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x MONATSHEFTE

KUNSTWISSENSCHAFT

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. G. BIERMANN

XI.JAHRGANG 1918

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M74

Heft 1: Méller, Emil, Zwei bisher unbekannte Bildnisse der Mona Lisa Rosenberg, Marc, Eine seltene Granulationsarbelt . . . . . + + + + + * >, Stierling, Hubert, Kleine Beitráge zu Peter Vischer. Nr.3. Zwei unbekannte Vischer- Werke im Dom zu MeiBen e, 20

Heft 2/3: Hoeber, Fritz, Die attischen reif schwarzfigurigen Vasen von rotfigurigem Stil . Singer, Hans mer ume Der Vierfarbendruck in der Gefolgschaft Jacob Christoffel le Blons ; P RP NL M de ies er vi. ле

Heft 4: Gerland, Otto, Zwei Altarflügel nach Albrecht Dürers Marienleben W est, Robert, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassenkampfes innerhalb der abendlündischen Kulturwelt . E Strzygowski, Josef, Der Zustand unserer бейшен Воле:

Heft 5: Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. 4. Das Rätsel des Sebaldus- grabes ; e EE Wd ERO DE wd š

West,Robert, Die Übergangestilo als ee ass Ideen- und Rasssnbsmpiós inne: halb der abendlindischen Kulturwelt (Forteetzung) . ç Grotte, Alfred, Ostjüdische Sakralkunet und ihre Ausstrahlungen adt dauischas Gebiet

Heft 6: Steinmann, Ernst, Die Zerstórung der Grabdenkmiler der Püpste von Avignon. Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. 4. Das Rátsel des Sebaldus-

grabes. Nachtrag. š : А Der Zustand unserer fachmünnischen Beurteilung. E (Tákács) . Erwiderung (Strzygowski) . .............. ..

Heft 7: Ehrenberg, Hermann, Anton Müller, der Maler von Danzig . š von Loga, Valerian, Spanische Maler des 15. Jahrhunderts in Neapel . , W est, Robert, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassenkampfes TN halb der abendländischen Kulturwelt (Schluß) CE

Heft 8: Hirschmann, Otto, Karel van Manders Haarlemer Akademie Habicht, V. Curt, Findlinge zum Thema: Goethe und die bildende Kunst.

Heft 9/10: Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. 5. Vorbilder, een Weiterbildungen . б. Feulner, Adolf, Die Ee der " Katharina von P. P. Rubeni in Lille. Dresdner, Albert, Noch einmal Karel van Manders Haarlemer Akademie. . A Habicht, V. Curt, Findlinge zum Thema: Goethe und die bildende Kunst (Schluß) .

Heft 11/12: Grolman, W.v., Zur Würdigung des Veit StoB . ; 1 Schmidt, Dr. Paul F., Karl Philipp Fohr. Sein Leben аба Sina Kunat West, Robert, Der romanische Kreuzgang an der Stiftskirche in Berchtesgaden Stierling Hubert, Kleine eee su Peter Vischer. Nr. 6. Das Urbild des Sebaldus-

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. 213—231 . 233—238-

. 245—268" . 269—275 . 276—277 . 278—290

. 497—399 . 310—320 . 331—340

- 341—344 HI

Heft 4:

Mayer, August L., Cipper, genannt Todeschini, als Pseudo-Spanier . . . . . + +

Heft 7:

Sommerfeldt, Gustav, Das Krodelbild Nr. 1958 der Kónigl. Gemäldegalerie zu Dresden

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REZENSIONEN nns

Bernard, Emile, Erinnerungen an Paul Cézanne. (Kahns), S. 176.

Bruck, Robert, Ernst zu Schaumburg, ein kunst- fórdernder Fürst des 17. Jahrhunderts (von der Gabelentz), S. 26.

Cohen, Hermann, Ásthetik des reinen Gefühls (Bieber), S. 205.

Dáubler, Theodor, Der neue Standpunkt (Scha- pire), S. 139.

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Flemming, W., Die Begründung der modernen Asthetik und Kunstwissenschaft durch Leon Battista Alberti (K. Freyer), S. 239.

Floerke, Hanns, Die Moden der italienischen Renaissance von 1300—1550 (R. Schapire), S. 350.

Glauning, Otto, Neven und der Raub Nürn- berper Kunst- und Bücherschütze im Jahre 1801 (Ernst Steinmann), S. 208.

Glück, Heinrich, Türkische Kunst (Strzygowski), S. 240. Gradmann, Gertrud, Die Monumentalwerke

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Haack, Friedrich, Funde und Vermutungen zu Dürer und zur Plastik seiner Zeit (S. Schwa- bacher), S. 241.

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Heidrich, Ernst, Beiträge zur Geschichte und Methode der Kunstwissenschaft (Kahns), S. 107.

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Norddeutsche Malerei

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Thomsen, Wilhelm, Une inscription de la trou- vaille d'ordeNagy-Szent-Miklós(Supka),S.203.

Vogel, J., Otto Greiners graphische Arbeiten inLitho- graphie, Stich und Radierung (Singer), S. a: 4.

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Weixigärtner, Arpad, August Pettenkofer (Uhde-Bernays), S. 207.

IV

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ANG-HEFT 1 ——1ANUAR 1918

) KLINKHARDTéBIERMANN LEIPZIG

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Monatshefte fur Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjábrlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 1 ABHANDLUNGEN REZENSIONEN

TW O. Hirschmann, Hendrick Goltzius als er

EMIL MÖLLER, Zwei bisherunerkannte "e en SC Bildnisse der Mona Lisa. Mit 6 Ab- Arthur M. Hind, Catalogue of drawings by > dutch and flemish artists .... in the British bildungen auf 3 Tafeln ....... S. 1 Museum. Vol. L. Drawings by Rembrandt and his school (Hirschmann) 8. ar MARC ROSENBERG, Eine seltene У. Curt Habicht, Die mittelalterliche Plastik Hildesheims (Gerstenberg)........ 8. a5

Granulationsarbeit. Mit r Abbildung Rob. Bruck, Ernst zu Schaumburg, ein kunst S.15 fürdernder, Fürst des 17. Jahrhunderts M d.

Gabelentz) ) 26 . ; Fritz Medicus, Grundfragen der Asthetik (Ries HUBERT STIERLING, Kleine Beitráge Schaf S. a8

; : Konrad Erbacher, Griechisches Schuhwerk. zu Peter Vischer. 3. Zwei unbe- Eine anilquarischa Untetsuchung (Achelis) kannte Vischer-Werke im Dom zu 8. a9 Meißen“. Eine Entgegnung. Mit 3 Ab- RUNDSCHAU .............. S. 30 bildungen auf r Tafel....... S.17 NEUE BUCHER............ S. 32

JULIUS BOHLER : MÜNCHEN

HOFANTIQUAR MAJ. DES KAISERS UND KONIGS KGL BAYR HOFANTIQUAR BRIENNERSTRASSE 12

AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE ALTER MEISTER UND KOSTBARER ANTIQUITATEN

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Antiquitäten jeder Art.

Paris, 55 avenue des Champs Elysées.

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ZWEI BISHER UNERKANNIE BILDNISSE DER MONA LISA

Mit sechs Abbildungen auf vier Tafeln Von EMIL MÓLLER

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er kein Werk des groBen Meisters ist schon so viel geschrieben, keines ist der Bevölkerung aller fünf Erdteile so vertraut geworden, als dies eine Ge- milde, das in unseren Tagen noch durch sein geheimnisvolles Verschwinden und unerwartetes Wiederauftauchen die Welt zwei Jahre lang in Spannung gehalten hat: gerade als ob ein findiger Unternehmer das Interesse für jenes Wunderwerk der Malerei noch hatte steigern wollen.

Wie es gewöhnlich geht, so hat auch hier die allgemeine Teilnahme für ein Kunst- werk noch nicht in die Tiefe geführt. Trotz des Überflusses an guten und schlechten Beschreibungen, Stimmungsergüssen und phantasievollen, leider öfters lüstern gefürbten Dichtungen ist unser Wissen über das Malwerk und besonders über die Person der Dargestellten doch sehr lückenhaft und mit Irrtümern durch- setzt. Die folgende Abhandlung wird Gelegenheit bieten, im Lichte neu untersuchten Materials oder auf Grund eigener Beobachtungen einiges Neue über dies Meister- werk Leonardos zu sagen, wenn ich mir hier auch nicht die hohe Aufgabe gestellt habe, es allseitig zu behandeln’).

Es ist aber gewiß von großer Bedeutung, weitere Bildnisse von einer so aus- gezeichneten und von so viel Geheimnissen umkleideten Persónlichkeit kennen zu lernen, denn wir erlangen dadurch nicht nar eine deutlichere Vorstellung von ihrer kürperlichen Erscheinung, sondern wir werden vor allem auch instand gesetzt, manche bis heute bestehende Zweifel über Leonardos Arbeit zu lósen, Ich bin in der angenehmen Lage, gleich zwei nach der Natur gezeichnete Bildnisse der Gioconda beizubringen. Das eine wurde von einem Leonardoschüler hóchst wahrscheinlich dem Salai in der Werkstatt des Meisters geschaffen, wührend die Dame dem Maler saß. Das andere Werk ist eine unbezweifelt echte, große Zeichnung in ganzer Figur von der Hand Leonardos selbst! Die Überraschung sollte eigentlich noch gréfer werden, nicht jedoch in eine Enttduschung umschlagen,

(1) Über die Person der Gioconda gab uns Prof. Gio. Poggi, der geschützte Direktor der Uffizien- galerie in der Zeitschrift II Marzocco vom 21, Dezember 1913 eine wertvolle Mitteilung. Die bisher allgemein glüubig hingenommene Nachricht des Vasari und des Lomazzo, daß die Dame aus einem neapolitanischen Geschlechte der Gherardini stamme, war falsch. Schon Mintz (L. d. V. 416) hatte vergeblich im Archiv von Neapel Nachforschungen nach einer solchen Familie anstellen lassen. Nun hat Poggi in einer Florentiner Grundsteuerrolle von 1480 gefunden, daB der Florentiner Antonio Maria di Noldo Gherardini, wohnhaft im Stadtviertel S. Spirito, in der Via Maggio die Eintragung machte: Lisa mia figliola d'età d'anni uno senza principio di dota igniuno. Ein Lácheln überkommt uns, wenn wir hören, daß der Vater sich bei dem einjährigen Migdlein schon Sorgen macht, daß es nicht einmal einen „Schimmer von einer Mitgift" besitze, nicht ahnend, daß ihm da ein gans einziges Juwel der Frauenwelt in der Wiege liegt. Lisa war also 1479 in Leonardos Vaterstadt geboren und záhlte, als der Meister sie malte, 24—26 Jahre, was genau mit der Schätzung des klugen Cassiano del Pozzo übereinstimmt. Was man sonst noch oft über die M. Lisa und ihr Verhältnis zu L. lesen muß, trägt vielfach den Stempel müBig-lüsterner Erfindung an der Stirn, wie das angebliche Liebesverhältnis zu Leonardo eine Erfindung des als L.-Schreiber be- rüchtigten Arsene Houssaye oder es offenbart einen sehr mangelhaften Einblick in Leonardos Lebens- verhültnisse, wie die Angabe Malaguzzi-Valeris (La Corte di Lod. il Moro II 575), daß Leonardo das Bild mit nach Mailand genommen und es an Franz I. für 4000 Dukaten verkauft habe.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft ı 1 I

wenn ich hinzufüge, daB es sich um zwei jedem zugiingliche, oft abgebildete Arbeiten handelt. |

I. Die Zeichnung des Leonardoschülers gegen 1505.

Das Blatt 426 der Uffiziensammlung (Abb. 3) wurde schon 1879 von C. Brun (Leonardobiographie in Dohmes Kunst und Künstler, S. 33) und gleichzeitig von W. Lübke (Gesch. d. ital Malerei, S. 81) unter hohen Lobsprüchen als Arbeit Leonardos im Holzschnitt abgebildet; nach Photographie brachte es zuerst Müller- Walde's Leonardobuch, Abb. 70, weiter Rosenberg, Abb. 103 u. a Keiner hat m. W. bisher geahnt, wer die dargestellte Dame sei, wogegen ich seit vielen Jahren bereits für mich die Zeichnung als ,,Naturstudie eines Leonardoschiilers nach der M. Lisa“ benenne.

Die Zeichnung miBt 235><155 mm und ist auf leicht grünlich geténtem Papier mit dem Silberstift sorgfáltig, aber hart ausgeführt. Die Modellierung ist stark betont und wie metallisch spiegelnd, die Formenkenntnis gering, die Zeichnung schwach, besonders das linke Auge. Die übertreibende Manier der Modellierung, die wie entzündet erscheinenden Augenlider und die Zeichnung der Haare stehen den künst- lerisch besseren Zeichnungen des noch viel umstrittenen Ambr. Preda nahe, dem Morelli (Studien 1434) und v. Seidlitz (A. Preda-Studie 29) das Blatt zugesprochen haben. ,

In einer dem Profil sich nühernden Ansicht, genau derselben, die Leonardo für den älteren Jakobus beim Abendmahl benutzte, wendet sich der Kopf nach der rechten Schulter, während die Büste noch ein Geringes aus der Vorderansicht nach der entgegengesetzten Seite gedreht ist. Der Blick geht in der Höhe des Kopfes nach der Richtung, der das volle Gesicht zugewendet ist. Ein dünner, un- durchsichtiger Schleier, der auf beide Schultern herabhüngt, bedeckt den Kopf bis über die Haargrenze, láBt aber seitlich die leicht gewellten, dünnen Strühnen auf die Büste herabflieBen. Auch über der Stirn sind die Haare leicht gewellt. Sehr bemerkenswert sind manche Einzelheiten: der Schleierrand ist in der Hóhe des linken Auges umgeschlagen, wie wir es auf dem Urbild noch mit Mühe erkennen. An der rechten Schlüfe steht der Schleier vor, was auch auf dem Original trotz der Vorderansicht noch bemerkbar ist. Das flüchtig behandelte Kleid hat einen tiefen, anscheinend runden Halsausschnitt; an der Einfassung sind einige gekrüuselte Fültchen angedeutet. Das linke, stark verzeichnete Auge hat schmale Offnung, mit schwerem, müden Oberlid; die geschwollenen Ränder wirken wie entzündet und sind ohne Wimpern. Die Augenbrauen fehlen! Ebenso auffällig stimmt mit dem Gemälde der starke Fettwulst überein, der das linke Auge von der Schläfe trennt. Die Nase mit breiter Wurzel und etwas vorspringendem Knopf stimmt trotz unfeiner Auffassung in der Form mit dem Bild und der unten zu besprechenden Zeichnung Leonardos überein. Der Mund ist klein und zierlich gebildet; das stark gerundete Kinn tritt kräftig hervor, was mehr einer Neigung des Zeichners als dem Modell entsprochen haben wird. Unter dem Kinn deutet ein Fettwulst Anlage zu üppigen Formen an. Die Wangen sind breit, das Jochbein tritt durch Schattierung stark hervor. Die Beleuchtung ist genau dieselbe, die Leonardo bei der Mona Lisa benutzte, denn das Licht fällt von halblinks, schräg vqn oben. Die schlanke Linie des Nackens ist von den Haaren freigelassen; bemerkenswert sind die ebenso wie auf Leonardos Zeichnungen vor 1500 scharf betonten Hautfalten auf der abgewandten Seite des Halses. Die Zeichnung wirkt in ihrer kleinlich-sorgsamen, fast mädchen- haften, wenig verstandenen, trockenen Mache wie ein Puppenköpfchen.

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Es kann nicht der geringste Zweifel obwalten, daB hier die Mona Lisa dar- gestellt ist. Wenn wir berücksichtigen, daB der Zeichner ein geringer, nüchterner Künstler war, so müssen wir sagen: die Zeichnung stimmt in Haltung, Beleuch- tung, Tracht, Haaren und Formen fast Zug um Zug mit dem Gemilde überein!

Wer aber war der Zeichner des Blattes?

Auf Grund eindringlichen Studiums aller erreichbaren Handzeichnungen und Ge- mälde Leonardos und seiner Umgebung muB ich sagen: Es ist zunächst unmög- lich, dies Blatt als Kopie einer Zeichnung Leonardos aufzufassen; in solchem Falle nimlich würde die Zeichnung, besonders das linke Auge, nicht nur richtiger und feiner dastehen, sondern auch die Strichführung, wie aus anderen Schiiler- kopien jener Zeit sich nachweisen läßt, eine wesentlich andere sein. Auch die Stellung des Profils nach links wählt der Linkshänder Leonardo selten.

Wegen der noch ganz frühmailündischen Technik der Zeichnung ist es zweifellos, daB der Zeichner zu den mailündischen Schülern Leonardos aus den neunziger Jahren gehört! Die stark betónte Plastik der Modellierung, die Schärfe der Zeichnung, die nicht ungeschickte Behandlungsweise der Haare und die ge- schwollenen Augenlider weisen auf Beeinflussung durch den damals in Leonardos Werkstatt in Mailand am stärksten hervortretenden Ambrogio Preda hin. Die noch ziemlich zahlreich erhaltenen Gemälde und Zeichnungen dieses Malers sind größtenteils von so vortrefflicher Beschaffenheit, daß sie verbieten, ihm zumal um I505 eine Zeichnung von so geringem Formenverstündnis zuzuweisen 1).

Wer war nun jener unbedeutende Schüler, der seine Lehrzeit in den neunziger Jahren in Leonardos Werksatt durchmachte und noch in Florenz bei ihm. weilte?

Aus einem Briefe, den der Karmeliter Pietro da Nuvolaria im April 1501 an Isabella d'Este schrieb, wissen wir, daB damals in Leonardos Werkstatt zwei Schüler an Bildnissen arbeiteten. Der eine von ihnen ist bisher ganz unbekannt geblieben; er wird aber kein Mailänder Schüler gewesen sein, da aus Leonardos Aufzeichnungen nur ein einziger bekannt ist, der mit ihm über Mantua und Venedig nach Florenz reiste. Dieser war der vielgenannte Salai, der in Leonardos Auf- zeichnungen zuerst am 29. Januar 1494 (MS. H* 16) erscheint? und bei ihm ver- bleibt, bis Leonardo Italien verläßt. Er wird von Nuvolaria, aber auch vom Meister, als discepolo bezeichnet und hat als Bote und Factotum Leonardos allerlei Auf- tráge auszuführen. Wohl hat Leonardo bei der Ausführung der Schlacht von Anghiari noch manche andere Gehilfen zur Hand. Einen Schüler aus Mailand habe ich nirgends feststellen können“). Zu dem, was wir über Salai wissen oder ver- muten dürfen, würde unsere Zeichnung vortrefflich passen. Daß ein unbedeuten- der Gehilfe des Meisters, wührend letzterer eine vornehme Dame malt, sich in

(z) Über Preda vergleiche man meinen Aufsatz über das Bildnis der Gallerani in den Monatsheften für Kunstwiss. 1916, September, S. 316 f.

(a) Seidlitz 1158 schreibt irrig 14. März.

(3) Eine Zeitlang habe ich geglaubt, daß Ferrando Spagnuolo, d. i. Ferrando Yañez de Almedina, der andere Leonardoschüler und der Zeichner unserer Studie sei. Dann müBte dieser Maler schon in Mailand bei Leonardo gewesen sein. Nun begegnet uns tatsüchlich in Leonardos Aufzeichnungen des Jabres 1494 der Name „ferando“ (M.S, Н? 46). Gegen diese Ansicht spricht aber, daß in den Bildern des Yañez neben zahlreichen Entlehnungen aus florentinischen Arbeiten, besonders Leonardos, keine einzige aus der mailündischen Zeit nachweisbar ist. Schwerer wiegt aber, daB der 1507 an dem großen Hochaltar in Valencia schaffende Ferrando Yañez trotz seines offenbaren Anlehnungsbedürf- nisses und seiner Weichheit gegen 1505 schon weiter fortgeschritten gewesen sein muß, als der Zeichner der Naturstudie.

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einer” Naturstudie derselben versuchen darf, weist auf ein vertrautes Verhiltnis des Schülers zum Meister hin. Das trifft bei keinem der damaligen Schüler Leonardos in so hohem Maße zu, wie bei dem als Künstler zweifellos unbedeutendem, auch als Mensch durchaus nicht tadelfreiem Lieblingsschüler des Meisters, dem lockigen Salai. Die von Gustav Pauli einmal geäußerte, sonst sehr ansprechende Ver- mutung, daB Salai vielleicht der Maler der groBen Bildergruppe sei, die wir nach Morellis Vorgang dem Giampietrino zuschreiben, halte ich nicht für zutreffend, weil der Charakter dieser Malwerke und der zugehörigen Zeichnungen erst der zweiten mailündischen Periode Leonardos nach 1506 entspricht, derselben Zeit übrigens, in der Leonardo auch einen gianpetro unter seinen Gehilfen aufzeichnet. (C. A. 264°»), Dem Zeichner der Mona Lisa, wahrscheinlich also dem Salai, dürften u. a. noch folgende Blátter angehüren: Die kleine Zeichnung eines Mádchen- kopfes auf blauem Papier, Profil n. l. in Windsor N. 15512, Müller-W., Abb. 52, Rosenberg, Abb. 98. Die Büste ist von Leonardo hinzugefügt. Ferner der Frauen- kopf mit aufgelóstem Haar, groBen, starren Augen und doppelter Halskette in der Ambrosiana, Braun 33, Rosenberg N. 94. Beide Blatter hat v. Seidlitz dem Preda zugeeignet. Ferner in Windsor, Rouveyre, Physionomies F. 6 und im Cod. Atl. verschiedenes, auf das ich später einmal eingehen möchte.

Ist uns die unvollkommene Zeichnung auch schon wertvoll als Beispiel der Fähigkeiten und des Stiles jenes mailändischen Schülers, der Leonardo nach Florenz begleitete, d. i. wahrscheinlich des Salai, so besitzt sie doch eine unvergleichlich höhere Bedeutung, weil sie uns in den Stand setzt, die Persönlichkeit der Mona Lisa bésser zu erkennen und Leonardos Schépfung zutreffender zu beurteilen.

Überraschend klar treten uns bei einigem Nachdenken die Umstünde entgegen, unter denen Leonardo die M. Lisa malte! Während die junge Gemahlin des Giocondo zwanglos im Armstuhle saß, Gesicht und Blick auf den Meister gerichtet, hat der seitlich rechts von ihm sitzende Schüler die Gelegenheit benutzt, eine Naturstudie nach der Dame zu machen. Ja, es läßt sich nachweisen, daß Leonardo damals am Kopfe malte (was bei Leonardos Arbeitsweise darauf schließen läßt, daß das Gemälde sich der Vollendung näherte!) Denn während der Kopf auf der Zeichnung einschlieBlich des Schleiers und der Haartracht mit dem Bilde überraschend übereinstimmt, ist seine Stellung zum Rumpfe stark verändert: anstatt der leichten Wendung zur linken Schulter auf dem Gemälde erblicken wir auf der Zeichnung eine starke Drehung zur rechten Schulter in der Richtung auf Leonardo zu, wo- gegen der Kórper dem Schüler zugewendet war. Die so sicher zu erratende Szenerie kónnte fürwahr einen Historienmaler reizen, uns ein anziehendes, getreues Bild aus Leonardos Studio vorzuführen!

Wir erkennen weiterhin, daB Leonardo nur im Beiwerk seinen Erfindungsgeist und Schónheitssinn hat spielen lassen. Von der wunderbaren Gebirgslandschaft des Gemäldes ist ja bekannt, daB sie nur im Geiste des Meisters vorhanden war, der aus den seltsamen Erdpyramiden Toskanas (Beobachtung von Felix Rosen), aber auch aus den von ihm Ende 1499 besuchten Dolomiten die Grundformen ent- nommen hat.

Ahnlich verhült es sich mit der Kleidung. Ein wenig Überlegung bei Be- trachtung des Originalgemáldes sagt uns schon, daB die reizvoll verschlungenen Schnüre unterhalb des Halssaumes des Kleides auf dem in engen Kräuselfalten liegenden, weichen Seidenstoff gar nicht aufgenüht sein kónnen, wenn auch der obere Fries Halt genug in sich selbst hat (Abb. 2). Die Zeichnung des Schülers zeigt uns das Kleid sehr schlicht mit wenigen Fältchen unter schmuckloser Ein-

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fassung. Auch auf dem Karton Leonardos (Abb. 5 u. 6) begegnet uns dasselbe schlichte Kleid. Wenn man einwenden wollte, daB die Dame ein reicheres Ge- wand getragen haben wird, als der Künstler an diesem Teile des Bildes malte, so könnte ich aus ähnlichen Teilen in Leonardos Werken nachweisen, daß das wunder- voll gestaltete Gewand im einzelnen weit mehr eine Phantasieschipfung des Künst- lers ist, als ein Naturstudium. Sehr viele der unzähligen Fältchen, die da stehen die meisten sind unter Firnis und Nachdunkelung versteckt und nur auf der Kopie im Prado (Abb. 4) zu erkennen lassen sich im Stoff gar nicht so legen; sie sind von der Natur nur angeregte, freie Schöpfungen in Leonardos eigentümlichem Schünheitsempfinden; so arbeiten heißt in des Meisters Sprechweise „fare di fan- tasia appresso li effetti di natura“ (Trattato 39).

Dagegen hat Leonardo in der Darstellung des Körperlichen in seinem Gemälde ein bewundernswert getreues Abbild der Mona Lisa gegeben, wie es seinen Grundsätzen über die Bildnismalerei entspricht. Es hat nicht an Kunstschriftstellern gefehlt, die behaupteten, die Mona Lisa sei eher ein aus Leo- nardos grübelndem, konstruierendem Geiste geborenes Symbol des Weibes, als das Abbild einer ehemals lebenden Person. Selbst W. v. Seidlitz schrieb in seinem Leonardobuch 49): Leonardo wollte (in der Gioconda) nicht den unmittelbaren Hauch des Lebens wiedergeben, sondern ein inneres Bild, das ihm vorschwebte, wobei das zufällig (!) vor ihm sitzende Modell dabei nur insofern in Betracht kam, als es der Verdeutlichung des Bildes diente... Darin hat der Engländer Pater in seiner eindringenden (!!) Kritik (!) des Bildes durchaus recht, daß es viel mehr ein Symbol als Wirklichkeit darstelle. Die schon 1869 erschienenen kritiklosen Phan- tastereien des Schüngeistes Walter Pater sind selbstverständlich für die Auffassung des Bildes ohne Belang. Diese ganze, Leonardos Werk und Kunstziele schwer mißdeutende Auffassung erledigt sich schon durch die Anforderung, die der Meister in seinem Buche über die Malerei (Ausg. v. Ludwig-Herzfeld 193) an ein Bildnis stell. „Die Malerei ist am lobenswertesten, die am meisten Übereinstimmung mit dem dargestellten Gegenstande hat.“ Dasselbe ergibt sich auch aus der oft an- geführten Erklärung, die Leonardo von einem Gemälde gibt: „una cosa naturale veduta in uno grande specchio.“

Wer Leonardos Persönlichkeit und seine Kunstweise erfaßt hat, welche den |

starken, ins Kleinste eindringenden Realismus des Naturforschers und die tiefste, see- lische Erfassung des Denkers, sowie die wissenschaftliche Konstruktion des Mathe- matikers und das Aufbauen des Architekten mit den anmutig spielenden Formen des Schónheitsschwürmers zu einem unauflóslichen Ganzen verbindet, der weiß aller- dings, daß er von diesem einzigen Künstler kein plattes, naturalistisches Spiegel- bild der Natur zu erwarten hat, sondern ein im Geiste des Künstlers vertieftes und in eine höhere Welt emporgehobenes Abbild! Zu diesem Zwecke bedient sich Leonardo aber nicht einer Abünderung der kürperlichen Erscheinung, was er ja als Unwahrhaftigkeit verurteilen müßte, sondern der künstlerischen Anordnung der Beleuchtung, der von Schönheit durchtrünkten Gestaltung des Beiwerkes, namentlich der Kleidung und bei unserem Bilde vor allem einer unvergleichlichen, wie ein großartiges, märchenhaftes Traumbild gestalteten Landschaft, die durch ihre ungeheure Stimmungsgewalt eine wunderbare Steigerung des Persönlichen ins Allgemeine, Zeitlose zustande bringt’).

(z) Noch i. J. 1914 hat, wie ich aus einer freundlichen Sendung von Marie Herzfeld ersehe, André- Charies Coppier in Les Arts N. 145 in einem Artikel „La Gioconde est-elle le portrait de

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. n

In der nüchternen Zeichnung des Schülers, der ganz gewiñ nur gegeben hat, was er vor sich sah, kehren alle Formenelemente von Leonardos Gemälde wieder: die dünnen, geringelten Haare, dieselben Falten des gleich angeordneten Schleiers, die breiten Wangen (alquanto larghetta nennt Pozzo treffend das Antlitz der Gio- conda) mit dem. sich deutlich abzeichnenden Jochbein, die schmalen Augen mit den etwas geschwollenen unteren Lidern und den auffallenden Fettpolstern über den oberen Lidern nach den Schlüfen zu; endlich fehlen ebenso wie auf dem Ge- málde die Augenbrauen, die der Schüler ganz gewiß gezeichnet hätte, wenn sie in der Natur vorhanden gewesen wären. Auf diesen letzten Punkt müssen wir noch tiefer eingehen, um den von namhaften Leonardoforschern verbreiteten Irrtum zu zerstören, daß auf dem Gemälde Leonardos di Augenbrauen gemalt ge- wesen seien.

Die Quelle des Irrtums ist die wortreiche Beschreibung des Bildes durch Vasari, wo es heißt: Le ciglia per avervi fatto il modo del nascere i peli nella carne, dove pit folti e dove piú radi, e girare secondo i pori della carne, non potevano essere piú naturali!).

W. v. Seidlitz 52) übersetzt: „Die Brauen, bei denen er dargestellt hatte, wie die einzelnen Haare aus der Haut herauswachsen, bald dichter, bald dünner, und stets so, daB sie in ihrer Richtung durch die Poren bestimmt waren, konnten nicht natürlicher gedacht werden.“ Nun heißt aber ciglio lat. = cilium, franz. = cil „Augenwimper“, während die Augenbraue sopracciglio, lat. supercilium, franz. == sourcil genannt wird. Veranlassung zu diesem Ubersetzungsfehler bot der groBe Wortmacher Vasari, denn nur bei Augenbrauen kann man von bald dichter, bald dünner stehenden Haaren sprechen. So ist sogar Eugéne Müntz (L. d.V. 420), nachdem er zuerst genau „les cils“ übersetzt, im Verlaufe seiner freien Über- setzung auf ,les sourcils* gekommen. Auch Rosenberg (102) und Emmi Hirsch- berg (in ihrer von greulichen Fehlern strotzenden Übersetzung des Leonardobuches von Solmi 193), schließlich aber auch noch О. Sirén (L. d. V. 71 „ögonbrynen“) sind diesem Irrtum verfallen. Auch Malaguzzi-Valeri, der noch 1915 über Leonardo weitläufig geschrieben hat, gebraucht, obgleich Italiener, le ciglia bei Vasari und soprac- ciglia unterschiedslos, indem er sich auf die famose Darstellung von Coppier in Les

la Mona Lisa?" diese Frage verneint und dem Zuge der gegenwürtig herrschenden Anschauungen folgend hat er das Gemülde für eine ideale Schópfung Leonardos ausgegeben. Ja, er glaubt in der Dargestellten die nach Ant. de Beatis für Giuliano Medici gemalte „Donna fiorentina“ die aber doch „facta di naturale" heißt zu finden und schließt daraus, daß das Bild im Louvre erst 1512 gemalt sein kónne. Malaguzzi-Valeri, La Corte 11576, nennt das hóflich eine ,ingegnosa ipotesi!" Coppier meint auch, daß Leonardo in der Landschaft den See von Misurina mit der Poppe und dem Sorapiß (andere, wie Malaguzzi-Valeri, suchen die Naturvorbilder dieser echten Phantasieschöp- fung an der Adda) dargestellt habe leider als Spiegelbild, aber Leonardo schrieb ja „Spiegel- schrift“! Es ist zum Lachen! Man tut solchem feuilletonistischen Geschreibsel, das mit einigen aus der Leonardoliteratur erborgten Notizen verbrámt ist, Ehre genug an, wenn man Unkundige vor ihm warnt; denn dem Kundigen enthüllt der Verfasser auf Schritt und Tritt, wie fremd ihm Leonardos Schaffen geblieben ist.

(x) Angesichts der grofen Bedeutung, die dieser Beschreibung leider immer noch beigelegt wird (so schreibt z. B. sogar v. Seidlitz П 52: „Die Augenbrauen müssen aber vorhanden gewesen sein, weil Vasari sie schildert!^), obschon Vasari das Bild nie gesehen hat, iet es vielleicht gut, zu sagen, da6 al die Lobsprüche über anscheinend genau beobachtete Einzelheiten auf jedes fein durchgeführte Bildnis einer schónen, láchelnden Frau passen. Von der wunderbaren Landschaft weiß er gar nichts. Vasaris Schilderung beweist nur den Ruhm des Bildes, sonst nichts!

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Arts N. 145 stützt; auch behauptet er, daß Cassiano del Pozzo auf dem Bilde die „sopracciglia“ vermißt habe. (La Corte di Lod. il Moro 11575.) Sogar bei W. von Seidlitz (II 52) heißt es, daß Pozzo noch Teile der Augenbrauen auf dem Gemälde gesehen habe. Es ist ein verwirrendes Durcheinander von Ungenauigkeiten, als wenn Brauen und Wimpern dasselbe wären!!) Was sagt nun Pozzo eigentlich?

Cassiano del Pozzo, der das Gemälde 1625 in Fontainebleau sah und über- raschend genau beschrieben hat, ist als gebildeter und kunstbegeisterter Mann er war mit Rubens befreundet der bei weitem wichtigste Zeuge, den wir für das Aussehen des Bildes in ülterer Zeit haben. Er hat offenbar nach den von Vasari so überaus genau beschriebenen „ciglia“ gesucht. ,Notamo che à quella Donna paltro bella mancava qualche poco nel ciglio che il Pittore non gl'ié l'hà fatto molto apparire come che essa doueua hauerlo*!),

Also: ,Wir bemerken noch, daB es jener im übrigen so schónen Dame ein wenig an den Wimpern mangelte, die der Maler bei ibr nicht zahlreich hat erscheinen lassen, wie sie solche auch nicht gebabt haben muB.“ Somit stellt Pozzo im Gegensatz zu der Beschreibung, die Vasari von den Augenwimpern der M. Lisa gibt, die Behauptung auf, daß sie auf dem Gemälde nur spärlich zu sehen seien, und erklärt diese auffällige Erscheinung mit einer Eigentiimlichkeit des Modells.

Wir kónnen also feststellen, daB weder Vasari noch Pozzo von Augenbrauen auf dem Gemälde der M. Lisa gesprochen haben, was ganz im Einklang steht mit der efwa 1505 gezeichneten Naturstudie des Leonardoschülers und auch der Mode- richtung der Zeit entsprach, denn Baldassare Castiglione berichtet in dem 1516 er- schienenen Cortigiano, daß die Damen sich damals die Augenbrauen auszurupfen pflegten?). |

Nunmehr erhebt sich noch die Frage, ob wir Pozzo vertrauen diirfen, der 1625 noch vereinzelte Wimperhaare auf dem Gemälde gesehen hat! Ich bin über- zeugt, daB seine Beobachtung zuverldssig ist, wie er denn überhaupt das Bild sehr liebevoll betrachtet und mit vorzüglichem Urteil beschrieben hat.

Einen überraschenden Beweis für die Wahrheit von Pozzos Behauptung besitzen wir noch in der alten flämischen Kopie der Gioconda im Prado, die allen mir be- kannten an Genauigkeit überlegen ist (Abb. 5). Dr. G. Frizzoni (Ztschr. f. b. К. 1894,74) bezeichnet sie mit Recht als niederlündisch-flàmisch, irrte aber gewaltig, als er dem- selben Maler auch die Auferstehung Christi im Berliner Museum zuschrieb. Ich kann nur nach der vortrefflichen Photographie von Anderson (N. 16109) urteilen und halte das Gemälde für bald nach 1550 entstanden, zumal da es eine ungeheure Menge von Einzelheiten enthält, die Pozzo am Urbild wegen eines schweren Fir- nisses offenbar nicht mehr hat erkennen kónnen. Auf der Photographie sieht ein scharfes Auge am rechten Oberlid im äußersten Winkel drei oder wenn es sich um keinen Schatten handelt vier Wimperhaare, am linken Oberlid aber über dem äußeren Rande der Iris zwei Haare! Nun hat zwar der Kopist auch eine sehr dünne, anscheinend von einem- späteren verstärkte Linie als Andeutung der Brauen oder besser als Begrenzung der Augenhóhle und ebenso Falten an den

(1) Über die Auslegung von „ciglia“ wolle man die berichtigende Schlußbemerkung S. 14 beachten! (2) Text nach meinen Aufzeichnungen aus dem Originalcodex Ms. Bibl. Ap. Barb. Lat. 5688 f. 194r, die der damalige Prüfekt der Vaticana, P. Ehrle, S. J., trotz der vor sich gehenden Umordnung der Bibliothek freundlichst ermöglichte.

(3) Angeführt bei H. Wölfflin, Die klassische Kunst, Note S. 33. Castiglione spricht allerdings von „pelarsi le ciglia e la fronte", aber an das Ausreißen der Wimpern kann man doch schlecht glauben. Auch Wölfflin nennt in seinem Text nur das AusreiBen der Brauen.

Fingergelenken hinzugefiigt, jedoch die vereinzelten fünf oder sechs Wimper- haare sind so auffällig, daß sie sich nur durch die Annahme erklären lassen, daß das Originalbild sie damals noch aufwies!

Es ist mir leider in den letzten Jahren nicht vergünnt gewesen, das Urbild im Louvre zu sehen und die größten Photographien gestatten hier kein Urteil wegen der vielen Farbenrisse mit ihren Reflexen. Aber M. Durand-Gréville hat Eugéne Müntz (L. d. V. 418) mitgeteilt, daß zwei oder drei Wimperhaare (cils, die W. von Seidlitz wieder als Brauen deutet!) mit der Lupe noch wahrzunehmen seien, ebenso wie der Schlagschatten der Hauptlinie der Wimpern, der sich in der äußersten Ecke des (welches?) unteren Lides befindet).

M. Durand-Gréville ist anscheinend nicht durch die Kopie in Madrid beeinfluBt gewesen und hat nur erklürt, was seine Augen sahen. Es würde eine glänzende Rechtfertigung meiner Behauptungen sein, wenn 'sich diese Spuren der Wimper- haare vielleicht an jenen Stellen befánden, wo sie auf der Kopie stehen.

Der Erklürungsversuch Pozzos für die Mangelhaftigkeit der Augenwimpern auf dem Bilde ist sicher verfehlt, Die Malerei hatte vielmehr vor 1625.schon erheb- lich gelitten il vestito é stato da certa vernice datali cosi malconcio..con tutte le disgratie che questo quadro habbi patito . . schreibt Pozzo. Daß wir darunter auch Abwaschungen verstehen dürfen, ist sicher. Auch in späteren Jahrhunderten ist Abwaschen und Firnissen das Allheilmittel der Gemäldepfleger in den Samm- lungen der französischen Könige. ,,N’a besoin que d'être lavé et verni“ ®t ein stehender Ausdruck in den Verzeichnissen, die Ferd. Engerrand (Bailly, Inventaire des Tableaux du Roy, Paris 1899) herausgegeben hat, und gerade bei der M. Lisa heißt es noch 1788 ,laver et vernir“, Die Folgen sieht man deutlich genug an Nebendingen: Die Sáule zur Rechten ist nahezu verschwunden!

Wenn auch in Leonardos Gemälden und Zeichnungen Augenwimpern nur selten und nur in frühen Arbeiten zu finden sind, so möchte ich doch glauben, daß Leo- nardo auf diesem Bildnis wirklich Augenwimpern gemalt und daB Pozzo noch Teile davon gesehen habe, ja, ich glaube, daB heute noch die von Durand-Gréville ge- meldeten Spuren nachweisbar sind. Freilich hat der Schüler in seiner geringen Zeichnung die Wimperhaare ausgelassen, was aber nicht viel bedeutet, da sie in einigem Abstande nicht mehr gesehen werden. Wie leicht konnten die als letzte Feinheiten hinzugefügten Wimperhaare, Dinge, die Leonardo mit dem feinsten Pinsel in unvergleichlicher Sicherheit leicht wie einen Hauch hinsetzte, einer der häufigen Abwaschungen zum Opfer fallen!?)

(т) D'aprés M. Durand-Gréville deux ou trois cils seulement sont encore visibles à la loupe, ainsi que l'ombre portée de la ligne générale des cils, qui se trouve sur le coin extréme de la paupière inférieure. (2) Bei dieser Gelegenheit will ich, einer tin Untersuchung vorgreifend, die mir bisher auf- gefallenen wesentlichsten Beschüdigungen des Gemáldes kurz anführen, 1. Starke Abwaschungen in der Landschaft, an den Säulen und an Gesicht und Büste; von den Händen haben die Fingerspitzen gelitten. a. Am Schleier, besonders an der rechten Gesichtsseite und über der Stirn sind die Begrenzungslinien ziemlich plump erneuert. 3. Durch einen trüben Firnis sind groBe Teile der Kleidung, des Schleiers, der Haare (namentlich seitlich von der linken Wange), des Armstuhles und die feine Rusticaverzierung der Brüstungswand, die bisher anscheinend un- bemerkt geblieben ist, fast unerkennbar geworden. Von einem Firnis Leonardos kann seit Jahrhunderten natürlich keine Rede mehr sein.

An Restaurierungen läßt sich folgendes feststellen. Nach dem Zeugnis der Kopie im Prado muß das Urbild bereits um 1550 durch Abwaschungen (vgl. die Augenwimpern) geschädigt gewesen,

IL Der Karton der St. Anna in der Kgl. Akademie zu London. (Abb. 5 u. 6).

Trug schon die Zeichnung des Schülers wesentlich dazu bei, die Persónlichkeit der Mona Lisa und den Wirklichkeitscharakter der Schópfung Leonardos erkennen zu lassen, so muf es noch bedeutungsvoller erscheinen, дай der Meister selbst auf einem seiner berühmtesten Werke, dem Karton der S. Anna in London, die M. Lisa in voller Gestalt verwendet hat. |

In jenem stillen Saal der Diploma Gallery, in den sich nur selten ein Besucher der Royal Academy verirrt, habe ich in verschiedenen Jahren manche Stunden vor jenem trotz aller Schüden so kostbaren Originalkarton Leonardos zugebracht. Die hl Jungfrau, die auf dem rechten Knie der Mutter Anna sitzt, zeichnet sich vor den schlanken, . mehr jungfräulichen Madonnen der mailändischen Zeit Leonardos aus durch eine fraulich-reife Gestalt von starken Schultern, deutlich hervortretenden Brüsten und kräftigen, gerundeten Knieen. Der Kopf ist der am sorgfältigsten durchgeführte Teil der Zeichnung. Die Haare sind ziemlich dünn, in der Mitte gescheitelt und mit einem diademartig geschlungenen Schleiertuch bedeckt. Die niedergeschlagenen Augen sind nicht gerade groB; Brauen sind nicht festzustellen; die feine, schmale Nase wölbt sich an der Spitze zu einem fleischigen Knopf; um den Mund spielt ein sinnendes, mütterliches Lächeln. Ein zartes, sonniges Spiel von Lichtern und Schatten huscht über das etwas breite, rundliche Gesicht und hebt das Wangenbein kráftig hervor. Man kann sagen: soweit es bei der Verschiedenheit der Technik und der Schnelligkeit der Ausführung möglich war, ist hier ein Gegen- stück zu dem lebendigen Lichterspiel auf dem Gemälde der Gioconda zu schauen. Bei dem auf ideale Bildungen gerichteten Leonardo sind wir, selbst bei einem Karton zu einem Altarbilde, nicht darauf gefaßt, ein „Modell“ in solcher Klarheit auftauchen zu sehen,wie es hier offensichtlich der Fall ist.

Man darf ja sagen: mit Ausnahme der frei fließenden Haare kehren fast alle körper- ` lichen Züge, die wir aus dem Gemälde Leonardos und der geringen Zeichnung des Schülers als bezeichnend für die M. Lisa gesammelt haben, in dem Londoner Karton wieder! Im einzelnen erkennen wir besonders noch die zierliche Form der Nase, die auch auf dem Gemálde einen schmalen Rücken und einen erbreiterten Knopf hat, der auf der Schülerzeichnung gewöhnlich und unschön gestaltet ist, ebenso genau wieder, wie den lieblichen Mund mit der ganz leise hervortretenden Unter- lippe. Ja, selbst das Kleid mit dem weiten, runden Ausschnitt, unterhalb dessen der Stoff in Fältchen eng zusammengezogen ist, stimmt mit den beiden bereits erkannten Abbildern überein. Dazú kommt noch die nach dem gleichen malerischen Ziele strebende weiche Beleuchtung und lebendige Modellierung des Kopfes!). in den Gewandteilen aber noch sehr klar gewesen sein. Als Pozzo 1625 das Bild sah, lag schon ein so schwerer Firnis darüber, daf er nicht erkennen konnte, ob das Kleid ,schwarz oder dunkelbraun“ (negro o lionato scuro) sei. In Wirklichkeit ist es bláulich-grún. Nach der Abwaschung von 1788 ist wahrscheinlich noch eine weitere Instandsetzung erfolgt, als die Bilder für das Musée Napoléon hergerichtet wurden.

Ich glaube nicht, da8 die Kenntnis von Leonardos Gemálde durch die Zusammenstellung sámtlicher

Kopien noch merklich gefördert werden könnte, was Dr. Frizzoni annimmt. Wahrscheinlich aber würden große Photographien bei geeigneter Behandlung und scharfer Beleuchtung des Bildes noch manches herausholen können. (1) Wie war es möglich, daß man diese Übereinstimmung bisher übersehen hat! NurGeorg Gronau, L. d. V., Lond. 1903, 138 schrieb, daß beide Köpfe der Ы. Frauen mit ihrem feinen, kaum wahr- nehmbaren Lächeln direkt an die M. Lisa erinnern. Außerdem sagt Siren, L. d. V. 263, daß das Brustbild der Madonna durch sein malerisches Sfumato mit der M. Lisa wetteifere. Doch unser einziger Müller-Walde wußte das seit 30 Jahren und sprach zu einzelnen Fachgenossen davon!

Aber da wendet vielleicht ein Kenner der Leonardoliteratur ein, daB die all gemein angenommene Datierung des Londoner Kartons es uns unmöglich mache, ihn mit der M. Lisa zu verbinden! Allerdings haben sämtliche Leonardoforscher und -Schriftsteller mit Marks und Herb. Cooks schöner Studie beginnend bis zu Siren eine Ausnahme bilden nur der mit irreführendem Beweisgrunde arbeitende Anton Springer (Ztschr. f. b. К. 1889, 141 fl.) und der vortreffliche Hans Klaiber (Leonardo-Studien 48), dessen Beweisführung mir unklar geblieben ist und auch Unzutreffendes enthält die Ansicht vertreten, daß der Londoner Karton bereits in Mailand entstanden sei und dem 1501 in Leonardos Werkstatt befindlichen, der dem Bilde im Louvre zugrunde liegt, voraufgehe. Aber bisher hat kein For- scher auch nur einen einzigen annehmbaren Beweisgrund für diese Ansicht vor- gebracht, und der unanimis consensus ist, wie so oft in der Leonardoforschung, auch hier nur ein communis error zu nennen,

Ich kann mich nunmehr nicht mehr der Aufgabe entziehen, meine abweichende Datierung des Londoner Kartons, die eigentlich in der seit vielen Jahren vorberei- teten Darstellung von „Leonardos Madonnenkompositionen“ Platz finden sollte, bereits an dieser Stelle zu begründen. |

Der Karton der Royal Academy füllt in das Jahr 1503, was mein hochverehrter Freund Dr. Paul Miiller-Walde i. J. 1912 mir gegenüber offen als zweifellose Tatsache bezeichnete, wührend ich damals über die Datierung der verschiedenen Entwürfe und Studien noch nicht mit mir ins reine gekommen war. Meine For- schungen in dem Lichte dieses wertvollen Fingerzeiges wieder aufnehmend, kam ich dann zu der folgenden Begründung:

I. Die Weise der Zeichnung, ihre Breite und Weichheit und die Ausarbeitung feiner Beleuchtungswirkungen, vor allem aber die Schraffierung passen nicht mehr zu der Zeit vor 1500; letztere nühert sich der um 1503 bei dem Künstler zuerst namentlich in anatomischen Zeichnungen auftretenden Manier, der Rundung der Formen zu folgen. Man beachte die linke Hand der S. Anna!

2. Noch viel stürker offenbart sich in diesem Werke in den einfachen, groBen Formen der Komposition, vor allem in der „klassischen“ Gestaltung der Ge- wandung eine starke Beeinflussung des Künstlers durch die Antike, die, wie ich aus vielen Tatsachen nachweisen kann, von 1502 an stattgefunden hat. G. Gronau hat daher richtig empfunden, daß die Gewandung der ,,Tauschwestern“ im Par- thenonfries das Einzige sei, was sich mit Leonardos Karton vergleichen lasse woran ich noch gewisse sitzende Figuren des jungen Michelangelo reihe, wie das Madonnentondo im Bargello, die Madonna in Brügge, den Moses und verschiedene Sibyllen und Propheten der Sixtina-Fresken.

3. Das von Leonardo in Mailand gehegte Madonnenideal leider gibt es aus den neunziger Jahren keine einzige Madonnenstudie mehr ist, wie oben gezeigt, verlassen und eine reife, frauenhafte Bildung an die Stelle getreten,

4. Der schlagendste Beweisgrund für die Entstehung des Kartons in der florentinischen Periode ist jedoch die nicht zu leugnende Übereinstimmung der hl. Jungfrau mit der Mona Lisa, die Leonardo 1503 zu malen begann. Aus hier nicht náher ausführbaren Ursachen hat Leonardo in diesem Jahre eine neue Komposition des Altarbildes für SS. Annunziata begonnen, aber gleich darauf auf den Auftrag verzichtet, der noch im selben Jahre dem Filippino Lippi zuteil wurde.

* =

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Die Tatsache, dañ Leonardo hier eine uns bekannte Person als Natur- vorbild für eine Altartafel verwendet hat der einzige bei ihm nachweisbare Fall dieser Art ist bedeutungsvoll genug, um dabei noch etwas zu verweilen.

Aus dem Umstande, daB die edle Florentinerin dem Künstler für eine Darstel- lung der hi. Jungfrau ,gesessen“ hat, müssen wir schlieBen, daB Mona Lisa einen starken, inneren Anteil an Leonardos Kunst.genommen habe. Wer den bezaubern- den Eindruck dieses einzigartigen Frauenbildes in seiner Seele empfunden hat, wird solches gern glauben. Die Gioconda war ein in jeder Hinsicht wiirdiges Naturvorbild für einen so erhabenen Zweck, wobei von einer peinlichen, vulgären Nebenbedeutung des Wortes „Modell“, dessen ein Künstler ja nicht entraten kann, unbedingt abgesehen werden muß. Für Menschen aber, die aus dem hier auf- gedeckten Umstande vielleicht wieder einer Verstärkung häßlicher Vorstellungen entnehmen mögen, die nur der Argheit des eigenen Herzens entspringen, sei noch ein Wort gesagt.

Wie Leonardo niemals so tóricht gewesen ist, bei der Herstellung eines Bild- nisses eine Studie nach dem unbekleideten Kürper zu machen (was ihm wahrhaftig Kunsthistoriker haben zuschieben wollen!), so bedurfte der unvergleichliche Kenner der Anatomie auch nicht einmal eines Aktstudiums, wenn er eine bekleidete Ge- stalt in ein Historienbild einschieben wollte. Man lasse sich nicht täuschen durch die unbekleideten Gestalten in manchen Entwürfen und die Bewegungsstudien zum Dreikónigsbilde: alle diese Zeichnungen sind nicht vor der Natur gemacht! Die Mona Lisa hat selbstverstiindlich nur in ihrem faltenreichen Gewand dem Maler für die Darstellung der hl. Jungfrau gesessen, anscheinend in demselben, das sie auf ihrem Gemälde trägt. Aus dieser Verwendung dürfen wir schließen, daß die Dame Leonardos hohen Anschauungen von körperlichem und geistigem Adel der Frau in hohem MaBe entsprochen hat, wie das beim Betrachten ihrer zwei Bilder von des Meisters Hand ja auch einleuchtend erscheint.

Bei dieser Gelegenheit soll eine.leider sogar von ernsthaften Kunstgelehrten, dar- unter selbst Leonardobiographen, genührte Vorstellung mit gróBter Entschiedenheit abgewiesen werden: daß die unbekleidete Dirne auf dem Carton des Condé- Museums in Chantilly, die dort unter dem Titel „La Gioconda" als Arbeit Leo- nardos ausgestellt ist, einen anderen Zusammenhang mit der Mona Lisa und mit Leonardo habe, als den einer pietätlosen Nachahmung durch einen Schüler. Der Karton (abgebildet bei Seidlitz, II 50 und Müntz, L. d. V. TA. 19) ist nach meiner Überzeugung eine den bekannten Kartons in der Ambrosiana nahestehende Arbeit des Beltraffio, mindestens aber seiner Werkstatt, wo auf Verlangen eines „Mäzens“ eine feiste, mailündische Kurtisane in der ungeführen Haltung der Gioconda ge- zeichnet und auch gemalt wurde. Das Gemälde befand sich in der 1916 an- scheinend nach Amerika verkauften Sammlung Chabriéres-Arlés und ist in seinem reichgeschnitzten Rahmen in der Zeitschrift Les Arts 1905, Nr. 39 abgebildet. Nachbildungen dieses Schaustückes, das natürlich allezeit seine besonderen Lieb- haber gefunden hat, gibt es viele; die bekannteste, mit einer Dolomitenlandschaft hángt in der Eremitage (Abb. bei Rosenberg, N. go) und ist, wie P. Müller-Walde glaubt, wohl eine Arbeit des Salai. Möge die Direktion des köstlichen Musée Condé den sicherlich von keinem einzigen Kunsthistoriker gebilligten bisherigen Titel des Kartong recht bald abiindern, etwa in: Zugeschrieben der Werkstatt des G. Beltraffio, Mailindische Kurtisane in der Haltung der Gioconda!).

(1) Damit würde krankhaft veranlagten, öfters gar auf niedrige Instinkte spekullerenden Schriftstellern ein wirksames Element ihrer Phantasien genommen. Es handelt sich bei M. Lisa um eine geschicht-

II

Schon im 17. Jahrhundert spukt augenscheinlich die sinnlose, háBliche Ver- mengung der dargestellten Dirne mit der Mona Lisa. Zwar wuBte der verstündige Pozzo 1625 trotz seiner Gründlichkeit noch nichts davon zu sagen, oder vielleicht verschmihte er es, auf ein pikantes Gerede dieser Art einzugehen. Aber bereits 1642 sah sich Pére Dan (Trésor des Merveilles de Fontainebleau 136) genötigt, gegen ein derartiges „оп. dit“ aufzutreten. „Le cinquième en nombre et le premier en estime est le portrait d'une vertueuse dame italienne nommée Mona Lissa“ schreibt er und erklärt, „daß sie keine Courtisane sei, comme quelques-uns croyent (man war am Hofe Louis XIV.!) mais la vertueuse épouse de François Jocondo, gentilhomme ferrarois“ (sic!).

Hiermit ist meines Wissens das e n Material zur Mona Lisa er- schüpft. Es gibt allerdings noch zwei andere Zeichnungen, die in der Leo- nardoliteratur mit der Gioconda in Verbindung gebracht sind und denen wir hier auf den Grund gehen wollen. Da war zunüchst in der Sammlung Gius. Vallardi ein angeblicher Karton Leonardos zu seinem Bilde, den Vallardi (Disegni di Leo- nardo d. V. posseduti da G. V. Milano 1855, S. 65) als ersten seiner Kartons auf- führt. „Eine lebensgroße Zeichnung der M. Lisa mit schwarzer Kreide auf weißem Papier gemacht und mit etwas Bleiweiß gehöht, der Hintergrund mit Strichen schattiert Zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand sieht man ein Rohr mit einer Andeutung von Bláttern, also vielleicht eine Palme.“ Nach einer von Müntz, L. d. V. 511 aufgenommenen Notiz aus Gaz. B.-A. 1861 befand sich unterhalb der Hinde auch ein Rad, wodurch die Dargestellte als S. Katharina ge- kennzeichnet ist. Vallardi hatte die Zeichnung von den Erben der Marchesi Cal- derara-Pino in Mailand erworben, ebenso wie jene kostbare Naturstudie Leonardos nach der Isabella d'Este, die seit 1861 dem Louvre gehört. Er behauptet sogar, der Karton habe ehemals dem Pompeo Leoni gehört. C. Brun schrieb 1879 in seiner Leonardostudie (a. O. 39), der Karton habe sich damals bei dem mailindi- schen Advokaten Rosmini befunden und sei von P. Pozzi photographiert; Malaguzzi Valeri (a. O. II 584, Anmerk.) sagte 1915, er sei heute nicht mehr auffindbar. Brun hielt den Kopf für eine eigenhündige Arbeit Leonardos, wogegen die übrigen Teile von anderer Hand seien, die den Karton auch für eine hl. Katharina benutzt habe, wie solche ja mehrfach zu finden sind. Wenn Bruns Ansicht zutrüfe, müBte die untere Hälfte des großen Blattes entweder ebenfalls von Leonardo entworfen oder erst spüter angeklebt sein. Leider habe ich weder den Karton, noch dessen Photographie zu Gesicht bekommen. Der von Vallardi seinem Katalog beigegebene Stich ist nicht nur sehr klein, sondern auch zugunsten der behaupteten Über- einstimmung mit dem Gemälde gefälscht! Er weist nicht einmal die Palme auf, geschweige denn das von Vallardi übergangene Rad. Bei der Unmüglichkeit, während des Weltkrieges andere Erkundigungen einzuziehen, wandte ich mich an meinen hochverehrten Freund Dr. Paul Müller. Dieser teilte mir freundlichst mit, daB er schon 1890 in Casa Vallardi in Mailand den Karton, der in Kreide und Kohle gemacht sei, gesehen habe und daB es sich nur um eine Fülschung des 19. Jahrhunderts handle, die für eine Ausstellung in Mailand angefertigt sei. Durch dies Urteil dieses eminentesten aller Leonardoforscher dürfen wir wohl den ge- heimnisvollen Karton für erledigt halten.

Viel kürzer kinnen wir eine Zeichnung in der Künigl Kupferstichsammlung in München erledigen, von der ebenfalls C. Brun unter Berufung auf Férsters Vasari-

liche Persönlichkeit, um eine vornehme Dame von hohem Geistesadel, die schon des großen Leonardo wegen Anspruch auf respektvolle Behandlung hat.

12

ausgabe Ш 32 erzählt und worin eine Profilzeichnung der Gioconda mit hangenden Haaren dargestellt sein soll. Auf meine Anfrage bei der Direktion der Königlich Bayrischen Graphischen Sammlung gab Herr Dr. Bredt freundlichst Auskunft durch Übermittlung der Beschreibung des Katalogs. Die Rötelzeichnung auf weißem Papier im Profil nach rechts (Inv. Nr. A.207. IV.2155) ist eine Kopie nach dem Uffizienblatt zur Isabella d'Este, wie schon Müntz 525 richtig bemerkt hatte. Nach dieser Abschweifung schlieBe ich mit der tiefempfundenen Schilderung des Bildes der Mona Lisa durch unsere österreichische Landsmännin Marie Herzfeld, meine hochgeschitzte Freundin: | „Diese in aller Zerstörung durch die Zeit dennoch unsterbliche Malerei, in der Leonardo alles zusammengetragen hat, was ihm auf Erden kistlich und teuer war, die romantische Landschaft mit dem so geliebten Wasser, das sich wellt wie Frauenhaar, mit den so viel studierten Felsen, uralten Wundergebilden der Erde, mit jener weichen, lichtdurchtrünkten, aber nicht sonnigen Luft, die den Zügen der Frauen, wie er sagt, so viel holde Anmut leiht, und dann die Gioconda selbst mit den wie von ihm erfundenen Zügen so voll Ruh und Güte, so hoch über aller Banalität, daß die Sprache für ihren Adel keine Bezeichnung hat, mit diesen schönen, so geduldigen Händen, die vom Leben zu wissen scheinen und teilzunehmen an jenem vielsagenden Lücheln, dessen Geheimnis hundert Leben nicht ganz ent- schleiern könnten, weil nur hundert Leben, das Leben von Geschlechtern, die hundert Möglichkeiten dieser Frau zu entwickeln vermöchten, ist das nicht Leonardo selbst? Der Eine, Vielfache, der rätselvolle Rätseldurchschauer .. . 2).

* * *

Der besseren Übersichtlichkeit wegen seien zum SchluB die wichtigsten Er- gebnisse der vorstehenden Untersuchung zusammengefaßt.

Die anziehende Persónlichkeit der edlen Mona Lisa trat uns in zwei bisher un- erkannten Werken entgegen: in der Naturstudie eines Leonardoschiilers, höchst wahrscheinlich des Salai, gezeichnet um 1505 in Leonardos Werkstatt und in der hL Jungfrau auf dem Londoner Annakarton, der infolgedessen endlich eine sichers, von den bisherigen Ansichten stark abweichende Datierung empfängt. Aus diesem Karton ergab sich erstmalig die bei Leonardos Kunstweise für viele überraschende Tatsache, daB der Meister ausgewühlte Modelle in heilige Darstellungen herüber- nahm und die Wahrnehmung, daB er durch die M. Lisa zu einem neuen, frau- licheren Madonnenideal gekommen ist. Die Großzügigkeit und Einfachheit der Komposition und die plastische Auffassung offenbaren, daß Leonardo 1503 starke Eindrücke von antiken Bildwerken empfangen hatte.

Wir gewannen eine willkommene Bereicherung über das Aussehen und den Charakter jener edlen Florentinerin, vor allem durch das Bild der ganzen, herr- lichen Frauengestalt von Leonardos Meisterhand, während die mangelhafte Schüler-

( Marie Herzfeld, Leonardo der Denker, Forscher und Poet. 3. Aufl. 19, S. 93. Verlag Eugen Diederichs in Jena. Das Buch irrt zwar ebenso gut wie die besten anderen in manchen wichtigen Fragen über Leonardos Schaffen, weil die Verfasserin die vermeintlich sicheren Ergebnisse der bis- herigen Leonardoliteratur mit zu groBem Vertrauen hingenommen hat; aber es bleibt für denkende und fühlende Menschen, tür die Leonardofreunde vor allem, das wabrste, innerlichste und wertvollste aller Leonardobücher, weil es nicht nur reiche, unverfälschte Auszüge aus des Meisters Schriften bietet, sondern Leonardos Wesen mit glühendem Sehnen gleichsam divinatorisch nahe kommt und sein Leben und Schaffen, Denken und Fühlen in edier, oft hinreiBend schöner Sprache schildert.

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zeichnung namentlich deshalb unschätzbar ist, weil sie erkennen läßt, daß das Gemälde im Louvre weit entfernt, ein Idealbildnis zu sein, wie die meisten Leonardoschriftsteller annehmen ein getreues, lebensvolles, wenn auch durch die Umgebung dem Alltag entrücktes Abbild der Wirklichkeit ist. Im einzelnen wird die alte Streitfrage, ob die M. Lisa Augenbrauen besessen habe, schon durch die nüchterne Naturstudie des Schülers verneint!).

Wenn der offenbar in den neunziger Jahren in Mailand ausgebildete Zeichner der Naturstudie der in Leonardos Florentiner Werkstatt arbeitende vielgenannte Salai ist, wofiir gewichtige Griinde sprechen, so haben wir endlich eine Arbeit von ihm, an die sich andere Werke angliedern lassen.

Nebenbei konnte das Verhültnis der bisher ganz im Dunkel gebliebenen Donna nuda zu dem Bildnis der Gioconda festgestellt werden. Es handelt sich nur um eine dreiste Anlehnung bei der Darstellung einer Dirne, um eine Arbeit der Werk- statt des Beltraffio.

Dap diese reiche Ausbeute nicht auf wenigen Seiten dargestellt und wissenschaft- lich begründet werden konnte, versteht sich wohl leicht. Der Verfasser wollte, bevor er eine Kritik der neueren Leonardoliteratur veröffentlicht, hier noch an einem neuen Beispiel zeigen, wie nach seiner Ansicht die Leonardoforschung, die vielfach noch in den wichtigsten und meistbehandelten Fragen in die Irre geht, sogar aus dem alten, hundertfach durchgesehenen Material wertvollste Ergebnisse gewinnen kann, wenn sie sich auf gründliche, natürlich vieljähriges Studium voraussetzende Einzeluntersuchungen verlegen will Anders arbeiten bringt auf diesem unsicheren Gebiet nur neue Verwirrung und unausbleiblichen MiBerfolg.

(1) Nach geschehener Korrektur dieses Beitrags bin ich zu der Überzeugung gekommen, daB ver- schiedene Ausführungen über die ,ciglia" (S.6—8) nicht gebalten werden kónnen. Mit meinen bescheidenen Hilfsmitteln glaubte ich feststellen zu dürfen, daß ciglio und cil ähnlich wie cilium nicht die Bedeutung Braue haben könnten. Nun verwenden aber, wie ich eingesehen habe (abgesehen von dem auch bei anderen Vólkern vermengenden Sprachgebrauch des Alltags), Vasari und Castiglione „ciglio“ als Braue. Wegen der bedauerlichen Doppeldeutigkeit von ciglio kann ich daher den Vorwurf der falschen Übersetzung nicht aufrecht erhalten! Allerdings würe es sehr wünschenswert gewesen, auf den Doppelsinn von ciglio hinzuweisen. Was Pozzo mit ciglio gemeint hat, geht aus seinen Worten nicht hervor. Aber Durand-Gréville hat cils zweifellos als Wimperhaare verstanden, denn nur von diesen, nicht von den Brauen, kann „die Hauptlinie einen Schatten auf die äußerste Ecke des unteren Augenlides werfen“ (s. oben S. 8). Hier mindestens ist also unrichtig übersetzt worden.

Zur Sache möchte ich noch folgendes sagen: Vasaris wortreiche, in der Leonardoliteratur bisher mit vollem Unrecht hochgeschützte Beschreibung des Bildes, die den Streit um die Augenbrauen an- gestiftet hat, muß künftig als inhaltlich wertlos beiseite bleiben. Ob Pozzo noch Reste von Brauen oder von Wimpern gesehen hat, wird man erst nach genauer Untersuchung des Urbildes entscheiden wollen. Aber die Aussage von M. Durand-Greville und die Kopie in Madrid mit ihren höchst auf- fälligen, vereinzelten Wimperhaaren, die auf unserer Abbildung allerdings unsichtbar sind, sprechen für meine Deutung. Das Ergebnis der noch anzustellenden, schwierigen Untersuchung des Urbildes hat glücklicherweise keine alleinige Bedeutung für die Frage, ob die M. Lisa Augenbrauen getragen und ob Leonardo solche gemalt hat. Zwar ist Bald. Castigliones Bericht über die Unsitte der Depi- lation ebensowenig entscheidend, wie zahlreiche zeitgenössische Bildnisse, weil hierdurch nur die Moderichtung, nicht aber der einzelne Fall bezeugt wird. Dagegen erscheinen mir von vollkommen ausreichender Beweiskraft die beiden oben bebandelten Bildnisse der M. Lisa, die peinliche Naturstudie des Schülers und Leonardos Karton zur St. Anna, denn auch dort babe ich nichts gefunden, was man als Augenbraue bezeichnen könnte.

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EINE SELTENE GRANULATIONSARBEIT

esooooooooo00ooooooo0oooooooooo0ooooo0o0ooooooo Mit geben Abbildungen €0009000000000000000009090000000090000000000009000

as Wort „Filigran“ oder sagen wir „Körnerdraht“ deckt drei verschie-

dene Techniken: die Drahtarbeit, das Spiel mit Goldkürnern, und das Werk, das Draht mit Körnern verbindet. Die an zweiter Stelle genannte Technik, die Kleinarbeit mit Goldkirnern, ist bisher am wenigsten beachtet worden, denn sie hat keine Verbindung mit der Neuzeit. Im orientalischen Altertum geboren, ist sie fast schon im klassischen Altertum gestorben, und nur mühsam schleppt sie sich bis an die Schwelle des frühen Mittelalters. Im hohen Altertum, in jener Zeit, da sich Orient und Griechentum mischten, hat sie ihre Triumphe gefeiert. Keine lauten, rauschenden auf dem Markt, aber stile und bescheidene im Kreise der Kenner, unter den Feinschmeckern auf dem Gebiete einer subtilen, mit sicherer Hand und feinen Gerüten durchzuführenden Goldarbeit. In der Hauptsache besteht das Verfahren darin, winzige Goldkügelchen, möglichst von gleicher Abmessung, dicht nebeneinander auf eine Goldplatte zu lóten. Die erzielte Wirkung ist nicht die eines aufgesetzten Ornaments, sondern einer Aufrauhung, einer Mattierung, die den Rezipienten ganz oder teilweise wie mit einem zarten Flaum iiberzieht. Das ist die Idealtechnik und zugleich die verbreitetste. Aber es gibt noch viele andere. Die eine, wahrscheinlich die älteste, bestand darin, daß man in den Re- zipienten kleine Lager eintiefte und die Körner einzeln darin verlótete. Aus Zeit und Ort eines so gearbeiteten Fundes darf man schlieBen, daB dieses Verfahren »primo huius artis fore“ angewendet worden sei. Auch eine praktische Erfahrung führt mich zu dieser Annahme. Mit Versuchen, die alte Technik wiederzufinden, beschüftigt, lieB ich einen geschickten Goldarbeiter verschiedene Granulationsarbeiten ausführen. Er traute dem einfachen Anlóten nicht, ebenso wenig, wie man im Beginn des Eisenbahnbaus der glatten Schiene traute, und machte für jedes Korn eine Vertiefung im Metall, gerade so wie es die alten Kreter mit einem goldenen Nadelkopf gemacht haben, der sich jetzt im Museum von Kandia befindet.

Wührend wir im Verlaufe der Entwicklung an den meisten Státten die früher geschilderte Normalarbeit antreffen, finden wir an anderen eine merkwiirdige Ab- art, die darin besteht, einzelne Kügelchen in regelmäßigen Abständen an einen runden Draht festzulóten, und dann einen zweiten 'an die entgegengesetzte Seite der Kügelchen in derselben Weise zu befestigen. So kónnte der technische Vor- gang gewesen sein, aber für das Auge ergeben sich zwei parallele Drühte, zwischen die, so wie die Triglyphen Architrav und Geison voneinander trennen, einzelne Kügelchen in Intervallen eingesetzt sind. Das ergibt eine granulierte à-jour Arbeit, für die wir die erSten schüchternen Beispiele aus der zweiten Schicht von Troja besitzen, kühnere unter den Funden von Dahschur kennen. Wir stehen damit in der Zeit kurz nach 2000. Seitdem ist diese Spezialtechnik für unser Auge ver- schwunden, und wir hatten guten Grund, anzunehmen, daß sie tatsächlich unter- gegangen sei, denn eine andere war an ihre Stelle gerückt, Es zeigt sich nümlich im Orient eine Granulierung auf dicht nebeneinander geführten Drähten, eine ,,Gra- nulation auf Doppeldraht“, wie jenes eine Granulation zwischen weiter auseinander liegenden Drähten war. DerSchluB, daß hier eine Stabilisierung der früheren Technik vorliegt, ist gerechtfertigt, nicht aber die Folgerung, die wir ziehen wollten, daB das vorausgehende Verfahren untergegangen sei.

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Im Berliner Kunsthandel befand sich vor kurzem ein indischer Nasenring, der uns darüber belehrt. Wir bilden ihn auf den Tafeln 5—7 in natürlicher GróBe sowie auch stark vergrößert ab. Eine Datierung zu geben, bin ich auBerstande. Orna- mentale Anhaltspunkte mögen auf das rr. nachchristliche Jahrhundert hinweisen, die Arbeit kann aber auch älter oder wesentlich jünger sein. Die Abbildungen 3 und 4 auf Tafel 5 zeigen Scheiben von verschiedener GróBe, die mit ihren metal- lenen Zwischenperlen gleichsam das Gehünge nach unten bilden. Man sieht, wie konzentrisch gelagerte Drühte durch Intervallkügelchen, zu dreien gruppiert, mit- einander verbunden werden. Im Grunde ist es ganz dasselbe, wie in Troja und Dahschur, nur reicher; ein spátes, endlich wieder gefundenes Beispiel einer Technik, die wir seit 4600 Jahren verloren glaubten.

. i Marc Rosenberg.

Abb, 7. Qranulationsarbeiten aus Dabschur im Museum Kairo

Vergl Ausfübrlicheres über Granulation bei Marc Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst auf technischer Grundlage. Abteilung Granulation. Frankfurt a/M. 1918.

KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER».

3. „ZWEI UNBEKANNTE VISCHER-WERKE IM DOM ZU MEISSEN*. EINE ENTGEGNUNG

Mit drei Abbildungen auf einer Tafel Von HUBERT STIERLING

Tu Cramer hat in seiner Dissertation, Metallne Grabplatten in Sachsen (1912), Seite 40, die Tafel des Domherrn Heinrich Stürcker von Mellerstadt der Vischerschen Hütte zugewiesen. Kurz darauf traf Hans Joél im Dezemberheft dieser Zeitschrift 1914 dieselbe Bestimmung und gab eine Abbildung. Karl Simon wies dann in diesen Blättern 1916, 184 darauf hin, daB Cramer die Priorität ge- bühre. Ich glaube trotzdem nicht, daB diese dreifache Zuweisung das Richtige trifft; jedenfalls handelt es sich ganz und gar nicht um eine hervorragende Arbeit, wie Joël mit vielen, teilweise romanhaften Worten glauben machen will; denn wie die Abbildung 3 zeigt, steht der Domherr unendlich hart in seinem Rahmen und blickt starr und schwerfällig. Besonders unglücklich ist der rechte Arm, der den Kelch hšlt, und dabei in lauter schweren, unklaren Falten stecken bleibt. Ich glaube, daß bei dieser Zuschreibung einer der vielen Fülle vorliegt, die eigentlich nur in dem Anfangsstadium einer wissenschaftlichen Beschäftigung erlaubt sind, nämlich daß alles, was einigermaßen ähnliche Züge trägt, an den einen großen Namen, in diesem Falle Vischer, gekettet wird. Es ist hier aber doch beträchtlich vieles anders als in den anerkannten Werken des Nürnberger Meisters. Zuerst die Schrift, die schief und krumm um das Bild herumläuft und nicht entfernt die wohltuende Regelmäßigkeit und Klarheit der echten Werke erreicht. Schon die ältesten In- schriften, etwa in Bamberg, sind hier unendlich überlegen und zeigen einen Meister, der sich ihres dekorativen Wertes voll bewußt ist. Außerdem gehört es bei Vischer zu den verschwindenden Seltenheiten, auf dem einen Rande zwei Schriftreihen anzubringen, wenn er sich sonst mit einer begnügt; zudem betrachte man auch ein- mal die unsymmetrische Einfassung dieser zweiten, schief beginnenden Schriftreihe!

Ungewohnt ist ferner das Format der Tafel. Im gesamten Vischerwerke gibt es vielleicht zwei oder drei Platten, die diese halbe Größe haben. Schon deshalb wird man also zu einer gewissen Zurückhaltung geneigt sein.

Dieses Gefühl verstärkt sich gegenüber den Evangelisten-Symbolen, die Cramer und Joél zwar beide loben, jedoch sich der Erkenntnis nicht verschließen können, hier einen seltenen Typus vor Augen zu haben. Sie verweisen darauf, daß sich ähnliche Tiere auf der Grabplatte des Callimachus (gest. 1496, Daun Abb. 16) finden, jedoch wird man hieraus eher einen Schluß gegen, als für Vischer herleiten dürfen, denn die Callimachusplatte ist in jeder Beziehung so völlig unvischerisch, daß schon Daun sich bewogen fühlte, das Modell von Veit Stoß herrühren zu lassen. Außerdem finden sich solche Tiere auch noch auf der Platte eines unbekannten Cardinals in Krakau (Daun Abb. 17); wohl gemerkt, also stark im Osten, zweimal in Krakau und einmal in Meißen! Schon hierin liegt wieder eine Aufforderung zur Vorsicht, denn der ganze erzreiche Osten ist in Hinsicht auf die Gießkunst

(z) Da die Beiträge fortgesetzt werden sollen, erscheint es zweckmäßig, sie unter diesem Obertitel zusammenzufassen. Danach gilt „Dürer in der Vischerschen Werkstatt“ VIII, 366 ff. als Nr.ı; „Die Grabplatte der Herzogin Sophie in Wismar“ X, 297 fi. als Nr.2; der obige Artikel als Nr. 3. Studien zum selben Thema sind ferner die ausführlichen Anzeigen von Mayer, Die Genreplastik an P. Vischers Sebaldusgrab IX, 341 fi. und Dettloff, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab X, 330 ff.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 1 a 17

noch ein terra incognita, in der um 1500 zahlreiche Meister gearbeitet haben, die kunstwissenschaftlich noch völlig ungreifbar sind, weil sie sich nicht, wie man ruhig behaupten darf, zur Höhe der Vischer haben aufschwingen können. Jeden. falls soviel wird wohl jeder zugeben migen, daB die vier Symbole auf der Platte des Heinrich Stürcker nicht im entferntesten nürnbergisch anmuten; im Gegenteil tritt in ihnen ein schwer zu definierender östlicher Einschlag zutage.

Nun ist es gewiß nicht zu leugnen, daB einige Vischersche Motive hier vor- handen sind. Aber waren denn solche AuBerlichkeiten nicht unendlich leicht zu übernehmen, zumal die Zeit vor Vischer bereits von ihnen einen bescheidenen Gebrauch gemacht hatte? Etwa das gotische Kircheninnere, das durch einen Brokatteppich abgeschlossen wurde? Ich halte es durchaus für anfechtbar, wenn Cramer sagt, daß das Muster des Vorhangs „allein Beweis genug für die Zugehürig- keit zur Werkstatt in Nürnberg“ gewesen sei.

Nun noch ein Wort über den Gesichtsausdruck. Vergleicht man diesen etwa mit dem des im gleichen Jahre gestorbenen Herzog Ernst, dann wird doch ein groBer Unterschied offenbar. Im Antlitz des Domherrn liegt etwas unangenehm Gespanntes, vielleicht hervorgerufen durch das technische Unvermigen. Herzog Ernst dagegen blickt ruhig und milde, wie es fast der gesamten Vischerschen Arbeit durch alle Jahrzehnte eigen blieb. Der Ausdruck mag manchmal ein wenig leer erscheinen, jedenfalls aber hält er sich fast immer von dem Gequilten und Gespannten fern, das die Spütgotik so gerne anwandte. Auch hierin ist die Platte des Callimachus und einige andere, auf die ich unten zurückkomme, völlig un- vischerisch. Nebenbei bemerkt ist auch die Haarbehandlung von derselben harten Art!

Endlich kommt noch folgendes hinzu: Etwa бо km von Meißen entfernt liegt Altenburg. Wer hier die stimmungsvolle SchloBkirche betritt und das Bildnis des Domherrn Heinrich Stircker von Mellerstadt im Gedichtnis trügt, der sieht sich plötzlich einer großen Schar nahe verwandter Erzplatten gegenüber. Ganz über- wiegend sind es Rundbilder derselben Größe, nur daß die Meißner Platte auñer- dem noch durch einen rechteckigen Schriftrahmen eingefaBt wird. Jedesmal sind es wieder Hüftbilder und zwar der gleichen Haltung und Stellung, wie in MeiBen. Aus der Zahl der Altenburger Rundbilder stelle ich nur zwei!) neben das Meißner, von denen das ültere sogar aus fast dem gleichen Jahre stammt. Die Gegenüber- stellung überhebt aller weiteren Schilderung; besonders zeigt sie auch, daB der MeiBner Heinrich Stircker durchaus nicht etwa das Glanzstiick dieser Reihe ist, denn das Altenburger Bildnis des Friedrich Busch von 1501 ist ihm in der Wieder- gabe der menschlichen Persónlichkeit entschieden überlegen. (Abb. r.)

* ` * *

(1) Die Altenburger Aufnahmen verdanke ich der gütigen Unterstützung Sr. Hoheit des Herzogs Ernst. Durch den Photographen A. Kersten Sohn Nacht, Inh. J. Bernath, Altenburg, S.-A., AlbrechtstraBe 9, sind folgende Platten erstmalig hergestellt: r. Petrvs Hofemann, + 1486; 2. Gregorius Schortzvf, + 1488; 3. Friedrich Busch, + 1501; 4. Nicolaus Sifridus, + 1503; 5. Michael Bach, + 1505; 6, Gregorius Bosch- witz, T 1506; 7. Nicolaus Czengker, o. J.; 8. Denkmal des Anarck Herrn su Wildenfels-Schónkirchen und Ronneburg, im Schlo8, inschrifüich bez. Peter Mülich. Diose Tafel ist nahe verwandt den gleich- falls bezeichneten Werken Mülichs in der Weimarer Stadtkirche; 9. Grabplatte der Herzogin Marga- rethe, T 1486. Von diesem wichtigen Jugendwerke Peter Vischers gab es bisher nur die Cramersche Teilaufnahme, welche in dieser Zeitschr., IX, Jabrg. 1916, Heft s, abgebildet ist.

Nachtrüglich habe ich geseben, da& auch MeiBen selber mehrere verwandte Platten bietet, die aus derselben sächsischen Hütte stammen wie der Stárcker. Die Aufnahmen verdanke ich der großen Liebenswürdigkeit von Geheimrat Gurlitt, Dresden. (Photograph: R. Schröder, Meißen, Porzellanfabrik).

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In dem gleichen Aufsatze hat Joël es dann unternommen, die Meißner Platte des Bischofs von Weißenbach (gest. 1486) der Vischerhütte zuzuweisen. Simon hat aber wiederum darauf hingewiesen, daß bereits Cramer in seiner Dissertation es abgelehnt habe, diese Platte sowie diejenige Dietrichs IV. von Schünberg und Andreas’ von Kénritz (beide im Naumburger Dom) mit Vischer in Ver- bindung zu bringen. Ich halte seine Ablehnung für vollkommen berechtigt und möchte meinerseits nur mit wenigen Worten auf diese Gruppe eingehen, um zu verhindern, daß mühsam gewonnene Begriffe Vischerischer Formbehandlung durch Zuweisung fremder Art. wieder verwirrt werden. Auf der Tafel des Bischofs von WeiBenbach ist alles anders als in den beglaubigten Werken. Wo kümen der- artige, kurz gesagt Riemenschneider-artige Falten vor? Die Tafel des Calli- machus in Krakau, an die Joél denkt, darf durchaus nicht herangezogen werden, denn für ihren Vischerschen Ursprung fehlt jeder Beweis! Ebenso wenig be- rechtigt ist es, wenn Joël auf die Tumba Thilos von Trotha verweist, denn hier gehórt nur die Deckplatte der Nürnberger Hütte. Die drei Seitenplatten sind zu anderer Zeit gegossen worden (die vierte ist nie ausgeführt worden, so daB die Tumba an die Wand gerückt werden mußte) und zeigen nach Joéls eigenen Worten »Engelgestalten in absolut anderem Stile"; und zwar ist der hier auftretende Stil wiederum so völlig anders, daß wir sie mit keinem der zweifellosen Vischerwerke vergleichen können, sondern nur mit der bereits genannten Gruppe des Weißen- bach (Meißen), Künritz und Schönberg (Naumburg) und des Callimachus (Krakau).

Ebenso unvischerisch ist alles übrige. Der Nürnberger Meister hat niemals ein solches Stabwerk gebildet. Es ist geradezu grotesk, ihm etwas derartiges zu- zuschreiben, wo der Vergleich mit früheren und späteren Tafeln nicht im entfern- testen etwas Ahnliches ergibt. Die ülteren Platten zeigen bei Vischer ein schünes, klares MaBwerk, die jüngeren ein geistvoll und im hóchsten Grade ornamental ge- bildetes Laubwerk; beide Arten lassen überhaupt keinen Vergleich mit der Platte des Weißenbach zu. Vielleicht ist sogar das Laubwerk auf der Altenburger Tafel der Kurfürstin Margarete (gest. 1486) vor der MeiBner Platte des Weifenbach gebildet. Cramer weist mit vollem Recht darauf hin, daß man Vischer das Meißner Laubwerk nicht mehr zutrauen dürfe, wenn das Altenburger vorher entstanden sei.

Ähnlich verhält es sich mit allem übrigen. Nirgendswo schwebt bei Vischer der Dargestellte derartig in der Luft. Vischer verwendet entweder standfeste Kon- solen oder läßt den Dargestellten auf dem Fußboden stehen. Ebenso haben die Wappentiere nicht ihresgleichen. Dagegen ist es sehr charakteristisch, daB sich die gleiche Art der zu strickartigen Strühnen geordneten Mühnenhaare an den seit- lichen Engeln der Merseburger Tumba Thilos von Trotha wiederfinden, die auch sonst aus dem Vischerschen Werke völlig herausfallen.

Von der Umrahmung der Platte ist wenig erhalten. Die Evangelisten-Symbole zeigen vielleicht eine gewisse Ahnlichkeit, jedoch ordnet Vischer sie um diese Zeit ganz regelmäßig in Vierpässen an, während hier Dreipässe verwendet sind. AuBer- dem beschränkt er sich stets auf die vier Ecksymbole, während hier, soweit man nach dem kleinen erhaltenen Stück urteilen kann, noch weitere Wappenschilder eingestreut waren.

Auf die Platten von Dietrich IV. von Schönberg und Andreas von Könritz, beide im Naumburger Dom, gehe ich nicht näher ein; Joél erwähnt nur die erste, die er für vischerisch hält, ganz kurz. Cramer hat sie der Nürnberger Hütte bereits mit Recht abgesprochen. Für Dietrich von Schönberg gilt sinngemäß, was oben über Schrift,

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Laubwerk, Falten, Löwenmähne usw. gesagt ist. Andreas von Künritz (gest. 1496) kommt den Vischerschen Vorbildern am nüchsten, etwa der Platte des Conrad v. Stein?) (gest. 1499) in Erfurt. Jedoch die typischen Backenknochen, die verwandte Arm- haltung, die harten Falten usw. lassen es richtig erscheinen, wenn Cramer ihn mit den beiden vorbesprochenen zu einer „Gruppe nichtvischerischer Reliefplatten um

1490“ zusammenstellt.

(1) Vergl. Buchner, Zeitschr. f. christl. Kunst XII, 174 m. Abb.

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O. HIRSCHMANN, Hendrick Goltzius als Maler. Quellenschriften d. Kunst- geschichte, IX. Haag, M. Nijhoff, 1916.

Der Verfasser hat sein Thema, das Leben und die Kunst des Hendrick Goltsius, energisch und von allen Seiten in Angriff genommen. Die wich- tigsten Ergebnisse seiner Arbeit bietet er nicht in dem vorliegenden Bande, sondern sie sind im 9. Heft der ,Meister der Graphik" (bei Klinkhardt & Biermann in Leipzig) zu erwarten, welches Heft zwar abgeschlossen, aber, soviel ich weiñ, noch nicht ausgegeben worden ist. Dort wird der Kupfer- stecher Goltzius gewürdigt. Hier dagegen werden seine bisher wenig beachteten Malereien besprochen. Die gründliche Einleitung mit der Lebensgeschichte des Meisters ist mit einigen Ergänzungen aus dem Bande der ,Meister der Graphik" übernommen.

Das Biographische ruht sicher auf den aus- führlichen Angaben van Manders, der in diesem Falle vollkommenes Vertrauen verdient, da er in Haarlem ais Zeitgenosse des Goltzius lebte und mit ihm eng befreundet war. Indem van Mander die Grundsätze und Ideale des Kupferstechers teilt, klingt seine Biographie wie eine Huldigung, und etwas von dieser unkritisch bejahenden Auffassung färbt das Urteil der neueren Kunstforscher, die sich an van Mander halten.

Goltzius hat spät zum Pinsel gegriffen. Der 1558 geborene Meister war schon hochberühmt durch stupende Grabstichelarbeiten, als er zu An- fang des 17. Jahrhunderts zu malen begann.

Seine Bilder sind anmaßliche Verirrungen. Die Zeichnung ist maniriert geworden bei der viel- jährigen Übung der Stichelführung. Viele Eigen- schaften seiner Bilder erklären sich daraus, daß der Autor ein Kupferstecher war. In der Be- urtellung dieser kalten, übermäßig plastischen und erklügelten Leistungen berücksichtigt der Ver- fasser zu wenig die Ahnen dieses Stils, Jan Gos- saert und Martin Heemskerk, beachtet auch nicht genug, wio die niederländische Manier auf der Stufe: von 1600 sich ühnlich wie im Schaffen der Qoltzius in der Produktion anderer Meister, z. B. der B. Sprangers äußert. Der Zusammenhang mit der venezianischen Malerei berührt dagegen nicht das Wesentliche, und mir scheint, darauf legt der Verfasser zu viel Wert, |

Höchst verdienstlich und gründlich ermittelt ist die Liste der Bilder, in der auch verschollene Schöpfungen notiert sind. Wichtig ist die nega- tive Feststellung, daß die vielen kleinen auf Kupfer

gemalten Bilder, die zumeist auf Kupferstiche des Goltzius zurückgehen, nicht von seiner Hand her- rühren, Leider wird kein Bildnis, das als seine Arbeit gesichert wire, bekannt, Der Fahnen- tráger in der Münchener Pinakothek wird mit Recbt abgelehnt,

Die 13 Abbildungen genügen zu einer deut- lichen Anschauung.

Der Verfasser erfreute sich wáhrend eines linge- ren Aufenthaltes in Holland der Unterstützung vonseiten so erfabrener Kunstkenner wie Bredius und Hofstede de Groot. Er hat vermutlich auch, zum Vorteil seiner Arbeit über den Kupferstecher Goltzius, sich der hinterlassenen Papiere des uh- gemein gewissenhaften, leider vor einigen Jahren gestorbenen Moes bedienen dürfen,

Der vorliegende Band wird sich mit dem hoffent-

lich bald erscheinenden Band in der Folge der

Meister der Graphik zu einer umfassenden Mono-

graphie zusammenschließen. M. J. Friedlander,

ARTHUR M. HIND, Catalogue of drawings by dutch and flemish ar- tists . . . . in the British Museum. Voll. Drawings by Rembrandt and his school London 1915. III SS, und 64 Tafeln.

Versuche, um Zeichnungensammlungen zu kata- logisieren, sind erst in jüngerer Zeit und nur ganz vereinzelt gemacht worden. Eine Arbeit, die allen wissenschaftlichen Anforderungen, die man stellen kann, genügt, liegt erst mit diesem Katalog des British Museums vor, Dieser ist als erster Band einer größeren Serie gedacht, in der die Direktion des Print Rooms alle ihre Schütze an Zeicbnungen alter Meister zu beschreiben gedenkt. Ein zweiter Teil soll Rubens, van Dyck und die Zeichner ihrer Schule, ein dritter die übrigen bollündischen und flämischen Meister des 17. Jahrh. behandeln, usf. Dieses schöne Programm läßt uns die Lücke emp- findlich fühlen, die durch das Fehlen ähnlicher Ausgaben in der kunstwissenschaftlicben Literatur noch besteht; zugleich betont es die Dankbarkeit der Aufgabe, die durch fast alle grüBeren Kabi- nette in dieser Richtung noch zu leisten ist,

Einteilung, System und Ausstattung des vor- liegenden ersten Teiles scheinen mir bis in die Einzelbeiten hinein gleich glücklich. Auf eine kurze biographische Einleitung folgt der eigent- liche Katalog der Zeichnungen Rembrandts, zu-

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nüchst die durch Hind angenommenen Blátter in möglichst chronologischer Reihenfolge; daran schlieBen sich die zugeschriebenen, aber zweifel. haften Blütter, Kopien und ein besonders inter- essantes Kapitel die Zeichnungen anonymer Rembrandtschüler. Die mit Namen bekannten Schüler folgen in alphabetischer Reihe. Man ver- mißt unter ihnen Jacob Backer und Roeland Rogh- man, Die Gründe, mit denen der Verfasser ihre Weglassung zu rechtfertigen sucht, vermügen nicht recht zu befriedigen. Verschiedene Register und Zusammenstellungen vermehren nicht uner- heblich die praktische Brauchbarkeit des Bandes. Die Einzelbeschreibungen geben auf alle Fragen, die man bei einer Zeichnung stellen kann, Ant- wort: Beschreibung, Maße, Material, Herkunft und Datum der Erwerbung, Inventarnummer, Ver- meldung bestehender Reproduktionen, Literatur- nachweise; daran schließen sich jeweilen persón- liche Bemerkungen des Verfassers, in die eine Menge von feinen Beobachtungen und Hinweise auf Beziehungen verarbeitet sind, Ungeteiltes Lob verdient meines Erachtens auch die W'eise, wie die Frage der Illustrierung gelóst ist, die mit so šuñerlichen, aber darum nicht weniger lüstigen Faktoren wie Format und Verkaufspreis zu rechnen hat, Von den etwa 300 katalogisierten Nummern sind mehr als die Hälfte abgebildet; diese Repro- duktionen, Netzdrucke, sind klein aber scharf, je zwel bis drei auf einer Seite vereinigt. Dem un- mittelbaren Studium kónnen und wollen sie nicht dienen. Aber sie vermögen bei dem, der mit der Ausdrucksweise der betreffenden Meister einiger- maBen vertraut ist und diese Vertrautheit darf man doch bei der Mehrzahl derer, die das Buch zur Hand nehmen, voraussetzen eine durchaus anschauliche Vorstellung des Originals zu er- wecken, und durch ihre Reichhaltigkeit bilden aie ein hochwillkommenes Vergleichsmaterial. Zu be- grüßen ist auch die Art der Auswahl: Von Rem- brandt sind vorzugsweise die noch nicht reprodu- zierten, von den Schülern die besonders charak- teristischen Blätter wiedergegeben. Die zweifel- baften oder sonst problemreichen Zeichnungen sind fast alle reproduziert und so in den Bereich der Diskussionen gerückt.

Es sei mir nun gestattet, zu einzelnen Blättern ein paar Bemerkungen anzubringen, die sich mir bei der anregenden Beschäftigung mit dem Katalog aufgedrängt haben.

Zu den Rembrandtzeichnungen. Hinsichtlich der Echtheitsfragen nimmt Hind einen Standpunkt zwischen den beiden extremsten Kritikern, Hof- stede de Groot und v. Seydlitz, ein, der sich aber

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immerhin dem des erstgenannten wesentlich nähert, Trotzdem ist eine beträchtliche Anzahl der durch Hofstede de Groot noch als Rembrandt beschrie- benen, zum Teil allerdings von ihm selbst schon

als zweifelhaft bezeichneten Blätter in den Ab-

schnitt „Attributed...., but doubtful” verwiesen. Diese Gruppe möchte man eigentlich lieber mit „Verworfene Blätter“ oder ähnlich überschrieben sehen, Des Verfassers Urteil würde, wie aus vielen seiner eigenen Bemerkungen hervorgeht, dieser entschiedeneren Rubrifizierung kaum wider- sprechen. Den Bedenken, die v, Seydlitz gegen- über manchen Blättern der Sammlung erhoben hat, verhält sich Hind in den meisten Fällen ab- lehnend. Diese Skepsis erscheint mir verständlich etwa bei den schönen Landschaften Nr. 112 u. 114. Hinsichtlich der. ersten ist es doch noch nicht ausgemacht, ob die Dresdener Wiederholung ihr vorzuziehen ist; festzustehen scheint mir nur, daß die beiden Blätter nicht von derselben Hand sein können. Bei Nr. 114, deren Motiv Lugt mit der St. Anthoniespoort in Amsterdam identifiziert hat, kann ich mich mit Hind angesichts der kraftvollen und wirkungssichern Ausführung nicht in den Gedanken finden, daß irgendein bekannter oder unbekannter Schüler ihr Urheber sein soll. Andrerseits aber hat Hind in seiner Zurückhaltung ein paar Blätter unter die „echten“ eingereibt, in denen auch ich unmöglich Rembrandts Hand wiedererkennen kann, wie z. B. Nr. ı5, Predigen- der Apostel (?) vor einer Volksmenge, oder Nr. 34, Verstoßung der Hagar. Bei diesem letzten Blatt bemerkt Hind, daß die drei Hauptfiguren „sehr ähnlich behandelt“ seien, wie auf der Zeichnung desselben Gegenstandes in der Sammlung Hof- stede de Groot (HdG. 1247). Ich kann Überein- stimmungen nicht in der Behandlungsweise, son- dern nur in den Motiven sehen. Hier ist sie aber so groß, daß man von einer Kopie sprechen muß; die Hagar ist in ihren Bewegungen und bis in die Einzelheiten ihrer Ausrüstung buchstäblich herüber genommen; ihr linker Fuß mit seinen vier Zehen ist Zug um Zug genau nachgeschrieben. Dazu kommt die ganz allgemein schlechte Hal- tung des Blattes; man vergleiche nur etwa den Ausblick links mit der stümperhaften Nachbildung des Rembrandtschen Baumschlages! Es sind der Anhaltspunkte genug, um in dieser Zeichnung eine bloße Nachahmung, wenn nicht eine bewußte Fälschung zu sehen. Auch in den Nrn. 62, Heil. Familie, und 82, Gabriel erscheint dem Zacharias um bei den belangreichen Blättern zu bleiben finde ich weder Rembrandts Geist noch Handschrift.

Bei Nr. 74 erwähnt Hind die zwei Zeichnungen

nach indischen Miniaturen mit Rembrandts eigen- hindigen Aufschriften; als deren letzten Verbleib gibt er mit einem Zitat aus Vosmaer die Ver- steigerung van der Willigen 1874 an. Hofstede de Groot hat die beiden Blätter inzwischen als in der Sammlung des groBherzogl. Schlosses in Weimar befindlich beschrieben (HdG. 541, 542).

Die Landschaftszeichnung Nr. 127 (unter den „Zweifelhaften“) könnte von Leupenius sein. Zu vergleichen wäre besonders das bezeichnete Blatt in Dresden (Abb. Wörmann, IX, Taf. 5).

Von den verschiedenen Meisternamen, die für die drei Knabenstudien Nrn. 145—147 vorgeschla- gen werden, bleibt der van Eeckhouts doch am meisten nachklingen. Es sei hingewiesen auf das sehr verwandte, bezeichnete Blatt mit dem eingeschlafenen Knaben auf einem Stuhl im Am- sterdamer Kabinett, Eine ähnliche Studie, mit einem seifenblasenden Knaben, wurde auch jüngst mit der Sammlung Goldschmidt in Frankfurt a/M, (Nr. 187) als van Eeckhout versteigert.

Nr, 157. Eine im Motiv gans analoge Zeich- nung von der Hand des Furnerius ist im Teyler- museum in Haarlem (abgebildet bei Lugt, Wan- delingen met Rembrandt, Abb. 40).

Nr. 161. Von derselben Hand ist die durch Hofstede de Groot als Rembrandt beschriebene, aber seither wohl auch fallen gelassene Zeichnung in der Bibliothek in Aschaffenburg, HdG. 14 (Lugt, Abb. 42).

Nr. 162. Hier móchte man gerne den Satz ge- tilgt sehen, daß diese Zeichnung der Manier von Lievens gleiche. |

Nr. 163. Hind schwankt zwischen Ph. de Koning und Furnerius: Ein auf der Rückseite original ,P. Kooning“ bezeichnetes Blatt in genau der- selben Ausführung und mit sehr ähnlichem Motiv, das sich im Teylermuseum befindet, entscheidet dio Frage für diesen Meister.

F. Bol Nr. 1, Heilige Familie, ist als un- zweifelhafte Vorzeichnung für die entsprechende Radierung eine absolut gesicherte Zeichnung Bols und als Ausgangspunkt für andere Zuschreibungen von außerordentlicher Wichtigkeit. In Verband damit befriedigt die Katalogisierung der beiden Darstellungen von Jacobs Traum (Nrn. 2 und 3) als Bol keineswegs; unzutreffend ist hierbei auch der Hinweis auf eine angeblich in der Behandlung áhnliche Zeichnung des Teylermuseums.

A. van Borssom. Nrn. 3 u. 3. Ausgezeichnet ist die Beobachtung, daß diese zwei Zeichnungen von derselben Hand seien, wie das vermeintliche Rembrandtblatt HdG. 1485 in Wien, sicher un- richtig dagegen die Vermutung, daß die gleiche

Ortlichkeit dargestelit sei, Nr. 6, Blick auf Ransdorp, kommt mit ganz geringen Abweichun- gen in der Staffage und kleinen Erweiterungen links und rechts genau noch einmal vor im Teyler- museum in Haarlem, Die Übereinstimmung ist derart, daß man beinahe annehmen muß, das eine der beiden Blatter sei eine Kopie. Die Haarlemer Zeichnung ist unzweifelhaft original, zudem auf der Vorderseite echt und voll bezeichnet; auf der Rückseite trägt sie von späterer Hand dieselbe verhunzte Ortsbezeichnung (het dorp Raarop In Waterlant), wie das Londoner Blatt, aber keinen Künstlernamen, wie dieses. Die Umstände sprechen gegen die Zeichnung des Brit, Mus. Doch wage ich an Hand der kleinen Reproduktion nicht zu entscheiden, ob es sich bei diesem wirklich um eine fremde Kopie oder aber um eine eigenhän- dige Wiederholung handelt.

L. Doomer. Nr. 7, Windmühle bei Nantes. Eine nur in der Staffage leicht veränderte, sicher eigenhändige Wiederholung besteht im Museum Boymans in Rotterdam.

J. Koninck. Hind läßt diesen Meister, wie in den meisten Biographien geschieht, Hofmaler in Kopenhagen und als solchen beinahe 100 Jahre alt werden, Es ist von anderer Seite schon auf den Widerspruch aufmerksam gemacht worden, der zwischen den feinen Landschaftsbildern aus Konincks früher oder mittlerer Zeit und den trocke- nen Leistungen des dänischen Hofmalers gegen 1700 besteht, Nun teilt Dr. Bredius mit, daß in Amsterdam im Februar 1668 ein Jacob Koninck begraben wurde (vgl.Künstler-Inventare IV, 8.1366). Es ist mehr als wahrscheinlich, daß dies der Maler, der ältere seines Namens, war. Von ihm wären dann die stimmungsvollen Landschaften, die bezeichnete Radierung und u. a. die beiden schönen Zeichnungen des Brit. Mus. Die schwerfälligen spätern Bilder hingegen wären auf den gleich- namigen Sohn, der sich in Kopenhagen nieder- gelassen hatte, zu beziehen.

J. Lievens. Der auf Nr. 1 Dargestellte soll der, wie Hind selbst hinzufügt, 1631 verstorbene Kupfer- stecher Jacob Matham sein. Daß diese Bildnis- zeichnung aber nicht spätestens um 1630 ent- standen sein kann, geht, wie mir scheint, schon aus der künstlerischen Auffassung, sowie aus der Kieidertracht des Porträtierten mehr als deutlich hervor, Zudem kennen wir ein durch Beischriften bezeugtes, durch verschiedene Stichreproduktionen überliefertes Altersportrát. Mathams von P. Sout- man (z. B. in de Bies Gulden Cabinet, p. 475, Ant. van der Does sculp.), dessen Züge mit dieser Zeichnung auch nicht die geringste Übereinkunft

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zeigen. Die Identifizierung Hinds beruht offenbar -auf einer Uberlieferung; vielleicht steht diese doch nicht ganz in der Luft. Der Dargestellte könnte dann der Sohn Jacobs, Adriaen Matham, sein, der ebenfalls Kupferstecher war. Nr, 8 ist fälsch- lich als Portrát des Jan de Witt katalogisiert. Dieses Blatt ist nichts als eine ganz grobe Teil- kopie nach Lievens prachtvoller Zeichnung des Dichters Jan Vos im Stádelschen Institut in Frank- furt a/M., von der es noch eine zweite vollstän- digere und erheblich bessere Kopie im Prenten- 'kabinett in Amsterdam gibt. Nr. о, Porträt von Petrus Scriverius, weicht in seiner Strichbehand- lung von der uns geläufigen Manier von Lievens sehr stark ab. Hind weist selbst hin auf die Be- ziehungen, die zu einem durch Cornelis Visscher nach; Soutman .gestochenen Blatt bestehen. (P. Soutman pingebat, et excudebat Harlemi 1649. Corn. Visscher sculpsit P. Soutmanno Dirigente). Diese sind so eng und offenkundig, daß Stich und Zeichnung in einem unmittelbaren Verhiltnis zueinander stehen müssen. Das auf der Zeichnung stehende Lievens-Monogramm ist m. E. falsch; in dieser Vermutung bestürkt mich die Jahreszahl 1637 (od. 1631), die so ganz und gar nicht zu der äußerlichen Aufmachung dieses sicher erheblich später entstandenen Porträts paßt. Auch die Le- sung 1651 soll zur Not möglich sein. In diesem Jahre hätte die Zeichnung aber kaum anders als im Anschluß an den damals vorhandenen Stich entstehen können. Dann müßte sie aber nicht gegenseitig zu diesem sein, was jedoch der Fall ist. Daß es sich um eine Kopie nach dem ' Gemälde Soutmans handelt, ist bei dem äußerst frischen Eindruck, den die Zeichnung macht, noch weniger wahrscheinlich. Ich sehe darum in diesem ‘Blatt eine Studie von Soutman für sein nachher durch Cornelis Visscher gestochenes Porträt des Scriverius.

Jan Andrea Lievens ist nicht nur wahr- scheinlich, sondern ganz sicher der Sohn von Jan Lievens gewesen. Diese Wissenschaft ist keines- wegs neu und ich weiß nicht, warum Hind an ihr zweifelt In der jüngsten Literatur sei auf die Künstler-Inventare von Dr. Bredius (L) ver- wiesen, die zahireiche Belege für dieses Sohnes- verhültnis enthalten.

N. Maes. Nr.3. Anbetung der Hirten im Stall, gehörte in den Abschnitt „After Rembrandt pic- tures“; es ist eine genaue Kopie nach dem ent- sprechenden Bild Rembrandts in der älteren Pina- kothek in München; ob von Maes, ist mehr als fraglich.

C. van Renesse. Daß Nr. ı, Joseph wird

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von seinen Brüdern verkauft, eine Studie zu Re- nesses Radierung des gleichen Themas sein soll, wie Hind gerne möchte und worauf er die Zu- schreibung stützt, scheint mir nicht so sicher. Die Übereinstimmungen sind zu allgemeiner Natur, als daß sie den Schluß gestatteten. Auch scheint mir der Strich frischer und flotter, als er mir von Renesses etwas mühsamen Zeichnungen geläufigist.

J. Ruisscher. Äußerst glücklich ist die Be- ziehung dreier Landschafts - Blätter auf diesen interessanten Zeichner, wobei immerhin die Zu- weisung von Nr. ı weniger überzeugt als die der beiden folgenden Zeichnungen. |

J. J. van Vliet. Bei diesem Blatt, der Steini- gung des Stephanus, zitiert Hind die Meinung Hofstede de Groots, der hier mehr Anklinge an Moyaert zu sehen glaubt. In der Tat besitzt Hof- stede de Groot selbst eine durch eine alte Auf- schrift gesicherte Zeichnung dieses Künstlers, die durch ihre analoge Behandlung und Typik ge- stattet, auch diese Steinigung des Stephanus für Moyaert in Anspruch zu nehmen.

P. de With ist einer der noch wenig bekann- ten Künstler, von dem wahrscheinlich noch manches W'erk aus den heute als ,unbekannte Rembrandtschüler^ katalogisierten Landschafts- zeichnungen herauszulesen ist. Dabei wird das bezeichnete und das andere damit unmittelbar zusammengehende Blatt des Brit. Mus. von großer Wichtigkeit sein. Hind irrt aber, wenn er meint, seine Nr. I sei die einzige bekannte mit dem Namen signierte Zeichnung Pieter de Withs. In Holland existieren noch zwei voll mit eben diesem Namen bezeichnete Landschaften, die eine im Prentenkabinett in Amsterdam, die andere in dem Album amicorum des Jacobus Heyblocq, jetzt in der königl. Bibliothek im Haag, in dem sich u. a. auch zwei Eintragungen von Rembrandt befinden. Diese im ganzen also drei bezeichneten Blätter scheinen auf den ersten Blick jedoch jedes von einer anderen Hand zu sein. Die Amster- damer Zeichnung ist eine charakteristische Dilet- tantenarbeit ohne alle künstlerischen Qualititen; sie macht durchaus den Eindruck, nach einer Radierung aus dem Kreise Rembrandts kopiert zu sein. Wenn nicht überhaupt von anderer Hand, ist sie im besten Fall eine unbebolfene Leistung des noch gánzlich ungeschulten und wenig Geist verratenden Anfängers. Bei der Haager und der Londoner Zeichnung kënnen bei niherem Zusehen hingegen wohl die ver- wandten Züge einer und derselben Hand fest- gestellt werden, besonders in der Behandlung der

Staffage. So haben wir denn wenigstens zwei

Bichere Ausgangspunkte, von denen aus man ев unternehmen kann, das Werk dieses liebenswiir- digen Rembrandtepigonen wieder zusammen- zutragen. Hind hat durch die Herbeiziehung seiner Nr. 3, einem Blatt, das als Jan Lievens aus der Sammlung Salting gekommen ist, einen guten Anfang gemacht. Wie ich glaube, befindet Sich auch unter den zweifelhaften Rembrandt- blättern im Amsterdamer Kabinett noch eine Zeichnung von Pieter de With (Inv. Nr. 2413, Sammlung de Vos 405). Sie ist am besten dem nicht bezeichneten Londoner Blatt anzuschlieBen. Ich meine, de Withs Manier hier wiederzuerkennen, besonders im Baumschlag mit seinen geschlosse- nen Konturen und in der Art der Háuserzeich- nung mit den Parallelschraffuren. Auch das Motiv und die Weise des Ausschnitts wären charakte- ristisch.

Meine Bemerkungen wollten nicht an der Ge- diegenheit dieses vorbildlichen Kataloges rütteln. Vielleicht sind es zum Teil Beobachtungen, die dessen Verfasser selbst gemacht hütte, wenn sein Vornehmen, vor dem Abschluß seiner Arbeit die hollándischen Sammlungen noch einmal zu be- suchen,durch die alle Verbindungen unterbrechende Weltlage nicht unmóglich geworden wire.

. O. Hirschmann,

V. CURT HABICHT, Die mittelalter- liche Plastik Hildesheims. Studien z. deutschen Kunstgeschichte. 195. Heft. Straßburg 1917. ; Der Verfasser will mehr geben als eine Ge- schichte der Bildwerke aus der Epoche des heil. Beonward, wie man zuerst vermuten kónnte. Es gilt ihm das Vorurteil zu zerstreuen, daB die stets gewürdigten Denkmiler ausreichen, eine Vorstel- lung von den Leistungen Hildeshelms zu ver- mitteln und daß die übrigen Arbeiten kaum eine eingehendere Beschäftigung lohnen. Daneben will Habicht das enge Verknüpftsein der Denkmäler untereinander erweisen, das ihn dazu führt, von einer Hildesheimer Schule, ja von einem Hildes- heimer Stil zu sprechen. So gliedert sich das Buch in zwei Teile, wovon der längere in aller- dings etwas ungleichen Einzeluntersuchungen die Entwicklung der Hildesheimer Plastik von 1100 bis ısoo verfolgt, der kürzere aber die Eigenart und Stileigentümlichkeiten der Hildesheimer Kunst festlegen will. Die beonwardinische Kunst berührt Habicht nur summarisch. Domtür und Säule möchte er wieder einer Hand zuweisen, die Unter- schiede aus technischen und inbaltlichen Gründen

erklären. Den Wirkungskreis der nachbeonwardi- nischen Kunst zieht Habicht sehr weit: ganz Nieder- sachsen und vielfach auch Westfalen soll von Hildesheim aus mit Erzbildwerken versorgt wor- den sein. So läßt er bei dem Godehardsarkophag (nach 1132) Zusammenhänge mit Werken des Rogerus von Paderborn nicht mehr gelten und will auch das Kopfreliquiar Friedrichs I. in Kappen- berg zu den Hildesheimer Bronzegußarbeiten zählen. In St. Godehard und St. Michaelis dokumentiert sich dann der neue ‚Stil unter oberitalienischem Einfluß. Die Berechnungen der sog. Seligprei- sungen in den Äbtissinnengräbern in Quedlinburg umII29 sind durch Goldschmidt aufgehellt. Habicht aber möchte eher an eine Einwirkung von Hildes- heim aus glauben machen und dreht dem leidigen „Fortschritt“ zuliebe das zeitliche Verhältnis um, obwohl es doch eine häufige Erscheinung der Plastiken aus dem Ausgang des 12. Jahrhunderts ist, daß sie roher und unbeholfener wirken als die früheren. Dem Meister des Tympanons der St. Go- dehardikirche weist Habicht auch die Grabsteine des Bischofs Adelog und des Presbyters Bruno zu. Mit Unrecht, wie mir scheint. Diese Grab- steine zeigen eine so ausgesprochene Eigenart und Kraft unter Wahrung eines strengeren Stile, der den Gesichtern noch ein fratzenhaftes Lächeln in dem Drang nach Lebendigkeit mitteilt. Da- gegen sehe ich dann im Tympanon den Unter- schied einer neu aufkommenden Generation, die ihre Anschauungen an französischen Vorbildern im Sinne der Klassik gereinigt hat. Bei der im wesentlichen von sächsischen Vorbildern abhän- gigen Holzplastik des 13. Jahrhunderts erübrigt es sich, mit dem Verfasser über einzelne Datie- rungen zu rechten, die Auferstehung aus Wien- hausen ist aber mit 1280 entschieden zu früh an- gesetzt. Auch irrt der Verfasser in der Annahme, der Hauptaltar der Stadtkirche zu Northeim sei älter als der ehemalige Hochaltar des Mindener Doms in Berlin. Die Überschätzung der Hildes- heimer Kunst hat ihm den Blick dafür getrübt, daß gerade jene ungleichen Elemente der archi- tektonischen Dekoration im Schrein, nämlich ein- mal grobe Medaillons mit Vierpässen und dann wieder Kielbögen, die nicht einfach mit Maßwerk ausgesetzt sind, sondern durch wiederholtes Ein- setzen von Nasen zu spitzenartigen Mustern, einem sehr späten Motiv, werden, allein schon beweisen, daß hier ein unsicher nachtappender Vertreter der. Provinzkunst vor uns steht. Damit fallen auch die Folgerungen: weder der Mindener noch der Northeimer Altar haben etwas mit indigener Hil- desheimer Kunst zu tun. Bei dem Versuch, die

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Altire um 1400 bestimmten Werkstätten zuzu. weisen, ist nur die Gruppierung der Altüre in der Minoritenkirche zu Hannover und in der Gode- hardikirche in Hildesheim völlig zweifelsfrei, Unter den Altären um 1450 sitzt der Altar aus Bockel als ein Fremdkörper. Habicht hätte besse getan, statt mittelrbeinischen Einfluß zuzugeben, das Werk aus der so ruhig gleichmäßigen Reihe zu streichen, die künstlerische Qualität nicht um die Mitte des Jahrhunderts gegenüber den Altären um 1400, in denen Einflüsse kölnischer Kunst und des Grabower Altars vom Meister Bertram sich mischten, Seit dem Chorgestühl der Gode- hardikirche 1466 strömen die Anregungen aus den Niederlanden. Zu Beginn des ı6. Jahrhunderts dann noch ein letzter Aufschwung dieser mittel- alterlichen Plastik, wieder unter westlichem Ein- flu8, diesmal von der Calcarer Schnitzerschule. Es ist ein beachtenswerter Gedanke Habichts, daß bei dem Meister des Beichtkapellenaltars in der Michaeliskirche eine der Wurzeln der Kunst Hans Bruggemanns zu suchen sei, gleichzeitig dann der hochstehende Meister des Benediktaltars in St. Go- dehardi, an dem eine Geschichte der deutschen Plastik nicht mehr wird vorübergehen können. Hier eröffnet sich eine interessante Perspektive. Die unleugbare Verwandtschaft mit Riemen-

schneider führt Habicht dazu, dieser Verbindung `

nachzugehen und er weist nach, daß das Chor- gestühl in St, Godehardi eine Quelle der Kunst Riemenschneiders darstellt und daB vermutlich sogar verwandtschaftliche Beziehungen mit einer in Hildesheim nachweisbaren Familie Remen- snyder vorliegen.

Der zweite Teil, der die Eigenart der Plastik . Hildesheims herausarbeiten will, hätte ein Grund- pfeiler für die Anschauungen Habichts werden müssen, da er in seinen Beiträgen zur nieder- sächsischen Kunstgeschichte, in denen dies Buch den zweiten Band bildet, ja überhaupt erst den Nachweis eines niedersächsischen Formsystems erbringen muß. Denn innerhalb der Zone ge- meinsamer optischer Auffassung Niederdeutsch- lands liegt begrifflich fassbar doch allein der nie- derrheinische und westfälische Stil fest. Kein Zweifel, dieser Beweis wird sich führen lassen, aber der Weg hierzu muß vom allgemeinen zum besonderen führen und nicht umgekehrt. Erst innerhalb der niedersächsischen Stileigentümlich- keiten könnte wieder ein Hildesheimer Stil, wenn man überhaupt davon sprechen darf, ausgeschie- den werden. Habicht nennt als ikonographische Eigentümlichkeiten Hildesheims den Hang zur Abstraktion und den Drang nach symbolischen

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Verdeutlichungen. Damit ist nicht viel gewonnen. Als formale Grundstimmung hat Habicht nur die feierliche Ruhe aufzuweisen. Auch hierin ver- mag ich nichts spezifisch Hildesheimisches zu sehen. „Nur die Gesichtstypen bilden eine Hand- habe, die Herkunft einer Plastik aus der Hildes- heimer Diözese festzustellen.“ So liegt das eigent- liche Verdienst der Arbeit in den geschichtlichen Untersuchungen. Die Einwendungen richten sich darin gegen einzelnes, sollen aber den Wert des Ganzen nicht schmálern, Vielmehr muß das wich- tige Ergebnis des Verfassers unterstrichen werden, daB er dort, wo nur Inseln zu sein schienen, zu- sammenhingendes Land nachgewiesen hat, und daß damit ein wichtiger Abschnitt der nieder- sichsischen Kunstgeschichte seine grundlegende Darstellung erfabren bat. Ein reiches Abbildungs- material auf 40 Lichtdrucktafeln unterstützt die Ausführungen. Ein sorgfültiges Register und eine chronologische Tabelle erhöhen die Brauchbarkeit als Nachschlagewerk. Im Felde.

ROB. BRUCE, Ernst zu Schaumburg, ein kunstfórdernder Fürst des 17. Jahrhunderts. Berlin, Verlag von Ernst Wasmuth 1917.

Einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der kunstgeschichtlich interessanten Übergangszeit von deutscher Renaissance zum Barock bietet Robert Bruck in seinem Buch: Ernst su Schaumburg, ein kunstfórdernder Fürst des 17. Jahrhunderts.

In: dem Fürsten Ernst lernt man eine anziehende Persónlichkeit kennen, einen Mann, der mit Tat- kraft und Umsicht regiert, den Wohlstand seines Volkes zu heben versteht und die gesteigerten Einkünfte seines Landes in kunstsinniger, edler Weise verwendet.

Als einer der ersten deutschen Fürsten unter- nimmt Ernst von Schaumburg die ,Kavaliertour" nach Italien. Kaum zwanzigjährig, bezieht der junge Fürst 1589 die Universitit Bologna und besucht Mailand, Florenz, Rom. 1593/94 reist er zum zweitenmal nach Italien. Die Frucht jener Studien und Reisen ‚waren enge Beziehungen zu Kunst und Künstlern in Italien, die für die kultu- rellen Bestrebungen des Fürsten maßgebend wurden.

Im Schloß Sachsenhagen, dem Wohnsitz des Fürsten vor seiner Ubersiedlung nach Stadthagen und später nach der Residenz Bückeburg, erinnern zwei Portale am alten Schloß, dem sog. Amts- haus, an architektonische Vorbilder der italieni- schen Spätrenaissance. Die kannelierten Rustika- säulen toskanischer Ordnung scheinen mir auf

Kurt Gerstenberg.

Anregungen des Bologneser Architekten Sebastiano Serlio surückzufübren sein, dessen viel benutztes Architekturwerk sicher auch dem deutschen Bau- enthusiasten bekannt war.

Seit 160r residierte Fürst Ernst in Stadthagen. Hier lieB er sein prachtvolles Mausoleum errichten, das, 1609 begonnen, erst fiinf Jahre nach dem 1622 erfolgten Tode des Fürsten vollendet wurde.

Der Baumeister des Mausoleums war Giov. Maria Nosseni aus Lugano, ein vielbeschüftigter Künstler, der als Hofbildhauer und Maler am kur- sichsischen Hof tütig war, von dort nach Stadt- bagen berufen wurde. Unstimmigkeiten swischen ihm und dem Bauherrn führten zum Rücktritt Nossenis von der Bauleitung und zur Berufung eines Deutschen, Albrecht Dutthorns, der an Nos- senis Stelle den Bau vollendete.

In der höchst eigenartigen Grundrißbildung des Mausoleums, einem Siebeneck, sieht Bruck eine Nachbildung des hl. Grabes von Jerusalem. Mög- lich, da8 die Erinnerung an die hl. Grabeskirche bei der Anlage mitgesplelt hat; jedenfalls war der Zentralbau (mit rundem oder polygonalem GrundriB) eine Lieblingsbauform der italienischen Renaissance- künstler. Unter anderem beschäftigte sich auch der oben genannte Bolognese Serlio mit der schwie- rigen Lösung eines Zentralbaues von polygonaler Grundform mit ungleicher Seitenzahl. Für die Grundrißbildung einer Kirche ist, wie Serlio be- merkt, ein Polygon von ungleicher Seitenzahl un- geeignet, da Haupteingang und Altar schwer in Einklang zu bringen sind (den Seiten liegen Winkel gegenüber!) Bei einem Mausoleum war jedoch diese Form wobl ansuwenden, wenn man das Grabmal in die Mitte des Polygons setzte, wie im Mausoleum zu Stadthagen. | .

Das Äußere des Baues ist ganz im Geist der italienischen Spätrenaissance erdacht, mit korin- thischen Pilastern, von Rundbogen überwölbten, vertieften Wandfeldern, einer auf den Bauherrn bezüglichen Inschrift am Hauptyesims, der auf dem Hauptgesims aufsitzenden Attika, der äußer- lich durch ein Zeltdach verkleideten, von einer zierlichen Laterne bekrónten Kuppel. Nur wenig Bauten auf deutschem Boden können sich so reiner Formen und Verhältnisse rühmen wie dieser Grabbau.

Den Hauptschmuck des Innern bildet das pracht- volle Grabmal des Fürsten Ernst, ein Prunkstück barocker Grabmalkunst, das Adrian de Vries, der Schüler Giovanni da Bolognas, in den Jahren 1618 bis 1620 ausführte. Das Monument gipfelt in der hochaufgerichteten, edel aufgefaßten Gestalt des Auferstandenen. Vier lebhaft bewegte Wüchter

an einen Kirchenbau.

sitzen zu Füßen des Sarkophags, der mit dem Reliefbildnis des Verstorbenen geschmückt ist. Die Wächter erinnern an die „Sklaven“, die ein anderer Schüler Giovanni da Bolognas, Pietro Tacca, in ähnlicher Weise an dem Standbild des Großherzogs Ferdinand des Ersten von Toskana in Livorno anbrachte, und lassen wie diese die Wirkung michelangelesker Formensprache er- kennen. Bezeichnend für den Zeitgeschmack sind die an Beziehungen reichen figürlichen Sockelreliefs.

Für den übrigen plastischen und malerischen Schmuck am Mausoleum werden u. a. Sebastian Walther, Zacharias Hegewald, Hans Wolff (Wand- epitaphien), Anton Boten (Kuppelmalereien mit musizierenden Engein) genannt, alles deutsche Künstler, die mehr oder weniger im Geiste der italienischen Spätrenaissance arbeiteten, deren Werke aber immerhin verdienten, der völligen Vergessenheit entrissen zu werden. Ganz im ita- lienischen Geschmack ist der Fußbodenbelag, für den Michele Sanmicheli das Vorbild gegeben haben könnte in seiner Capella Pellegrini bei S. Bernar- dino zu Verona.

In Herzog Ernsts Regierungszeit fällt der Bau der protestantischen Stadtkirche von Bückeburg (beg. 1611) mit ihrer überreichen Schauseite, deren Architektur mehr an ein Prunkmöbel erinnert als Für den üppigen Verzie- rungsstil bot die Anregung Wendel Dietterleins Architekturwerk, dem auch die Vorlagen für die Kapitäle im Innern entnommen sind. Der Grund- riß der Kirche entspricht einer spätgotischen Hallen- anlage. Eine Neuerung bildet die Einführung von Emporen, die im protestantischen Kirchenbau späterhin allgemein beibehalten wurde.

Das Taufbecken von 1615, zeitlich dem Grab- mal von Stadthagen vorausgehend, ist gleichfalls ein Werk Adrian de Vries’, wie jenes reich an allegorischen Beziehungen. Die Hauptgruppe der Taufe Christi erscheint wie eine barocke Weiter- bildung von Sansovinos Taufgruppe am Baptiste- rium zu Florenz.

Weitere glänzende Beispiele deutscher Spät- renaissance-Architektur bieten die Torbauten des Bückeburger Residenzschlosses, an denen neben holländischen Einflüssen wiederum Anregungen von Wendel Dietterleins Architekturwerk wahr- zunehmen sind.

Im Innern des Bückeburger Schlosses stammen die Schloßkapelle und einige Säle aus der Regie- rungszeit Herzog Ernsts. Die reich vergoldeten Holzschnitzereien der Schloßkapelle wurden von Eckbert Wolff d.J., die Malereien von Hans Wolff, Christoph Gertner, Joseph Heintz ausgeführt. Von

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Eckbert Wolff stammt auch die Prachttür im gol- denen Saal, reich mit mythologischen Figuren ver- ziert, unter denen eine Nachbildung des berühm- ten Merkur Giovanni da Bolognas am meisten in die Augen fällt. Noch andere Künstlernamen sind ‘in den Urkunden erhalten » ohne daB bestimmte Werke mit ihnen in Verbindung gebracht werden könnten.

Beseichnend für die Kunstrichtung am Hofe Herzog Ernsts ist die Vermischung italienischer, niederländischer und deutscher Kunsteinflüsse, die sich zu einem reichen, anziehenden Bild vereinigen. Gemälde von Paolo Veronese, Federigo Baroccio, Dionigio Calvaert und Hendrik van Balen werden neben solchen von Hans Rottenhammer, Barthol. Spranger, Joseph Heintz genannt.

Außer am Grabmal in Stadthagen und dem Merkur im Bückeburger Schloß lebt die Erinne- rung fort an Italien, insbesondere an Giovanni da Bologna, in verschiedenen Bildhauerarbeiten des Adrian de Vries, von denen zwei Bronze- gruppen auf der Schloßbrücke genannt seien: Venus und Adonis (1620) und Raub der Proser- pina (1621). Für Adrian de Vries, wie übrigens auch für seinen berühmten Zeitgenossen Bernini boten Giovanni da Bolognas Bravourstücke, wie beispielsweise der Raub der Sabinerin in der Loggia dei Lanzi zu Florenz das bewunderte Vor- bild. |

Den Einfluß von Wendel Dietterleins phanta- stischer Architektur verrát auch die reich belebte Gartenarchitektur des kleinen Lustechlosses Baum bei Bückeburg, dem der letzte Abschnitt des Buches gewidmet ist. df

Das Buch von Bruck gibt uns ein reizvolles Bild wieder eines kunstbegeisterten Fürsten und einer kleinen deutschen Residenzstadt in den fried- voll-glücklichen Zeiten, die den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges unmittelbar vorausgingen.

Die im Anhang mitgeteilten Urkunden und die vorzüglichen Abbildungen erhóhen noch den Wert dieser Veróffentlichung. v. d. Gabelentz.

FRITZ MEDICUS, Grundfragen der Asthetik. Verlegt bei Eugen Diederichs, Jena 1917.

Aus Abhandlungen und Vortrágen entstanden, die bis in das Jahr 191a zurückgehen, bildet dieses Buch doch eine Einheit. Es gibt so viele Bücher, denen man das Zufállige ihres Entstehens an- merkt, die nichts anderes sind als Feuilletons in Bucbform, ohne inneren Zwang geschrieben. Diese Vortrige muBten gehalten, diese Aufsátze geschrie- ben werden, denn sie offenbaren nicbt weniger

als ,ein Stück Selbsterkenntnis eines an künst- lerischen Inhalten genährten Lebens.“ Hinter jeder Zeile spürt man, daß es dem Verfasser um seine Fragestellung und seine Probleme Ernst ist, daß ihm Ästhetik, nicht minder wichtig ale Logik oder Ethik, nur als Teil der unauflöslichen philo- sophischen Einheit erscheint. Ein Versuch ihrer Verselbständigung rächt sich dadurch, „daß die Probleme nicht mehr aus der substantiellen Wirk- lichkeit entspringen und darum oberflüchlich wer- den, mógen sie auch an den Scharfsinn die äußer- sten Anforderungen stellen.“

Das Buch ist von einem starken Glauben an

die Kunst der Gegenwart getragen. Der jahre- lange Aufenthalt des Verfassers in der Schweiz gibt ihm ein gewisses Lokalkolorit, doch ist es ein Bekenntnis und kein Partelbuch. Unser Ver- háltnis zur Welt ist kein festes, unabinderliches. Jede Epoche, ja jede Generation hat ihre eigenen Aufgaben zu lósen, in sittlicher so gut wie in künstlerischer Hinsicht, Im Kunstwerke offen- baren sich Geist und Wesen einer Zeit am un- mittelbarsten. Es gibt keine nur formale Kunst; der Schaffende kann der Kulturgemeinschaft, in die er gestellt ist, nicht entfliehen. Er findet auch keine fertige Wirklichkeit vor, er schafft eine neue Welt und eine neue Wahrheit. ,Und wie es keine rein formale Kunst geben kann, so ist auch

‘das Idealzeitalter der Kunst ein Phantasiegebilde.

Das perikleische Zeitalter und die italienische Re- naissance in allen Ehren: aber die Wirklich-

-keit ist lebendig. Der Ausdruck, den das Leben

vergangener Jahrhunderte und fremder Kultur- gemeinschaften gefunden hat, ersetzt uns nicht die Anschauung des Lebens, in dem wir stehen. Und jedes Kunstwerk ist vollkommen, das im höchsten Sinne wahr ist, d. h. jedes Kunstwerk, das in dem engen Umfang seiner Erscheinung das grenzenlose Leben der Kulturgemeinschaft offenbart, von der es geboren iet" (S. 59). Auch kann es nicht im Sinn eines Kandinsky darauf ankommen, das Geistige von der Materie los- zulósen und sich in den Bereich der absoluten, vom Gegenständlichen befreiten Malerei zu flüchten. „Der Geist muß in der Wirklichkeit selbst gesucht werden: in ihr und nur in ibr ist er wirklich ... Er führt kein von der sichtbaren Materie ge- trenntes Leben die ganze Wirklichkeit ist Leben, ist lebendiger Geist.“ (S. 32.)

Es kann nicht die Rede davon sein, den Reich- tum des Buches in einer Anzeige auszuschöpfen. Vorträge über: Philosophie und Dichtung (1912), Bildende Kunst und Wirklichkeit (1912), Schón- heit und Wahrheit (1913), die künstlerische Wahr-

—— v. un

@ heit (1915), die künstlerische Überwindung des Gegenstandes (1916) und Abhandlungen ,über den Begriff der Ásthetik, die überzeitlichen MaBstibe der künstlerischen Beurteilung und die Unend- lichkeit des Kunstwerkes (sämtlich 1916 geschrieben) bilden seinen Inhalt. Gedruckt lagen bisher nur zwei der Vortrüge vor, im Band IV des ,Logos“ und im erstenJahrgang der , Geisteswissenschaften",

Rosa Schapire.

KONRAD ERBACHER, Griechisches Schuhwerk. Eine antiquarische Unter- suchung. (Wiirzburger Inaugural-Disser- tation 1914. Würzburg, Buchdruckerei Franz Staudenraus 1914. IV, 78 S. 8% 1 Tafel.

Nach einer Besprechung der griechischen Be- zeichnungen der verschiedenen Schuhsorten gibt Erbacher an der Hand der Darstellungen die Ge- schichte der Fußbekleidung bei den Griechen in ihren drei Hauptgattungen: Sandale, Schuh, Stiefel, von denen nur die Sandale eine nationale griechi- sche Fußbekleidung seit ältester Zeit gewesen ist, Schuh und Stiefel wurden seit dem 6. Jahrhundert übernommen, während die Mode des Schnabel- schuhs sich nicht eingebürgert hat. Die Arbeit ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der an- tiken Tracht; freilich hätte sich das Thema für eine akademische Festrede nicht geeignet, wie Lobeck in seiner witzigen Rede: de Momo eiusque fratre Moro bemerkt. (Neues Schweizerisches Mu- seum I [1861], S. 70.) T. O. Achelis.

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RUNDSCHAU ... n

DER CICERONE.

IX, 21/22.

WALTER BOMBE; Die Sammlung Dr. иели von Schnitzler in Cóln. (26 Abb.)

H. FRIEDEBERGER: Die Sammlung Richard von Kaufmann-Berlin. (13 Abb.)

IX, 23/24.

WALTER BOMBE: Die Sammlung Dr. Richard von Schnitzler in Cóln. (Fortsetzung.)

OTTO GRAUTOFF: Die Münchner Kunstgewerbe- ausstellung in Paris im Jahre 1910 und die fran- sösischen Künstler während des Krieges.

OUDE KUNST. III, I. HANS SCHNEIDER: Nederlandsche schildereijen

in het Museum Czartoryski te Krakau. (1 Tafel, 5 Abb.)

S. KALFF: Een Haarlemsche Gildebeker. (1 Abb.)

IMA BLOK: Teekeningen van Es. v. d. Velde, J. v. Goijen en P. de Molijn. (3 Abb.)

H. G. van HUFFEL: Handkleur. (4 Abb.)

III, 2,

H. MARTINI: De ı7e eeuwsche friesche schilder Nicolaas Wieringa. (9 Abb.)

D. F. SLOTHOUWER en CORN. J. GIMPEL: Oude Architektenteekeningen. (6 Abb.)

M. W. de VISSER: De Weefster en de Herder. (1 Abb.)

N. G. van HUFFEL: Een merkwaardig Oranje- portret. (r Abb.)

> ш, 3.

С. HOFSTEDE DE GROOT: De Apostel Paulus van Rembrandt. (1 Taf.)

Een Landschap van MEINDERT HOBBEMA. (1 Taf.)

D. v. ADRICHEM: St, Nicolaas in het Westen, (10 Abb.)

A, O. v. KERKWIJK: Dure en siechte tijden op penningen herdacht. (13 Abb.)

J. О, KRONIG: Een portret dor Hendrik Gerritsz. Pot. Abb.)

OUD HOLLAND.

XXXV, 3.

Q. J. HOOGEWERFF: Rembrandt en een italia- ansche Maecenas.

F. A. HOEFER: De Overijsselsche schilder Jan Grasdorp.

H. J. A. RUYS; De schilder-dichter Bernart Vollen- hove.

E. van BIEMA: Het dagboek van een pommersch officier in Staatschen dienst. (II.)

J. PRINSEN J. LZN.: Eeen paar seltsame trou- gevallen.

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A. BREDIUS: Een hollandsch beeldhouwer-atelier omstreeks 1570 te Cordova.

Korte Mededeelingen.

—— M

DIE KUNST. XIX, 1.

G. J. WOLF: Wilhelm v, Diez und seine Schule. (2 farb., 1 schw. Taf, ar Abb.)

W. WARTMANN: Hermann Haller, (1 Tafel, 12 Abb.

W. RÜMANN: Menzels Radierungen. (8 Abb.) F. KUMMER: Vom Umbau alter Hauser.

Arch. LOSSOW ч. KÜHNE-Dresden: Haus Ross-

kothen und Haus Wiede. Taf., 21 Abb.)

Eine BRUNO PAUL-MONOGRAPHIE. (1 farb. Taf., 5 Abb.)

F. THIECKE: Treibarbeiten von Georg Mendels- sohn. (3 Abb.)

G. J. WOLF: Münchner Plakatkunst. (a Tafeln, 22 Abb.)

LAURA EBERHARDT: Atzen der Batikarbeiten an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule. (то Abb.)

RICHARD GRAUL: Mehr Kunstgewerbe auf der Leipziger Messe. (s Abb.)

XIX, 3

J. BETH: Die freie Sezession 1917 in Berlin. (x farb. Taf., 20 Abb.)

W. v. SEIDLITZ: Ergebnis der Umfrage, betreffend die Vorbildung unserer Künstler.

KARL VOLL: Uber Kunstauktionen im Kriege.

AUG. L. MAYER: Zum 7o. Geburtstage Ad. von Hildebrands. (8 Abb.)

E. W. BREDT: Toni von Stadler +. MAX EISLER: Karl Sterrer, (r Taf, 7 Abb.)

W. F. STORCK: Kriegergedenktafeln und -Ge- denkblätter. (1 Taf., 19 Abb.)

H. BEHRMANN: Kunst und Geschäft auf der Leipziger Messe.

P. THIECKE: Zu den Arbeiten von Karl Joh. Mossner. (5 Abb.)

H. STRAUBE: Eisenguß in der angewandten Kunst. (a Taf, 17 Abb.) XIX, 3.

PAUL KRAEMER: Axel Gallén, Finnlands groBer Maler. (4 Taf, 7 Abb.)

MAX GEITEL: Vor hundert Jahren. G. J. WOLF: Norbert Grund. 1 Taf, 10 Abb)

HANS MACKOWSKY: Menzels Impressionen aus Alt-Berlin. (2 Abb.)

KARL SCHWARZ: Philipp Franck. (1 Taf., 8 Abb.)

MOELLER van den BRUCK: Die Ausstellung des deutschen Werkbundes 1917 in Bern. (a Taf., 48 Abb.)

DIE RHEINLANDE.

XVII, 10/11.

LISBETH SCHÄFER: Große Berliner Kunstaus- stellung 1917 im Kunstpalast zu Düsseldorf. (6 Abb.) J. F. HÁUSELMANN: Kunstwissenschaftliche Be- trachtungen über bšuerliche Bauformen. (21 Abb.)

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION, XXI, 1.

KARL SCHWARZ: Lovis Corinth. (2 farbige, 5 echwarze Tafeln, 18 Abb.)

ADOLF BOHNE: Vom einheitlichen Ziel der Kunst.

THEODOR VOLLBEHR: ,Altestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefaBt das Neue“.

OSKAR STRUAD: Einiges Theoretische zur Raum- gestaltung. (15 Taf., 12 Abb.)

A. E. BRINCKMANN: Das Grabmal. (7 Taf., 9 Abb.)

RICH. KLAPHEK: E. Fahrenkamps Qrabdenk- mäler und Kriegergedenksteine. (3 Abb.)

KUNO MITTENZWEY : Ausstellung der Münchner Sezession r917.

R. ST.: Herbstausstellung der Dresdner Künstler- vereinigung . |

KUNO MITTENZWEY: Ausstellung der ,Neuen Sezession" München 1917.

XXI, 3.

KURT GERSTENBERG: Der Künstler und diese Zeit.

KARL HECKEL: Harmonie und Stil,

ULRICH CHRISTOFFEL: Kunstgeschichtliche Bildung und künstlerische Erziehung.

GUSTAV E. PAZAUREK: Von Glasperlen und Perlenarbeiten.

ERNST ZIMMERMANN: Dekorative Keramik (9 Abb.)

M. ZUNDORFF: Kúnstlerischer Christbaum- schmuck. (s Abb.)

KUNST UND KÜNSTLER.

XVI, 1. EMIL WALDMANN: Organisation im Museums- wesen.

HEINRICH WOLFFLIN: Adolf von Hildebrand, (17 Abb.)

KARL SCHEFFLER: Max Pechstein. (rr Abb.) HANS TROG: Deutsche Malerei in der Schweiz. EMIL WALDMANN: Die Hodler-Ausstellung in Zürich.

XVI, 3.

MAX LIEBERMANN: Anschauung und Idee, KURT GLASER: Gustav Doré. (ar Abb.)

FERDINAND BULLE: Hermann Haller. (7 Abb.) FELIX SZKOLNY: Die Gewinnbeteiligung der Künstler.

XVI, 3.

MAX J. FRIEDLAENDER: Dürers Denken und Gestalten. (z Abb.)

ALFRED LICHTWARK: Der junge Künstler und die Wirklichkeit. (ro Abb.)

VICTOR HUGO: Das Buch und der Stein, (13 Abb.)

KARL SCHEFFLER: Gelegentlich der 31. Aus- stellung der Berliner Sezession.

K. SCH.: Winckelmann.

KUNST UND KUNSTHANDWERK. XX, 9 / 10.

MORIZ DREGER: Die Linzer Wollenzeug- und Teppichfabrik. (38 Abb.)

L. PLANISCIG: Annibale Fontana, der Meister der Bronzeleuchter im Dome su Preßburg. (9 Abb.) HARTWIG FISCHEL: Aus dem Wiener Kunst- leben.

ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST. Neue Folge, XXIX, 1.

JULIUS BAUM: Schwibische Bildwerke im Zeit- alter der Mystik. (12 Abb.)

JOS. AUG. BERINGER; Emil Lugo. (17 Abb.)

XXIX, 2. HERMANN UHDE-BERNAYS: Zur Feier Johann Joachim Winckelmanns.

JOSEF ENGELHART: Dem Andenken Eugen Jettels. (s Abb.)

О. F. HARTLAUB: Gustav Doré und seine Illu- strationen, (30 Abb.)

JULIUS VOGEL: Luther als Junker Jórg. (6 Abb.)

AUG. L. MAYER: Das Selbstbildnis des Velazquez im Provinzialmuseum in Hannover. Abb.)

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. KUNSTSAMMLUNGEN.

XXXIX, 2.

BODE: Erweiterungen innerhalb der Abteilung der deutschen Plastik. (2 Abb.)

HUBERT SCHMIDT: Frühgeschichtlicher Gold- schmuck. (3 Abb.)

XXXIX, 3.

OSKAR FISCHEL: Wanderungen eines antiken Motivs. (4 Abb.)

FRITZ GOLDSCHMIDT: Die Gédtterfiguren des Alessandro Vittoria. (5 Abb.)

31

NEUE BÜCHER encinas

FERDINAND AVENARIUS: Klinger als Poet. Mit einem Briefe von Klinger und einem Beitrag von Hans W. Singer. Herausg. vom Kunstwart. Im Kunstwartverlag von Georg D. W. Callwey zu München.

FRIEDRICH JODL: Ästhetik der bildenden Künste. Herausgegeben von Wilh. Bórner. J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart u. Berlin 1917. Hessenkunst 1018. Herausg. von Dr. Christ. Rank; Zeichnungen von Otto Ubbelohde. Verlag von N. G. Elwert, Marburg.

MAX v. BOEHN: Vom Kaiserreich zur Republik. Eine franzósische Kulturgeschichte des 19. Jabr- hunderts. Hyperion-Verlag, Berlin.

KARL SCHWARZ: Augustin Hirschvogel, ein deutscher Meister der Renaissance. Mit 77 Ab- bildungen. Julius Bard, Berlin 1917. M. 20 (25).

LUDWIG RICHTER-ZEICHNUNGEN. Mit einer Einleitung herausgegeben von Willibald Franke. Comenius-Bücher, Bd. I. Verlag Grethlein & Co. Leipzig-Berlin, (Preis M. 3.60.)

ZUR GESCHICHTE DER BARMHERZIGKEIT IM ABENDLANDE. Rede, gehalten zur Feier des Antritts des Rektorats am 18. Oktober 1917 in der Aula der Rheinischen Friedrich Wilhelms- Universität zu Bonn von Friedrich Маг. Bonn. Verlag von Peter Hanstein.

XI. Jahrgang, Heft I.

Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im Felde. Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINK- HARDT & BIERMANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Elisabetbstr. 51. |

In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. :

Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.

Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans R Berlin W. 13, Uhland- straße 158 zu richten.

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

Tafel 1

27

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(Teilstück.)

Leonardo da Vinci, Mona Lisa.

Abb. 2.

(Louvre.)

Leonardo da Vinci, Mona Lisa.

Abb. I.

EMIL MÓLLER, ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE DER MONA LISA

Zu:

M. f. K., XI, ı

Tafel 2

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(Uffizien.)

Abb. 3. Naturstudie des Salai (?), nach der Mona Lisa.

EMIL MÓLLER, ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE DER MONA LISA

Zu:

M. f. K., XI, 1

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Tafel 4

Leonardo da Vinci, Die hl. Jungfrau aus dem Anna-Karton -= Mona Lisa

Abb, 6.

EMIL MOLLER, ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE DER MONA LISA

Zu

M. f. K., XL 1

M. f. K., XI, 1

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Zu: MARC ROSENBERG, EINE SELTENE GRANULATIONSARBEIT

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Tafel 8

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I. Friedrich Busch, 7 1501. Altenburg, Schloßkirche 2. Petrus Hofemann, + 1486. Altenburg, Schloßkirche

Aus einer sächsischen Hütte.

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3. Heinrich Stárcker von Mellerstadt, + 1483. Meißen, Dom Aus einer sáchsischen Hütte.

Zu: HUBERT STIERLING, ,ZWEI UNBEKANNTE VISCHERWERKE*

M. f. K., XL, 1

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| X-IAHRGANG-HEF T 2/3 FEBR-MÄRZ 1018 | VERLAG KLINKHARDTÖBIERMANN:LEIPZIG

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| Monatshefte fur Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 2/3

ABHANDLUNGEN völker in die Treibhäuser geistigen Lebens. " Anknüpfend an einen Scbatzfund in Albanien.

FRITZ HOEBER, Die attischen reif ır ang Abbildungen auf то Lichtdrucktafeln, schwarzfigurigen Vasen von rotfigu- (Supka-Budapest) ...... uiis e a 8. 74 rigem Stil. Mit 27 Abbildungen auf O. Frhr. v. Hadoln, Das Museum au pauvre

7 Tafeln 2169 are S. 33 diable zu Maubeüge (Gerstenberg) . . . S. 77

HANS WOLFGANG SINGER, Der Rudolf Metzger, Die dynamische Empfindung Vierfarbendruck in der Gefolgschaft in der angewandten Kunst. Ein Beitrag sur Jacob Christoffel le Blons. Mit 6 Ab- künstlerischen Gestaltung der Technik. Mit bildungen auf 5 Tafeln ...... 8.52 56 Abbildungen (Rosa Schapire) .. . . 8. 77

REZENSIONEN RUNDSCHAU .............. S. 79 Josef Strsygowski, Altai-Iran und Vólker-

wanderung. Ziergeschichtliche Untersuchun- gen über den Eintritt der Wander- und Nord- NEUE BÜCHER ............ S. 80

JULIUS BÖHLER : MÜNCHEN

HOFANTIQUAR fa MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS KGL. BAYR. HOFANTIQUAR BRIENNERSTRASSE 19

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Paris, 55 avenue des Champs Elysées.

DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL Von FRITZ HOEBER

Herrn Prof. Dr. Frans Winter in dankbarer Verehrung! Mit siebenundzwanzig Abbildungen auf sieben Tafeln eeeccccccc00000000000000000000000000000000000000000000000009

I.

Bi der Stilanalyse der attischen älteren rotfigurigen Vasenmalerei, des epikte- tischen Kreises und der streng rotfigurigen Meistervasen besonders, wurden regelmäßig von der Forschung künstlerische Darstellungsmittel festgestellt, die nicht im Sinn des eigentlichen rotfigurigen Vasenstils, des Stils der neuen Körperlichkeit und der neuen Bewegungsmiglichkeiten, lagen, sondern sich stilistisch noch ganz in der flachen Silhouettenmanier jener strengen und eckigen Linien hielten, die das Charakteristische der ülteren schwarzfigurigen Vasenmalerei ausmachen. Und umgekehrt wiederum liefen sich auch attische jüngere schwarzfigurige GefüBe finden, die, obwohl in der alten gewohnten Technik ausgeführt, doch bereits den geschmeidigen LinienfluB, z. B. der Gewandfalten, die reichere Bewegung, die Kopf- typen oder die Gesamtkomposition der streng rotfigurigen Malerei aufwiesen. Was lag also náher, als der Hypothese einer zeitweiligen Parallelitüt der beiden Stil- arten in der attischen Vasenmalerei Raum zu geben, einer Annahme, die ja um so natürlicher war, als sie der allgemeinen kunsthistorischen Erfahrung entspricht, daB . wichtige technische und künstlerische Neuerungen sich niemals sofort und voll- stándig durchsetzen, sondern neben der alten Weise eine Zeitlang einhergehen, bis sie diese vollkommen besiegt haben. Dieses können wir ja auch an vielen attischen Vasen des ausgehenden sechsten Jahrhunderts, den Amphoren des Andokides und seiner Schule und den Schalen des epiktetischen Kreises beobachten, die die beiden Techniken auf einem Stück vereinigen, oder bei manchen reif schwarzfigurigen Vasen- fabrikanten, wie vor allem bei Nikosthenes, der trotz seiner Befangenheit in der alten Tradition, sich doch in dem einen oder andern Gefäß bereits in der moder- neren Malweise versucht hat. Derjenige, der diese Parallelitüt der attischen schwarzfigurigen und rotfigurigen Vasenstile am energischsten in Theorie und Museumspraxis wissenschaftlich vertreten hat, ist Edmond Pottier. In seinem Catalogue des Vases antiques de terre cuite!) schreibt er auf S. 647ff. in einem Kapitel: Prolongation de la peinture à figures noires: „Si utile que soit une réforme, elle n'est jamais acceptée tout entiére par tout le monde, surtout dans le domaine industriel; la tradition et la routine sont des puissances avec lesquelles il faut compter. On s'imagine trop aisément qu'une fois la figure rouge inventée, la figure noire ne tarda pas à mourir et laissa la place sans conteste à son heureuse rivale. On voit les meilleurs archéologues conclure qu'un motif est nécessairement antérieur à l'époque des figures rouges, parce qu'il se trouve sur des vases à figures noires de style tardif. Les classements ordinaires des musées et des catalogues entretiennent cette idée. Nos étudiants se figurent trop souvent que l'époque de la figure rouge se superpose exactement à celle de la figure noire, comme les en- fants croient que les Romains remplacent les Grecs. Ces cadres rigides empéchent

(z) Études sur l'Histoire de la Peinture et du Dessin dans l'Antiquité. Troisième Partie: l'École Attique (Paris, Librairies-Imprimeries réunies. Éditeur des Musées Nationaux. Motteroy, Directeur, 7 Rue Saint- Benoit, 1906).

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XL Jahrg. 1918, Heft 2/3 3 | 33

de voir des synchronismes qui sont l'essence méme et la vie de l'histoire.* Und dann hat Pottier in der Salle F der Collection Campana, der groBen Vasensamm- lung des Louvre, unter den dort befindlichen reif schwarzfigurigen attischen GefüBen eine spezifische Gruppe ausgesondert, fiir die er bereits ,,des influences de la figure rouge“ konstatiert. In dem dem Katalog zugehürigen Photographienalbum ,,Vases an- tiques du Louvre par E. Pottier. 2. Serie: Salles E-G. Le style archaique a figures noires et à figures rouges. Ecoles Jonienne et Attique“ stellt er in Abbildungen auf Pl. 75—77 und 84—87 die nach seiner Meinung hier in Betracht kommenden Gefäße zusammen’).

Trotz dieser somit allgemein durchgedrungenen Ansicht über die zeitweilige Parallelitit des schwarzfigurigen und des rotfigurigen Stils wird es doch noch von Interesse sein, eine Reihe von reif schwarzfigurigen Gefäßen aus verschiedenen Samm- lungen genau stilkritisch zu analysieren, um das, was Pottier im allgemeinen und noch etwas unbestimmt annimmt, durch konkrete, augenscheinliche Tatsachen, durch die Analogie der Formen selbst, kunsthistorisch festzulegen.

IL

1. BERLINER HYDRIA, Nr. 1897. (Abb. r.)

Eines der merkwiirdigsten Beispiele für den reif Geir ies attischen Vasenstil jener letzten Phase, die bereits unter dem deutlichen Einfluß der neu ent- deckten rotfigurigen Malweise steht, stellt sich uns in der prachtvollen Hydria Nr. 1897 der kgl. Vasensammlung in Berlin dar, von der Furtwüngler?) bemerkt: „Höchste Korrektheit und Sauberkeit in Allem. Die Augenzeichnung nicht mehr ganz kreisrund, sondern etwas oval Der Stil ist viel mehr der streng rot- figurige als der schwarzfigurige. Er läßt Hischylos als Meister vermuten.“ In der Tat erscheint der Stil der Malerei auf dieser Berliner Hydria so fortge- Schritten, daB, wenn man sie nur in UmriBzeichnung wiedergegeben sühe, man sie sicher als streng rotfigurig bestimmen würde, so sehr stimmen ihre sämtlichen Linien mit den Errungenschaften der streng rotfigurigen Darstellungsweise überein).

Man versteht, wie Furtwüngler darauf kam, diese Hydria dem schwarzrot- figurigen Tüpfer Hischylos zuzuschreiben, wenn man den kleinen schwarzfigurigen

(1) Auf deutscher Seite bat sich vor allem Friedrich Hauser mit großem wissenschaftlichen Erfolg für die entwicklungsgeschichtliche Parallelität des schwarz- und rotfigurigen Vasenstils eingesetzt (im Text zur Amphora des Amasis im Vatikan. Furtwingler-Reichhold A 125). Seine These faßt sich in der Behauptung zusammen, daB bereits die entwickelten Vasenbilder des reifechwarzfigurigen Meisters Exekias stilgeschichtlich und chronologisch jünger sind als die rotfigurigen Bilder des in beiden Manieren arbeitenden Andokides. Hausers feinsinniger Scbüler, Ernst Buschor, hat in seiner vorzüglichen Gesamtdarstellung der „Griechischen Vasenmalerei* (r. Aufl., München 1912. 2. Aufl, ebd. 1914 auf S. 143 u. ff.) das Problem in Kürze so formuliert: Der neue rotfigurige Stil hat den alten schwarzfigurigen durchaus nicht jah verdrängt, es sind uns aus der Zeit seiner Herrschaft vielleicht mehr schwarzfügurige Vasen erhalten als aus der voran- gehenden. In den führenden Ateliers wurden auch eine Zeitlang, oft von denselben Malern, beide Techniken nebeneinander geübt. Die Wagschale neigte sich rasch zugunsten des aussparenden Stils, und nach den Übergangszeiten des Andokides und Pamphaios versuchen sich nur wenig starke Indi- vidualitäten mehr im alten Silhouettdnstil. Aber, obwohl aus der führenden Stellung verdrängt, bat dieser alte Stil, mindestens bis in den Anfang des 5. Jahrhunderts, sich noch stark an der Produktion beteiligt. (2) Kgl. Museen zu Berlin. Beschreibung der Vasensammlung im Antiquarium von Adolf Furtwüngler. I. Band, Berlin 1885, 8. 383—386.

(3) Dieselbe Ansicht vertritt auch Buschor, a. a. O., 8. 144, der die Berliner Hydria in die Zeit des Euphronios, also an das Ende des 6. Jahrhunderts, rückt.

34

Teller Nr. атоо, ebenfalls der Berliner Vasensammlung, betrachtet, den ein FuB in Art der Schalenfüße trägt, und dessen Inschrift mit großer Sicherheit [I] oyv[Alosg éxoli{cev] ergänzt wurde!) (Abb. a): In der kreisrunden Fläche steht ein Mann, einen Napf vorsichtig in der linken Hand haltend. Die Zeichnung ist überaus zierlich, be- sonders die sehr fein plissierte Haube, wie sie sich sowohl im Kreis des Epiktet, wie in dem des Euphronios vorfindet. Aber trotz allgemeiner Ahnlichkeit ist die Hydria doch entwickelter in ihrem individuellen Stil: ihre Formen sind größer, runder, weniger grazil und feinteilig.

Die 43,7 cm hohe Hydria von entwickeltster Gefäßform und allererster kiinstle- rischer Qualität?) stellt in ihrem Hauptbild das Anschirren eines Viergespanns dar, während sie in ihrem friesartigen Schulterbild drei weit gestellte Kämpferpaare gibt, in ihrem Sockelstreif zwei Panther, einen Widder, einen Lówen und einen Stier, diese ornamentalen Streifenbilder durchaus stereotyp im Sinn der reif schwarz- figurigen Handwerksüberlieferung gehalten, Nur das Hauptbild kann ein Beispiel sein für eine Malerei rotfigurigen Stils in schwarzfiguriger Technik: Was im ganzen sogleich auffällt, ist die monumentale Größe der Gruppe, dieser stolzen, nur wenig, aber zierlich bewegten Pferde, der in groBzügiger Vertikale dazu gestellten Männer, die Freiheit, mit der das Bild belebt, der Raum ausgefüllt ist. Und GróBe und Freiheit sind auch für die Detailierung dieser Zeichnung charakteristisch: Das lehrt ein Blick auf die schóne Faltengebung der Gewandung des Jünglings links, der, die Zügel in der Hand haltend, darauf wartet, den Wagen zu besteigen. Ein runder Faltenwurf des Chiton zieht sich bei ihm quer unter der rechten Achsel nach der linken Schulter empor; der linke Oberarm ist der Aus- gangspunkt klar gezeichneter, groBer Fücherfalten, die nach der Rückensilhouette zu in schwungvollem Rund verlaufen. Der untere Faltensaum bewegt sich nur in groBen Motiven. Eine charakteristische Einzelheit sind die kleinen quastenühnlichen Punkte, in denen die drei Zipfel des Chiton endigen, und die so auch bei den streng rotfigurigen Meistern, z. B. bei Duris, vorkommen. Interessant für die Faltengebung erscheint auch das in großen Enden herabhingende Hüfttuch des Pferdeknechts rechts: es ist in lauter runden Linien. durchgeführt; in den Durchsteckungen und Über- schlügen offenbart sich ein gewisses plastisches Gefühl, das dem mit scharfeckigen Brechungen arbeitenden, arcbaisch schwarzfigurigen Faltenstil, der alles ins Flüchen- mäßige reduziert, völlig fern liegt.

Diese Plastik finden wir auch in der Bildung der Körper auf unserer Amphora wieder: man sehe sich daraufhin die Beine und den Torax des sich vorbeugenden Pferdeknechts an. Das Detail der Muskelzeichnung ist das fortgeschrittene der streng rotfigurigen Meisterperiode, z. B. die stereotype Andeutung der Schlüssel- beine durch häckchenförmige Linien, wie sie Euphronios und Duris lieben. Die Kopftypen unserer Hydria bilden zwar eine Individualität für sich. Gerade für das Gesicht hatte der rotfigurige Stil eine ganz andere Zeichnung, das Profil weniger scharf ausgeschnitten, die Formen größer, besonders die Augen bedeutender, ent- wickelt, so daß ein Vergleich zwischen schwarz- und rotfigurigen Köpfen immer nur im allgemeinen bleiben kann und man dieselben Formen übersetzen muß, sich erinnernd, daß derselbe Künstler für ein und dieselbe Form im schwarzfigurigen Stil diesen technischen Ausdruck, im rotfigurigen jenen gewählt hätte. Trotzdem

(1) Beschreibung der Vasensammlung I. 8. 460—461. (2) Abgebildet u. a. bei Eduard Gerhard, Auserlesene Vasenbilder, Band IV. Tafel 249, 250; danach Abb. 101 auf S. 141 bei Buschor, a. a. О. f

85

läßt sich ohne Zwang auch bei diesen frühattischen Gesichtsprofilen, teils an Duris, wegen ihrer runden Formen, teils an Euphronios, wegen der an der Spitze etwas aufgebogenen, weit vorspringenden Nasen, denken. Fiir letzteren seien ver- gleichsweise die Kipfe der beiden rechtssitzenden Jiinglinge aus dem ,,Vortrag des Flótenspielers" dem Reversbild des Pariser Antaioskraters, herangezogen!), bei denen vor allem auch die Haartracht merkwürdig mit dem hinter dem weiß- bekleideten Wagenlenker stehenden, nach rechts sich wendenden Epheben unserer Berliner Hydria übereinstimmt.

Es ist der entwickelte Archaismus der attischen Kunst kurz vor der Zeit der Perserkriege, der sich in diesen kraftvollen Kopfprofilen mit der spitzen Nase, dem vollrund ausladenden Kinn und der individuellen Haartracht der abgeteilten Kalotte des Hinterkopfes, dem das Gesicht umrahmenden Lickchenkranz und dem ab- stehenden Nackenschopf gut charakterisiert. Als Parallelen aus der Plastik lassen sich die etwas ültere Bronzefigur des sogenannten Apollon Piombino im Louvre und die in etwas freierer Weise entwickelte Marmorfigur des sogenannten Apollon Strangford im British Museum anführen?) In der Vasenmalerei stellt sich dieser Gegensatz in den beiden mindestens teilweise zeitgenössischen Meistern, dem älteren Euphronios und dem jüngeren Duris dar, und die Berliner schwarzfigurige Hydria steht in allen ihren zeichnerischen Einzelheiten zwischen beiden rotfigurigen Meistern: So haben die Hánde des Jünglings links z. B. die kleine, gedrungene Form des spüteren Duris, die FüBe dagegen sind durchweg so flach und so lang gestreckt, wie das noch Euphronios aus der schwarzfigurigen Tradition übernommen hatte.

Auch die Pferde, besonders ihre wundervoll fein detailierten Kópfe, gehen über das übliche Schwarzfigurige weit hinaus. Schon die Proportion des kleinen kurzen Pferdekopfes zu dem breiten starken Hals, die Art der gehäuften Halsfalten unter dem Unterkiefer erinnert an Jüngeres (Innenbild der Geryoneusschale des Euphro- nios in München, Wiener Vorlegeblätter, Serie V, Tafel Ш). Und gar die neue Art der auf dem Kamm des Pferdehalses aufgerichteten Máhnen hat im schwarz- figurigen Stil gar keine Analogie, der es vielmehr liebt, vom Hals seiner Pferde ein Segment abzuschneiden, das dann von senkrechten zitterigen Linien, den Mähnen- haaren, gefüllt wird (vergl. die Pferde der Francoisvase: Wiener Vorlegeblätter 1888, TafelII, dritter Streifen und, von fortgeschrittenerem Stil, die Pferde des Nearchos: ebd., Taf. IV, Fig. 3d).

SchlieBlich unterstützt auch noch das Ornament unsere spüte Ansetzung der Berliner Hydria: der untere Tierstreifen unter dem Hauptbild und das Netzornament über ihm, das völlig dem gleicht, welches wir 2. B. in den Seiten der rotfigurigen Bilder der Andokides-Amphoren antreffen, sind zwar althergebrachte Requisiten der schwarzfigurigen Manier, aber das fortlaufende Palmettenornament der Seiten- binder, dessen Ursprung im Ionischen zu suchen ist, schlieBt sich ganz den groBen Henkelpalmettenkompositionen an, wie sie die streng rotfigurigen Schalenmaler, Duris insbesondere, bevorzugten ?).

(1) Abb. u. a. bei A. Furtwängler und K. Reichhold. Griechische Vasenmalerei. Eine Auswahl her- vorragender Vasenbilder. Tafel 92 ff.

(2) Abb. u. a, bei Emanuel Lówy. Griechische Plastik. Leipzig 1911. Tafelband 8, 23 ч. 22.

(3) Die große Bedeutung der Palmettenkompositionen für die Entwicklung der streng rotfigurigen Schalendekoration hat mit Recht Franz Winter gelegentlich hervorgehoben. Auch Buschor weist a. a. O., S. 143 auf den für den Stilumschwung so charakteristischen Wechsel von der schwarz- figurigen Kette aus Lotosblumen mit dazwischengefügten Palmetten zu der rankenumschriebenep Palmettenreihe des rotfigurigen Stils, als dem neuen Rahmenornament, hin.

36

2. MÜNCHENER AMPHORA, Nr. 14163). (Abb. 3.)

Diese stattliche schwarzfigurige Amphora der Vasensammlung in München läßt sich in ihrem von der rotfigurigen Weise augenscheinlich stark beeinflußten Stil einigermaßen der soeben besprochenen Berliner Hydria anschließen, wenn auch frei- lich ihre mehr dekorative Ausführung sie in der Qualitüt weit unter die künst- lerisch so ausgezeichnete Berliner Vase stellt. Die Gefäßform ist die entwickelt schwarzfigurige, wie sie schon die Amphoren des Andokides zeigen. Das schöne fortlaufende Palmettenornament der seitlichen Bildrahmenstreifen der Berliner Hydria treffen wir hier als Dekor des Mündungsrandes der Amphora. Ihre Bilder zeigen auf der einen Seite bekrünzte, musizierende Sänger und Tänzer mit beigeschriebenen Namen, auf der andern Herakles' Apotheose: Herakles mit seinem Begleiter Jolaos auf dem Viergespann im Beisein der Athena und des Hermes. Diese Szene mit dem Viergespann bleibt ganz in der archaischen Tradition befangen. Dagegen zeigt das Bild mit den Tänzern und Musikanten eine so ungemein lebendige Bewegung fortgeschrittenster Art, daB es uns nicht wundern darf, wenn wir eines der Sche- mata, das des tanzenden Mannes rechts mit den Krotalen, auf dem Reversbild der berühmten Münchener Amphora des Euthymides, ó Полот (Adolf Furtwängler und Karl Reichhold, Griechische Vasenmalerei, München, Tafel 14; danach unser Aus- schnitt Abb. 4) wiederfinden, wenn hier natürlich auch fortgeschrittener in der Mus- kelzeichnung und einheitlicher zusammengenommen im Körperumriß. Auch die lang herabwallenden Hüfttücher geben analog der Berliner Hydria manches Neue, Plastische in ihren runden Überschlägen und Durchsteckungen und in ihren fließenden Faltenlinien.

3. ZWEI GRÖSSERE AMPHOBEN IM LOUVRE. F. 234 und F. 258°).

a) Amphora in der Salle F. Vitrine G. Nr. 234.

Es handelt sich um ein Gefäß typisch reif schwarzfiguriger Form von nur mittel- mäßiger Ausführung, die sich besonders auch in dem schnell hingesetzten, ganz konservativen Ornament zeigt: am Fuß die aufrecht strebenden Strahlen, dann die übliche Knospenkette, durch elliptische Stengel verbunden, und am Hals die Lotos- knospen-Palmettenkette. Der ringsherum laufende Bildstreifen, dessen «beiderseitige dreifigurige Darstellungen von durchaus typischer Komposition sind, wird unter den Henkeln durch große symmetrische Palmettenranken in Vorder- und Rückseite ge- teilt, wie sie bei dieser Amphorenklasse regelmäßig vorkommen.

Auf der einen Bildseite tritt uns Nereus zwischen seinen beiden Töchtern ent- gegen, wührend auf der andern Bildseite der in der schwarzfigurigen attischen Vasenmalerei so häufig dargestellte Ringkampf zwischen Herakles und dem Meer- gott Triton mit einer nach links fliehenden Nereide zu sehen ist.

Für den Einfluß des rotfigurigen Stils auf die Zeichnung dieser schwarzfigurigen Amphora erscheint besonders die Faltengebung, namentlich die der weiblichen Ge- wünder, charakteristisch: Viele parallele Vertikalen sind schnell eingekratzt. Ihre

(1) Führer durch die kgl. Vasensammlung in der Alten Pinakothek zu München; München 1908, S. 78. Otto Jahn, Beschreibung der Vasensamml. Kónig Ludwigs in der Pinakothek zu München; München 1854, S. 124, Nr. 379.

(a) Cat. d. Vases Ant. III, p. 789, 790. Von den Pariser Vasen, des Louvre und der Bibliothéque Nationale, sollten, unserer ursprünglichen Absicht nach, auch Abbildungen gebracht werden: Der Krieg hat das leider unmöglich gemacht! Deshalb muß sich der Leser mit den Beschreibungen der übrigens den anderen Stücken der Berliner und Münchener Sammlungen durchaus entsprechen- den Vasen und dem Hinweis auf die Abbildungen des Cat. d. Vases Ant. begnügen.

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unteren, treppenfórmig absteigenden Zickzacksšume sind durch abgesetzte rote Pinsel- striche bordiert (Nereus und seine beiden Tüchter, die Nereide der Tritonseite). Die laufende Bewegung der Beine ist nach unten durch eine mehr oval geschwungene Gewandfältelung ausgedrückt.

Auch die Gesamtbewegung der drei Müdchen, der chiastisch kontrastierte Rhyth- mus von Armen und Beinen, der sich vielleicht am besten bei der Frau links be- obachten lüBt, hat seine Analogien im frühen streng rotfigurigen Stil: man denke an die fliehenden Frauengestalten auf dem Antaioskrater des Euphronios oder auf der Poseidonschale des Duris!) Endlich erinnert auch noch die Kopfbildung des alten Nereus mit dem stark über der Nasenwurzel herausspringenden Stirnbein, der vor- dern kahlen Stirn, um welche die hinter dem Haarschopf befestigte Stephane sich herumlegt, und mit der charakteristischen Barttracht ganz an Euphronios, an den Kopf des schäkernden Alten auf dem Innenbild der Eurystheusschale und an den gleichen Figurentyp, der noch einmal auf demselben Gefäß ganz rechts auf der Außenseite erscheint, in der Szene, wo Herakles mit dem Eber auf den in’s Faß sich verkriechenden Eurystheus einstürmt?) Und ebenso läßt sich auch noch die Frisurenbildung der Mädchen, die in Chignons aufgebundenen Haare an Stelle jener auf die Schultern herabfallenden, langen Locken des schwarzfigurigen Archaismus, als im Stil früh rotfigurig ansprechen. |

b) Amphora in der Salle F. Vitrine H. Nr. 258.

GefáBform und ornamentale Dekoration erscheinen ganz analog wie bei der Am- phora F 234, somit typisch spát schwarzfigurig. Auch bei diesem Stück ist die Ausführung nur mittelgut. Beide Bildseiten zeigen Szenen, wie sie hundertmal in der jüngern schwarzfigurigen attischen Amphoren- und Hydrienmalerei vorkommen.

„Dionysos zwischen zwei Mänaden“ und ,,Waffenriistung eines jugendlichen Helden zwischen einer männlichen Gottheit und Athena“ bilden die beiderseitigen Dar- stellungen. Besonders die letztere Seite erscheint in ihrer Komposition typisch für den streng rotfigurigen Amphorenstil; man denkt etwa an Euthymides. Und weiterhin ist mit dessen individueller Art der so geschmeidig bewegte, sich seine linke Beinschiene anlegende Jüngling zu vergleichen, unter dessen gehobenem Fuß ein großer "korinthischer Helm auf dem Boden liegt, wie er ebenfalls erst zur Zeit der streng rotfigurigen Malerei allgemeiner wird. Der Kopf des Jünglings mit dem kleinen und zierlichen, ganz rundlichen Profil und seine Frisur mit den in die Stirn gehenden, einzeln gestrichelten Haarsträhnen entspricht völlig dem entwickel- ten Gesichtstyp des späteren Duris. Athena, daneben stehend, vom Rundschild ge- deckt und auf ihren aufgerichteten Speer gelehnt, in stolzer, monumentaler Vertikale, geht hierin fast schon über das hinaus, was die ältere streng rotfigurige Vasenmalerei anstrebt und gemahnt bereits im Ausdruck der ganzen Gestalt an ähnliche statua- rische Figuren der sogenannten „polygnotischen Vasen“, wenn auch die Füße dieser Athena noch in sehr archaischer Weise in’s gegensätzliche Profil, also nach rechts, zu der Kopfdrehung nach links, gewendet erscheinen.

In dem Bild der andern Seite zeigen eigentlich nur die Mänaden einen fort- geschrittenern Stil in der hübschen freien Armbewegung und den verschiedentlich indi- viduell geneigten Köpfchen. Dionysos selbst bleibt hingegen noch ganz archaisch statuen- haft in der stereotypen Pose dieser ja in allem Wesentlichen überlieferten Szene.

(1) Vasensammlung des Louvre. Abb. u. a. bei Edmond Pottier, Douris et les peintres des vases Grecs. (Les grands Artistes. Paris, Henri Laurens, Editeur). Fig. 13 auf S. 65. (2) Vasensammlung des British Museum. Abb. u. a. Wien. Vorlegebl. V. Serie, Taf. VII, Fig. $.

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Auf eigentlich neue Motive in der Gewandfiltelung hat sich der Vasenmaler der Amphora F 258 nicht eingelassen. Bei den beiden bekleideten Mšnnergestalten, dem Dionysos hier und der Figur rechts von dem sich rüstenden Epheben dort, finden sich die über die Arme herabhängenden typischen Umhängetücher, Chlamiden, die u. a. auch bei den bekannten Mánnern und Frauen des Andokides in charakteristischer Weise vorkommen.

Beide analysierte Amphoren künnen uns Beispiel sein für eine durchaus übliche Vasensorte der bereits streng rotfigurigen Periode, fabriziert von Handwerkern, die im bequemen Schlendrian ihre billige Tonware, so wie sie es die handwerkliche Überlieferung von Väterzeiten her lehrte, immer wieder verfertigten und nach altem Schema dekorierten, ohne daß sie sich den modernen Einflüssen der neuen rotfigurigen Weise und der modernen Nachfrage, die etwas anderes als steife Sil- houettenschemen verlangte, ganz verschließen konnten.

Von dieser Gattung der jüngsten reif schwarzfigurigen Keramik, die allenthalben den deutlichen Einfluß des rotfigurigen Stils verrät, bietet die Vasensammlung des Louvre überhaupt eine Fülle von Beispielen, vor allem in Vitrine H der Salle F (Collection Campana) vereinigt, wie z. B. Nr. 265 derselben Vitrine: „Ringergruppe und Faustkämpfer mit Zuschauern“!). Wir haben nur die allerbezeichnendsten Bei- spiele hervorgehoben.

4. STAMNOS Nr. 251 IM CABINET DES MÉDAILLES (BIBLIOTHÈQUE NATIONALE) IN PARIS.

Unsere stilkritischen Beobachtungen beschrinkten sich bis jetzt in der Hauptsache auf Bewegung, Typus und Gewandstil von Figuren. Ein charakteristisches Beispiel fiir ein ausgesprochen streng rotfiguriges groBes Palmettenrankenornament bietet uns ein kurzhalsiger Stamnos der Vitrine III in der Salle de Luynes der Pariser Bibliothéque Nationale, der die laufende Nummer 251 trügt und bei A. de Ridder, Catalogue des Vases peints de la Bibliothéque Nationale (Paris 1902, Ernest Leroux) auf p. 158 angeführt ist”). Dieser Stamnos ist von einer bereits ziemlich entwickelten Gefäßform, wie sie sich chronologisch etwa in die zweite Hälfte des streng rotfigurigen Stils einreihen läßt. Die beiderseitigen figürlichen Darstellungen des rings um die Vase herumlaufenden tongrundigen Frieses halten sich noch ganz in der archaisch schwarzfigurigen Tradition. Als fortgeschrittener läßt sich höchstens der bis in den Nacken hoch hinaufgezogene Mantel der Frau rechts auf dem Bild des DreifuBraubes ansehen, ein häufiges Requisit auch im Kreis von Euphronios, Euthymides und Hieron, und die Gewandfaltelung des Dionysos, die sich durchaus in konvergierenden Motiven bewegt. Dagegen erscheinen noch allenthalben auf den Gewändern die großen archaischen Tupfen in Weinrot.

Wenn sich somit die ganze bildliche Zeichnung unsers Stamnos als sehr hand- werklich erweist, und wenn sie als durchaus unselbstündig noch von der allge- meinen schwarzfigurigen Tradition beherrscht wird, so wird wohl um so mehr das üppige Rankenpalmettenornament unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen dürfen, das sich an beiden Gefäßseiten, wo die kurzen horizontalen Henkel an- setzen, groß aufgemalt findet. Das ganz souverän in schwarzer Pinselzeichnung ausgeführte Ornament gruppiert sich symmetrisch um eine senkrechte Achse, die in der Mitte zwischen den beiden Ansätzen des Henkels durchläuft. In runden Kurven

(1) Cat. des Vases Ant. III, p. 788. (2) Abbildung der beiden Bilddarstellungen ohne die Gefäßform: Duc de Luynes, Description de quel- ques vases peints etc. Paris 1840 PL, IV, V. a) Dreifußraub, b) Dionysos und Gefolge.

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schwingen sich die Ranken zu großen Fücherpalmetten von kreisfórmigem Umriß hin, deren Blütter, schon in fortgeschrittener Weise, deutlich voneinander getrennt sind. An mehrern Stellen bilden die Ranken kleine Verschlingungen; ferner finden sich in solchen Verschlingungen manchmal Ringelchen eingestreut, alles Symptome für die verhültnismáBige Reife dieses Ornaments!) Ebenso flüchtig sind die Knospen der Rankenpflanze aus wenigen Strichen und Tupfen zusammengesetzt. Die selben Knospen sind auch mit den häßlichen pleonastischen Motiven gemeint, die groß und plump ausgeführt, die senkrechte Mittelachse der ornamentalen Kom- position betonen: sie, jedes Detail, wie vor allem auch der Gesamtcharakter dieser Palmettenranken weisen den Stamnos in die letzte Hälfte der streng rotfigurigen Epoche, d. h. in das den Perserkriegen vorausgehende Jahrzehnt. Trotzdem sind auch im Ornament unserer Vase noch ültere Bestandteile vorhanden, das typische Stabornament der archaischen Periode auf der Schulter des Stamnos und die ebenso typischen schwarzen Strahlen auf tongrundigem Fries, von der FuBplatte nach oben aufstrebend; eine hóchst charakteristische Mischung von Altem und Neuem, die wieder zur Evidenz das vor Augen führt, was Edmond Pottier als die ,,per- sistance de la figure noire pendant la période de la figure rouge“ bezeichnet.

5. KANNEN UND KRUGE DER BERLINER VASENSAMMLUNG. (Abb. 5— 11.)

In dieser und in der folgenden Nummer unsrer Materialaufzählung seien gewisse Gruppen von kleineren schwarzfigurigen Gefäßen aus verschiedenen Samm- lungen zusammengestellt, deren Darstellungen und Ornamente den rotfigurigen Ein- fluBstil beweisen:

a) Qo Kanne aus jüngerer sdiwarzfiguriger Zeit mit zylindrischer Mündung.

Abb. 5.

Saal XII. Nr. 1915. (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 400): Fischbereitung. Für den rotfigurigen Einfluß sind besonders die großen Palmetten am Hals des GefáBes charakteristisch.

b) Attischer Krug. (Abb. 6.)

Eine Art zylindrischer Kanne ohne Henkel, in derselben Vitrine daneben stehend,

als spätere Erwerbung noch nicht in den Katalog (1885) aufgenommen. Das stark fragmentierte Stück zeigt in seinem rings herumführenden Fries einen Opferzug: Mädchen, die Tabouretstühle über den Kópfen tragen, im Motiv nicht un- ühnlich den berühmten Stuhltrigerinnen des Parthenonfrieses, wechseln mit Knaben ab, die Stócke über die Schultern gelegt haben, von deren Enden erlegte Tiere, ab- wechselnd Hasen und Füchse, ihnen im Rücken herabhängen. Der regelmäßige Wechsel zwischen den großen und den kleinen Gestalten, den Mädchen mit den Stühlen und den Knaben, erinnert in seiner Komposition entschieden an figürliche Friese auf rotfigurigen Schalen, wie sie sich etwa in den beiden Päderastenschalen des Duris und in ähnlich angeordneten Szenen darstellen (vgl. Wiener Vorlegeblätter, herausgegeben von Alexander Conze, VI. 8a,b. VII. s). Und in die selbe Richtung weisen auch die Einzelformen der Figuren, ihre durchaus das Körperliche beto- nende, in großzügigen Falten angeordnete Gewandung, der kleine Kopftypus mit dem von uns bereits an der Berliner Hydria 1897 beschriebenen runden, zierlichen

(1) Vergleiche mit diesen chronologischen Kriterien die Abbildungen und die Ausführungen von Franz Winter im Jahrbuch des archäologischen Instituts, Bd. VII, 1892, S. 105—117: Die Henkelpalmette auf attischen Schalen. |

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Profil und der kalottenartig anliegenden Haartracht der Jünglinge der entwickelten streng rotfigurigen Meister.

c) HEttishe Kanne mit Kleeblattmündnng. (Abb. 7.) in derselben Vitrine daneben stehend, als spátere Erwerbung noch nicht in den Katalog aufgenommen: Gymnasionsszene. Der sich auf seinen Stab stützende bärtige Mann, der in seiner zum Kopf empor- geschwungenen Rechten eine Hantel hält, erscheint in der Ausführung wie auch als Motiv den streng rotfigurigen analogen Darstellungen verwandt.

d) Attische Kanne mit zylindrischer Mündung. (Abb. 8.) Nr. 4000 derselben Vitrine. (Beschreibung der Vasensammlung II, S. rors.)

Die beiderseitige Palmettenborde erscheint allein von fortgeschrittenem Stil. Die stereotype Figurengruppe des Ringkampfs von Peleus und Thetis ist hingegen noch in der zierlichen Manier des schwarzfigurigen Stils reichster Entwicklung ausge- führt.

e) Attische Kanne mit zplindrischer Mündung. (Abb. 9.) Nr. 1914 derselben Vitrine: Drei bärtige Männer im Tanz.

Uber die Gewandung äußert sich Furtwängler in der Beschreibung der Vasen- sammlung I, S. 400: ,,Bekleidung je blos durch ein kurzes Schultermüntelchen mit freien Falten“.

f) Attische Kanne mit Kleeblattmündung. (Abb. ro.)

Nr. 1936 derselben Vitrine. (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 408): Männer-

gesprüch. Die teilweise stark abgesprungene Firnismalerei auf ziemlich hellem Tongrund er- innert, besonders wenn man das Stabornament der Gefäßschulter und die doppelte Punktreihe zwischen Parallelen am Hals in Betracht zieht, stark an die weiBgrun- digen Bilder der gleichzeitigen attischen schwarzfigurigen Lekythen. Auf einem Klappstuhl sitzt ein bärtiger Mann, zu dessen beiden Seiten sich je ein Mann im Mantel, bequem auf einen langen Stock gestützt, vorlehnt. Die Stellung kehrt stereotyp wieder bei den bärtigen Liebhabern usw. auf Gymnasionsbildern der streng rotfigurigen Schalen!) Auch das Gewandmotiv des die Brust freilassenden Mantels bei dem einen Mann gehürt dieser spütern Vasenperiode an. Und hiermit stimmen endlich auch das Detail der Faltengebung und die rotfigurigen Kopftypen überein.

g) Attische Kanne mit Kleeblattmündung. (Abb. 11.) In derselben Vitrine daneben stehend, als spütere Erwerbung noch nicht in den Katalog aufgenommen: Opferspende.

Rechts befindet sich ein Altar mit Flamme vor ithyphallischer Herme. Ein Kitharode spendet. Vor ihm, mehr nach links, steht ein Aulet. Die Bewegungen der beiden Jünglinge, die spendende Hand des Kitharoden z. B., verraten deutlich die Einwirkungen des rotfigurigen Stils, ebenso das schrüg über die Brust gelegte, über die linke Schulter in langem Zipfel herabhüngende Gewand und dessen Faltengebung bei dem Auleten.

(1) Weiterhin sind solche Mantelfiguren, die sich auf einen Knotenstock lehnen, besonders bei Duris und bei Hieron beliebt.

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6. EINE SPEZIFISCHE GRTTUNG KLEINER AMPHOREN vertreten in Beispielen aus dem Louvre, der Bibliotheque Nationale und der Berliner Vasensammlung. (Abb. 12—19.)

Eine in sich bestimmte Gattung kleiner Amphoren scheint offenbar noch den schwarzfigurigen Stil wührend der ültern rotfigurigen Periode fortgesetzt zu haben. Fünf Exemplare weist die Sammlung des Louvre auf, Saal F, nur in der Vitrine J K, Nr. 385—389. Die ziemlich handwerklich bemalten Gefüfe haben alle eine Hóhe von 18—22 cm bei einer größten Breite in der Höhe der Henkel gemessen von 11,5—13 cm. Die Gefäßform und die Dekoration ist durchaus gleichmäßig: Auf einer schlichten Fußscheibe erhebt sich der stark sich einziehende, eifórmige Amphorenleib. Der schlanke Hals ist trichterförmig; die Mündung setzt sich von ibm nur wenig ab. Die aufrecht stehenden Henkel sind als Doppelrühren gebildet. Das Ornament ist sehr sparsam, vor allem zeigt diese Gruppe kleiner Amphoren weder FuBstrahlen noch irgendwelche Palmettenbildungen unter den Henkeln. Der Hals weist vorne und hinten je ein Arrangement aus drei Palmetten auf, die mitt- lere nach oben, die beiden andern, seitlichen, nach unten gekehrt. Auf beiden Seiten ist je ein nahezu quadratisches Bildfeld im Tongrund auf dem sonst schwarz gefir- nisten Leib ausgespart, das mit dem Hals durch ein aus einfachen Strichen be- stehendes Stabornament beiderseits auf der Gefäßschulter verbunden ist. Soweit sich noch der Fundort ermitteln läßt, stammen diese Amphoren meistens aus Nola in Campanien.

- Von den Exemplaren des Louvre bildet E. Pottier in seinem Tafelband: Vases antiques du Louvre, 2. Série, auf Pl. 87 F 387 und F 388 ab, die er dann auch im Text, Catalogue des vases antiques III, p. 811, 812 behandelt.

a) Louvre. F 385.

a) Herakles, Alos zats, und Kyknos. Die Komposition ist noch ziemlich archaisch, obwohl die Bewegung, besonders des Herakles, schon recht frei erscheint. Zu der schwarzfigurigen Tradition in der Kom- position vergleiche man die Darstellung eines Kriegers und einer Amazone auf einer Amphora des Amasis im British Museum (Wiener Vorlegeblitter, herausge- geben von Otto Benndorf, 1889. Taf. Ill, Fig. 38).

B) Amazone und Krieger. Trotz aller Lebendigkeit in der Bewegung, bleibt das Detail noch in der alten handwerklichen Überliererung befangen. So sind die Gewandfalten an der Chlamys des Kyknos sehr primitiv in vielen parallelen Vertikalen eingeritzt, und an den in derselben geringen Technik gegebenen Zickzacksäumen erscheinen die typischen ab- gesetzten Borden in flüchtigen roten Tupfen gehöht. Vgl E. Pottier, Catalogue des Vases antiques III, p. 810: La technique sacrifiée se refugie sur des vases de moindre importance jouant un róle plus effacé et plus secondaire. Ebenso Ernst Buschor, a. a. O., S. 144: Von den panathenäischen Amphoren und anderen Gefäßen abgesehen, die aus rituellen Gründen konservativ bleiben, pflegt nur mehr ge- ringe kleine Ware den alten Stil weiter.

b) Louvre. F 386. a) Herakles und die Hydra. B) Der sagenhafte Taschenkrebs, der der Hydra zu Hilfe kommt, wird von Athena besiegt. Jolaos mit dem Bogen stürmt nach links. Die künstlerische Ausführung zeigt die charakteristischen Anzeichen eines Alters- stils, des vólligen Verfalls der schwarzfigurigen Vasendekoration. Die Figuren er-

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scheinen ausgesprochen überlang. In den weit ausschreitenden und ausholenden Be- wegungen herrscht eine groBe Flottheit, bei ziemlich geringwertiger, nicht viel über

die Gestaltungsmittel der schwarzfigurigen Technik herausgehenden Mache, Der

Gewandstil entspricht ganz dem bei F 385 analysierten.

c) Lonvre. F 387. a) Herakles und die stymphalischen Vögel. B) Jolaos und die stymphalischen Vögel.

Charakteristisch für den EinfluB des rotfigurigen Stils ist die Faltengebung des Mantels, den Jolaos zur schirmenden Abwehr über seinen linken Arm gehüngt hat: AuBer den üblichen, hier etwas natürlicher nach oben konvergierenden Vertikal- falten, die den unten im Zickzack geschlossenen, zusammengerafften Stoffpartien entsprechen, findet sich ein zentrales Motiv der Falten vor, welche in der zusam- mengeballten Faust des Helden zusammenlaufen. Man vergleiche zu dieser Spirale besonders die Faltenbildungen bei Hieron (etwa Wiener Vorlegeblitter, heraus- gegeben von Otto Benndorf, Serie C. Taf. IV), die einen entsprechenden Niedergang des Gewandstils darstellen. Auch hier erscheinen die Kórperlüngen, wie bei F 386, grotesk übertrieben!). d) Louvre. F 388. a) Hypnos und Thanatos heben die Leiche eines Kriegers auf.

E. Pottier bringt diese eigentümliche Darstellung mit vollem Recht mit Lekythen in Beziehung, die ja auch noch lange bis in's 5. Jahrhundert hinein den schwarz- figurigen Stil bewahren.

Auf p. 812 des Catalogue des Vases antiques III schreibt E. Pottier über dieses Amphorenbild: „Оп fera la comparaison avec le méme sujet traité en figures rouges 163 Cat. III, p. rorr—rorg4 et la coupe de Pamphaios: Klein, Meistersignaturen, P. 94 (abgebildet in den Wiener Vorlegeblättern, Serie D, Taf. III), dont la peinture a été attribuée à Euphronios], et l'on se convaincra que ces petits tableaux des amphores noires subissent directement l'influence des progrès réalisés par la tech- nique nouvelle (ci— d. III, p. 648): jusque dans la facture des pieds crispés du ca- davre on saisit limitation“ wobei freilich zu bedenken ist, daB der Vergleich zwischen jenen rotfigurigen Vasen von hoher künstlerischer Qualitát und unserer hand- werklichen, kleinen schwarzfigurigen Amphora nur im allgemeinsten gelten kann.

B) Griechischer Hoplit und asiatischer Bogenschütze.

Der Stil der beiden Darstellungen ist recht entwickelt: Die emporgestellten Flügel von Hypnos und Thanatos zeigen eine sehr leicht und beweglich eingravierte Zeich- nung mit reichlicher Höhung in Rot. Dem entspricht auch der „barocke“ Faltenstil der kurzen Chitone mit ihren sich wellig kräuselnden Sáumen, die fliichtige senk- rechte Faltengebung der Chlamiden bei dem griechischen Hopliten und dem asia- tischen Bogenschützen. Die Bewegung ist in beiden Bildern lebhaft und entspricht ebenso wie die lockere Komposition ganz der zweiten Hälfte des streng rotfigurigen Stils. Die Gesichtsprofile sind klein und rund und zeigen z. B. auch schon das volle Kinn dieser spätern Stilperiode. d

e) Amphora der Sammlung Bourguignon in Neapel (Abb. 12 u. 13.) E. Pottier hat im AnschluB an die Darstellung: a) ,Hypnos und Thanatos heben die Leiche eines Kriegers auf* der Amphora F 388 des Louvre, mit Recht auf ein

(1) Jolaos und die stymphalschen Vögel: abgeb. im Catalogue des Vases antiques du Louvre Pl. 87, F 387.

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sehr áhnliches Vasenbild aufmerksam gemacht, das sich auf einer Amphora der Sammlung Bourguignon in Neapel befindet und von P. J. Meier in den Annali dell’ Instituto di Corrispondenza Archeologica, Vol. 55, 1883, p. 208, Tav. d'agg. Q: Sopra un’ Anfora della Collezione Bourguignon in Napoli, publiziert wurde. Dieses Gefäß gehört ganz und gar nach seiner Größe, seiner Form, seiner Dekoration und seinem Bilderschmuck unserer Amphorengruppe an.

a) Zwei Krieger heben die Leiche eines Gefallenen auf, dessen Seele in Form eines gewappneten Eidolon, ganz wie bei der Darstellung auf der Louvre- vase F 388, entflieht. |

B) Die geflügelte Eos fliegt mit der Leiche ihres Sohnes Memnon, über dem der Totenvogel schwebt. Links von ihr lšuft ein Hoplit, der im Spiegelbild fast genau dem Kyknos der Seite a der oben betrachteten kleinen Amphora F 385 im Louvre gleicht.

Im Stil und in der Qualität der Ausführung erscheint dieses Stück durchaus der Amphora im Louvre F 388 ähnlich: dieselbe Schlaffheit in den Körperhaltungen, z. B. der beiden die Leiche aufhebenden Krieger, analoge Bildungen des Details, wie der Flügel der Göttin oder der lockern Faltengebung. Das Gesicht der Göttin Eos mit dem in einer Haube eingebundenen Haarknoten entspricht dem Typus des jüngern epiktetischen Kreises. Von der Hóhung in Kirschrot ist auch hier noch reichlich Gebrauch gemacht.

f) Louvre. F 389. ; | Diese Amphora ist eines der überzeugendsten Beispiele aus unserer Gruppe für die rotfigurige Stilbildung schwarzfiguriger Vasenzeichnungen.

a) Ein Lyraspieler auf einem Bema steht. einem sich aufstützenden, bürtigen Mann im Mantel, der einen Gabelstock trägt, gegenüber.

B) Ein Aulet auf einem Bema steht einem Jüngling gegenüber, der, indem er sich mit der eingewickelten Rechten auf einen Stock stützt und in der Linken ebenfalls eine Gabel horizontal hält, zuhört.

Betrachten wir die Merkmale des rotfigurigen Stils in diesen beiden schwarzfigu- rigen Darstellungen: bei a ist die weit ausholende Bewegung des Lyraspielers durchaus im Sinne des höchst entwickelten rotfigurigen Stils empfunden. Bei dem Mann gegenüber ist das schöne Standmotiv mit dem zurückgesetzten linken Fuß zu beachten und der groß gezeichnete Mantel mit dem weit über die Schulter herabhängenden Gewandzipfel Hier ziehe man zum Vergleich die „Mantelfiguren“ des Duris, der Gruppe, die sich an die Wiener Schale mit dem Ostrakismos der Helden (Wiener Vorlegeblütter VI, 1) anschlieBt, heran, denen der Mann unserer kleinen Amphora im Louvre F 389 auch im Kopftypus und in Haar- und Barttracht sehr nahe steht. |

Auf der Amphorenseite 8 erscheint der Aulet, wie der Kitharode, in weiBer feier- licher Tracht. Besonders auffallend für eine im Silhouettenstil gemalte Gestalt ist die kühne Kürperwendung mit übereinander geschlagenen Beinen des dem Flóten- spieler gegenüberstehenden Epheben rechts. Zu seinem schrüg über die linke Schulter geworfenen Chiton mit langen, über dem Rücken und dem linken gehobenen Arm herabhängenden Enden vergleiche man wieder. jene „Mantelfiguren“ des Duris. Die Faltengebung geht prinzipiell vom nackten Körper aus: Große, runde Schräg- falten ziehen sich über die Brust, während fächerförmig nach unten sich ausbrei-

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tende Vertikalfalten vom linken Armgelenk herabhängen. Unten kehrt der typische rot gehöhte Saum der schwarzfigurigen Überlieferung wieder.

g) Cabinet des Médailles, (Bibliothéque Nationale). Salle de Luynes. Vitrine IV, Nr. 219. Diese Amphora schließt sich in Größe, Höhe 20,5 cm, Breite 13cm, Form und De- koration vollkommen den bisher betrachteten kleinen Amphoren des Louvre und der Sammlung Bourguignon, die unsere spezifische Klasse bilden, an. | a) Zeus mit dem Kind Dionysos und Hera. B) Athena mit Stier und Herakles. | Besonders charakteristisch für den rotfigurigen Stil ist die Gewandung des Zeus: weiBes Untergewand mit über die linke Schulter schrüg gelegten, in groBen Falten- enden herabfallendem Mantel, und der Hera: diese mit aufgehobenem Zipfel des Untergewands!) (De Ridder, Catalogue des Vases peints de la Bibliothèque nationale, p. 136.)

h) Nr. 1837 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 14 und 15.) Es ist das größte Stück der Gruppe, 24 cm hoch und r4 cm größte Breite, aber in Dekoration und Form mit den anderen Exemplaren durchaus übereinstimmend. (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 333 und 334: ,,Fliichtige freie Zeichnung.") a) Athena Geburt. B) Peleus und Atalante im Ringkampf. : Bezeichnend für den rotfigurigen Einfluß sind vor allem auf Bild а die Gewand- falten der weiten Chitonärmel und des Mantels des Zeus und der Chlamys des Hermes, ferner die Frisur und Gesichtsbildung der vor Hermes stehenden Frau; auf Bild 8 der Kopftyp und die Frisur der Atalante. Ä

i) Nr. 3995 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 16 und 17.)

Das Stiick ist fiir unsere stilgeschichtliche Annahme typisch. (Beschreibung der Vasensammlung II, S. 1013.)

a) Amazone zu Pferd und Amazone zu FuB.

B) Amazone als Lenkerin eines Viergespanns. Besonders fiir den rotfigurigen Stil charakteristisch ist die von ihrem Schild ge- deckt daherschleichende Amazone auf Bild a und die lebendig bewegten Pferde auf Bild 8. |

k) Nr. 1839 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 18 und 19.) (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 334.) a) Reitende Amazone mit Handpferd und einem in weiß gemaltem Hund zieht nach rechts. B) Dieselbe Gruppe nach links gewendet. Besonders auf Bild В erscheinen im Stil entwickelter die stark im Nacken zurück- gebogenen, gedrungenen Pferdeküpfe.

(1) Dagegen gehört nicht zu dieser Gruppe die in den Größenmaßen ähnliche kleine Amphora Nr. 224 der Kollektion Oppermann, ebenfalls im Cabinet des Médailles, die wesentlich andere Formen, mehr horizontal abgesetzte Schultern, und eine gunz andere Dekoration, keine ausgesparten Bildfelder, son- dern einen ringsum laufenden, tongrundigen Figurenfries und Fufstrahlen, Schachbrettfries und typisch reifschwarzfigurige Henkelpalmetten zeigt. Dem Gewandstil zufolge ist diese Vase wohl kurz nach der Zeit des feinschwarzfigurigen Meisters Amasis anzusetzen.

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Die ganze Gattung dieser spät schwarzfigurigen kleinen Amphoren, deren Bei- spiele sich noch aus andern Vasensammlungen, wie etwa der des Musée royal des Antiquités (Palais du Cinquantenaire) in Briissel, leicht vermehren lieBen, re- präsentiert eine nur handwerkliche Stilübung, die sich unter dem steten, übermäch- tigen Einfluß der streng rotfigurigen guten Vasenkunst als veraltete billige Ware etliche Jahrzehnte noch nach dem eigentlichen künstlerischen Ende des schwarz- figurigen Stils gehalten hat. Etwa um das Jahr 490 wird sie erloschen sein.

III.

Aus Heft II, Taf. 47—78, der Veröffentlichung von Botho Graef: „Die antiken Vasen von der Akropolis zu Athen“, Berlin 1911, seien ebenfalls einige Stücke bei- . gebracht, die den typischen Charakter der schwarzfigurigen attischen Vasenmalerei von rotfigurigem Stil gut reprdsentieren.

Taf. 62, Nr. 1050, 1051. Taf. 63, Nr. 1053.

Der Text auf S. 123 bringt diese Scherben, die Fragmente von Jünglingen, Köpfe, Torsi, vier nackte Läufer enthalten, mit der von Furtwängler dem Hischylos nahe gerückten Berliner Hydria in Zusammenhang, die wir auch oben ausführlich be- sprochen haben. Dafür spricht der kleine rundliche Kopftypus von 1051 und gewiß auch die Muskulatur von 1050 und 1053, dann, in wesentlichem Maß, das geballte Händchen des einen Mannes von 1050.

Taf. 67, Nr. 1174. J

Der Text sagt auf S. 130: ,,Halsstiick einer großen Lutrophoros. Sehr fein und sorgfältig, jüngerer Stil. Das Weiß sehr dick aufgetragen, sehr feine Richtung, aber nicht an den Umrissen.^ Für unser Problem erscheinen ausgiebig die weichen und fließenden eingravierten Linien der schon recht entwickelten Muskulatur (vgl. Furt- wängler-Reichhold, Taf. 88b).

Taf. 6r, Nr. 1062.

Text S. 122: „Fund: 11. Dezember 1888 im Perserschutt, verbrannt, flott, jüngerer Stil, ohne Farben, sehr reichliche Vorreiñungen. Ringer, links der Rest einer Figur im Mantel, des Aufsehers.“ Der Kopftyp erscheint noch schwarzfigurig, die Körper- bildung aber und die Bewegung sind schon fortgeschrittener.

Taf. 64, Nr. 1110, IIII, х2, 1125, 1126 (Abb. 20). Taf. 65, Nr. rr13a und b,

1123 a und b.

Diese Scherben stammen alle von panathendischen Preisamphoren der jüng- sten Periode, letztes Drittel des vierten Jahrhunderts, und demonstrieren in vielen Einzelheiten das konservative Festhalten an der schwarzfigurigen Technik bei einem malerisch viel weiter entwickelten Stil (eine Vasengattung, auf die sogleich im fol- genden in genereller Weise einzugehen sein wird) Besonders bezeichnend dafür erscheinen der Kopftypus 1125 und 1126 (Abb. ao), fast portrütartig skizziert, und die reiche wellige Muskulatur der Wettläufer von 1113b, die dieselbe große anato- mische Kenntnis verrát wie die gleichzeitige Plastik des Lysippos, all dieses von Rückseiten panathenüischer Amphoren, während der „Ares“ von Nr. 1113 a, wie man ihn gedeutet hat, eine typische Gewandfigur des späten vierten Jahrhunderts, auf einer Säule stehend, von der Vorderseite einer solchen Amphora stammt.

Taf. 54, Nr. 859a (Abb. ar). Text S. 104: „Fragment ganz singulärer Art. Zeichnung von größter Feinheit und Sorgfalt, besonders umfahrener Umriß. Der ganze Tongrund ist nach der Zeich-

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nung mit rotem Firnis tibermalt, jüngster Stil“. Das Fragment (Abb. 21) stellt einen FuB dar, der sich aus einem reich ornamentierten Gewandstiick, offenbar im Lauf herausstreckt; er wird, da nicht mit Weiß gedeckt, einem Mann angehören. Dieser Fuß, der aus dem Gewande herauskommt, ist in seiner guten, kurzen und kleinen Bildung man beachte die Zehen, die Wölbung der Sohle, den hohen Reien des Fußes stark mit Fußbildungen, wie sie bei Brygos vorkommen, verwandt. Die Zerlegung der Falten in gequetschte Róhrenfalten mit längern, rundlichen Schwingungen dazwischen, ist für eine Gattung von groBfigurigen Vasen des sogenannten „schönen“ Stils typisch, der um 460 blühte. Diese Gruppe kennt auch die Ornamentik mit breiten Borten, mit Fransen und einer schartenfórmigen Linie, wie sie auch auf den Lekythen der Zeit vorkommt. Dem entspricht auch der kleine Palmetten- knospenfries in seinem ganz lockern Charakter und die großen Henkelspiralen, so daß man mit einer Ansetzung um die Mitte des fünften Jahrhunderts wohl das richtige Datum für dieses Stück trifft.

Die schwarzfigurigen Vasen von rotfigurigem Stil finden natiirlicherweise ihre er- gänzende Parallele in den rotfigurigen Gefäßen von schwarzfiguriger Stil- tradition. Es wäre gewiß eine lohnende Aufgabe, einmal die schwarzfigurigen künstlerischen Elemente prägnant herauszulösen, die noch bei den frühen streng rotfigurigen Meistern, wie etwa Chelis und Phintias, Oltos und Euxitheos vor- herrschen. Ja selbst für Euphronios behauptet die typenbildende, schwarzfigurige Überlieferung noch einen weit größeren Raum, als man in der Regel bei diesem genialen, ganz individuellen Künstler anzunehmen geneigt ist: man vergleiche so z. B. die berühmte mittlere Ringergruppe auf seinem Antaioskrater des Louvre mit den kanonischen schwarzfigurigen Amphorenbildern „Herakles würgt den nemeischen Löwen.“

IV.

So stellt sich uns denn an diesen wenigen, keineswegs vollständig zusammenge- tragenen Beispielen ein entwicklungsgeschichtliches Phänomen von großer Merk- würdigkeit dar: zwei Stile, zwei künstlerische Auffassungen ringen miteinander, die alt eingesessene, gerade jetzt auf ihrem künstlerischen Höhepunkt angelangte Sil- houettenmalerei hier und der aus Ionien kurz nach der Mitte des 6. Jahrhunderts nach Attika importierte Stil der hellen, plastisch differenzierbaren Figuren auf dunkel abge- decktem Grunde dort. Nehmen wir den Anfang der rotfigurigen Malerei mit Ando- kides kurz vor 540 an, und erinnern wir uns dann, daß wir eine Reihe unserer spät schwarzfigurigen Vasenbilder stilistisch in die Zeit des entwickelten Duris, also kurz nach 490 zu setzen gezwungen waren, so erhalten wir für diese interessante Parallelität in der Geschichte der attischen Malerei den langen Zeitraum von gut einem halben Jahrhundert. Künstlerisch charakterisiert er sich als eine Zeit des Übergangs, als eine Zeit wechselweiser Beeinflussungen: der schwarzfigurigen Tradition auf die rotfigurigen Neubildungen, aber auch der neuen rotfigurigen künst- lerischen Errungenschaften auf die noch konservativ beharrende Malerei der dunkeln Silhouetten.

Natürlich 1äßt sich von Parallelität, von einem Kampf der beiden Stile nur reden, solange sich die Produktion auf beiden Seiten noch auf gleicher Höhe hielt. Von unsern angeführten Beispielen war das eigentlich nur bei der Berliner Hydria mit dem Anschirren des Rennwagens der Fall. Bei der in ihrer Geschlossenheit freilich als Gruppe überzeugenden Gattung kleiner Amphoren z. B. mußten wir mehr als einmal die blos handwerkliche, künstlerisch aber entschieden minder- wertige Ausführung monieren. Auf solchen handwerklichen Vasen ist nun denn

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auch die schwarzfigurige Malerei immer weiter geübt worden, und sie fand erst ihr Ende mit der Vasendekoration in Malerei überhaupt, die dann von einer De- koration in kunstgewerblichem Flachrelief abgelóst wurde. Kleine schwarzfigurige GefüBe, Kindergeschirr, Lekythia, Aryballoi aller Art hat es immer gegeben, da ja ein Zeichnen mit dem vollen Firnispinsel in flotter Silhouettenmanier viel bequemer war, als das sorgfiiltige Umziehen und Aussparen der hellen Gestalten auf dunk- lem Grund, dessen miihevolle Arbeit sich nur bei den gróBern, wertvollern Vasen rentierte.

Außer dieser geringen Töpferware sind es vor allem drei wichtigere Vasen- gattungen, die noch lünger den schwarzfigurigen Stil auf hellem Grunde bewahren: die attischen Lekythen, die attischen Preisamphoren und die böotischen »Kabirionvasen“, endlich noch die frühhellenistischen, in Alexandrien her- gestellten „Hadravasen“ und verwandte Erscheinungen der Spätzeit in verschie- denen Gegenden“).

Die Lekythen sind ihrem ganzen sachlichen Wesen nach den soeben genannten spielerischen Gefäßchen verwandt. Wohl nicht viel später, als der rotfigurige Stil aufkam, überzog man den Leib der Lekythos mit dem charakteristischen weißen Pfeifenton, und nun dauerte es natürlich lange, etwa bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts, bis man eine Zeichenweise fand, die gerade für diese hellgrundigen Lekythen die archaische Silhouettenmanier in geeigneter Weise abzulósen imstand war. Das konnten natürlich nicht die hellen Figuren auf dunklem Grund der rot- figurigen Schalen, Amphoren, Hydrien und Krater sein; das war vielmehr die frei hingesetzte Zeichnung in linearen Umrissen, Etliche, herausgegriffene Bei- spiele aus den Sammlungen des Louvre und der Bibliothéque Nationale mögen dieses Nachleben der schwarzfigurigen Dekoration von rotfigurigem Stil auf atti- schen Lekythen illustrieren?).

a) Lekythos im Louvre. Salle F, Nr. 438 in Vitrine H. Catalogue des Vases an-

tiques III, p. 815. Diese schwarzfigurige tongrundige Lekythos von etwas bauchiger Form zeigt drei im Tanz dahinschreitende Mädchen. Die Bewegung der zurückgewandten gesenkten Köpfe und der in graziósen Gegensätzen sich ausstreckenden Arme erscheint ganz fortgeschritten im Sinn des rotfigurigen Stils, ebenso die Coiffure der drei Frauen und die vóllig nach dem Kórperrhythmus gegliederten Gewanddraperien, bei denen alle Falten in den wesentlichen Punkten des Bewegungsmotivs konvergieren?).

b) Lekythos im Louvre. Salle F, Nr. 368 der Mittelvitrine.

Das weiBgrundige Stück stellt in seinen schwarzen, in Gravierung gezeichneten Ge- stalten einen Hahnenkampf im Gymnasium dar, wie er in der attischen Vasenmalerei kurz nach 500 des óftern vorkommt. Diesem Inhalt entspricht auch der Stil der drei Gestalten, welcher der entwickelten rotfigurigen Weise, etwa des Hieron, gleichkommt: man vergleiche die Art, sich auf einen Stock aufzustützen, und die charakteristische Faltengebung, besonders die spiraligen Einrollungen an Stellen, wo

(т) Buschor, a. a, O., S. 144: ,Wirklich fortschrittlich waren diese jüngsten schwarsfigurigen Gefäße höchstens in der Ausbildung einer lockeren, frei schwingenden vegetabilen Ornamentik; aber diese Fortschritte berubten auf der reinen Pinseltechnik, nicht auf dem alten Ritzstil.“

(a) Vgl. E. Pottier, Catalogue des Vases antiques III, p. 808: Lécythes à fond blanc. Dans cette période ot la figure noire lutte si péniblement contre la figure rouge triomphante, une seule catégorie so maintient avec quelque avantage pendant tout le cours du Ve siécle: celle des vases à fond blanc. (3) Vgl. E. Pottier, Catalogue des Vases antiques III, p. 808: Parfois le vêtement laisse voir les mouvements du corps et les accompagne, comme dans les oeuvres à figures rouges.

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die Falten, von einer zugreifenden Faust geschürzt, zusammenlaufen (vgl. den oben analysierten Gewandstil auf Bild В der kleinen Amphora im Louvre, F 387, 6c - unserer Aufzählung).

c) Weißgrundige Lekythos im Cabinet des Médailles (Bibliotheque Nationale). Salle de Luynes, Vitrine IV. Nr. 303. Zwei Jünglinge im Gespräch; Eros und Frau. Alle Figuren sind in mittels Gravierung gezeichneten Silhouetten gegeben. (Abgebildet bei Duc de Luynes, Description de quelques vases peints etc., Paris 1840, Pl. XV und bei Salomon Reinach, Répertoire des vases peints grecs et étrusques. Paris 1900, Ernest Leroux. Tome II, p. 255, 4.)

Der Stil und der Gegenstand der beiden sich unterhaltenden Paare erinnert sehr an die Päderastenschalen der reifen streng rotfigurigen Meister. Der in der Mitte fliegende Eros mit einem groBen Kranz in der Rechten ist ungemein lebendig und leicht in seiner schwebenden Bewegung wiedergegeben. Alles Detail der Gewand- falten, der Kopftypen usw. steht auf derselben reifen rotfigurigen Kunststufe.

d) Weißgrundige Lekythos im Cabinet des Médailles (Bibliothéque Nationale). Salle de Luynes. Vitrine IV, Nr. 299. Speerschleudernder nackter Krieger von Pfeilen getroffen. (Abgebildet bei Duc de Luynes, Pl. XVI und bei Salomon Reinach, Répertoire des vases peints. grecs et étrusques. Tome II, p. 255, 6.)

Die Figur ist ganz als schwarze Silhouette ausgeführt, mit Ausnahme des Helms, der hell wie der weiBe Grund geblieben und genau so wie der Schild in linearem Umriß gegeben ist. Die sehr entwickelte Innenzeichnung des Körpers, die bereits alle anatomischen Errungenschaften -des entwickelten rotfigurigen Stils aufweist, ist in feinen Linien eingeritzt.

Im Jahrbuch des kaiserl. deutschen Archäologischen Instituts, Bd. VII, 1892, auf S. 185—188 hat J. Six mit Hilfe eines Klischees nach Luynes' Kupferstich, das gar nicht die Innenlinien des Körpers des Kriegers wiedergibt, zu zeigen versucht, daß wir in dieser Lekythenzeichnung eine Nachbildung einer berühmten Statue des Kresilas vor uns haben, einer Statue, die den GroBvater des Hermolykos darstellte, der 472 in der Schlacht bei Mykale verwundet wurde. Auf diese Weise kümen wir chronologisch mit dieser Lekythos gar bis in die perikleische Zeit hinab, eine Ansetzung, die mir doch etwas zu weitgehend und im Widerspruch mit dem Stil der Lekythenzeichnung selbst zu sein scheint. Mit Heinrich Brunn, Probleme in der Geschichte der Vasenmalerei, S. 53, meine ich vielmehr, „daß hier das aus einigen rotfigurigen Vasen strengern Stils bekannte künstlerische Motiv eines Hektor ziemlich unverándert für eine schwarze Figur mit eingezeichneten Konturen verwendet ist“ i). v

Für die panathendischen Preisamphoren, die, wie schon angedeutet, in kon- servativer Religiosität immer an dem archaischen schwarzfigurigen Zeichenstil fest- hielten, mögen, außer den schon angeführten, als weitere Beispiele unter vielen noch zwei Exemplare der Berliner Vasensammlung genannt und abgebildet werden, für das ganze, sehr reiche Material sei auf die neuerliche, ausführliche Publikation von G. von Brauchitsch verwiesen die deutlich genug für unsere These zeugen: Die beiden Berliner Preisamphoren sind große Gefäße von barocker, ziemlich schlanker Form. Die trichterförmigen Mündungen, von den aufrecht stehenden, breiten aber wenig dicken Henkeln gestützt, zeigen in der Mitte des Halses

(1) Zuletzt hat Adolf Furtwängler die Darstellungen auf Vasenbildern, die dieses Motiv des „Zurück- sinkenden“ zeigen, in seinem Werk „Aegina, das Heiligtum der Aphaia“, München 1906, Textband, auf 8. 343—347 und in Abb. 272--277 zusammengestellt und behandelt.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 2/3 4 49

einen plastischen Absatz, eine flache Einstufung. Unter dieser Zšsur befindet sich beidesmal ein Stabornament, darüber hier eine sehr deformierte Lotospalmetten- kette, dort ein groBblštteriger ringsum laufender Zweig, wie er als Schmuck sowohl auf attischen wie auf unteritalischen Gefäßen des vierten Jahrhunderts häufig genug anzutreffen ist. Auf den Reversbildern der beiden Amphoren, deren eines metopen- fórmig, das andere friesfórmig herumlaufend gestaltet erscheint, sehen wir gym- nastische Wettspiele dargestellt, die übliche Ergänzung zu den großen Figuren der Göttin Athena auf dem Vorderbild. Die drei wettlaufenden Jünglinge (Abb. 22), im Thema von sehr alter Tradition, tun in ihrer schlenkernden „barocken“ Bewegung, in den Dreiviertelansichten des Rumpfs, in der locker gravierten Muskelzeichnung mit Deutlichkeit die späte Zeit ihrer künstlerischen Entstehung dar.

Noch auffallender treten uns diese barocken Stilkriterien bei der zweiten panathe- ndischen Preisamphora entgegen, die uns ein Wettrennen vorfiihrt (Abb. 23): In wildem Galopp bšumen sich die stattlichen Rosse. Ihre Körper sind in vollen Rundungen ge- zeichnet, Mähne und Schweif in welligen Linien. Die Reiter selbst, von fast weibisch weichlicher Charakterisierung, sitzen mit erhobenem Arm zu Pferd. Elegante atti- sche Bügelhelme mit lang dahinwehenden Büschen bedecken die Küpfe. Die kurzen, gegürteten und bauschig gerafften Chitone der beiden Reiter zeigen den ausge- sprochenen Faltenstil der Mitte des vierten Jahrhunderts: wenig zusammenhängende, vollgeschwungene Kurven, die in ganz malerischer Weise den Eindruck des pla- stisch reich bewegten Stoffes wiedergeben sollen. Unten werden diese Gewänder von ebenso wellig bewegten Sáumen begrenzt. Als das seltsamste für griechische Vasenmalerei erscheint aber in dem Bild dieser Berliner panathenüischen Preis- amphora die zwischen den beiden Reitern stehende Pappel, ein hoher Stamm mit lanzettfórmiger Krone, die durch Gravierung und durch Punkte etwas zu charakteri- sieren versucht wo:den ist; ein die Ortlichkeit angebendes Detail, das allein schon eine sehr späte Ansetzung der Vase befürwortet.

In die gleiche Reihe wie diese Preisamphoren, in die Reihe einer verspüteten schwarzfigurigen Technik von durchaus gegensützlichem rotfigurigem Stil gehórt auch noch eine groBe, plumpe, krateráhnliche Amphora mit hohem Mün- dungsrand derselben Sammlung, die als spátere Erwerbung noch nicht in Furtwünglers Katalog verzeichnet ist (Abb. 24 und ?5): Auf der einen Seite dieses sehr handwerk- lichen Gefäßes schreitet ein junger Fischer mit weißer Kappe dahin; auf der Schulter balanziert er eine Tragstange, an deren Enden zwei runde Körbe hängen. Links von ihm steht ein Hund, rechts kauert am Boden ein Fischerknabe, auch mit einer weiBen Kappe bekleidet und liest eine Anzahl Fischchen vom Boden auf. Auf der andern Seite schreitet entsprechend ebenfalls ein Fischer daher, an dessen Trag- stange zwei mächtige Thunfische (d brot) baumeln. Die Amphora stellt den offenbaren Verfallstil dar: Die Figuren sind in einer rohen und handwerklichen Art hingeschmiert, die zum mindesten in der Qualität bereits an die Vasenmalereien der Gefäße aus dem Kabirion, unserer dritten verspätet schwarzfigurigen Vasen- gattung, gemahnen, wenn auch manches Detail, z. B. die Faltengebung bei dem hockenden Knaben, die etwa an Hieron erinnert, noch auf streng rotfiguriger Stufe

steht. VI.

Die böotischen Kabirion-Vasen wurden 1888 bei den Ausgrabungen des Kabirionheiligtums bei Theben gefunden. Die ausführliche Beschreibung der inhaltlich durch ihre burlesken Mythenparodieen gewiB sehr bedeutenden Gattung hat damals Hermann Winnefeld in den Mitteilungen des Kaiserl deutschen archdologischen

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Instituts, Athenische Abteilung, XIII. Band, 1888, auf S. 412—428 und Tafel IX— XI unternommen. Winnefeld hat auch die Datierung dieser Vasen auf die erste Hülfte des 4. Jahrhunderts festgestellt. Seither haben die gréBern Vasensammlungen, der Louvre und das Berliner Antiquarium vor allem, typische Stücke dieser Vasen- gattung erworben.

Unsere Untersuchung kann nur der Stil dieser verspätet schwarzfigurigen Ka- birionkeramik interessieren: ihn wollen wir an den durch Winnefeld veróffentlichten Abbildungen in Kürze beschreiben. Die stereotypen Tassenformen mit breiten ringförmigen Henkeln (Winnefeld, Abb. 1 auf S. 415) dieser Gefäße zeigen zwischen mehrfachen Horizontallinien oder auch Pflanzenranken Figurenfriese mit mytholo- gischen und sakralen, auf den Kult des Gottes Kabiros bezügliche Darstellungen. Die oft sehr bewegten Figuren sind mit breitem Firnispinsel schnell und flüchtig hingemalt, die Innenzeichnung ist eingraviert. Vereinzelt ist ein aufgesetztes W'eiB zur Hilfe genommen, ferner auch ein schónes Purpurrot zum Schmuck dieser Sil- houetten. Die Ausführung erscheint häufig sehr gering und nimmt bisweilen einen karikaturhaften Zug an. Da zusammen mit den Kabirionvasen auch eine betrücht- liche Anzahl attischer Gefäße in dem Heiligtum bei Theben gefunden wurde (Winne- felds Aufzählung S.412—414) ist ein Einfluß der attischen Vasenmalerei von vorn- herein anzunehmen: Auf einer groBen Scherbe des Berliner Museums (Winnefeld, Abb. 17 auf S. 425) sind, sehr fragmentiert, ein sitzender Gott Kabiros, ein Tisch mit einem Gaukler und ein diesem zuschauender Mann zu sehen. Dieser ist in einen faltigen Mantel gehüllt, den rechten Arm hat er in die Hüfte gestützt, sich mit der Achsel auf einen langen Knotenstock lehnend. Gerade bei letzterem Motiv muB man, wie das auch Winnefeld getan hat, an Duris oder an Hieron denken. Und auf der Vasenscherbe, die Tafel X abbildet, mit dem flótenden Silen und den beiden Mánaden, erinnert die Gewandung dieser beiden Frauen mit dem glocken- fórmig sich ausweitenden Bausch an den Gewandstil, der von Hierons Thiasos-Dar- stellungen seinen Ausgang nimmt!), wenn auch die eigentliche Handschrift, der Linien- stil der eingeritzten Falten und der wildbewegten Haare, barocker, fortgeschrittener im Sinn des vierten Jahrhunderts erscheint (Abb. 26). Endlich läßt sich die dritte Scherbe (Tafel IX) im Motiv wie in Komposition gut mit bekannten streng rotfigurigen Schalenbildern vergleichen: Der Gott Kabiros ist beim Symposion hingelagert; vor ihm steht ein bedienender Pais, wie wir das oft bei Dionysos-Darstellungen des gleichen Themas aus jener Periode sehen. Die Formensprache, wie sie sich in der Physiognomie und der Muskulatur, der Haar- und Gewandbehandlung üuBert, ist aber auch hier wieder jünger, etwa dem Anfang des vierten Jahrhunderts entsprechend (Abb. 27).

Somit finden wir auch in den böotischen Kabirion-Vasen eine handwerkliche, künstlerisch zurückgebliebene, schwarzfigurige Keramik, auf die der weiter ent- wickelte attische Stil der rotfigurigen Vasen seinen deutlichen Einfluß ausgeübt hat, eine höchst beachtenswerte interprovinzielle Parallele zu dem kunstge- schichtlichen Phünomen, das wir für Attika zu verfolgen ausführlich Gelegenheit nahmen. Daß sich aber das südliche Böotien in dieser Weise von Attika künst- lerisch ins Schlepptau nehmen lieB, wissen wir nicht zuerst und nicht allein von den Kabirionvasen. Das ist in weit höherm Maß bekannt von den berühmten Terra- kotten Tanagras, die ja einen keramisch-industriellen Ableger der groBen Kunst des Praxiteles darstellen.

(1) Dionysischer Gottesdienst. Außenbild einer Schale des Hieron aus Vulci in Berlin: abgeb. u. a. in Wien. Vorlegebl. Serie A, Taf. IV die andere Hälfte derselben Schale, ein ees bei Buachor, a. a. O., 8. 177, Abb. 127.

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DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLG-

SCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS

MIT OEUVRE-VERZEICHNISSEN DER FAMILIE GAUTIER- DAGOTY, J. ROBERTS, J. LADMIRALS UND C. LASINIOS Mit sechs Abbildungen auf fünf Tafeln (Schuß) Von HANS WOLFGANG SINGER

JEAN ROBERT

jean Robert ist, wie es scheint, nur durch Gautiers ,,Briefe“, und die Bezeich- nungen auf seinen Arbeiten bekannt. Bellier-Auvray und die Nouvelle Biographie erwühnen ihn nicht. |

Eigentlich künnten zwei Blitter die ich bei Leblon beschrieben habe ebensogut unter J. Robert stehen: doch darf man annehmen, daB seine Beteiligung eine rein mechanische war. Aus Jacques Gautiers Brief (Observations 1755, 17° partie S. 125) erfahren wir daB J. Robert ,Louis XV“ sehr groB in drei Farben geschaffen habe für Leblon (Nr. 40 meines Leblonverzeichnisses), sowie nach dessen Tod als letzter Schüler Leblons, die „Eingeweideplatte“ (Nr. 49 meines Verzeichnisses) vollendete.

Leblanc (Manuel III. S. 340) erwühnt von einem J. Robert, die radierten Platten zu einem „Memorial de Paris“ Paris, 8°, 1749, zwei Bände, die ich nicht kenne. Ob es sich um unseren Künstler handelt läßt sich nicht, bei der Gewöhnlichkeit des Namens, bestimmt behaupten.

1—3 P. Tarin Adversaria / Anatomica, / De omnibus Corporis humani par- tium, tum descriptionibus, / cum picturis, / Adversaria Anatomica Prima, / De omnibus cerebri, nervorum & organorum functionibus animalibus / inserventium, descriptionibus & iconismis. / Autore Petro Tarin, Medico / /— / . & / Parisiis, / Ex Typis Johannis Francisci Moreau patris, vid vulgo Galande, | sub signo Velleris aurei. / / M.DCC.L.

Paris; 4?:1750 8 unnumerierte 8S, und 88. (1)—(48)

Der Band enthält zunächst „Tab. I’— XV“ in schwarzer Stricharbeit, Taf. V, VIT, IX, X und XIII sind „М. Reboul“, Taf, Xil, XIV und XV „Elis. Haussard" bezeichnet, die anderen unbezeicbnet, Auf Taf, IV—XV steht oben „Iconographia cavitatum cerebri et cerebelli.“; auf Tab. I —III fehlt das. und sie sind nicbt durchgearbeitet, gleichsam nur Umrißstiche, und so sind ihnen drei Zweifarben- druck Wiederbolungen derselben Vorwürfe, auch in Linienarbeit, von J. Robert gearbeitet, beigebunden, Auf jeder dieser drei Farbentafeln, in rot und schwarz gedruckt, sieht man anatomische Gebirn- schnitte, usw. auf weißem Hintergrund.

1 „Tab. I.“ (oben 1) mit der Schrift „Pag. 8" „Iconographia cavitatum cerebri et cerebelli“ und "Imprimé par Richomme Гаіпє“,

Bes, „J. Robert del. ad nat, & sculp.“

Rad, und gest. in zwei Platten in Rot und Schwarz: Pl. 208 : 298 2 „Tab, II“ (oben 1) mit der Schrift wie auf Nr, 1

Bez, wie Nr. I

Wie Nr. 1: Pl. 242: 187 3 „Tab. III“ (oben 1.) mit der Schrift wie auf Nr. 1

Bez. wie Nr. 1

Wie Nr, 1: Pl 220: 201

Choulant, 8, 111

München, Kgl, Hof- und Nat, Bibl.

4 (Dezallier d'Argenville, fils, A.N.) Voyage Pittoresque / de Paris; / ou Indication / de tout ce qu'il y a de plus beau / dans cette grande Ville / en Pein-

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ture, Sculpture, et Architecture. / Par M. D.*** / Nouvelle Edition, / (Vignette) / Gravé en couleur par J. Robert. / A Paris, / Chez de Bure, l'ainé, Libraire, / Quai des Augustins a l'lmage St. Paul. / Avec Approbation et privilége du Roy.

Paris; 1200: 1752 Fructispiz, 88. (r) —(r2) und 1—375, dann 59 unnumerirte SS., Register und „Additions“ und (I)—XLVI) == Straßenregister | 4 Die Vignette des Titelblatts zeigt einen auf Wolken ruhenden Putto, der nach 1 herüber blickt und ein offenes Buch r., in seiner R. außerdem ein Lorbeerreis bält. Auf dem Buch steht „Curiosi | Tés | De Paris. / | 1751. Sonstige gestochene Schrift, wie oben Bez, in Typendruck, siehe oben. Radiert und gestochen von zwei Platten in Rot auf Schwarz: Pl. 137: 76 Kat. Halle 34 (Nr. 419 um so Mk. ausgeboten, dann in der Verst. Halle, München, 15 Juni 1909 Nr, 384 um 181 Mk.) р Dresden

5—31 M™ Le Boursier du Coudray Abrégé / de l'Art / des Accouche- ments, /—/—/—/—/—]/—./ Nouvelle Édition. / Volume in-8° avec Figures gravés en taille-douce & imprimées / en couleurs, / Par Madame Le Boursier Du Coudray, / Maitresse Sage-femme de Paris, / | /— | Les Prix et de sept livres quatre sols, relié. / —/X/ A Paris, / Chez Debure, Pere, Libraire, Quai des Augustins, / au coin de la rue Git-le-Coeur, Maison du Notaire. / / M.DCC.LXXVII. / Avec Approbation & Privilege du Roi. | |

Paris: 80: XVI und 208 SS, ein Frontispiz-Bildnis und 26 Tafeln.

(Die erste Auflage, deren Privileg am 2, Juli 1757 erteilt wurde, hatte keine Abbildungen.)

Sämtliche Tafeln sind in Linien gestochene Mehrplattendrucke.

Die Platten messen rd, 197: 130, die doppelten E.-L. rd, 180: 115 die Darstellungen aber blos 50 bis 70:60 bis go, Letztere stehen auf weißem Feld, auf dessen unterer weißer Hälfte die ein- gestochene erklärende Schrift steht.

Oberhalb der E.-L. steht immer 1, die Seiten-, r. die Tafel Nummer: gerade über der unteren E.-L. steht immer 1. ,Peint par P. Chaparre* und r. ,Gravé en Couleurs par J, Robert" Die erste Tafel ist in zwei Farben, Gelb und Schwarz, die zweite in vier Gelb, Schwarz, Rot und Blau (möglicher- weise ist das Blau nur gemalt?), alle übrigen sind in drei Farben, Gelb, Schwarz und Rot, gedruckt,

s Frontispiz Brustbild einer Frau in Haube und reicher Kleidung, etwas nach r.: das Gesicht ist in Punkten alles übrige in gestochener Linienarbeit gehalten, und das Ganze im Rahmen ge- halten. Darüber ein Wappen (Hund, vier Sterne und „Ad Operam"), darunter eine Tafel mit

,Angélique Marguerite Ducoudray, | Pensionnée et envoyée par le Roy, pour | enseigner а pra- tiquer l'art des Accouche-/ments dans tout le Royaume." Mit doppelten E.-L. auf liniiertem Grund.

Bez, unten 1, ,Gravé par J. Robert“ | 6 „P. 15.“ „Pl. L“ „Cette premiere figure ... les trous Ciatiques“ == in 6 Zeilen: ferner die Buchstaben ABCDDEEFFGGHH 7 „Р. 17.“ „Pl. IL“ „Cette seconde figure .... à son extremité^ == in 8 Zeilen: ferner die Buchstaben ABBCCDDEEFFGGHIKL

8 „P. sr" „Pl. UL“ „Cette figure représente . . . leur situation naturelle“ in ro Zeilen: ferner die Buchstaben ABCDEEFFGGHHIIKL

9 „P. 55." „PL IV.“ „Cette figure réprésente . . . à son Orifice = in 2 Zeilen 10 „P. 55.“ „Pl. V.“ „Cette figure réprésente .... contient le bain.” = , 3 11 „P. 57.“ „Pl. VL" „Troisième dégréde ..... commence à paroitre" == 3 12 „P. 69.“ „Р. VIL" „Себе figure represente .... causer le décollement." = 5 13 „P. 69.“ „PL VIII.“ TÉprésente . . . . . tirer еп bas.“ = o 2 х4 „Р. 95.“ „Pl. IX“ falt. . trouver son passage.” = „6 zs „P. 95." „Pl. x,“ . 5. . enfant de sortir," = , 5 „: ferner | die Buchstaben ABCC 16 „Р. 95." „Pl. XL" „Autre vice de... . une femme barrée,“ ==, 5 „: ferner die Buchstaben AABB | 17 „P. 101.“ „PL XII.“ „Quatrième dégré de... . col de l'Enfant.“ = „3 18 „P. 109.“ „PL XIIL“ „Cette figure réprésente . . . . droit du bassin,“ = „3 19 ,P.109." „Pl. XIV.“ „Dans cette figure..... gauche du bassin.“ =, 4 20 „P. 109.“ „PI. XV.“ „Cette figure réprésente . . . . des os Pubis.“ = 2

33

21 „P. 111.“ „Pl. XVI“ „Cette figure étant. . de l'os Sacrum.“ = in 6 Zellen зз „P. 113.“ „Pl. XVII.“ Planche fait..... se présente seul.“ = 4 » зз „P. 113.“ „Pl. XVIII.“ = réprésente ..... face en arrière.“ =, 8 24 „P. 115.“ „PL XIX.“ figure réprésente . . sort avec facilité“ == y 25 „P. 121.“ „PL. ХХ.“ „Оп réprésente par... le faire sortir.“ m= 4 م‎ „Р.123.“ „PL XXI.“ „Cette figure fait... . qui se présente,“ =, 4 27 „P. 125.“ „Pl. XXI" B ke dans les Campagnes." = 7و‎ 28 „Р.т20.“ „Pl. XXIII.“ On réprésente dans .... sortie des enfants." =, 7 3 29 „P. 137.“ „Pl. XXIV.“ » par... 8a sortie," = „4 » 30 „P. 139.“ „Pl. XXV.“ „Cette Planche réprésente . . . . cette méme main." = 7 31 „P. 151.“ „Pl. XXVL“ » š: . . . . de la Matrice.“ = , 3

Kat. Halle 32 (Nr. 24o schënes Exemplar in Lederband mit dem Wappen Louis XIV. um 6o Mk.; dann im Kat. Halle- München 34, Nr. 42 und bei Halle am 19. Marz 1903); Hiersemann (Lei, zig, den 5. Feb. 1906 ein Exemplar für Mk. 160 ausgeboten)

32 Christus am Kreuz nach dem Gemiülde von Nic. Delobel jetzt in ?

An einem großen Kreuz hängt Christus etwas nach r., das Haupt nach 1. hintibergeneigt, mit großem, weißem Lendentuch bekleidet, die Füße nebeneinander auf einem dreieckigen Kcilpfiock ge- nagelt. Man sieht Felsenabhinge l. und die Stadt mit weißen Mauern und Gebäuden rückwärts r. Am Kreuz oben flattert ein Papier mit der Schrift ,Jesvs | Nazarénvs, | Rex | Judaeórum." Unten

l. auf dem Felsen steht: Gravé en Couleurs par J. Robert d'apres Avec le Tableau Original Privilege peint par N. Delobel, Peintre] du Roi. ordinaire du Roy. |

Bez. wie angegeben

Von vier geschabten Farbenplatten, mit wenig Linienarbeit (in der Maserung, den Dornen und den Blutstreifen); B. 454: 361

J. Gautier (Observations 1755, ı7me partie p. 125 und in Toussaints Observ. périod. Oct. 1756) er- wähnt das Blatt als Neuarbeit, das er zwar für die Leblongemeinde geschaffen habe, aber es wire ein Vierfarbendruck, und was gut daran wäre ginge auf seire, Gautiers, Anweisungen zurück. Der mir bekannte Druck ist fahl grau-grün und farblos wie die schlechtesten Leblons.

Berlin (um 365 Mk. auf der Verst. Halle München, 29 Nov. 1904 Nr. 1005 erworben; aufgezogen)

33 Die hl. Jungfrau nach dem Gemälde von?

Man sieht Kopf und Schultern fast von vorn. Sie blickt herab und neigt sich leicht nach 1. Ihr 1. Ohr ist sichtbar. Sie trägt ein rotes Gewand, das am Hals einen weißen Hemdstreifen hervortreten läßt, blauen Mantel, grünes Kopftuch und ein weißes Band im Haar. Hinter dem Haupt ist ein Licht- schein in dem sonst dunkelblüulichen Hintergrund zu sehen.

Bez. am Unterrand gegen r. „I. ROBERT FECIT 1747“

Von den vier geschabten Farbenplatten: Pl. u. B. 313:241

Die Zeichnung (wohl auch des Originals) ist recht mšBig, die Fürbung aber ziemlich lebhaft.

Verst. Halle (München, Juni rgog Nr. 383 um 420 Mk.)

Boston, Smlg. Marrs; Braunschweig (aus der Smlg. Vasel, Nr. 4933 in deren Katalog und seinerzeit von Claus in Dresden erworben)

34 Sechs spielende Putten nach einem Gemälde von F. Lemoine

Sie befinden sich am Rand eines Waldes. Zwei arbeiten 1. als Steinbrecher. Derjenige ganz r. sitzt und unter ihm liest man ,Gravé en Couleurs Par J. | Robert d'aprés l'Esquisse Original | de méme grandeur, Peint par F:le | Moine premier Peintre du Roy."

Bez. wie angegeben

Von drei (Schwarz, Blau, Gelb) geschabten Platten: Pl. und B. 159: 225

Delaborde, 8. 381

35 Sechs spielende Putten nach einem Gemälde von F. Lemoine

Sechs kleine Putten mit dem Löwenfell und der Herakleskeule spielend.

Bez. unten ,Gravé en couleur par J. Robert, d'aprés l'esquisse originale de méme grandeur. Peint par F. Le Moine, premier peintre du roi.

Farbendruck: Pl. und B. (?) 157: 223

Die Angaben für diese Nr. gehen auf Delaborde, S. 381 zurück, und wenn er sie genau gemacht hat, handelt es sich um ein Gegenstück zu Nr. 34

54

JAN LADMIRAL

jan Ladmiral wurde, laut Immerzeel, 1€98 in der Normandie geboren, und er- lernte zu London, unter Leblons Aufsicht, das Verfertigen von Farbendrucken. In Amsterdam sich niederlassend, war er als Miniaturmaler und Kupferstecher tätig. Dort ist er am 2. Juni 1773 (Wurzbach; nach Delaborde Juli) gestorben.

Sein jüngerer Bruder, Jakob, hat unter and. eine naturwissenschaftliche Folge von Schmetterlingen usw. radiert, die zum Kolorieren bestimmt waren. Kramm meint in diesem Werk, das gelegentlich für eine Arbeit Jans gehalten worden ist, zwei verschiedene Hände zu erkennen, und schreibt einen Teil davon, einem gleichnamigen Sohn Jacobs zu. Es ist aber möglich daß sich Jacob, als jüngerer Bruder, gelegentlich ,,Ladmiral jun.“ nannte.

Die Bildnisse zu Van Mander beziehe ich in meine Nummerfolge mit ein, da damit das Werk des Ladmiral „nach dem heutigen Stand der Wissenschaft“, voll- stindig wird. Da sie aber schwach sind und den Farbendrucksammler natürlich gar nicht interessieren, führe ich sie nur ganz kurz an, ohne auf Einzelheiten näher einzugehen. Während Immerzeel sie meines Erachtens mit Recht, sehr gering einschátzt, meint Kramm er besáBe Probedrucke, vor späteren Zutaten, die recht gut wären. Diese Zustandsdrucke sind mir nicht zu Gesicht gekommen.

Delaborde (S. 379 und 280) behauptet, wohl ohne Grund, die beiden Ladmiral hätten Leblons „Louis XV“ geschabt, während er nach besseren Quellen von Blakey begonnen und Robert vollendet wurde.

1 Bernardi Siegfried Albini / Anatomes & Chirurgicus in Academia Batava, / quae Leidae est, Professoris / Dissertatio / de / Arteriis et Venis / Intestinorum Hominis / Adjecta Icon Coloribus Distincta. / X / Leidae Batavorum. / Apud Theo- dorum Haak Bibliop. / Et prostat quoque Amstelaedami, / Apud Jacobum Graal, & Henricum De Leth. / MDCCXXXVL

Leiden: 40: 1736 Zwei weiße Seiten, SS. (1)— 10 und zwei weiße Seiten dahinter, nebst einer

Farbentafel, Der Titel in Rot und Schwarz steht auf S. (1): der Text ist lateinisch 1 Tafel: Vorgetáuscht ist ein Blatt Papier, das die Darstellung, ein Stück Eingeweidebaut, trägt und auf grünem Grund liegt.

Schabkunst u. Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift): B. 128: 170 (auf ungefähr dieses Maß sind die Blätter zugeschnitten, mit einem feinen Goldrand bemalt und dann leicht auf- geklebt,

Bez. unten 1. „I: LADMIRAL .Fecit“, ferner oben fünfmal „A“, unten sechsmal „В“

2 Bernardi Siegfried Albini / Anatomes & Chirurgicae in Academia Batava, / quae Leidae est, Professoris / Dissertatio Secunda. / De / Sede et Caussa / Co- loris Aethioporum / Et / Caeterorum Hominum. / Accedunt Icones Coloribus Di- stinctae. / ж / Leidae Batavorum, / Apud Theodorum Haak, Bibliop. / Prostat etiam, Amstelaedami, / Apud Jacobum Graal, & Henricum de Leth. / MDCCXXXVIL

Leiden: 4%: 1737 Zwei weiße 88., SS. (1)—(18), nebst einer Farbentafel. Der Titel in Rot und Schwarz steht auf S. (i): der Text iat lateinisch.

s "Tafel: Drei Hautproben auf grünem Grund

Schabkunst u. Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 116: 160 (vergl. Nr. x oben)

Bes. unten r.; „J. LADMIRAL,. Fecit“; ferner „I“, „U“, „Ш“, viermal „A“, viermal „B“, viermal „С“, zweimal „D“ und ein „Е“ in der Darstellung

3 Icon / Durae Matris / In concavá Superficie visae, / Ex capite foetus humani octó cisciter à conceptione / mensium, desumtae; ad objectum artificiosissime / praeparatum à / Clarissimo Viro / Fred. Ruyschio, / Med: Doct. Anatomes & Bota- nices Professore &c. / Delineata, & coloribus distincta typis impressa / à / Joanne

55

Ladmiral / (Vignette) / Prostat Amstelodami, / Apud Jacobum Graal & Henricum De Leth, / Lugduni Batavorum. / Apud Theodorum Haak. / MDCCXXXVIII.

Leiden: 49:1738 vier unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette auf der ersten) und eine Tafel.

Der Text ist lateinisch und französisch.

Tafel; ein Gehirn von unten

Schabkunst und Rad. in Blau, Rot und Schwarz (für die Schrift): B. 125:170 (vergl. Nr. x oben)

Bez. unten 1. „I. LADMIRAL, Fecit.“, ferner 2 „A“, 4 „В“, „С“, „D“, „E“, a „F“, 5 kleine Kreise und 4 Sternchen in der Darstellung

4 Icon / Durae Matris / In convexá superficie visae, / (weiterhin genau wie der Titel bei Nr. 2).

Leiden: 4°: 1738 vier unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette, auf der ersten) und eine Tafel .

Der Text ist lateinisch und franzësisch.

Tafel: ein Gehirn von oben

Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (dieses, in der Schrift, ist möglicherweise dick aufgetragenes Blau: manche Plattenstelle scheint mit Lokaltónen eingefürbt zu sein); B. 126: 170 (vergl. Nr. 1 oben)

Bez. unten 1. „I: LADMIRAL, FECIT“, und vier „A“, vier „В“, „C“, zwei „D“, vier „E“, zwei nF“, „G“, zwei „Н“, vier „I“ und fünf kleine Kreise in der Darstellung.

5 Icon / Membranae Vasculosae / Ad Infima / Acetabuli Ossium Innomina- torum / Positae, ex puero desumtae; ad objectum artificiosissime / (weiterhin genau wie der Titel bei Nr. 3).

Leiden: 4?:1738 vier unnumerierte SS. (der Titel wie bei Nr. 3) und eine Tafel

Der Text ist lateinisch und franzósisch

Tafel: Knochen, usw.

Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 128: 170 (vergl. Nr. т oben)

Bez. unten l. „I: LADMIRAL Fecit," und 3 „А“, „В“, „С“, „р“, „Е“, „Е“, „G“, „H“, „I“ und Sternchen

6 Effigies / Penis Humani, / Injectá Сега Praeparati / Exhibens Inventa Ana- omica / Aliquot Nova; / Et / Proprio Colore Typis Impressa / A Joanne Ladmiral. / (Vignette) / Leidae Batavorum, / Apud Cornelium Haak, Bibliop. / Prostat quoque Amstelodaemi, / Apud Jacobum Graal, Et Henricum De Leth. / MDCCXLL

Leiden: 40: 1741 acht unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette auf der dritten) und eine Tafel

Der Text ist lateinisch, franzósisch und hollündisch

Tafel: Penis nach oben r. gerichtet

Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 205 : 250 (vergl. Nr. 1 oben)

Bez. unten г. ,I LADMIRAL. Fecit." und zwei „A“, vier „B“, drei „C“, drei „D“, vier „E“, vier ,F*, zwei „8“, „Н“, zwei „I“, zwei „K“, vier „L, zwei ,M* und „N“.

Delaborde, S. 380 Choulant, S. 106 Lebl. 1 und 2

FarbendruckAusst, Leipzig 1902 (Nr. 154 9: Wiener und Hiersemannsche Drucke)

Verst. Bause (Leipzig, bei Weigel, 24. Sep. 1860 Nr. 1 und 8, nur unsre Nrn. r und a); Kat. Halle 32 (München, 1903. Nr. 24a, vollständig und gebunden, um Mk. 225 ausgeboten, dann in Verst. Halle, München, Juni 1909 Nr, 382)

Boston, Smig. Marrs (nur Nrn. 1 und a; W des Textes = Schild mit drei Querbalken und Fleur- delys); Braunschweig (nur Nr. und 2 aus der Smig.Vasel, Nr. 3278 in dessen Katalog, der sie von Franz Meyer, Dresden erworben hatte); Dresden (sechs Einzeihefte, in Mappe, um Mk. 153, 1903 von K. Hiersemann erworben); Dresden (Nr. 5 allein, um 42 Mk. auf der Verst, Halle,

München, 13. Nov. 1090 erworben); Leipzig, Buchgewerbemuseum (alle sechs Hefte): Wien (nur fünf Hefte); Wien, k. k. österr. Mus.

7 Ein Herz

Im Spátherbst 1916 erging an die Sammler und Kabinette eine Subskriptionsaufforderung von Herrn Dr. N. О, van Huffel zu Utrecht, zum Bezug einer Veröffentlichung, in der ein Neudruck von Leblons nichtssagendem Coloritto, Erórterungen über den Dreifarbendruck, und eine Ladmiral-Platte,

56

H

ein Herz darstellend, mit Registerdrucken erscheinen sollten. Noch vor JahresschluB, wie an- gekündigt, ist das Buch nicht erschienen, oder wenigstens nicht nach Deutschland gelangt. Ich nehme vorläufig an, daß es sich um ein siebentes Heft, in der Art der vorbeschriebenen sechs, handelt, das im 18.Jahrhundert nicht zur Ausgabe gelangte. „ж a к

8—58 Het / Leven / Der / Doorluchtige Nederlandsche еп eenige Hoogduitsche/ Schilders, / Voormaals / Byeen-vergaderd en beschreven / Door / Karel Van Mander / Kunst-Schilder, / En nu, —/ —/ —/—/— | Door Wylen / Jacobus De Jongh, / En na deszelís overlyden door eene bekwaame hand. / —/ —/—/ —/*/ Te Amster- dam, / By Steven Van Esveldt, / Boekverkoper in de Kalverstraat, het derde huis / van de Roomsche Kerk, de Papegaay. 1704.

Amsterdam, 8°., 1764 Zwei Bände I = 36 unnumerierte 8S., SS. 1—354 und ro unnumerierte SS,

Frontispiz (von 8. Fokke), Bildnis van Manders (anonym) und 32 Bildnis Tafeln. II == 8 unnume- rierte SS., SS, 1—(273) und 64 unnumerierte SS. mit dem Register (Bladwyzer) und 1g Bildnistafeln

Am Ende jeden Bandes stehen genaue Register über die Bildnistafeln und Anweisungen für den Binder, wo sie einzuetellen sind.

Die Tafeln messen rd. 160: xot und sind bezeichnet (manchmal sehr versteckt) mit „Jan Ladmiral Fecit 1759", „Jan Ladmiral F.“, ,L, Fecit^ und andere Abweichungen. Ferner tragen sie alle unten einen gestochenen Buchstaben und zwar in Bd. I, ,A"—,2" (dabei ein zweites B, das U genau wie V gestochen) und ,AA— FF", im Bd. П, „GG*— 22“. Es sind durchschnittlich drei, aber auch zwei, vier und ein Bildnis, jedes in besonderem Rahmen, oder auf besonderem Blatt in eine Komposition eingefügt, auf jeder Tafel.

Nagler (Lex. 7 8.231) kennt das Werk, erwähnt aber nur zwei der 31 Bildnisse Lebl. 3 Berlin, Kgl. Bibl.

59 Selbstbildnis nach einem eigenen Gemälde

Brustbild ohne Hände im Oval nach 4., mit Blick von vorn. Er trägt Lockenperücke, hat hohe Stirn, ist bartlos, und ist in schlichtem Rock mit umgelegtem Mantel gekleidet. Oben 1. sieht man einen Vorhang, r. eine Palette, unten 1. Miniaturen auf einem Stein vor einem Medaillon, und r. Kupferplatten mit Bildnissen und Atzwasserflasche. Auf einem Stein davor steht ,Effigies Ioann | Ladmiral | se ipse Pinx. | et Incis" (schwerleserlich). Unten r. sieht man wieder einen Vorhang. mit offenem Buch darauf, wo zu lesen ist 1. „Icon | Duramatris | A | Joanne Ladmiral" und r. ein durch- schnittenes Gehirn.

Bez. wie angegeben Rad., einfarbig Schwarz: Pl. und B, 156: 101

Hamburg

60 Lourens de Coster nach eigener Zeichnung (?)

Brustbild, dreiviertel nach r., in ovaler Einfassung.

Ich kenne das Blatt nur aus dem Duplessis etc. Katalog der Bildnisse des Pariser Kabinetts. (Ва. ш. 8. 52 Nr. 10833 17)

Breslau, Smig. Toebe 61 "Vignette für Büchertitel nach eigener Zeichnung

Eine Sonne bestrahit fünf Flaschen mit naturwissenschaftlichen Prüparaten, die auf einem Tisch r. stehen, Ebenda ein Putto, der mit seiner L. auf die Flaschen weist, wührend 1. ein Skelett in der Haltung eines Erschreckten sitzt.

Bez. unten 1. „Jan Ladmiral in. et fecit.“ Radierung, einfarbig Schwarz: Pl. 54: 112 E.-L. 49: 107 Die Vignette ist benutzt auf den Titelblättern zu unsren Nrn. 3—6. Siehe diese.

62 Antike Landschaft

Hinten r. steht ein turmartiger Bau mit Kuppel. Im Mittelgrund sieht man einen Treiber mit zwei Eseln auf einer Holzbrücke. Vorn L sitzt ein Mann und steht eine Frau mit einem Speer.

Bes. unten r. „J Ladmiral f."

Radierung, einfarbig Schwarz: Pl. und B, 80: 116 Lebi. 4

Hamburg

57

CAVALIERE CARLO LASINIO

Es ist bezeichnend daß Ticozzi, der sich bemühte so viele falsche Angaben über lingst verstorbene Künstler zusammenzubringen, es nicht fiir lohnend hielt genaue Angaben über seine Zeitgenossen zu überliefern. Lasinio war durch seine klassi- schen Folgen gewiß berühmt genug, um Ticozzis und Goris Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er soll im Jahr 1757 zu Treviso geboren sein. Am ro. Okt. 1839 wurde eine Grabschrift auf sein Denkmal gebracht, wie uns das Titelblatt eines „Omaggio“ (Pisa, 8°, 1839) belehrt. Wenn er sich Venezianer (auf der Venusplatte) nennt so gilt das für die Provinz. Auf dem Titelblatt der 1789 erschienenen „Ornati“ nennt er sich „Trevignianio“ (aus Treviso in Venetien); auf dem der Campo Santo Fresken „Сау. Carlo Lasinio, Conservatore del Medesimo“, nämlich der Pisaner Fresken.

Durch seine historischen Mappeawerke hat er der KansteescuichtMonichungd seiner Zeit Dienste geleistet. W'enngleich diese Schwarzweißblätter künstlerisch gering- wertig sind, mag man nicht vergessen, daß die Pisaner Folge immerhin Hebamme einer so gewichtigen Bewegung wie des englischen Praeraphaelitismus geworden ist.

Diese Blätter!) haben für uns, namentlich für den Sammler von Farbstichen, nicht das geringste Interesse: ich nehme sie auch nicht in mein Verzeichnis mit auf, was nur Sinn gehabt hitte, wenn es sich nur um einige wenige Arbeiten handelte wie etwa bei Ladmiral —, deren Aufnahme das Verzeichnis, nach derzeitigem Vermögen, vollständig gemacht hätte. Außer den richtigen Farben- drucken nahm ich nur solche Platten mit auf, von denen es, irgendeiner Nachricht zufolge, wenigstens farbig eingeriebene Einplattendrucke gibt.

Als Farbendrucker ist Lasinio der letzte Ausläufer des Leblonschen Systems und unmittelbarer Schüler Edouard Gautiers. Die meisten seiner Arbeiten sind geringwertig und haben sein Atelier nicht ohne die ausgiebigste Handbemalung verlassen. Seine Autoritrattifolge ist gewiß ein ungewöhnlich großes Unternehmen. Welch wesentliche Rolle der Drucker Labrelis spielt, geht schon daraus hervor, daß sein Name fast immer auf der Platte mit eingestochen ist.

Wie Ed. Gautier wollte Lasinio wohl seine großen Arbeiten als numerierte Folge herausgeben. Ich kenne Nr. 4 Bildnis Gautiers; Nr.7 Die Dichtkunst (1783); Nr. 9 Der Jäger (1784 ?); Nr. ro Musentanz (1784); Nr. 11 Venus mit dem Hündchen (1784); Nr. 12 S. Johannes (1784); Nr.13 Die Familie Mieris (1784). Auf diesen Nrn.9, ro, II und 13 kommt ein Monogramm M (CM?) vor, das ich nicht zu erklüren weiB.

1—10 Die Folge von Wiedergaben nach den Fresken in Sa. Annunziata zu Florenz I Der hl. Philippus bekleidet einen Aussitzigen isch dem Gemälde des Andrea d’Angeli

Im Hintergrund 1. nahen die drei Mönche, in der Mitte treffen sie den Aussätzigen, und r. gibt ihm der Hi. Philippus seinen Mantel: vorn eilt er von L herbei um dem Heiligen, der mit zwei

(1) Ritratti degli Archivescovi e Vescovi di Toscana Firenze, 1787

Ornati presi da Graffiti e Pitture antichi, essistenti in Firenze Firenze 1789 (40 Tafeln)

Pitture a fresco del Campo Santo di Pisa Firenze, 1810 (dann 1812; 1828) (4r Tafeln)

Raccolta degli imperatori Romani

Affreschi celebri di XIV—XV secolo, incise dal Cav. Carlo Lasinio su i disegni dal Cav. Paolo Lasinio, suo Figlio Firenze 1825—1841 (a4 Tafeln)

Auch für Pagni und Bardis (Firenze, 1791) ,Etruria Pittrice" schuf Lasinio Tafeln, und an manch anderen der zahlreichen Werke eeines Sohnes G. Paolo wird er mitgearbeitet haben.

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Mönchen r. steht su danken. Unten steht „Dedicata al Cittadino aiuto GF ) < Estense

Tassoni"

Bes. ?

Von den vier geschabten Farbenplatten (?): Pl. etwa 630: 470

Ich habe keinen Druck gesehen: daher meine unbestimmten Angaben. Es ist das erste Blatt der Annunziata Folge.

Breslau, Smig. Geh. Baurat Toebe

Florenz (Nr. 14208 im Kupf. Kab. der Uffici)

2 Die den Hl. Philippus verhóhnenden Spieler werden vom Blitz erschlagen nach dem Gemälde des Andrea d’Angeli Ich kenne keinen Druck des Blattes: nehme aber an daß Lasinio die ganze Folge ausführte, da kein Grund vorlag ein Blatt von zehn, aus der Mitte der Folge fortzulassen. Sind mir ja secbs von diesen zehn vorderhand nur in je.einem Druck bekannt geworden. Es ist das zweite Blatt der Annunziata Folge

3 S. Philippus heilt eine Besessene nach dem Gemälde des Andrea d'Angeli

Sie fallt in Ohnmacht in den Armen ibrer Eltern vor einem Torbogen. Ihrem Mund ist ein Teufel entfabren, den der 1. neben zwei welteren grauen München stehende Hl. Philippus ausgetrieben hat. L. stehen noch ein rot gekleideter Jüngling und zwei Frauen, r. sechs Männer als Zuschauer, bei den Eltern zwei Männer. Im Fenster oben 1. eine Frau, mittlings drei Personen, r. nur ein weißes und ein rotes Tuch. Im Unterrand steht gestochen:

Andrea del Sarto inv:, e dip: a fresco esiste nell’ ingresso della Chiesa della SSa Annunziata di Firense Giuseppe Miller diseg:

`

Dedicata a Sua Exzellenza il Sig:re Marchese Luigi Trionfi, Patrizio Anconitano ec. ec, Approvata dal Cellb:e Sig:¢ Tommaso Ghe- Maestro della Reale Accademia di Firenze, rardini | Wappen -Lasinio incise Labrelis impresse

Labrelis in segno d’ossequio D.D.D. Bez. wie angegeben Von den vier (?) geschabten Faibenpluten: Pl. 633:473 B. (oben abgerundet) 570: 473 š Es ist das dritte Blatt der Annunziata Folge

Libreria Mascelli (Florenz, 18. Febr. 1909, schlechtes, bemaltes, eingerissenes ond mattes Exem- plar um 20 lire angeboten)

4 Die Leiche des Hl. Philippus erweckt einen Toten nach dem Gemäldė des Andrea d'Angeli |

Die Leiche liegt vor einer Kapellen-Nische: ein Mönch küßt ihr die Hand, vier Mönche und ein Greis stehen ihr zu Häupten L, vier Júnglinge und Frauen ihr zu Füßen r. Davor am Boden sitzt ein zum Leben erweckter Knabe und liegt ein toter. Vorn 1. ein Greis in lila Rock mit roter Schärpe und ein Mann mit langem, grünem Mantel: r. ein Mann fast vom Rücken gesehen, und ganz r. ein andrer der sich der Kapelle nähert. Auf besonderer (angeschweiBter?, 58: 463) Platte steht unten

gestochen: , Andrea del Sarto inv: e dipinse a fresco Giuseppe Miller disegnd. Carlo Lasinio. nell’ ingresso della Chiesa della Sma An- nose: Labrelis impresse a Colori nunziata di Firenze Wappen | Mae dei Riccardi di Patrizio Fiorentino ec. All: II: ne Rev:mo Sig: re Cañco Subdecano | re Gabbriello Labrelis in segno d'ossequio D. D D.

Approvato dal Sig: Tommaso Gherardini (iut dem einzigen bislang mir bekannten Druck ist die letzte Zeile nur geschrieben) Bez. wie angegeben

Von verschiedenen, mehrfarbig eingeriebenen Schab- und Kreidemanier Platten: PI. und B. (oben abgerundet) 559: 463

Es ist das vierte Blatt der Annunziata Folge Wien (stark überinalt)

*

59

5 Das Gewand des hl. Philippus heilt einen Knaben nach dem Gemälde des Andrea d’Angeli

Vor einem Altar in einer Kapellennische reicht ein Servitenmönch einem Knaben, den seine Mutter von: L

herbeifúbrt, das Gewand des Hl. Philippus. Rechts eine knieende Frau in grün, ein knieender Mónch

und drei Männer, von denen der vorderste, barbüuptige, einen roten Mantel trägt. Auf den Stufen

ganz r. ein Greis. Links Mönche, Frauen, Kinder usw. Auf der Stufe mittlings steht ,AD.M:D-X**,

in der Scheibe oben 1, „Virtus | De Illo / R.“ in jener г. „Е Sana | Os“; sodann unten auf besonderer, angeschweiBter Platte (62: 474)

Andrea del Sarto inv: е dipinse а fresco 7 . Q. Miller disegnó. Lasinio incise acolori. nell’ Ingresso della Chiesa della 8.83 An- Labrelis impresse. nunziata di Firenze | Marchese Nicolao Santini, Dedicata a 8. E. il Sig:re Wappen

Inviato Straordinario della Sereniss;ma Repubb:ca di Lucca alla R. Corte di Tos- | сапа ес: ес:

Te Labrelis in segno d'ossequio D.D.D.

coin in tutte le sue partie dal Celeb:e Sig:e J. Gherardini Maestro di questa R.e Accad:a di Pittura. Bez. wie angegeben Von mindestens drei mehrfarbig eingeriebenen Platten in Kreide-, Punktier- und Schabmanier: Pl. und B. (oben abgerundet) 562 : 475 | Es ist das fünfte Blatt дег Annunziata ена

Wien (stark bemalt)

6 Der Zug der Hl. Drei Könige nach dem Gemälde des Andrea d'Angeli

Der reiche Zug bewegt sich nach 1, wo rückwürts zwischen Tempelsáulen Maria mit dem Kind herbeleilt (?). In der Tür 1. eine Gestalt in rotem Mantel: usw. usw, Auf dem Stein vorn m der Mitte steht „X“, und unten auf besonderer, angeachweißter Platte (62 : 468)

Inventé et Peint par André del Sarto. Existe dans le Vestibule del’ Eglise de l'Annonclation a Florence Dessiné par Mr Joseph Miller Gravé par Mr Lasinio Imprimé en couleur par Labrelis

Dédié à Monseigneur le Comte Francois Bielinski Grand Notaire de Pologne

Chevalier des ordres de Sa Majesté ec. ec. ec. Wappen

par Votre trés humble et trés obeissant Seruiteur Labrelis

Approuvi par Monsieur Tomas Gherardini Maitre de Peinture de l'Academie de Florence

Bez. wie angegeben

Von mehreren, mehrfarbig eingeriebenen Punktier-, Kreide- und Schabplatten: Pl. und B. (oben abgerundet) 559 :470

Es ist Blatt sechs der Annunziata Folge ;

Braunschweig (aus der Smlg. Vasel, Nr. 3315 in dessen Katalog, der es auf der Versteig. Pommer Esche in Berlin, bei Amsler & Ruthardt, 37. Nov. 1899 Nr. 1593 erworben hatte; ohne Unter- rand): Wien (stark bemalt)

7 Die Geburt Mariae nach dem Gemálde des Andrea d'Angeli

Anna sitzt r. aufrecht im Bett; eine Magd bringt ihr Erfrischung. Vorn 1. sitzen zwei Frauen mit Maria beim Kamin; in der Mitte stehen zwei weitere: usw.

Bes. ?

Von mehreren Farbenplatten: Pl. und B. (oben abgerundet) ungeführ 560: 470

Da icb keinen Druck selbst gesehen habe, vermag ich genauere Angaben vorläufig nicht zu machen. Es ist das siebente Blatt der Annunziata Fo'ge

Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, 19 Juni 1900, Nr. боо um so Mk. an Kennedy)

8 Die Vermählung Mariae nach dem Gemälde des Franc. Bigio

. Der Priester hält mit seiner L. Marias L., auf die Joseph den Ring zu stecken im Begriff steht. Der Jüngling der Reißig über seinen Fuß bricht sitzt unten r.: usw. Unter der E.-L. ist gestochen „Francabigio dip: Giuseppe Miller del: esiste nell’ ingresso della Chiesa | Wappen | della sañta An- nunclata di Firenze Lasinio incis: Labrelis imp:“

Bez. wie angegeben

Von mehreren (?) farbig eingeriebenen Platten gedruckt (ich sah nur den Artariadruck, und das war ein farbig eingerlebener Einplattendruck: B. (oben abgerundet) 568 : 469

Es ist das achte Blatt der Annunziata Folge

Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, 19. Juni 1900 Nr. 601, schlechter, bemalter Druck, um 45 Mk. an Artaria; dann von Artaria, Wien, 24. Jan. 1902 um Mk. 150 ausgeboten)

9 Die Heimsuchung nach dem Gemálde von Jac. Carrucci da Pontormo

Vor einer Nischenarchitektur kniet Elisabeth r. auf Stufen vor der sich zu ihr neigenden Maria. L. von Maria andere Frauen von denen eine ein Kind trägt, die vorderste auf den Stufen sitzt, R. von Elisabeth fünf Gestalten, darunter ein nackter Knabe, der vorn auf den Stufen sitzt; usw.

Bes. ? Von den vier geschabten Farbenplatten (?): PL etwa 630:470 В. oben abgerundet

Ich babe keinen Druck geseben: daher meine unbestimmten Angaben: Es ist das neunte Blatt der Annunziata Folge

Florenz (Nr.14211 im Kupf. Kab. der Uffizi)

10 Die Himmelfahrt Mariae nach dem Gemälde von G. B. Rossi (Fiorentino)

Unten die zwölf Apostel in großen Mänteln, die Augen auf Maria gerichtet, die in einer Engel- wolke nach oben steigt.

Bes. ? Von mehreren geschabten Farbenplatten (?): Pl. etwa 630: 470

Ich habe keinen Druck gesehen: daher meine unbestimmten Angaben: Es ist das zehnte Blatt der Annunziata Folge

Florens (Nr. 14210 im Kupf. Kab. der Uffizi)

11—14 Die vier Weltalter nach den Fresken des P. Berrettini in der Sela della Stufa des Pal Pitti zu Florenz. Ir Das goldene Zeitalter

Auf dem Baum oben 1. pflückt ein Jüngling Früchte; darunter ein Schäfer und eine Schiferin. R. ein Lówe unter Putten und Frauen. | e

Bez. unter der E.-L. ,Pietro da Cortona dip: L'Età Dell' Oro C. L. inci:

Mehrfarbig eingeriebener Einplattendruck, Radierung mit Kreide-Punktier-Ton; Pl. 553: 442 B.-L. 518 : 420 Р | I Statt des Titels in der Inschrift steht ,presso Labrelis in Firenze“

П Wie beschrieben

12 Das silberne Zeitalter

Vorn 1. Bacchus und Ceres; dahinter Herakles. R. drei Musen mit einem fiötenden Knaben, Liwen usw. Rückwürts eine Schafschur.

Bes. wie Nr. її nur mit ,L'Età Dell’ Argento* Wie Nr. 11 ; Pl. 556:436 E.-L. 517: 410 I wie Nr. 11 П wie Nr. 11

I3 Das eherne Zeitalter

Rechte verteilt ein Herrscher Verdienstkronen: 1. steht ein Gesetzgeber mit kleinen Tafeln; vorn am Boden drei Gefangene, usw.

Bez. wie Nr. 21 nur mit ,L'Età Del Rame" Wie Nr. rz ; Pl. 557: 446; ,E.-L. 533: 418 BEBE I wie Nr. 11 II wie Nr. 11 I4 Das eiserne Zeitalter Vorn r. wird eind Frau, in der Mitte ein Greis, und 1. in einem Tempel ein Priester ermordet; usw. Bez. wie Nr. 11 nur mit ,L'Età Del Ferro“ Wie Nr. 11 ; Pl. 552:444 E.-Ig. 522: 423

I wie Nr. 11 II wie Nr. 11 f "

Lebl. 105

61

Jacob Levi (Wiesbaden, 6. Mai 1904 ein farbig-hšBlich in Blau, Rot, Braun und Grün gedruckter, Stark bemalter Satz von II. um 160 Mk. ausgeboten); Verst. Gutekunst (Stuttgart, Mai 1905 Nr. 824, nur das silberne Zeitalter als „Herbst“ im guten Druck von I, W = Gori Livini E Compagni um 52 Mk, an Kempner); Verst. Halle (München, 15 Juni 1907 Nr. 407 um 76 Mk.)

Berlin (Satz von I; W. == „Gori Livini E Compagni" und „Colle in Toscana“, grünlich-bläuliches Kolorit)

15—26 Die Folge der Florentiner StraBentypen

Es sind alles Einzelgestalten in ganzer Figur, zerlumpte Typen, mit ganz wenig Andeutung der Landschaft und ohne Angabe des Himmels. Die zwólf, Mehrplatten-Farbendrucke sind nicht numeriert. Ich folge der Reihe von Darstellungen, wie sie auf dem Titel im Umriß stehen. Das dritte Blatt ist „Carlo Lasinio" die übrigen ohne Vornamen ,Lasinio“ usw. bezeichnet, Bei Blatt Nr. 16 nur gebe ich die volle Bezeichnung; sie weicht nur in unbedeutenden Einzelbeiten auf den anderen Blättern ab,

15 Pollaiolo als Titelblatt. Ein Bänkelsänger von vorn, mit der Guitarre am Band um den Hals an der L., die R. erhoben, den schwarzen Dreimaster auf dem Kopf, steht da in rotem Rock, grüner Weste, blauer Kniehose, weißen Strümpfen und schwarzen Schuben. Am Stämmchen neben ibm bängt ein großes Blatt, mit Umrissen der 12 Darstellungen. Darunter steht gestochen: „Serie de 12 Ritratti | di persone facete, che servono | a divertire il Pubblico Fiorentino. | disegnate e incise da Carlo Lasinio. | POLLAIOLO“, und im Unterrand ,Gaet: Calamandrei impres. a colori In Firenze presso la Società Calcografica."

Bez. wie angegeben

Radiert, Kreidemanier usw. von mehreren Platten: Pl. 391: 258

16 Claudi Er steht vorn und spielt die Laute, in schwarzem Hut mit riesiger steifer Krempe, blauem, langem Rock, geblümter, grauer Weste, schwarzer Kniehose usw. Auf einem Stein unten 1. steht ,CLAVDI“

Bez. unten ,Lasinio disegno, e incise dal vero In Firenze presso la Società Calcografica Gaet:0 Calamandrei impresse a Colori"

Wie Nr. 15 ; Pl. 390: 259

17 Antonio Niccolai Er steht nach 1 mit Kopf und Blick nach vorn, neben seinem eblauen Guckkasten, auf dessen Aufschrift „ANTONIO NICCOLAI* er mit seiner L. weist und den er mittels Fadens mit der R. aufzieht, Er ist barhüuptig, mit Puderperücke, schwarzem langen Rock, brauner, offener Weste, schwarzbrauner Kniehose, usw. bekleidet.

Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 : Pl. 391: 260

18 Cicerone Er steht nach I., blickt uns lüchelnd an und bält ein Buch mit dem Wort CICERONE" in seiner R. Die herabgelassene L. hält den Dreimaster. Bis auf die zerrissenen braunen Strümpfe ist er ganz schwarz angezogen. |

Wie Nr. I$ Wie Nr, 15 : Pl. 392: 257

I9 Carlo Er steht, scheinbar blind, im Profil nach 1., und hält mit beiden Händen den Stock an dem ein Becher mit „CARLO“ gebunden ist, worin r. auch eine Münze liegt. Er trägt Haube, langen braunen Rock, blaue W'este und Hose, usw. und sein groBer schwarzer Schiapphut liegt am Boden 1. |

Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 : PL 390 : 260 ^

20 Bambino Giorgio Er steht von vorn gesehen, geradeaus schauend, mit einem Sack über der L Schulter, auf dem man „Babö Giorgio“ liest. Am 1, Arm bängt ihm ein Korb, die R. hilt er an die Wange; sein Dreimaster mit Kokarde ist schwarz, sein langer Rock und die Weste blau, die Hose rot, die Schürze schwarz, usw. Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 ; Pl. 392:262 21 Niccole Er steht von vorn, die L. berabgelassen, die R. zum Mund geführt, in mäch- tigem schwarzem Dreimaster, grünem Rock, blauer Weste, schwarzer Kniehose, brauner Lederschürse, blauen Strümpfen, usw. Unten r. auf einem Stein steht „NICCOLE“, Wie Nr. 15

Wie Nr. 15 ; Pl. 388: 255 62

22 Basana Eine fette Pilgerin sitzt nach r., den Blick auf ' uns gerichtet, mit Stab und Chisntiflasche binter sich, den Rosenkranz in den Händen, ein schwarzes Tuch mit blauer Schleife auf dem Kopf, Blumen an der Brust, braunem Kleid, weiBer Schürze, strumpflos und mit schwarzen. ldcbrigen Schuhen. Das Gesicht sieht wie das eines Mannes aus. Auf einem Stein L steht „BASANA“

Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 ; Pl. 394: 260

23 Calabria Der nach r. stehende Mann hält in seiner L. ein Flugblatt mit einem Pelikan und der Schrift CALABRIA“, an seinem r. Arm einen Korb mit Rosenkränzen, Fiugblätiern, usw. Er trágt schwarzen Dreimaster und Rock, blaue offene Weste, rote Kniehose, usw. |

Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 ; 394: 260

94 Pierannizzi Der nach r. stehende, uns anblickende Mann, bält in seiner L. eine Hane- wurst-Puppe, wührend vor ihm ein Hund mit Haube Männchen macht. Einen zweiten Hund tršgt er in seiner gelben Schürze auf der „PIERANNIZZI“ steht. Hut und Rock sind zerlumpt und schwarz, die Hose blau: er ist strumpflos.

Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 ; PL 397: 261

25 Domenico Bartolini Ein nach r. stebender, uns unter seinem Dreimaster anlšcheln- der Mann, ruht seine Tastenzither auf ein Gestell, das die Schrift „DOMENICO BARTOLINI" trigt Er spielt mit beiden Händen und trägt blauen Rock und Kniehose, weiße Weste, usw. Hier, etwas mehr Landschaft im Hintergrund.

Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 ; Pl. 394: 260

.26 La Signora Maddalena Sie steht etwas nach 1. die Hände über den Leib gekreust, in wei3er Haube mit Blimen uni bantsn Bindern, schwirzem Brusttu:h. blausm К eid, weißer, zor- rissenen Schürze. Auf einem Stein vorn 1. steht: „LA SIG:ra MADDALENA“. Hier, wieder etwas mebr Landschaft im Hintergrund.

Wie Nr. 15 Wie Nr. 15 Pl. 397: 260

Die Originalaquarelle, angeblich, befanden sich im Besitz des Herrn Tenente Corrado Nobili su Florenz, der sie am 2. Mai 1903 zum Kauf anbot.

FarbendruckAusst. Leipzig 1902 (Nr. 173-4 = unsre Nrn. 20 und 24, Dresdener Drucke)

Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, 19 Juni r900 um 54 Mk. an Herrn Tilge in Berlin); Verst. Gutekunst (Stuttgart, 16 Mal 1904, Nr. 827, volls indige Reihe um 390 Mk. zurückgekauft) ; Verst. Pettenegg (Wien 1go6, Nr. 1366 Basana und Maddalena um 15 Kr., Nr. 1367, Giorgio, Bartolin. und Niccolo um aa Kr.); Libreria Mascelli (Florenz, 18. Il. 1909, Giorgio, schöner Druck, im Papier susgebessert, um 10 lire)

Dresden (Cicerone, Basana, Pierannizzi, Bartolini, Calabria und Giorgio, schöne Drucke um 75 Mk. auf der Verst. Qutekunst, 20. Mai 1901 Stuttgart) Dresden, Smig. Prof. H. Brockhaus (Maddalena und Niccolai); Florenz; Florenz, Smlg. C. Nobili (mit hdschr. Titel und Bezeichnungen ,XII ritratti di persone eccentriche del volgo florentino. Veduti in disegni originali, coloriti del Lasinio, 1 Claudi 2 I] Cicerone 3 Il fioraro dal mondo novo 4 Erilo calzolaro dalla porta Romana 5 La Bazana 6 Il Creco dal Saltero 7 Papa Giorgio Cenciainolo 8 Vende ostriche ossia Bastone 9 Carlo то Siga. Maddalena dalla porta Romana 11 Pierannuzzi do il Bucatinaro 12 Vende Santi el Storie)

27—37 Die Toskanischen Volkstrachten.

Der Titel zeigt eine Umrahmung von Wein und Getreide um die Schrift „I Contadini / Della Toscana | Espressi Al Naturale | Secondo Le Diverse | Loro Vestiture | In Sessanta Stampe | a Colori | Firenze l'An: 1796 | presso Gius: Bardi in via Maggio Firenze. | Con privilegio di S.A.R.“ Darunter tanzen sieben Personen,

Bez. unten 1. ,Lasinio Trevisano F.“ und r. „Giarre scris.“

Rad. und gestochen, einfarbig: Pl. rd. 340:240

Von den sechzig Tafeln sind die ersten elf von Lasinio. Sie sind Einplattendrucke, meist nur wenig farbig eingerieben und gewöhnlich stark ausgemalt. Sie sind punktiert mit Stricharbeit und td, 340:240 die Darstellungen rd. 245:185 groß. Alle sind bezeichnet „Ant. Bicci del. Gius. Vardi innpresse С. Lasinio inc.“ (nur Blatt 1 trägt „Gaet.“ statt ,Ant.“), darunter jeweils der Titel, und dmrunter ,presso Gius. Bardi in via Maggio Firenze | Con Real Privilegio." sowie unten r. die Nummer.

27 1 „Abito Delle Contade: Del Piano Di Ripoli / Nei contorni di Firenze“. Zwei Frauen, jene r. mit Strohhut und Blumenkórbchen in ihrer 1. Hand.

. 28 a ,Abito De Contadini Sposi | Nei Contorni di Firenze". Die Braut 1; der Brüutigam in der Mitte reicht seine L. einem kleinen Mädchen т.

29 3 „Abito: De Contadni: Giovani Del Piano Di Ripoll: Nei contorni di Firenze" Ein kleiner Knabe L, hinter einem Mädchen i, d. M., das Blumen nimmt a. d. Korb den ihr ein Mann r. anbietet.

30 4 ,Abito Degli Ortolani Di Legnaja | Nei contorni di Firenze" Eine Marktfrau sitzt r. und hšlt einen topé desgl. tut stehender Mann, der ferner etwas aus dem Korb eines Knaben r. nimmt,

31 5 ,Abito Delle Donne Tessitore | .... | de contorni di Firenze" Ein Knabe 1., seine Mutter r. und swischen beiden hinten eine Dienstmagd: beide halten cinen Wollstrang.

32 6 ,Abito Delle Contadine del Galluzco: | nei contorni di Firenze" Ein Knabe hilt seine Schürze mit der L. und wird von seiner Mutter nacb 1. geführt.

33 7 ,Abito Delle Contadine Ragazze | nei contorni di Firenze“ Ein Knabe wird von einer Frau nach r. geführt: sie hält ihre R. unter die Schürze,

34 8 ,Abito Dei Contadini Del Poggio A Cajano | nei contorni di Firenze“ Eine Frau mit Geflügel 1,; r. sitzt ein Mann auf einem Stein und hat die Chlantiflasche neben sich.

35 9 ,Abito Del Pecorajo Della Montagna / di Pistoja^ Ein Hirt schreitet nach L; vor ihm ein kleiner Hund; r. ein Schaf.

36 ro „Abito Dei Contadini Di Casale / Nel Pistojese^ Eine Frau L mit einer Betschwester an der R.: r. ein Mann vom Rücken gesehen, der nach einem Gebäude r. weist.

37 11 „Abito Dei Giovani Sposi | Nel Contado Pisano" Eine sitzende Frau J.; ein Mann steht am Tisch т. und hilt einen Stab in seiner L.: 1. ein Fenster. |

Die anderen Tafeln sind von Q. Canacci, Cavini, G. B. Cecchi, Mugnon, Gius. Pera, Ant. Scoffo, Qaet. und Pietro Zancon gestochen.

Helbing (München, in seinem Anzeiger Nr. 14, S. 7 Nr. 48 bot ein Ex. mit nur 56 Blatt um 500 Mk. aus); Hiersemann (Leipzig, ein Exemplar mit nur 49 Blatt am 7. Des. 1900 um 150 Mk. - ausgeboten)

38—423 Die Folge der Selbstbildnisse

Ein Exemplar mit gedrucktem Titelblatt oder mit Text ist mir nicht unter die Hand gekommen. Mir sind die nachstehend alphabetisch aufgezüblten Bildnisse bekannt. Das sind lange nicht alle die z. B. der franzós. Katalog der Uffizi von 1869 anführt; dagegen fehlen in diesem Katalog sehr viele, namentlich neuere Italiener, die bei Lasinio vorkommen.

Nicht alle Platten sind beschriftet und noch weniger bezeichnet. Die Bezeichnung, oft auf beson- derer (angelegter oder angeschweiBter) Schriftplatte, wenn vorhanden, siebt ungeführ so aus:

-Lasinio Veneziano del: e inc. Labrelis impres: FRANCES SOLIMENA No. an: 1657 Mo. an: 1747 Es gibt aber auch kürzere Bezeichnungen, z. B. nur mit dem Mgrm, ,CL“ im Unterrand.

Von den Bildnissen die in meiner Liste mit einem * verseben sind kenne ich Drucke mit der Be- zeichnung. In der folgenden alphabetischen Liste sind alle Bildnisse aufgefübrt, die mir unter die Hand gekommen sind. Da es sich vielfach um nur handschriftlich betitelte Exemplare handelt, mag es vorkommen, daß einige der Namen die ich angebe nicht stimmen, denn ich hatte nie die vielen fraglichen Exemplare zusammen bei der Hand zum Vergleich,

Diese, nach meinen Ermittelungen, 388 Bildnisse stellen an sich schon eine merkwürdige und be- achtliche Leistung dar.

Einzelblütter der „Ritratti“ kommen häufig vor. Auf der Verst. Gutekunst vom 23. Арг. 1894 gingen sieben Stück um zwei Mark (!) an Lauser: ich selbst kaufte 1903 44 Stück um 26,35 Mk. in Florens. Andrerseits kam der Fil. d'Angelis auf der Verst. Gutekunst in Stuttgart vom 15 Mai 1896 Nr. 356 auf 30 Mk. In der Smig. Dr. Cornelius Loewe in Berlin befinden sich 36 Stück schöne Drucke; in der Smlg. Marrs zu Boston 28, in Dresden 56, in Hamburg 2, in Braunschweig (aus der Vasel Smig) 5; usw. Interessant sind aber eigentlich erst die großen Folgen.

Drei größere Exemplare sind mir bekannt.

Dasjenige in London ist in drei Binden gebunden und birgt 246 (108, 69 und 69) ausgezeichnete, fast gänzlich gedruckte Bildnisse. Es wurde 1879 erworben und hat einen hds. Titel: „Rittratti De’ Pittori | Esistenti / Nella Reale Galleria Di Firenze | Disposti per Scuole, e Cronologicamente per Età. | Divisi in Tre Tomi. / I. Fiorentina, o Toscana. | II. Veneziana. | Romana, e Napoletana. | Lombarda, e Bolognese. | III. Genovese, e Turinese. | Francese, e Spagnuola. | Inglese, e Ginevrina. | Tedesca, Olandese, e Fiamminga. | | Ogni Pictore espresse se stesso col/proprio Pennello. | | Venezia | M DCC LXXXIX.

64

Am 4. Mai 1905 bot Hiersemann-Leipzig ein Exemplar um 225 Mk. aus, das 172 Bildnisse umfañtte Es waren sämtlich Drucke von der Zeichnungsplatte in einer (meist bräunlichen) Farbe und bis au. eine Ausnahme mit nur geschriebenen, nicht gestochenen Titeln. In manchen Fillen mag die Platte

eingerieben gewesen sein, und alle Bilder waren ausgemalt. Das W. war Schild mit Gori Livini E Compagni. Die Bildnisse waren hds. numeriert und betitelt: sonst kein Text.

Auf der Verst. Theobald (Stuttgart, Gutekunst 12 Mai 1910 um 1950 Mk. an Halle verkauft, der es kurz vor Ausbruch des Kriegs nach París weiter verkaufte) erschien ein gans hervorragendes Exem- plar in drei Bänden mit 350 (120, 133 und 97) Blatt, (Nr. 4 des ersten Bandes fehlte, Bazzi als Razzi- Sodoma erscheint zweimal im aten Bd.); bei Nr. 26 „F. Benedetto de Greus stand „l'originale e fatto a penna“). Der geschriebene Titel lautete: „Raccolta | Di 350 Ritratti Di | Pittori | Incisi da Carlo Lasinio Veneziano, | Divisi in tre Volumi, | De’ quali i due primi contengono і | Pittori Italiani, | П terso gli Stranieri. | Volume 1%, | Ritratti No. 120" (3 == No. 133: 3 == No. 97). Aus dem „Aver- timento“ geht hervor дай die hdechr. Titel aus, Orlandi, Zani und Lansi gezogen sind. ,Questa serie di Ritratti rappresenta | la preziosa raccolta dei Ritratti di Pittori, che / si sono da se stessi dipinti, e che si conser-/vano nella Duchale Galleria di Firenze",

38 Agar, Jacques d' 85 *Bimbi, Bartolommeo 133 *Chiavistelli, Jac.

39 Aikman, William 86 *Biszelli, Giovanni 134 *Chimenti, J. da Empoli

40 Albano, Francesco 87 Bloemaert, Abraham 135 Ciabelit, G.

41 *Alberti, Cherubino 88 Boccaccini, Camillo 136 *Cignani, Cario

43 *Alberti, Giovanni (Bucacci) 137 Cinque, Giovanni

43 Aldovrandini, Tom. 8g Bocciardi, Clemente 138 Ciocchi, Q. M.

44 Allori, Alessandro до Bol, Ferdinand 139 Colonna, Michelangelo

45 * Cristofano 91 Bombelli, Sebast. 140 Commodi, Andrea

46 *Aloisi, B. Galanino 92 *Borgianni, Orazio 141 *Conca, Sebast.

47 Amerighi,M.A.Caravaggio оз *Boscoli, Andrea 142 Contarini, Giovanni

48 Amerling, Friedr. 94 *Bottani, Giuseppe I43 Conti, Francesco

49 Angeli, A. del Sarto 95 *Botti, F. 144 Coppi, Giacomo

50 *Angelis, Filippo de 96 Botti-Scifone, Ida 145 Corvi, Domenico

sx Anguisciola, Sofonisba 97 Bouchardon, Edmond 146 Courtois, J. Borgognone

ss Antonie, Kurf. von Bayern 98 Brun, Charles Le 147 Coypel, Antoine (Bavièra) 99 *Buonaccorsi, Perino del 148 Crespi, Daniele

53 Aretusi, Cesare Vaga 149 » Giuseppe M.

54 Arlaud, Jacques A, roo *Buonarotti, Michelangelo 150 *Cresti, Domenico Passi

55 Baccherelli, V. ror Buoncore, G. B. gnano

56 *Bagnoli, Giov. B. 102 *Buontalenti, Bernard 151 *Curradi, Francesco

57 Bakker, Frans de 103 Burino, Antonio 153 *Dagoty, E. Gautier

58 *Balasei, Mario 104 Caccianemici, Franc. 153 *Dandini, P.

59 Baldacci, Maria M. 105 Caccianiga, F. 154 Dansig, Salomon von

60 Baldrighi, Giuseppe 106 Caccioli, Giuseppe 155 Dolci, Carlo

61 Balestra, Antonio 107 Cairo, Francesco 156 *Dosai, Dosso

62 Bambini, Pompeo 108 Calcar, Johann von 137 Dou, Gerard

63 *Bandinelli, Baccio 109 Caliari, Paolo Veronese 158 Douwen, Jan Frans

64 Barbarelli, Giorgione 110 Callot, Jacques 159 Duchamp, Jean Camps

65 *Barbatelli, Bern. Poccetti 111 Cambiaso, Luca · (Campino)

66 Barbieri, G. F. Guercino 113 Campagna, G. D. 160 Duerer, Albrecht

67 Baroccio, Ambrogio 113 Campana, J. J. (F.) 161 Duflos, Philothée (De Flos)

68 š Federigo 114 Campiglia, Giov. D. 162 Dijck, Anthonis van

69 Batoni, Pompeo 115 Campi, Galeazzo 163 Eisheimer, Adam

70 *Bazzi, G. A. Sodoma 116 Carracci, Agostino 164 Facini, Pietro

31 *Beccafumi, Dom. Meche- 117 Annibale 165 Faes, Pieter v. d. Lely tino 118 = Antonio ı66 Fanti, Vincenzio

72 *Beccalini, G. 119 Francesco 167 Favray, Antoine

73 Bel, Jean Le 120 * Lodovico 168 Feltre, Morto da

74 Bellini, Giovanni 121 * Cardi, Lod. Cigoli 169 Ferrabosco, Gir. Fora-

75 Bellotti, Pietro 122 Carriera, Rosalba boschi `

76 Bellucci, Antonio 123 Casini, Giovanni 170 Ferrari, Luca

77 Bemmel, Julius 124 Cassana, Giov. Agost. 171 Ferretti, Giov. Dom.

78 *Benefiali, Marco 125 Е Franc. 172 *Ferri, Ciro

79 Benwell, Maria 126 s Nicoolo 173* Gesualdo

80 Berkbeijden, Job Brecken- 127 Casserotti, Violante 174 Fontana, Lavinia berg 128 Castiglione, Benedet. 175 *Franceschini, B. Volter-

81 *Bernini, Giov. Loren. 129 Cavedone, Jacopo rano

83 *Berrettini,PietrodaCortona 130 Cerrotti, Viol. Siries 176 Franceschini, Marcantonio

83 Bertini, Ant. Seb. 131 *Cesari, G. d'Arpino 177 *Franchi, Antonio

84 *Bettini, S. 132 *Chiari, Giuseppe 178 Franck, Frens F.

Monatshefte für Kanstwissenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft 2/3 3 655

179 Fratellini, Giovanni Mar- mocchini Cortesi

180 *Furini, Francesco

181 Gabbiani, Ant. Dom.

182 * G. A.

183 Gallantini, F. Ippolito

184 *Galeotti, S.

185 Galletti, Fil. Maria

186 Gambacciani, Francesco

187 Gaulli, G. B. Baciccio

188 Gennari, Benedetto

188a а Севаге

189 *Gherardini, Alessandro

18да m Tommaso

190 *Ghezzi, Pier Leone

191 Gianuzzi, Giulio Romano

192 *Giordano, Luca

193 Glain, Pasquale do

194 Grati, G. B.

195 Greys, F. Benedetto de

196 Grisoni, G.

197 Guidi, Tom. Masaccio

198 Guttenbrunn, L.

199 Hastner, Hieronymus

200 Hesse, Ferdinand

201 Hickels, Joseph

202 Hoare, Prince

303 Hodan, Q.

204 Holbein, Hans

205 Honthorst, Gerard

206 Jacobsz, Luc, v. Leiden

207 Jordaens, Jacob

208 Kauffmann, Angelika

209 Klockner, David

210 Kneller, Godfrey

211 Koningh, Philips

212 Kranacb, Lukas

213 Laer, P. de Bamboccio

314 Lairesse, Gerard

215 Lanfranco, Giovanni

216 ®Lapi Niccolo

217 Largilliére, Nicholas

218 Legnani, Stefano M.

219

221 Ligozzi, Jacopo

222 Liotard, J. Etienne

223 “Lippi, Lorenzo

224 Longhi, Pietro

aas Lopez, Christobsl

226 Loth, Karl

227 Luti, Benedetto

228 *Macpherson, Joseph

229 Maganza, Giov. B.

230 *Manetd, Rutilio

331 *Manussi, Giov. Da San Giovanni

Manzuoli, Tom. Da San Friano

233 Maratti, Carlo

234 Mari, Giuseppe

235 *Marinari, Onorio

236 Maron, Anton

337 Marteau, Franc,

238 Martinoti, Jacopo

239 *Marucelli, Giov. St.

240 *Mazzanti, Giov.

233

Leisman, Joh. Anton Cousin 220 *Licinio, G. A.daPordenone

241 *Maszanti, Lodovico

243 *Mazzucchelli, Pier F. Mo- razzone

243 Mazzuoli, Franc. Parme- gisno

244 *Medici, Pietro

245 Medina, Giov. Batt.

246 Mengs, Ant. Raphael

(Meusnier)

Messini, Ferd.

Metsu, Gabriel

Metsijs, Quentin

Meucci, Vincenzo Ы

Meus, Livius

Meijtens, Maerten A.

Miel, Jan

Mieris, Frans van

Milani, Aurelio

Mola, P. Francesco

Molijn, P. Mulieribus

(Tempesta)

258 Мопагі, Cristofano

259 *Monetti, N.

260 Montano, Giuseppe

261 Monti, Francesco

262 Moor, Antoon

263 Karel de

264 *Morandi, Giov. Maria

265 More, James

266 Moro, Lorenzo del

267 *Moroni, Giov. Batt.

268 Murray, Thomas

269 Musscher, Michiel

270 Nanteuil, Robert

271 *Nasini, D. Antonio

272 S. N.

273 Natoire, Charles

274 *Nebbia, Cesare

275 *Niasini, C. G.

276 Northcote, James

277 *Nuzzi, Mario

278 *Pagani, Gregorio

279 *Paggi, Giov. Batt.

280 *Pagholo, Fra Bartolom- meo

28: Paglia, Francesco

2823 *Paladini, Arcangela

283 *Palma, Jacopo d. J.

284 Panfi, Romolo

285 *Paolini, Pietro

286 Pareya, Giovanni da

287 Parodi, Domenico

288 *Passeri, Giuseppe

28g Passerotti, Bartolommeo

290 » Tiburzio

291 » Ventura

292 Pazzi, Antonio

293 Pellegrini, Antonio

294 Pencz, Georg

295 Pendelli, G.

296 *Pertichi, P.

297 "Petrazzi, Astolfo

298 Petrucci, F.

299 Piattoli, Anna

goo š Qaetano

301 Piella, F.

soa *Pignoni, Simone

247 248 249 250 251 252 253 254 255 256 357

303 304 305

306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318

319 320 331 322 323 324

325 326

327

329 330 33% 333 333 334 335

*

Pinacci, Q.

Pittoni, Qiov. Batt.

Plattenberghe, Mat., Platte- Montagne

Poerson, Charles de

Ponte, F. da Bassano

» J. n

n * وو‎ n Pourbus, Frans Pozzi, P. Andrea

Preissler, Joh. J.

*Preti, Mattia

Preziado, Francesco

*Primaticcio, Franc.

Quadal, Marin F.

Quilliard, P.

Ramenghi, Bart. Bagnacavallo

*Redi, Tommaso

Rendelli, G. Reni, Guido

*Resani, Arcangelo

Reynolds, Joshua ` Ribera, Giuseppe Spagnoletto Ricci, Sebastiano Riccio, D. Brusasorci

*Ricciolini, Michelangelo 328 *

n Niccolo Ridolfi, Claudie

Rigaud, Hyacinthe *Riminaldi, Orazio

Riviera, Francesco

*Robusti, Domenico

Marietta

*Roncagli, Cristofano

336 *Rosa, Salvatore

337 338 339 349 341 343 343 344 345 346 847 348 349 359 351 353 353 354 355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365

Roslin, Alexander Rosselli, Matteo Rossi, Alessandro Antonio F. Salviati Rotari, Pietro

*Rubens, Pieter P.

Rijn, Rembrandt H. van Sagrestani, Giov. C. Salimbeni, Ventura

Salvi, G. Sassoferrata Sandraert, Joachim

*Santi, Raffaello

Scacciati, Andrea Schaicken, Gotfried

*Schiavone, Andrea

Schoonjans, Antoon Schwartz, Christoph

Scorza, Sinibaldo

Segala, Giovanni Seghers, Gerard

Sevin, Claude A. Seybolt, Christian Simonini, Francesco Siranl, Qiov. B. Andrea Soderini, F.

Sole, Giuseppe del

*Solimena, Francesco

Sorbi, Giovanni

366 *Sorri, Pietro

367 Spada, Leonello 387 *Trevisani, Francesco ` 406 *Vignali, Jacopo Casentino

368 Sparvier, Pierre 388 Troy, F. de 407 *Vinci, Leonardo da 369 “Speranza, Giovanni В. 389 Jean F. de 408 Visa, Sebastiano da 370 Spinelli, Chiara 390 *Vanderbrach, Niklaer 409 Visentini, P. A.

371 Spranger, Bartholomaeus 391 Vanderhelst, Barthol. 410 "Vivien, Joseph

372 *Stefaneschi, F. Giov. B. 392 Vanderneer, Aernout 411 *Vlivelli (sic), Cosimo 373 Storer, Christoph 393 Vanderwerff, Adriaen 412 Voet, Ferdinand ' 374 Sustermans, Justus 394 Vanerton, Franc. 413 Vos, Maerten de

375 Taruff, Emilio 395 Vanni, Franc. 414 Vouet, Simon

376 Tavarone, Lazzaro 396 *Vannini, Ottavio 415 Vump (sic), Jan

377 Terburg, Christoph (sic) 397 Vannucci, P. Perugino 416 Webrlein, Wenzel 378 *Terzi, C. 398 Varotari, Chiara 417 Werthmiller, G. B. 379 *Testa, Pietro | 399 Vasari, Giorgio 418 Wulky, Michael

380 Tiarini, Alessandro 400 *Vassilacchi, Antonio 419 Zampieri, Domen. Domeni- 381 Tibaldi, Pelleg. Pellegrini 401 Vecelli, Tiziano chino

382 *Titi, Tiberio 402 "Velazquez, Diego 420 Zanchi, Antonio

383 "Tito, Santo di 403 Venesiano, Antonio 421 Zoffany, John

384 Torelli, Felice 404 Veracini, Agostino 422 *Zuccaro, Federigo 385 š Lucia 405 = Benedetto 4233 * Taddeo

386 Trevisani, Angelo

II Die Einzelblätter

424 Die Beweinung Christi nach dem Gemälde von Andrea d'Angeli, jetzt in der Pitti Galerie Nr. 58

Es ist die bekannte Darstellung in der Christus, nach r. sitzend, gestütst wird. Auf dem Hügel vorn 1. sieht man zwei Bäume, auf jenem hinten r. vor einer Bergkuppe ein Kastell, Johannis Rock ist blau, sein Mantel rot, Mariae Kleid rot, Überwurf und Haube weiß: Magdalena ist grünlich weiß und rosa wei8, Petrus gelb, Paulus wei6 mit rotem Mantel gekleidet. Unten in der Mitte steht ein Hostiengefäß,.

Bez. (wohl auf besonderer Platte?)

Von den vier geschabten Farbenplatten: B. 490: 493

Auch gestochen von Forster, G. Marri und Pauquet,

Verst. Per! (Berlin, ar Febr. 1910 Nr. 1616 sehr bemalt, leidlich erhalten, W. == Gori Livini « Compagni, im Unterrand steht in Tinte „Andrea del Sarto pinxit, esiste dans La royalle Gallerie de florence Desente du Croix Lasinio incise Labrelis imp")

Dresden (1904 um 33 Mk. von Breslauer und Meyer in Berlin erworben: stark übermalt und flau)

425 Johannes der Täufer nach dem Gemälde von Ann. Carracci im Pal. Corsini zu Florenz

Der Heilige steht von vorn gesehen, nackt bis auf Laub und Schafpelz um die Lenden, und stützt sich mit der erbobenen L. auf seinen Stab. Die R. weist auf den Jordan, der nach der Ecke vorn r. fließt: ebenda ruht am Boden das Lamm. Auf einem Felsen 1. liegt die Schöpfkelle. Auf besonderer Platte (53: 373) unten steht:

Annibale Caraci fece: esiste nel Palazo Corsini di Firenze C:de Lasinio del: e incize l'an:

f 1784. Labrelis impresce. "E S. GIOVANNL | Dedicato А == Š = Ec = Il Principe Don Lorenzo Corsini Gran Prior di Pisa, Magior Dome 2 di S == А =— R == Іа Gran Duchesa di Toscana: ес == OC mu OC w i E Lasinio D: D: D...

Bez. wie angegeben. Hr

Von den vier Farben-Schab (und Roulette) Platten: ohne Linien: Pl. und B. 498: 397

Verst. Chramosta (Wawra, Wien, 18. Apr. 1904 Nr. 440, aufgezogen und gerahmt)

Braunschweig (bemalt: aus der Smig. Vasel, Kat. Nr. 3313 der es von Prihi (?) in Berlin er, warb); Wien (bemalt)

426 Der hl. Markus nach dem Gemälde von Bartolomeo Pagholo, jetzt in der Pitti Smlg. zu Florenz, Nr. 125

Der Heilige sitzt in einer steinernen Nische, mit der Concha oben, nach 1. den Kopf aber nach r. zurückgewandt und hält ein Buch aufrecht auf seinem r. Knie mit beiden Händen, während in der R. sich noch ein Gänsekiel befindet. Er trägt ein blaues Gewand und roten Mantel: am seinen Kopf ein Reif als Heiligenschein. Oben 1. steht: „Lasinio del, e incise“ r. ,Labrelis imprese“ und auf der

MEME | 67

Steinstufe unter dem Heiligen, ,S== MARCUS EVF“, endlich auf dem Steinsims ganz unten, F: Bar- tolome della Porta dipe esiste nel Regio Palazo Pitti di Firenze =“

Bez. wie angegeben Von (mindestens) vier Farbenschabplatten; wenig Linienarbeit: B. 508: 393 In Lafenestre & Richtenbergers „Florence“ wird das Blatt irrtümlich dem J. P. Lasinio zugeschrieben.

Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 32. Mai 1911 Nr. 1204 um 85 Mk. an Soelke, in meinem Lanna Kat. Nr. 8480 des IL Bdes.; schöner, ganz leicht bemalter Druck: W = große Kartusche mit Gori Livini /E/ Compagni)

Dresden (um 13,10 Mk. von Breslauer & Meyer in Berlin 1904)

London (gutes, etwas bemaltes Exemplar, erworben auf der 51. Gutekunst Verst. Stuttgart, х. Mai 1899 Nr. 504 durch Colnaghis um 1s Guineen. W = wie das Lanna Ex.); Wien (um 140 Kr. auf der Verst. Falkenhain erworben; W = dasselbe)

427 Die Sibylla Samia nach dem Gemälde von G. F. Barbieri in den Uffizi zu Florenz Nr. 1114 |

Sie steht dreiviertel nach r. gerichtet, mit dem Kopf nach 1. zurückgewandt und schaut zum Himmel hinauf, Beide Hinde ruhen auf einem offenen Buch, das auf einem Piedestal r. liegt. Auf dessen 1, Seite liest man ,SALVA CASTA | SYON PERMVL | TAQVE PASSA | PVELLA: | SYBILA SAMIA"; auf der r. Seite „Guercino da Cento | inv = e. dip= | esiste nella R== / Galleria di Firenze | n | Lasinio fec— Labrelis imp—“. Sie ist als Hüftfigur dargestellt, trägt einen grünen Turban, Perlen im braunen Haar, ein rotes Kleid mit blauem Futter und einen gelben Mantel. Auf einem Tisch I. liegen ein Buch, Tintenfaß und Gänsekiel.

Bes. wie angegeben

Von den vier (?) Farben-Schabplatten (alle mir bekannten Drucke sind besonders stark bemalt): B. 496:405

I Vor der Schrift II mit der Schrift

Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22 Mai 1911 Nr.1203, um 140 Mk. an die Lanna Erben; in meinem Lanna Kat Bd.II Nr.8481; stark bemalt W. = Wappen mit GL / C (= Gori, Livini e Compagni); Vorst. Hollstein-Puppel (Berlin, 16 Apr. 1913 Nr. 851); Verst. Gutekunst (Prestel, Frkft. a/ M. 5 Juni 1916 Nr. 4231 um 200 Mk., zuvor in der Verst. Theobald, bei Gutekunst in Stuttgart, 12. Mai 1910 Nr. 397, W. Gori Livini e Compagni, die Schrift mit Tinte = „SALVE CASTA | SYON PERMVL | TOQVE PASSA | PVELLA | SVBYLA SAMIA“ und r. ,Guercino da / Cento in:e | dipin : esiste | nella R. Gal:/leria di Firenze | Lasinio incise“, und auf dem Buch 1. unter dem Tinten- glas ,Labrelis imp.“: reichlich, aber gut bemalt, um 190 Mk. an Muller-Amsterdam)

Berlin (vor der Schrift; bemalt; W. == „Colle in Toscana", um 333 Mk. auf der Verst, Dietze, bel Ameler & Ruthardt, Berlin, 30 Jan. 1892, Nr. 87a erworben)

428 Die Madonna del Sacco nach dem Gemälde von Andrea d'Angeli in der Annunziata zu Florenz

Die Farben des Originals sind im allgemeinen wiedergegeben, aber es ist ein Rundbild aus der Darstellung (auf viereckiger Platte) gemacht worden, indem oben r. und 1. von den Pfeilern etwas abgenommen, und unten zugesetzt wurde. Der Bogen oben ist hinaufgerückt worden und verschwindet r. und 1. ohne Schluß. Unten 1, auf dem Sockel steht: „Andrea del Sarto fece.esiste nel Chiostro della SS. Nunciata di Firenze“ und r. ,Lasinio del:e incise a colori . . Labrelis impresse"

Bez, wie angegeben

Von den vier (?) geschabten Farbenplatten: Pl. 503:496 B. Durchmesser 493

Verst. Amsler Ruthardt Berlin, 36 Apr. 1910 Nr. 837 um 510 Mk); Verst. O. v. z. Mühlen (Berlin, Amsier 4 Ruthardt, 35. Mai 1914 Nr 1595 um 100 Mk., mäßiger, rund ausgeschnittener, ziem- lich bemalter Druck, auf grobes Papier aufgezogen auf dem unten in vergilbter Tinte steht ,La Ma- donna del Sacco | А.еа del Sarto:in e dip: a Fresco nel chiostro della SS. Nonziata di Firenze Carlo Lasinio incíse a Colori in Firenze. Labrelis impresse.") |

Braunschweig (aus der Smig. Vasel, Nr. 3314 in dessen Katalog, der es von Prihl () in Berlin erworben hatte); Dresden (guter, rund ausgeschnittener Druck, wenig bemalt und früher auf Lein- wand gezogen, W. == Wappen mit Gori, Livini E Compagni, erworben um 270 Mk. auf der Ver- steigerung Amsler & Ruthardt, Berlin, Juni 1902 Nr. 639 c)

429 Madonna mit dem Kind in der Nische nach einem dem Leonardo da Vinci

zugeschriebenen Gemülde, jetzt in ? |

Maria sitst in ganzer Figur, von vorn gesehen, auf einer Steinbank in einer Nische die einen doppelten Bogen aufweist: r. verbindet ein Mauerteil die zwei Bögen. Maria trägt ein blaues Kleid und einen ebensolchen, violett gefütterten Mantel, den sie über den Kopf geschlagen hat. Ihr Unter-

68

kleid ist rot, das Hemd weiß. Sie hält das gans nackte Christuskind auf ihrem 1. Arm: es greift mit beiden Hinden nach der Mutter 1. Brust, die durch einen Schlitz des Kleides, der oben geneatelt ist, durchdringt. Beide blicken den Beschauer an und haben Heiligenscheine.

Bes. (auf besonderer Platte unten ?)

Von den vier geschabten Farbenplatten: Pi. rd. 495: 385

Verst. Halle (München, 15 Juni 1909 Nr. 408, um 120 Mk.; dann Verst. Halle, München, 25 Apr. тїї Nr.439 um 80 Mk., gutes, stark bemaltes Exemplar ohne Rd. und Schriftplatte, voll aufgezogen, an den Rindern leicht beschšdigt; unten steht mit Tinte ,Leonardo da Vinci inv: e dip: esiste nella R. Galleria di Firenze Lasinjo incise. Labrelis impresse." was wohl ziemlich genau dem Wortlaut auf der etwaigen Schriftplatte entsprechen wird)

430 Tanz der Musen mit Apoll nach dem Gemälde des Giulio P. dei Gianuzzi, jetzt in der Pitti Smig. zu Florenz Nr. 167

Fünf Musen hüpfen 1., vier r., Apollo ist etwas r. von der Mitte, von vorn gesehen, bat Köcher mit Pfeil und Bogen und trágt Lorbeer auf dem Haupt. Der Hintergrund ist eintónig, der Boden un- gegliedert. Auf letsterem erstreckt sich vorn ein Band worauf in griechischen Buchstaben: ,Kalliope, Klio, Erato, Melpomene, Terpsichore, Polyhymnia, Euterpe, Thalia, Urania“ steht. L. von der Band-

rolle am Boden ein Zeichen „CM“. Unten ist r. u. 1. bis zu 20 mm Höhe etwas von der Platte ab- gesägt, so daß es einen Schriftrand bildet, mit 1. „Giulio Romano in. e dipinse. Esiste nel Regio

Palazo Pitti^; i, d. M. ,IL BALLO DELE NOVE MVSE w^"; r. „Carlo de Lasinio del. e incise in Firenze an. 1784. Labrelis impresse A“ und in der r. unteren "Ecke „Nr. X".

Calliope, Melpomene, Apollo und Polyhymnia haben bläuliche, die anderen rötliche Gewänder an: Erato und Thalia tragen rote Mützen. Clio, Erato, Apollo, Euterpe und Urania haben Schuhwerk an, die übrigen nicht.

Bes. wie oben angegeben

Von (mindestens) vier Farben Schabplatten: ohne Linien: B. 479:597, darunter noch der Schrift- streifen 20: 586

Verst. Theobald (Gutekunst, Stuttgart, 12 Mai 1910 Nr. 398; ausgiebig, aber geschmackvoll be- malt: gut erhalten: W. großes Wappen mit Gori Livini | E | Compagni: um Mk. 7o an Ströfer)

Berlin (schöner Druck, ziemlich bemalt, W. == Colle in Toscana); Berlin (mäßiger Abdruck, stark bemalt und oben verschnitten; W. dasselbe)

431 Die Venus mit dem Hündchen nach dem Gemilde von T. Vecelli in den

Uffizi zu Florenz, Nr. 1117

Sie liegt mit dem Kopf 1. nackt auf weißem Laken und Kissen über rotem ace » mit Rosen in der R. Im Hintergrund sieht man 1. einen griinen Vorhang, r. eine offene Halle mit zwei Frauen, von denen eine in einer Truhe kramt. Das Hündchen schläft am Fuß des Bettes r. Unten r. steht Auf besonderer (angeschweißter) Platte (57:491) unten steht:

Tiziano inv =, e діріп == esiste nell = Real Gaftia di Firenze ¥ an == 17::84 Carlo Lasinio Veneziano del, e incize... Labrelis impres:

VEN= zERE Consecrata á Sua Altezza Reale PIETRO | Mediceer | LEOPOLDO Arciduca d'Austria Principe d'Vngharia e di Boemia Wappen Reale | Granduca di Toscana. ec. ec. ec. Lasinio D, D. D. Bez. wie angegeben No. XI:

Von den vier (?) Farben-Schab (und Roulettierten) Platten; wenig Linienarbeit: Pl. und B. 402 : 518 F. Ver Cruys hat das Bild, gegenseitig zu Lasinio gestochen. Wien (guter Druck, nicht schematisch gedruckt und ziemlich viel bemalt)

432 Das Urteil des Paris nach einer Kopie des Gemäldes von P. P. Rubens

jetzt in der Nat. Gal. zu London

Paris sitzt r. unter einem Baum hinter dem Merkur steht. In der Mitte sieht man Juno, dann Venus, gans r. Pallas, und vor dieser am Boden einen Putto: usw.

Nicht bezeichnet

Von mindestens vier, geschabten und roulettierten Farbenplatten gedruckt: B. 484 : 597

In Berlin wird das Blatt irrtümlich Ed. Gautier-Dagoty zugeteilt, vielleicht weil man annahm es sei nach dem Londoner Original geschaffen, das aus der Smig. Orléans stammt, Die Vorlage für den Farbetich war aber 1. und r. breiter als das Londoner Bild, der 1. Fuß der Pallas ist in London nicht verdeckt, Pallas’ Lanze wird in London nicht vom Schild verdeckt, usw. Die Technik und die Zeich- nung sprechen entschieden für Lasinio, was die W. und die Art der Übermalung aller bekannten Exemplare bekräftigen.

Berlin (stark übermalt, 1851 erworben, W. == Colle in Toscana); Boston, Smig. Marra (W. = desgl.; it. Aussage des verstorbenen 8. R. Koehler, wäre dieses Exemplar ein Braun, Grün und Fleischfarben eingeriebener Einplattendruck, der im übrigen übermalt ist); Dresden (gutes, stark be- maltes Exemplar, mit W = Gori Livini E Compagni, um 340 Mk. erworben auf der Verst. Gute - kunst, Stuttgart, Mai 1905 Nr. 554)

433 Die Dichtkunst nach dem Gemälde von C. Dolci im Pal. Corsini zu Florenz

Halbfigur nach r. mit grünem Lorbeer im roten Haar, gekleidet in ein weißes Hemd mit schmalem goldgelbem Kragenband, rotem Unterkleid und blauem, mit edelweiß förmigen Sternen besticktem Mantel. Sichtbar sind ferner eine hellblaue Rosette mit Agraffe und ein Buch. Entlang des oberen Randes steht in Kursivsschrift: „Lasinio incise Carlo Dolci dipinse nel Palazzo Corsini di Firenze Labrelis impresse"

Bez. wie angegoben

Von den vier (?) Farben Schabplatten: . sind pre POUR mit mehr als einer Farbe eingerieben, denn es gibt sweierlei Gelb, usw.: Pl. und B. 508:4

Das Bild haben auch R. Strange und R. Morghen (gleichseitig Gm Lasinio) gestochen.

Verst. Liphart (Boerner, Leipzig, 5 Dec. 1876 Nr. 1063 um 302 Mk. an Günther für Colnaghi); Verst. Dietze (Berlin, Amsler & Ruthardt, 30 Jan. 1893 Nr. 344)

Berlin (etwas bemalt); Manchester, Smig. F. Gerald Falkner (hier soll die Schrift lauten: ,La Poesia Carlino Dolci in. e dipinse. esiste nel Palazzo Corsini di Firenze: Lasinio del. e incise l'an 1783. Labrelis impresse. Nr. 7.“)

434 Der Tod der Dido (?) nach dem Gemälde von L. Giordano jetzt in ?

Die erstochene Dido (?) stirbt 1. auf Kissen zurückfallend und von zwei verzweifelten Frauen um- geben. Eine dritte Frau dahinter hilt einen Vorhang empor. Aeneas (?) kniet r. den Dolch in der Hand und wird von zwei Kriegern, von denen der 1. in voller Panzerrüstung steht, angesprochen, Unten 1. steht ,Peint par Giordan. de la Collection de M: le Chev; Bailli Martelli^ und r. ,a Florence Gravée par Lasinio . . imp: par Labrelis.“

Bez. wie angegeben Von den vier (oder mehr?) geschabten Farbenplatten: Pl. und B. 493: 495 Vielleicht die beste Arbeit Lasinios und eine Art Gegenstück zu Edouard Gautier-Dagoty's Catilina.

Farbendruck Ausst. Leipzig (1902, Buchgewerbemuseum Nr. 170; ich mutmaße, daß der „Tod einer Fürstin", dieses Blatt war)

Verst. Halle (München, 11 Nov. 1901 Nr.370, sehr guter Druck aber schlecht erhalten; W. == Colle in Toscana); Libreria Mascelli (Florenz, 18 Feb, 1909, ähnliches Exemplar um aoo lire ausgeboten)

Dresden (sehr schón erhalten, nur wenig bemalt, um 282 Mk. auf der Verst. Schubart (bei Boerner, Leipzig, 1900 Nr. 250)

435 Apotheose auf die Familie Louis XVI nach W. Hamilton

Unten steht ,London, publ. 1799 by W. Dickinson“

Punktiert: Einplattendruck (?) groB Folio

Bartolozzi hat die Darstellung auch gestochen (Tuer 1040) |

Verst. Artaria (Wien, 16 Mai 1892 Nr. 195); Verst. Dorotheum (Wien, 19 Nov. 1912 Nr. 120)

Breslau, Smig. Toebe

436 Le départ pour Vienne de la Princesse Marie Therése Charlotte fille du Roi Louis XVI.

Das Blatt habe ich mit obigem Titel und der Bezeichnung „А. Deif del. C. Silanio sc. 1795" qu. fol. angeführt gesehen. Die Namen sind Anagramme für A. Fedi und Carlo Lasinio, Ob es sich um einen farbig eingeriebenen (Einplatten-)Druck handelt, weiß ich nicht bestimmt.

437 Das sogenannte Konzert nach dem Gemälde von G. Barbarelli (T. Vecelli?) jetzt in der Gal. Pitti zu Florenz, Nr. 185

Die bekannte Darstellung mit den drei Mánner-Halbfiguren, 1. der Júngling mit Federbarett, mitt-

lings der musisierende, r. der kahlköpfige Mönch. Die Färbung des Originals ist so ziemlich bei- behalten. Unten ist ein Rand der Schrift vorbehalten: darauf i. d. M. ,LVTERO Ww CALVINO‘

Nicht bez. Von den vier Farben Schabplatten; fast ohne Linien: Pl. 500:456 B. 482:454

Libreria Mascelli (Florenz, 18. II. og ein ausnehmend schlechter Druck, anscheinend ohne die blaugrüne Platte == ao lire)

Dresden (gut, auf Leinwand gezogen, etwas bemalt, W. = „Gori Livini e Compagni": um 118 Mk. auf der Verst. Amsler & Ruthardt, zo. Juni 1903 Nr. 639 erworben; mit Tinte steht im Unterrand geschrieben ,Giorgione da Castel franco in: e fec. esiste nel R. Palazo Pitti^ und r. ,Lasinio fece")

79

438 Die Dame und der Jäger nach dem Gemälde des G. Metsu in den Uffizi

zu Florenz, Nr. 972

In einem Gemach steht r. eine Dame, von vorn gesehen, an einem Tisch auf dem sich Schmuck- kistchen und Spiegel befinden. Sie trügt weifen Atlas Rock, lila Taille und weiBen Shawl darüber, nebst weißem Kopftuch. Ein 1. hereingetretener Jäger, mit Rebhuhn in der L. und Federhut in der R. grüBt sie. Sein Haar ist lang und er trágt wei6 und rote Krawatte, gelben Wams mit roten Bündern, graue Kniehose, eigentümliche, weiße Stulpen und schwarze Halbschuhe mit Rosetten. Man sieht neben ibm seinen Hund, hinten einen Kamin, einen Stuhl und die offene Tür. Unten r. steht „A“. Auf einem weißen Streifen entlang des Unterrandes steht gestochen:

Mist fece: esiste nella Real Gall: di Firenze IL CACIATOR FIAMINGO Lasinio del: e incize Гап 1774 . . Labrelis impresse . .

Bes. wie angegeben

Von den vier Farben-Schab(usw.) Platten; fast ohne Linienarbeit: Pl. 514:397 B. 495: 397

I (angeblich) vor dem Unterrand und vor „Il Caciator Fiamingo“ (siehe unten, Verst. Boerner) D Wie beschrieben

Libreria Mascelli (Florenz, 18 Feb. 1909, schlechtes Exemplar, um 200 lire ausgeboten); Verst. Halle (München, Juni 1909 Nr. 410, zusammen mit Nr. 440 zurückgekauft um 1610 Mk); Verst. Theo- bald (Gutekunst, Stuttgart, 12 Mai 1910 Nr. 399 um 310 Mk. an Muller, Amsterdam; W. == Colle in Toscana, viel, aber geschmackvoll bemalt, guter Druck mit der Schrift und gut erhalten); Verst. Halle (München, 25 Apr. 1911 Nr. 441 um 550 Mk., wohl zweifellos das vorige Hallesche Exemplar); Verst. Van Gogh (Amsterdam, 8 Apr. 1913 Nr. 1118); Verst. Boerner (Leipzig, März 1913 Nr. 238 um 320 Mk.)

Wien (sehr bemait)

439 Die Familie des Malers nach dem Gemälde von F. Mieris, d. ae. in den

Uffizi zu Florenz, Nr. 981

In der Mitte des Zimmers sitzt des Malers Frau in Lilakleid und roter, pelzverbrámter Jacke nach 1, und trinkt cin Glas Wein, das ihr ibr Sohn eben dargereicht hat. Dessen langes Haar fällt auf seinen grünen Rock herab. Vorn l. steht die ältere Tochter in Rückenansicht, gekleidet in weißen Atlas, mit blauer Schirpe, usw. Sie blickt nach r. wo ein Affe sich über Früchte auf einem Tisch hermacht. Auf dieses Tier weist der Maler selbst, der mittlings, schwarzgekleidet, die Gruppe rück- wärts abschließt. Er und die Tochter halten je eine Guitarre. Zwei weitere Personen sieht man im Torbogen hinten r. Ein geschnitzter Engel hingt oben herab und 1. befindet sich ein plastisch ver- sierter Kamin, nebst rotem Vorhang. Unten r. steht: „. Auf besonderer Platte (55:377) unten, steht:

Miris fece. l'originale esiste nella Reale C..Lasinio del: e incize a colori Г Galleria di Firenze š LA FAMIGLIA MIRIS 1784.. Labrelis impresce

Dedicata A Sua Ecc= il Sig= Conte Antonio di Thurn, e Wallesassina, Caualre dell’ Insegne Ordine del Toson d'oro, Ciamberlano Consig-liere Intimo attuale di Statto di S M Ie Reale Apostolica, Tenente Maresciallo e Colonello Proprietario d'un Regimento d' Infanteria nelle sue Armate, e Maggior- domo Meggiore della Real Corte di Toscana

XIII. C... Lasinio D. D. D.

Bez, wie angegeben |

Von (mindestens) vier Farben-Schabplatten: Pi. und B. 506:395

I Vor der Schrift II mit der Schrift

FarbendruckAusst. Leipzig 1902 (Nr. 171, Der Dresdener Druck)

Libreria Mascelli (Florenz, 18. Feb. 1909, mäßiges, bemaltes Exemplar vom I. Zust. um 200 lire ausgeboten); Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 33 Mai 1911 Nr. 1202 um 140 Mk. an Soelke, in meinem Lanna Kat. Bd. II Nr. 8479, stark bemalt W. == Schild mit GL / C); Verst. Boerner (Leipzig, März 1933 Nr. 239 „als Musizierende Gesellschaft nach Metsu“ um 250 Mk.)

Boston, Smig. Marre (W. = wie Smig. Lanna); Dresden (Smig. Friedr. Aug. П); Wien

440 Die trinkende Dame nach dem Gemälde von G. Terborgh in der Uffizi

Galerie, Nr. 958 |

Sie sitzt L und trinkt aus einem Kelchglas, während sie mit der R. einen offenen Krug auf ihrem Schoß hält. Hinter dem Tisch schläft r. mit aufgelegten Armen ein junger Mann. Auf diesem Tisch sieht man zwei weiße Tonpfeifen und ein Glas, hinten r. ein Himmelbett.

Nicht bezeichnet

Von den vier (?) geschabten Farbenplatten: B. 492 : 396

Das Original hat Chevillet (gegenseitig zu Lasinio) gestochen, ferner L. Duval und Prudhomme, Farbendruck Ausst, Leipzig 1902 (Nr. 172, Der Dresdener Druck)

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. Verst. Halle (München, Juni 1909 Nr. 409 um 1620 Mk. zusammen mit dem ,Cacciator Fiam- mingo"; dann in der Verst. Halle, München, April топ Nr. 440 um 500 Mk.; angeblich auf be- sonderer Platte stand ,Le Repos Flamand“ gestochen und hdschr. ,peint par Gerard terburgh, della Gallerie de Florence. Gravés ` par Lasinio imprimes en couleur par La Prelis.“)

Dresden (schóner, wenig bemalter Druck, um 684 Mk. auf der Verst. Schubart bei Boerner, Leipzig 3900, Nr. 230)

441 Dante. Allighieri nach einer alten Maske

In fast balber Figur etwas nach 1., hat er eine rote Haube und einen Lorbeerkranz auf dem Kopf, der nach r. gerichtet ist. Mit beiden Hánden hilt er 1. ein offenes Buch. Sein Gewand ist grün und darüber trügt er eine ürmellose Schaube. Das Bildnis steht in einer Steinumrehmung, wie der Boccaccio, mit einer neunzeiligen Schrift: „Dante Allighieri / Nacqué in Firenze | | [| | La Divina Commedia. | copiata da una Maschera originale posseduta dal nobile Sigor Bali del Borgo./ Angelo Volpini dis. Lasinio incise | In Firenze presso la Società Calcografica con Real Privilegio.“

Bez. wie angegeben

Rad. und punktierter Einplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 331:205, B. 292: 186

Seitenstück zu den Boccaccio und Petrarca Bildnissen

A. Weigel (Leipzig, 1908 um so Mk. ausgeboten)

442 Giovanni Boccaccio nach einem Gemülde von A. Allori jetzt in ?

Brustbild ohne Hände von vorn, der Kopf nach 1. gerichtet. Das Gesicht ist glatt und rund; er hat ein weiBes Tuch um Kopf und Schultern und einen Lorbeerkranz darauf, sein Mantel ist rot. Ein Steinrahmen schließt das Bildnis ein; auf dessen Sockel steht, in Majuskeln gestochen: „Giovanni Boccaccio / Nacque nel 1313. E' incerto il Luogo del suoi natali, Tra-/lascid la Mercatura a cui il Padre destinavolo P dedicarsi | agli studj. benemerito ristauratoro, & propagatore delle | Belle Lettere, e grande amico del Petrarca, La Repub: Fior: Lo impie-/gd in varie Ambascerie. Mori nel 1375 in Certaldo d'onde trae-/va l'origina la sua famiglia. Lasció opere scritie in | prosa, ed in versi. Tra tutte Il Decamerone tiene il Pri-/mo Luogo", und cursiv „Copiata da un Quadro di Ales- sandro Allori. | Ang. Volpini dis. Lasinio inc: | In Firenze presso la Società Calcografia“

Bez. wie angegeben

Radiert und punktiert, Einplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 308:204 B. (ohne Stein- umrahmung) 201 : 149

Seitenstück zu den Bildnissen von Petrarca und Alligbieri

Breslaaer 4 Meyer (Berlin, 4. Aug. 1904, mäßiger, bemalter Druck um 20 Mk. ausgeboten)

443 Franz, Erzherzog von Toskana nach dem Gemilde von ? jetzt in ?

Brustbild ohne Hinde nach 1. eines etwa zebnjübrigen Knaben. Er sieht uns an und sein 1. Auge steht etwas tiefer als das andere. Er trägt gepuderte Perücke, schwarze Schleife im Nacken, gelblich- weißen Rock mit rotem Kragen, schwarzes Halsband, Spitzenjabot und den Goldenen Vließ Orden. Unten steht auf besonderer 60:279 Platte „Lasinio inc: Labrelis imp: / Francois vn | Grand Prince de Toscane, & & & AY

Bez. wie angegeben

Von den vier geschabten Farbenplatten: Р]. 385 : 283

Verst. Halle (München, 15 Juni 1909 Nr. 411 um 620 Mk: hübsches, stark aber geschmackvoll bemaltes Exemplar, W. z Schild mit Gori Livini E Compagni: im Katalog abgebildet)

444 Bildnis des Ed. Gautier-Dagoty nach dem Gemälde von Heinsius in der Smlg. Otto Bethmann zu Paris

Brustbild eines Mannes nach r., in weichem Filzhut, rétlich-braunem Rock, und weißem weichen Hemdkragen mit Falbel. Er tršgt eine Mappe unter seinem r. Arm unter deren blaues Band er den Daumen seiner L. steckt. In seiner R. hült er einige Pinsel. Unten ein grüner Schriftrand mit: „Portrait d' Edouard Dagoty inventeur de la gravure en cóleurs / noè a Paris l'An. 1745. mort a Flore ce l'8. Maj. 1783. | Pent par Kanchsius Grave, et desinee par de Lasinio Imprime par Labrelis. Nr. 4“

Bez. wie angegeben

Von den vier Farben Schabplatten; ohne Linienarbeit: Pl. 503 : 433

Im Katalog der Pariser Farbendruck Ausst. wird der Name des Malers und der Standort des Origi- nals wie oben angegeben. Auf einem der Drucke die ich gesehen stand geschrieben: „Odoardo Dagoty| Inventore d'incidere a Colori / pintosto migliatori, poiché l'invenzione / ë dovuta a Giaco Le Blond | In Parigi nato 1745 Morto 1784 in Milano“. Das Blatt ist, auBer in Katalogen, im Augustheft 1906 p.57 von L'Art decoratif* abgebildet.

Lebl. 149;

Farbendruck Ausst. Leipzig 1902 (Nr, 169, das Wiener Exemplar)

FarbendruckAusst. Paris 1906 (Nr.578, das Exemplar des Pariser Cab.)

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Verst.Defer-Dumesnil (Paris, 17. Маі rogor Nr. 354 um 1330 fcd. an Rapilly); Verst. Gute- kunst (Stuttgart, 20. Mai 1901 Nr. 649: ziemlich farblos aber sonst gut: W.c= Kartusche mit „Colle in Toscana“; um 1090 Mk. an R. Gutekunst in London); Verst. Halle (München, rr. Nov.rgor Nr.371 um Mk. 1650); J. Rosenthal (München, bot 1902 ein Exemplar für rooo Mk. aus); Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, ro.Juni 1902 Nr. 4554, sehr schlechtes, aufgesogenes Exemplar um 815 Mk. an Bihn in Paris); Verst. Theobald (Stuttgart, 13. Mai 1910 Nr. 401, ziemlich farblos, W. Colle in Toscana; wahrscheinlich das Exemplar Verst. Gutekunst 1901: um Mk. 390 an Muller, Amsterdam); Verst. Halle (München, as April 1911 Nr. 438 um 7150 Mk.); Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22. Mai 1911 Nr. 120: um 2900 Mk. an Soelke; Nr. 8478 im 2. Bd. meines Lanna Kataloge); Verst. F. R. Halsey III (Anderson, N.Yk., 11. Dec. 1916 Nr. 236, aufgezogen und ganz úbermalt, vielleicht das Ex. der Verst. Amsler & Ruthardt 1902)

Boston, Smig. Marrs (nur 473:397; W. = Gori Livini e Compagni); London (sehr stark und schlecht bemalt; mit der Nummer, um 2 47. 5. durch Colnaghi auf der Verst. Gutekunst, Stutt- gart, 14. Mai 1899 Nr. 503 erworben); Paris; Wien (sehr schöner Druck, unbemalt; wie die meisten Exemplare ohne die Nummer)

445 Justus Lipsius und seine Schüler nach dem Gemiilde des P. P. Rubens in der PittiGal. Nr. 85

An einem mit Büchern belegten Tisch sitsen Philipp Rubens, Lipsius und Grotius: 1. steht Pieter P. Rubens. Im Hintergrund I. ein Vorhang, mittlings Blick auf eine Landschaft, r. in einer Nische eine Seneca Büste: usw. Die Einzelheiten des Originals sind beachtet, jedoch sind die Typen durch mangelhafte Zeichnung verschlechtert, usw.

Bes. (wahrscheinlich im Unterrand: siehe unten) Von den vier (geschabten) Farbenplatten: Pl. und B. 500: 448

Verst. Halle (München, 13 Nov. 1900 Nr. 499 um 55 Mk., stark bemalt, ohne Rand und auf- gezogen: auf der Unterlage stand mit Tinte ,P. P. Rubens inv: e dip: esiste nel Real P. de Pitti di Firenze FILOSOFI ~~ Lasinjo inci: a colori. Labrelis impre“); Verst. Amsler & Ruthardt (Berlin, Juni 1903 Nr. 639a um 340 Mk. an Gasch: stark, besonders mit Rot aber geschmackvoll bemalt und auf Leinwand aufgezogen: auf dem Papierrand stand in alter Tinte, ,Pietro Paolo Rvbens in: e dip: esiste nel Regio Palazzo Piti di Firenze Lasinio del. e inci. Labrelis | P. P, Rvbens A Filippo suo fratello Givsto Lipsio A Vgo Grozio“: dann, aber von der Leinwand abgenommen, so daß das W. == Schild mit Gori Livini E Compagni sichtbar wurde, auf der Verst. Theobald bei Gutekunst in Stuttgart, 13. Mai 1914 Nr. 400 um 290 Mk. an Muller in Amsterdam); Vorst. Gilhofer u. Ransch- burg (Wien, 25. Apr. 1904 Nr. 322, auf Leinwand gesogen, bemalt, um 300 Kr. zurückgekauft); Verst. Helbing (München, 12. Márz 1906 Nr. 1140, ohne Rand und aufgezogen); Libreria Mascelli (Florens, 18. Feb. 1909 ein miserables, bemaltes Exemplar um 20 lire ausgeboten)

. Berlin; Berlin, Smig. Dr. Cornelius Leewe (n. Angabe des Besitzers hdechr, bezeichnet „P. B. Rubens Filippo suo fratello Giustio Lipsio Ugo Grozio | Rubens f. esiste nel Regio Palazo Pitti | di Firenze | Lasinio del: e incize": vor 1896 erworben)

446 Francesco Petrarca nach einem Gemilde des Simone Memmi in Florenz.

Brustbild nach r. Er zeigt ein hageres glattes Gesicht, mit weißem Kopftuch und Lorbeerkranz darauf. Sein roter Kapusenmantel ist grün gefüttert. In seiner L. hält er eine Papierrolle auf der eben ,AVRA" su lesen ist. Eine Steinumrahmung umgibt das Bildnis, mit einer neunseiligen Schrift: „Francesco Petrarca | Nacque in Arezzo | | | | modello della Lirica Italiana Poesia. | Copiata da un ritratto di Simone Memmi esistente nel Cappellone di S. M. Novella | Angelo Volpini dis; Lasinio incise | In Firenze presso la Società eee con Real Privilegio“

Bes. wie angegeben `

Radiert und punktierter Binplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 3ı1:303 B (ohne Um- rabmung) 201: 148

Seitenstück zu den Boccaccio und Allighieri Bildnissen.

Bresiauer und Meyer (Berlin, 4. Aug. 1904, ein guter Druck um зо Mk. " Verst. O. v. 3. Mühlen (Berlin, Amsler & Ruthardt, 25. Mai 19r4 Nr.1596 um 30 Mk.)

REZENSIONEN eo

STRZYGOWSKI, JOSEF, Altai-Iran und Völkerwanderung. Ziergeschicht- liche Untersuchungen über den Eintritt der Wander- und Nordvölker in die Treib- háuser geistigen Lebens. Anknüpfend an einen Schatzfund in Albanien. Mit 229 Abb. und ro Lichtdrucktaf. Leipzig, Hinrichs, 1917.

Die Kunstgeschichte im landläufigen Sinne, wie sie uns in Handbüchern und Vorlesungskatalogen vor Augen tritt, ist im großen und ganzen auf jene künstlerischen Hervorbringungen eingestellt, die im Gebiete zwischen dem 2o.und dem 40.? n. Br. ihre Entstehung dem menschlichen Geiste verdanken und deren Ausstrablung sich noch etwa dem so. Breitegrade nähert, doch durchwegs im Banne dieser südlicheren Kulturen steht, biet des Wendekreises des Krebses, dessen rei- fende Wärme den handeinden Menschen, das Drama zeitigte und als seelisches oder sachliches Geschehen in den Mittelpunkt der bildenden Künste rückte. Der Begriff des Ästhetisch-Schönen ist bier mit dem Geschehen aufs engste verwoben; die nimmer ruhende Göttin Maja erscheint da als Lebensideal und selbst das seligmachende Kef dient nur als äußere Beruhigung, um dem Geiste umso größere Freiheit der Phantasia gógnen zu können. Die Verkörperung dieses Lebensideals erkennen wir ebenso in den wild wogenden Skulp- turen indischer Tempelgrotten, wie in den dra- matischen Mysterien Agyptens oder den Kory- bantenaufsügen der klassisch-antiken Welt, oder aber auch in den fratzenhaften Göttererscheinungen des Balkans von Amerika: Mexiko. Tritt auch nun in diesem Weltenstriche eine Differenzierung nach Längegraden ein: das Gefühl für das T'iefen- sehen der Plastik bleibt unverändert und es ent- steht ein, das Dramatische auch im Formalen ausbildendes Schónheitsideal, das sich auf Ver- einigung, auf die Einheit zuspitst.

In dem Striche zwischen dem so. und 60. Breite-

grade, natürlich hier und da auch gegen den 40. Grad zu ausstrahlend, erkennen wir dem gegen- über in historischer Nähe andere Kulturen, die andere Lebensideale zu Voraussetzungen haben. Anstatt der dramatreibenden Kraft eines vereini- genden Prinzips finden wir hier eine zersetzende Tendens im Vorherrschen, deren soziale Aus- prägung unter dem Namen des Totem bekannt

ist. Es ist die einzige soziale Form der noma-

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Es ist das Ge-

disierenden Vülker, ob wir sie in Europa, Asien

oder Amerika unter dem besagten Himmelstriche suchen. Der Eber und die Ente der keltischen Nomaden, der Hirsch, der Adler und der Bär bei den Wandervölkern Zentralasiens, und der ganze totemistische W'appenlexikon der Indianer sind die. Zeugen dieser sozialen Einrichtung. Das Totem ist zugleich der epische Kern sämtlicher geistiger Erzeugnisse dieser Gebiete, während die Darstellungsform am Zweidimensionalen, am grü- beinden Zeriegen und Zergliedern der gegebenen Rahmen- oder Natureinheiten in das Prinzip der Flächenbildung haftet. Wie ihr Leben selbst, so zerklüftet, grenzenlos und sonder Beengung er- scheint auch die Kunst dieser Völker: os ist das

klassische Gebiet des Nomadenteppichs mit dem

endlosen Muster, des Tiergeringels der germani- schen wle der nordchínesischen Kunst, und der Textilornamentik der Indianerdecken,

Andere Ideale verlangen andere Beurteilung. Unser, seit zweitausend Jahren auf das südliche Kunstideal eingestellte Auge, verlernte die Schön-

. heiten der ebenso lebensberechtigten nordischen

Wesenheiten zu erkennen, ja, es verhinderte во- gar das einfache objektive Erkennen jener künst- letischen Vorstöße, die die südlichere (in Europa) Mediterrankunst seitens der Nordkulturen zu er- leiden hatte. Im Sichtkreise unserer geschicht- lichen Kenntniese war der bedeutendste dieser Vorstöße derjenige, der sich in der Zeit um Christi Geburt am europäischen Kontinente abspielte. Die Kunstforscher erkannten schon verhältnismäßig früh das Hereinbrechen einer, dem klassisch- antiken Formprinzip fremden, mit dem heran-

reifenden Mittelalter Schritt haltenden Natur-

anschauung, und es fehlten auch die verschiedenen Erklärungs versuche nicht. Der eine suchte diese Anderung durch das Verringern der plastischen Kraft der antiken Kunst zu erklären; der zweite: in dem ganzen Dahinsiechen der klassischen Kultur; der nächste wieder durch den Einfluß der ost- mediterranen Gebiete in spätantiker Zeit, usf. Die einfache geschichtliche Tatsache, daß schon zu römisch-republikanischer Zeit das im Sinne der Nomadenkunst zersetzende Element des Kelten- tums in das antike Gebiet eindrang und von Nord- westfrankreich ausgehend in einer Diagonale bis nach Kleinasien seBhaft wurde; und die andere, daß seit der römischen Kaiserzeit, ja, seit der Skythenzeit, immer mehr zunehmend, ein starker Strom aus dem Herzen Asiens, aus türkischen

Gebieten sich über Europa, über dessen südliche Ausliufer die Ursitze der mediterranen Kultur ergoB, diese beiden primitiven Tatsachen schienen sich bisher der Kenntnis unserer Kunstforscher entzogen zu haben. Und doch liegt darin der Größtteil jeder möglichen Erklärung jenes Wan- dels, den wir im Gegensatz zur Antike ge- meinhin als Mittelalter bezeichnen!). Bewahr- heitet sich das bekannte Wort von der Kunst: ein Stück Natur durch ein Temperament gesehen, so bedeutet eben Temperáment in diesem Sinne nichts anderes ais die Bedingtheit des Menschen- geschlechts durch denjenigen Weltenstrich, unter dem es wohnt, und der gewisse Prádispositionen der Naturanschauung heranbildet; veründert ein Teil der Menschen seine Sitze, so bringt er seine frühere, einem anderen W eltenstriche entsprechende Naturanschauung mit; es findet ein Temperament- wechsel statt (im gegebenen Falle ist dafür der landläufige, wenn auch nur teilweise richtige Aus- druck: Annehmen der rómisch-christlichen Zivili- sation) und nach mennigfachem Hin- und Her- wogen ist eine Überhandnahme des einen oder anderen Temperamentes nacbzuweisen. Es ent- steht eine synkretistische Kunst, in der aber unter den neu angenommenen Formen die früheren Prädispositionen noch Jahrhunderte hindurch zu erkennen sind. Das Linkische in der Plastik des frühen Mittelalters erklärt sich durch die Über- wucherung der zweidimensionalen Anschauung des Nomadenauges durch das plastische Wesen eines südlicheren Weltenstriches: die Veranlagung ist aber wenn auch immer mehr abgeschwächt auch nach Jahrhunderten noch in der graphi- schen Art der germanischen Völker, und der or- namentalen Art der europäischen Aniranier (Ma- gyaren, Bulgaren, Türken) zu erkennen. Die Durchdringung ist aber beiderseitig, und wenn das keltische Nomadentum schon zur Latenezeit in der italischen Halbinsel, am Balkan und in Kleinasien (abgesehen natürlich von den galli- schen Gebieten) eine zweidimensionale Verzierungs- kunst in die Hóhe brachte, so bedeutet die Völker- wanderung für die südlicheren Gebiete einfach ein Überrennen durch wesensfremde Kunstart, für die ein schlagender Beweis in der lombardi- schen Kunst und deren späteren venezianischen Nachblüte vorliegt.

Dieses Ringen zwischen den Temperamenten (in diesem geobiologischen Sinne) verschiedener

Naturanschauung bildet den (unausgesprochenen)

(з) Der Unterseichnete verwies hierauf in einem Aufsatze im 41. Jahrgang der „Österreichischen Monatsschrift für den Orient" (1915, S. 77, 88):

Untergrund von Str.s neuestem Buche, das schon in der Ausstattung und Aufmachung mit der Pri- tension der übrigen Fahnenwerke dieses Forschers (Orient oder Rom, Kleinasien, Amida) auftritt. „Der einst mit »Orient oder Rome und »Hellas in des Orients Umarmung« begonnene Kampf geht also, auf größere Raum- und Zeitgebiete aus- gedebnt, weiter,“ sagt Str. selbst, und bekennt sich auch damit zu seinem Leitideale zurück, wo- nach nur das durch Irrungen durchdrungene Wahr- heitsuchen den Namen der Forschung verdient. Dieses Suchen, das ihn bei der Erforschung der Grundlagen unserer mittelalterlichen und neueren Kunst einst in das byzantinische und koptische Gebiet, dann nach Syrien und dem Irak führte, in weiterem rastlosen Erkenntnisdrange aber nach Iran, Indien und selbst bis China leitete und bei dem allen eine Menge neuer und gährung-bilden- der Ergebnisse für das Studium der Kunstgeschichte erbrachte, inzwischen auch den Ausbau einer Systematik ermöglichte, dieses durch Einzel- forschungen geläuterte Suchen führte nun den verdienten Wiener Forscher dahin zurück, wo er intuitiv schon vor Jahren stand, als er in den Preußischen Jahrbüchern für die Wichtigkeit des Studiums der Völkerwanderungskunst eintrat.

Den tatsächlichen Ausgangspunkt bildet für ihn diesmal ein einheitlicher Fund, der in Albanien zutage kam, dann aber leider im Marktwege zer- streut, später hinwieder zum größten Teil durch den verblichenen Morgan sen. für seine eigene Sammlung angekauft wurde. Mit einer brillanten Stilkritik werden die einzelnen Schichten dieses im ganzen 4r Stücke zählenden Schatzfundes, der sich somit zu Recht mit den großen Schatzfunden der Völkerwanderung vergleichen läßt, voneinander geschieden. Es sind das vor allem vier Gold- pokale, zwei Goldschalen, eine Goldschale. mit ornamentiertem Griff (die aber stilistisch eigent- lich zu den später anzuführenden Schmuckstücken gehört), zwei einfache, tektonische Goldscheiben; dann ein Silberkessel (ähnlich dem Taufkessel im Ung. Nationalmuseum), eine Silberschale mit Griff, ein Silberkrug mit mittelgriechischen Inechriften und Monogrammen; endlich eine Reihe von gol- denen Schmucksachen, von denen vierzehn einer besonderen Ornamentik entbehren, fiinfzehn aber eine charakteristische Rankenornamentik, und ein Stück einen Greifen in Durchbrucharbeit aufsu- weisen hat. Daß wir es hier mit einem Werk- stattfunde zu tun haben, beweist der Umstand, daß mehrere der Schmucksachen noch im Roh-. gusse (ohne Ziselicrung), mit den daran haften- den GuBkuchen, vorhanden sind und дай sich in.

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dem Funde auch ein roher Goldbarren, mehrere Golddrahtstücke und goldene Nägel befanden. Für Str.’s neues Werk ist nun diese letztere Gruppe mit der Greifen- und Rankenornamentik ausschlaggebend. Ihrer Versierung nach gehört die Gruppe streng mit jenen Stücken aus unga- rischer (und seltener österreichischer) Erde zu- sammen, die unter dem Namen der Keszthely- kultur in der Fachliteratur bekannt war; wenn aber die letztere ausnahmslos aus Bronzeobjekten bestand, so ist es umso auffälliger, daß die alba- nischen Stücke durchwegs aus Gold verfertigt sind. Str. unternimmt es nun, diese Art von Rankenornamentik, für die er den sehr bezeich- nenden Namen der „Kreislappenranke“ verwendet, nach Innerasien zurückzuleiten und sie in dieser Folge nicht als ein vegetabiles, sondern als ein geometrisches Verzierungselement anzusprechen.

Es muß erwähnt werden, daß diese sehr bezeich- nende Art von Ornamentik nur in einem streng umschlossenen territorialen Gebiete und Zeitab- schnitte vorkommt. Der letztere wird durch Münz- fande auf die Zeit zwischen 450 und sso datiert; das Fundgebiet wird aber durch sechs größere Fundgruppen in Transdanubien umschrieben, außer dem nur hie und da einige zerstreute Funde an der Theißlinie und in Österreich nachzuweisen sind. Außer diesem Gebiete (und nun dem albanischen Schatze) ist die Gruppe sonst weder in' Europa, noch in Asien nachzuweisen; nur die Greifenorna- mentik scheint an der Kaukasuslinie bekannt ge- wesen zu sein. Dieses Zeit- und Fundgebiet ent- spricht aber vollständig der Gepidenherrschaft, der dann das awarische Reich an den Fersen folgte. Es scheint mir sonach, daß der albanische Schatz aus der Werkstatt eines awarischcn (für die ja das protzige Verwenden des Goldes bezeichnend ist) Goldarbeiters herstammt, wodurch auch die andere Schicht des albanischen Fundes als Raub- und erklärt werden dürfte. Die Awaren drangen, bekanntermaßen, bis nach Albanien vor, wo man in den heutigen Morlaken Awarennachkommen ver- mutet. In diesem Gepidengebiete tritt nun in der Rankenornamentik auch eine andere Schicht her- vor, die in der Rankenführung und in der Ausbil- dung der Rankenblüten eine ausgesprochene florale Tendenz aufzuweisen hat. Es wäre daher anzu- nehmen, daß Str.’s Annahme einer geometrischen Ranke insofern eine Änderung erleiden könnte, daß man eine neutrale Urform der Ranke annimmt, die sich im zentralasiatischen Gebiete einesteils in eine geometrische, anderesteils in eine florale Orna- mentik spaltete. Auf jeden Fall gesichert bleibt aber das. Ergebnis jener glänzenden Herableitung

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Str. 6, die ihre Belege auch in den historischen Tatsachen findet, daB die islamische Arabeske eine ihrer Vorstufen in der türkischen Rankenornamen- tik Zentralasiens hat, Die Weinranke, der Str. einst die Mschatta-Arbeit widmete, erhált in dieser Folge ihre ornamentgeschichtliche Ergünzung. An- dererseits versteht es aber Str. meisterhaft, daB bisher aus Sibirien und Zentralasien bekannte, recht spürliche archaeologische Material zu einem leben- digen Bilde der Kunstübungen dieser nórdlicheren Striche zu vereinigen: ein recht willkommenes Unter- nehmen für diejenigen Forscher, denen das rus- sische, finnische und schwedische Material nicht recht zugänglich ist. Auch verdient die vorläufige Veröffentlichung der Ergebnisse jener Chorasan- expedition Erwähnung, die das kunsthistorische Institut an der Wiener Lehrkanzel Str.'s unternahm, und der die Wissenschaft außer den mannigfal- tigen, für die Genesis islamischen Kunst wichtigen Entdeckungen auch die Bekanntmachung der prächtigen Inschriftenfriese von Chargird und Säng- bäst verdankt. Grundlegend ist weiters die Stellung- nahme Str.’s zur bekannten Keilschnitt- Theorie Riegis —, der diese Technik bekanntlich für die römische Antike in Anspruch nahm; mit scharfer Diakrise erkennt Str. den Vorläufer dieser zwei- seitig arbeitenden Technik in der einseitig arbei- tenden, auf Glanzwirkung hinzielenden „Schräg- schnitt“. Technik Zentralasiens, und bringt hiefür schlagende Beweise (vgl. das Tier aus Kelermes) aus dem ostskythischen Gebiete. Ebenso erfahren die bisherigen Annahmen in Bezug auf die beiden anderen Grundelemente des Vélkerwanderungs- stiles: der Zellenverglasung und des Bandgeflechtes durch das neue Werk eine Neuorientierung. Über Dalton hinweggreifend, der die ,,inlaid jewellery bis an die Oxuslinie verfolgte, geht nun Str, weiter. und bringt Tatsachen für die natürliche Annahme des indischen Ursprunges dieser Technik bei; das Bandgeflecht hinwieder, samt der Durchbrucharbeit des frühen Mittelalters und der polygonalornamen- tik der Moslim wird auf ein Gebiet surückgeführt, das bei Vorführung des interessanten Koökar- Schatzes in der Eremitage etwa durch das Gou- vernement Semirjeátensk zwischen Pamir und Altai, an den Hängen des Tien-šan, die durch Str. so- genannte „sakische‘ Ecke (Kreusungsstelle zwischen eranischen und aniranischem Wesen) umschrieben wird, „Die Hauptsache ist, sagt Str. —, daß die Kunsthistoriker in jener Gegend zum Spaten greifen- Ich möchte auch hier wieder betonen, daß wir zu wenig mit der neben den Treibhauspflanzen am Nil, am Euphrat- und Tigrisgebiete und in Hellas d. h. neben der Kunst des „Altertums“ bestehen-

den Art der Nomaden- und Nordvëlker rechnen —, die trotz der hohen Kultur des Südens weiter lebt, ihren Brennpunkt in Mittelasien hat und nach der vorübergehenden Blüte der darstellenden Kunst um das Mittelmeer herum bei den Germanen und im Islam zum Vorschein kommt“.

Wenn wir auch nicht in Allem den ethnisch- philosophischen Ausführungen Str.'s, die an diesem Punkte einsetzen, zu folgen vermögen; wenn wir insbesondere die Gleichung der Saken-Jranier be- stroiten müssen (da Saka die Einzahl von Sk yth ist, von welch letzteren aber Str., ja selbst annimmt, daß sie Turkvélker, also Aniranier, Turanen sind), und folglich im Grundprinzipe der ethnischen Zu- teilung und der damit eng zusammenhüngenden Kulturbewertung entgegengesetzter Meinung sind —, sO müssen wir trotzdem mit Bewunderung jenen idealistischen, hohen Schwung anerkennen, womit Str. seiner Weltanschaunng Ausdruck verleiht. Wie aus Erz gehämmert, fest und herb erklingt seine Erklärung: „Für die Bewegung, die hoffentlich jetzt mit dem Kriege einsetst, werden nicht die örtlich und zeitlich eingeschachtelten historisch-phi- lologischen Spezialisten in Betracht kommen, son- dern Fachleute, die den Erdkreis im Auge haben und über Religion ohne konfessionelle, über Staat und Recht ohne politische, über Kunst, Wirtschaft, Technik usf, ohne die europäische Schranke arbei- ten, Fachmänner, die neben der üblichen, „gelahr- ten‘ Arbeitsweise der Universitäten und Akademien, soweit die geisteswissenchaftliche Richtung in Betracht kommt, zunächst einmal über das Wesen ihres Fachs nachgedacht und auf dem Wege der vergieichenden Methode gelernt haben, die Ergeb- nisse der historisch-philologischen und philosophi- schen Arbeit fachgemäß, d. h. ihrem Wesen nach, su ordnen, entwicklungsgeschichtlich aufzubauen und für das Leben nutzbar bereitzustellen. Sie werden ebenso wie die Naturwissenschaften, For- schungsinstitute brauchen. in denen induktiv ver- arbeitet wird, was ais Fach-Tatsache kritisch fest- gestellt worden ist. Ihr Ziel wird die planmäßig geordnete Vorführung von Möglichkeiten des We- sens und der Entwicklung sein, die sie dann im Sinne der angewandten Forschung in den Dienst der Gegenwart stellen, Damit im Zusammenhang wird in Zukunft als Maßstab für die Auswahl der goisteswissenschaftlichen Probleme deren Lebens- wert, vor allem in der Richtung deutsch-arischer Eigenart und sittlicher Freiheit, mitzusprechen haben.“

., *

Der Verlag brachte das Buch trotz der schwie-

rigen Kriegezeiten in einer, der Bedeutung des

Werkes vollauf Rechnung tragenden Ausstattung heraus; ein Umstand, der in den heutigen Tagen einer besonderen Erwühnung bedarf.

| Supka- Budapest.

O. Frhr. v. HADELN, Das Museum au pauvre diable zuMaubeuge, Stutt- gart, J. Hofmann, 1917.

Maubeuge, die nette, kleine Festung aus dem 18, Jahrhundert, mit ihren friedlichen, baumbestan- denen Willen, ist durch den Krieg zu einem reig- vollen Museum gekommen. Es ist erstaunlich, was hier ein geschickter Architekt aus der Un- gunst winkeliger, niedriger Räume in einem alten Warenhaus gemacht bat. Durch Einziehung eini- ger Wünde sind wohnliche Kabinette geschaffen, von deren Hchten Bespannungen die Bilder fest- lich heiter herabblicken. Im Auftrag eines Armee- Oberkommandos hat Hadeln einen Katalog ge- schrieben, der in rund so Abbildungen eine Aus- wahl der Pastelle La Tours und der übrigen Kunst- werke bringt. In kritischer Würdigung führt Hadeln durch den ausgestellten Kunstbesitz. Die weiß- gestrichene Holzfigur einer Badenden aus Schloß Coulaincourt spricht Hadeln als Vorstufe zu der Statue Falconets im Louvre an. Dann müßte Fal- conet sein Propo:tionsgefúbl von Grund auf ge- ündert haben, Ein anderer Geist dokumentiert sich in dieser Figur mit ihrer kühlen Gemessen- heit, Kein Zweifel: es ist ein Werk des Empire, Einige Pastelle, wie das Bild der Tünserin Puvigné (Nr. go) sind von kräuseinden W asserstrichen durch- laufen, untilgbare Reste aus der Zeit, wo die fran- sósische Verwaltung in St. Quentin die Bilder im Keller vor den Deutschen verbarg, auf andern Bil- dern aber (Nr.35, 37, 91 u. a.) aber sind die meist auch nur am Rand auftretenden Schimmelflecke bis auf gans schmale Wasserlinien zurückgegangen, so daß ich glauben möchte, hier habe schon vor 1914 einmal Feuchtigkeit eingewirkt.

Im Felde. Kurt Gerstenberg.

RUDOLF METZGER, Die dynamische Empfindung in der angewandten Kunst. Ein Beitrag zur künstlerischen Gestal- tung der Technik. Mit 56 Abbildungen Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1917.

Als Leitsatz stellt Metzger seiner Broschüre einen Brief von Klinger voran, der davon ausgeht, daB jede Zeit, die ihren eigenen Stil hat, ,auch ihre eigene, ganz absolut eigene Vorstellung und Darstellung der menschlichen Figur batte." Auf

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dieser Grundlage baut sich alles übrige auf, ,ob das nun Haus sei oder Kaffeetasse, ist völlig gleich." Sie haben ihren eigenen Charakter, vorausgesetzt daß die betreffende Generation ihre eigene Kórper- vorstellung hat.

Im ersten, dem theoretisch-philosophischen Teil analysiert. der Verfasser Wesen und Ursprung der Empfindungen, im sweiten, der ,praktischen An- wendung*, wird die gewonnene Erkenntnis, даб der Mensch das Май aller Dinge sei, an Dingen aller Art, an Wagen, Säulen, Stützen, Brücken- bogen, Auslegern von Kranen, Dachkonstruktionen

usw. erhärtet. Die Abbildungen haben keinen Eigenwert; trotz ihres winzigen Maßstabes unter- stützen sie Metzgers klare präzise Ausführungen auf das Glücklichste. Aus der anregenden Schrift spricht der Glaube an die treibenden Kräfte un- serer Zeit. Metzger glaubt, der Augenblick für die Technik sei gekommen, wo „jeder so ver- traut ist mit dem Kräftespiel der neuen Konstruk- tionen und Materialien“, daß er „die Maschine sich sosial untertan machen kann“ und nach „Mög- lichkeiten suchen wird, Persönliches auszudrücken.“

Rosa Schapire.

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RUNDSCHAU WC

DER CICERONE.

X, 1/2.

F. ROH: Ein never P. Bruegel. (2 Abb.) HANS HILDEBRANDT: Die Sammlung Kirchhoff in Wiesbaden. (7 Abb.)

HERMANN UHDE-BERNAYS: Karl Voll,

X, 3/4.

WALTER BOMBE: Die Sammlung Dr. Richard von Schnitzler in Cöln (Schluß). (14 Abb.)

H. FRIEDEBERGER: Werke deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts. Ausstellung bei Fritz Gurlitt. (1 farb. Taf, ro Abb.)

DIE RHEINLANDE.

XVII, 12. DOROTHEA STERN: Mittelalterliche Wand- gemälde aus dem Großherzogtum Hessen, (17 Abb.)

DIE KUNST.

XIX, «4.

IGNAZ BETH: Die Herbstausstellung der Ber- liner Sezession, (13 Abb.)

L. F. FUCHS: Granitne Denkmäler.

H. A. SCHMID: Bócklin und die alten Meister: L Der junge Böcklin. (rr Abb.)

AUGUST RODIN 1.

PAUL EHRENBERG: Der Radierer Frits Pauli. (10 Abb.)

HERMANN MUTHESIUS: Zwei Bauten: 1) Herren- haus Wendgräben bei Loburg. 2) Haus Wild, Nikolassee. (2 Taf, 17 Abb.)

JOSEPH POPP: W. Nida-Rüme lin. (23 Abb.) XIX, 5.

L BETH: Werke deutscher Künstler im Kunst- salon Gurlitt-Berlin, (1 farb. Taf, 12 Abb.)

K. SCH.: Wilhelm Trübner f. (r Abb.) MAX OSBORN: Franz Metzner. (1 Taf., 14 Abb.)

L BETH: Die groBe Berliner Kunstausstellung 1917. IL Teil, (6 Abb.)

R. BRAUNGART: Kari L. Voss. (6 Abb.)

Q.J. WOLF: Gobelin-Entwürfe von Th. Th. Heine. (r farb, Taf., 7 Abb.)

MAX EISLER: Oskar Strnad. (r Taf, 9 Abb)

G. J. WOLF: Das Bamberger Klerikal- Seminar, (7 Abb.)

KUNST UND KUNSTLER. XVI, 4. ZWEI DEUTSCHE MÁRCHEN mit Illustrationen

von Max Slevogt und Leopold von Kalkreuth. (9 Abb)

MAX v. BOEHN: Das Bühnenkostüm in Mittel- alter und Neuzeit. (x farb. Taf., 16 Abb.)

KARL SCHEFFLER: Walter Bondy. (8 Abb.) KARL SCHEFFLER: Ernst Barlach. (r Abb.)

*

dam.

DEUTSCHLANDS KUNST.

Zeitschrift des Bundes der Freunde deutscher Kunst. 1917, I.

HANS THOMA: Deutschlands Kunst.

ROBERT VOLZ: Deutsche Kunst im Zeitalter der Reformation. (26 Abb.)

ARTHUR DOBSKY: Der Monumentalbrunnen in Buenos Aires. (9 Abb.)

O. v. FRITZ: Die alten Bauten in Lemgo. (8 Abb.) F. A. GEISSLER: Zur Verwilderung der deutschen Kunst.

ARTHUR DOBSKY: 101 Exlibris von Prof. Bruno Heroux. (a Abb.)

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REPERTORIUM FÜR KUNSTWISSEN- SCHAFT.

XL, 5/6.

KARL LOHMEYER: Domenico Egidio Rossi und seine Schloßbauten in Deutschland. (15 Abb.) F. ROH: Venus und Adonis bei Rubens. (3 Abb.) ERICH RÓMER: Materialien zur Dürerforschung. (2 Abb.)

HANS MACKOWSKY : Karl Frey +.

JOSEF KREITMAIER S. J.: Zur Datierung und Geschichte des großen jüngsten Gerichts von Rubens.

LUDWIG v. BALDASS: Der angebliche Anteil des Veit StoB an den Erzfiguren des Innsbrucker Grabmals. Eine Berichtigung. |

ERNST EHLERS: Ephrussis ,Etude de fleurs" von Dürer. (r Abb.) i WINFRIED LÜDECKE: Mengs-Bibliogrsphie.

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. KUNSTSAMMLUNGEN.

XXXIX, 4.

M. J. FRIEDLAENDER: Uber Antwerpener Glas.

malerei in der ersten Hülfte des 16. Jahrhunderts. (a Abb.)

F. SCHOTTMÜLLER: Arbeiten von Giuliano da Majano. (5 Abb.)

OUDE KUNST. Ш, 4. M. W. de VISSER: De Genji Monogatari. (4 Abb.)

J. O. KRONIG: Een portretgroep door Barent Fabritius. (x Taf.)

HERMAN F. E. VISSER: Een zestiende-eeuwsch portret van een onbekend Meester. (2 Taf.)

W. ZUIDEMA: Nog eens chineesche Schimmen.

J IMA BLOCK: Tentoonstelling van perzisch-indische

Miniaturen in's Rijks-Prentenkabinett te Amster- (a Abb.)

79

N E U E B Ü C H E R ла ß ĩ 8

EUGENE DELACROIX, Briefe I, 1813 1346. Deutsch von Wilhelm Stein. Benno Schwabe & Co. Verlag. Basel 1918.

TRÜBNER, Des Meisters Gemälde in 450 Ab- bildungen. Herausgegeben von Jos. Aug. Beringer. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1917.

-

Prof. ALBIN MULLER (Mitglied der Künatler- kolonie Darmstadt): Werke der Darmstidter Aus- stellung 1914 und andere Arbeiten. Mit Vorwort von Prof. Dr. G. Biermann. Verlegt bei Karl Peters, Magdeburg. 9o Tafeln in groß 4°. Geb. M. 31.50.

XI. Jahrgang, Heft 2/3.

Herausgeber u. verantwortL Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im Felde. Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINK- HARDT & BIERMANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftieitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Elisebetbstr. 51. | In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr.65.

Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.

Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- . stimmten Mittellungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland- straße 158 zu richten.

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

Tafel 9

Abb. 1. Entwickelt schwarzfigurige Hydria Nr. 1897 der Berliner Vasensammlung: Anschirren eines Rennwagens

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Abb. 2. Teller des Hischylos. Berliner Vasensammlung Nr. 2100

Abb. 3. Reif schwarzfigurige Amphora. Münchener Vasensammlung Nr. 1416: Tänzer und Musikanten

Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON IRÓTFIGURIGEM STIL M. f. K., XI, 2'3

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Abb, 4. Streng rotfigurige Amphora des 'Ev9vuidrs ó [oiov der Münchener Vasensammlung. Aus- schnitt aus dem Reversbild: Tanzender Mann

Abb. s. Attische Kanne aus jüngerer schwarzfiguriger Zeit mit zylindrischer Abb. 7. Attische Kanne mit Kleeblatts- Abb. 8. Attische Kanne mit zylindrischer

Mündung: Fischbereitung mündung der Berliner Sammlung: Mündung: Ringkampt von Peleus u. Thetis Berliner Vasensamml. Saal XII. Nr. 1915 Gymnasiumsszene BerlinerVasensamml. Saal XII. Nr. 4000.

Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL

M. f. K., XL, 2/3

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Tafel 12

Abb, 12 und 13. Amphora der Sammlung Bourguignon in Neapel: Krieger mit Gefallenen. Eos mit der Leiche des Memnon.

Abb. 14. Spät schwarzfigurige kleine Am- Abb. 15. Spat schwarzfigurige kleine Am- Abb. 16. Spát schwarzfigurige kleine Am- phora der Berliner Vasensamm!]l. Nr. 1837: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1837: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 3995: Athena-Geburt Peleus und Atalante im Ringkampf Amazone zu Pferd und Amazone zu Кий

Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL

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Abb. 18. Spat schwarzfigurige kleine Am- Abb. 19. Spat schwarzfigurige kleine Am-

Abb. 17. Spat schwarzfigurige kleine Am- hora der Berliner улеш Nr. 3995: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1839: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1839: , mazone als Lenkerin eines Viergespanns Reitende Amazone mit Handpferd und Reitende Amazone mit Handpferd und ! Hund zieht nach rechts Hund zieht nach links

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e =— Abb. 22. Panathenäische Preisamphora der Abb. 23. Panathenäische Preisamphora der Berliner Vasensammlung. Berliner Vasensammlung. Reversbild: Wettläufer Reversbild: Wettrennen

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Abb. 2o. Kopftypus von der Scherbe einer panathenaischen Preisamphora.

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Akropolis-Museum Athen Abb. 21. Fuß mit Gewandstück auf einer Scherbe (nach Botho Graef, Die antiken Vasen von des Akropolis.Museums Athen der Akropolis zu Athen Berlin 1911, Heft II, (nach Botho Graef, Die antiken Vasen von der Akropolis Taf. 64, Nr. 1126) zu Athen, Berlin 1911, Heft II, Taf. 54, Nr. 859a)

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Abb. 26a und 26b. Vasenscherbe aus dem Kabirion im Nationalmuseum zu Athen: Mänaden und flótenspielender Silen.

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Abb. 27. Vasenscherbe aus dem Kabirion im Nationalmuseum in Athen: Symposion

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Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL

M. f. K., XL, 2 3

Tafel 15

Abb. 24. Spätschwarzfigurige, krateráhnliche Amphora der Berliner Sammlung: Fischer und Fischerknabe

Abb. 25. Spátschwarzfigurige, krateráhnliche Amphora der Berliner Sammlung: Fischer mit Thunfischen

Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL

M. f. K., XI., 2/3

Tafel I6

Abb, 1. Jean Robert: Christus am Kreuz nach dem Gemälde von Delobel (Nr. 32)

Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS

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Tafel 17

Abb. 2. Jean Robert: Die heilige Jungfrau (Nr. 33)

Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS

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Tafel 18

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Abb. 3. Lasinio: Madonna mit dem Kind nach einem Lionardo zugeschriebenen Gemälde (Nr. 429)

Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS

M.f.K., XL, 2/3

Tafel 19

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Abb. 4. Lasinio: Die Venus mit dem Hündchen nach dem Gemälde Tizians in den Uffizien (Nr. 431)

Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS

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Tafel 17

Abb. 2. Jean Robert: Die heilige Jungfrau (Nr. 33)

Zu; HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 4

ABHANDLUNGEN

OTTO GERLAND, Zwei Altarfifigel nach Albrecht Dürers Marienleben. Mit 4 Abbildungen auf 2 Tafeln S. 81

ROBERT WEST, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassen- kampfes innerhalbder abendlindischen Kulturwelt S. 87

JOSEF STRZYGOWSEI, Der Zustand unserer fachmännischen Beurteilung

S.ror

MISZELLEN August L. Mayer, Cipper, genannt Todeschini, als Pseudo-Spanier. Mit 6 Abbildungen auf 3 Tafeln... 2.9 o nn S. 106

A.S.DREY

Königlich Bayer. Hoflieferant

MÜNCHEN

Maximilianplatz Nr.7

Paris, SS avenue des Champs Elysées.

JULIUS BOHLER - MÜNCHEN

HOFANTIQUAR Ba MAJ. DES KAIBERS UND KONIGS KGL. BAYR. HOFANTIQUAR

REZENSIONEN Ernst Heidrich, Beiträge sur Geschichte und Methode der K (Kahns) 8. 107

Walther Heymann, Max Pechstein. Mit 4 Farbendrucken, 44 Netzütsungen nach Gemälden und 58 Strichätzungen im Text (Schapire). ................ 8. 108

Karl Hähnle, Arretinische Reliefkeramik. Ein Beitrag zur Geschichte des antiken Kunst- gewerbes (Achelis)............ 8. 109

RUNDSCHAU ............. S. 110

NEUE BÜCHER ........... S. 112

Ausstellung kostbarer Antiquitäten Ein- und

Verkauf wertvoller Skulpturen, Gemälde, Porzellane, Möbel und

Antiquitäten jeder Art.

BRIENNERSTRASSE 19 AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE ALTER MEISTER UND KOSTBABER

ANTIQUITATEN

ZWEI ALTARFLÜGEL NACH ALBRECHT DÜRERS MARIENLEBEN :

Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln Von OTTO GERLAND

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Vorzugsweise benutzte Schriften.

Bertram, Geschichte des Bildbaues Hildesheims. 2 Bünde. 1899 und 1916.

Engelhard, Beiträge zur Kunstgeschichte Niedersachsens. Göttingen 1891.

Derselbe, Hans Rapbon. Ein niedersächsischer Maler um 1500. Leipzig 1895.

Gerland, Hildesheim und Goslar. (Nr. as von Seemanns berühmten Kunststätten). Leipzig 1904.

Habicht, Die mittelalterliche Plastik Hildesbeims (Heft 19 der Studien zur dtsch. Kunstgeschichte) Straßburg 1917.

Knackfuß, Albrecht Dürer (Band V von Knackfu&' Kinstlermonographien). 2. Auflage. Bielefeld und Leipzig 1895.

Ruttenauer, Unserer Lieben Frauen Leben ín 20 нешс иеп уоп Albrecht Dürer. Düsseldorf, ohne Jahreszahl.

Springer. Albrecht Dürer. Berlin 1891.

Thansing, Dürer, Geschichte seines Lebens und seiner Kunst. Leipzig 1875. Wölfflin, Die Kunst Albrecht Dürers. München 1908.

Zucker, Dürer. Halle a/8. `

*

Z Anfang des то. Jahrhunderts bestanden in Hildesheim acht lutherische Kirchen, und es waren die Einkünfte der daran angestellten Geistlichen so gering, daB aus diesen Kreisen selbst, nachdem Hildesheim durch den Reichs- deputations-HauptschluB von 1802 preuBisch geworden war, bei der Kriegs- und Domänenkammer zu Halberstadt der Antrag gestellt wurde, durch Aufhebung der Hälfte dieser Kirchen mit deren Einkünften die Lage der an den übrig bleibenden Kirchen angestellten Geistlichen zu verbessern. Dem Antrag wurde stattgegeben bei den damaligen Wirren kam die Angelegenheit aber erst 1809, nachdem Hildes- heim zum Königreich Westfalen geschlagen war, zur Erledigung. Es wurden die Kirchen zu St. Annen, St. Georg, St. Michaelis und St. Pauli aufgehoben. Die Ge- büude dieser Kirchen wurden auf Abbruch verkauft oder anderweit verwertet, das Inventar wurde auf dem Wege der öffentlichen Versteigerung in alle Winde zer- streut, wie ich dies an einer anderen Stelle ausführlicher dargestellt habe. Das Gebäude der aufgehobenen Dominikanerkirche zu St. Pauli ist erhalten und in spüteren Jahren zu einem Vergnügungslokal der jetzigen Stadthalle um- gebaut, zum Inventar dieser Kirche gehörte ein Altar, der uns hier näher be- schiftigen soll!)

Dieser Altar bestand nach dem für die Versteigerung angefertigten Inventar aus einem „Tisch“ und einem „Schrank“, der auch als „Schnitzaltar“ bezeichnet wurde. Wir haben uns den Altar daher als einen Flügelaltar mit einem steinernen Untersatz und einem darauf gesetzten Schreine zu denken, der gemalte Flügel und im Inneren geschnitzte Darstellungen besaß. Der „Altarschrank“ Schrein-

(т) Die ebenfalls aufgehobene Michaeliskirche wurde 1855 für die damals noch bestebendo Martini- gemeinde neu hergestellt, deren Kirchergebäude dann zur Aufnabme des vom Senator Hermann Roemer gegründeten und nach diesem benannten Museums verwandt wurde.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1938, Heft 4 6 81

altar wurde für fünf Taler verkauft, der steinerne Untersatz „Tisch“ brachte einen etwas höheren Erlös. Man sieht daraus, wie gering damals und insbesondere auch in Hildesheim derartige Gegenstände geschätzt wurden, es war zu der Zeit, wo durch die zahlreichen Aufhebungen von Klóstern und Stiften eine Menge solcher Sachen, die der damalige Geschmack überhaupt nicht hoch wertete, auf den Markt geworfen wurde. Neben dem hier besprochenen Altar wurde in Hildesheim noch ein zweiter aus der Georgenkirche versteigert, über den uns gar keine Nachricht erhalten ist.

Welche Bilder in dem Schnitzwerk unseres Altars enthalten waren, kann nicht gesagt werden, da man nicht weiß, wohin sie gelangt, zerstreut oder verschleppt sind. Da die Altarflügel, die uns hier besonders beschäftigen werden, vom Schrein getrennt worden sind, so behält die allgemeine Annahme, der Altar sei zerstört, gegenüber der Annahme, er sei nur verschleppt: worden, recht, denn jedenfalls sind die Flügel vom Schrein abgetrennt, was man nur als eine Zer- störung des Altars bezeichnen kann. Mit Rücksicht darauf, daß auf den Flügeln, wie wir nachher sehen werden, Darstellungen aus dem Leben Marias, mit dieser als Mittelpunkt der Darstellung, enthalten sind, wird man annehmen dürfen, daß die Mutter Gottes, die Heilige des Stifts Hildesheim, und daß auch wohl der Apostel Paulus, der Heilige des Stifts, angebracht waren, aber weiterer Ver- mutungen müssen wir uns enthalten.

Was für die Rheinlande die Gebrüder Bieber waren, ersetzte für Hildesheim und Umgegend der Oberbaurat Hausmann zu Hannover, der zur Zeit des König- reichs Westfalen zahlreiche Bilder, z. B. aus der in alle Winde zerstreuten Galerie des dann ohne jeden Grund niedergerissenen Schlosses Salzdahlum, aus dem Nachlasse des Reichspropstes Grafen von Beroldingen zu Hildesheim usw. aufkaufte. In Hausmanns Sammlung gelangten auch die Tafeln des Altars von St. Pauli, ob durch unmittelbaren Kauf von Hausmann oder einen Geschüftsführer, oder vielleicht auch durch die Sammlung des Grafen v. Beroldingen, kann nicht gesagt werden. Die Hausmannsche Sammlung wurde spüter von Künig Georg V. von Hannover gekauft und befindet sich jetzt mit anderen Stücken des von diesem am 18. Juni 1861 gestifteten Welfenmuseums in der Fideikommißgalerie des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg (Katalognummer 724a und b). Sie sind jetzt als Eigentum Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs v. Cumberland, Herzogs von Braun- schweig und Lüneburg, im Provinzialmuseum zu Hannover aufgestellt. Für die von Seiner Königlichen Hoheit gnädigst mir erteilte Erlaubnis, die Bilder der Altar- flügel in photographischen Nachbildungen veröffentlichen zu dürfen, ermangele ich nicht, hier meinen tiefgefühltesten Dank abzustatten. Es ist die erste Veriffent- lichung dieser wertvollen Bilder.

Die beiden hervorragend gut erhaltenen Altarflügel haben je eine Breite von 1,12 m und eine Höhe von 1,84 m. Auf jedem Flügel oder jeder Tafel sind zwei Bilder dargestellt, die durch ein reizendes Rankenwerk, in dem Putten sitzen, ge- trennt oder vielmehr verbunden werden.

Unsere Bilder zerfallen in zwei Gruppen, die in einem gewissen Paralleliemus zueinander stehen, die beiden oberen die Tafeln (Abb. r und 3, und die beiden unteren (Abb.2u.4). Die beiden ersten zeigen unbedingte Anlehnung an niemanden geringeres als Albrecht Dürer und dessen Marienleben. Die beiden anderen Bilder zeigen eine ausgesprochen undürerische Art. In ihnen; hat man wohl die unbeeinflußte Manier des Künstlers zu sehen, der sich übrigens auch in den beiden

an Dürer anklingenden Darstellungen seinen Blättern nur äußerlich angeschlossen hat. Seine Anlehnungen beschränken sich auf die Wiederholung der Architektur- kulissen, auf Übernahme einzelner Figuren und Gruppen, die er wörtlich wieder- holt, ohne sie doch auch sinngemäß zu verwenden. Das ganz aufs tektonische abgestellte Gefüge der Dürerschen Kulissen unterbricht er durch flatternde und sitzende Engelchen, die gerade die statisch wichtigen Linien und Formen unter- brechen, die moderne Architekturkulisse verbindet er auf Abb. 3 mit einem durch- aus nach älterer Manier gezeichnetem Raumbilde, und die Vermischung der Dürer- schen Engelgruppen mit solchen eigener Empfindung zeigt, wie auch die ganze Raumfüllung der Bilder, daß er das wichtigste Neue an Dürer, die neue Klarheit des Aufbaues und der Erzählung, die neue Einheit des Tones und die Kühnheit der Komposition nicht begriffen hat.

Die Blätter aus dem Marienleben erregten so großes Aufsehen, daß sie vielfach nachgestochen wurden, was nach einer nicht widerlegten Überlieferung Dürer 1505 zu seiner zweiten Reise nach Venedig veranlaßte, um dort sein Recht vor der Signoria zu suchen. Besonders beliebt war das Biatt: Die Ruhe in Ägypten, von der insbesondere auch die Architekturvordrucke öfter im Bilde und sogar im Basrelief nachgebildet wurden. So hat denn auch der Maler der hier besprochenen Bilder das Blatt vor Augen gehabt, als er die Bilder in Abbildung ı und 3 schuf, wenn er es auch nicht ohne zum Teil wesentliche Abänderungen benutzt hat. Aus dem erwähnten Parallelismus der Bilder könnte man vielleicht schließen, daß unserem Künstler eine allzugroße Erfindungsgabe nicht beschieden gewesen sei. Der Betrachtung der Bilder an ihrem ursprünglichen Aufenthaltsorte dürfte es aber keinen Eintrag getan haben, denn da jeder Flügel 1,12 m miBt, so hatte das Innere des Altarschreins eine Breite von etwa 2,50 m, daß man bei Betrachtung des Altarwerkes in der Nähe die beiden Flügel nicht gleichzeitig überschauen konnte, während bei einer Betrachtung des gesamten Altarwerkes aus einiger Entfernung ein nicht unangenehm empfundener Rhythmus dem Beschauer entgegentrat.

Gehen wir zur Betrachtung der Bilder im einzelnen über. Die erste Tafel zeigt im oberen Bilde die heilige Familie kurz nach der Geburt des Heilandes noch im Stalle zu Bethlehem (Abb. 1), darunter die Ausgießung des hei- ligen Geistes (Abb. 2). Auf der zweiten Tafel erblicken wir im oberen Bilde die Ruhe in Ägypten (Abb. 3) und darunter den Tod der Maria (Abb. 4). Es empfiehlt sich, die Parallelbilder zusammen zu besprechen. Abweichend von Dürer, der in seiner Ruhe in Ägypten Maria auf die Seite geschoben hat, setzt unser Künstler sie auf beiden Bildern als Hauptperson in die Mitte, was, da es sich wohl um einen Marienaltar handelt, wie wir oben annehmen durften, begründet ist, und hat Joseph in den Hintergrund geschoben. Maria sitzt in Abbildung ı vor einem stallartigen Gebäude, sie hat den Spinnrocken beiseite gestellt, das Kind aus der Wiege genommen und reicht ihm die mütterliche Brust, während hinten ihr Josef Zimmermannsarbeit verrichtet. Kleine Engel tragen die dabei abfallenden Späne weg und helfen Maria in der Hauswirtschaft, holen Wasser aus einem nach vorn geschobenen Ziehbrunnen und füttern seitwärts Ochs und Esel. Über den Hof hinweg sieht man in eine Landschaft. Von oben schaut Gott Vater segnend herab. In Abbildung 3 (die Rast in Ägypten), sitzt Maria vor einem ruinenhaften Gebäude und spinnt am Rocken, während Joseph im Hintergrund zimmert; das überaus schnell herangereifte Christkind sitzt zu Füßen seiner Mutter und spielt die Orgel, kleine Engel sind um alle drei beschäftigt, an einem ruinenhaften Ge- bäude vorbei schweift der Blick in die Landschaft, und auch hier erblicken wir

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Gott Vater, aus den Wolken die Gruppe segnend. Diese beiden Bilder zeigen starke Anlehnungen an Dürer, enthalten aber auch selbständige Erfindungen unseres Künstlers, namentlich hat er Dürers Rast in Ägypten stark benutzt, dagegen in Abbildung ı auch Dürers Anbetung der Könige herangezogen, indem er diesem Blatt die Architekturkulisse entlehnt hat. In Abbildung r ist die Maria ganz Dürer nachgebildet, in Abbildung 3 sehen wir abgesehen von der räumlichen Ver- schiebung Joseph genau in derselben Stellung, wie in Dürers Rast, der auch die (wie wir schon sahen) so besonders beliebte Architektur und zum Teil der Hinter- grund mit der Burg entlehnt ist. Alles übrige ist freie Erfindung unseres Künst- lers, der namentlich in der Maria in Abbildung 3 etwas durchaus Liebliches ge- schaffen hat. Die Verschiebung Josephs nach hinten in Abbildung 3 hat den Nachteil im Gefolge, daß er bei Dürer beglückt auf die Gruppe von Mutter und Kind schaut, auf unserem Blatt 3 aber aus der Handlung hinausgeschoben ist. Im allgemeinen aber muß man sagen, daß unser Künstler sich als tüchtiger Maler er- wiesen hat.

Gehen wir zu den beiden anderen Paralleldarstellungen, der Ausgießung des heiligen Geistes (Abb. 2) und dem Tode Marias (Abb. 4) über. Maria thront in der Mitte der Jünger, der heilige Geist senkt sich in Gestalt einer Taube von Gott Vater auf sie herab, während Engel über ihr Weihrauchgefäße schwingen. Zwei Ausblicke öffnen sich rechts und links von der Gruppe. Zur Rechten sieht man in eine Straße mit städtischem Verkehr, zur Linken erscheint der auferstan- dene Heiland mit der Siegesfahne einer reizenden Frauengestalt, der Maria Magda- lena, durch die aufgehobene Hand andeutend: Noli me tangere. Dies Bild ist eine von Dürer unabhängige, vollständig freie Komposition, es gestattet aber namentlich durch die beiden Ausblicke interessante Schlüsse auf die Person des Meisters. Das Straßenbild zeigt vlämisch-burgundische Elemente, die sich am Rhein und in dem gesamten niederdeutschen Kunstgebiet noch sehr lange erhalten hatten. Da nun auch die Christusfigur in der ausgesprochen gothischen Zierlichkeit ihrer Bewegung rückwärts zu weisen scheint, die Flügel aber, bei ihren Beziehungen zum Dürerschen Marienleben nicht über den Jahrhundertanfang hinaus rückwärts gerückt werden können, so hat man den Künstler unserer Bilder wohl in einer stilleren Gegend Deutschlands, abseits der großen Kunststraßen, zu suchen, wo sich die frühere Art länger erhalten hatte als in Nürnberg oder Augsburg, und dürfen wir besonders annehmen, daß wir es mit einem mitteldeutschen Meister zu tun haben. Das letzte Bild (Abb. 4) zeigt uns Maria auf dem Sterbebette, um- geben von den Jüngern, die teils beten, teils ihr die Sterbesakramente reichen. Eine Entlehnung von Dürer wird man hier ausschließen müssen, die Ähnlichkeit liegt eben im Gegenstand der Darstellung. Auch unterscheidet sich die selbst im Sterben noch liebliche Maria wesentlich von der herberen Darstellung Dürers.

Damit kommen wir auf die Zeit der Entstehung unserer Bilder zu sprechen. Könnte man vielleicht an eine frühere Zeit denken, so zwingt uns doch die An- lehnung an Dürers Marienleben, uns an die Zeit der Entstehung dieser Bilder- folge anzuschließen. Die ersten Blätter sind im Anfang des 16. Jahrhunderts er- schienen, das Marienleben als Ganzes wurde 1511 ausgegeben. Wir werden des- halb annehmen müssen, daß die Tafeln nicht vor dem Anfang des Jahrhunderts entstanden sind. Da aber das Dominikanerkloster 1542 aufgehoben worden ist, so können sie nicht nach diesem Jahre entstanden sein. Es ist auch nicht an- zunehmen, daß die Mönche gerade in der letzten Zeit des Bestandes ihres Klosters ein so kostspieliges Altarwerk aufgestellt haben und dies um so weniger, weil

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gerade die Münche dieses Klosters sich schon vor dessen vollstindiger Aufhebung zerstreut haben. Wir kónnen also die Zeit von 1512 bis vielleicht 1525 als die Entstehungszeit unserer Bilder ansetzen.

Die letzte Frage, die noch zu beantworten bleibt, ist die nach dem Künstler, dem wir diese Bilder verdanken. Daß er ein mitteldeutscher und insbeson- dere wohl ein niedersüchsischer Meister gewesen ist, kann nach dem oben Ge- sagten nicht wohl einem Zweifel unterworfen werden, um so weniger aber, als solche Altarwerke meist in der Nachbarschaft der Bestimmungsorte angefertigt wurden, wenn es sich nicht um Werke weit bekannter Künstler handelte, ein Fall der hier ausgeschlossen ist. Wir dürfen aber auch annehmen, daß unser Meister ein nicht ungeschickter Maler war, dem das damals hochgeschätzte Dürersche Marienleben in seinen einzelnen Bláttern oder als Ganzes zu Gesicht gekommen ist und der sich dann mit Liebe in seine Arbeit versenkt hat, Die „Ruhe in Ägypten“ muß ihn besonders angezogen haben, sonst würde er sie nicht zweimal, wenn auch teilweise mit nicht unerheblichen Abünderungen, sich zur Anregung haben dienen lassen.

Nun lebte um die Wende des Jahrhunderts in der Umgegend von Hildesheim Hans Raphon, von dem wir sicher nur wissen, daB er aus Northeim an der Leine stammt und für die Gegend zwischen Göttingen, Einbeck, Halberstadt und Walkenried Werke geliefert hat. Auch die innerhalb dieses Gebietes liegende Stadt Hildesheim besitzt zwei Altarwerke von ihm oder doch aus seiner Schule. Das eine befindet sich jetzt in der Beichtkapelle der Michaeliskirche, in die es (vergleiche oben Anmerkung 1) aus der Martinikirche, der früheren Franziskaner- kirche, mit den beiden inneren Flügeln geschafft wurde, während die schon früher abgetrennten äußeren Flügel in dem in der Martinikirche errichteten Roemer- Museum verblieben und dort noch vorhanden sind. Dieser Altar ist also für die Franziskaner in der Martinikirche angefertigt worden. Das andere Werk ist ein Flügelaltar, der bis vor etwa 20 Jahren in der Kapelle des Arnekenhospitals auf- gestellt war, von da aber auf meine Anregung in das Roemer- Museum übertragen wurde, nachdem eine kunstsinnige und wohltátige Dame in Hildesheim eine Kopie des Altars für die Hospitalskapelle gemalt und gestiftet hatte. Auf welchem Wege das Kunstwerk in das Arnekenhospital gelangt ist, kann nicht festgestellt werden, es kann aber nicht für das Hospital angefertigt sein, weil dies erst im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts gegründet ist, als Hans Raphon schon längst tot war. Das Werk ist aber so gut erhalten, daß man annehmen muß, es habe nicht viele W'andlungen erlebt. "Vielleicht ist es kurz vor der Reformation für eine Hildesheimer Klosterkirche gemalt und von da nach deren infolge der Reformation eingetretenem Schluß oder aus einer anderen evangelisch gewordenen Kirche bei Beseitigung der Bilder in das Hospital übertragen worden. Da wir also wissen, daB aus Raphons Werkstett Bilder nach Hildesheim und insbesondere in die Franziskanerkirche gelangt sind, so ist wenigstens die Vermutung nicht aus- geschlossen, daB auch die hier besprochenen Bilder von Hans Raphon selbst oder doch in dessen Werkstatt angefertigt sind. Es lassen sich aber bei einer genauen Vergleichung unserer Bilder mit den Flügeln des Alters in der Michaelis- kirche sowie den dazu gehürigen im Roemer- Museum eine Reihe auffallender Übereinstimmungen finden.

Das Haupt Marias ist nicht von einem Heiligenschein umgeben, sondern es geben von ihm lichte Strahlen aus. In beiden Werken ist dem Gesicht Marias

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eine besondere Lieblichkeit beigelegt. Der archaisierende Auferstandene im Noli me tangere zeigt sehr viele Ahnlichkeit mit dem auf dem einen Flügel im Roemer- Museum in der Taufe durch Johannes dargesteliten Heiland. Die phantastischen Hintergründe der Abbildungen 1 und 3 finden Áhnlichkeiten sowohl in der Be- gegnung von Maria und Elisabeth in der Michaeliskirche, als bei der Taufe Christi, einzelne Figuren in beiden Bilderzyklen scheinen auf dasselbe Modell zurück- zugehen. Und endlich zeigt auch die feine Malweise erhebliche Anklünge. Wir dürfen also die Vermutung, daB unsere Bilder Hans Raphon oder doch seiner Werkstatt zuzuschreiben seien, als eine keineswegs unbegründete aufstellen.

DIE ÜBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES

IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND- LANDISCHEN KULTURWELT ` Non ROBERT WEST

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ie Kunstgeschichte teilt die gesamte künstlerische Produktion in einzelne groBe Stilgruppen auf. Jede Stilgrüppe entspricht einer bestimmten Kulturphase, kann bis zu einem gewissen Grade als Exponent des Zeitcharakters angesehen werden. Außer einer zeitlichen Stilbildung haben wir auch noch die völkische zu berücksichtigen. Diese ist jedoch niemals so prügnant wie der Zeitstil. Eine go- tische Kathedrale in Spanien und eine Domkirche der Backsteingotik im deutschen Norden sind unter sich absolut verschieden. Vergleicht man sie miteinander inner- halb des zusammenfassenden Begriffes: Gotik, so treten die Unterscheidungsmerk- male mit solcher Stirke hervor, daB die gemeinsame Stilzugehürigkeit ganz in den Hintergrund gedrüngt wird und die Frage liegt nahe, ob ein Zusammenfassen so grundverschiedener Dinge unter einen einzigen Gattungsbegriff nicht ein willkiir- liches Schematisieren bedeutet. Das Bild ändert sich aber mit einem Schlag, wenn wir die beiden gotischen Kirchen mit einem Barockbau vergleichen. Diesem gegen- über verschwinden die Verschiedenheiten und die gemeinsamen Züge treten mit bestimmter Deutlichkeit hervor. Wir sehen den Beweis, daB die Übereinstimmnng der künstlerischen Produktion innerhalb eines Zeitraumes immer grüBer ist als die Übereinstimmung innerhalb einer Volksgruppe. Der völkische Sonderstil ist ledig- lich eine Modifikation des Zeitstils. Es ist ein kunstgeschichtliches Problem, wie weit von den einzelnen Nationen das besondere Wesen jedes Zeitstils zum Aus- druck gebracht wird. Im Falle der Gotik z. B. steht Italien in zaghafter Schüch- ternheit der eigentlichen Stilforderung gegenüber. Die klassische Renaissance bleibt in ihrem Wesenskern, der Neubelebung der Antike, von Deutschland gänzlich un- verstanden.

Die Gründe für das Übergewicht des Zeitstils vor dem Nationalstil sind zu suchen in der ungefähren Gleichartigkeit der Kulturentwicklung. Religiöses Emp- finden, wissenschaftliche Forschung, wirtschaftliche Bedingungen und technische Errungenschaften bleiben nie auf ein Volk beschränkt, sondern teilen sich in größe- rem oder geringerem Grade allen Nationen mit, gleichen sich wechselseitig aus. Der Niederschlag dieses Vorgangs zeigt sich in der bildenden Kunst, denn es ist. das materielle Bedürfnis und das technische Können, welche zusammen mit der Ethik und dem Schönheitswollen den Stil einer. Zeit bilden. Die charakteristischsten Beispiele jedes Stils werden sich an den jeweiligen Kulturzentren finden.

Die Grenzgebiete, an denen sich ein Stil vom anderen .löst, in welchen also die vorherrschenden Merkmale zweier Stile gleichwertig nebeneinander bestehen, nennen wir Ubergangsstile. Aus ihnen offenbart es sich, daß es innerhalb einer einheitlichen Kulturwelt keinen Stil gibt, der nicht auf der Grundlage des ihm zeitlich vorangehenden erwachsen wäre. Eine solche: Kultureinheit bildet die abendliindisch-christliche Welt. Innerhalb dieser Kultureinheit läßt sich der Zu- sammenhang der Teile und ihre Charaktereinheit dartun. Die Kunstgeschichte einer solchen Kultureinheit ist die Biographie. einer Kunstseele. Wir finden in ihr Stil- einheit und Stilwandlung zugleich, das heißt, wir sehen in den einzelnen Stil- gruppen scheinbar fertig in sich abgeschlossene Sonderexistenzen und wir be- merken in jedem Übergangsstil den unmittelbaren Zusammenhang des Werdenden

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mit dem Vergehenden. Nirgends findet sich eine Zäsur. Die Bedeutung dieser Stilwandlung bei einer gleichbleibenden Stilgrundlage läßt sich nur in den Uber- gangsstilen erkennen, denn nur hier offenbart sich der Kampf der Krüfte, nur hier finden wir das neue Motiv, den Ausgleich mit der traditionellen Konvention suchend. Alle fruchtbaren Lebensmomente, alle hemmenden und zersetzenden wie alle neu- schaffenden Krüfte, welche in einer fast zweitausendjáhrigen Epoche die abend- ländisch-christliche Welt gebaut haben, finden ihren Kampfplatz in der bildenden Kunst so gut wie im Staatsleben. So wird die Geschichte der Übergangsstile zu einer Geschichte des Kampfes widerstreitender Elemente um die Herrschaft. Das ewige Auf- und Abwogen geistiger Strömungen kristallisiert sich hier zu geo- metrischen Formen. Wie jede Stilphase Exponent einer Kulturphase ist, so illu- striert jeder Stilübergang einen Kulturkampf. Die Art des Kampfes und das Wesen des Sieges werfen ein belles Licht auf den festgefügten Bau jener Kultur, die wir in den allbekannten und ais notwendige Erscheinungsformen des christlichen Abend- landes angesehenen Kunststilen verkürpert sehen.

Die Beispiele für meine Ausführungen entnehme ich vorzugsweise der Archi- tektur und Bauornamentik, weil sich hier der Zeitstil immer reiner zeigt wie in Malerei und Plastik. Die künstlerische Individualitüt tritt fast ganz zurück hinter den Gedanken der Korporation. Die Betrachtung der einzelnen Kunstwerke lehrt, daB die Anfánge jedes neuen Stils sich auf die atektonischen Bestandteile beziehen, wührend das Ende jedes Stils tektonisch ist. Stilwandlungen, welche die Struktur des Baues berühren, vollziehen sich naturgemäß langsamer wie ornamentale Neu- bildungen. Die Änderungen, welche das Zeitempfinden hinsichtlich des Gerlistes fordert, finden wir vollendet immer nur auf der Höhe jeder Stilphase. Die Struktur bleibt dann als festes Gefüge als sichere Grundlage stehen, wenn eine neue Stil- bildung einsetzt. Die Neubildung erwüchst auf der Struktur des ülteren Stils. Hier also, im Augenblick des Übergangs, fassen wir die Tektonik des Fertigen, Gewor- denen, zugleich mit der atektonischen Entwicklung des W'erdenden. Was vom ülteren Stil übrig bleibt, ist das Tektonische. Hier finden wir es befreit vom Zu- füligen und Wuchernden, das Schünheits- und Stilwollen der Periode in groBen Linien festgebannt. Halten wir dieses Endwort einer Entwicklung zusammen mit ihren Anfüngen, so erkennen wir in diesem das Schünheitswollen, aus dem der Stil wurde in seiner noch nicht materialisierten Idealitit und im Zusammenhang mit seiner Vergangenheit Die grundlegende Struktur ist demnach im Übergangs- stil noch die der Vergangenheit, das Ornament gehürt dem neuen Stilwollen an. Das tritt am schirfsten in der Architektur hervor, wo jeder neue Stil sich zunichst in der Bauornamentik und den Ziergliedern dartut. Die ersten Werke eines neuen Stils sind immer solche, welche halb der Architektur, halb der Plastik angehören, wie Grabdenkmiiler, Kanzeln, Chorstühle, Portale. Die Kunst ist hier beweglich, die Phantasie des Künstlers hat größere Bewegungsfreiheit, dem neuen Stilwollen kann demnach hier früher Rechnung getragen werden als in der strengen Archi- tektur, deren Zweck es ist, die Zeit zu überdauern und dem sich wandelnden Ge- schmack durch unwandelbare Gesetze Halt und Richtung zu verleihen. Das über- miiBig starke Hervortreten der Einzelheiten, welches die Anfünge jedes neuen Stils charakterisiert, das Betonen der für sich bestehenden Glieder auf Kosten der Har- monie des Ganzen hat zur Folge, daß dem Laien ein Stil immer nur durch seine Ornamentik bekannt ist, das heißt, er kennt das erste Wort des Stils und seine Oberfliche. Er sieht demnach vor allem die unterscheidenden Merkmale, nicht das Bleibende, die Stileinheit, welche sich nicht in der Teilform, sondern in der

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Anlage offenbart. In jedem primitiven oder Übergangsstil erscheint die Teilform zerstreut und ihr Verhältnis zum Ganzen ungeklärt. Um so leichter läßt sie sich isolieren und für sich begreifen. Sie wurde auch zunächst nur für sich begriffen. Im allmählichen Reifeprozeß fügt sich die Teilform dem Ganzen als organisch zu- gehöriges Glied ein, wird sie eingebunden in das Ganze. Die Stileinheit der künst- lerischen Produktion im christlichen Abendland ist aber so groß, daß sie sich bis in die Einzelformen hinein geltend macht, wodurch manchmal die Datierung der Kunstdenkmäler in überraschender Weise erschwert wird. Eine auffallende Über- einstimmung zeitlich weit auseinander liegender Phasen bieten die nordische Spät- gotik und das Barock, Hier zeigt sich klar der Sieg einer bestimmten Richtungs- linie.

Die Eigentümlichkeit unserer Kunstgeschichte, verglichen mit der klassischen Antike oder Agypten, liegt in dem Moment des Problematischen. Diese Proble- matik ist zuriickzufiihren auf einen, jetzt fast zwei Jahrtausende in ihren Formen auf- und abwogenden Rassenkampf und Ideenkampf. Jede neue Stilphase bedeutet das Oberwiegen der einen oder der anderen Rasse, der einen oder der anderen Idee.

Diesen Rassen- und Ideenkampf fassen wir in den Ubergangsstilen, Der voll- endete Stil bedeutet den Ausgleich der widerstreitenden Krüfte, die Lósung des abendlündischen Kulturproblems bald im Sinne der einen, bald im Sinne der an- deren Weltanschauung.

Der erste Übergangsstil, durch welchen sich die Biegung von der antik-klassi- schen Welt zur abendländisch-christlichen vollzieht, nennen wir die frühchristliche Epoche. Die frühchristliche Antike erscheint aber ihrerseits noch so fest ver- ankert in der unmittelbar vorangehenden alten Kunst des Abendlandes und des Orients, daß auch diese Zäsur als eine willkürliche erscheinen kënnte, wenn wir nicht immer das Prinzip der Stilwandlung: neues Schünheitswollen als Folge- erscheinung einer neuen Ethik, im Auge behielten. Die alten Formen werden im Sinne eines neuen Geschmacks umgebildet. Der Geschmack erwiichst immer auf dem Boden der Sittlichkeit. Dieser Ethik des Schönen begegnen wir in der Kunst überall als Stil. Der Ubergangsstil predigt die neue Schönheitsform darum mit dem Eifer der ersten Bekenner. Ganz besonders deutlich zeigt sich das in der friihchristlichen Antike, wo es sich tatsáchlich um einen neuen Glauben handelte, wo es galt, Proselyten zu machen. Die Tempel der antiken Welt wurden ver- lassen, sie waren das letzte Wort der alten Kultur, die neue konnte auf dieser so wenig aufbauen, wie sie ihre Religion aus der schon entwerteten Gütterlehre Roms entwickeln konnte. Die christlichen Gemeinden der abendlindischen Welt standen einen Augenblick lang auBerhalb aller Kunstform. Sie waren ganz auf sich gestellt und muBten, wie in jeder primitiven Epoche, aus dem Wohnhaus, also auf der Basis des einfachsten Bedürfnisses, der nackten Notwendigkeit heraus arbeiten. Das antike Wohnhaus wurde zum Ausgangspunkt der christlichen Kirche aus dem einfachen Grunde, daß die Christen ihre ersten Gebetszusammenkünfte in ihren Wohnhäusern hatten.

Die Bezeichnung dieser ersten gottesdienstlichen Stiitten, die zuniichst ja gar keine Kirchen sein sollten, ist schwankend; bald heiñen sie Ecclesia, bald Domi- nicum, bald Conventiculum. Konstantin befiehlt die Bethäuser zu erhöhen, sie linger und breiter zu bauen. Das ist nur eine Anderung des MaBstabes, die Ba- silika steht zu seiner Zeit schon fertig da ihren Namen aber erhält sie erst nach der Vergrößerung, die sie in Konstantinischer Zeit erfahren, Er ist demnach ungeführ gleichalterig mit der Einführung des Christentums als Staatsreligion. Die

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eigentliche Entwicklung zum Frühchristlichen vollzieht sich um diese Zeit, Anfang des 4. Jahrhunderts. Diese Datierung stimmt natürlich wie jede kunsthistorische Datierung nur ungefähr, aber Tatsache ist, daB wir zu Konstantins Zeit, im Moment der staatlichen Anerkennung des Christentums, die entscheidende Wendung vom Antiken zum Frühchristlichen in der Kunst finden, d. h. die Tektonik des alten Stils, der Antike, ist noch vorhanden, aber überwuchert von den Zierformen des neuen Stils. Ich wähle das Datum unmittelbar vor der Verlegung der kaiserlichen Residenz nach Byzanz (330 n. Chr.), weil sich durch diese schon die Wege des christlichen Kunstschaffens teilen. Der Übergangsstil von der klassischen Antike zur frühchristlichen Antike liegt in der Epoche gemeinsamer Entwicklung, ehe durch das Aufkommen von Byzanz dem weströmischen Reiche ein oströmisches, also den Orient wieder im Gegensatz zum Abendland betonendes Kulturzentrum entgegengestellt wurde. i

Wir haben in der Basilika das Gerüst des antiken Wohnhauses, das letzte Wort also der antiken klassischen Kultur des Abendlandes. In dieses abendlindische Wohnhaus zieht die neue orientalische Lehre ein. Achselzuckend sieht der vor- nehme, klassisch gebildete Römer auf das ihm unbegreifliche semitisch-orientalische Wesen: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ Langsam und sicher verdrängen die Formen Palästinas und Syriens die wundervollen alten Werke einer reifen Kultur. Mit der hebräischen Lehre, mit den Gesetzestafeln Mosis und den Hirten- legenden von dér Geburt des göttlichen Knaben in einem Stall stimmen die Zier- formen der Tempel und Paläste Roms nicht mehr zusammen. Zeichen und Sym- bole, geometrische Mystik der Form, Pflanzenwuchs vom Wegrand entsprechen besser den Gedanken, die auf Uberirdisches und zugleich Naturnahes gerichtet sind. Überall bildet sich für die Phantasie des Gläubigen ein Kreuz, jedes Ding er- hült für ihn neue Bedeutung, eine andere Wesenheit. Er sucht und sieht in der umgebenden Wirklichkeit andere Dinge wie die Rómer, und weil er anderes sieht, ist auch seine Darstellung eine andere.

Man hat das Wesentliche in der Bauform der christlichen Basilika gegenüber der Anlage des heidnischen Tempels darin gesehen, daB dieser ganz als Außen- architektur gedacht ist, sich allenthalben nach außen öffnet, während jene als reine Innenarchitektur ohne allen Bezug auf das Äußere entsteht. Das ist richtig und hierin liegt ein wichtiges Moment des christlichen Baugedankens, sofern wir ihn mít dem antik Klassischen vergleichen, welcher in spüteren Jahrhunderten dann doch auch wieder in der christlichen Kunstentwicklung Geltung erlangt. Es han- delt sich nun aber an dieser Stelle vor allem darum, die Momente der Stileinheit innerhalb der christlich-abendlündischen Kunst aufzuweisen und da finde ich als. das bedeutsamste Moment in der gesamten künstlerischen Produktion nicht die Innerlichkeit, sondern den Tiefenzug, das Interesse für den Raum. Dieser Tiefen- zug tritt überall in der Stilentwicklung zutage, trotz aller gelegentlichen Reaktion zum Flüchenhaften und zur Entwicklung in die Breite. Er wird begleitet von der Höhenrichtung, welche in der Gotik ihren Kulminationspunkt erlebt. Das erste Einsetzen der Hóhenentwicklung sehe ich in dem Befehl Konstantins, die Bet- häuser zu erhöhen. Ein praktisches Bedürfnis lag nicht vor, die Anordnung trug also lediglich dem veränderten Geschmack der Zeit Rechnung. Ich gebrauche dieses trivial scheinende Wort mit Willen, denn es faßt den Begriff eines alle Kreise bezwingenden Stilwollens am ehesten. Im Geschmack einer Epoche offen- bart sich mit unvermeidlicher Sicherheit ihre innerste Sinnesrichtung. Der kaiser- liche Befehl, die Bethüuser zu erweitern und zu verlingern, war dagegen zunüchst

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nur auf die Notwendigkeit zurückzuführen, der größeren Menge der Glilubigen Raum zu schaffen. Hier aber im GrundriB der Basilika füllt augenblicklich das starke Übergewicht der Längenausdehnung gegen die Breite auf, und nicht nur dies der antike Tempel war ja auch linger als er breit war die Lüngsachse wird in ihrer Tiefenrichtung energisch betont, durch das Portal am Westende oder die Eingangshalle, die ihm vorgelagert ist und die Apsis im Osten. Die nach innen verlegten Säulenreihen ziehen sich vom Eingang hinauf zum Altar der Apsis, die ganze Anlage der Kirche zwingt Auge und Fuß des Eintretenden nach der Tiefe zu. Das längliche Rechteck des Grundrisses mit seiner zwingenden Richtung in die Tiefe bleibt trotz aller Modifikationen, welche der Grundriß des christlichen Kirchenbaus innerhalb der Jahrhunderte seiner Entwicklung durchmacht, unverkenn- bar erhalten, im Kölner Dom so gut wie in der Jesuitenkirche Vignolas in Rom.

Mit noch überzeugenderer Deutlichkeit wie in der Architektur, wo sich der Tiefenzug immer zugleich auch als praktisches Bedürfnis geltend macht, tritt er aber in der Malerei und Plastik hervor. Hier, wo er die Fläche erst überwinden muß, deren Beschaffenheit an sich die Tiefe verneint, wird das Stilwollen beson- ders deutlich. Die Entwicklung der Malerei und Plastik des christlichen Abend- landes ist auf die Eroberung der Tiefe gerichtet. In der italienischen Renaissance trat diesem Tiefenzug ein retardierendes Moment entgegen in der Wiederaufnahme des antiken Reliefschemas, aber diese Reaktion wurde zum Ausgangspunkt eines mit leidenschaftlicher Energie im Barock durchbrechenden Tiefendranges. Bis heute läßt es sich beobachten, daß fast alle wirklich populär gewordenen Bilder sofern ihre Popularität nicht auf außerkünstlerischen Motiven beruht auf die Tiefenwirkung angelegt sind, die Tiefe des Raumes betonen, so etwa Pieter de Hoochs Intérieurstiicke, Hobbemas Allee von Middelharnis, Hackaerts Eschenallee, Schwinds ruhender Wanderer, Thomas Landschaften, in welch letzteren durch die Größe der Vordergrundfigur und die Kleinheit der Landschaft ein äußerst kräftiger Tiefeneindruck erzielt wird.

Was die abendländisch-christliche Kunst von den anderen uns bekannten großen Kunstkulturen unterscheidet, sind Perspektive und Chiaroscuro. Ohne Berücksich- tigung dieser beiden Faktoren wäre eine Geschichte der abendländischen Kunst seit annähernd zweitausend Jahren nicht denkbar. Die ganze mittelalterliche Malerei ringt um die lineare Perspektive. Als sie gefunden, ist der Jubel so groß, daß die Bilder im italienischen Quattrocento mehr der architektonischen Perspektive wegen gemalt sind als wegen des darzustellenden Gegenstandes. Gleichzeitig geht das Bemühen um die Luftperspektive. Die hier gemachten Beobachtungen an Licht- und Schattenwirkungen sind der Ursprung des Chiaroscuro, dessen höchste Voll-. kommenheit, vereint mit einer in der linearen Perspektive unerhörten Tiefen- ‚wirkung, sich bei Tintoretto und Rembrandt findet. Als ein letzter Ausläufer des Chiaroscuro erscheint dann der Impressionismus, der durch die Auflösung alles festen Formengefüges die licht- und luftdurchflossene Endlosigkeit und Grenzen- losigkeit der Tiefe zu geben versucht.

Der Tiefenzug, wie er überall in der bildenden Kunst anzutreffen ist, datiert aus den ersten christlichen Basiliken; und in dem goldschimmernden Dunkel der Gottes- häuser liegen die ersten Chiaroscurowirkungen der christlichen Kunst. Diese Wir- kungen waren den frühmittelalterlichen Menschen so wohl bewußt wie uns, sie bilden einen wesentlichen Bestandteil der neuen Geschmacksrichtung wie der neuen Weltanschauung, was deutlich daraus hervorgeht, daß der Romane sich dem Chia-

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roscuro in seinen Kirchenbauten niemals mit der PEE оркен hingab wie der Nordlinder in seiner Gotik und seinem Barock.

Die Basilika mit ihrer Tiefenrichtung ist die typische Form des ersten und für das Abendland dauernd wichtigsten Bausystems, dessen Ableitung aus dem antiken Wohnhaus erwiesen scheint. In ihm offenbart sich der Tiefenzug des abend- ländisch-christlichen Kunststils am deutlichsten. Scheinbar im Widerspruch zu dicser Richtung steht das zweite der abendlündischen Bausysteme, der kuppel- gekrónte Zentralbau, Der Ursprung dieser Bauform aus den kreuzfórmigen Grab- kirchen des Orients ist nach den Forschungen der letzten zwanzig Jahre gesichert. Daß er vom Abendland mit so lebhaftem Interesse ergriffen wurde, daß das Problem der Kuppelwülbung des Zentralbaus und die Vereinigung von Zentralbau und Basi- lika die abendlindischen Baumeister immer wieder zu leidenschaftlichen Anstren- gungen spornte, beweist, daß dieser kuppelüberwölbte Zentralbau dem abendländi- schen Kunstwollen in hohem Maße entsprach. Ein Blick auf die berühmtesten Werke dieses Systems, die Hagia Sophia in Konstantinopel, die Markuskirche in Venedig, die Palastkapelle Karls des GroBen in Aachen, San Vitale in Ravenna lehrt, daB es sich hier im Gegensatz zum griechischen Tempel ausschlieBlich um die Gestaltung des Raumes handelt, nicht um die Gliederung der Massen. Hier ist der Punkt, wo sich die Identität des Stilwollens in der Anlage der Basilika wie der Kuppelkirche findet, es handelt sich bei beiden um die Bewültigung des Raumes, die Eroberung der dritten Dimension. Tiefenzug, Perspektive, Chiaroscuro sind alle Erscheinungsformen dieses einen Triebes in der bildenden Kunst: der Gestal- tung des Raumes. In der Gotik wurde ein Höhepunkt dieser Raumgestaltung er- reicht. Das Einsetzen der Renaissance bedeutet hier ein retardierendes Element. Die Betrachtung wurde von der Raumgestaltung wieder auf die klare Gliederung der Massen gelenkt. aber auf der dadurch gewonnenen neuen Grundlage setzt wieder die Reaktion des Barock ein, die zum zweitenmal im abendlündischen Kunstkreis für die Begrenzung und Gestaltung des Raumes eine eigenartige Lósung findet. MaBgebender als die Gestaltung des Raumes an sich bleibt aber für die abendlándische Architektur die Gewinnung der Tiefe. Der Prozentsatz der Zentral- bauten ist ein geringer im Verhültnis zu denen des basilikalen Systems. Die typischste Form des Kirchenbaus für das Abendland ist die Basilika mit der Vierungskuppel Hier findet sich gleichzeitig der Tiefenzug und die ideale Raum- form.

Es ist mit Ausnahme der Zentralbauten immer möglich, den Grundriß einer christlichen Kirche durch Fortlassen seitlich ausladender Gliederungen auf das Schema der frühchristlichen Basilika zu reduzieren. Wie immer die Anlage der Kirche sei, die Entwicklung des Baus führt vom Eingang in die Tiefe. Die we- sentlichen Züge in der Anlage der Basilika sind die Apsis und der Vorhof, welche beide sich sowohl außen wie innen geltend machen. Dazu kommt, was das Innere anbelangt, dic Sdule und über dieser der Bogen an Stelle des Architravs. Als bewegliche Bauglieder, die zum Teil mehr der Plastik angehören, kommen hinzu Altäre, Kanzeln, Ambonen, Chorstühle, Bischofsitze, Brunnen, Taufbecken, Weih- wasserbehülter. Von dem ersten Jahrhundert christlichen Kunstschaffens bis heute haben sich diese Züge um nichts wesentliches vermehrt. Die Ausgestaltung der Kirche, in baulicher wie ornamentaler Hinsicht, wird bestimmt durch den Kultus. Die Bedeutung des Abendmahls tritt hier stark in den Vordergrund. Dadurch ge- wann der Altar an mystischer Bedeutung und die Trennung der Kleriker von den Laien wurde stürker betont. Der Kulminationspunkt der gottesdienstlichen Hand-

lung wurde in die Apsis an den Hauptaltar verlegt, so daß diese fensterlose Tiefe hier mehr und mehr mit einer buntsteinigen leuchtenden Dämmerung erfüllt wurde.

So weit ist die Entwicklung rein durch die Idee, welche ihr zugrunde liegt, be- dingt: die Form des neuen Glaubens ist gefunden. Bezeichnenderweise ist diese Entwicklung in allen vom Christentum erfaBten Lündern eine gleichartige. Orient und Abendland bauen dasselbe Gotteshaus. Diese Entwicklung gehürt rein der Zeit und der Idee. Aber diese Idee ist nicht abendlündisch, sondern semitisch. Die christliche Kunst beginnt nicht jetzt, als das Christentum staatlich sanktioniert worden, sie begann schon im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung. Hier liegt ein Problem vor uns, dessen Lösung unabweisbar zu der Annahme drängt, daß einzelne Judengemeinden schon unmittelbar vor den Anfängen der ersten christlichen Gemeinden sich in einer Weise künstlerisch betätigten, welche dem mosaischen Verbot des Bildermachens zuwider lief. Mag sein, daB, wie Wulff!) meint, diese nur die „halb hellenisierten Großstadtjuden der Diaspora" waren, immerhin entnahmen. dann die ersten sich absondernden christlichen Sek- tierer aus der Mutterkirche eine Anzahl von Formen und bildlichen Vorstellungen, mit denen sie für ihre gottesdienstlichen Zwecke nicht anders schalten und walten mochten wie die Lutheraner mit dem Kunstgut der katholischen Kirche. Der Zwiespalt zwischen Juden und Christén ging nicht einmal so weit. Es han- delt sich ja nur um die Negierung oder Anerkennung der Person Christi als der des verhei&enen Messias. Die ganze jüdische Religion blieb Besitz der ersten Christen. Daher auch die Erklärung, daß die ersten christlichen Malereien vor- zugsweise Sujets aus dem Alten Testament darstellen.

Der ganze Entwicklungsgang, welchen die christlich-abendländische Kunst seit ihrer Entstehung bis ins fünfte Jahrhundert hinauf durchmacht, 188% sich als eine Orientalisierung bezeichnen. Alexandria und Antiochia sind die Mutterstüdte jener Kunst, die, nach Rom verpflanzt, sich dort der Antike vermählt. In Rom wird der Ausgleich zwischen dem Orient und dem Abendland, dem semitischen und dem klassischen Geist durch die Vermittlung hellenischer Form gefunden. Das Judentum Alexandrias war hellenisiert, die ersten Christengemeinden fanden dort eine Kunstrichtung vor, welche in überraschender Weise mit der alttestamentlichen Poesie übereinstimmte. Das Ende einer überreifen Kultur traf hier mit den pri- mitiven Vorstellungen eines Nomadenvolkes zusammen. Die alttestamentlichen Hirtengeschichten konnten sich leicht durch die aus Kulturmüdigkeit geborenen Hirtenidyllen der Ptolemáerzeit interpretieren lassen. Aber das semitische Element war stürker als das hellenische, so daB die wührend des ganzen zweiten und dritten Jahrhunderts andauernde Verbreitung der alexandrinischen Kunst im Abendland vorwiegend das Eindringen semitischer Ideen in hellenistischem oder hellenisiertem Gewand bedeutet. Mehr noch als Alexandria leistet Syrien und vor allem An- tiochia für die Entwicklung der christlichen Bilder- und Formvorstellungen und endlich traten noch Palästina und Jerusalem selbst in so nahe Beziehungen zum römischen Reich, daß die jungen Christengemeinden hier unmittelbar an der Quelle ihres Glaubens zu schüpfen vermochten, Die ersten Typen der Heilsgeschichte werden auf dem Boden Agyptens, Syriens und Palistinas durch jüdischen Geist gezeugt Mit ihnen entstehen neue Ornamentformen oder werden einheimische

(1) Wulff: Altchristliche und byzantinische Kunst. Handbuch der Kunstwissenschaft. Berlin-Neu- babelsberg, Akademische Verlagsgesellechaft M. Koch.

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modifiziert. Diese Typen und Zierglieder gibt der Orient an Rom weiter, welches damals die groBe Vermittlerin zwischen dem Orient und dem Abendland ist. Ehe die Forschung jene weiten Gebiete des ersten christlichen Kunstschaffens erschloß, mochte daher Rom als Pflanzstätte aller christlichen Kunstformen angesehen werden!) Tatsache bleibt auch noch, daß sich hier die Modifikation der antik- klassischen Formelemente durch orientalisch - semitische Sinnesrichtung vollzog. Hier war der Boden, wo der erste Kulturkampf des Christentums ausgefochten wurde, die erste Lösung des Problems als „frühchristliche Antike“ gefunden wurde und wo der erste Sieg des Orients und des Judentums über Abendland und Klassik errungen wurde.

Die wechselseitige Befruchtung der Kunstkreise seit Alexander dem Großen ist eine so komplizierte, daB sie nur im Licht der historischen Forschung verstiindlich erscheint. Alexander hatte die Hellenisierung des Orients in politischer Hinsicht begonnen. Unter den Diadochen hatte sich diese Hellenisierung in kultureller Hin- sicht fortgesetzt, gleichzeitig hatten die Beziehungen der Kolonien zu dem Mutter- land eine Orientalisierung des Hellenentums erzeugt. Rom übernahm seit der Unterwerfung Griechenlands diese orientalisch - hellenistischen Elemente. Schon vor dem Eindringen des Christentums war die römische Kunst also hellenisiert und orientalisiert, Die jüdische Lehre fand dort schon einen Boden vor, auf dem sie auch typologisch und ikonographisch verstündlich werden konnte. Der Orient war dagegen zur Zeit der ersten Christengemeinden schon so hellenisiert, дай den jungen juden-christlichen Gemeinden der Formenschatz des klassischen Griechen- tums vertraut war. Wir haben also zur Zeit der staatlichen Anerkennung des Christentums eine allgemeine, lokal modifizierte, orientalisch-hellenistische Kunst- übung, welche überall da, wo Judenchristen zu bauen und zu formen beginnen, durch jüdische Vorstellungen und jüdischen Geschmack entscheidend beeinfluBt wird. Daraus folgt naturgemüB, daB die Zierformen den hellenistischen Charakter behalten (siehe das Kranzgesims am Bau Konstantins des GroBen über dem heiligen Grabe zu Jerusalem*), während die Typen der Heilsgeschichte, formal von den Griechen entlehnt, doch schneller den spezifischen Charakter des „Christlichen“ annehmen, d. h. der auf jüdischem Boden erwachsenen neuen Ethik entsprechend umgebildet werden.

Das bekannteste Beispiel ist die Statuette des guten Hirten im Lateran. Diese Gestalt unterscheidet sich formal noch in nichts von spithellenistischen Arbeiten, nur die Idee, der sie Ausdruck gibt, ist jüdisch - christlich. Aus dieser Idee aber entwickelt sich langsam der Wandel in der Darstellung, der schlieBlich in der goti- schen Figuralplastik gipfelt. Es ist bekannt, daß die frühesten Christusdarstellungen wie das Relief des Berliner Museums aus Sulu Monastir, das Strzygowski dem vierten Jahrhundert und „einer von Rom unabhängigen kleinasiatischen Kunst- gruppe“ zuweist, auf die Philosophen- und Dichterstatuen der griechischen Kunst zurückgehen. Gerade hier ist die Orientalisierung im jüdisch-christlichen Sinn, die bis zu den verzerrten, blutüberströmten Gekreuzigten des r4. und 15. Jahrhunderts geht, besonders auffallend. Die Darstellung der spinnenden Maria, die sich wie ein deutsches Märchen der Verkündigung ausnimmt, können wir zurückverfolgen bis in die Grabanlage von Palmyra, wo die Verstorbenen mit vom Haupte herab- fallendem Schleier und der Spindel in der Hand abgebildet sind. Auf der Schmal-

(2) .Wickhoff, Kraus, Riegi, L. v. Sybel. (s) Strsygowski: Orient oder Rom, 94

seite des Sarkophags der Pignatta in Ravenna finden wir bei der Verktindigung Maria sitzend mit der Spindel in der Hand und einem Korb Wolle zu ihren FüBen. Auch diesen geflochtenen Korb kennen wir schon als Attribut der palmyrenischen Frau. Der Engel der Verkiindigung, der vor ihr steht, ist ein Nachkomme der altgriechischen Nike !). Der Palmenwedel in der Hand Gabriels, jenes stehende Attribut der Verkündigungsszene, erinnert, daB sie sich in Palästina abspielt. Wir sehen also bei der Typenbildung wührend des vierten, und fünften Jahrhunderts den jüdisch-christlichen Geist am Werk, hellenistische Formen umzubilden. In dieser Zeit erhält das Abend]and vom Orient seine biblischen Gestalten.

Spricht bei der Typenbildung das semitische Element deutlicher mit wie bei den ^ Bau- und Ornamentformen, so finden wir in diesen wiederum leicht das Ein- dringen des allgemein orientalischen Geschmacks in Europa. Die stärkere Be- gabung der jüdischen Rasse für das Ornamentale wie für die reproduzierende Kunst muß bei einer Betrachtung der frühchristlichen Ornamententwicklung bis zu einem gewissen Grade berücksichtigt werden, denn die ersten Christengemeinden waren überall entweder Juden oder doch stark von jüdischen Elementen durchsetzt. Die Orientalisierung der hellenistischen Kunstweise, welche in der Diadochenzeit be- gonnen, wird also in den ersten christlichen Jahrhunderten durch eine weitere Semitisierung vervollständigt. In Syrien fand das Judentum außerdem schon eine hochentwickelte und charakteristische Ornamentik vor. Zwei Typen des Orna- ments herrschen in Syrien wie in Palästina, das geometrische welches dem ganzen Orient geläufig ist und das Pflanzenornament. Als christliche Symbole dringen die alten geheiligten Zeichen der Syrer in Rom ein, die Rosette, das kreuz- fürmige Sonnenrad, der sechsstrahlige Stern, die geflügelte Sonnenscheibe finden sich leicht verändert oder durch Kreuz und Monogramm Christi zu christlichen Symbolen umgedeutet, iiberall wieder, wo der Meißel christlicher Bildhauer zuerst die Altäre und Sarkophage, die Chorschranken, Ambonen, Katheder und Kanzeln der abendlündischen Kirchen zu schmücken begann. Die syrische Ranke schlingt sich an christlichen Bauwerken um Kapitell und Relief, Efeu und Feigen- blitter, Weinlaub und Trauben wachsen, wo nur der Akanthus Heimatrecht zu haben schien. Aber der Akanthus behauptet sich ebenso wie die antike Palmette ). Die syrische Ranke wird Akanthus, der Akanthus nimmt die Form syrischer Pflanzen an. Allmühlich findet sich der Ausgleich in der Stilisierung des Pflanzenornaments, dem bald der antike Akanthus, bald das syrische Weinlaub zur Grundlage dienen. Die symbolischen Lümmer und Palmen, welche jetzt háufig an Stelle der antik gewandeten Figuren auf den Seiten der Sarkophage erscheinen, sind syrischen Ursprungs, und aus Syrien kommen die girlandentragenden Pfauen, aus Syrien die Vógel und Figurengruppen, die zwischen dem Laubwerk des Pflanzenornaments hervorlugen. Von jüdischen Sarkophagen entnimmt der christliche Steinmetz das sogenannte Strickmotiv, das in seinem Ursprung den Ölblattstab bedeutet. Ein syrischer Künstler schnitzt die Felsengrotte von Golgatha auf seine Elfenbein- pyxis*) und dieses Motiv wird von abendlündischen Bildnern übernommen, viel- leicht ohne Verständnis seiner lokalen Bedeutung, ein syrischer Goldschmied stellt auf einer getriebenen silbernen Schüssel das Kreuz zwischen Engeln dar‘) und

(х) Studniczka: Die Siegesgóttin. Stuhlfauth: Der Engel in der altchristlichen Kunst.

(3) Über die Entwicklungsgeschichte des Akanthus und der Palmette in vorchristlicher Zeit siehe Alois Riegl: Stilfragen, Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik.

(3) Elfenbeinbúchse im Berliner Museum, Syrien, fünftes Jahrhundert.

(4) Patene, Sammlung Stroganoff, Rom.

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auch dieses palüstinensische Motiv nimmt das Abendland auf. Aus Alexandrien stammt das hellenistische Motiv der Lokalpersonifiketion, das noch lange im abend- ländischen Mittelalter nachklingt, orientalisch ist die Anbringung kleiner Städte- bilder auf Mosaiken und Reliefdarstellungen. Der Zug der Geschenke bringenden Weisen aus dem Morgenland hat sein Vorbild in Assyrien und Persien, wo die Tributiiberbringung ein beliebtes Thema der Reliefkunst war. Auch hier ver- mittelt Antiochia die Gedanken des alten Orients.

Ich greife diese Beispiele hier und da beliebig aus dem Ganzen des frühchrist- lichen Kunstschaffens heraus. Sie gehüren durchschpittlich einer Periode an, die schon jenseits des Konstantinischen Zeitalters liegt, aber sie zwingen zu einem Rückschluß auf die Entwicklungstendenz der ihnen unmittelbar voraufgehenden Vergangenheit. Mehr als illustrierende Bedeutung messe ich den Einzelbeispielen nicht zu. Indizienbeweise dieser Art sind immer trügerisch, denn aus der Fülle der konkreten Erscheinungen lassen sich wohl auch eine Reihe von Beispielen aufführen, welche geeignet würen, das gerade Gegenteil meiner Hypothesen zu be- weisen. So lange wir uns an Einzelbeispiele halten, wird das Problem: Orient oder Rom, sich bald in diesem, bald in jenem Sinne lösen’). Maßgebend erscheint mir hier der allerdings viel schwerer zu demonstrierende, vielleicht immer nur gefühlsmäßig zu erfassende Hinweis auf das Ganze der Kulturerscheinung. Der Sarkophag der Pignatta in Ravenna wird auch dem ungeübtesten Auge sofort als Denkmal einer neuen Stilrichtung erscheinen. Der jüdisch-orientalische Geist, un- faßbar im einzelnen, macht sich mit zwingender Gewalt fühlbar. Dieser Sarkophag mit seinen Dattelpalmen, seinen weit im Raum verteilten malerischen Figuren, seinem jugendlichen Christus, den schweren, unbeholfenen Gewändern, der derben Behandlung aller Formen, den kanellierten Pilastern, dem runden, mit mächtigen Kreuzen gezierten Deckel, ist der jüdischen Geschmacksrichtung entsprossen. Der Geist, der ihn schuf, war heimisch am Jordan und in Zion.

Die frühchristliche Antike entfernt sich zugleich von dem Naturalismus der Syrer, wie von der strengen Bildung der Antike. Der Eierstab, die lesbische Welle, der Zahnschnitt, diese drei typischen Ornamentmotive der Klassik werden dem neuen, von Syrien stammenden Formensinn entsprechend verändert. Eine völlig neu- artige Relieftechnik entsteht. Das Ornament wird flacher, das Relief erinnert an Elfenbeinschnitzerei, so flach, scharf und fein ist es gehalten. Das Blattwerk er- scheint durch Unterschneidung und Ausstechen des Umrisses wie auf den Grund aufgelegt. Trotz der scheinbaren Richtung auf das Flächige gewinnt doch auch hier schon wieder der Tiefenzug in der Stilentwicklung die Oberhand, denn der Grund, von welchem sich das Ornament abhebt, wird ganz als dunkle Tiefe auf- gefaßt, durch Bemalung der Zierformen wird eine reiche koloristische Helldunkel- wirkung erzielt, die ebenfalls mit zum orientalischen Gepräge der neuen Bauten beiträgt. Ein Vergleich mit der figuralen Reliefplastik zeigt deutlich die Stilrichtung an, welche die ornamentale Reliefplastik beabsichtigt. Durch das syrisch-helleni- stische Mittel des hohen Horizontes mit seiner Folgeerscheinung der Figuren- staffelung zur Andeutung der Raumtiefe wird dem Tiefenzug der abendländischen Kunst ein bedeutsamer Ausweg gewiesen. Die sämtlichen figuralen Reliefs der frühchristlichen Antike drängen auf Raum und Tiefendarstellung. Der Bildner hält

(1) Vergleiche die Arbeiten Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft; L. v. Sybel: Die christliche Antike; Strzygowski: Orient oder Rom; Wulff: Altchristliche Kunst und die älteren Arbeiten von Wickhoff und D. H. Kraus,

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immer den Gedanken an den seine Gestalten umflieBenden Raum und die hinter ihnen sich ausdehnende Tiefe fest!) Es ist selbstverstündlich, daß diese orienta- lischen Züge nicht allein an christlichen Bildwerken zu beobachten sind. Die heidnische Reliefplastik der rómischen Kaiserzeit weist genau dieselben Wirkungs- momente auf, durch welche sie sich von der klassischen Antike unterscheidet, der rein praktische Grund hierfür ist zu suchen in der Zuwanderung syrischer Künstler, der stürkeren Berührung mit dem Orient, dem Bekanntwerden mit orien- talischen Werken, das eigentlich entscheidende Motiv aber ist auch für die heid- nische Kunstiibung doch die neue Geschmacksrichtung. Der Orient drang mit Wort und Form überall siegreich vor. Das Christentum war nur die eine aber wich- tigste Phase seines Einflusses. Durch die Religion brachte er mit seinen Formen auch seine Ideen zur Herrschaft. Das Wort Julians: „Du hast gesiegt, Galiläer,“ bedeutet den Abschluß eines Jahrhunderte dauernden Kulturkampfes. Palästina und Jerusalem überwanden Rom. |

Nirgends macht sich der Kulturkampf so deutlich geltend wie an jenen typischen Baugliedern der Antike: Kapitell und Fries. Der betonte Kontrast von tragenden und getragenen Gliedern war der neuen Geschmacksrichtung schon damals un- sympathisch. Er gelangte erst wieder in der italienischen Renaissance zur Geltung. Der Bogen bietet an sich schon einen Ausgleich, er trägt und ruht. In der Basi- lika verdringt er den Architrav. Die Sáule verbindet sich mit dem Bogen. Das ist die wichtigste konstruktive Neuerung der frühchristlichen Antike, auch sie stammt aus Antiochia. Der Ansatz des Bogens bedarf eines stürkeren Auflagers, die christ- lichen Baumeister schieben den Kämpferaufsatz zwischen ihn und das Kapitell. An anderen Stellen wird der Kämpfer nötig, weil antike Säulen verwendet werden, die von verschiedener Größe sind. Das Säulenkapitell ist entweder noch eine antike Bildung, rein korinthischer Akanthus mit Palmette oder der christliche Steinmetz arbeitet es nach antikem Vorbild. Aber seine Augen sind geblendet durch syrische Ornamentik, seine Hand ist unsicher geworden durch jüdischen Geschmack. Immer- hin erhalten wir hier über der Sáule zunüchst noch das antike Akanthus-Kapitell. Für den Kümpfer liegt keine Tradition vor, die orientalische Phantasie überspinnt ihn mit neuen, poetisch-malerischen Formen, welche die alten in den Schatten stellen. Dann greifen diese Formen auch auf das Süulen-Kapitell über. An den Kapitellen 148t sich der Sieg des Orients am deutlichsten erkennen. Von dem noch immer klassischen Adel des korinthischen Akanthuskapitells der Studiosbasilika in Byzanz gelangen wir am Ende der Entwicklung zu den Korbkapitellen von San Marco und San Vitale. Was dazwischen liegt, ist die Orientalisierung des Abendlandes.

So gänzlich war hier das orientalisch-semitische Element Sieger, daß es des An- sturmes einer stärkeren, dem Orient wie der klassischen Antike völlig verstündnis- los gegenüberstehenden Rasse bedurfte, um eine neue Machtverschiebung zugunsten des Abendlandes herbeizuführen. Die Antike vermochte zundchst nichts mehr. Die romanische Rasse war selbst schon zu dekadent, zu sehr von orientalischen Elementen zersetzt, als daß sie sich dem Orientalismus gegenüber hätte behaupten können. Die Völkerwanderung führte die germanischen Stämme in die Kultur- entwicklung des Abendlandes ein und alsbald begann der zweite Kulturkampf des frühen Mittelalters, dessen Endergebnis in der Kunst als romanischer Stil dasteht.

Die Anfünge dieses Stils múchte ich, obgleich auch diese Datierung wieder eine willkürliche ist, von dem Moment annehmen, in welchem die ganze mittelalterliche

(1) Wulff: Altehristiiche Kunst; derselbe: Die umgekehrte Perspektive. Monatshefte für Kunstwissenachaft XL Jah. 1918, Heft 4 7 97

Kunst in drei Gruppen zerfüllt: die byzantinische Kunst, die Kunst des Islam und die abendlindische. Auf den ersten Blick wird es kenntlich, daB die orientalischen Elemente nach Byzanz und den islamitischen Gebieten zurückgedrüngt werden. Die nordischen Völker bringen eine eigene primitive Kunstfertigkeit mit, antike und orientalische Gebilde erscheinen ihnen gleichwertig, fremd, unverstündlich, aber begehrenswert. Wie Kinder greifen sie nach dem Bunten, Glänzenden, Leuch- tenden des Orients, nach dem Formschönen, Klaren, Festen der Antike. Die Welt des untergehenden Römertums überliefert ihnen eine Kultur, zu der sie noch nicht reif sind, und einen Glauben, den sie noch nicht aufnehmen können. Ihre Bildung, soweit sie dieselbe annehmen, bleibt eine äußerliche, ihr Christentum ein Kinder- glaube. Den Tempel der christlichen Kultur lassen sie stehen, wie ihre Lehr- meister ihn errichtet haben. In der Basilika dienen die jungen nordischen Völker dem Nazarener, wie einst das hochgebildete Römervolk im Wohnhaus seiner Väter dem Hebräergott die ersten Opfer brachte.

Es ist nicht, als ob diese nordgermanischen Völker noch keine eigene Baukunst besessen hätten. Ihre Königshallen legen Zeugnis ab von einem schon entwickel- ten, baukünstlerischen Vermügen!) In dieser germanischen Baukunst aus der Zeit vor ihrer Berührung mit den älteren Kulturvölkern drückt sich ein ganz anders geartetes Stilwollen aus als das in den christlichen Gebieten des Abend- und Morgenlandes zu entscheidendem Ausdruck gelangte. Die Betonung der Querachse im Grundriß der Halle ist wohl das bedeutsamste Unterscheidungsmerkmal zwischen der germanischen und der Basilikenkunst des römischen Reichs. Der Germanen- kunst fehlt vor der Völkerwanderungsepoche vollständig jener Tiefenzug, der eine neue Geschmacksrichtung in der Kunst der alten Welt inaugurierte. Die Germanen waren aber in weit höherem Maße wie die lateinische Rasse prädisponiert, diesen Tiefenzug zur folgerichtigen Entwicklung gelangen zu lassen. Sie griffen ihn in ihrer Baukunst mit der Selbstverständlichkeit einer Naturnotwendigkeit auf, zuerst in bloßer Nachbildung, später in bewußtem Umformen und Ausgestalten. Typische Beispiele für diese Wandlung des frühgermanischen Baustils unter dem Einfluß des Orients und der Antike erscheinen mir die karolingischen Kaiserpfalzen zu Aachen und zu Ingelheim. In Aachen fand Karl der Große offenbar einen mero- wingischen Königssaal vor, welchen er durch den Anbau einer halbrunden Apsis an der einen Schmalseite zur Basilika umgestaltete. Er gab damit der Hauptachse des Gebäudes anstatt der Querlage die Tiefenrichtung. Genau dasselbe geschah unter Ludwig dem Frommen an der Pfalz zu Ingelheim. Auch hier zeigt der Grundriß wieder die Form der durch Anfügung einer Apsis an der Schmalseite zur Basilika erhobenen Königshalle mit entsprechend veränderter Achsenrichtung. Die deutschen Kirchen, die uns aus dem Ende des achten Jahrhunderts bekannt ‚sind (der Zeit also, welche die entscheidende Wendung zum eigentlichen roma- nischen Stil herbeiführte) zeigen einen Grundriß, der sich durchaus-von dem der typischen karolingischen Basilika unterscheidet, durch das Fehlen eines Querhauses, den geraden Chorschluß und die Dreiteilung des Chors durch trennende Zwischen- mauern°). Wir finden diesen Grundriß auch in Oberitalien*) und Spanien‘), vor

(1) A. Haupt: Die spanisch-westgotische Halle zu Naranco und die nordischen Königshallen. Monats- hefte für Kunstwissenschaft, Jahrgang IX, Heft 7.

(2) G. Weise: Zur Architektur und Plastik des früheren Mittelalters. Teubner, Berlin 1916.

(3) Agliate und Sta. Maria in Valle in Cividale.

(4) Haupt: Die älteste Kunst insbesondere die Baukunst der Germanen.

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allem aber begegnen wir ihm seit dem sechsten Jahrhundert in Syrien!) Die Frage nach der Entstehung dieses Grundrißtypus ist noch ungeklärt. Ich weise darauf hin, weil das Vorkommen dieses syrischen Baugedankens im Deutschland des achten Jahrhunderts mir wichtig erscheint hinsichtlich der Befruchtung des germanischen Geistes durch den Orient.

Die bauliche Gesamterscheinung des frühgermanischen Mittelalters, zu welcher wir allerdings nur durch ein rekonstruierendes Verfahren gelangen kënnen, bietet uns also geradezu das Schulbeispiel eines neuen Stils, der in seinem Anfang das tektonische Endergebnis der älteren Epoche ist, während sich das neue Kunst- wollen zunächst nur im Ornamentalen hervorwagt, hier halb unbewußt wirkend. Das Gerüst nahm der Germane, wie er es vorfand, von der klassischen Antike, denn trotz der auffallenden Erscheinung, daß der basilikale Grundriß im Orient schon in den frühesten Zeiten allgemeine Geltung erlangt hat, halte ich doch bis auf weiteres an der Annahme fest, daß die ersten christlichen Gemeinden Roms und der römischen Provinzen die Basilika dem antiken Wohnhaus entlehnten. Die Übereinstimmung ist zu auffallend, um ohne zwingenden Grund außer acht gelassen zu werden. Das Ornament wie überhaupt die bildende Kunst hatte sich inzwischen unter dem Einfluß Alexandrias, Syriens und Palästinas völlig verändert. Neben dieser orientalisierten Kunst aber hatten die klassisch-antiken Formen noch immer ihre Geltung behalten, schon durch die Fülle der aus vorchristlicher Zeit erhal- tenen Baudenkmäler, die zum Teil wie das Pantheon Agrippas und der Tempel der Mater Matuta eine andere Bestimmung erhalten hatten, zum Teil in Trümmern und Bruchstücken bei christlichen Neubauten Verwendung fanden. Die einbrechen- den nordischen Volksstimme fanden also zwei Formengruppen vor, die antik- klassische und die orientalische. Hier stoßen wir auf einen in rassegeschichtlicher Hinsicht überraschenden Zug. Die nordgermanischen Völker gingen in ihrer Kunst- übung sofort die engste Verbindung mit der semitisch-orientalischen Formenwelt ein, während sie achtlos an der Antike vorübergingen. Der nordische Geist ver- einigte sich mit dem aus Syrien und Palästina eingedrungenen zu einer neuen Um- bildung der römischen Antike. Dies geschieht in dem Augenblick, in welchem der lebendige und unmittelbare Einfluß des Orients durch die geschichtliche Entwick- lung unterbunden wird. Südeuropa mit Griechenland, Asien und Ägypten haben von da ab ihre eigene Religion, ihre eigene Kultur und ihre eigene Kunst. Das Abendland bleibt sich selbst überlassen. Es ist bezeichnend, daß unsere hervor- ragendsten Kunstforscher noch nicht zur Klarheit gelangt sind über die Frage nach der Beteiligung des Orients, der Antike und der germanischen Rasse selbst an der sogenannten „Völkerwanderungskunst“. Die Beteiligung der nordisch- germanischen Völker ist sogar schon verneint worden und die Entstehung jener wunderbaren phantasievollen aber unleugbar barbarischen das heißt fremd- artigen Kunst, die wir als frühromanisch bezeichnen, wird bald auf orienta- lische, bald auf antik-römische Einflüsse zurückgeführt. Einen charakteristischen Fall bietet der Fund von Nagy-Szentmyklos, der von einigen Gelehrten als rein- germanisches Werk, von anderen als gänzlich abhängig von der Antike angesprochen wurde, bis ihn ein neuer Forscher mit Bestimmtheit als Produkt der „einst blühen- den innerasiatischen, synkretistischen türkischen Kunst bezeichnet).

(1) Butler: Publications of an American archaeological expedition to Syria in 1899. (2) G. Supka-Budapest, Das Rätsel des Goldfundes von Nagyszentmiklés, im Januarheft io der Monatshefte für Kunstwissenscbaft, IX. Jahrg., Heft 1. x

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Es liegt hier in dem frühromanischen Kunstschaffen wieder der Fall vor, in welchem sich aus Einzelformen die verschiedensten SchluBfolgerungen ziehen lassen, wührend nur die vorurteilslose Betrachtung der Gesamterscheinung das Wesen und den Grundzug gewahren lassen. Eine Bezeichnung wie die der „Völkerwanderungskunst“ hätte sich nie eingestellt, wenn nicht die frühmittelalter- lichen Werke des Abendlandes jenen wilden nordischen Charakter trügen, den wir aus der Geschichte der Goten und Langobarden, der Hunnen und Vandalen kennen.

| (SchtuS folgt.)

DER ZUSTAND unserer FACHMANNISCHEN BEURTEILUNG | Von JOSEF STRZYGOWSKI

f dem Kongresse zu Darmstadt habe ich 1906 den Versuch gemacht, dem Fach eine feste Durchbildung (Organisation) zu geben. Wir waren dort alle ver- einigt, auf die es damals im Rahmen der deutschen Gruppe ankam. Der Gegen- stoß der Begründung des „Deutschen Vereines für Kunstwissenschaft" hat diese Ab- sicht nicht zur Durchführung gelangen lassen. Die gedruckten Verhandlungen und persönlichen Folgen geben über diesen denkwürdigen Augenblick in der Geschichte des Faches zur Genüge Auskunft. Am schlimmsten sind die Auswüchse inzwischen in der fachminnischen Beurteilung gewachsen. Musterbeispiele liefert dafür die Wickhoff-Schule.

Rintelen hat in den Monatsheften (X, 1917, S.97f.) einen ausgiebigen Beleg bei- gebracht. Eine Zuschrift, die den Aufdruck trägt: „Direktion der Sammlungen von Waffen und kunstindustriellen Gegenständen des Allerhöchsten Kaiserhauses“ ver- anlaßt mich, hier Dinge zur Sprache zu bringen, die ich seit dem Tage des Lehr- antrittes an der Wiener Universität auf Schritt und Tritt wirksam beobachte, ohne den stillen Urheber fassen zu können. Freilich kenne ich ihn seit dem Nekrolog, der imJ.1906/7 im Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses, XXVI, S. 255f. erschien und worin die Mühe, die ich mit Wolfgang Kallab jahrelang in Graz hatte, verschwiegen ist. Ich merkte dann seinen Einfluß in der Akademie der Wissenschaften. Er muß darauf hinausgelaufen sein, mich zum Dilettanten zu stempeln. Es läßt sich daher erwarten, daß dafür auch öffentlich nach Belegen gefahndet wurde. Der Anlaß bot sich einmal in der Akademie selbst, wo v. Karabacek mich lächerlich zu machen suchte!). Ich habe darauf mit meinem Werke „Altai-Iran und Völkerwanderung“ geantwortet, das sich u. a. gegen die Lehren Riegls richtet, des einen als Schutzgott mißbrauchten Namens der sog. Wiener Schule. Auf die zweite Gelegenheit be- zieht sich der Brief mit dem Aufdruck „Direktion der Waffensammlung“ usf. Ihn schrieb ein Beamter dieser Direktion, der ebenfalls Julius v. Schlosser vorsteht.

Im Jahre 1916 erschien ein kleines Buch „Die bildende Kunst des Ostens“, in dem ich unter Ankündigung zweier größerer Arbeiten auf die Probleme hinzuweisen suchte, wie sie sich mir im Osten aufdrängen. Das eine dieser Werke, eben ‚Altai-Iran“, ist, wie gesagt, inzwischen erschienen. Eine Wiener Fachzeitschrift „Die graphischen Künste", nimmt nun in ihren „Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“, 1917, S. 36, Anlaß, das Büchlein zusammen mit diesem Bande zu besprechen. Da es sich in beiden Veröffentlichungen um Zier- und Baukunst handelt, ist man freilich etwas erstaunt, diesen Angriff in den „Graphi- schen Künsten“ zu finden; noch mehr überrascht der Ton, in dem sich diese von Wiener Fachgenossen geleitete Zeitschrift gefüllt. Ich gebe als Probe die rein persönlich gerichtete Einleitung:

„Feuilletonistische Schriften, wie die vorliegende, müssen energisch bekämpft werden. Sie sind gefährlich, nicht nur darum, weil sie leichtsinnige und wissen- schaftlich nicht genügend gestützte Hypothesen aufstellen, sondern auch, weil sie, ` für die Menge unschwer zugänglich, in journalistischen Kreisen allzuleicht Boden gewinnen und von dort aus falsche Ansichten verbreiten können.

(1) VgL Ton und Inhalt seiner Schrift „Problem oder Phantom? Eine Frage der islamischen Kunst- forschung“. Sitzungsberichte phil.hist, Klasse, 178. Bd., 3. Abh. Vgl. „Altai-Iran“, bes. 8. 174, 184 u. 219.

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Das Biichlein bietet natürlich nicht das, was sein Titel verspricht. Dem Leser werden darin nicht in gedrángter Form Aufklärungen über die Hauptprobleme der Kunst des Ostens gegeben, sondern in polemischem Ton einige Lieblings-, man möchte fast sagen: fixe Ideen des Verfassers vorgetragen, die im höchsten Grade unmotiviert sind.

Strz. kämpft nämlich gegen Windmühlen, wenn er behauptet, daß er mit „dem zšhen Widerstande der herrschenden geisteswissenschaftlichen Gruppe“ abzurechnen habe. Man kann es mit gutem Gewissen in Abrede stellen, daB die heutige Kunst- wissenschaft unter dem Banne gewisser vorgefaßter Meinungen stehe. Strzs An- sichten wurden nach und nach von besonnenen Kritikern nicht aus parteiischer Voreingenommenheit zurückgewiesen, sondern lediglich darum, weil sie unbegründet waren.

Der Vorwurf des aggressiven Verhaltens ist in Wirklichkeit gerade nur Strz. gegenüber berechtigt. Er ist es eben, der seine Anhänger parteipolitisch organisiert und mit Hilfe einer systematischen , Expansion“ überall unterzubringen versucht und somit , Macht und Besitz“ anstrebt. Mit welchem Rechte dieses Mal?“

Der so spricht ist kein Wiener; die Wickhoff-Schule läßt ihn nur in der in Wien weit verbreiteten Zeitschrift „Die graphischen Künste“ los, vielleicht weil ihr daran liegt, die Kaltstellung des Ordinarius der Universität in allen Fachangelegenheiten Österreichs zu begründen. Ich habe mich um diese „Kritik“ nicht bektimmert, bin ich ja derartige Auslassungen gewohnt, seit Max Dworäk die in meinem „Orient oder Rom“ behandelten Fragen als Schulheftprobleme bezeichnete!) War die Sache mir also gleichgültig, so doch nicht den Herren, die hier in Wien aufopfernd und selbstlos mit mir arbeiten. Einer von ihnen, Dr. Artur Wachsberger, der Leiter der ostasiatischen Abteilung des kunsthistorischen Institutes meiner Lehrkanzel, sandte, vorübergehend aus dem Felde in Wien, der Schriftleitung eine sachliche Erwide- rung, die dadurch in meine Hände kam, daß Leutnant Wachsberger abkommandiert wurde und die unter dem Aufdruck „Direktion der Sammlungen von Waffen“ usw. eingelangte Ablehnung samt seiner Abwehr in meine Hände legte. Die Ablehnung lautet (20.1. 1918): „Sehr geehrter Herr Doktor! Wie Sie selbst im Anfang Ihrer Entgegnung ganz richtig andeuten, fällt die Besprechung von Dr. Takäcs eigent- lich aus dem Rahmen der „Mitteilungen der Ges. f. vervielfältigende Kunst“. Wir haben sie aus Gefälligkeit gegen unseren langjährigen Mitarbeiter und in der Hoff- nung aufgenommen, daß wenigstens von Zeichnungen darin mehr die Rede sein werde, als es leider tatsächlich der Fall ist. Sie werden es daher begreiflich finden, wenn wir eine Replik, der wieder eine Duplik folgen müßte, lieber gerne ver- mieden. Würde Herr Hofrat Strzygowski selbst entgegnen, so stünden -ihm selbst- verständlich die Spalten unserer Zeitschrift offen, die wir Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, als einem Dritten aus den dargetanen Gründen und zu unserem größten Bedauern verschließen müssen. Ihr Manuskript folgt mit dem höflichsten Danke zurück. In ausgezeichneter Hochachtung Dr. Arpad Weixlgiirtner.“

Ich richtete hierauf am 5. IL. eine Zuschrift an die Redaktion der Graphischen Künste, die zunüchst den eben mitgeteilten Brief anführt und dann fortführt: ,,Die aus Gefälligkeit in der Hoffnung, daß darin von Zeichnungen die Rede sein würde, abgedruckte ,Besprechung* werden die Herren, die hinter diesem unter dem Auf- druck ,Direktion der Sammlungen von Waffen und kunstindustriellen Gegenstiinden des Allerhöchsten Kaiserhauses“ geschriebenen und von Dr. Arpad Weixlgürtner

(1) Vgl. darüber mein „Altai-Iran“, S. 290 und 304 f. 102

unterzeichneten Briefe stehen, inzwischen ja wohl gelesen haben. Vielleicht haben Sie sich auch die Mühe genommen, die beiden Bücher doch einmal anzusehen und ihren Inhalt mit dem zu vergleichen, was in jener Besprechung": steht. Sie wer- den dann vielleicht begreifen, daB ich mich in der Lage eines Mieters befinde, dem jemand Schmutz vor die Wohnungstüre gelegt hat und den der Hausmeister auf- fordert, diesen Schmutz selbst wegzurüumen, statt auf den Vorwurf zu húren, die Leute und Sachen, die im Hause ein- und ausgehen, genauer ins Auge zu fassen. Wir, die graphischen Künste und ich, der Professor der Kunstgeschichte an der Wiener Universitit, wohnen beide in Wien. Ich meine, wir sollten diese Stütte gemeinsamen Wirkens rein halten und nur aus diesem Grunde beantworte ich die Einladung der Schriftleitung mit einer Gegenbitte: móchten die Herren nicht um des Anstandes willen und weil sie die Sache nun einmal angeschnitten haben, eine Besprechung bringen, deren Beantwortung mich nicht herabwürdigt? Ich werde, wenn diese auch nur entfernt auf den Umfang der Probleme und der ihnen zu- grunde liegenden Tatsachen, die meine beiden Bücher besprechen, eingeht, gern antworten und mich freuen, daß man anfängt, sich in Wien überhaupt mit meinen Arbeiten sachlich zu beschäftigen.“

Auf mein Drüngen um eine Antwort erhielt ich dann folgenden Brief: ,Sehr ge- ehrter Herr Hofrat! Nein, wir haben keinen Moment daran gedacht, Ihre Zuschrift abzudrucken, ebensowenig, als wir daran dachten, sie zu beantworten. Auf Ihre Karte vom 7. d. hin wiederhole ich nur, was ich bereits Herrn Dr. Wachsberger geschrieben habe: eine sachliche Entgegnung von Ihnen auf die Besprechung von Dr. Takács hätten wir selbstverständlich gebracht, aber Sie weigern sich ja, auf dieses Anerbieten einzugehen. Damit ist die Angelegenheit für uns erledigt. Hoch- achtungsvollst A. W'eixlgürtner.* Ich wandte mich darauf an den Obmann des Verwaltungsrates der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, der aber, nachdem er vorher aus eigenem Antriebe seine Unbeteiligtheit an dem Vorgehen der Re- daktion versichert und zugleich seine Verantwortung in der Sache freiwillig ein- gestanden hatte, sich schlie&lich doch auf die Seite der Redaktion stellte.

Es handelt sich hier vom Standpunkte des Faches um Folgendes. Man mag über meine Arbeiten denken wie man will; in keinem Falle geht es an, einen Streit vom Zaune zu brechen und dann mutwillig zu verhindern, daß die Würde des An- gegriffenen gewahrt bleibe. Man lese die „Besprechung“ von Takács und wird zugeben, daB ich darauf nicht antworten konnte. Wachsberger, der sich durch eine als Bd.III der Arbeiten meines Institutes erschienene Schrift?) als mein Mitarbeiter fachmünnisch eingeführt hatte?), wäre von jeder sachlich vorgehenden Schrift- leitung, auch ohne daß dabei Gründe des Anstandes am Orte des Angriffes vor- gelegen hätten, als zur Beantwortung berechtigt anerkannt worden. Es ist die Art der Wickhoff-Schule, mit Waffen zu kümpfen, wie sie Rintelen und ich dar- gelegt haben. Zum Schlusse die zurückgewiesene Besprechung des Dr. Wachs- berger:

„Zur Besprechung von Strzygowskis „Die Kunst des Ostens“ und „Altai- Iran“ von Zoltán v. Takacs in Heft 2/3, Jhrg. XL (1917) der „Graphischen Künste.“ Es wird manchem Leser verwunderlich erschienen sein, wie Bücher, die sich

mit der Kunst Hoch- und Ostasiens beschäftigen, in dieser Wiener Zeitschrift zur

(1) ,Stilkritische Studien zur Wandmalerei Chinesisch - Turkestans". Zweite Sonderveróffentlichung der Ostasiatischen Zeitschrift 1916. (2) Vgl. mein Vorwort zu dieser Schrift.

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Besprechung gelangen konnten. Wir erblicken in dieser Tatsache eine erfreuliche Ausdehnung des Gesichtskreises auf ferne Gebiete, doch zwingt uns Art und Cha- rakter des zitierten Aufsatzes zu einer Erwiderung.

Der Verfasser hat in den einleitenden Worten sich bewogen gefiihlt, vor Strzy- gowski und seinem Schülerkreis zu warnen, weil er ,seine Anhünger parteipolitisch organisiert und mit Hilfe einer „systematischen Expansion“ überall unterzubringen

versucht und somit „Macht und Besitz“ anstrebt.“ Gegenüber dem ehrlichen

Ringen und der völlig unabhängigen, intensiven Arbeit dieses kleinen Kreises be- deutet diese Feststellung eine Entstellung schlimmster Art, deren treibenden per- sönlichen Beweggründen hier nicht nachgegangen werden soll. Verschiedene Be- merkungen des Aufsatzes verlangen jedoch vor objektivem, wissenschaftlichem Gewissen eine Richtigstellung und Entgegnung. So heißt es:

„Es steht aber von dieser provinziellen Kunst (Chinesisch Turkestans) fest, daß sie ein Export der chinesischen Tangkultur ist“

Das steht schon darum nicht fest, weil es niemals festgestellt worden ist. Das ist nur eine Behauptung Takäcs, die um so merkwürdiger klingt, als Takäcs die Behauptungen anderer Leute als „willkürlich und leichtfertig verurteilt. Über die Kunst Chinesisch Turkestans liegen nur die Publikationen Grünwedels und Le Coqs vor, die Probleme des Zusammenhanges selten berühren und wenn sie es tun, dann in einem der Behauptung Takäcs ganz entgegengesetzten Sinn, ferner die Arbeiten Steins, die auch stärker nach dem Westen tendieren als nach dem Osten und schließlich von den schwer erreichbaren russischen und den unbedeutenden japa-

nischen Veröffentlichungen sowie von gelegentlichen Aufsätzen abgesehen, die Arbeit .

des Verfassers, die die ungeheure Vielgestaltigkeit des Problems der chinesisch- turkestanischen Kunst darlegt.

Weiter heißt es bei Takäcs: „Wir müssen aber sowohl die in Rede stehende Ranke als auch das Lambrequinmotiv auf chinesische Vorbilder zurückführen, da beide „die grundlegenden Elemente“ der dekorativen Kunst sind, die uns in den Ornamenten der urchinesischen Bronzen erhalten geblieben ist.“

Wir müssen durchaus nicht, wir dürfen sogar nicht. Denn niemand hat ähn- liches je festgestellt, und eine derartige Behauptung könnte so gestrengen Kritikern von der Art Takäcs „genügen, seine (statt im Original Strzygowskis) willkürliche und jeder wissenschaftlichen Disziplin entbehrende ... Theorie... umzuwerfen.“ So einfach ist das Problem der chinesischen Ornamentik und ihrer grundlegenden Elemente keineswegs, als daß es in einer polemischen Kritik apodiktisch gelöst werden könnte. Dazu wird es ernster wissenschaftlicher Arbeit, umfassender Quellenstudien und auch vorzunehmender Ausgrabungen bedürfen. Dürftige Finger-

zeige dazu gab der unterzeichnete Verfasser in einer Besprechung von Strzygowskis.

„Altai-Iran“ in der Ostasiatischen Zeitschrift, IV. (1915/6), S. 153f. Bemerkt sei hier,

daß unserem heutigen Wissen nach das Prinzip der ursprünglichen chinesischen Orna-

mentik sich eher als isolierendes, denn als verbindendes erweist, daB Ornament- formen, denen in der ganzen Weltkunst, vornehmlich in der griechischen, der innere Drang nach rhythmisch kontinuierlichem Fortlauf geradezu motorisch innewohnt, wie dem Mäander und dem Rankenglied, daß diese Formen mit Vorliebe starr in sich zurückkehren und ungebunden gereiht werden, wie Wickhoff das schon für den chinesischen Miiander beobachtet hat. Ohne damit die selbstándige Entstehung der fortlaufenden Wellenranke in China in Abrede stellen zu wollen (der Stand der Forschung gestattet eben kein abschließendes Urteil), muß die Behauptung Takács, die Ranke würe ein grundlegendes Element der urchinesischen dekorativen Kunst, als

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unbegrtindet und nicht erwiesen, wahrscheinlich aber falsch zurückgewiesen werden.

Die Feststellung, daß die früheste dekorative Kunst der hochasiatischen Nomaden mit chinesischen Zierformen zusammengehe, ist ganz unoriginell. Strzygowski hat dieser Tatsache nie widersprochen. Wozu also die Erregung? Dagegen bedarf die folgende Behauptung Takács, daß die skythischen Tierornamente chinesische Einflüsse erkennen lassen, eines weit eingehenderen Studiums der offenbaren Wechselbeziehung chinesischer und skythischer Ornamentformen, als der „Meinung“ Takäcs im Archaeologiai Ertesitö. Daß der Schrägschnitt ferner nicht irgendeine „technische Eigentümlichkeit“, sondern der Ausdruck eines starken Formempfindens und Formwillens ist, möge derjenige bei Riegl, Spätrömische Kunstindustrie in Österreich-Ungarn, Seite 154 ff. nachlesen, dem Strzygowski „zu luftige Hypothesen aufbaut.“ |

Strzygowski tritt selbst in grof angelegten Arbeiten nie mit derartigem Anspruch auf absolute Gültigkeit seiner Betrachtungen und Theorien auf, wie Takács dies in seiner mehr persönlichen als sachlichen Kritik tut. Und wenn der Ursprung und die Entwicklung des mehrstreifigen Bandornamentes einerseits und der Polygonal- ornamentik der islamischen Kunst andererseits auch nach Strzygowskis Ausführungen für Takács offene Fragen bleiben, so wird die Wissenschaft darum nicht trauern und Strzygowski dennoch dafür Dank wissen, daß er zum erstenmal nach Riegls . „Stilfragen“ in seinem Altai-Iran das Problem der islamischen Ornamentik in um- fassender W'eise von einer neuen Seite beleuchtete und zu lósen versuchte.

Unverantwortlich erscheint die Behauptung Takacs, Strzygowski hätte das Problem der chinesischen Landschaftsmalerei mit seinen tastenden, mehr fragenden als be- hauptenden Bemerkungen in der „Kunst des Ostens“ abtun wollen. Einzig die Stimmungslandschaft hat Strzygowski zu Fragen inhaltlichen Zusammenhanges an- geregt, wobei er sich von jedweder Feststellung formaler oder entwicklungsgeschicht- licher Fakten fernhielt. Es geht wohl nicht an, daB man einem Leserkreise, dem die Kunst Hoch- und Ostasiens ziemlich ferne liegt, mit einer polemischen Kritik von der Art ,Zwei Fliegen auf einen Schlag“ kommt, dabei die Tatsachen entstellt und, was das Seltsamste ist, dieselbe Kritik von einigen Spalten dazu benützt, eigene Entdeckungen humoristisch-umstürzlerischer Art vorzubringen. Das ist des Guten zu viel und fordert ehrlich. denkende Menschen zur Anwendung des ge- schmackvollen SchluBsatzes Takács auf ihn selbst auf: „Liest man dergleichen, so muß man fürchten, daß einem noch weitere sensationelle Offenbarungen dieser Art bevorstehen.“ Ich meine damit die neue Theorie Takäcs, daß in den Ideogrammen der chinesischen Schrift der Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen ist. Das wird auch dem, der nur gelegentlich etwas von dieser hohen Kunst gehört hat, wie ein Faschingsscherz klingen, ist aber mit dem ganzen Hilfsapparat wissen- schaftlichen Ernstes und Erkennens vorgebracht.

Es darf nicht unbemerkt bleiben, daß Takäcs weder den Grund, noch die be- deutenderen Gedanken und Erkenntnisse der beiden kritisierten Werke auch nur mit einem Wort erwähnt. Das Urteil über Wert und Charakter einer solchen Be- sprechung möge der Leser fällen. Dr. Artur Wachsberger.

105

CIPPER, genannt TODESCHINI, ALS PSEUDO-

SPANIER

Von AUGUST L. MAYER

Mit sechs Abbildungen auf drei Tafeln €0000000000000009000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000

D* inhaltsreiche Aufsatz Benno Geigers im

Augustheft dieser Zeitschrift gibt höchst er- wünschten Aufschluß über den bisher rätsel- haften Autor einer ganzen 'Reihe interessanter Genrestücke, die, ähnlich wie die meisten von Geiger angeführten, bisher für spanisch gehalten wurden. Ich muß gestehen, daß auch ich ver- schiedene der nachfolgenden Gemälde für spanisch angesprochen habe und die bald Murillo, bald Castillo oder gar Velasquez zugewiesenen Arbeiten wegen ihrer breiten Vortragsweise und der all- gemeinen Verwandtschaft mit den Werken des älteren Herrera mit diesem Künstler in Verbin- dung zu bringen gesucht habe, Als erstes Bild nenne ich das früher als Selbstporträt Magnascos geltende Bildnis des Malers vor der Staffelei im Besitz des Herrn Kommersienrats A. Leifmann in Düsseldorf (Abb. 1), das, wie man sieht, ganz mit dem von Geiger als Abb. з wiedergegebenen Stück zusammengeht. Weiter möchte ich auf das große Genrebild der Sammlung E. Boross in Larchmond bei New York hinweisen (Abb. 3), das man als eines der gelungensten Stücke des Künstlers betrachten darf, ferner auf den bisher als Murillo ausgegebenen „Knaben mit Taube“ bei Baron Schrenk-Notsing in München (Abb.3) sowie auf das wirkungsvolle, mit dem Gemälde aus der Sammlung Somsée eng susam- menbüngende lebensgroße Genrestück (Abb. 5), das 1914, gleichfalls als Murillo, sich im Mailänder Kunst- handel befand. Bei diesem Bild ist man sich nicht

im Zweifel, daB es schon dem 18. Jahrhundert an- gehört, während man bei den anderen Stücken, namentlich den Interieurs, kaum an eine solche späte Zeit denkt. Die meisten Todeschinis wirken viel mehr als Arbeiten des 17., denn des 18. Jahr- hunderts und durch ihren Naturalismus sowohl wie durch das tiefe Kolorit, die Vorliebe für ein warmes Braun und die überaus kräftige Vortrags- weise, die derbe höchst flotte Pinselführung und für den fetten Auftrag ist es nur zu verständlich, daß man diese Bilder mit dem älteren Herrera in Verbindung bringt. Daß aber der Unterschied doch bald erkennbar wird, zeigt vielleicht am besten ein Vergleich des Porträts Todeschinis an der Staffelei mit dem Selbstportrit Herreras in der Sammlung Lazaro zu Madrid (Abb. 4).

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf einen anderen Pseudospanier verweisen; es ist der Autor des lebensgroBen Hirten, der mir in den Ehrich Galleries in New York vor einigen Jahren als Murillo geseigt wurde (Abb. 6). Man wird kaum fehlgehen, wenn man auch hier den Künstler unter den Oberitalienern des 18. Jahrhunderts sucht. Es scheint mir wenig zweifelhaft zu sein, daß dieses recht dekorative Bild mit der leicht senti- mentalen Note dem Mailinder Francesco Londonio (1723—1782) zuzuschreiben ist, der gerade Spe- sialist für derartige bukolische Stücke war, wie seine Bilder in der Brera und in mancher ober- italienischen Villa beweisen.

REZENSIONEN EE

ERNST HEIDRICH, Beiträge zur Ge- schichte und Methode der Kunst- wissenschaft. Verlag Benno Schwabe & Co., Basel 1917.

Die beiden bier zuerst abgedruckten Vortrige stellen das Fragment einer leider nicht mehr zu. stande gekommenen Arbeit dar, die Entwicklungs- geschichte der neueren Kunstgeschichtsschreibung behandelnd. Nach den vorliegenden Proben würen höchst reizvolle Aufschlüsse methodischer sowie geschichtsphilosophischer Art zu erwarten ge- wesen; doch vermögen schon diese knappen, fein durchdachten Ausführungen uns wenigstens die Hauptlinien der Heidrichschen Gedanken dar- zulegen und zu zeigen, wie sich auch in der Kunstgeschichte über das rein Gegenständliche hinaus die Färbung des geistigen Lebens in den einzelnen Epochen ausdrückt.

_ Vasari und Winckelmann sind die beiden Gegen- pole der Begründungsperiode. Der Italiener geht von den Bedürfnissen der Künstlerschaft aus. Neben der Absicht, die künstlerische Produktion durch das Bewußtsein des Zusammenhangs mit der Vergangenheit zu steigern, unterstreicht er die soziale Stellung eines neuen Standes und geht auf die Erziehung des jungen Künstlers aus, wo- bei dann oft jene zum flachen Raisonnement aus- artende moralisierende Tendenz durchbricht. Die Charakterisierung der nationalen Eigenart wird durch das Ausspielen der bespnderen Vorzüge der jeweiligen künstlerischen Leistungen angebahnt. Mit der starken Betonung der Kunsttheorie will er an Stelle der fehlenden historischen Legitimi- tät eine axiomische Begründung des neuen Stand- punktes geben. Der bei den Nachfolgern V.s sich zur größten Schwerfälligkeit entwickelnde antiqua- rische Apparat ist gleichfalls auf die Bedürfnisse der Praxis zugeschnitten. Eine nur scheinbar ein- heitliche Geschichtskonstruktion, bei der die Frage nach der Leistung in Relation auf einen willkür- lich fizierten Punkt der Entwicklungsgeschichte das erste ist, schließt das historische Verständnis jeder Epoche von vornherein aus, ebenso wie die direkte Verbindung der Renaissance mit der An- tike unter gánslicher Ausschaltung des Mittelalters eine antihistorische Fiktion. ist. Künstlerisches Schaffen wird nach dem Können beurteilt, die Ambition kritisch fundierter, auf objektive Er- kenntnis ausgehender Forschung liegt V. fern. Eine ideengeschichtliche Wendung des Themas macht schon der ausgeprägte Individualismus der

Zeit unmöglich. Mit den Nachfolgern wird die lebendige Überzeugung, die das intensive Anteil- nehmen an künstlerischen Fragen bei V. immer- hin zeitigte, zur klassizistischen Doktrin; die Hi- storiker beginnen sich negativ ablehnend gegen die interessantesten Zeiterscheinungen zu verhalten.

Mit Winckelmann hört die Kunstgeschichte auf, eine interne Standesangelegenheit zu sein. An Stelle des geschmacklichen Qualitätsurteils mit dem Maßstab der Gegenwart tritt jetzt eine plan- mäßige Stilanalyse. Wirkliche Probleme der historischen Erkenntnis werden angeschnitten: die Erklärung der Ursachen, aus denen das Phänomen der Kunst herzuleiten ist und die dadurch bedingte Gesetzlichkeit des Stils. Die Kunst tritt ins engste Verhältnis zur historischen Wissenschaft, Nun ent- wirft W. von der griechischen Kunst in letzter Linie ein Idealgemilde und will damit auf die Gegenwart einwirken, einer bereite vorhandenen klassizistischen Bewegung die historische Begrün- dung verleihen. Aber in dieser Tendenz sprechen jetzt Weltanschauungsfragen mit. Begriffe wie Echtheit und Ursprünglichkeit des Empfindens werden in die Wertrechnung eingestellt. Die Sehnsucht der Zeit nach Einfachheit, Stille, Frei- heit und Natur klingt in W.s Betrachtungen wieder. Ein neues Ideal wird in der Verbindung von Kunst und Leben aufgestellt. Die Gegenwartskunst ist krank, die Idealität der griechischen Kunst unver- einbar mit dem Geist des ancien régime. Das künstlerische Denken ist wie das politische eine oppositionelle Bewegung des dritten Standes. Wenn W. die Zusammenhänge auch mehr noch geahnt als erlebt hat, so hat eine spätere Zeit die von ihm gezogenen Umrisse nur schärfer und richtiger bestimmt. Seine Gesichtspunkte blieben anerkannt, wenn auch mit Einschränkungen und Modifikationen. Zwar zeigen sich schon bei W. die Gefahren einer abstrakten Geschichtsschreibung, aber seine Bedeutung bleibt doch bestehen in der Durchgeistigung des Stoffs. Über die griechische Kunst tangiert die Kunstgeschichte zur allgemeinen Geisteswissenschaft. Die Gewalt des sprachlichen Ausdrucks, eine Folge des entbusiastischen Schauens und die Forderung nach Autopsie der Denkmäler sind Vorzüge, die noch heute anerkannt werden müssen. |

Die ungeheure Erweiterung des Horizonts im 19. Jahrhundert stellte der zunächst hinter der Archäologie zurückgebliebenen neueren Kunst- geschichte Anforderungen, denen die alte, durch

107

Vasari inspirierte Methode nicht mehr gewachsen war. Die Eigenbedeutung der Nationen sowie das geschmähte Mittelalter kamen unter dem Ein- flu der Romantik zur vollsten Geltung. Das Kónnen blieb nicht der Wertmesser der Beurtei- lung. Die neu einsetzende Schitzung der Primi- tiven ist ein Anzeichen für diese Verschiebung der Stellungnahme. Neben der nationalen Note

spricht nun das.religióse Moment mit, das bei.

Winckelmann kaum eine Rolle spielt. Mit Schnaase tritt die neuere Kunstgeschichte in die strenge Systematik ein und wird unter Hegels Einfluß zum groB angelegten Geschichtsbild. Anschauungen werden zu Begriffen stabilisiert. Doch die ge- dankenliche Konstruktion überwiegt die sinnliche Anschauung, das Gefühl, vor einem interessanten Problem zu stehen, läßt nicht die volle Stärke des künstlerischen Eindrucks aufkommen. In der lite rarischen Darstellung seigt sich der Konflikt in einer äußerlichen Verbindung des eigentlichen ideengeschichtlichen Textes mit historischen No- tizen. Die „Niederländischen Briefe“ werden durch eine merkwürdig weite Distanz von dem Kunst- werk gekennzeichnet.

Erst Burckhardts Cicerone ist zum ersten Male eine Geschichte der Kunst, die vor den Denk- mälern selbst entstand, die bewußt auf kunst- philosophische Exkurse verzichtet. Sein Genie beruht auf dem Vermögen, Eindrücke von per- sönlichster Färbung mitzuteilen, die künstlerischen Ereignisse möglichst ohne das Dazwischentreten von Reflexionen zu intensivieren. Empirismus von böchster Klarheit ist sein Programm. Das Kunst- werk hat bei ihm wieder seine Daseinsberechtigung gefunden als Quelle für einen naiven und un- reflektierten Genuß. Es ist nicht mehr ausschließ- liches Stildokument. Die freie Sinnlichkeit des Lebensgefühis und das Selbstbewußtsein der Per- sönlichkeit sind die Faktoren, die B.s Neigung zur italienischen Renaissance erklären. Die letzten Kategorien seiner Beurteilung der Richtungen und Persönlichkeiten sind ethische, nicht ästhetische. Reinheit und Ausgeglichenheit der Gesinnung geben den letzten Ausschlag. So entstehen Misch- urteile, die dem natürlichen Verbalten entsprechen und den höchsten Reichtum künstlerischer Er- kenntnis gestatten. B.s Geschichtebild ist eine subjektive künstlerische Schöpfung höchsten Reises, nichts mehr, aber die zu weitgebende Objektivität der ideengeschichtlichen Spekulation bedeutet auch eine Vergewaltigung der Wirklichkeit.

Eine den Vortrigen beigegebene Besprechung von ,Jantzens „Niederländischem Architekturbild“ führt in sachlichster Polemik gegen Alois Riegl

108

diesen letzten Gedanken an einem Beispiel durcb und zeigt die Einseitigkeiten und Gefahren, die das Abhören des Entwicklungsganges auf von vornherein festgelegte Begriffe mit sich bringt. Eine Schematisierung bedeutet es nach Heidrich immer, wenn man es unternimmt, die Kunst- geschichte zur Problemgeschichte umsubilden, Eine begriffliche Ableitung aus scheinbaren Prümissen ist ihm nichts anderes als moderne Scholastik und krankt wie diese an einer starren Termino- logie und willkürlicher Verzeichnung des Tatsüch- lichen, Hans Kahns.

WALTHER HEYMANN: Max Pech- stein. Mit 4 Farbendrucken, 44 Netz- ätzungen nach Gemälden und 58 Strich- ützungen im Text. München, R. Piper & Co., 1916.

Es ist kein Zufall, daß Pechstein als erster aus der Generation der einstigen „Brücke“ eine Mono- graphie erhalten hat. Gerade, daß er mehr auf der Oberfliche bleibt als Nolde, Schmidt- Rottluff, Heckel oder Kirchner und mit gröberen, äußer- licheren Mitteln arbeitet, bat ihm Erfolg bel jenen gesichert, die wohl die äußere Geste, aber nicht die innere Notwendigkeit des neuen Kunstwollens erfassen. |

Heymann versucht nicht einmal eine Synthese von Pechsteins Kunst und der Art seines Werde- ganges zu geben. Bilder aus der Zeit von 1908 bis 1913 werden mit Worten umschrieben, Pech- steins Südseereise bildet den äußeren Abschluß

des Buches. Der Verfasser ist von restioser Liebe `

und Bewunderung für den Maler erfüllt. „Ich wünsche ausdrücklich su bekennen, daß meine Augen nichts Größeres erreicht haben, als diese befehlende und sarte Sicherheit, die eine Rich- tungswende in der Kunstgeschichte heraufzwang" (8.77). GewiB ist es die Liebe, die das Feuer brennend erhält, aber Heymann {st seiner Aufgabe trotzdem nicht gewachsen. Er weiß nicht su scheiden, da ihm Pechstein als ein losgelöstes Einselwesen erscheint, was dessen geistig-schóp- ferisches Eigentum ist und welche Elemente die Zeit ihm sugetragen hat. So erscheint ihm Pech- stein, ,der Giotto unserer Zeit", der ,Genius, der die Einheit mit sich selber unverlierbar errungen hat“ als Schöpfer eines neuen Stils, während die „Richtungswende“ von anderen geschaffen wurde und Pechstein nicht Führender, sondern Geführter ist. Wenig glücklich ist die Ausstattung des Buches trotz zahlreicher, guter Reproduktionen und eines schönen Farbholzschnittes. Die Strich- atsungen darunter einige sehr reizvolle Zeich-

——

nungen über den Seitenrand oben und unten hinausgehend, zerreißen das Satzbild in peinlich- ster W'eise. Der bildende Künstler ist an dieser Anordnung hoffentlich unschuldig.

Rosa Schapire.

KARL HÄHNLE, Arretinische Relief- keramik. Ein Beitrag zur Geschichte des antiken Kunstgewerbes. Diss. phil. Tübingen 1914. Stuttgart ıgı5. 78 S, I Taf.

Vorliegende Dissertation ist nur ein Teil der groBen Arbeit des Verfassers über die Relief- keramik von Arezzo, die nach dem Kriege mit dem reichen Bildermaterial bisher unveröffentlich- ter Stücke erecheinen soll.

In Arezso entwickelte sich um die Mitte des ersten Jahrhunderts vor Chr. eine reiche Ton- industrie, die gegen Ende des ersten nachchrist- lichen Jahrhunderts aufhórte. DieLage der Stadt begünstigte den Export, Hähnle untersucht die Erzeugnisse der Relieftópfereien und gibt auf Grund der reichen Funde in Arezzo, der Bestünde des archüologischen Museums in Florenz und des Thermenmuseums in Rom, der Sammlungen des Bostoner Museums, der Funde in Germanien usw., „ein genaues Bild der arretinischen Relieftöpfer im einzelnen und ihres Zusammenbanges" (S.11).— Auf die vollständige Ausgabe wird nach Erscheinen ausführlicher zurückzukommen sein.

T. O. Achelis.

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109

RUNDSCHAU T —Ha

DER CICERONE.

X, 5/6.

H. H. HOUBEN; Bilderzensur im Vormärz. Frag- mente aus einer Geschichte der Zensur.

ECK. v. SYDOW: Karl Schmidt-Rottluff. (5 Abb.)

‘WALTER BOMBE: Die Neuordnung der Dússel- dorfer Kunstgewerbeschule.

DIE KUNST. XIX, 6. |

JULIUS VOGEL: Die Erwerbungen des Museums der bildenden Künste in Leipzig in den Jahren 1912—1917. farb. Taf, 23 Abb.)

KARL VOLL +. Zwei satirische Anleitungen zur Kunstkennerschaft.

ALEXANDER v. GLEICHEN-RUSSWURM: Georg Broel (12 Abb.)

KARL VOLL Die Gemaldesammlung Baron Albert Oppenheim- Köln.

GEORG JACOB WOLF: Emanuel v. Seidis Mur- nauer Bauten. (2 Taf., 20 Abb.)

MAX RAPHAEL: Das Buch mit Abbildungen. DEUTSCHE MODE: (8 Abb.)

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. XXIX, 4/5.

MAX J. FRIEDLAENDER: Jan Wellens de Cock. (6 Abb.)

ALBERT KÖSTER: Johann Joachim Winckel- mann. (r Taf.) ,

HANS TIETZE: Oekar Kokoschka. (17 Abb.)

KARL LILIENFELD: Philipp Wirth, ein ver- gessener deutscher Meisterportrátist. (4 Abb.)

BERLINER MUNZBLATTER.

XXXIX, 194.

E. BOHLEN: Collectio Seideliana. Eine Richtig- stellung nach 225 Jahren.

GEORG GALSTER: Der Búnstorffer Brakteaten- fund (Schluß).

OUDE KUNST.

Ш, 5.

W. VOGELSANG: Tweé schilderijen uit de ver- zameling Onnes van Nyenrode. (2 Taf)

FRITZ LUGT: Naar aanieiding der veiling von Kaufmann.

J. W. ENSCHEDE: De Galerie Musicale van Hess- Kippelin-Engelmann.

JUST HAVELAAR: Ommegang door onze Musea. (2 Abb.)

110

J. W. ENSCHEDE: Oude Boekdruckkunst en nied- versierte Nederlandsche folio-titels tusschen 1700 en 1825. (6 Abb.)

——

BERICHTE AUS DEM KNOPFMUSEUM HEINRICH WALDES.

II, 2/4.

R. FORRER: Kleiderverschlüsse mit Wedgewood- Einlagen. (z Taf., 6 Abb.)

ALFONS TOMANEK u. BÉETISLAV SETLIK: Beiträge zur Geschichte der Perlmutter - Industrie in Osterreich. (3 Abb.)

HERMANN STARCKE: Kleiderverschlüsse in den Kgl. Sammlungen zu Dresden. Das kgl. Grüne Gewólbe II. (r Taf, 4 Abb.)

HEINRICH WALDES: Der Kleiderverschlu8 Arm- Amputierter und Arm-Beschiidigter. (8 Abb.)

zm

KUNST UND KÜNSTLER. XVI, 5.

KARL SCHMIDT - HELLERAU: Der deutsche Lebrling. ERICH HANKE: Lodewijk Schelfhout. (7 Abb.)

MAX von BOEHN: Das Bühnenkostüm in Mittel- alter und Neuzeit II, (13 Abb.)

KARL SCHEFFLER: Wilhelm Trübner +. EMIL WALDMANN: Rodin f.

XVI, 6.

EMIL WALDMANN: Januskópfe der Genialität. GEORG GRONAU: Piero della Francesca, (17 Abb.)

RUDOLF EBERSTADT: Eine Dorfsiedelung des I8. Jahrhunderts. (2 Abb.)

JULIUS ELIAS: Ulrich Hübner. (4 Abb.)

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION

XXI, 4/5.

FRANZ SERVAES: Ausstellung der Berliner Se- zession. (6 Taf., 12 Abb.)

EMIL UTITZ: Kunstgewerbliche Graphik, WILLY GEIGER: Epistel aus dem Felde. (r Taf., 6 Abb.)

F. KULLBERG: Maler Arthur Illies - Hamburg. (a Taf. 4 Abb.)

EDUARD KAPRALIK: Zu den Gemälden von Rudolf Glotz-Wien. (r Taf, 4 Abb.)

Zu den Bildern von R. OTTO-Dresden -Loschwitz. Taf., 3 Abb.)

BERNHARD MÜLLER: Neuere Werke von Hein- rich Jobst. (2 Taf., 22 Abb.)

GUSTAV E. PAZAURBK: Der Sieg der Qualität. K. PRELLWITZ: Sehen lernen. K. WIDMER: Wilhelm Trübner +.

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. KUNSTSAMMLUNGEN. XXXIX, s.

W. v. BODE: Die Venus mit dem Orgelspieler von Tizian im Kaiser Friedrich-Museum. (4 Abb.)

BORCHARDT : Sphinxzeichnung eines ägyptischen Bildhauers. (a Abb.)

XXXIX, 6.

R. OLDENBOURG: Neues über Jan Lys. (5 Abb.) WOLFGANG FRITZ VOLBACH: Ein palästi- nensisches Amulett. (2 Abb.)

CH. HÜLSEN: Zum Berliner Cameo des Dios- kurides. (2 Abb.)

NEUE BÜCHER н

KUBIN, Ein Totentanz, Verlag Bruno Cassirer, Berlin. Preis M. 7.— geb.

Zur Kunstgeschichte des Auslandes: Verlag J. M. Ed. Heitz, Straßburg.

Heft 115, WITTING, Michelangelo da Caravaggio. Preis M. 5.—.

Heft 114: Geschichte des Treppenbaus der Baby- lonier und Assyrier, Agypter, Perser und Griechen. "Preis M. 8.—.

Heft 115: DEXEL, Untersuchungen über die fran- zösischen illuminierten Handschriften der Jenaer Universitätsbibliotbek. Preis M. 4.—.

Heft 116: SEDLMAIER, Grundlagen der Rokoko- Ornamentik in Frankreich. Preis M. 10.—.

Heft 117: HAHR, Bewegungsgestalten in der griechischen Skulptur. Preis M. 3.—.

SÖRGEL, Architektur- Ästhetik. Verlag Piloty & Léehle, München. Preis br. M. 8.—.

Bibl. für Kunst- und Antiquitštensammler. Band 111: BERCHEM, Siegel.

Band 112; SCHOTTMÜLLER, Bronzestatuetten'

und Geräte. Verlag Rich. Carl Schmidt & Со, Berlin. Preis je M. 8.—.

WULFF, Grundlinien und kritische Erdrterungen zur Prinsipienlebre der bildenden Kunst. Verlag Ferd. Enke, Stuttgart, Preis M.

BEHRENS, Über die Beziehungen der künstle-

rischen und technischen Probleme. Verlag E.S. Mittler & Sobn, Berlin. Preis 0.60.

Mitteil. des ung. wiss, Instiruts in Konstantinopel. Heft 1; GLÜCK, Türkische Kunst. Heft 3: Gótteridealeu. Porträts in der grisch. Kunst.

Die Baltischen Provinzen, Teil Ш: Bauten und Bilder. Verlag Felix Lebmann, Berlin. Preis M. 4.—.

ROTHES, Krieg und bildende Kunat. Verlag Parcus & Co., München.

HARTMANN, Die Wiedergeburt der deutschen Volkskunst. Verlag R. Oldenbourg, München. Preis M. 3.— .

Studien zur deutschen Kunstgeschichte. Verlag J. M. Ed. Heitz, Straßburg.

Heft 199: VOLBACH, Der Ы. Georg. Preis M. 8.—. Heft 200: LUTHGEN, Die niederrheinische Plastik. Preis M, 40.—.

Heft 201: STEIN, Die Erneuerung der heroischen Lendschaft nach 1800. Preis M. 8.—.

Heft 203: STRAUSS, Zur Entwicklung des seich- nerischen Stils in der Köln. Goldschmiedekunst des r2. Jahrhunderts. Preis M. 8.—.

LAZAR, Studien sur Kunstgeschichte. Verlag Anton Schroll & Co., Wien. Preis M. 6.—. FRIMMEL, Studien und Skizzen zur Gemälde- kunde. Verlag Gerold & Co., Wien.

XI. Jahrgang, Heft 4.

Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im Felde. Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. и уоп KLINK-

HARDT & BIERMANN, Leipzig.

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Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland-

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Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen - Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

112

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Abb. 2. CIPPER, Hiusliche Szene Larchmond, N. Y., Sammi. E. Boross

Abb. r. CIPPER, Selbstbildnis Düsseldorf, Samml. Leifmann

Zu: AUGUST L. MAYER, CIPPER, GENANNT TODESCHINI, ALS PSEUDOSPANIER

M. f. K. XL, 4

Tafe 24

Abb. 3. CIPPER, Knabe mit Taube München, Smig. Frhr. v. Schrenk-Notsing Abb.4. FR. HERRERA D. À., Selbstbildnis Madrid, Samml, Lásaro

Zu: AUGUST L. MAYER, CIPPER, GENANNT TODESCHINI, ALS PSEUDOSPANIER

M. f, K. XL, 4

Tafe

Abb. s. CIPPER, Die Mahlzeit Mailand, Kunsthandel

Abb. 6. LONDONIO, Der Hirte New York, The Ehrich Galeries

Zu: AUGUST L. MAYER, CIPPER, GENANNT TODESCHINI, ALS PSEUDOSPANIER

M. f. K. XI., 4

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 5

ABHANDLUNGEN REZENSIONEN HUBERT STIERLING, Kleine Beiträge Theodor Dáubler, Der neue Standpunkt

ar А Gin 8. 139 zu Peter Vischer. 4. Das Rátsel des Gertrud @radmann, Die Monumentalwerke der

Sebaldusgrabes. Mit ro Abbildungen Bildhauerſa milie Kern, (Studien zur deutschen auf y ela 8.113 Kunstgeschichte, Heft 198.) Mit 7 Lichtdruck-

tafeln (Schmidt) ............. 8. 139 |

ROBERT WEST, Die Übergangsstile w. rr. Volbach, Der heilige Georg. Bildliche als Exponenten des Ideen- und Rassen- Darstellung in Süddeutschland mit Berück-

А ilándi sichtigung der norddeutschen Typen bis zur kampfes innerhalb der aben dischen Renaissance. Mit 35 Abbildungen auf 8 Tafein.

Kulturwelt (Fortsetzung). . . S. 126 Studien zur deutschen Kunstgeschichte,

TT Sakral- Heft 199 (Escherich) .......... 8. z40 ALFRED GROTTE, Ostjtidische e Augustin Hirschvogel, Ein deutscher Meister

kunst und ihre Ausstrahlungen auf der Renaissance. Von Karl Schwarz (Kern) deutsches Gebiet. Mit 11 Abbildungen 8. 141

sut S Tu ria S.135 RUNDSCHAU ............. S. 143

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KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER. 4. DAS RÁTSEL DES SEBALDUSGRABES | Mit zehn Abbildungen auf sieben Tafeln Von HUBERT STIERLING

er deutsche ErzguB des 15. und 16. Jahrhunderts ist relativ wenig erforscht.

Die Zeit vor Vischer und nach Vischer bietet noch immer eine Fiille von Problemen, die der Lósung bedürfen. So steht in MeiBen die groBe Tumba Fried- richs des Streitbaren (+ 1428), über die wir weder stilistisch noch zeitlich irgend etwas Sicheres wissen; auch ihre seitlichen Gravierungen haben sich nicht auf ihre Vorlagen zurückführen lassen, so deutlich man auch spürt, daB hier Kupfer- stiche zugrunde liegen. Ja, selbst die Vischer, die ihrer überragenden Bedeutung nach sich wie eine Dynastie über die Geschlechter der mitlebenden GieBer er- heben, bieten noch viele und groBe Rátsel, obwohl die Forschung seit 80 Jahren hart um sie ringt. Ihr Ahnherr. Hermann wird von einem fast mystischen Dunkel umgeben, denn wir kennen nur ein einziges sicheres Werk seiner Hand, das Wittenberger Taufbecken, und dieses ist so besonderer Art, daß es nicht möglich ist, ihm weiteres glaubhaft zuzuschreiben. Nur einmal ist, wie Lüer in seiner Geschichte der Metallkunst I (1904), S. 348, mitteilt, vor etlichen Jahren ein diesem ähnliches Becken im Handel aufgetaucht, über das ich aber auf Anfrage beim Verfasser nichts näheres erfahren konnte?).

Hermanns größerer Sohn Peter tritt uns mit Hilfe seiner bezeichneten Werke und der Neudörferschen Nachrichten schon viel greifbarer entgegen; und doch, wie viele, wie grundlegende Rätsel bleiben auch bei ihm! Gerade um das Werk, welches seinen Ruhm durch die Jahrhunderte getragen hat, das Sebaldusgrab, wogen die Wellen des Meinungsstreits unaufhörlich seit vielen Jahrzehnten. Viel- leicht, ja hoffentlich ist es den folgenden Ausführungen beschieden, diesen Kampf zu schlichten, oder wenigstens seiner Lösung nahe zu bringen. Es läßt sich dabei nicht umgehen, die Meinungen der Hauptforscher wenigstens der letzten 40 Jahre kurz zu registrieren. |

In dem Dohmeschen Sammelwerk Kunst und Künstler erschien 1878 eine Lebens- beschreibung aus der Feder R. Bergaus, der sich vorher in einer Fülle von Auf- Sützen mit Peter Vischer beschiftigt hatte. Es war ihm dabei zur GewiBheit ge- worden, daß ein großer Teil der künstlerischen Arbeitsleistung am Sebaldusgrab dem jüngeren Peter gut zu schreiben sei Aber er setzt das Geburtsjahr dieses Sohnes mit 1494 um sieben Jahre zu spšt an (S. 5). Trotzdem teilt er ihm die kleinen Figuren und das Ornamentale des Sockels zu, indem er auf die von Neu- dörffer bezeugte Lust dieses Sohnes an Historien und Poeten Bezug nimmt und auf die sogenannte Rössnersche Chronik, welche angeblich berichtet, daß der jüngere Peter das meiste am Sebaldusgrabe gemacht habe. (Ich komme auf Róssner noch ausführlich zurück) Bergau zeigt sich hier von richtigem Stilgefühl geleitet, aber seine Annahme zugunsten des jüngeren Peter vermag er nur durch einen zweiten Irrtum zu stützen, indem er nämlich S. 24 annimmt, daß 1516 nach der Rückkehr Hermann Vischers aus Italien ein künstlerischer Umsturz in Richtung auf die Früh- renaissance stattgefunden habe, und daß alle Teile des Sebaldusgrabes, welche

(1) Nahe verwandt ist auch das Ochsenfurter Taufbecken, das aber wohl von einem der Söhne Peter Vischers d. À. herrührt.

Monatshefte für Kunstwissenschaft XI. Jahrg. 1918, Heft 5 8 II3

diesen neuen Geist atmen, erst damals ausgefiihrt seien. So hat er sich aus dem Dilemma des späten Geburtsdatums Peter Vischers d. J. herausgezogen und läßt ihn 1516 im Alter von etwa 22 Jahren die grundlegende Bereicherung des goti- schen Kernes vornehmen. Diese Ansicht möchte plausibel erscheinen, nur läßt sie sich nicht mit dem technischen Tatbestand in Einklang bringen, denn gerade diejenigen Teile, welche den quellenden Reichtum der Frührenaissance zeigen, sind untrennbar mit dem datierten Sockel von 1508/9 verbunden und gleichzeitig mit ihm gegossen! Damit ist Bergaus These erledigt, wenngleich ihr ein richtiges Gefühl zugrunde liegt. | |

Auch Bode nimmt in seiner Geschichte der deutschen Plastik 1885, S. 146, für Peter Vischer d. J. das falsche Geburtsdatum 1494 an. Trotzdem kann auch er sich S. 148 dem Gedanken nicht verschlie&en, daB ,die Tritonen und Sirenen, die Harpyien und Satyren, wie die spielenden Kinder, ihrer Mehrzahl nach der Er- findung und Hand des jüngeren Peter zuzuweisen seien, dessen Lust an Historien und Poeten Neudörffer ausdrücklich hervorhebt, und dessen bezeichnete Arbeiten in Formgebung und Erfindung den ähnlichen Charakter tragen.“ Dieser Hinweis auf die späteren Werke des jüngeren Peter, die den genannten Teilen des Sebaldus- grabes verwandt sind, ist ganz gewiß sehr richtig. Wenn aber Bode hinzufügt, daB diese gesamte Genreplastik des Sebaldusgrabes ,,als letzter Schmuck des Mo- numentes gearbeitet“ sei, so begeht er denselben Irrtum wie Bergau, denn wir können nun einmal nicht um die Tatsache herum, daß der Sockel mit allem Bei- werk in zwei Teilen 1508/9 gegossen ist; damals hätte der jüngere Peter aber, wenn das Bergau-Bodesche Geburtsdatum richtig wire, erst 14 Jahre gezühlt.

Erst Georg Seeger bringt 1897 in seiner Dissertation über Peter Vischer den Jüngeren Klarheit in diese Wirrnisse, indem er auf die Medaille desselben auf- merksam macht, welche die Aufschrift trägt: EGO PETRUS VISCHER MEVS ALTER 22 ANO 1509. Damit endlich wissen wir, daß der Künstler 1487 ge- boren ist und in den für das Sebaldusgrab entscheidenden Jahren 1508/9 22 Jahre zählte, also zufällig ebenso viel wie Bergau und Bode annahmen, welche sein Geburtsjahr auf 1494 setzten und die Renaissanceteile des Sockels auf 1516. Wie diese seine Vorgünger schreibt auch Seeger dem jüngeren Meister alle jenen Teile des Grabes zu, welche der lebendige Anhauch des neuen Geistes getroffen hatte. Aber während jene sich noch allgemein und zurückhaltend äußern, greift er mit der Sicherheit, die der jahrelange Verkehr mit demselben Künstler erzeugt, viel energischer in das Sebaldusproblem hinein. Er schreibt dem jüngeren Meister S. 120 den größten Teil der Sockelreliefs, die vier Helden, die vier Kardinal- tugenden, einzelne Kindergruppen, zwei der vier Reliefs aus der Sebalduslegende, die beiden nackten Jünglinge, welche die Reliefs stützen, nebst den Köpfen in den Bogenzwickeln zu; ebenso habe er bei den Apostel-Statuetten und bei den oberen I3 Gestalten schópferisch mitgewirkt und den Petrus und einige verwandte Ge- stalten, sowie den David geschaffen. Auch ich glaube auf Grund jahrelanger Kenntnis der Vischerwerke, daß Seeger im wesentlichen auf dem richtigen Wege war. Seine weitausgreifenden Überlegungen haben viel Überzeugendes an sich, doch fehlt immer noch die letzte, wirklich durchschlagende Erklürung, wie es kommen konnte, daß die beiden großen Sockelhiilften von 1508 und 1509 zwei so grundverschiedene Stile beherbergen, und ob es denn nicht möglich sei, diese beiden Kunstweisen auf einem noch einwandfreieren Wege, als ihn die Stilkritik bietet, zu trennen. Gerade hierauf hoffe ich die Antwort bringen zu können, muß aber vorläufig noch auf dem registrierenden Wege verharren.

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Das Seegersche Buch hat nicht die Anerkennung gefunden, die ihm gebührt. Vor allem schrieb im Jahre 1900 Weizsäcker im Repertorium 23 eine m. E. viel zu harte Kritik. "Vielleicht haben wir es ihr zu verdanken, daf Seeger, dessen Sachkenntnis und warme Begeisterung noch manches erhoffen ließen, sich niemals wieder zu seinem Thema geäußert hat!) Weizsäcker sagt S. 304, aus guten Gründen kónne er nicht weiter gehen, als dem jüngeren Meister nur zwei allego- rische Frauengestalten am Sockel und die vier Leuchterweibchen zuzuschreiben. Er bleibt also damit nicht nur hinter Seeger, sondern auch hinter Bergau und Bode zurück. Gleich darauf bekennt er aber, daB auch er sich im Hinblick auf die vier groBen Sebalduslegendenreliefs immer versucht gefühlt habe, an einen der jüngeren Mitwirkenden zu denken, von dem dann aber alle vier Reliefs und nicht bloß zwei herrühren müßten, denn in Form und Technik bestehe zwischen ihnen kein ernstlicher Unterschied (S. 305). Darin pflichte ich Weizsiicker bei und bin in der Lage, die Frage mit neuem Vergleichsmaterial aufzuklären, welches zeigt, wie sehr diese Reliefs den Geist des jüngeren Peter atmen. |

Diese Weizsickersche Besprechung, die im übrigen viel Kluges und Frucht- bringendes enthält, hat im wesentlichen das Ausmaß dessen bestimmt, was man künftig dem begabten Sohne zuzuweisen geneigt war. Im Jahre r905 ließ Daun seine bekannte Künstler-Monographie über Vischer erscheinen, deren Existenz wegen ihres Bilderreichtums zwar ein Segen ist, von der man aber dringend wünschen muB, daB sie in der zweiten Auflage wesentlich vertieft wird (vergl. auch die Besprechung von Hampe in diesen Heften, 1905, 8r ff). Daun erklärt S. 29 im ver- steckten Hinblick auf Seeger, daB die Persünlichkeit des jungen Peter nicht greif- bar geworden sei, und daß sich deshalb für uns vorläufig der Kunstcharakter des Vaters im allgemeinen mit dem seines Sohnes decke! Eine Trennung der Arbeits- anteile werde immer strittig bleiben. Der Vater sei zeitlebens das geistige Haupt der Werkstatt geblieben, und die von seinem gleichnamigen Sohne 1508 aus Italien mitgebrachten Skizzen hätten genügt, auch dem Vater ein tieferes Verständnis für die Renaissancewelt beizubringen. Eine reichlich naive Vorstellung, daß Skizzen- blätter hinreichen könnten, aus einem alten, gotisch erzogenen Manne einen Renais- sancekünstler von übersprudelndem Temperament zu machen, einem Temperament, das man in seiner Lebensfülle und Unerschópflichkeit nicht anders als genial be- zeichnen kann. So bildet denn Dauns Monographie einen Rückschritt über alles vorangegangene. Er schreibt dem jüngeren Peter am Sebaldusgrab nichts als selbstindige Leistung zugute, ja, er übergeht mit Worten und Abbildungen sogar die vier Leuchterweibchen, die in der deutschen Kleinplastik nicht ihresgleichen haben. Dagegen verwendet er drei Klischees auf die Nürnberger Madonna, sa- pienti sat! "M

Auch Dehio erklärt 1908 im Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler III, 345 die Ausführung des Grabes für so einheitlich, daß eine Ausscheidung des Anteils der, Söhne nicht möglich sei und daß diese nur als ausführende Gehilfen des Vaters erschienen. | |

Endlich sei noch die Genreplastik am Sebaldusgrabe von Alexander Mayer?) (1911) erwühnt; der Verfasser stellt sich im wesentlichen auf den Standpunkt Weizsäckers, nur daß er auch die vier großen Reliefs der Sebalduslegende dem

(1) Ich sehe nachträglich, daß er die zweite Auflage von G. Autenrieth, Das Sebaldusgrab P. V.'s, historisch und kúnstlerisch betracbtet (Nürnberg 1899), besorgt hat. (3) Vergi. meine Besprechung in diesen Heften IX, 341 ff.

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Vater zuschreibt, so daB für den Sohn nur die vier Leuchterweibchen und zwei Frauengestalten am Sockel als selbstündige Arbeiten übrig bleiben. Merkwiirdig, wie viel tiefer doch Bergau und Bode bereits gesehen hatten, obwohl ihnen nicht entfernt das gute Vergleichsmaterial des heutigen Tages zu Gebote stand.

Ich persönlich bin wie Seeger immer der Meinung gewesen, daß die Früh- renaissance am Denkmal im wesentlichen als Frucht der Reise des jüngeren Peter zu werten sei, der, wie Seeger wahrscheinlich gemacht hat, gerade um 1508, im kritischen Jahre des Arbeitsbeginns, aus Italien zurückkehrte. Die Parallelen zu den Sockelpartien, den groBen Reliefs, den Leuchterweibchen usw. lassen sich in den spüteren beglaubigten W'erken des Sohnes so überzeugend nachweisen, daB man sich nur einem natürlichen Gefühle hinzugeben braucht, um bereits in den frühen Teilen des Sebaldusgrabes die gleiche Hand zu spüren. Das alles jedoch bleibt Gefühl, so lange es nicht gelingt, greifbare Beweise aufzubringen. Dazu aber darf man sich nicht damit begntigen, die Dinge nur mit den Augen zu be- trachten, sondern man muß sie auch abtasten. Tut man dies an den kritischen Teilen des Sebaldusgrabes, so spürt man etwas Unerwartetes. Man merkt nüm- lich genau an der Stelle, wo die gotische in die Renaissance-Sockel-Platte über- geht, einen deutlichen Ansatz, und vor allem, dieser Ansatz wiederholt sich nicht nur auf der Gegenseite, sondern an jedem Sockel auf jeder Seite. Sogar die Ab- bildungen lassen es erkennen. Auf Abb. 1 sieht man ganz dicht am linken Rande, oberhalb des Reliefkopfes, deutlich eine Ansatzstelle in der Sockelplatte. Wer sie hier erkannt hat, findet sie wahrscheinlich auch auf Abb. 2, ebenfalls dicht am linken Rande in gleicher Hóhe wieder. Hier auf dieser Abbildung ist es ferner von Wichtigkeit zu sehen, daß unmittelbar darüber die Renaissance-Sockel-Platte durch- aus nicht in einen entsprechenden gotischen Teil übergeht, wie etwa auf Abb. r, sondern daß sie ganz sorglos zwischen zwei gotischen Profilen mündet. Noch besser sieht man das auf Abb. 3 und 5, wo man besonders deutlich erkennt, daß der jüngere Meister gar nicht mal das Bestreben hatte, die Fuge zwischen alter und neuer Arbeit zu verwischen. Damit ist also gesagt, daß der Renaissance- Sockel nicht zur selben Zeit geformt ist, wie der gotische, sondern daß er später hinzugekommen ist. Da nun aber die beiden Grundsockel auf die Jahre 1508/9 durch Inschrift festgelegt sind, so bleibt nur die Möglichkeit, daß die Veränderung bereits im Wachsmodell geschehen sei.

Sind die Gedanken einmal in diese Richtung gelenkt, dann finden sie noch weiter reiche Nahrung. Etwas tiefer herab ist nämlich das Grabmal ringsum von einer etwa 8 cm breiten, nach innen 11/, cm aufgewölbten gotischen Wellenkante (auf die der Löwe auf Abb. 2 und 3 seine Vorderpranke legt) umgeben, welche von den Grundkanten der Renaissance-Sockel in merkwürdiger Weise direkt über- schnitten wird (Abb. 37). Unwillkürlich wird man dadurch іп dem Verdachte be- stärkt, der sich oben etwa 20 cm höher schon ergab, daß nämlich diese Renais- sance-Sockel nicht zum ersten Entwurfe gehören, sondern später heran kom- poniert sind. | ` Soll diese Beobachtung aber richtig sein, dann muß sie in irgendeiner Form auch auf die weiter nach innen zurück liegenden Zwischensäulen (Abb. 3, die Säule hinter dem eben erwähnten Löwen), welche den Sarg des Heiligen tragen,

` (х) Besonders lehrreich ist die groß: Abbildung bei Mayer, Genreplastik, 8. 7, da sie erkennen läßt, wie die Renaissance-Sockel um das ganze Denkmal herum fast bis an die äußerste Kante heran- gerückt sind

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zutreffen, und auch das ist der Fall! Wie die Abb. r zeigt, befinden sich nämlich an dieser Stelle drei merkwiirdige Stiimpfe, die sich um das ganze Denkmal wieder- holen. Ganz überwiegend hat man es mit solchen Stümpfen zu tun, zweimal aber auch mit abgerundeten, nach innen gebogenen, kurzen Stüben (Abb. 2) Was ist das nun? Soviel ist in Abb. 1 auf den ersten Blick klar, daß hier mit dem Messer ein glatter Schnitt durch ein weiches Material geschehen ist. Mit anderen Worten, hier müssen einmal Säulen aufgestrebt haben. Dem widerspricht durchaus nicht Abb. 2, denn auch hier sind diese Sáulen abgeschnitten, nur etwas hóher und die Stümpfe sind, als ob sie ein Ornament wáren, nach innen an den Sockel heran ge- bogen. In Wirklichkeit sind sie durchaus kein Ornament, sondern man hat versucht, aus der Not eine Tugend zu machen, oder anders ausgedrückt: an Stelle des einen heutigen, schün und breit ausladenden Renaissance-Ballusters haben ursprünglich diese drei Säulen gestanden. Sie haben annähernd die Stärke derjenigen gehabt, welche gegenwürtig die Leuchterweibchen tragen, und sie haben ferner den müch- tigen gotischen Pfeilern, vor welchen die Apostel stehen, entsprochen, so daB ein Wechsel zwischen einem starken Pfeiler und drei dünnen Säulen regelmäßig be- stand. Das muß ein böses Gestänge gewesen sein, umso schlimmer, wenn man sich auch noch die parallel laufenden Stangen des Gitters hinzudenkt. Es war ein Bild frei von aller Anmut, das nicht viele befriedigt haben mag, umso weniger, als sich in jenen Jahren der neue Geist mit ganz anderen Formbedürfnissen meldete.

Nun muß man sich erinnern, daß gerade damals (nach Seeger) der junge Peter aus dem Lande dieser neuen Kunst zurückkehrte. Liegt da die Vermutung so fern, daß er es gewesen ist, der jene Stangensäulen abgeschnitten habe, und daß er es gewesen sei, der jene neuen Renaissance-Sockel vor die Hauptpfeiler gesetzt habe? Es ist das eine Frage, die auf dem Papier und vor Abbildungen schwer entschieden werden kann. Wer vor dem Sebaldusgrab gestanden hat und jene regelmäßigen Absätze an den Sockelplatten gefühlt hat, wer ferner persönlich empfunden hat, wie unorganisch die Renaissance-Sockel mit ihrer Unterkante die gotisch aufgewellte Randleiste überschneiden, der wird hoffentlich mit seiner Zu- stimmung nicht zurückhalten. Nur an Ort und Stelle vermag man auch zu emp- finden, wie völlig anders der Stil der vorgelegten Renaissanceteile ist! Die Photo- graphie verwandelt alles in ein freundliches Beieinander. In Wirklichkeit aber sind die gotischen Teile von einer ganz auffallenden Härte, ja Geistlosigkeit. Es sind aus dem Formenschatz der Gotik wirklich nur die längst verbrauchten Motive genommen; von dem Malerischen der Spätgotik findet man nicht eine Spur. Man kann das gar nicht scharf genug betonen im Gegensatz zu den unendlich weichen, erfindungsreichen Renaissanceteilen, die, wie aus einem gnädigen Füllhorn ge- schüttet, dauernd Neues bringen; ihr Schöpfer mußte einen Formenvorrat im Herzen tragen, wie ihn keines der älteren Vischerwerke auch nur andeutungsweise be- sitzt, und wie er ihn nur im Ursprungslande dieser neuen Kunst in sich auf- genommen haben konnte.

Wer mag es ferner verkennen, daß sich in diesem märchenhaften Reichtum und in dieser unverkennbaren Liebe zum nackten Körper ein junges Gemüt offenbart? Der ältere Meister aber stand damals bereits im sechsten Jahrzehnt. Streicht man einmal diese Renaissancewelt fort und denkt sich an ihrer Stelle die Sockelplatte lediglich durch einige kleine Tierfiguren belebt, wie sie der ältere Vischer in Magdeburg verwendet oder auf seinem Entwurf von 1488 angedeutet hat, so bleibt ein ziemlich kahles Gerüst über, das gewiß nicht den Ruhm des alten Meisters erhöht hätte. Das mag er (oder mögen andere, die ein Wort mitzureden hatten)

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gefühlt und daher dem begabten Sohne freie Hand gelassen haben. Wir wissen ja außerdem durch Neudörffer, daß die Sachen, welche der älteste Sohn des Meisters aus Italien heimbrachte, bei seinem Vater Wohlgefallen erregt haben!) Man darf sich ferner daran erinnern, daß das Magdeburger Denkmal, so herrlich und un- übertrefflich es ist, nach dieser malerischen Seite nicht die geringsten Ansätze zeigt; im Gegenteil, wir haben den geschlossenen Erzstil wie in einem Muster- beispiel vor uns.

Die Langseiten des Denkmals zeigen somit bis auf den heutigen Tag deutlich die damals geschehenen Eingriffe; sie bestehen in der Vorblendung der Renaissance- Sockel und in der Ersetzung der gotischen Stangensáulen durch italienische Ba- luster. Veründerungen haben aber auch die beiden Schmalseiten getroffen, denn die beiden starken profilierten Bodenrippen, die auf Abb. 4 neben der Gerechtig- keit (vgl. auch Mayer, Genreplastik, Tafel 18!) erscheinen, sind mit einem glatten Schnitt unvermutet beendigt worden. Die Ursache ist nicht ohne weiteres klar; nur soviel vermag jeder, der vor dem Grabe steht, leicht zu konstatieren, daB diese máchtigen Rippen, wenn sie fortgesetzt würen, die Seitenfláchen der Renaissance- Sockel derart beeinträchtigt hätten, daß die Anbringung von Ornamenten hier voll- kommen ausgeschlossen gewesen wire. "Vielleicht sind sie aus diesem Grunde dem jüngeren Peter unbequem gewesen und er hat sich ihrer mit einem raschen Schnitt entledigt. An die Schnittfliche lehnen sich heute kleine Putten, ebenso wie auf einer der abgeschnittenen Stangensüulen an der Nordwestecke des Grabes einmal ein Frosch sitzt! Die Liebe zu solchen Genrefigürchen scheint den Vischern im Blute gesteckt zu haben; wir sehen sie am Wittenberger Taufbecken des Groß- vaters, sie kehren wieder auf dem ältesten Entwurf des Vaters zum Sebaldusgrab und wir finden sie endlich an den W'erken des gleichnamigen Sohnes. Allein der sich kratzende Hund, einerlei wer ihn modelliert hat, ist uns wohl ein halbes Dutzend Mal erhalten.

Wann sind nun diese tief eingreifenden Veründerungen geschehen? Schon in den Jahren 1508/9? Wahrscheinlich! Jedenfalls vor 1512, denn in der damals erschienenen Ausgabe der Kosmographie des Pomponius Mela heißt es bereits:

»Quis vero solertior Petro Fischer in celandis fundendisque metallis? Vidi ego totum sacellum ab eo in es fusum imaginibusque celatum, in quo multi sane mortales stare missamque audire poterunt. De sarcophagis candelabrisque eius mirantur quicunque conspexerint, tanta est subtilitas concinnaque proportio fusarum in es grande imaginum."

Dieselbe Hand nun, die im letzten Augenblick mit der unendlichen Bereicherung des Sockels eingriff, hat noch weitere Spuren ihrer Tätigkeit hinterlassen. Es ist ziemlich allgemein die Vorstellung verbreitet, daB die vier Leuchterweibchen an den Ecken des Grabes von Peter Vischer d. J. seien. Eine Beweisführung würde offene Türen einrennen, und es genügt vollauf, wenn man ein Leuchter- weibchen mit der Allegorie der Vergänglichkeit zusammenstellt (Abb. 5 und 6). Es ist derselbe gedrungene und dabei zierliche Akt, dessen weiche Formbehand- lung sich überall am Sockel und in den beglaubigten Werken des jungen Künstlers spáter wiederholt. Darüber hinaus sind beiden Figuren selbst solche AuBerlich- keiten wie die Armhaltungen gemeinsam. Überhaupt muß man sagen, wer Peter Vischer d. J. diese vier Sirenen zuschreibt, der legt ihm künstlerische Fihigkeiten

(1) Übrigens unterscheidet Neudörffer zwischen Kunstsachen, die Hermann aufgerissen und die er gemacht hat; er scheint also auch ausgeführte Kleinigkeiten mitgebracht zu haben.

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bei, die lange ausreichten, die Kleinplastik des Sockels zu schaffen! Ja, man darf ruhig behaupten, daß die deutsche Kleinplastik des 16. Jahrhunderts nichts hervor- gebracht hat, was geistvoller in der Form und reicher im Gehalt würe. Diese vier Sirenen sind in der GuBbehandlung feiner ausgeführt als die Sockelfiguren, Man muB aber in Betracht ziehen, daß sie unmittelbar vor das Auge des Be- schauers gerückt sind und an den Ecken des Denkmals, also an ausgezeichneten Plátzen stehen; da sie ferner als kleine Einzelstücke gegossen sind, so sind sie selbstverständlich auch technisch besser gelungen, so daß ein nachtrügliches Ver- schneiden kaum erforderlich war. Wenn die Sockeihälften gar zu unverschnitten und alla prima geblieben sind, so darf man wiederum daran erinnern, daf das durchaus nicht die Art des alten Meisters gewesen ist. Seine Werke zeigen überall den sorgfültig ausbereiteten GuB. Das Sebaldusgrab weist allein schon durch seine Technik darauf hin, daB hier eine andere Hand mit am Werk gewesen ist. Auch Peter Vischer d. J. ist in späteren Jahren mehr dazu übergegangen, seinen Guß einer nachtrüglichen Überarbeitung zu unterziehen; wenn es am Sebaldusgrab unterblieben ist, so hat das auf mich immer den Eindruck eines jugendlichen Un- gestiims gemacht, das seine Freude daran findet, sich mit dem Uberlieferten in Gegensatz zu bringen. Außerdem sind ja alle diese Teile einer scharfen Betrach- tung des stehenden Beschauers fast entzogen. Jedenfalls wird man wohl zugeben, daß es durchaus nicht die Art eines älteren Mannes wäre, plötzlich mit den GuB- überlieferungen der ganzen Vergangenheit so zu brechen. Ja, nicht einmal die be- rauschende Fülle junger Menschenleiber paßt zu dem älteren Peter, den wir weder vorher noch nachher in irgendwie vergleichbaren Bahnen wandeln sehen.

Die weichen, bewegungsreichen Meerfrauen haben ihren Platz auf merkwiirdig harten Säulen gefunden. Ich möchte glauben, daß hier ein Kompromiß stattgefunden habe; denn daß es für den jüngeren Künstler, der das Denkmal mit Hunderten wechselnder Figürchen geschmückt hat, und der über den Formenschatz der neuen Kunst in souveräner Weise verfügte, keine Mühe gewesen wäre, auch hier lebens- volle Baluster zu entwerfen, das sollte gerade im Hinblick auf den quellenden Reichtum des Sockels keine Frage sein. Wenn trotzdem unter den Sirenen und den Aposteln die harten gotischen Stangen verwandt sind, so beruht das vielleicht darauf, daß hier fertiges Material Verwendung finden sollte.

Es ist lange erkannt, daß diesem gewaltigen Formenaufgebot des Sebaldusgrabes ein geistiger Inhalt zugrunde liegt. Seeger und besonders auch Weizsäcker haben hier fördernde Erklärungen gebracht. Wenn jedoch der letztere im Repertorium 23, 309 sagt, daß die Figur der harfenspielenden Muse dem Titelholzschnitt der Qua- tuor libri amorum des Conrad Celtes (Nürnberg 1502) entnommen sei, so ist sein Hinweis nicht ganz überzeugend, da sich nur das Allgemeine wiederholt. Da- gegen bin. auch ich des festen Glaubens, daß der Schöpfer der Sockelpartien die Werke des Conrad Celtes, der 1487 in Nürnberg (also im Geburtsjahr und in der Geburtsstadt Peter Vischers d. J.) als erster deutscher Dichter gekrönt war und dessen Name damals in aller Munde lag, gekannt habe. Vielleicht kehrt sein Bildnis in einem lorbeerumkränzten Medaillonkopfe am Zwickel eines der großen Sebalduslegendenreliefs wieder; jedenfalls besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem -Holzschnittbildnis, welches Hans Burgkmaier im Jahre 1507 von ihm ge- schaffen hat!). Sicherlich hat er auch die Quatuor libri amorum gekannt, denn die.

(1) Abb. s. B. bei Kónnecke, Bilderatlas zur deutschen Literaturgeschichte 1912, 118. Der Medaillon- kopf abgebildet von Mayer im Münchser Jabrbuch 1913, 282.

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Situation der Musizierenden, die dort auf dem Titelholzschnitt gegeben ist, kehrt doch recht ähnlich wieder auf einer aquarellierten Federzeichnung des Berliner Kupferstichkabinetts, die ihm Braun jiingst in diesen Heften 8, 2 richtig zugeschrieben hat. Ja, sogar der groBe Brunnen im Hintergrund entspricht ‘ganz merkwiirdig dem letzten Holzschnitt des genannten Buches. Ich glaube nicht, daB solche Ent- lehnungen fiir Peter Vischer d. J. viel zu bedeuten haben, denn selten ist jemand die Erfindung und schlagende Gestaltung leichter geworden als gerade ihm. An- dererseits darf man sicher annehmen, daB eine Erscheinung wie Celtes nicht spur- los ah ihm, dessen Lust an Poetereien durch Neudórffer, durch Schwenter, durch die Pariser Handzeichnungén und die Sockel des Sebaldusgrabes nachdrücklich be- zeugt ist, vorübergegangen sei. Hier liegt noch ein Kapitel der Vischerforschung, das seinem Bearbeiter Erfolg verspricht.

Nun die vier groBen Reliefs aus der Sebalduslegende. Ich kann mich auch hier kurz fassen, denn bereits der sehr zurückhaltende Weizsäcker hat nicht umhin gekonnt, in ihnen die Hand des jüngeren Meisters zu erkennen. Ja, er ging sogar über Seeger hinaus, der ihm lediglich zwei von vieren zuerkennen wollte. Meiner- seits nur wenige Worte: In der Bestrafung des Ungläubigen (Daun 24) finden sich keine wesentlichen Analogien zu Peter Vischer d. J.; in den brennenden Eiszapfen (Daun 25) dagegen erinnert die knieende Frau bereits auf das Lebhafteste an die Lautenspielerin, die sich an einem der 1508/9 gegossenen Sockel findet (Mayer, Genreplastik, Tafel 9). Beide zeigen die typische venezianisierende Gewand- behandlung, die der jüngere Peter lebenslang geübt hat. Wie die Falten über den Unterleib geordnet sind, das kann wohl nur von einer und derselben Hand geschehen sein?).

Enger und greifbarer sind die Zusammenhänge mit dem jüngeren Meister in den beiden anderen Reliefs. Die Gegenüberstellung in den Abb. 7 und 8, von denen die letztere längst als Werk des Sohnes erkannt ist, überhebt einer eingehenden Beschreibung. Die beiden Frauengestalten zeigen wieder den leicht gerundeten, zierlichen Körper, als seien sie Geschwister; sie erheben den einen Arm mit der gleichen Geste gegen das geneigte Haupt, usw. Die Verwandtschaft ist so nahe, daß man glauben mag, beide Reliefs seien so ziemlich zu gleicher Zeit entworfen. Auch die Figur vom Tintenfaß in Stanmore (Daun, Abb.46) gehört hierher.

Ferner läßt sich auch das Relief der Füllung des Weinkruges, seit Braun die Berliner Handzeichnungen zum Schwenter Codex wieder gefunden hat, sicher als eine Arbeit des jüngeren Peter in Anspruch nehmen (Abb. 9 u. 10). Denkt man sich aus der Zeichnung den ruhenden Herkules fort, dann ist der Aufbau der Gruppe aufs engste verwandt: die beiden inneren Figuren stehen jedesmal auf erhöhtem Boden, und von den äußeren sind der Somnus und der Hi. Sebald sich mehr als ähnlich: sie nehmen die gleiche Beinstellung ein, sie biegen den Arm im gleichen Winkel und vor allen Dingen beugen sie sich mit der gleichen leichten Rundung vorntiber und schließen so die Gruppe weich ab.

. Wann diese vier großen Reliefs entstanden sind, ist schwer zu sagen. Da aber die Berliner Handzeichnung zum Schwenter Codex auf 1515 festgelegt ist, und die Plaketten und Tintenfässer allgemein in diese oder in eine wenig spätere Zeit ge- setzt werden, so ist es wohl angezeigt, auch die vier großen Legendenbilder für

(1) Übrigens wiederholte sich dieses Konzert mit zwei Personen übereinstimmend auf einem anderen großen Werke Vischers, dem Fuggergitter. Die Nachzeichnung im Kupferstichkabinett des SE Museums. Auch dieses Werk geht für mich fraglos auf den jüngeren Peter zurück.

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spšte Arbeiten am Sebaldusgrab zu halten. Technisch steht dem, glaube ich, nichts im Wege, da alle vier einzeln gegossen und alsdann auf den Kern aufgelegt sind.

Über die Apostel vermag ich hinsichtlich ihres Schöpfers nichts Entscheidendes zu. sagen. Eine sehr alte Uberlieferung, die ich am SchluB dieses Aufsatzes zitiere, weist den Apostel Bartholomäus dem Hermann Vischer zu. Ob aus seiner Hand noch weitere Gestalten hervorgegangen sind, wird sich wohl nie entscheiden lassen, da uns die Vergleichspunkte völlig fehlen. An seinen jüngeren Bruder Peter mag ich hinsichtlich der Apostel nicht so recht denken, denn wenn man an Ort und Stelle den Blick über die ganzen Reihen der Gestalten hingleiten läßt, dann ist doch eine gewisse flachbrüstige Gleichmäßigkeit nicht zu verkennen, Jedenfalls besteht ein unendlicher Unterschied zwischen ihnen und den Sockelpartien: dort geniales Schüpfen aus einem Vorrate, der kein Ende zu finden scheint, dort ferner die improvisierende Technik, die den Blick nur auf das Ganze gerichtet hat und deshalb von der Ausbereitung des Gusses wie selbstverstündlich absieht; hier da- gegen eine merkwürdig gleichmäßige Technik und Handhabung der Formen, die nirgendswo Überraschungen zumutet. Intensiveres Leben zeigt sich erst in den Köpfen, von denen Mayer im Münchner Jahrbuch 1913, S. 278 einige schöne Auf- nahmen bietet. * , *

Es sei mir gestattet, hier einen Augenblick vom eigentlichen Thema abzuschweifen.

Alexander Mayer hat a. a. О. den dankenswerten Nachweis geführt, daß die Figur des Hl. Sebald an der Schmalseite des Sebaldusgrabes, welche dem Selbstbild Peter Vischers auf der anderen Seite entspricht, die Züge Sebald Schreyers trage. Es war ja dem Mittelalter nichts Ungewöhnliches, heiligen Personen die Züge Sterblicher, etwa der Stifter, zu verleihen; und die Künstler haben besonders gern die Gelegenheit benutzt, ihre eigenen Züge auf die Gestalten ihrer Bildwerke zu übertragen, einerlei, ob es himmlische oder irdische Personen waren. Ganz be- sonders nahe lag die Veranlassung hierzu, falls etwa ein Heiliger den Namen des Künstlers trug und dadurch in eine Art vertrauensvoller Patronatsstellung gerückt war. Unter solchen Umständen dürfte es nicht überraschen, wenn Peter Vischer etwa dem Hl. Petrus seine eigenen Züge gegeben hätte, genau wie der Hl. Sebald an korrespondierender Stelle die Züge Sebald Schreyers trágt.

Nun kehrt in den Werken der Vischerschen Gießhütte viermal der gleiche Petrus- kopf wieder, nämlich am Petrus des Magdeburger Ernst-Grabes, am Petrus des Sebaldusgrabes, am Petrus des Tucher-Reliefs in Regensburg und am Petrus der Grab- tafel von Peter Kmita in Krakau!) Immer haben wir den starkknochigen, vier- eckigen Schádel mit dem kurzen, lockigen Vollbart und der krüftigen Nase vor uns. Das Haupt ist kahl bis auf die typische Petruslocke. Uber den Schläfen dagegen hat das Haar dem beginnenden Alter noch krüftigen Widerstand geleistet. Dieser viermal wiederholte Kopf macht es nun von vornherein wahrscheinlich, daB wir es mit einem Menschen zu tun haben, der den Vischern hüufig vor Augen stand, und wenn man ihn nun mit dem bekannten Kopfe Peter Vischers vom Sebaldusgrab zusammenstellt, dann múchte man wohl sagen, daB es der Meister selber gewesen ist, dessen Züge sich in den Petrusgestalten widerspiegeln. Vergleicht man das Selbstbild (Daun,S. 30) mit dem Nürnberger Apostel, dann darf man auch noch darauf aufmerksam machen, daB die krüftigen Backenknochen mit den etwas einfallenden Wangen und auch vielleicht die vollen Lippen wiederkehren.

(2) A. Mayer bildet die Këpfe der beiden ersten im Münchner Jb. 1913, 278, der beiden letzten im Rep. 37, 101 ab,

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Es liegt in der Reihenfolge der Vischerschen Werke begründet, daB dieser Kopf am jüngsten auf dem Magdeburger Ernst-Grab erscheint. Gereifter tritt er uns im Haupte des Nürnberger Petrus entgegen, doch wird der Vergleich hinsichtlich des Lebensalters sehr erschwert, da man sich der Annahme kaum entziehen kann, daß die Köpfe von verschiedenen Händen modelliert seien. Es folgen die Köpfe in Krakau und Regensburg, die jedoch sicher nicht von derselben Hand stammen, die den Nürnberger Petruskopf geschaffen hat. Das Tucher-Relief in Regensburg ist frühestens 1521 entstanden. Die Ansetzung der Krakauer Tafel schwankt. Daun datiert in seiner Monographie S. 19 offenbar nach dem Todesjahr 1505. Mayer im Repertorium 37,103 denkt an die Zeit um 1520, denn ihm gelingt in den Abbil- dungen ro—12 der Nachweis, daß die Regensburger Platte in ihren zwei Aposteln die Kopien der beiden Krakauer Apostel liefert. Eine Entscheidung hinsichtlich der Priorität eines der beiden Werke ist schwer zu treffen; jedenfalls aber dürfte es ins Gewicht fallen, daB auf der Krakauer Platte neben der Frührenaissance noch gotische Baldachine in typischer Ausbildung verwandt sind.

Endlich kehren die Gesichtszüge Peter Vischer d. A. noch ein sechstes Mal wieder, und zwar in der Statue des Hl. Wenzel an dem bekannten Leuchter des Prager Doms, welcher 1532 von Prager Ziinften gestiftet wurde. (Das Holzmodell befindet Sich im Germanischen Museum.) Diese Figur stammt nun sicher nicht mehr aus den Hünden des Altmeisters, denn dieser war vor drei Jahren gestorben, und auch sein gleichnamiger Sohn war bereits verschieden. Wir haben es hier also wohl mit einem Werke des Hans Vischer zu tun, der aus dem Gedächtnis heraus dem Ritter die Züge des leicht idealisierten Vaters verlieh, wie er in seinen besten Mannesjahren die Nürnberger Hütte zu Ansehen gebracht hatte. In Übereinstim- mung mit dem Selbstbilde am Sebaldusgrabe sehen wir auch hier wiederum, daß Peter Vischer d. Á. von ziemlich untersetztem, aber krüftigem Wuchs war.

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Nun zurück zu den r2 Aposteln. Ich habe in Heft 8/9 (1917), 331 darauf hin- gewiesen, daß es nicht ganz unwahrscheinlich sei, in diesen Gestalten die großen För- derer desSebaldusgrabes zu vermuten. Obwohl ich in Nürnberg bei einer raschen Durch- sicht der Patrizier-Portrátsammlung nicht das Erwartete gefunden habe, so möchte ich doch noch immer an dem Gedanken festhalten. Es kommt vor allen Dingen darauf an, annähernd gleichzeitige Stiche oder Bilder heranzuziehen. Bisher habe ich nur eine entfernte Ahnlichkeit in den Zügen des Hl. Andreas mit einem Bilde Anton Tuchers d. Á, gestochen von J. F. Leonhart 1672, bemerken kénnen.

Dagegen müchte ich eine mündliche AuBerung Theodor Hampes nicht unter- drücken, wenn sie auch nur eine Kleinigkeit betrifft Nach seinen Worten standen in vorvischerischer Zeit um den Sarkophag des HL Sebald zwölf Leuchter, welche den Namen „Die zwölf Apostel“ führten. Es liegt gewiß nicht fern, zu glauben, daB Vischer in seinen Apostelgestalten diese alte Überlieferung wieder aufgenommen habe. Ja, man kann vielleicht sogar glauben, daB die vier leuchtertragenden Sirenen eine bewußte Erinnerung an das alte Bild der zwölf Kerzen seien.

Die zwilf heiligen Gestalten stehen heute vor konkaven Pfeilern, deren Rundung den natürlichen Hintergrund für sie bildet. So ansprechend uns diese Gestaltung der Pfeiler erscheint, so dürfte auch sie nicht in der ültesten Absicht gelegen haben, denn am Sockel sind die entsprechenden Teile Beie und es ist nicht versucht, einen Ausgleich zu finden!

Wie ein Stück Mittelalter mutet es an, daB hoch oben am Sebaldusgrabe und doch gleichsam auf den Schultern der Apostel also in umgekehrter Reihenfolge

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die Propheten erscheinen. Sie waren in mehr als 4 m Höhe jahrhundertelang dem Auge entrtickt und haben für die Forschung nie eine Rolle gespielt. Alexander Mayer hat sie in seinem oft genannten Aufsatze des Miinchner Jahrbuchs erst- malig abgebildet. Ich muß gestehen, daß ich mich hier wiederum lebhaft ver- sucht fühle, die Hand eines jüngeren Mitwirkenden zu spüren. Freilich, ob es immer die Hand des jüngeren Peter gewesen sein muB, bleibt zweifelhaft. Jeden- falls haben wir hier wieder die geistvollen Improvisationen und den sorglosen Guß, so sorglos, wie er nur einem Gemüte der jungen Generation gefallen konnte. Eine Überarbeitung der Figuren war hier wie am Sockel umso entbehrlicher, als das Auge wegen der Entfernung sich begnügen muß, die Konturen zu fassen. Manche von diesen Gestalten mag ein wenig kürperlos geblieben sein, und man fühlt sich gelegentlich in der auffallenden Betonung des Kopfes (z. B. bei Abb. 31) und der Vernachlässigung des Körpers an ältere Gepflogenheiten der Kunst erinnert. In anderen dagegen glaubt man mit unbedingter Sicherheit die Hand des jungen Peter zu erkennen. So vor allen Dingen im David (Mayer Abb. 21). Dies merk- würdige Jünglingshaupt mit den verhaltenen Zügen, deren Gesinnung so schwer zu deuten ist, hat mich immer an die Art des jüngeren Meisters erinnert. Gerade er liebte es, auf solche rštselvollen Seelenstimmungen einzugehen, und man braucht nicht nur auf die unbezeichneten Sirenen und manche Sockelfigur hinzuweisen, sondern auch auf Werke, die ihm allgemein zugeschrieben werden, wie die Tinten- füsser und Plaketten. Auch die Modellierung mit dem scharf betonten und be- grenzten Unterleib erinnert ganz an seine Hand. Wer einmal ein unverbrauchtes Titelbild für Peter Vischer d. J. sucht, der darf sich dieses David erinnern.

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Es ist im vorstehenden immer und immer wieder die Rede von dem genialen Sohne gewesen, dem nur ein kurzes Leben beschieden war und der ohne Zweifel eine Fülle grofer, unvollendeter Gedanken mit ins Grab genommen hat. Dasselbe Jahr 1528 hat der deutschen Kunst zwei schwere Wunden geschlagen, indem es gleichzeitig Albrecht Dürer und Peter Vischer d. J. mit sich nahm. Sein gewal- tiger Arbeitsanteil am Sebaldusgrab ist aus stilistischen Gründen hoffentlich wahr- scheinlich geworden. Wir sind jedoch in der glücklichen Lage, auch alte Urkunden zu besitzen, die uns mit nüchternen Worten sagen, was wir mit liebevollem Nach- fühlen herauszufinden suchten, und zwar gehen diese Urkunden auf vortreffliche Gewährsmänner zurück, nämlich auf einen Freund Peter Vischers d. J. und auf den Lieferanten des Rohmetalls. Beide Urkunden haben jahrzehntelang als ver- schollen gegolten. Maximilian Moritz Mayer druckte sie in seinem Nürnberger Geschicht ...... Freund 1842, S. 269 ab. Jedoch in einem Falle nicht nach dem Original Es ist das groBe und für die Vischerforschung unschitzbare Ver- dienst des Nürnbergers Alfred Bauch, in den Mitteil. des Vereins f. d. Geschichte der Stadt Nürnberg 1899 in einer anerkennenden Besprechung des Seegerschen Buches darauf hingewiesen zu haben, daf beide Urkunden, die seit dem Tode Mayers aus dem Gesichtskreis der Forschung entschwunden waren, noch vorhanden sind, und zwar befindet sich die einerim Germanischen Museum als Codex 4425,2°, und die andere in Bamberg in der Kgl Bibliothek als J. H. Msc. hist. 21a. Ich habe beide Urkunden an Ort und Stelle verglichen und gebe im folgenden ihren genauen Wort- laut In Bamberg befindet sich die Chronik des Kunz Róssner, welcher für das Sebaldusgrab das Metall geliefert hat. Aus seinen Worten geht nichts über den Anteil des jüngeren Peter hervor, trotzdem ist es nútig, seine Worte voranzustellen,

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Sie lauten auf S. 193: ,Anno 1519 Jar am 19 tag Junyo ist Sanndt Sebaltz grab In sant Sebalts Kirchen auff gesetzt worden, vnd hat gewegen an Messing I57 Centner 29 Pfund, vnd Cost der Centner daran 20 fl, thut In Suma 3145 fl. vnd hat In Maister Peter vischer Ratschmid an sant Katherina graben (gegossen) vnd ich hab Im den messing dartzu geprennt vnd zu kaufen geben."

Diese wichtige Stelle hat Pankratz Schwenter, über den Braun hier in VIII, 2 berichtet hat, ausgeschrieben oder vielmehr für sich ausschreiben lassen. Diese Hs. aus dem Besitz Schwenters kam spáter in die Hánde des genannten M. M. Mayer und darauf ins Germanische Museum. Die Stelle lautet S. 173a ebenso, nur heißt es hier in der ersten Zeile deutlich Julius, während man in Bamberg wohl Junio zu lesen hat. Ferner heißt es gegen den Schluß statt „vnd ich habe Im den messing dartzu geprennt“ „Ich Konntz Rosner . .. Schwenter oder sein Ab- Schreiber mußte den Namen Rößner einfügen, während es im Bamberger Original, das Rössner selbst geschrieben hatte, natürlich unnötig war. Außerdem steht am Rande neben Zeile 2 ,,stet zwei mol her Innen es ist an der Jarzall verstossen.“ Diese Bemerkung bezieht sich darauf, daB auf S. 141 derselben Chronik sich fol- gende Eintragung findet: ,, Anno domini 1506 Jar wurde Sant Sebalds sarch Im Chor S. Sebalds Kirchenn gesetz In Nurmberg, den hat gemacht Peter Vischer ein Messinggisser vnnd grosser W'erckmaister sambt seynen sónenn, petrum der In Kunsten den Vatter ubertroffenn, herman, hansen, paulsen. Aber Jacob hot wenig dazu geholfenn.“

Diese wichtigen Worte über Peter Vischer d. J. finden ihre Bestätigung in einem Manuskript der Nürnberger Stadtbibliothek, dessen Auffindung das große Verdienst Seegers ist. Ich habe auch diese Worte an Ort und Stelle verglichen. Sie lauten (unter richtiger Benennung der Hs.: Will IIL 933b, 8°) folgendermaßen: „. . hat am Messing 157 centner, ist der Centner verdingt und Bezalt worden um f. 20. Peter Vischer der Jünger hat den Mehrern theil gethan, dann Er mit der Kunst Seinen Vatter und Bruder übertroffen, Hermann hat allein den apostel Bartholomäum und etliche Tabernakel gemacht.“ Diese Hs. stellt einen kurzen Neudörffer-Auszug dar. Ihr Verhältnis zum Original ist noch nicht geklärt; sie betitelt sich „Aus Albrecht Dürers Und anderer Berühmten Künstler Leben.“ Nach einer raschen Schätzung Mummenhoffs stammt sie aus der Zeit um 1630.

In diesen beiden zuletzt genannten Hss. hören wir also zweimal, was ich vorher aus stilistischen Gründen und im Hinblick auf sichtbare Gußfugen wahrscheinlich zu machen suchte, nämlich daß Peter Vischer d. J. den größeren Teil der Arbeit am Sebaldusgrab geleistet habe, Ja, wir dürfen sagen, hätte er nicht das Gewebe feinster Kräfte über das Denkmal gebreitet, dann hätte es nie und nimmer seine unvergleichliche Bedeutung erlangt. |

Wer nun alles dieses im Kopfe hat und weiß, wie die Renaissanceteile mit deut- licher Fuge ansetzen, und wer ferner bedenkt, daß zwei alte Urkunden die Haupt- tátigkeit des Sohnes krüftig betonen, für den wird endlich auch die dritte Urkunde, die weniger deutlich von diesem Sohne spricht und sich am Grabe selber befindet, eine neue Bedeutung erlangen. In den äußeren Sockelrand sind nach Vollendung des Denkmals die bekannten Worte eingraviert: „Peter Vischer pürger zu Nüren- berg machet das werk mit seinen Sunnen und ward folbracht im jar 1519 und ist allein got dem almechtigen zu lob und sanct Sebolt dem himelfürsten zu eren mit hilff frummer leut von dem allmossen bezalt.“

Ich glaube, daß es durchaus kein Zufall ist, daß das Sebaldusgrab außer den beiden ältesten Inschriften von 1508/9 noch diese von 1519 trügt Denn wir

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kënnen es Peter Vischer d. J. nachfühlen, daB er seine eigene Arbeit, welche das Denkmal geradezu grundlegend bereichert hatte, auch urkundlich festgelegt sehen wollte. Von seinem Standpunkt aus ist der Wortlaut dieser Inschrift so bescheiden als möglich, denn er stellt noch immer den Vater voran. und vermerkt seine eigene Arbeit nur gleichzeitig mit der seiner Brüder.

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Wer die Geschichte des Humanismus in Nürnberg kennt und weiß, wie zögernd der neue Geist dort empfangen wurde, Max Herrmann hat das 1898 in seiner Rezeption des Humanismus in Niirnberg aus umfassender Literaturkenntnis dar- gestellt, der wird sich ungeführ vorstellen kónnen, mit welchen Gefühlen man dort dies erste groBe Werk des neuen Geistes entstehen sah. Die Zahl der Freunde des Altertums war um 1500 in Nürnberg noch verschwindend klein. Ihr geistiger Führer war Sebald Schreyer, den wir an allen derartigen Unternehmungen be- teiligt sehen. Seeger hat es wahrscheinlich zu machen gesucht, daB er es gewesen sei, welcher den jungen Vischer nach Oberitalien sandte, um für ein anderes Schreyersches Unternehmen, die Schedelsche Weltchronik, tütig zu sein. Schreyer lebte in einem tief freundschaftlichen Verkehr mit dem Haupte des damaligen deut- schen Humanismus, Conrad Celtes, dessen Bild sich mutmaßlich am Sebaldusgrabe findet. Schreyers eigenes Porträt ist in’der Gestalt des Hl. Sebald dort erhalten. Schreyer wird es wohl auch gewesen sein, welcher dem jungen Vischer mit seinen literarischen Kenntnissen zur Seite stand, als er die Fülle antiker Bildungen für das Grabmal schuf. Ich will versuchen, auf diesen sprúden Stoff in anderem Zu- sammenhang noch einmal zurückzukommen!).

(1) Da die genauen Maße des Sebaldusgrabes nirgendswo gegeben werden, so seien sie hier mit- geteilt: Einfassungsgitter einschließlich Leuchterspitze 1,34 m hoch. Sebaldusgrab: Länge 2,72, Breite 1,53, Höhe 4,71 m. Die beiden Grundsockel messen im Grundriß 1,36 >< 1,53 m; ihre Höhe wechselt, und zwar beträgt sie bis zum :Ansatz der konkaven Pfeiler 45 cm (ohne Schnecken), am Balluster 48 cm, an der Vereinigung beider Gußstücke jedoch nur 35 cm; Schnecken 19 cm hoch. Grundsockel (mit Schriftrand) 25 cm hoch; die abgeschnittenen gotischen Sáulen 2,9 cm stark; gotische Boden- welle 8 cm breit, 1!|, cm stark. Neue Sockelhóhe ar cm; Sockelplatte ab Kapitälfuß 15 cm. 4 Eck- helden 27 cm hoch; durchschnittene Bodenrippe der Schmalseite 8 cm stark; Peter Vischer-Statuette 35 cm hoch; groBe Sebalduslegenden-Reliefs 58 cm hoch; Sirenen 24 cm., mit Leuchter und Kugel 40 cm hoch; Apostel 54 cm hoch. |

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DIE ÜBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES

IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND- LANDISCHEN KULTURWELT (Fortsetzung) Von ROBERT WEST

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E ist notwendig, den Ubergangsstil immer da zu suchen, wo der Kulturkampf einsetzt, sei es als Rassen- oder als Ideenstreit. Nicht immer findet die end- gültige Lósung des Stilproblems dort statt, wo es zuerst gestellt wurde, daher die hüufigen Meinungsverschiedenheiten über die Herkunft eines Stils. Der Übergang zum Romanischen wird in Oberitalien vollzogen die Vollendung des romanischen Stils, die vollgültige Ausprägung aller in dieser Stilrichtung erhaltenen künstle- rischen Möglichkeiten gehört Deutschland. Ich entnehme meine Daten für die zeitliche Abgrenzung der Stile absichtlich der politischen Geschichte, schon darin liegt das Bekenntnis, daß sie nur. approximativ zu verstehen sind. Rein kunst- geschichtliche Abgrenzungsdaten gibt es überhaupt nicht. Der Wahrheit am nächsten kommen wir daher, wenn wir die Kunstübung bestimmter Epochen im Rahmen zeitgeschichtlicher Ereignisse betrachten, mit denen sich die Anfänge und Endpunkte eines Stiles ungefähr decken. Die frühchristliche Antike in ihrer Loslösung von der klassischen Antike datiere ich mithin von der staatlichen An- erkennung des Christentums im Anfang des vierten Jahrhunderts. Ihr Höhepunkt liegt in Ravenna. Ihr Ende verlege ich an den Schluß des fünften Jahrhunderts in das Todesjahr Odoakers und den Beginn der Gotenherrschaft in Italien. Die Völkerwanderung macht der frühchristlichen Antike ein Ende. Es folgen Jahre des Verheerens mit nur geringfügig erscheinenden Ansätzen zu formalen Neubil- dungen!) Seit dem sechsten Jahrhundert haben wir in Oberitalien die Lango- bardenkunst, welche nichts anderes ist als die entscheidende Germanisierung des klassischen und orientalischen Elementes, soweit dieses durch das Medium des Frühchristlichen in den Bereich der langobardischen Werkstatt geriet?) Es war für die Entscheidung des Rassenkampfes in der Völkerwanderungsepoche ver- hängnisvoll, daß die Langobarden im Gebiet der Keszthelykultur, in Pannonien, in nahen Beziehungen zu den Syrern gestanden. Der syrische Einfluß, der schon in der Kunstübung des kaiserlichen Rom eine so große Rolle spielt, überflutete nun im Strom der Völkerwanderungskunst wiederum mit germanischen Elementen ge- mischt den klassischen Boden Italiens. Die Germanisierung der frühchristlichen Antike geschieht deshalb im Anfang durch ein Anknüpfen an die schon vorhan- denen syrischen Elemente. Überall im Italien des frühen Mittelalters treffen wir auf syrische Künstler, syrische Heilige, syrische Päpste“), syrische Tracht und Sitte.

Es ist üblich, den romanischen Stil vom 10. bis 12. Jahrhundert zu datieren (etwa 919—1 138). Als Ubergangszeit liegen demnach fünf Jahrhunderte, die ganze zweite Hälfte des ersten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung vor uns. Innerhalb dieser Zeit müssen natürlich längere Epochen der künstlerischen Sterilität und der Vernichtung angenommen werden, trotzdem wire diese Zeitdauer einer Stilschwan-

(1) Über die Leistungen der Ostgoten in Italien, der Westgoten in Spanien usw. vgl. Haupt: Die šlteste Kunst, insbesondere die Baukunst der Germanen.

(3) Stückelberg: Die langobardische Plastik. Zürich 1896. Zimmermann: Oberitalienische Plastik. Leipzig 1897. |

(3) Kaspar Schneele: Die Päpste. Rothenburg a. N. Verlag von Wilhelm Busch 1905.

126 s

kung nicht zu erklären, wenn ein Blick auf die historischen Zustände uns nicht tatsächlich einen annähernd fünfhundertjährigen Kulturkampf zeigte, dessen Ein- setzen die Langobarden in Italien eröffnen. Die Völkerwanderung und zugleich mit ihr die Christianisierung der nordgermanischen Völker führt ein bisher unbekanntes Rasseelement in den Kulturkreis der alten Welt. Byzanz, in seinem kulturellen Sein das Produkt von Syrien, Ägypten und Griechenland, behauptet sich als Hüterin der frühchristlichen Tradition, durch Byzanz wird die Einwirkung des Orients auf Europa erhalten. Der erste Zusammenstoß der nordischen Rassen mit dem Orient ist ein so gewaltiger, daß er zunächst die Zersetzung der halbklassi- schen, halborientalischen Bildungen zur Folge hat. In Italien geht vom sechsten bis zum elften Jahrhundert eine stetige Germanisierung aller Stilelemente vor sich, untermischt mit byzantinischen und islamitischen Einflüssen. Diese Germanisie- rung geschieht in zwiefacher Weise: Einerseits zwingen die eingedrungenen Völker der einheimischen Rasse ihre Ornamentformen auf, andrerseits modeln sie die vor- gefundenen Zierglieder und Ornamente nach ihrem Geschmack um, daraus entsteht dann jene frühmittelalterliche Ornamentik, welche von einigen Gelehrten als rein germanischen Ursprungs, von anderen als Verwilderung des klassischen Typus angesehen wird. Eines der frühesten Beispiele hierfür bietet das Zangenornament am Grabmal des Theoderich in Verona, das von vielen als entartetes lesbisches Kyma bezeichnet wird. Der Streit um die Entstehung der frühromanischen Orna- mentkunst wird heute mit einer gewissen Erbitterung geführt. Es ist hier eine ausgesprochene „Los von Rom-Bewegung“ im Gange, während die neue Richtungs- linie der Kunstforschung von einer Seite direkt nach Altai-Iran ), von der anderen?) nach Norden gewiesen wird?) Schwerlich wird es sich in den meisten Fällen entscheiden lassen, wo der erste Gedanke einer neuen Ornamentform entsprungen ist. Bei der größten Anzahl als typisch frühmittelalterlich geltender Ornamente, wie das Zangenornament, das Flechtwerk, das Tierornament, bei technischen Mo- menten, wie Kerbschnitt und Konturierung in der Plastik, Zellenverglasung in der Goldschmiedekunst, sehe ich ein Ineinandergehen zweier von verschiedenen Seiten kommender Strömungen. Bestimmend wirkt aber in allen Fällen abendländischer Produktion seit der Völkerwanderung der germanische Geschmack. Er trifft im Vorhandenen die Auswahl und verarbeitet diese nach seinem Sinn. Die Zellen- verglasung mag wohl vom Orient stammen), aber die Neigung zu dieser Art Technik liegt in der von den Germanen beeinflußten romanischen Kunstweise über- haupt vor. Die Inkrustierung der kleinen Architekturglieder, Ambonen, Säulchen, Altäre usw. mit bunten Steinen, die sogenannte Kosmatenkunst, gehört hierher; ebenso das opus sectile, pavimentum sectile und opus tesselatum, und auch die Flächenverzierung der Außenmauern mit bunten Ziegeln wie an dem Baptisterium bei S. Stefano in Bologna. Ähnliches findet sich an den fränkisch-merovingischen Bauten und auch an der von karolingischem Klassizismus zeugenden Torhalle des Klosters Lorsch. Späte aber glänzende Beispiele dieses Inkrustationsstiles sind

(1) Strzygowski: Die bildende Kunst des Ostens. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt. Leipzig 1916. (2) Haupt: Die älteste Kunst, insbesondere die Baukunst der Germanen. Ludwig Degener, Leipzig 1909. (3) Es liegen bereits eine Fülle interessanter Einzelbearbeitungen dieser Themen vor, Waertvoll waren vor allem die im Aprilheft (1917) der Monatshefte für Kunstwissenschaft erschienenen Ausführungen von G. Supka-Budapest, Strzygowski, Wulff, |

(4) Labarte: Histoire des Arts industriels. Paris 1866. Riegl: Die spätrömische Kunstindustrie, 1901. J. v. Falke: Das frühe Mittelalter von der Vólkerwanderung bis zu den Karolingern, im ersten Band der Illustrierten Geschichte des Kunstgewerbes. Verlag von Martin Oldenbourg, Berlin,

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der Dom zu Pisa und die Markuskirche in Venedig, und es ist im Zusammenhang dieser Ausführungen von Interesse festzustellen, daß sich eben diese allenthalben in der Bauweise der germanischen Stámme zu eigenartiger Entwicklung gelangende Technik des Inkrustierens nach Mesopotamien zurückverfolgen läßt ).

Diese teppichartige Flüchenbehandlung hüngt wieder eng zusammen mit einem anderen W'esenszug des germanischen Stils, der Gewohnheit, Struktur und Orna- ment voneinander zu trennen. Ein frühmittelalterliches Bauwerk lieñe sich im Gegensatz zur Antike stets von aller Ornamentik entkleiden, ohne daß die funktio- nellen Glieder irgend berührt würden. Das Ornament ist demnach nicht mit der Struktur gewachsen, sondern ist nachträglich hinzugefügt. Diese Gepflogenheit kann ihren praktischen Grund in der Herkunft der germanischen Plastik aus der Holztechnik haben, wo die Balken erst nachträglich mit Schnitzereien versehen wurden. Ein weiterer Zug der frühmittelalterlichen Kunst, der sowohl germa- nischer wie orientalischer Sinnesrichtung zu entsprechen scheint, ist die gefühls- mäßige Behandlung der Massen auf die malerische Wirkung hin, im Gegensatz zu den streng berechneten symmetrischen Gliederungen der Antike. Die Triforien- galerien, Fenster und Emporenöffnungen eines friihmittelalterlichen Baues wirken in den dicken Mauern wie Felsenhöhlen, jedes einzelne solcher Bauglieder ist nur im Zusammenhang des Ganzen verständlich, während in der Antike jedes Glied für sich durchdacht und durchgebildet ist. Das Gleiche wiederholt sich dann in Renaissance und Barock. Das Ornament überspinnt. in regelloser Anhäufung die ihm zu Gebote stehenden Flächen, es nimmt keinen Bezug auf die Struktur; die Phantasie des Schnitzers nimmt ihren freien Lauf in grotesken: Linien, wurmartig verschlungenen Tieren, bizarren drachenhäuptigen Bändern. Diese Phantasie ist nordisch und orientalisch zugleich. Welche Ähnlichkeit zwischen der germanischen und orientalischen Geschmacksrichtung jener Zeit besteht, beweist ein Blick auf Arbeiten von zweifellos orientalischer Herkunft, wie die koptische Holztruhe im Dom zu Terracina, und die persisch-hellenistische Stuckornamentik von Sta. Maria in Valle zu Cividale, die sich doch in nichts von den übrigen im Völkerwanderungs- gebiet erzeugten Arbeiten unterscheiden.

Für das Flecht- oder Rankenwerk, welches als ureigenstes Kunstgut der Lango- barden und Germanen erscheint, lassen sich zweifellos analoge Formen im Orient finden, jedoch soweit meine Kenntnisse reichen, keine, die so ausgesprochen den Charakter der geflochtenen Riemen trugen. Den Kerbschnitt hat Alois Riegl schon in der spätrömischen Kunstindustrie nachgewiesen, aber die römischen Bronze- arbeiten, Gürtelschnallen und dergleichen, an welchen nicht nur der Keilschnitt, sondern auch sonst verwandte germanische Motive auftreten (Bandgeflecht, Wellen, Ranken), unterscheiden sich doch in der Disposition des Ornamentes ganz wesent- lich von den germanischen Spangen und Fibeln. Unberührt lasse ich hier die Frage, inwieweit das römische Ornament schon vor der Völkerwanderungsepoche von der germanischen Stammeskunst berührt gewesen sein mag. Die gelegentliche Verwendung von Tierformen in einer Kunst, welche wie die West- und Ost-Roms kaum eine künstlerische Möglichkeit in der Welt der plastischen Formen übersah, ist selbstverstindlich. Die Besonderheit des friihmittelalterlichen, als germanisch bezeichneten Tierornaments liegt aber in der ganz anderen Art, wie dieses erfaßt und aufgefaßt wurde.

(z) Mothes: Baukunst des Mittelalters in Italien. Eine interessante und erschöpfende Darstellung des Inkrustationsstils in Toskana gibt Adolf Behne in seiner Inaugural-Dissertation vom 24. Sept. 1912. Emil Ebering, Berlin NW.

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An kirchlichen Bauwerken jener Frühzeit ist natürlich nichts so intakt erhalten, daß sich Konstruktion und Ornament zugleich daran demonstrieren ließe. Der Grundriß ist durch Anbauten verändert oder der ursprüngliche Bau selbst ver- schwindet unter späterem Bauwerk. Dann wieder sind architektonische Zierglieder aus dem organischen Zusammenhang herausgerissen worden, in welchem sie allein ganz verständlich waren. Wo immer sich noch ein frühromanischer Kirchen- grundriß auffinden läßt, erhalten wir den unveränderten Typus der altchristlichen Basilika, wührend alle Zierglieder und Ornamente, die uns erhalten sind, eine gänzlich neue Geschmacksrichtung aufweisen. Diese Geschmacksrichtung ist zu- gleich semitisch-orientalisch und nord-germanisch. Die antiken Elemente werden, wo sie zur Nachahmung'gelangen, in diesem Sinne modifiziert. Die germanische Rasse ist aber insofern die stürkere, als sie es ist, welche sich die orientalischen Formen assimiliert und mit diesen frei schaltend ein eigenartig neues Stilgebilde hervorbringt. Der zweite Kulturkampf des Mittelalters wird zugunsten der ger- manischen Rasse entschieden. Dabei darf nicht vergessen werden, daß innerhalb jeder Stilperiode einzelne künstlerische Individuen sind, welche, dem herrschenden Geschmack entgegen arbeitend, in eigenwilligem Gebaren ihr cigenes Kunstwerk schaffen. Karl der Große muß in seiner Umgebung solche Künstlerpersönlich- keiten gehabt haben, welche, entgegen dem Regellosen, Malerischen, Unklaren der Germanen und Orientalen, mit Sicherheit auf das Gesetzmäßige, Maßvolle, Klare der klassischen Antike hinwiesen. So konnte es mitten im Strom des germanisch- orientalischen Stils zu einer karolingischen Renaissance kommen. Freilich ver- griffen sich auch die karolingischen Baumeister hiiufig in den Vorbildern. Sie kannten die Antike durch das Medium von Byzanz und manches byzantinische Motiv erschien ihnen als klassisch antik. So behauptete sich denn trotz dieser Wiederaufnahme der antiken Formelemente doch die allgemeine Stilrichtung und wir erhalten am SchluB der Epoche in der romanischen Kunst die Synthese des Kulturkampfes zwischen den wandernden Germanenstimmen, dem alten Orient und der Antike.

Die germanischen Lünder geraten vóllig in den Bann der Mittelmeerkultur, die altnordische Heimat wird vergessen, die klassische Antike zerfällt in Trümmer, wird begraben unter dem Schutthügel der zusammenstürzenden germanischen Reiche. Der Beginn der romanischen Epoche deckt sich ungeführ mit der Grün- dung des deutschen Reiches durch Heinrich L Ich wühle dieses Datum aus fol- genden Gründen: org trat Heinrich L, der Gründer des deutschen Reiches, seine Regierung an. Er war es, der den Quedlinburger Dom erbaute. Die politische Sphüre des Stils wird demnach bestimmt durch die Ottonen, das salische Kaiser- haus, durch Heinrich IV. und Hildebrand-Gregor, was Deutschland und Italien be- trifft In England haben wir die Zeit Alfreds des Großen, die Dänenherrschaft und die Schlacht bei Hastings, in Frankreich den Ausgang der Karolinger, die Festsetzung der Normannen an der Seine und Hugo Capet. Der Beginn der Kreuz- zugsperiode ist der glünzende Kulminationspunkt dieser Epoche. Das Ende der romanischen Epoche und der beginnende Übergang zu neuen, als gotisch bezeich- neten Stilformen verknüpft sich mit der wachsenden Stellung Frankreichs im europäischen Staatensystem und der beginnenden Verschiebung aller sozialen Ver- hiltnisse. 1137 beginnt in Frankreich der Bau der Grabkirche von St. Denis. Wir haben dort also schon den Anfang der Gotik, wührend diese in Deutschland erst etwa ein Jahrhundert spiter einsetzt.

Bis dahin haben wir als baukünstlerische Erscheinungsform des Abendlandes

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XL Jahrg. 1918, Heft 5 9 129

das gebundene romanische System. Was zu ihm führte, war die Fesselung des ` freien nordischen Geistes durch semitische Mystik und rómische Kultur. Die Ent- scheidung des Kulturkampfes war zugunsten des germanischen Elementes aus- gefallen, aber die germanischen Völker nahmen, indem sie sich die orientalischen und römischen Formen assimilierten, so viel von den fremdrassigen Elementen in sich auf, daß ihre nordische Eigenart völlig mit Orient und Rom verschmolz. Semi- tischer und antiker Formwille bestimmen die stärksten deutschen Schöpfungen des romanischen Stils. Gerade hier in Deutschland aber schuf diese Stilrichtung so Wunderbares, war die Entwicklung eine so durchaus gesunde und fruchtbare, daß eine Reaktion des Germanischen gegen das fremde Kulturelement nicht erfolgen konnte. Diese setzte in Frankreich ein, wo die Voraussetzungen der Versöhnung des romanischen und germanischen Elements völlig andere waren. Das Franken- reich setzte sich zusammen aus den Nachkommen der salischen Franken, der West- goten und Burgunder, zu ihnen gesellten sich in der romanischen Epoche noch die Normannen. Aber das römische Element war durch den Sieg Chlodowechs über Syagrius keineswegs unterdrückt. Im Gegenteil, es erweist sich hier als zäher denn die germanische Volkskraft, so daß sich im Lauf der Jahrhunderte ein dem deutschen und englischen Volkstum völlig heterogener Volkstypus herausbildet. Seit der Reichsteilung von Verdun datiert das allmähliche Heranwachsen neuer Nationalitätentypen. An die Stelle des Begriffs: Römer und Germanen treten jetzt die neuen abendländischen Staatengruppen: Deutschland, England, Frankreich, Italien. Das römische Element wiegt in den letzteren entschieden vor, während die beiden ersten das Germanische am reinsten bewahrt haben. Innerhalb der einzelnen Länder machen sich natürlich starke Stammesunterschiede geltend, vor allem in Frankreich, wo wie sonst nirgends lateinische und nordische Rassen aufeinander stoßen. Allenthalben gleichen sich diese aber innerhalb jedes einzelnen Landes zu einem bestimmten Nationalcharakter aus, der sich klar von dem der übrigen Völker abhebt und dessen Modifikationen sich nur innerhalb der Landesgrenzen bemerkbar machen. Die Entstehung der Landessprachen bietet hierzu den besten Beleg, wie die zweierlei Sprachen Frankreichs, Langued’oc und Langued’oil denn auch eine Trennung sowohl des Volkswesens wie des Baustils bezeichnet.

Der Ausgleich zwischen der germanischen und der Mittelmeerkultur ließ sich dort also nicht auf dem gleichen Wege wie in Deutschland durch Assimilierung und selbständige Umformung des Fremdrassigen finden. Das Germanische konnte sich andererseits nicht mit der Unbedingtheit wie in England behaupten. Inwie- weit die Verschiedenheit der Stämme auf die baukünstlerische Erscheinung der einzelnen Länder gewirkt hat, läßt sich heute schwer entscheiden. Als Tatsache erkennbar ist nur, daß in Sachsen, im alemannischen Schwaben, am Rhein, in Norddeutschland, in Bayern einerseits, in England andererseits eine Stilentwicklung vor sich geht, welcher die Burgunder und Franken ablehnend gegenüber stehen. Die romanische Architektur der Provence und Burgund ist noch ganz durchtränkt von antik-römischem Geist. Die Bauten Aquitaniens weisen auf Venedig und auf den Orient!) Die interessante Mannigfaltigkeit der romanischen Baukunst in Frank- reich stammt eben daher, daß dort die einzelnen Stämme den Versuch machten, das Kulturproblem in der jedem gemäßen Weise für sich zu lösen. Es kam da- durch, daß wir eine Fülle einzelner Formen von hohem Reiz und eine Anzahl von

(1) Clemen: Antwort auf Emile Males Studien über die deutsche Kunst. Monatshefte für Kunst- wissenschaft, Jahrg. X, Heft 4 (1917).

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Schulen finden, aber keine romanische Baukunst im deutschen Sinn, d. h. keine Synthese des Vorhandenen, keinen Ausgleich des Kulturkampfes. Die ersten An- fünge der Gotik sind daher der erste Schritt Frankreichs, einen ihm gemäßen, also anders gearteten Ausgleich des Rassenkampfes herbeizuführen.

Der Kulturkampf der vorromanischen Zeit wogte zwischen der antik-römischen Kultur und der nordisch-germanischen. Deutschland brachte diesen zur Entschei- dung und löste das Problem im mittelalterlichen Sinn, d. h. eben insoweit es sich nur um Römertum hier, Germanentum dort handelte. Diese Frage war entschieden. Inzwischen wuchsen aber neue Probleme auf, setzte ein neuer Kulturkampf ein, in welchem die Elemente des jüngst Vergangenen nur noch hineinspielten. Diese neuen Kulturkampfmomente lassen sich in Kürze andeuten durch die historischen Daten: Kreuzzüge, Papst- und Kaiserkümpfe (Investiturstreit), Guelfen und Ghi- bellinen, Aufkommen der Stüdtemacht, Scholastik und Ketzerwesen, Rittertum und Mónchtum. Eine Unzahl neuer Ideen, neuer Begriffe lösten sich aus diesen Insti- tutionen und Ereignissen, überall gšrt es, neue Formen des Daseins zeugen neue formale Äußerungen des Volksbewußtseins und des Volkswillens. Die Psyche der einzelnen Nationen wird wach. Es gibt fortan keine Franken mehr, sondern Deutsche und Franzosen. In Südfrankreich hatte von jeher die Antike fast ebenso stark nachgewirkt wie in Italien, stürker zweifellos wie in dem langobardischen Oberitalien. Schon zu Ende des elften Jahrhunderts wird in der Provence aus der instinktiven, gewohnheitsmäßigen Nachahmung der Antike ein bewußtes, programm- mäßiges und von da strahlt die Kraft der Antike wieder nach den übrigen Landes- teilen aus. In Burgund bildet die Antike trotz allem individuellen germanischen Umgestalten doch die maßgebende Grundlage aller Formen. Ganz anders gebärdet sich der Norden Frankreichs. Die Normandie vor allem zeigt in ihrer Kunstweise germanischen Charakter. In eigenartiger Weise drängen diese beiden ganz hetero- genen Stilgruppen zu derselben Lösung des Rasseproblems vor. Der Süden wie der Norden beschäftigen sich während der ganzen romanischen Periode eifrig mit dem Gewölbebau, welchem die germanischen Völker seit ihrer Berührung mit der südlichen Baukunst immer zaghaft gegenüber gestanden hatten. Hier in Frankreich entstehen jene von römischen Vorbildern abgeleiteten Hallenkirchen, welche die Baumeister vor neue konstruktive Probleme stellten, deren Lösung den Strebe- bogen wie den Strebepfeiler forderten. Das auvergnatische Wölbungssystem mit dem zweigeschossigen Aufbau der Seitenschiffe und den durch Halbtonnen ge- wölbten Emporen arbeitet der Gotik schon wirksam vor, während gleichzeitig in der Normandie das Kreuzgewölbe zur Ausbildung gelangte. Beide Typen der bau- lichen Erscheinung trafen in der Isle de France aufeinander und züchteten hier den ersten Keim des zweiten germanischen Baustils: der Gotik. Es ist kein Zufall spöttischer Nomenklatur, die diesen Namen veranlaßte. Vasaris ästhetisches Fein- gefühl empfand mit unbeirrbarem Instinkt das Nordisch-Germanische, das die antike Klassik verneinende Moment im Stil der französischen, englischen und deutschen Kathedralen des Mittelalters. Diese von Frankreich gefundene Lösung des mittel- alterlichen Kulturproblems war eine Tat der germanischen Rasse. Die germa- nischen Länder, England und Deutschland, assimilierten sich die neuen Formen augenblicklich, während Italien sie niemals zum Ausdruck seiner nationalen Eigen- art brauchen konnte. Während in Frankreich, wo die Zisterzienser stark vor- gearbeitet hatten?), die Entfaltung der gotischen Baukunst schnell vor sich ging, be-

(1) Hans Rose: Die Baukunst der Zisterzienser. Bruckmann, München 1916. 131

hauptete sich in Deutschland noch ein jahrhundert lang der romanische Stil. Ein genaueres Zusehen zeigt uns aber in dieser Zeit schon überall die Vorbereitung auf die Anfang des :3. Jahrhunderts einsetzende Stilwandlung. Die Formen drängen auch hier ganz selbständig auf eine Weiterentwicklung im Sinne der Auf- lósung des Massenbaues in einen Gliederbau und auf malerische Raumwirkung. Wie die Verwendung des von Säule zu Säule gespannten Rundbogens an Stelle des Architravs die Konstruktion der frühchristlichen Basilika im Gegensatz zur antiken Bauweise bestimmte, so darf der Spitzbogen als die geometrische Formel der Gotik, im Gegensatz zum Rundbogen des romanischen Stils angesehen werden. Von der konstruktiven Verwendung des Spitzbogens hüngt die ganze gotische Struktur ab. Dieser Spitzbogen wurde aber zuerst um seines dekorativen Wertes willen in die Architektur aufgenommen und erst dann ergab sich seine konstruk- tive Brauchbarkeit. Es ist bezeichnend für den gotischen Stil, daß das Vorkommen des Spitzbogens auch an kunstgewerblichen Gegenständen ihre Zugehörigkeit zur Gotik vindiziert. Die Gotik ist der einzige Stil, bei welchem ein tektonisches Motiv in der Weise dekorativ verwendet wird, daB es als Kriterium des Stils gentigt. Der Übergang von der romanischen Konstruktion zur gotischen vollzieht sich schneller wie bei den übrigen Stilwandlungen. Das liegt in der praktischen An- wendbarkeit des Spitzbogens begründet, welche sich den Baumeistern sofort auf- drängen mußte. Dieses dekorative Moment war der Schlüssel zur Lösung des Wölbungsproblems, das sie die ganze romanische Epoche hindurch beschäftigt hatte. Es ließ sich jetzt in ganz neuer Weise bewältigen. Bei der Gotik ist es meist schwer, zu sagen, welche Formen ursprünglich nur dekorativ gedacht und dann in ihrer tektonischen Brauchbarkeit erkannt wurden, welche Formen aus rein konstruktiven Erwägungen entstanden, dann als dekorativ wertvolle Momente erkannt wurden. Geschmack und Auge der spätromanischen Bauklinstler waren dermaßen geschult, daß sie den malerischen Reiz jeder Form sofort für den Ge- samteindruck ihres Werkes zu sichern wußten. Charakteristisch ist der Schaft- ring, welcher an den Säulen des Übergangsstils erscheint. Dieser Zungenstein wird unter den Händen der mittelalterlichen Steinmetzen zu einem wirksamen Ornament. Das ganze System der Strebepfeiler mit ihren Diensten, der Strebebögen, das Zer- legen der Gewölbefelder in Unterabteilungen, die polygone Gestaltung des Chors, das Verdrüngen der römischen Lisene am AuBenbau durch Strebepfeiler, alle diese für die malerische Erscheinung der gotischen Kathedralen so wesentlichen Momente sind rein tektonisch erfunden. Sie bilden das Gerüst, dessen hoher. dekorativer Wert, sobald er erkannt wurde, zu immer weitergehender Auflösung der Mauer- massen und Beschränkung der raumabschließenden Teile zugunsten der struktiven führte. Wie sehr aber die bauliche Anlage des romanischen Stils für die Gotik bestimmend war, zeigt sich in der Tatsache, daß der Strebebogen erfunden werden mußte, um die neue Gewölbekonstruktion mit dem basilikalen Schema zu ver- einigen. Die abendländisch-christliche Stileinheit ist hierin klar erwiesen. Die Gotik ist vielleicht der einzige Stil, welcher für den Laien nicht aus seinen Zier- gliedern, sondern aus der Gesamtanlage des Baues erkennbar ist. Nichtsdesto- weniger zeigen die Bauten des Übergangsstils doch noch deutlich in Grundriß und Aufbau das romanische Schema, in welches sich neues gotisches Formempfinden drängt. Das läßt sich am besten an einer Reihe von Beispielen erweisen: Die Gesimselemente des gotischen Stils sind die gleichen wie die des romanischen Stils: Rund- und Viertelstübe, Hohlkehlen, Platten und Plättchen. Auch der gotische Wasserschlag findet sich schon an romanischen Bauten. Das Eindringen einer

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neuen Geschmacksrichtung macht sich hier bemerkbar durch die Vertiefung und Erweiterung der Hohlkehlen und entsprechende Verkleinerung der Rundstäbe, die stürker unterschnitten werden. Daraus entwickelt sich dann in der Hochgotik der Birnstab. In der romanischen Periode wurden sowohl die Stübe wie die Kehlen mit Ornamentik übersponnen. Die Gotik mit ihrer ausgesprochen antirömischen Tendenz beschränkt ihre Ornamentik durchaus auf die Hohlkehlen und läßt alle Stübe glatt. Das charakteristischste Schmuckelement an der AuBenseite des roma- nischen Gebüudes ist der Rundbogenfries, dieser nimmt lange vor der Einführung des Spitzbogens schon die Form des Kleeblattfrieses an, welcher spiiter in geringer Modifikation zu dem typischen Ornamentmotiv der Gotik wird, wo er noch lange rundbogig bleibt Die romanische Zwergbogengalerie wird weiter ausgestaltet und. erscheint als „Königsgalerie“ in wirkungsvollem Zusammenhang mit der neuen Monumentalplastik !). `

Das Säulenkapitell bietet auch hier wieder den sichersten Gradmesser für die Stilentwicklung. Das romanische Wiirfelkapitell wird mehr und mehr aus- geschaltet, das römische Kelchkapitell hingegen beibehalten und zu neuer, lebensvoller Entwicklung gebracht. Das romanische Kelchkapitell war eine Ab- straktion des korinthischen. Noch ehe sich irgend eine gotische Konstruktion bemerkbar macht, beginnt der germanische Geist die harten Knollen des roma- nischen Kapitells zum Knospen und Keimen zu bringen. Rundlappige Blätterbüschel wachsen vom Boden des Kapitells auf und rollen sich unter der Deckplatte wieder ein. Die Freude an der vegetabilischen Naturform, welche den realistischen Stil der gotischen Bildhauerei mit bestimmt, macht sich hier entgegen der Starrheit romanischen Zwanges geltend. Ebenso beginnt der veränderte Formensinn an der Basis der Säulen zu rühren, deren attisches Profil durch Flechtwerk und Eckblatt germanisiert worden war. Der untere Pfühl quillt so weit über die Plinthe vor, daß er das Eckblatt verdrängt, die Profilierung wird einfacher. Die reich gegliederte Pfeilerbildung der Gotik ist im Grundriß des spätromanischen Kreuzpfeilers schon angedeutet. Die abgestuften, mit Säulen besetzten Gewände der Portale und Fenster leiten zu der malerischen Fenster- und Portalbildung der Gotik hinüber’). In den durch Rundbogen oder Spitzbogen geschlossenen romanischen Fenster- gruppen und der Durchbrechung der oberen Mauerfläche durch Lichtöffnungen war der Ausgangspunkt des gotischen Maßwerkes gegeben.

Bei all diesen ornamentalen Neubildungen und Umbildungen fragt es sich nun, welches das treibende Element in dem Kampf der Formen war. Welches Kultur- ideal, welche Rassenbesonderheit zwang die mittelalterlichen Völker, sich von dem zu glanzvoller Entwicklung gelangten Stil ab-, der neuen Gotik zuzuwenden??) Die alte Romantiker-Legende vom „deutschen Stil“ hat wieder einmal eine ernste histo- rische Wahrheit durch spielerische Verwirrung der Begriffe ausgedrückt“). Die Gotik ist nicht „deutsch“, aber sie ist germanisch. Französisch ist sie nur im Sinn

(1) Genewein: Vom Romanischen bis zum Empire. I. Band. Hirt & Sohn, Leipzig 1911. Hauser: Stillehre der architektonischen Formen des Mittelalters. Jakobstal: Grammatik der Ornamente. Un- gewitter: Lehrbuch der gotischen Konstruktion. |

(s) Redslob: Das Kirchenportal. Deutsche Plastik. Costenoble, Jena.

(s) Hinsichtlich des Streites über den Ursprung der Gotik vergleiche Dehio und v. Besold: Die kirchliche Baukunst des Abendlandes. Stuttgart 1901.

(4) Friedrich Schlegel: Grundzüge der gotischen Baukunst. Sämtliche Werke. Bd. VI. Wien 1846. Reider: Die Bemühungen der Deutschen in Erforschung der Denkmäler altdeutscher Baukunst. Bam- berg 1841.

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von fršnkisch. Es war der frinkische Geist, der sie schuf, da wo er am stürksten war in der Isle de France, dem Zentrum des franzüsischen Kënigtums und der Ritterschaft, dem Zentrum der Wissenschaft und der Städtemacht. Der Zister- zienser-Orden brachte den Stil in Burgund zur Anwendung. Der Übergang zur Gotik im übrigen Abendland bedeutete dann den AbschluB der ersten Periode des Mittelalters und den Beginn einer neuen, durch Wissenschaft und Bürgerwohlstand demokratisierten Zeit. |

In Frankreich entstanden die Kirchen Notre Dame in Paris, die Sainte-Chapelle, die Kathedralen von Chartres, von Amiens, von Beauvais, von Reims. In Deutsch- land erhoben sich die Liebfrauenkirche in Trier, die Elisabethkirche in Marburg, die Münster von Freiburg, von Straßburg und Köln, von Regensburg, Ulm und Wien. In England reifte der neue Stil an den Kathedralen von Canterbury, Salisbury, Lincoln, Lichfield, Exeter, York, Gloucester und Winchester. In Italien trieb er nur spürliche Blüten. Die italienische Gotik war von Anfang an ungotisch, das beweisen Sta. Croce und die Dome von Florenz, Siena, Orvieto. Es sind Werke eines hochentwickelten bautechnischen Könnens, eines kultivierten Geschmacks, denen man doch immer anmerkt, daB der Erbauer in einer fremden Formensprache zu reden gezwungen war. Während noch überall sonst im Abendland die Gotik zu immer reicherer, hochstrebender Entfaltung gebracht wurde, schrieb in Italien Filarete: ,Verflucht, wer diese Pfuscherei erfand; ich glaube, nur Barbarenvolk konnte sie nach Italien bringen.^ Das war richtig. Italien hiitte niemals eine Gotik erfinden können. Deutsche hatten sie über die Alpen gebracht und die latei- nische Rasse wehrte sich mit aller Gewalt gegen das fremde Element. Das Ger- manentum und der germanisierte Semitismus, wie ihn die abendlündische Kunst seit der Vólkerwanderung darstellte, war den Nachkommen des klassischen Roms gleich unsympathisch. Hatte ihm bisher die Kraft gefehlt, sich zu behaupten, so erwuchs jetzt in dem kraftvollen Bürgertum der Stüdte ein Geschlecht, das fühig war, seine eigene Persónlichkeit entgegen allem herrschenden politischen oder kul- turellen EinfluB durchzusetzen. Hand in Hand mit dieser Erstarkung der latei- nischen Rasse geht aber der Zug des Zeitgeistes auf Befreiung des Individuums, Betonung der nationalen Sonderart, antikirchliche Gesinnung, humanistische Be- strebungen. Der auf Klarheit und Genauigkeit, auf rationalistische Erkenntnis ge- richtete lateinische Charakter, welcher in den ersten christlichen Jahrhunderten durch die phantastische unklare Sinnesweise sowohl der Orientalen wie der Ger- manen völlig unterdrückt schien, kann sich jetzt Luft machen, weil er vom Zeit- geist getragen erscheint. Instinktiv wendet er sich an die beiden Lehrmeister, die allein befähigt sind, ihm zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit die Wege zu weisen: Natur und Antike. Durch Naturstudium und antiquarische Interessen wird die lateinische Rasse in den Stand gesetzt, eigene künstlerische Formen den rasse- fremden germanischen entgegenzusetzen ). (Schluß folgt.)

(1) J. Burckhardt: Geschichte der Renaissance in Italien, bearbeitet von Prof. Dr. Heinrich Holtzinger. Eßlingen а. N. Paul Neff Verlag 1912. Swarzenski: Das Kunstgewerbe der Renaissance in Italien. Geschichte des Kunstgewerbes. Band I. Verlag Martin Oldenbourg, Berlin. |

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OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN aur DEUTSCHES GE.

BIET 4 Mit elf Abbildungen auf fünf Tafeln Von ALFRED GROTTE

u den kunsthistorisch beachtenswerten Entdeckungen, die das AufschlieBen der

besetzten östlichen Kriegsgebiete gezeitigt hat, gehören die Kultbauten Polens

und seiner angrenzenden Gebiete. Es handelt sich hierbei in erster Linie um

` Holzbauten, zu denen das waldreiche Land den wohlfeilen Baustoff lieferte, Stein-

bauten sind seltener und wenn auch in ihrer Gestaltung eigenartig, so doch nicht

annähernd so urwüchsig wie die aus Holz erstellten, deren Wesensart als durchaus originell bezeichnet werden muß!).

Unter diesen Sakralbauten befindet sich eine nicht unwesentliche Zahl hölzerner Synagogen. Wenn deren lückenlose Aufnahme und topographische Feststellung bis heute nicht erfolgte, so wird dies in Anbetracht der bisherigen Verhältnisse des Landes nicht wunder nehmen. Aber auch ein zweiter Umstand trug dazu bei. Galt es doch als feststehende Tatsache, daß den Juden eine besondere Kunst- betütigung ritueller Richtung eine irrtümliche Auslegung des biblischen Gebotes verboten sei; ja, einem so vielseitigen Forscher, wie Gurlitt, ist der Ausspruch (Handb. d. Arch. IV. 8) zuzuschreiben, daB, wer im mosaischen Sinne fromm sei, »die Kunst zu hassen* habe. Nun zeigt sich aber das Merkwürdige, daB gerade in Polen, der Hochburg orthodoxen Judentums, genau das Gegenteil zutrifft. Hier entwickelte sich die Baukunst und Malerei zu einer immerhin beachtlichen Hóhe und Eigenart. Für uns Deutsche ist diese stille, von außen nur wenig beeinflußte Kunstbetätigung aber von besonderem Interesse. Es ist im Grundkern deutsche Kunst, wenn auch solche mit einem gewissen „Jargon“-Einschlag, wie ja auch Sprache und Kleidung sich von den mittelalterlichen Zeiten der Auswanderung frünkischer Juden bis heute durch Uberlieferung fortgepflanzt haben. Die Ein- drücke, die die im Is. Jahrhundert vertriebenen und in Polen gastíreundlich auf- genommenen Juden von Deutschland mit hinübernahmen, mußten überaus tief sein und wurden kaum beeinfluBt von den sprachlichen und künstlerischen Einwirkungen der aus anderen Ländern vertriebenen Glaubensgenossen. Dies gilt ganz beson- ders von der Malerei; weniger von der Baukunst, die, wie auch bei den west- lichen Juden, meistens nichtjüdischen Meistern oblag. Der Synagogenbau ist demnach soweit es sich um hölzerne Bauwerke handelt in auffallender Kon- gruenz zum Kirchenbau feststellbar und von diesem eigentlich nur durch das Fehlen der Glockentürme abweichend. Ein neu hinzutretendes, recht seltsam anmutendes Motiv ist jedoch das Dach. In seiner Urform auf das gotische deutsche Steildach zurückgreifend, treibt dessen Formengebung im Wandel zweier Jahrhunderte die ab- sonderlichsten Blüten und zeigt bisweilen Gestaltungen, die an die noch östlicheren Pagodendächer erinnern. Man wird vergeblich nach formalistischen Zusammen- hángen suchen, vielmehr hierin ein hilfloses Verschmelzen von Kunst, Konstruktion und Ritus annehmen müssen. Die talmudische Vorschrift, es müsse das Dach des Gotteshauses alle übrigen Gebäude des Ortes überragen, hat zu diesen, in vielfachen Absätzen steil aufsteigenden Dächern geführt; aber auch zu der ungewöhnlichen

(1) Vergl. auch im Novemberheft 1915 d. Ztschr. den Aufsatz S. H. des Prinzen Johann Georg von Sachsen,

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Hóhe (nachweisbar bis 30,00 m) des Innenraumes. Dieses Hochbauen hat dann auch Mißfallen bei der Obrigkeit erregt, und ich glaube in der Vermutung nicht fehlzugehen, wenn alsdann, und wo große Höhe nicht gestattet wurde, die Dach- absätze als typische Form des „hohen“ Daches beibehalten wurden, gleichsam als Gegengewicht der vis major. So bildete sich für diese Art Sakralbau ein ganz bestimmter Typ aus, ohne klar zu verfolgende Entwicklungslinie zwar, aber mit seinen deutlichen Ansätzen einer Fortschreitungstendenz nicht uninteressant für den Forscher. Wir sehen beispielsweise in Narow!) an der Westseite ganz nach dem Muster deutscher romanischer Kirchen —- zwei turmartige Ansätze als Rudimente deutlich feststellbar. Dasselbe gilt auch von den Synagogen in Nasielsk und Wolpia (Abb. 1)?), allerdings in abgeschwächter Form. Als weitere einheit- liche Baumotive können ferner gelten die fast immer nachträglich angebauten Frauenschiffe, deren geringere Höhenentwicklung und Pultdächer dem Bauwerk basilikalen Charakter verleihen. Umlaufende Galerien, Arkaden, Rundbogenfriese sind sonstige, fast überall feststellbare Schmuckformen der im übrigen aus schlich- tem Bohlenwerk erstellten Bauwerke.

Vom deutschen Standpunkte sind in erster Linie die Ausstrahlungen dieses in einer für die Kunstbetätigung der Ostjuden überaus günstigen politischen Epoche (16. und 17. Jahrhundert) entstandenen Sakralstiles auf deutsches Gebiet von Wich- tigkeit. Sie zeigt sich in zweifacher Art: im zeitlichen Zusammenhang mit der Baugeschichte selbst (Ostdeutschland) und als mit dieser örtlich unzusammen- hängende Verpflanzung nach Süddeutschland (Bayern).

Als westlichstes, noch erhaltenes Beispiel ist die 1767 erbaute Synagoge in Kurnik (nächst Posen) feststellbar (Abb. 2—5). Sie zeigt in Bauart und Dachform eine architektonisch überaus klare und reife Gestaltung. Auch in der kühnen Kon- struktion des Dachbinders äußert sich gutes handwerkliches Können und eine starke Beeinflussung deutscher Zimmerkunst. Hier ist auch der Baumeister nachweis- bar, wenngleich indirekt. Hillel Benjamin aus der Lodzer Gegend baute die Syna- goge in Lutomiersk (Abb. бо. 7)*) undZloczow; bei dieser fand er durch Absturz vom Gerüst den Tod. Die auffallende Ähnlichkeit zwischen den Bauwerken von Lutomiersk und Kurnik läßt auf den gleichen (hier jüdischen) Architekten schließen, von dem nachgewiesen ist, daß er die „Zimmerkunst in Deutschland lernte“. Zweifellos ist Kurnik gegen Lutomiersk der jüngere Bau; seine Formen sind ein- facher, ruhiger, die Konstruktion sicherer und kühner. Die Frauempore ist hier gleich beim Bau berücksichtigt. Von größerem kunstgeschichtlichen Werte ist jedoch nur der Schrein (Abb. 4), dessen reiche durchbrochene Schnitzereien und lebhafte Farbengebung auf mehr östliche Beispiele und Malereien dieser Art zurtick- greifen.

Völlig als im Banne der polnischen Sakralkunst stehend, ist die aufgelassene, vom Ortspfarrer erworbene und pietätvoll erhaltene Synagoge in Czieszowa (Kr. Lublinitz, O.-S.) anzusehen (Abb. 8). Dort sind Kirche und Synagoge dem gleichen Baumeister zuzuschreiben. Ein weiter westliches Vordringen des jüdischen Sakral- baues zeigt merkwürdigerweise das Verschmelzen mit dem Kirchenbau protestan-

(1) Vergi. des Verfassers: „Deutsche, böhmische und polnische Synagogentypen des 11. bis 19. Jahr- hunderts.“ Berlin 1915 (hieraus Abb. a— 5). | | (2) Abb. т, 8 und 9 aus einem Aufsatz des Verfassers über polnische Synagogen in Ostd. Bauzeitung 1916/52, 53.

(3) w. d. Verf. Autaatz im Zentralblatt d. Bauverw. 1916/50: „Die alte Synagoge in Kurnik“.

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tischer Richtung. Diese Bauwerke mit ihrem enggestellten Stánderriegelbau (s. Abb. 9) entstanden im Anfange des то. Jahrhunderts. Sie zeigen auffallende Ahnlichkeit mit den Kirchen protestantischer Diaspora-Gemeinden. Aber nur im Äußeren; innen sind diese Bauwerke, wenn auch stark dekadent, so immerhin von der ost- jüdischen Sakralkunst beeinfluBt.

Weit wichtiger in kunstgeschichtlicher Hinsicht als die Baukunst ist indessen die Malerei Hier stehen wir überrascht vor einem ebenso seltsamen als inter- essanten und reifen Kunstzweige. Seine Erforschung ist schon vor Jahren durch die Veröffentlichungen der Krakauer k. k. Kommission der Kunstdenkmäler (Spra- wozdania komisyi do badania historyi sztuki w Polsce) durch Wierzbicki be- gonnen worden. Mehr als diese, größtenteils auf polnische Fachleute beschränkt gebliebene Arbeit, haben die in sauberer Technik erstellten Genrebilder Isidor Kauffmann's-Wien diese dekorative Malerei grüBeren Kreisen bekannt gemacht. Galizien selbst ist reich an solchen Beispielen, deren bestes (Chodorow) der Ver- fasser in seinem in Fußnote r, S. 2 angeführten Werke eingehend gewürdigt hat. In einer nur noch durch maurische Kunst übertroffenen Fülle an Ornamentik und glühender Farbenpracht sind sämtliche Wände und die Decke reich geschmückt. Offenbar entstand diese Kunst aus dem Bedürfnisse, die kahlen, aus wagrechten Bohlen gezimmerten Wände zu beleben (Abb. 10). Hierbei hat die Verschmelzung von Schrift und Ornament so auffallende Beziehungen zu der Malerei der islamitischen Kunst, daß die Behauptung, die Beeinflussung sei durch Handelsgegenstände durch- reisender asiatischer Kaufleute erfolgt, nicht von der Hand zu weisen ist. Nur so erklárt sich auch die symbolische Verwendung von Tiergestalten, deren Beziehung zu Polen sonst kaum zu ergründen ist. Denn neben den typischen, auch in der westlichen Kunst der Juden immer wieder angewandten Lówen und Adlern finden wir hier Dromedare, Pelikane, Bären, Zebra, Tiger usw. vielfach zur Belebung der Ornamentik herangezogen. In eine triforienartige Teilung der Wünde sind Sprüche aus Bibel und Talmud verzeichnet, innige Worte des Glaubens und der Weisheit. So lesen wir da im Urtext: .

„Еїпе Gabe im Geheimen bedeckt den Zorn Gottes“ (Talmud).

„Denn ihr pflüget Böses und erntet Übeltat und esset Lügenfrüchte'* (Hosea 10/13).

„Бег Mensch sorgt nur um den Verlust seines Geldes, aber nicht um den Verlust seiner Tage. Das Geld nutzt ihm nichts, aber seine Tage kehren nicht zurück . . .“ (Talmud).

Endlich sei noch als Pruhkstiick der Ausmalung das stets wiederkehrende Stadt- bild Jerusalems erwühnt, ein medaillonartiges Bild einer mittelalterlichen Stadt mit zahlreichen Türmen und Giebeln. Als Motive der Ornamentik finden die stilisierten Ranken und Blätter romanischen Ursprunges fast ausschließlich Verwendung; sie sind durch Inzucht von der Zeit, da die Juden in Deutschland Schmuckmotive für Kultzierate heranzogen, vererbt und, wie schon eingangs erwähnt, als „Jargon“ der romanischen Urmotive anzusehen.

Auch diese Kunstbetätigung der Malerei ist in ihrer Ausstrahlung auf deutsches Gebiet feststellbar, hier aber nicht wie vorhin entwicklungsgeschichtlich verfolgbar, vielmehr als eine Art Episode aufzufassen. Als im 18. Jahrhundert die bis dahin glänzenden Verhältnisse der Ostjuden einer Beschränkung ihrer Freiheit und Rechte Platz machten, wanderten einzelne Gemeinden aus und wandten sich bezeichnen- derweise nach Franken, der Heimat so vieler ihrer Vorfahren. (Vergl. die Namen „Frank“, „Frankel“, ,Frünkel*) Mit diesen Rückwanderern aber ging deren Kunst auch nach der früheren Heimat. In kleinen Städtchen und Dörfern des oberen

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Maintales (Horb, Redtwitz), nahe der Stadt Würzburg (Allersheim, Kirchheim usw.), ‚ferner nächst Ansbach (Bechhoven) erbauten die aus Polen Vertriebenen schmuck- lose, nüchterne Betstuben, auBen scheunenartig, aber innen nach dem Vorbilde der erwähnten Gotteshäuser reich bemalt. Wir verdanken die Kenntnis und Aufnahme dieser farbenprüchtigen Innenräume dem Direktor des Düsseldorfer Kunstgewerbe- museums, Frauberger, der diese Arbeiten im Auftrage der ,,Gesellsch. zur Er- forschung jüd. Kunstdenkm.“ (Frankf. a. M.) in eingehender Weise durchgeführt hat. Bechhoven (Abb. 11), das vollkommenste Beispiel, ist im Gegensatze zu den übrigen noch als Gotteshaus benutzt, wührend die anderen Bauwerke dem Untergange ge- weiht sind. In Würdigung des kunsthistorischen Wertes dieser Innenräume wurde jedoch Kirchheim vom bayrischen Staate erworben und 1912 dem Luitpoldmuseum zu Würzburg eingereiht Von Bechhoven und Horb ist uns auch der Name des Baumeisters und Malers (?) erhalten; es war Elieser, der Sohn des Salomo Suß- mann!) der sich, in der Gesellschaft der Rückwanderer befindend, hier, auf frünki- schem Boden, die Bauwerke streng nach dem Muster polnischer Vorbilder er- richtete. Bezeichnenderweise sind aber beim AuBenbau bereits starke Anklinge an die deutsche Umgebung wiederum feststellbar.

Für die Beurteilung der Frage über Kunstbetütigung der Ostjuden gewinnen alle diese neuen Forschungen Beachtung. Es ist leider anzunehmen, daB der Krieg hier viele Werte vernichtet hat. Wünschenswert wäre es, wenn die überaus gründliche Art, mit welcher deutscher Forschungsgeist in den besetzten Gebieten arbeitet, sich auch auf dieses Kunstgebiet ausdehnen wollte. Man hat diese eigen- artigen Werke einer ebenso innigen wie in sich abgeschlossenen Kunst bisher kaum gewiirdigt. Was sich hierüber in polnischem Fachbiicherwesen verstreut findet, ist, abgesehen von den schon genannten „Sprawozdania“ kaum als Unter- lage zu wissenschaftlicher Forschung geeignet (Bersohn, Moklowski, Gloger). Die galizischen Beispiele hat der Verfasser in seiner schon erwühnten Arbeit berück- sichtigt.

Ergünzend sei noch auf die Steinsynagogen des Ostens verwiesen, deren hoch- monumentale Bauart des Äußern und Innern bemerkenswert ist. Eine Ausstrah- lung auf deutsches Gebiet ist nur in einem einzigen Beispiel nachweisbar, der

1815 errichteten Synagoge in Kempen (Posen) Ein besonderer Zweig dieser

Sakralbauten, die ,Synagogenburgen", soll von mir an anderer Stelle besprochen werden.

(1) Der Name findet sich noch heute in Westbéhmen.

THEODOR DAUBLER: Der neue Standpunkt. Hellerauer Verlag,Dresden. Hellerau 1916.

Wie es Dichter waren, die über Runge und Kaspar David Friedrich die schönsten Seiten ge- schrieben haben, so hat auch die vom Naturalis- mus losgelóste bildende Kunst unserer Zeit Dichter gereizt, zu ihren Problemen Stellung zu nehmen. Kasimir Edschmid schreibt über Hoetger, Hey- mann über Pechstein, Bahr, der nie alternde, über „Expressionismus“, Däubler über den „neuen Stand- punkt*.

Niemand hat vor Dáubler Sinn und Willen der jüngsten Kunstrichtung in so schöner und ein- dringlicher Weise ergriindet. Er ist ein Wort- künstler, der den Eindruck eines Bildes, ohne ins Literarische zu verfallen, mit W'orten umschreibt und nachdichtet. Er findet neue Wortverbindungen, um Farbeneindriicke zu vermitteln und den me- tallisch-kühlen, erregend-heißen, blumenhaft-zarten Farbcharakter zu veranschaulichen. Dem grund- legenden Kapitel ,Simultanitit" folgen rück- schauende Betrachtungen über „unser Erbteil", dann die stolze Reihe expressionistischer Bildnisse: Munc, Barlach, Matisse, Rousseau, Chagall, Marc, Picasso. Betrachtungen über Futuristen und Ex- pressionismus bilden den Schluß. Kein biogra- phisch-anekdotisches Detail stört die Struktur des Buches, nur das Wesen des Künstlers, soweit es sich in seinem Werk offenbart, wird klargelegt. Die Tonart wechselt. Werden Munch und Chagall „das kosmische Kind“, „der Märchenprinz mit ab- soluter Farbe“ aus der Welt ibrer Vorstellungen ergründet, so stehen bei Matisse, dessen Farbflecke Sätze sind, „die aus trefflichsten Hauptwürtern bestehen. Jeder, Satz für sich. Punkt“, formale Probleme im Vordergrund. Picassos „Farb- schnitzelportrüts" werden aus der „Hysterie un- serer Zeit“, die allein ein so abstraktes Programm für bildende Kunst aufstellen konnte, gedeutet. Der Spanier und jene, bei denen er Schule ge- macht hat, sind „Darsteller einer psychologischen Geometrie, keine Gestalter mehr im alten Sinn“.

Däubler gibt einen Querschnitt, Vollständigkeit liegt ihm fern, auf den Expressionismus, der seine Formung in Norddeutschland gefunden hat, auf Nolde und Schmidt-Rottluff geht er nicht ein, und doch wirkt sich gerade bei Schmidt- Rottluff das Wollen unserer Zeit am Stärksten und Unbeding- testen aus. Eine Überraschung für den Kunst- bistoriker ist das sorgfältige und ausführliche Re-

gister. Da für Diubler künstlerische Werte allein gelten, ist ihm alte Kunst ebenso vertraut wie die der allerjüngsten Gegenwart. Кова Schapire.

GERTRUD GRADMANN, Die Monu- mentalwerke der Bildhauerfamilie Kern. (Studien zur deutschen Kunst- geschichte, Heft 198.) Mit 7 Lichtdruck- tafeln. StraBburg, J. H. E. Zeitz, 1917.

Die Kunst des 17. Jahrhunderts in Deutschland ist wenig bearbeitet worden; zumal in der Plastik schreckt das Handwerkliche und der Massenbetrieb einer unselbständigen Zeit. Gleichwobl sind die Werke zahlreich und treten mit stolzem Bewußt- sein vor den Beschauer, Man erinnert sich, daß in die erste Hälfte des Jahrhunderts einer der großen Höhepunkte europäischer Kunst fällt, daß in Italien, Spanien, den Niederlanden das Barock in höchstem Glanze steht, und fragt sich, wie Deutschland dazu sich stellen möge. Das Bild ist, abgesehen von der Baukunst, die sich auf wahre Monumentalität beginnt, nicht erhebend. Von Malern kann man neben Elsheimer kaum noch Flegel nennen, beide sind im Grunde Klein. meister; und die Vertreter des wirklichen Barock wie Willmanns machen nicht den Anspruch auf unbedingte Selbständigkeit, Die Plastik erhebt sich nirgends über dekorative Bedeutung. Als Schmuck von Grabmälern, Portalen, Kanzeln und Brunnen bildet sie den Gegenstand einer hand- werksmäßigen Übung und nimmt eine Zwitter- stellung zwischen Renaissance und Barock ein, zu einer Zeit noch, da Bernini längst gestorben ist, Die Abhängigkeit dieser braven Zunftmeister von begabteren Ausländern ist überall nachzu- weisen. Nach 1620 verschwinden diese Muster und die einheimische Bildnerei breitet sich trotz des großen Krieges ausgiebig in Deutschland aus, mit einer erstaunlichen Gleichartigkeit aller Formen, Es handelt sich dabei weniger um Kunst als um Kunstgewerbe, und nicht sowohl um Stil als um eine, freilich sehr lang andauernde Mode.

Eine Anzahl der bedeutenderen Meister ist schon durch Monographien ans Licht gezogen; so die westfälischen Gröninger von F. Koch, die Dresdner Walther in Haendtkes Buch über sächsische Plastik, Erth und vor allem Dehne in Magdeburg von Deneke; auf die Familie der Junker am Unter- main hat Schulze-Kolbitz, wenn auch flüchtig, hingewiesen (in seinem Buch über das Aschaffen- burger Schloß). Ihnen reiht sich das vorliegende

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Werk von Gertrud Gradmann an, welches die weitläufige Familie Kern in Unterfranken mit dan- kenswerter Ausführlichkeit behandelt.

Das Buch besitzt alle Vorsüge, die eine Arbeit über einen so wenig dankbaren Stoff haben kann; einen Stoff, den zu. meistern die Geduld und der Mut einer Erstlingsarbeit gehört. Der Stoff ist übersichtlich gegliedert und so knapp wie möglich behandelt; die Schreibweise rein und von erfreulicher Deutlichkeit; die Zuschreibungen und Ablehnungen ohne weiteres anzunehmen soweit ich die Dinge aus eigener Anschauung kenne, welches der größere Teil ist; Stilkritik und Werk- beschreibung besonnen und klar! Man stellt mit Vergnügen die Entschiedenheit der kunsthistori- schen wie schriftstellerischen Eignung der Ver-

fasserin fest und hofft, das nächste Werk einem :

dankbareren Gegenstand gewidmet zu sehen,

Als wesentlichete Resultate seien hervorgehoben: die Geschichte der Familie Kern in Forchtenberg am Kocher, die sich vom Handwerk zum (rela- tiven) Künstlertum emporarbeitet. Das Werk des Hauptmeisters Michael III. (1580—1649), dae zwi- schen Main und Neckar zahlreiche plastische De- korationen birgt: die Würzburger Domkanzel, das Portal in Dettelbach (O. A. Kitzingen), umfang- reiche Epitaphien und Tumben in Wertheim, Langenburg, Michelstadt, Ohringen, Würzburg u. a. О.; Altáre, namentlich in der prunkvollen Klosterkirche zu Schönthal und in der erzbischdf- lichen Hauskapelle, Würzburg. Stilkritik und Ver- gleich mit den Werken der Zeit führen zu den schon angemerkten Resultaten. Die nächste Ver- wandtschaft mit Kern haben die drei Junker (von Hans die Aschaffenburger Schlo&kapelle, von Michael der Blutaltar in Walldürn). Sein Schwan- ken zwischen strengerer Renaissance und barocken Neigungen (die sich jedoch wesentlich nur im Ornament zeigen, wo er als einer der Frühesten, schon um 1614, Knorpeiwerk verwendet), ist ebenso typisch wie der spielerische Aufbau der Archi. tektur, die Vorliebe für Alabaster und der damit zu- sammenhingende krause Reichtum des Plastischen sowie die Verwertung zeitgenóssischer Stiche für die bedeutenderen Relief kompositionen.

Den zweiten Bildhauer von Rang in der Familie stellt Michaels Bruder Leonhard dar (1588— 1662). Seine Haupttätigkeit vollzog sich auf dem Boden ` der Elfenbeinschnitzerei, und darin ist er einer der frihesten und bahnbrechenden, freilich nicht bedeutendsten Meister. Aber dies: fällt außerhalb der Gradmannschen Untersuchung (und ist von Christian Scherer im Jahrb. d. Kgl. PreuS. Kunet- sammlungen, Bd. 37 1916 Heft IV besprochen

140

worden); sie behandelt nur seine Steinbildwerke, unter denen die vier Monumentalfiguren an den Nürnberger Ratbausportalen von 1617 den ersten Platz einnebmen. Als Künetler steht Leonhard Kern über seinem Bruder; seine italienische Schu- lung, seine eingehenden Aktkenntnisse sicherten ihm einen Vorrang vor den übrigen Bildhauern, auf welche diese Umstände nicht zutrafen: jedoch ist er von Natur weit schwerf&lliger und sein Kreis ausschließlich auf Aktdarstellungen beschránkt, so daß er am Ende mehr einen Einzelfall in dem plastischen Betrieb Deutschlands bildet ais eine wirkliche Erscheinung von Eigenwert. Seine Elfenbeinwerke machen dies vollends klar.

Von den übrigen Mitgliedern der Familie kommt nur noch Achilles Kern, der Sohn Michaels, in Betracht, von dem einige große Grabdenkmäler und vermutlich der Michaelsaltar in Schönthal herrühren. Er starb 1691 und führte die Kunst des dekorativen Halbbarock bis weit in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts,

' Eine sorgfältige, 66 Nummern umfassende Samm- lung archivalischer Belege endigt den stattlichen Band. Paul F. Schmidt.

W. FR. VOLBACH, Der heilige Georg. Bildliche Darstellung in Süddeutschland

mit Berücksichtigung der norddeutschen

Typen bis zur Renaissance. Mit 35 Ab- bildungen auf acht Tafeln. Studien zur

deutschen Kunstgeschichte, Heft 199.

J. H. Ed. Heitz, Straßburg 1917.

Die christliche Ikonographie, das so unendlich wichtige Hilfsgebiet der Kunstgeschichte, weist noch zahlreiche Lücken auf. Eine davon zu füllen, ist die Aufgabe des vorliegenden Buches. Der Verfasser hat sich den deutschen Lieblings- heiligen Georg gewählt, um an ihm den Reich- tum der Auffassungen, mit dem die deutsche Kunst den Heiligen behandelt, abzuwandeln. Die Untersuchung entstand „sowohl aus rein ikono- grapbischem Interesse, als auch, um durch die gewonnenen Resultate noch nicht lokalisierte Werke einer bestimmten Landschaft und Schule zuweisen zu können.“ Für diesen Doppelzweck ist der hi. Ritter Georg um seiner weit verbreiteten Kultur willen die geeignetete Persönlichkeit. Die Auf- teilung erfolgte streng schematisch in die ver- schiedenen Typen: Georg zu Fuß, zu Pferd, mit Drache, ohne Drache, mit Schild, mit Fahne; Lanzenkampf, Schwertkampf; sonstige Darstellun- gen aus der Legende. Der Kult des Heiligen, seit dem 6, Jahrhundert im Norden nachweisbar,

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beginnt in ausgebreiteter Weise erst im 12. Jahr-

hundert. Darstellungen dee Drachenkampfes er- scheinen nicht vor ca. 1230.. Die frühesten Dar- stellungen zeigen den Heiligen zu Fuß, ohne Drachen. Seit dem 14. Jahrhundert entwickelt sich der Drachenkampf als das herrschende Motiv. Der Drache ist, als Fabeltier der Phantasie weiten Spielraum gebend, vielgestaltig, doch immer inner- halb der Grenze des Tierbaften; als wirklicher Teufel wie häufig bei St. Michael tritt er nicht auf. Volbach kennt nur ein Beispiel , eine Miniatur von 1436, wo der Drache teufelartig ge- bildet ist. Dieses Blatt enthült auch das seltene Motiv des Kampfes wider den fliegenden Drachen, das eich, wohl auch ganz vereinzelt, auf dem schónen Stich des Meisters von Zwolle (Karls- ruher Kupferstichkabinett Nr, 3968) wiederfindet. Eine dankenswerte Feststellung ist die Lokalisie- rung des hundsartigen Drachen fir Frankreich. Hierdurch konnte der Holzschnitt des Germ. Nat.- Museums, Schreiber 1447, den Bouchot in Parallele mit dem Drachenkampf eines französischen Leder- kästchens im Sigmaringer Museum als französisch bezeichnet, der deutschen Kunst zurückgegeben, konnte für die oberrheinische Malerei (Meister von 1445) ein neuer Beleg für burgundische Be- einflussung erbracht werden. Dagegen scheint mir bei dem Meister von 1445 in der Beigabe der verwesenden Leiche vor der Drachenhöhle ein italienischer Einfluß nicht bedingt, da dieses Motiv auch der Kölner Meister der Georgslegende verwendet. Wünschenswert wäre eine Erklärung über das Auftreten des zweiten Drachen (S. 54, 70, 78/79) gewesen. Ist dieser wirklich das Drachen- junge, wie V. angibt, und wenn, existiert im Georgs- mythus ein Anhaltspunkt dafür? Oder handelt es sich, wie ich, wenigstens bei der Sierenzer Tafel annehme, um einen Fall von Juxtaposition? Für eine Gruppe kleiner Alabasteraltärchen in Weißen- burg, im Germ. Museum und im Nationalmuseum za München erbrachten die ikonographischen Merkzeichen die nähere Lokalisierung auf Franken, wodurch meine Vermutung (Zeitschr. f. chr. K., 1916, S. 61), daß Dürer das Alabasterrelief des Germ. Museums dessen Georg sich als Vor- bild zu Dürers „Christlichem Ritter“ trotz spott- reich gewappneter Anrempelung (Kchr. 1916, Sp. 409—123) nicht aus dem Sattel werfen läßt kannte, eine Stütze erhält.

Ein wichtiges Ergebnis ist die einwandfreie Zu- weisung des Teigdrucks aus derWeigeliana (Weigel und Zestermann 401, Schreiber 2844) an den Mittel- rhein vermöge ikonographischer Übereinstimmung mit einer Tonform aus Nierstein (S. 67); ebenso

der Hinweis, daß die Schrotblätter, Schreiber 2833, 2635, 2636 in Burgund* bzw. unter burgundischem Einfluß entstanden sind. Nicht als Georg hat sich der bisher als solcher angesprochene Ritter vom Memorienportal des Mainzer Doms erwiesen. Dies nur einige Beispiele aus der Fülle des Ge- botenen. Volbach hat das über den Heiligen reich- lich vorhandene Material fleißig genutzt, gründ- lich gesiebt und seine Schlüsse daraus mit sach- licher Vorsicht und Gewissenhaftigkeit gezogen. So ist diese ikonographische Georgsmonographie ein sehr brauchbares Buch geworden, das beson- ders bei der Lokalisierung von Kunstwerken treff- liche Dienste leisten wird. Mela Escherich.

AUGUSTIN HIRSCHVOGEL, Ein deut- scherMeister der Renaissance, Von Karl Schwarz. Verlag Julius Bard, Ber- lin 1917.

Bisher ist man an Hirschvogel ziemlich achtlos

| vorübergegangen. Man kannte wohl seine Land-

schaften und sollte ihnen anerkennende Worte, brachte auch seinen Namen mit verschiedenen kunstgewerblichen Erzeugnissen in Verbindung, begnügte sich aber im allgemeinen mit kurzen Notizen. Nicht einmal die biographischen Daten waren unzweideutig festgelegt, so дай man den widereprechendsten Angaben über sein Geburts- jahr und Leben begegnete. Auf Grund eingeben- der Forschung wird hier zum ersten Male ein Bild von dem Leben und Scbaffen dieses in seiner Eigenart noch nie gebührend gewürdigten Künst- Jers, dessen Gesamterscheinung die eines der viel- seitigsten und charakteristischen Renaissance- meister darstellt, entworfen und in den Rahmen seiner Zeit eingefügt. x

Eine Reihe neuer Entdeckungen, so vor allem die Auffindung eines groBen Zyklusses von Feder- zeichnungen und Scheibenrissen die umfang- reichste Serie, die aus dem 16. Jahrhundert be- kannt ist die Ergänzung des gıaphischen Werkes um eine Reihe bisher unbekannter, be- deutender Radierungen, die Festlegung vieler Lebensdaten ergänzen die allgemeine Anschauung über den Künstler und gestatten dem Verfasser, in einem stattlichen, dazu gut ausgestatteten Bande die Monographie Hirschvogels den übrigen Biogra- phien altdeutscher Kunst einzureihen.

In allen Kapiteln dieses trotz seiner strengen Wissenschaftlichkeit angenehm lesbaren, trotz seiner Prägnanz nicht trocken wirkenden Buches finden sich interessante Neuerungen gegenüber dem bisher über Hirschvogel, oft an schwer zugüng- lichen Stellen veróffentlichtem Material.

141

Kapitel I enthšlt eine genaue Festlegung des Stammbaumes, Richtigstellung seines Verhältnisses zum Kunstgewerbe, besonders zu der durch Neu- dörfier entstandenen Konfusion betreffend das Kom- pagniegeschäft mit der Hafnerwerkstatt Nickel- Reinhardt.

Kapitel II behandelt Hirschvogels geometrische Studien und Pläne. Besonders wertvoll erscheinen seine Arbeiten für den Freiherrn von Herberstain, die er als Illustrator seiner Werke fertigte, unter Anlehnung an die Burgkmairsche Genealogie. Der dritte Abschnitt stellt auf Grund wertvoller, in Ungarn gemachter bistorischer Funde das Ver- bültnis Hirschvogels zu dem ungarischen Magna- ten Peter Perényi zum ersten Male fest und bildet nicht nur eine Erweiterung unserer Kenntnis des Künstlers, sondern bietet auch ganz neue Auf- schlüsse zur Geschichte der Reformation in Ungarn. Im vierten Abschnitt wird das große, bisher völlig übergangene Verdienst Hirschvogels als eines Forschers auf dem Gebiet der praktischen Geo- metrie gewürdigt. Er verdient als der Erfinder der Triangulierung in der deutschen Wissenschaft

143

einen Namen, was an der Hand seiner Befesti- gungspläne und Basteibauten nachgewiesen wird.

Kapitel III behandelt das graphische Werk in Einzeluntersuchungen der verschiedenen Blätter und unternimmt eine Einfügung der bisher un- bekannten Radierungen in das vorhandene Material,

Kapitel IV enthält die wichtige kunsthistorische Feststellung, daß nicht alle bisher unter dem Namen Hirschvogel segelnden Zeichnungen von seiner Hand stammen, daß dagegen der in Buda- pest befindliche Zyklus von Federzeichnungen un- bedingt vom Künstler herrührt, wodurch das Schaffensbild des Meisters erst seine volle Ab- rundung erhält und die in

Kapitel V unternommene Gesamtcharakteristik seines künstlerischen Wirkens und Einordnung in

die geschichtliche Entwicklung rechtfertigt.

Es folgen wissenschaftliche Anhänge wie Re- gesten, Beilagen aus den schriftlichen Aufzeich- nungen Hirschvogels, ein ausführliches Literatur- verzeichnis und ein wohl mit der größten Genauig- keit durchgeführter Katalog seiner Werke.

G. J. Korn.

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RUNDSCHAU ees

DER CICERONE.

X, 7/8.

A. L. MAYER: Miinchener Malerei von бё bis 1890. (7 Abb.)

D. HEUBACH: Ein Werk des Bildbauers Lan- dolin Ohmacht. (1 Abb.)

H. FRIEDEBERGER: Die Corinthausstellung der Berliner Sezession.

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DIE KUNST.

XIX, 7.

AUGUST L. MAYER: Toni von Stadler. Ia Abb)

H. A. SCHMID: Bócklin und die alten Meister II: die reifen Jahre. (14 Abb.)

ADOLF SCHINNERER: Wilhelm Gerstel. (13 Abb.) K. SCHW.: Der Samariterbrunnen in Homburg. (z Taf.)

„UM 1800“. Innenausstattungen und Möbel aus der Zeit um 1800, (1 Taf., ar Abb.) WILHELM MICHEL: Frankreich und das deutsche Kunstgewerbe.

W.: Zu Ferdinand Spiegels dekorativen Bildern, (s Abb.)

RICH. MEYER: Spielzeug aus der Hamburger Kunstgewerbeschule. (8 Abb.)

(1 Taf.,

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. XXI, 6.

ARTHUR ROESSLER: Der Bildnismaler Victor Hammer. (1 Taf., 4 Abb.)

JOS. AUG. BERINGER: Edmund Steppes-München. (2 Taf, 5 Abb.)

OSCAR GRAF - BERG: Adolf Büger - München. (x Taf., 2 Abb.)

OTTO SCHULZE-ELBERFELD: Scherenschnitte Walter Kampmanns. (I Taf, ro Abb.)

FRANZ SERVAES: Neue deutsche Tapeten. (a farb. Taf., 9 Abb.)

EMIL UTITZ: Kunstgewerbliche Graphik: Fest-

und Eintrittskarten von Cipriani und Bartolozzi.

(9 Abb.)

GEORG HABICH: Neue Münchener Medaillen. (ar Abb.)

Ex libris von ADOLF M. SCHWINDT. (12 Abb.) JOS. AUG. LUX: Gustav Klimt 1.

KUNST UND KÜNSTLER. XVI, 5. KARL SCHEFFLER: Erich Heckel. (8 Abb.)

WERNER WEISBACH: Matthias Grünewald. (11 Abb.)

EDUARD PLIETZSCH: Neuerwerbungen des Ber- liner Museums, (1 Taf, 5 Abb.)

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. Neue Folge, XXIX, 6.

FRANZ DÜLBERG: Über den Bildhauer Frederik Engel Jeltsema. (r0:Abb.)

AUGUST L. MAYER: Die spanischen Handzeich- nungen in der Kunsthalle zu Hamburg. (10 Abb.)

HANS F. SECKER: Ein Frühwerk van Руске im Danziger Stadtmuseum. (3 Abb.)

HANS WOLFF: Graphische Arbeiten von R. R. Junghanns. (6 Abb.)

Neue Folge, XXIX, 7.

HEINRICH WOLFFLIN: Jacob Burckhardt. (1 Taf.) HANS F. SECKER: Beiträge zur Dürerforschung. I. Direr und Mantegnas Fresken in Padua. (13 Abb.)

JULIUS VOGEL: Das Freskobild des Erzengels Michael im Museum der bildenden Kinste zu Leipzig. (2 Abb.) |

BERLINER MUNZBLATTER.

XXXIX, 195/196. EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als kurbranden- burgische Miingstitte.

KARL W. SCHERER: Ein Beitrag zur pfälzi- schen Münzkunde (Nachtrag), (x Taf., 3 Abb.)

E. BOHLEN: Zur Vierbundertjahrfeier der Re- formation.

L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1916—1918. M. v. B.: Zum Goldschatz von Brescello.

DEUTSCHLANDS KUNST. 1918, r. (Zeitschrift des Bundes der Freunde deutscher Kunst.)

HANS WOLFGANG BEHM: Unser Weg. Ein Frontwort zum Wegen deutscher Kunst, (1 Abb.) RICHARD BRAUNGART: Leo Samberger. (1 farb. Taf., 14 Abb.)

ARTHUR DOBSKY : Der Bilderschmuck des Hauses einst und jetzt. (za Abb.)

HANS WOLFF: Meister der Zeichnung. (10 Abb.) WILLY DOENGES: Johann Joachim Winckel- mann.

ERNST COLLIN: Deutsche VVV im Kriege.

143

OUDE KUNST. AMTLICHE BERICHTE Aus DEN KGL.

J. F. M. STERCK: Twee allegorieë Rubens KUN MMI huwelijken. (a Abb.) ЕИ EE ЭТВА UNGEN, M. F. HENNUS: Jets over Benjamin Bolomey XXXIX, 7.

en zijn gegraveerde portretten. (8 Abb.) FRITZ' GOLDSCHMIDT: Ein Plakettenmeister FRITZ HAVELAAR: Ommegang door onze Musea. der Riccio-Werkstatt. (7 Abb.)

(4 Abb.) N. Q. v. HUFFEL: Een Familiengroep van Jo- a нна EES : Ein

hannes Buns. farb. Tafel, x Abb.)

XI. Jahrgang, Heft 5. Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im Felde. Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. r5, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINK- HARDT & BIERMANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung: [n MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. | In ÓSTERRBICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 23. | In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-Jaan 61 | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Euleratr. 65. |

Geschüftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft

Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.

Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland- straße 158 zu richten. .

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

144

Tafel 2:

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Abb. 1. Vom Sockel des Sebaldusgrabes: Von den drei Sáulenstumpfen befindet sich der mittlere hinter dem Lówen, die beiden anderen im Hintergrund. Der linke Hinterfuß des Löwen steht auf der got. Bodenwelle. Vor dem Kopf des Löwen eine Spitze vom Schutzgitter. Die Ansatzstelle des Renaissance- sockels 1,5 cm vom linken und 3,7 cm vom oberen Bildrand entfernt.

M. f. K., XL, 5 Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES

Tafel 27

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"e E E 7 Abb. 2. Vom Sockel des Sebaldusgrabes: Von den drei umgebogenen Sáulenstumpfen befindet sich der mittlere hinter dem Kopf des Lówen. Eine kleinere Ren. Platte mündet r cm höher unorganisch

Ansatzstelle der Ren.-Sockelplatte 2,2 cm vom linken und 4,6 cm vom oberen Rand entfernt zwischen zwei gotischen Profilen. HUBERT STIERLING, DAS RÄTSEL DES SEBALDUSGRABES

| Ca, Vordertatze ruht auf der Bodenwelle, davor eine Spitze des Schutzgitters. Die Bodenwelle wird links unten vom Renaissancesockel überschnitten.

Zu:

Abb.3. Südostecke des Sebaldusgrabes: Die Überschneidung der got. Bodenwelle durch die unterste Ren.-Sockelplatte (Sockelfuñ) ist zweimal deutlich zu erkennen. Die Ansatzstellen der oberen Ren.-Sockelplatten liegen im Schnittpunkt der Pfeile aa, bb. 4. f. K., XI., 5 Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES

x.

Abb. 4. Sockelpartie der óstlichen Schmalseite des Sebaldusgrabes mit den abgeschnittenen Bodenrippen neben den Putten, Links neben der „Gerechtigkeit“ ein umgebogener Sáulenstumpf. Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES

Abb. s. Allegorie der Vergänglichkeit vom Sockel des Sebaldusgrabes (Südostecke) Abb. 6. Leuchterweibchen vom Sebaldusgrab (Südostecke) Die Stange im Vordergrund links gehórt zum Schutzgitter

Zu: HUBERT STIERLING, DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES

M, f, K., XI., 5

Tafel 31

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Abb. 7. Großes Relief der Blindenheilung vom Sockel des Sebaldusgrabes (nach GipsabguB!)

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Abb. 8. Orpheus und Eurydice. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum Zu: HUBERT STIERLING, DAS RÄTSEL DES SEBALDUSGRABÉS M. f. K., XL, 5

Tafel 32

Abb. 9. Großes Relief der Füllung des Weinkruges vom Sockel des Sebaldusgrabes (nach Gipsabguß!)

Abb. 10. Peter Vischer d, J., Aquarellierte Federzeichnung im Berliner Kupferstichkabinett 7

8 ETT УГУС lo Zu: HUBERT STIERLING, DAS RÁTSEL DES SEBALDUSGRABES Ab

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Abb. 1. Polnische Holzsynagogen (nach Bersohn, Moklowski und Gloger).

Zu: ALFR. GROTT E: OSTJÚDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF DEUTSCHES GEBIET

M. f. K., XL, 5

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Abb. 2. Kurnik in Posen

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Abb. 3. Kurnik (Querschnitt)

Zu: ALFRED GROTTE: OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN) AUF

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Abb. 7.

Lutomiersk (Querschnitt)

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Abb. 6. Lutomiersk Kurnik (Deckenuntersicht)

M. f. K., XL, 5

Zu: ALFR. GROTTE: OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF DEUTSCHES GEBIET

Tafel 36

Deutsch-Krone (WestpreuBen)

Abb. 9.

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Abb. 8.

OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF DEUTSCHES GEBIET

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Jablonow, Galizien (nach ,Sprawozdania^ IV) a. d. J. 1674

Tafel 37

Abb. п. Bechhoven in Bayern

Zu: ALFRED GROTTE: OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF

M. f. K., XI., 5

DEUTSCHES GEBIET

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|XHAHRGANG-HEFT 6 JUNI 1918 | VERLAG KLINKHARDT&BIEF

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Monatshefte fur Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjšhrlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 6

ABHANDLUNGEN REZENSIONEN ERNST STEINMANN, Die Zerstörung Berthold Daun, Veit Stoß und seine Schule. der Grabdenkmäler der Päpste von Zweite, völlig umgestaltete und erweiterte

Š - w Auflage. Leipzig 1916. K. W. Hiersemann. Avignon. Mit 14 Abbildungen auf 89. 248 S. mit 108 Abb. (Kaemmerer) S. 176

7 Tafeln................ S.145 EmileBern ard, Erinnerungen an Paul Cézanne. HUBERT STIERLING, Kleine Beitrüge Benno Schwabe & Co., Basel 1917 (Kahns) S. 178 zu Peter Vischer. 4. Das Ratsel des Rembrandt, Handzeichnungen, herausgegeben

von Carl Neumann, mit vierundneunzig Ab- Sebaldusgrabes. Nachtrag EJA bildungen. R. Piper & Co. Verlag. München

Der Zustand unserer fachmännischen 1918 (Schapire).............. 8. 178 Beurteilung. Entgegnung (Jákács) 173 Erwiderung (Strzygowski)...... 174 RUNDSCHAU ..4.5.4 9493 S. 179

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Königlich Bayer. Hoflieferant

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DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON

Mit vierzehn Abbildungen auf sieben Tafeln ° Von ERNST STEINMANN

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aBt endlich die Herrschaft der reinen Philosophie ihren Anfang nehmen!

Franzosen! Zerstört die Grabdenkmüler! Ihr dürft nicht zögern! Laßt die Könige von Saint-Denis verfaulen an der Seite jener Unglücklichen, die ihre Üppig- keit gezwungen hat, in Armut zu sterben. Zerstört die Grabdenkmäler der Könige, und in Eueren Verwaltungsbezirken wird man die Denkmäler der Herzöge zer- stören und bald werden überall diese stolzen Überreste der Tyrannei der einen und der Knechtschaft der anderen vernichtet sein, die Zeugnis ablegten von Fana- tismus und Unwissenheit und von dem allgemeinen Unglück verflossener Geschlechter.“

So schrieb Lequinio, der Bürgermeister von Rennes, das Mitglied des National- konvents, der „Bürger des Weltalls“ in einem Buch, das er im Jahre 1792 unter dem Titel: Les préjugés détruits herausgab!) Seine Stimme verhallte nicht un- gehürt. In jenem Dekret vom r. August 1793, das mit einer feierlichen Beschwürung der ,feigen, niederträchtigen und grausamen“ Politik der britischen Regierung beginnt, heißt es im Artikel XI: Die Grabdenkmäler and Mausoleen der früheren Könige, die in der Kirche von Saint-Denis, in den Tempeln und anderen Ortes er- richtet worden sind, werden im Bereich der Republik am 10. August zerstört werden‘).

Wenige Wochen spüter, am 7. September, erhob Lequinio im Nationalkonvent öffentliche Anklage, daß die Zerstörung der Königsdenkmäler noch immer nicht be- endigt sei, dann begab er sich sofort als Abgesandter des Konvents in die Vendée’). ` Er vergaß nicht, seine „zerstörten Vorurteile“ mitzunehmen, und wir hören, daß er es sich angelegen sein lieB, vor versammeltem Volk seine Grundsütze darzulegen und Abschnitte seines Buches vorzulesen ).

Wer in Saint-Denis die wiederhergestellten Königsgräber betrachtet, „dies ent- setzliche Durcheinander von Trümmerstücken jeder Art und jeder Zeit“), wer in Aix nach den Denkmälern der Grafen von Provence, in Troyes nach den Grab- mälern der Grafen der Champagne fragt, die vom Erdboden verschwunden sind wer in Bourges das wenige aufsucht, was von den Denkmälern des prachtliebenden Jean de Berry übrig blieb, oder wer in Souvigny vor den schauer- lich verstümmelten Grabsteinen Karls I. von Bourbon und seiner Gemahlin Agnes von Burgund gestanden hat der erkennt mit Schaudern die schreckliche Ernte einer fürchterlichen Saat. ,,Allmichtiger Gott,“ hatte einmal Jean Jacques Rousseau ausgerufen, ,befreie uns von der Kultur und den todbringenden Künsten unserer Vüter, gib uns die Unwissenheit, die Unschuld und die Armut zurück!“

Das Los, das den Palásten beschieden war, konnte den Kirchen nicht erspart bleiben. Was die Künige und Herzóge Frankreichs über sich ergehen lassen muBten, (1) Les préjugés détruits par J.M. Lequinio, membre de la Convention nationale et citoyen du globe. Paris 1792, S. 299 und 300. Vgl. Quérard, La France littéraire V, 201. Das Buch erlebte bereits im folgenden Jahre eine neue Auflage. | (3) Vgl. J. Guillaume, La destruction des tombeaux des rois in La Révolution francaise 52 (1907), 8. 332. Guillaume unternimmt es hier, die Zerstörung der Königsdenkmäler zu rechtfertigen.

(s) Guillaume, a. a, O., 8. 333.

(4) La Révolution francaise 28 (1895), S. 124 (Ch. L. Cbassin, La mission de Lequinio et de EES à Rochefort et en Vendée,

(s) Montalembert, Oeuvres. Paris 1861. VI, 293.

Monatshefte für Kunstwissenechaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 6 10 145

das war von den Pipsten und Kirchenfürsten nicht mehr abzuwenden. Denn mit dem Kénigtum wurde auch das Christentum in Acht und Bann getan. Die herr- lichsten Kathedralen Frankreichs wurden in niichterne Tempel der Vernunft ver- wandelt! in denen man systematisch zu zerstören suchte, was an den alten Glauben erinnerte, und Robespierre selbst führte den Kultus des „Höchsten Wesens“ ein, als dessen Hoherpriester er verehrt zu werden wünschte).

Man sah im alten Frankreich hüufig die Piipste derselben Ehren teilhaftig werden wie die Kinige selbst. Über einem der Stadttore in Lille thronte der Apostel- fürst selbst in vollem püpstlichen Ornat?) An den Portalen der Kathedralen von Chartres und Reims sieht man noch heute zwischen den Statuen der Könige auch Püpste stehen mit Stola und Dalmatica und der einfachen spitzen Tiara, noch ohne die dreifache Krone‘). Vor allem aber begegnete man vor der Revolution Bildnissen und Statuen von Püpsten in der bilderreichen Hauptstadt Frankreichs. Aber wo sollen wir heute die Statue Papst Cólestins, des Vorgängers Bonifaz VIIL, suchen, die einst die Mitte des Hauptportals seiner vom Erdboden verschwundenen Kirche zierte, die mit Saint-Denis und Notre-Dame zu den ehrwürdigsten Denk- mälern Frankreichs zühlte")? Wo sind die Papstbildnisse geblieben, die noch Thiéry in der Sorbonne betrachten konnte*), oder die Wachsstatuen Gregors IX. und seines Nepoten (?), die Lemée beschrieben hat”), oder das Bildnis Gregors VII. mit der GeiBel in der Hand als ,,Flagellum Principum* in Saint-Germain dar- gestellt, von dem Sauval zu berichten weiB?*) An jenem Tage, als man in Paris im Garten des Palais Royal den Papst in effigie verbrannte, wurde auch seinen Bildnissen in Frankreich das Todesurteil gesprochen?).

Daujon, der berüchtigte „Künstler“, den die Regierung beauftragt hatte, alle Zeichen der Tyrannei von Kirchen und Palüsten zu entfernen, begann sein zer-

(1) Grégoire berichtet in seiner Geschichte der Sekten (Bd. I, 8. 87), daß im Laufe von ao Tagen nicht weniger als 2346 Kirchen in Tempel der Vernunft umgewandelt wurden. Das bedeutete die Zerstörung aller Heiligenbilder, die Vernichtung aller Abzeichen des christlichen Kultus, der kirch- lichen Geräte, Paramente usw. Fast immer beschloß ein solches Fest ein Tanz um den Scheiter- haufen, auf dem alles verbrannt wurde, was früheren Jahrhunderten verehrungswürdig erechienen war. (2) Aulard, Le culte de la Raison, S. 364. Als der. schwerverwundete Robespierre in der Nacht vom 9. auf den ro. Termidor Tinte und Feder verlangte, hóhnte der Gefüngniswürter: As-tu. dessin d'écrire à ton Étre supréme? (3) Rohault de Fleury, La messe. Paris 1889, УШ, 142. (4) A. de Baudot, La sculpture francaise. Paris 1878, Pl. XVII und Vitry | et Briére, Documents de sculpture francaise du Moyenáge. Paris 1904, Pl. XLII, 5 und Р]. LXVI, 4. (5) Abgebildet bei Millin, Monuments français (Antiquités nationales), Paris 1802, La 8.11. Vgl. über die Zerstórung der Kirche: Revue universelle des arts VI, 1857, 8. 411 und Lebeuf, Histoire de Paris. Paris 1883—1890, I, 330 und VII, 340. (6) Thiéry, guide des amateurs . . à Paris. Paris 1787, II, 338: Dans la grande salle des actes se voient les portraits des papes depuis Benoit XIV, présens faits à la Sorbonne, par chacun des Pon- fes regnans. (7) Tralté dea statues. Paris 1688, S. 58: in Notre-Dame. Ebendort sah man nach Éméric David (Histoire de la sculpture francaise. Paris 1853, S. 103) eine Statue von Benedict XI. Bonfons (Anti- quitez de Paris, Paris 1608, 8. 198) endlich spricht von Gregor II. Er sah noch die Säulen, auf denen diese und eine andere Wachsstatue gestanden hatten. Welcher Papst wirklich dargestellt war, wird schwer zu entscheiden sein. | (8) Histoire et recherches des antiquités de la Ville de Paris, 1724, П (Anhang), S. 35. Von gans besonderem Interesse müssen die Glasgemilde mit der Darstellung von Päpsten, Kaisern, Königen und Kirchenfürsten als Winzer gewesen sein, von denen Sauval S. 33 spricht.

(9) Gautherot, Le Vandalisme jacobin. Paris 1914, S. 24.

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stórendes Werk im Januar 1793 in Saint-Pierre-de-Caillot. Drinnen und drauBen vernichtete er die piipstlichen Insignien von Schlüssel und Tiara und ersetzte sie auch wohl durch eine rote Jacobinermütze. Man bewilligte ihm für die Arbeit, die er so „sauber“ ausgeführt hatte, einen Lohn von 431 livres und то sous!!) '

Mit bewuBter Absicht ließ man damals in Frankreich vielleicht nur eine einzige Papststatue unangetastet, jene Marmorstatue Clemens V., die man noch heute am Nordportal der Kathedrale von Bordeaux betrachten kann. Der schnóde Witz eines Jakobiners rettete sie: „Man lasse Clemens V., wo er ist, als Portier des Tempels des Höchsten Wesens“, schlug er vor”). Und dieser Vorschlag wurde angenommen.

Schon im Jahre 1119 wurde ein rómischer Papst in Frankreich begraben und durch ein marmornes Grabdenkmal geehrt. In diesem Jahre starb Papst Gelasius II. (1118—1119) in der Abtei von Cluny und wurde ,zwischen Kreuz und Altar“ im hohen Chor der Kirche beigesetzt?) Jedermann kennt das furchtbare Schicksal der herrlichen Abtei und ihrer Denkmäler in der französischen Revolution. „Ihr habt Eure große und schöne Kirche verkaufen und zerstören lassen,“ antwortete Napo- leon I. den Abgeordneten von Cluny in Macon, als sie ihn baten, ihre Stadt zu be- suchen. „Geht! Ihr seid Vandalen; ich werde Cluny nicht besuchen!“) Am 29. November 1793 wurden Kirche und Kloster von Cluny der Plünderung preis- gegeben). Die Gräber wurden zerstört und geschändet, die gemalten Fenster- scheiben zerbrochen, die Denkmäler in Stücke geschlagen. Am nächsten Tage aber wurde ein mächtiger Scheiterhaufen angezündet, auf dem man alles Kirchen- gestühl, die Holzstatuen, die Manuskripte, die Bücher, die kirchlichen Gewänder in Flammen aufgehn sah. Die Kirche wurde verkauft und bis auf das Querschiff abgetragen. Damals ist auch das Grabmal Gelasius IL, wenn es nicht schon früher zugrunde ging, vom Erdboden verschwunden.

Das war während der Herrschaft des Schreckens das Schicksal von vielen hun- derten von Kirchen in Frankreich. Als Joachim H. Campe im Jahre 1802 von London nach Paris reiste, kam er nach Montreuil, wo man einmal fünf oder sechs Kirchen sah‘). „Es stand davon nicht eine mehr,“ schreibt er, „alle lagen in Schutt. Wir hatten ein ganzes Heer zerlumpter, junger Barfüßler hinter uns, die uns anbettelten. Einer der Mitreisenden ergriff, als wir gerade bei einer nieder-

(z) Gautherot, Le Vandalisme jacobin. Paris 1914, S. 144. |

(2) E. Münts, La tiare pontificale du УШ. au ХУІ. siècle in Mémoires de l'institut national de France XXXVI (1898), 8. 276, Anm. 2. Die Statue Clemens V. ist hier abgebildet, Der Kopf des Papstes und seine rechte Hand sind moderne Ergänzungen. Vgl. Courajod, Musée de sculpture comparte (Trocadéro). Paris 1892, S. 8, Nr. 611.

(3) Clacconius, Vitae et res gestae Pontificum. Romae 1677, I, 931: Visitur monumentum ejus inter crucem et aram, quae est post chorum magnae basilicae, marmoreum quidem illud sed ex lapide can- ` dido, opere Tusco constructum. Ob Gregor VI. (1044—1046) in Cluny oder in Sankt Peter in Rom beigesetzt war, läßt schon Ciacconi unentschieden. Vgl. E. Müntz, Les tombeaux des papes en France in Gazette des Beaux Arts, Bd. 36 (1887), S. 276.

(4) Vgl. Sommerard, Les arte au moyen áge (1838), Ш, 193 und C. Pelargus, Vorrede zu Lorain, Geschichte der Abtei Cluny, Tübingen 1858, S. III und S. 68,

(5) Bruel, Fr. L., Cluni, Album historique et archéologique (1910), 8. 6 und 7.

(6) Reise durch England und Frankreich in Briefen an einen jungen Freund in Deutschland, Braun- echweig 1803, II, 151. Campe gehürte damals zu den uneingeschrünkten Bewunderern der franzd- sischen Nation. Es handelt sich also um ein ganz objektives Zeugnis auch bei den furchtbaren Ver- wüstungen, die er sonst noch auf dieser Reise, z. B. in Amiens und Chantilly vorfand. Trotzdem konnte er schreiben (a. a. O., 8. 173): „Wahrlich, die Fransosen sind keine Barbaren, wofür sie damals durch ganz Europa ausgeschrien wurden!" |

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gerissenen Kirche vorbeigingen, einen von diesen scherzend beim Schopfe und sagte: ,Schlingel, hast du diese Kirche eingerissen?* ,Nein, antwortete der Junge in festem Tone, ,das hat das franzósische Volk getan, non! c'est la nation qui l'a fait.“

° Nicht weniger bezeichnend für die Zerstürungswut, die während des Schreckens und vorher und nachher ganz Frankreich erfaBt hatte, ist ein anderes Reiseerlebnis, das Pujoulx in seinem Buche über Paris erzühlt!) Er fuhr im Jahre 1794 in der Post mit zwei Reisenden zusammen, die ihm erzáhlten, sie führen nach Paris, um dort die Mittel für die Errichtung eines Getreidespeichers beim Nationalkonvent durchzusetzen. Erstaunt fragte ich sie, ob sie denn gar kein öffentliches Gebäude besüBen. „Nicht ein einziges,“ lautete die Antwort. „Zwar hatten wir eine große und schöne Kirche, aber wir haben sie zerstört.“ „Warum denn?“ fragte ich naiv und unbesonnen. „Wir haben es doch gesagt,“ antworteten beide zu- gleich, mit einem Ausdruck, den ich nicht wiederzugeben vermag „es war eine Kirche!“

Die uneingeschränkten Bewunderer der französischen Revolution und alle die, welche von vornherein entschlossen sind, jeden Akt des Vandalismus zu beschönigen, berufen sich auf eine Anzahl von Dekreten des Nationalkonvents und anderer In- stanzen, in denen die Denkmäler in Schutz genommen werden, in denen sogar solchen schwere Strafen angedroht werden, die sich an ihnen vergreifen würden. Sicherlich fehlte es nicht an erhaltenden Tendenzen, die in der rastlos rettenden Tätigkeit von Alexander Lenoir und in Grégoires berühmten Berichten den stärk- sten Ausdruck finden. Es wurden ausführliche Instruktionen abgefaßt, wie Kunst- schätze zu unterhalten seien, es wurden Inventare angelegt, es wurden feierliche Gesetze gegeben. „Man sieht,“ schreibt Courajod?), „wie der Konvent, die Kom- mission der Monumente, die zeitweilige Kommission der Künste von einem wirk- lich guten Willen beseelt sind. Aber sie sind meistens völlig machtlos gegen eine geheime, oft unbewußte Kraft, die die Seele der Revolution war und sie drängte, die Vergangenheit in allen ihren Erscheinungen zu verfolgen, vor allem aber im Stein, im Marmor und im Erz. Allen diesen Instanzen gehorchte man, wenn sie

(2) J. B. Pujoulx, Paris à la fin du XVIII. siècle (1801), S. 201. "Vgl. bierzu einen Bericht aus Paris vom 16. September 1796 im Teutschen Merkur 1796, III, S. 382 Anm.: ,Eine kleine, arme, in einem entlegenen Winkel der Vogesen gelegene Dorfgemeinde versammelte sich im Herbste 178g an einem schönen Abend; gewaffnet mit Beilen, Hämmern, Hacken, Schaufeln u. dergl. zogen sie frohlockend aus und rissen unter lauten Ausrufungen einen noch stehenden Bogen einer alten zerfallenen, eine Viertelstunde vom Dörfchen gelegenen Halle nieder. Ein Vorbeigehender fragte sie, warum sie das täten. „Ei ja," antworteten sie, „wir hätten den Schimpf nicht auf uns gelassen, daß wir nicht auch gerevolutzt und das alte Wesen bei uns zerstört hätten.“ Mich dünkt, dieser Zug ist ebenso charak- teristisch für die Jahre 1789 und 1790, als es wahr und charakteristisch ist, йай man in den Jahren 1793 und 1794 viele Landgemeinden überreden wollte, daß sie keine guten Patrioten wären, wenn sie nicht einen oder etliche ihrer reichsten Mitbürger als Volksverráter zum Blutgerüste schicken wollten.“ (2) Courajod, Alexandre Lenoir (Paris 1878), I, 22. Auch Gautherot (a. a. O., 8. XI) schreibt bei der Besprechung des Buches von Rücker (Les origines de la conservation des monuments historiques en France. 1790—1830, Paris 1913) die beachtenswerten Worte: M. Rücker et les auteurs de son école ne volent pas surtout, ou font suffisamment voir à quel point sont fallicieux les textes législatifs de la „grande époque". C'est une forêt vierge, qui réserve aux pionniers de la vérité de fait, les pires surprises. Als einer der ersten hat sich Hennin in den Monuments de l'histoire de France eingehender mit dem Thema beschäftigt und, obwohl im einzelnen überholt, wird man seine Ausführungen Destinée des Monuments historiques auch heute noch mit Nutzen und Interesse lesen. I (Paris 1856), S. 155 ff.

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befahlen zu zerstóren, aber man gehorchte ihnen nicht mehr, wenn sie befahlen zu erhalten. Denn die Revolution bedeutete für die Massen die Vernichtung und den völligen Untergang der Vergangenheit.“

Aber es fehlte nicht nur die Macht, sondern auch ein zielbewuBtes Streben, eine wirklich durchgreifende Energie, die sich entschlossen zeigte, konsequent zu han- deln und dem Gesetze die wirksame Kraft zu verleihen. Im Gegenteil! Die Ab- gesandten des Nationalkonvents unterstützten mit ihrer uneingeschrünkten Autorität das furchtbare Werk der Zerstórung. Man lese die Erlasse, die Zerstürung aller Wappen, aller Bronzen, aller Glocken, der kirchlichen Geräte, der Grabdenkmäler und der Königsstatuen betreffend, man lese den Erlaß des Prokonsuls Aristide Couthon vom 8. Frimaire an II (28. November 1792), als er in der Auvergne das Evangelium der Revolution verkündigte!): ,Der Magistrat von Riom wird noch : heute aus seinem SchoBe eine Kommission ernennen, der vier Abgeordnete der Volksgenossenschaft und vier Abgeordnete des Sicherheitsdienstes beizuordnen sind. Diese Kommission wird hierdurch bevollmächtigt, sich in die Kirchen und an an- dere Orte zu begeben, wo Bilder und Statuen von Heiligen oder andere Embleme des katholischen Kultus zu finden sind. Sie werden alles zusammentragen lassen, und man wird der Vernunft und der Philosophie öffentlich einen Scheiterhaufen errichten.“

Und was tat Garnier in der Kathedrale von Mons, als er von der Kanzel aus dem Volke das neue Evangelium der Vernunft verkündigte? Als die Gemüter schon aufs äußerste erregt waren, schrie er plötzlich: „Fallt zu Boden, ihr ge- meinen Abzeichen des Aberglaubens,“ und gleichzeitig feuerte er eine Pistole in die Luft Und plótzlich stürzten krachend und klirrend nach vorher getroffener Verein- barung alle Kreuze, alle Gemälde, alle Heiligenstatuen zu Boden’).

Scheiterhaufen wurden seit dem ro. August 1792 überall in den Städten Frank- reichs errichtet, und zahlreiche Berichte bezeugen uns noch heute, daß nicht nur die bewegliche Habe der Kirchen, sondern auch ganze Bibliotheken und Archive bei solchen Festgelegenheiten ein Raub der Flammen wurden’).

Avignon, der Stadt der Päpste, der Stadt der tausend Glockentürme, der tönen- den Stadt, wie sie Rabelais genannt hat, ist es bei dieser Gelegenheit nicht besser nein, noch schlechter ergangen als den meisten Städten der neuen Republik. Leider ist das Manuskript Calvets: Über die Verwüstung der Stadt Avignon im Jahre 1794 noch immer nicht veröffentlicht worden. Wir kennen nur Auszüge, und diese beschränken sich auf allgemeine Bemerkungen‘). Aber wenn wir sie lesen, so sehen wir, wie recht der Betteljunge in Montreuil hatte, als er die Nation anklagte, die Kirchen Frankreichs zerstört zu haben. „Wir sehen die Tore der

(1) Francisque Mege, Le Puy-de-Dome en 1793 et le proconsulat de Couthon. Paris 1877, 8. 326. (2) Aulard, Le culte de la raison et le culte de l'étre supréme (1793— 1794). Paris 1892, 8. 187, Anm. 2.

(3) Vgl. Aulard, a. a. O., S. 191 u. 137. Baleydier, Histoire de Lyon I, 86. Bordier, Les archives de la France, spricht von 64 Verbrennungen von Departements-Archiven vom IO. August 1793 bis März 1794. „Die Verbrennungen,“ schreibt Boutaric, „haben aber bereits im Juni 1792 begonnen.“ Revue des questions historiques XII (1872), S. 329. Gautherot, a. a. O., S. 339 ff. macht auf zwei Publikationen aufmerksam, die das Autodafé der Archive in Abbéville und in Angers behandeln. Leider sind derartige Lokalforschungen in den Bibliotheken Deutschlands nur in Ausnahmefällen zu finden, und man darf mit Recht wünschen, daß es unter Deutschlands großen Bibliotheken wenigstens eine gäbe, die sich die Anschaffung solcher Forschungen angelegen sein liese.

(4) André Hallays, Avignon (Les villes d'art celébres), Paris 1911, S. gg, wieder abgedruckt von Gautherot, Le Vandalisme jacobin, S. 18.

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Stadt geschleift,“ schreibt Calvet, ,die Zinnen ihrer Mauern abgebrochen, den Palast der Päpste geplündert, die Kirchen zerstört, die Glocken zertrümmert, Klöster von Männern und Frauen, die einen dem Erdboden gleich gemacht, die anderen verwüstet, die Gräber geöffnet, die Leichen der ehrwürdigsten Männer, der Päpste, der Kardinäle, der Bischöfe entweiht. Die Bäume selbst auf unseren Spazierwegen sind nicht verschont worden. Und diese Verwüstungen dürfen etwa nicht dem Augenblick der Leidenschaft eines entfesselten Pöbels zugeschrieben werden nein! Mit kalter Überlegung hat man sich an unseren Denkmälern der Architektur und Plastik vergriffen. Die Maurermeister wurden Tag für Tag bezahlt, um die Werke der Kunst zu vernichten.“

Ein Bericht, der der Redaktion des Magazin Encyclopedique bereits im Frühjahr 1795 über den Zustand Avignons nach den Verwüstungen der Revolution zuging, ergünzt das wenige, was wir heute aus den Aufzeichnungen Calvets wissen, in einigen bemerkenswerten Einzelheiten?) Hier werden die Denkmäler aufgezählt, die am meisten geliten haben, und es lohnt sich der Mühe, diese Aufzeichnung ungekürzt wiederzugeben. Es heißt hier:

„Die Kunstdenkmäler, die am meisten gelitten haben, sind folgende:

„Mehrere Grabdenkmäler der Metropolitan-Kirche, unter anderen das Denkmal Johanns XXIL, das sehr bemerkenswert war.

„Der schöne Altar der Dominikaner mit seinem Baldachin, der von Säulen ge- tragen wurde.

„Das prächtige Grabmal des Abts von Simiane Lacoste, das in der Kirche der Benediktiner aufgestellt war. Diese Werke des berühmten Matthieu Pereu sind fast alle zerstört?).

„Ein Grabmal des Geschlechts der Issards in der früheren Kapitelkirche von Sankt Peter ist stark beschädigt. Es stellt Christus dar, der im Grabe liegt, mit mehreren großen Statuen aus weißem Marmor. Dies Denkmal aus dem Jahr- hundert Franz I. war eine sehr schöne Arbeit.

„Alle anderen Denkmäler der Plastik in den Kirchen Avignons sind zerbrochen und zerstört.

„Die Gräber der Päpste in der Kathedrale, die goldenen Kelche und der ganze Kirchenschatz sind zerbrochen oder gestohlen, wie die Monstranzen der anderen Kirchen, von denen mehrere mit Diamanten besetzt sind.

„Ein anderes Grabmal, eine vornehme Frau, vor ihrem Betpult knieend, ist in der Kirche der Celestiner zerstört worden?).

„Das kostbare goldene Kreuz, das denselben Brüdern gehörte, ein Geschenk des Königs René, von gutem Geschmack und vollendeter Arbeit, trotz der Barbarei

(1) Extrait d'une lettre adressée aux rédacteurs du Magasin Encyclopédique sur l'état des monuments, des objets de sciences et arts à Avignon in Magazin Encyclopédique I (1795) 8, S. 45.

(2) Michel Peru ist sowohl der Schöpfer des Hochaltars der Dominikanerkirche, wie des Denkmals des Abtes Simiane Lacoste, das sich heute im Musée Calvet befindet. Vgl. Lami, Dictionnaire des sculptures de l'école francaise sous le règne de Louis XIV, Paris 1906, 8. 403. Vgl. über beide

Kirchen und die furchtbaren Verwüstungen, denen sie anheimfielen, J. B. Joudou, Essai sur l'histoire |

de la ville d'Avignon (Avignon 1853), S. 407 u. 410— 1a: „Il n'y a plus rien de cette grande et belle basilique,“ sagt Joudou von der Dominikaner-Kirche. ,Tous les ouvrages d'art, tous ces souvenirs de rois d'Aragon, de Louis de Tarente, de Jeanne de Naples, toute cette poésie du XIV. siécle, sont enfouis dans les ruines,“ schreibt Joudou von der Benediktiner-Kirche,

(3) Vgl. über den Vandalismus in dieser Kirche, einer Schópfung des Gegenpapstes Clemens VII, Joudou, a. a. O., 8. 413—416.

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des Jahrhunderts, in dem es entstand, wurde am Ende des Jahres r792 zerbrochen. Man trug ein Stück zur Münze nach Marseille, um etwas über die Reinheit des Goldes zu erfahren, und es wurde festgestellt, daB es nur eine ganz geringe Legierung enthielt.

„In der Dorfkirche von Gadagne wurde ein Denkmal aus weißem Marmor voll- ständig zerstört. Es stellte zwei Mitglieder des Hauses von Gadagne dar, und war besonders künstlerisch ausgeführt.“

Man kann es den Franzosen nicht verdenken, wenn sie solche Blätter in ihrer wechselvollen und blutigen Geschichte nicht gerne aufschlagen. Man begreift, wenn der gelehrte Millin, dem wir ein köstliches Buch über die Kunstschätze Süd-Frank- reichs verdanken, die er gleich nach der Revolution zu beschreiben unternahm, meist mit trauerndem Stillschweigen die furchtbaren Zerstórungen zudeckt, die sich seinen Blicken offenbarten. Aber während er in Aix den Untergang der Grab- denkmäler der Grafen von Provence nur als Tatsache aufführt und mit einer Elegie über die Grabdenkmäler von Königen und Helden im Dámmern gotischer Kirchen einleitet, gelingt es ibm in Avignon nicht, seiner Bewegung Herr zu werden P, Er muB dort furchtbare Dinge gesehen haben! '

»In keiner Stadt,“ so schreibt er, ,hat die Revolution so blutige und so furcht- bare Spuren hinterlassen wie in Avignon. Die Verwiistungen sind hier bis zum äußersten durchgeführt worden. Klöster, Kapellen, Kirchen sind zerstört, wie alle Monumente, die sie bargen. Man würde hier vergeblich nach den Denkmälern der Püpste suchen. Die Erinnerung an den zürtlichen Petrarca hat Lauras Denkmal nicht zu retten vermocht. Das Skelett, von dem man sagte, Künig René habe es gemalt, ist zerrissen. Der tapfere Crillon vermochte sein Grabmal nicht mehr zu verteidigen. Alle diese Monumente, die der Frómmigkeit, der Schónheit und der Tapferkeit errichtet waren, sind heute zerstórt, und die Bilder, die die Kirchen schmückten, sind in alle Winde zerstreut“ ).

Wie seltsam nimmt sich angesichts solcher Tatsachen die Entrüstung Aulards aus, als ihm im Palaste der Päpste zu Avignon der Führer das verstümmelte Portal der Palastkapelle zeigte und die Revolution anklagte, diesen Vandalismus begangen zu haben’). Aber wenn am 5. Dezember 1883 in der Deputiertenkammer Frankreichs ein Abgeordneter urbi et orbi mit lauter Stimme verkiindigte, es sei eine falsche und gehässige Legende, wenn behauptet würde, die Kirchen Frank- reichs seien in der französischen Revolution von den Republikanern zerstört wor- den dann ist es Pflicht, gegen eine so ungeheuerliche Fälschung historischer Tatsachen die Stimme zu erheben“). Und das haben sogar die Franzosen selbst getan, soweit sie sich von nationalen Vorurteilen frei zu machen wußten.

Schon bei Fisch, dem Schweizer, lesen wir in seinen Reisen durch die süd- lichen Provinzen Frankreichs eine sehr treffende Bemerkung darüber, wie wenig die furchtbare Geschichte Frankreichs in Ubereinstimmung zu bringen ist mit dem Anspruch der Franzosen, als das erste Kulturvolk Europas zu gelten“). Er schreibt:

(1) Aubin-Louis Millin, Voyage dans les départements du midi de la France. Paris 1807. II, 284/85. (2) a. a. O., S. 166. Das Gemälde, das dem König René zugeschrieben wurde, befand sich in der Cdlestiner-Kirche. Joudou erzählt (a. a. O., S. 415), daß die Jakobiner von Marseille das Bild erst durch die Straßen Avignons schleiften und dann verbrannten. Die Reste des Grabmals Crillon werden beute im Musée Calvet bewahrt.

(3) A. Aulard, Boniments contre - rèvolutionnaires in La Révolution francaise LXIII (1912), S. 541. (4) Vgl. Trévédy, Catalogue des objets échappés au vandalisme dressé l'an III par Cambry, président du district de Quimperle. Rennes 1889, S. VIII.

(s) Jobann Georg Fischs Reise durch die südlichen Provinzen von Frankreich vor dem SSES? der Revolution. Zürich 1795, S. 65/66.

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„Es ist doch eine seltsame Erscheinung, daB gerade die Nation, welche sich die aufgeklirteste von der ganzen Welt nennt, die schrecklichsten Untaten auf ihrer Rechnung hat; daß nur bei ihr Albigenserkriege, Micheladen, Mördereien von Alet und Merindoes, Bartholomäusnächte und Palmsonntagsfeiern von Nimes entstehen muBten. Nenne mir eine Stadt in Deutschland oder in der Schweiz, wo der eine Teil der Einwohner die andere Hälfte in einer schönen Nacht verráterisch im Bette mordet, wie zu Alet im oberen Languedoc! Nenne mir eine einzige Gegen- geschichte zu der tigermüBigen Grausamkeit des Marschalls von Montreval!!) Und doch sind die Deutschen und wir Schweizer nichts anderes als ein paar Horden halb kultivierter Barbaren, wie die Franzosen ein paar hellere und mit ihren Nachbarn besser bekannte Küpfe ausgenommen uns gewühnlich zu benennen belieben. Priesterwut und Fanatismus und Jesuiterpolitik haben auch auf deutschem Boden schwere Verbrechen erzeugt, aber wahrscheinlich keines, das nur die ge- ringste von den Mord- und Brandgeschichten der liebenswiirdigen, sanften, húfischen, freundlich lichelnden Franzosen in ihrer aufgeklártesten Epoche halb aufwiegen könnte.“

Und diese Worte wurden in Nimes am 20. Dezember 1786 einige Jahre vor dem Ausbruch der Revolution geschrieben, die alles in den Schatten stellen sollte, was in Frankreich noch jemals an Vergewaltigung von Menschen und W von Denkmälern begangen worden war!

Es wird nicht leicht sein, jemals ein vollständiges Bild von den Verlusten zu geben, die Frankreichs Kultur und Kunst während der französischen Revolution erlitten hat. Man kann nur sagen, es übersteigt jede Vorstellung, und es spottet jeder Beschreibung, was damals teils im Sturm der Leidenschaft, teils in kalt- blutig -haß erfüllter Überlegung an Denkmälern der Kunst in Paris und Frankreich zugrunde gerichtet wurde. Ein Mann, der mit klarem Blick und ungetrübtem Urteil durch die Ruinen dahinschritt, „mit denen ganz Frankreich bedeckt war“, ein Franzose, der sich die Mühe gab, festzustellen, was in den Grenzen eines Depar- tements an Kunstwerken noch übrig geblieben war, brach angesichts der Trümmer eines Grabdenkmals des 11. Jahrhunderts jener beginnenden Blüteperiode fran- züsischer Plastik in eine erschütternde Klage und Anklage aus: „Dies Kleinod vergangener Zeiten ist nicht mehr! Betrauern wir es wie hunderttausend andere, die die Barbarei eines Augenblicks vernichtet hat. EntschlieBen wir uns auf immer, unwissend zu bleiben, nachdem unser blutdürstiger Instinkt und unsere eigene Roheit uns verführt haben, wie bösartige Kinder die Seiten unserer eigenen Geschichtsbücher zu zerreißen!“

Trotz solcher Geständnisse der Mitlebenden, trotz all der Blutzeugen, die sich in den Trümmern zerstürter Denkmiler selbst erhalten haben, trotz der vorurteils- freien Forschungen von Courajod*), de Laborde‘), Boutaric®) und neuerdings von

(1) Die Greueltaten des Marschalls von Montreval in Nimes hatte Fisch in den vorangehenden Seiten ausführlich erzühlt. |

(2) Cambry, ed. Trévédy, a. a. O., S. 239.

(3) Alexandre Lenoir, son journal et le musée des monuments français par Louis Courajod. Tome L Paris 1878.

(4) De Laborde, Les archives de la France. Paris 1867.

(s) Edgard Boutaric, Le vandalisme révolutionnaire. Les archives pendant la révolution francaise in Revue des questions historiques XII (1872), 8. 335—396. Guillaume geht mit einem seiner Lande- leute, Georges Cain, scharf ins Gericht, weil er das Dekret vom Oktober 1793, das die Zerstörung der Königsdenkmäler anordnete, ,stupide" genannt hatte. (La destruction des tombeaux des rois in La

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Gautherot um nur die bedeutendsten zu nennen gibt es noch heute in Frank- reich Historiker, die dem nationalen Ehrgefiihl die historische Wahrheit skrupellos zum Opfer bringen. Wie peinlich dem franzósischen Volk die Erinnerung an die Vernichtung seiner glorreichsten Denkmäler ist, beweist der Umstand, daß man sich nach Kräften bemüht hat, die Spuren des Vandalismus auszulöschen. Aber was konnte man erreichen? Man hat durch moderne Wiederherstellungen und stillose Ergänzungen nur den Charakter der Denkmäler als Ausdruck ihrer eigenen Zeit gefülscht.

Den Vandalismus der Französischen Revolution in einem umfassenden Bilde dar- zulegen und unwiderleglich als Tatsache historisch festzustellen, würde heute immerhin schon móglich sein. Was Gautherot für Paris getan hat, indem er den „legalen“ Vandalismus aktenmäßig belegte, das hat auch die überaus rege Lokal- forschung in Frankreich schon überall versucht. Aber das kostbare Material ist in den verschiedensten, oft nur schwer zu erreichenden kleinen Publikationen und Zeitschriften der Stüdte und Departements verstreut.

Nur über die näheren Umstände der Zerstörung der prächtigen Papstdenkmäler in Avignon sind wir auch heute noch ungenügend unterrichtet, obwohl die Schreckens- tage dort so oft beschrieben worden sind. Vielleicht werden einmal die Aufzeich- nungen Calvets Licht in das Dunkel bringen. Sie liegen noch heute ungedruckt im Archiv seiner Vaterstadt, der er eins der merkwiirdigsten Museen hinterlassen hat, das Frankreich besitzt: ein Museum des Vandalismus.

Das Grabmal Clemens V. (1305—1314) in Sainte-Marie d'Uzeste in der Gironde.

UnermeBlich ist die Anzahl von Denkmiilern geistlicher W'ürdentrüger, die einst in den Abteien, den Klöstern, den Kathedralen Frankreichs verstreut heute spurlos vom Erdboden verschwunden sind. Äußerst gering sind aber auch die Reste, die sich von den prüchtigen Papstmausoleen in Uzeste, in Avignon, in Chaise- Dieu, in Villeneuve und in Marseille erhalten haben. Besäßen wir nicht in den Lebensbeschreibungen der Püpste alte Zeichnungen, es würde uns überhaupt nicht mehr möglich sein, von der Marmorpracht eine Vorstellung zu gewinnen, die einst über den Ruhestátten der Tiaratriger in Frankreich erglinzte. Jedes dieser Gräber wurde geschündet, jedes dieser Grabdenkmäler wurde mit barbarischem Mutwillen zerstört. Nur klägliche Trümmerstücke sind es gewesen, die man später zusammensuchte und in Museen oder Kirchen vor völligem Untergange gerettet hat. Und nicht einmal diese Disjecta membra sind echt! Um das zerstörte An- denken dieser Pápste wieder herzustellen, trug man mehr als einmal Fragmente zusammen, die niemals zu einem Papstgrab gehürt hatten, oder suchte durch Er- gänzungen wieder herzustellen, was doch unwiederbringlich verloren war. Zu solchen apokryphen Papstmonumenten gehört das Denkmal Clemens V. in Notre- Dame in Uzeste. | |

Clemens V., Bertrand de Got, einst Erzbischof von Bordeaux, їп der Weltgeschichte bekannt durch seine Abhängigkeit von Philipp dem Schönen und die Vernichtung des Templerordens, ist der erste unter den römischen Päpsten gewesen, der seinen

Révolution francaise LII (1907), S. 331). Havard (Histoire de l'orfevrerie francaise, Paris 1896) hat es sogar unternommen, die Französische Revolution da weiß zu waschen, wo sie geradezu vernichtend gewirkt hat, nämlich in der Goldschmiedekunst. Er ist von E. Roulin ad absurdum geführt worden. Vgl. Revue de l'art cbrétien XL (1897), S. 143 ff.

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Sitz in Avignon aufschlug, das damals noch Karl II. von Neapel gehórte. In Rom beschiftigte ihn die Wiederherstellung des Laterans nach dem furchtbaren Brande von 13081). In Paris, im Museum von Cluny, wird eine goldene Rose Clemens V. aufbewahrt, die er dem Bischof von Basel verehrte?) Die Statue des Papstes am nördlichen Seitenportal in Bordeaux würde das einzige einigermaßen erhaltene Porträtdenkmal eines avignonesischen Papstes in Frankreich sein, wenn nicht ge- rade der Kopf ergänzt worden wire‘).

Clemens V. hatte bestimmt, in Notre-Dame in Uzeste begraben zu werden. Sein Denkmal wurde ihm von seinem Neffen errichtet‘), Es war erst im Jahre 1359 vollendet. Ciacconi weiß zu berichten, es sei mit acht Jaspissäulen geschmückt gewesen"), aber dieser Schmuck scheint schon im Jahre 1577 zugrunde gegangen zu sein, als das Denkmal von den Calvinisten geschändet wurde. Man raubte aus dem Grab die Kleinodien und verbrannte den Leichnam des Papstes. In den Acta Sanctorum ist wenigstens noch der Sarkophag des Papstes abgebildet, wie man ihn in Uzeste vor 1685 sah). (Tafel 38, Abb. r.) Der Tote ruht, in priesterliche Gewünder gehüllt, auf dem Haupte eine Art von Mitra, die Hünde übereinander gelegt, auf einem völlig schmucklosen, altarähnlichen Sarkophag. „Nichts,“ schreibt ein Forscher, der das Grabmal sorgfältig untersucht hat”), „nichts berechtigt uns, in dieser Arbeit von mittelmäßiger Ausführung ein Bild Clemens V. zu erkennen. Der Stil des Ganzen, die Ornamentik und vor allem der Greif zu den Füßen des Toten deuten auf das 16. Jahrhundert, während der Charakter der Inschrift auf das 14. Jahrhundert hinweist. Das Gesicht ist gänzlich zertriimmert. Es läßt sich nichts mehr daran erkennen.“

Das Grab erhob sich einmal mitten im Chor, den der Papst selbst erbaut hatte. Heute muß man den ausgeleerten Sarkophag mit der erneuerten Statue zwischen Schiff und Chor in einem Winkel der Kirche suchen.

Die Grabmäler Johanns XXIL (1316—1334) und Benedikts XII. (1334—1342) in Notre-Dame-des-Doms in Avignon?)

Wie wundertitige Reliquien in goldschimmerndem Schrein, so ruhten einst die Gebeine Johanns XXII. mitten in der Kapelle des hl Joseph in der Kathedrale

(1) Ph. Lauer, Le palais de Lateran. Paris 1911, S. 242.

(2) J. de Laurière et E. Müntz, Le tombeau du pape Clement V à Uzeste in Mémoires de la société nationale des antiquaires de France XL VIII (1888). In dieser sorgfältig gearbeiteten Studie sind auch alle álteren Schriftquellen zusammengestellt, die sich auf das Grabmal Clemens V. beziehen.

(s) Courajod und Marcou, Musée de sculpture comparée. Palais de Trocadero. Paris 1893, S. 7, Nr. 611. Die Statue Clemens V. ist auch besonders behandelt in einer Arbeit, die mir nicht zugáng- lich war: Commission des monuments historiques de la Gironde IX (1847/48), 8. 20.

(4) Stephanus Baluzius, Vitae Paparum Avenionensium. Parisiis 1693, I, 734.

(5) Vitae et res gestae pontificum Romanorum. Romae 1677, II, збо. Hier finden sich auch Einzel- heiten über die Schändung des Grabes im Jahre 1577.

(6) Acta Sanctorum Maii, Tom. V (Antverpiae 1685), S. 74. Eine Abbildung des Grabmals, wie man es heute als traurige Ruine in Uzeste sieht, bringt Schillmann in der dritten illustrierten Auflage der Grabdenkmäler der Pápste von Gregorovius, Leipzig 1911, S. 37.

(7) E. Müntz, Les tombeaux des papes en France in Gazette des Beaux Arts XXXVI (1887), 8. 278. (8) Über diese beiden Grabdenkmáler besitzen wir aus dem Jahre 1738 folgende Beschreibung, die für den Zustand der Denkmäler und für die Geschichte der Tiara von Wichtigkeit ist. Monsignor de la Beaume schrieb an Vettori, den Verfasser des Fiorino d'oro antico illustrato (Firenze 1738), 8. 35 über diese Denkmáler wie folgt: H Deposito di Giovanni XXII che sarà ben presto rovinato,

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Notre-Dame-des-Doms in Avignon. (Tafel 39, Abb. 2 und 3.) In der berühmten Abtei von Longpont konnte man noch vor der Revolution zwei Grabmäler bewun- dern, die vielleicht als Urtypus für die Denkmäler Johanns XXII. und Innocenz VI. ausgesprochen werden dürfen. Hier sah man gleichfalls in einem gotischen Gehüuse Enguerrand IV. von Coucy (T 1312) und seine Mutter Marie de Montmirail (+ 1271) unter prüchtigen Marmorbaldachinen ruhn!) Aber ein Freigrab von solcher Pracht wie das Denkmal Johanns XXII. war wohl noch niemals einem geistlichen oder weltlichen Fürsten errichtet worden. Keines der mosaikgeschmückten gotischen Wandgriber von Pápsten in Rom, in Perugia, in Viterbo, in Arezzo ließ sich mit diesem kunstreichen Abbild eines gotischen Domes vergleichen, in dessen Nischen man mehr als sechzig Marmorstatuen sah.

Das schien in der Tat das würdige Denkmal eines Nachfolgers Petri zu sein, der Philipp V. von Frankreich ermahnen durfte, beim Anhören der Messe seine Aufmerksamkeit ganz auf göttliche Dinge zu richten und nicht nach rechts und links mit seinen Begleitern von weltlichen Geschüften zu reden?), der vom Kénig von England mit Erfolg die Rückstünde eines Tributes eintrieb, den Johann ohne Land Innozenz IIL vor 100 Jahren versprochen hatte, der gegen Ludwig den Bayern den Bannstrahl schleuderte und seinen Gegenpapst Pietro di Corbara als zer- knirschten Sünder zu seinen Füßen sah‘).

Jobann XXII fühlte sich zuerst ganz heimisch in Avignon*), wo er den Bau der Papstfeste begann, um der Welt zu zeigen, daB ein Papst seine geistigen Waffen in Frankreich ebenso erfolgreich führen künne wie in Rom. Neunzigjührig die Welt verlassend, lieB er der Kirche einen ungeheuren Schatz zurück, Aber von seinen Bauten in und um Avignon hat sich heute nichts mehr erhalten, als jener mächtige Turm Trouillas des Papstpalastes, der ihm dort zu Recht oder zu Un- recht zugeschrieben wird’).

Das Grabmal Johanns XXIL wurde im Jahre 1759 aus der Mitte der Josephs- Kapelle in eine Ecke versetzt. „Am 8. März 1759,“ so berichtet der Chronist®),

ai vede nella Cappella di S. Giuseppe, che conduce alla Sagrestia: ë fatto con maniera Gottica. П Pontifice nella sua statua di marmo bianco, ë vestito . col Triregno, che finisce in punta, come una piramide, e con due · corone solamente.

H Deposito di Benedetto XII, successore del ` sopradetto Giovanni XXII, si vede nella Cappella della Purificazione, detta communemente de’ Sartori. Questo Deposito ë affatto rovinato, non vi ë rimasta pid che la gran statua di marmo del Pontefice, alzata sopra una mole, fabbricata nuovamente dal Capitolo per conservare detta statua, la quale rappresenta il Papa vestito pontificalmente col Tri- regno, simile a quello, che portano oggi i Papa cioë con le tre corone: ë tondo tanto nella cima, come nel cinto della testa. | (1) Vgl. Marcel Aubert, Les tombeaux de L’Abbaye de Longpont in Congrés archéologique de France 78, з (1911), 8. 305ff. Die Denkmäler verschwanden in der Revolution ein unersetzlicher Verlust! Aber sehr merkwürdige Zeichnungen haben sich in der Sammlung Gaignieres erhalten, die Aubert reprodusiert hat. Es würde sich der Mühe lohnen, diesen soweit ich sehe noch niemals fest- gestellten Zusammenhingen zwischen Longpont und Avignon weiter nacbzugehen.

(a) Jules de Saint-Felix, Le palais des papes à Avignon in Revue de Paris XXIX (1841), S. 115.

(3) Gregorovius, Lateinische Sommer. Leipzig 1864, S. 334.

(4) Maurice Faucon, Les arts à la cour d'Avignon in Mélanges d'arcbéologie et d'histoire II (1883), 8. 43 ff.

(s) Über die Herkunft des Namens Trouillas, der uns auch sonst in französischen Schlössern begegnet, sind sich die Gelehrten nicht einig. "Vgl. Visite des monuments historiques d'Avignon le mercredi 5 Beptembre 1855 in Congrés archéologique en France, 1855, S. 446.

(6) Mintz, Les tombeaux des papes en France, a. a. O., S. 282. ;

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„wurde das prächtige Mausoleum des Papstes, das ganz aus Stein von Vellerons errichtet war, abgetragen. Es war weiß wie Alabaster und mit einer Anzahl von Statuen aus weißem Marmor von köstlicher Arbeit geschmückt“ Ebenso sorgfältig wie das Denkmal behandelte man die Reliquien des Papstes, den man in perlen- geschmückten priesterlichen Gewündern, die Mitra auf dem Haupt, unberührt in seinem Sarg aus Zypressenholz fand. Er wurde mit aller Feierlichkeit in die neue Ruhestütte gebettet, und das Protokoll der Überführung wurde nach Rom gesandt.

Man kann also annehmen, daß das Grabmal Johanns XXII. bei dieser Gelegen- heit keine schweren Beschädigungen erlitten hat. Wenn es trotz der Restaurationen in den Jahren 1825 und 1840 heute nur eine Ruine ist!), so trifft die Schuld auch hier die Bilderstürmer der Revolution. Damals wurden die schlanken Türmchen, die zierlich gearbeiteten Tabernakel zerbrochen, damals wurden die Statuetten herabgestürzt und verschleudert, damals wurde auch das steinerne Bild des toten Papstes zerstört. Und getreu dem Grundsatz, die Wirklichkeit zu verschleiern, und auf Kosten der Wahrheit den Beschauer zufrieden zu stellen, hat man die Statue irgendeines Bischofs in den Totenschrein des Papstes gelegt?) Aber der Wissende sieht in dem Grabmal Johanns XXII, wie es heute gezeigt wird, nur den Rumpf eines völlig zerstörten Organismus. Ihm ist diese Ruine mit ihren Fäl- Schungen und Wiederherstellungen ebensowenig ein historisches Dokument wie das Grabmal Clemens V.

Noch skrupelloser ist das System der Tüuschungen bei dem Grabmal Bene- dikts XII. durchgeführt, der wie sein Vorgünger in Notre-Dame-des-Doms die letzte Ruhe fand. | |

Benedikt XIL, der strenge Papst, der keine Verwandten haben wollte“), der mehr theologische Gelehrsamkeit als politischen Scharfblick besaB, dem Petrarca Mangel an jeglicher Kultur vorgeworfen hat, ist doch der Erbauer jener Papstfeste gewesen, die Froissart ,la plus belle et la plus forte maison du monde“ genannt hat, und deren trotzige Mauern noch heute wie ein unbezwingliches Denkmal der Vergangenheit über die Häuser Avignons emporragen‘). Benedikt versagte sich

(z) Hallays, Avignon et le comtat-Venaissin. Paris 1909, 8. 18. Eine Zeichnung nach dem wieder- hergestellten Denkmal findet sich bei J. F. A. Perrot, Lettres sur Niemes et le midi. Nismes 1840, П, S. 224. Andere Abbildungen des gegenwärtigen Zustandes geben Mints und Hallays. Eine ziem- lich klare Vorstellung von der ursprünglichen Pracht des Denkmals gewinnen wir aus dem Stich bei den Bollandisten, wenn hier auch der ganze Statuenschmuck weggelassen worden ist. Acta sanctorum Maii, Tome V, 79. |

(a) Mints, а. a. O., S. 283. Verlaque, Jean XXII, sa vie et ses œuvres. Paris 1883, S. 217, Anm. 1, Jakob Burkhardt (Beitráge zur Kunstgeschicbte in Italien. Basel 1898, S. 156) nimmt an, Giotto habe die Züge Johanns XXII. auf jener Altartafel für den Dom von Lucca festgehalten, wo die vier Stadt-. patrone dem Erlöser einen Papst und einen Kaiser empfehlen. Ein authentisches Porträt Johanns X XII ist uns in einer Miniatur in der Nationalbibliothek in Paris erhalten, die Maurice Faucon ais Titel- blatt seiner Geschichte der Bibliothek der Pápste von Avignon abgebildet bat. (La librairie des papes d'Avignon. Paris 1886). Die Miniatur ist auch bei Robault de Fleury, La messe VIII, Pl, DCLXVI reproduziert. Auf ein besonders fein ausgeführtes Bildnis desselben Papstes weist Otto Hartig bin in seiner ergebnisreichen Schrift: Des Onophrius Panvinius Sammlung von Papstbildnissen in der Biblio- thek Johann Jakob Fuggers (Codd. lat. топас. 155—160) im Historischen Jahrbuch 38 (1917), 8. gor. (3) Hic nihil dare voluit alicui de suo genere vel consanguinitate. Baluze, a. a. O., 8. 236.

(4) Fr. Ehrie, Historia bibliothecae Romanorum Pontificum tum Bonifatianae tum Avenionensis. Romae 1890, 1,35. E. Müntz, L'histoire des papes dans la ville d'Avignon pendant le XIV. siécle. Paris 1888, S. 17, wo die Schriftquellen über den Bau zusammengestellt sind. „Quelle honte,“ äußerte sich Petrarca, „Че voir construire des palais magnifiques ой l'or brille partout, des tours superbes,

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den Bitten der Römer, die ihn beschworen, nach Rom zurückzukehren. Aber er ließ das baufüllige Dach der Petersbasilika mit großem Aufwand wieder herstellen. Und dieser Fürsorge ist es zu danken, daB wir noch heute in den Grotten von Sankt Peter das wohlerhaltene Bildnis dieses Papstes finden: eine Halbfigur in Marmor, den segnenden Papst mit zweifacher Krone darstellend, von der wenig kunstgeübten Hand des Paolo von Siena ausgeführt!).

In der Hauptkirche Avignons, mitten in der Kapelle, die der Jungfrau Maria und dem heiligen Georg geweiht war, erhob sich einmal das stolze Monument Bene- dikts XII. ). Vier Kirchenfürsten, Bertrand d'Albi, Elie de Saint-Yzier, Faydit d'Aigrefeuille und Jean de Cros hatten sich einer nach dem andern mit ihren ein- facheren Grabsteinen um das Papstdenkmal geschart. Wir kennen den Bildhauer, der gleich nach dem Tode Benedikts XII. sein Denkmal in Angriff nahm: Jean Lavenier, auch Jean de Paris genannt?) Er hat nicht für die Ewigkeit gearbeitet! Die Abbildung bei den Bollandisten vermittelt uns heute noch allein eine Vor- stellung von diesem Denkmal*), das man einem Prunkbett mit reichem Baldachin vergleichen móchte, auf dem der Papst, die Tiara auf dem Haupt, in seinen hohen- priesterlichen Gewiindern ruhte. (Taf. 38, Abb. 4.)

Bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts blieb der Friede der Toten ungestört, blieben ihre Grabdenkmäler unberührt. Da entfernte man im Jahre 1689 den brüchig gewordenen Baldachin vom Grabmal Benedikts XIL Im Jahre 1738 konnte de la Beaume schreiben, das Denkmal sei eine Ruine. Im Jahre 1765 wurde auf Antrag der Schneiderinnung von Avignon, die ihre Kapelle neu herrichten wollte, das Papstdenkmal aus der Mitte der Kapelle an eine Seitenwand gertickt. Das Freigrab wurde in ein Wandgrab verwandelt, und bei dieser Gelegenheit auch der Sarg des Papstes geöffnet, den man im Zustand völliger Verwesung vorfand.

Dann hat die Revolution die Zerstörung vollendet. Die Kapelle der Schneider wurde geplündert, wie alle übrigen Kapellen auch. Die Gebeine des Papstes und der Kirchenfürsten wurden zerstreut, die Grabstatuen zerbrochen, und Schmuck und Wappen wurden herabgeschlagen. Was noch vom Grabmal Benedikts XI. übrig war, ist damals fast spurlos zugrunde gegangen.

Aber im Jahr 1828 beschloß man, der Kathedralkirche von Avignon die Glorie dieses Papstgrabes wieder zu schenken und ein Denkmal wieder herzustellen, von dem nichts mehr vorhanden war. Die Trümmer des Grabmals des Kardinals de Cros wurden zusammengelesen und wieder aufgebaut. Bildhauer Casimir Poi- tevin erhielt den Auftrag’), das Grabgehäuse mit der ruhenden Statue eines Papstes

qui menacent le ciel dans cette nouvelle Babylone, pendant que la capitale du monde est en ruine.“ Vgl. Frery, Monuments d'Avignon, du comtat Venaissin etc. Paris 1838, S. 65. Ebendort ist auch das falsche Grabmal Benedikts XII. abgebildet.

(z) Vgl. Georges Daumet, Le monument de Benoit XII dans la basilique de Saint-Pierre in молан d'archéologie et d'histoire XVI (1896), 8. 2193—97.

(2) Die folgende Schilderung beruht auf der ausgezeichneten Studie von L. Duhamel, Le tombeau de Benoit XII à la metropole d'Avignon in Bulletin monumental LIV (1888), S.381—412. Vorher hatte schon Fuzet die Unechtheit des Denkmals Benedikts XII. E. Münts gegenüber (Société des antiquaires de France, Bull. 1882, p. 262) nachgewiesen. (Revue de l'art chrétien. Nouvelle série II, 1884, 8. 175.) (s) Vgl. Barbier, Benoit XII et son tombeau à Avignon in Revue de l'art chrétien XL (1897), 8. 149, und M. Faucon in Mélanges IV (1884), S. roo.

(4) Acta Sanctorum Maii V, 8.85.

(s) So liest man in den Rechnungen. Woher Fuzet den Namen Cournot hat, den sich auch Mantz (Gazette des B, A, 1887, 8.373) zu eigen gemacht bat, vermag ich nicht anzugeben. (Revue de l'art chrétien 1884, 8. 175.)

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zu schmticken. So wurde das Denkmal wieder als Wandgrab in Notre-Dame-des- Doms aufgerichtet, so wird es dem Leser in Frarys Denkmiilern von Avignon vor Augen gestellt!). „Aber vom ursprünglichen Denkmal,“ schreibt Duhamel*), ist nichts mehr vorhanden, weder der Sockel noch die Statue, noch die Wappen, noch das Grab selbst, noch die Tabernakel. Der Kardinal Jean de Cros hat dem Papst Benedikt ХП. seine Wappen geliehen.“ (Taf. 40, Abb. s.)

Mehr als ein ernsthafter Historiker ist durch diese Fälschung getäuscht worden?), und es ist anzunehmen, daß sie weiter die meisten Reisenden täuschen wird, die in Avignon die fast erloschenen Spuren seiner Püpste aufzusuchen sich bemühen.

.Das Grabmal Clemens VI. (1342—1352) in La Chaise-Dieu.

Glänzend, wie noch kein anderer Papst, hat Clemens VL zehn Jahre lang in Avignon Hof gehalten. In einem Denkmal, wie es so prüchtig noch niemals einem Papst errichtet worden war, wollte er auch begraben sein. Und als erfahrener Welt- und Menschenkenner glaubte dieser Papst aus dem vornehmen Geschlecht ' der Grafen von Beaufort gut daran zu tun, die Sorge für ein solches Unternehmen nicht der Zukunft zu überlassen*) Bereits im Jahre 1349 finden wir Meister Pierre Roy und seine Gehilfen beschäftigt, in Villeneuve-les-Avignon den reichen Statuen- schmuck des Grabmals auszuführen?) Im Frühling 1351 war das Wunderwerk vollendet, das in jener Benediktinerkirche von La Chaise-Dieu seinen Platz finden sollte, als deren Mónch und Priester einst der Papst seine glorreiche Laufbahn begonnen hatte?) 3500 Goldgulden eine ungeheure Summe wurden Pierre Roy als Lohn zuerkannt. Ja, um seiner besonderen Zufriedenheit Ausdruck zu ver- leihen, ordnete der Papst an, die Arbeit an seiner Grabstatue dem Künstler noch besonders mit 120 Talern in Gold zu vergüten. Wie glinzend dieser Lohn war, ermißt man am besten aus dem Umstande, daß Jean de Paris vor wenig mehr als ro Jahren für das Prunkgrab Johanns XXII. überhaupt nur 650 Gulden erhalten hatte ). |

Welche wunderbaren Bilder höchsten irdischen Glanzes müssen sich unter diesem prachtliebenden Papste in der finsteren Feste von Avignon entfaltet haben!?) Wie

(1) a. a. O. Paris 1838, з. Aufl., S. 64.

(3) Bulletin monumental LIV (1888), S. 407. Diese Wappen sieht man an der Wand des Grab- gehäuses aufgehängt. Drei Fragmente von Arkadenbogen vom Grabmal Benedikts XII. werden heute nach Mintz (a a. O., S. 375) im Musée Calvet aufbewabrt. Die Originalaufnahme dieser merk- würdigen Fälschung verdanke ich Herrn Professor Hamann in Marburg. Man siebt hier deutlich das Wappenemblem des Kardinals de Cros auch auf die Tiara Benedikts XII. übertragen!

(3) So spricht auch Gregorovius in seinen Grabdenkmilern der Päpste (a. Aufl., 1881, 8. 76) von den schönen gotischen Monumenten Johanns XXII. und seines Nachfolgers Benedikts XII. im Dom zu Avignon. Auch Schillmanns Angaben über das Grabmal Benedikts XII, (a. a. O., S. 107, Anm. 39) sind danach richtigzustellen,

(4) Baluse, Vitae paparum Avenionensium, Parisiis 1693, I, 300: In sepulcro novissimo, quod ipse in Villanova Avionensis diocesis fleri sibi fecerat fabricari, quodque politissimi et pretiosissimi operis est, illuc delato et in capella, quam . . ad hoc a fundamentis ibi construi fecerat . . sepultus est,

(5) Die folgenden Ausführungen beruhen im wesentlichen auf der durch eine Reihe von Dokumenten belegten, sehr sorgfültigen Studie von Maurice Faucon über die Kirche von La Chaise-Dieu und ibre Denkmäler im Bulletin archéologique du Comité des Travaux historiques et scientifiques 1884, S. 41617. (6) Chaise-Dieu liegt im Département Haute-Loire. Vgl. Joanne, Dictionnaire géographique de la France. Paris 1869, S. 462.

(7) Faucon, a. a. O., S. 423/24.

(8) Christophe, J. B., Histoire de la papauté pendant le XIVe siècle. Paris 1853, ll, 87.

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viele Namen von historischem Klang begegnen uns am Hofe dieses Clementissimus Clemens, wie ihn ein Historiker genannt hat: Giovanni Colonna, dessen Haus eine Akademie der Wissenschaften war; Elie de Talleyrand-Perigord, von dem man sagte, er ziehe es vor, die Tiara zu vergeben als sie sich selbst aufs Haupt zu setzen; Petrarca, der an diesem Papst einen huldvollen Beschiitzer fand, wenn er ihn auch vergeblich zu bewegen suchte, die Kónigin unter den Stüdten der Erde aus dem Staube zu erheben und nach Rom zurückzukehren; Petrarcas Freund, Simone Martini, der große Maler von Siena, der in Avignon seine letzten Fresken malte und hier bereits im Juli 1344 starb!).

Hier erschien einige Jahre spšter auch Cola Rienzi mit Stefano Colonna in gleicher Mission wie Petrarca?) Er erschütterte das Gemüt des Papstes durch seine feu- rigen Schilderungen von dem trostlosen Zustand Roms, aber es gelang ihm nicht, Clemens VI. der Pracht seines üppigen Hofes zu entreiBen. Und vor demselben Papst hielt Johanna von Neapel, die Enkelin des groBen Kónigs Robert, ihre be- rühmte Rede, um sich vom Verdacht des Gattenmordes zu reinigen. Von Papst und Kardinalskollegium freigesprochen, verkaufte sie, um schnellstens mit könig- licher Pracht und sicherer militürischer Begleitung nach Neapel zurückkehren zu künnen, die Stadt Avignon, ihr Erbgut, für 800000 Goldgulden an Clemens VI.

Nun erst waren die Püpste keine Fremdlinge mehr in ihrer Residenz, sondern Herren in Avignon, wie Herren in Rom. Und diese erste Freude am Besitz hat auch in der umfassenden Bautätigkeit und den fruchtbaren künstlerischen Bestre- bungen des Pierre Rogier de Beaufort beredten Ausdruck gefunden 8).

Unerschüttert von dem Untergang, der alles, was geworden ist, bedroht, unbeirrt von dem Gesetz der Vergünglichkeit, das er tüglich sich erfüllen sieht, kann doch der Mensch den Glauben an die Dauer seiner Schópfungen nicht verlieren. Clemens VI. sah Rom, die alte Stadt der Pápste, dem unaufhaltsamen Verfall ent- gegengehen, aber er glaubte an die Zukunft Avignons. Und wie in diesem Papste der Sinn für sein eigenes und seiner Familie Wohlergehen den Allgemeinsinn über- wog, SO richteten sich auch seine Bau- und Kunstbestrebungen vor allem auf das Persünliche: auf den Palast, den er lebend bewohnte, und auf das Denkmal, das im Tode seine Asche bergen sollte. Clemens VI. tat für den Papstpalast in Avignon, was Sixtus IV. spiter für den Vatikan in Rom tun sollte; er baute die prächtige Palstkapelle*): und um diese Kapelle und andere neuerbaute Säle würdig zu schmiicken, lieB er die Maler aus Italien kommen. Aber Zeit und Menschen- hände haben fast alle diese Wahrzeichen eines glänzenden Papstregimentes aus- gelöscht’). Menschenhände haben auch längst den marmornen Totenschrein zer-

(х) E. Mints, Les peintures de Simone Martini à Avignon in Mémoires de la société des antiquaires de France 45 (1884), S. 74 und Agnes Gosche, Simone Martini. Leipzig 1899, S. 96 ff,

(з) Revue de Paris III, ser. 32 (1841), S. 106. Gregorovius, Lateinische Sommer, 8. 336.

(3) Über die Bautätigkeit Clemens VI. in Avignon vergl. E. Mintz, L'histoire des arts dans la ville d'Avignon pendant le XIV. siècle. Paris 1888, S. 23 ff.

(4) Clemens VI. erbaute auch den Saal des Konsistoriums und den Turm Saint-Jean des Papstpalastes. in Rom vollendete er die Fassade von San Paolo fuori le mura. Das Wappen Clemens VI. mit den sechs Rosen in zweigeteiltem Felde hat sich noch im Klosterhof des Laterans erhalten. Vgl. E, Mintz, Fresques inédites du palais des papes à Avignon etc. in Gazette archéologique X (1885), S. 393.

(5) Wie diese Fresken noch im XIX. Jahrhundert von den Offizieren der Militärverwaltung behandelt wurden, die über ihre Erhaltung wachen sollten, darüber äußert sich Müntz (Memoires de la société des antiquaires de France 1884, 8. 81): L’un en 1817 encourage des mutilations par l’achat à ses soldats des tétes et des mains, qu’ils parviennent à détacher des murailles. L’autre en 1836 achéve

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stUrt, den sich Clemens VL mit nie gesehenem Aufwarid über seiner Gruft im hohen Chor von La Chaise-Dieu hatte errichten lassen.

Uber das Schicksal dieses Mausoleums und der Gebeine des Papstes finden sich schon bei Ciacconi ausführliche Angaben"): ,, Man sah,“ so schreibt er, ,vor jenen pestbringenden Kriegen zwischen Katholiken und Calvinisten seine Marmorstatue über seinem Grabe. Aber im Jahre 1562 wurde das Kloster von den Soldaten der Calvinisten belagert, der Tempel geplündert, die Marmorstatue zerbrochen, das Grab geschändet und beraubt. Man sah hier Clemens wie einen Bewaffneten ruhn, denn sein ganzer Kürper war mit Blei bedeckt. Als man es entfernte, fanden sich nur Knochen und Asche. Sie wurden den Flammen übergeben und die Statue Clemens VI. in Stücke geschlagen."

Spáter hat man die Trümmer gesammelt. Auf den allein intakt gebliebenen Sarkophag von schwarzem Marmor wurde der Rumpf der Papststatue gebettet. Der Kopf, die Hände und die Füße wurden ergänzt. So finden wir das Grabmal Clemens VI. in den Acta Sanctorum abgebildet*), so ist es noch heute im Chor von La Chaise-Dieu zu sehen. (Taf. 41, Abb. 6 u. 7). Denn an diesen kläglichen Resten eines der glänzendsten Grabdenkmäler des Mittelalters scheint sich die Revolution nicht mehr vergriffen zu haben. Wohl die Abgelegenheit des Ortes hat dies Papstgrab vor einer zweiten Schündung bewahrt. Aber da alles ver- schwunden oder ergünzt ist, was einst an diesem Denkmal historisch merkwiirdig und künstlerisch bedeutend war, so ist es heute ein ebenso gleichgültiges Monu- ment, wie die anderen sogenannten Papstdenkmäler Frankreichs auch’).

In mehr als einem Sinne zeichnete sich einst das Denkmal Clemens VL vor allen Papstdenkmälern diesseits und jenseits der Alpen aus. Wo sah man sonst noch an einem Grabmonument einen so reichen und sinnreichen Schmuck? Man spürt es deutlich, daB es der Papst selbst gewesen ist, der alle Angaben für die Bild-

de détruire la grande composition, qui couvrait le fond de la salle du consistoire en la coupant par des voutes etc. Über den beklagenswerten Zustand, in dem sich der Papstpalast noch i. J. 1892 be- fand, hat sich Müntz an anderer Stelle geäußert. Vgl. Le vandalisme à Avignon et Salon in L'ami des monuments VI (1892), S. 289 ff. Vgl. ferner Montalembert, Oeuvres VI, S. 31 und 46.

(1) Vitae et res gestae pontificum Romanorum. Romae 1677, 8. 483. Daß die Gebeine Clemens VL verbrannt wurden, ist später bestritten worden. Bei einer Öffnung der Gruft im Jahre 1709 fand man die angeblichen Gebeine des Papstes unversehrt. Auch der Schädel war vorhanden und strafte die Legende Lügen, im Jahre 1562 habe man aus dem Schädel des Papstes einen Trinkbecher gemacht. Vgl. Note relative à la violation de la tombe de Clement VI im Bulletin du Comité des travaux histo- riques etc, 1884, S. 442. Die Angaben bei Ciacconi sind aber so genau, daß mit der Möglichkeit zu rechnen ist, die Gebeine Clemens VI. seien durch fremde Gebeine ersetzt worden.

(a) а. a. O., Mail, Tom. V, S. 89. Andere Abbildungen bei Faucon, a. a. O., S. 416, Pl. XI, bel Vitry und Briére, a. a. O., Pl. C, bei Gregorovius, Die Grabdenkmiler der Pápste, ed. Schillmann, 8. Aufl. (1911) 8. 39. Eine Lithographie des Denkmals in Folio soll sich auch bei Taylor, Voyages pittoresques et romantiques dans l'ancienne France (Auvergne), Nr. 151 bis befinden.

(3 Auch Rohault de Fleury (La messe VIII, 143) hat ohne weiteres zugegeben, daß der Kopf Clemens VI. ergänzt worden ist. Es befand sich außerdem in La Chaise-Dieu ein Porträt des Papstes in Wachs ausgeführt (Faucon, a. a. O., S. 413). In der Sorbonne in Paris sah man ein Glasgemälde Clemens VI. „ubi flexu genu et manus ad caelum tendens, supplicique habitu virginem sacram vene- ratur (Ciacconi II, 483). Aber aus den Acta sanctorum, a. a. O., S. 88, Nr. 16, erfahren wir, daß dies Gemälde bereits im Jahre 1685 längst zerstört war. Verschwunden ist auch das dem Orcagna zu- geschriebene Porträt Clemens VL, das man einmal in Santa Croce in Florenz sah (Vasari, ed. Mila- nesi I, 6or).

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werke seines Denkmals gemacht hat, und daB er selbst und seine Angehörigen die Ausführung ihrer Absichten sorgfältig überwacht haben’).

Nicht weniger als 44 Marmorstatuen sah man einst rings die Wände dieses Grabmals schmücken. Der ganze Leichenzug, der einmal die sterbliche Hülle des Papstes zu Grabe geleiten sollte, war hier bereits im Stein verewigt worden. Man sah die drei Offizianten, die noch heute die Absolution des Toten zu voll- ziehen haben, den Zug eröffnen: den Priester mit dem Weihwasser, den Diakon mit dem Evangelienbuche und den Akolythen. Dann folgten vier Kardinäle, ein Bruder und drei Neffen des Papstes, ferner fünf Erzbischöfe und neun Bischöfe, fast, alle wiederum Nepoten Sr. Heiligkeit. Den Schluß dieses Totengepränges aber bildeten seine weltlichen Verwandten, an ihrer Spitze das Haupt der Familie, der Graf von Beaufort mit Frauen, Kindern und Enkeln, und endlich die Schwestern des Papstes mit ihren Gatten und Kindern’).

Der Gedanke, am Sarkophag des Toten sein Leichenbegängnis darzustellen, be- gegnet uns früher und später noch häufig in der französischen Grabskulptur. Man sah schon im Grabmal des Bischofs Pierre de Poitiers in Fontevrault, das im 13. Jahrhundert entstand, das ganze Leichengefolge um den Toten versammelt’). In den berühmtesten Fürstengrabmülern Frankreichs, des Herzogs von Berry in Bourges und der Herzüge von Burgund in Dijon, sah man die Statuetten der ,,pleu- reurs“, der Leidtragenden, in Nischen, rings um die prüchtigen Sarkophage auf- gestellt‘). Im Grabmal des Philippe Pot aber einst in Citeaux, heute im Louvre hat diese Übung ihren monumentalsten und, man darf wohl sagen, ihren vollendeten Ausdruck gefunden. Hier tragen acht heroische Gestalten gesenkten Hauptes, in schleppende Trauergewänder gehüllt, die offene Bahre auf ihren Schultern, auf der der tote Seneschall von Burgund in voller Rüstung ausgestreckt ruht’).

So häufig der Gedanke wiederkehrt, am Grabe des Toten sein Begräbnis dar- zustellen, so einzigartig muß an diesem Grabdenkmal die Verherrlichung des Nepo- tismus gewesen sein. Zwar besitzen wit im Grabmal des Artus Gouffier in Orion noch ein anderes Beispiel der Trauer der vornehmen Verwandtschaft um das Familienoberhaupt, und Familienangehörige betrauerten auch in einem heute zer- stórten Monument den Hingang der Patriarchen von Antiochia in der Kathedrale von Saintes e), aber in den Papstdenkmälern hatten noch immer die Madonna, die Heiligen, Allegorien von Tugenden und Künsten den Glauben und die Lebens- grundsütze des toten Pontifex symbolisch dargestellt. Niemals, weder früher noch

(1) Daher mußte auch Pierre Roy seine Werkstatt in Villeneuve-les-Avignon aufschlagen, wie Baluze ausdrücklich bemerkt (I, 378): quod ipsemet vigens et vivens in Villanova Avinionensis Diocesis sibi fecerat fabricari. |

(3 Faucon fand das merkwürdige Dokument, in dem diese Statuen beschrieben werden, im Vatika- nischen Archiv, und es gelang ihm, jede einzelne der genannten Personen festzustellen. Vgl. Bulletin du Comité etc. 1884, S. 419 und 441.

(s) Abgebildet bei Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l'architecture IX, S. 37. Vgl. über eine ábnliche Darstellung am Sarkophag zweier Kinder in Le Val des choux: Voyage littéraire de deux religieux Bénédictins, Paris 1717, I, 113. : ; (4) Vgl. Courajod, Jacques Morel in Gazette archéologique X (1885), S. 238.

(s) Ein schöneres Ritterdenkmal konnte der menschliche Geist nicht erfinden. Ein Stich bei Alexandre de Laborde (Les monuments de la France. Paris 1836, II, Pl. 215) zeigt uns das vor dem Vandalis- ` mus der Revolution in den Garten des M. de Vesvrotte in Dijon gerettete Denkmal. Es befindet sich heute im Louvre.

(6) Vgl. Palustre Léon, La renaissance en France, Paris 1885, III, 232, wo auch das práchtige Denk- mal Gouffiers furchtbar verstümmelt von den Vandalen von 1568 wiedergegeben ist.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1938, Heft 6 fi 16r

spšter, haben es die Nepoten und Kreaturen Sr. Heiligkeit gewagt, sich an das Grab ihres Beschützers zu drüngen. In Rom wire ein solches Denkmal der Verwandten- liebe unmöglich gewesen. Aber ach, es war auch in La Chaise-Dieu dem Unter- gange geweiht! Wie hoch muB die Kunst eines Bildhauers entwickelt gewesen sein, wenn er es unternehmen konnte, in vierundvierzig Portrütgestalten dem toten Papst alle die zu Begleitern zuzugesellen, die ihm im Leben teuer gewesen waren! Wie würde uns heute eine solche Galerie historischer Portrüts aus dem Mittelalter entzücken!)! Wie mächtig würde in der langen Reihe der Papstdenkmäler den Histo- riker gerade dieses Denkmal anziehen, dieses Denkmal, in dem der Glaube an die weltbeherrschende Mission des Papsttums völlig untergegangen war in dem stolzen Gefühl eines Edelmannes, die Seinigen reich und mächtig und groß gemacht zu haben!

In diesem Sinne steht das Grabmal Clemens VI. einzig da unter den Grabmälern der Püpste aber nicht nur in diesem Sinne allein ist sein Untergang so be-

klagenswert. Das Grabmal Innocenz VI. (1352—1362) in Villeneuve-les-Avignon.

Die ungeheure Lebenskraft des Papsttums wird nicht zuletzt durch das bestándig sich erneuernde Blut bedingt, das in ewig wechselnden Geschlechtern durch die Adern der Tiaratrüger rinnt. Die Püpste leben ja nicht lange, bemerkte schon Clemens VIL, der Medici-Papst. So wurde es dem Kardinalskollegium niemals schwer gemacht, bei einer Neuwahl sich selbst zu korrigieren. Es konnte einen Mann, dem persönliche Interessen höher standen als das Wohl der Kirche, durch einen Papst ohne Familienanhang ersetzen. Es konnte der Verweltlichung des Papsttums sofort durch die Wahl eines Asketen Einhalt gebieten. Es konnte wiederum ein allzu enges und strenges Regiment klug durch die Wahl eines groB- zügigen Mannes ersetzen. So wühlte man im Jahre 1352 als Nachfolger des prachtliebenden Clemens VI. den strengen Innocenz VI.

Daß mit dem neuen Papst ein neuer Geist in Avignon erwachen würde, mußten die Höflinge sofort erkennen, als Innocenz, trotzdem die Vorbereitungen bereits ge- troffen waren, sich weigerte, nach seiner Wahl wie üblich in feierlichem Aufzug durch die StraBen seiner Residenz sich dem Volke zu zeigen’).

Aber wenn auch der neue Papst der Verschwendung Einhalt gebot, die Bischöfe, die am Hofe seines Vorgängers ein üppiges Leben geführt hatten, in ihre Diözesen zurücksandte, das Mönchtum erneuerte und das Papsttum zu reformieren ver- suchte®), Avignon blieb nach wie vor der Mittelpunkt eines kräftig pulsierenden Lebens, an dem die ganze Umwelt Anteil nahm. Die Wirren in Rom unter Rienzi, die Belagerung Avignons durch Armand, den ,,Erzpriester“, die Pest im Jahre 1360 bedeuteten wohl Hemmungen, vermochten aber nicht, Ansehen und Macht des Papsttums dauernd zu schwüchen, das damals in dem spanischen Kardinal Alvarez- Albornez einen Staatsmann und Feldherrn größten Stils besaß.

Als Bauherr hat sich Innocenz VI. mehr auf dem rechten Ufer der Rhone be- tütigt als auf dem linken. Villeneuve verdankt ihm mehr als Avignon, wo er nur

(1) In dem Bericht über die Zerstórung des Grabmals Clemens VL, den Faucon (a. a. O., 8. 442) aus den Annalen der Benediktiner publiziert bat, beißt es: Ils brisérent aussi les mains et les pieds de la figure de marbre blanc et tous les ornements qui étoient autour du tombeau, qui étoient magnifiques et dont il en reste quelques-uns à la bibliothéque. Ob von diesen Fragmenten noch heute in La Chaise- Dieu etwas erhalten ist, habe ich nicht festzustellen vermocbt. (a) Ciacconi, a. a. O., П. 523 ff.

(3) Christophe, Histoire de la papauté pendant le XIV siécle II, 224. Us

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die Stadtbefestigungen verstürkte und die Papstfeste durch zwei neue Türme zu sichern versuchte!) Aber in Villeneuve gründete Innocenz VI. die berühmte Kart- hause, die wührend der Revolution in Lose aufgeteilt wurde und seitdem verfallen ist; hier baute er der Dreieinigkeit eine Kapelle, die er mit einem glänzenden Freskenzyklus schmücken lieB*), und hier bestimmte er sich selbst sein Grab‘). (Taf. 42, Abb. 10.)

Im Jahre 1576 gelangten die Hugenotten unter Führung des Kapitüns Parabére bis an die Höhen von Villeneuve und zerstörten dort das steinerne Kreuz von Montaux, eine prachtvolle, figurenreiche Stiftung Innocenz VI.“). Aber das empörte Volk vertrieb die Eindringlinge, und die Karthause wurde damals vor der Plün- derung gerettet’). Um so schlimmer haben hier die Sansculotten gehaust. Zer- rissene Reste der einst so glinzenden Architektur, halberloschene Fresken in der Dreieinigkeitskapelle, ein mühsam aus tausend Fragmenten wieder zusammen- gesetztes Papstgrabmal in der Kirche des Hospitals das ist alles, was von der glänzenden Schöpfung Innocenz VI. übriggeblieben ist).

Betrachtet man das wieder zusammengesetzte Gehüuse dieses Papstdenkmals in Villeneuve, so erkennt man sofort, daB der Gedanke, der das Grabmal Johanns XXII. schuf, hier wieder aufgenommen worden ist. (Tafel 41, Abb. 9). Nur mußte natürlich das neue Denkmal das alte an Pracht und Figurenreichtum übertreffen. Auch Innocenz' VL Totenschrein ist nichts anderes als ein herrliches Reliquien- gefäß ins Monumentale übertragen, oder als das sorgfältig ausgeführte Modell einer reichen gotischen Architektur. Auch hier sieht man den Papst in einem Freigrabe auf hohem Prunkbett unter einem Baldachin mit zahllosen Türmen und Tabernakeln ausgestreckt, und alle Heiligen des Paradieses haben einst dies Heiligtum bewacht. So sah es noch kurz vor der Revolution der Schweizer Fisch und las hier die Jahres- zahl 1362. „Die gotische Kunst,“ so schreibt dieser sonst sehr nüchterne Be- obachter”), „scheint alle Schönheiten, deren sie fähig ist, an diesem Grabmal ver- schwendet zu haben. Das Bildnis des Papstes liegt auf einem gevierten Sarkophag, und über demselben erhebt sich ein Wald von Verzierungen nach gotischer Zeich- nung, alles so rein, so schlank, so kühn auf-geschlungen und ineinander ver- flochten, daß man dem Künstler, der alles das aus einem Block herausarbeitete, seinen Beifall und seine Bewunderung nicht versagen kann.“

(1) Revue de l'art chrétien X (1892), S. 186.

(s) E. Münts, Fresques inédites du XIV siécle à la chartreuse de Villeneuve in Gazette archéologique XII (1887), 8. 398 ff. Hier gibt Müntz, Anm. a, auch die Spezialliteratur über Villeneuve, die mir größtenteils nicht zugänglich war.

(3) Gasette des Beaux Arts XXXVI (1887), S. 378, Anm. 2.

(4) Joudou, Esca! sur l'histoire de la ville d'Avignon. Avignon 1853, S. 466.

(s) Aus Furcht vor den Hugenotten waren damais die Gebeine des Papstes aus seinem Grabe ent- fernt und in der Kapelle der Dreieinigkeit in die Mauer eingelassen worden. Man ließ sie dort auch, als die Gefahr vorüber war, und bedeckte den Platz mit einem Stein, auf dem man die ruhende Ge- stalt Innocenz VI. sah. Hier erscheint der Papst wie auch in der Fugger-Sammlung in München ohne Bart. Dieser Stein ist, wie es scheint, spurlos verschwunden, aber die Bollandisten haben uns eine Nachbildung erhalten. Acta Sanctorum Maii V, S. 90. (Taf. 38, Abb. 8.)

(6) Über den Zustand der Abtei von Villeneuve im Jahre 1849 vgl. die Beschreibung von Pinard in der Revue archéologique VI, 1 (1849), S. 331. Ebendort, Pl. 120, gibt Pinard auch eine Abbildung des Denkmals nach der Restauration von 1835. "Vgl. auch Hallays, Avignon, S. 119.

(7) J. G, Fisch, Reise durch die südlichen Provinzen von Frankreich kurz vor dem Ausbruch der Rewrolution. 2. Aufl, Zürich 1795, S. 580.

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Siebenundvierzig Jahre später besuchte der Franzose Mérimée die Stadt. „Ich begab mich heute nach Villeneuve,“ schreibt er am 11. September 1834!), „шп das gotische Grabmal Innocenz VI. zu sehen. Die Karthause, die es einst geborgen hat, ist zur Zeit der Revolution stückweise verkauft worden, und das Denkmal, das zu einem der Verkaufslose gehörte, muß man heute in der verfallenen Hütte eines armen Weingärtners suchen. Fässer, Olivengestrüpp und riesige Leitern sind in dem engen Winkel aufgespeichert, wo sich das Mausoleum befindet. Es ist mir unbegreiflich, daB bei solchem bestündigen Holen und Bringen von Gegenstünden von diesen feinen Türmchen, von diesem eleganten Mafiwerk, von diesen schlanken Pfeilern noch irgendetwas erhalten geblieben ist. Nichts Leichteres, nichts An- mutigeres, nichts Reicheres kann man sich vorstellen als dieses Steingebilde. Ur- sprünglich schmiickten eine Fülle von Alabasterstatuetten den Sockel des Denk- mals. Man hat sie stückweise verkauft. Im Innern des Sockels aber hat sich der Besitzer des Anwesens einen Schrank eingerichtet. Die Marmorstatue des Papstes ist arg verstiimmelt. Kurz, es gibt keine Schmach, die man diesem herrlichen Denkmal nicht zugefügt hätte. Und doch ist es trotz aller Verstümmelungen eins der schónsten Exempel gotischer Schmuckarchitektur im 14. Jahrhundert.“

Weniger glücklich als Mérimée hatte Perrot kurz vorher das Denkmal günzlich von Werkzeugsutensilien und Reisigbündeln bedeckt gefunden. Er beschloB, es küuflich zu erwerben, und gab so endlich dem Magistrat der Stadt den letzten An- stoß, das Denkmal aus seiner unwürdigen Lage zu befreien und in der Hospital- kirche von Villeneuve unterzubringen. Bei dieser Gelegenbeit ist es auch schlecht und recht wiederhergestellt worden. Vor allem wurde das Gesicht des Papstes erneuert, der, wie man auch bei den Bollandisten erkennen kann, einen Bart ge- tragen haben muß).

Von all den Statuen, die dieses Mausoleum einst geschmückt haben, sieht man heute noch drei hoch oben unter prächtigen Tabernakeln erhalten. Einige andere Fragmente werden im Musée Calvet bewahrt.

Das ist die Geschichte des Prunkgrabes Innocenz VL! Man siebt, mit wie un- erbittlicher Konsequenz sich das Verhängnis an den Denkmälern der Päpste von Avignon vollzogen hat. Was nicht schon den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts zum Opfer fiel, das wurde mit untrüglicher Sicherheit von den Bilderstürmern der Revolution aufgespürt und mit Beil und Hacke erbarmungslos auseinander ge- schlagen. Nur zuweilen geschah es, daß die Zerstörungswut nicht alles auf einmal bezwingen konnte oder daB die Mittel nicht ausreichten, die methodische Ver- nichtung alles dessen, was vergangene Jahrhunderte geschaffen hatten, fortzusetzen. Es gehörten viele Arme dazu, ein Monument wie die Karthause von Villeneuve mit allen Denkmälern und Kunstschützen so vom Erdboden verschwinden zu machen, wie die Abtei von Cluny oder die Kathedralen von Arras und Cambray. Dann und wann ließ man wohl den Rumpf eines Denkmals stehn. Und an diesem konnten dann später die Restauratoren ihre Künste versuchen. Solch ein bescheidenes Glück

(т) Prosper Mérimée, Notes d'un voyage dans le midi de la France. Bruxelles 1835, 8. 153.

(2) Perrot, Lettres sur Nismes et le midi. Nismes 1840, I, 8.337: La statue en marbre du pape est couchée dans toute sa longueur et il a un lion à ses pieds. (Heute durch einen Gipslöwen ergänzt). Cette figure était bien mutilée et cependant elle conservait un beau caractère; aujourd'hui elle est par- faitement restaurée, Perrot hat auch die Zeichnung gemacht, die hier reproduziert worden ist. (Taf. 41, Abb.9.) Ein Idealportrit des Papstes, dessen Barttracht erst Julius IL wieder aufgenommen hat, findet sich in der Grablegung von Simon de Chalons v. J. 1552, ebenfalls im Hospital von Villeneuve, Vgl. Müntz, Gazette des Beaux Arts XXXVI (1887), S. 381, Anm, a.

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ist auch dem Grabmal Innocenz VL widerfahren. An der Fülle seiner ornamen- talen Pracht ist der Arm der Bilderstürmer erlahmt. Der hochgetürmte Baldachin ‘war mit dem Hammer nicht ohne weiteres zu erreichen. So finden wir ín diesem erst zerstörten, dann wieder hergestellten Gehäuse noch heute die Spuren einstiger Pracht, wenn auch das Wesentliche fehlt: ein authentisches Bildnis des Toten und die Fülle der Statuen, die einst überall die Architektur belebten. Das Rahmenwerk ist geblieben, aber die Bilder wurden zerstirt.

Die Grabdenkmüler Urbans V. (1362—1370) in St.-Victor in Marseille und'in Saint-Martial in Avignon.

Mit Urban V. richteten sich die Blicke der römischen Püpste wieder auf Rom. Die schwere Belagerung, die Urban in Avignon durch Sóldnerbanden auszuhalten hatte, mochte ihm zu denken geben. Aber einem Papste von so groBer Ge- sinnung wie Urban V. muBte sich auch sonst ohne weiteres der Gedanke auf- drängen, daß der weltbeherrschenden Stellung des Papsttums auf die Dauer durch eine Residenz wie Avignon Abbruch getan werden mußte. Dazu kamen die Be- schwörungen Petrarcas und die Bitten der Römer, die im Jahre 1364 wieder in Avignon erschienen!) So machte sich Urban nach langen Vorbereitungen am 30. April 1367 nach Italien auf. Wir kennen sein Itinerar in allen Einzelheiten?). Aber es hielt ihn nicht in Rom, wo er mit groBem Glanz residierte und Kaiser und Könige an seinem Hofe empfing. Auch die hl. Brigitta, die ihm einen baldigen Tod in Frankreich weissagte, vermochte nicht, den Heimwärtsstrebenden zurück- zuhalten. Am 16. Oktober 1367 war Urban V. unter dem Jubel der Bevilkerung in Rom eingezogen, am 5. September 1370 verlieB er Italien wieder, nicht ohne am Tiber dauernde Zeugen einer umfassenden Bautätigkeit zurückgelassen zu haben. Vor allem lieB der Papst in Vatikan und Lateran groBe Wiederherstellungsarbeiten vor- nehmen?) Noch heute sieht man in der lateranischen Basilika das Marmor- tabernakel, das er zu Ehren der Apostelfürsten über dem Hochaltar errichten ließ‘); es ist mit dem Wappen Urbans V. geschmiickt eins der wenigen Wappen eines Papstes von Avignon, die heute noch an den Baudenkmälern Roms zu finden sind.

Am 24. September war Urban V. wieder in Avignon, und wenige Monate später schon ging die Weissagung der hl. Brigitta in Erfüllung. Im Dezember 1370 er- eilte den Papst der Tod.

Schon zu seinen Lebzeiten, lesen wir bei Ciacconi, wurde Urban V. wie ein Heiliger verehrt’). Überall in den Kirchen Frankreichs und Italiens sah man seine Bildnisse. Sie gingen bis auf einige unbedeutende Machwerke zugrunde. Ein Tafel- bildchen in Bologna, auf Goldgrund gemalt, gibt heute allein noch eine schwache Vorstellung vom Aussehen des letzten rechtmäßigen Papstes, der seinen Sitz in Avignon gehabt hat“). | ` (z) Gregoróvius, a. а, O., 8. 347.

(2) Vel. J. P. Kirsch, Die Rückkehr der Pšpste Urban V. und Gregor XL von Avignon nach Rom in Quellen und Forschungen der Görresgesellschaft. Paderborn 1898.

(3) E. Mints, Lavori d'arte fatti eseguire a Roma dai Papi d'Avignone (1365— 1378) in Arch. stor. dell’ arte IV (1891), S. 1267.

(4) Lauer, Le palais de Lateran, 8. 264 ff.

(s) П, 560: Jam ipsis suis temporibus ut sanctus coli et talis in ecclesiis pingi. In diversis et pluri- mis ecclesiis, etiam Patriarchalibus, etiam Romae imago eius tamquam sancti pingitur et honoratur. Ein besonders gutes Bildnis Urbans V. befand sich im Augustinerkloster in Toulouse.

(6) Abb. bei Goyau, Peraté, Fabre. Le Vatican. Paris 1895, 8.462. Uber andere Porträtdarstellungen

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Nicht weniger als drei Grabdenkmäler sind Urban V., eins nach dem andern, er- richtet worden. Kaum ein anderer Papst kann sich eines solchen Andenkens bei der Nachwelt rühmen, die verstorbene Päpste schnell zu begraben und zu ver- gessen pflegt. Gregor XL setzte seinem Vorgünger ein monumentales Denkmal in St.-Victor in Marseille, und ebendort, wo Urban V. einmal seine Laufbahn begonnen hatte, fanden auch seine sterblichen Reste ihr Grab’). In Avignon selbst aber er- richteten ihm die dankbaren Benediktiner, deren Ordenskleid der Papst getragen hatte, ein glänzendes Kenotaph*). Und einen ähnlichen Gedenkstein sah man kurz vor der Revolution auch noch im Chor von St.-Victor in Marseille. , Er wurde wahrscheinlich errichtet,“ schreibt der Biograph dieser-Kirche?), „um das Denkmal selbst zu ersetzen, als es vom Chorgestühl verdeckt wurde. Es sollte hier auch eine Inschrift angebracht werden, die aber niemals gesetzt worden ist. Die mar- morne Maske des Papstes, die auf das steinerne Antlitz des Papstes gelegt ist, gibt einen hohen Begriff von den Talenten des Künstlers, der sie ausgeführt hat. Sie ist so scharf nach der Natur beobachtet, daB sie nur ein Porträt dieses Papstes sein kann.“

In der Französischen Revolution ist dieses Kenotaph in St.-Victor ebenso zugrunde gegangen, wie das Monumentalgrab ebendaselbst. Aber einStich in den Acta sancto- rum vermittelt uns noch heute eine Vorstellung von der Pracht des Denkmals, das einmal die Gebeine Urbans V. umschloß )).

Von allen Denkmälern der Püpste in Frankreich ist dieses allein ein Wandgrab ge- wesen, (Taf. 43, Abb. 11.) Unten sah man Urban V. ausgestreckt in einer Nische ruhen, die oben und unten durch gotische Lisenen verziert war. Darüber erhob sich ein auffallend schwerer, glünzender Aufbau. Unten im Tympanon schwebte die Seele des Papstes empor und über ihr waren Maria und Christus dargestellt. Darüber erhob sich ein schwer lastendes Tabernakel mit spütgotischem Maßwerk, in dem man Gottvater in der Mitte thronend sah. Ganz in der Húhe endlich gab ein Triforium dem Denkmal einen horizontalen Abschlu8. Engel und Heilige waren überall an den Seitenpfeilern, in den Triforiumnischen und hoch oben über dem ganzen Aufbau angebracht, der als Ganzes am besten einem reichen gotischen Kirchenportal von mißglückten Proportionen zu vergleichen ist.

Bereits im Jahre 1381, so erzählt Ruffi in seiner Geschichte von Marseille‘), mußte das Denkmal, das schlecht gebaut war, restauriert werden. Man öffnete bei

Urbans V. vgl. E. Müntz, La statue du pape Urban V au Musée d'Avignon in Gazette archéologique IX (1884), 9. roa und 103. Weitere Literatur gibt Courajod im Katalog des Musée de sculpture com- parée (Trocadéro). Paris 1892, S. 44/45, Nr. 656.

(1) Ciacconi, a. a. O., II, 9. 558. Acta sanctorum Mail, Toro. II, 93, wo die Abbildung gegeben ist: sicut illud post multam instantiam nec sine sumptu delineatum tandem accepi; simulque intellexi, totum opus unius generis saxo, eoque non valde pretioso constare. |

(a) Von Müntz in der oben genannten Studie in der Gazette archéolog. (1884) ausführlich bebandelt . (3) (Grosson) Notice des monuments conservés dans l'église . . . de l'Abaye de St.-Victor de Mar- seille . . . Marseille s. a. (1786), S. 9.

(4) Die Originalzeichnung für diesen Stich hat sich in der Bibliothek von St.-Vietor in Marseille er- halten. Sie ist von Schillmann (Gregorovius, Grabdenkmäler, S. 40) wiedergegeben worden. Schill- mann konnte auch die Nische aufnehmen, in der man einmal das Papstdenkmal sah, dessen kümmer- liche Reste heute von einem modernen Bildnis Urbans V. fast gans verdeckt werden. |

(5) De Ruff Antoine, Histoire de la ville de Marseille. з. ed. Marseille 1696, П, 158. In den Acta sanctorum, a. a, O., 8.93, heißt es von dem Denkmal (1685): hodie extat, licet a parte inferiori pes- sime habitum maleque custoditum. |

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dieser Gelegenheit auch den Sarg des Papstes. Damit aber in Zukunft das Denk- mal keinen Schaden mehr nehme, ernannte man einen der Briider von St.-Victor zu seinem besonderen Hiiter. Im Jahre 1397 wird Johannes de Comitis ausdrtick- lich als ,custos sepulcri sanctae memoriae Urbani V“ aufgeführt!) Eine solche Ehre ist in der neueren Geschichte vielleicht nur noch einem einzigen Denkmal von Weltruf zuteil geworden: dem Jüngsten Gericht Michelangelos in der Sixtini- schen Kapelle in Rom, an dem Michelangelos Diener und Freund, Urbino, dieses Ehrenamtes waltete.

Noch eine andere Eigenart zeichnete das Grabmal Urbans V. vor allen übrigen Papstdenkmälern aus: der Kopf des Papstes war in Silber ausgeführt?) Er wurde bereits wührend der Religionskriege im 16. Jahrhundert entwendet. Aber im übrigen scheint sich dies prüchtige Denkmal ziemlich unversehrt bis zum Ende des I8. Jahrhunderts erhalten zu haben. Es wurde nur durch das Chorgestühl ver- deckt, als man dieses hinter den Hochaltar zurückschob. So ist das Denkmal auch Fisch entgangen, der die Abtei von St.-Victor im Herbst 1787 besuchte und hier im reichen Schatz des Stiftes auch die Reliquienkästen Urbans V. erwühnt?) Aber die Sansculotten von Marseille, die in der ganzen Provence Schrecken verbreiteten, haben es zu finden gewuBt, und ihre verbrecherische Hand scheint auch dieses prüchtige Papstdenkmal bis auf geringe Fragmente vernichtet zu haben. Als man gelegentlich der Seligsprechung Urbans V. im Jahre 1870 Nachforschungen an- stellte, fand man wohl noch Nische und Postament. Alles übrige war zerstürt. Und ebenso spurlos verschwand damals auch das Kenotaph im Chor, von dem sich in der Bibliothek von Aix noch eine Zeichnung erhalten haben soll‘). |

Und nicht viel besser erging es damals dem anderen Kenotaph Urbans V. in der Benediktinerkirche Saint-Martial in Avignon, wo mit ihm alle Erinnerungen an die Kënige von Aragon, an Johanna von Neapel, an den Kardinal Lagrange in Schutt und Trümmer begraben wurden“).

Der Rumpf der Statue Urbans mit dem verstümmelten Kopf wurde spiiter wieder aufgefunden und ins Musée Calvet gerettet“). (Taf. 44, Abb. 12.) Man sieht den Papst hier mit der dreifachen Tiara geschmiickt”), und man erkennt in dem aus- drucksvollen Kopf künstlerisches Vermügen und das erfolgreiche Bestreben nach

(z) Ruffi, a. a. O., 8. 159.

(2) Ruff, a. a. O., 8. 158. °

(s) Fisch, a, a. O., S. 460/461.

(4) Gazette archéologique IX (1884), S. 103, Anm. a.

(s) Joudou, a. a. O., 8, 411/13. Das Monument des Kardinals Lagrange war das prüchtigste Prülaten- grab in Avignon und, wie wir aus der von Mints wieder aufgefundenen Zeichnung ersehn können, vielleicht das stolseste Denkmal, das jemals ein Kirchenfürst sich selbst errichtet hat. Vgl. L'ami des monuments et des arts IV (1890), S. 85 ff.

(6) Die Abbildung ist nach der Aufnahme von E. Múnts in der Gazette archéol. 1884, Tafel rs, ber-

gestellt. (7) Braun, J., Die liturgische Gewandung im Oksident und Orient. Freiburg 1907, 8. 505, hat den Kopf Urbans V. als Benedikt XII, reproduziert und an ihn Schlüsse geknüpft, die nicht ganz zu- treffen. Der Zeitpunkt, wann die Päpste die dreifache Krone annahmen, ist noch nicht einwandfrei. bestimmt, und die Frage bedarf noch auf Grund dessen, daß fast alle authentischen Porträts der Päpste von Avignon zerstört sind, erneuter Nachprüfung. Von ausschlaggebender Bedeutung für diese Frage dürfte die Sammlung des Panvinius in der Hof- und Staatsbibliothek in München sein, die O. Hartig der Forschung erschlossen hat. Hier erscheint Benedikt XII. zuerst mit der zweifachen Krone, des- ' gleichen sein Nachfolger Clemens VL, wührend Innocenz VI. hier obne Bart و‎ = zuerst das Triregnum trägt. Vgl. Hartig, a. a. O., S. 305. | f 167

porträthafter Darstellung. Welch ein Fortschritt gibt sich kund, vergleicht -man diesen Kopf mit den Bildnissen Bonifaz УШ. und Benedikts ХП. in den Vatika- nischen Grotten! Aber den langen Weg, der zwischen diesen Schöpfungen liegt, kónnen wir nicht mehr verfolgen. Alles, alles hat die Revolution zerstürt!

Das Grabdenkmal des Gegenpapstes Clemens VIL (1378—1394) in der Kirche der Cölestiner in Avignon.

Am 13. September 1376 verlieB Gregor XL, der Nachfolger Urbans V., der Neffe Clemens VL, Avignon und verlegte damit trotz des Protestes des Königs und der Geistlichkeit von Frankreich den Sitz der Päpste auf immer nach Rom zurück. Wie stark aber die Interessen waren, die Frankreich daran hatte, die Päpste auch ferner in Avignon zu fesseln, sollte gleich nach dem Tode Gregors XI. das groBe Schisma offenbaren, Zwei Gegenpüpste haben noch in Avignon residiert: Clemens VIL, der Franzose, und Benedikt XIIL, der Spanier. Benedikt fand ein unberühmtes Grab in seiner Heimat in Peniscola, nachdem er seine Ansprüche bis zuletzt mit größter Hart- näckigkeit behauptet hatte. Clemens VIL regierte fünfzehn Jahre lang die Kirchen von Frankreich und Spanien von Avignon aus, wo er mit nicht geringerer Pracht residierte, wie einst die rechtmäßigen Päpste). Hier entfaltete Clemens VIL, der an Macht und Einfluß dem rauhen Urban VI. seinem Widersacher in Rom, nichts nach- gab, eine ziemlich rege Bautitigkeit. Er sorgte für die Erhaltung der siebentürmigen Papstfeste, er baute in Kirchen und Klóstern, und er gründete endlich die Kirche der Cölestiner, wo er selbst begraben wurde?) Dort ließ ihm gleich nach seinem Tode der Erzbischof von Narbonne ein prüchtiges Grabdenkmal errichten, zwar ein Denkmal ohne jenen reichen, gotischen Aufbau, der sich sonst wie ein Kapellenbau über den ruhenden Püpsten wilbte, sondern nur ein miichtiges Freigrab, auf dem man die Statue Clemens VII. erblickte. In den Acta sanctorum ist auch dieses Grabmal abgebildet und beschrieben worden?) (Taf. 44, Abb. 13. Es war ganz aus weiBem, teilweise in dunkle Schattierungen übergehendem Marmor hergestellt. Man sah den Papst in vollem Ornat wie auf einem Paradebett ruhn, das tiara- geschmückte Haupt unter einem Baldachin, die Füße auf einem Kissen, das mit seinem Wappen geschmückt war. Ringsherum an den Wänden aber standen in gotischen Tabernakeln zwanzig Heilige und hielten die Totenwacht.

Im Jahre 1658 wurde das Grabdenkmal vom Platz vor dem Hochaltar in die Mitte des Chors versetzt, und hier stand es noch völlig unversehrt bis zur Französischen Revolution‘).

Damals teilten die Cölestiner das Schicksal aller übrigen Kirchen in Avignon. „Das schöne Gebäude,“ schreibt ein Chronist dieser Stadt, „wurde schwer be- schädigt, die Revolutionäre zerstörten den größten Teil allen Schmuckes und aller Skulpturen der Kirche. Alles Silber und alles Gold, alle kostbaren Kirchengewänder verschwanden spurlos. Die Kapelle des hi. Michael wurde verkauft und in ein Café umgewandelt. Die Kirche selbst wurde als Waschhaus hergerichtet 5). `

(1) E. Mintz, L’antipape Clement VII, essai sur l'histoire des arts à Avignon vers la fin du XIV. siècle in Revue archéologique III. ser., Tome XI (1888), 8. 8f. Danach ist das Zitat bei rn Musee de sculpture comparée, S. 59, zu berichtigen.

(2) Dubamel, Les oeuvres d'art du couvent des Célestins à Avignon in Bulletin monumental ur (1888), 8, тод und 217. ih dd (3) a. a. O., 8. 103. POR ж © E | 2 (4) Duhamel, a. a. O., S. 114.

(s) Revue archéol., 1888, 8. 171.

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Damals ereilte auch das Grabmal Clemens VII. das Schicksal aller übrigen Papst- denkmäler in Avignon. Es wurde gänzlich zerstört: Nichts ist erhalten geblieben als einige Trümmerstücke im Musée Calvet, wo man vor allem noch den bis zur Unkenntlichkeit entstellten Kopf des Papstes sieht. Es ist unmöglich, aus diesen Resten ein Urteil zu gewinnen über den künstlerischen Wert dieses letzten unter den Papstgrabmiilern in Frankreich’). (Taf. 44, Abb. 14.)

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Welch einen unvergleichlichen Schatz hat Frankreich noch Біз vor wenig Menschen- altern in diesen Mausoleen seiner Püpste besessen! Es konnte sich rühmen, einer der merkwiirdigsten Epochen seiner Geschichte in vielen Denkmiilern gleichsam ein einziges Denkmal gesetzt zu haben, ein Denkmal von ganz geschlossenem Charakter, von ganz eigentümlicher Bedeutung. In Italien ist später der Typus des Papstgrabes der Renaissance und des Barock entstanden, aber in Frankreich ist das Papstdenkmal des späten Mittelalters geschaffen worden. Der französischen Kunst ist es auch zuerst gelungen, in diesen Papstdenkmälern das Idealporträt zu beseitigen und den toten Päpsten individuelle Züge zu verleihen.

Diesen Ruhm haben die Franzosen selbst zerstört. Es gibt heute in Frankreich keine Papstdenkmäler mehr. Wie die Gebeine sämtlicher Päpste in Frankreich in alle Winde zerstreut wurden, so wurden die köstlichen Schreine, die sie bargen, erbarmungslos in Stücke geschlagen.

Und leider blieb solch ein niegesehener Vandalismus, der ohne jede Nötigung die ehrwürdigen Zeugen vergangener Jahrhunderte zu Boden warf, nicht allein auf Frankreich beschränkt. Dieselben Männer, die in ihrer eigenen Heimat zu ver- nichten trachteten, was an ein göttliches und weltliches Regiment auf Erden mahnte, kämpften wenige Jahre später als siegreiche Soldaten in Italien. Kann es wundernehmen, daß sie nicht zögerten, auch dort Hand anzulegen an Zeugen der Vergangenheit, die ihnen nicht gefielen?

In Bologna und Ravenna gelang es mühsam, die Bronzestatuen Gregors XIII. und Alexanders VII. zu retten?) Man setzte Gregor XIII. statt einer Tiara eine Mitra aufs Haupt und nannte ihn den heiligen Petronius, den Schutzherrn Bolognas. Aber in Rom wurden damals die Bronzestatuen Sixtus V. und Clemens XII. ein- geschmolzen, und die Marmorstatuen Pauls IV. und Innocenz XIL wurden in Stücke geschlagen?) In Ascoli Piceno, wo die Brüder Lodovico und Girolamo Lombardi das Andenken Gregors XIII. durch eine der herrlichsten Bronzestatuen Italiens ver- ewigt zu haben glaubten, beschworen die Einwohner den Führer der französischen Eroberer, den Stolz und das Wahrzeichen der Stadt nicht zu zerstören‘). Ver- gebens! Französische Hände schlugen dies Papstdenkmal in Stücke, wie sie einst in Frankreich die Statuen der Könige zu Boden gestürzt hatten, ja, man zwang

(х) Das Urteil von Müntz über dieses Denkmal lautet sehr ungünstig (Gazette des Beaux Arte 1887, S. 386/87). Es ist aber mit Vorsicht aufzunehmen, da Müntz die Tendenz hat, die Verbrechen der Revolution su verschleiern und den Verlust an Kunstwerken als möglichst gering darzustellen. Da- gegen spricht Gonse. (Les Chefe-d'oeuvre des musées de France, Paris 1904, S. 81) von dem vor- nehmsten Trümmerstück des Clemens-Monumentes mit den Ausdrücken höchster Bewunderung.

(2) Cavazza, Francesco, Della statua di Gregorio XIII sopra la porta del Palazzo Publico in Bologna. Bologna 1888.

(3) E. Steinmann, Die Plünderung Roms durch Bonaparte, in der Internationalen Monatsschrift XI (1917). (4) Cantalamessa Carboni, Notizie storiche su di una statua in bronso eretta dalla città di Ascoli nei eecolo XVI a! sommo pontifice Gregorio XIII, in Giornale arcadico 1845, 8. 331 ff. `

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einige unglückliche Priester, die Triimmer dieser Erzstatue an Stricken durch die Straßen zu schleifen!

Es ist heute besonders lehrreich, im großen Buch der Weltgeschichte diese dunklen Blätter wieder aufzuschlagen. Bild und Andenken ausgezeichneter Menschen der Nachwelt zu übermitteln das ist von jeher die erhabene Aufgabe der Bild- hauerkunst gewesen. Mit wenigen anderen Völkern der Geschichte teilten die Fran- zosen den Ruhm, diese Kunst in jahrhundertelanger Fortentwicklung auf eine wunderbare Höhe geführt zu haben. Aber es gibt wohl kein zweites Beispiel in der Geschichte, daß die Söhne die Bilder ihrer Väter in den Staub getreten haben, daß die Nachkommen frevelhaft in einem Augenblick zerstörten, was der Genius der Vorfahren in unermüdlichem Bestreben langsam verwirklicht hatte. Ein drei- faches Sakrileg hat sich hier vollendet bei einem Volke, das sich riihmte, das erste unter den Kulturvülkern der Erde zu sein: gegen das Andenken der Toten, deren Gräber geschändet wurden; gegen den Ruhm der Künstler, deren Werke zerstört wurden; gegen die zeitgeweihten Güter von Volk und Vaterland, deren Denkmäler vom heimischen Boden vertilgt wurden. Seltsame Ironie des Schicksals! Hatten nicht gerade die Franzosen von jeher den Ruhm als das höchste aller Güter und die Vaterlandsliebe als größte aller Tugenden gepriesen?

Wer sich vorzustellen vermag, wie in jenen schicksalsvollen Tagen die Kinder eines Volkes sich erhoben, sich gegenseitig umzubringen, wie sie in unheilvoller Verblendung ihr eigenes Vaterland zerstörten und tausende von historischen Denk- miilern vernichteten, um die sie alle Völker der Erde beneiden mußten, der trauert mit dem Genius der Menschheit, wie man trauert, wenn ein hoher, himmel- anstiirmender Geist unrettbar in die Nacht des Wahnsinns versinkt.

Die lange, leidvolle Geschichte der Menschheit hat auf ihren Tafeln nicht viele Episoden von so furchtbarem Ernst, von so erschiitternder Tragik zu verzeichnen. Die alten Griechen wußten wohl, warum sie vor dem Zorn der Götter zitterten, die von jeher mit unerbittlicher Strenge die Selbstüberhebung sterblicher Menschen gestraft hatten.

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VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN!).

1, Grabmal des Papstes Clemens V. (1305— 1314) in Uzeste. Aus Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 74. s. Grabmal des Papstes Johanns XXII. (1316—1334) in Notre-Dame-des-Doms in Avignon. Acta Sanctorum Mali, Tom. V, 79. - 3. Überreste des Grabmals Johanns XXIL in Notre-Dame-des-Doms. Aus AndréHallays, Avignon et le comtat Venaissin, 8. 17. ' 4. Grabmal Papst Benedikts XII, in Notre-Dame-des-Doms in Avignon. Acta Sanctorum Май, Tom. V, 85. 5. Das wiederhergestellte Grabmal Benedikts XII. (Grabgehäuse des Kardinals Jean de Cros mit der modernen Grabstatue des Papstes). Nach einer mir gütigst zur Verfügung gestellten Original- aufnahme von Herrn Professor Hamann in Marburg. . 6. Grabmal Clemens VI. in La Chaise-Dieu. Acta Sanctorum Mali, Tom. V, 89. 7. Grabmal Clemens VI. (1342—1352) in La Chaise-Dieu (heutiger Zustand). Aus Vitry und Brière, Documents de sculpture francaise du moyen áge. Paris 1904, P1. C, z. 8. Grabstein Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon. Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 90. 9. Grabmal Innocens VI. (heutiger Zustand). Nach einer Zeichnung von Perrot in Lettres sur Nismes et le midi, Nismes 1840, I. 332. | 10. Grabmal Innocens VI. in Villeneuve-les-Avignon. Acta Sanctorum Май, Tom. V, go. zz. Grabmal Urbane V. (1362—1370) in St.-Victor in Marseille. Acta Sanctorum Mali, Tom. V, 93. їз. Kenotaph Urbane V., einst in Saint-Martial in Avignon. Überreste im Musée Calvet, nach einer Wiedergabe in der Gazette archéologique IX (1884), Pl. 15. 13. Grabmal Clemens УП. in der Kirche der Cólestiner in Avignon. In Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 103. x4. Trümmerstück vom Grabmal Clemens VIL im Musée Calvet in Avignon. Aus Hallays, Avignon et le comtat Venaissin, 8. 183. | |

(z) Die Abbildungen mußten zum Teil nach ungenügenden Vorlagen ausgeführt werden, da mir mein reiches, in Rom befindliches Material für diesen Aufsatz nicht sur Verfügung stand.

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KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER. NACHTRAG ZU NR.4: „DAS RÁTSEL DES SEBALDUSGRABES:“ 000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000020::0006000:««.9.. VON HUBERT STIERLING

u meinem Aufsatze im Maiheft des laufenden Jahrgangs, welcher die Genesis

des Sebaldusgrabes behandelt, habe ich noch eine Kleinigkeit nachzutragen, Ich habe dort ausgeführt, daß Peter Vischer d. J., als das gotische Wachsmodell seines Vaters bereits fertig war, dieses im letzten Augenblick durch renaissance- mäßige Kleinarbeiten bereichert und in grundlegender Weise verändert hat. Man wird verstehen, daB dieser Plan, der wohl in ziemlicher Eile ersonnen und aus- geführt worden ist, nicht gleich fertig und absolut dem Hirn des jungen Künstlers entsprungen ist. Gewisse Schwankungen dürfen wir ohne weiteres voraussetzen, und eine derselben hat ihre. sichtbaren Spuren bis auf den heutigen Tag hinterlassen.

In der Mitte der Abb.2 (vgl. auch Abb. 3 in der Mitte links) sieht man nämlich

ein merkwürdiges Fragment, dessen Bedeutung mir bisher unklar war. Da es nun dasselbe Profil aufweist wie die beiden flach gewölbten Rundbogen rechts und links, auf denen die Putten sitzen, so ist es wohl klar, daB es sich um den Ansatz eines dritten Rundbogens handelt, der sich einst entsprechend nach vorwürts wilbte. Unklar ist es nur, wie weit er hier ging und ob er die Vorderkante des Grabes erreichte, indem er hier vielleicht von einem kurzen Sdulenschafte aufgenommen wurde. Jedenfalls schließt dieser Bogen die gleichzeitige Existenz des heutigen Liwen aus, da er auf der aufgewülbten Vorderkante mit diesem kollidiert haben würde. Peter Vischer d. J., welcher allein in Frage kommt, muß den Bogen doch schlieBlich als unbequem empfunden haben. Er entschloB sich darum, ihn kurzer- hand an der Wurzel zu kappen, wie er e$ ähnlich mit den darunter liegenden gotischen Säulen seines Vaters gemacht hatte. Charakteristisch bleibt dabei wieder die Sorglosigkeit, die sich nicht an diesem doch recht betrüchtlichen Blocke stieB, der mit leichter Mühe im Wachsmodell ausgetilgt werden konnte. . Betrachtet man die große Aufnahme des Sebaldusgrabes in Mayers Genreplastik, dann hat es den Anschein, als ob mit Hilfe dieses projektierten Bogenschlages auch die Zwischenballuster eine Verbindung zur äußersten Vorderkante des Grabes haben sollten,. entsprechend den Renaissancevorlagen der Hauptpfeiler. Die heutige Lösung aber, welche die Balluster zurücktreten läßt, entspricht ohne Frage dem Bilde bewegter Gliederung besser. |

Wie ich schon angedeutet habe, sind die Löwen, welche sich vor den Ballustern lagern und die gotische Bodenwelle überschneiden, erst möglich geworden, nach- dem die Idee des Bogenschlages gefallen war. Man ist darum von vornherein geneigt, auch sie als Werke des jungen Vischer anzusehen, und dem entspricht ihre völlig unverschnittene Technik durchaus.

Ich vermag aus dem Gedächtnis nicht zu sagen, wie oft sich dieses Bogen- fragment wiederholt; für zwei- bis dreimal möchte ich aber einstehen. Das deutet also darauf hin, daß der junge Vischer seinen eigenen Gedanken schon während der Arbeit wieder hat fallen lassen, denn sonst würde das Fragment sich regel- mäßig an allen Ballustern wiederholen, soweit der Platz vor ihnen nicht durch die vier Figuren der Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigkeit und Klugheit (Mayer, Genreplastik, Tafel 18—21) in Anspruch genommen ist.

DER ZUSTAND UNSERER E FACHMANNISCHEN BEURTEILUNG"

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ofrat Professor Strzygowski erhob gegen mich unter dem obigen Titel (Monats- hefte für Kunstwissenschaft 1918, Aprilheft, Seite ror 105) eine Art Anklage wegen der Kritik, die ich über sein Buch: „Die Bildende Kunst des Ostens“ in den Mitteilungen der Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst, Beilage der ,,Graphi- schen Künste“ (Jahrgang 1917, Seite 36—37) veröffentlicht habe. Er richtet zugleich seine Beschuldigungen gegen Hofrat Professor Julius v. Schlosser, Hofrat Josef R. v. Karabacek, Dr. Arpad Weixigärtner und überhaupt gegen die Wiener Wickhoff-Schule. "TN |

Über den Wert und die Berechtigung eines derart ausgebreiteten Angriffes mag wohl ein jeder denken was er will. Was mich betrifft, habe ich nie zu der mit Recht hochangesehenen Wickhoff-Schule gehürt und auch jetzt wie immer auf eigene Faust gehandelt. |

Es hat für mich keine Eile, auf die gegen meine Art und Weise und wohl auch gegen meine Person gerichteten Auslassungen Strzygowskis einzugeben, denn er läßt sich auf eine wissenschaftliche Polemik nicht ein. Dieser Aufgabe hat sich aber sein Schiiler, Artur Wachsberger, unterzogen. Seine Erwiderung wird von Strzygowski gleichfalls mitgeteilt. Gegen den Inhalt dieser Replik kann ich nicht umhin, folgendes anzuführen:

. t. Es wurde bisher deshalb nicht ausdrücklich festgestellt, daß die mittelalter- liche Kunst Chinesisch-Turkestans ein Export der chinesischen T’angkultur war, weil das eine Selbstverständlichkeit ist. Le Coq und Grünwedel behaupten durch- aus nicht das Gegenteil, sondern nur mit vollem Recht daß sowohl die figuralen als auch die dekorativen Motive dieser Kunst letzten Endes zum großen Teil von der Antike herstammen.

2. Sehr richtig bemerkt Wachsberger, daß „unserem heutigen Wissen nach das Prinzip der ursprünglichen chinesischen Ornamentik sich eher als isolierendes, denn als verbindendes erweist, daß Ornamentformen, denen in der ganzen Welt- kunst, vornehmlich in der griechischen, der innere Drang nach rhythmisch-konti- nuierlichem Fortlauf geradezu motorisch innewohnt, wie dem Mäander und dem Rankenglied, daß diese Formen mit Vorliebe starr in sich zurtickkehren und un- gebunden gereiht werden, wie Wickhoff das schon für den chinesischen Mäander beobachtet hat.“ Auch ich behauptete nicht, daß die Ranke ein grundlegendes Element der urchinesischen dekorativen Kunst sei. Ich sagte nur, daß wir „so- wohl die in Rede stehende Ranke als auch das Lambrequinmotiv auf chine- sische Vorbilder zurückführen müssen, da beide ‚die grundlegenden Elemente‘ der dekorativen Kunst sind, die uns in den Ornamenten der urchinesischen Bronzen erhalten geblieben ist.“ Die Urform der chinesischen Ranke ist meiner Meinung nach z.B. in den Kranzmotiven zu erkennen, welche die auf den Chüch genannten Bronzegefäßen angebrachten Knöpfe zieren. Man wolle nur im Po-ku-t'u-lu, Bd. 14 oder 15 nachsehen! Das Zattelmotiv kommt auf BronzegefüBen verschiedener Form unzähligemal vor. Man sehe nur die von Chavannes (Mission archéologique dans la Chine septentrionale, Pl. CCCXXII, Nr. 524) publizierte Vase und die Ana- logien bzw. verschiedenen Variationen ihres Schmuckes im Po-ku-t'u-lu, Hsi-tsing- ku-kien usw. |

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3. Ich habe selbstverstindlich nicht behauptet, daB ,in den Ideogrammen der chinesischen Schrift der Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen ist.“ Die betreffende Stelle lautet bei mir: ,Und er (Strzygowski) ist geneigt, diesen arischen Geist auch in der chinesischen Landschaftsmalerei zu entdecken ... So einfach läßt sich aber auch dieses Problem. . . nicht abtun. Es wird in der ültesten hieroglyphischen Schrift der Chinesen eine ganze Reihe von Begriffen all- gemeinen Inhalts symbolisch durch Pflanzenformen bzw. landschaftliche Andeu- tungen ausgedrückt, Begriffen, bei denen Ahnliches anzuwenden uns kaum ein- fallen würde. Man sehe daraufhin die Ideogramme bei Chalfant Early Chinese Writing für die Begriffe schwer (difficult chun, 102), Ruhm (hua, 106), herauskommen (to issue ch'u, 107), Ursprung (source of chih, 108), her- vorbringen, gebüren (shéng, 109), stehen bleiben (chih, 110), gerade, genau (chéng, 111), luxuriös (féng, 112), roh (mang 115), Ost (tung, 121), hüngend (ch'ui, 272), zerstörter Wuchs (wi, 379), nicht (pu, 380), zurückweisen, nein (fou, 381), noch picht (wei 387) ohne (mo, 388), keiner (wu, 389). In dieser Ideologie bzw. in den urzeitlichen Beobachtungen, die dazu geführt haben, ist der Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen und nicht in irgendwelchem westlichen Import ...“ Ich fühle mich freilich nach wie vor nicht veranlaBt, mich dieser meiner ,Entdeckungen humoristisch-umstiirzlerischer Art“ zu schimen. Im Gegenteil: ich habe auch weitere Beobachtungen gemacht, die meine in den obigen Zeilen angedeutete Ansicht rechtfertigen. Hoffentlich werde ich bald in der Lage sein, sie zu ergänzen und zusammenfassend darzulegen. |

Im übrigen verweise ich einstweilen auf meine Besprechung des Strzygowski- schen Werkes „Altai-Iran“ in der Zeitschrift „Türän“, 1918, Heft 1/2, Seite 97— 107.

| 2. v. Takács.

ERWIDERUNG

u dem vorstehenden Versuch einer Rechtfertigung ist zu bemerken: Es war die

4 Absicht, das zu erwartende Hin- und Herreden nutzbringend für das Fach und nicht auf Rechthaberei hinauslaufen zu lassen, als der allgemein gehaltene Titel: „Der Zustand unserer fachmännischen Beurteilung“, gewählt wurde. S. ror f. hat sich nur mit dem Vorgehen der Wiener Kollegen. beschiftigt, jetzt, da Dr. Wachs- berger unerreichbar im Orient weilt, muß ich wohl für ihn auf die vorstehend ab- gedruckten Ausfldchte antworten, so zwecklos mir das auch, soweit der Gegner іп Betracht kommt, erscheint Um wenigstens den Fachgenossen einen Gewinn zu sichern, sei gesagt, daB der in den Jahren vor dem Kriege zwischen West- und Ostasien in Chinesisch-Turkestan gefundene, unerhürt reiche Schatz bildender Kunst gestattet, die bisher in zwei Welten auseinanderfallende Kunst Eurasiens in ört- lichem Zusammenhange zu sehen. Damit konnte der für die Entwicklung unseres Faches entscheidende Schritt zur vergleichenden Kunstforschung mit dem Ziel einer Entwicklungsgeschichte unternommen werden, wie ich das in meinen beiden Werken; „Die bildende Kunst des Ostens“ und „Altai-Iran und Völkerwanderung“ versucht habe. Wenn nun oben in Punkt ı neuerdings behauptet wird, die mittelalterliche Kunst Chinesisch-Turkestans sei ein Export der chinesischen Tangkultur, aller- dings mit der drolligen Rückversicherung, „die selbst letzten Endes zum großen Teil von der Antike herstammt“ (wobei auch noch Le Coq und Grünwedel als kunsthistorische Sachverständige, überdies fälchlich, zitiert werden’), so wird der

(1) Vgl. Grünwedel, Zeitschrift für Ethnologie 41 (1909), S. 891 f. 274

klare Tatbestand ohne jeden Einblick in die Denkmiiler und ihre Wesensart auf den Kopf gestellt. Die Kunst Chinesisch-Turkestans hüngt ebenso mit Indien und dem Westen unmittelbar wie mit China zusammen. In der Tangzeit (618—906) hat sie qualitativ ibren Hóhepunkt überschritten.

In dhnlicher Weise stellt Punkt 2 China als den allein gebenden Teil der bei den nordasiatischen Nomaden verbreiteten Motive von geometrischer Ranke und Zattel- motiv hin. Was nebenbei als „Meinung“ geäußert wird, steht schon in meinem »Altai-Iran“, nur werden die Motive dort nicht als chinesisch hingestellt, sondern auf die Bronze- und Zeltarbeit der Wanderhirten zurückgeführt. Der, einfache Schlüssel ,,Alles ist chinesisch“ bedeutet nur eine neue эрен дез alten ,Alle Wege führen nach Rom“. |

Die unbedenklich auf Einfálle gestellte Arbeitsart des Gegners kommt vielleicht am deutlichsten heraus in Punkt 3. Er fand bei Chalfant eine Ableitung der chine- . sischen Schrift, die auf eine scharfe Naturbeobachtung schließen läßt; sofort sah er darin den Quell der hochentwickelten chinesischen Landschaftsmalerei. In der Tat bietet die chinesische Schrift (vgl. zuletzt Schindler, Ostasiatische Zeitschrift III 1914/15, S. 451 f.) wertvolle Belege für die Erforschung der ältesten chinesischen Kunst, so vielleicht auch für die Begabung zu landschaftlicher Beobachtung. Aber eine solche ist auch in den Hieroglyphen da, ohne daB die geistige Entwicklung der Agypter ein so unbefangenes Anschauen, wie es bei den Chinesen in der Blütezeit ihrer Kunst zu finden ist, zugelassen hätte. Es kommt auf die geschicht, liche Gestaltung der Verhältnisse und nicht auf die Begabung der Chinesen an, insbesondere inwieweit die Macht der Kunst Freiheit der Entfaltung lie&. Ob Wachsberger daher die Schrift selbst oder ihre Voraussetzung nannte, läuft auf das gleiche hinaus.

Was die „Besprechung“ meines „Altai-Iran“ in der Zeitschrift „Turan“ anbelangt, so ist sie von genau der gleichen Art, die Wachsberger oben, S. 103 f., zur Genlige gekennzeichnet hat,

J. Strzygowski.

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REZENSIONEN

BERTHOLD DAUN, Veit Stoß und seine Schule. Zweite, völlig umgestal- tete und erweiterte Auflage. Leipzig 1916. K. W. Hiersemann. 8% 248 S. m. 108 Abb.

Daune Stoßstudien, die sum erstenmal 1903 er- schienen und durch ihr Eingehen auf die Arbei- ten des Meisters und seiner Werkstattgenossen auSerhalb Nirnberge und Krakaus, die Benutzung der polnischen Literatur und neue Abbildungen vorteilhaft aufflelen, liegen jetzt nach 13 Jahren in zweiter, wesentlich erweiterter und umgearbei- teter Auflage vor. Inzwischen hatte Ptasnik im Kra- kauer Jahrbuch die auf Stoß’ dortigen Aufenthalt besüglichen Urkunden, Franz Kopera die Krakauer Arbeiten des Meisters in vortrefflichen Lichtdrucken publiziert, vor allem aber war 1912 in Leipzig bei Zeitier ein umfassendes Werk über Veit Stoß, die Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben erschienen, das auf lange Zeit die Stoßforschung absuschlie&en schien und das gesamte Quellen- material zu ungekürstem Abdruck brachte. Maz Lossnitzer, der sich mit dieser reifen und me- thodisch mustergültigen Monographie in vorteil- haftester Weise in die Wissenschaft einführte, flel als eines der ersten Opfer des Weltkrieges im jugendlichen Alter von 26 Jahren am 9. Septem- ber 1914 bei Chálons, aufrichtig betrauert von allen Fachgenossen, die ihn und seine zu so schónen Hoffnungen berechtigende Erstlingsarbeit kennen gelernt. Es berührt wenig sympathisch, wenn Daun im einleitenden Kapitel seines Buches für diese Arbeit, an der er schlechterdings nicht vorübergehen kann, nur Worte lauer An- erkennung findet und mit nicht mißzuverstehender Absicht in unmittelbarem Anschluß daran es als Hauptaufgabe seiner Neubearbeitung bezeichnet, das ,Stofmaterial von haltlosen Hypothesen zu reinigen“. Jeder unbefangene Vergleich lehrt viel- mehr, daß die Umgestaltung und Erweiterung von Dauns Buch in erster Linie auf Lossnitsers Arbeit im guten, auf Dauns eigene im weniger guten Sinne zurückzuführen ist. Losenitzer war es, der zuerst eine Ableitung von Stoß’ Stil aus der frán- kischen und Passauer Skulptur auch aus den Werken des Hans Brandt, Nicolaus Gerhart van Leyen und Simon Laimberger mit Glück ver- suchte, der seine Sonderart mit scharfem Blick und Ausdruck kennzeichnete, der mit erstaun- licher Griindlichkeit allen Spuren nachging, die in Urkunden oder Denkmälern weitesten Um-

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kreises sich boten, kurz, ein selbständiges, abge- rundetes und lebensvolles Bild des Meisters hin- stellte, wo Daun mit unsicheren Strichen an einer Charakteristik herumgebosselt und sich allzusehr an die ältere, zum Teil völlig unkritische Literatur geklammert hatte, um sie dann hämisch zu glos- sieren. Die neue Auflage von Dauns Buch, dessen Inhalt inzwischen in einer Knackfußmonographie 1906 noch einmal dem größeren Publikum in ge- drängter Form vorgesetzt wurde, zeigt leider die Schwächen seiner früheren Arbeitsweise, den Mangel an Festigkeit des Urteile und des Aus- druckes in wenig empfehlender Wiederkehr. Begreiflicherweise sind die 248 Seiten des vom Verleger vornehm ausgestatteten Bandes vor- wiegend mit Auseinandersetzungen gefüllt, die

Lossnitsers und anderer jüngerer StoBforscher An-

sichten und Zuschreibungen teils anfechten, teils ihnen mit sauersüßer Miene Gerechtigkeit wieder- fahren lassen.

In einem solchen Streit der Meinungen von Fall su Fall Stellung nehmen, bieñe, ein weiteres dickes Buch über StoB schreiben wollen, wozu ich weder Neigung noch Beruf fühle, und hier nicht der Platz ist. Es wird meines Erachtens stets ein mehr oder weniger vergebliches Bemiihen bleiben, aus der großen Zahl von Arbeiten, die unter dem Namen des früh kapitalkräftigen, skrupellosen Großunter- nebmers Veit Stoß seine Werkstatt verließen, die eigenbindigen von Gesellenwerken mit voller Gewißheit zu scheiden. Dazu bedürfte es wenig- stens eines einzigen Stückes, bei dem die aus- schließliche Ausführung durch den Meister über jeden Zweifel erhaben ist. Die Meistermarke an sich bietet dazu keine genügende Handhabe, so wenig wie eine Urkunde, die Auftrag oder Be- zahlung an den Unternehmer richtet. Es wird sich vielmehr immer nur darum handeln können, aus der großen Masse, die den allgemeinen Stilbegriff „Stoßischer Kunst" verkörpert, die wertvollsten und von persönlichem Kunstwillen am stärksten er- fülten Stücke heraussuheben und als Werke des Meisters hinzustellen oder, wie Liebermann ein- mal es witzig ausdrückte: es ist Aufgabe der Kunstgeschichte, den Künstlern, wenn sie einmal tot sind, ihre schlechten Werke abzusprechen, Dazu gehört ein Blick für Qualitäten, den ich in Lossnitzers Darlegungen eher zu erkennen ver- mag, als in denen Dauns. Jedenfalls versteht jener die objektiven Beweismittel für seine An- Sicht klarer und überseugender su verdeutlichen,

und Daun kann Lossnitzers angeblich „haltlose

Hypothesen“, z. B. über die Mitwirkung von Gesellenhinden an dem grofen Krakauer Marien- altar nicht einfach durch Fragezeichen und un- begründete gegenteilige Geschmacksurteile (8. 28) aus der Welt schaffen, zumal bei einem Werk von dem Umfang und der Zeitdauer des Krakauer Altars ganz selbstverstindlich weitgehende Ge- sellenarbeit anzunehmen ist und die Namen von Gehilfen direkt in den Urkunden genannt werden. Hier bat Lossnitzer mit Recht eingesetzt, um Meisterwerk und Gesellenarbeit zu trennen. Ebenso móchte ich mit L. an die Mitwirkung von Jerg Huber an den Steingrabplatten in Gnesen und Wioclawek glauben, wobei nicht zu übersehen ist, da6 das schwer zu behandelnde Material Salzburger oder ungarischer Rotmarmor eine da- für besonders geschulte Hand voraussetzte!).

Der Umstand, daß Stoß auch als Stecher tätig war, spricht ohnehin für die Wahrscheinlichkeit, daß or wie andere Meister der Zeit zeichnerische Visierungen, wie sie sich in Krakau und Budapest erhalten haben, seinen Werkstattgesellen zur Aus- führung überließ. Damit wird die stilkritische Sichtung in vielen Fällen noch schwieriger, ja nahezu aussichtslos. Wer freilich, wie Daun das heute verschollene Marientodrelief der Samm- lung Streit in Kissingen (S. 44) als eigenhindiges Frühwerk Stoß’s ansieht, dürfte meines Erachtens auch die bekannte Rosenkranztafel im Germani- schen Museum nicht in den Orkus der Schul- arbeiten (S. 127 ff.) verbannen. Lossnitzers Aufstel- lung eines eigenen Meisters für die letztere, an Dürer- sche und schwübische Vorbilder erinnernde Schnitze- rei vermügen die gewundenen Gegenargumente Dauns nicht zu erschüttern. Und so wird wohl Daun bei vielen Arbeiten, die er wie z. B. die Glogauer Steinfiguren für Stoß retten möchte schwerlich auf Zustimmung rechnen dürfen. Daß die Manier des Meisters durch seine zahlreichen Söhne, Gehilfen und Schüler sich schnell und weithin besonders im Osten verbreitete, zeigen z. B. in der Provinz Posen auf Schritt und Tritt Beispiele, die derselben Beachtung wert sind, wie sie Daun einigen willkürlich herausgegriffenen angedeihen

(1) Hier sei eingeschaltet, daß der kujawische Bischof, den Daun hartnäckig Pietro Bnina nennt, Piotr Mossynski hieß und nur aus Bnin, einem Städtchen der heutigen Provinz Posen, stammte (geb. ca. 1430, 1481 - 83 Custos der Kathe- drale zu Gnesen, später Bischof von Przsemysi und ge- storben 1493 als Bischof von Wioclawek). Das Schloß „Vino, auf dem Sbignew Olesniecki den widerspenstigen Schnitzer Hans 1486 gefangen setste (S. 19), dürfte Uniejow (a. d. Warthe, im Gouvernement Kalisch gelegen), ein Lieblingssits der Gnesener Ersbischüfe im 15. Jahrhundert, sein.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jabrg. XI, 1918, Heft 6

läßt. Dazu sei bemerkt, daß über den Altar der katholischen Pfarrkirche su Koschmin Dr. Horn im Repertorium 1915, über die schlesiscben Schnitz- werke der Stoßschule Prof. Patzak in der Zeitschrift für christliche Kunst 1916 Studien veröffentlicht haben, die Daun, der sonst die Literatur sehr ge- wissenhaft verfolgt, entgangen sind.

Dankbar zu begrüßen ist es, daß es dem Ver- fasser gelang, in Meister Paul“ und dem iltesten Sohn des Veit Stoß, Stanislaus, zwei Individuali- täten der Stoßschule schärfer zu umreißen, als es bisher geschehen, Hier stimme ich ihm auch hinsichtlich des Torrigiani-Engels in der Jakobs- kirche zu Nürnberg zu, den er mit Dehio für Stanislaus Stoß reklamiert, während ihn Loss- nitzer als Arbeit des Vaters bezeichnete. Das weitentwickelte, breite Schönheitsideal, die gelöste Bewegung und auch die Einzelformen passen besser zu der Vorstellung, die wir uns von der Kunst des talentvollsten unter Veits Söhnen bilden, der aber unmöglich zugleich für die ganz anders geartete Münnerstädter Kreuzigungsgruppe (8. 96) verantwortlich gemacht werden kann.

Auch für die Ausführungen über die Schnitz- arbeiten der Wolgemutwerkstatt (S. 214 ff.) dürfen wir Daun danken, wenngleich eine straffere Ökono- mie seiner Arbeit deren Weglassen gefordert hätte. Daß er die Frage der Vischerschen Grabplatten mit in seine Auseinandersetzungen hineinzieht (S. 52 ff.), belastet diese nach meinem Dafürhalten unnötig und trägt nur zur Verunklärung des ohnehin so schwer zu gewinnenden Bildes von StoBischer Eigenart bei. Hier sind vielleicht neue Aufschlüsse

von Dr. Dettloff, der sich mit einer gründlichen

Dissertation über den Entwurf Peter Vischers zum Sebaldusgrab von 1488 (Posen 1915) vorteilbaft eingeführt hat, demnächst zu erwarten.

All diese Exkurse, die die Aufmerksamkeit des Lesers von dem wesentlichen Inhalt des Buches ablenken und. die Geschlossenheit der Darstellung stören, sind nicht nur Schönheitsfehler, sie lassen vielmehr erkennen, daß es dem Verfasser noch nicht gelungen ist, den gewiß schwer zu bän- digenden Stoff so zu durchdringen und zu formen, wie es für eine abschließende Arbeit unerläßlich wäre. Bei aller Anerkennung des bewiesenen Sammeleifers muß das Fehlen scharf sichtender Kritik bedauert werden. Sie allein kann aus Zwei- feln zur Wahrheit führen und läßt sich wohl mit Vorsicht verbinden. Nur daß Vorsicht allein es nicht tut, zumal diese Mutter der Weisheit oft keinen Grund hat, auf ihre eigenen Ahnen stolz zu sein.

Kaemmerer,

12 177

EMILE BERNARD, Erinnerungen an Paul Cézanne. Benno Schwabe & Co. Basel 1917.

Die Erinnerungen entstanden 1904, gelegentlich eines Besuchs Bernards bei dem alternden Cézanne, der sich in fast krankbafter Menschenscheu die letzten siebenundzwanzig Jahre seines Lebens von den Menschen fern hielt. Weil er in jungen Jahren einmal für den Meister literarisch eingetreten war, gelang es B., das Vertrauen und die Zuneigung des einsamen Sonderlings zu gewinnen. So sind denn seine Aufzeichnungen zusammen mit dem Briefwechsel, der sich an diesen und einen zweiten Besuch anschloß, interessante Dokumente für das Leben des für die moderne Kunst so wichtig ge- wordenen Mannes. Wir erfahren manches über seine eingezogene Lebensweise und den Kampf, den der Alternde mit dem Kérperlichen zu be- stehen hatte, über die Zusammensetzung seiner Palette und seine Arbeitsweise, die mit denSchatten- partien anfing, zuerst leichte, fast neutrale Tóne anschlug, um dann in beständiger Steigerung der Skala mit stürkerem Konzentrieren der Halbtóne fortzufabren. Das eigenartig kleinstüdtische Be- denken, das Cézanne gegen die Verwendung des weiblichen Modells hegte, mag befremden, aber gelegentliche Schwerfälligkeiten seiner Formgebung weiblicher Akte werden dadurch erklärt. Cézannes Beziehungen zu Zola werden leicht gestreift, wir hören von den Malern und Dichtern, die er liebte von seiner Bewunderung der Venetianer und der ablehnenderen Haltung gegen die Primitiven. Be- sonders auffallend ist Cézannes ungünstiges Ur- teil über Gauguin, „der nur chinesische Bildchen gemacht“. Die besonderen Züge seiner Perspektive und Optik erklärte Cézanne mit der Mangelhaftigkeit seiner Augen. Gerne hätte man von Bernard noch etwas Ausführlicheres über Cézannes Stellung zum Räumlichen gehört, als die wenigen, eingestreuten Bemerkungen, die kein klares Bild hierüber er- geben. Ein bisher unpubliziertes Porträt Cézannes von Bernards Hand ist der durch Hans Graber be- sorgten Übertragung beigegeben, deren Wert noch dadurch gesteigert ist, daß die französische Auf- lage, eine teure und in der Anzahl beschränkte Biblio- philenausgabe, heute vergriffen ist, Hans Kahns.

REMBRANDT, Handzeichnungen, herausgegeben von Carl Neumann, mit vierundneunzig Abbildungen. R. Piper & Co. Verlag. München 1918.

Rembrandt als Zeichner dem kunstliebenden Laien nüherzubringen und dem Wissenschaftler, der nicht in der Lage ist, sich die Ausgabe von Lippmann und Hofstede de Groot für seine Prívat- bibliothek anzuschaffen, die Móglichkeit zu bieten, Abbildungen stets bei der Hand zu haben, ist gewiß ein großes Verdienst. Die Auswahl unter der überreichen Fülle ist besonders glücklich. Gegenüberstellungen wie die beiden Fassungen des Abendmahls in Dresden und Berlin, der An- kunft des barmherzigen Samariters in London und Amsterdam oder der in Behandlung des Hinter- grundes verwandten Beschneidung Christi in München und der Szene aus dem batavischen

‚Unabhängigkeitskampf (ebenda) sind sehr auf-

schlußreich.

Der Vergleich mit den vor zwölf Jahren von Graul (Fünfzig Zeichnungen von Rembrandt, aus- gewählt und eingeleitet von Richard Graul, Leipzig 1906) herausgegebenen Rembrandtzeichnungen drängt sich auf. In kaum zehn Fällen sind die

gleichen Blätter reproduziert, die von Neumann

getroffene Auswahl ist sehr viel charakteristischer und die Abbildungen besser.

Neumann gliedert Rembrandts Zeichnungen in drei Stilperioden und umschreibt seine im Laufe der Jahre wechselnde Art zu zeichnen in fein- sinniger Weise. Nicht immer gehen Maler und Zeichner die gleichen Wege, der junge Rembrandt ist gelegentlich als Zeichner dem Maler überlegen. Bei den Abbildungen unterscheidet Neumann zwi- schen Einzelstudien, die meist nach der Natur ge- zeichnet sind, und Kompositionen. Innerhalb dieser Reiben, die in Unterabteilungen zerfallen, beob- achtet er die zeitliche Abfolge. Eine dritte, „Zur Kritik“ benannte Abteilung umfaßt das Original des unartigen Kindes in Berlin, die Kopie des gleichen Blattes in Budapest und vier Zeichnungen mit späteren Korrekturen.

Rosa Schapire.

178

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DER CICERONE.

X, oho | HEDWIG KUSEL: Antikes Kunstgewerbe im Hamburger Museum für Kunst u. Gewerbe. (18 Abb.)

HANS WAHLIN: Ein neuentdecktes Lutherbild. (1 Abb.)

CONRAD STRAUSS: Die Kari Heinrichsche Fayencefabrik zu Frankfurt a/O.

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KUNST UND KÛNSTLER.

XVI, 8.

MAX J. FRIEDLAENDER: EE EN Kunst- historie und Ästhetik,

KARL SCHEFFLER: Eiternbildnisse. (8 Abb.)

GRETE RING: Das Kunstwerk im Museum und

an seinem geschichtlichen Standort.

WERNER WEISBACH; Mathias Grünewald I. (9 Abb.)

ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.

XXIX, 8.

MAX LEHRS: Alfred Lichtwarke Briefe. (r Abb.) KARL SIMON: Aus Peter von Cornelius’ Frank- furter Tagen. (8 Abb.)

P. SCHUMANN: Arbeit Wohlstand Schön- heit, Ein neues Monumentalgemälde Max Klingers. (z Tafel, x Abb.)

ZEITSCHR.FÜRCHRISTLICHE KUNST.

XXX, 11/12.

ADOLF DYROFF: Über die Bedeutung des Stup- pacher Marienbildes von M. Grünewald. (1 Taf) HEINRICH OIDTMANN: Alte Glasmalereien eines spitgotischen Portaloberlichtes in der ehemaligen Klosterkirche zu Niederwerth bei Coblenz a/Rh. (1 Abb.)

J. A. ENDRES: Die Darstellung der Gregorius- messe im Mittelalter. (2 Abb.)

DIE KUNST.

XIX, 8.

FRIEDRICH BACK: Carl Bantzer. (1 farb. Taf., 13 Abb.)

KURT REINHARDT: Die neue religióse Malerei. Q. J. WOLF: Altmünchner Bilder. (ro Abb.)

J. BETH: Max Slevogts Fries für ein Musik- zimmer. (3 Abb.)

J. BETH: Renée Sintenis. (9 Abb.)

J. BETH: Auktionseilhouetten.

HERMANN SCHMITZ: Das Haus Hirsch in Messingwerk bei Eberswalde von Architekt Paul Mebes-Berlin. (9 Taf., 16 Abb.)

FRITZ HOEBER: Die Aufgabe der Baukunst in der Kultur unserer Zeit.

BERLINER MUNZBLATTER.

XXXIX, 197.

Dr. A. KRENKEL: Kriegsgeld von Deutsch-Ost- afrika. (3 Abb.)

EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als Kurbranden- burgische Münzstätte. (3 Abb.)

Dr. PHIL, LEDERER: Selge.

L. v. L.: Das deutsche Notgeld 1916—1918.

MITTEILUNGEN DES VERBANDES DES DEUTSCHEN KUNST- UND ANTI- QUITATENHANDELS.

I, 2.

Zur Frage eines Ausfubrverbotes von Kunstwerken. M. Original, Replik und Kopie.

GÜNTHER KOCH: Echtheitszweifel.

OUDE KUNST.

Ш, 7.

HIDDE NIJLAND: Hindeloopen. (11 Abb.)

N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten. (r: Abb.) J. W. ENSCHEDÉ: Al is ons Prinsje nog zo klein, 8. KALFF: De Schilder Frans Post. (a Abb.) Kunstwerken in deNalatenschap van Hans Bouwers.

XI. Jahrgang, Heft 6.

Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN,

z.Zt. im

Felde. Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, Uhlandstraße 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINK- HARDT & BIERMANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. | In ÓSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. | In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.

Geschiiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.

Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be- stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 18, Uhland- straße 158 zu richten.

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. i

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Kunstgeschichte der romanischen Lander

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Kurt Badt, Andrea Solario, sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte der Lombardei. Mit 21 Tafeln in Lichtdruck M. 20.—. à

I. Teil: Bericht über die Literatur. II. Teil: Die Persönlichkeit. Ш. Teil: Das Werk. IV. Teil: Die Kunst des Andrea Solario. ` ` e

Lu ee аа аара ааа ааа ааа ааа ааа аана ара аараан Fritz Burger, Die Villen des Andrea Palladio. EinBeitrag zur Entwidklungsgeschichte der Renaissance-Architektur. Mit einem Titelbild u. 48 Tafeln. Geh. M. 12.—, geb. M. 14.—. | ... Burgers Werk hat eines der sdiwerwiegendsten Probleme der Ardtitekturgeschichte endgültig der L sung nahe gebracht, und damit wird das Buch für jeden Kunsthistoriker, Architekten, selbst für Archäologen, die die Beziehungen der Antike zur Renaissance auf dem Gebiete der Baukunst inter- | essieren, unentbehrlich“, tu

Konrad Escher, Barock und Klassizismus. Studien zur Geschichte

der Architektur Roms. Mit 21 Tafeln. Geh. M. 12.—, geb. M. 14.—.

„Der Verfasser will mit seiner Arbeit auch weiteren Kreisen das richtige Verständnis für die Würdigung der Monumente des römischen Barocks vermitteln, indem er auf den von Heinridı Wölfflin in seiner ‚Klassischen Kunst‘ gewiesenen Wegen weitergeht. Er gibt für die von ihm behandelte Zeit die leiten- den Gesichtspunkte und Analysen der wichtigsten Monumente und legt dabei das Hauptgewicht auf den Unterschied der drei Perioden: der frühen, der reifen und der ausgehenden klassizistischen Zeit des Barock“.

Fritz Goldschmidt, Pontormo, Rosso and Bronzino. Ein Versuch zur Geschichte der Raumdarstellung. Mit 11 Tafeln. Geh. M. 7.—.

Hans Timoteus Kroeber, Die Einzelporträts des Sandro Boticelli. mit 12 Tafeln. Geh. M. 5.—, geb. M. 6.—.

Hug. L. Mayer, Die Sevillaner Malerschule. Beiträge zu ihrer

Geschichte. Mit 60 Tafeln. Geh. M. 20.—, geb. M. 22.50. š

„Zur Klärung mancher verwickelten Fragen, als Anregung zu eingehender teg A) deutscher Kunst-

historiker mit der spanischen Kunst ist Mayers Buch eine überaus wertvolle Ersa deer éi = Т nch. Neueste Nachr.

Aug. L. Mayer, Geschichte der spanischen Malerei.

2 Bünde mit 285 Abbildungen. Geh. M. 40.—, geb. M. 43.—. „Wo größere Arbeiten über einzelne Meister schon vorliegen, hat Mayer sich ziemlich kurz gefaßt, etwas breiter sind solche Künstler behandelt, die bisher namentlich in deutscher Sprache, nodi keine richtige Einschätzung erfahren haben. Nur so war es móglidi, in zwei Bänden wirklich eine Geschichte der spanischen Malerei, an Stelle einer Sammlung von nze anhand ungen über die ragencen Gipfel Zurbaran, Murillo, Velasquez usw. zu geben. Die Darstellung Mayers ist nicht so „brillant“, wie die einiger sehr beliebten Kunstgeschichten, aber was ihr an feuilletonistishem Glanz abgeht, wiegt sie reichlich durch dn ruhiges, abgeklürtes Urteil auf. Es kommt ihr stets auf die Sache und nicht auf gasireiche Pin- e an“. n. Zeitung.

ENS DE ы ш с е к к MEME I Uy LT W. H. von der Mülbe, Die Darstellung des jüngsten

Gerichts an den romanischen und gotishen Kirdienportalen Frankreidis.

Mit 15 Tafeln. Geh. M. 4.80, geb. M. 6.—. ` : Ç Die Weltgerichtsbilder an französischen Kirchen sind nach zwei Seiten hin interessant: Einmal durdi die Art wie sie die Darstellung anderer Länder beeinflußt haben, dann aber auch an sich durch die logische Entwicklung des Themas, die zu elner feststehenden Darstellungsweise führte, zu einem un- zertrennlichen Glied der französischen Gotik überhaupt. Erst auf Grund dieser Dokumente französischer Kunstgeschichte wird auch das Weltgerichtsbild außerhalb Frankreichs verständlich.

Julius Vogel, Bramante und Raffael. Ein Beitrag zur Geschichte der

Renaissance in Rom. Mit 6 Tafeln. Geh. M. 5.—, geb. M. 6.50. Der Verfasser bietet in seinen Ausführungen einen Beitrag zu der wichtigen Frage der Erhaltung der römischen Baudenkmäler des klassischen Altertums im Zeitalter der Renaissance. Grundlage seiner Untersuchung bildet eine mehrfach schon besprochene Münchner Handschrift über den Zustand der rúmi- schen Ruinenwelt, die bisher meist Raffael zugeschrieben wurde, nach dem Verfasser aber von keinem anderen als dem großen Bramante, dem Baumeister von Sankt Peter, stammt. Der Verfasser sucht nachzuweisen, daß Raffaels Name überhaupt mit der Erhaltung der römischen Baudenkmäler nicht zu- sammenhängt, daß der Künstler überhaupt kein gesetzlich bestellter Kommissar gewesen ist. Im Mittel- punkt der ganzen Bestrebung, die die Miinchner Handschrift so bedeutungsvoll charakterisiert, steht vielmehr Bramante und sein Auftraggeber, der große Papst Julius II.

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VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG

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Tafel 38

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Grabmal Clemens V. in Uzeste

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Grabmal Benedicts XII. in Avignon (Ursprünglicher Zustand)

Abb. 4.

Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON

Grabstein Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon

Abb. 8.

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Sogenanntes Grabmal Benedikts XII. in Avignon

Nach einer Originalaufnahme von Professor Hamann-Marburg

Abb. s.

Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON

M. f. K., XL, 6

Tafel 41

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Grabmal Clemens VI. in La Chaise-Dieu

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Grabmal Clemens VI. in La Chaise-Dieu (Restauration)

Abb. 7.

Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER

DER PAPSTE VON AVIGNON

Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon (Restauration)

Abb. g.

M. f K., XI., 6

Tafel 42

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Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon

Abb. 10.

ERNST STEINMANN, DIE GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON

Zu:

M. f. K., XI., 6

Tafel 43

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Abb. rr. Grabmal Urbans V. in St.-Victor in Marseille

Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON

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ONATSHEF TE.

Monatshefte fur Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjührlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 7

ABHANDLUNGEN

HERMANN EHRENBERG, Ant. Müller, Der Maler von Danzig. Ein Beitrag zur Kenntnis des Einflusses der ita- lienischen und der niederlündischen Kunst auf die deutsche Malerei der Spütrenaissance. Mit 3 Abbildungen auf 2 Tafeln

VALERIAN VON LOGA, Spanische Maler des 15.Jahrhunderts in Neapel. Mit a Abbildungen auf 2 Tafeln . 191

ROBERT WEST, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassen- kampfes innerhalb der abendländischen Kulturwelt. (Schluß)

MISZELLEN

Gustav Sommerfeldt, Das Krodelbild Nr. 1958 der Königl. Gemäldegalerie zu Dresden S. 202

REZENSIONEN

Wilhelm Thomsen, Une inscription de la trouvaille d'or de Nagy-Szent-Miklös (— Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskab, Historisk-

A.S.DREY

Kóniglidi Bayer. Hoflieferant

MÜNCHEN

Maximilianplatz Nr.7

Paris, 55 avenue des Champs Elysées.

filologiske Meddelelser: I, 1) Kobenhavn, 1917, 28 Seiten (Dr. Supka) .

J. Vogel, Otto Greiners graphische Arbeiten in Lithographie, Stich und Radierung. Wissen- schaftl. Verzeichnis von Julius Vogel mit 40 Tafeln in Lichtdruck. Dresden, E. Arnold. 4°. 1917 (Singer)

Hermann Cohen, Asthetik des reinen Gefühls. 2 Bde. Berlin, Bruno Cassirer, 1912 (Bieber)

S. 205

Arpad Weixlgártner, August Pettenkofen. Herausgegeben vom k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Zwei Teile. Wien 1918. Ger- lach u. Wiedling (Uhde-Bernays) . . . 8. 207

Otto Glauning: Neveu und der Raub Nürn- berger Kunst- u. Bücherschätze im Jahre 1801. In den Mitteil. des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. XXII (1918), S. 174—243 (Ernst Steinmann) °

Hans W. Singer, Handbuch für Kupferstich- sammlungen, Vorschlige zu deren Anlage u. Führung. Hiersemanns Handbücher, Bd. IX. Leipzig 1916 (H. Wolff) S. 209

Wilhelm Waetzold, Deutsche Malerei seit 1870. Mit 55 Abb. Verlag von Quelle & Meyer. Leipzig 1918 (Georg Biermann) . . S. 209

Ausstellung

kostbarer Antiquitáten + Ein- und

Verkauf wertvoller Skulpturen, Gemálde, Porzellane, Móbel und Antiquitáten jeder Art.

AN TON MOLLER, DER MALER von DANZIG.

EIN BEITRAG ZUR KENNTNIS DES EINFLUSSES DER ITA- LIENISCHEN UND DER NIEDERLANDISCHEN KUNST AUF DIE DEUTSCHE MALEREI DER SPATRENAISSANCE

Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von HERMANN EHRENBERG

m die Wende des 16. zym 17. Jahrhundert lebte in der damals reich auf- blühenden Hansastadt Danzig ein Maler, namens Anton Miller, der durch die Gediegenheit nnd Vielseitigkeit seiner Tätigkeit weit über zahlreiche Künstler in Deutschland hervorragte und schon längst eine eingehende Würdigung verdient hitte. Ich selbst habe mich jahrelang mit einem solchen Plane getragen, habe viel Stoff hierfür gesammelt und bin nur durch das Zusammentreffen verschiedener ungünstiger Umstünde an der vülligen Ausführung meiner Absicht behindert worden. Jetzt hat nun ein jüngerer Kunsthistoriker, Walter Gyssling, sich dieser Arbeit unterzogen (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 197, Straßburg i. Elsaß, Heitz und Mündel, 1917) und hat dies mit so viel Liebe und mit so eindringendem Verstündnis getan, daB ich mich meiner selbstgestellten Aufgabe tiberhoben er- achten würde!) wenn nicht eine nach meiner Meinung irrige Auffassung durch die ganze Arbeit hindurchginge, die für die Kenntnis und Beurteilung der allgemeinen künstlerischen Entwicklung Deutschlands in jener Zeit von einer nicht unerheb- lichen Bedeutung ist, und wenn ich nicht zugleich ein weiteres wichtiges Werk Möllers bekanntgeben könnte!).

Gyssling hat sich durch die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts verleiten lassen, eine größere italienische Reise unseres Malers anzunehmen und in ihr den Kern und Angelpunkt für seine Würdigung zu erkennen. Ausdrücklich erblickt er in seinen Ausführungen über die „italienisch-renaissancistische Befruchtung“ der

(1) Sein Verdienst ist um so anerkennenswerter, als er die Arbeit während des Heeresdienstes fertig gestellt hat. Man wird deshalb eher, als es sonst der Fall sein dürfte, geneigt sein, die zahlreichen, zum Teil geradezu entsetzlichen Fremdwörter mit Nachsicht aufzunehmen. Auch Jassen sich sach- liche Versehen und Druckfehler auf diese Weise am besten entschuldigen. Z. B. soll Georg Penz in Königsberg gestorben sein (Seite 16), während dieser Künstler bereits auf der Reise dorthin endete (vgl. Ehrenberg, Die Kunst am Hofe der Herzöge von Preußen). Und Paolo Veronese war 1601 nicht mehr am Leben (er starb 1588), als Möller sein Bild vom Zinsgroschen malte (S. 100). Ledig= lich eine Wiederholung früherer Irrtümer ist es, wenn er (8. 6) meint, йай die oberdeutsche Kunst relativ spät in Danzig eingedrungen sei. Ich beabsichtige, dies demnächst an anderer Stelle zu wider- legen, das Gegenteil ist richtig.

(a) Leider iet es mir nicht geglückt, ein auch von Gyssling (S. 139f.) erwähntes Gemälde Möllers, welches im amtlichen Auftrag die Stadt Danzig schilderte und 1600 als Geschenk dem venesianischen Staatssekretär Marco Ottobuono übergeben wurde, in Italien zu ermitteln. Meine eingehenden Nach- forschungen nach dem Bilde sind erfolglos geblieben; die Hoffnung, daß es sich doch noch an irgend einer versteckten Stelle finden werde, ist indessen nicht aufzugeben. Das ausgeseichnete Bild der Stadt Danzig vom Anfang des 17. Jahrhunderts (?), das sich im Danziger Stadtmuseum befindet, hat nicht das mindeste mit Müller zu tun. Bei dieser Gelegenheit mëchte ich dem dringenden Wuneche Ausdruck geben, daß die beiden im Kassenzimmer des Rathauses vorhandenen, ganz verschmutsten und verdunkelten Gemälde Möllers endlich einmal sachgemäß gereinigt würden. Die Kosten bierfür sind gering, und eine Stadt, die mit Recht so stolz auf ihre Vergangenheit ist und stets bedeutende Summen für die Erhaltung ihrer eigenartigen Schönheit ausgegeben hat, wird gewiß gern auch diese wichtigen Denkmale ihrer Vergangenheit wieder an das Licht des Tages ziehen wollen.

Monatahefte fir Kunstwiesenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft 7 13 181

niederdeutschen Malerei einen Hauptzweck seines Buches. Anton Miller soll die nordostdeutsche Parallelerscheinung fiir siiddeutsche Kiinstler, wie Joseph Heintz und Rottenhammer sein. Man sieht, es handelt sich um einen Lehrsatz, der zwar nicht von welterschiitternder Bedeutung, aber immerhin wichtig genug ist, um gründlich erürtert zu werden. Gyssling hat viel Beweise herbeigebracht und sie geschickt gruppiert, der Fernstehende kann von ihnen geblendet werden, es wird deshalb nútig sein, sie eingehend zu widerlegen. Ich schicke den Lebenslauf des Malers mit kurzen Worten voraus.

Anton Möller wurde etwa 1563 in Königsberg ais Sohn des herzoglich preuBi- schen Hofbarbiers und Hofwundarztes geboren. Über seine erste Jugend ist nichts näheres bekannt. Doch wuchs er am herzoglichen Hofe in guter künstlerischer Umgebung auf und wird durch die damals noch nachklingende Tätigkeit des kunst- begeisterten Herzogs Albrecht mächtig angeregt worden sein. Später siedelte er nach Danzig über, wo er nach Gs Meinung etwa 1586/7 weilte, um 1588 auf 2—3 Jahre nach Italien zu reisen. Vor diese angebliche Fahrt füllt das groBe Altarbild, das er für die Steindammer Kirche in Königsberg schuf, sowie eine Kirmesschilderung, die er laut Inschrift 1587 in Marienberg in Westpreußen zeich- nete. Im Jahre 1590, also nach der angeblichen Reise, malte er eine Folge von Aposteln größten Formats. Es folgten kleinere Arbeiten, ferner vier Gemälde für das Kassenzimmer des Danziger Rathauses (1601), eine Holzschnittfolge mit Dan- ziger Frauentrachten (1601), sein berühmtestes Werk, das Jüngste Gericht im Artushof (1602/3), eine große Tafel mit den Werken der Barmherzigkeit in der Danziger Marienkirche (1607), eine Altarmalerei für die Danziger Katharinenkirche (1609) und das Epitaph für den Oberburggrafen Wolf von Wernsdorf und Gemahlin im Königsberger Dom. Im Januar 1611 ist Möller gestorben.

Für die italienische Reise führt Gyssling zwei Zeugnisse an, die er urkundlich (dokumentarisch) nennt, die aber urkundlichen Charakter nicht besitzen. Das eine ist eine Nachricht aus dem Jahre 1741. Ein Danziger Sammler, Andreas Schott, hat damals in seinen Kollektaneen erwähnt, daß Möller von Danzig aus eine Reise nach Venedig unternommen habe. Woher Schott diese Nachricht hatte, wird nicht gesagt. Sie ist überhaupt nicht nachzuprüfen, da die Kollektaneen heute nicht mehr auffindbar sind. Und da: Sie volle Jahrhunderte nach dem fraglichen Ereignis niedergeschrieben ist, und da es damals gleichsam in der Luft lag, eine Reise nach derjenigen Stadt, die als ein Hauptsitz der Malerei und als schönstes Ziel fast jedes jungen Künstlers galt, für einen beachtenswerten Maler ohne weiteres anzunehmen, so kann der Schottschen Nachricht bis auf weiteres irgendeine Be- weiskraft nicht beigemessen werden.

Die zweite Nachricht ist wertvoller, sie ist unter allen Umständen eine will- kommene Ermittlung Gysslings, wenn sie auch anders zu deuten ist, als er es tut. Lancellotti, der Prior des bei Siena belegenen, berühmten Klosters Mont’ Oliveto Maggiore sagt in einem 1636 in vierter Auflage in Venedig erschienenen Werke’): „Anton Moler erzählte vor noch nicht 50 Jahren, in der Stadt Danzig in Preußen mit eigenen Augen ein höchst sinnreiches Kunstwerk gesehen zu haben, vermöge dessen man .... Webstühle. . .. treiben konnte.“ Gyssling meint, daB an der Identität dieses Anton Moler mit unserm Anton Möller kaum ein Zweifel erlaubt sei und folgert hieraus, daß unser Künstler Mont’ Oliveto Maggiore, und sonach

( Die von Gysaling angeführte italienische Literatur nachzuprüfen, dürfte nur in Italien selbst mög- lich sein, ist somit während des Krieges ausgeschlossen.

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Mittel-Italien, besucht habe, 1586 (so Jahre vor 1636) aber noch in Danzig gewesen sei; die italienische Reise miisse demnach recht langdauernd gewesen sein.

Eine bedenklichere Schlußfolgerung kann man kaum vornehmen. Erstens wider- spricht ihr das von Gyssling erwühnte in Kupfer gestochene Bildnis Lancellottis von 1629, wonach dieser damals 47 Jahre alt war. 1636, zur Zeit des Erscheinens seines Werkes, war er 54 Jahre alt. Er kann sich also nicht auf Erzáhlungen be- ziehen, die 50 Jahre zurücklagen und die in eine Zeit fielen, wo er ein kleines Kind war. Zweitens kann eine solche Zeitbestimmung für eine gelegentliche münd- liche Erzählung nicht, wie G. dies tut, wörtlich aufgefaBt werden. Das ist schon in Deutschland nicht angüngig, vollends aber nicht in Italien, wo man es noch heute, wie jeder Kenner des Landes weiß, mit Zahlen im Gespräch nicht allzu genau nimmt; Angaben, wie z. B. zwei Minuten oder roo Jahre entbehren jeden greifbaren Inhalts. Drittens kann dieser Anton Moler ein ganz anderer, und zwar der jüngere Anton Müller sein, der gleichfalls ein Maler war und dessen Ent- deckung durch Gyssling wirklich sehr dankenswert ist. Es ist gar nicht abzusehen, warum der Altere nach Mont’ Oliveto und Siena gegangen sein sollte. Diese Orte waren für den damaligen Italienfahrer durchaus nicht in Mode, ihr Ruhm und ihre Bedeutung lag hundert Jahre zurück, auch bilden sie bekanntlich keine Durchgangs- punkte auf der maßgeblichen Reiselinie Florenz Rom. Der Jüngere ist aber, wie G. nachgewiesen hat, tatsüchlich in Mont' Oliveto Maggiore gewesen, er war katho- lisch und ist augenscheinlich ganz verwälscht. Daß er der Sohn des Älteren ge- wesen sei, ist durch nichts erwiesen. Er bezeichnet sich vielmehr ausdrücklich als „geringer Herkunft“, der Ältere aber war der Sohn des herzoglichen Hofwund- arztes und hielt sehr große Stücke auf sich und auf den Wert seiner Persönlich- keit, das lehrt uns allein schon sein Jüngstes Gericht im Artushof Auch gab es, wie G. (S. 28f.) selbst hervorhebt, sehr viele des Namens in Danzig, die durchaus nicht miteinander verwandt waren. Wenn nun der Jüngere jahrelang, und zwar gerade zur Zeit der Niederschrift des oben erwühnten Buches, in Mont' Oliveto gelebt und gemalt hat (seine Wandmalereien in der Vorhalle der Libreria des Klosters stammen aus dem Jahr 1631), so ist es ganz klar, daB Lancellotti an ihn und nicht an den älteren gedacht hat. Es ist nur nötig, in dem oben wörtlich wiedergegebenen Satze das satzteilende Komma nicht, wie G. es tut, hinter ,,50 Jahre“, sondern sprachgemäß hinter „erzählte“ zu setzen. Und sofort ist ein richtiger Sinn des Satzes gewonnen: der Jüngere hat dem Abt von seinen heimatlichen Jugend- erinnerungen erzählt.

Ich meine also, daß die „urkundlichen“ Beweise G.'s in nichts zerfallen. Aber auch innere Gründe lassen sich für einen längeren italienischen Aufenthalt Möllers nicht erbringen. G. sagt Seite 25, daB Müller hüchstens drei Jahre in Italien ge- wesen sei; er scheint an 2—3 Jahre zu denken. Das ist eine sehr bedeutende Zeitspanne, die unmüglich spurlos an einem Menschen, vollends an einem Künstler vorübergehen kann. Nirgends aber finden wir eine solche Spur. Niemals wendet Möller die italienische Sprache an, wie das gerade Künstler gern tun und wie dies gleichzeitig auch in Danzig ein aus Itelien zurückgekehrter deutscher Baumeister Walter Clemens tat, der sich öfters Gualterio Clemente nannte. Niemals hören wir etwas von italienischen Angewohnheiten. Niemals aber, und das ist die Hauptsache, finden wir eine unmittelbare Einwirkung venezianischer oder allgemein italienischer Kunst auf die Werke unseres Malers. Das muß G. selber zugeben, und nur der Umstand, daB G. sich so unbedingt in den Glauben an die große ita- lienische Reise versenkt hat, läßt ihn den Widerspruch übersehen, der aus seinen

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eigenen Darlegungen zu uns spricht. An den verschiedensten Stellen seines Buches hebt er bei der Einzelbesprechung der Werke Millers (Seite 4, 24, 33, 56,.67, 91, IIO, 135 usw.) den niederlindischen Charakter seiner Kunst hervor; von der ersten, nach der angeblichen Italienfahrt entstandenen Malerei, der groBen Apostelfolge von 1590 sagt er sogar (S. 88), daB sie ,eine unveründerte Einstrómung der roma- nistisch gerichteten niederländischen Kunstwollens" zeige, die italienische Kunst habe keinen ersichtlichen Wandel in seiner Kunst mit sich gebracht, während er umgekehrt bereits bei dem vor der angeblichen Reise entstandenen Steindammer Altar italienische Elemente erkennt (S. 87).

Endlich aber ergeben sich auch zeitliche Schwierigkeiten gegen die Annahme eines zwei- bis dreijährigen italienischen Aufenthaltes. Er soll von 1588/90 gewährt haben. Die oben erwähnte Apostelfolge aber fällt in das Jahr 1590 und bedeutet mit ihren etwa lebensgroBen Gestalten eine so bedeutende Arbeit, daß sie nicht bloß in die allerletzten Wochen des Jahres gesetzt werden kann, sondern den größeren Teil desselben ausgefüllt haben muB. Für das Jahr 1588 aber kann ich eine Bilderfolge Móllers nachweisen, die Gyssling entgangen ist und die ebensoviel oder vielleicht noch mehr Zeit in Anspruch genommen hat, so daB der Zwischen- raum zwischen den beiden Zeitpunkten recht knapp wird und die Annahme einer zwei- bis dreijàhrigen Reise ohne weiteres begraben wird.

Da diese von Gyssling übersehene Arbeit bisher noch nirgends gebiihrend be- sprochen ist (Simson, Der Artushof zu Danzig, Danzig 1900, S. 187 f), so mag sie hier mit einigen Worten beschrieben werden.

Die Gemälde befinden sich im Artushof zu Danzig, unmittelbar unter Möllers Jüngstem Gericht. Es sind fünf Querbilder, jedes 40'/, cm hoch, 76 cm breit!). Am mittelsten befindet sich auf einer Säule die Jahreszahl 1588, auf einer andern das wohlbekannte Monogramm Anton Möllers, zwar stark nachgedunkelt, aber bei hellem Wetter und scharfer Beobachtung klar erkennbar; an seiner Urheberschaft ist nicht zu zweifeln. Inhaltlich handelt es sich um sog. Gerechtigkeitsbilder. Von den Schöffen 1588 bestellt, sollten sie an dieser Stelle, wo das Recht gepflegt wurde, die Richter daran mahnen, stets in unparteiischer Strenge ihres Amtes zu walten. Von rechts nach links (von Süden nach Norden) stellen sie dar: r. die Gesetz- gebung Mosis (Simson sagt a. a. O.: die Sintflut); 2. die Huldigung der Tugenden vor der Gerechtigkeit; 3. die Darstellung des gerechten, 4. die des ungerechten Richters und 5. das Jüngste Gericht.

I. Das jüdische Volk ist auf die Erde niedergefallen in entsetzensvollen Gebürden vor den im Feuer erscheinenden Gesetzestafeln, die auf dem Berge sichtbar werden. Links im Hintergrund ein Zeltlager.

a. In freier Landschaft scharen sich sechs, zum Teil nackte oder halbbekleidete Figuren (u. a. die Unschuld, Mäßigkeit, Wahrheit, Klugheit, Tapferkeit), um die in der Mitte erhöht sitzende Gerechtigkeit. Zum Zeichen ihrer engen Zusammen- gehörigkeit sind sie durch eine Kette miteinander verbunden (ein Motiv, das Möller in seinem Jüngsten Gericht wieder aufgenommen hat). Im Hintergrunde rechts ist die Stadt Danzig sichtbar (nicht bloß die Türme, wie Simson sagt). (Abb. r.)

3. In einer Halle, die mit prächtigen Säulen ausgestattet und von einem ge- wölbten Umgang umgeben ist, sitzt der vollbürtige, ehrwürdige judex terrarum; zu seiner Seite zwei Fráuen, von denen die eine als Themis deutlich gekennzeichnet

(1) Zwischen ihnen sind zur Erinnerung an die Stifter Wappen (etwa im Stil des Jost Ammann oder des Virgil Solis) angebracht, jedes 33'|, cm hoch und 35 cm breit,

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ist. Rechts und links je sechs bejahrte Männer in langen, abwechselpd roten oder weiBen Kleidern mit weiBem Kragen; sie haben keine Hinde zum Zeichen ihrer Unbestechlichkeit. AuBerdem vier Männer mit Büchern, zum Teil mit spanischer Krause.

4. In tonnengewölbter, düsterer Halle thront links der ungerechte Richter, inner- lich erregt, mit hohen, langen Eselsohren. Unwissenheit und Argwohn suchen ihn zu beeinflussen. Wut, Verleumdung, Neid und Lüge schleppen stürmisch die Un- schuld heran. Rechts unten kauert verzweifelt die Reue. Über ihr fliegt die Zeit (mit Sanduhr und Flügeln) heran, in den Armen die nackte Figur der Wahrheit

haltend. Es handelt sich, wie man sieht, um die bekannte Darstellung der Ver-

leumdung des Apelles (vgl. Förster im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, Bd. 8). Und zwar wird unserem Künstler der Kupferstich von Giorgio Ghisi (1560) nach Luca Penni als (unmittelbares oder mittelbares) Vorbild vorgelegen rn das er freilich in mehrfachen Beziehung änderte. (Abb. 2).

5. Das Jüngste Gericht ist leider nur zur oberen Hälfte noch vorhanden, da es 1807 bei der Belagerung durch eine Bombe beschädigt wurde.

Die Malereien sind nicht einwandfrei. Seelische Durchwärmung der Figuren ist dem Künstler nicht gegliickt. Die Frauen auf dem zweiten Bilde sehen sogar recht langweilig und gelangweilt aus. Im Streben nach weiterer Abrundung ver- greift sich Möller öfters recht grüblich in den Formen, Kniee und Waden zeigen mehrfach erhebliche anatomische Fehler. Freilich ist auch die Erhaltung der Male- reien, selbst wenn wir von 5. absehen, nicht tadellos. Sie haben durch die Sonne stark gelitten, die hier am hellen Tage ungehemmt hereinbricht!) Die Farben sind dadurch recht ausgeblaBt, grünliches Fleisch und überhaupt grünliche, violette und gelbe Tóne walten vor. Die Pinselführung ist breit, krüftig, flott trotz des kleinen MaBstabes, die Übergünge sind weich, aber nicht verwaschen und ver- schwommen. Der Gedanke an eine schlechte Ausbesserung ist nicht auszuschlieBen, wie überhaupt Millers Gemälde durch Ubermalungen recht beeinträchtigt zu sein scheinen ).

Bedauerlich ist, daß gerade die kleine Darstellung des Jüngsten Gerichts den schwersten Schaden gelitten hat. Möller hat offenbar Freude an der Schilderung dieses gewaltigen Stoffes gehabt.

Zum großen Bilde im Artushofe haben wir eine Vorstudie von 1595 im Stadt- museum, ferner findet sich das Jüngste Gericht auch auf dem Altar der Steindammer Kirche in Königsberg und auf der soeben erwähnten Tafel der sieben Tugenden, auf dem Altar der Danziger Katharinenkirche und auf einem verloren gegangenen Bilde im Königsberger Stadtgericht, so daß wir bereits insgesamt sechs Bilder des Jüngsten Gerichts von ihm nachweisen können. Es würde sich lohnen, des näheren zu verfolgen, wie er diesen seinen Lieblingsstoff in seinen verschiedenen Lebens- altern aufgefaßt und verarbeitet hat. Um wenigstens eine Anschauung von der Art seiner Auffassung zu geben, will ich mich hier darauf beschränken, den Inhalt

(1) Infolgedessen haben die photographischen Aufnahmen nicht ganz klar werden können, was ich bei den hier wiedergegebenen Abbildungen zu beachten bitte.

(2) Als ungebetener Gast bin ich vor Jahren selbst zufällig Zeuge gewesen, wie das große Jüngste Gericht an vielen Stellen neu bemalt wurde, ohne daß ich es hindern konnte. Aber auch die sehr bemerkenswerte Tafel der sieben Tugenden (in der Danziger Marienkirche), die, weil an dunkler Stelle zu hoch angebracht, kaum besichtigt werden kann und auch von Gyssling nicht näher. untersucht worden ist, macht einen so unbarmonischen Eindruck, daß der Gedanke an eine üble Wiederherstellung

recht nahe liegt. 185

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der grüBten Darstellung des Stoffes (auf dem Wandbild im Danziger Artushof) zu schildern. |

Der Aufbau und die ganze Anordnung des umfangreichen Bildes (es miBt in der Breite etwa 6.30 m, in der Hóhe etwa 8 m) schlieBt sich der spitzbogigen Um- rahmung in dem spätgotischen Hallenraum eng an!) Hoch oben thront Christus mit der Weltkugel, von den göttlichen Sonnenstrahlen beschienen, zwischen Maria und Johannes auf dem Regenbogen. Ihn umgeben die Gestalten christlicher Tugen- den, Engel und frommer, erlöster Personen. Von links schweben aus der Tiefe herauf in schmalem Zuge, durch Posaunentine gelockt und begrlißt, weitere Selige. Ganz unten die Hoffnung und zwei mit besonderer Sorgfalt gemalte Gerettete, die von einem Engel liebevoll heraufgeleitet werden. Friede, selige Zuversicht, ruhige Beschaulichkeit herrschen in diesem Teil des Bildes, Viel größer aber ist der Raum, den die Schar der Verdammten einnimmt. IhreSchilderung hat den Künstler offenbar mehr angezogen. Erzengel Michael, der in- eleganter Haltung als Voll- strecker des Willens Christi von diesem herabschwebt und mit dem Schwert die Bösen und die Laster vertreibt, nimmt in viel höherem Maße als Christus die ge- bietende Mittelstellung im Bilde ein. In buntem Gewirr fliehen und stürzen die Verdammten hernieder. Rechts neben Michael vier modisch gekleidete Personen (mit spanischer Halskrause): die Hoffahrt, Putzsucht, Trügheit und Wollust. Unter ihm mehrere Kriegsknechte, als Sinnbilder der Rohheit und des Jühzorns, mit dem sie angeblich gegen den alten, ihnen ihr Todesurteil vorlesenden Mann vorgehen. Rechts daneben Vertreter der Schlemmerei und Vüllerei: der eine hat angeblich Heringe in der Tasche, der andere sucht üngstlich sein Glas in Sicherheit zu bringen, ein dritter gibt das Genossene wieder von sich, Karten und Brettsteine fallen hernieder. Weiter unten die Hauptpersonen, in erheblich größerem Maß- stab gemalt. In der Mitte die Frau Welt, nach mittelalterlicher Auffassung die Verkürperung der weltlichen Lüste, eine auf das Prächtigste gekleidete Frau, in halb liegender Stellung, auf ihren linken Unterarm sich aufstützend, das Haupt von einer durchsichtigen Glaskugel umgeben. Rechts von ihr der Unglaube, eine derbe, rohe Figur, die mit sichtlichem Behagen ein Kruzifix zerbricht. Unter ihr die Erb- sünde mit Schlange und Totenknochen.. Links von der Frau Welt von oben nach unten Neid und Verleumdung, auf einem Hirsch (mit frei heraustretendem ge- schnitztem Kopf und natürlichem Geweih): die üppige, ganz nackte Weibsgestalt des bösen Gewissens, und endlich die Verzweiflung, mit dem Kopf nach unten, im Begriff sich zu erdrosseln. Die letztgenannten Figuren sind durch Ketten unter- einander verbunden, ein Motiv, das Müller bereits 1588 in seiner Allegorie der Tugenden verwendet hat. Ganz unten links wird das Bild abgeschlossen durch eine felsige Landschaft, in deren Hintergrund sich die turmreiche Stadt Danzig zeigt. Rechts unten zieht eine groBe Schar von Menschen dahin, die sich, wie Simson behauptet, der Weltlust anschlieBen und einen von Freudenfeuern ge- krönten Triumphbogen durchschreiten will Ein Boot führt der Unterwelt zu. An- geblich ist es mit dem Malerwappen geschmückt, und unter den Insassen befindet sich der Maler selbst mit der Palette; durch einen Engel wird er noch mit einem Haken von der Fahrt ins Verderben zuriickgehalten.

An das inhaltreiche Bild, aus dem nur die wichtigsten Figuren hier aufgezühlt sind, haben sich zahlreiche Anekdoten geknüpft, von denen die bekannteste die ist, daß die Figuren der Weltlust und der Hoffart Bildnisse der Töchter des damals

(1) Die Abbildung in Simson, Der Artushof, Danzig 1900, ist viel besser als die bei Gyssling. 186

regierenden Bürgermeisters seien, die auf einem Ball dem Maler aus Hochmut den Tanz versagt und dadurch die Rache des Künstlers hervorgerufen hštten. Diese Erzühlungen sind in der Regel innerlich unwahrscheinlich, so alt sie auch sein mógen und so haftnickig sie bis auf den heutigen Tag immer wieder berichtet werden. Aber sie beweisen uns nicht bloB die groBe Volkstümlichkeit des Bildes, sondern auch seine vereinzelte Stellung im Gebiet der nordostdeutschen Kunst. Wir besitzen dort, wie ich demnichst ausführlicher zu zeigen hoffe, genug Werke der Malerei und Plastik aus den verschiedensten Jahrhunderten. Aber nirgends wieder findet sich die Neigung zu lehrhaft allegorischer Behandlung des Stoffes, als allein bei Anton Müller, der sie bei den oben beschriebenen Gemülden von 1588 und auch sonst ófters noch anwendet. Recht bezeichnend dürften hierfür auch seine Tuschzeichnungen: das Venusfest von 1606 (Berlin), die Macht des Geldes (Kónigs- berg, Prussia-Museum) und die Verehrung des Esels (Kinigsberg, Stadtbibliothek) sein, die Gyssling eingehend beschrieben hat. Wir dürfen daraus auf eine beson- dere persónliche Veranlagung unseres Künstlers schlieBen, werden uns aber nicht der Wahrnehmung verschließen können, daß er die Anregung dazu durch irgend welche niederländischen Einflüsse empfangen haben muß. In Flandern und Holland blühte die Freude an sinnbildlicher Behandlung eines Stoffes. Und wenn einst Hagen und jetzt mit eifrigem Nachdruck Gyssling darauf hinweist, daB bei der Aus- schmückung des venezianischen Dogenpalastes am Ende des 16. Jahrhunderts die Allegorie eine große Rolle gespielt habe, so läßt sich doch bei näherem Zu- sehen ein Vergleich zwischen der venezianischen und der Móllerschen Kunst kaum ziehen. In den Niederlanden und bei Móller handelt es sich um etwas anderes, um ausgeklügelten trockenen Gelehrtenkram, der im vollen Gegensatz zu der ur- sprünglichen Frische Venedigs steht. Das gegenseitige Verhülthis der Allegorien im einzelnen nüher zu ergründen, mag berufenen Literaturhistorikern vorbehalten bleiben. °

Wichtiger für uns ist die Frage nach den sonstigen Quellen und Voraussetzungen der künstlerischen Eigenart Müllers. Es handelt sich für uns darum, ob wir aus seinen Werken eine unmittelbare Beeinflussung durch italienische Kunst heraus- lesen können oder nicht. Gewiß gab es, namentlich in den letzten Jahren des 16. und im Anfang des 17. Jahrhunderts so viel persönliche Beziehungen zwischen ` Danzig und Italien, auch reisten so viel junge Danziger damals nach Venedig und Rom!) daß die Möglichkeit einer italienischen Reise Müllers von vornherein nicht bestritten werden kann. Und ganz unzweifelhaft weist Múllers Malerei einige ita- lienische Elemente auf. Mit Recht ist von Hagen und Gyssling an die venezia- nische Schule, besonders an Veronese und Tintoretto erinnert, sowohl der groß- zügige Aufbau wie das hellfarbige, leuchtende Kolorit besitzt verwandte Züge. Auch muß an Michelangelos allmächtigen Einfluß erinnert werden;' einige Gestalten auf dem Zinsgroschen und auf dem groBenJiingsten Gericht weisen durchaus Michel- angelos Muskulatur und Gliederbau auf.

Aber diese unleugbaren Beziehungen dürfen uns nicht zu Trugschliissen ver- leiten. Von Michelangelos W'erken war ungeführ die gesamte Künstlerwelt am Ende des 16.Jahrhunderts mehr oder weniger beeinflußt. Seiner gewaltigen Formen- sprache hatten sich nur einzelne entziehen können. Namentlich war es die nieder- lündische Kunst, die von ihm in geistige Fesseln geschlagen worden war. Und

(1) Näheres bei A. Bertling, Der Maler von Danzig und seine Zeit. Danziger Zeitung vom 29. No- vember 1885. |

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sie ist es, die, wie schon seit dem Ende des Is. Jahrhunderts, ganz besonders im letzten Viertel des 16. und im Anfang des. 17. Jahrhunderts die wesentliche Quelle der Danziger Kunstübung bildet und die auch unsern Miller auf das Tiefste und Nachhaltigste befruchtet hat. Niederlindisch ist seine Malweise, aber nicht italie- nisch. Freilich niederlindisch nicht im Sinne eines Rogier van der Weyden oder eines Rubens, aber wohl im Geiste der niederlándischen Romanisten, die im Ver- lauf des 16. Jahrhunderts allzuwillig sich italienischer Kunst gebeugt hatten.

Von der oberdeutschen Kunst war Müller ausgegangen; er hat nachweislich in seiner Jugend Dürersche Stiche nachgezeichnet, auch scheint er Hans Sebald Behams Werke gekannt zu haben. Die Überlieferungen der Künigsberger Hofkunst migen dabei mitgewirkt haben. Dann aber, oder vielleicht auch gleichzeitig von vornherein hat, wie Gyssling richtig erkannt hat, die Kunst des Pieter Breughel und namentlich des Hendrik Goltzius ihn miichtig gepackt. Ich mache in dieser Hinsicht auf Breughels Zeichnung einer Dorfkirmes (London, Brit. Museum) auf- merksam, die mehr noch als Breughels Gemiilde sich als eine Art Ahnberr der hübschen Kirmes-Zeichnung offenbart, die Müller 1587 in Marienburg in West- preußen angefertigt hat (Berlin, Kupferstichkabinett, abgeb. Jaro Springer, 20 Feder- zeichnungen aus dem Besitz des kgl. Kupferstichkabinetts Berlin, Tafel 18; auch bei Henne am Rhyn und bei Gyssling).

Als unmittelbaren Vorlüufer Müllers, als Zwischenstufe zwischen ihm und Breughel glaube ich bis auf weiteres Pieter Balten ansehen zu sollen, der 1569 Dekan der Lukas-Gilde in Antwerpen war. Von ihm haben wir ein gemaltes S. Martinsfest und eine in Kupfer gestochene Dorfhochzeit Man sieht deutlich, daß Pieter Balten älter als Möller ist. Aber der enge Zusammenhang seiner volkstüm- lichen Kunst mit den ersten Arbeiten Möllers ist unverkennbar.

Auch auf die Stiche des Pieter van der Borcht und des Johann Sadeler (geb. etwa 1550, T in Venedig 1600) mache ich aufmerksam. Auf des letzteren groBer Darstellung des Jüngsten Gerichts erinnern die leicht heraufschwebenden nackten, seligen Frauen und Engel links uns an dieselben Gestalten bei Möller an der- selben Stelle. Auch die alte Anordnung, daB Christus oben auf der Weltkugel sitzt, dürfte aus diesen Quellen herzuleiten sein. Namentlich aber ist es der ausgezeich- nete Maler und Kupferstecher Hendrik Goltzius, an dessen Formensprache und Auf- fassung wir bei Müllers Arbeiten immer wieder erinnert werden. Ich nenne z. B. die Erweckung der Seligen ünd den Sturz der Verdammten, die Goltzius nach Jan van der Straet gestochen hat, einem niederländischen Künstler, der längere Zeit in Florenz gelebt hat.

In rein malerischer Hinsicht scheint mir die Kunst des Franz Floris (etwa 1516 bis 1570), der damals hohen Ruhm genoß, als der „flämische Raffael“ galt und mehr als 120 Sthüler gehabt haben soll, den stürksten Einfluñ auf den jungen PreuBen ausgeübt zu haben. Will man etwas kühn sein, so wird man sagen können, daß der Name Floris ihm von Kindheit her vertraut in die Ohren ge- klungen hat. 1570 wurde im Königsberger Dom dem 1568 verstorbenen hoch- betagten und hochverdienten Herzog des Landes ein überaus kostbares und groBes Denkmal errichtet, eine Schöpfung des Antwerpener Meisters Cornelis Floris. Es ist sicher, daß die Ankunft der vielen prächtigen Marmor- und Alabasterarbeiten und ihre Aufstellung in Kónigsberg ein gewaltiges Aufsehen hervorgerufen hat und naturgemáB die empfüngliche und leicht bewegliche Seele des Sohnes des herzog- lichen Wundarztes und Barbiers stark angeregt haben und ihm unvergessen ge- blieben sein wird. Jedenfalls sind bei Franz Floris und Möller Aufbau, Kolorit und

Gesamtauffassung durchaus verwandt. Man vergleiche z. B. das Jüngste Gericht des Franz Floris (Wien, Kunsthistor. Hofmuseum, Nr. 774) mit dem Möllerschen Bilde, und man wird manche Ahnlichkeit in den vielen kleineren und grüBeren Gruppen finden. Und sein Sturz der Verdammten und seine Auferstehung der Seligen (Sammlung Pitt Rivers) zeigen trotz grundverschiedener Komposition eine ühnliche Behandlung des weiblichen Kürpers und eine gewisse Gemeinschaftlich- keit der malerischen Auffassung. Zu beachten ist ferner Peter de Wittes (c. 1548 bis 1628) Erzengel Michael mit dem Sturz der Verdammten (Wien, kunsthist. Hof- museum, Nr. 806), wo die Farbentóne und das Herabschweben des Michael aus den vom himmlischen Licht durchglänzten Wolken sehr an Möller erinnern. End- lich nenne ich noch Martin de Vos, einen Schüler des Franz Floris und des Tin- toretto (etwa 1531—1603). Auf seinem großen Jüngsten Gericht in Spanien er- kennen wir trotz aller Verschiedenheit der Komposition eine wesentliche Ver- wandtschaft mit Müller in der Muskulatur und in den Kürperstellungen. Ahnliches gilt von seiner Gesetzgebung Mosis (kgl. Museum im Haag, gemalt 1575, angeblich mit dem Bildnis Tintorettos).

Bei Müller bewegen wir uns also durchaus im niederländischen Kreise. So wich- tige Dinge, wie die Proportionierung der Gestalten, der Schnitt der Gesichter, das Kostüm, sind bei ihm in der Regel niederlindisch (Antwerpenerisch) In dieser Beziehung dürfte die Wiedergabe einer der besten Tuschzeichnungen Millers (einer fröhlichen Tanzszene in einem Dorfwirtshaus zu Osterwiek in Westpreußen von 1597) für unsere Leser von tiberzeugender Beweiskraft sein (Abb. 3). Dazu tritt das, was Gyssling an verschiedenen Stellen betont hat. Warum sollen wir nun unter solchen Verhältnissen durchaus an einen längeren italienischen Aufenthalt Müllers glauben? Es ist ja die Möglichkeit nicht auszuschließen, daB der Künstler irgendwann einmal in Italien gewesen ist. Aber beweisen läßt sich das nicht, und nötig ist eine solche Annahme auch nicht. Nichts spricht für sie. Wir wer- den gut tun, sie bis auf weiteres in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Daraus ergibt sich die für die allgemeine Kunstgeschichte nicht unwichtige Tat- sache, дай der Romanismus und Venezianismus, wie er in der zweiten Hülfte des 16. Jahrhunderts für Oberdeutschland (Heinz, Rottenhammer u. a.) und für die Niederlande gilt, den Nordosten Deutschlands, in welchem Anton Müller damals der bedeutendste Vertreter der einheimischen Kunst war, nicht unmittelbar be- rührt bat, sondern nur mittelbar. Und daB8 diese Erscheinung nicht vereinzelt, sondern tief verankert in den allgemeinen künstlerischen, wirtschaftlichen und poli- tischen Zuständen Danzigs zu jener Zeit war, sei zum Schlusse dieses Aufsatzes noch in wenigen Worten angedeutet.

Familien- und Handelsbeziehungen haben bereits im r5. Jahrhundert einen engen künstlerischen Zusammenhang zwischen Danzig und den Niederlanden herbeigeführt, worüber ich demnüchst umfangreiches Material beizubringen hoffe. Am Anfang des 16. Jahrhunderts werden von Antwerpen reiche Schnitzaltáre nach Danzig und den umliegenden Ortschaften, wie Praust und Zuckau geliefert, von denen der wichtigste, der Reinholds-Altar in der Danziger Marienkirche durch keinen gerin- geren, als den niederrheinischen Meister vom Tode Mariü mit schónen Malereien ausgestattet war (vgl die wertvollen Ausführungen Kümmerers im Jahrbuch der kgl. PreuBischen Kunstsammlungen 11), die ich, wenigstens teilweise, bald zu ver- öffentlichen gedenke. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wird eine überaus kost- bare und prüchtige Taufe aus den Niederlanden nach der Danziger Marienkirche geliefert, die, wie ich nachweisen kann, sehr wahrscheinlich von Cornelis Floris in

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Antwerpen entworfen ist, demselben Meister, der auch die groBartigen marmornen Herzogsdenkmäler in Königsberg gearbeitet hat (vgl Ehrenberg, Die Kunst am Hofe der Herzöge von Preußen). Dann folgt die Familie von dem Blocke, deren Mitglieder zahlreiche Bauten und Monumente in Ost- und Westpreußen ausführten. Der tüchtigste unter ihnen war wohl Wilhelm von dem Blocke aus Mecheln, der 1586/8 das Hohe Tor in Danzig!) nach dem Vorbild des vor einigen Jahrzehnten leider abgerissenen, nach Sanmichelis Vorbild?) erbauten Georgs-Tores in Antwerpen errichtete. Als Baumeister entfaltete seit 1593 Anthony van Obbergen aus Mecheln eine glanzvolle Tätigkeit, die der Innenstadt Danzig bis auf heute ihren besonderen Reiz aufgeprügt hat. Ihm gesellten sich zu der Steinbildhauer Wilm Bart aus Gent (seit 1585 ia Danzig) und vielleicht auch der Holzbildhauer Simon Herle (Höer!), von deren Wirksamkeit gleichfalls noch genug Spuren auf uns gekommen sind. Als Ratsbaumeister war zeitweilig (1592—1596) Jan Vredeman de Vriese aus Leeu- warden tätig, der im Artushof eine seiner großen phantastischen Architekturmale- reien, mit einer Verherrlichung des Orpheus, sowie ein höchst reizvolles, bisher unbeachtet gebliebenes, mit seinem Monogramm versehenes Holzgestühl geschaffen hat. Und wenn wir schließlich erwägen, daß sich kurz zuvor zahlreiche an- gesehene und kunstgebildete niederländische Familien, die ihre. Heimat. wegen der Glaubensunruhen hatten verlassen müssen, in Danzig niedergelassen hatten (ich nenne 1558 den Kaufmann Hilger Spemann aus Orsoy, dessen Sohn große Pracht und Kunstliebe in Danzig entfaltete, 1559 den Orgelmacher Bert Kock aus Utrecht, 1560 den Buchbinder Wentzel Rüdiger aus Brüssel und den Maler Anton Lion aus Valenciennes, 1561 den Steinmetz Cornelius Brun aus Brüssel und 1562 den Steinmetz Hieronymus von Linden aus Antwerpen), so kommen wir zu dem unabweisbaren Schluß, daß diese nordostdeutsche Hansastadt damals geradezu als ein wichtiger Außenposten niederländischer Kunst und Kultur anzusehen und daß hier alle Bedingungen gegeben waren, um einen jungen, heranwachsenden Künstler in ihren Bann zu ziehen und in ihm zu erhalten. Wie stark aber in der Stadt- verwaltung die Neigung für die niederländische Kunst vorwaltete, ersehen wir dar- aus, daß, als 1594 ein neuer Münzstempel durch den Münzmeister Jonas Silber her- gestellt werden sollte, hierfür in amtlichem Auftrage ein niederländischer Dukaten abgezeichnet wurde und daß 1602, „umb allerley in der Architektur zu erkundigen“, ein besonderer Abgesandter, namens Johann Losius, sich „mit Rekommandation- Briefen an hohe Personen in die Niederlandt begeben“ mußte und die beträcht- liche Summe von 616 Mark Reisegeld ihm hierzu bewilligt wurde. Innere und äußere Gründe reichen sich somit in besonderer Fülle die Hand, um unsere Mei- nung zu erhärten, daß Anton Möller kein unmittelbarer Schüler der Italiener ge- wesen, sondern als eine Zweigerscheinung der niederländischen Kunst vom Ende des 16. Jahrhunderts anzusehen und zu bewerten ist.

(z) Abgeb. Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance. Vgl. über ibn auch Ebrenberg, a. a. O. (2) Vgl. Dianoux, les monuments de San Micheli,

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SPANISCHE MALER DES 15. JAHRHUNDERTS IN NEAPEL

Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von VALERIAN von LOGA

A 23. November 1442 schrieb Don Alfonso von Aragonien, dem, wie den bur- gundischen Fürsten selbst im Feldlager die Kunst Bedürfnis war, zu sehr Spanier, um nicht Werken heimatlicher Produktion den Vorzug zu geben, aus Neapel nach Hause, man sollte ihm ,,lo fil del mestre Jacme Jacomart pintor“ schicken!) Am 14. Mai ernennt ihn Alfonso zu seinem pintor por todas las tierra y senorias del monarca. Als dem König nach langer Belagerung endlich die Stadt durch den Beistand der Jungfrau in die Hände gefallen war, gab er für die auf dem Campo vecchio, wo wührend der Belagerung sein Zelt gestanden, errichtete Votivkirche das Altarbild, eine Virgen de la Pace ihm in Auftrag. Zwei Jahre spüter ist der Altar aufgestellt worden. Ende 1446 weilte der Künstler in der Heimat. Am 24. Juli 1447 hatte der König in Tivoli Standarten bei Jacomart be- stellt. Vielleicht hat der Maler damals Rom betreten, sogar Roger van der Weyden kennen gelernt, der zum Jubeljahr in der ewigen Stadt weilte.

Vier Jahre später sehen wir Bazo in Valencia für die Kathedrale verschiedene dekorative Arbeiten ausführen. Am 16. Juli 1461 ist er dort gestorben und in S. Domingo begraben. Sein reicher Nachlaß fiel der Gattin Magdalena zu.

Ausgehend von dem in einer Urkunde vom 233. Januar 1460 als Arbeit Jacomarts erwähnten Altar der Pfarrkirche zu Cati?) läßt sich heute ein ziemlich umfang- reiches Werk des Meisters nachweisen. Der Epiphaniasaltar bei den Augustine- rinnen in Rubielos de Moras, ein thronender Petrus in S. Juan zu Morella?), sowie der mit der Jahreszahl 1447 bezeichnete S. Martinsaltar des Clarissinnenklosters zu Segorbe*) Eine besondere Pracht zeichnet das Mittelbild aus, während bei den kleinen Tafeln mit der Legende des Heiligen ein Ungeschick im Komponieren auffällt. Nur noch bei den Altsienesen findet man echtes Gold für die Ornamente und Brokatstoffe oder guijochiert als Hintergrund in ähnlicher Vollendung auf- getragen. In dieser ,Serena majestad“ erstrablt auch der Retablo des Kardinals Alfonso Borgia"), des späteren Papstes Calixt III. in der Colegiata von Jativa, der zwischen 1444 und 1455 entstanden sein muB, denn Borgia hatte den roten Hut im Jahre 1444, die Tiara elf Jahre später erhalten. In der Zeit hat er Valencia nicht betreten, und Jacomart muß in Italien, in Rom und Tivoli oder in Neapel am Hofe Alfonsos den Auftrag für dieses Meisterwerk empfangen haben. Die drei groBen Tafeln mit der heiligen Anna, die fast gleich auf dem Altar in Rubielos gebildet ist, S. Ildefonso und S. Augustin sind heute in einem prüchtigen Renaissance-

(1) Jaume Bazo alias mestre Jacomart nennt er sich in seinem Testament, Tramoyeres im Almanague de las Provincias para 1906, p. 155 u. ff. Tormo y Monso, Jacomart y el arte hispano flamenco quatrocentista. Madrid 1914. Remon Casellas in Veu de Catalanya 28; Aug. 1906. Emile Bertaux, Les primitives espanole. Revue de l'art ancien et moderne XXII, p. 339 u. ff.

(2) Abgebildet in Revue de l'art ancien et moderne XXII, p. 341 und bei Tormo, a. a. O.

(3) Abgebildet bei Bertaux, a. a. O., p. 355 und im Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunst. sammlungen XXX, 1909, p. 181

(4) Abgebildet Revue de l'art XXX, p. 343. Michel, Histoire de l'art III, p. 777 und Mayer, Q. d. ep. Mal. I, p. 71.

(s) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 357. Michel, Histoire de l'art III, p. 776.

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rahmen vereint. Zwei Predellenstiicke mit der Kasel-Übergabe an S. Ildefonso’) und der Taufe S.Augustins?) wurden in einem anderen Retablo der Kathedrale eingelassen. Das Musée des arts decorativs zu Paris besitzt in der Einkleidung des heiligen Vincenz Ferrer?) vielleicht ein Fragment des Altares der Kathedrale von Valencia; hierher mag auch die Tafel mit dem heiligen Dominikaner im Kapitel- saale stammen, wo auch ein heiliger Benedikt und ein segnender S. Ildefonso seine Hand zeigen. Auch die verstümmelten Flügel mit der heiligen Helena‘) und dem stutzerhaft gekleideten langhaarigen S. Sebastian in S. Francisco zu Jativa und der heilige Bernardin von Siena im Besitz von D. Luis Tortosa in Ontenientes") sind wohl sein Werk, wührend die Tafel mit den Heiligen Santiago und Gil im Museum zu Valencia für ihn doch zu schwach erscheint. Ganz in die Nähe des thronen- den Petrus in Morella muß man den Tragaltar im Berliner Kunstgewerbemuseum?) und die Halbfigur S. Peters bei Herrn Cuno Kocherthaler in Madrid setzen. Dem S. Martin in Segorbe und den Borgia-Flügeln steht ein thronender S. Blasius im Berliner Privatbesitz sehr nahe (siehe Abbildung), der wohl wie der heilige Bischof von Tours das Mittelstück eines verstümmelten Retablo gebildet hat. Hier be- gegnen wir neben den nach katalanischem Geschmack in Stuck aufgesetzten Säumen und Schmuckstlicken auf den über den Goldgrund mit Lasurfarbe gemalten Stuhl wangen üppigster Gotik.

Neapel besitzt heute noch zwei Werke, die die Stilkritik Jacomart zugeschrieben hat. S. Franciscus, der die Regel seinen Anhängern erteilt in S. Lorenzo maggiore) und einen thronenden heiligen Severin, der das Mittelstück eines neu zusammen- gestellten Altars in der Kirche dieses Heiligen bildet). Die schlecht erhaltenen Fresken der zerstürten Johanneskapelle unterhalb Nazareths bei Camaldoli, auf denen ihr Entdecker Camillo Guerra die heute erloschene Inschrift Macomarte ge- lesen, lassen kein Urteil zu, ob die Bezeichnung nicht Jacomarte gelautet haben mochte. Man ist geneigt, die Entstehung dieser mittelmäßigen Malerei noch in eine Zeit zu setzen, als Jacomart in der Heimat weilte. Ungeübtheit in der Fresko- technik kann nicht allein die Mängel der Zeichnung entschuldigen.

Eine so starke künstlerische Persönlichkeit wie Jacomart mußte in dem politisch von Aragonien abhängenden Neapel seine Spuren zurücklassen. Der dem heiligen Vincente Ferrer geweihte Altar in S. Pietro Martire zeigt deutlich eine solche Ab- hängigkeit. Der Maler dieses in neuerer Zeit auch Simon Marmion*?) zugeschrie- benen Kunstwerkes scheint kein anderer als jener mythische Maestro Colantonio, den Sumonte im Jahre 1524 einen Schüler König Renés nennt. Pietätvoll hatte der Meister den dilettierenden Anjou vorn unter die Andächtigen angebracht, die der Predigt des Dominikaners lauschen ie). Ein heiliger Hieronymus „їп atto di studiare“, den d'Eugenio Caracciola im Jahre 1623 auf demselben Altar wie das

(1) Abgebildet bei Tormo las Tablas de la iglesias de Jativa, Madrid 1912, p. 20. (2) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 359. (3) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 345. (4) Abgebildet bei Tormo Nr. ao und ar. (s) Abgebildet bei Tormo Nr. a5. (6) Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen XXX, 1909, p. 180. (7) Abgebildet bei Wilhelm Rolfe, Geschichte der Malerei Neapels, Leipzig 1910, Tafel 41 und bei Bertaux, a, a. O., p. 349, von dem diese Zuweisung stammt, die Tormo ablebnt; a. a, O., p. 160. (8) Photographie Alinari, Abbildung bei Rolfs, Bertaux und Mayer, Geschichte der spanischen Malerei. (9) Bolletino d'arte 1907, I. Fasc. 6. (ro) Abbildungen in Bolletino und bei Rolfs.

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Franciscusbild in S. Lorenzo gesehen, war ziemlich kritiklos nach Domenicis Bei- spiel mit der gleichfalls aus dieser Kirche stammenden Tafel des Neapolitaner Museums!) verwechselt worden. Hier ist der Heilige in seinem Studierzimmer beschiiftigt, den Dorn aus der Pranke des Liwen zu ziehen?) Allein dieses Ge- miilde, das seine Berühmtheit hauptsächlich Waagens Zuweisung an Hubert van Eyck verdankt, zweifellos ein Werk aus der zweiten Hälfte des ı5. Jahrhunderts, hat mit jenem heiligen Franciscus nicht die geringste Verwandtschaft; Colantonio aber scheint der Maler auch dieser Tafel zu sein, dem sie ja schon Sumonte zu- schrieb. Dem S. Vicente-Altar steht sie stilistisch sehr nahe, das reizvolle Biblio- theks-Stilleben, das dort seinen Vorläufer?) hat, lebt bei Colantonios Schüler Anto- nello da Messina fort. Für die Entstehungszeit des Altars in S. Pietro Martyre gibt außer der Kanonisation des valencianischen Dominikaners 1458 das Alter der Stifterin Isabella de Chiaramonte den Anhalt. Von dem Retablo selbst existiert in der Iglesia del sangre, zu Segorbe eine alte Kopie; bezeichnend genug für die leb- haften Wechselbeziehungen beider Länder.

Die großen Flügel mit den königlichen Magiern im Museo nationale zu Neapel wird man auf einen an den Werken dieses spanischen Neapolitaners geschulten Künstler zurückführen müssen. Auch der Maler des viel umstrittenen „Triumphes des Todes“ im Palazzo Scalafani zu Palermo war zweifellos ein Spanier‘).

Der cordovesische Maler Pablo de Cespedes spricht in seinem durch Cean Ber- mudez*) mitgeteilten Traktat von Sargas mit der Geschichte des Amadis de Gaula »Hechas en España de algun buen official antes que se inventava la pintura al olio“, die er, hoch in Ehren gehalten, in der Guardaropa eines Edelmannes zu Neapel gesehen. Er erzählt ferner, und diese Notiz scheint von der niederländischen Kunst- forschung bisher nicht beachtet zu sein, daß ein Spanier jene meist Justus von Gent zugeschriebenen Porträts berühmter Männer im Camerin des Palazzo ducale zu Urbino (vergl. die Abbildung) gemalt habe’). So erklärt sich manches Unerklär- liche bei diesen Tafeln.

Von mehreren anderen in Neapel und im Auftrag der Päpste tätigen Spaniern berichten Urkunden. Ein gewisser Diego Serrano arbeitete im Jahre 1457 in Piedi- grotta, Juan da Valencia fand im Jahre 1451 durch Papst Nicolaus V. Verdienst, Salvador di Valencia erhielt von Calixt III. den Auftrag, für den vom Papste ge- planten Kreuzgang Standarten zu malen.

(1) Unter Colantonio in Rinaldis Catalogo de la Pinacoteca nel Museo nationale di Napoli, p. 363. Abbildung bei Rolfs und Bertaux, a. a. O., p. 351.

(a) Sobotka in Thieme-Beckers Allgemeinem Künstlerlexikon VII, p. 186.

(3) Abgebildet im Bolletino.

(4) Leandro Ozzola, El Triomfo della Morte nelPalazzo Scalafani di Palermo. Monatshefte für Kunst- wissenschaft II, 1909, p. 199. ` |

(s) Diccionario V, p. 305: ,y otro pintor espanol, que en el palacio de Urbino, en un camarino del duque pinto, unas cabezas à manera de retratos de hombres famosos, buenas à maravilla".

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DIE ÜBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES

IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND- LÄNDISCHEN KULTURWELT _ (Schiue):) Von ROBERT WEST

leichzeitig geht aber in Deutschland, das ich als Zentrum des germanischen

Geistes auffasse, eine analoge Bewegung vor sich. Lange vor der Einführung antiker Formelemente ist hier ein Stilwandel am Werk, welcher dem Geist der Neuzeit auf deutsche Weise Rechnung trügt?) Die deutsche Spätgotik geht zeit- lich mit der italienischen Frührenaissance Hand in Hand, In ihr wird das treibende Stilmoment der französischen Gotik verneint. Das Nervise, Bewegliche und doch scharf Berechnete der französischen Hochgotik wird in Deutschland abgelöst durch eine langsamere Rhythmik der Architekturform, durch ein von germanisch unklarer Phantasie erzeugtes Raumgefühl?*) Im Ornament wird die spätgotische Ranke, welche seinerzeit das Akanthusmotiv endgültig verdrüngt hatte, von einer Ranken- bildung abgelöst, die in ganz auffallender Weise wieder an das frühromanische, aus der Völkerwanderungskunst übernommene Bandornament erinnert. Die spätgotische Ranke hat dies mit dem Bandornament des frühen Mittelalters gemeinsam, daß sie über jede Fláche hinüber gesponnen werden kann in endloser Wucherung und daB sie, was gerade im Zeitalter des naturalistischen Pflanzenornaments auffallend ist, bis zur völligen Verwischung des grundlegenden Motivs stilisiert erscheint. Die Ahnlichkeit der spütgotischen Ranke mit dem romanischen Bandornament ist keine zufüllige. Es liegt in der spáten Gotik und der frühen Renaissance Deutsch- lands ein ganz entschiedenes Wiederanknüpfen an jenen romanischen Stil den die aus Frankreich eindringende Gotik verdrüngt hatte, indem sie eine schon in der romanischen Architektur Deutschlands vorhandene Stilneigung weiterführte. In der Gotik haben wir den Höhepunkt des germanischen Rassen- und Kultursieges ge- sehen. Frankreich und Deutschland bilden im zwölften Jahrhundert zwei Zentren germanischer Rassenherrschaft. Das Übergewicht des germanischen Elementes in Deutschland bringt es mit sich, daß dieses hier ein anderes Volkstum gebiert wie in dem von lateinischen Rasseelementen stark durchsüuerten Frankreich der Merowinger. Das germanische Element wandelt sich am Rhein und an der Donau, an Elbe und Oder in ein deutsches, das frünkische an Rhóne und Seine in ein franzüsisches, So modifiziert sich der germanische Stil der Gotik in logischer Entwicklung dort zu einem französischen, hier zu einem deutschen. Diese „deutsche“ Modifikation ist nichts anderes als die Entwicklung des gotischen Stils in der vom Romanischen angebahnten Richtung. Die erste Epoche der Gotik er- scheint in Deutschland zum Teil als eine Weiterentwicklung des Vorhandenen, zum Teil als ein von außen eingedrungener Stil, der erst dem deutschen Wesen assimiliert werden muß. Sobald diese Assimilierung vollzogen ist, fällt das für Deutschland unbrauchbare, das typisch Französische in dem germanischen Stil der Gotik ab und die Weiterentwicklung erscheint als notwendige Konsequenz des Romanischen. Die deutsche Renaissance, in welche die deutsche Sondergotik aus- läuft, ist darum ganz sichtbar die zeitliche Neubildung des romanischen Stils. Die antikisierenden Elemente, weiche in die deutsche Renaissance erst spät eindringen,

(1) Siehe Monatsh. f. Kunstw. IX, 8. 87ff. u. 126ff. (2) Gerstenberg: Deutsche Sondergotik. Delphin-Verlag München. (3) Hanfstaengel: Hans Stethaimer. Leipzig топ.

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sind entweder belanglos, oder sie fügen sich dem Ganzen in der Weise ein, wie sie es schon in der romanischen Stilperiode taten. Sie werden mit den deutschen Motiven zu einer Synthese verarbeitet. Die Bewertung der deutschen Spšt- oder richtiger Sondergotik hat in den letzten Jahrzehnten einen bedeutenden Umschwung erfahren. Allgemein sind die Sachverstündigen sich jetzt darüber einig, daB es sich dabei keineswegs um einen Verfall des Stils handelt, wie wir denn überhaupt mit den Begriffen: Blüte Verfall vorsichtiger operieren als früher!) Die An- wendung der philosophischen Methode auf die kunstwissenschaftliche Forschung hat uns gelehrt, die innere Berechtigung eines jeden Zeit- oder Nationalstils aus der Besonderheit der Ziele und Anlagen zu entnehmen. Wir sehen heute in der deutschen Sondergotik eine in sich reifende Kunst, die zugleich das Ende einer Epoche und der Anfang einer neuen war. Notwendig folgt aus dieser Erkenntnis die weitere, daß auch die deutsche Renaissance in ihren Anfängen kein von Italien abgeleiteter Stil war, sondern organisch im Inland aus der Sondergotik hervorwuchs?). Das Rómertum, wie es sich in Italien als grundlegendes und immer entscheiden- des Rasseelement erhalten hatte, war dort ebenfalls in der romanischen Epoche zuletzt zur Geltung gekommen. Darum spricht die Kunstgeschichte schon lange bei Bauten wie S. Miniato in Florenz von einer ,,Protorenaissance“*). Mir scheint es einfacher, die frühe Renaissance des Quattrocento als eine naturgemäße Weiter- bildung des selben Stilwollens anzusehen, das im rr. Jahrhundert San Miniato schuf. Die Gotik Italiens war eine Verarbeitung germanischer Formen ohne zwin- genden inneren Grund. Italien mußte durch diese Phase hindurchgehen, weil der Zeitgeist, der diesmal die germanische Rasse emportrug, immer Herrscher blieb. Einem „Stil“ kann sich ein Volk des gleichen Kulturkreises so wenig wie dem Jahrhundert seines Werdens selbst entziehen. Italien hatte sein Mittelalter durch- gemacht, eine neue Zeit kam herauf, die der lateinischen Rasse günstiger war, und sofort streift Italien als erstes Volk in Europa alles Mittelalterliche und damit Germanische von sich ab. Es schuf instinktiv in der Weise, in welcher seine Künstler geschaffen hatten, bevor die Gotik die Weiterentwicklung seiner Baukunst im toskanischen Sinn unterbunden hatte. In Italien wird der Kulturkampf des lateinischen Elementes gegen das deutsche und französische wie gegen den Orien- talismus begonnen, in Italien wird das Kulturproblem der neuen Zeit gelóst, in Italien der erste definitive Sieg des antik-klassischen Elementes über das Germa- nisch-Orientalische errungen. Daher kommt es, daß sowohl Deutschland wie Frank- reich schlieBlich gezwungen werden, ihre Sonderart, d. h. ihre Lósung der Zeit- frage, den in Italien gefundenen Formen anzupassen. Der Renaissancestil ist in seinem Wesenskern italienisch. Darum sind die deutsche Renaissance wie die französische Renaissance auf ihrem Höhepunkt nur völkisch bedingte Modifikationen des transalpinen Stils. In der frühen Renaissance Deutschlands und in seiner Sondergotik haben wir den Ansatz des Stils, den Deutschland ohne den Einfluß Italiens entwickelt hätte. Die Reaktion des Germanischen im Barock beweist, wie erzwungen das klassizistische Gebahren der Deutschen zur Renaissancezeit war. Der Übergang zur Renaissance, der zeitliche Kulturkampf also zwischen Mittel- alter und Neuzeit und der räumliche Rassenkampf zwischen Germanentum und Lateinertum setzt in Italien ein. Die Entscheidung fällt aus zugunsten der Neuzeit und der lateinischen Rasse. Das ganze ı5. Jahrhundert hindurch war die christ-

(1) Wölfflin; Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Bruckmann, München 1915. (2) Haenel: Spätgotik und Renaissance. Stuttgart 1894. (3) Burckhardt: Geschichte der Renaissance in Italien.

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liche Welt durch die beginnenden Reformbestrebungen innerhalb der Kirche seelisch erschüttert. Die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Entdeckung Amerikas trugen das ihrige dazu bei, den Gesichtskreis zu erweitern, das Denken in rascheren Schwung zu versetzen. Es ist kein Zufall, daß die deutsche Renais- sance erst mit der lutherischen Reformation einsetzt. Das Mündigwerden der Völker in geistiger Hinsicht, ihre Befreiung von der kirchlichen Autorität äußert sich in der baulichen Erscheinung der Epoche in einem entsprechenden Zurück- treten der Kirchenarchitektur gegen den Profanbau. Trotzdem halte ich zur Er- lüuterung meiner Thesen von der abendlündischen Stileinheit und dem in den Übergangsstilen zur Erscheinung kommenden Rassen- und Kulturkampf am Kirchen- bau fest; denn die Kirche ist in weit höherem Maße als der Profanbau Exponent des Zeitstils. Die nationale Sonderart Italiens, Deutschlands, Frankreichs prügt sich aus in den Palastbauten der Strozzi, Pitti und Piccolomini, in den Schlóssern von Heidelberg und Stuttgart, den Rathäusern von Rothenburg und Bremen, den Bürgerhäusern Nürnbergs und Augsburgs, von Danzig und von Lübeck, in den Cháteaus von Blois und Fontainebleau. Die Kirche ist international Die latei- nische, überall gültige Sprache des Gottesdienstes ist typisch für die Stellung der Kirche über dem Völkerleben. Aber die Kirche ist auch die Trägerin des semi- tisch-orientalischen Elementes im Abendland. Dieses semitisch-religióse Element ist das Bindeglied zwischen den rassefremden abendlündischen Völkern. Es ist be- zeichnend, daß kaum ein Jahrhundert, nachdem Luther sein kerniges Burg-Lied gesungen hatte, der zionistische Sehnsuchtsgesang ertünt, ,Jerusalem, du hoch- gebaute Stadt“. Das allgemein gültige, allen gemeinsame Entwicklungsmoment wird der Stil also immer in der Kirchenarchitektur aufweisen.

Anders wie in den früheren Jahrhunderten haben wir gerade in Italien eine An- zahl von Bauten des Übergangsstils, die so weit unveründert erhalten sind, daB wir den ursprünglichen Baugedanken klar an ihnen ablesen können. Zunächst unterscheiden sich die Kirchen des Quattrocento baulich in nichts von den Kirchen der Gotik oder des romanischen Stils. Nur dem Ornament kommt die Bezeichnung frühe Renaissance“ zu!) Unsere Vorstellung der italienischen Frührenaissance beruht daher auch fast ganz auf Einzelheiten und vor allem auf architektonischen - Detailstücken wie Kanzeln und Grabdenkmälern. Das Marmortabernakel der Ver- kündigung Donatellos in Sta. Croce ist ein Wunderwerk der Synthese von Archi- tektur und Plastik, von romanisch-mittelalterlicher Tektonik und frühem Renaissance- ornament. Ich vermeide das Wort klassizistisch trotz der Entlehnungen aus dem Formenschatz der Antike, weil die Verwendung des Eierstabes durchaus individuell und in dieser Zusammenstellung neu ist. Ahnliches gilt von Desiderio da Settignanos Grabmal des Marsuppini, das besonders charakteristisch ist für einen Wesenszug der Frührenaissance, die gleichwertige Behandlung architektonischer Formen mit figuraler und ornamentaler Plastik, als lose zusammengruppierte Teile. Bei einer solchen Schöpfung der Frührenaissance ist kein Teil mit dem anderen verwachsen. Sie sind wie bei einem Stilleben aufgebaut und jedes Glied lieBe sich abnehmen oder herausstellen. Diese lockere Komposition 188% sich auch bei gróBeren archi- tektonischen Werken wie der Badia von Fiesole beobachten. Ich führe sie zurück auf das BewuBtsein der Bildbauer-Architekten des Quattrocento, ihre ornamentalen

(1) „Der Stil der Frührenaissance in Venedig verdient sogar kaum noch den Namen eines Baustils.“ Burckhardt, Geschichte der Renaissance in Italien S 43, bearbeitet von Holtzinger. Eßlingen a. N. Paul Neff Verlag 1912.

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Formen auf ein fertiges und feststehendes Gerüst zu übertragen. Die hängende Zier, welche zwar wohl aus der Antike entnommen, doch wieder aus dem frischen Naturstudium der Zeit herkommt, ist symbolisch für diesen Charakterzug der Epoche.

Diese architektonische Plastik wird mit besonderer Liebe durchgebildet, ebenso wie auch dem Bau verwachsene Einzelheiten, Fenster, Türen, Pilaster so gebildet sind, daB sie als selbständige Kunstwerke unabhängig von der Gesamtanlage be- trachtet werden künnen, ja erst in dieser Isolierung zu voller Wirkung gelangen. Ein Säulenkapitell der Frührenaissance ist ein Juwel der Plastik, der Reiz seiner Formen würde sich auch dann geltend machen, wenn es vom Sdulenschaft ab- getrennt nur um seines eigenen Wertes willen zur Aufstellung gelangte. Die frühesten Renaissancekirchen Italiens haben darum einen hohen intimen Reiz, wir empfinden ihre Grazie als etwas Vertrautes, menschlich Nahes. Je einfacher die Anlage ist, desto würmer wirkt diese Ruhe und Klarheit!) Die móglicherweise auf Brunellesco zurückzuführende Kirche der Badia von Fiesole?) ist beinahe kahl zu nennen. Der Künstler hat hier den Grundriß der spätmittelalterlichen Kirche beibehalten, aber alle schmückende Zutat entfernt, um statt dessen neue, aber spärlich verwendete Formgedanken zu versinnlichen. Typisch für die Frührenais- sance sind ferner die venezianischen Kirchen S. Zaccaria und die kleine Sta. Maria de Miracoli. Deutlicher wie die toskanischen Kirchen der Zeit weisen sie das Wiederanknüpfen der frühen Renaissance nicht nur an klassisch-antike, sondern an byzantinische Vorbilder auf. Der jetzt so gern in seiner Bedeutung verkannte John Ruskin hat für diese Bauten den Begriff: ,byzantinische Renaissance“ geprügt?), welcher sich zwar nicht ohne Vorbehalt auf die toskanische Architektur über- tragen läßt, aber doch den Kern der Sache trifft hinsichtlich des Zusammenhangs dieser Frührenaissancebauten mit den unter byzantinischem Einfluß entstandenen romanischen Bauten Italiens. Die Fassade Sta. Maria Novellas, eine der feinsten Schópfungen Leon Battista Albertis, ist in der Komposition wie in den Einzelformen von S. Miniato abhüngig. Bezeichnend ist hier die Verwendung der Inkrustation, die als mittelalterliche Technik in Florenz bald wieder aufgegeben wird. Wie zwanglos die Renaissance mit der Gotik verschmolz, zeigt sich am besten bei dem durchaus harmonischen Bau des Florentiner Doms. Entstanden zu einer Zeit, in welcher noch kein Architekt anders als in gotischem Stil bauen konnte, ist er in Grundriß und Aufriß ein charakteristisches Werk der italienischen Gotik, aber seit dem Ende des 14. Jahrhunderts finden sich an diesem gotischen Bau Schmuck- formen, die unmittelbar nach antik-rómischen Vorbildern gearbeitet sind, Akanthus- ranke, Palmette und Eierstab drücken dem mittelalterlichen Ganzen den Stempel der neuen Zeit auf. Durch diese ornamentalen Einzelformen wird das stolze Bau- werk von Florenz der Renaissance gewonnen, die endlich neben den gotischen Turm die krönende Kuppel Brunellescos setzt, den Auftakt zur konstruktiven Neu- bildung des Architekturstils. Der Kuppelbau der Renaissance ist der Ausdruck des einigenden religionsgeschichtlichen Momentes im Abendland. Vom Orient stammend symbolisiert die Kuppel den latinisierten Semitismus im Kulturleben Europas.

Es gibt in Deutschland nichts, was sich an Wert neben die Kirchen der italie-

(z) Vergleiche hierzu: Swarzenski, Das Kunstgewerbe in der Renaissance.

(2) Willich: Die Baukunst der Renaissance in Italien. Handbuch der Kunstwissenschaft. Berlin- Neubabelsberg. Akademische Verlagsgesellechaft Athenaion.

(3) John Ruskin: Stones of Venice.

Monatshefte für Kunstwissenechaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 7 14 : 197

nischen Frührenaissance stellen lieBe. Der Übergang vollzog sich hier unter stür- kerer Gegenwehr des germanisch-gotischen Stils. In Italien ist kaum ein Kámpfen der Formen zu beobachten. Der Sieg der lateinischen Rasse vollzieht sich fast geräuschlos. In Deutschland tritt der Kulturkampf in einem mächtigen Aufrauschen und sich Bäumen der widerstrebenden Glieder zutage. Die Kirchen des Jesuiten- ordens im Rheinland, obzwar erst dem 17. Jahrhundert entstammend, sind vielleicht die charakteristischsten Beispiele. Die Jesuitenkirche in Köln gehört in tektonischer Hinsicht ganz der späten Gotik an, aber ihre äußere Erscheinung ist durchtränkt mit Renaissancemotiven und Renaissanceformen. Die italienische Hochrenaissance . sandte ihre Künstler nach Deutschland. Deutsche Architekten zogen über die Alpen und lernten von den Bauten Bramantes, Michelangelos, Raffaels und Palladios. Was die italienische Renaissance in formaler Hinsicht brachte, war die klare Glie- derung der Teile, den straffen Aufbau, die durchdachte Symmetrie, die plastische Bestimmtheit aller Form, die Betonung der linear begrenzten Fläche, der Silhouette. Es war kein Raum mehr für phantastische Willkür und malerische Tiefenwirkung. Der Stil der italienischen Renaissance ist ein streng tektonischer. Die übersicht- liche Einteilung der Flächen ist dem Renaissancebaumeister wichtiger wie die bildmäßige Erscheinung des Ganzen. Der Tiefenzug der abendländischen Kunst wird aufgegeben zugunsten eines linearen Flüchenstils. Die Absicht des Renais- sancestils geht auf Einheitlichkeit mit strengster Wahrung des Eigenwertes jeder Form!) Diese Einheit konnte in den Frühwerken noch nicht erreicht werden, weil Gerüst und Ornament noch nicht verschmolzen war. Sie wird erreicht im Cinquecento und teilt sich von da aus an Deutschland mit, soweit der deutsche Nationalcharakter lateinischer Formenklarheit und überlegter Konstruktion zugüng- lich ist. Der Heidelberger Otto-Heinrichsbau kommt dem italienischen oder Re- naissance-Stilwollen am nächsten. Aber diese klassische Ruhe der Formen, die maBvolle Gliederung des Ganzen, die funktionelle Bestimmtheit aller Teile blieb dem germanischen Geiste fremd wie der Sinn der Gotik den Italienern fremd ge- blieben war.

In Italien selbst war das Element der germanischen Rasse immerhin so stark, daB es eine weitere Ausbildung der Kunst in der Richtung des Klaren, Geordneten, Übersichtlichen nicht zulieB. Hier wie nördlich der Alpen setzt eine Reaktion nach der Seite des Malerischen, Unübersichtlichen ein. Diese rassegeschichtlich be- gründete Reaktion wurde unterstützt durch ein das ganze Abendland ergreifendes, machtvolles Aufwallen des semitischen Geistes. Barock und Jesuitismus oder Gegenreformation sind synonym. Dieser Stil ging von der Kirche aus. Die orien- talische durchgeistigte Sinnlichkeit, die in ihr lebt, die von Generation zu Generation fortgepflanzt wurde, konnte sich mit der nüchternen Klarheit der Lateiner jetzt so wenig zufrieden geben wie in jenen ersten Tagen als die römische Kirche ihre Vorbilder aus Syrien und Palästina holte. Das Barock ist die glänzendste Inszenie- rung kirchlicher Frómmigkeit, die rauschendste Interpretation einer Geschichte, die, in Mesopotamien beginnend, in Jerusalem endet, Jeder Name in der Bibel ist semitisch. Durch die Bibel wurden Namen und Ideen Palästinas im Abendland eingebürgert. Als die Völker sich von der Kirche zu entfernen begannen und ihre Blicke wieder auf die heidnische Antike, das vorchristliche Rom lenkten, wurde das semitische Element stark in den Hintergrund gedrüngt. Sobald die Kirche wieder Macht gewinnt, bricht sich auch die Tradition des Ghetto Bahn. Es ist

(1) Wólfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Bruckmann, München 1915. 198

einer jener, die Geschichte illustrierenden Zufälle, daß Rembrandt, die stärkste Persönlichkeit im nordischen Barock, seine Typen aus dem Ghetto, seine Themen aus dem Alten Testament wählte. Rembrandt ist der Maler des Judentums ge- worden mit seiner Mystik und seinem Prunk. Keiner ist so tief wie dieser Hol- länder in die Seele der Propheten des alten Bundes eingedrungen. Es liegt im Barock etwas, das man Messias-Hoffnung nennen könnte. Kostbarkeit des Mate- rials, Üppigkeit der Form, malerisch verwirrende Anordnung, mystisches Licht, glühendes Dunkel, unheimliche Pracht, schimmernder Glanz, farbendurchflutete Räume, Steigerung jeder Bewegung ins Kolossale, das sind die Elemente des Barockstils. Es sind zugleich die Elemente der orientalischen Kunst, es sind die Elemente, aus denen das Judentum seine poetische Inspiration zog. Wieder wie zur Völkerwanderungszeit geht der germanische Geist in seiner deutschen Phase sofort die Verbindung mit dem semitisch-orientalischen ein, während der Lateiner immer noch seine Sonderart behauptet. Die römischen Barockkirchen Borrominis sind kalt neben den Werken unserer deutschen Baumeister, man vergleiche nur San Carlo alle Quattro Fontane (1667) mit der Münchner Johannes-Nepomukkirche (1735). Der Unterschied liegt nicht in der Zeit begründet, sondern im Volks- charakter. Der barocke Stil ist international, weil er von der Kirche ausgeht, aber er trifft sich mit den gleichgerichteten Rassetendenzen Deutschlands, wo er wie eine Fortsetzung der Sondergotik erscheint.

Der Tiefenzug, welchen ich als wesentliches Stilmoment der abendländischen Kunstentwicklung auffasse, erreichte zum erstenmal einen Höhepunkt in der Gotik als ein Tiefenzug ins Dunkle. Er erreicht zum zweitenmal einen Höhepunkt im Barock als Tiefenzug ins Lichte. Die Barockkünstler arbeiten zuerst mit Licht und Luft, im Sinne von Helligkeit, als Faktoren der künstlerischen Wirkung. Ohne . eine Berücksichtigung der Luft, des Untastbaren, ist es unmöglich, die Barock- kunst in ihrem Werte zu verstehen. Bei der Plastik ist das vielleicht noch offen- barer wie bei der Architektur. Das Zusammenwirken aller Künste im Barock ist aber so groß, daß Plastik und Malerei als wesentliche Bestandteile der Architektur erscheinen. Rieselndes Licht und flutende Luft sind das Kriterium des Barock. Licht und Luft sind es, welche die Formen auflösen, die Konturen verwischen, das Ruhende in Bewegung bringen.

In der letzten Epoche der Gotik hatte die ihr innewohnende Tendenz zur Ver- schleifung!) den Unterschied zwischen den statisch tätigen und den getragenen Gliedern fast ganz aufgehoben. Gerstenberg faßt diese Aufhebung des Unter- schiedes zwischen stützenden und gestützten Gliedern, zwischen vertikalen und horizontalen Gliedern als Reduktion des Funktionellen auf. Ich sehe darin die letzte Konsequenz des Vertikalismus, welcher jede horizontale Linie ausschaltet, jede Auflagerung verschleiert. Der Wegfall des Kapitells ist bezeichnend. Dem gegenüber betont die Renaissance gerade die Gelenke. Vertikale und horizontale Glieder werden klar zum Ausdruck gebracht. Der Drang nach absoluter tekto- nischer Anschaulichkeit führt in Italien zu der sogenannten Reliefordnung, zur Be- handlung der Wandfliche als Gerüst, hinter welchem die raumabschließenden Mauern liegen. Die wichtigsten architektonischen Glieder dieser Reliefordnung sind natürlich die Wandsäulen oder Pilaster und die auf ihnen ruhenden Gesimse. Abgesehen von diesem extremen Fall geschieht die Gliederung der Wandflüchen, der Fassaden vor allem, immer durch Pilaster oder Säulen und Gesimse. Fenster

(x) Gerstenberg: Sondergotik, Kapitel II. 199

und Türen werden hervorgehoben durch eine Umrahmung von Säulen (Pilastern) und Gesimsen. Aus einem Renaissencebau läßt sich mithin jeder einzelne Teil herauslósen als ein in sich funktionell bestimmtes Glied, das sich dienend dem Ganzen einfügt. Aus dieser in sich ruhenden Bestimmtheit der Teile ergibt sich die Ruhe des Renaissancestils, in welchen zuerst Michelangelos Feuergeist den Odem einer neuen Bewegung blies.

Deutschland, das inzwischen den italienischen Raumstil ins Malerische und Be- wegte umgedeutet hatte, ergriff sofort die in Italien nur angedeutete Richtung in die Tiefe. Pulsierendes Leben, strómende Bewegung erfüllt die Massen, es schwillt und gührt in allen Formen. Die Giebel brechen auseinander, die geraden Linien báumen und krümmen sich, die Sáulen drehen und winden sich wie vom Sturm- wind zerzauste Stämme. Noch bleibt der Renaissancebau stehen, aber jede Form an ihm wird lebendig. Vom Grundriß bis in das kleinste Ornament gerät Leben und Bewegung hinein. Im Gegensatz zur Gotik, die ein tektonischer Stil war, ist das Barock ein atektonischer Stil, der Triumph des Atektonischen. Aber ehe die Tektonik des älteren Stiles überwunden war, mußte er überwuchert sein von den malerischen Gewächsen des Barock. Tremignans S. Moisé in Venedig ist charak- teristisch für diese Wucherung plastischer Zierglieder auf dem noch ruhig stehen- den Renaissancebau. Der Salzburger Dom wird noch in der ruhigen Strenge der italienischen Hochrenaissance errichtet und nur in der ornamentalen Ausgestaltung feiert die neue Geschmacksrichtung ihre Orgien.

Das Salzburger Barock ist für die rassegeschichtliche Entwicklung des Stils von Bedeutung, weil sich hier italienische und nordische Einflüsse trafen. Der Dom selbst ist noch von einem Italiener, Santino Solari erbaut, die vornehme Kühle des lateinischen Geistes beherrscht noch die Regung ins Ausschweifende und Phanta- stische. Wohin der nordische Geist wollte, zeigt sich dann leise in Fischer von Erlachs Kollegiumskirche, in weicher das Oval Berninis schon mit deutscher Orna- mentbehandlung verbunden erscheint.

Es dient vielleicht am besten zum Verständnis des barocken Geschmacks, sich zu erinnern, daß er, von Michelangelo ausgehend, in Rubens seinen glänzendsten Vertreter fand. Diese nordische Steigerung ins Maßlose, alle Gesetze Durch- brechende konnte im Süden nicht Platz greifen. Die letzte Ausgestaltung des Barock, das Rokoko, gelangte dort überhaupt kaum zur Entfaltung. Die Reaktion des lateinischen Geistes gegen diese Barockkultur setzte bezeichnenderweise in Frankreich, dem Land der modernen revolutionären Bestrebungen ein. Die üppige Blüte des germanischen Geistes verwelkte dort, der Quell der germanischen Künstler- Phantasie versiegte, die Kunst verarmte. Der sogenannte „stile Louis XVL“ ist nichts anderes als der Übergang von Barock und Rokoko zum Empire. In Louis XVI. sehe ich das Einsetzen des blutig endenden Kulturkampfes im 18. Jahrhundert. Man kann diesen Ubergangsstil als LüuterungsprozeB auffassen; im Sinne des lateini- schen Kulturideals ist es ein solcher. Daß er in Deutschland im Biedermeier aus- lief, beweist seine Rassefremdheit. Der deutsch - völkische Sinn flüchtete vor der höfischen Strenge ins Bürgerlich-Behäbige, vor der klassizistischen Kälte in roman- tisches Märchenland. In die vom Klassizismus und Verstandeskühle hervorgerufene Leere drang die deutsche Romantik ein. Im Ornament setzt das Louis XVL, der »Zopfstil*, sich zuerst durch, indem es dieses Ornament, wo immer möglich, ab- streift und die darunter liegende Struktur nackt zutage treten läßt. Die krummen Linien werden wieder gerade.. Überschneidungen werden vermieden, Verkröp- fungen und Ausbuchtungen treten in die Fläche zurück, Symmetrie, Klarheit, Ord-

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nung lósen das Regellose, Malerische, Wirre des Barock ab. Die gerade Linie bestimmt die Gestaltung des Grundrisses, wie sie jede Bauform bestimmt.

Dieser letzte Stil hat keine tektonische Zeugungskraft besessen. Wir haben darum nach Empire und Biedermeier keine weiteren Übergünge zu neuen Stilen, sondern lediglich ein unsicheres Tasten und Suchen nach älteren Richtungen. Rokoko und Empire sind reine Dekorationsstile, sie gehören daher streng genommen nicht mehr in den Bereich der vorliegenden Untersuchung. Die Architektur- geschichte des Abendlandes findet einen ersten AbschluB mit der letzten Barock- kirche. Die bauliche Entwicklung ist von da ab nicht mehr an die Kirche geknüpft, sondern an den Profanbau. Hier aber zeigt sie sich immer völkisch, ja lokal be- dingt. Es fehlt das einigende Moment eines internationalen Gestaltungsprinzips, wie es die Kirche bot. Seit der Gegenreformation ist die Kirche nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten Zentrum oder Führer des geistigen Lebens gewesen, das drückt sich deutlich in der Architektur aus. Es entspricht genau dem Wesen unserer Epoche, daB die Industrie die wichtigsten baulichen Aufgaben stellt. Wir stehen hier am Anfang einer neuen Entwicklung. Unsere letzten stilbildenden Versuche gehen bezeichnenderweise auf die Betonung des Tektonischen aus. Die reine Werkform herrscht sogar im Kunstgewerbe. Nach dem Weltbrand, welcher die letzten Fetzen einer fadenscheinig gewordenen Kulturtradition vernichtet, wird vielleicht die Götterdämmerung der zweiten abendländischen Kunstepoche folgen.

DAS KRODELBILD Nx. 1958 DER KÓNIGL. GEMALDEGALERIE ZU DRESDEN `

n seiner 1851 bis 1871 in drei Teilen erschie-

nenen Cranachbiographie hat Schuchardt es für wünschenswert erklürt, über den Verfertiger dieses auf Holz gemalten Olportráts, dessen Mañe er angibt, und das ,ein schónes Bild" sei, Mat- thias Krodel (+ 1605), Näheres zu erfahren!). Wen es darstellt, vermochte weder Schuchardt fest- zustellen, noch die Direktion der Dresdner Ge- mäldegalerie, die es im „Führer“ kurzweg als „Gemälde eines alten Herrn", jedoch mit Namens- nennung Krodels, und des oben rechts auf dem Gemälde befindlichen Malerzeichens M. K. ein- gereiht hat.

Einerseits die bei der, Halbfigur“ des alten Herrn an- gebrachte Alters bezeichnung , 1591, aetatis suae 79“, die auch bei Schuchardt, a. a. O., wiedergegeben ist?), sodann aber das Familienwappen, das teils rechts oben auf dem Bild sich befindet, teils auch der Siegelring zeigt, den der alte Herr am Zelge- finger der linken Hand trágt, machen es zweifel- los, daß es sich um einen Angehörigen der Fa. milie Brehm aus Schneeberg, der Heimatstadt Matthias Krodels im Erzgebirge, handelt. Es ist, wie die in den Chronikwerken Schneebergs mit- geteilte Genealogie der Familie Brehm ergibt, der dortige Ratsherr (seit 1579) und Stadtrichter Franz Brehm, auch wohlhabender Hammerherr zu Unter-Plauenthal, gestorben 1589. Über das Wappen siehe Chr. Meltzer, Chronik der Stadt Schneeberg, Ausgabe von 1716, Seite 1088. Im

(1) Chr. 8chuchardt, Lucas Cranach des Álteren Leben und Werke, nach urkundlichen Quellen bearbeitet. Teil III. Leipzig 1871, Seite 128, vgl. auch I, Seite 245, 291. (2) 1591 iet das Jahr der Anfertigung durch Krodel.

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Von GUSTAV SOMMERFELDT

wesentlichen war Krodel ein Schüler seines Vaters Martin Krodel zu Schneeberg, dessen Malerzeichen der Berliner Galeriedirektor Waagen') seinerzeit bekanntgegeben hat, und das von demjenigen des Matthias Krodel, obgleich es die gleichen Buch- staben aufweist, nicht unerheblich verschieden ist, Was Schuchardt, der in Weimar wirkte, und mit den Dresdner Angelegenheiten im ganzen nur wenig vertraut war, ferner a. a. O., Seite 128 (nach Winckelmanns?) Malerlexikon, Seite 274, und nach eigenen Wabrnehmungen), über einen angeblichen Wilhelm Krodel sagt, beruht auf Kom- bination und Mißverständnis. Es handelt sich, soviel ich ermitteln konnte, in allen Fällen, in denen auf in Betracht kommenden Bildnissen das Malerzeichen W. K. angebracht ist, um Wolfgang (Wolf) Krodel den Alteren, um 1528, der ein Schüler des älteren Lucas Cranach oder doch Ver- treter von dessen Richtung war. Siehe H.Janit- schek, Geschichte der deutschen Malerei, Bd. III, Berlin 1890, Seite 506; im allgemeinen ferner über die verwandtschaftlichen Beziehungen der Familie Krodel: H. A. Müller und H. W. Singer, All- gemeines Künstlerlexikon, Band II, Frankfurt a/M. 1896, Seite 396. Malereien des Flúgelaltars su

Mügeln bei Oschatz führte Matthias Krodel 1582

bei einem Kostenaufwand von 70 Gulden aus, worüber das Nähere bei J. G. Sinz, Geschichte der Stadt Múgeln, Teil I, Múgeln 1846, Seite 149 bis 150 gesagt ist.

(1) G. F. Waagen, Kunstwerke und Kiinstler in Deutsch- land. Teil I: Im Erzgebirge und in Franken. Lelpzig 1843, Seite 59.

(2) Ludwig von Winckelmann, Neues Mahlerlexikon. Augsburg 1796.

THOMSEN, WILHELM, Une inscrip- tion de la trouvaille d'or de Nagy- Szent-Miklós (= Det Kgl. Danske Vi- denskabernesSelskab, Historisk-filologiske Meddelelser: I, г) Kobenhavn, 1917, 28S.

In dieser Monatsschrift (IX. Jahrg., S. 13—24) brachte ich einen Versuch zur Lósung der In- schriften des Schatzes von Nagyszentmiklós in Vorschlag, wobei ich zum Endergebnis kam, daß sollten sich auch in der Lesung einige Ab- weichungen weiterhin ergeben der Grundsatz, daB diese Inschriften mit alttúrkischen Lettern und in alttürkischer Sprache verfertigt wurden, kaum mehr geündert werden dürfte. Als ich diesen meinen Aufsatz, der in dieser Form mehr den Kunsthistorikern gewidmet war, niederschrieb, hatte ich den größten Teil meines historischen und philologischen Materials natürlich schon fertig, und nur die Kriegsverhültnisse brachten es mit sich (es war kein Kupfervitriol aufzutreiben, dessen man zur Herstellung der alttürkischen Lettern ge- braucht hatte), йай diese meine eingehendere Studie bislang noch nicht erschien. Diesem Umstande habe ich es zu verdanken, wenn ich nun mancher- seits recht wertvolle Besprechungen, Winke und Ratschläge erhalte, die ja alle zur sachlichen Lö- sung dieser wie das Interesse hierfür zeigt recht wichtigen Frage der Völkerwanderungskunst beitragen. In diese Reihe von für die Wissen- schaft ungemein lehrreichen Beiträgen kann nun neuestens auch die oben zitierte Schrift des Altmeisters der alttürkischen Philologie, Thomsens, herangezogen werden, der ich, trotz dem etwas ungewohnt forschen Tone, mit der seiner un- bezweifelten Autorität gebührenden Ehrerbietung entgegenkomme.

Diese Ehrerbietung darf mich natürlich keines- wegs daran hindern, auch jetzt schon zu dieser Schrift Stellung zu nehmen; und zwar muß ich im allgemeinen, da dieselbe wahrlich wenig Sach- liches gegenüber meiner Aufstellung zu bringen weiß, in Sachen meiner Nachweise auf die hoffent- lich nunmehr bald erscheinende Grundlegung meiner Lesungen hinweisen; sonst ‘aber möchte ich doch einige Fehlschlüsse und Irrtümer des dänischen Gelehrten auch hier schon festnageln.

* * *

Von 28 Seiten ‘seiner Schrift behandeln etwa drei und eine halbe meine unansehnliche Arbeit, und zwar in einem Stile, worüber Thomsen selbst

bemerken muB, er habe sich ,sévérement" aus- gesprochen; was ebenso euphemistisch klingt, als das ,longuement.^ Sehr bezeichnend ist aber, wenn er selbst behauptet, er verfahre deshalb so erbarmungslos mit meiner Arbeit, weil es ihm mißfällt, daß der „berühmte und gründliche Orien- talist“, Prof. Karabalek, meiner Arbeit, „sans ré- serve" (was gar nicht den Tatsachen entspricht), beistimmte. Also eine Art von treuberzig be- kannter Gelehrteneifersucht, die ihren Unterstrich durch den webmütig vorgebrachten Seufzer erhält: „moi-même j'ai à plusieurs reprises, au cours des années, perdu pas mal de temps en m'occupant, mais j'ai fini par arriver à ce résultat qu'il est impossible d'en trouver le déchiffrement......" Hätte sich Thomsen Zeit seines Lebens ebenso nach den Nórglern gerichtet, wie er es offensicht- lich jetzt von anderen wünscht, und nicht viel- mehr ans frische Schaffen gedacht, wahrlich, seine epochalen Erkenntnisse würen nicht zustande ge- kommen.

Der altebrwürdige Gelehrte schien übrigens bei Niederschrift seiner, meine Arbeit náher behan- delnden 3'|, Seiten diese meine Arbeit eigentlich gar nicht recht gelesen zu haben, Er spricht an- fangs seiner Zeilen über einen ungarischen Ge- lehrten, den er nicht das Recht habe, zu nennen, da dessen Arbeit Thomsens Ansicht nach bislang noch nicht erschien. Dieser Gelehrte war weil. Géza Nagy, über dessen bez. Arbeit ich in meinem Aufsatze aber ganz klar sagte, daß sie schon erschienen sei. Spiter, auf 8.17, nachdem er meine Arbeit gehörig abgerissen hat, sagt nun Thomsen, daß er aus meiner Arbeit doch ersühe, daB G. Nagy's Beitrag erschienen sei, was soviel besagt, daß Thomsen zuerst seine Kritik nieder- schrieb, und dann erst eigentlich meinen Aufsatz durchlas. Solche Gedächtnisfehler sind übrigens in Thomsens Besprechung noch nachzuweisen. Er sprach z. B. vor etlichen Jahren (in den Mé- moires de la société Finno-Ougrienne, 1894) den Grundsatz aus, дай die alttürkische Schrift nichts mit Runen zu tun habe: nun aber spricht er in dieser Kritik unentwegt von alttürkischer Runen- schrift (z. B. S. 7 u. 10). Dann macht mir Thom- sen den Vorwurf, ich gebrauchte zum Nachweise meiner Lesung türkische Dialekte von Sibirien bis zur Türkei (was nebenbei den Tatsachen gar nicht entspricht; ich berufe mich ja direkt darauf, дай ,der alttürkische Dialekt, worin unsere In- schriften verfaßt sind, heute durchgehends in den

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südóstlichen Gebieten des zentralasiatischen Türken- tums: im Uigurischen, Teleutischen und Ostturke- stanischen, folglich durchwegs an den Abbüngen des Altai zu finden ist“). Hingegen passiert es dem verdienten Forscher, daß er im zweiten Teile seiner Arbeit, bei dem Versuche der Lesung einer griechisch geschriebenen, türkischen Inschrift nun wirklich Belege aus aller Herren Länder, von den Uiguren bis zu den Osmanlis heranzieht, was ihm ja gar nicht übel angerechnet werden soll, da ja die Völkerverschiebungen im frühen Mittelalter wirklich solche Kulturübertragungen zur Folge hatten, über die schon so manche Philologen stolperten. Dann hält sich Herr Thomsen auch darüber auf, daß ich die Inschriften bald von rechts nach links, bald umgekehrt lese. Ich ver- wies in diesem Bezuge auf Radloffs Alttürk. In- schr. I, S. 383 f., was Herrn Thomsens Aufmerk- samkeit offenbar entging, und kann nun auch weiterhin auf eine ganze Folge von Tatsachen dieser Art hinweisen, die in meiner schon er- wühnten Grundlegung demnächst erscheinen dürften. Herrn Thomsen dürfte es aber auch sonst bekannt sein, wie recht ,unphilologisch" die alten Türken im 7.—8. Jahrhundert n. Chr, schrieben; und auch in dieser Hinsicht werde ich mir erlauben, so manches anzuführen, was da- durch seine Erklárung finden dürfte, дай die Alt- türken eine fertige Grammatik, diejenige der Brahmi-Schrift, für ihre Zwecke und für ihre phonetisch ganz fremde Sprache adaptierten,

Auch kann ich den Umstand nicht mit Schwei- gen übergehen, daß Herrn Thomsens Kenntnisse über den bez. Schatzfund bei dem Jahre 1885 stehen geblieben sind. Er scheint zum mindesten darüber keine Kenntnis zu besitzen, daß Hampel seine im besagten Jahre erschienene Arbeit seither gründlichst umarbeitete und nunmehr auf ganz andere Ergebnisse kam. Diesem etwas veralteten Standpunkte entspricht es auch, wenn Herr Thomsen stets über einen „evidenten christlich-byzantini- schen Einfluß“ spricht (S.rr, 25, 26, 27), den der Schatzfund angeblich aufweisen soll. Nun, dar- über sind wir ja längst hinaus; wovon sich Herr Thomsen ja hätte überzeugen können, wenn er Strzygowskis Altai-Iran zur Hand genommen hätte zu Herrn Thomsens Leidwesen auch übrigens ein Werk, das meiner Annahme der alttirkischen Flerkunft des Schatzes vollauf ge- recht wird.

Dem zweiten Teile des Thomsenschen Werkchens mag ich nun gar nicht näher treten. Aber be- zeichnend bleibt es doch, wenn der Altphilologe anstatt der Deutung G. Nagy’s für das in der

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Inschrift zweimal vorkommende tacon die Inschrift zu *tepsisi „korrigiert“, und hierdurch eigent- lich erweisen will, daß er besser weiß, was der Alttürke schreiben wollte, als der Alttürke selbst. Das ewige „оп pourrait peut-étre admettre", „me cause encore certaines hésitations", „il faut re- courir à une hypothése“, mögen ihre volle Be- rechtigung haben, nur dazu bieten sie keine Be- rechtigung: eine ehrlich geleistete Arbeit unter ihrem Deckmantel einfach ohne Kritik in solcher Art abzutun, wie es Herrn Thomsen beliebte. Dies muBte ich ja auch gegenüber der gerne anerkannten Autorität Wilhelm Thomsens fest. stellen. Dr. G. Supka-Budapest,

VOGEL, J., OttoGreiners graphische Arbeiten inLithographie, Stich und Radierung. Wissenschaftliches Ver- zeichnis von Julius Vogel mit 40 Tafeln in Lichtdruck. Dresden, E.. Arnold. 4°. 1917. | |

Das vorliegende Verzeichnis ist unter den glück- lichsten Vorbedingungen entstanden. Der verhilt- nismáBig frühe Tod des Künstlers, an sich be- trüblich, stellt den endgültigen Abschnitt dar, der dem Verzeichnis, gegenüber so vielen anderen, die uns in den letzten Jahren beschieden wurden, seine unangreifbare Erscheinungsberechtigung ver- bürgt. Dagegen ist es wenigstens in der Haupt- sache zu Lebzeiten des Künstlers, mit dessen weitgehender Beihilfe, von einem seiner nahen Freunde abgefaßt, der sich der Unterstützung an- derer, noch intimerer Freunde Greiners erfreute. Am meisten verdankt die Arbeit aber dem gün- stigen Umstand, daB ein wirklich Berufener, ein richtiger Fachmann, sie unternommen hat. So kommt es, daß man endlich wieder einmal einen „Oeuvrekatalog“ in die Hand bekommt, an dem man fast nichts auszusetzen hat, in dem die An- ordnung, die Art der Aufnahme, die Bearbeitung der einzelnen Titel, die Gewissenhaftigkeit, mit der die Aufgabe durcbgeführt wird, sümtlich in gleichem Maße erfreuen,

Vogel hat sich bereits öfters über Greiner ver- breitet und aus seiner Museumstätigkeit kennt man seine Stellungsnahme dem Künstler gegen- über, Wer vielleicht leise den Argwohn gehegt hat, die Einleitung zu vorliegendem Verzeichnis móchte, besonders da sie so kurz nach Greiners Tod beinahe als Nekrolog wirken muß, ein wenig zu dithyrambisch ausfallen, wird auch in diesem Punkt auf das Angenehmste berührt sein. Der Verfasser schlägt warme Töne der Verehrung

an, aber er ist auch nicht blind gegen die Mangel Greinerscher Kiinstlerschaft, man liest darüber noch mehr zwischen den Zeilen als in den Zeilen und er spricht kaum ein Lob aus, das man nicbt unterschreiben kónnte. Auch ihm ist es nicht zweifeihaft, daß von der Frische der Jugendarbeiten aus den ı889—ı8gıer Jahren bald viel verloren geht, daB sich dann aber Greiners Kunst wieder zu einer wirklichen Größe in den Bildnissen der Jahre 1900— 1907 (Frau Wagner, R. Pichler, J. Guth- mann usw.) steigert, und daß diese Steindrucke die eigentlichen Großtaten des Künstlers auf gra- phischem Gebiet bleiben werden. Hier konnte sich Greiners ,Sinn für die Wirklichkeit", den auch Vogel als die Hauptkraft des Künstlers an- spricht, auf das Glünzendste, kaum je su Uber- treffende, entfalten, Hier konnte ihm sein Passi- vum, die Mangelhaftigkeit seiner Phantasie viel- mehr als der Mangel an Phantasie selbst, nicht hemmen. Abstammung und Bildung haben ehern ihre Faust auf ihn gelegt. Wir wissen, und Vogel erzählt es uns wieder, daß Greiner in seinen Mannesjahren sich in bewundernswerter Weise eine Bildung angeeignet hat. Aber es gibt Dinge, die sich nicht abstreifen lassen und Dinge, die sich nicht einholen lassen, wenn man mit dem Versuch in etwa erst dem zwanzigsten Lebensjahr zu beginnen vermag. Jugend und Jugenderziehung sind schuld an der Unkultur, die in solchen Blät- tern steckt, wie der , Hexenschule" und dem „Mörser“, an dem selbst Vogel die ,gegenstündlich unndtig drastische Form“ rügt. Hat sich einmal Greiners inneres Auge zu einem kühneren, freieren Schwung der Phantasie erhoben, wie in der Gia, so folgt ihm das äußere nicht und der Zwiespalt bleibt bestehen. Doch, was er Großes geboten hat in den genannten Bildnissen (man kann den Klinger, die Kunstkenner, den Meurer, die Deutschen in Rom, übrigens auch das Schießdiplom noch zu- gesellen) ist genug für einen Mann. Das andere starke Aktivum in Greiners künstlerischer Per- sónlichkeit, sein Sinn und Geschmack für eine feine Farbigkeit, wie sie uns zahlreiche Zeichnun- gen und einige Ölgemälde verraten, hat er leider nicht in seiner Grapbik verwertet.

Vogel verzeichnet (richtig gerechnet) 117 Blatter, von denen die ersten r5 unbedeutende Kopien, nur Lehrlingsarbeiten sind. Unter den übrigen rund 100 befinden sich vier Radierungen (die Klinger-Greiner-Schneiderplatte mit eingerechnet) und 14 Stiche, Alle sind genau und ausführlich in chronologischer Folge beschrieben, mit den nötigen gegenständlichen Erläuterungen und mit Hinweis auf Studienzeichnungen.

‚überhaupt nicht aufgenommen werden,

Als einzigen Fehler empfinde ich bloß die Nu- merierung. Die beiden Hilfsplatten zur Gäa, der verworfene Stein zum Löfftzblatt sind doch ge- trennte, selbständige Arbeiten und mußten selbst- verständlich eigene Nummern haben. Das Gleiche gilt von der Rückseite des Kantateblattes (V. 48b) und gegebenenfalls von der des Festprogramms (V. a1b). Dagegen durften die Rosenstudien (V.102) da sie nicht einmal bis zur Átzung, geschweige denn bis zum Druck gediehen sind. Wenn, wie es scheint, die Bildnisse von Cosima und Siegfried Wagner (V. 75 u. 76) auf ein und demselben Stein stehen, so hitten sie auch nur eine Nummer haben dürfen. Drucke der Einzelbildnisse, wenn sie nicht lediglich zerschnittene Papierdrucke sind, waren ais II. Zustand anzuführen gewesen.

Wie leicht einem etwas bei solch mühseliger Aufgabe entschlüpfen kann, zeigt der Umstand, daß Vogel, obwohl er die Dresdener Sammlungen mehrmals durchnahm, nicht bemerkte, daß es vom Ex-Libris Rex (V.79) II Zustände gibt: I = die Fessel geht durch Löcher im Schild oben; II = der Schild ist nicht durchlóchert und die Schild- fessel verläuft heraldisch richtig hinter dem Schild.

Hans W. Singer-Dresden-Wachwitz.

COHEN, HERMANN, Asthetik des reinen Gefühls. 2 Bände. Berlin, Bruno Cassirer, 1912.

Ein Buch Hermann Cohens kann es ertragen, auch um Jahre verspitet besprochen zu werden, was im vorliegenden Fall durch die Einberufung des Referenten verschuldet ist; aber eine wissen- schaftliche Zeitschrift kann nicht darauf verzichten, ihre Leser zur Auseinandersetzung mit einem so inbaltsreichen und bedeutsamen Werk sei es auch durch Einwünde vnd Verwabrungen auf- zumuntern. Über die Stellung Hermann Cohens innerhalb der Philosophie unserer Zeit kann hier nicht gesprochen werden, braucht es auch nicht, da seine Wirkung sich auf das ganze Reich der Geisteswissenschaften erstreckt. Man meg diese Wirkung günstig oder ungünstig beurteilen, das eine wird jeder zugestehen, der hinter den Büchern den Menschen zu fassen versteht, und der ab- zuschätzen weiß, was persönlicher Einsatz für Denken und Gesinnung der Zeit zu bedeuten hat, daß wir wenige so machtvolle und geschlossene Denkerpersönlichkeiten unter uns haben, und daß diesen wenigen „frei durch Vernunft, stark durch Gesetze“ der Menschheit Würde in die Hand ge- geben ist.

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Von den meisten, fast kënnen wir sagen: von allen modernen Versuchen, einen eigenen Stand- punkt in der Asthetik zu gewinnen oder zu um- schreiben, unterscheidet sich Cohens Werk da- durch, daß es keine „isolierte“ Ästhetik enthält, sondern daß diese das dritte Glied eines Systems bildet, und zwar unter ständiger Vergegenwárti- gung dieser Anlage.

Das wird vielen, auch vielen Lesern dieser Monatshefte als ein recht zweifelhafter Vorzug erscheinen. Aber die systematische Koordination muß nicht notwendig die Eigentümlichkeit der Erscheinungen vergewaltigen, sie kann ihnen auch erst recht Spielraum und Sicherung gewähren. Ich habe sehr viel gegen die Polemik einzuwen- den, die Cohen gegen die romantischen Philo- sophen richtet; aber daß ein Denker, der sich nicht dazu verstehen will, das Ganze der Philo- sophie in Ästhetik aufzulösen, schon dadurch die Mannigfaltigkeit der Tatsachen in unzulässiger Weise schematisiert, ist ein Vorwurf, dessen Be- rechtigung allein durch die Scheu vor dem Wort System gedeckt ist. Freilich muß man unter System etwas anderes verstehen als die Anord- nung wildgewachsener Ansichten nach Kategorien, die aus der fachwissenschaftlichen Überlieferung entnommen werden. Hiervon ist das Bemühen Cohens, den Begriff einer ästhetischen Gesetzlich- keit gemäß dem allgemein bedingenden systema- tischen Begriff der Gesetzlichkeit zur Entdeckung und zur Bestimmung zu bringen, grundverschieden. Wie man sich auch zu der bald umständlich aus- greifenden, bald derb zupackenden, bis zur Ängst- lichkeit vorsichtigen und wieder bis zu souveräner Nichtachtung tatsächlicher Verhalte eigenwilligen Art der Grundlegung mit allen ihren geistes- geschichtlichen und erkenntnistheoretischen Hilfs- konstruktionen stellt, im ersten Bande ist eine Denkleistung enthalten, die ihren Lohn nicht nur in sich selbst trigt.

Eine andere Frage freilich ist, welchen un- mittelbaren Gewinn die Kunstbetrachtung, das historische Studium und das lebendige Verhältnis von dieser Ästhetik davontragen wird, und da scheint es mir, als ob der Anreiz zu kräftigstem Widerspruch der Wirkung bestes Teil sein wird. Cohens gereizte Auseinandersetzungen mit Konrad Fiedier, der uns als der Verführer Adolf Hilde- brands vorgestellt wird, lassen die Brüchigkeit der Grundlagen am klarsten erkennen. Die Akko- modation, die Cohem zwischen seinen eigenen Anscbauungen und denen Hildebrands vornimmt, dürfte nicht allen textkritischen Bedenken stand- halten,

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Um das Recht der Philosophie an der Ästhetik zu behaupten, sah Cohen sich veranlaßt, seinen persönlichen Anteil an ästhetischen Erlebnissen ` zu bezeugen und von seinen Lebenserfahrungen an den großen Kunstwerken zu berichten. Er meint, ohne solche Kundgebungen würden seine methodischen Ausführungen nicht nur der Ver- anschaulichung, sondern auch der Beglaubigung ermangelt haben. Hiervon verspricht sich der verdiente Verfasser entschieden zu viel. Seine Bekenntnisse können seine Theoreme nicht be- glaubigen, sondern allenfalls ihre Bedingtheit klar- stellen, vorausgesetzt, daß ein enger und wider- spruchsfreier Zusammenhang zwischen Kunst. anschauung und Theorie vorliegt, In seinen kon- kreten Urteilen über Kunstfragen und künstlerische Persónlichkeiten und Werke zeigt sich Cohen als ein strenger Klassizist, der auf den weltbürgerlich- humanitären Inhalt des klassischen Ideals das Hauptgewicht legt und sich der anderen groBen Erscheinungen der Kunstgeschichte, so weit er sie nicht ablehnt, durch Herauslesen des gleichen Inhalts zu bemáchtigen sucht. Wie weit, wie schwierig und verzwickt der Weg von Cohens Position zu den Tatsachen der Kunst ist, und was alles von seiner Methodik unerledigt bleibt, zum Beweise dessen braucht man gar nicht so krasse Fülle wie seine Behandlung der Gotik anzuführen, es genügt, auf Partien hinzuweisen, wo er sich mit ibm durcbaus sympathischen Gegenstünden, wie etwa Rembrandt, beschiftigt.

Im Vorwort spricht der Verfasser den Gedanken aus, der Wert seines Buches kónne durch An- fechtung des Fundamentes seiner Begriffe zwar gemindert, aber keineswegs vernichtet werden, denn dieser liege in der systematischen Methodik, die hier die Asthetik erfahren hat. Dieser An- Schauung kann ich zustimmen, und jeder Ver- such, das Eigenrecht der Philosophie zu wahren, bedeutet einen Gewinn für die Ästhetik.

Hugo Bieber.

ARPAD WEIXLGARTNER, August Pettenkofen. Herausgegeben vom k. k. Ministerium fiir Kultus und Unterricht. Zwei Teile. Wien 1918. Gerlach und Wiedling.

Auch diese neueste Publikation des österreichi- schen Kultusministeriums steht in der muster- gültigen Art der Ausstattung, besonders bemer- kenswert durch die vollendete Wiedergabe des Abbildungsmaterials in teilweise farbigen Licht- drucken, den vielgerühmten früher erschienenen

Monographien in keiner Weise nach. Wiederum mischt sich dieser anerkennenden Zustimmung ein leises Bedauern bei, da& dem reichsdeutschen Kunstschriftsteller in seinem Vaterlande derartige erfreuliche Möglichkeiten, seinen Arbeiten durch behördliche Unterstützung die entsprechende und zu weiterem Schaffen günstig aufmunternde Form zu gewinnen, völlig fehlen und, von anderen Hin- derungsgründen materieller Art abgesehen, fehlen werden, solange bei den maßgebenden Stellen Ar- beiten über Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts als feuilletonistisch verdächtig gelten. Es ist die ausgezeichnete Eitelbergersche Tradition, welche am Minoritenplatz seßhaft bleibend sich vorbild- lich bewährt, und so steht zu hoffen, daß uns durch eine großzügige Munifizenz die Reihe der im staatlichen Auftrage herausgegebenen Werke über die hervorragenden österreichischen Künstler des 19. Jahrhunderts noch in weiteren Fortsetzun- gen zu begrüßen beschieden sein möge,

Auf Segantini, Führich und Alt ist nunmehr Pettenkofen gefolgt. Man fragt sich angesichts der Bedeutung, die in steigendem Maße dem Werk dieses gerade von seinem österreichischen Tem- perament in seinem künstlerischen Schaffen ge- hobenen Meisters zuerkannt wird, und die im Sinne der ausgesprochenen Schätzung seiner ma- lerischen Kultur seinen Gemälden hier neben Makart und dort vor Munkacsy den gesicherten Platz zuweist, warum Pettenkofen nicht schon

als erster oder mindestens als zweiter österreichi-

scher Maler für die monographische Behandlung berufen ward. Die außerordentlichen Schwierig- keiten, welche die Bearbeitung des biographischen Materiales darbietet, mögen daran Schuld getragen haben. Denn ohne irgendwelche kritische Zweifel zu bedingen, liegt der Entwicklungsgang Petten- kofens deutlich erkennbar vor Augen, nur durch wenige wichtige Beziehungen zu der heimi- schen und zu der französischen Malerei, erst seiner zweiten Lehrmeisterin, im Fortschreiten bestimmt. An dieser Tatsache ändert die Un- bequemlichkeit nichts, einen großen Teil der Bil- der Pettenkofens aus dem Privatbesitz hervor- suchen zu müssen, zumal seine schon frühzeitig erreichte, durch Jahrzehnte bewährte Meisterschaft keine anderen als die ganz äußerlichen, lokalen, durch den Wechsel des Aufenthaltsortes gegebe- nen Unterscheidungen zu machen gestattet. Ein wesentlicher Vorwurf, der sich nicht gegen Pettenkofen allein, sondern gegen mehrere ihm wesensverwandte Maler, Stevens, Fortuny, Albert von Keller, richtet, ihre Kunst sei ,international", wird also, obwohl er unberechtigt ist und leicht

EE werden kónnte, infolge der Not- wendigkeit einer solchen Einteilung wiederum er- hoben werden. Weit eher wiirde der Mangel einer bei allen bedeutenden Meistern des 19. Jahr- hunderts (mit der genjalen Ausnahme in den Schópfungen Wilhelm Triibners) hervortretenden stilistischen Weiterbildung und Vervollkommnung den Einwand des Virtuosentums begründen, wie er Meissoniers Berühmtheit den Glanz genommen hat. Stand Pettenkofen auch mitunter dieser Ge- fahr sehr nahe, so hat ihn doch seine Veranke- rung in der Soliditát der Wiener Kunst davor be- wahrt, von ihr erfaßt zu werden. Hier wäre eifte zweifellos anregende Möglichkeit zu finden ge- wesen, die Kunst Pettenkofens im ganzen zu be- trachten und von diesem Gesichtspunkte nicht biographischer Art die verschiedenen Einflüsse auf ihre Wichtigkeit zu untersuchen, welchen sie unterlag.

Der Verfasser der sehr umfangreichen beiden Bünde, Arpad Weixlgürtner, hat nicht zum Vor- teil seines Buches derartigen wichtigen Über- legungen nur einen äußerst bescheidenen Raum gewührt und ist dafür mit bewunderungswürdigem Fleiñe im Rahmen der Dreiteilung Wien-Ssolnok- Paris ausschließlich biographischen Gesichts- punkten gefolgt. Damit hat er sich selbst zu- nüchst die Arbeit erschwert. AuBerdem kommt durch die gleichzeitig eingebaltene Bevorzugung einer für den Leser sehr ermüdenden genauen Aufzühlung der sümtlichen Werke Pettenkofens bei gegebenen Anlássen unter Beifügung aller kritischen Notizen ein die literarische Behandlung des Stoffes geradezu unmóglich machender Zwie- spalt hinzu, welcher leider eine organisch ge- sicherte Form der Darstellung nicht zuließ. Die Unbeholfenheit einer solchen Disposition mag in- sofern als wissenschaftlich gelten, als sich das ganze Materia] Datum auf Datum und Bild für Bild aneinanderreihen und einarbeiten läßt. Es ist aber doch wohl einmal ein Unterschied, ob man den alleinseligmachenden Seminargehorsam auch auf die moderne Kunst ausdehnen soll, und weiter ist es die Frage, ob damit der gewünsch- ten Verbreitung einer zum Ruhme eines Künst- lers geschaffenen Monographie genützt wird. Selbstverstündlich wird durch diesen Übelstand auch der Text stark ín Mitleidenscbaft gezogen. Es erscheint fast unbegreiflich, warum Weixl- gürtner, statt im Gegensatz zu der neuerdings üb- lichen Gepflogenheit, einige rasch geschriebene Feuilletons vor einen mit größtmöglicher Papier- verschwendung gedruckten Katalog zu heften und beides durch zahlreiche Abbildungen zu einem

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äußerlich mit guter Täuschung nach ungebeuer- licher Arbeit aussehenden. Wälzer zu stempeln, diese langgedehnten ëden Berichte seines Buches anzufertigen nicht ebenfalls rasch entschlossen Leben, Kunst und Bedeutung seines Meisters in wenigen übersichtlichen Kapiteln behandelt und alles Überflüssige dem Nachtragsbande aufbewahrt hat. War ihm daran gelegen, ganz besondere wissenschaftliche Vorzüge mit seiner Arbeit zu vereinigen, konnte er sie nach Wunsch und so ausführlich wie möglich seinem zweiten Bande vorbehalten, der ohnehin ein Muster an Genauig- keit geworden ist. Dafür dehnt er seine Erzäh- lung aus, so weit es nur möglich ist, und zählt außerdem zur scheinbaren Belebung des kultur- historischen Hintergrundes verschiedentlich alle Ereignisse auf, die zu einem bestimmten Datum sich ereignet haben (wobei S. 112 ein grober Fehler im Todesdatum Manets, der am 30. April 1883 starb, unterlief), und der Leser wird bei seiner mühevollen Aufgabe schon von Anfang an zu der Meinung veranlaßt, daß ein vorgeschrie- benes Ausmaß solche Länge verschuldete. Die Folge ergibt als Resultat nur den Besitz eines schönen Abbildungswerkes, dessen Text nicht zu genießen ist.

Das ist für die Riesenmühe schade, die sich Weixlgärtner gegeben hat. Ob es ihm bei der offiziellen Art der Publikation gestattet werden wird, was sehr wünschenswert wäre, nach rück- sichtsloser Streichung von mindestens zwei Dritteln seiner Ausführungen eine kleine Volksausgabe, welche gewiß dem Ruhme Pettenkofers und seiner Verbreitung förderlicher sein wird, zu veranstalten, bleibt abzuwarten. Jedenfalls muß eine solche Arbeit dringlich gefordert, und zwar von einem begabten Kunstschriftsteller gefordert werden, der für Pettenkofens Kunst die Fähigkeit der Emp- findung und des Geschicks besitzt, diese Emp- findung zum Ausdruck zu bringen. Der Verfasser einer neuen Monographie wird in historischer Be- ziehung völlig auf Weixlgártners Forschungen fußen müssen. Liegt sie vor, dann erst wird An- laß gegeben sein, festzustellen, ob die künstle- rische Seite der Persönlichkeit Pettenkofens richtig aufgefaßt worden ist oder nicht, Eswird gleich- zeitig Gelegenheit genommen werden müssen, den Dank für die historischen Ermittlungen allein für Weixlgärtner zurückzubehalten. Wenn histo” rische Griindlichkeit und fleißiges Zusammentragen alles erreichbaren, selbst des belanglosesten Einzel- materiales ein dokumentarisch gesichertes und historisch einwandfreies wissenschaftliches Buch goschaffen haben, ist das immer der Anerkennung

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A

würdig und wertvoll. Daß aber zu der lebens- vollen Schilderung eines Künstlers in seiner Zeit auch andere und wichtigere Eigenschaften der Darstellung erforderlich sind, sollten die Kunst- historiker wenn nicht schon von Cari Justi, so doch von der erfreulichen Methode der neuesten historisch-biographischen Forschung gelernt haben.

Hermann Uhde-Bernays.

OTTO GLAUNING: Neveu und der Raub Nürnberger Kunst- u. Bücher- schätze im Jahre 1801 in den Mit- teilungen des Vereins fiir Geschichte der Stadt Niirnberg. XXII (1918), S. 174-243.

Uber den Kunst-, Biicher- und Handschriften- raub der Franzosen in deutschen Landen wáhrend der franzósischen Revolution und unter Napoleon I. sind schnell hintereinander eine Reihe von wert- vollen Arbeiten veröffentlicht worden. Degering und Gronau haben das Thema in der Internatio- nalen Monatsschrift behandelt, der Baumeister Kempf hat in den Freiburger Münsterblättern die Heimsuchungen des Freiburger Doms im Laufe der Jahrhunderte geschildert, und neuerdings hat Otto Glauning in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg eine Studie über den französischen Kunstkommissar Neveu und seine Räubereien in Nürnberg veröffentlicht. Diese ausgezeichnete, auf Grund sorgfültiger Quellen-

forschungen verfaBte Studie dürfte an entlegener Stelle gedruckt nicht die Beachtung finden, die

sie verdient. Sie sei deshalb hier in aller Kürze wiedergegeben. Francois-Marie Neveu, instituteur à l'école polytechnique et commissaire du gou- vernement frangais en Allemagne pour les sciences et les arts, erschien Anfang des Jahres 1801 in Nürnberg und forderte im Auftrage seiner Regie- rung von der freien Reichsstadt 17 Gemálde und so Wiegendrucke als ,Geschenk" für die franzó- sische Republik, Der Festigkeit des Rates und dem Gescbick seiner Vertreter gelang es nach langwierigen Auseinandersetzungen, Neveu zu be- stimmen, sich mit s Gemälden und 12 Wiegen- drucken zu begnügen. Die fünf Gemälde waren: Albrecht Dürers Selbstbildnis und Adam und Eva; Georg Penz, Porträt Jamnitzers; Kupetzki, Bildnis eines Violinspielers; Heemskerck, St. Lucas, Maria mit dem Jesuskinde malend. Es ist Glauning ge- lungen, die Irrfahrten der beiden Dürer im einzelnen verfolgen zu kónnen; vor allem erbrachte er den Nachweis, daB Neveu keine Originale, sondern alte Kopien geraubt hatte. Über den Verbleib der Gemšlde von Penz, Kupetzki und Heemskerck mußte er uns den Nachweis schuldig bleiben.

Dem Dürerforscher dürfte Glaunings Arbeit mancherlei wichtige Aufschlüsse bringen, da er mit groBer Sorgfalt alle ihm irgend erreichbaren Nachrichten über die Dürerischen Urbilder sowie deren Kopien gesammelt bat. Es ist ihm ge- lungen, die Schicksale dieser Gemälde von ihrem Ursprung an bis zu ihrer heutigen Aufbewahrungs- stätte fast lückenlos zu verfolgen, indem er die wenig bekannte Reiseliteratur vom 16.—18, Jahr- hundert mit Erfolg zu Rate zog.

Endlich beschäftigt sich Glaunings ergebnis- reiche Arbeit eingehend mit der Persönlichkeit Neveus und stellt zugleich einen dankenswerten Beitrag zur Geschichte der reichsstädtischen Diplo- matie dar. Es ist erfreulich, zu sehen, wie tapfer sich die Nürnberger gewehrt, und wie erfolgreich sie die Forderungen französischer Anmaßung zu be-

kämpfen verstanden haben. Ernst Steinmann. `

HANS W. SINGER, Handbuch für Kupferstichsammlungen, Vorschläge zu deren Anlage und Führung. Hierse- manns Handbücher, Bd. IX. Leipzig 1916.

Reiche wissenschaftliche und praktische Erfab- rungen liegen diesem Buche zugrunde. Der Ver- fasser ist seit 25 Jahren am Dresdener Kupfer- stichkabinett tätig und hat dort die Entwicklung einer graphischen Sammlung in ihrem Wachstum und in der Ordnung der sich stets mehrenden Bedürfnisse helfend und schaffend miterlebt. Und da in praktischen Dingen praktische Erfahrung der beste Berater ist, so wird man das, was der Verfasser über die stille Arbeit am Zettelkatalog und an den Kastenschränken zu sagen hat, ‚wohl mit Dank und Zustimmung aufnehmen können; und vor allem, wenn ein verhältnismäßig so sprö- der Stoff so lebendig beschrieben und mit so treffenden Erlebnissen und Beobachtungen ge- würst ist. |

Der Verfasser geht gründlich zu Werke. Er beginnt mit dem Bau und der Ausstattung der Räumlichkeiten, deren Größenverhältnisse bis ins einzelne bezeichnet werden und deren Anschau- lichkeit durch gute Abbildungen gefórdert wird. Dann folgen die wichtigsten Kapitel des Buches, die über die „Einteilung und Anordnung der Samm- lungen" und über die ,Katalogisierung^ handeln. Hier werden durch zahlreiche Musterbeispiele die Führung der Zettel- und Buchkataloge erórtert und die ungeheure Mannigfaltigkeit des Stoffes systematisch gegliedert. Den einzelnen Katalog- typen ist die gróBte Sorgfalt gewidmet, damit sie innerbalb des Gesamtapparates auch tadellos funk- tionieren. Es muß sich mit ihnen wie mit mathe-

matischen Tabellen arbeiten lassen, denn auch wir haben oft Aufgaben zu lósen, die wie Gleichun- gen mit mebreren Unbekannten aussehen. Die Schlußkapitel sind dem „Personal“ und den „Ar- beiten der Beamten“ gewidmet. Trotzdem sich gerade diese Verhältnisse mehr der Größe und den Mitteln des betreffenden Kabinetts werden an- passen müssen als schließlich die größere Unab- hängigkeit sachlicher Dinge, so wird man doch aus den Ausführungen des Verfassers vieles All- gemeingültige entnehmen können. f Die Benutzungsmóglichkeit dieses auf ein sehr enges Gebiet eingestellten Buches hat aber durch die Beigabe einer Oeuvre-Katalog - Bibliographie eine solche Erweiterung erfahren, daß es aus seiner Stellung als gelegentlicher Ratgeber heraus- wüchst und als ein wichtiges Nachschlagewerk in der Handbibliothek seinen Platz erhalten wird. In dieser Bibliographie sind ungeführ 3000 Künst- lernamen mit den genauen Nachweisen, wo das graphische Werk eines Künstlers einzeln be- schrieben ist, verzeichnet. So wird das Buch wohl seinen Weg in die weitesten Kreise der Freunde grapbischer Kunst finden, es wird benutzt werden und Nutzen schaffen. Hans Wolff.

WILHELM WAETZOLD, Deutsche Malerei seit 1870. Mit 55 Abbildungen. Verlag von Quelle & Meyer. Leipzig 1918.

Das dem Andenken Alfred Lichtwarks gewid- mete Bándchen aus der Sammlung ,Wissenschaft und Bildung", das wohl elner Vorlesung des Hal- lenser Ordinarius seine Entstebung dankt, ist im besten Sinne des Wortes ein kunstgescbichtliches Lesebuch. Klar in der Form, flüssig im Stil, be- wültigt es auf knappem Raum ein groBes Kapitel deutscher Kunst. Die wesentlichen Momente der Entwicklungslinien treten überall deutlich in Er- scheinung und manche feinsinnige, vergleichende Analyse zwingt den Leser immer aufs neue zur Einstellung auf die Hauptfragen derKunstgeschichte, soweit sie in diesem Zeitabschnitt zur Erdrterung stehen.

Auch der Versuch einer Betrachtungsweise nach Bildmotiven, die gleichbedeutend ist mit der Frage nach den Wandlungen, die das erzáhlende Bild, das Bildnis, die Landschaft, Stilleben und Wand- bild durchgemacht haben, ist glücklich gelöst, wenn auch bei solcher Behandlung im einzelnen Wiederholungen nicht zu vermeiden waren. Im Rahmen der knapp bedingten Umrißzeichnung, die Waetzold entwerfen wollte, konnte vielleicht diese Art Fragestellung überhaupt nur zum Ziele führen. Letzten Endes aber kommt es bei diesem

209

Buche wie bei jeder kunstgeschichtlichen Arbeit

doch nur darauf an, ob es dem Schreiber gelingt, seine Leser zu fesseln und zu überzeugen. Und

das ist hier durchaus der Fall. Der Klarheit des

Denkens gesellt sich ein ästhetisch begründetes Urteil, der flieBenden Schreibweise eine Prügnanz des Ausdrucks, die jede Phrase meidet. Und wenn es bei aller Anerkennung dennoch eine Einschrün- kung des Urteils gibt, so berührt die mehr das Thema selbst als die Art seiner Behandlung. Waetzold gibt in seinem Buche in der Haupt- sache die Entwicklung der deutschen impressio-

210

nistischen Kunstepoche.

Die neueste Kunst ist trotz so feiner Analysen, wie er sie gelegentlich für den Expressionismus, dem er innerlich offen- bar sehr nahe steht, bereithält, mehr als stiefmútter- lich behandelt. Insofern verlangt das Werk ge- radezu nach einer Fortsetzung, und ich möchte hoffen, daß uns die der Verfasser nicht vorenthält. Er scheint, nach dieser Probe zu urteilen, einer der wenigen klaren Kópfe zu sein, von dem wir eines Tages das Buch auch über die jüngste Kunst- bewegung, die doch unsere Zukunft ist, erwarten dürfen. Georg Biermann.

RUNDSCHAU nun

DER CICERONE.

X, 11/12.

HENRIK HAUSER: Ein dänischer Sammler. (9 Abb)

WALTER BOMBE: Ein vergessener Dússel- dorfer Landschafter (Carl Irmer). (4 Abb.)

OUDE KUNST.

Ш, 8.

Dr. N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten (1 Taf., 12 Abb.) E

Dr. N. WIERSUM: Berichten over engelsch Aarde- werk en Porselein 1765—1818.

C. W. WAGENAAR: De Regentenzaal van het nederduitech hervormde Diaconie Weeshuis te Utrecht. (6 Abb.)

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL.

KUNSTSAMMLUNGEN. XXXIX, 9.

F. GOLDSCHMIDT: Darstellungen des Gekreu- zigten zwischen Maria und Johannes aus dem Bereiche Hans Leinbergers. (11 Abb.)

KUNST UND KÜNSTLER.

XVI, 9.

KARL SCHEFFLER: Kunstgesetze. GUSTAV PAULI: Lovis Corinth. (rs Abb) P. F. SCHMIDT: Karl Fohr. (7 Abb)

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. . Neue Folge XXIX, g.

GEORG GRONAU: Über ein dem Ghirlandajo zugescbriebenes Frauenbildnis. (3 Abb.)

KARL W. JAHNIG: Die Beweinung Christi vor dem Grabe von Rogier van der Weyden. (a Abb.)

HANS Е. SECKER ; Beiträge zur Dürerforscbung 2: Zwei neue Dürerzeichnungen. (5 Abb.)

KARL SIMON: Aus Peter v. Cornelius’ Frankfurter Tagen II. (4 Abb.)

DIE KUNST.

XIX, g.

MAX EISLER: Aus der österreichischen Staats. galerie. (14 Abb.)

AUGUSTE RODIN: An die jungen Künstler. ERNST GOSEBRUCH: Adolf Thomann. (8 Abb.) JOS. AUG. BERINGER: Der Radierer Emil Anner, (9 Abb.) Р

HANS HILDEBRAND: Josef Eberz. (6 Abb.) H. SÖRGEL: Die sichtbare Welt in der bilden- den Kunst.

WOLF: Deutsche Ausstellungen im Ausland, Neue Arbeiten von P. L. TROOST - Miinchen. (x Taf., ro Abb.)

MODERNE TIERPLASTIK: Ziervögel der Nym- phenburger Porzellanmanufaktur. (14 Abb,)

K. GROSS: Das Kunstgewerbe und die Leipziger Messe.

WILHELM MICHEL: E. J. Margolds Keks- Packungen. (16 Abb.)

XI. Jahrgang, Heft 7.

Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. Herausgeber und verantwortl Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. | In ÓSTERRRICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. l

In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.

Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.

Es wird gebeten, alle für die Schriftleitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an

Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158 zu richten.

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsbeften der kunstwissenschaftlichen Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

211

89662660606

ALLGEMEINE KUNSTGESCHICHTE x

| | Über die Entwicklung der Abendmahlsdar-

der byzantinischen Mosaikkunst bis niederlandisch stellung Malerei des 17. Jahrhunderts, Von F. Ашы лыкын

ГИШИ | Uber die Abendmahle-Dartellungen eine ikonographische zu ethalten, wer ebenso š : : wünschenswert, wie die Arbeit lohnend sein mußte. Arch ia dee Verlauser bei der озеро Mit 26 Abbildungen anf den verschiedenen Klippen

21 Tafeln in Lichtdruck. Budes aus religiösen, politischen oder nationalen Zufälligkeiten zu erklären; vielmehr gebt Geheftet . . . M.14.— 3 er durchweg nur von der rein ee Entwicklung aus ie ee pon o eo er из SS = 4 ieee sod Fami r

kfurter Zeitung.

i "A š i f pim E

e e e Die norwegische Malerei im 19. Jahrhund. Von Andreas Aubert. Донинин Es i& nicht wenig, was gerade Norw Ў anf dem Gebiete der Malerei gelei@et hat. | Mit 87 Abbildungen H Seine kinalericho Entwickling geht lange Zeit der deutschen parle und Manner wie Dab 355 7777 Ä

Gebunden . M. 7.50 die großen Entdecker dieser Jahre. Ibnen sind die Jungen 3 unter denen sich mar- ; Teseooesessetaoeess00000500600100000500005020200 kante Erscheinungen wie Edward Munch auch im übrigen Eur opa durchgesetzt haben,

i $e зв E Ju 100 E B iu TM iH il 1i

Der Garten. Eine Geschichte seiner künstlerischen Gestaltung. Von August Grisebach.

Oht VI. 10.—

š eftet . . . M. 10.— = Die Geschichte des architektonischen Gartens findet bier die erde zusammenfassende Dar- š Gebunden. . M. 12.— : s#ellung von deutscher Seite. Als Abbildungen sind zeitgenössische Stiche beigegeben. анон ияк ИШЕН mit feinem Gefühl ausgewablt, Monatshefte für Kunstwissenschafl.

vr

| Christian Ludwig von Hagedorn. Ein Diplomat und

Sammler des 18. Jahrhunderts. Von Moritz Stübel. AS" „Es if ein ein sorgfältig durchgearbeitetes, für die Geschichte der Diplomatie, des Sammler- 2 Geheftet M. 6.— £ weeens und Kun&hendels àufer& wichtiges Buch, eine Arbeit auf dankbarem, wenig be- : * ө: AON ee : tretenem Boden. . . Es genügt, das Buch noch einmal als eine beachtenswerte Quelle Tovonscorcconocororccnssaccoconscacacescancconed fúr ein Gebiet zu nennen, das in jüngfter Zeit größere Wertschätzung gewonnen hat.”

Monatshefte für Kunstiohssischaf:

VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN, LEIPZIG

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Für neu hinzutretende Abonnenten!

Bezug der früheren Jahrgange des Cicerone| der Monatshefte für Kunstwissenschaft

1. Jahrgang 1909 . . . komplett in Heften. . М. 16.— | 1. Jahrgang 1908 kompl. in Heften M. 16.—, geb. M.20.— in Leinen gebunden . M. 19.— 3 20.—, geb. M. 22.—

2. Jahrgang 1910 3. Jahrgang 1910 . 3. Jahrgang 1911 .. 4. Jahrgang 1911 . . | komplett in Heften je M. 24.— 4. Jahrgang 1012. S.Jabrgang 1912 ..[ "Ре е геа

5. Jahrgang 1913 ee komplett in H h je M. 20.— 6. Jahrgang 1913 ee

6. Jahrgang 1914 .. 7. Jahrgang 1914 . . | komplet i А

7. Jahrgang 1915 .. 8. Jahrgang 1915 NL plett in Hoften je M. 30.— 8. Jahrgang 1916 . . 9. Jahrgang 1916. . | komplet; " _ ee rgang ph plett in Heften je M. 33.

10. Jahrgang 1917 . .

Abb, 1. Anton Möller, Die Huldigung der Tugenden vor der Gerechtigkeit. Danzig, Artushof

Abb. 2. Anton Möller, Die Verleumdung des Apelles. Danzig, Artushof

Zu: HERMANN EHRENBERG, ANTON MOLLER, DER MALER VON DANZIG

M. f. K., XI. 7

Tafel 49

Abb. 3. Anton Möller, Nachtszene aus Osterwiek. Tuschzeichnung. Königsberg i/Pr., Prussia-Museum

Zu: HERMANN EHRENBERG, ANTON MOLLER, DER MALER VON DANZIG

M.f.K., XI. 7

Tafel 47

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Abb. 1. Jacomart Bazo: S. Blasius (Berlin, Privatbesitz)

Zu: VALERIAN von LOGA, SPANISCHE MALER DES 15. JAHRHUNDERTS IN NEAPEL

M. f. K., XI., 7

Tafel 48

Abb. 2. Jacomart Bazo: S. Vicente Ferrer (Kathedrale von Valencia)

Zu: VALERIAN von LOGA, SPANISCHE MALER DES 15. JAHRHUNDERTS IN NEAPEL

M. L K, XL, 7

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Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis balbjáhrlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 8

ADAE ecg i15) 308, Ya ADE (RUE Bagh), уо 1912—15. » . (Rich. Haupt) . S. 239

OTTO HIRSCHMANN, W. Flemmin g, Die Begründung der modernen Karel van Manders Haarlemer Aka- Asthetik und Kunstwissenschaft durch Leon deme. Mit 4 Abbildungen auf 2 Tafeln Battista Alberti. Teubner, Berlin-Leipzig 1916 S.2I (Kurt Preyer) 522799». S. 239

-213 Heinrich Glück, Türkische Kunst. Vortrag,

V. CURT HABICHT, gehalten in der Sitzung des Ungarischen Findlinge zum Thema: Goethe und wissenschaftlichen Instituts in Konstantinopel die bildende Kune ang p . ]

rischen wissenschaftlichen Instituts in Kon- stantinopel 1917, Heft r (Strzygowski) S. 240 REZENSIONEN Friedrich Haack, Funde und Vermutungen zu Dürer und zurPlastik seiner Zeit. Th. Blaesings

helm L Gammel Dansk Bygnings- Wilhelm Lorenzen, Gammel Dansk Bygnings Universititsbuchhandlung, Erlangen, Paul

kultur 2, 3; Kopenhagen 1916: r) Landgaarde

Ir" Hefte liegt eine Beilage von B. С. TEUBNER in LEIPZIG bei, welche wir besonderer Beachtung empfehlen |

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

og Lyststeder i Barock, Rococco og Empire Winkler (Sascha Schwabacher). . . S. 241 66 S., 56 Abb., a) Meddelelser... (Mitteilungen RUNDSCHAU ............. S. 243 IHE LULU

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KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE. ` |

Mit vier Abbildungen auf vier Tafeln | Von OTTO HIRSCHMANN

D* durch Karel van Mander gemeinschaftlich mit Hendrick Goltzius und Cor- nelis Cornelisz um 1583 in Haarlem begründete „Akademie“ spielt in Hand- büchern, Monographien und vielen Einzelaufsätzen eine meist etwas undeutliche Rolle. Durchgehends ist von ihr die Rede als von einer so gut wie unbekannten ` Größe, mit der aber dessenungeachtet wohl zu rechnen sei. Die Zeit, in die das Bestehen der Akademie füllt, ist für die Entwicklung der hollindischen Kunst von so einschneidender Bedeutung gewesen, und die ihr zugedachten Funktionen sind von solcher Wichtigkeit, daB eine etwas genauere Untersuchung ihres Wesens wohl lohnen тий. Man wundert sich, daB in dieser Richtung noch so wenig unter- nommen worden ist. Beinahe michte man darüber stutzig werden, wenn die Ur- sache der Lücke nicht so leicht zu durchschauen würe. Die Mangelhaftigkeit der Überlieferung und die Vagheit der Anhaltspunkte machen es sehr schwierig, sich von der Institution dieser Akademie eine einigermaßen bestimmte Vorstellung zu bilden. Dadurch läßt man sich vielleicht zu schnell abschrecken, einen Rekonstruktions- versuch zu wagen. Wohl ist ein solcher, wie man sich gleich gestehen muß, von vornherein dazu verurteilt, ein gebrechliches und vielleicht dazu noch anfechtbares Fragment zu bleiben. Eine Zusammenfassung und Prüfung der wenigen über- lieferten Tatsachen in Verbindung mit vorsichtigen Kombinationen kann darum der Erkenntnis doch förderlich sein.

L

Schon die sorgfältige Interpretation der literarischen Überlieferung bringt uns, wie ich glaube, einen ganzen Schritt vorwärts. Diese Überlieferung besteht be- kanntlich in einem kurzen Passus in der Lebensgeschichte Karel van Manders, die ein anonymer Biograph an den Schluß der zweiten, posthumen Ausgabe des Schil- derboecks (1617) gesetzt hat. Ich spreche von einem anonymen Biographen, weil über seine Person wie mir scheint nur mehr oder weniger wohlbegründete Vermutungen ausgesprochen worden sind. Gerade zur Beurteilung unserer Text- stelle wäre es wichtig, etwas von der Persönlichkeit des Verfassers und seines möglichen Verhältnisses zu Karel van Mander zu wissen. Von den drei ernst- haften Vorschlügen, die gemacht worden sind, verdient der Hinweis auf Brederode entschieden den Vorzug, darf aber trotzdem nur als Hypothese gewertet werden. Indem wir diese ganz aus dem Spiele lassen, verzichten wir zwar auf eine unter Umständen wertvolle Handhabe, setzen uns aber auch weniger der Gefahr aus, die ganze Untersuchung von einem zweifelhaften Ausgangspunkte aus unternommen zu haben.

Nehmen wir zunüchst den originalen Text in seiner würtlichen Bedeutung.

Nach seiner Niederlassung in Haarlem, berichtet der Biograph, habe van Mander 1583 ein paar Bilder gemalt ,en quam korts daer nae aen kennisse van Goltsius, „en:Mr. Kornelis, hielden en maeckten onder haer dryen een Academie om nae 't „leven te studeeren. Karel wees haer de Italiaensche maniere, ghelijck 't aen den »Ovidius van Goltzius wel te sien en te mercken is.“ (— und machte kurz darauf die Bekanntschaft von Goltzius und Meister Cornelis; sie richteten unter sich

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918. Heft 8 15 21 3

Dreien eine Akademie ein, um nach dem Leben [das will sagen: nach dem leben- den menschlichen Modell] zu studieren. Karel zeigte ihnen die italienische Manier, wie man es an dem Ovidius von Goltzius wohl sehen kann).

Hier steht und darauf ist, scheint mir, Gewicht zu legen daB die gegrün- dete , Akademie“ unter Karel van Mander, Hendrick Goltzius und Cornelis Cornelisz, diesen dreien allein, bestand. Diese Tatsache ist so positiv hingestellt, daB wir sie als solche hinnehmen müssen, solange nicht andere, gleichwügende Zeugnisse ihre Festigkeit erschüttern. Sie enthält zugleich, zusammen mit der erläuternden Fortsetzung der Textstelle über das Modellstudium usf., die für uns unschitzbare De- finition des Begriffes „Akademie“, so wie er von dem Anonymus in diesem beson- deren Falle verstanden wurde. Man hat sich vielleicht überall da, wo über diese Haar- lemer Akademie geschrieben wurde, von der italienischen oder modernen Interpretation des Begriffes ,, Akademie“ im Sinne eines Schülerateliers, in dem nach festen Grund- sützen unterrichtet wird, leiten lassen. Diese Definition hat natürlich in ihrer All- gemeinheit auch dem Biographen vorgeschwebt; das ist deutlich. Zum mindesten war es sicher seine Absicht, durch den Gebrauch des damals noch viel gesuchter und gewichtiger klingenden Ausdrucks die Bedeutsamkeit des van Manderschen Unternehmens zu betonen. Umso wertvoller sind die durch ihn, den Biographen, selbst hinzugefügten zwar knappen, aber eindeutigen Prüzisierungen. Diese laufen darauf hinaus, daB die Haarlemer Akademie eine Ateliergemeinschaft der drei Künstler unter der Aegide van Manders war. Diese Darstellung entspricht auch durchaus wie wir noch sehen werden der historischen Wahrscheinlichkeit.

Soviel läßt sich über diese Sache dem Bericht des Biographen entnehmen. Muß man aber nicht erwarten, daB, wo es so belangreiche Dinge gilt, van Mander an den gegebenen Stellen seines Geschichtswerkes, d. i. in den Lebensbeschreibungen seiner beiden „Mitakademiker“, sich selbst darüber ausgesprochen hat? Im Leben des Cornelis Cornelisz sucht man vergeblich auch nur eine Andeutung; van Mander sagt, wo er von seiner Niederlassung in Haarlem spricht, nur, daB er erstaunt ge- wesen sei, dort einen so ausgezeichneten Maler wie Cornelisz zu finden. Hingegen steht im Leben von Goltzius wohl eine deutliche Anspielung auf das, was der Anonymus unter seiner Akademie versteht: „Doen ick (van Mander) Anno 1583 te „Haarlem quam woonen, maeckt ick met hem (Goltzius) kennis, hem toonende „eenighe teyckeninghen van Sprangher, daer hy grooten sin toe hadde.“ Das ist aber auch alles. Im ganzen übrigen Schilderboeck ist kaum eine Anspielung zu finden, die mit einiger Sicherheit auf die Akademie zu beziehen würe. Warum spricht van Mander nicht selbst von seiner Akademie? Abgesehen davon, daB es nicht im Geiste der damaligen Schriftstellerei lag, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen, hštte van Mander bei seinem offenkundigen Streben, ein nach Vermögen vollständiges Geschichtsbild zu geben, es gewiß nicht unterlassen können, die Haarlemer Akademie wenigstens kurz zu erwähnen.

Es sind zwei Deutungen des scheinbaren Widerspruches möglich. Entweder: Diese Akademie war zwar mit genügend Pomp und Aufheben in Szene gesetzt worden, daß 35 Jahre später ein Geschichtsschreiber sich des Ereignisses noch er- innerte; sie war aber nur von kurzer Lebensdauer gewesen und für van Mander vielleicht mit unangenehmen Erinnerungen verknüpft, so daß. dieser selbst gerne mit.Stillschweigen über die ganze Episode hinwegging. Oder: und diese, Er- klärung hat doch alle Wahrscheinlichkeit für sich die Darstellung des Anony- mus von dem Wesen der Akademie kommt in allen Einzelheiten dem wirklichen Sachverhalt so nahe, daß van Mander in seinen eigenen Berichten eben gar nicht

214

daran dachte, die Ateliergemeinschaft mit Goltzius und Cornelisz als eine Akademie zu bezeichnen!), daB dieser Ausdruck also lediglich dem panegyrischen Streben des Biographen entflossen ist.

II.

Ihrer äußern Form nach wird die Haarlemer Akademie also auf einen losen Künstlerverband reduziert werden müssen. Es wire aber verfrüht, mit der Negie- rung ihres formellen Bestehens die Untersuchung abzubrechen, da es uns hier nicht in erster Linie darauf ankommt, einen Beitrag zur Geschichte der Akademien zu liefern, Ein dankbareres Unternehmen wird es sein, den Funktionen nach- zugehen, die Karel van Mander und die um ihn gruppierten Künstler innerhalb des niederländischen Kunstlebens erfüllten. Ob man nun von einer Akademie im land- läufigen oder nur noch in dem von uns modifizierten Sinne sprechen will, die Auf- gaben und Ziele, die jene Künstler sich stellten, blieben dieselben. Wir müssen versuchen ein Bild zu gewinnen von den Faktoren, durch die zunächst jene drei, weiterhin aber eine ganze, sich ihnen anschließende Künstlergruppe trotz eines nur losen Verbandes als geschlossene Einheit erscheinen und dadurch die sie charakterisierende Bezeichnung als , Akademie“ in beschrünktem Sinne immer noch rechtfertigen.

Wie man sich das Zusammenarbeiten van Manders mit Goltzius und Cornelis Cornelisz zu denken hat, darüber läßt sich manches vermuten, manches sogar mit einiger Bestimmtheit aussagen. Daß, wie der Anonymus es darstellt, van Mander die führende Rolle in dem kleinen Kreise spielte, ist durchaus glaubhaft, schon an- gesichts des Altersverhältnisses und der Vergangenheit der drei. Goltzius war da- mals 25 Jahre alt, trotz dieser Jugend zwar bereits ein gesuchter Stecher, aber als Künstler rfbch mitten in seiner Entwicklung begriffen. In noch höherem Grade muB dies von dem erst arjährigen Cornelis Cornelisz vorausgesetzt werden, wenn- schon dieser gerade damals mit einer Meisterleistung, seinem auch durch van Mander gepriesenen ersten Schützenstück von 1583, den Grund zu seiner späteren Berühmtheit zu legen begann. Cornelisz hatte einen Studienaufenthalt in Nord- Frankreich und in Antwerpen hinter sich, war aber so wenig wie Goltzius in Rom gewesen. Ihnen gegenüber war van Mander der weitgereiste und vielseitig ge- bildete Mann, der bereits auf eine gewisse klinstlerische Vergangenheit, sowohl als Maler wie auch als Poet, vor allem aber auf einen vierjährigen Aufenthalt in Italien zurückblicken konnte. Überdies war er sprachenkundig und ein guter Kenner des Altertums. Diese Universalitit mu6 ihm, abgesehen von dem nicht unerheblichen Altersunterschied er war zehn Jahre ülter als Goltzius, fünfzehn Jahre älter als Cornelisz, eine absolute Überlegenheit über seine beiden Ge- nossen gesichert haben. Vorläufig wenigstens, denn als in wenigen Jahren die stärkere künstlerische Begabung der beiden jüngeren sich offenbarte, mag sich das Verhältnis etwas ausgeglichen haben, nicht zu sprechen von der Zeit, da Goltzius selbst eine an Triumphen und Erfahrungen reiche Romreise hinter sich hatte und Corneliszz das unumstrittene Haupt der Haarlemer Maler war. Zunächst aber, d. h. in den uns hier beschiftigenden Jahren, mögen die beiden sich der über-

(1) Daß ihm, van Mander, der Terminus „Akademie“ übrigens in seinem herkömmlichen Sinne ge- läufig war, beweist dessen Verwendung im Grondt der Edel vry Schilder-const V 82, leider der ein- zigen Stelle, die zu belegen ist. Vgl. R. Hócker, Das Lehrgedicht des Karel van Mander (Quellen- estudien zur holländischen nn УШ), Haag 1916, Wortregister.

215

legenen Bildung ihres älteren Freundes respektvoll untergeordnet haben. Das läßt sich aus den Umstinden mit ziemlicher Sicherheit ableiten. Diese Feststellung ist nicht unwichtig, weil sie als Erklärung dienen kann für die merkwürdige Tat- sache, daB eine so schwache, auf jeden Fall aller Originalität bare Künstlerpersón- lichkeit, die van Mander war, so leicht Schule zu bilden vermochte und, mehr als dies, einer ganzen Generation ihren Stempel aufdrücken konnte.

„Karel unterwies die beiden in der italienischen Manier.“ Diesen Satz hat der Biograph vermutlich nicht auf die Autorität eines Gewührsmannes hin nieder- geschrieben; aber er war so selbstverstündlich, daB der Schreiber ihn auf seine eigene Verantwortung nehmen konnte.

Die ,italienische Manier“ war der beneidete Besitz derer, die in Rom gewesen waren. Wie und in welchem Grade die dort empfangenen Eindrücke verarbeitet wurden, das wurde von der zu Hause gebliebenen Künstlerschaft kaum einer strengen Kritik unterzogen. Vorderhand selbst nicht in der Lage, die wie von Goltzius belegt ist schon in diesen Jahren sehnsüchtig geplante Reise aus- zuführen, müssen die beiden jungen Haarlemer Künstler die Weisheit van Manders umso williger aufgenommen haben. Dem vielseitigen und interessanten Fremd- ling, der sich bei aller Überlegenheit als Gleichgestellter und als Freund zu ibnen fügte, konnten sie sich unbeschadet ihres Kiinstlerstolzes unbefangen öffnen und dasjenige von ihm annehmen, was sie bei allem Selbstbewußtsein für ihre letzte Ausbildung sicher selbst unerläßlich achten mußten: die Kenntnis Roms. Diese galt so klingt. es aus den Berichten van Manders heraus als eine Art materieller Besitz, der sich übertragen und aneignen ließ. „Rom“ war für diese Leute, auch wenn sie ihn nur vom Hörensagen kannten, ein in viel höherem Grade lebendiger Begriff, als er uns in den Zusammenhüngen einer trockenen Untersuchung erscheinen kann. Lebendig vor allem durch die Verbindung mit allerlei Einzelvorstellungen, die durch die persónlichen Erlebnisse zurückgekehrter Rompilger und zahllose Anekdoten genihrt wurden. Für frühere Generationen waren Rom und Italien ein Begriff gewesen, und dieser war beinahe zusammen- geflossen mit dem Begriff der antiken Kunst. Allmählich aber, besonders mit der jetzt den Nordlündern aufdimmernden Erkenntnis von der selbstündigen Bedeutung Venedigs, wird er komplizierter und bekommt je linger je mehr eine nach der Persónlichkeit seines Überbringers individuelle Fürbung. Man kann diese Steige- rung miterleben, wenn man sich ganz allgemein zu vergegenwürtigen sucht, was Rom und Italien für den Kreis des Hieronymus Cock, für Karel van Mander und seine Genossen und endlich für Rubens gewesen sind. Der „Import“ vollzieht sich zuerst werkstattweise, dann im Stile eines heilverkündenden Aposteltums die Stufe van Manders —, endlich aber im Sinne intensiver persönlicher Ver- arbeitung; es ist wohl keinem eingefallen, von Rubens die „italienische Manier“ lernen zu wollen, so wenig wie Rubens je die Absicht gehegt haben mag, diese zu verbreiten und damit nützliches Werk zu tun. Es ist nicht ganz leicht, van ‚Mander in diesem Entwicklungsschema einen festen Platz anzuweisen. Es frappiert da vor allem seine schon ganz klare Einsicht in die Rolle Venedigs für die Malerei. Entscheidend ist aber sein Standpunkt, von dem aus er die Verbreitung eines Stiles durch Propaganda für möglich hält. Gegebener Weise ist sein eigener Stil nur ein Ausfluß dieses Standpunktes.

Was van Mander seinen vlämischen Lehrmeistern verdankte, dürfte kaum mehr als die handwerkliche Grundlage seines Gewerbes gewesen sein. Von Lukas de Heere kann er immerhin schon die Anregungen empfangen haben, die sein Kiinstler-

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Zm k

tum später in so ausgesprochen literarische Bahnen leiteten. Seine endgültige Formung erbielt van Mander erst auf dem Boden Italiens, den er als Fünfund- zwanzigjähriger betrat und auf dem er sich vier volle Jahre, wovon drei in Rom, aufhielt. Hier bildete er sich vermeintlich wohl an der Antike, in Tat und Wahrheit aber mehr unter dem Einfluß persönlicher Berührungen mit zeitgenössi- schen Künstlern. Unter diesen ist für ihn wiederum nicht etwa ein Italiener, son- dern der Viame Bartholomeus Spranger die entscheidende Persünlichkeit ge- worden, als dessen künstlerischer Ahne wiederum ein Moderner, Parmeggianino, zu bezeichnen ist!) So weit hatte die nordische Kiinstlerschaft sich im Grunde schon von der vor einem kleinen halben Jahrhundert selbst auferlegten Vormund- schaft der Antikenverehrung freigemacht! aber sicher, ohne sich dessen bewuBt zu sein. Nirgends wird dies deutlicher als in der Figur van Manders, der Antike dozierte, sich berufen fühlte, die italienische das wollte damals noch sagen: antikische Manier zu propagieren, seine eigenen künstlerischen Äußerungen je- doch in den Geist eines Spranger kleidete. Irgend welches Gefühl oder eindrin- gendes Verstündnis für antike Formenwelt sucht man in van Manders Kunst ver- geblich. Die Absicht dokumentiert sich nur üuBerlich, etwa gelegentlich in Ruinen- hintergründen u. dergl.

Trotzdem war der Geist der Antike in van Mander rege. Aber er hiillte sich ein in das Gewand der Theorie, die sich damit zufrieden gab, die Axiome der Alten in neuen Lehrsützen der Zeit mundgerecht zu machen. Dies geschieht mit solch heiligem Eifer, daB keine Zweifel an der Echtheit des Feuers aufkommen können, Hierin, in dieser beinahe kritiklosen Überzeugung von der Überlegenheit aller Geisteshervorbringungen der Alten, ist van Mander reiner Romanist, wie das vieldeutige und deshalb bisher absichtlich vermiedene Schlagwort lautet. Als aus- übender Künstler kann van Mander aber nicht schlechtweg ein Romanist genannt werden, zum mindesten nicht ein Romanist par excellence. Denn da muß doch der ganz eigentümliche Gegensatz auffallen) der zwischen seinem geschriebenen Wort das mit seinem Kunstwollen gleichgesetzt werden darf und seinen handwerklichen Äußerungen besteht.

Eine wirkliche Einheit zwischen Streben und Leistung ist wohl von keinem der nordischen Schönheitssucher je erreicht worden. Die Hand gehorcht nicht so leicht dem Geiste des einzelnen; sie ist den höheren Entwicklungsgesetzen unter- tan. Dieser Dualismus besteht auch bei van Mander; für uns ist er umso leichter erkennbar, weil van Mander uns die ihn leitenden Grundsätze später in ausführ- lichen Formulierungen hinterlassen hat. Während es aber sonst denken wir etwa an Dürer die mühsam schaffende Hand ist, die dem vorauseilenden Geistes- flug nicht zu folgen vermag, scheint merkwiirdigerweise diese hier den Fortschritt zu verkörpern, indem sie bereits die Richtung einschlägt, in der die Entwicklung weitergehen wird, während das Künstlerbewußtsein noch in den alten Formeln ge- fangen bleibt. Es wird hier deutlich, daß der niederländische Romanismus das Schicksal aller in erster Linie vom Intellekt geleiteten Stilbildungen teilt: Der

(z) Van Mander berichtet nicht ohne daß man zwischen den Zeilen sein Erstaunen darüber lesen könnte, daß Spranger es versäumt habe, bei seinem mehrjährigen Aufenthalt in Italien die klassi- schen Monumente der Antike und der jüngsten Vergangenheit zu studieren, Bei jedem andern wäre dieses ketzerische Verhalten Grund genug gewesen, daß van Mander den Stab über ihm gebrochen hätte; der für ihn überragenden Persönlichkelt Sprangers gegenüber ließ er es bei einem verständnis- losen Kopfschütteln bewenden.

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Strom der Entwicklung leidet keine gewaltsamen Unterbrechungen und flieBt über ihn hinweg. Und es war eben doch eine Gewalttat gewesen, auf den alten Baum der Spitgotik antikische Reiser zu okulieren, wenn auch diese Gewalttat von einer materialistischen Geschichtsauffassung als historische Notwendigkeit inter- pretiert werden kann. Die Verjüngung mußte aus dem eigenen Holze kommen. Immerhin, der Romanismus ist wohl nie in der ganzen Ausgedehntheit seines Pro- gramms, so, wie es etwa im Bewußtsein eines van Mander vorhanden war, ver- wirklicht worden. Hemmnisse verschiedener Art, die vor allem in dem von Natur aus besonderen Form- und Stoffgefühl der nordischen Kiinstlerschaft begründet waren, blieben stets weiterleben, sei es auch zeitweise unter der Oberflüche der allgemeinen Kunstübung. Van Mander ist uns hierfür ein treffender Beweis.

ш.

Van Mander hebt an der einzigen Stelle, wo er von einem lehrhaften Eingriff ` seinerseits in das Schaffen von Goltzius spricht, hervor, daß es sich dabei um eine Vermittlung der Sprangerschen Kunst handelte. Auf diesen bereits gestreiften, für die Deutung von van Manders Rolle besonders wichtigen Passus, müssen wir hier noch einmal etwas ausführlicher zurückkommen. „Als ich mich im Jahre 1583 in Haarlem niederließ,“ sagt van Mander, „machte ich die Bekanntschaft von Goltzius; ich zeigte ihm einige Zeichnungen von Spranger, daer hy grooten sin toe hadde.“ „die ihn sehr interessierten,“ übersetzt Floerke; dem Sinne nach genauer wire: „für die er große Lust bezeugte.^ Hierzu muB offenbar ergänzt werden: ,sie zu stechen.* Dies ergibt sich nicht allein aus der Fortsetzung des Textes, in der van Mander die große Fähigkeit von Goltzius hervorhebt, die Art anderer Meister wiederzugeben, sondern vor allem aus dem uns sicher so gut wie vollstiindig überlieferten Stichwerk von Goltzius, in dem tatsüchlich die Arbei- ten nach Spranger kurz nach 1583 einsetzen. |

Van Mander scheint die Aktivität seines Eingreifens selbst möglichst klein dar- stellen zu wollen, indem er nur von einem unverbindlichen Zeigen von Spranger- schen Zeichnungen seinerseits spricht, das Begehren, sie zu stechen, aber aus- schließlich dem Interesse von Goltzius entspringen läßt. Doch haben wir Gründe, anzunehmen, daß dieses Interesse nicht einem ganz unbefangenen Urteil entfloß. Bei der überlegenen Stellung, die van Mander seinen Genossen gegenüber einnahm, bekam alles, was er selbst mit seiner Bewunderung auszeichnete, für die beiden jüngeren Freunde gewissermaBen autoritativen Charakter. So muB auch Goltzius den Sprangerschen Blättern gegenüber, für die van Mander sicher seine unverhohlene Wertschätzung bezeugte, bis zu einem gewissen Grade in zugreifendem Sinne voreingenommen gewesen sein.

Seit der Niederlassung van Manders in Haarlem findet auch die Kunst Sprangers hier ihren Eingang, und ibr Import geschieht in solchem Umfange und scheinbar mit solcher Planmäßigkeit, daß man nicht wohl anders kann als anzunehmen, van Mander habe die direkte Veranlassung dazu gegeben und er habe als Agent Sprangers gehandelt. Dies konnte er aus freiwilliger Überzeugungstreue tun. Wahr- Scheinlicher aber ist es, daB Spranger sich selbst etwas daran gelegen sein ließ, seine Kompositionen vervielfültigt zu sehen, und daB er sich hierfür an seinen Freund und begeisterten Verehrer van Mander als den gegebenen Anwalt in den Niederlanden wandte, da es damals weder in Prag noch irgendwo in Deutschland eine renommierte Stecherschule gab. Immerhin scheint van Manders Behauptung, daß Goltzius für die Schöpfungen Sprangers Interesse bezeugte, keineswegs aus

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DO PE OS

der Luft gegriffen; Goltzius hat um die Mitte und in der zweiten Hülfte der acht- ziger Jahre fast ausschlieBlich nach Spranger gestochen und sich dabei dermaBen in dessen Formenwelt hineingearbeitet, daB er sich auch in seinen Hervorbringungen eigener Invention zunächst ganz der Ausdrucksweise seines Vorbildes bediente.

Datierte Stiche von Goltzius nach Spranger gibt es zwar erst von 1585 ab. Es ist aber besonders lehrreich, ein in diesem Jabre entstandenes Blatt mit Adam und Eva (B.271; Abb. 1) neben eine Darstellung des Sündenfalles zu legen, die Goltzius' Lehrer Coornhert 1548 nach Heemskerck gestochen hat (Kerrich, S. 8, Nr. 1; Abb. а). Hier noch das absichtliche Herausarbeiten des plumpen Körpergewichts nach einem Formideal, das sich auf das Vorbild Michelangelos berief. An dessen Stelle bei Spranger eine gesuchte Zierlichkeit der Bewegungen verbunden mit einer ge- schmeidig glatten Kürperbehandlung, Eigenschaften, die Goltzius in seiner Stich- reproduktion besonders treu wiedergibt, weil sie auf ihn Eindruck gemacht haben. Dieser frappante Geschmackswechsel ist nun natürlich nicht ausschlieBlich bei Spranger festzustellen. Die Abkehr vom Formideal Michelangelos zugunsten eines Hinneigens zu der gefälligeren Kunst Correggios war ein Hauptmotiv in der Ent- wicklung der abendlündischen Kunst im spätern 16. Jahrhundert. Sprangers Ge- samtwerk ist selbst nur ein Symptom hiervon. Sein sprunghaftes Auftreten in Haarlem ist aber ohne die Vermittlung van Manders kaum denkbar.

Nicht ganz so miihelos und einwandfrei ist die Einwirkung von Sprangers Kunst auf Cornelis Cornelisz festzustellen. Vorerst fehlt es an einer darauf hinweisenden AuBerung van Manders. Sodann ist Cornelisz ein freischaffender Maler und es gibt von ihm nicht eine ühnliche, sorgfültig bezeichnete und datierte Reihe von Werken aus den achtziger Jahren, wie die Stiche von Goltzius es sind. Figuren- bilder sind aus dieser Epoche, soviel ich weiß, überhaupt keine erhalten geblieben. Einige Stiche nach seinen Kompositionen bieten dafür keinen vollen Ersatz. Doch 1981 sich an ihnen, sowie dann an den reichlich vorhandenen Gemälden aus den neunziger Jahren leicht feststellen, daß auch Cornelisz ganz in den Bann der Sprangerschen Typik geraten ist. Und wir haben Ursache —— daB auch hier van Mander dazwischensteht.

Goltzius und Cornelisz haben dann später als einflußreiche "Schulhüupter die Sprangersche Typik ihrerseits verbreitet. Sie ist eines der allgemeinsten Kenn- zeichen der sogenannten Haarlemer Schule bis weit über die Jahrhundertwende hinaus geworfen. Aber auch der führende Meister in Utrecht, Abraham Bloemaert, ist in ihren Bann geraten, und ein anderer Utrechter Maler, Joachim Uyttewael, hat sich enger als irgendeiner an Spranger angeschlossen. Zu dieser groBen Verbreitung in Holland und darüber hinaus!) haben vermutlich vor allem die Stiche von Goltzius beigetragen. Letzten Endes aber darf die ganze krüftige Welle auf den AnstoB van Manders zurückgeführt werden, und in dem gemeinsamen Propagieren einer von auBen inspirierten Kunst dokumentiert sich sein Zusammenwirken mit Goltzius und Cornelis Cornelisz. Diese mögen in ihrer raschen Entwicklung der Vormundschaft des ülteren Freundes dann schnell entwachsen sein; bei Goltzius ist im Anschluß an seine italienische Reise sogar eine ausgesprochene Reaktion auf den ihm durch van Mander vermittelten Romanismus festzustellen“). Ein Kern (1) Spranger ist in der Tat im letzten Fünftel des Jahrhunderts für die offizielle Kunst die tonangebende Persónlichkeit gewesen, nicht nur in Holland, sondern für fast alle germanischen Lander.

(2) Diese außerordentlich interessante Tatsache kann ich hier, um nicht abzuschweifen, nur streifen. Ausführlicher bin ich auf sie eingegangen in meiner Studie über Hendrick Goltzius (Leipzig, Klink-

hardt & Biermann, Meister der Graphik, Bd. IX), deren Textteil seit dem Sommer 1914 fertig gedruckt vorliegt, die aber bessere Zeiten abwarten muß, um auf dem Markt erscheinen zu können.

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der in den entscheidenden Entwicklungsjahren aufgenommenen Eindrücke blieb doch nachleben. :

IV.

Auch die Hauptstelle, in der der anonyme Biograph van Manders von der Er- richtung der „Akademie“ erzählt, müssen wir hier noch einmal etwas genauer er- örtern nach den positiven Hinweisen, die sie enthilt. Der Anonymus berichtet, daB die drei Künstler sich zusammentaten, um nach dem lebenden Modell zu studieren, und Karel habe die beiden anderen in der italienischen Manier unter- wiesen, wie es z. B. aus dem Ovidius von Goltzius leicht zu ersehen sei. Was für eine Bewandtnis es mit dieser ,italienischen Manier* hat, haben wir an Hand der durch van Mander selbst gegebenen Auskunft bereits feststellen kinnen. Als eigentliches Ziel der gemeinsamen Arbeit gibt der Biograph aber das Studium nach dem lebenden Modell an. Diese Mitteilung sieht leicht allzu selbstverstindlich und nichtssagend aus, um in ihrer wirklichen Bedeutung gewiirdigt zu werden. Der Anonymus wuBte aber, daB er für Maler schrieb’); wiire das Modellstudium etwas Alltägliches gewesen, hätte er es diesem Publikum nicht als etwas Besonderes vorsetzen können. Zudem war einer der drei „Akademiker“, Cornelis Cornelisz, auf den jene Aussage sich mitbezog, noch am Leben (1617) und der Schreiber hitte also mit dessen Widerspruch rechnen müssen.

Es darf als selbstverstiindlich angenommen werden, daB der Biograph mit dem lebenden Modell vor allem das Aktmodell meinte. Seit Jan van Eyck den mensch- lichen Körper in Adam und Eva für seinen Genter Altar so andüchtig studiert hat, ist das Problem wohl nie mehr ganz liegen gelassen worden, wenn es auch erst im r6. Jahrhundert in den Vordergrund zu treten begann. Die praktischen Schwie- rigkeiten, die der Pflege des Aktstudiums vermutlich im Wege standen, lieBen es zuntichst nicht zu einer allgemeinen Übung werden?) Als dann mit dem Einzug der italianisierenden Kunstrichtung das Bedürfnis nach gründlicherer Kenntnis des nackten Menschen dringender wurde, suchte man wohl nur in den wenigsten Fällen die nötige Belehrung am lebenden Modell Der antike Statuenschatz einer- seits, Michelangelo als der Anatomiker par excellence andererseits, waren die Haupt- quellen, aus denen nicht blos die Lernenden schöpften, an denen sich auch die reifen Künstler mit sehr weitem Gewissen für ihre eigenen Kompositionen inspi- rierten. Für Statuenbücher hatten sie darum mehr als bloß antiquarisches Inter- esse, und die Stiche Marcantons wurden nicht nur um ihrer Qualitüten willen be- wundert. Es ist ein beliebtes und dankbares Thema, in den niederlándischen Bildern der Zeit Entlehnungen von Figuren oder Bewegungsmotiven nach antiken oder italienischen Mustern aufzuspüren. Nur ist es falsch, den Anlaß zu diesen

(1) Das Schilderboek, in dessen zweiter Auflage die Blographie van Manders als Anhang abgedruckt ist, richtet sich selbst ausdrücklich an die jungen Maler. Daß es guten Absatz fand, beweist die Not- wendigkeit einer neuen Auflage dreizehn Jahre nach dem ersten Druck, und daß es zumal unter der Künstlerschaft Verbreitung fand, dafür liefern die Künstlerinventare von Dr. Bredius (Haag 1915 ff.) zahlreiche Belege; in den meisten Inventaren, in denen Bücher aufgezählt werden, figuriert auch das Schilderboeck Karel van Manders. |

(a) Selbst im 17. Jahrhundert scheint das Aktstudium noch nicht allgemein gepflegt worden zu sein, Es wire sonst nicht einzusehen, warum z. B. Rembrandts Atelierbetrieb deswegen solches Aufsehen erregte. Und besonders das Studium weiblicher Modelle scheint nicht etwas Alltigliches gewesen zu sein; wo es vorkam, da gab es leicht zu kleinen Skandalgeschichten Anlaß. Einige amüsante Bei- spiele dafür wiederum bei Bredius, Künstlerinventare.

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Entlehnungen stets aus einer idealen Bewunderung für das Vorbild abzuleiten. Mehr, als man gewohnt ist anzunehmen, dürften praktische Beweggründe, Bequem- lichkeit oder Verlegenheit die Ursache zu der fremden Anleihe gewesen sein, In keiner andern Kunst oder Epoche begegnet man so vielen undeutlichen Gesten und forcierten Bewegungen. Die Erklšrung dafür liegt auf der Hand: es sind aus andern Zusammenhüngen herausgeschnittene Motive, mit denen der Entlehner in freier Verwendung, oft mit Unterschiebung eines ganz andern Sinnes, wuchert.

In dieses Gebaren hinein kam nun van Mander mit seiner Forderung des Stu- diums nach dem lebenden Modell Er braucht sie nicht überhaupt als erster ge- stellt zu haben. Vermutlich war er in Italien mit ihr vertraut geworden, wo das Modellstudium vielleicht nicht allgemeiner Brauch, aber doch auch nichts so Un- bekanntes war. In Haarlem kann seine Anregung darum doch eine bahnbreche- rische Tat gewesen sein. Als solche scheint sein Biograph sie auch wirklich be- stempeln zu wollen, und wir haben keine Veranlassung, diese Absicht zu ignorieren oder ihre Begründung in Zweifel zu ziehen. Dies umso weniger, als die künstle- rischen Äußerungen der drei Akademiegenossen eine besonders genaue Kenntnis der menschlichen Körperformen und -Funktionen und damit wahrscheinlich die Wirkung des Modellstudiums verraten. Das angeeignete Können wird bei ihnen schnell zu einer Fertigkeit, die sich kaum darin Genüge tun kann, sich selbst ge- stellte Aufgaben zu komplizieren. Am weitesten geht in dieser Richtung Cornelis Cornelisz; die jeder Stütze beraubten, durch die Luft auf die Erde niedersausenden Körper seiner vier Himmelstürmer (gestochen durch Goltzius, B. 258—261; Abb. 3) stellen das Höchstmaß möglicher Bewegung dar. Das Studium des Modells ist hier nur noch Voraussetzung, eigentlich aber schon tiberwundener Standpunkt. In ihrer Geschraubtheit und in ihrer absichtlichen Schaustellung erworbenen Könnens, sind Leistungen dieser Art ein interessantes Stück Akrobatentum. Bei Goltzius kommt das Resultat des Modellstudiums in der mühelosen Korrektheit seiner Aktzeichnung etwas weniger aufdringlich zum Ausdruck. Van Mander be- ginnt hier mit in viel höherem Grade konventionellen Schöpfungen schon deutlich hinter seinen beiden jüngeren Freunden zurückzubleiben.

Auch ein quantitativer Niederschlag des Modellstudiums kann vielleicht festgestellt werden, der die Betonung, mit der van Manders Biograph den Hauptzweck der Akademiegründung hervorhebt, aufs neue rechtfertigt. Goltzius und Cornelisz von van Mander haben wir weniger sichere Zeugnisse widmen sich während den in Frage kommenden Jahren fast ausschlieBlich der figürlichen Kunst. Zumal bei Goltzius, der so erfolgreich als Portrützeichner und -stecher debütiert hatte, ist es auffällig, daB er in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre das Porträtfach fast ganz liegen läßt. Auch von Cornelisz, der 1583 seinen Ruhm mit ‚einem Gruppenporträt!) begründet hatte, kennen wir erst aus den neunziger Jahren wieder Leistungen in der Bildnismalerei?) Von van Mander selbst sind, abgesehen von einem oder zwei nachweisbaren Porträts), ausschließlich Figurenkompositionen bekannt. Wie er über diese dachte, hat er spiiter in seinem Schilderboek ver-

(x) Jetzt im Museum von Haarlem. |

(3) Wiederum ein Schützenstück (1599), ebenfalls im Museum von Haarlem. Die Bildnisse von Coorn- bert, die Wedekind (Corn. Cornelisz, Diss. Leipzig 1911, S. 14) wegen dessen 1590 erfolgten Todes vor dieses Jahr glaubt datieren zu müssen, sind charakteristische Idealporträts und als solche sicher erat nach dem Tode Coornherts, also ebenfalls nach 1590, entstanden.

(3) Das eine, voll bezeichnet und 1592 datiert, im Hofmuseum in Wien. Ein anderes, durch Frimmel dem van Mander zugeachrieben, ebenda in der Galerie Liechtenstein.

schiedentlich gešuBert; für ihn ist nur die Figurenmalerei eigentlich hohe Kunst. Auf die Portrütmalerei schaut er mit einer Art Geringschützung herab als auf einen Seitenweg der Kunst, wie er es nennt. Über die Landschaftsmalerei als selbstiin- dige Kunstgattung hatte er noch keine Gelegenheit, sich auszusprechen.

Das Modellstudium kam aber nicht bloß dem reinen Können derer, die es be- trieben, zugute; es hatte noch einen andern, entwicklungsgeschichtlich wichtigeren Effekt. Von den Italienern der nachklassischen Zeit war den Niederländern be- sonders die Kunst des Parmeggianino bedeutsam erschienen. Im Anschluß an ihn und seine Schule hatten sie sich jene merkwiirdige Proportionierung der über- trieben in die Länge gezogenen Menschenfigur angeeignet, die als eigentliche Manier die Hervorbringungen einer ganzen Generation beherrschte, auf ähnliche Weise etwa, wie in der Gefolgschaft van Dycks die gemalten Pferde einer ganzen Epoche jene verkümmerten kleinen Köpfe mitbekamen. Diese aller Natur hohnsprechende Vergewaltigung der Figuren ist eines der Merkmale, die die übliche Klassifizierung jener Künstler als Manieristen rechtfertigt. Aus diesen Formel gewordenen Über- treibungen mag die Einsicht in die Notwendigkeit des Modellstudiums bei der Haarlemer Künstlergemeinschaft vor allem entsprungen sein. Ihre Leistungen wirken denn auch wie eine absichtliche Korrektur; deutlich läßt sich in ihnen das Streben nach einer gedrungeneren Proportionierung der Menschenfigur verfolgen, ungeachtet des Umstandes, daß van Mander später in seinem Lehrgedicht noch die vitruvianischen Maße empfiehlt, deren Verwirklichung den Manieristen recht- geben würde. Die Absichtlichkeit des Protestes läßt sich vielleicht am deutlichsten aus den Übertreibungen herauslesen, in die Goltzius und Cornelisz mit manchen von ihren Schöpfungen nach der entgegengesetzten Richtung verfielen. Goltzius’ großes, bekanntes Blatt des Herkules mit der geschulterten Keule (B. 142) gibt einen Mann von beinahe lächerlicher Gedrungenheit wieder, und auch Cornelisz’ Himmelstürmer sind stark in die Breite geraten. Auch die übermäßige Heraus- arbeitung der wie geschwollenen Körperformen kann psychologisch erklärt werden aus der Genugtuung, die Struktur der Muskeln entdeckt und begriffen zu haben und der daraus abzuleitenden Versuchung, dieses Wissen besonders deutlich zu betonen. Auf jeden Fall bleibt die Tatsache bestehen, daß die jener Über- proportionierung entgegengerichtete Bewegung von Haarlem ausgegangen ist, und es liegt nahe, in dem ihr beschiedenen Sieg eine Frucht des durch van Mander eingeführten Modellstudiums zu sehen.

V.

Nicht allein in formaler Hinsicht, auch für das Gegenständliche ihrer Kunst mußte die ausgiebige Berührung der beiden jüngeren Haarlemer Meister mit der Persönlichkeit van Manders von Bedeutung werden.

Van Mander figuriert in den Literaturgeschichten vor allem als Übersetzer von Werken der lateinischen Klassiker; auch einen Teil der Ilias hat er, allerdings nach einem französischen Vorbild, ins Niederländische übertragen. Einen wirk- lichen Erfolg errang er mit seiner Prosabearbeitung der Metamorphosen Ovids, die, nachdem sie 1604 zum erstenmal erschienen war, bis 1662 nicht weniger als fünf Neuausgaben erlebte und noch 1679 durch Sandrart ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Beliebtheit verdankte die Schrift ungezweifelt der Weise, in der van Mander es verstanden hatte, den Stoff zu einem Kompendium der antiken Mythologie zu verarbeiten. Hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Literatur ist festgestellt worden, daß sie besonders viel beigetragen hat zur Verbreitung und Popularisierung der

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klassischen Mythologie in den nördlichen Niederlanden, und daB sie wahrscheinlich die Ursache ist des im 17. Jahrhundert stets zunehmenden Gebrauches und MiB- brauches von griechischen und lateinischen Götternamen, besonders durch Dichter untergeordneten Ranges!) Wenn dies für die Literatur zutrifft, so muB es in noch hóherem Grade für die bildenden Künste gelten. Van Mander hatte das Werk in den Rahmen des Schilderboecks eingefügt und damit deutlicher als mit einer Vor- rede die Absicht kundgetan, die er damit verfolgte. Er glaubte, mit dieser Schrift der gesamten Künstlerschaft ein zur Darstellung besonders geeignetes Stoffgebiet zugänglich zu machen, mit dem er nicht allein eine ganze neue Welt erschloß, sondern überdies die Möglichkeit bot, die beliebte und besonders hoch angesehene Kunst der Symbolik und Allegorie, die sich bis dahin fast ausschlieBlich aus dem christlichen Stoffkreis nührte, mit einem Reichtum von neuen Beziehungen zu füllen. Van Mander sah diesen seinen Plan Wirklichkeit werden; die Gestalten der Mytho- logie hielten triumphreichen Einzug in die Kunst seiner Zeitgenossen. Die Schriften van Manders waren hierzu wohl nicht der ausschlieBliche AnlaB, aber sie bedeu- teten auf jeden Fall die kräftigste Förderung und waren in vielen Fällen die direkte Quelle für die stoffsuchenden Artisten. Diesen Schluß erlaubt der Umstand, daß eine allgemeine Verbreitung des mythologischen Stoffgebietes erst nach dem Erscheinen des Schilderboecks (1604) zu beobachten ist. Nur für die Haarlemer Künstler und die mit ihnen in naher Verbindung stehenden Kreise [(Amsterdam, Utrecht) war der Olymp schon vor 1600 das bevorzugte Tummelgebiet geworden.

Es versteht sich von selbst, daB ein Werk von der Zusammensetzung des Schilderboecks nicht aus einem Guß entstanden ist. Wohl hat man Anhaltspunkte dafür, daB der Text wenigstens des Lehrgedichts und der Malerleben in verhältnismäßig kurzer Zeit vor der Drucklegung niedergeschrieben worden ist. Für die beiden angegliederten Teile der ,Wtlegghing op den Metamorphosis Pub. Ovidij Nasonis“ und der ,Uitbeeldinge der Figueren“ gibt es solche Merkmale nicht; sie würden ja auch nur ausschlieBlich auf die redaktionelle Fassung des Stoffes Beziehung haben. Andrerseits ist darauf hingewiesen worden, daß viele Informa- tionen van Manders für die Künstlerleben, worunter mit von den wertvollsten, auf seinen Aufenthalt in Rom, also in die siebziger Jahre des abgelaufenen Jahrhun- derts, zurückgeführt werden müssen. Damit ist, in Verbindung mit andern Daten, die Möglichkeit erwiesen, daß van Manders Plan für sein Schilderboeck so weit zurückreicht. Nun brauchte zwar die ihrem Zusammenbange nach nur lose dem biographischen Teile angeschlossene ,,;Wtlegghingh nicht von Anfang an im Ge- dankenplan des Schilderboecks gelegen zu haben. Wo aber für die datenmäßige Dokumentierung der Malerleben, die sehr wohl als in kürzerer Zeitspanne ausführ- bar zu denken würe, so tief in dieJahre hinabreichende Wurzeln festgestellt werden künnen, da muB erst recht für jene allgemeinen Kapitel ein der schriftlichen For- mulierung vorausgehendes, nur allmähliches Sich-Verdichten angenommen werden, gleichgültig, ob in oder ohne Verband mit dem Gedanken des Schilderboecks; han- delt es sich doch bei diesen Abschnitten trotz dem äußeren Anschein nicht so sehr um Kompilationen und nicht allein um die bloße Reproduktion einer andern Welt; sie sind doch vielmehr und in erster Linie der Ausdruck eines gewissen geistigen Eingestelltseins, als solcher ein Produkt von van Manders einheitlicher Entwicklung und vielleicht noch weniger als das Schilderboeck in seiner Gesamt- heit das zufüllige Ergebnis einer glücklichen Literatorenlaune. Es ist kaum anders zu denken, als daB die Beschüftigung mit dem Stoff um Jahre zurückreicht.

(х) Vergl. Jan ten Brink, Geschiedenis der Nederlandsche Letterkunde, Amsterdam 1897, S. 278. 223

Hier stoBen wir nun auf die Parallele der in Haarlem ungefšhr seit dem Er- scheinen van Manders in dieser Stadt getibten Bevorzugung der antiken Götter- und Heroenwelt für die Bildvorwürfe zu einer Zeit, da in andern niederlündischen Kunstzentren die Pflege des christlichen Stoffgebietes noch durchaus überherrschte. Es liegt überaus nahe, hier ein Verhältnis von Ursache und Wirkung anzunehmen, mit andern Worten, die Erklärung in der Wirksamkeit van Manders zu suchen. Das später eintretende Bedürfnis, den Stoff literarisch zu fixieren und in lehrhafter Absicht vorzutragen, würe dann nur ein AusfluB einer durch lange vorausgegangene Jahre hindurch gepfiegten Übung gewesen.

Wir hátten damit einen neuen Anhaltspunkt gefunden zur Beurteilung der Art von van Manders Tütigkeit und der Richtung, in der sich sein EinfluB auf die Haarlemer Künstler kenntlich machte. Seine Propaganda für die antike Mytho- logie als Darstellungsgebiet bedeutete ihrem Wesen nach zwar nichts Neues. Einzelne Vorwürfe aus der Mythologie und der griechisch-rómischen Heroen- geschichte, wie etwa das Parisurteil, Danae, der Selbstmord der Lukretia, hatten sich, seit sie in der Gefolgschaft des Humanismus Eingang in den Darstellungs- bereich gefunden hatten, traditionsmüBig fortgepflanzt, waren aber doch auf ver- hältnismäßig wenige Themata beschränkt geblieben. Van Manders Wirksamkeit üuBert sich, sowohl einerseits in einer rein prozentualen Zunahme von Darstel- lungen aus der Mythologie, als auch andrerseits, vielleicht noch deutlicher, in dem Auftauchen von ganz neuen und zum Teil gesuchten Motiven, wie Mars und Venus, von Hephüstus überrascht, Pygmalion und Galathea, die Geführten des Kadmus, Vertumnus und Pomona, Jupiter und Antiope, Jo und Argus, Argus und Merkur, die Entdeckung der Kallisto, die Himmelstürmer Tantalus, Ikarus, Phaeton und Ixion, das Thema ,Sine Baccho et Cerere friget Venus“, dann die besonders be- liebten Götterhochzeiten von Amor und Psyche, Peleus und Thetis und Darstel- lungen des goldenen Zeitalters. Das sind einige der Vorwürfe, die in Haarlem behandelt wurden, bevor sie in den Niederlanden allgemeinen Eingang fanden. Zum groBen Teil sind sie den Metamorphosen Ovids entnommen, und Goltzius hat noch in den achtziger Jahren zwei Folgen von je zwanzig Kompositionen aus den Metamorphosen für den Stich gezeichnet und in seiner Werkstatt vervielfil- tigen lassen, die wie Illustrationen anmuten zu der allerdings erst fünfzehn Jahre spüter erschienenen literarischen Bearbeitung des Buches durch van Mander. Es ist denn auch mehr wie wahrscheinlich, даб jene Stichfolgen, die auch in Buch- form erschienen und denen später eine Serie von noch zwölf Blättern angegliedert wurde, auf die direkte Anregung van Manders entstanden sind, und daß dieser als ausgezeichneter Kenner des Stoffes bei dessen bildlicher Gestaltung eine zum mindesten beratende Rolle gespielt hat. Erst so wird es dann auch deutlich, wie van Manders Biograph die Begründung seines schon herangeholten Ausspruches verstand: van Mander habe die beiden andern in der italienischen Manier unter- wiesen, wie aus dem Ovidius des Goltzius klar hervorgehe. Er bezog in seinen Begriff der „italienischen Manier“ das Gegenständliche mit ein, wobei ihm die hauptsächlich in Ovid verkörperte mythologische Überlieferung des antiken Italiens mit italienischer Kunst überhaupt zu einem Wesensbegriff zusammenschmolz. Wohl sämtliche Darstellungen aus dem Stoffkreis der Metamorphosen, die später von der niederländischen Künstlerschaft in so zahlreichen Abwandlungen gestaltet wurden, sind in der Folge von Goltzius enthalten. Es liegt denn auch nahe, an- zunehmen, daß diese Illustrationsfolge ebenso wie van Manders geschriebenes Wort befruchtend gewirkt hat und, wie dieses, nicht allein auf die bildenden Künstler,

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sondern, bei den damals bestehenden überaus engen Beziehungen zwischen Maler und Dichter auch auf die Literatur.

Die Leichtigkeit, mit der die Götter und Heroen Eingang fanden, hängt vielleicht auch zusammen mit den thematischen Bedürfnissen des Modellstudiums und der Figurenmalerei. Zwar waren, seit Raffael, bei der Darstellung des bethléhémitischen Kindermordes die rómischen Soldaten, die das Henkerswerk verrichten, gerne nackt wiedergegeben worden, und és gab übrigens auch andere biblische Vorwlirfe genug, bei denen die Entblößung der Figuren im Thema gegeben war und somit keiner besonderen Rechtfertigung bedurfte. Darin kann die Erklärung für die Tatsache liegen, daB durch das ganze тб. Jahrhundert hindurch die Darstellungen des Sün- denfalls, der Taufe Christi, des Schmerzensmannes usw, sich besonderer Beliebt- heit erfreuten. Die Welt des Olymp bot aber der Künstlerphantasie in ganz an- derer Weise Gelegenheit, Figuren frei zu bilden, zu gruppiéren und zu neuartigen Kompositionen zusammenzuschlieBen. Diesen Wunsch, Neues zu geben, liest man heraus aus den oft allzu gesuchten Bildungen, gewagten Bewegungen und absicht- lich wirkenden Gruppierungen, wie sie ja die Kunst dieser Haarlemer Akademiker geradezu kennzeichnen. Bei all diesem offenkundigen Streben nach Mannigfaltig- keit und Reichtum haftet ihr aber doch die ausgesprochen unpersönliche Note an, die ein Ausfluß jenes Suchens nach absoluter formaler Korrektheit ist, wie sie ge- legentlich auch eine von Akademie und Modell abhüngige Kunst unserer Tage noch charakterisiert. Es ist darum, von dieser Seite aus betrachtet, gar nicht un- angebracht, daB man die Kunst des van Manderschen Kreises als eine akademische bezeichnet und von jenen Meistern als von Akademikern spricht.

VL

Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Götter- und Heroenwelt der Antike war vorerst ein Vorrecht des sprachenkundigen Gelehrtenstandes gewesen. Diesem entsprossen zum großen Teil auch die Schöpfer schöngeistiger Literatur; Dichter und Gelehrte waren zumeist in einer Person verbunden. Aus dieser Ver- bindung nahm die Popularisierung der Antike ihren Ursprung, die dann durch die Persönlichkeit eines van Mander, der den Dichter und den Maler in sich vereinigte, auch auf die darstellenden Künste übergriff. Daher die ausgesprochen literarische Richtung der Haarlemer Akademikerkunst. Sie offenbart sich sowohl in der oft sehr zweifélhaften Darstellungsmüglichkeit der aus der Literatur geholten Vor- wiirfe, als auch in den fortdauernden Wechselbeziehungen zwischen den Malern einerseits, der Dichter- und Gelehrtenwelt andrerseits. Diese reichén ziemlich weit zurück. So wissen wir, daB schon Coornhert tiefsinnige Allegorien damals noch christlichen Inhalts ausdachte oder ,,erfand“, wie man es nannte, die Heems- kerck dann nach den ihm durch den „Erfinder“ gegebenen Anhaltspunkten ge- staltete. Wir glaubten sodann Gründe für die Annahme zu haben, daß u. a. auch Goltzius Metamorphosenfolge auf ühnliche Weise, hier unter der Anleitung van Manders, entstanden ist. Auf van Manders fördernden Beistand sind, wie wir schon in anderem Zusammenhange Gelegenheit hattén zu bemerken, wohl die meisten erstmaligen Fassungen literarischer Themata durch die jungen Haarlemer Künstler zurückzuführen. Zumal wenn wir verfolgen kónnen, wie Goltzius etwa in seinen Darstellungen von Merkur und Minerva!) Zug um Zug getreu den An- gaben van Manders hier schon nach dem Schilderboeck folgt, wird die Ab-

(1) Bis vor kurzem im Mauritshuis im Haag, jetzt im Haarlemer Museum,

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hingigkeit des gestaltenden Künstlers von einem literarischen Vorbild deutlich. Ein paar interessante Belege fiir das Zusammenwirken verschiedener Instanzen an dem Zustandekommen von Kompositionen iiberliefert uns der Kupferstich. So ,erfand* der Medikus Anton Schenkels im Jahre 1589 ein ungeheuer kompliziertes Bild der heiligen Dreieinigkeit in sieben Wolkenetagen. Zur Fixierung dieser seiner inneren Vision zog er Karel van Mander heran, und dessen Vorlage wurde zur Vervielfältigung der kostbaren Geistesfrucht durch Jacques de Gheyn auf Kupfer gestochen (P. 146). Diese drei Etappen der Entstehung kommen auf dem Stich dann in folgenden bündigen Vermerken zum Ausdruck: Antonius Schenkels ..... Medicus inventor, sibi et amicis fieri curavit. K. v. Mander fig(uravit). JáGheyn sculpsit. Ein zweites Beispiel, in dem diese eigentümliche Scheidung des geistigen Urhebers von dem handwerklichen Gestalter, oder anders ausgedrückt, eine innige Beziehung zwischen darstellender und Dichtkunst zutage tritt, ist die Hóhle Platos, die der Dichter Hendrick Laurensz Spieghel nach seinen Anweisungen in engster Anlehnung an das bekannte Bild in Platos Staat durch Cornelis Cornelisz in einer Zeichnung formulieren und durch Jan Saenredam stechen ließ (B. 39, Abb. 4), wäh- rend er dasselbe Bild gleichzeitig auch literarisch in seinem Hauptwerk, dem Hart- spiegel, verwendete).

Eine besondere Seite dieser nach der Literatur orientierten Kunst ist ihr aus- gesprochener Hang, der Darstellung einen über die im Vorwurf gegebene Bedeu- tung hinausreichenden Sinn zu geben. Diese Richtung ist im r6. Jahrhundert spe- zifisch niederländisch. Sie war besonders durch die Antwerpener Kupferstich- verleger und unter diesen in erster Linie durch das Atelier Philip Galles gefördert worden. Den Stoff lieferten fast ausschließlich die biblischen Bücher, zumal das Alte Testament. Die Darstellung war nur Mittel zum Zweck und wurde betrachtet als Sonderfall und Illustrierung einer allgemeinen These oder Moral, die gewöhn- lich in Versform als Erläuterung in den unteren Rand gesetzt wurde. Unter der Anführung Coornherts wurden diese vorerst recht platten und wenig Kombinations- gabe verlangenden symbolischen Darstellungen immer tiefsinniger und schließlich zum eigentlichen Rebus. Dieser Tendenz öffnete die Popularisierung der Antike ein neues weites Feld, und es war wieder van Mander, der eine ganze Welt von zum Teil sehr gesuchten, hauptsächlich aus lateinischen Skriptoren geholten sym- bolischen Deutungen literarisch fixierte in seiner „Uitbeeldinge der Figueren“. Was von den Metamorphosen galt, darf auch für diese Schrift vorausgesetzt werden, nämlich daß sie nicht ein zufälliges Augenblicksprodukt, sondern der Niederschlag einer bestimmten künstlerischen Gesinnung ist. Diese kommt deutlicher als in van Manders darstellerischen Schöpfungen in seinem Lehrgedicht zum Ausdruck, das ein förmliches Sammelsurium von weither geholten Anspielungen, gelehrten Symbolismen und künstlichen Vergleichen ist. Ein anderer Beleg ist die hohe Wertschätzung, die van Mander für die tiberladenen Allegorien von Cornelis Ketel empfand, dem er denn auch seine „Uitbeeldinge der Figuere gewidmet hat. Diese tiefsinnigen Schöpfungen Ketels bedeuten wohl den Höhepunkt der Richtung; ohne die sie begleitenden, ausführlich erläuternden Beischriften waren sie nicht verständlich, und auch so noch konnten sie nur durch einen ganz be- schränkten Kreis Gebildeter „genossen“ werden. Also in gewissem Sinne art pour Fart. Es ist sehr bezeichnend für van Mander, daß eine solche Kunst in ihm einen Förderer fand. Überschaut man sein Wirken, so wie es sich uns auf Grund

(1) Hierüber Ausführlicheres in meinem Aufsatz „Beiträge zu einem Kommentar von Karel van Manders Grondt der Edel угу Schilderconst“ in Oud Holland XXXIII, rors, 8. 8 ff.

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unserer Untersuchung darstellt, so erkennt man darin als Grundzug das Streben, die Kunst formal und geistig zu einer ihm vorschwebenden idealen Höhe hinauf- zuführen!), formal im Anschluß an die ihm als Vorbild vor Augen stehende Per- sönlichkeit Bartholomeus Sprangers, geistig durch die Durchdringung mit der Ge- dankenwelt der Antike und die in ihm selbst verkürperte Verbindung von umfassen- der Bildung und Darstellungsgabe. Mag diese letzte, von uns aus gesehen, auch beschränkt gewesen sein, auf die Zeitgenossen muß die Universalität van Manders doch Eindruck gemacht haben, und sie muß ihnen nachstrebenswert erschienen sein. So wissen wir denn auch von Goltzius, Matham, de Gheyn, Ketel u. a, daß sie rührige Mitglieder der damals noch an der Spitze der Literaturwelt stehenden Rederijkerkamers waren. Goltzius pflegte Gedankenaustausch mit Gelehrten ver- schiedenster Profession und genoB unter diesen hohes Ansehen. Er und auch die andern Künstler seines Kreises nahmen, allgemein ausgedrückt, in ihrer Umgebung eine hohe soziale Stellung ein, wie sie für die typischen Vertreter der nachfolgenden Generationen gar nicht mehr, Bedürfnis war. Damit ist zugleich schon ein Wesens- unterschied gekennzeichnet, der die Kunst dieser zwei Epochen trennt. Van Man- der und seine Strebensgenossen konnten und wollten nicht Verfechter einer volks- tümlichen Kunst sein. Mit ihren hochgespannten Produktionen rechneten sie aus- schließlich auf den Beifall eines beschränkten Kreises der geistigen Aristokratie, aus dem ihnen umgekehrt auch alle Anregung zufioB. Sie verwehrten damit selbst den Zutritt frischen Blutes in ihren Kreis und blieben Akademiker. Dabei.ge- rieten sie mit all ihren hohen Intentionen unmerklich auf ein totes Geleise, und der Strom der Entwicklung, aus dem sie selber aufgetaucht waren, überholte sie und lief an ihnen vorbei, Die Stellung, die etwa Cornelis Cornelisz in den zwan- ziger und dreiBiger Jahren des 17. Jahrhunderts unter seinen Kunstgenossen ein- nimmt, ist durchaus vergleichbar mit der des alten Rembrandt. Sie blieben beide gefangen in der Ausdrucksweise und Gedankenwelt, in der sie selbst einst Träger der allgemeinen Entwicklung gewesen waren, und waren zu steifnackig, um den Kopf nach dem Wind zu drehen.

VII.

Die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung der Haarlemer Akademiekunst múchte ich nicht so, wie gemeinhin geschieht, darin sehen, daB sie für die nationale Kunst- blüte des 17. Jahrhunderts den Boden bildet, in dem alle Keime vorbereitet liegen und nur auf ihre Entfaltung warten, Die Verhültnisse scheinen mir doch anders zu liegen. Die neue Kunst sprof nicht aus den hochgreifenden Zweigen der in ihren guten Jahren führenden Kunst der Akademiker, so wenig, wie etwa ver- gleichsweise das spätere 17. Jahrhundert an Rembrandt anschloB. Die jungen Triebe schlugen unten aus dem Stamm.

Damit kommen wir zurück auf die schon anfangs berührte Frage nach dem Wert oder Unwert der romanistisch-akademischen Kunst für die allgemeine Ent- wicklung. Sie mit dem Hinweis auf den Kausalzusammenhang als notwendige

(1) Die beinahe utopistisch ideale Gesinnung van Manders geht auch daraus hervor, daß er der Mei- nung war, es sei der Kunst unwürdig, sich direkt in den Dienst des Erwerbs zu stellen. Seinen ab- soluten Beifall findet nur die Kunst, die ,zum Vergnügen", das will sagen, nicht gegen materielle Entschidigung schafft. Mit dieser Auffassung stehen zweifellos die zahlreichen Dedikationen von Kunstwerken an hochgestellte Persönlichkeiten, Magistrate und Körperschaften in Verbindung, für die den Stiftern in der Regel eine lukrative „vereering“ in klingender Münze zuteil wurde. -Auf diese Weise wurde die Ehre. gerettet, und es blieb der Kunst die Erniedrigung erepart, nach Brot zu schreien.

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Entwicklungserscheinung zu bestempeln und darin ihre Berechtigung und Bedeutung zu sehen, ist ein äußerst banaler Rettungsversuch. Daß b nicht sein kann, wenn es kein a gegeben hátte, ist eine von jenen Selbstverstündlichkeiten, für die die Logik keine Beweisführung nótig hat. Es kommt darauf an, die Fáden bloBzulegen, die jene beiden Epochen verbinden, und die Spitzen zu erkennen, über die sie laufen. Dabei werden wir gewahr werden, wo und wie oft sie sich in der unserer Kritik unterliegenden Zeitspanne verknüpfen. Von dem Maße dieser Verschlingungen müssen wir unser Urteil über die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung abhängig machen. Hierbei ist es zweckmáBig, wenn wir den Weg von oben nach unten verfolgen und aus der vollentwickelten Kunst des 17. Jahrhunderts heraus rück- würts nach den Anknüpfungspunkten suchen. |

Das erste, was bei einem Gesamtüberblick über die Kunst des 17. Jahrhunderts - ins Auge füllt, ist, daB sie eine volkstümliche Kunst ist, so, wie im 16. Jahrhundert keine bestand. Sie ist es also geworden; auf welchem Wege, das kann uns hier nicht beschüftigen. Uns genügt es, noch einmal kurz hinzuweisen auf den aus- gesprochen aristokratischen Charakter der Haarlemer Akademiekunst. Da können keine Verbindungslinien gezogen werden!) Eine andere Besonderheit ist das Auf- blühen spezifisch nationaler Kunstgattungen, des Genrebildes, der Landschaft und des Stillebens vor allem. Diesen gegenüber steht der, wenn auch nicht gerade antinationale, so doch sicher ausgeprügt internationale Grundzug in der Kunst der Akademiker mit seiner beinahe ausschlieBlichen Pflege der Figurenkunst. Wie van Mander vom Portrütfach dachte, hatten wir bereits Gelegenheit zu berühren. Goltzius allerdings nimmt als Portrátist eine hervorragende Stellung ein, die ihn als unmittelbaren Vorliufer sowohl von Frans Hals als auch der Amsterdamer Bildnismaler erscheinen läßt; Frans Hals hat sich in seinen frühesten uns be- kannten Schópfungen deutlich dem Vorbild des durch Goltzius im Stich geschaf- fenen Medaillonbildnisses angeschlossen, und W'erner van den Valckert, einer der achtenswertesten Vertreter der jungen Amsterdamer Porträtistengeneration, ist Goltzius’ direkter und der von diesem am stärksten beeinfluBte Schüler gewesen. Trotzdem spielt in Goltzius’ Gesamtwerk, zumal unter seinen Ölmalereien, auf die es hier in erster Linie ankommt, das Portrüt gegenüber den Figurenkompositionen eine zu offensichtlich untergeordnete Rolle, als daB es für die allgemeine Entwick- lung von nachhaltiger Bedeutung hätte werden können.

Was die jungen Generationen den Akademikern hingegen wohl zu danken hatten das war eine den ältern Meistern des 16. Jahrhunderts noch unbekannt gründliche Fundierung des handwerklichen Teiles ihrer Kunst die Frucht des Modell- studiums und eine klare Einsicht in die Bedeutung Venedigs für den Kolorismus, Diese letzte kommt in den Werken der Haarlemer Künstler zwar nicht voll, da und dort aber doch mit offenliegender Absichtlichkeit zum Ausdruck, und zum Überfluß zeugt van Mander in eindringlichen Passagen seines Schilderboecks davon. Das Wichtigste liegt hierbei nicht so sehr in einer Einladung, die venezianische Farbengebung direkt nachzuahmen, als vielmehr in der allgemeinen Betonung einer der Farbe innerhalb des Kunstschaffens zugedachten selbständigen Rolle. Diese ist dann zum Prinzip erhoben und als solches eine der ausgezeichneten Eigen-

(z) Der Umstand, daß van Mander selbst einige Bauernbilder gemalt hat, ändert nichts an der Vor- stellung, die wir uns von seinen hohen, ganz anders gerichteten Intentionen machen müssen. Auf jeden Fall erscheint es mir stets als eine große Willkür, die Entwicklungslinien wie doch meist geschieht über solche Oasen von Gelegenheitsschöpfungen oder, in andern Fällen, über die Bruch- teile eines uns zufällig erhaltenen Denkmilerbesitzes zu leiten.

228 :

schaften geworden, deretwegen die hollšndische Kunst heute noch in so hohem Ansehen steht. Auch für die Beleuchtungsprobleme, mit denen sich die Hollánder des 17. Jahrhunderts so einläßlich beschäftigt haben, könnte man vielleicht bei den Akademikern einzelne Ankntipfungspunkte finden. Doch hat es sich hierbei wohl mehr nur um gelegentlich erwachtes Interesse als um wirkliche Auseinander- setzungen gehandelt, so Чай diese Versuche nicht als Marksteine der Entwicklung angesehen werden dürfen.

Von einem Anteil der Akademiker an der malerischen Erforschung der Atmo- sphäre kann schon darum keine Rede sein, weil die Landschaftskunst in ihrem Kreise gar nicht oder doch höchstens nur an der Peripherie ihres Interesses be- stand, wo sie auf ein lebloses Schema reduziert blieb.

Das Verhältnis, in dem die Kunst der Haarlemer Akademie der für den Sprachgebrauch bequeme und zugleich doch auch zutreffende Ausdruck kann jetzt nicht mehr mißverstanden werden zu der folgenden Epoche steht, stellt sich uns also als ein recht lockeres dar. Sie erscheint uns nicht so sehr als die Grund- lage einer zukünftigen Entwicklung, sondern vielmehr als die exklusivistische Voll- endung einer von ihren Anfängen an einseitig orientierten Kunst.

Jede starke geistige Bewegung trägt die Keime einer Gegenbewegung schon in sich, indem sie durch die Einseitigkeit ihrer Tendenz eine Reaktion herausfordert. Diese selbst kann als aus ganz unabhängigen Faktoren aufgebaut erscheinen und dabei doch ihre ganze Lebenskraft dem Antagonismus verdanken, der in einer be- wußt oder unbewußt gegensätzlichen Stellungnahme begründet ist. So stellt sich mir das Verhältnis der Kunst des vorgerlickteren 17. Jahrhunderts zu derjenigen der Haarlemer Akademie dar, und in diesem Verhältnis erkenne ich deren ent- wicklungsgeschichtliche Funktion. In zielbewußter Vollendung, starker Einheitlich- keit und vornehmer Selbstisolierung bildet sie die Zusammenfassung und den vor- läufigen Abschluß soweit in dem Flusse der Entwicklung von einem solchen die Rede sein kann einer ausgesprochen intellektuellen Bewegung. Als eine in sich selbst gegebenen Gesetzen befangene Alterserscheinung steht sie vor einer neuen, aus den freien Tiefen des Bewußtseins ihren Ursprung nehmenden Be- wegung, die ihre Lebensfrische zu einem großen Teil aus dieser Gegensätzlichkeit schópfte. Die Umwälzung gleicht einer Revolution; es sind die tiefsten künstle- rischen Grundanschauungen, die umgeworfen werden. Diese Umwertung aber

wurde herausgefordert, auf jeden Fall beschleunigt, durch die scharfe Weise, mit

der die unterliegende Partei ihre Ideale formuliert hatte.

Der Intellektualismus der Akademiker macht einer sinnlicheren Anschauungsweise Platz, die ein Kunstwerk nicht mehr in erster Linie nach der Bedeutung seiner inhaltlichen Beziehungen und äußerlich formalen Korrektheit bewertet, sondern die gesund-naiven Qualitäten von Lebenswahrheit und Naturnähe zu verwirklichen sucht. Damit fällt van Manders doktrinäre Rangordnung der verschiedenen Kunst- gattungen; Genrebild und Landschaft treten mit dem Porträt als gleichwertig neben das Historienbild. Der Begriff des Malerischen gewinnt seine moderne Be- deutung!) und verschafft dem mit einem Minimum gegenständlicher Wirkung rech- nenden Stilleben?) Geltung. | (z) Den Ausdruck malerisch (schilderachtig) führen auch die Akademiker schon im Munde, aber mehr in dem Sinne von „malermäßig“ (van Mander; vergl, Höcker, a. a. O., Wortregister) oder „zum Malen geeignet", „darstellungsfähig“. (Goltzius, in einer Briefstelle an den Amsterdamer Goldschmied Hans van Weely, den er bittet, für ihn „oude testementische. historien“ auszusuchen, die „schilder- achtig“ sind).

(2) Das Stilleben tritt allerdings auch mit absichtlicher inhaltlicher Bedeutung auf, als Vanitas oder

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jabrg., 1918, Heft 8 16 229

An Stelle der Überzeugung und Geschlossenheit, mit der von etwa 1585 bis 1615 die Haarlemer Künstler und weitere Kreise sich um die Grundsütze der Akade- miker geschart hatten, tritt eine sich immer deutlicher ausprügende separatistische Tendenz, die die Spezialisierung im Gefolge führt. Dort das Dogma von der Superiorität der Figurenkunst, das jede anders gerichtete Originalität so gut wie ausschloB; die jüngere Generation anerkennt es nicht und macht damit die Bahn frei für die Entfaltung persónlicher Begabungen. So erstand dann das schillernde Bild der neuen Kunst mit ihren ausgeprägten Individualitäten. Es bildet den schürfsten Kontrast zu der einheitlich gesinnten und autoritätsbedürftigen voraus- gegangenen Epoche.

VIII.

Auch der anspruchsloseste Versuch von Geschichtsschreibung ist Konstruktion; je bewuBter wir uns dessen bleiben, desto weniger willkürlich wird sie sein. Unser Streben, aus der unendlichen Verwicklung von nur zum Teil geahnten Zusammen- hüngen eine Entwicklung herauszulesen, das Bedürfnis, die unfaBliche Mannigfaltig- keit der Geschehnisse und ihrer Verknüpfungen auf uns geläufige Begriffe zu re- duzieren, nótigt uns zu solchen Konstruktionen. Die Darstellung, in der uns die Kunst der Haarlemer Akademiker als die Vollendung einer ganzen Geistesrichtung erscheint, der wir eine neue Bewegung entgegensetzen, ist ein Bild, dessen wir uns bedienen, um die Zusammenhänge zu gruppieren und sie auf diese Weise in ihren großen Zügen zu überblicken. Doch kann ich mir wohl denken, daß man, von andern Gesichtspunkten ausgehend, den Abschnitt, wenn auch nicht geradezu anderswo ansetzen, so doch hier weniger stark betonen könnte. Denn in der Wirk- lichkeit ist die akademische Bewegung mit dem Auftreten von Frans Hals, Rem- brandt und allen ihren Trabanten keineswegs aus der Welt geschafft; ihr Faden zieht sich weiter, und in den Theoretikern vom Ende des 17. Jahrhunderts er- stehen dem Erbe van Manders neue Verweser.

Aber auch in einen ganz anderen Zusammenhang würde sich die Kunst der Haarlemer Schule noch einstellen lassen. Schien sie uns innerhalb des hollindi- schen Kunstkreises für ihre Richtung eine gewisse Vollendung zu bedeuten, in dem größeren Verbande der gesamtniederlündischen Kunst nimmt sie eine viel weniger abschlieBende Stellung ein. Zu der vlámischen Kunst in Beziehung gebracht, fallt sie zurück in die allgemeine Entwicklungslinie, die zu der Persónlichkeit eines Rubens hinaufführt, und die Kunst des Rubens erst mutet an wie die Erfüllung der akademischen Bestrebungen. Denn es sind in der Tat die akademischen Grund- sätze, an die der junge Rubens anschloß. Auch für ihn bildet das Figurenbild den Mittelpunkt aller Kunstübung. In äußeren Umständen liegt es begründet, daß für ihn dabei stets das Kirchenbild christlichen Inhalts im Vordergrund steht; wo er aber dieses verli&t und mythologische Vorwürfe angreift, sind es zum groBen Teil dieselben Gegenstánde, die ihn und die Haarlemer beschiftigen. Zumal wenn er etwa die im Kreise van Manders so beliebte Sentenz ,Sine Cerere et Baccho friget Venus“ illustriert (Cassel), móchte man da gerne an einen direkten Zusammen- hang glauben. Auf jeden Fall bevorzugt er, wie die Haarlemer, Darstellungen, die

dergleichen, In dieser Form ist natürlich nicht ein rein „malerischer“ Bildgedanke verwirklicht. Ganz rein kommt ein solcher hingegen zum Ausdruck in den Darstellungen geschlachteter Ochsen oder Schweine, aufgeschnittener Fische und áhnlicher, den naiven Betrachter geradezu abstoBender Vorwürfe. Die Wahl solcher Gegenstünde ist kennzeichnenderweise von spütern, wieder in die akademischen Traditionen einlenkenden Generationen als unschicklich gebrandmarkt worden.

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nur für ein wohlbelesenes Publikum berechnet waren. Nicht nur hierin, sondern auch in seinen kirchlichen Bildern ist Rubens, an der hollündischen Kunst des vorgeschrittenen 17. Jahrhunderts mit ihrem bürgerlichen Charakter gemessen, ein Künstler von durch und durch aristokratischer . Grundgesinnung und berührt sich damit wieder mit einer der ausgesprochensten Eigenschaften der Akademiker. Wie diese, pflegt auch er, besonders in seinen jungen Jahren, nur gelegentlich das Portrütfach, obwohl ihm dieses in seiner hófischen Umgebung doch besonders nahe gelegen haben muß, so wie denn auch andere Künstler in ähnlicher Position, van Dyck etwa oder Velasquez, ganz in ihm aufgegangen sind. Auch die Landschaft spielt bei ihm zunächst eine ähnliche, ganz untergeordnete Rolle; sie scheint nur als Folie für das Historienbild Berechtigung zu haben. Dies geht so weit, daß Rubens auch später noch, da er häufiger Landschaftsbilder malte, diese stets gerne episodisch staffierte oder sie durch die Schilderung von Naturereignissen mit in- haltlichen Beziehungen zu füllen suchte.

Dieses sind ebensoviele verwandte Züge, die die Haarlemer Akademiekunst mit Rubens verbinden, als Gegensätze, die sie von der holländischen Kunst des 17. Jahr- hunderts trennen. Es müßte also mit wenig Darstellungskunst möglich sein, die Akademiker als direkte Vorläufer von Rubens erscheinen zu lassen. Hiermit möchte ich aber nicht einstimmen. Die Gemeinsamkeiten lassen sich meines Erachtens ableiten aus einer Parallelität der Entwicklung auf sehr verwandten Grundlagen; die Gegensätze können erklärt werden durch das Einschlagen von persönlichen, stark divergierenden Begabungen in Holland, unter deren Einfluß die Kunst hier eine ausgesprochene Demokratisierung erfuhr, während sie in Belgien unter der -machtvoll überherrschenden Persönlichkeit von Rubens eine straffere Zentralisie- rung als je erlebte.

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FINDLINGE ZUM THEMA: ,GOETHE UND DIE BILDENDE KUNST“ Von V. CURT HABICHT

e 0e90000090009009000000000000000000000000900000000090909000000000000000000000000000000000000000000000000009000000000000

s liegt ein tieferes Symptom in der jetzt bemerkbaren Bevorzugung von

Themen, die die Wechselbeziehungen von bildender Kunst und Dichtkunst zum Gegenstande haben!) Die kunsthistorische Forschung hat erkannt, daß weder einseitige, rationalistische Materialsammlungen, so nótig die auf weiten Strecken, namentlich der deutschen Kunst, auch noch sind, noch auch stilpsychologische Untersuchungen zu einer vollen Ausschópfung ihres erhabenen Gegenstandes führen kónnen. Die Literaturgeschichte dagegen will in der jüngeren Schwester- disziplin nicht mehr eine nur gewissermaßen illustrative Hilfe leistende erblicken, sondern bemüht sich, die dort erschlossenen Ergebnisse als bedeutsame Stützen der eigenen Forschung anzusehen, und versteht immer mehr, den oft ausschlag- gebenden heuristischen Wert derselben anzuerkennen. Die hóhere Aufgabe einer begrifflich faBbaren und allseitig reinen Darstellung der geistigen Grundstim- mungen und Taten, als deren gleichwertige Manifestationen eben bildende Kunst und Dichtung anzusehen sind, hat die Einsicht einer engeren Verbindung gezeitigt. Als vornehmsten Gewinn dieser Stellungnahme läßt sich schon jetzt die 'Ab- lehnung einseitiger „Standpunkte“ bezeichnen. Die Geisteswissenschaften ver- tragen eben alles eher als „vorgefaßte Meinungen", und das Prokrustesbett eines Systems ist kaum irgendwo weniger angebracht als hier.

Die eine Gestalt Goethes, die allerdings eine groBe, reiche Welt für sich be- deutet, spottet eines jeden Regelzwanges. Man hat sich gewóhnt, einen weit- herzigen, für alle Kunstzweige begeisterten Goethe vor der italienischen Reise und einen orthodoxen, klassizistischen nach derselben voneinander zu trennen. Ein Blick auf den Faust allein, in dem sich friedlich Anregungen aus der Antike, der Renaissancekunst, dem Barock, dem italienischen und deutschen Mittelalter mit ebenso weit auseinanderliegenden Antrieben aus den Literaturen dieser Epochen vereinen, sollte genügen, vor solchen parteiischen Urteilen zu bewahren. Trotz oder vielleicht gerade aus aller selbstverstándlichen Ehrfurcht vor dem Genius Goethe wird man sein Bedingtsein durch die geistigen Strómungen seiner Zeit voll anerkennen müssen. Nicht zum wenigsten kann die Beachtung seines Verháltnisses zur bildenden Kunst und vor allem seiner Verarbeitung der Anregungen von dieser Seite her zur Klárung dieser Fragen beitragen. Volbehr, der uns ein feinsinniges Buch über Goethe und die bildende Kunst?) geschenkt hat, wäre zu seiner oft einseitigen Beurteilung bei einer näheren Prüfung der von Goethe verarbeiteten Stoffe der bildenden Kunst gewiß nicht gekommen.

Einer vollen Einschátzung dieser Tatsachen steht vorerst allerdings noch der Mangel an Einzeluntersuchungen entgegen. Abgesehen vom Faust?) der, wie

(1) Ich verweise unter den neueren Arbeiten nur auf die ausgezeichneten von W. Waet- zoldt: Wechselwirkungen zwischen deutscher Malerei und Dichtung im 19. Jahrhundert (Jahrbuch des freien deutschen Hochstiftes, Frankfurt 1013, S. 13ff.), idem: Deutsche Wortkunst und deutsche Bildkunst (Deutsche Abende. Zweiter Vortrag). Berlin 1916, und Fr. v. d. Ley en: Deutsche Dichtung und bildende Kunst im Mittelalter (Abhandlungen zur deutschen Literaturgeschichte, Franz Muncker... dargebracht, München 1916, S. ıff.) (2 Vgl. Theodor Volbehr: Goethe und die bildende Kunst. Leipzig 1895.

(3 Vgl. M. Morris: Gemälde und Bildwerke im Faust (Goethe-Studien І. 114 ff. 2. Aufl. Berlin 1902) und darauf fußend Willy F. Storck: Goethes Faust und die bildende Kunst. Leipzig 1912. |

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diese Untersuchungen zeigen sollen, aber auch noch nicht voll nach dieser Seite hin ausgeschöpft ist, ist man den Spuren der bildenden Kunst in den Werken Goethes noch wenig nachgegangen. Ja, hier eróffnet sich eine Aufgabe, die von einem einzelnen kaum bewáltigt werden kann. Die Schwierigkeiten beruhen darin, daB sie eine Vertrautheit gróBten Stiles auf dem Gebiete der Kunst- wie Literatur- geschichte voraussetzen und eine restlose Hingabe an die Sache erfordern. Dafür liegt das Gebiet für den Kunsthistoriker, der für eine Bearbeitung fast allein in Frage kommen kann, doch zu weit ab. Da die Aufgabe aber doch einmal gelóst werden muß, gilt es wenigstens Bausteine herbeizutragen, und als solche wollen die nachfolgenden Untersuchungen auch nur angesehen sein!).

т. Der neue Paris.

»Das Auge war vor allen anderen das Organ, mit dem ich die Welt faBte. Ich hatte von Kindheit auf zwischen Malern gelebt und mich gewóhnt, die Gegenstánde in bezug auf die Kunst anzusehen. Wo ich hinsah, erblickte ich ein Bild, und was mir auffiel, wollte ich festhalten | ` |

Das entzückende Knabenmirchen hat der Geschlossenheit seiner Erzáhlung und des Reichtums seiner Bilder, besonders der antiken, wegen immer wieder Be- wunderung erregt. Ja, diese Bewunderung hat Anlaß gegeben, die Erzählung aus der frühen Knabenzeit Goethes zu streichen und in die Altersperiode zu ver- legen, in eine Zeit, der Geschehnisse und Gestalten wie das Parisurteil, der Kampf Achills mit Penthesileia usw. vertrauter sein konnten als den Knabenjahren. E. MaaB*) hat mit schöner Begeisterung und tiefem Verständnis für die Schaffens- weise des Genius den Nachweis erbracht, daß die Dinge so liegen, wie sie Goethe in Dichtung und Wahrheit erzählt, daß also Goethe als Knabe das Märchen wenig- stens dem wesentlichen Inhalte nach so erzählt hat, wie wir es aufgezeichnet finden. Maaß hat vor allem das Verdienst, die Vertrautheit des Knaben Wolfgang mit bestimmten antiken Motiven aufgewiesen zu haben. Daß Goethe die grie- chischen Stoffe durch Loen und Pomey bekannt geworden waren, darf man nach Maaß’ Ausführungen als sicher annehmen. Dennoch bleibt, die Lektüre dieser Schriftsteller allein vorausgesetzt, manches ungeklärt. Der tatsächlich vorhandene Abstand zwischen dem reizvollen und reichen Märchen und den unbedeutenden Liedern der Leipziger Zeit wird damit nicht überbrückt. Eine Allegorie, ein Sinn- bild auf Goethes eigenes Leben, ist dasMärchen allerdings nicht. Darin hat Maaß vollkommen recht. Es ist ein Märchen des Zehnjährigen; dann allerdings eine erstaunliche Schöpfung, die den Nachweis der Herkunft aller Elemente ihrer Zu- sammensetzung fordert. Maaß hat selbst einige Erscheinungen hervorgehoben, die durch die Lektüre Loens und Pomeys unerschlossen bleiben. So gleich die un- vermittelte Vermischung heimischer und antiker Motive. Maaß kennzeichnet diese Erscheinung sehr fein mit folgenden Sätzen: „Dann hat der ‚Neue Paris‘ das bei Goethe Auffällige, von allem Abweichende, daß er in den Rahmen des Frankfurter Lebens die Personen und die Welt eines altgriechischen Märchens hineinversetzt: wie die Insel im Meere schwimmt. Dabei wird nichts irgendwie vermittelt, nichts organisch verbunden.“ Schärfer kann es nicht ausgedrückt

(1) Einen Hinweis, den ich hier erwähnen möchte, gibt F. Boll: Die Lebensalter. Leipzig

1913, S. 4. | (2) Vgl. E. Maaß: Goethe und die Antike. Berlin 1912, S. 1ff.

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werden, daß hier etwas der Aufhellung bedarf, die durch den Hinweis auf die Un- reife wie Maaß will nicht befriedigend geboten wird. Auch „das ganz Unvermittelte des Abbrechens“ der Erzählung scheint mir durch „den Kindes- zustand des noch unfertigen Verfassers“ nur unzulänglich begründet zu sein. Das Fehlen der Helenagestalt, diese sehr auffällige Tatsache, bietet Maaß gleich- falls eine Schwierigkeit, die er nicht zu erklüren weiB. Der Orientale katho- lischen Glaubens findet durch den Hinweis auf den Magier bei Tasso keine hinreichende Begründung. Die Gestalt des Narziß, die der Alerte, der Kampf der Penthesileia mit Achill und die wunderbare Brücke sind fernerhin noch ungeklárte Elemente des Márchens. Alle diese Fragen und schlieBlich auch eine genauere Datierung wollen erledigt sein, und sie dürfen es bei der hohen, künstlerischen Bedeutung des Märchens einerseits, wie bei der umstrittenen Entstehungszeit sehr wohl. |

Das Märchen beginnt mit einer Traumerzählung und bietet uns durch diesen Eingang gleich einen Schlüssel zur Erhellung mancher Frage. Geschaute Bild- eindrücke verwandeln sich dem Knaben im Traume zu lebenden Gestalten, die in sein Leben eingreifen und ihn in eine Handlung verstricken. Goethe erzühlt das weitere Geschehen zwar als Tatsache, die Fortsetzung des Traumes ist aber dennoch deutlich, und wenn es sich auch nicht nachweisen läßt, daß auch dieser Teil nur geträumt und als wirkliches Geschehen erzählt ist, so stammt er doch gewiß aus den gleichen Quellen wie die Traumerzählung selbst. Zu Ende der Erzáhlung gibt Goethe allerdings selbst einen Hinweis, indem er sagt: ,,...so daß ich beinahe glauben muß, das zweite Abenteuer sei so gut als das erste ein Traum gewesen...‘ Um es vorweg zu sagen, was im einzelnen noch nach- zuweisen sein wird, es sind Eindrücke von Werken der bildenden Kunst aus der nüchsten Umgebung des Knaben, die sich im Traume vermischen und die eigen- tümliche Erzáhlung oder das merkwürdige Geschehen auslósen. Deshalb das seltsame Durcheinander der Motive, deshalb die Vermischung heimischer und antiker Vorstellungen und deshalb schlieBlich auch das unvermittelte, plótzliche Abbrechen des Märchens. Wenn Maa meint, in Feengärten habe sich der Knabe hineingetráumt, so erklärt das weder die Eigenart der keineswegs aus Feen- gürten allein stammenden Umgebung im Märchen, noch auch die Gestalten und ihr Handeln. Die überhitzte Phantasie des Märchens, die Vielheit der Gestalten, die Fülle der antiken Motive und die Lebendigkeit der Eindrücke lassen unwillkürlich fragen, zu welcher Zeit traten dem Knaben plótzlich so vielseitige, so bunte und eindrucksfáhige Bilder entgegen? Auf diese Frage läßt sich leicht durch den Hin- weis auf die seit 1759 für den Kónigsleutnant Theas comte de Thoranc einsetzende künstlerische Tátigkeit in Goethes Stube im Hause am Hirschgraben antworten. Wir wissen es aus Goethes Munde selbst, welche Fülle der Eindrücke sich ihm hier bot, wir erfahren es, mit welchem Ubereifer er an der Tätigkeit der Maler teilnimmt, daß er selbst Vorschläge für Kompositionen, den Josephszyklus, macht, und daß er mit allen Sinnen lebt und webt in den Stoffen, die unter seinen Augen entstanden!) Was Wunder, daß sich der Reichtum der Ge. sichte, die Phantastik mancher Stoffe und die Lebendigkeit der Darstellung in der Phantasie des Knaben lebhaft einprägten und zu einem bunten Traume vermischten.

(1) Vgl. O. Heuer: Goethe und die Königsleutnantbilder. (Jahrbuch des freien deutschen Hocusuites, Frankfurt a. M. 1907 S. 235 ff.)

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Doch das sind zunáchst nur Behauptungen, die nach Belegen verlangen. Bei einer Betrachtung der Darstellungen der für den Kónigsleutnant angefertigten Tapeten fallen das Vielerlei der Gegenstánde und die unvermittelte Verbindung verschiedenartigster Szenen zunächst besonders auf. Der jüngste Biograph!) von Seekatz sagt geradezu: ,,Das Durcheinander der einzelnen Stoffgebiete auf diesen Medaillonbildern geht nun so weit, daß nicht einmal die Szenen aus einer und derselben Geschichte in ihrer richtigen Reihenfolge gegeben, sondern ohne jeden Zusammenhang auf verschiedene Panneaux verteilt sind.^ Kinderszenen, antike und biblische Stoffe und Genrebilder bilden den bunten Inhalt dieser „Bahnen“. Die Gemeinsamkeit mit der Stoffwelt des neuen Paris bleibt dabei aber nicht stehen. Die auffüllige Betonung der orientalischen Kostüme stammt gleichfalls deutlich aus den Tapeten her. Die Chinoiserien des 18. Jahrhunderts und die starke Anlehnung an die orientalischen Phantasiegestalten Rembrandts und seiner Nach- folger lassen die reichliche Verwendung dieser orientalischen Züge in den Werken der Frankfurter Maler, nicht nur in den Königsleutnantbildern, leicht erklárlich erscheinen. i

Gleich der Eingang des Mürchens gibt unzweideutige Winke, woher dem Knaben die Anregungen geflossen sind. Bei der Erscheinung des ,jungen, schónen Mannes“ antwortet Wolfgang auf seine Frage: „Kennst du mich denn?“ höchst bezeichnender Weise: , Warum nicht? Ihr seid Merkur, und ich habe Euch oft genug abgebildet gesehen.“ Das „oft genug“ schließt es aus, daß nur der mäßige Kupferstich in Pomey als Anregung gedient haben kann. Ein näherer Vergleich mit der Darstellung des Parisurteils von Joh. Conr. Seekatz überzeugt, daß Goethe gerade diese Wiedergabe vorgeschwebt hat sei es im raume; sei es beim späteren Erzählen.

Die Gestalt des orientalischen Katholiken erinnert so auffallend an die von ` den Frankfurter Malern „їп rembrandtischer Manier“ oft genug geschilderten Propheten, Juden, Greise usw., daß ein Ideenzusammenhang ganz zweifellos vor- handen ist. Namentlich Joh. Georg Trautmann hat solche Prophetenköpfe gemalt, und ein Werk seiner Hand dieser Art, das nach Bangel?) in den fünfziger Jahren entstanden ist, befindet sich im Goethehaus zu Frankfurt a. M.3). Die „wunder- liche“, „lange, weite und sonderbare Kleidung“ tragen auch Trautmanns Gestalten in dem Josephzyklus*), den er für den Kónigsleutnant gemalt hat, und an dessen Entstehung der junge Goethe ja bekanntlich besonderen Anteil genommen hat. Aus diesen Bildquellen*) erklären sich auch zwanglos die orientalischen Kostüme, die sonst noch erscheinen, und in eins von denen sich der jugendliche Erzšhler ja nachher selber kleiden muß, das ihm ausnehmend gut gefällt.

Einen nicht mißzuverstehenden Wink gibt der Erzähler bei der Schilderung der Türe in der „schlimmen Mauer“. „Die breiten, sowohl erhaben als vers

(1) Vgl. Ludwig Bamberger: Joh. Conrad Seekatz (Heidelberger kunstgeschichtlicha Ab- handlungen Bd. 2). Heidelberg 1916, S. 100.

(2 Vgl. Rudolf Bangel: Joh. Georg Trautmann und seine Zeitgenossen. (Stud. zur deutschen Kunstgesch., H. 173.) StraBburg 1914, S. 111.

(3) id. Tafel 2.

(4) id. Tafeln 6—10.

(s) Hüsgen charakterisiert Trautmanns Kunst: „In Rembrandts Manier siehet man viele lebensgroBe und auch kleine Kópfe von ihm, die er meistens mit groBen Bürten in orientalischer Tracht darstellte.“ (Vgl. Joh. Seb. Hüsgen: Nachrichten von Frankfurter Künstlern und Kunstsachen, Frankfurt 1780.)

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tieft gearbeiteten Bänder von Erz beschlagen, deren Laubwerk, worin die natür- lichsten Vögel saßen“, er besonders bewundert, stellen die typischen mittel- alterlichen Eisenbeschlüge einer Türe dar. Wo Goethe solche Arbeiten gesehen hatte, folgt einige Zeilen weiter. Da heißt es: „Ich bewundere, versetzte ich, die Arbeit dieser Pforte, denn ich habe dergleichen noch niemals gesehen, es miiBte denn sein auf kleinen Stücken in den Kunstsammlungen der Lieb- haber.“ Die Stelle ist höchst lehrreich. Denn sie beweist nicht nur, daß Goethe die Anregung zu der Schilderung von seiten der bildenden Kunst empfangen hat, sie wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die frühe Kennerschaft des Knaben. . Belehrt sie doch gewissermaßen den Traumeindruck darüber, daß derartig reiche Beschläge eigentlich nur an kleineren kunstgewerblichen Gegenständen, wie Schmuckkästchen, Truhen usw., aber nicht an großen Türen in Gebäuden vor- kommen. Daß. Goethe derartige Stücke in den , Sammlungen der Liebhaber“ oder auch bei Auktionen, an denen er ja auch schon frühzeitig teilgenommen hat, gesehen hat, ist nach seinen eigenen Worten nicht zu bezweifeln. Welche be- stimmte Arbeit ihm vorschwebte, das wird sich allerdings wohl schwerlich noch einmal ausfindig machen lassen.

Gleichfalla von Bedeutung für die Frage nach der Herkunft der Bildvorstellungen sind die weiteren Beschreibungen des Märchengartens. Gleich beim Betreten fallen dem Erzähler „Nischen, mit Muscheln, Korallen und Metallstufen künst- lich ausgeziert auf, die aus Tritonenmäulern reichliches Wasser in marmorne Becken spenden. So deutlich hier die Anregungen von seiten der bildenden Kunst sind, so schwer ist es auch hier, das bestimmte, die Vorstellung auslösende Vorbild zu nennen. Die mit Muscheln, Korallen und Metallstufen gezierten Nischen sind beliebte Bereicherungen der Architektur, die letzten Endes auf italienische Vorbilder zurückgehen und besonders im 17. Jahrhundert einen breiten Raum in den deutschen architekturtheoretischen Schriften!) einnehmen. Schon Jos. Furttenbach d. A. beschäftigt sich eingehend mit diesen „Grotten“ ), und der Frankfurter G. Böckler widmet diesen Architekturteilen sogar eine mit vielen Kupfern geschmückte Schrift’). Die uns heute nicht mehr ganz verständliche Vorliebe für diese in überladener Weise mit Muscheln, Korallen usw. gezierten Nischen, Grotten und Brunnen nimmt jedenfalls in den architekturtheoretischen Schriften einen sehr breiten Raym ein und hat zweifellos auch in der Praxis ge- wirkt. Ob bei Goethes Schilderung solche Kupferstiche oder Originale anregend gewirkt haben, bleibt gleichgültig hinsichtlich der Tatsache, daß hier gleichfalls Elemente der bildenden Kunst anregend gewirkt haben.

Gleich anschließend an diese Beschreibung der Brunnen erzählt der Knabe, daß einer der Stare der zwischen den Brunnen angebrachten Vogeihäuser: Paris, Paris, ein anderer: Narziß, Narziß! gerufen habe. Der Übergang von einer Vorstellung oder Bezeichnung zur anderen ist eigentiimlich. Wie kommt der Knabe dazu, sich in einem Augenblick als Paris, im nächsten als Narziß zu empfinden, oder vielmehr woher drängt sich ihm die Erinnerung an Narziß in seiner Rolle als Paris plötzlich auf? Man fühlt deutlich, eine Bildvorstellung löst jäh eine andere ab, wie es eben im Traume geschieht. Kennen wir den Grund der Parisvorstellung,

(1) Vgl. V. C. Habicht: Die deutschen Architekturtheoretiker des 17. und 18. Jahrhuneeru (Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen, ıgı6ff.).

(2) id. S. 19, 28.

(3) id. S. 273.

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so fragt es sich nun, woher die andere stammt. Sollte der Urheber der einen, nämlich Seekatz, zugleich auch der der anderen sein? Nun, wir wissen, daß Seekatz einen „Narziß am Brunnen“ i) gemalt hat. Bamberger setzt das Bild aller- dings ohne rechte Begründung in spátere Zeit, in die Jahre 1765—68. Es be- stehen aber nicht die geringsten Schwierigkeiten, das Bild schon in die Zeit um 1759 zu verlegen. Jedenfalls sind der Umstand, daß der Bildeindruck bei Goethe gerade nach der Brunnenbeschreibung auftaucht, und die Tatsache, daß Seekatz einen Narziß am Brunnen gemalt hat, so auffällige Erscheinungen, daB an einen Zufall wohl kaum gedacht werden kann.

Weniger scharf umrissen, aber immerhin doch auch deutlich von Werken der bildenden Kunst beeinfluBt, erscheinen die Beschreibungen des Gartens und des Gartengebäudes. Der sehr auffällige Hinweis auf den Grundriß des Gartenparterres, wie auch die Eigenart der Beschreibung der Einzelheiten desselben, der Beete, der Einfassungen und der Bepflanzung, lassen für den Kenner der Gartengrundriß- stiche des 17. und 18. Jahrhunderts keinen Zweifel, daß Goethe hier Eindrücke von diesen Kupfern mit solchen aus wirklichen Gartenanlagen verschmolzen hat.

Der eigentiimliche, südländische Charakter des Gartenhauses selbst legt wieder die Vermutung, daß Risse aus architekturtheoretischen Schriften anregend gewirkt haben, sehr nahe. |

Die anmutigen Szenen, die sich nun im Mittelsaale des Gartenhauses abspielen, wo zunächst das musikalische Spiel der rot, gelb und grün gekleideten Madchen und dann das reizvolle Ballett, das Wolfgang und Alerte tanzen, stattfinden, er- innern zu deutlich an die gleichen Kinderszenen, die Seekatz namentlich in den Monatsbildern der Thoranc-Bahnen gemalt hat, als daB die Übereinstimmungen zufällige sein könnten. Die Worte, die Bamberger:) zur Kennzeichnung der Ar- beiten von Seekatz gebraucht, zeichnen genau die Stimmung der Episode unseres Märchens. „Es ist ein ganzes ,Kinderleben', was sich da vor unseren Augen abspielt, mit allen seinen alltáglichen Freuden, ein Leben unter freiem Himmel in frischer Luft. Es ist ein Heraus aus den engen Stadtmauern ein Leben ohne Parfüm und Puder, das mit der Grazie eines Haydnschen Scherzes (sic!) jenes Thema vorzubereiten scheint, das nicht viel spáter von der Donnerstimme des großen Franzosen in die Welt geschmettert wurde, das ‚Zurück zu der Natur!‘ Besonders hervorzuheben ist, daß unter den als Türken, Chinesen usw. ver- kleideten Kindern ein Kinderpaar im modischen Zeitkostüm erscheint, das Heuer als Portráts von Wolfgang und Cornelia Goethe gedeutet hat. Das mag noch ein Anlaß mehr gewesen sein, daß sich der Knabe in seinem Aufgehen in dieser Welt des ,Kinderarkadiens‘ in die Schar dieser musizierenden, tanzenden, spielenden und die Tätigkeiten der Erwachsenen nachahmenden Kinder hinein- träumte und ihre Welt im Traume und dann in seiner Erzählung wiederfand,

Das hóchst merkwürdige Kampfspiel auf der Brücke verarbeitet ganz deutlich Szenen der „Bahnen“. Hier erscheinen nicht nur Krieger, Kampfszenen, ein Kampf an einer Brücke, sondern auch Kampfspiele, bei den in Uniformen gekleidete Kinder die Handelnden bilden. Seekatz, der diese „Panneaux“ gemalt hat, stand dem Knaben Goethe ja besonders nahe, nicht zum wenigsten auch wegen der ‘Wahl und der Art der Behandlung seiner Stoffe. In der Erinnerung an diese Zeit hebt Goethe in Dichtung und Wahrheit das Verdienst von Seekatz folgender-

(1) Vgl. L. Bamberger: a. a. O., S. 15g und Abb. S. 153 in G. Biermann: Deutsches Barock und Rokoko. Leipzig igne (2) Vgl. Bamberger: a. a. O., S. 114.

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mañen hervor: ,Seekatz übernahm lšndliche Szenen, worin die Greise und Kinder, unmittelbar nach der Natur gemalt, ganz herrlich glückten ...“ Man kann es -sich denken, daß den Knaben gerade diese Verkleidungen der Kinder ganz be- sonders anzogen, und daB sich seine lebhafte Phantasie leicht unter sie und mit ihnen handelnd versetzen, konnte. Da gerade aber auch ein Kampf an einer Brücke unter diesen Darstellungen erscheint, ist die Herkunft der Erzáhlung in diesem Falle ja wohl ganz gewiß.

Es miiBte sich bei dem Márchen nicht um eine Traumerzühlung handeln, wenn alle Elemente erklärt werden könnten. Die Phantastik und der Reichtum der Träume aus nichtigeren Anregungen als den reichen Bildvorstellungen, die der junge Goethe angesichts der Thorancbilder in sich aufnehmen konnte, sind bekannt. Ja, man muß sich fast wundern, wie klar und streng diese Bildvorstellungen in der Traum- phantasie des Knaben haften geblieben sind. Die Ausführungen werden aber gezeigt haben, daB die Auslósung der Traumbilder zweifellos durch Werke der bildenden Kunst stattgefunden hat. In die Zeit um 1759 muf demnach auch die Erzählung des Märchens fallen, da in erster Linie die Bilder der Thoranctapeten anregend gewesen sind. Wie aufnahmefáhig der damals zehnjahrige Knabe schon gewesen ist, das bezeugen die übrigen Verwertungen aus dem Gebiete der Archi- tektur, des Kunstgewerbes und der Bildhauerkunst. Aus diesem Grunde darf man nun auch die Schilderung des frühreifen, ja fast fürwitzigen Knaben in Dichtung und Wahrheit wenigstens in Dingen der bildenden Kunst mit ganz anderen Augen ansehen. Ein Kind, das die Fülle der Eindrücke in einer Erzühlung schon so selbstándig verarbeiten konnte, wie der Dichter des jungen Paris, hat immerhin schon ein Recht, sein Urteil als voll angesehen wissen zu wollen. Der Nachweis ' der Quelle der Traumvorstellungen und die Erkenntnis, daß die Erzählung im wesentlichen überhaupt einen Traumbericht darstellt, beseitigen die gróbsten Schwierigkeiten auf dem Wege zur Erklärung des Märchens. Im Traume nur konnten sich die verschiedenartigen Eindrücke von seiten der bildenden Kunst mit den natürlichen Erinnerungsbildern aus der nüchsten Umgebung so innig und eigenartig vermischen und zu einem so phantastischen Ganzen, das wie Traumbilder meist keinen rechten Schluß findet, runden, wie es die Erzählung darstellt. (Schluß folgt.)

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REZENSIONEN ———.—

LORENZEN, WILHELM, Gammel Dansk Bygningskultur 2, 2; Kopen- hagen 1916: 1) Landgaarde og Lyst- steder i Barock, Rococco og Empire 66 S., 56 Abb., 2) Meddelelser... (Mit- teilungen über den Verein zur Erhaltung alter Bauwerke, 1912—15.) 32S., 18 Abb.

Der systematische Teil gibt einen sehr dankens- werten Überblick über die vornehmen Landhaus- bauten Dänemarks mit Einschluß der Gartenanlagen, und es wird die geschichtliche Entwicklung dieses Zweiges der Baukunst an einigen fürstlichen und herrschaftlichen Landsitzen, wie Friedrichsberg, Freudenlund, Charlottenlund und anderen Orten in einer Weise vorgeführt, die an sich anziehend genug und zur Anstellung der notwendigen Ver- gleichungen mit den gleichgehenden Leistungen anderer Linder erwünscht und unentbehrlich ist. Allerdings haben wir es hier noch mit einer Aus. Wahl, nicht mit einer vollständigen systematischen Behandlung des ganzen Gebietes zu tun. Der zweite Teil macht den Leser mit dem Bestehen und der Tätigkeit der dänischen Vereinignng zur Erhaltung der Baudenkmäler bekannt. Diese wirkt, in einem Netze über das ganze Land verbreitet und auf den Grundsätzen des Heimatschutzes ruhend, in kriftiger und sinniger Weise. Sie ist 1907 ` entstanden, wesentlich unter den aufregenden und niederschlagenden Eindrücken, welche die Zer. stórung der kaum zum Vorschein gekommenen -sehr bedeutsamen Reste des Budolphiklosters zu Wiborg machen mußte. Die Leitung der Gesell- schaft versteht es, mit nicht großen Mittein eine ersprießliche Tätigkeit über das ganze Land hin zu entfalten. Die Bauten, die ihr in der oder jener Weise Erhaltung, Pflege oder Herstellung, zum Teile unter Überführung in öffentliches Eigen- tum, verdanken, sind im ganzen wenig bedeutend, Denn für alle bedeutenden sorgt die geordnete ‚Denkmalpflege in vorbildlicher Weise. Offenbar wird mit Sorgfalt darüber gewacht, daß die Kreise der Denkmalpflege, der man sich nützlich und förderlich zu machen anspruchslos bestrebt ist, nicht gestört werden, ein sehr verständiges Ver- halten, das man überall befolgt sehen möchte. Der Deutsche freut sich, unter den abgebildeten Bauten, wegen deren man der Gesellschaft zu danken hat, einem der Giebelhäuser zu Kolding zu begegnen, aus der Zeit vom Ende des 16. Jahr- hunderts, da dort der deutsche Einfluß sich aufs

lebhafteste bezeugte. Ferner treffen wir die zwar nicht weltbekannte, aber bei jedem geschmack- volien Besucher der ruhmvollen alten Bischofs- stadt an der Westsee in bester, achtungsvoller Erinnerung blühende WeiBische Bierstube zu Ripen, einer der angenehmsten altertümlichen Trinkwinkel, der irgendwo zu finden ist. Endlich

erfahren wir Neues von der Burg zu Spötterup,

einem Landsitz vom Anfang des 16. Jahrhunderts, der einzigen dänischen Burg, die sich durch lange Zeiten hindurch auf die Gegenwart hin erhalten hat und die allerdings infolgedessen die allerdeut- lichsten Spuren der dauernden Benutzung und Ver- brauchung an sich trágt. Bei uns würde sie nur sehr verstündigen Betrachtern als beachtenswert auffallen, für Dänemark ist sie als einzige alte Ritterburg fast unschützbar. Sie findet jetzt end- lich die ihr lange zugedachte liebe- und verstind- nisvolle Beachtung und soll alimáhlich instand- gesetzt werden. (Vergleiche über Spötterup das Heft: Burgen im Herzogtum Schleswig, Grune- wald, Burgverlag 1916, Seite гої). Da es auch in Dänemark an Leuten nicht fehlt, denen die Haut schaudert, wenn vom Herstellen eines Baudenk- mals die Rede sein muß, wird es natürlich nicht

.ohne Kampf und allerhand Bösartigkeiten ablaufen,

indes ist die Sache in gutem Zuge und verspricht, mit Behutsamkeit und Verstand betrieben, ein schönes Ergebnis, das alle Burgenfreunde erfreuen wird. Rich. Haupt.

W.FLEMMING, Die Begründung der modernen Ästhetik und Kunstwis- senschaft durch Leon Battista Al- berti Teubner, Leipzig-Berlin 1916.

Mit einigem Vorbehalt erstattet der Referent diesen Bericht, da ihm im Felde nicht die Hilfs- mittel zu Gebote standen, um die Feststellungen des Verfassers im einzelnen nachzuprüfen. Er muB sich daher mehr an den allgemeinen Inhalt und die Methodik des Bucbes halten.

Der Verfasser hat sich die ebenso reizvolle wie schwierige Aufgabe gestellt, aus den in Albertis

"Schriften verstreuten Bemerkungen ästhetischer und

kunstwissenschaftlicher Art ein Gesamtbild von Albertis Anschauung auf diesem Gebiet zu re- konstruieren. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß Alberti als erster die wesentlichen Prinzipien

erkannt habe, auf denen die moderne Kunsttheorie

beruht, Alberti hat im Gegensatz zu seinen Zeit- genossen die kunstfremden Prinzipien der bloßen

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Naturnachahmung, des Nutzens, des Schmuckes u. dgl. abgelehnt und statt dessen zum ersten Male die Eigengesetzlichkeit der Kunst festgestellt. So sehr nun der Verfasser recht batte, sich nicht mit einer bloSen Zusammenstellung von Albertis Äußerungen zu begnügen, so scheint er uns doch in dem Bestreben, bei Alberti ein geschloseenes System herauszuarbeiten, zu weit gegangen zu sein. Er stellt Fragen an Alberti, die erst im Sinne der modernen Asthetik gestellt werden kónnen und für jene Zeit noch wenig Sinn haben, so s. B. (S. 54): , Welchen eigentümlicben Bel- trag zum Inhalt. des ästhetischen Bewußtseins leistet (die Malerei) und mit welchen Mitteln?" Und ebenso deutet er Albertis Anschauungen su sehr in diesem modernen Sinne aus, Bei Alberti ist alles viel primitiver, viel unphilosophischer °‘ gemeint, als der Verfasser annimmt, so wenn

Alberti schreibt (S. 69): „Ich meinerseits stellte

allerdings das Talent des Malers stets hóher, da es sich in schwierigeren Dingen versucht,“ und der Verfasser daraus schließt: „Die Skulptur ist ihm also zu naturnah, der Schein als klarster Ausdruck autonomer Kunst steht ihm höher als das Sein der Plastik.“ Man hat oft den Eindruck, daß der Verfasser die Ästhetik eines modernen Philosophen, etwa der Cohens, zu dem er enge Beziehung zu haben scheint, analysiert und nicht die Äußerungen eines Künstlers der Frübrenais. sance. Es handelt sich bei Alberti eben doch nicht um eine reine Theorie, dazu war er ge- wiß viel zu sehr Künstler, sondern um eine „Künstler-Ästhetik“ etwa im Sinne der Äußerungen Hans v. Marées. Das zeigt sich schon darin, daß Albertis Äußerungen zum größten Teil viel zu allgemein sind, so wenn er (S. 20) als Grund- prinzip der Schönheit die Harmonie aufstellt, noch mehr, wenn er dies Prinzip in einzelnen Kategorien, numerus, finitio, collocatio durch- fübrt. Solche Prinzipien finden eben erst ihre Ausfülung nicht durch weitere theoretische Ana- lyse, sondern durch die künstlerische Gestaltungs- weise des betreffenden Künstlers.

Mit diesen Einwánden soll aber der Wert des vorliegenden Buches durchaus nicht verneint sein.

Auch als bloße Selbstbesinnung eines sehr klar

denkenden Künstlers betrachtet, sind die Äuße- rungen Albertis genügend theoretisch wertvoll und bistorisch interessant. Und besonders mit der Analyse der Beziehungen zwischen Alberti und seinen Vorgüngern, Vitruv, Plato, Plotin, hat der Verfasser sich um die Kunstwissenschaft entschie- dene Verdienste erworben.

Kurt Freyer.

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HEINRICH GLÜCE, Türkische Kunst, Vortrag, gehalten in der Sitzung des unga- rischen wissenschaftlichen Instituts in Konstantinopel am 5. Mai 1917. Mit- teilungen des Ung. wiss. Inst. in Kon- stantinopel 1917, Heft r.

Mit diesem Vortrage des Assistenten am Kunst- historischen Institute der Wiener Universität (Lehr- kanzel Strzygowski) trat eine Einrichtung des ungarischen Staates vor die Öffentlichkeit, die grundsätzlich von hoher Bedeutung für die Ent- wicklung unseres Faches ist. Schon dieser Er- öffnungsvortrag beweist, daß der jetzige Leiter, Professor Hekler, ein klassischer Archäologe, die vernünftige Einsicht hat, nicht wieder die Antike in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich ent- halten die Leitsätze des' dem Kultus- und Unter- richtsministerium unterstehenden Institutes als § 1 (Zweck) die Verpflichtung zur Erforschung des byzantinischen, ungarischen und türkischen Verkehrs, der klassischen Archäologie, der byzan- tinischen und islamischen Kunst, endlich der orientalischen, besonders der türkisch-ungarischen vergleichenden Sprachwissenschaft. An der Spitze steht ein Direktor mit einem Sekretär als Ver- treter, zwischen ihnen und dem Minister ein Direktionsrat in Budapest. Das Institut in Kon- stantinopel umfaßt eine Bibliothek und die Woh- nungen für den Direktor, den Sekretär und die ordentlichen Mitglieder. Letztere erhalten ein Jahresstipendium von sooo K. und haben sich durch das Doktordiplom auszuweisen. Sie haben über ihre wissenschaftlichen Arbeiten Rechenschaft abzulegen. Die Mitteilungen erscheinen in unga- rischer und deutscher Sprache. Es sei bemerkt, daß dem ersten Hefte von Glück ein zweites vom Direktor Hekler, „Götteridesie und Porträts in der griechischen Kunst“ gefolgt ist. Es faßt kurz und eindrucksvoll die Ergebnisse eines Tafel- werkes „Die Bildniskunst der Griechen und Römer“, Stuttgart тота, zusammen. Indem wir dem In- stitute das beste Gedeihen wünschen, muß aus- gesprochen werden, wie seltsam es berührt, daß Österreich amtlich völlig versagt. Der Unter zeichnete drängt seit Jahren auf die Schaffung einer wissenschaftlichen Stelle in Konstantinopel Er glaubt, daß die oben 8. rorf. angedeutete Gegenströmung jede gedelhliche Entwicklung unter- bindet. Beseichnend dafür ist auch, daß die Auf. nahme der Denkmäler in den besetzten Gebieten des Balkans ohne Heransiebung des Institutes der Lehr» kansel des Unterzeichneten erfolgte. | . Giüek gibt in dem den Monatsheften sur Be-

sprechung übersandten Hefte eine kurse Zusammen- stellung det Forschungsergebnisse, die die Reise des Wiener Instituts nach Churasan (1912—1914) gezeitigt hat und die man niedergelegt finden wird in meinen Werken „Altai-Iran und Vélker- wanderung“, wie „Der altchristliche Kuppelbau der Armenier" und in Diez' Bearbeitung dieser Reise „Churasanische Baudenkmäler“. Glück selbst hat seine Kenntnisse auf Orientreisen begründet und während eines einjährigen Aufenthaltes in Kon- stantinopel 1916/7 durch eigene Beobachtungen an den Bauten Stambuls ergänzt. Er führt den Hürer an der Hand guter Lichtbilder an die Quellen der türkischen Kunst in der Metallbearbeitung und Zeltausstattung und zeigt, wie sich davon Spuren noch in ihren frühesten Baudenkmilern beobachten lassen. Der Drang sur Monumentalitát zeichnet ibre Grab- bauten ebenso aus, wie die spüteren seldschuki- - schen und osmanischen Moscheen. Durch eine eigene Arbeit, ,Die beiden ,sasanidischen' Drachen- reliefe (Publikationen der Kais. osmanischen Mu- seen IV, 1917)", suchte er in die Grundlagen der seldschukischen Skulptur einsudringen und bietet auch in dem vorliegenden Vortrag eine beachtens- werte Feststellung bezüglich des Zusammenhanges der umstrittenen Genienreliefs in Konia mit den Wandgemälden von Chinesisch - Turkestan, Mit Recht betont er, wie die in der türkischen Kunst aus ganz Asien zusammenlaufenden Züge von eigentürkischem Geiste zu einer Einheit ver- schmolzen werden, die weit abliegt von unserer europäischen, in Realismus und Naturalismus be- fangenen Art des künstlerischen Sehens. Manche Fehler im Drucke müssen den erschwerenden Um- ständen zugute gehalten werden, unter denen Glücks Arbeiten in Konstantinopel entstanden bzw. in Druck gelegt wurden. Strzygowskl.

FRIEDRICH HAACK, Funde und Ver- mutungen zu Dürer und zur Plastik seinerZeit. Th. Blaesings Universitüts- buchhandlung, Erlangen, Paul Winkler.

Das Buch enthält eine Reihe kunsthistorischer Analysen von Werken des fränkischen Kunst- kreises, aus dem speziellen Forschungsgeblet des Verfassers.

Im ersten Kapitel beschäftigt sich Haack mit einem weder vorher bei Dehio, noch sonst in der kunstwissenschaftlichen Literatur erwähnten Altär- chen mit Alabasterfiguren іп der Weißenburger Andreaskirche, welches er wie den Georg aus Alabaster in dem Münchner Nationalmuseum (Nr. (or) dem Verfertiger eines Hochreliefs aus Alabaster

im Germanischen Museum (Nr. 47) zuschreibt. Haack setzt die Verschiedenartigkeiten der Arbeiten (die Münchner Arbeit ist gegenüber dem früh- gotisch gebundenen Weifenburger Werkchen von großer Freiheit der Behandlung und sicherer Natur- beobachtung) auf die zeitlich verschiedene Ent- stehung der Werke und vermutet, daß eine Be- kanntschaft des Künstlers mit dem Dürerschen Holz- schnitt des heiligen Georg B. 111 diese augenfällige, größere Freiheit der Auffassung ausgelöst habe, Für unser Gefühl ist diese Hypothese nicht zwin- gend; es liegen zu viele Stufen der künstlerischen Gestaltung zwischen allen drei Werken. Die flächtige Ähnlichkeit auf den ersten Blick beruht wohl darauf, daß diese kleinen, kunsthandwerk- lichen Arbeiten in derselben Schule nach einem typischen Schema geschaffen worden sind.

Ein kleiner Gnadenstuhl aus Alabaster im Ger- manischen Museum, der ebenfalls gleichen Auf- baus, gleicher Komposition und gleichen Maß- stabes ist wie der kleine Gnadenstuhl, den das Weißenburger Altärchen enthält, zeigt dieselbe streng konventionelle Darstellung der Legende wie dieser, trotzdem die viel primitivere Arbeit eine weit frühere Entstehung verbürgt.

Ein anderes Kapitel behandelt den Meister des heiligen Laurentius im Germanischen Museum zu Nürnberg (Nr. 396). In Vöges „Deutsche Bild- werke“ und im gegenwärtigen Katalog des German. Museums wird die Haacksche Zuweisung des heil, Martin im K. F. M. in Berlin (Nr. 362) an den Schöpfer des Laurentius sowie die Zuerkennung eines Hochreliefs Dehios und Bezolds (German. Museum) und eines Petrus Stegmanns (German. Mus, Nr. 397) übernommen. Haack erkennt eben- falls diese Zusammenfassung der vier Werke an, polemisiert aber gegen die Hypothesen Schmidts in bezug auf die zwei Diakone des Darmstädter Museums. Er bringt dafür drei Standfiguren vom Friedhof in Effeltrich in Beziehung zu dem Meister des heiligen Laurentius, von denen die erste Figur typische Übereinstimmung in Gewand- behandlung, Stehmotiv und Haltung mit dem Münchner Laurentius zeigt. Gegen die Klassi- fizlerung Haacks läßt sich freilich einwenden, daß die drei Standfiguren in Effeltrich sich unter- einander in der fast Ubereinstimmenden Gesichts- form (schmale Nase, gewölbter Mund) und in der flichigen Behandlung gleichen, während der hei- lige Laurentius schärfere Modellierung und aus- gesprochenere, breitere Formen aufweist. Es ist immerhin selten, daß ein Plastiker der damaligen Zeit so grundverschiedene Typen voneinander geschieden haben soll. Eine weitere Zuweisung

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der Abte Nikolaus und Wolfgang aus der Frauen- kirche in Dormitz ist noch weniger stichhaltig. Dagegen sprechen alle Anzeichen der Wahrschein- lichkeit für Haacks Hypothese der Herkunft des Laurentiusmeisters aus Franken und für eine Ent- stehung der Figuren um den Anfang des 16, Jabr- hunderts.

In dem Kapitel „Zu Dürer, Splitter und Spine“ scheinen uns die Schlüsse über die Kopie des Frauenbildnisses mit dem Eryngium in Paris und

die Aberkennung des frühen Dúrer-Holzschnittes `

des ,Heiligen Georg" und der Dürerschen Zeich. nung der zwei Heiligen im Walde zu hypothe- tisch, um bei der Dürerforschung ins Gewicht zu fallen. | Eine recht interessante Abhandlung über die, Darstellung des Pferdes bei Dürer schließt die gesammelten Aufsätze, die der Verfasser, wie er mitteilt, beim Ersatztruppenteil in Erlangen „ge- wissermaßen zwischen zwei Feldzügen, nach West und Ost“ verfaßte. Sascha Schwabacher.

DER CICERONE,

X, 13/14.

E. LUTHGEN: Die Sammlung Leo Kirch in Köln. I. (24 Abb)

H. FRIEDEBERGER: Die Ausstellungen der Ber- liner Sezessionen. (6 Abb.)

BIERMANN: Der neue Salon von Gurlitt und die Pechsteinausstellung.

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. KUNSTSAMMLUNGEN.

XXXIX, 10,

MOLLER: Bemalte Tongefäße in der ägyptischen Abteilung. (8 Abb.)

C. SCHUCHHARDT: Eine weibliche Bronze-

statuette in der vorgeschichtlichen Sammlung. (4 Abb.)

KUNST UND KÜNSTLER.

XVI, ro.

FRIEDRICH AHLERS - HESTERMANN: Der deutsche Künstlerkreis des Café du Döme in Paris. (34 Abb.)

KARL SCHEFFLER: Ferdinand Hodler }.

DIE KUNST.

XIX, 10.

W. HAUSENSTEIN: Wilhelm von Lindenschmit. (1 farb. Taf., 10 Abb.)

RICHARD KLAPHEK: Hubert Netzer. (1 Taf, 13 Abb.)

KARL SCHWARZ: Corinth als Graphiker. (13Abb.) K. GROSS: Kunstgewerbe?

Arch. LOSSOW und KÜHNE - Dresden: Haus Cohen-Neubabelsberg. (r Taf, 3 Abb.)

MAX HEIDRICH-Paderborn: Inneneinrichtungen und Móbel. (1o Abb.)

OLZIEN-Königsberg: Landhäuser von Prof. Ed- mund May. (1 Taf, 10 Abb.)

O. SEYFFERT: Der Wirtscbaftsbund sächsischer Kunstbandwerker auf der Leipziger Mustermesse. (17 Abb.)

BERLINER MÜNZBLATTER. XXXIX, 198/199.

R. v. HÓFKEN: Graphische Wiedergabe von Prágeszenen. (1 Abb.)

EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als kurbranden- burgische Miinzstátte (Schlu£).

A. GERHARDT; Der Münzenfund von Merseburg. L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1916— 1918. PH. LEDERER: Dr. Friedrich Imhoof-Blumer.

OUDE KUNST. M, 9.

NANNE OTTEMA: Het aardewerk in de Norde- like Nederlanden in gebruik in het laatste Kwart: van de zestiende eeuw. (2 Taf, т Abb.)

М. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten. (9 Abb.) IMA BLOK: Tentoonstelling van gouddruk-, blok-

druk-, marmer- en stijfelspapieren in’s Rijks- Prentenkabinett te Amsterdam.

XL Jahrgang, Heft 8.

Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin. W. 15, Uhlandstraße 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINKHARDT

& BIERMANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,. München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. I In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 / Ip der SCHWEIZ :-

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Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstrade 2. Telefon 13467.

Es wird gebeten, alle für die Schriftieitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an. Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, Uhlandstraße 158 zu richten.

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsbeften der kunstwissenschaftlichen. Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

243.

Derlag Klinkhardt & Biermann in Leipzig

RSmifehe Forſchungen der Bibliotheca Nerbiana

Die DPorteätdarftellungenn des Michelangelo

Herausgegeben von Eent Steinmann

Ein Band in Polio mit XVI und 116 Seiten Text und

107 Tafeln in Lichtdeuck von Domenico Andeefon in

Rom, zum größten Teil nach Originalaufnahmen aus=

gefübetz Druck von Poeſchel & Trepte, Leipzig.

Kũniſtleriſche Ausſtattung von Marcus Behmee, Berlin.

Auflage 300 handRbeiftlich numerieete Exemplare in Buckeam gebunden M.135.~

ie vorliegende Publikation erhebt nicht den Anípruch, alle Probleme endgültig zu löfen, die fich mit des Ikonographie Michelangelos verknüpfen. Es iff abes sum erftenmal verfucht worden, das Material vollftandig zu ſammeln und damit

für Keitik und Porhung überhaupt ert die Grundlage eu Rhaffen. Das Werk gliedert fich in zwei Teile. im erſten Teil find die authentifhen Porträts des Meißers eufammengeftellt, die in Bronze und armor, mit Stift oder Pinfel ausgeführt, den Anfpsuch erheben können, noch Zeit (eines Lebens ent(landen zu fein. Der zweite Teil behandelt die Desbesslicbung Michelangelos nach dem Tode, foweit Kunftwerke in Betracht kommen, die nach irgendeiner Richtung hin unfere Dorftellung von feinem Ше[еп und Wisken bereichern können. Die wenigen Reliquien, die fich auf das Leichenbegängnis in San Lovenso und auf das Grabmal in Santa Ceoce beziehen, wurden gelammelt; der merkwürdige Gemaldeeyklus des Casa Buonassoti, der das rubmreiche Leben Michels angelos lo tveffend Rhildest, wie die Zeit es vermochte, wird sum erftenmal herausgegeben.

Als Band IV dee Porkhungen dee Bibliotheca Hertziana if in Ausficht genommen:

J.A.F.Oebaan, Der Abbruch von Alt=St. Deter

Dokumente aus der Revma Pabbrica di San Pietro von 1605-1615 .

M. f.K., XL 8

MB =... 55 AMET LUMBER Ye LINES gert prim letalia poma warentes, Intent humanum demonis arte . genus `

Abb. 1. Adam und Eva Stich von Goltzius nach Spranger (1585)

Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE

Tafel 49

Tafel 50

Abb. 2. Adam und Eva. Stich von Coornhert nach Heemskerck (1548)

Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE

M. f. K, ХІ, 8 Digitized by Gooqle

Tafel 51

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Der Sturz des Tantalus (Ausschnitt) Stich von Goltzius nach Cornelis Cornelisz (1588)

Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN M ANDERS HAARLEMER AKADEMIE

M. f. K., XI, 8

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Abb. 4. Die Hóhle P/atos. Stich von Jan Saenredam nach Cornelis Cornelisz (1604)

Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE

M. f. K., XI,8

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52

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XHAHRGANG-HEF T 9/10 - OKT--SEPT. 1918

Monatshefte fur Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjührlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 9/10

ABHANDLUNGEN HUBERT STIERLING, Kleine Beitráge zu Peter Vischer. 5. Vorbilder, Anregungen, Weiter- bildungen. Eine kurze Zusammen- stellung. Mit 22 Abbildungen auf it 265 rx xXx S. 245 ADOLF FEULNER, Die Enthauptung der hl Katharina von P. P. Rubens in Lille. Mit 3 Ab- bildungen auf 3 Tafeln. .... S. 269 ALBERT DRESDNER, Noch einmal: Karel van Manders Haarlemer Aka- o MEE E E T E T ³˙ m tS TT S.276

A. S.DREY

Königlich Bayer. Hoflieferant

MÜNCHEN

Maximilianplatz Nr. 7

Paris, 55avenue des ChampsElysées.

V. CURT HABICHT, Findlinge zum Thema: Goethe und die bildende Kunst (SchluB) . . S. 278

REZENSIONEN

Carl Georg Heise, Norddeutsche Malerei. Studien zu ihrer Entwicklungsgeschichte im IS. Jahrh. von Kóln bis Hamburg. Leipzig, Kurt Wolff Verlag 1918 (Erich Römer) . S. 291

Julius Pap, Kunst und Illusion. Veit & Co., Leipzig 1914 (Liithgen)......... S. 292

Adolf Hildebrand, Gesammelte Aufsátze. Zweite, vermehrte Feldausgabe. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1916 (Robert We) ia, ² QA S. 294

RUNDSCHAU ............. S.243

Ausstellung

kostbarer Antiquitäten + Ein- und Verkauf wertvoller Skulpturen, Gemälde, Porzellane, Möbel und

Antiquitäten jeder Art.

JULIUS BÖHLER : MÜNCHEN

HOFANTIQUAR Se MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS KGL BAYR. HOFANTIQUAR BRIENNERSTRASSE 12

AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE

ALTER MEISTER

UND KOSTBARER

ANTIQUITATEN

KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER.

5. VORBILDER, ANREGUNGEN, WEITERBILDUNGEN. EINE KURZE ZUSAMMENSTELLUNG. Von HUBERT STIERLING

Mit zweiundzwanzig Abbildungen auf neun Таїе1п»»өөөөөөөөөөзөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө

IB Urteil über Peter Vischers künstlerische Bedeutung, oder sagen wir lieber, über seine künstlerische Selbstándigkeit ist bis zum heutigen Tage schwankend. Heideloff sah in ihm den bloßen Gießer. Dóbner wandte sich mit Leidenschaft dagegen. Die neuere Zeit ist im allgemeinen auf Döbners Seite getreten und hat sich in ihrem Urteil selbst dann nicht beirren lassen, als Visierungen und šhn- lich verwandte W'erke Katzheimers, Dürers, des Meister E. S. und anderer be- kannt wurden. Mir scheint, daf dieses Urteil manchmal doch ein wenig vor- eingenommen war, so z. B. im Falle des Hechingen-Römhilder Denkmals, wo uns eine übereinstimmende Zeichnung Dürers erhalten ist. Man muB sich doch immer der Grundwahrheit bewußt bleiben, daß Vischer kein freischaffender Künstler, wie etwa der Maler war, sondern daß er fast nur auf Bestellung arbeitete. Sein Gußmaterial war viel zu kostbar, das kleinste Denkmal erforderte viel zu lange Wochen, als daß er den Versuch zu freien Schöpfungen hätte öfter wagen dürfen. Was aus den Händen Peter Vischers d. Á. hervorgegangen ist, sind auftragsmáDig verdungene Werke; und wo es sich gar um Bildnisse handelt, da ist es ja von vornherein klar, daß ein Künstler, der weit von dem Dar- zustellenden wohnte, auf eine Zwischenzeichnung angewiesen war, denn der bloßen Idealdarstellung war das 15. Jahrhundert wenig hold. Es liegt nun weiter auf der Hand, daß mit solchen Porträtskizzen auch einige Einzelheiten mehr oder minder festgelegt oder nach Maßgabe anderer Vorbilder verabredet wurden. Denn wer тоо fl. oder mehr für sein Denkmal hergab und es gar zu Lebzeiten noch bewundern wollte, der wird dem Meister seine Wünsche klar vorgeschrieben haben. Andererseits wird ein solcher Gießer klug genug gewesen sein, nicht eine große Summe Arbeit und Geldes in ein Werk zu stecken, dessen Abnahme irgendwie zweifelhaft erscheinen konnte. Er war auch weit davon entfernt, in solchen Vorschriften etwas Drückendes zu sehen, denn das übertriebene Selbst- gefühl des heutigen Künstlers war dem Mittelalter bis ins 18. und rg. Jahrhundert völlig fremd. Daher kommt es denn auch, daß uns bei Vischer nirgends Abnahme- schwierigkeiten bekannt geworden sind. Eine Ausnahme bildet nur die Geschichte des Fuggergitters, das aber nicht auf Rechnung des Vaters zu setzen ist und bei dem es auch unklar bleibt, ob die Schuld auf seiten der Besteller oder der Aus- führenden liegt. Die Fugger hatten bestimmte Anweisungen gegeben und be- riefen sich später darauf, daß das Werk nicht dementsprechend gearbeitet sei. Das ist gewiß kennzeichnend im Sinne der obigen Worte.

Mit den folgenden Ausführungen soll nun nicht der Versuch gemacht werden, den Vischern die erfindende Kraft abzusprechen. Schon durch Neudörffer wissen wir ja, daß der ältere Peter sich bis in seine alten Tage mit Lindenast und Krafft im Entwerfen geübt habe, und aus seiner Jugend ist uns ja auch der Entwurf zum Sebaldusgrab von 1488 erhalten geblieben; von seinem gleichnamigen Sohne besitzen wir sogar eine beträchtliche Anzahl meist unveröffentlichter Zeichnungen in Paris, Berlin und Weimar. Aber es wird doch immerhin zur Vorsicht mahnen, wenn ich im folgenden 36 Beispiele zusammenstelle, die zeigen, daß man sich in der Vischerschen Hütte mehr oder minder an fremde Vorbilder angeschlossen

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 9/10 17 245

hat. Das ist eine Tatsache, um die wir nicht herum kënnen und die man im Auge behalten muB, wenn man von der künstlerischen Selbstšndigkeit der Vischer spricht. Andererseits soll ganz gewiß nicht verkannt werden, daß bei der Über- Setzung dieser Anregungen in die Sprache des Erzes eine neue, hóchst persón- liche und gleichmäßige Kunst entstanden ist, so daß es nur einer eindringenden Bescháftigung gelingt, diese fremden Bestandteile zu erkennen. Uberhaupt ist es nicht meine Absicht, kleinliche Nachrechnungen aufzustellen, denn dafür ist die Vischersche Kunst viel zu bedeutend: sie erhebt sich himmelhoch fast über alles, was gleichzeitige GieBer des 15. und 16. Jahrhunderts, denen doch áhnliche An- regungen zu Gebote standen, geschaffen haben. Für unsere Erkenntnis aber, die nur mit sehr kleinen Schritten vorwárts geht, dürfen solche Zusammenhünge nicht auBer acht gelassen werden. Übrigens würde man sich in der Vischerschen Hütte jederzeit über die Benutzung einer Vorlage, besonders einer italienischen, mit vólliger Offenheit ausgesprochen haben. Denn die alten Meister, vor allen Dingen die mehr handwerksmäßig arbeitenden, denken auch in diesem Punkte grundverschieden von ihren heutigen Berufsgenossen und von ihrem heutigen Publikum.

In einem früheren Aufsatze habe ich bereits auf einige áhnliche Beziehungen zu Dürer und anderen hingewiesen. Karl Simon hat auf weitere Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Es liegt nun im Interesse der Übersichtlichkeit, diese frü- heren Beispiele hier noch einmal kurz mit aufzuführen, zumal ich zu den Simonschen Beobachtungen einiges hinzuzufügen habe.

I. Katzheimer.

I. Der Bamberger Maler Wolfgang Katzheimer erhielt für die Visierung der Bamberger Grabplatte Georgs II. 1504 drei Pfund. Worin seine Zeichnung be- stand, ist nicht zu sagen, vielleicht nur in der Festlegung der Gesichtszüge des Bischofs. Jedenfalls steht diese Platte innerhalb einer Gruppe von sieben so nah verwandten Güssen, daß man sie entweder alle von Katzheimer abhängig machen müßte, was jedoch nicht angängig ist, oder Katzheimers Visierung nur eine unter- geordnete Bedeutung zumessen darf!). (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, 366.)

II. Die Grabmäler im Berliner und Schweriner Dom.

2. Auch hier ist von Visierungen die Rede. Im Berliner Falle ist leider nicht zu ersehen, ob es sich um Zeichnungen Vischers oder eines anderen handelt. (Vgl. Bergau in Kunst und Künstler 1878, S. 74.)

3. Dagegen ist es bei der Schweriner Platte für die Herzogin Helene (eine Tochter des Kurfürsten Philipp von der Pfalz, vgl hier S. 247) ganz klar, daß die Visierung aus Schwerin übersandt worden ist. Durch glückliche Umstánde haben sich alte Nachrichten erhalten, aus denen sogar hervorgeht, daß Vischer noch eine zweite Visierung erhielt, da an der ersten „etwas geirrt“ worden war.

(1) Die Urkunden über Katzheimer, nach denen wohl schon mancher vergeblich gesucht hat, stehen in Joseph Heller, Beschreibung der bischóflichen Grabdenkmäler in der Dom- kirche zu Bamberg, S. 32, Nürnberg 1827. Über den sonst unbekannten. Katzheimer handelt derselbe Heller im 2. Heft des I. Bandes des Archivs für Geschichte und Alter- tumskunde des Obermainkreises, Bayreuth 1832, S. 94—99. Verschiedene Grabplatten dieser Gruppe finden sich in Dauns Künstler-Monographie abgebildet. Jedoch ist es irre- führend, wenn er die Platte Georgs I., die die größte ist (2,94 X 1,47) und die UNE im Relief, als die kleinste wiedergibt.

246

—— fas AE illi d _

Bergau, der dies in seinem Beitrag zum Dohmeschen Sammelwerk Kunst und Künstler II (1878), S.43 berichtet, vergreift sich übrigens in seinem Urteil über den künstlerischen Wert der Platte derartig, daß man glauben muß, er habe sie nicht gesehen. Denn weit davon entfernt, eine unbedeutende, im Preise gedrückte Leistung darzustellen, ist sie im Gegenteil ein Muster des reinen Erzstils, metall- starrend und doch so weich in der Modellierung, daß man das bildsame Wachs, welches einst der glühende Erzstrom zerschmolz, bis auf den heutigen Tag zu spüren glaubt. Die schöne, große Abbildung des Mecklenburger Inventars läßt dies an den sehnigen und geschmeidigen Wappentieren klar erkennen.

III. Simon Lamberger oder Lainberger!).

4. Im Jahre 1494 war Peter Vischer mit dem Bildschnitzer Simon Lamberger beim Kurfürsten Philipp von der Pfalz in Heidelberg, um ihm mit Rat und Hand- werk zu dienen. Leider ist es vóllig dunkel, welches Werk dort geplant wurde. Zustande gekommen ist offenbar nichts, jedenfalls ist nichts bekannt geworden. Interessant ist an dieser urkundlichen Nachricht nur das eine, daB man es für nótig hielt, neben dem GieBer einen Bildschnitzer zu berufen, welcher offenbar das Holzmodell für den Guß, wie uns solche aus späterer Zeit für die Nürn- berger Madonna, die Wenzel-Statue, das Günsemünnchen usw. erhalten sind, anfertigen sollte. Interessant ist die Nachricht schlieBlich auch insofern, als wir sehen, daß eine merkwürdig große Fülle von Männern, die zu den führenden ihrer Zeit gehórten, an Vischer mit Auftrágen herantraten: Philipp ist uns bekannt als einer der Fórderer des Humanismus, der an seinem Hofe Joh. von Dallberg, Agricola und zeitweise auch Celtes versammelte. Die Tochter Philipps, die das Schicksal nach Mecklenburg verschlug, griff spüter auf die Nürnberger Hütte zurück. (Vgl. hier S. 246.)

IV. Meister E. S.

5. Die bekannte Grabplatte des Bischofs Johann IV. im Breslauer Dom weist in ihren seitlichen Figuren *) die engsten Beziehungen zum Meister E. S. auf. Alexander Mayer hat im Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 1913, S. 272 diese Zusammenhánge besprochen und die beiden Hauptbelege in Abbildungen vorgeführt.

Wenn Mayer jedoch weiterhin von einem EinfluB des Meisters E. S. auf die Platte des Felix Paniewski in der Franziskanerkirche zu Posen spricht, so liegt hier eine Verwirrung vor. Denn erstens befindet sich diese Platte in der Dominikanerkirche und zweitens weist sie überhaupt keinen Johannes den Tüufer auf. Gemeint ist hier vielleicht eine von den Gorka-Platten im Posener Dom. Zur Feststellung der kleinen Nischenfiguren reichen jedoch. die üblichen Photo- graphien nicht aus.

| V. Adam Krafft. 6. In der älteren Vischer-Literatur ist häufig von Adam Krafft die Rede. Bergau sagt 2. В., daß die Figur Ottos IV. in Hechingen wohl von ihm entworfen sei, ebenso sei er an der groBen Tumba Hermanns VIII. und der Elisabeth eben-

(1) Über diesen Pfälzer und die betreffende Vischerurkunde vgl. besonders Loßnitzer, Veit

Stoß S. 35f. (2) Ganz vortrefflich biographisch ausgedeutet von Jungnitz in Schlesiens Vorzeit in Bild

und Schrift. N.F.IV, 83. (Jb. d. Schles. Museums.) 247

daselbst beteiligt; ferner stamme der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab von ihm. Es ist nicht ganz leicht zu sagen, worauf ein solcher Glaube beruht: vielleicht auf der Notiz Neudórífers, daB Krafft und Vischer viel in ihrem Leben miteinander gezeichnet hätten, vielleicht auch darauf, daß Krafft wohl der ältere war. Aber wie ge- sagt, greifbare Beziehungen bestehen nicht; es ist auch von vornherein wenig wahr- scheinlich, daß der Steinmetz den ErzgieDerkünstlerisch viel habe lehren können. Der einzige Zusammenhang, den schon Bergau andeutet, besteht meines Erachtens zwischen einer Trágerfigur unter dem Krafftschen Sakramentshaus in der Nürn- berger St. Lorenzkirche und einer entsprechenden Figur im Münchner National- museum. Hier ist es allerdings auffállig, wie beide Figuren alle wesentlichen Funktionen miteinander teilen: sie stützen sich gleichmäßig auf das linke Knie, sie nehmen dieselbe Armstellung ein und halten in gleicher Weise einen natu- ralistischen Stock in den Hánden, mit welchem sie sich unter ihrer schweren Last stützen. Bei Vischer ist dieser Stock im GuB nicht ganz gelungen, wenigstens fehlt das allerletzte Stückchen, mit welchem er den Boden berühren soll. In- folgedessen gibt der Katalog des Bayerischen National-Museums an, daB die Figur den Stock zerbrechen wolle, was bei dieser Haltung an sich schon unwahr- scheinlich und vor allen Dingen im Hinblick auf die Krafftsche Gestalt sicherlich falsch ist i). |

In dem Falle dieser Tragerfigur ist nun aber Krafft nicht das Vorbild, sondern das Nachbild, denn die Vischersche Gestalt ist durch die aufgesetzte Jahres- zahl 1490 datiert, während das Krafftsche Sakramentshaus die Inschrift 1496 trägt. Bergau kehrt das Verhältnis um, da er offenbar die Jahreszahlen übersehen hat.

VI. Riemenschneider und StoB.

7. Neben Krafft werden háufig Riemenschneider und StoB als Vorbilder Vischers genannt. Bode z.B. sagt in seiner Plastik S. 143, daß die Tafel des Bischofs Lorenz von Bibra (f 1519) in Würzburg in der Gewandbehandlung und in der Zeichnung so viel Verwandtschaft mit den Arbeiten Riemenschneiders habe, daB wir den Entwurf diesem Künstler zuschreiben dürften. Von den Wiirzburger Vischerplatten gibt es leider keine Aufnahmen (nur Peter von AufseD ist von Stoedtner photographiert), so daf ich zurzeit nicht in der Lage bin, den Zu- sammenhang mit Riemenschneider náher ins Auge zu fassen; so viel aber geht

(1) In dem genannten Kataloge (Ausgabe 1908) finden sich noch weitere Ungenauigkeiten. S. 111 heißt es, daß das Gegenstück zu dem schreitenden Jüngling des Museums der Bogenschütze in Germanischen Museum von 1532 sei; statt Germanisches Museum muß es heiBen: kleiner Rathaushof. Ferner ist es sehr zweifelhaft, ob die Jahreszahl 1532 auf dem Sockel sich überhaupt auf die Figur bezieht. Jedenfalls gehóren der Sockel und die Figur nicht unbedingt zusammen. Übrigens wird die Figur von Neudörffer ausdrücklich als eigene Arbeit des Vaters in Anspruch genommen, der aber damals, ebenso wie sein gleichnamiger Sohn, bereits mehrere Jahre verstorben war. Von dem Epitaph der M. Tucher heißt es weiter, daß es eine Arbeit Peter Vischers d. Älteren sei. Künstler- zeichen wie Stil weisen jedoch auf den gleichnamigen Sohn, was auch von Bergau und Seeger auf Grund umfassender Kenntnis angenommen wird; selbst Daun schreibt nur „Vischer“ und vermeidet es, Stellung zur Autorfrage zu nehmen. Das feste Geburts- datum Peter Vischers, das im Münchner Katalog mit 1455 angegeben ist, ist nicht über- liefert und trifft nur schätzungsweise zu. Die Figuren Vischers und Kraffts nebenein- ander abgebildet bei Dorothea Stern, Adam Krafft, Tafel XIII. Die Angaben der Verfasserin S.64f. über Zusammenhänge beider Künstler beruhen auf Irrtum, veranlaBt durch Heide- loffs Ornamentik.

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aus Bodes Worten schon hervor, daB er nicht eine bestimmte Vorlage Riemen- schneiders meint, sondern nur dessen allgemeinen Stilcharakter.

8. Veit StoB wird regelmáBig zitiert, wenn von der Grabtafel des Kallimachus in Krakau die Rede ist. Auch hierüber kann ich hinweggehn, da meines Erachtens die Autorschaft Vischers im hóchsten MaBe zweifelhaft ist. (VgL hier S. 250.)

VII. Dürer.

9. Die Grabtafel des Kmita im Krakauer Dom hángt aufs engste zusammen mit dem Baumgártnerschen Altar in München. (Vgl. SE M. f. K. VIII, S. 367, dazu Tafel 81.)

10. Die Hechinger und Römhilder Denkmäler sind von einer Dürerschen Handzeichnung abhängig, die sich in mehreren Exemplaren (eins derselben ist auf 1513 datiert) erhalten hat. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 3671).)

11. Das Regensburger Epitaph der Margarethe Tucher (f 1521) über- nimmt die Figur des Heilands aus dem Abschied Christi von seiner Mutter im Marienleben. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 368 und Tat. 82.)

12. Die Plaketten von Orpheus und Eurydice sind abhüngig vom Dürer- schen Kupferstich von Adam und Eva 1504. (Vgl. Stierling, M.f. K. VIII, S. 368 und Taf. 83; vgl. ferner S. 252 des laufenden Heftes, woselbst zwei Pariser Handzeich- nungen Peter Vischers d. J. als die Vorstufen zu diesen Plaketten besprochen werden.)

13. Diese Zusammenhänge zwischen Vischer und Dürer hat Karl Simon zu ver- mehren gesucht. Einleitend vergleicht er zwei Vischersche Werke miteinander, nümlich die Pariser Eva (Daun Abb.48) mit der wundervoll weich modellierten Grabtafel des Peter Salomon in Krakau, die ihresgleichen nicht hat. (Daun Abb. 14.) Ich vermag ihm hier nicht zu folgen, denn nennenswerte Zu- sammenhänge ergeben sich meines Erachtens nicht. Dagegen nehme ich im Gegensatz zu Justi und Daun, welche die Salomonplatte spátestens 1506 datieren, Simons spätere Ansetzung an. Er wiederholt hier seinen früheren Nachweis, daß Peter Salomon wenigstens noch 1513 am Leben ‘war und also einer Späterdatierung

(1) Von dem älteren dieser beiden Denkmäler, dem Hechinger, ist bereits 1511 die Rede, wie aus einer Notiz in Hampes Ratsverlássen Nr. go2 zu ersehen ist. Dort heißt es unter dem 30. XII. 1511: ,N. Grussten, g. e. von Zolern anwalt, dy antwort Peter VischerB, rotschmids, in beysein Wilhelmen Hallers sagen und ine damit gütlich abweysen.* DerSinn dieser Worte entzieht sich vorläufig einer Deutung. Nur soviel scheint klar, daß Graf Eitel von Hohenzollern, der 1512 seiner lange verstorbenen Gemahlin folgte, das Grabmal noch zu Lebzeiten bestellt hat. Wann dann die Ausführung erfolgt ist, wissen wir nicht. Nach meiner Ansicht ist sie erst durch die Dürersche Zeichnung in Fluß gekommen, deren eine auf 1513 datiert ist. Das Vorhandensein dreier fast gleicher Dürerzeichnungen wird sich vielleicht dadurch am ungezwungensten erklären, daß seine Entwürfe dem GieBer und den Erben des Bestellers in die Hand gegeben wurden. Nun hat aber Bode darauf hingewiesen, daß in die Hechinger Platte nur die Zahl MCCCCC eingegossen sei und hat aus dem Fehlen der X geschlossen, daß der Сиб bereits vor 1510 erfolgt sein müsse. Das ist zwar logisch, aber dennoch anzufechten, weil, wie ich a. a. O. gezeigt habe, die Zahl MCCCCC erst 1784 bei Gelegenheit einer grofen Restauration neu auf- gesetzt worden ist. Ferner kommt hinzu, daB sich in Lübeck auf der Grabtafel des Wiggerinck ein Parallelfall wiederholt. In diese finden sich die Daten 1497, 1510, ISII und 1518 eingegossen. Trotzdem ist die Inschrift im Wappen der überlebenden Ehefrau nur mit MD gegeben, obwohl es auch hier durchaus das Rationelle gewesen wáre, MDX zu gieDen.

249

nichts im Wege steht. Simon hat vollkommen recht, daB der Stilcharakter tief in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts verweist, im besonderen scheinen die Zwickelfiguren von derselben energischen Hand modelliert zu sein, die die pracht- volle Kampfszene auf der Tafel des Gotthard Wiggerinck in der Lübecker Marien- kirche (Daun Abb.42) geschaffen hat. Wiggerinck ist aber erst 1518 gestorben, wie auch die ganze Tafel den Stil dieser Zeit trágt. Auch die Parisér Plakette, an die Simon sich erinnert fühlte, gehórt ja erst dieser spáten Zeit an.

I4. Die Figur des hl. Mauritius am Grabmal des Erzbischofs Ernst im Magdeburger Dom (Daun Abb.7) scheint von dem Kupferstich des Dürer- schen Fahnenschwingers (Wólfflin Abb. S. 103) beeinfluBt zu sein. Der vorsich- tigen Formulierung, in der Simon den Zusammenhang bespricht, kann man ruhig zustimmen. (Vgl. Simon, M. f. K. IX, 182)

15. Die Vorderseite des Grabmals Friedrich Kasimirs in Krakau (Daun, Abb. 12), die eine Inschrift aus dem Jahre 1510 trágt, zeigt verschiedene Zusammen- hänge mit Dürer. Simon sagt, daß die Figur des vor Maria knienden Kardinals in Stellung und Haltung, sowie besonders in dem machtvoll ausgebreiteten Mantel die Kenntnis des knienden Maximilian auf dem Dürerschen Rosenkranzbilde vor- auszusetzen scheine (Wölfflin, Abb. S. 129). Das dürfte richtig sein, nur ist es vielleicht besser, den auf der anderen Seite knienden Papst zum Vergleich heran- zuziehen. Ja, man darf vielleicht noch einen wesentlichen Schritt über Simon hinausgehen, denn die Situation der sitzenden Maria mit den rückwärtigen Engeln und dem schmalen Vorhang begegnet doch recht ühnlich auf demselben Dürer- schen Bilde wieder. Auch der feine schmale Gesichtsschnitt ist beiden Madonnen eigen. Das Dürersche Bild war etwa 1506 in Italien entstanden und auch dort verblieben. Es ist nicht unmöglich, daß Peter Vischer d. J., der wahrscheinlich 1507 in Italien war, es dort gesehen habe; nótig ist diese Annahme jedoch nicht, da Zeichnungen und Kopien des Dürerschen Bildes erhalten geblieben sind.

Simon glaubt noch einen weiteren Zusammenhang mit einem Dürerschen Blatte nachweisen zu können, indem er darauf hindeutet, daß die Art, wie der hl. Sta- nislaus den auferweckten Pietrowin heranführt, in áhnlicher Weise auf einer Dürerschen Zeichnung der Anbetung der Kónige in der Albertina wiederkehrt. Diese Zeichnung ist aber von 1524; wenn der Simonsche Hinweis richtig ware, so hátten wir hier das erste Beispiel einer Beeinflussung Dürers durch Vischer.

Wer der geistige Urheber der Erzplatte sei, ist schwer zu sagen. Ich habe bereits oben den jüngeren Peter genannt, der in Italien Gelegenheit gehabt haben konnte, das Dürersche Original zu sehen. Ich muß auch sagen, daß die leichte, gefällige Art der Komposition, die scheinbar etwas Müheloses an sich trägt, sich deutlich abhebt von der viel massiveren Art des Vaters, wie wir sie am Ernst- grab und anderen beglaubigten Werken seiner Hand kennen lernen. Die Krakauer Tafel erinnert an die groBen Reliefs aus der Sebalduslegende, die auch diese selbstverstándliche, ungekünstelte Art des Komponierens zeigen und die ziem- lich allgemein als Werke des Sohnes angesehen werden. In ihnen kehrt auch die venezianisierende Art der wie feucht anliegenden Gewünder wieder. Der Vergleich ließe sich noch weiter führen. Peter Vischer d. J. zählte 1510 23 bis 24 Jahre. (Vgl. auch Simon, M. f. K. IX, S. 182)

16. Ein sehr apokryphes Werk ist die Tafel des Callimachus in Krakau (Daun Abb. 16), die in ihrer unruhigen Art bei Vischer nicht entfernt ihresgleichen hat. Ich führe sie nur an, da sie nach Simons Beobachtung in den beiden Vögeln auf dem Lorbeergehünge einen gewissen Zusammenhang mit den Kra-

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nichen auf dem Dürerschen Holzschnitt der Ehrenpforte von 1515 hat i). Ist diese Beobachtung richtig, dann bietet sie eine neue Móglichkeit der Datierung. Daun sagt ,nach 1506“; wir müssen dann aber noch zehn Jahre zulegen. (Vgl. Simon, S. 182. Loßnitzer, Veit Stoß S. 89 möchte noch über 1506 zurückgehen, was gewiß falsch ist.)

17. Ein die Rohrflóte spielender Faun, der sich am Sockel des Sebaldus- grabes findet (Mayer, Genreplastik, Taf. 9), begegnet in recht ahnlicher Weise auf einer Dürerschen Randzeichnung zum Gebetbuch Maximilians wieder (Abb. Mayer, Genreplastik, S. 16). Hier kann Vischer nicht von Dürer abhüngig sein, da der betreffende Teil des Sebaldusgrabes 1508 oder 1509 entstand und die Dürersche Zeichnung etwa 1515. Sollte hier Dürer der Empfangende sein? Oder gibt es eine gemeinsame Vorlage für beide? (Vgl. auch Simon, M. f. K. IX, S.183.)

18. Ahnlich liegt der Fall noch einmal an diesem Sockelteil des Sebaldusgrabes. Ein gebándigter Flügelstier zeigt eine nicht zu leugnende Verwandtschaft mit einer Holzschnittinitiale Hans Holbeins d. J. (Abb. Mayer, Genreplastik, S. g.) Ent- weder liegt hier wieder eine gemeinsame Quelle zugrunde oder Holbein muß der Angeregte sein, da seine Initiale nach einer freundlichen Mitteilung von Dr. Riggenbach in Basel erst in die Jahre 1521—1522 fällt.

19. In der Künstlermonographie über Peter Vischer bespricht Daun auch die Gedáchtnistafel Henning Godens in Wittenberg und Erfurt (Abb. 1). Er hebt mit Recht hervor, daß es sich nur um eins der mittelguten Werke handle. Um so weniger wird man daher erstaunt sein, daf sich auch in diesem Werke ziem- lich enge Beziehungen zu Dürer ergeben,

Das Thema der Krónung Мага war in Nürnberg in den letzten Jahren von den führenden Künstlern der Zeit mehrfach behandelt worden. Es liegt in der Natur dieses uralten Gedankens, dal sich keine großen Differenzen ergeben. Kraffts Rebecksche Gedächtnistafel in der Nürnberger Frauenkirche (Daun, S. 126) oder Stoß’ Krönung der Maria im Germanischen Museum, beide aus der Zeit um 1500, haben die Gruppe áhnlich angeordnet wie Vischer, und doch darf man hóchstens von einem mittelbaren Zusammenhange reden. Unmittelbar dagegen scheint mir der Zusammenhang mit Dürers Krónung aus dem Marienleben von 1510 (Abb. 2). Sieht man die beiden Bilder nebeneinander, so ist die Übereinstimmung auch ohne viele Worte klar. Beide Male ist der himmlische Vorgang von einem Wolkensaum umgeben; Maria nimmt die gleich bewegte Haltung ein mit dem lieblichen, nach rechts geneigten Haupte; Christus ist entsprechend gebildet und gekleidet und über Maria erscheinen Krone und Heiliger Geist in ganz ver- wandter Ausbildung. Bei sochen Vergleichen sind die Ahnlichkeiten in den Nebensachen oft am meisten überzeugend, und so verweise ich hier auf die eigenartige Bildung der Heiligenscheine über den góttlichen Personen. Sie haben hier eine Ausbildung gefunden, die nicht die gewóhnliche ist und die Vischer doch wohl von Dürer übernommen hat. |

Noch ein Wort über Gottvater. Der Zusammenhang mit dem Diirerschen Blatte ist hier merkwürdigerweise nicht recht überzeugend, denn die auffallenden, zusammengeschobenen Falten am rechten Arm, mit denen sich Vischer ohne Frage den Guß etwas erschwerte, sind bei Dürer nicht vorhanden. Man hat diesem . Motiv gegenüber gleich das Gefühl, daß hier ein Stück Spätgotik in die Re- naissancedarstellung übernommen sei, und wird daher geneigt sein, die Anregung

(1) Abb. Wölfflin S. 234, auch Klassiker der Kunst IV, 284. 251

hierzu falls sie von Dürer gekommen sein sollte in einem spátgotischen Blatte zu suchen, und zwar darf man hier wohl das apokalyptische Blatt der Vision der sieben Leuchter (Wölfflin, Abb. S. 46) in Betracht ziehen. Hier sind, allerdings grandios, wie es einem apokalyptischen Blatte des jungen Dürer geziemt, jene Falten vorgezeichnet, und voh diesem Gottvater ist dann auch die Bildung des Gewandes, wie es sich vom rechten Knie zum linken Fuß herunterzieht, übernommen (Abb. 3).

Ich glaube kaum, daß man mit solchem kleinlichen Nachrechnen der Kunst Peter Vischers zu nahe tritt, denn einmal wissen wir durchaus nicht, wie weit etwa der Wunsch Henning Godens für den Gießer maßgebend war; anderer- seits hat sich unser heutiges Urteil über Entlehnungen sehr gewandelt. Für die alte Zeit sind Holzschnitt und Kupferstich die Ornamentstiche, die zu jedermanns Benutzung offen liegen. AuBerdem soll man sich auch immer daran erinnern, daB die Vischer nur selten frei schaffende Künstler sein durften. Und endlich: Ahnen wir den überhaupt, wie der Auftrag Henning Godens lautete? Ä

20. Von den kostbaren, im Louvre bewahrten Handzeichnungen Peter Vischers d. J. sagt Weizsäcker (s. u.), daß sich unter ihnen Proportionsstudien befänden, für deren Körperhaltung einzelne Motive dem Dürerschen Lehrbuch von 1528 und dem Bacchanal des Mantegna (s. u.) entlehnt seien. Durch die Liebenswürdigkeit des Verfassers habe ich die Blätter, soweit er davon Pausen gemacht hatte, kennen gelernt. Aus einer von ihm auf der Rückseite eines Blattes vermerkten Notiz ist zu entnehmen, daß er hiermit einen nackten jungen Mann meinte, der sich in der Tat in verwandter Weise auf einem der letzten Blätter des Dürerschen Proportionsbuches befindet. Mir scheint aber, daß Weizsäcker hier eine äußere Schwierigkeit übersehen hat, denn Peter Vischer d. J., um den es sich hier handelt, ist im Jahre 1528 gestorben und hat infolgedessen sein an- gebliches Vorbild gar nicht kennen gelernt. Trotzdem besteht ohne Frage ein Zusammenhang mit Dürer, er liegt nur wesentlich früher, denn dieser nackte junge Mann Vischers ist eine unverkennbare Nachzeichnung (im Gegensinn) des Adam aus dem Dürerschen Kupferstich Adam und Eva von 1504, die ja ihrerseits auch konstruierte Figuren sind (Abb. 4 und 5). Die Beinstellung, die Haltung des ausgestreckten linken Armes usw. wiederholen sich wörtlich; auch der rechte Arm des Adam, der den Ast umklammert, ist von Vischer genau so gezeichnet wie im Kupferstich, während auf der von Weizsäcker herangezogenen Proportions- studie von 1528 dieser Arm eine recht verschiedene Funktion ausübt.

Das Gegenstück zu dem nackten Jüngling des Louvre bietet eine ebendaselbst befindiche nackte Frau, welche Weizsäcker in dem unten genannten Aufsatz S. 51, in fast halber Größe des Originals abgebildet hat (Abb. 6). Sie ist der Eva desselben Dürerschen Kupferstichs in ganz entsprechender Weise nachgebildet, nur daß sie hinter sich ein Tuch ausspannt: der rückwärts gebogene Arm, der bei Dürer den Apfel faßt, hält bei Vischer mit genau der gleichen Biegung des Handgelenks das Gewandstück; der Vergleich braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. |

Die beiden Handzeichnungen des Louvre, von denen die weibliche Figur mit dem Signum Peter Vischers d. J. und der Jahreszahl ı519 versehen ist, und von denen die männliche Figur ein A (was aber gewiß nicht als Adam zu lesen ist) in Fußhöhe zeigt, gehören also sichtlich zusammen! Sie haben ziemlich die gleiche Höhe (der Mann: 22!/, cm, die Frau: 25!/, cm), entsprechen dem-

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nach auch hierin so ziemlich den MaBen des Diirerschen Kupferstichs. Die Frau ist weiterhin die unmittelbare Vorlage und Zwischenstufe für die Eurydice auf der bekannten Pariser Plakette, wie schon Weizsácker richtig betont hat und ich in dem unten genannten Aufsatze weiter ausgeführt habe. Ihre Datierung auf 1519 bietet uns den terminus post quem für die Plakette. Der mánnliche Akt des Louvre dagegen muß mehr als eine Nachzeichnung des Dürerschen Adam als als eine Vorstufe für den Orpheus gelten, da sich Vischer in der Ausführung eine gróDere Freiheit dem Orpheusmotiv entsprechend nehmen muBte. (Vgl. hierzu Weiz- sácker, Zwei Entwürfe zum Nürnberger Sebaldusgrab, Jahrbuch der Kgl. Pr. Kunstsammlungen 1891, S. soff., und Stierling, M. f. K. VIII, S. 370, „Dürer in der Vischerschen Werkstatt,“ woselbst der gleiche Dürersche Stich von Adam und Eva [1504] als die unmittelbare Vorlage für die Pariser und Berliner Plaketten von Orpheus und Eurydice behandelt wird. Mit Abbildungen der drei Werke.)

21. Grabmal Kardinal Albrechts von Aschaffenburg. Der unmittel- bare Vorgánger des Kardinals war der Erzbischof Ernst (ein Sohn des Kur- fürsten Ernst von Sachsen), welcher im jugendlichen Alter von 3o Jahren bei dem älteren Vischer die herrliche Tumba des Magdeburger Domes bestellte, die für alle Zeiten ein Musterbeispiel des geschlossenen, metallschweren Erzstiles bleiben wird. Dieses oft geschaute Vorbild hat offenbar Kardinal Albrecht ver- anlaßt, auch seinerseits in jugendlichem Alter bei Peter Vischer diesmal aller- dings bei dem gleichnamigen Sohne ein Grabmal zu bestellen, das, dem Geiste der neuen Zeit folgend, etwas ebenso Imposantes werden sollte wie das Magde- burger Grab. Zur Ausführung ist leider nur ein Bruchteil gekommen, und dieser Torso, bestehend aus der Grabplatte, dem Epitaph für Margaretha Riedinger, und dem Baldachin, steht heute im Aschaffenburger Dom.

Von der Grabplatte des Kardinals sagt Daun in seiner Vischermonographie, S. 50, „das Antlitz des Fürsten sei zwar lebensvoll modelliert, doch entspreche es nicht der Vorstellung, die wir nach Dürers Zeichnung von dem letzten Kardinal des Hauses Hohenzollern bekommen haben“. Das ist so gut wie unrichtig, denn sowohl das Antlitz. wie verschiedene Einzelheiten der BEE Platte sind unmittelbar nach Düàrer gearbeitet.

Dürer hat den Kardinal zweimal gestochen; der sogenannte kleine Kardinal stammt aus dem Jahre 1519, der groBe aus dem Jahre 1523. Für uns kommt nur das erstgenannte Bildnis in Frage. Hier ergeben sich nun eine ganze Zahl von Berührungen zwischen dem Dürerschen Bilde von 1519 und dem Erzguß Peter Vischers d. J. von 1525, begonnen 1522. Beide Werke (Abb. 7 und 8) tragen zu oberst das Wappen des Kardinals. Man kann leicht beobachten, wie Vischer das Fransenwerk in ganz áhnlicher Weise übernimmt, nicht nur etwa die vier untersten Quasten, sondern auch die beiden liegenden Achten des oberen Schnürwerks, den Kreis unter dem Kardinalshute usw.!). Aus technischen Gründen hat er es jedoch

(т) Dieselbe Dürersche Vorlage ist noch zweimal für denselben Kardinal verwandt worden. Einmal im Livius des Ulrich von Hutten, der damals dem Kardinal noch sehr nahe stand, Mainz 1518 (Butsch, Bücher-Ornamentik 1878, Taf.80); vorausgesetzt, daß Butschs Angabe richtig ist, liegt hier eine gewisse Schwierigkeit vor, da der Kupferstich 1519 datiert ist; sie lóst sich wohl dadurch, dañ Dürer den Kardinal bereits 1518 auf dem Augsburger Reichstage portrátiert hatte, vgl. den Dürerband in den Klassikern der Kunst, S. 376. Die zweite Benutzung geschah durch Ludwig Krug (?), der 1526 eine silberne Medaille für den Kardinal fertigte (Abb. in Sauerlandts Bericht über die Neuerwerbungen des Halle- schen Museums im Jabre 1908, S. 17).

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unterlassen müssen, den neunfach geteilten Schild an dieser Stelle nachzubilden ; aber es geht ohne Zweifel auf dieses Vorbild zurück, wenn die Vischersche Platte ringsherum von neun Wappen umgeben ist. Diese Wappen sind allerdings teil- weise abgeändert, doch kann man sich leicht überzeugen, daß vieles übernommen ist; im besonderen ist z. B. das Dürersche Mittelfeld ziemlich genau auf drei Eck- wappen verteilt. Wenn im übrigen in diesen heraldischen Dingen kleine Ab- weichungen vorkommen, so gehen sie natürlich nicht auf den Künstler, sondern auf den Besteller. zurück.

Ebenso verhült es sich mit der Inschrift. Der Dürersche Text ist mit geringen Abweichungen übernommen, jedoch stark vermehrt worden. Der Kardinal wird, als er drei Jahre nach dem Kupferstich die Vischersche Grabplatte bestellte, den Wunsch gehabt haben, seine Titel und Würden in erweiterter und endgültiger Form hier festgehalten zu sehen. Von dieser Schrifttafel sagt nun Dehio im Inventar, sie sei eine spátere entstellende Zutat des 18. Jahrhunderts. So unwahr- scheinlich das an sich schon ist, so wird es deutlich dadurch widerlegt, daß in der letzten und vorletzten Schriftreihe verschiedene Jahreszahlen erst nach- tráglich eingraviert worden sind; für das Todesdatum 1541 mußte beispielsweise eine blockierte Stelle ausgegraben werden, was man sogar bei einer scharfen Be- trachtung der Daunschen Abbildung noch feststellen kann.

Zum Vergleich mit dem auf der Abbildung leicht lesbaren Dürerschen Texte ist es nótig, den Vischerschen hier anzuführen: Albertus misericordia di- vina sacrosanctae Romanae ecclesiae tituli sancti Petri ad vincula presbyter cardinalis legatus natus, sacrarum sedium Moguntinensis et Magdeburgensis archiepiscopus, primas et sacri Romani imperii per Germaniam archicancellarius princeps elector, administrator Halber- statensis, marchio Brandenburgensis, Stettinensis, Pomeraniae, Cassu- borum Sclavorumque dux burggrafius Nurimbergensis Rugiae princeps Col- legij huius Amator etc. Vir omni virtutum genere absolutissimus dei cultor Vtriusq Imperij gubernacula conferens humana in diuina incredibili studio com- mutauit, sedit annos 3r, obijt anno dui 1541, suae vero aetatis nano 55!).

Wer diese Übereinstimmung zwischen Stich und Grabplatte gesehen hat, wird von vornherein geneigt sein, auch einen Zusammenhang für das Antlitz des Dargestellten anzunehmen. Ich glaube in der Tat, daB Vischer, der allerdings 1522 bei der Anwesenheit des Kardinals auf dem Nürnberger Reichstag Gelegen- heit gehabt hatte, die Züge des Kirchenfürsten zu studieren?), im wesentlichen nach dem Dürerschen Stich gearbeitet hat. Das volle, etwas derbe Antlitz mit der krüftigen Nase, dem kleinen Munde und dem Doppelkinn kehrt hier deutlich wieder, ebenso die die Ohren verdeckenden Haare, nur daß Vischer ihnen nicht den wallenden Schwung geben konnte, den das Vorbild mit seinen zeichne- rischen Mitteln leichter erreicht hatte. |

22. Der Grabtafel des Kardinals in der Aschaffenburger Kirche hängt die Gedenktafel für Margarethe Riedinger, die vertraute, früh verstorbene Freundin des Kardinals, gegenüber (Abb. g). Die Tafel ist bezeichnet Johannes Vischer. Noric. faciebat 1530. Sie stammt also nicht mehr von Peter Vischer d. J., der sein kurzes Leben zwei Jahre früher beschlossen hatte; auch der Vater war ja eben vorher SC Trotzdem atmet das Werk noch ganz den Geist

(1) Die übereinstimmenden Worte sind gesperrt. (2) Vgl. Bergau, Peter Vischer und seine Sóhne (Kunst u. Künstler, Leipzig 1878, S. 41).

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des großen Sohnes, ja ich möchte nach der Erinnerung fast sagen, daß ihr Relief noch schóner herausgearbeitet sei als auf der Tafel des Kardinals. Es liegt nun nahe, nachdem wir dort die Zusammenhänge mit Dürer gesehen haben, auch hier die Dürerschen Madonnen ins Auge zu fassen. Dürer hat das Thema viermal im Kupferstich bearbeitet, vor 1495, 1508, 1514 und 1516!). Und in der Tat sind gewisse Zusammenhänge mit dem Stich von 1508 (Abb. 10) wohl mehr als zu- fälliger Natur, zumal wenn man bedenkt, daß das Dürersche Vorbild von den Vischern oder ihren Auftraggebern nicht gerade selten zu Rate gezogen ist. Stich und Erzguß haben die Himmelskönigin recht ähnlich aufgefaßt. Sie steht beide Male auf der Mondsichel; der Saum des Gewandes tritt leicht darüber und legt sich auch auf das Mondantlitz; die Faltenzüge auf der Linken lassen den Arm frei, so daß sich darunter ein kräftiger Bausch bilden kann, der jedoch vom Erzgießer fester an den Körper angeschlossen werden mußte; das Haar flattert in gleicher Weise usw. Auch gewisse Abweichungen sind da, vor allem ist das eine Bein von Vischer deutlich als Spielbein gekennzeichnet und zeigt dadurch eine gewisse Verwandtschaft mit der ersten Dürerschen Madonna dieser Reihe.

An Dürer fühlt man sich auch bei dem Schweißtuche mit dem Antlitz Christi erinnert ).

Die kleinen Engelputten sind dagegen legitime Vischerkinder, wie sie jahr: zehntelang aus der Hütte hervorgegangen sind; musizierend begegnen sie z. B. am Sebaldusgrab ?).

23. Conrad Celtes. Der Berliner Germanist Max Herrmann hat im Jahre 1898 eine kleine inhaltreiche Studie über die Rezeption des Humanismus in Nürn- berg erscheinen lassen. Klar und geistvoll geschrieben, führt sie nicht nur vor- trefflich in ihr schwieriges Problem ein, sondern sie ist auch durch die Wider- legung alt überlieferter Irrtümer wertvoll. Durch alle Bücher, die den Nürnberger Humanismus behandeln oder streifen, zieht sich der Gedanke hindurch, daß das Erwachen dieses neuen Geisteslebens in Nürnberg frühzeitig stattgefunden habe‘). Herrmann weist das Gegenteil nach: denn ,,weit entfernt, in der Begünstigung des Humanismus anderen deutschen Stüdten voranzugehen, hat sich die Stadt viel mehr der neuen Bildung gegenüber ungewóhnlich lange Zeit geradezu ab- lehnend verhalten* (S.2). Hermann sieht den Grund hierzu in Nürnbergs sozial- politischen Verhältnissen; denn während anderwürts die Zünfte nach schwerem Kampfe die Oberhand gewonnen hatten, war in Nürnberg der Versuch, die Aristokratie in eine Demokratie zu verwandeln, völlig mißglückt; die Geschlechter hielten das Heft in Händen, und so war der Grundzug der Nürnberger Kultur; entwicklung: stockkonservative Politik und ängstliches Ablehnen alles Neuen, das vielleicht demokratisierend hätte wirken können. So kommt es, daß in Nürnberg

(1) Abb. in Klassiker der Kunst IV; die älteste Madonna auch z. B. bei Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt 1911, S. 202. |

(2) Abb. in Klassiker der Kunst IV, S. 129 unten. а

(3) Vgl. Mayer, Genreplastik, Taf. 20.

(4) So noch z.B. Friedrich Paulsen in seiner temperamentvollen Geschichte des gelehrten Unterrichts 1896, S.146: „Unter allen deutschen Städten nahm Nürnberg, was Bildungs- bestrebungen anlangt, wohl die erste Stelle ein.“ Eine vermittelnde Stellung nimmt, wie ich nachtrüglich sehe, Frhr. von KreB in seiner Besprechung des Herrmannschen Buches ein, vgl. Mitt. des Vereins für Gesch. d. Stadt Nürnberg 1899, 286ff. Er dämpft die Tonart des Verfassers wesentlich und scheint in manchen Punkten nicht unrecht zu haben.

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erst um die Mitte der achtziger Jahre der Humanismus ganz allmählich an Boden gewinnt | 5 | |

Das Gegenbild bietet Augsburg. (Herrmann, S. 108.) Unter der demokratischen Herrschaft der Zünfte nehmen sofort die obersten Beamten an der neuen Bildung teil. Bereits in den fünfziger Jahren treffen wir Manner in leitender Stellung, welche den engsten Anschluß an die neue Bildung suchen; ja der Bürgermeister selbst ist die Seele dieses ganzen Kreises. Auch der bischófliche Hof ist früh von huma- nistischen Bestrebungen erfüllt. Dementsprechend findet auch die Kunst des Buchdrucks (Erhard Ratdolt) und der Malerei (die beiden Holbein) viel eher den Weg zur Renaissance. Ja bereits im Jahre 1459 sandte der Sohn des Augsburger Bürgermeisters an seinen Vater aus Padua echte italienische Renaissancekunst- werke, die geradezu zur Mitteilung an Augsburger Künstler bestimmt waren: „Mitto tibi nunc cum per mercatores ymagines naturales et in plumbo elabo- ratas, principio Guarini Veronensis, Francisci Philelfi, Johannis Petri preceptorum meorum, deinde Julii Cesaris, ut fertur, preterea ducis Venetorum superiori tem- pore miseram, eciam ymagines omnium ferme principum Ytalie ad te, ut cum pictore Mang eciam eas communicares.“

In Nürnberg bildet sich erst in der Mitte der achtziger Jahre ein Kreis, der humanistischen Studien günstig gesonnen ist Vor allem sind Dr. Hartmann Schedel, Dr. Dietrich Ulsen, Sebald Schreyer und der Privatmann Peter Dann- hauser zu nennen. Aber es ist ungemein charakteristisch, daß der letztere sich noch 1496 allen Ernstes in einer besonderen Apologie gegen den Vorwurf ver- teidigen muß, daß er heidnische Bücher und Poeten lese. Das Haupt dieses Kreises ist ohne Frage Sebald Schreyer, den auch die Kunstgeschichte aus mannig- fachen Anregungen auf ihrem engeren Gebiete kennt: er war z. B. 21 Jahre hin- durch bis 1503 Kirchenpfleger von St. Sebald, seinen Namen trágt die Krafftsche Grablegung am Chor dieser Kirche, er veranlaßte die Drucklegung der Schedelschen Weltchronik, er gehörte zu den Förderern des Sebaldusgrabes usw. Sein Verdienst ist es direkt und indirekt auch, daß der Humanismus nun endgültig Boden ge- wann, denn er lebte in engster Freundschaft mit dem Manne, den David Friedrich Straub als den deutschen Erzhumanisten bezeichnet hat: mit dem fránkischen Wanderpoeten Conrad Celtis. Wir sind in der glücklichen Lage, diese Freund- schaft durch handgreifliche Zeugnisse belegen zu kónnen. Bernhard Hartmann hat in seinem inhaltreichen Aufsatze in den Mitteilungen des Vereins für die Ge- schichte der Stadt Nürnberg 1889 mancherlei Zeugnisse dieser Art zusammen- gestellt. So war z. B. Schreyers Wohnung in der Burgstraße 7 mit Bildwerken von Amphion, Orpheus, Apollo usw. geschmückt, unter welchen Epigramme von Celtis standen. In einer Nische fand sich gleichfalls ein Portrát von Celtis, wiederum mit Versen von ihm. Celtis und Schreyer errichteten gemeinsam einer sonst unbekannten Sángerin ein Denkmal. Celtis und Schreyers Wappen finden sich gemeinsam unter dem hl. Sebald der Celtischen Ode. Von Schreyer wird Celtis gedrüngt zur Herausgabe seiner Werke.

Was Celtis für seine Zeit bedeutete, hat ein für allemal F. von Bezold in der Historischen Zeitschrift 1883 auseinander gesetzt. Wundervoll kommt dort die Gesamtbedeutung des Mannes zur Geltung. Wer nur in ihm den Dichter sehen und gar nach heutigem Maße beurteilen wollte, der würde diesen Humanisten vóllig verkennen, und er würde fassungslos vor dem Ruhme des Lebenden wie des Toten stehen. Denn Celtis war nicht nur Dichter, sondern zugleich Philo- soph, Historiker, Naturwissenschaftler, Geograph, Astrologe, Pfaffenfeind, Na-

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tionalókonom, leidenschaftlicher Patriot und als rechter Humanist ein Freund aller irdischen Genüsse. Das alles muß man wissen, um die ganz eigenartig verehrte Stellung dieses Mannes zu verstehen. Aus ganz Deutschland kamen die Lobeserhebungen und später die aufrichtig gemeinten Totenklagen. So drängt ihn z. B. der Lübecker Syndikus Heinrich von Seelen, er möge doch endlich seine Werke herausgeben: „Italien besitzt die berühmtesten Männer, Deutsch- land nur dich, auf den es mit Stolz blickt und den es liebt und ehrt!).“

Unter solchen Verhältnissen wäre es gewiß nicht verwunderlich, wenn wir das Bildnis dieses Mannes, der durch ganz Deutschland eine Verehrung genoß wie wenig andere Zeitgenossen und der in seiner Geschichte Nürnbergs der Stadt ein unvergleichliches Denkmal gesetzt hatte (welches freilich der Rat infolge seiner humanistischen Unbildung sich erst übersetzen lassen mußte!), auch am Sebaldus- grabe finden sollten. Ich erinnere daran, daß auch das Sebaldusgrab nicht zum wenigsten der werktätigen Hilfe des Sebald Schreyer seine Entstehung verdankt, Sebald Schreyers, der der vertraute Freund und Wohltäter des Dichters war. Ferner muß man sich auch daran erinnern, daß Celtis einige Jahre vorher eine Ode gerade auf den hl. Sebald gedichtet hatte. Wenn wir ferner bedenken, daß Schreyers eigenes Porträt am Sebaldusgrab erhalten ist?) dann wäre es an sich gewiß nicht verwunderlich, wenn Schreyer dafür gesorgt hätte, daß auch das Bild seines überall geehrten, kürzlich erst verstorbenen Freundes hier einen Platz gefunden hätte. In den Zwickeln der Sebalduslegende befinden sich nun ver- schiedene Porträtköpfe, die ersichtlich dem zeitgenössischen Leben entnommen sind. Mayer?) hat in verschiedenen von ihnen die Köpfe Vischerscher Familien- mitglieder vermutet. Ein mit Lorbeer bekränztes Haupt widersteht jedoch einer solchen Deutung. Hier erhebt sich nun die Frage, die leider nicht zur Gewiß- heit entschieden werden kann, ob wir es mit einem Porträt des Celtes zu tun haben. Wir kennen die Züge des Dichters aus dem Holzschnitt der Roswitha von 1501, der früher Dürer zugeschrieben wurde‘), und aus dem Burgkmaier- schen Porträt von 1507. Wenn man beide Bilder nebeneinander legt, sie finden sich in Ludwig Geigers Renaissance und Humanismus 1882, S. 455 und 459 dann muß man leider bekennen, daß die Ähnlichkeit dieser beiden beglaubigten Porträts durchaus keine schlagende ist. Gemeinsam ist ihnen im Grunde nur die derbe, fast vierkantige Form des fränkischen Bauernschädels. Dem widerspricht nicht gerade das Medaillon vom Sebaldusgrab, welches Mayer im Münchner Jahrbuch 1913, S.282 abbildet. Aber die Frage der Identifizierung kompliziert sich noch weiter dadurch, daß am Sebaldusgrab der Kopf mit dem schmalen Lorbeer- reis Celtes hatte ja 1487 als erster Deutscher das Kränzlein der Poeterei gerade auf der Nürnberger Burg von Kaiser Friedrich III. erhalten und läßt sich dem- entsprechend auf beiden beglaubigten Holzschnitten mit diesem Lorbeerreifen ab- bilden ins Profil gestellt ist. Man kann nur sagen, daß es durchaus möglich ist, und darf darauf hinweisen, daß schon die beiden vorgenannten Holzschnitt- porträts, die laut Unterschrift bestimmt den Dichter darstellen, eine recht geringe Übereinstimmung zeigen. Wer je in der Lage gewesen ist, Porträts geschicht- licher Persönlichkeiten miteinander vergleichen zu müssen, der weiß, daß die

(1) Hartmann, a. a. O., 50.

(2) Vgl. A. Mayer, Münchner Jahrbuch 1913, 280.

(3) Mayer, a. a. O., 282.

(4) Von diesem Bilde ist ersichtlich das Porträt des C. vor den Quattuor libri von 1502 abhingig, wie ich nachtriglich sehe.

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Identifizierung bis ins 18.und 19. Jahrhundert hinein eine Aufgabe von ungeahnter Schwierigkeit ist; in diesem Falle um so mehr, als Peter Vischer d. J. denn nur er kommt in Betracht den 1508 in Wien gestorbenen Celtes vielleicht nie gesehen hat und lediglich auf Zwischenglieder, wie etwa das vorhin erwšhnte Portrat des Dichters in einer Nische des Schreyerschen Hauses, angewiesen war, als er mehrere Jahre nach dem Tode des Dichters sein Medaillon entwarf: die ' großen Reliefs aus der Sebalduslegende mitsamt den Zwickeln gehören ja erst zu den späteren Teilen des Denkmals. |

Wie man sich auch in dieser sekundären Frage entscheiden will, soviel ist von vornherein sicher, daB ein Mann von dem beweglichen und humanistisch inter- essierten Geiste des jungen Vischer den Auftrag freudig aufgegriffen hatte, ein Medaillon des Erzpoeten, der sich so eng mit Nürnberg und überhaupt allen Bildungsinteressen der neuen Zeit verbunden hatte, nachgekommen wäre; denn die humanistische Gesinnung Peter Vischers d. J. ist ja nicht nur durch die Sockelpartien des Sebaldusgrabes, sondern auch durch seinen Umgang mit Pankra- tius Schwenter bewiesen!) Ja, wir kónnen vielleicht noch einen Schritt weiter gehen und die Frage aufwerfen, ob der junge Vischer nicht gar die Werke des Conrad Celtes gekannt habe. Weizsäcker hat nämlich in seinem Aufsatze „Peter Vischer, Vater und Sohn“ im Repertorium 23, 309, darauf hingewiesen, daß die harfenspielende Muse vom Sockel des Sebaldusgrabes (Mayer, Genreplastik, Taf. 3) dem Titelholzschnitt der Quattuor libri amorum des Conrad Celtes (Nürnberg 1502) entnommen sei. Es ist richtig, daß hier von einer Anregung die Rede sein darf, ja ich móchte sogar durch eine weitere Beobachtung den Zusammen- hang zwischen diesem Celtesblatt und Peter Vischer d. J. noch enger knüpfen: Braun hat kürzlich in diesen Heften VIII, 2 (Taf. 27, 2) eine aquarellierte Feder- zeichnung Peter Vischers d. J. aus dem Jahre 1515, die sich im Berliner Kupfer- stichkabinett befindet, veróffentlicht, aus welcher sich neue Zusammenhánge mit dem genannten Holzschnitt ergeben. War am Sockel des Sebaldusgrabes nur die linke Muse des Celtesblattes leicht nachgebildet, so kehrt auf der Berliner Zeichnung die Situation beider Musen, wie sie zu FüBen eines Springbrunnens sitzen, wieder, nur daB sie ihr Geschlecht gewechselt haben: Die jedesmaligen linken Gestalten greifen in die Saiten (was die Muse am Sebaldusgrab nicht tut), während die jedesmaligen rechten die Gitarre ganz gleichmäßig spielen (Abb. 11). Ferner wiederholt sich auch der Fons musarum des Holzschnittes; ja, er kehrt sogar noch in viel áhnlicherer Gestalt wieder man muß nur etwas weiter blättern, um auf dem letzten Holzschnitt des Celtesbuches fast dem gleichen Brunnen zu begegnen, wie ihn Vischer in seiner Zeichnung verwandt hat). Vielleicht lassen sich diese Beziehungen noch einen Schritt weiter verfolgen, wenn man die Voluptas Vischers mit der Cytharea des Holzschnittes vergleicht; die Stellung mit Stand- und Spielbein, die Haltung des linken Armes usw., deuten wohl auch ihrerseits darauf hin, daß der junge Vischer den Holzschnitt gekannt habe. Einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick, kann man sich sogar

(1) Vgl. Braun, Die Handzeichnungen des jüngeren P. V. zu Schwenters Gedicht über die Herkulestaten. M. f. K. VIII, 2. Über Schwenter vgl. A. Bauch in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 1899, 276.

(2) Vergleiche die beiden Fische, wie sie vom Brunnenrohr überhóht werden, die gebuckeite Schale, die Voluten des Fußes darunter, usw. Auch die Gestalt des Apollo neben dem Brunnen auf diesem letzten Celtesblatt erinnert in ihrer freien plastischen Durchbildung

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versucht fühlen, den Phébus des Holzschnittes mit der Vischerschen Virtus in Zusammenhang zu bringen. : |

Es braucht kaum betont zu werden, daß das Abhängigkeitsverhältnis Vischers ein vollkommen äußerliches ist. Er erst hat aus den heterogenen Bestandteilen des Holzschnittes eine Komposition gemacht; sie ist innerlich und äußerlich etwas Neues und vollkommen Vischerisches geworden, so daß Braun überhaupt nicht der Gedanke einer Anregung gekommen ist. Ich habe diesen Zusammen- hang nur deswegen so ausführlich besprochen, um zu erweisen, daß auch Peter Vischer ein greifbares Interesse an Conrad Celtes genommen habe.

VIII. Jakob Elsner.

24. In der Nürnberger St. Lorenzkirche hängt die Gedächtnistafel für den 1513 gestorbenen Probst Anton Kreß (Abb. 12). Sie wird von Bergau und Weizsäcker!) hoch gelobt und von beiden unmittelbar mit den vier großen Reliefs am Unterbau des Sebaldusgrabes verglichen. (Diese aber sind, wie ich früher zu zeigen gesucht habe, von dem jüngeren Peter.) Aus einer handschriftlichen Lebensbeschreibung des Verstorbenen, die Bergau zitiert, geht deutlich hervor, daß diese Gedächtnis- tafel erst nach dem Tode des Propstes bestellt und aufgerichtet wurde.

Im Todesjahr des Propstes war nun aber ein wundervolles Missale des Ver- storbenen, welches Jakob Elsner illuminiert hatte und welches sich heute als Depositum im Germanischen Museum befindet, vollendet worden. Auf einem der ersten Blätter ist der Propst vor einem Altare kniend, im geöffneten Buche lesend, dargestellt, wie es Abbildung ı3 zeigt. Vergleicht man hiermit das von Vischer erst nach dem Tode des geistlichen Herrn geschaffene Grabmal, dann ist ein Zusammenhang wohl kaum zu übersehen, um so weniger, als es sich hier um einen ganz neuen Typus handelt und als die ganze Sachlage es ja von selber nahelegt, daß die Testamentsvollstrecker des Anton Kreß dem Erzgießer dieses letzte, kaum vollendete Bildnis des Verstorbenen als Vorlage anempfahlen. Die Gegenüberstellung beider Bilder überhebt mich weiterer Worte. Sie zeigt aber auch, mit welch unbedingt sicherem, plastischem Gefühl der junge Vischer zu vereinfachen und monumental zu gestalten wußte. |

Diese Schöpfung Vischers wurde in den vierziger Jahren die unmittelbare Vorlage für das Grabmal des Hektor Poemer für dieselbe St. Lorenzkirche. Daun spricht von einem grenzenlosen Abstand beider Werke; das ist übertrieben, denn in der plastischen Durchbildung ist manches nicht nur selbständig, sondern auch vortrefflich gelungen, so der obere Rundbogen und die kassettierte Decke. Dagegen stehen die seitlichen Pfeiler allerdings erheblich gegen diejenigen auf dem Kreßdenkmal zurück. Sie sind nicht nur in der Erfindung sehr viel dürftiger, sondern sind auch im Guß ungleich weniger gelungen. Hans Vischer hat sich mit einzelnen, lang ausgezogenen Rankenbildungen schnell davon gemacht, wäh- rend sein älterer Bruder mit sichtbarer Liebe in den Ornamentenschatz der neusten oberitalienischen Stecher, wie etwa Nicoletto da Modena, hineingegriffen hat. Merkwürdigerweise steht nun aber die Durchbildung dieser Ornamente nicht im Verhältnis zu ihrer reichen Erfindung. Ganz abgesehen davon, ob hier italienische . Vorbilder greifbar benutzt sind, oder der junge Vischer selbstschöpferisch wie

an einzelne Sitzfiguren vom Sockel des Sebaldusgrabes, etwa den Simson (Mayer, Genre- plastik, Taf. 14), ohne daß aber ein wirklich greifbarer Zusammenhang bestände.

(1) Bergau, Peter Vischer und seine Söhne (Kunst und Künstler, Leipzig 1878, S. 30); Weiz- säcker, Peter Vischer, Vater und Sohn. Repertor. 23, 305.

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ich nicht ohne Grund glauben móchte vorgegangen ist, beruht das vielleicht darauf, daß diese Pilasterstreifen ursprünglich für Vergoldung berechnet waren. Bergau sagt nümlich, daB er noch deutliche Spuren einer derartigen менеп: weise gesehen habe’). |

IX. Jacopo de Barbari. i

25. J. de Barbari erhielt für die Visierung der Grabplatte der Herzogin Sophiein Torgau 1504 zehn Gulden. Der Fall liegt ganz šhnlich wie bei Katz- heimer. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, 366.)

26. Ein festerer Zusammenhang ergibt sich für den Apoll des Barbarischen Kupferstichs mit der Brunnenfigur des Apoll im neuen Rathaushof zu Nürnberg. Die Abbildungen beider finden sich bei Daun, S. 70 und 71. So zweifellos hier die Abhüngigkeit eines Vischer von J.de Barbari ist, so schwierig ist es zu entscheiden, welcher von den Vischern in Betracht kommt. Neudórffer nennt den Apoll unter den wenigen von ihm namhaft angeführten Werken des álteren Peter. Da nun jedoch der Sockel die Datierung 1532 trágt, so nahm man bisher an, daB sich diese Datierung eben nur auf den Sockel beziehe und die Figur ein Werk des 1529 verstorbenen Vaters sei Dabei bleibt jedoch die Schwierigkeit bestehen, daß diese extrem moderne und etwas flaue Jünglings- figur gar nicht in das Werk des Vaters passen will. Nun hat aber Bode im Jahr- buch 1908, S. 12 (einem Hinweise Koetschaus folgend) eine Weimaraner Vor- zeichnung bekannt gemacht und abgebildet, welche Figur u n d Sockel fast genau in der gleichen Weise zeigt wie der ausgeführte Guß; der Sockel trägt hier die Datierung 1531. Die Handzeichnung steht deutlich zwischen dem Stich Barbaris und dem ausgeführten Werk. Danach wird man wohl annehmen müssen, daß die 'Angabe Neudórffers, der den Apoll für den Vater in Anspruch nimmt, ent- weder auf Irrtum beruht oder sich auf einen anderen ähnlichen Guß bezieht?).

X. Mantegna.

27. Albert Brinckmann sagt in seinem Buche über die praktische Bedeutung der Ornamentstiche für die Frührenaissance S. 13, daß figürliche Reliefs am Fuggergitter unzweifelhaft auf Mantegnasche Stiche weisen. Das ist gewiß richtig und mag schon mancher gefühlt haben, obwohl es unmöglich ist, einen wirklich greifbaren Zusammenhang aufzudecken. Auch Brinckmann wird wahr- scheinlich Kupferstiche wie den Kampf der Tritonen oder den Kampf der See- kentauren (Kristeller, Mantegna Ab. 144 und 145) im Sinne gehabt haben, deren letzterer ja auch den jungen Dürer zur Nachzeichnung gereizt hatte. Vorläufig aber bleibt für uns das Verhältnis Mantegna-Vischer Problem, und die pracht- vollen Bogenfüllungen des Fuggergitters, deren unvergleichlichen Schwung wir noch in den liebevollen Abbruchszeichnungen spüren, bestehen wohl als selb- ständige Schöpfungen Peter Vischers des Jüngeren,

(1) Ober die Stellung („Ев ist bekannt, daB die zwei Pröpste zu Nürnberg fast bischófliche Ehren genossen“) und Bedeutung des Dr. Anton Kreß vgl. den Aufsatz seines geschichts- kundigen Nachfahren Dr. G. Freiherrn von Kreß in den Mitteilungen des V. f. G. d. Stadt Nürnberg 1892, S. 213 ff.

(2) Der Barbarische Kupferstich zeigt übrigens eine merkwürdige Verwandtschaft mit einer Kleinplastik Riccios, dem Wasserträger. Abb. im Führer durch das Kaiser-Friedrich- Museum 1911, S. 184. Als Vorlage für Vischer kommt jedoch lediglich der Kupferstich in Betracht.

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Durch einen Nachweis Weizsäckers!) wissen wir aber, daB Vischer andere Mantegnasche Stiche gekannt habe. Denn eine Jünglingszeichnung der Louvre- sammlung (Abb. 14) berührt sich in nicht zu leugnender Weise mit einer Gestalt des Mantegnaschen Bacchanals bei der Kufe (B. 19, Kristeller Abb. 143 [Abb. 15). Vischer muß diese Gestalt angezogen haben, denn er hat sie zweimal in jenem Pariser Skizzenbuch festgehalten, das eine Mal mit aufwürts weisender Hand und ausgestrecktem Zeigefinger, das andere Mal einen Apfel in der bedeutend weniger erhobenen Hand haltend. Das ist vorláufig alles, denn ein Zusammen- hang zwischen Mantegnas Tuschzeichnung von Mars, Venus und Diana im Britischen Museum (Kristeller, Abb. 130) und dem Vischerschen Aquarell im Weimarer Goethehaus, an das man einen Augenblick denken móchte, kommt nicht einmal als Anregung in Frage.

XI. Zoan Andrea.

28. Dem Mantegnaschen Kreise gehórt der Stecher Zoan Andrea an. Brinck- mann behandelt ihn a. a. О. und sagt, es sei ihm unmóglich gewesen, eine sichere Beziehung dieses Italieners zu einem ausgeführten Werke deutscher Kunst nachzuweisen. Ihm ist dabei eine Beziehung zum Fuggergitter entgangen, auf die hier kurz hingewiesen sei Auf einer Pilasterfüllung desselben erscheint ein musizierender Faun (Abb. 16), der aus einem Stiche Zoan Andreas entnommen ist (B. 30), also demselben Stiche, der für eine steinerne Chorschranke in der Kathedrale zu Chartres Verwendung gefunden hat, wie Brinckmann nachweist; auch in Chartres hat er übrigens seine Geige nicht auf den Boden gestellt, wie Zoan Andrea es vorgezeichnet hatte (Abb. 17). Verwunderlich darf dieser Zu- sammenhang nach den Ausführungen Brinckmanns nicht erscheinen, denn nach seinen Worten war die Wirkung der zwölf großen Stiche (abgebildet in L’Arte VI, 1903, Anhang S. 14, 15, 16, 18) eine gewaltige, aber ihr EinfluB beginnt nicht erst mit den zwanziger Jahren des 16, Jahrhunderts, sondern etwa zehn Jahre früher, wie diese Benutzung durch Vischer zeigt Fernere Zusammenhärige zwischen Zoan Andrea und der Nürnberger GieDhütte sind auch mir nicht bewußt. ge- worden, aber es mag wohl sein, daB der am Fuggergitter mehrfach verwandte Harnisch im Laubwerk, die gekreuzten Füllhórner, die Blattmaske, der belaubte Delphin, die Vasen usw. hier ihren Ursprung haben; anderes wie Schädel, Füll- hórner usw. kónnen natürlich auch von oberitalienischen Bauten und Denkmülern angeregt sein.

. Übrigens darf uns eine Einwirkung des oberitalienischen Kupferstiches auf das Fuggergitter nicht wundernehmen, denn micht nur Augsburg, sondern gerade auch die Fugger hatten die neue Kunst mit offenen Armen aufgenommen; ja für dieselbe Fuggerkapelle, für die ursprünglich das Nürnberger Rathausgitter be- stimmt war, hat Brinckmann eine zwiefache Benutzung von Ornamentstichen des Nicoletto da Modena nachgewiesen, welcher demselben mantegnesken Kunstkreise angehört. (Brinckmann, a. a. О, Taf. 2 und 3) Es liegt nun gewiß nahe, die Spuren des Nicoletto auch am Fugger- oder Rathausgitter zu suchen. Ich glaube aber, daß man sich vergeblich nach greifbaren Zusammenhängen um- sehen wird. Ohne Frage werden auch,hier Anregungen bestehen, aber auch nicht

(1) Flüchtig erwähnt in „Zwei Entwürfe zum Nürnberger Sebaldusgrab“, Jahrbuch d. K. P. Kunstsammlungen 1891, 51. Nur durch das von W. beigefügte B. 19, welches sich auf seiner Pause eines Pariser Gkizzenblattes wiederholt, ist zu ersehen, welche Figur er meint.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft оло 18 261

mehr. So mag es sich z. B. um die beiden Seekentauren verhalten, welche ge- meinsam den Schild mit dem Gorgonenhaupte fassen (abgebildet in Gazette des . beaux Arts 1869, 151). Ein ähnliches Motiv. verwendet Vischer mehrfach am Fuggergitter, so z. B. auf der drittletzten Tafel der Lübckeschen Publikation, wo zwei kimpfende Reiter einen Schild halten, wáhrend sie in an Schwunge dahinstürmen.

Auch die einzig erhaltenen steinernen Seitenpfeiler des Gitters weisen in ihren Ornamenten deutlich auf italienische Stiche. Ihr fremdartiger, gedrängter Reich- tum zeigt, daß er keiner deutschen Phantasie entsprossen ist. Trotzdem läßt sich nichts Schlagendes nachweisen; aber vielleicht ist es kein Zufall, daß die beiden auf einem Säulenpostament sitzenden Figuren (Lübcke, fünftletzte Tafel) in ver- wandter Ausbildung mehrfach bei Nicoletto (Brinckmann, Taf.2 a und b = Wessely, Das Ornament und die Kunstindustrie, Berlin 1877, Taf. 32 und 31; vgl. ferner Taf. 33b = Bartsch 57) wiederkehren. In diesem Zusammenhang ist es von Wichtig- keit, daß die Fugger bestimmt diese Stiche des Nicoletto kannten, denn wie Brinck- mann nachweist, sind gerade sie an dem Marmorepitaph des Jakob Fugger in Augsburg benutzt worden.

Auch der oberitalienische Buchdruck, auf den bereits Beever (vel. Nr. XII dieses Aufsatzes) hingewiesen hatte, wird zweifellos anregend gewirkt haben. Aber die ganze Frage ist heutigen Tages noch nicht spruchreif, denn so lange wir keine zusammenfassende Arbeit besitzen, wie sie Muther in seiner Buchillustration der Gotik und Frührenaissance für Deutschland geliefert hat, so lange sind wir auf Zufallsfunde angewiesen. Einige Abbildungen, die sich in der Bücher- ornamentik der Renaissance von A. F. Butsch (Leipzig 1878) finden, lassen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennen, daß von solchen Buchzeichnungen eine groDe Wirkung auf Vischer ausgegangen sein muB. (Deutsche Vermittler kommen für diese ganz frühen Jahre des 16. Jahrhunderts kaum in Betracht; auch der deutsche Ornamentstich entfaltete sich erst am Ende des dritten Jahr- zehnts, als Peter Vischer, Vater und Sohn, bereits die Augen geschlossen hatten.) Wenn sich nun auch keine wirklichen Zusammenhánge mit dem oberitalienischen Buchschmuck ergeben, so möchte ich trotzdem auf die ersten 17 Tafeln bei Butsch hingewiesen haben, da wir uns hier ersichtlich in jenem Kreise bewegen, der einerseits auf Zoan 'Andrea und Nicoletto zurückweist und andererseits alle jene Motive enthdlt, die einem Manne wie Peter Vischer d. J. als ein neues Evangelium am Herzen gelegen haben müssen. Hier begegnen auf Tafel ro z. B. wiederum jene beiden Meeresbewohner, die gemeinsam einen Schild halten (Venezianer Holzschnitt 1509; in OriginalgróBe von Butsch auch als Titelblatt verwendet) Ich möchte es nicht unterlassen, auch auf einen anderen veneziani- schen Druck von 1499 (Butsch, Taf. 7) hinzuweisen. Hier bewegt sich ein phan- tastischer Zug von Meeres- und Erdenbewohnern durch das Wasser. Die beiden vordersten Gestalten schreiten bis an die hohen Oberschenkel in der Flut, zwei andere hinter ihnen blasen auf Hórnern. Ich habe mich hier immer an einen Fries des Fuggergitters erinnert gefühlt, auf dem gleichfalls ein phantastischer Menschenzug durchs Wasser dahin zieht; auch hier schreiten die beiden Führer ganz entsprechend im Strom und blasen dabei auf den gleichen Hórnern. Es ist nur eine Anregung, aber ich glaube, bei dem Stande unseres heutigen Wissens haben wir keinen genügenden Grund, an ihr vorüber zu gehen (Butsch, Taf. 7, desgl in Gazette des beaux Arts 1870, 369; Lübcke in der Mitte seines unnume- rierten Tafelwerks).

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+

XII. Tarrochi.

29. Heinrich Weizsäcker hat in seinem Aufsatze über Peter Vischer, Vater und Sohn, in kurzen, aber grundlegenden Ausführungen über die Herkunft des Vischerschen Renaissancestils am Sebaldusgrab gesprochen. Er weist auf Venedig mit dem Bau von S. Maria de’ Miracoli und auf die Bildhauergruppe der Lom- bardi. In diesem Zusammenhang streift er natürlich auch den Einfluß der Buch- illustration und glaubt, daß die Figur der harfespielenden Muse (Mayer, Genre- plastik, Taf. 3) auf die Muse in dem Titelholzschnitt der Quattuor libri des Conrad Celtes (Nürnberg 1502) EE Ich habe den Zusammen- hang bereits S. 258 erwähnt.

Hier muB auch die Marsyasfigur einer жешнен E Gvidauspabe von 1497 genannt werden, von welcher Seeger S.94 annahm, дай sie für den auf der Panpfeife blasenden Satyr vorbildlich gewesen sei. Gertrud Küster, die diesen Zusammenhang nachgeprüft hat, miBt ihm geringe Bedeutung bei!) Entschádigt werden wir aber durch einen neuen Zusammenhang, der in dem gleichen Auf- satze, S. 318, zwischen einem Blatte der italienischen Tarrocchi (Abb. 18) und einem Relief des jungen Vischer am Sebaldusgrab festgestellt wird (Abb. 19): ein Bild des Apollo kehrt in beiden Darstellungen so verwandt wieder, daß man die Frage einer Beeinflussung ruhig bejahen darf, da ja die ganze Konstellation einen solchen Zusammenhang von vornherein glaubhaft erscheinen läßt?).

XIII. Pomedello.

30. In seiner sehr lesenswerten Besprechung der Daunschen Monographie) macht Theodor Hampe auf den Zusammenhang der TintenfaBfigur in Stan- more mit einer Medaille des Pomedello für Isabella Sessa Michiel auf- merksam. Mayer erkannte unabhüngig davon die Beziehung auch seinerseits und gab zwei Abbildungen dazu‘). Der Zusammenhang ist vollkommen klar und eindeutig. |

XIV. Friedrich der Streitbare, Friedrich der Sanftmütige und Herzog Ernst, sämtlich in Meißen.

31. Das Gesamtbild, das sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ent- behrt noch eines wesentlichen Zuges. Es ist bisher lediglich von Vorbildern und Anregungen die Rede gewesen, die sich auf dem Gebiete der Malerei und des Kupferstichs fanden. Die schwierigere Frage, wieweit andere Erz werke als Vor-

(1) Monatshefte für Kunstwissenschaft 1917, 317. Ich will übrigens bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, daß die Verfasserin S. 322 auf einen nicht zur Gießerfamilie ge- hörigen Peter Vischer aus Nürnberg hinweist, der 1487 das Nürnberger Heiligtumsbüch- lein herausgibt. Sie wirft die beachtenswerte Frage auf, ob das Dokument, welches über den Vertrieb der Schedelschen Chronik in Italien spricht und seit Seeger gern auf Peter Vischer den Jüngeren bezogen wurde, sich nicht auf diesen, in buchhändlerischen Ge- schäften wohl erfahrenen Mann beziehe. Dieser Peter Vischer wird in Muthers Buch- illustration (1884) I, 61 erwähnt.

(a) Kristeller, Tarrocchi, Taf. 20. Graphische Gesellschaft 1910.

(3) Monatshefte der kunstwissenschaftl. Liteiatur 1905, 4.

(4) Münchner Jahrbuch 1913, S. 286. Eine nahe verwandte Stellung nimmt eine weib- liche Figur auf der Allegor. Darstellung des Marcanton Raimondi (B. 377) ein; siehe die Abb. bei Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt S. 257. Welches von den beiden italieni- schen Werken das frühere ist die Darstellung Raimondis liegt um rsos vermag ich nicht zu sagen; für Vischer kommt nur die Medaille in Betracht.

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bilder in Betracht kommen, blieb unerörtert und soll auch im folgenden diesmal nur soweit gestreift werden, als sich unmittelbare Beziehungen ergeben.

Als Hermann Vischer im Jahre 1453 in Nürnberg einwandert, wird uns leider nicht gesagt, woher. Immerhin aber gibt es zu denken, daf sein einziges be- glaubigtes Werk in Wittenberg, also in Sachsen, steht. Man muB sich über- haupt dessen bewußt bleiben, daß Sachsen seit Jahrhunderten das eigentliche GieBerland ist, in welchem vor und nach den Vischern eine bodenstiindige Erzkunst blüht, wührend Süddeutschland ganz im Schatten steht. Auch Hermanns berühmteren Sohn sehen wir lebenslang zu den sáchsischen Fürsten in Be- ziehungen, die vielleicht einen tieferen, heimatlichen Untergrund haben. So steht beispielsweise das strahlende Werk seiner Jugend im Magdeburger Dom. Meißen birgt die frühen Grabplatten Herzog Sigismunds, Kurfürst Ernsts, Bischof Dietrichs von Schónburg und aus Vischers mittlerer Zeit die Platten Herzog Albrechts des Beherzten und verschiedener Fürstinnen. Merseburg beherbergt wiederum ein Frühwerk derselben Gruppe, die Platte Thilos von Trotha. Das schon genannte Wittenberg bietet die Spütwerke für Friedrich den Weisen und Johann den Bestándigen, Altenburg die ganz frühe Platte der Kurfürstin Margarethe. Im benachbarten Schlesien finden wir in Breslau die Grabplatte des Bischofs Johann Roth von 1496; und endlich noch weiter gen Osten führen uns die Gorkaplatten im Posener Dom, auf die ich noch zurück- komme. j |

Die eben genannte Meißner Grabplatte des Kurfürsten Ernst (+ 1486, [Abb. 2o]) ist nun ohne die ebendaselbst bewahrte des Kurfiirsten Friedrich des Sanft- mütigen nicht denkbar (Abb. 21). Hier besteht ohne Frage ein greifbares Ab- hüngigkeitsverháltnis. Schon äußerlich sind die ungewöhnlich großen Maße (Friedrich 1,44: 2,53; Ernst 1,44:2,57) fast die gleichen. Die Stellungen mit dem rechts geschulterten Schwert, das Raffen des Gewandes auf der Gegenseite, die Beschránkung der Nasenzeichnung auf die Spitze und vieles andere mehr steht in unmittelbarem Zusammenhang. So vischerisch nun die Grabplatte des Kur- fürsten Ernst ist (ich komme noch darauf zurück), so unvischerisch ist die ältere Friedrichs des Sanftmütigen, obwohl sie dem Nürnberger Meister zum Vorbild gedient hat. Die Form der Vierpásse, die (holländischen) Wellenranken, die Buchstabenformen usw. stellen diese letztere vielmehr in einen Zusammenhang mit Kaspar von Schönberg in Meißen, f 1463, Dietrich von Buckensdorff in Naumburg, + 1466, Hunold von Plettenberg in Erfurt, + 1457, und dem Rahmen vom Grabmal des Heinrich von Gerbstádt in Erfurt, angefertigt nach 1472. Wir haben hier deutlich eine sächsisch-thüringische Gruppe!) vor uns, mit welcher sich Peter Vischer nur berührt.

Doch zurück zur Grabplatte des Kurfürsten Ernst. Bereits die archivalischen Forschungen von Cornelius Gurlitt?) haben es nahegelegt, daß sie aus Nürnberg stammt. Wir kónnen das aber auch auf stilistischem Wege wahrscheinlich machen,

(1) Diese Gruppe ist von Joh. Kramer in seiner Dissertation: Metallene Grabplatten in Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts, Halle 1912, S. 48ff., richtig zusammengestellt. Der Verfasser gibt S. 57 an, was diese thüringisch - sáchsische Gruppe von Vischer unterscheidet, unterliegt aber trotzdem der Versuchung, sie mit der Nürnberger Hütte in festen Zusammenhang zu bringen.

(2) C. Gurlitt, Die Kunst unter Friedrich dem Weisen. Archivalische Forschungen II, 1897, S. 63; R. Bruck, Friedrich der Weise als Fórderer der Kunst, 1903, 87.

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und ich erinnere zu diesem Zweck kurz an die Platte der im selben Jahre r486 verstorbenen Kurfürstin Margarethe in der Altenburger SchloBkirche, welche von Cramer a.a. O. S. 42 Vischer zugewiesen und in Vergleich mit Herzog Ernst gestellt ist. (Kramer gibt keine Abbildung, Simon brachte dann nach dem Tode des fürs Vaterland gefallenen Verfassers eine Teilaufnahme!), die aber für einen Vergleich beider Werke noch nicht genügt; erst die Aufnahme, die auf meine Bitte der Herzog von Altenburg veranlaßte [Photograph A Kersten Sohn Nachf., Altenburg -Sa., AlbrechtstraBe о], bietet die Möglichkeit einer eingehenden und überscurenden Vergleichung.)

Die Vischersche Platte des Kurfürsten Ernst geht nun aber nicht nur auf das Vorbild Friedrichs des Sanftmütigen zurück, sondern dieses seinerseits steht in sichtbarem Zusammenhang mit.der Deckplatte der Tumba Friedrichs des Streitbaren (Abb. 22), die sich in derselben Kapelle befindet wie die beiden eben genannten Platten. Man bemerkt den Zusammenhang nur deswegen erst allmäh- lich, weil die Technik beider Werke eine gegensätzliche ist: Die Tumbendeck- platte ist als hohes Relief, die andere als gravierte Zeichnung gegossen. Legt man sich die Abbildungen aller drei Werke nebeneinander, so hat man drei frontale Standfiguren vor sich, welche jedesmal in der Rechten den mächtigen Beiden- hander führen (nur daß er bei den beiden jüngeren Werken eine schräge Rich- tung innehált), wührend die Linke jedesmal einen Bausch des Gewandes in Hüft- hóhe festhált. Alle drei stehen ferner vor einem Brokatteppich, ein Motiv, das noch einige Worte erfordert.

Die Platte des Kurfürsten Ernst ist die ülteste 2) der Vischerschen Hütte, auf welcher zuerst hinter dem Verstorbenen der an einer Stange mit Schnüren be- festigte Teppich erscheint. Gerade in diesem für Vischer wesentlichem Motive trennt sie sich von ihren Vorlagen, den Grabplatten der beiden Friedriche, auf welchen zwar gleichfalls ein Teppich erscheint, aber nicht an einem Schnürwerk in Scheitelhóhe, sondern als ein gleichmäßiges, den ganzen Hintergrund bis an den Schriftrand fülendes Motiv. Auf der Vischerschen Platte dagegen gleitet der Blick über die Teppichstange hinüber in ein gotisches Kircheninnere, das durch Rippen und Maßwerk in der bekannten Weise angedeutet ist.

Der Vergleich mit den echten Vischerwerken braucht hier nicht weiter aus- geführt zu werden, zumal Kramer a.a. O. bereits die wesentlichen Züge zusammen- gestellt hat. Es sei nur noch auf etwas hingewiesen, was er nicht beachtet hat, daB nümlich zu den Seiten des Dargestellten die Wappen des Verstorbenen aufgereiht sind. Denn gerade dieses Motiv, das sich in den Vorlagen auf den Platten der beiden Friedriche nicht findet, ist ein echtes Vischermotiv, das sich jahrzehntelang in der Nürnberger Hütte erhält. Es kehrt beispielsweise wieder bei Otto IV. in Rómhild und bei Herzog Albrecht dem Beherzten in Meißen (T 1500), bei dem die Wappen in ganz entsprechender Weise angeordnet sind und der Blick über den Teppich in einen Innenraum gleitet; vor allen Dingen aber beobachten wir es auf dem Meisterwerk Peter Vischers d. J., auf der Grabtafel Friedrichs des Weisen in Wittenberg, der ein Sohn eben jenes Kurfürsten Ernst war! Durch dieses Kindesverhültnis wird es sich auch erklären, daß Friedrich der Weise ganz die gleiche Stellung?) wie sein Vater, Großvater und Urgroßvater

(1) M. f. K. IX, Heft 5.

(2) Sie lag bereits 1489, wie ich einem Korrekturbogen Gurlitts über die noch nicht er- schienene Fürstenkapelle des Meißner Doms entnehme.

(3) Und zum Teil auch Tracht, vgl. Mütze, Schulterkragen und Ärmellöcher.

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(die beiden Friedriche) einnimmt, mit dem rechts geschulterten Beidenhänder, dem Wappen zu Háupten usw. Die Kunst Peter Vischers d. J. erscheint aber um so bewundernswerter, wenn man sieht, welche monumentale Kraft er in dieses alte Motiv zu legen wuBte. Wer übrigens die Gewalt dieses Denkmals genieBen will, dem wird sie sich vielleicht in dem GipsabguB des Germanischen Museums in Nürnberg noch mehr offenbaren als in dem Original der Witten- berger SchloBkirche. Dort gehen die Abmessungen in dem hohen gotischen Kircheninnern ein wenig verloren, während in dem niedrigen Kreuzgang des Museums die Kraft des Denkmals unendlich gesammelter erscheint. Mit dem Sebaldusgrab in Original und Abguß mag es manchem schon ebenso ergangen sein. Das Denkmal Friedrichs des Weisen wurde dann seinerseits die unmittel- bare Vorlage für das seines Bruders Georg des Beständigen, das in derselben Schloßkirche steht. * š *

Nachtráglich bin ich noch auf folgendes aufmerksam geworden. Die Platte Friedrichs des Streitbaren zeigt in allen vier Ecken Wappenschilder, diejenige Friedrichs des Sanftmütigen Evangelistensymbole, und zwar in Vierpássen der thüringisch-sáchsischen Art. Die Grabplatte Kurfürst Ernsts dagegen trágt in den vier Ecken Blumen, was sonst bei Vischer nicht vorkommt! Es ist schwer zu sagen, welche Blumen hier nachgebildet sind. Links unten vielleicht Aglei oder Rittersporn, links oben vielleicht eine Erdbeerblüte, rechts oben entzieht sich noch mehr der Deutung, dagegen ist rechts unten mit aller Sicherheit eine Rose zu erkennen. Vielleicht steht diese Rose nicht zufällig an ihrem Platze, denn Kur- fürst Ernst war im Jahre 1480 sechs Jahre vor seinem Tode in Rom ge- wesen, und hatte vom Papste Sixtus IV. die Goldene Rose erhalten, welche er später dem Dom zu Meißen, also seiner Begräbniskirche, gab. Diese Goldene Rose ist ein püpstliches Gnadengeschenk, welches, mit Balsam und Weihrauch be- ` sprengt, vom Haupte der Christenheit in Gegenwart des Kardinalkollegiums unter besonderen Zeremonien am sogenannten Rosensonntag geweiht wurde. Die Sitte

geht bis ins 12. Jahrhundert zurück und hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten !).

XV. Die MeiBner und die Magdeburger Tumba. (Friedrich der Streitbare und Erzbischof Ernst)

32. Nach dem engen Zusammenhange zu urteilen, welcher zwischen den Denkmälern der beiden Friedriche und dem des Kurfürsten Ernst besteht, darf man wohl annehmen, daß Peter Vischer in jungen Jahren Gelegenheit gehabt hat, Meißen zu sehen. Der Dom in seiner herrlichen Lage, mit dem Blick über das weite Land, mußte ihn aus einem besonderen Grunde anziehen. Denn in seiner Vorhalle war erst kürzlich ein Werk aufgestellt worden, das nach Umfang und Art zu den bedeutendsten seiner Zeit gehórte. Ich meine wiederum die máchtige Tumba Friedrichs des Streitbaren, die dort in der Mitte der Begrübnis- kapelle steht. Friedrich war der Stifter derselben, seine Tumba stand daher in der Mitte und sollte offenbar der Sammelpunkt für die Grabplatten anderer sächsischer Fürsten werden ).

Auch von Vischer besitzen wir eine müchtige Tumba, und zwar im Ernst- grab des Magdeburger Doms. Die Seitenteile beider Werke lassen sich kaum (1) Ob die übrigen, schwer bestimmbaren Eckblumen als Balsamkráuter zur Besprengung der Goldenen Rose gedacht sind, vermag ich nicht zu sagen.

(3) Die Datierung dieses Denkmals schwankt. Dehio nennt in der 2. Auflage seines Hand- buches die Jahre 1430—40 (in der 1. Auflage war eine Datierung unterblieben). Ich glaube

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miteinander in Parallele setzen: die modischen Klagemünner und die graziósen Wappenfiguren in Meißen lassen keinen Vergleich mit den ernsten, mannhaften Apostelgestalten in der ruhigen, schweren und zeitlosen Kleidung in Magdeburg zustande kommen. Höchstens daß man die trocknen Maßwerkbogen ein wenig miteinander in Beziehung setzen könnte. Anders aber steht es um die machtvollen Liegefiguren der beiden Fürsten. Stellt man beide Bilder einmal nebeneinander, dann erkennt man sofort, daß in der Auffassung doch auffallend viel Gemein- sames besteht. Während der Körper bei beiden als ruhige, fast unbewegte Masse behandelt ist, sind die Arme beide Male in ähnlicher Weise beschäftigt. Beide sind im Ellbogengelenk an den Kórper herangeholt, und es verschlügt nicht viel, ob der eine mit der Rechten sein Schwert schultert und der andere dafür den Kreuzstab faßt. Die Linke des Erzbischofs Ernst hält ganz parallel den Bischofs- stab, wührend die Linke bei Friedrich dem Streitbaren ziemlich ungeschickt in der Hüftgegend liegt. Erst nach lüngerer Beobachtung erkennt man, daB der Unterarm dazu dient, einen Bausch des Gewandes in Hóhe des Ellbogengelenks festzuhalten, worüber ich im vorigen Abschnitt gesprochen habe.

Über die Gesichtsbehandlung bei der MeiBner und der Magdeburger Tumba läßt sich nur sagen, daß sie beide Male in ähnlicher Realistik geschehen ist, siehe die Falten, den krüftigen Mund usw., doch ist das Magdeburger Grabmal auch hierin entschieden groDartiger und fortgeschrittener.

XVI. Die „holländischen“ Platten.

33. Die beiden Gorkaplatten im Posener Dom sind Glieder einer weit zurück- führenden Kette. Die Forschungen von Joh. Kramer in seiner Dissertation

bestimmt, daf das zu früh ist, zumal im Hinblick auf die sehr realistische Liegefigur des Herzogs. MaBgebend waren für Dehio vielleicht die gravierten Seitenfiguren, die aller- dings, besonders in der Tracht, auf etwa 1440 weisen kónnten. Nun haben aber zwei von ihnen eine gewisse Verwandtschaft mit Stichen des. Meisters der Spielkarten. Die kleine reizende Gestalt des Stutzers zwischen den Wappenfiguren von „gleichen“ und „eigen- berg“ zeigt eine auffällige Ahnlichkeit mit der Spielkarte Nr. 18 (bei Lehrs Taf. 8 in seiner Geschichte... des deutschen... Kupferstichs im 15. Jahrhundert, Wien 1908): beide in Profilstellung, beide mit dem Federhut, beide mit dem Pelzbesatz usw. Ebenso berührt sich die Figur eines modisch gekleideten Jünglings zwischen einem namenlosen Wappen- halter und dem Wappen von „preu“ mit Nr. 19 (bei Lehrs Taf. 8): beide stehend mit vor- gestrecktem rechten Fuß, beide rechte Hand am Gürtel, beide kleinen Pelzbesatz am Saum des Gewandes, beide kleines Schwert am Gürtel usw. Dieser Meister der Spielkarten wird aber von Lehrs „gegen das Ende der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts“ angesetzt.

Noch etwas später fällt die Datierung, die GeiBberg nach brieflicher Mitteilung mir vor- schlägt. Er schreibt, ,die Figuren haben in ihren Bewegungen auffallende Verwandtschaft mit den Stichen der mittleren Zeit des Meisters E. S., in dem sprungartigen Schreiten, dem Falten wurf, Akt usw.“ Er verweist alsdann auf Stiche der mittleren Zeit des Meisters bis etwa 1450 spätestens. „Ich könnte mir denken, daB ein Graveur, der viel nach E. S. gezeichnet hat, so arbeiten würde, auch ohne unmittelbare Vorlagen.“

Endlich ist die Baugeschichte der Kapelle selber von großer Bedeutung für die Da- tierung der Tumba Friedrichs des Streitbaren. Dehio gibt im Handbuch (2. Auflage) an, sie sei etwa in den Jahren 1420—30 erbaut. Gurlitt dagegen schreibt im amtlichen In- ventar, daB sie nicht vor 1445 zum Abschluß gebracht worden sei. Ich entnehme diese Angabe dem gütigst übersandten Korrekturbogen des noch nicht erschienenen Bandes über den MeiBner Dom. Danach ist es also wahrscheinlich, daB die Tumba erst nach 1445 in Auftrag gegeben sei; wir werden demnach auch von seiten der Baugeschichte auf die Mitte des 15. Jahrhunderts geführt.

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„Metallne Grabplatten in Sachsen... .“, Halle 1912, und von Felix Dettloff „Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab“, Posen 1915, haben dargetan, daß die beiden Posener Platten auf das bekannte hollündische Muster zurückgehen, welches m Deutschland z. B. durch die Bülow-Doppelplatte des Schweriner Doms vertreten. ist. Man gewinnt etwa folgende Entwicklungsreihe: Bülow-Schwerin (der eine 1314, der andere 1375 gestorben), Wicbold-Altenberg bei Kóln (f 1398), Andreas- Posen (f 1479), Lukas von Gorka-Posen (f 1475), Uriel von Gorka-Posen (f 1498), Friedrich Kasimir-Krakau (f 1503). Dieser Entwicklungsreihe nähern sich zwei weitere Platten, die ihrerseits Glieder eines anderen Zusammenhangs sind, nümlich Joh. Roth-Breslau (+ 1496) und ganz von ferne endlich auch die Grabtafel Kmitas in Krakau von etwa 1515. Die drei letzten sind abgebildet bei Daun (S. 16, тї und 20; vgl. zur ganzen Frage auch meine Besprechung des Dettloffschen Buches, M. f. K. 1917, S. 332) ). |

| XVII. Otto IV. in Rómhild.

34. Die Statue dieses Ritters bildet innerhalb der Vischerschen Kunst einen Typus für sich, insofern als sie als Freifigur gearbeitet und trotzdem eng an die Wand gerückt ist, wo sie von einem Rahmen der üblichen Art umschlossen wird. Bergau gibt richtig an, daß Sie nach dem Vorbild älterer Ritterfiguren desselben . Geschlechts in derselben Kirche gearbeitet ist. Diese sind jedoch aus Stein! Man erkennt also deutlich, daB Vischer hier ein Vorbild zugewiesen war.— Eine Eigen- tümlichkeit Vischers ist dagegen die Anbringung der Wappen neben dem Schrift- rand, wie er es bereits bei der Liegefigur des Kurfürsten Ernst in Meißen geübt hatte, und wie es später sein gleichnamiger Sohn auf dem Epitaph Friedrichs des Weisen in Wittenberg wiederholt, vgl. hier S. 265 unten.

XVIII. Das Urbild des Sebaldusgrabes.

35. Im Juniheft dieser Zeitschrift hat Ernst Steinmann die Zerstórung der püpst- lichen Grabdenkmáler in Avignon ausführlich und lehrreich behandelt. Dabei ist auch ein neues Licht auf die Geschichte des Sebaldusgrabes gefallen, denn man erkennt einwandfrei, daB in mehreren der dortigen Grüber, vor allem in dem des Papstes Innocenz VL, der Typus des Nürnberger Sebaldusgrabes, das bisher vüllig

isoliert dastand, vorgebildet sei. Ich komme demnüchst unter Vorführung von Ab- bildungen darauf zurück.

XIX. Eine weitere Dürerbenutzung.

36. Zu dem umfangreichen Kapitel der Dürerbenutzungen ist noch folgendes rasch nachzutragen: Auf der Grabplatte für Kerkering in der Lübecker Marien- kirche stehen oben auf den Kapitälen zwei trompetenblasende Knaben, welche Genien des Ruhmes anzusprechen sind, „fama tuba dante sonum“. Diese Putten sind stark durch den Dürerschen Kupferstich „Drei Genien mit Helm und Schild“ (B. 66) um 1507 beeinflußt. (Abb. z.B. in Klassiker der Kunst IV, 120.) Die Über- einstimmung geht am weitesten auf dem rechten Knaben der Erzplatte und dem linken des Kupferstichs. Für den anderen Knaben konnte das Dürersche Vorbild weniger in Betracht kommen, weil der kleine Genius dort in Rückansicht gegeben ist. (1) Die seitlichen Nischenfiguren der Breslauer Roth-Platte sind durch bestimmte Tat- sachen im Leben des Bischofs veranlaßt, vgl. Joseph Jungnitz, in Schlesiens Vorzeit {Jahrbuch des Schles. Museums) 1907, 83íf., ferner Alex. Mayer im Münchner Jahrbuch 1913, 271 ff., der den Einfluß des Meisters E. S. auf diese Figuren schlagend nachweist. Über Kramer vgl. meine Besprechung im laufenden Jahrgang dieser Zeitschrift.

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DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE |

Mit drei Abbildungen auf drei Tafeln Von ADOLF FEULNER

€90906000009000900909600000000600009000060000000060660€9600600900000000090000606060606000000000000*0000€09600090948090000000900000090009000000080000

ax Rooses hat in seinem Monumentalwerk L'oeuvre de Rubens!) das Altar- blatt beschrieben, wobei er sich hauptsüchlich an den schlechten Stich von Willem de Leeuw als Vorlage gehalten hat. Den künstlerischen Wert des Bildes zu beurteilen, erklärte er für unmöglich, da die Aufstellung im nördlichen Seiten- schiff der Liller Katharinenkirche, über der Türe zu einer Seitenkapelle, das Ori- ginal fast unsichtbar machte. Darüber gleitet er mit dem kurzen, apodiktischen Urteil hinweg, das auch zu sehr von der Qualität des Stiches diktiert zu sein scheint: La composition est un peu embrouillée et n'a rien de saisissant. Seitdem ist das Gemälde für die Wissenschaft so gut wie verschollen gewesen. E. Michel?) hat es wenigstens noch kurz erwühnt; sonst hat man es vergessen. In dem von Rosen- berg bearbeiteten Band der Klassiker der Kunst, auch in der französischen Über- setzung, sucht man es vergebens. In dem kritischen Katalog bei Wurzbach’) ist es nicht einmal mit dem stereotypen Vermerk „nicht von Rubens“, mit dem auch gute Werkstattbilder ausgezeichnet werden, zitiert. Nur die populäre Rubens- biographie von Verhaeren bringt eine Abbildung, die schóne Zeichnung zur Haupt- figur in der Albertina, allerdings mit einer zu allgemeinen Unterschrift. Daß es eine Studie zu dem Liller Bild ist, war Verhaeren nicht bekannt. Früher war das Urteil anders. Im 18. Jahrhundert war das Altarblatt eine berühmte Zierde der Stadt Lille. Im Guide des étrangers à Lille von 1772*) wird es mit Auszeich- nung genannt, und Deschamps 5) in seiner malerischen Reise durch Flandern widmet ihm folgende lobende Beschreibung: Le plus beau Tableau est placé au maitre- Autel; il est représenté le Martyre de Sainte Cathérine, au moment que le Bourreau va laie trancher la Téte: il est peint par Rubens. C'est une composition riche. La sainte est d'une grande beauté; d'autres Tétes sont aussi jolies; le Grand-Prétre au devant est d'un grand caractére et bien drapé: en bas est un Agneau et un petit Chien. Le Bourreau est sans action et ses jambes sont d'un dessein maniéré: ` mais tout est bien peint, bien colorié et d'un grand effet. Ce Tableau est don fait à cette Eglise par Messire Jean de Seur et sa femme Marie Patye: on le lit sur leur Epitaphe placé à la droite, contre le pilier qui conduit à la Sacristie.

Bei den Bergungsarbeiten vor der Apriloffensive dieses Jahres wurde auch das groBe Altarblatt gesichert und dann in einer gut belichteten Seitenkapelle der Kirche ausgestellt. Jetzt erst kam es zur vollen Wirkung, mit seinen Vorzügen und mit seinen Schwächen: ein ausgezeichnetes Werk der Rubenswerkstütte, von Rubens entworfen und nach der Untermalung durch Schülerhand übergangen; von besonderem Interesse auch deswegen, weil die Korrekturen und Ergünzungen des Meisters an manchen Stellen deutlich sichtbar geblieben sind. Die Abbildung, die

(1) M. Rooses, l'oeuvre de Rubens II. Anvers 1888, S. 235. Ebenda abgebildet der Stich von Leeuw, bez. P, P. Rub inv. und WDL f.

(2) Em. Michel. Rubens, sa vie, son oeuvre et son temps, Paris 1900.

(3) A. Wurzbach, Niederländisches Künstlerlexikon. Wien 1910.

(4) Guide des etrangers à Lille. Lille 1772, S.85. |

(s) J. B. Deschampa, Voyage pittoresque de la Flandre et du Brabant. Amsterdam 1772, S. 7.

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wir hier bringen, die erste brauchbare Photographie, die vom Bilde gemacht wurde, gibt für die folgende Beschreibung die Unterlagen.

Dargestellt ist das Martyrium der hL Katharina. Es sind drei Figuren, die auf dem Bilde mit Gebürden sprechen. Der heidnische Priester, eine schwere, massige, prunkvolle Gestalt, in heller, gelblicher Tunika mit blauen Schatten, goldgesticktem Rock mit roter Zeichnung, scharlachrotem Überwurf und graugestreiftem, weifiem Kopftuch. Mühsam mit der rechten Hand sich auf das Knie stützend, steigt er die Stufen hinauf und deutet mit eindringlicher Gebürde noch einmal auffordernd zum Standbild des schónen Gótterjiinglings Apoll, das im Hintergrund vor einem Rundtempel steht. Weiter oben die Heilige, die auf einem Kissen kniet, in reicher Tracht, im weinroten Gewand mit hellen Lichtern, dunkelkarminroten Schatten; über die sattgrünen Armel ist ein helles, gestreiftes Schultertuch gelegt. Gebeugt, fast gebrochen kniet sie da, das marmorbleiche, vergeistigte, hoheitsvolle Gesicht mit dem leisen Zug der Kälte, der Verachtung auf den blutleeren, bldulichen Lippen vom Gótzen weg auf den Beschauer gerichtet, mit entblóBtem Hals, gefesselten Hünden. Und oben auf den Stufen, vom Rücken gesehen, der Henker, ein Kerl wie ein Stier, mit zottiger, rotbrauner Máhne, struppigem Bart, kurzem Hals, Bergen von Muskeln. Der dunkle, gelbliche Kúrper ist in ein stahlblaues Tuch gehiillt, das über die Lenden und die linke Schulter geschlungen ist. Mit gespreizten FüBen steht er roh da, zu theatralisch, manieriert, greift schon ungeduldig nach dem entblößten Nacken der Heiligen und drängt die Gefährtinnen und Dienerinnen zurück, die jammernd die Herrin umgeben. Die eine, ein junges Mädchen mit röt- lichblondem Haar, vollem Gesicht, dessen obere Hälfte im Halbschatten ungemein weich hingesetzt ist, zieht das Brusttuch vom Hals zurück. Die andere mit regel- mäßigen Zügen von südlichem Schlag hebt die Last der Haare zur Seite. Die dritte, die vor der Herrin kniet, die blonde Flümin, die auf so vielen Gemälden Rubens erscheint, mit dunkelblauen Armeln, dunklem, olivgrünem Rock, ist damit beschüftigt, um die Augen der Mürtyrerin eine Binde zu legen. Die Nebenfiguren sind an der Handlung wenig beteiligt. Eine alte Dienerin, die Züge zu einer trauernden Grimasse verzogen, blickt von rückwärts herein. Links, neben dem Priester, stehen zwei Kriegsknechte, und rechts, im Hintergrunde, sind einige Zuschauer sichtbar. Vorne auf den hellen, grauen Stufen neben dem Opferbecken ein Widder, das Beil im Nacken, und das Beil eines Liktors. Ein Bologneser Hündchen springt tünzelnd zur Herrin empor. Inhaltlich bedeutsam sind wieder die Engel, die auf hellgrauen Wolken vor dem azurblauen Himmel schweben. Mit echt barocker Dramatik ist der Hóhepunkt der Handlung gegeben. Zum letzten Male fordert der Priester die Heilige auf, Apollo zu opfern, vergeblich reden die Gespielen, mit Trünen in den Augen, ihr zu, sie wendet ihr Angesicht vom Gótzen ab, und zum Zeichen, daB der Kampf in ihrem Innern entschieden ist, erscheinen die Engel mit dem Zeichen des siegreichen Martyriums. Der eine mit dem Kranz von weiBen und roten Rosen und der Siegespalme, der andere streut Rosen herab, wobei ihn ein Putto unterstützt.

Der Dramatik des Inhaltes entspricht die dramatische Zuspitzung der Form. Das Bild lebt in Kontrasten. Die strenge Anmut der Heiligen wird gesteigert durch die massigen Gestalten von Priester und Henker; die lebensvollen, bewegten Gesichter der Gespielen sind um die Herrin wie zu einem Kranz zusammengeballt, der die marmorkalte Erhabenheit ihres Ausdrucks hervorhebt. Das kleine Bolo- gneser Hündchen, das bettelnd lustig zur Herrin emporspringt, wird auf den pompósen, höfischen Szenen des Medicizyklus oder auf dem sinnlich - schwülen Münchener

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Susannabild als sachgemäßes Beiwerk empfunden; in diese Mürtyrerszene bringt es einen Zug von weltlicher Stimmung, der im bewuBten Gegensatz steht zum Ernst des Inhaltes. In Kontrasten lebt auch die Farbe. Das dunkle, beunruhigende Weinrot mit den warmen, kaminroten Reflexen und den dunklen Schatten im seidenglänzenden Kleid der Heiligen wird durch die Komplementärfarbe, das kalte, durch leichte Orangelichter angeglichene Grün im Armel, zu ungemeiner Leucht- kraft getrieben. Diese Leuchtkraft wird noch gesteigert durch das grünliche Stahl- blau im Lendentuch des Henkers, das wieder mit dem dunklen Gelb des Inkarnats sich zu einem vollen Akkord zusammenschlieBt, und durch das warme, dunkle Blau im Armel der Dienerin, das neben dem rótlichen Blond der Haare und des Inkarnates steht. Die Mittelgruppe ist so farbig zur intensivsten Wirkung gebracht. W/as sie an sich an Unruhe noch haben mochte, das wird durch eine weitere, kontrastvolle Harmonie im Vordergrunde ausgeglichen, die das Auge zuniichst auf sich zieht. Der scharlachrote Überwurf des Priesters hebt sich vom Weiß des Kopftuches und dem weiBlichen Gelb des Obergewandes leuchtend ab; das Gelb und Rot im Brokat der Tunika treten dazu. Diese flammende Note im Vorder- grund bringt Ruhe in das Bild. Mit hellen, kontrastvollen Akkorden in warmen Farben, wie mit Fanfarentónen, hebt so die farbige Harmonie im Vordergrunde an; sie steigt aufwürts, findet den Ausgleich in der ruhigeren Hauptgruppe und klingt aus auf der obersten Stufe in den kalten Farben des Henkers, der aber durch die Form, die übertriebene Modellierung des Aktes, am stürksten hervor- tritt Der figurale und der farbige Aufbau ergünzen sich. Die Komposition zeugt von tiefer Überlegung, von starker Berechnung. Ein Faktor bedingt den andern. Man spürt die Überlegenheit des Meisters, wenn auch die Ausführung zum größten Teil Schülerhünden überlassen blieb. |

Die weitgehende Mitarbeit von Schülerhand wird durch zwei Beobachtungen deutlich. Durch eine Reihe von schwüchlichen Stellen, verwaschenen Partien von mehr ängstlicher Pinselführung, die mit Rubens Meisterhand nichts zu tun haben können. Dann durch die Korrekturen, die von überlegener Hand nachträglich ausgeführt wurden, und zwar so, daB die alte Fassung für den Beschauer, der das Bild aus unmittelbarer Nšhe untersuchen kann, noch sichtbar geblieben ist. Gerade diese Reuezüge, oder richtiger gesagt Korrekturen, kinnen als Beweis da- für gelten, daß Rubens nicht nur den Entwurf geliefert hat, sondern daß er auch an der Ausführung Anteil genommen hat. Bei den Puttenköpfchen in der Engelgruppe mit der verblasenen, bläulichen Modellierung, bei der langweiligen Gruppe der Zuschauer im Hintergrund mit der schwüchlichen Farben- und Formen- gebung hat er sicher keinen Pinselstrich gemalt. Die alte Dienerin zwischen den beiden Mádchen mit dem karikierten, gepreBten, kummervollen Ausdruck erscheint wie eine nachträgliche Einfügung von Schülerhand, die der Komposition größere Geschlossenheit verleihen mußte. Für die ganze Hauptgruppe hat ursprünglich wohl ein farbiger Entwurf von Rubens vorgelegen. Eine Detailzeichnung für die Hauptfigur, die beweist, daß diese Gestalt Rubens intensiv beschäftigt hat, ist in der Albertina in Wien!) Die Haltung des Körpers mit den gebundenen Händen, die Wendung des Kopfes, das verkürzte Antlitz der Heiligen entspricht genau der Wiedergabe auf dem ausgeführten Altarblatt. Aber ein Unterschied besteht. Die

(1) Veröffentlicht in Schónbrunner-Meder: Handzeichnungen alter Meister aus der Albertina und anderen Sammlungen. Wien 1896, I, 19 und darnach bei Verhaeren Abb. 87, als Studie einer Ge- fesselten, ohne nähere Bestimmung,

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Ziige sind viel ausdrucksvoller, geistvoller, lebendiger. Die Augen sind nach oben gerichtet, zur Engelgruppe, während sie auf dem Gemälde den Beschauer an- blicken, wodurch die inhaltliche Geschlossenheit gestórt wird. Der Mund ist ge- schlossen, die Verkürzung der Wangen kommt viel besser zum Ausdruck. Die Zeichnung wurde also von Schülerhand in das Große übertragen und untermalt, und dabei ist in der Qualitát manches verloren gegangen. In der Ausführung scheint die Hauptfigur zum Teil eigenhündig, wenigstens in der Epidermis der Farbe. Der Auftrag des weiBlichgelben Inkarnats mit den bláulichen Schatten in der linken Wange und am Hals, den bláulichen Lippen, den kühnen, pastosen Zinnober- reflexen am Ohr und an der Nase ist sorgfältig und doch großzügig. Das Gesicht war ursprünglich ein wenig breiter, die linke Kontur wurde nachtrüglich zurück- gesetzt. Das Schultertuch ist ganz pastos mit wenigen Strichen aufgetragen; sehr weich gemalt ist die Hand der Geführtin, die auf der Schulter ruht.

Ganz deutlich sind die Korrekturen von Rubens eigener Hand in der Figur des Henkers. Die linke Schulter war früher tiefer. Die alten Konturen sind noch gut sichtbar. Der Schulteransatz ist mit einigen Strichen pastoser Lasur, unter denen das Blau des Himmels noch durchscheint, vergróBert, der Bausch des Tuches ist verstärkt. Der Oberarm war länger. Am Beginn des Ellenbogens ist ein ganzes Stück eingeschoben; früher ragte die obere Kontur der Muskeln wenig über die Schulter des stehenden Mädchens empor. Jetzt erscheint der Arm mehr verkürzt; früher griff er weiter herab, die Funktionen waren weniger deutlich; die Hand ist erst nachtrüglich sichtbar geworden.

Weitere Korrekturen sind am rechten Arm des Priesters gut erkennbar. Das pastose Weiß des Lichtes ist mit dem schwärzlichen Grau des Schattens nach- träglich aufgetragen, und zwar so, daß unter den schummerigen Strichen des Pinsels am Rande das Blau am Armel des knienden Müdchens sichtbar geblieben ist. Es sind schnelle Züge einer routinierten Hand, die sich der Wirkung jedes Striches bewuBt ist. Noch deutlicher ist eine dritte Korrektur. Der Kopf des Bologneser- Hündchens war früher mehr nach links gedreht. Das Hiindchen blickte zur Herrin empor. Die alten Umrisse sind durch das helle Grau der Stufen nur oberfláchlich verdeckt. Vielleicht war die Verkürzung zu unschón, nachtrüglich wurde das Köpfchen nach rechts verschoben. Jetzt bellt das Hündchen zum Henker hinauf. Wieder erscheint die gleiche schnelle, pastose Modellierung in WeiB und Schwarz mit etwas Gelb; die Farben sind ineinander mit ungemein sicherer Hand ver- arbeitet, mehr fertig gezeichnet. Weitere, weniger auffallende Beobachtungen lassen sich bei genauer Betrachtung des Bildes in unmittelbarer Nšhe noch mehr machen. Aus alledem geht mit Sicherheit hervor, daß Rubens selbst die Haupt- figuren, den Priester und die Heilige, in einzelnen Teilen übergangen hat. Auch am Kopf der knieenden Flamin und des stehenden Mädchens rechts neben der Heiligen, bei dem die dunkle Kontur des Gesichtes nachträglich verstärkt zu sein scheint, am Kopf und an der Schulter des Henkers, am vorderen Engel sowie an Teilen des Nebenwerkes, wie am Hündchen sind die Verbesserungen sichtbar. Dagegen scheinen der dunkle Kopf der links stehenden Gefährtin, mit der etwas schematischen Zeichnung des Gesichtes, den geraden bláulichen Schatten um die Nase, sowie die Figur des Henkers mit der etwas unfreien, übertriebenen Model- lierung, an der nachtrüglich die Verzeichnungen durch Rubens geändert werden muBten, in der Ausführung von Schülerhand fast ganz stehen geblieben zu sein. An den Figuren des Hintergrundes, der Architektur, den Putten sind nicht einmal Anderungen angebracht. Eines scheint demnach sicher: das Altarblatt darf nicht unter

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die Werkstattarbeiten schlechthin gerechnet werden, es ist ein wertvolles und zum Teil eigenhándiges Bild, ein gutes Beispiel aus der Blütezeit, der zweiten Periode, die die schünsten Altarblütter gebracht hat.

Die Datierung des Bildes ergibt sich aus direkten Quellen, wie aus dem Stil der Komposition. Die einzige Nachricht bietet der schon bei Deschamps erwühnte Grabstein in der Kirche St. Cathérine. Der Stein ist wahrscheinlich unter der neueren Vertüfelung im Chor erhalten; eine Abschrift der Inschrift ist an einem Pfeiler links vor dem Chor angebracht. Sie lautet: Cy devant reposent noble homme Jean de Seur conseiller de Leurs Altézes Sérénissimes Albert Archiduc d'Austriche etc. et Isabella Infante des Espaignes et commis ordinaire de leurs finances et dame Marie de Patyn sa femme, lesquels ont fondez l'office de l'Ange gardien qui se célébre en cette eglise le premier mercredy d'Octobre et ont donné aussy la table d'autel et peinture de St. Cathérine au choeur de cette église. Ledit Sr. décéda le 2 juin 1621 et laditte dame le 25 de janvier 1668. Die Rechnungs- kammer in Lille war eine wichtige Finanzbehürde im habsburgischen Flandern, und ein Rechnungsrat bei Erzherzog Albert und Isabella war eine bedeutende Persönlichkeit. Es ist klar, daB so ein einflufreicher Hofbeamter bei einer der- artigen Stiftung sich an den berühmtesten unter den Malern seines Landes wandte. Aus der Grabschrift geht nur hervor, daß der 1621 verstorbene Hofrat mit seiner Frau das Hochaltarblatt der Kirche geschenkt hat. Ob die Stiftung erst im Testa- ment enthalten war, oder ob das Bild schon vorher entstanden ist, wird nicht an- gegeben. Aber das Datum 1621 ist doch wichtig. Es bezeichnet den ungeführen Zeitpunkt der Entstehung; denn in die gleiche Zeit weisen auch die stilistischen Eigentümlichkeiten.

Die ganze Bildfläche ist angefüllt mit wenigen, mächtigen Gestalten, die auf einem kleinen Raum zusammengedrüngt sind. Die Gruppen sind aufgebaut in einem Zuge, der von links vorne in diagonaler Richtung nach rechts bildeinwárts läuft; aber der räumliche Aufbau ist von mehr nebensächlicher Bedeutung. Die rdumliche Tiefenwirkung ist nicht so ausschlaggebénd wie die Gruppicrung der pathetischen Figuren, die in kontrastvollen Gegenbewegungen einander gegenüber- gestellt sind. Die rhetorische Bewegung des Priesters, die drastische Pose des Henkers und die Wendung des Körpers der Heiligen ergänzen sich. Der Stufen- aufbau, der die Gestalten in rüumliche Zonen trennt, ist für die Gruppierung mit großem Geschick ausgenützt, spricht aber für die räumliche Wirkung nicht mit der Kraft mit, wie auf Gemälden der späten zwanziger Jahre. Auf solchen, wie der Anbetung Mariens durch Heilige von 1628 in der Augustinerkirche zu Ant- werpen kommt viel mehr der einheitliche Zug zur Wirkung, der Vordergrund und Mittelgrund verbindet; die Komposition ist lockerer, weniger kontrastvoll, aber viel lebendiger. Auf der Enthauptung der hl Katharina ist das räumliche Gerüst nicht recht klar entwickelt, das Podium, auf dem sich die Szene abspielt, ist nicht recht . Zu übersehen, der Standort der Figuren ist nicht deutlich zu überblicken; die Halb- figuren und die Kópfe der Zuschauer im Hintergrund dienen mehr zur Füllung der Fläche. Diese verkleinerten Zuschauer sind unvermittelt eingesetzt, wie die Köpfe im Hintergrund des coup de lance in Antwerpen von 1620. Es sind die stilisti- schen Eigentümlichkeiten der sogenannten zweiten Periode in Rubens Schaffen, die hier sichtbar werden, der Periode, die im Altarblatt die Anregungen rómischer Barockmalerei zu einer neuen Blüte im flämischen Geiste bringt. Der kompositio- nelle Zusammenhang mit Hauptwerken dieser Zeit, mit dem wunderbaren Fisch- fang in Mecheln (1619), der Kommunion des hl Franziskus in Antwerpen (1619),

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dem coup de lance ist ohne weiteres zu erkennen. Mit dem Triptychon in Mecheln hat die Enthauptung der hl. Katharina noch einige Eigentümlichkeiten gemeinsam. Der Kontrastfigur des Fischers im Vordergrunde, die mit den stark hervortretenden roten. Farben die Unruhe der übrigen Komposition meistert, kann man vergleichen mit der Figur des Priesters. Der zerzauste, struppige Kopf des Henkers ist fast eine Wiederholung des Apostels mit der Fischermütze, der Randfigur auf dem linken Flügel des Altarblattes. Wie die Hauptfigur von den Nebenfiguren eingefaBt wird, der Stufenaufbau, sogar die Haltung der Heiligen läßt sich vergleichen mit der Kommunion des hl. Franziskus. Noch ähnlicher ist ein bedeutendes Werk der Rubenswerkstätte, der ehemalige Altar im nahen St. Amand, das Martyrium des hl. Stephan in Valenciennes, das in die Zeit um 1623 zu setzen ist ). (Tafel 64.) Der diagonale Zug der Gruppe, der Stufenaufbau hier mit Terrainschichten, die Haltung des hl. Stephan mit dem verkürzten Antlitz, selbst Nebensüchlichkeiten wie die Köpfe der Zuschauer im Hintergrunde, der Rundtempel, die Engelgruppe, sind auf dem Mittelbild des Dreiflügelaltars ähnlich, alle Elemente der Komposition sind vorhanden. Nur zeigt die Ausführung noch mehr die Schülerhand als das Liller Bild, das nur in der warmen, auf Kontrasten aufgebauten Farbengebung, durch den lockeren Farbenauftrag etwas fortgeschrittener erscheint, das aber durch die pla- stische Formung sich noch ebenso stark entfernt von der flüssigeren Modellierung der späten zwanziger Jahre. Wir dürfen also das Jahr 1621 als das ungefähre Datum der Entstehung annehmen. |

Uber die Geschichte des Gemäldes ist wenig anzufügen. Es wurde als Hoch- altarblatt für die Katharinenkirche in Lille gemalt, in der es sich jetzt noch be- findet. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde es vorübergehend aus der Kirche entfernt und mit dem ganzen Vorrat von Bildern aus den Kirchen und den Hüusern der Emigranten, dem Grundstock des künftigen Liller Museums, im Kloster der Récollets in Lille aufgestellt. In dem Verzeichnis, das der Liller Maler Louis Watteau 1795 auf Befehl der Administration von dem ganzen Magazin zusammen- stellen mußte, hat es die Nummer 3282): Le martyr de Sainte Catherine, des femmes cherchent à la conserver et un grand prétre l'invite à sacrifier à Apollon, le boureau se dispose à lui couper la tete, le fond est une gloire; par P. P. Rubens. Ce tableau a été rentoilé et agrandi au bas d'environ six pouces, il.a été repeint à la figure d'Appollon, au reste le tableau est intact et en bon état. Haut de II pieds 3 pouces, large de 7 pieds 6 pouces. (= 3,64: 2,43 m). Die Angaben sind wichtig. Demnach hat schon vor der Revolution eine Rentoilierung und Restau- rierung stattgefunden. Die Maße stimmen mit den heutigen überein. Früher war das Bild breiter. An der rechten Seite fehlt ein Stück, das auf dem Stich von Leeuw noch zu sehen ist. Neben der Figur der Frau im Hintergrund erscheint noch der Kopf eines weiteren Zuschauers und die Halbfigur eines bürtigen Mannes; auch das Ende des Podestes und ein Stück des Terrains, hinter dem die Zuschauer stehen, ist sichtbar. Das Stück wurde also schon vor der Revolution abgenommen. Im Kloster der Récollets blieb das Bild nicht lange. Man verstand es Napoleon auf einer Durchreise durch Lille für die Sache zu interessieren, der bestimmte, daB das Bild auf dem Hochaltar wieder aufgestellt werden künne. 1804 wurde es

(1) Rooses II, S. 248. Katl. des Bergungsmuseums Valenciennes N. 311. Bestellt von Abt Dubois (1621—73), dem Erbauer der Klosterkirche. 1623 war Rubens als Gast des Abtes in St. Amand. Die Jahreszahl darf mit der Entstehungszeit des Altares in Zusammenhang gebracht werden.

(2) Jules Houdoy, Etudes artistiques. Paris 1877, S. 85.

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der Kirche anvertraut (confié), nicht zurückgegeben; das offizielle Eigentumsrecht des Museums wollte man also bestehen lassen. Im Chor der gotischen Kirche, die man 1727 barock stilisiert hatte, waren die Fenster des Chorschlusses zugesetzt. Das Licht konnte von den Seitenfenstern im Chorschlusse herein. Als nun 1893 die Kirche ihre neugotische Ausstattung erhielt, wurden auch die zugesetzten Fenster frei gemacht. Der Hochaltar kam dadurch direkt vor die Lichtquelle zu stehen und das Altarblatt wurde unsichtbar. Man muBte ihm einen neuen Platz geben; aber auch an seinem jetzigen Aufstellungsort leidet es sehr unter der schlechten Beleuchtung. 1893 wurde das Gemälde auch ausgebessert und mit einer neuen Leinwand unterspannt; eine Rentoilierung, eine Übertragung der Farbe fand nicht statt.

Im allgemeinen ist das Bild nicht sehr gut erhalten. Von neueren Über- malungen ist es zwar ziemlich verschont geblieben; nur am Apollo, an den Putten der Engelgruppe, an den Zuschauern und am Beiwerk sind deutliche Spuren spáterer Restaurierung. Aber ein Umstand ist ungünstig. Die alte Leinwand ist aus Stücken zusammengesetzt, die auseinanderspringen. Solche Náhte laufen durch an der Schulter des Apollo, längs herab bis zur Stufe, auf der der Widder liegt, dann rechts vom Henker über den Kopf der Zuschauerin hinweg. Quer durch an der ersten Stufe über die Nase des Widders und an der zweiten Stufe über den Augen des Widders. Auf unserer Abbildung sind sie gut zu erkennen. An diesen Nähten klafft die Leinwand auseinander, die Farbe fällt in kleinen Stücken ab. Eine gründliche, sorgfältige Restaurierung ist dringende Notwendigkeit ge- worden.

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NOCH EINMAL: KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE von ALBERT DRESDNER

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it Studien über die Entstehungsgeschichte der Kunstakademien beschüftigt, habe ich Otto Hirschmanns Aufsatz über Karel van Manders Haarlemer Akademie im 8. Hefte dieser Zeitschrift mit besonderem Interesse gelesen.

Die folgenden Hinweise dürften geeignet sein, zum Verstándnisse der von Hirsch- maun besprochenen Stelle in van Manders Biographie und damit auch zur rich- tigen Beurteilung des Charakters dieser „Akademie“ beizutragen.

Das Wort „Akademie“ wird in der italienischen Kunstliteratur in einem drei- fachen Sinne gebraucht.

I. Bedeutet es eine moderne Hochschule der Kunst, wie sie die seit der Renais- sance entstandene neue Künstlergesinnung forderte, um den Kunstunterricht dem handwerklichen Betriebe zu entziehen und zugleich dem Künstlerstande eine seinem erhóhten Selbstgefühle angepaBte neue soziale Vertretung zu geben.

Nur in diesem Sinne hat sich das Wort bis heute erhalten, da es an den seit dem 16. Jahrhundert entstandenen Kunstakademien haften und unzertrennlich mit ihnen verknüpft blieb. |

2. In Italien hat man aber noch lange, nachdem schon Kunstakademien in unserm Sinne ins Leben getreten waren, unter ,accademia“ auch jede Vereinigung von Künstlern und jede Veranstaltung verstanden, die dem gemeinsamen Modellstudium galten. So erzählt Baldinucci (Ausg. der Class. ital. 12, 279) in der Vita des Guercino: aperse un' accademia a posta per diseguare l'ignudo. In einem Briefe des Benedetto Luti vom 20. Dez. 1692 (bei Bottari-Ticozzi 2, 77) heiBt es: noi qua facciamo 1 accademia nel palazzo e certo mi creda che ne aviamo onore per aver buon modello man bemerke, daß das Renommee einer „accademia“ als von ihrem Modelle abhängig dargestellt wird. In diesem Sinne sind denn auch die „accademie che per tutta la cittä (Rom) continuamente in pubblico e in privato si fanno“ zu verstehen, die Baglione 242 erwähnt: es sind Vereinigungen zum Modellstudium teils in geschlossenen Kreisen (in privato), teils Aktkurse gegen Honorar unter Leitung eines angesehenen Meisters und vermutlich mit dessen Korrektur (in pubblico). Von amtlicher Seite ist in Rom erst unter Benedikt XIII. (1740—1758) eine Tageschule für Aktstudium eingerichtet worden (Missirini, Me- morie 240); daher war das Bedürfnis nach solchen accademie dort groß. Es be- schränkte sich aber nicht auf Rom; von Aniello Falcone berichtet de Dominicis (Ausg. Neapel 1844, III, 422): studiava continuamente il naturale, tenendo in casa sua l’ accademia del nudo und diese Ausgabe des gewiegten Fälschers darf man wohl getrost verwerten, da sie eine übliche Einrichtung des künstlerischen Lehr- ganges im Auge hat!). Die hier angeführten Stellen habe ich meinen Notizen ent- nommen; ihre Zahl ließe sich leicht vermehren. Ich verweise noch auf gleich- sinnige Äußerungen bei Passeri, Deutsche Ausgabe, S. 188, Baglione 241 und Baldi- nucci 12, 107. Wenn Pascoli 3, 531 von Giambattista Soria berichtet: tenne sempre aperta publica scuola con ispesse accademie, so hat „accademia“ hier geradezu die Bedeutung von „Modellsitzungen“.

(x) Für Genua s. Soprani, Vite 1,67. 2451 und Staglieno, Mem, e Docum. sull’ Ассай. Ligustica 11 f.; für Florenz: Boldinucci 8, 344; Bologna: Zanotti, Storia dell’ Ассай. Clement. di Bologna I, 6 ff.; Venedig: Battagia, Delle Accademie di Venezia 87.

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3. Endlich wird das Wort ,,accademia“ auch für die Aktstudie selbst gebraucht, wenigstens wendet es de Dominicis häufig in diesem Sinne an. So nennt er 4, 296 die accademie fatte da lui (Giacomo del Pó) sul naturale bellissime. Ebenso 4, 342; 452; 453 et passim. _

Es erhellt hieraus, daß der Verfasser der von Hirschmann besprochenen Notiz das Wort „accademia“, das er ja aus Italien übernahm, in einem dort ganz ge- bräuchlichen Sinne angewandt hat, und es liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß er durch den Gebrauch dieses Wortes die Vereinigung der drei niederländi- schen Künstler als etwas besonders Bedeutsames habe kennzeichnen wollen. Der damaligen Künstlerwelt klang die Bezeichnung „accademia“ nicht „noch viel ge- suchter und gewichtiger“ (Hirschmann, p. 214), sondern es wußten jedenfalls die Maler, die in Rom gewesen waren, was es heißen wollte, daß drei Maler „Akademie machten“. Es hieß eben nur, daß sie sich zu gemeinsamem Aktstudium zusammen- taten, wie das in Rom und anderwärts vielfach geschah. Das Mißverständnis der Stelle geht darauf zurück, daß diese Bedeutung des Wortes „accademia“ seither abgestorben ist; indem man die „Akademie“ des Karel van Mander im modernen Sinne verstand, wurde ihr eine Bedeutung beigelegt, die sie nicht hatte. Hirsch- manns Auffassung findet also von dieser Seite ihre volle Bestätigung.

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Anhangweise möchte ich daran erinnern, daß van Mander auch die „beinahe utopistisch-ideale* Auffassung, wonach es der Kunst unwürdig sei, sich direkt in den Dienst des Erwerbs zu stellen, gleichfalls aus Italien mitgebracht hat. Sie ist dort auf dem Boden der neuen Künstlergesinnung erwachsen, klingt schon bei Cennini (deutsche Ausg. von Ilg, Kap. 2, p. 5) und Ghiberti (Comm. II, c. 18; v. Schlosser I, 45) an, und ist dann über Alberti (de pict, ed. Janitschek p.98, 146) zu Lionardo zu verfolgen (Buch von d. Malerei, deutsch von Ludwig, p. 19, 20). Auch die Stelle іп Lomazzos Traktat I. p. 16, 17 ist hierbei zu beachten. In welcher Weise zu van Manders Zeit Guido Reni den grofen Herrn in Geldsachen spielte, ist bekannt; man vgl. etwa Baldinucci ro, 326. Ich darf auch auf meine ,,Ent- stehung der Kunstkritik“, 2. B. p. 68 und 83, hinweisen.

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Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 9 10 19 277

FINDLINGE ZUM THEMA: ,GOETHE UND DIE BILDENDE KUNST“ (Schluß.) Von v. CURT HABICHT

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2. Goethe und Palladio.

».. ein Nahme der mich so offt, der ich von jeher ein Todtfeind von Wortschillen gewesen bin, so oft geángstigt hat."

oethes leidenschaftliche Bewunderung Palladios ist bekannt. Zu den zwei

Menschen, denen er das Beiwort groß unbedingt geben will, gehört Palladio. Soll wirklich nur die Anlehnung Palladios an die Antike der Grund für diese auDerordentliche Einschátzung sein? Lassen sich aus Goethes eigenen Worten keine weiteren und tieferen Ursachen feststellen? Sollte die überquellende Dank- barkeit gegen den Künstler nicht doch noch mehr bedeuten als die Freude der Bestütigung der eigenen klassizistischen Ideen? Zur Lósung dieser und anderer Fragen verlohnt es sich wohl, zunáchst einmal an Goethes eigenen Worten festzustellen, was er eigentlich an Palladio bewundert hat, und die. Gründe aufzusuchen, warum ihm gerade Palladio so viel gewesen ist. Schließlich wäre das Fazit zu ziehen und auszumachen, welche Bedeutung Palladio in Goethes künstlerischen Anschauungen, aber auch in seinen dichterischen Schópfungen zuerkannt werden darf.

Schon ein flüchtiger Blick auf die AuBerungen Goethes kann nicht darüber täuschen, daB es keineswegs die ausgeführten Bauten Palladios allein gewesen sind, die Goethe zu so auffallender und fast einseitiger Bewunderung gezwungen haben. Gewiß werden die Werke Palladios gerühmt, Goethe „schwelgt“ in ihnen; er nennt die Basilika „еіп herrliches Werk“, die vier Säulen des ,,Palasts des Capitan sind unendlich schón", die Carita in Venedig ist ,seines himmlischen Genius wert“ usw. Zugleich wird man aber auch erkennen, daß er gerade den ausgeführten Bauten gegenüber mit Kritik nicht zurückhält, er hat bei der Be- trachtung der Rotonda „eintge untertánige Skrupel“, und sagt es selbst klar und deutlich: ,Ich habe an seinen ausgefiihrten Werken, besonders den Kirchen, manches tadelnswürdige gesehen. Solche Worte fallen vor den Werken Raffaels, den er doch allein neben Palladio stellt, nirgends. Ist es Palladios Verhältnis zur Antike, das den Hauptanziehungspunkt gegeben hat? Goethes Worte lassen auch hier keinen Zweifel aufkommen. Mit ruhiger Sachlichkeit wird die Tatsache: „Palladio war durchaus von der Existenz der Alten durchdrungen.“ vermerkt, und obwohl Goethe „die edlen Begriffe“ rühmt, erkennt er in der Gefolg- schaft der Antike allein noch kein Verdienst, ja er hält mit einem gewissen Tadel angesichts der Verschmelzung klassischer und zeitbedingter Ideen nicht zurück: „Ет suchte deshalb seine heiligen Gebäude der alten Tempelform zu nühern; daher entstanden gewisse Unschicklichkeiten ...“ Und wenn er spáter vermerkt: ,Denn von seiner Mühe, die er sich um die Werke der Alten ge- geben, hat man gar keinen Begriff," so erkennt Goethe doch auch klar, wieviel Palladio selbst dadurch gewonnen hat. Überschwänglich kann auch das Lob, das er Palladio für seine archáologischen Mühen in einem Briefe an C. v. Knebel (Rom, 17. November 1786) spendet, keineswegs genannt werden: ,Ich habe den Palladio, der zu seiner Zeit noch vieles ganzer sah, maß und mit seinem großen Verstand in Zeichnungen herstellte.“

Die Lösung des Rätsels bietet die Aufzeichnung im Tagebuch vom Oktober 1786: „Ich fühle nur auch jetzt, wie weit ich in diesen Kenntnissen zurück bin,

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doch es wird rücken, wenigstens weiß ich den Weg. Palladius hat mir ihn auch dazu und zu aller Kunstund Leben geöffnet.“ Goethe fühlt es selbst, daß diese Worte erstaunlich klingen und er fügt launig bei: „Es klingt das vielleicht ein wenig wunderlich, aber doch nicht so paradox, als wenn Jakob Bóhme bey Erblickung einer zinnernen Schüssel über das Universum erleuchtet wurde.“ Eine Erklarung der Tatsache bietet er damit nicht, und er verspricht sie erst für die Zeit nach seiner Rückkehr. ,Komm ich zurück und du bist mir hold, so sollst du auch meine Geheimnisse wissen.“ Es fragt sich für uns, ob wir den Schleier von diesem Geheimnis lüften und ob wir ausfindig machen kónnen, wodurch Palladio Goethe so unendlich gefördert hat, daß er bekennen konnte, dieser habe ihm zu aller Kunst und Leben den Weg geóffnet. Die Ergründung dieser Ursachen dürfte sich bei dem erstaunlichen Bekenntnis wohl lohnen. Es muß sich aufweisen lassen, daß Goethe durch Palladio eine Erleuchtung und Klärung seiner Ansichten erfahren hat, wie sonst kaum je im Leben. Dieser Nachweis kann sehr wohl erbracht werden. Was Goethe Palladio vor allem zu danken gehabt, welche Erkenntnisse dieser ihm erschlossen, und welchen Weg er gewiesen hat, das láBt sich deutlich aus dem Eintrage des Tagebuches vom September 1786 feststellen. Er lautet: „Außer einigem Fleiß an der Iphigenie, hab ich meine meiste Zeit auf den Palladio gewendet, und kann nicht davon kommen. Ein guter Geist trieb mich mit so viel Eifer, das Buch zu suchen das ich schon vor vier Jahren von Jagemann wollte verschrieben haben, der aber dafür die neueren herausgegebenen Werke kommen ließ. Und doch auch! Was hätten sie mich geholfen, wenn ich seine Gebäude nicht gesehen hätte? Ich sah in Verona und in Vicenz was ich mit meinen Augen ersehen konnte, in Padua fand ich erst das Buch, jetzt studier ich's und es fallen mir wie Schuppen von den Augen, der Nebel geht auseinander und ich er- kenne die Gegenstände.“ Mit größerer Deutlichkeit kann es kaum gesagt werden, daß Goethe vor allem durch die Schriften Palladios zur Klarheit und zur Einsicht in Dinge gelangt ist, die er lange vorher und vergeblich gesucht hat. Er, den es beunruhigte, nicht auf den Grund zu sehen; den Wortschälle, die weiter nichts sind, geradezu üngstigten; der die jedem Genius eigentümliche, fast physische Qual vor Unklarheiten besaß, „ег fühlte eine innere Art von Ver, Klärung sein selbst, ein Gefühl von freierem Leben, hóherer Existenz, Leichtigkeit und Grazie." Diese eine Stelle würde schon genügen, wenigstens den Grund der Bewunderung und des tiefen Schuld- und Dankgefühls Palladio gegenüber zu erklären. Weitere Äußerungen klären die Frage aber noch wesentlich. Goethe berichtet nicht nur eifrig von seinem Studium der Schriften Palladios, er ver- giBt auch fast nie, die Wirkung dieser Lektüre zu kennzeichnen. So Oktober 1786 (Tagebuch): „Nach Tische studirt ich wieder im Palladio, der mich sehr glück- lich macht...“ Eine Lektüre trockenster, wissenschaftlichster Art, die „sehr glück- lich macht“, muf) doch schon besondere, gesuchte Kenntnisse vermittelt haben. An einer anderen Stelle nennt er Palladio nicht ausdrücklich; es kann sich dabei aber nur um dessen Schriften handeln. Tagebuch, S. 267: ,,Mit der Baukunst geht es täglich besser. Wenn man ins Wasser kommt lernt man schwimmen. Ich habe mir nun auch die Ordnungen der Sáulen rational gemacht und kann das Warum meist schon angeben. Nun behalt ich auch die Maße und Verhältnisse die mir als bloß Gedüchtniswerk immer unbegreiflich und unbehaltbar blieben.“ Ich werde auf diese Stelle noch zurückkommen. Wie wohl er sich fühlt, klarer zu sehen und im wirklichen Begreifen natürlich durch Palladios Schriften

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vorwürtszukommen, lassen die Worte deutlich erkennen. Selbst Palladios Werke werden ihm durch die Lektüre der palladianischen Schriften erst recht verstünd- lich. Tagebuch, S. 269: ,,Dieses (nümlich wie er gedacht und wie er gearbeitet) wird mir immer klárer, je mehr ich seine Werke lese, oder vielmehr sehe wie er die Alten behandelt. Denn er macht wenig Worte sie sind aber alle gewichtig ...“ Daß es Goethe ernst ist mit diesem Studium, und daß er sich bescheiden als Lernender fühlt, drückt der Satz weiter unten an der gleichen Stelle aus: „Ich wil das alles noch besser fassen, wenn ich nur erst die untern Klassen durch- laufen habe." In Vincenza besucht er sogar den Baumeister und Architektur- theoretiker Scamozzi, der des Palladio Gebäude herausgegeben hat, und am liebsten hätte er sich von ihm gründlich unterrichten lassen (Tagebuch S. 221). Da die Zeit dazu nicht reicht, versenkt er sich ganz in Palladios Schriften. ,Ich habe heut nach seinen Wercken gezeichnet und will mir ihn recht herzlich eigen machen“ (Tagebuch S. 255). Daß es ihm dabei auch um ein tieferes Ver- stindnis der Alten zu tun war, versteht sich von selbst, und wieviel fast alles er dabei Palladio zu danken gehabt hat, verschweigt er nicht.

Es sind also die Lehren Palladios, die dieser in seinen Schriften!) niedergelegt hat und die Goethe so ungeheuer gefórdert und zu offen bekanntem Danke ver- pflichtet haben. Goethe muf danach aber ein ausgesprochenes Bedürfnis nach architektonischen Kenntnissen besessen haben und es vorher nicht haben be- friedigen kónnen. Es wird sich aus diesen Gründen verlohnen, Goethes Be- schüftigung mit Architekturlehren bis zur italienischen Reise nachzugehen und zu untersuchen, was Palladio Goethe bieten konnte. | In allerfrühester Jugend, nämlich bei dem Umbau des Vaterhauses am Hirsch- graben, zu dem der sechsjährige Knabe, als Maurergeselle verkleidet, den Grund- stein gelegt hatte, lernt Goethe das Bauhandwerk kennen. Und wenn Goethe in Dichtung und Wahrheit auch mehr Nachdruck auf die Schilderung der ,,iiber- raschenden und sonderbaren Epoche“ und der kindlichen Spiele und des Treibens legt, zu denen die neuen Verhältnisse Anlaß gaben, so darf man doch annehmen, daß der geweckte, frühreife Knabe auch damals schon, wenn auch mehr un- bewuBt, allerlei Erfahrungen, hauptsáchlich auf technisch-praktischem Gebiete, gesammelt hat. Früh duBert sich dann auch schon ein gewisser architektonischer Gestaltungstrieb, der für den Genius hóchst bezeichnenderweise vom Geometrie- unterricht seinen Ausgang nimmt. Wir werden spáter sehen, welch bedeutende Rolle gerade die mathematischen Kenntnisse in den architekturtheoretischen Schriften spielen, und daB sie dort geradezu als die Mutter der Architektur be- zeichnet werden. Goethe berichtet: „Ich hatte früh gelernt, mit Zirkel und Lineal umzugehen, indem ich den ganzen Unterricht, den man uns in der Geometrie erteilte, sogleich in das Tätige verwandte, und Pappenarbeiten konnten mich hóchlich beschüftigen. Doch blieb ich nicht bei geometrischen Kérpern, bei Küstchen und solchen Dingen stehen, sondern ersann mir artige Lustháuser, welche mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dächern ausgeschmückt wurden, wovon jedoch wenig zustande kam.“ Schon hier machen sich Einflüsse von architekturtheoretischen Schriften geltend. Denn nur in solchen, d. h. an den fast nie fehlenden Kupfern mit Grund und Aufrissen, konnte der Knabe eine Vorstellung von mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dáchern geschmückten Landhäusern gewinnen. Wenn er vielleicht auch Gelegenheit gehabt hat, in

(1) Vgl. die ausgezeichnete Veróffentlichung von C. Gurlitt: Bibliothek alter Meister der Baukunst. Bd. I: A. Palladio. Berlin 1914.

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Frankfurt und Umgegend Landhäuser mit Pilastern und Freitreppen zu sehen, so weist die Beschreibung der Bedachung doch deutlich auf südliche Bauten hin. Wir gehen also kaum fehl, wenn wir uns den Knaben seine Anregungen aus den italienischen Architekturwerken des Vaters holen denken. Handelt es sich hierbei aber immerhin noch um ein mehr spielerisches Schalten der Phantasie, so be- zeugt uns Goethe doch auch wieder selbst, daß er sich auch ernstlich mit architek- tonischem Zeichnen abgegeben hat. Die Stelle in Dichtung und Wahrheit lautet: »Der Legationsrat (Moritz) teilte seine Kenntnisse gern mit, war ein Freund der Mathematik, und weil diese in seinem gegenwürtigen Lebensgange gar nicht vor- kam, so machte er sich ein Vergnügen daraus, mir in diesen Kenntnissen weiter zu helfen. Dadurch ward ich in den Stand gesetzt, meine architektonischen Risse genauer als bisher auszuarbeiten und den Unterricht eines Zeichen- meisters, der uns jetzt auch täglich eine Stunde beschäftigte, besser zu nutzen.“ Die Stelle ist auBerordentlich aufschlufreich, zeigt sie doch einmal, daB sich der junge Goethe schon früh mit architektonischen Rissen, d. h. mit architekto- nischen Entwürfen, abgegeben haben muß, und ferner wieder die hohe Bedeutung der Mathematik für das künstlerische Empfinden. Denn wenn man die Hilfe dieser Wissenschaft bei der Beschäftigung mit der Architektur noch verstánd- lich findet, so mutet sie uns heute als Fórderin der Zeichenkunst seltsam an. Und doch spiegelt sich hierin nur eine Anschauung wieder, die Goethe in allen architekturtheoretischen Schriften entgegentrat. Es wird nun Zeit, daB wir uns kurz über das Wesen und die Bedeutung der mehrfach erwáhnten architektur- theoretischen Schriften selbst Klarheit verschaffen. Der Gedanke, ,,Handbücher der Architektur" zu verfassen, stammt aus der Antike. Von den uns erhaltenen Werken ist das bekannteste das des Vitruv, das seit der Renaissance auch das a und o der architekturtheoretischen Schriften geblieben ist. Die Italiener!) haben diese Ideen seit Ghiberti wieder aufgegriffen. Übersetzungen des Vitruv und solche der italienischen Theoretiker bilden die ersten deutschen und franzó- sischen architekturtheoretischen Schriften. Eigentlich erst vom 17. Jahrhundert ab entstehen eigene Arbeiten auch in Deutschland. Das Ende des Jahrhunderts sieht bereits eine sehr umfangreiche Literatur dieser Art, und im 18. Jahrhundert ent- stehen ‘dann zahllose architekturtheoretische Werke, die immer selbstündiger eigene Gedanken mit Rücksicht auf die heimischen Verháltnisse und Bediirf- nisse entwickeln. Es kommt dazu, daß es geradezu zur allgemeinen Bildung gehörte, in architektonischen Fragen Bescheid zu wissen; ein Drang der Zeit, dem die architekturtheoretischen Schriften selbst wieder in weitgehendem MaBe gerecht zu werden versuchen. Wir werden sehen, daß Goethe sich mit Werken wie denen Laugiers, Blondels, die er ausdrücklich nennt, abgegeben hat, andere sind ihm sicher auch zu Gesicht gekommen. Bei aller, oft nicht unerheblichen Verschiedenheit dieser architekturtheoretischen Schriften eint sie im wesentlichen doch das Streben, über das W'esen und den Ursprung der Künste Klarheit zu verschaffen, Regeln für die Architektur aufzustellen, die nach dem Dreigestirn: Stürke, Schónheit und Bequemlichkeit befolgt werden sollen und den jungen Architekten Anweisung zur Entwerfung von Grund- und Aufrissen, hinsichtlich des Bauhandwerks, der Kostenanschlüge, kurz der eigentlichen Bauführung zu geben. Aus der ungeheuren Fülld der architekturtheoretischen Schriften ist Goethe eine verhältnismäßig kleine Zahl, und zwar nicht einmal eine sehr ge-

(1) Vgl. Otto Stein: Die Architekturtheoretiker der italienischen Renaissance (Karlsruher Dissert). Karlsruhe 1914.

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wühlter Art, bekannt geworden. Nach dem Bibliothekskatalog!) des Herrn Rat befanden sich in dessen Besitz die Schriften des Abbé Laugier, und zwar т. Ob- servations sur l'architecture, Haag 1765, und 2. Neue Anmerkungen über die Baukunst, Leipzig 1768. Ferner kommen noch „diverse Zeichnungen von Künstlern und Bauprofessionisten“ (Nr. g des Kataloges) und „Sammlung verschiedener Pro- spekte von Städten, in großen Platten (Nr. 13)“ in Betracht. Goethe selbst hat außer später erschienenen architekturtheoretischen Schriften das Werk von Francois Blondel: Cours d'architecture, Paris 1675, besessen?) Es sind also die Schriften Laugiers und Blondels, die ihm im wesentlichen zur Orientierung gedient haben. Die Beschäftigung gerade mit diesen Theoretikern erklärt allerlei. Als das wichtigste sei vorweggenommen: die Betonung der Antike und der Hin- weis auf Palladio. Die Schriften Laugiers, auf die Goethe ja bekanntlich schon in seinem Dithyrambus auf Erwin v. Steinbach eingeht, muß Goethe schon früh kennen gelernt haben Laugiers?) Standpunkt ist der eines krassen Klassizisten, der, den Spuren M. de Cordemoys folgend, dem Rokoko den Todesstoß zu versetzen sucht. Seine Lehren selbst bieten im übrigen die gewöhnlichen An- weisungen für Grund- und Aufriß entwürfe, die Sdulenordnungen usw. Der Haupt- nachteil besteht im Fehlen von Kupfern, die die Lehren überhaupt erst verständlich machen. Der Schrift „Observations. sind überhaupt keine Tafeln beigegeben und den „Neuen Anmerkungen .. sechs unzulängliche, von denen fünf den Theaterbau und eine in kleinen Grundrissen den Kirchenbau behandeln. Mögen Goethe auch bei der Abfassung seiner Schrift über das Straßburger Münster vor allem Eindrücke von Herders „viertem Wäldchen“ vorgeschwebt haben‘), so beweist die scharfe Stellungnahme gegen Laugier, wie stark sich Goethe mit dessen Anschauungen abgegeben haben muß. Im Grunde genommen gehen die Ansichten über gotische Bauwerke nur hinsichtlich der „Zierraten“, die Laugier verwirft, auseinander. Ja, eine Beschreibung wie die Laugiers von Notre-Dame in Paris erinnert stellenweise auffällig an Goethes Worte. Z. B. „inzwischen sind bey dem ersten Anblick, durch den Umfang, durch die Höhe, durch die geheimen Aus- und Eingänge von diesem weitläuftigen Schiffe, meine Blicke angehalten, meine Einbildung gerühret worden. Ich bin genöthiget einige Augenblicke der Bestürzung Raum zu lassen, welche alles das Majestätische zugleich in mir erreget ). f

Ehe ‘wir zu einer Kennzeichnung von Blondels Werk, das Goethe auch benutzt hat, übergehen, seien Goethes weitere AuBerungen über seine Beschiftigung mit der Architektur zunáchst mitgeteilt.

In Leipzig bescháftigt er sich nach einer Briefstelle gleichfalls mit Architektur- zeichnen. Ja, es scheint ihn immer wieder dazu zu drüngen, anstatt des freien Zeichnens sich auf diesem Gebiete zu betätigen. So teilt er Oeser mit: „Es will gar nicht mit mir fort, Herr Professor, und ich weiB vor der Hand nichts anderes, als das Lineal zu ergreifen, und zu sehen, wie weit ich mit dieser Stütze

r) Für den Auszug aus dem Katalog statte ich Herrn Prof. Dr. Heuer, Frankfurt, meinen

ergebensten Dank ab.

(a) Nach gütiger Mitteilung der Verwaltung des Goethe-Nationalmuseums Weimar, für die ich hiermit ergebenst danke.

(s) Vgl. K. Cassirer: Die ásthetischen Hauptbegriffe der franzósischen Architekturtheore- tiker von 1650—1780 (Berliner Diss.) Berlin 1909, S. 26ff.

(4) Worauf Volbehr: a. a. O., S. 112 ff., hinweist.

(s) Laugiér: Versuch in der Baukunst ... Leipzig 1758, S. 147ff.

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in der Baukunst und in aer Perspektive kommen kann.“ Seıbst wenn man die Beschäftigung mit der Architektur als eine Modelaune der Zeit ansieht, berührt dieser Bericht Goethes an seinen Lehrer Oeser doch seltsam. Man hat das Ge- fiihl, daB es sich um eine erstrebenswerte Seite der Ausbildung handelt wozu sonst der Bericht? und dab sich Goethe ernstlich um die Erreichung eines Zieles bemüht hat. Es

Als er von Leipzig nach Frankfurt zurückgekehrt ist, sucht er seine Kenntnisse durch Verbesserungsvorschlüge, mit denen er bei dem alten Rate aber wenig Glück hatte, an den Mann zu bringen. Dichtung und Wahrheit, II/o S. 228: „So hatte ich von der Baukunst, der Einrichtung und Verzierung der Háuser eine allgemeine Vorstellung gewonnen...“ Diese Worte dürfen uns gewichtigef erscheinen als die Sache selbst es handelte sich um Änderungen der Treppenanlage —, da sie gewissermaßen eine Bestätigung des an Oeser gerichteten Berichtes bilden und zugleich auch das Erreichen einer gewissen Stufe erkennen lassen. Sie muten beinahe wie ein Selbstzeugnis von fachmännischen Kenntnissen an. Und daß sich Goethe um solche bemüht hat und sie zu besitzen glaubte, diese Tatsache genügt für den Gang unserer Untersuchung vollkommen.

Die Rezension von J. G. Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Leipzig 1771 ff., in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen (Nr. 12 11./II. 1772, S. 89 bis 94) stammt zwar von Merck; das Buch war Goethe aber auch bekannt. AuDer grauen Theorien war auch da hinsichtlich der Architektur nichts zu holen und eine tiefergehende Belehrung schon des Fehlens von brauchbaren Kupfern wegen unmáglich.

Auch in Weimar verlaBt Goethé die Liebe zur Baukunst nicht ,,viele Liebe zur Baukunst" vermerkt das Tagebuch und zur Sammlung, ,um noch ab- gezogener zu werden“, nimmt er sich eines der bekanntesten, franzósischen archi- tekturtheoretischen Werke, námlich Blondel: Cours d'architecture, Paris 1675, vor. Blondels Werk konnte gewiß nicht dazu dienen, Goethes Streben, in architekto- nischen Fragen Klarheit zu erhalten, zu befriedigen. Das Buch ist unklar und unverständlich geschrieben, Schumann!) nennt es geradezu „ein wüstes Sammel- surium zusammengestellter und verglichener Ansichten* und erklärt, ,,sein Stu- dium ist eine wahre Qual“. Mit größter Breite werden die Anschauungen Vitruvs, Vignolas, Scamozzis und Palladios hinsichtlich der Säulenordnung und Einzel- heiten, wie Säulenabstände, Fenster, Bögen usw., vorgetragen. Ein Eingehen auf die Hauptsache, auf die Konstruktion von Grund- und Aufrissen kirchlicher und weltlicher Bauten ist nirgends zu finden. Die Kupfertafeln verdeutlichen zwar die behandelten Gegenstände, wie Säulenordnungen, Gebälk, Türen usw., gut, lassen aber, der Anlage des Textes entsprechend, klar durchgezeichnete Gesamtkonstruktionen von Gebäuden in Grund- und Aufrissen, Perspektiven, Durchschnitten usw. sehr vermissen. Jedenfalls reichen die Ausführungen in keiner Weise aus, einen nach Belehrung Suchenden ausreichend zu unterrichten. Nicht einmal einen dilettan- tischen Liebhaber, viel weniger einen um brauchbare Kenntnisse bemühten Fach- mann und als solcher suchte Goethe durchaus zur Klarheit zu kommen konnten die Ausführungen Blondels zum Ziele führen. An Goethes Streben von Jugend auf, sich gediegene Kenntnisse zu erwerben, hat es gewiß wie wir gesehen haben nicht gefehlt. Ja, von diesem fachmännischen Standpunkt aus, der ohne seine Schuld und durch eine merkwürdige Fügung unzulänglich be-

(1) Vgl. Paul Schumann: Barock und Rokoko. Leipzig 188s, S. 6. 283

lehrt und vertieft worden war, und erst in zweiter Linie vom historischen sah er dann endlich in Italien die Werke der Baukunst, vertiefte er sich in die Schópfungen Palladios und gab er sich lernend und bewundernd vor allem schlieBlich den Architekturideen Palladios hin.

Wir haben die Gründe kennengelernt, die ihn veranlaßten, gerade, und zwar vergeblich, nach den Schriften Palladios zu forschen und kónnen uns vorstellen, mit welcher Freude und mit welchem Eifer er sich nun den Gedankengángen Palladios anvertraut, als es ihm endlich gelungen ist, dessen Werke zu erhalten. Bei der fast einzigartigen Bedeutung dieser Schriften für Goethes Denken dürfte es angebracht sein, kurz auf den Inhalt derselben einzugehen!) Eia gründliches Studium der Ahtike in Rom und eine klare Auffassungsgabe des Wesentlichen bestimmen den Charakter der Ausführungen Palladios. Als Feind vieler Worte faBt er sich kurz und stellt seine Gedanken klar hin. Der Kern seiner ásthetischen Grundanschauung geht zwar auf L. B. Alberti zurück und spricht eigentlich Selbst- verstündliches, aber mit eindringlicher Schlichtheit aus. Er will die architekto- nische Schópfung als ein lebendiges Ganze angesehen wissen, bei dem alle Teile als notwendig und darum als schón erscheinen sollen. Die Hauptwirkung sucht er im Gegensatz zu seinen Vorgüngern in praktischen Bedürfnissen entsprechenden klar und sauber durchdachten und gezeichneten Grund- und Aufrissen, wie er überhaupt mehr durch Anschauung wirken Will, und das gründliche, verstündnis- volle Studium guter Schópfungen ausgeführter und gezeichneter als den Hauptweg zu einem vollen Verstündnis der Architektur empfiehlt. Hierdurch kam er aber gerade dem Suchen Goethes entgegen, den die theoretischen, un- anschaulichen Ideen Laugiers und die dunklen, unverstündlichen Ausführungen Blondels naturgemäß nicht hatten befriedigen können. Nun, da er die schlicht und klar vorgetragenen Ideen Palladios zugleich in aufschluDreichen Zeichnungen studieren konnte, mußte es ihm allerdings „wie Schuppen von den Augen fallen“. Jetzt verstehen wir auch all die oben angeführten ÁuDerungen Goethes. Endlich und man meint, es sei ihm absichtlich verwehrt gewesen, früher zur Klarheit zu kommen kam er dem Kern der Dinge näher. Palladios Zeichnungen mußten wie Offenbarungen wirken, denn hier ließ sich in einfacher Weise die ganze Theorie, all „die Wortschälle, die ihn geängstigt hatten“, mit einem Blicke esen). Goethe hätte das lang Gesuchte allerdings viel einfacher und in zeitge- müBerem Gewande bei deutschen Architekturtheoretikern, etwa bei L. Chr. Sturm?) finden kónnen; allein darüber haben wir nicht zu rechten. Die Folgen daraus, daB ihm ,der Weg zu aller Kunst und Leben“ gerade durch Palladio geóffnet wurde, mußten sich allerdings in höchstem Maße geltend machen. Nur von hier aus ist Goethes klassizistischer Standpunkt, den er ein Leben lang gewahrt hat, verständlich und bedenkt man die ungelohnte Mühe des früheren Suchens und die Erleichterung und Erleuchtung durch das Studium der palladianischen

1) Vgl. O. Stein: a. a. O., S. 52 ff. und S. 116 ff. und C. Gurlitt: Bibliothek alter Meister der Baukunst, a. a. O.

(2) Wie beglückt er über die ihm endlich gewordene Erleuchtung ist und wie hoch er sie einschätzt, geht auch aus dem Briefe vom 3. November 1786 aus Rom an den Herzog Karl August hervor, dem er u.a. schreibt, daß man die Werke Palladios „alle haben muB“ (Briefe Bd.8 S. 41). \ 1 | (3) Über Sturm vgl. V.C. Habicht: Die deutschen cnica des 17. Und 18. Jahrhunderts. III. Kapitel: L. Chr. Sturm und N. Goldmann. Zeitschr. für Architektur und Ingenieurwesen. Jahrgang 1917. Heft 5.

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Schriften auch berechtigt. Das schwer errungene und einmal erreichte Gut konnte und durfte nicht mehr leichthin preisgegeben werden. Dazu war die Erkenntnis zu spät gekommen und von zu tiefer Wirkung. Der Einfluß aber gerade der schlichten und verstandesklaren, antikischen Denkungsweise Palladios hat der Iphigenie, dem Tasso, den venezianischen Epigrammen, Hermann und Dorothea, um nur das Wichtigste zu nennen, die tempelreine Form verliehen, die sie in der Tat besitzen. Das ist ebenso gewiß als es unvernünftig ist, dies Gewand, das mehr als ein solches bedeutet, zu bedauern oder gar zu tadelri.

3. Der Faust und die bildende Kunst. ,Am farbigen Abglanz haben wir das Leben."

Den Eindrücken der bildenden Kunst auf das dichterische Schaffen Goethes ist man am frühsten und gründlichsten an seinem Meister- und Lebenswerk nachgegangen. Die einzigartige Stellung der Schópfung und Goethes eigenes Bekenntnis, daß ihm die bildende Kunst gerade beim Faust von großem Nutzen gewesen sei, mögen die Hauptgründe dafür gewesen sein. Storck!) hat die Er- gebnisse der Forschung in einem dankenswerten Büchlein zusammengefaßt. Eine Vorlesung über das Thema hat mich erkennen lassen, daß aber manches noch übersehen worden ist, und daß der Anteil der bildenden Kunst ein noch größerer ist, als Storck geglaubt hat. Auf einen Punkt möchte ich vor der Mitteilung dieser Beobachtungen aber noch besonders hinweisen, das ist die gleichfalls seither . noch nicht recht gewürdigte Art der Verwertung der Eindrücke von seiten der bildenden Kunst gerade im Faust. Die wirksamste Hilfe muBte die bildende Kunst naturgemáB bei der Konzeption der Umgebung, in die die Personen handelnd hineingestellt werden sollten, bieten. Wir bewundern die tiefgehende Ein- fühlungsgabe, mit der Goethe die der betreffenden Szene, ja der Stimmung und dem Handeln der Personen genau entsprechende Umwelt zu Schildern verstanden hat. Es gab zwei Móglichkeiten, die dabei auftauchenden Vorstellungen aus dem Reiche der bildenden Kunst zu verwerten, nümlich entweder in breit angelegten Bühnenanweisungen oder in Wortmalereien, die den handelnden Personen in den Mund gelegt werden. Goethe hat den letzteren Weg gewählt, ja, die Bühnen- anweisungen so lakonisch wie móglich gehalten. Damit war viel gewonnen. Zunächst die Möglichkeit, mit Worten schwelgerisch zu zeichnen und einem Drange Genüge zu tun, der in der bildenden Kunst Goethe trotz aller Versuche verwehrt gewesen war und der in den Bühnenanweisungen schwülstig und ver- hallend geklungen hätte. Zugleich war damit aber auch die Selbständigkeit den Bildeindrücken gegenüber gewahrt. Denn so gewiß für das Studierzimmer Fausts Rembrandts Faustradierung und Niederländer wie Thomas Wyck Pate gestanden haben, so persönlich und selbstschöpferisch bleiben doch die plasti- schen, stimmungsreichen Schilderungen dieser Gelehrtenstube, die Goethe Faust selbst in den Mund gelegt hat. Wieviel die Unabhängigkeit der Dichtung von allen Bühnenverhältnissen damit gewonnen hat, braucht nicht erst betont zu werden. Daß das Werk nicht zum wenigsten auch hierdurch zum Gemeingut der Deutschen geworden ist, darf man wohl aber mit Recht aussprechen.

Ich habe im folgenden auch einige Stellen des Gedichtes gebracht, die An- regungen von seiten der bildenden Kunst deutlich erkennen lassen, ohne daß

(1) Vgl. WW. F. Storck: a. a. O. 285

es der Art der Abfassung der Verse wegen móglich ist, das bestimmte Vorbild der bildenden Kunst zu nennen und habe es getan, weil es ja wohl nicht in erster Linie darauf ankommt, in philistróser Weise Goethe die Herkunft einer Vorstellung nachzuweisen, als vielmehr den weitgehenden und reichen EinfluB der bildenden Kunst überhaupt aufzuzeigen. Gerade der schópferischen und selb- standigen Verarbeitung der Bildeindrücke wegen würde man zahlreiche, auf- schluBreiche Beziehungen auBer acht lassen, wenn man nur die gelten lassen wollte, die sich mathematisch genau decken.

Wie alles sich zum Ganzen webt!

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen Und sich die goldnen Eimer reichen.

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen, Harmonisch all’ das All durchklingen!

Es gehórt kein besonders tiefes Eindringen in die mittelalterliche Kunst dazu, um in diesen Versen das Nachklingen kirchlicher Bildvorstellungen zu fühlen !). Die auf- und niedersteigenden Himmelskräfte lassen einen sofort an die zahl- losen schwebenden Engelscharen der Werke der Malerei und Plastik denken. Dieser Eindruck wird noch bestárkt durch die Kennzeichnung, die die ,Schwin- gen“ hervorrufen und durch den nochmaligen Hinweis auf Gestalten, die zwischen Himmel und Erde schweben. Eine eigentümliche Bestátigung für dieses Emp- finden bieten die Worte Schubrings?), der die Gestalten der Engel und Heiligen, die sich in den Aufbauten „Gestänge“ sagt Schubring wenig glücklich der Schnitzaltáre spátgotischer Zeit befinden, geradezu mit den obigen Goethe- schen Worten ohne sie ausdrücklich als solche zu kennzeichnen schildert. Ich kann mich nun nicht erinnern, diese Heiligen oder Engel, die ihre Attribute tragen bzw. musizieren, anbeten usw., in Schnitzaltüren mit Gegenstünden aus- gestattet gesehen zu haben, die an ,,goldne Eimer“ erinnern. Wegen der ,Schwin- gen“ kommen überhaupt nur Engelsgestalten in Betracht und diese erscheinen, allerdings in einer anderen Szene und an einem anderen Orte mit Gegenstánden, die an die Goetheschen Worte stark anklingen. Ich meine die das Blut Christi auffangenden Engel, die in den meist gemalten Kreuzigungsdarstellungen um den Heiland schweben und mit goldenen Kelchen ausgestattet sind. Die Auslósung der Verse durch diese Bilddarstellungen ist gewiB. Wir vermissen in ihnen allerdings die so merkwürdige Beigabe der Eimer. Man versteht aber leicht, warum Goethe die wirklichen Attribute: Kelche oder Schalen in seinen Versen nicht verwenden konnte. Durch die Beibehaltung der Kelche oder Schalen wáre eine Vorstellung erweckt worden, die an Trinkgelage erinnert, und das mußte natürlich vermieden werden. Kreuzigungsdarstellungen mit auf- und nieder-

hwebenden Engeln finden sich in der christlichen Kunst zu háufig, als daB es bei der allgemeinen Fassung der Verse möglich wäre, das Vorbild zu nennen.

Die Anregungen, die Goethe durch die Darstellungen der mittelalterlichen Kunst der Hólle empfangen und in der SchluBszene des zweiten Teiles des Faust verwertet hat, sind bekannt. Zweifellos haben ihm ähnliche Vor- stellungen auch an einer früheren Stelle vorgeschwebt. Ich meine die Worte, die Faust in dem Monologe vor dem Selbstmordversuche spricht:

(1) Über die literarischen Einflüsse vgl. G. Witkowski: Goethes Faust. II. Leipzig 1913, S. 205. Vgl. P. Schubring: Der gotische Schnitzaltar. Die Kunst, Juniheft 1917, S. 333.

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Vor jener dunklen Hóhle nicht zu beben,

In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt, Nach jenem Durchgang hinzustreben,

Um dessen Mund die ganze Hölle flammt.

Namentlich die letzte Zeile verwertet das Motiv des „Höllenrachens“, wie ihn die bildende Kunst dargestellt hat, ganz offensichtlich. Die Anregung ist um so deutlicher, als Goethe selbst eine Kritik dieser Auffassung, die sich völlig mit der seinigen über Märtyrer- usw. Darstellungen deckt, vorausschickt. Dehio !), der zum ersten Male die Einflüsse der Fresken des Campo santo zu Pisa zusammen- fassend klargestellt hat, meint, daB Goethe eben nur diese Höllenrachendarstellung bekanntgéworden sei Mag auch die Anregung, für die SchluBszene im zweiten Teil des Faust gewiB auf das Fresko in Pisa zurückgehen, so zeigt die oben angeführte Stelle des ersten Teiles, аай Goethe auch andere mittelalterliche Hóllen- darstellungen vertraut gewesen sein müssen. Welches bestimmte Werk Goethe hier vorgeschwebt hat, ist bei dem Wortlaut der Verse und dem Fehlen weiterer Kennzeichnungen allerdings nicht auszumachen.

Unbeachtet ist seither auch die wundervolle Beschreibung der Schale geblieben, die Faust, mit dem Gifte gefüllt. an den Mund führt. Und doch zeigt sie gerade die feine Beobachtungsgabe Goethes auch kunstgewerblicher Gegenstände, ja, verrät einen Sammlersinn, wie er sich ja deutlich genug in den jetzt so eindrucks- voll aufgestellten Schätzen seines Hauses zu erkennen gibt.

Nun komm herab, kristallne reine Schale! Hervor aus deinem alten Futterale

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Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,

Erinnert mich an manche Jugendnacht.

Wir haben eine deutliche Beschreibung eines der reichen, geschliffenen Prunk- glšser vor uns, wie sie das 18. Jahrhundert so sehr liebte und dank der regen Nachfrage zu erlesenen Schópfungen des Kunstgewerbes zu gestalten wubte. Über die persónlichen. Gedanken Goethes zur freien Kunst wird sein intimes und verständnisvolles Verhältnis zur angewandten Kunst nur zu oft und zu leicht vergessen. Gerade diese feinen, kleinen Züge bereichern unsere Vorstellung von Goethes Stellung zur bildenden Kunst und eignen sich vor allem dazu, das schiefe Bild des in den Idealen der Antike allein wurzelnden Olympiers zu be- richtigen. Gleich die zunüchst zu besprechenden Verse sind in ganz áhnlichem Geiste gehalten und zeugen wie die obigen für Goethes keineswegs „kühle“ Beobachtungsgabe aller Zweige der Kunst 'und ihrer Nachbargebiete.

Zweimal gebraucht Goethe Bilder, die der Tatigkeit des Webers entlehnt sind. Fallen diese Anregungen auch nicht eigentlich in das Gebiet der bildenden Kunst, so dürfen sie in diesem Zusammenhange bei dem immer wieder zutage tretenden Streben Goethes, vor allem auch das Handwerkliche der Künste kennen zu lernen, namhaft gemacht werden)).

(1) Vgl. G. Dehio: Altitalienische Gemälde als Quelle zum Faust (Goethe-Jahrbuch, Bd. 7), wieder abgedruckt in: Kunsthistorische Aufsátze, München 1914, S. 221 ff.

(a4) Es ist seltsam, daB einer unserer begabtesten Kriegsdichter, der mit Recht rasch an- erkannte Arbeiterdichter H. Lersch, ganz ähnliche Bilder gebraucht. Sollten sie Nach-

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So schaff’ ich am sausenden Webstuhi der Zeit Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid. und: Zwar ist's mit der Gedankenfabrik Wie mit einem Webermeisterstück, Wo ein Tritt tausend Füden regt, Die Schifflein herüber, hinüber schieBen, Die Fäden ungesehen fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.

Mag in den offiziellen Äußerungen Goethes über die freien Künste, namentlich in denen aus späterer Zeit, auch wenig von diesem innigen Verhältnis selbst zu den schlichtesten Künsten zu spüren sein, den Dichtungen sind diese Beobach- tungen, die von des Knaben Interesse für Dinge wie Nothnagels Tapetenfabri- kationen über die technischen Studien in den römischen Künstlerkreisen ein ganzes langes Leben anhalten, zugute gekommen. Und auf diese lebendige Verarbeitung kommt es ja schließlich weit mehr an als auf eine starr klassizistische Stand- punktsbehauptung der alten Exzellenz.

Chor der Jünger.

Hat der Begrabene Schon sich nach oben Lebend Erhabene, Herrlich erhoben;

Ist er in Werdelust Schaffender Freude nah: Ach! an der Erde Brust Sind wir zum Leide da. Ließ er die Seinen Schmachtend uns hier zurück; Ach! wir beweinen, Meister, dein Glück!

Daß diese Verse durch die Himmelfahrt Christi des Raffael!) beeinflußt worden sind, bedarf kaum des Beweises. Man könnte sich höchstens darüber erstaunen, daß die wundervolle Tonmalerei, die Umsetzung der Schöpfung Raffaels in Worte noch nicht bemerkt worden ist. Jedenfalls ist der Zusammenhang hier noch enger als der mit der einherschwebenden Mater Gloriosa und Tizians Assunta. Der wundervoll herausgearbeitete Gegensatz zwischen dem „lebend Erhabenen“ und den „zum Leide da“ Bleibenden stimmt völlig mit der ja auch in Raffaels Schöpfung stets bewunderten Zweiteilung seiner Komposition über-

klänge der ja viel genannten Schützengrabenlektüre des Faust sein? Die betreffenden Verse lauten:

Lang ist es her, das Schicksal webt Das Lebenstuch dem Volk, das strebt. Der Webstuhl ist der harte Krieg, Und was er webt, das ist der Sieg. Die Kette ist der Männer Zahl, Der Schuß, das ist des Todes Qual. Die Bindung ist der rasche Tod,

| Der farbt die weiBen Faden rot.

(1) Vgl. Georg Gronau: Raffael. (Klassiker der Kunst, Bd. I) Stuttgart 190g.

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ein. Weitere Kennzeichnungen, wie die Verklürung Christi und die Stimmungen der zurückbleibenden Jünger, malen ganz deutlich in Worten aus, was Raffael in gleichem Sinne in seiner Darstellung hatte geben wollen.

Welchen Anteil Mantegnas „Triumpbzug Cäsars“ am Werden des Mummen- schanzes genommen hat, hat Storck einwandfrei nachgewiesen. Бай die Gürtne-

rinnen aber nicht von dorther, sondern von anderer Seite beeinflußt sein müssen, das sagen ihre Worte selbst:

Euren Beifall zu gewinnen, Schmückten wir uns diese Nacht, Junge Florentinerinnen,

Folgten deutschen Hofes Pracht. Tragen wir in braunen Locken Mancher heitern Blume Zier; Seidenfäden, Seidenflocken Spielen ihre Rolle hier.

Auch wenn sie es nicht selbst betonten, daß sie „Junge Florentinerinnen“ sind, so würden die übrigen Kennzeichnungen schon genügen an die Frühlings- und Blumengestalten Boticellis zu denken, und zwar vor allem an die seines bekannten Bildes: Der Frühling in der Akademie zu Florenz ).

Sofort schwebt uns auch bei der Thronbesteigung Helenas ein Werk der bildenden Kunst vor. Die Ereignisse werden auch hier wieder in künstlerisch

höchst verständiger Weise durch die Beschreibung des Chores in Wortmalereien von klarster Ausdruckskraft erzählt:

Aber die schönsten,

Sie kommen daher;

Was tragen sie nur?

Stufen zum Thron,

Teppich und Sitz,

Umhang und zelt-

Artigen Schmuck;

Über überwallt er,

Wolkenkränze bildend,

Unsrer Königin Haupt;

Denn schon bestieg sie, Eingeladen, herrlichen Pfühl. Tretet heran,

Stufe für Stufe,

Reihet euch ernst!

Würdig, o würdig, dreifach würdig, Sei gesegnet ein echter Empfang!

Die Eigenart des Thrones, die zu ihm führenden Stufen, der Teppich, vor allem der Umhang und zeltartige Schmuck und schließlich der Übergang in den Himmel all dies sind Beschreibungen, die wie Schilderungen eines Thrones der Maria einer Marienkrönungsdarstellung anmuten. Die Verbindung des Thrones mit einem Zelte, und der dort natürliche Übergang in den Himmel, das Überüber- walltsein von Wolkenkränzen, hatte die christliche Kunst schon ziemlich früh zu einem Typus ausgebildet, der immer wieder in gleicher Form erscheint. Auch

(1) Vgl. Lübke-Semrau: Die Kunst der Renaissance. (Grundriß der Kunstgeschichte, Bd. III) EBlingen 1912. Tafel S. 180. !

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die Reihung der Gestalten an den Stufen und nicht zum wenigsten das ,,wiirdig, würdig, dreifach würdig' rufen ja unmittelbar die Erinnerung an die feierlichen, zu den Stufen des Thrones herantretenden Gestalten bei den genannten Dar- stellungen der bildenden Kunst wach. Den baldachinartigen, mit Teppichen ge- schmückten Thron hatte Goethe in der Malerei der venezianischen Schule kennen- gelernt; dort finden sich auch besonders háufig die zu dem Throne führenden Stufen und „würdige“ Gestalten zu beiden Seiten. Darstellungen, die die Ein- rahmung des Thrones nach oben zu durch Wolken und Engelsköpfe zeigen, finden sich überaus háufig. Ein Beispiel, das Goethe schon wáhrend seines Dresdener Aufenthaltes kennengelernt haben kann, sei angeführt: Die Madonna des hl. Franz von Correggio in der Dresdener Galerie. Bei der ganzen Schilde- rung Goethes haben offenbar Erinnerungen an mehrere Werke der bildenden Kunst mitgewirkt und der anschaulichen Klarheit Starke verliehen.

Zum Schluß will ich noch auf eine Parallele der zeitgenössischen Kunst auf- merksam machen. Goethe legt Mephistopheles folgende Beschreibung in den Mund:

Dann baut’ ich, grandios, mir selbst bewußt,

Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust.

Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld,

Zum Garten prächtig. umbestellt.

Vor grünen Wänden Sammetmatten,

Schnurwege, kunstgerechte Schatten,

Kaskadensturz, auch Fels zu Fels gepaart,

Und Wasserstrahlen aller Art;

Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten,

Da zischt’s und pischt’s in tausend Kleinigkeiten.

- Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen Vertraut-bequeme Häuslein bauen

Die prachtvollen Gartenanlagen der Barockzeit, die wie Goethe gelegentlich des Besuches in Saarbrücken wohl weiß „in die Epoche fielen, da man bei Gartenanlagen den Architekten zu Rate zog“, waren ihm aus eigner Anschauung und aus Kupferstichen wohlbekannt. Von den Gartennalagen in Zabern gibt Goethe in Dichtung und Wahrheit eine Kennzeichnung, die seinen offenen Blick für diese grandiosen Schöpfungen offenbart und im Grunde, nur nüch- terner, das gleiche sagt, wie die obigen Verse: „Der Blick in den Garten ist herrlich, und ein Kanal, drei Viertelstunden lang, schnurgerade auf die Mitte des Schlosses gerichtet, gibt einen hohen Begriff von dem Sinn und den Kräften des vorigen Besitzers.“ Gerade hier zeigt sich also noch einmal deutlich die befruchtende Anregung durch das Schauen von Werken der bildenden Kunst für das Schaffen des Genius, dem nichts verborgen blieb und der alles in den Kosmos seiner Riesenschöpfung aufzunehmen bereit und fähig war’).

(1) Die obige Arbeit ist die Nebenfrucht meiner Vorbereitungen zu einer Vorlesung über: „Goethes Faust und die bildende Kunst,“ die ich im Sommersemester 1917 an der Kgl. Technischen Hochschule Hannover gehalten habe. Daß sie mir dabei in den Schoß fiel, ist weniger mein Verdienst als die Folge der Unzulänglichkeit der Literatur, die Kan Forschungen notwendig machte.

CARL GEORG HEISE, Norddeutsche Malerei. Studien zu ihrer Entwicklungs- geschichte im 15. Jahrhundert von Küln bis Hamburg. Leipzig, Kurt Wolff Ver- lag 1918.

Diese ,Prof. Dr. A. Warburg dankbar zugeeig- nete“ Erstlingsarbeit umschließt vier Kapitel von ungleichem Gewicht. Die beiden ersten, über Kölner und westfälische Malerei, versuchen „nicht mehr als die Herausarbeitung einer klaren Ent- wicklungslinie und eine vorsichtige Verschiebung der Akzente bei der Wertung der einzelnen Küust- lerpersónlichkeiten". Der dritte Abschnitt, über Niedersachsen, worunter der ursprüngliche ,nieder- sächsische Kreis“ begriffen wird, muß bei der schlechten bisherigen Vorarbeit sich mehr auf eigene Gruppierung des Materials gründen und ist darin etwas stecken geblieben. Das vierte Ka- pitel, das Haupt- und Kernstück des Ganzen und der Ausgangspunkt des Verfassers, kann die Altar- bilder Hamburger Herkunft ordnen und in mehr oder weniger wahrscheinlichen HApothesen mit urkundlich überlieferten Meisternamen verknüpfen Lübeck fehlt, da Goldschmidts Band der Nach- arbeit kaum mehr etwas übrig ließ

Gleichzeitig wurden die Lieferungen von Burger- Brinckmanns „Handbuch der Kunstwissenschaft“ ausgegeben, in denen Hermann Schmitz ungefübr denselben Umfang von Bildern behandelt, unter dem Titel der ,niederdeutschen Malerei“. Der

Name stimmt ebenso bedenklich wie Heises ,Nord-

deutsch“. Der Begriff des ,Norddeutschen", das sich dem Oberdeutschen entgegensetzen ließe, verschwimmt zu sehr, wenn er dermaßen gestreckt wird, die Kölner Veronika und den schönen Grau- denzer Marientod zu umfassen. Die ,malerische Empfindungsweise" und Neigung zur ,ruhigen, aktiopslosen Darstellung" sind für Schmitz die Charakterzüge der niederdeutschen Malerei Doch sind weite Strecken Niederdeutschlands über einen malerischen „Provinzialismus selten binaus- gekommen. Und die Aktionen der Menschen „Meister Franckes“ empfinde ich als in den Grenzen des Zeitstils recht lebhaft akzentuiert. Man täte besser, wenn denn schon zusammen- gefaßt und eine allzu leicht vorschnell generali- sierende Psychologie landschaftlicher Eigentüm- lichkeiten getrieben werden soll, das Westdeutsche und seine Ausstrahlungen mit einem Griff zu ver- einigen. Die Anwohner des Rheins leben immer in bestimmten Gemeinsamkeiten.

Wer im einzelnen die voneinander unabhängigen Bilderbestimmungen der beiden Forscher durch- mustert, bemerkt bald einen Vorsprung Heises. Zwar darin bebält Schmitz recht: das Jüngste Ge- richt steht nicht am Anfang (Heise p. 11), son- dern am Ende von Lochners Entwicklung (Schmitz, p- 387), wenn es überhaupt vom Meister selbst stammt ich entsinne mich, daß Heidrich das bezweifelte. Aber Heise fügt seinen Untersuchyn- gen einige bisher unbeachtete Malereien ein, die wichtige Schrittsteine geben: den Altar der Jacobi- kirche in Göttingen, inschriftlich 1402 datiert (ganz befangen in der Kompositionstypik des 14. Jahr- hunderts, aber darum keineswegs von fremden Vorbildern so „unbedenklich und gewaltsam“ ab- geschrieben, wie Heise p. 64 meint), den ehe- maligen Altar des Klosters Heiligental in Lüne- burg (in dem man bei gutem Willen mit Heise die Hände zweier Hamburger Maler, Conrad von Vechta und Hans Bornemann unterscheiden kann der erste vor, der zweite nach 1448) und schließ- lich die Flügelbilder vom Hochaltar der Johannis- kirche in Lüneburg (für die Heise schon im Thieme- Becker nach den Urkundenforschungen Dr. H. Reinckes den Namen des Hamburger Meisters Hinrik Funbof aus Urkunden von 1475 —84 mit immerhin großer Wabrscheinlichkeit genannt hatte).

Daß mit solchen Bereicberungen das Bilder- material Norddeutschlands noch immer nicht in genügender Vollständigkeit vorliegt, weiß Heise selbst. Besonders von der Inventarisation der Provinz Hannover darf man sich allerlei ver- sprechen. Victor C. Habicht, der in den letzten Jahren viel über die „Probleme der niedersächsi- schen Kunstgeschichte“ versprach, wird von Heise recht scharf beurteilt. Daß der Kritiker damit recht zu haben scheint, hat schon Max J. Fried- länder anerkannt (Kunstchronik 1917/18, Sp. 360). Habichts Umtaufe des „Meister Francke“ auf den Steinmetz Kristiain von Bunna wird von Heise auf absurdum geführt, statt dessen der Name ,Henselinus von Straßburg“ für den Schöpfer des Thomasaltars wahrscheinlich gemacht. immer sicherer wird jedenfalls das eine: der Name „Meister Francke“, der nur in einer Handschrift des 16. Jahrhunderts vorkommt und aus zeitgenös- sischen Urkunden nicht zu gewinnen ist, muß fallen gelassen werden. Heise möchte den Meister als fertigen Künstler aus dem westlichen Süd- deutschland in Hamburg einwandern lassen.

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Weniger legt sich Heise bei Meister Bertram fest, den er mindestens in einen Maler und einen Bild- schnitzer scheidet: er will hier den Untersuchun- gen von Heubach, Alfred Rohde und Grete Dexel- Braukmann den Vortritt lassen die erstgenannte ist inzwischen im Jahrbuch der k. k. Zentral- kommission erschienen und zieht die Verbindung zwischen Bertram und dem Prager Krels ganz ge- wiß zu eng.

In solchen Ableitungen zeigt Heise besseren, ja einen ungewöhnlichen historischen Takt. Er gibt dem ,Zeitstil sein Recht, der ja um 1400 eine große Rolle spielt, gibt es aber auch dem einzelnen schaffenden Individuum. Zur Bezeich- nung persónlicher Züge fállt manches gute Wort, das die Forschung festhalten wird. Formale Ana- lyse wird nicht exerziert. Die gefállige Ausdrucks- weise gerät häufig etwas unscharf man ver- mißt bisweilen schmerzlich eine unmibverstánd- liche Diktion, die nicht für den Gemäldekenner, sondern für den Historiker besimmt ist.

Es sind 123 Seiten anstindig gedruckten Textes, 40 inhaltsvolle Seiten mit Anmerkungen, úber- sichtliche Register und endlich 119 woblgeratene Autotypien auf roo Tafeln. Leider fehlen alle Größenangaben, die für die hier zum ersten Male besprochenen Bilder besonders wünschenswert würen, fehlen auch oft die Angaben über Erhal- tung und Übermalung. Aber für Westfalen, Nie- dersachsen und Hamburg ist hier die Grundlage für eine abschlieBende geschichtliche Darstellung so sicher gelegt wie bisher nirgends.

Erich Rómer.

JULIUS PAP, Kunst und Illusion. ‚Veit & Co., Leipzig 1914. Preis geh. 6,80 M., geb. 7,80 M.

In ästbetischen Untersuchungen erweist sich der Ausgangspunkt der Untersuchung auffälliger noch als in den Arbeiten anderer Wissensgebiete als Sache des Glaubens. Je nach der Auffassung ver- mag das Wesen der Kunst einmal als bewußte Seibsttäuschung, wie bei Konrad Lange, ein ander Mal als ein Ausfluß des Spieltriebes und der Freude am Erleben, wie bei Karl Groos, oder als Einfühlung, wie bei Theodor Lipps, dem Er- kennen näher gerückt zu werden. Allen diesen Deutungsversuchen ist der Begriff der Illusion un- entbehrlich. Konrad Lange bezeichnet sein Haupt- werk: „Das Wesen der Kunst“ geradezu als einen Versuch einer illusionistischen Ästhetik.

Trotzdem ist die Untersuchung von Julius Pap: „Kunst und Illusion" als Ganzes ein Neues. Denn Pap stellt sich im strengen Sinne des Wortes nur

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auf den Begriff der Illusion ein. Darauf beruht, soweit es möglich ist, die Überzeugungskraft seiner Ausführungen. Daraus wird zugleich auch das Unzulängliche der Deutung der Kunst als Illusion um so fühlbarer.

Um die reichen Wirkungsmöglichkeiten der Kunst einheitlich fassen zu können, formuliert Pap die Illusion im Sinne des kunstpsychologischen Sprach- gebrauchs als den eigentümlichen seelischen Er- folg der sogenannten nachahmenden oder dar- stellenden Künste. „Als ihr einfachster Haupttypus erscheint derjenige, dem die abbildliche Darstellung einer wirklichen oder denkbaren Sinnenwelt be- gründet: die Anschauungs-Illusion.* Neben der normalen Illusion fällt der ekstatischen Kunst- Illusion, die der normalen durchaus gegensätzlich ist, eine wesentliche Rolle zu. Die normale Wir- kung eines guten Gemäldes beruht nach Pap auf der normalen Anschauungs-Illusion. Dabei ist die normale Anschauungs -Illusion als ein Mittleres zwischen Wahrnehmung und Vorstellung zu fassen. Der Illusion kommt in dieser Mittelstellung inner- halb der drei Kategorien eine besondere Erlebnis- frische zu.

Das Wesen der ekstatischen Anschauungs-Illusion wird erklärt aus den gemeinsamen Eigentümlich- keiten des Anschauungslebens in der Ekstase. Die ekstatische Anschauung ist weder Wahrnehmung, noch Vorstellung, noch ein Mittleres, wie die nor- male Anschauungs-Illusion, sondern sie ist formal- abstrakte Anschauung, Anschauung schlechthin, Vision, Denn das Schauen in der Ekstase ist funk- tionell undifferenziertes Schauen, Schauen schlecht- hin. „Die Anschauung faßt nur die großen Züge, die großen Typen, die großen Komplexe. Für den Entrückten ist der bewegte Mensch nichts als ein lebendig Bewegtes, der glinzende Gegenatand ein Glänzendes, Hervorstechendes; oder alle Einzelheiten gehen zerrinnend unter in der aus- gedehnten Gruppe und Lokalität, in der schwür- merisch durchmessenen Unendlichkeit des Natur- ausschníttes." Durch die Subjektivität der Ekstase wird der Gemiitseindruck von dem Wirklichen umgewandelt. „Der Erregte sieht nur Erregendee, der Träumer nur Traumhaftes, der Erleuchtete nur Lichtvoll-Klares. Dieser Subjektivismus kann un- mittelbar bis zur Zersetzung der Dingwelt führen, Dann teilt sich die frei waltende Subjektivität in den Urstoff der Anschauung: das Apriorisch-For- male und -Phánomenale bewältigt das Empirisch- Sachliche.“

Man braucht nur an die Kunst Rembrandts zu denken, um zu verstehen, dañ der normalen An- schauungs-Illusion ein Gegengewicht entgegen-

gestellt werden mußte, um wenigstens einige der wesentlichsten Äußerungen der bildenden Kunst unter einen Begriff fassen zu können. Denn daß ein Gemälde nicht etwa nur ein Abbild eines Naturausschnittes sei, mu8 jedem, der einen Gesamtüberblick über das künstlerische Schaffen aller Zeiten hat, unmittelbar einleuchten.

Diese Gegenüberstellung von normaler und ek- statischer Anschauungs-Illusion zeigt die Unzuläng- lichkeit, mit dem Begriff der Ulusion die möglichen ästhetischen Erlebnisweisen zu deuten. Das Eigen-

tümliche der Wirkung eines Kunstwerkes besteht:

nicht darin, daß wir das Bild mit unserer Pban- tasie in die Wirklichkeit übersetzen. Die Illusion, die eine malerische Darstellung, etwa ein Reiter- porträt des Velasquez, hervorbringt, besteht nicht, wie Konrad Lange glaubt, darin, daß wir uns in dem Bilde, obwohl es nur ein Bild ist, doch einen lebenden Reiter, etwa Philipp IV., vorstellen! Diese ungefähre Gleichsetzung des Inhaltes eines Gemäldes und des entsprechenden Wirklichkeits- vorbildes ist so unkünstlerisch wie möglich.

Das mag Pap gefühlt haben, als er von der normalen Anschauungs-lllusion sagt, daß es eben

der vollendete oder sich vorbereitende illusionäre .

Effekt sei, was an die Sinnenwirklichkeit mahne und mit ihr verglichen werde. „Die reine, ein- fache Wirkung darstellender Kunst enthält keinen Hinweis auf ein Außerhalb, kein Wissen um Ur- hebung, kein Ausdeuten und Gleichsetzen. Wir orfassen nicht Natur und Werk getrennt und wieder verbunden, sondern die Natur ersteht uns unmittelbar aus dem Werk, aus dem physisch vom Auge empfangenen Werkeindruck; wir leiten nicht das Urbild aus dem Ebenbild ab, um es wieder damit zu identifizieren, sondern das Ur- bild ist uns immer mit dem Ebenbild gegeben.“

Damit rückt Pap weit ab von der Anschauung, daß Ilusion bewußte Selbsttáuschung sei. Aber er steht immer noch nicht vorurteilslos vor dem eigentlichen Problem, die Wirkungsweisen der Kunst aus sich selbst, möglichst ohne Bezug- nahme auf den dargestellten Naturausschnitt der Wirklichkeit zu erklüren. Ob eine Landschaft auf einem Gemälde dargestellt ist, und weiche Landscbaft, ob ein Pferd, ein Bildnis, und welches Bildnis, ob naturühnlich oder völlig wirklichkeits- fremd, mag dem künstlerisch geschulten Auge völlig belanglos erscheinen. Der eigentümliche künstle- rische Erregungszustand wird nicht durch die mehr oder mindere Naturnähe bewirkt, sondern einzig und allein durch die besondere Ausdrucks- kraft der Farbe und Form. Nicht daB auf der zweidimensionalen Fläche vermöge der eigen-

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 9/10

timlichen Darstellungsmittel der bildenden Kunst ein Räumliches meinem Gesichtseindruck ,,illusio- när“ vorgezaubert wird, ist das su lösende Pro- blem, sondern wie durch die der Kunst eigen- tümlichen Formen gerade die der Kunst eigen- tümlichen Erlebnisweisen gewirkt werden. Durch den Begriff der Illusion wird der Nachdruck der Untersuchung stets auf den Inhalt des dargestellten Werkes, auf die Landschaft, auf das Bildnis, ge- legt, während doch gerade dieser aus der Wirk- lichkeit entlehnte Inhalt für die künstlerische Wir- kung von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist. Daher kommt es auch, daß die Werke der so- genannten primitiven Kunstrichtungen gleichsam nur als Vorstufen auf dem Wege zu den eigentlichen Höhepunkten der Kunst angesehen werden; daß, man kann es genauer umschreiben, als kúnstle- risch bedeutsam nur die Zeit der italienischen Renaissance und die Malerei der großen Meister des 17. Jahrhunderts gilt. Aber ist eine karo- lingische Miniatur, ein Bronzechristus, ein Aqua- manile des 12. Jahrhunderts von geringerer künst- lerischer Bedeutung? Der Begriff der Illusion versagt dort ebenso wie bei einer Fülle rein kunst- gewerblicher und architektonischer Schöpfungen.

Diesen Einwänden suchte Pap dadurch zu be-.

gegnen, daß er Abwandiungen der normalen wie auch der ekstatischen Illusion feststellte und außer- dem noch auf die Augenblicks-Illusion, die Rand- Illusion und ihre Verwicklungsmöglichkeiten hin- weist.

Da die Anschauungs-Illusion nur fallweise ästhe- tischen Wert haben kann, da sie nicht an sich ästhetisch ist, gelangt Pap folgerichtig zu einer Untersuchung der nichtästhetischenlilusion. Neben den biologischen Grundlagen des ästhetischen Illusionswertes werden die natürlichen Analoga der künstlerisch erzeugten Anscbauungs-Illusion festgelegt. Den gróBten Teil der Forschung nimmt die Inbezugsetzung des illusionüren Erlebnisses zum Kunstwerk und zu den einzelnen Künsten ein.

Von dem reichen Inhalt kann die Aufzählung der einzelnen Probleme kein anschauliches Bild übermitteln. Wenn Pap glaubt, daB die Mittel malerisch-bildnerischer Vorführung so unendlich zahlreicher Modifikationen fähig sind, daß beinahe jedes wahrhaft originale Werk seine eigene illusio- nistische Methode hat, und daß es selbst bei lebenslangem Umgang mit der Kunst niemals dahin kommen wird, daß die Illusion ihren Vari- ationswert günzlich, dauernd und unwiederbring- lich einbüßt, ist damit deutlich die Fülle der zu lösenden Fragen vorgezeichnet.

Eine sehr wertvolle Ergänzung des eigentlichen

30 293

Mauptteiles, in dem diese Lehre der Anschauungs- Illusion entwickelt wird, bringt der polemische Teil, in dem Pap seine Stellung zu den bedeu- tendsten Vertretern der Illusions-Asthetik festlegt; su Konrad Lange, Karl Groos, J. Volkelt, Theo- dor Lipps, Oswald Külpe, Paul Souriau, A. v. Meinong und Stefan Witasek.

Auf die eigentlich psychologischen Fragen ein- zugehen, ist hier nicht der Raum. Es solite nur auf den Wert des Buches fiir den ernsten Kunst- betrachter hingewiesen werden. In allen Fillen,

selbst dann, wenn durch den Begriff der Illusion j

notwendigerweise das eigentliche Wesen des kiinst- lerischen Erlebnisses infolge außerkünstlerischer Beziehung zur Wirklichkeit verschleiert wird, ent- halten die Ausführungen Paps so viel Anregungen, daB das Buch Kunsthistorikern aufs wármste emp- fohlen werden muß. Lüthgen.

ADOLF HILDEBRAND, Gesammelte

Aufsütze. Zweite vermehrte Feldaus- gabe. StraBburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz

und Mündel) 1916. I Mark.

. Die Feldausgabe dieser zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten erschienenen ästhe- tischen Betrachtungen des großen deutschen Bild- hauers wurde nötig, weil „Im Felde ein so großes Bedürfnis nach anregenden Büchern besteht, weiche die Menschen auf andere Gedanken bringen als die jetzige Weltsituation.“ Mit diesen Worten führt der Verlag das kleine Werk ein. Das Be- dürfnis nach Büchern, nach Vorstellungen und Zielen, welche nichts mit dem Krieg denn die „jetzige Weltsituation“ ist nichts anderes als ein unaufhérliches Tóten und Zerstóren sondern mit dem Frieden und der Arbeit des Friedens zu tun haben, ist aber nicht nur im Felde, sondern auch daheim sehr stark vorhanden und wird nur durch die Heuchelei unterdrückt, welche der ge- dankenlosen Vorstellung entspringt, Patriotismus und Kriegsbegeisterung sei ein und dasselbe. Je ernster und bestimmter sich die Interessen aller auf die Kulturarbeit richten, desto besser wird es für Deutschland sein. Was an geistigen und wirtschaftlichen Krüften noch nicht vernichtet iat, wird nach dem Friedensschluß notwendig ge- braucht, um die unterbrochene Kulturentwicklung weiterzufübren.

Die hier zusammengefaßten Aufsätze Adolf Hil- debrandts sind in den Jahren 1809—1016 ent- standen. Sie enthalten kurze, leicht geschriebene Betrachtungen über künstlerische Zeitfragen oder handeln von Dingen, die den Künstler unabhängig

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von Zeit- und Tagesinteressen gerade beschäftigten. Es ist natürlich, daß diese für den Augenblick und ohne Bezug auf tiefere kunstwissenschaftliche Probleme entstandenen Schriften nicht mit Hilde- brandts epochemachendem Werk über das Problem der Form verglichen werden dürfen. Von dauern- dem Wert bleiben diese kleinen Schriften vor allem durch die Persönlichkeit des Autors. Was ein Adolf Hildebrand an kunsttheoretischen Er- kenntnissen mitzutellen hat, wie die Welt der for- malen Erscheinung sich ihm darstellt, ist immer wichtig für die Beurteilung des Kunstwollens un- serer Zeit; denn wie der Künstler seine Ideen im Schaffen gewinnt, so schafft er auch wieder aus seiner von der Erkenntnis geborenen Absicht her- aus. In dieser Hinsicht sind auch noch diejenigen Aufsátze Hildebrands interessant, die lüngst nicht mehr aktuell sind, wie etwa seine Schrift über die Vila Borghese und das Denkmal Kónig Um- bertos. Die meisten der Aufsátse haben aber, trotzdem sie von Tagesinteressen ausgehen, doch immer eine allgemeinere Bedeutung. Charakte- ristisch hierfür ist der Artikel über das Münchener Künstlertheater, in welchem der Verfasser einige für die Ausgestaltung des Bühnenbildes sehr wert- vole Hinweise gibt. In dem Artikel über die Bedeutung von Größenverhältnissen in der Archi- tektur macht Hildebrand auf die Tatsache auf- merksam, daß in einigen Kunststilen die kon- struktiven Glieder der Architektur als ornamentale Formen auf das Mobiliar und die kunstgewerb- lichen Gegenstinde übertragen werden, wührend in anderen kunstgewerbliche, im kleinen erfundene Formen ins Grofe übersetzt und als Bauglieder verwendet werden. Daraus entwickelt er den fol. genden Gedanken: „Wenn wir diese beiden Pro- zesse sich gegenüberstellen, so möchte es er- scheinen, als wáre die romantische Verkleinerung aus der Phantasie des Baumeisters entstanden, weil das Festhalten der architektonischen Form dabei bezeichnend ist, wührend die VergróBerung vom Dekorativen ins Architektonische mehr vom Bildhauer ausgegangen zu sein scheint, dem es überhaupt näher liegt, die Masse als eine nicht konstruktive, sondern gegebene anzusehen, die man erst nachher formt, wodurch das konstruk- tive Element überhaupt in den Hintergrund ge- drüngt wird.^ Es liegt hier sicher ein Moment, das bei der ästhetischen Beurteilung einzelner Kunstphasen zu berücksichtigen ist.

Da Adolf Hildebrand nicht nur schaffender Künst- ler, sondern, wie seine schriftstellerische Tatigkeit beweist, auch Denker und Beobachter ist, so sprengen seine Gedanken hier und da den Rahmen

des reinen Kunstinteresses. Es sei daher auch dem Rezensenten erlaubt, einen zwar streng ge- nommen nicht hierher gehörenden, aber gerade jetzt sehr fruchtbaren Gedanken des Meisters aus dem Artikel über Arbeiter und Arbeit zu ver- zeichnen. Als Ausspruch Adolf Hildebrands mag er zu einem Platz in den Monatsheften für Kunst- wissenschaft berechtigt sein; ,Der Spielraum der individuellen Begabung und Kraftentfaltung ist (bei uns in Deutschland) überall so eingeengt, daß die Tätigkeit an sich ein Minimum der natürlichen Freude am elgenenjUrteilen und Können bedeutet, - .... Wir gehen in Deutschland mit der Begabung so gleichgültig um, daB eine Masse von wertvoller Kraft verschwendet wird." Gerade heute, wo der Krieg die wertvollen Krüfte des Reiches auf die Hälfte reduziert, wäre es an der Zeit, дай den noch übrig Gebliebenen freie Bahn und bessere Entwicklungsmóglichkeiten ge- schaffen würden. Hildebrand spricht an einer

anderen Stelle von dem ,zuschauenden Bildungs- niveau“ und ich kann es mir nicht versagen, diesen Ausspruch hier hervorzubeben, weil er mir die treffendste Bezeichnung scheint, welche bis- her für den immer úberhandnehmenden ästheti- schen Dilettantismus der gebildeten und halb- gebildeten Kreise gefunden worden ist. Es liegt in der Natur der Sache, daß dieses gebildete Zu- schauen fast ausschlieBlich auf die Kunst gerichtet ist und durch Feuilleton-Aesthetik gefüttert wird. Es schadet der Kunst und der Kunstwissenschaft in gleicher Weise. Eine Kunst und Kunstwissen- schaft fórdernde Gesinnung wird nach dem Krieg nur auf der Basis des von Adolf Hildebrand Мег kurz zusammengefaßten Gedankens möglich sein: „Das zuschauende Bildungsniveau zu heben, liegt weder im Interesse der Kultur, noch des einzelnen. Schaffen, produzieren, entstehen lassen, darum handelt es sich, da liegt die einzige gesunde Ent- wicklung.“ Robert West.

DER CICERONE.

X, 15/16.

E. LÜTHGEN: Die Sammlung Leo Kirch in Köin (Schluß). (24 Abb.)

GEORG BIERMANN: Die deutsche Kunst in der Zukunft.

X, 17/18.

GEORG BIERMANN: Max Pechstein. (16 Abb.)

WILLY P. FUCHS: Tizians deutsche Landschafts- architekturen.

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. XXI. Jahrgang, Heft 7/8.

FRITZ von OSTINI: Friedrich Stahl - Feldafing- Miinchen. (7 Abb.)

F. CHRISTOPHE: Paul Scheurich als Graphiker. (2 Taf., 13 Abb.)

F. CHRISTOPHE: Richtige Einstellbarkeit für die Kunstbetrachtung.

CAMILL HOFFMANN: Bildnisaufnahmen von Hugo Erfurth. (2 Taf., 5 Abb.)

THEODOR HEUSS: Bildhauer Carl Stock-Frank- furt a/M. Taf, то Abb.)

W.KURTH: Tizians Venus mit dem Orgelspieler. (r Taf)

HANS HILDEBRANDT: Europa und die ost- asiatische Kunst. (4 Taf., 13 Abb.)

ROBERT CORWEGH: Kunstgewerbe auf der Leipziger Messe,

ERNST ZIMMERMANN:. Neue Arbeiten der kgl. Porzellan-Manufaktur in Meißen mit Unterglasur- kobaltblauér Malerel. (3 Abb.)

Arch. E. FAHRENKAMP: Ein Backstelnhaus, (6 Abb.)

HANS HILDEBRANDT: Die Stuttgarter Inszenie- rung von Glucks Iphigenie auf Tauris. (2 Abb.)

Heft 9:

W.KURTH: Werke deutscher Künstler des 19. Jahr- hunderts. Ausstellung bei Fritz Gurlitt - Berlin. (a Taf., 6 Abb.)

FRITZ MAX CAHEN: Bildnisse von Oskar H. Hagemann. (1 Taf., 3 Abb.)

E. W. BREDT: Holzschnitte von Joseph Weiß. (1 Taf., 7 Abb.)

RICHARD BRAUNGART: Neue Arbeiten von Ferdinand Staeger. (a Taf, 12 Abb.)

THEOD. VOLBEHR: Photographische Bildnisse von Angelika Bick-Ohlhoff. (3 Abb.) HELMUTH DUVE: Neues Kopenhagener Por- zellan. (1 Taf., 4 Abb.)

A. SCHWEISGUT: Bemaltes Porzellan von Emmy Seyfried-München.

ERNST COLLIN: Der große Wettbewerb für Kriegeanleibeplakate, (r Taf., 18 Abb.)

Heft ro. EDUARD von BENDEMANN: Deutsche Kunst Darmstadt 1918. (2 Taf, 26 Abb.)

WALTER BOMBE: Was ist Expressionismus? WILHELM HAUSENSTEIN: Ferdinand Hodler +.

295

HANS THOMA: An den Vorstand der Freien Sezession, Berlin.

DIE KUNST. XIX, 11. G. J. WOLF: Edmund Steppes. (1 Taf., 12 Abb.)

PAUL F. SCHMIDT: Das Wesen des deutschen und französischen Klassizismus.

R. OLDENBOURG: Maria Caspar-Filser. (9 Abb.)

G. KEYSSNER: Amandus Faure, (r farb. Taf., 6 Abb.)

HERMANN MUTHESIUS: Die Verpflichtung zur Form,

G. J. WOLF: Bruno Goldschmitt. (20 Abb.)

Amerikanische Landhäuser und Gartenanlagen. Taf., 11 Abb.)

OUDE KUNST.

III, 10.

NANNE OTTEMA: Het aardewerk in de Noor- delijke Nederlanden en gebruik in het laatste kwart van de zestiende eeuw. (5 Taf.)

H. MARTIN: Twee schilderijen van den 17¢ eeuw- schen schilder Francois Carré. (3 Abb.)

M. J. WILDEMAN: Twee silhouetten en een mi- niatuur. (3 Abb.)

BERLINER MUNZBLATTER.

Neue Folge, Nr, 200.

ORTWIN MEIER: Ein braunschweig - lüneburgi- scher Hohlpfennig aus dem 2. Drittel des 14. Jahr- hunderts. (3 Abb.)

L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1916—1918. (Fortsetzung.)

OUD HOLLAND.

Sondernummer: Inhaltsübersicht des 26,—35. Jabr- ganges.

XXXVI, 1 und 2 (Doppelnummer).

H. E. van GELDER: De zestiende - eeuwsche glas- schilderingen in de Haagsche Sint- Jacobskerk. (a4 Abb.)

S. LEURS en C. F. X, SMITS: Oud-Nederlandsche bouwkunst (Kempische torens). (7 Abb.)

R. LIGTENBERG: Materialen voor een studie over de beeldhouwers de Nole en hun werken.

Korte mededeelingen.

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. KUNSTSAMMLUNGEN. XXXIX, ro

J. SIX: Die Landschaft in dem Johannes des Hieronymus Bosch. (9 Abb.)

XI. Jahrgang, Heft 9/*c.

Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINKHARDT

& BIERMANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring sa. | In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 j In der SCHWEIZ:

Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.

Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.

Es wird gebeten, alle für die Schriftleitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, Uhlandstraße 158 zu richten.

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

296

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Abb. 1. Vischer, Gedächtnistafel für Henning Goden, + 1521. Abb, 3. Dürer, Gottvater aus der apokalyptischen Wittenberg und Erfurt Vision der sieben Leuchter

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Abb. 2. Dürer, Krönung Mariä aus dem Marienleben. 1510 (Ausschnitt)

Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER V

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Dürer, Madonna mit der Sternenkrone 1508

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Abb. g. Hans Vischer, Epitaph der Margarethe Riedinger 1530.

Aschaffenburg, Stiftskirche

Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER V

XL, 9/10

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Abb. 11. Aus Celtes, Quattuor libri amorum. Nürnberg 1502.

Oben darauf gelegt eine aquarellierte Federzeichnung Peter Vischers d. J., heute im Berliner Kupferstich-Kabinett, ursprünglich in einem Nürnberger Codex des Pankraz Schwenter über die Herkulestaten, von 1515

Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER V

M f.K., XI, 9/10

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Tafel

Abb. 13. Jakob Elsner, Miniatur aus dem Missale für Anton Kreß, 1513.

Peter Vischer d. J., Gedáchtnistafel für Anton KreB, + 1513.

Abb.

Als Depositum im Germanischen Museum in Nürnberg

Nürnberg, Lorenzkirche

Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER V

„F. K., XL, 9:10

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Abb. 16 Peter Vischer d. J., Faun a. d. Fuggergitter. Bleistiftzeichnung im German. Museum von 1806

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Abb. 18. Apollo aus den Tarrocchi

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Abb. 17. Zoan Andrea, Ausschnitt aus dem

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(Nach A, Brinckmann, Die praktische Bedeutung des Ornamentstichs. Mit gütiger Bewilligung des Verlegers

Herrn E. Heitz, Straßburg.)

Peter Vischer d. J., Apollo vom Sockel des Sebaldusgrabes 1508/09

Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER V

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Tafel 61

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des Sanftmütigen, T 1464. Aus einer sächsischen Hütte.

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Gravierte Grabplatte des Herzogs Friedrich

Abb. 2r. MeiBen, Dom ed by XXN M. f. K., XI., 9 10 Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER V

1428.

Deckplatte der Tumba in sehr erhabenem Relief.

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MeiBen, Dom Peter Vischer d. А., Gravierte Grabplatte des Herzogs Ernst v

Aus einer sächsischen Hütte

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Herzog Friedrich der Streitbare,

Abb. 20.

Abb. 22,

Tafel 62

Abb. r. P. P. Rubens, Enthauptung der hl. Katharina. Lille.

Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE

M. f. K., XI. 9/10

Tafel 63

Abb. 2. P. P. Rubens, Entwurf zur hl, Katharina. Wien, Albertina

Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE

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M. f. K., XL, g 10

Tafel 64

Abb. 3. P. P. Rubens, Martyrium des hl. Stephan. Valenciennes

Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE

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Z. 1018

Monatshefte fur Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjáhrlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 11/12

ABHANDLUNGEN

W. von GROLMAN, Zur Wiirdigung des Veit StoB. Mit 28 Abbildungen auf xs ТАШ. «ua 5 S. 297

DR. PAUL F. SCHMIDT, Karl Philipp Fohr. Sein Leben und seine Kunst. Mit 14 Abbild. auf 8 Tafeln . S.310

ROBERT WEST, Der romanische Kreuzgang an der Stiftskirche in Berchtesgaden, Mit 9 Abbildungen auf 4 Teilen iv 9 ә S. 321

HUBERT STIERLING, Kleine Bei- tráge zu Peter Vischer. 6. Das Ur- bild des Sebaldusgrabes. Mit 2 Ab- bildungen auf т Tafel S. 341

A.S.DREY

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MÜNCHEN

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Paris, 55avenue des ChampsElysées.

REZENSIONEN

Johannes Kramer, Metaline Grabplatten in Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts (ca. 1390 bis ca. 1510). Haller Dissertation. 1912. 79 Seiten (Hubert C SUE QE S A S. 345

Oskar Walzel, Wechselseitige Erhellung der Künste. Berlin, Reuther u. Reichard. 1917 CPP ²˙¹iwꝛ·Ü¹¹i¹Tͤ ͤ K 8. 348

Hanns Floerke, Die Moden der italienischen Renaissance von 1300 bis 1550. 132 Tafeln

mit Text und Erläuterungen. Georg Müller,

München 1917 (Rosa Schapire) . . . 8.350 RUNDSCHAU. S. 351 REGISTER ˙ꝛůn’¹Q‚ S. III

Ausstellung kostbarer Antiquitäten + Ein- und

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AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÁLDE ALTER MEISTER UND KOSTBARER ANTIQUITATEN

ZUR WURDIGUNG DES VEIT STOSS

Mit achtundzwanzig Abbildungen auf dreizehn Tafeln Von W. von GROLMAN

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D^ Kunst des Veit StoB hat seit fast anderthalb Jahrzehnten die Forschung in zunehmendem Maße beschäftigt. 1903 erschien die erste verdienstvolle Zu- sammenstellung der Werke des Meisters von Daun’), und einige Jahre später die mehr für Laienkreise berechnete Monographie desselben Autors in der KnackfuB- Serie ). während 1912 die umfangreiche, überaus sorgfältige und wertvolle Arbeit des inzwischen auf dem Felde der Ehre gefallenen jungen Loßnitzer?) brachte. Endlich hat Daun‘) im J. 1916 eine, auf den dreifachen Umfang erweiterte und ganz umgearbeitete neue Auflage seiner Monographie von 1903 heraus gebracht, die freilich Neues von irgendwelcher Bedeutung nicht beibringt und die zahlreichen Ergebnisse anderer Forschungen der letzten Jahre entweder nicht nennt oder nicht anerkennt. Daneben bereicherten manche Einzeluntersuchungen unsere Kenntnis des Meisters um eine Reihe zum Teil wertvoller Werke. Es sei hier nur erinnert an die Auffindung der Rochusstatue und eines Kruzifixus durch Hermann Voß’) in Florenz, die Entdeckung der Anna Selbdritt in Wien durch Rathe*) und die einer freilich stark mitgenommenen Verkündigung durch Fr. Tr. Schulz?) in Langenzenn. Dennoch wagt Verfasser die Behauptung, daB der Meister bis auf den heutigen Tag unter starker Verkennung zu leiden hat, und daB es an der Zeit ist, unser Urteil über die wahrhaft groBe Kunst des Veit StoB einer weitgehenden Revision zu unterziehen.

Der richtigen Einschätzung des Künstlers standen von jeher ungewöhnliche Schwierigkeiten entgegen. Zunächst gibt es wohl, von Cranach abgesehen, kaum einen anderen großen Meister, der so ungleichmäßig produzierte, und namentlich in späteren Jahren so oft hinter seinen Werken der früheren Zeit zurückblieb. Dann aber entzogen sich die Originale der nicht nur nach Qualität, sondern auch nach Umfang weitaus wichtigsten Schöpfungen des Künstlers im fernen Krakau sogar der Kenntnis der meisten Kunstforscher. Und selbst den prüfenden Blicken der wenigen, die bis dorthin vordrangen, blieben gerade diejenigen Werke, in denen der Künstler sein Bestes gab, die eigenhändigen Stücke der Riesenserie von 18 Reliefs mit weit über roo ?/,—?/, lebensgroBen Figuren durch die Hóhe ihrer Aufstellung fast unzugänglich; beginnen doch die untersten Reliefs erst 4 m über dem Fußboden, um bis 6,50 m emporzureichen, während gar die oberste Reihe in der schwindelnden Höhe von 9—11½ m angebracht ist. Dazu kommt eine äußerst entstellende, krasse moderne Bemalung. Photographische Reproduktionen fehlten aber so gut wie vollständig. Dem Marienaltar gesellen sich dann noch das mächtige Königsgrab auf dem Wawel, der treffliche kleine Ölberg und die beiden unvergleichlichen Kruzifixe, von denen das im Triumphbogen der

(z) B. Daun, Beiträge zur StoBforschung; VeitStoß und seine Schule etc. Hiersemann, Leipzig 1903. (2) B. Daun, Veit Stoß, KnackfuB-Sammiung von Velhagen & Klasing, Leipzig und Bielefeld 1906. (3) M. LoBnitzer, Veit StoB, die Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben. Leipzig, J. Zeitler 1912.

(4) B. Daun, Veit Stoß, Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Leipzig, Hiersemann 1916.

(5) Herm. Voß, Entstehung des Donaustils. Leipzig, Hiersemann 1907.

(6) Kurt Rathe, Ein unbekanntes Werk von Veit StoB in Wien. Jahrb. der k. k. Zentralkomm. 1909. 7) Fr. Tr, Schulz, Mitteilungen aus d. Germ. Mus. 1908, S. 92 ff.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12 21 297

Marienkirche in einer Hóhe schwebt, die jede ernstere Betrachtung ausschlieBt. Daneben muß der Eindruck verblassen, den die in Deutschland befindlichen Werke zu machen vermügen. Von diesen ist, wie Bode bemerkt, ,das bekannteste und berühmteste“ der englische Gruß in der Lorenzkirche, der, wie der gleiche Forscher hinzufügt, ,unter den beglaubigten Werken wohl obenan genannt zu werden verdient“ Aber alle, die sich mit dieser als Dekoration gewiß genialen und groBartigen Schópfung befaBten welch’ prachtvollen Kirchen- schmuck der englische Gruß darstellt, läßt 2. B. vorzüglich die Aufnahme der MeBbildanstalt vom Chor der Lorenzkirche erkennen tadeln mit Recht an ihm „den Mangel tieferer Empfindung“ (Bode); Daun fügt hinzu, daß die gezwungene Stellung und unfreie Haltung der Hände die künstlerische Wirkung beeinträch- tigt; und LoBnitzer sagt: ,Die riesenhaften Figuren haben kein richtiges Leben.“ Heben wir noch hervor das blöde Lächeln des mißgestalteten Marienkopfes eine Eigenschaft, die dieser mit fast allen Frauenküpfen der Spätwerke teilt und es wird begreiflich, warum die Begeisterung vor diesem Hauptwerk des Meisters auch das groBe kunstliebende Publikum bisher nicht recht zu erfassen vermochte. Auch der rohe Naturalismus der Volckamerschen Reliefs in St. Sebald konnte, seitdem die Urheberschaft des Veit StoB festgestellt ist, die Liebe zu dessen Kunst nicht steigern; und das gilt u. E. erst recht von dem umfangreichsten und bedeutendsten Werk des Künstlers auf deutschem Boden, dem spüten Bamberger Altar. Mag sich hier, vom rein artistischen Standpunkt aus gesehen, ein noch so groBes Kónnen offenbaren, mógen selbst einzelne ansprechende Züge nicht fehlen, der Gesamteindruck muB als ein direkt widerlicher bezeichnet werden. Gewiß, der Priester auf der Darstellung im Tempel mit seinem mächtigen Patriarchen- haupt ist eine bedeutende Gestalt, zwei der Kónige auf der Anbetung sind wiirdige Erscheinungen und die im verlorenen Profil gesehene Frau mit der Taube stellt eine brillante Gewandfigur dar; sie alle zeichnet eine gewisse GroBzügigkeit aus. Aber die drei Mariendarstellungen?! Die Körperhaltung ist bei allen äußerst ge- ziert, die Hände sind noch knochiger und ungelenker geworden zwischen Finger und Mittelhand scheint eine Gelenkversteifung eingetreten zu sein wührend die Stirn in unnatürlicher Weise verbreitert ist; das blóde Lücheln aber der Maria des englischen Grusses hat sich inzwischen zu einem ganz fatalen Grinsen gesteigert: Und das wiederholt sich auch bei dem Mohren auf der Anbetung und den Engeln des Schreins; hier könnte man beinahe glauben, eine aus dem Irrenhaus ent- sprungene Gesellschaft vor sich zu haben. Man sehe sich daraufhin einmal die Abbildung 73 in der Daunschen KnackfuB-Monographie an! Schon die Maria des StoBhauses, deren delikate Erscheinung dadurch noch kaum beeintrüchtigt wird und nur einen leichten Stich ins Prezióse erhält, weist bereits die Anfänge jener absonderlichen Verbildung des Mundes auf, spüter aber nimmt diese ganz groteske Formen an (die kleine Maria aus der Anna selbdritt in Wien mit der tapir- artigen Schnauze) die Deformation der Stirn wächst ins ungeheure (abschrecken- des Beispiel die von VoB entdeckte Statuette im South-Kensington - Museum) und die Augen werden kugelfórmig vorgetrieben (Maria der Verkündigung aus Heilsbronn, die LoBnitzer merkwürdigerweise dem Meister abspricht).

Leicht zugüngig ist dann noch die Sebalder Kreuzigungsgruppe: aber hier hat ein eigenes MiBgeschick dazu beigetragen, den bedeutenden Wert der beiden ur- sprünglich nicht zum Kruzifix gehürigen Figuren zu verdecken. Bis zur Restau- rierung der Kirche waren sie, wie man noch bei Daun Knackfu8- Monographie Seite 92 sehen kann, mit dem Blick nach dem Beschauer statt nach dem

298

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Kreuze aufgestellt. Noch LoBnitzer bildet, ohne etwas darüber zu sagen, die beiden in dieser ganz falschen Stellung ab. Die Gegenüberstellung einer neuen richtigen Aufnahme der Maria und des Johannes (Abb. 1 u. 4), die Verfasser anfertigen ließ, mit der allein im Handel befindlichen Photographie läßt sofort erkennen, wie sehr dadurch der Eindruck des Werkes geschädigt wurde. In der falschen Aufnahme hat man direkt den Eindruck, da8 Johannes und Maria sich gleichsam angewidert, man möchte sagen, degoutiert vom Kreuze wegwenden, aber das Merkwiirdigste ist, daß zu diesem Eindruck nicht nur die verkehrte Kórperhaltung und die falsche Stellung der Hände beitragen. Auch das Antlitz scheint von dem gleichen Ausdruck ge- zierten Widerwillens erfüllt, während bei richtiger Ansicht der eines höchsten Schmerzes und tiefster Ergriffenheit zum Vorschein kommt; die Verbindung mit den sinnwidrigen Gesten ändert offenbar auch den Ausdruckswert der Gesichts- züge. Freilich spielen hier noch andere Momente mit, Verfasser gedenkt in einem besonderen Aufsatz noch mehrere Beispiele dafür beizubringen, wie die gleichen Gesichtszüge bei nur wenig veründertem Standpunkt der Aufnahmen und Beleuch- tung ganz verschiedenen Ausdruck zeigen kénnen. Aber damit nicht genug: die wundervoll geschlossene Form der Gewandfigur erscheint von vorn gesehen aus- druckslos und völlig zerrissen.

Das vielleicht bedeutendste Werk auf deutschem Boden birgt die Lorenzkirche im Kruzifixus über dem Altar. Leider erschwert auch hier das Gegenlicht, auBer- dem die Vergoldung, die Betrachtung, und eine brauchbare Photographie scheint nicht zu existieren. Dank dem Entgegenkommen LoBnitzers und seines Verlegers konnte Verfasser von dessen Platte eine VergróBerung anfertigen lassen, die wenig- stens einigermaßen dem Werk gerecht wird. Schon Bode rühmt an ihm und dem neuerdings leider viel zu bunt bemalten Kruzifix aus der Spitalkirche im Germa- nischen Museum, die er mit Recht zu dem allerbesten zählt, das die deutsche Plastik hervorgebracht hat, ,eine Vornehmheit der Haltung, eine GróBe der Auf- fassung, namentlich in dem Antlitz von herber Schünheit, die sonst die meisten Bildwerke des Veit StoB vermissen lassen“. Merkwiirdigerweise glaubt er aber diese Arbeiten, die er für Spätwerke hielt, während sie LoBnitzer wohl mit Recht der frühen Nürnberger Zeit zuschrieb, „gegenüber seinen verschiedenen überschätzten (sic!) Jugendwerken“ hervorheben zu sollen. Wir werden später schen, daß diese Gekreuzigten bereits in Krakau mehrere gleichwertige Vorgänger von ganz ähn- licher oder fast der gleichen Prägung besitzen. Der Kruzifixus ist überhaupt der einzige Vorwurf, den Stoß zu allen Zeiten seines langen Lebens in gleich er- greifender Auffassung und Vollendung zu gestalten wußte. Ein weiteres Beispiel hierfür, das bisher selbst der Forschung. entging, ist der von Loßnitzer in die Literatur eingeführte Kruzifixus in der Margaretenkapelle der Burg, dessen herr- liches Haupt er in seinem Werke abbildet. Loßnitzer glaubt allerdings dieses Werk nur dem Atelier des Meisters zuschreiben zu sollen; der Kopf macht dem Verfasser aber den Eindruck der Eigenhündigkeit Das ganze Werk zu Gesicht zu bekommen, ist ihm trotz mehrmaligem Besuche der Burg nicht gelungen.

Nach alledem darf man sich nicht wundern über das ungünstige Gesamturteil, das der Kunst des Meisters bisher fast durchgängig zuteil wurde und wovon hier einige Proben wiedergegeben seien. So spricht Daun!) von Stoß als einem „tüch- tigen Bildschnitzer“, den er den Meistern zweiten Ranges zuzurechnen scheint. Er bewundert mit anderen hauptsächlich den brillanten Techniker der Holz-

(1) B. Daun, Veit Stoß. Leipzig, Hiersemann 1903, p. 49. 299

schnitzerei und den Naturalisten, der aber bei der Schilderung geistiger Vorgšnge im Gegensatz zu Adam Kraft versage und in weitem Abstand hinter diesem zurück- bleibe. Diesem Urteil schlieBt sich Dauns gestrenger Kritiker Th. Hampe!) an, „seine (Stoßens) ganze Art legt mehr Gewicht auf effektvolle Wiedergabe aller AuBerlichkeiten als auf seelische Vertiefung“. Und ebenso bemerkt Eigenberger*) in seiner vortrefflichen Studie über Adam Kraft, die Kunst des Veit Stoß sei „mehr eindrucksvoll als ausdrucksvoll“. Auch Baum?) stimmt in diesen Chorus ein und findet StoB im Vergleich zu Kraft ,selbst in seinen besten Schópfungen lärmend und dennoch zugleich nichtssagend“ (sic!) Fast noch schlimmer geht Hermann Voß‘) mit dem Künstler um. Er findet gerade in den Früh- werken (!) des StoB ,,einen dumpfen, inferioren Geist, der über die Gestalten des Künstlers ausgebreitet ist. Plump und häßlich sind die Züge, nichtssagend das regelmäßige Eirund ihrer Kopfformen.* Zwar, fügt er einschränkend hinzu, sei der große Wille nicht zu verkennen, aber es fehle seiner Äußerung an Leichtigkeit und Freiheit, ,so entsteht der erschreckende Eindruck des Gewaltsamen. Man wun- dert sich nicht mehr, wenn man von der tragischen Laufbahn des Künstlers selbst hört, der früh zu Ehren gekommen, durch eine unzweifelhafte, aber höchst be- greifliche Verschuldung alles wieder einbüBte!*

Zweck dieser Zeilen ist es, an Hand eines ausreichenden photographischen Materials, wie es zum ersten Male hier und in weit reicherem Maße auf einer in Wiesbaden bevorstehenden Ausstellung geboten wird’), nachzuweisen, daB die ganze bisherige Beurteilung des Veit StoB mangels genügender Kenntnis seines Hauptwerkes, eben des Krakauer Altars, auf falscher Basis aufgebaut ist: Ja, Ver- fasser steht nicht an zu behaupten, daB nur vóllige Unkenntnis der groBartigen I8 Relieftafeln, die neben manchen durchaus gleichgültigen die edelsten Früchte StoBischer Kunst umschließen, die unbegreifliche Tatsache zu erklären vermag, daß

(1) Th. Hampe, Veit Stoß von B. Daun. Mitteilungen des Vereins f. d. Erforschung der Geschichte der Stadt Nürnberg, Jahrg. 1904.

(2) R. Eigenberger, Einige Beitráge zur Kenntnis der in Nürnberg erhaltenen Werke des Adam Kraft. Münchener Jahrb. d. b. K. 1914—15.

(3) J. Baum, Ulmer Plastik, Seite 131.

(4) Hermann VoB, Entstehung des Donaustils, Seite 92.

(s) Diese vom Verfasser als dem Leiter der „Wiesbadener Gesellschaft für bildende Kunst“ seit Jabren vorbereitete Ausstellung von Photographien ganz großen Formates nach sämtlichen Hauptwerken unserer altdeutschen Plastik aus der Zeit der Spätgotik und Frührenaissance soll, wenn nicht durch die Kriegsverhältnisse unüberwindliche Hindernisse bereitet werden, während des Jahres 1918 im neuerbauten stádtischen Museum stattfinden. Zunüchst kommt jedoch nur die etwa 350 Nummern umfassende Sammlung von Aufnahmen der fränkischen, fränkisch-schwäbischen, mittel- und ober- rheinischen Schulen zur Vorfübrung. Die Komplettierung der sweiten Abteilung ist wübrend des Krieges nicht móglich. Was die etwa 36 Reproduktionen aller wichtigen Teile des Krakauer Marien- altars anlangt, so stellen diese Vergrößerungen nach den ausgezeichneten Platten dar, die der Photograph Pawlikowski für den Krakauer Altertumsverein und das Werk Prof, Koperas vor Jahren gemacht hat und für deren gütige Überlassung Verfasser sowohl dem Vorstand des genannten Vereins, wie Herrn Prof. Kopera zu allergrößtem Dank verpflichtet ist. Erst durch die sehr bedeutende Vergrößerung der Originalplatten war es móglich, von den figurenreichen Reliefs eine für die kunsthistorische und ästhetische Würdigung ausreichende Anschauung zu gewinnen. Die VergróBerungen sind beiläufig von solcher Schärfe, daß sie mit wenigen Ausnahmen den Eindruck von Originalaufnahmen machen, dabei zeichnen sie sich durch wundervolle braungoldne Tönung aus, so daß sie auch dem nur ästhe- tisch Interessierten vollkommenste Befriedigung zu gewähren vermögen. Zusatz während der Kor- rektur: Die Ausstellung der Photographien während des Krieges hat sich inzwischen als unmöglich herausgestellt, da die Kartons nicht geliefert werden dürfen.

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sich selbst unsere besten Kenner bis in die jüngste Zeit über die angebliche Frage der Eigenhündigkeit eines so klšglichen Machwerkes wie des Schwabacher Hoch- Altars nicht zu einigen vermochten. Von Bergau, Robert Vischer und Bode bis zu Rée und Fr. Tr. Schulz wird der Schwabacher Altar, wie Loßnitzer her- vorhebt, unter den Hauptwerken der Niirnberger Periode des Meisters angefiihrt, wenn auch einige an dem Schrein, einige an den Reliefs teilweise Mithilfe von Schülern erkennen wollen. Auch Dehio!) glaubt wenigstens den Schrein für eigenhündig erklüren zu sollen. Daun aber findet, das die Hauptfiguren des Schreins mit denen in Krakau und Bamberg wetteifern kónnen, und daB ,in dem Relief des Marientodes die gespreizte Dramatik (nümlich des Krakauer Werkes) durch edle Mäßigung verdrängt, die Empfindung stiller Teilnahme, wehmiitiger Erhebung und Herzenstrauer mit Feinheit ausgedrückt sei“. „So läßt sich,“ schließt er in nicht eben schönem Deutsch, „gerade am Schwabacher Altar die Eigen- händigkeit des Veit Stoß feststellen.“ Es zählt nun freilich zu den wertvollsten Leistungen Loßnitzers, die Unhaltbarkeit dieser Anschauungen schlagend dargetan zu haben, nur hätte er durch die Gegenüberstellung guter Abbildungen von Einzel- heiten beider Altäre, wie sie die Wiesbadener Ausstellung bringt, den Leser von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugen müssen. Verfasser möchte glauben, daß selbst ein so hartnäckig an seiner einmal aufgestellten Ansicht festhaltender Autor wie Daun, der noch in der neuesten Auflage seines Werkes die oben zitierten Urteile wiederholte, durch eine solche Konfrontierung des Schwabacher und Kra- kauer Werkes einer Bekehrung fähig sein dürfte (Abb. 2).

Neben dem Mangel an seelischem Gehalt wird jedoch der Kunst des Veit Stoß noch anderes vorgeworfen. So ist erstaunlich, mit welchem Übelwollen von vielen die Gewandbehandlung wie auch die Komposition des Meisters beurteilt wird Das geringste ist, daß man sie zu entschuldigen sucht. Vor allem wirft man ihm Unruhe und Überfüllung vor. So sagt z. B. Daun (p. 17 der Knackfuß-Monographie) von dem Krakauer Altar: „Die Flügelreliefs wiederholen die Unruhe in Bewegung und Komposition und lassen die Absicht merken, durch gedrehte Falten, die hart und steif in die Luft stehen (?), die leeren Stellen zu füllen.“ Dieses lieblose Urteil bekundet u. E. einen völligen Mangel von Empfindung für die eigenartigen Reize des Stoßschen Dekorationsstils. Auch werden wir uns später überzeugen, daB gerade die eigenhändigen Flügelreliefs sich durch meisterhafte Komposition auszeichnen, und daB nur in ganz vereinzelten Füllen von einer Unruhe und Über- fülung die Rede sein kann. Aber davon abgesehen bleibt bei diesem Vorwurf unbeachtet, daB man den Künstler hier persónlich für Dinge haftbar macht, die der ganzen damaligen Kunst eigentümlich sind. Loßnitzer bemerkt daher ganz richtig, daB gerade das, ,was man als das Persónlichste seines Stils, die leiden- schaftlichen Bewegungsmotive, die häufige Überfüllung des Raumes und die auf- geregten, flatternden Gewänder betrachtet,“ viel weniger dem Künstler als dem Zeitstil zur Last füllt. Er weist dabei auf die ganz analoge Behandlung des Christophorusgewandes auf dem Baldachinrelief des Kaiser Friedrich-Grabmals von Nikolaus v. Leyden hin; an anderer Stelle (p. 79) áuBert er, daB StoB die Vor- liebe für Unruhe und Bewegung im Faltenstil von der Passauer und Wiener Kunst überkommen habe; sie findet sich übrigens schon genau so bei dem Christus in St. Sebald, den LoBnitzer seinem Simon Lainberger zuschreibt und der in der Überfülle seines rauschenden Faltenwurfes aufs frappanteste mit dem Christus des

(z) Debio, Handbuch d. deutschen Kunstdenkm., Bd. III, S. 467/68.

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Auferstehungsreliefs in Krakau übereinstimmt1). Es darf vielleicht noch daran er- innert werden, daB sich auch jenseits der Alpen im Quattrocento z. B. bei den Engel- gestalten Botticellis ganz šhnliches findet. Die Gerechtigkeit erfordert hier anzu- erkennen, daß Hermann Voß trotz seines oben zitierten absprechenden Urteils dieser Seite der Stofischen Kunst besseres Verstündnis entgegenbringt. Er erblickt darin mit Recht die Zeichen einer Sturm- und Drangzeit der gesamten damaligen Kunst, als deren ülterer Vertreter Veit StoB, als deren jüngerer der Dürer der Apokalypse erscheine. ,Im wesentlichen sind es die gleichen Züge, die bei Dürer den Sturm und Drang charakterisieren wie bei StoB: zunüchst die Überfülle des Gewandes, die stürmischen Bewegungen und die nicht selten überfüllte Komposition. Man kónnte hinzufügen: es sind die Charakteristika aller Sturm- und Drangkunst, in der Literatur nicht minder wie in den bildenden Kiinsten. Es genügt, hierbei an Goethes und Schillers Anfünge zu erinnern. Bei Dürer hat das die Kritik nicht verhindert, die Kraft und Fülle seiner Phantasie zu bewundern, die sich in der Apokalypse offenbart, aber bei StoB scheint es üblich, nur die Schwáchen seiner Vorzüge zu sehen. Gerade als ob nicht jeder Kunst bei der immanenten Ein- seitigkeit alles künstlerischen Gestaltens solche notgedrungenerweise anhaften miiBten. Scheut man nicht die geringe Mühe, sich in die Gedankenwelt des Meisters einzuleben, anstatt ihn immer nur von einem anderen, ihm heterogenen Standpunkt aus zu bekritteln, so wird man sehr bald von der GroBartigkeit dieses Faltenwurfes und der geistreichen Führung seiner einzelnen Motive, die sich auf das allervorteilhafteste von dem kleinlichen Durcheinander der knittrigen Falten- brüche eines Riemenschneider unterscheiden, gepackt und gefesselt. Der maje- stätische Eindruck des prächtigen Andreas in St. Sebald beruht nicht zum letzten auf der groBartigen Kaskade, in der die Falten des aufgehobenen Mantelstiickes zur Erde niederstürzen?). Gibt es ferner etwas Genialeres als den Faltenwurf des Mantels bei dem kleinen Engel der Nürnberger Jakobskirche??) Zunächst rein formal genommen ist es eine Augenweide, diesem Schwung der Linien zu folgen; aber darüber hinaus ist hier eine äußerst komplizierte Bewegung mit einer nur dem ganz großen Künstler möglichen Intensität der Beobachtung in dem starren Material veranschaulicht worden. Man begreift sofort, wie diese krausen Ver- schlingungen zustande kamen, dadurch, daß der Arm, jäh erhoben, plötzlich stille hielt: das durch den Schwung nach oben noch nachträglich emporgeschleuderte Gewand ist im Augenblick der Umkehr der Bewegung dargestellt‘), Man sieht es förmlich wippen und schweben. Aber das weitaus interessanteste Beobachtungs- material für den unerschöpflichen Reichtum dekorativer Gewandmotive bilden doch die Reliefs des Krakauer Altares neben einzelnen Figuren des Schreins. Dabei ergibt das genaue Studium, daß neben dem freilich noch entscheidenderen geistigen Gebalt der Köpfe die Gewandbehandlung bei den verschiedenen Teilen des Altars ein äußerst wertvolles Kriterium für die Eigenhändigkeit darstellt. Was allen

Werkstattarbeiten fehlt, ist mit zuerst der Mangel beherrschender Motive in der Gewandbehandlung.

(x) Abb. bei Loßnitzer, Tafel 20.

(2) Abb, ebenda Tafel 37.

(3) Ebenda Tafel 46.

(4) Diese Auffassung steht allerdings in einigem Widerspruch mit Loßnitzer, der in der Figur einen hi. Raphael sieht, der ursprünglich mit einem Palmzweig in der Hand ausgestattet war. Aber wie

sollte die flach ausgebreitete, mit der Innenseite nach oben gekehrte Hand einen Palmzweig gehalten haben?

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Es ist ein groBes Verdienst des LoBnitzerschen Werkes, zuerst eine freilich noch lange nicht genügend ins einzelne gehende und darum nur teilweise zum Ziel ge- langende Untersuchung der Krakauer Relieftafeln gebracht zu haben. Mit Recht sagt der Autor (p. 48): ,,Nur aus den eigenhündigen Teilen des Marienaltars kann man eine Vorstellung von dem Wesen dieser eigenwilligen Kunst gewinnen,“ denn der Altar enthält namentlich in seinen Reliefs neben Meisterwerken allerersten Ranges von ergreifendem seelischem Gehalt absolut wert- lose, ja direkt abstoBende Nichtigkeiten, und zwar beides bunt durch- einander gemengt. L. untersucht nun zunšchst die Reliefs auf ihre Entstehungs- zeit und üuBert die ansprechende Vermutung, vielleicht die früheste Tafel sei der Tempelgang Mariae das unterste der drei Reliefs am linken Blendflügel ,,das beide (getrennt gearbeitete) Reliefhülften in einem architektonischen Rahmen ein- gefaßt zeigt". Es scheint einleuchtend, daß hier der erste Versuch vorliegt, die gewaltige Fläche (2,50 m Breite und 2,00 m Hóhe) zu bewültigen. Auch bei sümtlichen Reliefs des rechten Blendflügels und dann auf der einen Seite des linken beweglichen Flügels hat der Künstler die Tafeln aus zwei Hälften zusammengesetzt, wenn schon hier die architektonische Teilung aufgegeben ist. Dagegen kehrt diese wieder auf der Darstellung Christi im Tempel dem unmittelbaren Nachbar des Tempelgangs Mariae. Vielleicht ist auch hier die Zweiteilung der Tafel nur durch die das Werk genau in der Mitte teilende Säule verdeckt. Wie dem auch sei, die Verwandtschaft dieses Werkes mit dem Tempelgang ist in jeder Hinsicht außer- ordentlich auffällig: die Gewölbebildung ist auf beiden fast identisch, die Figur des Mannes zu äußerst links mit dem großen Bart und der hohen malerischen Juden- mütze ist eine direkte Weiterbildung der gleichen Gestalt auf dem Tempelgang, so daß man u. E. auch eine unmittelbar zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Ent- stehung annehmen darf. Danach wäre die „Darstellung im Tempel“ das zweit- älteste Relief des Altars (s. Abb. 3 u. 5).

Zur Frage der Eigenhündigkeit übergehend spricht L. dem Künstler sámtliche drei Reliefs des linken Blendflügels (Goldene Pforte, Geburt Mariä und Tempel- gang) vúllig ab. Die drei Tafeln des rechten Blendflügels Christus als Gürtner, die Frauen am Grabe, Christi Hóllenfahrt scheinen ihm ,,von StoB selbst oder unter seiner Leitung gefertigt zu sein“. Damit steht freilich nicht ganz im Ein- klang Seite 83 seines Werkes, wo es heißt, „wir haben bereits die sechs Reliefs der feststehenden Flügel samt dem Lusiner Altar als typische Werkstattarbeiten erkannt, die nur nach Entwürfen des Meisters gefertigt sein können“. Im Gegen- satz hierzu erklärt unser Autor sämtliche sechs Reliefs auf der Außenseite der beweglichen Flügel die also bei geschlossenem Altar die Mitte zwischen den Reliefs der Blendflügel bilden für eigenhändig. „Von diesen gehören wahr- scheinlich die Gefangennahme Christi und die Beweinung zu den letzten, spátesten Arbeiten,“ sagt er und fährt fort: „Vielleicht sind diese spätesten und besten Reliefs erst nach seiner Rückkehr von der Nürnberger Reise im Jahre 1488 entstanden.“ Für eigenhändig scheint L. auch die sechs in viel höherem Relief gearbeiteten Tafeln auf der Innenseite der beweglichen Flügel zu halten, als da sind: Verkün- digung, Geburt, Anbetung der Könige, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingstfest.

Demgegenüber ist Verfasser der Ansicht, daß L. mit seinem Urteil stark in die Irre geht, und daß eigenhändige und Werkstattarbeiten sich unter den Außen- wie unter den Innenreliefs befinden. Zunächst sind jedenfalls die großen Meisterwerke, wie die ganz wertlosen Stücke unter beiden zu finden. Und zwar sind, wie später im einzelnen gezeigt werden soll,

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zu den ersteren zu zšhlen: von den Innenreliefs nur die Himmelfahrt und die Anbetung der Kónige, letztere wenigstens in der getrennt gearbeiteten rechten Hälfte; von den AuBenreliefs vor allem die Beweinung, die Darbringung im Tempel und die von L. als Werkstattarbeit angesprochene Höllenfahrt, dann die Geburt Mariä, der Tempelgang Mariä, linke Hälfte, die Begegnung an der Goldenen Pforte, alle drei letztgenannten auf dem linken Blendflügel, den L. dem ganz talentlosen Schnitzer der Figuren im Gespreng als selbständige Arbeit zuschreibt und „sie in seiner harten und trockenen Manier gearbeitet“ sein läßt. Unbedingt nicht von der Hand des Meisters sind dagegen: zu allererst das vielgerühmte Pfingstfest von der Innenseite, aber auch die von L. besonders gelobte Gefangennahme, der ı2jährige Jesus im Tempel, der größte Teil der Kreuzigung und wohl auch die Grablegung, sämtlich von L. für eigen- händig erklärt, ferner die Frauen am Grabe und Christus als Gärtner, die auch L. wenigstens an einer Stelle seines Buches als Werkstattarbeiten aufführt.

Die Himmelfahrt Christi (Abb. 6) und die Be weinung (Abb. rou 21) sind wohl die geistig bedeutendsten Stücke der ganzen Folge. Erstere dem nahe verwandten, aber durchaus von fremder Hand stammenden Pfingstwunder weit überlegen, legt sowohl in der gesamten Komposition wie in jeder Einzelheit Zeugnis davon ab, daß nur ein Großer im Reiche der Kunst ihr Schöpfer sein kann, obwohl sie nicht frei ist von den typischen Schwächen der Frühwerke aus einer Zeit, die noch um die Be- wältigung der Darstellungsmittel ringt. Statt der sonst üblichen Art, den Unter- körper des zum Himmel fahrenden Christus dem Beschauer und den Jüngern als einzigen Teil seiner Gestalt zu zeigen, der sich Dürer noch in seiner kleinen Pas- sion schuldig machte, ist hier nur ein Fels dargestellt, auf dessen oberster Kuppe man die Fußspuren des Erlösers wahrnimmt, die auf das Wunder deuten, das sich hier vollzieht!).

Nach diesem geistigen Mittelpunkt konvergieren alle Linien der gesamten Kom- position, wie von magnetischer Kraft dorthin gezogen. In nahezu symmetrischer Anordnung sind die Anbetenden je zur Hälfte rechts und links des Felsens ver- teilt, so daß sich beide Seiten fast wie Spiegelbilder gleichen; doch wirkt dies keineswegs ängstlich, sondern wird erst bei näherer Aufmerksamkeit überhaupt bemerkt. Unter dem Felsen sind einander entsprechend Maria und Petrus an- geordnet, die Silhouetten ihrer Gewänder, die sich fast in der Mittellinie berühren, weichen nach außen und unten immer mehr auseinander, so daß beide Gestalten zusammen mit dem Felsen eine spitze Pyramide bilden, deren Linien jedoch sehr wohltätig für das Auge, durch das Überragen der Köpfe über die Felswände unter- brochen sind. Hinter ihnen ordnen sich die übrigen Jünger wieder in zwei ge- schlossenen, einander genau das Gleichgewicht haltenden Gruppen. Alle durch- pulst die gleiche Erregung und zieht sie nach oben und der Mitte. Dieses Sich- Stauen und Drängen der Menge ist von großer suggestiver Kraft. Nur in einem Punkte zahlt der Künstler den Tribut seiner Zeit, indem er von den Hintergrund-

(1) Eine frühere Verwendung dieses Motivs ist dem Verfasser nicht bekannt geworden. Es ist also wohl geistiges Eigentum des Stoß. Zweifelhaft erscheint dagegen, ob das nicht unwirksame Strahlen- bündel, das aus aufgesetzten Holzleisten besteht und in ähnlicher Form vielfach an dem Altar wieder- kehrt, nicht ein spáterer Zusatz ist. Hans Mackowski, dem Verfasser die Photographie zeigte, sprach zuerst ihm gegenüber diesen Verdacht aus. Er scheint seine Bestütigung darin zu finden, daB der Kruzifixus in der Marienkirche eine ähnliche Strahlenbekrönung tatsächlich erst im 17, Jahrhundert erhielt. Auch ist kaum anzunehmen, daß der Meister die Strahlen, wie man beobachten kann, sogar gelegentlich auf die Stirnen der Jünger angenagelt hitte.

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figuren manchmal nur einen Teil des behaarten Kopfes zeigt, oder sie wie die beiden links über Johannes in einer ungeschickten Profilansicht auf die Fläche preBt, doch zeigen diese beiden offensichtlich nur als Füllfiguren behandelten Ge- stalten gegenüber der vollendeten Darstellung ihrer beiden Vordermünner auch sonst noch so viele Schwüchen z. B. den unglücklichen Rückenansatz des hinteren, die geistlosere Behandlung des Kopf- und Barthaares, dazu den mangelnden Ge- sichtsausdruck daB man sich fragen muB, ob der Künstler nicht diese Teile Gesellenhänden überließ. Bei Beurteilung dieser Figuren ist auch zu beachten, daß sie im Original ganz anders zurücktreten wie auf der überscharfen Photographie. Im übrigen findet gerade in den Kópfen und den sprechenden Gesten der Hünde die allgemeine Ergriffenheit ihren beredtesten und bewegtesten Ausdruck. Es sei gestattet, die Gestalt des Johannes (Abb. E), die zum vollendetsten gehören dürfte, was religiöse Kunst geschaffen hat, hier etwas näher zu analysieren: eilenden Schrittes naht er der Státte des Wunders, aber schon reiBt es ihn in die Kniee, im nächsten Augenblick wird er gleich den beiden vor ihm anbetend nieder- gesunken sein; bereits hat er die Hšnde in gróBter Erregung gefaltet man sieht wie die Finger sich krampfhaft ineinanderschlieBen und folgt mit dem Aus- druck höchster Spannung, um nicht zu sagen Erschütterung in dem jugendlich schónen Antlitz dem Vorgang in den Lüften; die ganze auch durch ibr bedeuten- des Menschentum fesselnde, herrliche Jünglingsgestalt erscheint wie durchglüht von heiligem Glaubenseifer, von Andacht und Bewunderung. Aber auch dem leichten und sicheren Fluf des bei allem Reichtum im Detail durchaus groBzügig behandelten Gewandes folgt der Blick bei jeder neuen Betrachtung mit Genuß und Freude; wundervoll ist endlich die Bildung der Hände und die Modellierung des reichen Lockenhaares! Von direkt aristokratischer Form erscheint dann die Hand, die sich dem Johannes auf die Schulter legt und den Blick des Beschauers zu dem langbürtigen Jünger hinter ihm lenkt, in dessen markigen Gesichtszügen mit der vornehmen Stirn- und Nasenbildung noch mehr das Staunen wie die Andacht geschildert ist (Abb. 10). Auch hier begegnen wir wieder der gleich genialen Behandlung von Kopf- und Barthaar, in der sich, wie wir weiter unten sehen werden, stets die ungefülschte Meisterhand zu erkennen gibt!) Als dritte Haupt- gestalt dieser Seite schließt sich nach vorn Maria an.

Eine eigenartige Erregung, bei der der Ausdruck des mütterlichen Stolzes nicht übersehen werden darf, spiegelt sich in dem schmalen, durch eine scharfgeschnit- tene aber feingliedrige Adlernase charakterisierten Antlitz der Gottesmutter. Leider ist die durch das Relief bedingte Verkürzung des Mundes nicht völlig geglückt, wodurch ein leicht befremdender Zug sich beimischt. Auch auf der rechten Seite findet sich eine reiche Auswahl verschiedenster Vertreter des kraftvollen Menschen- Schlages, der uns in den beiden bereits geschilderten Jüngern entgegentrat. Dabei ist die seelische Anteilnahme an dem Wunder hier in nicht minder mannigfaltiger Art geschildert: zuvorderst Petrus kniend, ganz gliubige Hingabe und Ehrfurcht, wührend der bartlose Jiingling hinter ihm mit dem prachtvollen, merkwürdig modern anmutenden und fast an Meuniersche Typen gemahnenden Kopf (Abb. 11), ganz und gar erfüllt scheint von dem Drange, sich von der Wahrheit des Unerhürten, das er sieht, zu überzeugen. Auch der Kopf zwischen ihm und Petrus steht an

(1) An einzelnen Stellen wird die Klarheit des Eindrucks durch kleine abgestoßene Lockenteile be- eintráchtigt; auch bei dem Jobannes wie bei vielen anderen Figuren des Altars wiederholt sich diese Beschidigung.

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Qualität nicht zurück. Der Gesamteindruck aber ist der leidenschaftlichen Er- lebens von seiten starker, kraftvoller, zum Teil direkt edelrassiger Menschen. Wir werden später sehen, daß uns fast auf allen eigenhündigen Tafeln zahlreiche Ver- treter derselben Menschenspezies begegnen, die nichts weiß von der kleinbürger- lichen Enge, wie sie uns fast unzertrennlich scheint von der Kunst des hinter seinen Mauern zusammengedrüngten zünftigen Bürgertums vom Ausgang des 15. Jahrhunderts. Das aristokratische W'esen vieler Reliefgestalten des Marien- altars ist übrigens schon Loßnitzer aufgefallen; sagt er doch p. 166 sehr richtig: „Ein letzter Schimmer hófischer Pracht des Mittelalters war über die Relieftafeln ausgebreitet: Alle Gottes- und Heiligenbilder erhielten die zarten Gelenke, die zier- lichen Gewánder des Fürsten. Derbknochige Bauern zu bilden blieb einer spáteren Zeit vorbehalten.“ Hierzu ist jedoch zu bemerken, daf gerade bei der Himmel- fahrt von diesem mittelalterlich hófischen W'esen eigentlich nichts mehr zu sehen ist. Dagegen kommt dieses Prüdikat, was wir hier vorwegnehmen, im hócbsten Grade z. B. den Gestalten der köstlichen Geburt Mariä, des Tempelgangs Mariä und der Darstellung im Tempel, auch noch denen der Anbetung der Könige auf der Innenseite des linken Flügels zu; aber bei der Himmelfahrt ist die mittelalter- liche Zierlichkeit und mit ihr auch die Unsicherheit im Stehen, die Unklarheit der Körperbildung verschwunden. Diese Menschen sind im Irdischen viel sicherer fundiert als ihre Vorgünger bei den genannten, offenbar früher entstandenen Tafeln, doch verleugnen sie darum nicht ihre vornehme Abstammung. Wohl haben sie jetzt feste Knochen und klar gebildete Gelenke, aber sie gehören, wie schon oben gesagt wurde, immer noch einer veredelten Menschenrasse an. Mit anderen Worten: Veit hat es verstanden, indem er die bei allem Realismus noch mehr allgemein gehaltenen Gestalten mittelalterlich hófischen Geprüges der ülteren Tafeln immer mehr mit individuellem Leben sáttigte, ohne doch dabei irgendwie in Naturalismus zu verfallen, 20 Jahre vor der Jahrhundertwende einen modernen, frei und kühn anmutenden Menschentyp aufzustellen, wie wir ihn sonst erst im Cinquecento zu treffen gewohnt sind. Dieser Entwicklungsgang tritt besonders klar vor Augen, wenn wir etwa die Gestalten des jüngeren Königs auf der An- betung (Abb. 3), oder die der schónen Beterin auf dem Tempelgang (Abb. 5) mit denen des Johannes und seines Hintermannes oder gar des bartlosen Jünglings auf der rechten Seite der Himmelfahrt vergleichen. In dieser groBartigen Typen- bildung aber scheint uns eines der unsterblichsten Verdienste des Meisters um- Schlossen zu sein. Hat doch vielleicht einzig und allein vor der Berührung mit Italien und der Antike der ültere Syrlin in den besten seiner Prophetengestalten am Ulmer Chorgestühl sich zu einer ähnlichen freien und großzügigen Menschen- bildung emporgeschwungen. :

Nur in einem der groBen Reliefs und zwar gerade in dem meistgenannten, nám- lich der AusgieBung des heiligen Geistes (Abb. 7), tritt uns die kleinbürger- liche Welt des altdeutschen Schnitzelaltars, wenn auch in gemilderter und genieB- barer Form entgegen. Loßnitzer sagt von diesem, wobei er es, wie es scheint, in einem gewissen Gegensatz zu der darüber befindlichen Himmelfahrt bringen will, offenbar nur, weil er von letzterer sich nicht die genügende Anschauung verschaffen konnte: „Das untere der beiden Reliefs ist auch im plastischen Detail mit größter Liebe durchgebildet und zeigt eine Fülle markanter Apostelküpfe.* Wir werden sehen, wie sehr auch, von allem anderen abgesehen, selbst diese Durchbildung hinter der der Himmelfahrt zurücksteht.

Die ganze Komposition des Pfingstfestes zeigt wie auch die meisten Einzelheiten

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grüBte Verwandtschaft mit der der Himmelfahrt, ja das ganze stellt sich fast als eine freie, minderwertige Kopie der Himmelfahrt dar. Im Mittelpunkt die Gestalt der Maria, eine Art Gegenstück zur Madonna der Himmelfahrt, und von allen Figuren allein auch stilistisch ihrem Vorbild sehr verwandt. Links dahinter wiederum Jo- hannes und vor ihr zur Rechten abermals Petrus, beide fast wörtliche Wieder- holungen der gleichen Gestalten auf der Himmelfahrt, und doch durch eine Welt von diesen getrennt! An Stelle des sehnigen, kraftvollen Jiinglings ist hier in dem Johannes eine weichliche, ausgesprochen muskelschwache Gestalt mit abgehármten Zügen und eingefallenen Wangen getreten (Abb. g), Petrus aber, auf der Himmelfahrt eine vornehme, edle Erscheinung, prüsentiert sich als bescheidener Handwerker mit ordindrer Stülpnase und mürrischem Gesichtsausdruck in den kleinlichen Zügen. Seinem derben Schusterkopf ist der eines schwächlichen Schneiders mit Bocksbart gesellt, der wieder dieselbe Schädelbildung aufweist wie Johannes. Es ist erforder- lich, auf diesen Punkt noch etwas nüher einzugehen. Wer wie Verfasser von der Medizin zur Kunstwissenschaft gekommen ist, wird sich, des Eindrucks nicht er- wehren können, daß diese Leute von einer Art Knochenschwund befallen sind: unter den schlaffen Wangen fehlt die stützende Unterlage und die Augen mit den sehr bezeichnenden übergroßen, rundlichen oberen Lidern liegen zu tief in den Höhlen. Nirgends ist die Form unter den Weichteilen sicher zu erkennen und diese mangelhafte Skelettbildung ist das charakteristische Stigma für nahezu die Gesamtheit der Köpfe, der magern wie der fleischigen. Besonders unangenehm wirken bei diesen die schwammigen Wangen und die rundlichen Stirnen, die ohne rechte Grenze ganz allmählich in die ebenso formlosen Schläfen übergehn. Dazu fehlen alle belebenden Details wie etwa die Krähenfüße in den Augenwinkeln älterer Personen, die Andeutung der Schlagader auf der Schläfe und ähnliches, die in so reichem Maße an den Köpfen der Himmelfahrt (Petrus und Paulus z.B.) ver- treten sind. Auch die Bildung des Augenbrauenbogens ist ein geradezu untrlig- liches Unterscheidungsmerkmal für die Gestalten der Himmelfahrt und des Pfingst- festes: Hier ein erstaunlicher Reichtum feiner Einzelbeobachtungen und stetes Durchscheinen der an dieser Stelle sehr formreichen und komplizierten Knochen- unterlage so ganz besonders bei Petrus, Paulus und dem jungen Bartlosen, so- wie dem Langbärtigen zu äußerst links (Abb. 10 u. т”) auf dem Pfingstfest da- gegen ist eine fast scharfkantige, einförmige, halbrunde Trennungslinie zwischen Schädel und Augenhöhle am auffallendsten bei dem langbärtigen, sitzenden, in der Bibel lesenden Apostel links, dessen auch geistig völlig leerer Kopf schon mehr auf handwerksmäßiger Stufe steht. Sehr bezeichnend ist endlich die Art der Haar- behandlung! Man vergleiche etwa unsern Mann mit der Bibel mit dem gleichfalls im Profil gesehenen und ebenfalls langbärtigen Apostel zu äußerst links auf der Himmel- fahrt! Wie unklar und unsicher ist der Bart, wie langweilig das strähnige Haar gegeben! Und das gleiche gilt von Haar und Bart seines Hintermannes, oder dem Haupthaar des Jünglings vor ihm. Selbst der Johannes, der offenbar mit beson- derer Liebe und Sorgfalt gearbeitet ist, hat statt des natürlichen Lockenhaares seines Bruders auf der Himmelfahrt eine Theaterperücke auf. Ganz schematisch sind wiederum die langen Bärte und Haare der beiden von vorn gesehenen ganz leeren Gestalten mit der Stirnlocke gearbeitet. Nur ein einziger Kopf unter den Aposteln, der zu äußerst rechts, erinnert in der Formbildung noch etwas an die Gestalten der Himmelfahrt, jedoch mit dem Unterschied, daß auch diese vorzüg- liche Figur einen entschieden zarteren Knochenbau besitzt. Daneben fällt durch seine Qualität der bartlose, von vorn gesehene ältere Kopf in der linken Hälfte des

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Pfingstfestes auf, der im übrigen alle charakteristischen Formeigentümlichkeiten, die wir oben einzeln hervorgehoben, aufweist, aber offenbar Portrütdarstellung ist.

Unsere Stilanalyse hat mit absoluter Sicherheit ergeben, daß zwei ganz ver- schiedene Hiünde das Relief der Himmelfahrt und das der AusgieBung des heiligen Geistes gearbeitet haben, und selbst wenn man von jedem Qualitätsurteil absehen wollte, würe an dieser Tatsache festzuhalten, denn es sind zwei ganz entgegen- gesetzte Temperamente, die sich in beiden Tafeln aussprechen, dort in der Himmel- fahrt äußert sich ein jugendlich-feuriges, bei der Ausgießung dagegen ein weiches und sanftes Gemüt. Fanden wir bei der Himmelfahrt eine Versammlung von Petrusnaturen, die bereit sind, jederzeit das Schwert für ihren Meister zu ziehen, so hier eine Schar günzlich unkriegerischer, aber christlich demütiger Naturen, die höchstens für ihren Meister zu leiden und zu sterben vermögen. Es läßt sich nicht leugnen, daß trotz der weit geringeren technischen Qualität manche dieser Gestalten etwas Rührendes in ihrer Unbeholfenheit haben, und daB ihr ganzer Charakter entschieden mehr unseren Vorstellungen von den ersten Christen ent- spricht als der der Himmelfahrtjiinger. Auch an die Anhänger des Emanuel Quint in Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Roman könnte man sich erinnert fühlen.

Wenn nun oben gesagt wurde, daß die Gestalten der eigenhändigen oder unter persönlicher Leitung des Meisters entstandenen Tafeln ausnahmslos von einem ritterlich vornehmen Geist getragen und von dementsprechender Körperbildung seien, so muß hier einschränkend hinzugefügt werden, daß auch diese Regel nicht ganz ohne Ausnahme ist; denn auf der zweifellos eigenhändigen, hochbedeutenden Höllenfahrt Christi, dem obersten Relief des rechten Blendflügels herrscht dieser Geist nicht, vielmehr nähern sich die Typen hier schon dem, was wir auch sonst in der zeitgenössischen Kunst zu finden gewohnt sind, so sehr sie sich anderer- seits in der scharfen und klaren Modellierung, in der Betonung des Kopfskeletts von den weichlichen Gestalten des Pfingstfestes unterscheiden. Die eingehendere Würdigung des ausgezeichneten Werkes muß noch zurückgestellt werden, denn hier ist zunächst der weiteren auffallenden Tatsache zu gedenken, daß uns auch in den Figuren des Schreines, die gleichfalls später noch im einzelnen zu be- sprechen sind, ein viel stärkerer Naturalismus entgegentritt als auf der übergroßen Mehrzahl der Relieftafeln, wodurch einzelne nicht alle der Apostel bereits einen ausgesprochen kleinbürgerlichen Typ erhalten haben. Es genügt hier, an die Mittelfigur zu erinnern. Dabei ist jedoch auch die Modellierung und Skelett- bildung dieser Köpfe wieder ganz die gleich scharfe und eindringliche wie auf der Hóllenfahrt und, fügen wir hinzu, auf allen eigenhändigen Tafeln. Nur die Auf- fassung hat gewechselt. Auffallend ist das gerade an dem Schrein, von dem man doch annehmen sollte, daß er zuerst entstand. jedenfalls aber ist zuzugeben, daß an dem Altar sich eine Tendenz wahrnehmen läßt, die sich in der Richtung des zunehmenden Naturalismus bewegt, wie sie gerade der Kunst des letzten Viertels unseres Jahrhunderts eigentümlich ist. Selbst auf dem Relief der Himmelfahrt können wir Gestalten von stärkerem Naturalismus und solche von mehr idealisti- scher Form um den etwas veralteten Ausdruck hier zu gebrauchen unter- scheiden, so in dem bartlosen Jüngling auf der rechten Seite (Abb. 11) und in dem Lang- bürtigen zu üuBerst links (Abb. 10). Und wir brauchen nur einen Blick auf das erste datierte Werk der Nürnberger Zeit, die Volckamer-Reliefs zu werfen, um uns zu über- zeugen, daB hier der Künstler bereits ganz in dem kleinbürgerlichen Naturalismus der zeitgenössischen Kunst untergetaucht ist. Es muß daher nochmals die Frage geprüft werden, ob sich das Relief der AusgieBung des heiligen Geistes nicht doch

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einfach aus der Entwicklung des Künstlers selbst erklären läßt. Man könnte etwa zu der Hypothese greifen, daB es nach der Rückkehr des Stoß von seiner Nürn- berger Reise im Jahre 1486 entstanden sei und daß Stoß während seiner fast zwei- jührigen Abwesenheit in Nürnberg von der dort herrschenden, einen kleinbürger- lichen Naturalismus pflegenden Richtung der Wohlgemut und Genossen angesteckt worden sei. Aber dann bleibt noch immer sowohl die weit geringere technische Qualität wie vor allem die völlig verschiedene Auffassung, der „Temperaments- unterschied“ der Gestalten auf der Himmelfahrt und dem Pfingstfest unerklärt. Die Sebalder Reliefs zeigen keine Spur irgendeiner Sentimentalitat, sondern hóch- stens eine gewisse derbe und ziemlich rohe Kraft. Es bleibt daher nur die An- nahme, daB das Pfingstfest als ziemlich selbstündige Arbeit eines Werkstattgenossen aufgefaßt werden muß. (Schluß folgt.)

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KARL PHILIPP FOHR. SEINLEBENUNDSEINEKUNST Mit vierzehn Abbildungen auf acht Tafeln Von Dr. PAUL F. SCHMIDT

nter den Romantikern, welche die Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 U ans Licht zog, erschien Karl Fohr als eines der merkwiirdigsten und eigen- willigsten Talente. Die beiden Gemálde, die man von ihm sah und es sind überhaupt nicht mehr zutage gekommen erregten den Wunsch, mehr von ihm zu sehen. Die Kupferstichkabinette von Darmstadt, Frankfurt a. M. und Heidelberg bergen einen alten Bestand an Handzeichnungen und Aquarellen von ihm; die Berliner Nationalgalerie und vor allem das Dresdner Kabinett, das sich seit 1908 im Besitz der unvergleichlichen Sammlung Cichorius befindet, er- günzten jene aufs glücklichste. Aber sehr vieles liegt noch verborgen in privatem Besitz; und wahrhaft beklagenswert ist der Verlust von fünf oder sechs Ol- geinülden aus der Münchener und ersten rómischen Zeit, von denen Dieffen- bach berichtet, und die allem Anscheine nach vóllig verschollen sind. Sie würden uns AufschluB geben kónnen über den Entwicklungsgang, den Fohrs male- risches Kónnen eingeschlagen hat; was wir jetzt von ihm haben: , Tivoli im Stádelschen Institut und „Ideale Landschaft“ im Besitz des GroBherzogs von Hessen, sind die letzten Zeugnisse einer Entwicklung, die mit seinem Tode allzufrüh abbrach 1).

Fohr war zum Landschaftsmaler und zum Romantiker von der Natur be- stimmt. Am 26. November 1795 in Heidelberg, als Sohn eines einfachen Lehrers, geboren, verbrachte er seine ganze Jugend, ja den gróDten Teil seines kurzen Lebens in jenen landschaftlich so reich gesegneten Gegenden, die nicht erst durch die Brüder Boisserée und durch Scheffel den Glanz des Romantischen empfingen. "Ein unaufmerksamer und unlustiger Schüler, wie viele Künstler, brachte er die Stunden im Heidelberger Gymnasium am liebsten mit Zeichnen zu, und der angeborene Drang war so kräftig in ihm, daß ihn sein Vater noch als Knaben zu dem alten Rottmann brachte, der ihm ebenso wie seinem eigenen Sohn Karl und Ernst Fries den ersten Unterricht erteilte 2). |

Alle drei sind sie Maler der romantischen Landschaft geworden, aber Rott- mann, der allein von ihnen das Jünglingsalter überschritt, gelangte zu wohl-

(1) Eine umfassende Ausstellung Fohrscher Arbeiten unter Heranziehung des Privatbesitzes, zum Gedächtnis seines hundertsten Todestages, bereitet der Leiter der Stádelschen Graphi- schen Sammlung, Herr Rudolf Schrey, vor, der gleichzeitig eine Neuauflage der schwer zugänglichen Biographie von Philipp Dieffenbach von 1823 veranstaltet. („Das Leben des Malers Karl Fohr.“ Darmstadt 1823.) Die übrige Literatur ist äußerst dürftig. Nagler, Rac- zynski, Weech (Badische Biographien), Beringer (Die badische Malerei im rg. Jahrhundert, 1913) geben kurze Auszüge aus Dieffenbach. Ebensowenig ist aus Lichtenberg und Jaffé, Hundert Jahre deutsch-rómischer Landschaftsmalerei, aus Passavants Ansichten über die bildenden Künste (1820) und aus Gurlitt, Die Kunst im 19. Jahrhundert (S. 171) zu entnehmen. Noack, Deutsches Leben in Rom (S. 163, 377 f.), Ludwig Richters Lebenserinnerungen (S. 145ff., II, S. 45, 53) und Riegel, Geschichte des Wiederauflebens (S.312f., 334ff.) kommen am ehesten in Betracht.

(2 Friedrich Rottmann war im wesentlichen Aquarellist und Radierer; er gab u. a. „Abenteuer eines reisenden Malers“ und „Ansichten von Heidelberg und Umgebung“ in radierten Folgen heraus. Zum schöpferischen Künstler fehlte ihm schon grundsätzliches Studium. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er Zeichenlehrer an der Heidelberger Uni- versität. Er starb 1817.

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begründetem Ruhm, indessen Fries wie Fohr ihr Leben nicht auswirken durften !).

Die Spuren der Rottmannschen Schulung sind in den Jugendarbeiten Fohrs deutlich wahrzunehmen. Die Sammelbünde des Darmstüdter Museums enthalten eine Fülle von Aquarellen und Studien, die sorgfáltig und sauber durchgeführt, von der Routine des 18. Jahrhunderts zeugen, die ihrer Technik und Anschauung zugrunde liegt. Die kulissenartige Behandlung des Vordergrundes mit ein- rahmenden Báumen, Burgruinen usw., die braungelben Tóne und der Hackertsche Schematismus des Baumschlags, der summierend allgemeine Hintergrund sind Produkte der Landschafterei aus den Zeiten Zinggs und Dietrichs, die so vóllig auf Tradition und verwásserter Nachahmung der Holländer namentlich der geringeren, wie Waterloo, Saftleven, der Bambocciaden und so wenig auf eigener Beobachtung beruhen. Doch spürt man auBerhalb des Zwanges zu pein- licher Ausführung, der die bildmäßig zugestutzten Aquarelle beherrscht, nament- lich in Federzeichnungen, und selbst in dem Mittelgrunde jener üngstlichen Dar- stellungen, eine freiere Auffassung, die nur auf eigener Beobachtung beruhen kann. Wir wissen denn auch durch Dieffenbach, daB er sich von Anfang an vor die Natur setzt und frisch darauf los studiert. Der Darmstädter Nachlaß enthält unzählige Blätter und Bláttchen, die alles aufzeichnen, was ihm vor Augen kommt. Er ist unendlich fleiBig und das wahre Musterbeispiel eines Auto- didakten. Nicht Rottmann, nicht Issel oder die Münchner Akademie, auch nicht Koch waren seine maßgebenden Lehrer. Die große Natur selber nahm ihn in ihre Lehre und unterwies ihn, alles Geschaffene zu erkennen und zu allem Dargestellten die richtigen Mittel anzuwenden. Da er sich so frühzeitig an ihr bildete, so streifte er bald die Fesseln jener баеп, lebensunfrohen Tradition ab und lernte alle Dinge mit unbefangener Frische anschauen. In sich selbst aber fand er dazu jene Kraft des Idealismus, die ihm das sichere Stilgefühl verlieh; so daß er zu keiner Zeit der ängstlichen Naturtreue des Autodidakten unter- worfen war und mit einer bewundernswerten Schárfe des Blickes den Sinn für GroDzügigkeit und das Pathos des Raumes verband.

Einst fand ihn am Neckar zeichnend Georg Wilhelm Issel; wurde aufmerksam auf sein Talent und brachte ihn nach Darmstadt, um ihm bessere Gelegenheit zum Studium unter seiner Leitung zu geben. Von 1810—1815 lebte und bildete er sich dergestalt abwechselnd in Darmstadt und Heidelberg; auf seinen Wander-

(1) Karl Rottmann, 1798 geboren, genoB in Heidelberg neben dem Unterricht seines Vaters auch den des Portrütmalers Gseller; man darf vielleicht annehmen, daB auch Fohr sein Figurenstudium bei diesem ergünzte. Er machte (wann?) mit Fohr eine gemeinsame Reise den Rhein und die Mosel entlang, wobei sie in einem Gasthaus ein Fremdenzimmer mit vier Landschaften ausmalten (,,Dioskuren“ 1859, S. 14; leider gibt der Anonymus keinen Ort an). Auch er studierte die Sammlung Boisserée und erwarb sich sogar durch Ko- pieren dort seine Fertigkeit im Ólmalen. Seine Entwicklung hat manche Verwandtschaft mit der Fohrs, nur daß sie langsamer vor sich ging; ihm war das Ausreifen seiner Kunst beschieden, und wahrscheinlich ist er als das kleinere Talent von beiden zu betrachten. Erst 1822 kommt er nach München, wo ihn ganz wie Fohr nur die Kochschen Gemälde anziehen und die Münchner Realisten nichts zu sagen haben; 1826—1828 ist er in Italien, worauf dann mit den Fresken der Münchner Hofarkaden sein Aufstieg beginnt.

Ernst Fries (1801—1839) ist von 1823—1829 in Rom und empfängt sowohl von Fohr wie von Rottmann Einflüsse. Seine Zeichnung treibt die Feinheit und Schürfe oft bis zum Unpersónlichen; wo er Fohr am nüchsten kommt, erscheint seine Landschaft am meisten empfunden. Er stirbt, da er sich im Fieberwahn die Pulsadern aufschneidet.

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ungen heimwärts zeichnete er die Burgen und Städtchen an der Bergstraße, und im Rittersaal des Erbacher Schlosses im Odenwald studierte er die alten Ritter- rüstungen, zu denen ihn eine leidenschaftliche Neigung zog. Seitdem ihn Dieffen- bach 1812 kennengelernt und seiner mangelhaften Schulbildung namentlich im Deutschen durch Unterricht etwas nachgeholfen hatte, las er mit großer Begierde Sagen in Ritterbüchern; hörte Vorlesungen des Prof. Wilken über mittelalter- liche Geschichte und erhielt von dem Architekten Moller Unterricht in. Per- spektive; kurz, er lebte hier ganz in den Ideenkreisen der Romantik und der Schwärmerei fürs Mittelalter, die durch, Bekanntschaften, ja feurigen Freund- schaftsbund mit Studenten und durch die Kenntnis altdeutscher Malerei, die ihm die Boisseréesche Sammlung vermittelte, immer neue Nahrung erhielt. Die große Zeit des nationalen Aufschwungs zog ihn auf ihre Weise in den Bann. Zwar wurde er nicht ausgehoben und lernte die Freiheitskriege nicht kennen; aber die Begeisterung der Zeit für Deutschtum und Romantik teilte sich auch ihm mit und spiegelte sich in seinen Zeichnungen wieder. Die Nibelungen in der Prosaübersetzung von Zeuner machten einen tiefen Eindruck auf ihn, der sein ganzes Leben hindurch anhielt. Noch die letzte unvollendete Zeichnung in Rom stellt Hagen und die Donaunixen dar. Aus jenen Jahren, namentlich 1815, stammen die wenigen Landschaften von „romantischer“ Prägung im eigent- lichen Sinn die nicht erfreulich wirken und die Federzeichnungen ritter- licher Darstellungen, von denen einige später lithographiert wurden: Ritter mit ihren Damen in schöner freier Landschaft, die ohne historischen Zweck er- scheinen und ihr adliges Dasein spazieren führen; W'ackenroderische Gestalten, schön frisiert und von lohengrinhaftem Edelsinn, verzückte Tenöre, Lieblinge der Damen; aber merkwürdig reif gezeichnet und in der Komposition sehr glücklich. Das Figürliche ist bis zu diesem Zeitpunkt das am wenigsten Geglückte bei Fohr; aber auch hier bringt er es durch fleißiges Studium, anscheinend immer ohne nähere Anleitung, bis zu der Vollendung, die ihm schon auf seiner Alpen- wanderung ein souveränes Einfügen der bewegten Gestalten in die Landschaft gestattet. Selbst in der Perspektive konnte ihm Moller nur die nachträgliche Begründung und Theorie des Instinktes geben, mit der er bis dahin die Raum- konstruktion bewältigt hatte, spielend und mit einer fast nachtwandlerischen Sicherheit: alles Technische und Handwerkliche der Kunst schien diesem glück- lichen „Zögling der Natur“ von selber anzufliegen.

Issel wird er wenig verdankt haben. Die Naturen und die Kunstweisen der beiden waren allzu verschieden; und Fohr hatte, bei aller Empfänglichkeit für äußere Eindrücke, einen viel zu harten Kopf und einen zu gefestigten künstle- rischen Instinkt, als daß er sich von anders gearteten Einflüssen irgendwie hätte aus der Bahn bringen lassen i).

Doch förderte ihn Issel aufs tätigste, empfahl ihn dem Direktor des Darmstädter Museums, der ihm der fast noch Knabe war Zeichnungen für das Museum in Auftrag gab, und vermittelte ihm den Auftrag, die Landschaften für das

(1) Georg Wilh. Issel (1785—1870) war ein feines stilles Talent, das seine malerische Begabung und Neigung zum Idyllischen auf Reisen in Paris 1813 und 1814 schulte. Er erscheint fast mehr als Gelehrter und Diplomat denn als Maler. Seine Skizzen und Ge- mälde in Darmstadt stellen ihn an die Seite von Schilbach und Hans Beckmann. Daß er einen so unvergleichlich Stárkeren wie Fohr weniger leiten als lediglich fórdern konnte,

ist klar, und vielleicht ist diese feinfühlige Hilfe gegenüber dem jungen Maler sein schónstes . Verdienst.

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,Rheinische Taschenbuch" zu liefern; es erschienen 1812—1817 von ihm alljšhr- lich bis zu vier Beilagen, die Haldenwang in Kupfer stach.

Dieffenbach wiederum empfahl ihn der Groß- und Erbherzogin Wilhelmine von Baden-Durlach, die ihm sehr bald ein lebhaftes Wohlwollen entgegenbrachte und entscheidend in sein Leben eingriff. Er verehrte ihr ein Heft mit figür- lichen und landschaftlichen Zeichnungen, wofür ihn die Fürstin im Juni 1814 nach Baden-Baden einlud. Die Frucht seines dortigen Aufenthalts und der Wanderungen ins Murgtal und bis nach Bühl und dem Mummelsee war ein Skizzenbuch mit Feder- und Sepiazeichnungen, das er wieder seiner Gönnerin überreichte: Landschaften von einer Delikatesse und Zierlichkeit der Linien, von einem Gefühl für den Reiz der Einsamkeit, die wahre Romantik atmen. Hier hat er sich in einem Rausch landschaftlichen Entzückens in einer unvergleichlich wohltuenden und reichen Berg- und Waldgegend selber gefunden; hier spricht die reifgewordene Empfindung für die Landschaft, ein neuer und ganz selb- ständiger Wille zum Stil. Die Ansätze, welche in diesen blütenfeinen Feder- zeichnungen in die Erscheinung treten, konnten vervollkommnet, auf einer größeren Grundlage entwickelt werden: übertreffen konnte er selbst diese Blätter kaum.

Im Sommer 1815 ging er nach München auf die Akademie. Wer die Veranlassung dazu gab, ist nicht klar; jedenfalls aber hatte er keine sehr glückliche Wahl getroffen. Er hatte gute Empfehlungen mitbekommen, vor allem an den Maler und Galeriedirektor Joh. Christian von Mannlich!) Vielleicht war ihm auch einige Kenntnis von der aufblühenden Münchner Landschaftsmalerei zugeflogen. Wilh. von Kobell, Dillis, Dorner d. J., Wagenbauer, Quaglio lebten dort zu jener Zeit und hatten schon den ersten Grund zu dem qualitätvollen Realismus gelegt, der für unsere heutige Anschauung den besonderen Ruhm der Münchner Malerei ausmacht. Aber das war eine sehr wenig offizielle Kunstübung und galt für nichts an der Akademie, wo man auf das Naturstudium mit dem hochmütigen Mißtrauen des Pseudoklassizismus hinabsah; und es geschah erst in einer sehr viel späteren Zeit, daß Olivier, der Fohr so merkwürdig nahe steht, als Lehrer für Landschaftsmalerei dorthin berufen wurde?). Fohr scheint mit der Münchner Landschaftsmalerei in keine Berührung gekommen zu sein, und auch Mannlich konnte ihm nur seinen Schutz angedeihen lassen, als er mit dem Akademie-

(1) Die Bedeutung dieses vielseitig begabten Malers und Architekten (1740—1822), der sich in Paris bei van Loo und Boucher bildete, mit Mengs in Freundschaft lebte und den ungeheuren Schloßbau von Karlsberg für KarlII. August von Pfalz-Zweibrücken leitete, liegt mehr auf dem Gebiet der Kunstpflege als der schöpferischen Tätigkeit. Er rettete die Zweibrückener Galerie vor den Franzosen und ist der erste Greneraldirektor und Organisator der großartigen bayrischen Sammlungen; auch um die Einbürgerung der Lithographie in München und-die Förderung junger Talente hat er sich wesentliche Verdienste erworben. Wie weit seine Fürsorge sich auch auf Fohr erstreckte, ist nicht zu ermitteln.

(2) Ferdinand Olivier, der 1785 in Dessau geboren, durch die kraftvollen Radierungen K.W.Kolbes zu künstlerischem Schaffen angeregt wurde, dann in Dresden unter Mechau studierte und 1810 nach Wien in den Kreis der Romantiker um Koch und Wächter kam, bildete seine innige und persönliche Naturauffassung dort aus und wohl erst in dem gleichen Zeitraum wie Fohr: ein Beweis für die innere Gesetzmäßigkeit der romantischen Ent- wicklung, die an verschiedenen Orten gleichzeitig erstand. Als er 1830 in die Münchner Akademie berufen wurde, wandelte sich sein Stil zu einem entschieden musikalisch-male-

rischen Wesen um, das mit seiner klaren zeichnerischen Festigkeit von 1817 nichts mehr gemein hat.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12 22 313

direktor Langer aneinandergeriet. Die Kunstverhältnisse an der Isar waren damals wenig erquicklich. Die Geister gerieten allenthalben hart aneinander; gegen den Unfehlbarkeitsdünkel und die künstlerische Tyrannei der Pseudoklassizisten, welche die deutschen Akademien beherrschten, erhob sich die Jugend der Ro- mantiker, und ihnen standen verstándnisvollere Vertreter des 18. Jahrhunderts zur Seite, wie etwa in Wien Wächter und Koch, in Dresden Hartmann, in München der gebildete Mannlich. Fohr verlangte es nicht nach Streit, aber Langer konnte selbständige Schüler nicht leiden und hätte ihn. am liebsten von der Akademie gewiesen!) Was der junge Heidelberger dort eigentlich gelernt hat, ist schwer festzustellen. Vielleicht profitierte er im Figurenzeichnen; vielleicht zog ihn das Studium der Kochschen Gemälde an, die als Vorbilder dienten, und die ihm ein nahverwandtes Streben verkörpern mußten. Im übrigen war der Lehrgang der Landschaftsklasse von einer Art, die auch die handfestesten Gemüter nicht erbauen konnte. Luise Seidler erzühlt davon in ihren Lebenserinnerungen?): „ип Winter wurde abends nach Modellen gezeichnet, im Sommer dagegen frühmorgens gemalt. Um 8 Uhr war Portrátstudium nach der Natur; hierauf folgte klassenweise der übrige Unterricht. Die Komponierenden hatten ein eigenes Atelier; den Landschaftern diente ein großes Gemälde von Koch zum schónen Vorbilde, daneben waren wirkliche Baumstümme aufgestellt, nach denen Naturstudien gemacht werden konnten. Blieben diese auch dürftig, so war das Gebotene doch immerhin mehr als nichts und namentlich zur Winterszeit will- kommen, wo ja Studien im Freien nicht móglich sind.“

Nicht einmal die Umgebung Münchens gefiel dem durch Odenwald und Berg- straße Verwöhnten; und so hätten ihm wohl auch die Schilderer dieser schlichten und herben Landschaft, Wagenbauer und seine Zeitgenossen, wenig geben können: ihr Realismus ist in der Tat durch eine unüberbrückbare Kluft von Fohrs Ro- mantik geschieden. Was er von München heimbrachte, verdankt er der Freund-

(1) Peter von Langer, 1756—1824, ein ,,starrer Klassizist, dessen Werke glücklicher- weise so gut wie verschollen sind“ (Woltmann-Wörmann III, 1018), war in Düsseldorf Schüler von Lambert Krahe, wurde 1790 in Düsseldorf, 1806 in München Akademiedirektor. Er sprach Cornelius alles Talent ab und riet ihm, lieber ein Handwerk zu ergreifen; Heinrich Heß wies er von der Akademie. Sein größtes Verdienst ist, daß er mit Koch befreundet war und für Ankauf von dessen Bildern etwas sorgte. Luise Seidlers rühmendes Urteil seiner Akademie (Erinnerungen, S.165f., 176ff.) beruht auf ihrer himmlischen Ahnungs- losigkeit Weniger verzeihlich erschiene Goethes Schwäche für ihn Propyläen III, 2 —, wenn Goethe nicht überhaupt auf dem Gebiet der bildenden Kunst ganz unverantwortliche Dinge auf dem Gewissen hätte. Wieviel tiefer blickten nicht Mannlich und Dillis, die wohl wußten, warum sie solche „Kunstbestien“ auf Leben und Tod bekämpften. Noch strenger, dazu mit der Gloriole extremer Bigotterie, erscheint sein Sohn Robert, der aber glück- licherweise nicht mehr so viel schaden konnte. Seine Zeit war vorbei.

(2) Hermann Uhde, Erinnerungen und Leben der Malerin Luise Seidler. Berlin 1874. Eine „anmutige Dilettantin“ und Freundin Goethes, der von ihrer Kunst nur in lobenden Tönen redet und ihr 1817 ein Stipendium an die Münchner Akademie besorgt. Ihr zartes und heiteres Gemüt sah die Welt eigentlich nur rosig, und so hat sie uns in voller Arg- losigkeit recht interessante Dinge erhalten. Der ausführliche Bericht von der Münchner Akademie mit seiner unbewußten Ironie weist auf das Jahr 1817/18, also kurz nach- dem Fohr München verlassen hatte. Sie suchte in riihrender Weise für arme Künstler zu sorgen; Kersting, dem sie Goethes Gunst zuwandte, hat in der bekannten Stickerin am Fenster in der Weimarer Galerie ihr Bildnis gegeben: Karl August kaufte eben dieses Bild auf ihre Bitten, um Kersting in seiner Bedrüngnis zu helfen (1813).

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schaft mit Ludwig Ruhl und einer Alpenwanderung. Ruhl, mit dem ihn eine jener innigen, die ganze Persónlichkeit ergreifenden Freundschaften der Roman- tikerzeit verband, dessen Einfluß sich wohltütig bis auf seine Kleidung und ge- fälligeres Betragen in Gesellschaft erstreckte, und der ihn lebhaft in seiner Vor- liebe für alles Altdeutsche bestürkte, Ruhl weihte ihn auch in die Technik der Olmalerei ein, die Fohr bisher nicht geübt zu haben scheint. Leider sind die drei Bilder, die er damals malte, anscheinend gánzlich verschollen. Für diesen Ausfall jedoch entschádigen überreich die Zeichnungen und Aquarelle, von denen er an 70 Blatt von seiner Herbstwanderung mitbrachte. Mit geringen Mitteln unter- nommen, dauerte diese Reise vom r. September bis rr. Oktober 1815 und führte über den Brenner und Verona, wo er sich drei, nach Venedig, wo er sich zehn Tage aufhielt und mit Trauer schied, um über Salzburg heimzukehren. Die künstlerische Ausbeute, meist große, sorgfältig durchgezeichnete, aber selten in der Eile des Wanderns zu Ende gebrachte Blatter, befindet sich wohl noch zum gróBten Teil in Privatbesitz. Aber aus den kóstlichen Zeichnungen, welche vor allem die graphischen Kabinette in Frankfurt, Dresden und Berlin bergen, kann man zur Genüge die Reife seines Talentes erkennen. Es spricht eine Selbstándig- keit der Beobachtung aus ihnen, wie nur aus den besten Alpenstudien von Koch 1); selbst Ludwig Heß, dessen Alpenlandschaften auf Runge so starken Eindruck machten, und, Aberli erscheinen altbacken neben ihm?) Alle läßt er weit hinter sich durch die groDartige Auffassung des Ráumlichen und den musi- kalischen Rhythmus der Komposition, die fast allein schon in der Wahl des Standortes und Ausschnittes liegt; und unbegreiflich erscheint dabei die Ver- bindung mit einer liebevollen Versenkung in das Kleinwesen des Vorder- und Mittelgrundes, wie sie z. B. in dem Salzburger Friedhof der Dresdner, im Trient der Berliner Sammlung mit der Feder durchgeführt ist. Die Klarheit der ráum- . lichen Anschauung drückt sich hier schon durch eine Art von Aufteilung in Fláchen aus, mit denen er Terrain und Laubmassen rhythmisiert; unterstützt von einer reinen und bezaubernden Farbe, mit der er namentlich den Berg-

(1) Es gibt von Koch im Dresdner Kupferstichkabinett einige Federzeichnungen aus dem Berner Oberland, die mit einem wahrhaft modernen Blick für das Wesentliche und die Proportionen die groBe Bergwelt wiedergeben; mit einer Portrittreue, die sich ganz und gar nicht vorher und spáüter nicht wieder bis zu Fohr findet. Vermutlich stammen sie von 1794, da sie unbedingt vor der Natur entstanden sein müssen. Sie gehen den Wagen- bauerschen Aquarellen aus dem Garmischer Hochgebirge zeitlich bedeutend voraus. Merk- würdig ist es, wie stark, ja bizarr dann Koch diese Studien in seinen Gemälden umstilisiert hat; es ist eine sehr absichtliche Umbildung, und man sollte sich hüten, von kindlicher Naivitát und dergleichen zu reden, wo es sich um Stil und bewußtes Unterscheiden zwischen Naturstudie und Bild handelt. Fohr ist freilich viel naiver und moderner in allen Dingen; Naturstudie und Stil decken sich bei ihm ganz.

(2 Vgl. Runges hinterlassene Schriften I, 377f.

Ludwig HeB, 1760—1800, von seinem Vater zum Fleischer bestimmt, zeichnete und studierte auf seinen Vieheinkaufsreisen, erlernte dann bei Wiest die Olmalerei und gewann die fórdernde Freundschaft von Salomon GeBner. Unter seinen frei und idyllisch empfundenen Schweizer Landschaften sind auch Gemálde zu nennen, die eine Vorahnung der Romantik in sehr anheimelnder Weise geben. Auch Fernow stellte ihn sehr hoch.

Joh. Ludwig Aberli (1723—1786) gehórt einer ülteren Generation an, die aus dem Handwerk zur Kunst emporsteigt. Seine kleinen Schweizer Ansichten (wie der ,,Thuner See" der Oldenburger Galerie) gehóren zu den frühesten Offenbarungen der realistischen Luftmalerei, die wohl von Impressionisten als Vorläufer reklamiert werden könnten.

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lehnen und Fernen, der Luft und den Wolken ein romantisches Leben zu ver- leihen weiß. Auch trägt die lebendige Staffage viel zur Bildmäßigkeit und Be- wegtheit dieser Blatter bei. Er beherrscht hier bereits die menschliche Gestalt so, daB er sie in ihren Beziehungen zueinander, in ihren Bescháftigungen, ihrem Schreiten durch das anmutsvoll bewegte Gelände mit der Naivitát der Natur selber zu geben vermag: und so deuten sie sich uns, mannigfach und fróhlich ge- kleidet, als die letzte Offenbarung dieser großen und herrlich erfaßten Landschaft.

Im Mai des folgenden Jahres kehrte er nach Heidelberg zurück, wo er mit verschiedenen Jünglingen einen feurigen Freundschaftsbund schloß: das aus- gezeichnete, an Guys erinnerde Aquarell von Studenten in Darmstadt und die Porträtzeichnungen in Bleistift und Feder dort sowie im Städelschen Institut gehen wohl auf diesen Sommer zurück. Es sind diese Köpfe edler, wohl etwas idealisierter Jünglinge an plastischer Schärfe und Genauigkeit des Umrisses Gegenstücke zu der berühmten Portrátsammlung Schnorrs in Wien und den vielleicht noch hervorragenderen Köpfen von Ramboux 1): Die Liebe zur äußersten Eindringlichkeit der Form, die aus ihnen spricht, ist nichts weniger als eine Nachahmung Holbeins oder der Niederländer des 15. Jahrhunderts. Sie entspringt aus einem unabweisbaren Bedürfnis der Romantik nach Selbstzucht und Ver- tiefung in die letzten Geheimnisse der Natur; sie kehrt mit derselben Erstaunlich- keit in den Porträts von Oldach, Wasmann, Waldmüller, ja, bei den ganz sicher nicht romantisch veranlagten Wilhelm Kobell und Krüger wieder und stellt sich als ein Ausfluß der neuen Gesinnung dar, die sich auf das Wesen deutscher Form besinnt und es in der Vollkommenheit der Linie findet. Fohrs Bildnisse verraten noch etwas von der seelischen Unsicherheit des Autodidakten, in ihrer Befangenheit reichen sie an Ramboux’ Kraft der Charakterisierung nicht heran. Aber er zeigt klar in ihnen, wie eng er auf allen Gebieten zu der mäch- tigen Bewegung deutscher Kunst gehört, um so eindrucksvoller, als er im Grunde immer noch der isolierte Autodidakt geblieben ist.

Das Einmünden in den großen Strom der Entwicklung aber erfolgte noch in demselben Jahre; die Großherzogin Wilhelmine schickte ihn mit einem Sti- pendium nach Rom und erfüllte damit seinen heißesten Wunsch. Der Gedanke beschäftigte ihn so, daß er sich selbst konterfeite, wie er in Begleitung seines Bernhardiners ,,Grimsel* nach Italien wandert. Kurz darauf lag eines Abends das Geld von der Fürstin, die ihm eine so liebenswerte Mäzenatin war, auf seinem Teller, und „seine Eltern und Geschwister fühlten sich glücklich in dem Glücke des einen“. So reiste er im Herbst 1816 über Schaffhausen, den Gotthard, Mai- land, Florenz, fast ohne Aufenthalt nach Rom, wo er seinen Freund Ruhl wieder fand und bei ihm Wohnung nahm. Sogleich machte er sich an das Studium: Rom und die Campagna zogen ihn mächtig an, und sehr rasch fand er den Weg

(1) Joh. Anton Ramboux, 1790—1866, war 1807—1812 in Paris Schüler Davids und ging 1817 nach Rom. Seine Bildnisse (meist in der Darmstädter Sammlung) entstammen dieser Zeit, da er sich Cornelius und Overbeck anschließt; sie können also wohl von Fohr und Schnorr beeinflußt sein. Ein eigentlicher produktiver Geist war er nicht; sein berühm- testes Werk sind die 248 Aquarellkopien nach italienischen Meistern in Düsseldorf. Er war 1843—1866 Konservator des Kölner Wallraf-Museums und ein gewissenhafter Restau- rator. Über das römische Porträtbuch Schnorrs in der Bibliothek der Wiener Aka- demie vgl. Al. Trost: Die graphischen Künste 1914, H. 3, S. 79 ff.

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zu dem natürlichen Lehrer aller jungen deutschen Landschafter, zu J. A. Koch, der ihn wie ein Vater mit seiner ganzen Zärtlichkeit und Treue umgab !).

Es steht auBer Zweifel, daB Fohr im geeigneten Zeitpunkt nach Rom kam. Er hatte genug gelernt und war in sich so gefestigt, daß Italien ihm seinen deutschen Charakter nicht mehr rauben, ihn nur fortbilden und ihm die nótige Reife geben konnte. Was er bisher still für sich entdeckt hatte, sollte er nun im Wetteifer mit den Besten seiner Generation entwickeln. Er fand ja nicht nur den alten Koch vor, déssen heroische, von klassischen Gestalten belebte Landschaft eine Art Vor- stufe dessen darstellte, was in Fohr nach Gestaltung rang: eine Erdlebenkunst hóchsten romantischen Stils. Er fand in Rom auch Cornelius, Overbeck, Veit, Wil- helm Schadow vor, welche gerade ihre Fresken in der Casa Bartholdy begonnen hatten; fast gleichzeitig mit ihm traf Horny in Rumohrs Begleitung ein, ein Jahr später Schnorr: die beiden, mit denen ihn verwandtes, Kunststreben am engsten verband?) Dazu brachte er den ausgeprägten Charakter seiner Kunst, die neben den Nazarenern und parallel mit Koch der Landschaft in neuer Gestalt einen un- abhángigen Rang erobern wollte. Für ihn bestand nicht die Gefahr des Klassi- zistischen, die in Rom den Nazarenern zum Verderben wurde; denn diese Gefahr erstreckte sich nicht auf die Landschaft: selbst in der unerfreulichen Zeit haben die Nazarener von Cornelius bis Schnorr und Führich in ihren landschaftlichen Hintergründen Gutes geschaffen, und niemals kann man die arkadische Land- schaft eines GeBner, Franz Kobell oder Reinhart, wie die heroische eines Faisten- berger oder Koch in eine Reihe stellen mit dem Pseudoklassizismus?). Zwar ent- fernt sich das 18. Jahrhundert in allen Dingen so sehr von der Natur, daß auch die Landschaftsmalerei etwas Gekünsteltes bekommt und in Deutschland ins- besondere lediglich wie eine Ableitung aus der hollándischen oder poussinesken

(т) Kochs Einfluß erstreckte sich nicht nur auf die jüngeren Landschafter wie Fohr, Horny, Nerly, Reinhold, Ludwig Richter, ja Rottmann und Preller er lebte ja bis 1839 in Rom —, sondern auch auf die Nazarener von Cornelius bis Schnorr, sogar auf Genelli. Der herz- lichen Verehrung, die er unter allen Deutschen in Rom genoß, leiht Overbeck Worte, wenn er 1839 an einen Künstler schreibt: ,Sagen Sie es seinen und Ihren edlen Lands- leuten, sagen Sie es laut auch meinerseits, wie viel wir alle, wie viel die neuerwachte deutsche Kunst Meister Koch verdankt. Denn wer von uns würe nach Rom gekommen und hätte nicht aus seinem geistreichen Umgange wesentliche Belehrung geschöpft, wem wäre er nicht sogar durch seine ganz neidlose Anerkennung förderlich, durch seine kind- liche und lebendige Teilnahme nützlich gewesen?* (A.Kestner, Rómische Studien, S. тоо.) (2 Franz Horny, 1797—1819, war der erste der Künstlerzóglinge Rumohrs, der von ihm mit seinem trockenen Humor in den „Drey Reisen nach Italien“ Originelles erzählt. Er entwickelte sich in Rom, wohin er ebeníalls 1816 mit Rumohr kam, rasch zu einem Landschaftsmaler von der Eigenart Fohrs; sein Kolorismus geht mitunter noch weiter als bei diesem. Doch reicht er wohl in ganzen nicht an ihn heran. Auch er starb sehr jung. Die Bedeutung Julius Schnorrs von Carolsfeld (1794—1872) liegt, ganz wie bei Cornelius, in seinen Jugendwerken. Er kam 1817 als ein schon Reifer nach Rom und hat dort auch seinen Landschaftsstil in einer romantischen, wohl von Olivier beein- flußten Weise, etwas nüchterner als Horny und Fohr weitergebildet. Bald nach 1822 erfolgte auch bei ihm der Abfall in die leere Allgemeinheit der Form. Doch gab er sein Bestes noch an Ludwig Richter weiter. (3) Ober Wesen und Geschichte des Pseudoklassizismus vgl. meinen Aufsatz in den Monats- heften für Kunstwissenschaft 1g15. Ich verstehe darunter die auf falschen üsthetischen Vor- aussetzungen aufbauende Historienmalerei von Mengs bis Füger, im Gegensatze zu dem echten Klassizismus von Carstens. Ein Aufsatz über die Grundprobleme des Klassizisti- schen an sich wird demnichst in der Zeitschrift für Ásthetik erscheinen.

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des 17. Jahrhunderts erscheint. Aber dieselben Meister, deren Ölgemälde oft an einer gáhnenden Langeweile leiden, betraten in Handzeichnungen und Radie- rungen ganz neue und selbstándige Pfade der Naturbeobachtung, die weit über den Verismus der Hollünder hinausgehen. Man erkennt daran deutlich, daB es im wesentlichen der Zwang der allmáüchtigen Tradition ist, welcher den Gemálden ihre dekorative Richtung vorschreibt Die Landschafter, sofern sie nicht nach Italien gingen, und dort dem Einfluß Dughets, Lorrains und Salvator Rosas unterlagen, erhielten ihre Lehrzeit regelmäßig in den Niederlanden; und dort lernten sie so malen, wie die angesehensten Meister gemalt hatten, denn die Tradition der großen Zeit setzte sich im 18. Jahrhundert fort. Sobald sie aber einmal unbefangen vor die Natur traten, und ohne Absicht, gleich ein Bild zu malen was ja ohnehin nur im Atelier geschah —, dann gelang ihnen bis- weilen und nebenher ein Stück frisch gesehener Naturschilderung.

Im Grunde ist die deutsche Uberlieferung treuer Naturbeobachtung niemals ganz abhanden gekommen. Vom 16. ins 17. Jahrhundert retteten sie mit Els- heimer Wenzel Hollar und der Stillebenmaler Flegel, den die Darmstádter Jahr- hundertausstellung 1914 seiner unverdienten Vergessenheit entriB. Ruthart, der stárkste deutsche Maler des 17. Jahrhunderts, setzte sie fort; Bathasar Denner knüpfte unbewuBt an sie in seinen Jugendarbeiten an, bevor er dem Manierismus verfiel. Und selbst die Zeit, die bei uns im Tafelbild den größten Tiefstand bedeutete, die Mitte des 18. Jahrhunderts, ging nicht unfruchtbar für den Realismus vorüber. Die Entstehungszeit des Pseudoklassizismus sah auch die ersten ver- borgenen Keime selbständiger Landschaftsauffassung: Salomon Geßner, Hackert, Friedrich Müller erlebten in den sechziger Jahren eine realistische Frühlings- zeit, und die Anfänge der schweizerischen Landschaft unter Aberli und Wüest fallen in den námlichen Zeitraum. Allerdings beginnt die fortlaufende Entwick- lung zu dem zeichnerischen Stile, der seinen Hóhepunkt im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts hatte, erst ein Lustrum spáter; dann aber führen Klengel, Ferdinand und Franz Kobell, Reinhart, Nathe und der Schweizer Ludwig Heb die realistische Landschaft bis zu dem Punkt, wo sie dann die Münchner, Menken, G. W. Kolbe usw. in den groBen Strom einmünden lassen, der seitdem ununter- brochen von groBen Talenten gespeist worden ist!) Die Linie führt dergestalt am Ende des 18. Jahrhunderts aus dem malerischen Erbe des Rokoko zur plastisch scharfen Form der Nazarener mit unbeirrbarer Folgerichtigkeit; und in ihr bedeutet Fohr neben Olivier, Schnorr, Horny, Erhard und Heinrich den Höhepunkt und die Wende zum romantischen Idealismus.

Denn neben der Entwicklungsreihe des plastisch-malerischen Realismus führt eine zweite zu ihm hin, die für sein eigentliches Wesen noch wichtiger ist, und sie findet ihn am stärksten an Italien und Rom geknüpft. Ihr Ahnherr ist der große Deutsch-Römer Elsheimer; sie beginnt etwa bei Ermels in der Mitte des 17. Jahrhunderts, in Anlehnung an Jan Both, führt über das phantasievolle Barock von J. H. Roos und J. F. Beich zu Anton Faistenberger, dem Vorahner Kochs um 1700, und Chr. Ludwig Agricola, der den Geist Elsheimers in einer groß- artigeren Fassung neu beschwört. Im ı8. Jahrhundert findet dann besonders Thiele das persönliche Empfindungsmoment im barock-großzügigen Sinne; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entsprechen ihm Joh. Chr. Brand, Heinrich

(1) Eine auch nur kurze Darstellung der Landschaftsentwicklung vom 17. bis Anfang des 1g. Jahrhunderts muß auf einen anderen Ort verspart werden. Sie wird ein von der herrschenden Ansicht vollkommen abweichendes Bild ergeben.

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Wüest und vor allem Franz Kobell. Reinhart und die Wiener Schule (Molitor, Schónberger, Schellhaas usw.) führen realistische und besonders klassizistische Elemente ein; bei Joh. Georg Wagner, einem ganz jung gestorbenen hochbegabten Dresdner, und Ludwig HeB meldet sich schon ein lebhaftes Vorgefühl von Roman- tischem: alle diese zerstreuten Neigungen zum Heroischen, Klassizistischen und Romantschen vereinigt dann in großzügiger Weise Joseph Anton Koch.

Man wird kaum einer Auffassung vor der anderen den Vorrang einrüumen kónnen; beide sind stark entwickelt und finden in dem Wesen des deutschen Geistes ihren Grund: die barock-phantastische, auf Raumweite und Bewegung abzielende, und die plastisch-treue, die Dinge aus der Nahe sehende. Waren sie flüchtiger schon in Koch verbunden, so offenbart die Landschaft Fohrs ihre innige Durchdringung. Sie ist keineswegs als realistisch anzusprechen; ihre Linie ist voll von selbstándigem Ausdruckswert, wie die der Gotik, und von einer Schón- heit des Rhythmus, wie wir ihn bei Agricola, Faistenberger und Franz Kobell finden. Aber auf der anderen Geite ist bei Fohr jede Erinnerung sowohl an die holländische wie an die eigentlich barocke Konvention so vollständig ver- schwunden, daB uns ihre Naturtreue wie die Form gewordene Romantik selbst entgegenblüht. Eine neue Gestalt hat die deutsche Gottessehnsucht hier ge- funden: im geringsten Gráschen wie in der Bergweite der Alpen oder der Sabinerberge spricht uns der Geist der Romantik an, der das tiefste Geheimnis der Welt- und Menscheneinheit mit Entzücken ahnt. Runges Sehnsucht nach einer neuen Landschaftskunst hat sich hier wohl in der sonnigsten Weise er- füllt; wie C. D. Friedrichs Romantik voll Schwermut, so ist Fohrs Idealismus vol von Lebensbejahung und Jugendkraft; ein Erbteil seiner süddeutschen Abkunft.

Dem lernte er nun auch in größerem Maßstabe Ausdruck verleihen. Der Fort- Schritt seiner kurzen rómischen Jahre liegt in der Vervollkommnung des Figür- lichen, wobei ihn neben Koch auch Cornelius unterstützte, und in der Olmalerei unter der persónlichen Leitung Kochs. Die Landschaft von Tivoli, die Passa- vant bestellte und die jetzt im Stádelschen Institute hüngt, als einziges Bild von ihm im óffentlichen Besitz, durfte er in Kochs Atelier malen. Man spürt den Einfluß des Meisters in der Auffassung mit den (etwas überflüssigen) Kulissen, wie in der Mache, da ein reicherer toniger Auftrag wie er sich etwa in Kochs „Lauterbrunnental“ (1811) der Leipziger und der „Landschaft mit dem hl. Martin“ (1813) in der Dresdner Galerie findet in malerisch behandelten Einzelheiten bei Fohr wiederkehrt: in der mittleren Partie des Tals mit den Háuserhaufen der Stadt. Aber im Grunde wurde seine Art davon wenig berührt; und in seinem letzten Gemälde, der „Idealen Landschaft“ bei dem Großherzog von Hessen, hat er sich auch von Koch ganz unabhängig gemacht. Hier ist der freiere Rhythmus und Bau der Landschaft, der Reichtum der ineinander übergreifenden Gründe, die Kraft der Belebung im Vegetabilischen und die unbefangene, jugendfrisch drängende Verwendung des Figürlichen im Raume persönlich und selbst erobert; ein Hauptbeispiel und Jugendmeisterstück der malerischen Romantik.

Sein Leben in Rom blieb nicht frei von Sorge und Krankheit, aber im rechten Moment erschienen immer die gütigen Hände, die ihn vor Schlimmem bewahrten. Zur Zeit der ärgsten Teuerung, da seine Geldmittel zu Ende gingen, kam Passa- vant und bestellte „Tivoli“ für 40 Louisdor; die Großherzogin gewährte ihm zu seinem Stipendium einen Zuschuß von 200 Scudi. In seiner Krankheit pflegten ihn seine Hausleute, die auch von anderen deutschen Künstlern her rühmlichst

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bekannte Witwe Buti mit ihren Töchtern (deren eine er auf seiner „Idealen Land- schaft“ verewigt hat). Karoline von Humboldt bestellte bei ihm ein großes Bild, das ihm die Mittel zu einer Reise nach Unteritalien gewähren sollte. Zu der Abschiedsfeier, welche die deutschen Künstler am 29. April 1818 in der Villa Schultheiß dem Kronprinzen Ludwig von Bayern gaben, malte er mit Cornelius, Veit und Overbeck das groBe Transparent, das in Form eines Triptychons Lud- . wigs Kunstliebe verherrlichte!). Der Kronprinz zeichnete ihn besonders aus; beim Abschied drückte er ihm als Letztem die Hand mit den Worten: „Wir seben uns wieder; wir gehóren uns nüher an.“ Man denkt unwillkürlich voraus und fragt sich: was wáre aus der Münchner Landschaftskunst geworden, wenn er Fohrs überragende Persönlichkeit dorthin gezogen hätte! Und, noch eins: wenn Runge die gewaltige Lehrerstellung von Cornelius hätte einnehmen dürfen! Aber es stand im Buch des Schicksals geschrieben, daß der Blütezeit deutscher Romantik keine Frucht, kein Sommer beschieden war. Ihre Feinsten und Besten starben rasch in früher Jugend dahin. Wenige Wochen nach jenem beglückenden Abschied, am Abend des 29. Juni 1818, ging Fohr mit Amsler, Barth und Ram- boux zum Tiber baden. Er wagte sich zu weit und wurde in die Tiefe gezogen; vergebens versuchte Barth ihn zu retten. Seine Leiche wurde am 3. Juli auf- gefunden und an der Cestiuspyramide unter allgemeiner Teilnahme, zum tiefsten Schmerz der deutschen Künstler begraben. Niebuhr und Bunsen hielten ihm die Grabreden. Ä |

(1) Das Landschaftliche, vor allem die „große Eiche“, stammte von ihm. Übrigens ar- beiteten auch noch Schnorr, W.Schadow, Wach, Eberhardt u.a. daran mit. Es war eine sehr bewegte und rührende Feier im Stile der Zeit. Vgl. besonders Noack, Deutsches Leben in Rom. S. 174f.

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DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN

Mit neun Abbildungen auf vier Tafeln Von ROBERT WEST

€0900000000000000900000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 909900000090900009000000000000000000000000

n dem Gebäudekomplex, der sich ursprünglich als Augustinerchorherrnstift über dem Priesterstein in Berchtesgaden erhob, sind wertvolle architektonische und plastische Überreste aus fünf wichtigen Epochen der deutschen Kunst erhalten. In der romanischen Zeit, in der frühgotischen und spätgotischen Epoche, in Renais- sance und Barock ist hier Stein an Stein gefügt worden, bis zuletzt auch das 19. Jahrhundert Hand anlegte und in den Jahren 1864—1866 die Türme der West- fassade neu erbaute, wobei offenbar wertvolle romanische Skulpturen und Mauer- reste zugrunde gingen, DaB die Kunstforschung bisher ziemlich teilnahmslos an einer solchen Bauanlage vorüberging!) ist um so verwunderlicher, als schon die Gründung an sich eine kulturgeschichtliche Tat bedeutet. Daf im 12. Jahrhundert, zur Zeit als Berchtesgaden noch eine von Urwald bewachsene Bergwildnis war, gebaut und gemeißelt wurde, gibt den ausgedehnten romanischen Überresten jener Frühzeit eine Bedeutung, die sie über gleichzeitig an älteren Kulturstätten ent- stehende Arbeiten emporhebt. Diese Betrachtung hat wohl nur für den Kultur- historiker Geltung, aber das zeitliche und rdumliche Entstehungsmilieu eines Werkes gibt auch dem Kunstforscher wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der Technik wie des Stils.

Die romanischen Mauern der Kirche und des Klosters sind jetzt meist in die spüteren Teile verbaut, nur der Kreuzgang zeugt noch von den Gründungstagen des Stiftes. Die Angaben des Denkmüler-Inventars über diesen Kreuzgang sind dürftig und verweisen ihn etwas summarisch in die erste Hälfte des 13. Jahr- hunderts. Ich selbst bin bei einer genauen Prüfung des Baus zu wesentlich an- deren Resultaten gelangt. Die älteste Urkunde über das Kloster, der libellus vetu- stissimus, schildert die Gegend seiner Erbauung als eine „vasta solitudo, quae saltus ferarum et cubile draconum est“ eine von reißenden Tieren bewohnte Wildnis. In dieser Einóde gelobten erst Irimgart, die Gattin des Hallgrafen Engel- berts IL von der Lintburg, dann deren mit Berengar Grafen von Kastell und Sulz- bach vermühlte Tochter Adelheid dem heiligen Martin eine Kirche?) Der An- siedlung von München in diesem unwirtlichen Lande setzten sich schier unüber- windliche Schwierigkeiten in den Weg. Das rauhe Klima, der strenge Winter, die wilden Tiere und Erdbeben vertrieben zu wiederholten Malen die wenigen frommen Manner, welche sich im ersten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts um die Errichtung des Chorstiftes bemühten. Der Tatkraft eines einzelnen Mannes gelang es endlich, den Grundstein des neuen Klosters zu legen. Das Schenkungsbuch von Berchtesgaden enthält eine zwischen 1125 und 1139 gemachte Aufzeichnung, daß Eberwein, der erste Propst des Augustinerchorherrnstiftes, Steinmetzen an-

(z) Kurze Erwähnungen nur bei Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern (1862), bei Riehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in Bayern (1888) und Steinhauser, „Über Kirchenbau in Salzburg“ in den Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 1883 und 1884, ferner bei Schnaase, Otte, Dehio und v. Besold, Zimmermann, Lübke.

(2) Vgl. hierzu die ganz vorzügliche Geschichte des Fürstentums Berchtesgaden von Ritter Josef Ernst von Koch-Sternfeld. Salzburg 1815.

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genommen und den Bau des Münsters begonnen habe ,,conductis lapidum artifici- bus monasterii fundamenta locavit". Es handelt sich hier also nicht mehr um einen Holzbau, sondern um einen soliden Steinbau. Eine ältere Anlage in Holz muß jedoch schon vorhanden gewesen sein, da Papst Calixt IL bereits am 9. Mai 1121 dem Propste Eberwein und seinen Brüdern das Kloster zu Berchtesgaden be- stütigte. In einer noch älteren Urkunde, welche Koch-Sternfeld in das Jahr 1111 versetzt, bestätigt Papst Paschalis IL. das Vorhaben der Grafen Berengar und Cuno von Sulzbach, unter der Leitung Eberweins ein Kloster in Berchtesgaden zu er- richten. Nach Koch-Sternfeld befand sich Eberwein damals mit den beiden Grafen selbst in Rom. Ich lege auf diese Reise des Propstes nach Italien insofern einigen Wert, als sie die Vermutung nahelegt, er habe schon damals italienische Stein- metzen mit sich nach Hause geführt, zundchst wohl allerdings nicht zur Arbeit in Berchtesgaden, sondern in Baumburg, dessen Propst er vor seiner endgültigen Übersiedlung in die Bergwildnis war. Wie weit im Jahre rr2r der Bau von Kirche und Kloster schon gediehen war, 188% sich nicht sagen. Mit Sicherheit geht aus den vorhandenen Notizen nur hervor, daß wir eine erste Bauperiode des Berchtesgadener Stiftes für die Regierungszeit Eberweins, also ungeführ zwischen IIII und 1139, annehmen müssen.

Der Bearbeiter des Denkmáler-Inventars nimmt an, daß diese erste Stiftskirche ein Notbau war, und bemerkt, daB sich keine Reste von ihm nachweisen lassen. Die zweifellos noch in das 12. Jahrhundert gehórenden Baureste sollen nun erst in der zweiten Hülfte des 12. Jahrhunderts entstanden sein. Von einer solchen Bau- tätigkeit in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts haben wir zwar keinerlei Nachricht, dem Stift wurden aber damals von allen Seiten Schenkungen gemacht, so daß der sich immer mehrende Wohlstand die Annahme einer weiteren Aus- gestaltung des Münsters allerdings nahelegt.

Die nächste Baunachricht über das Berchtesgadener Stift, die wir erhalten, stammt erst aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, in dem Propst Johannes Sachs zu Sachsenau (1283—1303) einen neuen Chor an der Kirche errichtete. Dieser in frühgotischen Formen errichtete Chor steht heute noch unverändert da.

Wir haben also für die Zeit von der Gründung des Stiftes bis zur Gotik drei verschiedene Bauperioden anzunehmen: Die erste unter Eberwein (са. 1111—1:139), die zweite gegen Ende des r2.Jahrhunderts, die dritte erst gegen Ende des 13. Jahr- hunderts (ca. 1283— 1303). Von diesen drei Bauepochen haben sich meines Er- achtens im Kreuzgang der Stiftskirche Reste erhalten, welche sich bei scharfer Prüfung mit einiger Klarheit voneinander sondern lassen. Die Notiz im Inventar: »Auf den Bau der Stiftskirche folgte in der ersten Hálfte des 13. Jahrhunderts die Errichtung des Kreuzgangs,“ berücksichtigt demnach allein jene Teile, die aus der zweiten Bauperiode, nach Eberweins Tod, stammen,

Der óstliche, südliche und westliche Flügel sind ziemlich intakt erhalten, wáhrend der Nordtrakt bei einem Umbau spüterer Zeit (vermutlich Anfang des 17. Jahr- hunderts) ganz veründert wurde. Reste eines romanischen Portals, die sich un- mittelbar neben dem spätromanischen Portal erhalten haben, das heute aus dem Chor in den Osttrakt führt, beweisen, daB sich hier schon im Anfang des 13.Jahr- hunderts ein Eingang aus der Kirche in den Kreuzgang befunden hat. Die Mauern des romanischen, vom Chorbau Johannes Sachs’ verdrüngten Langhauses blieben also bei den Bauarbeiten des endenden 13. Jahrhunderts unberührt und bilden heute noch die Nordwand des Kreuzgangs. Die Südmauer des neuen Chors wurde da- durch an dieser, sich an den Kreuzgang anlehnenden Seite doppelt so stark wie an

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der nórdlichen Langhausseite. Infolgedessen wurde ein neues. Portalgewünde hinter dem alten romanischen notwendig, das man zunächst jedoch offenbar stehen ließ. An der Ostwand des óstlichen Kreuzgangtraktes schlieBt sich im Erdgescho8 der Kapitelsaal an, über welchem im 14. Jahrhundert das Dormitorium erbaut wurde. Die Mauern dieses Kapitelsaales sowie aller übrigen um den Kreuzgang gruppierten Konventbauten entstammen der romanischen Periode. Die Hypothese ist statthaft, daB schon in der frühesten Bauperiode mit dem Kirche und Konvent verbindenden Osttrakt begonnen wurde, wenn nicht der ganze Kreuzgang schon zu Eberweins Zeit vollendet worden ist und in der späteren Zeit lediglich Umänderungen er- fahren hat. Da urkundliche Nachrichten hierüber nicht vorhanden sind, müssen wir die Antwort von den Architekturgliedern selbst erfragen.

Der Kreuzgang hat zwischen rundbogigen Gurten grätige Kreuzgewölbe mit Stich’). Die Gurte werden an der Hofseite von Pfeilern, an der Innenwand der Außenmauer von Konsolen getragen. Die Kämpfer der Pfeiler bestehen aus Platte und hohem Wulst, während die Konsolen aus Platte und Hohlkehle gebildet sind. Die Breite der Gurtbogen beträgt im Ost- und Siidtrakt 0,50 m. Im Westtrakt da- gegen, beginnend mit dem letzten Gurtbogen des Südtraktes, 0,63 m. Der Osttrakt hat vier Joche, welche sich in vier Fensterarkaden nach dem Hofe öffnen. An der Südseite sind es fünf Joche, an der Westseite wieder vier. An der Nordseite, die ursprünglich auch auf fünf Joche berechnet war, sind heute nur vier, da dieser Gang zur Zeit seiner Überbauung (Anfang 17. Jahrhundert) neu eingewölbt wurde. Dabei beseitigte man die Fensterarkaden. Mit den vier Eckjochen hat der Kreuz- gang heute einundzwanzig Joche.

Eine genaue Schilderung der einzelnen Sáulen mit ihren Kapitellen und Basen wird der sicherste Weg sein, zu einer annühernd richtigen Zeitbestimmung ihrer Entstehung. Eine derartige genaue Beschreibung erscheint mir auch heute, wo der Kreuzgang einerseits schwer zugänglich, andererseits dem langsamen Verfall preisgegeben ist, von Wichtigkeit als ein bescheidener Beitrag zur Geschichte der deutsch.romanischen Kunst.

OSTTRAKT.

I. Nórdlichstes (r.) Joch.

Am nördlichsten Pfeiler des Osttraktes ist als Kämpfer, auf welchem der nörd- lichste Bogen der Fensterarkade ruht, die Gestalt eines liegenden Tieres eingefügt, Der Kopf ist gut erhalten, die Augen groB, die Nase verstümmelt, die obere Reihe der Zähne wird über der herabhüngenden Zunge sichtbar, Füße waren entweder nie vorhanden oder sie sind abgenutzt. Der Schweif liegt über dem Körper des Tieres. Die Technik ist der im früheren Mittelalter übliche Keilschnitt der ger- manischen Vólker. Am Kümpfer des gegenüberliegenden, südlichen Mauerpfeilers, welcher den südlichen Bogen dieser Fensterarkade auffüngt, sind zwei Tiere ge- bildet (Abb. т), deren Hinterkórper sich fast berühren, wührend die Kópfe von außen nach innen gedreht sind, so daß sie sich über die Schulter anglotzen. Auch hier sind wieder keine FiiBe oder Spuren von solchen vorhanden. Es ist müglich, daß dem Bildhauer bei seinem Werke der Gedanke an Löwen vorschwebte. Am

(x) Bei Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern (1862), findet sich die Notiz: „In Berchtesgaden ist ein Fragment des romanischen Kreuzganges (mit Flachdecke) erhalten.^ Auf diese irrtümliche Angabe ist wohl die Stelle bei Riehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in Bayern (1888), zurückzuführen: ,Der bedeutendste Baurest romanischer Zeit in Berchtesgaden ist der flachgedeckte Kreuzgang.“ Der Kreuzgang war von vornherein eingewölbt.

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besten erhalten hat sich das Tier, welches der Gangseite am nächsten liegt. Ein dicker, strickartiger Schwanz ist unter dem Körper durchgezogen und liegt oben am Pfeiler an, die beiden runden oder scheibenförmigen Quastenenden der Schweife berühren sich in der Mitte des Kümpfers. Das Tier zunichst der Gangseite hat einen weit gedfineten Rachen, in dem die obere Zahnreihe sichtbar wird, die Mähne ist durch Riefelung dargestellt. An dem Tier der Hofseite sind Kopf und Vorderkürper abgeschlagen.

Zwischen diesen Pfeilern stehen auf niedrigem Mauersockel (L. 2,30 m) zwei Sdulen, welche drei kleine Rundbogen tragen. Die Sáulen, beide glatt, nach oben verjüngt, stehen auf attischer Basis. Der untere Wulst von ca. 0,64 m H. ist oben stark abgeplattet. Die Hohlkehle durch ein abgeschrágtes Plüttchen vom oberen Wulst getrennt. Viereckige Plinthe und Eckpflócke. Auffallend erscheint mir die steile Bildung des oberen Wulstes und des oberen Teiles der Hohlkehle. Die Säulenhöhe beträgt im ganzen mit Kämpfer 1,50 m, der Schaft hat I m H. und 0,161/, Durchmesser. Basis H. o, 16 m, Br. an der Hof- und Gangseite 0o,32!/, m, an den Innenseiten 0,28'/,, Kapitell H. 0,19 m, oberer Durchmesser 0,21 m, Kämpfer Н. 0,16 m, І. 0,55, Br. 0,25!/,. Die lichte Weite von Säule zu Säule beträgt etwas über 0,60 m. Diese MaBe sind mit geringen Variationen im ganzen Kreuz- gang die gleichen.

Die nördlichste Säule trägt ein Wiirfelkapitell, das mit rundlappigem Laub- werk in Keilschnittechnik überarbeitet ist. Die Stiele sind zweistreifig, die Blatter an jeder Seite anders disponiert. Der Kämpfer korrespondiert mit den Pfeiler- kämpfern.

An der südlichen Langseite ist der Stein in Form eines nackten, liegenden Menschen mit erhobenen Armen behauen. Er hält in der. linken Hand einen Stein. Das Haar ist geriefelt, der Kopf groß, die Züge stark markiert, plump und starr. Der Oberkörper ist kurz und dick, die Beine sind kurz und beide nach der gleichen Seite gebogen. Die Füße kommen auf einen die Südostecke des Kämpfers bilden- den weiblichen Kopf zu stehen. Der Steinmetz hat den Versuch gemacht, plastisch zu modellieren. Auch ein gewisser Hang zu realistischer Wiedergabe äußert sich z. B. in der Bildung des Nabels. Neben dem weiblichen Kopf auf der Südostecke tritt wieder ein männlicher Kopf hervor, dessen zugehöriger Körper an der nörd- lichen Langseite des Kämpfers liegt. Der rechte Arm ist erhoben. In der Hand hält er einen runden Gegenstand, der vielleicht ein Gesicht darstellen sollte. Der Oberkörper ist nackt, eng anliegende, bis an die Füße reichende Hosen bedecken den unteren Teil der Figur. Der linke Arm faßt an die linke Hüfte. Die Füße sind wieder nach derselben Seite schreitend wiedergegeben. Die kleinere Hälfte der nördlichen Langseite nach dem Hofe zu ist durch Vorderfüße, Brust und Kopf eines Löwen eingenommen. Die Füße des Mannes und die Klauen des Löwen treffen in der Mitte zusammen. An der nach dem Hofe zu gerichteten Schmal- seite erscheint der Körper des Löwen und sein starker, klotziger Kopf. Die Mähne wird durch geriefelte Haarsträhnen angedeutet, der Schwanz ist wie bei den an- deren Tieren von unten her durchgeschlungen und zeigt dieselbe quastenartige Endung.

Die südliche Säule (Kelchkapitell). Unmittelbar aus dem Halsring steigt eine doppelte Reihe sehr dicker Blätter auf, darüber liegt eine viereckige Platte. Am Kämpfer erscheint auf der Südseite in der Mitte ein großer Kopf, eiförmig, oben etwas abgeplattet, runde Augen, Nase keilfürmig, Lippen wulstig, Mund offen- stehend. Die Augensterne sind, wie an allen diesen Köpfen, ausgehöhlt. Ursprüng-

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lich waren sie also wohl mit andersfarbigen Steinen besetzt. Die Arme. sind ver- kümmert, beide hakenartig erhoben, die Hände fassen an die Füße zweier Tiere. Nach der Gangseite zu Klauen und Brust eines Lówen, nach der Hofseite die Kruppe eines Löwen; man sieht, wie der dicke, runde Schwanz zwischen die Hinterbeine und vorn über den Rücken gezogen ist. An der östlichen Schmalseite (Gangseite) ein großer Löwenkopf mit heraushängender Zunge, Mähne und Schwanz. Die Hinterbeine stehen auf der nördlichen Langseite. Die Mitte dieser Seite wird von einem Seetier mit geschupptem und geringeltem Leib gebildet, das Ende des Fischschweifs liegt über der Kruppe des Löwen. Der große Kopf des Seetieres mit lánglichen, schmalen Ohren, beißt in das rechte Vorderbein des Löwen der Hofseite. Nahe dem Hals an den Schultern eine flügelartig gebildete Flosse. Die Schuppen sind nur eing »ritzt, nicht erhaben behandelt. Die NW-Ecke wird durch den Kopf des Löwen gebildet, dessen Rücken an der Hofseite des Kämpfers liegt.

Am zweiten Mauerpfeiler erscheint neben dem Kämpfer ein großer, grotesker Tierkopf.

Das zweite Joch.

Die Fensterarkade (Abb. r) hat vier kleine Rundbogen, die in der Mitte auf einer dicken Sáule ruhen. (Durchmesser des Schaftes ca. 0,36 m, annšhernd quadratische Plinthe ca. 0,55!/, m). An den Seiten je ein Sáulenpaar. Die Kämpfer der Pfeiler sind im Gegensatz zu den Kämpfern des ersten Joches nur schwach profiliert, aus hoher Platte und Wulst. Der Schaft der Mittelsáule ist glatt, die Schäfte der vie kleinen Sšulen achtkantig. Die Breite der attischen Basen (Hof- und Gangseiten) ist ungefähr die gleiche wie bei den Säulen des ersten Joches (o, 331“ und o, 34). Die Tiefe der zusammengestellten Basen ist 0,58!/,. Die Bildung der vorigen ähn- lich, nur ist beim nördlichen Sáulenpaar der untere Wulst flacher und niedriger (Н. 0,419), das obere Stück plumper.

Nórdliches Sáulenpaar.

I. Kapitell der Gangsáule. An den beiden Ecken nach dem Gang zu zwei Kópfe als stark hervortretende Eckknollen gebildet, kleine verkümmerte Armchen. In der Mitte halten beide zusammen eine Art Hirtenstab gerade aufrecht, so daß die schrág erhobenen Arme mit der geraden Mittellinie und dem oben geringelten Abschluß ein Ornament formen. Der linke Arm des nördlichen Kopfes ist aus- gestreckt und hält eine kleine vierblütterige Blüte, daneben als NW-Ecke wieder einen Kopf. Der Kopf der SW-Ecke ist abgeschlagen. Das mittlere Ornament der siidlichen Langseite wird hier gebildet durch ein vom rechten Arm des siid- lichen Kopfes gehaltenes Blatt mit runder Mittelrippe und am Stiel ansetzenden runden Blättchen (vier auf jeder Seite).

2. Kapitell der Hofsáule. An drei Seiten mit dreifach geripptem Flechtwerk bedeckt, an den Ecken ganz kleine Kópfchen. Das verschlungene Flechtwerk endet in dreiteiligen gelappten, spitzen Blättern. Unter dem einen Kopf hängt eine kleine Perlenreihe. Die Nordseite des Kapitells hat kein Flechtwerk, sondern zeigt die bekannte Form des Würfelkapitells, dessen Schildbogen von einem Wulst wie von einem Strick umsdumt ist. An den oberen Enden scheint dieser Strick an zwei dicke runde Knópfe aufgehüngt zu sein.

Kämpfer des nördlichen Sdulenpaars. An der östlichen Schmalseite zwei Köpfe. Der nördliche ist auf den linken Arm gestützt, während die rechte Hand ausgreift und den südlichen Kopf von sich stößt. Diese beiden Figuren ringen sich mit dem Oberkörper aus der Masse des Steins hervor. Die nördliche Lang-

seite zeigt ein auf dem Rücken liegendes Tier mit geringeltem, dickem Schwanz,

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Der weit aufgerissene Rachen, dessen Zšhne sichtbar sind, beiBt in den Kopf der NO-Ecke, den er gerade am Halse abzubeiñen scheint. Das Fell des Tieres ist aufgerauht. Zwei VorderfüBe, aber keine HinterfüBe sichtbar. Der Menschenkopf bildet zugleich einen Teil der Schmalseite des Kämpfers nach dem Hofe zu. Der linke, zum Kopf gehörige Arm ‚ist erhoben, die Hand, zur Faust geballt, nimmt die Mitte der westlichen Schmalseite ein. Daneben an der SW-Ecke wieder ein Menschenkopf. Der zu diesem Kopf gehörige rechte Arm greift nach dem Tier hinüber, seine Hand packt dessen Unterkiefer. Kopf und Arm gehören zu einem vollständigen Menschenkörper, der die südliche Langseite des Kämpfers einnimmt. Dieser Körper steckt in einem enganliegenden Kettenhemd mit bis auf die Hand- gelenke reichenden Ärmeln. Das Kettenhemd geht zu beiden Seiten über die Hüften hinab, ist aber vorn oflen, so daß eine Art Schurz sichtbar wird. Ein Kettenpanzer bedeckt auch Füße und Beine. Über die linke Hüfte zieht sich ein Lederriemen. Die Füße stehen auf einem schmalen Steg, der diese Figur von dem nackten Oberkörper des sich vorn losringenden Mannes trennt. Alle Köpfe sind äußerst roh und starr, die Augen und sonstigen Gesichtsteile scharf um- schnitten.

Die Mittelsäule. Basis attisch wie alle übrigen. Die Eckpflócke sind an drei Seiten als Menschenköpfe geformt. Hier sind die oberen Kanten der Plinthe ab- geschrägt, um den Köpfen Platz zu machen, während der vierte Eckknollen wie üblich auf der Plinthe aufliegt. Der Kopf an der SO-Ecke von ungewöhnlicher Größe und roher als die anderen, stark abgenutzt. Ebenso auch der Kopf der SW-Ecke, vom dritten kaum noch eine Spur übrig. Der Kämpfer besteht aus Hohlkehle, Plättchen, Wulst und Platte. Die vier unteren Ecken sind im Dreieck abgeschrägt und doppelt umrändert. Die Unterseite des Kämpfers ist als Hohl- kehle gebildet, von der diese Dreiecke ausgeschnitten sind.

Südliches Säulenpaar. Attische Basis, achtkantig gebildet wie die Säulen, so daß die Kanten der Basen denen des Schaftes entsprechen. Auf achtkantiger Plinthe ruht der kantig gebildete Pfühl, über den von den acht Ecken der oberen Platte her acht Streifen laufen, welche, vorn am Pfühl in runden Eckknollen endend, den Pfühl einziehen und mit Gewichten zu beschweren scheinen.

Gangsäule. Korinthisierendes Blätterkapitell. Wenigstens liegen Erinnerungen an korinthische Kapitelle zugrunde, aber die Blätter sind spitz und länglich ge- worden wie Sumpfgras, die Arbeit ist unbeholfen, dabei sehr lebendig und frisch.

Hofsáule. Wiirfelkapitell. Die Schildbogen sind mit zwei flachkantigen Streifen umrändert. Die Streifen glatt gemeißelt, während der Würfel sonst rauh bleibt.

Kämpfer. An der Gangseite der Oberkörper eines Tieres (Katze?) mit mon- strösem, ovalem Kopf und kurzem, in die Höhe gebogenem Schwanz. Große Augen, lange Nase, scharf umrissen, und zwei aufrecht stehende kleine Ohren. Die Schmalseiten sind hier ohne Zusammenhang mit den Langseiten behauen, wo- durch die Grundform des Kämpfers (Sattelholz) mehr betont wird, indem sich die Skulpturen an der Schmalseite der Schräge anschmiegen und die geraden Teile des Balkens unbeeinträchtigt lassen. Dies wird besonders deutlich an der nörd- lichen Langseite, wo der gerade Balken mit abgeschrägten Seiten sichtbar ist und von einem schmalen Streifen umsäumt wird. Darin in der Mitte zwei mit den Stielen gekreuzte Blätter. Die Stiele sind dreifach gerippt, die fünf Blätter rundlich, oben spitz, die zwei zur Seite stehenden im Profil gesehen, das oberste flach mit vertiefter Mittelrippe. Die Keilschnittechnik hier. sehr markiert. An der Hofseite heraldisches Fabeltier mit großem Kopf. Die Augensterne sind als runde

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und erhabene Scheiben gebildet, von doppelten Ringen umgeben, kleine Ohren, heraushängende Zunge. Der Oberkörper ist in großen runden Plättchen geschuppt. Schwanz. An der südlichen Langseite Blätterranke mit in der südwestlichen Ecke fleur de Lys-artiger Endung. Sonst ist die Lilienendung zweiteilig. Die Stiele dreifach gerippt. Vor dem Ansatz der Blumen en Ring.

Drittes Joch. Ä

Von der vierbogigen Fensterarkade (Abb. 2) ist der äußerste nördliche Bogen halb in die Mauer verbaut, da an dieser Stelle eine Verstärkung des den Gurtbogen stützenden Pfeilers notwendig geworden. (Über dem ganzen Osttrakt zieht sich das ehemalige Dormitorium entlang, das vermutlich Anfang des 14. Jahrhunderts erbaut wurde.) In der Mitte ein Pfeiler, der Mittelsäule des zweiten Joches ent- sprechend, an den Seiten je ein Säulenpaar. Der Kämpfer des südlichen Mauer- pfeilers (H. 0,26 m) besteht hier aus Wulst, Schmiege, Hohlkehle, Schmiege, großem Wulst und Platte. | |

Nórdliches Sšulenpaar. Die attischen Basen (Br.o,32 m, Tiefe 0,56 m) sind von gefülliger Bildung, oben weniger steil und plump. Die Abplattung des unteren Wulstes (H. 0,5 m) ist als aufliegendes Plättchen akzentuiert.

Gangsäule achtkantig. Das Kelchkapitell ist von völlig anderer Bildung wie das unverstanden korinthisierende der zweiten Arkade. Acht Blumenblütter sind so um den Kern des Kapitells angeordnet, daB an jeder Seite drei sichtbar werden. Die überfallenden Enden sind stark unterschnitten. Eine viereckige Platte krónt das Ganze.

Hofsäule. Glatter Schaft. Würfelkapitell mit einfach umsäumtem Schildbogen.

Kümpfer fein profiliert.

Der Mittelpfeiler. Schaft (H. 1,28 m) im Grundriß ein längliches Viereck. Die attische Basis ist viereckig (Br. 0,48 m, T. 0,58 m) und besteht aus Wulst, schräg abfallenden Plättchen, Hohlkehle, Plättchen, Wulst. Die obere Kante der Plinthe ist abgeschrägt. Die Ecken des Pfeilers sind ausgekehlt, an den Schmal- seiten (Hof- und Gangseite) ist je eine Halbsáule vorgelagert, wührend die Lang- seiten ganz glatt abgemeiBelt sind. Diese Halbsäulen werden mit vom oberen Wulst der Basis umfaßt und vom oberen Plättchen umsäumt, haben aber ihren eigenen runden, senkrecht stehenden Fuß, dem die zweite Platte der Basis rund- herum ausweicht. Der Säulenfuß steht also in der Hohlkehle. Die bei der Aus- kehlung der Ecken stehenbleibenden Pfeilerstücke haben unten eine gewölbte, in der Mitte eingekerbte Form, oben laufen sie als Spiralen zusammen. Der Kümpfer zeigt die umgekehrte Form der Basis ohne deren obersten (beim Kümpfer demnach untersten) Wulst. Der Kämpfer ist stark seitlich verschoben.

Südliches Säulenpaar. Die Basis wieder mit größerem und stärkerem Wulst, auch die Eckknollen sind stärker, der Oberteil steiler. Der Wulst ist oben ganz flach und höher wie die anderen (H. 0,6* m). Die Plinthe ist um 0,2 m tiefer wie die Plinthe des nördlichen Paares.

Gangsäule. Der Schaft ist glatt. Beim Übergang zum Kapitell kein Halsring. Vier Vögel, an jeder Ecke einer, so daß Leib und Kopf der ausladenden Form des Wiirfels folgen, während die ausgebreiteten Flügel die Mitte verdecken. Die Platte des Kapitells ruht auf den gerade vorgehaltenen Köpfen der Vögel. Die Hälse sind lang ausgereckt, die Körper stark und eifürmig, der Schwanz dreiteilig, die Beine lang, die Flügel rund, mit je drei langen Flugfedern. Darüber schuppenartig ge- arbeitete Federn wie am Körper.

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Hofsáule. Achtkantiger Schaft. Kelchkapitell.. Vier groBe Blitter umhüllen den Kern. An den Ecken stark unterschnitten, lassen sie die gewölbten Spitzen weit überhüngen, so daB auf jede Ecke eine Spitze kommt. Das Blatt bildet hier gewissermaßen eine überdachte Nische. Über die Fläche der breiten Blätter, in der Nische also, sind kreuzweise je zwei schmale, oben runde Blatter lose gelegt. Darüber Platte. |

Der Kämpfer ist weniger reich profiliert wie der des nördlichen Sdulenpaares.

Viertes Joch. (Abb. 3.)

Vierbogige Fensterarkade, auf einem Mittelpfeiler ruhend, nördlich ein Säulen- paar, südlich ein Pfeiler. Die Kämpfer der Mauerpfeiler bestehen aus Hohlkehle, Schmiege, Wulst, hoher Platte. (H. 0,20 m und 0,27 m.) Ein Stück davon noch auf der Gangseite sichtbar.

Nördliches Säulenpaar. Basis Br. 0,34 m, T. 0,58 m. Die Säulenschäfte sind beide glatt und haben Würfelkapitelle.

Gangsäule. Die Umrandung des Schildbogens am Würfelkapitell ist als runder Wulst gebildet, darüber Platte.

Hofsäule. Die Umrandung des Schildbogens am Würfelkapitell ist breit und flach abgekantet. Darüber hohe Platte.

Kämpfer reich profiliert. |

Mittelpfeiler. Quadratischer Grundriß (0,56 m). Die Basis wie am Milttel- pfeiler der dritten Fensterarkade. Die Pfeilerecken in gleicher Weise ausgekehlt wie dort. Die Seiten glatt. Sehr reich profilierter Kámpfer. An der Hof- und Gangseite stark unterschnitten.

Siidlicher Pfeiler, welcher mit dem Sdulenpaar korrespondiert. Basis ein vier- eckiger Block, Br. 0,34!/, m, T. 0,40 m, H. 0,28 m. Oben schräg abfallende Seiten. Die Ecken des Pfeilers sind abgeschrägt, aber nicht ausgekehlt. Die Abschrägung

verläuft oben wie unten im spitzen Winkel. Der Kämpfer besteht aus Wulst, Pláttchen und Platte. |

DER SÜDTRAKT. I. Joch (das östlichste).

Vier kleine Rundbogen, getragen von einem Mittelpfeiler, im Osten von einer Sdule, im Westen von einem Sáulenpaar. Der Mauersockel, auf welchem die Stützen stehen, ist von W. nach O. zu abgetreppt und nach der Hofseite stark abgeschrágt. Die Pfeilerkimpfer bestehen von hier ab aus Platte und sehr hohem Wulst. Die Kämpfer der Gurtbögen, welche im Osttrakt nur o,16 m H. hatten, sind hier 0,25 m hoch.

Óstliches Sdulenpaar. Achtkantig. An der attischen Basis (0,31? m zu 0,31°) bemerken wir zum erstenmal die rinnenfórmige Bildung der Hohlkehle. Zugleich erscheint zum erstenmal das für die spätromanische Epoche des Salzburger Gebiets im 13. Jahrhundert charakteristische Kapitell (sogen. Salzburger Kapitell). Es ist eine Verbindung des Kelch- und Wiirfelkapitells. Mit acht Kanten geht der untere Teil des Kapitells in den runden Sáulenhals über, wáhrend die Seiten als vier lot- rechte Schildflächen in Dreieckform stehenbleiben. Das Kapitell erhält dadurch vier, die geometrische Grundform eines nach oben in spitzer Dreieckform aus- gehenden breiten Blattes zeigende Abschrügungen. Die Spitze endigt unter dem oberen Rand des Kapitells, eine ca. o,2 m hohe viereckige Platte stehenlassend. An den vier Seiten bleiben also zwischen diesen Blättern vier ganz flache, lotrechte Dreiecke mit nach unten gekehrter Spitze stehen.

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Kämpfer roh behauen. |

Mittelpfeiler. Quadratische (0,51 m) Plinthe. Basis und Pfeiler ganz ähnlich dem Mittelpfeiler der südlichsten Fensterarkade im Ostflügel

Der Kümpfer, eine viereckige Platte, geht in groBer, an den Ecken scharfkantig behauener Hohlkehle in den Pfeiler über.

Westliches Säulenpaar. Die Gangsäule und die Basen beider Säulen scheinen mir neu zu sein. |

Hofsäule. Runder Schaft, Würfelkapitell mit flachkantiger Umsäumung des Schildbogens.

Kämpfer. Schmale Platte, an den Enden (Schmalseiten) aufgerollt. Darüber Platte.

2. Joch.

Vier kleine Rundbogen, auf einem Mittelpfeiler und je einem Säulenpaar ruhend.

Óstliches Säulenpaar. Attische Basis 0,31° zu 59. Rinnenförmige Hohlkehle, niedriger Wulst.

Gangsüule. Wiirfelkapitell, von dreistreifigem Flechtwerk übersponnen.

Hofsáule. Wiirfelkapitell, flachkantig umsdumter Schildbogen.

Kümpfer. An den Schmalseiten aufgerollte schmale Platte, darüber Platte.

Mittelpfeiler. Annähernd quadratische Plinthe. (Br. 0,57 m, T. 0.54 m). Attische Basis. Der Schaft ist achtkantig. Die vier quer über die Ecken der Basis gestellten Flichen als Auskehlungen behandelt durch hier oben und unten stehen- gelassenen und zu Voluten aufgerollten Stein. Von dem Pfeilerviereck bleibt sowohl unten wie oben eine ca. 0,4 m hohe Platte stehen.

Kapitell Vier nach innen abgeschrügte Seiten mit germanisierten Palmetten, von denen einzelne rund umgebogen und unterschnitten sind, so daß sie oben wie von einem Wulst umgeben scheinen. An der Ostseite haben die Palmetten im mittelsten Blatt ein umgekehrtes fleur de Lys. Hier und an der Stidseite erscheinen unten zwischen den Blattstielen kleine spitze Dreiblätter, die besonders an der Südseite lebendig gearbeitet sind. An der Südseite ist die wulstartige Form des oberen Randes der Palmette sehr auffallend. An der Ostseite hat keine Unter- schneidung stattgefunden. Hier sind die Palmetten fünfblütterig, an der Südseite sechsblütterig. Die Stiele haben einen Ring. An der Westseite sind die kleinen Zwischenblütter an den Stielen fortgelassen und die Palmetten wieder sechsteilig gebildet. Die Westseite hat vier Palmetten, auf den übrigen drei Seiten erscheinen nur je drei Palmetten. Auf die Ecken kommen schmale, zusammengepreBte und nach unten hüngende Palmetten in zweistreifiger Umrandung. Diese Eckpalmetten sind fein geschnitten auf der SO-Ecke, ganz grob und unverstanden auf der SW-Ecke, gut gebildet auf der NO-Ecke, auf der NW-Ecke abgeschlagen.

Westliches Säulenpaar.

Basis: Plinthe Br. 0,30 m, T. 0,56? m. Die Bildung der attischen Basis ist viel gedrungener wie die vorhergehenden. Die Hohlkehle ist nicht rinnenförmig, auf dem ca. 0,7 m hohen Wulst liegt ein scharf markiertes Plättchen. Die Eckpflöcke sehr dick, der obere Teil der Basis nicht sehr steil. Runde, glatte Schäfte. Würfel- kapitelle.

Gangsäule. Der Schildbogen am Kapitell ist zweimal schmal und scharfkantig umsäumt, durch einen weiteren Einschnitt erscheint die Umsäumung dreifach zu sein.

Hofsáule. Einfache flachkantige Umsäumung des Schildbogens.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12. 23 329

Der Kämpfer hat an der Westseite zwei Tiere, die mit den Köpfen gegen- einander gestellt sind. Nur Kópfe und Rücken sind gegeben. Vielleicht sollen Lümmer dargestellt sein. Darüber schmale Platten, an den Enden nach außen in federnde Spiralen eingerollt. Der Wulst kommt wie gewöhnlich auf die Schmal- seite.

3. Joch (Abb. 4).

Vier kleine Rundbogen, Mittelsäule und je ein Säulenpaar an den Seiten. Da der Südtrakt fünfJoche hat, kommt die dritte Fensterarkade also genau auf die Mitte.

Östliches Säulenpaar.

Basis: Br. 0,30 m, Т. 0,594 m. Stark rinnenförmige Hohlkehle. Das Ganze niedrig gehalten. Die Basis der Gangsäule hat einen etwas dickeren Pfühl wie die der Hofsäule. Beide achtkantig.

Gangsüule. Würfelkapitell. An der Ostseite glatt, bis auf die übliche, ganz flache und einfache Umsäumung des Schildbogens. An der Südseite dreistreifiges Bandgeflecht als Dreieck und Kreis durcheinandergesteckt. Der Kreis gedrückt und verbogen. Westseite, dreistreifiges Bandgeflecht, an den Ecken verschlungenes Viereck. Nordseite dasselbe Ornament wie die Südseite.

Hofsäule. Wiirfelkapitell mit ganz glatter, einfacher Umsäumung des Schild- bogens.

Kämpfer. Lange, schmale Platte, an den Enden aufgerolit, aber so, daß sich die Spirale wieder nach außen dreht, statt nach innen.

Mittelsäule (Abb. 5). Attische Basis über viereckiger Plinthe, ein im Grundriß runder, aber kantig gebildeter Pfühl und kantige Eckpflócke. Am runden Schaft (H. 0,98 m) sind nach der Gangseite zwei rundbogige flache Nischen (H. 0,13 m) ausgearbeitet. Zwischen beiden ein 0,51/, m breiter Steg. In der östlichen Nische sitzt unten ein jugendlicher Mann mit straffem, nicht ganz bis auf die Schultern herabfallendem Haar und phrygischer Mütze. Über Brust und Schultern scheint er eine Art von ärmellosem Kragen zu tragen. Er spielt die Harfe. Nur die vier Finger der linken Hand, die in die Harfe greift, sind sichtbar!) Über ihm ein Tier. Der abgebrochene Schwanz hat gerade den Winkel über der Harfe aus- gefüllt, das rechte Hinterbein kommt gerade auf den Kopf des Harfenspielers, die rechte Pfote ist nach unten gesenkt, die linke erhoben. Es ist vielleicht ein Hund gedacht. Den Kopf ziert ein aufrecht stehender Haarbüschel Die westliche Nische ist durch eine nach rechts schreitende männliche Figur ganz ausgefüllt. Der im Profil gesehene Kopf ist unförmig groß im Verhältnis zur Gestalt. Das mandelförmige, plastisch rund gebildete Auge nimmt den ganzen Kopf von der Nasenwurzel bis über die Schläfe zum Haar ein. Unter der runden, anliegenden Kappe fällt das Haar frei und leicht wellig bis auf den Rücken herab. Nur der rechte Arm, der über die Brust gelegt ist, wird sichtbar. Die Hand hält einen runden Gegenstand an die linke Schulter gedrückt. Die Hand hat fünf Finger und einen Daumen! Der Mann trägt ein eng anliegendes, am Halse offenes Wams, Am Handgelenk zwei Reihen kleiner runder Plättchen, je drei in einer Reihe. Ein langes, gerade herabfallendes Untergewand, das noch die Knie bedeckt, wird über den Hüften von einem starken, in der Mitte zweimal verschlungenen Gurt zu- sammengehalten, der mit großen runden Platten (Buckeln) besetzt ist. Das eine

(z) Der Bearbeiter des Denkmäler-Inventars hat an dieser Gestalt Tierfüße gesehen. Diese sind heute ` nicht mehr vorbanden; ich konnte auch keine auf das einstige Vorhandensein solcher Füße deutende Spuren entdecken.

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herabhšngende Ende zeigt noch vier Striemen (Fransen), in welche der Gurt aus- läuft. Die Beine sind entweder nackt oder von eng anliegenden Strümpfen be- kleidet gedacht. Bei den oben faltigen Stiefeln (vier Querrillen) ist der ganze FuB mit runden Plättchen bedeckt. Beide Füße in Profilstellung nach rechts schreitend. Der Kórper von vorn gesehen.

Das Kapitell sitzt direkt ohne Halsring auf dem Säulenschaft auf. Die Grund- form ist die eines nach oben abgeschrügten Wiirfels. Darüber quadratische hohe Platte. Der Würfel ist ganz in origineller und phantastischer Weise mit Bláttern bedeckt. Die iiberfallenden, stark unterschnittenen Ecken sind mit Blüttern über- legt. Aus den Blattspitzen wachsen umgestülpte Lilienkelche hervor, welche sich henkelartig wieder am Fuß des Kapitells mit dem Stein vereinigen. An der Hof- seite abgebrochen. Jede Seite des Kapitells ist verschieden gebildet. In der Mitte wüchst aus der Basis des Kapitells je ein blattartig gebildeter Knollen hervor. Die Blattform tritt deutlich nur an der Südseite hervor, an der Ostseite ist der Knollen wie eine Konsole gebildet, über deren oberer Wölbung Blätter liegen und in deren Unterseite eine Blüte eingemeiBelt ist. An der Westseite ist dieser Buckel als runde, umgestülpte Blume gedacht. Vielleicht ist als Grundform der Lilienkelch beabsichtigt, aber dann wieder vergessen worden oder durch das Ungeschick des Steinmetzen mißbildet, denn das eine Viertel ist mit kleinen Blättern überarbeitet. Eine vertiefte, kreuzférmige Rille teilt den Buckel in vier.Teile. Neben diesen Buckeln liegen zu beiden Seiten lange Palmenwedel, über den Buckeln undefinier- bare Blatter. Das Laubwerk liegt durchaus unorganisch über dem Kapitell An der aufliegenden Platte ist ganz deutlich die antike Wellenranke in mittelalterlicher Verrohung.

Westliches Sdulenpaar.

Basis: 0,31%, T. 0,535 m. Die Hohlkehle ist rinnenfúrmig gebildet. Es sind keine Eckknollen vorhanden. Die Scháfte sind achtkantig.

Gangsáule. Wiirfelkapitell Schildbogen von flachkantigem Rand umzogen, dann noch an der Unterseite von schmalem, kantigem Streifen.

Hofsáule. Würfelkapitell. Der etwas größere Schildbogen ist einfach umsäumt. Der Schildbogen reicht beinahe bis auf den Halsring hinab.

Kämpfer. Platte nach innen eingerollt, darüber Platte.

4. Joch.

Vier kleine Rundbogen. Mittelpfeiler und je ein Sdulenpaar an den Seiten.

östliches Sdulenpaar. Basis: Br. 0,33? m, T. 0,595 m. Die Plinthe sehr niedrig. Die Hohlkehle ist stark rinnenfórmig gebildet und so steil, daB sie wie eine Fortsetzung des runden Sáulenschaftes erscheint. Beide Sdulen haben einfache Wiirfelkapitelle mit flachkantig umsäumten Schildbügen. An der Gangsäule ist der Halsring kantig.

Kümpfer. Sehr schmale, nach innen eingerollte Platte. Hier ist es die obere Platte, welche sich volutenfórmig einrollt und über die untere Platte legt.

Mittelpfeiler. Basis: ein längliches Viereck. Br. 0,52, T. 0,58 m. Der obere Wulst mit Plättchen und Ansatz der Hohlkehle bilden den geradlinigen, viereckigen Fuf des Pfeilers, dann leitet die geschweifte, wenig ausgehóhlte Linie der Hohl- kehle zum Plättchen des hohen РЇ Ыз und der viereckigen Plinthe über. Der Schaft des Pfeilers: Untere Br. 0,28 m, T. 0,36 m. Obere Br. 0,18 m, T. 0,29 m. Breite der slupierten Fläche nach der Gangseite unten 0,23 m, oben 0,14 m. Meerwesenseite unten 0,34 m, oben 0,25 m. Nach oben verjüngt sich der Schaft. Die Ecken sind glatt gelassen, aber nach oben abgeschnitten, Wo die Verjüngung

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aufhört, biegt sich die Ecke, als oben spitzes, rundes Blatt endigend, nach außen, um in einer schónen Schweifung zu dem an den Pfeiler EDE Kapitell tiberzugehen.

Südseite. Zu beiden Seiten der ornamentierten Fläche ist ein breiter Rand stehengeblieben. Das dadurch entstehende schmale Feld ist oben rundbogig ab- geschlossen. Das Stück oberhalb des rundbogigen Ornamentfeldes ist wieder nach oben mit umgekehrter Schweifung abgerundet, so daB es als ein zwischen den beiden Seitenlisenen eingefügtes Schild erscheint. Das innere Feld zeigt gut in den Raum komponierte, mit naturalistischer Treue gearbeitete Weinranken. Dicker Stamm mit knorriger Rinde, Traube, oben Blatter, abwechselnd nach oben und unten wachsend; das oberste Rund füllt das letzte Blatt aus. Die Ranke wichst in Windungen von unten nach oben.

Ostseite. Ranke mit großen Blättern, die wohl Kastanienlaub vorstellen sollen.

Westseite. Unten der nackte Oberkörper einer weiblichen, im Profil dar- gestellten Figur. Das Haar ist in einer Spirale im Nacken aufgerolit, das Ohr von gänzlich unverstandener Bildung. Überhängende Stirn, darunter große Augen und große Nase. Statt Händen scheinen Tierklauen gedacht zu sein, es ‘kommt unten rechts auch noch eine dritte Tierklaue hervor, die wohl zum Fuß des Fabelwesens gehört hat. Dieses trägt auf dem Rücken ein Fell. Es ist also wohl ein faun- artiges Wesen gedacht. Darüber ein Fischweibchen, nach der Antike kopiert. Kopf lebendig gebildet. Mit beiden Händen umfaßt sie zu jeder Seite einen Teil ihres doppelten, in der Mitte des Körpers sich spaltenden Fischschwanzes. Das Gewand ist sehr geschickt wie Fischflossen behandelt, das Körperchen lang und dünn. Darüber als Füllung des oberen Rundes sehr große, offene Blume (Mohn?).

Nordseite leer, hier jedoch der Teil über dem Rundbogen des Feldes mit Blät- tern besetzt,

Das Kapitell (H. 0,13 m) hat weitmaschiges Bandgefiecht, das sich wie in einer großen Kette um den viereckigen Stein zieht.

Kämpfer.. Viereckiger, nach unten abgeschrägter Steinbalken. An den Seiten wieder dreistreifiges Bandgeflecht. An der SO-Ecke ein Knoten von Bandgeflecht. An der SW-Ecke, kaum mehr kenntlich, ein Vogel, an der NW-Ecke Eule, leider sehr beschädigt. Die NO-Ecke ist ganz abgeschlagen.

Westliches Säulenpaar. Runde Plinthe. Durchmesser ca. 0,32 m. An der Basis der Gangsäule ist der obere Wulst als Strick gedreht. Beide Säulen glatt und rund. |

Gangsáule. Wiirfelkapitell, flachkantig umsäumt.

Hofsäule. Würfelkapitell, wulstartig umsäumt.

Kämpfer roh behauen.

5. Joch (Abb. 6).

Vier kleine Rundbogen. Mittelsäule und je eine Säule an den Seiten. Der öst- lichste Rundbogen ist halb in die Mauer verbaut.

Östlichste Säule. Basis: Br. 0,40 m, T. 0,41. Plinthe nur eine dünne Platte, der Wulst achtkantig, das daraufliegende Plättchen hat leicht eingeschweifte Seiten. Eckpflócke. Der Süulenschaft ist aus runden und scharfkantigen Gliedern tauartig gewunden. Das Kapitell ist ganz überzogen mit kindlich ungeschickt gemeißelten kleinen Ranken, Blättchen und Träubchen, ohne irgendeinen Zusammenhang, hin- gemeißelt wie es eben kam. Kämpfer, roh gelassen, Platte und Schmiege.

Mittelsäule. Schafthöhe o, 91 m. Basis wieder auf runder Plinthe. Riesiges Kapitell von oben rechteckiger Bildung mit rund ausladenden Ecken und rund aus-

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ladenden Konsolen in der Mitte der Seiten. Oben o,62 m im Quadrat. Alle acht Ausbuchtungen werden getragen von großen Köpfen oder Laubknoten. An der Südseite in der Mitte bürtiger Männerkopf, in Arabesken endend, vielstreifige Stengel- bündel an Stelle von Hals und Armen, in Laubwerk übergehend. An der SO-Ecke weiblicher Kopf, ein Tuch von der linken Schulter nach rechts hinübergezogen. Der linke Arm kommt aus diesem Tuch so hervor, daB sich die linke Hand auf die rechte Schulter legt, der Arm wie mit Tüchern umwunden. Die Finger wie Lappen geformt. Ostseite, Mitte Blattwerk, ebenso an der NO-Ecke. Nordseite in der Mitte ganz verwitterter Löwenkopf, darunter unbearbeiteter Knollen, Blattwerk und Stengelbiindel NW-Ecke halb in die Mauer des hier vorgelegten Eckturmes verbaut. Lówenkopf mit groBen Pranken. Westseite, Mitte, jugendlicher Kopf (Kinderportrüt?) Die Augensterne als Löcher gebildet. Die Knabenherme trägt eine Art Rüstung aus Lederplatten, oben am Hals rundé Plittchen (Edelsteine ?). SW-Ecke heraldischer Lówe, seine beiden Pranken nach oben erhoben, als sollten sie die Platte tragen, zühnefletschend, geflügelt, sehr roh.

Westliche Süule, Basis: 0,40 m, 0,40 m, wie die vorige behandelt, nur ist hier der obere Wulst und das obere Pláttchen auch schon achtkantig. Der Sáulen- schaft ist gedreht, tiefe Kannelüren mit scharfkantigen Stegen. Knospenkapitell, entweder modern oder in neuerer Zeit ganz überarbeitet. In der SO- und SW-Ecke sitzen innerhalb der sich übereinanderlegenden Blatter je ein Kopf, in der NW- und NO-Ecke nur runde Kugeln.

WESTTRAKT.

Das erste Joch ist ganz verbaut. Vom Eckpfeiler sind beide, die Gurtbogen tragenden Kimpfer erhalten. Daneben ein Stück der alten Mauer und ein kurzes Stück reich profilierten Kámpfers. Nördlich ein Ausgangsbogen mit zwei neuen Kämpfern. Daneben vor dem nördlichen Pfeiler, der den zweiten Gurtbogen trägt, ein Stück der Konsole aus Hohlkehle und Platte, dient ebenso wie die gegenüber- liegende Konsole als Auflager des Kreuzgewölbes. Hier ruhen beide das Joch um- spannende Gurtbogen auch an der Außenmauer auf Pfeilern, und an der Innenseite dieser Pfeiler ist auf 0,49 m respektive 0,64 m hohem Postament und attischer Basis je ein kleines Sáulchen eingestellt von 0,90 und 0,96 m Schafthöhe. Die Kapitelle dieser Sáulchen zeigen wieder genau die typisch spütromanische Form des Kapitells der östlichsten Säulen in der Fensterarkade des östlichsten Joches ` im Südtrakt. Nach der Art, wie hier und an der Hofseite die Wandpfeiler die aus Hohlkehle und Platte gebildeten Konsolen überschneiden, muß in ihnen ein späterer Einbau gesehen werden. Dieser wird um so wahrscheinlicher, als dieses ganze joch als Vorraum einer heute nicht mehr vorhandenen Brunnenkapelle gedient hat. Drei Stufen führen aus dem ersten Joch in dieses zweite Joch des Westtraktes. Nach der Hofseite, also nach Osten zu, öffnet es sich in zwei von einer 1,95 m hohen Mittelsdule getragene Bogen. Im Jahre 1899 wurden an dieser Stelle vor dem zweiten Joch die Fundamente eines quadratischen Baues (äußere Seitenlänge 5 m) ausgegraben, die heute wieder zugeschüttet sind. Die Mauerdicke betrug iro m. Da wir aus einer Berchtesgadener Oblayrechnung vom Jahre 1561 (Pfarr- archiv) einen „Prunn im Creutzgang“ erwähnt finden, dürfen wir annehmen, daß die Brunnenkapelle an dieser Stelle lag und der säulengetragene, doppelbogige Ausgang ehemals den Eingang zu ihr bildete. Im Kreuzgang des Stiftes St. Peter in Salzburg befindet sich eine ähnliche, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts am Westflügel errichtete Brunnenkapelle mit ebenfalls doppelbogigem Ausgang und einer Teilungssáule. Auch die Ecksäulen neben den Pfeilern des Kreuzgang-

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joches sind dort vorhanden und ihre Kapitelle sind die gleichen wie hier!) Eine weitere wahrscheinliche Analogie findet sich im Kreuzgang von St. Zeno bei Reichenhall, wo sie jedoch dem westlichsten Joch des Siidtraktes vorgelegen wire. Der doppelbogige Ausgang mit Teilungssáule läßt an dieser Stelle eine solche An- lage vermuten. Hier im Salzburgischen erklärt sich das in Deutschland ungewöhn- liche Vorkommen einer Brunnenkapelle im Kreuzgang durch franzósische oder wahr- scheinlich italienische Einflüsse?) Schaft und Basis der Teilungssáule sind acht- kantig gebildet. Die Eckknollen der Basis. sind rund, vorne zugespitzt, oben mit einer Rippe versehen. Die Plinthe ist viereckig. Das Kapitell (H. 41,5 m) korin- thisierend. Akanthusähnliches kleinzackiges Laub wächst in zwei Reihen über- einander aus dem kantigen Halsring auf. Die Enden hängen sehr weit über. Die Voluten der oberen Ranken sind nicht ausgearbeitet. Der Kämpfer scheint modern zu sein.

Drittes Joch (Abb. 7).

Drei Bogen, an den Enden im Mauerpfeiler verschwindend, von je zwei Sáulen- paaren getragen.

Südliches Sdulenpaar. Basis: Br. o, 335 m, T. 0,60 m. Der Pfühl ist oben abgeplattet, die Hohlkehle nicht rinnenfórmig gebildet. Der obere Teil ziemlich steil. Eckpflócke. Säulenschäfte glatt und rund.

Gangsdule. Das Kapitell hat dreistreifiges Flechtwerk an allen vier Seiten (Kreis mit durchgestecktem, an den vier Ecken Schleifen bildenden Viereck).

Hofsáule: entweder neu oder überarbeitet. Wiirfelkapitell mit flachkantiger Umsdumung des Schildbogens.

Kämpfer fein profiliert.

Nördliches Sdulenpaar. Basis: 0,30‘ zu 0,59% Schäfte glatt und rund.

Gangsdule. Kantiger Halsring. Kapitell der gleichen spátromanischen Bildung wie das der Gstlichsten Säulen der östlichsten Fensterarkade im Südtrakt und der beiden kleinen Ecksáulen im zweiten Joch des Westtraktes, nur ist dieses Kapitell kleiner wie das im Südtrakt und der Fuß verhältnismäßig nicht so dünn.

Hofsáule. Wiirfelkapitell, Schildbogen mit äußerer Umsäumung durch einen Wulst, innen von flachkantigem, schmalem Streifen umrändert.

Kämpfer profiliert, Wulst, Plättchen, Platte.

Viertes Joch. |

Drei Вореп. Der südliche steckt halb im Pfeiler. Zwei Sšulenpaare. Die Basen aller vier Sšulen sind gleichmáBig achtkantig gebildet mit über den Pfühl laufenden Streifen, die in Knollen ausgehen, wie bei dem südlichen Sáulenpaar der zweiten Fensterarkade im Osttrakt.

Südliches Sáulenpaar. Durchmesser der Basis ca. 0,36 zu 0,59!/, m.

Gangsáule. Schaft achtkantig. Wiirfelkapitell, flachkantig, breit umsäumter Schildbogen. |

Hofsüule. Schaft glatt und rund. Wiirfelkapitell, flachkantig umsdumter Schild- bogen mit schmalem Innensäumchen. Profilierter Kämpfer.

Nördliches Säulenpaar. Basis: Durchmesser o, 34 zu o, 55, der obere Wulst kantig geformt.

Gangsäule in zwei dicken Stricken tauartig gewunden (Abb. 7). Kapitell mit dreistreifigem. durcheinandergestecktem Flechtwerk.

(x) V. Borger, Das Brunnenhaus im Kreuzgang des Stiftes St. Peter in Salzburg, Mitteilun gen der k. u. k. Zentralkommission XVII, 1891. (2) Lenoir, Architecture monastique.

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Hofsdule. Schaft rund und glatt. Kapitell nur roh behauen, an den Ecken vier kleine Köpfe ausgearbeitet. Augensterne als Löcher gebohrt. Kämpfer roh behauen.

DER NORDTRAKT ist zu Anfang des 17. Jahrhunderts, vielleicht auch ‘etwas früher vollkommen umgebaut worden. Von den romanischen Fensterarkaden ist nicht eine einzige stehengeblieben. Bei Gelegenheit dieses Umbaues muß ein kleines romanisches Portal zerstört worden sein, von dem sich zwei ehemals Säulen tragende Löwen erhalten haben, die jetzt im Nordtrakt an der Wand auf- gestellt sind. Sie sind verhältnismäßig klein. Bei dem einen ist die Mähne stark aufgeringelt, unter den Pfoten hält er einen Wildschweinkopf. Sein Schwanz ist unter dem Körper durchgezogen, die Quaste hängt über dem linken Hinterfuß. Die Rippen an den Seiten gut ausgearbeitet. Der andere Löwe ist mehr verwittert, . die Vorderpfoten sind ganz abgeschlagen. Im ganzen ist die Bildung gedrungener. Sein Schwanz liegt auf der Kruppe.

In der Waldkapelle von St. Bartholomae befindet sich als Fuß eines Weihwasser- beckens eine romanische Säulenbasis, welche genau die Form der achtkantigen attischen Basen mit über dem Pfühl nach den Eckknollen laufenden Streifen in den Fensterarkaden des Ost- und des Westtraktes hat. Es stammt also wohl aus dem abgebrochenen Nordtrakt. Da das Weihwasserbecken und der Schaft augen- scheinlich aus der Entstehungszeit der Kapelle, 1617, stammen, so ist anzunehmen, daß der Abbruch der Fensterarkaden im Nordtrakt damals schon vollendet war.

An der NO-Ecke des Kreuzganges haben sich von dem gleichzeitig mit dem frühgotischen Chor errichteten Portal Reste des älteren, vorgelagerten Portals er- halten. Das westliche Gewände, der westliche Wandpfeiler mit seinem aus Hohl- kehle, Wulst und Platte bestehenden Kämpfer und ein Stück des Bogens sind stehen- geblieben, während die östliche Hälfte abgebrochen wurde, um einen Eingang in den Dormentgang zu ermöglichen.

Das Portal vom Ende des 13. Jahrhunderts (Abb. 8) ist der jüngste Teil der hier in Frage kommenden Kreuzgangsarchitektur. Als ein typisches Werk des Über- gangsstils vom Romanischen zur Gotik hat es ein hohes Interesse. Noch ist die Anlage rein romanisch, und nur in der Behandlung der Einzelformen zeigt sich die veränderte und sich verfeinernde Geschmacksrichtung. Das aus rotem Unters- berger Marmor errichtete Portal ist rundbogig und nur einmal abgestuft, die Ecken sind mit je einer Säule ausgesetzt, deren Basen die attische Form mit Eckknollen beibehalten. Die Säulen haben Knospenkapitelle, die Kapitelle der Portalgewände be- stehen aus vier ungleich hohen Blütenknollen. Der Architrav ruht auf zwei Vor- kragsteinen, das Tympanon ist leer und wird von einem dicken Wulst umrahmt, der auf den Säulen des Portalgewändes ruht. Das westliche Säulenkapitell hat in der mittleren Knospe einen Frauenkopf, der aus den zusammengerollten Blättern hervorzusehen scheint. Die Behandlung dieses Kopfes zeigt einen gewaltigen Fort- schritt gegen die Köpfe, welche an den romanischen Kapitellen des Kreuzganges vorkommen. Hier war schon ein flott und sicher arbeitender Bildhauer am Werk, dessen künstlerische Reife gerade hier, wo er in den alten Formen arbeitete, be- sonders auffällt. Über der Stirn des Frauenkopfes ist ein Weinblatt senkrecht nach oben gestellt wie ein Diadem. In den beiden seitlichen Blütterknollen erscheinen die zum Kopf gehörigen Hände, nach Trauben greifend, die hier unter den Blättern hervorquellen. Diese Hände sind gut und lebendig gearbeitet. Die ganze Kom- position ist geistreich. In der Ecke ein Löwenkopf mit faltig gezogener Stirnhaut und kugeligen Augen. Am Kapitell rechts verrät wieder die schöne, breite Be- handlung der Blätter eine geübte Hand.

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Der groBe romanische Portallówe, welcher dem Portal vorgelagert ist, war viel- leicht ein Bestandteil des älteren, hier abgebrochenen Portals. Entstanden sein dürfte es Ende des 12. Jahrhunderts, wie der ihm sehr dhnliche Portallówe von der Laufener Stiftskirche (Abb.9). Analogien zu diesem Löwen bieten ferner noch die Portallówen von Skt. Zeno bei Reichenhall, der Lówe im Langen Hof in Salz- burg und der Lówe unter der Kanzel in der Franziskanerkirche in Salzburg. Er ist bewegter wie die zwei kleineren Löwen im Kreuzgang. Ein Blick von diesem Portallówen und diesem in frühgotischer Zeit entstandenen romanischen Portal auf die sich hier anschließende Fensterarkade des östlichen Traktes muß den vorurteils- losen Beschauer überzeugen, daB diese Arbeiten unmüglich im selben Jahrhundert entstanden sein kónnen. Es ist nicht nur das Mehr oder Minder des technischen Vermögens, sondern vor allem die von einem ganz anderen Kulturniveau zeugende Auffassung, welche hier entscheidend ist. Wir haben offenbar in den Kapitellen und Kümpfern der nördlichen Fensterarkade des Osttraktes den ältesten Teil des Kreuzganges vor uns, wie wir in dem Portal den jüngsten haben. Es ist ganz ausgeschlossen, dañ die lombardisch anmutenden grotesken Tier- und Menschen- gestalten, die nur an dieser Stelle vorkommen, gleichzeitig mit den Kapitellen und Basen des Südtraktes entstanden sein sollten oder mit dem Kelchkapitell und Vögelkapitell der dritten Fensterarkade des Osttraktes. Auch die Reliefs der Mittel- sáule im dritten Joch des Südtraktes scheinen mir jünger zu sein. Die Skulpturen der zwei ersten Fensterarkaden haben noch jenen Zug unheimlichen Grausens, der, aus der Vélkerwanderung stammend, sich in den Arbeiten der lombardischen Steinmetzen erhielt. Es ist das Entsetzen vor der Wirklichkeit und die kynische Bejahung dieser Furcht, welche den Werken dieser Art ihre erschreckende Un- mittelbarkeit und ihr hóchst persónliches Geprüge gibt. Alles, was nachher kommt, ist konventioneller, ist dargestelltes, darum stilisiertes Sein. Diese ältesten Skulp- turen sind im Fiebertraum gesehene Produkte der Angst und zugleich der voll- blütigen animalischen Kraft. Das ist es, was mich, abgesehen von der Roheit der Technik, veranlaßt, sie noch in den Beginn des 12. Jahrhunderts, in die Epoche Eberweins zu versetzen. War Eberwein in Italien, um sich dort die päpstliche Sanktion zur Errichtung seines Klosters in Berchtesgaden zu holen, so ist es zum mindesten nicht unwahrscheinlich, daß er sich von jenseits der Alpen Steinmetzen mitnahm, deutet doch der starke antike Einschlag an den meisten frühen Werken des Salzburger Landes überhaupt auf die sich auch in spáteren Jahrhunderten be- hauptende Gewohnheit, Künstler aus Italien zu beziehen. Ich kann die Notiz über Eberwein „conductis lapidum artificibus* nicht so auffassen, als habe er diese nur zur Errichtung eines hölzernen Notbaues verwendet. Ein so tatkrüftiger Mann, wie es dieser erste Propst gewesen sein muD, hat sicher nicht geruht, bevor er die Mauern seines Münsters aus der Erde emporsteigen sah. Manches mag frei- lich flüchtige Arbeit gewesen sein, die schon bald wieder einstürzte oder abgetragen werden muBte, aber gewiB ist, daB sich vor 1139, dem Todesjahr Eberweins, auf dem Priesterstein eine in Stein gefügte klösterliche Anlage erhob. Von diesem ültesten Bau dürfte der einzig frei zutage liegende Rest die nürdlichste Fenster- arkade des Osttraktes und ein Teil der zweiten Fensterarkade dieses Flügels sein. Es darf auch nicht vergessen werden, daß diese Datierung die Skulpturen keines- wegs in frühromanische Zeiten hinaufrückt. Der romanische Stil war im Anfang des 12. Jahrhunderts vollkommen ausgebildet und die jedem Steinmetzen geläufige Ausdrucksform. Zur Zeit, als Eberwein seine ersten Bauarbeiter nach Berchtes- gaden berief, hatte die Hiersauer Bauschule schon seit einem Jahrhundert den

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Kirchen- und Klosterbau Deutschlands maßgebend beeinflußt. In Bayern erhoben sich eine bedeutende Zahl stattlicher kirchlicher Anlagen, denn seit dem ro. Jahr- hundert war die Bautätigkeit hier eine äußerst rege). Der Einfluß der langobar- dischen Kunst Oberitaliens reichte bis tief in das Salzburger Gebiet hinein, so daß hier schon damals jene Vermischung deutscher und italienischer Elemente statt- fand, welche die Eigenart der bildenden Kunst dieser Gebiete ausmacht. An Vor- bildern fehlte es zu Eberweins Zeit weder diesseits noch jenseits der Alpen. Stil- kritische Bedenken können uns also nicht hindern, die nördliche Fensterarkade des Osttraktes in das erste Viertel des 12. Jahrhunderts zu verlegen. DaB die Süulen- basen weniger altertiimlich anmuten, d. h. eine größere Ausdehnung haben wie die des Kreuzgangs von St. Zeno bei Reichenhall welcher meist in das Ende des 12. Jahrhunderts verlegt wird, beweist noch nichts, denn in St. Zeno waren offen- bar deutsche, ausschlieBlich in Deutschland geschulte Steinmetzen am Werk, während in Berchtesgaden alles auf italienische Einflüsse und italienische Stein- metzen deutet. Der Unterschied in der Behandlung der Kapitelle und Basen läßt sich also viel eher auf Rechnung des verschiedenen nationalen Geschmacks und der technischen Ausbildung setzen, als durch den Zeitunterschied erklären, Immer- hin wäre es aber möglich, daB die Säulenbasen dieser zwei ältesten Fensterarkaden in der zweiten Bauperiode des Kreuzganges, also Ende des r2. Jahrhunderts, durch neue ersetzt worden würen. Dadurch würde sich dann auch die Übereinstimmung sämtlicher Basen des Osttraktes mit den acht noch vorhandenen des Westtraktes erklären. Auffallend erscheint es mir, daB die beiden nördlichen Joche des West- traktes sich ebenso wie das nórdlichste Joch des Osttraktes nur in drei Bogen statt in vieren nach dem Hof zu öffnen. Sollte bei dem Bau mit der heute zerstörten Nordseite angefangen worden und bei der ersten Anlage nur dreibogige Fenster- ófinungen vorgesehen worden sein? Am Nordjoch des Osttraktes ist es ferner beachtenswert, daß sich hier keine Doppelsäulen finden. Ich halte es für möglich, daB auch hier ein ülterer Entwurf zugrunde lag, der spáter zugunsten der Doppel- sáulenstellung aufgegeben wurde. Wie weit der Bau des Kreuzganges zu Eber- weins Zeit schon gediehen war, läßt sich natürlich nicht einmal vermuten. Denkbar würe es, daB nur der Nordtrakt und die ersten Joche des Ost- und Westtraktes fertig geworden wären. Von dem Bau Eberweins stammen außer dem nördlichsten Joch des Osttraktes meines Erachtens noch die Kapitelle und Kümpfer der beiden kleinen Sáulenpaare an der zweiten Fensterarkade. An den fünf Fensterarkaden des Ost- und Westflügels ist die Profilierung der Kämpfer an den Pfeilern ganz übereinstimmend, nur bei der nördlichsten Fensterarkade des Ostflügels sind die Kämpfer an den Innenseiten des Mauerpfeilers durch Tiergrotesken gebildet.

In der zweiten Bauperiode, die ich gegen Ende des 12. Jahrhunderts ansetzen möchte, wären dann die drei südlichen Fensterarkaden des Ostflügels entstanden, wobei man vier ältere, von der ersten Anlage stammende Säulen mit Kämpfern und Kapitellen zu den Sdulenpaaren in der zweiten Fensterarkade des Osttraktes verwendet hätte. In den beiden nördlichen Jochen des Westtraktes wären unter Beibehaltung der dreibogigen Anlage die Sáulen mit Basen, Kapitellen und Kámp- fern erneuert worden. Einer noch spüteren Bearbeitung, vom Anfang des 13.Jahr- hunderts, entstammte dann das Kapitell der Gangsáule des nórdlichsten Sáulenpaares im dritten Joch. An den Kapitellen dieser fünf Arkaden (drei im Osttrakt, zwei im Westtrakt), sehe ich schon deutlich den EinfluB der Kapitellskulpturen in der

(1) Vgl. Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern. I. Band. München 1862,

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Ereisinger Krypta. Diese Krypta wird übereinstimmend von allen Kunsthistorikern dem Bau nach dem groBen Brande von 1159 zugewiesen; mir selbst scheint es fraglich, ob hier nicht áltere Teile aus dem rr. Jahrhundert vorhanden sind. Auf jeden Fall muß die Krypta um 1161 fertig gewesen sein, da das Portal der Kirche dieses Datum trügt. Die Freisinger Krypta zeipt starke oberitalienische Einflüsse, die sie dann nach Berchtesgaden übermittelte. Stand die Krypta, wie ich annehme, spütestens im Jahr тїбї vollendet da, so kann man ohne weiteres eine Abhiingig- keit des Berchtesgadener Kreuzganges seit dem Ende des 12. Jahrhunderts von ihr annehmen. Bezeichnend für diese stilistische Abhüngigkeit scheint mir das Vogelkapitell im Osttrakt. Es ist eine verkleinerte Nachbildung des Adlerkapitells der groBen Luitprechtsdule in Freising. Kelch- und Wiirfelkapitelle, Flechtwerk und vegetabilisches Ornament wechseln hier miteinander ab, wie es der romani- schen Epoche geläufig war.

Der Einfluß der Freisinger Krypta erhielt sich noch im Anfang des 13. Jahr- hunderts, um welche Zeit ich die Hauptteile des Südtraktes datieren möchte. Zum ersten Male kommt hier die rinnenförmige Bildung der Hohlkehle an der attischen Basis vor, und zwar gleich an der óstlichsten Sáule des Siidtraktes. An dieser Seite haben wir auch zum ersten Male den Kümpfer mit volutenartig aufgerollten Enden und das Kapitell mit den abgeschrügten Ecken und dreieckigen Schildbogen. Die antiken Dekorationsmotive finden sich ebenfalls fast alle in diesem Trakt. Vermutungsweise dürften wir annehmen, daB hier Anfang des тз. Jahrhunderts ein italienischer oder in Italien geschulter Vorarbeiter tštig war, nach dessen An- gaben ungeschickte Berchtesgadener Steinmetzen Palmetten, Ranken, Voluten, Sirenen ohne jedes Verständnis nachahmten. Deutlich zeigt sich das an dem Kümpfer des Mittelpfeilers in der Fensterarkade des zweiten Jochs (von Osten). An der Ostseite des Kümpfers hat eine kundige Hand den Palmettenfries begonnen und auch noch an der SO-Ecke die umgekehrte und zusammengefaltete Palmette geschnitten. Nach diesem Vorbild sollte der bäuerliche Arbeiter den Kämpfer fertig machen. In völliger Verständnislosigkeit faßte er die einzelnen Palmetten oben mit einem wulstartigen Rand zusammen und unterschnitt diesen so, daß die Palmette das Aussehen einer Muschel bekam. Übrigens findet sich die muschel- artige Bildung der Palmette auch in der Freisinger Krypta. Auch das häufige Vorkommen fleur de Lys-artiger Motive läßt sich auf Freisinger Vorbilder zurück- führen; bei dem Kapitell mit umgestülpten Lilienkelchen über der Mittelsäule der dritten Arkade (Abb. 4 u. 5) können aber auch direkte italienische, vielleicht vene- zianische Einflüsse in Frage kommen. Die Sirene wie das faunartige Fabelwesen der Arkade des vierten Joches sind typische Beispiele für die germanische Wieder- gabe antiker Motive. Die ihren zweiteiligen Fischschweif haltende Sirene kommt z.B., nur in etwas rundlicherer Bildung, auch am Portal von Biburg vor.

Das Relief an der mittleren Säule mit den Lilienkelchen ist sehr viel roher wie das Barbarossarelief von St. Zeno bei Reichenhall, welches wohl noch aus der Zeit unmittelbar nach 1170 zu datieren ist, mit dem es in Tracht und Gewand- behandlung übereinstimmt. Diese Roheit muß also wohl dem Ungeschick des Steinmetzen zugeschrieben werden. Im Denkmäler-Inventar wird die Gestalt des sitzenden Harfenspielers wegen seiner phrygischen Mütze und seiner (heute nicht vorhandenen) „Tierfüße“ auf Orpheus gedeutet, als „Symbol der Macht des Bösen“; während der stehende Mann links nicht weiter erklärt wird. Die Deutung auf Orpheus scheint mir ganz unhaltbar, schon weil mir keine Darstellung bekannt ist, in welcher Orpheus die Macht des Bösen symbolisiert hätte. Die Parallele Orpheus-

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Christus, die in frühchristlicher Zeit so hüufig gezogen wurde, dürfte eine der- artige Umstellung wohl ausschließen. Die Tierfüße, auf welche im Inventar Bezug genommen wird, sind nicht mehr vorhanden, und da ich keine Spuren von solchen entdecken kann, muß ich annehmen, daß hier ein Irrtum vorliegt. Eine Deutung romanischer Bildwerke auf bestimmte Personen oder Begebenheiten hat insofern immer etwas Bedenkliches, als die romanischen Bildhauer offenbar ganz frei mit ihrem Stoff walteten, sobald es sich um die ornamentale Ausgestaltung eines Bau- gliedes handelte, aber in diesem Fall halte ich es für müglich, dap David dar- gestellt sein soll, einmal als Harfenspieler und einmal mit der Schleuder. So würe der rundliche Gegenstand erklärt, den der stehende Jüngling in der rechten Hand hilt. Der über dem Harfenspieler angebrachte Hund (?) wire dann wieder auf Rechnung des Wunsches zu setzen, jede Fläche durch Skulptur zu beleben, ohne Rücksicht auf den Sinn des Dargestellten. Ein Beispiel dieser Gepflogenheit haben wir in unmittelbarer Nähe im Kreuzgang von St. Zeno bei Reichenhall, wo die Fabel von Wolf, Fuchs und Kranich dargestellt ist; die beiden oben leer bleiben- den Ecken sind mit Flechtwerk ausgefüllt Es kann natürlich auch sein, daß in dem über David erscheinenden, also vor ihm stehend gedachten Tiere die Unrein- heit, das Bóse zu sehen ist, welches Davids Harfenspiel vertreibt.

In der Art der Behandlung, vor allem des Rankenwerkes, ist das große Kapitell der Mittelsäule in der westlichsten Arkade (Abb. 6) dem Lilienkapitell der mittelsten Arkade ganz ähnlich. Trotzdem halte ich es für denkbar, daB wir hier ein im An- fang des 13. Jahrhunderts überarbeitetes, aber aus dem 12. Jahrhundert, und zwar wohl aus der zweiten Bauperiode stammendes Kapitell vor uns haben. Die Kopf- bildung der Menschen und Löwenhäupter ist noch ganz die der älteren Zeit, je- doch kann man hieraus keine Schlußfolgerungen ziehen, da gerade in dem ent- legenen Berchtesgaden altertümliche Bildungen sich sehr einfach erklären lassen. Was mir zu denken gibt, ist die Deutung der drei Kópfe. Es sind ein Männerkopf, ein Frauenkopf und ein Knabenkopf dargestellt. Es liegt also nahe anzunehmen, daß es sich hier um Porträts handelt, und dann natürlich um solche von Wohl- tätern des Stiftes !). Nun hat niemand so viel für das Stift getan, hat niemand ein so gutes Recht auf ein Denkmal in demselben als die ersten Gründer des Klosters, Graf Berengar von Sulzbach und seine Gemahlin Adelheid. Im Jahre 1125 stellte Graf Berengar dem Berchtesgadener Chorherrnstift eine Urkunde aus, in welcher den Brüdern des Gotteshauses zum heiligen Johannes dem Täufer und Apostel Petrus alle Schenkungen bestätigt werden, welche ihnen bis dahin vom Grafen Berengar, seiner Gemahlin Adelheid und seinem Sohne Gebhard gemacht worden waren. Berengar starb noch im selben Jahre am 3. Dezember. Die Aufzeichnung, welche sich auf die Bautätigkeit Eberweins bezieht, ist nach Berengars Tode ver- faßt. Vielleicht, daß eine rege bauliche Tätigkeit erst zwischen 1125 und 1139 entfaltet wurde. Es wäre dann nicht verwunderlich, wenn Eberwein aus Dank- barkeit gegen seinen verstorbenen Gönner dessen Bildnis mit dem seiner Gattin und seines Sohnes an einer Säule des Kreuzganges verewigt hätte. Dieses große und sorgfältig gearbeitete Kapitell wäre dann beim Umbau Anfang des 13. Jahrhunderts

(1) Es wird heute dem Studierenden möglichst erschwert, den Kreuzgang zu besuchen, es ist aber der Aufmerksamkeit der Schloßverwaltung entgangen, daß der weibliche Kopf dieses wertvollen Ka- pitells durch einen in Bleistift aufgemalten Schnurrbart verunziert ist. Es wäre vielleicht wünschens- wert, daß die Sorgfalt der Schloßverwaltung sich außer auf die Ausschließung des Kunstforschers auch auf die Verhinderung solcher Beschädigungen richtete.

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überarbeitet worden, so daß es etwas vom Charakter der Frühperiode eingebüßt hätte. Ich stelle diese Hypothese in voller Erkenntnis ihrer Widerlegbarkeit auf’).

Einige Schwierigkeit verursacht mir die Datierung des östlichen Kapitells dieser Arkade (Abb.6). Säule und Basis können nur dem 13.Jahrhundert angehören, aber das Kapitell erscheint so altertümlich, daB ich nur ungern die ungeschickten kleinen Ranken und Blüten, mit denen es übersponnen ist, durch das' Ungeschick des Berchtesgadener Steinmetzen erklire. Auffallend ist auch, daB der darüberliegende Kümpfer roh gelassen ist. Handelt es sich hier an der SW-Ecke vielleicht nur um eine Auswechslung der Sáulen und Basen?

Das Knospenkapitell der westlichen Süule ist genau den Kapitellen des früh- gotischen Chors nachgebildet und scheint mir der Zeit um 1866 zu entstammen, als man ein ähnliches frühgotisches Kapitell am romanischen (!) Westportal an- brachte. Sollte es tatsüchlich einer Erneuerung vom Ende des 13. Jahrhunderts angehören, so ist es bis zu völliger Modernität überarbeitet worden.

Die Datierung der Teilungssáule, welche im ehemaligen Eingang zur Brupnen- kapelle steht, wäre nur möglich, wenn sich das Datum dieser Brunnenkapelle finden lieBe. Die Brunnenkapelle von St. Peter in Salzburg, welche ich nicht gesehen habe, wird in das Ende des 13. Jahrhunderts verlegt. Möglich ist also, daB es sich auch hier um eine mit der Errichtung des Chors, des Portals am Ende des Ost- traktes und vielleicht anderen Ausbesserungsarbeiten im Kreuzgang Hand in Hand gehende Anlage der Frühgotik handelt. Genaueren Aufschluß darüber könnte nur eine Untersuchung des Mauerwerks geben. .

(1) Mit zu ihrer Begründung beitragen dürfte aber vielleicht der Hinweis, daß noch bei dem in der Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgten Bau des Langhauses das Wappen der Familie Kastel-Sulzbach auf einem SchluBstein des Mittelschiffgewólbes angebracht wurde.

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KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER. 6. DAS URBILD DES SEBALDUSGRABES)) Mit swei Abbildungen auf einer Tafel Von HUBERT STIERLING

m Juniheft dieser Zeitschrift hat Ernst Steinmann die Zerstörung der päpstlichen

Grabdenkmiler in Avignon ausführlich behandelt. Gar manchem sind hier wohl zum erstenmal die traurigen Überreste einer eigenartigen Kunst entgegengetreten, denn Abbildungen gab es bisher nicht, hóchstens ein paar gestochene des 18. Jahr- hunderts, die aber kaum einer kannte. Wir wußten eigentlich nur, daß die Fran- тозеп der Revolution auch diese Denkmäler in furchtbarer Verblendung zugrunde gerichtet hatten. Erst Steinmann hat dem deutschen Leser vor Augen geführt, was damals mehr oder minder verschont geblieben ist, und er hat gleichzeitig die glanzvolle Entstehungsgeschichte und die ebenso düstere Tragódie des Unter- gangs dieser Denkmiiler aufgezeichnet und mit eindrucksvollen Aufnahmen vor Augen geführt. |

Aus diesem Mangel an Abbildungen wird es sich vielleicht in der Hauptsache erklüren, daB die deutsche Forschung nicht lüngst festgestellt hat, in einem dieser Papstdenkmäler, demjenigen Innocenz VI. in Villeneuve les Avignon, das Urbild des Sebaldusgrabes vor sich zu haben. Legt man einmal Abbildungen beider Werke nebeneinander und zwar möglichst in der Breitansicht, so erkennt man sofort, daB in dem Nürnberger Denkmal der Typus des südfranzósischen Papst- grabes wieder aufgenommen ist. Beide Male hat man den rechteckigen Kapellen- bau vor sich, der Ausdruck Kapelle, den schon im Jahre 1512 der Nürnberger Schulmeister Cochláus brauchte, trifft besser als der Steinmannsche Vergleich mit dem „ins Monumentale übertragenen Reliquiengefäß“ der in gleicher Weise von zwölf gotischen Pfeilern getragen wird und oben seinen Abschluß in einer drei- geteilten reichen Architektur findet. Die mittlere Spitze ist auf beiden Denk- málern durch die Figur Christi ausgezeichnet. Wenn dieselbe auf der zeichne- rischen Abbildung des 19. Jahrhunderts auch fehlt, so findet sie sich mit aller Deutlichkeit auf der gestochenen des 18. (Steinmann, Abb. 10). Beide Male auch stehen vor den Pfeilern zwölf Heilige und zwar unter Baldachinen und in ganz entsprechender Hóhe. (Abb. 1 und 2.)

Besonders lehrreich ist es nun jedoch, die Abweichungen beider Denkmüler ins Auge zu fassen. Man sieht, daß dem französischen Urbilde der ganze Reichtum der kleinen Sockelfigürchen fehlt. Aber dieser Schwarm der Renaissancegestalten gehërt ja, wie ich in einem früheren Aufsatze gezeigt habe, nicht zum ursprünglichen Bestand des Nürnberger Denkmals! Hier hatte erst der Sohn eingegriffen. Dem- entsprechend sehen wir den Sockel des französischen Denkmals völlig leer. Es

(1) Die früheren Vischeraufsätze: ı) „Dürer in der Vischerschen Werkstatt“ VIII, 366. 2) „Die Grab- platte der Herzogin Sophie in Wismar“ X, 297. 3) „Zwei unbekannte Vischerwerke im Dom zu Meißen. Eine Entgegnung" XI, 17. 4) „Das Rätsel des Sebaldusgrabes“ XI, 113 und 172. 5) „Vor- bilder, Anregungen, Weiterbildungen. Eine kurze Zusammenstellung“ XI, 245. Studien zum selben Thema sind ferner die drei ausführlichen Anzeigen von Mayer, Die Genreplastik an P. Vischers Sebaldus- grab IX, 341ff. Dettloff, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab X, 330ff. und Kramer, Metallene Grabplatten in Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts (etwa 1390 bis etwa 1510) XI, 345.

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gibt hier keine Figürchen, keine Pfeilervorlagen und auch keine Zwischenpfeiler, welche etwa den Zwischenballustern des Sebaldusgrabes entsprichen. Das ist ungemein wichtig und von ganz anderer, unvermuteter Seite eine Bestütigung der Entstehungsgeschichte des Sebaldusgrabes, wie sie in dem früheren Aufsatze vor- getragen ist, (Vgl Kleine Beitrüge 4.)

Da die Zwischenballuster fehlen, ist der Blick auf den eigentlichen Kern des Denkmals in Frankreich wesentlich freier. Hat man in Nürnberg Mühe, die vier großen Reliefs aus der Sebalduslegende, welche den Sockel umgeben, zu genießen oder gar zu photographieren, so sieht man, daB in Avignon dieser Sockel durch keinen Pfeiler überschnitten wird.

Die Nischen des Avignoner Grabes, die auf unserer Abbildung leer erscheinen, sind in Wirklichkeit mit kleinen Einzelfiguren ausgefüllt gewesen, wie es der schon erwühnte Kupferstich des r8. Jahrhunderts überliefert. (Steinmann Abb. ro.)

Ob in Nürnberg einmal etwas Ahnliches bestanden hat, wissen wir nicht. Der Gedanke liegt zwar nahe, aber im Hinblick auf den Wiener Entwurf von 1488 ist er doch wohl felsch. Denn schon dieser zeigt drei Reliefs mit Szenen aus der Sebalduslegende. Sie sind dort auf ganz natürliche Weise zwischen die vier Pfeiler eingeordnet, und ihr Anblick wird durch keinerlei Pfeilervorlagen behindert. Daß das ausgeführte Nürnberger Denkmal einst auch solche Dreiteilung seiner Lang- seiten aufzuweisen hatte, ist nicht wahrscheinlich, denn die gotische Rahmen- architektur der Legendenbilder geht doch wohl ohne Frage auf den Vater zurück. Es hat also bei dem ausgeführten Denkmal von vornherein (und im Gegensatz

zum Wiener Entwurf) der Übelstand vorgelegen, daf die groBen Reliefs der Sebal duslegende von den Kapellenpfeilern überschnitten wurden. Peter Vischer d. J. hat dann diesen Übelstand noch vergrößert, indem er die Zahl der Pfeiler durch die Zwischenballuster vermehrte.

An Stelle des ruhenden Papstes weist das Nürnberger Denkmal sinngemäß den Sebaldusschrein auf. Dieser ist umgeben von himmlischen Wächtern, die wir in Nürnberg und in Avignon in der gleichen Zwölfzahl sehen. (Entschiedener als früher möchte ich übrigens betonen, daß ich in den Nürnberger Aposteln Werke des Vaters sehe. Ihrer Form und ihrer Technik nach sind sie viel zu zahm für den Sohn. Auch scheinen sie mir in der Entwicklungslinie der unteren Apostel vom Wittenberger Taufbecken zu liegen. Die dortigen unteren Apostel sind ein erster Vorklang der Sebalder, nicht nur weil sie in gleicher Weise auf daumen- starken Stangensäulen den Hauptpfeilern vorgelagert stehen, sondern sie sind in ihrer etwas nüchternen Körperlichkeit überhaupt ähnlich aufgefaßt. Der Vergleich des Paulus in Wittenberg!) und des Johannes in Nürnberg spricht hier am deut- lichsten. Die Nürnberger Apostel sind freier, entbundener, aber man fühlt, daß Peter Vischer d. Ä. die Traditionen seines Vaters aufgenommen hat.)

Die Zwischenballuster des Erdgeschosses setzen sich in Nürnberg auch im oberen Geschosse des Denkmals fort. In Avignon gibt es nichts dergleichen, (Aber da schon der Wiener Entwurf ähnliche Stangensäulen mit kleinen Genre- figürchen am Sockel aufweist, so wird man hierin wohl ebenso wie in den Aposteln die Hand des Vaters erblicken dürfen.)

In Avignon (und im Wiener Entwurf) fehlen die vier Leuchterweibchen oder etwas ihnen Entsprechendes. Auch das kann im Hinblick auf meine früheren Ausführungen nicht überraschen, da wir gerade in ihnen ohne Frage den Geist

(z) Alex. Mayer, Die Entwicklung Peter Vischers d. Ä. Münchner Jahrb. 1913, S. 265 mit Abb.

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und die Hand des Sohnes zu erkennen haben, also Zutaten zum Kernwerke des Vaters.

Die Avignoner und die Nürnberger „Kapelle“ werden in verwandter Weise durch - ein gotisches Gewölbe abgeschlossen. Die seitlichen Bogenöffnungen sind beide Male mit leichtem Zackenornament versehen.

Die Dachbauten beider Gráber sind hinsichtlich ihrer Dreiteilung und der be- krónenden Christusfigur einander verwandt. Die Ausbildung im einzelnen geht allerdings sehr verschiedene Wege. Das liegt aber nicht zum wenigsten in der zeitlichen Stellung beider Werke.

Die Prophetengestalten hoch oben am Sebaldusgrab finden keine Entsprechung in Avignon, und auch das kann nicht wundernehmen, da wir in ihnen ohne Frage spüte Zutaten Peter Vischers d. J. zu sehen haben.

Aus den schünen Ausführungen Steinmanns geht mit aller Deutlichkeit hervor, daB wir im Grabe Innocenz VI. durchaus keinen isolierten Typus vor uns haben. Er war durch das Denkmal Johanns XXIL ebendaselbst vorbereitet. (Steinmann Taf. 39.) Nur hat Innocenz das Grabmal seines Vorgüngers an Pracht und Figuren- reichtum zu übertreffen gesucht. Dementsprechend hat wohl auch das letztere Denkmal in noch hóherem Ansehen gestanden und ist Vischer auf irgendeine Weise als Muster empfohlen worden. DaB er es selber gesehen habe, ist so gut wie ausgeschlossen. Dagegen ist es sehr wohl möglich, daß ihm ein Landsmann eine Zeichnung überbracht habe. Denn daß das damalige Nürnberg lebhafte Beziehungen zur Provence unterhielt, ist uns mehrfach bezeugt. In Lyon waren Nürnberger Kaufleute keine seltenen Gäste. Hier wurden die jungen Leute häufig in die Lehre getan, in ühnlicher Weise wie heutigentages der Hamburger Kaufmann seinen Sohn nach England oder Amerika sendet. 1506 war beispielsweise der junge Friedrich Behaim auf Wunsch seines Vaters dort anwesend. Hans Kleberg lebte häufig hier, und von Hieronymus Tucher wissen wir, daß er 1517 dort in der Lehre war. Lyon war für die Nürnberger auch der unumgängliche Etappenpunkt auf der Reise nach Lissabon. Ja, man hielt in Nürnberg einen regelmäßigen Boten, welcher die Post nach Lyon zu besorgen hatte. Die Beispiele lieBen sich leicht vermehren, aber sie genügen wohl, um zu zeigen, daB durchaus nichts Gezwun- genes darin liegt, das Urbild des Sebaldusgrabes in dem weit entfernten Avignon zu suchen. Bleiben wir auch dessen eingedenk, daß Avignon unter der siebzig- jührigen Herrschaft der Püpste die Bedeutung einer Weltstadt gewonnen hatte! Mochten am Anfang des 16. Jahrhunderts die Päpste auch längst nach Rom zurügk- gekehrt sein, der Glanz ihrer Denkmäler war damals noch unverdunkelt!).

Der Typus des Sebaldusgrabes ist in der deutschen Kunst villig vereinzelt! Es fehlt so sehr an Vergleichsobjekten, daB bisher kaum je der Versuch gemacht worden ist, den Typus als solchen zu erkliren. Ganz vereinzelt weist Dehio im Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler auf niederländische Vorbilder hin, jedoch so allgemein, daß die wenigsten sich darunter werden etwas vorstellen können. Ferner hat Felix Dettloff in seinem Buche, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldus- grab (Posen 1915) S. 34ff. darauf aufmerksam gemacht, daß in Krakau ein ver- wandter Typus vorkomme. Er berührt sich zwar nicht mit dem Entwurf von 1488, wohl aber mit dem ausgeführten Denkmal von 1508 (worauf D. nicht eingeht). Der Verfasser scheint der Ansicht zu sein, daB dieser Typus etwas für Krakau Eigentümliches darstelle. Ja, er lehnt es sogar ausdrücklich ab, ihn mit Avignon

(z) Übrigens war Avignon zu Vischers Zeiten Universitit! 343

in Verbindung zu bringen. Das kommt aber sicher nur daher, daß auch ihm der Typus des südfranzósischen Papstgrabes unbekannt war. Er ineint, die freistehen- den Baldachingrüber seien in Frankreich, Burgund und Flandern spitestens seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts verschwunden gewesen! Steinmanns Veriffent- lichung hat diese Anschauung völlig widerlegt. Wir sehen. nun klar, daß die ähn- lichen Baldachingrüber in Krakau, im Kloster Melk!) und endlich auch im Niirn- berger Sebaldusgrab auf südfranzösische Vorbilder zurückgehen.

(1) Abb. bei Dettloff a. a. O., Tafel 13—16. Ich ergünze mit diesen Bemerkungen meine Besprechung jenes Buches in M. £. K, X. Jabrg. 1917, S. 330 ff.

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REZENSIONEN

JOHANNES KRAMER, Metallne Grab- platten in Sachsen vom Ende des I4. bis in den Anfang des 16. Jahrh. (ca. 1390 bis ca. 1510). Haller Disser- tation. 1912. 79 Seiten.

Wer in diesem furchtbaren Kriege sein junges, der Forschung gewidmetes Leben fürs Vaterland geopfert, hat es verdient, daß wenigstens der engere Kreis der Fachgenossen sein Gedächtnis in Ebren erhált. Johannes Kramer war ein Schüler von Adolph Goldschmidt und hat im Jahre 1912

eine Doktorarbeit erscheinen lassen, die in ruhiger,

sachlicher Art den Bestand metallner Grabplatten Sachsens mustert. Sie ist durchaus nicht frei von Irrtümern, geht insbesondere in ihren Zuschrei, bungen an die Vischersche Hütte viel zu weit, hat aber andererseits ihre fraglosen Verdienste. Auf beides, gut und bóse, ist es um so notwendiger kurz hinzuweisen, als die Arbeit selbst im Kreise der Vischerforscher nicht genügend bekannt ge- worden ist, wie ich kürzlich bei Besprechung des Dettloffechen Buches über den Entwurf zum Se- baldusgrab (Monatshefte X, 332) feststellen konnte,

Kramers Arbeit gliedert sich in zwei Teile, deren erster die ,flandrischen" und deren zweiter die Vischerschen Grabplatten behandelt. Der zweite Teil ist weitaus der wichtigere; der erste bietet reine Spezialforschung. Kramer umschreibt den Begriff der flandrischen Grabplatten sehr gut und klar und weist alsdann nach, daB sich gewisse Ausläufer dieser Gruppe in Nordbausen und Erfurt erhalten haben. In Nordhausen sind es die Urbach- Wertherschen Gedenktafeln und die Grabplatte der Gebriider Segemund aus der Zeit von etwa 1395—1430. In Erfurt gesellt sich ihnen die Platte des 1427 verstorbenen Kanonikus Schindeleyb zu. Das flandrische Schema ist in all diesen Tafeln bereits so stark verblaßt, daß Kramer mit Recht nur an einheimische Entstehung denkt. Keine dieser Platten erbebt sich zu künstlerischer Be- deutung, und lediglich den Spezialforscher wird es interessieren, daß sich der flandrische Einfluß so tief nach Süden erstreckt; ja, vielleicht sind Erfurt und Nordhausen überhaupt die eüdlichsten Punkte, in denen aber wie gesagt das holländische Bchema bereits einer starken Umwandlung unter- worfen ist, Das ist ja auch kein Wunder, da wir wissen, daß gerade Erfurt eine blühende Metall- kunst besaß,

Viel wichtiger ist das zweite Kapitel, welches

Monatshefte für Kunstwissenschaft XI. Jahrg. 1918, Heft 12/18

sich mit der Vischerschen Hütte auseinandersetst, allerdings in einer solchen Weise, daß für andere Hütten kaum etwas übrigbleibt, Das wird den kundigen Leser von vornherein mißtrauisch stim- men, denn es ist immer nur ein Anfangsstadium wissenschaftlicher Forschung, wenn allzuviel des erhaltenen Materials an einen großen Namen geknüpft wird. Hier hätte Kramer sich vielleicht selber noch einmal korrigiert, wenn ihm ein län- geres Leben beschieden gewesen würe. Es war sein Schade, daß er die Methode des ersten Teils verließ. Denn während er dort in sehr schöner Weise erst einmal ein allgemeines Bild der flan- drischen Platten entworfen hatte, um den Grund zu gewinnen, gegen den einheimische Erzeug- nisse abgezeichnet werden konnten, läßt er bier im zweiten Teil eine allgemeine Charakteristik der Vischerschen Frühkunst beiseite. Infolge- dessen schwebt sein Kapitel ,Eine Gruppe von Grabplatten um 1470 und ihre Beziehung zu den Werken der Vischerschen Hütte" ganz und gar in der Luft. Ich komme gleich darauf zurück, Kramer beginnt mit den Reliefplatten. Er nimmt

hier die Vischersche Hütte ale Ganzes und ver-

meidet es, zwischen Vater und Sohn eine Tren- nung zu machen. Georg L in Bamberg, Sigis- mund in Meißen (dessen wichtiges Todesdatum er dankenswerterweise klarstellt), Dietrich von Schönberg ebenda, Thilo von Trotha in Merse- burg und die Gedenktafel der Ellwanger Bischófe, die er mit Döbner auf 1496 ansetzt, während Dehio im Handbuch mit 1464 wohl reichlich früh datiert, sind ihm im wesentlichen die Repräsentanten dieser Gruppe. Merkwürdigerweise aber begnügt er sich in diesem Zusammenhang mit der bloBen Erwühnung des Kanonikus Conrad von Stein in Erfurt. Hier hatte er durchaus charakterisieren müssen, denn Erfurt liegt ja in seinem Kreise. Ich zweifle zwar nicht, дай er die Platte als echte Vischerarbeit angesehen hat, wofür ja auch sehr vieles spricht. Auffallend jedoch ist es, wie der Kanonikus in der Luft schwebt, denn es ist sonst durchaus die Vischersche Gewohnheit, durch irgendwelche Zwischenglieder, wie z. B. die Lówen, den Dargestellten fest auf den unteren Schriftrand su stellen. Man kann für das Fehlen des Sockels auch nicht auf etwa vorbildliche Er- furter Gewohnheiten verweisen, denn wie die Platten des Gerbstidt und Plettenberg zeigen, war auch hier eine derartige Verbindung üblich. Wir haben es bei Conrad von Stein wohl mit einem

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der billigeren Werke zu tun, an dem aller Auf- wand vermieden wurde, Daher steht auch die Figur selber in so merkwürdiger Monotonie da; die Falten fallen einfach senkrecht, jede Ausladung und Bewegung ist vermieden, usw. Vielleicht haben wir auch nur eine Werkstattarbeit vor uns- Denn was die Hütte damals zu leisten imstande war, wenn ihr vonseiten des Bestellers größere Mittel zur Verfügung gestellt wurden, das zeigt

schlagend der Vergleich mit der Posener Grab-.

platte des Bernhard Lubranski, der gleichfalls Domherr und im selben Jahre 1499 gestorben war. Die Ecksymbole sind genau dieselben, auch die Anordnung des Wappens zu den Füßen ist die gleiche, sonst aber ist alles unendlich viel kost- barer und geistvoller,

Kramer beschließt dieses Kapitel mit der Attri- bution der kleinen Meißener Tafel des Domherrn Stärcker, gest. 1486. Hier begeht er m. E. einen absoluten Fehlgriff; ich beziehe mich auf meinen Aufsatz in diesen Heften XI, 17 ff. .

Das zweite Kapitel behandelt die gravierten Platten. Der Verfasser beginnt mit Joh. v. Lim- burg in der Sepultur des Bamberger Domes. Ob wir es hier mit einem Vischerschen Werk zu tun

haben, ist zweifelhaft. Es kommt höchstens der.

alte Hermann in Betracht, der eben manches anders macht ale sein Sohn. Fraglos ist es je- doch, da6 spátere Werke der Nürnberger Hütte, wie etwa der Eberbard von Rabenstein (gest. 1505) in Bamberg, Balthasar von Neuenstüdt (gest. 1516) in Halberstadt, ja auch sogar Joh. von Heringen (gest. 1505) in Erfurt hier ihren Ausgang nehmen Dann aber müssen wir noch einen kleinen Schritt weiter gehen, was Kramer auffülligerweise nicht getan hat. Denn die erwühnte Platte des Joh. von Limburg hingt stilistisch auf das allerengste mit derjenigen des Georg v. Löwenstein (gest. 1464) zusammen. Beide Platten stehen in derselben Bamberger Sepultur, die Todesdaten liegen nur 11 Jahre auseinander, der stilistische Aufbau ist völlig der gleiche. Ein Unterschied besteht eigent, lich nur in der Schrift, die bei dem Lówensteiner allerdings so unvischerisch ist wie möglich. Beide Platten sind abgebildet in dem großen Werk von Creeny S. 33 und 35, woselbst auch die anderen vorher erwähnten fast alle zu finden sind. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels bespricht der Verfasser alsdann die beiden Grabmäler des Kur- fürsten Ernst in Meißen und der Kurfürstin Mar- garethe, seiner Mutter, in Altenburg, beide 1486 gestorben, Ernst hatte schon Qurlitt der Nürn- berger Hütte zugewiesen (übrigens weist G. in dem noch nicht erschienenen Bande des Meißner

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Inventars nach, daß die Platte des Kurfürsten sich bereits 1489 an Ort und Stelle befand). Die Kur- fürstin Margarethe war bisher als Vischerwerk noch nicht herangezogen, und es ist das Verdienst Kramers, die Nürnberger Hütte um dieses ganz frühe Werk bereichert zu haben, In vortrefflicher, klarer Charakteristik vergleicht er beide Werke miteinander.

Es folgt ein kurzes Kapitel über Vischerplatten in flandrischer Art, die der Verfasser nur im Vor- übergehen berührt, weil keines der einschlägigen Werke sich in Sachsen befindet. Die eigentlichen Repräsentanten, wieLukas und Uriel Gorka, bewahrt vielmehr der Posener Dom und zwar in einer Er- haltung, die von keinem anderen Vischerwerk über- troffen wird. Hier kommt es Kramer zugute, daß er im ersten Teil seiner Arbeit die fiandrischen Platten so vortrefflich charakterisiert hat. Ich brauche auf dieses Kapitel nicht näher einzugeben, da ich auf meine Besprechung des Dettloffachen Buches, das in aufschluüreicher Weise dieselben Probleme berührt und teilweise weiterfübrt, ver- weisen kann. (M. f. K. X., 330 f.)

Nun aber kommt das Schmerzenskind dieser Dissertation, das vierte Vischerkapitel, , Eine Gruppe von Grabplatten um 1470 und ihre Beziehung zu den Werken der Vischerechen Hütte.^ Wenn je- mand es unternimmt, der Nürnberger Hütte neue Werke zuzuschreiben, dann darf man billig er- warten, daB er die festbeglaubigten W'erke scharf im Auge bebált. Diese so natürliche Voraus- setzung trifft hier nicht zu. So sorgfáltig das Buch sonst gearbeitet ist und so vielen Gewinn es durch eingehende Beobachtungen abwirft, so verfehlt ist es in seinen Zuschreibungen der ganz frühen Werke.

Wer sich vergegenwürtigt, daB wir von Her- mann Vischer nur das Wittenberger Taufbecken kennen, der befindet sich in einer sehr schwie- rigen Lage, wenn er sich gleichwohl gedrungen fühlt, dem Begründer der Hütte Werke «o vóllig anderer Stilistik und Technik zuzuschreiben, wie die frühen Erfurter und Meißner Platten, Trots- dem ist dieser Versuch seit Jahrzehnten immer wieder gemacht worden, und er ist auch verständ- lich, ja vielleicht berechtigt, da es eine ganze Reihe von Werken gibt, die für Peter Vischer zu früh sind, aber mit seinen späteren beglaubigten Werken auf das engste zusammenhängen. Es liegt in der Tat nahe, an die Hütte des Vaters zu denken, aus der sich der Sohn herausentwickelt habe. Aber das müssen dann Werke wie etwa die Platte Georgs I. in Bamberg sein. Wie völlig anders jedoch sieht das aus, was Kramer ihm zuweist, námlich die Platte des Bischofs Caspar

von Schënberg, gest. 1463, die Platte des Kur- fürsten Friedrich, gest. 1464, beide im Meißner Dom, die Platte des Bischofs Dietrich von Buckens- dorf, gest. 1466, im Naumburger Dom, die Platte des Kanonikus Hunold von Plettenberg, gest. 1475, im Erfurter Dom und endlich den Rahmen der Platte des Heinrich von Gerbstádt, gest. 1451, in der Clemenskapelle im Kreuzgang desselben Doms. Das sind fünf Werke sehr heterogener Art, deren Schulzusammenhang Kramer aller- dings richtig erkannt hat. Aber er geht viel zu weit, wenn -er sie sämtlich der Vischerhütte zu- weist, und zwar die ersten drei dem Vater, den Rest dem Sohne. Kramer selbst sind Bedenken aufgestiegen, denn er sagt S. 55, es sei auffallend, daß dieser Gruppe ähnliche Werke nur in Sachsen, nicht in anderen Gegenden vorkommen. ,Das kónnte für die Entstehung in einer einheimischen Werkstatt sprechen." Aber er läßt seinen eigenen Einwand wieder fallen und klammert sich an einige Äußerlichkeiten, die jedoch nichts als den gemeinsamen Schulboden beweisen, Solche Äußer- lichkeit ist vor allen Dingen die ganz besondere Art der Vierpässe mit Zwickeln, in denen dreimal ganz dieselben Evangelistensymbole verwandt worden sind, nämlich bei Kurfürst Friedrich, bei Dietrich von Buckensdorf und bei Hunold von Plettenberg. Bei Caspar von Schönberg und Fried- rich dem Sanftmütigen sind auch die äußeren Kanten mit dem Eichenlaub nahe verwandt. Aber das sind nichts als Werkstattgewohnheiten, die nicht einmal thüringisch-sächsisch sind, sondern sich schon auf den viel älteren und ohne Frage vorbildlichen Platten Flanderns finden. Kramer gibt sich viele Mühe, auch sonst noch kleine Ähnlichkeiten aufzuweisen, aber man fühlt deut- lich, daß er sich den sonst so ruhigen Blick durch die vorgefaßte Meinung, hier ältestes Vischergut vor sich zu haben, hat trüben lassen. Schlimm ist es vor allem, wenn er in Plettenberg ein ganz frühes Jugendwerk Peter Vischers erkennen will, Denn dieses stünde nicht nur völlig isoliert im Kreise seiner ersten Arbeiten, sondern ist wohl überhaupt nicht ale Jugendarbeit eines Mannes anzusprechen, denn es ist viel zu routiniert in seiner Technik. Sämtliche fünf Werke gehören dem thüringisch -sächsischen Kreise an; ja, bei Erfurt darf man sich im besonderen daran er- innern, daß es seit alters eine berühmte Gießer- kunst besaß, die früher ganz Thüringen mit Glocken versorgt hatte. Es liegt gewiß nicht fern zu glauben, daß in diesem Lande sich auch der GuB von Grabplatten selbständig entwickeln konnte,

Festen Boden betreten wir erst wieder in dem

letzten Vischerkapitel des Buches. Hier gelingt dem Verfasser durch einen glücklichen Fund eine _Zuschreibung , von der es hócbstens zweifelhaft sein kann, ob wir in ihr ein eigenhándiges Werk Peter Vischers oder eine Werkstattarbeit erkennen wollen. Kramer entscheidet sich ohne Schwanken für das erste: In der Stadtkirche zu Stolberg a. H. hat er dié Grabplatte der Grüfin Elisabeth von Stolberg, gest. 1505, kennen gelernt. Sie gehört in den groñen Kreis der betenden weiblichen, Standfiguren, aber sie weist doch einiges auf was sie von jener Gruppe trennt. Zunächst ist es völlig vereinzelt, daß zwischen der Bildplatte und dem Schriftrande ein schmaler Abstand von wenigen Zentimetern gelassen worden ist. Kramer ist das nicht entgangen und er vermag nur auf die von ihm fälschlich der Nürnberger Hütte zu- geschriebene Platte des Buckensdorf in Naumburg (gest. 1466, s. o.) zu verweisen. Es handelt sich auch durchaus nicht um ein Werk von besonderer Qualität; die Meißner Fürstinnen sind unendlich überlegen, In Stolberg wirkt es in hohem Maße befremdend, wie unklar das Teppichmotiv zur An- wendung gelangt ist, Die Teppicbstange ist kaum sichtbar, weil unmittelbar darüber ein spátgotisches Rankenwerk ansetzt, das gleichfalls weit entfernt ist von der wundervollen Realitát, in der Vischer es z. B. auf der Meißner Platte: der Herzogin Amalie von Bayern (gest. 1502) gebildet hatte, Ebenso ist der Eindruck der Ráumlichkeit nicht sehr überzeugend. Es lieBe sich noch manches andere anfübren. Ich kann deswegen dem Ver- fasser nur soweit folgen, als ich in der Stolberger Platte eine Werkstattarbeit der Nürnberger Hütte anerkenne, Es sind ohne Frage eine Fülle echter Vischermotive zur Anwendung gelangt, allein es fehlt das geistig Band.

Anhangsweise erwábnt der Verfasser noch die Gedächtnistafel für Ulrich Rispach, gest. 1488, in derselben Kirche. Es ist charakteristisch, daB sich auch dieses W'erk ohne Frage mit der Vischer- schen Hütte berührt (aber auch nicht mehr), und zwar küme zum Vergleich besonders die Pieta- tafel in der Stiftskirche zu Ellwangen vom Anfang des тб. Jahrhunderts in Betracht, die ihr jedoch in der groBzügigen Gestaltung weit überlegen ist. Kramer übt hier nun die richtige Zurückhaltung und spricht nur von einem Zusammenhang der Stolberger Platte mit dem „Vischerschen Kreise". Beide Güsse der Stolberger Kirche dürfen also nicht in den Bestand der echten Werke aufgenom- men werden.

Den Beschluñ des Buches bildet ein rascher Überblick über die Nicht-Vischerschen Grabplatten

347

in Meiñen, Naumburg, Leipzig, Weimar, Hildes- heim, Halberstadt und Erfurt. Mit klarem, ruhi- gem Blicke bildet der Verfasser Gruppen. Kunst- geschichtlich wesentliche Ergebnisse kommen da- bei nicht mehr zur Sprache.

Die Wirkung des Buches wird leider durch den völligen Mangel an Abbildungen erheblich beein- trüchtigt, so daB der Fernerstehende kaum merkt, wieviel sorgsame, eindringende Forschung vor ihm ausgebreitet wird. Hubert Stierling.

OSKAR WALZEL, Wechselseitige Erhellung der Kiinste. Berlin, Reuther u. Reichard, 1917.

Dies von ungeldsten Problemen schwergewich- tige Heft, die Erweiterung eines Vortrags aus der . Berliner Abteilung der Kant-Gesellschaft, sollte jeder als Trostbüchlein lesen, der sich in kunst- geschichtlicher Arbeit auf Schritt und Tritt von der Unschärfe unserer leitenden Ordnungsbegriffe der Zwiespältigkeit unserer aus unterschiedlichen Zeiten der Wissenschaftsgeschichte stammenden Terminologie gehemmt fühlt. Dem hier Ver. zweifelnden mag es wohl eingehen, wenn Walze den Vertretern der Kunstgeschichte hohe Achtung ausspricht „wegen ihrer ausgezeichneten Mittel Züge eines Kunstwerks sprachlich zu bezeichnen ` die dem Laien nur gefühlsmäßig aufgehen“. Und im Bestreben, die Literaturgeschichte nach der formalistischen Seite über den Zustand der Mate- rialpráparierung, stofflichen Quellenforschung und grammatisch-lexikographischen Bestimmung der Sprachformen der Dichtwerke hirauszuführen sucht nun Walzel Anlehnung bei der Kunst- geschichte. ,Ist es zweckdienlich, bei der Ergrün-

dung der künstlerischen Gestaltung von Werken .

einer Kunst durchgehende (typische) Merkmale zu berücksichtigen, die sich bei der Feststellung der künstlerischen Gestaltungsmóglichkeiten einer an- deren Kunst ergeben?“ Zur Lösung dieser Frage schiebt Walzel Meumanns Bedenken gegen das einschmeichelnde Wirtschaften mit raschen Ana- logien (nach der Art von Scbellings ,Baukunst als erstarrter Musik") zurück. Sondern billigt, gestützt auf ein Wort Herbarts von der sukzes- given Auffassung aller Formen im Raume, die Bemühungen der Schmarsow-Schule, besonders Pinders, um die Klárung des Begriffs vom Rhyth- mus, dem er aber richtiger ale die Leipziger seine Geltung nicht nur für die dritte Dimension zu- erkennt. Ja, lobt auch Schmarsows Deutung der alkäischen Strophe (in dessen „Kompositions- gesetzen in der Kunst des Mittelalters“). Wenn er auch Schmarsows Vergleich der Rhythmik des

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oströmischen Kirchenbaus mit dem strenggeschlos- senen Strophenbau, des romanisch-gotischen Lang- hausbaus mit der immer erneut durchgeführten regelmáBigen Reihe aus einer feineren Unter- scheidung der antiken Strophe und der deutschen Volksliedstrophe her ablehnen muB, Doch selbst Schmarsows abstruser "Versuch zeicbnerischer Wiedergabe der alküischen Strophe schreckt den gelehrten Kenner der Psyche literarischer Formen nicht ab, zeichnerische Darstellungen von Dich- ungsganzen anzukündigen, die ihm im Erinnerungs- bilde etwas von der Zeichnung des Aufrisses oder Grundrisses eines Baues gewinnen. Das mag als schon mehr spielerische Umkleidung eines Begriffs- gerüstes hingehen, für das sich Walzel an die baumeisterliche Arbeit Wölfflins hält. Bedenklicher etimmt sein Beifall für Worringers allzu wahllos die Analogien zusammenraffende Versucbe, die antike und die germanisch-gotische Ausdruckswelt zu einer Zweipoligkeit alles Kunst- empfindens überhaupt zu schematisieren, Am heftigsten aber stutzt ein kunstgeschichtlicher Arbeiter, wenn er Walzel vor einer syntheti- schen Verwertung der nach Kant-Wölfflins Aus- druck ja nur errafften Kategorien seiner „kunst- geschichtlichen Grundbegriffe“ warnen l'est. Walzel nimmt, nicht ohne sie wortgeschichtlich auf ihre Herkunft beklopft zu haben, insbesondere die Unterscheidungen von linear und malerisch, tek- tonisch und atektonisch auf, reiht Schillers Gegen- überstellung musikalischen und plastischen Dich- tens an. Diese Begriffe nutzt er mit kluger Be- weglichkeit zur erkennenden Beschreibung von Dichtwerken. Es ist eine innere Angelegenheit der Nachbarwissenschaft, ob sie sich gefördert glaubt, wenn der Stil der deutschen Volksbücher im Zusammenhang der Renaissanceprosa als linear, der unserer mittelalterlichen Epik als malerisch charakterisiert wird. Walzel findet in Shakespeares Aufzugs- und Auftrittsbau Wölfflins , Atektonisches“ wieder, das er keineswegs im Stofflichen, sondern nur in den Verhältnissen der Anordnung eines Dramas aufzeigen möchte. Wie mörderisch aber für die Anschauung der (äußeren und inneren) lebendigen Kunstform gerade das Prokrustesbett dieser Kategorienpaare bei weniger vorsichtigen Benutzern wirken kañn, das zeige schnell ein Bei- spiel: Müller-Freienfels (über „die Stilprinzipien des germanischen Dramas“ in der Zeitschrift für den deutschen Unterricht, 1917, 31, p. 593) spricht von der geschlossenen Form der Tragödie der Attiker und Racines, der offenen Form des ger- manischen Dramas deswegen, weil an den Ab- schliissen Hamlets Fortinbras, det Hebbelschen

Nibelungen Dietrich von Bern über das Dramen- ganze hinaus in die Zukunft weisen was mitForm- prinzipien soviel zu schaffen hat wie etwa ein Hinweis, der „Heliodor“ besäße keine geschlossene Form, da die Erzáhlung im Fresko nicht allseitig abgerundet vorliege.

Trotz solcher Irrláufer mag die von Walzel be- gonnene Überprüfung der Wölfflinschen Lehre dem inneren Wissenschaftsbetriebe Anregung geben, wenn sie sich von einer Einschränkung befreit. Die Kategorien Wölfflins sind keineswegs im Bereich der Kunstgeschichte, aus der und für die sie entstanden, vorzüglich ,Mittel, die künst- lerischen Gestaltungsmöglichkeiten einzelner Künst- ler und einzelner Kunstwerke zu erfassen". Es würe eine ungeheuerliche Verarmung der Kunst- betrachtung, wenn der Mißbrauch einrisse, alles und jedes Kunstwerk auf diese Kategorien wie auf ein festes Koordinatensystem zu beziehen. Die schöpferische Leistung erkennt nur derjenige, der an jenem geometrischen Orte der kategorischen Bestimmung die persönliche Gestalt des Künstlers als überragendes Gebilde innerer Hochspannung, wie einen aufhorchenden und ausstrahlenden Ap- parat leitungslosen Aufnehmens und Sendens er- blickt. Wenn Walzel einmal zweifelt, ob mit einer Ubertragung der fertigen Kategorien Lyri- kern vom Range Goethes etwas abzugewinnen sei, во ist das auch eine Antwort für seine Verwun- derung, warum Michelangelos Name im Rahmen von Wölfflins Renaissance -Charakteristik merk- würdig selten genannt werde. Eben weil der Vater des Barock und der vom Werther bis zu Meisters Wanderjahren sich Vollendende in sich größere geschichtliche Umfänge umgriffen, als eine systematisierende Geschichtsbetrachtung beispiel- haft erledigen kann.

Denn hier ist der entscheidende Punkt. Walzel möchte das Allgemeine, das in Kategorien Wölff- linscher Richtung liegt, zur Verdeutlichung des Einzelnen verwerten, ehe es zum Allgemeinen groBer Gruppenbildungen und des Nachweises langer Entwicklungsreihen benutzt wird. Doch wird die Kunstgeschichte bestrebt sein müssen, zu erweisen, daß Walzel recht hat, wenn er nicht zweifelt, daß Wölfflin selbst oder ein anderer mit der Zeit auf ihrem Gebiet die Schwierigkeiten der synthetischen Verwertung von Wólfflins Katego- rien der Anschauung überwinde, Wölfflin hat selbst mit Burckhardt sich klar für eine Periodizität der Entwicklung ausgesprochen und seine Kate- gorien auch für andere Zeitalter als Ordnungs- begriffe zur Erkenntnis von Entwicklungsabläufen der darstellerischen Formen empfohlen. Aber

kein starres System, sondern Abwandlungen der eignen und Zufuhr neuer Formeln für die neuen Zwecke wünschte er gewiß, wenn ihm eben auch für die Scheidung von Renaissance und Barock andere Kategorien nicht erkennbar wurden. W'enn Walzel vermerkt, wir erführen von Wölff lin nicht, durch welche Umbildungen die Kunst von der zweiten Stufe wieder zur ersten zurückkehre, warum aus dem Malerisch- Atektonischen wieder ein Linear-Tektonisches werde, во führt die Ant- wort allerdings aus dem selbstbeschránkten Reich der Formalanalyse heraus. Dazu gehört ein Blick auf die ,seelischen Voraussetzungen" jener Wende- zeiten, nicht des ,Stillstands" (wie Walzel irrig

.aus Wólfflin herausliest), sondern der kulturellen

Revolutionen, in denen das Rad der darstelleri- schen Entwicklung im Einströmen neuer Lebens- inhalte umgeworfen wird. Umbildungen, Um- kehren, wie sie die Kunst am deutlichsten erfuhr, als die Erlebnis- und Bildungswelten des Christen- tums, der Wiedererweckung der Antike, des 18. Jahrhunderts mit ihren neuen Forderungen, eine abgelaufene Kunstentwicklung überstrümten. Diese inneren Voraussetzungen der Kunstformen aus der Zeit um 1800 haben ja gerade Walzels ültere Untersuchungen uns besser begreifen gelehrt.

Die Kunstgeschichte sollte die Prüfung ihrer neuen Wege durch den philologisch strengen Meister eines anderen Fachs, bei der sie uner- wartet gut besteht (aber Walzel meidet ja unsere Niederungen), trotzdem nicht leicht nehmen. Denn wo wir uns an der Hand der haltbar befundenen, leitenden Begriffe weitertasten wollen, da ist nir- gends ein offener Weg. Und wer gar aus dem, dank insbesondere Wölfflin, leidlich sicher um- zirkten Gebiet formaler Betrachtung sich verirrt und auf die umfassenderen Aufgaben einer Kunst- geschichtschreibung zu besinnen wagt (in jenem Sinne etwa, wie Wölfflin im Vorwort seines „Dürer“ gestand, ein groBer historischer Dürer sei noch nicht geschrieben), der ist so gut wie ganz auf sich gestellt. Denn es bleiben doch allemal Hilfs- konstruktionen des Formalismus, wenn man sicb, wie Walzel, endlich damit bescheidet, das Äußere so genau festzustellen wie nur móglich, anstatt das Innere der künstlerischen Leistung erraten zu wollen. Wenn schlie&lich auch den Entsagenden das „heilig öffentliche Geheimnis“ trösten mag, daß nichts drinnen, nichts draußen ist, was innen, das außen ist; daß auch die Natur der Kunst weder Kern noch Schale hat, alles mit einem Male ist.

E. Rémer.

349

HANNS FLOERKE, Die Moden der italienischen Renaissance von 1300 bis 1550. HundertzweiunddreiBig Tafeln mit Text u. Erläuterungen. Georg Müller, München 1917.

Von einer auf vier Bünde vorgesehenen Publi- kation über den Menschen der Renaissance und seine Kleidung liegt der erste Band vor. Leider erfabren wir nichts über den Gesamtplan der Arbeit, nur in Anmerkungen (S. 56, 65, 73) wird auf Ab- bildungen in den späteren Bänden verwiesen und auf S. 64 verraten, daB der dritte Band ,die Typen der Renaissance" bebandelt, Eine wenn auch knappe orientierende Einleitung wäre erwünscht.

Im ersten Band gibt Floerke weniger eine Ge- schichte des italieniechen Kostüms als eine Vor- stellung vom Luxus, der in der Kleidung im Laufe dreier Jahrhunderte getrieben wurde. Gemiilde und literarische Dokumente werden herangezogen; Floerke zitiert gelegentlich Rodoconacbi „La femme italienne à l'époque de la Renaissance", doch enthält sein fesselndes Buch eine Fülle selbstán- diger Beobachtungen und zeugt von einer gründ- lichen Kenntnis der einschligigen Literatur. Auch umgeht er die Klippe, im Detail stecken zu bleiben, die Einzelbeobachtung, so interessant sie an sich ist, dient nur zur Verlebendigung des Gesamt- bildes; in die Erláuterungen zu den vorzüglich gewühlten Abbildungen werden alle notwendigen

Einzelheiten verbannt. | Auf dem Konzil zu Lyon erläßt Papst Gregor X, 1274 das erste Gesetz gegen den Luxus in der Frauentracht, von dem wir Kenntnis haben. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts tauchen kommunale Luxusverbote auf. Der Kampf beginnt auf der ganzen Linie: in Ferrara 1279, in Bologna 1294, in Venedig 1303, in Messina 1309, in Savona 1325, in Modena 1327, in Perugia überstürzen sich die Verordnungen zwischen 1318 und 1342. Er wáhrt Jahrhunderte, ein Dekret folgt dem andern, Geld. strafen werden verhängt, die strengsten Maßregeln angewandt mit dem Erfolg, daß die Moden immer rascher wechseln und der Luxus steigt. Die weisen Stadtvüter vermochten nicht einzusehen, daB alle drakonischen MaSregeln vergebens sind; steigen Wohlstand und Reichtum, so erzeugen sie auto- matisch eine Erhóhung der Lebensführung. Die unteren Klassen wollen den oberen besonders in der äußeren Erscheinung nicht nachstehen, Zu der Weisheit des Zaleukos, der die Üppigkeit der Lokrer eindámmt, indem er nur gegen den Luxus der Kurtisanen nicht einschreitet, vermochte sich Brescia allein durchzuringen.

350

Dort durften die

Kurtisanen allen verbotenen Putz anlegen, „im Vertrauen darauf, daß die ebrbaren Frauen, aug ihren Ruhm eifersüchtig, besser den Verordnungen gegen den Aufwand gehorchen würden, um nicht mit den anderen verwechselt zu werden.“

Aber auch solche wohldurchdach te V erordnungen die auf eine lange Erfahrung schließen lassen, waren auf die Dauer nicht wirksam. Inamüsanter Weise schildert Pietro Fortini (um 1550) den Kampf zwischen ehrbaren Frauen und Kurtisanen um das Tragen des „batticulo“ in Rom, und in Sacchettis 137. Novelle kann man nachlesen, wie die Floren- tinerinnen es verstanden haben, alle Gesetze gegen den Luxus zu umgeben.

In Italien war, wie Montaigne beobachtet hat, der Kleiderluxus größer als in anderen Ländern, und nach Villanis Zeugnis war die Bereitschaft erstaunlich, „die ausländischen Trachten nach- zumachen“. Auch Bruder Gualvaneus de la Flamma. klagt 1340 beweglich in seiner Chronik über den Verfall der Sitten in Mailand: „Zu dieser Zeit wichen die Jiinglinge von Mailand vom Wege ihrer Väter ab und verwandelten ihr Äußeres nach fremdem Muster. Sie begannen nämlich enge, kurz abgeschnittene Gewühder nach spanischer Mode zu tragen, sich den Kopf nach französischer Art zu scheren, den Bart nach barbarischer Sitte wachsen zu lassen, mit großmächtigen Sporen nach deutschem Muster zu reiten und in verschie- denen Sprachen zu reden nach tatarischer Weise.“

Nach 1450 setzen fremde, namentlich spanische, französische, aber auch deutsche Moden wieder stärker ein. Sie führen zur Überwindung goti- scher Elemente in der Gewandung und werden dem italienischen Geschmack so völlig assimiliert, daß man von einer Entlehnung kaum noch sprechen kann.

Neben der Kleidung galt die Behandlung von Haar und Gesicht als wichtigster Bestandteil de Toilette. Die Vorliebe der Italiener für künstlich erzeugtes blondes Haar ist bekannt; die Mode des Schminkens hat sich nicht auf Frauen allein beschränkt, auch männliche Stutzer griffen ge- legentlich gern zu diesem Schónheitsmittel. Der Gebrauch falscher Haare, der für Frankreich im I2. Jahrhundert bezeugt ist, dürfte in Italien kaum später einsetzen. Wardem individuellen Geschmack in Kleidung und Kopfputz der weiteste Spielraum gewährt, so unterlag die Behandlung des Gesichtes einer bestimmten Konvention. Angestrebt wurde eine glatte, schablonenmäßige, jugendliche Schön- heit, sexueller Reiz sprach dabei stärker mit als Eitelkeitsgründe. Das Schminken, das bei der

Verwendung von Quecksilber nicht ungefährlich war, setzt bei Mädchen im heiratsfähigen Alter ein, während man nach Fortinis Aussagen das Schmin-

ken einer Frau in reiferen Jahren als unpassend, weil ihrem Alter nicht mehr angemessen, empfand, Rosa Schapire.

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DER CICERONE,

X, 19/20.

ALBERT BRINCKMANN: Bildnisminiaturen aus niederländischem Privatbesitz. Hannover 1918. (a Taf, 13 Abb.)

OTTO GRAUTOFF: Die letzten franzósischen Maßnahmen zum Schutz der Kunstdenkmäler. (9 Abb.)

Heft 21/22.

HERMANN UHDE-BERNAYS: Die Entwicklung der impressionistischen Kunst in Deutschland. (14 Abb.)

ADOLF FEULNER: Das Bergungsmuseum in Va- lenciennes. (32 Abb.)

wc

KUNST UND KÜNSTLER. XVI, 11. KARL SCHEFFLER: Qualitát und Gesinnung.

DERSELBE: Die Ausstellung der Freien Sezession. (2 Taf., 15 Abb.)

Q. E. LESSING: Uber Kritik.

ERNST HOHENEMSER: Aphorismen über Kunst, H. BEENKEN: Das graphische Werk dos Hercules Segers. (8 Abb.)

XVI, 12.

CURT GLASER: Hans Purrmann, (9 Abb.) FERDINAND BULLE: Ferdinand Hodler. (7 Abb.)

KARL SCHEFFLER: Wie ein Bildmotiv sich wandelt. (14 Abb.)

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. XXIX, 10/11.

WILHELM v. BODE: David Teniers. (r Taf, 12 Abb.) |

WALTER СОНЕМ: Randbemerkungen zur Qe- schichte der Diisseldorfer Malerschule: Th. Mintrop. (13 Abb.)

FRIEDRICH ANTAL: Die neuerworbenen ungari- schen Bilder im Museum für bildende Kunst in Budapest. (1 Taf., 6 Abb.)

OSKAR HAGEN: Das Direrische in der italieni-

schen Malerei, (1i farb. Taf, a Abb.)

BERLINER MUNZBLATTER. XXXIX, Nr, 201/202.

LEON RUZICKA: Unveróffentlichte Münzen aus Hadrianopolis (Thracia). (r Taf)

EMIL BAHRFELDT; Der Halberstädter Taler von 1691.

L. v. L.: Das deutsche Notgeld 1916— 18.

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. XXI, 11.

WILHELM HAUSENSTEIN: Max Pechstein. (3 farb., 5 schwarze Taf., 20 Abb.)

FRANZ SERVAES: Rob. F. K. Scholtz. Seine Schwarzweiß-Kunst. (a Taf., 11 Abb.)

OSKAR MARIA GRAF: Künstlerische Buchgewan- dung. (1 Taf, 8 Abb.)

LEONHARD KRAFT; Kameen von Karl Berthold- Darmstadt. (3 Abb.)

XXI, 12.

ALFRED GÜNTHER: Ausstellung der Kúnstler- Vereinigung Dresden. (2 Taf, 15 Abb.) AUGUST L. MAYER: Sommerausstellung der Münchner. Neuen Sezession. (r Taf, 23 Abb.)

K. PRELLWITZ: Der Mensch und die Blume. THEODOR DAUBLER: Kissen von Bob Bel. (1 Taf., 5 Abb.)

GEORG HERMANN: Erich Büttners Gelegenheits- grapbik. (r Taf., 16 Abb.)

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. KUNSTSAMMLUNGEN.

XL, 1.

CHR. HÜLSEN: Zum Girlandensarkophag Caffarelli.

VOLBACH: Zwei neuerworbene schwábische Pla- stiken des 14. Jahrhunderts.

XL, 2.

H. EICKHOFF: Ausstellung von Handzeichnungen flämischer Meister des 15, und 17. Jahrhunderts im Kupferstichkabinett.

O. Wulff: Ein Nachtrag aus der byzantinischen Skulpturensammlung.

ANZEIGER FÜR SCHWEIZERISCHE ALTERTUMSKUNDE. Neue Folge, XX, 2.

Dr. O. TSCHUMI: Der Bronzedepotfund vonWabern (Amtsbez. Kóniz). (3 Taf)

E. MAJOR: Die prähistorische (gallische) Ansied- lung bei der Gasfabrik in Basel (Fortsetzung). (a Taf.)

W.SCHNYDER: Der Bildnisschnitzler der spátgoti- schen Saaldecke im Supersaxbause in Sitten.

H. MORGENTHALER: Neues über Meister Hein- rich den Maler in Bern.

F. VETTER: Benediktuskreus und Thomaskrous. E. A. 8.: Denkmalpflege.

357

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. Neue Folge, XXX, 1

F. SCHMIDT-DEGENER: Rembrandts Pfauenbild. WILHELM WARTZOEDE: кор! Burckhardts

Vortráge.

AUGUST L. MAYER: Múnchener Brief.

HANS TIETZES neues Buch úber Wien.

Heft a.

EDUARD PLIETZSCH: Petersburger Brief.

Zur Frage der Vereinigung der Berliner Kúnstler- gruppen.

BENGT THORDEMAN: Gedanken über zwei Aus- stellungen in Schweden.

W. v. SEIDLITZ: Edgar von Ubisch. W. KURTH: Deutsche Malerei im 19. Jahrhundert.

FRANZ DÚLBERG: A. E. Brinckmanns »Michel- angelo”.

OUDE KUNST. III, 12.

Dr. N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten,

Dr. A, WILLEMSE: Oud-Limburgsch Aardewerk. M.G. WILDEMAN: Oude Gevelsteen met Wappens: Mr. W. H.KOHLER: Een oud-hollandsch Tafelglas.

IMA BLOK: Tentoonstelling van etsen- door Reinier Nooms gen. Zeeman in’s Rijks Prentenkabinet te Amsterdam.

DIE KUNST. XX, 1

CARL GEBHARDT: Fritz Boehle. (1 farb., 3 schw, Taf., 43 Abb.)

FR. STERN: Fritz Boehle als Graphiker. HERM. KONSBRÜCK: Kunst und Mathematik. GUSTAV PAULI; Die Kunst der Gegenwart und das Publikum.

HERMANN MUTHESIUS: Die Hauser Riimelin in Heilbronn und Cramer in Dahlem. (1Taf., 19 Abb.) G. J. WOLF: Joseph Wackerle. (1 Taf, 13 Abb.)

Schmuckgegenstánde von K. J. Bauer, Adolf von Mayrhofer und Karl Rothmüller.

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PAUL MADSACK: Vae Victis. Meine Erlebnisse in Spanien und Frankreich während des Weltkrieges. Mit 14 Zeichnungen und 4 Abbildungen. Verlag von Klinkhardt & Biermann in Leipzig. 1918. Geb. M. 6.

MAX EISLER: Rembrandt als Landschafter. Mit 140 Abbildungen. Verlag von F. Bruckmann, A.-G. München. Geb. M. 8.—.

ALEXANDER v. GLEICHEN-RUSSWURM: Der Ritterspiegel. Geschichte der vornehmen Welt im romanischen Mittelalter. Verlag Julius Hoffmann, Stuttgart.

MAX von BOEHN: Bekleidungskunst und Mode. Mit 135 Abbild. Delphin-Verlag, München 1918. DIE SAMMLUNG DES FREIHERRN AUGUST von der HEYDT -Elberfeld. Ausgewählte Werke der Kunst der Gegenwart. Herausg. u. eingeleitet von Carl Georg Heise. Kurt Wolff Verlag, Leipzig. DANIEL CHODOWIECKIS BRIEFW ECHSEL mit seinen Zeitgenossen. Bd. I, 1736—1786. Heraus- gegeben von Dr. Cbarlotte Steinbrucker. Verlag von Carl Duncker, Berlin.

CARL NEUMANN : Aus der Werkstatt Rembrandts. Carl Winters Universitütsbuchbandlung, Heidelberg, BURCKHARDT : Erinnerungen ausRubens. 3. Aufl. Verlag Benno Schwabe & Co., Basel. M. 10.50- GRABER: Jüngere Schweizer Künstler. Verlag» Benno Schwabe & Co., Basel. M. 9.—.

STEIN: Eugene Delacroix. Briefe. Band I M. 8.40. Band II M. 13.—. Verlag Benno Schwabe & Co., Basel.

MARTIN: Althollindische Bilder (Bibl. für Kunst-

und Antiquitátensammler, Band 13.) Verlag Rich. Carl Schmidt & Co., Berlin. M. 12.—. MACKENSEN: Wabrheit und Gesundheit in der Kunst. Zentraistelle zur Verbreitung guter deut- scher Literatur, Nassau. M. 0.50.

SYBEL: Mosaiken römischer Apsiden. Zeitschr. für Kirchengeschichte. Band XXXVII, Heft 3/4. Verlag Friedr. Andr. Perthes, Gotha, M.10.—. STUHLFAUTH: Die „ältesten Porträts“ Christi und der Apostel. Hutten-Verlag, Berlin. M. 1.50. THIERSCH: Winckelmann und seine Bildnisse- C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München M. 3.50.

XI. Jahrgang, Heft 11/12.

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, Telefon Nord 429. Verantw. Schriftleiter HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. Verlag von KLINKHARDT &BIER-

MANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung; In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. HEINRICH GLUCK, Wien I, Franzenering 22. In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijewijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ:

Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.

Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13 467.

Die Monatshefte fiir Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den »Monatsheften der kunstwissenschaftlichen Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begriindeten.

352

Goldbesdilag und zweiRiemen- enden aus dem Schatzfund in Albanien

_ALTAI-IRAN UND VOLKERWANDERUNG

Ziergeschichtliche Untersuchungen über den Eintritt der Wander- und Nordvólker in die Treibháuser geistigen Lebens

von JOSEF STRZYGOWSKI

Anknüpfend an einen Schatzfund in Albanien

AU und 319 Seiten mit 229 Abbildungen und 10 Lichtdrucktafeln In Leinen kartoniert M. 36.— (Teuerungszusdilag des Verlages 15%)

Die Darstellung gliedert sich in folgende Hauptabschnitte:

1. Ein albanischer Schatzfund. 2. Die Schatzfunde der Vólkerwanderungszeit aus dem Osten. 3. Die geometrische Ranke der Schmucksacien des albanischen Sdiatzes. 4. Die Kunst der Nomaden und Nordvólker. 5. Der NomadenvorstoB und die Neu- ordnung Eurasiens. 6. Wesen und Wert von Renaissancen. 7. Eine neue Gesinnung eine Notwendigkeit.

Strzygowskis wissensdiaftlidie Leistungen bedeuten eine Entwicklungsstufe auf dem Gebiete der Erforschung der Vólkerwanderungskunst. Insbesondere wird diese neue, reifste Arbeit den Ausgangspunkt bilden zu einer neuen Auffassung und allgemeinen Wendung in den Anschauungen über die Vólkerwanderungszeit; sie wird dazu bei- tragen, das einst so vershwommene und unsichere Bild unserer alten germanischen Kunst zu klären und zum Greifbaren und Gewissen zu verdeutlichen, damit aber dem Zusammenwirken der Ost- und Nordforsdier zu gemeinsamem Endziel den Weg bereiten. Die glanzende Ausstattung des Buches (holzfreies Papier, tadelloser Druck, Einband edit Leinen) empfiehlt es auch als Geschenk für den Kunstgelehrten, den Kunstgewerbler und Kunstfreund.

Verlag der J. C. HINRICHS'sdien Buchhandlung in LEIPZIG M

BERNHARD PATZAK

Die Renaissance- Darockvilainltalien

BAND I: Palast und Villa in Toscana

C Sm Versuch einer Entwicklungsgeschidite Gebunden 44 Mark. 1. Buch: Die Zeit des Werdens

BAND II: Palast und Villa in Toscana

Gehetter 40 Mex Versuch einer Entwicklungsgesdiidite Gebunden 44 Mark 2, Buch: Die Zeit des Suchens und des Findens

BAND M: DieVillalmperialeinPesaro

aveo Era Studien zur Kunstgeschichte der italienischen Gebunden 35 Mark. Renaissancevilla und ihrer Innendekoration

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aum gibt es ein Gebiet, das dem Menschen unserer Zeit wertvollere Anregungen zu geben vermag als das Villenleben der Renaissance, in dem sich schönheitsuchende Menschen ländliche Einsamkeit durch Kunst und Geist zu vertiefen versuchten. Handelt es sich dodi um ein Problem, das heute wiederum die feinsten Geister beschäftigt und für uns nodi immer der Lósung harrt. Umso erstaunlidier ist es, daB sich bisher niemand der Bearbeitung des Renaissance-Villenbaues, der zugleich tief eingreift in das stádtisdie und gesamte geistige Leben dieser vielbesdiriebenen Epoche, gewidmet hat. Scion Jacob Burck- hardt hat dieseLücke schmerzlich empfunden und in seiner Geschichte der Renaissance erklärt, daB sich das ästhetische Gesetz der Villenbaukunst der goldenen Zeit erst dann vollkommen erkennen lassen wird, ,wenn die betreffenden Reste in ganz Italien aufgesucht und im (ent- wicklungsgesdiiditlidien) Zusammenhang studiert sein werden“. Das hat sich nun Patzak zur schönen Lebensaufgabe gemacht in seinem Werke „Die Renaissance- und Barockvilla in Italien, dessen drei ersten Bánde jetzt abgesdilossen vorliegen. Urteile der Presse: Ihe kunstwissenschatt": „зеш Budi ist im Zeige geschrieben = und in dieser Hinsicht wie durch die klare Erkenntnis des orien- talischen Mutterbodens vieler abendländischer Kunsiformen des Mittelalters ein Musterbeispiel dafür geworden, wie man über die frühe itallenishe Kunst arbeiten muB." „SCHWEIZERISCHE BAUZEITUNG” über Band III: „Das vorliegende Werk verdient trotz seiner aus-

gesprodien kunsthistorischen Tendenzen doch auch in den Kreisen der ausübenden Architekten beachtet und studiert zu werden, da es eine Geschichte der italienischen ln jener anregungsreichen Bauten einer

PAUL SCHUBRING über Band Ill in der „Frankfurter Ze tuno: Ich will hier möglichst wenig Einzel- heiten anführen; die findet man in dem genannten Buch, das der erlag reich mit Abbildungen ausgestaltet hat und das geradezu vorbildlidi soldi eine Anlage untersucht, beschreibt und würdigt.“

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Meine Erlebniſſe in Spanien und Frankreich während des Weltkrieges

mit 14 Zeichnungen im Text und 4 Tafeln nach Werken des Künftlers.

Geheftet M. 5.—, gebunden M. 6.— ord.

in einem kleinen

dur anzöſi orpedoläger. Als Kriegsgefangener Ба anderthalb Jahren n Frankreich: Bre Statlonen unerhórter Dergemaltigung: Toulon, Es i nel der Kecker

ng. Alles in allem: ides Werk, mehr ijt als Kriegs» teratur.

Ein Künſtlerbuch im beiten Sinne des Wortes,

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Soeben erſchien

Wilhelm Kubnert Im Lande meiner Modelle

Mit 24 Steinzeihnungen, 8 farbigen Tafeln nach Gemälden des Derfaffers und zahlreichen Federzeichnungen im Text. Gebunden M. 30.—

£urusausgabe 100 numerierter Exemplare mit einer vom Derfaffer ſignierten Orig.«Rabieryng. Gebunden M. 100.—

Ein afrikaniſches Jagd⸗ und Wanderbuch, in dem der bekannte Maler über ſeine Erlebniſſe, Studien und Jagden plaudert. Als Künftler ift Kuhnert nach Afrika hinausgegangen mit Büchſe, Pinſel und Palette, und feinem Malerauge hat das geheimnisvolle Ceben in den afrikaniſchen Step at fid) der ſchwarze Erdteil als ein nod) unentdedites Paradies enthüllt, deſſen Schönheit und Eigenart feine ganze heiße Liebe gilt. Wie er das Себеп der Natur in der Wildnis belauſcht, wie er die Tiere beſchleicht und beobachtet, wie er auf ges fährliche Jagdabenteuer auszieht und die Wunder des gewal⸗ tigen Kiltmandjaro entdeckt, das ijt mit der Sprache bes Did» ters geſchildert und tief empfunden als Erlebnis, wie es nur der Seele eines Künfilers begegnen kann. Erft in diefem Buche kommt uns der Sauber der afrikaniſchen Urwelt ganz nahe. Was Huhnerts Malerauge auf femen weitausgedehnten Reiſen im Innerſten Afrikas im Sudan (auch ein Kapitel über ион Jagdgefilde ift angegliedert) e , oas haben Stift und Pinfel unmittelbar vor den Пеп feſtge⸗ alten, und dieſe Zeichnungen, Cithographien und farbigen edergaben nach Gemälden umranken die farbenfatten Schilderungen des Künftlers wie lebendige Illustrationen.

Geschichte

derspanischen Malerei

Von Privatdozent Dr. AUGUST L. MAYER, München.

до. Geh. M. 40.—, geb. M. 46.—.

L Band: VIII u. 274 Seiten mit

144 Abbildungen. II. Band: VIII u. 292 Seiten mit 141 Abbildungen.

Mayers Geschichte der spanischen Malerei ist ein bedeutsames Werk, daB sich neben großer Gründlichkeit der Einzelforsdiung besonders durch den sicheren, fein ab-

wügenden Geschmack auszeichnet, mit dem er die künstlerischen Charakterbilder der

großen spanischen Maler entwirft. Er betrachtet die spanische Malerei als eine Quelle der modernen Kunst und findet den Grund dafür „in dem Ernst und der Aufrichtigkeit, іп der Einfachheit und, fast könnte man sagen, in der Naivität ihres Wesens“. Die Dar- stellung hat durch ihre wortgewandte Abstimmung und ihre vielseitige Ausdrucksmöglich- keit für die leisesten Abstufungen der künstlerischen Werturteile hervorragende Vorzüge. Einseitiges und übertrieben zugespitztes Absprechen, wie es nadı Meyer-Graefes Vorgang in neuester Zeit z. B. bei Murillo Mode war, vermeidet Mayer sorgfältig, gerade seine Studie über Murillo ist eine musterhafte Leistung dieser Art. Ebensowenig teilt er ge- wisse modische Überschätzungen, weshalb z. B. seine Behandlung d:s in den letzten Jahren so aufdringlich gerühmten EI Greco sehr ansprechend wirkt.

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(Kölnische Volkszeitung.)

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Soeben erschien die dritte Auflage von Bilder gesellschaftlicher Kultur aus fünf Jahrhunderten. Von Valerian Tornius. Salons. Zwei Bande mit 48 Tafeln geb. M. 15.—.

Noch nie hat es jemand unternommen, die Welt des Salons in ihrer Entwicklung zu schildem. Non endlich liegt das Werk vor, das diese Aufgabe lost, wie sie allein möglich war, wenn der romantische Zauber, der über aller wahren Geselligkeit schwebt, nicht verlorengeben sollte. (Dresdner Anzeiger.)

*

Vom gleichen Verfasser erschien

Charaktere und Bilder aus der galanten Welt. 2. Auflage. Mit 10 Orginal- Kavalier e. lithographien von Erich Gruner. Geb. M. 12.—.

Eine Folge vollfarbig ausgemalter Portrats, Bilder weltmannischer Grazie, gerahmt in die Historie ihrer Zeit, ziehen an uns vorüber. Ritterlichkeit der Sitten wie des Geistes, froblich tandelnde Weltlaune, Spiel der Anmut und des Scherzes, tollende Ausgelassenheit, Erotik, Abenteuer, alles das wird in diesen Kulturbildern lebendig. Der schwarmende Ritter des Minne- sanges und seine Entartungen, das vollendete Kavaliertum der Renaissance, wie es in Graf Castigliones „Cortegiano” zum Idealtyp geformt ist, werden in ebenso gründlichen wie liebenswürdigen Schilderungen gewertet. Anekdotenhafte Züge sind mit Geschmack herangetragen, veranschaulichen und wirken. Gerade hierin ist Tornius Meister, daß er immer wieder durch amüsante Geschichtchen, eingeflochten wie in gefalliger Plauderei, die Darstellung belebt . Der Anmut des Stoffes ge- sellte Tornius Anmut der Darstellung. Eindri de wissenschaftliche Arbeit setzt dies Werk voraus; aber man fühlt sie nicht, dank der beweglichen und geschliffenen Form der Schilderung. Mit künstlerischen Sinnen werden die Menschen und hr Milieu erlebt und nachgestaltet. (Zeitschrift für Bücherfreunde.)

Die griechische Plastik. wa. Bend f. Tor Band 2: 297 Abbildungen auf Tafeln. Zusammen M. 8.10.

Dem reichen Inhalt des Löwyschen Werkes, das von Anfarg bis Ende mit gründlicher Beberrschung des Stoffes, liebe- voller Hingabe an den Gegenstand und feinsinnigem Urteile geschrieben ist, entsprechen aufs würdigste die in einem beson- deren Bändchen beigegebenen 550 Abbildungen. Nach künstlerischen Gesichtspunkten geordnet, in sauberster Technik nach den zuverlassigsten Quellen ausgeführt, bilden sie nicht nur die begleitende Melodie, sondern tragen an ihrem i wesent- lich dazu bei, das richtige Verstandnis der Kunstwerke zu fordern und den Blick für den einzigartigen Zauber antiker Schón- heit zu ofnen. (Zeitschr ft f. d.

Pilger fahrten in Italien. Zone. ron бегени and Prof: Dr. schmuck von Marcus Behmer. Mit 2 Gravüren und 24 Tafeln. Geh. M. 7.50, geb. M. 9.40.

In Summa: eins der schönsten Bücher, das je von Italiens Zauber und unvergänglicher кч zu uns pıochen hat. Deutsche Literaturzeitung.

Die Renaissance in Briefen te, Ir, Fm Sun

L. Schmidt. 2 Bände. Geb. je M. 7.50.

Wenn wir uns mit dem Geiste einer bestimmten Epoche der Vergangenbeit vertraut machen wollen, so werden wir die

richtigsten und unmittelbarsten Eindrücke dadurch gewinnen, daß wir die erhaltenen Dokumente selbst zu uns reden lassen.

e gilt сы besonders von den Briefen aus der Zeit der Renaissance, denn damals wurde das Briefschreiben noch als unst gepflegt.

Von P. Kühn. Weimarer Interieurs. 2 Bande. Die Frauen um Goethe. уо, ате . 20.80 Man kann den Menschen Goethe nicht inniger begreifen als im Verkehr mit dem Weibe, das ihm Muse, Freundin, Geliebte und Gattin gewesen ist. Erst durch seine machtvolle Personlichkeit ist die stille Welt des Weimarer Musenhofes wundervoll

verklart. In buntem Wechselspiel ziehen sie alle an uns vorüber, denen der Dichter die Verehrung zu Füßen gelegt. Sein Geist durchtrankt ihr Leben mit kostlichem Gebalt, füllt ibre Seele mit jugendlicher Lebensw arme.

Goethe in Venedig. Vos ? (poe, Gb. M6 eb

Sorgssm zeichnet mit einer Fülle von außerordentlich interessanten Einzelheiten J. V. in einem anmutigen Buch das 3 der Goethezeit, Die Darstellung ist so anmutig und lebensvoll, daß sie den besten (hrer Art zur werden darf. ( Literarisches

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» Tempelgang Mariä“, linke Hälfte.

Abb. 5. Veit Stoß:

Abb. 4. Veit Stob: Johannes aus der Kreuzigungs-

„Anbetung der Könige“, rechte Hälfte,

Abb. 3. Veit Stoß:

Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig

gruppe in St. Sebald zu Nürnberg, erste richtige

Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig

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Abb. 6. Veit Stob: „Himmelfahrt Christi“. Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig

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Abb. 7. Selbständiger Werkstattgenosse des Veit Stoß, Pfingsten. Relief vom Krakauer Marienaltar

Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

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I. Deutscher Wald (Heidelberg, Frühzeit).

Abb. 2. Szene aus Tasso.

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Abb. 5. Bei Subiaco

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Tafel 73

Abb. 6. Gebüschstudie

Abb. 7. Ritterzug

Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR

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Abb. 9. Burgruine am Neckar

Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR

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Abb. 11. Das Heidelberger Schloß

Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR

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Tafel 76

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Lagernde Soldaten

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Heidelberger Studenten

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PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR

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Tafel 77

Abb. 14, Wasserfall in den Salzburger Alpen

Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR

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M. f. K., XI., 11/12

Tafel 78

Abb. 1. Nördlichste Fensterarkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges

Abb. 2. Dritte Fensterarkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges

Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN

M. f. K., XI., 11/12

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Tafel 79

Abb. 3. Südlichste Arkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges

Abb. 4. Mittelste Arkade im Südtrakt des Berchtesgadener Kreuzganges

Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN

sea £ K XL. 11/12

Tafel 8o

Abb, 5. Detail zu Abb. 4. Die Davidsšule Abb. 6. Westlichste Arkade im Südtrakt des mit dem Lilien-Kapitell Berchtesgadener Kreuzganges

Abb. 7. Die zwei nórdlichsten Fensterarkaden im Westtrakt des Berchtesgadener Kreuzganges

Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN

M.f.K., XL, 11/12

Tafel 81

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Portal im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges

Abb. 8.

Portal-Löwe in Laufen

Abb. 9.

Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN

M. f. K.. XL, 11/12

Tafel 82

Das Sebaldusgrab in Nürnberg

Abb. 2.

Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon (Restauration)

Abb. I.

HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER (V1)

Zu:

M. f. K., XL, 11/12

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