ausdruck “23 auf die genaue Altersangabe folgt, läfst sich begreifen, wenn man erklärt: „Josef, siebenzehn- jährig, war beschäftigt mit seinen Brüdern das Kleinvieh zu

weiden, und er war ein junger Mensch und brachte“ (d.h. und da er eben noch ein junger unerfahrener Mensch war, der die Folgen seiner Handlung nicht übersah, so brachte er) „ihren Ruf als einen schlechten zu ihrem Vater“. Dafs 74 nicht Ad- jeetiv zu Ena27 sein kann, versteht sich von selbst, da ihm der Artikel fehlt.

4. 27 kann wohl nicht heifsen: mit ihm zu reden, son- dern nur: sein Reden. Darnach hat man erklärt: „sie hielten sein Gerede nicht aus in Gutem“; was gebilligt werden mufs, insofern der Text als unversehrt gelten darf.

12. Die Praeposition vor ;sx sollte durch Übersetzen der Puncte getilgt werden, was jedoch von der Tradition nicht ge- billigt ist.

17. Vielleicht war statt ‘n2 in Übereinstimmung mit dem Vorhergehenden 552 beabsichtigt; doch findet sich die Form ‚ns auch 2 Reg. 6, 13 und ist an sich nicht anstölsig.

23. Die letzten Worte vielleicht nur nachgetragene Erläute- rung ZU YMINITTN.

28. Die hier auftretenden Midianiter sind von den (bereits erwähnten) Ismaölitern nicht verschieden, obgleich jenes Volk 25, 2 nicht zu den Ismaßälitern gerechnet wurde. Hier soll dem weiteren Begriffe der Ismaeliter der engere midianitischer

vom 15. Juni 1870. 399

Ismaäliter substituirt werden, welcher, als bisher nicht erwähnt, unbestimmt bleiben mulste, sodafs der Artikel nicht gebraucht werden durfte: „die gedachten Ismaäliter waren aber“, wie sich bald zeigte, „midianitische Kaufleute“.

36. Statt amsyamı ist wohl nach v.28 2>>>a771 herzustellen.

Der Name „erohe, hier und 39, 1, scheint nur eine verstümmelte

Form des Namens 342 "ste 41, 45. 46, 20 zu sein. Die LXX. haben für beide Namen dieselbe Form Ilsrzcpors, mit der Variante Hevrebons; s. de Lagarde, Vorrede zur Genesis, p. 20, welcher Sassu2D für die ursprüngliche Lesart hält. Doch möchte die Umgestaltung der ersten Sylbe bei den Hebräern schon vor Ab- fassung dieses Theils der Gen. eingetreten sein.

Cap. 38, 14. 229, hier ohne Artikel, v. 21 mit demselben, was aber gerade bei dem Eigennamen keinen Anstols giebt. Übri- gens ist mns hier so wenig, wie anderswo, 8. v. a. "su; man würde es etwa durch „Eingang“ zu übersetzen haben.

16. EN vor 777 wird mit de Lagarde, Anmerkungen zur griech. Übersetzung der Proverbien S. III, zu tilgen sein.

21. Wahrscheinlich ist zu lesen: wir mörp; vgl. zu 30, 16.

28. -ms1 ohne nähere Bezeichnung des Subjects, die wohl möglich war, aber entbehrlich schien.

29. 80. Für x4p%1 hätte man beide Male vielmehr xapn} er- warten dürfen, wie 4, 25 u.ö. Indessen wird das Verbum im Activ so häufig als Aequivalent einer Passivform gebraucht, dafs an eine Entstellung des Textes nicht gedacht werden darf.

Cap. 39, 4. Vielleicht sollte auch hier, wie v. 5. 8, stehen: °54 SR.

8. Statt maa-ma war nach v. 6 eher = mann zu erwarten.

14a ohne nähere Bezeichnung des Subjects, die unnö- thig schien.

20. Das K’Si& mon beruht wohl nur auf zufälliger Ent- stellung des Textes. V. 22 ist aysonn die allein beglaubigte Lesart, obgleich manche Ausgaben dieselbe auch dort nur als Q’ri anmerken.

Cap. 40, 10. mxD ist bedenklich, da 92 = mx? sonst nicht vor- kommt und gewils als Masc. anzuschen wäre. Man hat 7x3 zu lesen und nach Analogie von Jes. 5, 6. 34, 15. Prov. 24, 51 zu erklären: „und er“ (der Weinstock) „war wie sprossend; er ging auf als Blüte* (d.h. in Blüten); „die Traubenkämme

400 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

brachten“ (schliefslich) „Trauben zur Reife“. Alles dieses hatte sich nach und nach in dem Traume so gezeigt.

14. Der Anschluls an das Vorhergehende durch *> ist unge- wöhnlicher Art, wird sich aber rechtfertigen lassen; zu ist wie gewöhnlich Bedingungspartikel: „aber wenn du dich meiner er- innert haben wirst, sobald es dir gut geht, dann bitte übe Gnade an mir u. S. w.“

15. „22 mit dem Artikel, insofern das ganze, bereits er- wähnte Gefängnils als ein unterirdisches gedacht werden mochte.

20. Dafs hier von beiden Beamten gleichmäfsig erzählt wird, ihr Haupt sei erhoben worden, ist anstölsig, da der Zusatz mar v. 19 von so wesentlicher Bedeutung ist. Doch scheint der Text nicht gerade beschädigt zu sein.

Cap. 41, 3. 4. Zu mp7 findet sich die Variante ri791, wie auch

der Samarit. hat. Mit Rücksicht auf v. 19, 20 kann diese Lesart den Vorzug zu verdienen scheinen; doch ist eine völlige Über- einstimmung in den verschiedenen Stellen nicht eben erforderlich.

8. Statt ya’sm war nach dem Vorhergehenden und wegen des folgenden znin der Plural zu erwarten; die Inconsequenz mag aber der Redaction zur Last fallen.

13. Vielleicht ist 7322 hinter =°57 ausgefallen; zur Noth kann es jedoch entbehrt erden.

23. rp3 stimmt nicht genau zu v.27, wo rip am gelesen wird; vgl. zu v.3. 4, cams in Bezug auf das Feminin ist nur deshalb anstöfsig, weil in diesem ganzen Abschnitte sonst be- ständig das Suffix 77 gebraucht wird.

26. Vor rne sollte der Artikel stehn, der wohl nicht ab- sichtlich weggelassen ist.

27. Statt =3% °sö war wiederum 757 2"2U zu erwarten; es wird aber eine Inconsequenz der Redaction sein.

32. Die mit "sı mine S3 beginnende Rede bleibt unvollen- det oder wird durch das eintretende ‘> unterbrochen; der Text ist aber unversehrt.

34. Vor miesn wird etwa 5 herzustellen sein.

42. Die goldne Kette, richtig; es war diejenige, welche er selber trug und die zu den Insignien der Herrschaft gehörte.

43. nzs ist dunkel und der Text vielleicht beschädigt; na- mentlich schliefst sich das zweite Hemistich unbequem an. Viel- leicht steckt in dem dunkeln Worte der Inf. abs. 92, als unter-

vom 13. Juni 1870. 401

geordneter Theil eines Satzes, der vor dem Josef ausgerufen wurde, wie etwa: " na HOMnN ENToN n2-

45. Dafs die LXX., indem sie 7;,8 n2sX durch YevSouheavvy, ersetzen, eine andere Lesart vor Augen hatten, ist nicht ge- wils. Wegen des Namens >95 "vie vgl. zu 37, 36. Das zweite Hemistich lassen die EX: weg, wie es denn wegen v. 46 überflüssig ist. Es ist nicht unmöglich, dafs ursprünglich mohseny axıı geschrieben war, wozu die Praeposition besser palst, als zu 50% nun, was durch ein Versehen aus v. 46 her- übergenommen wurde.

48. Für cs sau wird wie v.53 zu lesen sein: wo sau Sat; nur dann hat das folgende 7 NEN einen Sinn. Das zweite Hemistich mag ursprünglich blofs erläuternde Rand- bemerkung EMmeren, sein.

50. Warum ' gesprochen wird und nicht = 5 ist unklar. Syn im a fällt auf, ohne dals Grund Foihehdeh wäre, die Richtigkeit des Textes zu bezweifeln. Das zweite Hemi- stich vielleicht späterer Zusatz.

95. Für mn stünde besser "7, wie v. 48; vielleicht liegt nur ein Versehen zum Grunde.

54. Obgleich die letzten Worte in Widerspruch mit v. 55 zu stehn scheinen, wird doch an dem Texte nichts zu ändern sein; der Ausdruck ist nur etwas ungeschickt. V.54 bezieht sich =5> auf das v. 49 erwähnte angesammelte Getraide (a), v. 55 auf das den Landesbewohnern wegen Miflswachs fehlende eigne Brod- korn. Die Handschriften der LXX. suchen zum Theil dem an- scheinenden Widerspruche durch Einfügung einer Negation ab- zuhelfen: 2v öe zasn y% Alyurrou oür Yrav aoror; dadurch wird aber wieder nur scheinbar geholfen.

586. Der Text gewährt mancherlei Anstols. Die Worte en2 NÜNT>s-TN können unmöglich richtig sein; es fehlt eine ausdrückliche Bezeichnung der Vorrathshäuser und am Schlusse etwa “a, wie der Samarit. richtig ergänzt. LXX.: avew£s de Insyh mavras vous aıroßoruves. Ferner steht SalEan Sin einer ganz ungewöhnlichen Bedeutung; vermuthlich war „2% beab- sichtigt, vgl. 42, 6. Der letzte Satz ist hier störend und fehlt bei den LXX.; er hätte den Vers beginnen können und dafür das erste Hemistich hier am Ende stehn; dann wäre der Über- gang zu v. 97 ein natürlicher gewesen.

402 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

57. namen, abhängig von sa, steht nicht an recht geeigne- tem Platze und ist wohl erst nachträglich eingeschoben.

Cap. 42, 13. Die Gestalt des Textes ist sehr unbefriedigend. Der Gedanke, der allein beabsichtigt sein kann, war auszudrücken entweder durch die Worte: NUN 2 EIS MIR Ds SG, oder durch dieselben Worte mit EN an Stelle von 422. Ohne Zweifel ist »rıs aus v. 32, wo es ganz am Orte ist, hier einst am Rande angemerkt und später in den Text gerathen.

19. 7x hätte wohl hier nicht weniger mit dem Artikel ver- sehen werden sollen, als v. 33. Der Ausdruck 3 334 23 „Getraide (zur Stillung) des Hungers* fällt auf; einigermalsen ähnlich ist der Ausdruck „sn1 un Jes. 30, 23, „Regen (zum Gedeihen) deiner Saat“. V.33 steht sogar blofs = 22.

25. Han Ssorgon in Abhängigkeit von x) ist wegen des da- zwischen getretenen Satzes sehr unbequem und incorrect; die Schuld davon fällt auf die Redaction. vs hat hier den Werth eines Genitivs, abhängig von n03, welches auszudrücken durch das unmittelbar vorhergehende =7°20> unnöthig wurde.

28. NanTan Ein San ist unbedenklich; gemeint ist LAN „a UN.

30. Vielleicht war beabsichtigt: Valaan HR nm; vgl. v.17.

33hllorn p=22 mag "25 ausgefallen sein; vgl. v.19.

34. Statt cms 5% °> wäre eher N DEN zu erwarten ge- wesen, wie v. 19; in dieser Fassung würden die Worte dann dem zweiten Hemistich angehören. In dem Texte, wie er vor- liegt, sind entweder diese Worte oder die zunächst vorhergehen- den, ebenfalls durch »> eingeleiteten, überflüssig.

35. vs steht hier absolute voran und ist entweder als Accusativ nach arabischer Weise abhängig von 7:7 (Silvestre de Sacy, gramm. Ar., edit. II. p. 105), oder was im Hebr. zulässig erscheint ein von mr unabhängiger Nominativ.

Cap. 43, 11. yası nat, bei der gewöhnlichen Erklärung ein kühner Ausdruck, aber doch wohl statthaft. LXX.: azo ruv zegmov 775 yas; ob nach andrer Lesart ist zweifelhaft.

12. msn 903 hier und nosmain v.15 sind gleich statthaft; in keinem von beiden Fällen hängt das zweite Wort von dem ersten im Genitiv ab.

14. ms ohne Artikel, incorreet. LXX. drücken 78 (oder

Ta) aus.

vom 13. Juni 1870. 405

28. Das K’S18 “sw beruht nur auf einem Versehen.

34. Statt wioyı war vielleicht der Plural beabsichtigt. LXX.: Yocıv.

Cap. 45, 1. Die Worte 59 znazın >55 schliefsen sich an das Vorhergehende zwar nicht mit völlig klarem Sinne an, doch scheint der Text unbeschädigt zu sein.

7. Statt muss wird mu>os zu lesen sein. LXX. richtig: za Ergeb Jndv zararsı) w neyaryn.

8. Dunn, nachlässig statt des coneinneren Fund.

19. Der Übergang von nass man zu dem Folgenden ist sehr schroff; doch deutet Nichts auf eine Be ehacızung des Textes. Die LXX., den Übergang erleichternd: ou de Evrenaı ravre.

Cap. 46, 3. Der Infinitiv 77% nur hier; vielleicht ist das gewöhn- liche 774 herzustellen.

9—24. Auch in diesem Geschlechtsregister weichen die LXX. hinsichtlich der Eigennamen mehrfach erheblich ab.

10. Statt ons geben die Parallelstellen Num.26, 12. 1 Chr. 4, 24 Snvan. Ebenda fehlt San ganz. Statt 555 hat 1 Chr.4, 24 =>. Statt Ao& (hier und Ex. 6, 15) wird Num. 26, 13 mır ge- nannt. Die Divergenz zeigt sich auch bei den LXX. musısn (hier und Ex. 6, 15) mit dem Artikel, indem hinreichende Be- kanntschaft mit den Verhältnissen vorausgesetzt wird.

13. Die Bildung des Namens (hier und Num. 26, 23) fällt auf, zumal da das Patronymicum "#2 (Num. a.a.0.) lautet, zu welchem aber auch die Schreibart se 1 Chr.7, 1 (vgl. Jud. 10, 1) nicht palst; vgl. zu Num. 26, 23. Für ist ohne Zweifel nach Num. 26, 24. 1 Chr. 7, 1 (im Q’ri) mit Sam. LXX. =10> herzustellen.

15. Die ungeschickte Anfügung der Worte = 723 nNı und

die Einschaltung von 'n'331 fallen der Redaction zur Last.

16. Statt jrexr giebt Num. 26, 15 jiex (LXX.: Yabwv), statt nen (LXX.: O«ro@av) Num. 26, 16 MIN, statt > Num.26, 17 TS.

17. nö> und “ör hier und 1 Chr. 7, 30 neben einander, während Num. 26, 44 5 genannt ist. Die Zählung v. 13 setzt beide Namen voraus.

20. Die Worte Ya j>-m75% “us bis zum Schlusse des ersten Hemistichs sind unangemessener Weise nachträglich in den ur- sprünglichen Text eingefügt.

404 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

21. ->2 fehlt in der Parallelstelle 1 Chr. 8 und erhält Num. 26, 35 einen Platz unter den Ephraimiten. Umgekehrt fehlt xns Num. 26 und erhält 1 Chr. 8, 3. 5 einen andern Platz. Der Name 3222 wird sowohl Num. 26, 40 als 1 Chr. 8, 4 auf andre Weise in die Geschlechtstafel eingefügt. Alle diese Verschieden- heiten mögen auf abweichender Tradition beruhen. Dagegen wird hier und ms (und 1 Chr. 8, 1 mass) aus ursprünglichem Sala} entstanden sein; vgl. Num. 26, 38. Doch setzt schon die Zusammenzählung v. 22 zwei Namen voraus. Auch t’En (ERERE Mapers oder Meapndbin) ist ohne Zweifel entstellt; 1 Chr. 7, 12 findet sich statt dessen zsd (LXX. Zapen oder Sardıv), Num. 26, 39 z2zıeV (LXX. Biokpein), I mit dem Patronymicum Nasnd (LXX. Srea und 1 Chr. 8, 5 jer2V (LXX. Eubev), als

. Enkel Binjamin’s. Die richtige Form war vielleicht zs&. In ähnlicher Weise anstöfsig ist der folgende Name 227, 1 Chr. 7, 12 227 geschrieben; dagegen giebt Num. 26, 39 wahrschein- lich richtig eos, woraus cyan 1 Chr. 8, 5 (als Enkel Binjamin’s) entstellt sein wird. Mit TIS, der Num. 26, 40 als Enkel Bin- jamin’s auftritt, darf vielleicht Ss 1 Chr. 8, 3 (ebenfalls Enkel B’s) znsammengestellt werden. 22. Für “> wäre 775, mehr am Orte gewesen, wie in dem

eingefügten Satze v. 20. 23. 73 »=ı im Plural, obgleich nur ein Name folgt, wird doch der Redaction angehören. Der Name zör (1 Chr. 7, 12 =ös, mit der Variante cz) erregt Bedenken. Num. 26, 42 giebt dafür ezmö, welche Form den zu v. 21 angeführten Namen zo und zer gut entspricht.

24. Statt Inn ->» (hier und Num. 26, 48) liest man 1 Chr. 7, 13 Exam; “; statt 5 ac] (hier und Num. 26, 49) ebenda ErbV.

26. Sub scheint unbedenklich, wenn man auch eher Spen7EI erwartet hätte. Bei der Zusammenzählung bleiben hier die früher eingeschlossenen Personen weg: Jagob selbst, Josep und dessen Söhne. Die Wiederholung von upy-ba zu | Anfang des zweiten Hemistichs ist nicht anstöfsig.

28. Ein Objectsausdruck zu nains ist durchaus entbehrlich und nicht etwa ausgefallen.

Cap. 47, 3. Wahrscheinlich sollte jsx +94 geschrieben werden und das vorhergehende Wort, das mit 73% schliefst, veranlafste einen Irrthum. Cap. 46, 34 war mx am Orte.

vom 13. Juni 1870. 405

21. Das erste Hemistich ist weder ganz klar, noch dem Zu- sammenhange angemessen. Der Samaritanische Text bietet die Lesart: Er923> AAN Tas eszensı, womit die LXX. übereinstim- men: za: rov Aeade el wcaro wur) eis maldas. Josef machte ihm (dem Könige) das Volk dienstbar zu Knechten, d.h. sodals sie Knechte, Hörige wurden. Diese Gestalt des Textes wird die ursprüngliche sein. |

24. Die Kürze des Ausdrucks ra"=na läfst sich kaum recht- fertigen und wahrscheinlich ist der Text beschädigt. LXX. ohne Praeposition: za Erraı ra yaryhara aurns. Die Hand- schriften der LXX. lassen gröfstentheils die beiden letzten Worte weg, vielleicht mit Recht. Sonst fänden dieselben einen sehr angemessenen Platz unmittelbar hinter eabandn, wo sie auch ur- sprünglich gestanden haben mögen. :

26. Die Worte Wnm> 73425 schliefsen sich sehr schlecht an das Vorhergehende an. LXX.: amorsunroüv rw Papaw. Schwer- lich liegt der Text in seiner ursprünglichen Gestalt vor.

28. Die Worte 7 >28 sind vielleicht nachträglich einge- schoben, und zwar mit Rücksicht auf den Ausdruck v. 8. 9.

Cap. 48, 1. 2. Die Singulare as 712) und nochmals Jan’ scheinen dem sonstigen hebräischen Sprachgebrauche nicht zu entsprechen; die Berufung auf den analogen Gebrauch von xp (s. zu 38, 29. 30) genügt nicht ganz zur Rechtfertigung des Tex- tes. Vielleicht war auszusprechen: noh-b Sanıı und Jans" Spn> am.

7. Der ganze Vers könnte hier füglich entbehrt werden, die Aufnahme desselben ist aber der Redaction zuzuschreiben. Hinter 72» ist vielleicht zA4s8 durch Versehen oder in Folge einer Beschädigung ausgefallen. Für nyex wird nme her- zustellen sein; das scheint auf Anlafs des folgenden Wortes ausgefallen zu sein.

8. Der Übergang zum Gebrauche des Namens Eich statt =+s" beruht auf Verschiedenheit der benutzten Berichte.

11. Statt my war vielleicht my) (miny) beabsichtigt.

12. Für den Sing. amd drücken Sam. LXX. Syr. den Plural aus, was nicht gebilligt zu werden verdient.

14. Die Bedeutung von Sey ist nicht ganz sicher; LXX.: Varna Fas Yeloas, unter Weglassung der folgenden Worte, die allerdings unter allen Umständen entbehrlich sind und ursprüng-

lich vielleicht nur eine Randbemerkung waren,

406 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

16. zx>2m wäre besser weggeblieben, doch gehört es gewils dem ursprünglichen Texte an. Der Ausdruck »Y 23 np ist kein gewöhnlicher, die Richtigkeit des Textes läfst sich aber wohl nicht bezweifeln.

20. Statt 72 war eher =>2 zu erwarten.

Cap. 49, 3. Für [> erwartete man 7%; was die überlieferte Aus- sprache veranlafste ist unklar.

4. Im ersten Hemistich lassen sich die grammatischen Ver- hältnisse nicht ganz klar erkennen und ebensowenig der Sinn von “nim genau feststellen. Vielleicht war eine andre Aus- sprache beabsichtigt, etwa nın->s. Im zweiten Hemistich wird durch das letzte Wort >> die Gliederung des Verses wesentlich gestört und es ist möglich, dafs dieses Wort einst vor n»>» stand und zu sprechen war. LXX.: cv dveßss. Auch Syr. und Andre geben die zweite Person.

10. Die Varianten in der Schreibung des Ortsnamens mi sind unerheblich, sobald die überlieferte Aussprache festgehalten wird. Doch mag die Plenarschreibart erst durch die jetzige Aussprache hervorgerufen und (oder ">w) als die ältere Gestalt des Textes anzusehen sein. Da das „Gelangen nach Schilö“ für die Geschichte Juda’s ganz unerheblich war und die Praeposition 7% hier nur den terminus ad quem bezeichnet haben kann, so muls in dem 7>%w die Bezeichnung einer Person gefunden werden, welche das Subject des vorhergehenden x=» sein solltee Gemeint kann nur ein solcher sein, der Juda in der Herrschaft ablöste. Hiernach erscheint der Vorschlag de Lagarde’s (Onomast. sacra II. p. 96) die Schreibart >"& bei- zubehalten und durch a (is quem Iuda ipse expetit) zu er- klären, unannehmbar. Damit könnte doch nur der Messias ge- meint sein; dieser aber durfte zur Zeit, wo v. 10 entstand, kaum anderswo her erwartet werden, als eben aus Juda, und dann war seine künftige Herrschaft doch lediglich die Fortsetzung der von Juda mit erhöhtem Ansehen. Dafs Juda’s Herrschaft einst ein Ende nehmen und auf einen Anderen, Mächtigeren, über- gehen werde, ist in dem Segen auch dann nicht befremdlich, wenn Letzterer kein Besserer war, als Juda; es mulste eben einmal so kommen und es kam so, als Juda von dem ober- asiatischen Groflskönige unterworfen wurde. Auf diesen wird auch durch das dunkle 7>w gezielt sein, welches frühzeitig etwa

vom 13. Juni 1870. EI, 407

aus un> >& (vgl. 42, 6) entstanden sein mag. Der Sinn wäre: „bis dafs ein Gewaltiger kommt und ihm“ (d.h. . „Na- tionen gehorchen“.

13. Die Gliederung des Verses ist gestört; vielleicht genügt es die Worte ns aim NY) auszuscheiden. Übrigens hätte wohl Jissäyär (v. 14. 15) vor Z°bülün erwähnt sein sollen.

14. Statt oa ar geben die LXX.: r0 zaAcv EmreSvureer, indem sie für ar ohne Zweifel a lasen oder lesen wollten, während die Gestaltung des folgenden Wortes bei ihnen nicht deutlich zu erkennen ist. Die Richtigkeit des hebr. Textes kann allerdings zweifelhaft erscheinen. Geiger (Urschrift und Über- setzungen, 8. 360) liest, auf den Sam. Text sich stützend, Sa 2sSı, was durch den Inhalt von v. 15 empfohlen wird.

17. Statt “7 liefs sich zwar eher m. erwarten, doch wird auch jenes zulässig sein.

18. Dieser Stofsseufzer an dieser Stelle fällt mit Recht auf und darf für ein späteres Einschiebsel gehalten werden.

19. Hier war zunächst die Erwähnung Naptäli’s zu erwar- ten, als des jüngeren Sohnes der Bilhä. Statt Sp» wird mit Heranziehung des störenden a zu Anfang des folgenden Verses

sp» zu lesen sein, wie längst vorgeschlagen ist.

20. Wegen Senn Ss. zu v. 19.

21. Statt EN möchte die Punctation 5 "N vorzuziehen sein. LXX.: 7228.06; vgl. Hieronym. quaestiones Hebr. p. 70 de Lagarde. Dann ist aber auch Szu-non zu schreiben: „er, der schöne Wipfel treibt“. LXX.: es BEL FW YEvvyWuaTı 2@N).0C, was die Gestalt des Textes, die dabei zum Grunde liegt, nicht klar erkennen läfst.

22. Das zweite Hemistich mufs als beschädigt angesehen werden; der Sinn ist ziemlich unklar. LXX.: vios nou VEWTATOS, mods ME avasros or. Sie wollten etwa lesen: and N IE 235 was freilich nicht sonderlich befriedigt.

23. Die Schroffheit des Überganges kann mit der Zerstörung des vorhergehenden Hemistichs zusammenhängen; vielleicht ist aber noch eine Lücke zwischen beiden Versen anzunehmen. Statt 13=1, was vermuthlich bedeuten soll „indem sie schos- sen“, drücken mehrere alte Übersetzungen 1297 aus, von =. LXX.: ZAXodogovr. Sam.: 754%, wodurch Suelslh die ihm vielleicht wenn auch ohne Grund anstölsige Perfectform [1870] 29

408 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

beseitigt wurde. Weder der Sinn, noch die ursprüngliche Ge- stalt des Textes lassen sich mit Sicherheit feststellen.

24. Die Worte jnya SUm, von dem Bogen gebraucht, be- friedigen nicht und die Verbindung 777) “sr ist sehr anstölsig. Vielleicht war ursprünglich 77 37 geschrieben. Die LXX. beziehen die Pronominalsuffixe auf die Feinde und ändern ZUn in zen ab: za suvergion METER Haurous 7% roE« aurwv za gEe- AlSy Fa veüge Pgeyovuv YEıowv «@vrwr, woran sich dann im zweiten Hemistich unmittelbar die Worte anschliefsen: dıe YYeıoa Öuverrcu Iezw@. Bei der Unklarheit der überlieferten Gestalt des Textes lag es allerdings nahe an Stellen zu denken, wie Ps. 37, 15. 46, 10; aber die Art, wie die LXX. den Text um- zugestalten versuchten, ist ebenfalls unklar und befriedigt durch- aus nicht. Übrigens liegt es auch nicht fern, bei dem ersten Hemistich an eine ursprüngliche Fassung zu denken, die etwa den Sinn hatte von nun EP” yön-no, vgl. 2 Sam. 1, 22. Das zweite Hemistich ist in seiner jetzigen Gestalt unverständ- lich und ohne Zweifel entstellt. Die ersten Worte 2727 En "a könnten, mit dem Vorhergehenden verbunden, nur comparativisch gefafst werden, was keinen zulässigen Sinn giebt. Das Richtige wird sein mit de Lagarde (Onomast. sacra II. p. 96) 72 in ua zu verwandeln und am Schlusse zu lesen: 2 n9 awn Uyaivn, so dafs zwei Parallelglieder von befriedigendem Sinne vor- liegen. Die Praeposition ‘= mufs dann von einem ausgefalle- nen Verbum abhängen, etwa von "on ne recedas, dessen Ergänzung dann auch in v. 25 fortgesetzt wird und dort den Anschlufs von A727 und a2" verständlich macht.

25. Vgl. zu v. 24. Statt naı ist nun oder ran oder auch mit einigen Handschriften und Versionen ESP oder dafür ENT oder >xm1, herzustellen. LXX. blofs: zur 2er Syse or 5 Seog 6 Zuos za euroyrse se #7%.— Das zweite Hemistich ist eine prosaische und dem Text ursprünglich nicht angehörende Er- läuterung und zwar weniger des vorhergehenden, als des fol- senden Verses.

26. Für 9 »in wird 79 an zu lesen sein, den bis na=3 entsprechend. Der Ausdruck nızn ist in befremdlicher Weise gebraucht; höchst wahrscheinlich ist dafür nıw=n (oder ninan=>>) herzustellen.

vom 13. Juni 1870. 409

30. Das zweite Hemistich schliefst sich nicht gut an und scheint ein ebenso unpassendes als unnöthiges Einschiebsel zu sein. Dasselbe wird 50, 13 fast wörtlich wiederholt, schliefst sich aber auch dort nicht besser an. Übrigens kann Sur in dieser Verbindung keinen andren Sinn haben, als den von SEN SU, wie Num. 20, 13.

32. Der Vers steht aufserhalb aller grammatischen Verbin- dung und gehörte gewifs nicht in den Text.

Cap. 50, 13. Vgl. zu 49, 30.

25. Eraznd unbedenklich, obgleich der Ausdruck Eu) Enkel mit Rücksicht auf Jose gewählt ist; dieser sah efraimitische Urenkel und auch manassitische, Söhne seines Enkels Machir.

26. Hier war eher die Passivform ion zu erwarten; vgl. zu 24, 33.

16. Juni. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Kummer las über die einfachste Darstellung der aus Einheitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, wel che durch Multiplikation mit Einheiten bewirkt werden kann.

Unter den complexen Primfaktoren, welche Hr. Reuschle ausgerechnet und der Akademie übergeben hat, befindet sich ein idealer Primfaktor, dessen neunte Potenz wirklich ist und zwar ist dies ein idealer Primfaktor der Zahl 2, für die aus 31ten Ein- heitswurzeln gebildeten complexen Zahlen. Die neunte Potenz die- ses idealen Primfaktors der Zahl 2 stellt sich, weil = 1 mod. 31 ist, als wirklich complexe Zahl dar, welche nur die fünfgliedrigen Perioden der ölten Wurzeln der Einheit enthält. Bezeichnet man die 3lte Wurzel der Einheit mit « und nimmt die sechs fünfelie- drigen Perioden:

29*

410 Gesammtsitzung

ea tal Ha +at +02

FR |

|

na +0 + a0 a5 + all a4 a9 +0 + a + a 1, = «9 +05 + a8 + alt + af 1, = «26 Zu «al3 = «22 —- all in ai

so läfst sich die von Hrn. Reuschle gefundene neunte Potenz des idealen Primfaktors der 2 in der einfachsten Form darstellen als:

IWP=3+n+tNn+1 5; (1.)

welche complexe Zahl wirklich die Bedingung erfüllt, dafs ihre Norm gleich 512 ist und dafs sie nur einen der sechs con- jugirten idealen Primfaktoren neunmal enthält. Ich bemerke noch, dafs dieselbe neunte Potenz der idealen Zahl in gebrochener Form sich auch so darstellen läfst:

ar)

N I) er

(2.)

Da dieser eine gefundene ideale Primfaktor zur Auffindung aller derjenigen aus ölten Einheitswurzeln gebildeten idealen Prim- faktoren, deren neunte Potenzen wirklich werden, den Weg eröff- net, so habe ich versucht mit Hülfe desselben auch einen von den- jenigen idealen Primfaktoren auszurechnen, welche nicht aus Perio- den, sondern aus den 3lten Einheitswurzeln selbst gebildet sind, welche also 30 conjugirte ideale Primfaktoren haben. Nach den aus dem Canon arithmeticus zu entnehmenden 30 Congruenzwur- zeln, welche für p = 311 den Einheitswurzeln entsprechen, findet man sogleich, dafs die complexe Zahl

1-+ «6 «16

einen idealen Primfaktor der Zahl 311 enthält. Bildet man nun die Norm, so findet man

N(1-+ «® al$) = 23,311, (er)

woraus folgt, dafs diese complexe Zahl aufser dem einen idealen Primfaktor von 311 nur noch einen idealen Primfaktor von 2

vom 16. Juni 1870. 411

enthält, und zwar, wie die für diesen vorhandenen Congruenzbe- dingungen zeigen, denselben, dessen neunte Potenz oben dargestellt ist. Bezeichnet man nun den idealen Primfaktor von 311 mit P(«), so hat man

(1 + 6 «169 3-+ 719 ar Ya Sr Y15

» (O2 = (4.)

Hiermit ist die neunte Potenz des gesuchten idealen Primfak- tors als wirkliche complexe Zahl dargestellt, aber noch in gebro- chener Form; um dieselbe als ganze complexe Zahl darzustellen, muls man Zähler und Nenner mit der complexen Zahl /(r) mul- tiplieiren, welche das Produkt der fünf zu3-+ Y9 41349, con- jugirten complexen Zahlen ist und daher die Eigenschaft hat, dafs

YO)B+n+n+n)=% ist und ausgerechnet folgenden Werth ergiebt: Y() = 101 + 511 314, 619 5815 + 357, . (5.) Hiernach erhält man |

(a ed (6.)

Nach Ausführung der Potenzerhebung und Multiplikation im Zäh- ler hebt sich der Nenner von selbst hinweg und man erhält folgendes Resultat:

P(e)? = 254 + 26«@ + 792? + 1353 414at 35408 69506 + 4407 + 629 a8 +10? 108 «19 458 a1 831«1? + 197 «13 + 48001 + 185015 + 285 «16 (Us)

515 a1T 63418 + 316«@19 + 330820 + 54121 + 502 «2? 521023 383 a2 + 17225 + 150.026 —+ 801027 + 403.428 517429 295 «30 ,

Die Prüfung der Richtigkeit der numerischen Rechnung er- giebt sich zum Theil schon daraus, dafs der Nenner 29 sich wirk- lich hinweghebt, ich habe aber aufserdem auch in allen einzelnen ' Stadien dieser und auch der folgenden Rechnung die Congruenzen

412 Gesammtsitzung

für den Modul 31 angewendet, welche alle Gleichungen erfüllen müssen, wenn «= 1 gesetzt wird. ZEindlich habe ich das gefun- dene Resultat auch dadurch geprüft, dafs P(«)’ = 0, mod. 311 sein muls, wenn für die Einheitswurzeln die ee Congruenz- wurzeln gesetzt werden. Die wirkliche Berechnung der Norm des sefundenen Ausdrucks von (P(«)? würde eine unverhältnifsmälsig gro[se Arbeit erfordern.

Da eine jede complexe Zahl, insofern sie nur durch die in ihr enthaltenen (idealen) Primfaktoren bestimmt ist, mit Einheiten ganz beliebig behaftet sein, und so in unendlich vielen verschiede- nen Gestalten dargestellt werden kann, unter denen diejenigen, welche möglichst kleine Zahlen als Coöfficienten enthalten, offenbar den Vorzug verdienen, so habe ich durch Multiplication mit pas- send gewählten Einheiten die gefundene complexe Zahl zu verein- fachen gesucht und bin so bis zu folgender einfacheren Darstel- lung gelangt:

Pla)? = 5 2a + 50? + 8a? + Tat 4ad + 4ab + a! u 56? == ee 3, 2 «12 .. al3 2 alt a

+ 4.16 «18 2019 + 2020 421 10822 + 2 023

(8.) 2024 5025 +3 026 + 7 a2 202° 2429 2 a9,

‘Da auf dem bis dahin von mir eingeschlagenen Wege der nach einem bestimmten Principe angestellten Versuche eine weitere Vereinfachung sich nicht erreichen liefs, und da ich dessenunge- achtet die Überzeugung hatte, dafs dies noch nicht die einfachste Form dieser complexen Zahl sei, so suchte ich eine Methode, durch welche man in den Stand gesetzt würde in directer Weise die ein- fachste Form einer jeden gegebenen complexen Zahl zu finden. Diese Methode will ich hier auseinandersetzen.

Wenn wir in dem Vorhergehenden diejenige Aiinlene Zahl als die einfachere angesehen haben, deren Co£ffiecienten kleinere Zahlen sind, so ist diese Bestimmung insofern ungenau, als von zwei gegebenen Complexen von je n Zahlen sich nicht immer mit Bestimmtheit angeben läfst, welcher von ihnen die gröfseren oder die kleineren Zahlen enthält; es ist darum zunächst genau zu de- finiren, welche Form der complexen Zahl als die einfachere oder einfachste anzusehen ist. Diese Bestimmung ist an die wesent- licheren Eigenschaften der complexen Zahl anzuknüpfen.

AN

vom 16. Juni 1870. 413

Es sei ?. eine Primzahl, «* = 1, und /(«) eine aus Aten Wur- zeln der Einheit gebildete complexe Zahl, so ist das Produkt f(«) f(«”'), sowie auch alle seine conjugirten, stets real und po-

—— ll . 4 und bezeichnet

sitiv. Setzt man nun der Kürze halber

mit y eine primitive Wurzel der Primzahl ?, ‚so ist die Summe dieser # conjugirten complexen Zahlen

MEN) +) + HF@")La@7"") 0)

als symmetrische Funktion aller Wurzeln «, «?, ... «*”! eine nicht-

complexe ganze Zahl. Diese Summe M nimmt andere und andere Werthe an, wenn /(«) mit anderen und anderen Einheiten multiplicirt wird, das Produkt dieser » conjugirten complexen Zahlen, welches gleich der Norm N f(«) ist, ist aber von den Einheiten, mit welchen /(«) multiplieirt werden kann, ganz unabhängig. Da das Produkt die- ser # stets positiven Gröfsen unverändert bleibt, so wird nach einem bekannnten Satze ihre Summe M den kleinsten Werth er- halten, wenn die einzelnen Theile derselben möglichst nahe einan- der gleich werden und umgekehrt, wenn M den möglichst klein- sten Werth erhält, werden die conjugirten complexen Zahlen, aus welchen diese Summe zusammengesetzt ist, möglichst nahe einan- der gleich werden. Da die möglichst nahe Gleichheit der Werthe dieser conjugirten complexen Zahlen, die wesentlichste Bedingung der Einfachheit der complexen Zahl /(«) ausmacht, so definire ich:

Unter allen complexen Zahlen /(«), welche nur durch hin- zugefügte Einheiten sich unterscheiden, soll diejenige als die einfachste betrachtet werden, für welche die Summe M der mit f(«) f(«”') conjugirten » complexen Zahlen den kleinsten Werth erhält.

Nimmt man I(«) =a+t+a,@e + VE Zi RE NENCe N so erhält man für die Summe M folgenden Ausdruck 2M = r(a?+a?7+a3-++a3_1)’— (ata,+Q3+""+a,_,ı)” (10.)

m. vergl. meine Abhandlung in Lionvilles Journal Bd. XVI p 442, welcher auch so dargestellt werden kann:

414 Gesammtsitzung

2M = (a—a,)’+ (a—a,)’+(a—a;)’+ + (u die +(a, —4,)’+(a, —a;)’+ (are By vis

+(0a,_3— 4,_ı)"-

Man hat daher mit der obigen Definition vollkommen übereinstim- mend auch die folgende: Unter allen complexen Zahlen, welche nur durch hinzuge- fügte Einheiten sich unterscheiden, soll diejenige als die einfachste betrachtet werden, für welche die Summe der Quadrate der Unterschiede je zweier ihrer ? Ooöäfficienten den kleinsten Werth hat.

Die Aufgabe für eine gegebene complexe Zahl f(«) die ein- fachste Form zu finden, d. h. eine Einheit E(«) von der Art zu finden, dafs für E(«) f(«) die Summe der Quadrate der Differen- zen je zweier Co£fficienten den kleinsten Werth erhalte, wird nun durch folgende direkte Methode gelöst:

Es sei e,,e3, 3, ...e„_, ein System von Fundamentalein- heiten, so dafs jede beliebige Einheit sich in der Form

De lo2e 1. ee] darstellen läfst, so handelt es sich darum die Exponenten &, , &2, ..2u-ı So zu bestimmen, dafs

eri es: alerts Pe I («) f(x) (12.)

die einfachste Form erhalte. Es wird nun, weil die Einheiten un-

1

verändert bleiben, wenn « in «”' verwandelt wird

er ei”? ...e, 1 le) )—Sla)f@ ) und wenn die Logarithmen genommen werden: & Kei) + alle) + + 21 lle-ı) (13.) = IFA) - IF)

er o 2 k—1 welche Gleichung, da statt der Wurzel « auch «?, @” ,„... «? genommen werden kann, ein System von «% Gleichungen repräsen-

vom 16. Juni 1870. 415

tirt, von denen jedoch nur « ı unabhängig sind, da die Summe aller #-Gleichungen identisch 0 —= 0 ergiebt.

Wenn man nun vorläufig darauf verzichtet, dafs die Gröfsen 21, 825... 20, ganze Zahlen sein sollen, so kann man dieselben so bestimmen, dafs die numerischen Werthe der # conjugirten com- plexen Zahlen

NER Keane... 2a? )f@ 77.) a2)

nicht nur möglichst nahe, sondern sogar vollständig einander gleich werden, dafs also, da ihr Produkt gleich der Norm N/f(«) ist, jede

ER derselben den Werth VNf@) erhält. Man erhält so zur Be- stimmung der »—1ı Gröfsen &,,%2,... &,_, ein System von #—1 unabhängigen lineären Gleichungen, welches durch

I(ei) + 2,1(eg) + + 2,-ıllei_,)

1 (15.)

= ZINf) FFC") repräsentirt wird, wo die Einheitswurzel « die # 1 verschiede- nen Werthe @,a”,«””... «”"”' annimmt. Da nun die aus die

sem Systeme von »— 1 unabhängigen lineären Gleichungen zu be- stimmenden, nicht ganzzahligen Werthe der Gröfsen x, , &3 , ... en die vollständige Gleichheit der % conjugirten complexen Zahlen (14) ergeben, so wird man die nahe Gleichheit derselben und somit einen sehr kleinen Werth ihrer Summe M erlangen, wenn man für die Exponenten &,,%2,... 2,_ı diejenigen ganzen Zahlen nimmt, _ welche diesen gefundenen nicht ganzzahligen Werthen am nächsten liegen, namentlich diejenigen, welche sich nur um weniger als eine halbe Einheit von ihnen unterscheiden. Man kann jedoch nicht mit Sicherheit darauf rechnen, dafs man durch Multiplikation der ‚complexen Zahl f(«) durch die nach dieser Methode bestimmte Einheit die absolut einfachste Darstellung derselben erhält, für welche M den absolut kleinsten Werth hat, sondern nur darauf, dafs man eine Darstellung der complexen Zahl erhält, welche der absolut einfachsten sehr nahe liegt.

Der mehr oder minder günstige Erfolg dieser Methode set nothwendig auch von der Wahl des Systems der Fundamentalein- heiten ab, durch welche die zu findende Einheit ausgedrückt wird.

416 Gesammtsitzung

Aus dem Systeme der Gleichungen (13) ersieht man unmittelbar, dafs diejenigen Fundamentaleinheiten die vortheilhaftesten sein wer- den, für welche kleine Änderungen der Gröfsen &1,%33 ... 2,1 nur möglichst kleine Änderungen der Werthe von +INf(«) f(a)f(«”') zur Folge haben und dies ist offenbar der Fall,

wenn die Grölsen Le) Leg) „ern allen

und ihre conjugirten die möglichst kleinsten Werthe haben, d.h. dem Werthe 0 möglichst nahe kommen. Hieraus folgt, dafs die Quadrate der zu Grunde zu legenden Fundamentaleinheiten und der ihnen conjugirten, welche zum Theil gröfser und zum Theil kleiner als Eins sind, alle dem Werthe Eins möglichst nahe liegen müssen, dafs also für eine jede dieser Fundamentaleinheiten die oben mit M bezeichnete Zahl den möglichst kleinsten Werth er- halten mufs, dafs also diejenigen Fundamentaleinheiten zu wählen sind, welche in dem oben definirten Sinne selbst als die einfachsten anzusehen sind.

Da man in der Theorie der hier behandelten complexen Zah- len bis jetzt noch in keinem einzigen Falle ein fundamentaleres System unabhängiger Einheiten kennt, als das der conjugirten Kreistheilungseinheiten, so wird man für jetzt nothwendig nur ein solches zu Grunde zu legen haben; aber auch diese werden nach dem oben Bemerkten nicht alle gleich vortheilhaft sein, und man wird in jedem Falle denjenigen den Vorzug zu geben haben, für welche die Zahl M, also. die Summe der Quadrate der Diffe- renzen je zweier Coöfficienten den kleinsten Werth erhält. In dem Falle, wo 2 eine primitive Wurzel der Primzahl ?% ist, hat man das unabhängige System der zu «+ «7' conjugirten Einheiten zu wählen, für welches die Zahl M den Werth —2 hat; wenn #3 die kleinste primitive Wurzel von A ist, so hat man die zul+« 3 —3)

+ a”! conjugirten Einheiten zu wählen, für welche M=

ist u. S. w.

Das System lineärer Gleichungen, durch welche die Exponen- ten 5 &g 5 +... tu, bestimmt werden, hat in dem Falle, wo ein Sy- stem conjugirter Kreistheilungseinheiten zu Grunde gelegt wird, eine sehr einfache Auflösung. Nimmt man |

]

vom 16. Juni 1870. 417

(1 a ar (1 BAT er)

Tea de u

ne en ST

wo =, eine primitive Wurzel der Primzahl ?% ist, so bilden e, eı; (2) vo en 1

ein System conjugirter Kreistheilungseinheiten, welches, da unter denselben nur die eine Gleichung

e.6,1.6a ...o en—ı =. 1

besteht, ein System von x —ı unabhängigen Einheiten ist. Nimmt man nun

ee wor or ı (17.) 1 2 Rk—1

als die Einheit mit welcher /(«) zu multiplieiren ist, damit es in der einfachsten Form dargestellt werde, so kann man ohne diese Einheit zu ändern die #»-Exponenten x, &ı,... 2" alle um eine und dieselbe Gröfse vermehren oder vermindern, sodafs einer der- selben, oder wenn man will die Summe aller unbestimmt bleibt und beliebig gewählt werden kann. Setzt man nun zur Verein-

fachung 2 1 -yh Ka), INS) -IGAN FEN) = An; so hat man folgendes System von Gleichungen:

| SEE EN U RE Er Baylhn, Tr EU = As, (18.)

| ha

RE eo Ar Eng, 1 Auch,

wo

|

0 0

ee +2) +2 ++ 821

(19.) lebe el Se

|

ist, sodals nur # 1 dieser #-Gleichungen von einander unabhän- gig sind und eine derselben eine Folge der übrigen ist. Bezeich- net man nun mit 2 eine primitive Wurzel der Gleichung

418 Gesammtsitzung

&=1,

als welche

Ir

Sg)

r z„ = c0

gewählt werden soll, so erhält man durch Multiplikation dieser

lineären Gleichungen mit 1, 2%, £?*... ZU% und Addition:

(: re, eh rue Ne: an x, Q* RE za —— A A, Q er + A, ger=DR

also

ct, Org, —- » a Dr BR

AROMA Eee TREE or

und hieraus, wenn man mit 0** multiplieirt und für = 1, %,- .4—1 die Summe nimmt:

S Rz! @rh (A Lip @hA, oe NE EN IE DI Me a me i j e+ ERz, + + ERTUh,,_,

(20.)

wo S=2-+4%, ++ %,-ı die Summe aller Exponenten be- zeichnet, welche, wie oben gezeigt worden ist, beliebig gewählt werden kann. Hieraus folgt weiter, dafs die Werthe der Expo- nenten £, &, 5°" &,_ı in folgende Form gesetzt werden können

|

M&C S + CA+(,4ı + "+ (,-14,-ı na =S+ (14+0(;,4, ++ 0(0A,_ı

: (21.) Hau =S + („1 d+ CAı + +03 duı:

Die Coöfficienten C,C,,... 0% sind in realer Form durch fol- genden Ausdruck gegeben

2nhr ‚.2anhz ‚cos —.b, I sn ..%,

er Z 14 (22.) eos, er Arladan Ba H2

& oh: N + BurDdberı E, + iE, 0

vom 16. Juni 1870. 419

Die Summen von » 1 Gliedern, durch welche die (',C, ... C,_ı zu berechnen sind, reduciren sich auf die Hälfte der Glieder, weil je zwei vom Anfange und Ende gleich abstehende Glieder einander gleich sind, welches daraus folgt, dafs

2n(u h)r 2nhr Ba, = EB, cos (>) = 008 —— ; 23 7 .. an(lu —h)r 18 olnıhrz „hr Ei sin u ei = sin —— » 73 [4

Da die Gröfse S in dem Ausdrucke (22.) ganz beliebig ge- wählt werden kann, oder, was dasselbe ist, da man die Werthe der &, &1, ... £u—ı alle gleichzeitig um eine und dieselbe beliebige Grölse vermehren und vermindern kann, ohne das Resultat zu än- dern, so folgt, dafs es nicht blofs ein einziges bestimmtes System von ganzzahligen Werthen dieser Exponenten giebt, welche sich von den gebrochenen Werthen um weniger als eine halbe Einheit unterscheiden, sondern dafs es im Allgemeinen « solcher Werth- systeme giebt, welche man mit gleichem Rechte wählen könnte. Unter diesen hat man daher schliefslich noch dasjenige auszusu- chen, welches den kleinsten Werth der Summe M ergiebt.

Nach dieser Methode habe ich nun für die oben gegebene complexe Zahl, welche die neunte Potenz eines idealen Primfaktors von p = 311 für X = 31 giebt, die nöthigen Rechnungen vollstän- dig ausgeführt und gefunden, dafs dieselbe folgende sehr einfache Form annimmt.

Pla —= 2 x 2a? 2a at + 2a +ad x a8 za +3al a oa tat al +20 x 23.) —+ 2018 + «19 + «20 2 2322023

«26 + 327 + 2238 + 329 + 239,

Aus der bei (8.) gegebenen schon etwas vereinfachten Form erhält man diese einfache durch Multiplikation mit der Einheit

EA 00 933,999 5405 E= eejejegeges egezeses eiı ia iz a > (24.) wo h Zyl e,=1-+.? —tß ER

420 Gesammtsitzung

Aus der bei (7.) gegebenen, ursprünglich gefundenen Form geht dieselbe einfache Form hervor durch Multiplikation mit der Einheit

Zt 2 DB SE Te a angdead: Ag E = erejeyezyegez ee eg ey 11 i2tistia (25.)

Die Zahl M, durch welche der Grad der Einfachheit der com- plexen Zahl bestimmt wird, ist für die ursprüngliche Korm (7) M 96625316, für die etwas vereinfachte Form (8.) M = 8039 und für die einfache Form (23.) M = 987. Wenn durch Multipli- kation mit Einheiten die Theile der Summe M nicht blofs ange- nähert, sondern vollständig gleich gemacht werden könnten, so

würde der Werth des M sich bis auf VN/() herabbringen las- 15 sen, also in denı vorliegenden Falle bis auf Val) = 496, 621... Bei Ausführung der numerischen Rechnungen mit Hülfe der Losarithmen hat man nur denjenigen Grad der Genauigkeit einzu- halten, welcher dafür bürgt, dafs die gefundenen Werthe der Ex- ponenten &,%1,...2,—, in den Ganzen, Zehnteln und Hunderteln ge- nau erlangt werden, es werden also im Allgemeinen Logarithmen- tafeln von einer sehr geringen Stellenzahl ausreichen. Es tritt aber, wenn die ursprünglich gegebene complexe Zahl f(«) wenig einfach ist, allemal der Umstand ein, dafs von den zu f(«) f(«”') eonjugirten complexen Zahlen, deren Werthe man berechnen muls, eine oder einige aufserordentlich klein werden, wodurch ihre Be- rechnung und die Berechnung ihrer Logarithmen, welche man auf einige Stellen genau kennen mufs, aufserordentlich mühsam wer- den würde, wenn man ihre Ausdrücke als Summen von % +1 Gliedern zu Grunde legen wollte. Bei der Durchführung der Rechnung, deren Resultat ich hier gegeben habe, liefs sich diese Unzuträglichkeit dadurch vermeiden, dafs bei der Berechnung die- ser Zahlenwerthe nicht die entwickelte Form (7.), sondern die un- entwickelte gebrochene Form (4.) zu Grunde gelegt wurde. Schliefslich bemerke ich noch, dafs diese Methode der Reini- gung der complexen Zahlen von den sie behaftenden Einheiten ohne Schwierigkeit auch auf die nicht aus den Einheitswurzeln selbst, sondern aus den Perioden gebildeten complexen Zahlen sich anwenden lälst.

vom 16. Juni 1870. 421

Hr. W. Peters las über Propithecus Deckenii, eine neue Art von Halbaffen aus Madagascar.

Als mir die zoologischen Sammlungen, welche der unglück- liche Baron C. von der Decken hinterlassen hatte, zur Bearbei- tung übergeben wurden, war mir nur eine einzige Art der Gattung Propithecus mit Bestimmtheit bekannt, und auch diese, Pr. diadema, kannte man nur unvollkommen nach jungen Exemplaren. Erst im vorigen Jahre hatte ich durch die Zuvorkommenheit der Hrn. Ed- wards Gelegenheit, die schöne Reihe von Pr. Verrauxi Gran- didier in Paris zu untersuchen und mich von ihrer Eigenthüm- lichkeit zu überzeugen, und ganz neuerdings hat unsere Sammlung ein ausgewachsenes Exemplar von dem wahren Pr. diadema Ben- nett erworben, wodurch eine genauere Vergleichung dieses letzte- ren mit den durch Hrn. von der Decken in Kanatzi erlegten Exemplaren ermöglicht wurde. Diese hat gezeigt, dafs die letzte- ren nicht allein durch den Mangel jeder schwarzen Färbung der Kopfhaare und der Hände, sondern auch durch mehrere Eigen- thümlichkeiten im Zahn- und Schädelbau von dem ächten Pr. dia- dema abweichen und einer besondern Art angehören, welche ich dem Entdecker zu Ehren benannt habe.

Propitheceus Deckeniü n. sp. Propithecus diadema Peters, C. von der Deckens Reisen IU.1. p.3 Taf. I. (non Bennett). Indris diadema St. George Mivart, Proceed. zool. soc. Lond. 1867. p- 247 Taf. XVIII. (Schädel eines jungen Thiers.)

Behaarung der Hände und des Kopfes von der gelblichweis- sen Färbung des übrigen Körpers, Lendengegend nnd Weichen bei einem alten Weibchen grau angelaufen, bei einem jungen Weibchen einige Nackenhaare mit schwarzen Spitzen. Gesicht schwarz mit weilslichem Fleck auf der Nase oder auf dem Schnauzenrücken. Schwanz so lang oder länger als Kopf und Rumpf zusammenge- nommen.

Pr. diadema ist im ausgewachsenen Zustande ein gröfseres Thier, hat, wie es die neuerdings nach Europa gebrachten Exem- plare zeigen, in der That constant einen viel kürzeren nicht bis zu den Hacken reichenden Schwanz und ist auch durch die Färbung sehr verschieden.

Zur Vergleichung des Gebisses und Schädels liegt mir der Schädel eines ausgewachsenen weiblichen Prop. diadema, die Schä-

422 Gesammtsitzung

del eines alten und eines sehr jungen weiblichen und der von Hrn. Mivart beschriebene und abgebildete Schädel eines Exem- plars unbestimmten Geschlechts von Pr. Deckenii vor.

Was das Gebils anbelangt, so stimmen swohl die oberen wie die unteren vorderen Backzähne beider Arten so sehr mit einander überein, dafs sich keine wesentliche Verschiedenheit daraus ent- nehmen läfst. Dagegen sind sowohl die beiden letzten Backzähne oben und unten, wie auch die Schneidezähne beträchtlich gröfser bei Pr. diadema als bei Pr. Deckenii, wie dieses auch sogleich bei einer Vergleichung der Mivartschen Abbildungen mit der Blainville- schen in die Augen springt und wie es die folgenden Mafse der beiden alten Schädel deutlich zeigen.

Pr. diadema Pr. Deckenüi

Länge des vorletzten oberen Backzalıns . 02008 070065

R: letzten n 5 070058 00041

5 vorletzten unteren 4 070075 070063

2 letzten n B 00075 00063

- ersten oberen Schneidezahns . 0m0064 00036

> zweiten 5 070035 0%003

Breite des unteren Eckzahns . -0=20037-. 020029 Breite der beiden unteren Eck- und SEREe:

zähne zusammen 00095 02007

Distanz der oberen Eckzahnspitzen 0R0LI5 0,016

Pr.VerreauxiiGrandidier (Album de Pile: dela Reunion. 1867.) hat, nach der Abbildung zu urtheilen, dieselbe Gröfse der Backzähne wie Pr. diadema, indem die Reihe der oberen Backzähne 0031 (bei Pr. Deckenii 0%283) lang ist, aber die kleineren Schneidezähne von Pr. Decken.

Was den Schädel anbelangt, so sind, bei im Allgemeinen glei- cher Gröfse, besonders folgende Unterschiede zu bemerken. Bei Pr. Decken ist die vordere Nasenöffnung merklich gröfser, die Schnauze daher sowohl in senkrechter als in querer Richtung ne- ben jener mehr aufgetrieben und zugleich sind die Nasenbeine platter, im Ganzen breiter und weniger nach hinten ragend; die Stirngegend ist flacher und ohne merkliche Seitengruben über den weniger hervorspringenden Supraorbitalbögen; das Foramen lacry- male liegt dem Rande der Orbita näher und das Os lacrymale bil- det hinter und über demselben eine Crista; die Orbita ist kleiner und ihr Abstand von dem dritten Backzahn gröfser als bei Pr.

vom 16. Juni 1870. 423

diadema. Über dem Thränenbein findet sich bei Pr. Deckenii eine auffallende supraorbitale Einbuchtung, während dieselbe bei Pr. dia- dema viel mehr abgeflacht ist. Der Postorbitalfortsatz des Stirnbeins ist breiter und sowohl der Oberkieferjochfortsatz “als der Jochbogen sind höher und der letztere ist mehr nach aufsen gebogen als bei dieser Art. Der Gaumen und der Hirnschädel über der Wurzel des Schläfenjochfortsatzes sind etwas schmäler als bei Pr. diadema. Die Choanen und der Abstand des letzten Backzahns von den Gehörbullen sind gröfser, die letzteren selbst aber kleiner. Die Ala interna des Keilbeins ist merklich breiter und daher ist die Entfernung der Hamuli pterygoidei von den Gehörbullen viel geringer als von dem hintersten Backzahn, während bei Pr. diadema das Umgekehrte statt findet und die Hamuli pterygoidei den Backzähnen viel mehr genähert sind. Auch ist die Unterseite des Keilbeinkörpers ganz flach, während sie bei Pr. diadema einen mittleren erhabenen Längs- kiel bildet und endlich ist der für die Indris characteristische un- tere Ausschnitt des Schläfenjochfortsatzes neben der Kiefergelenk- ‚grube merklich kleiner. Der Unterkiefer von P, Deckeni hat eine längere Symphyse, ist sowohl in seinem horizontalen als in seinem aufsteigenden Theile höher und in diesem letztern auch breiter, aber von der Basis des Schneidezahnes bis zur Mitte des hintern Randes etwas kürzer als der von Pr. diadema.

Bei den folgenden Mafsen der beiden alten weiblichen Schädel ist zu bemerken, dafs an dem von Pr. Deckenii der obere Theil des Hinterhaupts fehlt und daher die a desselben nicht angegeben werden kann.

Pr. diadema Pr. Deckenü Totallänge . . ; 24000873

Distanz vom hintern Br a se bis zum vordern Ende des Zwischenkieferss 090765 02075

Breite der vordern Nasenöffnung . . . . 0m9118 07013 Breite der Schnauze über dem ersten Back-

zahn neben der Nasenöffnung . . . . 09020 00215 Höhe der Schnauze nebst dem ersten Back-

zahn neben der Nasenöffnung . . . . 0”023 0%0255 Länge der Nasenbeine . . . 2. ...2....0m022 07016 Breite beider Nasenbeine zusammen in der

Biniter, . . 5 er 00082 Gröfster Beiinehse ae Orbita . .0:2000247 070232

[1870] 30

424 Gesammtsitzung

Orbitaldistanz . -

Abstand des untern Orbitalrandes von dem dritten Backzahn

Höhe des Oberkieferjochfortsatzes in der Mitte

Höhe des Jochbogens in der Mitte Breite des Postorbitalfortsatzes in der Mitte

Breite des Schädels über der Wurzel des Schläfenjoehfortsatzes lest

Gröfster Abstand der Jochbögen . Länge des Gaumens

- Breite des Gaumens zwischen den vorletz- ten Backzähnen . .

Abstand des letzten Backzahns von der Ge- hörbulla e n

Abstand des letzten Backzahns von dem Hamulus pterygoideus

Höhe der Choanen . » : ne. Breite des Proc. pteryg. int. in der Mitte . Längsdurchmesser der Gehörbulla Länge des Unterkiefers von der Basis der Schneidezähne bis zur Mitte des hintern Bandes. 3 tn el neaha- me Länge der Symphyse des Unterkiefers . Höhe des Unterkiefers unter dem vorletzten Backzahn? . ver. a oe u ae. Höhe von dem untersten Theil des Unter- kieferwinkels bis zum Gelenkhöcker . Längsdurchmesser des senkrechten Unter- kiefertheils über den Backzähnen .

Pr. diadema

090187 090105 0m0093 070064 0m006

0m045

0m0575 0m033

0m0195 0m0175 0m0055 0m0065

0mM0046 0m0153

00583 000217 070108 0m034

0m020

Pr. Deckenir 0”0178

0m012 090102 0m0084 000075 0m043 0m059 0m0315 0m017 00195 0m011 0m008

000073 0mO14

0m0565 0m024

0m0143 0m0387

070225

Der Schädel von Pr. Verrauxü steht, nach der Abbildung zu

urtheilen,

durch die Form des Unterkiefers und die Höhe des

Jochbogens dem Pr. Deckenü, durch die geringere Höhe des Schnauzenendes und die Lage des Foramen lacrymale dem Pr. diadema näher. Jedoch würde eine genauere craniologische Unter- suchung sowohl von Pr. Verrauxü wie von dem neuerdings bekannt gewordenen Pr. demanus Pollen sehr wünschenswerth sein.

vom 16. Juni 1870. 425

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Comptes rendus de l'academie des sciences. Vol. 69, no. 12—26. Vol. 70, no. 1—19. Paris 1869—70. 4.

Göteborgs Vet. Samhälles Handlingar. Häftet X. Göteborg 1870. 8.

Münchener Sitzungsberichte. 1870. I. Heft 2.

Proceedings of the London Mathematical Society. no. 21—24. London 1870. 8.

Quarterly Journal of the Geolegical Society. XXV, 4. London 1869. 8.

Proceedings of the Royal Geographical Society. XVII, no. 5. London 1869. 8.

Zehnter Bericht der Gesellschaft in Offenbach. - Offenbach 1869. 8.

Sands, Aeports on the Total Solar Eclipse. Aug.7. 1869. Washington 1869. 4.

Poncelet, Introduction & la mecanique industrielle. Ed. III. Paris 1870. 8.

23. Juni. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Braun theilte eine Abhandlung von Dr. Leopold Kny über die Morphologie von Chondriopsis cerulescens Crouan und die dieser Alge eigenen optischen Erschei- nungen mit.

Unter den Florideen der Bucht von Palermo ist Chondriopsis ceerulescens ') Crouan durch die Pracht ihres Farbenspieles in ho- hem Grade ausgezeichnet. Bei heller Witterung sieht man schon aus grölserer Entfernung die dichten Büschel, welche die Kalk- felsen der Küste wenig unterhalb des mittleren Wasserniveaus (oft streckenweise) überdecken, in lebhaft stahlblauem Licht er-

!) Diese Pflanze wurde von den Brüdern Crouan an der Küste der Bretagne entdeckt und in ihren Alg. mar. Finist. edir. Nach einer gefäl- ligen brieflichen Mittheilung von Hrn. Thuret ist sie an der atlantischen Küste von Frankreich mehrfach beobachtet worden; sie ist sehr häufig bei Biarritz und geht nördlich bis St. Vaast-la-Hougue. Aus dem Mittelmeer ist sie meines Wissens noch nicht bekannt geworden. Hr. L. Crouan hatte die Güte, die Identität der Art an einem ihm übersandten Exemplar zu con- statiren. ek

30*

426 Gesammtsitzung

glänzen. Betrachtet man einzelne, noch mit Seewasser benetzte Exemplare bei auffallendem Licht genauer, so sieht man den blauen Metallglanz an vereinzelten Punkten in ein schönes Grün, an anderen Stellen in eine violette Nuance übergehen und gegen die Astspitzen sich allmälig in einen mattgrauen Ton auflösen. An älteren Stammgliedern tritt die Erscheinung im Ganzen viel weniger lebhaft hervor. Bei durchfallendem Licht besitzen alle erwachsenen Theile der Pflanze eine schmutzig blafsrothe Färbung; an den Astspitzen zeigt dieselbe einen Stich in’s gelbliche.

Entwickelte Exemplare, wie ich sie im Laufe des April und Mai 1870 in der Nähe des alten Hafens sammelte, sind etwa 3—4 Zoll lang und reich büschelförmig verzweigt. Das Stämm- chen ist seiner gesammten Länge nach eylindrisch; die von ihm entspringenden Äste, besonders aber die Auszweigungen höheren Grades, sind am Grunde deutlich verschmälert. Die jüngsten noch unentwiekelten Zweige besitzen Keulenform. Über die glatte Ober- Aäche des Thallus treten flach-warzenförmige Narben hervor, die, zusammen mit den Ursprungsstellen der Zweige, eine fortlaufende Spirale bilden. Sie bezeichnen die Stelle abortirter oder abge- fallener Zweige. Das Stellungsverhältnifs fand ich an einer grölse- ren Anzahl von Exemplaren ziemlich genau #.

Untersucht man einen der jüngeren Zweige bei schwacher (etwa 50—100 facher) Vergröfserung und mittlerer Einstellung, so erkennt man unschwer eine Gliederung. Ober- und unterhalb der Medianebene wird dieselbe undeutlicher und verrchwindet an der äufsersten Rindenschicht vollkommen. Der Vergleich von Längs- und Querschnitten erweist, dafs jedes Glied seiner gesammten Länge nach aus einer grofsen Centralzelle und 5 um sie geordne- ten Zellen von annähernd gleichem Querdurchmesser zusammenge- setzt ist. (Fig. 1 nnd 2). Letztere alterniren in den aufein- anderfolgenden Gliedern regelmäfsig miteinander. Auf die 5 peripherischen Zellen folgen ein bis zwei Schichten engerer und kürzerer Zellen von unbestimmter Zahl und regelloser Unord- nung, die nicht überall lückenlos aneinanderschliefsen. Nach aufsen wird der gesammte Zellkörper von einer continuirlichen, aus noch kleineren Zellen zusammengefügten Rindenschicht umschlossen. (Fig. 2).

Es ist nicht ganz leicht den Ursprung der verschiedenen Ge- webselemente im Vegetationspunkt zu ermitteln, da dieser in einer

vom 23. Juni 1870. 427

napffürmigen Vertiefung der Stammspitze eingesenkt liegt. Die Terminalzelle nimmt den Scheitel eines schlanken Kegels ein, der sich aus der Mitte der Einsenkung bis fast zur Höhe des Walles erhebt. (Fig. 1). Durch Behandlung mit Ätzkali, unter gleich- zeitiger Anwendung eines mälsigen Druckes, gelingt es zuweilen, den Vegetationspunkt aus der Vertiefung hervorzustülpen (Fig. 4). Man erkennt dann aufs deutlichste, dals sich die Scheitelzelle durch die wiederholte Bildung horizontaler, einander paralleler Scheide- wände verjüngt. Bevor die flach-scheibenförmigen Gliederzellen weitere Theilungen eingehen, sieht man ihre Seitenwandung sich an einer bestimmten Stelle hervorwölben (Fig. 4 u. Fig. 6 beia). Es ist dies die erste Anlage der für Chondriopsis und Polysiphonia charakteristischen pseudodichotomen Haare, von Nägeli ihres be- grenzten Wachsthums wegen als Blätter gedeutet. Bald nach ihrem ersten Auftreten gliedern sie sich durch eine schräge Wand von ihrer Mutterzelle ab (Fig. 3 bei a.)'). Nach oben setzt sich diese Wand der horizontalen Querwand der Gliederzelle auf; nach unten trifft sie wenig oberhalb derselben. Erst nachdem sich die Anlage des pseudodichotomen Blattes abgesondert hat, beginnt die Gliederzelle durch eine Reihe von Längswänden sich in eine centrale und 5 peripherische Zellen zu theilen (Fig. 6 bei b.). Die erste dieser Längswände entsteht genau unterhalb der jungen Haaranlage; von da schreitet ihre Bildung wahrscheinlich, wie bei Polysiphonia”), nach beiden Seiten fort, um auf der gegen- überliegenden Seite zum Abschlufs zu gelangen. Eine direkte Ver- folgung dieser Theilungen hat mir bei der grofsen Schwierigkeit, Querschnitte durch den eingesenkten Vegetationskegel herzustellen, nicht gelingen wollen.

Während die Centralzelle eines jeden Gliedes zur Dauerzelle

1) Ähnlich, wie bei den Landmoosen; hier wird indefs durch den er- sten Theilungsschnitt in jedem Segmente die Mutterzelle des Blattes sammt eines Theiles des äulseren Stammgewebes abgetrennt, cf. Pflanzen- physiologische Untersuchungen von Nägeli und Cramer 1 Heft p. 76 und Leitgeb, Wachsthum des Stämmchens von Fontinalis antipyretica (Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1868) p. 3, wo die einschlägigen Angaben der Litteratur besprochen sind.

2) ef. Nägeli in dessen Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik, Heft III u. IV p. 209.

428 Gesammtsitzung

wird, treten in den peripherischen Zellen eine Reihe weiterer, un- ter sich übereinstimmender Theilungen auf. Die erste Wand ist schräg nach innen und nach abwärts gerichtet; sie setzt sich einer- seits der freien Aufsenwand, andererseits der unteren Querwand an und trennt eine kleinere, im Seitenprofil dreiseitige Zelle von einer gröfseren, fünfseitigen ab (Fig. 6 bei d). In letzterer folgt bald darauf eine der Aufsenfläche parallele Wand, welche den klei- neren, nach aufsen gelegenen Theil als selbstständige Zelle abglie- dert (Fig. 6, beie.). Die nach innen gelegene Zelle des 3zelligen Complexes wird nun auch ihrerseits zur Dauerzelle; jede der bei- den Aufsenzellen dagegen verdoppelt sich durch eine radiale Längs- wand. Im weiteren Verlauf wiederholt sich in ihren Tochterzellen der Theilungsvorgang, den wir für die Aufsenzellen ersten Grades beschrieben haben. Die erste Scheidewand ist ebenso, wie in die- sen, schräg nach innen und abwärts gerichtet (Fig. 6 bei f); in der oberen der beiden Tochterzellen folgt eine tangentiale Längs- wand, und in den neuen Aufsenzellen wechseln hiermit radiale Längswände ab. Damit ist das Dickenwachsthum des Stämmchens, soweit es eine Folge von Zellvermehrung ist, meist beschlossen. Die Aufsenzellen desselben Gliedes halten bei diesen Theilungen nicht nothwendig gleichen Schritt; gewöhnlich gehen die oberen den unteren um eine Stufe voran (Fig. 6, bei f.).

Während die letzten Theilungen an der Peripherie, welche zur Bildung der definitiven Rindenschicht führen, vor sich gehen, strecken sich die fünf um die Centralzelle liegenden Zellen jedes Gliedes schief nach oben und aufsen (Fig. 1), wobei sich ihr seit- licher Zusammenhang lockert. Indem die Streckung sich in den nächstunteren Gliedern rasch steigert, wird die von ihnen getragene junge Epidermis aus der steil absteigenden Richtung, welche sie im Vegetationskegel zeigte, in eine entgegengesetzte umgewendet und zum Wall der trichterförmigen Vertiefung, in dessen Grunde der Vegetationskegel sich erhebt. Die wenigen Stammglieder, welche an der Zusammensetzung des Walles Antheil nehmen, stellen ein System ineinandergeschachtelter paraboloidischer Schalen dar. Wei- ter abwärts flachen sich dieselben rasch ab, indem die Längsdeh- nung in allen Zellen eine immer gleichmäfsigere wird. Die Folge hiervon ist, dafs die Aufsencontour des Stämmchens von Neuem in ihre frühere Richtung nach unten umbiegt (Fig. 1).

Die Anlagen der pseudodichotomen Blätter, die wir aus den

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jüngsten Gliederzellen der Stammspitze hervortreten und durch eine Scheidewand sich abgliedern sahen, eilen dem Stämmchen in ihrer Entwickelung rasch voran. Nachdem sie sich bis auf das Doppelte ihres Querdurchmessers verlängert haben, werden sie durch eine Querwand zweizellig (Fig. 4 bei c.). Bald darauf stülpt sich die Gliederzelle dieht unterhalb der Scheidewand seitlich und zwar, mit Rücksicht auf das Stämmchen, in tangentialer Richtung her- vor und zerfällt, nachdem sich die junge Scheitelzelle von Neuem getheilt hat, in eine freie obere Zelle und eine untere Zelle, welche die Dimensionen der ursprünglichen Gliederzelle wiederholt. So- wohl im Hauptstrahl, als im Zweigstrahl setzt sich Wachsthum und Verzweigung fort. Für letztere gilt als Regel, dafs jede Gliederzelle (mit Ausnahme derer an den äufsersten Zweigenden des entwickelten Haares, welche steril bleiben) je einen Zweig- strahl erzeugt; dafs der erste Zweig stets auf der dem Mutterstrahl abgekehrten Seite entsteht und sie in den aufeinanderfolgenden Gliedern regelmäfsig nach rechts und links alterniren; endlich, dafs sämmtlichen Verzweigungen in derselben u. zw., mit Rücksicht auf das Stämmchen, in einer tangentialen'!) Ebene liegen. Die Theilungen, welche im Haupt- und Seitenstrahl gleichen Schritt halten, gelangen schon zum Abschlufs, während sich die Blätter noch am inneren Rande der napfförmig vertieften Stammspitze befinden. Kurz, bevor sie auf der Höhe des Walles angelangt sind, beginnt die Längsdehnung ihrer Zellen, die in geringer Entfernung unterhalb desselben schon beendet wird und ihnen die charakteristische pseudodichotome Gestalt ertheilt. Ebenso rasch, wie sie sich entwickelt haben, gehen sie auch wieder zu Grunde; in Entfernung der doppelten Stammdicke unterhalb der Spitze ist schon keine Spur mehr von ihnen zu finden. Bei ihrer frühzeiti- gen Zerstörung wirken, aufser den inneren, wohl auch noch zwei äufsere Ursachen mit; einmal die Entwickelung der sie umschlies- senden Rinde, deren Dehnung ihre zarte, bereits ausgewachsene

1) Nach Nägeli (Neuere Algensysteme p. 224) ist bei den unserer Pflanze nahe verwandten Chondriopsis dasyphylla (Woodw.) und Ch. tenuissima (Good. et Woodw.) die Divergenz der aufeinanderfolgenden Verzweigungs- ebenen 4, ebenso wie bei Polysiphonia (vergl. Zeitschr. f. wissensch. Bot., Heft IIL u. IV p. 211). |

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Basalzelle wahrscheinlich nur noch passiv folgt und das Wachs- thum der in ihren Achseln entspringenden Seitenzweige.!)

Es hat mir nicht gelingen wollen, die Seitenzweige bis auf ihre einzellige Anlage rückwärts zu verfolgen, da diese in der Ver- tiefung der Stammspitze eingesenkt liegt; doch ist es mir aus der Untersuchung der frühesten Zustände wahrscheinlich geworden, dals sie aus einer Aufsenzelle des Stammes ihren Ursprung nehmen. In der Jugend sind sie schlank, fast spindelförmig und gegen den Scheitel des Mutterastes aufgerichtet (Fig. 6). Die Scheitelzelle liegt frei an der Spitze und die Gliederung der Zell- complexe ist bis zur Basis hin leicht zu verfolgen. Die Entwicke- lung der untersten Glieder ist von der der folgenden in mehr, als einer Beziehung abweichend. Die ersten Längstheilungen, welche zur Bildung einer centralen und 5 peripherischer Zellen führen, heben hier stets auf der dem Mutterast abgekehrten Seite an (Fig. 5, bei a.) die weiteren Theilungen sind beschränkter, als in den spä- teren Gliedern und das Dickenwachsthum der Zweigbasis damit ein viel geringeres. Am wichtigsten ist, dafs ihnen die Fähigkeit abgeht, pseudodichotome Blätter zu erzeugen. Erst auf dem 6. bis

!) Da der gesammte Verlauf ihrer Entwickelung: die Abtrennung ihrer Mutterzelle durch den ersten Theilungschnitt von der Gliederzelle des Stammes; ihre frühzeitige Ausbildung, welche der des zugehörigen Stamm- gliedes voraneilt, und ihr rasches Absterben die pseudodichotomen Haare als echte Blätter charakterisirt, nehme ich keinen Anstand, die dicht über ihrer Basis entstehenden und dem nächsthöheren Gliede angehörigen Zweig- anlagen als Achselsprosse zu bezeichnen. Ist diese Deutung richtig, dann bezeichnet Chondriopsis die tiefste Stufe des natürlichen Systemes, auf welcher sich Axillarknospen entwickeln. Die Gesetzmäfsigkeit ihrer Stellung ist gegenüber der scheinbaren Regellosigkeit, die in der Stel- lung der Seitenknospen unter den Moosen herrscht, höchst aufällig. (cf. Leitgeb Il. c. p. 23 ff. und derselbe: Wachsthum des Stämmchens und Ent- wickelung der Antheriden von Sphagnum p. 11).

Während bei Chondriopsis cerulescens Cr. jedes Stammglied normal ein pseudodichotomes Blatt und einen in der Achsel desselben entspringen- den Seitenzweig erzeugt, tragen bei den Arten der nächst verwandten Gattung Polysiphonia die aufeinanderfolgenden Glieder ohne bestimmte Regel je ein Blatt oder je einen Zweig, die sämmtlich Glieder derselben Spi- rale sind. Dabei bleiben oft ein oder mehrere Stammglieder steril, ohne dafs die Schraubenlinie dieserhalb eine Unterbrechung erleidet (cf. Nägelil. c. p. 215).

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12. Gliede und zwar meist, aber durchaus nicht gesetzmäfsig, auf der dem Hauptstamm abgekehrten Seite tritt das erste derselben auf (Fig 6, bei c.; hier ist es dem Hauptstamm zugekehrt); und von nun an werden sie ohne Unterbrechung und, soweit ich feststel- len konnte, in demselben Stellungsverhältnifs (ohngefähr 2) gebildet, das ihre Achselsprosse oder deren Narben am entwickelten Stämm- chen zeigen. Mit dem Auftreten der Blätter nehmen auch die weite- ren Theilungen der Gliederzellen die oben beschriebene Regelmäfsig- keit an; die erste Längswand entsteht nun nicht mehr an der Aulsenseite des jungen Zweiges, sondern unterhalb der Ursprungs- stelle des Blattes.

Seiner Entwickelung nach läfst sich das Stämmchen von Chon- driopsis coerulescens als aus einer regelmälsig verzweigten Zellreihe aufgebaut betrachten. Die Hauptachse des Verzweigungssystemes bildet die Reihe der Centralzellen sämmtlicher aufeinanderfolgender Glieder. Von jeder derselben entspringt ein fünfzähliger Quirl begrenzter Äste, die mit denen der nächst oberen und unteren Wirtel alterniren. Jeder Ast trägt auf seiner einfachen Basalzelle 4 Zweige, von denen 2 gegen den Scheitel, 2 gegen die Basis der Pflanze gerichtet sind. Diese Verästelung wiederholt sich genau in der gleichen Weise, aber meist in weniger bestimmtem Zahlen- verhältnils, mindestens noch einmal, seltener noch zweimal. Die letzten, der Regel nach einzelligen Zweige legen sich mit ihren Nachbarinnen eng zur Rinde zusammen, während der seitliche Zu- sammenhang der übrigen Zellen, soweit dieselben nicht aus der gleichen Specialmutterzelle hervorgegangen sind, nur ein partieller ist und mehr oder weniger weite, mit wälsrigem Saft erfüllte Lücken zwischen ihnen frei bleiben. Fast immer werden diese nachträg- lich durch enge verästelte Fäden ausgefüllt, welche aus den inne- ren Zellen des Stämmchens ihren Ursprung nehmen (Fig. 2).

Aus der Rinde der älteren Stammglieder sieht man an ver- schiedenen Stellen, besonders häufig auf den warzenförmigen Zweig- narben, Büschel einzelliger Wurzelhaare hervortreten. Dieselben sind Nichts, als eine Verlängerung der Aufsenzelle, der sie ange- hören; ihr freier, äufserer Theil ist von dem der Rindenschicht angehörigen inneren Theil durch keine Scheidewand getrennt.

Alle Theile der Rinde, besonders aber die warzenförmigen Narben, besitzen die Fähigkeit, Adventivzweige zu erzeugen. Zu- weilen entstehen sie in gröfserer Zahl nebeneinander. Ebenso, wie

452 Gesammtsitzung

die normalen Achselsprosse, scheinen sie aus der Theilung einer Aufsenzelle hervorzugehen (Fig. 5).

Chondriopsis cerulescens ist, wie die grolse Mehrzahl aller Florideen streng trioecisch.

Die Tetrasporen-Exemplare sind durch zahlreiche kurze, - am Ende der Hauptäste zu Büscheln vereinigte Zweige kenntlich, die sich, aufser durch matter graue Färbung, von den vegetativen Zweigen in Nichts unterscheiden. Die Tetrasporen werden hier in gröfserer Zahl dicht unter der Rinde gebildet. Sie entspringen am oberen Ende der um die Centralzelle geordneten fünf periphe- rischen Zellen und nehmen die Stelle einer der nach aufsen ihr angrenzenden 4 Tochterzellen sammt dem ihr zugehörigen Rinden- stück ein. Ob dieselbe peripherische Zelle mehr, als eine Tetra- spore zu erzeugen vermag, lasse ich dahingestellt; sicher dagegen ist, dafs in demselben Stammgliede oft mehrere gleichzeitig auf- treten, welche dann verschiedenen, auf gleicher Höhe stehenden peripherischen Zellen angehören. Die Membran der jungen Sporen- mutterzelle zeichnet sich vor denen der ihr benachbarten vegetati- ven Zellen durch ihre grofse Quellbarkeit in Ätzkali aus. Die Theilung des protoplasmatischen Inhaltes erfolgt stets in tetra&- drischer Richtung und zwar schon in geringer Entfernung unter- halb der Spitze des fortwachsenden Tetrasporenastes. Nachdem sie vollendet ist, nehmen sämmtliche 4 Tochterzellen sammt ihrer Mutterzellmembran noch bedeutend an Umfang zu, ohne dafs die Kugelgestalt des Tetrasporeneomplexes dadurch geändert wird. Vor der Reife werden die Tetrasporen von der Rindenschicht des Stämmchens continuirlich bedeckt. Die unmittelbar über ihnen liegenden Rindenzellen sind meist grölser, als die ihnen benach- barten.

Keimfrüchte und Antheridien habe ich nur einmal ge- sammelt. Leider versäumte ich diese Gelegenheit, ihre Entwicke- lung zu untersuchen. Nur davon überzeugte ich mich, dafs der Bau der Antheridien in allen wesentlichen Punkten denen von Chrondiopsis tenuissima (Good. et Woodw.) entspricht, welche Thuret (Ann. sc. nat. ser. III bot. tome 16 p. 17 ei alsnbe- schreibt und abbildet. Sie entstehen, wie auch bei Polysiphonia, durch Metamorphose der einen Hälfte eines pseudodichotomen Blattes und stellen einen plattenförmigen Körper von unregelmäfsig

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ovalem Umrifs dar, auf dessen beiderseitigen Flächen die Mutter- zellen der Saamenbläschen entspringen. In der Mitte ist ein (nicht pseudodichotom-) verzweigter Zellfaden erkennbar, der das ganze Organ als Gerüst stützt; am Rande wird dasselbe von einer ein- fachen Reihe gröfserer, steriler Zellen umkränzt. Bemerkenswerth ist, dafs die Antheridien-tragenden Haare nicht so früh zu Grunde gehen, als die sterilen; sie reichen etwas weiter an den Zweig- enden herab und sind schon mit blofsem Auge als weifsliche Schüppchen an denselben erkennbar.

Stellt man durch einen erwachsenen, deutlich blau schimmern- den Stammtheil unserer Pflanze eine Anzahl Querschnitte her, welche etwas mehr, als die Dicke eines Gliedes besitzen, so dafs man sicher ist, über ihre gesammte Fläche unverletzte Zellen zu erblicken, so überzeugt man sich leicht, dafs die Farbenerscheinung in ihrer vollen Lebhaftigkeit nur den Zellen der äussersten Rindenschicht angehört und weiter nach innen höchstens noch Spuren davon sichtbar sind. Schon die Betrachtung dieser Quer- schnitte macht es mehr als wahrscheinlich, dafs die Eigenschaft, blaues Licht zu reflektiren, nicht der Membran der Rindenzellen, son- dern ihrem Inhalt angehört. Deutlicher noch wird diefs, wenn man durch einen dünnen Oberflächenschnitt einen Theil der äusser- sten Rindenschicht abtrennt. Die Zellen derselben lassen sich dann sammt ihrem Inhalt bei durchfallendem Licht klar übersehen. Sie sind in der Richtung der Stammachse auf das Doppelte bis Sechs- fache ihres Querdurchmessers verlängert; ihre Scheidewände sind dünn und schwach wellig gebogen. Dem Primordialschlauch, wel- cher die Innenseite der Membran auskleidet, liegen zahlreiche Iin- senförmige, schmutzig - roth gefärbte Plasmakörner eingebettet. Weiter nach innen bemerkt man in dem das Lumen erfüllenden wasserhellen Zellsaft eine unbestimmte Zahl schwach körniger, schmutzig-blalsgelber Körper von etwas stärkerem Lichtbrechungs- vermögen und gerundetem, aber selten genau kugeligem Umrifs (Fig. 9), Hat man sich in einer bestimmten unverletzten Zelle über die relative Anordnung ihrer Inhaltsbestandtheile genau orien- tirt und schliefst das vom Spiegel des Mikroskopes zurückgewor- fene Licht ab, indem man gleichzeitig ein Objektivsystem benutzt, dessen Fokalabstand eine genügende Intensität des von oben auf das Objekt fallenden Lichtes gestattet, so überzeugt man sich, dafs

434 Gesammtsitzung

die Fähigkeit blaues Licht zu reflektiren, ausschliefs- lich den bla[s-gelblichen Inhaltskörpern eigen ist. Da- mit hängt es zusammen, dafs man bei Anwendung schwacher Ver- grölserungen den Zellinhalt nicht gleichmäfsig, sondern an ge- wissen Stellen besonders lebhaft in stahlblauem Licht erglänzen sieht und dafs die zu einem Maschennetz vereinigten dunklen Li- nien, welche die beleuchteten Zelllumina von einander abgrenzen, nicht nur die Dicke der Scheidewand zwischen den einzelnen Ober- hautzellen, sondern auch die ihnen anliegenden zwei Primordial- schläuche nebst einem Theil des wässerigen Zellsaftes begreifen.

Diejenigen Zellen des Präparates, welche durch den Schnitt ver- letzt wurden, bleiben bei auffallendem Licht vollkommen dunkel. Bei näherer Untersuchung zeigt sich, dafs jede Spur der gelblichen Inhaltskörper in ihnen verschwunden ist. Das von aulsen einge- drungene Seewasser hat dieselben offenbar gelöst.

Legt man dünne Oberflächenschnitte, deren Rindenzellen gröls- tentheils unverletzt sind, in sülses Wasser, so sieht man, gleich- zeitig mit dem Austritt des rothen Farbstoffes aus den Plasma- körnern des Wandbeleges, die gelben Inhaltskörper sich allmälig lösen. Die Lösung erfolgt von aulsen nach innen und ist meist schon nach 2—3 Stunden beendet. Auch nachdem die Kör- _ per schon sehr klein geworden, besitzen die Zellen immer noch, wenn auch in geringerem Grade, die Fähigkeit, blaues Licht zu reflektiren: ein Beweis, dals die Eigenschaft, jene Farbenerschei- nung hervorzurufen, allen Theilen der Inhaltskörper, auch den in- neren, zukommt.

Ätzkali löst die Körper wenige Sekunden, nachdem es die röthlichen Plasmakörner grasgrün gefärbt. Auch nach dieser Um- färbung wurden, wie ich mich auf das Bestimmteste überzeugt habe, bei auffallendem Licht die blauen Strahlen mit derselben Leb- haftigkeit, wie vorher, reflektirt; das Verschwinden der Erscheinung ist ein plötzliches und findet gleichzeitig mit der Lösung der be- schriebenen Inhaltskörper statt.

Unter Einwirkung wässriger Jodlösung (1 Th. Jod, 2 Th. Jodkalium) nehmen die gelblichen Inhaltskörper eine dunkel roth- braune Färbung an. Bei dieser Umfärbung scheint sich, aufser dem aus der Lösung aufgespeicherten Jod, auch der aus den Plas- makörnern diffundirende rothe Farbstoff zu betheiligen. Ihre Form war nach einigen Stunden noch unverändert.

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Salzsäure und Essigsäure bewirken eine rasche Lösung der Inhaltskörper. In beiden Fällen geht ein Erlöschen der op- tischen Erscheinung in den Rindenzellen damit Hand in Hand.

Die angeführten Reaktionen liefern übereinstimmend den Be- weis, dafs die Farbenänderung der Rindenzellen ausschliefslich durch die eigenthümlichen gelblichen Inhaltskörper derselben her- vorgerufen wird. Ein weiterer Beleg hierfür liegt darin, dafs die Lebhaftigkeit der Erscheinung genau im Verhältnifs zur Zahl und Gröfse dieser Inhaltskörper steht. An jungen Stämmchen, welche schon bei diffusem Tageslicht ein intensiv blaues Licht reflektirten, fand ich das Lumen der Rindenzellen dicht mit ihnen erfüllt; an alten, der Anheftungsstelle nahen Stammgliedern sind meist nur noch Spuren von ihnen vorhanden, und auch der von der Rinde zurückgeworfene Schimmer ist oft kaum bemerkbar. Exemplare, welche dicht un- terhalb des mittleren Meeresniveaus wachsen und, bei niedrigem | Wasserstande, zeitweise entblöfst sind, verlieren den blauen Me- tallglanz vollständig und nehmen eine gleichmäfsig bräunliche') Färbung an. Die mikroskopische Prüfung zeigt, dafs die Inhalts- körper ihrer Rindenzellen vollkommen verschwunden sind.

Es wurde Eingangs erwähnt, dafs das reine Stahlblau an manchen Stellen der Pflanze in Violett, an anderen in Grün über- geht. Beide Farbennuancen haben eine sehr verschiedene Ursache, Die violetten Töne werden stets durch Vermischung des durch- fallenden rothen und des reflektirten blauen Lichtes hervorgerufen, die sich durch die mannichfachen Spiegelungen innerhalb des Ge- webes zur Genüge erklärt. Unter dem Mikroskop, wo sich das durchfallende Licht sicherer ausschliefsen läfst, geht das Violett stets in reines Blau über. Grüne Töne treten vorzüglich in den warzenförmigen Narben, aber auch in einzelnen Zellen sonst auf und stehen auch unter dem Mikroskop deutlich von dem Blau der um- gebenden Zellen ab. Am wahrscheinlichsten ist es mir, dafs diese Änderung der Reflexionsfarbe mit einem langsamen Absterben der betreffenden Zellen in Zusammenhang steht. Die charakteristischen Inhaltskörper waren in allen Fällen deutlich nachweisbar.

Die mikroskopische Untersuchung der Rindenzellen legte mir die Vermuthung nahe, dals die optische Eigenthümlichkeit der be-

!) Dieselbe Färbung, nur noch tiefer schwärzlich braun, ist auch ge- trockneten Exemplaren eigen.

436 Gesammtsitzung

schriebenen Inhaltskörper, ihre mattgelbe Farbe bei auflallendenı Licht in ein lebhaftes Stahlblau umzuwandeln, sich den zahlreichen bekannten Fluorescenz-Erscheinungen organischer und un- organischer Körper anreiht. Besälsen die Inhaltskörper krystalli- nische oder geschichtete Struktur, so wäre es immerhin denkbar, dafs durch Reflexion des Lichtes an den Grenzflächen spaltenför- miger, mit Luft oder Flüfsigkeit gefüllter Interstition sich die In- terferenzfarben dünner Blättchen bilden könnten. Doch würde man sich auch dann kaum vorstellen können, dafs bei so grolser Ver- schiedenheit in Gröfse und Form der Körper, die Spalten überall dieselbe Weite besitzen sollten, was zur Erklärung der rein blauen Reflexionsfarbe unumgänglich nothwendig wäre. Unmöglich wird diese Annahme gegenüber der erwiesenen Strukturlosigkeit der In- haltskörper, die mit der eines im Zellsafte suspendirten und mit deutlicher Contour gegen denselben abgegrenzten Schleimtropfens die meiste Ähnlichkeit hat. Weder das aus der wässrigen Lösung begierig aufgenommene Jod, noch Säuren und ätzende Alkalien liefsen die geringste Schichtung erkennen.

Bevor ich indefs die Erscheinung als unzweifelhafte Fluores- cenz ansprach, war es nothwendig, sie den bekannten physikali- schen Proben zu unterwerfen, um so mehr. als die Eigenschaft, zu fluoreseiren, an einem Inhaltsbestandtheile lebender Zellen bisher noch nicht beobachtet worden ist. Ich verdanke die Gelegenheit hierzu der Güte der Herren Professoren Blaserna und Caniz- zaro, die mir Räumlichkeiten und Instrumente mit freundlichster Bereitwilligkeit zur Verfügung stellten.

Es kam darauf an, zu entscheiden, wie die Erscheinung ge- genüber den verschiedenen Strahlen des Spektrums sich verhält.

Die erste Versuchsreihe wurde mit farbigen Gläsern ausge- führt. Ein Oberflächenschnitt, welcher eine gröfsere Zahl unver- letzter Zellen enthielt, wurde auf dem Objekttisch des Mikroskopes gebracht und, unter Abschlufs des durchfallenden Lichtes, zuerst bei weilsem, dann bei gelbem und zuletzt bei blauem Oberlicht beobachtet. Bei weilsem und blauem Licht trat der Metallglanz mit grofser Lebhaftigkeit hervor, während unter Einflufs der gel- ben Strahlen keine Spur davon sichtbar war.

Um die Wirkung der verschiedenen, insbesondere der brech- bareren Strahlen reiner untersuchen zu können, wurden mittels

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eines Flintglas- und eines Quarzprismas ') Spektren auf dunklem Hintergrund entworfen und lebhaft stahlblaue Zweige unserer Pflanze in einem Reagensglase unter Seewasser an den einzelnen Abtheilungen desselben langsam vorübergeführt. Das Resultat war kein befriedigendes. Zwar blieb die Erscheinung im hellleuch- tenden Theile des Spektrums weg und trat erst im Blau wie- der deutlich hervor; im Violett war die charakteristische blaue Farbe aber schon schwierig nachzuweisen, und im Ultraviolett, wo eine zum Vergleich mitgebrachte Lösung von schwefelsaurem Chi- nin noch deutlich in dem ihr eigenthümlichen mattblauen Licht erglänzte, waren an den Zweigen von Chondriopsis coerulescens nur noch Spuren eines matten Schimmers zu beobachten. Wurden die ultravioletten Strahlen, nach Ausschlufs der übrigen Theile des Spektrums, mittels einer Quarzlinse auf die Zweige concentrirt, so trat zwar der blaue Glanz, wenn auch schwach, doch deutlich hervor; da aber keine ganz absolute Dunkelheit im Zimmer her- zustellen war, blieb es immer unentschieden, ob derselbe von den ultravioletten Strahlen oder von den Spuren diffusen weissen Lichtes herrühre, das, wie ich mich überzeugte, von der Quarzlinse zu einem matten Fleck vereinigt wurde.

Durchaus erfolglos war ein letzter, mit einem Rhumk.orff- schen Inductionsapparat von S—10 Cm. Funkenlänge ausgeführter Versuch. Bekanntlich ist das elektrische Licht besonders reich an ultravioletten Strahlen, welche Fluorescenz erregen. Im vor- liegenden Falle brachte weder der durch Luft, noch der durch eine mit Stickstoff gefüllte Geisler’sche Röhre gehende Funke das Phänomen zum Vorscheinen. Dieses negative Resultat scheint auf den ersten Blick die Möglichkeit vollkommen auszuschliefsen, dafs die vorliegende optische Erscheinung Fluorescenz sei. Doch möchte ich vor allem daran erinnern, dafs die Intensität der vio- letten und ultravioletten Strahlen möglicherweise in beiden Fällen eine zu geringe war, um die blaue Eigenfarbe hervorzurufen. Viel- leicht tritt aber hierzu noch ein anderes Moment. Man kennt eine Reihe von Körpern (z. B. Schwefelkohlenstof und Benzol’), welche

1) Quarzprismen und Quarzlinsen sind für die Untersuchung deshalb besonders geeignet, weil der Quarz die ultravioletten Strahlen, welche vor- zugsweise Fluorescenz erzeugen, viel weniger stark absorbirt, als Glas.

2) ef. Müller’s Lehrbuch der Physik und Meteorologie Bd. I. p. 646.

438 Gesammtsitzung

die Eigenschaft haben, alle sichtbaren Strahlen des Spektrums un- gehindert hindurchtreten zu lassen, für Ultraviolett aber undurch- gängig sind. Es wäre nun möglich, dafs der nach aufsen gelegene Theil der Rindenzellenmembran, welcher stärker, als die Seiten- wände verdickt ist, sich ähnlich verhielte. Ist diese Vermuthung, deren Prüfung durch den Versuch wohl mit grolsen praktischen Schwierigkeiten verbunden sein würde, richtig, so wäre dadurch zur Genüge erklärt, warum die ultravioletten Strahlen, besonders, wenn sie mit geringer Intensität auftreten, nicht bis zu den In- haltskörpern vordringen und die Erscheinung somit nicht hervor- rufen Können.

Eine sichere Entscheidung der Frage, ob die in Rede stehende Erscheinug Fluorescenz ist, oder nicht, wäre voraussichtlich durch die Untersuchung der Inhaltskörper bei polarisirtem Licht her- beigeführt worden. Fluoreseirende Körper, besitzen nämlich, ähn- lich wie selbstleuchtende, die Eigenschaft, das Licht nach allen Richtungen hin auszustrahlen; die von ihnen ausgehenden Licht- strahlen sind deshalb nicht polarisirt, während bei einfach reflek- tirten Strahlen alle Äthertheilchen iu derselben Ebene schwingen. Leider konnte ich diesen Versuch, auf den mich Hr. Professor Blaserna freundlichst aufmerksam machte, nicht ausführen, da ich versäumt hatte, meinen Polarisationsapparat auf die Reise mit- zunehmen.

Obschon nun durch vorstehende Untersuchung die Natur der optischen Erscheinungen bei Chondriopsis cerulescens noch nicht vollkommen aufgeklärt ist, glaubte ich, dafs die beobachteten That- sachen, auch in dieser unvollständigen Form, einiges Interesse bie- ten, um ihre Veröffentlichung zu rechtfertigen.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1. Ende eines erwachsenen Zweiges, nach Behandlung mit Ätzkali, bei mittlerer Einstellung (also im optischen Längsschnitt) gezeichnet. 45 mal vergröfsert. Fig. 2. Querschnitt durch ein erwachsenes, lebhaft blau schimmerndes Stämm- chen. Bei a ist eine warzenförmige Zweignarbe durch den Schnitt getroffen. 88 mal vergröfsert. Vegetationspunkt eines jungen Astes, nach Behandlung mit Ätzkali. 480 mal vergröfsert.

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vom 23. Juni 1870. 439

Fig. 4. Vegetationspunkt eines in Fortentwickelung begriffenen Hauptastes, nach Behandlung mit Ätzkali durch Druck aus der napfförmigen Vertiefung der Stammspitze hervorgestülpt.

480 mal vergröfsert.

Fig. 5. Junger Adventivzweig, aus dem obern Theil einer warzenförmigen Narbe (10 Mm. unterhalb der Spitze des Mutterastes) hervorbrechend. .880mal vergrölsert.

Fig. 6. Junger Achselsprofs, nach Behandlung mit Ätzkali im optischen Längsschnitt gezeichnet.

480 mal vergröfsert.

"Fig. 7. Dreizellige Anlage eines pseudodichotimen Haares. 480 mai vergrölsert.

Fig. 8. Junges Haar, auf weiterer Entwickelungsstufe, als Fig. 7. 480 mal vergröfsert.

Fig. 9. Unverletzte Rindenzellen eines blau schimmernden Stämmchens, durch einen Oberflächenschnitt abgetrennt. un

480 mal vergröfsert. (Die Körnelung der gelblichen Inhaltskör- _ per ist in Wirklichkeit matter, als in der Figur).

Hr. du Bois-Reymond las einen Nachtrag zu seiner Ab-

handlung über die aperiodische Bewegung gedämpfter Magnete (s. Nachtrag).

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

E. Ketteler, Über den Einflufs der ponderablen Moleküle auf die Dis- persion des Lichtes. Berlin 1870. 8.

F. Rausch, Geschichte der Literatur des Rhäto-Romanischen Volkes mit einem Blick auf Sprache und Charakter desselben. Frankfurt a. M. 1870. 8. Mit Schreiben des Verf. d. d. Frankfurt a. M. vom 20. Juni 1870.

Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins zu Heidelberg. 5. Bd. 3. Heft. Heidelberg 1870. 8.

[1870] Sl

440 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Sehweizerische Meteorologische Beobachtungen. Juni-August 1869. Zürich 1869. 4.

Nederlandsch Meteorologisch Jaarboek voor 1869. 1. Deel. Utrecht 1869. 4.

Proceedings of the Asiatie Society. no. 11. 1869. no. 2. 1370.

Journal of the Asiatie Society. 1869, no. 4. Caleutta 1870. 8.

Numismatie Chronicle. no. 37. London 1870. 38.

Oversigt over det Kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger, i aaret 1869. Kjobnhavn 1869—70. 8.

Proceedings of the Royal Irish Academy. Vol. 10. Edinburgh 1867—68. 8.

Transactions of the Royal Irish Academy. Vol.24. Dublin 1867—1370. 9 Hefte 4.

Breen, On the corrections of Bouvard’s Elements of the orbits of Jupiter and Sdaturn. (Appendix to the Greenwich Observations for 1868.)

Verhandlungen der Südslavischen Akademie. 11. Heft. Agram 1870. 8.

v. Eichwald, Nils von Nordenskiöld und Alexander von Nordmann. Petersburg 1870. 8.

Seriptores rerum Lusaticarum. Vol. 4. Görlitz 1370. 8.

27. Juni. Sitzung der physikalisch-mathemati- schen Klasse.

Hr. C. Rammelsberg las Beiträge zur Kenntnils der Meteoriten.

Über die Analyse von Meteoriten.

Berzelius hat in seiner ausgezeichneten Arbeit die Methode der Untersuchung vorgezeichnet, welche in ihren Grundzügen noch heute besteht. Dennoch ist es für Jeden, der sich mit eigenen Forschungen in diesem Gebiet beschäftigt, von grofser Wichtigkeit, diese Methode in einzelnen Theilen zu verbessern, da sich nicht verkennen läfst, dafs hierin noch viel zu thun übrig bleibt.

1. Trennung des Nickels vom Eisen.

Berzelius bediente sich dazu zweier Methoden. Entweder fällte er das Eisenoxyd durch überschüssiges Ammoniak oder er setzte nur soviel desselben hinzu, dafs ein basisches Salz entstand

vom 27. Juni 1870. K 441

und fällte dann mit bernsteinsaurem Ammoniak. Das Nickel wurde aus dem Filtrat immer durch Ammoniumhydrosulfür niedergeschla- gen. Nach H. Rose ist die erste Methode die ungenauste von allen, weil das Eisenoxyd immer nickelhaltig bleibt; man erhält also zu wenig Nickel. Und was die zweite betrifft, so giebt sie nach H. Rose ein kaum besseres Resultat.

Sehr allgemein benutzt man die Fällung des Eisens, nachdem seine Lösung mit kohlensaurem Natron bis zur Röthung versetzt worden, durch essigsaures Natron in der Siedhitze. Allein auch von dieser Methode bemerkt H. Rose, dafs sie beim Nickel nicht ganz So genau sei wie beim Kobalt.

Die Scheidung beider Metalle durch kohlensauren Baryt liefert nach H. Rose befriedigende Resultate, gelingt besser als beim Kobalt, läfst aber doch Spuren von Nickel beim Eisen.

Bei der Analyse von Meteoreisen können andere Methoden kaum in Betracht kommen. OR

Nach meinen Erfahrungen ist die Anwendung des kohlensau- ren Baryts vorzuziehen, denn selbst wenn man die Fällung durch essigsaures Natron wiederholt hat, so läfst sich durch jenen noch etwas Nickel in dem Eisen nachweisen. Beispielsweise sei ange- führt, dafs bei diesem Verfahren das Meteoreisen von Tula (s. wei- terhin) gab:

durch die erste Fällung 8,15 pc. Ni 5 „. zweite 0,58 »„ kohlensauren Baryt 1,48 zusammen 10,24

Man wird bei mehreren Analysen stets das Maximum des Nickels als die zuverlälsigste Zahl annehmen müssen.

Wie grofs die Differenzen lediglich in Folge des Verfahrens sind, zeigen folgende Zahlen für den Prozentgehalt von Nickel.

Meteoreisen von nach meinen Ver- suchen Tula 9,84—10,24 2,65 Auerbach, Ruffs Mountains 9,65 3,12 Shepard, Lockport 10.73 9,71 Silliman.

Man mag sich vorstellen, wie viele Angaben in dieser Hinsicht weit unter dem wahren Werth geblieben sein mögen. | al

442 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

2. Trennung und Bestimmung des Meteoreisens ın Steinmeteoriten.

Alle, welche sich mit Analysen dieser Art beschäftigt haben, wissen, dafs eine mechanische Absonderung des Eisens durch Schlämmen und durch den Magnet sehr mangelhaft ist. Deshalb hat Wöhler die Anwendung von Kupferchlorid empföhlen, wobei nach ihm das Schwefeleisen nicht angegriffen wird. Diese Methode entspricht ihrem Zweck, nur mufs das Chlorid säurefrei sein. Indessen die nachherige Ausfällung des Kupfers durch Schwefel- wasserstoff ist bei der leichten Oxydation des Schwefelkupfers nicht angenehm, und selbst möglichst neutrales Kupferehlorid ist nicht ohne Wirkung auf Schwefeleisen und die Silikate.

Von 100 Th. gepulverten Eisensulfurets (aus käuflichem Schwe- feleisen durch Schmelzen mit Schwefel) löste Kupferchlorid bei zweitägiger Digestion 35,8 auf.

Bei einer Analyse des Chondrits von Pultusk mittelst Kupfer- chlorid enthielten 0,17 Nickeloxyd bei näherer Prüfung 0,048 Magnesia, d. h. wäre jenes rein, so würde es = 0,15324 Ni ge- wesen sein; statt dessen war es = 0,09292 Ni, oder statt 100 Th. - Ni haben wir nur etwa 70 Ni und mehr als 36 MgO.

Ich habe mich deshalb des Quecksilberchlorids bedient, welches neutral ist und nichts Feuerbeständiges in die Analyse bringt. Auch hat die Fällung des Schwefelquecksilbers nichts Un- bequemes. Freilich greift es Schwefeleisen ebenfalls, doch weit weniger an.

Von 100 Th. Eisensulfuret wurden unter gleichen Umständen nur 6,97 aufgelöst.

Ja es haben sogar früher schon Grewingk und Schmidt in der Auflösung dieses Chlorids ein Mittel finden wollen, die Menge nicht blos, sondern auch sogar die Natur des Schwefeleisens zu ermitteln, ob Troilit (FeS) oder Magnetkies (Fe?S?). Dies beruht doch darauf, dafs das Chlorid Schwefeleisen leicht und. vollkom- men zersetzen könnte. Ich habe zudem schon vor längerer Zeit nachgewiesen'), dafs von Magnetkies nach 6 Tagen nur 30 p. C. zersetzt waren, und dafs ebensowenig die hierbei freiwerdende Schwefelsäure der von den Urhebern dieser Methode aufgestellten Rechnung entspricht.

1) Zeitschrift der d. geol. Ges. 18, 691.

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Selbst auf den Olivin der Meteoriten ist das Quecksilberchlo- rid nicht ohne Einwirkung. 100 Th. Nickeloxyd von dem M. von Pultusk enthielten 39,3, und von dem von Richmond 41,7 p.C. Magnesia.')

Chlorsilber ist nicht gut verwendbar, weil sich basisches Eisenchlorid bildet und das pulverige Silber den Silikaten beige- mengt bleibt.

Jod hat Wöhler nicht brauchbar gefunden. Wässeriges Brom ist ein vortreffliches Mittel, Eisen aufzulösen (Meteoreisen, Roheisen ete.), allein es greift auch die Silikate sehr stark an. 100 Th. des M. von Pultusk lieferten einen Auszug, aus dem er- halten wurden: |

Eisenoxyd 29,07 Nickeloxyd 2,02 ‚Magnesia 4,72

Bei wiederholter Behandlung des Rests mit Wasser und Brom gin- gen Magnesia und Eisen von neuem in Lösung.

3. Die Analyse der Silikate.

Wie vortrefflich die in neuerer Zeit öfter verdächtigte Tren- nung der Silikate durch Säuren in geeigneten Fällen zum Ziele führt, habe ich immer wieder bestätigt gefunden. Nur darf man nicht vergessen, dafs die Kieselsäure des Olivins aus dem Rest noch feucht durch Kochen mit einer Auflösung von kohlensaurem Natron zu extrahiren und aus derselben abzuscheiden ist. Ferner aber, dafs die Analyse des unzersetzbaren Silikats eine Prüfung der Kieselsäure auf ihre Reinheit erfordert, dafs Thonerde und Magnesia sich genau nur in der Fluorwasserstoffanalyse bestimmen lassen, und dafs ihre Trennung am sichersten durch Glühen mit Ätzkali erfolgt, wobei man die Menge der Thonerde aus der Dif- - ferenz findet und somit von der Reinheit des Kalis unabhängig ist.

1) Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dafs Magneteisen von beiden Chloriden gar nicht angegriffen wird.

444 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

A. Meteoreisen.

I. Ruffs Mountains, Newberry (oder Lexington County), Südcarolina. Feilspähne, z. Th. gerostet, von Shepard mitgetheilt, der dieses Eisen beschrieben hat.') Die Masse wog 53 Kilogr. In a mit Chlorwasserstoffsäure, in b mit Quecksilberchlorid auf-

gelöst. Analyse a b Mittel von Shepard Nickel 7,6 9,65 8,62 3,12 96,00 99,12 ll. Lockport (Cambria), New-York. Analyse mittelst Brom. Schwefel 0,17 Silliman tes Eisen 0,30 ai Ees Eisen 88,76 92:5B Nickel 10,65 Kobalt 0,08 } 2 Kupfer 0,04 Rückstand 1,40 100 39,03

II. Tula (Netschaevo). Von einem gröfsern, von Dr. Auer- ‚bach erhaltenen Stück. Analyse a mittelst Chlorwasserstoffsäure; b mittelst Quecksilberchlorid.

Nickel (Co) im

Maximo a —= 10,24 p.C. bu ol,

2,63 ,„ nach einer frühern Unter- suchung Auerbach’s.”)

B. Der Pallasit von Brahin.

Die im Jahre 1810 bei Brahin im Gouv. Minsk gefundenen beiden Stücke (im Gewicht von etwa 200 Pfund) gleichen in jeder Beziehung der berühmten Pallasmasse aus Sibirien. Während wir aber von dieser, von ihrem Meteoreisen und dem Olivin, durch

iy. Am, Se. (2) 10, 108.10, ?) Pogg. Ann. 118, 368.

vom 27. Juni 1870. 445

Berzeliusslängst eine genaue Kenntnifs haben, ist die Meteor- masse von Brahin nur von Laugier im J. 1823 in höchst unvoll- kommener Art untersucht worden.') Ich theile deshalb hier die Resultate meiner Analysen mit, und stelle sie des Vergleiches we- gen mit denen der Pallasmasse von Berzelius zusammen.

A. Das Meteoreisen, durch Hämmern vom anhängenden Olivin befreit, wurde mittelst einer Auflösung von Quecksilberchlo- rid analysirt.

Pallaseisen Berzelius

Eisen 88,17 Nickel (Co) 11,04 11.19 Cu 0,07 Ms 0,05 C 0,04 Rückstand 0,42

100

Beide sind gleich zusammengesetzt, etwa NiFe®. Die kleine Menge des zur Verfügung stehenden Materials gestattete nicht, auf die Nebenbestandtheile Rücksicht zu nehmen.

Der Olivin hat folgende Zusammensetzung:

Pallasmasse Berzelius Kieselsäure 37,58 „= „40,86 Magnesia 43,32 47,35 Fisenoxydul (Mn) 138,85 12215 933.79 SnO2 :0,17 100,53

Hiernach ist der Olivin beider Massen etwas verschieden; der von Brahin enthält Fe:Mg im Verhältnifs 1:4, der der Pallasmasse beide = 1:8. Jener stimmt mit dem OÖ. des Pallasits von Ata- cama nach der Analyse von Schmid.

C. Die Chondrite von Pultusk, Richmond und Jowa.

Die Chondrite, die bei weitem zahlreichste Abtheilung der Steinmeteoriten 93 unter 109 der Berliner Sammlung oder mehr

I) Gilb. Ann. 75, 264.

446 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

als 85 p. C. gehören ihr an haben zahlreiche Analysen hervor- gerufen, und man sollte danach glauben, dafs hierdurch bestimmte Schlüsse auf ihre mineralogische Natur gegeben seien.

Wie bekannt enthalten sie Nickeleisen in mehr oder min- der feiner Vertheilung in einer überwiegenden Grundmasse. Sehr geringfügig und nicht immer nachweisbar ist Schwefeleisen, aus dessen Farbe man auf Magnetkies schliefst, sowie Chromeisen- erz. Jene Grundinasse aber, welche fast immer kleine Kugeln von unebenem oder excentrisch faserigem Bruch enthält, mitunter ganz aus solchen besteht, ist ein Gemenge von Silikaten, von de- nen sich eins durch Beobachtung bei manchen als Olivin in äus- serst kleinen Krystallen oder Körnern zu erkennen giebt, während seine Gegenwart in allen Chondriten durch die Analyse unzwei- felhaft wird. Welcher Natur aber das Übrige ist, darüber giebt die Beobachtung an sich sowohl als auch der Dünnschliffe unter dem Mikroskop keinen bestimmten Aufschluls. G. Rose, dem wir die genausten Untersuchungen dieser Art verdanken, konnte nur faserige Aggregate und vereinzelte schwarze, grün durchschei- nende Körner wahrnehmen.

Beseitigt man das Nickeleisen eines solchen Meteoriten, indem man das Pulver mit einer Auflösung von Quecksilberchlorid er hitzt, so bleiben die Silikate nebst Schwefeleisen und Chromeisen zurück. Behandelt man dies Gemenge mit Chlorwasserstoffsäure, so löst sich das Schwefeleisen auf und etwa die Hälfte der Sili- kate wird zersetzt. Der zersetzte Antheil ist in allen Fällen Oli- vin, oft ganz rein, bisweilen ein wenig Kalk- und Thonerde ent- haltend, weil die Säure auch den Rest nicht unangegriffen liefs. Dieser Rest ist es nun, dessen Natur zu ergründen, hauptsächlich das Ziel neuer Versuche gewesen ist. |

Alle Analysen dieses Theils haben darin Eisenoxydul') und Magnesia nachgewiesen; von 34, welche mir zur Verglei- chung zu Gebote stehen, giebt nur eine (Ch. von Sauguis nach Meunier) keine Thonerde, alle übrigen zwischen 1 und 12 p. C., meist jedoch nicht über 6 p. C. Vier geben keinen Kalk, die übrigen 0,5—5 p. C. dieser Erde. Natron und Kali, von ge-

') Kakova und Murcia sind die einzigen, wo das Eisen ganz oder fast fehlt.

vom 27. Juni 1870. 447

ringen Mengen bis etwa 5 p. Ö., sind meist aufgeführt, und über- haupt wohl stets vorhanden, wenn auch die Untersuchung nicht darauf Rücksicht genommen hatte.

Berzelius äulfsert sich in seiner wichtigen Arbeit über die Meteoriten, nachdem er die Chondrite von Blansko und Chanton- nay untersucht hat, über diesen Silikatrest nur ganz allgemein, in- dem er bemerkt, dafs das Ganze ein Bisilikat darstelle, und ver- muthlich aus einem augitartigen und einem leucitartigen bestehe, wobei er aber nicht an den dnrch Säuren zersetzbaren Leucit denkt, sondern einen Kalk- und Alkalifeldspath von Bisilikatmischung im Sinne hat, also einen Körper, wie man ihn als Andesin bezeich- net hat.

Auch später ist die Vorstellung, dieser Theil der Chondrite bestehe aus zwei ganz bestimmten Silikaten, die in unseren Gestei- nen häufig seien, immer wieder hervorgetreten, und ich suchte im J. 1843 durch eine Berechnung der Analysen zur Kenntnifs der einzelnen Silikate zu gelangen.") Eine solche Berechnung schien zu beweisen, dafs der Silikatrest der Ch. von Chateau -Renard, Blansko und Chantonnay als Labrador und Hornblende gedeutet werden könnte.

Als dann meine eigenen Versuche zeigten, dals die ältere An- sicht über die Zusammensetzung der Hornblende nicht richtig war, wies ich nach, dafs jener Rest aus den Ch. von Chantonnay und Blansko sich wohl auch als Augit und Labrador auffassen lasse, erkannte aber zugleich, wie unsicher bei dem Angriff der Säuren auf-Labrador die Grundlage solcher Rechnungen sei, welche nur dadurch eine Art von Berechtigung erhielten, dafs terrestrische Ge- menge von Augit und Labrador, auch mit Olivin, in Basalten und Doleriten häufig sind, und dafs die Eukrite gleichfalls, und zwar erweislich, aus Augit und einem Feldspath (damals für Labrador gehalten, später allerdings als Anorthit erkannt) bestehen.”)

In der letzten Zeit sind einige wichtige Fortschritte in der Kenntnifs der Mineralien, welche andere Klassen von Meteoriten bilden, gemacht worden. Wir wissen jetzt mit voller Sicherheit, dafs Olivin und Augitsubstanz (Broneit), jede für sich, Meteorite

I) Pogg. Ann. 60, 130. ?) Handbuch der Mineralchemie S. 929 u. £.

448 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

bilden, dafs ein Gemenge beider den Shalkit, dafs dasselbe Ge- menge mit Meteoreisen die Mesosiderite constituirt.

Die Erfahrungen Daubree’s, dafs Chondrite nach dem Schmel- zen zu einem Eisenkörner enthaltenden sehr deutlichen Krystall- gemenge von Singulo- und von Bisilikat, d. h. von Olivin- und Augitsubstanz erstarren und meine eigene Erfahrung, dafs alle al- kalihaltigen Feldspathe (Orthoklas, Albit, Oligoklas, Labrador) beim Schmelzen Gläser bilden, dafs Daubr&e auch die Eukrite (Juvinas) zu Glasmassen schmolz, während in den geschmolzenen Chondriten nichts davon zu bemerken ist, diese Thatsachen mufsten zu dem Schlufs führen, dafs Feldspathsubstanz in den Chondriten überhaupt nicht vorkommt.

Die Analyse eines Mineralgemenges, wie die Meteoriten ein solches bilden, mufs so vollkommen wie möglich sein, wenn sie der Berechnung der Gemengtheile zur Grundlage dienen soll. Ber- zelius’s Arbeiten haben den Weg gebahnt, aber die analytische Chemie hat seit 40 Jahren wesentliche Fortschritte gemacht; ces wird daher heute sogar nöthig, selbst diese anerkannten Unter- suchungen zu revidiren, indem man dasselbe Material schärferen Trennungsmethoden unterwirft. Bevor dies geschehen ist, wird es dem Forscher erlaubt sein, zunächst blos seine eigenen Erfahrun- gen und die daraus hergeleiteten Schlüsse darzulegen, und die Hoffnung auszusprechen, eine spätere Wiederholung der früheren Arbeiten werde das gesetzlich Erkannte als allgemein gültig be- währen.

In diesem Sinne habe ich drei Chondrite speciell untersucht, nämlich 1) Pultusk, der reichliches Material bot und weil mit ihm gerade in letzter Zeit zwei Untersucher (vom Rath und Werther) sich beschäftigt haben; 2) Richmond in Virginien und 3) Linn- County, Jowa, weil diese beiden bisher überhaupt nicht zuver- läfsıg untersucht waren.

1.14. Bu. taugsck“

1. Analyse mittelst Kupferchlorid.

2. 3. 4. Analyse mittelst Quecksilberchlorid. Das Material von 4. war durch Absieben von den gröbern Körnern des Meteor- eisens getrennt. In Nr. 3 war die Behandlung mit Quecksilber- chlorid wiederholt worden.

vom 27. Juni 1870. 449

Zwei ‘gesonderte Versuche hatten 0,99 p. C. und 1,00 p. C. Schwefel gegeben. |

A. durch die Metallchloride aufgelöst.

B. durch Chlorwasserstoffsäure zersetzt.

C. unzersetzbares Silikat.

1, 2, 3 4. Eisen 13,82 13,42 12,96 4,59 A. | Nick Be 9.90 2,045 0,39 Magnesia ila) ; 0,96 0,73 Schwefel 0,99 0599 1,00 1,00 Eisen 1,73 1,73 1,75 1,75 Kieselsäure 12,16 13,04 12,17 15,30 r ! Eisenoxydul 12.12 11034 10,05 11,68.

: NiO 0,57

\ Magnesia 13,54 14,23 12,38 16,97 ©. 42,70 41,04 45,96 100,38 98,69 98,87

Die metallischen Chloride haben ein wenig Olivin zersetzt, denn sie haben Magnesia aufgelöst. Man hat daher die Olivinba- sen, und zwar, wie wir sehen werden, in dem Verhältnifs Fe:6Mg abzuziehen'), und erhält so:

1. 2, 3% 4. 5 Eisen 3510 100 19 74 4,25 "| Nickel 2,21 1,93 2,045 0,89

Eisenoxydul 12,78 12,00 6,3 12,12

Kieselsäure 12,16 13,04 217 15.90 = Magnesia 14,65 15,20 13,84 16.70

Hiernach würde das Meteoreisen dieses Chondrits Nickel 14,24 13,00 13.83 FÜSE pe

enthalten, während in A. die Sauerstoffverhältnisse sind:

1. 9, en 4. Si0? 6,48 = 1 | sl Bor 151 375 126 704 1,09 977.12

!) InNr. 3 das NiO als Ni, überdies (als Nickel) in Rechnung zu bringen.

450 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Nun liegt kein Grund vor, in A. aufser Olivin eine andere Verbindung anzunehmen, dagegen ist es in hohem Grade wahr- scheinlich, dafs etwas Meteoreisen von dem Lösungsmittel nicht angegriffen wurde, zurückblieb und die Menge der RO vergrös- serte.!)

Wir berechnen daher aus der Kieselsäure und der Magnesia die zum Olivin nöthige Menge FeO, und erhalten:

‘- 2. 3. 4. Kieselsäure 12,16 13,04 12,17 19,30 Eisenoxydul 2,79 3,94 4,27 4,86

Magnesia 14,65 15,20 13,84 17,70

Bringt man nun den Rest des Eisens für das Meteoreisen in Rech- nung, so folgt 1. 2. 3. 4. Eisen 21,09 19,20 19,705 9,90 Nickel 2,21 1,93 .. 2,045 0,89

Nickel" 9:49: 49.13,. 940 49894 p°0:

Nach den früheren Versuchen enthalten die mittelst des Ma- gnets ausgezogenen Körner

6,93 p. C. Nickel nach Rath SU N n: Werther:

Rath hat die Zusammensetzung des zersetzbaren Theils in dem vom Meteoreisen durch den Magnet befreiten Pulver gefunden.

Sauerstoff Kieselsäure 39,4 189 Thonerde 0,7 | Eisenoxydul 24,9 21,4 Magnesia 39,0 100

Sehr erklärlich ist auch hier der Überschufs an Eisen. Es

1) Diese Annahme wird durch Nr. 3 faktisch bewiesen, wo auf die Gegenwart und Menge des Nickels in der Auflösung der Olivinbasen genau geachtet wurde.

vom 27. Juni 1870. 451

folgt hier die corrigirte Analyse neben den procentischen Zahlen meiner Versuche:

R 2. 8. 4, Rath Werther Kieselsäure 41,08 40,56 40,19 40,41 39,67 40,53 Eisenoxydul 342° 12516 7 14,11 12,84 16,64 13,08 Magnesia 49,50 47,28 45,70 46,75 43,69 44,36 100 100 100 100 100 Kalk 2,03

100

Das Atomverhältnifs ist ke 1 1 ia 1 1 1 Me 9,5 7 5,8 7 4,7 6,3

Hiernach scheint 1:6 das annehmbarste Verhältnifs, der Olivin mithin | Fe? 6Me? Si O%

“sr, 196 5102 4024

berechnet zu:

Fe = 112 FeO 13,79 12Mg—= 288 MgO 45,97 280 448 100

097;

Wir kommen nun zu dem unzersetzbaren Silikat (C.). Dasselbe enthält etwas Chromeisenerz, im Mittel 1,26 p. ©. Sein V.-G. fand ich = 3,20. Die procentische Zusammensetzung die- ses Theils, verglichen mit Rath’s und Werther’s Resultaten, ist

a 3. Werther Rath Kieselsäure 56,935 - 993,48 ., 37,06 60,1 Thonerde (Cr) 4,17 4,58 2,70 7 Eisenoxydul (Mn) 9,54 30121, 10:71... .10,0 Magnesia 24,23 24.14 22,43 24,8 Kalk 3,10 3,65 4,96 0,6 Natron 2,22 1,44 2,8 Kali 0,92

100 100 100

dd

Werden die kleinen Mengen Na und K in ihr Äq. von R ver- wandelt, so verhalten sich die Atome

452 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

[Kl

R:Si Al:R u | 1% 18,6 Werther = 1: 1,16 1:.31,0 Rath == 1 27,94 1: 47,3

Es läfst sich hiernach wohl behaupten, dafs das erste Verhältnifs 1:1, das Silikat also ein normales oder Bisilikat ist, bei dem ein wenig Kieselsäure vom Olivin zurückgeblieben ist.

Ist nun A:R—=1: 18, so hat das Ganze den Ausdruck

ee A103 wobei ReRe]- 9, und

Ca: Ber Mor 722 9 Kst.

Man wird nicht anstehen, diesen Theil des Chondrits von Pultusk für Broneit zu erklären.

Als Endresultat meiner Versuche folgt für diesen Meteoriten

2. Sc) Nickeleisen 21,13 =221508-- 10,79: == 11,08 Schwefeleisen 2,69 2,77 2,75 2,82 Chromeisenerz 1,26 1,50 = 1,26 1,30 Olivin 82.18 33,14 37,86 38,89 Broneit 39,78 41,01 44,70 45,91

97,01 100 97,36 100

Beide Silikate stehen in dem Verhältnils von

45,3 : 54,7.

(44 :56 Werther.)

(42,6 : 57,4 Rath.)

(47 :53 Wawnikiewiz.)?)

!) Nach Entfernung eines Theils Meteoreisen. 2) Notice sur la meteorite de Pultusk. Publie par la Haute Ecole de Varsovie.

vom 27. Juni 1870. 453

IT: noRlVe Knlon.d.

Dieser am 4. Juni 1528 südwestlich von Richmond in Vir- ginien gefallene etwa vier Pfund schwere Stein ist von Shepard beschrieben worden.')

G. Rose bemerkt hinsichtlich seiner äufseren Beschaffenheit, dals die Kugeln der Masse oberflächlich rauh, selbst drusig seien, und dals sie dichtgedrängt nebeneinander liegen.

Eine vor Jahren von Shepard erhaltene Quantität kleiner Stückchen und groben Pulvers setzte mich in den Stand, diesen Meteoriten näher zu untersuchen.

1. Analyse mittelst Quecksilberchlorid.

2. direkte Behandlung mit Chlorwasserstoffsäure.

Eine besondere Schwefelbestimmung gab 1,55 p. C. dieses Elements,

4,26PFeS 2,01 Re —= 93,96 Fe?S? 2,41 Fe.

1. 2. Quecksilberchlo- Eisen a oh ridauszug Nickel 1,18 ; En 2.01 } 1,26 2,71 Schwefel 1.59 1,55 Eisenoxydul 12,80 (u. NiO) 17,79 Chlorwasserstoff- | Kalk er 48.19 0,45 auszug Magnesia 18,32 fe 18,83 Kieselsäure 16,80 j 18,27 ( Eisenoxydul 5,371 | Kalk 2,26 Unzersetzb. Silik.? Magnesia 9,07 2 40,78 40,57 Thonerde 2.17 Kieselsäure 21,91 98,15 100,17

Zuvörderst ist zu bemerken, dafs das ursprüngliche Nickel- eisen sich theilweise oxydirt zu haben scheint; die vielen Rost- flecke sprechen dafür, mehr aber noch der Umstand, dafs der

1) Am. J. Se. 15, 195. 16, 191. 42, 102. (2) 6, 411.

454 . Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Chlorwasserstoffauszug in 1., für Olivin zuviel Basen, d. h. FeO gegeben hat. Wir werden also diesen Theil als Olivin berechnen und das überschüfsige Eisen als ursprünglich metallisch vorhanden ansehen:

1. Eisen 8,27 y 87,51 u 7 Nickel 1,18 } er | 12,49 } OS 100° Eisen 2,71 Schwefel 1,55 2 alias Kieselsäure 16,80 Eisenoxydul 6,98 9 Bl a A nn Kalk 27] 40,78 Unzersetztes Silikat.

96,86

wobei der Verlust eine Folge des nachträglich oxydirten Theils Eisen ist.

In 1. beträgt das Eisen als FeO 20,02, das Nickel als NiO 1,52, beide zusammen 21,54 p. C.

In 2. wurde die Gesammtsumme beider 21,27 p. C. gefun- den, also vollkommen übereinstimmend. |

Da auch die Menge des Unzersetzten in beiden Versuchen fast dieselbe ist, so wollen wir 2. mit Hülfe des Schwefels und Nickels in 1., und unter Annahme von Olivin berechnen:

Eisen 9,74 6.56 Nickel 0,82 } Eisen 3,71 4,2 Schwefel or En

Kieselsäure 18,27 & Eisenoxydul 9,36 Magnesia 18,83 Kalk 0,45 ) 40,57 Unzersetztes Silikat 93,30

> 46,91 Olivin

vom 27. Juni 1870. 455

Das Mittel beider Versuche giebt für die Mischung des Steins von Richmond:

Nickeleisen 1.9.22

Schwefeleisen 4,37

Olivin 45,13) [52,32

Unzersetzbares Silikat 41,68 h 75 [ 47,68 h 100, 19700

Gehen wir jetzt zur näheren Betrachtung der beiden Silikate über.

Das durch Säuren Zersetzbare kann nichts anderes als Oli- vin sein, dessen prozentische Zusammensetzung ist:

1. 2. Mittel

Kieselsäure 39,65 38,95 39,30

Eisenoxydul 16,47 19,95 18,21

Magnesia 43,24 40,14 41,69

Kalk 0,64 0,96 0,80 100 100 100

Der Olivin des Chondrits von Richmond enthält also 1 At. Eisen gegen 4 At. Magnesium, d. h. er ist eine Mischung

Fe?Si O# | 4 Ms? Si O4 h berechnet zu: 581 140 Si 02 39:27 2Fe = 112 ’FeO 18,85 8Mg = 192 MgO 41,88 20,0’ =320 100 764

Er ist also genau derselbe wie derjenige der Pallasite von Brahin und Atacama.

Das unzersetzbare Silikat hat folgende prozentische Zu- sammensetzung:

[1870] 32

456 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Atome Kieselsäure 53,74 = Si 25,08 17,2 Thonerde 5,32 Al 2,83 1 Eisenoxydul 13,17 Fe 10,24 3.5 | Magnesia 22,23 Mg 13,34 10,7 | 16 Kalk 5,04 Ca 3,96 1,8) 100 Da R: Si offenbar = 1:1, so ist es ein normales oder Bi-

silikat von Magnesium, Eisen und Calcium, d. h. es ist entweder ein kalkhaltiger Broneit oder ein Gemenge von kalkfreiem Broneit und Kalk-Augit = Diopsid, worüber die Analyse na-

türlich nicht entscheiden kann.

Da die Atome von Ca:Fe:Mg = 1:2:6 sind, da ferner Al:R 1:16, so ist es im ersten Fall

16R Si =

oder vielleicht

18R Si 2 AlO>

bereehnet zu:

a

A103

CaSıO

18Si = 504 = SiO?2 52,36

Al = 54,6= AlO? 4,97 4Fe—=1224 = Fe® 13,96 12Mg = 288 = MgO 23,28 20a = 80 =1030 5.45

520, = 7912

100

2062,6

6 MgSiO3 A103

Das Endergebnifs ist mithin: der Stein von Richmond besteht im Durchschnitt aus 8 p. C. Nickeleisen, 4 p. C. Schwefeleisen und 83 p. C. Silikaten, welche fast zur Hälfte Olivin, zur Hälfte Augit, und zwar entweder Broneit oder Broncit und Diopsid sind,

vom 27. Juni 1870. 457

Des Contrastes wegen mag angeführt werden, was Shepard von der mineralogischen Natur dieses Meteoriten angiebt: Aufser einem 6 p. C. Nickel enthaltenden Meteoreisen und etwas Magnet- kies 90 p. C. Olivin und das Übrige ein feldspathartiges Mineral, Howardit und phosphorsaurer Kalk.

Il. Linn County, Jowa.

Dieser Meteorit fiel am 25. Februar 1847, im Gesammtge- wicht von etwa 65 Pfund. Shepard!) hat den Fall beschrieben und den Stein mineralogisch und chemisch untersucht.

Nach seiner Angabe besteht derselbe aus 10, 4 Nickeleisen. welches etwa 14 p. C. Nickel enthält, aus 5 p. ©. Magnetkies und 83 p. © eines einzigen homogenen Silikats, welches er Howardit nannte. Dieses Silikat soll v. d. L. leicht zu einem schwarzen schlackigen Glase schmelzen, von Chlorwasserstoffsäure unter Ab- scheidung flockiger Kieselsäure zersetzt werden, und aus

Sauerstoff

Kieselsäure 63,06 33,63 Eisenoxydul 24,60 5,47 10 17 Magnesia 11,74 4,70 ; Alkali 0,31

ws

bestehen. Da die Sauerstoffproportion = 1:3,3, so wäre der Howar-

dit noch saurer als ein Trisilikat.

Es ist unverkennbar, .dafs diese Angaben Shepards in hohem Grade problematisch, ja unwahrscheinlich sind. Die leichte Schmelz- barkeit und die Zersetzbarkeit eines so sauren Silikats wäre höchst seltsam.

G. Rose stellt Jowa unter die Chondrite und bemerkt, er sei dem von Mauerkirchen im höchsten Grade ähnlich.

Von Prof. Shepard hatte ich schon vor Jahren ein Stück dieses Meteoriten erhalten. Die Masse ist sehr mürbe und enthält zahlreiche Rostflecke, wie auch die äufsere Rinde braun aussieht.

!) Am. J. of Sc. (2) 4, 288 und Report on American Meteorites 1848. 32*

458 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Beim Pulvern fühlt man nur äufserst wenig metallisches Eisen, und es scheint, dafs ein grofser Theil desselben in Oxyd oder Oxydhydrat verwandelt ist. In der That giebt der Stein beim Er- hitzen nicht unbeträchtlich Wasser.

Bei der Analyse ist wegen der offenbaren partielien Verände- rung des Nickeleisens von einer besonderen Bestimmung desselben Abstand genommen; das Pulver wurde mit Chlorwasserstoffsäure behandelt, aus der Kieselsäure und der Magnesia wurde der zur Olivinmischung erforderliche Eisengehalt berechnet, der Rest des letztereen aber als Metall. |

Nach Abzug von 1,84 p. C. Glühverlust ergab sich: |

Eisen 9,46 89,75 1 Nickel 1,08 ur { 10,25 100 Eisen 4,05 6,37 F Schwefel al Sauerstoff Kieselsäure 16,24 38,80 20,7 Eisenoxydul 8,92 ? 41,355 = 21,531 4,74 90.7 Magnesia 16,69). 39,89 15,96 J 100 Unzersetztes 41,24

| 100 Der Olivin wäre ungefähr Fe?SiO% N 3Mg?SiO% Die unzersetzbaren Silikate, deren Menge der des Olivins fast genau gleich ist, bestehen aus: |

Kieselsäure 59,08 29,38 Thonerde 4,86 2,27 Eisenoxydul 13,58 3,02 Magnesia 22,70 08 | Es Kalk 2,85 0,81 2 Natron 0,93 0,24 Kali Sp.

100

Das Ganze ist also fast genau Bisilikat.

vom 27. Juni 1870. 459

Die prozentische Zusammensetzung der (83,09 p. C. des Me- teoriten betragenden) Silikate ist hiernach:

Kieselsäure 46,88 Thonerde 2,40 Eisenoxydul 17,49 Magnesia 31,36

Kalk 1,41 Natron 0,46 100

Es ist ersichtlich, dafs diese Resultate nicht die geringste Ähnlichkeit mit Shepards Angaben zeigen. Jowa ist ein Chondrit.

Es liegen hier nun .die Resultate von drei Chondriten vor, und es dürfte von Interesse sein, ihre Silikate unter einander zu ver- gleichen. Ihnen sei noch beigefügt: der von mir schon früher un- tersuchte') von Klein-Wenden bei Nordhausen (gefallen den 16. September 1843).

A. Zusammensetzung des zersetzbaren Silikats (Olivin):

1. 2. 3. 4. Kl. Wenden Pultusk Richmond Jowa Re ie Si O2 39,60 40,48 40,53 39,30 38,80 FeO(Mn) 10,91 12,50 13,08 18,21 21631 MgO 47,37 47,02 44,36 41,69 39,89 CaO 2,12 _ 2,03 0,80 _ 100 100 100 100 100

Es enthält also der Olivin aus

!) Pogg. Ann. 62, 449.

460 Sitzung der physikalisch- mathematischen Klasse

Kl. Wenden FeMe? Pultusk FeMg% Richmond FeMgt

Jowa FeMe?

B. Zusammensetzung des Broneit):

1% D. 0? 51.01 55,48 A1O? 9,08 4,58 FeO 11,42 9,01 MgsO 22407 24,14 CaO 4,79 3,65 Na?O 0,71 22 K?O 0.32 0,92 100 100

O0. der Pallasmasse,

O0. der Pallasite von Brahin, Atacama,

0. des Mesosid. von Hainholz.

unzersetzbaren Silikats (Augit =

3. 4.

53,74 55,08 5,32 4,86 Nail 13,58 22,23 22,70 5,54 2,85 0,93

Spuren

100 100

Die Berechnung ergiebt für diese vier verschiedenen Chon-

drite übereinstimmend, dafs das gen 1 At. Si enthält, d. h. ein Atome von

R:Sı in... 1.214053 2 a 374: 1,06 2

Der Bronceit ıst also

und ferner ist er aus

unzersetzbare Silikat 1 At. R ge- Bisilikat ist. Denn man hat die

Al:R 1:4.9.3. 91,39 32418,6 1 16,1) 1:18 1) :217,5 2.—3.—4. 18R SiO3 | Abe)

vom 27. Juni 1870. 461

Klein Wenden

\ 2 Mo$ Richmond N ee Pultusk Ca Fe? Ms? Jowa Ca Fe* Mg!?

Das Endresultat der eigenen Untersuchungen ist also:

Die vier von mir untersuchten Chondrite ent- halten nur zwei Silikate: das Singulosilikat oder Olivin und das Bisilikat oder Broneit. Die Trennung derselben durch Säuren gelingt sehr gut.

Auch unter den bekannten Analysen anderer Cbondrite finden sich solche, die genau dieselben Resultate geben. So der Ch. von Ausson (Montrejean).. Die von Harris unter Wöhlers Leitung ausgeführte Zerlegung ergiebt einen Olivin mit FeMg?, also gleich Chassigny und Alais, und einen Broneit, worin R:Si = 1:1,08, frei von Kalk, nahezu

15R O? Fe Ms# eNg‘, und | De

Abichs Analyse des Steins von Stauropol führt auf einen Olivin, der fast FeMg°? enthält, und auf einen Broncit, worin R:Si= 1:0,95, die At. von Ca: Fe:Mg genau wie in Kl. Wen- den, und ebenso die Menge des Al, also

IR Si O3 | noj

Es läfst sich hiernach behaupten:

Mesosiderit und Chondrit sind petrographisch nicht ver- schieden. Nur ihre Struktur unterscheidet sie.

462 Gesammtsitzung

30. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Weber las

über das zweite Buch der Atharva-Samhita.')

1. Verherrlichung des Urgrundes aller Dinge.

1. Das Höchste der Seher schaut, das Verborgne, Worin Alles (wieder) wird eingestaltig. I Ihm molk Prigni ab, was da ward geboren. Zujauchzten die Schaaren, die Himmelskund’gen. Il ı Il

Dies ganze Stück findet sich, mit erheblichen Varianten indefs, wieder als Theil der Mahändräyana-Upanishad, resp. in Taitt. Är. 10, 1, 3.4. Vaj. $. 32, 8—12; s. die Übersetzung des dortigen Textes in Ind. Stud. 2, 84. Vom ersten Vers findet sich dort nur das erste Hemistich?), und zwar mit den Varianten pagyan vigva?) bhuvanani vidvan in T., nihitam guhä sad in Vs. (für paramam guhä yad) und ekanilam in T., ekanidam Vs. (statt ekaräpam). veno ndma gandharvah, Säy. zu T.; vgl. zend. Yvaen, sehen. Unter prigni ist wohl hier*) die unter dem Symbol einer bunt-gespren- kelten Kuh personifieirte bunte Naturkraft (mülaprakriti, hier aber als Demiurgos wirkend,) zu verstehen, vgl. das über go in dieser Beziehung Ind. Stud. 9, 100. Ind. Streif. 2, 462—3 Bemerkte. Die bunte Sturmeswolke, die das himmlische Nafs melkt (R. 10, 12, 3 duhe yad eni divydm ghritdm vah), reicht hier jedenfalls nicht aus; dagegen ist eben an die gabali°), s. Ind. Stud. 5, 443 ff., an die ajd lohitaguklakrishnd (Taitt. Är. 10,12, 5. Ovelägv. Up. 4, 5. Ind. Stud. 1, 428), die neben dem brahman als increata gleichberechtigt da- steht, zu erinnern. aduhat mit doppeltem Accusativ der Person und der Sache (wie duhe eben). jdyamdndh fem.; dazu wohl aus dem Folgenden vrdh heranzuziehen? vrah von Yerd = var; eig. Um-

1) die Übersetzung des ersten Buches s. in den Ind. Stud. 4, 393-430.

2) das zweite Hemistich lautet: tasminn (yasminn T.) idam sam ca vi cas 'ti sarvam (vicai "kam T.), sa otah protag ca vibhüuh (vibhu T.) prajasu „darin dies Alles eingehet und herausgeht; er (es) ist gewoben und geflochten in die Wesen als ihr Herr.“

3) vieva ist wohl metri caussa zu tilgen.'

4) im Übrigen s. Pet. W. s. v., und Muir Orig. Sansc. Texts 9, 39. 147.

5) vgl. gabalam als Name des brahman Kaush. Upan. p. 24. 149 Cowell.

vom 30. Juni 1870. 4653

gebung, dann Schaar, vgl. vrdta. Der lobende Zuruf bezieht sich wohl nicht auf den Akt der Erkenntnifs von Seiten des Sehers, sondern vielmehr auf die Melkung des Absoluten durch die prieni, den Akt der Schöpfung also, und die svarvido vrah sind entweder die dadurch eben ins Leben gerufenen Schaaren? oder solche, die bereits aus einem früheren dgl. Akte stammen, und, da die Schö- pfung immer fort dauert, nun späteren Akten der Art beiwohnen? 2. Das meld’ uns der Weise, des Ew’gen Kund’ge, was als höchster Grund im Verborgnen ruhet. I Denn seine drei Stufen ruhn im Verborgnen, Wer sie erkennt, der sei des Vaters Vater! li all Dieser Vers kehrt im Wesentlichen identisch an den angege- benen Stellen wieder; voce T. (für voced), amritam nu (für amritasya) T. Vs., nadma') nihitam guhasu T. dhäma vibhritam (guh@ sat) Vs., (für dhama paramam guha yat), guhäsu T. (für guhd ’sya), yas tad veda T. (für yas tani veda), savituh T. (für sa pituh). gandharva hier in der abgeschwächten Bedeutung: ein Weiser, vgl. Odnkh. 12, 20, 2 (Ath. 19, 128, 3) yad bhadrasya purushasya putro bhavati dadhrishih | tad vipro abravid u tad gandharvah kämyam vacah; die manushyagandharva stehen den devagandharva gegenüber in Taitt. Up. 2, 8 (Ind. Stud. 2, 230). Die drei padäni, Zu- stände, Stufen sind nach Mahidhara: Entstehen, Bestehen, Vergehen, oder: brahman Absolutes, antarydmin Demiurg, vijnandtman Einzel- seele; oder bezieht sich der Ausdruck etwa auf die im purusha- sükta (R. 10, 90, 3. Vs. 31, 3) vorliegende Vorstellung, dafs drei Viertel?) des Absoluten nicht zur Erscheinung in der Welt gelangen, nur ein Viertel desselben deren theilhaftig wird? wozu auch die gleiche Vorstellung von den vier Vierteln der vde (s. Pe- tersb. Wört. unter turiya) zu vergleichen ist. „der sei des Vaters Vater!“, s. Ind. Stud. 9, 45. 46. 3. Er ist unser Vater, Verwandter, Zeuger. Er kennt alle Satzungen, alle Wesen. I Er, der allein setzet der Götter Namen, Alle Welten gehen zu ihm als Richter. II 3 Il Nur das erste Hemistich dieses Verses findet sich an den an-

1) die in den Ind. Stud. 2, 84 hiebei von mir gemachte Gleichstellung von ndma —= numen ist nicht als eine etymologische zu fassen. 2) pada päda, Fuls, Viertel s. Ind. Stud. 9, 96.

464 Gresammtsitzung

gegebenen Stellen ') und zwar mit den Varianten: sa no bandhur janitd sa vidhätd (für sanah pita janitd sa uta”) bandhuh); der ganze Vers aber findet sich in Rik-Samh. 10, 82, 3 und Vs. 17, 27 mit den Varianten yo vidhata (statt: sa uta bandhur), ndmadha (statt: nd-

madha) und yanty anya (statt yanti sarvd). Über Prajäpati als den, der allen Wesen ihre Bestimmung zutheilt, s. z. B. Cat. 1, 4,121 0%

4. Himmel und Erd’ hab’ ich sofort umschritten, nahte mich dem Erstgebornen der Ordnung. I Stimme gleichsam ein in den Sprecher setzend Steht in der Welt er, wahrlich er ist Agni. I & Il Das erste Hemistich enthält wenigstens einige Anklänge an T. Vs. am a. O0. Der Dichter hat Himmel und Erde durchsucht und den Prajäpati als den gefunden, der jedes Ding an seine richtige Stelle setzt und dem Agni an flammender Majestät gleich- kommt. Dieser seiner Kunde rühmt er sich, weil er dadurch von der Hoheit des Erkannten selbst bestrahlt wird. So allein schei- nen mir die Varianten dieses und des folgenden Verses zu der ur- sprünglichen Fassung derselben, in der sie sich blos auf das Ver- hältnifs des Demiurgos zum Absoluten beziehen, erklärlich. Es liegt hier resp. in 1. eine ähnliche allgemeine Einleitung für die von 2. an folgenden speciellen brahmani, Spruchsegen, vor, wie beim ersten Buche. 5. Alle Welten habe ich rings umschritten Den durchgehn’den Faden zu schau’n der Ordnung, I Unsterblichkeit findend worin die Götter zur einigen Quelle empor sich heben. Il 5 Il Das erste Hemistich klingt an T. und Vs. 32, 12 an; das zweite findet sich in T. und Vs. 32, 10 wieder (wo aber tritiye dhamann adhy Vs., tritiye dhämäny abhy T., statt samdne yonav adhy). Der Dichter, resp. Priester, rühmt sich seiner Allwissenheit, um da- durch seinem Wirken und seinen Sprüchen Ansehen und Vertrauen

zu sichern.

1) das zweite Hemistich lautet daselbst (s. hier v. 5): yatra deva amyi- tam änagäands tritiye dhämann (Vs., dhamäny T.) adhy (Vs., abhy T.) aira- yanta „in welchem die Götter Unsterblichkeit erreichend hinauf zur dritten (Himmels-)Stätte sich erheben“.

2) Metrums halber lies: so 'ta.

vom 30. Juni 1870. 465

2. Würfelsegen.

ı. Der himmlische Gandharva, der als Welt-Herr einzig zu ehr’n ist, für die Leut’ preiswürdig | Dich banne ich, himmlischer Gott, durch’s Spruchlied. Verneigung sei dir, dessen Sitz am Himmel! Itı!l Dafs dies Lied ein Würfelsegen sei, vermuthe ich nur aus dem letzten Verse, der dann, wie so häufig im Atharva-Veda, die Pointe enthält, um die es sich handelt, während die vorhergehenden Verse die feierliche Einleitung dazu bilden. Ob wirklich ein „Genius des Mondes“ unter gandharva zu verstehen ist, wie Böhtlingk-Roth s. v. wollen, ist wohl noch zweifelhaft. Gemeint jedenfalls ist hier damit (so auch das Pet. W.) der in v. 4 ja auch direkt genannte Vicvdavasu, der alle Schätze Habende (?), der als König sämmt- licher Gandharva und als Gemahl der Apsaras (s. v. 5), speciell aber weiter als, nach Soma erster, Gemahl auch jeder menschlichen Jung- frau, resp. als Genius der weiblichen Pubertät und Virginität') gilt. In den Brähmana erscheint er überdem noch als Räuber des Soma, den er der gäyatri, als sie ihn vom Himmel holte, entwendete und mit dem er sich dann in das Wasser zurückzog, Snoop, A eN.aneno, 9,22. 75. 6, 1,6, 5. 11, Kalhe 2A, In einer andern gruti im schol. zu Vs. 2, 3 wird er freilich umge- kehrt unter den Hütern des Soma genannt, im Text selbst resp. als Hüter der paridhi genannten Schutzwehr um das Feuer. Er ist jedenfalls ein dämonischer Gesell, und wird daher hier auch mit möglichster Unterwürfigkeit angerufen. Die anakoluthische Construction der beiden Hemistiche erhöht die Lebendigkeit des Ausdrucks und finden wir sie hier im zweiten Buche noch mehrfach. 2. Zum Himmel hin reicht er, der Opferwürdge, Sonnfarbige, göttlichen Zorn’s Abwehrer! I Mild sei uns der Gandharva, der als Welt-Herr einzig zu ehr’n ist und voll guten Heiles. II 2 Il Sonnenfarbig, eig. Sonnen(-helle) Haut habend. 3. Mit den Tadellosen kam ich zusammen; Der Gandharva unter den Apsard war. |

1) der cunnus gilt als sein Mund (dnkhäy.g. 1, 19. Bei der ersten coha- bitatio wird er angewiesen sich wegzubegeben, (atap. 14, 9, 4, 18. Ath. 14, 1, 24. 25. Ind. Stud.. 5, 185. 191.

466 Gesammtsitzung

Im Meere ist, sagt man, ihr Sitz, allwo sie beständiglich herwärts und abwärts steigen. 113 Il

jagme fasse ich jetzt (anders in meiner Abhandl. über Omina und Portenta p. 350) als 1 pers. singul. Der Dichter hat eine Er- scheinung der Apsard, die man nicht tadeln darf'), die man stets nur loben soll, gehabt, den Gandharva ihren Gemahl (den Elfen- könig) mitten unter ihnen gesehen”); daher wendet er sich in v. 1.2 an diesen, lobt und preist ihn, um dadurch auch über die Apsara Macht und ihren Schutz beim Würfelspiel zu gewinnen. Ich glaube noch immer (s. Vaj. S. spec. prim. p. 18 n.), dafs die Er- klärung von a-psard’, a-psaras aus psdras rüpa Nigh. 3, 7 die richtige ist?). Es sind die gestaltlosen, oder (s. Pet. W.) die unheimlichen, unfriedlichen Nebelgestalten der Elfen*) und son- stigen Spukgeister der Art, die im schattigen Waldesdunkel (s. v. 4) ihr Wesen treiben. In Ts. 3, 4, 8, 4 werden die dichtschattigen Bäume nyagrodha, udumbara, agvattha, plaksha als die Häuser, der Aufenthaltsort, der Gandharva und der Apsaras bezeichnet. Auch nach Ath. 4, 37 sind es die grolsen, kronenreichen’) Bäume, die agvatiha und nyagrodha, wo sich die goldnen und silbernen Schau- keln der Apsaras°) finden, und wo ihre Cymbeln (dghäta) und

1) ?an-a-vadya; oder ob an-avadya, und letzteres Wort aus ava-tya ent- standen? vgl. die alte Verstimmelung von atibhüuta in adbhuta, und die jün- gere von prätar, Pali pätur (pätur ahosi Fausböll Dhamm. p. 204), in prädur (so, nicht pr&ädus ist die Form anzusetzen, wie dvir aus @vid, nicht @vis; anders M. Müller Einl. zu Buddhagh. Parables p. vu).

2) vgl. Panc. 12, 11, 10, wo Kalyäna Angirasa auf den Gandharva U'’rnäyu trifft, der sich unter einer Schaar Apsaras schaukelt (prenkhayamanam).

3) die Herleitung von apsas = rüpa (at. 9, 4, 1,4 ist schwerlich richtig. Übrigens bedeutet apsas wohl nicht die Wange, sondern den Bu- sen. Statt apsasa "pso Ath. 6, 49, 2 hat die Parallelstelle im Kath. 85, 14 vakshasa vaksho. Ich fasse apsas als „begehrt, ersehnt“, von aps, ältere Form des späteren ?ps (vgl. aksh neben iksh).

4) deren Tanz und Gesang sich bei den Apsaras ebenso wieder findet, wie die Vogelgestalt der Schwanenjungfrauen (die Apsaras erscheinen als ati- Vögel, s. Ind. Stud. 1, 197).

5) pikhandinah; oder ist dies etwa Gen. Sgl.? als n. pr. eines Gandharva, wie in v. 7 ibid.

6) dies Schaukeln, Tanzen und Hin- und Her-sich-bewegen ist wohl auch der Grund, warum die Apsaras mit dem Würfelspiel in Bezug stehen?

vom 30. Juni 1870. 467

Lauten (karkari) erklingen. Nach dem Flusse hin, zum Ufer der Gewässer sollen sie wie weghaucht sammt ihrem tanzenden Herrn Oikhandin verschwinden, durch den starken Geruch des Krautes Bockshorn (ajagringi) verscheucht. Es wird dies Kraut resp. daselbst auch noch (v. 10) als gegen die hinleuchtenden (? a- bhigocas), im Wasser sich spiegelnden (?apsu jyotayamdmaka) Pi- cdca wirksam bezeichnet, worunter wohl, s. Pet. W., Irrlichter und ähnliche Erscheinungen zu verstehen sind. Diese Zusammen- stellung der Gandharva und Apsaras mit den Picäca erinnert sofort an die Bezeichnung der Fata Morgana als „G@andharva-Stadt*, die sich neuerdings auch, s. Sachau im Journ. R. As. Soc. 1869. 4,251. 257, bei den Pärsi wiedergefunden hat, somit offenbar schon der ärischen Periode angehört!). Nach Ath. 7, 109, 3 treiben die Apsaras ihr Wesen zwischen dem Opferplatz, der Erde also, und der Sonne, somit in der Luft, und das „im Meere“ unsers Verses ist daher wohl eben auf das Luftmeer zu beziehen. 4. O Wolkige, Blitzige du, du Stern’ge, Die ihr da folgt Vievavasu, dem Gandharv’ I Euch Göttinnen bringe ich hier Verneigung. Il 4 Il Diese Namen der Apsard deuten auf leuchtende, elektrische Lufterscheinungen, d.i. wohl eben auf die lichten Nebelgestalten der Elfen und Irrlichter. 5. Die ihr da kreischt, im Dunkeln weilt, die Würfel liebt, den Geist verwirrt | Diesen Frauen des Gandharva, den Apsar& ich mich verneig’. Il; II Ykland, krand wohl mit elangor, Klang zusammenzustellen; Wechsel im Auslaut wie bei gardabha und Ygarj (Weiterbildung aus gar). tamishicayas für °cyas, aus tamishi-+ ac, fe. ; oder ist etwa direkt eine Weiterbildung daraus: tamishici anzusetzen ? tamishi neben tamas, wie tavishi neben tavas. Unter dem Dun- kel ist wohl eben das schattige Dunkel des Waldes zu ver- stehen. Vergl. noch Atk. 14, 2,9, welcher Vers im Kaug. 77,7 (s. Ind. Stud. 5, 394. 205) auf das Vorüberziehen des Brautzuges bei grolsen Bäumen bezogen wird, und die Gunst der in diesen

!) aus vedischen Texten einstweilen allerdings mir noch nicht direct nachweisbar; vgl. aber die goldnen Paläste (hiranyavimitanı) der Gandharva im Cat. 11, 5, 1, 11. und das über sodbAha Ind. St. 2, 38 n. Bemerkte,

463 Gesammtsützung

weilenden Apsaras und Gandharva auf denselben, insonderheit na- türlich auf die Braut herabruft. akshakadmäh; für die specielle Beziehung der Apsaras zum Würfelspiel legt Ath. 4, 38. 7, 109 lukulentes Zeugnifs ab (s. Muir Original S. Texts 5, 430). Die geist- verwirrende Kraft der Apsaras bezieht sich entweder auch noch hierauf, auf die fascinirende dämonische Gewalt des Spieles also, oder es ist dabei an die verführerische Buhlkoboldschaft zu den- ken, die in 4,37 von den Gandharva den menschlichen Frauen gegenüber, daher wohl auch stillschweigend, wie später, von den Apsaras den Männern gegenüber, gefürchtet wird. Sie ist es ja eben, die, in poetischer Verklärung, in der späteren Zeit den Apsa- ras fast alleinig geblieben ist. Nach Ath. 8, 5, ı3 ist von beiden Klassen von Genien sogar tödlicher Einflufs auf den Menschen ausgehend und auch in 12, 1,50 werden sie in Gemeinschaft mit anderen bösen Geistern genannt, und um ihre Fernhaltung gebetet.

3. Wundenbalsam.

1. Welches Brünnelein dort herab, herunter von dem Berge, läuft, Das mach’ ich dir zum Balsam, dafs ein gutes Heilmittel du sei’st. I ıll Das Quell-Wasser soll sich balsamartig mit den übrigen Stof- fen des Heilmittels (s. 8—5) vermischen. 2, Hinzu, wohlan! recht viel, wohlan! Welch’ hundert Balsam’ es dir giebt, I Von denen du das beste bist, Gebrechen tilgend, tilgend Schmerz Il 2 Il Wird mit päda 1 etwa ein Zusammenguls verschiedener Stoffe vorgenommen? dsrdva Gebrechen; eig. Anflufs, (übler) Einflufs. 3. Tief ein graben die Asura dies mächt’ge Wundenheilende! I dies ist Heilmittel gegen jed’ Gebrechen, dieses tilgt den Schmerz. II 3 Il nicaih, in dem Schoofse der Erde vergraben sie es, damit es nicht an’s Tageslicht soll? oder umgekehrt (wie ykhan hier vielfach): sie graben es aus? arussrdnam wird bei Böhtlingk-Roth wohl mit Recht als aruh-cräna „die Wunde zerbrechend® (ygar diffin- dere) gefafst; arus, die Wunde, eig. die getroffene Stelle, s. Ind. Stud. 8, 276.

vom 380. Juni 1870. 469

4. Die Wassernixen ') bringen dies Heilmittel aus dem Meer hervor. I Dies ist Heilmittel gegen jed’ Gebrechen, dieses tilgt den Schmerz. Il 4 Il 5. Dies mächt’ge Wundenheilende wird aus der Erd’ hervorgebracht. I Dies ist Heilmittel gegen jed’ Gebrechen, dieses tilgt den Schmerz Il 5 Il 6. Die Wasser sei’n heilkräftig uns, die Pflanzen mild! Indra’s Blitzkeil schlage hinweg die Rakshas all! I Fortfliegen soll’n ihre Pfeil’ in die Ferne hin! Ile ll Statt rakshasdm lies metri caussa: ca, „In die Ferne“, nicht in unsre Nähe.

4. Jangida-Amulett gegen Vishkandha (Reifsen?).

ı. Zur Langlebigkeit und zu hoher Freude, beständiglich schadenfrei und gedeihend, I tragen wir hier den Jangida als Reifsenstill’ndes (?) Amulett. It 1!

In 1, 16,3 wird Blei, in 4,9, 5 eine Salbe als Mittel gegen das vishkandham bezeichnet. Der jangida, s. Grohmann in den Ind. Stud. 9, 417—9, stammt nach v. 5 aus den „Säften des Acker- baues“, scheint somit etwa eine Art Öl (Baumöl) zu sein? Er ist nach 19, 34, 7 ein Kraut (oshadki), resp. ein Baum (baumlan- ges Gewächs?) nach v. 9; und zwar haben ihn nach ibid. v. 6 die Götter dreimal aus der Erde erzeugt; bezieht sich dies etwa auf dreimalige Erndte im Jahre? Er ist gegen eine grofse Zahl von Krankheiten wirksam, unter denen neben dem vishkandham, ge- gen das er ein Speeificum ist (19, 35, ı), auch das samskandham (19, 34, 5) erscheint. Weder die Natur der Krankheit, noch die des Heilmittels läfst sich einstweilen sicher bestimmen. Meine Auffassung von vishkandham als „die Schultern auseinander zie- hend“, also Rheumatismus in den Schultern, Hexenschuls, Reifsen überhaupt, stützt sich besonders darauf, dafs in v. 5 neben dem Jangida auch Hanf als Mittel dagegen genannt wird. Auch in

. 1) so Böhtlingk Roth im Pet. W. unter upajika.

470 Gesammtsitzung

3,9, 2 ist von Bändern als Mittel gegen das vishkandham die Rede. In 3, 9, 6 werden aber 101 vishkandhäni als über die Erde verbreitet erwähnt. Vgl. noch Ts. 7, 3, 11,ı vishkandham tasmin hiyatdm yo ’smän dveshti. Sollte zu jangida etwa das ingidam djyam Kaug. 47 (wo dägirasam genannt, wie der jangida in Ath. 19, 34, 6). 116, d. i. doch wohl das Öl der inguda-Pflanze, ter- minalia catappa, eine Nufsart, deren Öl bei Zaubereien dient (®. auch (dkuntal. v. 14 ed. Böhtlingk), zu vergleichen sein? 2. Jangida schütz’ uns allseit vor dem Jambha, vor dem Vigara | vor Reifsen (?) und vor Anglühen (?) als tausendkräftges Amulett. II 21 jambha das Zermalmen, wohl eine Kinderkrankheit, vgl. Kaug. 32 jambhagrihitäya stanam prayachati; etwa das Zahnen? Zu vi- cara, Zerreilsen, Auflösen vgl. vigarika in 19, 34, 10 (neben dca- rika). Sollte abhigocana, Anglühen, etwa von einem Sudzauber zu verstehen sein? 3. Er besieget das Reifsen (?) uns, er treibt die Fresser (all) hinweg. I Für Alles sei uns Heilmittel der Jangida, schütz’ uns vor Noth! Il3 Il atrinas (att°), die Fresser, Quälgeister, Krankheitsgenien. 4. Durch den heilvollen Jangida, das gottgegebne Amulett I Das Reifsen (?) und die Rakshas all besiegen wir im Streite (stets). II« Il 5. Der Hanf mich und der Jangida Vor dem Reifsen (?) bewahren soll’n! I Jener ist aus dem Wald’ geholt, Der aus des Feldbau’s Säften stammt. Il5 Il Hanf (cana) resp. Hanfwerg dient, um die leidende Stelle ge- wickelt, bei uns als Mittel gegen Gicht oder Reifsen. Nach pdda 3. handelt es sich resp. um wildwachsenden Hanf, während der Jangida auf dem Acker gebaut wird. 6. Zu Schanden macht das Amulett die Zauberkunst, den Feindestrug. I Der sieggewalt’ge Jangida führ’ unser Leben weit hinaus! Ile Il

vom 30. Juni 1870. 471

9. Einladung an Indra zum soma-Trunk.

1. Indra! sei günstig fahr’ hervor! O Held, komm herwärts mit Gespann! Trinke vom soma dir ’nen Rausch!

Am Meth dich letzend, zum Rausch willkommen? Ilı Il 2. Indra, den Leib dir wie Schiffsbauch !) _ mit Meth anfülle wie mit Licht! von diesem soma wie im Glanz dir nahten Räusche, mit gutem Klang. 13 ı 3. Indra rasch siegend wie Mitra erschlug den Pritra wie Zaubrer; spaltet’ den Vala wie Bhrigu, besiegt’ die Feinde, im Rausch des soma. Ila li 4. Eingeh’n soll’n in dich, die Säfte, Indra! Füll’ deine Mägen! = sättge dich, Mächtger! ob unsres Lieds komm! Auf unsern Ruf hör’, nimm unser Lied an! Indra! mit Freuden berausche hier dich zu grofser Freude! I all 5. Nun des /ndra männliche That’n ich singe, des Blitzführers, die er gethan zu Anfang. | Den Ahi schlug er, machte frei die Wasser, Spaltete die Brüste der Wolkenzüge. 115 It 6. Schlug den Az, der in Gewölk’ sich hüllte, Tvashtar schuf ihm dazu den strahl’nden Blitzkeil. ı Dahinfliefsend, brüllend wie Mutterkühe, Zum Meere flugs strömten hinab die Wasser. Ile 7. Zur Kräftigung er sich erkor den soma, und trank von dem Saft aus drei braunen Krügen; I falste sodann mächtig den scharfen Blitzkeil, Und schlug ihn, den Erstgebornen der Schlangen. Il z Dieser Spruch (dient er etwa, s.v.7, als Schlangenzauber?) ist aus zwei ganz verschiedenen Stücken zusammengesetzt. Das zweite zunächst, v. 5—7, ist dem Eingang des bekannten ?) Indra-

1) oder: Schiffsraum, Schiffsschlauch ? 2) vgl. Oatap. 1, 6, 4, 2, wo sein V£. Hiranyastüpa als Repräsentant aller rishi erscheint, offenbar weil dies sein Lied eben in hohen Ehren stand.

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472 Gesammtsitzung

Liedes im ersten Buch der Riks. (1, 32, ı—3) entlehnt. Das erste dagegen, v. 1—4, findet sich nicht in der Riks. selbst, wohl aber im Ritual des Rik (Ägval. 6,:3,.1, Cankh. 9, 54,86. Br: 1,9), v. 1-3 resp. auch in der Sdmasamhitd 2, 302—4'), el; Panc. 12, 13, 21 sowie Anup. 3,12 (unter Citirung übrigens des Kathakam, der Atharvan und der Bhällavin) und Nid. 2, 12 (unter Citirung der Bahvricds und Ätharvanikds), wieder; und zwar mit mannich- fachen Varianten; es erscheint resp. hier theilweise in ziemlich ver- derbtem Text, worüber bereits Roth in seiner Abh. über den Ath. Veda (Tüb. 1856) p. 11 gehandelt hat. Das Metrum dieser ersten vier Verse?) ist eigenthümlich; sie bestehen nämlich aus fünf ösilbigen pdda, von denen hier, wie in Sdmas., in v.1—3, und bei Äcval. auch in den beiden hier in v. 4 zusammengefafsten Versen, je die drei ersten durch eingefügte 3silbige Einschübe in Ssilbige pada umgewandelt sind. Diese Einschübe lassen sich zum Theil nur schwer, zum Theil”) gar nicht mit dem übrigen Texte in Zusammenhang bringen, und sind offenbar ganz fremdartige Bestandtheile. Das Ritual bezeich- net sie denn auch als upasarga ((dnrkh. Br. Nid.), resp. als (vgl. Ind. Stud. 8, 67. 76) ekapadas tryakshard vishmog chando bhurijah cakvaryah (Panc. Br.) Sie dienen zu der behufs Herstellung des shodagi-castra, resp. -stotra, nöthigen Wandlung‘) der Weise der 25silbigen gdyatri in die der 34silbigen anushtubh svardj (Oankh. Br.). Um einen leidlichen Text, resp. doch eine Art Sinn zu be- kommen, lese ich in le statt des viersilbigen, somit offenbar falschen mater iha (matir na de. .S. G.) mader ha; in 2b resti- tuire ich für navyo mit Äc. (. navyam und fasse es als ndvyam;

Agni von den Göttern, Hiranyastüpa von den rishi, die brihati von den Metren ziehen aus, den nach dem Todschlage Vritra’s aus Furcht vor ihm (dafs er etwa noch lebe) entflohnen Indra zu suchen.

1) als stotriyäs für das Gaurivitam säma, schol. zu Pahe.; s. auch Akt. Br. 4, 2 Haug p. 257.

2) resp. aksharapankti nach Anup. (sollte padepankti heifsen, vgl. Ind. Stud. 8, 152. 155).

3) insbesondere bei der von A'pvaläyana gegebenen Form von v. 4.

4) tah paitcavinpatyakshard, ekaika navabhir navabhir aksharair upa- srishtü.... täg catustringadakshardh sampadyante, svardd vai tac chando yat kim ca catustrihcadaksharam (. Br. Auf den Sinn kommt es bei diesen Verschmelzungen und Neugruppirungen der Verstheile gar nicht an, wenn nur die Silbenzahl stimmt, s. Ind. Stud. 8, 24 ft.

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in 3 ist in a. mit Ag. Q, mitro na zu lesen, yo in b. zu streichen und yatir na zu lesen; in 4 ist ind aviddhi aus Äe. zu re- stituiren, in f. g. giro me umzustellen, und in h. wohl sayugbhir mit Äg. zu lesen. Auf die andern zahlreichen Varianten lasse ich mich hier nicht weiter ein, und bemerke nur zweierlei. Einmal nämlich, dafs statt yatir na „wie ein Zauberer“ es jedenfalls näher läge yalin na (yatir na) zu lesen und dies auf die bekannte Bekämpfung der yati (vgl. yatu, ydtu) durch Indra zu beziehen; die Analogie mit den übrigen upasarga aber erheischt den Nom. sgl. Wichtiger ist der zweite Umstand. Wir sehen hier in v. 4 zwei Verse vereinigt, und zwar ohne die bei ÄAgval. in dieselben eingefügten upasarga; nach dem Zeugnisse des Niddna-sütra aber standen in dem damaligen Atharvan-Text auch die drei ersten Verse, um die allein es sich im Sdmaveda handelt, ohne die in unserm jetzigen Texte darin aufgenommenen upasarga; es heifst nämlich daselbst: ath@ ’pi cacvad end anupasrishtd Äthar- vanikä adhiyate; und auch das Anupada scheint Gleiches anzu- deuten mit seiner freilich etwas dunklen Redeweise: aksharapank- iy-ekapadd-prithagamnändd Atharvandm sampadvadas (, tam panktishu caikapaddsu ca samsajya stuwata iti Bhdl labindm, pra- vaha hariha matir neti prathamdydm, navyam na divo na svar neti dvi- Uydydm, mitro na yatir na bhrigur neti tritiydyam).

6. An Agni.

1. Dich stärken soll’n, Agni! die Tag’, Jahrzeiten, Die Jahre, die Seher und die Wahrheiten! I Mit himmlischem Glanze erstrahle stetig! Die vier Himmelsgegenden all’ erleuchte! Ilılı Dieses Stück kehrt, mit mehrfachen Varianten, in allen drei Yajus-Texten wieder, in Ts. 4, 1, 7, 1.2. Käth. 18, 16. Ver 2, 18 5.6‘). Es wird daselbst beim aynicayana verwandt, resp. zwi- schen die zu dem Thieropfer (ishtakdpagu) gehörigen sdmidheni- Verse eingeschoben (s. Mahidh. ad 1.). Unter samds versteht Mahidhara die Monate; s. indefs Ind. Stud. 4, 430 (At. 1, 3405:

!) es gehören daselbst dazu noch 4 trishtubh und eine anushtubh am Schlufs; im Kath. resp. noch eine fünfte trishtubh.

33*

474 Tesammtsitzung

Kaug. 102). Das Feuer soll von Tag zu Tag, von Zeit zu Zeit an Kraft zunehmen. 2. Entzünde dich, Feuer! und ihn mach’ wachsen! Erheb’ dich zu mächtiger Glücksverein’gung! I Nicht leiden soll’n deine Beisitzer, Agni! Deine Priester ruhmesreich sei’n, nicht Andre! II 21 ihn, den Opfernden. 3. Die Brähman’ hier haben erwählt dich, Agni! Sei hülfreich uns, Agni, bei (Nacht)-Umhüllung! | Sieg’ Agni! du ob (unsren) Gegnern, Feinden! In unserm Haus wache du unablässig! II 1l 4. Packe du an, Agni! mit deiner Herrschkraft! Gieb Müh’, Agni! dir mit dem Freundin Freundschaft! I Im Mittelpunkt stehend der Gleichgebornen, Erstrahle hier, Agni! als Hort der Kön’ge. Ilall „im Mittelpunkt stehend“, d. i. um den sich alle schaaren. vihavyah „als Hort“, eig. als der, der von verschiedenen Seiten, als Schiedsrichter nämlich, oder als Helfer, angerufen wird. 5. Über die Neider, die Streiter, die Unbesonn’nen, Hassenden | Über alles Ungemach führ hinweg uns, o Agni, gieb uns Mannen-reichen Reichthum! II 5 Il | niho haben alle vier Texte (ni-hantar Mahidh.); und ob auch das Wort sonst nirgendwo vorkömmt, so ist doch wohl kaum nido zu lesen? Die Wurzel niksh durchbohren, die sich etwa vergleichen liefse, ist vielmehr wohl Desid. aus nag (und in der Bedeutung: küssen aus nij?), wie nins aus nam, pits aus pat. Statt sridho haben die Yajus-Texte sridho, vgl. lat. stlis, unser Streit.

7. Gegenzauber gegen Verfluchung.

1. Dies Gottgeborne, von Bösen gehafste, fluchabwehr’nde Kraut I Hat alle Flüche von mir weg gespült, wie Wasser spült den Sehnate, Il 2. Sowohl des Nebenbuhlers Fluch, als auch den Fluch der Basenschaft, Od’r wenn im Zorn ein Priester fluch’, all das treten mit Fülsen wir. II21l.

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sapatnah könnte hier speciell etwa: der Fluch der Nebenbuh- lerin sein, wenn nämlich das Stück, s. v. 4, einem Weibe in den Mund zu legen ist. jämydh, der Schwester, d.i. wohl allgemei- ner: der weiblichen Verwandtschaft. Das Amulett hebt über dies Alles hinweg. ». Vom Himmel ’rab die Wurzel hängt, aus der Erd’ hebt es sich empor. I Mit diesen tausend Stängeln du beschütze rings uns allseitig! 113 I Das Amulett ist somit wohl eine Art Schmarotzerpflanze, die ihre zahllosen Triebe von dem Mutterbaum nach unten hinab han- gen lälst, so dafs sie (wie beim nyagrodha) in der Erde neue Wurzeln schlagen. Die Zahllosigkeit der Triebe verbürgt die allseitige Wirkungskraft des Amuletts. „Man trinkt (gegen Fie- ber) das Wasser von gekochtem Wegerich, weil dieser 99 Wur- zeln hat“ Wuttke der deutsche Volksaberglaube d. Geg. $. 529. 4. Ringsum sie, rings die Kinder mein, ringsum schütze die Habe uns! I Der Unhold komm’ nicht über uns! nicht uns’re Gegner über uns! 14 Il Der Text hat parimdm „rings um diese (Frau) hier“; dann muls der Vers in den Mund des Gatten gelegt werden, der für seine Frau um Schutz bittet. Oder ist zu lesen: pari mdm, und der Vers in den Mund eines Weibes selbst zu legen? s. v. 2. 5. Dem Flucher kehre heim der Fluch! Der’s wohl meint, eins sei’n wir mit dem. Wer üb’/l uns will, mit Blick bespricht, Dem zerbrechen die Ribben wir. I 51 „mit dem sei uns Gemeinschaft“. c. Dieselbe Drohung (aber vermittelst einer Salbe) gegen den cakshurmantra, der mit bö- sem Blick bespricht, behext, findet sich in 19, 45, 1; vgl. das gho- ram cakshus, den bösen Blick, in 4, 9, 6 (durch das traikakudam dnjanam, die Trikakud-Salbe vom Himavant, abzuwehren). 19, 35, 3 (durch den Jangida zu bekämpfen); besonders an Frauen gefürchtet, vgl. aghoracakshur apatighny edhi Pär. 1,4. (änkh.g. 1,16. Das Jihmam cakshus schiefe Auge, (at. 1,5, 1,20. Cänkh. 1, 6,2 ist etwas Anderes und bezieht sich auf Übersehen, Nebenhinschen.

476 Gesammtsitzung

8. Gegen Feldschaden.

ı. Aufgingen die glückbringenden Doppelstern’, Namens Vieritau, I Sie mögen des Feldschadens Band’ auflösen, untre, obere! Il ıll Der ganze Vers kehrt in 3, 7,4 und der erste Halbvers auch in 6, 121,3 (vgl. Tate Är. 2, 6, 3), beidemale resp. bei andrer Ver- anlassung, wieder, Ss. meine Abh. über die Nakshatra 2, 291. 292. vicritau „die beiden Lösenden* ist der alte Name des später mülabarhani, resp. m&la allein genannten nakshatra, s. ibid. 2, 394. Unter kshetriya ist hier offenbar Feldschaden zu verstehen, wie der Zusammenhang unsers Stücks erheischt'), während in 3, 7,4 es sich wohl (s. unten bei 10) um eine gefährliche Krank- heit handelt, vgl. Naksh. 2, 292. Ind. Stud. 5, 145.”). Nach Kaug. 26 veranlafst er (der Priester nämlich) unter Recitirung dieses Spru- ches den Betreffenden, für den die Ceremonie gilt, „sich aufsen (aufserhalb der zu v.5 genannten cald?) zu baden“ (?„zu begies- sen“? ud agdtdm ity dpldvayati bahih). 2. Hinschwinden möge jetzt die Nacht, die Zauberspinnerinnen hin! I Das Feldschaden tilgende Kraut den Feldschaden hinschwinden mach’! Il 2 Il Bei Tagesanbruch zu recitiren, vyuchantydm Kaug. abhikrit- varis, von Ykart Cl.7 spinnen, wovon auch krityd, Zaubergespinnst, herzuleiten. 3. Mit dem Strohhalm der rothbraunen Gerste, der silberstengligen, Mit der Ranke der Sesampflanz das Feldschaden tilgende Kraut den Feldschaden hinschwinden mach’. II 3 Il

1) auffällig freilich, dafs es bei Kaur. (26) unter den als bhaishajyant, Heilsprüche, verwandten Stücken (25 ff.) erscheint!

2?) in Bezug auf Kath. 15, 1 ist mir die Sache noch immer zweifelhaft: idam aham amushyämushyäyanasya kshetriyam avayaje (resp. apidadhami) heilst es daselbst, und dies führt eben doch auf eine Krankheit! aber der Spruch wird verwendet zur Opferung eines ausgehobenen Ameisenhaufens (val- mikavapdm uddhatya, s. hier Kauf. zu v.3); und zwar geschieht diese in ein Feuer, das auf svakrita irina, aufgerissenem unfruchtbarem Boden angelegt ist, und dies führt auf Feldschaden!

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„Die im Verse genannten Gegenstände, sowie einen Erdklofs und einen Ameisenhaufen, die zu umeirkeln (und auszuheben) sind, bindet man in einen Hodensack (?) den man zuvor einem leben- digen Thier abgebunden (abgeschnürt) hat (?)*; mantroktam äkriti- loshta(?)-valmikau parilikhya jivakoshanydm!) utsivya badhnäti, Kaug. Die Castration durch Abschnüren geht auch bei uns wohl jetzt noch neben der durch Schneiden einher. Meine obige Übersetzung ist übrigens rein konjekturell; über das, was weiter zu geschehen hat, s. die Angabe zu v. d5. Die Construktion des Verses ist ana- koluthisch; man erwartet nach pada 3 etwa: „wir den Feldscha- den treiben fort“; der Refrain aber wog vor. Gerste und Sesam sind offenbar die Hauptvertreter der Ackerfrüchte.

4. Verneigung deinen Pflügen sei, den Deichseln und den Jochen dein! I Das Feldschaden tilgende Kraut

« den Feldschaden hinschwinden mach’! ital

„Hiermit begielst er einen Pflug- Stier, über das Haupt“; it sirayogam (s. Katy 5, 11, 12 yoga balivarda) adhigiro "vasincati, Kaue. Und zwar wohl mit dem Wasser, welches beim näch- sten Verse erwähnt wird? oder mit dem, welches zu dem Bade bei v. 1 diente? Auffällig bleibt, dafs der Text stets nur von einem Kraut (virudh), nicht von einer Flüssigkeit spricht; es bleibt somit ungewifs, in wie weit die Angaben bei Kaug. wirk- lich für die vom Text im Auge gehabte Ceremonie maalsgebend sind. 5. Den Zwinkernd-äugigen, Aufträg’ Ausführenden Verneigung sei!

Verneigung sei dem Feldes-Herrn! I Das Feldschaden tilgende Kraut den Feldschaden hinschwinden mach’! Is Il

„In einer leeren Halle?) thue er (der Priester?) die (in v. 3 genannten resp. bei Kaug., aulserdem noch dazu aufgeführten) Zu- thaten in Wasser hinein, (giefse dies) dann in eine alte Grube (Cisterne?), die mit in der Halle gewachsenen (?) Grashalmen °) versehen ist, und lasse darin den Betreffenden (für den die Cere-

I) vgl. jivornd, Wolle vom lebenden Thier entnommen Ääty.9, 2, 16; jivavishana drgl. Horn Pär. 8, 7.

?) ?pala ist nach dem schol. zu (at.8,1,1,6 ein dirgha(m) caturasram griham „langes viereckiges Gebäude“.

?) oder handelt es sich etwa um Halme vom Strohdach, vgl. Hala v. 320.

418 Gesammtsitzung

monie bestimmt ist) Wasser schlürfen und sich waschen (baden ?)*; iti cünyaraldyam apsu sampätän anayaty, uttaram jaralkhäte sacdld- trine, tasminn dcdmayaty apldvayati, Kaug. 27.— Sind unter den sanisrasäksha (sanisrasa, Ysrans, decidere) und samdecya ein- fach nur die fleilsigen „Diener“ gemeint, deren Augen vor zuviel Arbeit gern zufallen möchten? wie ja in v. 4 in der That nur die einfachen Ackerinstrumente selbst aufgezählt sind. Es liegt dies wohl am nächsten. Indessen die Nennung derselben neben dem kshetrasya pati, genius fundi et loci (s. Pet. W. s. v.), legt an- drerseits auch die Vermuthung nahe, dafs auch unter ihnen viel- mehr ebenfalls Genien, und zwar gute, Koboldartige Wesen, zu

verstehen seien. Zu dem kshetrasya pati s. noch Kath. 9, 17. 26,1. 50,4!) und vgl. den spätern kshetrapala; in 12, 1 finden wir eine kshetrasya patni. Jedenfalls bietet uns dieses Stück, mag

man nun den Text für sich allein betrachten (Aufgang eines be- stimmten Gestirns, Frühmorgen, Huldigung an die einzelnen Fak- toren, Instrumente etc. des Ackerbaus) oder die von Kaugika hin- zugefügten Einzelheiten (Lustration des Hausherrn, Einbinden von Gerste, Sesam, Bodenkrume und Ameisenhaufen in den abgeschnür- ten Hodensack (?) eines kastrirten Thieres (?), Lustration des Ackerstieres, Bad des Hausherrn in einer alten Wassergrube) ins Auge fassen, ein höchst interessantes patriarchalisches Gemälde dar.

9, Suchtenbrechen.

ı. Zehnerlei Holz! löse ihn von dem BRakshas, Von der grähi, die ihm gepackt die Glieder! I Und führe ihn, o Waldesherr! Zur Welt der Lebenden, empor! Ilıll Zehn Freunde (des Kranken) berühren diesen Spruch mur- melnd, (zehn?) Holzsplitter; dagavriksheti gäkalo (gädkalan?) daga suhrido japanto ’bhimriganti, Kaue.. Was mit den Splittern weiter

1) Wer da wünscht: „asydm me janatdydm ridhyeta, „möge es mir hier unter dieser Menschheit (in dieser Versammlung) wohl gehen“, der weiht dem kshetrasya pati (neben Gaben an indra und püshan) ein Körnermuls (caru) Käth. 9, 17 (Ts. 2, 2,1, 5); iyam (die Erde) kshetrasya patih.. asydm eva pratitishthati ibid.; iyam kshetrasya patis tenä 'sy& naiti K. 26, 1; asau (der Himmel) kshetrasya patir, amuto varshati K. 80, 4.

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zu machen ist, wird nicht gesagt; werden sie etwa vergraben? Aus dem Namen dacavriksha, aus v. 4, und aus der Zehnzahl der Freunde (bei Kaug.) vermuthe ich, dafs es eben zehn gdkala sind, und zwar von verschiedenem Holz, wie denn dies Verfahren auch in unserm Aberglauben ja noch ganz identisch erhalten ist!). Die zehn Freunde sollen dem Krankheitsdämon wohl Furcht einflöfsen? „Waldesherr* d. i. Baum ist hier eine Meto- nymie, das totum pro parte. graht, Ergreifung, Packung, „eine Unholdinn, welche die Menschen fesselt, Krankheit und Tod bringt; Betäubung, Bewufstlosigkeit* Pet. W. Der Traum (svapna, nicht: Schlaf, wie im Pet. W.), der schwere Fiebertraum nämlich, ist ihr Sohn Ath. 16, 5,1. Sie erscheint neben tamas Dunkel 2, 10, s. 16, 7,1, den kravyadah picdcas 8, 2, 12, dem päpman 12, 3, ıs; Bitte um Hülfe vor ihrem päga, Strick 2, 10, 6 (neben dem der druh). 6, 112, 1. 2. 16, 8,1, vor ihren vier bandha, Banden 19, 45, 5.

2, Zurück kam der hier, wieder auf,

trat in die Schaar der Leb’nden ein. I Werde Vater von Söhnen er, und der Männer glückseligster! II 2 Il

„Zurück kam er“ d.i. wieder zu sich, aus der Bewulfstlosig- keit, in die er bereits versenkt war. Die vier Aoriste sollten sich eigentlich auf Solche beziehen, die früher schon das Mittel angewendet haben, dessen Wirksamkeit resp. als eine schon oft erprobte verherrlichen. Aber das ayam weist auf die Gegenwart hin, und mufs daher abhüöt wohl in konjunktivem Sinn verstanden werden. Ist etwa die Erfüllung des Wunsches eine so sichere, dafs sie als bereits eingetreten, ja als der Vergangenheit bereits angehörig bezeichnet wird? vgl. den ehrerbietigen Gruls im Drama: der König siegt (Praesens, nicht Imperativ); sowie die grüfsende An- rede durch dyushmant, bhagavant, welche Wörter Einen der bereits im Besitze langen Lebens, resp. des Glückes ist, bezeichnen, während der Grufs offenbar doch nur bestimmt ist, diesen Besitz dem Begrüfsten anzuwünschen.

!) s. Wuttke, der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart (Berlin 1869) 8. 538: „man bricht von neun verschiedenen Bäumen, die kein Steinobst tragen, kleine Stücke, die unter Gebetsformeln in ein Gefäls mit Wasser geworfen werden; dadurch wird die Sucht des Kranken gebrochen.“ vgl. noch ibid. $. 121 und über neunerlei Kräuter ib, $. 120.

450 Gesammtsitzung

3. Zur Besinnung er wieder kam, trat in der Leb’nden Wohnsitz’ ein. I Denn dem hier wohnen ein hundert Ärzte und tausend Heilkräuter. II 3 II Während ayam in pdda a. auf den Kranken, bezieht sich asya in pada c. offenbar auf das Heilmittel, dem die Kräfte von 100 Ärzten, 1000 Kräutern einwohnen. 4. Die Götter dich zu sammeln sahn, die Priester auch, die Kräuter selbst. I Alle Götter zu sammeln dich auf der Erde sahn (hin und her) Is Il Es müssen somit ziemlich erlesene Dinge, die schwer zusam- men zu bekommen waren, in dem dagavriksha-Mittel vereint sein'); daher denn auch seine grolse Macht (s. v.3). In avidan liegt hier noch die alte Bedeutung der yvid, video :idsw, vor. 5. Wer’s gemacht hat, der bring’s zurecht! Es ist eben der beste Arzt. I Es soll eben die Heilmittel dir verschaffen, als reinster Arzt. Ils5 ll Das Heilmittel mufs hiernach wohl auch etwas schwer anzu- fertigen gewesen sein? Wer es (schon einmal) gemacht hat, - der ‚soll's auch jetzt wieder machen. Unter sa eva verstehe ich in beiden pdda, b. wie c., nicht den Verfertiger des Mittels, sondern das Mittel selbst; in pddad. lese ich bhishajdam; der Instrumental giebt keinen Sinn.

10. Segensspruch für einen Neugebornen (?).

1. Von kshetriya, Nirriti, Fluch Verwandter, Von der Druh, von Varuna’s Strick dich lös’ ich. I Ich mache dich fehlerlos durch mein Spruchlied. Beide dir sei’n, Himmel und Erde, günstig! Nıll Dies ganze Stück kehrt, mit verschiedenen Varianten aller- dings, im Taitt. Br. 2, 5, 6, ı-3 wieder, und zwar ist es nach dem

!) Wuttke $. 121 „neunerlei Holz, zu vielen Zauberzwecken verwandt, wird von lauter in der alten Religion und im Aberglauben bedeutsamen Blu- men und Sträuchern entnommen, bes. Kreuzdoru, Hollunder, Taxus; es dürfen nur Bäume sein, die kein Steinobst tragen. Dieses Holz wehrt bösen Zau- ber ab und dient auch zur Erkennung der Hexen.“

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schol. daselbst und der darin eitirten Stelle aus Baudhdyana beim Geburtsritual (jatakarman), beim (ersten) Waschen nämlich des neugebornen Kindes, zu verwenden. Ob dies wirklich die ursprüngliche Absicht dieser Sprüche hier ist, mufs indefs einst- weilen noch unentschieden bleiben. Es ist im Wortlaut derselben (s. im Verlauf) allerlei, was nicht recht dazu stimmen will.') Das erste Wort lautet im 7. Dr. nicht kshetriydt, sondern kshe- triyai; und zwar ist nach dem schol. unter kshetri eine den Kindern nachstellende Dämonenspecies (bdlopadravakarini kacid rakshojatih kshetri) zu verstehen. Im Pet. Wört. 5, 1352 wird nun zwar jenes kshetriyai als „entstellte Lesart“ bezeichnet; ich möchte dem indefs nicht direkt beipflichten. Jedenfalls erscheint mir die dadurch an die Hand gegebene Anknüpfung an Ykshi, zrırun: auch für kshe- triya bei weitem der künstlichen Erklärung, die dies Wort schon bei Panini gefunden hat (s. Ind. Stud. 5, 145), vorzuziehen. Höch- stens wird auch ihr der Rang noch streitig gemacht durch die von dem Schol. zum T. Br. beim letzten Verse, wo auch dort kshetriyat gelesen wird, beigebrachte, zu der Verwendung des ganzen Stücks beim jatakarma trefflich passende Erklärung, wo- nach nämlich darunter (kshetram garbhasthänam, tatrotpannatvdt) eine vom Mutterleibe (kshetram, s. Pet. W. 2, 572) her dem Kinde anhaftende Krankheit, ein erblicher Schaden somit be- zeichnet sein soll. Nach Ath. 3,7 wird das kshetriyam (neutr. v. 7) durch Hirschhorn (harinasya vishänd) beseitigt, und sitzt im Herzen des Betreffenden; eine Waschung ist nach v.5 offenbar daselbst auch damit verbunden, und zwar ist dieselbe des Früh- morgens beim Heimleuchten der Sterne uud der Morgenröthe vor- zunehmen, oder, wie bei dem mit gleichem Namen benannten Feldschaden (s. oben p. 476), beim Scheine des Doppelgestirns der Vieritau (sowie eines andern vom Himmel wie ein vierbeschwingtes Dach herableuchtenden Gestirnes). Wenn es sich daselbst etwa auch um die Waschung eines Neugebornen handeln sollte”), würde die

!) Auch die leider sehr dunklen Angaben bei Kauf. 27 stimmen nicht dazu, sie lauten: Ash. tveti catuhpathe kämptlagakalaih parvasu baddhvä pin- jülibhir aplävayaty avasincati, „auf einem Kreuzweg, mit kdmpila-Splittern (kampila, Crinum, Amaryllacee Pet. W.), an den Gelenken bindend mit Halmbüscheln, läfst er (ihn, sich) waschen und begiefst (ihn).“

°) Die leider ebenfalls sehr abrupten und dunklen Angaben bei Kaug. 27

482 Gesammitsitzung

Erklärung aus ÄAshetra, Mutterleib, allerdings erheblich an Wahr- scheinlichkeit gewinnen. jdmigansa, Verwandtenfluch, vgl. oben p. 475. Dafs das Verhältnifs zwischen den Blutsverwandten in der Brähmana-Periode theilweise ein ziemlich getrübtes war, dafür liegt ein lukulenter Beweis vor in der praegnanten Verwenduug des Wortes bhrätrivya „Bruderssohn“, in der Bedeutung von: feindlicher Vetter, Nebenbuhler, Gegner. Auch wird der Feind- schaft zwischen den sajdta und sabandhu häufig genug Erwäh- nung gethan. Im 7. Br. fehlt das Wort jämigansa hier, findet sich aber im letzten Verse vor. Die druh (s. Pet. W.) ist hier of- fenbar wie im Aik (und im Zend) als Namen einer feindlichen Genie, nicht als appell. (drohdt, schol. zu 7. Br.) aufzufassen. Wenn es sich hier wirklich um ein neugebornes Kind handelt, so könnte andgas hier nicht gut „sündelos, unschuldig“ sein (der Begriff der Erbsünde fehlt ja den Indern), sondern sich nur auf körperliche Gebrechen beziehen, die der Priester durch seinen Spruch (brahmand) beseitigt.') Nun bedeutet aber andgas sonst eben stets nur „sündelos, schuldlos*, und es frägt sich somit in der That, ob die Beziehung auf das Geburtsritual wirklich dem Verse ursprünglich beiwohnt. Dafs der Priester durch seinen Spruch einen Schuldigen entsühnt, und somit den Folgen seiner Schuld, . den Krankheiten nämlich und dem Einflufs der bösen Genien ent- zieht, ist ganz im Character des Ath., der ja eben theils die Ge- walt des priesterlichen Wortes auf das Höchste verherrlicht, theils Krankheiten etc. als Folge sittlicher Vergehungen ansieht (vgl. Grohmann in den Ind. Stud. 9, 405. 407-11); aber dafs er ein neu- gebornes Kind entsühnen sollte, dafür fehlt ein jeder Anhalt. Sprüchwörtlich heilst es ja gerade: „an ihm ist so wenig Sünde, wie an einem essenden Kinde“, s. Catap. 4, 4, 5, 23. 2. Heilbringend dir Agni sei mit den Wassern, heilbringend auch Soma dir mit den Pflanzen! I So ich dich von Xkshetriya, Fluch Verwandter, Nirriti, Druh, Varuna’s Fessel löse. I

geben dazu freilich keinen Anhalt: harinasyeti bandhana - päyand- camana (°nani?), gamkudhänajvalens 'vanakshatre (jvdlebhäva” Cod.) "vasincaty, ami- tamätrayah sakridgrihitan yavan avapati, bhaktam prayachati. I

!) der Text im 7. Br. hat brahmane (parivridhdya jatakarmädisams- käröya schol.), d. i. doch wohl: zum Wachsthum, Gedeihen.

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Ich mache dich fehlerlos durch mein Spruchlied Beide dir sei’n, Himmel und Erde, günstig! Ile Il Unter soma ist entweder der soma-Saft oder bereits der Mond zu verstehen. Das 7. Br. hat dafür nochmals: Himmel und Erde. Der Refrain: „so ich dich..“ fehlt in 7T. Br. und kehrt erst beim letzten Verse wieder; mit Auslassung übrigens von Nirriti, wo dann das Metrum unter Beibehaltung des hiesigen Versanfangs: 'evdham tvd (das T. Br. hat aber evam aham imam) richtig ist, wäh- rend dasselbe in der hiesigen Gestalt des Refrains eben drei Sil- ben zu viel hat. Nun, bei solchen Refrainartigen Formeln pflegt ja auf das Metrum keine grofse Rücksicht genommen zu werden. 3. Der Wind in der Luft geb’ dir Stärke heilvoll! die vier Himmelsgegenden sei’n dir heilvoll! ı So ich dich von ... IIsll 4. Die vier Himmelsgegenden, die die Sonne bescheint, des Winds Gattinnen, die da leuchten, I So ich dich von ... Ilall Die beiden ersten pdda erscheinen als eine Amplifikation des zweiten pdda von v. 3 und hängen offenbar mit pdda 1.2 von v. 5 aufs Engste zusammen, sind eben nur durch den solennen Refrain davon getrennt; im 7. Br., wo dieser fehlt, ist der Zusammenhang nicht unterbrochen. 5. In sie ich dich setze, in’s Greisenalter. fort hebe sich Nirriti, weg die Schwindsucht! I So ich dich von ... Is Statt jarasi hat 7. Br. offenbar viel besser: jarase, zum Greisenalter, jaradashtir yatha ’sat, wie es Odnkh. g. 1, 27 bei einem im sechsten Monat, Pär. 2,1 und Ägu.g. 1, 17, ı0 bei einer im er- sten oder dritten Jahre mit dem Kinde vorzunehmenden Ceremo- nie heifst; vgl. noch unten 13, 1. 28, 1, wo ebenfalls für Kinder um Leben bis zum Greisenalter gebetet wird. 6. Von Schwindsucht, Unheil und von Fehl erlöst nun du bist, der Druh Fesseln, der yrähi ledig. I So ich dich von ... Ilell Die bisherigen Sprüche sind wohl während des Bades zu recitiren, dieser und die folgenden Verse dagegen nach demselben. Der Refrain (resp. das Praesens darin) pafst nunmehr freilich gar nicht mehr recht. duritdt und avadydt weisen eigentlich wohl wieder auf moralische Schäden hin, passen somit nicht

484 Gesammtsitzung

recht zu dem jätakarman. Statt avadyat hat T. Br. avartyai, was der Schol. mifsverständlich durch a-varti (daridrya, Armuth; als ob avritti dastände) erklärt, während es doch als ava-riti (s. Pet. W.) aufzufassen ist. 7. Zurücklassend Ungunst, gewannst du Heil dir, Tratst ein in die glückliche Welt der Gutthat. I So ich dich von ... I rl

Auch hier hat T. Br. avartim (statt ardtim). Das „Eintre- ten in die Welt der Gutthat* will auch zum jatakarman nicht recht passen, sondern führt auf Einen, der bisher übel gethan hat, nun aber durch die Ceremonie entsühnt ist.

s. Vom Dunkel, von grähi die drein verfall’ne

Sonne befrei’nd lösten vom Fehl die Götter. I So ich dich von ... Isll

Auch dieser Vers weist so entschieden auf ein enas, also eine moralische Verschuldung hin, dafs es zum Mindesten schwer fällt, denselben als ursprünglich für ein jätakarman bestimmt aufzufassen. Andrerseits pflegt die Sonnenfinsternifs, auf die hier offenbar angespielt wird, in den Brähmana-Texten sonst auch nicht gerade auf eine Verschuldung der Sonne zurückgeführt zu werden, wird vielmehr einfach auch nur als ein Unglück derselben bezeichnet. Man könnte nun wohl fragen, ob nicht unser ganzes Stück etwa ursprünglich eben gerade dieser speciellen Veranlassung entstammt, resp. bestimmt sei, bei dem Eintreten derselben reeitirt zu werden? Dem steht aber entgegen, dafs man dann jedenfalls wohl eine all- gemeinere, nicht blos wie hier auf ein Individuum beschränkte Entsühnung zu erwarten haben würde. Es ist daher in der That die Sonnenfinsternifs hier wohl eben nur als Beispiel herangezo- gen; T. Br. liest denn auch yat statt adhi, und der Schol. erklärt dies durch yathd. Derselbe führt zugleich ad rem eine brähmana- Stelle (Ts. 2, 1, 2,15 ebenso Panc. 23, 16, 2) an: suvarbhänur (svar- bh. va Panic.) dsurah süryam tamasd ’vidhyat, tasmai devdh präyag- eittim aichann iti. Der Eingang derselben findet sich identisch im Käth. 12, 13 (svarbhänur vd ds. s. t. ’v.), doch heifst es dann wei- ter: sa na vyarocala, tasmad deväs tamo ’palumpan; ebenso 27, 2 und ähnlich im Pafcav. 4, 5, ı (tam devah svarair asprinvan). Et- was abweichend lautet die Darstellung im Cat. 5, 3, 2, 2: svarbhä- nur ha vd dsurah süryam tamasd vivyddha, sa tamasd viddho na vyarocata, tasya somdrudrdv evaitat tamo ’pähatdm. Im Pancav.

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14, 11, 14 ist es Atri, der die Finsternifs durch das bhdsam (säma) vertreibt. Endlich im Odnkh. Br. 24, 3.4 sind es die Atrayas, denen dies durch die drei dem vishuvant-Tage (Sommersolstiz) vor- hergehenden svarasdman-Tage gelingt, und zwar beruft sich der Text dafür auf Rik 5, 40,9. Und hiermit gelangen wir denn zu jenem interessanten Rik-Hymnus, der in der That (v. 5—9) die Befreiung der Sonne von Svarbhänu theils dem Indra, theils dem Atri, theils den Atri zuweist (vgl. hierzu noch Ath. 13, 2, 4. 12. 36), und zwar eben wohl der Kraft seiner, resp. ihrer Gebete (bDrahmani, s. Rik 5, 2,6. 39, 5 giras). Unstreitig sind dies rein mythische, kindliche Auffassungen des betreffenden Vorganges, baar irgend- welchen astronomischen Verständnisses desselben! ganz entspre- chend jenen naiven Legenden der Brähmana, wonach die Sonne vom Himmel zu fallen drohte und erst durch bestimmte Metra daran befestigt ward, s. Ind. Stud. 8, 11. 42. 55. 9, 358 ff. tamaso grähyd adhi liefse sich allenfalls auch übersetzen: „aus dem Dun- kel der grähi* und man könnte bei grädhi etwa an eine böse Genie denken; ich ziehe indessen vor, auch hier das Wort einfach als Name einer Krankbeit zu fassen, da es einmal sonst hier im Ath. (s. z. B. oben bei p. 478) nur in dieser Bedeutung vorkömmt:

11. Das sräktya-Amulett, als Gegenzauber.

1. Du bist Verderben gegen Verderben, Lanze gegen Lanze, Waffe gegen Waffe! ı Erreiche den, der höher steht! Schreite weg über den, der dir gleich steht! Ilıl In dieser in Prosa abgefafsten Formel ist durchweg der erste Theil jedes Spruches an das Amulett, der zweite, die Form eines Refrains habende Theil dagegen an den Träger des Amuletts ge- richtet. Nach Kaug. 39 bindet er (der Priester) dem Betreffen- den hiemit den srdktya (nämlich mani) um; er läfst vor dem Feuer ein röthliches Rind, hinter dem Feuer einen rothen Ziegenbock schlachten, um Brühe und Fleisch davon zu gewinnen.') Es ist somit wohl eine Art Opferschmaus hiermit verbunden. Über den

!) sraktyam badhnäti, purastäd agneh Plipamgagäam kärayati, papcad agner lohitijam yüshapigitärtham. Zu der praegnanten Bedeutung von kdra- yati „schlachten lassen“ vgl. Av. g.1, 24, 31. Kaug. 92. Pär. 1:8.

486 Gesammtsitzung

Stoff des mani wird nichts gesagt; dem Namen nach ist er wohl als „vielkantig“ (srakti, Ecke) zu denken; etwa ein geschlif- fener Edelstein oder Krystall (s. v. 5), der als Amulett an einem Bande um den Hals getragen wird und an dessen Kanten alles Üble abprallen soll. 2. Du bist kantig! du bist ringförmig! du bist gegenzaubernd. I Erreiche den ... II2ll pratisara, in sich zurücklaufend; von der Amulettschnur s. Pet.W. 3, Schleudre den Zauber zurück auf den der uns hafst, den wir hassen. I Erreiche den ... II31l Kräftig hassen und fluchen konnten die Inder dieser Zeit! Dafür legt ihr ganzes grauta- wie grihya-Ritual vollgültiges Zeug- nils ab! s. oben p. 474.475. Unsere Priester haben ihr: ana- thema sit! ja auch noch nicht verlernt. 4. Du bist schaffend! du bist Kraftgebend! du bist Leib- schützend! I Erreiche den ...Ilall süri von Ysü, zeugen, zeugungskräftig? als Name des Wei- sen, Dichters (wie später) besser wohl: der Schaffende, Schöpferi- sche? (vgl. roırys). Oder kommt das Wort von Vsvar, leuch- ten? dagegen spricht hier der Inhalt dieses und des nächsten Verses. s. Du bist flammend! du bist strahlend! du bist Glanz! du bist Licht! I Erreiche den ... Is5ll

12. Schwur, mit Feuer-Ordale verbunden.

ı. Der Himmel, die Erde, der weite Luftraum, die Feldes-Frau, Vishnu, der wundersame, | Und der weite Luftraum, der Windbeschützte,

Die mögen hier brennen, wenn ich mich brenne! Ilı Il Dieses Stück, welches offenbar zu einem Feuer-Ordale gehört, ist bereits von Dr. Emil Schlagintweit in seiner Abh. über die Gottesurtheile der Inder (München 1866) p. 13—19 übersetzt und behandelt worden. In v. 1 werden die drei Welten, und ihre drei göttlichen Hüter zu Zeugen angerufen, oder vielmehr eigent- lich verwünscht, wenn sie etwa was aber eben unmöglich falsch Zeugnifs ablegen sollten. Dabei ist die Aufzählung der drei Hüter eine ganz ungewöhnliche. Man erwartert einfach Agni, Vayu, Sürya genannt zu finden. Aber statt des Agni erscheint der Erd- genius selbst und zwar in weiblicher Gestalt, als kshetrasya

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patni; statt des Sürya erscheint Vishnu, und zwar nur unter seinem solennen Beinamen urugäya, der weithinschreitende; und statt des Vdyu wird der Luftraum selbst nochmals und vdta nur nebenher, im Beiworte, genannt'!). ta iha ist zweisilbig zu lesen. 2. Hört ihr Götter dies, die ihr opferwürdig! Bharadvdja singt für mich seine Lieder. I Gebunden in Bande verfall’ dem Unheil, wer da irgend hier meinen Sinn antastet. IIa Il grinuta zweisilbig, ebenso gansati; also wohl gruta, gansat zu lesen? Ist etwa Bharadvdja hier (und 19, 48, 6) appellativisch aufzufassen, als Name des Priesters? oder ist wirklich der alte rishi und Aik-Sänger dieses Namens gemeint? yo asmäkam mana idam hinasti, wörtlich: wer diesen meinen Sinn beschädigt, d. i. diesen meinen Schwur antastet, mein Wort bezweifelt. Gramma- tisch wäre auch die Construktion möglich: wer von uns diesen Sinn beschädigt, d. i. etwa: diesen Vertrag bricht; doch pafst dies nicht zu der individuellen Färbung der andern Verse, die ausdrück- lich (auch v. 4) nur Einen als den wirklich Schwörenden hinstel- len. yhins ist offenbar ursprünglich ein Desid. von Yhan, wie niksh, pits ete.; aber schon früh vom Sprachgeist verkannt und ir- rig als Wurzel der C1.7 flektirt. yujyatdm ist zweisilbig zu le- sen; ob etwa yujydm mit Ausfall des t, wie in duhdm für dugdhdm, ebenfalls 3 sg. Imp.; oder ist etwa das ÄAtm. yunktam, in passiver Bedeutung, in den Text zu setzen? 3. Dieses, Indra! höre du, soma-Trinker! warum ich dich rufe mit heifsem Herzen! I Ich schlage den, wie mit der Axt ’nen Baumstamm, wer da irgend hier meinen Sinn antastet! II 3 Il In päda 1 fehlt eine Silbe; ich schlage vor tvam hinter so- mapo einzufügen. Statt vriccami des Textes liegt es nahe, vri-

!) Man denkt bei dieser Aufzählung unwillkürlich an die shad urvis, die sich im Ritual mehrfach ähnlich (s. Pet. W. unter uru), obschon aller- dings denn doch erheblich verschieden aufgezählt finden (s. (at. 1, 5, 1, 22. Cänkh.1, 6,4), im Rik resp. wie im Ath. (s. 10, 7, 38) vielmehr von den vier Himmelsgegenden und dem Oben und Unten verstanden werden. Im Käth. 37, 10 stehen indefs die skad urvis neben den panca pradiras, und in 40, 10 erscheinen gar: trayish (!) shad urvis (die Parallelstelle Rik 10, 128, 5 hat devih sh. u.).

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gcd "bhi zu lesen, so dafs dies eben die Bitte wäre, um derentwillen Indra so inbrünstig angerufen wird; kulica wird ja eben gerade auch von Indra’s Waffe, dem Donnerkeil, gebraucht. Indessen da in der Chändogya Upanishad 8,16 ausdrücklich das Tragen einer geglühten Axt als Feuer-Ordale (für einen angeschuldigten Dieb) erwähnt wird, so läfst sich auch die 1 p. sg. „ich fälle mit der Axt hier den, der mich fälschlich anschuldigt,* trefflich verwerthen, und wird uns resp. dadurch sogar wohl die Erklärung dafür ge- boten, warum man gerade eine glühende Axt von dem Angeschul- disten zu seiner Reinigung tragen läfst. Oder dient etwa die Axt, s. v. 7, wenn sie wieder erkaltet ist, zur Hinrichtung des Frevlers, wenn er sich schuldig gezeigt hat? Indra würde dann eben nur als Zeuge und Beistand angerufen.

4. Und mit dreien Achtz’gen von sdma-Sängern,

Mit den ÄAditya, Vasu, Angiras hier | Es schütz’ mich die Seligkeit unsrer Väter mit göttlicher Gluth nehm’ ich diesen an mich. II& Il

Die dreimal achtzig (240) säma-Sänger sind wohl die mensch- lichen, die Aditya, Vasu, Angiras und die Manen die göttlichen Eideshelfer des Schwörenden, der mit diesem Verse offenbar wohl ein glühendes Beil (amum, diesen) in seine Hand nimmt; vgl. eben Chändogya Up. 1.c. Die grofse Zahl von 240 Eideshelfern befremdet zunächst '); jedenfalls kann es sich demnach hier nicht um einen einfachen Diebstahl, sondern es mufs sich wohl um den Schwur, resp. die Reinigung einer hochstehenden Person handeln. Schlagintweit führt (p. 16) einen analogen Fall aus dem Dith- marsischen an, wo es sich um 30 x 12 Eideshelfer handelte. Die „Achtzig“ scheint eine gewisse Rolle gerade im Feuer- Ritual zu spielen; es ist mir wenigstens auffällig, dafs ich ihr eine solche eben fast nur in den Büchern des Catap. Br. zugetheilt finde?), welche sich auf die Schichtung (Aufmauerung) des heili- gen Feueraltars (agnicayanam) beziehen; vgl. annam agitih (ety-

1) zu vgl. sind etwa die zehn Freunde, die nach Kaur. 27 bei dem „zehnerlei Holz“ mithelfen, s. oben 9, 1.

2) eine Stelle im zweiten Buche 2, 3, 3, 19 ausgenommen, wo es sich um 720 Achtzige von ric handelt, die resp. aber auch ebenfalls bei einem Feueropfer erwähnt werden, bei dem agnihotra nämlich, früh und Abends,

die 360 Tage des Jahres über, zu recitiren sind.

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mol. Spiel mit Yag) 8, 5, 2, 17. 9,1, 1,21, gdyatryacitih 8, 6, 2,3. 9, 1, 1, 21.44. 3, 3,19, rigagitih 9, 5,1,63;5 je dreimal achtzig ishtakds 10, 4, 2, 5.10, einhundert und achtzig ishtakas 10,4, 2, 6, achtzig weniger zwei (78) dgl. 10, 4, 3,135 die acht Metra ent- halten dreimal achtzig (u. 45) Silben 10, 1, 2,9; alle drei Veda enthalten in summa 10800 Achtzige (von Silben nämlich) 10, 4, 2, 25; in jedem mulhärta erlangt man eine dgl. Achtzig, in einem Jahre somit die ganzen drei Veda ibid. und kand. 30. Sollte etwa das etymologische Spiel, welches offenbar in der Gleichstellung der Nahrung (annam) mit agiti (Yag verzehren), s. oben, vorliegt, auch bezugs dieser eigenthümlichen Vorliebe zur Rechnung mit Achtzi- gen'), agiti, bei das Feuer betreffenden Handlungen und Anga- ben anzunehmen sein? da ja das Feuer eben auch wiederholt als das verzehrende (attar) bezeichnet wird? „Mit göttlicher Gluth“, so dafs er dadurch die Gluth des Beiles überbietet? 5. Himmel und Erd’! blicket hier hinter mir drein! All ihr Götter! fasset mich hinterdrein an! I Ihr Angiras! ihr soma-würd’ge Väter! In Unheil geh’, wer des Abscheul’chen Thäter! Is

didhitham metri caussa für didhiydtham. Die vieve devds sind

hier wohl noch wirklich „alle Götter“, nicht die besondere, die-

sen Namen sekundär führende Göttergruppe. Über das hinter- drein-Anfassen s. Ind. Stud. 9, 21; wer es thut, nimmt dadurch Theil an dem Geschick dessen, den er anfafst. Alle diese Ge-

nien also werden von dem Angeklagten als Zeugen seiner Unschuld angerufen. 6. Wer uns etwa, o ihr Marut!, verachtet, Oder unser heiliges Werk hier tadelt, I Glühend soll’n dem sein seine Übelthaten, Der Himmel den Feind heil’ger Werke elühe! Ile

') Sonst ist es, und zwar auch schon aus alter Zeit her, die Zahl 54, welche bei Aufzählungen als besonders beliebt erscheint und u. A. auch noch für die territoriale Fintheilung des heutigen Indiens von Bedeutung ists: Elliot memoirs on the northwestern provinces of India 2, 47 ft. (ed. Beames). Buddhaghosa’s Comm. zum Dhammapadam (ed. Fausböll) bietet zahlreiche Belege für die Solennität der Zahl caturäsiti, vgl. z.B. p. 94. 99. 129. 130. 144 ete.; s. auch meine Abh. über die Bhagarati 1, 427 n.

34*

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Dieser aus Rik 6, 52, 2 mit einigen Varianten entlehnte Spruch ist wohl, wie die beiden folgenden, in den Mund des Prie- sters zu legen. Bisher sprach der Angeschuldigte, seine Unschuld betheuernd.. Nunmehr aber wird er selbst angeredet, und in un- serm Verse hier ihm die Heiligkeit der Handlung kräftig zu Ge- müthe geführt!); er solle nicht etwa gering davon denken, son- dern sich der Hoheit und Reinheit derselben wohl bewufst sein. 1. Die sieben Odem, acht Marke, die zerhau’ mit dem Spruch ich dir! I

In Yama’s Wohnung tratst du ein, vom Feu’r entboten, zuge- rüst’t. II

Die 7 präna, Odem, sind die 7 girshanyah prandh, Augen, Ohren, Nasenlöcher und Mund; die acht Marke sind die je zwei Ober- und Unter-Arme, Ober- und Unter-Beine. Alles dies zerhaue ich dir (hier mit der Axt), wenn du falsch schwörst! Du bist dem Tode verfallen, wenn du das Ordale nicht bestehst.

8. Ich setze deinen Tritt hinein in das entflammte Feuer nun!!! Die Flamm’ verzehre deinen Leib! Od’r ein zum Leben geh’ dein Wort! Ilsll

Der Wortlaut des Verses verlangt somit wohl ein Durch- schreiten des Feuers; und es frägt sich nun, ob dieser Vers, der wie der vorige in einem andern Metrum (anushtubh), als die frü- : heren Verse (trishtubh) abgefalst ist, wirklich von vornherein mit zu unserm Stücke gehört hat, oder erst sekundär hinzugekommen ist. Im erstern Fall müfste man annehmen, dafs zu der einen Probe, die nach v.4 in dem Erfassen eines glühenden Gegenstan- des, vermuthlich einer Axt, bestand, nunmehr noch eine zweite Probe, eben das Hineinschreiten in Feuer, hinzutrete. Eine dgl. Cu- mulation ist aber eben doch sehr bedenklich. Ich meine somit, dafs es sich hier um eine sekundäre Zuthat handelt’), die eben

!) im Rik ist der Vers offenbar in einem allgemeineren Zusammenhang stehend.

2) es verdient hiebei Bemerkung, dafs die grofse Mehrzahl der Stücke des zweiten Buches nur fünf Verse zählt, daher es ja auch in Athar- vaparig. 48, 10 (und Ath. 19, 23, 2) unter dem Namen der parcarcäs an- gerufen, resp. benedieirt wird, s. Ind.’ Stud. 4, 433. Jedenfalls wird hier- durch für die mehr als 5 Verse zählenden Stücke die Annahme von am Schlusse gemachten Zusätzen nahe gelegt, resp. zum Wenigsten sehr er- leichtert.

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das Stück auch für diese zweite Art der Feuerprobe nutzbar zu machen bezweckte. jdtavedasi; das Feuer ist hier ab- sichtlich gerade mit diesem Namen: „angebornes Wissen habend“ bezeichnet, weil es eben durch ihn als Zeuge der Wahrheit quali- fieirt wird. Das zweite Hemistich enthält offenbar zwei Even- tualitäten: entweder das Feuer verzehre!) deinen Leib, oder dein Wort zeige sich als wahrhaft, gehe, resp. führe dich, ins Le- ben ein. Eine ganz andere Auffassung von v. 7.8 hat Groh- mann gegeben, s. Schlagintweit 1. c. p. 19; dieselbe betont für padam die Bedeutung „Fufstapfen“ und bezieht die Verse auf einen Sudzauber mit einem ausgehobenen dgl., um dem Betreffenden ein böses Bein anzuhexen. Dagegen spricht indessen zunächst der Zusammenhang, in welchen diese Verse doch offenbar hier zu den vorhergehenden gesetzt sind. Auch ist die Bedeutung: Tritt, Schritt für padam jedenfalls ebenso beglaubigt (wenn nicht über- haupt die frühere), als die von: betretene Stelle, Fufstapfen. Es ist ferner in v. 7 von der Vernichtung des ganzen Menschen, nicht blos von einem bösen Beine die Rede. Endlich hat schon Schlagintweit bemerkt, dafs in v. 8 te aus pdda 1 (so wie für ca- riram in päda 3, so wohl auch) für vdk in pdda 4 noch fortgilt. „Ans Leben gehe (dir mein) Wort“ (wie Gr. übersetzt), kann jedenfalls asum vdg apigachatu in keinem Falle bedeuten, und es ist eben dieser letzte pdda geradezu entscheidend gegen diese ganze Auffassung Grohmann’s (für die er sich ja im Übrigen nur auf ein analoges Sympathiemittel aus der Umgegend von Braunau stützt).

13. Investitur eines Jünglings.

i. Lebenspendend, werbend ihm Greisenalter, G'hee im Antlitz, Ghee auf dem Rücken, Agnit I Und Ghee trinkend, Honig und süfse Kuhmilch, Wie’n Vater die Söhne, beschütz’ hier diesen! I ıll

!) veveshtu; Yeish Cl. 3, eig. wohl nur eine W eiterbildung von Yvas Cl. 2 bekleiden (vgl. veska, Kleidung; Yvesht); weiter entwickelt zu der Be- deutung von: jem. bedienen, ihm aufwarten, speciell beim Essen. Hier mufs das Verbum resp. wohl als reflexivum gefalst werden, um (vgl. Westergaard) die Bedeutung: verzehren zu gewinnen; an yvie einkehren oder eindrin-

gen, wie Schlagintweit und Grohmann übersetzen, ist hier nicht zu denken.

492 Gesammtsitzung

Nach Kaug. 53. 54 gehört dieses Stück zu der godäna ge- nannten Ceremonie, welche (s. Pet. W.) „im 16ten oder 18ten Jahre eines Jünglings, beim Eintritt der vollen Mannbarkeit und kurz vor seiner Verheirathung mit seinem Barte vorgenommen wird.“ Das Ritual derselben wird in den grihyasätra und speciell eben im Kaugikasütra sehr ausführlich geschildert. Näher darauf hier einzugehen, würde uns zu weit führen, zumal aus dem Texte des Stückes nicht einmal mit voller Sicherheit hervorgeht, dafs der- selbe wirklich gerade diese Ceremonie im Auge hat; es fehlt eben darin jede Beziehung auf den Bart und handelt es sich vielmehr darin speciell nur um die Bekleidung des Jünglings mit einem (neuen) Gewande, die im grihya-Ritual freilich ja auch einen Theil des godanam bildet. Ich entlehne dem Kaugika daher nur die un- mittelbar auf die Verwendung der einzelnen Verse (zwischen welche dort noch viele andere eingeschoben werden) bezüglichen Angaben. Mit v.1 also werden') dem Jüngling die darin genann- ten Flüfsigkeiten (Ghee, Honig, Milch) über das Haupt gegossen, unter gleichzeitigem Einguls von Ghee in das Feuer, welches dem entsprechend um Schutz für den Jüngling angefleht wird. Der Vers findet sich wieder in Vs. 35, 17; die dortigen Lesarten sind offenbar die ursprünglicheren (dyushmän agne havishd vridhäno..), die hiesigen der Gelegenheit angepaflst. jarasam vrindnah, für ihn um Greisenalter werbend, es ihm von den Göttern erbit- tend? s. oben 10, 5. Metrumshalber ist pited dreisilbig, rakshe- tad imam viersilbig zu lesen.

2. Umhüllet ihn, hüllt ihn uns ein mit Thatkraft! Lang Leben ihm schafit, Tod durch Greisenalter! I Brihaspati hier dies Gewand darreichte dem Könige Soma, dafs er es umthu’. I 21

Nachdem dem Jüngling Haupthaar und Bart geschoren, die Nägel beschnitten, er gebadet und gesalbt ist, läfst er (der Prie- ster) ihn unter Recitirung von v. 2 u. 5 mit einem ungetragenen Gewande umhüllen?). Diese beiden Verse (2. 3) sind es viel- leicht, die im Kauc. 79 unter dem Namen der paridhäpaniye

!) äjyam juhvan mürdhni sampdtän dnayati, Kaug.

?) uptakecacmacerum kritanakham däplavayati ... anaklı ... athaincam N MW Y

ahatena vasanena paridhäpayati Kaug. 54.

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erscheinen, wenn daselbst nicht etwa zwei andere Ähnliche Verse (14, 1, 45. 53) gemeint sind; vgl. Ind. Stud. 5, 404. 405. Der An- fang unsers Verses hier findet sich, mit der Variante vasasd statt varcasd, bei Gobhila 2,1, ıs beim Hochzeitsritual wieder, und zwar bei Umhüllung der Braut nach dem Brautbade, der weitere Ver- lauf mufs somit dem entsprechend etwas differirt haben. Völlig identisch dagegen kehrt der Vers in Ath. 19, 24, 4 zurück. var- cas scheint mir mit Yvarj (vrijana) und varez, wirken, eay in Ver- bindung zu bringen; wir haben zahlreiche Fälle, wo im Auslaut tenuis und sonans in derselben Wurzel variiren, so z.B. arj, arc; paj, pag; marj, marc; gad, gat ete. 3». Du hast dies Kleid umgethan dir zum Wohlsein! Wardst Schutz so vor Hexenwerk unsren Färsen! I Lebe du nun hundert vielartge Herbste! Und hülle dich ein in Gedeih’n des Reichthums. il 3 Il Dieser Vers ist in Ath. 19,24, 5.6 nebst zwei andern pdda zur Herstellung zweier Verse verwendet, so zwar dafs daselbst v. ö nur einen andern Anfang (: geh wohlig zum Alter! thu dieses Kleid um!), v. 6 dagegen theils in pdda 2: unsre Kühe (statt un- sre Färsen) theils einen andern Schlufs hat (: vertheile lebend gü- tig deine Schätze!). Der Jüngling tritt durch diese Investitur of- fenbar als vollberechtigtes Glied in die Familie ein, nimmt an ihren Sorgen nun selbständigen, aktiven Antheil. Das „Jungvieh“ wird resp. speciell seiner Obhut anempiohlen. Die Rechnung nach Herbsten, nicht nach Regenzeiten, ist verhältnilsmäfsig alterthüm- lich, s. Ind. Stud. 1, 88. 5, 194; sie findet sich in den von den grihyasütra eitirten Versen fast durchweg vor. 4. Komm’ her und tritt hier auf den Stein! (fest wie) Stein werde nun dein Leib! Die Allgötter sollen verleihn hundert Herbste als Leben dir! Ilall Nach dem Kaug. läfst er (der Priester) hiermit den Jüngling mit dem rechten Fufse eine Scheibe von Stein (?) betreten'). Die übrigen grihyasütra haben beim godanam nichts hiervon, kennen resp. diesen Vorgang nur bei der Hochzeit, wo die Braut bei zwei verschiedenen Gelegenheiten dazu veranlafst wird, s. Ind. Stud.

?) dakshinena pädend gmamandalam dästhapya.

494 Gesammtsitzung

d, 201. 318. 383. 387—8. Eine dem Spruch: acmd bhavatu te tanuk « etc. analoge Formel aber findet sich im Vatap. Br. 14, 9, 4, 26 beim Geburtsritual vor: acmd bhava paragur bhava ... | dtmd vai putra nama ’si sa jiva garadah catam. Das Betreten oder Überspringen eines Steines kommt noch mehrfach im Ritual vor. 5. Wenn wir dir jetzt rauben das erste Kleid hier, so mögen dich die Götter all beschützen! I Und hinter dir, froh gedeih’nd, wohlgestaltet, dir noch viele Brüder geboren werden! Il; Il

Hiermit raubt er (der Priester) dem Jüngling das eben erst umgethane Gewand, nachdem er ihn zuvor nach rechtshin um das Feuer herumgeführt. Er umhüllt ihn darauf unter Reeitation von Ath. 13, 1, 16-20 mit einem andern noch nicht getragenen Kleide.') Für dieses Rauben des Gewandes weils ich gar nichts Analoges; auch bleibt mir die symbolische Bedeutung des Aktes unklar. Soll der Jüngling etwa durch diese zeitweise Entblöfsung dem Schutze der Götter ganz besonders anempfohlen werden? darauf führt etwa der Wortlaut des ersten Hemistichs. Der Inhalt des zweiten Hemi- stichs bezeichnet den Jüngling wohl als den Erstgebornen? resp. als einen Solchen, der einstweilen noch keinen Bruder hinter sich hat, und man möchte hiernach das Stück als ursprünglich nicht für die goddna-Ceremonie, sondern für ein früheres Lebensalter, das cüdakarman etwa’), bestimmt ansehen; aber freilich damit will wieder v. 3 nicht recht stimmen, der vielmehr entschieden nur auf einen erwachsenen Jüngling pafst. Im ersten pdda ist durch vyitha eine Silbe zu gewinnen, wofür sich verschiedene Eventuali- täten bieten. In pdda 3 ist bhrdtarah zweisilbig zu lesen.

14. Segen gegen Hauskobolde.

1. Die Dreiste, Zähe, Ausspring’nde (?), Eintönige, Gefräfsige I Alle Niftel des Grimmigen, die Saddnvds vernichten wir. Ill Dies Stück gehört zu den in Kaue. 8 unter dem Namen cd-

!) pradakshinam agnim anupariniyä "'thä 'sya vdso nirmushndti yasya te väsa üty etayd, 'thainam aparenähatena vasanend "chddayaty ayam vaste 9. p. iti pancabhih, Kaug.

?) bei welcher Ceremonie die grihyasütra in der That die Umhüllung des Kindes mit einem neuen Gewande ebenfalls erwähnen.

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tanani aufgeführten Sprüchen zur Verscheuchung böser Gei- ster; ibid. 9 erscheint es neben den mrigdrasüktäni (Reinigungs- Hymnen?), und es wird bei Kauc. auch sonst noch mehrfach er- wähnt. Nach ibid. 72.82 findet hiermit eine Besprengung des Haus- einganges mit Weihwasser statt (iti gälänivecanam samprokshati). Ich vermuthe, dafs wir unter den hier namhaft gemachten Un- holdinnen Ratten und ähnliches Haus-Ungeziefer zu verstehen haben. nissalda „die aulserhalb des Hauses ist“ Pet. W.; ich möchte das Wort lieber wie oben fassen. dhrishnum als Accus. Fem. ist immerhin auffällig. Für dishanäm möchte ich geradezu dhishandm lesen; von den vier Strichen der Silbe nd geht in der hand- schriftlichen Überlieferung leicht einer verloren; ich erkläre das Wort aus einer alten Des. Form von ydhd, festhaltend, zähe. ekavddyd, eintönig; ob etwa der Holzwurm? der ja bei uns auch die Todtenuhr heifst, somit als unheimlich genug gilt, um hier mit genannnt sein zu können. napti Niftel, Nichte; Toch- ter, Enkelinn. canda, Name eines Hauptkobolds (Rattenkönigs?), oder etwa des Rudra, dem ja die Mäuse, Ratten etc. zugehören? Canda ist später ein Name des aus Rudra entwickelten (iva. sadänvd würde ich am liebsten in sadd-nvd theilen, wenn mit nvd nur irgend etwas Leidliches zu machen wäre. Die im Pet. W. aufgeführten beiden Wurzeln nu ergäben die Bedeutung: beständig schreiend, oder: beständig sich bewegend, wendend, und Letz- teres liefse sich schon halten; aber die Form nvd macht Schwierigkeit! Bei der Theilung sa-danvd wäre dänva etwa als irreguläre Neben- form zu dem Dämonen-Namen dänava (von danu, Ydd schneiden), und sa° nicht in dem älteren Sinn der Identität, Einheit, sondern in dem spätern der Zusammengehörigkeit zu nehmen, und das Wort als: Genossinn, Freundinn der Dänava zu übersetzen? 2. Wir treiben aus dem Kuhstall Euch, aus der Achse, dem Wagenraum. | Ihr Töchter der Magundi! wir scheuchen Euch aus den Häusern fort. II 2 Il

Ist unter updnasa etwa an die Küche (vgl. mahdnasa) zu den- ken? Mit der Magundi, die hier doch wohl eben als Gemahlinn des in v. 1 genannten Canda auftritt, liegt es nahe, die Canda- mundd, Camundad der späteren Zeit, die böse (Candi) Gemahlinn Oiva’s (Canda’s) zu vergleichen, resp. diese aus jener herzuleiten; man hätte resp. dann wohl in letzterer Namensform eine volksety-

496 Gesammtsitzung

mologische Anähnlichung an das Wort munda zu sehen? Im Übri- gen stellen sich zu Magundi selbst wohl die freilich ebenfalls dunklen Namen Pramagemda, Magadha und Mägandiya (im Päli, s. schol. zum Dhammapadam, Yausböll p. 162 ff.; denn an Mar- kandeya ist hierfür wohl nicht zu denken? zumal sich ja auch die Nebenform Mägandika findet, s. ib. p. 153). 3. Welches Haus da dort unten ist, da soll’n die Unholdinnen sein! I Da niste sich die Armuth ein! und auch die Spukgestalten all! 13 Il Ist mit diesem Hause die Unterwelt gemeint? oder eine Höhle im Berge')? oder das Haus einer befeindeten Familie, die wei- ter „unten“ wohnt? sedi, von Ysad, in der praegnanten Be- deutung: sitzen bleiben, nicht fortkommen; gebildet wie kepi, nemi. Zu yatudhäni, Spukgestalt, s. Pet. W. Die Ind. Stud. 4, 399. 400 vorgeschlegene Herleitung von Yyat findet eine weitere Stütze in der Form ydtavya, mit kurzem a, in Ts. 2,3, 13,1. 4. Bhütapati treib’ fort von hier und /ndra die Sadanvas! I Die an des Hauses Grund sitzen, trefi” Indra mit dem Donnerkeil! I&il bhüta „ein unheimliches Wesen, Gespenst, Kobold* Pet. W.; bhütapati erscheint aber auch speciell als Name Rudra’s. 5. Ob Ihr gehört zum Feld hinaus, oder von Menschen seid gesandt I Oder von den Dämonen stammt Sadäanvds! schwindet fort von hier! Is kshetriyanam, zu denen, die auf dem Felde hausen (Feldmäuse?). Der Gegensatz von purusha und dasyu weist wohl eben auf Menschen und Dämonen hin? oder ob etwa auf Arier und Nicht- Arier?; die purusha wären dann irdische Feinde, die in der Weise von v.9 die Saddnvds in das Haus des Sprechenden gebannt

haben. 6. Ihre Sitz’ ich umgangen hab’,

wie rasches Rofs den Pfahl am Ziel! I Ich besiegt’ Euch in jedem Lauf. Sadanvas, schwindet fort von hier! He

!) vgl. unten 235, 4; «also a la Rattenfänger Furiband!

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Lies: dcuh käshthäm ivd "saram; der padapdtha in Chambers 8 hat: acuh I gashtham.

15. Spruch gegen die Furcht'). ı. Gleichwie der Himmel und die Erd’ sich nicht fürchten noch Leid’s befahn, I Also fürchte dich nicht, mein Herz! ii ı Il mein Herz, wörtlich: mein Odem (präna).

2. Gleichwie der Tag und auch die Nacht Ill 3. Gleichwie die Sonne und der Mond Italll 4. Gleichwie das brahman, das kshatram 1all

die Brahmaneukaste und die Kriegerkaste in ihrer Gesammtheit. 5. Gleichwie die Wahrheit, die Ordnung Ilsl ‚Statt cdnritam ist unbedingt wohl ca ritam zu lesen; die Un- wahrheit kann doch hier in einer solchen Formel nicht füglich als Beispiel aufgeführt sein! das wäre ja eine Art sacrilegium. 6. Gleichwie Vergang’nheit und Zukunft Ileill Nur die Gegenwart ist der Furcht ausgesetzt; die beiden an- dern Zeiten sind, die eine darüber hinaus, die andere derselben noch nicht unterworfen.

16. Schutzformel im Allgemeinen.

1. Einhauch und Aushauch! schützet mich vor dem Tode! spaha. Hill Die Stücke 16—24 sind solenne Formeln in Prosa, bei de- nen ein Hauptgewicht auf der völligen Identität der äulseren Form zu beruhen pflegt. svahd, benedictio sit! 2. Himmel und Erde! schützet mich vor Behorchen! sodhad. I al vor Behorchen, durch meine Feinde; oder: durch Behor- chung (instrum.) der Anschläge meiner Feinde. 3. Sonne! schütze mich mit (deinem) Auge! svdhd. I 3! mit dem Alles, somit auch die Pläne meiner Feinde erschau- enden Auge. 4. Agni vaigvanara! schütze mich mit allen Göttern! sodha. IIall Unter vigvair devais sind etwa hier die Sinnesorgane zu ver-

!) etwa als Amulett für einen in die Schlacht ziehenden Krieger ?

498 Gesammtsitzung

stehen, die in den Brahmana-Texten mehrfach als deva bezeichnet werden? Oder liegt die Göttergruppe, die den Namen vigve deväs führt, vor? 5. O du Alles Tragender! schütze mich mit jeglicher Pflege! svahd. I 5 Il Unter vigevambhara the all-sustaining (Vishnu oder Indra, nach Wilson) ist hier wohl Prajdpati zu verstehen?

17. An ein Amulett.

1. Du bist Stärke! gieb mir Stärke! sodha Ilıll

. Du bist Gewalt! gieb mir Gewalt! svdhd. I 2 . Du bist Kraft! gieb mir Kraft! svahd. Is

4. Du bist Leben! gieb mir Leben! svdha. I 4 Il 5. Du bist Gehör! gieb mir Gehör! sedhd. I 51 Du bist Auge! gieb mir Auge! svdha. IIell Du bist Schutz! gieb mir Schutz! svahd. Ir

DD

©

Er. SIE

18. Desgl., zum Schutz gegen Feinde und Unholde.')

1. Du bist Verderben der Feinde! gieb mir Verscheuchung der Feinde! svähd. Nıll 2. Du bist Verderben der Nebenbuhler! gieb mir Verscheuchung der Nebenbuhler! svdhd. II 21 3. Du bist Verderben der Unholde! gieb mir Verscheuchung der Unholde! svdhad. Is 4. Du bist Verderben der Picäca! gieb mir Verscheuchung der Pigdca! svdhd. Hall 5. Du bist Verderben der Sadanve! gieb mir Verscheuchung der Saddnvd! svähd. I 51

19. Verwünschung des Feindes.

ı. Agni! mit der Hitze, die dein ist, sei heifs auf den, der uns hafst, den wir hassen! Ilı Il

2. Agni! mit der Gluth, die dein ist, glühe auf den, der uns kalst, .realliorl

!) in Kauf. 8 unter den cdtanani (s. oben zu 14, 1) aufgeführt.

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hara muls hier wohl eben in einer dem tapa, arca, coca der andern Verse, resp. der Etymologie des Wortes haras selbst ent- sprechenden Bedeutung genommen, also nicht zu Yhar, nehmen, holen, sondern zu Yhar, ghar gezogen werden! Eine andere Stelle, wo diese Wurzel als verbum finitum vorkäme, ist mir nicht zur Hand. (Curios ist die Herlieitung des Wortes ghrita in Ts. 2, 3, 10, ı aus Ydhar; yad adhriyata tad ghritam abhavat).

3. Agni! mit dem Licht, das dein ist, leuchte auf den, der

uns halst, ... Is 4. Agni! mit der Flamme, die dein ist, flamme auf den, der

uns halst, ... Ilall 5. Agni! mit dem Glanz, der dein ist, mache glanzlos den,

der uns hafst, ... Is

20 23. Desgleichen.

Diese vier Stücke unterscheiden sich von 19 nur dadurch, dals in ihnen statt des Agni der Reihe nach Väyu, Sürya, der Mond (Candra), die Gewässer angerufen werden. Die in den drei Welten Erde, Luft und Himmel herrschende Trias Agni, Väyu, Sürya (oder Aditya), welche in den Brähmana-Texten (und bei Yäska) an der Spitze aller Götter erscheint, und zwar nach Catap. 6,1,2,1 Oankh. Br. 6,1 als von Prajäpati') geschaffen, resp. über ihm stehend, ist somit hier, um den Eindruck der Beschwö- rung desto nachhaltiger zu machen, noch durch den Mond und die Wasser verstärkt. Der Mond erscheint so auch sonst noch (s. meine Abh. über Omina p. 338. 386), nicht aber die Wasser.

24. Gegenzauber.

8. Gerabhaka! Qerabha!”) Eure Zauberspuke mögen wieder gehen!

‘) der seinerseits aus dem ältern Zeugungsgott Savitar sich entwickelt hat, vgl. meine Abh. über Omina und Port. p. 386. 392. Bei Yäska steht der ätman an der Stelle des prajäpati (s. Nir. 7, 4: mähäbhägyäd devatäya eka atm& bahudhs stüyate, nano 'nye deväh pratyangäni bhavanti; und ibid. 5: tisra eva devatd iti Nairuktd, agnih prithivisthäno, vayur vendro vd 'ntarikshasthänah, süryo dyusthänah).

?) in 2—8 andere Namen, gevridhaka cevridha in 2, mroka anuımroka

in 3, sarpa, anusarpa in 4, jürni in 5, upabdi in 6, arjunt in 7, bharüjt in 8.

500 Gesammtsützung

wieder gehn eure Waffe, o ihr Kimidin!!). Wem Ihr angehört,

den fresset! Wer Euch abgesandt hat, den fresset! Euer

eignes Fleisch fresset! I ı-s I

Vier männliche und vier weibliche Kimidin, Kimidini wer- den hier in 1—8 je zunächst im Eingange einzeln mit Namen ge- nannt, und sodann je insgesammt mit ihren Zauberspuken (ydtavas) und ihrer Waffe (heti) zurückgewiesen. Sie sind eines Andern, eines Feindes, Diener, von ihm abgesandt, dem Beschwörenden zu schaden, und werden von diesem nun hiermit veranlafst ihre ver- zehrende Kraft vielmehr gegen ihren Herrn und Absender, resp. gegen sich selbst zu richten’). Was nun unter diesen acht Kimi- din zu verstehen ist, ob Ungeziefer (etwa Heuschrecken?) oder sonstige schädliche Thiere, oder etwa Krankheiten, erhellt nicht recht. Die einzelnen Namen sind eben entweder zu unklar oder umgekehrt zu vieldeutig, um einen sicheren Anhalt zu gewähren für das, was sie hier bedeuten. Die Etymologie allein kann ja bei dgl. Eigennamen eben nur die nothdürftigste Auskunft gewäh- ren. Auch über die Bedeutung des Wortes kimidin selbst (s. Pet. W.) schwebt noch völliges Dunkel. Im R. 7, 104, 2°) schei- nen unter dem „brahman-hassenden, rohes Fleisch verzehrenden, bösen Blick habenden* kimidin etwa die dem Arier feindlichen Ureinwohner Indiens zu verstehen? Im Ath. sodann erscheinen die kimidin als fressend 1,7, 3*), als in nächster Verbindung mit Zauberern (ydtudhana) stehend 1,7,3. 28,1.2. 4, 20, s (seien es Ärya oder (üdra!), als nur dem gefeiten Auge sichtbar 4, 20, 5, als in Schlachten zu besiegen 4, 28, 7, als bösherzig, anfeindend und durch das Feuer zurückzustolsen 8, 3, 3, als durch das pinga-

1) in 5-8; o ihr Kimidini!

2) diese Zurückschleuderung des Zaubers ist im Ath. häufig, und auch unserm Aberglauben wohl bekannt.

3) kimidine kim idänim iti carate kim idam kim idam iti va pigu- ndya carate Nir. 6, 11 (Roth: eine Klasse der Geister der Finsternifs).

4) von mir durch: boshaftig übersetzt, theils im Anschlusse an Yäska’s Erklärung durch piruna, was indefs bei ihm wohl eher als: spionirend, ver- läumderisch, verrätherisch aufzufassen ist, theils unter Heranziehung des Wor- tes gimidäd R. 7, 50, 4 (s. acimida, Pet. W.). Nach schol. zu Gas, 4, 3,21 ist cimida ‘von giftigen Spinnen, Skorpionen etc. zu verstehen. Im Taitt. Ar. 4, 9,1 findet sich gimidvant als Beiname eines vdta.

vom 30. Juni 1870. 501

Amulett zu vertreiben 8, 6, 21.25 (resp. als Buhlkobolde? s. Ind. Stud. 5, 456), als neben den Gandharva ete. genannte Unholde 12, 1, 50. An unsrer Stelle kann bei kimödin an menschliche Feinde natürlich nicht gedacht werden. Fassen wir von den aufgeführ- ten acht Namen derselben zunächst die vier männlichen Namen serabhaka resp. gerabha, gevridhaka vesp. cevridha, mroka resp. anumroka, und sarpa resp. anusarpa ins Auge, so liegt jedenfalls in ihnen theils eben gar nichts vor, was irgendwie in praegnanter Weise auf eine bestimmte Gruppe schädlicher Wesen oder Gegen- stände hinwiese, theils wohnt ihnen in ihrer Mehrzahl überhaupt nicht nothwendig die Bedeutung des Schädlichen inne. Der zweite dieser Namen: gevridha kommt sogar im Gegentheil im Nyh. 3, 6 unter den 20 Namen für sukha, Wohlbefinden, vor und erscheint im Rik als Adjectiv, resp. 3, 16, 2 als Beiwort von rdyah (gevri- dhasah, dänabhogädyupayogena sukhasya vardhakdni; varnavya- iyayah, sam sukham vardhayati, Sdy.) und 1,54, ıı als Beiwort zu dyumnam (samcamanam, rogändm camane sati yad vardhate tddri- gam, Sdy.). Und da die Bildung des Wortes gerabha denn doch in der That in gleicher Weise erfolgt scheint, so wäre sonach auch für dieses eigentlich eine günstige Bedeutung zu subsumiren! Ob sarpa wirklich hier Schlange bedeutet, ist mir zweifelhaft; wegen des anusarpa') möchte ich es in der That lieber appella- tivisch auffassen, wie ja auch dem mroka ein anumroka zur Seite steht. Dies Wort mroka ist das einzige, welches (von sarpa, Schlange, abgesehen) auch sonst noch im Ath. und zwar, der hie- sigen Verwendung entsprechend, in übler Bedeutung sich findet. In 5, 31, 9 erscheint es als Beiwort eines Zaubers, krityd (feminin), der gegen die Knochen des (auf dem pyrus liegenden) Leichnams (? purushästhe) oder gegen das Feuer des pyrus selbst (agnau samka- suke, vgl. Kaug. 86) gerichtet ist, und zwar steht es daselbst neben den ebenfalls maseulinen Beiwörtern nirdäham kravyddam, und wird daher im Pet. W. als „N. eines verderblichen agni“ (resp. dem- gemäls hier als „N. einer Flamme“) aufgefafst. In 16, 1,2720, dann erscheint mroka unter den Namen von zehn im Wasser wohnenden Feuern (agni), d. i. doch wohl von schädlichen, Fie- berhitze oder andere derartige Krankheiten ete. hervorrufenden

1) hierin „ein schlangenartiges Geschöpf“ zu sehen (Pet. W.), halte ich für bedenklich.

502 resammtsitzung

Eigenschaften des Wassers?!) Etymologisch scheint auch mroka nur etwa: sich verbergend, hineinschlüpfend zu bedeuten. Die Benennung der weiblichen Kimidin bleibt zunächst äufserlich dadurch von der der männlichen geschieden, dafs die Namen nicht wiederholt, resp. doppelt aufgeführt werden, sondern je einzeln stehen: jürni, upabdi, arjuni, bharüji; ferner aber scheint für diese Namen wirklich die Auffassung derselben als Krankheiten indicirt zu sein. Für jü@rni nämlich liegt der Anschlufs an jürni Gluth, Lohe, Fie- ber (s. Pet. W.), für arjuni der Bezug auf die Hautkrankheit arjuna (ibid., s. Say. zu R.1,122,5), und für upabdi „Geräusch, Geklapper, Gerassel* der auf das Klappern des Fieberfrostes, in der That denn doch wohl näher als die Beziehung dieser Namen (s. Pet. W.) auf Schlangen (upabdi etwa als Klapperschlange?). Endlich bharüji wird zwar im Pet. W. auch „als Bez. eines schädlichen Thieres“ aufgefalst, unter Hinweis auf das in der Be- deutung „Schakal“ belegte Wort bharüja. Es liegt indefs der Bezug auf das Nir. 2, 2 vorliegende bharüja wohl näher, welches nach Yaska (resp. Durga) auf Ybharj, bhrajj frigere, assare zurück- zuführen scheint, somit ebenfalls von der gleichsam röstenden Fjeberhitze wohl verstanden werden Könnte.

25. Gegen Abortus.

1. Göttinn Prieniparni uns Heil brachte, Unheil der Nirriti. I Mächtig zermalmt sie die Kanva. Sie erkor ich, die sieghafte. II ı Il Dieses in Kaug. 8 unter den cdtandni, Verscheuchungs-Sprü- chen aufgeführte Stück ist gegen eine Classe von Dämonen gerich- tet, Namens Kanva, die nur hier vorkommen. Das Kraut prig-

1) Ich fasse das Stück als ein des Abends beim Waschen vor dem zu Ruhe-Gehen zu recitirendes Gebet; mit 1—8 werden die im Wasser wirken- den schädlichen Gewalten gebannt, mit 9—13 wird: um den heilbringenden Einflufs des Wassers, in specie auch gegen böse Träume, gebeten. Die Namen der zehn agni sind: rujant, parirujant; mrinant, parimrinant; mroka, manohan, khana (resp. khani in 7), nirdäha, ütmadüshi, tanidüshi. Auch die folgenden Stücke (16, 2—7) fasse ich als ähnliche Abendgebete, vor dem zu Ruhe-Gehen zu recitiren.

vom 30. Juni 1870. 503

Sriparnt wird, s. P. W.,') theils im'Ritnal! sonst noch erwähnt (das gmagdnam darf nicht in der Nähe solcher Pflanzen gemacht, dieselben müssen resp. an dem Orte, wo man es machen will, aus- gerottet werden), theils auch in der Mediein als officinelles Kraut verwendet; und zwar ist dieselbe u. A. nach Sugr. 1, 377,7, mit Milch vermischt, bei während der ersten 7 Monate der Schwanger- schaft drohendem Abortus (garbhasrdve) zu gebrauchen, womit denn dieses Stück hier trefflich im Einklange steht. 2. Prigniparni hier gleich zuerst als sieghaftig entstanden ist; I mit ihr haue das Haupt wie ’nem Vogel den Bösnam’gen ich ab. IlaIı durndman, einen bösen Namen habend, den man lieber gar nicht in den Mund nimmt; doch wohl aus Scheu vor ihrer furcht- baren Macht? vgl. Ind. Stud. 9, 269. Als appellative Bedeutung wird für kanva: „taub“ angegeben; däs kann wohl nicht gemeint sein? Mit dentalem n bedeutet aber durndman, durndmaka (s. Pet. W.) auch speciell die Hämorrhoiden; und es scheint in der That, als ob diese Bedeutung auch hier speciell ins Auge zu fas- sen, resp. auf den mit Abortus verbundenen Blutfluls zu bezie- hen ist. 3. Den unholden, Blut trinkenden, das Gedeihen fortreifsenden, I Embryo-fressenden Kanva, Prigniparni! vernicht’ und tlg’! naı Dieser Vers ist charakteristisch für die Bedeutung dieser Dä- monen-Gruppe. 4. In den Berg sperre die Kanva, die Leben schäd’genden, hinein! I Göttin Prigniparnil sie all, wie Feuer, brennend, zieh’ einher! la Il Das Bannen der Krankheitsdämonen in einen Berg, aus dem sie nicht wieder hinaus können, findet auch in unserm Aberglauben seine Analoga; man bannt sie in Bäume, Steine etc. 5 Hinweg treibe die Kanva, fort die Leben schäd’genden, von hier! I

‘) Hemionitis cordifolia Roxb.; nach dem schol. zu Käty. 25, 7, 17 aber = mäshaparni Glycine debilis Lin.; auch /akshmand genannt.

[1870] 35

904 (resammtsitzung

Wo Finsternisse sich ergehn, dahin schaff’ ich die Fleischfresser. 151 „Die Finsternisse“, das ist wohl vom Dunkel des Waldes zu verstehen? „Fleischfresser“* heifsen die Kanva, weil sie die Embryonen verzehren (Ss. v. 3).

26. Stallsegen, beim Heimkehren des Viehes am Abend.

ı. Heim kehr’ hier das Vieh, das seitab gegangen, deren Gespielschaft sich der Wind erfreute! I Deren Gestalt’n alle bekannt dem Tivashtar, Savitar sie treibe in diesen Stall ein! Ill 2. In diesen Stall mögen die Thier’ einströmen! Brihaspati führ’ sie herbei, der Kund’ge! I Sinivali führ heran ihre Spitze! Anumati! treib’ sie ein, wenn sie da sind. I all Sinivdli, Vollmond? s. Ind. Stud. 5, 230. 232 ff.; Anumati, Neu- mond. 3. Zusammen strömen soll’n die Thier’, zusamm’n die Mannen und die Ross’. | Zusammen des Getraides Flor! Ich opfre mit zusamm’ngegossner Spende. II 31 samsrdvyena havishäd; wie aus v. 4.5 erhellt, besteht die Spende aus Milch, Butter und Getraidesaft (einer Art Bier?). Der Zu- sammengufs dieser verschiedenen Bestandtheile soll wohl symbo- lisch die Vereinigung der einzelnen Theile des Hauswesens dar- stellen. Wenn juhomi nicht etwa Glosse ist, hat pdda 4 ein an- dres Metrum (trishtubh) als pdda 1—3. 4. Zusammen ich der Kühe Milch gielse mit djya, Kraft und Saft. I Zusamm’ngegossen sein unsre Mannen, treu mir als Hirt die Küh’! Hall mayi ist einsilbig zu lesen. 5. Herbei hol’ ich der Kühe Milch, holte her des Getraides Saft. I Herbeigeholt die Mannen’ sind, unsre Frauen hier in dies Haus! 51! dhenyam (rasam) ist hier (s. Pet. W.) adjektivisch zu fassen: „aus dhdnds, Körnern (Setzkorn), stammend.* Der Hausvater

vom 30. Juni 1870. 505

holt des Abends alle die Seinen, sein Gesinde und sein Vieh in das Haus zusammen; dhüätd liest Chambers 8; doch ist dhritd wohl wegen pdda 1. 2 passender.

27. Zum Schutz der Scheuern und Speisekammern.

ı. Dafs der Feind nicht dem Speis’vorrath obsieg’! sieghaft du, mächtig bist! I Schlag’ fort, die meinen Speis’vorrath schäd’gen, mach’ kraftlos sie, o Kraut! lt ı li Das Kraut führt nach v. 4 den Namen pdtd, d. i. spaltend, aufschlitzend (?). Nach Kaue. 38 wird die Wurzel desselben hiermit bei jeder Mahlzeit (?) angesprochen, dann in einen aus sieben Blättern bestehenden (?) Kranz gebunden und so aufbewahrt‘), d. i. wohl am betreffenden Orte aufgehängt? 2. Schönfitt’ger (Falk) hat dich erschaut, Eber dich ausgrub mit der Nas’. I Schlag’ fort... Ile ll Die Wurzel scheint also schwer zu finden; der Scharfblick des Falken, die Spürkraft des Ebers gehört dazu. Hemistich 1 kehrt identisch wieder in 5, 14, ı. 3. Indra steckte dich an den Arm, niederzumäh’n die Asura. I Schlag fort ... Is cakre tvd bähau; er nahm das Kraut nicht etwa als Waffe in die Hand, sondern steckte es als Amulett an den Arm. 4. Indra verzehrte die pdtd, niederzumäh’n die Asura. | Schlag fort ... Ilall 5. Ich besiege dadurch die Feind’, wie Indra die Sdlavrika. I Schlag fort ... Is säkshe; eine Desiderativ-Bildung von sah, wesentlich in der Be- deutung des einfachen Verbums, wie sich derartige Bildungen viel- fach im Veda, Pali ete. vorfinden. Die sälävrika erscheinen

1) nechatrur iti pätämulam pratiprägitam (?) anväha, badhnäti mäla(m) saptapaläapim, dharayanti. Ist etwa unter pratipräfitam etwas dem pratiprä- gah des Textes Entsprechendes zu verstehen?

35*

506 Gesammtsitzung

sonst nirgendwo als Indra’s Feinde. Vielmehr nimmt er theils selbst nach 7s. 6, 2, 4, 4 die Gestalt einer säld@vriki an, um die asura zu besiegen (ebenso im Kath. 28, 4 die dakshind die Gestalt einer sdldvriki), theils übergiebt er vielmehr seine Feinde, die yati, den säldvrika (zum Frals) Ts. 6, 2, 7, 5. Ait. Br. 7, 28. Gankh. er. 14, 50,2 (markata schol.), resp. den sdlävrikeya Pane. 8, 1, 4 (aranyagvabhyah schol.). 13, 4, ı6 (sälävrikyah putrebhyak krosh- tubhyah). 14, 11, 23 (sdldvrikiputrebhyah). 18, 1,9 (aranyagvabhakı). 19, 4, 7 (desgl.). Kaäth. 8, 5. 11, 10. 25, 6. 36, 7 (Ind. Stud. 3, 465 -66). Kaush. Up. 3,1. Und zwar erscheinen dieselben als unmit- telbare Diener des Yama!), s. Ind. Stud. 1, 412 ff., sind resp. ursprünglich wohl einfach die an Leichnamen sieh sättigenden Schakale, Hyänen und Wölfe (jackals and wholves, Haug zu Ait. Br.) und erst sekundär zum Range von Dämonen erhoben. 6. O Rudra, dessen Heilmittel lindern, Schwarzlockger! Werkthätger! I Schlag fort, die meinen Speis’vorrath schädgen, mach kraftlos sie, o Kraut! Ile ll Im ersten Hemistieh fehlt ein Verbum; es sind wohl die im zweiten Hemistich stehenden Verba zugleich auf Rudra und auf das Kraut zu beziehen. Da Rudra hier als jaldshabheshaja an- gerufen wird, könnte man meinen, es handele sich hier um eine Krankheit, etwa um Schutz gegen Verdauungsbeschwerden; doch will dazu der sonstige Tenor des ganzen Stückes nieht recht stim- men. Es frägt sich freilich eben, ob präg gerade mit „Speise- vorrath, Lebensmittel“, so Pet. W., zu übersetzen oder ob nicht eine andere Bedeutung, etwa eben die von: Verdauung, damit zu verbinden ist. 7. Vernichte dessen Speis’vorrath, o Indra! der uns feindet an. I Segne mit deinen Kräften uns! stell’ mich ob’nan im Speis’vorrath. II

1) das Geschrei einer gdlä(!)-vriki gilt als unglückverheilsend, als To- desbotschaft schol. zu T. A’r. A, 29, 1. 30, 1. Bei Apastamba findet sich wie in 7s. die Form sälävriki, s. 1, 10, 17. 11, 33 ed. Bühler.

vom 30. Juni 1870. 507

23. Bitte um langes Leben für einen Knaben.

i. Dir allein wachs’ er zu, Greisenalter! nicht soll’'n die hundert andern Tod’ ihn treffen! I Wie sorglich die Mutter den Sohn im Schoofse, so ihn Mitra schütze vor Freund-Bedrängung! Il ı Il Das Stück ist entweder für einen Neugebornen oder für eine spätere Gelegenheit des Kindesalters bestimmt. „Hundert und ein Tode“ ist die solenne Zahl; der einzig wünschenswerthe dar- unter der an Altersschwäche. mitriydd anhasah kann entwe- der die Angst sein, die er seinen Freunden macht, oder es kann, s. v. 3, sich auf Bedrängnisse beziehen, die ihm von Freundesseite bevorstehen könnten. 2. Mitra oder Varuna, der Feind-Schäd’ger, einmüthig soll’n sterbend am Alt’r ihn machen! I Agni, der hotar, aller Regeln kund’ge, verkündiget alle Ursprüng’ der Götter. II 3 II Ich theile rigd-das, die Schädigenden (mit verlängertem Aus- laut) vernichtend (Ydas). Der Zusammenhang der beiden Hemi- stiche ist mir unklar. Ist das zweite Hemistich etwa auf eine Geburtsceremonie hinweisend ? | 3. Du beherrschest alle die ird’schen Thiere, die gebornen oder die noch entsteh’nden. I Nicht mög ihm je Einhauch abgehn, noch Aushauch! Nicht mögen ihn Freunde bedräng’n noch Feinde. Il s II Auch dieser Vers scheint auf ein Geburtsritual hinzuweisen. Der im ersten Hemistich angerufene Gott ist Tvashtar oder Piü- shan; ja auch Rudra könnte darunter zu verstehen sein. va- dhishus kann hier wohl nicht geradezu: tödten, erschlagen be- deuten? | 4. Dich der Vater Himmel, die Mutter Erde einmüthig soll’n sterbend am Alter machen! I Damit du im Schoofs der Aditi lebest, durch Ein- und Aushauch bewacht, hundert Winter! Il al Während der Vater Himmel und die hundert Winter den Vers als alterthümlich erscheinen lassen, wird ihm durch die Ver-

wendung des Wortes gupita (im Rik nur 10, 85,4 und Jugupus 7, 103, 9, s. Pet. W.) dieser Anspruch wieder geraubt. Oder ist etwa die im Pet. W. angenommene sekundäre Herleitung der Ygup aus

508 Gesammisitzung

go-pa doch nicht richtig? vielmehr gup mit guh (aber kuh, zeuSw!) eines Stammes? vgl. zend. gufra tief, verborgen; resp. verbergend, beschützend. s. Führ, Agni! zum Leben ihn! und zu Thatkraft! Das liebe Kind, Varuna, König Mitra! I Gieb Aditi! Muttergleich deinen Schutz ihm! all Ihr Götter! dafs er gelang’ zum Alter. II5 Il priyam retas eig. den lieben Samen, s. unten 34,2. Zu

varcas s. oben pag. 493 und vgl. noch ärj.

29. Segenswunsch (für einen Verwundeten?).

ı. Ihr Götter, in des Ird’schen Saft (setzt ihn), in Kraft des Glücks und Leib’s! I Und Leben ihm Agni, Sürya, Thatkraft gebe Drihaspati. I ı Il Im ersten Hemistich fehlt das Verbum, ist resp. aus dem zwei- ten zu ergänzen. dyushyam asmai ist wohl mit dyur asmai in v. 2 umzustellen; dann wird das Metrum beiderseits richtig. 2. Lebenskraft gieb du ihm, o Jätavedas! Nachkommenschaft setz’ in ihn du, o Tvashtar! | Reichthumsgedeihn Savitar! spende du ihm! Er möge dir hundert von Herbsten leben! II 21 Dir, durch deine Gnade. 3. Der Segenswunsch Kraft uns (geb’), reichen Nachwuchs! Stärke gebet, einmüthig Beid’, und Habe! I O Indra! er Länder ersiege mächtig, seine Gegner unter sich bring’nd, die Andern! Ill Diese Übersetzung schliefst sich, bis auf die unumgängliche Veränderung von jayam in jayan etwa, an den vorliegenden Text an. Im ersten pdda liest der padapätha: dgih \ nah; es ist somit „gebe“ nothwendig zu ergänzen. Sonst könnte man etwa meinen, dals d‘cirne zu lesen und dies als „Einer, der sich etwas gebrochen hat, verwundet ist“ aufzufassen sei, wo dann das erste Hemistich wenigstens eine einheitliche Construktion erhielte. Wer freilich die in pdda 2 angerufenen Zwei sind, erhellt überhaupt nicht. Der Text ist eben verderbt (sauprajdstvam!); der Vers findet sich resp. mit erheblich andern Lesarten in den drei Yajus-Texten wieder, nämlich in Ts. 3, 2, 8, 5. Kath. 5, 2. Katy. 10, 5, 3 (das zweite He-

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mistich resp, auch in Aath. 32,2) und zwar in folgender Weise: dir ma Ürjam uld suprajäs-twam isham dadhdtu dravinam sd- varcasam (suv° Katy.) | samjdyan ksheträani sahasd "hdäm indra krinvano anydn ddhardni sapatndn I Die dazu hier vorliegenden Variationen treffen speciell den zweiten und dritten pdda, bestehen resp. in der Aufnahme der beiden Duale (dhattam und sacetasau), und in der Wandlung von samjayan..aham in: jayam(sie!)..ayam. Hat etwa bei der Aufnahme jener Duale eine Rücksicht auf die Gelegenheit mit eingewirkt, für welche nach Kauc. 27 dieses Stück zu verwenden ist? Es handelt sich danach um die Kur eines (etwa in Folge von Wundfieber?) an Durst Leidenden! „Er (der Priester) heifst den Kranken sich mit dem Rücken an einen Ge- sunden lehnen, läfst sie Beide sich auf Zweige niedersetzen, den Kranken nach Osten, den Gesunden nach Westen gewendet, quirlt darauf in einem aus vetasa-Holz gemachten Becher mit zwei Rühr- iöffeln über dem Haupte des vom Durste Geplagten einen mantha (Mehl in Milch) und reicht ihn dem Andern, auf den er den Durst dadurch überträgt (das mufs somit ein treuer Freund oder Diener sein, der sich dazu hergiebt!); auch läfst er ihn das herausgenommene Wasser trinken. Mit v. 6 geschieht dann das darin Erwähnte'!)“, d.i. Beide trinken den mantha. Man mülste somit freilich statt: „Stärke gebet“ (dhattam) etwa „Stärke erlan- get“ erwarten. 4. Als Indra’s Gab’, von Varuna belehrt kam der Tapfre, von den Marut uns gesendet! I

!) pärthivasyety utpatyati (!) prishthasamhitav ("tam Cod.) upaverayatı, pränmukham vyadhitam pratyanmukham avyädhitam gäkhäsipaverya vaitase ca- masa upamanthanibhyam trishnägrihitasya girasi mantham upamathya "trishi- täya prayachati, tasmihs trishndm samnayaty, uddhritam udakam päyayati | savdsinäv iti mantroktam. | Die behagliche und ungelenke Breite dieser Schilderung steht zu der sonstigen lakonischen Kürze des Kaug. sütra in starkem Gegensatz und möchte wohl die Vorstellung erwecken, dafs es sich hier etwa um einen neuen, oder wenigstens nicht sehr bekannten Brauch handele, der eben darum ausführlich darzustellen war, während bei sonstigen Bräuchen deren Bekanntschaft vorausgesetzt, daher nur mit kurzen Worten darauf hingewiesen wird. Das Übertragen von Krankheiten auf Andere ist auch unserm Aberglauben wohl bekannt, doch mehr so, dafs dasselbe ohne Mitwissen des Gesunden geschieht, s. Wuttke $. 402 ff., wäh- rend hier offenbar Einverständnils mit ihm stattündet.

510 Gesammtsitzung

Er in Eurem Sehoofse ruh’, Himmel! Erde! Er hungre nicht! er dürste nicht! Ila Il

päda 4 mit nur 6 Silben, statt deren 11, ist offenbar incom- plett. Der „von Indra Gegebene“ etc. kann wohl nur ein „tapf- rer“ (ugra) Krieger sein, für den die Seinigen eben beten, weil er krank, resp. etwa verwundet (s. v. 7) daliegt.

5. Kraft möget Ihr spenden ihm Beid’, Kraftreiche! Milch möget Ihr geben ihm Beid’, Milchreiche! I Kraft haben ihm Himmel und Erd’ gegeben, alle Götter, Kraft die Marut, die Wasser. Is Il

Während in päda 1.2 Himmel und Erde angerufen werden, Kraft zu spenden, wird in pdda 3 diese Bitte als schon erreicht dargestellt. ärjaspati und payasvati sind fünfsilbig zu lesen; dage- gen dydväprithivi viersilbig.

6. Mit lab’ndem (Trunk) ich dir dein Herz befried’ge.

Der Krankheit frei, letze dich dran, thatkräftig! ı

Dies gleiche Paar soll hier den Rührtrank trinken! Anthuend der Agvin Gestalt, wie Blendwerk.

Zu givabhis ist wohl etwa adbhis oder dhäräbhis zu ergän- zen? saväsinau, so gleich gekleidet und gestaltet, dafs man sie Beide für das göttliche Zwillingspaar der Agvin halten kann, dals es ein wahres Blendwerk ist und die Krankheit daher von dem Kranken auf den Andern übergeht, ohne es zu merken, vgl. die Angabe aus Kaug. bei v. 3.

7. Indra, durchbohrt, schuf vormals diesen Krafttrunk,

alterlose Labspeise, sie ist dein hier. I Durch sie du (noch) Herbste lang leb’, thatkräftig! Nicht fliefs dir was an! dir die Ärzte halfen. II Il vidahah, durchbohrt, verwundet. Vermuthlich also handelt es sich eben auch hier um einen Verwundeten. svadhä in Fällen wie hier trenne ich von dem sonstigen sva-dh@ ab, und leite es von Ysvad ab, vgl. sindhu von Ysyandı.

30. Liebeszauber.

ı. Gleichwie der Wind die Gräser dort auf der Erde schwenkt hin und her, I also schwenke ich deinen Geist,

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damit du mich (nur) liebend seist, damit du nimmer von mir gehst. Ilı ll Ich habe dies Stück zwar bereits in den Ind. Stud. 5, 218 übersetzt, wiederhole indefs hier diese Übersetzung, weil ich theils in ihr, theils aber, und zwar insbesondere zu der ibid. p. 262 ge- gebnen Auffassung der betreffenden Stelle des Kaur. (35), einige Änderungen resp. Bemerkungen zu machen habe. Die Worte reshmamathitatrina nämlich sind dem Pet. W. zufolge mit „vom Sturm abgerissenes Gras“ zu übersetzen, und für sthakara ist auf T. Br. 2, 3, 10, 1-3 zu verweisen, wo ein sthägara alamkära (sthägaro ndma kagcit sugandhadravyavigeshah; sthägarapishtena ta- sydh mukhe tilakädyalamkäram cakdra schol.) als ein Liebeszauber gebraucht wird'). Die Angaben bei Kaug.?) besagen somit: „ZWi- schen zwei Holzstücke, welche von einem Baume und der ihn um- schlingenden Schlingpflagze genommen sind, legt man einen Pfeil (als Symbol des Liebesgotts, s. Ind. Stud. 5, 225), sthakara (Tagara- Pulver?), Augensalbe, kushtha und madugha (zu dieser Trias s. Ind. Stud. 5, 244), und vom Sturm abgerissenes Gras (die symbolische Bedeutung hievon ergiebt unser Vers), mischt all dies mit djya (Opferbutter) und berührt dann“ (damit; was? ist nicht gesagt; ob ‚das Mädchen?). Die Verwendung der ymath in unserm Verse erinnert an den spätern Namen des Liebesgottes manmatha. 2. Ihr Agvin beid’! führet nun doch, bringet zusamm’n das Liebespaar! I (Wie) Euer Glück zusammentrat, Eure Herzen, Eure Gelübd’. Il2 1 So wie ihr selbst Beide vereinigt seid, so sorget nun auch dafür, dafs dieser hier mit seinem (oder: dafs ich mit meinem) Mädchen vereinigt werde. cet fasse ich jetzt nicht als „wenn“, sondern in alter Weise nur als: ca id. 3. Wenn die Vögel sich aufmachen um fortzuziehn, die fröhlichen, I Da komme sie auf meinen Ruf, wie der Schaft in den Pfeilspitzhals. II 3 Il

1) ii samsprishtayor vrikshalubajayoh yakaldv antare "shu-sthakard-"Nja-

na-kushtha-madhugha-reshmamathitatrinam äjyena samniya samspri(ca)tı. ?) vgl. meine Abh. über das Rämdyana pag. 10.

512 Gesammtsüzung

anamivdh krankheitslos, lustig. So genau, so sicher, wie der Schaft in den Hals der Pfeilspitze hineinpafst. 4. Was innen ist, sei äufserlich; was äulserlich, sei innen drin! I Der wankelmüthigen Jungfraun Herz erfasse du nun, o Kraut! Ilall Ihr ganzes Wesen soll in Aufregung gebracht werden. vievarüpa, eig. allartig gestaltet. Der Plural wohl eine Art plur. majest. 5. Herbei kam sie, suchend ’nen Mann. Ein Weib suchend kam ich herbei. I Gleich einem (freudig) wieh’rnden Rofs kanı ich zusamm’n mit meinem Glück. Il5 Il Freude über den Erfolg des Zaubers.

3l. Gegen Würmer.

1. Des Indra grolser Mühlstein hier, der jeden Wurm zermalmende | Damit zerstampf’ die Würmer ich, wie mit dem Mühlstein khalva-Korn. 1

Dieses (und das folgende) Stück ist schon von Kuhn in sei- ner Z. 13, 135 ff. übersetzt, kommentirt und mit germanischen Sprü- chen ähnlichen Inhalts zusammengestellt worden. Auch findet sich daselbst der Text der entsprechenden Stelle im Kaug. sütra (27) bereits mitgetheilt; leider ist derselbe, wie gewöhnlich, sehr abrupt, dazu wohl auch verderbt. „Er opfert (mit v. 1) khalvanga-, aländu-, hanand-(Würmer), mit @hee vermischt. Die junge Brut (?) quetscht er in einen gesprenkelten Rohrhalm (?) zusammen, indem er die linke (Hand mit einem Tuche?) umhüllt (um sie trocken zu hal- ten?); er macht (ihn?) darauf (am Feuer) heifs und setzt ihn (da- ran) an, wirft sodann mit der (trockengebliebenen) Linken, nach Süden gewendet, Staub rings herum, den er vorher umgerührt hat, zerdrückt nun (Alles?) und setzt es (am Feuer?) an“; khalvangdn aländün hanandn ghritamigeran juhoti | baldn kalmashe kande savyam pariveshtya sambhinatti | pratapaty ddadhäti, savyena dakshindmukhah pdhsün upamathya parikirati, sammridhndty ddadhäti. Von den drei genannten Würmer-Arten kommt nur die eine, aldndu, auch im Ath.-Texte vor, s. sogleich.

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2. Den Sichtbaren, Unsichtbaren, den Kurüru zerdrückte ich, I Die Alandu, Caluna all, zermalmen wir durch unsern Spruch. Il2 Il kurüru, entweder von Yru toben, summen, dröhnen, oder von Vru zerschlagen (resp. Yl& schneiden, nagen, rupfen). aländu, wohl von ala, ala Laich und andu = anda Ei. galuna von Year diffindere? krimin ist durch das Metrum als Glosse markirt . (ebenso in v. 4). 3. Die Alandu tödt’ ich mit starker Waffe. Gebrannt oder nicht, sie sind schwach geworden! I Übrig oder nicht, sie mit meinem Wort hier nieder ich werf! ihrer bleib Keiner übrig! 13 Il 4. Den Wurm im Eingeweide drinn, den im Kopf, in den Ribben drinn, I Den Avaskava, Vyadhvara, zermalmen wir durch unsern Spruch. Il «Il avaskava, der da abdeckt, abschält? Ysku, decken. vya- dhvara; dies Wort wird sonst mit d geschrieben, stammt also wohl von Yad, verzehren, bedeutet resp. somit wohl: fressend, s. 3, 28,2 kravydd bhütvd vyddvari (freilich auch andrer Accent!). Cat. 7, 4,1, 27 yawaishü lokeshu näshtrd y6 vyadvaro yd' gimidd, wo Sdy. das Wort denn auch durch adanagila dandagükddih erklärt. 5. Die Würmer all, die in den Bergen, Wäldern, den Pflanzen, Thier’n, drinnen im Wasser hausen, | Die in unsern Leib sind hineingefahren, ich tödte sie, all das Gezücht der Würmer. I 5!

32. Gegen Würmer (im Vieh). 1. Aufgehend schlage sie die Sonn’,

und untergeh’nd mit ihren Strahl’n! I

Die Würmer die drinn in der Kuh. Hall Aus den Angaben bei Kaug. (27) ist hier nicht viel zu machen: udyann dditya (v.1) ity udyati, gondmety dha ’sav iti 1 süktdnte te hatd iti darbhair abhyasyati 1 madhyandine ca I praticim aparähne. Die Ceremonie scheint hienach dreimal, bei Sonnenaufgang, Mit- tags und Abends vor sich zu gehen. Am Schlufs des sökta erfolgt resp. jedesmal mit den Worten „sie sind todt“ eine Bewerfung

514 Gesammtsitzung

(wessen?) mit Grashalmen, und die Kuh ist mit ihrem Namen zu nennen. 2. Den allgestaltgen, vieräug’gen, schwärzlichen Wurm, den weifslichen I Ich zerbreche die Rippen ihm, und ich haue ihm ab den Kopf. Il Il Das zweite Hemistich sowie die nächstfolgenden drei Verse kehren gleichlautend wieder in 5, 23, 9-12. vigvarüpa „allge- staltig“ bezieht sich wohl auf die verschiedenen Formen, die ein Wurm, der sich krüämmt und windet, annehmen kann; catur aksha „vieräugig“ ist wohl von zwei bei den Augen befindlichen Flecken zu verstehen; vgl. den vieräugigen Hund beim Rofsopfer ; zu säramga s. Ind. Stud. 8, 275. Die verschiedenen Farben der Würmer werden ebenso auch in den germanischen Wurmzaubern erwähnt, s. Kubn |. c; 3. Wie Atri tödte ich, Würmer! wie Kanva, Jamadagni, Euch! I Mit dem Spruche des Agastya zerstampfe ich die Würmer hier. II3 1 Die Berufung auf diese heiligen rishi der Vorzeit geht aus demselben Gesichtspunkt hervor, welcher der Zurückführung der Lieder des Ath.-V. auf die Atharvan und :Angiras zu Grunde liegt (s. Ind. Stud. 1, 295. Vorles. über Ind. Lit. G. p. 144); der Zau- ber soll dadurch möglichst kräftig werden. 4. Todt ist der Würmer König nun, und todt auch ist ihr sthapati; I Todt ist der Wurm, die Mutter todt, todt die Brüder, die Schwestern sein! Il& Il sthapdti ist auf Ysthap, eine causative Nebenform zu Ystha, zurückzuführen und bedeutet wohl eigentlich den Feststeller, Ord- ner, dann den Richter. Er erscheint Cat. 5, 4, 4, 16. 17. Katy. 15, 7, ı2 unmittelbar nach dem Bruder des Königs unter den Hauptbeamten desselben (der schol. zu Katy. erklärt das Wort als grämegvara), neben dem sita, vor dem grdmani; so auch Gankh. 14, 22,2'!). Nach Käty. 22, 5, 28. Läty. 8,7, 11 ist sthapati der Titel dessen, der den dbrihaspati-sava genannten ekädha (be- stimmt für den, der tejas, brahmavarcasam oder purodha wünscht)

!) wo vom schol. durch kudyakdra, Zimmermann (!) erklärt.

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gefeiert hat; es darf dies Opfer resp. aber eben nur ein Solcher begehen, welchen die brähmana in Gemeinschaft mit dem Kö- nige!) sich voranstellen, und zwar nach dem schol., damit er das Recht feststelle (dharmasthäpakatvena; ebenso schol. zu Panic. 17, 11,5). Alle müssen ihn ehrerbietig begrüfsen, während er selbst vor Niemandem aufsteht. Nach Käty. 22, 11, 10 ist stha- pati übrigens auch der Titel dessen, der den gosava gefeiert hat, den resp. die vie in Gemeinschaft mit dem Könige an ihre Spitze gestellt haben. Ein Revottaras sthapati Pätava Cäkra er- scheint in Qat. 12, 8, 1,17. 9, 3, ı ff. als specieller Kenner des sau- trdmani-Opfers, vermittelst dessen er dem Dushtarstu Paunsdyana zur Herrschaft über die Srinjaya verhalf. Über ein Opfer für einen sthapati der Nishäda s. Käty. 1, 1, 12. Wie sich neben der eben- falls auf die Wurzel sth@ (ursprünglich std) zurückgehenden Wur- zel stambh oreu/3w eine Form skambh findet, so ist auch neben sthap eine Form skap anzusetzen, vgl. szyrrw szyrwr; und zu ihr ist denn wohl auch goth. skapan, ags. scapan, schaffen (vgl. Vorles. über ind. Lit. Gesch. p. 211), zu stellen, so dafs hie- nach unser Schöffe (scabinus) mit sthapati gleichen Stammes zum Mindesten ist, wenn nicht etwa gar auch die Verwendung der Wurzel in dieser Beziehung schon aus indogermanischer Zeit stammt.

5. Getödtet sind die Diener nun,

getödtet die Umdienenden; I Und auch die noch ganz klein gleichsam, alle Würmer getödtet sind. Il sl

vegas Diener, pdrivecgas umdienend; von einer Veig, die (s. Pet. W. unter padvinga) wohl mit lat. vincire zusammenhängt, und von der auch vera Diener, vegatva, vaicya (neutr.) servitium, her- stammen, welche Wörter mit yvig intrare schwerlich in Bezug zu setzen sind; vgl. devd vd asuräandm vecatvam updyan Kath. 12, 5, anativddand enam vegd bhavanti ibid. 31, 12 (adabdhä asya v. bh., praticindvasitdä v. bh.), sarasvatyai vegabhaginyai sväheti vec ayama- nam va etat ibid. 32, 4; te deväh pardjigydnd asurdndm vaicyam updyan Ts. 2, 3, 7,1. Das spätere Sanskrit hat hievon allein noch veeyd, a harlot, behalten.

>

!) nach Läty. 8, 7, 4 resp. brahmandk svarajänah, d. i. yesham rdj@ neshte, also: unabhängige, keinem König unterworfene Brähmana.

516 Gesammtsitzung

6. Ich zerbreche dir die beiden Hörner, womit du stofsen willst; | Ich zerspalte die Blase dir, welche dein Giftbehälter ist. II 6 Il Zu kushumbha, Blase, vgl. kugumbha, kusumbha Krug, Was- sertopf der Einsiedler; das Wort bedeutet wohl: „wie leicht zer- brechlich!“, von Ysumbh occidere ferire West.; vgl. Ts 2,4, 1,1: Kath. 10, 7 teshäm (te yad K.) devanam uta yad alpam (apy alpa- kam K.) lohitam akurvan, tad rakshänsi rätribhir asubhnan (asum- bhans K. kshubhitän kritavantah Say.), tdnt subdhän mritdn abhi- vyauchat, te devd avidur: yo vai no "yam mriyate rakshänsi vd imam ghnantiti (ye vai na ime ke ca mriyante rakshänsi vavaitan sum- bhantitiK.). An unsrer Stelle hier würde übrigens auch die ak- tive Bedeutung: „wie tödtlich“ passen.

33. Gegen yakshma (Schwund).

ı. Aus den Augen, den Naslöchern, den Ohren und dem Kinne dir, I Aus dem Gehirn, der Zung’, den Schwund, der dir im Kopfe sitzt, zieh ich ’raus. I ıll

Auch dieses Stück, das den ganzen menschlichen Körper von Kopf zu Fufs der Reihe nach durchmustert, um den Schwund (yakshma) aus den einzelnen Gliedern zu vertreiben, hat Kuhn bereits in seiner Zeitschrift 13, 63 ff. übersetzt und mit analogen germanischen Krankheits-Zaubern verglichen, sowie auch theils die Variationen, welche die hiesige Recension des Spruches zu der in Rik 1, 163. Ath. 20, 96, 17-22 vorliegenden zeigt, behandelt, theils eine dritte Variante dazu, die sich bei Pdraskara 3, 6 findet, spe- ciell erörtert (p. 70 ff.). Bei Kaug. (27) ist leider nur wenig sich findend: vdlästukdm (? vola° Cod., °sukdm pr. m.) dchidya khal- vddiny akshibhydm ta iti I (sic! der Strich im Ood.) vibarham udapätrena sampdtavatd 'vasincati | „er zerschneidet (?) die Haar- flechte (?), zieht unter Reeitation von 33,1 (ete.) die khalva-Körner ete. heraus und begiefst (den Betreffenden) mit Wasser, welches mit (der üblichen) Zuthat versehen ist.“ Eine Hauptschwierigkeit macht hier zunächst das Wort vdlastukdm, dessen erster Theil so- wohl vdla Haar, als böla Kind sein kann. Zu stukä Haar- schopf, Flechte vgl. mekhala stukäsargam srishtö Cat. 3, 2, 1, 13

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(stukad kegaveni yatha srüyate tathd, schol.), dakshindt kecastukdt Kaug. 42, prithushtuka R. 2, 32, 6 (10, 86, s wo prithushtu). Nir, 11, 32; vrishneh stuka (roma schol.) Qat. 3, 5, 2, ıs. Käty. 5, 4, ı7 (vrishneh stukah; giroromdni schol.), ürndstukd Ait. Br. 1, 28. Kath. 29.6. Äpastamba in der paddh. zu Käty. 4,1 pag. 299, 4. Äev.g. 1, 7, ı6. Ferner bleibt unklar, wo „die khalva-Körner ete.* heraus- zuziehen sind. Endlich, was das Schlimmste ist, es muls einst- weilen sowohl noch ungewifs bleiben, ob die Worte vdl. dch. kh. überhaupt hieher und nicht vielmehr zum Vorhergehenden (zu den unmittelbar vorhergehenden Angaben über den Wurmzauber mit Spruch 32) gehörig sind, wie es ebenso auch nach der andern Richtung hin ungewifs ist, ob nicht die Worte vib. udap. samp ’vas. ihrerseits vielmehr zum Folgenden (es folgt: harinasyeti Ath. 3, 7,1) gehören!! chubuka das Kinn, etwa von der Ychup, cup anfassen, berühren, die sich im Pali, Präkrit findet, s. Hala pag. 166. 238 (unter chiv). 261, und zu der auch wohl Ycumb, küssen, gehört; die spätere Sprache hat civuka, cuvuka. 2. Aus dem Halse, aus dem Genick, den Räückenwirbeln, dem Rückgrat, | Den Schultern, Diek-Armen den Schwund, der dir im Arm sitzt, zieh ich ’raus. It 2! kikasds sind nach Shadv. 1,3 die Glieder, d. i. wohl Knor- pel des Rückgrats: brihatya eva pargavo (pärgvästhini) brihatya eva kikasäh (prishthasydvayavah) prishtham abhisamdyanti. 3. Aus dem Herzen, der Lunge dir, aus der Galle, dem Seitenpaar, I Aus den Nieren, der Milz den Schwund und aus der Leber zieh’n wir ’raus. II 3 Il halikshna, wohl was gelb (hari) aussieht (ikshana). ma- tasne die beiden Nieren, etwa die nach Gefallen (vgl. matam-ga) träufelnden? die Nieren bereiten den Urin. 4. Aus den Gedärmen, dem Hintern, aus dem Mastdarm, dem Bauch heraus, I Aus den Mägen, dem Nabel ich, aus dem Gekröse zieh’ den Schwund. Ilali 5. Aus den Schenkeln, den Knieen dir,

aus den Fersen, den Fufsspitzen, | Den Hinterbacken, Schamtheil’n ich den Schwund, der in der Scham sitzt, zieh. II; Il

518 Gesammtsitzung

bhasad, podex; ob der Blinkende, Blanke, Glatte, der „Spie- gel“; groni, elunes, loins; eig. wohl die rauhen, zottigen; bhäsadam ist durch das Metrum als Glosse markirt; bhan- sas gehört wohl zu bhasad. 6. Aus den Knochen, den Markknochen, den Sehnen und den Adern dir, | Aus den Händen, den Fingern ich und aus den Nägeln zieh’ den Schwund. Ile Il 7. In jedem Glied, in jedem Haar, jedem Gelenk, wo er dir sitzt, I Den Schwund, der in der Haut sitzt, wir mit des Kagyapa Ziehe-Spruch ziehen dir ’raus, dafs fort er geht. Il Kacyapa ist hier genannt, wie oben in 32, 3 Atri, Kanva etc. Der die Symmetrie des Metrums störende vierte pdda ist wohl ein Einschub; s. indefs auch oben in 30, 1 fünf pdda.

34. Beim Thieropfer.

ı. Ob welchen Thier’n waltet der Herr der Thiere, Vierfülsigen oder sei’n sie zweifülsig ,„ I Losgekauft dies hier wend’ zum Opfertheil sich!

Dem Opfernden folge Gedeihn des Reichthums! Ilı ll

Dies Stück findet sich identisch, ob auch mit allerlei Varian- ten, von denen ich nur die wichtigsten aushebe, resp. als Theil eines gröfseren Abschnittes, in 7s. 8,1,4, 1. Kath. 30, 8 wieder. Die Reihenfolge der Verse ist daselbst 5. 1. 3. 4. 2. Nach Kaug. 44 ist der Spruch beim Schlachten einer vagd, Kuh, zu ver- _ wenden und zwar wird dieselbe zunächst, unter Darbringung einer Gheespende mit v. 1, am Kopf, Rücken und der Schenkelgegend gesalbt; y@ ige p. p. ii hutvs vacdm anakti girasi kakude jaghana- dece. yeshäm ige Ts. K. ist offenbar (schon metri c.) dem ya ice vorzuziehen; ebenso ca dvipaddm Ts. dem yo dvipadam (in K. heifst es: catushpdda uta ye dvipddah). Die Oonstruktion ist anakoluthisch. Das Opferthier mufs aus dem Verbande der übrigen Thiere erst gelöst, dem Schutzpatron derselben abgekauft werden, ehe es opfer- würdig wird. Die hiesige Lesart würde dasselbe als Herrn sämmt- licher Thiere hinstellen, was nirgendwo sonst vorkommt, soweit ich mich erinnere, und wobei dann jedenfalls das nishkrito gar

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nicht mehr pafst. Auf den Opfernden in pdda 4, der ja seiner- seits in der That durch das Opferthier sich selbst loskauft, s. Ind. Streifen 1, 72, kann sich pdda 3 auch nicht etwa beziehen, weil ja sonst zu pdda 1.2 gar kein Bezug stattfände. Auch spricht dagegen die Lesart der beiden Yajus-Texte; Ts. liest in pdda 3 nishkrito "yam, und K. gar nishkritäs te yajniyam bhägam yantu. Die Nebeneinanderstellung der Zweifüfsler und Vierfüfsler in solenner Opferformel wird durch das umbrische dupursus, petur- pursus, 8. Aufrecht-Kirchhoff die Umbr. Sprachdenkmäler 2, 199. 200, als schon aus indogermanischer Zeit stammend erwiesen. 2. Entlassend den Samen (zukünftgen) Daseins, gebt Fortgang dem Opfernden, o ihr Götter! I Herbeigeholt was hier da steht, besänftigt, zu der Götter Pfad geh’ es ein, dem lieben! Il a Die Götter (s. v. 3. 4) sollen das Opferthier aus ihrer Hut entlassen; es wird als reto bhuvanasya Samen für künftige Exi- stenzen bezeichnet, s. oben 28, 5 priyam retah; gätum, guten Fortgang, Gedeihen; updäkrita ist der terminus teehnieus für die feierliche Herbeiführung der Hostie; cacamdna von Vram, welche Wurzel (Caus. still machen) euphemistisch ja geradezu für „schlachten® gebraucht wird, analog wie samjnapay, s. Pet. W. unter jnd; das geopferte Thier findet unmittelbaren Eingang in die Himmelswelt. 3. Die da sinnend hinter dem Angebundnen drein schauend stehn mit ihrem Sinn und Auge, I Gott Agni sie möge zuerst ablösen, Vigvakarman, mit den Geschöpf’n einträchtig. II 31 Es sind die Verwandten des Thieres gemeint!); die Flamme des Opferfeuers soll sie aus ihrem Nachsinnen über das Geschick ihres Genossen erlösen. Ob vigvakarman in päda4 als Name des göttlichen Bildners oder appellativisch als Beiname Agn?’s, der Al- les thuende, zu fassen ist, bleibt zunächst ungewils. 4. Die zahmen Thiere (hier), die vielgestaltgen, vielfach geschieden, dennoch eingestalt’gen, I

!) Mutter, Vater, Brüder und Freunde desselben werden in andern | Sprüchen um ihre Erlaubnifs gebeten, es opfern zu dürfen Aäth. 3, 5. 26,8. -V5.6,9. (at. 3, 7,4, 5.

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520 Gesammtsitzung

Gott Vayu sie möge zuerst ablösen, Prajdpati, mit den Geschöpf’n einträchtig. 41!

Statt ye grämydh hat Ts. K. ya dranydh, wilde Thiere sind aber in der Regel nicht opferfähig. Die „Eingestaltigkeit* der zahmen Thiere besteht eben wohl darin, dafs sie zahm sind. Die „Ablösung“ bezieht sich offenbar auf denselben Gedanken wie inv. 3. Auch hier ist unklar, ob Prajdpati etwa als Beiname Väayu’s zu fassen ist.

5. Die Kundigen mögen zuerst ergreifen den Odem, der hier aus den Gliedern fortgeht! I Zum Himmel geh’! bleibe mit deinen Knochen! Zum Svarga hin geh’ auf den Pfad’n der Götter. II5 1

Wer diese „Kundigen“ sind, erhellt zunächst nicht; ob die marut? Die ausgehauchte Seele geht ja in die Luft ein; vdtam ätmäa R. 10, 16,3, sam te prdno vdtena gachatdm Vs. 6, 10. (at. 3, 1,45 3.0. 1. 1,03, 18,12: 16, 31774: Kath. 3, 5. 26, 8 sdimä ’ntari- ksham rohati Ts. 5, 3, 6, 35 vgl. Ind. Stud. 2, 229. In Ts. £. ist pdda 3 u. 4 umgestellt, pdda 5 lautet resp. oshadhishu pratitishtha cariraih „in den Pflanzen bleibe mit deinen Knochen“. Dies ist of- fenbar viel besser; einmal wird das doppelte „zum Himmel geh“ beseitigt, und ferner im Gegensatz zu dem seelischen Theil, der eben zum Himmel gehen soll, dem körperlichen Theile zugerufen, hier auf der Erde zu bleiben, und ihm die Pflanzen als der Ort angewiesen, wo er sich hin zu wenden hat. Vgl. hiezu die ent- sprechenden Angaben im Aik 10, 16, 3 süryam cdkshur gachatu vdtam dimd dyd'm ca gacha prithivim ca dhärmand | apo gacha yddi tatra te hitdm öshadhishu pratitishtha gadriraih. An andern Stellen freilich werden auch die Glieder des Opfer- thieres (angdni) angewiesen, sich mit den yajatra d. i. mit den Gottheiten (devatäs Kath. 26, 8) zu vereinigen. Zu garira in der Bedeutung: Knochen, eig. die vergänglichen Bestandtheile, s. z. B. Käty. 21, 3, 7. 4, 5.. 8, 14. 15. Nach Kaug. 44 wird die Kuh mit diesem Verse erstickt!): atha pränäan dsthäpayati prajananta ii.

35. Zur Sühne falschen Opfers.

ı. Die wir trotz dem (soma)-Genufs nicht reicher, um die betrübt auf den Altär’n die Feuer, |

1) s. Ind. Stud. 9, 22. 23. 10, 345.

vom 30. Juni 1870. 521

Die wir mit schlechtem Opfer abgefunden dies Opfer uns gut mach’ nun, Vigvakarman! Nil Durch das Ungeschick eines Genossen beim sattra- Opfer schei- nen die Übrigen in Schaden gerathen und nun ein Sühnopfer an- gestellt zu haben; der Schuldige scheint gebunden (s. v. 3) auf den Opferplatz geführt zu sein. Bei Kauc. (38) findet sich nur die kurze Angabe: ye bhakshayanta iti parishady ekabhaktam anvi- kshamdro bhunkte: „er (der Delinquent?) verzehrt in der Versamm- lung eine Portion (Reis?), darauf (?) hinblickend.“ Dies könnte eher auf eine Ordale ‘gedeutet werden! vgl. die Angaben bei Stenz- ler Z. D. M. G. 9, 676 und bei Schlagintweit p.33ff. Der Schuldige nimmt etwa durch das Verzehren dieser Portion alle Schuld auf sich, und entsühnt so die Andern? Zu ye na.. änridhus ist aus päda 4 nas heraufzuholen; die Abfassung in dritter Person erklärt sich dar- aus, dafs dieser Nebensatz voransteht. Zu bhakshayanto ergänze ich somam, und beziehe es auf die beim sattram allen Theilnehmern daran gemeinschaftliche Vertheilung des soma-Trunkes. „Die wir mit schlechtem Opfer abgefunden“ sind, eig.: „welches schlechte Opfer diesen (uns) Abfindung“ (war); ava-yd im Padapätha; es ist aber ava-ydh zu lesen, s. Pet. W. unter avayaj, und dies eben als: Abfindung aufzufassen. Vievakarman, der Alles Thuende, erscheint daher hier als ein Genius, der im Stande ist, auch sol- che Opferschäden wie die begangenen zu heilen. Anderswo ist er mir gerade noch nicht begegnet; s. z. B. oben 34, 3. Agni Vaigvanara ist vielmehr die im Ritual für Sühnacte solenne Gottheit. 2. Den Opferherrn nennen die rishi mit Fehl behaftet, und um seine Sipp’ sich sorgend. I Die Meth-artgen Tropfen, die er verfehlte, mit denen verein’ge uns Vievakarman! Wall Unter Opferherr ist hier wohl der grihapati, Hausherr, des salira zu verstehen. Andere rishi haben ihm vorgeworfen, dafs er seine Sache falsch gemacht (Beispiele der Art finden sich mehrfach in den Brähmana) und er ist nun wegen der Folgen, die dies für die Seinigen haben wird, betrübt. Unter den „methartigen Tropfen“ ist wohl der soma zu verstehen, zu dessen richtigem Genufs er, und die Seinigen mit ihm, nicht gelangt ist. 3. Für soma-Trinker dess nicht Würd’ge haltend, opferkundig, (doch) im Vertrag nicht achtsam, I

36*

522 Gesammtsiützung

Welchen Fehl’ hier der Gebund’ne machte, den löse zur Wohlfahrt du, Vigvakarman! N 31 Der von den yajnapati begangne Fehler scheint nach päda 1 somit darin bestanden zu haben, dafs er Unberechtigte zur Gabe, d.i. zum Genufs des soma, zugelassen hat, also z. B. etwa die bei dem sattra in Bezug auf die bhinnakalpa geltenden Bestimmun- gen, 8. Ind. Stud. 10, 93. 94, nicht strikt beobachtete oder sonstige Controll-Vorschriften darüber (s.Ind. Stud. 10, 44.45) vernachlässigte. Trotz aller Vertrautheit mit dem Opfer hat er sich somit doch in Bezug auf die Bedingungen des samaya, Vereins, Vertrags nicht achtsam erwiesen, und steht nun, wie es scheint, gebunden auf der Opferstätte, um Befreiung von seiner Schuld zu erlangen. ı. Gewaltig die rishi! Huld’gung sei ihnen! und ihrem Auge, ihres Geistes Wahrheit! I Dem Brihaspati, Mächtger! lichte Huld’gung! Vicvakarman! Huld’gung dir! schütze du uns! Ilall Es sind wohl die rishi gemeint, die nach v.2 den Fehler des yajnapati bemerkt haben. Im dritten pdda ist das Metrum ge- stört; sollte etwa brihaspate zu lesen sein? „dir, Brihaspati!l* 5. Er des Opfers Auge ist, Anfang, Anhub. Mit Rede und Ohr, Herzen ich ihm opfre. I! Zu dem Opfer hier, das von Vigvakarman geleitet ist, froh mögen komm’n die Götter! I15 II Im ersten päda ist wohl Vigvakarman zu ergänzen: prabhriti, Anhub, Anfang und mukham, Mund, Ausgangspunkt sind ziemlich tautologisch. Die in pdda 2 aufgeführte Trias entspricht wohl dem sonstigen vdc, karman, manas; das Ohr als karman repräsentirt resp. wohl das andächtige Lauschen auf die Opfergebete. Auf Grund all der Bitten hat denn schliefslich Vigvakarman das Opfer wirklich unter seine Obhut genommen, und sorgt nun dafür, dafs es gut von Statten gehe; die Götter mögen also wohlgemuth kom- men, ohne abermalige Störung zu besorgen. |

36. Brautorakel.

Diesen Spruch habe ich bereits in den Ind. Stud. 5, 219—21 übersetzt und commentirt, worauf ich hiermit verweise. Ich theile hier aber noch die bei Kauc. (34) hergehörigen Angaben mit, die leider diesmal theils wegen ihrer Kürze, theils wegen des schlech- ten Zustandes der Handschrift ganz besonders schwer verständlich

vom 30. Juni 1870. 2593

sind, so dafs ich kaum eine Übersetzung hinzuzufügen wage: ... audumbarir ddhapayatıy uttamd vrajitäyai, pativedandny, däno agna ity (v. 1) dgamantagaram (?) dgayati 1 mrigäveräd (?wohl mrigdkha- rdd) vedyam (?) mantroktäni (wohl in v. 7) sampdiavanti dväre pra- yachaty, üdakense (?udakanse?) vrihiyavau jamyai (2) nigi hutvd da- kshinena prakrdmati, paccäd agneh prakshälya samdhävya sampdta- vatim bhagasyandvam iti (v. 5) mantroktam. Danach scheint also mit v.1 (dem ankommenden Werber?) ein dgamantagara (was dies bei Kaug. mehrfach vorkommende Wort bedeutet!), ist mir unklar) als Speise vorgesetzt zu werden. An der Thür (des Hauses?) reicht er (wer? und wem? dem Mädchen?) die im Spruche (v. 7?) ge- nannten Gegenstände, nachdem er sie vorher (mit v. 4?) aus der Höhle (? dem Neste?) eines mriga (Rehs? oder resp. Vogels?) auf die vedi (gelegt hat?). In einem Wassergefäfs (?) opfert er des Nachts der Jämi (Genie der Vorwandtschaft?) Reis und Gerste, schreitet nach rechts hin vor, und läfst dann hinter dem Feuer durch das Mädchen, welches (was? sich selbst?) gewaschen und gereinigt hat, und mit den üblichen sampdia (?) versehen ist, mit v.ö5 das darin Gesagte thun. ı. Der Werber komm zu unsrer Freud’, o Agni! zu dieser Maid her, mitsammt unserm Glücke?). I Begehrt sie bei Freiern ist, hold in Reihen. Schleunig ihr mög’ Glück kommen durch ’nen Gatten. Ill 2. Als von Soma, Brahman begehrt, durch Aryaman erworbnes Glück, Kraft der Wahrheit des Gott’s Dhdtar stell’ ich das Brautorakel an. Il 2 Il pativedanam, eig. die Gattenschau, die Untersuchung darüber, wen das Mädchen als Gatten bekommen wird. 3. Dies Weib hier ’nen Gatten, o Agni! finde! denn der König Soma sie hoch an Glück macht. I Söhne gebär’nd mög’ sie Hausherrin werden, zum Gatten gehnd strahlen in schönem Glücke! Hl 4. Wie diese Höhl’?), Maghavan! dort, die schöne,

!) ob etwa eig. „Sahnenschaum für einen Gast“? vgl. (at. 8, 3, 3, 2. ?) es ist ja ein Glück für die Ihrigen, wenn eine Maid heirathet, aus dem Hause kommt.

3) oder: dieses Nest, wenn es sich etwa um ein Vogelnest handelt.

924 Gesammtsitzung

den Tbier’n lieb war, weil’s drin so gut sich wohnte, I Also sei dies Weib hier des Glückes Liebling, geliebt vom Mann, nimmer von ihm geschieden! Il Il 5. Besteige du des Glückes Schiff, das volle, unerschöpfliche, I Und fahre damit hin zu dem, der dir ein wünschenswerther Frei’r. II 5 I 6. Schreie ihn an, du Reichthums Herr! mache den Freier zugeneigt! I Um Jeden wandle du nach Rechts, der da ein wünschenswerther Frei’r. Ile Il Angeredet ist wohl das in v. 5 erwähnte Schiff, welches die Braut mit ihrem Glücke trägt. 7. Hier ist Gold, hier ist Guggulu'), das Stierfell (?) hier, das Glück dazu; I Diese geben den Männern dich, dafs du den wünschenswerthen find’st. Il Il s. Herbei führe dir Savitar, den Mann, der deinem Wunsch entspricht. I Und du, o Kraut, verleih’ ihr den! Il sl Zur Erklärung von v. 5 ff. halte ich es für angemessen, die am a. OÖ. aus Schönwerth’s Mittheilungen aus der Oberpfalz und aus Mätz’s siebenbürgischer Bauernhochzeit beigebrachten Citate auch hier zu wiederholen, da sie in der That ein treffliches Ana- logon zu bilden scheinen. „Das Mädchen stellt in der 'Thomas- nacht ein Schaff Wasser in die Stube, und wirft die Zettelchen, auf welche sie die Namen ihrer männlichen Bekannten geschrie- ben, zusammengedreht hinein. Dann läfst sie ein kleines Brett- chen mit einem brennenden Lichtehen im Wasser schwimmen. Der Zettel, bei welchem es zuerst ankömmt (und zwar wohl nach oben v. 6, an dessen rechter Seite), enthält den rechten Namen“ Schönwerth 1, 140. „Oder sie giefsen in eine grofse Schüssel Wasser, geben in hohle Nufsschaalen brennende Kerzchen, jedes eine Person bedeutend; schwimmt ein Pärchen bis früh Morgens zusammen, so heirathen sie einander. Dasselbe Orakel in 'Thü- ringen“ Mätz p. 23.

!) Bdellion.

[ubı }

vom 30. Juni 1870. H2

Hr. A. W. Hofmann las weitere Beobachtungen über den Methylaldehyd. '

Einige Versuche über die Wasserstoffabkömmlinge des Schwe- felkohlenstoffs, welche Hr. Aime Girard') vor Kurzem der franz. Akademie vorgelegt hat und welche auch in der Pariser Corres- pondenz der deutschen chemischen Gesellschaft”) flüchtig erwähnt worden sind, veranlassen mich nochmals auf einen Gegenstand zu- rückzukommen, über den ich der Akademie bereits mehrfach Mit- theilung gemacht habe.°)

Nachdem ich gezeigt hatte, dafs sich der bei der flammelosen Verbrennung des Methylalkohols entstehende gasförmige Körper durch sein ganzes Verhalten, und zumal durch sein Gasvolumge- wicht als normaler Methylaldehyd charakterisirt, mithin durch die Formel CH,O ausgedrückt werden muls, habe ich auch die Frage zu beantworten gesucht, welche Meleculargröfse dem isomeren star- ren Körper angehören möge, in welchen sich das Methylaldehydgas nach einiger Zeit verwandelt, und welchen Hr. Butlerow früher in Folge einer von ihm seitdem als irrig erkannten Dampfdichte- bestimmung als Dioxymethylen angesprochen hatte. Da sich keine directen Anhaltspunkte für die Bestimmung der Molecular- grölse dieses Körpers boten, so glaubte ich wohl Schlüsse rück- wärts aus der Zusammensetzung des durch die Einwirkung des Schwefelwasserstoffs auf das feste Product gebildeten Schwefelkör- pers ziehen zu dürfen, und habe deshalb einige Verbindungen, welche der letztgenannte Körper mit Silber- und Platinsalzen erzeugt, der Analyse unterworfen.

Der Silbersalze, welche untersucht wurden, waren zwei, näm- lich die Verbindungen

C2S3 5 2 NoN. 0, und C.H.S; ; 9AsNO,.

Das Platinsalz wurde nach der Formel 20,H,S,, PtCl, zu-

sammengestellt gefunden. Ich nahm auf diese Ergebnisse gestützt

!) Aime Girard, Compt. Rend. LXX, 623.

2) Friedel, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, III. Jahr- gang, 326.

1) Hofmann, Monatsberichte 1867, 665, u. 1870, 362.

926 Gesammtsitzung

für den Schwefelkörper die Formel C,H,S, an und bemerkte wei- ter, dafs mit der Annahme dieses Ausdrucks auch die Formel C,H,O, für die starre Modification des Methylaldehyds, für den Methylmetaldehyd, einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit er- halte.

Bei den oben erwähnten Versuchen, welche von Hrn. Girard über den Schwefelkörper, den er ursprünglich bei der Einwirkung des Wasserstoffs in condicione nascendi auf den Schwefelkohlenstoff er- halten hatte, angestellt wurden, hat derselbe zunächst einen neuen Beweis für die Beziehung zwischen der Schwefelverbindung und dem starren Methylaldehyd beigebracht. Während ich früher die Sauerstoffverbindung in den Schwefelkörper übergeführt hatte, ist es Hrn. Girard nunmehr gelungen, umgekehrt den Schwefelkör- per wieder in die Sauerstoffverbindung umzuwandeln. Bei der Analyse der Silber- und Platinsalze dagegen ist er zu Ergebnissen gelangt, die von den meinigen mehrfach abweichen.

Über die erste der Silberverbindungen, welche bei überschüs- sigem Schwefelkörper gebildet witd, kann kein Zweifel sein; Hr. Girard hat sie mit denselben Eigenschaften und von derselben Zusammensetzung erhalten, die ich angegeben habe. Dagegen hat er das zweite Silbersalz nicht darstellen können; wohl aber eine Verbindung, deren Zusammensetzung, wenn ich den im alten Styl geschriebenen Ausdruck in die neuere Notation übersetze, durch die Formel | C,H,S; ;, 2AgNO, ausgedrückt wird.

Bei einer Wiederholung der Versuche habe ich in der That, wenn das Silbernitrat im Überschusse angewendet wurde, genau die von Hrn. Girard angegebenen Zahlen erhalten. Man könnte also versucht sein, die Existenz der drei Verbindungen

C,H,S; , AgNO, C,H,S; , 2AgNO, und C,H,S; , 3AgNO,

anzunehmen; ich habe aber trotz mehrfacher Anläufe bei meinen neuen Versuchen das dritte in dieser Reihe figurirende Salz nicht wieder erhalten können. Ich mufs daher, zumal auch meine An- nahme auf einer einzigen Silberbestimmung beruht, die Existenz eines Silbersalzes mit 3 Mol. Silbernitrat selbst in Zweifel ziehen;

vom 30. Juni 1870. 527

jedenfalls sind neue Versuche nöthig, um diese Verbindung zu re- habilitiren.

Auch bei der Analyse der Platinverbindung ist Hr. Girard zu abweichenden Resultaten gelangt. Auf die Bestimmung des Kohlenstoffs, Wasserstoffs und Platins gestützt, hatte ich derselben, wie bemerkt, die Formel

20,H,S,, PtCl,

zugeschrieben. Hr. Girard hat auch das Chlor bestimmt und gefunden, dafs der Körper etwas weniger Chlor enthält, als dieser Formel entspricht, und er nimmt defshalb an, dafs ein Theil des Platins, und zwar ein Drittheil, in der Form von Chlorür in der Verbindung vorhanden sei. Die Analyse liefert ihm schliefslich Resultate, welche sich in der Formel

2(0,H,S,), PtCl, + 2[2(C,H,S,), PtCl,]

wiedergeben lassen.

Die Formel, welche ich für die Platinverbindung aufgestellt habe, nnd welche sich zumal durch ihre Einfachheit empfiehlt, stützt sich auf eine Reihe von Analysen, deren Procente ich mit den theoretischen Werthen der beiden vorgeschlagenen Formeln zusammenstelle.

Theorie. Versuche.

Girard: Hofmann: I. II. III. IV. Kohlenstoff 12.2 11.69 12.02 Wasserstoff 2.0 1.95 2.10 Platin 33.3 32.14 22.10 .92.35 32.13.

Da diese Zahlen bei der Analyse von Producten verschiede- ner Darstellungen erhalten wurden, der für I., U. und II ver wendete Methylsulfaldehyd war aus Methylaldehyd, der für IV. ver- wendete aus Schwefeleyankalium dargestellt worden, so glaube

ich, dafs die Existenz der Verbindung 20,H,S, , PtC1,

nicht zu bezweifeln ist. Ich bin aber vollkommen mit Hrn. Gi- rard einverstanden, dafs sich je nach der Darstellungsweise ver-

schiedene Verbindungen bilden, unter denen auch die von ihm an- genommene auftreten mag. Ich habe nämlich in- Versuchen, wel- che seit der Veröffentlichung von Hrn. Girards Abhandlung an-

528 Gesammtsitzung

gestellt wurden, ebenfalls höhere, aber keineswegs constante Pla- tinprocente in verschiedenen Darstellungen gefunden. In vier Sal- zen verschiedener Darstellungen wurden folgende Werthe erhalten:

I. M. [uhis IV: Platinprocente 33.20 33.97 34.75 35.00.

Der steigende Platingehalt kann nur von einer Reduction des Platinchlorids zu Platinchlorür herrühren, allein es dürfte schwer sein, unter diesen Umständen ganz bestimmte Verbindungen zu er- zeugen. Angesichts der hier zu Tage tretenden Reductionserschei- nungen lag der Gedauke nahe, den Methylsulfaldehyd statt mit Platinchlorid, mit Platinchlorür zu verbinden. In der That liefert eine salzsaure Lösung von Platinchlorür mit einer alkoholischen von Methylsulfaldehyd einen blafsgelben Niederschlag, der, ob kalt oder warm bereitet, dieselbe Zusammensetzung, nämlich

30, H,S, »2Pı0l,

zeigte. Diese Verbindung scheint in der That geeigneter für die Bestimmung der Moleculargröfse des Sulfomethylaldehyds als das nur wenig constante Platinchloridsalz.

Vergleicht man die hier mitgetheilten Ergebnisse meiner Ver- suche mit denen, welche Hr. Girard erhalten hat, so findet man, dafs sie im grofsen Ganzen übereinstimmen.

Dagegen kann ich mich den Schlufsfolgerungen, welche Hr. Gi- rard aus seinen Versuchen zieht, nicht anschlielsen. Obwohl er die Moleculargröfse des Schwefelkörpers nicht als definitiv festgestellt betrachtet, so glaubt derselbe doch, dafs sich die mehrfach genann- ten Salze am einfachsten darstellen, wenn man in ihnen den Schwefelkörper mit dem Werthe C,H,S, und nicht, wie ich ihn auffasse, mit dem Werthe C,H,S, fungiren läfst. Mich will es dagegen bedünken, dafs die neuen Versuche des Hrn. Girard und zumal auch die Analyse der Quecksilberverbindung,, die ich nicht untersucht hatte, unzweideutig für die letztere Auffassung sprechen. Eine Vergleichung der Formeln der Verbindungen im Sinne der beiden Auffassungen geschrieben, dürfte in dieser Be- ziehung kaum einen Zweifel lassen.

vom 30. Juni 1870. 529

Quecksilberverbindung.

Nach Girard: Nach Hofmann: 30C,H,S, , 2HgCl, 0,H,S; , HgCl,. Silberverbindungen. 38C,H,S,, 2AgNO, 0;H,S,;, AgNO, 3C,H,S, , 4AgNO, 0,H,S; ‚2AgNO,.

Verbindung mit Platinchlorid.

3C,H;8,, PtCl, 2CH, 3, PLOl,

Verbindung mit Platinchlorür und Platinchlorid. 30,H,S,, PtCl, 2C0,H,8,, PtCl, 6C,H,S,, PtCı, 2[20,H,S, ,. PtCL]

Mit Platinchlorür. 9C,H,S,, 4PtC1, SO, Porter,

Man sieht also, dafs die Annahme einer trimoleeularen Con- stition für den geschwefelten Methylmetaldehyd zu weit einfacheren Formeln führt, als die dimoleculare Auffassung desselben. Offen- bar hat auch Hr. Girard die dimolecularen Formeln nur defshalb gewählt, weil der Schwefelkörper zweifellos dem starren Methyl- metaldehyd entspricht, welchen man früher als Dioxymethylen C,;H,O, zu betrachten gewohnt war, eine Anzahl, welche Hr. Butlerow, der sie ursprünglich aufgestellt, alsbald aber wieder verlassen hatte, nachdem er meine Versuche über das Verhalten des Körpers unter dem Einflusse der Wärme wiederholt hatte.

Obwohl nun die Versuche des Hrn. Girard für meine An- sicht, dafs der Schwefelkörper der trimoleculare und nicht der di- moleculare Schwefelaldehyd der Methylrreihe sei, weitere Stützen geliefert haben, so schien es mir gleichwohl wünschenswerth, noch eine bestimmtere experimentale Grundlage für dieselbe zu gewin- nen. Zu dem Ende habe ich versucht, die Dampfdichte des Schwefelkörpers zu nehmen. Diese Substanz schmilzt allerdings erst bei 216°, allein sie beginnt schon Bei niederer Temperatur zu verdampfen. Im Anilindampf läfst sich der Körper nicht ver- gasen, wohl aber, obwohl auch nur mit grolser Schwierigkeit bei 212° im Xylidindampf. Das gefundene Gasvolumgewicht, obwohl etwas hoch, erhebt die Formel C,H,S, über jeden Zweifel.

530 Gesammtsitzung

Theorie: Versuche: C,H, C,H,S; Gasvolumgewicht 1: II. auf Wasserstoff bezogen 46 69 72 73.17 auf Luft bezogen 3.19 4.79 d 5.08. Nachschrift.

Zur Kenntnifs des Sulfaldehyds der Äthylreihe.

Die immerhin etwas hohe Zahl, welche bei der Dampfdichte bestimmung des geschwefelten Methylmetaldehyds gefunden worden war, hat mich bestimmt, auch das Gasvolumgewicht des geschwe- felten Äthylaldehyds zu bestimmen. Bisher hat man die Molecu- largröfse desselben in der Regel durch die Formel C,H,S ausge- drückt. Die in der Methylreihe ermittelten Verhältnisse liefsen aber mit Sicherheit voraussetzen, dafs auch dieser Körper ein hö- heres Moleculargewicht besitzen werde. Der Versuch hat denn auch diese Voraussetzung in erfreulicher Weise bestätigt. Die ge- schwefelte Äthylverbindung ist, ebenso wie der Körper in der Me- thylreihe, trimolecular, wird also durch die Formel

0;H,58; ausgedrückt. Die Gasvolumgewichtsbestimmung, welche ebenfalls im Xylidindampf ausgeführt wurde, ergab folgende Werthe:

Theorie: Versuche: C;H283 Gasvolumgewicht I. 1. auf Wasserstoff bezogen 90 89.43 90 auf Luft bezogen 6.25 40.21 6.25.

Es verdient bemerkt zu werden, dafs sich die Äthylverbin- dung wesentlich leichter verdampfen läfst, als die Methylver- bindung.

Da der Sulfaldehyd der Äthylreihe nach den angeführten Ver- suchen ganz unzweifelhaft eine trimoleeulare Verbindung ist, so kann man annehmen, dafs sich bei seiner Verbindung zunächst

vom 30. Juni 1870. 531

Paraldehyd erzeugt, der sich alsdann einfach schwefelt. Der Ver- such hat gezeigt, dafs sich der Paraldehyd in der That mit der gröfsten Leichtigkeit in den in Rede stehenden Schwefelkörper verwandelt.

Dürfen wir nun nach den Versuchen, die vorliegen, die bei- den Schwefelverbindungen

C,H,S; und C,H,S; und die ihnen gegenüberstehenden Sauerstoffverbindungen C,;H,0,;, und C,H,0;

als analoge Aldehydmodificationen in der Methyl- und Äthylreihe betrachten?

Was zunächst die Schwefelverbindungen anlangt, so stehen sie ihrer Bildungsweise sowohl als ihrer Dampfdichte nach einan- der so nahe, dafs man versucht ist, sie als Analoge aufzufassen. Hierzu kommt noch die Ähnlichkeit der Silberverbindungen. Die von Weidenbusch analysirte Silberverbindung

C;H,5S; , 2AgNO,

entspricht in der That ihrer Zusammensetzung nach genau dem Silbersalze des geschwefelten Methylaldehyds, welches bei einem Überschusse von Silbernitrat entsteht. Wahrscheinlich existirt auch die Verbindung mit 1 Mol. Silbernitrat, obwohl sie bis jetzt, der viel gröfseren Unbeständigkeit der Salze in dieser Reihe hal- ber, nicht erhalten worden ist.

Vergleicht man andrerseits den starren Methylaldehyd mit dem Paraldehyd der Äthylreihe, so stellen sich schon weit tieferge- hende Unterschiede heraus. Der auffallendste Unterschied ist im- mer, dafs sich der starre Methylaldehyd beim Vergasen alsbald in normalen Methylaldehyd verwandelt, welcher nach kurzer Frist wie- der in die starre Modification übergeht, während sich der Paralde- hyd der Äthylreihe unverändert vergasen läflst, so dals über seine Moleeulargröfse kein Zweifel obwalten kann. Allerdings läfst sich der Paraldehyd durch Destillation mit etwas Schwefelsäure sehr leicht wieder in den normalen Äthylaldehyd zurückführen.

Fast näher noch als der Äthylparaldehyd steht indesten dem starren Methylaldehyd der Äthylmetaldehyd, die von Liebi g beob- achtete starre, unschmelzbare Modification des Äthylaldehyds, wel-

532 Gesammtsitzung

che durch Sublimation in schönen Krystallen erhalten wird. Im gasförmigen Zustande ist dieser Körper, wie Hr. Geuther und neuerdings noch die HH. Kekul& und Zincke nachgewiesen haben, ebensowenig bekannt als der starre Methylaldehyd. Es war in der That dieses ähnliche Verhalten unter dem Einflusse der Wärme, welches mich veranlafste, den starren Aldehyd der Methyl- reihe mit dem Namen Methylmetaldehyd zu bezeichnen.

Übrigens weicht auch der Äthylmetaldehyd von dem Metal- dehyd der Methylreihe wieder in vieler Beziehung wesentlich ab. Der Methylkörper verwandelt sich beim Erhitzen vollständig in normalen Aldehyd, der beim Erkalten schr langsam aber seiner ganzen Masse nach wieder in den starren Aggregatzustand über- geht. Bei der Einwirkung der Wärme auf den Äthylmetaldehyd andrerseits bleibt stets eine kleine Menge unverwandelt und der gebildete normale Aldehyd erhält sich alsdann Tage lang unver- ändert, und wird wahrscheinlich erst wieder Metaldehyd, wenn er die Bedingungen findet, unter denen der Aldehyd überhaupt in Metaldehyd übergeht. Dies Verhalten läfst sich bequem bei der Dampfdichtebestimmung in der Barometerleere beobachten. Die Bestimmungen, welche theilweise von den HHrn. Krämer und Pinner (I. II), theilweise von Hrn. Hobrecker (TII.) ausgeführt wurden, ergaben folgende Zahlen:

Theorie: Versuche: C,H,0O Gasvolumgewicht I. II. II. auf Wasserstoff bezogen 22 25.8 27.4 24.4 auf Luft bezogen 1.52 1279 1.71 1:69.

Aus diesen Zahlen ersieht man, dafs der Metaldehyd nahezu, aber nicht vollständig in den normalen Aldehyd übergegangen war, obwohl die Versuche bei ziemlich hoher Temperatur, nämlich theil- weise im Anilin- (I u. III), theilweise im Xylidindampfe (II) aus- geführt wurden. Beim Erkalten des Apparates zeigte sich alsbald der obere Theil der Barometerröhre mit langen Nadeln des un- veränderten Metaldehyds durchsetzt, allein bei weitem die grölsere Menge desselben war und blieb in normalen Aldehyd umge- wandelt. |

vom 30. Juni 1870. 935

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt: Wahltuch, Psicografia con figure analoghe. Napoli 1870. 8 Mit Schreiben des Autors d. d. Florenz 21. Juni 1870.

Ed. de la Barre Dupareq, Essai sur le caractere d’Hannibal. Paris 1870. 8.

Funicola, La scienza dell’ insegnamento. Napoli 1869. 8.

Rendiconti dell’ accademia di Napoli. IX, 1—3. Napoli 1870. 8.

Grad, Observations sur la Constitution et le Mouvement des Glaciers. Lettre a M. Schimper etc. Strassburg 1870.

Berichtigung zu S$. 390.

Zu Gen. 27, 33. 34 ist statt der Worte: „wahrscheinlich mit Recht“, welche auf einem Versehen beruhen, zu lesen:

in der That bedarf v. 34. zu Anfang einer Ergänzung, an v. 83. ist aber nichts zu ändern. Als die nöthige Ergänzung . von v. 34 ist mm anzusehen; vgl. z.B. c. 39, 13. 15. 18. Deut. d, 20. u. dgl. m.

[1870]

37

Nachtrag.

23. Juni 1870. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. du Bois-Reymond las einen Nachtrag zu seiner Abhandlung über die aperiodische Bewegung gedämpf- ter Magnete. ')

$.I. Einleitung.

Bei der kürzlich von mir der Akademie mitgetheilten Theorie der aperiodischen Bewegung gedämpfter Magnete bin ich dem vom physikalischen Standpunkte sich darbietenden Wege gefolgt, das allgemeine vollständige Integral der Diiferentialgleichung für die Bewegung des Magnetes aufzustellen, und die darin vorkommenden willkürlichen Constanten der jedesmaligen Aufgabe gemäfs zu be- stimmen. Indem ich die Ablenkung zur Zeit Null, = 0 oder einer positiven oder negativen Gröfse £, ebenso die Geschwindig- keit zur Zeit Null, = 0 oder gleich einer positiven oder negativen Gröfse c setzte, habe ich die Bewegungsgleichungen für die ver- schiedenen Combinationen dieser Fälle nacheinander einzeln her- geleitet.

Unter diesen Combinationen erwies sich besonders lehrreich die, wo der Magnet bei E im Augenblicke des Fallenlassens eine Anfangsgeschwindigkeit c, also im Sinne der Richtkraft, erhält. Die Rechnung zeigte, dafs auch dann der Nullpunkt nicht über- schritten werde, so lange nicht c gröfser als (e + r) &E sei. Es entstand die Frage nach dem Sinne dieser Bedingung. Da es gleichgültig ist, ob der Magnet bei £ im Augenblicke des Fallen-

1) S. das Novemberheft vorigen Jahres, S.807—852. Die Bezeichnungen des Nachtrages sind dieselben wie die der Abhandlung. Die Ordnungszahlen der Formeln des Nachtrages sind arabische, zum Unterschiede von den römischen der Abhandlung.

3.0

538 Nachtrag.

lassens eine Anfangsgeschwindigkeit c im Sinne der Richtkraft erhält, oder ob er diese Geschwindigkeit als Fallgeschwindigkeit x’ —= c aus einer höheren Ablenkung mitbringt; da, unter der Voraussetzung unbegrenzter Gültigkeit der Differentialgleichung, der Magnet mit keiner durch Fallen aus noch so hoher Ablenkung erlangten Geschwindigkeit den Nullpunkt zu überschreiten vermag; endlich da für ein gegebenes x die Fallgeschwindigkeit mit der Fallhöhe wächst: so vermuthete ich, dafs (e + r)Z die grölste Fallgeschwindigkeit sei, die der Magnet überhaupt bei £ erlangen könne, d. h., bei unbegrenzter Gültigkeit der Differentialgleichung, durch Fall aus dem Unendlichen erlangen würde.

Um diese Vermuthung zu prüfen, stellte ich mit Hülfe der bekannten Relation @ —f (t, £) den Verlauf der Curve «= d (®, &) im Allgemeinen fest, und untersuchte, was im Endlichen aus dieser Curve werde, wenn man £= oo setze. Diese Untersuchung lehrte, dafs meine Vermuthung genau nur im Grenzfall == n oder r— 0 zutreffe; @ = ex ist wirklich im Endlichen die Gleichung der Curve, deren Ordinaten für jedes @ die Geschwindigkeit des aus dem Unendlichen fallenden Magnetes angeben. Für = > n aber ist diese Gleichung nicht «& = (e+ r) x, sondern x = (e—r)s; und die Geschwindigkeit bei £ mus diese höchste durch Fall aus dem Unendlichen erreichbare Geschwindigkeit um noch mehr als 2rE übertreffen, damit der Nullpunkt überschritten werde.

Die Differentialgleichung setzt die Proportionalität der Richt- kraft mit der Ablenkung, und der verzögernden Kraft der Dämpfung mit der Geschwindigkeit voraus; die Abweichungen der Beobach- tung von der Theorie können also nur so lange innerhalb der Grenze der Beobachtungsfehler bleiben, als die Ablenkung eine gewisse Gröfse nicht übersteigt. Vollends hat aus Gründen, die keiner Ausführung bedürfen, eine unendlich grolse Ablenkung des Magne- tes keinen physikalischen Sinn. Man sieht aber, dafs die mathe- matische Fietion einer solchen Ablenkung und der unbegrenzten Gültigkeit der Differentialgleichung dadurch eine wirkliche Bedeu- tung erhält, dafs man eine dem Magnet innerhalb der Grenzen, wo die Bedingungen der Differentialgleichung noch erfüllt sind, auf andere Art ertheilte Geschwindigkeit als durch Fall aus dem Unendlichen entstanden ansehen kann.

Als ich meinem Freunde, Hın. Kronecker, die Ergebnisse meiner Untersuchung mittheilte, machte er mich auf eine Behand-

Nachtrag. 539

lungsweise des Gegenstandes aufmerksam, auf welche vom physi- kalischen Standpunkte nicht leicht zu kommen war. Sie schlägt gerade den entgegengesetzten Weg von dem eben angedeuteten ein. Von vorn herein wird die Gültigkeit der Differentialgleichung für ein unendliches x, oder, was das Nämliche ist, für ein unendliches negatives i, vorausgesetzt. Indem man überdies bei gewissen ersten Integralen der Differentialgleichung stehen bleibt, hat man ohne Weiteres für jede Zeit zwischen t= oo undt=- die Beziehung zwischen Geschwindigkeit und Ablenkung vor Augen. Um aber von dieser ganz allgemeinen und der Wirklichkeit in der That entfremdeten Betrachtung zu den wirklichen Bedingungen zurückzukehren, ist nur nöthig, letztere als gegebene Beziehungen zwischen Ablenkung, Geschwindigkeit und Zeit in den allgemeinen Ausdruck einzuführen.

Wenngleich diese Art der Betrachtung die frühere nicht wohl entbehrlich macht, hat sie doch ihre eigenthümlichen Vortheile, und erst in ihrem Lichte lassen manche durch die frühere Betrachtung aufgedeckte Beziehungen ihren wahren Zusammenhang erkennen. Dies wird am besten erhellen, wenn wir mit ihrer Hülfe einige der Aufgaben behandeln, deren Lösung scheinbar schon auf dem früheren Wege vollständig erreicht war.

21. Die fundamentalen Eigenschaften unserer Differentialgleichung.

Indem wir übrigens sämmtliche Bezeichnungen der Abhandlung beibehalten, setzen wir kürzehalber et r=q, e—r=).

Unsere Differentialgleichung heifst alsdann (vergl. Abhandlung (TI), S. 809 und 822)

Ba obige... ch

Die neue Theorie geht aus von der fundamentalen Bemerkung, dafs man durch Differenziren der Ausdrücke

CHE u) ‚elae +a)s WW. lsilhus % ul)

das rechte Glied der Differentialgleichung beziehlich mit e“ und e’ multiplicirt erhält.

540 Nachtrag.

Die Ausdrücke (2) sind also constant; man kann setzen

be + a A act "= Be”

(3)

wo 4’, B' willkürliche Constanten sind, welche zu den Constanten A, B in dem Integral unserer Differentialgleichung, wie es Glei- chung (VI) der Abhandlung giebt, in der Beziehung stehen

A! = 9A BI B. Es folgt weiter, dafs man jederzeit setzen kann

et (be e)=et (X + 4 (4) eifkaa+xe)=e(aX+X)) ; Wird der Verlauf von x, «' als Functionen der Zeit, insofern er von den willkürlichen Constanten abhängt, als bereits bestimmt angenommen, so bedeuten X, X’, T beliebige zusammengehörige Werthe der Functionen x, x’ und der Zeit. Wird aber jener Ver- lauf als noch nicht bestimmt angesehen, so bedeuten X, X, T willkürliche Constanten, durch deren Einsetzung der Verlauf be- stimmt wird.

Durch vmalige Differentiation der Gleichungen (3) erhält man,

’n 5 wenn —, x”) gesetzt wird,

bat) + a = (— a)’ Ale“ ax’) ae „er+D Zu (— ana) (5) und folglich

(— 1). ar != —a’det+b’Bet,, ... (6)

ee b’B'

en N En 2rt om, „urn gar N (7)

oder, wenn man zu den Logarithmen übergehend - log (5) —R

4' (v) (+1) 108 ( en) = 198. 2

setzt,

Ir B' bee) + 2e+D Hieraus sind folgende Schlüsse zu ziehen:

I. Wenn die Gröfsen x und «’ für irgend einen endlichen Werth von t endliche Werthe haben, so sind A’ und B’ endlich. Ist einer der beiden Ausdrücke

ae

Nachtrag. 541.

für irgend einen endlichen Werth von t gleich Null, und ist es also auch 2’ oder 4’ (3), so bleibt der Ausdruck Null für alle endlichen Werthe von ti, und es wird demgemäls die Ablenkung x durch eine der beiden Gleichungen

- dargestellt.

Il. Wenn, wie es in der Folge stets geschehen soll, von den erwähnten besonderen Fällen abgesehen wird, so bleiben die Vor- zeichen der Ausdrücke

a de I BEN a nn 5 a0)

wie die Gleichungen (5) zeigen, für alle Zeit constant. Wählt man nun, was offenbar erlaubt ist, das Vorzeichen von x so, dafs ax + x und also B’ positiv ist, so ist 5x + «’ für den ganzen Verlauf der Zeit und also A’ entweder positiv oder negativ. Dem- nach sind zwei wesentlich verschiedene Hauptfälle zu unter- scheiden, von denen derjenige stets als der erste bezeichnet werden soll, in welchem 4’ positiv ist, also die Ausdrücke (9) einerlei Zeichens sind, und als der zweite der, in welchem A’ negativ ist, also jene Ausdrücke verschiedenen Zeichens sind.

III. Der Ausdruck (— 1)’ (ax'”’ + z'’*!)) nimmt, während i von oo bis + oo geht, alle positiven Werthe von © bis O wirklich an; ebenso durchläuft (— 1)’ (dx? + xzU”*+") je nach den beiden soeben unterschiedenen Fällen alle Werthe von + bis 0 oder von oe bis 0. Der Quotient

ax’) „r+D ba) + „e+D

durchläuft, wie Gleichung (7) zeigt, je nach den beiden Fällen sämmtliche positive oder sämmtliche negative Werthe von O bis oo; aber der Quotient

welcher für 2= oo den Werth a und für t=-+ oo den Werth 5 hat, durchläuft im zweiten Hauptfalle sämmtliche zwischen a und 5b liegenden Werthe, im ersten Hauptfalle alle übrigen

542 Nachtrag.

positiven und negativen Werthe. Nur. in diesem ersten Hauptfalle werden daher zu gewissen Zeiten « und seine Differentialquotienten gleich Null. Für diese Zeiten und die zugehörigen Werthe der Ablenkung x und ihrer Differentialquotienten führen wir übrigens nachstehende Bezeichnungen ein: der Zeit

7, entspreche 7 U er 2

73 n =0, 2 =E

5: t, a a U U i,, b,) 6 = 0, XL = %,y x = Al, uU.8. W.

IV. Gleichung (6) liefert folgende Bestimmungen für die Ab- lenkung (x) und deren Differentialquotienten:

wenn t= », so ist (—1)’ x2'’!)—= = oo von der Ordnung e”*'; wenn {= + oo, so ist z2)=0 von der Ordnung e®, Für {= oo ist also «'”) unendlich grofs von derselben Ordnung

wie b2(’) + „’+V), aber von höherer Ordnung als aa" + a"), Für t= + 0 ist x” unendlich klein von derselben Ordnung wie az”! + z+V, aber von niederer Ordnung als dba? + x"),

V. Die Zeitpunkte, in denen der Reihe nach die Quotienten "

9 m? (OO ar [Hu

T

4 einen und denselben bestimmten Werth annehmen, bilden, wie aus Gleichung (8) hervorgeht, eine arithmetische Reihe mit dem be- ständigen Unterschiede A. Dies findet also namentlich für die- jenigen Zeitpunkte to, 7, &,, ft, ... statt, in denen im ersten Hauptfalle folgweise , «', @", x”... gleich Null werden (s. oben IIl.),

so wie für diejenigen Zeitpunkte, in denen im zweiten Hauptfalle (v+1)

ze wird. Dies beiden Reihen von Zeitpunkten sind

10

zwar je nach .den beiden verschiedenen Fällen ganz verschieden charakterisirt, entsprechen einander aber insofern, als dabei stets

ar) 2 xe+D mm wird. VI Wenn A e bEean, Bio ne

gesetzt wird, so nehmen die Gleichungen (3) und (6) die Form an

Nachtrag. 543

ara = agetu aı) ba + a— been (v) ao, a, (v1) zalr—ı) a’=(—1) al e EA e 2)

und es bedeutet r die Zeit, zu welcher

ax u a

ı „-H#ı be + x

ist, während aus der zur Zeit r stattfindenden Ablenkung x die positive Gröfse & durch die Gleichung

a) Ss

0 azb

bestimmt ist. Hiernach ist im ersten Hauptfalle » die Zeit und E

die Ablenkung, bei der die Umkehr des Magnetes nach Überschreiten des Nullpunktes erfolgt, bei der also « —= 0 und

e" - n’ce—=o0

2 ö ; x ab ist, während im zweiten Hauptfalle + die Zeit und Zu 7 = a & > EN » : : 5 2ab die Ablenkung ist, bei der ! —= er 2,5 und a —n’a=0

wird.

VI. Da nach den Gleichungen (11) für irgend welche bestimmte zusammengehörige Werthe 7, X, X’ die Relationen

X IR are DR Xi b Eeatr=0

statthaben, so erhält man aus gegebenen Werthen TR Re sdie Werthe von r und E in folgender Weise:

ll abX—+aX' ! a on (4 m) Go

a b = (X+22)%.|e(X+4 0) ®. 34 (143

VII. Die Beziehung zwischen Ablenkung und Geschwindigkeit, d.h. zwischen x und «', ergiebt sich unmittelbar aus den Glei- chungen (11) in folgender Weise:

544 Nachtrag.

ax + ba + a a . log (3) Po b 6 log Fr). . (15a)

wo unter dem Logarithmus-Zeichen nur positive Gröfsen stehen, oder also | ax + a \* be-+«a'\? (5) =, ab. 5 mmabed May az Ss bE

3 II. Erster Hauptfall: aa + und db» + « sind einerlei Zeichens.

Aus (12) ergeben sich in diesem Falle die Gleichungen s Er ee ea re en)

Eab x = SER eu) welche den Gleichungen (VII) und (XII) der Abhandlung entspre- chen. Hier werden gemäfs der fünften obigen Schlufsfolgerung zu den Zeiten

N = —r A, tb: = ge 08, >15. We

m =—0, 2 —=0,;,.%. 0, Be), u.8.w.

und zwar müssen, wenn x oder ein Differentialquotient von Null werden soll, die Ausdrücke ax + a, bx + « einerlei Zeichens sein. Dies ist nur möglich, wenn entweder « und x’ selber einerlei Zeichens sind, oder wenn, bei verschiedenem Zeichen von x und «, x' entweder gröfser als ax und also auch als bxz, oder kleiner als dx und also auch als ax ist.

Für {= oo ist gemäls der vierten Folgerung & = %, Mo —_ _.a. Was für endliche Werthe von t geschieht, zeigt Fig. 1 (s. die Taf.). Man erkennt die Curven an den ihnen beigefügten Ordnungszahlen ihrer Gleichungen; Curve (16) ist die der Ablenkungen, Curve (17) die der Geschwindigkeiten. Beide Curven sind anfänglich convex gegen die Abseissenaxe der Zeiten, denn x" ist negativ und «” positiv. Dann folgen einander in dem nur von den Constanten der Vorrichtung, nicht von & ab- hängigen Abstande A die vier Zeitpunkte fo, 7, in br Bei to

Nachtrag. 945

schneidet die Curve der Ablenkungen die Axe der Zeiten und wird gegen sie concav, da ihre Ordinate das Zeichen wechselt, x" das seinige behält. Dies dauert bis zum Zeitpunkte r. Hier erreicht die Curve der Ablenkungen das Maximum &, denn für t= + ist 2=E& und #=0. Die Curve der Geschwindigkeiten schneidet also jetzt gleichfalls die Abseissenaxe der Zeiten und wird gegen sie concav, weil x” sein Zeichen behält; bei t, erreicht ihre Or-

dinate das negative Maximum

sed „Tas

und es findet ein Wendepunkt der Curve der Ablenkungen statt. Endlich für 1,, hat die Curve der Geschwindigkeiten einen Wende- punkt.

In der Figur sind aus Gründen, die später einleuchten wer- den (s. unten VD, E=1,a=1,b=1 gesetzt. A wird dann

1,38629; 0, = 3 I, = 16; ed dh + 2, = 1a Für = -+ oo werden gemäfs der vierten Folgerung x und «'—= 0, © = ba, & läuft auf der positiven, x' auf der negativen Seite der

Abseissenaxe asymptotisch aus.

Man kann dergestalt für unsere Betrachtung die ganze Zeit von {= oo bis t=-+ oo in drei Abschnitte theilen, wie fol- gendes Schema zeigt (vergl. auch zwischen Fig. 1. und 2).

“I. el. III. t= = Zoonbisito, tarbıs z rbis + + oo = —o negativ positiv positiv 0 «=+0 positiv positiv negativ —W a ; —-—- 6 abs +0 —mbiso obisb b &

Welche Werthe zu irgend einer Zeit T die Ablenkung X und die Geschwindigkeit X’ haben mögen, vorausgesetzt nur, dals sie dem ersten Hauptfall entsprechen, stets giebt es, wie oben unter VII. ausgeführt ist, einen Zeitpunkt r, vor oder nach 7, in welchem © —=0ist, und es lälst sich diese Zeit r und die zugehörige Ab- lenkung & aus den gegebenen Werthen T, X, X’ berechnen. = vorhergegangen ist stets im Zeitabstande A die Zeit t,, wo 2—0 war. Der ganze Vorgang bleibt also, da einzig und allein die Werthe von r und Z variiren können, an sich und im Wesentlichen stets derselbe und namentlich bleibt das Verhalten in positiv und

546 Nachtrag.

negativ unendlicher Zeit unverändert, wie man auch die Beding- ungen wählen möge, vorausgesetzt nur, dals die für den ersten Hauptfall bezeichnenden Eigenschaften gewahrt bleiben. ' Nimmt man £ negativ, so ändern die Ausdrücke (9) und in allen drei Zeitabschnitten x und «' ihr Zeichen. Alle Vorgänge bleiben also dieselben, nur dafs die beiden Seiten der Abscissen-

axe, oder die beiden Hälften der Scale, mit einander vertauscht sind.

$. IV. Physikalische Anwendung der gewonnenen Er- gebnisse, und Vergleichung dieser Ergebnisse mit denen der Abhandlung

Wir können die verschiedenen Fälle der Bewegung des Magne- tes von einer Ablenkung oder vom Nullpunkt aus, mit oder ohne Anfangsgeschwindigkeit aus folgender Fiction herleiten. Vor unendlicher Zeit durchfiel der Magnet Räume unendlicher Ab- lenkung mit solcher unendlichen Geschwindigkeit, dafs diese zur Ablenkung in dem von den Constanten der Vorrichtung abhängigen Verhältnifs a stand. Zur Zeit t=0, wo wir den Vorgang zu betrachten anfangen, ist der Magnet in endliche Ablenkung gelangt und es sind, je nach den Bedingungen der Aufgabe, gewisse Zeit- punkte schon vorüber. Ist der Magnet bereits abgelenkt, so kann der Fall aus dem Unendlichen geschehen sein entweder von der Seite her, auf der er sich befindet, oder von der entgegengesetzten Seite her.

I. Jedesmal, dafs der Magnet zur Zeit {= 0 ohne Anfangs- geschwindigkeit aus einer endlichen, positiven oder negativen Ab- £ fällt, können wir uns denken, er sei von der entgegen-

)

lenkung gesetzten Seite her aus dem Unendlichen gefallen, habe den Nullpunkt überschritten, und kehre bei £ in seiner Bewegung um, daher x' hier = 0 ist. Der Vorgang beginnt also in der Idee an der Grenze des zweiten und dritten der oben unterschiedenen Zeit- abschnitte. Man braucht in der That nur in (16) r=0 zu Setzen, um Gleichung (VII) der Abhandlung zu erhalten, welche diese Bewegung des Magnetes darstellt; und unsere gegenwärtige Fig. 1 fällt von r ab nach wachsender Zeit hin im Wesentlichen mit Fig. 1 der Abhandlung zusammen. !) Selbst der Fall aus dem Unend-

1) In letzterer ist r = 0, in der gegenwärtigen Figur = 1 gemacht (s. vorige Seite).

Nachtrag. 947

lichen ohne Anfangsgeschwindigkeit, mit dem sich 8. VI der Ab- handlung beschäftigt, läfst sich unter denselben Gesichtspunkt bringen, indem man E= © setzt. Alle endlichen mit &E multi- plicirten Ordinaten, wie z,, 2, #0, &,, &, werden gleichfalls unendlich; für t= oo aber werden x und x’ unendliche Grölsen höherer Ordnung. Man hat sich also vorzustellen, der Magnet sei aus unendlicher Ferne höherer Ordnung gefallen, habe den Null- punkt mit unendlicher Geschwindigkeit überschritten und jenseits ausschlagend ein unendliches £ erreicht, bei welchem er zur neuen Anfangszeit = 0 eben umkehre.

II. Jedesmal, dafs der Magnet auf dem Nullpunkt einen Stofs erhält, der ihm eine Anfangsgeschwindigkeit + c ertheilt, können wir uns denken, er sei in der Richtung des Stofses aus dem Un- endlichen gefallen, und überschreite zur Zeit ,—= 0 den Nullpunkt mit einer, jener Anfangsgeschwindigkeit + c gleichen Fallgeschwin- digkeit &. Der Vorgang beginnt in der Idee an der Grenze des ersten und zweiten Zeitabschnittes. Man erhält Gleichung (XXXI) der Abhandlung, welche diese Bewegung des Magnetes darstellt, indem man in den Gleichungen (4) T=0, X = 0 und X'’—e setzt.

II. Jedesmal dafs der Magnet im Augenblicke, wo er in einer gegebenen Ablenkung sich selbst überlassen wird, einen Stofls im einen oder anderen Sinne erhält, können wir ebenso für die Anfangsgeschwindigkeit Fallgeschwindigkeit, durch Fall aus dem Unendlichen erlangt, substituiren. Dabei sind drei Fälle zu un- terscheiden.

l. Die Geschwindigkeit hat den Sinn der kRichtkraft und ist gröfser als ax. Es ist als sei der Magnet von der Seite her, nach welcher er abgelenkt ist, aus dem Unendlichen gefallen, und über- schreite eben die gegebene Ablenkung mit der gegebenen Geschwin- digkeit c. Daher von r', t, t, nach wachsender Zeit hin unsere gegenwärtige Fig. 1 im Wesentlichen mit Fig. 2 der Abhandlung zusammenfällt, welche die Bewegung des Magnetes mit einer ne- gativen Anfangsgeschwindigkeit > (— aa) vorstellt; nur dafs in beiden Figuren die beiden Seiten der Abscissenaxe, also die beiden Scalenhälften, mit einander vertauscht sind, und aufserdem in der Figur der Abhandlung abermals r = 0, in der jetzigen = ; ge- setzt ist. Gleichung (XXID der Abhandlung entsteht aus den Gleichungen (4), indem man in letzteren T=o0, X'— ,X= dem & der Abhandlung setzt, welches zum Unterschiede vom

948 Nachtrag.

jetzigen £') fortan &, heifsen soll. Um X und X’ verschiedenen Zeichens, und dabei X’ gröfser als «X zu finden, müssen wir den Anfang des Vorganges in den ersten Zeitabschnitt verlegen.

2. Die Geschwindigkeit hat den entgegengesetzten Sinn der Richtkraft. Es ist als sei der Magnet auf der entgegengesetzten Seite von der, nach welcher er abgelenkt ist, aus dem Unendlichen gefallen, habe den Nullpunkt überschritten, und überschreite eben die gegebene Ablenkung £, mit der gegebenen Geschwindigkeit + c, mit welcher er dem Maximum seines Ausschlages zustrebt; s. bei !',; t, tz in Fig. 1. Analytisch entsteht dieser Fall, indem man in den Gleichungen (4) T=0, X=E£&,, X'= -+.c setzt. Da nur zwischen t=t, und t=7r, x und « einerlei Zeichens sind, fällt der Beginn des Vorganges in den zweiten Zeitabschnitt; und da zu Anfang dieses Abschnittes = 0, «' endlich ist, zu Ende das Umgekehrte stattfindet, ist diesmal der Geschwindigkeit kein Grenzverhältnifs zur Ablenkung vorgeschrieben.

3. Die Geschwindigkeit hat den Sinn der Richtkraft und ist kleiner als bx. Diese Combination kommt nur im dritten Zeit- abschnitt vor. Es ist abermals als sei der Magnet auf der ent- gegengesetzten Seite aus dem Unendlichen gefallen, als habe er aber nicht allein den Nullpunkt, sondern auch das Maximum seines Ausschlages bereits überschritten; s. bei tz tz Y'’; in Fig.1. Ana- Iytisch entsteht dieser Fall, indem man in den Gleichungen (4) wie m, alles ii nl 72 vo, er ren £, setzt; man erhält Gleichung (XXII) der Abhandlung, aber, weil c kleiner ist als bx, mit umgekehrtem Zeichen der rechten Seite, daher auch diesmal unsere Figur zur Gleichung erst nach Vertauschung der beiden Sealenhälften palst. |

IV. Die in 8.IX der Abhandlung behandelten Fälle, in denen der in Bewegung begriffene Magnet zu gegebener Zeit einen Stofs

1) Dafs das jetzige und frühere & einander nicht stets, wie in Fall I, ent- sprechen, rührt daher, dafs mit dem jetzigen & jedesmal der Ausschlag nach Überschreiten des Nullpunktes bezeichnet wird, während in der Abhandlung & gerade deshalb keine solche gleichmäfsige Bedeutung erhielt, weil es stets die der Anfangszeit t = 0 entsprechende Ablenkung bezeichnete, wenn nicht diese Null war, wie in dem soeben unter II erwähnten Falle des $. VII der Abhandlung. Daher das 8 der Abhandlung und das jetzige nur bei dem Fallenlassen des Magnetes ohne Anfangsgeschwindigkeit übereinstimmen,

Nachtrag. 549

im einen oder anderen Sinn erhält, lassen sich gleich den vorigen betrachten, indem man die beiden Geschwindigkeiten, die vorhan- dene und die hinzutretende, als durch Fall aus dem Unendlichen unter geeigneten Bedingungen entstanden ansieht und algebraisch Summirt.

Die neue Behandlungsweise bietet, wie man sieht, den Vor- theil, dafs sie sämmtliche in der Abhandlung einzeln abgeleitete Fälle auf Einen allgemeinen Fall zurückführt. Die Rolle der merkwürdigen arithmetischen Reihe der Zeiten, von der sich in je- nen Fällen eine gröfsere oder geringere Zahl von Gliedern zeigte, ist nun klar. Man versteht auch die Bedeutung der negativen Zeiten, welche dort im Dunkel blieb. Im Fall eines den bei Eu Sich über- lassenen Magnet im Sinne der Richtkraft treffenden Stofses fanden wir für die Zeit des Durchganges durch den Nullpunkt den Ausdruck

1 c—bE,\. ee)

(S. S. 817 der Abh.). t, ist positiv nur für ce > aE,; im Falle e<a&, ist t, reell nur wenn ce auch < bE,, und dann negativ. Dies heilst, wie wir jetzt sehen, soviel als dafs unter der Voraus- setzung des Falles aus dem Unendlichen, die Zeit des Durchganges durch den Nullpunkt schon seit jener Zeit vorüber war.

Die beiden Hauptergebnisse, welche im $. VI der Abhandlung hergeleitet worden sind, nämlich sowohl. die Bedingung für die

_ zum Überschreiten des Nullpunktes nöthige Anfangsgeschwindig-

keit, als auch die Grenze der durch Fallen aus beliebig hoher Anfangslage ohne Anfangsgeschwindigkeit zu erreichenden Ge- schwindigkeit, lassen sich unmittelbar ‘aus dem obigen Schema, S. 545, erkennen. Denn wenn zur Zeit t bei der Ablenkung x der Nullpunkt noch zu überschreiten sein soll, so mufs t im ersten

RUN: « | Zeitabschnitt liegen, also dem Schema gemäls —- > a sein, 2

und dies ist daher die Bedingung für die zum Überschreiten des Nullpunktes nöthige Anfangsgeschwindigkeit. Ferner ist die Ge- schwindigkeit eines aus beliebig hoher Anfangslage ohne Anfangs- geschwindigkeit fallenden Magnetes, der sich also in der ganzen Zeit des Fallens im dritten Zeitabschnitt befindet, nach dem Schema

' bei jeder Ablenkung x eine solche, dafs m < b ist; der Grenz-

werth der Geschwindigkeit x' ist daher ba.

550 Nachtrag.

Während der ganzen Bewegung des Magnetes, insofern dabei der Nullpunkt wirklich oder in der Idee überschritten wird, liegt die Geschwindigkeit x’ aufserhalb des von den Werthen 5x und ax eingeschlossenen Intervalls. Es fragt sich nun, was die Folge sei, wenn dem Magnete bei « eine Geschwindigkeit gröfser als bw, aber kleiner als ax, zugeschrieben, oder was geschehe, wenn ihm im Augenblicke des Fallenlassens von x eine solche Anfangsge- schwindigkeit im Sinne der Richtkraft wirklich ertheilt werde. Diese Frage ist in der Abhandlung nicht zur Sprache gekommen. Aus den oben voraufgeschickten allgemeinen Sätzen hat man schon erfahren, dafs die Discussion unseres zweiten Hauptfalles uns dar- über Aufschlufs zu geben bestimmt ist.

$&.V. Zweiter Hauptfall: ax+ x und dbx+ x sind ver- schiedenen Zeichens.

Liegt x’ seiner Gröfse nach zwischen as und bx, und sind x und «' verschiedenen Zeichens, so sind auch die Ausdrücke (9) verschiedenen Zeichens. Da diese Ausdrücke für jede Zeit ihr Zeichen behalten, sie aber für 2=0 oder « =0 einerlei Zeichen, beziehlich das von x’ oder x erhalten würden, so können unter der Voraussetzung: x’ gröfser als dx, und kleiner als ax, zu keiner endlichen Zeit x und © = 0 werden. Erst für {= + oo tritt dies ein. Dies ist der zweite hier stattfindende Hauptfall, der sich vom ersten also dadurch unterscheidet, dafs dabei der Nullpunkt zu keiner Zeit überschritten wird, sondern Ablenkung und Ge-

schwindigkeit vn {= oo bis t= + oo stetig abnehmen. Nimmt man x positiv, so ergeben sich in diesem Falle aus (12), aa b r 5 wenn man darin & = ee; &,—= &, setzt, die den Gleichungen

(16) und (17) des ersten Falles analogen Bestimmungen

£ u (a be ab, 122 sth 108) abE, 2E

r

a (ea Tree ee De. 00. a)

wo r den Zeitpunkt und &, denjenigen Werth der Ablenkung x bedeuten, für welche

x" = abx und folglich (a +b) « + 2abx=0

Nachtrag. Sl

ist, für welchen also das arithmetische und 7 das geometri- T

sche Mittel jener bezüglichen Grenzwerthe erreicht, zwischen denen

die Werthe der beiden Quotienten von t= oo bs t= +

varliren. Die Zeitpunkte, in denen folgweise die Quotienten

"

2 & x’ PL zit i s 1 1 S N den bezeichneten Mittelwerth 4 (+ ze +) erreichen, bilden

gemäls der fünften Folgerung eine arithmetische Reihe, deren An- fangsglied r und deren beständiger Unterschied A ist.

Die Reduction aller möglichen Vorgänge auf einen einzigen Typus geschah oben in $. II (sechste Folgerung) dadurch, dafs man bei jedem Vorgange einen gewissen Zeitpunkt r festsetzte, in

welchem das Verhältnifs an einen bestimmten Werth annimmt.

Dieser Zeitpunkt r hat aber, wie man sieht, im zweiten Haupt- falle keine so ausgesprochene Bedeutung wie im ersten, wo er der Umkehr des Magnetes entsprach. Es ist deshalb nicht ohne Interesse im vorliegenden zweiten Hauptfalle von jener Reduction abzusehen und die Betrachtung unmittelbar an die Gleichungen (4) anzuknüpfen. Es sei X positiv, X’ negativ. Kürzehalber setzen wir aıX+-Xx = +N, IX+-X = —%

Da nach unseren Voraussetzungen X’ zwischen BX und aX schwankt, und +-®=2rX ist, so schwanken dementsprechend A und B zwischen 2rX und 0, indem sie sich stets zu 2rX ergänzen.

Nach Analogie der Gleichungen (16) und (17) für den ersten Hauptfall erhalten wir hier aus (4)

ER 2 D 2 let 2 ie

Y=— (Abe al a N ER Er) Während £ von {= oo zu t= - oo sich verändert, gehen x - [1870] 38

552 Nachtrag.

und «', convex gegen die Abseissenaxe der Zeiten, beziehlich von

+ oo und © bis 0. Wie im ersten Hauptfalle ist für = x’ en ee ee (21) fürrt= + ned ee ie

Setzt man in Gleichung (19) A = 0, so erhält man Be T-D N 0.0 2 Setzt man umgekehrt darin B = 0, so erhält man | ee a ke Für {= T aber wird in (19), (23), (24) = X. Gleichung (19) stellt also eine Schaar von Curven vor, welche durch den Werth von X und B unterschieden und zwischen den Grenzcurven (23) und (24) eingeschlossen, sich mit ihnen im Gipfel der Ordi- nate X schneiden.

Setzt man in Gleichung (20) A oder B = 0, so erhält man beziehlich

Da ee) a NEUN N a 2i)) Für t= T werden (20), (25), (26) beziehlich in =—-aR, ir eXl=—oX +-N= IX —d, (27) 7 = DR: J setzt man aber = T-+A, so werden dieselben Ausdrücke ar = (+) ax, aras Bao 1 Aa 2r a 23T 08 Aa ar EAN anal (+) bX.

Die drei Ausdrücke (28) sind identisch und die Grenzeurven (25), (26), sowie die zwischen ihnen eingeschlossenen Curven (20), schneiden sich also im Gipfel der Ordinate, die im Abstande A auf X folgt.

Nachtrag. . 999

Während im allgemeinen Falle für = », ne, x t= +, «= be ist, hat man für Y = 0 a N a jun B 0 De Do ea u la

für jede Zeit.

Setzt man B=2rX +6, Y= ö, wo 8 eine beliebig kleine, aber endliche positive Grölse, so wird alsbald die Axe der Zeiten wieder geschnitten, wenngleich erst zur späten Zeit

l IX 08 = T+ ,.1og( 2 —)

man hat wieder den ersten Hauptfall, und befindet sich in dessen erstem Zeitabschnitt. Setzt man umgekehrt = 2rX+8,B—=—$, so ist diesmal die Axe der Zeiten geschnitten worden zur längst verflossenen Zeit

1 De 0 = T— 105 ( =):

man befindet sich im dritten Zeitabschnitt des ersten Hauptfalles.

Wir wollen nun, um die Vorgänge in beiden Hauptfällen ihrer Gröfse nach vergleichbar zu machen, T=r und X an setzen. Dabei ist zu bemerken, dafs, da jetzt nicht wie im ersten Hauptfalle, zu » und & ein für allemal eine bestimmte Geschwin- digkeit («= 0, s. oben S. 542) gehört, der Verlauf der Curven zwischen den Grenzcurven ein unbestimmter bleibt, so lange nicht die Geschwindigkeit &’ gegeben ist. Es entspricht also jedem & jetzt vielmehr von Ablenkungs- und Geschwindigkeitscurven eine ganze Schaar, deren Steilheit mit & wächst, weil A unabhängig von E ist.

In Fig. 2 sind die beiden Curven oberhalb der Abseissen- axe die Grenzcurven der Ablenkungscurven, die unterhalb die Grenzceurven der Geschwindigkeitscurven des zweiten Hauptfal-

les; jede Curve trägt die Ordnungszahl der durch sie vorgestellten

Gleichung. Die Annahmen, unter denen die Curven construirt

wurden, sind dieselben wie in Fg.l:Z=1,a=1,d=4.

Der Mafsstab ist derselbe, und gleiche Zeitpunkte stehen in beiden

‘Figuren senkrecht untereinander. Schreitet man auf der Abseis- 38%

554 . Nachtrag.

senaxe von r aus in beiden Richtungen um Abstände = A fort, so bilden die zugehörigen Ordinaten jeder der vier Grenzcurven eine Reihe, deren allgemeines Glied für

(23), .. eb), 0: 22%, x Di mr ed

ist, wo für v in der Richtung von —t nach +1 die Reihe der positiven und negativen ganzen Zahlen zu setzen ist. Die Curven (23) und (25) liegen völlig symmetrisch zur Abscissenaxe, und so dafs bei r, v—=0 ist; die Curven (24) und (26) dagegen sind zwar auch symmetrisch, aber gegeneinander in der Richtung der Abseissen um A verschoben, so dafs für (24) v bei 7, für (26) bereits bei i,,°= 8, ist.

Denkt man sich die Curven |beider Hauptfälle, wie Fig. 1 und 2 sie darstellen, auf dieselbe Abscissenaxe aufgetragen, so schneiden sich die Ablenkungscurven des zweiten Hauptfalles im Gipfel der Maximal-Ordinate & der Ablenkungscurve des ersten Hauptfalles. Ebenso schneiden sich die Geschwindigkeitscurven des zweiten Hauptfalles im Gipfel der Maximal-Ordinate der Ge- schwindigkeitscurve des ersten Hauptfalles: denn die miteinander identischen Gleichungen (28) sind es auch mit (15). Von den Maximis ab nach den positiven Zeiten hin verlaufen die Curven des zweiten Hauptfalles näher der Abseissenaxe als die des ersten.

Denkt man sich den zweiten Hauptfall auf die andere Scalen- seite verlegt, so entstehen in der Richtung von nach den nega- tiven Zeiten hin Schneidepunkte seiner Curven mit denen des ersten Hauptfalles. Unter den unseren Figuren zu Grunde liegen- den Annahmen rücken jedoch für die beiden steileren Grenzcurven des zweiten Hauptfalles diese Schneidepunkte in die negative Un- endlichkeit.

Im Fall einer dem bei + x losgelassenen Magnet ertheil- ten, bx, aber nicht ax übertrefienden Anfangsgeschwindigkeit c, ist es also, als sei der Magnet von der positiven Seite her aus dem Unendlichen gefallen mit einer Geschwindigkeit, grölser zwar als die gröfste Geschwindigkeit bx, die der Magnet bei + x durch Fall von einem unendlichen positiven &, d. h. aus negativer Unendlichkeit höherer Ordnung, erlangt hätte (s. oben S. 547), aber nicht grofs genug, um den Magnet über den Nullpunkt zu treiben, wozu die Geschwindigkeit im Endlichen ax übertreffen muls.

Nachtrag. 953

$. VI. Behandlung des Grenzfallese =n.

Der Grenzfall z = n kann für sich behandelt werden, oder auch indem man in den obigen Formeln a = b setzt.

Man hat zunächst anstatt der beiden Gleichungen (4) hier nur die eine Gleichung

(e+F)et—=cont=(X+X')e?!.. . (8) Diese Gleichung integrirt giebt zet—=t(eX + X)e!+G,

wo C eine willkürliche Constante ist, die dadurch bestimmt wird, dafs für =T, 2 —=X sein solle. So erhält man

z=eTNIX—(T—t)(eX HN)... (892) und durch Division mit (31) in (32)

Emm or

ex + «X eX + X Gleichung (12) ergiebt für a=b:

a9 (—2)’.e "MP —v+et—er)$,

T= const.

und daher fürv=0 und v=1 a E69 -er—Hl,.. .....°@8) N

Diese Gleichungen entsprechen den Gleichungen (XIV) und (XV) der Abhandlung. Da für a = b der beständige Zeitunterschied

1 . 5 = A= wird, so ist für

1 1 2 b=T—- 25 Het mywoner, URAN“

2.0, 2 0.00.20 .05 Di 30, u.8.w. Wird & positiv genommen, so sind frt= —eo:2 = —o,

x = + oo, und zwar, der geringeren Dämpfung halber, beide von

>. 2. höherer Ordnung, als für ein endliches r; FE ist = —. Im

Endlichen sind die Curven (33), (34) zunächst convex gegen die Abscissenaxe der Zeiten. Ws folgen einander in dem wiederum nur von den Constanten der Vorrichtung, nicht von & abhängigen

996 Nachtrag.

1 . . . .. » Abstande die vier Zeitpunkte £,, 7, t, th. Für t= + oo schlie-

(sen sich beide Curven asymptotisch der Axe der Zeiten an, und a ist = Een.

Die in der Abhandlung aufgestellten Gleichungen für die ver- schiedenen Fälle mit und'ohne Anfangsgeschwindigkeit findet man ähnlich wie dies im $. IV für ein endliches r gezeigt wurde, indem man in (32) für 7, X, X’ die Werthe 0, 0, 205.5, Er OnUEE > einführt und t,4 7; bi, == 0 Setzt.

Soll zur Zeit t der Nullpunkt noch zu überschreiten, d.h. soll

HH ec + x

u -t=—

positiv sein, so müssen z und «' verschiedenen Zeichens, und der absolute Werth von x’ muls gröfser als der von ex sein. Diese Bedingung ist nur für die Zeit £ erfüllt, welche dem Zeitpunkt t, vorangegangen ist, da im folgenden Zeitabschnitt A, bis zu 7 hin, x und x’ einerlei Zeichens sind, von r ab aber, wo & und «' wie- der verschiedenen Zeichens sind, der absolute Werth von x’ kleiner als der von ex ist, und diesen erst für 2= + ©o erreicht. Das also ist der wahre Sinn der in der Abhandlung gefundenen Be- dingung a’ > (— :x) für das Überschreiten des Nullpunktes im Falle r—= 0 (vergl. oben 8.533).

Der zweite Hauptfall findet hier nicht mehr statt, sondern der Nullpunkt wird überschritten, sobald die Geschwindigkeit die Fall- geschwindigkeit aus der negativen Unendlichkeit höherer Ordnung übertrifft, d.h. «' gröfser ist als a.

$. VIL Die Curven der Geschwindigkeiten bezogen auf die Ablenkungen im allgemeinen Falle >n.

Das Ganze dieser Beziehungen wird klarer, wenn wir von x und «' als Functionen der Zeit übergehen zur Betrachtung von « als Function von &, & = $(«x) (vergl. Abh. 8.821 und oben 9. 538).

In Fig. 3 stellt die Gerade [— x, 0, + x] die beiderseits vom Nullpunkt in’s Unendliche sich. erstreckende Scale vor, auf welche als Abscissenaxe die Geschwindigkeiten x’ als Ordinaten aufgetragen sind. Die beiden Geraden AA’, BB’ stellen die beiden Gleichungen (29) und (30):

ad=—orn, „=—bi

Nachtrag. 997

vor. Die Curve tyr tt, 0 ist alsdann für ein positives & die Curve des ersten Hauptfailes, welche auf der negativen Seite aus dem Unendlichen kommend im Punkte = + £& zur Zeit r die Scale schneidet, und bei 0 von der positiven Seite her physikalisch endet. Die Punkte t,, 7, &, t, bezeichnen die oft erwähnten, eine arithmetische Reihe bildenden Zeitabschnitte A. Kommt der Magnet von der anderen Seite, so hat die Curve die Lage 70. Die Curven des zweiten Hauptfalles liegen wie 08, 05’ nothwen- dig zwischen den Geraden AA’, BB’, die selber den Grenzcurven (25), (26) entsprechen; aus dem Unendlichen kommend enden auch die Curven 0£, 0%’ und die Geraden 0A, 04’, 0B, 0B' physikalisch am Nullpunkt, und die im rechten unteren Quadran- ten verlaufenden, 04’, 0€', 0B', entsprechen ihrer Lage nach den in unserer Fig. 2 dargestellten Curven.

Wo immer man von einem Punkt irgend einer der Curven parallel der ’-Axe eine Gerade nach einer der Geraden AA’, BB' ziehe, wie z. B. Ya, r'bin der Figur, findet man für die Länge der Geraden ra, Y’b beziehlich den Ausdruck au + a, bx+ x, wo as, bx und «', je nach der Lage des Curvenpunktes, positiv oder negativ sind. Wir gelangen so zur Einsicht in die Bedeutung der für uns so wichtigen Ausdrücke (9). Sie messen in der Richtung der «'-Axe die Entfernung des Curvenpunktes von den Geraden AA’, BB'; und sie sind positiv jedesmal dafs der Punkt (in unserer Figur) nach oben und rechts von der Geraden liegt, negativ im anderen Falle; daher sie für die zwischen den Geraden AA’, B.B! liegen- den Curvenpunkte, wie der zweite Hauptfall es mit sich bringt, verschiedenen Zeichens sind.

Eliminirt man die Zeit zwischen den Gleichungen (16) und (17) des ersten Hauptfalles (vergl. die achte Folgerung), so erhält man die mit dem Ausdruck auf $. 827 der Abhandlung identische

Gleichung ax + x«\* bxz-+ «'\® ( ae ) == ( b ==) ..e f} . f} . (35)

welche also die Gleichung der Curve t, + £, t,, 0 ist. Eliminirt man ebenso die Zeit zwischen den Gleichungen (19) und (20) des :zweiten Hauptfalles, so erhält man

fax + a\* bz+z\? Fi ( BT Yl Se) D D D . (36)

\

998 Nachtrag.

als Gleichung aller der Curven 0g’, die für irgend ein X und ® zwischen den Grenzcurven 04’, 0.’ liegen.

Setzt man in (36)

(37)

so unterscheiden sich (35) und (36) nur noch durch das negative Zeichen von DE in (36), dem aber auch, nach den Voraussetzungen des zweiten Hauptfalles, ein negativer Werth des Zählers bx + «' entspricht. Durch dieselbe Substitution werden die Gleichungen (19) und (20):

E 2. (ae ee a N)

ELLE ZT Zr N

sie unterscheiden sich also von den entsprechenden Gleichungen des ersten Hauptfalles (9) und (10)

E NS b(7-1) _ heard) = ae e 2 \ )

Eab > a(r—t) b(r—! a e —e

N )

nur noch dadurch, dafs in den Gleichungen (38), (39) 7 für + steht und beide Termen in der Klammer positiv sind; sie werden identisch mit den Gleichungen (16*) und (17*) auf S. 550, wenn

. L r man T= r und wie dort &= $, setzt.

Unter der zu einem bestimmten X und 7' gehörigen Schaar von Ablenkungscurven (19) des zweiten Hauptfalles und der entsprechen- den Schaar von Geschwindigkeitscurven (20) giebt es also stets ein Paar zusammengehöriger Curven, deren Gleichungen durch Eliminiren der Zeit einen Ausdruck liefern identisch mit dem, welchen gleichfalls durch Eliminiren der Zeit die Gleichungen der zu einem bestimmten £ und r gehörigen Ablenkungscurve und Geschwin-

Nachtrag. 559

digkeitscurve des ersten Hauptfalles liefern. Es ist jenes Paar das, für welches zur Zeit = 7') in (19) und (20)

a—+b

. (40) rl, Mh 2ab nom >a—b

sind [(37), (38), (39)]. Wir wollen dies X und X’, zum Unterschiede von dem allgemeinen, X, &%, und die zugehörige Zeit X nennen. & ist > &; soll Curve (38) durch den Gipfel der Ordinate £ gehen, so mufs > r sein. Weitere Bemerkungen über das gegenseitige Entsprechen der bezüglichen Curven des ersten und zweiten Haupt- falles finden sich oben in der fünften und sechsten Folgerung. Das dortige &, ist hier X genannt.

Von dem so bestimmten Curvenpaare werden sich die «’' des zweiten Hauptfalles, bezogen auf dessen x, mit den x’ des ersten Hauptfalles, bezogen auf die gleichen x, für das nämliche & in Eine Construction zusammenfassen lassen. Zu dieser schreiten wir nun, indem wir von den übrigen Ourven des zweiten Haupt- falles, welche zu der des ersten Hauptfalles nicht in der eben entwickelten, merkwürdigen Beziehung stehen, vorläufig absehen.

Um Gleichung (35) auf eine für die Discussion bequemere Form zu bringen, machen wir die Geraden AA’, BB’ zu Axen eines schiefen Coordinatensystemes; die Gerade BB’ sei die Abseissen- axe, die Gerade AA’ die Ordinatenaxe; die neuen Abscissen eines Punktes x, x' der Curve (z. B. des Punktes r’ in der Figur) mö- gen I, die neuen Ordinaten heilsen. Man hat

1) Wegen der Schwierigkeit, Gleichung (16°) umzukehren, und die Zeit als explicite Function von x darzustellen, läfst sich von der Zeit 7 nur noch aussagen, dals sie zwischen

ab a ne

1 ee 2,108 ( 5) under# 7 log

a liege. Dies sind die Werthe für 7, die den Gleichungen (23) und (24) der Grenzcurven, zwischen denen die Ablenkungscurven des zweiten Hauptfalles

2 b verlaufen, fire =&8undX=E& (40) genügen; die Zeiten also, zu

a—+b 7 annehmen.

welchen die Ordinaten dieser Curven den Werth &

ad

960 Nachtrag.

5 Sin@e— PR)

aat!= cos «& sin eh ee) R cos »

wo « und £ die zu a und db als Tangenten gehörigen Winkel be- deuten, und durch Einsetzen dieser Werthe in (35)

ar a ar - _—————{ == en N] er ie 41 z (nr ) (Sr ) ae

oder, wenn wir kürzehalber

= a BYıza)“ _

(a + 5)’

(ei - setzen,

a dr ee)

Wir haben es also mit einer auf schiefe Coordinaten bezogenen

Parabel vom „ten Grade zu thun. Sind a und 5 ganze Zahlen,

1) Nennt man x, «, n, 9 die geraden und schiefen Coordinaten eines be- liebigen, X, X’, H, © die eines gegebenen Punktes einer der vier Curven, so kann man stets setzen

ara bete M% aRLX LOWER X TEN?

also, da nach (4)

a bxz + =: Se ei ee

Macht man X=-+£, X’=0, so werden H und ® die schiefen Coordi- naten H;, ®. des E-Punktes, in welchem die Curve des ersten Hauptfalles die c-Axe schneidet (s. bei r in der Figur). Es ist

eva me cos ß _5EYıra | 5 sin (@ ß) 2r \ (41) 0,=a ae cos & re sin (@ Pß) 2r

Durch Einsetzen dieser Werthe in (41a) erhält man gleichfalls (41).

'achtrag. 561

so bestimmen deren Geradheit oder Ungeradheit und das Zeichen von ©, in welchem der vier Coordinatenwinkel Parabelzweige liegen und wie sich diese im Nullpunkte verhalten, ob sie in einander übergehen, eine Spitze bilden, u.s.w. C würde beiläufig in diesem Falle, wegen des geraden Exponenten 2r, auch für ein negatives & positiv sein. Physikalisch hat indefs, wie schon bemerkt, ein Zu- sammenhang der Curven im Nullpunkte keinen denkbaren Sinn; auch werden «@ und b nur ausnahmsweise nicht irrationale Zahlen sein. Ohne die am Nullpunkte möglichen Singularitäten weiter zu ergründen, schreiben wir Gleichung (42) daher besser folgender- malsen:

81087, —alo2 9 -+10uC . . „2... (49)

I ist von gleichem Zeichen mit £, und für jeden der beiden Werthe von I kann +, wiederum positiv oder negativ sein; die Logarith- men sind von den absoluten Werthen der Grölsen zu nehmen. So stellt Gleichung (43) für jede der vier möglichen Zeichencon- binationen je einen Curvenzweig vor, der sich vom Nullpunkt in’s Unendliche erstreckt.

Beispielsweise betrachten wir nun näher das Paar dieser Zweige, welches den beiden Werthen von 7 für ein positives E und © entspricht. Der bequemeren Discussion halber kehren wir dabei zu der Gestalt der Gleichung zurück, wie sie (42) zeigt. Der erste Differentialquotient ist

1 2rT

ee

I

der zweite

2 1 a

Y Tr SEP] d 2 a 6 SS ds DENE:

Welchen endlichen Werth man auch a und 5 beilege, für <= 0 d

sind z und auch 75 0; die Curven berühren also im Nullpunkte

die Gerade BB’, entsprechend unserem früheren Ergebnifs: für

t=+0%°, @=—bx in beiden Hauptfällen [(18), (22)]. Beide

Zweige steigen convex gegen die Abscissenaxe vom Nullpunkt

in’s Unendliche beziehlich auf- und abwärts, wobei der den po-

sitiven entsprechende Zweig den Nullpunkt überschreitet, der

562 Nachtrag.

den negativen » entsprechende auf der positiven Scalenseite bleibt. Die Construction lehrt, dafs in der Nähe des Nullpunktes die Krümmung der Curve oberhalb der Geraden BB’ eine stärkere

> m Q dr ist als unterhalb. Für $= + oo werden Ey und = 713 —= 00;

we beide Zweige entfernen sich also immer weiter von der Geraden AA4', nehmen aber dabei immer mehr deren Richtung an, ent- ! %

sprechend unserem früheren Ergebnils: fürt= », —— —a ®

in beiden Hauptfällen. Die Gleichung einer Tangente an irgend einem Punkte +,, S der Curve, auf dieselben schiefen Coordinaten bezogen, lautet

a A m . 2 (0 —S}), wy

wo H, © die Coordinaten der Punkte der Tangente bedeuten. Setzt man für x,, ©, die Coordinaten Hz, ©; des &-Punktes [(41b), $. 560 Anm.], so wird die Gleichung

Hcose=9cosß —E.

Dies ist die Gleichung einer Geraden, welche parallel der «-Axe

durch den E-Punkt bei x geht: die Curve des ersten Hauptfalles

schneidet folglich die x-Axe senkrecht (vergl. Abhandl. S. 826). Es ist gleichgültig, ob man in (41) » und $ mit einer Con-

£ I: le stanten %, oder ob man 5 mit un multiplieirt: Veränderung von &

erzeugt also eine Schaar ähnlicher Öurven.

Bei gleichem $ ist um so kleiner, je größser 5 E=» macht 4 = 0 für jedes endliche $. Bei wachsendem positivem & schmiegen sich mithin die Curve des ersten und die des zweiten Hauptfalles, jene von oben, diese von unten, vom Nullpunkt her der Geraden B,B' auf der positiven Seite an; für &= © verschmelzen sie im Endlichen mit dieser Geraden. Hinsichtlich der Curve des ersten Hauptfalles entspricht dies Ergebnifs unserem früheren Er- gebnifs: für &E=+®, !—=—bx für jedes endliche t (5. oben S. 538; Abhandl. $. 826); nur denken wir uns jetzt das unend- liche & entstanden durch Überschreiten des Nullpunktes mit un- endlicher Geschwindigkeit nach Fall aus unendlicher Ferne höherer Ordnung (vergl. oben 8. 547).

Nachtrag. 569

E=0 macht C= », also * —= 0 für jedes endliche +; die Curve des ersten Hauptfalles fällt zusammen mit der Geraden AA’ auf der negativen und die Curve des zweiten Hauptfalles mit derselben Geraden auf der positiven Scalenseite, und so geht hier beziehlich der erste Hauptfall in den zweiten, oder der zweite in den ersten über. Dies ist das analytische Abbild dessen was man beobachtet, wenn man für e>n dem Magnet im Augenblicke, wo man ihn aus einer stets gleichen Ablenkung fallen läfst, beziehlich einen immer schwächeren oder immer stärkeren Inductionsstofs ertheilt, so dafs zuletzt der Nullpunkt nicht mehr überschritten wird, oder eben anfängt überschritten zu werden.

Q : 5 5 . Macht man „=> wird die Curve eine gemeine Parabel,

L nıong.

welche die $-Axe im Nullpunkte berührt, deren Axe der y-Axe parallel, und deren Parameter

sin (@a—ß „eD 0

ist. Die Curve des zweiten Hauptfalles auf der negativen Seite ist die Fortsetzung der Curve des ersten Hauptfalles auf der po- sitiven Seite und umgekehrt; man hat zwei Parabeln, die einander im Nullpunkte berühren.

Da die Tangente am Scheitel der Parabel senkrecht steht auf der Parabelaxe, welche mit der Tangente am negativen Maximum der auf die &-Axe bezogenen Parabel den Winkel «, mit der Tangente am E-Punkt den Winkel 90° « bildet, so fällt der Scheitel weder mit dem einen, noch mit dem anderen dieser beiden Punkte zusammen, sondern liegt zwischen ihnen, um so näher dem Maximum, je grölser, um so näher dem &-Punkte, je kleiner «.

Macht man nun noch «= 45°, also a=1, b=14, so folgt

aus den Eigenschaften der Parabel, dafs der Scheitel in der Mitte zwischen den beiden Punkten liest. Die den £-Punkt und das

=

Maximum verbindende Gerade geht durch den Brennpunkt F, ihre Länge rt, ist der Parameter

564 Nachtrag.

nr een 0,35355. 2y 2 Das Maximum «', ist = 1; die Axe der Parabel schneidet die z-Axe bi y=4; X, Ist = 2 U.8.W. Diese Verhältnisse liegen Fig. 3, und wie schon bemerkt, auch Fig. 1 und 2 zu Grunde (vgl. oben S. 545. 553).

Die übrigen Curven des zweiten Hauptfalles sind jetzt noch genauer zu betrachten. Für eine und dieselbe Vorrichtung, d.h. ein und dasselbe a und b entspricht im zweiten Hauptfalle jedem X eine Schaar von Curven der Ablenkungen und eine Schaar von Curven der Geschwindigkeiten bezogen auf die Zeit. Die ein- zelnen Curven dieser beiden Schaaren unterscheiden sich durch den Werth von X’, welcher zwischen 5bX und aX schwankt. Da unendlich viele X denkbar sind, giebt es dergestalt unend- lichmal unendlich viele Ablenkungs- und Geschwindigkeitscurven des zweiten Hauptfalles bezogen auf die Zeit. Wird aber die Geschwindigkeit auf die Ablenkung bezogen, so hat man nur noch Eine Curvenschaar des zweiten Hauptfalles, welche, mit den sie einschliefsenden Grenzeurven, für alle Werthe von X dieselbe bleibt. Denn da die Bewegung des Magnetes durch bestimmte Geschwin- digkeit bei bestimmter Ablenkung eindeutig bestimmt ist, kann durch einen zwischen den Geraden A4', BB' gelegenen Punkt, als Gipfel einer Geschwindigkeitsordinate, auch nur Eine Curve gehen. Je gröfser A und je kleiner folglich B (s. oben S. 551), um so näher der Geraden BB’, je gröfser B und je kleiner X, um so näher der Geraden AA’ verläuft die Curve; für Y= 2rX, 5=0 fällt sie mit BB', für B=2rX, A—= 0 mit AA’ zusammen. Die zu einem bestimmten X gehörigen Ordinaten BX, X, aX aber sind jedesmal die nämlichen, die in Fig. 2 bei gleichem Mafs- stabe zu demselben X und zur Zeit 7 gehören würden (27).

Für t= r z.B. schwankt in Fig. 2 die Ordinate sämmtlicher Ge-

£ schwindigkeitscurven zwischen 2 = _ und <=—-£, während

sämmtliche Ablenkungscurven sich im Gipfel der Ordinate + & schneiden (vergl. oben $. 554). Demgemäfs sind in Fig. 3 die Ordinaten und —b£ der Geraden AA, BB, beziehlich = 1 und —=4. Dagegen schneiden sich in Fig. 2 sämmtliche Geschwin-

digkeitscurven bei tz, im Gipfel der Ordinate 7, während

Nachtrag. 565

=

E die Ordinate der Ablenkungscurven zwischen = —+ 7 undde=+ 5

schwankt (vergl. oben 8. 554). In Fig. 3 stellt sich dies so dar, dafs die der z-Axe parallele Gerade « —=1 die Gerade A4’ bei

en = die BBbeis= + 2 schneidet. In Fig. 2 würde

mit wachsendem £ die Steilheit der Curven wachsen (s. oben 5.553); in Fig. 3 bleiben die Curven für jedes £ die nämlichen, und nur die bezeichneten Schneidepunkte rücken mit wachsendem & weiter vom Nullpunkte fort.

Man vergegenwärtige sich nun die Schaar der durch £ unter- schiedenen Öurven des ersten Hauptfalles. Mit einer jeden von diesen wird eine der durch X und 9 unterschiedenen Curven des zweiten Hauptfalles in der obigen Art gemeinsam construirbar sein; und eine einfache Construction dient, die so zusammengehörigen Curven beider Hauptfälle zu bestimmen. Diese Construction ist in Fig. 4 in kleinerem Mafsstabe besonders vorgeführt, da sie für ein so grolses &, wie es aus anderen Gründen in Fig. 3 nöthig war, zu weite Ausdehnung dieser Figur bedingt hätte, wie denn aus demselben Grunde in Fig. 2 die Darstellung der zu & gehörigen Curven unterblieben ist.

Aus (36) folgt, dafs, wenn W, B’ das X und B bedeuten, für welches X = X, X’ —= X, man stets haben müsse

WIBEesgeDb.

Man ziehe irgendwo eine der x'-Axe parallele Gerade X4A', und theile die Strecke (a b) £—= B’A' im Verhältnis von a: b so ein, dafs das a entsprechende 'gröfsere Stück an A’ stolse. Man hat dann

BOT Are BER AVE: die Punkte X, B', C', A’ liegen harmonisch, und die Geraden 0%, oB', 00, 04’ sind harmonische Strahlen. Zieht man von @' nach r dem Strahle 0.4’ parallel eine Gerade, so wird diese durch den zugeordneten Strahl 02’ in ihre beiden Hälften ++ und y getheilt. Da 02’ die I-Axe ist, so sind C’' und r Curvenpunkte, und der Strahl 0C', der zur Gleichung hat (40)

; 2ab

I =

ab”

966 Nachtrag.

ist der Ort aller Curvenpunkte des zweiten Hauptfalles, deren + bei gleichem > dem 5 des &-Punktes irgend einer Öurve des ersten Hauptfalles gleich und entgegengesetzt it. aa + —=W

ist sichtic= a& PB £&+ = —- Ü = 2. In Fig 4 sind abermals &=1, a=1, b= # gemacht; demgemäls ist X = 3,

%' 2; die Gleichung des Strahles 0 0’ ist

Da für alle Curven des zweiten Hauptfalles, ausgenommen für die Grenzeurve 04’, am Nullpunkte «' = bx [(22), (29)], und für alle, ausgenommen für die Grenzcurve OB’, im Unendlichen

EINER BNG [(21), (23)], so schneiden sämmtliche Curven den

Strahl 0C’. Schreibt man Gleichung (36)

Ba.) u ae ar

CET De so zeigt sich abermals, dafs für E—0, 2,0 0 und etor E=©, «—= ba wird (vgl. oben 8.562); der Annahme Se) genügen aber ferner X und X = 0, und der Annahme & = & genügen X und X —= #; für &= 0 also rückt der Schneide-

punkt C’ auf der Geraden 0C’ an den Nullpunkt, für 2 esEn die Unendlichkeit.

-

$. VII. Die Curve der Geschwindigkeiten bezogen auf die Ablenkungen im Grenzfalle=n.

Denkt man sich den Winkel «— £ immer kleiner bis zum Verschwinden, so hört im Augenblicke, wo die Geraden AA’, BB' zusammenfallen, der zweite Hauptfall zu bestehen auf, und von den vier Curvenzweigen der Fig. 3 bleiben nur die beiden übrig, welche den ersten Hauptfall vorstellten. Auch die Transformation, bei der jene Geraden als Axen eines schiefen Coordinatensystemes be- nutzt werden, wird unmöglich. Man kann aber mit ausreichen- dem Erfolge diese Transformation durch mehrere andere, z.B. durch die in Fig. 5 sichtbare, ersetzen. Hier ist 02,6 rt, wieder die Curve «= »#(a) für ein positives, Ort, die für ein nega- tives &.

Nachtrag. 567

Die gegenwärtige Construction entsteht aus der vorigen, wenn man sich unter der >-Axe jetzt die Gerade denkt, welche mit der x-Axe den zu e als Tangente gehörigen Winkel w einschliefst, während man in Gedanken die 7-Axe so weit von der S$-Axe fortdreht, dafs sie mit der x'-Axe zusammenfällt. Die Richtungen, in denen die und I wachsen, bleiben dieselben.

Ganz wie für ein endliches r die Ausdrücke (9) den Abstand der Curvenpunkte von den Geraden AA’, BB' in der Richtung der x'-Axe mafsen, mifst nun 22 + «’ deren in derselben Richtung, also auch in der Richtung der „-Axe, genommenen Abstand, z. B. des Curvenpunktes x von der Geraden «= ex. Man hat also

=: +a,

positiv auf der oberen, negativ auf der unteren Seite der I-Axe. Man hat ferner

en —ı% sin W.

Eliminirt man die Zeit zwischen den Gleichungen (33) und (34), so erhält man die mit dem Ausdruck auf 8. 825 der Ab- handlung identische Gleichung

Ex

NF- Ss order sarah. (44)

die hier die Stelle von (35) vertritt. Indem man in (44) für ex + x, ex die obigen Werthe setzt, kommt

„= e£&e 4 ee en (An)

& g— 2 2 os te B er log ( el a (Ai0))

woraus sich das Nöthige ergiebt. Macht man negativ, so wer- den s und I negativ; die Gleichung stellt also beliebig den einen und den anderen der beiden Curvenzweige vor, welche physikalisch nur getrennt Bedeutung haben. Wir verfolgen von diesen Zwei- gen den oberhalb der S-Axe gelegenen. Bei der Discussion ist es diesmal bequemer, die „-Axe als Abseissen-, die $S-Axe als Ordinatenaxe anzusehen. [1870] 39

oder

568 Nachtrag.

S- 1 1 eE = [6) dr sın w 5 Y ;

dv? 7 sin w

Es ist

Am Nullpunkte fällt die Curve zusammen mit der I-Axe, entsprechend dem obigen Ergebnifs: frt= +», = eu.

Die Curve steigt dann, concav gegen die 7-Axe, bis zu einem

Maximum am £-Punkte bei r abwärts, wo „= eö; da hier

dS 0 ist, schneidet die Curve die &-Axe senkrecht (vergl. Ab-

dr

handlung $. 823). Von hier ab steigt sie ohne Wendepunkt in’s Unendliche an. Bei » = es£ schneidet sie die „-Axe; fortan ist ihre Ordinate negativ, und sie selber convex gegen die Abscissen- axe; zuletzt für „= © nimmt sie wieder die Richtung der S-Axe an, entsprechend dem obigen Ergebnifls: für = », er

£

Es ist gleichgültig, ob man in (45) oder (46) » und > mit einer Constanten k, oder ob man & mit - multiplieirt: Ver- änderung von £ erzeugt also eine Schaar ähnlicher Curven.

Für £E= 0 schmiegt sich die Curve dem negativen, für E= oo dem positiven Schenkel der $-Axe an, und im letzteren Fall ist es als sei der Magnet aus unendlicher Ferne höherer Ordnung gefallen und habe den Nullpunkt mit unendlicher Ge- schwindigkeit überschritten.

Macht man £ negativ, so verlegt man dadurch den Vorgang

auf die andere Sealenseite, auf der Alles Gesagte symmetrisch wiederkehrt.

In der Figur ist » = 45°, E=1; das Maximum der Öurve 1 2 ß x = $(x) wird dadurch = m und liegt bei «= we die Or- 2 a dinate des Wendepunktes wird 58 und liegt bi x = ze’

endlich die Ordinate x’, ist =e. Die Fig. 3 der Abhandlung entspricht einem Theile dieser Figur, nur dafs dort 5, statt 1, 2 gemacht war.

Nachtrag. 569

Hr. Kronecker fügte folgende Bemerkung hinzu:

Läfst man den Magnet aus einer positiven Ablenkung x ohne Dämpfung fallen, bis er eine Ablenkung: r.cosv erreicht, und erst an dieser Stelle die Dämpfung eintreten, was sich durch Schliefsen eines Gewindes bewerkstelligen liefse, so kann man für die weitere Bewegung des Magnetes die Gröfsen r und v als Constanten einführen. Hiernach erhält man, wenn der Nullpunkt der Zeit an den Eintritt der Dämpfung und

Vb= ya.tgu ((<u<Hr)

gesetzt wird, Ablenkung und Geschwindigkeit durch folgende Gleichungen bestimmt:

cos (u + v) I sin (u v)

(aa+a)e'—n sin u cos u

oder: 2 —bi —at (60824 = c08u4.c0o8 (u +v).e" sinu.sin(u— v) e t

' _ Es cos 2u = sinu.cos(u+ v). et cosu. sin (u— vo)“.

Für =0 wird:

2

2=rcosv, «=—ntsin®v a8 +& cosuwcos(u+v) ax" sinucos(u-+ vo) be+z sinusn(w—o) beta" cosusinw—ov)' cos (u + v)

Der Ausdruck durchläuft, wenn v von 0 bis u geht,

sin (u v) alle Werthe von cotu bis + oo, hierauf (während vo von u bis = wächst) stetig zunehmend alle Werthe von oo bis cotu. Liegt

7 v zwischen 0 und % oder zwischen u und 7, so findet der

erste Hauptfall statt, der zweite aber, sobald v zwischen « und

a liegt Den 1Eegt.

So lange se wvist, d.h. so lange die Dämpfung bei

einer Ablenkung eintritt, welche nicht kleiner als r.sinu oder

Y b Nor ist, überschreitet der Magnet nicht seine Ruhelage x = 0,

sondern nähert sich derselben asymptotisch von der positiven Seite 33

70 Nachtrag.

. 7 l m a .. her. Wenn aber v zwischen er und = liegt und demgemäls

die Ablenkung bei Eintritt der Dämpfung positiv und kleiner als v.sinu ist, so überschreitet der Magnet die Ruhelage, kehrt bei der negativen Ablenkung:

a b cos (u-+ v) \?7 sin % ?r cos u sin (v u)

um und nähert sich alsdann von der negativen Seite her wiederum . . 7 . . der Ruhelage. Wenn endlich ® zwischen 37 und r liegt, die

Dämpfung also erst bei einer negativen Ablenkung beginnt, so bewegt sich der Magnet im Sinne wachsender negativer Ablenkun- gen weiter bis zu dem durch den Ausdruck (A) gegebenen Maxi- mum, kehrt alsdann um und erreicht schliefslich von der negativen Seite her seine Ruhelage. Der Werth «= 0 wird also für positive

s m m endliche Werthe von ? nur erreicht, wenn W<Z U = ist,

7 . der Werth z27= 05 wenn ESF u<v<eaıst

970 Nachtrag.

rl

7 ur her. Wenn aber v zwischen ag und 5: liegt und demgemäfs

die Ablenkung bei Eintritt der Dämpfung positiv und kleiner als v.sinw ist, so überschreitet der Magnet die Ruhelage, kehrt bei der negativen Ablenkung:

a b cos (u-+ v)\?r sin u ?r (A) 73%: (2) f () cos U sin (vd u)

um und nähert sich alsdann von der negativen Seite her wiederum ® . 7 . . der Ruhelage. Wenn endlich zwischen wo und r liegt, die

Dämpfung also erst bei einer negativen Ablenkung beginnt, so bewegt sich der Magnet im Sinne wachsender negativer Ablenkun- gen weiter bis zu dem durch den Ausdruck (A) gegebenen Maxi- mum, kehrt alsdann um und erreicht schliefslich von der negativen Seite her seine Ruhelage. Der Werth «= 0 wird also für positive

: . 7 ME endliche Werthe von £ nur erreicht, wenn er u<v< 5 ist,

T . der Werth x’ = 0, wenn Say u<v<a ıst.

NHonatsbericht d. I A.d. W

(25)

E.du Bors-Raymond del £ (Lane lith.

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MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

Juli 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond.

7. Juli. Öffentliche Sitzung der Akademie zur Feier des Leibnizischen Jahrestages.

Hr. du Bois-Reymond, an diesem Tage vorsitzender Se- kretar, eröffnete die Sitzung mit einem einleitenden Vortrag über Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft (wird in einem der nächsten Hefte mitgetheilt werden).

Hierauf verlas derselbe, als Sekretar der physikalisch-mathe- matischen Klasse, folgenden Bericht über die von der Akademie gestellten Preisfragen:

In der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage, dem 4. Juli 1867, hatte die Akademie aus dem Eller’schen Legate folgende Preisfrage gestellt:

„Eine grofse Anzahl der in dem Organismus der Thiere und Pflanzen vorkommenden chemischen Verbindungen hat die neuere Forschung aus den Elementen aufzubauen gelehrt. Für viele sol- cher Substanznen sind jedoch die Bedingungen der Synthese noch aufzufinden. Es ist zumal die Klasse von Körpern, welche unter dem Namen „vegetabilische Alkaloide“ zusammengefafst wird, deren synthetische Erzeugung bis jetzt kaum in Angriff ge- nommen worden ist.

[1870] | 40

572 Öffentliche Sitzung

Die Akademie glaubt, dafs der Zeitpunkt für die Lösung die- ser Aufgabe gekommen ist und sie bietet daher einen Preis von 100 Ducaten für die Synthese des Chinins, Cinchonins, Morphins, Strychnins oder Brucins. Der Preis würde auch dann noch zuer- kannt werden, wenn es dem Bewerber gelungen wäre aus einem der fünf genannten Alkaloide eine wohlcharakterisirte stickstofffreie Verbindung zu erzeugen, welche sich durch die Einwirkung des Ammoniaks beziehungsweise in Chinin, Cinchonin, Morphin, Strych- nin oder Brucin zurückverwandeln lielse.“

Auf diese Frage ist keine Antwort eingegangen. Die Aka- demie hat beschlossen, sie unter denselben Bedingungen zu er- neuern. Die ausschliefsende Frist für die Einsendung der Arbei- ten, welche lateinisch, deutsch, französisch oder englisch geschrie- ben sein können, ist nunmehr der erste März des Jahres 1875. Jede Bewerbungssehrift ist mit einem Motto zu versehen, und die- ses auf dem Äufseren eines versiegelten Zettels, welcher den Na- men des Verfassers enthält, za wiederholen.

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Preises von 100 Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Monat Juli des Jahres 1873.

In der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage, dem 2. Juli 1868, hatte die Akademie aus dem Steiner’schen Legate folgende Preisfrage gestellt:

„Die von Steiner und anderen (zeometern über die Ober- flächen dritten Grades angestellten Untersuchungen haben be- reits zu einer Reihe wichtiger Eigenschaften derselben geführt. Aber die Theorie der Krümmung dieser Oberflächen ist von den bisherigen Untersuchungen fast unberührt geblieben. Die Akade- mie wünscht daher eine speciell hierauf gerichtete Behandlung der in Rede stehenden Oberflächen. Es würde sieh dabei zunächst um geometrische Constructionen für die beiden Hauptkrüm- mungs-Richtungen und Radien in jedem Punkt der Ober- fläche handeln. Als zu lösende Hauptaufgabe bezeichnet aber die Akademie

die Angabe aller Oberflächen dritten Grades, deren Krüm- mungslinien algebraisch sind, sowie die Bestimmung und Discussion dieser Krümmungslinien.

vom 7. Juli 1870. 573

Es wird verlangt, dafs die zur Verification der Resultate die- nenden analytischen Erläuterungen der Lösung hinzugefügt seien.“

Auf diese Frage ist keine Antwort eingegangen. Die Akade- mie hat beschlossen, sie unter denselben Bedingungen zu erneuern. Die ausschliefsende Frist für die Einsendung der Arbeiten, welche lateinisch, deutsch, französisch oder englisch geschrieben sein kön- nen, ist nunmehr der erste März des Jahres 1872. Jede Bewer- bungsschrift ist mit einem Motto zu versehen, und dieses auf dem Äufseren eines versiegelten Zettels, welcher den Namen des Ver- fassers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 600 Thalern erfolgt in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Juli 1872.

Den Statuten der Steiner’schen Stiftung gemäfs hat aber die Akademie zugleich beschlossen, den heute zu vertheilenden Stei- ner’schen Preis von 600 Thlrn. dem Hrn. Schläfli, Professor an der Universität zu Bern, für zwei von ihm veröffentlichte und in Verbindung miteinander stehende Abhandlungen zuzuerkennen.

Die erste dieser Abhandlungen ist im 2. Bande des Quarterly Journal of Mathematics abgedruckt unter dem Titel: „An Attempt to determine the 27 lines upon a surface of the third order and to divide such surfaces into species in reference to the reality of the lines upon the surface.* Die zweite ist im December 1862 durch Hrn. Cayley der Royal Society vorgelegt und in den Phi- losophical Transactions von 1863 gedruckt worden unter dem Ti- tel: „On the Distribution of surfaces of the third order into spe- cies in reference to the absence or presence of singular points and the reality of their lines.“

Seitdem die Grundlagen der Theorie der Flächen dritter Ord- nung gleichzeitig durch Steiner in Deutschland, durch Cayley und Salmon in England entdeckt worden waren, ist nach dem Urtheil der Akademie durch Niemand ein gröfserer Fortschritt in

dieser Theorie gemacht worden, als durch Hrn. Schläfli in den beiden erwähnten Abbandlungen. Dies hat die Akademie bestimmt, Hrn. Schläfli den Steiner’schen Preis für das Jahr 1870 zu- zuerkennen.

574 Öffentliche Sitzung

Hierauf verkündete Hr. Haupt als Secretar der philosophisch- historisehen Klasse die folgende Preisaufgabe:

Die Origines des Isidorus sind nicht nur unentbehrlich für das Verständniss der Litteratur des Mittelalters, das einen grossen Theil seiner Gelehrsamkeit aus ihnen schöpfte, sondern auch von Wichtigkeit für die classische Philologie, indem die von Isidorus ausgeschriebenen oder benutzten Stellen noch vorhandener älterer Schriften zur Berichtigung oder doch zur Geschichte der Texte Beiträge gewähren, ausserdem aber Manches aus verlorenen Büchern allein durch Isidorus erhalten ist. Die sichere Benutzung der Ori- sines wird aber erst möglich durch sorgfältige und soweit es er- reichbar ist erschöpfende Ermittelung ihrer Quellen.

Die Akademie stellt daher für das Jahr 1873 als Preisaufgabe eine die Origines des Isidorus in der Reihenfolge der in ihnen enthaltenen Angaben begleitende Darlegung ihrer Quellen.

Die von Isidorus ausgeschriebenen oder benutzten Stellen sind vollständig mitzutheilen. In einer Einleitung ist eine Übersicht über die von Isidorus gebrauchten Schriften zu geben, die Art der Benutzung darzulegen, was aus jetzt verlorenen Büchern genom- men ist zusammen zu stellen und es sind, soweit dies besonnener Vermuthung möglich ist, auch hier die Quellen aus denen Isidorus schöpfte zu ermitteln.

Die Arbeit kann in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache abgefasst werden.

Die ausschliessende Frist für die Einsendung der dieser Auf- gabe gewidmeten Arbeiten ist der 1. März 1873. Jede Bewerbungs- schrift ist mit einem Motto zu versehen und dieses auf dem Äus- seren des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Verfassers enthält, zu wiederholen.

Die Ertheilung des Preises von 100 Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Monat Juli des Jahres 1873. |

Derselbe trug hierauf den Jahresbericht der vorberathenden Commission der Boppstiftung vor.

Für den 16. Mai des Jahres 1870 ist von den beiden zu ver- gebenden Raten die Hauptraten von 300 Thalern Hrn. Wllliam Duright Whitney, Professor in New-Haven in Connectieut, als ein Preis für seine Bearbeitung des Taittiriya Prätigakhya zuerkannt

vom 7. Juli 1870. 575

worden, ‚die zweite Rate, im Betrage von 150 Thalern, Hrn. Dr. Wilhelm Thomsen in Kopenhagen als ein Preis für seine Schrift über den Einflufs der germanischen Sprachen auf die fin- nisch-lappischen.

Der Vermögensstand der Stiftung ist durch einen Beitrag des Hrn. Professors H. Blochmann in Caleutta im Betrage von 663 Thlr. sowie durch Zinsüberschüsse um 300 Thlr. in preufsischer Staatsanleihe vom J. 1864 vermehrt worden. Das Vermögen der Stiftung besteht gegenwärtig aus

a) 11,400 Thlr. preufs. atanleihe aus den Jahren 1854.

1859. 1864, zu 44 Procent; b) 100 Thlr. preufs. Prämienanleihe vom J. 1855, zu 34 Procent. Der jährliche Zinsertrag beläuft sich auf 5163 Thlr.

11. Juli. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Kirchhoff las über die Tributlisten der Jahre Ol. 85,2 971.

14. Juli. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Weierstra(s las: Bemerkungen über das sogenannte Dirichlet’sche Princip.

576 Gesammtsitzung

Hr. A.W. Hofmann las über die aromatischen Cyanate.

Die einzige dieser Klasse angehörige Verbindung, welche man einigermalsen studirt hat, ist das Phenyleyanat. Vor etwa 20 Jahren habe ich diesen Körper in einer sehr complexen Reaction aufgefunden, indem ich eine Substanz, die ich damals mit dem Namen Oxamelanil oder Melanoximid'!) bezeichnete, und die man heutzutage als Oxalyldiphenylguanidin auffassen würde, der trocknen Destillation unterwarf. Das Phenyleyanat ich nannte den Körper damals Anilocyansäure bildet sich hier- bei in nur ganz geringer Menge; niemals hab’ ich mehr als einige Gramme in meinem Besitz gehabt und nur den scharf ausgespro- chenen Eigenschaften des Körpers ist es zu danken, dafs ich im Stande war ihn richtig zu interpretiren.

Acht Jahre später bin ich diesem Körper von Neuem begeg- net. Nachdem ich gefunden hatte, dafs sich der Diphenylsulfo- harnstoff unter dem Einflufs des Phosphorsäureanhydrids in Anilin und Phenylsenföl spaltet, lag der Gedanke nahe, diese Reaction für die Darstellung des Phenyleyanats zu verwerthen und diesen Körper durch Destillation des normalen Diphenylharnstoffs mit wasserfreier Phosphorsäure zu gewinnen.?)

In der That läfst sich denn auch auf diese Weise Phenyleya- nat darstellen. Man braucht trocknes Diphenylearbamid nur mit Phosphorsäure zu erwärmen, um alsbald den furchtbaren Geruch des Cyanats wahrzunehmen; werden beide Körper mit einander destillirt, so sieht man das Phenyleyanat in farblosen Tropfen übergehen. Als aber der Versuch in etwas gröfserem Maalsstabe angestellt wurde, erwies sich die Ausbeute so klein, dafs ich die- sen Procefs mehr als eine Bildungsweise denn als eine Darstel- lungsmethode betrachten mulste.

Die Versuche über die Senföle haben mich in letzter Zeit zu einem einfachen Verfahren geführt, das Phenyleyanat und seine Homologen darzustellen.

In einer früheren Mittheilung’) habe ich auf die Leichtigkeit aufmerksam gemacht, mit der sich die Senföle ein Mol. Alkohol

!) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXIV, 9. ?) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. IX. 275. ®) Hofmann, Monatsberichte 1869, 332.

vom 14. Juli 1870. 577

zulegen. Phenylsenföl mit Alkohol längere Zeit erhitzt, liefert das schön krystallisirte halbgeschwefelte Phenylurethan, welches für sich, oder besser mit Phosphorsäureanhydrid destillirt, sich wieder in seine Componenten, nämlich in Alkohol und Phenylsenföl, spaltet.

Sollte man, wenn man im Sinne dieser Erfahrung das nor- male Phenylurethan mit Phosphorsäure der Destillation unterwarf, nicht Phenyleyanat erhalten können?

Versuche in der Phenylreihe.

Phenylurethan. Das Phenylurethan ist bekannt. Ich habe dasselbe schon bei der oben angeführten Untersuchung des Phenyl- cyanats erhalten. Behandelt man diesen Körper mit Methyl-, Äthyl- oder Amylalkohol, so entstehen die Phenylurethane der Methyl-, Äthyl- und Amylreihe.') Später ist das Phenylurethan der Äthylreihe, der Phenylcarbaminsäure-Äthyläther, eingehend von den HH. Wilm und Wischin?) untersucht worden, welche die- sen Körper durch die Einwirkung des Chlorkohlensäureäthers auf das Anilin erhalten haben.

Ich habe die Versuche der HH. Wilm und Witschin wie- derholt und kann die Angaben derselben vollkommen bestätigen. Der auf diese Weise entstehende Körper ist identisch mit dem früher von mir erhaltenen. Der Schmelzpunkt des mehrfach um- krystallisirten Körpers wurde zu 51° gefunden. Die HH. Wilm und Wischin geben 51.5—52° an. Der Siedepunkt lag bei 230, wie ihn die genannten Beobachter fanden.

Die HH. Wilm und Wischin geben an, der Phenylcarba- minsäure-Äthyläther sie nennen ihn Carbanilidsäure-Äther sei unzersetzt flüchtig. Ich finde, dafs bei der Destillation aller- dings der gröfsere Theil unzersetzt übergeht, ein Theil aber sich in Phenyleyanat und Alkohol spaltet,

C,H,,NO, = C,H,NO, + C,H,0;

also ganz im Sinne der Auffassung, zu der mich das Studium des halbgeschwefelten Phenylurethans geführt hatte. Bei der Destil-

1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXIV. 16. 2) Wilm u. Wischin, Ann. Chem. Pharm. CXLVIl. 157.

978 Gesammtsitzung

lation entstand alsbald der mir noch aus früherer Zeit wohl be- kannte Geruch des Phenyleyanats, den in der That auch die HH. Wilm und Wischin beobachtet haben, denn sie sagen von dem Carbanilidsäure-Äther: „die Dämpfe dieses Körpers reizen die Augen stark zu Thränen, riechen aber verdünnt entfernt nach Bit- termandelöl.* Was die HH. Wilm und Wischin gerochen ha- ben, war das Phenyleyanat. Läfst man das Gemenge von Phenyl- cyanat und Alkohol, welches man neben viel unzersetztem Phenyl]- urethan bei der Destillation des letzteren enthält, längere Zeit Stehen, so ist der Geruch des Cyanats verschwunden; Cyanat und Alkohol haben sich wieder zu Phenylurethan vereinigt.

Nach diesen Beobachtungen über das Verhalten des Phenyl- urethans unter dem Einflufs der Wärme liefs es sich kaum mehr bezweifeln, dafs man durch Destillation mit Phosphorsäureanhydrid das Phenyleyanat erhalten müsse.

Der Versuch hat diese Erwartung in erfreulichster Weise be- stätigt. |

Phenyleyanat. Erhitzt man ein Gemenge von Phenylurethan mit wasserfreier Phosphorsäure, so destillirt eine reichliche Menge farbloser, das Licht in auffallender Weise stark brechender Flüs- sigkeit von stechendem, die Augen zu Thränen reizendem Geruch. Diese Flüssigkeit ist Phenyleyanat, welches nur noch einmal de- stillirt zu werden braucht, um als reiner Körper erhalten zu wer- den. Die Ausbeute ist wie bei allen Operationen in der aromati- schen Reihe, bei denen das Phosphorsäureanhydrid eine Rolle spielt, nicht die theoretische aber doch eine der Theorie nahe kommende.

Die Auffindung einer einfachen Methode das Phenyleyanat darzustellen, war mir aus mehr als einem Grunde erwünscht. Zu- nächst bin ich jetzt im Stande, den Siedepunkt des Körpers ge- nauer anzugeben. Derselbe liegt bei 163°. Bei der frühern Be- stimmung, für welche nur wenige Gramme angewendet werden konnten, war derselbe zu 178° gefunden worden.

Das speeifische Gewicht des Phenyleyanats ist bei 150° 1.092. Das Gasvolumgewicht wurde im Anilindampfe bestimmt. Die gefun- dene Zahl bestätigt die schon früher durch die Analyse festgestellte Formel

vom 14. Juli 1870. 579

Gasvolumgewicht Theorie Versuch Ss auf ‚Wasserstoff: bezogen? . .. . a“ 2.:01..139.5 58.9 auß@luftäbezogenr u. 2. rein... 164218 4.09. -

Was das Verhalten des Körpers zu anderen Substanzen an- langt, so darf ich auf meine frühere Abhandlung verweisen. Mit Wasser entsteht neben Kohlensäure Diphenylcarbamid; mit den Alkoholen zusammengebracht, reproducirt er Urethane; mit Am- moniak und seinen Derivaten vereinigt er sich alsbald zu einer unabsehbaren Mannichfaltigkeit von Harnstoffen. Aber auch ande- ren Verbindungen gegenüber zeigt er eine bemerkenswerthe Reac- tionsfähigkeit. Noch will ich erwähnen, dafs mir der Besitz einer gröfseren Menge von Phenyleyanat Gelegenheit gegeben hat, das schon früher!) wahrgenommene Verhalten des Körpers zum Tri- äthylphosphin von Neuem zu beobachten. Taucht man einen mit Phosphorbase befeuchteten Glasstab in eine grölsere Menge von Phenyleyanat, so erfolgt nach einigen Augenblicken eine heftige Wärmeentwicklung und die ganze Masse erstarrt zu prächtigen Krystallen.

Das Hauptproduct, welches sich in dieser Reaction bildet, ist ein im Wasser unlöslicher, in siedendem Alkohol nicht ganz leicht löslicher und beim Erkalten in feinen Prismen krystallisirender Körper, welcher bei einer schon früher angestellten Analyse die Zahlen des cyansauren Phenyls geliefert hat, also wohl als Phe- nyleyanurat betrachtet werden kann. Ich möchte aber die Frage offen lassen, ob diese Substanz mit einer der beiden bereits be- kannten Phenylcyanurate, von denen das eine durch die Einwir- kung des Chloreyans auf Phenol,”) das andere aus dem Triphenyl- melamin entsteht,°) identisch ist. Einer eingehenden Untersuchung dieses Körpers, so wie der Nebenproducte, welche sich in der in Frage stehenden Reaction bilden, steht jetzt, da das nöthige Ma- terial vorhanden ist, keine Schwierigkeit im Wege.

Noch mögen hier einige Bemerkungen über die Homologen des Phenyleyanats Platz finden.

I!) Hofmann, Ann. Chem. Pharm., Suppl. I. 57. 2) Hofmann, Monatsb. 1870, 206. 3) Hofmann, Monatsb. 1870, 197.

580 Gesammtsitzung

Versuche in der Tolylreihe.

Tolylurethan. Der Chlorkohlensäure-Äther wirkt mit der al- lergröfsten Heftigkeit auf das Toluidin ein, so dafs es zweckmäs- sig ist die Reactiou sich in Gegenwart von Äther vollziehen zu

lassen.

cocı CH]. C0/C.H HN C,H, ao. [ee] = Pgisjo Sen

Der von dem chlorwasserstoffsauren Toluidin abfiltrirte Äther hinterläfst beim Verdampfen das Tolylurethan als ein aromatisches Öl, welches nur schwierig, in der Regel erst nach längerem Ver- weilen in einer Kältemischung erstarrt.

Das Tolylurethan ist in Wasser unlöslich; es löst sich dage- gen in Alkohol und Äther mit Leichtigkeit. Aus ersterem Kry- stallisirt es in schönen langen Prismen, die schon bei 52° schmelzen.

Tolyleyanat. Bei der Destillation für sich, verhält sich das Tolylurethan wie das Phenylurethan, indem der gröfsere Theil un- zersetzt übergeht, ein kleinerer Teil aber sich in Tolyleyanat und Alkohol spaltet.

ge 0 2a co In 2 0 .Hlo, C,H, (C;H,) H

Findet die Destillation bei Gegenwart von wasserfreier Phos- phorsäure statt, so wird der Alkohol fixirt und das Tolyleyanat destillirt im nahezu reinen Zustande. Es bedarf in der That nur noch einer Rectification um es vollkommen rein zu erhalten. Das Tolyleyanat ist eine farblose Flüssigkeit von starkem Lichtbrechungs- vermögen und heftigem, die Augen zu Thränen reizenden Geruch, welche bei 185° siedet.

Bei der Gasvolumgewichtsbestimmung im Anilindampf ergaben

sich folgende Zahlen:

Theorie Versuche Gasvolumgewicht I. II. auf Wasserstoff bezogen . - . 66.5 64.6 69.7 auf Luft bezogen - : 2.5. 461 4.48 4.56.

Gegen Wasser und seine Derivate, ebenso wie gegen Ammo- niak und seine Abkömmlinge, verhält sich das Tolyleyanat wie das

vom 14. Juli 1870. 58l

Phenyleyanat. Bei der Behandlung mit Wasser entsteht unter Kohlensäureentwickelung Ditolylharnstoff, mit den Alkoholen bil- den sich die Urethane, mit Ammoniak und den Aminen entsteht die Gruppe der substituirten Harnstoffe. Triäthylphosphin bewirkt dieselbe Umbildung wie bei der Phenylverbindung; die Metamor- phose erfolgt indessen etwas weniger schnell. Das gebildete sehr schön krystallisirende Product soll auch noch näher untersucht werden.

Versuche in der Xylylreihe.

Die Erscheinungen verlaufen genau wie in der Phenyl- und Tolylgruppe. Das Xylidin ist indessen entschieden träger, als das Anilin und Toluidin.

Das Xylylurethan

CO(C,H,)HN C,„H,NO, = ; C,H, \o

krystallisirt in schönen Nadeln, welche bei 58° schmelzen. Das Xylyleyanat co C,H,NO = N 9379 ce

ist eine wasserhelle, das Licht stark brechende Flüssigkeit von schwachem, die Augen nur wenig reizenden Geruch. Der Siede- punkt liegt bei 200°. Das Gasvolumgewicht wurde im Anilin- dampfe genommen.

Gasvolumgewicht Theorie Versuch auf Wasserstoff bezogen . » 2. 2 ...2.202.089 74.69 auf Luft bezogen a u al erde 5.18.

Bei dem Xylylcyanate erweist sich die Reactionsfähigkeit, welche bei den entsprechenden Gliedern der Phenyl- und Tolyl- reihe so entschieden auftritt, schon wesentlich abgeschwächt. Die Verbindungen, welche bei dem Phenyl- und Tolyleyanat fast augen-

blicklich erscheinen, bilden sich mit dem Xylyleyanat oft erst nach Verlauf von Tagen. Selbst mit dem Triäthylphosphin erstarrt das Xylyleyanat nur langsam.

582 Gesammtsitzung

Versuche in der Naphtylreihe.

Naphtylurethan. Es wurde, der Bildung der übrigen hier be- schriebenen Urethane analog, dureh die Einwirkung des Chlorkoh- lensäure-Äthers auf das Naphtylamin gewonnen. In Wasser un- löslicher, daraus in Nadeln krystallisirender Körper, welcher bei

79° schmilzt. Seine Zusammensetzung wird durch die Formel

C,H,NO, RE 5

C;H, ausgedrückt.

Naphtyleyanat. Über diese Verbindung liegen bereits einige kurze Angaben vor. Nachdem ich gefunden hatte, dafs das Di- phenylearbamid bei der Destillation mit Phosphorsäureanhydrid et- was Phenyleyanat liefert, hat Hr. Vincent Hall’) in meinem Laboratorium den analogen Versuch in der Naphtylreihe angestellt, aber nur eine noch geringere Menge der entsprechenden Naphtyl- verbindung erhalten. Die Bildung des Naphtyleyanats auf dem angedeuteten Wege war jedoch festgestellt.

Bei der Destillation des Naphtylurethans mit wasserfreier Phosphorsäure wird das Naphtyleyanat in reichlicher Menge er- halten. Es ist eine farblose, schon etwas schwer bewegliche Flüs- sigkeit, deren Siedepunkt bei 269—270° liegt. Der Dampf des Körpers besitzt noch den stechenden Geruch, welcher den Oyana- ten eigenthümlich ist; bei gewöhnlicher Temperatur aber ist das Naphtyleyanat fast geruchlos. Die Zusammensetzung des Naph- tyleyanats wird durch die Formel

co lie NO e, u N ausgedrückt; ich habe mich aber begnügt, diese Formel durch die Reactionen des Körpers festzustellen. Angesichts des Verhaltens zum Wasser und Ammoniak sammt seinen Derivaten, konnte über die Natur der Verbindung kein Zweifel obwalten. Bemerkenswerth ist die Leichtigkeit, mit welcher sich alle diese Reactionen bei der Naphtylverbindung vollziehen. Das Naphtyleyanat arbeitet mit un- gleich gröfserer Schnelligkeit und Präcision als der analoge Xylyl- körper; dies zeigt sich ganz besonders bei der Einwirkung des

1) Vincent Hall, Lond. R. S. Proc. IX. 365.

vom 14. Juli 1870. 583

Triäthylphosphins, welches das Cyanat der Naphtylreihe fast augen- blicklich zum Erstarren bringt.

Schliefslich sage ich Hrn. F. Hobrecker für seine thatkräf- tige Hülfe bei Anstellung der beschriebenen Versuche meinen be- sten Dank.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Regnault, FAelation des experiences sur . . . les machines & feu. Tome II. Paris 1870. 4.

Morbio, Opere storico-numismatiche. Bologna 1870. 8.

Prantl, Geschichte der Logik. 4. Bd. Leipzig 1870. 8.

Catalogue of maps of the British Possessions in India. London 1870. 8.

Drejer, Symbolae caricologicae. Havniae 1844. fol.

Wild, Jahresbericht des physikalischen Central-Observatoriums für 1869. Petersburg 1870. 4.

Memoires de l’academie de Petersbourg. Tome XIV, 8—9. XV, 1-4. Petersburg 1870. 4.

Bulletin de lacademie de Petersburg. "Tome XIV. Petersburg 1870. 4, Schriften der dänischen Akademie der Wissenschaften. Physikal. Klasse. VII, 6.7. IX, 1. Histor. Klasse. IV, 4. Kopenhagen 1869. 4.

Flora batava. Lief. 211. Leyden 1870. 4. v. Reumont, Manfondini und Corlatti s. I. eta. 8. Karl von Hügel. (Augsburger Zeitung 1870.)

21. Jul. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Parthey las über Horapollo’s Hieroglyphica.

984 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

H. v. Dehn-Rotfelser, Die Baudenkmäler des Regierungsbezirk Cassel, Cassel 1870. 8. Mit Ministerialschreiben vom 11. Juli 1870.

Hörnes, Die fossilen Mollusken. II, no. 9. 10. Wien 1870. fol.

Verhandlungen der mineralogischen Gesellschaft in Petersburg. 5. Bd. Pe- tersburg 1870. 8.

Vargasia. no. 7, Caracas 1870. 8.

Dora d’Istria, La Nationalite albanaise d’apres les chants populaires. Livourne 1867. 8. Mit Schreiben der Verfasserin d. d. Turin 15. Juli 1870,

Geologische Karten von Schweden. (Fortsetzung.)

35. Juli. Sitzung der physikalisch - mathematıi- schen Klasse.

Hr. Kummer las über die algebraischen Strahlensysteme drit-

ter Ordnung.

Hr. W. Peters las über neue Arten von Spitzmäusen des Königl. zoologischen Museums aus Öeylon, Malacca, Borneo, China, Luzon und Ostafrika.

Unter den insectivoren Säugethieren ist kaum eine von. grös- serem Interesse in Bezug auf ihre geographische Verbreitung als die der Spitzmäuse. Jedoch sind wir noch weit entfernt davon, nur einigermafsen eine allgemeine Übersicht derselben zu besitzen. Es gilt dieses namentlich von den in den tropischen Gegenden vor- kommenden Arten. Die Kenntnifs derselben wird sehr gehindert durch die grofse Schwierigkeit, sich diese meist sehr kleinen un- scheinbaren, in der Verborgenheit lebenden Thiere zu verschaffen.

vom 25. Juli 1870. 585

Zudem sind die Merkmale zur Unterscheidung der Arten einer und derselben Gruppe meist so geringfügig und so wenig in die Augen springend, dafs eine grofse Zahl von Beschreibungen der bisher aufgestellten Arten viel zu ungenügend, oft nur in der Angabe der Körper- und Schwanzlänge bestehend, ist, um sie bei der Bestim- mung neuer Arten verwerthen zu können.

Die Spitzmäuse Indiens gehören fast sämmllich der Gattung Crocidura Wagler an und weichen in Bezug auf die Färbung nur wenig von einander ab. Die Mafse der Fufssohle und der Zähne sowie die Form und Proportionen der Zähne gehören zu denjeni- gen Merkmalen, welche bei einer und derselben Art am constante- sten zu sein scheinen.

A. Zähne: 3:11 6 11.3 —_ 16, Opocidura s. S.

3.10 4 0.1.3 12 1. Crocidura (Cr.) retusa n. sp.

Von der Gröfse des Sorex vulgaris.

Die hintere Abtheilung des ersten obern Schneidezahns ist kürzer als die vordere und ihre Spitze halb so hoch, wie die des zweiten Schneidezahns. Der Eckzahn erscheint von aufsen be- trachtet eben so hoch und grofs wie der dritte Schneidezahn, von der Kaufläche angesehen aber merklich gröfser. Der vordere Zacken des falschen Backzahns ist wohl entwickelt, ragt aber nur bis zur halben Höhe des Eckzahns hervor. Der erste untere Schneidezahn ist hinter seiner Spitze wellenförmig eingebuchtet; der zweite ist mehr als doppelt so lang wie hoch. Der vordere Zacken des ersten untern linken Backzahns ist wohl entwickelt, und ragt bis zum letzten Drittel der Spitze des falschen Backzahns hervor.

Die innere Seite der Ohrmuschel ist mit kurzen braunen Haa- ren sparsaın bekleidet, noch sparsamere längere braune Haare ste- hen auf den beiden Vorsprüngen derselben.

An jeder Körperseite ist die Lage der Drüsen durch einen länglich ovalen Fleck kürzerer hellbrauner Haare zu erkennen.

Der Schwanz ist länger als der Rumpf, hinter der Basis spin- delförmig angeschwollen oder ohne Anschwellung, sehr fein und unregelmäfsig geringelt (etwa 16 Ringel auf 5 Millimeter).

Oben zimmetbraun, unten graubraun, alle Haare an der Basis schieferfarbig. Oberseite der Hände und Fülse rostfarbie. Schwanz oben dunkler, unten blafser rostfarbig. Die Spitzen der Barthaare,

986 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

der längeren und vieler der kurzen unteren Schwanzhaare weifs-

lich. Krallen blafsgelb.

Totallänge 02105 Kralle der Mittelzehen 00013 Schwanz ') 0mM049 Obere Zahnreihe 07007 Kopf | 07023 Untere Zahnreihe 00063 Schnauzenspitze bisAuge 07009 Länge des 1. obern

Auge bis Ohr 07004 Schneidezahns 0%0012 Ohröffnung bisNasenloch0%0145 Höhe des 1. obern

Höhe des Ohrs 07008 Schneidezahns 02002 Breite des Ohrs 07007 Länge des 1. untern

Fufssohle mit Kralle 0%0125 Schneidezahns 070026

Zwei Exemplare aus Paradenia (Ceylon).

2. Crocidura (Or.) foetida n. sp.

An Gröfse etwa mit Crossopus fodiens übereinstimmend.

Die hintere Abtheilung des ersten obern Scheidezahns ist et- was länger als die vordere, sehr niedrig, am Rande schneidend convex ohne hervortretende Spitze. Der Eckzahn ist eben so hoch wie der dritte Schneidezahn und die wenig entwickelte vor- dere Spitze des falschen Backzahns, aber im Umfang etwas grös- ser als jener. Der vordere untere Schneidezahn ist auffallend grade, an der Spitze fast gar nicht gekrümmt; der zweite Schneidezahn ist doppelt so hoch wie lang, ohne Spitze und der erste untere Backzahn ist vorn abgestutzt und hat keinen vorderen Nebenzacken, indem der diesem ensprechende kleine innere Höcker kaum bemerkbar ist.

Die innere Seite der Ohrmuschel ist mit sparsamen braunen Härchen bekleidet, welche auf den beiden Ohrklappen etwas län- ger sind.

An jeder Körperseite befindet sich ein länglich ovaler, 4 Mm. langer, zimmtbrauner Fleck kürzerer steiferer Haare.

Der Schwanz ist fein geringelt (18 Ringel = 5 Millimeter), an dem einzigen Exemplar ohne Anschwellung und vierseitig, mit kurzen schwarzen und braunen und sparsamen längeren, blafsspitzi- gen Haaren versehen.

Oben zimmtbraun, unten blasser; alle Haare an der Basis dunkelbraun. Hände und Füfse rostbraun; Krallen gelblich.

1) Als Anfang des Schwanzes ist der unmittelbar hinter der Analöffnung

liegende Punkt betrachtet worden. -

"vom 25. Juli 1870.

Totallänge 02120 Schwanz 02056 Kopf 0M050

Schnauzenspitze bis Auge 010135 Auge bis Ohr 000045 Nasenloch bis Ohröffnung 070185

587

Länge der obern Zahn- reihe 020095 Länge der untern Zahn- reihe 070092 Länge des 1. oberen Schneidezahns 070015

Ohrhöhe 020085 Höhe des 1. oberen

Ohrbreite 02007 j Schneidezahns 02002 Fufssohle mit Krallen 0%015 Länge des untern Schnei-

Kralle der Mittelzehe 0%0018 dezahns 070034

Bengkajang (Borneo); gesammelt von Hrn. Dr. v. Martens. In der Gröfse und im Ansehen hat diese Art, der Abbildung nach zu urtheilen, grofse Ähnlichkeit mit O©. Sonnerati Is. Geof- froy, welche aber nach Duvernoy einer anderen Abtheilung, Pachyura, mit einem kleinen Lückenzahn im Oberkiefer angehört.

3. Crocidura (Cr.) Doriae n. sp.

Von der Grölse einer Hausmaus.

Die hintere Abtheilung des ersten oberen Schneidezahns ist ebensolang wie die vordere und ihre Spitze halb so hoch, wie die des zweiten Schneidezahns. Der Eekzahn ist ebensogrofs oder ein wenig gröfser als der dritte Schneidezahn. Das Cingulum des grolsen falschen Backzahns bildet keinen deutlichen Zacken und ist daher viel niedriger als der Eckzahn. Der zweite untere Schneide- zahn ist doppelt so lang wie hoch und der vordere kleine vom Cingulum ausgehende Zacken des ersten unteren wahren Backzahns ragt lange nicht so hoch hinauf wie die Spitze des falschen Back- zahns.

Die innere Seite der Ohren ist mit kurzen dunklen Härchen bekleidet, welche die Haut durchscheinen lassen und die Ränder der beiden Ohrvorsprünge zeigen sparsame längere dunkelbraune Haare.

Der Schwanz ist in der Grundhälfte spindelförmig augeschwol- len, sehr fein geringelt, indem etwa 16 Ringel auf 5 Mm. gehen, sowohl oben wie unten mit dunkelbraunen kurzen Haaren sparsam bekleidet und mit nur wenigen längeren weilsspitzigen Haaren ver- sehen.

An dem mir vorliegenden Exemplare, einem Weibchen, befin- den sich, wie gewöhnlich, jederseits drei Saugwarzen, von denen die beiden vorderen unter dem hintern Rande des Oberschenkels, die hinteren weiter zurück, in gleicher Querlinie mit der Geschlechts-

[1870] 41

588 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

öffnung, liegen. Eine Seitendrüse oder ein den Öffnungen dersel- ben entsprechender Fleck oder eine durch kürzere Behaarung aus- gezeichnete Stelle habe ich nicht finden können.

Farbe: oben, auch die Hände und Fülse dunkelzimmtbraun, unten blasser; sämmtliche Haare mit Ausnahme der kurzen Haare des Hand- und Fufsrückens an der Basis schieferfarbig. Die Barthaare mit helleren Spitzen, die Krallen gelblich weils.

Totallänge 0%140 Fufssohle mit Krallen 0%016

Schwanz 0060 Kralle der Mittelzehen 0'002

Kopf 072032 Obere Zahnreihe OrO11

Schnauzenspitze bis Auge 09013 Untere Zahnreihe 0R010

Von Auge bis Ohr 0%006 Länge des 1. oberen

Von Ohröffnung bis Na- Schneidezahns 000183 senloch 0%020 Höhe desselben 0720027

Höhe des Ohrs 07010 Länge des 1. unteren

Breite des Ohrs 02008 Sehneidezahns 070052

Sarawak (Borneo), gesammelt von Hrn. Marquis J. Doria.

4, Crocidura (Cr.) monticola n. Sp.

Von der Gröfse des Sorex pygmaus.

Die hintere Abtheilung des oberen Schneidezahns ist kürzer als die vordere und bildet einen spitzen Zacken. Die Höhe des zweiten Schneidezahns ist gleich 2 der Höhe des ersten und seine Länge gröfser als die des dritten Schneidezahns und des Eckzahns zusammen. Der Eckzahn ist kaum höher, aber etwas gröfser als der letzte Schneidezahn. Der vordere vom Zahnkranz gebildete Zacken des falschen Backzahns ist klein, aber deutlich und nach aufsen von dem Eckzahn gelegen, dessen halbe Höhe er erreicht; die beiden innern Höcker desselben Zahnkranzes sind wenig ent- wickelt. Der zweite untere Schneidezahn ist nicht doppelt so lang wie hoch, eben so lang wie der falsche Backzahn, dessen Länge und Höhe gleich sind. Der vordere innere Zacken des ersten wahren Backzahns ist wohl entwickelt. Die Ohren sind sparsam mit dunkelbraunen Härchen bekleidet.

Der Schwanz ist dünn, aber immer noch dicker als der Meta- tarsus, vierkantig, fein geringelt (circa 22 Ringel gehen auf 5 Mm.), oben braunschwarz, unten graubraun, indem die kurzen Haare oben und an den Seiten braunschwarz, die der Unterseite braun, die län- gern Haare zum gröfsten Theil weifslich sind.

vom 23. Juli 1870.

989

Oben dunkelbraun, unten dunkelgrau, Haare am Grunde schie- ferfarbig; Hände und Füfse braun, Krallen gelblich.

Totallänge 02102 ‚Schwanz 02047 Kopf 07020

Schnauzenspitze bis Auge 07009 Auge bis Ohr 070035 Nasenloch bis Gehörgang 0Y014 Ohrhöhe 020045 Fufssohle mit Krallen 020065

Kralle der Mittelzehe 09001 Obere Zahnreihe 0920069 Untere Zahnreihe 020063

Länge des 1. oberen Schneidezahns 020011

Höhe desselben 070017

Länge des 1. unteren Schneidezahns 0720026

Von dieser ausgezeichneten Art besitzt die Sammlung nur ein einziges nicht sehr wohl erhaltenes Exemplar, welches Hr. F. Ja- gor in 3500 Fufs Höhe im Walde des Berges Lawu bei Surakarta auf Java gefangen hat.

5. Crocidura (Cr.) microtis n. sp.

Die Basis des 2. obern Schneidezahns ist etwas länger als der 3. Schneidezahn und der Eckzahn zusammengenommen. Der Eckzahn ist kaum höher und gröfser als der 3. Schneidezahn. Der zweite untere Schneidezahn ist doppelt so lang wie hoch und der vorderste kleine Zacken des ersten unteren wahren Backzahns ragt lange nicht so hoch hinauf wie die Spitze des falschen Back- zahns. |

Die innere Seite der kleinen Ohren ist wohl behaart, die Ränder der Ohrklappen sind mit längern Haaren versehen.

Der Schwanz ist verdickt, ziemlich kurz und so dicht behaart, dals die Ringel fast ganz verdeckt sind.

Oben graubraun, unten grau, Hände und Füfse dunkelbraun. Schwanz oben dunkelbraun, unten heller, die langen Haare dessel- ben grauweils.

Totallänge 02120 Höhe des Öhrs 03007 Schwanz 02035 Breite des Ohrs 0005 Kopf 0%030 Fufssohle mit Krallen 02018 Schnauzenspitze bis Auge 0%016 Obere Zahnreihe 07013 Auge bis Ohr 02007 Untere Zahnreihe 02012

Zwei noch junge Exemplare von Hongkong durch Hrn. Faber. |

Bei ganz jungen nackten Exemplaren anderer Arten sind die Ohren auch verhältnifsmäfsig sehr klein, da die vorliegenden Exem- plare aber vollständig behaart sind, so dürfte die geringe Gröfse der 41*

590 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Ohren nicht auf Rechnung des jugendlichen Alters zu setzen

sein. 6. Crocidura (Cr.) gracilipes n. sp.

Die hintere Abtheilung des 1. lang wie die vordere und bildet eine deutlich scharfe Spitze.

ist So Die Basis des 2. Schneidezahns ist etwas kürzer als der 3. Schneide- Der Eekzahn ist et- Der vordere Zacken des Reilszahns ist nicht so hoch wie der Eckzahn.

oberen Schneidezahns

zahn und der Eckzahn zusammengenommen. was niedriger, aber eben so grols wie der 3. Schneidezahn.

Der 2. untere Schneidezahn ist mehr als doppelt so lang wie hoch

und bildet vorn eine abgerundete kurze Spitze.

Die Ohren sind kahl, etwas länger als hoch.

nur mit sparsamen Härchen versehen,

Der Schwanz ist dünn, quadrangulär und aufser den kurzen

nur mit sehr vereinzelten längeren Härchen versehen.

Die Krallen der Finger sind länger als die der Zehen (wie

bei Cr. sacralıs Ptrs2).

Oben schön zimmtbraun, unten graubraun; sämmtliche Haare

an der Basis schieferfarbig. zimmtfarbigen Härchen.

Totallänge OR Bis Schwanzbein 02065 Schwanz 02902 Kopf 0”024

Schnauzenspitze bis Auge 0'009 Auge bis Ohr 0%0046 Nasenloch bis Ohröffnung 0'015

- Öhrhöhe 00065 Öhrbreite 02007 Fufssohle mit Krallen 0%013 Kralle der Mittelzehe 0%005

Schwanz oben braun,

Hände und Fülse mit sparsamen

unten braungrau.

Kralle des Mittelfingers 0%0012 Länge der oberen Zahn- reihe 0%0087 Länge der unteren Zahn- reihe 0%008 Länge des 1. oberen Schneidezahns 070012 Höhe des 1. oberen Schneidezahns 02002 Länge des unteren 1. Schneidezahns 020032

Aus der Sammlung des Baron ©. v. d. Decken, auf der Reise nach dem Kilimandscharo.

B. Zähne: 3:21 %6 12-3 18 12

; Pachyura Selys.

3-10 4 01-3

7. Crocidura (P.) Waldemarü n. sp.

Von der Gröfse einer kleinen Hausratte. Die hintere Abtheilung des ersten oberen a rahns ist

länger als die vordere und bildet eine deutliche Spitze.

Der Eck-

vom 29. Juli 1870. 91

zahn ist merklich höher und gröfser als der 3. Schneidezahn. Der kleine Lückenzahn ist zum gröfsten Theil von aufsen sicht- bar. Der vordere Zacken des falschen Backzahns ragt lange nicht so weit herab wie der Eckzahn. Der zweite untere Schneidezahn ist mehr als doppelt so lang wie hoch und bildet einen deutlichen Zacken. Die vordere innere Zacken des ersten untern wahren Backzahns ist wohl entwickelt, aber viel niedriger als der vorher- gehende falsche Backzahn.

Die Ohrklappen sind nur mit sparsamen Haaren versehen, welche eben so wie die kürzern der Ohrmuschel weifslich sind.

Der verdickte feingeringelte (etwa 15 Ringel = 5 Millimeter) Schwanz ist mit weilsgrauen Haaren bekleidet. Unter den Hinter- krallen ist die zweite, wie bei den verwandten Arten, durch grös- sere Breite ausgezeichnet.

Die Seitendrüsenöffnungen sind mit kurzen weifslichen Haa- ren umgeben.

Totallänge 07200 Länge der oberen Zahn- Schwanz 07074 reihe 0%0125 Kopf ca. 0%033 Länge der unteren Zahn- Schnauzenspitze bis Auge 0%017 reihe 02012 Auge bis Ohr 0%009 Länge des 1. oberen

Ohrhöhe omRO11 Schneidezahns 07002 Ohrbreite 02009 Höhe desselben 02004 Fufssohle mit Krallen 02021 Länge des 1. unteren

Kralle der Mittelzehe 02002 Schneidezahns 07006

Bengalen; ein ausgestopftes weibliches Exemplar aus der Sammlung S. K. H. des Prinzen Waldemar von Preufsen. Diese Art ist der Or. cerulescens Shaw (= S. indicus G eof- froy Mem. du Mus. d’hist. nat. 1815. I. Taf. XV. Fig. 1.2 = 8. giganteus Is. Geoffroy) ähnlich, aber beträchtlich kleiner. Cr. Sonnerati Is. Geoffr. von der Grölse einer Hausmaus und (Cr. serpentarius Is. Geoffr. (Belanger, Voyage aux Indes orientales. 1834. p. 119. Kopf und Körper 0%105, Schwanz 0%056) sind da- mit nicht zu vergleichen, abgesehen davon, dafs die letztere über- haupt zu wenig characterisirt ist, um zu einer genauern Verglei- chung dienen zu können. 8. Crocidura (P.) ceylanica n. sp. Etwas grölser als Mus sylvaticus.

Die hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns ist kür- zer als die vordere und bildet nur eine kurze schneidende Spitze.

592 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Der 2. Schneidezahn ist so lang wie der 3. und der Eekzahn zu- sammen, und der letztere ist höher und um die Hälfte grölser als der 3. Schneidezahn. Der kleine Lückenzahn liegt zum gröfsten Theil an der inneren Seite des falschen Backzahns (Reifszahns) und ist daher von aufsen wenig sichtbar. Die vordere Spitze des Reifszahns ist niedriger als der Eckzahn und ragt fast so weit herab wie der 3. Schneidezahn. Der 2. untere Schneidezahn ist doppelt so lang wie hoch, mit einer stumpfwinkeligen schneidenden Spitze versehen und die vordere innere Spitze des unteren ersten wahren Baekzahns ist wohl entwickelt.

Die Ohren sind kahl, nur mit sehr sparsamen Haaren, länger an den Ohrklappen versehen.

Der Schwanz ist feingeringelt (15 Ringel = 5 Mm.), verdickt, oben braun, unten heller, mit braunen Haaren bekleidet, von de- nen die langen und die der Unterseite helle Spitzen haben.

Oben dunkel zimmtbraun, unten graubraun, alle Haare am Grunde schieferfarbig. Jederseits ein 7 Mm. langer ovaler Fleck blafsbrauner steifer kurzer Haare.

Hände und Füfse gelbbraun, mit kurzen braunen Haaren be-

kleidet, welche die Schuppen der Epidermis nicht verdecken.

Totallänge 07180 Fafssohle mit Krallen 0%023

Schwanz 07069 Kralle der Mittelzehe 0%0025 Kopf 02043 Obere Zahnreihe 0%0137 Sehnauzenspitze bis Auge 0'018 Untere Zahnreihe 0%0135

Auge bis Ohr 0%007 Länge des 1. oberen

Nasenloch bis Ohröffnung 0%031

Ohrhöhe OmO14 Ohrbreite 0mo11

Schneidezahns 020024 Höhe desselben 02004 Länge des 1. unteren

Schneidezahns 07006

Ein ausgewachsenes Männchen aus Paradenia (Ceylon).

9, Crocidura (P.) media n. sp.

Sehr ähnlich der vorhergehenden Art, aber kleiner. Die hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns ist kür-

zer als die vordere und bildet einen deutlichen Zacken.

Der 2.

Schneidezahn ist etwas kürzer als der 3. und der Eckzahn zusam- men. Der Eckzahn ist nur unmerklich höher und gröfser als der

3. Backzahn.

Der Lückenzahn liegt in der Zahnreihe und ist von

aufsen ganz sichtbar; er ist etwas niedriger als die vordere Spitze

des Reifszahns.

Der untere 2. Schneidezahn ist nicht halb so

vom 25. Juli 1870. 593

hoch, wie lang. Die vordere innere Spitze des ersten unteren Backzahns ist entwickelt.

In der Färbung, Schwanzbildung und Behaarung mit der vor- hergehenden übereinstimmend.

Totallänge 0%149 Fufssohle mit Krallen 00193 Schwanz 02056 Kralle der Mittelzehe 0%0018 Kopf 0,033 Obere Zahnreihe 00125 Schnauzenspitze bis Auge 070156 Untere Zahnreihe 00112 Auge bis Ohr 00055 Länge des 1. oberen

Nasenloch bis Ohröffnung 0%0255 Schneidezahns 070024 Ohrhöhe orO11 Höhe desselben 020036 Ohrbreite 0”0095 Länge des unteren 1.

Schneidezahns 020053

Ein ausgebildetes Männchen aus Paradenia (Ceylon).

10. Crocidura (P.) sumatrana n. Sp.

Hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns kürzer als die vordere, mit niedriger abgerundeter Spitze. Zweiter Schneide- zahn kürzer als der 3. und der Eckzahn zusammen. Eckzahn ebenso hoch wie der 3. Schneidezahn und nur wenig gröfser.

Lückenzaha sehr klein, hinter dem Eckzahn gelegen, durch einen

Zwischenraum von dem Reifszahn getrennt. Der abgerundete vor- dere Höcker des Reifszahns tiefer herabragend als der Eckzahn. Unterer 2. Schneidezahn reichlich doppelt so lang wie hoch. Vor- derer innerer Höcker des ersten wahren Backzahns fast so hoch heraufragend wie der vorhergehende falsche Backzahn.

Innere Seite der Ohrmuschel mit sparsamen kurzen rostfarbi- gen Haaren besetzt; sparsamere längere Haare an den Ohrklappen.

Schwanz fein geringelt (15 Ringel = 5 Millim.), verdickt, mit kurzen braunen Haaren bekleidet. Die längern Haare und einige kurze der Unterseite mit hellen Spitzen.

Oben hell zimmtfarbig, unten graubraun. Haare an der Basis schiefergrau. Hände und Füfse heller rostfarbig, Krallen gelblich weils.

Totallänge 02175 Ohrbreite 0%011 Schwanz 02066 Fufssohle mit Krallen 0%019 Kopf 02038 Kralle der Mittelzehe 0%0022 Schnauzenspitze bis Auge 0%015 Obere Zahnreihe 020122 Auge bis Ohr 02008 Untere Zahnreihe 020115

Nasenloch bis Ohröffnung0%024 Länge des 1. oberen

:Ohrhöhe 02012 Schneidezahns 02002

594 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Höhe des 1. oberen Länge des unteren 1. Schneidezahns 070032 Schneidezahns 07005 Ein weibliches Exemplar mit entwickelten Zitzen aus Palem- bang auf Sumatra durch Hrn. Dr. von Martens.

11. Crocidura (P.) fuscipes n. Sp.

Etwas gröfser als Mus sylvaticus.

Hivutere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns eben so lang, wie die vordere und eine scharfe Spitze bildend. Zweiter Schnei- dezahn nicht ganz so lang wie der 3. und der Eckzahn zusammen. Der Eckzahn um 4 gröfser als der 3. Schneidezahn, aber kaum höher als derselbe. Der Lückenzahn ist zum gröfsten Theil von aufsen sichtbar, liegt aber z. Th. an der innern Seite des Reifs- zahns. Die vordere Spitze des letztern ragt kaum tiefer herab, als die Spitze des Lückenzahns, ist daher viel niedriger als der Eckzahn. Der untere 2. Schneidezahn ist doppelt so lang wie hoch und der innere Zacken des ersten unteren Backzahns ist wohlent- wickelt.

Schwanz diek, etwas stärker geringelt als die vorhergehenden (12 Ringel = 5 Mm.), oben dunkelbraun, unten heller, indem die Haare der Oberseite braun, die der Unterseite sowie die längern weifslich sind.

Oben graubraun, unten grau, Hände und Füfse dunkelbraun, Krallen gelblich. Die steifen kurzen Haare des Seitenflecks sind wie die übrigen Körperhaare, am Grunde schieferfarbig, oben an der Spitze grauweils.

Totallänge 02170 Kralle der Mittelzebe 09002 Schwanz 02065 Obere Zahnreihe 02015 Kopf 0”0385 Untere Zahnreihe 0012 Schnauzenspitze bis Auge 070155 Länge des 1. oberen

Auge bis Ohr 00055 Schneidezahns 0%002 Nasenloch bis Ohröffnung 020245 Höhe desselben 0%0032 Ohrhöhe 02012 Länge des 1. unteren

Ohrbreite 07010 Schneidezahns 0%0055

Fufssohle mit Kralle 0%019 (09020)

Von Singapore, wo Hr. F. Jagor 6 Exemplare auf einem Cocosfelde fand.

In der Gröfse ist diese sowohl wie die vorhergehende dem S. myosurus Pallas ähnlich. Nach der Angabe von Pallas würde diese Art aber zu den Crocidura s. s. gehören und keinen kleinen

vom 25. Juli 1870. 595

Lückenzahn haben, womit auch die von ihm gegebene Abbildung (Acta Acad. Scient. Imp. Petropolit. V. 1781. Il. Taf.5. Fig.17) über- 'einstimmt, welche den Eckzahn kleiner als den 3. Schneidezahn zeigt. Ob die von Geoffroy (Annal. du Mus. d’hist. nat. XVII. 1811. p. 185. Taf. 3. Fig.2.3) gegebene Abbildung, welche den Eckzahn grölser zeigt, nach den Originalexemplaren aus dem geraubten nie- derländischen Museum gemacht sei, ist nicht ganz klar aus dem Text zu ersehen.

Ein Exemplar, welches unser Museum neuerdings aus Java erhalten hat und welches vielleicht zu S. myosurus Pallas gehören dürfte, hat die hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahns viel kürzer als die vordere, den 2. Schneidezahn eben so lang wie den 3. und den Eckzahn zusammengenommen, einen niedrigen ganz nach innen gedrängten Lückenzahn und den vordern innern Zacken des Reifszahns fast eben so weit herabragend wie den Eckzahn, diesen letzteren aber wie in der Godeffroy’schen Abbildung ein wenig höher und gröfser als den 3. Schneidezahn.

Vielleicht wird es noch möglich sein, herauszubringen, ob die im Pariser Museum befindlichen Originalexemplare zu der Abbil- dung und Beschreibung Geoffroy’s aus dem ehemaligen nieder- ländischen Museum stammen, was für diesen Gegenstand von gro- (sem Interesse sein würde. 3

12. Crocidura (P.) luzoniensis n. sp.

Hintere Abtheilung des 1. oberen Schneidezahrs kürzer als die vordere, mit kurzer scharfer Spitze. Zweiter Schneidezahn nicht so lang wie der 3. und der Eckzahn zusammen. Der Eck- zahn merklich höher als der 1. und um die Hälfte gröfser als der 3. Backzahn. Lückenzahn nur zum kleinen Theil von aufsen sichtbar, an der innern Seite des Eckzahns und Reifszahns liegend. Vorderer Höcker des Reifszahns wenig entwickelt, tiefer liegend als der Lückenzahn. Zweiter unterer Schneidezahn reichlich dop- pelt so lang wie hoch. Vorderer innerer Höcker des 1. unteren wahren Backzahns wohl entwickelt.

Ohren mit ganz kurzen braunen Haaren sparsam bekleidet, längere auf den Ohrklappen.

Schwanz dick, fein geringelt (ca. 16 Ringel = 5 Mm.), ver- dickt, einfarbig dunkelbraun, ringsum mit schwarzbraunen Haaren bekleidet, nur die längern mit blasser Spitze.

996

Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Oben dunkel zimmtbraun, unten etwas blasser, Hände und

Fülse rein braun.

gelblichweils.

Totallänge 02148 Schwanz 07050 Kopf 07033

Schnauzenspitze bis Auge 0015 Auge bis Ohr 00055 Ohröffnung bis Nasenloch 0%0235 Ohrhöhe 070108 OÖhrbreite 0009 Fufssohle mit Kralle

Haare an dem Grunde schieferfarbig.

Nägel Kralle der Mittelzehe 07002 Obere Zahnreihe 0%0115 Untere Zahnreihe 020105

Länge des 1. oberen Schneidezahns 070017

Höhe desselben 07003

Länge des ]. untersten Schneidezahns 070046

0017 (0018)

Zwei Weibehen aus Luzon, eins von Daraga durch Hrn. F. Jagor und eins von Manila durch Hrn. Dr. v. Martens.

Hr. A. W. Hofmann las:

Beobachtungen vermischten Inhalts. l. Über die Einwirkung des Cyans auf das Anilin.

Neben dem Cyananilin, dem Hauptproducte dieser Reaction, bildet sich, wie ich bereits vor 22 Jahren gefunden habe,') eine rothe krystallinische Materie, welche in letzter Zeit einer einge- henden Prüfung unterworfen wurde. In geeigneter Weise gerei- nigt liefert dieses Pulver schöne morgenrothe, violettschillernde Krystalle einer wohl krystallisirten einsäurigen Base von der Formel

CyHuN;; welche sowohl für sich als auch in Form eines in Nadeln krystal- lisirten chlorwasserstoffsauren Salzes 04H, N, ..H6ol analysirt worden ist.

Man kann annehmen, dafs sich dieser Körper durch Cyanan- lagerung aus Triphenylguanidin bilde, und in diesem Sinne die Base durch die Formel

!) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXVI, 127.

vom 25. Juli 1870. NT,

Ü 0,H,N;=2CN, (C, 11), | N; H, darstellen.

Übereinstimmend mit dieser Auffassung sind die Umbildungen der Base. Längere Zeit mit verdünntem Alkohol erhitzt (am be- sten unter Druck) geht sie unter Ammoniak- und Anilinabspaltung in Diphenylparabansäure über:

& co 3CN, (HJ Ns +3H,0=(,0, IN: + 2H,N + C;H,N. H, (C;H;)

Kocht man die alkoholische Lösung der Base längere Zeit mit concontrirter Salzsäure, so zerfällt auch die Diphenylparaban- säure, und man erhält schliefslich nur Ammoniak, Anilin, Kohlen- säure und Oxalsäure.

c 20N, Ed) N,-+6H,0 = 2H,N+30,H,N+00,-+ C,H,0,. Hs

2. Einwirkung des Cyans auf das Triphenylguanidin.

Nachdem die Zusammensetzung der in dem vorhergehenden Paragraphen beschriebenen Verbindung festgestellt worden war, lag der Gedanke nahe, die Darstellung derselben durch die Einwirkung des Cyans auf das Triphenylguanidin zu versuchen.

Eine alkoholische Lösung des triphenylirten Guanidins absor- birt in der That reichliche Mengen von Oyangas, und nach länge- rem Stehen setzt die gesättigte Lösung gelblich weilse Krystalle ab, welche durch Umkrystallisiren gereinigt werden. Dieser Kör- per hat dieselbe Zusammensetzung wie der neben dem Cyananilin entstehende, nämlich

C O,HuN;=2CN, ren N.. H,

Und nicht nur in der Zusammensetzung stimmt er mit diesem Nebenproducte überein, auch in seiner Constitution mul[s er demselben

598 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

sehr nahe stehen. Nichtsdestoweniger genügt eine einfache Verglei- chung der Eigenschaften beider Verbindungen, um zu zeigen, dafs hier nur Isomerie, nicht Identität statt hat. Hinsichtlich der Farbe, Krystallform und Löslichkeit geben sich die gröfsten Unterschiede zu erkennen, besonders scharf aber zeigt sich die Verschiedenheit im Verhalten zu den Säuren.

Der aus dem Triphenylguanidin entstehende Cyankörper nimmt in Berührung mit Salzsäure eine tiefe gelbrothe Farbe an, offenbar in Folge der Bildung eines Salzes; allein vergeblich bemüht man sich, dieses Salz zu fixiren. Schon nach einigen Augenblicken ist der Körper unter Ammoniakabspaltung in eine schön krystallisirte gelbe Substanz übergegangen, welche nichts anderes als Oxalyl- triphenylguanidin

6) C,H; N; O, 7= Ö, 07 N; CH

\ Co)

ist und nach der Gleichung C,„H,,N, + 2H,0 = C,H,N;0;, + 2H; N

entsteht. Mit Alkohol und Salzsäure gekocht liefert dies Product, unter Ausscheidung von Anilin, Diphenylparabansäure,

C,H,N;0,;,+ H,0 = C,H,N50; + C,H,N,

welche letztere schliefslich in Anilin, Oxalsäure und Kohlensäure zerfällt.

Man sieht, auch die Zersetzungsproducte der beiden Isomeren sind dieselben, die Erscheinungen aber, unter denen sie sich bil- den, charakterisiren nicht minder die Verschiedenheit beider Sub- stanzen.

Erwägt man, wie leicht die beiden isomeren Dieyanverbindun- gen des Trriphenylguanidins, sowie auch nach meinen früheren Untersuchungen ') des Diphenylguanidins in Diphenylparabansäure übergehen, so liegt der Gedanke nahe, die Bildung der normalen Parabansäure durch Behandlung des normalen Guanidins mit Cyan anzustreben. Diese Aufgabe verfolgende Versuche werden im Augenblick im hiesigen Laboratorium angestellt.

1) Hofmann, Lond. R. 8. Proc. XI, 275 und Monatsb. 1870, 171.

vom 25. Juli 1870. 599

8. Über eine neue Classe von Oyansäureäthern.

Schon vor vielen Jahren habe ich gezeigt, dafs sich die ge- wöhnlichen Cyansäureäther bei der Berührung mit Triäthylphos- phin polymerisiren.') Diese Beobachtung wurde zunächst beim Phenyleyanat angestellt. Ich sprach damals die aus dem Phenyl- cyanat entstehende schön krystallisirte Verbindung als Phenyleya- nurat an. Diese Annahme schien vollkommen berechtigt, da die starre Verbindung dieselbe Zusammensetzung wie das flüssige Cyanat besitzt, von letzterem aber in seinen Eigenschaften, zumal aber durch einen ungleich höheren Siedepunkt abweicht. Seitdem bin ich den phenylirten Oyanursäureverbindungen auf anderen We- gen begegnet, dem Phenyleyanurat unter den Zersetzungsproducten des Triphenylmelamins,”) dem Isocyanurat bei der Untersuchung der Einwirkung des Cyanchlorids auf Phenol.”) Die Entdeckung einer einfachen Methode, das Phenyleyanat aus dem Phenylurethan darzustellen,*) war mir deshalb von besonderem Werthe, weil sie mir die Entscheidung der Frage erlaubte, ob das durch Polymeri- sation aus dem Cyanat entstehende Product mit einem der auf an- dere Weise gewonnenen Cyanurate identisch sei.

Eine eingehende Prüfung des mittelst Phosphorbase aus dem Phenyleyanat erhaltenen Körpers hat mich nun gelehrt, dafs diese Substanz weder mit dem Phenyleyanurat noch mit dem Phenyliso- cyanurat identisch ist. Der Schmelzpunkt des aus dem Triphenyl- melamin entstehenden Oyanurats liegt bei 260, der des dem Phe- nol entstammenden Isocyanurats bei 224; die durch Polymerisation entstandene Verbindung schmilzt schon bei 175°. Auch in den übrigen Eigenschaften weicht diese Verbindung von den bereits be- kannten Cyanuraten ab.

Ganz ähnliche Erscheinungen, wie diejenigen, welche man bei der Einwirkung der Phosphorbase auf das Phenyleyanat beobach- tet, zeigen sich bei der Behandlung des Äthyl- und Methyleyanats

mit dem Phosphorkörper. Das Äthyleyanat geht unter diesen Um- _ ständen bei gewöhnlicher Temperatur langsam, bei der Temperatur

)) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. Suppl. I, 57. 2) Hofmann, Monatsberichte 1870, 197. ®) Hofmann, Monatsberichte 1870, 206. *) Hofmann, Monatsberichte 1870, 576.

600 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

des siedenden Wassers unter Druck fast augenblicklich in eine zähe Flüssigkeit über, die nach kurzer Zeit krystallinisch erstarrt. Das Methyleyanat verwandelt sich bei der Berührung mit einem Tropfen Triäthylphosphin augenblicklich und unter beträchtlicher Wärme- entwicklung in eine schöne Krystallmasse. Die unter Mitwirkung der Wärme aus dem Äthyleyanat entstehende Verbindung zeigt den Schmelzpunkt 95°, ist also wohl mit dem bekannten Äthyl- eyanurat identisch. Der Schmelzpunkt des gewöhnlichen Methyl- cyanurats liegt bei 175°; das erst jüngst von mir entdeckte Methyl- isoeyanurat schmilzt bei 132°; die neue durch Polymerisation ent standene Verbindung schmilzt schon bei 98°.

Die neuen Isomeren der Cyansäure- und Cyanursäureäther liefern, zumal in der aromatischen Reihe, interessante Umbildun- gen, welche ich eingehend zu untersuchen gedenke. Schon jetzt aber mag es mir gestattet sein, die Ansicht auszusprechen, dals die neu entdeckten Verbindungen in der Mitte zwischen den Cyan- säure- und Cyanursäureäthern liegen

co (CO), (CO), N N N, , C,H; (G, H,)s z (0, H3); ; Phenylcyanat. Neue Verhindung. Phenylcyanurat.

Weitere Untersuchungen müssen feststellen, ob diese Auffas- sung die richtige ist.

4. Neue Bildungsweise der Isonitrile.

Die merkwürdige Umwandlung, welche die Cyansäure-Äther durch die Einwirkung des Triäthylphosphins erleiden, liels es wün- schenswerth erscheinen, das Verhalten der Phosphorbase auch ge- gen die Senföle von Neuem zu studiren. Schon früher habe ich gezeigt, dafs das Senföl par excellence sowie das Phenylsenföl ') 1 Mol. Triäthylphosphin fixiren, indem substituirte Harnstoffe ent- stehen, welche gleichzeitig Stickstoff und Phosphor enthalten. In der eitirten Abhandlung findet sich bereits die Angabe, dafs sich

1) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. I. Suppl. 57.

vom 25. Juli 1870. 601

diese Harnstoffe bei höherer Temperatur in Triäthylphosphinsulfid und flüssige Körper von durchdringend unangenehmem Charakter verwandeln, deren Natur damals unergründet blieb. Bei einer Wiederholung dieser Versuche ergab es sich, dafs als das comple- mentäre Product des Triäthylphosphinsulfids das Isonitril der Reihe auftritt,

cs ji C,H, Inr = (GH,,PS+ „1 In. (C,H, ); a

Auch die seit jener Zeit entdeckten Senföle der Methyl-, Äthyl- und Amylreihe zeigen ein vollkommen analoges Verhalten. Beim Zusammentreffen von Phosphorbase mit den genannten Senf- ölen wird Wärme frei, der Geruch verschwindet offenbar in Folge der Bildung von den genannten Harnstoffen analogen Phosphor- stickstoffverbindungen. Wird nunmehr die Mischung unter Druck erhitzt, so scheiden sich beim Erkalten die prachtvollen Krystalle des Triäthylphosphinsulfids ab, während sich gleichzeitig das Iso- nitril der Methyl-, Äthyl- und Amylreihe durch seinen furchtbaren Geruch zu erkennen geben.

6. Reaction auf Cyanursäure.

Wenn die Cyanursäure als solche und in nur irgend erheb- licher Menge vorliegt, so wird man, um sie zu erkennen, kaum einen anderen Weg einschlagen, als die Säure scharf zu trocknen und sie alsdann in einer kurzen engen Röhre zu erhitzen. Der Geruch des entwickelten Cyansäuredampfes ist so charakteristisch, dafs man über die Gegenwart oder Abwesenheit der Säure nicht leicht im Zweifel bleiben kann.

Hat man es dagegen mit einer Lösung von Cyanursäure zu thun, und ist die Säure in aufserordentlich geringer Menge vorhan- den, so kann man sich mit grofsem Vortheil der Schwerlöslich- keit des Natriumcyanurats in heilser concentrirter Natronlauge zur Charakterisirung der Säure bedienen.

Zu dem Ende wird die Lösung, zweckmäfsig auf einem Uhr- glase, mit concentrirter Natronlauge versetzt und die Flüssigkeit

602 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

alsdann einige Augenblicke über einem Spitzbrenner erwärmt. Als- bald erscheinen von dem Punkte aus, wo die Flamme auftrifft, prächtige feine Nadeln des eyanursauren Salzes, welche, wenn die Lösung nicht allzu concentrirt ist, beim Erkalten wieder ver- schwinden.

Ich war begierig, die Zusammensetzung dieses schönen Salzes zu erfahren. Zu dem Ende wurde eine gröfsere Menge der Kry- stalle durch siedende Natronlauge gefällt und noch heifs auf einen Trichter gebracht, dessen Rohr durch eine eingelegte Glaskugel geschlossen war. Um das freie Alkali zu entfernen, mufs mit Alkohol gewaschen werden, da sich das Salz in Wasser löst; so kommt es, dafs der Verbindung leicht eine Spur Natriumcarbonat anhängt.

In dem bei 100° getrockneten Salze wurde das Natrium als Sulfat bestimmt. 0.392 Grm. Salz lieferten 0.4389 Natriumsulfat 0.142 Grm. = 36.2 pCt. Natrium.

Das bei der Verbrennung mit Natronkalk erhaltene Ammoniak wurde als Salmiak gesammelt, und in diesem das Chlor volume- trisch bestimmt. Aus dem Chlor berechnet, ergaben sich 21.6 pCt. Stickstoff.

Diese Zahlen zeigen, dafs die beim Erhitzen mit concentrirter Natronlauge entstehenden Krystalle das trimetallische Salz

Na,0,N,O, darstellen. Dieses Salz enthält 35.4 pCt. Natrium und 21.5 Stick- stoff.

6. Reaction auf Chloroform.

Wenn es sich darum handelt, kleine Mengen von Chloro- form nachzuweisen, zumal in Gegenwart anderer, dem Chloroform nahestehender Verbindungen, deren Eigenschaften denen des Chlo- voforms gleichen, so kann man sich mit grolsem Vortheil seines Verhaltens zu den Monaminen in Gegenwart von Alkohol und Na- triumhydrat bedienen. Der Geruch des entstehenden Isonitrils ist ein unfehlbares Merkmal der Anwesenheit des Chloroforms.

Man stellt den Versuch einfach in der Weise an, dafs man ‚die zu prüfende Flüssigkeit in eine Mischung von Anilin jedes

vom 25. Juli 1870. 603

andere primäre Monamin, fett oder aromatisch, leistet denselben Dienst und alkoholischem Natriumhydrat eingiefst. Ist Chloro- form vorhanden, so erfolgt alsbald, jedenfalls aber bei gelindem Erwärmen, heftige Reaction unter Entwickelung des charakteri- stisch riechenden Isonitrils.

Ich habe eine grofse Anzahl von dem Chloroform ähnlichen Körpern der angeführten Reaction unterworfen aber keinen ge- funden, welcher im Stande war, Körper von dem eigenthümlichen Geruch des Isonitrils zu entwickeln,

Es versteht sich von selbst, dafs Bromoform und Jodoform genau dasselbe Verhalten zeigen wie Chloroform; auch beobachtet man die Reaction mit sämmtlichen, bei Einwirkung eines Alkalis, Chloroform, Bromoform und Jodoform liefernden Körpern. Ver- setzt man z. B. eine Auflösung von Chloral in Anilin mit alkoho- lischer Kalilösung, so entwickelt sich sofort mit grofser Heftigkeit der Dampf des Isonitrils.

In neuester Zeit hat man für anästhetische Zwecke statt des Chloroforms das Chloräthyliden vorgeschlagen. Beide Sub- stanzen sind sowohl hinsichtlich des Geruchs, als auch hinsichtlich der Siedepunkte (Chloroform 61°, Chloräthyliden 60°) nur schwie- rig von einander zu unterscheiden. Nichts ist aber leichter, als in einem solchen Falle das Chloroform albald zu charakterisiren. Das Chloräthyliden liefert mit alkoholischem Natriumhydrat und Anilin kein Isonitril.

Die hier empfohlene Reaction ist so empfindlich, dafs sich 1 Th. Chloroform in 5000 bis 6000 Th. Alkohol gelöst noch mit Sicherheit erkennen läfst.

7. Diagnose primärer, secundärer und tertiärer Amine,

Zur Untersuchung der drei Klassen substituirter Ammoniake ist man bisher fast nur auf eine Methode hingewiesen gewesen, wel- che sich aus meinen Untersuchungen über die Darstellung der Alkohol- Derivate!) des Ammoniaks ergeben hat. Dieses seither vielfach, be-

') Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXII, 159. [1870] 42

604 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

sonders bei der Untersuchung der Pflanzenbasen, angewendete Ver- fahren besteht in der Feststellung der Anzahl von Methyl- oder Äthylgruppen, welche das in Frage stehende Amin zu fixiren im Stande ist, insofern die Aufnahme einer Methylgruppe das ter- tiäre, die zweier das secundäre, die dreier Methylgruppen endlich das primäre Amin charakterisirt.

Diese Methode liefert, wo immer man es mit nur einigermas- sen wohl definirten Ammoniak-Derivaten zu thun hat, vollkommen zuverläfsige Resultate. Sie hat aber den Nachtheil, dafs man stets mit gröfseren Mengen arbeiten muls, und schliefslich einer quanti- tativen Analyse bedarf, die sich allerdings in den meisten Fällen auf eine einfache Platinbestimmung beschränkt.

Ich habe mich, zur Erreichung desselben Zinns, in letzter Zeit zum Öfteren einer einfachen qualitativen Methode bedient, wel- che sich auf die bei der Untersuchung der Isonitrile und der Senföle gesammelte Erfahrungen gründet.

Nach den bereits veröffentlichten Resultaten, welche durch vielfache Versuche in jüngster Zeit allgemeine Bestätigung gefun- den haben, sind es nur die primären Monamine, welche mit Chloroform und alkoholischer Kalilauge Isonitrile zu liefern im Stande sind. Da diese Reaction von aufserordentlicher Empfind- lichkeit ist, und der Geruch der Isonitrile, obwohl je nach der Natur der Kohlenstoffgruppe, welche die Base enthält, verschieden, dennoch ein ganz unverkennbarer ist, so kann man albald ohne die geringste Schwierigkeit entscheiden, ob man es mit einer pri- mären Base zu thun hat.

Was die Ausführung des Versuches anlangt, so braucht man nicht mehr als einige Centigramme der Base in Alkohol zu lösen, die Lösung in einer Proberöhre mit alkoholischer Kali- oder Na- tronlösung zu versetzen und alsdann nach Zusatz. einiger Tropfen Chloroform gelinde zu erwärmen, alsbald entwickeln sich, unter leb- haftem Aufwallen der Flüssigkeit, die betäubenden Dämpfe des Isonitrils, die man gleichzeitig in der Nase und auf der Zunge spürt.

Ist bei dem Versuche mit alkoholischem Kali und Chloroform der charakteristische Geruch eines Isonitrils nicht aufgetreten, so hat man jetzt noch die Frage zu beantworten, ob das zu unter- suchende Amin ein secundäres oder ein tertiäres ist. Hier wird die Senfölbildung mit grofsem Vortheil verwerthet. Durch Ver-

vom 25. Juli 1870. | 605

suche ist festgestellt, dafs sowohl die primären als auch die secun- dären Amine Senföle liefern.') Man hat also, um die Gegenwart einer secundären Base zu erkennen, nur noch zu ermitteln, ob das untersuchte Amin sich in ein Senföl verwandeln läfst. Die Senföle besitzen gleichfalls, je nach der Reihe, in der man arbei- tet, einen verschiedenen Geruch, allein der allgemeine Charakter des Geruchs und zumal die heftige Einwirkung auf die Schleim- haut der Nase sind allen Senfölen gemeinschaftlich. Man wird daher diesen Geruch unter allen Umständen leicht erkennen.

Was die Ausführung des Versuches anlangt, so löst man einige Centigramme der Base in Alkohol, versetzt die Lösung mit etwa der gleichen Menge Schwefelkohlenstoff, und verdampft einen Theil des Alkohols. Alsdann erhitzt man die rückständige Flüssigkeit, welche die sulfocarbaminsaure Base enthält, mit einer wälsrigen Lösung von Quecksilberchlorid. Augenblicklich entsteht, falls elne primäre oder secundäre Base vorliegt, der heftige Geruch des Senföls der Reihe.

Leider ist diese Reaction, welche an Präcision und Schnellig- keit der Ausführung nichts zu wünschen übrig läfst, doch nicht ganz allgemein.

Der Nachweis, ob man es mit einer primären Base zu thun habe, gelingt in allen Fällen, ganz einerlei, ob man in der fetten oder aromatischen Reihe arbeitet, oder Körper untersucht, die bei- den Reihen angehören. Nicht so, wenn eine secundäre Base nach- gewiesen werden soll. In diesem Falle tritt die Senfölbildung un- ter den angegebenen Bedingungen nur dann ein, wenn das Amin entweder ein Glied der fetten Reihe, oder aber ein Mischling ist, in welchem sich die Amidirung in der fetten Hälfte der Verbin- dung vollendet hat.”)

Würde bei der Untersuchung einer aromatischen Verbindung die Senfölreaction ausbleiben, so mülste man zur Entscheidung der Frage, ob ein secundäres oder ein tertiäres Amin vorliegt, auf die alte Methode, Behandlung mit Jodmethyl ete., zurückfallen. Wäre andererseits Senfölbildung eingetreten, so hätte man nicht nur die Substitutionsstufe des Amins ermittelt, sondern auch gleichzeitig

!) Hofmann, Monatsb. 1868, 467. 2) Hofmann, Monatsb. 1868, 471. 42*

606 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

eine bestimmte Auffassung über die Stellung des Ammoniakfrag-

ments gewonnen.

8. Zur Kenntnifs des Phenylxanthogenamids.

Vor Kurzem habe ich der Akademie eine einfache Methode mitgetheilt, die aromatischen Oyanate darzustellen,') welche darin besteht, die substituirten Urethane mit Phosphorsäureanhydrid zu behandeln. Unter Entwickelung von ölbildendem Gase destilliren die reinen Cyanate. Diese einfache Methode wurde, wie dies ge- wöhnlich zu geschehen pflegt, erst aufgefunden, nachdem viele an- dere Methoden vergeblich versucht worden waren. Unter den an- gestellten Versuchen will ich einen erwähnen, da er zu einigen Beobachtungen Veranlassung gegeben hat, welche der Aufzeichnung werth erscheinen.

Bekanntlich zerlegt sich das Xanthogenamid oder halb ge- schwefelte Urethan bei der Destillation in Mercaptan und Cyansäure

C,H,NOS = (,H,$ + CHNO.

Der Gedanke lag nahe, ein phenylirtes Xanthogenamid darzu- stellen und die eben angeführte Reaction für die Gewinnung des Phenyleyanats zu verwerthen.

Allerdings hatte ich bereits bei meinen Untersuchungen über die Senföle einen Körper von der Zusammensetzung des Phenyl- xanthogenamids oder halbgeschwefelten Phenylurethans erhalten,” ) dessen Verhalten in der Wärme den hier angedeuteten Erwartun- gen keineswegs entspricht.

Der in Frage stehende bildet sich beim Erhitzen von Fhenyl- senföl mit Alkohol aut 110 bis 125°

Ey „lo _ (CO CHIHN) er ze CH

und zerlegte sich bei der Destillation wieder in seine Bestandt- theile, denen stets je nach den Umständen mehr oder weniger Sul- focarbanilid oder Diphenylsulfoharnstoff beigemengt ist. Wahrschein-

1) Hofmann, Monatsb. 1870, 576. 2) Hofmann, Monatsb. 1869, 332.

vom 23. Juli 1870. 607

lich wird während der Destillation etwas Alkohol zersetzt, und das Sulfocarbanilid würde alsdann als secundäres Product der Ein- wirkung des von dem Alkohol gelieferten Wassers auf das Phenyl- senföl auftreten. | Neben dem hier als halbgeschwefeltes Phenylurethan bezeich- neten Körper mu[s ein zweiter von derselben Zusammensetzung existiren, von dem ersten nur durch die relative Stellung der Sauerstoff- und Schwefelatome verschieden. Man wird, im Hinblick auf die in der Äthylreihe bereits vorliegenden Beobachtungen,') erwarten dürfen, den isomeren Körper durch die Einwirkung des Phenylcyanats auf das Äthylmercaptan zu erhalten. Bildung und Zersetzung des Körpers würde im Sinne der Gleichung

spot en us GH)”

erfolgen.

Ich habe nicht versucht, den hier angedeuteten Körper aus seinen Componenten zusammenzusetzen, da seine Darstellung auf diesem Wege für die Lösung der Aufgabe, welche ich anstrebte, ohne Interesse gewesen wäre. Wohl aber war es bei der Leich- tigkeit, mit welcher in dieser Körpergruppe Sauerstoff und Schwe- fel ihren Platz wechseln, su versuchen, ob sich ein bei der Destil- lation in Äthylmercaptan und Phenyleyanat zerfallender Körper nicht in irgend einem der Processe bilden könne, in denen sich das normale Xanthogenamid erzeugt.

Von den verschiedenen Methoden, mittelst deren man das Xan- thogenamid erhalten hat, schien die, von Hrn. Debus”) entdeckte, aus dem sogenannten Äthyldisulfocarbonsulfid (Äthylbioxysulfocar- bonat) am schnellsten zum Ziele zu führen. Bei der Darstellung dieser letzteren Verbindung wurde genau das von Hrn. Debus’) angegebene elegante Verfahren eingehalten, welches ich bestens empfehlen kann. Eine starke alkoholische Kalilösung wurde mit dem berechneten Gewicht Schwefelkohlenstoff versetzt und stehen gelassen bis sie zu einer Masse schöner Krystallnadeln von xan-

!) Hofmann, Monatsb. 1869, 120. 2) Debus, Ann. Chem. Pharm. LXXII. 5. ?) Debus, Loe. eit. LXXXII. 261.

608 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

thogensaurem Kalium erstarrt war. Diese Masse wurde alsdann in dem doppelten Volum Wasser gelöst und durch die Flüssigkeit, welche mit einer kleinen Menge Jodkalium versetzt worden war, ein starker Chlorstrom geleitet. Die Ausscheidung von Jod deu- tet den Zeitpunkt an, wenn das Chlor nicht mehr von dem Metall des xanthogensauren Salzes fixirt wird. Für den Zweck, den ich im Auge hatte, war es hinreichend, die chlorgesättigte Flüssigkeit stehen zu lassen, bis sich das Äthyldisulfocarbonsulfid als ölige Schicht abgeschieden hatte, und diese nach dem Waschen mit Was- ser und Abheben im Scheidetrichter direct mit Anilin zu behandeln.

Die Reaction ist eine sehr lebhafte und erfolgt gerade so wie man nach den Versuchen des Hrn. Debus über die Wirkung des Ammoniaks erwarten durfte. Unter gleichzeitiger Schwefelaus- scheidung spaltet sich das Äthyldisulfocarbonsulfid bei der Behand- lung mit Anilin in Phenylxanthogenamid (halbgeschwefeltes Phe- nylurethan) und Xanthogensäure

(CH ee REN SM ER LE N=s+ se

ein Theil der letzteren geht bei Gegenwart eines Überschufses von Anilin unter Schwefelwasserstoffentwicklung und Austreten von Alkohol in diphenylirten Schwefelharnstoff über,

(SI) C,H, 08,0 + 2 ER (GH. N, t Be ug ebysn H H, H, ; A

u

Die gleichzeitige Bildung von Diphenylsulfoharnstoff erschwert die Reindarstellung des Phenylxanthogenamids, allein durch oft wiederholtes Umkrystallisiren aus Weingeist, in dem der Harnstoff ungleich weniger löslich ist, gelingt es schliefslich das Phenylxan- thogenamid rein zu erhalten.

In Folge dieser grofsen Schwierigkeit, den Körper im Zu- stande der Reinheit zu gewinnen, bin ich längere Zeit der Meinung gewesen, dafs die aus dem AÄthyldisulfocarbonsulfid dargestellte Verbindung verschieden sei von der bei der Einwirkung von Al- kohol auf Phenylsenföl erhaltenen.

Bei einer sorgfältigen Vergleichung der physikalischen Eigen- schaften und namentlich des chemischen Verhaltens der nach bei-

vom 25. Juli 1870. 609

den Verfahrungsweisen gewonnenen Substanzen habe ich indessen keinen Unterschied auffinden können.

Die eingehende kıystallographische Untersuchung des Phenyl- xanthogenamids, dessen alkoholische Lösung beim langsamen Ver- dunsten sehr schöne Krystalle liefert, führen zu demselben Schlusse. Hr. Dr. Groth fand die Krystallform dieselbe, ob die Verbindung auf die eine oder die andere Weise dargestellt worden war.

Folgendes sind die Details der krystallographischen Unter- suchung, welche mir Hr. Dr. Groth freundlichst hat mittheilen wollen.

Krystallsystem triklinisch. Axenverhältnifs (Brachydiag. : Makrodiag. : Verticalaxe) :

a:b:c 0,6027 :1:0,6539.

Winkel der Axenebenen und der Axen:

A—= 94° 55' eye lo B 210285 09 18 C= 93 54 ya 92 54

Die Krystalle sind säulenförmige Combinationen der Flächen- paare a und b, des linken Hemiprisma p, der nach vorn geneigten Eindlläche ec, dem vordern (r) und hintern (r’) makrodiagonalen, sowie dem linken brachydiagonalen Hemidoma o’, endlich den Oec- taöderflächpaaren 0’, x, x’ und z.

Die Figur stellt eine gerade Projecetion auf der Horizontal- ebene dar. Die Zeichen der Flächen (nach Naumann und Weifs) sind folgende, wobei der hintere Theil der Axe a mit a’, der links gelegene Theil von b mit b’ bezeichnet ist:

610 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

a =eS PD cs Zar Dre b = ooı,P oo sa Zbr:esc er io Ze EEE pP’ —ıe8 DL, 1 2 ae eehl zene ee ee c a eine alien c ; Bw SE Nee es b’ C 02 N bi’ ae er Drajg an xa= m% = a : Ib: [67 NE m ı nd 1 Ir » x Boserars is burtac 2 pP} a Z ‚P$ a 3b: C

Die wichtigsten Kantenwinkel sind:

berechnet: beobachtet: ab *»93° 54! ale pn. *148 9 baepn 118271 =1E8 1 EN 2102935 bereı—i, "94 55 3.2.70 1]43 3 143 51 er I 155 55 birre 27.95 20 94 46 a: nl "1.31.39 bir ,..90029 90.11 Gi: bis 119725 11932

Spaltbarkeit vollkommen nach b = & Be

Zwillinge hahen dieselben Flächen b gemein und liegen umgekehrt.

vom 25. Juli 1870. 6ll

» Über die Einwirkung der Essigsäure auf das Phenylsenföl.

Beim Durchblättern meiner Tagebücher am Schlusse des Se- mesters finde ich noch einen Versuch, den ich eigentlich schon iu meinen früheren Mittheilungen über die Senföle hätte anführen sollen. Derselbe mag, da ich nicht weils ob es mir vergönnt sein wird auf diese Untersuchungen zurückzukommen, hier eine Stelle finden.

Ich habe bereits gezeigt,') dafs sich das Äthylsenföl unter dem Einflufse des Wassers in letzter Instanz in Äthylamim, Koh- lensäure und Schwefelwasserstoff zersetzt.

Bei dem Phenylsenföl werden genau dieselben Erscheinungen beobachtet. Unter Mitwirkung der Elemente von 2 Mol. Wasser entsteht Anilin, Kohlensäure und Schwefelwasserstoff.

Wahrscheinlich geht indessen, indem zu Anfang der Reaction nur 1 Mol. Wasser fixirt wird, dieser Umsetzung die Bildung einer wenig stabilen Sulfocarbaminsäure voraus, so dafs der Procels in zwei Phasen verlaufen würde

C,H, CS)!I(C,.H.)HN Il C, .H. a‘ a Oh H,O = "pP t+00,+1,8.

Läfst man statt des Wassers Alkohol einwirken, so bleibt die Reaction in der That auf halbem Wege stehen, indem sich zu- nächst halbgeschwefeltes Phenylurethan ?) erzeugt,

C,H, C,H, lo (OSYU(C, a ER H

ES Re

C,H

Es bleibt noch zu versuchen, ob sich bei höherer Temperatur das halbgeschwefelte Phenylurethan in Diäthylanilin, Kohlensäure und Schwefelwasserstoff verwandelt,

NH as 28 C,H,

= an +00, +H,8. ()

2)

1!) Hofmann, Monatsb. 1868, 479. -) Hofmann, Monatsb. 1869, 333.

612 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Im Hinblick auf das Verhalten des Phenylsenföls zum Wasser und zum Alkohol schien es von Interesse, auch die Einwirkung der Essigsäure auf das Senföl zu studiren.

Hier konnte wiedernm unter Mitwirkung der Elemente von 1 Mol. Essigsäure die Acetylverbindung der Phenylsulfocarbamin-

säure entstehen

C,H, IN

ee irle S)U(C,H,)HN (CS)UJ H

p) mo Sn

welche mit einem zweiten Mol. Essigsäure Phenyldiacetamid, Koh-

lensäure und Schwefelwasserstoff liefern mulfste,

En an PARCNRO) OSrIE Hi) > ( 2 £ n C, 17,0 Prem je (CEO), I

Die Reaction verläuft in der Art, dafs man die in der zweiten Gleichung angedeuteten Producte erhält.

Läfst man ein Gemenge von Anilin und Essigsäurehydrat einige Stunden lang unter Druck bei 130—140° auf einander ein- wirken, so entwickeln sich beim Öffnen der Röhre Ströme von Kohlensäure und Schwefelwasserstoff, und die Flüssigkeit erstarrt beim Ausgiefsen zu einer prachtvollen Krystallmasse, die man nur einmal aus Weingeist umzukrystallisiren braucht, um sie alsbald im Zustande vollkommener Reinheit zu haben. Das phenylirte Diacetamid gleicht dem Acetanilid in seinen Eigenschaften. Der Schmelzpunkt liegt bei 110°. Mit den Alkalien erhitzt liefert das Phenyldiacetamid, wie zu erwarten war, Anilin und essigsaures Salz.

10. Zur Geschichte der Äthylenbasen.

Behufs der Darstellung einer gröfseren Menge Äthylendiamins, dessen ich für das Studium des Cyanäthylens und des Äthylen- senföls bedurfte, waren mehrere Kilogramme Bromäthylen mit al- koholischem Ammoniak gemischt stehen geblieben. Nach Verlauf einiger Monate hatten sich aus dieser Mischung reichliche Mengen einer weilsen Substanz abgesetzt, welche, von der Flüssigkeit ge- trennt, sich bei der Behandlung mit Wasser als ein Gemenge von

vom 25. Juli 1870. 615

Bromammonium mit einem amorphen, in Wasser, Alkohol und Äether so gut wie unlöslichen Körper erwies. Bei erneuten Ope- rationen wurde die sonderbare Substanz stets wiedererhalten, zu- mal, wenn das Bromäthylen im Überschusse angewendet wurde. Der Analyse stellten sich ungewöhnliche Schwierigkeiten entgegen, da sich der Körper nicht reinigen liels und bei verschiedenen Ver- suchen Producte von ähnlicher Beschaffenheit, aber verschiedener Zusammensetzung entstanden.

Durch vielfach wiederholte Analysen zahlreicher Producte ver- schiedener Darstellungen wurden diese eigenthümlichen Substanzen als Verbindungen eines uud desselben Äthylenderivats des Am- moniaks mit mehr oder weniger Bromwasserstoffsäure erkannt. Nach den bis jetzt angestellten Versuchen lassen sie sich betrach- ten als die bromwasserstoffsauren Salze eines Tetraäthylentriamins, welche 1, 2 oder 5 Mol. Bromwasserstoffsäure enthalten, nämlich

CH. N: Br —- (&H,HN, -HB:r, 0,H,N;Br, = (,H,),HN,, 2HBr und 0,H„N;Br;, = (3,H,,HN, 3HBı.

Durch längere Digestion mit Ammoniak läfst sich die Bron- wasserstofflsäure entfernen, indem entsprechende Hydroxylverbin- dungen entstehen, welche eben so wenig krystallinisch und löslich sind als die Salze Aus den Hydroxylverbindungen lassen sich die übrigen Salze dieser merkwürdigen Base erhalten.

Die oben angegebenen Formeln drücken nur die einfachsten Atomverhältnisse aus. Man kann aber kaum bezweifeln, dafs diese Salze weit entfernt sind, Triaminsalze zu sein, dafs sie sich im Gegentheil als Salze von Polyaminen der höchsten Ordnung er- weisen werden.

ll. Zur Kenntnifs des Aldehydgrüns.

Die Aufschlüsse, welche die mit Hrn. Ch. Girard gemein- schaftlich ausgeführte Unteruchung') über die Natur des Jodgrüns

'1) Hofmann u. Girard, Monatsberichte 1869, 563.

614 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

gegeben hatte, mufsten den Wunsch rege machen, auch die Zusam- mensetzung des Aldehydgrüns zu ermitteln. Durch die Güte des Hrn. Dr. H. Buff in Crefeld war ich im Besitz einer gröfseren Menge dieses merkwürdigen Körpers, und habe mich in den letz- ten Monaten vielfach bemüht, die Zusammensetzung desselben fest- zustellen.

Das breiartige Rohproduct enthält noch Natriumsulfat und Natriumacetat; durch Waschen mit warmem Wasser wurde es von diesen beiden, sowie allen übrigen Mineralbestandtheilen befreit, so dafs eine Probe auf dem Platinblech verbrannt keinen feuerbestän- digen Rückstand hinterliefs. Es sind viele Versuche gemacht worden, die so gereinigte Substanz zu krystallisiren oder in eine krystallisirte Verbindung überzuführen, aber ohne Erfolg. Es blieb nichts anderes übrig, als das ausgewaschene Grün in Alkohol zu lösen und die Lösung mit Äther zu fällen. Diese Operation wurde zur Sicherung eines möglichst reinen Präparates mehrfach wieder- holt. Die schön grüne amorphe Substanz erwies sich schwefel- haltig; in vacuo getrocknet lieferte sie folgende Zahlen:

T: II. III. Kohle... 7. 17.22633.1 63.61 63.89 Wasserstoff . . 6.83 6.67 6.45

Schwefel . . . 14.99 14.66 14.85

Diesen Procenten entspricht sehr nahe die Formel C,H5,N,;50,

welche folgende Werthe verlangt:

Theorie Cs, 264 63.93 H,;, 27 6.54 N, 42 10.17 Sg 64 15.49 10) 16 3.87 415 100.00

Man könnte sich das Aldehydgrün gebildet denken durch das Zusammentreten von 1 Mol. Rosanilin, 1 Mol. Aldehyd und 2 Mol. Schwefelwasserstoff, welche bei der Darstellung Einwirkung

vom 25. Juli 1870. 615

von Aldehyd auf ein Rosanilinsalz in Gegenwart von unterschwef- ligsaurem Natrium möglicherweise auftreten können. 0,H,N; + G,H,O + 2H,S = C,H,,N,$S,0.

Ich bin indessen weit entfernt, die angeführte Formel als den wahren Ausdruck für die Zusammensetzung des Aldehydgrüns zu halten. Weder in der Bildungsweise noch in den Metamorphosen dieses Körpers habe ich bisher die nöthigen Garantieen für die Richtigkeit der gegebenen Formel finden können, und ich würde die unfertigen Resultate nicht veröffentlicht haben, wenn ich nicht fürchten müfste, dafs mich die Zeitverhältnisse wahrscheinlich wäh- rend einer längeren Periode verhinden werden, diese Untersuchung weiter zu verfolgen.

Schliefslich mag nur noch die Richtung angedeutet werden, in welcher ich den Schlüssel zur Erkenntnifs des Aldehydgrüns zu finden hoffe. Die Rosanilinsalze werden auch ohne Gegenwart von Aldehyd durch Behandlung mit Natriumhyposulfit in eine schwefel- haltige Substanz umgewandelt, deren offenbar weit einfachere Zu- sammensetzung so darf man annehmen sich dem Versuche zugänglicher erweisen wird. Auf die Kenntnifs analoger Vorgänge gestützt, wird man alsdann leichter die bei der Analyse des Alde- hydgrüns aufgefundenen Zahlen richtig interpretiren können.

12. Über die Moleculargröflse des Chinons.

Bei der Mittheilung von Versuchen, die von Hrn. E. Ador über das Phtalyl') angestellt worden sind, hat Hr. Baeyer eine bemerkenswerthe Parallele gezogen zwischen den von dem Phtalyl sich ableitenden Verbindungen und den Reductionsproducten des Chinons. Dieser Betrachtung liegt die Annahme zu Grunde, die Molecularformel des Chinons sei C,,H,O, und dieser Körper leite sich von 2 Mol. Benzol ab, während man bisher die Formel C,H,O, gelten liefs, wonach das Chinon nur einem Mol. Benzol entsprechen würde.

'*) Ador, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft Jahrg. III. 513.

616 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Die neue Auffassung des Chinons schien sehr wohl mit eini- gen Beobachtungen vereinbar, welche ich früher anzustellen Gele- genheit hatte. Schon vor längerer Zeit habe ich nachgewiesen, dafs sich das Chinon durch Oxydation sowohl aus dem Anilin als aus dem Benzidin darstellen läfst.') Auffallend war es mir bei diesen Versuchen, wie schwierig das von 1 Mol. Benzol abstam- mende Anilin sich in Chinon verwandelte, während sich dieser Körper aus dem Benzidin, also aus einem Dibenzolderivate, so leicht und so reichlich gewinnen läfst, dafs man letzteres nicht un- zweckmäfsig als Material für die Darstellung des Chinons benutzen könnte. Dieses auffallende Verhalten würde verständlich, wenn das Chinon wirklich zwei Benzolreste enthielte.

Mit einer Reihe von Versuchen über Gasvolumgewichte be- schäftigt, deren Aufgabe zumal die weitere Prüfung der von mir . beschriebenen Dampfdichtebestimmung in der Barometerleere war, schien es mir von Interesse, auch die Dichte des Chinongases zu bestimmen.

Dieser Körper verflüchtigt sich vollständig bei der Tempera- tur des siedenden Anilins; sein Gas ist schwach gelb gefärbt, und verdichtet sich beim Abkühlen wieder zu langen gelben Nadeln, welche keine Spur von Zersetzung zeigen.

Die Versuche, die ich mit dem Chinon angestellt habe, sind der Auffassung der HHrn. Baeyer und Ador, welche aus dem angeführten Grunde auch für mich einen hohen Grad von Wahr- scheinlichkeit gewonnen hatte, nicht günstig, Bei der im Anilin- dampf ausgeführten Dampfdichtebestimmung, deren Details ich spä- ter mittheilen werde, ergaben sich Zahlen, welche das Chinon un- zweideutig als ein Monobenzolderivat charakterisiren.

Theorie: Versuche: C,,2:0; C,H,O, Gasvolumgewicht I. 1. auf Wasserstoff bezogen 108 54 54.7 53.73 auf Luft bezogen 7.9 3) SETS, 3.72.

Die geringe Ausbeute an Chinon, welche man aus dem Anilin erhält, mufs daher einen anderen Grund haben. Vielleicht rührt sie von der Leichtigkeit her, mit der sich Chinon und Anilin ver-

1) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XII, 4.

vom 25. Juli 1870. 617

binden. Auch verdient hier bemerkt zu werden, dafs das Beta- phenylendiamin, welches doch auch ein Monobenzolderivat ist, das Chinon ohne Schwierigkeit liefert.!).

Ich habe bei dieser Gelegenheit auch versucht, die Dampf- dichte des Chloranils und schliefslich des Anthrachinons zu bestimmen. Es ist mir aber nicht gelungen, diese Körper voll- ständig zu vergasen. S

Schliefslich bleibt mir noch die angenehme Pflicht zu erfüllen, meinen Assistenten, den HH. K. Sarnow, R. Bensemann und F. Hobrecker, für die ebenso unermüdliche wie umsichtige Hülfe zu danken, welche sie mir, wie bei so vielen anderen Gelegenhei- ten, auch bei Feststellung der im eg auie: beschriebenen Thatsachen haben leisten wollen.

28. Juli. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Mommsen las über das römische Consulartribunat.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Verhandelingen van het Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Weten- schappen. Vol. XXXII. Batavia 1868. 4.

Tydschrift voor Indische Taal, Land- en Volkenkunde. Vol. XVI 2—6. ROTE Batavia 1868, 8.

Notulen aan de Algemeene en Bestuurs-Vorgaderingen van het Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Wetenschappen. Vol. IV—VII. 1867—69, 8,

1) Hofmann, Lond. R. Soc. Proc. XII, 643.

618 Gesammtsitzung vom 28. Juli 1870.

Katalogus der Ethnologische en Numismatische Afdeeling van het Museum van het Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Wetenschappen. Bata- via 1868. 8. &

Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der Königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 12. Bd. 1. Abth. München 1869. 4.

Wilh. Preger, Die Entfaltung der Idee des Menschen durch die Weltge- schichte. München 1870. 4.

MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

August 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr du Bois-Reymond.

4. August. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Reichert las über das Skelet der Wirbelthiere.

8. August. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. v. Ranke las Litterarische Erörterungen betreffend den Ursprung des siebenjährigen Krieges.

11. August. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Mommsen legte folgende Mittheilung des Hrn. Dr. Otto Blau vor:

Dritter Bericht über römische Alterthümer in Bosnien.

Als Ausgangspunkt der gegenwärtigen Beiträge zur Auffindung römischer Spuren in Bosnien nehme ich nochmals die im letzten Berichte (Monatsberichte, 25. Nov. 1867) besprochenen Strafsen, welche von Salonae nach der Flottenstation an der Save und nach - Narona führten.

[1870] 43

620 Gesammtsitzung

Die Schwierigkeit, die Stationen dieser Strafsen im Einzelnen nach Lage und Namen nachzuweisen, verdoppelte sich dadurch, dafs dieselben aufser den Itinerarien nirgends weiter erwähnt schie- nen. Es kommt sonach der Forschung zu Statten, dafs eine bis- her unbeachtete Quelle einen grofsen Theil derselben Namen, wel- che die Antoninischen Itinerarien und die Tab. Peut. auf den von Salonae auslaufenden Strafsen nennt, nicht allein in authentischer Form erhalten hat, sondern auch als noch im 6. Jahrhundert un- serer Zeitrechnung bestehend nachweist.

Diese Quelle sind die, soweit ich sehe, von allen unverstan- denen Nachrichten, welche sich in den Acten des i. J. 532 gehal- tenen zweiten Concils von Salonae über die zu der Erzdiöcese Salonae gehörigen Bisthümer finden, gedruckt bei Farlati, Illyr. Saer. II, 273 ff.

Die abendländische Kirche hatte von der dalmatinischen Küste aus, wohl schon seit der Christenverfolgung unter Diocletian, den Fufstapfen der römischen Colonisation folgend, immer mehr Ter- rain im Binnenlande gewonnen und verhältnifsmäfsig zahlreiche Schöfslinge auf bosnischem Boden getrieben.

Eines der bedeutendsten und allem Anschein nach das älteste Bisthum in Bosnien war das von Bistue, einer Ortschaft, die schon in der Tab. Peut. erwähnt wird, wobei nur zweifelhaft bleibt, ob Bistue vetus oder nova der Sitz desselben war. Der Bischof von Bistue, der sich auf dem Coneil v. J. 532 als Andreas episcopus Bestoensis unterschreibt, stand unter der Erzdiöcese Salonae. Er klagt auf dem Concil über die Beschwerlichkeit sei- nes Dienstes und beantragt, dafs zu seiner Erleichterung ein zwei- tes Bisthum von den Grenzen von Bistue an bis zu den Ortschaf- ten Copella'!) und Arena gegründet werde, worauf jedoch das Conecil nicht eingeht, sondern nur genehmigt, dafs noch ein Ponti- fex mehr bestellt werde. Aus dem Umstande, dafs Bistue vetus viel zu nahe an Salonae lag, um jene Klagen gerechtfertigt er- scheinen zu lassen, und überdies in einer Gegend, die einem wei- terhin zu erwähnenden andern Sprengel zugehörte, wird man mit ziemlicher Sicherheit schliefsen dürfen, dafs vielmehr Bistue nova,

!) Fra @. Martie will in dem Namen Copella das heutige Kopilo in der Nähe von Kreschevo erkennen.

vom 11. August 1870. 621

in der Gegend des heutigen Hauptklosters der Franziskaner Foj- nitza, der Sitz jenes Bischofs war.

Nicht genug aber, dafs schon diese kirchlichen Bedürfnisse auf einen so lebhaften Verkehr des inneren Bosniens mit Dalma- tien und auf eine so verbreitete christliche Cultur deuten, wie sie später bis ins 14. Jahrhundert nicht wiedergekehrt sind; es kam auch auf demselben Concil die Errichtung mehrerer neuer Bisthü- mer in gleicher Gegend und Richtung zur Sprache und zum Aus- trag. Es wurde beschlossen, dafs

in Sarsentero, Muccuro et Ludro episcopi debeant con secrari, und wurde jedem dieser Bischöfe eine gewisse Anzahl von Paro- chien zugeordnet, die früher unter Salonae gestanden hatten.

Um Muccurum hier zu übergehen, welches als wahrscheinlich identisch mit Mevizovgcv des Prokop an der dalmatinischen Küste nicht zum eigentlichen Bosnien gehört und nach den Concilsacten bei Farlati (der es im heutigen Macarsca sucht) auch thatsäch- lich nur den Küstenstrich von der Berglandschaft Delminium bis nach Oneum'!) und die Inseln umfafste, so laden die Orts- namen in den Diöcesen Sarsenterum und Ludrum?’) um so mehr zu einer Untersuchung ein, als sie selbst einem so mit dem Lande vertranten Gelehrten, wie Farlati, ganz unerfindlich geblie- ben sind.

Die Diöcese Ludrum wird folgendermafsen constituirt: Ludrensis episcopus municipium Magnioticum, Equiti- num, Salviaticum et Sarziaticum, sicut ad ordinem nostrum noscit obtinuisse, percipiat.

Es springt in die Augen, dafs diese Municipien, wenn sie um ihrer zu grolsen Entfernung willen von Salona abgezweigt wurden, im Binnenlande weit von der dalmatinischen Küste lagen, und man darf daher

das Municipium Magnioticum mit Magno

° 5 Equitinum Equum

u 5 Salviaticum Salviae

1) ”Ovauov Ptolem. Ob Neum bei Klek, wo römische Inschriften vor- kommen?

?2) Der Bischof unterschreibt sich: Cecilianus Ludroensis; was auf eine Form Ludroa führt, wie Bestoensis von Bistue, Butoensis von Butua.

43*

622 Gesammtsitzung

ohne Weiteres und das Munieipium Sarziaticum mit Sarnade vermittelst einer sehr leichten Correctur zusammenstellen.

Vergegenwärtigt man sich nun, dafs Magno zwischen Salonae und Scardona in der Nähe von Dernis zu suchen ist,') dafs ferner Equon, Aizovor, Aequum nach Inschriften mit Sicherheit nach Citluk bei Sign’) zu setzen ist; Salviae als handschriftliche Les- art statt des gewöhnlich Silviae geschriebenen Namens im Itin. An- ton. auf der Stralse nach Pannonien, etwa beim heutigen Glavice vorkommt,?) und Sarnade oder Sarnate*) nach ungefährer Di- stanzberechnung mit Peska zusammenfällt, so läfst sich sowohl im Allgemeinen die Lage des Sprengels des Bischofs von Ludrum geo- graphisch ziemlich genau festlegen, als auch erschliefsen, dafs Ludrum, sofern man als einigermalsen wahrscheinlich gelten las- sen wird, dafs es in der Mitte jener Ortschaften lag, etwa bei Glamotsch zu suchen sein wird. Nach Überlieferung der Fran- ziskaner soll ohnehin bei Glamotsch eines der ältesten christlichen Klöster Bosniens gelegen haben. Nach Occhievia nennt Haroldus es Glama.°)

Auch die Beschreibung der zweiten neugeschaffenen Diöces bietet einige Anhaltepunkte für altrömische Namen. Der stark corrumpirte Text bei Farlati a. a. O. lautet:

ut Sarsenterensis Episcopus basilicas in municipio de Lontino, Stantino, Novense per Rusticiarum, pecuatico et Beuzzavatico, quae tamen ad nos hactenus respexere, in parochia consequatur.

1) Geogr. Rav. 211, 1 nennt den Ort Magum, wo Tab. Peut. Magno hat.

2) Mittheilung des Hrn. Mommsen.

3) Salviae Ilin. Anton. ed. Pind. et Parth. 269, 4. Ein YaAovıaı auch bei Ptolem. mit Ovapovapa zusammen.

4) Form wie Aemate. Über die Ortslage s. Monatsber. 1867, S. 743.

5) Philipp. ab Occhievia, Epitome vetustatum Bosnensis provinciae. Anconae 1776, S. 66, p. 11: „Septimus conventus fuit in aut juxta urbem

Glamoae; sie apud Haroldum coenobium quoque Glamae vocatur, qui locus est in confiniis Croatiae aut Corbaviae.“*

SEIEN En Ihn

ER .

vom 11. August 1870. 623

Von den hier genannten Örtlichkeiten ist zunächst Sarsen- terum, der Bischofssitz, zusammenzuhalten mit Sarsiteron, wel- ches im Geogr. Ravenn. 211,14 neben Bistue betus genannt wird, und somit nicht allzufern von der Ebene von Duvno gesucht wer- den darf, da Bistue vetus nach der Angabe seiner Entfernung 6 Mill. landeinwärts vom Mons Bulsinius (Buzanin s. MB. 1867 S. 744) ziemlich genau festgelegt werden kann.')

Während nach dem oben Gesagten die Diöcese von Ludrum den nördlichen Theil des Erzbisthums Salona bildete, ist die von Sarsenterum im Südwesten zu suchen. Darauf führt schon das mit Sicherheit erkennbare Municipium Novense, welches ich für die gleiche Ortschaft halte, die im Geogr. R. 211,21 und Tab. Peut. Novas, ad Novas, Novae geschrieben wird und inschrift- lich als das heutige Runovitj feststeht, auf der Strafse, die von der Tilurius-Brücke sich nach Narona abzweigtee Auf derselben Strafse, 25 Mill. von Narona entfernt, wird im Itin. Anton. 338,5 der Ort Dalluntum genannt, und es dürfte daher kein Bedenken erregen, wenn ich in de Lontino ein corrumpirtes Dallontino erkenne. Pecuatico führt mit leichter Änderung auf Peluatico von Pelua?) oder Pelva, welches nach einer annähernden Distanzbe- rechnung in der Gegend des heutigen Ljubuncitj zu suchen ist.°) Von den noch übrigen Namen bringe ich Stantino, obschon zwei- felnd, mit Naurtium zusammen, das Geogr. Rav. 211,19 in der Nähe des vorigen nennt, und halte endlich für möglich, dafs Be- uzzavatico aus Leusavatico verderbt ist, da Leusava eben- falls als Station auf der Römerstrafse durch Bosnien, wenn auch um ein Bedeutendes nördlicher, erwähnt wird.*) Das „per Ru- stiiarum“ allein bleibt mir unverständlich.?)

Vergegenwärtigt man sich das Ergebnifs dieser Untersuchung in einer kartographischen Darstellung, so gestaltet sich die Ver-

1) Für die Auffindung des Ortes ist vielleicht der Dorf- oder Flufsname Bist zu beachten, der auf Roskievic's Karte nahe bei Livno verzeich- net ist.

2) So Cod. im Itin. Ant. 269, 5.

3) Monatsberichte 1867, S. 7438.

4) Itin. Ant. 269, 2.

5) Ob an eine Entstellung aus Aufustianis zu denken, das auch in der Gegend lag?

624 Gesammtsitzung

theilung der christlichen Metropolen und Ortschaften auf dem Ge- biet, welches jetzt zu Bosnien gehört, so, dals die drei Bisthümer Ludrum, Sarsenterum und Bistue sich ziemlich langgestreckt, pa- rallel den Küstensprengeln Spalatro und Macarsca hinzogen, und jedes für sich gleichsam als Längenaxe eine der römischen Stras- sen, 1) nach Pannonien, 2) nach Argentaria, 3) nach Narona, besafs.

Diese christlichen Ansiedelungen ınüssen indefs bald zu Grunde gegangen und von den Heerzügen der Gothen und Slaven, die denselben Römerstralsen folgten, verschlungen worden sein; denn nach 532, dem Datum jenes Concils von Salonae, wird weder der neucreirten Bisthümer noch ihrer Bischöfe jemals wieder in der Kirchengeschichte gedacht. Die Anordnungen des Concils in die- ser Beziehung scheinen kaum ernstlich ins Leben getreten zu sein.

Von der Stralse, die nach Narona führte, hatten meine und Moiza’s letzten Untersuchungen im J. 1867 die Spuren bis in die Gegend von Arzano verfolgt und nachgewiesen; jenseit der bosni- schen Grenze und in der Richtung über Runovitj hinaus fehlte es an allen Anhaltspunkten. Neuerdings haben sich jedoch Reste der alten Strafse bei Tihaljina und Nezdravitza!) nordwestlich von. Ljubuschki gefunden, die für die weitere Verfolgung des Iti- nerars von Wichtigkeit sind.

Für den weiteren Lauf dieser Route bietet sich ohnehin das Trebischat-Thal als der natürliche Abflufs des Verkehrs nach Na- rona zu. Auch sollen im Trebischat-Thale, nach mündlichen Mit- theilungen Eingeborner, sich an mehr als einer Stelle Strecken der alten Strafse erhalten finden. Dem kommt zu Hülfe, dafs durch den thätigen französischen Consul Moreau im vorigen Jahre eben an einem Punkte römische Alterthümer ans Licht gezogen sind, der im Bereich dieser Strafse lag, nämlich in der Nähe des Fleckens Ljubuschki, der nach einer Notiz des Franziskaner-Schematis- mus einst den Beinamen Parva Salona (ob = Saloniana des Ptolem.?) gehabt haben soll.?)

!) Schematismus custodiae provincial. in Hercegovina (Spalat 1867) S. 165: „Nezdravica unum insigne habebat fortalitium .... item reliquias antiquae Romanorum viae, quae Naronam ducebat.* Ebenda über Tihal- jina, welches 2 St. südsüdwestlich von Ruzici liegt.

?) Schematism. etc. S. 174,

r

wu. wen an

vom 11. August 1870. 625

In der katholischen Pfarre zu Humatz, 14 Stunden südlich von Ljubuschki sind zwei Steine mit römischen Inschriften einge- mauert, welche am rechten Ufer des Flufses ausgegraben wurden. Die Beschreibung des Fundortes im Schematismus S. 174 lautet:

„Humatz et vieinias ejus antiquis in aestimio fuisse, „eircumstantia magnifica rudera haesitare non sinunt. Sunt ete- „nim duae lapideae tabulae, latinis exaratae litteris, hic prope „ultra flumen erutae, in quibus etsi omnia ordine legere denege- „tur, illud tamen nitido colligere est: lapides illos Romanorum „templo

„vetustate corrupto columnis et

„porticibus adjectis a Romanis

„consulibus restaurato „positos fuisse. .....2...... Sed ibidem in loco Grad£ine „(magnae arces) plurimi existunt lapides perita manu elaborati; „tum aggeres, aedificiorum divisiones, lateres, imbrices, atque „tegulae magna in copia. Pontis quoque pervetusti bases ibi- „dem se offerunt et Romanorum antiquae viae, etiam aliquos „milliares lapides habentes, reliquiae passim occurrunt. Itaque „Humatz suis cum vieiniis, etiam ab antiquis magni habitus (!) „fuit. De Veljaci quod tetigi') hic quogue reitero: in istis dua- „bus parochiis numismata, annulos, deorum simulacra, arma et „id genus pluries et pluribus in loeis inventa fuisse.*

Die Abschriften dieser Steine, welche ich Hrn. Moreau ver- danke,?) sind folgende:

!) Veljaci liegt halbwegs zwischen Runovitj und Ljubuschki, 4 St. von letzterem, etwas weniger von ersterem entfernt.

2) Nächst einer brieflichen Mittheilung vom 19. Juni 1869 hatte ich im August 1869 Gelegenheit die Abschriften mit den Originalcopien Moreaus in Mostar zu vergleichen.

626 Gesammtsitzung

1.

OFPISENTIVSUSE VERINVS JIICXICL TEMPLVMLIB-PAT- VETVSTATE CORRVP- PORTICI ADIECT RESTITVIT

2. TEMPLVM LIBERI PATRIS SI'TBIAE VETvs TATE LAPSVM RESTIT RIEF DE ADIECTIS POR TICIBVS CVRAS AGENTE FL VICTOREY7LEGIADP SEVERO ET POMPEIANO TT cos

Von den römischen Ziegelsteinen, die aus gleicher Gegend, wo P. Bakula, der Verfasser des Schematismus, sie erwähnt, nach Mostar gebracht worden sind, besitzt der französische Consul einen mit dem Stempel

| LEG VIIE AVG |

und mit letzterem zusammen fanden sich sorgfältig bearbeite Plat- ten, zum Theil aus carrarischem Marmor, sowie Münzen mit Octavians Namen. Der alte Bacchustempel, der also hier stand, ist gewifs in Zusammenhang mit der Weinkultur, die in diesen Gegenden in die Römerzeit zurückreicht, zu setzen.!)

Aus der Umgegend von Ljubuschki, ohne nähere Angabe des Fundortes, stammen ferner noch folgende Inschriften, deren Abschriften, resp. Abklatsche ich ebenfalls Hrn. Moreau verdanke:

!) Ortsnamen wie Viteline, Vinjani, Vinaci sind in der Gegend häufig und alle vom Weinbau entlehnt.

vom 11. August 1870. 627

3 4. MOPSVS SEX -VARI:-SER: AN NOR » XIIX HIC SITVS

5. L.-HERENNI VS-I-E-PAP. MVL-:ADE VER .-LEG VII AN-.LX:.STI- XXX H'SE

6.

Nahe bei Viteline (Vitaljina) 5 St. südwärts von Humatz wurde eine verstümmelte Säule von 24 Fufs Höhe und 14 Fuis Dicke gefunden, auf welcher eine ältere Inschrift, von der erkennt- lich war

H CAES

ETANN CAES

RROMAN

durch eine spätere überschrieben worden ist. Letztere lautet

IMP CAES M.AVR. PROBO

P.F'INVIE

Ts Bei dem Chan Kutatz, 2 St. von Ljubuschki nach Mostar zu, existiren neben andern behauenen und mit Sculpturen roh verzier- ten Steinen zwei Inschriften, deren Entzifferung jedoch dem Fin- der nicht ganz gelang. Nach einem Abklatsch des Hrn. Moreau läfst sich die eine folgendermafsen lesen:

Gesammtsitzung

IM. 2.» PIL/Ar, UP > MILESZ-CHOTTS VWIZSEVDE ZABTANI MARGEI L-II-NONI - VALENIS EA“Q. DEM. NONIO- VALENTI-. BENEME-. RENT I- TIEVYEVYM POS ANNORVM XXX ST: VI

8.

von der anderen, die erst stundenlang gereinigt werden mulste,

ehe sie einigermalsen leserlich wurde, giebt Hr. Moreau folgende

Umschrift:

BARSTNSVESSEHTAT ET E TVBEFGEN?D7 CA TVRIX MILE E EHI MTATLR ANRENIX IST I Pr XXI FRSIE TE] =2%,-2OPFI® ET TVLLIVS VE

28

Ferner ist auf der Strafse nach Mostar der kleine Ort Gra-

datz bei Gradnitj (verschieden von zwei anderen Gradatz in der- selben Gegend), von dem es im Schematismus $. 93 heifst:

magnifica coemeteria antiquam in Gradatz numerosam ac divitem populationem sine dubio indicant,

durch römische Funde bemerkenswerth. Pater Bakula fand da- selbst die Inschrift

L. LIVIO:RVFINO FILIO PIA AELIA

vom 11. August 1870. 629

wohl dieselbe, von der auch Moreau gehört hatte, in dessen Reise- notizen sich aus Gradatz notirt findet: Hie jacet Rufus Filius Titi Livi Ael.

10.

Endlich fand sich noch bei Cerin, einer katholischen Pfarre, etwas nördlich von Gradatz das folgende Fragment

MPIL EEE

Nach der Angabe des Schematismus, der S. 84 ff. ausführlich über die Antiquitäten von Cerin handelt, soll sich unter andern Grabsteinen auch einer dort finden, der eine alte gothische In- schrift (freilich unleserlich und nach meinen Erkundigungen eher für altslavisch zu halten) bewahrt hat. Ebenda sind auch in einer Gruft die Vasen gefunden worden, welche im J. 1867 mein Bru- der, der Architekt Erwin Blau, durch Hrn. Prof. Adler der archäo- logischen Gesellschaft in Zeichnungen vorgelegt hat.

Hr. du Bois-Reymond legte eine Abhandlung des Hrn. Dr. Hugo Kronecker über die Gesetze der Muskelermüdung vor.

Die Herren Ludwig und Alexander Schmidt hatten!) „das Verhalten der Gase, welche mit dem Blute durch den reizba- ‚ren Säugethiermuskel strömen“ kennen gelehrt und zugleich gezeigt, dafs sauerstoffhaltiges Blut die (mittels intermittirender Ströme ge- prüfte) Erregbarkeit, auch wenn sie in Folge von mangelnder Circulation oder Tetanus schon beträchtlich gesunken war, wieder-

1) Berichte der Königl. sächsischen Gesellsch. der Wissensch. Mathem.- phys. Classe. Leipzig 4. Il. 1868.

630 Gesammtsitzung

herzustellen vermag. Es waren nun zunächst die weiteren Fragen zu erledigen, ob durch Zufuhr von sauerstoffhaltigem Blute auch die gesunkene Leistungsfähigkeit eines arbeitenden ermüde- ten Muskels gesteigert werden könne, ob ferner andere Stoffe das Blut in dieser Hinsicht zu ersetzen im Stande seien und in wel- cher Weise die Restitution erfolge. Für diese Untersuchung schien es mir eine unerläfsliche Vorarbeit, zuvörderst den Ermüdungsver- lauf des nicht durchströmten arbeitenden Muskels zu prüfen. Als Objekt der Experimente konnte hierbei nicht der Muskel eines Warmblüters verwendet werden, weil solcher aufser der Cireulation schnell abstirbt. Ich wählte deshalb Froschmuskeln und zwar vor- zugsweise den M. triceps femoris (Ecker). Die Versuche habe ich zu Leipzig im physiologischen Institute ausgeführt, dessen Direc- tor, Hr. Professor Ludwig, mir nicht nur reiche experimentelle Hilfsmittel zur Verfügung stellte, sondern auch durch seinen werth- vollen Rath meine Arbeit vielfach förderte.

Die ausführliche Darlegung der Versuchs-Ergebnisse und die nähere Beschreibung der Methoden, mit Hilfe deren sie gewonnen worden sind, werde ich demnächst an einem anderen Orte geben. Für jene Veröffentlichung verspare ich auch die Anführung der einschlägigen Arbeiten, welche ich hier um der Kürze willen un- erwähnt lasse.

Die Versuchsanordnung war im Allgemeinen folgende: Die beiden entsprechenden Muskeln eines Frosches waren mittels fester Fäden in Verbindung mit zwei Schreibhebeln gesetzt, welche neben einander auf der berufsten Papierhülle einer grofsen Kymographion- trommel die Zuckungshöhen um das Doppelte vergröfsert aufschrie- ben. Als Reize dienten Öffnungs- oder Schliefsungs- Inductions- schläge, welche direct die beiden Muskeln durchsetzten, nachdem der eine Pol dem unteren Ende des einen Muskels, der andere Pol dem unteren Ende des anderen Muskels angelegt worden war. Die Reize wurden in der Regel verstärkt bis sie maximale Zuckun- gen auslösten, ehe der eigentliche Versuch begann. Mittels eines Metronoms, der den primären Stromkreis eines du Bois-Rey- mond’schen Magnetelektromotors schlofs, wurden in gleichen Zeit- intervallen, deren Gröfse innerhalb weiter Grenzen geändert wer- den konnte, Inductionsschläge ausgelöst, deren eine Art (Schlies- sungs- oder Öffnungsschläge) durch eine Pflüger’sche Vorrichtung abgeblendet wurde. Gewöhnlich wurde auch nach jeder Zuckung

vom 11. August 1870. 631

die Stromesrichtung mit Hülfe eines von mir zu dem Behufe con- struirten Stromwenders umgekehrt. Nach jeder Zuckung gestattete ein von dem Metronome mittelbar abhängiger Elektromagnet dem Windflügel des Kymographion-Uhrwerks eine halbe Drehung und hiermit der Trommel ein kleines Stück Rotation.

Die Zuckungshöhen wurden demzufolge im Abstande von etwa 1 Mm. neben einander gezeichnet.

Der Arbeitsverlauf der Muskeln, welche oft viele hundert Zuckungshöhen bis zur völligen Ermüdung schrieben, konnte auf diese Weise bequem übersehen werden.

1.

Als erstes Hauptgesetz der Muskelermüdung hat sich folgen des ergeben:

Wenn ein Muskel bei irgend einer bestimmten Überla- stung') in gleichen Zeitintervallen mit gleichen (maximalen) Öffnungs- oder Schliefsungs -Inductionsschlägen gereizt wird, so bilden die Zuekungsgröfsen eine arithmetische Reihe, de- ren constante Differenz einzig und allein von der Gröfse des

Intervalls abhängt.

Dieses Gesetz gilt, wie man auch die gleichen Zeit-Intervalle und wie man auch die Überlastungen wählen mag; aber für Belastungen gilt es nur bis zu derjenigen Zuckungshöhe, deren Gröfse der Dehnung durch das angehängte Gewicht gleichkommt.

Stellt man den Vorgang graphisch so dar, dafs man auf einer Abscilsenaxe in gleichweit von einander abstehenden Punkten die Zuckungshöhen als Ordinaten aufträgt, so liegen nach dem ange- führten Gesetze deren Endpunkte in einer graden Linie. Ist & der Abstand zwischen je zwei Punkten der Abscifsenaxe, welche zwei

1) Die von Hrn. Helmholtz (Müller’s Archiv Anat. und Phys.

eingeführten Bezeichnungen „Überlastung“ und „Belastung“ sollen hier be- deuten, dals im ersten Falle der durch 5 Gramm schwach gespannte Muskel

unterstützt worden ist, bevor ihm das gröfsere Gewicht angehängt wurde; dafs im zweiten Falle der Muskel durch das ganze Gewicht gedehnt wurde.

632 Gesammtsitzung

aufeinanderfolgenden Reizen entsprechen und demgemäfs die der nten Zuckung zugehörige Abscilse @, gleich (n—1)k, so ist die Zuckungshöhe y, bestimmt durch die Gleichung

I „"=Yyı - (n— VD,

wo D jene im Gesetz erwähnte constante Differenz bedeutet.

Die Gröfse der ersten Zuckungshöhe y, hängt von der Indi- vidualität des Muskels und von der Gröfse der Überlastung ab, immer maximale Reize vorausgesetzt.

Die letzte Reizung, bei welcher noch eine (wirksame) Zuckung erfolgt, ist diejenige, für welche nach der obigen Formel die Con- tractionshöhe y, den kleinsten positiven Werth annimmt. Die An- zahl sämmtlicher Zuckungen, welche hier mit v bezeichnet worden ist, wird demgemäfs durch die Ungleichheiten 9

>v—]1ı

en

bestimmt; die Zahl v ist also die dem Werthe 5 zunächst liegende

gröfsere ganze Zahl.

Aus der Gleichung I ergiebt sich unmittelbar folgende Rela- tion zwischen 3 beliebigen Zuckungshöhen %,, Ya» Yn:

(nn m) yy + (!—n) + (m —)y, u

Die Gleichung der graden Linie, welche die Endpunkte mit einan- der verbindet, ist:

U te U D und der Werth der Constanten a ergiebt sich gleich % indem man

für a= nk die Ordinate y= yı—nD zu setzen hat. Man hat also:

1 ky—y) =Da

als Gleichung jener graden Linie, wo k und D die oben festgesetzte Bedeutung haben. Nennt man ® das zwischen zwei Reizen lie- gende Zeitintervall in Secunden und setzt k = ©, so ist x die seit der ersten Zuckung verflossene Zeit (in Secunden), so dafs, wenn hierfür der Buchstabe t genommen wird,

vom 11. August 1870. 633 1001 e(yı-y)=Di

ist. Nennt man ti, den zu y= 0 gehörigen Werth von t, das heifst also die Gesammtzeit der Arbeit des überlasteten Muskels, so ist

D, & also wenn man diesen Werth von a Gleichung III einsetzt,

IV yo = (lo —dY.

Da (t,— {) die Zeitdauer ist, während welcher der Muskel von der Zuckung y ab noch arbeitet, so besagt die Gleichung IV, dafs sich die Zuckungshöhen verhalten wie die Zeiten der restirenden Arbeitsfähigkeit.

Wenn einerseits die Zeitintervalle, andererseits die Überlastun- gen varlirt werden, so gilt folgendes allgemeinere Gesetz:

Die Höhe irgend einer Zuckung mit einer Überlastung p bei einem Reize, der nach einem Zeitintervall © dem vorher- gehenden folgt, ist eben so gro/s, wie wenn sämmtliche vor- hergehende Reize in gleichem Intervalle © aufeinander gefolgt und sämmtliche Zuckungen mit demselben Gewichte p voll- führt worden wären.

Hierdurch ist der allgemeinere Fall variabler Überlastungen und Intervalle auf den specielleren zurückgeführt, für welchen das erste Hauptgesetz aufgestellt worden ist.

Da auf Grund desselben die nte Zuckungshöhe y, sich durch die Gleichung I als:

yı—- R—1)D

bestimmt hatte, so gilt dieser Ausdruck für die Höhe der nten Zuckung bei einer Überlastung p, und bei einem Reize, der nach einem Zeitintervall ©, auf den (n— 1)sten Reiz folgt, wenn näm- lich y, die Höhe der ersten Zuckung mit der Überlastung p, be-

634 Gesammtsitzung

deutet und wenn ferner für D die nach dem ersten Hauptgesetze für gleiche Intervalle ©, stattfindende Höhendifferenz genommen wird. Nach Inhalt eben dieses Gesetzes ist D allein von der Gröfse des Intervalls ©, abhängig, während y, der Natur der Sache nach einzig durch das Gewicht p,„ bestimmt ist. Man kann daher um diese Art der Abhängigkeit in Evidenz zu setzen, die Bezeichnung:

D(®,) für D und

LP.) für einführen. Hiernach hat man die Formel

durch welche der Inhalt des ersten specielleren, wie des zweiten allgemeineren Gesetzes ausgedrückt wird unter der Voraussetzung, dafs ein und derselbe Muskel successive nach Intervallen: ©,,©;,, O,... also zu den Zeiten:

0, ©,, &,+09;,, 9, +09;+09,,.. gereizt und bei jedem dieser Reize resp. mit den Gewichten:

Pı» Pas Ps» Pa» --

überlastet wird. Aus der Formel V ergiebt sich ähnlich wie oben der Satz:

Zwischen je 3 Zuckungshöhen %,, Y1n > Yn, für welche P=Pn=Pp und = 09,— ©, ist, besteht die Relation R— my +l—rn)) mt m—D)m—0.

Bei der graphischen Darstellung ist die der nten Zuckung ent- sprechende Abscisse x, gleich (n—1)%k, so dafs

1 (po) 7 D(0,)

und nach Weglassung des Index n:

vom 11. August 1870. 635 vI y= 2m) ,:2(0)

wird. Hieraus folgt:

Die Endpunkte aller Zuckungshöhen y, für welche sowohl p als © dieselben Werthe haben, liegen in einer graden Linie, deren Richtung sich zwar mit ©, nicht aber mit p ändert.

Zum genaueren Verständnifs der hier angewendeten graphischen Darstellung mufs bemerkt werden, dafs dabei gleiche Abscissen- theile im Allgemeinen verschiedenen Zeittheilen entsprechen, indem die Abscissenwerthe

VE RR AR EB respective den Zeiten

0.50,, 9.,.:5.03,0,.. 9.5 94 22%

zugehören. Die Zeit t ist also nicht « proportional, sondern eine Function von «, für welche die Differentialgleichung:

dt

de besteht, während © von Punkt zu Punkt veränderlich, d. h. ge- wissermafsen als eine gegebene Function von x gedacht werden kann.

>.

Es ist bereits oben erwähnt, dafs das erste Hauptgesetz und in Folge dessen auch das allgemeinere zweite für Belastungen nur bis zu derjenigen Zuckungshöhe gilt, welche der Dehnung (6) des ruhenden Muskels durch das angehängte Gewicht gleichkommt. Bis dahin wird also die Zuckungshöhe y,„ durch die Gleichung V:

Ym 77 (Pr) == (r«—1)D(9,)

bestimmt, wo nunmehr $(p,„) die erste Verkürzung des mit dem Gewichte p„ belasteten gereizten Muskels bedeutet. Für den [1870] 44

636 Gesammtsitzung

Fall constanten Gewichtes und Intervalles, den wir jetzt nur be- handeln wollen, ist

Ya Ya RD

wo die erste Zuckungshöhe y, des belasteten Muskels gröfser ist, als die erste Zuckungshöhe des überlasteten, weil die durch Dehnung wirksam gemachte Elasticität einen Theil der Arbeit über- nimmt.

Bei den angewandten nicht zu grofsen Gewichten!) ist es zu- läfsig, die Elasticität der Muskeln als vollkommen zu betrachten; sie wird auch erfahrungsgemäls durch die Ermüdung nicht verän- dert. Während sich also der ruhende belastete Muskel vermöge seiner Elastieität in einer Gleichgewichtslage befindet, aus welcher ihn um ein Geringes die kleinste „Steigerung seiner Energie“ brin- gen kann, wird in dem Mafse, wie der thätige Muskel sich wäh- rend der Zuckung (bis zur Höhe y ö). verkürzt, der Antheil der elastischen Kräfte an der Arbeit abnehmen. Demgemäfs bleibt auf der Höhe z für die Oontractilitätskräfte von dem Gewichte p ein Theil, der proportional ist der Höhe z, das heifst az, wo eG 2 weil für 2= ö offenbar das Gewicht p ist. Also ist P? der Gewichtswerth bei einer Zuckung 2. Das Differential der Arbeit der Contractilität ist hiernach .- dz, folglich die Arbeit

2

pz Don: P und der Zuckungshöhe 2 sein: Pz, also ist jene Arbeit

selbst

Die Arbeit würde ohne Dehnung bei einem Gewichte

dieselbe, wie wenn das Gewicht ? ur R2 einem Muskel als Über-

26 lastung gegeben würde, so dafs gemäfs der Formel V zu setzen wäre

1) Gewichte von 20—50 Gramm entsprechen den Lasten, welche ein Schenkel eines lebenden Frosches unter normalen selbst extremen Verhält- nissen zu heben hat. Ein ziemlich grofser Frosch wiegt etwa 50 Gramme. Gröfsere Gewichte ändern nicht nur den normalen Ermüdungsverlauf, sondern auch dauernd die Muskelstruktur.

vom 11. August 1870. 637

2 3) ee

und wenn wieder %, für z eingesetzt wird:

»[Dy, vi Un (>>) - (n—ı)D,

eine Formel, durch welche die nte Zuckungshöhe %, implicite be- stimmt wird. Als die erste Zuckungshöhe y, ist hierbei diejenige

_ gerechnet, welche gleich der Dehnung & ist.

Nehmen wir (was innerhalb dieser engen Grenzen gestattet sein mag) die Function $(p) das heifst die erste Zuckungshöhe umgekehrt proportional dem Gewichte p, also

ez: so geht die Gleichung VII in folgende über:

20 Yn —anyD,

b}

£ E ; Yyı op aus welcher sich für n = 1 die Constante c als oe also als 2

ergiebt. Die Gleichung VII yn+(n—1)y„D =

bestimmt also die Zuckungshöhen in dem ganzen Verlaufe von der- jenigen Zuckungshöhe an, welche der Dehnung ö gleich ist.

Für die graphische Darstellung des Vorgangs ist in der For- mel VIII wiederum wie oben der Faktor (n ı) durch den Quo-

, tienten TE zu ersetzen. Wird alsdann der Index n weggelassen und

die Grölse k als Maafseinheit genommen also gleich 1 gesetzt, so

erhält man die Gleichung:

IX y? + Day= 5°,

wobei der Nullpunkt der den Zeiten proportionalen Abseissen bei dem Werthe y= Ö liegt. Diese Gleichung stellt eine Hyperbel | 44%

638 Gesammtsitzung

dar, für welche die x-Axe eine der Asymptoten ist. Der Diffe-

dy. rentialquotient = ist durch die Gleichung

bestimmt. Wenn die Zuckung den mten Theil der Dehnung be- trägt, also

dy D Be raid = ER, Er dx a dy D = %) —_ _—_, Ei dx 2

Die experimentell gefundenen Zuckungsgröfsen entsprechen mit grofser Annäherung den durch die Hyperbelformel (IX) bedingten

Werthen. Auch ist namentlich die plötzliche Abnahme des = um die Hälfte bei y= © in dem graphisch dargestellten Ermü- dungsverlaufe deutlich ausgeprägt. Für die Werthe yZ& ist näm-

lich -. constant gleich D.

4.

Die bisher angeführten Resultate beziehen sich allein auf die Leistungsfähigkeit der Muskeln; im Gebiete der Reizbarkeit sind feste Gesetze sehr selten. Im Allgemeinen stören bei Anwendung von Maximalreizen Änderungen der Reizbarkeit den gesetzmälsigen Ermüdungsverlauf nicht, denn die Reize, welche für den fri- schen Muskel maximale sind, bleiben es auch für den ermüdeten. |

Als wesentlichste Eigenthümlichkeiten der Reizbarkeit mach- ten sich folgende bemerklich:

1. Es kommt bei sehr reizbaren Muskeln (besonders von Thieren, die um die Laichzeit gefangen sind) vor, dafs der eigentliche Maximalreiz für den frischen Muskel gar nicht zu ermitteln ist, weil auch ohne Verstärkung der noch untermaximalen Reize beider Stromrichtungen die

Er \ % f

vom 11. August 1870. 639

folgenden (60 bis 100) Zuckungen etwas wachsen, wäh- rend die späteren schnell abnehmen, um dann erst (nach abermals 100 Zuckungen) dem Gesetze sich zu fügen. Andrerseits giebt es eine Reihe von Fällen (besonders nach der Laichzeit), wo eine weitere Steigerung starker Reize kleinere Zuckungen zur Folge hat. In diesen zwei Fällen bewirkt dann eine Verstärkung der anfänglichen Maximal- reize am Ende des Ermüdungsverlaufes eine kleine Stei- gerung der Contractionen, während bei normaler Erregbar- keit eine spätere Reizverstärkung den Verlauf wie oben erwähnt unbeeinflufst lälst.

Eine absonderliche Reizbarkeitserscheinung bieten manche schwach (20 Gramm) belastet oder überlastet zuckende Muskeln; sie bleiben auch während der Ruhepausen ein wenig contrahirt. Die hieraus resultirende „Abscilsen- hebung“ wächst zuerst mit der Anzahl der Zuckungen (einmal während 100 Zuckungen bis etwa 1,5 Mm.), um eine Weile (100 Zuckungen) auf dieser Höhe zu beharren und dann, erst schnell, später sehr allmählig (nach 300 Zuckungen) zu der normalen Abseisse zurückzukehren. Eine andere Unregelmäfsigkeit im Ermüdungsverlaufe brach- ten die in manchen Fällen auch bei Maximalreizen beste- henden, bedeutenden Unterschiede der Zuckungshöhen bei Inductionsschlägen verschiedener Richtung. Es geschah dann, dafs der gesetzmälsige Ermüdungsverlauf im Anfange nur für die niedrigeren Contractionen galt, während die Differenz (D) der höheren gröfser war. So wurden in der Folge die Zuckungen beider Richtung gleich hoch und fielen dann gemeinsam nach demselben Gesetze ab.

Eine constante nur in verschiedenem Grade auftretende Veränderung der Reizbarkeit zeigt sich nach Reizung mit Induetionsschlägen gleicher Richtung. Es werden dann die Zuckungen, welche Inductionsströme entge- gengesetzter Richtung auslösen, höher, als sie ohne Erregbarkeitsänderung hätten sein kön- nen, und zwar auch dann, wenn die Elektroden gewech- selt werden, oder der Anlegeort geändert wird, oder das berührte Stück entfernt, oder eine lange Weile vor der neuen Reizung gewartet wird; in geringem Grade auch

640 Gesammtsitzung

dann noch, wenn unpolarisirbare Elektroden angewendet werden (Winter 1868).

6. Nicht maximale Reize geben einen langsameren (für die Contractionen der weniger wirksamen Stromesrichtung häu- fig unregelmäfsigen) Ermüdungsverlauf, der beim Eintritte maximaler Reize für beide Stromesrichtungen dem norma- len wieder Platz macht.

7. Ein allgemein gültiges Zuckungsgesetz, der eigentliche Aus- druck geordneter Abhängigkeit der Contraction vom Reize, existirt für Inductionsschläge beider Richtungen nicht. Es ist nicht nur+zu verschiedenen Jahreszeiten das Verhalten der Muskeln gegen Inductionsströme, welche ihn in auf- oder absteigender Richtung durchsetzen, ein verschiedenes, sondern selbst bei verschiedenen Individuen unter sonst gleichen Bedingungen abweichend und sogar zuweilen ent- gegengesetzt bei zwei analogen Muskeln ein und desselben Thieres zu derselben Zeit. Doch bleibt das individuelle Zuckungsgesetz eines Muskels constant für alle Ermüdungs- stadien. |

d.

Die Ermüdung wird durch Stoffe, welche dem Muskel injieirt werden, (durch Bauchaorta ein-, durch Bauchvene ausflielsend) in verschieden vollkommner Weise aufgehoben. Die Versuche über diesen Gegenstand sind noch nicht zum Abschlusse gebracht; im Allgemeinen hat sich kurz Folgendes herausgestellt: 1) Blut von Kaninchen oder Hunden rein oder mit Kochsalzlösung (0,52) in verschiedenem Verhältnisse gemengt ist in verschiedenem Grade stets wirksam. 2) Serum und sehr verdünnte Lösungen von über- mangansaurem Kali (0,05 bis 0,1 Gramm auf 1000 Cube. einer Kochsalzlösung von 0,5 bis 0,75 9) Sind oft wirksam zu Zeiten, während welchen Kochsalzlösung allein unwirksam ist. 38) Koch- salzlösung erweist sich in gewissen Lebensperioden der Frösche (bald nach dem Laichen) ebenfalls als ein ziemlich gutes Herstel- lungsmittel, fast in gleichem Grade wie Lösung von übermangan- saurem Kali, doch stets viel weniger gut als Blut, das auch ver- dünnt die höchste wiedererholende Kraft besitzt.

vom 11. August 1870. 64l

Hr. W. Peters machte eine Mittheilung über neue Am- phibien (Hemidactylus, Urosaura, Tropidolepisma, Geophis, Uriechis, Scaphiophis, Hoplocephalus, Rana, Entomoglossus, Cystignathus, Hy- lodes, Arthroleptis, Phyllobates, Cophomantis) des Königlich zoologi- schen Museums.

SAURII,

1. Hemidactylus muriceus n. Sp.

Rücken zwischen der feinen Granulation mit zahlreichen, un-

regelmälsig zerstreuten, kleinen spitzen conischen Tuberkeln.

Schwanz mit Querreihen ähnlicher aber längerer Tuberkeln. Schnauze _ mit gröfseren convexen Schuppen. 8 bis 9 Infralabialia. Hinter dem spitzen Mentale jederseits ein grölseres Submentale, auf wel- ches mehrere kleinere folgen. Ohröffnung fast senkrecht, ziemlich eng. Unterkinn und Kehle fein granulirt. Bauchschuppen in der Mitte in 33 Längsreihen, jederseits neben denselben eine schwache Längsfalte, auf der die untersten Tuberkeln stehen.

Braungrau, mit schmalen m oder vförmigen dunkeln, unregel- mäfsigen Querbinden; ähnliche Querbinden auf dem Schwanze und den Extremitäten. Unterseite heller mit dunkleren an dem Unter- kinn zahlreicheren und zusammenfliefsenden Pünktchen.

Totallänge 0m086; Kopf 072013; Schwanz 07046.

Keta (Guinea).

Diese Art steht dem Hemid. fasciatus (= Liurus ornatus) Gray durch ihren ganzen Bau sehr nahe, unterscheidet sich aber von ihr nicht allein durch eine ganz andere Färbung, sondern auch durch die viel weniger zahlreichen, kleinern und spitzeren Tuberkeln.

9. Cercosaura (Urosaura) glabella nov. subgen. et nov. Sp. (Rats aRro1e)

Rückenschuppen grofs vierseitig glatt; Schwanzschuppen läng- lich vierseitig glatt, Bauchschuppen grofs vierseitig, in sechs Längs- reihen, von denen die der äulsern Reihe kleiner sind. Kehlschup- pen klein, am Rande der deutlichen queren Kehlfurche grölser, _ vierseitig. Die seitlichen Körperschuppen convex, kleiner als die Rücken- und Bauchschuppen, so dafs 4 Querreihen derselben drei Querreihen der Bauchschilder entsprechen. Schläfenschuppen grols und glatt. |

Das Internasale ist einfach, das Interparietale langgestreckt hexagonal, das Frenale so lang wie hoch, das untere Augenlid

642 Gesammtsitzung

mit einer durchsichtigen Scheibe versehen und das Auge Bauch vier Supraorbitalia von oben geschützt.

Oben schmutzig braungelb, in der Mitte dunkler und mit zer- streuten schwarzen Fleckchen. Körperseiten mit einer dunkelbrau- nen Längsbinde, welche unten durch eine gelbe Linie von einer schwarzen Fleckenlinie getrennt wird. Unterseite gelbweils, Bauch und Schwanzschilder mit dunkelbraunen Punkten. Auf den Ex- tremitäten einige gelbe runde Flecke.

Totallänge 0m146 Vord. Extremitäten 0m012 Kopf 07010 Hint. Extremitäten 0"016 Schwanz 0107 Vierte Zehe 0006

Sta. Catharina (Brasilien).

3. Tropidolepisma striolatum n. sp.

Habitus, Kopfbeschildung und Ohr ähnlich wie Tr. Kingü. Kälperechähnen in 32, auf dem Rücken in 8 Längsreihen. Die mittleren breiten Nackehacheanen 6- bis Skielig, die mittelsten Rückenschuppen 4- bis 5kielig, die seitlichen Skielig. Die Schup- pen der Aufsenseite der Extremitäten mit 3 stumpfen, aber deut- lichen Längskielen. Die Schuppen der obern und untern Mittel- reihe des Schwanzes sehr breit, erstere vielkielig.

Zähne am Gaumen habe ich nicht finden können.

Oben olivenfarbig. Die mittleren Schuppen in der Mitte schwarz, so dals schwarze mehr oder weniger breite Längsbinden gebildet werden, auf jeder Seite der Schuppen ein oder zwei helle Punkte. An der Körperseite eine unregelmälsige breite schwarze Längs- binde. Ränder der Kopfschilder schwarz, auf dem olivenbraunen Grunde derselben weilsliche Vermiculation. Unterseite schmutzig gelb, Kinn und Kehle schwarz gefleckt und liniirt.

Totallänge 0%191 Vord. Extremität 0028 Kopflänge 0028 Vierter Finger 0008 Kopfbreite 0%017 Hint. Extremität 0%037 Kopfhöhe 0011 Vierte Zehe 07011

Schwanz 0%086

Lake Elphinstone (im 19° S. Br. In Australien); aus dem Museum Godeffroy.

Die vorstehende Art steht dem Tr. majus Gray und Tr. Ri- chardi Ptrs. (Monatsber. 1869. p. 787.) durch die Gröfse der Schup- pen am nächsten, ist aber leicht durch die Beschaffenheit derselben von beiden zu unterscheiden.

vom 11. August 1870. 643

OPpnıDır. 4. Geophis annulatus n. sp. (Taf.1. Fig. 2.)

Körperschuppen glatt, ohne Grübchen, in 17 Längsreihen, Fre- noorbitale kurz, nicht länger als das Nasale anterius, über und un- ter demselben ein kleines Anteorbitale, Frontale so lang wie breit, fast dreieckig, mit convexen Seitenrändern. Supralabialia 8, das Auge über dem 4. und 5. Zwei Postorbitalia, das untere rechte mit dem Temporale verwachsen. Temporalia lang 14-2 oder in zweiter Reihe 1 oberes und 2 untere. Mentale wohlentwickelt, spitzwinkelig unregelmäfsig, blofs an das rechte Submentale stos- send, 9 Infralabialia, einerseits 5, andererseits 6 an die Submen- talia tretend, von denen das zweite Paar nicht halb so lang wie das erste ist. 177 Ventralia, 1 einfaches Anale, 55 Paar Sub- caudalia.

Mit 7 bis 8 Schuppen breiten blauschwarzen Ringen, welche zum Theil in der Mitte des Bauches offen stehen, und durch schmale 2 bis 3 Schuppen breite gelbe (im Leben rothe?) mit sparsamen dunkeln Punkten bestreute Ringe getrennt sind. Kopf bis zum hintern Rande der Parietalia und mit Einschlufs des vordern Theils der Temporalia und der 5. ersten Supra- und Infralabialia schwarz, der übrige Theil gelb, auf dem Nacken durch diese gelbe Binde von dem ersten 13 Schuppen breiten schwarzen Halsringe getrennt.

Totallänge 0%395; Kopf 0%015; Schwanz 0070.

Fundort unbekannt, wahrscheinlich Südamerica.

5. Uriechis(Metopophis) lineatus nov. subg. et n. sp. (Tf.1.Fg.3.)

Körperschuppen glänzend, porenlos, in 15 Längsreihen. In- ternasalia pentagonal; Praefrontalia zu einem einfachen Schilde vereinigt; Parietalia lang zugespitzt, hinten auseinanderweichend. Nasale, Anteorbitale und Postorbitale einfach. 7 Supralabialia, von denen das öte und 6te an das Parietale stolsen. 6 Infrala- bialia, das erste mit dem der andern Seite zusammenstofsend, das 5. das gröfste. Vier oder fünf stofsen an die beiden Submentalia. 168 Abdominalia, 1 einfaches Anale, 41 Subcaudalia.

Oben olivenfarbig mit drei dunkeln Längslinien, von denen

eine längs der Mitte, eine jederseits zwischen der dritten und vier- ten Schuppenreihe verläuft. Die beiden untersteu Schuppenreihen grau, die unterste mit einem gelben Fleck. Kehle und Vorderhals gelb, Bauchschilder und Schwanzschilder dicht mit dunkelgrau besprengt.

644 Gesammtsitzung

Totallänge 07440 ; Schwanz 0%057 ; Kopf 070115; Körperdicke 0007.

Zwei Exemplare von Keta (Guinea).

Diese Art zeigt, ungeachtet der Vereinigung der Praefrontalia, eine so vollkommene Übereinstimmung im ganzen übrigen Bau mit Uriechis, dafs es mir unnatürlich scheinen würde, auf dieses Merk- mal eine besondere Gattung zu gründen. Ganz ähnliche Verschie- denheiten zeigen sich bei den Elapomorphus, obgleich auch "hier der Versuch gemacht ist, dieselbe in Gattungen zu zersplittern.!)

Scaphiophis nov. gen.”)

Oberkieferzähne sämmtlich sehr klein, mehr ho- rizontal nach innen gewandt; Gaumen- und Ptery- goidalzahnreihen nach hinten convergirend, hier dop- pelt so weit von den Oberkieferzähnen als vorn ent- fernt. Habitus von Rhamphiophis. Rostrale sehr ent- wickelt, oben convex, unten concav, mit vorspringen- dem scharfen, schneidenden Rande. Obere Kopfschil- der in gewöhnlicher Zahl. Nasenlöcher zwischen zwei Nasalia und dem Internasale gelegen. Frenalia, Ante- und Postorbitalia vorhanden. Pupille rund. Schup- pen glatt, Anale und Subcaudalia getheilt.

!) Wiederholt habe ich auf die Variabilität in der Pholidosis der Schlan- gen aufmerksam gemacht, wodurch nicht allein die Zahl der Arten, sondern sogar der Gattungen unnatürlich vermehrt worden ist. In vielen Fällen ist es schwer, die Variation als solche nachzuweisen, da hierzu oft ganze Reihen gehören und es kann daher den Reisenden in fernen Ländern nicht genug empfohlen werden, von derselben Art möglichst viele Exemplare zu sammeln. Alle Mittheilungen über derlei Varietäten gesammelt dürften zu einem end- lichen Resultat führen. Von solchen bemerkenswerthen Varietäten, die mir neuerdings durch die Güte des Hrn. Meyer aus Hamburg an javanischen Schlangen vorgekommen sind, kann ich anführen 1) unter 6 Exemplaren von Calamaria Linnei Boie (var. tessellata) 1 Exemplar mit fünf, anstatt vier Supralabialia jederseits, von denen das 3. linke sehr kurz ist; 2) unter 5 Exemplaren von Cal. Quvieri Jan eins mit einem sehr kleinen unteren An- teorbitale jederseits.

?) onablov, Schaufel, ddıs.

vom 11. August 1870. 645

6. Se. albopunctatus n. sp. (Taf.1. Fig. 4.)

Das grofse Rostrale bildet nach hinten einen stumpfen Win- kel, den die Internasalia einschliefsen, welche viel breiter als lang und aufsen breiter als inwendig sind und nach aufsen an beide Nasalia stofsen. Die Präfrontalia sind um die Hälfte länger, fast doppelt so breit wie lang, hinten convex, mit ihrem äufseren spit- zen Winkel zwischen dem hinteren Nasale und dem oberen Frenale eindringend. Das Frontale medium ist kaum länger als breit, vorn und hinten stumpfwinkelig. Die Parietalia sind kürzer als das Frontale, so breit wie lang und abnorm in mehrere Schuppen zer- fallen. Das vordere Nasale ist viel kleiner und niedriger als das hintere, an welches zwei kleine, über einander liegende Frenalia stolsen. Das Auge wird vorn von einem Anteorbitale, hinten von drei Postorbitalia und unten von zwei kleinen Suborbitalia umgeben und so von den Supralabialia getrennt. Temporalia zahlreich 4+5-+5, klein, mit Ausnahme der längeren beiden unteren der vordersten Quer- reihe. Fünf Supralabialia, von denen das fünfte so lang ist wie alle übrigen zusammen. Sieben Infralabialia, von denen das 6te das gröfste ist; das erste tritt mit dem der andern Seite hinter dem kleinen Mentale zusammen. Ein Paar kurzer breiter Submen- talia, die nur mit den drei vordersten Infralabialia in Berührung stehen, da zwischen ihnen und den drei folgenden sich eine lange schmale Schuppe hineinschiebt.

Körperschuppen glatt, mit zwei Endgrübchen, am Halse in 25, dann in 2i und in der Körpermitte in 23 Längsreihen; die der untersten Längsreihe sind am gröflsten, die des Rückens am klein- sten. 210 Bauchschilder, 4 Anale, 64 Paar Subcaudalia und eine lange conische Endschuppe.

Oben olivenbraun, viele Schuppen mit einem weilsen Basal- punkt; die unteren Seitenschuppen schmutzig weils, dunkel geran- det. Unterseite gelblichweils, Bauchschilder seitlich dunkelgerandet.

Totallänge 09352; Kopflänge 0'%0165; Kopfbreite 0'0095; Schwanzlänge 07057; Körperdicke in der Mitte 0'008.

Ein Exemplar von Keta (Guinea).

Diese Schlange ist insofern sehr merkwürdig, als sie unter den Isodonten eine Gattung repräsentirt, welche sich durch die Pholidosis, namentlich auch durch die zwischen zwei Nasalia und dem Internasale befindliche Nasenöffnung, den diacrantheren Zamenis,

646 Gesammtsitzung

Lytorhynchus und den ebenfalls für Afrika characteristischen gifti- gen Causus und Heterophis anschliefst. 7. Hoplocephalus frenatus n. Sp.

Körperschuppen in 19 Längsreihen, Anale einfach, ungetheilt. Internasalia um die Hälfte breiter als lang; die Länge des Fron- tale medium zu seiner Breite wie 4:25; Nasale hinten zugespitzt, von dem Anteorbitale getrennt; 6 Supralabialia, 2 Postorbitalia, Temporalia 2+2. 7 Infralabialia, das erste mit dem der andern Seite zusammenstofsend, das 4. das gröfste; 2 Paar Submentalia, welche mit 4 Paar Infralabialia in Berührung stehen. Abdominalia 167, Anale 1, Subcaudalia 35.

Oben olivenbraun, Lippenrand mit Einschlufs des Rostrale gelb, darüber eine gelbe von dem Rostrale ausgehende Linie, welche durch das Auge geht und sich auf der Schläfe verliert, die ganze Unterseite weils.

Totallänge 0%390; Kopf 0%016; Schwanz 0'054.

Lake Elphinstone (Australien), aus der Sammlung des Hrn. Godeffroy. |

BATRACHIA. 8. Rana longirostris n. sp. (Taf.1. Fig. 5.)

Der ganze Habitus, Schwanz, Nasenlöcher, Trommelfell, Cho- anen wie bei R. oxyrhyncha Sundevall, aber die Gaumenzähne nach hinten convergirend, nicht in einer. queren Linie stehend, Spalte der Schallblase näher dem Rande des Unterkiefers befind- lich, und nicht kürzer oder höchstens gleich dem Augendurchmes- ser, sondern viel länger als derselbe und endlich die Mittelzehe nicht so beträchtlich viel länger als die seitlichen und die Schwimm- häute nicht tief ausgerandet wie bei jener Art.

Rückenhaut mit feinen Längserhabenheiten, Metatarsus mit 2 Tu- berkeln, der äufsere aber wenig hervorragend.

Oben grau mit einzelnen zerstreuten Flecken, die erhabenen Längslinien weifslich. Seite der Schnauze uud Schläfengegend scharf abgeschnitten schwarz, welche Farbe sich in einen weniger scharf begrenzten Streifen bis zum Oberschenkel und längs der vor- dern Seite desselben fortsetzt. Hintere und vordere Seite mit einer unregelmäfsigen schwarzen Längsbinde, dunkle Querbinden auf Ober-, Unterschenkel und Fufs. Fufssohle schwarz.

Totallänge 00043; Kopflänge 070165; Kopfbreite 0%0136; Schnauze 00085; vord. Extrem. 0%027; hint. Extr. 07091.

vom 11. August 1870. 647

Ein Exemplar aus Keta (Guinea).

. Entomoglossus n. gen.')

Zähne in den Oberkiefern und am Gaumen. Zunge hinten ausgeschnitten. Tubae Eustachii, Trommelhöhle und Membrana tympani sowie das Manubrium sterni wohl entwickelt. Querfort- sätze des Sacralwirbels eylindrisch. Keine Parotoiden oder Seiten- drüsen. Finger und Zehen zugespitzt, frei.

Eine Gattung, welche im Habitus am meisten Ähnlichkeit mit Cyclorhamphus zeigt, sich aber von diesem durch den Mangel der Schwimmhäute sowie von ihm und Cystignathus durch die ziemlich tief ausgeschnittene Zunge unterscheidet.

9. E. pustulatus n. sp. (Taf. 2. Fig.1.)

Braun, undeutlich längsgestreift, unten mit zahlreichen klei- nen runden gelblichweilsen Flecken.

Im Allgemeiner etwas platt. Kopf mälsig, Nasenlöcher schief, auf der Schnauzenspitze einander genähert, etwa um 1 Augen- durchmesser von den Augen entfernt, Trommelfell deutlich, im Durchmesser halb so grofs wie das Auge. Choanen quer, etwas kleiner als die dreieckigen Tuben. Gaumenzähne auf zwei kur- zen Querreihen auf der Mitte des Gaumens hinter der Linie der Choanen stehend. Zunge grols und hinten winkelig ausgeschnitten. Körperhaut oben fein runzelig, unten glatt. Finger ganz frei, der dritte der längste, dann der erste, während von den beiden übri- sen der zweite kaum länger als der vierte ist. Die Handballen sind kaum merklich. Die spitzen Zehen sind ebenfalls ganz frei, nur die Mittelfulsglieder durch Schwimmhäute verbunden; sie neh- men von der ersten zur vierten rasch an Länge zu, während die fünfte Zehe nur wenig kürzer als die dritte ist. Die Fulssohle ist glatt.

Totallänge 02046 Hand mit 3. Fing. 0%011 Kopflänge 0%014 Hintere Extremität 02060 Kopfbreite 0%2014 Fufs mit 4. Zehe 02030 Vord. Extr. 02023

Ein trächtiges Weibchen aus Ceara (Nördl. Brasilien).

1) Evrouos, yAucau.

648 Gesammtsitzung

10. Cystignathus diplolistris n. sp. (Taf.2. Fig:-2.)

Im Habitus und auch in der Zeichnung mit Pleurodema Dar- winii Bell übereinstimmend, aber ohne Seitendrüsen, mit kürzern Fingern und Zehen, beide Mittelfufshöcker schneidend und gröfser') und einen deutlichen platten Höcker unter dem Tarsus. Gaumen- zähne auf zwei nach hinten und innen convergirenden Querhöckern zwischen den Choanen, welche den Tubenöffnungen an Gröfse fast gleich kommen. Zunge herzförmig. Trommelfell sichtbar, sein Durchmesser etwa gleich 4 Augendurchmesser.

Totallänge 09036 Hand mit 3. Fing. 09009 Kopflänge 0%015 Hintere Extremität 0%046 Kopfbreite 07016 Fufs mit 4. Zehe 0920215 Vord. Extr. 02020

Drei Exemplare verschiedener Gröfse aus Ceära.

11. Hylodes Henselü. n. sp.

Der von Hrn. Dr. Hensel im Archiv für Naturgeschichte 1867 p. 161 beschriebene Batrachier gehört ohne Zweifel, wie der Vf. angiebt, zur Gattung Hylodes und bildet eine durch die Stel- lung der Gaumenzähne sehr ausgezeichnete Art. Da das Exemplar jetzt der Berliner Sammlung einverleibt ist (No. 6813), so habe ich es mit dem Namen des Entdeckers bezeichnet.

12. Hylodes rugulosus n. Sp.

Im Habitus ähnlich einer Rana temporaria. Vomerzahnplatten hinter den Choanen, ähnlich gebogen wie bei 4. Ricordü, aber in der Mitte nicht zusammenstofsend. Choanen länger als breit und daher gröfser als die Tubenöffnungen. Zunge hinten ganzrandig oder kaum herzförmig eingeschnitten. Canthi rostrales sehr deut- lich wegen der concaven Zügelgegend. Nasenlöcher seitlich unter dem Ende derselben und nicht ganz einen Augendurchmesser von den Augen entfernt liegend. Trommelfell im Durchmesser gleich 2 Augendurchmesser; über demselben eine bogenförmige von dem

1) Die Entwickelung dieser Höcker ist von Pl. Bibronü, Pl. Darwiniı und C. diplolistris eine graduelle und scheint mir daher um so weniger allein eine generische Trennung zu begründen, als Pleurodema nur als Untergattung von Oystignathus zu betrachten ist. Of. Lystris (ser. Listris, klerpov) Cope (Proc. Ac. N. Sc. Philadelphia 1868. p. 312).

vom 11. August 1870, 649

oberen Augenlide ausgehende Hautwulst. Kopf- und Körperober- seite fein granulirt und mit zahlreichen erhabenen Längslinien; Unterseite glatt. Finger und Zehen gaß®z frei, mit deutlichen Haft- scheiben und sehr entwickelten Tuberkeln unter den Gelenken. Oben graugelb mit zwei mehr oder weniger deutlichen Reihen schwarzer Flecke, welche zwischen den Augen eine undeutliche Zickzackbinde bilden. Die Gliedmafsen mit dunkeln Querbinden. Eine schwarze Binde von den Nasenlöchern an der untern Seite des Canthus rostralis und der bogenförmigen Wulst über dem Ohr. Unterseite gelblich weils; Fuflssohlen schwarz. Totallänge 0'060 Hand mit 3. Fing. 07015 Kopflänge 0%025 Hintere Extremität 0%110 Kopfbreite 0'%0225 Fufs mit 4. Fing. 0%045 Vord.Extr. 0'036 Zwei Exemplare aus Sta. Catharina (Brasilien). Auf das grölste derselben beziehen sich die angegebenen Malse.

13. Arthroleptis dispar n. sp. (Taf.2. Fig.3.)

Oben dunkel violetbraun, die Lippenränder, Unterohrgegend, Körperseiten, Vorder- und Hinterseite des Oberschenkels schwarz und gelblichweifs melirt; Gliedmafsen mit queren, wegen der dun- keln Grundfarbe wenig sichtbaren schwarzen Querbinden. Unter- kinn und Brust dichter, Vorderbauch sparsamer mit braun be- sprengt.

Körper schlank, Schnauze abgestutzt, Trommelfell undeutlich, im Durchmesser ungefähr gleich 4 Augendurchmesser, Zunge herz- förmig, Choanen gröfser als die sehr kleinen Tuben, Finger frei. Zehen an der Basis geheftet und mit kleinen deutlichen Haftschei- ben; am Mittelfufs zwei und unter dem letzten Drittel des Tarsus ein kleines Knötchen.

Totallänge 02020 Hand mit 3. Fing. 09005 Kopflänge 020075 Hintere Extremität 0%035 Kopfbreite 070062 Fuls mit 4. Zehe 0%016 Vord.Extr. 07014

Ein Exemplar von Ilha do Principe, durch Hrn. Dr, Dohrn.

Diese Art ist sehr interessant wegen gröfserer Entwickelung der Haftscheiben, die bei A. Wahlbergii Smith (ef. Monatsb. 1870. p- 125. Taf. Fig.2) und A. poecilonotus (Monatsber. 1863. p.446) als solche kaum zu erkennen sind. Es geht hieraus hervor, dafs He-

650 Gesammtsitzung

teroglossa africana Hallowell (Proc. Ac. Nat. Se. Philadelphia 1857. p.64;5 Cope ibid. 1862. p. 343) ebenfalls in die Gattung Arthro- leptis zu stellen ist, welche sich nun den Hyperolius so nahe an- schliefst, dafs man sie höchstens als eine Untergattung derselben betrachten kann. Es ist dieses eine neue Schwierigkeit für die Systematik der proteusartigen Batrachier, wie sie ähnlich schon bei den Pleetropus, Plectromantis, Diplopelma und Hemiphractus sich uns

aufgedrängt hat.

14. Phyllobates verruculatus n. Sp.

Oberseite des Körpers und der Gliedmafsen gelbbraun, schwarz gefleckt und punktirt, Zügel und Schläfengegend schwarzbraun; Unterseite bräunlichgelb, dunkel besprengt.

Schnauze wenig länger als der Augendurchmesser; Zügelgegend senkrecht; Canthus rostralis abgerundet. Zunge ganzrandig. Trom- melfell sehr deutlich, im Durchmesser gleich 3 des Augendurch- messers. Oberseite des Körpers mit wärzchenförmigen Hervorra- gungen; Kehle und Brust glatt; Hinterbauch und Unterseite der Oberschenkel dicht granulirt.

Von den Fingern ist der erste der kürzeste, der vierte wenig länger als der zweite und der dritte am meisten hervorragend. Die subarticularen Hervorragungen sind deutlich und die Haftbal- len mälsig grofs, aber merklich gröfser als die ziemlich kleinen Haftballen der Zehen. Diese letztern sind frei, von der 1. bis 4. progressiv an Gröfse zunehmend, die 5. ein wenig kürzer als die 3te, Die beiden Metatarsalknötchen sind kaum grölser als «die Subarticularknoten.

Totallänge 07020 Hand mit 3. Fing. 0%0058 Kopflänge 0'008 Hintere Extremität 0%031 Kopfbreite 0'007 Fuls m. 4. Zehe 0%014 Vord. Extr. 090145

Ein Exemplar aus Huanusco (Mexico), durch Hın. Dr.

Hille.

Cophomantis n. gen.') Finger und Zehen mit wohlentwickelten Haft- scheiben und Schwimmhäuten wie Hyla. Keine Kie-

1) Hwbog, Havrıg.

vom 11. August 1870. 651

ferzähne, aber Zähne am Gaumen. Kein Trommelfell und keine Tubae Eustachii. Zunge herzförmig; Ster- num mit Manubrium; Querfortsätze des Sacralwirbels verbreitert. Keine Parotoiden.

15. ©. punctillata n. sp. (Taf. 2. Fig. 4.)

Blaugrau mit dichtstehenden dunkeln Pünktchen, welche weit- läufiger stehen auf einem schmalen Streifen der Oberschenkel, auf der Aufsenseite des Vorderarms, des Unterschenkels und Fufses; Unterseite schmutzig gelblich; Vorder- und Hinterseite des Ober- und Unterschenkels, die Oberseite der Hand mit Ausschlufs der äufseren Hälfte des 4. Fingers und der Fufs mit Ausschlufs der fünften und der äufseren Hälfte der vierten Zehe schwarzbraun. Über der Analöffnung in einer flachen Vertiefung ein schwarzer Querstrich.

Die Schnauze ist etwas länger als der Augendurchmesser, vorn abgestutzt, die Frenalgegend ziemlich hoch, der Oanthus ro- stralis abgerundet, die kleinen rundlichen Nasenlöcher seitlich, nahe hinter dem Schnauzenende. Das untere Augenlid ist durch- sichtig. Die Choanen sind grofs oval, seitlich, nach vorn conver- girend; nach innen und hinten von ihnen liegen die ziemlich lan- gen nach vorn convergirenden Gaumenzahnhöcker. Zunge herzför- mig, hinten wenig ausgerandet. Die Haut der Rückseite ist glatt, von dem Auge nach der Achsel einen bogenförmigen, aber nicht drüsigen Vorsprung bildend. Kehle und Brust sind gleichfalls glatt, dagegen der Bauch und die Unterseite der Oberschenkel dicht gekörnt.

An der Vorderextremität ist der erste Finger der kürzeste, dann der zweite und der vierte um die Länge der Haftscheibe kür- zer als der dritte; die Bindehaut zwischen den drei äufseren Fin- gern reicht bis zum vorletzten Gliede und ist am. stärksten zwi- schen dem 3. und 4. Finger entwickelt. Unter der Basis des er- sten Fingers findet sich ein gröfserer Ballen, unter den andern Fingern nur kleine unregelmäfsige Erhabenheiten, Die Zehen sind etwa bis auf 2 durch Schwimmhäute verbunden; die Unterseite des Tarsus und Metatarsus ist glatt; nur am Hacken befindet sich ein kurzer dornförmiger Hautvorsprung.

[1870] | 45

652 Gesammtsitzung

Totallänge 0%028 Hand mit 3. Fing. 0%0095 Kopflänge 070095 Hintere Extremität 07042 Kopfbreite 0%0085 Fufs mit 4. Zehe 07019 Vord.Extr. 0%020

Sta. Catharina (Brasilien).

Ich habe lange gezögert, die vorstehende Art als Repräsen- tanten einer Gattung mit einer neuen Combination eigenthümlicher Charaktere anzuerkennen, und ich dachte wegen des Mangels der Kieferzähne und auch wegen der kleinen vertieften Querlinie über der Analöffnung an den Jugendzustand einer /yla, namentlich we- gen der Färbung und der Ähnlichkeit des Habitus an ZH. cineras- cens Spix (Spec. nov. Testud. et Ranar. Taf.8. Fig.4.). Indefs ist das vorliegende Exemplar keineswegs klein und bei ZZ. einerascens das Trommelfell nicht allein sehr deutlich, sondern auch die Pro- portion der Finger eine andere, indem der erste merklich länger als der zweite und der vierte verhältnilsmälsig viel kürzer ist.

Übersicht der Abbildungen.

Taf. 1. Fig. 1. Urosaura glabella Ptrs.

2. Geophis annulatus Ptrs.

3. Uriechis lineatus Ptrs.

1 2 3 4. Scaphiophis albopunctatus Ptrs. 9. Rana longirostris Ptrs. Taf. 2. Fig. 1 2 3 4

»

. Entomoglossus pustulatus Ptrs. . Cystignathus diplolistris Ptrs. 3. Arthroleptis dispar Ptrs. » 4. Cophomantis punctillata Ptrs.

Taf.1. Fig. 1—4 sind vergröfsert, die übrigen Figuren in natürlicher

Gröfse.

1 Urosaura $labella.2 Geophis annulatus. 3 Uriechis lineatus. 4 Scaphiophis albopunctatus oRana longirostris.

ee Se LFUEX V KEITDEUS

- J.D1L.Franz Wagner $ez uhth

Monatsber d.Berl. Akaa.d.W

1.Entomoglossus pustulatus. A (vstignathus diplolistris.3 Arthrolepuis dispar. J.D.L Franz Wagner Bez aulith 4 Cophomantis punctillata. Dt

vom 11. August 1870. 653

Hr. Braun theilte neuere Untersuchungen über die Gattungen Marsilia und Pilularia mit.

Vor sieben Jahren') habe ich der Akademie einen Versuch vor- gelegt, die Arten der Gattungen Marsilia und Pilularia festzustel- len; aus letzterer Gattung konnte ich damals 4 Arten, aus ersterer 37 (oder bei weiterer Fassung des Artbegriffs 30) aufzählen und, mit Ausnahme einiger mir nicht aus eigener Anschauung bekannter, scharf charakterisiren. Es zeigte sich schon damals, dafs die Anzahl der Arten beträchtlicher sei, als man anzunehmen geneigt war, dafs insbesondere die in älteren Schriften unter dem Namen M. quadrifoliata. angeführten aulsereuropäischen Formen sämmtlich an- deren, von der europäischen dieses Namens verschiedenen Arten angehören.”) Zu der früheren Ansicht haben namentlich 2 Mo- mente beigetragen, die grofse Ähnlichkeit der meisten Arten in den sterilen, oft allein gesammelten Wasserformen und der innige Zu- sammenhang der vielgestaltigen Arten einzelner Gruppen, wie z.B. der Gruppe der M. diffusa in Afrika und Asien, der Gruppe der M. vestita in Nordamerika, der M. Drummondii in Australien. So ist es erklärlich, dafs selbst neuerlich der verdienstvolle Dr. Ferd. v. Müller?) die sämmtlichen australischen Marsilien für Formen einer einzigen Art, der M. hirsuta R. Br., die er selbst wieder als Abart der M. quadrifoliata betrachtet, halten konnte.*)

Seit jener früheren Mittheilung hat sich die Kenntnifs dieser kleinen Pflanzengruppe in mannigfacher Beziehung vermehrt. Die Einsicht in die Befruchtungs-, Keimungs- und Entwicklungsvor- gänge ist durch die Arbeiten von Hanstein°’) in erfreulicher Weise

!) Monatsb. 1863, S. 413.

2) Vielleicht mit einziger Ausnahme der M. quadrifoliata Thunb. Flor. Japon., die im sterilen Zustande, in welchem allein sie mir bekannt ist, von der ächten M. quadrifoliata nicht unterscheidbar ist.

®2) Zur Befruchtung und Entwicklung der Gattung Marsilia (Pringsheim Jahrb. f. wiss. Bot. IV, 1865); Pilulariae globuliferae generatio cum Marsi- lia comparata. Bonnae 1866.

*) Fragmenta Phytograph. Australiae V. p. 140 und in brieflichen Mit- theilungen.

5) Ich werde im Folgenden zeigen, dafs die australischen Arten dreien

45*

654 Gesammtsitzung

gefördert; die Entwicklungsgeschichte der Wurzel ist von Nägeli und Leitgeb'), die Bildung des männlichen Prothalliums aus der Mikrospore durch Millardet”) genauer untersucht worden. Die Kenntnils der Arten und ihrer Lebensweise ist durch neue Ent- deckungen und fortgesetzte Culturversuche bereichert worden. Die mir damals nur aus ungenügenden Diagnosen bekannten Arten (M. hirsuta und angustifolia R. Br., M. mutica Mett.) konnten ge- nauer untersucht werden,?) eine Reihe früher ganz unbekannter wurden seither entdeckt (Pilularia Mendoni von Mendon in Bolivia, Marsil. rotundata und diffusa v. cornuta von Welwitsch iu Angola, M. gibba von Schweinfurth in den oberen Nilländern, M. quadrata von Lowe in Borneo, M. subangulata und Ernesti von Ernst in Ca- racas, M. macra, elata, hirsutissima, sericea und andere neue For- men aus der Gruppe der vielgestaltigen M. Drummondi in Austra- lien von Ferd. v. Müller, Wilhelmi, Murray, Kinlay und anderen Reisenden im Inneren Australiens); einige andere neue Arten fan- den sich in älteren Herbarien versteckt (M. Berteroi im De Can- dolle’schen, M. Mexicana und M. exarata im Hooker’schen).

Die Kenntnifs der geographischen Verbreitung der Arten ist durch die Entdeckung neuer Fundorte mehrfach erweitert worden, aber auch jetzt noch gilt die Behauptung, dafs die meisten Arten ein sehr beschränktes Vorkommen besitzen. Nur wenige Arten ha- ben eine weiter ausgedehnte geographische Verbreitung, nach den jetzigen Kenntnissen mit meist grolsen Unterbrechungen. M. qua- drifoliata zieht sich durch das südliche und mittlere Europa zwi-

verschiedenen Gruppen angehören, so dafs man bei möglichst weiter Fassung mindestens 3 Arten anerkennen mülste.

1) Entstehung und Wachsthum der Wurzeln (Nägeli, Beiträge zur wiss. Bot. 4. Heft, 1868 S. 114). 2) Le Prothallium mäle des Oryptogames vasc. Strasb. 1869.

3) Nur Mars. fimbriata Schum. et Thonning bleibt auch ferner unbe- kannt, da Exemplare dieser Art im Kopenhagener Museum nach den Mit- theilungen von Prof. Lange nicht vorhanden sind. Die fernere Erwähnung derselben in dem Verzeichnifs der Arten hat nur insofern noch einen Werth, als durch dieselbe, unter der Voraussetzuug, dafs die Angabe der Autoren richtig ist, die Existenz einer Art mit beinahe sitzenden Früchten im tropi- schen Afrika constatirt wird.

vom 11. August 1870. 655

schen 36 und 55° n. Br., taucht in Asien wieder auf in der Krimm, den Caucasusländern, dem südlichen Sibirien, bei Astrachan und in Kaschmir, zweifelhaft in China und Japan.') Endlich macht sie einen Sprung in die neue Welt, wo sie von einer einzigen Lo- calität in Connecticut bekannt ist. Eine ähnliche Ausbreitung hat wahrscheinlich Pilularia globulifera, aber sie geht in Europa etwas weiter nach Norden (in Norwegen bis zu 60°) und weniger weit nach Süden (in Italien bis 41, in Portugal bis zu 38°). Im Osten der alten Welt ist sie nur bis zum Jaik bekannt, aber man mulfs bedenken, dafs die unscheinbare Gestalt der Pilularia weit leichter übersehen wird als die auffallende der Marsilia. In Nordamerika fehlt sie, was bei ihrer weiteren Verbreitung nach Norden im Ver- gleich mit Marsilia quadrifoliata auffallend ist. Erst in den süd- lichen vereinigten Staaten tritt eine von der europäischen specifisch verschiedene Art (Pilularia Americana) auf. Europa besitzt aus jeder der beiden Gattungen noch eine zweite, südlichere, aus- schliefslich dem Gebiet der Mittelmeerflora angehörige Art, deren wenige, zerstreute Fundorte zwischen dem 35. und 43.° n. B. lie- gen, nämlich Marsilia pubescens und Pilularia minute. Beide fin- den sich im Languedoc (Roquehaute bei Agde), in Sardinien und in Algerien, Pi. minuta aufserdem bei Smyrna, Mars. pubescens bei Tanger. Zieht man die kaum verschiedene M. strigosa W. mit M. pubescens zusammen, so erweitert sich der Verbreitungsbezirk derselben nach den Wolga- und Caucasus-Gegenden Südrufslands.

Zu den weit verbreiteten Arten gehört ferner Mars. diffusa, die, auf den Canarischen Inseln und in Algerien beginnend, über Sene- gambien (wo sie die häufigste Art ist), die oberen Nilländer, Angola (in einer etwas abweichenden Form) und Madagascar sich ausbrei- tet und ohne Zweifel in vielen anderen Gegenden namentlich des tropischen Afrikas noch aufzufinden ist. Vereinigt man mit M. difusa die sehr nahe verwandten und schwer scharf zu trennenden Arten M. crenulata und M. erosa, so geht die Verbreitung weiter nach Mauritins und Bourbon, Ceylon und ganz Vorderindien, Assam, Java,

1) Die von neueren Reisenden, Wichura und Maximowitsch gesammel- ten Exemplare sind steril; doch ist die Richtigkeit der Bestimmung nicht unwahrscheinlich, da auch die europäische Salvinia natans in Japan wieder- kehrt.

656 Gesammtsitzung

den Philippinen und Lu Tschu Inseln. Einen Wohnungsbezirk von bedeutender Ausdehnung hat endlich noch Mars. polycarpa, zumal wenn man die zweifelhafte M. pieta und die sehr nahe verwandte M. subangulata hinzuzieht, nämlich über Brasilien, Guyana, Neu-Granada und Centralamerica (subangulata), Mexico (picta), Jamaica (subangu- lata?), Cuba, von wo sie einen ungeheuren Sprung macht nach Tahiti, auf welcher Insel ächte M. polycarpa in fast gleicher Breite mit Brasilien aber um 100 Längengrade entfernt sich wieder findet. Einen merkwürdigen Sprung zeigt auch Pilularia Americana in ihrem Vorkommen, welche in den südlichen vereinigten Staaten (Arkan- sas) und in Chile (Valdivia) beobachtet ist, nicht aber in den zwi- schenliegenden Theilen Amerikas.

Alle übrigen Arten zeigen ein beschränktes Vorkommen, wo- bei nicht selten alle oder die meisten Arten desselben geographi- schen Gebietes unter sich nahe verwandt sind, wie z. B. sämmt- liche südafrikanische Marsilia-Arten (M. macrocarpa, Capensis, Bur- chellüi, biloba), die Mehrzahl der Arten des wärmeren Nordamerika (M. uncinata, mucronata, vestita, tenuifolia, mexicana), so wie die meisten australischen (M, Drummondü, elata und die verwandten Formen) einer und derselben Gruppe angehören. Oft finden sich aber auch in entfernten Gebieten analoge Arten, so wird die ost- indische M. Coromandeliana in Afrika (Senegambien) durch M. tri- chopoda vertreten; die ostindische M. erosa in Afrika durch M. difusa; die europäische M. quadrifoliata im wärmeren Nordamerika durch M. macropus, in Australien durch M. Drownü; MM. vestita Nordamerikas auf den Sandwichsinseln durch M. villosa; M. Nubica der Nilländer in Senegambien durch M. gymnocarpa; die europäische Pilul. globulifera in Australien durch P. Novae Hollandiae.

Der an Marsiliaceen reichste Welttheil ist Afrika mit 17 Mar- silia-Arten und 1 Pilularia. Senegambien allein besitzt von er- steren 7 Arten (M. trichopoda, muscoides, distorta, diffusa, cerenulata, gymnocarpa, subterranea), von denen 4 diesem Lande eigenthüm- lich sind.!) In Guinea ist bis jetzt nur eine Art beobachtet worden

1) Die Entdeckung dieser Arten verdankt man den älteren französischen Reisenden, Perrotet, Heudelot und Leprieur, von welchen der erst- genannte als Director eines Cultur-Etablissements, der zweite als Obergärtner, der dritte als Marine-Apotheker die Flora Senegambiens in den Jahren 1824

vom 11. August 1870. 657 und diese ist nicht genauer bekannt (M. fimbriata); in Angola sind von Dr. Welwitsch 3 Arten in fructificirendem Zustand aufgefunden worden (M. rotundata, cornula, muscoides), von denen die dritte mit einer der senegambischen Arteu identisch ist, während die zweite an zwei weiter verbreitete Arten (M. difusa und crenate) sich so nahe anschliefst, dafs die specifische Trennung zweifelhaft er- scheint.')

Aus dem oberen Nilgebiete sind 3 Arten bekannt (M. diffusa, gibba, Nubica), von denen 2 diesem Gebiete eigenthümlich; aus Nordafrika 3 oder 4 Arten (M. pubescens, diffusa, Aegyptiaca, qua- drifoliata?), von denen die erste der Mittelmeerflora gemeinsam ist, die zweite den Hauptheerd ihrer Verbreitung im tropischen Afrika hat, die dritte sich von Ägypten, wahrscheinlich mit Mittelstationen in Kleinasien, nach dem Ausflufs der Wolga (Astrachan) erstreckt, die vierte, wenn nicht ein Irrthum zu Grunde liegt?), als südli- cher Vorposten der altbekannten mitteleuropäischen Art erscheint.

Von der Ostküste Afrikas sind bis jetzt keine Marsiliaceen bekannt. Aus Madagascar, Mauritius und Bourbon nur 2 auch in verschiedenen Theilen des Festlandes von Afrika vorhandene Arten, M. diffusa und crenulata?’); auch auf den Canaren findet sich eine Form der weit verbreiteten M. difusa.

bis 1829 erforschten. Seither scheint dort Niemand diese merkwürdigen Ge- wächse beachtet zu haben, was nm so mehr zu bedauern ist, als die Früchte der aus jener Zeit stammenden in den Herbarien reichlich vorhandenen Exemplare sich als nicht mehr keimfähig erwiesen haben.

1) Eine vielleicht vierte, aber nur steril gesammelte Art gleicht in den Blättern sehr der ostindischen M. erosa.

2) Im Hedwig'schen Herbarium (jetzt im Besitz von Van der Saude Lacoste) befinden sich fructificirende Exemplare ächter M. quadrifoliata mit der Angabe „Ex Egypto“ ohne Nennung des Samnllers.

®) In Bojer’s Hortus Mauritianus (1837) 426 wird aufser M. vulgaris Bory, einer Mischart aus M. difusa, crenulat« und der europäischen M. quadrifoliata, auch noch M. Coromandeliana angeführt. Dies beruht wahr- scheinlich auf einem Irrthum. In mehreren Herbarien finden sich allerdings Exemplare ächter M. Coromandeliana mit dem Beisatz „Mauritius. Perrottet“, aber gemischt unter denselben fand ich ein kleines Eriocaulon, welches nach

Körnicke zu FE. sexangulare gehört, einer Art, die in Ostindien häufig ist, auf Mauritius dagegen fehlt. Perrottet hat bekanntlich auch bei Pondichery gesammelt.

658 Gesammtsitzung

Aus Europa und Asien sind 12 Arten von Marsiliaceen be- kannt, von denen 5 mit Afrika gemeinsam. Europa und Asien nordwärts vom 30. Breitegrad besitzen 6 Arten (Pil. globulifera und minuta, Mars. quadrifoliata, pubescens, strigosa und Aegyptiaca), die südlicheren Theile Asiens 6 andere und zwar Vorderindien 5 (M. erosa, brachycarpa, brachypus, gracilenta, Coromandeliana); von de- nen 2 auch in Hinterindien gefunden wurden (M. brachycarpa und erosa). Aus Ceylon ist nur eine auch auf dem Festlande verbrei- tete Art (M. erosa) bekannt, ebenso aus Java (M. erosa var.), aus Borneo dagegen eine von anderwärts nicht bekannte (M. quadrata), von den Philippinen die in Afrika verbreitetere M. cre- nulata. Alle nicht genannten Theile des wärmeren Asiens, wie namentlich Sumatra, Celebes, Neu-Guinea, das südliche China sind in Beziehung auf diese Familie unerforscht.

Aus Amerika sind 17 Arten der Familie bekannt, wobei einige sehr schwache Arten mitgezählt sind, durch deren Einziehung sich die Zahl auf 12 vermindern würde. Mit Ausnahme zweier Arten (M. quadrifoliata und polycarpa) sind alle Amerika eigenthümlich.

In den vereinigten Staaten von Nordamerika finden sich eine Pilularia (P. Americana) und 6 Arten Marsilia, nämlich aufser M. quadrifoliata, welche in Nordamerika einen einzigen Standort (Con- necticut, zwischen 41 und 42° n. Br.) hat, 5 unter sich kaum ver- schiedene Nordamerika eigenthümliche Arten (M. uncinata, brevipes, mucronata, vestita, tenuifolia), von denen eine (M. mucronata) in Minesota bis zum 47° n. Br. sich erstreckt. In Mexico kommen dazu noch 2 (vielleicht 3?) weitere Arten (M. Mexicana, pieta und polycarpa var., beide letzteren vielleicht einerlei),. Nordamerika im Ganzen besitzt somit 9 Marsiliaceen, von denen nur 2 in Süd- amerika wiederkehren.

Das Festland von Südamerika hat bis jetzt nur 7 Arten auf- zuweisen, 2 Pilularien (P. Mendoni in Bolivia, P. Americana in Chili) und 5 Marsilien, von denen 3 dem Isthmus, Venezuela und Neugranada (M. Ernesti, subangulata, deflexa), 1 Ecuador (M. an- cylopoda), % Guyana und Brasilien (M. deflexa und polycarpa) an- gehören. Aus Peru, Bolivia, sowie allen südlich vom 14.° s. Br. gelegenen Theilen Südamerikas (eine zweifelhaft zu M. polycarpa gehörige Form von Buenot Ayres ausgenommen) sind bis jetzt keine Marsilien bekannt geworden. Auf den westindischen Inseln sind nur wenige Arten gesammelt, doch scheint eine eigenthüm-

vom 11. August 1870. 659

liche darunter zu sein (M. Berteroi von Dominica); M. polycarpa ist auf Cuba, M. subangulata? auf Jamaica gefunden worden.

Australien ist, wenn auch nicht an Zahl der Arten, doch an Zahl der Individuen ohne Zweifel das gelobte Land der Marsilien, die namentlich die Niederungen im Inneren Neuhollands, die soge- nannten Creek’s, streckenweise bedecken, wo die Eingeborenen die harten, aber mit stärkehaltigen Sporen gefüllten Früchte, die unter dem Namen Nardu') oder Addo°) bekannt sind, einsammeln, um Brod daraus zu bereiten. Je nach der Auffassungsweise bestimmt sich die Zafil der bekannten Arten sehr verschieden; man kann entweder nur 6 Arten zählen, 1 Pilularia (P. Novae Hollandiae) und 5 Marsilia-Arten (M. Browniü, hirsuta, exarata, angustifolia, Drummondü) oder auch 15, wenn man die Formenreihe der M. Drummondü (salvatrix) in Arten auflöst, deren sich nicht weniger als 10 unterscheiden lassen. Von Van Diemens Land und Neu- seeland sind keine Marsilien, wohl aber von beiden Pilularia No- vae Hollandiae bekannt. Alle australischen Marsiliaceen sind die- sem Welttheil eigenthümlich.

Von den Inseln des stillen Oceans ist nur wenig anzuführen. Auf den Sandwichsinseln wurden 2 Arten gesammelt, von denen die eine, M. villofa, durch ihre Verwandschaft mit M. vestita nach dem im Osten liegenden Festlande des wärmeren Nordamerikas deutet, die andere (M. crenulata) nach den Philippinen und Lu Tschu-Inseln in Westen, wo dieselbe Art vorkommt. In Neucale- donien findet sich eine Art (M. mutica), die mit keiner anderen bekannten, namentlich mit keiner der australischen Arten eine nä- here Verwandschaft zeigt; vielleicht gehört dazu auch die nur ste- ril bekannte Art der Viti-Inseln. Die auf Tahiti, in der Mitte zwi- schen Australien und Südamerika, gefundene Marsilia ist völlig identisch mit der südamerikanischen M. polycarpa. Mehr ist aus diesem weiten Inselgebiete nicht bekannt. Unter den vier genann- ten sind 2 für Polynesien eigenthümlich.

!) Exploring Expedition from Victoria to the Gulf of Carpentaria un- der the command of Mr. Robert Ottara Burke (Journ. of the roy. geogr. Soc. Vol. XXXII (1862) p. 430).

2) Mc. Kinlay’s Journal of Exploring in the interior of Australia. "Oct. 1861 Aug. 1862. p. 41.

660 Gesammtsitzung

Zur Förderung der Kenntnifs der Marsiliaceen, der sicheren Unterscheidung der Arten nicht nur, sondern auch der Kenntnis ihrer Entwickelungs- und Wachthumsgeschichte und ihres anatomi- schen Baus, hat die Cultur einer ansehnlichen Zahl derselben we- sentlich beigetragen. Vor dem Jahre 1863 wurden aulser den 4 europäischen keine weiteren Arten der Gattungen Pilularia und Marsilia in botanischen Gärten eultivirt; in dem genannten Jahre gelang es zum ersten Male 2 australische Arten (M. Drummondii var. orientalis und M. salvatrix) aus Sporen zur vollen Entwicklung zu bringen und für die Gärten zu gewinnen.') Seither ist dasselbe mit mehreren anderen Arten gelungen, so dafs ich jetzt ein Ver- zeichnifs von 15 Arten geben kann, welche im hiesigen botanischen und Universitätsgarten gezogen werden.

1. Pilularia globulifera L., seit langer Zeit im Garten. Die Keimmung ist von älteren und neueren Beobachtern verfolgt wor- den, von Bernh. v. Jussieu 1739, Bischoff 1828, Jac. Agardı 18335, neuerlich von Hanstein 1866.°)

%, P. minuta Durieu. Wurde im Jahre 1847 im Freiburger bot. Garten aus Sporen von Exemplaren, welche Durieu 1844 bei Oran gesammelt hatte, erzogen und seit jener Zeit in den botan. Gärten verbreitet.

3. P. Americana A. Br. Einige Sporen aus einer der Un- tersuchung geopferten Frucht eines von R. A. Philippi im März 1869 bei Valdivia gesammelten Exemplares keimten im Februar d. J. und wuchsen zu ausgedehnten dichten Rasen heran, die je- doch im verflossenen Sommer, vielleicht wegen zu üppiger vegetativer Entwicklung, keine Früchte getragen haben.

4. Marsilia quadrifoliata L., die, aus den Rheingegenden Badens ‚bezogen, seit Jahren im Garten angebaut wird, hat in den letzten Jahren, ungeachtet verschiedenartiger Behandlung, keine Frucht getragen. Aus Sporen ist sie bis jetzt nicht erzogen worden. Das Aufspringen der Frucht, die Entwicklung des Gallertstrangs, das Hervortreten des Sori und die Anfänge der Keimung bis zur Bil- dung des Vorkeims wurden von mir schon im J. 1835 in Carls-

1) Vergl. Monatsb. d. Ak. d. Wiss. 1863 S. 414 und 1864 S. 576. 2) Vergl. J. Agardh, de Pilularia, Lundae 1833; Hanstein, Püulariae globaliferae generatio cum Marsilia comparata, Bonnae 1866.

vom 11. August 1870. 66l

ruhe beobachtet, aber die weitere Eetwicklung unterblieb; auch alle späteren Aussaatversuche waren ohne Erfolg, so dafs gerade von dieser bekanntesten Art die Beschaffenheit der Keimpflanzen noch unbekannt ist.')

d. MM. pubescens Tenore wurde zuerst aus im Jahre 1842 bei Roquehaute unweit Agde von Dr. Wunderly gesammelten Früchten im Freiburger bot. Garten 1847 erzogen. Aus Früchten von der- selben Zeit, so wie aus noch älteren von Esprit Fabre, dem Ent- decker des Vorkommens dieser Pflanze in Frankreich, im Jahre 1833 gesammelten, wurde sie hier in den Jahren 1865—66 culti- virt und ein in diesem Jahre gemachter Versuch zeigte, dafs die Früchte von 1838 auch jetzt noch vollkommen keimfähige Sporen enthalten.?) |

6. M. Aegyptiaca W. sendete Dr. Th. Bilharz im J. 1855 lebend von Cairo. Sie gedeiht alljährlich während des Sommers sehr gut im freien trockenen Land und im Wasser, erfriert jedoch regelmälsig im Winter, so dafs sie im Haus überwintert werden mufs. Leider waren alle Versuche, sie zum Fruchttragen zu brin- gen, vergeblich.

7. _M. Coromandeliana W. wurde in diesem Jahre aus Früch- ten von Dr. Thomson bei Madras im J. 1845 gesammelter Exem- plare erzogen und entwickelte sich mit aufserordentlicher Schnellig-

1) Das Milslingen so vieler Aussaatversuche erklärt sich zum Theil aus dem Umstande, dafs die Einsammlung der für Herbarien bestimmten Exem- plare meist vor der Zeit der völligen Reife der Früchte geschieht. Zur Er- langung dieser Reife gehört hinreichende Wärme und trockene Witterung; ein kühles und regnerisches Spätjahr verhindert dieselbe. Die exotischen Marsilien tragen daher in unseren Gärten zwar reichliche und anscheinend wohl ausgebildete Früchte, aber selten keimfähige Sporen. Es gilt dies na- mentlich von den neuholländischen Arten, von denen wir in Berlin noch keine eigentlich reifen Früchte erhalten haben, während in Süddeutschland (Carlsruhe) solche erzogen wurden. M. quadrifoliata wächst an Stellen, welche bei eintretender feuchterer Witterung im Spätsommer wieder unter Wasser gesetzt werden, wodurch die unreifen Früchte am Reifen gehindert werden, die reifen dagegen aufspringen und sich entleeren. Der rechte Au- genblick zum Einsammeln wird daher leicht verfehlt.

?) Zwei Früchte, welche zusammen 164 Macrosporen entleerten, liefer- ten 160 Keimpflänzchen!

662 Gesammtsitzung

keit. Die Aussaat geschah am 9. Mai; mehrere über 1 Fufs breite flache Schüsseln wurden in kurzer Zeit von einem einzigen Keim- pflänzchen überwuchert, und zu Ende Juli hatten unzählige Früchte bereits ihre Vollwüchsigkeit, wenn auch nicht die volle Reife, er- reicht. Ich schätze die Zahl der Früchte, welche von der aus einer einzigen Spore erzogenen Pflanze getragen wurden, auf min- destens 5000!

8, M. diffusa Lepr. in den Jahren 1865 und 66 aus Früch- ten der Exemplare erzogen, welche Pervill& 1841 in Madagascar gesammelt hat. Sie gedeiht im freien Lande vortrefflich und macht ihrem Namen Ehre, denn keine Art breitet sich so rasch und ge- waltig aus, wie diese; ein in diesem Jahre ausgesetztes Pflänzchen überzog im Laufe des Sommers ein Gartenbeet von 6’ Länge und 9’ Breite. Sie muls im Hause überwintert werden.

9, M. crenulata Desv. aus Früchten von Dr. Ayres i. J. 1860 auf Mauritius gesammelter Exemplare in den Jahren 1865 und 66 erzogen, der vorigen ähnlich, aber nicht so weit kriechend, auch bei der Cultur im Wasser sich anders verhaltend. Diese und die vorige Art haben 1367 im Garten Früchte mit keimfähigen Sporen getragen.

10. M. Ernesti A. Br. Im Mai d. J. von Ad. Ernst, dem Entdecker dieser Art, bei Caracas gesammelte Früchte wurden am 13. Juni angesäet; die Entwicklung ging rasch von Statten, SO dafs die erzogenen Pflanzen bis zum Ende des Sommers die charak- teristischen unterirdischen Früchte anscheinend völlig reiften. -

11. M. Drummondü A. Br. (var. orientalis) und

12. M. salvatrie Hanst., wenigstens als Abarten wohl unter- scheidbar, werden seit 1863 im Garten gezogen aus Früchten, welche Hr. Osborne aus Australien brachte, von denen die der erstgenannten Art wahrscheinlich am Darling River gesammelt wurden, die letzteren im Coopers Creek, einer durch den unglück- lichen Ausgang von Burke’s Expedition (1861) berühmten Locali- tät. Sie gedeihen vortrefflich im freien Land, ertragen jedoch un- sern Winter nicht. Selbst in Bordeaux ist M. Drummondü in dem allerdings ungewöhnlich kalten Winter von 1869 auf 70 erfroren.

13. M. elata A. Br., den beiden vorigen sehr nahe stehend, seit 1864 wiederholt und zuletzt in diesem Jahre aus einem Vor- yath von Früchten erzogen, die von Kinlays Expedition (1861

vom 11. August 1870. 663

—62) herrühren.') Wir erhielten dieselben von Dr. F. v. Müller

mit der allgemeinen Angabe „Northern Australia*; ich vermuthe aber, dals sie vom Lake Blanche (nördlich vom Coopers Creek unter dem 27° s. Br.) sind, wo Kinlay am 10. Januar 1862 lagerte und in seinem Journal des Addo (Burke’s Nardu) erwähnt, das nebst Fischen die Hauptnahrung der Eingeborenen bilde. Sie verhält sich in der Oultur wie die vorigen Arten, gelangt wie diese im ersten Jahre nur zu spärlicher, die Reife nicht erreichen- der Fruchtbildung, während sie im zweiten Jahre reichlich Frucht trägt. Ich will noch bemerken, dafs wild gesammelte Exemplare dieser durch ungewöhnlich langgestielte und aufrechte Sporocarpien ausgezeichneten Form weder im Hooker’schen, für australische Marsilien besonders wichtigen Herbarium, noch in der von Dr. F. v. Müller mitgetheilten reichhaltigen Sammlung der australischen Formen vorhanden sind; sie ist lediglich durch die Zucht im Gar- ten bekannt. |

14. M. macra A. Br. schliefst sich gleichfalls, doch minder innig, den vorigen an. Sie wurde 1866 aus von Dr. F. v. Müller mitgetheilten australischen Früchten erzogen, über deren genaueren Fundort ich jedoch etwas im Zweifel bin, da dieselben bei brief- licher Übersendung die Aufschrift „Darling Downs“ trugen, wäh- rend sie in der Müllerschen Sammlung fraglich zu M. salwatrix ge- hörigen sterilen Exemplaren aus der Nähe des Coopers Creek (between Stockes Range and Coopers Creek. Dr. Wheeles) beige- fügt waren. Im freien Lande gezogen erfriert sie im Winter, aber in einem Teich des botanischen Gartens hat sie den kalten Win- ter 1869-70, in welchem die Kälte an mehreren Tagen 19°R. erreichte, überstanden, wiewohl der Fundort in Australien dem Äquator um mehr als 20 Breitengrade näher liegt als Berlin.

15. M. hirsuta R. Br. Die am Brisbane (Queensland) ge- sammelten, von Durieu mitgetheilten Früchte wurden erst vor Kur- zem ausgesäet; von den Eigenthümlichkeiten der Keimpflanzen wird im Nachfolgenden die Rede sein.

‘) Früchte dieser Art können von Hrn. Kunstgärtner Wilhelmi (als „Mars. hirsuta“) bezogen werden; sie werden ihre Keimkraft voraussichtlich noch für Jahrzehnte erhalten.

664 Gesammtsitzung

Als bemerkenswerthes Ergebnifs dieser Culturen ist zunächst die lange Dauer der Keimfähigkeit der Marsilia-Sporen anzuführen. M. cerenulata hat sich nach 6, M. elata nach 8, M. difusa und Coromandeliana nach 25, M. pubescens nach 32 Jahren vollkommen keimfähig gezeigt. Wenn es dagegen nicht gelungen ist, die Früchte irgend einer der senegambischen Marsilien, die über 40 Jahre in den Herbarien liegen, zur Keimung zu bringen, so mag dies wohl zum Theil in der unvollkommnen Reife derselben, zum Theil vielleicht auch in der Art der Trocknung der Exemplare seinen Grund haben.

Es hat sich ferner durch die Anzucht aus Sporen herausge- stellt, dafs die Marsilien eine regelmäfsige Folge von 4 Blattfor- mationen!) oder besser von 4 verschiedenen Abstufungen grüner (laubartiger) Blätter besitzen, nämlich 1) ein Keimblatt (X), 2) un- tergetauchte Primordialblätter (P) in ungefähr bestimmter Zahl, 4) Blätter mit auf der Oberfläche des Wassers sich ausbreitender Spreite, Schwimmblätter ($) in unbestimmter Zahl, 4) aufserhalb des Wassers sich entwickelnde Land- oder Luftblätter (Z), welche in der Regel die allein fructificationsfähigen sind. Von der höchsten (4ten) Stufe sinkt die Blattbildung unter Umständen zur dritten, ja sogar zur zweiten herab, um sich von Neuem zu erheben. Ver- ‚schiedene Arten zeigen bei einem im Allgemeinen übereinstimmen- den Entwicklungsgang bemerkenswerthe Verschiedenheiten, welche bei ausgedehnterer Erforschung selbst für die natürliche Gruppi- rung der Arten von Bedeutung zu werden versprechen.

Das Keimblatt, das erste, welches die kegelartig sich er- hebende Spitze des Vorkeims durchbricht, ist stets einfach und von einem ungetheilten Gefäfsbündel durchzogen. Es läuft stets in eine pfriemenförmtge stielrunde Spitze aus, die nicht selten et- was gedreht ist.?2) Bei manchen Marsilia-Arten ist das Keimblatt,

1) Hanstein l. c. 8.49 u. f. unterscheidet 3 Arten von Blättern, das Keimblatt, die Jugendblätter (= Primordialblätter), die normalen Blätter (Schwimmblätter und Landblätter). Die Bezeichnung „Jugendblätter* möchte ich den ersten Schwimmblättern junger Pflanzen, die noch nicht alle Merk- male der späteren besitzen, vorbehalten.

2) Vergl. Hanstein 1. c. t. 14, f. 14 (von Mars. elata); Bischoff erypt. Gew. II. t. 8, f. 9 (von Pilularia globulifera). Die Richtung der Drehung fand ich bei Mars. pubescens bald rechts, bald links.

vom 11. August 1870. 665

ebenso wie das von Pilularia, durchaus stielrundlich (M. pubescens und Drummondii nebst den Verwandten), bei anderen Arten breitet es sich über der Basis zu einer schmallanzetförmigen Fläche aus und geht erst über dieser in eine schwanzartige stielrunde Spitze aus (M. Coromandeliana, Ernesti, und mit besonders breiter Fläche M. diffusa und crenulata). Hanstein hat an dem Keimblatt der von ihm untersuchten australischen Arten einige (oft nicht vollständig entwickelte) Spaltöffnungen beobachtet,') ich habe solche auch bei M. pubescens gesehen.

Die auf das Keimblatt folgenden Primordialblätter cha- rakterisiren sich durch das Auftreten einer Spreite am oberen Ende des Blattes, welche von Blatt zu Blatt an Breite zunimmt und sich bei den letzten Primordialblättern häufig in 2 oder 4, selten in 3 Lappen oder Segmente theilt, wobei jedoch die Theile auf- recht erscheinen, der Gliederung am Grunde entbehren und keine periodische Bewegung besitzen. Im Jugendzustand sind sie mit der Spitze mehr oder weniger einwärts gekrümmt und löffelförmig gewölbt. Die Nervatur beginnt schon mit dem ersten Primordial- blatt ihre dichotome Theilung, welche von Blatt zu Blatt weiter fortschreitet, doch fehlen in der Regel die bei den spätern Blättern auftretenden Anastomosen, die Verbindung der Nerven am Rande der Spreite ausgenommen. Der Blattstiel ist im Vergleich zu dem der folgenden Blätter kurz und dick und die Spreite bleibt unter gewöhnlichen Verhältnissen in der Tiefe des Wassers, besitzt jedoch auf der Oberfläche Spaltöffnungen, deren Schliefszellen oft fest anein- ander liegen. Die Zahl der Primordialblätter ist nicht nur nach den Arten verschieden, sondern auch bei derselben Art veränder- lich. Die geringste Zahl, nämlich 2, fand ich bei M. Coromande- liana, 4—6 bei M. pubescens, 4—7 bei M. difusa und crenulata, 4—3 bei M. Ernesti, 6—8 bei M. hirsuta, 6—10 bei M.. Drum- mondit, salvatrix, macra und elata. Bei derselben Art können entweder alle Primordialblätter einfach oder die letzten getheilt sein. Zur Veranschaulichung der Verschiedenheiten, welche bei einer und der- selben Art eintreten können, mag folgende Darstellung einer Reihe bei M. diffusa und crenulata vorkommender und gröfstentheils mehrfach beobachteter, zum kleineren Theil zur Ergänzung der

4 Reihe eingefügter Fälle dienen, wobei die Buchstaben X. P. S die

ı) Hanstein 1. c. t. 14, f. 13, 14.

666 Gesammtsitzung

oben genannten Blattformationen, P!. P?. P* einfache, zweitheilige und viertheilige (oder auch dreitheilige) Primordialblätter bezeichnen.

eg an I ee

K. K. a p3. p3. S. |

en 4 0 u

1 4. © 1 3 1 0 ©o

3 0 n

1 5 0 0 =

1 4 1 0 iu

ER E 1 4 0 1 =

1 3 1 1 =

1 3 9 0

1 3 0 2 e

1 6 0 0 a

ne

: ee 1 5 0 1 =

1 4 1 1 ee

| 1 4 9 0 5

1 4 0 9 ah

(ai 6 1 0 &

re

1 7 oo 1 5 1 1 oo

| 1 5 9 0 n

Kl 5 0 2 &

Bei den mit M. Drummondiü verwandten australischen Arten ist meist die Hälfte, ja selbst mehr als die Hälfte der Primordial- blätter getheilt, so dafs deren 5—6, theils zweitheilige, theils vier- theilige auftreten.') \

1) Bei Hanstein 1. c. t. 14, f. 15 ist eine Keimpflanze mit Ä1, P'3, P?:2, P:4, also mit 6 getheilten Primordialblättern, dargestellt.

Ben sn

vom 11. August: 1870. 667

Die Gestalt der Primordialblätter zeigt gleichfalls mit dem Artcharakter zusammenhängende Verschiedenheiten, die sich haupt- sächlich in der Breite aussprechen, welche die Lamina (oder die Segmente derselben) zumal bei den letzten Primordialblättern er- reicht. Das eine Extrem in dieser Beziehung zeigt M. pubescens, bei welcher bald nur das erste, bald die beiden ersten noch sehr dem Keimblatt gleichen, nur durch die stumpfere Spitze und die Theilung des Nerven abweichend, während die folgenden schon eine deutlichere schmal lanzetförmige stumpfe Spreite, die letzten eine zweitheilige Spreite mit linienförmigen Segmenten besitzen.') Breiter lanzetförmig (wie bei allen Arten nach der Blattfolge an Breite zunehmend), dabei spitz oder selbst zugespitzt sind die Pri- mordialblätter bei M. Drummondiü, elata, macra ete.; noch breiter, länglich oder verkehrt eiförmig, abgerundet, aber mit einem kleinen vorragenden Spitzchen in der Mitte des Stirnrandes, sind sie bei M. hirsuta; breit spatelförmig mit abgerundeter, oder selbst ausgeran- deter Spitze, erscheinen sie bei M. Ernesti; in ähnlicher Weise, aber besonders die letzten noch breiter, fast kreisförmig, und überdies durch Gröfse ausgezeichnet (die Spreite zuweilen bis 14 Mm. lang und ebenso breit) bei M. diffusa und crenulata.

Bei der Mehrzahl der Arten stehen die Primordialblätter sehr dicht beisammen, zwei gedrungene Reihen bildend, indem die Deh- nung der Internodien und das damit verbundene horizontale Krie- chen des Stengels erst in der Region der Schwimmblätter und zwar nach dem ersten oder zweiten Schwimmblatte bei M. Coro- mandeliana, elata, nach dem zweiten, dritten oder selbst vierten bei M. Ernesti, difusa und crenulata eintritt. Eine Ausnahme in dieser Beziehung ist bis jetzt nur bei einer Art gefunden, nämlich bei der australischen M. hirsuta. DBei dieser tritt nämlich die Streckung der Internodien schon innerhalb der Primordialregion ein und zwar gewöhnlich nach dem vierten Primordialblatt, so dafs die 5 bis 4 letzten Primordialblätter von den vorausgehenden und unter sich durch gedehnte Internodien entfernt werden, von denen die letzten bis 20 Mm. Länge erreichen. Dasselbe wiederholt sich

!) Niemals sah ich die ersten Primordialblätter so breit, wie sie Fabre (Ann. d. sc. nat. IX. 1838. Pl. 13) abbildet. [1870] 46

668 Gesammtsitzung

an den in dieser Region entspringenden Zweigen, welche mit meh- reren Primordialblättern beginnen, von denen schon das erste durch ein deutliches Internodium vom Hauptstengel entfernt wird. Die Keimpflanzen erhalten hierdurch ein ganz fremdartiges Ansehen und unterscheiden sich durch dieses Verhalten (sowie auch durch die Breite der Keimblätter) höchst auffallend von denen der Ar- ten aus der Gruppe der M. Drummondü.

Primordialblätter treten nicht blofs an der Hauptachse, son- dern auch an den Zweigen der Keimpflanzen auf, wie soeben von M. hirsuta erwähnt wurde. In oder eigentlich unterhalb der Achseln der letzten Primordialblätter (bei M. Coromandeliana schon in der Achsel des zweiten) treten bereits Zweige auf, die in ihrer Entwicklung der Hauptachse unverzüglich nachfolgen. Diese, so- wie auch öfters noch die Zweige in den Achseln der ersten Schwimmblätter, beginnen mit 1 bis 3 Primordialblättern, ohne Dehnung der tragenden Internodien (M. hirsuta ausgenommen) und meist mit viertheiliger Spreite. Nur bei M. hirsuta sah ich Prim- ordialblätter der Zweige mit einfacher Spreite, zuweilen selbst mit- ten zwischen solchen mit getheilter Spreite auftretend.

Endlich treten Primordialblätter an den unter Wasser sich entwickelnden Verjüngungsknospen überwinterter Stöcke auf, so namentlich bei M. pubescens, Aegyptiaca, diffusa. Man findet deren 3—4, kurz gestielt mit kleiner unter Wasser bleibender Spreite, welche bei dem ersten und oft auch zweiten meist zweitheilig, bei den folgenden viertheilig ist. Bei M. Aegyptiaca sah ich auch ein einfaches Primordialblatt am Zweiganfang. Solche nach der Win- terruhe zuerst hervortretende Sprofse gleichen in ihrer Beblätte- rung auffallend den Keimpflanzen.

Den Primordialblättern folgen, meist mit sprungweisem Über- gang, die Schwimmblätter, vor den kurzstieligen Primordial- blättern ausgezeichnet durch lange dünne Stiele und in der Jugend eingerollte Spitzen mit flach aneinander gedrückten Blättchen der Spreite, welche sich auf dem Wasserspiegel schwimmend ausbrei- ten. Bei niedrigem Wasserstand wachsen sie anfangs 2—3 Zoll hoch über das Wasser empor, aber bald sinken die schwanken Stiele, indem sie sich bogenartig rückwärts krümmen, nieder, so dafs die sich entfaltende Spreite den Wasserspiegel gewinnt. Bei dem ersten ist die Spreite zuweilen nur aus 2, bei den folgenden

vom 11. August 1870. 669

in der gewöhnlichen Weise aus 4 Fiederblättchen!) gebildet. Die ersten Schwimmblätter sind verhältnifsmäfsig klein, die spätern er- reichen, wenn die Pflanze in tieferem Wasser verbleibt, bei man- chen Arten eine bedeutende Gröfse, welche die der Landblätter weit übertrifft. Die bedeutendsten Dimensionen zeigte eine sterile, wahrscheinlich der M. Browni angehörige Pflanze von Richmond in Neusüd-Wales, bei welcher die Fiederblättchen in der Länge 35, in der Breite 40 Mm. mafsen, der Durchmesser des ganzen Spreite somit 7 Cm. betrug. Die Blättchen einer von Spruce am Amazo- nenstrom nur in der sterilen Wasserform gesammelten Art, der ich den provisorischen Namen M. Stratiotes gegeben habe: sind 40 Mm. lang, 30—32 Mm. breit. Bei M. macrocarpa erreichen die Blättchen der Schwimmblätter 35 Mm. Länge und 32 Mm. Breite. Von M. Aegyptiaca, welche sich im fruchttragenden Zustand durch die Kleinheit der Blätter auszeichnet, fand ich Schwimmblätter, deren Fiedern 30—32 Mm. lang, 32—35 breit waren, doch ist dies ein Maxi- mum, das selten erreicht wird. Von M. polycarpa sah ich Schwimm- blätter mit Fiedern von 30 Mm. Länge und gleicher Breite, aber auch fructifieirende Landblätter von ähnlichen Dimensionen. M. mutica zeigte an den gröfsten Schwimmblättern 28 Mm. Länge und 30 Mm. Breite. Bei der deutschen M. quadrifoliata übersteigt die Länge selten 20 Mm., bei 20—22 Breite, aber aus Italien sah ich Blätter mit Fiedern von 30 Mm. Länge und gleicher Breite. Cultivirte M. diffusa (aus Madagascar) zeigte dieselben Dimensionen der Schwimmblätter, wie die deutsche M. quadrifoliata; ebenso die Wasserform der Javanischen Abart von M. erosa. An französi- schen Wasserexemplaren von M. pubescens sind die Fiedern der Schwimmblätter 10—15 Mm. lang und breit; ebenso zeigten die 'Schwimmblätter junger Pflanzen eultivirter M. Coromandeliana 10 —15 Mm. Länge und eine nur um ein Weniges geringere Breite der Fiedern. Die kleinsten Schwimmblätter zeigen von Drege gesammelte Wasserexemplare der M. Capensis, indem die Länge und Breite der Fiedern derselben nur 7 Mm. beträgt.

!) Auf die Frage, ob die 4 Blättchen des Marsilien-Blatts als 2 Paare über einander stehender Fiedern oder als 2 selbst wieder zw eitheilige Ab- schnitte eines doppelt zweitheiligen Blattes zu betrachten seien, komme ich später zurück.

46*

670 Gesammtsitzung

Was die Gestalt der Schwimmblätter betrifft, so sind die Blätt- chen derselben in der Regel verhältnifsmäfsig breiter als die der späteren Landblätter und ganzrandig, während die Landblätter am Stirnrande verschiedenartig ausgerandet, gebuchtet, gekerbt oder gelappt sein können. Der Unterschied beider ist in diesem Falle oft sehr auffallend, z. B. bei M. Aegyptiaca, Capensis, macrocarpa, er0S4. Die australischen Marsilien aus der Gruppe der M. salvatrix ma- chen insofern eine Ausnahme, als ihre Schwimmblätter stets ge- kerbt (am Stirnrand mit 3 bis 7 Einbuchtungen versehen) sind, während die Landblätter mehrerer derselben (M. Drummondii var. orientalis, macra und elata normalis) ganzrandig sind... Auch über- treffen die Schwimmblätter dieser Arten an Gröfse die Blätter kräf- tiger Landexemplare nicht oder kaum.

Die Schwimmblätter waren schon den alten Botanikern be- kannt und es beruht darauf die unpassende Zusammenstellung der M. quadrifoliata mit den Wasserlinsen und die hiermit zusammen- hängenden Benennungen. Bei Camerarius (Epit. 855) heifst sie Lens palustris altera, bei Tabernaemontan (890 mit Abbildung) Zenticula palustris II, bei C. Bauhin (Pin. 362) Lenticula palustris quadri- foliata. [Ebenso bei Mappus (Alsat. 166 mit Abb.), welcher aus- drücklich sagt: „pedieuli foliorum aquae supernatantium pro ra- tione altitudinis aquarum elongari saepe vel extendi videntur.* Eine ähnliche Bemerkung findet sich bei Bischoff (erypt. Gew. II. 66). Ich selbst habe in meiner Abhandlung vom Jahre 1863 auf das Vorkommen der Marsilien in 2 Formen, der Land- und Was- serform, aufmerksam gemacht. Dies mag zur Berichtigung der gegentheiligen Behauptung im Eingang zu Prof. Hildebrand’s Ab- handlung über die Schwimmblätter der Marsilia (bot. Zeit. 1870. 1) dienen. Allerdings wurden die Schwimmblätter von den Landblät- tern nicht scharf unterschieden und es ist Hildebrand’s Verdienst, auf die anatomischen Verschiedenheiten beider aufmerksam gemacht zu haben. Während die Landblätter auf beiden Flächen Luftspal- ten (Stomata) besitzen und zwar in ungefähr gleicher Anzahl, fin- den sich bei den Schwimmblättern solche nur auf der oberen, der Luft zugekehrten Fläche und zwar dichter beisammen stehend, auf gleichem Flächenraum doppelt so viel oder mehr als bei den Land- blättern. Auf der dem Wasser zugekehrten Unterfläche fehlen die Luftspalten gänzlich, Auch sind die Hautzellen der Oberfläche beträchtlich kleiner und schwächer gebuchtet. Ich konnte dieses

vom 11. August 1870. 671

von Hildebrand an M. quadrifoliata und pubescens‘') näher be- schriebene, und ebenso für M. elata angegebene Verhalten bei vielen Arten bestätigen, namentlich bei M. diffusa, Brownü, Er- nesti, deflexa, picla, polycarpa, macra und Drummondiü.

Ein anderer die Luftspalten betreffender Unterschied, auf wel- chen Hildebrand aufmerksam gemacht hat, nämlich die oberfläch- liche, in gleicher Ebene mit den Hautzellen befindliche Lage der Schliefszellen derselben bei den Schwimmblättern, die tiefere Lage bei den Landblättern, so dafs die Schliefszellen von den an- srenzenden Oberhautzellen etwas übergriffen werden, ist dagegen nicht von allgemeiner Geltung. Übereinstimmend mit M. quadrif. und pubescens verhalten sich in dieser Beziehung unter anderen M. difusa und Ernesti, wogegen bei M. Drummondiü, M. macra und wahrscheinlich auch der übrigen verwandten Arten die Luftspalten der Schwimmblätter ebenso wie die der Landblätter in schmale Vertiefungen eingesenkt sind, indem die Schliefszellen tiefer liegen als die umgebenden Hautzellen und von beiden Seiten bis über die Hälfte von denselben verdeckt sind.

Eine weitere Eigenthümlichkeit, welche den meisten Schwimm- blättern, mit Ausnahme der frühesten junger Pflanzen, zukommt, sind die Interstitialstreifen auf der Unterseite der Spreite. Sie finden sich mitten zwischen den Nerven, oft nur einen Theil der von diesen gebildeten Maschen einnehmend, und sind bald von dunkelbrauner, bald von hellerer, gelbbrauner Farbe, oft etwas über die Fläche vorragend. Sie wurden zuerst von Mettenius bei seiner M. siriata (= M. deflexa), welche er nach der Streifung der Blätter benannte, sowie bei M, mutica beobachtet”); Fee bemerkte

!) Vergl. die Darstellung auf Taf. 1. Die Figuren 1—6 beziehen sich auf M. quadrifoliata, Fig. 7 u. 8 auf M. pubescens. Die Angabe Hildebrand’s, dafs bei den Wasserblättern von M. pubescens die Epidermiszellen der Ober- seite mit Höckerchen besetzt seien, wodurch die Oberfläche des Blatts ein sammetartiges Ansehen erhalte, beruht jedoch auf einer Verwechselung mit M. elata; bei M. pnbescens sind die Hautzellen beider Blattflächen ebenso wie bei M. quadrifoliata völlig eben. Näheres hierüber bei der Beschrei- bung der Landblätter.

2) Prodr. Fl. Novo-Granatensis in Ann. des sc. nat. 5. Ser., Tom. HI, p- 310.

672 Gesammtsitzung

sie bei einer sterilen Marsilia aus Mexico, der er deshalb den Namen MM. picta gab.') Die mikroskopische Untersuchung zeigt, wie dies Mettenius dargethan hat, dafs diese Streifen ihren Sitz in der Haut des Blattes haben. Sie bestehen aus mehreren (der Zahl nach wegen des Ineinandergreifens der Zellen nur ungefähr bestimmbaren, meist 5—5) Reihen eigenthümlich beschaffener Haut- zellen, die sich zunächst durch die mehr oder weniger intensiv goldbraune, selten rothbraune Färbung der Wand vor den farblo- sen Zellen der Umgebung auszeichnen; zugleich sind sie um ein Weniges dickwandiger, meist etwas kleiner und gestreckter, schwä- cher oder oft gar nicht gebuchtet und mit homogenem flüfsigem Inhalt erfüllt, während die übrigen Hautzellen der Unterseite meist stark und zierlich gebuchtet sind und häufig kleine zerstreute Stärkekörn- chen enthalten. Auch die zunächst diesem Streifen anliegenden Zellen des inneren Blattparenchyms fand ich mitunter in ähnlicher Weise modificirt. Mettenius führt bei Beschreibung seiner M. striata (— deflexa) an, dafs die gefärbten Streifen keine Stomata enthalten, welche dagegen in der angrenzenden Epidermis vorhanden seien.”) Ich habe bei der brasiliauischen M. deflexa, ebenso wie bei einem untersuchten Blatte der davon nicht zu trennenden M. striata aus Venezuela, auf der ganzen Unterfläche keine Stomata gefunden, wage aber doch nicht die Richtigkeit der Angabe von Mettenius zu bestreiten, da M. defleca möglicher Weise 2 Modificationen gestreif- ter Blätter besitzen könnte, von denen die einen den Landblättern im Baue näher stünden. Ich werde in der Folge analoge Erschei- nungen von anderen Arten, namentlich von M. Aegyptiaca anführen.

Die Anwesenheit gefärbter Interstitialstreifen wurde von Met- tenius für eine specifische Eigenthümlichkeit einiger weniger Arten gehalten; meine Untersuchungen haben zu dem Resultate geführt, dafs sie eine Eigenthümlichkeit der Schwimmblätter, wenn nicht aller, doch der meisten Arten sind. Von vielen Arten der Gattung sind freilich die Wasserformen mit den Schwimmblättern noch un- bekannt, doch habe ich mit Interstitialstreifen versehene Schwimm- blätter von folgenden Arten gesehen: M. quadrifoliata, Brownü,

1) Neuvieme memoire. Catal. des Fougeres du Mexique (1857) p. 47.

2) „. „stomatibus sunt destitutae et cellulis epidermidis rectis subelon- gatis formantur; epidermis parenchymatis adjacentis contra e cellulis parietibus lateralibus flexuosis formantur et stomatibus crebris obsita est.“

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difusa, erosa, pubescens, macrocarpa, Capensis, rolundata, Ernesti, mutica, subangulata, picta, polycarpa, macra, Drummondü, salvatrix, defleva und Aegyptiaca. Über die Schwimmblätter der beiden letz- teren wird später noch einiges Besondere nachgetragen werden.

Niemals habe ich Landblätter mit Streifen gesehen und mit einer einzigen Ausnahme fand ich die Exemplare mit gestreiften Blättern stets unfruchtbar. Diese einzige Ausnahme bietet die selt- same M. deflexa, von welcher ebensowohl die von Gardner in Bra- silien, als die von Triana bei Maraquita in Venezuela gesammelten Exemplare (die Originalexemplare von Mettenius M. striata) fructi- ficirende gestreifte Blätter besitzen, Blätter die auch abgesehen von der Streifung auf ein Vorkommen im Wasser hinweisen. Der Grund dieses abweichenden Verhaltens liegt vielleicht in einer eigenthüm- lichen, ausschliefslicher dem Wasser zugewiesenen Lebensweise dieser Art, worüber wir am sichersten Aufschlufs erhalten könnten, wenn es gelänge, dieselbe zu cultiviren. Bei dem äufserst spar- samen Material, welches in den Sammlungen vorliegt, und der Sel- tenheit dieser Art ist dazu freilich wenig Aussicht vorhanden.

Es ist endlich von den Schwimmblättern anzuführen, dafs ihnen die periodische Zusammenlegung der Fiederblättchen (der früheren Knospenlage entsprechend), der Schlaf, in welchen die Landblätter des Nachts verfallen, fehlt. Einmal ausgebreitet schliefsen sich die Blättchen nicht wieder zusammen; ausgewachsene Schwimmblätter legen dagegen, wenn sie aus dem Wasser genommen werden, in der Art wie es bei Oxalis der Fall ist, die Fiederblättchen rück- wärts an den Blattstiel an.')

Aus dem Entwicklungsgang der Marsilien ergiebt sich, dafs das Auftreten der Schwimmblätter nicht als eine blofs äufseren Umständen, einer zufälligen Überfluthung und Versenkung unter Wasser, zuzuschreibende Abweichuug von der normalen Ausbildung

!) Hildebrand (l. ec. S. 3) hat beobachtet, dafs die Schwimmblätter, wenn sie bei schnellem Steigen des Wasserspiegels unter Wasser kommen, ihre Theilblättchen nach oben zusammenlegen bis die Spreite durch Wachs- thum des Blattstiels die Oberfläche wieder erreicht hat und sich von Neuem schwimmend ausbreiten kann. Es fehlt mir hierüber an eigener Beobachtung, ich möchte aber vermuthen, dafs beides, die Zusammenlegung der Theilblätt- chen und die nachträgliche Verlängerung des Blattstiels nur jugendlichen Schwimmblättern zukommt.

674 Gesammtsitzung

der Blätter betrachtet werden kann, dafs vielmehr die Schwimm- blätter eine wesentliche Stufe der Metamorphose dieser Pflanzen darstellen.') Marsilia ist ursprünglich eine Wasserpflanze, Kei- mung und erste Entwicklung sind nur im Wasser möglich; sie wird aber im Verlauf ihres Lebens zur Landpflanze und kann (vielleicht mit Ausnahme von M. deflexa) nur auf dem Lande, in vielen Fällen, wie bei den Arten, die im Innern Australiens wach- sen, sogar nur unter dem Einflufs einer den gröfseren Theil des Jahres hindurch andauernden Dürre, die Früchte reifen. Sie verhält sich also wie jene Insekten, die ihre Metamorphose im Wasser begin- nen und auf dem Lande vollenden. Wenn die Marsilien nach vor- hergegangener Bildung der Landblätter unter gewissen Umständen von Neuem Schwimmblätter bilden, so ist dies eine Rückkehr zu einer niederen Stufe der Metamorphose, welche Rückkehr regel- mäfsig überall da eintritt, wo die Localitäten, an welchen sie wachsen, im Spätherbst oder in der Regenzeit unter Wasser ge- setzt werden. Es wird dadurch eine Verjüngung und ein Über- gang aus einer Vegetationsperiode in die andere bewerkstelligt. Dafs die Verschiedenheiten der Schwimm- und Landblätter sich nicht in blos passiver Weise aus der Einwirkung des umgebenden Mediums erklären lassen, sondern auf einer angeborenen Eigen- schaft, einer den unentbehrlichen äufseren Lebensbedingungen an- gepalsten specifischen Begabung beruhen,”) beweist einerseits der

1) Hildebrand (l. c. S. 17) vergleicht Marsilia passend mit Sagittaria _ und es läfst sich dieser Vergleich noch bestimmter ausführen, da Sagittaria nach dem Keimblatt gleichfalls 3 Abstufuugen grüner Blätter hervorbringt und ehenso bei den Verjüngungen durch Ausläufer nach den ersten farblosen Niederblättern diese 3 Abstufungen regelmäfsig wiederholt, nämlich: 1) un- tergetauchte linienförmige Blätter ohne Scheidung von Stiel und Spreite, 2) Schwimmblätter mit mehr oder minder ausgeführter Scheidung beider Theile und länglicher ungetheilter oder unvollkommen pfeilförmiger Spreite, 3) Luft- blätter von bekannter pfeilförmiger Gestalt. Auch ist es bekannt, dafs diese Pflanze unter Umständen auf der ersten oder zweiten Stufe stehen bleibt und in der Regel nur zur Blüthen- und Fruchtbildung fortschreitet, wenn sie die dritte erreicht hat. (Spenner Flor. Frib. III. 1058; Ascherson Flora der Prov. Brandenburg 653).

2) Etwas Ähnliches behauptet auch Hildebrand (l. c. S. 21), wenn er die Fähigkeit der Marsilien und anderer amphibischer Pflanzen, Wasserblät- ter von eigenthümlichem, dem Medium angepafstem Bau hervorzubringen, als

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Umstand, dafs die ersten Land- (Luft-) Blätter bereits ehe die Pflanze ins Trockene kommt, also im Wasser, gebildet werden, wie man an in Seichtem Wasser ceultivirten Exemplaren beobachten kann, und dals bei Versenkung älterer Pflanzen ins Wasser der Übergang zur Bildung wahrer Schwimmblätter nicht immer mit gleicher Leichtigkeit, ja bei manchen Arten vielleicht gar nicht her- vorgerufen werden kann. Einige Erfahrungen hierüber mögen die Mittheilungen über die Schwimmblätter beschliefsen.

eine angeerbte latente Eigenschaft betrachtet, welche durch Veränderung des Mediums zum Vorschein gebracht werde. Da es sich jedoch hier, wie ich zu zeigen gesucht habe, nicht um eine nur aufserordentlicher Weise und nur unter ungewöhnlichen Verhältnissen erscheinende Eigenschaft, sondern um ein in den normalen Entwicklungsgang des Lebens gehöriges Ereignifs han- delt, so kann ich die Hildebrandsche Darstellung in keinem anderen Sinne auffasseu, als in welchem überhaupt alle speeifischen Eigenschaften der Pflanze angeerbte und so lange latente sind, bis theils die äufseren Bedingungen, theils die dem Entwicklungsgang des Lebens selbst angehörigen Voraussetzun- gen eingetreten sind, welche ihre Verwirklichung möglich machen. Die ver- suchte Anknüpfung an die Descendenztheorie, insbesondere die Erklärung der Fähigkeit Schwimmblätter hervorzubringen durch Ableitung von einem ganz dem Wasser angehörigen Vorfahren, kann ich dagegen durchaus nicht zutref- fend finden. Da die Schwimmblätter der Marsilien mit ihrer eigenthümlichen Organisation keineswegs überflüfsige Gebilde sind, sondern vielmehr wesent- lich dazu beitragen, dafs diese Pflanzen „den Kampf ums Dasein“ bestehen können, so ist nicht einzusehen, warum die Fähigkeit ihrer Hervorbringung nicht als eine mit der Entstehung der Marsilien selbst zusammenfallende Er- rungenschaft betrachtet werden soll. Die Ableitung von einer Wasserpflanze scheint mir ganz grundlos. Eher könnte man, wenn man auf dieses gewagte Feld der Hypothesen eingehen will, in dem Vorkommen der Stomata auf den stets unter Wasser befindlichen Primordialblättern einen Hinweis erblicken, dafs die Vorfahren der Marsilien Landbewohner waren, und in der That kön- nen wir den sonderbaren 'Typus dieser Familie, ungeachtet des grofsen Ab- standes, doch nirgends näher anknüpfen als an die Farne. Es sind keine vorweltlichen Gewächse bekannt, welche man mit irgend welcher Sicherheit als nächste Vorläufer der Marsiliaceen betrachten könnte. Die Gattung Jeanpaulia, welche man dieser Familie zugeschrieben hatte, gehört nach Schenk (Flora der Grenzschichten des Keupers und Lias S. 39) zu den Farnen; das von Hildebrand angeführte Sphenophyllum der Steinkohlenperiode dagegen gehört unzweifelhaft in den den Marsiliaceen ganz fremden Verwandschaftskreis der Calamiten und war wahrscheinlich eine nur mit dem untersten Theile des Stamms im Wasser stehende Sumpfpflanze (vergl. Schimper, Paleont. veget. p. 336).

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Mars. Aegyptiaca ist im botanischen Garten wiederholt zu Anfang des Sommers in einen Teich gesetzt worden; sie verän- derte in Folge davon ihr Ansehen gänzlich, indem sie üppige Schöfslinge bildete, welche theils auf dem Grunde kriechend, häu- figer aber frei im Wasser schwimmend, sich wohl 8—10 Fufs weit ins Innere des Teiches erstreckten und an langgedehnten Stengel- gliedern Blätter mit schwimmender, auf dem Wasserspiegel ausge- breiteter Lamina und ganzrandigen Blättchen trugen, im Ansehen denen der Wasserform von M. quadrifoliata täuschend ähnlich, aber dieselben an Gröfse meist etwas übertreffend. Bei minderer Tiefe des Wassers ragten die im Übrigen ebenso gestalteten Blätter blei- bend über den Wasserspiegel hervor und breiteten ihre Lamina in der Luft aus. An nur mit dem Untertheil des Topfes in Wasser gestellten Exemplaren sah man viele Schöfslinge über den Rand des Topfes nach dem Wasser herabsteigen, wobei die kleinen Land- blätter mit schmalen gelappten oder gekerbten Fiedern in ganz all- mähliger Abstufung gröfser wurden und in die Form der grofsen Wasserblätter mit breiten ganzrandigen Fiedern übergingen. Die mikroskopische Untersuchung ergab das unerwartete Resultat, dafs alle diese Wasserblätter, nicht blos die über den Wasserspiegel sich erhebenden, sondern auch die vollkommen schwimmenden, nicht den gewöhnlichen Bau der Wasserblätter besafsen. Sie wa- ren alle auf der Rückseite mit Luftspalten versehen, wenn auch in geringerer Zahl als auf der Oberseite; auch fehlten die sonst so charakteristischen Interstitialstreifen. Nur einige wenige Blätter zeigten Spuren solcher Streifung, aber auch diese hatten Luftspal- ten auf der Unterseite. Es schien demnach für M. Aegyptiaca charakteristisch zu sein, Wasserblätter ohne Streifen und mit Luft- spalten auf der Unterseite zu besitzen, und doch ist es nicht so! Von Dr. Steudner und von Kotschy bei Cairo gesammelte Wasser- exemplare, die keiner anderen Art angehören können, haben die schönsten Streifen und keine Luftspalten auf der Unterseite! Die Blätter dieser Exemplare sind kleiner und zarter, die Blattstiele schwächer als bei der cultivirten Wasserform, was dafür spricht, dafs diese wilden Exemplare aus Sporen erwachsen, ihre Blät- ter primäre Wasserblätter sind. Könnten wir M. Aegyptiaca aus Sporen erziehen, wozu leider die Gelegenheit bis jetzt gefehlt hat, so würden wir ohne Zweifel zunächst vollkommen charakteristische Wasserblätter und sodann fructificirende Pflanzen erhalten, was

Be -.-

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beides bei der seit 15 Jahren im Garten durch fortgesetzte Sprofs- bilduug cultivirten Pflanze nicht erreicht werden konnte. Der Ge- danke liegt nahe, dafs M. Aegyptiaca in ihrem Vaterlande, dem unteren Nillande, mit seinem schroffen Wechsel einer Zeit grofser Überschwemmungen und einer Zeit grolser Trockenheit, eine ein- jährige Pflanze ist, nur einmal Schwimmblätter und nur einmal fruchttragende Landblätter zu tragen bestimmt; und dafs sie bei der durch Cultur unter ungewöhnlichen Verhältnissen herbeigeführten Ausdauer in einem Mittelzustande fortlebt, in welchem sie sich we- der vollkommen verjüngen, noch das eigentliche Ziel ihrer Ent- wicklung erreichen kann. Beobachtungen im Vaterlande, sowie weitere und mehrfach modifieirte Culturversuche werden diese Frage künftig entscheiden.

Ein noch abweichenderes Verhalten scheint M. Coromandeliana zu haben. Die Pflanze wurde in diesem Jahre aus Sporen erzo- gen und in der ersten Zeit etwa 2 Zoll tief unter Wasser gehal- ten. Sie breitete sich mit reilsender Schnelligkeit aus, wie keine andere Art, und brachte eine grolse Zahl von Blättern, welche sämmtlich über die Oberfläche des Wassers emporwuchsen und sich dann, die ersten früher, die folgenden zögernder niederlegten und schwimmend ausbreiteten. Ganz allmählig war der Übergang von diesen zu den über Wasser bleibenden, allmählig an Gröfse ab- nehmenden Luftblättern, mit deren reichlicherem Erscheinen die Pflanze trockener gehalten wurde und in kurzer Zeit reichlich Frucht brachte. Es wurde versäumt die allerersten Schwimmblätter der jungen Pflänzchen zu untersuchen, von denen es somit ungewils ist, ob sie Luftspalten auf der Unterseite besitzen, aber alle spä- teren zahlreichen Blätter mit schwimmender Spreite hatten Luft- spalten auf der Unterfläche, wiewohl in weit geringerer Zahl als auf der Oberfläche; sie hatten keine oder nur schwach angedeutete (gelbliche) Interstitialstreifen, wogegen bei manchen (wohl den Über- gang zu den eigentlichen Landblättern bildenden) sogar schon die charakteristischen Scleremchymzellen der Landblätter dieser Art auftraten. Pflanzen mit entwickelten Landblättern, welche im Laufe des Sommers in ein gröfseres Wasserbehältnils etwa 6 Zoll tief versenkt wurden, trieben bald lange, im Wasser fluthende Sprofse mit Blättern, deren Fiederblättchen zwar breiter waren als die der Landblätter und sich schwimmend ausbreiteten, aber in allem Übrigen, auch in Beziehung auf die Scleremchymzellen, mit den Land-

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blättern übereinstimmten; sie erreichten auch nicht die Gröfse der früheren Schwimmblätter und hatten überhaupt für Wasserblätter ein sehr kümmerliches Ansehen. Ich möchte darnach vermuthen, dals auch M. Coromandeliana normal einen einjährigen Lebenscyklus hat und bei der Schnelligkeit ihrer Entwicklung die Stufe vollkom- mener Schwimmblätter gar nicht zur Ausbildung bringt.

Ebenso brachte M. crenulata, im Juni in einen gröfseren Was- serbehälter versenkt, nur schwächliche Wassertriebe mit unvoll- kommenen d. h. auf der Unterfläche mit spärlichen Luftspalten besetzten und nur hier und da mit Spuren brauner Interstitialstrei- fen versehenen, übrigens nicht gekerbten, sondern ganzrandigen Schwimmbättern hervor, während die nahe verwandte M. diffusa unter denselben Verhältnissen und in derselben Zeit sehr üppige Wassersprosse mit charakteristischen Schwimmblättern bildete. Eine Versenkung im Frühjahr, zu Anfang der Vegetationsperiode, würde wahrscheinlich ein anderes Resultat gehabt haben, analog dem Ver- halten von M. Drummondi. Diese wurde im Jahre 1867 frühzei- tig in den Teich gesetzt, woselbst sie in einer Tiefe von 2 Fufs und mehr weit umherkriechend an gegen 6 Zoll langen Stengelgliedern durchgehends ächte Schwimmblätter, auf der Unterseite ohne Luft spalten und mit braungelben Streifen schön gezeichnet, hervor- brachte, wogegen dieselbe Art in diesem Jahre, gegen Ende Juni in den Teich gesetzt, zwar auch langgliedrige Sprofse mit sehr langgestielten Blättern, deren Spreite sich schwimmend auf dem Wasser ausbreitete, hervorbrachte, aber doch keine vollkommen charakteristischen Wasserblätter, da sie insgesammt auf der Unter- seite Luftspalten, wenn auch in geringerer Zahl, hatten, selbst die- jenigen (wenig zahlreichen), welche einen Anfang von Streifenbil- dung zeigten. Ebenso verhielten sich M. salvatrix und M. elata, von denen die letztgenannte auch keine Spur von Streifen an den anscheinenden Schwimmblättern zeigte. In ganz anderer Weise dagegen verhielt sich unter denselben Verhältnissen M. macra, wel- che im Juni ins Wasser gebracht sofort zur Bildung ächter Schwimm- blätter überging.

Die Luft-, oder, wie ich sie lieber nenne, Landblätter zeichnen sich vor den Schwimmblättern durch eine gröfsere Man- nigfaltigkeit der Form aus, haben daher für die specifische Unter- scheidung schon etwas mehr Werth als diese; auch die Verhält-

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nisse der Bekleidung und der anatomische Bau, namentlich der Epidermis, bieten in dieser Beziehung Anhaltspunkte.

Die Sprofse, an welchen die Landblätter auftreten, sind im Allgemeinen kurzgliedriger als die Wassersprofse, und wenn auch der Hauptsprols noch eine stärkere Verlängerung zeigt, so sind wenigstens die Seitensprolse in der Regel kurz und gestaucht. Besonders auffallend tritt dies bei M. pubescens hervor, wo an einem mehr oder minder verlängerten Hauptsprofs die mit 2 Rei- hen dichtgedrängter Früchte besetzten Seitensprolse wie sitzende Kätzchen oder Zapfen anhängen. Bei M. difusa kriechen die ge- dehnteren Hauptsprolse und ihre nächsten Verzweigungen weit und breit umher (vergl. S. 662), aber die letzten Seitensprofse sind auch hier gedrungen, daher die Blätter und Früchte an denselben dicht gehäuft. Zu den Arten, deren Landform einen besonders ge- drungenen Wuchs hat, gehören M. elata und Drummondü (var. orien- talis), während M. salvatrix stets etwas länger kriechend ist. Durch lockereren Wuchs zeichnen sich ferner aus M. polycarpa, subangu- lata, Ernesti, sowie M. Coromandeliana und trichopoda, welche beide, gegen die Sitte der übrigen Arten, häufig bis zum Senkrech- ten aufsteigende letzte Verzweigungen haben.

Was zunächst die Blattstiele der Luftblätter betrifft, so sind dieselben in der Regel kürzer, starrer und von festerem Bau!) als die biegsamen schwankenden Stiele der Schwimmblätter, geeignet sich aufrecht zu erhalten und die Spreite frei empor zu tragen. Selten kommt bei üppiger Vegetation auf feuchtem Grunde eine bedeutendere Verlängerung der Blattstiele der Landblätter vor, wo- bei dieselben entweder steif und gerade sind (M. villosa), oder eine eigenthümliche an die der windenden Stengel und Ranken erin- nernde Biegsamkeit zeigen. Letzteres namentlich bei M. salvatrix, deren Blattstiele unter günstigen Bedingungen 36—40 Centimeter (13—15 Zoll) Länge erreichen und die Neigung haben, sich mit dem oberen, der Spreite zunächst vorausgehenden Theile um ein- ander zu schlingen und zu verwickeln.?)

!) Vergl. Hildebrand 1. c. S.6. Die anatomischen Unterschiede des Blattstiels der Wasser- und Landblätter bedürfen übrigens noch einer über zahlreichere Arten ausgedehnten vergleichenden Untersuchung.

?) Die Windung beschreibt kaum mehr als 1 bis 2 Umgänge und scheint constant rechts zu sein.

680 Gesammtsitzung

Die Spreite der Landblätter ist in der Regel kleiner und ver- hältnifsmälsig schmäler als die der Schwimmblätter, übrigens sind die Gröfsenverhältnifse derselben je nach dem feuchteren oder trockeneren Standort nnd selbst an demselben Exemplare je nach der Stellung der Blätter am Hauptsprofs oder den Zweigen äufserst veränderlich. Der Unterschied in der Gröfse der Blatt- spreiten, zumal wenn noch Verschiedenheiten der Gestalt und Be- kleidung hinzutreten, bedingt das bei manchen Arten so sehr ver- schiedene Ansehen der auf dem Land und der im Wasser wach- senden Exemplare derselben Art. Wohl bei keiner Art ist dieser Unterschied auffallender als bei M. Aegyptiaca, deren glatte Was- serblätter mit ganzrandigen Fiederblättchen, wie oben (S. 669) er- wähnt, oft eine Länge von 30—32 Mm. und eine die Länge noch etwas übertreffende Breite erlangen und über 100 in den Stirnrand einlaufende Nervenenden zeigen, während die behaarten Landblätter fructificirender Exemplare einfach oder doppelt ausgerandete (mit 2—4 Läppchen am Stirnrand versehene) Blättchen von 5—, an den letzten Zweigen 3—4 Mm. Länge und etwa halber Breite be- sitzen, in deren Stirnrand nur etwa 10— 25 Nervenenden eintreten. Zu den Arten, die sich durch Kleinheit der Landblätter auszeichnen, gehören ferner M. brachycarpa, sericea, biloba, Capensis, Burchellii (Blättehen 2—6, selten bis 10 Mm. lang), trichopoda, Coromande- liana (Bl. 4—10 Mm. lang), muscoides. Die letztgenannte hat un- ter allen die kleinsten Blätter, deren Blättchen bei den senegambi- schen Exemplaren nicht über 2—3, bei denen aus Angola höch- stens 4 Mm. lang und etwa halb so breit sind. Der Kleinheit der Blätter entspricht ungefähr die geringe Zahl der letzten in den Rand eintretenden Nervenzweige, deren ich bei der Mehrzahl der oben genannten Arten 12—15, bei M. muscoides nur 10—12 zählte. Die geringste Zahl fand ich bei einigen der kleinsten Blättchen von M. Coromandeliana, nämlich 6—8. Bei mittelgros- sen Blättern von M. quadrifoliata kommen dagegen 70—75 Ner- venspitzen auf ein Blättchen. Zu den Arten, deren Landblätter sich durch ansehnliche Gröfse auszeichnen, gehören M. salvatrix, Drummondiü, macropus, macrocarpa und polycarpa. Von der letzt- genannten sah ich fructifieirende Landblätter von besonderer Grölse. Ein gemessenes Theilblättchen war 28 Mm. lang, 32 Mm. breit und zeigte ungefähr 210 den Rand erreichende Nerven.

Was die Gestalt der Landblätter betrifft, so mufs ich zunächst

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einige allgemeine (die Schwimmblätter mit begreifende) Bemerkun- gen vorausgehen lassen. Die Blätter der Marsilien sind, wenn wir von den Primordialblättern absehen, durchgehends viertheilig, we- nigstens ist keine Art mit Sicherheit!) bekannt, welche sich an- ders verhielte; nur als Ausnahme oder Abweichung von der Regel kommen einzelne zweitheilige Blätter vor (öfters das erste Schwimm- blatt junger Pflanzen, selten das erste Landblatt eines Zweiges), noch seltener dreitheilige (mehrmals an der Landform von M. cre- nulata beobachtet), etwas häufiger dagegen fünf- bis sechstheilige (Wasser- und Landblätter von M. Coromandeliana, Landblätter von M. macra und quadrifoliata); nur einmal fand ich ein Blatt mit 8 Theilblättchen (M. elata). Die in der Nervatur der Blättchen herrschende Dichotomie, sowie das Vorkommen nur zweitheiliger Blätter könnte der Vermuthung Raum geben, dafs das ganze Blatt dem Gesetze der Dichotomie folge, somit eigentlich zweitheilig sei mit nochmaliger Theilung der Hälften, sich anschliefsend an die wiederholt zweitheiligen Blätter mancher Farne, namentlich der Gattungen Schizaea?), Rhipidopteris?), Hecistopteris') und der be- reits erwähnten vorweltlichen Gewächse, welche früher für Mar- siliaceen gehalten wurden, der Farngattung Jeanpaulia’) und der Ualamariengattung Sphenophyllum°). Allein die nähere Betrachtung scheint ein anderes Resultat zu geben; sie zeigt, dafs die 4 Blättchen zwei übereinander befindliche Paare darstellen, ein unteres, über

!) In Blanco Flora de Filipinas (Manila 1845) wird S. 577 allerdings unter dem Namen Mars. trifolia eine Art aufgeführt, welehe normal 3 Blätt- chen haben soll, die an Gestalt denen der M. crenulata (M. minuta Blanco) ähnlich sein sollen. Die Beschreibung dieser Art ist aber so ungenügend, dafs sie die Vermuthung nicht ausschliefst, es möge derselben irgend eine phanerogamische Pflanze zu Grunde liegen. Übrigens ist es bemerkenswerth, dafs gerade an der einzigen von den Philippinen sicher bekannten Marsilia- Art (M. crenulata) ausnahmsweise Blätter mit 3 Blättchen vorkommen.

?2) Von Ettingshausen, Flächenskelet der Farnkräuter der Jetztwelt Bello, 2 I und\t. 116, 1. 2.

®) Fee, Genera Filicum, t. 2 und von Ettingsh. t. 1, f. 1-6 u. 9—13, DIReerl..c.t. 16.

3) Schenk 1. e. t. 9; Schimper Paleont. veget. t. 44, f. 9. 6) Ibid. t. 25, £. 328.

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welchem sich ein kurzer Stiel (Fortsetzung des Blattstiels, Mittel- stiel, oder Rachis) erhebt, welcher das zweite obere trägt. Damit steht auch die Knospenlage im Einklang, welche sich ähnlich ver- hält wie bei den gefiederten Blättern zahlreicher Gewächse, z. B. der Mimoseen, Gleditschien, Tamarinden, Cassien, indem die Blättchen, an und für sich ungefaltet, sich mit der Oberfläche aneinanderle- gen und zwar so, dafs das untere Paar das obere grolsentheils bedeckt, wefshalb auch an dem sich ausbreitenden Blatte die Lage der Blättchen unterschächtig erscheint, welche Deckung erst mit der vollendeten‘ Ausbreitung zum regelmäfsig vierstrahligen Stern verschwindet. Während des Schlafes legen sich die Blättchen der Marsilien in derselben Weise wie bei den Mimosen wieder zusam- men, indem sie in die Knospenlage zurückkehren.')

Die paarweise Folge der 4 Blättehen scheint eine Bestätigung zu finden in dem Verlauf der Bündel des Blattes.”) Der Blattstiel ist sei- ner ganzen Länge nach von einem starken Bündel durchzogen. Beim Übergang zur Spreite gehen von demselben zunächst 2 Zweige ab, wel- che in die Blättchen des ersten Paares eintreten, während das Haupt- bündel sich noch eine kleine Strecke weit ungetheilt fortsetzt und dann, sich gabelnd, in die Blättchen des oberen Paares eintritt. Inner- halb der Blättehen, sowohl der unteren als der oberen, tritt sofort eine wiederholte Dichotomie ein, hier und da mit bogenartigen Ver- bindungen zweier benachbarter Gabeltheile. Zunächst dem Rande des Blättchens sind sämmtliche letzte Bündelzweige durch eine continuirliche Anastomosenreihe verkettet, einen mehr oder weni- ger deutlichen Randnerven bildend. Das Verhältnifs des vierthei- ligen zum zweitheiligen Blatt zeigt sich besonders deutlich in der Nervatur der Primordialblätter, deren letzte häufig viertheilig sind.

1) Der periodische Schlaf ist ohne Zweifel eine Eigenthümlichkeit der Landblätter aller Marsilien und verdient genauer beobachtet zu werden. Die verschiedenen Arten öffnen und schliefsen ihre Blätter nicht gleichzeitig; un- ter den hier cultivirten öffnet M. pubescens die Blätter am frühesten und schliefst sie am spätesten, ist also die wachsamste, wogegen M. Drummondü die schlafsamste zu sein scheint.

2) Ich gebrauche den kürzesten Ausdruck statt des weitläufigen „Fibro- rasalstrang“ oder des noch immer gebräuchlichen „Gefäfsbündel“, welcher, wenn man das Wort „Gefäls“ im strengsten Sinne des Wortes nimmt, nach

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den Untersuchungen von Mettenius und Caspary für die Rhizocarpeen, ebenso - wie für die Mehrzahl der übrigen „Gefäfseryptogamen“, nicht richtig ist.

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Die Figuren 1, 2, 4, 6, 7, 8 stellen die Folge der Blätter eines Keimpflänzchens von Mars. Ernesti dar, wobei 3 und 5, als unerhebliche Mittelglieder, weggelassen sind. Das Keimblatt (Fig.1) ist von einem einzigen Bündel (Nerven) durchzogen; mit dem ersten Primordialblatt (Fig. 2) tritt in dem oberen zur Spreite sich aus- dehnenden Theil des Blatts bereits eine wiederholte Gabelung des Bündels ein,') welche bis zum 6ten Blatt ohne äufsere Theilung der Spreite fortschreitet. Beim 7ten Blatt trennen sieh die beiden durch die erste Gabeltheilung bezeichneten Hälften der Spreite, es entsteht ein einfach zweitheiliges Blatt; beim Sten Blatt tritt zwischen beiden Seitentheilen eine mittlere Fortsetzung auf, in welcher derselbe Gabelungsprozefs der Nerven und dieselbe der ersten Gabelung entsprechende äufsere Theilung in der Bildung eines zweiten Blättchenpaares sich wiederholt. Eine in der vorlie- genden Reihe fehlende Mittelstufe zwischen 7 und 8, bei welcher die beiden Theile des oberen Paares vereinigt bleiben, giebt die Erklärung der bei den Primordialblättern nicht sehr selten und selbst bei den Landblättern (M. crenulata), hier ee sehr selten, vor- kommenden dreitheiligen Spreite.

Eine solche Auffassung des Marsilienblattes wird ferner durch den Gang der Entwicklungsgeschichte desselben, wie wir ihn aus der Darstellung von Hanstein (l. ec. S. 53, T. 14) kennen, unterstützt. Das junge Blatt erscheint zunächst in Form eines sich allmählig etwas nach innen krümmenden Kegels, dessen erste Anlegung durch wiederholte Theilung einer Scheitelzelle durch wechselnd von beiden Seiten her gegeneinander geneigte Scheidewände fortschreitet, somit ursprünglich (ebenso wie das bleibend einfache Keimblatt) eine einheitliche Spitze hat. Die Entstehung der Spreite verräth sich zu- nächst durch überwiegende Schwellung und vermehrte Theilung zweier gegenüberliegender seitlicher Randzellengruppen, wodurch das obere Ende des Blatts zunächst stumpf dreieckig, bald darauf deut- lich dreilappig wird. Mit dem Auftreten der beiden seitlichen Lappen ist das erste Paar der Seitenblättchen angelegt. Jetzt hört die Scheitelzelle des Blatts, welche die Spitze des mittleren Lappens krönt, auf als solche thätig zu sein, während seitlich von

1) Die bei dieser Art fehlende Mittelstufe des einfach gegabelten Ner- ven findet sich normal bei dem ersten, äufserst schmalen Primordialblatte von MM. pubescens.

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ihr die Randzellen in lebhafter Theilung sich hervordrängen. So wird der mittlere Lappen getheilt und das zweite Paar der Blätt- chen ist angelegt.

Endlich mögen auch die abnorm mehr als viertheiligen Blät- ter in Betracht gezogen werden. Die überzähligen (meist schmä- leren) Blättchen derselben treten gewöhnlich zwischen den Blättchen des oberen Paares auf und zwar in vielen Fällen (M. Coromandeliana und macra) deutlich als drittes, von ‘einem gemeinsamen kurzen Mittelstiel getragenes Paar, das sich zum zweiten Paare ganz . ebenso verhält, wie dieses zum ersten. In anderen Fällen freilich kommen überzählige- Segmente vor, die nicht anders als durch Theilung der oberen, zuweilen auch der unteren Blättchen betrach. tet werden können.

Dies sind die Gründe, welche für die Auffassung des Marsi- lien-Blattes als eines zweijochig gefiederten sprechen; sie scheinen nicht ungewichtig, aber ich kann doch die Bemerkung nicht unter- drücken, dafs sich auch Gründe gegen dieselben anführen lassen, die vielleicht geeignet sind, der zuerst erwähnten Auffassung, ob „sie gleich dem Augenschein zu widersprechen scheint, den Vorzug zu geben. Betrachten wir zunächst den Fall des blofs zweitheili- gen Blattes (Primordialblatt 7 in der oben dargestellten Reihe), so werden wir nicht umhin können, in der Bildung desselben eine Dichotomie anzuerkennen, und dasselbe werden wir. bei der Bil- dung des oberen Paares des viertheiligen Blattes zugeben müssen. Die oben erwähnte Scheitelzelle der ersten Blattanlage hat zur Zeit der Bildung der Blättchen offenbar ihre frühere Bedeutung gänz-

lieh verloren; in dem Falle, wo die Blattspreite ungetheilt bleibt

und gleichsam fächerförmig ausstrahlt, ist sie ohne Zweifel ganz in der Bildung von Randzellen aufgegangen. Auch dürfen wir bei der Betrachtung des Hervortretens gesonderter Lappen oder Blätt- chen nicht blos von den Vorgängen am Rande der Blattanlage ausgehen, sondern müssen auch die im Innern des Blattes zur Geltung kommenden und nach aufsen drängenden Bildungsrichtun- gen, welche schliefslich in den Gefäfsbündeln ihren Ausdruck fin- den, mit in Betracht ziehen. Halten wir beim viertheiligen Blatt für das untere Paar an der Vorstellung der Fiederbildung fest, | - so kommen wir zu der sonderbaren Annahme eines ersten durch & Fiederbildung und eines zweiten durch Gabeltheilung gebildeten Blättehenpaares und es wird die Frage sich aufdrängen, ob dieser =

636 Gesammtsitzung

Widerspruch nicht zu heben ist. Sehen wir zu diesem Ende von den einzelnen Blättern und Blättchen ab, und fassen wir die ganze Reihe der Blätter vom einfachsten Keimblatt bis zum viertheiligen Primordialblatt oder, wo dieses fehlt, zum gevierten Schwimmblatt _ in eine gemeinsame Betrachtung zusammen, so finden wir, dafs die Viertheilung des Blattes früher oder später, mit oder ohne die Übergangsstufe der Zweitheilung, mit oder obne weitere Zwischen- glieder unvollkommener Theilungsgrade eintreten kann, dals aber, unabhängig von dem Eintritt dieser Theilungen, die Zahl der in den Rand des ganzen (ungetheilten oder getheilten) Blattes einlau- fenden Nervenenden mit einer gewissen Stetigkeit zunimmt. So beträgt z. B. bei der im Vorhergehenden (S. 683) dargestellten Reihe von M. Ernesti (mit Einfügung der übersprungenen Num- mern) die Zahl der Nervenenden der aufeinanderfolgenden Blätter 1. 4. 5. 7. 10. 15. 23. 29. Andere Exemplare und andere Arten werden andere, aber doch im Wesentlichen ähnliche Zahlenreihen liefern, namentlich verdient M. pubescens Erwähnung, bei welcher die Reihe mit 1. 2. 3 oder 1. 2. 4 beginnt. Würde die wieder- holte Dichotomie der Nerven von Blatt zu Blatt regelmälsig um einen Grad fortschreiten, so erhielten wir die Zahlen 1. 2. 4. 8. 16. 32...., allein dies ist nicht der Fall, die Theilung tritt nicht leicht in allen Spitzen auf einmal ein, sie schreitet ungleichmälsig und deshalb langsamer voran, und zwar ist sie anfangs in den Seiten- theilen, später in den mittleren Theilen des Blatts mehr gefördert. In dem oben gegebenen Beispiel ist das 7te Blatt (mit 23 Nerven- den) zweitheilig, das Ste (mit 29 Enden) viertheilig; die Zahl der Nervenenden würde aber ungefähr die gleiche sein, wenn diese beiden Blätter sich ungetheilt entwickelt hätten. Man ersieht hieraus, dafs die Lappen, Segmente oder Blättchen Theile eines Ganzen sind, Theile, deren Entstehung nicht auf verschiedene Weise erklärt werden darf. Was wir vom Ganzen und seinen Theilen sagten, können wir noch speciell auf die beiden Hälften des Blattes an- wenden, indem wir das viertheilige Blatt (Fig. 8) mit dem zwei- theiligen (Fig. 7) vergleichen. Wir können die 2 mittleren (obe- ren) Blättchen des ersteren nicht wohl als eine zu den 2 Blättchen des letzteren hinzukommende Neubildung betrachten, denn wir fin- den zu einer solchen bei Blatt 7 durchaus keine Anlage; wir müs- sen also ihre Entstehung von den Blättehen des zweitheiligen Blat- tes selbst ableiten, müssen sie als abgelöste vordere (obere) Hälf-

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ten derselben, somit als Viertel des ungetheilen Blattes betrachten. Die Zahl der Nervenenden der beiden Blättchen des dargestellten zweitheiligen Blattes beträgt zusammen 23, die der beiden unteren Blättchen des folgeuden viertheiligen Blattes zusammen nur 16, während man nach dem Gesetze der fortschreitenden Theilung der Nerven nicht eine kleinere, sondern eine gröfsere Zahl erwarten müfste, wenn nämlich die unteren Blättchen des viertheiligen Blatts für sich allein als denen des zweitheiligen gleichwerthig betrachtet werden sollten. Wenn wir dagegen das untere und obere Blättchen zusammengenommen dem Blättchen des zweitheiligen Blattes gleich- stellen, finden wir uns mit der Regel der zunehmenden Zahl der Nervenenden im Einklang.

Mit dem Ergebnifs dieser Auseinandersetzung scheint nun frei- lich der Umstand unvereinbar zu sein, dafs bei dem viertheiligen Blatt das zweite Paar der Blättchen durch einen deutlichen Mittel- stiel über das erste Paar erhoben ist, durch einen Mittelstiel, der ebenso wie der voerausgehende Blattstiel von einem anscheinend einfachen Bündel durchzogen ist. Diese Schwierigkeit erscheint jedoch nicht unüberwindlich, wenn wir die Beschaffenheit des be- treffenden Bündels näher betrachten. Dasselbe ist nämlich nach Nägeli’s Untersuchungen') in der That ursprünglich und zwar schon im Stiel des Blatts, durch Theilung unmittelbar über der Eintrittsstelle vom Stengel in die Blattbasis, ein doppeltes, dessen Theile jedoch bei der weiteren Entwicklung der Gewebe, ebenso wie die Gefäfs-

stränge des Stengels, durch eine gemeinsame Innen- und Aufsen-

scheide verbunden werden.*) Die Eigenthümlichkeit der gevierten

!) Beiträge zur wissensch. Bot. I (1858) S. 54. 55.

?) Die beiden Gefäfsstränge zeigen im Querschnitt eine halbmondförmige

Gestalt und sind, die gewölbte Seite nach innen kehrend, nach der Rücken-

seite des Blattstiels hin so aneinander gelegt, dafs sie die Form eines nach der Vorderseite hin offenen \y bilden. Die Halbmonde berühren sich jedoch nicht vollständig, sind aber meist durch eine engere Netzfaserzelle brückenartig verbunden, während sie selbst hauptsächlich aus weiteren, leiterförmigen und längsreilig punktirten Gefäfszellen bestehen. Das beide Stränge ver- bindende Gewebe besteht aus langröhrigen, engen, slärkeführenden Zellen mit horizontalen Grenzwänden, eingeschlossen durch einen Zellring, welcher den Character einer Schutzscheide hat. Hierauf folgt nach aufsen ein Gewebe

aus weitröhrigen, mit gröfseren Stärkekörnern gefüllten Zellen, welches von

688 Gesammtsitzung

Marsilia-Spreite beruht demnach auf dem Umstande, dafs von den 4 durch doppelte Zweitheilung gebildeten Theilen die 2 benachbar- ten mittleren noch eine Strecke weit über die zweite Gabelung (die Gabeltheilung der Hälften) hinaus äufserlich verbunden blei- ben, wie dies durch die beifolgende schematische Fig. 2 im Ver- gleich mit Fig. 1 veranschaulicht wird.

Theilen sich die beiden mittleren Blättchen noch einmal, so kann sich dieselbe Verbindung der angrenzenden Theile wieder- holen, wodurch anscheinend ein drittes Paar von Fiederblättchen gebildet wird. Es erklärt sich aber zugleich auch der andere oben erwähnte Fall abnormer Vermehrung der Blättchen auf 6 oder 8 durch Theilung ohne solche Verbindung.

Wir kehren nach dieser Abschweifung zur besonderen Betrach- tung der Landblätter zurück und zwar zu den Formverhältnissen der Blättchen selbst, die weit mannigfaltiger sind als bei den Schwimmblättern und, ungeachtet bedeutender Veränderlichkeit, doch nicht ohne Bedeutung für die Charakterisirung der Arten. Die allgemeine Form derselben ist die eines fast gleichschenkeligen, auf die Spitze gestellten Dreiecks mit abgerundeten oberen Ecken, an denen das obere (innere) meist ein wenig höher steht als das

einem mehrschichtigen Ring prosenchymatischer, dickwandiger, bastähnlicher Zellen, welche die äufsere Scheide biden, umschlossen ist.

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untere (äufsere). Die Blättchen sind somit (oft etwas schief) keil- förmig, bald schmäler, bald breiter, je nach der Gröfse des Win- kels, in welchem die Seitenränder auseinander laufen. Diese sind meist geradlinig oder, besonders auf der Innenseite, etwas ausge- schnitten (MM. uncinata), seltener deutlich ausgebaucht (M. angusti- Jolia, schwächer und nur auf der Aufsenseite bei M. angustifolia). Die gröfste Breite fällt somit in den obersten Theil des Blättchens, wo der durch Abrundung der Ecken mehr oder weniger bogenartig sich erhebende, seltener fast gerade abgeschnittene Stirnrand be- ginnt. Wenige Arten machen hiervon eine Ausnahme, indem die schmalen Blättchen in der ganzen oberen Hälfte bis zum Stirnrand fast gleich breit sind (M. tenuwfolia, gymnocarpa) oder die gröfste Breite sogar weit unter dem Stirnrand, etwa in der halben Länge des Blättchens, zeigen (MM. angustifolia')). Der Stirnrand ist es, an welchem die weiteren Verschiedenheiten auftreten. Bei einer grös- seren Zahl von Arten ist derselbe stets ungetheilt und ganzrandig (M. pubescens, quadrifoliata, uncinata, Drummondi var. orientalis, Coromandeliana, Nubica, gymnocarpa, Ernesti, mulica, sublerranea, deflexa, polycarpa etc.), bei anderen ist er einfach ausgerandet (M. Capensis) bis zum tief zweilappigen (M. biloba, Capensis var.), oder einfach bis doppelt ausgerandet, so dafs 2—4 Randläppchen entstehen (M. Aegyptiaca, quadrata, brachycarpa) bis tief doppelt zweilappig (NT. biloba, sterile Form). Oft ist der Stirnrand mit einer unbestimmten, zuweilen ziemlich grofsen Zahl von Kerbzäh- nen versehen, die bald kürzer und stumpfer (M. crenulata, salvatrix, macrocarpa), bald etwas spitzer (M. erosa, brachypus, tenuifolia, angustifolia), oft sehr schwach und unbeständig sind (M. gibba, macra). Vielfach und ungleichmäfsig eingeschnitten, mit einer Nei- gung zur Dichotomie der Spitzen, ist der Stirnrand bei M. Mülleri, besonders bei den gröfseren Blättern steriler Pflanzen. Zu be- merken ist noch, dafs solche Theilungen des Stirnrandes nicht an allen Blättern derselben Pflanzen, ja nicht einmal an allen Blättchen desselben Blattes in gleicher Weise auftreten. Die kleineren Blät- ter verhalten sich häufig einfacher als die gröfseren, und an dem

!) Eine hiermit in Verbindung stehende Eigenthümlichkeit dieser Art spricht sich im Verlauf der Nerven aus, indem zahlreiche Nervenenden den Stirnrand nicht erreichen, sondern in die Seitenränder auslaufen.

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einzelnen Blatt sind die Blättchen des unteren Paares nicht selten ganzrandig, während die des oberen, die meist zugleich gröfser sind, verschiedentlich ausgerandet, gelappt oder gekerbt erscheinen.

Die Landblätter sind häufig behaart und auch bei denjenigen Arten, deren Blätter im ausgebildeten Zustand kahl erscheinen (M. quadrifoliata, diffusa, Coromandeliana), zeigen sie wahrscheinlich im Jugendzustand durchgehends eine Behaarung.') Eine bleibende, aber sparsame und unscheinbare Behaarung haben z.B. M. Ernesti, Mexicana, tenuifolia, macra; eine dichtere und auffallendere M. pu- bescens (im wildwachsenden Zustand), wvestita, biloba, salvatrix, Drummondii, elata, hirsutissima, sericea. Der trocknere oder feuch- tere Standort hat übrigens auf die Dichtigkeit und -Dauerhaftigkeit der Behaarung einen bedeutenden Einfluls. Die Unterfläche der Blättchen scheint stets stärker behaart zu sein als die Oberfläche. Die Haare haben bei allen Arten denselben Bau; sie beginnen mit einer horizontal anliegenden, plattgedrückten, nach unten (oder besser hinten) zugespitzten Zelle, welche mit ihrer Mitte einer nach oben trichterförmig erweiterten, mit dem dünneren Ende in die Haut des Blattes eingesenkten Stielzelle aufsitzt. An diese erste breiteste Zelle schliefsen sich, stufenweise schmäler und länger wer- dend, meist mehrere (2—5, selten nur 1) weitere Zellen an, wo- durch das mehr oder weniger verlängerte, mehr oder weniger fein ausgezogene freie Ende des Haars gebildet wird. Bald alle, bald nur die oberen Zellen sind mit zerstreuten (der Zellhaut angehöri- gen) Wärzchen besetzt, nur bei M. Drummondü var. occidentalis habe ich die Haare ganz glatt gefunden. Es sind übrigens noch nicht alle Arten in dieser Beziehung verglichen worden.

Die Haut?) der Landblätter zeigt, im Gegensatz zu den Schwimmblättern, auf beiden Blattflächen eine fast ganz überein- stimmende Beschaffenheit. Sie besteht beiderseits aus mehr oder minder stark gebuchteten, durchschnittlich in der Richtung des Nervenlaufs etwas verlängerten Zellen, die häufig sehr kleine zer-

!) So zeigt z. B. M. Coromandeliana an den jungen, noch gefalteten Blattspreiten, ebenso wie am Blattstiel, spärliche, 3—4 zellige, ziemlich breite, warzige Haare, die sich später ganz verlieren.

?) Kürzer und richtiger als „Oberhaut“, da eine Unterhaut nicht vor- handen ist. Will man „Oberhaut“ seiner Wortbedeutung nach anwenden, so kann man nur die Cuticula damit bezeichnen.

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streute Stärkekörnchen oder zu Zeiten Chlorophylikörnchen enthal- ten und deren nach aufsen gekehrte Wände mehr oder weniger stark verdickt sind. Die Hautzellen der Unterseite erscheinen mit- unter etwas mehr in die Länge gezogen und etwas stärker ge- buchtet als die der Oberseite, doch ist der Unterschied unerheb- lich. Besonders stark und zierlich gebuchtete Hautzellen besitzen die australischen Arten aus den Gruppen der M. hirsuta und M, Drummondü, ferner M. Aegyptiaca und Ernesti; etwas schwächer gebuchtet sind sie bei M. quadrifoliata und pubescens'); fast unge- buchtet und nahezu rectangulär, sowohl auf der Unter- als auf der Oberseite, fand ich sie nur bei M. angustifolia.”) Bei der grofsen Mehrzahl der Arten ist die Oberfläche der Hautzellen fach und eben oder etwas nach aufsen gewölbt, nur bei M. gibba und bei den Arten aus der Gruppe der M. Drummondi tragen die Haut- zellen regelmäfsige, stumpf kegelförmige, halbkugelige oder kuppel- förmige Höcker von kreisförmigem Umrifs, beinahe 0,01 Mm. Durch- messer und halb so grofser bis gleich grolser Höhe, Höcker, welche ursprünglich Ausstülpungen der Zellhaut sind, später aber in gewissen Fällen durch Verdickung der Membran solid werden oder nur einen kurzen und engen Kanal als Rest der ursprünglichen Aushöhlung zeigen. Bei M. gibba trägt jede Zelle nur 1 oder höchstens 2 Höcker und zwar auf beiden Blattflächen; bei allen Arten der Gruppe von M. Drummondii dagegen besitzen die durch bedeuten- dere Gröfse ausgezeichneten Hautzellen je 3 bis 6 Höcker, bei M. macra und M. elata auf beiden Blattflächen?), bei den übrigen (M. Drummondü oceidentalis und orientalis, M,. salvatrix, oxaloides, hirsu- tissima, Howittü, Mülleri und sericea) nur auf der Oberfläche.) Durch die Anwesenheit der Höcker auf den Hautzellen ist die

Derlldebrand 1. c.t. L. f. 1.2. 7.

2) Die Schwimmblätter dieser N sind leider unbekannt; wahrschein- lich sind sie in der Form der Blättchen und in der Gestalt der Hautzellen von den Landblättern abweichend.

®) Wogegen die Schwimmblätter der M. macra und nach Hildebrand’s Angaben ohne Zweifel auch die der M. elata nur auf der Oberfläche Höcker tragen. Bei M. macra sind die Höcker der Schwimmblätter hohl die der Landblätter mehr oder weniger ausgefüllt.

2) Die ächten Schwimmblätter von M. Drummondii (orientalis) verhalten sich in Beziehung auf die Höckerbildung wie die von MM, macra, wogegen

692 Gesammtsitzung

Gruppe der M. Drummondiü wesentlich verschieden von der gleich- falls australischen Gruppe der J/. hirsuta, zu welcher aufser dieser M. exarata und angustifolia gehören.

Die Luftspalten (Stomata) sind bei den Landblättern auf bei- den Flächen in ungefähr gleicher Zahl verhanden; ihre Schliefs- zellen sind durchgehends von den benachbarten Hautzellen mehr oder weniger übergriffen, so dafs sie tiefer als die Oberfläche der Haut liegen. In geringerem Grade zeigt sich dieses Verbhältnifs bei M. quadrifoliata'), Aegyptiaca, Ernesti; in höherem bei den australischen Arten aus der Verwandtschaft der M. Drummondi und hirsuta, sowie auch bei M. gibba, bei welchen allen die hochgewölb- ten Grenzzellen einen engen und tiefen Vorhof der Luftspalte bilden.

Von den übrigen anatomischen Verhältnissen der Luftblätter verdient besonders das bereits von Mettenius’) erwähnte Vorkom- men glasheller Scelerenchymzellen Erwähnung, welche eine eigene, von denen der Wasserblätter gänzlich verschiedene Art von Inter- stitialstreifen bilden. Sie haben ihren Sitz nicht wie diese in der Haut der Unterfläche, sondern im Mittelgewebe des Blattes. Bei schwächerer Entwicklung treten die Scelerenchymzellen dicht an der Haut der Unterfläche des Blatts auf, selten einzeln, meist 2—3 nebeneinander und 2—3 Schichten übereinander. Dann zeigen sich einige weitere unter der Haut der Oberfläche, durch Parenchym von denen der Unterfläche getrennt; bei stärkerer Entwicklung endlich verbindet sich die obere und untere Parthie, so dafs eine Scheide- wand gebildet wird, welche zwischen der oberen und unteren Haut ausgespannt ist. Im ersteren Fall lassen sich die Sclerenchymstrei- fen am unverletzten Blatt bei durchscheinendem Lichte mit unbe- waffnetem Auge nur als undeutliche dunklere Streifen erkennen, im letzteren bilden sie schmale farblose Streifen, so dafs es den An- schein hat, als ob Spalten zwischen den Nerven vorhanden seien.°)

die falschen Schwimmblätter (S. 678) auch auf der Unterfläche Höcker zei- gen, was um so auffallender ist, als die Landblätter unten ohne Höcker sind. Ebenso scheint sich M. salvatrix zu verhalten.

I) Hildebrand’L.' et. L 8.

2) In Triana et Planchon, Prodr. Fl. Nov. Granat. Crypt. p. 395.

3) Sie erinnern dadurch an die durchsichtigen Streifen der Blätter vie- ler Selaginella-Arten z. B. S. albo-nitens, cladorrhizans, Lychmuchus, steno- phylla, allein bei diesen liegen die Scelerenchymzellen in der Epidermis der Unterseite des Biatts.

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Die bestehen aus kräftigen, langgestreckten, ziemlich diekwandigen, wellenförmig gebogenen und hier und da mit zwischen die an- grenzenden Parenchymzellen eingreifenden Zacken versehenen Zellen von glasartigem Ansehen und eigenthümlichem Glanze, mit hori- zontalen, seltener mit schiefen Verbindungswänden aneinanderge- reiht und an den Verbindungsstellen häufig mit seitlichen Erweite- rungen versehen; wo die Enden frei auslaufen, sind sie spitz oder selbst zugespitzt. Derartige durch Scleremehym gebildeten Intersti- tialstreifen finden sich übrigens nur bei einer kleinen Gruppe nahe verwandter Arten, nämlich M. Coromandeliana, trichopoda, muscoides und distorta.

Endlich mag noch der für einige Arten bezeichnenden herbst- lichen Verfärbung der Blätter gedacht werden. Mehrere der austra- lischen Arten, namentlich M. Drummondü (var. orientalis) und M. elata nehmen eine lichtbraungelbe Farbe an; die mikroskopische Untersuchung zeigt, dafs namentlich die Schliefszellen der Luft- spalten und die Ansatzzellen der Haare, sowie auch die zunächst angrenzenden Zellen der Haut sich gelb gefärbt haben. M. salva- trix zeichnet sich dadurch aus, dafs die ganze Blattfläche, beson- ders die der Oberseite, oft mit Ausnahme des Randes, sich dünkel- kaffebraun oder selbst purpurbraun färbt; der Sitz dieser Färbung ist in den Wänden der Hautzellen. M. macra zeigt im Alter von der Basis der Blättchen aus rothbraun geflammte Blätter. Die Blätter von M. quadrifoliala nehmen eine gleichmäfsige lichtbraune Farbe an, während die blaugrauen Blätter von M. pubescens sich vor dem Absterben nicht verfärben.

Die Sporenfrüchte (spoerocarpia, receptacula oder eoncep- tacula der Autoren) stehen in engster Verknüpfung mit den Blät- tern; sie entspringen entweder deutlich aus dem Blattstiel selbst und zwar aus dem äufseren (unteren) Rande desselben, oder sie treten an der Basis dieses Randes neben dem Blattstiel hervor, im ersteren Falle die Stelle einseitiger Fiederblättchen, im letzte- ren die eines einseitigen Nebenblatts einnehmend. Die blattstiel- ständigen sind meist in Mehrzahl an einem Blattstiel vorhanden, während bei grundständiger Stellung nur eine Frucht zu einem Blatte gehört. Die gröfste Zahl der Früchte an einem Blatte fin- det sich bei M. polycarpa, gewöhnlich zwischen 10 und 20, zu- weilen selbst noch mehr; in ziemlicher Entfernung von der Basis beginnend, bilden sie eine Reihe, welche oft bis über die halbe

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Höhe des Blattstiels hinaufreicht. Jhr Ursprung aus dem Rande des Blattstiels ist bei dieser Art besonders deutlich, da sie einen Blattstiel besitzt, der auf seiner Vorderseite durch eine breite Rinne ausgefurcht ist, während bei den meisten anderen Arten der Blatt- stiel auf der Vorderseite nur etwas abgeflacht und die Rinne nur schwach angedeutet ist. Bei der dichten Aneinanderdrängung wei- chen sich die Früchte oft abwechselnd aus, so dafs sie 2 Reihen bilden, allein die Entfernung der Früchte zeigt sofort, dafs ihre Stiele alle aus demselben Rande des Blattstiels hervorgehen, dem Ursprung nach also nur eine einzige Reihe von Früchten vorhan- den ist. Ähnlich verhält sich die nahe verwandte M. subangulata, aber die Reihe von nur 6—10 Früchten beginnt nahe an der Ba- sis des Blattstiels. Eine noch geringere Zahl sich nur wenig über den Grund des Blattstiels erhebender Früchte, wobei die unterste oft gauz basilär erscheint, haben M. erosa (2—5 Früchte), M. dif- usa (2—4), crenulata (2, selten 3), drachypus (1—3), gracilenta (1—2). Bei einigen Arten findet man die Stiele mehrerer über der Basis des Blattstiels entspringender Früchte eine Strecke weit verbunden, so dafs anscheinend 2 oder mehrere Früchte von einem gemeinsamen Stiel getragen werden. So bei M. quadrifoliata (2, sel- ten 3—4, von denen zuweilen eine mit freiem Stiel), Drownü (1 3), macropus (2—5). Alle übrigen bekannten Arten haben nor- mal nur eine Frucht am Grunde des Blattstiels, deren Zusammen- gehörigkeit mit dem Blatte sich dadurch verräth, dafs beim Ab- reifsen des letzteren die Frucht häufig mitfolgt, indem der Frucht- stiel am Grunde des Blattstiels hängen bleibt. Auch fehlt es nicht an Ausnahmsfällen, welche zeigen, dafs die basiläre Stellung der Frucht von der blattstielständigen nicht wesentlich verschieden sein kann; sie sind namentlich nicht selten bei den australischen Arten aus der Gruppe der M. Drummondii, besonders bei M. elata. Ich fand bei dieser Art folgende vom normalen Verhalten abweichende Fälle: 1. Eine Frucht, wie gewöhnlich,‘ aber mehr oder weniger hoch über der Basis des Blattstiels entspringend; 2. zwei Früchte, die eine basilär, die andere am Blattstiel, zuweilen in einer Höhe von 1 bis 14 Zoll, entspringend; 3. zwei Früchte, beide über der Ba- sis in ungleicher oder fast gleicher Höhe entspringend; 4. Drei Früchte, sämmtlich über dem Grunde entspringend, die erste in etwa 4 Zoll Höhe, die beiden folgenden in fast 2 Zoll Höhe und

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mit den Stielen bts über die Hälfte verwachsen, nach Art von M. quadrifoliata.

Die Länge des Fruchtstiels ist sehr verschieden und schwankt zuweilen bei derselben Art beträchtlich. Den kürzesten Stiel, kür- zer als die Frucht selbst, zeigen M. strigosa (ungefähr 4 der Frucht), pubescens (4— 7), Nubica (4—4), exarata (4—1), hirsuta (L—4), villosa (2), brachypus und gracilenta (3). Die Länge des Stiels kommt der Frucht ungefähr gleich bei M. angustifolia (4—1), mucronata, brevipes und vestita (£—1), tenuifolia (L— 1), polycarpa und subangulata ($—1), Ernesti (4— 5), ancylopoda (3), Mexicana (1—3), cornuta (1—2), deflexa (1— 14), gymnocarpa (1—14), erosa et var. (1+— 14), bilodba (14—13). Ungefähr die doppelte Länge des Fruchtstiels bis zur dreifachen finden wir bei M. unci- nata und Berteroi (14—2), crenulata und mutica (11—2), Capen- sis (14, —2), brachycarpa, quadrifoliata, sericea (2), macrocarpa (14 24), difusa, Mülleri, Howittiana (2— 24), macra und subterranea (2 3), Aegyptiaca und quadrata (21—3), distorta (241— 3). Durch- schnittlich oder bei anderen Arten durchgehends mehr als die drei- fache Länge zeigt der Fruchtstiel bei M. rotundata (241—4), ma- cropus (3 —4), Coromandeliana und muscoides (24—5), trichopoda (3—6), gibba (5— 6). Die Arten aus der Gruppe der M. Drum- mondit, welche hierher gehören, sind in der Länge des Fruchtstiels sehr veränderlich. Bei M. Drummondü (orientalis) finden wir den- selben 2—5 mal, am häufigsten 21—34 mal so lang; bei M. sal- vatriv 3—8, am häufigsten 31—4; bei M. elata endlich 3— 12, am häufigsten 4—8, in einzelnen Fällen 20 —28 mal so lang als die Frucht.!)

Die Richtung des Fruchtstiels zeigt mancherlei charakteristische Verschiedenheiten. Am häufigsten, besonders bei grundständiger Stellung, ist ‘der Fruchtstiel aufrecht (M. Coromandeliana, Aegyp- tiaca, quadrata, macrocarpa, Capensis, Drummondü und die ver- wandten Arten); oder er ist aus etwas vorwärts oder seitwärts gekrümmter Basis aufsteigend (M. difusa, erosa, crenulata, brachy-

1) Die gewöhnliche Länge des Fruchtstiels beträgt bei 7. elata 30—60 Mm., selten nur 20 Mm., nicht selten dagegen bis 100 Mm. Die längsten ge- messenen Stiele zeigten 140, 170 und 190 Mm. und hatten fast die Länge der Blattstiele selbst.

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pus ete.); etwas vorwärts übergebogen M. gymnocarpa und Nubica); seitwärts, fast bis zum Horizontalen abstehend (7. pubescens); aus bogenartiger, zuerst nach unten gewendeter, zuweilen einen Schrau- benumgang bildender Basis aufgerichtet (M. gibba). KYntspringen die Fruchtstiele höher am Blattstiel, so stehen sie entweder schief von ihm ab, die Spitzen mit den Früchten etwas nach vorn ge- neigt (NM. quadrifoliata), oder sie stehen fast horizontal ab und krümmen sich seitwärts über die Vorderfläche des Stiels herüber (M. polycarpa, subangulata). Bei mehreren Arten, welche übrigens verschiedenen Gruppen angehören, legen sich die Fruchtstiele nie- der oder wenden sich selbst nach unten, so dafs die Früchte in die Erde versenkt werden. In geringerem Grade und mit weni- ger Beständigkeit zeigt sich diese Erscheinung bei M. mutica, de- ren Fruchtstiele bald schief aufsteigen, bald niedergelegt oder ab- steigend sind. Horizontal abstehend oder abwärts gerichtet, dabei gerade, sind sie bei M. Mexicana; obenso aber oft mit Verkrüm- mungen bei M. Berteroi und Ernesti; mit starken, unregelmäfsigen Krümmungen bei M. distorta; fast gerade und senkrecht abwärts gerichtet bei M. subterranea. Bei M. deflevxa endlich, bei welcher 2—3 Fruchtstiele über der Basis des Blattstiels entspringen, bie- gen sich dieselben wie bei M. polycarpa über den Blattstiel her- über, aus dem horizontalen mehr oder weniger nach unten strebend.

Die Sporenfrucht von Pilularia scheint eine wesentlich andere Stellung zu haben als die von Marsilia; sie steht nicht seitlich am Rande, sondern mitten vor dem stielartigen, spreitenlosen Blatte, anscheinend genau in der Achsel desselben, von kürzerem oder längerem, aufrechtem oder absteigendem Fruchtstiel getragen.

Die Sporenfrucht der Marsilia ist ein bilateral-symmetrisches Gebilde, an welchem eine unterschiedene Rücken- und Bauchseite, entsprechend der Rücken- und Bauchseite des Blattstiels, wahr zu nehmen ist, sowie 2 übereinstimmende Seitenwände, ein oberes Ende und eine Basis. Der Fruchtstiel tritt gewöhnlich schief an die Basis der Frucht heran, eine Strecke weit unterscheidbar daran hinlaufend, wodurch die sogenannte Raphe gebildet wird, ehe er an der Grenze der Rückenseite der Frucht mit einem vor- springenden Zahne endigt. Dem ersten Zahne folgt meist ein zwei- ter, welcher die Stelle bezeichnet, vor welcher das Bündel des Stiels sich abwärts biegt und unter einer eigenthümlichen Verdoppelung

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der Pallisadenschicht in das Gewebe der Innenseite der Frucht ein- tritt. Beide Zähne fehlen nur in dem Fall, in welchem der Frucht- stiel fast senkrecht an die Frucht herantritt und keine Raphe bildet (M. polycarpa, subangulata, deflexa, mutica); aber auch bei vorhande- ner Raphe können beide Zähne oder der eine von beiden unausgebil- det, gleichsam verwischt sein. Das erstere ist bei M. Iymnocarpa und Nubica, Arten mit sehr langer Raphe, der Fall; nur der un- tere Zahn ist deutlich bei M. Mexicana, Berteroi, angustifolia; nur der obere bei M. Capensis, Burchellü, quadrata, Aegyptiaca, gibba, subterranea, biloba; bei der letztgenannten ist der einzige vorhan- dene Zahn von bedeutender Länge. Beide Zähne sind zwar deut- lich, aber sehr schwach, bei M. macrocarpa, rotundata, pubescens, Ernesti; stärker und gleichmäfsig entwickelt bei M. quadrifoliata, difusa, brachycarpa, Coromandeliana und den Verwandten, sowie bei allen Arten der Gruppe von M. Drummondii; der untere Zahn ist stärker bei M. distorta, der obere dagegen stärker, stachel- oder hackenartig verlängert, bei M. villosa, uncinata, mucronata, vestita, tenuifolia; ebenso, aber der Unterschied weniger auffallend, bei M. brachypus, gracilenta, cornuta, crenulata, erosa.

Was die Richtung der Frucht im Verhältnifs zum Stiel be- trifft, so zeigt dieselbe alle Abstufungen von der gerade ausge- streckten (bei aufrechtem Stiel auch zum Horizont aufrechten) bis zur abwärts geneigten oder zurückgeschlagenen d. h. dem Stiel in spitzem Winkel zugebrochenen Lage. Zwischen den Extremen liegt die unter stumpfem Winkel geneigte, schief gestellte, und die recht- winklige, horizontale Richtung. Die gerade ausgestreckte Richtung kommt insbesondere den Arten zu, deren Früchte keine Raphe be- sitzen; doch ist bei den wenigen Arten, welchen diese Eigenthüm- lichkeit zukommt, die Frucht in der Regel nicht aufrecht, sondern wegen der Krümmung des Stiels seitlich oder abwärts niekend. So bei M. polycarpa, subangulata, defleva. Bei der in der äufseren Beschaffenheit der Frucht sich anschliefsenden M. mutica ist die Richtung derselben zum Stiel, abgesehen von der gleichfalls ver- änderlichen Richtung des Stiels selbst (S. 696), schr unbeständig, bald aufrecht ansitzend, bald (durch Biegung der Spitze des Stiels) horizontal oder nickend. Seltener kommt die aufrechte Lage der Frucht bei solchen Arten vor, die eine Raphe besitzen; sie wird dadurch hergestellt, dafs die (sehr kurze) Raphe einen fast rechten Winkel mit dem Fruchtstiel bildet, wobei zugleich der untere Zahn,

Br

698 Gesammtsitzung

in welchen sie ausläuft, stark nach unten gewendet wird, wie dies bei M. Coromandeliana und elata der Fall ist. Bald’ gerade aus- gestreckt, bald schief zum Stiel gestellt, erscheinen die Früchte von M. Ernesti. Eine schiefe, mehr oder weniger geneigte, zuwei- len (d. i. an einzelnen Früchten) fast horizontale Richtung zeigen M. subterranea (bei abwärts gerichtetem Stiel), M. trichopoda, Ca- pensis, macrocarpa, gibba, exarata, angustifolia, Mülleri, macra, sal- valrix, Drummondiü, Burchellü, biloba, rotundata, von denen nament- lich die drei letztgenannten an der Grenze derer mit völlig horizon- taler Richtung der Frucht stehen. Diese findet sich bei M. qua- drifoliata, difusa und den verwandten Arten, gracilenta, uncinata und den verwandten, Aegyptiaca, quadrata, muscoides. Bald horizontal, bald darüber hinaus abwärts geneigt sind die Früchte von M. bra- chypus, villosa, hirsuta, Berteroi; entschieden und constant ab- wärts geneigt und zwar in Verbindung mit sehr langer Raphe bei Me pubescens und gymnocarpa, mit sehr kurzer Raphe bei M. distorta. Diein der Länge der Raphe mit M. gymnocarpa überein- stimmende M. Nubica schwankt zwischen der horizontalen und ab- wärts geneigten Richtung der Frucht.

Die Gestaltverschiedenheiten, in welchen die Sporenfrucht der Marsilien auftritt, bewegen sich in ziemlich engen Grenzen, und die für die Arten characteristischen Verschiedenheiten sind in den meisten Fällen durch Beschreibung schwer zu klarer Anschauung zu bringen. Nur einige Hauptpunkte will ich hervorheben. Bei einer einzigen Art (M. polycarpa) ist die Frucht, wie bei den Pi- lularien, fast kugelförmig, so dafs die verschiedenen Seiten gleich- mäfsig in einander übergehen. Bei der grofsen Mehrzahl der Ar- ten ist die Frucht stärker oder schwächer von der Seite zusam- mengedrückt, so dafs Rücken- und Bauchscite als meist abgerun- dete Kanten deutlich hervortreten. Die Rückenkante ist bei den meisten Arten geradlinig und biegt sich erst gegen die Spitze hin abwärts, um sich mit der in ihrer ganzen Längserstreckung‘ nach aufsen gewölbten Bauchkante zu vereinigen, wodurch die Frucht, wenn sie etwas in die Länge gezogen ist, eine schief oder halb- eiförmige Gestalt erhält (M. difusa und die verwandten Arten, M,. Drummondü, Capensis etc.); seltener ist die Rückenkante sattelartig eingebogen (M. Aegyptiaca, exarata, in geringerem Grade mitunter auch bei M. hirsuta und macra); oder sie ist fast ebenso stark nach aufsen gebogen wie die Bauchkante, wodurch die Form

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der Frucht breit elliptisch wird (M. mucronata nebst Verwandten, annäherungsweise M. Ernesti und salwatrir). Kommen sich Rücken- und Bauchkante mit einer plötzlicheren Biegung entgegen, so dafs die Spitze der Frucht abgestutzt erscheint, so kann man eine beide verbindende Stirnkante unterscheiden (M. Aegyptiaca, quadrata). Der Grad der Zusammendrückung der Frucht ist schr verschieden, daher die Seitenflächen bald stark bauchig, bald flacher gewölbt. Am stärksten ist die Wölbung bei M. mutica, welche sich hierin nahe an M. polycarpa anschliefst; zu den besonders dickfruchtigen Arten gehören ferner M. Ernesti, distorta, biloba; zu den Arten mit mäfsig zusammengedrückter Frucht M. quadrifoliata, difusa, Drummondii ete.; mit stark zusammengedrückter M. hirsuta, villosa, quadrata. Zuweilen ist die eine Seitenfläche (bei der seitlichen Niederlegung der Frucht die obere) stärker gewölbt als die andere. So in ausgezeichneter Weise bei M. pubescens, weniger beständig bei M. brachypus und villosa. Beschränkt sich die Wölbung der Sei- tenwände auf die mittlere Region, so dafs zwischen ihr und dem Rande eine schwache Depression eintritt, so erscheint die Frucht berandet (M. erosa, brachycarpa, gibba, Coromandeliana, subterranea). Bei einer einzigen Art (M. Aegyptiaca) kommt eine querlaufende (vom Rücken nach der Bauchkante hin sich erstreckende) Ein- drückung inmitten der Seitenwand vor, so dafs ein horizontaler Längsschnitt der Frucht geigenförmig erscheint. Bei M. subangu- lata und deflexa ist die Seitenwand von einer der Rückenkante näher als der Bauchkante liegenden stumpfen Längskante durch- zogen. Da bei diesen beiden Arten die Bauchseite abgeflacht und die Bauchfläche gleichfalls jederseits von einer Kante begrenzt ist, erscheint die Frucht derselben fünfkantig (im Querschnitt ungleich- seitig fünfeckig). Eine abgeflachte Bauch- und Rückenkante zeigt M. gymnocarpa; eine breit abgeflachte und in der Mitte in senk- rechter Richtung thalartig eingedrückte Stirnkante zeichnet M, Aegyptiaca aus. Ähnlich verhält sich nur noch M. quadrata, doch ist die Fläche der Stirnkante viel schmäler und sehr schwach aus- gefurcht. Eine der Länge nach rinnenartig ausgefurchte Bauch- kante zeigt M. exarata; in schwächerem Grade M. angustifolia, macra und elata.

Was die Gröfse der Frucht betrifft, so ist zu bemerken, dafs sie bei manchen Arten ziemlich constant, bei anderen, besonders den 'grofsfruchtigen, bedeutenden Schwankungen unterworfen ist;

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sie hat daher bei der Unterscheidung der Arten einen untergeord- Werth. Ich begnüge mich die Extreme und einige wenige Mittel- glieder anzuführen. Die kleinfruchtigsten Arten sind M. Burchellü mit 14— 13 Mm. Länge der Frucht und gleicher Breite; M. mus- coides mit 1%—2 Mm. Länge und fast gleicher Breite; M. brachy- carpa mit 2 Mm. Länge und gleiche Breite; M. polycarpa L. 2— 24, B. 2—24; M. Aegyptiaca L. 2— 24, B. ebenso; M. trichopoda L. 2—3, B. 2; M. crenulata L. 24—3, B. 2; M. biloba und sub- angulata L. 3, B. 24; M. quadrata L. 3, B. ebenso. Mittelgrofse Früchte besitzen z. B. M. pubescens mit L. 4—54, B. 33—43, M. macra L. 44—5 (an cultivirten Ex. zuweilen bis 6), B. 34 —4; M. quadrifoliata L. 5—6, B. 343—4. Als grofsfrüchtig können be- reits gelten M. macrocarpa L. 54—63, B. 34 —4; M. Ernesti L. 64—74, B. 44—54; M. macropus L. 7.—831 B.r5l Dieslbedeur- tenste Gröfse der Früchte erreichen einige australische Arten, na- mentlich im eultivirten Zustande, so namentlich M. Drummondiü (orientalis) L. 6—9, B. 4—5; M. salwatrix L. 7—10, B. 5—6. Die längsten Früchte sah ich bei M. elata, welche zugleich in Be- ziehung auf die Grölse der Frucht die veränderlichste aller Arten ist. Unter den von Kinlay gesammelten Früchten finden sich solche von 4 bis zu 9 Mm. Länge und 4—5 Mm. Breite, an der cultivirten Pflanze zeigen sie 7”—10 L. und 5—6 B., ich fand aber auch einige, welche bis 12 Mm. lang waren.

Mit der Gröfse und besonders mit der Länge der Frucht hängt die Zahl der streifenartig verlängerten Häufchen der Sporenbehäl- ter (Sori) zusammen, welche sich, quer über die Seitenwände ver- laufend, an der inneren Wand der Frucht befinden. Zuweilen kann man ihre Zahl schon an den äufserlich sichtbaren, schwach erha- benen Querrippen der Seitenwände errathen, wie z. B. bei M. erosa, Coromandeliana, elata, während bei anderen Arten äulserlich keine ‚Spur solcher Rippen oder Schwielen wahrnehmbar ist. Die Arten mit kleineren Früchten haben im Allgemeinen auch eine geringere Zahl der Sori, doch stimmen beide Verhältnisse ‚nicht genau zu- sammen, wie die Beispiele zeigen werden. Jederseits 2—3, also im Ganzen 4, 5 oder 6 Sori besitzen M. muscoides, Aegyptiaca; jederseits 3 fand ich bei M. brachycarpa und polycarpa; 3— 4 bei M. Burchelli, trichopoda, biloba, Nubica, quadrata, pubescens; 4—9 bei M. subangulata, gibba, Coromandeliana (auch bis 6), crenulata (ebenso); 5—6 M. Capensis, hirsula, erosa, difusa, mutica; 6— 7

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M. brachypus, macra, deflexa, distorta;, 7—8 M. macrocarpa. Mit der Gröfse der Zahl wird auch die Veränderlichkejt gröfser; ich fand 7—9 bei M. quadrifoliata, Ernesti, vestita; 6—10 bei M. Drummondiü (orientalis); 8S—12 bei M. salvatrie; 7 —12 bei M. elata; 9—12 bei M. uneinata.

Die Zahl der Macrosporen, welche in einer Frucht enthalten sind, hängt theils von der Zahl der Sori ab, theils von der Zahl der Macrosporangien eines Sorus, welche letztere zuweilen bis auf 1—2 herabsinkt (M. hirsuta). Es stehen mir nur wenige Zählungun zn Gebot. Ich zählte in einer Frucht von M. muscoides 12, von M. bra- chycarpa 13, bei M. hirsuta (in 11 Häufchen) 13, bei M. polycarpa (in 6 Häufchen) 12—14, M. deflexa 40, M. mutica 55 —60, M. Coromandeliana 56— 60, M. pubescens 60— 90, M. elata 61— 76, M. Drummondü 70 —146, M. Ernesti 280.

Bei Pilularia beträgt die Zahl der Sori 2 (2. minuta), 3 (P. Americana) oder A (P. globulifera, Mendoni, Novae Hollandiae); die Zahl der Macrosporen 2 (P. minuta), 39 (P. Americana, nach einer einzigen Zählung), zwischen 50 und 100 (P. globulifera), über 100 bei P. Novae Hollandiae.

Wichtiger als die Zahl der Sori ist die Beschaffenheit des Ner- vengerüstes, von welchem dieselben getragen werden. Nicht nur sind die beiden Gattungen Pilularia und Marsilia in der Verthei- lung der Nerven der Frucht bedeutend verschieden, auch die Mar- silien selbst zeigen unter sich Verschiedenheiten, welche für die Bildung zweier Sektionen Anhalt geben, die nach den von Presl und Fee bei den Farnen beobachteten Grundsätzen auf den Werth von Gattungen Anspruch machen könnten. Bei Marsilia tritt ein einziges, wie im Stiel des Blattes 2 Gefälsstränge umschliefsendes Bündel aus dem Stiel in den Rücken der Frucht ein, wo es in der weicheren Parenchymschicht innerhalb der harten Schaale dem Rücken entlang sich hinzieht und beiderseits einfach gabelig') sich theilende, an den Seitenwänden der Frucht herabsteigende Zweige abgiebt, um sich endlich im letzten Drittheil oder Viertheil

E der Frucht in 2 Schenkel zu theilen, welche nach Abgabe einiger

weiterer Zweige auf ihrer Aufsenseite zuletzt selbst zunächst der Spitze Seitenzweigen ähnlich an der Wand der Frucht herablau-

!) Nur der erste Seitenzweig ist mitunter zweimal gegabelt.

48*

702 Gesammtsitzung

fen. Die Zweige erreichen die Bauchkante, jedoch ohne sich mit denen der entgegengesetzten Seite zu verbinden. Bei der Mehrzahl der Arten bilden die Seitennerven in ihrem Verlauf keine Ana- stomosen; erst dieht an der Bauchkante verbinden sich gewöhn- lich die Schenkel der angrenzenden Gabeltheile, wie die beifolgen- den Figuren 1, 2 und 3 zeigen, welche die Seitenwand der Frucht

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von M. Burchellii (1), Aegyptiaca (2) und quadrifoliata (3) von der Innenseite darstellen. Die Zahl der Nerven, welche an der Seitenwand herablaufen, ist, wie die Figuren zeigen, nach den Arten verschieden, aber auch, ebenso wie die Zahl der Sori, inner- halb gewisser Grenzen veränderlich. Sie ist stets grölser als die der Sori, da die äufsersten Nerven, sowohl am hinteren als vorderen Ende, keine Sori tragen. Die Lage der Sori, welche auf nach innen vorragenden, ausschlielslich aus langgestreckten Paren- chymzellen gebildeten, zwischen den Schenkeln der gabeltheiligen Nerven entspringenden Placentarsträngen sitzen, ist bei Fig. 4 an- gedeutet,

vom 11. August 1870. 705

Fig. 4 zeigt die Nervatur der ganzen Frucht von M. difusa im ausgebreiteten Zustande, die im Wesentlichen mit der der vori- gen Arten übereinstimmt.

Ein anderes Verhalten zeigt dagegen die Nervatur der in F ig. 5, 6 u. 7 dargestellten Früchte von M. polycarpa, subangulata und defleva, denen sich aufserdem noch M. subterranea anschliefst.

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704 Gesammtsitzung

Die Gabeltheile je zweier benachbarter Seitennerven verbinden sich hier sofort nach ihrem Ursprung, so dafs eine der Rücken- linie parallele Kette von Anastomosen etwas über der Mitte der Seitenwand gebildet wird. Von jedem der so gebildeten Verbin- dungsbögen entspringt ein einziger Nerv, der sich geradlinig nach dem Bauchrande hin fortsetzt, daselbst einfach verlöschend (Fig. 5), oder mit den benachbarten sich verbindend und eine zweite Kette von Anastomosen bildend (Fig. 6. 7). Es werden auf diese Weise zwei Reihen mit einander abwechselnder Maschen gebildet, von denen die der unteren Reihe die Sori aufnehmen, deren Lage in Fig. 5 und 6 angedeutet ist. Die 3 zuerst genannten Arten, denen eine solche Nervatur der Frucht zukommt, erweisen sich auch durch ihre sonstigen Eigenthümlichkeiten, die starke Auskielung des Blattstiels, die hohe Insertion der Früchte, welche weder Raphe noch Zähne besitzen, als Glieder einer besonderen, scharf- abgegrenzten Gruppe; selbst die auf das wärmere Amerika be- schränkte geographische Verbreitung!) deutet auf die nahe Stam- mesverwandtschaft derselben hin. Nur eine Art scheint störend in die scharfe Sonderung der beiden durch die Nervatur bezeichneten Sectionen einzugreifen, nämlich die vierte der oben genannten, die senegambische M. subterranea, welche denen von M. polycarpa ähn- liche Anastomosen zu besitzen scheint, während sie in ihren übrigen Merkmalen sich an die Arten mit getrennten Nerven der Frucht anschlielst.

Die Nervatur der Frucht von Pilularia weicht von der der Marsilienfrucht dadurch wesentlich ab, dafs das in die Frucht ein- tretende Bündel sich sofort in zwei Theile spaltet. Die weiteren Theilungen der Nerven, sowie die Lage der Sori sind aus den beifolgenden Figuren ersichtlich, von denen 1 und 3 nach Aufnah- men von P. minuta und globulifera entworfen sind, während Fig. 3 auf dem Versuche beruht, eine zwischen beiden anderen liegende Mittelstufe zu construiren, wie sie durch die Zahl der Sori und Klappen der Frucht für P. Americana gefordert ist. Die Figuren sind so gestellt, dafs sie die Oberseite der Axe, die Unterseite dem Blatt zuwenden. Der selbst wieder aus punktförmigen Häuf- chen zusammengesetzte linienförmige Sorus liegt hier nicht wie bei

1) Einen seltsamen Absprung in der Verbreitung von M. polycarpa aus- "

genommen (S. 656, 659).

vom 11. August 1870. 705

Marsilia in einer Gabeltheilung, sondern über einem ungetheilten Nerven.

Die Nervatur der Marsilienfrucht hat ungeachtet aller Ver- schiedenheit eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der des Marsilien- blatts, zumal wenn man sich den abnormen Fall der Verlängerung desselben bei der Bildung dreier Fiederpaare (S. 685) vergegen- wärtigt. Die Frage nach der morphologischen Bedeutung der Sporenfrucht der Marsiliaceen, zunächst der Gattung Marsilia selbt, hat daher hier ihren natürlichen Anknüpfungspunkt. Der gleich- sam zusammengeklappte Verlauf der Nerven derselben, das Anein- anderliegen der beiden Seitenwände mit ihren von Indusien um- hüllten, auf Samenleisten-ähnlichen Vorragungen stehenden Sporan- gienhäufchen erinnert an die Aneinanderlegung der Blättchen der Laubspreite im Jugendzustand und erweckt den Gedanken, die Marsiliafrucht als ein der Länge nach zusammengefaltetes, mit den Rändern verwachsenes, auf der eingeschlossenen Oberfläche die Sporangien tragendes Blattgebilde, einem geschlossenen Fruchtblatt (z. B. einer Hülse) vergleichbar, zu betrachten.') Allein die Ent-

!) Nach Endlicher (Genera pl. p. 68) soll die Frucht von Marsilia aus 2, die von Pilularia aus 4 Fruchtblättern bestehen. Im Character der Fa- milie sagt er: „Sporocarpia ... nunc.e carpidiis duobus (in foliatis) nune

706 Gesammtsitzung

wicklungsgeschichte verbietet eine solche Auffassung. Nach den Untersuchungen von Mettenius') ist die Frucht der Marsilien bei ihrer Entstehung weder geöffnet noch hohl im Innern, sondern tritt am jugendlichen Blattstiel als ein dichtes, aus einer paren- chymatischen Mafse bestehendes Höckerchen hervor, in welches ein Zweig des Blattstielbündels eintritt, und in dessen Innerem alle später auftretenden Gebilde sich entwickeln. Nichts desto weniger werden wir, bei der Verwandschaft der Marsiliaceen mit den Far- nen, den Gedanken nicht so leicht aufgeben, die Sporenfrucht der- selben für ein Blattgebilde, und zwar nach ihrer bei Marsilia un- zweifelhaften Stellung am Rande des Blattstiels, für ein Fieder- blättchen zu halten, während bei Pilularia vielleicht eine Theilung des Blattes in einen vorderen und hinteren Theil, nach der Art von Ophioglossum vulgatum?) und Botrychium, anzunehmen sein dürfte. Die Sporenfrucht von Marsilia hat, wie ich gezeigt habe, selbst in dem Falle, wo man es äulserlich kaum wahrnimmt (M. polycarpa), eine entschiedene Rücken- und Bauchseite, und nach der Nervatur möchte ich dasselbe von Pilularia glauben. Ist nun die Bauchnaht nicht die Verbindung der zusammengelegten Ränder eines ursprünglich offenen Blattgebildes, also keine Naht im eigent- lichen Sinne, so kann sie doch betrachtet werden als die Verbin- dung der Ränder eines von der ersten Bildung her geschlossenen Blattheiles, d. h. eines solchen, dessen Unterfläche sich in dem Mafse entwickelt, dafs die Oberfläche gänzlich verschwindet und potentialiter ins Innere aufgenommen wird, wie wir es an zahlrei- chen auf der Oberseite mit einer Kante versehenen (oder auch stiel- runden) Blattstielen phanerogamischer Pflanzen verfolgen können, namentlich in solchen Fällen (Umbelliferen, Aroideen), wo der Stiel aus einer Scheide hervorgeht, deren Ränder in die Bauchkante desselben zusammenlaufen, und eine Spreite trägt, deren Ränder aus derselben Bauchkante wieder hervortreten. Dals die Oberfläche

(in aphyllis) e carpidiis quatuor conflata, marginibus introflexis dissepimenta constituentibus bi-vel quadrilocularia.*

1) Beiträge zur Kenntnils der Rhizocarpeen (1846) S. 23, Taf. II. Fig. 61—66.

2) Ich nenne mit Absicht eine bestimmte Art, da in derselben Gattung auch der andere Fall, Bildung der sogenannten Ähren aus Randlappen des Blattes, vorkommt (Ophioglossum palmatum).

vom 11. August 1870. 707

des Blattes bei solchen Stielen eigentlich im Innern verborgen ist, zeigt sich an der Art, wie schildförmige Blattspreiten aus densel- ben hervortreten. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet dürfte auch die Bildung der Sporangien im Innern des Gewebes, für die es unter den blattbildenden Pflanzen kein Analogon') giebt, weni- ger aulserordentlich erscheinen. Die einseitige Stellnng der Fructi- ficationsfiedern (Sporocarpien) am Blattstiel von Marsilia dürfte keinen Anstols erregen, da ungleichseitige Ausbildung bei zweizei- ligen Blättern horizontalwachsender Stengel?) eine gewöhnliche Er- scheinung ist, aber räthselhaft ist der Umstand, dafs an den steri- len Blättern keine Spur von entsprechenden Gebilden gefun- den wird. Auffallend ist ferner die Angabe von Mettenius, dafs die Sporenfrüchte bei ihrem ersten Auftreten die Epider- mis des Blattstiels durchbrechen. Eine wiederholte Verfolgung der Entwicklungsgeschichte derselben wird hoffentlich über die- sen und andere dunkle Punkte in der Folge mehr Licht ver- breiten. Auf Mifsbildungen, welche Aufschlufs über die Natur des Sporocarpiums geben könnten, habe ich fortwährend geachtet, aber das bisher Gefundene ist von geringem Belang und beschränkt sich auf drei bei M. Drummondü vorgekommene Fälle, nämlich 1) eine im obersten Dritttheil getheilte, in zwei nebeneinanderliegende Spitzen auslaufende Frucht; 2) eine bis zum Grunde getheilte, so dals zwei divergirende Früchte auf der Spitze desselben Stiels standen; 3) einen Fruchtstiel, welcher an der Stelle der Frucht eine schmal-lanzetförmige, flache, von einem einfachen Nerven durchzogene Spreite trug.

!) Selbst bei der den Marsiliaceen nächstverwandten Gattung Salvinia bilden sich die Sporangien ursprünglich nicht im Innern, indem das Sporo- carpium nach der Darstellung von Griffith, der auch Mettenius sich anschliefst (Beiträge etc. p. 55) sich nach Art eines Ovulums entwickelt, aus dessen Kern die Sporangien hervorsprossen, ehe das Integument sich völlig geschlossen hat.

?) Wobei bald die obere Seite bevorzugt ist (Ficus stipulacea, Hama- melis), bald die untere (Ulmus, Celtis, Monstera, Dicoryphe, Vicia dumetorum, bei den letztgenannten die untere Stipula _gröfser).. Am merkwürdigsten in dieser Beziehung sind die einseitig gefiederten Blätter von Hosackia subpin- nata und Anthyllis tetraphylia, welche an der nach oben gewendeten Seite 2—3 gröfsere, an der nach unten gewendeten nur ein kleineres Fiederblätt- chen haben.

708 Gesammtsitzung

Ohne auf den anatomischen Bau der Sporocarpien weiter ein- zugehen, hebe ich einige Eigenthümlichkeiten der Haut, welche die harte Schale der Frucht überzieht, hervor, weil sie sich bei der Charakterisirung der Arten verwerthen lassen. Nach Entfernung der Haare zeigt die Oberfläche der Furcht ein mehr oder minder rauhes und punktirtes Ansehen. Viele Arten lassen schon mit der Luppe unter den kleineren, kaum unterscheidbaren Punkten grös- sere umwallte Punkte, gleichsam kleine Krater, unterscheiden, die sich besonders leicht erkennen lassen, wenn die Haut der Frucht eine hellere, braungelbe oder graubraune Farbe hat, in welchem Falle sich die erwähnten Punkte durch dunkler braune, zuweilen purpurrothe oder fast schwarze Farbe hervorheben. Weniger auffallend sind sie bei Aunkelbrauner Färbung der Frucht und bei manchen Arten sind sie mit der Luppe überhaupt nicht unterscheidbar. Diese Punkte zeigen die Stelle der Luftspalten an, welche der Luft vermittelst eines die doppelte Schicht des dichten Pallisadengewebes der har- ten Schale durchziehenden Kanales Zutritt in das innere Gewebe der Frucht gestatten. Sie fehlen bei keiner Art, wenn sie auch nicht bei allen Arten gleich häufig sind. Selbst die Arten mit un- terirdischen Früchten, sowohl der Gattung Marsilia, als der Gat- tung Pilularia, besitzen diese Vorrichtung.

Die mikroskopische Untersuchung der Haut zeigt eine einfache Lage polygonaler Hautzellen, kleiner als die der Blätter und ohne Buchtung, bei völlig reifen Früchten ohne bemerkbaren Inhalt, farb- los oder gelblich gefärbt, mit einer Cuticula überzogen, die bei reifen Früchten oft braun wird. Nur an der Basis der Frucht, über der Raphe und in der Gegend des oberen Zahns, wird die Haut mehrschichtig. Dieser obere Zahn selbst ist grolsentheils durch eine wuchernde Erhebung des Hautzellengewebes gebildet. Zwischen den Hautzellen zerstreut sieht man dreierlei verschiedene Bildungen, bei verschiedenen Arten in verschiedenem Verhältnifs gemischt:

1. Kleinere, von oben gesehen kreisrunde Zellen von gold- brauner oder rothbrauner Farbe. Im Längsschnitt sieht man, dafs sie nach unten zu breiter sind und oft mit gewölbter Basis nach unten vorragen, während sie nach oben meist nur die halbe Höhe der Hautzellen erreichen. Es sind dies die Träger oder Ansatzzel- len der Haare.

2. Meist gelblich gefärbte, längliche Zellpaare, welche sich in keiner Weise von den Schliefszellenpaaren gewöhnlicher Luftspal-

vom 11. August 1870. 709

ten unterscheiden, aber keine oder nur eine sehr kleine, linsen- förmige Lufthöhle unter sich haben. Ich will sie als kleine oder blinde Luftspalten (Microstomata) bezeichnen. Sie lassen sich besonders deutlich von der Unterseite der abgezogenen Haut er- kennen, da sie von den angrenzenden Hantzellen theilweise über- wölbt sind. Sie sind stets in weit gröfserer Zahl vorhanden als die folgenden grofsen Stomata, oft auch in gröfserer Zahl als die Ansatzzellen der Haare.

3. Die grofsen Luftspalten oder Ringspalten (Macrostom ata), die, wie oben erwähnt wurde, schon mit unbewaffnetem Auge oder mit der Luppe sichtbar sind, liegen noch tiefer als die kleinen und sind von einem den länglichen Vorhof bildenden Kreise zahlrei- cherer (8—10, während es bei den vorigen meist nur 4 sind) stark gewölbter und gefärbter (gelb- oder rothbrauner) Hautzellen oder selbst von mehreren Kreisen solcher Zellen umgeben.

Besonders deutlich und schon bei geringer Vergröfserung sicht- bar sind die Ringspalten bei M. uncinata, mucronata und vestita (pur- purroth auf hellbrauner Wand), M. macrocarpa (sehr zahlreich und dicht aneinandergedrängt), villosa, angustifolia (purpurschwarz auf hellbraunem Grund), exarata, hirsuta, gibba, Coromandeliana, Drum- mondiü (gegen die Basis der Frucht dichter gedrängt), biloba, Aegyp- tiaca; wegen dunkelbrauner Färbung der Frucht minder auffallend, doch mit Bestimmtheit unterscheidbar, sind sie bei M. brachypus (schwarz auf braunem Grund), quadrifoliata, diffusa, pubescens, Burchellü; sehr schwer zu erkennen bei M. crenulata, rotundata; mit der Luppe nicht zu erkennen bei M. polycarpa, subangulata, 'mutica, Mexicana, Ernesti.

Nur 2 Arten sind bekannt, deren Fruchthaut ein auffallend abweichendes Verhalten zeigt, nämlich M. gymnocarpa und Nubica. Bei beiden erscheint die Oberfläche der reifen Frucht glatt und glänzend schwarz, bei M. Nubica deutlich, bei M. Jymnocarpa un- deutlich mit sehr kleinen Pünktchen übersäet. Die für das blofse Auge schwarze Färbung hat ihren Sitz in der Haut und die ge- färbte Schicht löst sich als eine zusammenhängende, etwas spröde Schale von der Frucht ab, so dafs man sie leicht im Ganzen oder in einigen grolsen Stücken abheben und dadurch die innere, dickere und härtere, matt hellbraune Schale entblöfsen kann. Die mikro- skopische Untersuchung zeigt, dafs die sich ablösende äufsere

- Schale nicht die ganze Haut darstellt, sondern nur von den stark

710 Gesammtsitzung

verdickten nach aufsen gekehrten Deckwänden und dem angren- . zenden, bis über die halbe Tiefe der Hautzellen herablaufenden Theil der Seitenwände gebildet ist. Unter dem Mikroskop erschei- nen diese die schwarze Schale bildenden verdickten Wände dunkel- goldbraun bis purpurbraun, während die unteren Wände der Haut- zellen, welche mit dem kleineren unteren Theil der Seitenwände an der Oberfläche der Pallisadenschicht (der inneren Schale) hän- gen bleiben, dünn und bleich sind. Ein senkrecht durch die schwarze Schale geführter Schnitt bietet ein Bild, welches sich mit dem Längsschnitt durch die Zähne des äufseren Peristoms vieler Moose!) vergleichen läfst. Von der Fläche gesehen zeigen die festverbundenen Wände die Zellgrenzen und Verdickungsschich- ten sehr deutlieh. Zwischen den dunklen Feldern (Deekwänden der Hautzellen) sieht man zahlreiche zerstreute helle Spalten, wie kleine Fensterchen, kürzer als die Länge einer Zelle, bei M. Nubica etwa 4 so breit als lang, bei M. gymnocarp@ so schmal, dals das Licht nur hier und da ein wenig durchdringt. Aufser den kürze- ren Spalten kommen in geringerer Zahl längere, von zahlreicheren (6— 8) Zellen begrenzte vor. Diese Spalten sind die Eingänge zu den kleineren und gröfseren Luftspalten, deren Schliefszellen zu sehen mir an der reifen Frucht nicht gelungen ist.

An das sonderbare Verhalten der beiden genannten zeigen manche andere Arten dadurch eine gewisse Annäherung, dafs die reifen Früchte eine Haut besitzen, die sich abreiben läfst. Dies ist namentlich bei den australischen Arten der Fall, welche die Nardu-Früchte liefern, die, von den Eingeborenen gesammelt, nicht blofs ihrer Haare beraubt, sondern zum Theil auch durch Abrei- bung der Haut geglättet zu uns kommen, welches wahrscheinlich Folge absichtlicher Reibung und Schüttelung ist. Bei den wild gesammelten Früchten”) der östlichen Unterart von M. Drummon- dii ist es namentlich der obere Zahn der Frucht, dessen aus Haut- sewebe gebildeter Theil sich leicht abschält, wodurch ein niedriger elänzend schwarzer Höcker entblöfst wird. Auch Pil. globulifera zeigt an alten Früchten nach dem Aufspringen eine deutliche Ab- schälung der Haut in Form zarter papierartiger Fetzen.

1) Vergl. Lantzius-Beninga in Nov. act. nat. cur. XXII. II. Taf. 59. 60. 62. 63. 2) Die cultivirten erreichen dazu nicht die erforderliche Reife.

vom 11. August 1870. a

Endlich ist noch auf die Unterschiede aufmerksam zu machen, welche sich in der Beschaffenheit der Haare der Frucht zeigen. Im Wesentlichen stimmt der Bau derselben mit dem der Blatthaare überein, doch sind sie im Allgemeinen straffer und stärker gefärbt, dabei oft kürzer, in anderen Fällen aber auch länger und feiner auslaufend als diejenigen der Blätter (M. Ernesti). Bei einigen Arten sind sie sehr spärlich vorhanden und hinfällig (M. gymno- carpa, Nubica, auch M. Coromandeliana), bei anderen reichlicher, aber doch zur Zeit der Reife sich mehr oder weniger verlierend (M. quadrifoliata, diffusa, erenulata, erosa), oder endlich auch die reife Frucht mit einer dichten Decke bekleidend (M. brachypus, villosa, hirsuta, Drummondii nebst allen Verwandten). Sie sind bald kürzer und dann gewöhnlich dicht anliegend (M.-Coromandeliana, brachypus, uncinata, strigosa, Capensis, diffusa ete.), oder länger und mehr oder weniger abstehend (M. vestita, villosa, biloba, brachypus, hirsutissima, distorta, Ernesti, subangulata); meist gerade gestreckt, selten schlaff, wellig und kraus oder selbst zusammengeknittert (M. deflexa, mutica). Die Zahl der Zellen wechselt wie bei den Haaren der Blätter; am häufigsten finden sich 3—5 (M. diffusa, crenulata, erosa, Aegyptiaca, Drummondii), selten weniger z. B. 2—3 bei M. brachycarpa; oft dagegen mehr z.B. 5—8 bei M. quadri- Joliata, Coromandeliana, deflexa. Die entwickeltsten Haare fand ich bei M. macropus mit 5—10 Zellen. Bei den meisten Arten sind die Haare an allen Zellen mit kleinen, entferntstehenden, seltener dicht zusammengedrängten Wärzchen besetzt, so z. B. bei M. diffuse, crenulata, erosa, strigosa, macrocarpa, Capensis, Burchellü, macropus, villosa, Ernesti, Nubica. Besonders stark entwickelt sind diese Wärzchen bei M. uncinata, mucronata, vestita, tenuifolia, Aegyptiaca, biloba, brachypus, brachycarpa und gibba, dagegen sehr klein und wenig bemerkbar bei M. pubescens, Coromandeliana, muscoides, sub- angulata, polycarpa. Bei einer Reihe nahverwandter australischer Arten beginnt die Warzenbildung erst mit der zweiten oder dritten Zelle des Haars, während die erste glatt und oft längsstreifig er- scheint. So bei M. Drummondi orientalis, salwatrix, elata, hirsutis- sima, macra, Mülleri, so wie auch bei M. hirsuta.. Kaum bemerk- bar sind die Wärzchen an den oberen Zellen von M. Drummondiü occidentalis. Völlig glatte Haare habe ich nur bei wenigen Arten gefunden, unter welchen hauptsächlich solche mit unterirdischen Früchten bemerkenswerth sind, nämlich bei M. Mexicana, mutica,

712 Gesammtsitzung

distorla, subterranea, defleva, aber auch bei M. quadrifoliata und angustifolia.

Sehr sonderbar ist die Bildung der Fruchthaare bei Pilularia globulifera. Die erste flache Zelle derselben sitzt horizontal auf einer trichterförmigen Stielzelle wie bei Marsilia, aber die folgen- den Zellen haben eine ähnliche schildförmige Befestigung und liegen wie schief übereinandergeschobene längliche Blätter aufeinander, jede folgende die vorausgehende überragend. Die letzte geht in eine langgezogene Spitze aus. "Sie sind fast ungefärbt und glatt. Met- tenius') hat eine Entwicklungsgeschichte dieser Haare gegeben, welche einige Zweifel läfst und eine wiederholte Beobachtung wün- schenswerth macht. P. Novae Hollandiae verhält sich ungefähr ebenso wie P. globulifera, desgleichen P. Americana, aber die End- spitze des Haares der letztgenannten ist durch gewöhnliche Querwände noch in mehrere Zellen getheilt. Bei P. minuta sind die Haare weit schmäler als bei den anderen Arten, sehr dünnwandig und im trockenen Zustande vielfach gefaltet und zerknittert. So weit ich sehen konnte, sind die 3—5 Zellen, aus welchen sie bestehen, an

den Verbindungsstellen nur sehr wenig, die äufsersten gar nicht

übereinander geschoben.

Ich habe es unterlassen, weiter auf die anatomischen Verhält- nisse der Marsiliaceen einzugehen, als zur Charakteristik der Arten nothwendig war. Eine ausführliche Darstellung derselben wird näch- stens von Dr. Russow in Dorpat erscheinen, dem ich selbst eine srolse Zahl bezüglicher, mit Meisterhand gefertigter anatomischer Präparate verdanke. Auch Hrn. Dr. Magnus bin ich zu grolsem Dank verpflichtet für die Hülfe, die er mir bei den einschlagenden Untersuchungen geleistet hat.

Nachstehender Schlüssel, den ich zur Bestimmung der Arten entworfen habe, ist so eingerichtet, dafs die Arten, so weit es sich erreichen liefs, nach ihren Verwandtschaften geordnet sich folgen. Stellt man für jede Art das zusammen, was sich auf dem Wege des Schlüssels als ihr zukommend ergiebt, so hat man zugleich eine möglichst gedrungene Diagnose derselben.

1) Beitr. zur Kenntn. der Rhizocarpeen S. 29, Taf. IL. f. 67.

eh

Zi

vom 11. August 1870. 713

I. Marsilia.

A. Seitennerven der Frucht an der Theilungsstelle anastomosirend ($. 703, Fie. 5—7).

a. Mehrere Früchte über der Basis des Blattstiels entspringend. Frucht ohne Raphe und ohne Zähne.

a. Frucht fast kugelförmig, ohne Kanten, nickend auf seitlich abstehendem Stiel.

T An einem Blattstiel 10—25 Früchte in einer hoch über der Basis beginnenden Reihe, Sori 3.

M. polycarpa. Tr Nur 8—12 Früchte, die Reihe nahe am Grunde des Stiels beginnend. M. polycarpa var. Mexicana. P. Frucht mehr oder weniger verlängert, stumpf d kantig.

T An einem Blattstiel 6— 10 Früchte, die Reihe nahe am Grunde desselben beginnend. Frucht- stiel seitlich abstehend. Frucht nickend, wenig verlängert. Sori 5.

M. subangulata.

ff Nur 2—3 Früchte nahe am Grunde. Frucht-

stiel abwärts gebogen. Frucht stark verlängert, Sori 6—8. Haare der Frucht glatt.

M. deflexa,

b. Nur eine grundständige Frucht mit Raphe und (schwachen) Zähnen. Frucht- stiel senkrecht nach unten gebosen, 2 mal so lang als die zusammengedrückte und berandete Frucht. Haare glatt.

M, subterraneg,

714 Gesammtsitzung

B. Die gabeltheilisen Seitennerven der Frucht blei- ben bis zum Bauchrande getrennt (8.702 Fg.1-3).

a. Mehrere (2 —5) Früchte theils nahe, theils ganz am Grunde des Blattstiels entspringend.

ao. Die Fruchtstiele unter sich eine Strecke weit verwachsen (aufrecht oder schief abstehend).

7 Fruchtstiele von der Basis des Blattstiels entfernt, doppelt so lang als die Frucht. Die reife Frucht kahl, zweizähnig. Haare d. Fr. glatt.

M. quadrifoliata.

77 Fruchtstiele fast an der Basis, 3—4 mal so lang als die grofse langhaarige Frucht, deren oberer Zahn nur schwach angedeutet ist. Haare d. Fr. warzig.

M. macropus. +rr Fruchtstiele basilär. Beide Zähne der Frucht

sehr schwach angedeutet. M. Brown.

ß. Die Fruchtstiele unter sich frei oder am

Grunde nur wenig zusammenhängend (auf- recht oder schief aufsteigend).

7 Fruchtstiel kürzer als die Frucht, etwa 2 so lang. Oberer Zahn länger als der untere.

(Haare der Frucht lang und abstehend.) * Frucht mit sichtbaren Rippen. M. brachypus. Frucht ohne sichtbare Rippen. M. gracilenta. +r Fruchtstiel gleichlang oder länger als die Frucht. (Haare d. Fr. anliegend.)

® Oberer Zahn etwas länger als der untere.

1. Frucht gerippt und berandet. (Fruchtstiele oft etwas zusammenhängend, 14— 13 so lang.)

M. erosa.

vom 11. August 1870. 715

2. Frucht ungerippt.

Fruchtstiel 1— 14 so lang. Ringspalten deutlich sichtbar.

M. cornuta.. Fruchtstiel 13 2 mal so lang. Ringspal- ten undeutlich. M. crenulata. Beide Zähne fast gleich. Frucht ungerippt. 1. Frucht länger als breit. Sori 5—6. M. diffusa.

2. Frucht nicht länger als breit, sehr klein. Sori 3, M. brachycarpa.

b. Nur eine Frucht am Grunde des Blatt- stiels.

a. Haut der Frucht bleibend (was auch von allen vorausgehenden gilt).

f Blätter ohne Selerenchymzellen (wie bei allen vorhergehenden).

J. Frucht mit 2 ziemlich gleichen Zähnen.

1. Fruchtstiel kürzer als die Frucht. Hautzellen der Blätter ohne Höcker (wie in allen Abthei- lungen, bei welchen nichts darüber bemerkt ist).

a. Zähne der Frucht kurz und stumpf. Frucht-

stil &— 4 so lang, mit der Frucht zur Seite gebogen, Frucht etwas ungleichseitig,

a) Haare länger und abstehend, sehr fein warzig, M. pubescens, ß) Haare kürzer, anliegend, stark warzig. M. strigosa. b. Zähne der Frucht stärker, Fruchtstiel 4— so lang, aufgerichtet, «) Frucht dick, auf der Bauchseite ausgefurcht,

2 2

M, exarata,

P) Frucht stärker zusammengedrückt, ohne Aus- furchung. ä

M. hirsuta, 2. Fruchtstiel länger als die Frucht, meist mehr

als doppelt so lang. Hautzellen der Blätter | mit Höckern, [1870] 49

716 Gesammtsitzung

a. Frucht horizontal, klein (4—5 Mm. lang), Fruchtstiel 2-, höchstens 3 mal so lang.

a) Bauchseite. der Frucht nicht ausgefurcht.

Hautzellen nur auf der Oberfläche des Blatts

höckerig. .

i Blättchen ganzrandig, stark behaart.

M. Howittiana.

+77 Blättehen gekerbt, dicht seidenhaarig.

M. sericea.

{rT Blättchen tiefer gekerbt oder einge- schnitten, locker behaart.

M. Muülleri.

6) Bauchseite der Frucht leicht ausgefurcht. Landblätter auf beiden Flächen mit höckeri- gen Hautzellen. (Blättchen schwach gekerbt,

schwach behaart.) M. macra.

b. Frucht schief aufsteigend oder völlig auf- gerichtet, grols (meist über 5 bis 10 Mm. lang).

a) Bauchseite der Frucht nicht ausgefurcht, nur die Hautzellen der Oberfläehe des Blatts höckerig.

7 Frucht schwach geneigt oder aufrecht, oval. Fruchtstiel 2 mal so lang.

* Blättchen ganzrandig, schwach be- haart. Haare der Frucht anlie- gend, kurz.

M. oxaloides.

”* Blättchen gekerbt, stark behaart. Haare der Frucht lang und ab- stehend.

M. hirsutissima.

11T Frucht stärker geneigt, schief eiförmig,

auf straff aufrechtem Stiel, der 2—3 mal so lang ist als die Frucht.

* Blättchen ganzrandig, stark be- haart, Haare der Blätter warzig.

M. Nardu

(Drummondü orientalis).

** Blättchen gekerbt, Haare der Bl. ohne Warzen.

M. Drummondü (occidentalis).

{Tr Frucht schwach geneigt, oval, auf leicht gekrümmtem Stiel, der 3—4

vom 11. August 1870. 7;

mal so lang ist. Blättchen am Rande

gekerbt und wellig. M. salvatrix. ß) Bauchseite der Frucht ausgefurcht, die Haut- zellen beider Blattflächen mit Höckern. (Frucht aufrecht, Stiel vielmal so lang, Blättchen ganzrandig oder gekerbt, stark

behaart.)

M. elata.

II. Frucht mit 2 Zähnen, deren oberer stachel- oder hackenartig verlängert ist. (Ringspalten der Frucht sehr grofs und auffallend.)

1. Beide Zähne dicht beisammen, nur durch eine spitzwinkelige Bucht getrennt. Fruchtstiel kür- zer als die Frucht. (Blättchen breit und ganz- randig. Haare der Frucht dicht, lang und ab-

stehend.) M. villosa.

2. Beide Zähne durch eine breitere Bucht ge- trennt.

a. Fruchtstiel kürzer als die Frucht, höch- stens gleich lang. (Oberer Zahn der Frucht gerade oder schwach gekrümmt.)

y Blättchen sehr schmal, am Stirnrand mit einigen Zähnchen. (Haare der Frucht angedrückt.)

M. tenuifolia.

r Blättehen breiter und ganzrandig.

* Bl. schwach behaart. Haare der Fr. anliegend. M. mucronata. ”* Bl. stark behaart. Haare der Fr. lang und abstehend. M. vestita.

b. Fruchtstiel länger als die Frucht, 11—2 mal so lang. (Oberer Zahn meist hacken- förmig gekrümmt. Haare der Frucht an- liegend.)

M. uncinata.

II. Nur der obere Zahn der Frucht ausgebildet, der untere mehr oder weniger verflacht oder ganz feh-

lend. (Fruchtstiel bei allen Arten verlängert.) 49°

18 Gesammtsitzung

1. Hautzellen der Blätter ohne Höcker. (Frucht- stiel aufrecht und gerade. Frucht schief an- steigend oder horizontal.)

a. Frucht stumpf oder fast spitz, ohne ver- längerten Stirnrand, ohne Ausfurchung. a) Der obere Zahn der Frucht kurz und stumpf,

der untere nur wenig schwächer, abgerun- det !).

+ Frucht fast kreisrund, fast horizontal.

Ringspalten unkenntlich. Fruchtstiel

2—3 mal so lang. M. rotundata.

7r Frucht länglich, schief ansteigeud. Ringspalte sehr grofs und dicht ge- drängt. Fruchtstiel ungefähr 2 mal so lang. M. macrocarpa. ß) Der obere Zahn schärfer hervortretend, der untere ganz oder fast ganz verwischt. + Zahn kurz kegelförmig.

* Frucht länger als breit, gegen die Spitze schief abgeschnitten. (Haare der Frucht anliegend. DBlättchen meist ausgerandet oder zweilap- pig.)

M. Capensis.

** Frucht nicht länger als breit, sehr klein. (Haare der Fr. anliegend. Bl. ganzrandig.)

M. Burchellii.

+r Der Zahn stachelartig verlängert. (Fr. nicht länger als breit mit abstehenden Haaren. Blättchen einfach- oder dop- pelt zweilappig.) M. biloba. b. Frucht abgestutzt, mit verlängertem, aus- gefurchtem Stirnrand.

u) Stirnrand breit ausgefurcht. Rückenkante sattelförmig. Seitenwand in der Mitte ein- gedrückt. Zahn sehr kurz und abgerundet.

M. Aegyptiaca.

1) Die beiden hierher gestellten Arten könnten nach der Beschaffenheit der Zähne der Frucht fast mit demselben Recht unter d, &, I (mit 2 gleichen Zähnen) gestellt werden; ich ziehe es vor sie hierher zu stellen wegen ihres unzweifelhaft natürlichen Anschlusses an die unter ß folgenden Arten.

vom 11. August 1870. 719

£) Stirnrand der stärker zusammengedrückten fast viereckigen Frucht schmal ausgefurcht.

Zahn verlängert kegelförmig. M. quadrata. 2. Hautzellen beider Blattflächen mit Höckern. (Fruchtstiel aus niedergebogener Basis aufstei- gend, 5—6 mal so lang als die schief aufge-

richtete, berandete Frucht.) M. gibba.

1V. Nur der untere Zahn deutlich, der obere mehr oder weniger verflacht oder ganz unmerklich.

1. Fruchtstiel sehr kurz und aufrecht. (Frucht fast horizontal, an der Bauchseite ausgefurcht. Haare der Frucht glatt. Blättchen schmal mit der grölsten Breite in der Mitte.)

M. angustifolia‘).

2. Fruchtstiel mälsig verlängert (1—2mal so lang), niedergelegt oder abwärts gebogen.

a. Raphe äufserst kurz, der obere Zahn noch ziemlich deutlich. (Stiel 2—# lang. Die Frucht gegen den Stiel nur wenig geneigt mit stark gewölbten Seitenwänden und dichtem Haarfilz. Haare warzig?).

M. Ernesti.

b. Raphe etwas verlängert, der obere Zahn unmerklich. T Stielgerade, horizontal oder absteigend, 1—1;} so lang. Frucht gegen den Stiel geneigt fast bis zum Horizontalen, stark zusammengedrückt. Fruchthaare glatt.

M. Mexicana. TT Stiel gebogen, 2— 2 mal so lang. Fr. gegen den Stiel abwärts geneigt. Bl.

fast unbehaart.

M. Berteroi.

!) Wegen mangelnder Ausbildung des oberen Zahns in der Tabelle hier untergebracht, während sie naturgemälser neben NM. hirsuta und exarata ste- hen würde.

?2) Könnte nach den Zähnen unter d, «, I (mit 2 gleichen Zähnen) ge- stellt werden, hat aber ihre nächsten Verwandten offenbar hier. »

720 Gesammtsitzung

{it Stiel absteigend und hackenförmig. Blätter grau behaart und fast seiden- glänzend. M. ancylopoda'). V. Frucht ohne Raphe (der Stiel unter der Frucht nnr etwas verdickt) und ohne Zähne (an der Stelle des oberen Zahns ein länglicher Fleck sichtbar). Fruchtstiel bald auf-, bald absteigend, 14 —2 mal so lang. Frucht fast stielrund. Haare

derselben glatt. M. mutica.

17 Blätter mit Interstitialstreifen aus Sclerenchymzellen (S. 692).

l. Fruchtstiel dünn, aufrecht, gerade, lang (23—6 mal so lang). Frucht mit 2 deutlichen Zäh- nen, berandet uud gerippt. (Fruchthaare an- gedrückt, hinfällig, feinwarzig. Blättchen ganz- randig, kahl.)

a. Frucht aufrecht, länger als breit. Sori

4—6. M. Coromandeliana. b. Frucht etwas geneigt, wenig länger als breit... Sorb 3—4. MM, trichopoda. c. Frucht fast horizontal, nicht länger als breit, sehr klein. Sori 2—3. M. muscoides.

2. Fruchtstiel, hin und hergebogen, niedergelegt

“oder absteigend (24—3 mal so lang). Der

obere Zahn der Frucht sehr schwach, flach ge-

rundet. Frucht gegen den Stiel zurückgelegt,

nicht berandet. (Haare der Frucht bleibend, lang, glatt.)

M. distorta.

ß. Haut der Frucht sich ablösend, eine

äulsere, locker anliegende, glänzend

!) Unvollständig bekannt, die Charakteristik künftig zu berichtigen und

zu ergänzen.

vom 11. August 1870. 721

schwarze Schale um die Frucht bil- dend (8. 709). (Die reife Frucht ohne Haare, ohne vortre- tende Zähne, zusammengedrückt, mit langer Raphe. Der kurze Fruchtstiel vorwärts ge- neigt.) f Die Schale deutlich punktirt. Die Frucht gegen den L—4 langen Stiel horizontal. M. Nubica. Tr Die Schale undeutlich punctirt. Die Frucht gegen den 1—14 langen Stiel abwärts ge-

bogen. M. gymnocarpe.

Il. Pilularia.

1. Frucht zweifächerig.

Fruchtstiel absteigend, lang. Sporen (deren nur eine in jedem Fach) ohne Einschnürung. P. minuta.

2. Frucht dreifächerig.

Fruchtstiel absteigend, verlängert, mit kurzer seitlicher Biegung ansitzend. Sporen zahlreich, ohne Einschnü- rung.

P. Americana.

3.

Frucht vierfächerig. a. Fruchtstiel verlängert, absteigend. 7 Ende des Fruchtstiels horizontal mit der Frucht verbunden, eine Raphe bildend. Sporen ohne . Einschnürung. P. Novae Hollandiae. +r Ende des Fruchtstiels fast gerade an die Frucht

angesetzt. P. Mendoni.

b. Fruchtstiel sehr kurz, aufrecht, gerade angesetzt. Spo-

ren mit einer Einschnürung über der Mitte. P globulifera.

722 Gesammtsitzung

Systematische Übersicht der Arten mit Angabe der Synonyme und Fundorte.

I. Marsilia. Gruppe der M. polycarpa.

1. M. polycarpa Hook. et Grev. Je. Fil. (1831) t. 160; A. Br. Monatsb. d. Ak. 1863, S. 417. Wohl die merkwürdigste unter allen Arten, welche im Culturzustande beobachten zu können, be- sonders in Beziehung auf die Entwicklungsgeschichte der Sporen- früchte, von gröfster Wichtigkeit wäre. Da sie in Südamerika ver- breitet und häufig zu sein scheint, so dürfen wir wohl hoffen, durch Reisende reife Früchte zu erhalten. Die gröfste Zahl der an einem Blattstiel sitzenden Früchte, nämlich 23, habe ich an einem Exem- plar aus Cuba gesehen und gewils ist dies nicht das Maximum.

Bekannte Fundorte der Normalform sind: Guyana: Demerara, am Essequibo (Parker 1828 in herb. Hooker); Surinam (Leprieur). Brasilien: Para (Spruce 1849 n. 42 in herb. Hook. etc.). Insel Cuba (Pöppig n. 290 steril in herb. Kunz.; Wright n. 1799. 1800 in Mus. Par. etc... St. Thomas (Friedrichsthal in herb. Vind.). Sandwichsinseln: Tahiti (Barclay in h. Hook., Vesko in Mus. Par., Vieillard in herb. Lenorm., Wilkes sec. Brakenridge, Expl. Exped. p- 541). Als zweifelhaft hierher gehörig sind anzuführen sterile Exemplare von Santa Fe de Bogota (Bonpland in Mus. Par.) und Buenos Ayres (Commerson ibid.).

Als Varietäten oder vielleicht nur Formen sind zu erwähnen:

M. polyc. minor. M. Brasiliensis Martius Jc. plant. erypt. (1828 —34) p. 122, t.73 aus der Provinz Bahia, in ausgetrockneten Tei- chen bei Joazeiro. Sie ist kleinblättrig und behaart und hat nur 8—10 Früchte am Stiel, wahrscheinlich in Folge trockenen Stand- orts. Von Blanchet bei Bahia gesammelte Exemplare (n. 2409 in herb. Mus. Par., Vindob., Lucaeano) scheinen die Mitte zwischen der Normalform und der von Martius zu halten.

M. polyc. Mexicana, bei Mesachica in Mexiko von Schiede ge- sammelt (herb. Berol.), gleichfalls klein, aber kahl. Ich sah nicht über 8 Früchte, welche kugelig und ohne Kanten sind.

M. picta Fee, I9me. Mem., Catal. des Foug. du Mexique (1857) p- 47. In den Kanälen bei Mexiko (v. Chrismar 1848, L. Hahn

vom 11. August 1870. 123

1868) und bei Chapultepec (Schaffner 1854). Wasserform mit ge- streiften, sowie Sumpf- und Landform mit ungestreiften Blättern, nur steril bekannt, daher nicht sicher bestimmbar, doch spricht der anatomische Bau der Blätter, namentlich die sehr kleinen Hautzel- len der Oberfläche, die nicht gröfser sind als die Stomata, für die nahe Beziehung zu M. polycarpa, während die meist mehrschichti- gen (bei M. polycarpa nur aus einer Reihe von Pallisadenparenchym gebildeten) Grenzwände der Lufthöhlen eine Verschiedenheit an- deuten.

M. Stratiote.. So habe ich vorläufig eine von Spruce im Gapoö (Überschwemmungsgebiet des Amazonenstroms) bei Manaquiry nur im sterilen Zustande gesammelte Pflanze genannt, von welcher Spruce selbst sagt, sie scheine von M. polycarpa, die er bei Para gesammelt, verschieden zu sein. Es ist eine Wasserform mit un- ächten Schwimmblättern von ungewöhnlicher Gröfse, aber mit ver- hältnifsmälsig schmäleren Blättchen als bei den grofsblättrigen For- men der M. polycarpa. Dieselben sind 35—40 Mm. lang, 25—28 breit, haben keine Interstitialstreifen, aber Luftspalten auf der Un- terseite. Die Hautzellen der Oberseite sind 2—3 mal so grofs als die Stomata, während sie bei M. polycarpa diese kaum an Gröfse übertreffen.

2. M. subangulata A. Br. Sitzungsber. der Ges. naturf. Freunde vom 19. Juli 1870, S. 46. M. polycarpa Griseb. Fl. of the Brit. W. Ind. II. 645; A. Ernst, Vargasia No.7p.181. An den grölseren (3 Mm. langen), etwas in die Länge gezogenen, fast birn- förmigen, stumpf 5kantigen, mit äufserlich sichtbaren Rippen ver- sehenen Früchten, die grölsere Zahl der Sori (5) und die am Bauch- rande der Frucht etwas verzweigten und meist anastomosirenden Nervenenden (8. 703, Fig. 6) von M. polycarpa leicht zu unter- scheiden, ein merkwürdiges Mittelglied zwischen dieser und der scheinbar weitabstehenden M. deflexa bildend.. Weniger Gewicht kann ich auf die geringere Zahl der Früchte legen, da Schiede’s mexikanische Form von M. polycarpa in dieser Beziehuug mit M. subangulata übereinstimmt. Bei den Exemplaren aus Caracas fand ich 6—10 Früchte an einem Stiel, bei denen aus Jamaica 5—10. Grisebach giebt für die letzteren 3—8 an. Völlig sicher ist nur der Fundort Caracas (A. Ernst 1570), von wo allein reife Früchte vorliegen. Die Exemplare aus Jamaica (Purdie 1844, herb. Hook.)

724 Gesammtsitzung

haben unreife Früchte, gleichen aber im Übrigen sehr denen von Caracas. Ebenso die aus Panama (B. Seemann 1846). Zweifelhaf- ter ist der Fundort Guatemala (Friedrichsthal no. 942 in herb. Vindob. et Kunz.), da ich die Exemplare seit Unterscheidung der MM. subangulata nicht wiedergesehen habe.

3. M. deflexa A. Br. Monatsb. 1863, 8. 421; M. striata Mett. in Triana et Planch. Prodr. Fl. Novo-Granat. (Ann. d. sc. nat. Ser. 5,. T. III) p. 310... (Vergl. 5. 205), Pie. 7, Nervalır der Frucht.) Brasilien: Prov. Piauhy (Gardner 1841, No. 2760. Herb. Vindob. Boiss. ete.); Neu Granada: Aposentos, Ilano de Ibague, prov. Mariquita (Triana, herb. Mett.). Die an diese Art sich anknüpfenden Fragen und Wünsche habe ich oben (8. 672 73) ausgesprochen. |

4. M. subterranea (Leprieur ined. ex part.) A. Br. in Flora 1839 S. 301 u. Monatsb. 1863 S. 433. Senegambien, ohne nähere Angabe (Perrottet No. 996, herb. propr.; Depreaux in herb. Le- norm. et Mett.). Diese in den Sammlungen seltene Art habe ich von Perrottet unter dem von mir beibehaltenen Namen erhal- ten; häufiger findet sich jedoch in den Sammlungen unter demsel- ben Namen eine andere senegambische Art, nämlich M. distorta, die sich durch. den mannigfach gebogenen Fruchtstiel, die auf den Stiel zurückgebogene Frucht und die hellen Selerenchymstreifen der Blätter leicht unterscheiden läfst.

Ob diese Art unter den Arten mit anastomosirenden Frucht- nerven ihre richtige Stellung hat und für sich allein eine eigene Gruppe repräsentirt, ist mir etwas zweifelhaft, da ich die Nerva- ‘tur wegen spärlichen Materials nur an einer einzigen Frucht un- tersucht habe. Sollte die von mir gesehene Nervenverbindung nicht constant sein, so würde ich sie wegen der berandeten und berippten Frucht an M. erosa anreihen.

Gruppe der M. quadrifoliata.

3. M. quadrıfolata L. Sp. pl. ed. I. ex anno 1762 (M. quadrifolia L. Sp. pl. I. et auct.); A. Br. Monatsb. 1863 8. 418;

vom 11. August 1870. 725

M. vulgaris Bory in Bojer hort. Maurit. (1837) p. 427 et Belanger Crypt. p.3 exp. (conf. M. cerenulata). Im gemäfsigten Europa und Asien. Am Rhein bis Germersheim, 494 °, und noch nördlicher in Belgien (Lejeune u. Courtois). Fehlt in Britannien und Skandina- vien. Südlich in Frankreich bis Marseille, 43° (herb. Shuttlew.), wo sie mit dem Vorkommen von M. pubescens nahe zusammen- kommt; im nördlichen und mittleren Spanien und in Portugal, 42 —40°. Im Osten bei Sarepta (Fischer) und Astrachan (?), wo sie M. strigosa und Aegyptiaca begegnet; ferner in Ciskaukasien (bei Kisliar) und Transkaukausien (bei Tiflis, 42°, und Lenkoran, 39°). . Nach Ledebour im Uralschen Sibirien ohne nähere Angabe des Fundorts, aber jedenfalls das nördlichste Vorkommen, während das südlichste bekannte das in Kaschmir, bei 30—33° n. Br., ist (Jac- quemont No. 87 u. 88 in herb. Mus. Par.).. Das Vorkommen in Ja- pan ist zweifelhaft, da die von Keiske, Wichura und Maximowiez gesammelten Exemplare unfruchtbar sind.) Sehr zweifelhaft ist das Vorkommen in Ägypten (siehe 8. 657). Die vielfach wieder- holte Angabe des Vorkommens auf Mauritius?) führe ich nur an, weil sich in Fee’s Herbarium in der That von Bory stammende und angeblich auf Mauritius gesammelte Exemplare befinden, die ich von M. quadrifoliata nicht unterscheiden kann, obgleich Fee sie als M. macrocarpa n. sp. unterscheiden zu müssen glaubt. Ich vermuthe, dafs hier ein Irrthum zu Grunde liegt. In der neuen Welt ist unzweifelhafte M. quadrifoliata am Bantam-See in Connec- ticut, 41—42°, von Timoth. Allen (1860) aufgefunden worden.

6. M. Browniü A. Br. Monatsb. 1863, $. 418; M. quadri- Jolia R. Brown Prodr. Nov. Holl. (167) 23; M. Australiae R. Br. herb. Ich kenne diese, wie es scheint, mit. der vorigen sehr nahe verwandte Art nur aus einem vor vielen Jahren gesehenen Exemplar des Wiener Herbariums und aus brieflichen Nachrichten von Seemann und Mettenius über die Originalexemplare im Brit. Museum. In vieler Beziehung ist sie mir nur unvollständig bekannt.

!) Vergl. Miquel, Prolus. Fl. Jap. in Ann. Mus. Lugd. Bat. III. p. 185.

*) Bory (bei Belanger 1. c.) fügt noch ausdrücklich bei „Absolument identique avec celle de l’Europe“. Alle sicher von Mauritius und Bourbon stammenden Exemplare, die ich gesehen, waren M. crenulata.

726 Gesammtsitzung

Seit R. Brown, der sie bei Port Jackson sammelte, scheint sie wenig- stens in fruchttragendem Zustande nicht wieder gefunden worden zu sein; ich glaube aber einige von Dr. F. v. Müller mitgetheilte sterile Formen, namentlich eine ziemlich kleinblättrige von Cabra- matta bei Port Jackson und eine sehr grofsblättrige (Wasserform) von Richmond in Neu Südwales (von Wilhelmi gesammelt) hierher rechnen zu dürfen.

4. M. MmMacropus Engelm. in Sillim. Journ. Ser. 2, Vol. III, p- 56 (1847); A. Br. Monatsb. 1863, $S. 418. Eine stattliche, aber leider bis jetzt nur sparsam in Frucht gesammelte Pflanze! Texas: Am untern Guadeloupe bei Victoria (Lindheimer 1846. pl. exsicc. III. no. 573); 100 (engl.?) Meilen höher oben am Guade- loupe (Dr. Gideon Lincecum 1866). Nach Dr. Engelmann’s Ver- muthung gehört ferner wahrscheinlich hierher eine von Drummond in Louisiana gesammelte sterile Pflanze.

Gruppe der M. diffusa.

8. M. dıffusa (Leprieur ined.) A. Br. in Flora 1839, p.300; Monatsb. 1863, p. 419; Bolle, Zeitsch. f. Erdk. neue Folge I. p. 280; Milde Fil. Eur. p. 294; Kuhn Fil. Afrie. p. 199; M. vulgaris Bory in Bojer hort. Maurit. p. 427 (quoad plant. Madagasc.); M. sarmen- tosa Bory herb.; M. superterranea Kunth herb.; M. erosa Kunze in herb. Die häufigste unter den Arten Senegambiens, von allen dortigen Sammlern reichlich eingebracht und daher in den Herba- rien sehr verbreitet (Leprieur; Heudelot 1828 No. 548, 576; Le- lievre 1829; Perrottet No. 992, 993, 1001). In den oberen Nil- ländern: Am weilsen Nil (Speke 1863 in herb. Hook., Schwein- furth 1869 steril) und im Djurgebiet bei der Seriba Ghattas (steril, Schweinfurth).") In Algerien: Campagne Fourchault unweit Ras- sauta in der Ebene Meditja bei Algier (A. Letourneux in herb. Cosson). Auf der Insel Canaria bei dem Dorfe Aruca (Depreaux, Bourgeau 1846 in herb. Webb.). - Auf Madagascar (Perville 1841,

1) Über andere Fundorte zweifelhaft hieher gehöriger steriler Formen siehe bei Kuhn I. c.

vom 11. August 1870. 727

No. 358, herb. Mus. Par. etc.) und auf der Insel Nossi-beh (Boi- vin 1849, No. 1959, herb. Boiss.). Meine frühere Angabe des Vorkommens auf Mauritius ist mir zweifelhaft geworden, da die unreifen Exemplare von Perrottet, auf welche sie sich stützt, nach wiederholter Untersuchung zu M. crenulata zu gehören scheinen.

Die Exemplare verschiedener Gegenden zeigen kleine Abwei- chungen und selbst unter den Senegambischen lassen sich mehrere Formen unterscheiden. Bei der gewöhnlichen Form ist der Frucht- stil 2—24 mal so lang, die Frucht 35 Mm. lang, 3 breit, die Zähne spitz, der obere oft etwas länger, die Haare kurz, dicht mit Wärzchen besetzt. Bei einer forma microphylla sind auch die Früchte etwas kleiner, 3— 33 lang; bei einer forma gracilipes ist der Fruchtstiel 2%— 3 mal so lang, die Frucht deutlicher punktirt, die Blätter zarter und dünnstieliger. Die forma Nilotica hat (nach den wenigen, die ich an den Exemplaren von Speke sah) gerun- detere Früchte, die nur sehr wenig länger als breit sind, und kür- zere Zähne. Bei der forma Madagascariensis stehen die Frucht- stiele meist enger beisammen und sind durchschnittlich etwas kür- zer, 1; 2 mal so lang. Die forma Canariensis hat etwas gröfsere Früchte, 33— 4 Mm. lang, und etwas kürzere stumpfere Zähne; die Haare der Frucht sind länger und lockerer warzig. Die forma Algeriensis hat unter allen die gröfsten Früchte von 4—5 Mm. Länge; in den Haaren stimmt sie mit der vorigen überein; die Blätter sind am Stirnrand gekerbt, während sie sonst gewöhnlich ganzrandig Sind.

9. M. crenulata Desv. Prodr. Filie. (Ann. de la soc. Linn. d. Paris 1827) p. 178; M. cerenata Presl. Rel. Haenk. (1830) p. 84, t. XII, f.3; A. Br. Monatsb. 1863, S. 420; M. microcarpa, A. Br. in Flora 1839, 5. 300; M. vulgaris Bory in Bojer. hort. Maur. p. 426 ex part.; M. minuta Blanco, Fl. de Filipinas (1845) p. 577. Der vorigen sehr nahe stehend, durch verhältnifsmäfsig kürzere, am Grunde des Blattstiels dichter zusammengedrängte Fruchtstiele, etwas kleinere Früchte mit entschieden längerem oberem Zahn und am Stirnrand meist gekerbte Blätter verschieden. Auf der Insel Bourbon (Commerson, Du Petit Thouars in herb. Mus. Par.); auf Mauritius (Bory in herb. Willd.'); Perrottet in herb. Boiss.; Dr.

1) Auf demselben Blatte des Willd. Herbars ist aber auch ein Exem- plar von M. quadrifoliata aufgeklebt, Fee’s M. macrocarpa! (vgl. S. 725).

128 Gesammtsitzung

Ph. Ayres 1860 in herb. Hooker). Auf den Philippinen: Ohne nähere Angabe (Haenke); auf Luzon (von Chamisso in herb. Be- rvol., Eschscholtz in herb. Ledeb.). Sandwichsinseln: Oahu (in herb. Godet von Pamplin). Lu Tschu Inseln (Wright, herb. of the U. S. Pacifie Exploring Expedit. 1855—56, in herb. Hooker).

M. cerenulata var. incurva A. Br. in Kuhn Fil. Afric. p. 198; M. difjusa v. incurva Monatsb. 1863, S. 410; M. Senegalensis A. Br. in Flora 1839, S. 300. Senegambien (Perrottet). Weicht von der gewöhnlichen Form durch den vorwärts gekrümmten Fruchtstiel und die dadurch nickende, kürzere und mehr abgerundete, oft ein- seitig geschwollene Frucht, kürzere Zähne, sowie durch härtere, stark blaugraue (stark gekerbte) Blätter ab.

10. M. cornuta. M. diffusa var. cornuta A. Br. in Kuhn Fil. Afrie. (1868) p. 199. Angola, im Distrikte Mossamedes, häufig in wenig tiefen Pfützen, auf sandigem Boden, längs des Ufers des Flufses Bero, fruchttragend im Juli 1859 von Dr. Welwitsch (It. Angol. No. 173) gesammelt. Eine wahrscheinlich derselben Art angehörige sterile, grofsblättrige Form in demselben Distrikte in Seen an der Mündung des Flufses Giraul (Welw. It. Angol. No. 174). Gleicht zwar in der Tracht der M. diffusa, steht aber in mancher Beziehung der M. crenulata näher. Die Landform (173) langkriechend, kleinblättrig. Die Blätter etwas glaucescent, kahl, der hochgerundete Stirnrand derselben meist mit mehreren schwachen Kerben. Meist 2 Früchte nahe beisammen am Grunde des Blattstiels. Fruchtstiel so lang als die Frucht, selten etwas länger, aufwärts gekrümmt. Die Frucht horizontal, 4 Mm. lang, 24—3 breit (ver- hältnifsmäfsig länger als bei M. diffusa und cerenulala), reif fast kahl und ziemlich dunkelbraun mit sehr deutlich hervortretenden schwarzen Ringspalten. Der obere Zahn der Frucht hornartig ver- längert, doppelt-so lang als der untere (fast 1 Mm. lang), gerade aufgerichtet. Die Fruchthaare weniger dicht anliegend und länger gezogen, als es gewöhnlich bei M. diffusa der Fall ist, an allen Zellen stark, aber locker warzig. Sori jederseits 5—6. Die sterile Pflanze (174) hat einen scheinbar anderen, büscheligen Wuchs, aber es sind diese Büschel ohne Zweifel Zweige eines absterbenden krie- chenden Hauptsprofses. Die Blätter sind von bedeutender Gröfse, srölser als bei gewöhnlicher MM. quadrifoliata, die Blättchen 20— 25 Mm, lang, 15—20 breit, der Stirnrand meist hoch gewölbt, mit

vom 11. August 1870. 229

10—15 sehr ungleichen zum Theil spitzen Zähnen, denen mancher Formen von M. erosa ähnlich.

11. M. erosa willd. Sp. pl. V (1810) p. 540 et herb. no. 20255; A. Br. in Flora 1838, S. 300; Monatsb. 1863, 8. 419; M. quadrifolia floribus umbellatis Klein in herb. Willd.; M. quadrifolia Burn, Bl. ind. (17167) p.297 ex p.; Roxb. Fl. ind. IV (in Car cutta Journ. IV) p. 7'); M. dentata Roxb. mspt. in herb. Mus. Brit.; M. minuta L. mant. II (1771) p. 308 excl. var. £. Die häufigste Art in Ostindien, daselbst die Stelle der nahe verwandten M. difusa vertretend, von der sie sich durch meist gekerbten Blätt- chen, kürzere Fruchtstiele, die am Grunde oft etwas zusammen- hängen, durch etwas berandete und mehr oder weniger deutlich gerippte Früchte mit längerem oberen Zahn unterscheidet; doch giebt es Formen, bei welchen diese Charactere schwankend sind. Den verlassenen Linne’schen Namen ziehe ich nicht wieder hervor, da Linne zwei ganz verschiedene Arten vermischt hat und sein Name gerade für diese Art, welche zu den mittelgrofsen gehört, nicht passend ist. Vorderindien: Tranquebar (Klein in herb. W.); Pondichery (Perrottet, No. 611 Normalform, 612 kleinblättrige Form); Madras (Wright); Lahore (Hook. et Thoms.); Calcutta (Wichura, grolsblättrige Form mit tief eingeschnittenem Stirnrand) ete. Cey- lon (Thwaites No. 1422 fructifieirend, No. 3051 steril mit ganzran- digen Blättchen). Hinterindien: Assam (Hook. et Thoms., gröfsere sterile Form mit ganzrandigen Blättchen, sehr ähnlich M. quadri- folia, und Jenkins, kleinblättrige sterile Form, beide zweifelhaft). Als Abarten unterscheide ich:

M. erosa var. Zollingeri (als M. crenata var. im Monatsb. von 1863 erwähnt), von Zollinger 1854 steril und 1855 mit Frucht (No. 3591) bei Bogor .auf Java gesammelt. Die Blättchen der Landform sind (ebenso wie die der sterilen Wasserform) ganzran- dig, schmal und kurz unter dem Stirnrand plötzlich breiter wer- -dend, wodurch sie eine eigenthümlich spathelförmige Gestalt er- halten. Die Früchte sind etwas kleiner als bei der Normalform, 3 Mm. lang, 2 Mm. breit, deutlich berandet, aber undeutlich gerippt.

!) M. quadrifolia Don Fl. Nep. p. 19 gehört wohl auch hieher, aber ich habe von Wallich in Nepal gesammelte Exemplare nicht gesehen,

730 Gesammtsitzung

M. erosa var. ambigua. Eine von Belanger bei Pondichery gesammelte Form, bei welcher die Rippen der Frucht ganz ver- schwunden, aber die Berandung noch bemerkbar ist. Die Frucht ist fast 4 Mm. lang, fast 3 Mm. breit und etwas abwärts geneigt, fast wie bei M. crenulata var. incurva, der sie sehr nahe steht. Der Fruchtstiel 14 mal so lang als die Frucht.

12. M. brachycarpa A. Br. Monatsb. 1863, S. 420. Eine kleine, sehr zierliche Art, die sich zunächst an die kleinblättrigen und kleinfrüchtigen Formen der M. erosa anschliefst. Der früher gegebenen Beschreibung füge ich noch bei, dafs die Haare der (jüngeren) Frucht kurz und anliegend sind, aus 2—4 Zellen ge- bildet, die dicht mit Warzen besetzt sind. Eine ins Wasser ge- brachte Frucht entleerte 13 Macrosporen von 0,85—0,90 Mm. Länge und 0,55 Mm. Dicke, die leider nicht keimten. Pegu (Me. Clel- land in Hook. et Thoms. herb. Ind. or... Wahrscheinlich gehört hierher auch eine von Jacquemont in der Provinz Gurwal im Thale Doon (Deyrah-Dun) gesammelte Form mit noch sehr jungen Früch- ten (No. 385 in herb. Mus. Par.).

13. M. brachypus A. Br. Monatsb. 1863, S. 421. Auch diese Art ist mit M. erosa sehr nahe verwandt, durch stärkere röthliche Behaarung aller jüngeren Theile, besonders der Frucht, etwas kürzeren Fruchtstiel, gröfsere, nicht deutlich berandete Früchte von ihr abweichend. Die Haare der Frucht sind weniger hinfällig, bedecken die Frucht zottig, den unteren Rand weit über- ragend; sie sind lang und schmal ausgezogen, 6—8zellig, an den Scheidewänden knotig verdickt, mit starken, locker gestellten Wärz- chen bedeckt. Vorderindien: Neilgherries (Wight No. 310). Ufer des Sutletsch (Hook. et Thoms. 1846, eine durch ungerippte Frucht abweichende, der folgenden sich anschliefsenden Form).

14. M. gracilenta A. Br. Monatsb. 1863, 8.421. Viel- leicht nur eine Abart der vorigen. Die Haare der Frucht fand ich 3—5zellig, an den Gelenken nicht knotig, mit kleineren Wärz- chen besetzt. Vorderindien: Concan (Stocks in Hook. et Thoms, herb. Ind. or. 397).

vom 11. August 1870. 731

Gruppe der M. pubescens.

15. M. pubescens Tenore FI. Neap. prodr. suppl. I, p. 70; App. I ad catal. h. Neap. ed. II (1819), p. 67; Fl. Neap. IV, p. 140 et V, p. 309, t. 250; A. Br. in Explor. scient. d’Alger. t. 38; Monatsb. 1863, p. 431; Gren. et Godr. Fl. de France Ill. p. 647; M. Fabri Dunal in Ann. d. sc. nat. VI 1836) p. 345: NIl 22% tab. 12 et 13; IX, p. 115, tab. 13; X, p- 378; M. quadrifolia Dest. Fl. Atl. II, p. 409; Moris, Stirp. Sard. Elench. Fase. I; M. strigosa «. planta Europaea Milde Fil. Eur. (1867) p- 295. Neapel: In der Basilicata „Bosco di S. Leonardo tra Taranto e Pistini“ (Te- nore); Sardinien: Ozieri (Moris); Pula (Müller in herb. un. itin.); Sassari (Gennari). Languedoc: Roque Haute zwischen Agde und Bezieres') (Fabre, Dr. Wunderly). Algerien: Oran (Durieu, Ba- lansa No. 211); Koleah bei Bou Ismaöl (Durando); Chaiba (Clau- son in herb. Coss.). Tanger (herb. Cosson, steril).

16. M. strigosa Willa. Sp. pl. V (1810) p. 539; herb. no. 20254; Ledeb. Fl. Ross. IV, p. 494; A. Br. Monatsb. 1863, 8. 430; M. strigosa 2. planta Rossica Milde Fil. Eur. p. 295. Die Un- terschiede von der vorigen Art, nämlich ein noch kürzerer Frucht- stiel, eine hellergefärbte, weniger hartschalige Frucht mit anliegenden, kürzeren, stärker und dichter warzigen Haaren, sind sehr gering; dennoch nehme ich Anstand beide zu vereinigen, da in der Tracht eine Verschiedenheit statt zu finden scheint. Niemals sah ich bei M. strigosa die für M. pubescens so charakteristischen langen Dop- pelreihen dicht aneinander gedrängter Früchte. Hoffentlich wird die Cultur beider Arten unter gleichen Verhältnissen Gelegenheit zur Prüfung der Frage nach ihrer Verschiedenheit geben. Im südlichen Rufsland: Sarepta (Fischer, Veesenmeyer, Becker pl. Wolgae infer. No. 158); am Flufs Achtupa (Steven in herb. Ber.); bei Lenkoran (C. A. Meyer); in der Songarei an den Flüssen Ischim (Schrenk) und Ters Akkan (Schrenk u. Ruprecht in herb. Berol.).

!) Über die eigenthümliche Flora dieser merkwürdigen Localität, an welcher mehrere andere Pflanzen ihren einzigen Standpunkt in Frankreich haben (Pitularia minuta, Riella Gallica, Elatine Fabri, Damasonium polysper- mum, Ranunculus lateriflorus), vergl. Duval-Jouve im Bull. de la soe. bot. de France 1869, p. 210.

[1870] 50

732 Gesammtsitzung

Gruppe der M. hirsuta.

(Australische Arten mit kurzgestielter Frucht und höckerlosen Hautzellen der Blätter.)

17. M. angustifola R. Br. Prodr. Fl. Nov. Holl. ed. I. p. (167) 23. Von kräftigem Wuchse und ansehnlicher Gröfse. Blättchen fast kahl, lanzetförmig (seltener schmal keilförmig), ab- gestutzt, der Stirnrand meist gezahnt oder eingeschnitten. Frucht am Grunde des Blattstiels kurzgestielt (Stiel halb so lang bis gleich- lang, aufsteigend), fast horizontal, länglich (7 Mm. lang, 5 Mm.) breit), Rückenseite schwach auswärts gebogen, Bauchkante schwach ausgefurcht, Seitenwände ziemlich stark gewölbt, undeutlich gerippt. Raphe ziemlich lang mit einem stumpfen Zahn endigend; oberer Zahn unmerklich. »Sori jederseits ungefähr 3. Ringspalten deut- lich. Haare der Frucht angedrückt, dunkelbraun, glatt! Hautzellen der Blätter ohne Höcker und fast ohne Buchten. Nord-Austra- lien: Carpentaria Golf (R. Brown); Baines Creek am Victoria River (Ferd. v. Müller in herb. Melb. et Hook.).

ES. M. exarata. M. hirsuta microphylla A. Br. in herb. Hook. Langkriechend mit büscheligen Zweigen und kleinen der- ben Blättern. DBlättchen stark und glänzend behaart, breit keilför- mig, mit gerundeter ganzrandiger Stirn. Frucht sehr kurz gestielt (Stiel L— 4% so lang, aufwärts gekrümmt), aufsteigend, länglich (34 4 Mm. lang, 3 Mm. breit) mit eingebogener Rückenseite und stark ausgebogener, ausgefurchter Bauchkante, stark gewölbten und breitgerippten Seitenwänden. Raphe kurz, mit dem Stiel eine starke Krümmung bildend. Zwei fast gleiche, stumpfe Zähne. Sori jederseits 5. Ringspalten deutlich. Haardecke der Frucht dicht, glänzend rothbraun; die Haare langgestreckt, an der ersten Zelle schwächer, an den folgenden stärker warzig. Hautzellen der Blätter ohne Höcker, stark gebuchtet. Östaustralien: Queensland, am Brisbane River (F. v. Müller 1855 in herb. Hook.).

419. M. hirsuta R. Brown. Prodr. Fl. Nor. Holl. (1810) p- (167) 23. Von mittlerer Gröfse. Blätter mehr oder weniger stark behaart, Blättchen meist breitkeilförmig, an der Stirn gerun- det, ganzrandig, selten etwas gekerbt. Frucht kurz gestielt (Stiel 4+— 4 so lang, aufrecht), horizontal, wenig länger als breit (3—44

vom 11. August 1870. 133

Mm. lang, 23— 34} breit')); die Rückenseite schwach eingebogen oder fast geradlinig; die Bauchkante sehr stark ausgebogen, in der Mitte fast winkelartig vortretend, nicht ausgefurcht; Seitenwände ziemlich flach, ohne deutliche Rippen. Raphe lang. Zwei fast gleiche stumpfe Zähne. Sori jederseits 5—6. Ringspalten deut- lieh. Haardecke der Frucht dicht, glänzend röthlich; die Haare etwas abstehend, lang ausgezogen, von der 2. oder 3. Zelle an schwach warzig. Hautzellen der Blätter ohne Höcker, stark ge- buchtet. (Die Eigenthümlichkeiten der Keimpflanzen vergl. 8. 667.) Scheint über einen grofsen Theil von Neu-Holland verbreitet zu sein. R. Brown giebt Port Jackson und die Nordküste an; die Exemplare seines Herbariums (die ich nicht selbst sah) sind von Broad Sound und Carpentaria Golf. Ich untersuchte fertile Exem- plare aus Neu-Südwales (F. v. Müller ohne nähere Angabe), Bris- bane (Früchte mitgetheilt von Durieu), Carisbrook (F. v. Müller in herb. Melb., kleinfrüchtige Form), Yarra Yarra (F. v. Müller), ferner von Macd. Stuarts Expedition (1862) ohne nähere Angabe des Fundorts (grofsfrüchtige Form, mitgetheilt, von F. v. Müller). Eine abweichende Form mit schmäler spatelförmigen Blättchen, nebst breitblätteriger Wasserform, von Baines Creek am Victoria River in Arnheemsland (F. v. Müller 1856) ist wegen unreifer Frucht nicht ganz sicher bestimmbar; andere zweifelhaft hierher- gehörige Formen von Dooroodoo (Dr. Beckler 1860, mit sehr weilshaarigen und gekerbten Blättchen), Lake Alexandrinae de Müller 1848), Gulong und Holdfafsbay (Mus. Melb.) habe ich nur steril gesehen. Ich überlasse es den australischen Botanikern, die mir zum Theil unbekannten Fundorte besser zu ordnen und die

. mannigfaltigen Formen dieser Art weiter zu erforschen.

!) Die Exemplare von verschiedenen Localitäten zeigten einige Ver- schiedenheiten in der Gröfse der Frucht. Die kleinsten Früchte (3— 34 lang) zeigten die von Carisbrook, Mittelgröfse die von Yarra und Brisbane, unge- wöhnliche Gröfse die von Stuart’s Expedition (5—54 und fast 6 Mm. Länge und fast 5 Breite).

134 Gesammtsitzung

Gruppe der M. Drummondii.

(Australische Arten mit lang-gestielten Früchten und Höckern auf den Hautzellen der Blätter.)

20. M. Howittiana'). Ich gebe von dieser und den fol- genden neu aufgestellten Arten keine Diagnosen, da sie in dem oben gegebenen Schlüssel ausreichend charakterisirt sind. Nur einige ergänzende Bemerkungen füge ich bei. Die Kenntnifs die- ser Art gründet sich auf ein einziges Exemplar, das ich Hrn. Wil- helmi verdanke, der es von Dr. Murray, dem Begleiter der Ho- witt’schen Expedition zur Aufsuchung Burke’s (1861) mit der Be- zeichnung: „Road to Coopers Creek“ erhalten. Es stellt eine ver- kleinerte M. Nardu (Drummondü orientalis) dar. Die Blätter sind ganzrandig und stark behaart, wie bei dieser. Die horizontale Frucht ist 4 Mm. lang, 3 breit, mit dichter, glänzend braunrother Haardecke. Der Fruchtstiel 10 Mm. lang. Die nur auf der Ober- fläche des Blattes vorhandenen Höcker der Hautzellen sind weniger scharf umschrieben als bei den folgenden Arten und dicht.

21. M. sericea. M. Drummondi «. minor A. Br. in Linnaea XXV (1852) p. 221; M. erosa var. sericea Ferd. v. Müller in herb. Sonder. Dombey Bay in Südaustralien, gesammelt von Wilhelmi (F. v. Müller in herb. Sonder); Onkaparinga-Flufs (F. v. Müller 1851 in herb. Mus. Melb.).”) Die kleinste unter den Ver- wandten, von der vorigen durch die kleineren, derberen, dich- ter seidenartig behaarten, am Stirnrand gekerbten Blätter ab- weichend. Die Frucht stimmt in Gröfse und Behaarung mit der der vorigen, sie ist 4—5 Mm. lang, 3 bis fast 4 breit, hat unge-

1) Ich führe alle dieser Abtheilung angehörigen Formen hier vorläufig gesondert auf, ohne über ihren specifischen Werth entscheiden zu wollen. - Reichlichere Einsammlung fructificirender Exemplare an _ möglichst vielen Fundorten, sowie fortgesetzte Beobachtung derselben im cultivirten Zustande, werden später ein bestimmtes Urtheil darüber erlauben, ob alle diese Formen so innig zusammenhängen, dafs sie als Abarten einer Species betrachtet wer- den müssen, oder ob sich dieselben in mehrere unterscheidbare Arten gruppiren lassen.

2) Wohl beides derselbe Fundort, wie ich nach der völligen Überein-

stimmung der Exemplare vermuthe.

vom 11. August 1870. 739

fähr 6 Sori auf jeder Seite. Fruchtstiel fast 3 mal so lang. Die Haare der Frucht an den oberen Zellen sehr stark warzig.

22. M. Müllerı A. Br. in Linnaea 1. e. p. 721. M. erosa F. v. Müller in herb. Sond. et nostro. Nachdem ich Exemplare von mehreren Fundorten und unter diesen auch fruchttragende ge- sehen, mufs ich die früher (Monatsb. 1863, 427) versuchte Ver- bindung dieser Art mit AM. salvatrix wieder aufgeben. Durch die kleinen Früchte (5—52 Mm. lang, 4—41 breit) schliefst sie sich den beiden vorigen an, und ist im fructificirenden Zustande fast so kleinblättrig, wie die vorige. Die Behaarung ist lockerer, die Blätt- chen der kleineren Form sind einfach oder doppelt ausgeschnitten, die der grölseren (fast ganz kahlen, sterilen) zeigen zahlreichere (5—6) durch tiefere Einschnitte gesonderte Läppchen am Stirnrand, welche meist selbst wieder in 2—3 Zähne getheilt sind. Die Höcker der Hautzellen sind ausgehöhlt. Süd-Australien: Nel- sabe (F. v. Müll. mit Frucht); Flinders Ranges (F. v. Müll. eben- so); St. Vincents Golf (F. v. Müll. 1850, schwächliche Sumpfform hier und da mit Interstitialstreifen); an den Seen um Port Lincoln am Spencer Golf gesammelt von Wilhelmi (F. v. Müll., gröfsere und kleinere sterile Formen). Am See diesseits Bacchus March (F. v. Müller 1853, kleine Landform).

23. M. macra A. Br. Ind. sem. hort. Berol. 1367, appd. p- 3. Im bot. Garten aus von Dr. F. v. Müller erhaltenen Früch- ten erzogen, welche wahrscheinlich in den Darling Downs gesam- melt sind (vergl. oben S. 663). Wild gesammelte fruchttragende Exemplare sind nicht bekannt, aber ein steriles Exemplar vom Light River neben den Bergen Barossa Range (F. v. Müll. 1848) gehört wahrscheinlich hierher. Auch diese Art schliefst sich durch die kleineren fast horizontalen Früchte an die vorausgehen- den an, ist aber durch eine leichte Ausfurchung der Bauchkante der Frucht ausgezeichnet. Die Rückenkante der Frucht ist oft et- was eingebogen, wie bei M. hirsuta. Die wild gesammelten Früchte sind 44—5 Mm. lang, 34 4 breit; die cultivirten erreichen mit- unter 6 Mm. Länge. Sori jederseits 6—7. Der Fruchtstiel ist 2-., höchstens 3mal so lang als die Frucht. Die Behaarung ist an allen Theilen schwächer und weniger bemerkbar als bei den vori- gen. Die Haare der Blätter zeichnen sich durch eine sehr breite

736 Gesammtsitzung

erste Zelle und eine plötzliche Verschmälerung über derselben aus,

sie sind an allen Zellen locker warzig, wie bei den vorhergehen- |

den. Die Haare der Frucht sind fester anliegend und weniger be- ständig. Die Landblätter haben mit Höckern besetzte Hautzellen auf beiden Flächen, die Schwimmblätter uur auf der Oberfläche

(vgl. S. 668, 691).

=4. M. oxaloides. An der Westküste Neuhollands am Swan River von Drummond gefunden, welcher die ersten sterilen

Exemplare mit der Bezeichnung „Oxalis an Hooker sendete. BR

Fruchttragende Exemplare vom Jahre 1848 tragen die Nummer 398 (herb. Hook.) oder 398B (herb. Boiss.). Sie ist grolsblättrig, die Blätter ganzrandig, die Behaarung sparsam, weich und glanz- los, bei einer gröfseren Sumpfform fast ganz fehlend. Die Haare der Blätter weichen von denen aller anderen Arten dieser Gruppe dadurch ab, dafs sie an den Gelenken eingezogen sind und aus dünnwandigen (schwach und locker warzigen) Zellen bestehen. _ Die Frucht ist 741—8 Mm. lang, 553—6 breit, stark zusammenge- drückt, an der Bauch- und Rückenkante schärfer als bei allen Ver- wandten, schwach geneigt oder völlig aufrecht. Die Haare der Frucht straff anliegend, aus meist 4 sehr diekwandigen Zellen, nach der Spitze zu warzig.

23. M. hirsutissima. Im Innern Australiens: Wills Creek (Dr. Murray auf Howitts Expedition 1861), auch auf M’Douall Stuarts Expedition (1862) gesammelt und von Dr. F. v. Müller mitgetheilt. Gleicht in der Gestalt und Richtung der Frucht der vorigen, aber die Bauchkante derselben ist abgeflacht. Länge der Frucht 54— 71 Mm., Breite 44—5. Fruchtstiel doppelt so lang als die Frucht. Die Blättchen sind stark gekerbt. Die Behaarung aller Theile ist sehr stark und auffallend. Die Haare der Frucht sehr lang, etwas kraus und abstehend, sehr schmal und lang aus- gezogen, aus 6—7 Zellen, die von der zweiten an warzig sind.

26. M. Nardu. M. Drummondii orientalis im Vorherge- henden (S. 162, 193 ete.). M. Drummondü A. Br. in Linnaea XXV (1852) p. 721 ex part. (quoad var. megalophyllam?); Monatsb. 1863 S. 426 (ex part.); Ind. sem. hort. Berol. 1867, app. p. 2; M. macro- pus Hook. Ie. pl. X (1854) ex part. (quoad plant. ad fluv. Lachlan

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lectam); Garden Ferns (1862) t. 65! M. hürsuta (quadrifolia var.) F. v. Müller in herb. (non R. Br.); M. serices Kunze herb. Da ich mich überzeugt habe, dafs die seit 8 Jahren in den bot. Gär- ten cultivirte ostaustralische Pflanze, ungeachtet bedeutender Ähn- lichkeit, doch nicht identisch ist mit der von Drunmmmond in West- australien entdeckten Art, so ist eine neue Benennung für die er- stere nöthig, auch wenn man sie nur als Abart betrachten will. Ich wähle dazu den Namen, den die Eingeborenen den zur Brot- bereitung benutzten Arten geben, da die Art, um die es sich han- delt, ohne Zweifel die vorzüglichste unter den Nardu-Pflanzen ist, indem sie eine minder harte Fruchtschale besitzt als M. salvatrix und elata (vergl. Monatsb. 1863, S. 415). Besonders charakteristisch für diese Art sind die schief aufgerichteten, von unten nach oben schief abgeschnittenen Früchte, die dicker sind als bei den Ver- wandten, an der Bauchkante etwas abgeflacht, aber nicht ausge- furcht. Sie hat unter allen Verwandten den gedrungensten Wuchs und die grölste Fruchtbarkeit. Ostaustralien wahrscheinlich bis weit ins Innere. Der von Hooker ]l. ec. angegebene Fundort Lach- lan River und Liverpoolplains (All. Cunningham) gehört wahr- scheinlich hierher, sicher die Exemplare in Hooker’s Herbar mit der Bezeichnung „Eastern subtropical Newholland (Mitchell)“. Fer- ner sah ich unzweifelhafte Exemplare von den Darling Downs (Darlachy et Goodwin) in der von Dr. v. Müller zur Ansicht mit- getheilten Sammlung. |

M. Nardu var? megalophylla (M. Drummondiü y. megalophylla A. Br. in Linnaea XXV. p. 221) von Dombey Bay (F. v. Müller 1851) und Spencers Golf (F. v. Müll. in herb. Melb.) unterscheidet sich durch auf beiden Seiten mit höckertragenden Hautzellen ver- sehene Blätter von ausgezeichneter Gröfse. Die Blättchen sind 235 —25 Mm. lang, 25 —28 breit, dabei beiderseits stark behaart, ein Zeichen, dafs es keine Schwimmblätter sind. Des Fundorts wegen ziehe ich sie lieber hierher als zu NM. elata, zumal die cul- tivirte M. Nardu mitunter (an den falschen Schwimmblättern) gleichfalls auf der Unterseite höckerige Blätter zeigt. Ohne Früchte ist eine Entscheidung nicht möglich.

27. M. Drummondı A. Br. in Linnaea XXV. (1852) p. 221 (ex part.); Monatsb. 1863, 5. 426 (ex part.); M. Drummon- di ‚occidentalis im Vorhergehenden (S. 690 etc.); M. macropus Hoo-

138 (Fesammtsitzung

ker Ic. pl. X. (1854) t. 909! (Cent. of ferns t. I!) mit Ausschlufs des Fundorts „Lachlan River ete.* Unterscheidet sich von der vorigen, mit der sie in der Form und Richtung der Frucht, so wie in der Länge des Fruchtstiels übereinstimmt, durch gekerbte Blätter mit schwächeren (soliden) Höckern auf den Hautzellen der Oberfläche und mit völlig glatten Haaren. Auch die Haare der Frucht, welche 5 6 zellig und sehr lang und schmal ausgezogen sind, sind beinahe glatt (an den letztern Zellen sehr fein punktirt).

28. M. salvatrıx Hanstein, Monatsb. 1863, p. 103, 105 ce. tab.'); A. Br. ibid. p. 415. 427; Ind. sem. h. Ber. 1867, app. p. 3.— Die Früchte, aus welchen die seit 1863 eultivirte Pflanze erzogen wurde, sind vom Coopers Creek im Innern Australiens (unter 27° südl. Breite und 140 östl. Länge), der Gegend in welcher Burke, nach glücklich vollendeter Reise durchs Innere, auf der Rückkehr vom Carpentaria-Golf im Juni 1861 sein Leben endete; sie stammen wahrscheinlich von Howitts Expedition und wurden mir 1862 von Herrn Osborne überbracht. Getrocknete Exemplare derselben Pflanze vom Coopers Creek und Wills Creek, gesammelt von Dr. Murray und Howitt, verdanke ich Dr. F. v. Müller und Hrn. Wilhelmi. Zweifelhaft rechne ich hierher sterile Exemplare gesammelt von Dr. Wheeles „between Stockes Range and Coopers Creek (herb. Mus. Melb.). Auszeichnend für diese Art sind die gekerbten Blättchen mit welligen Rändern, der leicht gebogene Fruchtstiel, die weniger schiefe und stärker zusammengedrückte Frucht. Sie gehört zu den ansehnlichsten der Gattung, ist auch im trocke- nen Land stärker kriechend als M. Nardu, die Blattstiele sehr gestreckt und biegsam (vergl. S. 679). Die Blätter färben sich im Spätjahr dunkelbraun (vergl. 8. 693) °); die Fruchtstiele sind

!) Die von Hanstein unter Fig. 1. dargestellten Früchte zeigen eine den später erhaltenen und hier gezogenen Früchten ungewöhnliche Einbiegung des Rückens, die kleine Frucht (c) gehört schwerlich derselben Art an. Die Kahlheit der Frucht, welche Hanstein in die Diagnose aufgenommen hat, ist Folge der Abreibung (vgl. S. 710).

?) In dem von Wills, dem unglücklichen Begleiter Burke’s, bis zum Ende seines Lebens geführten Tagebuche findet sich die Angabe, dafs er an einigen Stellen (des Cooper Creek) die Erde ganz schwarz mit Nardu bedeckt ge- funden habe. Dies bezieht sich ohne Zweifel auf die Farbe der Blätter.

vom 11. August 1870. 139

34—4 mal so lang als die Frucht und nach oben zu leicht ge- bogen; die Frucht geneigt, stärker zusammengedrückt, an der Spitze gleichmäfsiger gerundet als bei M. Nardu, 6—9, bei cultiv. Exempl. 7”—10 Mm. lang, 414—54 (cultiv. 3—6) Mm. breit, deut- lich gerippt; Sori jederseits 8—10, zuweilen selbst bis 12. Die Haare der Frucht sind anliegender und dunkler gefärbt als bei M. Nardu, von derdritten Zelle an deutlicher warzig als bei M. Drummondü.

29. M. elata A. Br. Ind. sem. 1867, app. p. 3. Wilde Exemplare sind von dieser Art nicht bekannt; die seit 1864 cul- tivirte Pflanze ist aus Früchten von Kinlay’s Expedition erzo- gen, die mir von Dr. F. v. Müller mit der Angabe „Northern Australia* mitgetheilt wurden. Wahrscheinlich sind sie aus der Gegend des Lake Blanche, südlicher als Cooper’s Creek. Von dieser Gegend wird in Kinlay’s Journal unter dem 10. Januar 1862 (p. 41) angegeben, dafs die hauptsächliche Nahrung der Ein- geborenen in Fischen und „Addo* (dem Nardu Burke’s) bestehe. Die sehr langgestielten aufrechten Früchte mit ausgefurchter Bauch- kante und die beiderseits mit Höckerchen besetzten Blätter lassen diese Art sicher erkennen. In Beziehung auf Gröfse und beson- ders Länge der Frucht ist sie sehr veränderlich (vergl. S. 700), ebenso in der Länge der Fruchtstiele (S. 695), die bei dieser Art ihr Maximum erreicht. Die Blättehen sind bei der Normalform ganzrandig; eine Form mit gekerbten Blättchen, die bei den wie- derholten Aussaaten öfters vorkam, kann als var. crenata unter- schieden werden.

Gruppe der M. mucronata.

30. M. vıllosa Kaulf. Enum. Fil. (1824) p. 272; A. Br. Monatsb. (1863) S. 425; Horace Mann, Hawaian plants (Proceed. of the Amer. Acad. VII) p. 222; M. quadrifolia Kaulf. 1. c. p. 271; Gaudich. in Freyc. Voyage p. 406. Sandwichs-Inseln: Oahu (v. Chamisso, Gaudichaud, Remy, Eschscholtz, Mann). Eine aus- gezeichnete Art! Der Name bezieht sich weniger auf die Blätter als auf die Stengelspitzen, die mit einem dichten röthlichen Filz bedeckt sind, in welchem sich die gleichfalls dicht behaarten

kurz gestielten Früchte verbergen. Der Fruchtstiel ist ungefähr &

40 Gesammtsitzung

so lang als die Frucht, welche stark zusammengedrückt und etwas einseitig gewölbt ist, wie bei M. pubescens. Sori jederseits 7.

31. M. tenurfolia Engelm. in lit. 1847; A. Br. Monatsb. 18635, S. 425. Im westlichen Texas: bei Friedrichsburg an Was- serpfützen im sandigen Eichenwalde (Postoak, Quercus obtusiloba) am Pierdenales (F. Lindheimer 1847, Fl. Tex. exsicc. Fasc. IV, No. 745). Im östlichen Texas ohne nähere Angabe (Ch. Wright, Coll. du Texas or. 1848—49. Herb. Godet.) Eine der australi- schen M. angustifolia analoge Art, aber, abgesehen von der wesent- lich verschiedenen Fruchtbildung, weit zarter, dünnstieliger und kleinblättriger. Die gröfsten Blätter, die ich sah, haben Blättchen von 20 Mm. Länge und 5 Mm. Breite; bei 15 Mm. Länge beträgt die Breite 14—2; die kleinsten Blättchen haben 5 Mm. Länge und kaum 1 Mm. Breite. Der Stirnrand der Blättchen ist schief abge- schnitten meist mit einigen (3—6) Zähnen. Die Frucht hat grolse Ähnlichkeit mit der von M. mucronata; sie ist 6—8 Mm. lang, 4,—5 breit, reif horizontal, in der Jugend auf den Stiel zurück gelegt. Der obere Zahn ist gerade oder schwach rückwärts ge- bogen und nicht immer länger als der untere. Die Haare der Frucht sind angedrückt, breit, meist dreizellig, mit ungewöhnlich starken Warzen besetzt. Die sparsamen Haare der Blätter sind gleichfalls anliegend und kurz, aber etwas schmäler und schwächer warzig. Die Schwimmblätter sind leider unbekannt. Möchten wir doch Gelegenheit erhalten, diese eigenthümliche Art zu cultiviren!

32. M. mucronata A.Br. in Sillim. Am. Journ. Ser. I, vol. III (1847) p. 55; Monatsb. 1863, S. 423; M. vestita 'Torr. Cat. of Nicollet’s Exped. app. p. 165 (non Hook. et Grev.); J/. quadri- Jolia Ward in herb. t. Engelm. Minesota, auf der Hochebene zwischen Missouri und Mississippi in der Nähe des Shienne-Flusses und des Devils- Sees auf Nicollet’s Expedition entdeckt von Ch. Geyer 1839. Als zweifelhaft zu dieser Art gehörig führe ich an: eine sterile Form von Michaux aus Illinois („ad amnem Kaskas- kia* herb. de Franquev.); ferner Exemplare von Athens in Illinois (Elihu Hall 1862, mit unentwickelter Frucht); endlich eine lang- kriechende sterile Form von Neu Orleans (P. Häuser 1868). Als abweichende Form dieser Art betrachte ich:

vom 11. August 1870. 741

M. brevipes Nutt. in herb. Hook, aus Arkansas. Die Frucht ist kürzer als bei der Normalform, kaum 5 Mm. lang, 4 Mm. breit; der obere Zahn gerade aufgerichtet und doppelt so lang als der untere. Der Fruchtstiel kaum so lang als die Frucht. Die Haare der Frucht dicht anliegend. Die Blätter schwach behaart. Mit dieser stimmen auch von dem Capitain Le Conte (in Georgien?) gesammelte Exemplare im Pariser Museum überein, so wie eines aus Texas von Drummond gesammelt (herb. Fee). Eine sehr kleine Form, die sich gleichfalls hier am besten anzuschliefsen scheint, habe ich vorläufig als M. mucronata var. antrorsa bezeich- net. Sie ist von Ch. Wright auf der Expedition von West-Texas nach El Paso in Neu-Mexico (Mai Oct. 1849), wahrscheinlich bei San Elceario am Rio Grande in W. Texas (wie Torrey im Rep. on the U. St. and Mex. Boand. Survey 1859, vol. II, p. 236, jedoch mit Citirung einer nicht hierher gehörigen Nummer, an- giebt) gesammelt und ‚unter der Nummer 811 vertheilt worden. Die äulserst kleinen Blätter (die Blättchen nur 3—5 Mm. lang!) sind grau, aber kahl. Die kleine, aber dick geschwollene Frucht nur 4 Mm. lang und fast ebenso breit, mit anliegenden Haaren bedeckt. Der obere Zahn sehr lang, hornförmig und nach vorn gekrümmt.

M. mucronata hängt mit M. uncinata sehr innig zusammen und beide sind vielleicht von M. vestita nicht specifisch zu tren- nen. Weitere Prüfung im Vaterland und dürch Cultur werden hierüber entscheiden.

33. M.vestita Hook. et Grev. Ic. Fil. II (1831) t. 159; Engelm. in Sillim. 1. c.; A. Br. Monatsb. 1863, S. 424; M. villosa (Kaulf.) Brackenr. Expl. Exped. p. 272 ex part.; M. lanuginosa Nutt. in herb. Hook. Von der vorigen durch die starke, glän- zend röthlich-braune Behaarung der Knospen, Blätter und Früchte abweichend. Selbst die Blattstiele sind mit langen, abstechenden Haaren besetz# Die Haare der Frucht sind sehr lang und schmal ausgezogen, während sie bei M. mucronata kurz und breit sind. Sie scheint auf die Westseite von Nordamerika beschränkt zu sein. Oregon: Auf den Sandbänken bei den Wasserfällen („grand ra- pids*) des Columbia-Flusses (Scouler in herb. Hook.); bei Walla- Walla an demselben Flusse (nach Brackenr.); ohne nähere Angabe des Fundorts (Douglas, Geyer). Californien: im Thale des Sacra-

742 Gesammtsitzung

mento (nach Brackenr.).. Neu-Mexico: bei St. Barbara (Nutt. in herb. Hook.).

M. vestita var. minima. So bezeichne ich eine von Wright in Neu- Mexico gesammelte sehr kleine Form, die in der Coll. Nov. Mex. 1851 —52 unter No. 2112 ausgegeben ist. Sie ist nicht zu ver- wechseln mit Wrights No. 811 (M. mucronata v. antrorsa), da sie die starke und abstehende Behaarung der A. vestita besitzt. Die Frucht ist 5 Mm. lang, 4 breit; die Blättchen 5—6 Mm. lang.

34. M. uncinata A. Br. in Flora 1539, p. 300; Engelm. in Sillim. Am. Journ, Ser. II, Vol. III (1847) p. 55; M. Beyrichü Sporleder in herb. Kunze. Little Rock am Arkansas (Engelmann 1835, Beyrich 1834). Von den beiden vorausgehenden weicht sie hauptsächlich durch den längeren Fruchtstiel, die kürzere Frucht und den meist hackenförmig zurückgebogenen oberen Zahn ab.

M. uncinata v. Texrana (M. Texana Godet herb.) von Lindhei- mer im Jahr 1847 zwischen dem oberen Guadeloupe und Cibolo, bei Friedrichsburg, zwischen Braunfels und Comanche-Spring und anderwärts gesammelt, bildet einen deutlichen Übergang zu M. mucronata, von welcher namentlich die in Lindh. Fl. Tex. exsicce. Fasc. IV. unter No. 746 ausgegebene Form kaum unterscheidbar ist.

Gruppe der M. Capensis.

35. M. rotundata A. Br. in Kuhn, Fil. Afr. (1868) p. 200. Von Dr. Welwitsch in Angola entdeckt: fruchttragende Exem- plare im Distrikt Huilla, in Sümpfen neben dem Flufse von Mum- pulla, in Gesellschaft von Ottelia, Xyris und Juncus-Arten, unge- fähr 4500 über M. im Juni 1870 (It. Ang. 171); sterile, sehr wahrscheinlich derselben Art angehörige Exemplare im Distrikt Zenza de Golungo, in einem Bache Namens Ribeira de Muchao im Sept. 1854 (It. Angol. 40). Ich bin etwas zweifelhaft, ob diese Art hier die richtige Stellung gefunden hat, da die Ringspal- ten der Frucht unmerklich sind, während sie bei allen anderen Arten der Gruppe sehr auffallend hervortreten. In allen anderen Charakteren, namentlich in der schwachen Ausbildung beider Zähne, schliefst sie sich nah an M. macrocarpa an, von der sie sich haupt-

vom 11. August 1870. 743

sächlich durch kleine und verhältnifsmäfsig kürzere Früchte unter- scheidet. Die fructificirende Land- oder Sumpfform (171), hat un- gefähr die Statur von M. quadrifoliata, aber die Blättchen sind et- was schmäler, mehr keilförmig, am Stirnrand mehr oder weniger deutlich gekerbt, mit 7—8, bei kleinern Blättern 2—4 Kerbzähnen; sie sind kahl und etwas glaucescent. Der aufrechte, seltener ge- gen die Spitze etwas gekrümmte Fruchtstiel ist 241—3-, selbst 4- mal so lang als die Frucht. Die Frucht ist fastkreisrund, 4—5 Mm. lang, 33—4 breit, horizontal oder schwach aufsteigend, mit verlänger- ter Raphe und zwei flachgerundeten, wenig bemerkbaren Zähnen. Sori jederseits 7—8. Die Haare der Frucht, welche zur Zeit der Reife verloren gehen, sind fest anliegend, sehr allmählig verschmä- lert, aus meist 6 ungewöhnlich kurzen Zellen gebildet, von denen die erste gestreift ist, die folgenden mit gereihten Wärzchen besetzt. Die Wasserform (40) hat bedeutend gröfsere Blätter mit ganzran- digen Blättchen, die so breit als lang sind und auf der Unterseite die für die Schwimmblätter charakteristischen Interstitialstreifen zeigen.

36. M. macrocarpa Presl in Abh. d. Böhn. Ges. d. Wiss. III (1843—44) S. 580; Kuhn Fil. Afr. p. 199; M. Dregeana A. Br. Monatsb. 1863, S. 428. Im Capland (Drege als M. quadrif. a, c und b, letztere die sterile Wasserform; Burchell 3896). Sie verdient ihren Namen eigentlich nicht, da die Früchte nur 54 64 Mm. lang, 33—4 Mm. breit sind. Der Fruchtstiel ist 10—-14 Mm. lang. Sori 7—8. Gröfse der Schwimmbl. vergl. S. 669.

37. M. Capensis A. Br. Monatsb. 1863, 8. 428; M. biloba Bory in herb. variis (non Willd.); M. quadrifolia @. Kunze in Linnaea X (1836) p. 555. Im Capland die häufigste Art (Maire und Mundt in herb. Berol.; Carmichael in herb. Hook.; Alexan- der in herb. Hook.; Zeyher 4644; Drege als M. quadrif. d,e und f, die letzte eine sterile Wasserform); Natal (Robertson in herb. Hook., sterile zweifelhafte Form). Eine der kleineren Arten, in der Blattform sehr veränderlich, mit ungetheilten bis tief zweilappigen Blättchen; die Frucht 3—34, selten bis 4 Mm. lang, 2—21 breit; der Fruchtstiel 5—6 Mm. lang. Sori 5—6.

M. Capensis var. brachycarpa mit kürzerer, fast horizontaler

744 Gesammtsitzung

Frucht von 3 Mm. Länge und 24, Breite nähert sich der folgenden an (Ecklon et Zeyher No. 3).

38. M. Burchellü A. Br. Monatsber. 1863, $. 429; MM. quadrifolia y. Burchellii Kunze in Linnaea X (1836) p. 556; M. minuta Burch. Cat. No 1625; M. pusilla A. Br. olim in herb. Drege; M. pumila (Schreibfehler statt pusilla) E. Meyer, pflanzen- geogr. Documente (Beigabe zur Flora von 1843) $S.58. Cap- land (Burchell No. 1625 und 2123 in herb. De Cand. et Mett., letztere Nummer eine Form mit gröfseren Blättern; Drege als M. quadrif. g; James Backhouse). Im Interesse der Wiederauffin- dung dieser kleinsten, sehr niedlichen Art mag die genauere An- gabe der bekannten Fundorte nicht überflüssig sein. J. Backhouse hat dieselbe im Jahr 1839 an einer Pfütze auf der Nordseite des grolsen Oranjeflusses, zwischen 29 und 30° s.B., 25 und 26° ö. L., am Weg von Philippolis nach Ramah gesammelt und glaubt, dafs dies dieselbe Stelle sei, an welcher sie von Burchell entdeckt worden sei. Drege giebt einen südwestlicher gelegenen Fundort an: Nieuweveld zwischen Brakrivier und Uitvlugt, 3000 4000’ üb. M. Die Frucht ist nur 14— 13 Mm. lang und fast ebenso breit; die Blättchen 2—6, bei Burchell’s No. 2123 bis 10 Mm. lang. Die Nervatur der Frucht vergl. S. 702, Fig. 1.

39. M. biloba Wwilld. Sp. pl. V (1810).p. 540; herb. 20257; A. Br. Monatsb. 1863. 5. 429; Kuhn, Fil. Afr. p. 198; M. glome- rata Presl in Abhandl. der Böhm. Ges. d. Wiss. III (1843 44) 5. 5580. Capland: In der Gegend der Mosselbay (Meuron in herb. Willd.); am Garip (Oranjeriver) bei Verleptpram (Drege, als M. quadrif. h). Eine grofsblättrige sterile Form ist Burchell’s No. 4444. Eine durch den einzigen (oberen), stachelartig verlänger- ten Zahn und die starke, abstehende Behaarung der Frucht, so wie durch die tief zweilappigen, bei der grofsblättrigen Form dop- pelt zweilappigen Blättehen sehr ausgezeichnete, von M. Capensis wohl verschiedene Art! Die Frucht ist kaum länger als breit (bei- nahe 3 Mm. lang, 23 breit), von unten nach oben schief abgeschnit- ten, die Seitenwände sehr stark gewölbt. Sori jederseits 4. Frucht- stiel 11—2mal so lang.

Sr

vom 11. August 1870. . 14

Gruppe der M. Aegyptiaca.

(Mit der vorausgehenden Gruppe nahe verbunden.)

40. M. Aegyptiaca Willd. Sp. pl. (1810) p. 540; Delile Fl. d’Egypte p. 283, t. 50; Schweinf. Beitr. S. 218; Coss. et Kral. Sertul. Tunet. p. 61; Ledeb. Fl. Rofs. IV. p. 494; Kuhn Fil. Afr. p. 197; A. Br. Monatsb. 1863, S. 430; M. emarginata Del. in herb. Mus. Par.; M. tridentata Del. in herb. Fee. Ägypten: Bei den Pyramiden von Gizeh (Delile, Kralik); bei Cairo (Th. Bilharz, Schweinfurth, Steudner); bei Abu-Zabel (W. Schimper et Wiest No. 33, Kotschy No. 408); bei Gezaieh (Husson, Schweinfurth); bei Mansurah und Essaui (Ehrenberg); am See Menzaleh bei Tanis (Sehweinfurth); bei Damiatte (Ehrenberg, Sieber); bei Rosette (Co- quebert in Mus. Par.). Tunis: bei Gabes (Kralik Fl. Tunct. ex- sicc. 396). Bei Astrachan (Blum in herb. Ledeb.). Ob eine von Dr. Steudner in Abyssinien bei Zasaga zwischen Keren und Adoa gesammelte sterile Pflanze hierher gehört, ist sehr zweifelhaft. Über die Verschiedenheit der Land- und Wasserblätter vgl. S. 680, über die Fruchtbildung S. 699.

41. M. quadrata. Eine neue Art aus Borneo (Lowe in herb. Hook.). In Gröfse und Wuchs der M. Capensis und Aegyp- tiaca vergleichbar, mit der letzteren überdies durch die horizontale und fast viereckige Frucht mit senkrechter, ausgefurchter Stirn- kante übereinstimmend. Die Blätter klein, derb, grau, etwas be- haart; die Blättchen keilförmig, einfach oder mehrfach ausgeran- det. Der Fruchtstiel aufrecht und gerade, 2--3 mal so lang als die im reifen Zustand kahle schwarzbraune Frucht, an welcher die Ringspalten nicht deutlich hervortreten. Sie ist 3 Mm. lang und ebenso breit, stark zusammengedrückt, mit sehr langer Raphe, ver- wischtem unterem und langem, kegelförmigem, aufrechtem oberem Zahn. Die Rückenseite gerade, nicht eingebogen. Die junge Frucht ist mit anliegenden kurzen Haaren bedeckt, welche 3—4 zellig und allenthalben warzig sind.

42. M. gıbba. Neue Art, von Dr. Schweinfurth bei Gir im Djurgebiete im Juli 1869 entdeckt. Von mittlerer Grölse, die fructificirende Form ziemlich kleinblättrig, langkriechend. Die

746 sesammtsilzung

Blätter derb, mit wenigen, kaum bemerkbaren Haaren; die Blätt- chen breit keilförmig, ganzrandig oder am Stirnrand leicht buchtig. Der Fruchtstiel ungefähr 5 mal so lang als die Frucht, am Grunde nach unten gebogen, zuweilen eine Windung beschreibend, sodann aufsteigend. Die Frucht schief aufsteigend, länglich, 4—41 Mm. lang, 3 breit, an der Spitze gleichmälsig gerundet, berandet, mit hochgewölbtem Mitteltheil der Seitenwand, ungerippt. Die Raphe ziemlich kurz; nur der obere Zahn ausgebildet, niedrig, aber spitz. Ringspalten deutlich. Sori jederseits 5. DBehaarung der Frucht unscheinbar und fest anliegend; die Haare kurz, 4 zellig, allent- halben warzig. Die Hautzellen beider Blattflächen gebuchtet mit je 1—2 umschriebenen Höckern besetzt!

Es ist schwer diese Art an irgend eine andere anzuschlielsen. Mit den australischen höckerblättrigen Arten hat sie keine Ver- wandtschaft. In der Form und Berandung der Frucht erinnert sie an Al. Coromandeliana, aber durch den einzigen Zahn schliefst sie sich den Gruppen der M. Capensis und Aegyptiaca an. Die Be- nennung bezieht sich auf die höckerartige Wölbung der Seiten- wände der Frucht, kann aber auch auf die höckertragenden Haut- zellen der Blätter bezogen werden.

Gruppe der M. mutica.

(Grofsentheils amerikanische Arten mit niederliegenden oder absteigendem Fruchtstiel, mit schwachen oder fehlenden Zähnen).

43. M. Ernesti A. Br. Sitzungsber. d. Gesellsch. naturf. Freunde vom 19. Juli 1870, S. 46; M. striata A. Ernst, Vargasia No. 7, p. 181 (non Mett.) Wurde gegen Ende v. Jahres von Ad. Ernst bei Caracas entdeckt, wo sie in Gesellschaft von M. subangulata vorkommt. Die Landform ist Kleiner und schmächti- ger als M. quadrijoliata, langkriechend. Die Blättchen breitkeil- förmig, vorn gerundet, ganzrandig, besonders auf der Unterseite mit sparsamen kurzen Haaren besetzt. Der Fruchtstiel nach unten gewendet oder, wo er Widerstand findet, horizontal niedergelegt, mit schlangenartig gebogenem, zuweilen selbst geringeltem Ende schief an die Frucht angesetzt, $>—} so lang als diese. Die Frucht geneigt oder fast gerade ausgestreckt, länglich, 64 7,

vom 11. August. 1870. 47

selten bis fast 8 Mm. lang, 45—5 Mm. breit, die Seiten stark und gleichmälsig gewölbt, so dafs die Bauch- und Rückenkanten fast verschwinden, fast ohne Raphe, indem der Stiel sich mit einer schiefen, auf der oberen Seite einen schwachen Zahn tragenden Ausbreitung ansetzt. Der zweite Zahn sehr flach gewölbt und we- nig bemerkbar. Sori jederseits 7”—9. Die Haare bilden einen dichten, etwas krausen Pelz; sie sind sehr lang und fein ausgezo- gen und bestehen aus meist 7 mit kleinen Wärzchen dicht besetz- ten Zellen. Die enthaarte Fruchthaut ist braun, matt, rauh und ohne deutliche Ringspalten. (Über Cultur, Keimung, Primordial- und Schwimmblätter dieser Art vergl. S. 662, 683 ete.). Den Na- men dieser Art wählte ich zu Ehren des Entdeckers derselben, Adolf Ernst, des Gründers nnd Vorstehers der physikalisch-natur- geschichtlichen Gesellschaft Vargasia in Caracas, eines eifrigen und insbesondere um die dortige Flora sehr verdienten Forschers.

44. M. Mexicana. Neue, von Beechey bei Julisca (Xu- lisca) in Mexiko gesammelte Art (herb. Hook.). Sie erinnert in der Tracht an M. vestita und mucronata, schliefst sich aber in der Fruchtbildung entschieden der vorausgehenden an, von der sie sich durch dünnere Blattstiele, schmälere etwas stärker behaarte Blätt- chen, geraden (meist horizontal niederliegenden) Fruchtstiel, klei- nere (4—42 Mm. lange, 3 Mm. breite), meist horizontal am Stiel ansitzende, stärker zusammengedrückte Frucht mit etwas verlän- gerter Raphe und sehr schwach angedeutetem oberen Zahn, end- lich durch glatte Haare der Frucht unterscheidet. Sori jederseits 8—9.

48. M. Berteror. Insel $. Dominique, gesammelt von Ber- tero (im De Öandolle’schen Herbar, mitgetheilt von Balbis 1821). Scheint der vorigen sehr nahe zu stehen und bedarf noch genaue- rer Vergleichung, namentlich in Betreff der Haare der Frucht. Die Blätter sind kleiner und kahl; der Fruchtstiel etwas mehr ver- längert (1% bis fast 2mal so lang), geschwungen-niedergelegt, die Frucht rückwärts an den Stiel angelegt, 5—6 Mm. lang, 4 Mm. breit, mit anliegenden Haaren. y

46. M. ancyclopoda A. Br. Monatsb. 1863, S. 434. Gua- yaquil (Jameson 1847 No. 394 in herb. Boiss.). Nicht hinreichend

[1870] öl

748 Gesammtsitzung

bekannt, da die Früchte der wenigen gesehenen Exemplare noch sehr jung sind. Die hakenförmige Krümmung des absteigenden Fruchtsiels ist wahrscheinlich nur ein vorübergehender Jugendzu- stand, der Name in diesem Falle nicht gut gewählt.

46. M. mutica Mett. Fil. Nov. Caled. p- 34 (Ann. d. se. nat. Ser. 4, Vol. XV, p. 88). In Neu-Caledonien von Vieillard entdeckt (1861 1867 No. 1698). Die Land- (oder Sumpf-) Form von der Statur und Blattform der M. quadrifoliata, aber die Blättehen mitunter etwas gekerbt. Der Fruchtstiel 11—2 mal so lang als die Frucht, in seiner Richtung veränderlich, aufsteigend oder niedergestreckt. Die bald gerade ausgestreckte, bald gegen den Stiel geneigte Frucht länglich, 4 Mm. lang, 2 bis fast 3 Mm. breit und ungefähr ebenso dick, fast stielrund, zuweilen längs des Rückens vertieft und dann selbst etwas dicker als breit. Der Stiel tritt mit einer schwachen, nach der Rückenseite zu kaum stärker hervortretenden Verdiekung an die Frucht, weder eine Raphe noch einen Zahn bildend; die Stelle des zweiten Zahnes ist nur durch eine längliche, glattere Stelle angedeutet. Die Frucht ist in eine dichte Decke langer, fest ineinander gewirrter Haare gleichsam ein- gepackt; die Haare sind von ungewöhnlicher Länge, 4—5 zellig, wellig und zerknittert, ohne Spur von Wärzchen! Die enthaarte Frucht ist dunkelbraun, rauh, ohne bemerkbare Ringspalten. Sori jederseits 6. Trotz der mangelnden Zähne schliefst sich diese Art doch unzweifelhaft an M. Ernesti an. Eine gleichfalls von Vieil- lard gesammelte Wasserform mit sehr grolsen, auf der Unter- fläche mit braunen Intercostalstreifen versehenen Schwimmblättern gehört ohne Zweifel derselben Art an (vergl. S. 669, 671).

M. quadrifoliata Brackenridge Expl. Exped. p. 340 und See- mann Journ. of Bot. I, p. 31 von den Feejeeinseln, wo sie haupt- sächlich in den Pflanzungen von Colocasia esculenta vorkommt, ist nur steril gesammelt worden, daher nicht sicher zu bestimmen.

Gruppe der M. trichopoda.

(Arten der alten Welt mit Intercostalstreifen aus Sclerenchym.)

4%. M. Coromandeliana Willd. Spec. pl. V (1810) p. 539; A. Br. in Flora 1839, S. 300; Monatsb. 1863, S. 422; M. quadri-

vom 11. August 1870. 749

folia Burm. Fl. Ind. (1767) p. 237 ex parte, t. 62, £.3!1'). M. minuta 8. Coromandeliana L. Mant. Il (1771) p. 308; M. minuta Hedw. theor. gen. t. 8, f. 6—11 (sec. specimina herb. Hedw.); M. minuta pedunculis unifloris longioribus fiiformibus Klein in herb. Willd. 20253; M. merginata Kunze herb.; M. longipes Bory (in herb. Kunze). Vorderindien, Küste Coromandel: Trankebar (Klein in herb. Willd.); Pondichery (Perrottet 1836); Madras (Thomson 1845 in herb. Hook.); ohne nähere Angabe (Wright herb. No. 3). Über das fragliche Vorkommen auf Mauritius vergl. 8. 657; über Cultur und Keimung S. 661, 665; über die Scleren- chymstreifen 8. 692.

48. M. trichopoda (Lepr. ined.) A. Br. in Flora 1839, S. 300; Monatsb. 1863, S. 422; Kuhn Fil. Afr. p. 200. Sene- gambien (Leprieur, Perrottet, Heudelot No. 548). Von der vo- ‚rigen durch noch feinere längere Fruchtstiele, etwas kleinere, kür- zere, mehr geneigte Früchte und geringere Zahl der Sori abwei- chend, vollkommen die Mitte zwischen ihr und der folgenden haltend.

49. M. muscoides (Lepr. ined. sec. Perrott.); A. Br. in Flora 1. ec.; Monatsb. 1863, 8.422; Kuhn Fil. Afr. p. 200; M. pygmaea Lepr. (in herb. Kunze); M. microphylla Welw. herb. An- gol. mspt. et in lit. ad Hook. Senegambien, namentlich in der Gegend des „Cap de Nasse* (Leprieur 1827, comm. Perrottet). Angola: Im Distrikt Benguella, an etwas feuchten, sandig-lehmigen Stellen, welche im Sommer überschwemmt werden, zwischen der Stadt Benguella und Serra das Bimbas (Welwitsch Juni 1859, No. 176); im Distrikt Loanda (Welw. Mai 1859, No. 109). Über die Art des Vorkommens in letzterer Gegend giebt Dr. Welwitsch fol- gende, für eine Marsilia bemerkenswerthe Mittheilung: „Ich fand

1) Burmann ist selbst geneigt, die zwei von ihm vermischten ostindi- schen Arten, die nach seiner Angabe sogar besondere einheimische Namen haben, zu unterscheiden: „Indica Coromandeli collecta sub nomine Warra- larei multo tenerior europaea; petioli pollicares, capillo humano teneriores ..; quae vero eodem in loco sub nomine Nier-raer-rei cum 'europaea convenit et major est, hine dubitandum, an non pro distinctis speciebus ha- bendae.* Die erwähnte zweite Art ist ohne Zweifel M. erosa W.

51°

750 Gesammtsitzung

diese niedliche Art im Mai 1859 auf sandigem rothem Lehmboden zwischen Bemposta und Camama, circa 4 Meilen (geogr.) landein- wärts von der Stadt Loanda; sie hatte sich nicht allein auf man- chen zur Regenzeit (Nov. bis März) überschwemmten, nun aber fast aufgetrockneten kurzgrasigen Stellen rasenförmig ausgebreitet, sondern auch einen benachbarten Gemüse-Garten derart invadirt, dafs einige für Gemüsekultur zubereitete Abtheilungen desselben mit ihr gleich einem dichten Kleefelde überdeckt waren.“ Nächst M. Burchellüi ist dies die kleinste Art der Gattung, durch Feinheit der Stengel, Blatt- und Fruchtstiele vor allen anderen ausgezeich- net. Die fast horizontale Frucht ist 1%, höchstens 2 Mm. lang und fast ebenso breit und hat jederseits 2—3 Sori. Die beiden Zähne sind deutlich und meist spitz. Der fadenförmige Fruchtstiel ist 24 bis 5mal so lang als die Frucht. Die ziemlich schmalen Blättchen sind ganzrandig, am Ende gerundet, mit nur 10—12 in den Rand eintretenden Nervenenden und spärlichen, zuweilen ganz fehlenden Anastomosen. (Vergl. $. 680.) Die senegambi- schen Exemplare bilden einen äufserst dichten, niedrigen, moosar- tigen Rasen; die von Angola haben einen lockereren Wuchs und die zahlreichen Zweige mit gedehnteren Internodien sind aufstei- gend. Dadurch, sowie durch die mehr aufgerichtete Frucht, schliefst sie sich der M. trichopoda näher an.

30. M. dıstorta A. Br. Monatsb. 1863, $. 433; M. subter- “ranea (Lepr.) in herb. Mus. Par., Kunth etc. (non Lepr. in herb. Perrott.). Senegambien: Im Reiche Walo. bei Dagana - Ouallo (Leprieur 1828); bei Richard-Tol (Lelievre 1829). Der Frucht- stiel ist dünn und lang (24—3 mal so lang) wie bei den vorigen Arten, aber niederliegend oder absteigend, hin- und hergebogen, zunächst unter der Frucht zuweilen einen Kreis beschreibend. Die Frucht ungefähr von der Gröfse derjenigen von M. Coromandeliana, 34— 44 Mm. lang, 22— 34 breit, aber dicker und unberandet, auf den Stiel zurückgelegt, fast ohne oberen Zahn, mit langen ab- stechenden Haaren, welche völlig glatt sind. Sori jederseits 6—7. Die Blättchen am Stirnrande wellig oder gekerbt. Keine der vor- ausgehenden Arten zeigt eine so starke Entwicklung der durch- sichtigen Intercostalstreifen, deren Scelerenchymzellen sich durch sehr bedeutende Dicke der Wand auszeichnen. Dr. Kny hat die- selben auf Kieselerdegehalt geprüft, aber mit negativem Erfolg.

vom 11. August 1870. vol

Gruppe der M. gymnocarpa.

(Afrikanische Arten, deren Fruchthaut sich als äufsere Schaale ablöst. Vergl. S. 709).

81. M. Iymmocarpa Lepr. in herb. Perrott.; A. Br. in Flora 1839, S. 300; Monatsb. 1863, S. 432; Kuhn Fil. Afr. p. 199; M. pygmaea Lepr. sec. A. Brongn. in Diet. class. d’hist. nat.; M. leiocarpa Bory herb. Senegambien (Leprieur, Perrottet). Eine der zierlichsten, aber nicht der kleinsten Arten. Ich halte es nicht für zweckmälsig den sicheren, bezeichnenden und ohne Zweifel von dem Entdecker selbst vorgezogenen Namen aufzuge- ben, um einen früher publicirten zur Geltung zu bringen, in Be- ziehung auf welchen in den Sammlungen Widersprüche bestehen. (Vergl. bei M. muscoides).

82. M. Nubica A. Br. in Kotschy, Fl. Nub. exsice. 1841: A. Br. Monatsb. 1863, S. 432; Schweinf. Beitr. S. 218; Kuhn Fil. Afr. p. 200. Am Berge Arasch-Kol in Kordofan, an ausgetrock- neten Wasserzusammenflüssen (Kotschy im Oct. 1839, No. 126). Der vorigen nahe verwandt. Abgesehen von der eigenthümlichen Ablösung der äufseren Hautschicht der Frucht schliefsen sich die beiden letzten Arten am nächsten an M. strigosa und pubescens an.

883. M. Jimbrrata Schum. et Thonning in Dansk. Vidensk. Afh. IV. S. 235; A. Br. Monatsb. 1863, S. 432. Guinea (Thon- ning). Kaum mehr als dem Namen nach bekannt. Vrgl. S. 654.

II. Pilularıa.

1. P. minuta Durieu Mspt.; A. Br. in Descript. seient. d’Algerie (ined.) t. 38, f. 1—20; Monatsb. 1863, S. 435; Milde Fil. Eur. p. 292; Kuhn Fil. Afr. p. 197; P. pygmaea Bory in lit. (herb. Kunze); P. minor De Notaris sec. Cesati in herb. de Fran- quev. Algerien: Bei Oran (Durieu 1842, 1844, 1848; Balansa pl. d’Algerie No. 210). Sardinien: Bei Pula (De Notaris schon

752 Gesammtsitzung

1335); in derselben Gegend bei Cala d’Ostia in Gesellschaft von Isoetes Tegulensis (Ascherson und Reinhardt 1863); bei Decimo- mannu mit Marsilia pubescens (Gennari 1865, Erbario crittog. ital. No. 302). Südfrankreich: Roquehaute bei Agde mit M. pubescens und /soetes setacea (Balansa 1866, Duval-Jouve 1869. Conf. Bull. de la soc. bot. de Fr. 1869, p. 210). » Smyrna, am Berge Pagus (Balansa).

2. P. Americana A. Br. Monatsb. 1863, 8. 435; Pilulariae sp. Nutt. in Transact. of the Amer. phil. soc. Philad. Vol. V (1837) p- 140; P, Valdiviana Philippi in lit. Arkansas, bei Fort Smith (Nuttal); Georgia? (Capitain Leconte in Mus. Par.); Chili, bei Valdivia (R. A. Philippi, Vater, und Fr. Philippi, Sohn, 1869). Über Cultur und Nervatur der Frucht vergl. S. 660, 705.

3. P. Mandoni. Neue in Bolivia von Mandon entdeckte Art. Als Fundort ist angegeben: La Paz, via ad Corvico, Lancha, in paludosis. Regio alpina 5000 Met. Mai 1857. (Mandou, plant. Andium Boliviens. No. 1534.) Ich sah nur zwei kümmerliche Exemplare, das eine De Candolle’s, das andere Lenormand’s Her- barium, so dafs ich mir über die Zahl und Form der Sporen keine Kenntnifs verschaffen konnte. Die Zahl der Fächer ergiebt sich aus der Zahl der Klappen einer aufgesprungenen Frucht. Die Frucht hat einen Durchmesser von 23 Mm.; der Fruchtstiel ist. 4—5 Mm. lang, bald aufwärts, bald abwärts gebogen; er setzt sich mit etwas verdicktem, kaum schiefem Ende an die Frucht an. Die Blätter sind kurz (3—4 Cm. lang) und verhältnilsmäfsig dick.

4. P. Novae Hollandiae A. Br. Monatsb. 1863, $. 435; P. globulifera I. D. Hook. Fl. Tasm. II. p. 150; F. v, Müller, Fragm. Phytogr. Austr. V, p. 140. In West-Australien am Swan River (Drummond No. 991); in Südost-Australien am Barwan River (Sam. Hannaford nach F. v. Müller l. c.); in Tasmanien bei Pengquite (Gunn No. 1561); in Neuseeland, am unteren Waikato River (J. Kirk 1869, steril, daher die Artbestimmung ungewils). Die Exem- plare vom Swan River und aus Tasmanien stimmen völlig überein.

>. P. globuhfera L. Sp. pl. I; I. Agardh, Dissert. bot. 1835; A. Br. Monatsb. 1863, S. 434; P. natans Merat, Fl. Par.

vom 11. August 1870. 159

ed. 2, I, p. 283 (eine im Wasser fluthende Form mit sehr langen Blättern). Den früher angeführten Fundorten füge ich bei: Bor- deaux (Bory in herb. Fee); Portugal, in der Provinz Alemtejo, zwischen Grandola und Melides, nahe am Ufer des Meeres (Wel- wisch 1848); Corfu (C. Bolle). Im Herbarium v. Franqueville findet sich ein Exemplar mit der Bezeichnung Pilul. (globulifera) canariensis ohne Angabe des Sammlers. Wohl ein Irrthum? Dr. Hooker führt als Grund gegen die specifische Unterscheidung der australischen von der europäischen Pilularia an, dals er auch bei Exemplaren aus England mitunter zurückgekrümmte Frucht- stiele und hängende Früchte gefunden habe, und ich verdanke sei- ner Güte ein Exemplärchen mit einer solchen Frucht aus Norfolk. Ich kann diese Angabe auch durch deutsche Exemplare bestäti- gen; ich habe an solchen von Sommerfeld und von Minden einzelne Früchte mit deutlich zurückgekrümmtem, etwas verlängertem Stiel gesehen, aber stets nur einzelne, so dafs auf dieses Vorkommen nicht einmal eine Abart gegründet werden kann. In solchen Fällen ist jedoch die Verlängerung des Fruchtstiels, den ich nicht länger als halb so lang als die Frucht sah, nie so beträchtlich, wie bei P. Novae Hollandiae, und der Fruchtstiel tritt gerade an die Frucht heran, während er bei der neuholländischen Art eine Strecke weit horizontal an derselben hinläuft und eine Raphe bildet. Überdies sind schon die Sporen ausreichend um beide Ar- ten sicher zu unterscheiden.

Schliefslich spreche ich allen botanischen Freunden meinen Dank aus, welche mich in Bearbeitung dieser Familie mit Material unterstützt haben, sowie auch den Gärtnern, deren Aufmerksamkeit und Sorgfalt das Gelingen der Marsiliaceenculturen zu verdanken ist, insbesondere dem Inspector des botan. Gartens, Hrn. Bouch&, dem Universitätsgärtner, Hrn. Sauer, und dem Gehülfen im Uni- versitätsgarten, Hrn. Barleben.

754 Gesammtsitzung vom 11. August 1870.

. \ > r r KB An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Max Müller, Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache deutsch von Karl Böttger. 2. Aufl. Leipzig 1870. 8.

de la Rive, Zecherches sur la polarisation rotatoire magnetique des liqw- des. (Geneve 1870.) 8.

Flora batava. Fasc. 212. Leyden 1870. 4.

MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

September und October 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt. Sommerferien.

10. October. Sitzung der physikalisch -mathemati- schen Klasse.

Hr. Kummer las

Über die aus älten Wurzeln der Einheit gebildeten complexen Zahlen.

Für die aus 31ten Einheitswurzeln gebildeten complexen Zah- len ist, wie ich früher nachgewiesen habe, der erste Faktor der Klassenzahl gleich 9. Da diese Zahl ein Quadrat ist, so bleibt es unentschieden, ob es ideale complexe Zahlen giebt, deren neunte Potenz, und keine niedere, wirklich wird, oder ob schon die drit- ten Potenzen aller hierhin gehörenden idealen Zahlen wirklich sind, also ob in Beziehung auf diese Klassenzahl 9 im Gaufsischen Sinne Regularität Statt hat, oder Irregularität. Die Analogie mit den aus 29ten Einheitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, für welche der erste Faktor der Klassenzahl gleich 8 ist, für welche aber, wie ich aus der Theorie der Kreistheilung bewiesen habe, schon die zweiten Potenzen aller idealen Zahlen wirklich sind, giebt einen Anlafs zu der Vermuthung, dafs dies in dem hier zu betrachtenden Falle in ähnlicher Weise Statt haben möchte. Da nun Hr. Reuschle für die aus 31ten Einheitswurzeln gebildeten idealen Primfaktoren der Zahl 2 eine wirkliche Darstellung der [1870] 52

756 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

neunten Potenz gefunden hat, während es ihm nicht gelungen ist, die dritte Potenz dieses idealen Primfaktors in wirklicher Form darzustellen, und da von der Zerlegung der einen Zahl 2 die Zer- legungen aller in dieselbe Kategorie gehörenden Primzahlen abhän- gig sind, so schien es mir namentlich auch für das von ihm her- auszugebende Werk über die Zerlegung der Zahlen in ihre com- plexen Primfaktoren von Wichtigkeit vollständig zu ergründen, ob keine niedere als die neunte Potenz des idealen Primfaktors von 2 in dieser Theorie wirklich wird, oder was dasselbe ist: ob die dritte Potenz dieses idealen Primfaktors als wirkliche complexe Zahl sich darstellen läfst, oder nicht.

BD ed Bezeichnet man mit 7, Yı,%2, %35 %4, %s die sechs fünf-

gliedrigen, aus 3lten Einheitswurzeln gebildeten Perioden, geord- net nach der primitiven Wurzel 3, und die drei zehngliedrigen Pe- rioden

5 5 10 5 5 10 5 5 10 ty =, Yıtrı =1ı > +9 = H

so hat man unter denselben die Gleichungen:

bad 5 5 5 nz een a 2 A 2a * % * 55 5 5 5 5

5 Ye & in Nasa Zifie N el:

55 5 5 5 5 115 * 3, tnakh Bene az und 10 10 ro 10 18 ss = 10 +37, +47ı +4 27 1010 10 10

10 NN an Zu

10 10 10 10 10 Namen 2 dr de

vom 10. October 1870. 757

Ferner hat man die nach dem Modul 2 den Perioden entsprechen- den Congruenzwurzeln: |

5 welche zu dem idealen Primfaktor /(„) der Zahl 2 gehören sollen. Betrachtet man nun die complexe Zahl

b) 5 10 nr a

so findet man vermöge dieser Oongruenzbedingungen, dafs sie die

5 5 beiden idealen Primfaktoren von 2 f(„) und /(z;) enthält und weil

10 10 10 Ge) ln)

ist, so folgt, dafs sie aulserdem keine anderen Primfaktoren ent- hält. Man hat daher die ideale Zerlegung

10 er an IDEE. Wenn nun die dritte Potenz des idealen Primfaktors der 2 sich

5 als wirkliche complexe Zahl F(») darstellen liefse, so würde auch

10 die dritte Potenz von 1-+ ;, multiplieirt mit einer passenden Ein- heit, sich als Produkt der beiden wirklichen complexen Zahlen

5 9, F«(s) und F(r;) darstellen lassen, man würde also haben 0, ,.0 BF a5 +) EG) = Fo) Fi)

wo Elr ) irgend eine Einheit bezeichnet, welche nothwendig nur die zehngliedrigen Perioden enthält, weil alle Einheiten der aus den fünfgliedrigen Perioden gebildeten complexen Zahlen nur die zehngliedrigen Perioden enthalten können. Die drei conjugirten Kreistheilungseinheiten sind hier:

92 *

758 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

10 10 10 e(,) = 7 +4 +29

10 10 10 e(7,) —+ 47] ar 272

10 10 10 e(1n) =7+4r, +2n

die numerischen Werthe der drei zehngliedrigen Perioden sind:

10 10 10 „= + 3,08387 , = 0,78680 ,„ %2 = 3,29707 und demnach 10 10 10 e(,) = +17,76188 , e(11) = 2,74134 , e(y:) = 0,02054 ,,

10 19 10 } 1+7= + 4,083897 , 1-+7ı = + 021320 , 141%, = 2,29707. | Es folgt hieraus, dafs

10 5 10 - 10 5 10 10 a 10

(une) Kern) ea) a

alle drei positive Werthe haben. Sondert man nun von der Ein-

10 10 heit E() die Einheit e(r,) ab, indem man setzt

10 10 f 10 E6h)=—ekh)E(n): so dafs

10 10 10 5 B) (1+,)’e(m)EG) = FiH)Fl@r);

5 5 so mufs, weil F(,) F(4;) überhaupt nur positiv sein kann, diese

10 Einheit E’(») die Eigenschaft haben, dafs sie mit ihren beiden con- jugirten zugleich nur positive Werthe hat. Eine solche Einheit

E'(4) mufs aber nothwendig das Quadrat einer Einheit sein, wie leicht folgendermalsen gezeigt wir. Man kann zwar nicht eine jede Einheit selbst, aber doch eine gewisse Potenz einer jeden | Einheit als Produkt von Potenzen der Kreistheilungseinheiten aus- drücken. Man hat daher

10 10 10° EG)" Beln)*.e(n)”;

vom 10. October 1870. 759

wo n,«,@ ganze Zahlen sind, welche nicht alle drei grade sein

10 können, weil sonst schon die 3 Potenz von E’(r) sich durch Kreis- theilungseinheiten ausdrücken liefse. Aus den numerischen Wer-

10 10 10 then der e(n), e(1,), e(72) ersieht man nun sogleich, dafs die drei Grölsen

10 2, 10 10.5 0, 10, e(n)* e(nı)” » elnı)“ e(n2)”, e(n2)“ e(n) nicht alle drei ein und dasselbe Vorzeichen haben können, aufser wenn und £ beide grade sind und darum n ungrade, n= 2v-+1. Es 10 muls also E’(„)’’*' das Quadrat einer Einheit sein und darum | 10 10 auch E’(„) selbst das Quadrat einer Einheit E’(s) = (e(n))’- 52.310 5 5 Setzt man nun F(n)e(n) statt F(r) und demgemäfs auch F(r;)

10 5 &(r) statt F(r;), so erhält man die Gleichung

are) Eee

oder entwickelt:

5 5 1344 1137, 15573, = FW) F(5).

Die nothwendige und hinreichende Bedingung dafür, dafs die dritte Potenz eines idealen Primfaktors der 2 eine wirklich complexe Zahl sei, liegt also darin, dafs es eine wirkliche complexe Zahl

5 F(r) gebe, welche dieser Gleichung genügt.

‚Setzt man nun

5 45 5 5 5 5 5 FG) = an + aıyı +a3172 + A313 + aırı + 4575

und entwickelt das Produkt in die Form

10

5 5 10 10 Fr) F(as) = Ay Aını A212

so erhält man, weil A= 134, 4, = 113, A, = 155 sein muls,

folgende drei Gleichungen: r

760 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

134 = 5Q— P’+a) +a3 (a—a,)(a, —a,) +2(aa,+a;a,)+aa,, 13 = 5Q—P’+a+a— (a1 —a,)(a,—a;) R + 2(a,a+a,a;)+a,a,, 15 = 5Q— P’+a; +a’ (a,—a,)(a; a) + 2(a,a, +a;,0,)-+ aa; ,

wo der Abkürzung halber

P=a+ta+0+ga+qa,+a,, Q.=.a’ ai ra) Las gg? co:

>

gesetzt ist. Addirt man diese drei Gleichungen und multiplieirt mit 2, so erhält man

(B.) 8004 = 31Q —5P?.

Setzt man aufserdem

R = (a—a,)’+(a—a;)’ + (a—a;)’ + («e— a,)’+ (a—a,)? + (a, —43)’+ (aı—a;)’+ (a —a,)’+ (a —a,;)?

+ (04,—a;)’+ (a—4a;)’+ (a—a,)?

+ (a3 —a,)’+ (a,—a,)’

+ (a,—a;)?

so hat man die identische Gleichung 31Q—5P?’=-Q-+5R,

also auch (C.) 84=Q-+5R.

Nachdem so die ganze Frage darauf reducirt ist: ob die drei Gleichungen (A.) mit 6 unbestimmten Grölsen in ganzen Zahlen lösbar sind, oder nicht, untersuche ich zunächst die Congruenzbe- dingungen für den Modul 2 und sodann für den Modul 8, welche diese sechs Zahlen erfüllen müssen.

Da die. Zahl F(„) den idealen Primfaktor f(r) der Zahl 2 enthalten soll und da sie keinen der übrigen fünf conjugirten ent-

vom 10. October 1870. 761

halten darf, so hat man nach den oben angegebenen Uongruenz- wurzeln, welche den Perioden für den Modul 2 entsprechen:

0 22.0, 1201 = 0, a4 ta: ra =l,

Be mod. 2 a, +0 + =1;, a+a 0; =]€;,

woraus folgt, dafs die drei Zahlen a, a,, a, grade sein müssen und die drei Zahlen a,, a;, a, ungrade, oder

a ou 2 1, 2b, a, = 2er, EEE ee DR 0 Um weiter die nothwendigen Congruenzbedingungen nach dem Mo-

dul 8 zu entwickeln, setze ich diese gefundenen Werthe der a, a,.. in die Gleichungen (A.) ein und erhalte so zunächst:

4(b b;)(db, —b,) + 4b Da oo on. 4(b, —b,)(d: —b,;) +45b,d, + Ab; Alb, 0,)(05 5) Ab,D, LA cn br 2de

—2b,+2b,, mod. 8.

Il

aus welchen Congruenzen zunächst folgt, dafs web, ab, eb, , bar „Nnods2. sein muls, wodurch diese Congruenzen sich weiter vereinfachen:

4b, +40, =2 2b, 4b, =2b, +2b,, mod. 8. 4=2b, + 2b,,

und wenn statt der Zahlen d wieder die Zahlen a eingeführt werden:

762 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

2a, 2a, =4—a, 209; Za, +a,, mod. 2.

4=0,+04,;,,

Macht man nun die Gleichung (B.) zu einer Congruenz nach dem Modul 31, so hat man

2=5P?, mod. 31. also pP?’=19, B= 293, mod.ar

Da man alle Vorzeichen der 6 Zahlen a,a,... gleichzeitig ändern kann, so reicht es hin ? positiv zu nehmen; beachtet man aulser- dem, dafs P ungrade ist, so erhält man für P folgende’ Reihe mög- licher Werthe:

Pi==9:,.53, 71 Us. Die aus (B.) zu berechnenden zugehörenden Werthe des Q sind Qr—n3g, Au Boy und die aus (C.) zu berechnenden zugehörenden Werthe des R BR se

Da aber R als Summe von Quadraten nothwendig positiv ist, so bleiben nur die beiden Fälle übrig:

1), =19,0@ 3 Ran 2), DD 53 , Q 19 Da in beiden Fällen P=1, mod. 4 ist, so hat man

aa, +0, a; 4.4, <a, = 1 meod.A. also 25+25, + 2b, + 25; +2b,+2b, =2 mod. 4.

also nach den oben gegebenen Oongruenzen für den Modul’ s: D; = 0, mod.2 @; = 41, mod. 4

Diese Congruenzen ergeben deshalb folgende Resultate:

vom 10. October 1870. 763

2 5 mod. Al) = Fasi Fa; = A med. 8,

(D.)

a3

Il

1, mcdd.4 ,„ a, -+a,=2, mod.8.

Ich untersuche nun zunächst den ersten der beiden unterschie- denen Fälle, nämlich a #4, +9 0; -a, +0, =I, a aa? za +adi+ad= 39. Zerlegt man die Zahl 39 auf alle möglichen Weisen in die Summe _ von 6 Quadraten, und wählt man die Vorzeichen so, dafs die Summe der sechs Wurzeln gleich 9 ist, so erhält man folgende

acht verschiedene Fälle für die Werthe der Zahlen a, a,,a ,a;, Q@4, @;, welche diesen beiden Gleichungen genügen:

) +6, +1, +1, +1, 0% 0, 2) +5, +3, +2, 0, 0, —1, 3) +5, +2, +2, #2, —1l, —1i, 4) +5, +2, +2, #1, +1, —2, 5) +4, +4, +2, +1, —1, —ı, 6) +4, +4, +1, +1, +1, —?2, ) +4, +3, +43, +1, 0, —2, 8) #3, #3, +2, +2, +2, =3.

Die Fälle I, 2, 5 und 6 sind aber mit den für die drei graden Zahlen a, a,,a, bestehenden beiden Congruenzbedingungen (D.) unvereinbar. Ferner sind die Fälle 3, 7 und 8 mit den unter den drei ungraden Zahlen a,, a;, a, bestehenden beiden Congruenzbe- dingungen (D.) unvereinbar. Es bleibt also nur noch der Fall 4 übrig, welcher mit diesen vier Congruenzbedingungen bestehen kann, wenn

= 2, =41l,, =+2,9, =+5,4,=+41, 0,=-+2 genommen wird. Um zu sehen, ob diese Werthe der Aufgabe wirk-

lich genügen, mufs man zu den Gleichungen (A.) zurückgehen. Man erhält für diese Werthe:

764 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

5Q—P’+ai +al (a —a;,)(a, —a,) 2(aa,;, + a;a;) + A403 alle 5)

sie genügen also schon der ersten dieser drei Gleichungen nicht, nach welcher dieser Ausdruck den Werth 134 haben mufs. Es giebt also in dem ersten Hauptfalle wo P=9 Q = 39 sein muls überhaupt keine den drei Gleichungen (A.) genügenden Zahlen.

Es bleibt nun noch übrig auch den zweiten Hauptfall zu un- tersuchen, wo

P=53 , Q=49, R=®.

Es sei m die kleinste der sechs Zahlen «a, a, , @2, @3, @dy4, Q,; die übrigen fünf seien m +Cı, mM +65, M+C;, mM +cı, m-+C;, so sind C,, Cg, C3, C4, €; Positive Zahlen, bei welchen jedoch auch der Werth 0 nicht auszuschliefsen ist. Setzt man nun zur Ab- kürzung

63. CH rc re

++ +tritd mg,

(Ce, 63)? + (Cı c3)? + (ıı CH)” + (Cı -—- 65)” + (ea —cC3)” +lo, = 6), 4 (365) le, ch) ter cc) al

so hat man 93 =6m—+P; 479 = 6m?’+2mp-+g; 69, —. a N,

und wenn man aus diesen drei Gleichungen p und g eliminirt:

414 = 106m 6m?’ —r, und weil 9, g, r positive Zahlen sind, so ist

58 > 6m, 414 = 106m m,

woraus folgt, dafs m nur die drei Werte m=8, m=7 und m = 6 erhalten kann. Nimmt man zuerst m = 8, so ist für diesen Werth

py= 5 , q=b ;, r=D50.

vom 10. October 1870. 765 Die einzige Art wie die Zahl qg = 15 in fünf Quadrate zerlegt werden kann ist aber 5 =3’+2’+1’+1°+0°, welche, weil keine der Zahlen c,, Ca, C3, C4, C; negativ ist, nicht p=5, sondern p=7 giebt. Der Fall m = 8 giebt also keine

Auflösung der Aufgabe. Nimmt man zweitens m = 7, so hat man

p=17.,'q=3 , 1-3. Die Zahl q = 31 läfst sich aber nur auf folgende drei Arten als Summe von 5 Quadratzahlen darstellen: al 5 9.212 112.202, Sl

ae 320 na 92 7502,

Die erste derselben ist zu verwerfen, weil sie nicht p = 11, son- dern p = 9 ergiebt; die zweite und dritte sind mit dieser Bedin-

‚gung im Einklange und ergeben für die fünf Zahlen c,, Ca, C3, C4, Cs die Werthe

und demgemäls für die sechs Zahlen a, a,, @4s, Q3, dı, a, die Werthe 11,10, 9, omeeare7D

10 NO OR IT, ur.

Die ersteren sind aber mit den unter den drei graden Zahlen a,

Gy, a, nothwendigen beiden Congruenzbedingungen (D.) und die

anderen mit den unter den drei ungraden Zahlen a,, a;, a, noth-

wendig Statt habenden Congruenzbedingungen (D.) unvereinbar.

Der Fall m = 7 giebt also ebenfalls keine Lösung der Aufgabe. Nimmt man endlich m = 6, so hat man:

p=1l11 ,a a=5I , r=6.

Da r eine Summe von 10 Quadraten ist, so ist die Zahl 6 als Summe von 10 Quadraten darzustellen, welches auf folgende zwei verschiedene Arten möglich ist:

766 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

62 + +1 +70, a a en ee

Es ist aber unmöglich, dafs von den 10 Differenzen je zweier der fünf Grölsen c,, C3, C3, C4, C;, aus deren Quadraten r 6 be- steht, genau 7 gleich Null sind; denn wenn selbst vier dieser Zah- len einander gleich wären, so würden nur 6 dieser Differenzen gleich Null sein. Es bleibt also nur die zweite Darstellung von r = 6 zu betrachten, für welche 3 von den fünf Zahlen c,, cz, C;, C;, €; einander gleich sein müssen und die übrigen beiden auch einander gleich und wo die Differenzen der ersten drei gleichen von den anderen zwei gleichen gleich Eins ist. Da die Summe p dieser Zahlen gleich 17 sein mufs, so genügen keine anderen Werthe der c,,c5, 3, c4,c, als

re en

Die zugehörenden Werthe der 6 Zahlen a, a,,45,43, Q4,4, Sind demnach:

welche sich in der That den einzelnen Zahlen a, a,, @3, @;, a,, Q, so zuordnen lassen, dafs den vier Congruenzbedingungen (D.) ge- nügt wird, und zwar nur auf folgende Weise:

Aber auch diese Werthe genügen den drei Gleichungen (A.) nicht, denn man erhält für dieselben

5Q—P’+ar +ai (a—a;)(a,—a,) + 2l(aa;-+a;za,) + a4; = 102,

und nicht 134, welchen Werth dieser Ausdruck vermöge der ersten dieser Gleichungen haben mufs.

Es ist also in allen Fällen unmöglich, die sechs Zahlen a, a,, Ay, dz, d4, d; So zu bestimmen, dafs sie den drei Gleichungen (A.) genügen und darum ist es unmöglich die dritte Potenz eines idea- len Primfaktors der Zahl 2 als wirkliche complexe Zahl F(r) dar- zustellen; es giebt also keine niedere Potenz des idealen Primfak- tors der 2, als die neunte, welche wirklich ist.

vom 10. October 1870. 767

Hr. Weierstrafs legte die folgende Abhandlung des Herrn H. A. Schwarz zu Zürich vor:

Über die Integration der partiellen Differential-

gleichung ou g’u 98° DEyrER unter vorgeschriebenen Grenz- und Unstetigkeits- bedingungen.

Im August 1866 hat Hr. Weierstrafs der Königl. Akademie von einer Arbeit Mittheilung gemacht, welche die conforme Ab- bildung eines einfach zusammenhängenden Bereiches T auf die Fläche $ eines Kreises beziehungsweise auf die Fläche E einer Halbebene betrifft, für den Fall, dafs die Begrenzungslinie des Be- reiches 7 von geradlinigen Strecken oder von Kreisbogen gebildet wird. Für den allgemeinen Fall wurde die Lösung der angegebe- nen Abbildungsaufgabe unter der Voraussetzung, dals es überhaupt eine Lösung derselben gebe, auf die Integration einer gewöhnlichen Differentialgleichung und die Bestimmung einer endlichen Anzahl von Constanten zurückgeführt.

Diese Zurückführung beruht im Wesentlichen auf folgenden Betrachtungen.

—g

Es sei z= x + yi eine complexe Variable, in einer Ebene geometrisch dargestellt durch einen Punkt mit den rechtwinkligen Coordinaten x, y. Die auf der positiven Seite der x-Axe lie- gende Halbebene sei der Bereich E£. Der von geradlinigen Strecken oder von Kreisbogen begrenzte Bereich 7 sei der geometrische Ort eines Punktes, durch welchen eine zweite complexe Variable

= + ri geometrisch dargestellt wird.

Es wird vorausgesetzt, dafs für alle im Innern von E liegen- den Werthe von 2 die Variable £ als eine eindeutige analytische Funktion von 2 mit dem Charakter einer rationalen Funktion so erklärt ist, dafs vermöge der Beziehung & = f(z) der Bereich E auf den Bereich T zusammenhängend und in den kleinsten Theilen ähnlich abgebildet wird. |

Nun bilde man die Funktionen

d? dz d dENZ us: 11 —— —= dz? log dz +(z- log = 0

768 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Hierbei sind für die Funktion E(z) als singuläre Werthe von z aufser dem Werthe z = » alle diejenigen Werthe im Innern und auf der Begrenzung von E anzusehen, welche den der Fläche 7 angehörenden Ecken, Windungspunkten und unendlich fernen Punk- ten entsprechen.

Für die Funktion F(z) hingegen gehören die vorkommenden- falls den unendlich fernen Punkten von 7 entsprechenden Werthe von 2 nicht zu den singulären Werthen des Arguments, wenn jene Punkte nicht zugleich Windungspunkte oder Ecken von T sind.

Die Funktion F(z) hat für alle reellen Werthe von z eben- falls reelle Werthe. Es ist daher möglich, das Gebiet des Argu- mentes z, welches zufolge der ursprünglichen Erklärung der Funk- tion F(z) zunächst auf die Halbebene E beschränkt ist, dadurch auf die ganze Ebene auszudehnen, dafs conjugirten Werthen des Argumentes 2 conjugirte Werthe von F(z) zugeordnet werden. Hierbei ergibt sich, dafs die durch die erweiterte Definition für alle Werthe der unbeschränkt veränderlichen complexen Gröfse z definirte analytische Funktion 72) in der Umgebung aller singu- lären Werthe den Charakter einer rationalen Funktion besitzt und daher nach einem Fundamentalsatze der Theorie der analyti- schen Funktionen selbst eine rationale Funktion von 2 ist.

Wenn die Begrenzungslinie von 7’ nur aus geraden Strecken besteht, ergibt sich durch analoge Betrachtungen, dafs schon die Funktion E(z) eine rationale Funktion ihres Argumentes ist.

Es darf hierbei nicht übersehen werden, dafs diese Beweis- führung wesentlich auf der von vorn herein gemachten Voraus- setzung beruht, dafs es eine Funktion = f(2) gebe, durch welche die geforderte Abbildung vermittelt wird, dals es dem- nach nicht erlaubt ist, hieraus umgekehrt auf die Möglichkeit der Lösung der angegebenen Abbildungsaufgabe einen Schluls zu machen, bevor nicht der Nachweis geführt ist, dals es möglich ist, für jede einfach zusammenhängende von geraden Strecken oder Kreisbogen begrenzte Fläche 7 die in die rationalen Funktionen E(z) beziehungsweise F'(z) eingehenden Constanten so zu bestim- men, dafs allen Bedingungen der Aufgabe Genüge geschieht.

Während es leicht ist, specielle Fälle anzugeben, für welche die Bestimmung der Constanten ohne Weiteres gelingt, liegt bei der betrachteten allgemeinen Aufgabe die einzige sich darbietende

vom 10. October 1870. 769

Schwierigkeit von Belang in dem zu leistenden Beweis für die Möglichkeit dieser Constantenbestimmung.

Der Königl. Akademie habe ich die Ehre, im nachfolgenden Auszuge von einem Verfahren Mittheilung zu machen, durch dessen Anwendung es, wie ich mich überzeugt zu haben glaube, gelingt, nicht nur die Frage nach der Möglichkeit der Constantenbestim- mung bei der erwähnten Aufgabe allgemein zu beantworten, sondern überhaupt die von Riemann in seiner Inauguraldissertation und in seiner Abhandlung „Theorie der Abel’schen Funktionen“ ausge- sprochenen allgemeinen Lehrsätze über die Integration der par-

2 2

tiellen Differentialgleichung Au = - + = (0 unter vorge- schriebenen Grenz- und Unstetigkeitsbedingungen streng zu be- weisen.

1. Bezeichnet f($) eine nach dem Intervalle 2” periodisch sich wiederholende, endliche, stetige und eindeutige reelle Funktion des reellen Argumentes $, so stellen die Gleichungen

je 72

————_(d = 2rcos(V P) + r? v,(@er<n,

un) = 5 I; u(ll,d)= /(®); r=1)

eine für alle Punkte z=x + yi=r.el? einer mit dem Radius ı

um den Punkt z = 0 beschriebenen Kreisfläche S (o<r=1) ein-

deutig definirte, endliche und stetige Funktion u dar, welche für

das Innere von $ (0<r<<1) der partiellen Differentialgleichung \2 2

Au= + = 0 genügt. Die durch die obigen Gleichun- Y

gen mit der Beschränkung o<r=ı dargestellte Funktion ist zu-

gleich die einzige, welche für alle Punkte von ‚$ endlich, stetig

und eindeutig ist, welche für das Innere von ‚S der partiellen Diffel.

Au = 0 in der Art genügt, dafs die partiellen Ableitungen von N2 2 = a _! in demselben Umfange existiren, endliche, stetige und eindeutige Funktionen von x und y sind, und welche überdiefs auf dem Rande von $ mit /($) übereinstimmt. Einen Beweis dieser Sätze, welcher nach der von Riemann im Artikel 10. seiner Dissertation mitgetheilten Methode geführt

770 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

ist, habe ich im XV. Jahrgange der Vierteljahrsschrift der Natur- forschenden Gesellschaft in Zürich 1870 pag. 113-128 veröffentlicht.

9. Die eben definirte Funktion % ist für alle Werthe von r, welche die Einheit nicht überschreiten, in eine nach Produkten aus den Potenzen von r und den Sinus und Cosinus der gleich- namigen Vielfachen von ® fortschreitende Reihe entwickelbar und es finden auf diese Funktion diejenigen Betrachtungen Anwendung, welche überhaupt die analytische Fortsetzung von Funktionen, wel- che partiellen Differentialgleichungen genügen, betreffen. Insbesondere gilt der Satz: Wenn zwei Funktionen 4, und u,, welche für zwei Bereiche 7, und 7,, die ein einfach zusammenhängendes Gebiet T* von zwei Dimensionen gemeinsam haben, als endliche, eindeutige und stetige Funktionen erklärt sind und in dem erklärten Sinne der partiellen Diffgl. Au = 0 genügen, in einem noch so kleinen Theile dieses gemeinsamen Gebietes mit einander übereinstimmen, so stimmen sie für alle Punkte desselben mit einander überein, lassen sich unter Aufrechterhaltung der angegebenen Eigenschaften beide simultan gleich weit analytisch fortsetzen und stimmen längs jeder solchen Fortsetzung mit einander überein.

3, Wenn eine Funktion u für einen Bereich 7 einschliefslich der Begrenzung desselben endlich, stetig und eindeutig ist und im Innern desselben der partiellen Diffgl. Au = 0 im angegebenen Sinne genügt, so hat dieselbe entweder in einem Theile des Ge- bietes einen constanten Werth und dann ist dieselbe überhaupt eine Constante, oder dieses ist nicht der Fall. Im letztern Falle möge der gröfste Werth von u mit g, der kleinste Werth mit k bezeichnet werden. Einen Beweis des Satzes, dafs eine stetige Funktion einer oder mehrerer Veränderlichen, welche nicht eine Constante ist, einen gröfsten Werth mindestens für einen Punkt ‘m Innern oder auf der Begrenzung des Bereiches der Variablen, für welchen jene Funktion erklärt ist, wirklich erreicht, falls die Funktion einschliefslich der Begrenzung des Bereiches stetig ist, hat Hr. Weierstrafs in seinen Vorlesungen gegeben, auf den Bezug zu nehmen ich mir erlaube. Im vorliegenden Falle müssen die Punkte, in denen die Funktion u ihre extremen Werthe er- reicht, auf der Begrenzung liegen. (Vergl. Riemann’s Inaugural- dissertation Art. 11. Ill.)

Wenn also die Funktion w nicht constant ist, so liegen alle Werthe, welche dieselbe für die innern Punkte des Bereichs 7

vom 10. October 1870. 171

unter den angegebenen Voraussetzungen annehmen kann, zwischen dem gröfsten ‚Werthe g und dem kleinsten Werthe & unter den- jenigen Werthen, welche u auf der Begrenzung von 7 annimmt.

Wenn daher alle Werthe von u am Rande von T gleich Null Sind, so ist % auch für alle innern Punkte gleich Null.

Wenn es mithin eine Funktion « gibt, welche unter den an- gegebenen Bedingungen für den Bereich 7 erklärt ist und in jedem Punkte der Begrenzung einen vorgeschriebenen, nach der Stetig- keit sich ändernden Werth besitzt, so gibt es nur eine solche

Funktion.

4. Wenn ein einfach zusammenhängender Bereich (2) tür welchen eine Funktion u den angegebenen Bedingungen gemäfs erklärt ist, durch eine analytische Funktion

Zn a nay)

auf ein Gebiet ($)’ conform abgebildet wird und die Funktion F‘(z) für alle Punkte im Innern des Gebietes (2) den Charakter einer ganzen Funktion besitzt, während F’(z) im Innern desselben nicht gleich Null wird, so geht die Funktion u von x und y in eine Funktion von & und über und genügt für das Gebiet (5) und die Variablen E und » ebenfalls den allgemeinen Bedingungen.

Dieser bekannte Satz macht es in Verbindung mit der in no. 1. angegebenen Formel möglich, für jeden einfach zusammenhängenden Bereich 7, welcher ganz im Endlichen liegt und in seinem Innern keinen Windungspunkt besitzt, die partielle Differentialgleichung Au = 0 vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu integriren, wenn die conforme Abbildung dieses Bereiches T auf die Fläche S eines Kreises bekannt ist. Unter denjenigen Bereichen, welche durch Vermittelung einfacher Funktionen auf die Fläche eines Krei- ses conform abgebildet werden können, sind hervorzuheben:

@. Die von zwei Kreisbogen begrenzte Sichel oder Mond- figur.

Wenn die Werthe z=2, und z=), die beiden Ecken der Mondfigur bestimmen, und der Winkel, den die Tangenten beider Kreisbogen in diesen Punkten mit einander bilden mit «= bezeich- net wird, so wird diese Figur durch die Funktion

un I N aa un | Q © (>) 8]

772 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

auf eine in der Ebene der complexen Gröfse £ liegende Halbebene conform abgebildet. Die conforme Abbildung einer Halbebene auf das Innere eines Kreises wird aber bekanntlich durch eine ge- brochene Funktion ersten Grades vermittelt, welche für einen jener Halbebene nicht angehörenden Punkt unendlich grols wird.

Zu den Gebieten dieser Art gehört auch das Kreissegment und der Halbkreis.

b. Ein von drei Kreisbogen oder geraden Strecken begrenztes Stück der Ebene, oder Kreisbogendreieck, wenn zwei der Eckenwinkel Rechte sind und der dritte gleich «= ist, wobei je- doch « weder gleich Null noch einer ganzen Zahl gleich ist.

Bezeichnet z—= z, die Ecke des Bereiches mit dem Ecken- winkel «r, z = z, den zweiten Schnittpunkt der im Punkte 2= 2, sich schneidenden Kreise, so wird dieser Bereich durch die Funktion

auf die Fläche eines Halbkreises conform abgebildet, wodurch dieser Fall auf den vorhergehenden zurückgeführt ist. Zu den Gebieten dieser Art gehört auch der Kreissektor;

in diesem Falle ist 2, = ®o und man hat $ = (2 20)= zu Setzen.

Den unter a. und b. genannten Gebieten reiht sich an:

c. Ein von drei Kreisbogen begrenztes ebenes Kreisbogen- dreieck, in welchem eine Ecke eine Spitze ist und die Winkel in den beiden andern Ecken Rechte sind.

Bezeichnet z = z, die Lage der Spitze dieses Bereiches und 2 —= zu te*”i.t für positive Werthe von t die Tangente der Spitze, so wird dieser Bereich durch die Funktionen

e N, m eo ‚e=e°

Mg

auf die Fläche eines in der Ebene der complexen Gröfse $’ liegen- den Kreissektors conform abgebildet, und hierdurch ist dieser Fall auf den vorhergehenden zurückgeführt.

Für die genannten drei Bereiche also, sowie für alle diejeni-

gen Bereiche, welche auf diese conform abgebildet werden können, |

kann die partielle Diffgl. Au = 0 vorgeschriebenen Grenzbedin- gungen gemäls integrirt werden. |

vom 10. October 1870. 773

9. Unter einer ebenen analytischen Linie versteht man eine ebene Linie, für welche die rechtwinkligen Coordinaten x und Yy eines beliebigen Punktes analytische Funktionen einer reellen Ver- änderlichen z sind. Es sei = t, ein specieller Werth von it, so ist also die Gleichung

?=6+C(t—b)+6,(t— tt)? + --- in. inf. = /(t;t,)

WO Co, €ı, Ey *** complexe Constanten von der Beschaffenheit. bezeichnen, dafs die Reihe für alle dem absoluten Betrage nach eine gewisse Grenze nicht überschreitenden Werthe von t— tu con- vergirt, die allgemeine Gleichung eines Zweiges einer analytischen Linie. Man betrachte ein Stück dieses Zweiges, welches so be- schaffen ist, dafs für keinen im Innern desselben liegenden Punkt - den Werth Null annimmt.

In der analytischen Gleichung

2 = f(t; t,)

können der Variablen i auch complexe Werthbe beigelegt werden; dann vermittelt diese Gleichung eine conforme Abbildung eines Theiles der Ebene der complexen Gröfse t, welcher jene in Be- tracht gezogene Strecke der reellen Axe enthält, auf einen Theil der Ebene der complexen Gröfse z, welcher jenen betrachteten Bogen der analytischen Linie in seinem Innern enthält. Es ist auch möglich, zu beiden Seiten der geraden Strecke zwei solche Theile 7, und 7, abzugrenzen, dafs für keinen Punkt im Innern

d ; A der so abgegrenzten Theile Sr gleich Null wird. Um die Vor-

stellung zu fixiren, mag angenommen werden, dafs die beiden Be- reiche 7, und 7, zwei zu einander symmetrische Kreisabschnitte seien. Die beiden Theile 7, und 7, werden durch die analytische Funktion auf zwei zu beiden Seiten der analytischen Linie liegende Theile Z, und Z, der Ebene der complexen Gröfse 2 conform abgebildet. Für diese Bereiche kann also nach dem Inhalte von no. 1. und no.4. die Diffgl. Au = 0 beliebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls integrirt werden.

Es ist auch umgekehrt möglich, wenn in der Ebene der com- plexen Gröfse z eine analytische Linie gegeben ist, ein Gebiet + Z, anzugeben, welches ein Stück der analytischen Linie

Da

774 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

in seinem Innern enthält und welches auf die Ebene der com- plexen Gröfse t conform so abgebildet werden kann, dafs dem Stücke der analytischen Linie eine gerade Strecke entspricht.

Diese Eigenschaft ist für die analytischen Linien charakteris- tisch.

In einigen Fällen bietet es Vortheile, statt der Variablen ? die Bogenlänge s der Curve, von einem festen Punkte bis zu einem beweglichen gezählt, als unabhängige Variable einzuführen.

Es gibt zwar unendlich viele Funktionen, welche die Eigenschaft haben, die Gebiete Z, und Z, auf zwei andere durch eine gerad- linige Strecke getrennte Gebiete 7, und 7, conform abzubilden. Werden aber die Punkte von 7, und 7, durch Symmetrie einander zugeordnet, so ist das aus dieser Zuordnung hervorgehende punkt- weise Entsprechen der Gebiete Z, und Z, allein von der betrach- teten analytischen Linie, nicht aber von der besondern Wahl der abbildenden Funktion abhängig (Vergl. Borehardt’s Journal Bd. 70. pag. 106 und 107). Die Möbius’sche Kreisverwandtschaft ist ein specieller Fall eines solchen Entsprechens, welcher eintritt, wenn die analytische Linie ein Kreisbogen ist.

6. Längs einer analytischen Linie Z im Innern eines Bereiches T, für welchen eine Funktion « im angegebenen Sinne der part. Diffgl. Au = 0 genügt, besitzt diese Funktion in Bezug auf den Bogen s dieser Linie den Charakter einer ganzen Funktion. Um- gekehrt: Wenn der Bogen L einer analytischen Linie einen Theil der Begrenzung eines Bereiches 7 bildet, für welchen eine Funk- tion u der Diffgl. Au —= 0 genügt, und die Werthe von % längs der Linie Z mit /(s) bezeichnet werden, so ist die nothwendige Bedingung dafür, dafs sich die Funktion u über die Linie Z hin- aus analytisch fortsetzen lasse, nämlich dafs /(s) eine analytische Funktion von s ist, welche für alle in Betracht kommenden Werthe von s den Charakter einer ganzen Funktion besitzt, für die Möglichkeit dieser analytischen Fortsetzung auch hinreichend. Ein specieller Fall dieses Satzes tritt ein, wenn die Linie Z eine ge- rade Strecke ist, längs welcher eine Funktion den Werth Null hat. In diesem Falle nimmt die Funktion « in solchen Punkte- paaren, welche in Bezug auf die Gerade symmetrisch liegen, ent- gegengesetzte Werthe an, ein Satz, welcher sein Analogon in der Potentialtheorie findet.

vom 10. October 1870. 775

Bei dieser Gelegenheit mag erwähnt werden, dafs, wenn die Funktion f(P) in no. 1. in Bezug auf $ an keiner Stelle den Charak- ter einer ganzen Funktion besitzt, dafs in diesem Falle die Peri- pherie der Kreisfläche S für die Funktion vw und für die analy- tische Funktion

1 Fe) = Is) dl, mod e<ı, 27 e 2 0

deren reeller Theil die Funktion % ist, hinsichtlich des Bereiches der Argumente dieser Funktionen eine natürliche Grenze bildet, welche von der Darstellungsform unabhängig ist.

Auf den für die Funktionentheorie wichtigen Umstand, dafs der Bereich des Argumentes einer analytischen Funktion nicht immer ein willkürlich auszudehnender, sondern vielmehr in vielen Fällen ein bestimmt begrenzter ist, hat Hr. Weierstrafs vor einigen Jahren aufmerksam gemacht. (Monatsberichte 1866 pro:

7. An die vorhergehenden Erörterungen schliefst sich eine Untersuchung der Unstetigkeiten an, welche eine Funktion vw in einem Punkte annehmen kann, wenn der Werth der Funktion bei der Annäherung an diesen Punkt dem absoluten Betrage nach einen endlichen Werth nicht überschreitet. Wenn eine Funktion u für das Innere eines beliebig grofsen um den Punkt z—= 0 mit dem Radius R beschriebenen Kreises so erklärt werden kann, dafs sie der Diffgl. Au = 0 im angegebenen Sinne genügt, und, wie grols auch $ sein möge, dem absoluten Betrage nach die endliche Grölse g nicht überschreitet, so ist die Funktion eine Constante. Der Be- weis dieses Satzes folgt aus der in no. l. angegebenen Formel,

wenn in derselben r durch = /(P) durch u (R, &) ersetzt und

dann zur Grenze lim R = co übergegangen wird.

Wenn von einer Funktion u bekannt ist, dafs dieselbe für das Innere eines Bereiches 7 mit Ausnahme eines im Innern des- selben liegenden Punktes z,, (für welchen es noch ungewifs ist, ob die Funktion für denselben überhaupt einen bestimmten Werth hat,) im obigen Sinne der Diffgl. Au —= 0 genügt, und dafs, wenn in der Umgebung von z, ein beliebig kleiner Bereich abgegrenzt wird, alle Werthe von u im übrigen Bereiche, wie klein auch der ausgeschlossene sein möge, die endliche Grölse g dem absoluten

776 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Betrage nach nicht überschreiten, wenn endlich eine durch Ab- änderung des Werthes von u im Punkte z, hebbare Unstetigkeit ausgeschlossen wird, so genügt dieses, um zu schliefsen, dafs die Funktion u auch für den Punkt z, einen endlichen und be- stimmten Werth hat, dafs dieselbe überhaupt in der Nähe dieses Punktes, den Punkt z, selbst eingeschlossen, den Charakter einer ganzen Funktion besitzt.

Im Innern eines Bereiches 7 kann also eine der Diffgl. Au = 0 im Allgemeinen genügende Funktion keine anderen Singularitäten besitzen, als solche, bei denen die Funktion sich verzweigt oder unendlich grofse Werthe erreicht.

Auch in dem Falle, wenn auf der Begrenzung von T ein ein- zelner Punkt z, liegt, für welchen die Eindeutigkeit und Stetig- keit von u ungewifs ist, während die Endlichkeit von v in der Umgebung dieses Punktes feststeht, läfst sich analogerweise der Schlufs auf das Vorhandensein dieser genannten beiden Eigenschaften machen, wenn erstens bekannt ist, dafs das Gebiet T conform so abgebildet werden kann, dafs einem Stücke der Begrenzung von 7, welches den Punkt z, im Innern enthält, eine gerade Strecke ent- spricht, und zweitens die Werthe von « längs der Begrenzung von T in jenem Punkte 2, eine Unterbrechung der Stetigkeit nicht er- leiden.

Wenn dagegen unter im Übrigen unveränderten Voraussetzun- gen die Werthe von u längs der Begrenzung von T im Punkte z, eine Unterbrechung der Stetigkeit erleiden und der Punkt z, nicht zugleich eine Spitze der Begrenzung von 7 ist, so erhält man aus Yes 2 8%, bei geeigneter Bestimmung der Constante C eine in diesem Punkte eindeutige und stetige Funktion.

Ist aber der Punkt z, eine Spitze und sind die beiden die Spitze bildenden Linien Z, und Z, analytische Linien, so kann, ohne dafs der Allgemeinheit Eintrag geschieht, angenommen wer- den, dafs die die Ordnung der gegenseitigen Berührung der beiden Linien in der Spitze ausdrückende Zahl, welche stets eine positive rationale Zahl ist, nicht gröfser sei als die ebenfalls rationalen Zahlen, welche die Ordnung der Berührung der beiden Linien mit der Tangente der Spitze ausdrücken, da auf diesen Fall der

der Funktion v durch Subtraktion eines Ausdruckes Carctg

eom 10. October 1870. 771

allgemeinere durch eine vorhergehende conforme Abbildung stets zurückgeführt werden kann.

Wird dann die Spitze selbst zum Pol von Polarcoordinaten gewählt und entspricht ® = 0 der Tangente der Spitze, so erhält man aus der Funktion u durch Subtraktion eines Ausdruckes

1

C- sinu®

y

bei geeigneter Bestimmung von C und x eine auch in der Um- gebung der Spitze stetige Funktion. Wird also der Grölse r ein constanter Werth von hinreichender Kleinheit beigelegt, so sind für die in Betracht kommenden Werthe von (5 die Änderungen von u um so genauer den Änderungen von $ proportional, je kleiner der Werth von r ist.

In dieser Form gilt der Satz sowohl für den Fall einer Spitze als auch für den Fall einer Ecke.

8. Wenn für die Werthe einer Funktion vu längs der Be- grenzung von Z Unstetigkeiten (endliche Sprünge) in einer end- lichen Anzahl von Punkten der Begrenzung zugelassen werden, so kann es ebenfalls nur eine Funktion geben, welche längs der ganzen Begrenzung vorgeschriebene Werthe hat, nirgends unend- lich grofs wird, mit Ausnahme jener Punkte stetig und eindeutig ist und im Innern von 7 mit Ausnahme einer endlichen Anzahl von Punkten im angegebenen Sinne der partiellen Diffgl. Au = 0 genügt.

Auch gilt unter denselben Voraussetzungen noch der Satz (vergl. no. 3.), dafs der Werth von % für einen inneren Punkt des Gebietes stets zwischen der oberen und unteren Grenze derjeni- gen Werthe liegt, welche diese Funktion auf der Begrenzung von 7 annimmt.

Die in no. 1. angegebene Formel stellt für die Fläche eines Kreises die einzige den obigen Bedingungen genügende Funktion u auch dann dar, wenn die längs der Peripherie vorgeschriebene Werthenreihe /(P) in einer endlichen Anzahl von Punkten un- stetig ist.

9. Die vorstehenden Betrachtungen erfahren keine wesentliche Modifikation, wenn der Bereich T in seinem Innern Windungs- punkte enthält.

778 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Der einfachste Fall eines solchen Bereiches ist der Fall einer m-blättrigen Kreisfläche, für welche der Mittelpunkt ein m 1 facher Windungspunkt ist. Ist 2—=z, der Mittelpunkt, R der Radius der begrenzenden Kreislinie, so führt die eonforme Ab- bildung durch die Funktion

auf den unter no. 1. betrachteten Fall einer einblättrigen Kreis- Näche zurück. (Vergl. Riemann’s Dissertation Art. 14.)

Während die Funktion u auch für die Windungspunkte die Eigenschaft behält, Stetig und eindeutig bestimmt zu sein, wenn sie endlich bleibt, können ihre partiellen Ableitungen bei der An- näherung an diese Punkte unendlich grofs werden und hören für die Windungspunkte selbst im Allgemeinen zu exist'ren auf. Die Gültigkeit des unter no. 8. erwähnten allgemeinen Satzes wird je- doch durch die Zulassung von Windungspunkten für das Innere des Bereiches nicht beeinträchtigt.

10. Es werde angenommen, für einen von einer endlichen Anzahl von Stücken analytischer Linien begrenzten Bereich 7 sei es möglich, die part. Diffgl. Au—= 0 im angegebenen Sinne be- liebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu integriren. Hierbei sollen die längs der Begrenzung von 7 vorgeschriebenen Werthe überall endlich und mit Ausnahme einer endlichen Anzahl von Punkten P, in welchen eine Unterbrechung der Stetigkeit ein- tritt, stetig und eindeutig erklärt sein.

Für diesen Bereich ist dann, wie eine nähere Untersuchung zeigt, die Voraussetzung erfüllt, betreffend die Abbildbarkeit von Theilen des Gebietes T in der Nähe der etwa vorhandenen Ecken und Spitzen der Begrenzung von T auf zum Theil geradlinig be- grenzte Bereiche, welche in no. 7. gemacht wurde, und es finden daher auf den Bereich T die unter no. 7. und 8. angeführten Sätze Anwendung.

Die Begrenzung von 7 denke man sich in eine endliche An- zahl von Strecken (Theilen) getheilt und diese wieder zu zwei Gruppen angeordnet, so dafs in jeder Gruppe mindestens eine Strecke enthalten ist. Den einzelnen Strecken lege man, jenach-

vom 10. October 1870. 179

dem sie der ersten oder zweiten Gruppe angehören, ungrade oder grade Ordnungszahlen bei.

Dann ist die Anzahl derjenigen Punkte, welche eine Strecke mit grader und eine Strecke mit ungrader Ordnungszahl trennen, Jedenfalls eine endliche; dieselbe kann auch gleich Null sein, wenn die Begrenzungslinie aus mehr als einem geschlossenen Theile be- steht. Diese Punkte mögen mit P bezeichnet werden. Nach der Voraussetzung gibt es nun eine und nach dem Inhalt von no. 8. nur eine einzige Funktion u, welche mit Ausnahme der Punkte P und einer endlichen Anzahl anderer Punkte für den Bereich T der partiellen Diffgl. Au = 0 genügt und in allen Punkten der Be- grenzung den Werth Null oder + 1 hat, jenachdem die Ordnungs- zahl der Strecke, in deren Innerem der betreffende Punkt liegt, grade oder ungrade ist.

Man denke sich nun im Innern von T eine endliche Anzahl analytischer Linien Z gegeben, welche mit den Strecken ungrader Ordnungszahl entweder keinen Punkt oder nur Endpunkte P der- selben gemeinsam haben. Im letzteren Falle wird Jedoch voraus- gesetzt, dals die Ordnung der etwaigen Berührung zwischen einer der Linien Z und einer Strecke ungrader Ordnungszahl in keinem der gemeinsamen Punkte ? höher sei, als die Berührung zwischen derselben Strecke ungrader Ordnungszahl und der in dem Punkte P anstofsenden Strecke mit grader Ordnungszahl. Für alle die- jenigen Werthe, welche die oben erklärte Funktion u für die Punkte der Linien Z annehmen kann, gibt es eine obere Grenze, beziehungs- weise ein Maximum. Diese obere Grenze q ist kleiner als ı. Nach der Beweismethode des Hrn. Weierstrafs, welche auch dem Beweise des in no. 3. erwähnten Satzes zu Grunde liegt, gibt es auf den Linien Z mindestens einen Punkt @ von der Beschaffen- heit, dafs, wenn von derjenigen Linie, auf welcher dieser Punkt liest, in der Umgebung desselben ein beliebig kleines Stück ab- geschnitten wird, die obere Grenze aller Werthe, welche die Funk- tion u für die Punkte dieses Stückes annehmen kann, ebenfalls noch g ist. Man betrachte einen dieser Punkte; liegt derselbe im Innern von 7, so wird der Werth q wegen der Stetigkeit der Funktion u in diesem Punkte erreicht; es ist q ein Maximum; da nun nach no. 8. der Werth von u für jeden innern Punkt zwi- schen dem Werthe 0 und +1 liegt, und keinen dieser Werthe wirklich annehmen kann, so ist q kleiner als ı.

750 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Wenn hingegen der Punkt @ auf der Begrenzung von T liegt, so kann er nur mit einem der Punkte P zusammenfallen und dann ist g der Grenzwerth, welchem sich u nähert, wenn der ent- sprechende Punkt längs einer der Linien Z jenem Punkte P sich nähert. Dann folgt aber aus den gemachten Voraussetzungen, (vergl. no. 7.) dafs q kleiner als 1 ist.

11. Es möge nun für denselben Bereich 7 bei derselben Einthei- lung der Begrenzung in Strecken mit grader und ungrader Ordnungs- zahl und für dieselben Linien Z eine Funktion v, bestimmt wer- den, welche für das Innere von 7 der Diffgl. Au, = 0 genügt und auf der Begrenzung längs der Strecken mit grader Ordnungszahl den Werth Null hat, und deren Werth längs der Strecken mit un- grader Ordnungszahl dem absoluten Betrage nach die Grölse nicht überschreitet.

Betrachtet man nun die Funktion

a ne een

wo u dieselbe Bedeutung hat, wie in no. 10., so genügt diese der Diffgl. Au, = 0 und hat längs der Begrenzung von 7 zum Theil den Werth Null, zum Theil positive Werthe. Daher ist der Werth von u, für keinen Punkt im Innern von 7 negativ und es über- steigt somit der Werth von u, dem absoluten Betrage nach nir- gends den Werth von gı-u; längs der Linien Z übersteigt also der Werth von u, in keinem Punkte die Gröfse g,'g, wo die Zahl q die in no. 10. erklärte Bedeutung hat und kleiner als 1 ist.

Auf diesem Satze beruht hauptsächlich das Gelingen des fol- senden Convergenzbeweises.

12. Nach dem für eine Anzahl von einfach begrenzten Be- reichen gezeigt ist, dafs für dieselben die Diffgl. Au = 0 beliebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls integrirt werden kann, handelt es sich darum, den Nachweis zu führen, dafs auch für einen weniger einfachen Bereich, der aus jenen auf gewisse Weise zusammengesetzt ist, die Diffgl. Au = 0 beliebigen Grenzbedin- gungen gemäfs integrirt werden kann.

Zum Beweise dieses Satzes kann ein Grenzübergang dienen, welcher mit dem bekannten zur Herstellung eines luftverdünnten Raumes mittelst einer zweistiefeligen Luftpumpe dienenden Ver-

vom 11. October 1870. 781

fahren grofse Analogie hat und welcher kurz Grenzübergang durch alternirendes Verfahren genannt werden kann.

Es seien gegeben zwei von analytischen Linien begrenzte Be- reiche 7, und T,, welche einen oder mehrere Bereiche T* ge- meinsam haben. Die Begrenzung von 7, wird von der Begren- zung von 7, in eine Anzahl Stücke zerschnitten. Das System aller Theile der Begrenzung von 7,, welche aufserhalb 7, liegen, werde mit ZL,, das System aller übrigen, innerhalb 7, liegenden Theile mit Z, bezeichnet. Hierbei sollen alle den Begrenzungen von T, und 7, etwa gemeinsamen Strecken dem Systeme L, zu- gezählt werden.

Ebenso zerfällt die Begrenzung von 7, in die Systeme ZL, und Z,;, wenn nämlich mit Z, das System aller Stücke, welche innerhalb 7’, liegen, mit 1 das System aller Stücke, die aulser- halb T, liegen, bezeichnet wird, wobei etwaige gemeinsame Be- grenzungstheile dem Systeme Z, zuzuzählen sind.

Es wird vorausgesetzt, dafs die Systeme L, und Z, keine anderen Punkte gemeinsam haben, als solche, in denen die Be- grenzungen von 7, und 7, sich schneiden, und zwar, dafs in diesen Punkten. zwischen den betreffenden Linien der Systeme L, und ZL, nicht eine Berührung von höherer Ordnung stattfindet, als in demselben Punkte zwischen den betreffenden Linien der Systeme L. und L, Statt hat.

Es wird ferner vorausgesetzt, es sei sowohl für den Bereich 7, als auch für den Bereich 7, möglich, die Diffgel. Au = 0 beliebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu integriren.

Es wird behauptet, dafs es unter diesen Voraussetzungen mög- lich sei, auch für dasjenige Gebiet 7, + 7, T*—=T, welches das Gebiet 7, und das Gebiet 7, als Theile enthält, bei welchem aber das beiden Gebieten 7’, und 7, gemeinsame Gebiet 7* nur einfach zu zählen ist, die Diffgl. Au = 0 beliebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäfls zu integriren.

Sowohl für das Gebiet 7, und das System L, als auch für das Gebiet 7, und das System Z, sind die Bedingungen des in no. 11. entwickelten Hülfssatzes erfüllt, wenn im ersten Falle das System Lo, im zweiten das System Z, an die Stelle der Gruppe der Strecken mit grader Ordnungszahl tritt. Es ist daher möglich, zwei Zahlen g, und g, zu bestimmen, welche die Rolle der Zahl q in dem Hülfssatze vertreten und welche beide kleiner sind als ı.

132 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Es seien auf der Begrenzung von 7, also längs L, und Z,, die Werthe für die Funktion u willkürlich vorgeschrieben; g sei die obere, & sei die untere Grenze dieser Werthe; die Differenz 9 k werde mit @ bezeichnet.

Nun nehme man |längs Z, eine Werthenreihe willkürlich an, z.B. in allen Punkten von Z, den Werth k, und bestimme für das Gebiet 7, eine Funktion u,, welche längs Z, die vorgeschrie- benen Werthe, längs Z, den Werth %k hat und im Innern von T, der Differentialgleichung Au, = 0 genügt. Nach der über das Ge- biet 7, gemachten Voraussetzung gibt es eine solche Funktion.

Die Werthe, welche die Funktion u, längs Z, hat, denke man sich fixirt und bestimme für das Gebiet T, eine Funktion u,, welche längs Z, die vorgeschriebenen Werthe hat, längs ZL, mit der vorher bestimmten Funktion u, übereinstimmt und für welche Au, = 0 ist. Nach der über das Gebiet 7, gemachten Voraus- setzung gibt es eine solche Funktion.

Der Werth von u; u, oder von u, k längs ZL, ist kleiner als g—k—= @.

Man bestimme nun für das Gebiet T, eine Funktion u,, wel- che längs ZL, die vorgeschriebenen Werthe hat, längs ZL, mit u, übereinstimmt und für welche Au, 0 ist.

Die Differenz u, —u, ist im Innern von 7, in keinem Punkte negativ und dem absoluten Betrage nach kleiner als G, längs L, aber nach dem erwähnten Hülfssatze kleiner als @- 915 weil u; u, längs ZL, den Werth Null hat und längs ZL, kleiner als @ ist.

Den Werth der Funktion u; längs L, denke man sich fixirt und für das Gebiet 7, eine Funktion u, bestimmt, welche längs L, mit u, übereinstimmt, längs L, die vorgeschriebenen Werthe hat und für welche Au, = 0 ist.

Die Differenz u, u, hat längs Z, den Werth Null und ist längs L,, wo sie mit u; u, übereinstimmt, positiv und kleiner als @ -q,; daher ist im Innern von 7, u, u; nirgends negativ und beständig kleiner als @-g,, längs L, aber kleiner als G:08 >08

Durch Fortsetzung dieses alternirenden Verfahrens gelangt man zu einer Reihe von unendlich vielen Funktionen mit ungradem und mit gradem Index. Die einen sind für das Gebiet 7,, die andern für das Gebiet T, so erklärt, dafs sie bezichlich längs L, und L; die vorgeschriebenen Werthe haben und im Innern der

vom 10. October 1870. 783

Gebiete, für welche sie erklärt sind, der partiellen Differential- gleichung Au = 0 genügen.

Für das Gebiet 7’* sind sowohl die Funktionen mit ungradem als die mit gradem Index erklärt und zwar stimmen dieselben ab- wechselnd längs Z, und längs Z, mit einander überein. Längs L, ist nämlich u;„.ı = 4,, und längs L, Un = u.

Die Funktionen mit ungradem und diejenigen mit gradem Index nähern sich mit wachsendem Index bestimmten Grenzfunk- tionen w und w”, welche durch die Gleichungen

u = + (u;

u)+ (u —u,) + (Ur U) + ---ininf.

"= +W—%)+(Ww—u) + (Usn+2 %n) + ininf.

erklärt sind, denn die auf der rechten Seite stehenden Reihen eon- vergiren unbedingt und für alle in Betracht kommenden Werthe- paare x, y in gleichem Grade; es ist nämlich

(lanzı Un 1) = GG: (91 -95)° , und

ae U) Or areeg:

Man denke sich nun für den Bereich 7, die Funktion % be- stimmt, welche längs L, die vorgeschriebenen Werthe besitzt, längs /, mit w übereinstimmt und für das Innere von 7, der Diffgl. Au = 0 genügt. Dann hat die Differenz

(I Ugn-+iı

längs L, der Werth Null und ist längs Z, kleiner als

Gala 1 91.208

Hieraus folgt, dafs u— u,,;ı auch für jeden innern Punkt von T, kleiner als diese Gröfse ist; daher ist u gleich lim %,,4, für n = ©o, und es stimmen somit die beiden Funktionen % und w für das Innere von 7, überein; also genügt w der Difgl. Au’ = 0. Auf dieselbe Weise wird gezeigt, dafs für das Innere von 7; Au 0.

754 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

(Dafs Au’ = 0 und Au” = 0 erfordert einen besonderen Nach- weis, weil im Allgemeinen aus der in gleichem Grade stattfinden- den Convergenz einer unendlichen Reihe und der Differentirbar- keit der einzelnen Glieder nicht mit Sicherheit die Differentiirbar- keit der Summe geschlossen werden kann.)

Sowohl längs L, als längs ZL, ist W= uw”; daher ist für jeden Punkt von 7* W= uw”, weil auf der ganzen Begrenzung von 7T* beide Funktionen’ mit einander übereinstimmen.

Es sind demnach (s. no. 2.) die beiden Funktionen w und «" Werthe derselben Funktion u, welche für das ganze Gebiet T=T, + T, T* erklärt ist, im Innern desselben der partiellen Differentialgleichung Au = 0 genügt und auf der Begrenzung L, + L; die vorgeschriebenen Werthe annimmt.

Hiermit ist der Beweis für die oben ausgesprochene Behaup- tung geführt: unter den angegebenen Voraussetzungen ist es auch für den Bereich 7 möglich, die partielle Differentialgleichung Au = 0 willkürlich vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäls zu inte- griren.

Durch wiederholte Anwendung des vorstehend erläuterten Grenrzverfahrens gelangt man, wenn es sich um eine endliche An- zahl von Bereichen 7,, 7, -- 7, handelt, welche durch Gebiete von zwei Dimensionen zusammenhängen, und aus diesen Bereichen ein einziger Bereich 7 gebildet wird, in welchem die Punkte der gemeinschaftlichen Gebiete auch nur einfach gezählt werden, zu einem Beweise desselben Satzes für diesen Bereich T.

Den wesentlichen Inhalt von no. 10., 11. und 12. habe ich vor Kurzenn im XV. Jahrgange der Vierteljahrsschrift der Naturfor- schenden Gesellschaft in Zürich, 1870 pag. 272-286 veröffentlicht.

13. Jeder ganz im Endlichen liegende Bereich 7, dessen Be- grenzung ausschliefslich von geraden Strecken oder von Kreisbogen gebildet wird, kann aus einer endlichen Anzahl solcher Bereiche, wie der in no. 1., no. 4.a, db, c und in no. 9. betrachteten durch Zu- sammensetzung so gebildet werden, wie es die Voraussetzungen des in no. 12 bewiesenen Lehrsatzes erfordern.

Durch Zuhülfenahme der unter no. 5. betrachteten Bereiche wird der in no. 12. bewiesene Lehrsatz auf alle von einer endlichen Anzahl von Stücken analytischer Linien begrenzten Bereiche aus- gedehnt.

vom 10. October 1870. 85

14. Bisher wurde vorausgesetzt, dafs alle Punkte der betrach- teten Bereiche im Endlichen liegen. Diese Einschränkung ist nicht wesentlich. Denn die vorhergehenden Entwickelungen und Sätze lassen sich mit geringen Modifikationen von der Ebene auf die Kugelfläche übertragen, und es ist daher der Fall, in wel- chem der ebene Bereich 7 sich ins Unendliche erstreckt, durch Projektion auf die Kugelfläche mittelst reciproker Radii vektores ebenso leicht zu behandeln, wie der Fall eines ganz im Endlichen liegenden ebenen Bereiches.

Das erläuterte Verfahren erstreckt sich nicht blofs auf den Fall, in welchem die das Gebiet 7' repräsentirende einfach oder mehrfach zusammenhängende Fläche in ihrer ganzen Ausdehnung in derselben Ebene oder auf derselben Kugelfläche ausgebreitet ist, sondern gilt, im Wesentlichen unverändert, auch für den Fall, in welchem diese Fläche auf einer aus mehreren ebenen oder sphäri- schen Flächen gebildeten Polyederoberfläche ausgebreitet ist.

Das Beweisverfahren gilt auch für beliebige analytische Flächen, welche in jedem Punkte den Charakter algebraischer Flächen haben, und in ihrem Innern von singulären Stellen frei sind, weil für diese die Möglichkeit der conformen Abbildung von Theilen der- selben auf ebene Figuren nachgewiesen werden kann.

Das Auftreten einer oder mehrerer Kanten im Innern des Be- reiches verursacht keine Schwierigkeit; auch das Auftreten von Ecken nicht, wenn für jede Ecke der Nachweis geführt werden kann, dafs es möglich ist, von dem Gebiete einen die Ecke im Innern enthaltenden einfach zusammenhängenden Bereich abzu- schneiden, welcher bis auf den Eckpunkt selbst conform auf die Fläche eines Kreises abgebildet werden kann.

Dieser Nachweis ist für die erwähnten aus ebenen oder sphä- rischen Flächen gebildeten Bereiche nicht schwer zu führen.

Wird die Ecke nur von ebenen Flächen gebildet und liegt der Eckpunkt im Endlichen, so schneide man von derselben durch eine Kugelfläche mit hinreichend kleinem Radius, deren Mittel- punkt mit dem Eckpunkt zusammenfällt, ein Stück ab, schneide dasselbe längs einer Kante auf und breite es als Kreissektor mit dem Centriwinkel 27 auf die Ebene der complexen Grölse z so aus, dafs dem Eckpunkt der Punkt 2 = 0 entspricht.

786 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Durch die Funktion $ = = wird der Bereich auf die Fläche eines Kreises conform abgebildet.

Auch der Fall, dafs die Ecke von ebenen Flächen gebildet wird, der Eckpunkt aber im Unendlichen liegt, auf welchen Fall der Fall einer von sphärischen Flächen gebildeten Ecke stets zurückgeführt werden kann, bietet, wenn er auch nicht ganz so einfach zu erledigen ist, wie der vorhergehende, principielle Schwierigkeiten nicht dar.

15. Durch das im Vorhergehenden entwickelte Beweisver- fahren ist dargethan, dafs die partielle Diffgl. Au —= 0 für jeden von analytischen Linien begrenzten auf einer von ebenen oder sphärischen Flächen gebildeten Polyederoberfläche ausgebreiteten Bereich T beliebig vorgeschriebenen Grenzbedingungen gemäfs inte- grirt werden kann.

Dieses Verfahren ist einer Ausdehnung fähig, dafs es auch noch den Fall umfafst, in welchem die Diffgl. Au = 0 in der Weise integrirt werden soll, dafs die Funktion « im Innern des Bereiches gewisse vorgeschriebene Unstetigkeiten annimmt.

Die Unstetigkeitsbedingungen, welche bei der Riemann’schen Theorie der Abelschen Integrale in Betracht kommen, bieten zu- nächst das meiste Interesse dar.

Unter diesen Unstetigkeitsbedingungen sind zwei Arten zu unterscheiden.

a. Es ist für den Punkt z = z, im Innern des Bereiches, der kein singulärer Punkt ist, hierauf läfst sich nöthigenfalls durch vorhergehende Abbildung der allgemeine Fall eines inneren Punktes stets zurückführen eine Funktion complexen Argumentes von der Gestalt

Bau). Ay TEE A Bes) en nun, De (2 2,)” (2 29)” 1 2— 2

+ (4+ Bi) log (e— 2.)

vorgeschrieben; es soll die Diffgl. Au = 0 so integrirt werden, dafs die Differenz zwischen u und dem reellen Theile von p(z;2,) in der Umgebung des Punktes 2 —= z,, diesen Punkt eingeschlossen, endlich, stetig und eindeutig ist.

vom 10. October 1870. 187

b. Das Gebiet T ist durch Querschnitte in ein einfach zusam- menhängendes Gebiet 7’ verwandelt; es wird die Bedingung gestellt, es soll die Funktion % im Innern von 7’ eindeutig sein und beim Überschreiten Jedes Querschnittes sich um eine längs dieses Quer- schnittes constante Gröfse ändern, während die Werthe der Ablei- tungen zu beiden Seiten des Querschnitts dieselben sind.

Wenn der Bereich 7 Begrenzungslinien hat, können überdiefs die Werthe der Funktion u längs dieser Begrenzungslinien will- kürlich vorgeschrieben sein.

Es ist aber auch der Fall in Betracht zu ziehen, dafs der Bereich T ein geschlossener ist und demnach die Funktion nur durch Unstetigkeitsbedingungen zu bestimmen ist.

16. Zunächst möge der einfachste Fall betrachtet werden.

Es sei $ ein die Ebene der complexen Gröfse z überall nur einfach bedeckender, einfach zusammenhängender Bereich. Es sei 2 = z, ein innerer Punkt desselben, in welchem die vorgeschriebene Unstetigkeit von u durch den reellen Theil Ap(z;2,) der Funktion P(2520) (8. no.15.) ausgedrückt wird. Wenn B einen von Null verschiedenen Werth hat, ziehe man von 2, aus nach einem Punkte der Begrenzung von S eine durch keinen Punkt mehr als einmal gehende Linie, durch welche der Bereich S in einen einfach zu- sammenhängenden Bereich ‚S’ übergeht.

Für den Bereich S’ ist der Werth von Nb(z;2,) mit Aus- nahme des Punktes 2 = z, eindeutig erklärt.

Die Differenz u— Rp(z;2,) ist nach der Forderung der Auf- gabe für den ganzen Bereich S eindeutig, endlich und stetig. Die Werthe dieser Funktion längs der Begrenzung von S ergeben sich durch Subtraktion der Werthe von Np(z;z,) von den für u vor- geschriebenen Randwerthen.

Hierdurch ist also die Differenz u Np(z;2o) für das Innere von S bestimmt und nach dem Vorhergehenden bestimmbar, mithin auch die Funktion u selbst.

Analog ist zu verfahren, wenn für mehr als einen Punkt im Innern von S die Funktion w vorgeschriebene Unstetigkeiten an- nehmen soll.

Auf den vorhergehenden Fall kann der Fall jedes einfach zusammenhängenden Bereiches 7' zurückgeführt werden und zwar so, dafs die die Ebene nur einfach bedeckende, einfach zusammen- hängende Fläche S5 eine Kreisfläche ist.

[1870] 4

4 \

788 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Um diesen Satz zu beweisen, hat man nur nöthig, zu zeigen, dafs es für jeden einfach zusammenhängenden Bereich 7 eine Funk- tion complexen Argumentes gibt, welche für einen Punkt im Innern von 7 logarithmisch unendlich wird und deren reeller Theil längs der Begrenzung von 7’ den Werth Null hat. (Vgl. Riemann’s Dissertation Art. 21.)

Es wird zunächst der reelle Theil dieser Funktion bestimmt.

Die Begrenzungslinie von 7 sei ZL,. Im Innern von 7 be- grenze man durch eine in sich zurückkehrende einfache analytische Linie L,, welche ganz im Innern von 7 liegt, ein Stück T,, dessen Inneres man als von singulären Stellen frei annehmen kann, und welches auf die Fläche S, eines Kreises mit dem Radius r, =1 conform abgebildet werden kann.

In der Fläche S, construire man einen mit der Begrenzung eoncentrischen Kreis, dessen Radius r, kleiner ist als r, und der

; ; F 1 = Einfachheit wegen gleich r,-e”' = angenommen werden möge, e

wo e die Grundzahl des natürlichen Logarithmensystems ist.

Die diesem Kreise in dem Gebiete 7’, entsprechende Linie sei mit L, und der zwischen ZL, und ZL, liegende zweifach zu- sammenhängende Theil von 7 mit 7, bezeichnet.

Der zwischen Z, und ZL, liegende, den Gebieten 7T, und 7), gemeinsame, zweifach zusammenhängende Theil möge im Anschlufs an die in no. 12. gewählte Bezeichnungsweise mit 7” bezeichnet werden. Dem Mittelpunkte von S, entspreche der Punkt P,.

Man bestimme nun für das Gebiet 7, eine Funktion u,, welche längs Z, den Werth Null, längs Z, den Werth 3 nu --1 hat, und für welche Au, = 0 ist.

Für alle im Innern von 7, liegenden Punkte liegt u, zwi- schen 0 und + 1; der grölste Werth, den u, längs L, erlangen kann, welcher mit q, bezeichnet werden möge, ist angebbar kleiner als 1.

Längs L, denke man sich die Werthe von u, festgehalten und für das Gebiet 7, eine Funktion u, bestimmt, welche längs L, mit u, übereinstimmt und für welche im Innern von T, Au, = 0 ist. Es ist vu, Zgı-

Die Werthe von u, längs ZL, denke man sich fixirt und be- stimme für das Gebiet T, eine Funktion v;, welche längs L, den Werth Null hat, längs Z, mit 1 -+ w, übereinstimmt und für

=

vom 10. October 1870. 789

welche Au, = 0 ist. Im Innern von 7, ist u; u beständig kleiner als q, und längs Z, kleiner als g}.

Hierauf denke man sich wieder die Werthe von %, längs der Linie L, festgehalten und für das Gebiet 7, eine Funktion Us bestimmt, welche längs L, mit u, übereinstimmt und für welche Au, =0ist. Dann ist u, u, im Innern von 7, sicher kleiner als gi, da längs Z, ww uw =u, u, ist.

Sodann denke man sich die Werthe von u, längs ZL, be- stimmt und für den Bereich 7, eine Funktion u, aufgestellt, welche längs Z, den Werth Null, längs L, den Werth ı +u, hat und für welche Au, —= 0 ist.

Auf diese Weise denke man sich das alternirende Verfahren bis ins Unendliche fortgesetzt.

Ähnlich wie in no. 12. ergibt sich, dafs die für das Innere von T, erklärten Funktionen u,, u;, u;,, ... und die für das In- nere von 7, erklärten Funktionen u,, u,, ... mit wachsendem Index sich zwei bestimmten Grenzfunktionen w und nähern, für welche ebenfalls Aw’ und Au” gleich Null ist.

Die Funktion w hat längs Z, den Werth Null und stimmt längs L, mit w überein, längs ZL, hingegen hat die Differenz w— uw" den Werth +1.

Bezeichnet nun r den Abstand eines Punktes der Kreisfläche S, von deren Mittelpunkt, so hat die Funktion logr längs L, den Werth Null, längs Z,; den Werth +1 und genügt für das Innere von 7, mit Ausnahme des Punktes P,, wo dieselbe loga- rithmisch unendlich wird, der part. Diffgl. Au —= 0. Es stimmen demnach die beiden Funktionen w und u" logr sowohl längs L, als auch längs Z, mit einander überein, folglich auch für jeden innern Punkt des Gebietes 7“ und es ist daher w’ logr die ana- _ Iytische Fortsetzung der Funktion u.

Setzt man nun v= u für die Punkte im Innern von IR und u = u’ +-logr für die Punkte im Innern von 7,, so ist die Funktion u für das Innere des Bereiches 7 eindeutig erklärt, hat ‚längs der Begrenzung Z, desselben den Werth Null und wird für einen einzigen Punkt ?, im Innern des Gebietes logarithmisch unendlich.

Man ziehe nun vom Punkte P, nach einem Punkte von 1D, eine einfache Linie Z, durch welche der Bereich 7 in einen eben- falls einfach zusammenhängenden Bereich 7’ übergeht.

54°

790 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Für das Innere dieses Bereiches 7’ läfst sich eine Funktion ® eindeutig so erklären, dafs u vi eine Funktion complexen Argu- mentes ist und zwar ist der Werth dieser Funktion eindeutig be- stimmt, sobald der Werth des imaginären Theiles für irgend einen vom Punkt P, verschiedenen Punkt fixirt wird.

Beim Überschreiten der Schnittlinie L ändert sich der Werth dieser Funktion sprungweise um eine längs dieser Linie constante Gröfse, und zwar, wie sich aus der Betrachtung der Kreisfläche $, ergibt, um 2ri beim Übergange von der negativen Seite auf die positive Seite von L.

Durch die Funktion

GE ne

D>

wird der einfach zusammenhängende Bereich 7 auf die Fläche $ eines in der Ebene der complexen Gröfse $ um den Punkt = 0 mit dem Radius 1 beschriebenen Kreises conform abgebildet, so dafs dem Punkte P, der Mittelpunkt, der Begrenzungslinie Z, die Peripherie des Kreises entspricht.

Vermöge der in v noch verfügbaren Constante kann bewirkt werden, dafs bei dieser Abbildung ein beliebig vorgeschriebener Punkt von ZL, einem vorgeschriebenen Punkte der Kreisperipherie entspreche.

Ist $, = oe‘? irgend ein Punkt im Innern dieser Kreisfläche, so vermittelt die Funktion

eine solche Abbildung des Bereiches 7’ auf einen Kreis mit dem Radius 1, bei welcher dem dem Punkte Z, entsprechenden Punkte von 7T der Mittelpunkt des Kreises entspricht. Hiermit ist, wie ich glaube, ein strenger Beweis des im Art. 21 der Riemann’schen Dissertation ausgesprochenen Lehrsatzes geführt.

‚Zugleich ist hiermit ein Beweis erbracht für die Möglichkeit der Constantenbestimmung in den in der Einleitung zu dieser Mit- theilung erwähnten Formeln, durch welche die conforme Abbildung der Fläche eines ebenen von geradlinigen Strecken oder Kreisbogen begrenzten einfach zusammenhängenden Polygones auf die Fläche einer Halbebene beziehungsweise eines Kreises vermittelt wird.

vom 10. October 1870. 791

(Vergl. „Über einige Abbildungsaufgaben“, Borchardt’s Jour- nal Bd. 70 pag. 114 und 117.)

Mit dem Beweise dieses Satzes ist zugleich die Grundlage für ein Beweisverfahren gesichert, durch welches dargethan wird, dals es stets möglich ist, die Fläche einer einfach zusammenhän- genden, die Ebene nur einfach bedeckenden, von einer überall con-

vexen Linie begrenzten Figur conform auf die Fläche eines

Kreises abzubilden, ohne dafs hierbei die Voraussetzung gemacht wird, dafs die Begrenzungslinie aus einer endlichen Anzahl von Stücken analytischer Linien bestehe, oder dafs dieselbe stetig ge- krümmt sei. Hinsichtlich dieses Beweisverfahrens erlaube ich mir

auf eine Abhandlung „Zur Theorie der Abbildung“ Bezug zu neh-

men, welche das Programm der polytechnischen Schule in Zürich für das Schuljahr 1869—70 begleitet.

Durch den Beweis des angeführten Satzes ist auch der Fall jedes einfach zusammenhängenden Bereiches hinsichtlich des Nach- weises der Erfüllbarkeit von vorgeschriebenen Unstetigkeitsbedin- gungen auf den im Eingange dieser no. betrachteten Fall zurück- führbar, indem hierbei den die Unstetigkeiten definirenden Funk- tionen $(2529) ähnlich gebildete Funktionen Y (2; £,) entsprechen, welche jedoch im Allgemeinen nicht dieselben Coefficienten besitzen.

17. Dem von Riemann ausgesprochenen Satze, dals es stets möglich sei, einen einfach zusammenhängenden Bereich zusammen- hängend und in den kleinsten Theilen ähnlich auf die Fläche eines Kreises abzubilden, steht ein anderer Satz zur Seite. Es ist stets möglich, einen einfach zusammenhängenden und geschlossenen Be- reich zusammenhängend und in den kleinsten Theilen ähnlich auf die Fläche einer Kugel abzubilden und zwar nur auf eine Weise so, dals drei beliebig vorgeschriebenen Punkten jenes Bereiches drei ebenfalls vorgeschriebene Punkte der Kugelfläche entsprechen.

Dieser Satz soll hier für den Fall einer von ebenen oder von sphärischen Flächen gebildeten Polyederoberfläche bewiesen werden.

Zu diesem Zwecke reicht es hin, zu zeigen, dals es für einen solchen Bereich eine Funktion complexen Argumentes gibt, welche für einen Punkt des Bereiches von der ersten Ordnung unendlich grols wird, für alle übrigen Punkte des Bereiches jedoch endlich, stetig und eindeutig ist.

792 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Es wird zunächst der reelle Theil einer solchen Funktion bestimmt.

Man construire wie in dem unter no. 16. betrachteten Falle zwei Linien Z, und ZL, und bezeichne die hierdurch entstehenden Gebiete wie in no. 16. mit 7,, 7T,, T*, mit dem Unterschiede, dafs hier die Begrenzungslinie Z, wegfällt und dafs das Gebiet 7", einfach. zusammenhängend und nur von der Linie L, begrenzt ist.

In der Kreisfläche S, sei = r-e'?f. Dem Punkte !—= 0 entspreche der Punkt ?,. An die Stelle der Funktion logr

ın no. 16. tritt hier die Funktion cos, der reelle Theil von e

1 l: i 2T9 —. Es möge r, so klein angenommen werden, dafs g, = : ag) angebbar kleiner ist als 1; (z. B.r, = 4r,.) Zur Vereinfachung des Folgenden dient ein Hülfssatz, der vorher bewiesen werden soll.

Q

Längs L, werde irgend eine analytische Werthenreihe U(r,,®) angenommen und für den Bereich 7, (vergl. no. 14.) die Funktion U bestimmt, für welche AU= 0 ist und welche längs L, mit U(r,,d) übereinstimmt. Es wird behauptet, die über den Kreis mit dem Radius r —=r, und über den Kreis mit dem Radius

r = r, erstreckten Integrale

2r 2r SU, ‚P) dp und Sue, ‚p)dap 0 o

haben gleichen Werth. Beweis. Für jeden Kreis mit dem Radius r, r, £SrZr,, ist U der Werth des Integrales (as, wo die bekannte Bedeu- . )p tung hat, gleich Null, weil die Kreislinie, über welche die Inte- gration erstreckt wird, im Innern des einfach zusammenhängenden Bereiches T', liegt, und weil AU = 0 ist.

U U Nun ist n dann dp, also ist auch oU

a A nen in

vom 10. October 1870. | 2933

Durch Multiplication mit und Integration zwischen den Gren- (M

zenr=r, undr=[r, ergiebt sich dann

[rer »,nar = de: ‚p) dp

wie oben behauptet wurde. Für den Bereich 7, bestimme man eine Funktion u,, welche

.. . 1 so . . .. . längs L, mit cos (p übereinstimmt und für welche Au, = 0 ist. rn

27 2r Dann ist Sur; ‚p)dp = 0 also auch u lRr bh —I0. 0 0 1 ß 4 : R 1 Die Funktion u, ist nirgends grölser als —.

r; Für den Bereich 7, bestimme man eine Funktion u,, welche

längs L, mit u, (r, „) cos $ übereinstimmt und für welche A

2w 2r Au, 0 ist... Es. ist In, (n7., b)dı, fw (a, $)dp O0. M) 0

1 1 : 2 ae ; Wenn nun + =g gesetzt wird, so ist vw, beständig kleiner = Du \ 5 als g, längs des Kreises r—=r, aber kleiner als 29. —— ee UP)

oder kleiner als 9-9, , wo q, <1, wie sich aus der in no. 1. an- gegebenen Formel und aus der über r, gemachten Annahme er- gibt.

Hierauf bestimme man für das Gebiet 7, eine Funktion «;,

. ıl .. = .. welche längs Z, mit u, + cos p übereinstimmt und für welche "2

Au; =0 ist. Dann ist u, u, überall kleiner als 9-g, , auch

ist fü; (r} 9 $) dp =—=0. 0

Nun bestimme man für das Gebiet 7, eine Funktion «,,

welche längs L, mit u, cos $ übereinstimmt und für welche

Aus >00 ist. Der absolute Betrag von u, u, ist beständig kleiner als 9.gı und längs Z, kleiner als 9.91.

734 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse

Sodann bestimme man für das Gebiet 7, eine Funktion Uisy

welche längs Z, mit u, + =. cos (b übereinstimmt u. Ss. w. 2 Die für den Bereich 7, erklärten Funktionen Ui und die für den Bereich 7, erklärten Funktionen Us U nähern sich mit wachsendem Index zwei bestimmten Grenzfunktionen w und «', für welche Aw und Au gleich Null ist, und für welche

die Differenz u’ u"

R 1 längs Z, gleich on (b l

f : 1 längs ZL, gleich cos & ist.

1 cos» r

Es stimmt daher die Funktion w' mit der Funktion u" =!

sowohl längs Z, als längs Z, also auch für das Innere von 7*

i ; en 1 : : N

überein, und es ist mithin «’ + cos $ die analytische Fort- r

setzung der Funktion «.

Setzt man nun u=w für das Innere von 7T,, und u= wu” + eos p für das Innere von 7, so ist diese Funktion für das Innere des geschlossenen Bereiches 7 eindeutig erklärt und wird für den Punkt P, unendlich wie cos db.

Wird nun zu der Funktion u der imaginäre Theil vi bestimmt, so dals u+ vi eine Funktion complexen Argumentes ist, so ist v mit Ausnahme des Punktes P, für den ganzen Bereich 7 bis auf eine additive Constante eindeutig erklärt und es vermittelt die Funktion u—+ vi eine conforme Abbildung des einfach zusammen- hängenden geschlossenen Bereiches 7’ auf eine ganze Ebene, wobei dem Punkte P, der unendlich ferne Punkt der Ebene entspricht.

Durch Verwandlung mittelst reciproker Radii vektores kann diese Ebene und mittelbar der Bereich 7 auf eine Kugelfläche con- form abgebildet werden.

Mit diesem Beweise ist zugleich die Möglichkeit der Constanten- bestimmung in dem Integralausdrucke, durch dessen Vermittelung eine Kugelfläche auf eine von ebenen Flächen gebildete Polyeder- oberfläche conform abgebildet wird, bewiesen. (Vergl. Borchardt’s Journal Bd. 70 pag. 119, 121-—-136. Monatsberichte 1865 pag. 150.)

A ee en a nn ren me

u

vom 10. October 1870. 795

13.. Durch ein analoges Verfahren kann man zeigen, dafs es möglich ist, auch für einen geschlossenen Bereich die Diffgl. Au = 0 so zu integriren, dafs die Funktion u in gegebenen Punkten des Bereiches vorgeschriebene Unstetigkeiten der unter no. 15. ange- gebenen ersten Art annimmt. Hierzu ist aber nothwendig, dafs die über alle Unstetigkeitspunkte ausgedehnte Summe X(A + Bi) den Werth Null habe.

In ähnlicher Weise läfst sich die Untersuchung für die zweite der unter no. 15. angegebenen Arten von Unstetigkeitsbedingungen durchführen. Die nähere Ausführung darf hier wol unterbleiben, da die Anwendung wesentlich anderer Hülfsmittel als der im Vor- hergehenden angegebenen hierzu nicht erfordert wird.

Es ist also das Dirichlet’sche Princip durch eine, wie ich glaube, strenge Beweismethode ersetzbar, welche für die Theorie der Abel’schen Integrale dasselbe leistet, was Riemann mit Hülfe dieses Principes hergeleitet hat.

13. October. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Mommsen las über die Siebenbürgischen Wachstafeln.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vor- gelegt:

G.L.v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. III. Bd. Erlangen 1870. 8.

Wallace, Beiträge zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl. Deutsch von A.B. Meyer. Erlangen 1870. 8.

Raikem et Polain, Coutumes du pays de Liege. Tome 1. Bruxelles 1870. 4.

Documenti di storia italiana. Cronaca della citta di Fermo. Commissioni di Rinaldo degli Albizzi. II. Firenze 1870. 4.

A. Ghirardini, Studi‘ sulla lingua umana. Milano 1869. 4.

Oeuvres de Frederic de Grand. Edition in 4. vol. 16—23.

796 Gesammtsitzung vom 13. October 1870.

Goertz, Archäologische Topographie der Halbinsel Tamcen. Moskau 1870. 4. Mit Schreiben des Verf. d. d. Moskau 25. Mai 1870.

Schriften der südslavischen Akademie in A gram. 4 Bände. Agram 1870. 8.

Chevalier, Memoire sur la Sicile. Paris 1867. 8.

Geraci, Le droit des Contribuables de la dette publique. Florenze 1870. 8. Le leggi senza la civilt@.... Milano 1869. 8.

Relazione sul manoseritti d’ Arborea. "Torino 1870. 8.

Pessina, Quistioni naturali e Ricerche meteorologiche. Firenze 1870. 8.

Nachtrag zur Sammlung der Gesetze und Perwaltungseinrichtungen im Kau- kasus. Petersburg 1870. 8.

Eccardt, die retrograde Multiplication. Neidenburg 1870. 4. Mit Schrei- ben des Verf. vom 10. Septbr. 1870.

Schlötel, die Philosophen - Versammlung in Leipzig. Hamburg 1870. 8. Mit Schreiben des Verf. vom 4. Septbr. 1870.

Heinrich Fischer, das zoologische Museum der Universität Freiburg. Freiburg 1870. 4.

Woodward, The histology of minute blood vessels. Washington 1370. 4.

Abhandlungen der Math.-Physik. Klasse der Königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften. X. Bd. 3. Abthl. München 1870. 4.

Zeitschrift für die Gesammten Naturwissenschaften. Berlin 1870. Bd. 1. Neue Folge. Beriin 1870. 8.

Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Bern aus dem Jahre 1869. Bern 1870. 8.

Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft. XXII. Bd. 3. Heft. Berlin 1870. 8.

Verhandlungen d. Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft in Solothurn. Jahresbericht 1869. Solothurn 1870. 8.

Nachrichten von d. K. Gesellschaft der Wissenschaften und der @. A. Uni- versität zu Göttingen. No. 10—20. Göttingen 1870. 8.

Transactions of the Linnean Society XXVI, 4 XXVII, 1. 2. London 1869—1870. 4.

Acta universitatis Lundensis. Lund 1868. 4.

Magnetische und meteorologische Beobachtungen auf der Prager Sternwarte im Jahre 1869. 30. Jahrgang. Prag 1870. 4.

Barclay, Astronomical Observations. Vol. II. London 1870. 4.

Atti dell’ Istituto veneto. Vol. XV, 3—6. Venezia 1860-1870. 8.

Memoire dell’ Istituto veneto. XIV, 3. Venezia 1870. 4.

Bulletin de l'academie de St. Petersbour.. XV, 1. 2. Petersburg 1870. 4.

Memoires de l'academie de St. Fetersbourg. Vol. XV. ib. 1870. 4.

Compte rendu de la Commission archeologique pour l'annee 1868. Peters- burg 1869. 4. et Folio.

Gesammtsitzung vom 20. October 1870. 197

Nederlandsch Kruidkundig Archief. IV, 4. Leeuwarden 1870. 8. Archives du Musee Teyler. II, 1. Harlem 1870. 8.

20. October. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Bonitz las: Zur Erklärung des Phaidon.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Il nuovo Cimento. Vol. III, 6. Pisa 1870. 8. "ApxaroAoyırn "Ebnuepis. No. 52—54. Athen 1870. 4.

24. October. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Schott las über eine deutsche übersetzung mon- golischer märchen.

Professor Jülg an der universität Insbruck gebürt die aner- kennung, die ersten mongolischen texte in Deutschland, ja, so wir nicht irren, in Westeuropa überhaupt, zum drucke befördert zu haben. Dem Siddhi-küür nach kalmykischer bearbeitung (Leipzig 1866) folgte 1868 eine ostmongolische ergänzung des genannten nebst der gleichfalls ostmongolisch wiedergegebenen "geschichte des ehans Argi-Borgi. Eine petersburger handschrift ersteren textes (neun nachträgliche märchen) war dem herausgeber zur benutzung übersandt worden. Die sieben märchen des zweiten textes gehö- ren in den kreis der abenteuer Vikramäditja’s, und sind nach drei handschriften hergestellt.

Während im Siddhi-kuür ein von einem dämon zeitweilig be- lebter leichnam erzählt, übernimmt dieses geschäft in dem anderen

798 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse

kleinen cyclus eine mystisch beseelte holzfigur. Der allerhöchste zuhörer fühlt nemlich starke versuchung, aus dem plötzlich zu tage gestiegenen throne des vorweltlichen Vikramäditja sich niederzu- lassen; aber 32 an den stufen befestigte holzpuppen verwehren dies ziemlich barsch, und eine derselben erzählt dem fürsten eine aus- wahl grosztaten seines urvorwesers, zu erhöhter unehre des nach- fahren, d.h. um ihn recht empfindlich fühlen zu lassen wie wenig er es verdiene, seine sitzteile mit dem hehren antiquarischen funde in berührung zu bringen.

Beide sammlungen gehören in die classe der sehr zahlreichen übertragungen indischer originale, also nicht zur einigermaszen selbständigen mongolischen schriftstellerei, und haben also, von diesem standpunkt betrachtet, lange nicht gleichen wert wie z. b. die Geszer-sage, in welcher der hochasiatische bearbeiter das indi- sche element frei handhabt, und öfter seinem steppen-elemente un- terordnet.

Herr Jülg stellt die verschiednen lesearten der texte zusam- men und begleitet sie zum teil mit ceritischen bemerkungen. Seine übersetzung giebt die urschrift im ganzen treu wieder, sein stil aber wird die meisten leser sehr wenig befriedigen. Der heraus- geber folgt einem von ihm in der vorrede ausgesprochenen grund- satze, möglichst eng den wendungen der mongol. sprache sich an- zuschlieszen, da seine arbeit nicht blosz für die grosze lesewelt be- stimmt sein, sondern auch bei erlernung des mongolischen ‘fördernd an die hand gehen’ sollte. Allein unsere lesewelt ist bis dato un- geheuer viel gröszer als die vergleichungsweise winzige welt der freunde und pfleger des mongolischen, und ausserdem kann man dem geiste, ja selbst der färbung (dem s. g. colorit) eines textes recht wohl treu bleiben ohne dass es auf kosten der muttersprache geschiht. Ohnehin ist unser lesendes publicum mit groszenteils recht angenehm erzählten märlein aus allen zonen fast überschüttet, und vieljärige gewöhnung hat es gegen ungelenkigkeiten des deut- schen ausdrucks empfindlich gemacht. Endlich sind die vorliegen- den texte einzelne stellen abgerechnet keinesweges so schwie- rig, dass nicht ein mit lebendigem sprachsinn begabter autodidact auch ganz ohne beihilfe einer übersetzung, sei sie frei oder unfrei, bald sich hineinlesen könnte. |

Besonders störend und der rede einen schleppenden charac- ter gebend ist der oft ganz unnötige ja unrichtige gebrauch von

vom 24. October 1870. 799

während, nachdem, indem, wobeiu.s.w. Belege dazu kann Jeder leser selbst finden, daher wir lieber proben anderer wenig statthafter ausdrucksweisen hier folgen lassen. Aus mehrern der- selben wird sich ergeben, dafs der übersetzer auch mitunter ganz ohne not vom originale abweicht, also seinem eignen grundsatze zuwider handelt. S.146: ‘da sie den maszstab nicht kannte’, soll heissen ‘da ir das augenmals fehlte. 8.153: ‘einstmals aber... ging die alte aus ... bei welcher gelegenheit sie die kuh zu- hause zurückliesz. Wenn der verf. hier wörtlich verfahren wollte, so musste bei welcher gelegenheit fortbleiben, denn sein 'einst- mals’ steht schon für ‘bei einer gelegenheit' (nigen udir-dur), wo- mit der satz im texte anfängt. S. 155: als er das am felsen haf- tende euter gewahrte, schnitt er es unwillkürlich mit dem mes- ser ab und verzehrte es. Man sollte hieraus unzurechnungsfähig- keit des mannes argwöhnen; aber ‘unwillkürlich” (unabsichtlich, zufällig) geht auf das gewahren, nicht auf das abschneiden und verzehren. S.156: 'so gut es eben für sie anging. Verständ- licher und zugleich wörtlicher hätte herr J. die worte über-ün Cinege-ber mit ‘nach iren besten kräften’ übersetzt. 8. 159: jeke gani mungckak :heilst nicht ‘sehr beschränkten verstandes’, sondern erz- oder stockdumm. S. 197: ‘die übrigen knaben mussten als würdenträger, minister und adjutanten fungiren. Romanische fremdwörter (zu denen beispielsweise auch college auf s. 151, und commandirende aufsichtsbeamten auf s. 250 gehört) sollte man besonders in morgenländischen märchen möglichst vermeiden indem nichts das 'colorit ärger benachteiligt. Dem texte gemäsz über- setze etwa: die übrigen knaben dienten ihm als würdenträger und leibwächter. Kija ist nicht mongolisch, sondern das chinesische khi-hja (wörtlich unter der fahne’) bannerleute, gardisten;!) die übersetzung "adjutanten’ giebt demnach sogar eine falsche vorstel- lung. S. 202: ‘da erschien neuerdings noch ein zweiter ganz gleicher sohn. Der text lautet: basza nigen adali kübegün irebej d. h. wieder ein ähnlicher sohn kam. Neuerdings ist also ganz überflüssig. S. 229 äufsert könig A-B. nur in der übersetzung den wunsch, sich auf jenen thron setzen zu wollen. S$. 237: ‘selbst

!) Bei leibe nicht Aj@ allein, wie bei Kowalewski fälschlich steht; denn dies bedeutet nur unterteil, unten.

300 Sitzung der philosoph.-histor. Klasse vom 24. October 1870.

die berittenen rosse blieben stehen, geschweige denn die menschen. Statt ‘geschweige denn’ wäre ‘wieviel mehr’ passender gewesen, und berittene rosse sind nach Grimm s. v. a. zugerittene, nicht solche auf denen eben geritten wird. $. 247: ‘bei diesem anlass sprach die königstochter: ich sollte eigentlich zu mei- nem vater dem könige gehen. Diese äusserung stimmt seltsam zu der sehr bedenklichen lage einer plötzlich verhafteten princess. Die worte des originals: 'ecige-degen ecikü bülüge (zu meinem vater zu gehen war) können doch keinen anderen sinn haben als: ‘was bringt ir mich nicht zu meinem vater?’ $. 248: “indessen frug Naran Gerel den Szaran, ob er irgend ein rettungsmittel kenne, aber der minister erwiderte dass es keinen ausweg gebe. Der text lautet: tüsimel etse Cima-dur arga buju kemebeszü, tüsimel arga üge) gebe, zu deutsch: (N. G.) fragte den minister: hast du [weis- sest du] eine auskunft? der minister sagte: eine auskunft giebt es nicht. Klingt jenes dagegen nicht lahm und schleppend?!) S. 250: da wagte der aufsichtsbeamte dem könige folgende vorstellung zu machen. Es entsprechen die worte: tere dsanygi chagan - dur atlatcharun d. h. da berichtete (stellte vor) der dsanggi dem könige, und von wagen ist nichts zu lesen, obwohl untertänige einwen- dungen, einem absoluten herrscher gemacht, immer etwas gewag- tes sein mögen.

Mit diesen ausstellungen sollte dem leser keineswegs die mei- nung beigebracht werden als hätte herr J. alles unrichtige oder unpassende nicht selbst verbessern können ohne dafs ein anderer darauf hindeutete. Ich hielt es aber für geraten ihn besonders vor etwaniger künftiger missanwendung seines oben angedeuteten grundsatzes zu warnen.

I) Wie sehr die verwandlung directer rede in indirecte dem eindruck einer erzählung schaden kann, beweist unter andern herren Behrnauers bei- spiel, wenn er die schlufsworte des tiefsinnigen und reizenden märchens von einem könige der den propheten Chisr sehen wollte (im Ayrk Wesir) 'so wiedergiebt: “darauf verschwand der mann, nachdem er dem Schah noch gesagt hatte dass er selber Chisr sei. Dem türkischen texte gemäfs muls es heifsen: “zuletzt sprach er: ‘O schah, sihe, ich selbst bin Chisr! und ver- schwand. Ein gran ästhetischen sinnes hätte hingereicht um der directen

rede treu zu bleiben.

Gesammtsitzung vom 27. October 1870. 801

27. October. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Kronecker las über die charakteristischen Eigenschaften des Potentials.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

A. Frauenholz, Die Sonnenflecken was sie sind und woher sie kommen. Breslau 1870. 8.

Die Sonne und ihre Achsendrehung. Breslau 1870. 8.

Översigt af Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar. XII. Helsing- fors 1870. 8.

Bidrag till Kännedom af Finlands Natur och Folk. Heft 15. 16. ibid.

18202 8. Proceedinys of the London mathematical Society. no. 29—31. London 1870. 8.

Proceedings of the American Pharmaceutical Association. XVII. Phila- delphia 1870. 8.

MONATSBERICHT

DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

November 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt.

3. November. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Curtius las über die Münzen der griechischen Colonien in ihren Beziehungen zum Mutterlande.

Im Anschlusse an frühere Untersuchungen, in welchen der Zu- sammenhang des griechischen Münzwesens mit dem Tempeldienste nachgewiesen wurde (s. Monatsbericht vom 10. Juni 1869) er- schien es als eine dankbare Aufgabe, die Münzen als Quelle der politischen Alterthümer in der Weise zu verwerthen, dafs man der Ausbreitung und Fortpflanzung der Prägbilder nachgeht, um darin die Beziehungen, welche zwischen den einzelnen Stadtgemeinden bestanden haben, zu erkennen. Als die wichtigste Form der Fort- pflanzung hat man seit Spanheim und Eckhel die Colonisation an- gesehen, ohne dafs bisher genauer untersucht worden ist, wie weit die Identität der Typen zwischen Mutter- und Tochterstadt als Regel angesehen werden könne und wie weit es gestattet sei, iden- tische Typen als urkundliche Abkunftszeugnisse der einzelnen Stadtgemeinden anzusehen. Es kam also darauf an, die Fälle aus- _ zusondern, in denen Typengleichheit durch anderweitige Gründe veranlafst worden ist, und zweitens die Thatsache zu erklären, ‘dafs so viele Pflanzstädte mit der Mutterstadt keine Übereinstim- mung im Prägbilde zeigen. Es mufsten die Umstände beleuchtet werden, unter denen die angestammten Beziehungen gestört wor- den sind, indem sie entweder durch Auflehnung und Abfall zer- rissen oder durch neue landschaftliche Verhältnisse, in welche die Colonieen eintraten, und Veränderung der Handelswege zurückge-

[1870] ; 55

804 Gesammtsitzung

drängt worden sind. Es mufste überhaupt der verschiedene Cha- rakter, welchen die Colonialmünze im Gegensatze zur mutterländi- schen hat, näher untersucht werden. Dabei zeigt sich, dafs die Beziehungen zwischen Colonie und Mutterstadt zuweilen in anderer Form als in der Gleichheit der Typen zum Ausdrucke kommen. Eine besondere Erwägung erforderten die unter delphischer Auto- rität dedueirten Colonien und endlich diejenigen, welche unter Theil- nahme verschiedener Stadtgemeinden zu Stande gekommen sind.

Hierauf las Hr. G. Rose über einen angeblichen Me- teoritenfall von Murzuk in Fessan.

Im Mai dieses Jahres theilte Hr. Dove nach einem Artikel des in Rom erscheinenden Bulletino meteorologico dell’ osservato- rio del Collegio romano vom 30. April 1870 (Num. 4, Vol. IX) die Nachricht mit, dafs in Murzuk ein Meteorit gefallen sei, dessen Fall einen benachbarten Beduinenschwarm so in Schrecken gesetzt habe, dafs sämmtliche Beduinen ihre Flinten auf die gefallene Masse abgefeuert hätten. Der Stein, von dem ungefähren Durch- messer eines Meters, sollte später nach Tripolis gebracht sein: Von dem Wunsche veranlafst, ein Stück dieses Meteoriten für die Meteoriten-Sammlung des mineralogischen Museums zu erhalten, wandte ich mich zu diesem Zwecke an das hiesige auswärtige Amt. Letzteres ging auch zu meiner grofsen Befriedigung auf meine Bitte ein, und da in Tripolis kein Consul des Norddeutschen Bun- des existirt, so veranlafste dasselbe die Österreichische Regierung dem Österreichischen Consul in Tripolis den obigen Auftrag zu er- theilen.

Ich habe nun darüber ein Schreiben des Kanzlers des Nord- deutschen Bundes erhalten, dem eine Abschrift des k. k. Ministe- riums des Äufsern beigelegt war, sowie eine Italiänische Über- setzung eines Briefes des Scheichs von Murzuk an den Öonsul Rossi in Tripolis, und ich unterlasse nicht diese 3 Aktenstücke hier mitzutheilen, da die Nachricht von dem Meteoritenfalle in Murzuk nach dem Bulletino romano auch in andere Deutsche und auswärtige Zeitschriften übergegangen ist.

vom 3. November 1870. 805

Berlin, den 30. September 1870.

In Erwiderung auf das gefällige Schreiben vom 13. Mai d. J. benachrichtige ich Euer Hochwohlgeboren ergebenst, dafs ich sei- ner Zeit die Gesandtschaft des Norddeutschen Bundes in Wien ver- anlafst habe, die Vermittelung der Kaiserlich Österreichischen Re- gierung in Anspruch zu nehmen, um durch deren Oonsul in Tripoli ein Stück des angeblich in Murzuk gefallenen und nach Tripoli geschafften grofsen Meteoriten für das mineralogische Museum der hiesigen Königlichen Universitä zu verschaffen. Die Antwort der Kaiserlichen Regierung nebst einem Schreiben des Scheich’s von Murzuk, wonach bei dem in Frage stehenden Phänomen ein Stein- fall nicht stattgefunden, beehre ich mich Eurer Hochwohlgeboren beifolgend ergebenst zu übersenden.

Der Kanzler des Norddeutschen Bundes. In Vertretung Thile.

An den Königlichen Geheimen Regierungs-Rath und Professor Herrn G. Rose Hochwohlgeboren.

Verbalnote.

In Folge der gefälligen Mittheilung der löbl. Gesandtschaft des Norddeutschen Bundes vom 28. Mai d. J., betreffend den Wunsch der Berliner Universität, ein Stück des angeblich im De- zember v. J. zu Murzuk in Fezzan gefallenen Meteorits zu erhal- ten, hat das K. K. Ministerium des Äufsern nicht ermangelt, den K. K. Consul in Tripolis entsprechend anzuweisen.

Letzterer zeigt hierauf an, dafs wenn ein solcher Meteorstein- Fall in Murzuk wirklich stattgefunden habe, derselbe, wie aus den genauen Erkundigungen hervorgehe, welche er bei verschiedenen aus jenen Gegenden eingelangten Arabischen Kaufleuten einzog, keinesfalls so beträchtlich gewesen sein könne, wie er von Hrn. Carabella in den Journalen dargestellt worden sei. In dieser An- sicht wurde Hr. Rossi durch den Umstand bestärkt, dafs Dr. Nach- tigall, welcher sich zu jener Zeit eben in Murzuk befand, und mit

welchem der Consul eine ununterbrochene Correspondenz unterhielt, 95*

806 Gesammtsitzung

eines derartigen Ereignisses niemals Erwähnung that. Hr. Rossi hat sich indefs wiederholt an dortige Bekannte gewendet, ihm ge- naue Auskünfte über den fraglichen Meteoriten, und womöglich, ein Stück desselben zukommen zu lassen.

Nach Schlufs des Berichtes war dem genannten K. K. Consul laut Nachschrift, das in Übersetzung mitfolgende Schreiben des Scheich’s von Murzuk zugegangen,') wonach bei jenem Phänomene ein Steinfall nicht stattgehabt hätte.

Sobald das K. K. Ministerium des Äufsern in dieser Angele- genheit eine weitere Anzeige von Hrn. Rossi erhält, wird es die Ehre haben, selbe der löblichen Gesandtschaft des Norddeutschen Bundes mitzutheilen.

Wien am 11. September 1870.

..

Übersetzung eines Briefs d. d. 1. Rabi 'ul Ewwel (2. Juni), welcher mir durch Hrn. Hag Ibraim Ben Alua, Scheich Bled di Morzuk geschrieben wurde in Erwiderung auf meine Bitte, mir Auskunft zu geben über den in der Umgebung von Morzuk (Fez- zan) gegen Ende des Decembers 1869 niedergefallenen Meteoriten, und ein Stück desselben, wenn es möglich wäre, zu übersenden. „In Erwiderung auf Euer Ersuchen um Nachrichten über den Stern (Meteor), welcher in dieser Gegend gegen Ende des. Rama- dan (December) niedergefallen sein soll, kann ich Euch Fol- gendes mittheilen. Ein Ombaschi (Korporal), welcher die Wache am Stadtthore hatte, hörte in der Nacht Schüsse gleich neun Flin- tenschüssen und setzte davon sogleich den Officier der Wache in Kenntnifs. Dieser trat zum Thore hinaus begleitet von fünf Mann, um zu sehen, was vorgefallen. Bei dem Auskundschaften begeg- neten sie einem Manne mit Namen Hag Habib, welcher ihnen auf ihre Frage. was das für Flintenschüsse gewesen, und wo sie ge- fallen, erwiderte, dafs die Knalle welche sie gehört, überhaupt nicht von Flintenschüssen hergerührt hätten, sondern vielmehr von einem Sterne (Meteor), welcher am Himmel zerplatzt sei, in der Richtung eines Dörfchens, Namus mit Namen. Hierauf wurden weitere Nachforschungen angestellt, und wurde uns von Leuten jenes Orts

' 1) Die Italiänische Übersetzung ist hier wieder ins Deutsche über- tragen, G. R.

vom 10. November 1870. 807

versichert, dafs Nichts zur Erde gefallen sei. Schenkt deshalb nur dem Glauben, was ich Euch sage, und nicht den Worten irgend eines Andern; denn weder jetzt noch früher ist jemals Etwas vom Himmel gefallen. (Was also sagen will, dafs in Fezzan bisher keine Meteoriten gefallen sind.)

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: Archiv des historischen Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg. 20. Bd. 3. Hft. Würzburg 1870. 8.

Zeitschrift der deutschen morgenländ. Gesellschaft. 24. Bd. 3. Heft. Leip- zig 1870. 8.

Württemberg. naturwiss. Jahreshefte. 26. Jahrg. Stuttgart 1870. 8.

Tyndall, On the action of rays of high refrangiblity upon gaseous matter. (Philosophical Transactions, 27. Januar 1870.)

Vincenzo Fiorentino, Prosa e poesie italiane della Raccolta arborense, Napoli: 1870. 8.

7. November. Sitzung der physikalisch -mathemati- schen Klasse.

Hr. du Bois-Reymond las über die Krause-Kühne’sche Theo- rie der Muskelzusammenziehung.

10. November. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Müllenhoff las über die vorptolemäischen Diathesen des ; östlichen Europas. | /

808 Gesammtsitzung

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Verhandlungen der Harlemer naturforsch. Gesellschaft. III. Serie, Vol. I, 1.2. Harlem 1870. 4. Archives neerlandaises, par Baumhauer. Tome V, 1.2.3. La Haye

18770778, Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indie. Deel 31. Batavia 1869. 8.

Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde von Nederlandsch Indie. V, 1. Gravenhage 1870. 3. Archiv für die Naturkunde Liv-, Ehst- und Kurlands. 2 Hefte. Dorpat

1870, 275. Reports on experiments made with the Bashforth Chronograph. London 1870. 8.

17. November. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Rödiger las über die arabische Redaction der vorjustinianischen Kaisergesetze und deren Verhältnifs zum syrischen Texte.

Die Akademie hat wiederholt Kenntnils genommen von den gründlichen und scharfsinnigen Untersuchungen Hrn. Rudorff’s über den Inhalt der von Professor Land herausgegebenen syrischen Übersetzung der den Kaisern Constantin, Theodosius und Leo zu- geschriebenen Gesetze. Hr. Rudorff wird eine grölsere Abhand- lung über den Gegenstand veröffentlichen. Derselbe hat, was das

sprachliche Verständnifs der dazu gehörigen syrischen und arabi-

schen Texte betrifft, meine Beihülfe in Anspruch genommen, und habe ich dieser Aufforderung selbstverständlich und gern entspro- chen. Von dem arabischen Texte jener Gesetze hat mir auf meine Bitte unser stets hülfreicher Correspondent Hr. W. Wright eigen- händig Abschrift gemacht aus dem Oxforder Cod. Thom. Roe 26, fol. 338—356 (s. Nicoll’s Catal. codd. mss. orient. bibl. Bodleianae P. II, p. 37, cod. XXXVI, no. 48), wozu mir noch einiges andere handschriftliche Material zur Hand ist. Das heute Vorgetragene wird sich der Abhandlung des Hrn. Rudorff anschliefsen.

vom 17. November 1870. 809

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

Schweizerische Meteorologische Beobachtungen. 6. Jahrg. Zürich 1869. 4.

Fr. v. Stälin, Württembergische Geschichte. 4. Theil. 1. Abth. Stutt- gart 1870. 8. Mit Begleitschreiben des Hrn. Verf. v. 20. Sept. 1870.

Bulletin des naturalistes de Moscou. Annee 1870, no. 1.

Götheborgs K. Vetenskaps och Vitterhets Samhälles Handlingar. Vol. I. Götheborg 1850. 8.

Rud. Graf Stillfried, Geschichtliche Nachrichten vom Geschlechte Stillfried von KRattonitz. 1. u. 2. Bd. Berlin 1869. 4. Mit Begleitschreiben des Hrn. Verf. vom 17. Nov. 1870.

21.Novemb. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Pertz las über das in der Herzoglichen Linie des Hochfürstlichen Hauses Braunschweig-Lüneburg gesetz- liche Alter der Mündigkeit für den Regierungs-Antritt.

Diese Frage ward im dritten und vierten Jahrzehnd dieses Jahrhunderts durch den Herzog Karl zum Gegenstand der bitter- sten und grundlosesten Beschuldigungen gegen seinen Königlichen Oheim und Vormund Georg IV von Grofsbritanien und Hannover gemacht, indem er behauptete mit vollendetem 18. Lebensjahre zum Antritt der Regierung berechtigt, und dieses Rechts um ein ganzes Jahr beraubt worden zu sein. Über diesen Rechtspunkt entwickelte sich ein für den jungen Herzog seine Regierung und seine ganze Zukunft verderblicher Kriegsstand, welcher mit seiner Flucht und Absetzung durch die Agnaten und Deutschen Bundesmächte endi- gen sollte, zunächst aber die Nothwendigkeit herbeiführte die Rechts- frage zu voller Sicherheit zu bringen. Dieses erforderte die Unter- suchung der betreffenden Verhältnisse des Welfischen Fürstenhau- ses während eines tausendjährigen Zeitraums seiner Herrschaft in seinen verschiedenen Linien; die reichen Archive gewährten dazu die Mittel, und das Ergebnifs der Forschung war die hier mitge-.

810 Sitzung der philosophisch-historisehen Klasse

theilte Widerlegung der vorgeblichen Rechtsansprüche des durch falsche Rathgeber irregeleiteten Herzogs.

H. Bekker gab bemerkungen zum Homer. 6

1.

Warum steht A 557 (Neger yao For ye msgegero) co ye, und nicht das enklitische pronomen? das dem sinne genügen würde wie 940 und 541. ist nicht etwa e’ x ye zu lesen? ro’ für cc zu ne- men wäre wenigstens, vor dem langen vokale, leichter als 170 (ovöe o’ dm aUres arınos Zuv cubevos zu mAoÜrcV acbvEsv), n ye aber wäre gebraucht wie, um die beispiele nur aus A zu entlehnen, ye 69 33 97 101 190 320 342, % ye 496, rav y: 401, rw ye 304 581, or ye 485.

dafs wer für s’ r’ verlange oder gar 9’, erwarten wir nicht. rc: darf seinen diphthong weder elidiren noch durch eine krasis trüben, wenn es verständlich bleiben will. yc«a 7’ ergänzt sich nur

zu Yard Zen

2.

7 . . A 555 (mn ve magsimn) hat das digamma gewalt erlitten. auf- helfen würde ihm zagaıpy: vgl. A 792 TIs 010 21 zEv 0 UV Ominovı Sumov Ogıvı 7 > x S\ I 3 c , mapsımov; ayaon Ö8 Tugaparis Errıw Eraiov. J S F E maoedr haben wir A 577, zagapaneros Q 771: so wechselt ddr

o mit eiDaro.

3. > 35 hört Thetis ihres sohnes klage um Patroklos, wie sie A 558 seine klage um die Briseide gehört hat,

Yuzuy Ev BevSecsw 0.06 Mage marıı Yecovrı. unverzüglich taucht sie empor, tröstet den betrübten, verheilst zu morgen früh neue waffen für die verlorenen. die von Hephästos zu erbitten macht sie sofort sich auf den weg zum Olympos. +yv

vom 21. November 1870. sil

hev a9 OiAvumovde modes (P£gov sagt der dichter. anstatt sie nun aber zu begleiten und schleunigst der allein möglichen und drin- gend nötigen hülfe entgegen zu führen, verliert er sie der gestalt aus den augen, dafs er ihrer zunächst den ganzen übrigen teil des tages mit keinem worte gedenkt. und doch dauert der tag noch lang genug zu dem kampf um Patroklos leiche, zu ‘einer botschaft der Hera an den Peliden, zu dessen widererscheinen im felde, zu einer volksversamlung und einer abendspeisung der Troer, alles teilname erweckende und folgenschwere ereignisse, die, eben weil sie das sind, mit bequemster umständlichkeit in mehr als zweihundert versen vorgetragen sich recht stattlich aus- nemen, aber in die Olymposfahrt eingefalst zu werden wenig ge- eignet scheinen.

die sonne geht unter. wie die Achäer die nacht zugebracht wird ausführlich berichtet: fragen wir nach der Nereide, so antwortet allein jenes rn» nev do OvAummevds modss deger. also wärend sonst ein gott, auch ohne besondern anlass zur eile, seinen weg abtut so schnell er ihn denkt, oder höchstens dreimal den fufs aufhebt und mit dem vierten mal am ziele steht, wie denn auch hier Iris wenige stunden vorher ihren in umgekehrter richtung gleich ‘wei- ten botenlauf, vom Olympos hinab an den Troerstrand und von da zurük zu ihrer herrin, zurükgelegt hat ohne den gang der hand- lung, worein sie eingreift, auch nur einen augenblik zu stören noch zu unterbrechen, troz dieser herschenden vorstellung von der geschwindigkeit göttlicher bewegungen ist Thetis unterweges und bleibt unterweges (P 700), wie mächtig auch mutterliebe und mutter- angst sie treiben mag, schneckengeleise ziehend durch den schnee von schlucht zu schlucht in. nacht und nebel.

wie aber endlich der tag anbricht und das haus des Hephästos erreicht ist, (nicht allzu früh: denn der gott ist bereits in seiner werkstatt voller tätigkeit), empfängt er die göttin gastlich und unterhält sie mit erinnerungen aus seiner kindheit. gleich ruhig geht er an die arbeit, die von ihm verlangt wird. wie lange er daran zu tun hat? wahrscheinlich bis an den nächsten morgen: denn nicht eher kan die mutter das fertige geschmeide zu dem sohn hinunter bringen. das tut sie nun aber im habichtsfluge, als wolte oder könte sie noch einbringen was sie von zeit so schnöde vergeudet hat.

812 Gesammtsitzung

Erzälet so qui nil molitur inepte? schwerlich, wol aber mag ein diaskeuast in böser stunde gerade diesen glanz- und wendepunkt des gedichtes zum pranger gewält haben für seinen unverstand.

4.

Dafs die verse o 343-5 eine gnome sind, die des verwandten inhaltes wegen an den rand geschrieben durch fahrlässigkeit in den text geraten, das erhellt schon aus dem einen worte mAayzrosuvys, wofür die in diesem fall unumgängliche epanalepse «rs verlangte oder irgend eine ableitung von «an.

5.

Warum daszev Easzes (B 832 A 330 T 295 217) und nicht ERTHEV ERTHSS, OYVEcHE Or VETRoV (E 790 O 640) und nicht oixveirrze oiyvsiszov? die iterative form scheint an die einer contraction mit s empfänglichen charaktere @ e o gewöhnlich nicht zrzov zu fügen, wodurch freilich &rzov eiszov oüszov entstünde, sondern nur coxov, wie sie auch in der conjugation auf m tut: Aaszev Öorzov Erxov oUrESHEV ITTary, oraszev baczev. zu dieser conjugation gehören die passiven aoriste: daher daveszev für Edavn. gewöhnlich, wegen diAteszov und zarterzov: bıAsiszov und zuAsirzov wenigstens kommen nicht vor.

auch in vızarzouev A 5ll haben wir also das « kurz zu sprechen.

eben so erklärt sich die kürzung in #2o#ero & 41.

27. November. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Borchardt las über ein die Pyramiden betreffendes Pro-

blem des Maximus.

vom 27. November 1870. 813

Hr. Dove las über die Vertheilung des Regens in der jährlichen Periode im mittleren Europa.

Die Vertheilung des Regens auf der Oberfläche der Erde habe ich 1851 im ersten Theil meiner klimatologischen Beiträge p. 77 183 einer so eingehenden Untersuchung unterworfen, dafs ich glaubte, nicht mehr darauf zurückkommen zu dürfen. Um an- schaulich zu machen, warum dies dennoch nothwendig ist, mufs ich auf die Hauptpunkte jener Darstellung zurückkommen.

Das Eintreten der Regen ist in der tropischen Zone so regel- mälsig, dals es die Eintheilung des Jahres bestimmt. Die India- ner des Orinocco theilen dasselbe in die Zeit der Regen und die Zeit der Sonnen. Das Herauf- und Herabrücken dieser Regen setzte Varenius in gerechtes Erstaunen, weil es „contra coelestem rationem“ sei. Mit gewohnter Klarheit beschreibt Dampier, wie diese Regen der Sonne folgen. Innerhalb noch weiterer Grenzen findet dies Herauf- und Herabrücken in dem Gebiet der Monsoons statt, und der Gegensatz einer heitern trocknen Himmels im Win- ter zu mächtigen Niederschlägen mit den heftigsten elektrischen . Entladungen im Sommer hat allen Anschauungen der Bewohner Hindostans die Vorstellung des Waltens zweier einander bekäm- pfenden Mächte aufgeprägt. Die Allgemeinheit dieser tropischen Verhältnisse blieb den Griechen fremd, und daher war das perio- dische Anschwellen des Nils für sie ein Problem, wenn auch He- rodot seiner Lösung nahe war. Ihr Gesichtskreis beschränkte sich auf subtropische Verhältnisse, und Lucrez hatte daher Recht, wenn er Frühling und Herbst, wo das himmlische Haus am häu- figsten vom Donner erschüttert werde, des Jahrs kriegführende Zeiten nannte, eine Bezeichnung, die für unsere Gegend vollkom- men unpassend wäre. Diese subtropischen Regen führte L. v. Buch im Jahr 1820 auf das Herabsinken des obern Passates zurück, während Gasparin in seinem 1828 erschienenen Aufsatz: „des climats Europeens par rapport aux pluis“, die Herbstregen Süd- europas in ihrem Gegensatz zu den Sommerregen des mittlern und nördlichen hervorhob und Dalton nachwies, dafs an der West- küste von Grofsbrittannien die Regencurven ein Maximum im Herbst haben, ein Ergebnifs, welches durch Miller für das Gebiet der Cuinberlandischen Seeen so auffallend bestätigt wurde.

814 Gesammtsitzung

Im Jahr 1835 habe ich in einem Aufsatz „über das Vorhan- densein zweier Regenzeiten im südlichen Europa“ die Gesammtheit der Regenverhältnisse der gemäfsigten Zone (auf der europäischen Seite) unter dem Gesichtspunkte zusammengefalst: die Winterregen- zeit an den Grenzen der Tropen tritt, je weiter wir uns von die- sen entfernen, immer mehr in zwei durch schwächere Niederschläge verbundene Maxima auseinander, welche in Deutschland in einem Sommermaximum wieder zusammenfallen, wo also temporäre Re- genlosigkeit vollkommen aufhört. Dies früher übersehene Früh- lingsmaximum ist in Italien schwach, tritt aber, wie neuere Beob- achtungen bestätigt haben, an bestimmten Stellen in Algerien, Spa- nien und Palästina entschieden hervor. In spätern Abhandlungen habe ich die entsprechenden Verhältnisse der südlichen Erdhälfte untersucht und die nördliche Grenze subtropischer Regen in ihrer durch Gebirgszüge sich verwickelnden Gestalt festzustellen mich bemüht. Das neuerdings in vorher ungeahnter Weise sich erwei- ternde Beobachtungsmaterial liefs mich hoffen, in reinerer Form für die einzelnen Gebiete die Jahrescurve der Regenmenge hervor- treten zu sehen, als die früher lückenhaften Beobachtungen dies zu leisten vermochten. Aber bei dieser neuen Bearbeitung fand ich dies nicht bestätigt. Selbst eine neunzigjährige Curve enthält Ab- weichungen von einer symmetrischen Vertheilung. Dafür mulste ein Grund gesucht werden, denn Regeliosigkeit ist kein Natur- gesetz.

Die Luftströme sind abgesehen von den in sie hineinragenden Untiefen, die wir Gebirge nennen, uferlos. Sie verändern daher häufig ihre Betten, aber innerhalb bestimmter Grenzen. Zwischen den verschiedenen einander begrenzenden Witterungssystemen giebt es daher Übergangsgebiete, die bald dem einen, bald dem andern anheimfallen. Hierzu gehört im grofsen Ganzen Europa, es weils nie, ob es sich für das See- oder für das Continental-Klima ent- scheiden soll. Es blickt wie ein Janus nach entgegengesetzten Seiten, nach Ost und nach West. Im Frühjahr überwiegt der Einflufs seines östlichen gelegenen continentalen Nachbars. Dies spricht sich in den unbedeutenden Niederschlägen des Februar und März aus, und den vorwaltenden trocknen Ostwinden, welche bis in den Mai hinein Nachtfröste hervorrufen. Von dem Juni an ist es die Westseite der Windrose, welche die die Witterung bestim- mende Rolle übernimmt. Nur in seltnen Fällen ist der Verlauf

vom 24. November 1870. 815

ein andrer, und stellt sich als ein Verrücken der Erscheinungen in der Richtung der Meridiane dar. In beifsen Sommern gehört Deutschland der dann regenlosen subtropischen Zone an, während, wovon ein auffallendes Beispiel vorliegt, die Nilschwelle dann enorm wird, weil die tropischen Regen ungewöhnlich weit in den obern Lauf des Flufses eingreifen. In andern Jahren betheiligt sich hingegen Italien an unsern Sommerregen. Greifen im ge- wöhnlichen Verlauf die Verhältnisse der Westküsten weiter nach Osten, so bekommen wegen der Herbstregen Englands unsre Re- gencurven dic Tendenz ihr Sommermaximum erheblich im Jahr zu verspäten. Wollen wir daher das einem Grenzgebiet eigenthüm- liche Schwanken verstehen, so müssen wir nicht blos vieljährige Mittel betrachten, sondern bestimmte einzelne Jahre einer genauen Untersuchung unterwerfen. Im Jahr 1858 habe ich eine solche Arbeit in Pogg. Ann. 105 p. 490 unter dem Titel: „die diesjähri- gen Überschwemmungen in Schlesien und am Harz und ihre Ur- sachen“ veröffentlicht. Der Sommer 1870 ist ein dem vollkommen entsprechendes Beispiel furchtbarer Niederschläge nach einer un- gewöhnlich lange anhaltenden Dürre, veranlafst durch einbrechende kalte Westwinde, in eine in Westeuropa vorher überhitzte Atmo- sphäre.

Die folgenden Tafeln enthalten aufser den gemessenen Regen- summen für die Stationen, wo mehrjährige Beobachtungen vorla- gen, den Überschufs der in pariser Linien ausgedrückten Menge Regens des August über die mittleren Werthe derselben, nach einem Juli, für welchen fast überall die Niederschlagssumme unter ihrem Mittel zurückbleibt.

Die Aufeinanderfolge der Stationen ist in Deutschland im All- gemeinen von Nordost nach Südwest, nämlich von Ostpreufsen über Pommern, Mecklenburg, Holstein, die Mark nach Schlesien, Sach- sen, Thüringen, Westphalen, Niederrhein, Bayern, Baden und Würt- temberg, die in Italien hingegen von Nord nach Süd. Wegen der Breite des Beobachtungsgebietes mufste natürlich mehrfach zurück- gegriffen werden.

816 Gesammtsitzung

Deutschland.

1870 Mittel Unterschied

Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli Aug.

Tilsit 21,25.17383:91 39.36 | 86.12 —18.11 2 Claussen 30.63 | 36.12 32.59 | 283.93 1.96 1.19 Königsberg 9.73 | 26.70 29.37 | 33.28 17.64 | 6.58 Conitz 28.63 | 54.07 28.94 | 33.01 0.31 21.06 Cöslin 26.31. 1 09.099 28.70 | 36.61 2.39 22.98 Regenwalde 21.05 | 76.80 28.48 | 38.26 7.93 33.54 Stettin 14.31 | 91.02 24.83 | 33.87 10.52 57.15 Putbus 17.28 | 84.68 26.10 | 37.22 8.82 47.46 Wustrow 24.69 | 45.21 21.33 | 20.51 3.36 24.70 Marnitz 25.76 | 74.04 25.45 | 28.29 0.31 45.75 Rostock 18.60 | 36.90 22.57 | 23.92 3.97 12.98 Lübeck 24.25 | 60.14 31.85 | 30.49 7.60 29.65 Neustadt 13.78 | 26.88 20.02 | 26.17 6.24 0.71 Eutin 16.99 | 55.34 29.53 | 34.70 12.54 20.64 Kiel 20.61 | 51.50 26.68 | 33.12 6.07 13.38 Neumünster 19.73 | 58.96 30.15 | 33.05 10.42 25.91 Altona 26.49 | 67.20 37.00 | 35.09 —10.51 32.11 Glückstadt 33.83 | 62.30 45.33 | 45.67 1.50 16.63 Meldorf 17.36 48.39 31.03 Segeberg 24.34 | 54.70 29.62 | 38.66 5.23 16.04 Hadersleben 17.57 | 45.11 Fiensburg 10.97 | 34.06 19.24 | 39.19 13.09 | 5.13 Apenrade 11.82 | 59.76 Oldesloe 16.59 | 85.34 Husum 21:01 | 29.39 33.48 | 35.75 —11.87 | 6.36 Gram 12.52 | 34.46 Tondern 14.31 | 42.46 Cappeln 15.96 | 36.02 Cuxhaven 24.71 | 55.47 Otterndorf 14.84 | 67.46 31.70 | 40.92 16.86 26.54 Lüneburg 17.85 | 55.13 92.321272.97 14.67 27.16 Hinrichshagen 20.08 | 72.00 28.16 | 28.63 8.08 43.37 Berlin 25.51 | 68.36 31.91 | 28.51 6.40 39.85 Prenzlau 21.07 | 60.07 24.55 | 25.79 8.38 | 34.28 Lübbenow 39.94 | 66.68 36.25 | 31.50 3.69 35.18

vom 27. November 1870. 817

1870 Mittel Unterschied Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli Aug.

Frankfurt a. O. 35.65 | 44.78 29.76 | 28.86 5.89 15.92

Posen 32.06 | 41.08 | 28.86 | 32.79 3.20 8.29

Bromberg 28.10 |! 38.17 27.72 | 30.84 0.38 33

Ratibor 93.75 31.66 | 38.63 15.12

Zechen 54.15 | 39.77 | 30.26 | 34.96 23.89 4.81

Breslau 37.67 | 40.42 29.97 | 36.31 7.70 4.11

Wang 77.31 |109.78 38.41 | 46.81 38.90 67.97

Eichberg 57.51 | 72.07 | 39.21 | 42.01 18.30 30.06

Bunzlau 30.99 | 41.22 .

Görlitz 22.35) 52.3711 36.191 33.76 1) 13.77 14.11

Torgau 18.94 | 35.75 33:35 1.25.33 14.41 10.42

Halle 80.83 | 39.10 31.47 | 23.86 0.64 12.24

| Riesa 14.81 | 40.53 27.03 | 20.92 —12.22 19.61

Leipzig 17.83 | 64.07 29.93 | 26.94 12.10 37.13

Dresden 27.15. 53.23 || 39.21.) 30.90 1 12.07 22.33

Zwenkau 26.26 | 49.56 30.46 | 29.46 4.20 20.10 Döbeln 18.27 | 57.70

| Wermsdorf 14.89 | 38.82 35.13 | 26.09 20.76 12.73

| Gröditz 20.88 | 53.34 | 32.00 | 31.79 | —ı1.12 26.55 | Tharand 28.45 63.21

Bautzen 28.42 | 41.53 32.95 | 23.66 4.55 17.87

Zittau „2.17 | 83.22 | 29.75 | 35.45 | 22.58 47.77

| Zwickau 28.22 [100.02 32.00 | 34.87 3.78 65.15

Chemnitz 20.15 | 68.56 28.48 | 31.81 8.33 36.65

Königstein 49.79 | 62.57 40.35 | 29.37 9.44 33.20

| Plauen 25.46 | 78.12 | 24.96 | 28.11 0.50| 5001

Hinterhermsdorf 28.21 | 68.44 43.67 | 27.65 15.46 30.79

Grüllenhurg 25.28 | 54.96 | 38.15 | 29.77 | —12.87 95.19

| Freiberg 32.00 | 65.32 41.12 | 29.34 9.12 35.98

‚# Elster 16.37 | 50.12:| 27.40 | 22.55 I —11.03 27.57

| Annaberg 23.38 | 64.67 27.80 | 32.31 4,42 32.36

0 Rehefeld 59.48 | 93.57 | 48.05 | 31.34 11.43 62.23

Reitzenhain 32.49 | 84.14 | 35.88 | 36.75 | 3.39 47.39

WR Oberwiesenthal 27.80 | 89.31 37.25 | 42.68 9.45 46.63 Greussen 20.45 | 42.04

Treffurt 8.92 | 81.10

am

818 Gesamntsitzung 1870 Mittel Unterschied Juli Aug. Juli Aug. Juli Aug.

Arnstadt 40.15 | 44.52 | 30.54 | 24.63 9.61 19.89 Holzengel 26.33 | 51.62

Keula 16.16 | 89.99

Sondershausen 13.11 | 64.93 26:39, 1 27:04 13.28 37.89 Grofsbreitenbach 24.28 | 95.71 31.33 | 44.08 7.05 51.63 Mühlhausen 16.10.| 53.40

Wernigerode 21.38 | 69,79 | 28.26 | 30.065 1 27.38 39.74 Heiligenstadt 10.42 | 43.96 | 32.02 | 31.39 | 21.40 12.57 Göttingen 12.74 | 67.49 | 30.23 | 33:99 17.54 33.56 Clausthal 21.20 |124.88 67.24 | 62.54 —46.04 62.34 Harzigerode 13.56 | 76.88

Braunschweig 8.93 | 55.84 | 25.12 | 32.25 | —16.19 23.59 Hannover 18,80 | 63.59 | 30.50 | 29830 | 11.70 33.79 Kassel ra er era ae lo 19.69 Altmorschen 27.25 | 66.47 | 29.83 | 42.61 | 2.58 23.86 Marburg 17.08 | 42.02 1 2152 1 9637 1 449 15.65 Fulda 10.50 | 46.10 | 24.16 | 29.09 | —13.66 17.01 Elsfleth 18.65 | 93.09 | 35.87 | 39.57 | —17.22 53.52 Oldenburg 22.10 | 77.55 | 35:13 -38:75 | —13.03 38.80 Jever 20.48 | 88.47 | 39.41 740.08 | 11.93 48.39 Weser-Leuchtthurm 10.02 | 39.66

Emden 29.63 1.67.01 | 33.87.) 5837.| 294 283.64 Lingen 22.34 | 46.21 | 35.53 | 35.74 | —13.19 10.47 Löningen 24.10 | 48.11 36.96 | 34.34 12.86 37 Münster 27.52 | 58.94 | 30072. 32.11 4 190 26.73 Arnsberg 29.50 | 97.36 | 36.96 | 49.78 | 7.46 47.58 Gütersloh 23.28 | 73.01 | 33.21 | 34.71 9.93 38.30 Olsberg 29.66 |129.08 | 40.28 | 55.28 | 1062 66.80 Brüssel 25.57 | 05.80 1.31.43 3334 | 386 42.03 Cleve 39.50 | 76.36 | 34.98 | 36.24 4.52 40.13 Crefeld 28.70 | 69.60 | 28.87 | 3243 | 0.17 37.17 Aachen 48.22 | 81.54 | 30.65 | 45.33 17T, 36.21 Cöln 52.07 | 70.36 | 29.20 | 30.04 22.87 40.33 Laach 10.04 | 720.09 ı Toa2 741238 °| 0:08 27.71 Boppard 29.69 | 80.78 | 29.71 | 31.52 | 0.02 49.26 Trier 16.70 | 39.21 | 32.80 | 32.038 | —15.33 7.18

vom 24. November 1870. ; 819

RE NIEREN, 1870 Mittel Unterschied Juli | Aug. Juli | Aug. Juli Aug.

Birkenfeld 11.53 | 32.70 32.81 | 32.81 —21.23 | 0.11 Frankfurt a. M. 47.63 | 50.75 32.71 | 28.47 14.92 21.28 Wiesbaden 29.63 | 42.63 19.22 | 36.35 10.41 6.28 Hanau 36.60 | 54.87 45.35 | 39.22 2.62 15.65 Darmstadt 33.09 | 68.08 33.38 | 28.82 0.29 39.23 Duschlberg 26.00 1130.42 22.80 | 66.52 3.20 63.90 Seeshaupt 16.67 | 83.33 42.06 | 68.08 25.39 15.25 Promenhof 12.58 | 71.83 18.79 | 48.67 | 6.21 23.16 Rohrbrunn 32.08 | 87.75 29.22 15315 6.87 34.60 Ebrach 13.75 | 76.26 11.53 | 40.57 2022 25.69 Altenfurt 17.92 |102.02 17.38 | 49.95 0.54 92.07 Aschaffenburg 26.27 | 66.15 17.00 | 37.31 | 28.84 Meersburg 41.23 | 46.55

Mannheim 20.57 | 91.76 31.95 | 29.25 16.38 62.51 Westheim 15.70 | 78.64

Buchen 29.08 | 84.36

Schopfheim == 76.20

Schweigmatt 73.01

Villingen 24.91 | 24.29

Freiburg 27.13 | 66.49

Badenweiler 17.56 | 84.67

Höchenschwand 30.10 | 70.08

Carlsruhe 33.61 1129.75 34.71 | 30.17 ee 99.58 Baden 37.68 1117.25

Stuttgard 27.33 | 76.58 31.82 | 32.70 4.49 43.88 Canstadt 31.54 | 66.00 31.63 | 33.54 —40.09 32.46 Hechingen 49.43 | 72.50 36.93 | 34.90 12.50 37.60 Hohenzollern 47.00 | 63.17 39.63 | 40.86 1:37 22.31 Heilbronn 23.29 | 59.33 27.01 | 25.89 33.44 Freudenstadt 42.08 | 89.17 87.55 | 49.60 4.53 39.57 Calw 21.75 | 271.08 |. 32.47 | 3744 | —ı5.72 39.64 Ulm 34.19 | 71.44 30.32 | 29.63 3.87 41.81 Schopfloch 38.38 [123.30 51.82 | 50.87 —13.44 72.43 Heidenheim 32.17 | 55.00 | 51.33 | 38.90 | —ı9.16 16.10 Issny 54.16 | 99.71 70.72 | 72.73 | —16.56 26.98 Friedrichshafen 39.21 | 29.44 40.05 | 41.52 0.84 | —12.08

[1870] 56

820 Gesammtsitzung 1870 Mittel Unterschied

Juli | Aug. Juli | Ausg. Juli | Aug. Mergentheim 16.08 | 72.97 25.95 | 32.43 9.87 40 54 Biberach 20.93 | 73.78 Hohenheim 17.34 | 58.40 38.01 | 82.090 16.23 25.85 Wien 71.00 | 27.42 27.05 | 27.14 43.95 0.28 Pesth 283.86 | 49.73 14.66 | 14.29 14.20 35.44 Beregszasz 15.24 | 72.86 Tokay 62.08 | 27.80 Szolnok 54.58 | 30.28 Szeged 33.50 | 64.38 Becze 31.72 | 87.44

Italıen. 1870 Mittel Unterschied

Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli Aug. St. Gotthard 23.14 | 49.61 40.06 , 62.06 —16.92 | 12.45 Sacra di S. Michel | 27.04 | 59.40 Turin 27.84 | 56.08 36.90 | 36.99 9.06 19.09 Moncalieri 18.22 A451 11.85 | 24.93 6.42 18.58 Pinerolo 69.33 Mondovi 60.01 | 45.44 21.45 | 28.96 38.56 16.48 San Remo 24.25 | 38.79 9.60 | 10.39 14.65 28.40 Genua 3.30 109,702 23.28 | 50.98 19.91 74.74 Alessandria 20.31 | 38.04 17.12 6.12 3.19 31.92 Casale Monferato 21.64 | 63.39 Volpeglino 12.85 | 41.67 Pavia 30.01 | 53.42 33.24 | 45.72 3.23 7.70 Mailand 26.15 | 55.81 | 32.32 | 36.38 | 6.17 | 10.43 Lugano 46.77 | 65.61 56.47 | 58.16 9.70 7.45 Breseia 35.42 | 62.06 32.04 | 47.04 3.38 15.02 Cremona 16.14 Guastalla 27.66 | 82.41 18.66 | 23.21 9.00 59.20 Trento 9.75 Mantua 36.13 | 64.19 30.00 | 30.96 6.13 33.23 Padua 16.00 | 77.05 30.72 | 29.52 14.72 471.53

vom 24. November 1870. 821 ee ET LET TER 22. 1870 Mittel Unterschied Juli | Aug. | Juli | Aug. Juli | Aug.

Udine 37.72 1102.93 73.40 | 59.00 35.68 43.93 Vicenza 19.15° | 76.25 34.68 | 32.88 15.53 43.37 Venedig 26.11 Chioggia 12.68 | 79.04 Ferrara 12.59 | 51.78 19.22 | 32.48 6.63 1.9.30 Reggio (Emilia) 11.62 | 55.06 16.39 | 32.08 4.77 22.98 Modena 17.81 | 67.47 15.59 | 31.05 229, 38.42 Bologna 24.82 | 60.51 14.05 | 17.24 10.77 43.27 - Forli 11.26 | 57.99 12.01 | 39.94 0.75 18.05 Florenz 4.88 | 69.11 15.99 | 20.76 —11.11 48.35 Livorno 4.21 | 49.21 16.48 | 24.77 12.27 24.44 Porto feraro 2.79 5.01 Siena 15.83 | 50.40 30.24 | 16.44 14.41 33.96 Urbino 12.54 | 89.10 24.51 | 43.98 11.97 45.12 Ancona 8.82 | 63.83 20.07 | 23.58 11.25 40.25 Jesi 0.93 | 43.13 16.18 | 28.21 |, —15.25 14.92 Camerino 12.41 | 15.07 17.24 | 22.70 4.83 | 7.63 Perugia 2.88 | 61.93 18.98 | 34.41 16.10 27.52 Chieti 15.74 | 15.52 Rom 16.32 4.47 7.14 | 12.68 9.18 | 8.21 Tivoli 9.00 | 16.04 Villetri 4.92 6.30 Neapel S.R. 8.02 | 11.80 4.58 | 16.91 8.44 | 5.11 00T 8.87 | 16.09 Benevento 11.89 | 18.8 Locorotondo 7.707 5.76 7.207) 12.33 5.43 | 6.57 Catanzaro 12.63 7.85 Catania 19.06 Palermo 25.00 1.64 2.58 4.03 22.42 | 2.39

56*

822 Gesammtsitzung

Nach Westen hin konnte die Untersuchung nur bis zur fran- zösischen Grenze fortgesetzt werden. Auf unserm Gebiete fallen die extremen Werthe in das Rheinthal. Am 1lten August betrug der Niederschlag in Carlsruhe 39'.’32, der achte Theil der Jahres- summe, in Baden 33’’29, in Badenweiler 32.80. In den 1779 in Carlsruhe beginnenden Messungen ist eine Monatssumme wie die des August 1870 nach Klauprecht bisher nie vorgekommen. Ähnliche auffallend grofse Tagessummen geben die Beobachtungen in Schwaben, 41.4 in Grofsaltdorf, 38.8 in Schopfloch, 37.4 in Bruchsal, 35.3 in Issny, 34.0 in Tübingen und Winnenden. Die hochgelegenen Stationen liefern überall bedeutende Mengen, Duschel- berg im bayerischen Wald (2776’) giebt für den August 130.42, Kirche Wang am Abhang der Schneekoppe in Schlesien 109.78, Olsberg in Westphalen 122.08, Clausthal auf dem Plateau des Harzes 124.88. Die Nordwestküsten Deutschlands geben relativ sehr hohe Werthe; dafs aber bei weiterem Fortschreiten von NO nach SW sich die Quelle erschöpft, zeigt Wien, welches bei einer Monatssumme von 27.42 an 18 Regentagen nur 8.80 als höchsten Niederschlag in 24 Stunden liefert.

Die italienischen Stationen zeigen deutlich, dafs Unteritalien sich an der Erscheinung nicht mehr betheiligt. Dafs nach Norden hin Norwegen einem andern System angehört, zeigt deutlich fol- gende Tafel:

Norwegen.

1870 Mittel Juli | Aug. | Sept. | Juli | Aug. | Sept.

Upsala 29.22 | 13.66

Christiansund 14.63 2.57 | 60.73 31.03 | 32.36 | 35.46 Aalesund 17.95 4.43 | 68.89 42.56 | 44.77 | 48.32 Skudesnes 12.68 | 24.18 | 50.85 24,38 | 44.33 | 68.27 Mandal 18.31 | 76.29 | 49.87 32.36 | 42.11 | 54.53 Sandösund 27.04 | 20.13 | 26.60 17.29 | 44.33 | 39.01 Christiania 21.19 | 12.82 | 29.48 29.70, | 35.91 | 28.37

Dovre 7.98 2.35 | 20.79 16.40 | 16.40 7.98

vom 24. November 1870. 823

Unterschied Juli | Aug. | Sept.

Upsala

Christiansund 16.40 | 29.79 25.27 Aalesund 24.61 | —40.34 20.58 Skudesnes —11.70 | —20.15 | —17.42 Mandal 14.05 34.18 | 4.66 Sandösund 9.25 | —24.20 | —12.41 Christiana 8.51 | —23.09 1. Dovre 8.832 | —14.05 13.19

Die diese Niederschläge im mittleren Europa hervorrufende Temperaturerniedrigung geht sehr deutlich aus der folgenden Tafel hervor. Diese enthält in Reaumurschen Graden die Abweichungen der fünftägigen Mittel für August 1870 vom mittlern Werthe der- selben berechnet aus zwanzig Jahren. Bedenkt man, wie ener- gisch bei der vorhergehenden ungewöhnlich hohen Wärme die Ver- dunstung eingeleitet gewesen sein muls, so begreift man, wie eine so bedeutende plötzliche Abkühlung die mächtigsten Niederschläge veranlassen mulste. In der That verdunstete auf den bayerischen Waldstationen Seeshaupt, Promenhof, Rohrbrunn, Altenfurt, Aschaf- fenburg von einer freien Wasserfläche eine Wasserschicht, deren Höhe im Juli 55.5 56.5 61.0 63.3 34.7 pariser Linien war, hin- gegen im Au- gust nur 39.0 29.1 24.2 30.9 15.9.

824

Gesammtsitzung

Au

25 29 380 —3 4—8 Christiania 4.87 3.88 4.56 Memel 1.13 3.74 3.19 Tilsit 1.52 3.83 2.34 Claussen 0.66 3.75 3.13 Königsberg 1.13 3.39 3.49 Hela 0.31 2.67 3.66 Conitz 1.31 4.01 3.21 Cöslin 1.86 3.36 4.08 Regenwalde In; 218 4.30 Stettin 1.11 2.97 3.67 Putbus 1.45 2.81 4.18 Wustrow 0.40 3.80 3.28 Rostock 0.76 2.39 2.79 Schwerin 0.99 2.74 2.98 Kiel 1413 2.06 2.70 Neumünster 1.83 2.47 3.47 Altona 0.87 2.08 2.86 Lübeck 1.20 2.85 3.97 Eutin 1.96 2.50 3.18 Ötterndorf 2.81 3.33 3.60 Lüneburg 2.04 3.81 3.49 Hinrichshagen 1.63 3.52 3.84 Berliu 1233 2.95 3.15 Frankfurt a. O. 1.41 2.99 4.04 Posen 0.66 2.71 3.79 Bromberg 0.91 3.32 3,57 Ratibor un 2.74 2.66 Zechen 0.70 2.46 3.08 Breslau 0.62 2.72 2.93 Eichberg 0.25 —_ 3.27 Wang 0.33 3.29 2.87 Görlitz 1.22 2.63 3.94 Torgau 1.86 3.74 3.88 Halle 2.07 3.39 3.17 Erfurt 1.07 2.86 2.68 Mühlhausen 0.44 2.78 2.71

vom 24. November 1870.

gust Sept. Sr 714 18; 7192-93: 94 28 92 2.99 —0.46 —_ mag 1.74 —1.58 1.70 1.76 —2.69 2.18 60R 2.02 99 Al 1.90 1.98 1.83 54 3.44 9.06 1.68 1.99 2.40 —3.03 | E51 1.55 —1.95 —2.57 Bey Al 1.34 2.17 2.67 3.07 —2.77 92.15 2.50 2.30 2.30 23) —1.45 1.99 2.26 2.12 —1.88 —1.53 1.45 —1.60 9462 —3.02 2.00 1.90 1.08 —2.13 2.39 —1.12 1.08 |_—0.89 —1.97 —2.15 —0.72 1.14 —119 | —2.16 —2.65 —1.36 117 1.70 2.97 —2.92 —1.47 1.04 —0.89 2.52 2.56 1.60 1.40 —1.33 | —2.98 391 —0.88 —0.04 —1.68 3.39 Al —2.00 2.55 —0.21 —1.76 —1.72 —1.06 1.53 —0.71 1.83 9.15 —0.99 1.97 —0.12 2.50 2.24 —0.81 1.84 —0.90 3.00 2.05 —0.80 1.66 just —2.93 —2.89 —1.35 0.77 —1.56 3.29 3,14 2.10 1.19 —1.87 3,59 3.01 —1.92 1.54 —1.97 —2.95 —3.03 —1.87 2.42 2.89 2.89 2.86 —1.99 0.74 DA 3.39 3.05 —2.76 0.46 2.24 3.26 —3.19 —1.65 0.45 —1.89 3.46 —3.92 1.83 0.68 1.34 3.02 2.18 1.27 1.10 il 3.30 18 2.29 0.47 —1.30 —3.56 —3.30 —1.51 0.22 —1.32 3.21 —3.02 —1.86 0.10 —1.40 983 —3.05 1.68 —0.07 —11,07, —3.94 3 —0.83 —2.62 2.59 9907

—0.01

ı

825

826

Gesammtsitzung Au 25 29 30 —3 4—8 Wernigerode 119 2.99 2.61 Heiligenstadt 1.19 3.46 3.02 Göttingen 1.18 3.70 2.77 Clausthal Ira 3.95 2.15 Hannover 1.98 3.80 3.32 Oldenburg 2.58 3.38 3.07 Jever 2.98 2.81 3.18 Elsfleth 2.61 2.93 2.90 Emden 2.36 2.82 3.07 Lingen 2.86 3.59 8.19 Löningen 2.41 3.37 3.04 Münster 2.34 3.97 2.80 Gütersloh ro 3.56 2.45 Olsberg 2.73 2.72 2.42 Brüssel 3.63 4.14 1.82 Cleve 2.16 2.94 1997 Crefeld 2.04 3.25 1.77 Cöln 1.84 2.20 1.12 Boppard 1.59 2.20 1.47 Trier 2.63 2.24 1.30 Birkenfeld 2.46 2.12 1.73 Frankfurt a. M. 1.01 1.92 1.16 Darmstadt 0.80 2.54 0.71 Mannheim 0.37 —0.22 —0.18 Carlsruhe 0.58 1.29 —0.40 Heilbronn 0.16 1.65 —0.13 Stuttgard 0.51 1.37 —0.15 Hechingen 0.89 2.39 0.65 Hohenzollern 0.57 2 40 —0.52 Freudenstadt 0.32 2.49 —0.60 Calw 1.42 1.64 0.73 Ulm —0.73 1.22 —0.15 Schopfloch —0.05 2.22 —0.86 Heidenheim 0.32 2.14 —0.13 Friedrichshafen —0.64 0.25 0.93 . Issny 1.13 2.28 —0.06 Wien —0.16 1.02 1.01 Rom 1.26 0,85 0.14°

(een Enns unse,

gust Sept. 9—13| 14 —18| 9-23 | 2a —28 | 9—2 ee ii yralan eninachiha®T zen ill Hana’) —0.07 178 3,64 360 187 0.41 199 —3,29 3.40 eg 0.36 212.97 36 2338 2a —0.05 Fo —417 Ei) 2.04 0.65 0.93 2.27 978 —_ 1.26 1.51 —0.12 9399 = 0197, —1.01 1.35 —0.64 —3.02 —2.69 119 0.92 —1.92 —4.04 3815 _ 1,79 1.08 —0.34 2.68 2.49 Ser 0.70 037 ns 9:01 —1.52 1.03 —0.65 —3.58 —3.27 —1.62 1.33 —0.62 —3.41 —3.26 9.10 0.69 —0.91 = 9.54 = 3.38 an 0.83 —1.23 3.97 29193 19175 1.27 —0.19 2,63 196 12.26 050 | 070 2.99 = 3.10 2.1.37 015 0.91 —3,64 ss, 188 —0.30 435 —2.94 3.86 2.50 —e 1.28 on enoT 2.10 0.04 1.07 955 2.42 2.52 0.75 —0.69 3.68 el ed —0.62 —0.92 —4.11 —4.41 —3.06 139 = or0s —4.32 AH 2334 198 as 5.22 —5.38 od ns 9.38 a) —4.34 358 —1.62 gl a 32 —4.40 7.01 al 7 —4.04 = 316 991 166 —3.32 | 2.51 —1.85 2159 2,9 4.67 —3.20 9.10 —21.09 947 ART 370 —0.19 161 29339 1 3.68 —1.62 8 970 —4.69 = aalT 04 2.41 —4.50 —5.29 —3.02 los os 7 2 462 3.46 ss 0,44 le usb 900 2.00 0.68 =. —4.82 BuolaR ee) 1.38 3.64 Al —2,26 —0.62 —0.44 21.94 —1.81 0.13

vom 24. November 1870.

827

828 Gesammtsitzung

Den entschiedensten Gegensatz zu den mächtigen Regen des August bildet die Regenlosigkeit des Frühlings, sie umfalst das ganze westliche Europa. In den Nouvelles meteorologiques bildet im Frübjahr die Trockenheit in Frankreich einen durch mehrere Monatshefte fortlaufenden Artikel. „Wir brauchen Wasser, Was- ser und es kommt nicht“, wird schon im April von Blois geschrie- ben. In Montpellier fallen im Mai im Mittel 42’.’11, 1870 bis zum ölten kein Tropfen. „Man spricht nur von der Trockenheit, heilst es im Mai von Verdun, welche alles in Gefahr bringt“; von Lavallade: „Jeder sagt auf Regen hoffend, wir werden an die Reihe kommen, aber 3 Monate und mehr, und dieselbe Voraus- setzung scheitert an derselben Lage, ‚du soleil et toujours du so- leil‘“, Man fragt sich ob die glühenden Ebenen der Sahara einen traurigern Anblick bieten als unsre Kalkgehänge. Der Himmel von Bezieres wird als d’une beaute implacable bezeichnet. In Beyrie (Landes) war im April nur ein Regentag, vom März bis Juli incl. fielen 45’!’10 statt 153'.’92. Von Tours schreibt man am 1. Juli: „täglich müssen die Landleute weite Strecken fahren, um Wasser für ihr Vieh zu holen, sie selbst trinken warmes Sumpfwasser und verkaufen zu niedrigen Preisen ihr Vieh, da sie es nicht erhalten können.* Ein Monat ohne Regen, eine afrikanische Sonne war das Bezeichnende des Juni in Beauficel.

Da diese ungewöhnliche Trockenheit auf zwei ebenfalls trockne Jahre 1868 und 1869 folgte, so vermuthen die durch ihre schönen Arbeiten über die hydrographischen Verhältnisse des Seinebassins bekannten Hrn. Belgrand und Lemoine, dafs wie stark auch die Sommerregen ausfallen möchten, dies den Wassermangel der Quellen und Flüsse doch bis zum November nicht werde zu er- setzen vermögen.

Auch die iberische Halbinsel erfuhr diese Trockenheit. In Lissabon war der Juni so trocken wie der Mai. In dem durch seine Regenmasse, der es seinen bekannten Beinamen verdankt, so berüchtigten San Jago fielen 2'504 statt 16.517 vom April bis Juni. Die Allgemeinheit der Trockenheit geht aus der folgenden Tafel hervor, während in Deutschland hingegen schon im Juni die Regenmenge überall die normale ist. Die Regensumme war:

vom 24. November 1870. 829 m mn nn

| April | Mai | Juni | Summe a ne en Sa le. ea

Beäuficel 6.12 19.81 2.26 2.349 Fecamp 2.88 14.23 4.83 1.828 Lille 3.63 12.99 7.00 2.135 Soissons 2.22 4.65 2.22 0.757 Paris 17 17.42 1.06 1.688 Tours 1.68 11.53 0.44 1.138 Blois 0.75 7.14 0. 0.657 Montargis 1.86 71.23 1.64 0.894 Chatillon 0.13 14.94 0.27 1.278 Doulevant 2.48 25.58 1.24 2.442

le Syndicat (Voges) 2.93 24.47 12.15 3.263

I) Cemboine 2.48 25.93 7.18 2.966 | Metz | 0.80 6.74 2.57 0.842

Ichtratzheim 4.96 17.91 7.18 2.504 Verdun | 7.23 11.79 3.86 1.907 Lorient 2.51 9.49 1.51 1131

Beyrie 3.19.) 20.39 6.52 2.508 Lavallade 2.75 13.17 2.00 1.493 | le Puy 17.24 33.73 4.92 4.658

| | Rodez 19.99 11.79 1.86 2.803

a :

N Calöves 6.25 8.02 17.11 2.615 | Bourg 1.20 8.69 2.66 1.046 | Foix 11.39 24.60 23.36 4.946

[| Warbes 19.68 49.20 19.95 7.402

I are 1.20 24.56 14.45 3.351

| Montpellier 14.67 5.76 3.32 1.979

2 Bezieres 24.60 7.31 7.09 3.233

I Cannes 9.31 7.36 21.67 3.195 EN 0.00 3.99 0.0 0.333 Biarritz 3.72 14.63 11.30 2.471

Sieie 0.93 0.0 21.28 1.851

Cap Gris- Nez 1.37 12.01 1.51 1.241

| St. Matthieu 1.86 25.71 2.30 2.489 HE Murcia 8.91 2.66 14.05 2.135 1 San Jago* 18.00 12.37 3.77 2.845

| Lissabon 4.96 17.91 7.18 2.504

* statt [781.27 68.99 37.94 16.517

830 Gesammtsitzung

Ähnliches gilt von England. In Greenwich war nach Glai- sher die Regensumme 1'060, eine Menge, die so klein noch nie beobachtet worden ist. Für das erste Halbjahr Januar-Juni fielen 4'888 statt 10'209, seit 1815, bis wohin zurück die Beobachtun- gen reichen, noch nie erlebt. Die folgende Tafel giebt ebenfalls in pariser Linien die gemessenen Regenhöhen.

| April | Mai | Juni | Summe Guernsey 8.67 18.58 2.36 2.467 Helston 2.25 16.21 7.43 2.157 Truro 2.03 Kor 3.60 2.083 Sidmouth 3.94 15.76 1.32 2.252 Eastbourne 3.15 14.19 1,29 2.989 Osborn 3.15 15.99 2.03 1.764 Portmouth 2.36 15.09 3.38 1.736 Taunton 5.40 11.03 6.76 1.932 Wilton House 9.07 14.75 4.50 22.027 Barnstaple 5.29 18.47 11.49 2.937 Aldershot 4.17 14.75 4.17 1.924 West Hampton 17.99 32.31 9.00 4.108 Strathfield Turgiss 27. 20.94 6.64 2.574 Weybridge Heath 3.60 8.44 6.64 1.557 Bath 4.73 23.31 8.56 3.050 Marlborough. Cot. 6.08 24.09 3.94 2.859 Greenwich 3.04 5.29 4.39 1.060 Streatley Vicarage 4.73 14.19 2.03 1.746 Marylebone 5.63 9.34 8.78 1.979 Camden 5.29 71.88 9.11 1.857 Oxford 5.97 1.16 7.43 1.213 Gloucester 6.98 14.30 11.15 2.702 Royston 4.28 8.33 13.17 2.148 Little Wratting 4.39 6.53 8.33 1.604 Cardington 4.63 7.32 11.26 2.017 Lampeter 13.06 23.42 8.11 3.716 Leamington 6.98 7.32 8.11 1.867 Somerleyton 6.76 6.87 11.82 2.121 Norwich 10.36 7.99 17:12 2.956

Wisbech 8.44 7.77 27.81 28.068

}

vom 24. November 1870. 831

| April | Mai | Juni Summe Mendunde | 2331 8.22 11.94 3.622 Derby 8.44 8.11 13.85 2.533 Nottingham 5.86 8.89 10.92 2.139 Holkham 10.13 6.19 18.58 2.075 Boston 6.64 8.22 18.02 2.740 Hawarden 14.64 11.49 8.78 2.909 Liverpool 14.41 10.47 13.51 3.199 Old Trafford 25.00 8.44 20.15 4.466 Eciles 23.08 10.13 21.62 4.569 Halifax 13.40 26.12 34.46 6.165 Hull 5.52 6.19 32.31 3.668 Stonyhurst 29.73 21.96 25.11 6.400 Bradford 5.63 13.62 2.18 3.452 Leeds 5.18 10.25 16.10 2.627 Otley 8.78 23.87 19.37 4.335 York 7.09 12.79 31.30 4.426 Hawsker 4.28 15.76 36.14 4.682 Cockermouth 23.76 45.27 22.18 7.601 Allenheads 20.15 35.35 22.86 6.530 Carlisle 9.79 18.69 19.82 4.025 Bywell | 7.21 9.00 18.13 2.862 North Shields 8.78 15.76 27.47 4.334 Miltown 12.50 18.35 10.92 3.481

Bestimmt man aus allen zwischen 50° und 55° N.B. gelege- nen Stationen für den ganzen Zeitraum April bis Juni die mittlere Regensumme, so erhält man 3'161, also fast genau nur die Hälfte des in denselben Zeitabschnitt 1869 gefallenen 6'287.

Hingegen gehört Norwegen nicht dem System an, wie fol- gende Tafel zeigt:

832 Gesammtsitzung

u = =) —r u S =

| April | Mai |

Christiansund 33.02 27.93 34.35 14.68 Aalesund 41.89 27.13 39.37 17.95 Skudesnes 41.09 21.55 16.58 12.68 Mandal 17.29 32.89 16.46 18.31 Sandösund 2247 25.49 25.93 27.04 Christiania 5.41 17.60 24.42 21.19 Doyre 8.42 6.87 26.60 7.58 Brönö 37.24 23.85 60.42 32210 Florö 98.01 67.91 76.16 52.05 Tronsö 23.76 34.76 16.27 39.0% Bodö 36.39 24.91 12.10 31.21 Leirdal 6.38 8.91 12.37 15.88 Bergen 81.57 42.69 73.01 44.42 Elverum 0.44 12.8383 43.84 36.97

In meinen Untersuchungen über die Stürme habe ich nachge- wiesen, dafs die gefährlichste Form derselben im Herbst und Win- ter Deutchlands die ist, wo in eine durch einen anhaltenden Äqua- torialstrom aufgelockerte Atmosphäre senkrecht ein kalter Nord- west mit steigendem Barometer und plötzlicher Wärmeabnahme einbricht. Diese Form entspricht den hier betrachteten Erschei- nungen, beide Phänomene sind durch die Jahreszeiten modificirte Folgen derselben Grundbedingungen. Es giebt daher bestimmte Wetterstrafsen, deren Auffindung eine viel wichtigere Aufgabe ist, als die Aufsuchung auf enge Grenzen beschränkter Modificationen, welche man Wetterscheiden nennt, die eben nur eine locale Bedeu- tung haben.

Erreichen die hier erörterten Erscheinungen, wie dies 1870 der Fall war, extreme Werthe, so vermögen sie die Jahrescurve des Niederschlags so wesentlich zu modificiren, dafs ein solcher Jahrgang den Scheitel der Curve, wie er durch vieljährige Mittel bestimmt war, zu verlegen vermag. Dies ist der Grund, warum die sichre Feststellung dieser Curven stets erneuerte Untersuchun- gen erheischt. Die von mir in dieser Beziehung angestellten hier mitzutheilen, würde zu weit führen.

vom 24. November 1870. 833

Hr. Braun gab Mittheilungen aus den jüngsten Briefen des Reisenden der Humboldtstiftung, Hrn. Dr. Schweinfurth.

Fast ein volles Jahr lang, vom 23. October v.J. bis zum 21. d. M. waren die Nachrichten des Reisenden ausgeblieben. Die an dem genannten Tage angekommenen Briefe sind vom 4. und 14. Juli, erstere von der entfernteren Seriba Ssabbi, letztere von der Se- riba Ghattas in Djur, der Hauptstation der Thätigkeit des Reisen- den, nach welcher er am 15. Juli zurückgekehrt war. Sie enthal- ten vorläufige Berichte über eine während achtmonatlicher Abwe- senheit von der Station ausgeführte Expedition in die kaum mehr als dem Namen nach bekannten Länder der Njam-Njam’s und Monbuttu’s, kriegerischer und kannibalischer, von der europäischen Cultur noch unberührter Völker. Die Hauptstadt der letzteren, Munsa, unter dem 3. Breitegrad oder etwas südlicher, war der entfernteste Punkt, den er erreichte, und woselbst er von dem Kö- nige der Monbuttu’s feierlich und gastlich empfangen wurde. Die auf dieser Reise gemachten umfangreichen Sammlungen wurden nach der Rückkehr zur Seriba Ghattas sofort nach der Meschra am Bahr el Ghazal befördert und befinden sich auf dem Wege nach Europa; der Reisende selbst blieb auf der Seriba um sich von den Anstrengungen der Reise zu erholen und die Erforschung des dortigen Gebietes durch einige weitere Exkursionen zu vollenden.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

Geschichtv der Wissenschaften in Deutschland. 9.Bd. München 1870. 8.

Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchatel. Tome VII. Neuchatel 1870. 8.

Puclications de U'Institut de Luxembourg. Tome XI. Luxembourg 1870. 8.

The Quarterly Journal of geological Society. no. 101 104. London 1870: 28.

834 Gesammtsitzung vom 24. November 1870.

Proceedings of the Royal Geographical Society. Vol. 14. London

187.0,,, 18; Journal of the Royal Geographical Society. Vol. 39. London 1870.28.

et mn nn nenn Tan nn

Nachtrae.

7. Juli. Öffentliche Sitzung der Akademie zur Feier des Leibnizischen Jahrestages.

Hr. du Bois-Reymond, an diesem Tage vorsitzender Se- kretar, eröffnete die Sitzung mit einem einleitenden Vortrag über Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissen- schaft.

Mit Kant endet die Reihe der Philosophen, die im Vollbesitze der naturwissenschaftlichen Kenntnilse ihrer Zeit sich selber an der Arbeit der Naturforscher betheiligten. Leibniz dagegen steht als mathematischer Physiker noch so grofs da, dafs man seine Leistungen in der von uns eigentlich sogenannten Philosophie ver- schweigen oder herabsetzen könnte, ohne dafs er aufhörte als einer der gewaltigsten Geister zu erscheinen. Und man würde irren, wollte man die Verbindung der mathematisch-physikalischen mit ‚der speculativ-philosophischen Richtung in Leibniz aus einer polyhistorischen Neigung herleiten, die ihn auch Juristischen Erörterungen, diplomatischen Quellenstudien, sprachwissenschaftli- chen Forschungen zutrieb. Hätte nur ein äufserliches Band, durch Zufall und Laune geknüpft, diese ungleichartigen Dinge in seinem Kopfe zusammengehalten, dann wäre Leibniz nicht der würdige Heros des Cultus, den ihm mit gleicher Inbrunst beide Klassen dieser Akademie weihen. Nicht Vielwisser war °er, sondern, soweit der Mensch es kann, All- und Ganzwisser, und sein Erfassen, sein Erkennen war stets zugleich schöpferischer Act. Dem Insect gleich, das honigsammelnd den Blüthenstaub von Zweig zu Zweig trägt, hinterläfst sein beweglicher Geist, indem er von Disciplin zu Diseiplin schweift, reich befruchtende Spur, auch wo er nur tändelnd sich niederzulassen scheint.

[1870]

an I

836 Nachtrag.

Wie bei seinem Vorgänger Descartes war daher seine Phi- losophie mit seinen mathematisch-physikalischen Anschauungen innig verwebt. Die damals neuen mathematischen Begriffe des Unendlichen verschiedener Ordnung und der Stetigkeit, zum Theil seine Erfindung, spielen hinüber in seine Metaphysik, und seine Demonstrationen, Deductionen, Oonstructionen, die von ihm ge- wählten Beispiele und Gleichnisse, lassen überall den mathematisch angelegten und geschulten Kopf erkennen.

Man hat bemerkt, dafs Leibniz philosophische Schriften trotz der Tiefe, in die sie führen, mehr exoterisch gehalten sind, und als Grund angegeben, dafs sie meist Gelegenheitsschriften seien, Briefe oder Darlegungen für hohe Gönner und Gönnerinnen, denen Leibniz gern so verständlich wie möglich war. Die anders entstandenen posthumen Nouveaux Essais sur ÜEntendement humain sind zum Theil wirklich schwerer geschrieben; allein der wahre Grund seiner deutlichen Schreibart dürfte in seiner mathemati- schen Denkart liegen.

Prüft man vom heutigen Standpunkte die Frucht, die aus dieser Verbindung der Philosophie mit Mathematik und Physik erwuchs, so kann man bei Leibniz, wie bei Descartes, häufig eines Gefühles von Staunen und Enttäuschung sich nicht erwehren. Seine Schriften sind reich an glücklichen Blicken in die ferne Zu- kunft der Wissenschaft; aber in solcher Divination zeigt sich mehr sein natürliches Genie, als dafs die Stärke seiner Denkmethoden sich daran bewährte. Für diese liegt die Probe in seinen syste- matischen Entwickelungen, und hier erscheint nicht selten das Er- gebnils so unbefriedigend, bei aller formellen Strenge die Schlufs- folge so gewagt, der Bau übereinander gethürmter Aufstellungen so willkürlich, dafs man zweifelt, ob es sich um die Wahrheit, und nicht blofs um ein Spiel scharfsinnigen Witzes handelt. Man wird irre daran, ob wirklich, wie man glauben könnte, wachsende Ent- fremdung zwischen Philosophie und Naturwissenschaft die Schuld an ähnlichen Schwächen bei Kant’s Nachfolgern trage.

Bei Descartes und Leibniz lassen sich aber für diese © Schwächen zwei Gründe angeben, welche neueren Philosophen 5

nicht in gleicher Weise zur Entschuldigung gereichen.

Einmal hatte zu Leibniz’, vollends zu Descartes’ Zeit, 1

die Erziehung des menschlichen Geistes durch die experimentelle & \

Beschäftigung mit der Natur erst begonnen, durch welche allein

Nachtrag. 837

ihm das heilsame Mifstrauen in seine Kraft, die nöthige Achtung der Thatsache und Gleichgültigkeit gegen die Deutung, die richtige Ergebung gegenüber unlöslichen Aufgaben eingeflölst wird.

Der andere Quell des Übels bei Leibniz ist die seine Zeit noch ganz in ihren Fesseln haltende, ihre Voraussetzungen überall unterschiebende, jedem unbefangenen Urtheil in den Weg tretende Theologie. Die geistige Arbeit des achtzehnten Jahrhunderts war noch nöthig, um den Menschengeist aus diesem grauen Larvenge- häuse zu befreien, in das er über ein Jahrtausend gebannt gewesen war; und so sind Leibniz’ Physik und Metaphysik noch ganz in den theologischen Schranken gefangen. Die Voraussetzungslosigkeit, die erste Voraussetzung unseres Philosophirens, ist, ihm unbewulfst, bei ihm so wenig vorhanden wie bei Descartes, in dessen Discours de la Methode der ontologische Beweis des Daseins Gottes eine nicht minder schrille Dissonanz wirft, als die so selbstgefällig vor- getragene, merkwürdig falsche Theorie des Blutumlaufes. Zwar stellt Leibniz die grofsen Principien vom zureichenden Grunde und von der Stetigkeit auf; aber der Wille Gottes, der doch frei, d.h. ohne zureichenden Grund handelt, gilt ihm als zureichender Grund, und Schöpfung und Wunder durchbrechen sein Gesetz der Continuität. Ein gutes Beispiel des Mifsbrauches theologischer Betrachtungsweise bei Leibniz ist sein Beweis der Unmöglich- keit, dafs es einen leeren Raum gebe. „Ich nehme an“, sagt er, „dals jede Vollkommenheit, welche Gott in die Dinge legen konnte, „ohne deren anderen Vollkommenheiten Abbruch zu thun, in die „Dinge gelegt worden ist. Stellen wir uns einen ganz leeren „Raum vor; Gott konnte Materie hineinbringen, ohne irgend einem „anderen Dinge Abbruch zu thun; folglich hat er sie hineinge- „bracht; folglich giebt es keinen ganz leeren Raum; folglich ist „Alles erfüllt.“ Ähnlich beweist Leibniz die Theilbarkeit der Materie in’s Unendliche oder das Nichtvorhandensein von Atomen.? Der Lehre von der Erhaltung der Kraft, welche unsere Welt- anschauung beherrscht, gab Leibniz zuerst den richtigen Ausdruck, und wie sinnreich ist das Bild, durch welches er das schein- bare Verschwinden von Kraft bei Umwandlung von Massenbewe- gung in Molecularbewegnng erläutert: es sei wie das Umwechseln eines grolsen Geldstückes in Scheidemünze.? Aber wie für Des- cartes ist auch für ihn die Constanz der Kraft nur ein Ausflufs des göttlichen Willens.

57*

838 Nachtrag.

Die widernatürliche Verbindung der speculativen Theologie mit der Mathematik bei Leibniz zeigt sich nirgend greller als in dem Grundgedanken seiner Theodicee.. Von Kindheit auf, wie er selber berichtet‘, von dem Räthsel gepeinigt, welches der Ur- sprung des metaphysischen, physischen und sittlichen Übels in der Welt sei, der Unvollkommenheit, des Leidens und der Sünde, da doch Gott, als vollkommen gut und als allmächtig, das Übel anscheinend nicht hätte schaffen dürfen, wird Leibniz durch die Königin Sophie Charlotte von Preufsen, der Bayle’s Schrif- ten dasselbe Bedenken eingeflöfst hatten, um Aufklärung gebeten. Bekanntlich verdankte ihm die Theorie der Maxima und Minima der Functionen durch die Auffindung der Methode der Tangenten den grölsten Fortschritt. Nun stellt er sich Gott bei Erschaffung der Welt wie einen Mathematiker vor, der eine Minimum-Aufgabe, oder vielmehr, nach jetziger Redeweise, eine Aufgabe der Variations- Rechnung löst: die Aufgabe, unter unendlich vielen möglichen Welten, die ihm unerschaffen vorschweben, die zu bestimmen, für welche die Summe des nothwendigen Übels ein Minimum ist; wie man den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten, den gröfsten Flächenraum bei gleichem Umfange, die Curve schnellsten Falles bestimmt. Diese bestmögliche Welt hat Gott in’s Dasein gerufen; es ist die Welt, in der wir leben.

Wenig speculative Gedanken haben auf die Literatur so un- mittelbaren Einflu[s geübt, wie dieser. Bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts beschäftigt er die Geister. Wäh- rend Pope in dem Essay on Man ihm auf seine Weise poetischen Ausdruck gab, machte ihn Voltaire zur Ziel- scheibe seines nie fehlenden Spottes. In seinem philosophischen Roman Candide setzt er dem Leibnizischen Optimismus eine Demonstration entgegen, ähnlich der durch welche Diogenes den Bewegung läugnenden Sophisten widerlegte. Die Behauptung, der Welten beste sei diese, verhöhnt er, indem er den Menschen als Spielball sinnloser Geschicke malt, und gräfsliches Elend un- schuldige Häupter treffen lässt, wovon das Erdbeben zu Lissabon ihm ein zeitgemäfses Beispiel bot. Versöhnung und Trost aber lehrte er, ein später von Goethe vielfach ausgeführter Gedanke, statt in Betrachtung des Göttlichen und Hinblick auf eine Zu- kunft jenseit des Grabes, in Entsagung und Arbeit finden.

Nachtrag. 839

Ohne mit Voltaire über den theodiceischen Gedanken zu spotten, kann man aller weiteren Erläuterungen ungeachtet nicht darüber hinaus, dafs, wie Niemand besser als Leibniz wulste, jede Maximum- und Minimum-Aufgabe stetige Veränderlichkeit des Werthes einer Function, oder der Function selber, unter gewissen Bedingungen voraussetzt. Die zu lösende Aufgabe hat also nur eine andere Form erhalten, denn wie stimmt es zur unbedingten Natur Gottes, dafs ihm irgend welche, vollends seinem Wesen widerstreitende Bedingungen vorgeschrieben waren, noch ehe es eine Welt gab?

Als Urgrund aller Erscheinung gelten Leibniz die Monaden, einfache Substanzen im metaphysischen Sinne, unausgedehnt, doch im Raume vorhanden, selbstthätig, aber nicht nach Aufsen wirkend und äufseren Wirkungen unzugänglich. Die Monaden bilden eine stetige Entwickelungsreihe von Nichts bis zu Gott, der selber die höchste Monade ist, nach Analogie der Ordinaten einer Curve, die von Null bis Unendlich wachsen. Von einem gewissen Punkt an besitzen die Monaden Bewufstsein, welches sich in den höheren Gliedern der Reihe zu immer höherer geistiger Thätigkeit entfal- tet. Die menschlichen Seelen-Monaden nehmen irgendwo eine mittlere Stellung zwischen denen der Thiere und Engel ein. Übri- gens ist, wie wir schon sahen, der Raum nirgend leer, sondern in jedem kleinsten Theil unendlich voll von Wesen, daher jeder materielle Punkt, gleichviel ob eines organischen oder anorgani- schen Körpers, eine Welt von Monaden beherberst.

Da die- Monaden als einfache Wesen nicht durch Zusammen- setzung entstehen und nicht durch Auflösung vergehen können, schliefst Leibniz, dafs Gott mit Einem Schlage sie in’s Dasein gerufen habe, und dafs auch er nur ebenso plötzlich sie vernichten könne. Da sie weder eine Einwirkung von Aufsen erfahren noch nach Aufsen wirken, oder, wie er in seiner lebhaften, bildlichen Art sich ausdrückt, da sie keine Fenster haben, durch die etwas in sie eindringen oder sie verlassen könnte’, so schlielst er, dafs in den Seelen-Monaden ein Flufs der Vorstellungen stattfinde, genau entsprechend den. äufseren Umständen, in welche sie gerathen. Wenn ich einen bellenden Hund sehe und höre und nach ihm schlage, dringen nicht etwa Botschaften von meinen Sinneswerkzeugen bis zum Sitze meines Bewufstseins und belehren mich, dafs ein bellender Hund da sei und mich beilsen wolle, und

340 Nachtrag.

es wirken nicht etwa Willensimpulse meiner Seele auf Nerven und Muskeln, um Arm und Stock zu bewegen. Sondern als Gott meine Seelen-Monade schuf, schuf er sie so dafs in demselben Augenblicke, wo der Hund sich auf meiner Netzhaut abbildet und sein Gebell mein Labyrinthwasser erschüttert, sie aus inneren Gründen im Flufs ihrer Vorstellungen auch gerade bei der Vor- stellung eines bellenden Hundes anlangt, und dafs sie sich vor- stellt, mein Körper schlage den Hund, in demselben Augenblicke, wo er rein mechanisch es wirklich thut.

Dies ist Leibniz’ berühmte Lehre von der praestabilirten Harmonie, von der uns heute allerdings schwer fällt, uns zu den- ken, dafs er sie alles Ernstes geglaubt habe, durch die er aber mit gröfster Zuversicht das Räthsel der Verbindung von Körper und Geist gelöst zu haben meinte. Zerhauen hatte er den Knoten wohl, der darin besteht, dafs nicht zu begreifen ist, wie die im- materielle Seele auf den materiellen Körper wirkt und umgekehrt, aber längst glaubt Niemand mehr, dafs er ihn richtig entschürzt habe. Das Wesen der geistigen Vorgänge wird nicht klarer durch die Vorstellung, dafs sie sich von selber in den Monaden abwickeln, vielmehr ist an Stelle der gehobenen Schwierigkeit, die in dieser Form doch nur in dem Widerspruch willkürlich gebildeter Begriffe liegt, die andere getreten, dafs die geistigen Vorgänge ganz aulser- halb aller Causalität gestellt sind. In der That läfst Leibniz in der Monadenwelt keine anderen Bestimmungen zu als durch jene Endursachen, welche aus der Weltanschauung zu verbannen das Ziel theoretischer Naturforschung ist.

Wenn dieser Fehlgriffe des grofsen Mannes heute, an seinem Ehrentage, hier gedacht wird, so geschieht dies nicht, um ihn zu verkleinern. Die Betrachtung der Irrwege eines solchen Kopfes ist vielmehr geeignet, uns selber zur Demuth zu stimmen. Der sich mit Vorliebe P’Auteur du Systeme de l’Harmonie preetablie nannte‘, und nicht erst spät und krankhaft wie Newton, sondern in voller Kraft und mit sichtlichem Behagen in theologischen Spitz- findigkeiten sich erging: es war der Nämliche, der mit Einem Federstrich Johann Bernoulli’s herausfordernde Probleme löste; es war der von welchem Diderot, selber der Begabtesten Einer,

schreibt: „Wenn man auf sich zurückkehrt, und die Talente, die 4

„man empfing, mit denen eines Leibniz vergleicht, wird man „versucht, die Bücher von sich zu werfen, und in irgend einem

Nachtrag. 841

„versteckten Weltwinkel ruhig sterben zu gehen.*” So werden wir inne, wie die stolze Höhe, auf der wir zu wandeln meinen, nicht unser Verdienst ist, sondern das unserer Zeit, und wie vielleicht unseren Nachfolgern, im Lichte der Erkenntnifs ihrer Tage, einst unsere beste Einsicht erscheinen wird.

Aber noch in anderer Rücksicht ist es oft lehrreich, sich solcher Dinge zu erinnern. Es ist merkwürdig zu sehen, wie zu- weilen solche Philosopheme, nachdem sie das Schicksal mensch- licher Meinungen durchlebt haben, geglaubt und bestritten, gepriesen und verlacht, zuletzt durch ihresgleichen verdrängt und scheinbar vergessen wurden, im Bewufstsein folgender Geschlechter doch noch gleichsam ein latentes Dasein fristen, wie sie mifsverstanden, nur formell noch bestehend und mit anderem Inhalte gefüllt, nach Jahren wieder auftauchen, und wenn das Glück gut ist, zuletzt in so ver- änderter Gestalt einen dauernden Platz in der Wissenschaft erobern. Unsere heutige Naturwissenschaft läfst mehrere dergleichen Ausläufer Leibnizischer Gedanken erkennen, wenn sie auch in ebenso ent- stellender Verkleidung auftreten, wie der von Leibniz LudwigXIV. vorgelegte Plan zur Eroberung Acgyptens in Bonaparte’s kriege- rischem Abenteuer oder in Hrn. von Lesseps’ Friedenswerk.

Die Lehre von der Erhaltung der Kraft ist nicht ein blofser Ausläufer zu nennen, und also nicht hierher zu rechnen. Auch wäre wohl kaum gerechtfertigt, wollte man eine solche Filiation der Ideen, wie die französische Sprache sich schwer übersetzbar aus- drückt, zwischen dem Leibnizischen Optimismus und unserer heuti- gen Einsicht annehmen, dafs in Rücksicht auf die gerade stattfind- enden äusseren Bedingungen die organische Natur jederzeit die möglichst vollkommene ist. Doch lohnt es sich, das gegenseitige Verhältnifs beider Lehren festzustellen.

Vom Standpunkte der mathematischen Physik giebt es keine grössere oder geringere Vollkommenheit. Für diese Betrachtungs- weise, der sich alle übrigen theoretischen Naturwissenschaften mehr und mehr zu nähern streben, unterscheiden sich Chaos und Kosmos nur durch andere Vertheilung derselben Massen und Kräfte. Aber für eine andere Art der Betrachtung stellen sich Makrokosmos und Mikrokosmen als Ganze dar, deren Theile für gewisse Wirkungen, die wir als Zwecke auflassen, mehr oder minder passend eingerichtet sind. Da erscheinen bestimmte Thier- und Pflanzenformen vollkommener als andere, und lange konnte

842 Nachtrag.

man urtheilen, dafs entweder aus inneren Gründen, oder durch erneute Eingriffe einer schaffenden Macht, die organische Natur stufenweise zu immer vollkommneren Formen aufgestiegen sei. Es schien als seien ganze Schöpfungen plumper fremdartiger Gestalten gleichsam als erste rohe Versuche der bildenden Natur zu Grunde gegangen und hätten höher entwickelten, besser gelun- genen Geschöpfen Platz gemacht. Von der Darwin’schen Lehre aus lässt sich diese Anschauung ebensowenig billigen, wie die, nach welcher unser Planet einst sollte ein heroisches Zeitalter erlebt und noch mit gröfserer Zeugungskraft begabt die gewaltigen Gestalten der Vorwelt hervorgebracht haben. Sobald zwischen den Eigenschaften der organischen Wesen und ihren Lebens- bedingungen das Verhältniss erreicht ist, welches man Anpalsungs- Gleichgewicht nennen könnte, ist die Welt möglichst vollkommen, und bleibt so, wenn die Bedingungen die nämlichen bleiben. Bei der Langsamkeit, mit der in der Regel die klimatischen und geographisch-physikalischen Bedingungen eines Erdstriches sich ändern, reicht aber für die Herstellung des Anpafsungs-Gleich- gewichtes die Zeit stets aus. Somit ist in dieser Welt, bezüglich der Organisation der Pflanzen und Thiere, stets und überall das Maximum der Vollkommenheit erreicht; diese Welt ist jederzeit die gerade bestmögliche gewesen und wird es sein, so lange es Thiere und Pflanzen giebt und nicht plötzliche Katastrophen über deren Wohnstätten hereinbrechen. Die Unvollkommenheiten der Organismen aber, an denen kein Mangel ist, sind Wahr- zeichen des Compromisses, der zwischen den Bedingungen der Aussenwelt und der Organisation einerseits, andererseits den zum Bestande des Organismus nöthigen Forderungen stattfand. Sie entsprechen dem Übel in Leibniz’ bester der möglichen Welten. Das Ganze dieser Beziehungen läfst sich nicht besser ausdrücken als mit den Worten, in welche Leibniz seine eigene Lehre zu- sammenfalst: „Obschon die Welt stets gleich vollkommen war, „wird sie nie ganz (souverainement) vollkommen sein; denn sie „ändert sich stets und gewinnt neue Vollkommenheiten, während „sie andere einbüfst.*® So palst in gewissem Sinne der Leib- nizische Optimismus auf die organische Natur, und so führt merkwürdigerweise die mechanische Naturansicht, unter Aus-

. „stolsung der Endursachen, schliefslich zu demselben Ergebnifs

Nachtrag. 843

wie der mit der Teleologie unzertrennlich verbundene theodicei- sche Gedanke.

Die Monadenlehre, deren Wiederbelebung durch Herbart in mehr geläuterter Gestalt ausserhalb des Kreises unserer Betrach- tung liegt, hat auf die Naturwissenschaft einen bedeutenden Ein- fluls geübt, wenn auch nur auf Grund von Mifsverständnissen und falschen Analogien. Ausdrücklich hatte Leibniz davor ge- warnt, seine Monaden mit den Atomen anderer philosophischer Systeme zu verwechseln. Doch vermochten Gelehrte und Gebil- dete des achtzehnten Jahrhunderts diese Unterscheidung unausge- dehnter formloser metaphysischer Substanzen im Raum und klein- ster materieller Theilchen nicht immer festzuhalten. Die Behaup- tung, dafs jeder Punkt auch des scheinbar leeren Raumes, vollends Jedes Theilchen eines belebten Körpers, eine Welt von Monaden enthalte, wurde in’s Materielle übersetzt. Mancher Ausdruck bei Leibniz selber begünstigte die Verwirrun

g. So wenn er sagt; „Jeden Theil der Materie kann man sich

vorstellen wie einen „Garten voller Pflanzen, oder einen Teich voller Fische. Aber

„jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Thieres, jeder Tropfen „seiner Säfte ist abermals solch ein Garten oder Teich. Und „obschon die Erde und Luft zwischen den Pflanzen des Gar- „tens, oder das Wasser zwischen den Fischen des Teiches, nicht „Pflanze oder Fisch ist, enthalten sie deren doch noch, aber meist „von unwahrnehmbarer Kleinheit.*° Was für das geistige Auge gemeint war, wollte das leibliche Auge sehen; und wenn man nicht geradezu versuchte, die Monaden mit dem Mikroskope zu entdecken, so glaubte man doch, sie oder etwas ihnen ähnliches beobachtet zu haben, als das Mikroskop wirklich jeden Tropfen einer Infusion von kleinen, scheinbar einfachen Wesen wimmelnd zeigte. Dafs Otto Friedrich Müller, unter Hrn. Ehrenberg’s Vorläufern einer der bedeutendsten, für dergleichen Formen den Namen Monas in die zoologische Nomenclatur einführte,!° war nur einer jener terminologischen Scherze, wie sie auch bei Linne die Trockenheit des Systemes anmuthig beleben; allein diese Anspielung deutet auf eine damals vorhandene Richtung der Geister, die bei phantasiereichen Persönlichkeiten zu schweren Irrthümern führte.

Buffon glaubte merkwürdigerweise in Infusorien und Zoo- ‚Spermien lebendige, ohne Unterlafs thätige, durch Feuer und Fäul-

844 Nachtrag.

nils unzerstörbare organische Urtheilchen zu erkennen. Wie ein Kochsalzwürfel aus unzähligen mikroskopischen Kochsalzwürfelchen bestehe, so sollten bei Entstehung, Ernährung, Wachsthum der Thiere und Pflanzen diese Urtheilchen ihr Einzelleben aufgebend sich zu den mannigfaltigen Organismen zusammenfügen, deren Ge-

sammtleben die Summe jener Einzelleben sei. !!

Die angeblichen organischen Urtheilchen nannte Buffon nicht Monaden, auch er- innert er bei dieser Gelegenheit nicht an Leibniz. Der so zu sagen materialisirte Leibnizische Gedanke ist aber in dem sei- nigen nicht zu verkennen, und vielleicht vermied Buffon den Ur- sprung seiner Lehre zu verrathen, weil ihr dies damals, wo in Frankreich durch Voltaire das Ansehen der Leibnizischen Philosophie untergraben war, nicht zur Empfehlung gereicht hätte.

Aus der Annahme, dafs die Monaden im Anfang geschaffen sind, folgte für Leibniz selber unmittelbar die Lehre von der Einschachtelung der Keime, nach der z.B. alle Hühner, das eine in den Eierstöcken des anderen, kleiner und kleiner bereits in den Eierstöcken des ersten Huhnes vorgebildet waren." Die Praede- lineations-Theorie, welche schon an der Entdeckung der Zoo- spermien eine mächtige empirische Stütze erhalten hatte, erlangte so durch Leibniz eine in damaliger Zeit sehr wichtige metaphysische Grundlage, die sicherlich dazu beitrug, den erst ein Jahrhundert später durch Caspar Friedrich Wolff erfochtenen Sieg der Epigenese zu erschweren. '* Dagegen führte die Monaden- lehre Leibniz folgerichtig dazu, die Möglichkeit einer Urzeugung zu leugnen. '*

In beiden Punkten dachte Buffon anders. Der Embryo bil- det sich nach ihm aus den bei der Ernährung überschüssig auf- genommenen organischen Urtheilchen, welche gleichsam in einer inneren Form (moule interieur) gegossen werden, wie Gyps und Metall in einer äufseren. Auch Buffon’s Theorie liefs die Urtheil- chen gegenwärtig nicht mehr entstehen; allein sie verführte ihn, an Needham’s fehlerhafte Versuche über Urzeugung in dem Sinne zu glauben, als könnten die Urtheilchen sich zu gröfseren Orga- nismen, Kleisterälchen, zusammenfügen. So ward seine Lehre in den durch Lazzaro Spallanzani bewirkten Untergang der Need- ham’schen Behauptungen verwickelt,'° während zugleich Bonnet, den man den Genfer Buffon nennen könnte, als Vertheidiger der Praedelineations-Theorie wider sie auftrat, obschon seine eigenen

: ann N TE

Nachtrag. 845

Urkeime (germes primitifs) auch nichts anderes waren, als ver- kappte Leibnizische Monaden. !7

Siebzig Jahre später, als Robert Brown die nach ihm ge- nannte Bewegung kleiner in tropfbaren Flüfsigkeiten aufgeschwemm- ter Theilchen entdeckte, tauchte Buffon’s Lehre wieder auf, um sogleich wieder zu scheitern. Brown glaubte auf belebte, selbst im Feuer unzerstörbare Urtheilchen aller organischen und anorga- nischen Körper gestolsen zu sein, ganz wie Buffon sie sich dachte, den er übrigens so wenig wie die Monaden erwähnt. Hr. C. A. Sig. Schultze, damals in Freiburg, spann den ge- schichtlichen Faden von der Brown’schen Vorstellung zur Leib- nizischen Monadologie zurück.” Er bewies zugleich, dafs die zitternde Bewegung der Theilchen nicht von dieser ausgehe, son- dern nur das Anzeichen einer zitternden Bewegung der tropfbaren Flüfsigkeit sei. Die Untersuchungen von Hrn. Christian Wie- ner“® und Hrn. Sigmund Exner?! haben neuerdings wahr- scheinlich gemacht, dafs diese zitternde Bewegung der Flüfsigkeit einerlei ist mit deren Wärmeschwingungen, zu denen die Schwan- kungen der Theilchen sich verhalten mögen, wie zu kurzen Wellen die langsamen Schwarkungen des grofsen Seeschiffs.

Robert Brown’s Active Molecules waren also auch noch keine belebten Urtheilchen der Organismen. Dafs ein Mann wie er so irren konnte, zeigt, wie tiefe Wurzeln die Überzeugung geschlagen hatte, es müsse solche Theilchen geben. Dem da- mals herrschenden Vitalismus schien es, als würde den Lebens- kräften, die man die Wunder der Organisation verrichten liefs, ihr Geschäft erleichtert gleichsam durch Vervielfältigung der Etappen, durch Kleinheit des Bezirkes, in welchem sie feind- lichen anorganischen Kräften entgegen die organischen Aufgaben zu erfüllen hätten. Oken,?’? Heusinger,?® Purkinje?* und A. F. J. Carl Mayer*° (in Bonn) behaupteten dergestalt theo- retisch das Dasein organischer Urtheilchen, in denen eine En- telechie walte, die sie Monaden nannten, und zum Theil, ganz wie Buffon, als Infusorien und Zoospermien ein selbständiges Leben führen liefsen. Ähnlichen Meinungen begegnet man um die- selbe Zeit in Frankreich bei Raspail?® und Dutrochet.??

Man weils wie, nach den ernsten Arbeiten noch eines Jahrzehends mit dem verbesserten Mikroskope, schliefslich der Gedanke or- ganischer Urtheilchen durch Hrn. Schwann’s epochemachenden

846 Nachtrag.

„Untersuchungen“ verwirklicht ward. Jeder Organismus ist uns nun wirklich ein Aggregat mehr oder minder zahlreicher kleiner Einzelwesen, deren Eigenschaften die Eigenschaften des Gesammt- organismus fast so wiederholen, wie die Eigenschaften der Kry- stallmolekeln die Eigenschaften des Krystalls; welche auf eigene Hand sich ernähren, umbilden, bewegen, fortpflanzen, und durch die Summe ihrer normalen und anomalen Veränderungen die entsprechenden Veränderungen des Organismus bewirken. Wir nennen diese Wesen nach Hrn. Brücke’s Vorsehlag Elementar- organismen’°, eine Bezeichnung, welche alles Hypothetische und Streitige in ihrer Natur unberührt läfst. Freilich halten wir, mit Hrn. Schwann in seiner, im Einzelnen immerhin nicht überall zutreffenden, sonst aber für alle Zeit tief richtig gedachten „Theorie der Zellen“, die Veränderungen der Elementarorganismen, bis wir eines Besseren belehrt werden, für gleichartig mit den Vor- gängen der anorganischen Natur. Statt von einer Entelechie leiten wir sie von den unveränderlichen Kräften der Atome, und ihre Besonderheit von der besonderen Zusammenfügung der Materie in den Organismen ab. In Hrn. Schwann’s Augen hatten die Zellen mit den Monaden nichts mehr zu schaffen. Dennoch dankte die Zellenlehre die Bereitwilligkeit, mit der sie aufgenommen wurde, zum Theil dem Umstande, dafs darin für Viele der nie wieder ganz vergessene Leibnizische Gedanke gleichsam Fleisch ward; und der diese Lehre am lebhaftesten ergriff und am wärmsten vor-

trug, Johannes Müller, war dieses Zusammenhanges so entschie-

den sich bewufst, dafs er in seinem „Handbuch der Physiologie,“ unter Hinweis auf die Leibniz-Herbart’sche Monadologie, für die Zellen den Namen „organische Monaden“ vorschlug.”’ Des- selben Namens bediente sich auf denselben geschichtlichen Grund

hin auch Hr. Henle bei seiner ersten theoretischen Darstellung

der Zellenlehre in der „Allgemeinen Anatomie.“

Die Leibnizische praestabilirte Harmonie stand in geradem Gegensatze zur Aristotelischen oder Locke’schen Lehre, dafs die Seele ursprünglich eine Tabula rasa sei, auf der die Vorstellun- gen erst allmählich durch die Sinneswahrnehmungen eingetragen werden, ja die Nowveaux Essais waren, wie ihr Titel zeigt, aus- drücklich auf die Kritik des Sensualismus gerichtet. Dies ist von der praestabilirten Harmonie, wie sie Leibniz sich dachte, eine Seite, welche bis heute lebendig und wirksam in der Wissenschaft

Nachtrag. 847

blieb. Die Physiologie bedient sich jenes Ausdruckes auch, um das unerklärte zweckmäfsige Ineinandergreifen der Vorgänge im Thierkörper zu bezeichnen, wie man z. B. ein solches annehmen muls, um die zweckmälsigen Bewegungen enthirnter Thiere durch Reflexmechanismen zu erklären, anstatt mit Hrn. Pflüger dem Rückenmarke sensorische Functionen zuzuschreiben. Doch wird unter praestabilirter Harmonie schlechthin gewöhnlich die Lehr- meinung verstanden, dafs es der Aufsenwelt entsprechende ange- borne Vorstellungen und Verstandes- Kategorien gebe.

Hier wäre nicht Ort noch Zeit, den Verlauf des seit Leibniz über diese Lehrmeinung geführten Streites auch nur anzudeuten. Nur die Stellung, welche dazu die neuere Physiologie einnimmt, ist hervorzuheben. Durch die den Physiologen mehr als den spe- culativen Philosophen nah liegende Zergliederung der Sinneswahr- nehmungen wurden erstere meist dazu geführt, sich Locke’s An- sicht anzuschliefsen. Schon Johannes Müller! sprach sich in einer lichtvollen Auseinandersetzung wider die angebornen Kant’- schen Kategorien und für die Meinung aus, dafs das einzige ur- sprüngliche Vermögen des menschlichen Geistes darin bestehe, aus den durch die Sinne zugeführten Vorstellungen allgemeine Begriffe zu bilden; im Gegensatz zu den Thieren, welche höchstens zur Association gleichzeitig wiederkehrender Eindrücke sich erheben, wie Stock und Schläge, Hutaufsetzen des Herrn und Spazieren- gehen solche für den Hund sind. Sogar der Causalitätsbegriff braucht nicht angeboren zu sein, sondern man kann sich denken, dals der verallgemeinernde Verstand ihn aus dem regelmäflsigen Zusammentreffen der Vorstellungen ableitet.

Zu ähnlichen Aussprüchen ist neuerdings Hr. Helmholtz gelangt, als im Verfolg seiner Bearbeitung der physiologischen Optik die altberühmte Frage nach dem Ursprunge der Raumvor- stellung ihm entgegentrat.°” Hr. Helmholtz setzt die beiden Lehrmeinungen, die der angebornen und die der erworbenen Vor- stellungen, einander gegenüber unter dem Namen der nativistischen und der empiristischen Theorie. Er besteht darauf, dafs, bis die Unmöglichkeit bewiesen sei mit dem Empirismus auszukommen, der Nativismus als ein Unerklärliches zurückzuweisen sei. Was insbesondere die Deutung unserer Netzhautbilder betrifft, so lassen seine Ausführungen keinen Zweifel, dafs, unter der V oraussetzung des Vermögens allgemeine Begriffe zu bilden, durch das Zusam-

843 Nachtrag.

menwirken der Netzhautbilder mit Tastempfindungen und Bewe- gungen, die Raumvorstellung entstehen könne. Wie in der nächst- folgenden Lebenszeit Gehen und Sprechen augenscheinlich erlernt werden, so gehen die ersten Monate des Lebens darüber hin, die nicht minder schwierigen Künste des Sehens und Greifens zu er- lernen. Molyneux’ sogenanntes Problem, ob ein Blindgeborner sehend gemacht eine Kugel von einem Würfel unterscheiden würde, die er schon früher durch den Tastsinn zu unterscheiden wusste, scheint durch mehrere Beobachtungen, namentlich durch den älteren Fall von Cheselden und den etwas neueren von War- drop, dahin entschieden, dafs der Öperirte seine Gesichts- eindrücke nur mangelhaft zu deuten versteht.

Die metamathematischen Untersuchungen von Riemann, Hrn. Helmholtz u. A. über die der Geometrie zu Grunde liegenden Thatsachen haben dieser Anschauungsweise eine neue Stütze ver- liehen. Sie haben gezeigt, dafs Gröfsencomplexe mit den wesent- lichen Eigenschaften des Raumes sich logisch denken lassen, die nicht unser gemeiner Raum mit seinen drei Dimensionen sind. Die Vorstellung dieses Raumes, wird daher geschlossen, kann keine angeborne, sie mufs eine erworbene sein.” ®

Eine Reihe von Problemen, der Frage nach den angebornen Vorstellungen verwandt, bieten die durch an sich mehr gleichgül- tige Sinneseindrücke hervorgerufenen Empfindungen der Lust und Unlust, sowie die instinetmälsigen Strebungen, dar. Auch hier handelt es sich darum, ob das Urtheil über Schön und Häfslich, über Angenehm und Widerwärtig, ob der Trieb zu bestimmten Handlungen der Seele ursprünglich eingepflanzt sei, oder ob sich Gründe angeben lassen, welche, wenn auch unbewulst, unser Gefühl und unsere Thätigkeit bestinmen.

Ein solches Räthsel liegt vor in der Wirkung gleichzeitiger oder einander folgender Töne in Harmonie und Melodie. In seinem erstaunlichen Werk über die Tonempfindungen hat Hr. Helm- holtz versucht, für den Unterschied, den unser Ohr zwischen Consonanz und Dissonanz macht, den zureichenden Grund anzu- geben. Er hat gezeigt, dafs die Obertöne von Tönen, deren Schwingungszahlen in einfachem Verhältnifse stehen, miteinander keine, oder nur solche Schwebungen machen, welche noch nicht als widerwärtige Rauhigkeit, unerträglich wie das Flackern eines Lichtes, empfunden werden, und durch Verwirrung der Klangmasse

Nachtrag. 849

die Seele in peinliche Ungewifsheit versetzen. Er hat diese Lö- sung des alten Pythagoreischen Problems auch auf die Construc- tion der Tonleitern, ja auf die Melodie ausgedehnt, indem er als Bedingung wohlgefälliger Klangfolge die Verwandschaft der Klänge bezeichnet. Sie besteht darin, dafs die einander folgenden Klänge gemeinschaftliche Obertöne besitzen, gleichsam miteinander reimen. Eine melodische Wirkung an Obertönen armer Klänge, vollends ein- facher Töne ist nach ihm nur dadurch möglich, dafs wir die zu- gehörigen Obertöne in der Vorstellung unbewulst ergänzen.

Wir wissen also nun, dafs gleichzeitig erklingende Töne von einfachem Schwingungsverhältnifs eine unangenehme Nebenwirkung nicht haben, welche Tönen von minder einfachem Schwingungs- verhältnifs eigen ist. Verstehen wir aber darum, weshalb solche Töne eine angenehme Wirkung üben? Warum entzückt denn mein Ohr jener ruhige Flufs, in welchem consonirende Töne ne- beneinander abfliefsen? Was vollends die Melodie betrifft, so wird keine solche Deutung je verständlich machen, weshalb eine be- stimmte Tonfolge nach bestimmtem Zeitmalse mein Herz mit schmerzlich süfser Rührung füllt, weshalb eine andere zu todes- muthigem Vorstürmen mich entflammt. Die Erklärung der Melo- die, welche Diderot Rameau’s Neffen in den Mund legt, sie sei eine Nachahmung der Sprache der Leidenschaft,?* ist nicht be- lustigend, wie die Haller’s, der meinte, hohe und schnelle Töne erheiterten, tiefe und langsame betrübten uns, weil wir in der Freude schnelle und hohe, in der Trauer langsame und tiefe Töne von uns gäben;°° aber sie palst einigermafsen doch nur auf das Recitativ, welches keine Melodie ist. Die positiv angenehme Wirkung der Harmonie und der Melodie, zu der sich bei letzterer eine spe- eifische psychische Wirkung gesellt, sind ein unergründliches Ge- heimnils, und es ist ziemlich einerlei, ob wir unsere Unwissenheit in dieser Form bekennen, oder indem wir sagen, zwischen den sinnlichen Eindrücken und der Seelenbewegungen herrsche eine praestabilirte Harmonie.

Diderot’s Definition der Melodie gehört demselben Kreise seichter rationalistischer Erklärungen an, wie die im vorigen Jahr- hundert geläufige Erklärung der Liebe aus den Tugenden des ge- liebten Gegenstandes, die Abbe Pr&vost durch seine Manon Les- caut widerlegte.e In Wahrheit ist nicht einmal eine Erklärung für die Anziehung denkbar, welche die schönen Formen des einen

850 Nachtrag.

Geschlechtes auf das andere üben, geschweige für die individuellen Neigungen, denen Liebe entspringt.

Doch sind dies besonders dunkle Probleme, bei denen es unter Anderem schwer fällt, aus den zu erklärenden geistigen Be- ziehungen den Antheil zu scheiden, der von unserer Bildung, von früheren Eindrücken stammt. Die Begriffe musikalischer und plastischer Schönheit wechseln so sehr vom Einen zum Anderen, von Volk zu Volk, dafs es milslich wäre, auf Beispiele allein aus dieser Sphaere die Annahme einer praestabilirten Harmonie zu stützen. Sieht man aber zahllose sonst sehr stumpfsinnige Thiere in kürzester Frist den vollständigen Gebrauch ihrer Sinne und Glieder erlangen, Kalb und Füllen neugeboren auf die mütter- lichen Zitzen zugehen, gleichviel ob durch das Gesicht, oder, wie Hr. Helmholtz vermuthet, durch den Geruch geleitet ?°; sieht man Schmetterling und Libelle auf kaum fertigem Flügel in die Lüfte steigen, Küchlein picken und Entchen schwimmen; erwägt man die mannigfaltigen Kunsttriebe, die bei jedem Individuum einer Species zu gewissen Lebenszeiten auch unabhängig von den äufseren Umständen sich einstellen, auf welche sie berechnet schei- nen, und die allein sie hervorrufen könnten: so verzweifelt man an der Durchführung der empiristischen Ansicht, und fühlt sich wider- willig, doch unausweichlich, auf eine praestabilirte Harmonie zu- rückgewiesen.

Gegenüber solch überwältigender Masse des Unerklärlichen verliert man dann die Freude daran, diese Masse um einen ver- schwindenden Bruchtheil dadurch zu verringern, dafs man in einem einzelnen Falle, am menschlichen Kinde, mühsam ausführt, wie es durch eine unbewulst bewufste Thätigkeit wohl dazu gelangen könne, seine Sinneseindrücke richtig zu deuten, den Raum um sich zu entwerfen, seine Glieder passend zu bewegen, und den Satz vom zureichenden Grunde zu finden. Für angeboren im strengen Sinne, d. h. für zur Zeit der Geburt bereits vorhanden, braucht man darum diese Kenntnisse und Fähigkeiten nicht zu halten. Sie können in einem gewissen Alter noch fehlen und später plötzlich bemerkt werden, ohne dafs das Kind sie in der Weise sich erwarb, wie die empiristische Theorie meint. Das Ent- stehen des Gedächtnisses, der geschlechtlichen Vorstellungen und Strebungen, das von Goethe beobachtete Wachsen specifischer Ta- lente ohne Übung,??” und eine Menge ähnlicher Thatsachen scheinen

Nachtrag. 851

zu lehren, dafs im Gehirne die Bedingungen für gewisse geistige Vorgänge mit der Zeit von selber sich herstellen, heraufgeführt durch das Wachsthum des Organes, ganz wie dies mit den Ent- wickelungszuständen und Leistungen anderer Organe zweifellos der Fall ist. Während also beim Kälbehen schon während des Foetallebens eine (Gehirnentwickelung geschah, vermöge deren das neugeborne Thier im Raume Bescheid weils, seine vier Fülse in richtiger Folge zu setzen und seinen Schwerpunkt zu unter- stützen versteht, geht beim Kinde die entsprechende Entwickelung erst nach der Geburt, während der ersten Monate, vor sich. Nach dieser Ansicht wären die Raumvorstellung, die Verstan- des-Kategorien, weder angeboren noch erworben, sondern sie wücbsen dem werdenden Geiste allmählich zur richtigen Zeit von selber zu. Damit aber verständlich werde, warum ein sehend ge- machter Blindgeborner, ein an das Licht gelassener Caspar Hauser seine Gesichtseindrücke mangelhaft deutet, muls freilich hinzugefügt werden, dafs zur normalen Entwickelung der Sehsinn- substanz normale Gesichtseindrücke gehören: wofür es an Analo- gien nicht fehlt.

Über die Art, wie die geistigen Vorgänge und die Vorgänge im Gehirne miteinander zusammenhängen, wird hier nichts vor- ausgesetzt, als dafs diese für jene die nothwendige Bedingung zu sein scheinen. Die Physiologie ist zwar die Wissenschaft von den näheren Bedingungen des Bewufstseins in der Welt; doch ist leicht zu zeigen, dafs es nie gelingen kann, auch nur die ersten Stufen .des Bewulstseins, Lust und Unlust, denkend zu begreifen.

Das also ist der Sinn, in welchem von einer praestabilirten Har- monie zwischen unseren Vorstellungen und der Welt noch die Rede sein kann. Allein ehe wir uns zu ihrer Annahme auch nur in dieser Gestalt bequemen, wird es angemessen sein, zu versuchen, ob ein für unseren Verstand so peinliches Zugeständnifs sich nicht noch irgendwie bedingen lasse. Und es scheint allerdings, als ob neuere siegreiche Fortschritte der Wissenschaft uns erlaubten, die Marksteine unserer Erkenntnifs weiter hinaus zu schieben, und der praestabilirten Harmonie das supranaturalistische Gewand abzu- streifen, das ihr noch von Leibniz her anhängt.

Eine der Grundthatsachen, auf denen die Darwin’sche Theo- rie ruht, ist die Möglichkeit der Vererbung aller erdenklichen kör- perlichen und geistigen Besonderheiten und Fähigkeiten, welche

98

852 Nachtrag.

durch die Neigung zur Varietätenbildung entstehen. Sie können auf den Keim übergehen, können während langer Entwickelungs- abschnitte schlummern, und unter geeigneten Umständeu, als wären sie durch diese hervorgerufen, plötzlich in aller Stärke sich be- thätigen. So hat der grofse Britische Denker und Forscher das Räthsel vieler sonst nur durch praestabilirte Harmonie zu erklä- render, d. h. unbegreiflicher Kunsttriebe glücklich gelöst.

Sollte man sich nicht denken können, dafs auch die soge- nannten angebornen Ideen dergestalt ein natürliches Erbtheil un- seres Geschlechtes seien? Sollte nicht hierin die wahre Entschei- dung des alten Streites zwischen Empirismus und Nativismus lie- gen, eine Entscheidung, die zugleich eine Versöhnung wäre, da beide Theile Recht behielten? Denn indem diese Anschauung die praestabilirte Harmonie für das menschliche Individuum zu- lälst, wie in Dirgen des Instinctes für die einzelne Biene oder Ameise, läfst sie für das ganze Geschlecht die sensualistische An- sicht gelten. So bietet sie überdiefs noch einen Vortheil. Die schwierige Arbeit, welche der Sensualismus dem einzelnen Men- schenkinde während der ersten Lebensmonate zumuthet, von denen es noch dazu etwa elf Zwölftel schlafend verbringt, vertheilt sie auf eine unermelsliche Reihe von Geschlechtern, die sich, ihre Errun- genschaften durch Vererbung steigernd, folgweise an jener Arbeit betheiligen. Abermals trifft hier die Leibnizische Lehre zusam- men mit der Lehre Darwin’s, um durch sie formell bestätigt, dem Inhalte nach aber besiegt zu werden: denn es ist dergestalt die praestabilirte Harmonie gleichsam in den mechanischen Weltpro- cess aufgenommen.

In den mittelalterlichen Bauten Italiens sieht man oft Temnpel- trümmer einer versunkenen Religion als Werkstücke eingemauert. Seiner Bestimmung entfremdet, kaum kenntlich, fesselt der mar- morne Architrav einen Augenblick den sinnigen Wanderer. Acht- los vorüber eilt die Menge. So birgt der unscheinbare, aber sichere Bau heutiger Empirie manche Trümmer einer glänzenden, einst die Wissenschaft beherrschenden Speculation, in der unsere Zeit das Heil nicht mehr sucht. Von Vielem, was wir, des Ursprunges unserer Schätze nicht immer eingedenk, das Unsere nennen, könnte Leibniz, nach zweihundert Jahren wiederkehrend, im sicheren Gefühle geistiger Urheberschaft sagen: Das ist Geist von meinem Geist, und Gedanke von meinem Gedanken.

Nachtrag. 853

Anmerkungen.

I! @. 6. Leibnitii Opera philosophica etc. Ed. J. E. Erdmann. Berolini 1840. 4°. p. 758.

2l..c.

® L.c. p. 775. „Les forces ne sont [pas] detruites, mais dissiptes „parmi les parties menues. Ce n’est pas les perdre, mais c’est faire comme „font ceux qui changent la grosse monnaie en petite.

= 1. c.D. 476,

L. ce. p. 705.

° Kuno Fischer, Geschichte der neuern Philosophie. Heidelberg 1867. Bd. II. S.289.

_Oeuvres de Denis Diderot. Paris 1798. t. VI. 266. 267.

Inre.p. 724:

L. c. Monadologie. $. 67. 68. p- 710.

10° Animaleula Infusoria fluviatilia et marina, opus posthumum. Cura Othonis Fabrieii. Havniae 1786. 4. p. 1. 4.

Histoire naturelle, generale et particuliere. Aux Deux-Ponts 1785, t. IV. p. 22: „Les ötres vivants contiennent une grande quantite de mo- „lecules vivantes et actives; la vie de l’animal ou du vegetal ne parait ötre „que le resultat de toutes les actions, de toutes les petites vies particulieres „(sil m’est permis de m’exprimer ainsi) de chacune de ces molecules ae- „tives, dont la vie est primitive et parait ne pouvoir &tre detruite,“ ete.

El. cp. 195, 597. 711.

1% Oeuvres de Fontenelle etc. Paris 1792. p. VII Eloge de Hart- soeker. p. 216. 217.

SEE aD. 71l,

Vergl. diese Berichte, 1868. S. 49.

16 Considerations sur les Corps organises etc. Amsterdam. 1762. t. 1 p. 95 et suiv.

17 Vergl. Rixner, Handbuch der Geschichte der Philosophie. Sulz- bach 1823. Bd. III. S. 224.

18° A Brief Account of Microscopical Observations ... on the Partiecles eontained in the Pollen of Plants; and on the General Existence of Active Molecules in Organie and Inorganie Bodies. Als MS 1828 in London gedruckt. |

19 Mikroskopische Untersuchungen über des Herrn Robert Brown Entdeckung lebender, selbst im Feuer unzerstörbarer Theilchen in allen Körpern, und über Erzeugung von Monaden. Carlsruhe und Freiburg 1828. 4°.

98*

854 Nachtrag.

Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1863. Bd. CXVII. S. 79H. 4

?! Untersuchungen über Brown'’s Molecularbewegung. In den Sitzungs- N | berichten der Kais. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1867. Bd. LVI. " S. 116. |

?2 OÖOken, Die Zeugung. Bamberg und Würzburg 1805. S. 22. ’R

?? De Organogenia. Particula I. de Materia organica amorpha. Pro- gramma. Jenae 1833. 4°.

?4* S. in Joh. Müller’s Handbuch der Physiologie. Coblenz 1840. Bd. IE2@S: 559.

?5 Supplemente zur Lehre vom Kreislaufe. Heft 1. Bonn 1827. 4°, S. 21; Heft 2. Bonn 1836. $. 41; die Metamorphose der Monaden. | Bonn 1840.

26 Chimie organique. $. 831. 832. 1556. 4421 et suiv. Citat bei Henle, Allgemeine Anatomie u. s. w. 8. 128.

een Eee Fi

?7T Memoires pour servir a l’Histoire anatomique et physiologique des Vegetaux et des Animaux. Paris 1837. t. II. p. 468. a

28 Wiener Sitzungshberichte, 1861. Bd. XLIV. S. 381 ft. =

IE PA. ONBA LES 999:

ONE Ara. 102 Leipzig! 1841275 74127,,132:

31 Handbuch der Physiologie. Bd. U. S. 517.

32 Handbuch der physiologischen Optik. Leipzig 1867. S. 427 ff.

33 Helmholtz, Les Axiomes de la Geometrie, in Alglave’s Revue

des Cours scientifiques et litteraires. 1870. p. 498. Aus der Academy übersetzt. | 34 „Le chant est une imitation, par les sons, d’une &chelle inventee „par lart ou inspiree par la nature, comme il vous plaira, ou par la voix „ou par linstrument, des bruits physiques ou des accents de la passion.“

35 „Mihi -quidem res non adeo difficilis videtur. Laetitiam nempe „homines exeitatis et celeribus sonis, tristitiam lentis et gravibus ab ipsa

„natura docti exprimunt . .. Quare ex lege adsociationis idearum, celeres „son; eum in cerebro et in mente statum revocant, cujus signa sunt ii celeres „soni, et graves pariter eum animi adfectum restituunt, cujus dialectus in

„gravibus tonis est.“ Elementa Physiolog.ae Corporis humani. 4°. .t. V. Lausannae 1763. p. 504. 36 Die neueren Fortschritte in der Theorie des Sehens. Preufsische " Jahrbücher 1868. n) 37 Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren sei- 3 | nes Lebens. Leipzig 1836. Th. II. S. 132. 133. Bi

MONATSBERICHT

DER . KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN.

December 1870.

Vorsitzender Sekretar: Herr Haupt.

1. December. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Kummer las:

Über eine Eigenschaft der Einheiten der aus den Wurzeln der Gleichung «* —=1 gebildeten complexen Zahlen und über den zweiten Faktor der Klassenzahl.

Die Einheiten der complexen Zahlen sind, wenn man von den einfachen Einheitswurzeln absieht, welche als Faktoren hinzutreten können, stets reale Gröfsen. Betrachtet man eine beliebige solche Einheit mit allen ihren conjugirten zusammen, so erhält man eine Reihe von realen Gröfsen, welche im Allgemeinen zum Theil po- sitiv, zum Theil negativ sein werden, welche aber in dem beson- deren Falle, wo die gegebene Einheit ein Quadrat ist, nothwendig alle positiv sind. Hieran knüpft sich nun die Frage, ob auch um- gekehrt alle diejenigen Einheiten, welche die Eigenschaft haben, dafs sie mit allen ihren conjugirten nur positive Werthe haben, vollständige Quadrate von Einheiten sein müssen, oder wenn dies nicht der Fall ist, welche weitere Bedingungen hierzu nöthig sind. Diese Frage ist es, welche ich hier für die aus Aten Einheitswur- zeln gebildeten complexen Zahlen erörtern will; sie hat auch da- rum ein besonderes Interesse, weil ihre Lösung eine neue Eigen- schaft des schwer zugänglichen zweiten Faktors der Klassenzahl ergiebt, nämlich eine Bedingung seiner Theilbarkeit durch Zwei.

[1870] 59

856 Gesammtsitzung

Es sei y eine primitive Wurzel der Primzahl ?, ferner sei Y; der kleinste positive Rest von y*, nach dem Modul ?, und @«’—=1, so wird das System der conjugirten Kreistheilungseinheiten darge- stellt durch

für k=0,1,2,...#» —1, wo %, wie auch in dem Folgenden, a MA—IL., : gleich on ist. Wei 27% 27

Rn = cos + isin 9

so hat man auch

woraus man ersieht, dafs e, positiv ist, wenn y, und %,;+ı beide zugleich kleiner als 3, oder beide zugleich gröfser als 5 sind und dafs e, negativ ist, wenn von den beiden Zahlen y, und y;,ı die eine gröfser als 3, die andere aber kleiner als z ist. Da

ee, E92 seee Ea—1 —Y

ist, so folgt, dafs die Anzahl der negativen unter den conjugirten Kreistheilungseinheiten eine ungrade ist, dafs diese also niemals alle positiv sind.

Es soll nun weiter untersucht werden, unter welchen Bedin- gungen eine aus den Kreistheilungseinheiten zusammengesetzte Ein- heit, welche sich als ein Produkt von Potenzen der conjugirten Kreistheilungseinheiten darstellt, die Eigenschaft haben kann, dafs sie mit allen ihren conjugirten nur positive Werthe hat. Es sei die zu betrachtende Einheit

mu re Cu—1 Br=he en 10, Zune

vom 1. December 1870. 857

WO 2%, &jy.... &u-, irgend welche ganze Zahlen sind, so handelt es sich darum diese Exponenten so zu bestimmen, dafs allgemein

un!

positiv sei, für jeden der Werthe k—= 0 5 12, en. a eich bestimme nun die Zahl c, so, dafs sie für Jeden Werth des % nur einen der beiden Werthe 0 oder 1 habe und zwar:

%.=0 für die Werthe des k, für welche e, positiv,

%—=1 für die Werthe des k, für welche e, negativ ist.

Die Bedingung, dafs E, positiv sei, ist alsdann gleichbedeutend mit der, dafs‘

C;X —. C;+1 -+ Ck+2 1) suenoie C.—-ı Lu—1

eine grade Zahl ist und weil diese Bedingung für jeden der u Werthe des & erfüllt sein soll, so hat man das System der Con- gruenzen:

ex +eıkı +eoglg een ots 0, CT + egal, 40532, + + 700, =; 0 LE) mod. 2. Ca% + 03%} a O4 Wo A cnren Ca 10), H„-ı Ct CL +0,82 +. TEC, olurı =O.

_ Dieses System läfst sich wie bekannt durch die uten Wurzeln der Einheit auflösen; bezeichnet man mit w eine jede beliebige primi- tive oder nicht primitive Wurzel der Gleichung w* 1, multipli- eirt diese Congruenzen der Reihe nach mit 1, We, ol und addirt, so erhält man

(D CHsWw Wi rc. ur (ano Erw te. 1 W u

=0, mod. 2

Ich setze nun zur Abkürzung 998

858 Gesammtsitzung

c+H1w+gwW+..+e, ,uwri='l(w),

so ist die Determinante dieses Systems von Congruenzen gleich der vollständigen, über alle primitiven und nicht primitiven Wur- zeln der Gleichung w* = 1 sich erstreckenden Norm von (w), welche ich durch N\/(w) bezeichne. Wenn nun diese Determi- nante NY (w) nicht congruent Null ist, mod. 2, so müssen bekannt- lich alle Werthe der Unbekannten x, x,, ....2,_ı einzeln congru- ent Null sein, nach dem Modul 2, also die Einheit E mufs in die- sem Falle ein vollständiges Quadrat sein.

Wenn nur E eine Einheit ist, welche sich nicht als ein Pro- dukt von Potenzen der Kreistheilungseinheiten darstellen läfst, so läfst sich nach einem bekannten Satze doch stets eine bestimmte Potenz von E in dieser Weise ausdrücken und man hat allgemein für jede Einheit E eine Gleichung von der Form

Br ge lo

WO N,2,&1y.... 2,—ı ganze Zahlen sind, deren eine man gleich Null nehmen kann, und welche nicht alle zugleich einen gemeinschaftlichen Faktor haben. Wenn nun N\(w) nicht durch 2 theilbar ist, so kann E” mit seinen conjugirten nicht stets positiv sein, ohne dafs %, 8159... du Alle grade sind; alsdann mufs n, welches nicht mit allen diesen einen gemeinschaftlichen Faktor haben soll, ungrade sein und weil E” ein Quadrat ist und n ungrade, so muls E selbst ein Quadrat sein. Man hat demnach folgenden Satz:

„Für alle diejenigen Werthe der Primzahl ?, für welche „die vollständige, über alle der Gleichung w* —= 1 ge- „nügenden » Werthe des w sich erstreckende Norm

(L.) „N4(w) nicht durch 2 theilbar ist, ist eine jede aus „ten Einheitswurzeln gebildete Einheit, welche mit „allen ihren conjugirten nur positive Werthe hat, noth- „wendig ein Quadrat einer Einheit.

Die Bedingung, dafs die vollständige Norm NY (w) nicht durch Zwei theilbar sei, ist identisch mit der Bedingung, dafs der erste Faktor der Klassenzahl der aus Aten Einheitswurzeln gebil- deten complexen Zahlen nicht durch Zwei theilbar sei. Um dies zu zeigen, verwandle ich den Ausdruck der complexen Zahl Y(w) in folgender Weise:

vom 1. December 1870. 859

Es sei r der Index von 2, für die primitive Wurzel y, oder y"z=2, mod.?, so ist 2% Yır 9 wenn %; < 3 b)

2% = Yırt%, wen y>4#,

also wenn y, und y.;ı beide zugleich < $ oder beide zugleich > 5 sind, d.i. wenn c, = 0 ist, so hat man EZ iR ch Shrıdr

wenn aber von den beiden Zahlen %, und y4+ı die eine grölser,

die andere kleiner als 3 ist, d.i. wenn c,—= 1 ist, so hat man

2 ya Yır Maier,

also in beiden Fällen hat man allgemein

Ya 2 Yarı Yen Antigen CN

und demgemäfls

RZ Ytr 7 Yatitr z Mod. 2. Hieraus folgt M—1

“—1 Y(w) = = 20, w* == Sr (Yarr ar) WW , mod. 2.

und weil für jeden Werth des &, yj;, = %— y, und demgemäfs

Yırn Vrtıta = Yk—— Yrr+ı, MOd. 2, ist und wit" w*, so kann man diese Summe auch so darstellen:

#"—1

(E.) (uw) = wr m (Ya Yrrı)w" , mod. 2.

Betrachtet man nun andererseits den ersten Faktor der Klas- senzahl, welchen ich (Crelle’s Journal Bd. 40 p. 110) so dargestellt habe:

pi PAY .... 009)

ygr—il em 9

860 Gesammtsitzung Ä | | in wo 2 eine primitive Wurzel der Gleichung @*-! = 1 ist und | al

I) = ı1+yı8 + yß? ++ yo,"

und welcher, wenn & eine jede Wurzel der Gleichung = —ı bezeichnet, auch so dargestellt werden kann: a

#

N Na) K

Dar |

wo die Norm über alle » Wurzeln der Gleichung £* = 1 sich Ah

erstreckt; so hat man zunächst

—2 1 —- L)H(B) = z (yE— Yarı) P%* und weil

(Yan TER N) Re = (yE— Yr+1) I so ist

ee 4 1— 2")o(b) = 2 2, SE 2% # also wenn durch 2 dividirt und mit &”” multiplieirt wird:

37a —- FIN) =YM,

r#—1 | \(9) = PFEn— Yarı) ER. 2

Nimmt man nun die vollständige Norm in Beziehung auf alle | Werthe, welche der Gleichung 2" = ı genügen, so hat man N(1— 27!) = 2 und demgemäls |

ul N\Y(£) 5

oder als Congruenz nach dem Modul 2: : |

Bi N(6) + mod.)

Die complexe Zahl \(£) hat nach dem Modul 2 ganz diesel- | ben Coefficienten, als die obige complexe Zahl Y(w). Da ferner | in den beiden Gleichungen uten Grades

vom 1. December 1870. 861 Bl und v"—= +1

alle Coöfficienten der einen den Coöfficienten der andern congruent sind, nach dem Modul 2, so folgt, dafs auch eine jede symmetri- sche Funktion aller Wurzeln der Gleichung £* = ı derselben symmetrischen Funktion der Wurzeln der Gleichung w* = 1 con- gruent sein mu[s, nach dem Modul 2. Es ist daher

NY) =,.NL(2) = PB" mod. 2.

Die Bedingung, dafs NL (w) nicht durch 2 theilbar sei, ist also identisch mit der, dafs der erste Faktor der Klassenzahl nicht durch 2 theilbar sei. Der obige Satz läfst sich daher auch so aus- sprechen:

„Für alle diejenigen Primzahlen ?%, für welche der „erste Faktor der Klassenzahl nicht durch Zwei theil-

(II.) „bar ist, ist jede complexe Einheit, welche mit ihren „conjugirten nur positive Werthe hat, ein Quadrat einer „Einheit.

Hieraus ergiebt sich nun unmittelbar die Bedingung dafür, dafs der zweite Faktor der Klassenzahl nicht durch 2 theilbar sei. Wenn nämlich der zweite Faktor der Klassenzahl durch Zwei theil- bar ist, so giebt es nothwendig eine Einheit E von der Art, dafs

DE 1 00 Cu—1 E ee e 69 vv... en-ı 9

WO &, &1...0,-ı ganze Zahlen sind, deren eine gleich Null genom- men werden kann, und welche nicht alle den gemeinschaftlichen Faktor 2 haben. Wenn aber der erste Faktor der Klassenzahl nicht durch 2 theilbar ist, so giebt es keine solche Einheit

x _%9 Tu—1 e e] 0) .... Eu—1 6)

welche mit allen ihren conjugirten positive Werthe hat, ein solches Produkt von Potenzen von Kreistheilungseinheiten kann also nicht ein Quadrat, also nicht gleich E? sein. Hieraus folgt:

„Der zweite Faktor der Klassenzahl ist niemals durch (II.) „Zwei theilbar, wenn nicht zugleich auch der erste „Faktor der Klassenzahl durch Zwei theilbar ist.

862 Gesammtsitzung

Dieser Satz über die Theilbarkeit der Klassenzahl durch 2 ist voll- kommen analog dem früher von mir bewiesenen Satze über die Theilbarkeit der Klassenzahl durch A.

Wenn der erste Faktor der Klassenzahl durch 2 theilbar ist, also die Bedingung der Gültigkeit der oben aufgestellten Sätze (I.)

und (I.) nicht erfüllt ist, so giebt es stets Einheiten von der Form

Ei =teeNetun. ee welche mit allen ihren conjugirten nur positive Werthe haben, ohne dafs die Exponenten x, cr, .... alle durch 2 theilbar sind. Eine solche Einheit E ist nur in dem Falle ein vollständiges Qua- drat, wo nicht nur der erste, sondern auch der zweite Faktor der Klassenzahl durch 2 theilbar ist, welches im Allgemeinen nicht der Fall ist, wie die folgenden ausgeführten Beispiele zeigen.

Unter den Primzahlen %, welche im ersten Hundert legen, giebt es nur eine, für welche der erste Faktor der Klassenzahl durch 2 theilbar ist, nämlich A = 29. Unter den 14 conjugirten Kreistheilungseinheiten sind, wenn die primitive Wurzel y=3 zu Grunde gelegt wird, nur folgende fünf negativ:

a > es ist also go 4,46, = m=cum]1);, -(,>-m, = (, =, = =0(,1 = 69-60. Setzt man diese Werthe der Gröfsen e in das System der Con-

gruenzen (C.) ein, so erhält man durch Auflösung desselben alle Werthe der Exponenten x, die demselben genügen, dargestellt durch

Il

a mod. 2,

Il

, =1l,8 =1l, u El,2p = 0, lu alle 0, %s

und durch die cyklischen Vertauschungen derselben, deren es nur 7 verschiedene giebt. Es folgt hieraus, dafs für X = 29 alle Ein- heiten, welche mit ihren conjugirten nur positive Werthe haben, durch die eine Einheit

E = ee, & 6, & Ey &g &ıı

vom 1. December 1870. 863

und durch ihre conjugirten gegeben sind, wenn man von den Qua- draten von Kreistheilungseinheiten absieht, welche beliebig hinzu- treten können, weil die Exponenten x nur nach dem Modul 2 be- stimmt sind. Die Ausdrücke der Kreistheilungseinheiten sind hier:

e

|

1+02 +2 n 4 =1+ta +0 eilt all ga. eg =1+0et +at , & =1-+ el? + «712 R e, =1+tad a , 5 =1l+tue +07 , . =1+ua? +05 5 =ltat tal, 9 =1+.! Ha]! , en =1l+tell a1 , eıı =1l+ta +! , ee =l+tat +07 , 3: =1+ua +0”

Aus diesen folgt:

ee, = ) i = («12 ar « 12) $ also

E=(e+ta1)(e? Ha) (1+e+a!)(1 + a2 + RE)

Die Einheit E ist, wie man hieraus ersieht, nur von den vierglie- drigen Perioden der Wurzeln der Gleichung «2° = ı abhängig, be- zeichnet man diese, nach der primitiven Wurzel y 3 geordnet, durch 4,915 %95 735 %4> 755 %g, So erhält man durch Ausführung der Multiplikation

al Ce) und hieraus weiter

E6) = er en mt eng:

864 Gesammtsitzung

Um nun zu untersuchen, ob diese Einheit E(z) ein vollständiges Quadrat ist, oder ob nicht, reicht es hin von einer Congruenzbe- dingung nach dem Modul 4 Gebrauch zu machen, welche jede complexe Zahl f(«) erfüllen mufs, wenn sie ein vollständiges Qua- drat sein soll, nämlich die Bedingung

Ile): f(«°?) = 0, mod. 4.

Wenn nämlich f(«) = p(«)? ist, so ist f(«) = $#(a?), mod. 2, also f(«)? = p(«”)?,. mod. 4, also auch (a) = le mode Damit E(r) ein Quadrat sei, mufs also E(r)? E(r,) = 6, mod.4, sein. Die Ausführung der Rechnung ergiebt aber

E(n)? Ha) 2 mod,

also nicht =0. Die Einheit E(r) ist also nicht ein Quadrat; also für X = 29 ist der zweite Faktor der Klassenzahl nicht durch 2 theilbar.

Um noch ein zweites Beispiel dieser Art zu erhalten, habe ich auch einige Primzahlen ?% im zweiten Hundert untersucht und unter diesen A = 113 als eine solche gefunden, deren erster Fak- tor der Klassenzahl durch 2 theilbar ist-

Für ? = 113 wird, wenn die primitive Wurzel y= 10 ge- nommen‘ wird, e, negativ und folglich c,—= 1 für folgende 29 Werthe des k:

k=1,83,4,9, 14,16, 17, 18,.19,000, 0900109210720 31,34, 35,136,.37, 39, 49, A445, 46, 49, 50, 514 53,

Für die übrigen 27 Werthe des k ist c,—= 0. Die Auflösung der Congruenzen (Ü.) ergiebt nun folgende Werthe der Exponenten «:

2. = 1 für. k =10,% 14, 21,528, 85,12 29 i, 8,15, 22, 29, 36.43.50 2, 9, 16, 23, 30, 37, 44, 51 5,12, 19, 26, 33, 40, 47, 54

für die übrigen 24 Werthe des % ist x, = 0, mod. 2. Setzt man nun

vom 1. December 1870. 865 H,= er+7 Or+1a Or+21 Ortas Or+35 ORr42 Ok+4g so ist, abgesehen von Quadraten der Kreistheilungseinheiten, E=HH, H,H,

mit ihren conjugirten die einzige, als Produkt von Potenzen der Kreistheilungseinheiten darstellbare Einheit, welche nur positive Werthe hat. Um diese Einheit E, welche wie man hieraus ersicht nur aus den 7 Perioden von je 16 der Wurzeln der Gleichung all3 1 zusammengesetzt ist, die ich nach der primitiven Wurzel 10 geordnet mit 7, 715 %9> N35 %4> %55 7g bezeichne, bemerke ich zunächst, dafs

ee, Ego ıı.. ee [64 172 51 at

ist. Wird nun der Abkürzung wegen ar" -- m e). gesetzt, und

SR) ) er Or Orr7 Ortıa Orr2ı rrag Or+35 Or+42 Ck+4g >

so zeigt die Ausführung der Multiplikation, dafs &, gleich dem Produkte zweier Perioden

ER TT NRNRHS ist, und dafs durch die Einheiten 7, H, ... ausgedrückt 2% = Hy Hıyı Hısa ist. Hieraus folgt weiter

e1°3244%5 = HH, H,H,(H,H,H,H,), also, wenn von dem quadratischen Faktor abgesehen wird, & &g &4 €; = E und durch die Perioden ausgedrückt, wird en Ma) >

also, wenn wieder von dem quadratischen Faktor abgesehen wird,

866 Gesammtsitzung

stellt sich die Einheit, welche mit ihren conjugirten nur positive Werthe hat, dar als

E(r) N NET

Die Ausführung der Multiplikation ergiebt: EG) = 12 Hy +H #243 + —4re:

Wenn diese Etnheit ein Quadrat sein sollte, so müfste, wie im vorigen Beispiele gezeigt worden,

Er)” —E(:)=0, mod. 4

sein; man findet aber E@)’ Eis) S 24 + 291 + 244 42915 +2 , mod. 4.

Es ist also E(») nicht ein Quadrat, und darum auch für A = 113 der zweite Faktor der Klassenzahl nicht durch Zwei theilbar.

Nach dieser Methode läfst sich auch allgemein eine neue Be- dingung dafür ableiten, dafs der zweite Faktor der Klassenzahl durch 2 theilbar sei. Wenn dieser Fall statt haben soll, so muls es eine Einheit

E(«e) Mo) ses“ 2 ea

geben, welche ein Quadrat einer Einheit ist, ohne dals die Expo- nenten &,&, ... &4_ı alle durch 2 theilbar sind, wenn einer der- selben gleich Null genommen wird, wo e(«),e(a”) .... e(«’»-ı) die oben mit e,e; .... e„_ı bezeichneten Kreistheilungseinheiten sind, also

ER aan a N © SG ) ea? —2 a? a7? le) er ya Eye ee

(a? + «=? 2) (a? a?)

also wenn gesetzt wird

vom 1. December 1870. 867

e(«)" = e(a?)(1-+2/(e)) , mod. 4, so erhält man

I) = +

—_ mod. 2. 0 2

Demnach wird

E(e)’ = Ela?) (1 + 2 (af(e) + 81 fla”) + --- +2,_1F(@""))), mod. 4.

Wenn nun E(«) ein Quadrat sein soll, so mufs, wie oben gezeigt worden,

E(e)? = E(a?). mod. 4

sein, folglich auch

afle) + 21er) ++ Re 0% 3mod. 2.

welche Congruenz, weil sie ebenso für die » mit « conjugirten R—1 .

Wurzeln «, «@°, ... «? gelten muls, ein System von # Congru-

enzen repräsentirt. Setzt man für /(«) seinen Werth ein, und

wendet das Summenzeichen an, so kann man dieses System von Congruenzen auch so darstellen:

Ka ( —1 1 ) —y >, rs 0, mode 0 a 1 et

. .o oe . ne „hA+]1 Multiplicirt man nun mit «=?? und summirt in Beziehung auf

alle A ı verschiedenen Werthe der Wurzel «&, so hat man

n—1 ee azyır! > De er en ER —n Trrk = Haze: se a 0 mod. 2.

In den beiden Summen, welche sich über alle Werthe der Wurzel « erstrecken, kann man statt dieser Wurzel eine beliebige andere

zu Grunde legen; setzt man daher in der ersteren Summe « statt way S

k+1 und in der anderen « statt «?””” , so erhält man

868 Gesammtsitzung

—_yh—-k+1 —_yi—k ze „ze Eilar2® ER = ee N io,

1— « FA —R

Aus der Gleichung

= a+2a’ +30’ He + (iR 1)ar!,

I: welche auch so dargestellt werden kann: | —ı > ve yr—2 1 IT RN a Zi nee ae - Zr CR

folgt aber, wenn mit «"?” multiplieirt und in Beziehung auf alle » 1 verschiedenen Werthe der Wurzel « der Gleichung at a”? He. Ha +1=0 summirt wird: )

—ıL\, —S = Sl en ron 72007

und weil

A) a ak Pr so folgt, wenn durch A dividirt wird: yN el Kae 2 —1 # >. N Viele . % 1—« 2 Im Bi

Macht man von dieser Summation Gebrauch, so hat man:

k—1 a, Or Tr Yn-k) 20, mod. 2.

Durch Multiplikation mit w*, wo w eine jede primitive oder nicht primitive Wurzel der Gleichung w* 1 bezeichnet und durch Summation in Beziehung auf die Werthe A=k,k+1,...k+n—1 wird dieses System von # Congruenzen in folgende Form gebracht:

p—1 ktn—1 ef n % S >. je v oe Se N Dec (Ynrı Ya) W204 09, mod.

0

vom 1. December 1870. 869

woraus endlich, wenn } in A+ % verwandelt wird, folgt

M—]1 n—1 > —7: S k,,—k Ze = On = 3,0. Zur Wer —.0, molg>

Nach der oben gegebenen Congruenz (E.) ist aber

r—1 2 = Ynı -y)ur = —wrl(w!), mod.

also hat man M—1 (F.) we) 2,2%,.0° = 0, mod.>, 0

als neue Bedingung für die Bestimmung der Exponenten Dt 24-1, während die nach der anderen Methode gefundene bei (D.) aufgestellte

R—1 Y(w).3,2,w* = 0, mod. 2, 0

war. Die schon oben hieraus abgeleitete nothwendige Bedingung dafür, dafs nicht alle Exponenten &, x, ... %,-ı Congruent Null sein müssen, nach dem Modul 2, dafs also der zweite Faktor der Klassenzahl durch 2 theilbar sein könne, nämlich dafs die voll- ständige Norm von /(w) durch 2 theilbar sein muls, läfst sich aber auch so aussprechen, dafs die complexe Zahl Y (w) einen complexen (idealen) Primfaktor von 2 enthalten mufs. Die Ver- gleichung der Congruenz (F.) mit der obigen (D.) ergiebt nun, dals die complexe Zahl L(w7!) denselben complexen P tor von 2 enthalten mufs als L(w). Also

rimfak-

„Wenn der zweite Faktor der Klassenzahl durch Zwei „theilbar ist, so enthält die complexe Zahl L(w!) „nothwendig denselben complexen Primfaktor von „Zwei, welchen /(w) enthält,

(IV.)

Es ist leicht zu erkennen, dafs die nothwendige Bedingung dieses Satzes für die Werthe ? = 29 und X = 113 nicht erfüllt ist, dafs also der zweite Faktor der Klassenzahl für dieselben nicht durch

Zwei theilbar ist, was oben durch specielle Ausrechnungnachgewie- sen worden ist.

870 Gesammtsitzung

Die Methode, nach welcher diese nothwendige Bedingung der Theilbarkeit des zweiten Faktors der Klassenzahl durch 2 gefun- den worden ist, läfst sich mit demselben Erfolge auch auf die Theilbarkeit dieses zweiten Faktors der Klassenzahl durch irgend eine ungrade von ? verschiedene Primzahl g anwenden. Es muls hier die Einheit

E(e) = e(e)"elaY)"! 2... lat") eri eine gte Potenz einer Einheit sein, ohne dafs die Exponenten %, 0 ee. 2u—ı Alle durch q theilbar sind, wenn einer derselben gleich Null genommen wird. Eine nothwendige Bedingung dafür, dafs E(«) eine gte Potenz sei, ist aber

E(«)? = E(e?) , mod. g°; denn setzt man E(«) = \(«)?, so hat man bekanntlich

Y (a)? = Yl(e?), mod.g oder

(a)? = Ya) + 94%);

und wenn man diese Gleichung auf beiden Seiten zur gten Potenz erhebt und die Vielfachen von q? wegläfst, so hat man

Ya)” = Ylar)?, mod. g?,

und wenn für U («)? sein Werth E(«) und für \ (a2)? ebenso E(«?) zurückgesetzt wird, so erhält man die aufgestellte Congruenz. Um dieselbe anzuwenden, ist zunächst die gte Potenz von

Vagaen, a?

(a) = -

x a!

nach dem Modul g? zu entwickeln. Erhebt man « «7!

Potenz, so erhält man

(e— a!) = a —a2+gP(e), mod.g’,

zur gten

vom 1. December 1870. 871

1 Ple) = AED LA N en 7 (@ = &m2),

2 . mod. 9,

und demnach

e(«)? = u 00) 27a 124 g0(e)

mod.g?,

welches man auch in folgende Form setzen kann:

e(e)? = e(a?) (1 + q,/(e)) » mod.g?,

Ta EN OERR ICH

a2 1 Er IE 02 mod. GE

Hieraus folgt ohne Schwierigkeit

E(e)? = E(e2) (1 #FgF(e)) , mod. g?, wo

I a) yaey.. 02,070), medig

und weil E(e)? = E(a2) , mod. g?

‚sein soll, so folgt hieraus F(e) =0, mod. q.

Die complexe Zahl F(«) hat die Eigenschaft, dafs sie unverändert bleibt, wenn « in «”! verwandelt wird, sie enthält daher nur die zweigliedrigen Perioden und kann in die Form gesetzt werden:

Fe) = Clatan!)+C, («? +7?) Zwei; Gerlach

Die Bedingung, dafs F(«) congruent Null sei, nach dem Modul q erfordert also, dafs die Coeffieienten Ö, Cr... C,_ ; -alle einzeln congruent Null seien nach dem Modul 9. Multiplieirt man F(e)

ar 9 und nimmt die Summe in Beziehung auf alle A 1 verschiedenen Wurzeln «, so erhält man | [1870] 60

872 Gesammtsitzung N (ar? es 2). Kl) -

Multiplicirt man nun weiter mit w”, wo w eine jede beliebige Wur-

zel der Gleichung w“ —= 1 bezeichnet, mit alleiniger Ausnahme von w = 1, und nimmt die Summe für A= 0,1, 2,...4 1, 80

erhält man

Rk—1 a—1

Er rn h a

NN Oh > do File).

f) 0

Es ist aber an at —yıh h ee yh Inte ai ) w = 2,« uw = (w,«) ) 0

die bekannte Lagrangesche Resolvente der Kreistheilung, also

n—1

2A =n0 wi =. >. (wo PAle)e

Setzt man nun den oben gegebenen Werth des F(«), und in dem- selben den Werth des /(«) ein und bemerkt, dafs nach einer be- kannten Eigenschaft der Lagrangeschen Resolvente der Kreis-

theilung (w $) «) = wR (w 5 a’ > a wir! (w s au) ;

so erhält man:

r#—1 1 >35 1 N 2 A m C, W ———,

more PR Bee

rk u 67

ro Eaeg >; Fi a

Setzt man in der ersten dieser beiden Summen « statt «” und in . k+1 . A . . der zweiten & statt «”” , wodurch nichts geändert wird, weil alle

Werthe des « genau dieselben sind, als alle Werthe des «”" oder

@ ‚so wird:

1 ee w,e) p(a)

>33 une ER >. k

Ich setze nun

vom 1. December 1870. 873

2) = 3

a2 371

so ist, wenn für («) der oben angegebene Werth eingesetzt wird

2 a „e f ma) (ee 0,429) i

a1 a1

Um den einfachsten Ausdruck des Y(w) zu finden, betrachte ich die allgemeine Summe

BC ae ed,

(ae

N - 401.8 : ich setze in derselben & statt «“ und bezeichne mit H die kleinste Z

positive Wurzel der Congruenz

so wird | un LE

und weil

ze Sl er ie ae le ein Milgelelin zu alelıa so erhält man

fo Jaelele, Jesse... -lBeite

BE: au

+ 0 + sr000

Die in Beziehung auf alle Werthe des x zu nehmenden Summen bl. der einzelnen Theile, deren Anzahl gleich 2 I. 1ıSt, werden, wenn

60*

874 Gesammtsitzung

der Exponent der Potenz von « nicht durch ? theilbar ist, gleich 1, wenn aber dieser Exponent durch ? theilbar ist, so geben sie %—1. Es wird aber einer der Exponenten in der ersten Zeile und zugleich der entsprechende gleiche, aber negative Exponent | der zweiten Zeile nur in folgenden zwei Fällen durch A theilbar:

grade ist und gröfser als %, zweitens

erstens wenn

| + a

b ce 7 a

Fall auch

wenn

ungrade ist und grölser als Null. Da der erste

-(-

gesprochen werden kann, oder was dasselbe ist,

) ungrade und gröfser als Null aus- |

b a ungrade und grölser als Null, da ferner die eine der beiden Zahlen

b b

a

NG,

Qq

C

qa

und

stets grade, die andere aber ungrade

ist, so erhält man folgenden Werth der Summe S$: 1

wo 2=1 ist, wenn die ungrade der beiden Zahlen

=,C a

den Werth Null hat.

und

positiv ist, und wo im entgegengesetzten Falle e

Um dieses Resultat auf den vorliegenden Ausdruck des Y(w) anzuwenden, nehme ich a=g,b=g-—2i, c=y”, so wird

b

a

C

qa

“a q

pe

2“ | q

er '

wenn g=y*, mod.” ist. Es wird demnach

M—1 von h unabhängig und 3,w” = 0 ist, so fällt 0

und weil | as q

vom 1. December 1870. 875

dieser Theil weg und man hat, wenn der gemeinschaftliche Factor 2% weggehoben wird:

Bel 2 ei Y(w) == Sn =

Die Gröfse e hat nur die beiden Werthe 1 und 0 und zwar ist, Ge

wenn einfach durch v;, bezeichnet wird, e = 1, wenn von

den beiden Zahlen v,— y,_, und 1, Y,_e+„, deren eine noth- wendig grade, die andere ungrade ist, die ungrade zugleich positiv ist, im entgegengesetzten Falle ist e=0. Setzt man „_,=n, so wird A— g=indn, mod. A 1, setzt man ferner y,_o4.—=n, sowird A—og+n=indn, mod.% 1, also indn’ = indn, mod.%, also wenn man von der in Beziehung auf A zu nehmenden Summe nur diejenigen Glieder beibehält, für welche = nicht gleich 0, son dern gleich 1 ist, so hat man:

de (G.) Y(w) = w? z; (wind; DL ind; DL wind),

welche Reihe, wenn v, grade ist, bis zu dem Gliede wird), und wenn v, ungrade ist, bis zum Gliede wind(2) fortzusetzen ist.

Die nothwendige Bedingung dafür, dafs die zusammengesetzte Kreistheilungseinheit E(«) eine gte Potenz einer Einheit sei, wel- che oben darauf zurückgeführt ist, dafs die Coöfficienten C/, alle congruent Null, mod. p, sein müssen, stellt sich demnach dar, als:

“—1 (H.) Y(w).2,x,w*, mod. g, 0 welche Congruenz für jeden Werth der Wurzel w der Gleichung

Ol ae = (0

Statt haben muls. Es folgt hieraus, dafs wenn Y(w) keinen com-

plexen (idealen) Primfaktor des q enthält, also die vollständige

Norm NY(w) nicht durch q theilbar ist, nothwendig der andere »—1

Faktor >,x,w” alle complexen Primfaktoren des q enthalten und

0)

876 Gesammtsüzung

folglich durch q theilbar sein mufs, für jeden der «— ı Werthe des w. Die aus den Wurzeln w der Gleichung w""! + w"? +...

RA—1 +w+1= 0 gebildete complexe Zahl Z, x, w*, welche vermittelst 0

dieser Gleichung auf den »— 2ten Grad erniedrigt wird, kann aber nicht für alle Wurzeln ww congruent Null sein, nach dem Mo- dul g, wenn nicht die »— ı Coöfficienten x Be ee 24-2 %,_, einzeln congruent Null sind, oder, was dasselbe ist, wenn nicht die Exponenten x, 21, ... &,_ı Alle einer und der- selben Zahl congruent sind, für welche man auch die Null nehmen

kann, weil man einen beliebigen derselben gleich Null setzen kann. Also:

„Wenn die Einheit Be) ee) ee)... oe

„eine gte Potenz einer anderen, fundamentaleren Ein- „heit ist, so dafs die Exponenten x, x, der

(N) „Kreistheilungseinheiten nicht alle congruent Null sind, „nach dem Modul qg, wenn einer derselben 0 ge- „nommen wird, so muls die complexe Zahl Y(w) einen „complexen (idealen) Primfaktor von g enthalten und „demgemäls die vollständige Norm von Y(w) durch q „theilbar sein.

Hieraus folgt sodann unmittelbar der Satz:

„Eine ungrade Primzahl g kann nicht Theiler des zwei- „ten Faktors der Klassenzahl sein, wenn nicht die

(VL) „eomplexe Zahl Y(w) einen complexen Primfaktor von „q enthält, also die vollständige Norm von Y(w) durch „g theilbar ist.

Wenn die für die Theilbarkeit des zweiten Faktors der Klas- senzahl durch die Primzahl q nothwendige, aber nicht hinreichende Bedingung erfüllt ist, dafs Y(w) einen idealen Primfaktor von q enthält, so kann der Fall eintreten, dafs dieser Primfaktor des q in Y(w) nicht für die primitiven Wurzeln w der Gleichung w* —=1ı vorhanden ist, sondern für gewisse nicht primitive Wurzeln, wel- che der Gleichung niederen Grades w’* 1 angehören, wo m ein Factor von a ist. Es sei » = mm’ und die Norm von Y(w'), für

vom 1. December 1870. 877

alle primitiven Wurzeln der Gleichung w”“ = 1 sei durch q theil- bar, so zeigt die Congruenz

k—1 Ylw). >, z,u® = 0, mod.g,

|

dafs für alle diejenigen Werthe des w, für welche Y(w) keinen A—1

complexen Primfaktor des q enthält, 3, x, w* congruent Null sein 0

mufs, nach dem Modul g. Es sind dies die Werthe des w, wel-

che der Gleichung w””' 1 genügen, ohne der Gleichung w" = 1

zu genügen, also die Werthe des w, welche der Gleichung

1 me a an Ir um em... Logan 09 = W

genügen. Hieraus schliefst man, dafs

PM—1 Now = (1 +w" + wre + we") F(w) ()

sein mufs, wo /(w) nur bis zum Grade m 1 in w aufsteigt

und hieraus folgert man weiter, dafs & = Lt m = Ürrmer = Ye (m—1)an? mod. vb)

sein mufs. Man hat daher folgenden Satz:

„Wenn die complexe Zahl Y(w) nicht für die primiti- - „ven Wurzeln w der Gleichung w* = 1, sondern für „die primitiven Wurzeln der Gleichung w” = 1, wo „a = mm, einen idealen Primfaktor von g enthält, so (V1.) „kann die fundamentalere Einheit, deren gte Potenz „sich als Produkt von Potenzen der Kreistheilungsein-

„beiten ausdrücken läfst, nur die m Perioden von je

„2m’ Gliedern der Wurzeln der Gleichung «* = 1 ent-

„halten.

Ein einfaches Beispiel für den Fall, wo der zweite Faktor der Klassenzahl nicht gleich Eins ist, ist = 229. Für diesen Werth des ?* haben schon die aus den zwei Perioden von je 114 Gliedern gebildeten complexen Zahlen drei verschiedene Klassen,

878 Gesammtsitzung

welche durch die drei verschiedenen quadratischen Formen a +ay—57y?, 30° + a2y— 19y? und 30° 2y 19y? reprä- sentirt werden. Der zweite Faktor der Klassenzahl mufs darum für A = 229 durch drei theilbar sein. Bezeichnet man die beiden je 114 Glieder enthaltenden Perioden mit und x,, so findet man die aus der Entwickelung des Produktes e 69 &4 *... E19 Zu bildende Kreistheilungseinheit gleich

1823 + 2264 = (8 + y)}.

Die vollständige Norm der complexen Zahl Y(w) ist hier in der That durch 3 theilbar, da für den Werth w—= ı Y(w) = 6 wird. Die fundamentalere Einheit 8 + 7, deren dritte Potenz sich durch die Kreistheilungseinheit ausdrücken läfst, enthält auch, wie der letzte Satz es verlangt, nur die 2 Perioden von je 114 Glie- dern.

Der Werth % = 257 giebt ein zweites Beispiel derselben Art, wo der zweite Faktor der Klassenzahl durch 3 theilbar ist.

Ein Beispiel anderer Art giebt A —= 163. Dasselbe ist darum besonders bemerkenswerth, weil hier nicht wie im vorigen Beispiele die quadratische Form, sondern die ceubische Form, in welche die Normform gesetzt werden kann, bewirkt, dafs der zweite Faktor der Klassenzahl nicht gleich Eins ist, sondern durch Zwei theilbar. Für %= 163 und für die primitive Wurzel y=70 des Canon arithmeticus erhält man den Werth der bei (E.) gegebenen com- plexen Zahl Y(w):

1 +w zu + w wi wi L yl4 + w!6 + wi8 + w19 + wi + w3 + w4 + w2 YW)=wT} + 3% + 31 + 35 + 38 + wit 4 1046 + w!7mod.2 + wel + 052 + w55 + w58 + w59 + wel 62 + wi? + wit + w65 + W664 WET + WTA 16

wo w eine beliebige primitive oder nicht primitive Wurzel der Gleichung w®l = ı ist. Nimmt man nun für w eine dritte Wur- zel der Einheit, so dafs = 1 ist, so erhält man

vom 1. December 1870. 879

YWw)=13+11w-+ 11w?,, mod. 2,

also

L(w)=o, mod.2.

Es sind also hier die beiden nothwendigen Bedingungen der Theil- barkeit des zweiten Faktors der Klassenzahl durch 2 erfüllt, dafs Y(w) einen complexen Faktor von 2 enthalte, und dafs Y(w-!) eben denselben enthalte. Der zweite Faktor der Klassenzahl kann also für X = 163 durch 2 theilbar sein. Dafs dies auch wirklich der Fall ist, wird nun aus der Betrachtung der Kreistheilungsein- heiten nachgewiesen, welche in der That als Quadrate von funda- mentaleren Einheiten sich darstellen. Diese Einheiten können hier, nach dem oben bewiesenen Satze (VII.) nur die drei Perioden von je 54 Gliedern enthalten. Werden dieselben, nach der primitiven Wurzel y = 70 geordnet, mit 4, Yı, %a bezeichnet, so hat man für die Rechnung mit denselben die Formeln

„= 544204 4169, + 17%, , 7Yı = 164, 1, 1 217,, 192. = Ivy 2lyı 4 1l6n,.

Als das System der unabhängigen Kreistheilungseinheiten kann hier gewählt werden:

k k =’ +0”,

Bildet man ’run das Produkt BR=—0.e,.e.

... erg 5)

so erhält man nach Ausführung der Multiplikation, die aus den 3 Perioden von je 54 Gliedern gebildete Kreistheilungseinheit

E—= 26897 6241 49%, 9

welche, wenn ihre conjugirten mit EZ, und E, bezeichnet werden,

EEE, =-+1

880 Gesammtsitzung

giebt. Die nothwendige und zugleich auch hinreichende Bedingung dafür, dafs für A = 163 der zweite Faktor der Klassenzahl durch 2 theilbar sei, ist nun die, dafs die zusammengesetzte Kreisthei- lungseinheit

Er. Erı 222

gleich einem Quadrate einer Einheit sei, für irgend welche Werthe der £,&%ı,%3, welche nur gleich 0 oder 1 zu nehmen sind. Es

ist aber hier schon E selbst ein vollständiges Quadrat, denn man

hat

an 000, A ee

wie vermittelst der Formeln für die Multiplikation der Perioden leicht nachgewiesen wird.

Für ?} = 163 ist also der zweite Faktor der Klassenzahl durch Zwei theilbar und man hat in diesem Falle die Einheiten 5 + r, 5-+r,,5-+7,, welche fundamentaler sind, als die Kreistheilungs-

einheiten.

Ein anderes Beispiel dieser Art, wo die kubische Form be- wirkt, dafs der zweite Faktor der Klassenzahl durch Zwei theil- bar ist, giebt'A = 937.

vom 1. December 1870. 81

Hr. Kronecker knüpfte an den Vortrag des Hrn. Kummer die folgende Auseinandersetzung einiger Bigenschaften der Klassenanzahl idealer complexer Zahlen.

Eines der hauptsächlichsten theoretischen Resultate in der so- eben vorgetragenen Abhandlung ist der Satz, dafs der zweite Fak- tor der Klassenzahl idealer aus Aten Wurzeln der Einheit gebilde- ter Zahlen nur‘ dann durch Zwei theilbar sein kann, wenn auch der erste Faktor durch Zwei theilbar ist. Als mir mein Freund Kum- mer vor einiger Zeit diesen Satz mittheilte und die offenbare Ana- logie desselben mit seinem älteren, die Theilbarkeit der beiden Faktoren der Klassenzahl durch ? betreffenden Satze hervorhob, suchte ich mir nähere Aufklärung darüber zu verschaffen, warum grade die Zahl Zwei in dem Kummerschen Satze eine Rolle spielt. In diesem Sinne bemühte ich mich zuvörderst die in dem Satze enthaltenen Eigenschaften der beiden Faktoren der Klassenzahl un- mittelbar aus deren Definition herzuleiten, oder wenigstens ohne, wie es in dem Kummerschen Beweise geschieht, die entwickelten Ausdrücke der beiden Faktoren zu benutzen. Da der zweite Fak- tor der Klassenzahl selbst als Klassenzahl der aus zweigliedrigen Perioden gebildeten complexen Zahlen definirt werden kann, so ist der erste Faktor als Quotient zweier Klassenzahlen bestimmt. So- bald es mir nun gelungen war auf diese Definition einen Beweis des Kummerschen Satzes zu gründen, erkannte ich sogleich, dafs die dabei angewendete Methode nicht auf zweigliedrige Perioden beschränkt, sondern auf beliebige Perioden anwendbar ist, und dafs alsdann in dem Kummerschen Satze an Stelle der Zahl Zwei die Primfaktoren der Gliederzahl der Periode auftreten. Ich erkannte ferner, dafs der Satz in allgemeinerer Fassung nicht blos für com- plexe aus Aten Wurzeln der Einheit gebildete Zahlen, sondern für beliebige complexe Zahlen gilt, sobald nur hierfür der Begriff der idealen Zahlen resp. der verschiedenen Klassen derselben festge- stellt ist. Die Entwickelung dieser Begriffe bildet die Grundlage eingehender und umfassender Untersuchungen, welche ich schon vor langer Zeit, nämlich vor etwa dreizehn Jahren, über die Theo- rie der allgemeinsten complexen Zahlen und der damit zusammen- hängenden in Linearfaktoren zerlegbaren Formen angestellt und deren Hauptresultate ich damals meinen mathematischen Freunden mitgetheilt habe. Obgleich ich darüber bisher, durch andere Ar-

832 Gesammtsitzung

beiten in Anspruch genommen, noch nichts veröffentlicht habe, will ich dennoch die vorliegende Frage für den Fall beliebiger com- plexer Zahlen erörtern, weil bei dieser allgemeineren Behandlung die wesentlichen Gesichtspunkte klarer hervortreten.

Se

In den Artikeln 305 und 306 der „Disquisitiones arithmeticae“ hat Gaufs eine Anordnung der verschiedenen Klassen quadratischer Formen auf die Theorie der Composition gegründet und Hr. Sche- ring hat neuerdings der weiteren Ausführung dieses Gegenstandes eine Arbeit gewidmet, welche im XIV. Bande der Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen ver- öffentlicht ist und namentlich, wie es auch der Titel angiebt, eine sachgemäfse Aufstellung von „Fundamentalklassen“ zum Zwecke hat. Die überaus einfachen Prinzipien, auf denen die Gaufs’sche Me- thode beruht, finden nicht blos an der bezeichneten Stelle, sondern auch sonst vielfach und zwar schon in den elementarsten Theilen der Zahlentheorie Anwendung. Dieser Umstand deutet darauf hin, und es ist leicht sich davon zu überzeugen, dafs die erwähnten Prinzipien einer allgemeineren, abstrakteren Ideeensphäre angehören. Deshalb erscheint es angemessen die Entwickelung derselben von allen unwesentlichen Beschränkungen zu befreien, sodals man als- dann einer Wiederholung derselben Schlufsweise in den verschie- denen Fällen des Gebrauchs überhoben wird. Dieser Vortheil kommt sogar schon bei der Entwickelung selbst zur Geltung und die Darstellung gewinnt dadurch, wenn sie in der zuläfsig allge- meinsten Weise gegeben wird, zugleich an Einfachheit und durch das deutliche Hervortreten des allein Wesentlichen auch an Über- sichtlichkeit. -

Es seien 6', 6", 6"', ... Elemente in endlicher Anzahl und so beschaffen, dafs sich aus je zweien derselben mittels eines bestimm- ten Verfahrens ein drittes ableiten läfst. Demnach soll, wenn das Resultat dieses Verfahrens durch f angedeutet wird, für zwei be- liebige Elemente # und 5", welche auch mit einander identisch sein können, ein #"' existiren, welches gleich: f (5, 6") ist. Über- dies soll:

vom 1. December 1870. 883

I (0, 0) nee, 6) = Fl, ) , e”)

und aber, sobald 6” und 6”' von einander verschieden Sind, auch: f(@, 6”) nicht identisch mit f(#, 6”)

sein. Dies vorausgesetzt, kann die mit f(#, 9”) angedeutete Ofpe- ration durch die Multiplikation der Elemente $#' 6" ersetzt werden, wenn man dabei an Stelle der vollkommenen Gleichheit eine blofse Äquivalenz einführt.') Macht.man von dem üblichen Äquivalenz- zeichen: Gebrauch, so wird hiernach die Äquivalenz:

G, g" ao gr" durch die Gleichung: fe, 6") = gr

definirt. Da die Anzahl der Elemente 9, welche mit n bezeich-

net werden möge, als endlich vorausgesetzt ist, so haben dieselben folgende Eigenschaften:

I. Unter den verschiedenen Potenzen eines Elementes 9 giebt es stets solche, die der Einheit äquivalent sind. Die Exponenten aller dieser Potenzen sind ganze Viel- fache eines derselben, zu welchem wie ich mich aus- drücken werde das betreffende 8 gehört.

Il. Gehört irgend ein 8 zum Exponeuten v, so gehören auch zu jedem Theiler von v gewisse Elemente 4.

III. Wenn die beiden Exponenten e und s, zu denen resp.

die Elemente 6’ und 6” gehören, relative Primzahlen sind, so gehört das Produkt #. 6" zum Exponenten e0.

Er Ten, die kleweis Zeil, welehe die sänmtlichen Rx. ponenten als Theiler enthält, zu denen die n Elemente 9 gehören, so giebt es auch Elemente, welche zu n,

') Anstatt der Multiplikation kann auch die Addition gebraucht wer- den, welcher Gaufs bei Einführung einer Symbolik für die Composition der

quadratischen Formen aus leicht erkennbaren Gründen den Vorzug gege- ben hat.

554 Gesammtsitzung

selbst gehören. Denn, wenn r, in seine Primfaktoren zerlegt gleich: p* g’r?... ist, so giebt es nach II. Elemente 6' die zu p“, ferner Elemente #" die zu g°, Elemente 6” die zu r? etc. gehören, und das Produkt: 6.6". 8”... gehört alsdann nach III. zu: p°.g®.r?... d. h.izum,.

Der hier mit n, bezeichnete Exponent ist der gröfste von al- len, zu denen die verschiedenen Elemente $ gehören; zugleich ist n, ein ganzes Vielfache von jedem dieser Exponenten und es fin- det demnach für jedes beliebige 8 die Äquivalenz: #*ı co1 statt. |

Gehört 8, zum Exponenten n,, so läfst sich der Begriff der Äquivalenz dahin erweitern, dafs zwei Elemente 6' und 6" als „re lativ äquivalent“ angesehen werden, wenn für irgend eine ganze Zahl k:

br. 6% co 8"

ist. Das Äquivalenzzeichen oo bleibt hier, wie im Folgenden, für den früheren engeren Begriff der Äquivalenz reservirt. Sondert man nun aus sämmtlichen Elementen $ ein vollständiges System solcher aus, die untereinander nicht relativ äquivalent sind, so ge- nügt dasselbe den für das System sämmtlicher Elemente 8 oben aufgestellten Bedingungen und besitzt daher auch alle daraus abge- leiteten Eigenschaften. Es existirt also namentlich eine der Zahl n, entsprechende Zahl n;, welche so beschaffen ist, dafs die n;te Potenz eines jeden 6 relativ äquivalent Eins ist, und es existiren ferner Elemente @,, für welche keine niedrigere als die n,te Po- tenz der Einheit relativ äquivalent wird. Da für jedes Element A 6 die Äquivalenz: 8*ı co 1 stattfindet und also a fortiori 9%ı auch relativ äquivalent Eins ist, so muls nach I. die Zahl n, ein Viel- faches von n, sein. Ist nun

02 k co.

«u

und erhebt man die Ausdrücke auf beiden Seiten zur Potenz:

n 1 re , so erhält man, wenn = m gesetzt wird, die Äquivalenz: Na Ng

mnq , O2 Ir

vom 1. December 1870. 855

aus welcher, da d, zum Exponenten n, gehört, unmittelbar folgt, dals m ganz und also k ein Vielfaches von n, sein muls. Es giebt demnach ein Element d,, definirt durch die Äquivalenz:

m

dessen n,te Potenz nicht blos relativ, d. h. im weiteren Sinne, sondern auch im engeren Sinne der Einheit äquivalent ist und welches (im zwiefachen Sinne des Wortes) zum Exponenten n, gehört.

Indem man nunmehr je zwei Elemente 6', 6” als relativ äqui- valent ansieht, für welche:

RZ

ist, gelangt man zu einem dem Elemente #, entsprechenden 05 welches zum Exponenten n;, einem Theiler von n;, gehört u. s. f. und man erhält auf diese Weise ein „Fundamentalsystem“ von Elementen: 6,,0,,03,..., welches die Eigenschaft hat, dafs der Ausdruck:

h Rh h Ua ee Bra 1,2% I, 0. ,)

im Sinne der Äquivalenz sämmtliche Elemente $ und zwar jedes nur ein Mal darstellt. Dabei sind die Zahlen Di Wo Dann aaa zu denen resp. 8,,#,,9,,... gehören, so beschaffen, dafs jede der- selben durch jede folgende theilbar ist, das Produkt: n,n; Malııe ist gleich der mit n bezeichneten Anzahl sämmtlicher Elemente e, und diese Zahl n enthält demnach keine anderen Primfaktoren als diejenigen, welche auch in n, enthalten sind.

‚Wenn man unter den Elementen $ ein System von nicht äqui- valenten idealen Zahlen oder ein System von nicht äquivalenten zusammensetzbaren arithmetischen Formen versteht, so fällt die hier entwickelte Darstellung sämmtlicher Elemente 6 durch ein Produkt von Potenzen ausgewählter Elemente 6, ,9,,6,,... voll- ständig mit derjenigeu zusammen, welche sich in der oben erwähn- ten Abhandlung des Hrn. Schering angegeben findet.

886 Gesammtsitzung

Sa

Wenn #&(2) = 0 und ® (x) = 0 irreduktible ganzzahlige Glei- chungen der Grade und # bedeuten, von denen die erstere un- ter Adjunction einer Wurzel der letzteren reduktibel wird, so las- sen sich die m Wurzeln der Gleichung %(2) = 0 in %# Gruppen sondern, deren jede einer der » Wurzeln von ®(x) 0 entspricht. Bezeichnet man demgemäls (m = um gesetzt) mit:

Wn,k (Ri, 2, 0.. Ka 1525 u) die am Wurzeln von $(x) = 0 und mit: en (h = 15 2, ... k)

die Wurzeln von ®(x) = 0, so ist, insofern der Co£fficient von zit in &(x) und der Coöfficient von «* in ®(x) gleich Eins vorausge- Setzt wird:

m ıl @—- 07) = 8) ; r 9.) = ®(a) und ferner:

nl une) = Zoe So,)e

wo die Co£fficienten der mit F bezeichneten ganzen Function mten Grades von x rationale Functionen von £, Sind, und die Buchsta- ben Ak wie überall im Folgenden resp. die Werthe: 1,2,...u und 1,2,...m annehmen. Ferner ist o, eine rationale Function von w;,, und zwar so, dafs eine und dieselbe Gleichung:

Er Ten, x)

für alle Werthe von % besteht. Dies vorausgeschickt läfst sich eine Theorie ganzer complexer in w rationaler Zahlen f(w) auf- stellen, unter welchen auch die in < und also auch in w rationalen Coefficienten von F(x) enthalten sind. Alsdann sind auch die Partialnormen:

11 Fon, ’) k

ganze complexe Zahlen /(»), und man kann demgemäfs aus irgend einem System nicht äquivalenter idealer Zahlen /(w) diejenigen

EEE

55

vom 1. December 1870. 8837

aussondern, welche Partialnormen der bezeichneten Art äquivalent sind. Diese mögen, da die Partialnormen wirklicher Zahlen /(«) rational in 9 sind, mit (ge) und die nach den Bestimmungen des $. 1 ausgewählten fundamentalen mit:

Pi (2) » Pa (>) » Pa (e)

bezeichnet werden; auch möge in dem dort erläuterten Sinne des Wortes $, zum Exponenten v,, d, zum Exponenten v, u.s, f£. gehören.

Erweitert man den Begriff der Äquivalenz für die idealen Zahlen in » dahin, dafs f’(w) und f”(w) als „relativ äquivalent“ angesehen werden, wenn im engeren Sinne die Äquivalenz:

Fe) O8 PL).f'(«)

stattfindet, so existirt nach dem Inhalte des $. 1 auch ein System fundamentaler idealer Zahlen:

Jı(e@) ; F: (») F: (») » 009

welche im Sinne der relativen Äquivalenz resp. zu den Exponen- ten n,,n3,n;,... gehören. Hiernach sind die sämmtlichen im ursprünglichen engeren Sinne des Wortes unter einander nicht äquivalenten Zahlen /(w) in dem Ausdrucke:

Pi ()* 1 Sn (w)@ı B P2(e)*2. fr (w)@2. PD GO) 32h (z)®3 Br

enthalten, wenn man darin den Exponenten «, a der Reihe nach die Werthe:

eu —1,2,...01 5.8 —1,;,2,...05 5 etc.

a 2en, aa 1,02, Jun; etc: beilegt. Die Klassenzahl für die complexen Zahlen f(w) ist also, wenn:

Nn=N,.N2.N3 eo, v—Vj1.V9.V5 te

gesetzt wird, genau gleich n.v, und jeder dieser beiden Faktoren n und v hat auch für sich die Bedeutung einer Klassenzahl. [1870] | 61

8835 Gesammtsitzung

Nach der obigen Definition der Zahlen $ (2) ist jede dersel- ben der Partialnorm einer Zahl /(w) äquivalent, und es sei dem-

gemäls:

(la) fon) .

Auf Grund der festgesetzten Bedeutung von n, muls andrerseits eine ideale Zahl (>) existiren, für welche

end ® Plen)

ist und also, wenn auf beiden Seiten die Partialnorm gebildet wird: n » m PO dl".

Ist nun der grölste gemeinsame Theiler von m und v, und er- hebt man die Ausdrücke auf beiden Seiten der Aquivalenz zur

I 1 ° 9 : © SR o o Potenz: —, so wird die rechte Seite der Einheit äquivalent, weil

+

mv

der Exponent: ein ganzes Vielfache von v, ist. Es muls

demnach auch die linke Seite der Einheit äquivalent also auch:

Nnı a Er ein Vielfaches von v, d.h.

b

n, durch r theilbar

sein. Da ferner nach Inhalt des $.1 die Zahl v keine andern Primfaktoren enthält als v,, so mufs die Zahl n, und folglich auch die durch n, theilbare Zahl n jeden Primfaktor enthalten, welcher den beiden Zahlen m und v gemeinsam ist. Die hiermit erlangten Sätze lassen sich folgendermalsen aussprechen:

Es sei » Wurzel einer irreduktibeln Gleichung mten Grades, deren Coöfficienten ganze complexe Zahlen ® (2) sind, wobei der Ausdruck „irreduktibel“ also im Sinne eben dieser complexen Zahlen zu verstehen ist. Als- dann ist die Klassenzahl für complexe Zahlen /(»), welche die Zahlen ıp(z) mit in sich begreifen, ein Pro- dukt zweier Faktoren, von denen der eine die Klassen- zahl für die Zahlen (p(>) bedeutet. Jeder in diesem

Faktor enthaltene Primtheiler von m ist auch in dem 1

andern Faktor enthalten. Wenn es ferner ideale (nicht

vom 1. December 1870. 889

wirkliche) Zahlen «(g) giebt, deren mte Potenz wirk- lich ist, so giebt es auch unter denjenigen idealen Zah- len f(»), welche keiner Zahl P(e) Äquivalent sind, sol- che, deren mte Potenz einer Klasse der Zahlen Ple) angehört. Ist endlich d irgend ein Divisor von m, für welchen eine ideale Zahl P(e) zur dten Potenz er- hoben wirklich wird, ohne dafs dies schon für eine nie- drigere Potenz der Fall wäre, so giebt es auch ideale Zahlen ff), die so beschaffen sind, dafs die dte Po- tenz derselben, aber keine niedrigere, einer der idealen Zahlen p(g) äquivalent wird.

Die angegebenen Sätze lassen sich unmittelbar auf die ans Wurzeln der Einheit gebildeten complexen Zahlen anwenden, wenn man für w eine primitive Wurzel der Gleichung = 1 und für e eine der Perioden nimmt, welche aus den Wurzeln dieser Glei- chung gebildet werden können. Die Gliederzahl der Perioden ist alsdann gleich dem oben mit m bezeichneten Grade einer irreduk- tibeln Gleichung, deren Wurzeln gewisse Potenzen von w, deren Coöfficienten aber rationale Functionen einer Periode e sind, und der Fall des im Eingang erwähnten Kummerschen Satzes tritt ein, wenn für ?. eine Primzahl und m = 2 angenommen wird.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: Jahrbuch der K. K. Geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1870. 20. Bd. Wien 1870. 8. Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen naturwissenschaftlichen Ge- sellschaft während des Vereinsjahres 1868—69. St. Gallen 1869. 8. C. G. Homeyer, Die Haus- und Hofmarken. Berlin 1870. 8. Colnet d’Huart, Memoire sur la theorie malhematique de la chaleur et de la lumiere. Luxembourg 1870. A. Colding, Extrait d'un Memoire sur les lois des courants. (Copenhague ro Memorie del veale Istituto veneto. XV... 1. VMenezia2.1870. 4. 61

890 Gesammtsitzung vom 8. December 1870.

Atti del reale Istituto veneto Disp. 7—9. Venezia 1869—70. 8.

Journal and Proceedings of the Asiatie Society of Bengal. Calcutta, Mai June 1870. 8.

Transactions of the Edinburgh Geological Society. Vol. I, 3. Edinburgh 1870. 8

Silliman, Journal of science. no. 147. New Haven 1870. 8.

5.December. Sitzung der physikalisch-mathemati- schen Klasse.

Hr. Reichert las eine Fortsetzung seiner am 4. August ge- lesenen Abhandlung über das Skelett der Wirbelthiere, namentlich über Myxinoiden, Leptocephaliden, knorpliche Ganoiden, Protopte- rus anguilliformis und über Chimären.

8. December. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Droysen las über die Lage der Politik im Anfange des ersten schlesischen Krieges.

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An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt:

Ferd. Römer, Geologie von Oberschlesien. Mit Atlas. Breslau 1870. 8. Mit Begleitschreiben des Verfassers v. 30. Nov. 1870.

Atti della accademia delle scienze di Torino. Vol. 5. Torino 1869. 8.

Publications de la section historique de U’Institut de Luxembourg. Vol. 25. Luxembourg 1870. 4.

Bulletino meteorologico ed astronomico dell’ universita di Torino. Anno IV. Torino 1869. 4. | R

10

Gesammtsitzung vom 15. December 1870. 891

15. December. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Roth las über die Lehre vom Metamorphismus und die Entstehung der krystallinischen Schiefer.

Hr. Kummer trug folgende von den Hrn. Dr. Felix Klein in Düsseldorf und Dr. Sophus Lie in Christiania ihm zugegan- gene Mittheilung vor:

Über die Haupttangenten-Curven der Kummerschen Fläche vierten Grades mit 16 Knotenpunkten.

Die Kummersche Fläche vierten Grades mit 16 Knotenpunk- ten ist bekanntlich’) für einfach unendlich viele Complexe des zweiten Grades Sigularitätenfläche, d. h. diejenige Fläche, welche der geometrische Ort ist für solche Punkte, deren Complexkegel in zwei Ebenen zerfallen ist, oder, was auf dasselbe hinauskommt, die umhüllt wird von solchen Ebenen, deren Complex-Ourve sich in zwei Punkte aufgelöst hat. Die Betrachtung dieser Complexe zweiten Grades führt fast unmittelbar zu der Bestimmung der Haupttangenten-Curven der Fläche, wie im Nachstehenden gezeigt werden soll.

1. Aus der einfach unendlichen Zahl der zu der Fläche ge- hörigen Complexe zweiten Grades heben wir einen heraus.

Die demselben innerhalb einer Tangentialebene der Fläche entsprechende Complex-Curve hat sich in zwei Punkte aufgelöst. Diese beiden Punkte sind diejenigen, in denen die in der Tangen- tialebene enthaltene Durchschnitts-Curve vierter Ordnung mit der Fläche von einer bestimmten, durch den Berührungspunkt gehen- den Geraden, die dessen zugeordnete singuläre Linie genannt wird, noch aufser in diesem Berührungspunkte geschnitten wird.

I) cf. Pluecker: Neue Geometrie des Raumes, gegründet auf die Be- trachtung der geraden Linie als Raumelement. (B. G. Teubner 1868, 69.) n. 310 ff. Vergl. auch, hier und im Folgenden, Klein: Zur Theorie der

- Complexe des ersten und zweiten Grades. Math. Ann. II, 2.

892 Gesammtsitzung

Man kann nun nach denjenigen Punkten der Fläche fragen, deren zugeordnete singuläre Linie eine Haupttangente der Fläche ist. Die übrigen Tangenten der Fläche in einem solehen Punkte gehören offenbar auch dem Complexe an. Andererseits sind diese Complexgeraden die einzigen, welche die Fläche berühren, ohne zugleich singuläre Linien des Complexes zu sein. Betrachten wir nun in einer beliebigen Ebene den Complex-Kegelschnitt und die Durchschnitts-Curve vierter Ordnung mit der Fläche. Dieselben berühren sich in vier Punkten, und die Tangenten in diesen Punk- ten sind die in der Ebene gelegenen singulären Linien.') Aufser diesen doppelt zu zählenden Tangenten haben die beiden Curven, als bez. von der 2ten und der 12ten Classe, noch 16 Tangenten gemein. Die Berührungspunkte derselben mit der Durchschnitts- Curve vierter Ordnung sind Punkte der gesuchten Beschaffenheit.

Die Punkte der Kummerschen Fläche, deren zuge- ordnete singuläre Linien Haupttangenten der Fläche sind, bilden also eine Curve der l16ten Ordnung.

2. Die so bestimmte Curve ist nun eine Haupttan- genten Curve der Fläche.

Zum Beweise bemerken wir zunächst, dafs zwischen den durch eine Complexlinie, welche nur keine singuläre Linie sein darf, hindurchgelegten Ebenen und den Berührungspunkten der in den- selben enthaltenen Complex-Curven mit der Linie projectivisches Eintsprechen Statt findet. Hieraus schliefst man, dafs einer unend- lich kleinen Verschiebung des Punktes auf der Linie eine Drehung der Ebene entspricht, deren Gröfse von derselben Ordnung des Unendlich-Kleinen ist.

Nun ist die Verbindungslinie zweier consecutiver Punkte der eben bestimmten Curve eine Complexlinie, ohne zugleich singuläre Linie desselben zu sein. Die beiden Tangentialebenen in den bei- den Punkten enthalten dem Complexe angehörige Strahlbüschel, deren Scheitel diese Punkte sind. Die beiden Tangentialebenen sind also zwei Ebenen, deren Complex-Curven die angenommene Tangente in zwei consecutiven Punkten berühren. Hieraus folgt, nach der vorstehenden Bemerkung, dafs, wenn man auf der Curve

!) Pluecker: Neue Geometrie. n. 318.

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vom 15. December 1870. 893

fortschreitet, die Tangentialebene der Fläche sich um die Tangente der Curve dreht.

Das aber ist die characteristische Eigenschaft der Haupttan- genten-Curven einer Fläche; unsere Behauptung ist also erwiesen.

Da der Begriff der Haupttangenten-Curve, sowie der des Com- plexes, sich selbst dualistisch ist, folgt, dafs die dualistisch entge- genstehenden Singularitäten der Curve einander gleich sind. Ins- besondere ist ihre Olasse gleich ihrer Ordnung, also gleich 16.

Da ferner die Curve sich selbst dualistisch in einziger Weise durch den Complex bestimmt ist, geht sie, wie dieser, durch ein System linearer, sowie reciproker Transformationen in sich über.') Man schliefst hieraus eine Reihe von Eigenschaften derselben, die wir hier nicht weiter verfolgen können.

38. Auf die auseinandergesetzte Weise erhalten wir einem je- den der einfach unendlich vielen Complexe zweiten Grades, die zu derselben Kummer’schen Fläche gehören, entsprechend eine Haupttangenten-Curve. Hiermit hat man aber alle Haupttangen- ten-Curven, wofern nicht etwa Umhüllungs-Curven derselben exi- stiren, da man für jeden Punkt der Fläche einen der Complexe angeben kann, ‘der die eine oder die andere der beiden Haupttan- genten in demselben zur singulären Linie hat.

Unter den zu der Fläche gehörigen Complexen zweiten Gra- des befinden sich sechs, doppelt zu zählende, lineare Complexe. Als die singulären Linien derselben sind die Doppeltangenten der Fläche anzusehen, so zwar, dals jedem der sechs Complexe eines der sechs von den Doppeltangenten gebildeten Systeme angehört. Entsprechend diesen Complexen gibt es sechs ausge- zeichnete Haupttangenten-Gurven. Dieselben sind, wie sich durch dieselben Betrachtungen ergibt, durch die wir Ordnung und Classe der allgemeinen Curve bestimmt haben, nur noch von der Sten Ordnung und der Sten Ülasse.

3. Wir gehen jetzt dazu über, die Singularitäten der Haupt- tangenten-Curven zu bestimmen. Hierzu gelangen wir, indem wir der allgemeinen "Theorie solcher Curven die folgenden Sätze ent- lehnen.

1!) c£. die bereits citirte Abhandlung: Zur Theorie etc. n. 13.

894 Gesammtsitzung

Die Haupttangenten-Curven einer beliebigen Fläche haben in den Knotenpunkten derselben Spitzen.

Überhaupt haben sie Spitzen in den Punkten der parabolischen Curve, vorausgesetzt, dafs diese nicht selbst Haupttangenten-Curve ist. In dem letzteren Falle ist sie Umhüllungs-Curve für die übri- gen Haupttangenten-Curven. Dies gilt besonders, wenn die para- bolische Curve aus ebenen Berührungs-Curven besteht.

Ferner haben die Haupttangenten-Curven in den Durchschnitts- punkten mit der Curve vierpunktiger Berührung stationäre Tangen- ten, wofern die Curve vierpunktiger Berührung nicht zugleich pa- rabolische Curve ist, was eine besondere Betrachtung verschiedener Fälle verlangt, die wir hier nicht nöthig haben.

Endlich können die Haupttangenten-Curven aufser in den an- gegebenen Fällen keine Spitzen und keine stationären Tangenten haben.

In unserem Falle hat man 16 Knotenpunkte, in denen also die Haupttangenten-Curven Spitzen haben.

Die parabolische Curve, welche von der 32ten Ordnung sein mufs, besteht aus den 16 Berührungskegelschnitten in den 16 Dop- peltangentialebenen der Fläche. Sie ist also Umhüllungs-Curve der Haupttangenten-Curven. Die 16 Ebenen sind dabei stationäre Ebe- nen dieser Ourven, wie dies überhaupt die Ebenen ebener Berüh- rungs-Öurven sind.

Man überzeugt sich nun leicht, dafs die Haupttangenten-Cur- ven in jedem Knotenpunkte nur eine Spitze haben und nur je ein- mal die Doppeltangentialebenen stationär berühren. Die Curve kann nämlich mit der Doppeltangentialebene nur 16 Punkte ge- mein haben; 4 davon kommen auf die stationäre Berührung, und 12 auf die 6 Spitzen in den 6 in der Ebene liegenden Knoten- punkten.

Die Haupttangenten-Curven haben hiernach 16 (in die Knotenpunkte der Fläche fallende) Spitzen und 16 (mit den Doppeltangentialebenen derselben identische) Stationäre Ebenen.

Die Curve vierpunktiger Berührung besteht in unserem Falle einmal aus den 16 Berührungs-Kegelschnitten, die hier nicht wei- ter in Betracht kommen, da sie schon erledigt sind. Andererseits besteht sie aus den sechs ausgezeichneten Haupttangenten-Curven Ster Ordnung, die den 6 linearen Complexen angehören. Es geht

Sn 5

vom 15. December 1870. 895

dies daraus hervor, dafs die singulären Linien dieser Complexe, wie schon angeführt, Doppeltangenten der Fläche sind. Weitere Curven umfafst die Curve vierpunktiger Berührung nicht, da die aufgezählten zusammen die richtige Ordnung, 80, besitzen.

Wir müssen jetzt die Zahl der Durchschnittspunkte einer Haupttangenten-Curve mit den 6 ausgezeichneten bestimmen.

Diese Durchschnittspunkte sind dadurch characterisirt, dafs die vierpunktig berührende Haupttangente eine Linie des Com- plexes zweiten Grades ist, dem die gegebene Haupttangenten-Curve zugehört. Die in den Punkten einer der 6 Curven vierpunktig berührenden Haupttangenten bilden aber eine Linienfläche von der Sten Ordnnng, da der vollständige Durchschnitt derselben mit der Kummerschen Fläche aus der gewählten Curve besteht, welche vierfach zählt. Mit einer solchen Fläche hat aber der Complex zweiten Grades 16 Linien gemein. Man erhält also, jeder der 6 Ourven entsprechend, 16 Durchschnittspunkte. Wir haben somit den Satz: |

Die Haupttangenten-Curven haben 6.16 96 statio- näre Tangenten.

Fügen wir noch hinzu, dafs die Haupttangenten-Curven kei- nen wirklichen Doppelpunkt und also auch keine wirkliche Dop- pel-Osculationsebene besitzen können, da in keinem Punkte der Kummer’schen Fläche, der nicht auf der parabolischen Curve liest, die beiden Haupttangenten demselben Complexe als singuläre Li- nien angehören, so können wir die sämmtlichen Singularitäten der- selben, von denen die dualistisch entgegenstehenden gleich sind, ohne Weiteres bestimmen. Insbesondere finden wir: den Rang 48, die Zahl der scheinbaren Doppelpunkte —= 72, die Ordnung der Doppelcurve der Developpable = 952, das Geschlecht —= 17.

5. Für die 6 ausgezeichneten Haupttangenten-Curven wird die Zahl der Spitzen und stationären Oseulations-Ebenen gleich Null. Eine solche Curve geht nämlich durch jeden der Doppel- punkte einfach hindurch und hat in ihm eine der 6 ihn enthalten- den Doppeltangentialebenen zur Osculationsebene. Man hat sich den stetigen Übergang zwischen den allgemeinen Curven und die- sen besonderen so vorzustellen, dafs die letzteren doppelt zählen und aus der Vereinigung je zweier in einer Spitze zusanımen- stolsender Zweige der übrigen entstanden sin. Darum sinkt Ordnung und. Classe auf die Hälfte. Hiernach mülste auch

896 Gesammtsitzung

der Rang halb so grofs sein, wie der der anderen, also gleich 24. Das aber findet man auch, wenn man die Zahl der stationären Tangenten berechnet. Für dieselbe kommt nämlich jetzt 40, in- dem die Curve jede der anderen nicht mehr 16mal, sondern, weil sie 2mal zählt, nur Smal schneidet, und das nicht 6mal, sondern nur 5mal geschieht.

Wir finden weiter: die Zahl der scheinbaren Doppelpunkte gieich 16, die Ordnung der Doppelcurve der Developpable gleich 200, das Geschlecht gleich 5.

6. Wie man sich die Auf- einanderfolge der Haupttangen- ten-Curven zu denken hat, ist in der nebenstehenden Zeichnung für den Fall, dafs die 6 zuge- hörigen linearen Complexe reell sind, schematisch dargestellt.

In diesem Falle haben näm- lich die Theile der Fläche, für welche die Haupttangenten reell werden, die Gestalt eines von zweiKegelschnittstücken begränz- ten Segmentes, das sich von ei- nem Knotenpunkte nach einem anderen hinzieht. Die beiden be- sränzenden Curvenstücke gehö- ren den Berührungskegelschnit- ten in denjenigen beiden Doppel-

tangentialebenen der Fläche an, welche beide Knotenpunkte zu- gleich enthalten.

Innerhalb eines solchen Segmentes verlaufen nun zunächst zwei der sechs ausgezeichneten Haupttangenten-Curven. Dieselben gehören denjenigen zwei der sechs linearen Gomplexe an, denen in den zwei Knotenpunkten, zwischen denen sich das Segment er- streckt, die beiden dasselbe begränzenden Doppeltangentialebenen entsprechen. Die betreffenden Curven sind in der Figur stärker ausgezogen. Dieselben haben eine Sförmige Gestalt. Sie ziehen sich von dem einen Knotenpunkte zu dem anderen hin, indem sie in jedem eine der beiden Begränzungs-Curven berühren. Aufser

| | |

vom 15. December 1870. 897

in den beiden Knotenpunkten schneiden sich dieselben in einem beiden gemeinsamen Wendepunkte, der den Mittelpunkt der Zeich- nung bildet. Übrigens setzen sich diese Curven über die beiden Knotenpunkte hinaus auf weitere, ähnlich gestaltete Segmente der Fläche fort.

Von den übrigen Haupttangenten-Curven, deren drei gezeich- net sind, weils man, dafs sie in den Knotenpunkten eine Spitze haben, dafs sie jeden der beiden begränzenden Kegelschnitte ein- mal berühren, und dafs sie dort, wo sie, aufser in den beiden Knotenpunkten, die beiden ausgezeichneten Curven treffen, einen Wendepunkt besitzen. Hiernach wird es leicht sein, ihrem Ver- laufe in der Figur zu folgen.

(. Die im Vorstehenden gegebene Bestimmung der Haupt- tangenten-Curven der Kummer’schen Fläche, welche wir an die Betrachtung der zugehörigen Complexe zweiten Grades geknüpft haben, kann noch unter einem anderen Gesichtspunkte gefalst wer- den, indem man von einem der sechs unter denselben befindlichen linearen Complexe ausgeht. Die Fläche ist nämlich Brennfläche eines diesem Complexe angehörigen Strahlensystems: des einen Systems ihrer Doppeltangenten. Wir wollen nun zeigen, dafs das Problem: die Haupttangenten-Curven auf der Brenn- fläche eines einem linearen Complexe angehörigen Strahlensystems zu bestimmen, identisch ist mit dem anderen: die Krümmungs-Curven einer gewissen Flä- che zu finden. In unserem Falle wird diese Fläche die Fläche vierter Ordnung, welche den unendlich weit entfernten imaginären Kreis doppelt enthält; und da man deren Krümmungs-Curven kennt, so erhält man eine Bestimmung der Haupttangenten-Curven der Kummer’schen Fläche, die natürlich mit der oben gegebenen über- einstimmt.

Man beziehe nämlich die Linien des gegebenen linearen Com- plexes eindeutig auf die Punkte des Raumes, indem man, vermöge der gegebenen linearen Gleichung und der zwischen den Linien- Coordinaten bestehenden Identität zwei der sechs Linien-Coordina- ten, die sich auf zwei sich schneidende Kanten des Tetraöders be-

898 Gesammtsitzung

ziehen, als Functionen der vier übrigen auffalst und diese letzte- ren als Punkt-Coordinaten interpretirt.')

Man findet, dafs dann allen Linien des Complexes, welche durch einen Punkt hindurchgehen, die Punkte einer geraden Linie entsprechen, und dafs diese gerade Linie einen festen Kegelschnitt schneidet, der für die Abbildung fundamental ist. Das Strahlen- system, welches dem linearen Complexe mit einem Complexe nten Grades gemein ist, bildet sich ab als Fläche 2nten Grades, wel- che den Kegelschnitt nfach enthält. Insbesondere ist das Bild einer geraden Linie, d. h. der dieselbe schneidenden Complexlinien, eine Fläche zweiten Grades, die durch den Kegelschnitt geht.

Wir wollen fortan für den fundamentalen Kegelschnitt den unendlich weit entfernten imaginären Kreis wählen, so dafs also das Bild einer geraden Linie eine Kugel wird.

Sei jetzt eine beliebige Fläche gegeben und auf derselben eine Krümmungs-Curve. Die Fläche ist das Bild eines dem linearen Complexe angehörigen Strahlensystems, die Curve das Bild einer in demselben enthaltenen geradlinigen Fläche. Wir behaupten, dafs diese geradlinige Fläche die Brennfläche des Strah- lensystems nach einer Haupttangenten-Öurve berührt.

Zum Beweise bemerken wir zunächst, dafs, rückwärts, das Bild dieser Brennfläche dasjenige Strahlensystem ist, dessen Linien gleichzeitig die gegebene Fläche berühren und den unendlich weit entfernten imaginären Kreis schneiden. Einer jeden geraden Linie, welche die Brennfläche berührt, entspricht hiernach eine die gege- bene Fläche berührende Kugel. Imsbesondere entspricht einer Haupttangente eine stationär berührende Kugel.

Eine der beiden in einem beliebigen Punkte der Krümmungs- Curve stationär berührenden Kugeln enthält aber drei consecutive Punkte der Krümmungs-Curve. Also schneidet eine der beiden Haupttangenten der Brennfläche in einem Berührungspunkte mit der umgeschriebenen Linienfläche drei consecutive Erzeugende der- selben, mit anderen Worten, ist eine Haupttangente auch der letz- teren.

1) Dieses Abbildungsverfahren ist bereits gelegentlich von Hrn. Nöther angegeben worden: Zur T’heorie der algebraischen Functionen mehrerer com- plexer Veränderlichen. Gött. Nachrichten 1869.

vom 15. December 1870. 899

Man hat aber allgemein den Satz: Wenn zwei Flächen sich nach einer Curve berühren und in jedem Punkte dieser Curve ist ihnen eine Haupttangente gemeinsam, so ist die Curve eine Haupt- tangenten-ÖOurve.

Damit ist unsere Behauptung erwiesen.

Wenn man nun insbesondere für die gegebene Fläche eine Fläche vierter Ordnung nimmt, die den unendlich weit entfernten imaginären Kreis doppelt enthält, eine solche ist das Bild eines dem linearen Complexe angehörigen Strahlensystems zweiter Ord- nung und Olasse, so erhält man auf diesem Wege die Haupt- tangenten-Öurven der Kummer’schen Fläche, welche die Brennfläche eines solchen Strahlensystems ist.

>

Die in der letzten Nummer enthaltenen Betrachtungen sind es gewesen, durch die der Eine von uns (Lie)'!) zuerst zu der Be- merkung geführt wurde, dafs die Haupttangenten-Curven der Kum- merschen Fläche algebraische Curven der 16ten Ordnung sind; hierauf fand der Andere (Klein) die Beziehung dieser Curven zu den Complexen zweiten Grades, die zu der Kummerschen Fläche gehören, und bestimmte, ‚wie im Vorstehenden auseinandergesetzt ist, ihre Singularitäten.

An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt:

J. Muir, Original - Sanskrit- Texte. Vol. 1. 3. 4. 5. London 1863 1370. 8.

1) vergl. Lie: Über eine Classe geometrischer Transformationen. Be- richte der Akademie zu Christiania. 1870.

900 Gesammtsilzung

19. Decemb. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse.

Hr. Trendelenburg las: Zur Geschichte philosopbischer Termini. Zweiter Beitrag: Moralische Gewilsheit.

22. December. Gesammtsitzung der Akademie.

Hr. Bonitz las: Bemerkungen über Platons Charmides.

Hr. W. Peters legte eine monographische Übersicht der Chiropterengattungen Nycteris und Atalapha vor.

v

I. Nrereriss Geoffroy.

1803. Nycteris Geoffroy, Desmarest Nouv. dict. d’hist. nat. XV. p. 501.

1809. Nyctere Geoffroy St. Hilaire, Deser. de U’ Egypte. Hist. Nat. Mammi- ‚feres. Planche 1. |

1811. NycterisGeoffroy, Illiger Syst. mamm. et avium. p. 119.

1813. Nycteris GeoffroySt.Hilaire, Descer. Mammif. en Egypte. p.113; Ann. du Mus. XX.p.11.

1838. Nycteris et Petalia Gray, Magazine of Zoology and Botany. Il. p. 494.

1866. Nycteris, Nycterops et Pelatia Gray, Proc. Zool. Soc. Lond. p. 83.

Die Organisation der hierher gehörigen Arten ist sehr überein- stimmend, die Verbindungshaut der Ohren immer vorhanden, nur mehr oder minder deutlich, und kann daher aus dem Fehlen oder Vorhanden-

sein derselben ebensowenig wie aus der blofsen Länge der Ohren

vom 22. December 1870. 901

ein Character zur Unterscheidung mehrerer Gattungen entnommen werden, wie dieses von Hrn. Dr. J. E. Gray versucht worden ist. Es sind viel mehr Arten aufgestellt worden, als in der Natur vorhanden sind und die sehr verwickelte Synonymie zu entwirren würde mir ohne Untersuchung der meisten Originalexemplare nicht möglich gewesen sein. Gebifs stets = T ra os Die verschie- dene Entwickelung des zweiten unteren Praemolarzahns bietet ein

beachtenswerthes Merkmal zur Unterscheidung der Arten dar.

a. Ohren so lang oder kaum länger als der Kopf, obere Schneidezähne dreilappig.

l. Nycteris hispida. (Taf. Fig. 1, 2.) 1759. Campagnol-volant, Daubenton, Mem. de U’ Acad. Roy. des Scienc. Paris. p.388. 1763. No. DEDIX. Autre chauve-souris, Daubenton, Buffon Hist. “nat. X.p.88. Taf. 20. Fig. 1.2. 1775. Vespertilio hispidus Schreber, Säugethiere. I. p.169.190. Taf. LVI (cop. Daubenton). 1788. Vespertilio hispidus Gmelin, Linne Syst. nat. ed. XIIL I. p- 48. 1813. Nyeteris Daubentonü, Geoffroy St. Hil aire, Deser. des Mammif. Egypte. p-113; Ann. Mus. XX. p.19. 1820. Nycteris Daubentoniü, Desmarest, Mammalogie. p.128. 1343. Ithinolophus Martini Fraser, Proceed. Zoolog. Soc, Lond. p. 25.

1843. Nyeteris Poensis Gray, Cat. Mamm. Brit. Mus. p.24 (no-

{ men!).

1866. Nycterops pilosa Gray, Proceed. Zool. Soc. Lond. 1866. p. 83. (nomen!)

Diese zuerst durch Adanson von dem Senegal nach Europa gebrachte Art ist später von Fraser aus Fernando Po, von der württembergischen Mission aus Guinea, durch Hrn. J. Un gar aus Accra (Guinea) nach Europa gebracht und durch den ver unglück- ten Hrn. Wilcke in Dongola, sowie durch Hrn. Dr. Schwein- furth inPort Rek (Sudan) gesammelt worden. Die Art, obgleich der Daubentonschen Abbildung und Beschreibung nach wohl zu erken- nen, ist vermuthlich deshalb verkannt worden, weil sich in der zootomischen Sammlung des Jardin des plantes ein Schädel einer Nycteris als „N. hispida“ bezeichnet befindet, welcher einer andern

902 Gesammtsitzung

Art, wahrscheinlich der N. thebaica, angehört, vielleicht auch mit dem von Daubenton |. c. p. 91 unter No. DCDXI. erwähnten identisch ist, während das Originalexemplar von N. hispida sich nicht wieder auffinden läfst. Auch Desmarest hatte sich nach Vergleichung von N. thebaica mit den Originalexemplaren zu den Be- schreibungen von No. DÜDX und DCDXI (Buffon 1. ce. p. 91) be- reits für die Übereinstimmung dieser Exemplare ausgesprochen. Ohrklappe am vordern Rande concav.

Das männliche Exemplar, welches unsere Sammlung aus Ac- cra besitzt und dessen Abbildung ich hier vorzulegen mir erlaube, ist kaum ein wenig kleiner als die Exemplare aus dem Sudan, sein Gebifs aber ganz mit ihnen übereinstimmend.

Mafse eines ausgewachsenen Exemplars aus Port Rek:

Meter Fotallänger 1.0, 2. IT DEN EEE Kopf u. ur td a areas ren UL ee De oe Ohrhöhe: 1.20. EETLLIHTER A. un ae ode Ohrbreite 1 sale 722299 2. HR MDR DIENEN a Et OÖhrklappe.... „nun. aOHBRIERER MEAERNTEE Re DT SE or Schwanz’ 0 ea EN We ee Ba eo BAUR Oberarm; , ea ea ee ee RO Vorderarm ..-.. 000 20 er a ne ee L.1.E. Mh, 0.00535,-1:Gl. 0,0042; 72G]. 0,0022... 0... an a2 2 oe

L. 2:E25 - 0503655, > 4.050. use nee ae ie een a ans L.3.E. - 00355 - 0,0223; > 20,0215;,, K:p1:0,0035 L.4.F. - 0,0335 -.1.20,0125 5 = + 30500875) ©... 0,001 L.5.EF. - 0,0855 ° = 20,01955 - 0.0098, =. 10,9018

Oberschenkehb 355 „mu Ra Ne. RE eo Unterschenkel: .-. u. man. 0 False ra 2 ERDE OSTEN A BEE EN SEO 01

Sporn ° e ® ® o . o . o . o @ . o o D o o 0,017

2. Nycteris villosa Ptrs. (Fig. 3.) 1852. Nycteris villosa Peters, Reise nach Mogambique. Säuge- thiere. p.48. Taf. xı. | Diese Art ist äufserst nahe verwandt mit der vorhergehenden, unterscheidet sich aber, abgesehen von einigen geringeren Merkma- len, durch die stärkere und weiter ausgedehnte Behaarung der

vom 22. December 1870. 903

Flughäute und merklichere Gröfse des zweiten untern falschen Backzahns.

Das bisher noch immer einzige Exemplar von meiner Samm- lung (Mus. Zool. Berol. Mammalia. No.394) stammt, wie ich angege- ben habe, aus Inhambane, in Südostafrika.

b. Ohren auffallend länger als der Kopf, obere Schneidezähne zweispitzig.

% Der zweite untere Praemolarzahn sehr klein und ganz nach innen gedrängt.

3. Nyeteris thebaica Geoffroy. (Fig. 4.)

1809. Nyctere de la Thebaide, Geoffroy St. Hilaire, Descript. del’ Egypte. Mammiferes. Pl. 1. Fig. 2, Pl.4. Fig.1, 1‘, 1“.

1813. Nycteris thebaicus Geoffroy St. Hilaire, Descngt de U’ Egypte. Hist. Nat. Mammif. p.119; Mem. du Museum. XX. p- 20.

1820. Nycteris Geofroyi Desmarest, Mammalogie. p. 127.

1839. Nycteris hispida Blainville, Osteographie. Taf. vn.

1840. Nycteris thebaica et albiventer Wagner, Schreber Säugethie- re. Suppl. I. p.439.

1855. Nycteris thebaica (Geoffroy) Wagner, Sdugethiere. p.645.

1861. Nycteris labiata Heuglin, Beitr. zur Fauna der Sdäugethiere

'ordost- Africas. p.5. (Acad. Leop. Carol. Vol. XXIX.)

Aegypten, Abyssinien (Keren).

4. Nycteris angolensis n. sp. (Fig. 5.)

Durch die Güte des Hrn. Barboza du Bocage habe ich verschiedene Exemplare einer Nyeteris zur Untersuchung erhalten, welche ich für identisch mit N. fuliginosa aus Mogambique gehal- ten habe.') Eine genauere Untersuchung hat mir aber gezeigt, dafs, obgleich sie in der Färbung mehr mit dieser letztern über- einstimmt, sie durch die Entwicklung des kleinen zweiten untern falschen Backzahns und aueh durch eine etwas geringere Länge des Sporns der N. thebaica näher steht und dafs sie von dieser nur durch eine etwas stärkere Entwickelung dieses äulserst kleinen

!) ef. Jornal de Sciencias mathem. phys. e nat. Acad. R. Scienc. Lisboa. 1870. No.X. p. 123,

[1870] 62

904 Gesammtsitzung

Zahnes von ihr verschiedeu ist. Der Tragus zerfällt, wie gewöhn- lich, in zwei Abtheilungen und die obere abgerundete Abtheilung hat, wie bei N. thebaica und capensis, den vordern Rand convex.

Fotallänge?. _.. >.’ 2. SEEN. BES REER Zune Er Kopf A ae 3) ra ses Ohrhöhe re ae la, re En 51 2 Ohrbreiter 200200 wg RE ee Ohrklappe = u 20 SW ae Eee Schwanz: ı_sincHh adar adesralemerı tk Dre: Oberarm 000 ren She a u EEE

Vorderarm . .. » fahrt) FEorTianr ri L.1.F. Mh. 0,0058; 1 Gl.0,005; 2 Gl. 0,002 . . L.2. FE. -:7.0,0405 0er I. 3: RE 050368571 = 105026400) 00,020 Kpk L.A4.F. = 0,038; = 0,01 Nora We LH]. -7°.0,038;5 - 0,0155 => 0,01255 -

Oberschenkel® 2. mu Ben wer Unterschenkel « ..... 1 mn ae De re. Bultrr 2 9 Vo ee ten. ee ee ee SPOLT' 4 an laufe le ee ae ae:

Meter 0,113 0,0195 0,030 0,020 0,008 0,066 0,023 0.045 0,013 0,0415

0,023 0,023 0,012 0,017

Diese Art ist in Caconda, Biballa und Rio Coroca von

Hrn. Anchieta gefunden worden.

ß. Der zweite untere Praemolarzahn klein und iin der Zahn- ©

reihe zwischen dem ersten und dem ersten Molarzahn zu-

sammengedrückt, mehr entwickelt an der inneren alsan

der äufseren Seite der Zahnreihe.

5. Nycteris capensis Smith. (Fig. 6.)

1829. Nycteris capensis et affınis Smith, The zoological Journal.

IV. p.434.

1840. Nycteris discolor Wagner, Schreber Säugethiere. Suppl. 1.

p. 440.

Die geringen Farbenunterschiede ebenso wie die geringere oder gröfsere Länge des letzten Schwanzgliedes und die Verschiedenheit der Ohrengröfse innerhalb der angegebenen Grenze, sowie endlich derleicht bei der Präparation der zarten Zwischenkiefer entstehende Zwischen-

raum zwischen den obern Schneidezahnpaaren bilden durchaus keine

vom 22. December 1870. 905

unterscheidenden Merkmale und das Gebifs ist vollkommen überein- Stimmend. Dafs auch die Exemplare aus der Ecklon’schen Samm- lung, nach denen Wagner seine N. discolor aufstellte, durchaus nicht hiervon verschieden sind, davon habe ich mich durch directe Vergleichung derselben überzeugt.

Im Innern Südafrikas (Kafferland) und in Port Natal.

6. Nycteris damarensis n. sp. (Fig. I)

Aus dem Damaralande haben das Berliner, das Stockholmer und das British Museum Exemplare einer Nycteris erhalten, wel- che der capensis Smith äufserst nahe steht, durch die ganz schneeweilse Unterseite, ohne bräunliche Schattirung an der Seite der Brust vor der Schulter, auffällt und sich durch eine etwas stär- kere Entwickelung des kleinen zweiten untern falschen Backzahns auszeichnet. Ich lasse dieser Art den Namen, unter welchem sie im British Museum und in dem Catalogue of Mammalia von 1843 (p. 24) aufgeführt ist, obgleich sie niemals beschrieben wurde.

Meter Tele. ee en 0,118 Kope R oe a Bomb amd °...:0.0222 Ohrlänge 0,035 Ohrbreite 220.10000:033 asus, a ren el ra ng “220,009 DEDIWED ZI ER ERINNERT BDA ES 0,056

Or aa OR a eb rusih 0,022 Vorderarm BR EIER RAS are yualan)i L1.E. Mh. 0,005571:G1.:0,005572/G170,0025 0 7 sohung 0,013 HS2E 29210 050405'0 =! 0,0

ae, 0,040

L.3.F. - 009725 - 0,0955 - 0,095; Kpl. 0,005

BsAB. u 0,0085. = 0,0145) 0-2 0,0175 0 = 0,0015

L.5.F. - 0,8085 -- 0,0175 - 001175 - 0,002

Blue nsoltenkelsn: en. in, Mae, up nor a “0,0235 \Unierschenlkall Po) sam a ...0,023

aufs. 2... ; es NA re +40 0,012 00

Sporn ne ea m a a ee

Wir haben diese Art durch Hrn. Hahn aus Otjimbingue.

62*

906 Gesammtsitzung

7. Nyteris fuliginosa Ptrs. (Fig. 8.) 1852. Nycteris fuliginosa Peters 1.c.p.46. Taf.x.

Diese Art schliefst sich ebenfalls zunächst an N. capensis Smith an, hat aber die Ohrklappe schmäler und den zweiten untern fal- schen Backzahn gröfser. Sie ist später von Dr. Kirk am Zam- beze in Shupanga und von dem Baron C. von der Decken an der Küste von Zanzibar wieder gefunden worden.

y. Der zweite untere Backzahn wohl entwickelt.

8. Nycteris grandis Ptrs. 1865. Nycteris grandis Peters, Monatsb. Berl. Akad. d. Wissen- schaft. p. 358; ibid. 1866. p. 672.

Der zweite untere falsche Backzahn erreicht nur ein Drittel der Grölse des ersten bei dieser riesigen Art, von welcher mir bis jetzt nur zwei Exemplare, ein trocknes im Leidener und ein Wein- geistexemplar im British Museum, beide aus Guinea, bekannt

sind.

9. Nycteris javanica Geoffroy. (Fig. 9.) 1813. Nycteris javanicus Geoffroy St. Hilaire, Ann. du Mu- seum. XX. p.20. 1828. Petalia javanicaGray, Mag. Zool. & Bot. II. p.494. 1866. Pelatia javanica Gray, Proc. Zool. Soc. Lond. p.83.

Bei dieser Art, dem einzigen bisher bekannten Repräsentanten der Gattung im indischen Archipel, welche auch nur auf Java gefunden wurde, erreicht der zweite untere Backzahn zwei Drittel der Gröfse des ersten- und. die Ohrklappe ist am vordern Rande nicht convex, sondern grade abgestutzt, Eine bogenförmige quere, die Basis der Ohren verbindende Haut ist aber bei ihr ebensowohl vorhanden wie bei den afrikanischen Arten und eine generische Abtrennung von denselben scheint mir durchaus nicht begründet zu Sein.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1—1c. Nycteris hispida Schreber. Aus Accra. Natürl. Gröfse. 2. Unterkieferzähne von Nycteris hispida Schreber. Aus Port Rek. 3. Dieselben von Nycteris villosa Ptrs.

»

vom 22. December 1870. 907

Fig. 4. Dieselben von Nycteris thebaica Geoffroy. 9. Dieselben von Nycteris angolensis Ptrs.

6. Dieselben von Nycteris capensis Smith.

7. Dieselben von Nycteris damarensis’P trs.

8. Dieselben von Nycteris fuliginosa Ptrs.

» 9. Dieselben von Nycteris javanica Geoffroy.

Fig. 2 bis 9 viermal vergröfsert.

II. Araraprna Rafinesque.

1814. Atalapha Rafinesque, Precis des decowertes et travaux somiologiques p.12.

1820. Atalapha Desmarest, Mammalogie. p. 146.1)

1838. Scotophilus-Lasiurus- Atalapha Raf. Gray, Mag. Zool. Bot. II. p.498.

1841. Nycticejus Temminck, Monogr. Mammal. II. p. 154 (ex p.).

1854. Atalapha Gervais, Hist. nat. Mammif. I. p.214.

1856. Atalapha Gervais, Docum. zool. Cheiropt. Sud- Americ. p. 72.

1857. Lasiurus Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p. 34.

1864. Lasiurus Allen, Monograph of the Bats of North- America. p.14.

Die Synonymie der hierher gehörigen Arten zu entwirren, ist äulserst schwierig und würde nur möglich sein durch eine directe Vergleichung der Originalexemplare, die kaum ausführbar sein dürfte. Anstatt, wie ich hoffte, die Zahl der aufgestellten Arten zu vermindern, bin ich genöthigt, dieselbe noch zu vermehren.

!) Desmarest und nach ihm Temminck, Gervais u. A. citiren eine Abhandlung „Prodrom. de Somiologie“ von Rafinesque, die gar nicht existirt, indem derselbe wohl eine Schrift „Principes fondamentaux de Somio- logie“. Palerme 1814. veröffentlicht hat, worin aber der Name Atalapha gar nicht vorkommt. Überhaupt behalte ich den Namen Atalapha nur defshalb bei, weil Rafinesque ausdrücklich den V. novaeboracensis als hierher gehörig anführt, da die von ihm angeführten Merkmale (Mangel der Schneidezähne etc.) falsch sind und weil Desmarest zuerst seine Gattung unter demselben Namen näher begründet hat. Das Rafinesquesche Werk „Nature“, welches Hr. Gray für den Namen Lasiurus eitirt, habe ich nicht zu Gesicht bekom- men können, da es der Königl. Bibliothek fehlt.

908

Gesammtsitzung

a. Schenkelflughaut ganz oder bis auf den hintersten Rand behaart; Backzähne: Fr Atalapha s. s.

1. Atalapha novaeboracensis.

1 rhrlrR

1785.

1792.

1796.

1814. 1817.

1843.

1854.

1857. 1864.

Vespertilio novaeboracensis Erxleben, Syst. regn. anim. p. 159.

Vespertilio novaeboracensis et lasiurus Gm elin, Linn. Syst. nat. p. 50.

Vespertilio lasiurus Schreber, Säugethiere. IV. p.636. Taf. LXIL.B,

Vespertilio rubellus Palisot de Beauvois, Cat. Peale’s Mus. (fide Allen).

Atalapha americana Rafinesque, ].c.

Vespertilio monachus et tessellatusRafinesque, Am. Monthl. Mag. IV. p. 445 (fide Allen).

Lasiurus rufus Gray, Cat. Mammal. Brit. Mus. p.32 (fide Tomes).

Atalapha novaeboracensis et lasiurus Gervais, Hist. nat. Mammif. p. 214.

Lasiurus novaeboracensis Tomes, Proc. zool. Soc. p. 34. Lasiurus novaeboracensis Allen, 1. c.p.15.

Über ganz Nordamerica verbreitet. Das Berliner Museum besitzt zwei Exemplare durch Eversmann von den Aleuten und nach Geoffroy und Temminck soll die Art auch in Cayenne und Surinam vorkommen.

2. Atalapha Pfeifferi Gundlach.

1861.

Cuba.

Atalapha Pfeifferi Gundlach, Monatsb. Berl. Akad. p.152.

3. Atalapha Frantzü n. sp.

Diese Art ist der A. novaeboracensis sehr ähnlich; aber abge- sehen von geringeren Unterschieden in der Färbung sind die Ohren etwas kleiner, die Ohrklappe kürzer und mehr zugespitzt, der Rand der Schenkelflughaut kahl und die Behaarung an der Bauchseite längs dem Vorderarm sehr kurz und sparsam. Auch ist der Kopf klei- ner und die Extremitäten sind mehr gestreckt. Die Flughäute ge- hen bis an die Zehenwurzel, so dafs diese Art auch nicht zu A. Grayi Tomes gehören kann, bei der die Flughäute nur bis zur Mitte der Fufswurzel reichen.

vom 22. December 1870. 909

Ob V. bonariensis Lesson zu dieser oder, wie andere Auto- ren behaupten, zu V. novaeboracensis gehört, darüber kann ich nicht urtheilen, da das Originalexemplar verloren gegangen zu sein scheint und die Abbildung und Beschreibung zu einem genauern Vergleich zu ungenügend sind.

Unser Museum verdankt zwei Exemplare dem Hrn. Dr. v. Frantzius, welche in Costa Rica gesammelt sind, und besitzt aulserdem ein Exemplar aus Brasilien von einem nicht genauer bestimmten Fundorte.

Meter Toluol Al al. 25 rs mae Kopt 5 oe Na ae nz Ohren Morderer-Ohrrand! a Par Tea am NEN % 0,008 Olebretenen er ne OSB an 0,008 Ohrklappe . ö 5 0,007 Dalssramz " SUER Samy Beeiie el Nak r r 0,057 Ve nr 0,027 Vordlaa NSCEN 0,039 BR NMh. 0,6035, 1 GI. 0,0055, 261. 0,0085... 2.2... 0,010 I, 24, 10 Dee RE 0,050 L.3.F. -> 0,0485; - 0,0173; - 0,0195; Kpl. 0,0045 DAR 000; 008; - 005 - 0,002 15.1) - 0.036357 = 0.008285; - 0,008; - 0,0018 Oberschenkel... ..:.2 .. .. 7... a Sigi unustnch,, T 0,0195 nlenschenkel „sr. u wehrte hye ereignet en. 0,0195 Wlan er WA AG WCERERFER SRERGER WEL Ba HERRN ER 0,008 en leere ei alhenr uls ren: 001 Abstand..der obern Eckzahnspitzen:.: .... 1. a un... 0,0037

4. Atalapha varia. 1835. Nycticejus varius Pöppig, Reisen in Chile, Peru ete. I. p-. 451.

Ich habe schon früher (Monatsber. Berl. Akad. 1861 p-153) auf die Eigenthümlichkeit dieser Art aufmerksam gemacht. Wir be- sitzen dieselbe aus Peru und Chile. Äufserlich ist sie leicht dadurch zu unterscheiden von den verwandten N. novaeboracensis u. a. dersel- ben Gröflse, dafs sämmtliche Flughäute gleichförmig schwarz sind. Wir haben sie mit einem Exemplar aus der Leipziger Sammlung,

910 Gesammtsitzung

welches von Pöppig selber bestimmt ist, durch die Güte des Hrn. Prof. Dr. Leuckart vergleichen können.

5. Atalapha Grayi. 1857. Lasiurus Grayi Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p.40.

Diese von mir nicht untersuchte Art steht nach Hrn. Tomes zwischen A. novaeboracensis und A. pruinosa (cinerea) und hat die Flughäute nur bis zur Mitte der Fufswurzel herabsteigend. Sie soll nicht allein in Chile, sondern nach Hrn. Gray (Proc. Z. S. Lond. 1862. p. 143) auch auf den Sandwichsinseln! und in Nordamerica (bei Nisqually, Juan da Fuca) vorkommen.

6. Atalapha cinerea.

1796. Vespertilio cinereus Palisot de Beauvois, Catal. Peale's Mus. (fide Allen).

1823. Vespertilio pruinosus Say, Long’s Exped. Rocky Mount. p.67.

1842. Vespertilio pruinosus Dekay, Nat. Hist. NewYork. Zoology. p. 7. Taf.2. Fig.2.

1857. Lasiurus pruinosus Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p.37.

1864. Lasiurus cinereus Allen, Monogr. Bats N. Am. p. 21.

Von dieser ausgezeichneten und lange bekannten Art besitzt die Berliner Sammlung zwei südamericanische Exemplare aus Men- doza und durch Hrn. Dr. Hensel eins aus Montevideo, wel- che mir keinen Unterschied von den nordamericanischen zeigen.

7. Atalapha pallescens n. sp.

Diese der vorhergehenden sehr nahe verwandte Art fällt gleich durch ihre sehr viel hellere Farbe, nicht allein der Behaarung, son- dern auch der nackten Körpertheile, als verschieden auf, indem auch der Ohrrand und Schnauzenrand nicht schwarz, sondern gelbbraun gefärbt sind. Die Ohren sind bei sonst gleicher Körpergröfse etwas kleiner, schwächer behaart, der vordere Theil der Helix we- niger entwickelt, nicht mit seinem vordern untern Ende nach hin- ten spitz vorspringend. Die Behaarung der Schulterflughaut, der Lendenflughaut und der Schenkelflughaut ist nicht so reichlich, auch sind die Haarflecke der Rückseite auf der Mittelhand des Daumens, auf der Basis des fünften Fingers und über dem Ellbo- gen an der Aufsen- und Innenseite der Vorderarmes weniger ‚stark und die Mittelhand des fünften Fingers ist länger als bei A. cinerea.

vom 22. December 1870. 911

Die Haare des Rückens sind an der Basis dunkel rostbraun, haben dann einen breit gelben, dann einen schmalen rostrothen Ring und hellgelbe Spitzen; die der Schenkelflughaut sind rostroth mit blafsgelben Spitzen, die Haarflecke auf dem Daumen, dem 5. Fin- ger und auf dem Vorderarm blafsgelb. Die kürzeren Haare der Bauchmitte sind ähnlich gefärbt, wie die der Rückseite, die der Bauchseiten, der Lenden- und Schenkelflughaut gelbbraun. Die quere hellgelbe Kehlbinde ist, wie bei A.cinerea, nach hinten scharf ab- gegrenzt.

Mafse eines ausgewachsenen Weibchens: Meter

Moral ing ae. ni a ent. ee on De 35. Ben ee

Ohrhöhe u, 0 Vorderer Ohrrand bis zur Mitte de ee Winkels 0,009 Uhrlpreiee Sr ee A Re a LS EEE 0,013

Glrkippen ln SU ae ER ZHRE) CRONRO ROSE 0,0085 VEN WEONZ ra an ae ale Da ei 0,060 Ülbereium.: Tersggrgnngerii Bla A a EEE SE 0,036 Dionderaıme San mn BORN BE eNDANIhUA 25h. 238 0,0535 TR. Mh20,005; 1 GL1,0.0005 2 Gl: 0,0: =. ev eh 0,014

112, 21 Das Ve a a a 0,065 L.3.F. - 0,0605 - 0,020; - 0,024; Kpl. 0,005 L.4.F. - 00545 - 0,018; - 00145 - 0,0015 L.5.F. - 00485 - - 0,008; - 0,0095 - 0,002 Sbezchanka ie ee 0,023 Pier cnenken ae ee DOREEN IB STR ROTE 0,023 Ki Emiskerallen ie a STORE 0,011 ONCE : BERN ee u Re DE ae, KOR0RO Distanz der obern ee Bars ; 0,0055

Fundort: Paramo de la Culata, Andes de Merida (Re- gion frigida), Venezuela; durch Hrn. Karsten.

Ich war Anfangs geneigt, diese Art nur für eine Farbenvarie tät von der vorgehenden zu halten, zumal da die Exemplare aus

E ‚den La Plata-Staaten, also aus viel südlicheren Gegenden, die

gar keine Verschiedenheit von der Atalapha cinerea aus den nord- americanischen ‘Staaten zeigen, das Vorkommen einer verschiede- nen Art in den dazwischen liegenden Gegenden sehr auffallend er-

912 Gesammtsitzung

scheinen liefsen. Indessen ist zugleich zu beachten, dafs die ho- hen Gebirgsgegenden anderer Länder auch oft Arten liefern, die von denen der Ebene verschieden sind.

b. Die Rückseite der Schenkelflughaut ist nur bis zur Mitte oder etwas über zwei Drittel behaart; Backzähne:

& 12; subgen. Dasypterus.

a. Nur das letzte Drittel der Schenkelflughaut unbehaart.

8. Alalapha intermedia. 1862. Lasiurus intermedius Allen, Proceed. Acad. Nat. Sc. Phi- ladelphia. p.46; Monogr. Bats N. Am. p.25. Mexico (Matamoras).

9, Atalapha egregia n. Sp.

Ohren höher als breit, am vordern Rande stark, am hintern Rande flach convex, mit vier Querfalten; ein Kiel rother Haare nahe der unteren Hälfte des inneren Randes und die Mitte der in- nern Oberseite nach oben hin mit feinen rothen Haaren sparsamer bekleidet; der Antitragus nur durch einen flachen Ausschnitt von dem hintern Ohrrande abgesetzt; Ohrklappe ziemlich spitz, nur mit der Spitze nach vorn gekrümmt. Nasenöffnungen vorspringend. Der untere erste falsche Backzahn reichlich halb so grofs wie der zweite; Cingulum dieser letzteren an der äufsern Seite deutlich zweilappig. Flughäute bis an die Zehenwurzel gehend. Die Be- haarung der Rückseite der Schenkelflughaut läfst ungefähr das letzte Drittel frei; an der Bauchseite erstreckt sich die Behaarung nur auf das Basalviertel. Auf dem Rücken ist die Basis des Dau- mens und die Aufsenseite des Ellbogens mit rothen Haaren beklei- det. An der Bauchseite finden sich sparsam längere rothe Haare zwischen der Basis des 4. und 5. Fingers, zu beiden Seiten des Vorderarms und zwischen der Endhälfte des Oberarms und dem Knie, während die Gegend zwischen der Grundhälfte des Ober- arms und dem Oberschenkel sowohl auf der Rücken- wie auf der Bauchseite dichter mit langen Haaren bekleidet ist.

Die Haare des Oberkopfes und des Nackens sind an der Ba- sis schieferfarbig, dann breit hellgelb und an der Spitze schön roth;

diese rothen Spitzen werden an den Rückenhaaren nach hinten hin. i

immer länger und unterdrücken allmählig die gelbe Zwischenfarbe

vom 22. December 1870. 913

und die Haare der Schenkelflughaut sowie der Hinterextremitäten sind einfarbig roth. Kehle und Unterkinn nebst dem Vorderkopf haben hellgelbe Haare mit rothen Spitzen. Die Haare der Brust und des Bauches sind an der Basis schieferfarbig und an der Spitze rostroth, die des Hinterbauchs und der Schenkelflughaut einfarbig rostroth. Die Flughäute sind schwarz, mit Ausnahme der Schen- kelflughaut, des an den Vorderarm grenzendon Theils der Schul- terflughaut und der Fingerflughäute zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger, welche von brauner Farbe sind.

Meter

. Totallänge ne on Kopf ee 2010908 lEhöleiy u a ara Al Eee rer 0500 Berdeser Onrzand 209,000 ee 208015 Ohroreite 22,00, 0. ya an 000 Ed Der an u: ...2.0,0095 Selen ee ee N Überamn np EHN ae nl Vorderarm . EN RL Re 0,047 L.1.F. Mh. 0,0042; 1 Gl. 0,005885. 2 Gl. 0,0055... . 0,0, 0008

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SROHR“ oa a 0,020 Distanz der oberen Eekzahnspiizen . me 0,005

Aus Sta. Catharina in Brasilien.

Diese Art ist sehr nahe verwandt mit A. intermedia Allen, welche aber, abgesehen von der ganz verschiedenen Färbung, un- ter anderem durch spitzere, am hinteren Rande etwas ausgerandete Ohren, den höheren, abgerundeten und durch einen viel tieferen Ausschnitt von dem hinteren Ohrrande abgesetzten Antitragus, den stumpferen, weniger zugespitzten Tragus, den verhältnifsmäfsig klei- neren ersten unteren falschen Backzahn und die ungelappte Beschaf- fenheit des Cingulums an der äufseren Seite des zweiten unteren

914 Gesammtsitzung

falschen Backzahns ausgezeichnet ist. Auch ist diese Art gröfser und unter anderem die erste Phalanx des 4. Fingers verhältnifs- mäfsig länger (Vorderarm 0%053; Schwanz 0068; 1 Gl. des 3. Fin- gers 00021, des 4. Fingers 0'%0155, des 5. Fingers 0009).

ß. Die Behaarung der Schenkelflughaut reicht nurbis zur Mitte.

10. Atalapha Eya.

1856. Nycticejus Ega Gervais, Docum. zool. Oheiropt. Sud- Amer. p- 72. 1857. Lasiurus Aga Tomes, Proc. Zool. Soc. Lond. p.43. Brasilien, woher auch die Berliner Sammlung ein getrockne- tes Exemplar durch Sello besitzt. |

11. Atalapha caudata. 1857. Lasiurus caudatus Tomesl. c. p. 42.

Diese Art ist mir aus eigner Anschauung nicht bekannt und scheint mir die Verschiedenheit derselben von der vorhergehenden noch nicht ganz ausgemacht zu sein, da der Hauptunterschied in der bedeutenderen Länge des Schwanzes liegen soll und bei der Ver- gleichung nur ein einziger Balg von N. ega zu Grunde gelegen hat.

Die von Hrn. Tomes zu dieser Art gerechneten beiden Exem- plare stammen aus Pernambuco und Chile.

Hr. Mommsen legte die von den Hrn. Henzen und Hüb- ner erstatteten Berichte über den Fortgang der Arbeiten am Cor- pus inscriptionum Latinarum während des Arbeitsjahrs 1. Nov. 1869 31. Oct. 1870 nebst seinem eigenen Berichte vor. Auch in diesem bewegten Jahr hat die Arbeit und der Druck, wenn nicht ohne Störungen, doch im Ganzen ununterbrochen fortgeführt wer- den können.

vom 22. December 1870. 915

Hr. Henzen und Hr. Bormann haben die Drucklegung der stadtrömischen Inschriften (Bd. VI) begonnen und bis p. 112 geführt, wobei theils während Hrn. Bormanns Abwesenheit im Felde der in dieser Zeit in Berlin anwesende Hr. Henzen den Druck leitete, theils nach dessen Rückkehr nach Rom Hr. Bor- mann, der inzwischen von seiner bei Mars-la-Tour am 16. Aug. d. J. empfangenen Wnnde wieder einigermafsen hergestellt und nach Berlin zurückgekehrt war. Die sacrae sind damit zum grös- seren Theil abgeschlossen. Die Kaiserinschriften sind zum Druck fertig. Hr. Hübner hat vor Kurzem mit dem Druck der In- schriften von Britannien (Bd. VII) den Anfang gemacht. Die von Hrn. Zangemeister bearbeiteten Wand- und Griffelinschrif- ten von Pompeii (Bd. IV) sind ausgedruckt und gelangen demnächst zur Versendung. Der Druck der von Hrn. Mommsen bear- beiteten Bände ist in Band III von $. 640 bis S. 800 vorgeschrit- ten, womit dieser Theil bis auf die allerdings umfangreichen An- hänge und die Indices abgeschlossen ist; in Bd. V von $. 168 bis S. 328, welche die östliche Hälfte Oberitaliens bis Verona um- fassen. Die finanzielle Lage des Unternehmens ist befriedigend, die Förderung des Druckes, wenn nicht allen Wünschen ent- sprechend, doch merklich und erfreulich.

An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden vorgelegt: | Correspondenzblatt des Naturforscher -Vereins zu Riga. 18. Jahre. Riga 1870. 8. Denkschrift des Naturforscher -Vereins zu Riga, herausgeg. in Anla/s der Feier seines 25jähr. Bestehens. Riga 1870. 4. W. v. Gutzeit, Zur Geschichte der F orschungen über die Phosphorite des mittleren Ru/slands. Riga 1870. 4. Siebenundzwanzigster Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft für vater- ländische Cultur. Breslau 1870. 8. Abhandlungen der Schles. Gesellsch. F. vaterl. Cultur. Abth. J. Naturw. u. Medicin. 1869 | 70. Philos.-hist. Abth. 1870. Breslau 1870. 8.

916 Gesammtsitzung vom 22. December 1870.

V. Rose, Anecdota Graeca et Graecolatina. 2. Heft. Berlin 1870. 8. Mit Begleitschreiben d. Verf. d. d. 20. Dec. 1870. Vierteljahresschrift der Astronom. Gesellschaft. 5. Jahrg. 4. Heft. Leipzig 1870. 8. | Schriften der Universität zu Kiel. 16. Bd. Kiel 1870. 4. Mainardi, Auszüge aus den Atti dei Noovi Lincei. (Roma 1870.) 4.

Annual Report of the Commissioner of patents for 1867. Vol. 1—4. Wa- |

shington 1868. 8.

Verbesserungen und Druckfehler.

. 657 Zeile 5 statt crenata lies crenulata.

in der Note Zeile 2 statt Saude lies Sande.

658 letzter Absatz Zeile 2 statt Mendoni lies Mandoni.

659 Zeile 1 statt Dominica lies St. Domingo.

.689 Zeile 6 statt angustifolia lies tenuifolia.

704 Zeile 7 von unten statt Fig. 3 lies Fig. 2.

747 No. 45 Zeile 1 statt S. Dominique lies St. Domingo.

748 Zeile 5 statt No. 46 lies 47. Die folgenden Nummern 47 bis 53 sind sämmtlich um 1 zu erhöhen.

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Namen -Register.

(Die mit einem * bezeichneten Vorträge sind im Monatsbericht nicht

aufgeführt.)

Baxt, N., Neue Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Rei-

zung in den motorischen Nerven der Menschen, 184.

Bekker, Bemerkungen zum Homer, 810.

Blau, Otto, Dritter Bericht über römische Alterthümer in Bosnien, 619.

du Bois-Reymond, Jahresbericht der Humboldtstiftung, 44. zur Abhandlung über die aperiodische Be 537. *Über die Krause-Kühne’sche Th hung, 807. Über Leibnizische Gedanke schaft, 835.

Bonitz, “Zur Erklärung des Phaidon, 797. Charmides, ‚900.

Borchardt, 812.

Braun, Neuere Untersuchungen über die Gattun

Nachtrag wegung gedämpfter Magnete, eorie der Muskelzusammenzie-

n in der neuern Naturwissen-

“Bemerkungen über Platon’s

*Über ein die Pyramiden betreffendes Problem des Maximus, gen Marsilia und Pilularia,

r. Schweinfurth, 833, Buschmann, *Zusätze zur sonorischen Grammatik, 183,

Curtius, Über griechische Personennamen, 159. Über die Münzen der griechischen Colonien in ihren Beziehungen zum Mutterlande, 803.

Dove, Alfred, Über die Handschriften von Arborea, 90.

Dove, *Über die Compensation der in Europa i

OD Mittheilungen über die Reise des D

m Januar 1870 beobachte- ten Kälte durch eine ungewöhnliche Erhöhung der Temperatur in Ame-

rika, 126. "Über die Wärmevertheilung im Polarmeer, 182. Über die Temperaturvertheilung im Winter 1877, 209. Über die Zurückführung

[1870] 63

920 Namen-Register.

der jährlichen Temperatureurve auf die ihr zum Grunde liegenden Be- dingungen, 365. Über die Vertheilung des Regens in der jährlichen Periode im mittleren Europa, 813.

Droysen, *Über die Lage der Politik im Anfange des ersten schlesischen Krieges, 890.

Ehrenberg, Über die Bacillarienbänke im Hochlande Californiens, 126. Über die wachsende Kenntnifs des unsichtbaren Lebens als felsbildende Bacillarien in Californien, 259.

Ewald, *Über einige die Geologie der Anden betreffenden Fragen, 326.

Gerhardt, Zur Geschichte der Algebra in Deutschland. Zweiter Theil, 141.

Groth, Über Beziehungen zwischen Krystallform und chemischer Constitu- tion bei einigen organischen Verbindungen, 247.

Haupt, “Über die Perser des Aeschylus, 247. Bericht über die Hand- schriften von Arborea, 64.

Hofmann, Nachträgliche Bemerkungen über die Entschw efelungsprodukte des Diphenylsulfocarbamids, 171. Über substituirte Melamine, 191. Über die Darstellung der Äthylamine im Grofsen, 154. Über die Iso- meren der Cyanursäure-Äther, 198. Weitere Beobachtungen über das Methylaldehyd, 525. Über die aromatischen Cyanate, 576. Über die Einwirkung des Cyans auf das Anilin, 597. Einwirkung des Cyans auf das Triphenyl-Guanadin, 597. Über eine neue Klasse von Cyansäureäthern, 599. Über Bildungsweise der Isonitrile, 600. Reaction auf Cyanursäure, 601. Reaction auf Chloroform, 602. Diagnose primärer, secundärer und tertiärer Amine, 603. Zur Kennt- nifs des Phenylxanthogenamids, 606. Über die Einwirkung der Es- sigsäure auf das Phenylsenföl, 611. Zur Geschichte der Äthylenba- sen, 612. Zur Kenntnifs des Aldehydgrüns, 618. Über die Mo- leculargröfse des Chinons, 615.

Homeyer, Über Hausmarken, 175.

Jaffe, Über die Handschriften von Arborea, 74.

Ketteler, Über den Einflufs der ponderablen Moleküle auf die Dispersion des Lichtes und über die Bedeutung der Constanten der Dispersionsfor- meln, 132.

Kirchhoff, Über eine jüngst publieirte vermuthlich lakonische Urkunde, 51. Über die Tributlisten der Jahre Ol. 85,2 87,1, 575.

Klein, Felix und Sophus Lie, Über die Haupttangenten-Curven der Kum- mer’schen Fläche vierten Grades mit 16 Knotenpunkten, 891.

Kny, Über die Morphologie von Chondriopsis coerulescens Crouan, und die dieser Alge eigenen optischen Erscheinungen, 425.

Köhler, Ulrich, Über zwei Inschriften aus dem äufseren Kerameikos von Athen, 272.

Namen-Register. 927

Kostka, Über die Auffindung der ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren einer homogenen um eine feste Axe rotirenden Flüssigkeitsmasse, 116.

Kronecker, Hugo, Über die Gesetze der Muskelermüdung, 629.

Kronecker, *Über die charakteristischen Eigenschaften des Potentials, 801. Einige Eigenschaften der Klassenanzahl idealer complexer Zahlen, 831.

Kummer, *Festrede, 183. Über die einfachste Darstellung der aus Ein-

heitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, welche durch Multiplication mit Einheiten bewirkt werden kann, 409. Bericht über Preisfragen, 571. *Über die algebraische Strahlensysteme dritter Ordnung, 584 Über die aus 31ten Wurzeln der Einheit gebildeten complexen Zahlen, 755. Über eine Eigenschaft der Einheiten der aus den Wurzeln der Gleichung a* —= ı gebildeten complexen Zahlen und über den zweiten Faktor der Klassenzahl, 855.

Lepsius, *Über die altägyptischen Jahreszeiten und Monate, 105.

Mommsen, *Bei Assuan aufgefundene römische Inschriften, 1. Jahres- berichte über das Inschriften-Werk, 13. 914. *Über das römische Consulartribunat, 617. *Über die Siebenbürgischen Wachstafeln, 795.

Müllenhoff, *Beiträge zur Geographie der Alten, 183. *Über die vor- ptolomäischen Diathesen des östlichen Europa, 807.

Olshausen, Otto, Über die Isomeren der Cyanursäure-Äther, 198.

Olshausen, Beiträge zur Kritik des überlieferten Textes im Buche Gene- sis, 380. *Über den gegenwärtigen. Zustand der alttestamentlichen Textkritik, 380.

Parthey, *Über Horapollo’s Hieroglyphica, 583.

Pertz, Sammlung von Schrifttafeln zum Gebrauche bei diplomatischen Vor lesungen, 139. Über das im Hause Braunschweig - Lüneburg gesetz- liche Alter der Mündigkeit, 809.

Petermann, *Über die Eroberung von Jerusalem durch Saladin, 139. 182.

Peters, Über den Ductus pneumaticus des Unterkiefers bei den Crocodilen, 15. Über die afrikanischen Warneidechsen und ihre geographische Verbreitung, 106. Beitrag zur Kenntnifs der herpetologischen Fauna von Südafıika, 110. Über die Verwandtschaft der Ctenodactyli mit den Chinchillen, 207. Über Platemys tuberosa, eine neue Schildkrö- tenart aus British-Guiana, 311. Über Propithecus Deckenii, eine neue Art von Halbaffen aus Madagaskar, 421. Über neue Arten von Spitz- mäusen aus Ceylon, Malacca, Borneo, China, Luzon und Ostafrika, 584. Über neue Amphibien des Königl. zoologischen Museums, 641. Monographische Übersicht der Chiropterengattungen Nycteris und Ata- lapha, 900.

Poggendorff, Über eine neue Influenzmaschine, 245. Über einige neue

63*

922 Namen-Register.

merkwürdige Eigenschaften der diametralen Conduction an der Electro- maschine, 275.

Rammelsberg, Über die Stellung des Thalliums in der Reihe der Ele- mente, 237. Über die Zusammensetzung der Meteorite von Shalka und von Hainholz, 314. Beiträge zur Kenntnifs der Meteoriten, 440.

Ranke, *Literarische Erörterungen betreffend den Ursprung des siebenjähri- sen Kriegs, 619.

Reichert, *Über das Skelet der Wirbelthiere, 619. 890.

Rie/s, Theorie der neusten Elektrophormaschine und der überzähligen Con- duktoren, 1.

Rödiger, Über einige zum Theil fragmentarische phönikische Inschriften aus Cypern 264. Über die arabische Redaktion der vorjustinianischen Kaisergesetze und deren Verhältnifs zum syrischen Texte, 808.

Rose, Über den Zusammenhang zwischen hemiedrischer Krystallform und thermoelektrischem Verhalten beim Eisenkies und Kobaltglanz, 327. Über einen angeblichen Meteoritenfall von Murzuk in Fessan, 804.

Roth, Über die Lehre vom Metamorphismus und die Entstehung der kry- stallinischen Schiefer, 899.

Schott, Über eine deutsche Übersetzung mongolischer Mährchen, 797.

Tobler, Über die Handschriften von Arborea, 80.

Trendelenburg, *Zur Geschichte des Wortes Person, 22. Aus Frie- drichs des Grofsen politischen Vermächtnissen, 23. *Zur Geschichte philosophischer Termini. Zweiter Beitrag, 900.

Weber, *Über das Rämäyana, 184. Über das zweite Buch der Atharva- Samhitä, 462. '

Weierstrafs, *Über die 2nfach periodischen Funktionen, 139. *Bemer- kungen über das sogenannte Dirichlet’sche Princip, 575.

Dach -Register.

Äthylamine, Darstellung im Grofsen, 154.

Äthylenbasen, 612.

Aldehydgrün, 613.

Algebra, Geschichte, 141.

Amine, Diagnose primärer, secundärer und tertiärer, 608.

Amphibien, 15. 106. 110. 311. 641.

Arborea, Fälschungen, 64.

Arthroleptis dispar Ptrs., 649.

Atalapha Raf. (Übersicht der Gattung), 907.

Atalapha Frantzii Ptrs., 908.

Atharvan-Samhitä, 462.

Bacillarien, 126. 259.

Boppstiftung, 571.

Bosnien, römische Alterthümer, 619.

Botanik, Morphologie von Chondriopsis coerulescens Crouan, 425. Un- tersuchungen über die Gattungen Marsilia und Pilularia, 653.

Californien, 126. 259.

Cercosaura glabella Ptrs., 641.

Chemie, Darstellung der Äthylamine im Grofsen, 154. Entschwefelungs- producte des Diphenylsulfocarbamids, 171. Isomeren der Cyanursäure-

Ather, 198. Stellung des Thalliums in der Reihe der Elemente, 237. Beziehungen zwischen Krystallform und chemischer Constitution, 247.

Zusammensetzung der Meteorite von Shalka und von Hainholz, 314.

Beiträge zur Kenntnifs der Meteoriten, 440. Weitere Betrachtun- gen über den Methylaldehyd, 525. Über die aromatischen Cyanate, 976. Beobachtungen vermischten Inhalts, 596.

Chiropteren, 900. Chloroform, 602.

Chondriopsis coerulescens Crouan, 425.

924 Sach-Register.

Chondrodactylus angulifer Ptrs., 111.

Complexe Zahlen, 409. 755. 855.

Conductoren, diametrale, 276. Überzählige, 9.

Cophomantis punctillata Ptrs., 651.

Crocidura ceylanica Ptrs., 591. Doriae Pirs., 587. froetida Ptrs., 586. fuscipes Ptrs., 594. gracilipes Ptrs., 590. Iu- zoniensis Ptrs., 595. media Ptrs., 592. microtis Pirs., 589 monticola Ptrs., 588. retusa Ptrs., 585. sumatrana Ptrs., 593. Waldemarii Ptrs., 590.

Crocodile, 15.

Ctenodactyli, Verwandschaft derselben, 207.

Cyan, seine Einwirkung auf das Anilin und Triphenylguanidin, 597.

Cyanate, aromatische, 576.

Cyansäureäther, 599.

Cyanursäure, 601.

Cyanursäureäther, 198.

Cystignathus diplolistris Ptrs., 648.

Dispersion des Lichtes, 132.

Doppelmaschine, neue, 295.

Ductus pneumaticus, 15.

Eisenkies, 327.

Eleotromaschine, 1. 275.

Entomoglossus pustulatus Ptrs., 647.

Entschwefelungsproducte des Diphenylsulfocarbamids, 171.

Essigsäure, ihre Einwirkung auf das Phenylsenföl, 611.

Festreden, 23. 571. 835.

Genesis, Beiträge zur Kritik des Textes, 880.

Geophis annulatus Ptrs., 643.

Geschichtspreis, 44.

Gleichgewichtsfiguren, 116.

Griechische Münzen, 809.

Griechische Personennamen, 159.

Hausmarken, 175.

Hemidactylus muriceus Ptrs., 641.

Homerisches,

(U. A 557. 555. & 35), 810. (Od. o 343), 812.

Hoplocephalus frenatus Ptrs., 646.

Humboldtstiftung, 54. 833.

Hylodes Henselii Ptrs., 648. rugulosus Pitrs., 648.

Influenzmaschine, neue, 245.

Sach-Register. 925

Inschriften, gefälschte sardinische, 100. griechische, aus dem Kerameikos, 272. lakonische von Tegea, 51. phönicische aus Cypern, 264. römische Corpus inscriptionum Latinarum, 13. 915. aus Bosnien, 626. Isonitrile, 600. Kobaltglanz, 327. Krystallform und chemische Constitution, 247. hemiedrische, ihr Zusammenhang mit thermo-elektrischem Verhalten, 327. Lakonische Sprachformen, 60. Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft, 835. Magnete, aperiodische Bewegung gedämpfter, 537. Marsilia, 653. Mathematik, Über die Auffindung der ellipsoidischen Gleichgewichtsfiguren einer homogenen, um eine feste Axe rotirenden Flüssigkeitsmasse, 116. Zur Geschichte der Algebra in Deutschland, 141. Über die ein- fachste Darstellung der aus Einheitswurzeln gebildeten complexen Zahlen, welche durch Multiplikation mit Einheiten bewirkt werden kann, 409. Über die aus den 31ten Wurzeln gebildeten complexen Zahlen, 755. Über eine Eigenschaft der Einheiten der aus den Wurzeln der Glei-

*—= ı gebildeten complexen Zahlen und über den zweiten Fak-

chung a tor der Klassenzahl, 855. Auseinandersetzung einiger Eigenschaften der Klassenanzahl idealer complexer Zahlen, 881. Über die Haupt- tangenten-Curven der Kummerschen Fläche vierten Grades mit 16 Kno- tenpunkten, 891.

Meteoritenfall, angeblicher, von Murzuk in Fessan, 804.

Meteorite, 314. 440.

Methylaldehyd, 525.

Mineralogie, Beziehungen zwischen Krystallform und chemischer Consti- tution, 247. Zusammensetzung der Meteorite von Shalka und von Hainholz, 314. Über den Zusammenhang zwischen hemiödrischer Krystallform und thermoelektrischen Verhalten beim Eisenkies und Ko- baltglanz, 327. Beiträge zur Kenntnifs der Meteoriten, 440.

Moleculargröfse des Chinons, 615.

Mongolische Märchen, 797.

Monitores, 106.

Münzen, griechische, 803.

926 Sach-Register.

Muskelermüdung, 629.

Namen, griechische, 159.

Nerven, motorische, 184.

Nycteris Geoffroy (Übersicht der Gattung), 900.

Nyeteris angolensis Ptrs., 903. damarensis Ptrs., 905.

Optische Erscheinungen an Chondriopsis coerulescens, 425.

Phenylanthegenamid, 606.

Phenyleyanat, 576.

Phyllobates verruculatus Ptrs., 650.

Physik, Theorie der neuesten Elektrophormaschine, 1. Einflufs der pon- derablen Molekule auf die Dispersion des Lichtes, 132. Temperatur- vertheilung im Winter 18$2, 209. Neue Influenzmaschine, 245. Über einige neue merkwürdige Eigenschaften der diametralen Condukto- ren an der Elektromaschine, 275. Zurückführung der jährlichen Tem- peraturcurve auf die ihr zum Grunde liegenden Bedingungen, 365. Aperiodische Bewegung gedämpfter Magnete, 537. Vertheilung des Regens in der jährlichen Periode im mittleren Europa, 813.

Physiologie, Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den motorischen Nerven der Menschen, 184. Gesetze der Muskelermüdung, 629.

Pilularia, 653.

Platemys tuberosa Ptrs., 311.

Preisfragen, 571.

Propithecus Deckenii Pirs., 421.

Rana longirostris Ptrs., 646.

Regenvertheilung im mittleren Europa, 813.

Säugethiere, 207. 421. 584. 900.

Sardinische Fälschungen 64.

Geschichte, 90.

Scaphiophis albopunctatus Ptrs., 645.

Sitzungen, Öffentliche, 23. 183. 535.

Spitzmäuse, neue Arten, 584.

Südafrika, 110.

Temperaturcurve, 365.

Temperaturvertheilung im Winter 1883, 209.

Thallium, seine Stellung in der Reihe der Elemente, 237.

Tropidolepisma striolatum Ptrs., 642.

Uriechis lineatus Ptrs., 643.

Warneidechsen, 106.

Zoologie, Ductus pneumaticus des Unterkiefers bei den Crocodilen, 15. Über die afrikanischen Warneidechsen und ihre geographische Verbrei- tung, 106. Beitrag zur Kenntnils der herpetologischen Fauna von

Sach-Register. 927

Südafrika, 110. Die wachsende Kenntnifs des unsichtbaren Lebens als felsbildende Bacillarien in Californien, 259, Verwandschaft der Ctenodactyli mit den Chinchillen und anderen Gruppen der Nager, 207. Platemys tuberosa, eine neue Art von Schildkröten aus British-Guiana, 311. Propithecus Deckenii, eine neue Art von Halbaffen aus Mada- gaskar, 421. Neue Arten von Spitzmäusen, 584. Neue Amphibien, Ban Monographische Übersicht der Chiropterengattungen Nycteris und Atalapha, 900.

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