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MONATSHEFTE

FÜR

KUNSTWISSENSCHAFT

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HERAUSGEGEBEN VON

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PROF. DR. G. BIERMANN ХП. JAHRGANG 1919 N

ABHANDLUN CEN

Heft 1: Selte Gantner, Joseph, Zum Schema der sixtinischen Decke Michelangelos 1 7 Kirchner, Joachim, Die Voraussetzungen des Expressionismus 8 13 v. Grolman, W., Zur Würdigung des Veit Stoß (Schluß) . 14—25

Heft 2/3:

Schaefer, Karl, Norddeutsche Malerei 88 8 + 33—38 Fuchs, Willy P., Die ER еол pide: Massenglisderäui dentscher Harockpalline 39—46 Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. 7. Die Würzburger Platten . 47—56 Muchall-Viebrock, Thomas, Alabasterreliefs von Wilhelm van den Broeck im Maxi- miliansmuseum in Augsburg 57—65 Heft 4: Poglayen-Neuwall, Stefan, Eine koptische Pyxis mit den Frauen am Grabe aus der ehemaligen Sammlung Pierpont Morgan. . » . e 2 e 2 2 2 © «© « > « . SI— 87 Hirschmann, Otto, Erwerbungen der holländischen Museen während den Kriegsjahren 88— 94 Dettloff, Felix, Zur Zeitfolge der Krakauer Marmorwerke des Veit Stoß . 95—100 Major, Emil, Die Stammtafel der Familie Schongauer . 101—106 Heft 5/6: Freyer, Kurt, Schleswigsche Taufsteine . . 113— 124 Noack, Friedr., Marco Benefial, ein Bahnbrecher des Klassizismus Я . 125—129 Schneider, Hans, Ein Atelierbild des Michiel van Musscher . . . . . . . 130—133 Grautoff, Otto, Raphael Mengs. Ein deutsches Künstlerschicksal . . 134—136 Heft 7: Glück, Heinrich, Östlicher Kuppelbau, Renaissance und St. Peter . . 153—165 Bombe, Walter, Beiträge zur italienischen Profankunst. II. Ein sizilianischer Tristan- | Zyklus ° e е ө ә D ° D D е е е e 166—172 Friedländer, Мах J. рег Meister von Alkmaar ваза А E · 173 —174 Lohmeyer, Karl, Pfälzische Barockmaler auf der Heidelberger Porträtausstellung Ki Jahre 1914 · 175—182 Heft 8/9: Steinmann, Ernst, Das Schicksal der Kreuzlegende des Daniello da Volterra · 193— 212 Rohde, Alfred, Der Plastiker des Hamburger ee Altares und seine künst- lerische Herkunft. ҮЗӨТ Жу eo ЭШ. чш. Kc . 213—225 Göbel, H., Jacob und Moritz de Garoa, Frankenthaler Wirker im Dienai des Herzogs Christoph von Württemberg . . . . | . 226—236 Stoehr, А., Zur Geschichte der Klein- und 5 im Fürstbistum Würzburg 237 246 Heft 10% 1: Suida, Wilhelm, Leonardo da Vinci und seine Schule in Mailand . 257 278 West, Robert, Johannes Schwaiger, ein oberbayerischer Barockbildhauer . 279 282 Simon, Karl, Das sogenannte Eselweckgrabmal von Hans Backofen . . 283—285 Friedlander, Walter, Zur Kunstgeschichtsschreibung der Moderne · 286—297

Heft 12:

Strzygowski, Josef, Siiden und Mittelalter . · 313—323 Voigtlander, E., Versuch tiber ein . 324 339

Heft 1: Seite

Jähnig, K. W., Ein Bild von Bartholomäus Dietterlin in der Dresdner Galerie. . . . . 26 Heft 2/3:

Poglayen-Nouwall, Stefan, Das Beilager auf dem Alexanderkästchen zu Darmstadt . . 66 Heft 5/6:

Polaczek, Ernst, Nachträgliches zu Paul und Josef Be 137 Heft 8/9:

Kunstwissenschaft und Kunstgeschichtsschreibung.

Habicht, У. C., Problematik der Kunstgeschichte . . . 2 . ... .. . + + 247

Dorner, Alex., Zur Methodik der Kunstgeschichte 248 Heft 10/11:

Habicht, V. Curt, Ein unbekannter Maler des Barock: J. Е. Haberstroh . 298

Daun, B., Zu Veit Stoß. Eine Erwiderung ae e У 300 Heft 12:

Waetzoldt, Wilhelm, Zur „Problematik der Kunstgeschichte“ 340

Feulner, Adolf, Zur Datierung des омир Weibes уоп Р. Р. Rubens 341

West, Robert, Grünewald und Cimabue . RS oe ы GE" tee МУ то мы. a 343

Abele, Eugen, Der Dom zu Freising (Adolf. er

Feulner), S. 352.

Ahrem, Maximilian, Das Weib in der antiken Kunst (Rosa Schapire), 8. 350.

Alt-Berliner Grabmal, Das, 1750—1850, Auf- nahmen v. W. Schütz u. kunstgeschichtl. eingeleitet v. Н. Mackowsky (H. Vollmer), S. 29.

Bauer, Max, Deutscher Frauenspiegel (Rosa Schapire), S. 351.

Baum, Julius, Deutsche Bildwerke des то. bis 18. Jahrhunderts (Adolf Feulner), S. 302.

Benkard, Ernst, Das literarische Porträt des Giovanni Cimabue (Rob, Corwegh), S. 251.

Bode, W. v., und Volbach, W. F., Gotische Formmodel (Sascha Schwabacher), S. 309.

Burchard, Ludwig, Die holländischen Radierer vor Rembrandt (О, Hirschmann), S. 251.

Bürger, Fritz, Die Gensler, Drei Hamburger Malerbrüder des 19. Jahrhunderts (H. Friede- berger), S. 346.

Clemen, Paul und Gurlitt, Cornelius, Die Klosterbauten der Zisterzienser in Belgien (Kurt Gerstenberg), 8. 72.

Curman, S., och Roosval, J., Sveriges Kyrkor (R. Haupt), S. бо.

Des Präsidenten de Bosses vertrauliche Briefe aus Italien an seine Freunde in Dijon 1739 bis 1740 (Rosa Schapire), S. 307.

Dexel, Walther, Untersuchungen über die fran- zösischen illuminierten Handschriften der Jenaer Universität vom Ende des 14. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (Thomas Otto Achelis), S. 145.

Diez, Ernst, Churasanische Baudenkmäler (H. Glück), S. 349.

Dinant. Denkschrift im Auftrag des General- gouverneurs von Belgien (P. F. Schmidt), S. 255. Ebhardt, Bodo, Die zehn Bücher der Archi- tektur des Vitruv (Grisebach), S. 68. Eisler, Max, Rembrandt als Landschafter (Otto Hirschmann), 8. 28.

Friedländer, Max J., Der Kunstkenner (Gersten- berg), S. 346.

Gersbach, Alfred, Geschichte des Treppenbaus der Babylonier und Assyrier, Ägypter, Perser und Griechen (Thomas O. Achelis), S. 108.

Glaser, Curt, Munch (Rosa Schapire), S. 71.

Gleichen-RuBwurm, Alex. von, Der Ritter- spiegel (Sascha Schwabacher), S. тоо.

Graul, R., Altfandern (Paul F. Schmidt), S. 255.

Grundmann, Günther, Gruftkapellen des acht- zehnten Jahrhunderts in Niederschlesien u. der Oberlausitz (Adolf Feulner), S. тоо.

Hagen, Oskar, Matthias Grünewald (V. C. Ha- bicht), S. 349.

Hardenberg, Kuno Ferd., Graf v., Herkunft, Leben und Wirken des Hochfürstl. Hessen-

Darmstädtischen Ober Cabinets- und Hof- mablers Johann Christian Fiedler (Robert

Corwegh), 8. 303. Kahn, Max, Die Stadtansicht von Würzburg im Wechsel der Jahrhunderte (A. Stöhr), 8.144.

Karl in ger. H., Bilder aus Altbayern (Paul F. Schmidt), 8. 255.

III

571844

(RECAP)

Kehrer, Hugo, Francisco de Zurbaran (Н. W. Singer), S. 188.

Kohlrausch, Robert, Deutsche Denkstätten in Italien (Friedr. Noack), S. 305.

Lehner, Das Provinzialmuseum in Bonn. Heft II. Die römischen und fränkischen Skulpturen (Baum), S. 108.

Lichtwark, Alfred, Eine Auswahl seiner Schrif- ten (Hermann Uhde-Bernays), S. 147.

Mayer, Aug. L., Handzeichnungen spanischer Meister (Biermann), S. 185. |

Mayer, A. L., Matthias Grünewald (K. Gersten- berg), S. 351.

Meier-Graefe, Julius, Cézanne und sein Kreis (Walter Friedländer), S. 145.

Péladan, L'art et la guere (Otto Grautoff), S. 107.

Picard, Max, Expressionistische Bauernmalerei (L. Brieger), 8. 148.

Roosvaal, Johnny, Die Steinmeister Gotlands, eine Geschichte der führenden Taufstein- Werkstätte des schwedischen Mittelalters, ihre Voraussetzungen u.Begleiterscheinungen (J. Strzygowski), S. 183.

Rosenberg, Marc, Geschichte der Goldschmiede- kunst auf technischer Grundlage. 3. Abteil. Granulation (Н. Stierling), 8. 68.

Rößler,Arthur,Kritische Fragmente (H. G.), S. 74.

Röthlisberger, Die Architektur des Graltempels (Hans Kahns), S. 74.

Schlosser, Julius von, Die Schatzkammer des Allerhöchsten Kaiserhauses in Wien (Robert Schmidt), S. 303.

Schmaltz, Karl, „Mater ecclesiarum“. Die Grabeskirche in Jerusalem (J. Strzygowski), 5. 141.

Schmarsow, August, Kompositionsgesetze der Franzlegende in der Oberkirche zu Assisi (Wackernagel), S. 27.

Schmitz, Hermann, Berliner Baumeister vom Ausgange des 18. Jahrhunderts (Paul Ferd. Schmidt), S. 148,

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Schulze, Paul, Alte Stoffe (8. Schwabacher), S. 108.

Sluytermann, K., Huisraad en Binnenhuis in Nederland in vroegere Eeuwen (A. E. Brinck- mann), S. 308.

Stengel, Walter, Die Merkzeichen der Nürn- berger Rotschmiede (Hubert Stierling), S. 185.

Derselbe, Nürnberger Messinggerät (Hubert Stier- ling), 8. 185.

Straus, Luise, Zur Entwicklung des zeichne- rischen Stils in der Kölner Goldschmiede- kunst des 12. Jahrh. (W.F. Volbach), 5. тто.

Stuhlfauth, Georg, Die „ältesten Porträts“ Christi und der Apostel (Nikos A. Bees), S. 143.

Sybel, Ludwig von, Mosaiken römischer Ap- siden (Nikos A. Bees), S. 189.

Thiersch, Hermann, Winckelmann und seine Bildnisse (Uhde-Bernays), S. 70.

W aetzoldt, Wilhelm, Dürers Befestigungslehre (Fritz Hoeber), 8. 110.

With, Karl, Buddhistische Plastik in Japan bis in den Beginn des 8. Jahrh. nach Christi (H. Glück), S. 306. |

> Witting, Felix, Michelangelo da Caravaggio (Otto Grautoff), S. 188.

Witting, Felix, Lancelot Blondeel. Zur Kunst- geschichte des Auslandes (Grete Ring), 8. 345.

Woermann, Karl, Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker (Adolf Behne), 8. 254.

Wolters, Paul, Aus Ferdinand Diimmlers Leben (Thomas Otto Achelis), S. 71.

Zola, Emile, Briefe an Freunde (R. Schapire), 8. 187.

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XITTAHRGANG HEFT 1——— LANUAR 1919 VERLAG ALINKHARD TS BIERMANN: ЕРЕ IG

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.—

INHALTSVERZEICHNIS HEFT 1 ABHANDLUNGEN REZENSIONEN

JOSEPH GANTNER, Zum Schema der August Schmarsow, WEE der ur: e Д Franzlegende in der Oberkirche zu Assisi. wee en 5 = (Publikationen des Kgl. Sächs. Forschungs-

9 Abbildungen a Ann el instituts für Kunstgeschichte. I.) Leipzig, JOACHIM KIRCHNER, Die Voraus- K. W. Hiersemann, Komm.-Verlag, 1918. Mit setzungen des Expressionismus. 5.8 14 Tafeln (Wackernagel) 8. 27 W. von GROLMAN, Zur Wiirdigung des Max Eisler, Rembrandt als Landschafter.

И а А Е. Bruckmann, A.-G., München, 1918. 2728. Veit Stoß. Mit 28 Abbildungen auf mit 140 Abbildungen (O. Hirschmann) . 8. 28

13 Tafeln (Schluß) ........ S.I4 Das Alt-Berliner Grabmal 1750—1850. Hundert Aufnahmen und Vermessungen von

MISZELLEN Wolfgang Schütz. Kunstgeschichtlich ein- K W. J AHNIG, Ein Bild von Bartholo- geleitet von Hans Mackowsky. Bruno mäus Dietterlin in der Dresdner Cassirer, Berlin 1917 (H. Vollmer). . S. 29 Galerie. Mit r Abbild. auf 1 Tafel S. ap RUNDSCHAU............ S. 31

A. S. DEN Ausstellung

Königlich Bayer. Hoflieferant kostbarer Antiquitäten Ein- und MÜNCHEN Verkauf wertvoller Skulpturen, Maximilianplatz Nr.7 Gemälde, Porzellane, Möbel und

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AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÄLDE ALTER MEISTER UND KOSTBARER ANTIQUITATEN

ZUM SCHEMA DER SIXTINISCHEN DECKE MICHELANGELOS

Mit neun Abbildungen auf acht Tafeln Von JOSEPH GANTNER

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1. DIE ZWEI PLANSKIZZEN IN LONDON UND PARIS.

is zu der großen Publikation der Handzeichnungen Michelangelos von Karl

Frey im Jahre 1911!) war in der Öffentlichkeit nur eine einzige Skizze Michel- angelos zum Schema der Decke bekannt: das Blatt in London. Wölfflin?) hatte es unter allgemeiner Zustimmung als den ersten Entwurf bestimmt, von dem Michelangelo in seinem Briefe an Fattucci spricht, und der dann als „сова роуега“ bald aufgegeben worden war. (Abb. ı, Frey, Tafel 43/44).

Nun publizierte Frey 1911 mehrere Skizzen aus der Sammlung des Malers Emil Wauters in Paris. Eines dieser Blätter (Frey, Tafel 247/48) zeigt auf der Vorder- seite (Abb. 2) die Federskizze zu einem Compartiment der Decke, daneben Lapis- skizzen zu einem männlichen Rumpf (gedeutet auf das Opfer Noahs) und zu einem linken Vorderarm (gedeutet auf Adam in der Erschaffung), auf der Rückseite (Abb. 3) zwei Federskizzen zu einem Thron und zu einem sitzenden nackten Propheten nebst Gewandstudie, daneben Lapisskizzen zu einem rechten Arm mit Schulter- ansatz und zu einer rechten Hand. Frey hält sämtliche Federskizzen für echt, die Lapisskizzen dagegen schreibt er dem Francesco Granacci zu. Im weitern gibt er der Pariser Zeichnung die Priorität vor der Londoner und bezeichnet die letztere als eine Weiterbildung der ersten. Diesem Urteil schließt sich auch Henry Thode ?) an, obwohl ihm die Anordnung der Flächen auf der Pariser Skizze der fertigen Decke näher zu kommen scheint als die des Londoner Blattes.

Ich betrachte nun zunächst die Zone zwischen je zwei Zwickeln. Da zeigt die Pariser Skizze im Gegensatz zur Londoner den deutlichen Zug in die Querrichtung des Gewölbes, so wie er sich an der fertigen Decke findet; das übereck gestelite Mittelfeld der Londoner Skizze ist gerade gerichtet, das Medaillonpaar im Scheitel der Volta ist beseitigt und mit ihm die Betonung der Längsrichtung und die Kom- munikation von Feld zu Feld. Das imaginäre Gebälk geht auf der Pariser Skizze wie an der fertigen Decke über dem Thron durch, wiederum im Gegensatz zur Londoner, und statt der Muschel- und Volutenbekrönung der letzteren findet man nun ganz deutlich das Medaillon und zwar das scheint mir von eminenter Wich- tigkeit flankiert von zwei lebenden Gestalten, die Frey „geflügelte Putten“ nennt. Mögen sie sein was sie wollen und mag ihre Größe und Funktion gegenüber der fertigen Decke noch variieren das Motiv der Sklaven ist da! Wenn man will, eine Fortbildung der Karyatiden der Londoner Skizze, keinesfalls aber, wie Frey behauptet, ihre Vorstufe. Bei Michelangelo geht der Weg nie vom Lebendigen ins Starre ). Das große ovale Feld hält Frey für eine Flachkuppel ähnlich den quadratisch gerahmten Feldern über den Kappenspitzen der Londoner Zeichnung, wobei aber die Diskrepanz zwischen diesen beiden Darstellungen einer Flach-

(1) 2 Tafelbände, 1 Textband. Berlin 1911, bei Julius Bard.

(2) Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen XIII, 1892.

(3) Michelangelo, Krit. Untersuchungen. 3. Band, S. 235 ff.

(4) Wölfflin (а. а. О.) leitete, ohne Kenntnis des Pariser Planes, die а аса ЈЕ der fertigen Decke von den Termini der Londoner Zeichnung her.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg., 1919, Heft 1 1 1

kuppel in quadratischem Rahmen und als ovales Feld erheblich bleibt. Und erst die Putten? Bei näherem Zusehen erkennt man, daß das ovale Feld der Pariser Skizze sich zusammensetzt aus einem breiten, ovalen Streifen, dem nach unten ein kleinerer Kreis eingeschrieben ist’). Mir scheint nun, daß dieser ovale Streifen nur als eine Art ornamentale Umgrenzung des kreisrunden Médaillons an- zusehen sei. Denn dieser ovale Streifen, an den sich die Putten als traditionelle Elemente der Ornamentik?) anlehnen, schließt sich organisch ein in die Kartouche des Mittelfeldes an dessen Schmalseite. Wenn ich nun in dem runden Medaillon wirklich die Vorstufe zu dem Medaillon der fertigen Decke erkenne und die Pari- ser Zeichnung im Gegensatz zu Frey und Thode nach der Londoner entstanden sein lasse, so gewinnt die von Wölfflin (a. а. О.) zuerst ausgesprochene Vermutung, daß an der fertigen Decke die Sklaven erst nachträglich zu den bereits vorhandenen Medaillons hinzugekommen seien, eine wertvolle Stütze. Wir haben dann die drei Etappen: 1. Londoner Zeichnung: kleine Eckmedaillons®) ohne flankierende Ge- stalten; 2. Pariser Zeichnung: ornamental gerahmte größere Médaillons‘) mit flan- kierenden Putten; 3. fertige Decke: Ungerahmte Médaillons mit Sklaven. Mit andern Worten: das Motiv der Médaillons war da, längst, bevor Michelangelo an die Sklaven in ihrer heutigen Form gedacht hat.

Daß in dem von Kartouchen gerahmten rechteckigen Mittelfeld der Pariser Zeich- nung figürliche Darstellung geplant war, scheint mir so gut wie sicher zu sein. Denn das Feld ist außerhalb der Kartouchen durch dicke Grenzstriche deutlich von den Feldern rechts und links getrennt. Derartige Quergurten können wohl nur als Grenzen zwischen Figuralkompositionen einen Sinn haben, wo die Be- trachtung eben eo ipso eine Verselbständigung durch den Bildrahmen verlangt. Wenn Frey jedoch schon für die überecken Felder der Londoner Skizze geschicht- liche Darstellungen vermutet, so läßt sich das in keiner Weise begründen. Auch in diesem Punkte scheint mir die Pariser Skizze zwischen der Londoner und der fertigen Decke zu stehen.

Sowohl für Frey als besonders für Thode war ein Hauptargument für die Prio- rität der Pariser Zeichnung die Beobachtung, daß auf ihr der Thronsitz im Gegen- satz zum Londoner Blatt leer ist. Zunächst: Die Bemerkung Freys, daß „eine Figur nach den hier vorhandenen Verhältnissen keinen Platz finden dürfte“, läßt sich nicht stützen. Die Verhältnisse des Thrones Breite und Höhe sind bedingt durch die Architektur, und da die Stützen des Thrones in der Pariser Skizze auf denselben Punkten der Kappenbögen aufruhen wie an der Decke, und der Thron nach oben lediglich durch dies Gebälk begrenzt ist, so läßt sich eine Sitzfigur sehr wohl denken. Sie fehlt. Michelangelo war, so möchte ich annehmen, im klaren über diesen Punkt, sei es durch Detailskizzen wie die auf der Rückseite der Pariser Zeichnung (Abb. 3), sei es durch frühere Skizzen der Decke, zu denen ich eben die Londoner zähle. Throne mit Sitzfiguren in den Zwickeln waren schon von Anfang an vereinbart und ihre durch die Architektur gegebene Anordnung mochte sich in Michelangelos Phantasie längst festgelegt haben, während die kahle, freie Volta noch alle Kombinationen zuließ. Die halbkreisförmigen Linien in der Höhe

(х) во etwa wie das Eigelb im Oval der Schale.

(2) cf. Donatellos Verkündigung in 8. Croce und sein Grab des Giovanni Medici in San Lorenzo. (3) Frey vermutet, daß sie figürliche Darstellungen hätten enthalten sollen.

(4) Die in ihnen erkennbaren abgebrochenen Linien können eine Andeutung für eine figürliche Dar- stellung sein. Frey, da er hier eine Flachkuppel annimmt, hält sie für Sterne.

2

des Sitzes (Abb. a) deute igh auf eine fitichtige Bezeichnung von Thronsitz und Nischentiefe, die Schnörkel "darüber auf irgendein bei der Ausführung dann auf- gegebenes Motiv für einen Schmuck der Rückwand. Die Grisaillenpaare der fertigen Decke, die Wölfflin (в. oben) aus den Termini der Londoner Skizze ent- standen sein läßt, haben auf dem Pariser Blatt mit keinem Strich Erwähnung ge- funden. Sie mögen in ihrer heutigen Gestalt ähnlich den Jgnudi eine Konzeption letzter Stunde sein.

Die Rückseite der Pariser Skizze (Abb. 3) zeigt zwei kleine flüchtige Ideen zu einem Thron. Frey sieht in ihnen Vorstufen des Apostelthrones der Londoner Zeichnung, und zwar seien die halbkreisförmigen Linien, die die Pilasterverkröpfungen rechts und links verbinden, eine erste Konzeption der Muschel zu Häupten der Londoner Propheten. Das ist irrig. Diese Linien beziehen sich nicht auf die oberen, sondern, wie die Vorderseite (Abb. 2) deutlich zeigt, auf die unteren Pila- sterverkröpfungen beim Sitz des Thrones.

Das Fehlen einer Figur auf dem zweifellos doch für eine solche bestimmten Throne scheint mir darum keineswegs für die frühere Ansetzung der Pariser Skizze zu sprechen.

Wesentlich einfacher ist die Betrachtung der Vergleichspunkte für die Zone zwischen je zwei Stichkappen. Da dominiert die große achteckige Fläche der Pariser Skizze gegenüber der etwas kleinlichen Aufteilung der Zone auf dem Lon- doner Blatt. Und hier zeigt sich nun mit aller Deutlichkeit, worauf Michelangelo es bei dem durch die Pariser Zeichnung repräsentierten Stande der Deckenarbeit abgesehen hatte: Nicht mehr eine rein ornamentale, geometrische Füllung der ganzen Volta mit Ausnahme der Zwickel wie es die Londoner Skizze zeigt, sondern eine Kombination von Historienbildern mit ornamental-geometrischen Um- rahmungen. Darum die Spielerei des dem Quadrate eingeschriebenen Achtecks, das aber nicht die ganze Zone zwischen den Stichkappen ausfüllen darf, weil sonst das kleine, von Kartouchen umrahmte Feld daneben von zwei so riesigen Nachbarn erdrückt worden wäre. Die etwas befremdliche Form des Achtecks findet ihre Erklärung. Das Quadrat, dem es eingeschrieben ist, trifft mit seinen Ecken gerade auf die Flügel der Putten auf, und das mag die Veranlassung gewesen sein, diese unhaltbare Kollision durch Einschreibung der Schräge zu mildern. Zugleich ergibt das Achteck beim Gesamtanblick der Decke mit dem ja stets zu rechnen ist zu dem Rund der МедаШопз und dem Rechteck der Kartouchenfelder hinzu eine willkommene neue geometrische Form.

Ich fasse das Resultat der bisherigen Ausführungen zusammen. Die Pariser Skizze kommt der fertigen Decke um einen bedeutenden Schritt näher als das Londoner Blatt. Die Hauptpunkte dieses Fortschrittes sind: Beseitigung der Be- tonung des Scheitels der Volta, Herstellung großer Flächen auf der Mitte der Volta, deutliche Abgrenzung der Querstreifen voneinander, Anordnung des Thrones in seiner definitiven Gestalt, d. h. ohne Muschel- und Volutenbekrönung, dafür mit durchgehendem Gebälk, Vergrößerung der Medaillons über den Thronen und An- bringung lebendiger Wesen neben den Medaillons.

Der sitzende nackte Mann (Abb. 3) dem ein Putto ein aufgeschlagenes Buch herbeiträgt, hat im Kontrapost Ähnlichkeit mit der Delphica und dem Jesajas, die ja zu den zuerst gemalten gehören. Die Vermutung, daß schon jetzt im Plane die Apostel zugunsten der Propheten und Sibyllen aufgegeben waren, gewinnt da- durch an Wabrscheinlichkeit.

* *

П. DIE PARISER SKIZZE UND DIE DREI ERSTEN DECKENGEMÄLDE.

Es wurde schon sehr früh bemerkt, daß die Folge der sixtinischen Decken- gemälde zwei erhebliche Unstimmigkeiten aufweist. Die eine ist die Unter- brechung der historischen Folge durch das „Opfer Noahs“, das ja erst nach der Sintflut kommen sollte, die andere der beträchtlich kleinere Maßstab der Figuren auf der „Trunkenheit Noahs“ (Abb. 4), der „Sintflut“ und dem „Opfer“ (Abb. 5, 6) denjenigen Geschichten also, die Michelangelo zu allererst gemalt hat. An Er- klärungen für diese Anomalien hat es nie gefehlt. Ohne Anhänger zu finden, deuteten Vasari und Condivi das Opfer auf Kain und Abel, womit die historische Folge gerettet wäre. Carl Justi!) läßt Michelangelo einfach für die größere Szene der Sintflut die größere Fläche wählen eine Erklärung, die nicht überzeugt. Auch Thode’) gelingt es nicht, die Sache mundgerecht zu machen. „Die Größe dieser Schandtat“ (nämlich der Verhöhnung Noahs) sagt er, „springt in die Augen nur, wenn der Beschauer daran gemahnt wird, daß sie unmittelbar auf den Bund folgt, den Gottvater mit Noah geschlossen hat.... Nur die chronologische Reihen- folge wurde gestört: aber dies kleine Opfer war höheren Rücksichten ohne weiteres zu bringen.“ Was dagegen die Kleinheit der Figuren auf den drei ersten Bildern betrifft, so half man sich mit der Erklärung, daß Michelangelo darauf bedacht sein mußte, dem am Eingang stehenden Beschauer „die figurenreichen Schilderungen möglichst nahe zu rücken, bei zunehmender Entfernung aber die Anzahl der Figuren zu vermindern, um sie dann in größeren Verhältnissen zu bilden“ ). Tiefer greift dann Wölfflin®) mit seiner Vermutung, wir hätten in den drei ersten Bildern, wo sich die räumliche Folge nicht mit der historischen deckt, das Fragment eines wesentlich anders gehaltenen Deckenprojekts, das auf kleinere Figuren angelegt war und in dem Augenblick aufgegeben werden mußte, als die angenommene Figurengröße sich als unzureichend erwies.

Dieser Vermutung Wölfflins hoffe ich durch die folgenden Ausführungen einige Stützpunkte zu geben, indem ich die Skizze des Herrn Wauters in Paris (Abb. 2) in Verbindung bringe mit den drei ersten Historienbildern der Decke.

Trunkenheit und Opfer Noahs (Abb. 4, 5). Eine Vergleichung der Pariser Skizze (Abb. 2) mit der fertigen Decke zeigt, daß ein Feld einer kleinen Historie der letzteren um so viel größer ist gegenüber dem der Skizze, als der Raum der weggelassenen Kartouchen und auf den Schmalseiten außerdem noch die Ver- kleinerung der Médaillons resp. die Beseitigung der ovalen Streifen ausmacht. Das Feld ist also in der Höhe und ganz besonders in der Breite ausgedehnt worden. Nun läßt sich aus der „Trunkenheit Noahs“ erkennen, daß die Figuren die Höhe des Rechtecks keineswegs ausfüllen, während das bei dem später gemalten „Opfer“ schon viel eher der Fall ist. Ferner ließe sich sagen, daß der Streifen mit dem grabenden Noah die Bildebene plötzlich in einer Weise abbricht, die für Michel- angelo nichts Außergewöhnliches, aber auch nichts Zwingendes ist. Rechne ich dazu, daß auf der Pariser Skizze das Kartouchenrechteck, gemessen an den Ver- hältnissen des Zwickels und der Tonnenbreite viel zu lang gezeichnet ist, d. h. sich mehr dem Quadrat nähern müßte“), dann darf ich die Vermutung aussprechen,

(1) Michelangelo I, S. 54.

(2) Michelangelo III, 8. 301.

(3) Ernst Steinmann, Die sixtinische Kapelle П, S. зао.

(4) Preußisches Jahrbuch 1892.

(5) Michelangelo hat Мег bei der flüchtigen Konzeption die Ausdehnung der Volta viel zu groß ge-

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die Gruppe der „Schande Noahs“ ohne den Grabenden entspreche in der Figuren- größe einem Karton, der auf Grund der Pariser Skizze gearbeitet war, und dessen in den Hauptzügen feststehende Komposition dann auf das noch in letzter Stunde vergrößerte Deckenfeld übertragen wurde unter Hinzufügung des Streifens links. In ähnlicher Weise findet sich auf dem „Opfer Noahs“ rechts eine leere Türöffnung. Eine leise Erinnerung an die Kartouchen ist bewahrt in den Konturen der beiden horizontalen Arme der Söhne und des rechten Beines Noahs in der „Trunkenheit“.

Die Sintflut (Abb. 6) müßte nun, wollen wir an unserer Vermutung festhalten, auf eine ursprüngliche Achteckkomposition zurückgehen. In der Tat glauben wir dafür gewisse Anhaltspunkte gefunden zu haben.

Das Bild Format: ein liegendes Rechteck hat vier Gruppen, zwei im Zentrum und je eine in der Mitte der Schmalseiten. Von jeher wurde der ganzen Komposition eine gewisse Zusammenhangslosigkeit nachgesagt), die Schönheit und Ausdruckskraft der einzelnen Gruppen dagegen aufs höchste bewundert. Eine Reminiszenz an das Achteck liegt darin, daß es zu den beiden seitlichen Gruppen ganz deutlich von unten her in die Höhe geht; beide enthalten in der Mitte der Höhe ihren eigentlichen thematischen Kern. Der Baum links oben zeigt die Schräge der Achteckseite und links unten vermag der prachtvolle Akt der liegen- den Frau seine Funktion der Eckfüllung nicht zu verleugnen.

Soweit die einfache Analyse der Vergleichsobjekte. Ziehen wir nun den Kreis etwas weiter, so stoßen wir auf einige EE Anhaltspunkte, die wir nicht übersehen dürfen.

Carl Cornelius?) hat zuerst die absolut richtige Beobachtung gemacht, daß auf der „Schande Noahs“ der Grabende links neben der Hütte eine flüchtige, aber ganz getreue Kopie des grabenden Adam in Quercias Relief „Adam und Eva in ihrem Erdenleben“ (Abb. 7) am Hauptportal von San Petronio in Bologna ist. Bekannt- lich war Michelangelo von Ende November 1506 bis Februar 1508 an der Erz- statue Julius II. in Bologna beschäftigt. Motive aus den Reliefs des Quercia sind in der Folgezeit da und dort bemerkbar. So hat z. B. gerade die „Schande Noahs“ an der sixtinischen Decke mit der gleichen Darstellung Quercias viele Ähnlichkeit bis auf den Grabenden. Der ist neu. Und daß er nun so wörtlich aus einem anderen Relief Jacopos übernommen wurde, scheint mir sehr für eine Anfügung in letzter Stunde zu sprechen. Der Louvre in Paris verwahrt eine Skizze Michel- angelos zu diesem grabenden Noah?) (Abb. 8). Sie besitzt in der Fügung der Linien noch nicht jenen freien Duktus, der die eigentlichen Sixtina - Skizzen aus- zeichnet. Ich möchte in ihr eine ohne bestimmte Absicht noch in Bologna ge- fertigte Zeichnung nach dem Grabenden im Relief erkennen. Der Gestus und Kontrapost des Figürchens gefiel Michelangelo er warf es aufs Papier. Nun ist noch einem gewichtigen Einwand zu begegnen. Die „Schande Noahs“ wurde von jeher als eines der geschlossensten Bilder der ganzen Decke empfunden „Als Komposition von wenigen Figuren,“ sagt Jakob Burckhardt‘), „steht Noahs Trunkenheit auf der Höhe alles Erreichbaren.“ Das scheint doch gegen eine nach-

nommen. Und zwar muß der Irrtum bei der Volta, nicht bei den Zwickeln liegen. Man irrt beim Unbestimmten, nicht bei dem, was klar begrenzt ist!

(1) Wölfflin, „Klassische Kunst“, 8. 58: bröckelig. Thode, a. a. О. Ш, 8. 332: zerstückelt, episoden- haft.

(a) „Jacopo della Quercia“. Halle 1896, 8. 190, Abb. des Reliefs 5. 137.

(3) Frey, Tafel a5, Steinmann Abb. 35, Berenson 1585, Thode 474.

(4) Cicerone.

trägliche Anstückung zu sprechen. Wir würden sagen: Noch viel mehr spricht es für das ungemein starke Talent Michelangelos, eine Komposition organisch zu erweitern! |

Bedenkt man, daß Michelangelo, nach Steinmanns Berechnung, mehrere Tage zur Ausführung eines Atlanten brauchte, so mögen wohl ein paar Wochen ver- strichen sein bis zum Beginn der Malerei an der „Sintflut“. Und in dieser Zeit war alle Muße gegeben, die alte Komposition des ersten Planes dem neuen Rahmen gemäß zu verändern. Direkte Anhaltspunkte, in Vorbildern oder Skizzen, sind da- für nicht nachweisbar. Wohl aber zeigen die verschiedenen Skizzen zu einzelnen Gestalten oder Szenen deutlich, daß der Plan in den Einzelheiten mehrfache Ab- änderung erfuhr. So geben z. B. die Zeichnung der Uffizien!) und eine weitere im Louvre?) Gruppen wieder, denen offenbar eine andere Gesamtkomposition als die definitive zugrunde lag.

Wir kommen zum Schluß.

Im Frühsommer 1508 verwirft Michelangelo den ersten von Julius II. genehmigten Plan (Brief an F. Fattucci). Das „cominciata decta opera“ (Mil. 427) erläutert sich durch „facti certi disegni“ (Mil.430), d.h. Herstellung von Kartons und Entwürfen?), Im Juni oder Juli wird ein zweiter (verlorener) Kontrakt geschlossen und der zu malende Stoff in Michelangelos Belieben gestellt. Hier setze ich die Pariser Zeich- nung ein. Sie bewahrt deutlich die Erinnerung an den vorherigen Plan durch Bei- behaltung ornamental-geometrischer Motive, gibt aber schon den Fingerztig auf das künftige, durch die Einfügung großer Historienflächen an der Volta. Dieser Plan wird nun insoweit ausgeführt als die Figurengröße eine wichtige Angelegen- heit für ein Deckenbild festgelegt wird. Vielleicht auf Kartons, die verloren gegangen sind‘).

Die Wahl der тз Geschichten?) mag zunächst einige Mühe verursacht haben. Wie weit es zutrifft, daß Michelangelo durch den Stoffkreis der traditionellen kirch- lichen Festspiele gebunden war, ist wohl kaum befriedigend nachzuweisen. Frei war er jedenfalls in der Verteilung auf die verfügbaren Flächen. Es sind uns beispielsweise zwei höchst interessante Skizzen zum Thema der „ehernen Schlange“ erhalten geblieben, von denen die eine“) die Szene einem Medaillon einschreibt, die andere”) dagegen offenbar für ein Rechteck (oder Achteck) vorgesehen war

Abb. 9).

Damit gewinnt die chronologische Sonderstellung der drei ersten Historien noch einen weiteren Akzent. War Michelangelo durch keinen Vertrag an eine bestimmte Anordnung der Historien gebunden, so konnte er ohne Bedenken daran gehen, nach Beendigung dreier Bilder die Reihenfolge plötzlich zu unterbrechen. Nach unserer Vermutung wären also diese drei ersten Historien mit der Figurengröße und teilweise dem Kompositionsprinzip des durch die Pariser Zeichnung repräsen-

(1) Steinmann, Abb. 1. Thode 229.

(2) Steinmann, Abb. 44. Thode 473. Berenson 1584.

(3) So Frey in den „Studien zu Michelangelo“ (Regesten) im Preuß. Jahrbuch 1895, 8. 95. Die von Wölfflin (Preuß. Jahrbuch 1892) geäußerte Vermutung, es sei bereits einige Zeit nach diesem ersten Plane gearbeitet worden, läßt sich nicht halten,

(4) Bekanntlich wurde auf Michelangelos eigene Anordnung hin später eine Menge seiner Skizzen verbrannt. |

(5) Neun an der eigentlichen Volta, vier in den Ecken.

(6) Uffizien, Abb. bei Steinmann, Fig. 34.

(7) Oxford, Abb. bei Steinmann, Fig. 32.

a

tierten zweiten Planes gemalt. Ob die Pariser Skizze selbst je eine wörtliche Übertragung an die Decke gefunden hat, ist fraglich. Man könnte damit in Zu- sammenhang bringen, daß Michelangelo im Januar 1509 die Gehilfen voller Unmut über ihre Arbeit entlassen und alles Gemalte beseitigt hat). Die Möglichkeit, daß bei dem nun folgenden eigentlichen Beginn der Malerei durch Michelangelo allein auch die bisherige Anordnung des gemalten Rahmenwerks eine Änderung erfuhr, besteht, ist jedoch keineswegs zu belegen

Wir erhalten so vier Etappen der Arbeit.

1. Der erste, im Frühsommer 1508 aufgegebene Plan: 12 Apostel in den Zwickeln, das übrige ornamental gefüllt. (Skizze in London.) (Abb. т.)

2. Der zweite, im Juni-Juli 1508 entstandene Plan: 12 Sitzfiguren in den Zwickeln (wahrscheinlich Propheten und Sybillen), an der Decke neun Historien (in fünf Recht- und vier Achtecken) mit ornamental-geometrischem Rahmenwerk. (Skizze in Paris.) . (Abb. 2.)

3. Die drei Historien aus dem Leben Noahs, begonnen vermutlich im Januar 1509 nach der Entlassung der Gehilfen. Aus dem Pariser Plan werden Elemente der Komposition und die Figurengröße beibehalten. Erweiterung der Rechtecke, Um- wandlung des Achtecks ins Rechteck, Beseitigung der Ornamente. (Abb. 4—6.)

4. Die sechs übrigen Historien der Schöpfungsgeschichte.

Zu diesem plötzlichen Übergang zu Kompositionen von wenigen und größeren Figuren sei noch ein Wort gesagt. Wir greifen auf die alte Erklärung zurück: die bisherige Figurengröße befriedigte den Blick von unten nicht mehr. Ist es nun denkbar, daß die sechs Schöpfungsgeschickten schon in dem Plane enthalten waren, nach welchem die drei Historien von Noah mit so viel kleineren und zahl- reicheren Figuren gemalt wurden? Nein. Wie wir uns bei kontinuierlicher Fort- führung der Arbeit die folgenden Historien zu denken haben, lehrt die oben zitierte Oxforder Skizze zur „ehernen Schlange“ (Abb. о), die mit ihrem Figurenknäuel vortrefflich mit der Sintflut zusammengeht. Michelangelo hatte in der Anordnung der Historien freie Hand. Sein erster Plan mag im weiteren Verlauf für die größeren Flächen mit ähnlichen Massenszenen wie der Sintflut gerechnet haben, deren die folgenden Kapitel im 1. Buch Moses nicht entbehren. Dabei drängt sich die Frage auf, ob die Folge der Bilder, anstatt chronologisch fortlaufend, nicht vielleicht alternierend geplant war mit ikonographischen Beziehungen zu Propheten und Sybillen.

Die für das optische Verständnis notwendige Steigerung der Szenen ins Ein- fache, Monumentale verlangte neue Bildthemata. Michelangelo fand sie in den Schöpfungsgeschichten, die mit ganz wenigen Figuren arbeiten. So scheint uns heute Wölfflins vor einem Vierteljahrhundert geäußerte Vermutung zu Recht zu bestehen: die drei Geschichten von Noah sind das Fragment eines älteren Decken- projekts, das in dem Augenblick aufgegeben wurde, als die bisherige Figurengröße sich als unzureichend erwies.

(1) Diese Darstellung Vasaris von dem Herabschlagen der Arbeit der Gehilfen wird angezweifelt. Frey (Regesten, а. a. O., S. 96 f.) läßt die Malerei im Spätherbst oder Winter 1508 beginnen und ohne Unterbrechung weiterführen, bemerkt aber Gehilfenhände am „Opfer Noahs“ und an der „Trunkenheit“.

DIE VORAUSSETZUNGEN DES EXPRES- SIONISMUS Von JOACHIM KIRCHNER

v.oo.0008005000000000000005060000000000000 00000000000 000000000000 000000000000 000000000000 00005 ee 5900 сесоссесосесесоссососововове

I.

ie allgemeinen Richtlinien des Expressionismus diirften in einzelnen Kunst-

kreisen vielleicht als festgelegt gelten. Allein, diese Feststellung hilft doch nicht über die Tatsache hinweg, daß letzten Endes „Expressionismus“ ein Schlag- wort ist, dessen künstlerisches Programm schwer zu umschreiben ist, und das man mit Recht auch auf die Kunst gewesener Zeiten in Anwendung bringen kann. Expressionismus bedeutet schlechthin eine Ausdruckskunst. Ihm ist das Kunstwerk nicht mehr eine optisch aufgefangene Sensation, nicht mehr eine durch Licht, Form und Farbe erzeugte Illusion des Dinglichen, wie dem Impressionismus, sondern eine Offenbarung des schöpferischen Geistes, für den das Objekt nichts, das seelische Erlebnis des einzelnen die notwendige Voraussetzung jedweder Kunst bedeutet. Expressionismus ist Loslösung von der Realität des Objektes und Ein- setzung des Subjektes in sein Recht, das die Natur nach ureigenen Empfindungen umformt. Diese allgemeine Umschreibung des Begriffes Expressionismus dürfte bald zu der Entdeckung führen, daß es Expressionismus in diesem Sinne bereits zu allen Zeiten gegeben hat. Unter den weitgefaßten Rahmen der eben gegebenen Definition würden mehr oder weniger alle diejenigen Künstler Platz finden, die in ihrer Kunst durch Stilisierung das -Objekt steigern oder darüber hinaus sich Phan- tasiegebilde schaffen, die als Ausdruck eines künstlerischen Erlebnisses eine be- stimmte Form angenommen haben. In diesem Sinne ist die phantastische Orna- mentik des Mittelalters, die von antiken und kirchlichen Einflüssen beherrschte Symbolik der abendländischen Kunst und letzten Endes sogar Einiges aus dem Werke des Romantikers Böcklin als expressionistisch anzusprechen. Allerdings stellt sich hierbei sofort der Gedanke ein, daß ein Expressionismus in diesem Sinne als Ausdruck seelischer Erlebnisse und Phantasien nur dadurch möglich ist, daß der Künstler sich bei der Gestaltung an die Erinnerung von Formen des real- physischen Objektes hält. Die Polarität der beiden großen, die Welt beherrschen- den Antipoden des Angeschauten und Gedachten, des Gegenständlichen und des Psychischen treten in ihre Rechte. Mit unsichtbaren Fäden verknüpft, zwingen sie, trotz ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit, den gesamten Kosmos in ihren Bann; sie sind es auch, die auf das Kunstwerk ihre ausgleichende harmonische Wirkung aus- üben ....

П.

Würde man die Definition des Expressionismus in dieser allgemeinen Form auf die Werke jener Künstler anwenden, die sich heutzutage Expressionisten nennen, so würde man ihnen nicht gerecht werden. Es ergibt sich daraus, daß das Wort Expressionismus in unserer modernen Kunst eine prägnante Bedeutung gewonnen hat. Die besonderen Kennzeichen dieses Expressionismus werden aus seinen Vor- aussetzungen verständlich.

Es war einer begeisterungsfrohen und starken Jugend vorbehalten, den Mut zu finden, gegen den bis zu seinen letzten Konsequenzen durchgeführten Impressionis- mus Sturm zu laufen und mit neuen Gestaltungsmöglichkeiten hervorzutreten. Das Problem war kühn. Es galt, mit einer geltenden Kunstanschauung zu brechen,

sich уоп eingebürgerten optischen Bedingungen, die seit dem Apoll von Tenea bis zu den Werken Rodins und Liebermanns bei jedem Wechsel der Kunstrichtung als der integrierende Bestandteil jedes künstlerischen Schaffens a priori voraus- gesetzt wurden, loszusagen, und an Stelle des überlieferten Schönheitsideals des Sichtbaren die Kunst des visionär Erlebten, von Innen. heraus Geschauten, des Symbolischen, zu setzen. Matisse sagt: „Es gibt zwei Arten, die Dinge auszu- drücken: Die eine ist, sie brutal zu zeigen, die andere, sie mit Kunst hervorzurufen. Indem man sich von der buchstäblichen Darstellung der Bewegung entfernt, gelangt man zu mehr Schönheit und Größe.“ Diese egozentrische Tendenz der neuen expressionistischen Kunst, diese scharfe Akzentuierung des schöpferischen Ich, der ihre Anhänger, von einer starken seelischen Ekstase getragen, mit äußerster Konsequenz fojgen, bedeutet allerdings mehr als eine revolutionäre moderne Kunst- richtung; sie schließt eine Weltauffassung in sich.

Die Gefahren einer solchen Kunst liegen auf der Hand. Der expressionistische Künstler, mag er zeichnerisch noch so vollendet vorgebildet sein, verzichtet oft gänzlich auf dieses technische Können und bildet nach den Eingebungen einer Vision, das Körperhafte fehlt, nur noch das Geistig - Schöpferische hat das Wort. Da es nun aber in der Art des Psychischen überhaupt begründet liegt, daß es nur dem schöpferischen Ich allein erfaßbar ist, eine Mitteilung aber wegen der Ausschaltung des allen Menschen gemeinsamen Mediums des Dinglichen unmöglich ist, so be- steht die Gefahr, daß der Maßstab für das psychische Erlebnis des Künstlers bei dem Betrachter des Kunstwerks meistenteils verloren geht. Der Betrachter, der selten in der Lage ist, sich den Gedankengängen dieser nur auf geistige Funktionen aufgebauten Kunst anzupassen, fürchtet, den sicheren Boden des mundus visibilis, der ihm alleiniger Gradmesser für die Qualitäten eines Kunstwerkes ist, unter seinen Füßen verloren zu haben und lehnt diese Kunst als unsinnlich und körperlos ab. Selbst die doktrinärsten Prinzipienreiter des Expressionismus werden sich dieser Einsicht nicht entziehen können. Immerhin ist der Gedanke, daß ein reali- stisches Natursehen unter den bisher üblichen optischen Voraussetzungen momen- taner Ausdrucksnuancen nicht allein das Wesen des Kunstwerkes ausmacht, in unserer vom Materialismus schonungslos geknechteten Zeit bemerkenswert

III. \

Hatte sich der Impressionismus malerischer Stilmittel bedient und das Kompo- sitionsproblem im Sinne eines improvisierten Ausschnittes des ewig veränderlichen Lebens zu lösen versucht, dazu die farbige Fläche in ein schillerndes Ineinander der verschiedenartigsten Valeurs aufgelöst, so glaubt der Expressionismus auf diese momentane Wiedergabe des Sichtbaren verzichten zu können. Er hält es für un- wichtig, mit der Natur zu wetteifern; die zeichnerische Genauigkeit verliert an Interesse, die subjektive künstlerische Perzeption bedeutet alles; ihr steht es frei, die Erscheinungsformen im Sinne der Vision des Künstlers willkürlich umzudeuten. Damit hängt zusammen, daß der Expressionist das Körperliche oft nur in großen, monumental empfundenen Umrissen wiedergibt. Das Gefühl für die ruhige, stark geführte Linie, die der Impressionismus aufgegeben hat, wird wieder lebendig, der Kontur wird wieder in seine Rechte eingesetzt. Mit dem Kontur als dem zwin- gendsten persönlichen Ausdrucksmittel beherrscht der Expressionist die gesamte Bildkomposition, im Kontur liegt das Geheimnis seiner Bildwirkung. Es kommt dem Expressionisten nicht auf die zeichnerische Unmöglichkeit dieser oder jener Linie an. Hauptsache ist und bleibt, daß die Linie in die rhythmische Struktur

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der Komposition hineinpaßt, daß sie dort eine der Leidenschaftlichkeit des Künst- lers entsprechende notwendige Auswirkung darstellt. Der expressionistische Künstler weiß wie jeder andere, daß der Horizont des Meeres sich nicht durch eine harte, halbkreisförmige Linie darstellt, er wird ihn aber so zeichnen, wenn der rhyth- mische Aufbau des Bildes eine solche Linie fordert. Es ergibt sich als selbst- verständlich, daß der Expressionismus als Ausdruckskunst das Rhythmische stark, bisweilen heftig betont. Die Grundlagen dieser linear empfundenen rhythmischen Malerei liegen bei Hans von Marées, dessen architektonisches Gefühl nach einer monumentalen dekorativen Malerei drängte, in der ein Maximum verhaltener Be- wegungseindrücke in einfach feierlichen Linien am ehesten zur suggestiven Größe zu gelangen schien. In folgerichtiger Weiterentwicklung suchte Hodler monumen- tale Größe und rhythmische Schönheit in seiner völlig auf die Sprache des Konturs hin orientierten Kunst zu vereinigen. Die Entwicklung führt zu unseren modernen Expressionisten vom Schlage Pechsteins. In seinem Triptychon „Die Bucht von Monte Rosso“ ist das Prinzip, die Stilgesetze der Wandmalerei auf die Tafelmalerei zu übertragen, mit Konsequenz durchgeführt, und das rhythmische Element als we- sentlicher Ausdrucksfaktor großzügig herausgearbeitet.

Hodler, der die Farben hart nebeneinander zu setzen pflegte, war den koloristi- schen Bestrebungen der expressionistischen Jugend vorangegangen. Wenn ein Kunstkenner, wie Richard Muther, dessen Herz völlig am Expressionismus hing, an der farbigen Komposition Hodlers Anstoß nimmt, ist das nicht zu verwundern. „Das an subtile Nuancen guter Tafelbilder gewöhnte Auge“, das nichts von der Schönheit satter Lokalfarben mehr kannte, sondern die Dinge nur durch das Medium von Sonne und Atmosphäre in unendlich vielen fein differenzierten Valeurs zu sehen gewöhnt war, fühlt sich durch die kalkigen Farbentöne Hodlers verletzt. Durch den Impressionismus war die Empfindung für die Schönheit eines starken dekora- tiven Kolorits gänzlich verloren gegangen. Es ist ein Verdienst des Expressionis- mus, daß er die Freude an Leuchtkräften, am Klange reiner, ungemischter Farben wieder zu schärfen sucht. |

IV.

Die Steigerung der Bildwirkung durch eine bewußte Übertreibung des Kolorits ist keine Entdeckung der Expressionisten. Böcklins Kunst übt auf den größten Teil ihrer Bewunderer deshalb einen gewaltigen Eindruck aus, weil alle Farbwerte in gleicher Weise harmonisch gesteigert sind. Die Farbenharmonie würde ,giinz- lich gestört sein, wenn nur eine bestimmte Farbe durch ihre Intensität sich vor den anderen hervordrängte. Dadurch aber, daß alle Farben eine gleichmäßig pro- portionierte Übertreibung erfahren haben, kann von einer Disharmonie keine Rede mehr sein. Die Farbengebung erscheint bedeutungsvoller. Und warum solite der deutsche oder nordische Künstler verpflichtet sein, die Farben in den gedämpften und grauen Tönen wiederzugeben, die sich ihm unter dem nordischen Himmel bieten? Er träumt vielleicht von einem Lande, wo eine heißere Sonne die Erde bescheint, wo die Farben tiefer und satter hervortreten, wo das lebhafte Kolorit der Natur in dem Aussehen und in der Kleidung der Landeseinwohner seinen Wider- hall findet. š

Die Malereien der naiv-empfindenden Menschen, deren optischer Sinn noch nicht verbildet ist, pflegen auf eine exzentrische Steigerung der Farben hinzuzielen. Man braucht nur an die polychrome Kunst der afrikanischen Völker oder an den farbenfrohen Geist der altägyptischen Malerei zu denken. Aber auch in der abend-

Io

ländischen Kunst des Mittelalters legen die illuminierten Handschriften und die Glasmalereien von der farbigen Sehnsucht jener Zeit beredtes Zeugnis ab. Hierbei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß die Polychromie in diesem Falle einen stark dekorativen Einschlag hatte, wie sich denn überhaupt die naive künstlerische Betätigung vorwiegend auf die angewandte Kunst zu erstrecken pflegt. Dieser dekorative Charakter läßt es verständlich erscheinen, warum alle Darstellungen von einer getreuen Wiedergabe der Erscheinungsform absehen, und sich zu einer be- wußten Stilisierung des Gegenstandes bekennen. Die dekorative Kunst will nicht mit der Natur wetteifern, sie empfängt von der Außenwelt nur Anregung, die sie nach eigener schöpferischer Intuition in spielerischer Freude verarbeitet. In diesem Sinne haben sich die Naturvölker ihre Gefäße für den täglichen Bedarf in freier Nachbildung von menschlichen und tierischen Gestalten aus der Phantasie heraus geschaffen. Die grotesken Bronzegefäße altchinesischer Kunst, sowie die in Troja gefundenen Geräte mit menschlichen Körperformen als Formelementen zeigen, wie stark der Hang zum Stilisieren der natürlichen Erscheinungsform bei allen primi- tiven Völkern vorhanden ist. Daß auch bei einer Dekorierung von Geräten und Gefäßen die Malerei sich nach der freien Eingebung des Künstlers richtet und ein stark stilisiertes Gepräge trägt, darf nicht verwundern. Das hochentwickelte ägyp- . tische Volk hielt sich wenig an die Wiedergabe des Dinglichen, es fand den höheren künstlerischen Reiz in einer streng linearen, stilisierten und polychromen Kunst. Sicher beruht gerade die überwältigende Wirkung der monumentalen Götter- bilder auf ihrer stark geschlossenen Stilisierung. Wie sehr es dem Geschmacke der primitiven Völker entsprach, selbst bei Illustrationsszenen von ängstlicher Naturwahrheit abzusehen, und jeden Gegenstand zu einem formelhaft wieder- kehrenden Ornament zu stempeln, beweisen die Vasenbilder des Dipylonstiles. Auch die christliche Malerei bevorzugt die Stilisierung. Giotto, der in seinem Schaffen unter dem allgewaltigen Eindruck des heiligen Franziskus von Assisi stand, hat mit einem instinktiven Gefühl für das Dekorativ-Wirkungsvolle seine Fresken gemalt, wissend, daß die Sache der raumschmückenden Kunst durch naturalistische Einzelheiten gefährdet wird. Er hat auf die ausdrucksvolle Vereinfachung der Linienführung und auf das klar ausgeprägte Hervortreten der Silhouetten Wert gelegt. Damit hat er als Künstler des 14. Jahrhunderts bereits ein gutes Teil des expressionistischen Programms erfüllt.

In dem deutschen Mittelalter, wo dem Tafelbild von Anfang an eine weit größere Bedeutung zukam als in Italien, tritt das stilisierende Element hinter dem Wunsche einer realistischen Wirkung zurück. Immerhin fehlt es nicht ganz. So sehr Meister Wilhelm von Herle die getreue Wiedergabe von Einzelheiten auf seinen Tafelbildern erstrebt, so liebevoll er sich ins kleine versenkt, so läßt er sich doch von dem mystisch - psychischen Zuge seiner Zeit beeinflussen, wenn er die Figuren der Madonna und der Heiligen mehr nach ihrem seelischen Gehalt als nach ihrer Körperlichkeit gestaltet. Vielleicht wirken auch hier noch die stilisierenden Tendenzen der Buchmalerei des Mittelalters nach, jener Arbeiten, die stets eine un- gewöhnliche seelische Erregtheit der Darstellung zeigen. Der ekstatische Sinn der frommen Künstler sucht in der Malerei eine ihrer Psyche adäquate Ausdrucksform.

In der Buchmalerei des Mittelalters und in der Kunst Giottos sind vielleicht die Hauptbedingungen des Expressionismus bereits verwirklicht worden. Im weiteren Verlaufe der abendländischen Malerei kann wohl eine gelegentliche Betonung ein- zelner Komponenten unserer modernen Ausdruckskunst festgestellt werden. Die Venetianer und die Niederländer des Quattrocento verstanden das Kolorit zu sinnen-

Ir

rauschender Farbenpracht zu steigern; allein ihr daseinsfreudiger Realismus weiß nichts von der zwingenden Macht der rhythmischen Linienführung, die, aus einer leidenschaftlichen Ekstase der Seele geboren, das Objekt zu vergeistigen sucht. Diese absolute Vergeistigung des Kunstwerkes drängt sich jedoch mit elementarer Gewalt, erhaben über die Richtlinien eines bestimmten Programms, überall да dem Betrachter auf, wo der Künstler höchste Ewigkeitswerte schuf; es mag genügen, hier die Namen Michelagniolo und Rembrandt zu nennen.

Aber auch derjenige, weicher in der neueren Kunstgeschichte nach unmittelbaren Geistesverwandten der modernen ‘Ausdruckskunst Umschau hält, wird nicht um- sonst suchen. In der Kunst des Matthias Grünewald findet sich das expressio- nistische Bestreben nach einer Verlebendigung des Dargestellten, findet sich alle Kraft starken persönlichen Erlebens. Noch mehr vielleicht als Grünewald ent- spricht der Altersstil Grecos dem modernen Expressionismus. Die Seele dieses grüblerisch phantastischen Künstlers war ganz von dem nervösen Feuer einer schwärmerischen Mystik erfüllt. Diese spiegelt sich unmittelbar in seinen Bildern wider, in denen das höchste Maß der Empfindung erreicht ist. Seiner sensitiven Reizbarkeit, seiner vergeistigten Innerlichkeit ist es nicht gegeben, die Natur natür- lich darzustellen. Linie, Rhythmus, Licht und Farbe seinem leidenschaftlichen Subjektivismus dienstbar machend, trägt er in seine Bilder jenes symbolisch-ex- pressionistische Element hinein, das letzten Endes die absolute Vergeistigung des Stofflichen darstellt. Mit der gleichen Isoliertheit wie Greco steht der Nieder“ länder Vinzent van Gogh unter den Künstlern seiner Zeit da, der von Leidenschaft und Sehnsucht gequält, abseits von Mode und Konvention einsam seiner Wege ging. Von einer starken inneren Kraft beseelt, malte er nicht die Natur, sondern sich selbst in der Natur, die nur als Spiegelbild seiner Psyche verstanden werden darf. Er formte mit der Glut einer krampfartigen Empfindung sich seine Welt, die, alles Stofflichen entkleidet, als ein Teil seines stürmisch pulsierenden Blutes angesehen werden muß. Seine Stilmittel bestehen in einer starken. Linienführung und in einer gesteigerten Koloristik, womit er auch technisch sich als unmittel- barer Vorläufer der modernen Ausdruckskunst ausweist. Würde er sich nicht auf das Tafelbild beschränkt, sondern auch der Wandmalerei zugewandt haben, so würde der durch die gewählten technischen Ausdrucksmittel hervorgerufene deko- rative Charakter seiner Kunst noch deutlicher hervortreten. Auch dies ist ein

Moment, das ihn unmittelbar mit dem Expressionismus verbindet. | a

V.

Die Deutung des Expressionismus als unmittelbarer Ausdruck persönlicher innerer Erlebnisse schließt von vornherein aus, ihn im Sinne einer Richtung oder Mal- schule zu verstehen. Jeder Künstler arbeitet mit individueller schöpferischer Kraft, es bleibt prinzipiell völlig gleichgültig, ob seine Ausdruckskunst mehr eine An- näherung an die realen Objekte sucht, oder ob sie absolut schöpferisch rein Ge- dankliches wiederzugeben bestrebt ist. Eine besondere Skala oder Nuancierung ist ihm als Expressionisten nicht vorgeschrieben, er ist an keine Axiome und Leit- sätze gebunden. Als besondere Faktoren, deren mehr oder weniger sich gerade alle unsere modernen Expressionisten zu bedienen pflegen, kamen drei Stilmittel in Frage: Die Akzentuierung der Linie unter geflissentlicher Vernachlässigung des zeichnerischen Elementes, die Betonung des Rhythmischen in Linie und Farbe und die innere Belebung des Kunstwerkes durch dekorative Steigerung des Kolorits. Daß daneben auch andere Stilmittel in Frage kommen können, wie die Bewegung

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als Ausdruck einer nervösen seelischen Spannung, soll nicht in Abrede gestellt werden. Gerade im Wesen des Expressionismus als Ausdruckskunst liegt es be- gründet, daß sie absolut nicht engherzig ist, sondern die dem Temperament eines jeden Künstlers adäquaten Ausdrucksmittel für zulässig hält.

Unstreitbar fordern diese von unseren modernen Expressionisten gewählten Aus- drucksmittel zu einer monumentalen und dekorativen Aufgabe auf. Große Flächen verlangen einen großen Wurf, der sich nicht ins kleinliche verliert; die bewußte Stilisierung der einzelnen Erscheinung und die Akzentuierung rhythmischer und koloristischer Elemente läßt sich am ehesten auf großen Wandflächen durchführen, wo die Größe der Fläche die Übertreibung von selbst ausbalanziert. Große Wand- flächen sind mehr oder weniger die Sehnsucht jedes Künstlers, stehen aber leider nur in sehr bescheidenem Maße zur Verfügung. So muß denn auch der moderne Expressionist sich gezwungenermaßen auf das Tafelbild beschränken. Daß hier die stilistischen Elemente der Ausdruckskunst oft den Rahmen des Bildes zu sprengen scheinen, liegt in der Natur der Sache. Deshalb sieht sich auch der expressioni- stische Maler, wofern er nicht blos ein Experimentator und ein fanatischer Vorkämpfer für eine Idee sein will, stets zu Zugeständnissen genötigt, die ihm ein mehr oder minder starkes Eingehen auf das gegenständlich Gegebene geboten erscheinen lassen. Matisses und Gaugins Bilder sind hierfür bezeichnend; sie sind geistvolle Versuche, die tastend nach einer Lösung des Problems ausspähen. In welcher Richtung etwa für das expressionistische Tafelbild eine Steigerung möglich ist, ohne den Zusammenhang mit dem optisch Gegebenen zu verlieren, kann Matisses „Notre Dame de Paris“ vergegenwärtigen. Immerhin ist das letzte Wort über das ex- pressionistische Tafelbild noch nicht gesprochen, und wenn jemals, so gilt zu seiner objektiven Würdigung, daß es nicht nur beim Künstler einen großen Sinn voraus- setzt, sondern mindestens in gleichem Maße bei dem, der es genießend erleben soll. Sicherlich würden unsere Expressionisten besser tun, sich nicht zu sehr auf das Tafelbild zu versteifen, und den dekorativen Elementen, die in der expressio- nistischen Kunst verankert liegen, in höherem Maße Rechnung zu tragen. Frucht- bar ist der Expressionismus für die Glasmalerei geworden. Farbig bedeutsame Gobelins sind nach expressionistischen Entwürfen hergestellt. Viele Anregungen erfährt unser Kunstgewerbe, das sich bisher zu sehr wiederholte. Der dekorative Charakter des Expressionismus könnte die Ausstattung von Repräsentations- und Wohnräumen auf eine neue Basis stellen; unter seiner Führung dürfte ferner die in letzter Zeit in Geschmack gekommene Batik den Versuch wagen, durch wahr- haft künstlerische Leistungen der indischen Batik näher zu kommen, wennschon diese wohl kaum ganz erreicht werden wird. Den segenvollsten Einfluß könnte der Expressionismus immer mehr auf die Mode ausüben, der er ein farbigeres Aussehen verleihen dürfte. Auch auf dem Gebiete der Buchausstattung kann der Expressionismus manche wertvolle Anregung geben. Vielleicht wäre es zu be- grüßen, wenn der Expressionismus die Bühnendekorationen reformierte und uns hier von dem Viel zu dem Vielen, das den Zuschauer bisweilen von der Hand- lung ablenken kann, befreite, und sich im Sinne einer stilisierten, der Stimmung des Stückes angemessenen Dekoration betätigen wollte. Es wäre schade, wenn der Expressionismus sich nicht dieser seiner dekorativen Mission bewußt bleiben wollte. Seine dekorativen Tendenzen sollten mehr gepflegt und in der angedeu- teten Weise ausgebaut werden. Auf diese Weise kann er eine kulturhistorische Mission erfüllen.

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ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

Mit achtundzwanzig Abbildungen auf dreizehn Tafeln (Schluß.) Von W. von GROLMAN

och einmal ist uns Gelegenheit gegeben, zwei Kompositionen, in denen die

gleichen Gestalten nur in wenig veränderter Haltung wiederkehren, miteinander zu vergleichen, und auch in diesem Falle kommen wir dadurch zu ähnlichen Resul- taten. Der nahezu völlig eigenhändigen Kreuzabnahme (Abb. 19), die für unsere Empfindung zu den bedeutendsten Darstellungen dieses für die Entfaltung höchster seelischer Werte so unendlich fruchtbaren Themas zählt, steht die Grablegung gegen- über, die trotz sorgfältiger Durchführung im einzelnen als ästhetische Null gewertet werden muß. Im Gegensatz aber zu Himmelfahrt und Pfingstfest erweisen sich hier die Typen beider Tafeln als durchaus gleichartig: Liegt der Pfingstdarstellung eine andere Auffassung zugrunde wie der Himmelfahrt, so wollen die Gestalten der Grablegung durchaus nichts anderes sein als die der Kreuzabnahme; nur frei- lich sind sie öde Marionetten. Jene aber sind Menschen, die bis ins Innerste ihrer Seele ergriffen und erschüttert sind. Die Komposition ist, auch wenn man von der allzustarken durch die Leiter die aber bei hellem Farbenton ganz anders wirken würde nur mangelhaft gefüllten Zäsur zwischen der Hauptgruppe und den beiden Männern absieht, von großer Schönheit. Meisterhaft namentlich ist die Gruppe der trauernden Frauen und des Johannes mit dem Leichnam Christi zu einer in allen Teilen klar übersichtlichen Formation von pyramidalem Typ zu- sammengeschlossen. Von Maria unter der Achsel gehalten, präsentiert uns Christus alle Einzelheiten seines prachtvoll modellierten, wohlgebildeten Körpers fast wie ein anatomisches Schaupräparat, das selbst ein Italiener nicht besser gemacht haben könnte. Die Hauptachse bewegt sich von den Füßen aufwärts nach links oben, dann geht der Fluß der Linien durch den von Maria Magdalena gehobenen Arm geleitet auf diese über, um in entgegengesetzter Richtung wieder zur Erde hinabzugleiten. Das Antlitz Christi in seiner edlen Formgebung, ein Vorbild aller späteren Christusdarstellungen, zeigt eine ganz eigenartige Auffassung: Ein leiser Zug von Bitterkeit, der um die Lippen spielt, gibt ihm einen geradezu erschüttern- den Ausdruck. Von unerreichter Zartheit der Empfindung ist die Bewegung der unglücklichen Mutter getragen, die sich über den Leichnam beugt und im Begriffe steht, die herabstürzenden Tränen mit dem Mantel aufzufangen (Abb. 21). Auch diese Maria mit ihren abgehärmten Zügen, die den Unterkieferwinkel stark hervor- treten lassen, ist nicht nur im Ausdruck man beachte den schmerzhaft ge- schlossenen Mund —, sondern in der ganzen Gesichtsbildung eine Schöpfung, wie sie selbst großen Meistern nicht alle Tage gelingt. Etwas Vornehmes, Abgeklärtes verleiht diesem Antlitz eine besonders ergreifende Wirkung. Maria Magdalena, die Spuren durchwachter Nächte in dem ausgeweinten Antlitz, erinnert merkwürdig an die gleiche Figur auf der Kreuzigung des Rubens in der Antwerpener Kathe- drale. Besonders schön ist die Bewegung ihres rechten Armes, mit dem sie den Körper Christi stützt. In den Zügen des freilich im ganzen weniger bedeutenden Johannes spiegelt sich eigener Schmerz und tiefes Mitempfinden mit dem Unglück der Mutter. Nebensächlicher behandelt ist die dritte Frauengestalt, die auch durch die Ungeschicklichkeit ihrer gotisch befangenen Körperhaltung den modernen Be- trachter an die zeitliche Gebundenheit selbst großer Meister erinnert. Das Gleiche gilt von der Tanzbeinstellung des Joseph von Arimathia. Vortrefflich dagegen ist

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in den erregten Mienen und sprechenden Gesten das Zwiegespräch der beiden Männer geschildert.

Und nun vergleiche man hiermit die Grablegung. Nicodemus und Joseph von Arimathia (Abb. 20) bis ins kleinste ihren Brüdern auf der Kreuzabnahme nach- gebildet legen den Körper Christi mit einer Gleichgültigkeit und Gedanken- losigkeit ins Grab, die nicht zu überbieten ist. Das feiste Antlitz des Nikodemus glänzt von innerem Behagen, das durch den traurigen Vorgang kaum gestört wird. Und Joseph von Arimathia scheint sich dabei nur gelangweilt zu fühlen; Johannes versucht vergebens durch blödes Grinsen seine Teilnahme zu bezeugen und Maria geht es nicht besser. Das Haupt Christi, obwohl auf den ersten Blick nicht ohne Wirkung, entbehrt doch eines höheren Ausdrucks und ist auch in der Ausführung von einer befremdenden Trockenheit. Der Kopf wirkt wie eine aufs sorgfältigste nachgebildete Totenmaske. Es sind genau die fünf Gestalten der Kreuz-

‘abnahme, nur völlig entseelt. Dazu gesellen sich die beiden trostlosen weib-

lichen Puppen, an denen namentlich neben der geistigen Leere und den lahmen Gesten die unklare, führender Linien entbehrende Gewandbehandlung auffällt. Es bleibt daher nur die Annahme, daß die Ausführung des Entwurfs ganz Ge- sellenhänden überlassen wurde, denn es widerspricht allen Erfahrungen, daß ein Künstler, der eben erst so herrliche Gestalten, wie sie die Beweinung aufweist, geschaffen hat, sich selbst іп so geistloser Weise unmittelbar darauf kopieren könnte,

Die gleichen unerfreulichen weiblichen Gestalten begegnen uns dann noch zwei- mal: Nämlich auf der gerade darüber befindlichen Tafel der Kreuzigung und auf dem Gange der drei Marien zum Grabe (Abb. 22 u. 25).

Von der Kreuzigung (Abb.22/23) hat bereits Loßnitzer festgestellt, daß sie in der Christusgestalt auf fremde Beihilfe hinweist; er findet, daß dieser „derbere, nicht durchaus eigenhändige Christus“ den gleichen Kopftyp wie der große Kruzifixus ` über dem Triumphbogen zeigt, dessen Gipsabguß das Krakauer Nationalmuseum be- wahrt. Darin kann ihm Verfasser freilich nicht beistimmen; sicher aber ist, daß der Christus des Kreuzigungsreliefs mit Stoß nicht das Geringste zu tun hat. Der kleinliche dürftige Kopf gleicht vielmehr dem in der Wohlgemutwerkstatt üblichen Typ und ebenso ist es undenkbar, daß Stoß einen derartig anatomisch mangel- haften Akt geschaffen hat, der außerdem in der ganzen Formgebung ihm fremd ist. Zur Linken des Kreuzes stehen die drei Frauen (welche unglückliche Hand- bewegung macht die Maria!), zur Rechten die drei Männer. Erst bei dieser Gruppe setzt die eigenhändige Arbeit des Meisters ein. Der Johannes hier ausnahms- weise als bereits gereifter Mann gegeben gehört sogar zu den bedeutendsten Gestalten, die uns der Künstler geschenkt hat. Beteuernd hat er.die Rechte auf die Brust gelegt, während er das schmerzdurchfurchte Antlitz zum Kreuze erhebt. Gesichtsausdruck und Geste unterstützen sich auf das Wirksamste. Leicht und sicher hält der Jünger das Gewand empor, das bei allem Reichtum des Falten- wurfs im Gegensatz zu dem der Frauen eine völlig klare Gliederung aufweist. Der Hauptmann hinter ihm ist nun freilich in der unglücklichen Weise, wie er mit verdrehtem Körper auf die Fläche gepreßt wurde, wohl ein typisches Beispiel für die Unfähigkeit damaliger Zeit, perspektivische Verkürzungen im Relief zu bewältigen, zu der übrigens. die halb im Profil, halb von vorn gesehenen Reliefgestalten der alten Ägypter ein kunstgeschichtliches Analogon bilden. Der Kopf dieses Mannes ist wieder voll packenden Lebens, und sicher entschädigt uns für das, was hier verfehlt wurde, die prächtige Gestalt seines Nachbars, dem er die in seiner Seele

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erwachten Zweifel mitteilt. Hier ist der Ausdruck tief ergriffenen, grüblerischen Nachdenkens in dem wundervoll durchmodellierten Kopf man beachte die krampf- haft zusammengepreßten Lippen durch die gesamte Körperhaltung unterstützt. In dieser Gestalt und der des Johannes widerlegt Stoß abermals aufs schla- gendste die Legende von der mangelhaften Beseelung seiner Gestalten.

Vergebens sucht man dagegen bei der Darstellung der drei Frauen am Grabe (Abb.25) auch nach dem geringsten seelischen Wert. In dieser Schülerarbeit ist wiederum nichts als die leere Hülle der Stoßschen Kunst geblieben. Ein blödes Lächeln bei allen drei Frauen ist der einzige Ausdruck des Lebens, der uns hier be- gegnet. Auch die Faltengebung entbehrt wieder jeden formalen Reizes. Nicht weniger leer ist der feiste Engelskopf, der jedoch unser Interesse durch die merkwürdige Art der Haarbehandlung verdient. Gleich Schlangen oder Würmern ringeln sich die Haare von seinem Haupte herab. Typisch für Schülerarbeiten ist auch die un- glückliche Verkrüppelung der Hand des Engels.

Ganz auf gleicher Stufe steht, was den künstlerischen Wert anlangt, die Be- gegnung Christi mit Maria Magdalena, das unterste Relief des rechten Blend- flügels. Nur fällt hier die abweichende Art auf, wie mit dem Schnitzmesser die Gewandfalten herausgehoben sind. Sie gleichen der auf dem Lusinarelief, dessen Besonderheit auch Loßnitzer hervorhebt.

Die merkwürdige, sehr charakteristische Haarbehandlung des Engels auf dem Grabe finden wir dann noch einmal bei einem anderen Relief, nämlich der Ge- fangennahme Christi (Abb. 24), und zwar in mehrfacher Wiederholung. Am auffallendsten wohl bei Christus selbst, ganz ähnlich aber auch bei den drei ihn packenden Häschern. Unbegreiflicherweise spendet Loßnitzer gerade dieser Dar- stellung reiches Lob. Er rechnet sie, wie schon eingangs erwähnt, mit der Aus- gießung des heiligen Geistes, die wir bereits als Arbeit eines selbständigen Schülers erkannten, „zu den spätesten und besten“ des ganzen Zyklus. Auch diesem Relief muß jedoch Verfasser jede ernste künstlerische Bedeutung absprechen und eine Mitwirkung des Meisters zum mindesten bei der Ausführung leugnen. Der kom- positionelle Entwurf könnte wiederum unmöglich aus der letzten Zeit stammen, in der der Künstler bereits, wie das Beispiel der Himmelfahrt zeigt, sich zu einer klaren und wohlgeordneten Anordnung von Massenszenen durchgerungen hatte. Auch der Typus dieses ausdruckslosen Christus ist dem Künstler ganz fremd und kommt weder früher noch später in ähnlicher Weise in seinem Werke vor. Da- gegen fällt auf, daß nicht nur, wie schon erwähnt, die Haarbehandlung die gleiche ist, wie bei dem Engel auf dem Gange zum Grabe, auch die Gewandbehandlung Christi mit ihren langen Parallelfalten kehrt dort wieder. Noch auffallender ist freilich die Übereinstimmung zwischen dem Gewand Christi man beachte namentlich den schlaff herabhängenden Ärmel mit dem des Johannes auf dem Pfingstwunder. Hier liegt ein Problem verborgen, das Verfasser vorläufig nicht zu lösen weiß, da alle anderen Stilmerkmale auf den Tafeln divergieren. Mit dem läppischen Petrus, dessen Gesichtsausdruck so schreiend mit seiner Handlung kon- trastiert er schlägt mit dem Schwert auf den Malchus ein vergleiche man den Prachtkopf des Petrus auf der Himmelfahrt oder das Haupt desselben Jiingers auf dem Kleinen Ölberg, das Loßnitzer wiedergibt. Auch der Judas ist trotz reicher Modellierung ohne jegliches seelisches Interesse, eine leere Puppe. Die Schergen reißen vergeblich die Mäuler auf, sie sehen nur komisch, aber nicht einmal roh und schrecklich aus. Der einzige, der sich etwas zu seinem Vorteil aus der Menge abhebt, ist der Mann hinter Christus, der ihm in die Haare greift.

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Der Gefangennahme steht in Komposition und der ganzen Art der Ausführung im einzelnen das unmittelbar darunter befindliche Relief mit dem rajahrigen Jesus im Tempel am nächsten. Auch diese Darstellung kann keinerlei ernstes Interesse erwecken. Zwar fehlen die Schlangenhaare, aber die Haarbildung weicht auch hier noch von der der eigenhändigen Werke beträchtlich ab. Wie schema- tisch ist z. B. das Haar des Mannes links oben mit dem großen Vollbart im Ver- gleich etwa zu der ähnlichen Gestalt auf dem Tempelgang der Maria behandelt!

Damit wären unseres Erachtens die des Meisters unwürdigen Stücke in den beiden Reliefserien aufgezählt. Wir fanden, daß darunter keines dem linken, blinden Flügel angehört, den Loßnitzer dem Künstler ganz nehmen wollte und an dem er, wie schon erwähnt, „die trockene, harte Manier“ des Gesellen wieder- erkennen will, der die in der Tat durchaus minderwertigen Gesprengfiguren ge- arbeitet hat. LoBnitzer konstatiert hier dieselbe Neigung für langgezogene Falten; die sind jedoch höchstens bei der Maria des Tempelganges zu finden, eine Figur, die Verfasser gerne preisgibt; sie ist nicht nur als Ganzes des Meisters nicht würdig, auch die schematische Behandlung des offenen Haares, der wir noch zwei- mal in ganz gleicher Weise auf dem Altar begegnen, zeigt die Gesellenhand. Aber dieses Stück ist abgesondert gearbeitet, und von ihm hebt sich auf das Lebhafteste die linke Hälfte des Tempelganges mit dem prachtvollen Joachim und der überaus anmutigen, zartbeseelten, jugendlichen Beterin ab, deren prächtig durchgebildete Hände so überaus bezeichnend für den Künstler sind und in den fast noch über- legener behandelten Greisenhänden des Joachim ein glücklich kontrastierendes Gegenstück finden (Abb. 5). Nur die Mittelfigur dieser Seite bleibt etwas hinter den beiden genannten zurück. Die Gewandbehandlung, reich bewegt und dennoch klar geordnet, ist durchaus charakteristisch für den Meister selbst.

In dem unmittelbar vorausgehenden Relief der Geburt Mariä (Abb. 13, 15 u. 16) hat Stoß vielleicht diese Szene mit so vollendeter Grazie und Anmut geschildert, daß er von keinem anderen, auch nicht von Dürer, darin übertroffen, wenn überhaupt erreicht worden ist. Zum zweiten- und drittenmal begegnen wir hier in der hl. Anna und der ihr das Kind mit höfischem Anstand so zierlich reichenden Wärterin wie bewundernswert ist allein das Spiel der vier an dem Wickelkind sich kreuzenden Hände! zwei dem Meister als persönliches Eigentum gehörenden Frauentypen, die nichts gemein haben mit dem leblosen Idealschema, dessen sich die alte deutsche Kunst bis hinauf zu Dürer so häufig bedient, besonders wenn sie die jugendliche Anmut der Gottesmutter und ähnlicher weiblicher religiöser Ge- stalten schildern wollte. Namentlich der ganz individuell gestaltete und doch mit wohlgebildeten Zügen ausgestattete Kopf der hl. Anna, die sich so unendlich liebe- voll dem Kinde zuneigt, ist von entzückender Anmut; und wie vortrefflich ist dies Neugeborene beobachtet, welch. erstaunlicher Schönheitssinn waltet schließlich über dem ganzen Bilde! Verfasser steht nicht an, diesen Dreiklang von Mutter, Wärterin und Kind zum höchsten zu rechnen, das uns deutsche und fremde Kunst geschenkt hat. Welche zarte Keuschheit der Emp- findung offenbart hier der wegen seines ungezügelten Temperaments so viel geschmähte Meister! Auch die Komposition des Ganzen ist äußerst glücklich: Мог allem ist der Hauptvorgang im Gegensatz zu fast allen anderen Darstellungen des gleichen Gegenstandes ganz in den Mittelpunkt gerückt, dem- zufolge verschlägt es auch wenig, wenn die beiden seitlichen Nebenfiguren gegen die Hauptgruppe etwas abfallen; die Figur zur Linken verrät sich schon in der flüchtigen und unsicheren Bewegung des Messers im Gesicht, und durch die ganz

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919, Heft ı 2 17

falsch modellierten Hände als dürftige Gesellenarbeit (Abb. 15). Die badrichtende Wärterin steht allerdings auf beträchtlich höherer Stufe, der Kopf und die Arm- bewegungen sind sogar vortrefflich beobachtet, doch verrät sich in der schemati- schen Wiedergabe des lang herabfallenden Haares und in Einzelheiten der Gesichts- und Handbildung die Werkstattarbeit. Dieses Haar stimmt auf das Genaueste mit dem der kleinen Maria des Tempelganges überein,

Abermals hat Stoß in dem Antlitz der den Gatten an der Goldenen Pforte empfangenden hl. Anna einen neuen, wieder ganz anders gebildeten Frauentyp aufgestellt. Die störende moderne Bemalung, die namentlich an der Iris sich be- merkbar macht, vermag den Eindruck des Vertrauens, mit dem Anna dem stür- misch sie in die Arme schließenden Joachim in die Augen schaut, nur wenig zu schädigen. Der prächtige Patriarchenkopf des Alten begegnet uns zweimal auf der gleichen Tafel: bei der Begrüßung Annas von dem Ausdruck der Festigkeit und Treue erfüllt, bei der Verkündigung des Engels von dem der Verehrung, Uber- raschung und Freude (Abb. 26). Der fliegende Mantel mit dem Stoßschen „Ohr“, in dem der Meister sich seinen dekorativen Neigungen überläßt, scheint zwar etwas spielerisch, sekundiert aber doch vortrefflich dem Ungestüm des wackeren Freiers.

Als vierte Idylle reiht sich den vorigen die Darstellung Christi im Tempel (Abb. 14, 15 u. 16) an. Schon die Komposition ist von außergewöhnlichem Wohlklang: linke und rechte Hälfte der durch den Tempelpfeiler genau іп der Mitte geteilten Bildfläche halten sich vollkommen in den Massen das Gleichgewicht. Nicht zu unterschätzen für den Eindruck des festgefügten Aufbaues ist auch die Art, wie der Künstler die Gewölbe für die Gliederung der Flächen zu verwenden wußte. Treten wir den einzelnen Gestalten näher, so überraschen uns hier abermals zwei neue Frauentypen, die wieder untereinander im pikanten Gegensatz stehen: die Frau mit der Taube das erfahrene Alter, Maria, die kindlich naive Jugend repräsentierend. In der Schilderung des komplizierten seelischen Vorganges bei der älteren aber hat der Künstler eine Höhe erreicht, die geradezu rätsel- haft für damalige Zeit erscheint: Ein leicht ironisches und zugleich halb wehmütiges Lächeln umspielt den Mund dieser in der weitgehenden Individualisie- rung direkt modern anmutenden vornehmen Frau: Sie weiß, daß nicht alle Blüten- träume reifen, und sie denkt an ihre eigene Jugend, aber auch an die Enttäuschungen, die das Leben ihr später brachte. Mit diesem Ausdruck des durch die Erfahrung überlegenen und doch mitfühlenden Alters folgt sie träumerischen Blickes, während ihre Hand halb unbewußt und dennoch zärtlich das Täubchen streichelt, dem Vor- gang im Nebenraum; hinter ihr im ernsten Gespräch die ausdrucksvollen Gestalten der beiden Männer.

Im eigentlichen Sakralraum überreicht Maria jeder Zug ihres Antlitzes legt Zeugnis für ihre Jungfräulichkeit ab dem ehrfurchtsvoll knieenden Priester das Knäblein; dessen mit völligem Verständnis für die Anatomie des Kindes gebildeter Körper mit dem ansprechenden Köpfchen bildet den räumlichen wie den geistigen Mittelpunkt der Szene. Die ganze Gruppe ist von ähnlicher Wohlgefügigkeit und innerer Harmonie wie die am Wochenbett der hl. Anna: Aber auch die Neben- figur der Frau mit der Kerze wie dort weit geringer, vielleicht nur infolge fliich- tiger Behandlung der weniger wichtigen Teile vonseiten des Meisters. Der Levit, der dem Priester die Kopfbedeckung hält, wie sich gebührt, mit dem Ausdruck geistiger Inferiorität bescheiden seines Amtes waltend, der Tisch mit den Gesetzes- tafeln und den Leuchtern noch unbeholfen in der Verkürzung, aber fiir den räum- lichen Abschluß der Komposition von hoher Bedeutung. Alles in allem wieder

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eines der vollendetsten Werke unserer alten Kunst, das bis auf den heutigen Tag der Entdeckung für die Menschheit harrt.

Es ist in hohem Maße lehrreich, sich angesichts der duftig-zarten Poesie dieser herrlichen Tafel der Bamberger Darstellung des gleichen Gegenstandes zu er- innern. Sie bildet wohl das relativ erfreulichste und überhaupt das bedeutendste Stück des ganzen Werkes. Auf die durch den Zeitunterschied bedingten Fort- schritte in der Beherrschung der Darstellungsmittel wurde schon hingewiesen, Die Leute stehen wenigstens leidlich sicher auf ihren Füßen, was man von denen des Krakauer Altars noch nicht behaupten kann. Die Formgebung ist großzügig, kurz, alles in allem, der Gegensatz einer Cinquecento- und Quattrocentoarbeit; auch ist die genrehafte Episode, wie der Levit die Täubchen von der Frau mit dem schönen Gewand in Empfang nimmt, nicht ohne Reiz, aber alles wird doch wieder verdorben durch die typische Art, wie Maria das äußerst derbe Kind mit ver- steiften Händen dem Priester übergibt, während ein blödsinniges Grinsen ihr Antlitz entstellt. Von dem poetischen Zauber, der über dem Krakauer Frühwerke liegt, ist nichts wiederzufinden.

Bleibt noch von den Außenreliefs „Christi Höllenfahrt“, deren allgemeiner Stilcharakter bereits oben Besprechung fand. Auch hier begegnen wir dem Meister gerade im Seelischen wieder auf dem Höhepunkt seines Könnens. Wer, der ihn jemals nachempfunden hat, könnte den Ausdruck Adams vergessen, dem Christus die Hand reicht?! (Abb. 27). In seinem Antlitz spiegelt sich der Leidensweg der ganzen Menschheit, die zwischen Gut und Böse schwankt und immer wieder der Schwäche des Fleisches erliegt. „О Herr, ich habe gestindigt, aber ich vertraue deiner Gnade.“ Auch in der Körperhaltung und der Bewegung der Hände kommt diese Seelenstimmung zum Ausdruck. Alle Einzelheiten wie die mageren Wangen, die Führung des Augenbrauenbogens, Mund und Nase, Stirn und Haar sind von größter Vollendung: Nie hat das Schnitzmesser herrlicher seines Amtes gewaltet wie hier! Allerdings vermochte der Künstler in der Christusgestalt wohl nicht ganz die Höhe zu halten, die er in dem unvergleichlichen Vater Чег Menschheit erreichte. Die gotische Befangenheit der Körperhaltung wirkt in ihrer Zaghaftig- keit gerade hier etwas störend, denn sie steht im Widerspruch mit dem Ausdruck des blassen Antlitzes, das durch seine eigenartige Auffassung auffällt: Der fest- geschlossene Mund, die zusammengezogenen Brauen scheinen darauf hinzuweisen, daß hier nicht nur der Heiland und Erlöser, sondern auch der Richter über Gut und Böse steht, der neben Vergebung der Sünden auch Verdammung: zu bringen vermag. Und es läßt sich endlich nicht leugnen, daß diese ganze Auffassung gerade an unserer Stelle etwas befremdet. Der kindlich liebliche Engel hinter dem Christus folgt dem Vorgang mit dem Ausdruck freudigen Staunens. Man beachte hier die virtuose Behandlung des reichen Lockenhaares. Der hohen Bedeutung der beiden Hauptgestalten hat schon der Krakauer Altertumsverein in seiner Publikation Rech- nung getragen, indem er den Kopf Christi und Adams in Sonderaufnahmen wieder- gab. Die Wiesbadener Ausstellung bringt davon eine Vergrößerung. Der Kopf Adams dürfte dadurch fast die Maße des Originals erreicht haben. Auch die beiden Männer neben und hinter diesem sind eindrucksvolle und ernste Gestalten. Das einzig Unbefriedigende bleibt nur die Eva. Sie hat wirklich einmal das aus- drucksiose Eirund des Antlitzes, das sie mit so vielen ihrer Schwestern in der alten deutschen Kunst teilt. l

Von den Reliefs der Innenseite fanden bereits die Himmelfahrt und das Pfingst- wunder Erwähnung. Über ihnen auf dem rechten Flügel die Auferstehung;

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trotz der unglücklichen tänzerhaften Stellung Christi, die er mit allen gleichzeitigen Darstellungen dieser Art teilt und dem, namentlich auf der Photographie wenig befriedigenden Ausdruck wohl eigenhändig: Die Vortrefflichkeit der Hände und Füße, die Eleganz des Faltenwurfs sind sonst nicht zu erklären.

Den drei Reliefs im rechten Flügel: Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten, entsprechen auf der linken Seite Verkündigung, Geburt und Anbetung der Könige. Zu oberst die Verkündigung: Ausgezeichnete Komposition. Maria sitzend mit dem etwas höher aufragenden Engel durch die über ihrem Haupt schräg oben rechts schwebende Gestalt Gottvaters zu einem ungleichseitigen Dreieck zusammen- geschlossen; die Jungfrau, deren Antlitz, wie überhaupt die ganze Tafel durch die harte moderne Bemalung stark beeinträchtigt wird, liest in der Bibel; sie wendet eben ein Blatt um und ist so vertieft in ihre Lektüre, daß sie das Nahen des Engels noch gar nicht bemerkt hat. Der pausbackige Engel, wie so viele seiner Art auf deutschen Altären geistig unbedeutend; von strengem Ernst in sorgfältigster Ausführung die kleine Gestalt Gottvaters. Besonders anmutig sind bei allen Figuren die feingebildeten, sprechenden Hände. Im ganzen mehr ein dekoratives Pracht- stück, kein Werk von tieferer Bedeutung, aber bis in die kleinste Einzelheit von vollendeter technischer Durchbildung.

Zu den schwächeren Stücken zählt die nun folgende „Geburt Christi“ mit der Anbetung der Hirten. Die ganz dürftige Maria möchte man dem Meister nicht zutrauen; auch die Komposition ist wenig befriedigend; es sieht fast aus, als ob hier unter dem rechten der beiden im Hintergrund knieenden Hirten etwas fehlte. Anderes, wie der vorn rechts Knieende spricht eher für die Hand des Künstlers,

Nochmals in der Anbetung der Könige oder, genauer gesagt, in der rechten Hälfte dieser zweigeteilten Tafel können wir den Meister im Vollbesitz seiner Schöpferkraft beobachten (Abb. 3). Wiederum verblüfft die großartige Geschlossen- heit der Gruppe, zu der die zwei Könige, Maria und das Kind zusammengefaßt sind, dabei ist der hintere König, was man auf den ersten Blick leicht übersieht, gleichfalls knieend dargestellt; man würde ihn freilich lieber stehend sehen. Ganz wie auf dem noch zu besprechenden steinernen Ölberg sind die Figuren in der naiven Weise der Spätgotik statt hintereinander übereinander auf der Fläche an- geordnet. Wir bewegen uns hier wiederum in einer entschieden höfischen Welt; besonders auffallend sind die zarten Züge des jüngeren Königs und seine schmale, überlange Frauenhand. Diese Gestalt erinnert noch etwas an die wohlgesitteten, zierlichen Herren und Damen der Minnesängerzeit. Aber gerade diese Reste idea- listischer Stimmung und Auffassung verleihen dem Ganzen wie auch mehreren anderen Darstellungen unseres Altares noch etwas Feierliches und Unirdisches, das bei dieser Szene so ganz besonders bezaubert. Es ist Märchenstimmung, die über unserer Tafel ausgebreitet liegt, aber vielleicht weniger die Stimmung des deutschen Waldmärchens, als die von Tausend und einer Nacht mit den vor- nehmen Kalifen und Vezieren. Selbst die- schon ein wenig deutsch-bürgerliche, aber noch immer wohlgepflegte, anmutig-feine Maria, die mit liebevollem Blick ‘dem Spiel des Knaben folgt und so zierlich den goldenen Deckel des Bechers zu halten weiß, stört diese nicht, so wenig wie das frisch lebendige Kindchen mit dem koketten Stumpfnäschen. Das zärtliche Beieinandersein von Mutter, Kind und anbetendem König erfüllt das ganze Werk und gibt ihm die wundersame Grundstimmung, mag auch in dem Alten mit seinen weit aufgerissenen Augen der Ausdruck des Staunens und der stummen Bewunderung den der Verehrung und

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Hingebung übertönen. Sein Hintermann allerdings verhält sich noch durchaus passiv und wirkt nur durch seine schöne, ritterliche Erscheinung und durch treff- liche Raumfüllung. Es erübrigt fast hervorzuheben, daß auch hier alle Einzelheiten, insonderheit die Haar- und Gewandbehandlung, des Meisters eigene Arbeit, wo man auch hinschaut, verbürgten. Unnachahmlich ist wieder, wie er den Mantel dem hinteren König über die Schulter geworfen hat, und wie das Gewand der Maria, ohne sich in seinem Überreichtum zu verwirren, zur Erde niederrauscht. Auch hier kann ein Vergleich mit dem Bamberger Relief, das denselben Gegen- stand darstellt, und bereits oben Besprechung fand, nur dazu dienen, die Vorzüge unserer Tafel noch mehr ins rechte Licht zu rücken. Ein feinsinniger Künstler äußerte mit Recht vor der Wiesbadener Photographie: „Wer hier nicht beim ersten Augenaufschlag ergriffen wird, der weiß nicht, was Kunst und Schönheit ist.“

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Damit hätten wir unsern Rundgang durch die Reihe der achtzehn Reliefs be- endet. Sie wurden vorangestellt, einmal, weil die hier verborgene Schönheit bis- her fast ganz übersehen wurde, dann aber auch, weil sie nach Ansicht des Ver- fassers alles in allem die reifsten und vollendetsten Teile des Altars enthalten. Keineswegs aber soll damit gesagt sein, daß die Figuren des Schreins trotz mancher Schwächen in ihren besten Vertretern nicht auch hohe Bewunderung verdienen. Schon Loßnitzer hat den ganz unberechtigten Tadel Dauns zurückgewiesen (p. 42), daß die Figuren willkürlich zusammengestellt seien. Daun behauptet sogar, daß man sie „beliebig umstellen könne“. Dabei hat jede Figur zur Rechten ein ihr genau entsprechendes Pendant zur Linken. Die Gefahr der Einförmigkeit, der selbst Tiziari bei den Aposteln seiner Assunta nicht ganz entging, ist durch Empor- rückung der äußeren Köpfe und der Mittelgruppe aufs glücklichste vermieden worden. Im übrigen scheint uns der berauschende Eindruck, den alle vor dem geöffneten Altar empfingen, und von dem selbst die große Photographie der Wiesbadener Ausstellung einen Anklang bewahrt hat, durchaus dem verwandt zu sein, der von dem Werk des Italieners ausgeht. Meisterhaft ist auch der Anschluß der Gruppe in der Mandorla an die Apostel durch die von der Mitte gegen die Seiten hin sich senkenden beiden Reihen der Engel, wodurch zugleich dem ganzen oberen Teil eine pyramidale Form gegeben wird. Leider versagt der Künstler gerade in der Hauptgruppe. Maria ist gegenüber ihren Schwestern auf den Flügeln sehr un- bedeutend und wirkt beinahe etwas verkümmert. Der Ausdruck des sie stützenden Apostels ist unklar. Es sieht fast aus, als ob er sich aus dieser unbehaglichen Situation heraussehne. Sehr beachtenswert ist die merkwürdige Figur hinter beiden. Fehlte nicht jede Analogie in der mittelalterlichen Kunst, so könnte man glauben, daß man hier einen Todesengel oder etwas Ähnliches vor sich habe man betrachte doch das tief durchfurchte, in seiner Formgebung ganz isoliert da- stehende Antlitz von mehr weiblichem als männlichem Charakter dieser düsteren Gestalt mit ihrer merkwürdigen, sonst nirgends zu findenden Geste und der auf- fallenden Haarbehandlung. Jedenfalls macht es durchaus den Eindruck, daß hier der gedankenreiche Meister etwas ganz Persönliches zu geben suchte. Dann aber entschädigt für die Schwäche der Mittelpartie die prachtvolle Gruppe der drei zu äußerst rechts stehenden Apostel, unter denen der Alte mit dem langen Bart, dem man jetzt fälschlich ein Räuchergefäß in die willenlos niederhängenden Finger der linken Hand gegeben hat, ganz besonders auffällt. Die wunderbare Photographie

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der Wiesbadener Ausstellung, von der wir eine verkleinerte Wiedergabe bieten können (Abb. 28), zeigt einen Ausdruck seelischer Entrückung und begeisterter Freude, der an Kraft nirgends auch nicht von dem Meister der Seelenkunst, Albrecht Dürer übertroffen wurde. Dieses herrliche Haupt sitzt auf einem, seiner völlig würdigen Körper. Der Gegenpart dieser Figur auf der linken Seite mit dem mehr elegischen Zug um die gesenkten Mundwinkel, ist gleichfalls eine Gestalt von feinster Geistigkeit, dabei als Gewandfigur von einer fast griechisch anmutenden Eleganz und Monumentalität. Vielleicht nicht ganz frei von Kleinlich- keit erscheint infolge allzu weitgehender Detailbehandlung wenigstens im Vergleich zu diesen beiden Prachtgestalten das tiefdurchfurchte, abgehärmte Greisenantlitz Petri; und doch wird man auch diesen Kopf nicht ohne Ehrfurcht vor ihm selbst und seinem Schöpfer betrachten können; die unverständliche Handstellung weist auf die jetzt abhanden gekommene Sterbekerze hin. Schwer zu deuten ist der Ausdruck der auf der rechten Seite ihm entsprechenden Figur des Johannes. Man hat hier den Eindruck, daß sehr Bedeutendes erstrebt, aber nicht vollkommen er- reicht wurde. Das Schwächste des ganzen Schreins ist die Gruppe in der Man- dorla, die Loßnitzer mit Recht dem Meister abspricht. Andererseits irrt er, wenn er die kleinen Figuren in der Laibung des Rahmens für geringwertig hält; sie sind im Gegenteil offenbar mit besonderer Sorgfalt und Liebe gearbeitet. Um sich hiervon zu überzeugen, genügt ein Blick auf das Blatt mit der Detailaufnahme der beiden Apostelköpfe der links stehenden Gruppe. Nicht weniger vorzüglich wie diese alte Sybille neben den beiden Apostelköpfen sind sämtliche 16 Figürchen ge- arbeitet. Direkt irreführend aber ist es, wenn Daun in einem Gesamturteil über den Altar der geringwertigen Maria in der Mandorla ganz allgemein ohne jede Einschränkung „die noch empfindungsloseren Apostel“ gegenüberstellt.

Neben dem großen Marienaltar beherbergt Krakau noch drei weitere hoch- bedeutende Schöpfungen des Meisters. Zunächst das Steinrelief des kleinen Ölberges. Merkwürdigerweise scheint auch hier der Künstler in der Hauptgestalt zu versagen, während er doch gerade in der Darstellung des Erlöserantlitzes so oft Triumphe gefeiert hat; doch ist wohl nicht ausgeschlossen, daß das empor- gewandte Antlitz Christi durch die Verwitterung das Relief stand im Freien seinen ursprünglichen Ausdruck eingebüßt hat. Selbst auf der Photographie lassen sich Beschädigungen feststellen. Dafür ist der unruhig-kummervolle Schlaf der drei Apostel in nicht übertroffener Weise veranschaulicht. Von dem Petruskopf hat Loßnitzer eine schöne, eigene Aufnahme in seinem Werk gebracht. Wir geben hier außerdem den Johanneskopf des Reliefs wieder (Abb. 12).

Von dem kleineren der beiden Gekreuzigten in der Marienkirche bringt die Wiesbadener Ausstellung zwei wundervolle Vergrößerungen der ausgezeichneten Aufnahme des Photographen Krieger in Krakau, die wieder einen lehrreichen Bei- trag für den wechselnden Ausdruck plastischer Werke in verschiedenen Aufnahmen liefern. In dem stark beschatteten Antlitz der mehr von unten genommenen Ge- samtaufnahme scheint das Leiden gemildert, ja, es liegt ein gewisser Frieden über dem auffallend edel erscheinenden Antlitz, auf dem aus größerer Nähe und Höhe aufgenommenen Ausschnitt mit dem Kopf und Oberkörper hat man gerade um gekehrt den Eindruck, daß der Künstler sich nicht genug tun konnte in der Ver- sinniichung furchtbarsten Martyriums, um das Herz der Gläubigen zu erschüttern. Doch wird man bedenken müssen, daß der Beschauer in der Kirche die Gestalt Christi mehr in der Art sieht, wie sie die Gesamtaufnahme zeigt, das heißt von unten, nicht zu scharf beleuchtet, und daß die phantastische, wenn auch sehr

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wirkungsvolle Dornenkrone, die erst im 17. Jahrhundert hinzukam und nur auf der Detailaufnahme zu sehen ist, den Eindruck des Grausigen noch ganz bedeutend verschärft. Der sehr magere, aber trotzdem wohlgebildete Körper zeugt von einer wahrhaft erstaunlichen Beherrschung der Anatomie, wie sie kein zweiter neben Veit Stoß besaß, während das Lendentuch in seinem prickelnden Formen- reichtum ein Musterbeispiel des vollendeten Gewandstils unseres Meisters einen direkt raffinierten Schönheitsinn offenbart. Die prachtvolle Vergrößerung der Wies- badener Ausstellung bringt diese Reize in unvergleichlicher Weise zur Anschauung. Sicher ist dieser Christus zu den bedeutendsten Darstellungen seiner Art zu zählen!).

Auf das letzte in Krakau entstandene Werk, das große Kasimirgrab auf dem Wawel, sei hier nur mit wenigen Worten eingegangen. Die acht Blätter der Wiesbadener Ausstellung, die auch einen Teil der Skulpturen an den Kapitellen in Photographien der Gipsabgüsse wiedergeben, lassen vor allem den Reichtum Stoßscher Phantasie erkennen. Loßnitzer tadelt an den Relieffiguren der Leidtragenden wohl nicht ganz mit Unrecht das Übermaß der Bewegungsmotive, aber er muß doch zugeben daß man den „Eindruck der Fülle und expansiven Kraft“ von diesen Gestalten bekommt, und dieser ist so gewaltig, daß die Figuren fast den Raum zu sprengen scheinen, er beruht aber, abgesehen von der großzügigen, markigen Formgebung der absichtlich in den engen Raum gepreßten Figuren, nicht zuletzt auf dem Über- schuß sich drängender Bewegungsmotive. Daneben fällt die vorzügliche Raum- füllung und die bis ins kleinste Detail stets wache Beobachtungsgabe des Künstlers auf. Es ist lohnend, daraufhin den sich den Flügel putzenden Vogel in dem ab- schließenden Ornament des einen Reliefs, oder den Reiter samt seinem Roß auf dem einen Wappenschild näher ins Auge zu fassen.

Lassen wir noch einmal die schier unerschöpfliche Fülle der Gestalten aus dem Krakauer Werk, in dem der Meister schon rein zahlenmäßig das weitaus wichtigste Material für die Beurteilung seiner Kunst niedergelegt hat, vor unseren Augen vorüberziehen: Die tief beseelten Gestalten des Johannes und Nikodemus der Kreuzigung, die des betenden Joachim auf der Goldenen Pforte, des Adams der Vorhölle oder des Johannes der Himmelfahrt und des unvergleichlichen Apostels aus dem Schrein, oder die beiden Frauengestalten der Kreuzabnahme, die köst- liche Matrone aus der Darstellung im Tempel, die Beterin des Tempelgangs, um nur einige der wichtigsten herauszugreifen, nehmen wir dazu die erhabenen Er- lösergestalten des Altars (auf der Beweinung) wie der Kruzifixe, und vergegen- wärtigen wir uns weiterhin die wundersame Anmut und Schönheit, mit der der Künstler von der Geburt Mariä, von der Darstellung im Tempel und der Anbetung der Könige zu erzählen weiß, oder die wahrhaft vornehme Art, mit der er ohne jedes laute Gestikulieren nur in gedämpften Tönen die Klage um den Leichnam Christi sich äußern läßt, die hohe Begeisterung, die er den Jüngern auf der Himmel- fahrt zu verleihen weiß, wo nirgends eine ausfahrende Bewegung stört; erinnern wir uns endlich der wohl abgewogenen Komposition gerade dieser Szenen, so

(1) Vergleicht man diesen und die drei Nürnberger Kruzifixe, den in St. Sebald, den in der Lorenz kirche und den aus der Spitalkirche in den großen Aufnahmen der Ausstellung mit dem gleichfalls dort vertretenen Kruzifixus aus Florenz, den Voß entdeckte, so wird man sofort erkennen, daß man letzteren nur als mäßige Werkstattarbeit betrachten kann. Es scheint sich um eine Kopie des an der Margaretenkapelle befindlichen, bei Loßnitzer abgebildeten Christus zu handeln. Er kann daher auch nicht, wie L. (р. 135) annimmt, um 1505—10 entstanden sein, und jenes um 1525 (L. f. 50). Die Photographie ist übrigens während der Kriegszeit durch schweizer Vermittlung ohne Schwierig- keit beschafft worden.

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enthüllt sich uns ein Bild höchster religiöser Kunst und edelsten Меп- schentums, das mit dem landläufigen Urteil über Veit Stoß und seine Kunst in geradezu schreiendem Gegensatz steht! Sind das, fragen wir, wirklich Menschen „mit plumpen und häßlichen Zügen, mit nichtssagendem Aus- druck in dem Eirund ihrer Gesichter, über die ein dumpfer und inferiorer Geist ausgebreitet liegt“, wie es Voß gerade von den Frühwerken des Meisters be- hauptet? Ist das eine Kunst, „die selbst in ihren besten Schöpfungen lärmend und doch zugleich nichtssagend erscheint“, wie Baum es will, oder gehören diese Werke nicht vielmehr zu den größten Schätzen unserer nationalen Kunst, ja aller Kunst überhaupt, auf die wir mit höchstem Stolz zu blicken berechtigt sind, und denen im Bewußtsein unserer Gebildeten nicht weniger ein Ehrenplatz gebührt, wie dem Sebaldusgrab Peter Vischers oder den Meisterwerken unserer großen Maler Dürer, Holbein und Grünewald? Ist es nicht beschämend im höchsten Maße, daß diese einzigartigen Kunstwerke bis heute sozusagen un- entdeckt im Verborgenen blühen mußten? Das Urteil überläßt Verfasser getrost den Lesern dieser Zeitschrift und den Besuchern der. Wiesbadener Aus- stellung.

Was soll man aber gar angesichts all dieser zartsinnigen Schöpfungen dazu sagen, wenn Voß aus den Frühwerken des Stoß, als welche doch ausschließlich die Kra- kauer gelten können, das spätere traurige Schicksal des Künstlers herauszulesen meinte. Er wundert sich, wie bereits oben angeführt, „in anbetracht der Gewalt- samkeit dieser Kunst“ nicht mehr über die Entgleisung des Meisters, die ihn ins Unglück führte. Diese ist jedoch Zunächst bei einem reizbaren Künstlergemüt und das eignet doch wohl so ziemlich allen echten Künstlernaturen an sich nur zu begreiflich zumal in einer Zeit, in der das Individuum noch nicht, sei es durch die Wirkung der modernen Zivilisation oder durch den allmächtigen Staat so ge- zähmt worden war wie der Mittel- und Westeuropäer der Gegenwart’).

Sein Gegner Baner hatte Stoß um sein gutes Geld, das er ihm geliehen, gebracht; und so kam schließlich der Künstler auf den verzweifelten Gedanken der Urkunden- fälschung, um es sich wieder zu verschaffen, was ihm dann die öffentliche Brand- markung, die Durchbohrung beider Wangen mit dem Glüheisen einbrachte. Mit scheinbar weit größerer Berechtigung könnte man deshalb die Hypothese aufstellen, daß dies Erlebnis zu einer dauernden seelischen Gleichgewichtsstörung des Künst- lers führte, und daß diese es ist, die sich in seinen späteren Werken äußert. Das wäre wenigstens überaus verständlich; aber freilich fragt es sich, ob nicht auch diese Annahme den Tatsachen Gewalt antut.

Was wir sicher feststellen können und was bereits in anderem Zusammenhang oben erwähnt wurde, ist, daß in einem der frühesten Nürnberger Werke, den Volckamerschen Reliefs keine Spur von der hohen Gesinnung zu finden ist, die wir in den Krakauer Werken bewunderten. Aber nicht nur, daß der Künstler bereits hier ganz in die kleinbürgerliche Atmosphäre untergetaucht ist und einem platten Naturalismus huldigt, wir konstatieren auch auf dieser Jahre vor dem Baner- Handel entstandenen Arbeit bereits an den beiden Christusköpfen die eigentümliche Schädelverbildung, die später namentlich an allen weiblichen Gestalten auffällt, wennschon die eigentlich pathologischen Merkmale hier noch nicht vorhanden sind.

(1) Wenn man sich in das Denken und Fühlen der damaligen Menschen hineinversetzen will, so braucht man nur die Romane Dostojewskis zu lesen; steht doch der heutige Russe in seiner uns unbegreif- lichen Mischung von Weichheit und Zügellosigkeit genau auf der Stufe des mittelalterlichen Deutschen.

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Leider fehlen dann bis zu dem 1526 datierten Bamberger Altar umfangreichere Kompositionen, namentlich erzählenden Inhalts, wenn man von den kleinen Medaillon- reliefs des’ englischen Grußes absieht. Wir müssen uns daher mit der Feststellung begniigen, daß Werke von dem hohen Flug der Phantasie, von der Keuschheit, Zartheit und Tiefe der Empfindung, wie wir sie in Krakau fanden, in der Nürn- berger Zeit nicht mehr entstanden sind, wennschon nicht zu verkennen ist, daß der Bamberger Altar zum mindesten in den prächtigen Männerköpfen der Reliefs durch Auffassung und Form den großzügigen Typen der Krakauer Tafeln näher steht als den meisten der dazwischen liegenden Nürnberger Werke. Der Höhe- punkt der künstlerischen Produktion des Meisters liegt also nicht in den späteren, sondern gerade in den bisher so vielfach über die Achsel angesehenen Friihwerken, die uns ihren Schöpfer als einen der gedankenreichsten und gemütstiefsten Künstler aller Zeiten zu bewundern nötigen.

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EIN BILD VON BARTHOLOMÄUS DIETTER- LIN IN DER DRESDNER GALERIE

Mit einer Abbildung auf einer Tafel

Von K. W. JÄHNIG

m Saale der Altdeutschen in der Dresdner Ge-

mäldegalerie hängt ein kleines, auf Kupfer ge- maltes Bildchen, das eine „Waldlandschaft mit Diana und Aktion“ darstellt (Kat.-Nr. 862). Kulissen von mächtigen, reich mit Schlingpflanzen bewach- senen Bäumen, die nahezu die ganze linke Seite einnehmen, überschneiden eine tiefer liegende Waldwiese und einen davor liegenden schmalen Weiher. Hier, an der engen Verbindungsstelle zwischen der Wiese und dem Ufer des Gewässers, genau in der Mitte des Bildes, erscheint in eiligem Laufe Aktäon mit seinen Hunden und überrascht so die Diana, die mit vielen ihrer Nymphen Er- frischung im Bade sucht; es entsteht eine leb- hafte Bewegung unter den Figürchen: etliche eilen davon, eine sucht den Jäger mit Wasser zu be- spritzen, andere stellen sich vor ihre Göttin, um sie vor Aktäons Blicken zu schützen. Sie selbst sitzt, von ihren Hunden umgeben, auf dem Ufer- rand rechts und erhebt eben die Linke zur Be- schwörung; deren Wirkung sehen wir auf dem- selben Bilde: links unter dem großen Baume ist Aktäon niedergesunken, mit klagender Gebärde erhebt er den Arm; schon ist sein Haupt in einen Hirschkopf verwandelt worden, und schon fallen seine Hunde über ihn her.

Das Bildchen, das die Wirkung einer Wasser- farbenmalerei hat, ist durchgehends in einem hellen Blaugrün gehalten, das in den Schatten- partien in dunklere Töne übergeht. Nur der leuchtend scharlachrote Mantel Aktäons bringt einen lebhaften Kontrast in das Bild. Die Zeich- nung ist spitz, ја pedantisch. Die Staffageflgürchen sind, obschon klein, doch nicht zierlich zu nennen; sie zeugen von einem rustikalen Geschmack. Die Erfindungsgabe ist nicht eben groß, die Art der Motive verrät einen provinziellen, spießbürger- lichen Meister.

Noch im großen Katalog von 1905 stand das Bild verzeichnet unter „Art und Schule der Brüder Matthäus und Paul Brill“. Die Provenienz ist nicht nachzuweisen; 1861 ist es aus dem „Vorrat“ über- nommen worden; der Hübnersche Katalog hat es „Paul Bril“ benannt. Aber obwohl der Einfluß des

Brillschen Stiles unverkennbar ist, darf man doch nicht an die Brüder selbst denken: sind doch so- wohl bei Paul Brill wie bei dessen Bruder Mat- thäus, an den Bode gedacht hat, die einzelnen Tiefenzonen viel stärker gegeneinander abgesetzt ebensowohl durch die Formen des Terrains wie durch starke Beleuchtungsgegensätze. Auch an Kerrincx ist gedacht worden, eine Annahme, die der Katalog mit Recht ablehnt.

Der kleine Katalog von 1912 führt das Bild noch unter der „Schule der Brüder Brill“ auf, fügt aber, einem glücklichen Hinweise Theodor Frimmels folgend, hinzu: „Eher von einem süddeutschen Meister in der Richtung des Joh. König“.

Das Bild ist süddeutsch, aber nicht augsburgi- schen, sondern straßburgischen Ursprungs; auf der Rückseite der Kupferplatte ist neben nicht entzifferbaren Schriftzeichen deutlich zu lesen: .. . Bartolomeo Dieterlin ...

Dieser Bartholomäus Dietterlin!), ein Enkel des berühmten Radierers und Architekten Wendel Dietterlin, ist wahrscheinlich um 1590 geboren ; die Lebensdaten reichen bis zum Beginn der zwan- ziger Jahre, in die wohl auch unser Bild gehört. Erhalten sind von Dietterlin fünf Radierungen, darunter das eine Blatt, an dem drei Generationen dieser Künstlerfamilie beteiligt waren (eine Alle- gorie auf die Erlösung der Menschheit durch Christus) mit der Bezeichnung: Wendelinus Diet- terlin, Pater invenit. Hilarius Dietterlin, Filius ex- спай. Bartholomäus Dietterlin, Nepos aeri incidit.

Seine Tätigkeit als Maler ist mehrfach bezeugt: so befanden sich im 17. Jahrhundert in der Künast- schen Kunstkammer in Straßburg außer Zeich- nungen auch Bilder von ihm (vgl. Gustav v. Térey: Eine Kunstkammer des 17. Jahrhunderts. Rep. f. Kunstwissensch, XIX., 1896. 34/35); erwähnt wer- den: Die Sintflut Die Passion Christi in 13 Täf- fein Ein klein Landschäfftlein in Wasserfarben.

Vielleicht findet sich in Süddeutschland noch ein oder das andere Stück, in dem sich der Stil unseres Dresdner Bildchens wiedererkennen läßt.

(1) Vgl. Thieme-Becker, Künstlerlexikon.

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REZENSIONEN .

$ AUGUST SCHMARSOW, Komposi- tionsgesetze der Franzlegende in der Oberkirche zu Assisi. (Publika- tionen des Kgl. Sächs. Forschungsinstituts für Kunstgesch. I.) Leipzig, K. W. Hierse- mann, Komm.-Verlag, 1918. Mit 14 Taf.

Der Kunstgeschichtslehrer der Leipziger Uni- versität hat im Verlauf der letzten Jahre mit be- wundernswerter Schaffenskraft mehrere umfang- reiche Arbeiten vollendet, in denen die Grund- linien seiner bedeutsamen Lehre und Methode einerseits ihre systematische Zusammenfassung gefunden haben „Kompositionsgesetze in der Kunst des Mittelalters“, Architektur, 1. Teil 1915 erschienen; 2. Teil im Manuskript abgeschlossen andererseits auf einzelne Denkmälergruppen prak- tisch angewendet und zu deren stilkritischer Be” urteilung fruchtbar gemacht werden; so in „Kom- positionsgesetze roman. Glasgemälde in frühgoti- schen Kirchenfenstern“ (1916) und in dem uns hier vorliegenden neuen Werk.

Wir verdanken Schmarsow namentlich eine Reihe von Feststellungen, die für die Erkenntnis der innern Gesetze, des eigentlichen Wesens der architektonischen Schöpfung, entscheidende Be- deutung erlangt baben. Darunter auch die, daß der kirchliche Langhausbau des Mittelalters in Anlage und Gliederung seiner Innengestalt vor allem als „Wandelbahn“ für den dem Hauptaltar zustrebenden Kirchgänger konzipiert und durch- geführt ist, wobei alle Elemente der Raumdispo- sition und des struktiven Aufbaus als rhythmische und weiterhin ästhetisch - seelische Erlebnisse dieses Ganges durch das Gotteshaus hin sich aus- wirken, indem sie mit allen Kérpergefiihlen nicht bloß durch die optische Empfänglichkeit (mit der wir sonst allein zu rechnen gewohnt waren) aufgenommen und ausgekostet werden. In konsequenter Verfolgung nun dieser schon vielfach bewährten ästhetischen Wegleitung hat sich für Sch. in dem besonderen Fall der Ober- kirche zu Assisi die weitere Entdeckung ergeben, daß hier auch die Anlage und Verteilung des be- rühmten Bilderzyklus in dem vorhandenen Raum, wie die Komposition jedes einzeinen Bildes, von denselben inneren Gesetzen beherrscht ist, die der rhythmischen Gliederung des Raumkörpers zugrunde liegen. Dies Gesetz aber lautet für den Maler „Flächenteilung im Anschluß an das Stro- phengefüge der Gewölbejoche und im Anschluß

an den Gang des Betrachters durch diese Räume hin, mit dem rhythmischen Vollzug, der sie alle verbindet“ (8.126). Und so klingt denn die drei- teilige Wandgliederung der Joche, mit der durch Fenster und Schildbogenscheitel bezeichneten Mittel- dominante, wieder in der Dreizahl der Bilder jedes Jochabschnitts und der fast immer fühlbar sym- metrisch geordneten Gesamtkomposition dieser Dreiergruppen (S. 16), wie auch das Grundgefühl gotischer Raumgestaltung, der aufstrebende Verti- kalismus, in den die einzelnen Bilder beherrschen- den Architekturkulissen der Szenerie sich durchsetzt, Die Rücksicht aber auf den unter der Bilderreihe entlang wandernden Kirchenbesucher führte abgesehen von der in den dargestellten Gebäulich- keiten stets innegehaltenen Untensicht, und der durchaus reliefmäßigen, stärkere (retardierende) Raumillusion vermeidenden Bildanlage zu einer Kompositionsweise, die statt eines festen, den transitorisch wechseinden Standpunkt des Be-

- schauers voraussetzt, wobei auch die Abfolge der

Einzelmomente des vorgeführten dramatischen Ge- schehens in vielfach ganz deutlicher Bezugnahme auf einen von links nach rechts vor dem Bild vorbeischreitenden Betrachter sich aufrollt.

Damit erledigen sich nun freilich manche der in Rintelens sonst so feinsinnigem und wertvollem Giottobuch (1912) gegen den Assisizyklus und seine Bildkomposition vorgebrachten Einwürfe als von einem offenbar unangemessenen Gesichtspunkt aus gefällte Urteile. Aber auch R.s abschätzigen Bemerkungen über die mangelnde Stimmungs- und Ausdrucksfeinheit der Bilder begegnet diese neue Würdigung durch einleuchtenden Hinweis auf die besondere Zweckbestimmung des Bilder- zyklus dieser vielbesuchten Wallfahrtskirche, als Legendenerzählung im Ton einer volkstümlichen, allgemeiuverständlichen Predigt oder eines Myste- rienspiels, wobei „das sachliche Verhältnis zur Legende nirgends von einem einseitig. verfolgten Künstlerproblem überwuchert“ wird. Das haupt- sächlichste Wirkungsmittel des Malers ist die suggestive Mimik der Gebärdensprache; vielfach aus unmittelbarer Anschauung geschöpft, aber doch immer in geschickter Anknüpfung an ge- wisse typische Formulierungen, wie sie in dem, gewohnten Bilderkreis der biblischen Szenen vor- lagen.

Schließlich haben Schmarsows Forschungen auch eine Anzahl sachlicher Einzelergebnisse zu- tage gebracht. So den Beweis für die geschlos-

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H

sene Einheitlichkeit des ganzen Zyklus, in dem auch da, wo etwa Schülerhände eingriffen, die Bildanlage doch die überall durchgehenden Kom- positionsgesetze des einen Hauptmeisters immer wieder erkennen läßt.

Dieser Meister, dem auch die vier Kirchenväter des vordersten Gewölbequadrats ausdrücklich zu- geschrieben werden, ist sicher nicht Giotto soweit ist Sch. mit Rintelen einig; es ist aber auch nicht, wie Rintelen meint, ein umbrischer Lokalkünstler aus Giottos Nachfolge, sondern eine

bedeutende Persönlichkeit aus dem Übergang vom

Dugento ins Trecento. Deren künstlerisches Wesen und zeitliche Stellung bezeichnet sich näher durch Schulverwandtschaft mit skulpturalen Vorbildern aus dem Kreise des Nicola Pisano, durch viel- fache Wiedergabe von Architektur- und Zier- motiven aus der entwickelten mittelitalienischen Gotik und besonders aus den Werkstätten der jüngeren römischen Cosmaten, Die „Kirchenväter“ die Већ. auf Grund ihrer 1298 erfolgten offi- ziellen Dekretierung zu „doctores ecclesiae“ als um diesen Zeitpunkt entstanden ansetzt bieten end- lich ein Mittelglied dar zur namentlichen Bestim- mung des Meisters dieser Bilder wie der ganzen Franziegende. Die allerdings unzweifelhafte Über- einstimmung der allgemeinen Kompositionsgesetze wie mancher formalen Einzelheiten läßt Sch.s Hin- weis auf den Autor der kurz vorher entstandenen Fassadenmosaiken von 8. М. Maggiore in Rom, Filippo Rusuti, als zum mindesten sehr beachtens- wert und lockend erscheinen.

Soviel über die wesentlichsten Gedankengänge und Feststellungen von Sch.s neuem Werk, das in der Fülle feinfühliger Einzelbeobachtungen und weiter ausschauender allgemeiner Perspektiven in dem vorstehenden knappen Referat freilich keineswegs ausgeschöpft werden konnte.

Wackernagel.

MAX EISLER, Rembrandt als Land- schafter. F. Bruckmann, A.-G., München, 1918. (272 SS. mit 140 Abb.)

Über Rembrandts Landschaftskunst ist noch wenig, Zusammenfassendes überhaupt nicht ge- schrieben worden. Wo es geschah, wurde auf ihre Ausnahmestellung gewiesen; man ergab sich «ШЕ in ihren Bann und anerkannte ihre Genia- lität. Eisler ist der erste, der versucht, in seiner Darstellung mehr als eine bloße Würdigung zu geben. Mit reicher Materialkenntnis, feinem Stil- gefühl und solidem begrifflichen Rüstzeug forscht er nach Wurzeln und Zusammenhängen, bemüht

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er sich um entwicklungsgeschichtliche und ästhe- tische Werte. Diese Vielheit von Gesichtspunkten ist der Darstellung als solcher vielleicht nicht zu- gute gekommen; andrerseits aber ist es gerade das Umfassende von Anlage und Betrachtungsweise, das diesem Buche seine eigene Bedeutung ver- leiht. Wenn trotzdem nicht von einer „erschöpfen- den Darsteliung“ gesprochen werden kann, so liegt das nicht an einem Versagen des Verfassers, sondern an dem beweglichen Gegenstand, der schillernden Kunst Rembrandts: In jeder Aus- einandersetzung mit ihr wird nicht in erster Linie sie sich offenbaren; vielmehr werden es stets die Qualitäten des Schreibers sein, die uns zuerst ent- gegentreten. Und nur wo diese stark genug sind, wie bei Eisler, werden sie uns einen Weg weisen können in dasVerstindnis eines Künstlermysteriums.

Das einleitende Kapitel des Buches untersucht die geographischen, kulturellen und persönlichen Grundlagen von Rembrandts Landschaftskunst und findet hierbei Anlaß, bis tief in dessen früheste Jugend hinabzusteigen, indem es die Eindrücke verfolgt, dic als Natur- und Lebreindriicke auf die Formung der jungen Künstlerseele von Einfluß gewesen sein können. Eisler bezieht die beglei- tende Landschaft der Figuren- und Szenenhinter- gründe mit in die Betrachtung ein, wobei er weiter zurückreichende Wurzeln aufdeckt, als sie in den verhältnismäßig spät einsetzenden reinen Landschaften Rembrandts nachgewiesen worden sind. Hierbei scheint mir um nur eine Linie von Eislers Zeichnung anzudeuten besonders wertvoll der Hinweis auf den allgemeinen Zusam- menhang mit der Haarlemer Landschaftskunst der goer Jahre, die vor allem in den Leistungen des Esaias van de Velde und, über diesen, in den frühen Werken des in Leiden ansässigen Jan van Goyen verkörpert ist. Bei Rembrandt kann man einen Widerhall dieser Kunst finden in der Weise des Überganges von der Lastmanschen Tbeater- landschaft zur Naturlandschaft, wie sie uns etwa ale Flintergrund der Radierung des Rattengift- verkäufers entgegentritt. Die Untersuchung ver- folgt sodann in gesonderten Abschnitten die Land- schaft der Zeichnungen, der Radierungen und der Gemälde. Dieser Aufbau erscheint, solange er einem als Inhaltsübersicht begegnet, allzu schema- tisch und wenig glücklich, da er dem Leser ein Folgeverhältnis suggeriert. Darauf geht der Ver- fasser jedoch keineswegs hinaus; die drei Kapitel sind vielmehr drei parallele Längsschnitte, aus denen dann in einem synthetisierenden Schluß- absatz ein „Ergebnis“ zusammengefaßt wird. So darf diese Einteilung als eine dem Verfasser aus

kompositionellen Gründen gebotene hingenommen werden. | |

Die Weise, in der Е. an seinen Stoff Һегап- tritt, setzt, streng genommen, eine abgeschlossene Tatsachenforschung voraus, vor allem hinsichtlich der Echtbeitsfragen und Datierungen. Da gerade das Kapitel Rembrandt von der Verwirklichung dieses Ideals weiter, als weiches andere auch, ent- fernt ist, kann es nicht unterbleiben, daß Е, да und dort von Prämissen ausgeht, über deren Festig- keit noch Meinungsverschiedenheiten bestehen können. Trotzdem wäre es ungerecht, jene uto- pistische Forderung zum Ausgangspunkt .einer ab- lehnenden Kritik zu machen. Um Einzelforschung als solche ist es dem Verf. nicht zu tun. Er sucht Gegebenes zu verbinden und psychologisch zu er- klären. So wenn er z.B. im Abschnitt der Zeich- nungen gewisse Stilgruppen isoliert er nennt sie „Bauordnungen“ und diese aus einem folge- richtigen Wandel von Rembrandts Anschauungs- weise ableitet. ®'Vor pragmatisierenden Konstruk- tionen behütet ihn dabei sein freier Standpunkt, den er der in heftige Gegensätzlichkeit verteilten Stilkritik gegenüber einnimmt. Er formuliert ihn äußerst glücklich auf folgende Weise: . „der Kunstwissenschaft kann nichts so gefährlich wer- ‘den, als die Bereitwilligkeit, sich ... allgemeinen, logisch gültigen und einleuchtenden Entwicklungs- ordnungen hinzugeben, d. h. die Gesetzmäßigkeiten des Fortschritts im menschlichen Denken dem frei und anders gearteten Werdegang eines eigen- mächtigen Kiinstlerwesens unterzuschieben. Denn die bildende Natur hat ihr eigenes Gesetz und schreibt es nicht selten во, daß es dem allgemei- nen Denken wie Willkür erscheint. Hier gilt immer wieder nur der Einzelfall.“ Dieser wird uns oft widerspruchsvoll erscheinen. Aber „einem näheren Zusehen wird solch scheinbarer Wider- spruch zur Notwendigkeit. Man wird eben ihren Ausnahmsweg mitgehen müssen.“ Ganz ähn- liches ist gleichzeitig, im selben Thema Rembrandt, durch Neumann empfunden worden: „Man hat sich auf geschichtlichem Gebiet, überwältigt von naturwissenschaftlichen Einflüssen und Erfolgen, zu viel darauf eingelassen, von Entwicklung zu sprechen.“ (Rembrandt, Handzeichnungen, Mün- chen 1918, 8. 13). Eisler, so wenig wie Neu- mann, hat es hierbei auf die Leugnung einer Ent- wicklung abgesehen. Sie zielen vielmehr beide auf die praktische Handhabung der Stilkritik, der sie es nicht gestatten wollen, eine subjektiv kon- struierte Entwicklung als Maßstab zu gebrauchen. Das Gewicht liegt auf der Forderung, den Aus- nahmsweg der Künstlernatur mitzugehen. Aus

diesem Gedankengang erwächst die in ihrer Mög- lichkeit vielfach bestrittene Feststellung, daß es handelt sich hier vor allem um die Zeichnun- gen zur gleichen Zeit Verschiedenartiges ent- stehen könne. Aber das gilt natürlich auch nicht ohne Einschränkung, sondern nur für die „Haupt- wirkungen“. Die Mischung, aus der diese sich zusammensetzen, muß „alle Elemente eines ge- wissen Reifezustandes“ enthalten. Der Standpunkt kann leicht den Anschein geringerer Strenge und Wissenschaftlichkeit erwecken und birgt in jedem Falle die Gefahr in sich, dem Dilettantismus ein weites Tor zu öffnen. Wo er aber mit solchem Ernst und wegsicherer Methode, wie hier, verfochten wird, kann er nur klärend wirken. Ein prakti- sches Ergebnis der durch K. so geleiteten Stil- kritik ist u. a. die überzeugende Identifizierung des „Meisters der Schlösser“ mit Rembrandt.

Wenn von dem Buch nicht ausschließlich Gutes gesagt werden soll, dann muß man vor allem eine gewisse Undurchsichtigkeit des Ausdrucks bedauern, die den Gedankengang oft etwas ver- schleiert und dadurch an Aufmerksamkeit und Ausdauer des Lesers etwelche Ansprüche stellt. Wer diese aber nicht scheut, der wird die Lek- türe nicht ohne innerliche Bereicherung beschließen.

Einem am Schlusse des schön ausgestatteten - Werkes abgedruckten Verzeichnis entnehmen wir, daß dieses als ХШ. Band der Arbeiten des kunst- historischen Instituts der k. k. Universität in Wien

(Lebrkanzel Strzygowski) gedacht ist. Strzygowskis

Name steht auch auf dem Widmungsblatt, О. Hirschmann.

Das Alt-Berliner Grabmal 1750-1850. Hundert Aufnahmen und Vermessungen von Wolfgang Schütz. Kunstgeschicht- lich eingeleitet von Hans Mackowsky. Bruno Cassirer, Berlin 1917.

Vor einer Reihe von Jahren schon hatte Mackowsky in der Zeitschrift „Kunst und Künstler“ auf die verborgenen Schönheiten der Alt-Berliner Friedhofkunst hingewiesen und ein größeres Publikum für jene meist mit bescheidenstem Auf- wand so fein individualisierende Grabmalkunst zu interessieren versucht, die auf dem Boden der Reichshauptstadt in der Zeit des Barock, Rokoko und Klassizismus eine Blüte erlebt hat, von der namentlich die alten Friedhöfe vor dem Halle- schen und dem Prenzlauer Tor noch heute be- redtes Zeugnis ablegen. Freilich, vieles davon ist, weil allzuwenig gewürdigt und schlecht be- hiitet, der Zeit zum Opfer gefallen. Der Mahnruf

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Mackowskys, dahin zu wirken, daß dieser dem Verfall entgegengehende, künstlerisch wie kultur- geschichtlich gleich beachtenswerte Grabmäler- bestand Alt-Berlins dem Herzen der Gegenwart nähergerückt würde und ihr als eine Lehre und Vorbild erhalten bleibe, verhallte nicht ungehört. Geleitet von jener, von Mackowsky bis dahin schmerzlich vermißten „systematischen Sucher- freude“, hat der Charlottenburger Architekt Wolf- gang Schütz, diesen Anregungen folgend, in jahrelanger mühevoller Tätigkeit mit Kamera, Zeichenstift und Zollstock die Friedhöfe Alt-Berlins und seiner Umgebung abgesucht, den schwer über- eebbaren Besitz mit sicherem Blick für das künst- lerisch Wertvolle gesichtet und das Beste vom Guten in höchst instruktiver Gegenüberstellung von photographischem Klischee und zeichneri- scher Aufmessung in einem Tafelbändchen ver- einigt, das der Verlag mit allem ihm eigenen Geschmack und technischen Vorzüglichkeit aus- gestattet hat. Zum Impresario dieser im übrigen für sich selbst sprechenden Illustrationsfolge konnte Schütz keine geeignetere Feder gewinnen als Mackowsky selbst, der mit einem in großen Um- rissen dargestellten, konzis formulierten Abriß der Geschichte des Alt-Berliner Grabmals den Tafel- teil textlich einleitet, Das Material nach Stein und Gußeisen gesondert und die Chronologie waren für die Gruppierung des Stoffes maßgebend, Sehr interessant ist es, an der Hand der Bilder- folge dem allmählichen Wandel des Typus nach- zugeben. Wie das von Schadow übernommene Schema der Urne auf reliefgeschmücktem Piede- stal welche Fülle von Variationen hat man dieser einfachen Formkombination abzugewinnen gewußt! noch unter der Herrschaft Schadows selbst durch den antiken Sarkopbag und die Altar- form abgelöst wurde, wie dann Schinkel die Grab- stele zum allgemein beliebten Typus erhob, wie sich neben dieser Ausprägung des Freigrabes das

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Repräsentetionsbedürfnis der vermögenden Klasse aus dem alten Kapellentyp das architektonisch- monumentale, oft in ausgiebigem Maße die Hilfe der Relief- und Freiskulptur in Anspruch nehmende Wandgrab schuf das zu beobachten ist um so lehrreicher, als diese Entwicklung eine Parallel- linie darstellt zu dem Verlauf, den die große Kunst in Berlin von Schadows Barock bis zu Schinkels Klassizismus und Spätromantik hin genommen hat. Gerade weiles sich in der Hauptsache um schlichte, meist anonym gebliebene Steinmetzenkunst han- delt, die sich in dieser Alt-Berliner Friedhofplastik auslebt, wird unsere eigene stilunsichere Gegen- wart zur verdoppelten Bewunderung gezwungen für dieses in sich gefestigte, auf gesunder Tradi- tioh ruhende, dabei eminent phantasiereiche Hand- werk, tiber dem die guten Geister Schadows und Schinkels schweben. Mit dem Jahr 1850 rund bricht die Entwicklung ab, und es beginnt jene Sde Industrialisierung des Grabmalschmuckes, in der wir heute noch stecken. зеге Friedhof- kunst aus diesem Erstarrungszustand zu neuem Leben zu erwecken, setzte sich Schütz in seinem Büchlein zur Aufgabe. Für die Unterstützung des photographischen Perspektivbildes fast durch- weg Originalaufnahmen des Verfassers durch das exakte, genaue Maßangaben aufweisende plani- metrische Aufmaß nach Haupt- und Seitenansicht wird ihm der Praktiker besonders dankbar sein; erbält das Bild doch so erst seine Brauchbarkeit als Vorlage für den Nachschaffenden, Mit der mechanischen Kopie wäre freilich nichts geleistet. Wozu diese Retrospektive erziehen will, das ist durch Einblick in ein individuell seine Aufgabe erfassendes, solid ausgeprägtes Handwerk die Freude an der Originalarbeit wieder zu wecken und zu lebendiger Weiterführung der alten, jäh- lings unterbrochenen Tradition zu werben.

H. Vollmer.

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DER CICERONE. X, 23/24, Dez. 1918. GEORG BIERMANN: Das Postulat der Kunst.

ADOLF FEULNER: Das Bergungsmuseum in Valenciennes (Fortsetzung und Schluß). (18 Abb.)

JOACHIM KIRCHNER: Ein Künstlerschicksal im Weltkriege.

BIERMANN: Alexander Schnütgen +.

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. 54. Jahrg., Neue Folge XXX, Nr. 3.

Die Berliner städtische Kunstsammlung.

H. TIETZE: Georg Sobotka.

W.KURTH: Wenig bekannte Bilder auf der deut- schen Kunstausstellung in Sofia.

ALFRED LAUTERBACHS „Warschau“. Desgl. Nr. 4. Н. SCHNEIDER: Rembrandt in Italien.

W. KURTH: Herbstausstellung der Berliner Sezes- sion.

A.L. MAYER: Münchner Glaspalast 1918. Nekrologe.

Desgl. Nr. 5.

ECKART v. SYDOW: Leipziger Expressionisten. W. MARTINS „Altholländische Bilder“. Nekrologe.

Desgl. Nr. 6.

FRANZ ALMER: Kunstleben in der Schweiz.

FR. MARKUS HUBNER: Bei James Ensor in Ostende. Д

FRANZ RIEFFEL: Zwei mittelrheinische Altar- fligel in der Mainzer Galerie.

HANS TIETZE: Karl Graf Lanckoronski.

M. J. FRIEDLÄNDER: E. Waldmann, Albrecht Dürers Handzeichnungen. Nekrologe.

Desgl. Nr. 7. CURT GLASER: Kunst und Revolution.

KARL LILIENFELD: Neues tiber Leben und Werke A, de Gelders.

А. L. MAYER: Vor Kunstreformen im Volks- staate Bayern. Nekrologe. |

Desgl., Nr. 8. CURT GLASER: Demokratie und Kunst.

TH. TH. HEINE, К. SCHMIDT -ROTTLUFF; ART. DEGNER, DORA HITZ: Uber die Kunst im neuen Staat.

Literatur: „Hessenkunst“. Nekrologe.

Desgl. Nr. g.

PAUL CLEMEN: Alexander Schnütgen.

F. WINKLER: Cui Bono? Ein Angriff auf Bode.

G. SCHADOW: Ein Kunstaufruf aus dem Jahre 1848.

GRETE RING: Nachtrag zu Jan Van Scorel. Nekrologe. f

MITTEILUNGEN DER k, k. ZENTRAL- KOMMISSION FÜR DENKMALPFLEGE. Band XV, Nr. 9/12.

KARL HOLZEY: Grundlagen für die Ausgestal- tung des Karlsplatzes in Wien. Eine städtebau- liche Studie (Fortsetzung). i

Dr. JOSEF GARBER: Vom k, u. k. Heeresgruppen- kommando Feldmarschall Erzhzg. Eugen geborgene Kunstgegenstände aus Südtirol.

Tätigkeitsberichte für das erste Halbjahr 1917.

DIE KUNST. ХХ, а. WALTER COHEN: Eduard von Gebhardts Düssel- dorfer Anfänge. | WILHELM v. BODE: Das angebliche neue Auk- tionsgesetz,

E. W. BREDT: Ferdinand Staegers , Waldlegende“. WALTERCOHEN: Die Düsseldorfer auf der großen Berliner Kunstausstellung 1918 zu Düsseldorf. R. OLDENBOURG: Nationale Kunst.

H. SCHLOSSER: Die Ausstellung des Schweize- rischen Werkbundes in Zürich 1918.

HANS F. SECKER: Das Danziger Uphagenhaus. XX, 3.

JOS. AUG. BERINGER: Emil Lugo.

KARL SCHWARZ: Alt-München, sieben Radie- rungen von Wilhelm von Kobell.

PAUL SCHUMANN: Die Ausstellung „Deutsche Malerei des 19. Jahrh.“ im Kunstsalon Arnold in Dresden.

F. H. EHMCKE: Das Herrenhaus Neumühle bei Alt-Ruppin.

GEORG JACOB WOLF: Zu den Batikarbeiten Alexandra Proels.

AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL. KUNSTSAMMLUNGEN.

XL. Jahrg., Nr. a, Nov. 1918.

Н. EICKHOFF: Ausstellung von Handzeichnungen flämischer Meister des XV. Jahrh. bis XVII. Јаћгћ. O. WULFF: Ein Nachtrag aus der byzantinischen Skulpturensammlung.

OUDE KUNST.

IV, т.

W. MARTIN: Iets over gele en vuile Vernislagen. M. W. de VISSER: Een ivoren Kwannon-Beeld iut Japan.

М. G. WILDEMAN: Nog een Portret van Boer- haave door Aert de Gelder,

THEO van DOESBURG: „Daumier als Schilder.“ KAREL AZIJNMAN: De Aachttien oude Wijn- kannen der illustre Lieve Vrouwe Broederschap te ’s Hertogenbosch.

W. P. de VRIES: De Bibliotheek van Ihr. Coenen van ’s Gravesloot.

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KUNST UND KÜNSTLER.

XVII, 1.

WILHELM HAUSENSTEIN: Slevogt. (27 Abb.) EMIL UTITZ: Kunstphilosophie und Kunstleben. Rudolf Seebold 1.

Valerian von Loga }.

EMIL WALDMANN: Das Auktionsgesetz. KARL SCHEFFLER: Neuerwerbungen der Ber- liner Nationalgalerie. ХУП, 2.

FRANZ WINTER: Von vergleichender Kunst- geschichte. RICHARD WINKEL: Uber die altdeutsche Myste- rienbühne.

KARL SCHEFFLER: Wolf Röhricht.

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 24. Jahrg., Neue Folge, Bd. XXX, Heft 1/2.

JOS. AUG. BERINGER: Die Künstlerfamilie Kobell. HERMANN VOSS: Die Sammlung Plattky in Leipzig. Ы

ECKART v. SYDOW: Franz М. Jansens neue Graphik. |

ROBERT CORWEGH: Theodor Hagen.

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 1.

W. KURTH: Ausstellung der Freien Sezession

Berlin 1918. Taf., 25 Abb.)

ALEX. v. GLEICHEN -RUSSWURM: Deutsche

Schönheit.

E. W. ERDT: Ist moderne Kunst noch Spekula-

tionsobjekt ?

FRITZ v. OSTINI; Der Maler Julius Hüther. (1 farb.,

3 schwarze Taf., 14 Abb.)

MORITZ HEIMANN: Dekorative Radierungen von

Emil Orlik. (7 Abb.)

Prof. EMANUEL у. SEIDL: Hausmodelle. (x Taf.,

7 Abb.)

Bildhauer ERICH STEPHANI: Die bildende Kunst

nach dem Kriege,

LUCIAN BERNHARD: Innenräume im Hause

Karl Henkell in Wiesbaden. (2 farb., т schwarze

Taf., 18 Abb.)

KARL HECKEL: Die Kunst u. das Unterbewußtsein.

PAUL KLOBUCAR-Brünn: Emmy Zweybrück, ihre Werkstätte und ihre Schule. (x Taf., 11 Abb.)

УУ. KURTH: Neue Stickereien von Erich Bittner und Elsa Hoffmann. (2 Taf., 8 Abb.)

W. WARSTAT: Rudolf Dührkoop +.

OUD HOLLAND.

XXXVI, 3.

С. Н. de JONGE: Bydrage tot de kennis van de kleederdracht in de Nederlanden in de XVIe eeuw, (43 Abb.)

N. BEETS: Een schotel van Haarlemsch Porce- lein? (2 Abb.)

A. BREDIUS: Wanneer stierf Anthonie Mor van Dashorst?

Н. E. van GELDER: Nieuws over Jan Scorel. S. LEURS u. C. F. X. SMITS: Kempische torens, II. (9 Abb.)

NEUE BUCHER... . . . . . .

SLUYTERMAN: Huisraad en Binnenhuis in Neder- land. Verlag Martinus Nijhoff, Haag. Gulden 18.50, DVORAK: Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei. R. Oldenbourg Verlag, Miinchen. M. 2.50.

MERAY: Weltmutation. Max Rascher Verlag, Zürich. M. 10.—.

Birgitta Utställningen. Herausg. von A, Lindblom. National- Museum Stockholm.

CHRISTOFFEL: Der schriftliche Nachlaß des Anton Raphael Mengs. Verlag Benno Schwabe & Co., Basel. M. 4.50.

LIGTENBERG: Die romantische Steinplastik in den nördlichen Niederlanden. Band I: Die Relief- plastik und der Bauornamentik erster Teil. Verlag Martinus Nijhoff, Haag. Gulden 6.—.

JAGER: Die St.-Annen-Kirche und die Kloster- kirchen von St. Bernhardin und St. Micbael in Wilna. Verlag Zeitung der 10. Armee. M. 2.—. KAHN: DieStadtansicht von Würzburg im Wechsel der Jahrhunderte. Verlag Duncker & Humblot, Leipzig. М. 2.—.

RÖTHLISBERGER: Die Architektur des Grals- tempel im jüngern Titurel. Verlag A. Francke,’ Bern, Fr. 3.—. ,

KALLMORGEN: Zur Entwicklung der Landschafts- malerei. Verlag Е. 8. Mittler & Sohn, Berlin М. г.—.

XII. Jahrgang, Heft т.

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, Telefon Nord 439. Verantw. Schriftleiter HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, Uhlandstraße 158. Telefon: Amt Uhland 1897.— Verlag уоп KLINKHARDT & BIER.

MANN, Leipzig.

Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. У. WALTER FOITZICK, München, Tengstr. 43 IV. / In ÖSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ:

Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.

Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13467.

Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsbeften der kunstwissenschaftlichen Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.

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NORDDEUTSCHE MALEREI

Mit sieben Abbildungen auf sieben Tafeln Von KARL SCHAEFER

u den Vorarbeiten für eine zuverlässige Zusammenfassung der Kunstgeschichte

Norddeutschlands im 15. Jahrhundert hat in den letzten Jahren ortsgeschicht- liche Forschung manchen Beitrag geliefert und an hypothetischen Versuchen, Stil- zusammenhänge und Abhängigkeit einze'ner Meister und Werke nachzuweisen, hat es nicht gemangelt. Trotzdem sind wir vorläufig noch im Stadium des Suchens und Zusammentragens. Der vorhandene Denkmälerbestand ist noch keineswegs in genügendem Umfang bekannt und durch wissenschaftlich brauchbare Aufnahmen dem Studium zugänglich gemacht. Oft in entlegenen Dorfkirchen erhalten und über das weite Land hin zerstreut und schwer zugänglich wartet noch manches für unser Urteil wesentliche Werk der Einführung in die Forschung.

Leider haben die meisten der in Frage kommenden Denkmäler-Inventare auf diesem Gebiet nicht geleistet, was wir billigerweise von ihnen erwarten mußten. Wiedergaben und Beschreibungen von Werken der Malerei und Skulptur sind selten genügend. Für das Großherzogtum Oldenburg mag dieser Mangel einigermaßen mit der Erscheinungszeit der Veröffentlichung entschuldigt werden; ganz unver- ständlich bleibt aber die Vernachlässigung, die man in der Aufnahme der Denk- mäler der Provinz Hannover dem nichtarchitektonischen Teil widerfahren läßt. Ludorfs Bände aus Westfalen haben wenigstens das Streben, alles Erreichbare in guten photographischen Aufnahmen wiederzugeben, so daß die sachkundige Be- schreibung zum großen Teil. entbehrlich wird. Aber keines von diesen Werken hat leider die mustergültige Sorgfalt und die zuverlässige Sicherheit des Urteils erreicht, die wir an des trefflichen Schlie Inventar der mecklenburgischen Denk- mäler immer wieder genießen. Für das an kirchlicher Kunst so reiche Schleswig- Holstein, wo Haupt 1889 (I) sein dreibändiges Denkmälerverzeichnis abschloß, das heute in seinen Abbildungen gänzlich unzulänglich und im beschreibenden Text ebenso lückenhaft als schwer zu gebrauchen ist, warten wir seit 30 Jahren ver- gebens auf die dringend erwünschte Neubearbeitung. Und doch hätten gerade die Denkmäler-Inventare auf diesem Gebiet die dringend nötige Vorarbeit leisten sollen, die im Westen und Süden Deutschlands schon in der Zeit der Romantik begonnen und seitdem immer reicher ausgebaut worden ist.

In solcher Lage begrüßen wir jeden neuen Beitrag zur Norddeutschen Kunst- geschichte, wenn er uns Tatsachen bringt Denkmäler nachweist und in gentigen- den Abbildungen veröffentlicht, die unbeachtet waren, aus den Archiven Namen, Leben und Werk einzeiner Meister feststellt oder vervollständigt, und mit dem Rüstzeug der Stilkritik die Werke einer Hand aus der Masse namenloser Arbeiten zusammenstellt. Wir werden es aber bei solchem Stand der Forschung uns gern für später aufsparen, die subtilsten Fragen nach der künstlerischen Abstammung dieser kaum aus der Taufe gehobenen Meister aufzuklären und sind empfindlich gegen das wilde Hantieren mit Vermutungen über „Beeinflussung“ und Schul- zusammenhang, deren Zweifelhaftigkeit schon dadurch dargetan wird, daß fast jeder neue Bearbeiter seinem Vorgänger auf diesem Gebiet aufs augenfälligste wider- spricht, daß also an Stelle einer Klärung eine beständig zunehmende Verwirrung der Begriffe aus diesem fortgesetzten Konjekturenmachen entsteht.

Unter solchen Umständen wäre uns z. B. eine durchaus erschöpfende Behandlung der Hamburger Kunstgeschichte ein höchst willkommener Beitrag; denn die glän-

Monatehefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1939, Heft з 3 33

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zende Kunst Lichtwarks, mit feinfühligem Instinkt und mit überzeugender Bered- samkeit ein paar dankbare Hauptstücke als Wegweiser ans Licht zu stellen, hat natürlich das gesamte Gebiet wissenschaftlich nicht endgültig ausgeschöpft. Eine solche den heutigen Stand unseres Wisseris abschließend zusammenfassende Dar- stellung und eine Veröffentlichung aller einschlägigen Dokumente erwarteten wir eigentlich in der seit langem angekündigten Arbeit des unter Ad. Goldschmidts Leitung in die Wissenschaft eingeführten Assistenten der Hamburger Kunsthalle Carl Georg Heise. Er hat es statt dessen vorgezogen, uns in einem Band von fast 200 Seiten und 100 durchweg ausgezeichneten Abbildungstafeln einen Über- blick über „Norddeutsche Malerei“ zu geben, indem er in vier Kapiteln die Kunst von Köln, Westfalen, Niedersachsen und Hamburg behandelt. Köln und Westfalen waren nach Aldenhoven-Scheiblers grundlegendem Hauptwerk, nach С. Glasers knapper, das Wesentliche herausarbeitender Übersicht, nach Schmitz’ kenntnis- reicher, das sachlich Wichtige erschöpfender Darstellung in Burgers Handbuch der Kunstwissenschaft fast überflüssig; denn eine Schilderung der Kunstentwicklung in Niedersachsen und. Hamburg wäre trotz der wiederholten Zusammenhänge mit Köln und Westfalen, auch ohne diese Kapitel verständlich gewesen. Mancher wird auf der andern Seite die Elbe als Grenzlinie wenig glücklich gezogen nennen, wo Lübeck und seine Nachbarschaft in Holstein und Mecklenburg bald mit Hamburg, bald mit Westfalen eng zusammenhängen. Noch Schmitz hat z. B. angenommen, daß die 24 Gemäldetafeln aus der Elisabeth - Legende, die im Heiligen Geist - Spital in Lübeck die Brüstung über dem Lettner bilden, mit Meister Franckes Jugend- zeit in irgendeinem Zusammenhang stehen; und wenn sich in bezug auf diesen selbst die eigene кеске Vermutung Heises bewahrheiten sollte, was übrigens kaum wahrscheinlich ist, daß er, dessen Name bekanntlich nur in einer Handschrift des 16. Jahrhunderts erhalten ist, niemand anders sei als jener in den Akten dieser Zeit oft begegnende Henselinus von Strazeborg, dann hätte die Weiterverfolgung dieser Frage eigentlich mit Notwendigkeit nach Lübeck führen müssen, wo dieser selbe Henselin oder Johann von Straßburg (welches gemeint ist, wissen wir nicht) reichlich 30 Jahre lang als Bürger und Meister ansässig zu treffen ist. Ein an- deres allgemeines Bedenken betrifft nicht dieses Buch allein, sondern die meisten der letzten Untersuchungen einzelner Abschnitte der norddeutschen Malerei; es ist dies, daß sich in Niedersachsen und Westfalen, in Hamburg und Lübeck Malerei und Bildschnitzwerke für den Forscher nicht ohne Schaden trennen lassen. Ob sich die bisher unwiderlegte Annahme, daß beide häufig von einer Hand, fast regel- mäßig jedenfalls in derselben Werkstatt ausgeführt wurden, auf die Dauer etwas mehr oder weniger Einschränkung gefallen lassen muß jedenfalls hängen sie so eng zusammen, daß häufig die Skulptur Aufschlüsse gebend, berichtigend und be- stätigend herangezogen werden muß, wo die Malerei allein der Forschung nicht genügend deutlich den Weg weist. Man denke an die außerhalb Hamburgs Meister Bertram von der älteren Forschung zugeschriebenen Werke oder an die goldene Tafel aus Lüneburg; oder um irgendein Beispiel herauszugreifen wenn sich die recht einleuchtende, von Reineke zuerst ausgesprochene Vermutung bestätigt, daß die Skulpturen im Schrein des Fischeramtsaltars in der Jakobskirche zu Ham- burg von Claus Berg herrühren, dann hat es kaum noch viel Sinn, die übrigens außerordentlich schwachen Malereien seiner Flügel in die Hamburger Kunstentwick- lung einzureihen.

Diese Bedenken gegen den Zuschnitt der Untersuchungen Heises, gegen den Aufbau seines Buches und gegen die Stellung der Aufgabe habe ich deshalb vor-

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weg aussprechen wollen, damit sie uns in der weiteren Betrachtung die Freude an dem schönen Werk und seinen Ergebnissen nicht mehr Stören. Diese liegen, wie gesagt, in den beiden Abschnitten über Niedersachsen und Hamburg.

Es ist bezeichnend für den Stand unserer Denkmälerkenntnis, daß es ein bisher gänzlich unbeachtetes Werk ist, das Heise an den Anfang der Entwicklungs- geschichte der niedersächsischen Malerei stellt: Der Altar der Jakobskirche zu Göttingen, der durch eine ausführliche Inschrift auf dem Rahmen auf das Jahr 1402 datiert ist. Dadurch, daß sie schwer zugänglich waren, sind diese inneren Flügel- malereien des Altars besonders gut erhalten. Für diese Bilder fehlt es an Ver- gleichsstücken. Ihr Stil weist zurück ins 14. Jahrhundert. Niedersachsen scheint länger als die Nachbarlande in der strengen, allgemein europäischen Formen- überlieferung befangen, spät erst von der Sehnsucht nach Belebung des alten Schemas ergriffen zu sein, die in Köln im Meister der hl. Veronika, in Westfalen in Konrad von Soest lebendig war. Mit diesem Frühwerk von 1402 bringt Heise den Altar der Brüderkirche in Braunschweig in Beziehung, den Habicht zuerst in die nieder- sächsische Kunst eingereiht hat, und die Gemälde aus der Jugendgeschichte und der Passion Christi auf den Flügeln des um 1400 anzusetzenden Altars aus der Ägidienkirche zu hannöversch Münden, die im Provinzialmuseum zu Hannover auf- bewahrt werden. Habicht hatte eine Hildesheimer Malerschule als den haupt- sächlichen Träger der Kunstentwicklung in Niedersachsen erkennen wollen; er be- streitet nachdrücklich deren Zusammenhang mit Westfalen und sucht aus kölni- schen und „Franko-vlämischen“ Einflüssen die besten ihrer Leistungen zu erklären?). Für die goldene Tafel des Michaelisklosters zu Lüneburg nimmt er sogar die aus- nahmsweise Berufung burgundisch-vlimischer Meister als offensichtlich an. Wenn den reichlich unruhigen und in wenigen Fällen überzeugenden Konstruktionen Habichts auf dem Gebiet der niedersächsischen Kunstgeschichte, der Malerei wie der Skulptur, auch selten Vertrauen geschenkt werden kann, so soll man ihm doch das Verdienst lassen, daß er unsere Kenntnis von dem einschlägigen Denkmäler- bestand glücklich und reichlich vermehrt hat. Ob das berühmte Hauptwerk dieser Schule, eben die Lüneburger Goldene Tafel, restlos als Arbeit einer niedersäch- sischen Werkstatt erklärt werden kann, auch wenn sich der von Heise angeführte Zusammenhang mit der merkwürdigen Osnabrücker Predella und dem Altarflügel aus Bröckel bei näherer Nachprüfung als überzeugend erweist, scheint mir vor- läufig noch fraglich. Schmitz’ Auffassung, daß in der Lüneburger Tafel die Schul- verwandtschaft mit Conrad von Soest augenfällig nicht nur in der Gesamtzeich- nung und Färbung hervortritt, sondern darüber hinaus durch die Übereinstimmung mehrerer Szenen und ganzer Figuren gestützt wird, scheint mir zur weiteren Be- urteilung des Werkes bisher die wichtigste Erkenntnis zu sein. Und diesen von Habicht bestrittenen engen Zusammenhang mit Westfalen belegt dann auch das Kreuzigengsbild aus S. Lamberti, jetzt im Römermuseum in Hildesheim, das ganz . von den Typen des Conrad von Soest lebt.

Daß und wie Heise den einflußreichen aber keineswegs bedeutenden, entschieden rückständigen Meister Hans Raphon richtig einschätzt, indem er von dem frühen Einbecker Altar, dem Göttinger von 1506 und dem Halberstädter von 1509 als eigenhändigen Arbeiten des Meisters ausgeht und seine unbeholfene Kompositions- (х) С. Habicht, Zur gotischen Malerei Hildesheims, Monatshefte für Kunstwissenschaft 1913, S. 3478. Derselbe, Die gotische Kunst der Stadt Hannover. Hannov. Gedenkblätter 1913, 8. 2338. Der- selbe, Zur Filiation der flämisch-burgundischen Malerei in Niedersachsen. Monatshefte f. Kunstwissen- schaft 1914, 8. 3568.

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weise, die unübersichtlich mosaikartige Erscheinung seiner wie dekorative Gewebe bunt und reich erscheinenden Gemälde kennzeichnet ist ein dankenswertes Ka- pitel dieses Abschnitts. Daß diese derbe handwerklich knorrige Kunst mit den Niederlanden keinesfalls verwandt ist, und auch mit Westfalen wenig gemeinsam hat, sondern offenbar von Oberdeutschland ihre Anregungen geholt hat, stellt Heise, einer Vermutung Thodes folgend, einleuchtend dar. Über Erfurt läßt sich die Verbindungslinie aufweisen, die das „Wohlgemutische“ in den Stil Hans Raphons gebracht hat. Und aus diesem fränkischen Wesen Raphons versteht man dann das Werk seines namenlosen Schülers, der stärker noch den oberdeutschen Ein- flüssen und dem ersten Hauch der neuen Renaissancekunst zugänglich, die Male- reien an Wänden und Decke des Huldigungszimmers im Goslarer Rathause aus- geführt hat. Diese einheitlich durchgeführte Raumausstattung von selten vollstin- diger Erhaltung verdient als sichere großzügig dekorative Gesamtleistung mehr Be- achtung, als sie bisher gefunden hat’). Daß den bisherigen Annahmen, diese Wandmalereien seien um 1520 entstanden (Dehios Handbuch), aus allgemeinen stilistischen Gründen mehr Wahrscheinlichkeit innewohnt, als Heises Annahme, der sie um 1500 ansetzt, sei übrigens noch bemerkt.

Mit dem größten Vertrauen folgt man der ordnenden Hand Heises in der Be- urteilung der Hamburger Kunstgeschichte. Es bedeutet eine erfrischende Klärung, daß als Grundzug einmal festgestellt wird: Hamburgische Malerei ist kein Stilbegriff man kann nur von den verschiedenen Epochen der Malerei in Hamburg sprechen. Es fehlt die Kontinuität. Selbst die Verbindung zwischen Meister Ber- tram und Francke herzustellen und so eine bodenständige, in sich geschlossene Kunstschule zu erweisen, in der Bertram der große Bahnbrecher, Francke der genial begabte Erbe wäre, ist trotz Lichtwarks Überredungskunst nicht gelungen. Schon hier am Anfang des Jahrhunderts erleben wir also, was späterhin die Regel bleibt: In Hamburg’ folgen aufeinander meist von außerhalb kommende Meister der verschiedensten Richtungen; fertig ausgebildet treten sie ihre Arbeit an, und nach ihrem Tode verklingt ihr Einfluß rasch wieder; nur in den seltensten Fällen lebt etwas von ihrer Kunstweise in den Werken der Nachfolger weiter.

Einer eingehenden Untersuchung der wissenschaftlichen Hauptfragen, war Bertram der Maler oder der Bildhauer, und was ist sein persönlicher Anteil am Grabower Altar und an den ihm sonst zugewiesenen Werken, geht Heise aus dem Wege, indem er auf das Erscheinen verschiedener Einzelarbeiten hinweist, unter denen die Dissertation von Alfred Rohde wenigstens zum Teil erschienen ist. Daß die Hauptquelle seiner Kunst in Böhmen zu suchen sei, nimmt er wenn auch mit einiger Einschränkung gegenüber Rohde als feststehend an. Aber es wäre nicht nötig gewesen, auf eine eingehende Würdigung der überragenden Bedeutung dieses frühesten deutschen Altarwerks der neuen Stilgesinnung (1379!) für die gesamte Entwicklung zu verzichten. Auch nähme man dankbar eine vollständige. Wieder- gabe der sämtlichen urkundlichen Erwähnungen Bertrams hin. Denn Biernatzkis seit langen Jahren so verdienstvoll zusammengetragene Archivauszüge sind da-

(т) Es mag auffallen, daß auch Heise es vermeidet, die beiden Hauptsyklen von Wandmalereien im Lüneburger Rathaus in seine Betrachtung zu ziehen. Denn wenn sie auch infolge von Übermalungen im einzelnen nicht mehr als Originale gelten können, so gehören sie doch zu den bekanntesten und umfangreichsten Werken norddeutscher Wandmalerei. Freilich fügen sich die schlanken Einzel- figuren von Fürsten und Fürstinnen vor Landschafts-Hintergrund an der Wand der großen Rathaus- halle durchaus nicht in das Gesamtbild der niedersächsischen, dagegen vollkommen in die gleich- zeitige Lübecker Malerei ein.

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durch, daß sie im Museum für Kunst und Gewerbe aufbewahrt werden, doch nicht als allgemein zugänglich zu betrachten. Der Vertrag über die Lieferung des Altars der Englandfahrer ist nach einer Aufzeichnung von 1541 mit „mester Francken“ anno 1424 abgeschlossen worden. Über ganz Norddeutschland bis Finnland hin läßt sich die Wirksamkeit der Werkstätte verfolgen, aus der dies zweite Haupt- werk der Hamburger Kunst hervorgegangen ist. Aber unter den drei Malern, die als um diese Zeit in der Stadt tätig aus den Urkunden bekannt sind, trägt keiner diesen Namen. Wenn also „Francke“ vielleicht nicht der Name, sondern nur die Be- zeichnung der Herkunft bedeutete, könnte Arnoldus von Köln oder Henselin von Strazeborg dieser „Francke“ sein. Aber man scheut sich, ohne zwingendere Gründe diese radikale Lösung anzunehmen. Und mit der Zurückweisung der wilden Kom- bination Habichts ), der den Steinmetz Kristian von Bunna, einen Verwandten des Kölner Stadt- Baumeisters Francke, mit dem Hamburger Maler identifizieren will, wird man sich gern einverstanden erklären. Aber damit ist auch dies Problem noch immer weit von befriedigender Lösung. In bezug auf die künstlerische Ab- stammung Franckes begnügt sich Heise mit der Betonung, daß er keinenfalls ein Kölner gewesen sei, daß viele von den Zügen, die Lichtwark, der mit ganzem Herzen an der neuen naturalistischen Kunst seiner eigenen Zeit hing, allzusehr als originale persönliche Eigenart des Meisters hervorgehoben hat, uns heute als typische Züge des Zeitstils erscheinen, viel weniger als Schöpfungen eines ganz selbständig dastehenden Erfinders.

Indem Heise die Hamburger Malerei über Conrad von Vechta (+ um 1447) ‘und den handwerklichen Dekorationsmaler von rückständiger Bildung, Hans Borneman, weiter verfolgt, kommt er 20 dem Abschnitt seiner Untersuchung, der uns die be- deutendsten neuen Ergebnisse bringt: Leben und Werk des Hinrik Funhof. Sein · Name deutet auf westfälische Herkunft. 1475 wird er zuerst in Hamburg genannt. Er übernimmt durch Heirat mit H. Bornemanns Witwe dessen Werkstatt, wie das so oft der Weg zur Selbständigkeit, der Weg vom Gesellen zum Meister war. Im Frühjahr 1485 ist er gestorben. Außerordentlich rege war in diesem kurzen Jahr- zehnt seine Tätigkeit: Für den Rat liefert er eine Menge größere und kleinere Arbeiten, darunter Malereien, die zu Passionsaufführungen dienten: Für die St. Georgskirche ein 1484 vollendetes Altarwerk, das verschollen ist; ein weiteres umfangreiches Altarwerk für den Dom. Anno 1482 reist er nach Lüneburg, und 1485 empfängt seine zum zweiten Male Witwe gewordene Frau eine größere Summe als Restzahlung für die Altartafeln. Es handelt sich ohne Zweifel um die Fitigelbilder des Hochaltars in der St. Johanniskirche, die Hinrik Funhof eben noch vollendet hat, bevor er im Frühjahr 1485 wahrscheinlich an der Pest verstarb.

An Erhaltung und Qualität der Malerei sind diese von vielen lange schon be- wunderten, aber hier zum ersten Male in ganz vorzüglichen Abbildungen bekannt gegebenen und in die Literatur eingeführten Werke die wertvollsten Male- reien in ganz Niedersachsen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Und es ist wiederum bezeichnend für den Stand unserer noch in den Anfängen liegenden Erkenntnis der norddeutschen Kunstgeschichte, daß diese Entdeckung heute erst geschehen muß, unbegreiflich, daß in dem vor wenigen Jahren erschienenen Bande Lüneburg des hannöverschen Denkmilerinventars nur eine ungenügende kurze Beschreibung der Tafeln ohne den Versuch einer kunstgeschichtlichen Würdigung und ohne jede Abbildung enthalten ist.

| (1) Meister Francke, ein Kölner, in der Ztschr. f. christl Kunst 1906, 8. 68. 37

Offenbar ist Flandern die Heimat dieser Kunst. Memlingsche Züge sind nicht nur in der Aufteilung der Bildtafeln enthalten, auf denen in unermüdlicher Erzähler- freude durch architektonische Teilungskünste der Platz für drei oder vier, einmal sogar für fünf Bilder aus der Legende eines Heiligen zugerichtet wird, um den großen Maßstab der Vordergrundszenen nicht zu stören, und doch nebenbei noch dies und jenes unterbringen zu können. Aber mehr als Memling, der übrigens vor 1474 noch kaum einen überragenden Einfluß ausgeübt haben dürfte, kommt Dirk Bouts in seinen letzten Werken als das unmittelbare Vorbild und als der Meister in Betracht, aus dessen Lehre Funhof hervorgegangen ist. Fast tibervoll an Emp- findung, aber undramatisch und gelassen ist der Ton der Schilderung, in klaren Umrissen sind jedesmal die Hauptgestalten des Vordergrundes schlank aufgereckt und hochgewachsen hingestellt. Ein Meister der Bildniszeichnung gibt Funhof trotz der leidenschaftslosen sanften Grundstimmung eine Fülle von fein beobachteten Köpfen, voll zarter Gefühlsregungen, voll klarer Charakteristik. Selbst in Äußer- lichkeiten ist seine Abhängigkeit von Bouts deutlicher zu spüren als bei irgend- einem anderen der norddeutschen Maler; aber Funhof bleibt trotzdem eine eigene, das gewonnene Fremde selbständig verarbeitende Künstlerpersönlichkeit. Außer den vier köstlichen Lüneburger Flügeln weiß Heise dem Meister nur noch auf stil- kritischem Wege die durch Übermalung stark beeinträchtigte Tafel mit der Ma- donna im Ährenkleid in der Hamburger Kunsthalle zuzuweisen.

Was Heise über Absolon Stumme, den vermutlichen Meister des Domaltars, der heute in der Marienburg aufbewahrt wird, und über den Maler-Altar des jüngeren Borneman zu sagen weiß, geht über ortsgeschichtliche Bedeutung kaum hinaus; ebensowenig die paar Hamburger Werke, die am Anfang des 16. Jahrhunderts stehen.

Ich halte es neben den wissenschaftlichen Ergebnissen für einen großen Vorzug von Heises Buch, daß der Verfasser über eine ungewöhnliche Begabung zu an- schaulicher, leichtfließender Darstellung verfügt, und daß er außerdem für die aus- schlaggebende Bedeutung guter photographischer Aufnahmen unserer Kunstdenk- mäler eintritt, an denen es bisher in einer geradezu unverantwortlichen Weise gefehlt hat. Daß er selbst seine Darlegungen mit hundert Tafeln nach ausgezeich- neten und genügend großen, meist eigens für diesen Zweck angefertigten Auf- nahmen anschaulich machen konnte, ist unter diesen Umständen ein erhebliches wissenschaftliches Verdienst. Wir verdanken dem Entgegenkommen des Verlags von Kurt Wolff in Leipzig die Erlaubnis, einige der Druckstöcke hier wiedergeben zu können, |

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DIE HISTORISCHE ENTWICKLUNG DER MASSENGLIEDERUNG DEUTSCHER BAROCKPALÄSTE | Von WILLY P. FUCHS

ie Architekturgeschichte pflegt in der Regel nur nach dem Gesichtspunkt der

Entwicklung des architektonischen Details geschrieben und gelehrt zu werden. Aufbau der Massen ist ein Thema, das vielleicht in wenigen gut geleiteten Hoch- schulseminarien angeschnitten wird. Die heutige Baukunst steht aber im Zeichen der Erkenntnis, daß eine glückliche Disposition der Massen die erste Vorbedingung für das Gelingen einer ästhetisch vollkommenen Lösung einer Bauaufgabe bildet und daß die Gliederung der Flächen sowie die Ausbildung des Details im all- gemeinen Fragen zweiter Ordnung sind i).

Eine günstige Wirkung der Massengliederung (wie übrigens auch der Flächen- gliederung) wird erreicht entweder durch metrisch-harmonische oder durch malerisch- kontrastierende Reize. In der Baugeschichte sehen wir das erste Mittel haupt- sächlich bei den klassischen Bauten der Griechen- und Römerzeit und bei den klassizistischen der Renaissance angewendet, das zweite bei den Bauten des Mittel- alters und des Hochbarocks, insbesondere des deutschen Barocks in Frankreich und Italien ist der klassische vorherrschend. Von den verschiedenen Völkergruppen neigen die germanischen mehr dem ersteren, die welschen dem zweiten Prinzip zu, was natürlich nicht ausschließt, daß zu gewissen Zeiten das eine oder das andere Prinzip das allgemein herrschende war, so zur Zeit des Mittelalters. das malerische, zur Zeit des späten Klassizismus das metrische Prinzip*). Innerhalb der einzelnen Zeitstile tritt der Unterschied zwischen germanischer und welscher Kunstauffassung besonders deutlich beim Barock zutage. Während die letztere eine Architektur der abgeschlossenen Bewegung, der harmonischen Ruhe und des Gleichgewichts der Massen bevorzugt, sehen wir beim deutschen Barock eine Architektur der andauernden Bewegung, des Wachsens und Werdens, der kontra- stierenden Massenwirkung.

Der deutsche Barockpalast zeigt bezüglich seiner Massengliederung in der Haupt- sache drei Merkmale: starke Kontraste im Grund- und Aufriß, malerische Grup- pierung und harter Ansatz der Massen. Das verschiedene Stärkeverhältnis dieser Hauptmerkmale zusammen mit dem wechselnden Einfluß fremder Prinzipien er- klärt die bei aller Einheitlichkeit des Gesamteindrucks immerhin erhebliche Ver- schiedenartigkeit der Einzeltypen. Nach der Zusammensetzung der Grundelemente glaube ich die Gesamtheit dieser Einzeltypen in sechs Gruppen teilen zu dürfen.

Gruppe I. Paläste des deutschen Vorbarocks, fußend auf Prinzipien der deut-

schen Renaissance.

Gruppe П. Paläste des „typisch deutschen“ Barocks.

Gruppe Ш. Paläste, entstanden durch Einwirkung welscher, insbesondere fran-

zösischer Prinzipien auf den Typ des deutschen Barockpalasts.

(t) Ausnahmefälle sind diejenigen, wo das Moment der Masse ganz oder zum größten Teil fehlt, d. h. da, wo das Bauwesen sich dem Beschauer nur als Flächenbild darbiétet und etwa nur einen Teil eines größeren Gesamtkörpers (z. B. eingebautes Reihenhaus in enger Straße) darstellt.

2) Aus der Tatsache, daß jene germanische Neigung einmal die bekannten üblen Nachblüten der bistorisierenden deutschen Renaissance und ähnlicher „Stile“ getrieben, darf man nicht eine künstle- rische Minderwertigkeit des malerischen Prinzips überhaupt ableiten.

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Gruppe IV. Paläste, entstanden durch ideale Kombination deutscher, italie-

nischer und französischer Prinzipien.

Gruppe V. Paläste, fuBend auf dem Prinzip des römischen Barockpalasts, ver-

mischt mit deutschen und französischen Elementen.

Gruppe VI. Paläste, entstanden durch Einwirkung deutscher Prinzipien auf den

Typ des französischen Barockpalasts.

Der Einzelbetrachtung vorausschicken möchte ich die Bemerkung, daß ich die von Franzosen in französischem Stil ausgeführten Paläste Deutschlands, wie z. B. das Stuttgarter Schloß, das Neue Palais in Potsdam, die Schoßbauten du Rys in Kassel und Biebrich, ausschließen werde aus der Erwägung heraus, daß sie ihrem Grundcharakter nach eben doch französische und nicht deutsche Bauten sind, auch wenn da und dort vereinzelte deutsche Elemente!) zutage treten.

Gruppe L S

Die Schlösser des deutschen Vorbarocks, zu denen ich in Süddeutschland vor allen rechne Leonhard Dientzenhofers Kloster?) zu Banz (1698—1718) und sein erzbischöfliches Palais zu Bamberg (1695 1703) sowie J. Dientzenhofers Fuldaer Schloßbauten (1703—1713), tragen noch den Stempel schlichter deutscher Renais- sance an sich. Der Ansatz der Massen ist noch wenig hart, bei ihrem Aufbau sind wohl Kontraste in Anwendung gebracht, allein sie beschränken sich auf eine bescheidene Dominante (meist ein Mittelgiebel). Erst L. Dientzenhofers Bamberger Palais zeigt eine merkliche Verstärkung der Kontraste durch Anordnung zweier, um ein Stockwerk tiber die andern Bauteile emporgehobener Eckbauten der zweite Seitenflügel kam nicht zur Ausführung und leitet damit schon zur zweiten Hauptgruppe über. Bei Gestaltung dieser Eckbauten waren höchstwahrscheinlich frühere französische Pavillonbildungen (2. В. 4n Salomon de Brosses Schloß zu Coulommiers und seinem Luxemburgpalast) von bestimmendem Einfluß. Vermöge ihrer Masse bilden sie eine wirkliche Körperdominante®), der gegenüber der Mittel- giebel des Hauptflügels nur mehr die Bedeutung einer Flächendominante besitzt.

Die Schlösser des deutschen Nordens, wenigstens die nennenswertesten unter ihnen, nämlich die in Westfalen:

Horst (erbaut 1559 von Arndt Johannsen),

Ahaus (erbaut 1690—93, Meister unbekannt), und

Havestadt (erbaut 1563—72 von Laurentz von Brachum) und andere, die stilistisch zum niederdeutschen Kunstgebiet gehören, ihrer Anlage nach von französischen Bauten abhängen t), zeigen eine etwas lebhaftere Gruppierung der Massen, was hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben ist, daß die Eckbauten hier noch richtige deutsche Ecktürme°), nach Art derer von Aschaffenburg, sind.

(1) z. B. Mittelpavillon des Stuttgarter (s. später) und Seitentrakte des Biebricher Schlosses. (2) Die Klosterbauten der Barockzeit sind, dem Reichtum der Bauherren entsprechend, meist schloß- artig ausgebildet und gehören deshalb in den Rahmen der vorliegenden Abhandlung.

(3) Der kraftvolle Reiz der Eckbauten in Verbindung mit der sachlichen Monumentalität der Gesamt-

erscheinung machen diesen Dientzenhoferschen Bau dem heutigen Geschmack besonders sympathisch, und es wäre zu wünschen, daß er auf die Lösung ähnlicher neuszeitlicher Aufgaben (großer Ver- waltungsgebäude zum Beispiel) vorbildlich wirkte.

(4) Näheres hierüber in einer in Bearbeitung befindlichen Abhandlung: Der Ursprung und die Entwicklung der Uförmigen barocken Schloßanlage in Frankreich und Deutschland.

(5) Zwar kommen zu früheren Zeiten auch in Italien Ecktürme vor (z.B. Schloß der Este in Ferrara), allein sie bestehen in unwesentlich erscheinenden Aufsätzen über dem weitausladenden, den Baukörper

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Gruppe П.

Wohl die bekanntesten Beispiele der zweiten Gruppe sind die nachstehenden Schlösser.

Pommersfelden (1711—1718 von Johann Dientzenhofer),

Ellingen (1718—1720 von Franz Keller),

Neue Abtei in Schöntal (entworfen 1707 von L. Dientzenhofer, 40 Jahre später unter Mitwirkung B. Neumanns ausgeführt),

Werneck (1731—1747 von В. Neumann), |

die süddeutschen Klosterbauten von Weingarten, Wiblingen, Einsiedeln, Weißenau, St. Blasien und andere (auch das von einem süddeutschen Meister, wahrscheinlich Dientzenhofer, erbaute Grüssau in Schlesien).

Die diesen Bauten charakteristischen Eigenschaften sind: Überaus harter Ansatz der Massen, starke Kontrastwirkungen im Aufbau, aber ohne klare und wirklich beherrschende Dominante, malerische Gruppierung und damit weitgehende Locke- rung der Massen. Alle diese Eigenschaften verbinden sich zu einem Gesamteindruck, den ich mit „typisch deutsch“ bezeichnen möchte, insofern er das germanische, malerische Architekturideal in charakteristischer Weise wiedergibt. Die sich im Grundriß und Aufriß stark vordrängende Masse des Mitteltrakts ist in der Raum- gruppierung begründet, die in diesen Bauteil stets die Haupttreppe oder den Fest- saal oder auch beides zusammen (wie in Pommersfelden) legt.). Der Grundgedanke der Massengliederung führt zweifellos auf französische Vorbilder aus der Zeit der Spätrenaissance und des Frühbarocks zurück mit ihren Corps de Logis, niederen Seitenflügeln und erhöhten Eckpavillons. Aber die Lockerung der Massen war dort noch vollständiger und damit auch ihre klarere, folgerichtigere Trennung: jeder Trakt in sich abgeschlossen bis zum First des Daches, das nach allen Seiten abgewalmt —, aber in der Masse gegen den benachbarten fein abgewogen, so daß die Gesamtanlage als eine harmonische Verbindung selbständiger Bauteile erscheint. Bei den deutschen Bauten dagegen stoßen die Dächer hart an Mauermassen an oder schießen in benachbarte Dachteile ein, und die lockeren Massen des Aufbaus sind nicht aneinandergefügt, sondern nur aneinander geschoben, ohne Bindung“) mittelst durchlaufender Architekturglieder. Ungünstig wird die Gesamterscheinung beeinflußt auch durch die unschönen kubischen Verhältnisse (zu große Höhe im Vergleich zur Tiefe und Länge des Baukörpers), die bei den niederen französischen Schloßbauten wesentlich günstiger liegen. Bei den süddeutschen Klosterbauten wird der Mitteltrakt durch die zwischengeschobene Kirchenfassade gebildet, die jedoch meist in der Flucht der anschließenden Wohnflügel bleibt. Dies und die größere Länge der Flügel bewirkt eine wesentlich günstigere Massenerscheinung als bei den weltlichen Bauten; insbesondere kommt auch der Mitteltrakt besser als

abschließenden Zinnenkranz, also im Gegensatz zu den deutschen, organisch von unten herauf- wachsenden Türmen oder zu den späteren Eckpavillons de Brosses und den von ihnen abgeleiteten deutschen Eckbauten, die mit dem Hauptbaukörper richtig zusammengebunden und zusammen- gefügt sind,

(1) Dieser „deutsche“ Mitteltrakt ist also schon im Grundriß eine deutsche Erfindung. Bei den fran- zösischen Schloßbauten gab es keine Haupttreppe und der Festsaal war meist der Länge nach in einem Seitenflügel untergebracht, es fehlte also die Veranlassung zur Herausarbeitung eines massigen Mitteltrakts, und damit erklärt sich auch der ruhigere Fluß der gesamten Grundrißform der französi- schen Schlösser.

(2) Ein treffliches Gegenbeispiel mit ausgezeichneter Fügung und Bindung der Massen ist Fischers Schwarzenbergpalais in Wien (s. später).

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Dominante zur Geltung. Das Neumannsche Schloß Werneck zeigt schon mehr als die vorhergehenden weltlichen Beispiele den Einfluß französischer Kompositions- klarheit: harmonische Zusammenstimmung der Eckpavillons diese nicht mehr überhöht mit den Flügeln und klare, selbständige Dachausbildungen. Nur der Mitteltrakt hat die alte deutsche Körperbildung (in Neumannscher Form) beibehalten.

Gruppe IIL

Die dritte Gruppe wird beherrscht durch die Kunst des großen süddeutschen Barockmeisters Balthasar Neumann und seiner Schule. Deren Bauten kennzeichnen sich wiederum durch harten Ansatz der Massen; dagegen zeigen sie schwächere Kontraste und Dominanten (die letzteren durch dekorative Steigerungen gehoben). Die Fügung und Bindung der Massen ist jetzt zweifellos besser (durchgehendes Hauptgesims!) als bei den früheren süddeutschen Bauten. Die Hufeisen-Schlösser von Heubach (von J. Dientzenhofer ca. 1718), Würzburg (1720—44 von B. Neu- mann) und Münster (1767 —72 von J. K. Schlaun) sind bezüglich der Gesamtanlage unverkennbar von französischen Barockbauten (Le Merciers, Marots, Mansarts, de Cottes u. a) beeinflußt. Der Mitteltrakt ist zwar immer noch stark heraus- gedrückt, aber doch schon mehr in Zusammenhang mit dem übrigen Baukörper gebracht, besser mit ihm zusammengebunden als bei den Bauten der vorher- gehenden Gruppe’). :

Einen Typ fiir sich bilden die Einfront-Paläste Neumanns, sein Ehrenbreitsteiner Dikasterialgebäude (1738—1748) und das Oberzeller Abteigebäude, sowie das Trierer erzbischöfliche Palais seines Schülers Seiz (1756) Ein Vergleich mit Bauten de Cottes und Massols in Straßburg (z.B. bischöfl, Residenz-Palais Hessen- Darmstadt) zeigt die Herkunft der Neumannschen Massengliederung*), die sich kennzeichnet durch Geschlossenheit des Gesamtkörpers und geringes, nur dekora- tives Vorziehen einzelner Teile als Risalite (der mittlere als Dominante). Eine schon an den französischen Vorbildern auffallende Erscheinung macht sich bei Neumann in verstärktem Maße geltend: der nicht völlig zum Austrag gekommene Konflikt zwischen französischem Massenprinzip (Lockerung der Massen) und dem römischen Barockprinzip (absolute Geschlossenheit der Massen bis zum Dachfirst). Ich sehe darin auch den Hauptgrund für die Tatsache, daß die meisten Neumann- schen Palastfassaden trotz der Großzügigkeit ihrer Gesamtanlage und dem deko- rativen Reiz mancher Einzelheiten nicht ganz befriedigen können?).

(1) Bei den Gartenfronten der obengenannten Schlösser, insbesondere von Würzburg, sind Vor- und Rücksprünge in der Fassade äußerst eingeschränkt, also der harte Ansatz und die unruhige Front- entwicklung vermieden; sie stehen deshalb künstlerisch wesentlich höher als die Hauptfronten.

(2) De Cotte und Massol sind ihrerseits zweifellos wieder von dem Deutsch-Franzosen Nikolaus Person (T 1710 in Mainz) beeinflußt, dessen Schrift „Novum architecturae speculum“ den Aufriß eines Hauses Säwkopf) enthält, das schon annähernd dieselbe Teilung zeigt wie die Paläste Massols und de Cottes, Also eine wiederholte Wechselwirkung zwischen französischen und deutschen Baugedanken.

(3) Neumanns Stärke und Originalität liegt in der Hauptsache auf dem Gebiet des Innenbaus (Kirchen- räume, Treppenhäuser), er ist vor allem Raumkünstler. Von seinen Außenfassaden befriedigen nur wenige. und meist nur solche geringerer Bedeutung (Würzburger Gartenfront des Schlosses, Hutten- schlößchen in Würzburg, Schloß in Steinbach). Der Wert der prächtigen Schönbornkapelle (Würz- burg) beruht fast ausschließlich in seiner dekorativen, ornamentalen Ausschmückung. Und auch da war er von Wien abhängig, also nicht selbständig, wie er es ja überbaupt auf ornamentalem Gebiet nie zur Originalität brachte und stets nur der glänzende Vertreter des jeweils herrschenden Geschmacks war. (Seine Ornamentik macht den Stilwandel vom klassischen Barock bis zum Klassizismus mit.)

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Gruppe IV.

Den höchsten Grad künstlerischer Vollkommenheit erreichte die deutsche Barock- kunst da, wo sie die kraft- und phantasievolle deutsche Massengruppierung verband mit französischer Klarheit der Gliederung und italienischem Formgefühl. Bei der Gartenfassade des Mannheimer Schlosses, von dem Franzosen Froimont 1720—30 | erbaut, ist der französische Einfluß noch vorherrschend. Obwohl die Kontraste der Massen wieder viel stärker als bei Würzburg und Pommersfelden ähnlicher, ist durch feines Abwägen der Massen in sich und gegeneinander und Bindung der- selben ein zugleich kraftvolles und harmonisch ausgeglichenes Gesamtbild!) ent- standen. Auf ähnlicher Grundlage baut sich das Wiener Schwarzenbergpalais (1706—25 durch Fischer von Erlach) auf. Auf einem einfachen, rechteckig sym- metrischen Grundriß ist durch geschickte Gruppierung der Massen ein äußerst reizvoll bewegter und dabei ruhig harmonischer Aufbau entwickelt. Die klare Trennung der Trakte über dem Hauptgesims und die bestimmte, aber feine Heraus- arbeitung des Mitteltrakts konnte nur ein Architekt erfinden, der sich mit dem Geist der besten französischen Bauwerke?) völlig vertraut gemacht hatte. Die vor- züglich gelungene Bindung der Massen habe ich schon an anderer Stelle erwähnt.

Eine ganz andere Tonart hat der andere Wiener Großmeister, Hildebrandt, bei seinem Belvedere (1693—1724) angeschlagen. Hier kommt der Unterschied der Wiener Kultur von der des übrigen Deutschlands in seiner ganzen Tiefe zur Aus- wirkung. Es ist, als ob eine Wiener Melodie das Leitmotiv für die rauschende Symphonie dieses Bauorganismus hergegeben hätte. Trotz weitestgehender male- rischer Lockerung und Bewegung der Massen ist durch ihre klare Trennung, voll- endete Fügung und Bindung’), feinste Abwägung der einzelnen Bauteile gegen- einander nach Form und Masse (Gleichgewicht der Massen!) ein Bauwerk ent- standen, das alle Vorzüge der deutschen und der welschen Prinzipien in sich zu vereinigen scheint. Von größter Gestaltungskraft zeugt auch die verschiedene, dem Gelände trefflich angepaßte Ausbildung des Mitteltrakts an der Hof- und an der Gartenseite. Daß Hildebrandt nicht bloß in stilistischer Hinsicht, wie allgemein angenommen wird, mit französischen Barockbauten vertraut gewesen sein muß, zeigt der Vergleich mit einer Fassade Jean Marots zu dem Hotel eines Bankiers in Paris‘), die schon eine ähnliche Abstufung der Baumassen aufweist wie das Belvedere. Aber eben dieser Vergleich zeigt auch, wie viel freier und reicher das Motiv von Hildebrandt ausgebildet wurde.

Eine Art Duplizität der Erscheinungen zu Hildebrandt kann man wohl im Dresdner Pöppelmann sehen, den ich hier, da sein Hauptwerk, der Zwinger, nicht zu den Palastbauten im engeren Sinne gehört, hiermit nur streifen möchte.

Gruppe V.

Zeigen die vorgenannten Werke Hildebrandts neben denen von Pöppelmann die geistvoliste, formvollendetste Seite des deutschen Barocks, so sind Zeugen für

(x) Nicht wenig trägt zu diesem günstigen Gesamteindruck die feine Flächenteilung bei, der gegen- über die Pommersfeldner Mauern ziemlich derb erscheinen,

(з) Der italienische Einfluß auf Fischer kommt beim Schwarzenbergpalais nur iu der Detaillierung zum Ausdruck.

(3) Man beachte die wichtige Rolle, welche das den ganzen Baukörper umspannende Hauptgesims als Bindungsmittel spielt.

(4) Abbildung in i v. Geymüller, Renaissance in Frankreich (Handbuch der Architektur),

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dessen Fähigkeit zur größten Steigerung der Monumentalität die Bauten derjenigen Gruppe, als deren glänzendste Vertreter wir Schlüter im Norden, Fischer von Erlach im Stidosten kennen lernen werden. Zur Gefolgschaft Schlüters gehören die Ber- liner Klassizisten Decker, Eosander, Knobelsdorf, Gontard; zu derjenigen Fischers die österreichischen Meister Hildebrandt!), Martinelli, Prandauer. Der Unterschied der beiden Richtungen, der norddeutschen und der südostdeutschen, besteht eigent- lich nur im dekorativen Stil?), das System des Massenaufbaus ist bei beiden an- nähernd dasselbe. Die hervorragendsten. Beispiele Schlüterscher und Fischerscher Kunst, nämlich das Schloß von Berlin (1698—1706) und die Wiener Reichskanzlei (ca. 1700) bilden auch die besten Vergleichsmitte. Anknüpfend an das Prinzip des römischen Barockpalastes haben sie als Grundsatz für den Aufbau gewählt: Absolute Geschlossenheit und einfachste Silhouettierung des Baukörpers. Nur die Besonderheit der Aufgabe veranlaßte Fischer bei seiner Hofbibliothek (1723—35) wie übrigens auch beim Schwarzenbergpalais zur ausnahmsweisen Anord- nung einer lebhafteren Massengruppierung (Loslösung des Mitteltrakts). Nahe ver- wandt speziell mit dem Fischerschen Aufbausystem®) ist dasjenige von Bauten zweier in Deutschland heimisch gewordener Italiener, Gabriele de Gabrielis (z. B. Schloß zu Ansbach, 1713) und Giovanni Simonetti (z.B. Palast Czernin in Prag, 1683) sowie des Jesuiten Р. Christian Tausch (Universität in Breslau, 1728—39). Ferner zeigen ein Ähnliches System die Mehrzahl der südwestdeutschen Schloßbauten: die stilistisch Frankreich nahestehenden der Maximilian Welsch und Ritter von Gruen- steyn; die von Dientzenhofer und Neumann abhängigen böhmisch - fränkischen und diejenigen der Meister des oberschwäbischen Kunstgebiets, Cuvillié, Effner, Gunez- rhainer und Zuccali, sowie endlich des Schwaben Joh. Friedrich Nette. Bei einigen der letzteren, z. B. dem toskanischen und dem erzbischöflichen Palais in Prag, dem Corps de Logis des Ludwigsburger Schlosses, scheint das Prinzip der abso- luten Geschlossenheit des Baukörpers durchbrochen zu sein, und zwar durch An- ordnung umfangreicher Dachaufbauten, die ihnen wieder eine mehr deutsch-male- rische Note geben im Gegensatz zu der akademischen Strenge der Schlüterschen und der stolz abgemessenen Pracht der Fischerschen Schule. Und nur der Um- stand, daß die geschlossene Masse des Hauptkörpers doch noch dominiert, läßt ihre Zurechnung zur Gruppe V gerechtfertigt erscheinen, trotzdem ihre architekto- nische Haltung, insbesondere des Ludwigsburger Corps de Logis und deg erz- bischöflichen Palais in Prag, mehr zum Belvedere neigt. Das Motiv jener Dach- aufbauten, über horizontal abgeschlossenem Hauptkörper ein mittlerer Stockwerks- aufbau, führt, wie schon früher angedeutet, auf eine französische Anregung zurück. Aber eben der malerische Charakter des Marotschen Motivs widerstrebte der streng akademischen Architekturauffassung der Franzosen, und stand deshalb seiner

(1) D. h. nur mit seinen Stadtpalästen, da sein Landschloß Belvedere zur vorhergehenden Gruppe gehört. |

(2) Schlüters Fassadenstil beschränkt sich, unter dem Einfluß des damals in Berlin herrschenden französisch hugenottischen Kunstgeschmacks, auf Steigerung des Reliefs an einzelnen Tonstellen, im übrigen aber auf rhythmisch strenge Achsenbildung und sparsamste Verwendung von Schmuck. Fischer dagegen, ein echtes Kind der dem italienischen Einfluß besonders zugänglichen Ostmark, liebt eine flächig dekorative Behandlung der Fassade, mit kräftigster Steigerung des Schmuckes an- den Tonstellen (die Schmuckfreudigkeit Fischers kommt besonders an seinen kleineren Palastbauten, з. В, am Palais Trautson, zum Ausdruck).

(3) Wie verschieden dagegen die dekorative Gliederung ihrer Fassaden, zeigt ein Vergleich des Palasts Czernin mit der Wiener Hofkanzlei.

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weiteren Verbreitung in Frankreich selbst im Wege, während es deutsche Meister wie Hildebrandt, Frisoni!) und andere, weil dem deutschen Prinzip besonders zu- sagend, gerne aufgriffen und mit Vorliebe verwendeten.

Gruppe VL

Die Bauten, die ich unter dieser Gruppe zusammenfasse, stellen eine eigenartige Modulation des deutschen malerischen Prinzips der Massengliederung dar. Im Gegensatz zu den bisherigen Gruppen überwiegt hier der aus Frankreich kom- mende Horizontalismus: die meist zwei- oder gar einstöckigen Gebäude besitzen nur im Mitteltrakt eine Überhöhung in Gestalt eines selbständig abgedachten Zwerg- geschosses. Gegenüber den zuletzt erwähnten Bauten der vorhergehenden Gruppe haben diese Mitteltrakte den Vorzug, organischer aus dem Gesamtkörper entwickelt zu sein, was durch Vorziehen der Flucht vor den Hauptkörper bewirkt ist. Die meisten Beispiele finden sich in den Residenzen des mittleren und südwestlichen. Deutschlands. Zu den bekanntesten zählen die drei Hauptgebäude des Schlosses zu Bruchsal (das Mezzanin des Corps de Logis ist eine spätere Zutat), die von B. Neumann"), entworfen oder zumindest unter dessen Mitwirkung entstanden sind, sowie das Kavaliergebäude des Ludwigsburger Schlosses von Frisoni. Eine Stei- gerung des geschilderten Aufbauprinzips in vertikaler Richtung sehen wir an Schlössern nach Art des Rotenhaus in Teplitz). Dies sowie die Massensteigerung

(1) Donato Guiseppe Frisoni, obwohl welscher Herkunft, ist doch wohl als deutscher Barockmeister anzusprechen. Das Marotsche Motiv hat Fr. beim Ludwigsburger Corps de Logis verwendet. Daß dieser Aufbau tatsächlich von ihm stammt Gurlitt hat es, wie ich nachträglich erfuhr, auch schon vermutet dafür scheinen mir zwei Umstände zu sprechen. Einmal: Fr. wurde durch Nette nach Ludwigsburg von Prag weggerufen, wo er längere Zeit tätig war und gewiß Gelegenheit hatte, die eben erst entstandenen Werke Hildebrandts in Wien und Prag kennen zu lernen. (Fr. hätte dem- nach, ähnlich wie B. Neumann, auf zweierlei Wegen französische Einflüsse aufgenommen, auf direktem Wege als Mansardschüler, auf indirektem durch Vermittlung Hildebrandts.) Und zum zweiten hat Fr. erst durch den Aufbau auf dem Corps de Logis die künstlerische Einheit des Schloßhofes her- gestellt, dessen Flügelbauten (siehe Gruppe VI) auch von ihm stammen, denn das Corps de Logis ohne Aufbau wäre ein Fremdkörper geblieben unter seinen andern mit süddeutsch - französischen Mansarddächern versehenen Bauten. Die Rückwirkung des Corps de Logis auf Prager Bauten, ins- besondere das erzbischöfliche Palais (Aufbiegung des Hauptgesimses in der Mitte. Der in Prag, ab- weichend von Ludwigsburg, horizontale Abschluß ist eine Folge der architektonischen Gliederung des Hauptkörpers.) ist wieder ein Beweis für die oft konstatierte Wechselwirkung zwischen verschie denen Kunstgebieten. |

3) Ich kann mich heute weder Hirschs Ansicht, wonach M. Welsch, noch derjenigen Lohmeyers, wonach Gruensteyn der Hauptschöpfer des Bruchsaler Schlosses wäre, anschließen. Das Studium seines Massenaufbaus hat mich wieder auf Neumann gewiesen. Ein Vergleich des gartenseitigen Mitteltrakts des Corps de Logis mit denjenigen von Karlsruhe (Projekt) und Stuttgart ist besonders lehrreich. Alle drei zeigen eine unverkennbare Ähnlichkeit der Körpergestaltung (einschl Säulen- vorbau), die ihren gemeinsamen Ursprung im Mittelbau des Würzburger Schlosses bzw. dessen Wiener Vorbildern haben dürften. Auch die ornamentale Behandlung des Bruchsaler Giebels sieht Neumann ähnlicher als den beiden Meistern Welsch und Gruensteyn. Den Anteil Neumanns an der Ausführung des Mitteltrakts des sonst ganz französischen Stuttgarter Schlosses erkläre ich mir wenn ich dies hier anfügen darf folgendermaßen: Neumann hatte bekanntlich zu einem Wettbewerb für den Schloßbau Pläne geliefert. Den Auftrag zur Ausführung bekam jedoch sein Konkurrent de la Guepiére; aber wie es auch heute zu gehen pflegt: Für die Ausführungspläne wurden die Anregungen anderer „Teilnehmer gleichfalls mitbenützt. Und да war es begreiflich, daß der Neumannsche Mitteltrakt, der an das weltberühmte Würzburger Schloß erinnerte, beim Auftraggeber besonderen Anklang fand.

(3) Abbildung in: „Heimische Bauweise in Sachsen und Nordböhmen“ von О. Zech, Dresden 1908.

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des Hauptkörpers bringt solches wieder den süddeutschen Bauten der vorigen Gruppe näher, ja, die Anordnung eines Mansarddaches auch auf dem Hauptkörper läßt ihn sogar noch deutscher als jene erscheinen.

Einfluß deutscher Prinzipien im welschen Ausland.

Merkwürdig, aber unbestreitbar ist der Einfluß des deutschen Massenprinzips auf Palastbauten des romanischen, insbesondere italienischen Kunstgebiets'). Ich erwähne nur einige wenige, mir eben gegenwärtige Beispiele. Das eine ist Castelio del Valentino (ca. 1720 erbaut) in Turin, das Gurlitt einem Franzosen, einem Schüler Salomon de Brosses, zuschreibt. Die Gesamtanlage mit ihrem Cour d’honneur weist zweifellos nach Frankreich hin, die stilistische Haltung nach Italien Juvara könnte der Urheber sein —, auf Deutschland aber die Massengruppierung, die ma- lerische Massenhäufung an den Ecken des Corps de Logis, die besonders stark an der Talseite zur Geltung kommt. Auch die Form der steilen Dächer dieser Eck- bauten lassen auf nordischen Einfluß schließen. Ebenso dürfte wohl der Aufbau des Eskorialklosters bei Madrid mit seinen überhöhten Ecken, dem naiv-malerischen Dachaufbau über der Mitte und den steilen Bedachungen auf deutsche Vorbilder, insbesondere suddeutsche Klosterbauten, zurückzuführen sein“). Auch die Eck- aufbauten italienischer Schloßbauten, wie die des Palazzo Marini in Mailand (1555 von Alessi) und des Palazzo Ducale in Modena (1634 von Avanzini) sowie ins- besondere die des Schlosses zu Caserta (1752 von Vanvitelli) verdanken ihre Ent- stehung nicht weniger germanischen Einflüssen als den örtlichen Überlieferungen (vergl. Fußnote bei Gruppe I). Und daß endlich bei den phantastischen Entwürfen Pozzos die deutsche malerische Phantasie“) eine Hauptrolle gespielt haben muß, ist eine in der Kunstgeschichte schon längst fixierte Tatsache, die sich auf die einfachste Weise erklären ließe, wenn Gurlitts Vermutung richtig ist, daß nämlich Pozzo deutscher Abstammung war.

(х) Auf ähnlichen Wechselwirkungen beruhen folgende baugeschichtlichen Vorgänge: Der Italiener Solari verwendete beim Salzburger Dom zum erstenmal Doppeltürme unter Benutzung bestehender nordisch-mittelal'erlicher Fundamente ап barocker Kirchenfassade und deutsche Barockmeister vor allem Vorarlberger und Jesuiten) folgten, und ihnen wieder Norditaliener (Bernini, Rainaldi, Tibaldi). Oder: die Prachttreppen Juvaras und Rossis beeinflußten B. Neumann bei seinem Würz- burger Treppenhaus und dieses wiederum Vanvitelli bei seiner Prachttreppe im Schloß zu Caserta. (2) Kurz nachdem ich obiges niedergeschrieben, finde ich dieselbe Vermutung in einem Aufsatz der Deutschen Bauzeitung „über das nationale Element in der spanischen Kunst“ (Jahrgang 1916) aus- gesprochen, wo mit Beziehung auf den Erbauer Herrera gesagt wird: „Ob die Vorliebe für reichere Dachausbildung, ja für steile Dächer, wie sie der Eskorlal zeigt, auf germanische Abstammung hin- weisen oder ein Einfluß seiner Reisen und Studien in Brüssel sind, läßt sich nicht entscheiden.“

(3) Die klassische italienische Kunst ging stets auf Gleichgewicht der Massen wie der Einzelglieder aus. Der Reiz der Pozzoschen Entwürfe beruht aber gerade in der starken, oft an die Karikatur streifenden Übertreibung eines Einzelmotivs.

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KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER.

7. DIE WÜRZBURGER PLATTEN’) Mit zwölf Abbildungen auf sechs Tafeln Von HUBERT STIERLING

an sollte eigentlich erwarten, daß es bei einem Meister wie Vischer, der so

im Mittelpunkt der deutschen Kunst steht, nicht mehr viel zu erforschen gäbe. Nur eine Reihe von wirklichen Problemen hätte strittig bleiben dürfen Aber die Dinge liegen ganz anders. Wer sich einmal längere Zeit mit der Nürn- berger Hütte beschäftigt hat, der merkt zu seinem Erstaunen, daß die Arbeit doch überall nur teilweise getan ist. Manche große Strecken des Forschungsweges sind völlig unbegangen; so sind beispielsweise die inhaltreichen Arsenale Vischer- scher Kunst, welche der Bamberger und der Würzburger Dom bieten, fast ganz ungepriift In Bamberg hat man sich zwar um die Bischotsplatten gekümmert, die Domherrenplatten dagegen in der Nagel-Kapelle liegen nicht einmal in Photo- graphien vor; und doch beginnt hier die Reihe bereits vor Vischers Zeiten mit sehr interessanten gravierten Platten und geht dann durch viele Jahrzehnte hin- durch, wobei allerdings überwiegend handwerksmäßige Güsse angetroffen werden. Aus solchen wird Vischer sein täglich Brot gezogen haben, denn die eigentlichen Kunstplatten wurden doch nur in beschränkterem Maße von ihm gefordert.

In Würzburg sind die Plattenverhältnisse noch unerforschter. Aufnahmen sind kaum zu haben, zumal unter den gegenwärtigen Verhältnissen?). Die Domgeist- lichkeit selber steht kühl beiseite; vor тоо und 200 Jahren war es wesentlich anders. Dieser Tiefstand des Interesses hat es auch mit sich gebracht, daß nie- mand sich des alten Joh. Octavian Salver erinnerte, der im Jahre 1775 einen mächtigen Folianten mit dem Titel: Proben des Hohen Deutschen Reichsadels . ... herausgegeben hatte. Salver war der Sohn eines Würzburger Kupferstechers und von Jugend auf ein Freund der Geschichte. Seit 1773 war er fürstbischöflicher Archivar und gab 1775 sein eben genanntes Hauptwerk heraus. Dieses war mit mehr als 300 Kupfern ausgestattet, die vielleicht vom Verfasser selber herrühren, Die erhaltenen Denkmäler fast der gesamten Geistlichkeit sind hier vorgeführt, und man darf dankbar gestehen, daß sie für ihre Zeit mit bemerkenswerter Treue . wiedergegeben sind. Unter diesen Kupferstichen ist nun m. E. mehr als einer, welcher eine heute untergegangene Vischerplatte festhilt. Sind es auch keine Denkmäler von überragendem Werte, so haben wir bei dem heutigen Stande unseres Wissens doch keinen Grund, an ihnen voriiberzugehen. |

Das alte Würzburg scheint überhaupt ein Boden gewesen zu sein, auf dem ge- schichtliche Forschung gedieh. Ich nenne. zuerst den Bischof Christof Franz von Hutten (geb. 1673, gest. 1729), dem wir es zu verdanken haben, daß die

(1) Die früheren Vischeraufsätze: 1) „Dürer in der Vischerschen Werkstatt“ VIII. 366. a) „Die Grab- platte der Herzogin Sophie in Wismar“ X, 297. 3) „Zwei unbekannte Vischerwerke im Dom zu Meißen. Eine Entgegnung“ XI, 17. 4) „Das Rätsel des Sebaldusgrabes“ XI, 113 und 172. 5) „Vor- bilder, Anregungen, Weiterbildungen. Eine kurze Zusammenstellung“ XI, 245. 6) Das Urbild des Sebaldusgrabea XI, 341. Studien zum selben Thema sind ferner die ausführlichen Anzeigen von Mayer, Die Genreplastik an Р. Vischers Sebaldusgrab IX, 3418. Dettloff, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab X, 330 ff. und Kramer, Metallene Grabplatten in Sachsen vom Ende des 14, bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts (etwa 1390 bis etwa ı510) XI, 345.

(2) Ich bin darum den Kollegen Bruhns und Sedimaier sehr zu Dank verbunden, die mit ungewöhn- licher Bereitwilligkeit meine vielfachen Fragen und Bitten um Aufnahmen erfüllt haben.

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Erz- und anderen Platten ungemein frühzeitig aufgenommen und an den Wänden befestigt wurden. Salver sagt S. 710: „Diesem klugen und fürsichtigen Regenten haben wir es zu danken, daß wir einen so reichen Schatz an Denkmälern auf- weisen können. Noch als Domdechant [Hutten war seit 1716 Dechant, von 1724 bis 1729 Bischof] und Verehrer der historisch- und genealogischen Altertümer suchte Er die uralten aus Erz gegossenen und aus Stein verfertigten Grabmäler der vor längst verstorbenen Bischöfe, Domprälaten und Domherren zum allgemeinen Nutzen und Nechruhm des hohen Adels wiederum hervor und ließ sie zu Ver- ewigung ihrer Gedächtnis im hohen Dom öffentlich an die Mauern heften. Der frühzeitige Tod und Regierungs-Geschäfte hinderten Ihn, dieses so gemeintizige Werk in Druck zu beförderen.“ Man sieht deutlich, daß es das genealogische Interesse war, welches noch heute den Adel insgesamt auszeichnet und welches hier in hohem Mabe schützend auf de Erzdenkmäler gewirkt hat. Trotz alledem sind sie aber in den vorangehenden 200 Jahren bereits stark abgetreten worden, wie 2. В. die Platte des Peter von AufseB, gest. 1522, zeigt.

Im selben Jahre 1724, als Hutten die Regierung antrat, war ein anderer Mann nach Würzburg gekommen, der unter den Erforschern der Geschichte und deut- schen Altertumskunde einen ehrenvollen Platz einnimmt, nämlich Joh. Georg Eckard (1664—1730), welcher vorher der erfolgreiche und beliebte Mitarbeiter Leibnizens gewesen war, nach dessen Tode sogar sein Nachfolger, 1723. aber Hannover schuldenhalber heimlich verlassen hatte. Im Januar 1724 taucht er in Würzburg auf, tritt zur katholischen Kirche über und wird nun der glückliche Erforscher der fränkischen Geschichte. Man kann sich denken, mit welcher Freude Hutten diesen Mitarbeiter aufgenommen hat. Vielleicht gebührt Eckard ein Mit- verdienst daran, daß die steinernen und messingenen Urkunden nicht unter- gegangen sind.

Neben Salver, Hutten und Eckard ist endlich auch Ignatz Gropp zu nennen, der 1741—50 seine vier mächtigen Folianten Collectio Scriptorum et Rerum Wirce- burgensium novissima herausgab. Die drei Wissenschaftler sind mit ihren For- schungen ineinander verzahnt und für ung bei der Betrachtung der Erzdenkmäler von großem Wert!).

Die Männer, die uns auf den folgenden Platten entgegentreten, gehören sämtlich dem Adel an, denn das Würzburger Domstift hatte sich schon in seiner Entstehung als ein Konvent von Adligen konstituiert. Dem widerspricht es nicht, wenn uns auf den Vischerschen Platten gelegentlich Träger bürgerlicher Namen begegnen, denn das 'schließt den Adelsrang nicht aus: auch der Stadtadel, die Söhne der Würzburger Patrizier, fanden im Domstift Aufnahme. Aus diesem Erfordernis der adligen Herkunft erklären sich nun die konsequent auftretenden vier Eckwappen, denn sie bilden die sogenannte Ahnenprobe; nach den Domkapitelschen Aufschwir- büchern wurde im Anfang des 16. Jahrhunderts mit den beiden Eltern und ihren Müttern aufgeschworen, es waren also nur vier adlige Altnen erforderlich’).

(х) Ich sehe nachträglich, daß sich bei Gropp im 4. Bande, S. 383, die obige Nachricht ber Hutten schon 25 Jahre vor Salver findet; es heißt dort: „So legte er ebenmäßig an Tag seine Wissenschafts- volle Lieb zur Genealogischen und Historischen Antiquität, inmaßen er jene uralte aus Ertz gegossene Epitapbia und Grab-Schrifften der vorlängst verstorbenen theils Bischoffen, theils Praelaten und Dom- Herrn dieses Hohen Dom-Stiffts, so gleichsam in Vergessenheit gestellet, und in Finsternuß begraben lagen, zu großem Vortheil und Nachruhm des gesamten hohen Fränkischen Adels, wieder an das Licht gebracht, und nicht zu geringer Zierde des Dom-Stiffts, offentlich an die Mauren hat anhefften und zu ruhmwürdigsten Gedächtnuß verewigen wollen.“

(2) Amrbein im Archiv des hist. Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 1889, S. 17.

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a

Die älteste, aber untergegangene Würzburger Platte, die ich für Vischer in An- spruch nehmen michte, ist die des Ulrich Voit von Rieneck (Abb. 1), welcher allerdings schon 1467 gestorben ist. Sie ist jedoch so völlig im Charakter aller folgenden gehalten, daß ich keinen Grund sehe, sie von ihnen abzutrennen. Nach Salver 258 war Ulrich ein „besonderer Stifter oder Gutthäter bey Herstellung der Domherren-Begräbnisse“. Es ist darum durchaus möglich, daß die Dankbarkeit einer späteren Zeit ihm dieses Denkmal gesetzt hat. Der Dargestellte ist wie alle folgenden in Vorderansicht gegeben, nur daß er statt des Kelches ein Buch in den Händen hält, woraus zu schließen ist, daß er nur Diakon war. Auch sehen wir ‘auf seiner Platte noch kein Maßwerk, aber eine entsprechende Architektur, die auch auf Säulen ruht. Zu seinen Füßen steht sein Wappenschild. Die meisten Würzburger Platten verzichten auf die Anbringung an diesem Platze, mit Ausnahme der beiden Bibra; jedoch sind uns auch in Erfurt, Posen, Bamberg, Halber- stadt usw. zahlreiche Platten erhalten, welche hierin mit der ältesten Würzburger übereinstimmen. Um den Rand läuft folgende Inschrift:

Anno domini M. CCCCLXVII. die Jovis ХІШ. mensis maji obiit venerabilis do- minus Ulricus Voyt de rinecke senior canonicus hujus ecclesiae et fundator hujus altaris cum quotidiana missa, cujus anima requiescat in pace amen.

In den Ecken sieht man die Wappen der beiden Eltern Rieneck und Achol- fingen oben, der beiden Großmütter Wichsenstein und Scharenstetten unten. Die einfach rechteckige Form des Wappenschildes, welche den Schriftrand nach zwei Seiten leicht überschneidet, wiederholt sich auf allen folgenden Denkmälern sehr ähnlich. Die Form dieses Wappenschildes ist im Vergleich zu den an anderen Orten üblichen durchbrochenen Vierpässen sehr einfach. Dagegen entspricht es der Vischerschen Gewohnheit, daß hinter der Figur ein Brokatmuster angedeutet ist, welches jedoch noch nicht an einem Schnürwerk hängt. Der Fußboden ist in bekannter Weise quadriert. Endlich ist noch kurz darauf hinzuweisen, daß sich auf sämtlichen Würzburger Platten das Gewand am Boden leicht ausbreitet, wäh- rend es in Erfurt, Posen und Bamberg vielfach wie eine straffe, senkrechte, parallel gefältelte Masse kurz über dem Boden abschneidet; beide Arten sind jedoch in der Vischerschen Hütte nebeneinander üblich gewesen!!)

Auch die im Alter zunächst folgende Platte des Johannes von Alendorf (Abb. 2) ist uns nicht erhalten. Wir besitzen wiederum nur die Abbildung bei. Salver 314. Es ist eine Platte ganz vom gleichen Typus. Der Domherr steht auf einem quadrierten Fußboden, was deswegen hervorgehoben zu werden verdient, weil etwas Verwandtes auf den erhaltenen Platten mit Ausnahme derjenigen des Theodorich von Thüngen (Abb. 11) fehlt und infolgedessen der Verdacht auftauchen könnte, das Muster sei eine Zutat des Kupferstechers. Uber dem Domherrn sieht man ein naturalistisches Astwerk, das zwar auf seitlichen Säulen ruht und dessen flache Bogen oben verknüpft sind, aber dessen Vischerischer Charakter sonst nicht sehr erheblich ist. Es ist jedoch zu bemerken, daß in diesem Baldachinwerk die sämtlichen Würzburger Platten eine Sonderstellung einnehmen; trotzdem ist ihr Nürnberger Ursprung nicht im mindesten in Frage zu stellen: Urkunden, Aufbau der Figur, Qualität des Gusses, Schriftcharakter, Brokatmuster und anderes reden insgesamt eine eindrückliche Sprache.

Dargestellt ist Johannes von Alendorf?) (1400—1496). Er hatte ein ehrenvolles Leben hinter sich, wie man bei Amrhein nachlesen kann, und hatte sein Gedächtnis

(5) Den Lebenslauf des U. У. v. R. siehe bei Amrhein а. а. О. 1889, 255; Salver 258. (2) Salver 312, Amrhein a. a. О, 33, 175.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919, Heft 2/3. 4 49

besonders dadurch lebendig erhalten, daß er 1494 das Hospital zu den 14 Not- helfern gestiftet hatte. Er selbst oder andere haben sein Angedenken durch einen Grabstein und eine Messingplatte festgehalten.

Im Gegensatz zur vorigen ist hinter dem Domherrn kein Teppich angedeutet. Das entspricht vollkommen der Technik, die auf sämtlichen Würzburger Platten mit Ausnahme der ersten angewendet ist; auch Bamberg und Erfurt befolgen dieses Schema. Eigentlich aber ist es merkwürdig, daß die Domherrn in diesem Punkte zu sparen suchten, denn sie waren ja nicht nur von Hause aus vermögend, sondern bezogen ganz erhebliche Einnahmen aus all den geistlichen und welt- lichen Ämtern, die ein ausgedehntes mächtiges Bistum zu vergeben hatte! Der spätere Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn war sogar nicht nur Dom- kapitular und Propst von Komburg, sondern er diente außerdem noch im kaiser- lichen Heere und trug Offiziersuniform, als er zum Fürstbischof erwählt wurde. (Amrhein, 33,8) Von dem Einkommen der Domherren im allgemeinen erhalten wir eine Vorstellung aus den Berechnungen, die anläßlich der Säkularisation vor- genommen wurden. Danach betrug die Besoldung einschließlich der Naturalien etwa 3700 fl. = 5400 M. Diese Summe, die man nicht so ganz leicht in heutiges Geld oder gar in dasjenige des frühen 16. Jahrhunderts umrechnen kann, wurde meist noch durch die cumulatio beneficiorum, d. h. den gleichzeitigen Besitz von Prälaturen und Präbenden in mehreren Stiftskirchen erhöht. (Amrhein 33, 16.) So wird es sich vielleicht erklären, wenn Albert v. Bibra (s. u.) 20000 fl., 2000 Malter Getreide und 700 Fuder Wein hinterließ! (Amrhein 33, 257).

Danach haben also die Würzburger Domherren für ihre Grabplatten nicht gerade viel aufgewendet und stehen erheblich zurück gegen den Posener Domherrn Bern- hard Lubranski oder den Halberstädter Balthasar von Neuenstädt!).

In den vier Ecken der Platte sieht man wiederum die Ahnenwappen des Ver- storbenen, und zwar in der einfach rechteckigen Ausbildung, die den Würzburger Platten eigen ist. Oben erscheinen die Wappen von Alendorf und Völckershausen als der Eltern, unten von v. d. Tann und Buttlar als der beiderseitigen Großmütter. Die Inschrift lautet: Anno domini MCCCCLXXXXVI .. . octobris obiit reveren- dissimus pater ac dominus Joannes de Alendorf. Sancti Burkardi praepositus et hujus herbipolensis ecclesiae canonicus archidiaconus herbipolensis. cujus anima requiescat in pace.

Die im Alter folgende Platte (Abb. 3) ist zwar erhalten, jedoch wissen wir nicht, wen sie darstellt, denn Figur und Rahmen gehören ersichtlich nicht zu- sammen. Der Rahmen spricht von einem Richard von der Keere, gest. 1583, ‘die Figur selber dagegen ist wesentlich älter und stammt, wie der Vergleich mit dem Erfurter Domherrn Conrad von Stein (gest. 1499) zeigt, etwa aus der Zeit um 1500?) Sie ist wohl das schwächste Werk dieser ganzen Reihe. Der Kopf sitzt völlig zwischen den Schultern, ebenso wie in Erfurt. In der Anordnung des Gewandes sind jedoch beide Platten ein wenig verschieden; in Erfurt die steifen Parallelfalten mit dem geradlinigen Abschluß, in Würzburg die freiere Anordnung, die ich bereits erwähnt habe. Beide Platten sind Vertreter verschiedener Gewohn- heiten innerhalb der Vischerschen Hütte. Hervorgehoben sei auch noch, daß bereits die Abbildung bei Salver 401 die falsche Zusammenstellung von Figur und Rahmen bringt. |

(1) Abbildungen in den Inventaren; Photographien bei Stoedtner, Berlin. (2) Eine gute Aufnahme der Erfurter Platte beim dortigen Photographen Bissinger, eine Abbildung bei Buchner in der Ztschr. f. Christl. Kunst 1903, 169 ff.

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Etwa gleichzeitig wird man sich die Platte des Domherrn Georg уоп Giech (Abb. 4), gest. 1501, denken dürfen. Der Aufbau der Figur ist völlig der gleiche, jedoch erscheint sie durch die freiere Kopfhaltung der vorigen wesentlich über- legen. Leo Bruhns, der in seiner Grabplastik des ehemaligen Bistums Würzburg während der Jahre 1480—1540 (Leipzig 1912, Klinkhardt & Biermann) 5. 43 eine schöne Charakterisierung dieser Platte gibt, erblickt in ihr die älteste Renaissance- figur Würzburgs. Natürlich ist ihm dabei nicht entgangen, daß weder die Schrift noch das Maßwerk diese Bezeichnung erlauben. Er hat lediglich die breit und ruhig dastehende Gestalt mit dem mächtigen fleischigen Kopf im Sinne. Die Re- 'naissance, die Vischer hier zum Ausdruck bringt, ist sozusagen eine unbewußte, oder man könnte auch sagen, eine wahlverwandte, denn von frühester Zeit an ist ihm diese breite, sichere Art der Menschendarstellung eigen gewesen. Das Eckige, Knittrige, unruhig Bewegte ist schon seinen frühesten Schöpfungen fremd, mag man nun an die wundervolle schwere Gestalt des ruhenden Erzbischofs Ernst im Magdeburger Dom denken oder an die noch frühere Darstellung der Szenenbilder aus der Sebalduslegende, welche sich auf dem Wiener Entwurf von 1488 finden. Fülle und Ruhe, Weichheit und Sicherheit der Formengebung ist ihm immer eigen gewesen. Daher ist es auch gekommen, daß man immer den Versuch gemacht hat, ihm die Gerreplastik des Sebaldusgrabes zuzuweisen. Soweit aber ist der Vater nicht in den Geist der neuen Kunst eingedrungen. Was ihm zu erreichen beschieden war, das liegt in der Richtung dieses Georg von Giech.

Der Domherr ist bekleidet mit der dünnen, fein gefältelten Alba, in welche unten ein kleines Brokatstiick eingesetzt ist. Solche Einsätze wiederholen sich nicht nur in Würzburg noch mehrfach, sondern auch auf den Bamberger Bischofs- platten, die urkundlich als Nürnberger Arbeiten gesichert sind. Über der Alba trägt der Domherr das pelzige Almutium, dessen Schwere von Vischer vortrefflich charakterisiert ist. Zwischen beiden Gewändern erscheinen noch ein kunstvoller Brokatmantel, dessen Muster nach Justi, Repertorium 24, 39 bei Vischer am häufig- sten angetroffen wird. Zu Häupten des Dargestellten sieht man ein merkwürdig hartes und nicht gerade geistvolles Maßwerk, welches sich auf den folgenden Platten mehrfach wiederholt. Ich glaube nicht, daß die Erfindung auf Vischer zurückgeht, denn sie widerspricht der sonstigen Formenauffassung, die sich in der Figur doku- mentiert, völlig. Es wird vielmehr durch die Visierung so vorgezeichnet gewesen sein, wie wirjaauch nachher auf der Platte von Aufseß ein Muster finden, das völlig unvischerisch ist, dagegen zahlreich auf Würzburger Steinplatten jener Zeit begegnet.

Die Wappen in den Ecken sind nach Salver 278 diejenigen von Giech und Neu- stetter als der Eltern oben, von Vestenberg und Mistelbach als der Großmütter unten.

Die Platte ist in sieben Teilen gegossen, die Figur aus einem, der Rand aus sechs. Der obere Inschriftsstreifen mitsamt dem Wappen und dem Maßwerk stammt aus einer Form. Die Langseiten der Inschrift sind in je zwei Stücken gefertigt. Zum unteren Inschriftsstreifen gehören wiederum die unteren Wappen. Übrigens ist die rechte Hälfte des unteren Streifens mitsamt dem Wappen in Holz ergänzt.

Die Inschrift, die mit einem echt Vischerischen A beginnt und mit einem ebenso echten Schlußzeichen endigt, hat folgenden Wortlaut: Anno a nativitate Christi MCCCCC primo, Sabbatho octava mensis Maji obiit reverendus Pater dom. Georgius de Giech praepositus ac canonicus ecclesiae cujus anima requiescat in pace. Amen. Georg von Giech war ein mächtiger Mann. Er bekleidete nicht nur die Würde eines Archidiakonus, sondern war auch Landrichter des Herzogtums Franken und

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mindestens seit 1494 Dompropst. Für ihn trifft also die vorhin erwähnte cumu- latio beneficiorum im vollen Umfang zu. Dementsprechend verfügte er über ein sehr erhöhtes Einkommen).

Die im Alter folgende Platte ist Martin von der Keere f 1507 gewidmet (Abb. 5). Sie entspricht in jeder Hinsicht so sehr der vorangehenden, daß ich mich kurz fassen kann. Die Platte ist wiederum in sieben Teilen gegossen, die Alba mit dem eingesetzten Brokatstück zu Füßen verziert. In den vier Ecken sieht man oben die Wappen von v. der Keere und Lichtenstein als der Eitern, unten von Wolf von Wolfstal und Havenau als der beiderseitigen Großmütter. Die Inschrift lautet: Anno domini МСССССУП die XIII. mensis decembris obiit reverendus pater dominus Martinus de Kere hujus majoris decanus et canonicus ac sancti Joannes in haugis herbip.ecclesiarum praepositus, cujus anima requiescat in pace °).

Auch die Platte des 1511 verstorbenen Dompropsten Albert von Bibra) (Abb. 6) bietet nichts Neues. Sie ist wiederum in sieben Teilen gegossen: das ganze Ober- stiick mit MaBwerk und entsprechenden Teilen des Schriftrandes ist aus einer Form; zu der unteren Schriftzeile gehören die beiden Ecken; die übrigen Teile der Langseiten sind aus je zwei Stücken zusammengesetzt. An Stelle des Brokat- einsatzes auf der Alba begegnet uns hier das Bibrasche Wappen, eine Anordnung, die bei Vischer an vielen Orten zu beobachten ist.

In den Ecken sieht man oben die Wappen von Bibra und Modschidler von Reinsbrunn als der Eltern, unten von Fuchs von Rügheim und Vestenberg als der beiderseitigen Großmütter. Zwischen ihnen liest man folgende Inschrift: Anno domini МСССССХІ. die solis vigesima quarta augusti obiit reverendus pater Albanus de Bibra majoris et sancti Joannis novi monasterii herbip. ecclesiarum praepositus cujus anima requiescat in sancta pace. Amen.

Bischofsplatten sind uns merkwürdigerweise mit Ausnahme derjenigen des Lorenz von Bibra (Abb. 7) f ı519 nicht erhalten. Denn die bei Salver S. 332 erwähnte Grabplatte für Bischof Rudolf von Scherenberg, + 1495, ist nicht mehr vor- handen. Auch diese Bibrasche Platte gehört wiederum der billigen Art an, bei welcher nur Rahmen und Figur von Metall gefertigt sind. Das darf uns bei der mächtigen, wohldotierten Stellung eines Bischofs wundernehmen?); ich erinnere noch einmal daran, welchen beträchtlichen Nachlaß man beim Tode seines kürzlich ver- storbenen Verwandten, des Dompropsten Albert von Bibra, vorgefunden hatte. (Vgl. S. 50).

Die Bischofsplatte ist aus sieben Teilen zusammengesetzt. Die Figur ist aus einem Stück gegossen, der Rand aus sechs und zwar so, daß das untere Quer- stück mitsamt den Vierpässen, das obere sogar mitsamt dem Laubwerk und den entsprechenden Teilen des Randes in einem Stück gefertigt sind. Im übrigen sind die Langseiten des Randes aus je zwei Teilen gegossen. |

In den Ecken erblickt man die Wappen von Bibra und Schenk von Schenken- wald als der Eltern oben, von Voyt von Salzburg und Schenk von Schweinsberg als der beiderseitigen Großmütter unten. Zu Füßen des Bischofs steht das ver- bundene Bibrasche Stiftswappen )).

8 Vgl. auch Amrhein 33, 76. a) Vgl. Salver 380 mit Abbildung, und Amrhein 33, 26. (3) Die Lebensgeschichte dieses reichen und bedeutenden Mannes bei Wilhelm Freiherrn v. Bibra,

Beiträge zur Familiengeschichte der . . Bibra II, 57 ff. Mit Abb. München 1882; vgl. ferner Salver, 38a und Amrhein 33, 257.

(4) und zwar deuten die drei Spitzen, der sogenannte Rechen, auf das Stift Würzburg, die Fahne auf das Herzogtum Franken. |

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Die Form der Vierpässe unterscheidet sich von allen übrigen "Würzburger Platten dadurch, daß hier die (z. B. von den Bamberger Bischofsplatten her) wohlbekannten Vischerschen Vierpässe, welche den Schriftrand leicht überschneiden, zur Anwen- dung gelangt sind; eine kleine Besonderheit dabei ist es, daß sie ganz aus Messing gegossen sind, während Vischer sonst gewöhnlich den Steinuntergrund durch- scheinen läßt. Auch die schön verschnörkelte Schrift kam seltener in der Nürn- berger Hütte zur Anwendung. Sie hat folgenden Wortlaut: A. D. MDXIX. Die dominica VI. mensis Februarii obiit Reverendissimus in Christo Pater et Dominus Dominus Laurentius de Bibra, Dei Gratia Episcopus Herbipolensis et Franciae orientalis Dux, cujus anima in pace requiescat. Amen.

Das Laubwerk zu Häupten des Bischofs ist in einer bestimmten naturalistischen Art gehalten, die Vischer niemals eigen war, dagegen sich in Würzburg mehrfach wiederholt. Man fühlt also, daß hier eine Visierung zugrunde liegt. Desgleichen entspricht es nicht der Vischerschen Gewohnheit, das Laubwerk ohne seitliche Stützen zu lassen. Der Nürnberger Meister dachte viel zu real, um an solchem unmotivierten Schweben sein Genüge zu finden.

Die Platte dieses Bischofs ist unter allen Würzburger Güssen ohne Frage die schönste. Das Haupt ist wundervoll durchgebildet und trägt ernste, gedankenvolle Züge, wie sie diesem geschichtlich hochbedeutenden Manne eigen sein mochten. Auch die Spuren von Ungemach, Krankheit und Verdruß, von denen Salver (S. 375) berichtet, scheinen in dieses Antlitz gegraben. Aber es gehörte die technische Sicherheit der Nürnberger Hütte dazu, um den Charakter der durchfurchten, . weichen und alten Züge so treffend und doch so zurückhaltend wiederzugeben.

An dem Vischerschen Ursprung ist nicht zu zweifeln, wenngleich er weder durch Inschrift noch durch Urkunde bestätigt ist. Wir besitzen jedoch das Zeugnis des bekannten Würzburger Geschichtsschreibers Lorenz Fries (1491 1550), welcher berichtet, „der liegende Grabstein mit dem messenen Bilde ist zu Nürnberg ge- macht worden“ ). Auch Gropp schreibt in seiner Collectio .... I, 173 (1741) »Monumentum ... Norimbergae ex aere fusum .. .“.

Worauf die Angabe Dauns in seiner Künstlermonographie S. 67 beruht, „dieses Denkmal sei ein Guß des Hans Vischer, und dieser habe unter Vermittlung des Nürnberger Rates den Bischof von Bamberg (!) gebeten, die noch ausstehenden 22 fl. von Lorenz (!) von Bibra beizubringen, vermag ich nicht zu sagen. Hier liegt offenbar eine Konfusion mit dem Epitaph des Domherrn Georg v. Bibra in Bam- berg, gest. 1536, vor. Dort ergeben sich sehr ähnliche Begleitumstände, vgl. Bergau, Peter Vischer und seine Söhne (in dem Dohmeschen Sammelwerk Kunst und Künstler 1878), 5. 51).

Die im Alter folgende Platte des 1520 verstorbenen Domherrn Thomas von Stein (Abb. 8) ist uns nur in dem Kupferstich Salvers erhalten. Ihr Verlust ist für uns jedoch nicht groß, da sie im Figürlichen wie im Ornamentalen völlig das Schema der Giechschen Platte wiederholte. Ich beschränke mich daher auf Be- kanntgabe der Wappen und der Inschrift. Die vier Eckwappen, welche die Würz- burger Tradition im Gegensatz zur eben besprochenen Bischofsplatte wieder auf-

(x) Lorenz Friese u. a. Geschichtsschreiber von dem Bischofthum Würzburg. Von Joh. Peter Ludewig. Frankfurt 1713. Über die geschichtliche Stellung des Bischofs vgl. Amrhein 33, 298: „Hochangeseben bei Kaiser Max und ein Liebling des Mainzer Erzbischofs . . . war (er) bis zu seinem Tode einer der einflußreichsten Fürsten des deutschen Reiches.“ Für die Lebensgeschichte Bibras ist vor allen Dingen die eben genannte Schrift seines Nachkommen Bd. II, 277 bis 337 zu vergleichen!

(2) Vgl. ferner W. von Bibra а. а. O. П, 226 f. und Baader in Zahns Jahrbüchern 1868, 244.

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@ nehmen, zeigen die Wappen vom Stein zum Altenstein und Lichtenstein als der Eltern oben, von Seckendorf und Feilitsch als der beiderseitigen Großmütter unten. Die Inschrift lautet: Anno domini MDXX. nono calendas mensis julii obiit reveren- dus pater dominus Thomas von stein zu altenstein decanus et archidiaconus eccle- siae cathedr. herbip., cujus anima requiescat in pace. Amen’).

Kurz darauf folgt die Grabplatte des 1522 verstorbenen Domdechanten Peter von Aufseß (Abb. 9). Was uns Salver 329 und Amrhein 33, 114 von seiner Stellung berichten, läßt erkennen, daß bei ihm wiederum die cumulatio beneficio- rum in ganz erheblichem Maße zutraf. Trotzdem hat auch er sich mit einer ein- fachen Platte des überlieferten Schemas begnügt. Vergleicht man sie mit der ziemlich gleichzeitigen des Domherrn Balthasar von Neuenstädt, gest. 1516, im Halberstädter Dom, so sieht man sehr nachdrticklich, welcher natürlichen Bereiche- rungen das Würzburger Schema fähig gewesen wäre, vor allen Dingen durch die Ausfüllung des Hintergrundes mittels eines Brokatteppichs ).

Die einzige Besonderheit, welche die Aufseßsche gegenüber allen anderen Würz- burger Platten aufweist, ist jenes merkwürdige, unklare Ornament zu Häupten des Dechants. Es geht sicher nicht auf Vischer zurück, sondern ist ein in Würzburg und Umgegend häufig verwandtes Motiv, von welchem Leo Bruhns?) wahrschein- lich gemacht hat, daß es auf den Landshuter Meister Stefan Кобајег“) zurückweist. Solche eingeschnürten, körnigen, fruchtartigen Gebilde, deren botanische Urform ganz unkenntlich ist, beobachten wir zwar mehrfach an Riemenschneiders Bibra- denkmal im Würzburger Dom (Bruhns Abb. 24). Aber Rottaler hatte sie bereits vorher an fast jedem seiner Grabmäler angewendet, bald in Gestalt von hängen- den Festons, bald als Eckfüllungen. Bruhns macht darauf aufmerksam, daß es wohl keine andere Gegend Deutschlands gebe, wo dieses Ornament schon im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts auftaucht, in Mainz nicht und vor allen Dingen nicht in Nürnberg, wo man viel zu solide empfand, um derartige unklare Bildungen ins Leben zu rufen®). Wie sehr dieses Ornament ein Fremdkörper in der Vischerschen Tafel ist, erkennt man besonders an dem unglücklichen Verhältnis zu den beiden seitlichen Säulen, welche es tragen sollen: ein so phantastisch aus- geschwungenes Gebilde findet natürlich auf dünnen Stangensäulen keine sinngemäße Stütze. Seit der Aufrichtung der Platte wird der Blick noch ganz besonders un- glücklich auf die Kapitäle und die Ansatzpunkte der Bogen hingelenkt, weil hier (wie an mehreren anderen Stellen) in sehr ungeschickter Weise derbe breite Halte- klammern angebracht sind. |

Um das Denkmal läuft folgende Inschrift: Anno domini MDXXII. die XIX. aprilis obiit reverendus pater dominus petrus de aufseß hujus herbip. decanus ejusdem ac bamberg. cath. eccl. capitularis, cujus anima requiescat in pace.

In den Ecken sieht man die Wappen von AufseB und Giech als der Eltern oben, von ‘Thiingfeld und Neustädter, genannt Stürmer, als der beiderseitigen Großmütter unten.

Gegossen ist die Platte aus nur ftinf Stiicken einschlieBlich der Figur; der ganze Oberteil des Randes samt den Ornamenten ist von Kapitälhöhe ab aus einem Sttick, ebenso der Unterteil einschlieBlich der Wappen. Die Reste der Langseiten sind wiederum aus je einem Stiick. I

Die Platte ist im oberen Ornament ziemlich breitgetreten.

: (1) Das Lebensgeschichtliche bei Salver 321 und bei Amrhein 33, 268. |: Abb. im Inventar; Photographie bei Stoedtner, Berlin.

(3) Die Grabplastik des ehemaligen Bistums Würzburg. Leipzig 1912, 8. 55.

(4) Philipp Maria Halm, Stefan Rottaler. München 1908.

(5) Vgl. Bruhns, Taf. IX, wo zwei Rottalersche Werke von 1515 und 1520 abgebildet sind.

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Es vergehen nun mindestens 16 Jahre, ehe wieder ein Nürnberger Guß nach Würzburg gekommen zu sein scheint. Erhalten hat sich wenigstens als nächste Platte nur diejenige desJoh. von Gutenberg (Abb. то), gest. 1538. Peter Vischer, Vater und Sohn, waren bereits ins Grab gesunken, nur Hans Vischer kommt dem- nach für uns in Betracht, denn daß die Platte etwa noch 1528 oder 29 gegossen sei, dagegen spricht vor allen Dingen der Rahmen. Die Figur selber allerdings führt die Tradition der Hütte in lebensvoller Weise weiter. Der Domherr steht in prachtvoll breiter Erscheinung vor uns, ist meisterhaft gegossen und mit einer schönen, maßvollen Realistik dargestellt. Der große, schwere Körper des Mannes hat etwas merkwürdig Lebensvolles. Es ist durchaus kein Schematismus, wenn der Leib leicht vortritt und vor allen Dingen, wenn das Fleisch der ehemals vollen Backen und des Halses nun infolge des Alters erschlafft ist und viele Falten zeigt, Desgleichen ist der breite Mund sehr persönlich gebildet. Der Eindruck würde noch schöner sein, wenn nicht die Würzburger 200 Jahre dem Domherrn ins Antlitz getreten hätten; man sieht an Ort und Stelle gleich, wie die Nase ihren Schnitt dabei eingebüßt hat.

Der Rand der Platte gibt sehr zu denken. Die Inschrift ist völlig unvischerisch, Desgleichen sind die Wappenschilder in anderer Weise als sonst angebracht. Sie sind zwar gleichzeitig mitgegossen, aber sie sollen offenbar wie aufgelegt wirken. Ein Zeichen der Zeit ist es, wenn der einfache Schild hier mehrfach eingekerbt ist; man spürt, daß man auf dem Wege zum Rollwerk ist, welches wir auf den folgenden Platten schon antreffen. Das Merkwürdigste aber ist die Ausgestaltung des Baldachinstückes. Sie ist nicht nur auffallend ungeschickt, sondern weist auch Ornamente auf, die wir aus der Vischerschen Hütte nicht kennen. Es scheint hier überhaupt nicht alles in Ordnung zu sein, denn zu Häupten des Domherrn sieht man eine Kugel derselben Art, wie sie das Fabelwesen auf der rechten Seite hat. Trotzdem darf man nicht sagen, daß dieses ganze Kopfstück vielleicht irrttim- lich vor 200 Jahren bei der Aufrichtung in die Platte hineingebracht sei, denn es ist ersichtlich mit dem entsprechenden Stück des Rahmens gleichzeitig und zu- sammenhängend gegossen. Ein ebenso großes Stück bildet den Unterteil des Schriftrandes. Zwischen beiden ist je ein weiteres Stück des Rahmens für sich gegossen. Der Rahmen besteht also aus vier, die Figur aus einem Stück.

Die Inschrift hat folgenden Wortlaut: Anno domini MDXXXVL die XIII februarii obiit reverendus pater ac dominus Joannes de guttenberg decanus et senior majoris ecclesiae herbipolensis cujus anima in christi pace requiescat.

In den Ecken sieht man die Wappen von Gutenberg und Plassenbėrg als der Eltern oben, von Künsperg und Seckendorf als der beiderseitigen Großmütter unten“).

Die folgende Platte des 1540 verstorbenen Theoderich von Thüngen (Abb. 11 und тта) ist uns nur teilweise erhalten, da der Schriftrahmen fehlt. Es liegt also derselbe Fall vor, wie bei der dritten hier besprochenen Platte, die jedoch irrtüm- licherweise in den Rahmen des Richard von der Keere gesteckt war. Eine Ab- bildung bei Salver zeigt, daß der Rand im Jahre 1775 noch vorhanden war. Die Gegentiberstellung des Kupferstichs und der Originalaufnahme ist auch insofern interessant, als sie deutlich den ziemlich hohen Grad der Zuverlässigkeit Salvers anzeigt. Fortgelassen hat er im wesentlichen nur den quadrierten Fußboden, der hier vereinzelt wieder auftaucht; wir tanden ihn nur auf den beiden ersten, zugrunde gegangenen Platten.

(1) Die reiche Lebensgeschichte dieses 84 jährig verstorbenen Mannes siehe bei Saiver 321 und be- sonders bei Amrhein 33, 262.

55.

Das Laubwerk zu Häupten des Domdechanten hat auf dieser Platte keinen vischerischen Charakter mehr. Desgleichen fehlen die seitlichen Säulen. In den Wappenschilden tritt uns die neue Mode des Rollwerks entgegen, die auf der ganz wenig älteren Platte Gutenbergs noch nicht zum Durchbruch gekommen war. Dargestellt sind die Wappen von Thüngen und Süzel von Mergentheim als der Eltern oben, von Rüd von Kollenberg und Mülhofen als der beiderseitigen Groß- miitter unten. Die Inschrift hat folgenden Wortlaut: Anno domini MDXL.XXV. aprilis obiit reverendus pater dominus theodoricus de thiingen hujus majoris cano- nicus ac s. Joannis novi monasterii herbn. ecclesiarum praepositus cujus anima in pace requiescat!).

Endlich bleibt noch die Platte des Heinrich von Würzburg (Abb. 12) zu er- wihnen, welcher 1555 als Statthalter des Bischofs verstarb. Sie gleicht im wesent- lichen der vorigen, jedoch ist die Tracht hier zum ersten Male eine andere. Das ist in gewisser Weise auffällig. Vor allen Dingen aber macht das späte Todes- datum Schwierigkeiten. Denn die letzte Nachricht, die wir von Hans Vischer haben, stammt aus dem Jahre 1549. Damals erhielt er. auf sein Ansuchen vom Rat die Erlaubnis, auf fünf Jahre nach Eichstätt „seiner bessern Nahrung willen“ auszuwandern?). Es ist ja bekannt, mit welchen finanziellen Schwierigkeiten der letzte Vischer zu kämpfen hatte. Wann er gestorben ist, wissen wir nicht. Aber ebenfalls ist es uns unbekannt, ob die Platte des Heinrich von Würzburg nicht etwa schon vor 1555 gegossen ist. Es bleibt ein Rätsel, aber kein beunruhigendes.

In den vier Ecken sieht man auf Rollwerkschilden die Wappen von Conrad von Würzburg und Sabina v. d. Tann als der Eltern oben, von v. Giech und Mörlau als der beiderseitigen Großmütter unten. Die Inschrift hat folgenden Wort- laut: Anno Domini MDLV die Veneris XXVIII. mensis Junii obiit reverendus Do- minus Henricus a Würzburg, jubilaeus scholasticus ac senior canonicus hujus eccle- siae cujus anima deo vivat amen’). А

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Damit sind wir am Ende. Was іп Würzburg ап weiteren Platten erhalten ist, hat nichts mehr mit Vischer zu tun. Zwar wird das Schema, welches er hier oder in den Bamberger Bischofsplatten angegeben hatte, unentwegt fortgesetzt, aber die technische Leistung wird so gering, daß von Kunstwerken nicht mehr die Rede sein kann. Trotzdem scheinen auch diese Platten aus Nürnberg bezogen zu sein. Jedenfalls ist von der des Bischofs Friedrich von Wirsberg, gest. 1573, überliefert, daß sie aus Nürnberg stammt. Die Visierung hatte der Würzburger Maler Martin Seger geliefert; Anton Malholzer hatte die Agnaten und „das Waffen“ im Holzmodell geschnitzt. Der Guß kostete 229 8.%) Vielleicht war der Gießer jener Georg Straubinger, welcher sich auf der Platte des Albert Schenk von Lim- риге, gest. 1576 (Abb. im Würzburger Inventar 125) folgendermaßen nennt:

In des Feuerhitz | Schmeltz man mich mit witz | das ich lauter flos | Jorg Strau- binger mich gos | Zu Nurmberg fürwar | Als man zelt 1580 Jar.

(1) Das Lebensgeschichtliche bei Salver 342 und 384; dazu Amrhein 33, 284. (2) Baader in Zahns Jabrbiichern 1868, 245. (3) Das Lebensgeschichtliche bei Salver 353 und 382; bei Amrhein 33, 71.

(4) Würzburger Kammermeister Rechnung У Ј. 1574/75. Rechnungsarchiv Nr. 44228. Unter „Auß- geben an Geldt vff weylandt Bischoffe Friederichs Christseeliger gedechtnus begrebnus < Laufende Nummer der Ausgaben (= Vortrag) 42:

„Item 229 guiden 8 d. zalt fur den Messenen Guß, vff Bischoff Friederichs hochseeliger gedechtnus Grabstein Im Thumbstifft .... durch einen Rodtschmidt zu Nurmberg gegossen, vnnd durch Mul- höltzern zallt wordenn, Laut seiner Rechnung Actum 14. Juny 74.“ Gefällige Mitteilung des Kreis- archive Würzburg.

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ALABASTERRELIEFS VON WILHELM VAN DEN BROECK IM MAXIMILIANSMUSEUM IN AUGSBURG

Mit sieben Abbildungen auf drei Tafeln Von THOMAS MUCHALL-VIEBROOK

m Maximiliansmuseum in Augsburg sind in der Skulpturensammlung drei Ala- basterreliefs, zwei mit der Darstellung der Kreuzigung, eines mit der Auf- erstehung Christi, aufgestellt. Die beiden Kreuzigungstafeln sind voll signiert. Auf der kleineren läuft am Rand des ornamentierten Schildes, das der Hauptmann auf den Boden stützt, ein Schriftband: „Guilielmus Paludanus Jnven(to)r et fecit anno D. 1562,“ auf der größeren steht an der Steinplinthe unter dem rechts Knieenden der Würflergruppe „G.P.F. anno 1560“ (Abb.ı) und ferner auf der Schwertscheide des Würfelnden ganz vorne rechts „Guilielmus Paludanus fecit.“ Die Zugehörig- keit der nicht signierten Auferstehng ergibt die zweifellose stilistische Übereinstim- mung’). Der Erhaltungszustand läßt zu wünschen übrig. Besonders schlecht ist derjenige der Kreuzigung von 1560. (Abb. 2.) Ein großer Sprung durchzieht hori- zontal schräg ansteigend ungefähr die Mitte der Tafel. Die Gestalten Christi und der Schächer weisen schwere Schäden auf; ganze Stücke des Steins fehlen. Bei beiden Kreuzigungen ist die Steinoberfläche stellenweise durch den Rost von Eisen- teilen, die offenbar früher irgendwie über den Reliefs angebracht waren, stark mit- genommen und zerfressen worden. |

Wer ist dieser Guilielmus Paludanus? Paludanus ist die lateinisierte Umschrei- bung des Familiennamens van den Broeck, als dessen Träger zahlreiche vlämische und holländische Künstler des 16. und 17. Jahrhunderts erscheinen“). Die Persön- lichkeit des hier in Frage kommenden Bildhauers Guilielmus Paludanus oder Wilhelm уап den Broeck ist in der Literatur nicht unbekannt, ohne daß bisher Werke von ihm zum Vorschein gekommen wären. In dem 1567 erschienenen Buch des in Antwerpen lebenden Italieners Lodovico Guicciardini, der „Descrit- tione di tutti i paesi bassi“ wird Wilhelm уап den Broeck zusammen mit seinem Bruder Hendrick und einem Verwandten, dem Kupferstecher Crispinian, „tutti di Malines“ erwähnt und ihm das Prädikat eines „grande scultore studioso е diligente‘ beigelegt. Dieses Werturteil wird auch von Vasari in der zweiten Auflage seiner Viten von 1568 in dem den vlämischen Künstlern gewidmeten Kapitel mit den gleichen Worten übernommen.

Alles an biographischen Daten über den Künstler überlieferte Material, sowie .eine Aufzählung von ihm geschaffener, aber nicht mehr erhaltener Werke findet sich, fuBend auf den Liggeren (Ausgabe von Rombouts und Lerius, 1864—76, Band I, S. 200/202), die als Hauptquelle in Betracht kommen, in kurzen Artikeln von E. de Taeye in Thieme-Beckers Künstlerlexikon, Band 5, S. 45, sowie von Wurzbach in seinem niederländischen Künstlerlexikon, Band 1, S. 188, veröffentlicht.

Ein inhaltsreicher Aufsatz Walter Bombes (Repertorium für Kunstwissenschaft, Band 37, 1915) über „Flandrische Maler in Perugia“ bringt wieder einen Auszug der wichtigsten Lebensdaten des Wilhelm van den Broeck aus den Liggeren sowie

(1) Maße: Kreuzigung von 1560: Höhe'78cm, Breite 35 em; а: vonıs62: Höhe 86cm, Breite 70 cm; Auferstehung: Höhe 51 cm, Breite 41 cm. (з) Thieme-Becker, Allgem. Kiinstlerlexikon, Band 5, S. 448.

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eine Zusammenstellung eines Stammbaumes der ganzen Familie van den Broeck (S. 245 und 265).

Wilhelm Paludanus ist nach dem Wortlaut der Liggeren um das Jahr 1529 als Sohn eines Hendrick in Mecheln geboren; fälschlich geben de Taeye und Wurz- bach Antwerpen als Geburtsort an. 1557 wird er in die Antwerpener Lukas- gilde aufgenommen und erwirbt 1559 dort das Bürgerrecht. Er starb am 11. März 1579 und wurde in der Jakobskirche beigesetzt).

Der Bombesche Aufsatz behandelt in erster Linie Wilhelms Bruder Hendrick. Fußend auf langjährigen archivalischen und kunstgeschichtlichen Forschungen: in Italien entwirft er ein sehr inhaltsreiches und lückenloses Bild von diesem ganz verwelschten Maler, seiner Tätigkeit und seinen zahlreich erhaltenen Schöpfungen in Orvieto, Perugia, Rom, Neapel.

Durch die signierten Augsburger Reliefs, die der Forschung bisher entgangen waren, wird nun die bisherige allgemeine Annahme, Werke von Wilhelm van den Broeck seien uns nicht mehr erhalten, widerlegt. Diese sicher beglaubigten Arbeiten ermöglichen erstmalig eine faßbare Vorstellung von der Kunst ‘Wilhelm уап den -Broecks und lassen seinen Namen nicht mehr wie bisher als inhaltlosen Klang in der Kunstgeschichte erscheinen. Nach den Beischriften an den Reliefs des Maximiliansmuseums sollen diese aus dem Katharinenkloster in Augsburg stammen. Neues Licht in die Provenienzfrage bringt nun eine vor Jahresfrist er- schienene, inhaltreiche Schrift des Augsburger Stadtarchivars Dr. Hans Wieden- mann, „Die Dominikanerkirche in Augsburg“?), in der ein Kapitel auch die vor der Säkularisation in der Kirche gewesenen Kunstwerke behandelt. Auf Seite 41 be- spricht der Verfasser einen Altar, der sich an der fünften Säule des zweischiffigen Kirchenraumes befand und dessen Aufbau aus Alabaster und rotem Marmor, dessen Bildschmuck aus Alabaster bestand.

Die Reliefs stellten das Abendmahl, die Kreuzigung und die Auferstehung dar, mit den alttestamentlichen Parallelszenen, nämlich Melchisedeks und Abrahams Opfer. Der Name des Meisters wird іп dem ältesten Inventar des Paters Pez?) nicht genannt, aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß wir in diesen Reliefs die in Frage stehenden Arbeiten des Wilhelm уап den Broeck zu sehen haben. Die Tafeln mit dem Abendmahl sowie den beiden Opferszenen (alle drei unsigniert) befinden sich ebenfalls im Maximiliansmuseum, dort zwar unter dem Namen des Weilheimer Bildhauers und Rubensschülers Georg Petel aus Weilheim aufgestellt. Aber abgesehen von der sehr wahrscheinlichen Identität dieser Stücke mit denen des früheren Dominikaneraltares kommen auch noch unten zu begründende stili- stische Übereinstimmungen mit den signierten Paludanusreliefs hinzu, die ihre Zu- gehörigkeit zu dem genannten Altar erhärten.

Die im Museum aufrecht erhaltene Provenienz aus der Katharinenkirche erklärt sich vielleicht daher, daß man die Reliefs nach der Säkularisation des Klosters zunächst in die Katharinenkirche überführt hat, von wo sie dann ihren Weg ins Museum gefunden haben.

Einen Fingerzeig für die Entstehung des ganzen Alabasteraltars und seinen Zu- sammenhang mit Augsburg gibt nun die größere Kreuzigungstafel. (Abb. 2.) Auf

(1) Seine Grabinschrift bei Neefs, Histoire de la peinture etc. а Malines 1876, II, S. 144—45.

(2) Sonderdruck der Zeitschrift des Hist. Vereins von Schwaben und Neuburg, Band 43, 1917.

(3) Pes, Inventar 1709, 8. 203. Pez, Fundationsbuch 1709, 8.825. Wels-Ruef, Gesch. d. deutsch. und sächs. Predigerordens, Band 3, S. so/ııf. (die genauen Titel bei Wiedenmann.)

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ihr sind links unten unter der Gruppe der Frauen zwei Wappentafeln angebracht, die die Wappen zweier Augsburger Familien zeigen, nämlich der May und Rembold ).

In Frage kommt Bartholomae May, der aus der Schweiz nach Augsburg ein- wanderte, sich am ı1./8. 1545 mit Sibilla Rembold vermählte und Bürgerrecht und Stubengerechtigkeit bekam ).

Am 3./8. 1561 wurde Bartholomae May in den Rat gewählt und Bürgermeister“).

Die Annahme ist also wohl begründet, daß Bartholomae May, der in den sech- zehn Jahren seit seiner Zuwanderung nach Augsburg ein Mann von Ansehen und Stellung im Verfassungskörper der Stadt geworden war, der Stifter des Alabaster- altars gewesen ist, in dem er seiner Person und seinem Kunstsinn neben den alt- eingesessenen Augsburger Geschlechtern ein Denkmal setzen wollte, Wie sich die Beziehungen des Bestellers zu Wilhelm уап den Broeck angebahnt haben, wie dieser seinen Weg nach Augsburg gefunden hat, ob er schon vorher dort tätig war oder erst auf Veranlassung des Bartholomae May hinkam, über alles das läßt sich leider nichts irgendwie Bestimmtes feststellen.

Den Vordergrund der May-Remboldschen Kreuzigungstafel (Abb. 2) füllen zwei Gruppen: Links die ohnmächtig zusammengesunkene Maria, von Johannes und zwei Frauen betreut, hinter denen noch zwei Frauengestalten stehen, rechts die Gruppe der vier würfelnden Soldaten. Hinter diesen nahen, zusammenhangslos hinein- gepreßt und in der räumlichen Erscheinung verunglückt, drei Berittene, nämlich der Hauptmann, eine bärtige, hohepriesterliche Gestalt und ein Lanzenträger. In der Ecke rechts im plötzlichen Übergang zum flachsten Relief erscheinen silhouettenhaft noch weitere behelmte Köpfe mit dichten Reihen von Lanzen. Durch eine hüge- lige Talmulde, die den Vordergrund abschließt, kommt ein Trupp Soldaten, von zwei Reitern angeführt, zwei leitertragende Gestalten gehen nach links bildauswärts. Hoch ragen die drei Kreuze, die der beiden Schächer korrespondierend einwärts gestellt, über die Menschengruppen empor.

In einer unnatürlichen und gequetschten Stellung umfaßt die vom Rücken ge- sehene, knieende Gestalt der Magdalena das Kreuz Christi; sie müßte so von den Pferdehufen der nahenden Reiter getroffen werden.

Den Hintergrund bildet eine im flachsten „rilievo schiacciato“ behandelte, kulissen- mäßig abschließende Stadtvedute Jerusalems mit Fassaden, Türmen und Rundbauten.

Charakteristisch ist die Abstufung des Reliefs von den rundplastischen Gestalten des Vordergrundes bis zum ausgesprochenen Flachrelief des Grundes.

Dem Relief fehit durchaus eine klare und übersichtliche Raumgestaltung, eine Überfüllung im Figürlichen mit Außerachtlassung aller räumlichen Möglichkeiten haftet ihm an. Der Eindruck stellt sich ein, als ob diese Golgathaszene von Palu- danus nicht selbst erfunden und in Stein gehauen sei, sondern als ob er hier viel- mehr durch irgendeine graphische (Stich?) oder malerische Vorlage sich habe be-

(1) Für deren Identifizierung bin ich Herrn Dr, Buchheit, Konservator des Bayerischen National- museums, zu Dank verpflichtet.

(2) v. Stetten, Gesch. der adeligen Geschlechter in der freyen Reichsstadt Augsburg (1762), unter May 8. 272, Taf. IX 12, Nr. 2. Rembold Taf. УШ зо. Raffael Custodis, Der Herren Geschlechter der hl. röm. Reichsstadt Augsburg usw. 1613, 8. 42. „Ehrengedächtnis“, Nationalmuseum München, Wappen 8.529 und 541. Siebmacher, „Großes und Allgem. Wappenbuch“, a. Aufl, Bd. 6, 1. Abt., 8. 8: und Taf. 81. Augsburger Hochseitsbuch von 1548 (neu herausgegeben von Warnecke, Berlin 1886, 8. 49).

(3) v. Stetten, Gesch. der freyen Reichsstadt Augsburg (1743), Bd. 1, S. 544.

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einflussen lassen. Die ganze Komposition ist unplastisch, der große Zusammenhang bleibt aus. Im einzelnen fehlen aber künstlerische Züge nicht. Sehr gut und ge- schlossen wirkt in ihrer sorgenden Trauer die Gruppe um die ohnmächtig hingesunkene Maria, und diese selbst. Mit ihrer matt herabhängenden Hand gemahnt sie an die berühmte Gestalt Rogiers van der Weyden auf dessen Kreuzabnahme im Eskorial, dem klassischen Vorbild, von dem sich Maler und Bildner bis weit ins тб. Jahr- hundert hinein immer wieder anregen ließen. In die Hände ist viel Gefühl und Be- lebung gelegt, die Frauengesichter sind typisch, aber von feiner, schmaler Bildung. Einen starken Kontrast bilden auf der anderen Seite die vier würfelnden Soldaten, die sich um nichts von allem, was an Trauer und Erregung um sie vorgeht, kümmern und ganz in ihr Spiel versunken sind.

Auf dem Auferstehungsrelief (Abb. 3) bildet die Mittelachse die überzart und schlank gebildete Gestalt Christi, bogenförmig von einer darmartig geblähten Wolken- gloriole, auf die er tritt, umgeben und von zwei Engeln verehrt. Im Gegensatz zur ganz flächigen, ruhigen Vertikale im oberen Teil herrscht unten in der Schar der Wächter stärkste, in Kontrastreichtum gegebene Bewegung der einzeinen Ge- stalten, die zum Teil schlafend auf den steil von links nach rechts ansteigenden Sarkophag hingesunken sind, teils auffahren, während andere erschrocken nach verschiedenen Richtungen auseinanderlaufen. Hier ist ein deutliches Bestreben des Künstlers, durch die diagonal-zentrifugalen Richtungen der Gestalten räumlich zu wirken. Auch hier wieder der Übergang von den ganz rundplastischen Vorder- grundgestalten zu den flach in der Tiefe des Steines verschwindenden hinten. Der ‚Gesamteindruck ist auch hier wieder ein vorwiegend malerischer. Die bewegten Körper und ihre Verkürzungen bei den teils komplizierten Stellungen sind mit Sicherheit wiedergegeben.

Uber die Herkunft der Kreuzigung des Jahres 1562 ließ sich nichts Bestimmtes ermitteln (Abb. 4). Gegenüber der May-Remboldschen Kreuzigung ist die Kompo- sition vereinfachter und geschlossener geworden und bedeutet entschieden eine künstlerisch befriedigendere Lösung als das unruhig zerrissene Relief vom Jahre 1560.

Der Kruzifixus allein, von zarterer und schmächtigerer Bildung, ohne die Schächer, teilt die Tafel in zwei gleiche Hälften. Zu seiten steht in symmetrischen, kräftig herausgearbeiteten Gruppen die Assistenz, links die Angehörigen Christi, rechts der Hauptmann und der Fahnenträger in reichster römischer Rüstung mit Helm und Panzer, denen wieder drei in flachstem Relief gearbeitete und ins Profil gestellte behelmte Köpfe Folie geben. Eine stattliche Anzahl aufragender Lanzen und Helme soll den Eindruck eines größeren Trupps machen. Zwei merkwürdig un- organisch gebildete und gewundene Stämme, an die erst oben Zweigbildungen an- setzen, links mit dichtem Laub, rechts als kahle, korallenartige Zacken, schließen die Vorderfläche seitlich ab. Im unvermittelten Übergang leitet flach behandeltes, kulissenmäßig eingeschobenes Hügelgelände, das auch bei dieser Tafel den Ein- ‘druck einer Raumtiefe nicht aufkommen läßt, zum Hintergrund, über den wieder eine italienisierende Stadtvedute mit einer Tempelfassade, einem Kuppeloktagon in der Art des Domes von Santa Maria del Fiore in Florenz und einem Turm in der Form des Palazzo Vecchio in flachstem Relief gebreitet liegt. Alle Personen der Tafel sind irgendwie zu der Gestalt Christi in Beziehung gesetzt. Zwischen dem ver- scheidenden Christus und den Seinen wird der Kontakt dadurch gegeben, daß sich sein Blick kreuzt mit den zu ihm aufblickenden Gestalten der Maria Kleophas und Maria Salome, sowie des Johannes, der, mit leichter Drehung des Kopfes zu ihm hinaufschauend, seinerseits wieder die in stummem Schmerz resigniert zu Boden

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blickende Maria stützt, deren statuarische Haltung mit ausgeprägtem Kontrapost viel von antikisierend-italienischer Cinquecento-Plastik enthält. Als Gegenzug läuft auf der anderen Seite die Blickrichtung des von dem Fahnenträger aufmerksam gemachten Hauptmanns (,,Wahrlich, dies ist Gottes Sohn“) zum Kruzifix empor.

Eine ruhige, fast etwas erstarrte Stimmung durchklingt die ganze Szene, alle psychischen Regungen der Assistenzfiguren, Trauer, Gläubigkeit und Staunen sind im Gegensatz zu der Mayschen Kreuzigung maßvoll und gedämpft zum Ausdruck gebracht. Magdalena umschlingt knieend auch hier wieder das Kreuz, aber in ruhigerer Haltung als auf der Mayschen Tafel.

Was die tirei weiteren, im Maximiliansmuseum untergebrachten Reliefs mit dem Abendmahl, dem Opfer Abrahams und dem Melchisedeks!) anlangt (Abb. 5, 6, 7), die dort, wie erwähnt, als Werke des Georg Petel von Weilheim, dem Bildner des 17. Jahrhunderts, gelten, so zeigen sie so auffallend starke stilistische Ähnlich- keiten mit den Paludanustafeln, daß neben der literarischen Überlieferung auch daraus ihre Zugehörigkeit zu dem Alabasteraltar der Dominikanerkirche von 1560 mit ziemlicher Sicherheit zu folgern ist. Übereinstimmend ist zunächst die Art der Reliefbehandlung in ihrem unvermittelten Übergang von der plastisch heraus- geholten Form des Vordergrundes zu der ganz flachen, weich verfließenden Be- handlung des landschaftlichen Grundes auf den Abraham- und Melchisedekreliefs.

Man vergleiche die flachgequetschte, architektonische Vedute auf dem Melchi- sedekopfer mit den landschaftlichen Gründen der beiden Kreuzigungen, die iden- tische Behandlung der Baumstämme in der Wiedergabe der Rinde, des Blatt- wuchses, der sich windenden Zweige. Ferner stimmt die stilistische Behandlung der Rauchschwaden auf dem aus Steinplatten geschichteten Brandaltar des Abraham- reliefs mit der darmförmigen Wolkenform der Auferstehungs- und der kleineren Kreuzigungstafel überein. Die eingemeißelten, erklärenden Angaben der zugrunde- liegenden Bibelstellen?) sind in den gleichen lateinischen Buchstaben ausgeführt wie die Künstlersignaturen des Paludanus auf den andern Reliefs.

Die Rankenzeichnungen auf den ornamentalen Bordüren des hohenpriesterlichen Gewandes bei Melchisedek, am Saum des Tischtuches der Abendmahltafel, sowie die Verzierung der Pilasterflichen der Rückwand zeigen genau dieselbe Zeich- nungsart wie die zahlreichen Ornamente auf den Rüstungen der Legionäre (beson- ders deutlich bei der Auferstehung).

Auch die Typenbildung der Personen weist hier wie dort auf den gleichen Meister. Der bärtige Kopf des Melchisedek entspricht z. B. durchaus dem des hohenpriesterlichen Reiters, der auf der großen Kreuzigung rechts hinter dem Haupt- mann erscheint.

Aus diesen zutage liegenden Ähnlichkeiten ist also die Annahme berechtigt, daß auch diese drei Tafeln Arbeiten des Guilielmus Paludanus sind, und sich daher die erhaltenen Werke des Meisters um drei weitere vermehren.

Das Abendmahl zeigt in seiner Komposition stark italienisierende Anklänge (Abb. 5). Ein schwacher Widerhall der leidenschaftlichen Erregung der Jünger auf Lionardos Mailänder Fresko kann herausgehört werden, in der Art, wie die Jünger, paarweise einander zugekehrt, durch die eben ausgesprochene Äußerung Christi in Unruhe versetzt, sich bereden. Dabei wird das altertümliche Motiv des an Christi Brust

(1) Maße: Abendmahl: Höhe 27 cm, Breite 51 cm; Abraham: Höhe 26,5 cm, Breite 37,5 cm ; Melchi- sedek: Höhe 27 cm, Breite 41 cm. (2) Өеп, Kap. XXI. Gen., Kap. XXIV. Johannes, Kap. XX.

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eingeschlafenen Johannes beibehalten, und ebenso ist Judas an der dem Beschauer zugekehrten Breitseite des Tisches isoliert, so daß sich seine Blickrichtung mit der Christis kreuzt, wobei als symmetrisches Gegenspiel in der Körperhaltung der Apostel der rechten Tischecke erscheint.

Die Abraham- und Melchisedektafeln (Abb. 6, 7) boten in der einfach repräsen- tativen Schilderung des Vorganges dem Künstler keine Gelegenheit zu einer mit reicheren Mitteln der Erzählung arbeitenden Komposition.

Es bleibt schließlich die Frage übrig, welchen Stilcharakter die Reliefs haben und ob sich aus ihnen Schlüsse auf die künstlerische Entwicklung des Paludanus gewinnen lassen? Deutlich zeigen sie die italienische Schulung, die vom zweiten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts an in der niederländischen Kunst immer mehr zunimmt. Sie sind von dem auf antiker Tradition basierenden italienischen Renaissancerelief durchaus beeinflußt. Der reife „Italismus“ in Reliefbehandlung und Formensprache spricht in der niederländischen Plastik wohl am frühesten aus den Lettnerarbeiten von Sainte Waudruon in Mons des Jacques Dubroeucq') (1535—48 ausgeführt), der hier konsequent mit allen gotischen Überresten und dem bis dahin in den Nieder- landen und Niederdeutschland geübten plastischen „Mischgebilde“ des Nischen- reliefs*) bricht. | |

Etwa zehn Jahre später als Dubroeucq in Mons beginnt in Antwerpen, dem da- maligen Zentrum geistigen und künstlerischen Lebens in den Niederlanden, der 1514 geborene Cornelis Floris, der Bruder des Malers Franz, nach einem voraus- gegangenen römischen Studienaufenthalt (1540—44) seine vielseitige Tätigkeit’). Zuerst wirkt er als Zeichner ornamentaler Grotesken in den Liggeren, den Büchern der Antwerpener Kiinstlergilde. Dann wird er in den fünfziger Jahren des sech- zehnten Jahrhunderts als Architekt und Plastiker, dessen Kunst ganz aus italienie- nischer Hochrenaissance hervorgewachsen war, allmählich das Haupt eines stark beschäftigten Werkstattbetriebes größten Maßstabes, der das eigene Land im dritten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts mit Tabernakeln und Lettnern versorgte und der in Deutschland bis nach Ostpreußen, in Skandinavien und England Grab- monumente fürstlicher Herren, Epitaphien und Altäre errichtete.

Die Wirkung dieses sog. „Florisstiles“ auf die Entwicklung der ganzen deutschen Spätrenaissanceplastik bis nach Süddeutschland hin ist denn auch von den sieb- ziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts an als sehr wesentlich anzusehen und immer mehr hervorgetreten“). Hierin steht Floris in stärkstem Gegensatz zu Dubroeucq, der nie eine derartige, ins Weite wirkende und herrschende Stellung inmitten eines großen Kunstbetriebes errang und wohl nur einen bedeutenden Mann, Gian Bologna aus Douai, vor dessen Abwanderung nach Italien zu seinem Schüler hatte.

Daß Wilhelm van den Broeck in Beziehungen lernender Art zu Dubroeucq oder zur Floriswerkstatt gestanden hat, dafür lassen sich Beweise nicht erbringen, und auch die Augsburger Tafeln geben keinerlei Anhaltspunkte für seine ersten Lehrjahre, die im Dunkel liegen. Doch lassen die Reliefs mit ziemlicher Gewißheit auch bei Paludanus, wie bei der Mehrzahl niederländischer Künstler italienische

(1) Hedicke, Jacques Dubroeucq von Mons, Straßburg 1904.

(2) Vgl. u.a. die Altäre јап Bormanns (Thieme-Becker, Allg. Lexikon der bild. Künstler IV, S. 364 ff. und der Bordesholmer Altar in Schleswig von Hans Brüggemann, in Mathaei, Holzplastik Schleswig-Holsteins, Leipzig 1901).

(3) Vgl. Hedicke, „Cornelis Floris“, 1913, Thieme-Becker, Allg. Lex. etc Bd. ra, S. 122 ff.

(4) Hedicke, „Cornelis Floris“, Kap. II, S. 155 ff.

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Wanderjahre annehmen. Vielleicht hat er zusammen mit seinem Bruder Hendrick der ja, wie oben erwähnt, nach 1550 in Florenz im Dienste Großherzog Cosimos I steht, die Reise über die Alpen angetreten!).

Rom bildete ja seit den ersten Dezennien des sechzehnten Jahrhunderts den Hauptsammelplatz niederländischer, auch französischer (Jean Goujon) Künstler, Maler wie Plastiker, die durch den dort an den Werken der Hochrenaissance er- lernten Kanon großer Formen, Bewegungen und Gebärden in die alt gewordene Kunst ihrer Heimat neues Leben zu bringen suchten. Ob Paludanus wirklich in Rom gewesen ist, läßt sich nicht entscheiden. Doch weisen mehrere Einzelheiten der Reliefs eine andere, viel .deutlichere Spur, die nach Е besonders Venedig führt.

Zunächst scheinen Arbeiten der drei Lombardi (Pietro, Antonio, Tullio) auf unseren Künstler von Einfluß gewesen zu sein. Das Standmotiv der Maria auf der Kreuzigung von 1562 mit dem Kontrapost, dem durch Gewand und Mantel vortretenden Spielbein sowie dem überschneidenden linken Arm, der Fall der Draperien erscheint den klassizistischen Figuren der Lombardi entschieden ver- wandt). Auch für die kostümlich reiche, antikisierende Ausstaffierung der Legio- näre mag das Vorbild in derartigen, in dieser Künstlerfamilie häufig beliebten Figuren, vielleicht auch in denen Mantegnas in den Eremitanifresken, gesucht werden?).

Für den Übergang in der figürlichen Reliefbehandlung von voller Rundplastik zum ganz flachen Relief, wobei Flachreliefköpfe des Hintergrundes der vollrund ausgearbeiteten Vorderschicht als Folie dienen, wären u. a. zum Vergleich heran- zuziehen die Reliefs Tullio Lombardis mit den Wundertaten S. Antonios im Santo in Padua‘), von dessen akademischer Kälte und Steifheit sich Wilhelm van den Broeck aber vollkommen frei hält. Endlich zeigen auch die malerisch behandelten und kleinlich zusammengebauten Hintergründe mit Talmulden und Stadtveduten auf den beiden Kreuzigungen und den zwei Opfertafeln Zusammenhänge mit diesen norditalienischen Arbeiten’). Auch die Vorliebe für reiche ornamentale Behand- lung an den Rüstungen, z. B. dem Schild des Hauptmanns auf der Kreuzigung von 1562 weist wohl auf die Schmucklust venetianischer Renaissance.

Zu der Zeit, als Paludanus sich in Venedig aufhielt, stand Jacopo Sansovino, der nach dem Sacco di Roma 1527 nach Venedig übergesiedelt war, in Baukunst und Plastik führend und schulbildend an der Spitze.

Der Augsburger Auferstehungstafel in ihrer malerischen Wiedergabe des Wolken- kranzes mit den dienenden Engeln und den um den Sarkophag gelagerten Wächtern liegen möglicherweise Eindrücke von Sansovinos gleichem Relief an der bronzenen Sakristeitüre von S. Marco, deren Wachsmodell 1546 fertig war und deren Guß

(x) Immerzeel behauptet in „de Levens en Werken der hollandsche Kunstschilders etc. I“, Amster- dem 1842, daß Paludanus sich „eenige tyd te Rome hebben opgehouden“.

(2) Vgl. z. В. die weibliche Gestalt am Grabmonument des Dogen Andrea Vendramin in 8. Giovanni e Paolo von Tullio Lombardi (abgeb. bei Paoletti, „L’architettura е la scultura del Rinascimento in Venezia“, Venedig 1893, 8. 232, Fig. 16 1).

(3) Vgl. auch hierfür die Bronzereliefs von Riccio im Santo in Padua, sowie die vier desselben Künstlers mit der Auffindung des Kreuzes aus den Servi, jetzt im Museo archeolegico, abgeb. bei Paoletti, Fig. 206—10, 8. 271 fl.

(4) Paoletti, op. cit., Tafel 127.

(5) Vgl. z. B. Kreuzabnahme Tullio Lombardis in 5. Maria della Salute bei Paoletti, op. cit. Fig. 15, S. 146, sowie die genannten Reliefs Riccios.

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dann уоп Agostino Zotto und Pietro Campanaro begonnen wurde!), zugrunde. Die ganze Tür wurde zwar erst 1569 vollendet, doch ist die Kenntnis und das Studium des Modelles oder der vorher fertig gegossenen Teile durch den Künstler nicht unmöglich. Von Sansovinos Auferstehungsrelief ist ja überhaupt ein großer Teil niederländischer und deutscher Reliefplastik gleichen Gegenstandes aus der zweiten Jahrhunderthälfte abhängig, wenn auch in einer mehr oder minder barock-bewegten Abwandlung der noch ruhigen Komposition Sansovinos, wo Christus nicht schwebt, sondern aus dem Sarkophag auf dessen Rand hinauftritt ).

Auch die Bronzereliefs an der Tribüne von S. Marco mit den Wundertaten des Heiligen (1537—44) sind ebenso wie die Reliefs der Loggetta des Campanile von Danese Cattaneo und Tiziano Minio (1539—45) für die Stilzusammenhänge unseres Künstlers in Betracht zu ziehen?).

Eine künstlerisch überragende Persönlichkeit und Schaffenskraft ist Wilhelm уап den Broeck nicht gewesen. Seinen Reliefs fehlt der ausgesprochen plastische Stil. Mit rein malerischen Mitteln sind sie gearbeitet, eine sichere und klare Beherr- schung und Entwicklung des Räumlichen fehlt ihnen. Nach einer großzügigen Zusammenfassung und einer nach rhythmischen Gesetzen bewußt vereinfachenden Kompositionsweise der Hochrenaissance wird man in ihnen vergebens suchen. Der künstlerischen Anlage des Paludanus war offenbar die wenig komplizierte venezianische Plastik vor ihrer an Sansovino geknüpften Entwicklung zur Reife großer Formensprache besonders wesensverwandt und hat ihn daher merklich be- einflußt. Bei den engen Beziehungen kommerzieller Art zwischen Venedig und Augsburg könnte es sei dies nur als Vermutung ausgesprochen Bartholomae May vielleicht mit Paludanus in Venedig zusammengekommen sein und sich hier- aus des letzteren spätere Anwesenheit in Augsburg erklären.

In einem G.P.S. bezeichneten Profilbildnis eines nach der Inschrift 33jährigen Bildhauers vom Jahre 1564, der ein Wachsmedaillon einer Dame bossiert, jetzt im ` Besitz der Wiener Galerie, meint man ein Porträt des ,,Guilielmus Paludanus sculptor“ zu erkennen‘).

Ein Sohn von ihm, Raphael van den Broeck, war gleichfalls als Bildhauer tätig“).

Zum Schluß sei noch auf einen engeren Landsmann unseres Bildhauers hin- gewiesen, der gleichfalls aus Mecheln stammt, um dieselbe Zeit geboren wurde (1527 oder 29) und auch den Beruf des Plastikers erwählte, nämlich Alexander Colin).

Wenige Jahre, ehe Paludanus den Alabasteraltar der Dominikanerkirche in Augs- burg errichtete, erscheint Colin in Heidelberg 1556 in Diensten des eben zur Regierung in Kurpfalz gelangten Ott Heinrich. Die frühere Zeit seines Wirkens wie auch die Veranlassung zu seiner Berufung nach Heidelberg erscheint in gleicher Weise in Dunkel gehüllt wie bei Paludanus. Vermutlich hat er schon zusammen mit den Brüdern Arnold und Bernard Abel aus Köln an den nicht mehr

(1) Planiscig, „Randglossen zu Venedigs Bronzeplastik der Hochrenaissance im Jahrbuch der Kunst- historischen Sammlungen des Kaiserhauses 34, Wien 1917, Heft т, 8. a.

(2) Vgl. die Epitaphien der beiden Brüder und Erzbischöfe Schauenburg im Kölner Dom von Cor- nelis Floris von 1560, desgl. am Lettner derKathedrale von Tournai von Floris nach 1570 (Hedicke, ,Cornelis Floris“, Tafeln 16, bzw. 35).

(3) Planiscig, op. cit., S. 1—4, Fig. 15—17.

(4) Vgl. Kunstchronik 26 (1915/16), S. 579/80.

(5) Vgl. Thieme-Becker, Lexikon V, 8. 47.

(6) Vgl. Thieme-Becker, Allgem. Lexikon VII, S. 202 ff.

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erhaltenen Grabdenkmalen, die Ott Heinrich für sich und seinen Bruder, den Pfalz- grafen Philipp in der Heidelberger Heiliggeistkirche errichten ließ, mitgearbeitet. Am Ott Heinrichsbau des Schlosses fertigte Colin dann die Fensterpfosten mit Hermen, die Nischenstatuen der Fassade, die sechs Portalkaryatiden und Tür- rahmen im Innern'). Diese Arbeiten zeigen sowohl in der figürlichen Plastik wie auch im ornamentalen Teil viele stilistische Zusammenhänge und Verwandtschaft mit den Werken der Florisschule, so daß die Annahme begründet ist, Colin sei aus ihr hervorgegangen’). ` |

Von Heidelberg begab sich Colin nach dem Tode Ott Heinrichs nach Mecheln zurück, von wo er dann 1562 auf Empfehlung der Brüder Abel von Kaiser Ferdi- nand I. zur Mitarbeit mit Arnold und Bernhard Abel an den Marmorreliefs des Grabmals für Kaiser Max I. in der Hofkirche nach Innsbruck berufen wurde.

Von den 24 Reliefs des Sarkophages, einer breit erzählenden Bilderchronik der wichtigsten Ereignisse im Leben des Kaisers, für die der Maler Florian Abel die Entwürfe fertigte, sind nur drei von dem Brüderpaar Abel, alle übrigen aber von Colin ausgehauen. |

Im März 1566 hatte Colin die stolze Reliefserie beendet, die vor allem seinen Namen bis heute vor Vergessenheit bewahrt hat.

In seinem langen, bis zum Jahre 1612 währenden Leben ist dann aus der Folge- zeit noch eine stattliche Anzahl weiterer Werke, neben einigen Reliefs profanen Charakters besonders Grabdenkmäler in Tirol?), aus seiner Werkstatt hervorgegangen.

Auch Colins ganze.Reliefplastik zeigt, nicht nur in den Reliefs des Innsbrucker Maxgrabes mit ihrer in gehäufter Detailschilderung sich ergehenden Kompositions- weise, für die dem Künstler die Entwürfe des Malers Abel ja Vorlage waren, eine ausgesprochen malerische Behandlungsweise mit Bevorzugung landschaftlicher und architektonischer Gründe, vor denen die Personen des Vordergrundes, teilweise stark plastisch ausgearbeitet, gruppiert sind‘). Aber, wenn von dieser durch die gleiche Zeit, in der die Bildhauerei malerische Bahnen ging’), und durch die gleiche Nationalität bedingten gewissen Ähnlichkeiten mit Wilhelm уап den Broeck ab- gesehen wird, überragt ihn Colin in den meisten seiner Werke an künstlerischer Sicherheit, übersichtlicherem Bau seiner Kompositionen, stärkerem Temperament und großzügigerer Formensprache‘). |

(1) Abschrift des Vertrages bei Zeller, „Das Heidelberger Schloß“, Karlsrube 1905, S. 38/39. Vgl. auch Rott, „Ott Heinrich und die Kunst“ in Mitteilungen zur Geschichte des Heidelberger Schlosses, Band У, 8. 1388, 1905, Abb. Tafel X— XIII bei Zeller.

(2) Vgl. Hedicke, „Floris“, Tafel 17 (Karyatiden) und weitere.

(3) Vgl. Thieme-Becker, Lexikon, unter Colin. David von Schönherr, „Gesammelte Schriften“, Bd. I. S. 507ff. Innsbruck 1900.

(4) Vgl. die Abbildungen bei Schönberr.

(5) Dies bestätigen auch die Florisreliefs z. В. am Lettner von Tournai und am Christophgrab in Schwerin, abgeb. bei Hedicke, „Floris“, Tafelhand.

(6) Vgl. dafür die Schlachtenreliefs in Holz іп der Ambraser-Sammlung in Wien, bzw. das Grab- legungsrelief aus Marmor vom Hohenhauser Grab im Innsbrucker Museum, beide abgebildet bei Schönherr. | i

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919. Heft 23 5 65

MISZELLEN

DAS BEILAGER AUF DEM ALEXANDERKÄSTCHEN ZU DARM-

STADT.

Mit einer Abbildung

Von STEFAN POGLAYEN-NEUWALL

E Kästchen, dessen vorliegende Darstellung zum Gegenstande dieses Aufsatzes dienen soll, wurde zum erstenmal in den Bonner Jahrbüchern vom Jahre 1902 durch Hans Graeven publiziert.

Seither haben einzelne der ihm angehdrenden Re-

Hefs mehr oder weniger eingehende Besprechung егѓаћгеп !), darunter auch das zum Thema dieser Arbeit gewählte. |

Auf dem Kästchen, einem Werk synkretistischer Kunst, begegnen wir Gestalten aus dem Kunst- kreis der Antike, solchen, die altchristlicher Kunst und die dem Islam angehören. Im Gebiet der ersteren hat auch das zu beschreibende Relief seine Vorlage gefunden (s. Abb.).

Rechts vom Beschauer ruht auf deckenbelegtem Bett, lässig ausgestreckt, ein völlig nackter, birti- ger Mann in mittleren Jahren; mit der Rechten zieht er ein widerstrebendes Weib an sich, das abgewandten Gesichtes am Fußende des Bettes steht; von ibrem Haupt fällt ein Schleier herab; ihr Oberleib ist entblößt. Hinter dem Bett, das mit seiner prunkvollen Arbeit, der gegliederten Lehne und den dreifach abgeschnürten Beinen an Sauls Lager auf dem mit der Davidslegende ver- zierten Kästchen im Museo Kircheriano erinnert, entfaltet ein Baum seine Äste. |

Hans Graeven bat unter Zurückweisung der Annahme eines Einflusses der iepos yauos - Dar- stellung am Tempel von Selinunt jenes Relief auf eine Geschichte aus dem Hause Davids bezogen; auf den Versuch Ammons, seine Stiefschwester Thamar zu verfübren. F. Panzer hat die Richtig- keit dieser Deutung als zu gekünstelt bezweifelt und in Anknüpfung an sichere Alexanderdarstel- lungen des Schreines auf eine Episode einer spä- teren Bearbeitung des pseudekallisthenischen Ro- manes hingewiesen; jener zufolge sollte Alexander mit Königin Candake, als er an ihrem Hof als eigener Abgesandter weilte, ein Liebesverhältnis

(1) Н. Graeven: Mittelalterl. Nachbildungen des lysipp. He- rakleskolosses р. 252 (266) 277, T. I Fig.3-6. Bonner Jahrb. 1902. К. М. Kaufmann: Ikonographie der Menasampullen р. 100 - 102, р. 40, 41 (Kairo 1910). -- J. Strzygowski: Amida р. 351 f., 297 (Heidelberg 1910). G. Зорка: Beiträge zur Luftfahrt Alexanders des Großen p. 307f. 2 (Zeitschrift für christl. Kunst. Köln 1911). G. Зирка: Iskender Юи"! Quar- nein und Chadhir р. 128, Т. XX, 2. Orient. Archiv (1911 12). F. Panzer: Der roman. Bilderfries am südl. Choreingange im Freiburger Münster (Freiburger Münsterblätter 1906).

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angeknüpft haben. Die Vorlage zu dem Relief sieht O. Puchstein in Darstellungen des mit Nym- phen kosenden Herakles*), Mit der Richtigkeit von Panzers Deutung will ich mich bier nicht näher befassen. Mir ist es bloß um die Erfor- schung des Urbildes jener Szene zu tun; und da hat Puchsteins Hinweis zweifellos vieles für sich.

In der Beschreibung geschnittener Steine des Berliner Antiquariums führt Furtwängler drei der- artige Beispiele vor, die er vom т. Jahrhundert у. Chr. bis in die Kaiserzeit herabdatiert*).

Auf einer schwarzen, flachen Paste läßt eine Nymphe vor dem links von ihr auf fellbedecktem Fels sitzenden Herakles ihr Gewand fallen. Zwei andere Steine eine violette Paste und eine Kamee in mehrfarbigem Glas zeigen den bärtigen Heros wie oben in idcaler Nacktheit auf einer Er- hebung sitzend im Begriff, der Nymphe trotz ihrer Gegenwehr das Gewand herunterzuziehen 4). Auf einem mit Teukros signierten Amethyst in Florenz zieht der Halbgott die hier nur schüch- tern widerstrebende, nun völlig nackte Nymphe an sich. Eine ähnliche Szene weist ein campa- nischer Glockenkrater aus dem Berliner Antiqua- rium”). Herakles stemmt sich hier mit aufgestütz- tem Knie gegen den Boden, während er mit der Rechten die heftig widerstrebende nackte Nymphe zu sich niederzuziehen trachtet.

Allen diesen Darstellungen außer der ersten, wo sich ihm die Nymphe freiwillig anbietet, ist das Streben Herakles’ gemein, das Weib selbst gegen dessen Willen zu meistern. Von der Va- riante am Krater des Antiquariums abgesehen, schauen wir ihn stets auf einer Erhebung sitzend ; auf der Kamee des Teukros und der Vase im Begriffe, mit seiner Rechten die Nymphe an sich zu ziehen.

Durchgehends fehlt das Ruhebett des Darm- städter Kästchens, was Graeven seinerzeit ver- anlaßte, von einer Einwirkung des ähnlich kom- ponierten /:005 yauos der Metope des Heratempels

(2) ©. Puchstein bei Е. Panzer: а. а. О.

(3) A. Furtwängler: Beschreibung der geschnittenen Steine im Antiquarium Nr. 4211, 3086, 11173. (Berlin 1889.)

(4) A. Furtwängler: Über Gemmen mit Künstlerinschriften IX, 13. (Arch. Jabrh. 1888.)

(5) A. Furtwängler u. О. Puchstein: Erwerbungen der ant. Sammi. in Deutschland, p. 119, Fig. 19. (Arch. Anzeiger 1891.

Platte vom Darmstädter Alezanderkästchen

abzusehen !). Anderseits ist auf den, letzterem zunächst stehenden Darstellungen des brünstigen Herakles mit der Nymphe auf der Gemme des Teukros und dem campanischen Krater die Nymphe völlig nackt wiedergegeben.

Das Rätsel löst sich, wenn wir Bankettschilde- rungen antiker Vasenmalereien heranziehen. Auf

(1) О. Benndorf: Die Metopen von Selinunt, T. III. (Berlin 1875.)

einer zu Vulci gefundenen Schale (Brit. Museum) ). die uns ein Göttergelage vor Augen führt, steht Amphitrite am Fußende von Poseidons Lager, der sie mit der Rechten bei der Hand gefaßt hat. Es ist genau dieselbe Szene, wie auf dem Relief —- in archaischer Stilisierung.

(2) S. Reinach: Repertoire des vases peints I, р. 143. (Paris 1898).

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REZENSIONEN en

DIE ZEHN BÜCHER DER ARCHI- TEKTUR DES VITRUV und ihre Her- ausgeber seit 1484. Von Prof. Bodo Ebhardt, Architekt. Burg-Verlag, Berlin- Grunewald [1918] (ro2 S. 4°. Broschiert M. 28.—.)

Das Buch ist entstanden auf Grund einer Samm- lung von Vitruvausgaben, die der Verfasser zu vereinigen das Glück hatte. Liebhaber dieser baugeschichtlich, philologisch und buchtechnisch interessanten und anregenden Ausgaben wird denn auch іп erster Linie für die Veröffentlichung Bodo Ebhardts Dank wissen. Das bibliographische Verzeichnis der gedruckten Ausgaben von 1486 bis 1914 ist, soviel ich sehe, lückenlos. In mehreren Fällen würde man über Kommentar und Abbildungen (wie weit Originale, wie weit aus älteren Ausgaben übernommen) gern genauere Angaben erhalten. Auch nimmt der Verfasser zu einzelnen, noch ungeklärten Fragen, wie z. В. der Herkunft der Vorlagen für die große Comasker Ausgabe des Cesariano von 1521, dem Anteil Peter Flötners ап der ersten deutschen Ausgabe von 1548 und dem Serlios an der ersten französischen Ausgabe von 1547, nicht Stellung.

In der Einleitung und der Inhaltsangabe der zehn Bücher Vitruvs, die der Bibliographie und einigen Mitteilungen über die wichtigsten Heraus- geber vorangehen, betont der Verfasser wiederholt die Bedeutung Vitruvs auch für die Gegenwart, er sei „ein Vorbild namentlich für die zügellosen Meister und Nachahmer unserer Tage.“ Daß es gerade Bodo Ebhardt ist, der so spricht, wird manchen überraschen.

Der vorzüglich ausgestattete Band ist mit 100 Wiedergaben nach Holzschnitten und Stichen ver- schiedener Ausgaben geschmückt. Nach bestimm- ten Gesichtspunkten scheint die Auswahl nicht getroffen zu sein, im Text wird nicht näher auf sie eingegangen. Und doch würde m. E. ein vergleichendes Studium der Abbildungen, durch die die Herausgeber den Text zu erläutdrn ver- suchten, einen wertvollen Beitrag geben können für das Verhältnis, in welchem die letzten. vier Jahrhunderte zur römischen Baukunst gestanden haben. Wer eine derartige Aufgabe übernäbmet hätte allerdings nicht den Nachdruck darauf zu legen, worin Fra Giocondo, Cesariano, Perrault, Marini usw. nach unseren heutigen archäologi- schen Kenntnissen gefehlt haben, sondern inwie-

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Der Sammler und

fern der Stilwille der betreffenden Zeit in den Wiederherstellungsversuchen schöpferischen Aus- druck fand. Die vorliegende Veröffentlichung bietet für eine solche Arbeit eine unentbehrliche Hilfe.

A. Griseba ch.

MARC ROSENBERG, Geschichte der Goldschmied ekunst auf technischer Grundlage. 3. Abt.: Granulation. Verlag von Heinrich Keller, Frankfurt a/ M. Preis M. 112.—.

Die Geschichte der Goldschmiedekunst von Marc Rosenberg, die mit den Abteilungen „Einführung“ 1910 und „Niello“ 1907 einen gewissen Anlauf genommen hatte, schien ins Stocken geraten zu sein. Nun erscheint aber die Abteilung „Granu- lation“; und „Zellenschmelz“ wird für die aller- nächste Zeit angekündigt. |

Im Vorwort zur „Granulation“ zitiert der Verf. ein launiges Wort seines ruhmvoll vor dem Feinde gefallenen Kollegen Ostendorf: „Im Haushalt der Welt hat jeder Mensch zehn Minuten Zeit, um sich über Granulation zu unterrichten und Sie ver- langen zehn Stunden.“ Es ist vielleicht auch ein bißchen viel: 160 Seiten mit 284 Figuren für eine Technik, von der nur die Archäologen etwas wuBten, und deren Verfall schon im vierten Jahr- hundert vor Christus einsetzt. Selbst der berühmte italienische Goldschmied Castellani, der die Technik neu belebt hat, verstand sie nicht recht. Rosen- berg zeigt, daß die Alten ein Verfahren anwandten, das auf denselben Prinzipien beruht, wie das heutige autogene Schweißverfahren.

Es geht aber in dem Buche um etwas anderes, als Denkmäler und Technik allein. Der Verfasser stellt sich das Problem, wichtige kunstgeschicht- liche Fragen, wie z. B. die nach dem Ursprung der griechischen Kunst, durch Einsicht in die Technik zu beantworten. Wie weit ihm die Lö- sung gelungen ist, wird die Archäologie 2u be- antworten haben. Aber man muß jedenfalls an- erkennen, daß die Methode wichtig und die Vor- führung bedeutender und unbekannter Denkmäler von hohem Wert ist. Auch für den noch immer geheimnisvollen. Ursprung der skythischen Kunst wird beträchtliches Material beigebracht: Einmal um zu zeigen, wieviel Ostgriechisches in ihr schlummert, und ferner, um das noch unerforschte Fortleben dieser Beziehungen auf russischem Boden bis ins zehnte nachchristliche Jahrhundert auf- zudecken. In Fig. 231 werden russische Ohrgehänge

aus dieser Zeit abgebildet, die fast mit den 1700 Jahre älteren etruskischen Arbeiten geistigen Zu- sammenhang haben, |

Der berühmte „Codex aureus“ in München, auf den sich unsere Vorstellung von einer Reimser Goldschmiedeschule des то. Jahrhunderts aufbaut, und der „Schatz der Kaiserin Gisela“, der durch seine äußere Geschichte zu einer bedeutungsvollen Aktualität gelangt ist, werden durch die Unter- suchung ihrer Granulation in eine neue Beleuch- tung gerückt.

Die merkwürdigeErscheinung,daßdie Kügelchen- arbeit“ (nachdem man die größte Sorgfalt darauf verwendet hat, die Kügelchen plastisch hervor- treten zu lassen) absichtlich wieder flach gedrückt- wird, wird auf eine alexandrinische Gepflogenheit zurückgeführt.

Ausführlich wird auch eine besondere Abart be- handelt, die darin besteht, daß die Kügelchen nicht auf eine Fläche, Drähte gelegt werden.

sondern zwischen zwei Es ist das, wie der Ver- fasser sich ausdrückt, ein Kampf der absterbenden Granulation gegen das aufkommende Filigran. Merkwürdig ist, daß die Granulation, die im 16. Jahrhundert schon längst als abgestorben gelten kann, auf einem der schönsten Gefäße dieser Zeit, dem Hornbecher mit goldemaillierter Fassung im Darmstädter Museum (Fig. 281), neu belebt erscheint Wie alle Rosenbergschen Bücher ist auch dieses verschwenderisch gedruckt und ausgestattet. 158 Fo- lioseiten bringen nicht weniger als 284 Abbildungen. Ganz überwiegend sind es Erstaufnahmen. Ihr Wert erhöht sich sehr oft noch dadurch, daß sie die Einzelheiten in vergrößertem Maßstabe wieder- holen. H. Stierling.

SVERIGES KYRKOR, Konsthist. In- ventarium ... af S. Curman och J. Roosval. Dalarne I.. Stockholm (1916.) Norstedt. |

Vom schwedischen Inventar der Kirchen, das unablässig weiter geführt wird, liegt uns ein neuer Teil vor, das erste Heft des ersten Bandes der Reihe, die von der Landschaft Dalarne handelt. Diese, in der Mitte Schwedens, vom Meere un- berührt, mag an Umfang den zehnten Teil Schwe- dens einnehmen, und die Zahl der Bände, die ihr gewidmet sein sollen, ist auf fünf angeschlagen. Vom ersten bildet das neu Vorliegende ein Drittel, 146 S. 80, 138 Abbildungen. Die Ausstattung ist vorzüglich, die Bilder, von verschiedener Güte, dienen im wesentlichen zu erfreulicher Beleuch- tung des Textes. Eine ganze Menge sind auch landschaftlicher Art. Die Zahl der behandelten

Kirchen in den zwei großen Kirchspielen ist fünf, dazu zwei Kapellen. | Es ist Zeit, daß man sich erinnere, was doch eigentlich der Zweck der kunsthistorischen Ver- zeichnung der Bau- und Kunstdenkmäler ist. Als man diese angriff, hat die Erkenntnis gleich an- fangs dazu geführt, daß man unterscheiden mußte und vor allem zeitliche Grenzen zog, wodurch die gemeinen Erscheinungen der Gegenwart ausge- sch jeden wurden. Es sollte das Typische und Bedeutsame an den Leistungen der Vorzeit er- mittelt werden, das Bedeutende aber hervorragen und sich auszeichnend behandeln lassen, Das kann also nur von einem Manne ausgeführt wer- den, der Erkenntnis- und Entschließungskraft hat und einigen Mut, das lebendige Wasser von dem abgestandenen und dem stehenden Sumpfe zu unterscheiden. Und deshalb ist, wenn solche Männer nicht zur Verfügung stehen, wenigstens eine starke Hand und Führung notwendig. In Ländern und Zeiten aber, in welchen, selbst im Staatswesen, den Weibern die Mitherrschaft, also die Herrschaft zugestanden wird liegt die Gefahr vor, daß sie auch betriebsam in dies Gebiet ein- dringen und sich der Verzeichnung der Bau- und Kunstdenkmäler bemächtigen, da doch hier der Feminismus weniger als irgendwo am Platze ist. Ich habe mehrfach bei Prüfung dieses schönen und großen Werkes mich und andere daran er- innert, daß man allen Anlaß hat, eigenes Be- gehren zurückzustellen und dankbar anzunehmen, was man uns günstig darbietet. Und es ist unsere Sache, für unseren Gebrauch herauszunehmen, was für uns paßt. Lage eine Erklärung der-Leiter . des Ganzen vor, daß die unglaubliche Breite und Seichtigkeit der Behandlung, die sich in dem vor- liegenden Hefte zeigt, ihrer wohl erwogenen Ab- sicht entspricht, vielleicht schon dem Titel des Ganzen „Schwedens Kirchen“ entspringt, oder sich aus einem Zwang der Verhältnisse ergibt, so müßte man das so hinnehmen. Nun mußten wir Die ohne Zweifel von den leitenden beiden Gelehrten stammenden -deut-

dies wenigstens andeuten.

schen Übersichten weisen uns übrigens auf alles

hin, was wissenswürdig ist.

Der vorliegende Band, bearbeitet von Gerda Boethius, enthält die Behandlung von sieben Bauwerken, von denen eines wert ist, daß man es kennen lerne, die Kirche zu Leksand: Ein un- mäßig großer kahler Bau mit ungeheurem Dack und Dachturm. Im Grundriß eine Art Zentralbau von fünf Schiffen, in welchen zwischen den überaus breiten, gewölbten Außenschiffen eine spätgotische Langkirche, dreijochig, mit sehr schmalen Seiten-

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schiffen, wenig überhöhtem Mittelschiffe, einge- schachtelt ist. Das Ganze aber wesentlich von 1709—15, also aus der Zeit des großen unglück- lichen nordischen Krieges. Der Erbauer war Hof- prediger Karls XII., und 1709 war die Schlacht von Pultawa. Also auch bedeutsame geschicht- liche Anknüpfungen. Dort ist eine ganz gute Kanzel in Renässanzerscheinung von 1757, und ein bescheidenes Portal ist von 1671. Was von der alten Ausstattung einigen Wert hat, ist fast alles verschleppt. Die andern Bauwerke sind durchaus vom 18. oder 19. Jahrhundert, und die Berechtigung ihres Daseins erschöpft sich in der Tatsache, daß sie sind. Vom Inhalte ist aber er-

wähnenswert ein schöner, spätgotischer, vergol-

deter Kelchfuß, gegen alle Ordnung aus Kupfer. Er trug vordem ein Ziborium, woraus sich das erklärt. Die silberne Kuppe ist von 1578. In ähn- licher Weise ist der Körper eines metallenen Adlers von einem Adlerpult, doch jetzt flügellos, als Ständer eines Kreuzleuchters gebraucht. Dann ein samtnes, gemustertes Antependium, gestickt, zusammengesetzt: aus einem spätgotischen Plu- viale. Sehr beachtenswert der Altarschrein zu Ohl, wohl schwedischer Arbeit, zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts: im Schrein die Mutter Gottes, stehend auf der Mondsichel im Strablenkranze. Dieser ist umgeben von zehn kleineren, von Wol- ken getragenen Gruppenbildern. Rechts und links steht je eine Figur der heiligen Anna selbdritt, mit zugehörigen Nebenfiguren aus der Sippe Jesu. Endlich finden wir einen weniger eigenartigen, aber sehr gut durchgebildeten Altarschrein zu Gagneff, aus der Zeit um 1500, aber 1892 durch- greifend, weder schonend noch verständig, über- arbeitet. Hauptgegenstand: Die Dreieinigkeit, von Engeln umgeben; außerdem stehende Heilige. Richard Haupt.

THIERSCH, HERMANN, Winckel- mann und seine Bildnisse. Mit 5 Ab- bildungen. München, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung. 1918.

Mit der Veröffentlichung dieses für die Frei- burger wissenschaftliche Gesellschaft zur Vorfeier von Winckelmanns 200. Geburtstag gehaltenen Vortrages will der Verfasser nach den Worten seiner Vorrede einen bescheidenen Vorläufer zu einer größeren Ikonographie der Bildnisse Winckel- manns geben. Er ist der Ansicht, daß diese noch im argen liegt und ungelöste Fragen übrigge- lassen hat, Wir haben abzuwarten, welche Stel- lung die angekündigte Arbeit zu dem bisherigen Stand der Forschung einnehmen und welches

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neue Material sie beibringen wird. Aber schon jetzt ist die Hauptfrage, wo sich das von Winckel- mann selbst gerühmte Porträt des dänischen Ma- lers Peder Als befinde (vgl. meine Ausführungen Monatshefte für Kunstwissenschaft, Bd. VI, S. 55 fl.), als leider ungelöst zu bezeichnen. Trotz persön- licher Nachforschung in Kopenhagen ist es Thiersch nur gelungen, zwei Federzeichnungen von Als aufzufinden. Als reiste, wie sich aus Willes Journal ergibt (I, 179), von Rom nach Paris. Es wäre denkbar, daß er das Bildnis Winckelmanns einem der vielen Verehrer des Dargestellten in Frank-

reich überließ ebenso aber auch denkbar, daß

es in Rom zurückblieb. Ebe wir dieses Bild nicht kennen, klafft eine unerfreuliche Lücke. Jedenfalls ist Als nicht von vornherein als unbedeutend zu bezeichnen, wie Thiersch es tut.

Es ist Thiersch ein glücklicher Fund beschert worden dadurch, daß er bei Professor Merkel in Freiburg ein traditionell als Winckelmann beglau- bigtes Porträt gezeigt erhielt, das er nebst dem ursprünglichen, im Besitz des Freiherrn v. Bönigk in Jena befindlichen Bildnis zum erstenmal ver- öffentlicht. Thiersch denkt sich, daß das Original in Jena von der Hand Oesers stamme und vor Winckelmanns Abreise nach Italien gemalt sei, die Wiederholung in Freiburg schreibt er auf Grund einer undeutlichen Signatur dem hannöver- schen Porträtmaler ]. Н. Brandt zu. Die weiteren Kombinationen, in welchen Thiersch über den Zu- sammenhang der beiden Bilder sich gefällt, haben uns erst bei der Besprechung des ausführlichen Werkes über die Bildnisse Winckelmanns zu be- schäftigen, falls sie dann noch aufrechterhalten werden. Zunächst ist nur gesichert, daß beide Porträts Winckelmann vorstellen, und dieses Zeug- nis, in einer alten Bezeichnung auf dem Bild in Jena bestehend, wird durch den ikonographischen Vergleich bestätigt. Ob das Original wirklich von Oeser gemalt ist, wie Thiersch vermutet, kommt auf einen sorgfältigen kunskritischen Nachweis an, den wir erwarten dürfen. Bei der Kopie scheint die Ergänzung der Signatur auf den Namen Brandt richtig zu sein. Entscheidend ist: beide Bilder stehen künstlerisch unter dem Durch- schnitt der Porträtkunst aus der Mitte des 18. Jahr- hunderts und balten nicht im geringsten den Ver- gleich aus mit den bekannten Porträts von Mengs, der Kaufmann, und Marons. Es ist schwer, sich mit Thiersch vorstellen zu wollen, daß diese Züge „Goethe angeglichen“ scheinen, welche Bemer- kung doch auch eine sehr späte Entstehung der Kopie einschließt. Die Frage, daß den Abbildungen nach das Jenenser Gemälde einen weit jüngeren

Mann darstellt als die Kopie, dürfte belanglos er- scheinen. Sie soll nur zeigen, wie verwickelt die ganze Sachlage in Wirklichkeit ist,

Unter den übrigen vom Bisherigen abweichen- den Ansichten, welche Thiersch ausspricht, hat die Datierung des Porträts von Mengs, das nicht etwa „wenig bekannt und eigentümlich versteckt“, sondern in Berlin und 1911 in Florenz zum min- desten den meisten Fachgenossen zugänglich war, auf das Jahr 1761 volle Berechtigung. Die äußer- liche Begründung dafür ist sonderbar, als ob Mengs mit dem Bilde von Als unzufrieden gewesen wäre. Weit eher könnte angenommen werden, daß der von Winckelmann sehr geschätzte Als gerade nach Mengs sich die Erlaubnis erbat, Winckelmann ebenfalls zu malen! Aber dagegen sprechen eben innere Gründe.

Die Frage der apokryphen Bildnisse Winckel- manns wird in dem Vortrage kaum gestreift. Das von Julius Vogel als Bildnis Winckelmanns von Oeser publizierte Jünglingsporträt der Leipziger Universität lehnt Thiersch ebenfalls ab. Alles weitere bleibe der Besprechung der hoffentlich nicht auf allzuferne Zeit verschobenen Winckel- mann-Ikonographie vorbehalten.

Uhde-Bernays,

PAUL WOLTERS, Aus Ferdinand Diimmlers Leben. Dichtungen, Briefe und Erinnerungen, den Freunden zum 15. November 1916 dargebracht. ХП, 304 S. 8°. Leipzig, М. 5.—.

Eine Gabe pietätvoller Erinnerung hat Paul Wolters zum 15. November 1916, dem Tage, da vor zwanzig Jahren Ferdinand Dümmler starb, dargebracht. Nachdem der wissenschaftliche Er- trag von Dümmlers Lebensarbeit außer den Aca- demica in den Kleinen Schriften gesammelt war, bringt dieser Band in den Dichtungen (5. 1—128) und Briefen und Erinnerungen (S. 129—305) den Menschen Dimmler uns nahe.

Am 10. Februar 1859 wurde Ferdinand Dümm- ler in Halle als Sohn des Historikers Ernst Dümm- ler geboren. Seit 1868 besuchte er das städtische Gymnasium, dessen Direktor gerade damals Otto Nasemann der auch der Lehrer des Feldmar- schalls Mackensen in den Franckeschen Stiftungen gewesen war (vgl. Otto Kolshorn. Unser Macken- sen, 12 1916, S. 35) einer jener feinen, weniger unterrichtenden als erziehenden Pädagogen (8. 141), die heute so selten sind (vgl. übrigens auch die Würdigung von Gottfried Riehm, Otto Nasemann,

S. Hirzel 1917.

der erste Direktor des Stadtgymnasiums, Jahres- bericht Halle a.S., 1896). Nach der Reifeprüfung Ostern 1877 begannen die Studentenjahre, zunächst ein Semester noch in Halle, dann ein Jahr in Straßburg, wo er gleichzeitig sein Jahr diente, dann in Bonn und wieder in Straßburg je ein Semester, dann wieder in Bonn bis zur Doktor- promotion mit den „Antisthenica“ 1882 und dem Staatsexamen 1883. Die Doktorarbeit knüpfte an die unter Krohn in Halle begonnenen philologi- schen Studien an, aber schon 1880 hatte er Ed- mund Rüte gestanden (S. 175): „Da Archäologie mein ungeteiltes Interesse hat, arbeite ich in ihr viel leichter und sicherer als in der Philologie.“ 1883 ist er in Rom, im folgenden Jahre in Griechen- land als Stipendiat. Die mitgeteilten Briefe geben ein anschauliches Bild der Reisen in Italien und namentlich in Griechenland.

Es folgt 1886 die Habilitation in Gießen (8. 250), ein Winter wieder in Rom, dann die drei Gießener Jahre und von ı890 an das Wirken in Basel. Er-

staunlich war hier der Umfang des von ihm „be-

ackerten Gebietes“ (5. 284), in der großen Auf- gabe der griechischen Kulturgeschichte schien alles Abschluß und Krone finden zu sollen (S. зоо). Doch dann kam überraschend schnell das Ende. Die Briefe aus der letzten Zeit mit ihrem Ernst und ihrer Tiefe scheinen mir auch menschlich die wertvollsten zu sein. Man wird schon um ihrer- willen Paul Wolters für die Herausgabe des schönen Gedenkbuches Dank wissen. Hadersleben (Nordschleswig). Thomas Otto Achelis.

MUNCH von Curt Glaser. Berlin 1917, bei Bruno Cassirer.

Wenig Künstler haben in dem Maß wie Munch das Schicksal erlebt, daß ihre Kunst nicht um ihrer selbst willen und aus rein malerischen Ge- sichtspunkten gewertet wurde. Als Munch, ein Dreißigjähriger, 1894 zum erstenmal seine Werke einer größeren Öffentlichkeit in Berlin zeigte, wur- den sie Programm und Losungswort und waren von leidenschaftlichem Kampf umtobt. Das gleiche Schicksal ist dem Fünfzigjährigen in seiner Hei- mat Norwegen anläßlich seines Universitätsbildes nicht erspart geblieben.

Es ist dies nur zum Teil in Munchs Art be- gründet, zum andern Teil im Wesen seiner ersten Freunde und Bewunderer. Im Kreise der Strind- berg und Przybyszewski fand er in Berlin in den goer Jahren Anerkennung und Verständnis. Daß Przybyszewski von dichterischen Assoziationen her den Zugang zu Munch gesucht und gefunden hat,

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ist begreiflich. Dieser Stempel ward dem Künst- ler ein für allemal aufgeprägt. Glaser, Munchs jüngster Biograph, versucht den Künstler zum erstenmal vom Vorwurf des Literarischen frei- zumachen und auf die rein malerischen Qualitäten seines Werkes einzugehen. Den Unterschied zwischen einer selbständigen Lebensauffassung und einer am Stofflichen klebenden Anekdoten- malerei haben wir unterdessen begreifen gelernt. Munch bedarf nicht im entferntesten in dem Maße wie etwa Klinger eines begrifflichen Kom- mentars für seine Werke, und doch schöpft er aus Vorstellungen und einem Lebensgefühl, die in der Sphäre des Visuellen nicht immer restlos aufgehen. Liebe, der Kampf zwischen Mann und Weib, Werden und Vergehen sind die Pole, um die sein Empfinden kreist. Es ist kein Zufall, daß Munch der zyklischen Darstellung bedarf, um sich ganz auszusprechen. Er ist so wenig reiner Augenmensch, daß das Stilleben in seinem Werk gänzlich fehlt, daß seine Landschaften, von Sehn- sucht und Leidenschaften durchglüht, von mensch- lichen Empfindungen beseelt erscheinen, daß er diese Vorstellungen auch auf das Tierleben über- trägt. „Je älter ich werde,“ äußert. er sich einmal, „desto mehr schwindet für mich der Unterschied zwischen Tieren und Menschen.“ (S. 106.) Er Nicht in der Form. Den Wandel vom Impressionismus zum Expressionismus hat er durchgemacht und ist vom gelösten zum strengeren Kontur gekommen. Aber sein Weltbild steht fest und er weiß ihm keinen neuen Zug hinzuzufügen. Allmählich legt sich der große Sturm, er wird ruhiger, leiden- schaftsloser, aber der Fünfzigjährige schöpft aus dem gleichen Vorstellungsbereich, der den Jüng- ling erfüllt hat. Diese Gebundenheit ermöglicht es Munch, nach zehn und zwölf Jahren Motive wieder aufzugreifen, die er in der ersten Fassung zerstört hat. (Das kranke Mädchen, der Kuß. am Tag danach, das Mädchen pur der Brücke, ver- schiedene Motive in den 'großen Wandfriesen). Glaser faßt dies nur als Reichtum auf. Munch, für den „eine Form, die er einmal bildet, für immer Bedeutung bat“ (S. 90), erscheint ihm als „das Gegenteil eines Improvisators“ (S. 48). Daß in dieser Art auch die Gefahr einer gewissen Ver- engung vorliegt, übersieht der Biograph geflissent- lich. Er betont jedoch mit Recht, daß „Mnchs Kunst auf Verewigung einer Zuständlichkeit im Gegensatz zu einer Zuspitzung im Moment des Geschehens drängt“ (S. 86). Glaser hat ein kluges, warmes,

ist von vornherein ein Fertiger.

schönes Buch geschrieben, Voll allgemeiner Anmerkungen über

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die Stellung des Künstlers zum Leben und zur Welt. Von Übertreibungen ist er nicht immer frei geblieben. War es nötig, die Verinnerlichung von Munchs Naturdarstellung auf van Goghs Kosten zu rühmen, dessen Landschaften neben denen des Norwegers angeblich zur „dekorativen Formel und gedanklichen Interpretation“ (S. 66) wurden. Ist Munchs Holzschnitt „Der Urmensch“ wirklich das vollendetste Kunstwerk des neuen Holzschnitts überhaupt?“ (S. 79.) Auch in Munchs Oeuvre scheint er mir in der gleichmäßig - langweiligen Behandlung des Hintergrundes nicht an erster Stelle zu steben. Aber Einwände dieser Art be- deuten nichts gegenüber dem warmen, eindring- lichen Ton des Buches, Nicht ein Zuviel, eher ein Zuwenig an Liebe und Verständnis ist die Gefahr, die dem Historiker und Biographen droht.

Durch den Krieg wurde das Erscheinen des Krieges verzögert. , 1914 abgeschlossen.

Das Manuskript war bereits

Nachprüfungen waren in- folge der gegenwärtigen Schwierigkeiten so wenig möglich wie ein weiterer Ausbau des Buches. Zu neuen Ergebnissen hätten sie schwerlich ge- führt. Munch gehört wie Hodler zu jenen, die innerlich fertig, kaum noch Neues zu geben haben. Eine Erweiterung, nicht eine Vertiefung ist das Wahrscheinliche. Etwa 80 ganzseitige Repro- duktionen sind dem Buch beigegeben. Vielleicht wäre unter weniger schwierigen Verhältnissen auch weniger Bekanntes auffindbar gewesen. Doch besitzen wir wenig Monographien über moderne Künstler, die mit soviel Sachkenntnis ein so feines, ästhetisches Urteil verbinden und den Kern des Problems so unmittelbar packen.

Rosa Schapire.

PAUL CLEMEN u. CORNELIUS GUR- LITT, Die Klosterbauten der Zister- zienser in Belgien. Herausgegeben im Auftrage des Kaiser, deutschen General- Gouvernements in Belgien. Berlin 1916. Architekturverlag „Der Zirkel“.

Noch inter arma hat die deutsche Kunstwissen- schaft sich daran gemacht, ein prächtiges Inven- tarwerk der belgischen Zisterzienserbauten zu schaffen. Die Fülle der Zisterzienser-Abteien hatte schon in den Religionskriegen Abbruch erlitten, in den Stürmen der Revolutionsjahre verschwanden dann die meisten völlig vom Erdboden. Nur drei riesige Ruinenkomplexe sind erhalten geblieben, die Abteien Orval in der Provinz Luxemburg, Villers in Brabant und Ашпе im Hennegau. Diesen Bauten, die als Dokumente für das erste

Vordringen der französischen Gotik nach Nord- westen auch für die deutsche Baukunst Bedeutung erlangten, ist die Veröffentlichung gewidmet. Nun könnte man fragen, wie denn gerade diese drei die Geschichte der Zisterzienserbauten repräsen- tieren könnten und ob dadurch nicht notwendig ein ächiefes Bild gezeichnet worden sei. Allein das Buch will in erster Linie Quellenpublikation sein und einer Arbeit des belgischen Forschers Cloquet, der die Bauten in den Gesamtzusammen- hang einer Geschichte der belgischen Gotik zu stellen beabsichtigt, nicht vorgreifen.

Nur durch vorbildlich geschickte Organisation gelang es, binnen kurzem einen so stattlichen Folioband herauszubringen, dessen reiches Ab- bildungsmaterial durchweg auf neuen Vermessun- gen und Zeichnungen beruht. Gurlitt hatte die Oberleitung der Aufnahmen, Baubeschreibungen und Bauuntersuchungen, die von einem Stabe von Mitarbeitern durchgeführt wurden, von denen Fucker, der Orval vornahm, Zschaler, dem Villers zugewiesen war, und Krone, der in Aulne arbei- tete, genannt seien. Für Aufräumungs- und Aus- grabungsarbeiten wie zum Vermessen wurden zwei Landsturmbataillone herangezogen, die die Ein. leitung rühmlich erwähnt. Die eigentlich kunst- historische Arbeit leistete Clemen, der für die ge- schichtliche Einleitung und die regestenartige Be- handlung der Geschichte der einzelnen Bauten verantwortlich zeichnet. Die Einleitung Clemens’ entwirft in knappen Zügen ein Bild der geistes- geschichtlichen Strömungen in Belgien vor dem großen geistigen Eroberungszug, der von Citeaux zur Zeit des hi. Bernhard (1113) ausgeht. Im 10, und 1x. Jahrhundert noch Ausstrahlungen der rheinischen -Kunst nach Flandern, bis dann im 12. Jabrhundert, in dem sich der französisch-bur. gundische Kulturkreis konstituiert, die Wende eintritt. Noch während Bernhard den Orden kitete, entstanden in Belgien sieben Zisterzienser- klöster, darunter auch die drei Abteien Orval 113% Villers 1146 und Aulne 1147.

Die Grundrißform der Kirche in Orval mit- rechteckigem Chor und je zwei gleich großen, rechteckig geschlossenen Nebenkapellen zur Seite kann als Ausgangsform, als erste wirklich als Zistersiensergrundriß anzusprechende Chorform betrachtet werden. Den Grundriß mit recht- eckigem Chor und je zwei gestaffelten, im Halb-

rand geschlossenen Kapellen möchte Clemen nach

Leföyro-Pontalis Vorgang als eine Eigentümlich-

keit der Benediktinerkirchen festlegen, so daß `

dieser aus der Tradition der Cluniacenserkirchen übernommene Grundriß nur als Übergangstypus

anzusehen wäre. Es ist nicht möglich, Orval einer bestimmten Gruppe von Zisterzienserkirchen einzuordnen, sicher ist nur, daß es von der bur- gundischen Bautengruppe abhängt und darunter am nächsten mit Noirlac (1170—1200) zusammen- zubringen ist.

Villers steht dann schon nicht mehr in der Abhängigkeit der burgundischen Zisterzienser- bauten. Enger und augenfälliger ist die Verbin- dung mit der Tradition der Isie de France und der Champagne, wobei aber durchaus eine charak- tervolle Selbständigkeit gewahrt bleibt. Zumal das Prachtmotiv der Gruppierung der Rundfenster an den Kreuzarmen ist ohne Vorfahren und Ver- wandtschaft. Eine genauere Untersuchung ver- diente der Hinweis Clemens’ auf die Verwandt- schaft mit dem blinden Triforium der ehemaligen Zisterzienserkirche in Hude. Aulne, das 1214 be- gonnen wurde, gehört schon der zweiten Phase der belgisch - französischen Gotik an, dem style ‚rayonnant, Den Mangel eines Triforiums teilt mit ihm unter den Zisterzienserkirchen einzig Chorin. Clemen schließt seine anregende Unter- suchung mit Ausführungen über die Geschichte des Grundrisses der gesamten Klosteranlage bei den Zisterziensern.

Bei den Baubeschreibungen sind keine entwick- lungsgeschichtlichen Fragestellungen herangebracht worden. Daher wirkt die Beschreibung des Bau- befundes bei allen drei Bauten etwas gleichförmig und ermüdend. In der Entstehungsgeschichte der Abtei Orval, die Fucker aufrollt, bleiben doch auch noch ungelöste Rätsel. Die Unregelmäßigkeiten im zweiten Joch von Westen her sind unerörtert geblieben. Der im Gegensats zu dem aus drei gebündelten Säulen bestehenden Diensten ein“ säulige Dienst des Gurtes westlich vom Vierungs- gurt wird aus dem Wunsch, ihn von denen des Mittelschiffes abzuheben, doch nur ungenügend erklärt, zumal Fucker selber sagt, daß dies hier

wenig auffällt, weil der Dienst nicht bis zum

Boden geführt ist.

Den geschlossensten Eindruck unter den drei Klöstern vermittelt auch in dem zerfallenen Zu- stande doch wohl Villers, und es lohnt die Tage- reise, die der Besuch von Brüssel aus heute er- fordert. Man darf sich nicht der Täuschung hin- geben, welche Steilheit der Raumproportionen hier schon erreicht sei. Der Fußboden lag höher und der Raum besaß dadurch mehr kraftvolle Weite. Unter den so reichlich beigegebenen Tafeln des Bandes vermißt man hier nun doch eine, die das Mittelschiff oder wenigstens den Chor gibt, wo- durch ein wenig von dem Raumbild hätte über-

73

mittelt werden können. Zudem wäre eine solche Abbildung wertvoll gewesen zum Vergleich mit der Tafel, die den Blick nach Osten im Zustand des Jahres 1893 gibt; denn was eine lobenswerte Wiederherstellung an Gewölben, Diensten und Pfosten hinzugefügt hat, wird nirgends im Zu- sammenhang mitgeteilt. Zschaler stellt die Bau- geschichte so dar, daß man nach Fertigstellung der Mönchskirche den Bauplan geändert habe und zum Bau einer gewölbten höheren Kirche ge- schritten sei, die in zwei Bauabschnitten entstand. Es fielen also in die Jahre 1200— 1230 Gründungen und Bau der Krypta, der Vorhalle und der Mönchs- kirche, 1230—1250 Bau der Türme und der Laien- kirche und 1250—1270 Umbau der Mönchskirche. Auffallend bleiben nun die für die zweite Hälfte des ı3. Jahrhunderts ganz ungewöhnlichen sechs- сеШреп Gewölbe, deren quadratischer Grundriß im 12. Jahrhundert üblich, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aber durchweg durch Kreus- gewölbe auf gestreckt rechteckigem Grundriß er- setzt war. Ob hier nun nach der Pause in der Bauausführung ein erster Bauplan wieder vor- genommen wurde oder ob doch schon ein Teil wenigstens ursprünglich gewölbt war, das sind Fragen, die sich auch nach Würdigung der Gründe, die Zschaler für seine Zeitbestimmungen anführt, nicht zurückdrängen lassen.

Außer dem wissenschaftlichen Wert der erst- maligen Mitteilung dieser gotischen Bauten hat dieses prächtige Buch als ethisches Dokument eine hoch einzuschätzende Bedeutung. Der Ernst und die Sachlichkeit, mit der die deutsche Regie- rung mit anderen friedlichen Bestrebungen auch die Fürsorge für das Bauwesen und die Denkmal- pflege in Beigien als eine Ehrenpflicht übernahm, konnte nicht glücklicher vor aller Augen gestellt werden. Kurt Gerstenberg.

RÖTHLISBERGER, Die Architektur des Graltempels. Sprache und Dich- tung, Heft 18 Verlag A. Francke, Bern 1917. Preis brosch. М. 3.—.

Eine Revision der Ansichten Sulpiz Boisserées über die Architektur des Graltempels ist schon deswegen dankenswert, weil der jiingere Titurel des Albrecht von Scharffenberg mit der ausführ- lichen Beschreibung eines zeitgenössischen Kirchen- baus in der Literatur seiner Periode einzig da- steht. Auch die altfranzösische Dichtung schildert nur profane Kunstwerke. Gleichzeitig erfahren Irrtümer der späteren Bearbeiter, Droysen und Zarncke, über das Aussehen des Tempels durch

74

R. ihre Berichtigung. So wird die Verteilung der Hauptchöre hier endgültig geregelt und, im Gegen- eatz zu Zarncke, der Dreiachtel-Schluß für alle Chöre angenommen. Wie am Ostchor des Bam- berger Doms, verstärken runde Strebepfeiler die Ecken. Vor allem wird das kreuzförmige Hoch- schiff, das Boisserée den Zentralbau durchsetzen läßt, entschieden abgelehnt. Die Nebenchöre werden je zu zweien durch eine Art Dachreiter gekuppelt und die Schneckenstiegen um den Kern der Türme verworfen. Wenn auch R. die Ge- wölbefrage nicht endgültig klärt, so liegt das an der Unmöglichkeit, Scharffenbergs Bauplan in diesem Punkte wortgetreu durchzuführen. Das Schwergewicht der Ausführungen beruht auf dem Betonen des Übergangsstils unseres Baus, wäh- rend ihn Boisserée und Droysen für die entwickelte Hochgotik in Anspruch nebmen wollten. Es wird nachgewiesen, daß das Fehlen der Krypta sich mehr aus den auf die Zisterzienser zurückgehen- den Templerregeln ergibt und kein Argument für die Gotik ist, Der kompakte Vierungsturm, wie überhaupt die wuchtige, geschlossene Baumasse sind etwas speziell Romanisches. Ferner haben die Turmspitzen glatte, geschlossene Helme und

lösen sich nicht in gotisches Maßwerk auf. Auch

der achteckige Chorschluß ist bereits ein roma- nischer Zug, wie auch die ornamentierten Lei- bungen der Poriale, der musivische Wandschmuck und die Blendarkaden über dem Chorgestühl. Für die Frühgotik sprächen nur die reichen Vorlauben vor den Portalen, bei denen man an Anlagen am Südarm der Kathedrale von Chartres oder in Trient denken könnte. Mit gutem Recht zweifelt die Verfasserin daran, ob wirklich die Liebfrauen- kirche zu Trier das Vorbild zu Scharffenbergs Ausführungen gewesen ist, was Droysen, Otte u. а. glaubten. Drei Abbildungen nach Boisserée und ein Grundriß der Liebfrauenkirche sind der lesens- werten kleinen Arbeit beigegeben.

Hans Kahns.

ARTHUR ROESSLER, Kritische Frag- mente. (Aufsätze über österreichische Neukünstler.) Richard Länyi, Wien 1918.

Schon der bescheidene Titel, der sich mit der bescheidenen Form des Inhalts deckt, läßt die vornehme Haltung des Autor-Kritikers erkennen. Kein Versuch, lebendiger Gegenwartskunst mit zerpflückendem Historizismus beizukommen, keine lokalpatriotischen FanfarenstéBe oder ein Justa- mentstandpunkt für Richtung und Persönlichkeiten. In kleinen, nach ihren Entstehungsjahren anein-

andergereihten Aufsätzen, wie sie auf Grund ge- legentlichen Anlasses entstanden, werden die ein- zelnen Maler und Bildhauer in objektiver alpha- betischer Reihe vorgeführt: Faistauer, Fischer, Giitersloh, Harta, Kokoschka, Kubin, Schiele, Wagner. Ambrosi, Hanak, Mestrovic, Štursa. Dabei leidet aber die Wertung der einzelnen Künst- ler wie auch die des Autors als wertenden Be- urteilers keinen Schaden. Vielmehr besteht ein Hauptreiz dieser Aufsätze darin, den sich ent- wickelnden Künstler meist von seinem ersten Auftreten an im Spiegelbilde des Kritikers werden zu sehen. Nur das Bemühen des Autors, durch allgemeine Einkleidungen sein subjektives Empfinden mit der von der Kritik gemeinhin ver” langten Objektivität in Ausgleich zu bringen, läßt oft das erwartete Bild von dem Künstler zurück- treten und stellt das Problem: Künstler Kritiker

Publikum oft allzusehr in den Vordergrund. Freilich ist die Absicht, die Einzelaufsätse da- durch zum einheitlichen Buche zu gestalten, deutlich: Als Einführung der Feldpostbrief eines Künstlers und ein Besuch in der Kriegsausstellung mit einem Vertreter des Publikums, am Ende der Brief des Kritikers an einen unzufriedenen Künst- ler. Was das Urteil des Autors selbst über die einzelnen vorgeführten Persönlichkeiten anlangt, so behält es bei allem Durchscheinen seiner per- sönlicher® Anteilnahme durchaus die Sicherheit jenes höheren Standpunktes, der sich die Naivität des Einfühlens erhalten oder erworben hat, für den Kunst nicht Mode ist. Bei aller Anstän- digkeit der äußerlichen Ausstattung des Buches ist nur zu bedauern, daß das ziemlich reiche Ab- bildungsmaterial etwas kriegsmäßig geraten ist. H G.

——— ee nn —ͤ . ͤ ¶ä—ꝶœciã— m nn nn nn en er

75

DER CICERONE. 1/2.

P. WOLF: Die Architektur im neuen Deutschland. Р. F. SCHMIDT: Georg Wilhelm Kolbe. (4 Abb.) K. SCHAEFER: Stockelsdorfer Fayencen. (11 Abb.) XI, 3. HANS HILDEBRANDT; Die Glasgemälde Adolf Hölzels. (1 Taf.) DER KUNSTBESITZ DER DEUTSCHEN RURSTEN

L Hans Mackowsky, Das Erbe der Hohen-

zollern. H Hermann Uhde-Bernays, Der Kunstbesitz

der Wittelsbacher. | WILHELM WAETZOLDT: Kunstkritik aus Sturm und Drang.

ХІ, 4.

LOTHAR BRIEGER: Ludwig Meidner. (14 Abb.) FRITZ HOEBER: Persönlichkeit und Volkstum in der Baukunst der Gegenwart.

OTTO GRAUTOFF: Denkmalschutz und Kunst- raubpolitik in Frankreich.

XI, 5/6. CHR. SCHERER: Niederlindische und deutsche

Kleinbronzen im Herzoglichen Museum zu Braun- schweig. (7 Abb.)

С. ЕМП, UPHOFF: Künstler, Kunst, Sozialismus. H. UHDE-BERNAYS: Nicolaus Mathes. (6 Abb.)

KUNST UND KÜNSTLER.

ХУП, Heft 3. OTTO GRAUTOFF: Die Sammlung Serge Stechou-

kine. .

KURT PFISTER: Die Landschaft Rembrandts.

CURT GLASER: Deutsche Malerei im 19. Jahrh. EMIL WALDMANN: Liebermann - Fälschungen. FELIX SZKOLNY: Die Besteuerung der Kunst.

ХУП, 4. KARL SCHEFFLER: Oskar Kokoschka. (7 Abb.)

OTTO ZOFF: Die Bedeutung der deutschen Land- schaftskunst. (11 Abb.)

CHARLOTTE WEIGERT: Die dänische Malerei des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Hirschsprung- Sammlung in Kopenhagen. (1 Taf., 11 Abb.)

J. KIRCHNER: Arthur Grunenberg. (4 Abb.)

а. Р. HARTLAUB: Das entzauberte Italien.

ЖУП, 5. K. SCHEFFLER: Die Kunst und die Revolution.

E WALDMANN: Bremer Privatsammlungen. (22 Abb.)

E. UTITZ: Wien.

E. v. SYDOW: Studien über Schinkel als. Kunst- gewerbler. (9 Abb.)

DAS KUNSTBLATT.

Ш, 1.

P. WESTHEIM: Die Museen und die Kunst. B. TAUT: Fir die neue Baukunst. (7 Abb.) A. SALMONY: Der tanzende Shiwa. (3 Abb.)

76

Ш, 2.

W. SCHÜRMEYER: Carl Mense. (6 Abb.) О. REDON: Geständnisse. (3 Abb.)

A, SAMUEL: Hans Thuar. (2 Abb.)

H. KÜHN: Walter Dexel. (1 Abb.)

BERLINER MUNZBLATTER.

XL, 205. E. BAHRFELDT: Zum Geldumlauf in der Nieder- lausitz im 12. Jahrhundert.

PH. LEDERER: Seltene griechische Münzen der Sammlung Arthur у. Gwinner.

F. C. EBRARD: Zur Erinnerung an Karl Her- mann v. Heyden, den Altmeister der Ehrenzeichen- kunde 1840—1917.

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. XXII, 2/3.

FRITZ v. OSTINI: Adolf Hengeler und seine Kunst, KASIMIR EDSCHMID: Josef Eberz-Darmstadt.

AUGUST HIRSCHING: Der Verzicht auf den Naturalismus.

K. RISS: Sidonie St. Springer-München. ALFRED GUNTHER: Bildnisbüsten Paul Petrichs. G. AMMAN: Wie sehen wir den Garten? ANTON JAUMANN: Dank den Bildern. ELEMER v. RADICS: Arbeiten von Professor R. А. Zutt-Budapest. | Desgl.: Das Bekenntnis in der Architektur. Desgl.: Die Jagd nach dem Außerordentlichen.

W.v.GROLMAN: Entwürfe zu Kriegerdenkmalen und Grabmalen.

G. E. PAZAUREK-Stuttgart: Postwertzeichen. Eine Rosenthal- Ausstellung in München. XXII, 4.

W.KURTH: Deutsche Malerei im 19. Jahrhundert. (1 Taf., 20 Abb.)

A. HIRSCHING: Nach dem Krieg.

R. MÜLLER - FREIENFELS: Maler Alfred Hel- berger. (4 Abb. und ı Taf.)

R. BRAUNGART: Stilleben von Theodor Bohnen- berger. (6 Abb.)

K. SCHAEFER: Dänemark und Wir. (13 Abb.)

R. RIEMERSCHMID: Leitsätze zur D.W.B.-Aus- stellung in Kopenhagen. |

TH. HEUSS: Werkbund- Ausstellung in Кореп- hagen.

A. v. GLEICHEN-RUSSWURM: Ketzereien über Malerei.

XXII, 5.

J. A. BERINGER: Emil Lugo 1840—1903. (4 Taf., 11 Abb.) |

J. A. LUX: Die Erotik des Künstlers.

А. J.: Die Suchenden (Josef Bato; 1 Taf., 9 Abb.)

Е. W. BREDT: Odi profanum vulgus?

A. JAUMANN: Die Hand.

J. POPP: Holzschnitzereien von Hermann Geibel- München. ( Taf., 4 Abb.)

M. RAPHAEL: Alexander Gerbig.

E. UTITZ: Uber dekorative Kunst.

А, HIRSCHING: Los vom Schema. HANS THOMA: Uber Josua L. Gampp. ı3 Abb.)

A.MAYER: Hinterglasmalereien von J. W.Schülein. (2 Abb.)

H. WURZ: Siegel von Alfred Larcher. (15 Abb.)

DIE KUNST.

XX. Jahrg., Heft 4, Jan. хото.

MAX LEHRS: Olaf Gulbranssons Bildnisse. ARPAD WEIXLGÄRTNER: Josef Männer. UHDE-BERNAYS: Ludwig von Hagn. HERMANN MUTHESIUS: Fritz Schumachers pau: tätigkeit in Hamburg.

Grabdenkmäler von Professor FRANZ SEECK. Schöne Gläser. Koloman Moser.

(3 Abb.)

(5 Taf.,

XX, 5.

К. WEISS: Karl Caspar. (1 Taf, 15 Abb.)

E. ROSENTHAL: Fritz Huf. (10 Abb.)

W. LAAF: Hans Völcker. (7 Abb.)

G. J. WOLF: Hände. (x6 Abb.)

A. WIENER: Sparbauten. (5 Abb.)

E. LÜTHGEN: Albrecht Doering. (20 Abb.)

L. ADLER: Bemerkungen zur neuen Baukunst. L. D.: Silberschmiedekunst. (7 Abb.)

ХХ, 6.

W. v. BODE: Neuere plastische Arbeiten von Richard Engelmann. ` (1 Taf., 12 Abb.)

С. NEUMANN: Rembrandt und die Monumental- malerei. (3 Abb.)

W. PLÜNNECKE: Willy Jaeckel. (11 Abb.)

а. J. WOLF: Kunst und Revolution.

R. GRIMM-SACHSENBERG:O.R. Bossert. (8 Abb.) A. BRAIG: Fritz Spannagel. (39 Abb.)

L. SEGMILLER: Zu den Arbeiten Josef Gangls. (15 Abb.)

A. GELLHORN: künftiges Bauwesen.

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. 54. Jahrg., Neue Folge XXX, Nr. 10.

С. GLASER: Die Neuorganisation des Berliner Ausstellungswesens.

G. GRONAU: Rheinische Leihgaben in der Kas- seler Galerie.

Desgl. Nr. тт. C. GLASER: Sozialismus und Kunst.

O. HAGEN: Das Vorurteil des Räumlichen in der Malerei.

Desgl. Nr. 12. C. G. HEISE: Hamburger Brief. FR. M. HUEBNER: Belgische Kunst und Flämische.

A. L. MAYER: Velazquez und die niederlindi- schen Kirchenstiicke.

Desgl. Nr. 13. E. WENTSCHER: Künstler und Politik.

B. THORDEMAN: Die Modernisten - Ausstellung in Stockholm.

Ө. v. TEREY: Zur Bibliographie von Hans Bal- dung, gen. Grien.

Desgl. Nr. 14. W. COHEN: Rheinischer Kunstbrief. О. HAGEN: Künstlerische Zeitfragen.

E. TIETZE-CONRAT: Simultane und sukzessive Kunst.

A. L. MAYER: Münchner Brief.

Desgl. Nr. 15. | С. GLASER: Eine Galerie der Lebenden.

FR. M. HUEBNER: Der sechzigjährige Jan Toorop. Otto Richard Bossert +.

Desgl. Nr. 16.

К. ZOEGE e MANTEUFFEL: Kunstwerke in estländischem Privatbesitz.

Безе]. Nr. 17. | W.v.BODE: Die Kunstraubgelüste unserer Feinde.

H. TIETZE: Italiens Ansprüche auf deutschen und österreichischen Kunstbesits.

Carl Larsson +.

W.KURTH: Neuerwerbungen der Berliner Natio- nalgalerie.

Desgl. Nr. 18.

C. GLASER: Für Berlin.

A. SCHNEIDER: Ein neues Bild von Frans Hals.

A. L. MAYER: Goyas Expressionismus.

Desgl. Nr. то. O. GRAUTOFF: Eine Rodin-Affäre in Paris.

М. MAAS: Ausgrabungs- und Fundberichte aus Italien.

Desgl. Nr. 20. Die Landeskunstkommission.

Н. TIETZE: Der Abtransport von Kunstwerken aus Wien.

Н. WÖLFFLIN: Zum Thema Bücherpreise.

ZEITSCHR.FÜRCHRISTLICHE KUNST.

ХХХІ, 9/10.

Ө. HUMANN: Der Zentraibau zu Mettlach und die von der Aachener Pfalzkirche .beeinflußten Bauten. (14 Abb.)

A. SCHNUTGEN: Ein angenehmes und doch nicht annehmbares Kunstanerbieten: vor nahezu 40 Jahren.

М. HASAK: Kirchenbau und Feuersicherheit.

DIE CHRISTLICHE KUNST.

XV, 5/6.

Ј. WALTER: Der deutsche Malerfürst Matthias Grünewald (са. 1470—1530). (a Taf., 19 Abb.) ` A. BRINZINGER: Anton von Gegenbaur. (1 Abb.) S. STAUDHAMER: Graf Hertling t

77

ANZEIGER FÜR SCHWEIZERISCHE ALTERTUMSKUNDE.

XX, 3. |

А, CARTIER: Inscriptions romaines trouvées a Gentve en 1917. (7 Abb.)

R. WEGELI: Ein Fund römischer Silbermünzen zu Stein a/Rh. (1 Abb.)

F. VETTER: Das gotische Schenkgestell des Abtes David von Winkelsheim von Stein a/Rh. (3 Abb.) E.A.STUCKELBERG: Les Saints francais véné- rés Suisse.

K. STEHLIN: Uber die Colliviaria oder Colliquiaria der römischen Wasserleitungen. (2 Abb.)

H. MORGENTHALER: Solothurnische Steuern von Gotteshäusern des XV. Jahrhunderts. Derselbe: Kulturgeschichtliche Notizen aus den solo- thurnischen Seckelmeisterrechungen des XV. Jahrh.

REPERTORIUM FÜR KUNSTWISSEN-

SCHAFT.

Жїл. Jahrg. Neue Folge VI. Bd., Heft 3—5. KONRAD ESCHER: Die großen Gemäldefolgen im Dogenpalast in Venedig und ihre inbaltliche Bedeutung für den Barock.

JOSEF STRZYGOWSKI: Persischer Hellenismus des 15. Jahrhunderts.

HEINRICH GLUCK: Nachtrag dazu. | ERNST KUSTER, Bonn: Belgische Gärten des 15. Jahrhunderts.

FRANZ KUHLMANN, München: Schöpfer der Frakturschrift? GEORG STUHLFAUTH: Glocke und Schallbrett. Literatur:

ERICH ROTHAKER: Heinrich Wölfflin, Kunst- geschichtliche Grundbegriffe. Hans Tietze, Die Methode der Kunstgeschichte. Oskar Wulff, Grund- züge und kritische Erörterungen zur Prinzipien- lehre der bildenden Kunst.

FRITZ HOEBER: Rudolf Kautzsch, Der Begriff der Entwicklung in der Kunstgeschichte.

L. v. SYBEL: Carl Maria Kaufmann. Handbuch der altchristlichen Epigraphik.

J. SAUER: Paul Clemen. Die romanische Monu- mentalmalerei der Rheinlande.

ADOLPH GOLDSCHMIDT: Carl Georg Heise, Norddeutsche Malerei, Studien zu ihrer Entwick- lungsgeschichte im 15. Jahrh. von Köln bis Hamburg. SCHMID: Curt Glaser, Zwei Jahrhunderte deutscher Malerei von den Anfängen der deutschen Tafel malerei im ausgehenden 14. bis zu ihrer Blüte im beginnenden 16. Jahrhundert.

LUDWIG KAEMMERER: Walter Gyssling, Anton Möller und seine Schule.

K. ZOEGE von MANTEUFFEL: Franzesco Mala- guzsi-Valeri, La Corte di Lodovico il Moro, PAUL FRANKL: Hans Folnesics, Brunelleschi, Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Früh- renaissance-Architektur. Ke FELIX WITTING: August Schmarsow, Kompo- sitionsgesetze der Franzlegende in der Oberkirche zu Assisi.

Ist Dürer der

78

`

WASMUTHS MONATSHEFTE FÜR BAUKUNST UI. Jahrg., Architekton. Rundschau

XXXII. Jahrg., Heft 6/7.

R. A. LINHOF, München: Die Kultur der Münche- ner Friedhofsanlagen Hans Grässels.

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 54. Jahrg., Neue Folge Bd. XXX, Heft 3. GUSTAV PAULI: Werden und Vergehen des Im- pressionismus. Eine Erinnerung an die Ausstel- lung deutscher Malerei in der Galerie Ernst Arnold zu Dresden.

F. SCHMIDT-DEGENER (Rotterdam): Jan Pro- vost und seine Disputation der Ы. Katharina.

54, 415.

M. J. FRIEDLÄNDER: Bruegels Schlaraffenland. Zu Peter Halms Radierung

d. RING: „Onse lieve vrauwe ten drooghen Ђоопе“.

M. J. FRIEDLÄNDER: Gemälde Cranachs aus der Zeit um 1509.

E. WALDMANN: Zu einem Familienbildnis von Nicolas de Largillitre in der Bremer Kunsthalle.

О. von KUTSCHERA - WOBORSKY: Udine im 18, Jahrhundert. II. Die Malerei,

H. TIETZE: Anton Hanak. E. von SYDOW: Curt Hoelloff.

DIE RHEINLANDE.

Monatschrift für Kunst u. Dichtung. Jg. 18, Heſtrr | 12. ADAM KUCKHOFF: Große Berliner Kunstausstel- lung Düsseldorf.

E. LÜTHGEN: Gertrud v. Kunowaki.

WILLI WOLFRADT: Ja und Nein, MAXIMILIANMARIASTRÖTER :Zur neuenKunst XIX, 1/2.

W. COHEN: Diisseldorfer und Frankfurter Kunst.

auf der , Ausstellung deutscher Malerei im rg. Jahr- hundert“ zu Dresden. (x Taf., 19 Abb.)

K. PFISTER: Der Bildhauer Theodor Caspar Pilartz. (6 Abb.) (Die übrigen Aufsätze sind nicht kunstwissenschaftlich.)

OUDE KUNST.

IV, 4. j

P. C. KORTEWEG: Gres-Kruiken. (то Abb.)

J. o. KRONIG: Het Portret van een Juwelier door Thomas de Keijser. (2 Abb.)

S. KALFF: Jets over Japansche Sabels. (6 Abb.) IMA BLOK: Tentoonstelling van Prenten Doar Cl. J. Visscher in’s Rijks Prentenkabinet te Amster- dam. (4 Abb.)

IV, 5.

N. G. van HUSSIL: Engelsche Prenten. (1 Taf., ıo Abb.) |

К. AZIJNMAN: Een zeldzam Paar gothicke Kerk- kandelaars. Abb.) | J. А. Е. ORBAAN: Kleine Gegevens voor de Kunstgeschiedenis van Rome.

OUD HOLLAND.

XXXVI, 4.

A. BREDIUS: Jets over de schilders Louys, David en Pieter Finson. (2 Abb.)

F. М. JAEGER: Over David van Goorle als Ato- mist, en over het geslacht van Goorle in Noord- Nederland. (9 Abb.)

J. SLX: Het monogram van Cornelis van der Voort. Abb.) |

IMA BLOK: De fontein op de vischmarkt te Leiden, (3 Abb.)

Korte Mededeelingen: О. Ө. CALKOEN: Aantee- keningen omtrent Colyn de Nole.

—————— o En nr ᷣ—̃ —-—̃¼ ——— —e— чи ES НА

HEINRICH WÖLFFLIN: Die Kunst Albrecht Dürers. 3. Auflage. (München, F. Bruckmann, A.-G.) М. 15.—, geb. M, 20.—. |

DIE WESERRENAISSANCE. Die Bauentwick- lung um die Wende des 16, und 17. Jahrhunderts an der oberen und mittleren Weser und in den angrenzenden Landesteilen. Von Dipl.-Ing. Мах Sonnen. (Aschendorffsche Verlags buchhandlung, Münster i. W.)

OTTO BARTNING: Vom neuen Kirchbau. (Brun Cassirers Verlag, Berlin.) Geb. M. 5. —. |

HEINR. TESSENOW: Handwerk und Kleinstadt. (Bruno Cassirer, Berlin.) Geb. М. 4.50.

KARL W. SWOBODA: Römische und roma- nische Paläste. Einearchitekturgeschichtliche Unter- suchung. 16 Tafeln und 100 Abbildungen. (Kunst- verlag A. Schroll д Со. Wien.) M.20.—.

JOSEF STRZYGOWSKI: Die Baukunst der Ar- menier und Europa. a Bände. 830 Abbildungen. (Verlag Anton Schroll & Co., Wien.) М. зоо. —.

DIE ESTENSISCHE KUNSTSAMMLUNG. Her- ausgegeben von Julius von Schlosser. Band I. Skulpturen und Piastiken des Mittelalters und der Renaissance. Mit 37 Lichtdrucktafeln und 25: Ab- bildungen im Text. Bearb. von Leo Planissig. (Kunstverlag Anton Schroll 4 Со., Wien.) М. 100.—. KARL WITH: Buddhistische Plastik in Japan bis in den Beginn des 8. Jahrhunderts v. Chr. 2 Bde. (Verlag A. Schroll & Co., Wien.) М. 80.—.

FRITZ BURGER: Weltanschauungsprobleme und Lebenssysteme in der Kunst der Vergangenheit. Mit 65 Abbildungen. (Delphin-Verlag München.)

MAX DVOŘÁK: Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei. (Sonderdruck der Histor. Zeitschrift) R. Oldenbourg, München.

AUGUST L. MAYER: Expressionistische Minia- turen des deutschen Mittelalters, Delphin -Verlag, München.

DIE HOLZSCHNITTE DER LÜBECKER BIBEL von 1494 zu den 5 Büchern Mose. Herausgegeben von Max J. Friedlander, Jahresgabe des Deut- schen Vereins fiir Kunstwissenschaft 1917. (G. Grote- sche Veriagsbuchhandlung, Berlin.)

WILHELM HAUSENSTEIN: Hundertfiinfzig Jahre deutscher Kunst (1650—1800) mit 76 Tafein, (Berlin, Hyperionverlag.) Geb. М. 36.—.

OTTO PELKA: Chinesisches Porzellan. (Schmidt & Günther, Leipzig.) geh. М, 5.—. A.L.MAYER: Handzeichnungen spanischer Meister (Leipzig, Karl W. Hiersemann.) М. 400.—.

PAUL GOTTSCHALK: Die Buchkunst Gutenbergs und Schoeffers mit einem einleitenden Versuch über die Entwicklung der Buchkunst von ihren frühesten Anfängen bis auf die heutige Zeit. (8 Ta- feln und 5 Abb. im Text.) (Раш Gottschalk, Berlin.) Folio M. 28.—, nach Erscheinen M. 40.—.

F. BURGER: Einführung in die moderne Kunst. 13. bis 17. Tausend. (Berlin-Neubabelsberg, Akad. Verlagsgeselischaft Athenaion m. b. H.) Leicht geb. М. 9.80.

DIE BAU- UND KUNSTDENKMÄLER der Freien und Hansestadt Lübeck. Ш. Bd., 1. TI. (Lübeck, Bernhard Nöhring.) М. 16.—.

WILHELMR. VALENTINER: Umgestaltung der Museen im Sinne der neuen Zeit. (Berlin,G.Grotesche Verlagsbuchhdig.) М. 2.—.

ALOIS WURM: Worauf es bei der Kunst ankommt. (Verlag und Kunstwerkstätten „Ars sacra“ Josef Müller, München) geb. M. 2.40.

К. E. OSTHAUS: Grundzüge der Stilentwicklung. (Hagen і. W., Hagener Verlagsanstalt.) M. х2.-—.

PAUL BEKKER: Kunst und Revolution, (Frank- furter Sozietäts-Druckerei) M. —.60.

ERNSTRETTELBUSCH: Stil-Handbuch. (Leipzig, G. Hedeler.) М, 54.—.

FRITZ SCHUMACHER: Grundlagen der Baukunst (Georg D. W. Callwey, München.) М. 4.50.

WOHNRÄUME UND DIELEN aus Alt-Schleswig- Holstein und Lübeck. Mit einer Einleitung von Prof. Dr. Ө. Brandt. 40 Lichtdrucktafeln in Mappe. (Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin.) М, 60.—. Н. KEHRER: Grünewald, das Wunder des Isen- heimer Altars (Kunstbreviere, Bd. g, Hugo Schmidt, München). Etwa М. 3.—.

THEODOR DÄUBLER: Im Kampf um die mo- derne Kunst.

WILHELM HAUSENSTEIN: Über Expressionie- mus in der Malerei.

KASIMIR EDSCHMID: Uber Expressionismus in der Literatur und die neue Dichtung. (Alle drei Bände bei Erich Reiße, Verlag, Berlin, in der von Kasimir Edschmid herausgegebenen Schriftenreihe „Tribüne der Kunst und Zeit“.)

Des Präsidenten DE BROSSES Vertrauliche Briefe aus Italien an seine Freunde in Dijon (1739—40). Übersetzung von Werner Schwarskopff Erster Band 1018. (Verlag Georg Müller, München.)

JOLLES: Wege zu Phidlas. Briefe über antike Kunst. 1918. (Weidmannsche Buchhdig., Berlin.)

79

О. ZETTLER: Alt-Münchener Bilderbuch. Ап- sichten aus dem alten München aus der Mona- censia- Sammlung Zettler, 1918. (Verlag Georg Müller, München.)

EXPRESSIONISMUS. Die Kunstwende, Heraus- gegeben von Herwarth Walden. (Verlag Der Sturm, Berlin W 9.)

С. MIERENDORFF: Lothringer Herbst. Mit Ori- ginal-Linoleumschnitten von L. Breitwieser. 1918. (Verlag Die Dachstube, Darmstadt.)

WILHELM MERCK: Verse, Mit Original-Lino- leumschnitten von C. Gunschmann. 1918. (Verlag Die Dachstube, Darmstadt.) Die beiden letzten Bände erschienen in der Flugschriftenreihe „Die kleine Republik“. Ф

BRIEFWECHSEL zwischen Eduard Mörike und Moriz von Schwind. Herausgegeben von Hans Wolfg. Rath. (Julius Hoffmann, Stuttgart.)

KARL SCHEFFLER: Die Melodie. Versuch einer Synthese nebst einer Kritik der Zeit. (Verlag Bruno Cassirer, Berlin) M. 3.—, geb. M. 4.50. HEINRICH TESSENOW: Handwerk und Klein- stadt. (Verlag ebenda.) Geh, M. 4.50. SCHWEIZERISCHES KUNSTLERBUCH (Rascher & Co., Verlag. Zürich). Geb. М, 14.—. SCHWEIZER KUNSTLER MONOGRAPHIEN. (ebenda.) Geb. je M. 7.—.

GOTTARDO SEGANTINI: Giovanni Segantini. J. WIDMER: Max Buri.

Derselbe: Aus Hodlers letztem Lebensjahr. (Rascher & Co., Verlag, Zürich.) Geh. М. 3,50, geb. M. 5.—. 8. D. STEINBERG: Ferdinand Hodier, ein Piero. niker der Kunst. (ebda.) Geb. M. 7.—.

С. А. LOOSLI: Ferdinand Hodler. (ebda.) Etwa 16 Lieferungen zu je М, 40.—.

ХП. Jahrgang, Heft 2/3. |

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, Telefon Nord 429. Verlag, Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monats- hefte für Kunstwissenschaft KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2.

Telefon 13467.

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EINE KOPTISCHE PYXIS MIT DEN FRAUEN

AM GRABE AUS DER EHEMALIGEN SAMMLUNG PIER-

PONT MORGANS Mit sechs Abbildungen auf zwei Tafeln Von STEPHAN POGLAYEN-NEUWALL nter dem Nachlaß J. Р. Morgans im South - Kensington (Victoria and Albert)- Museum befindet sich eine altchristliche Elfenbein - Pyxis, deren ikonogra- phisches Interesse sie vor Vergessenheit bewahren sollte. Der Bauch ist mit figuralen Darstellungen verziert, der Deckel von einem Lorbeerstab abgeschlossen. Deckel und Behälter sind durch Klammern verbunden. Vier breite, wohl nachträglich hin- zugefügte Klammern, die den unteren Teil der Reliefs teilweise störend verdecken, verknüpfen den Boden der Pyxis mit dem Mantel.

Auf der einen Hälfte des Mantels erblicken wir von entgegengesetzten Seiten einem tempelartigen Gebäude sich nähernde Frauen, Ampullen in den Händen. Sie sind in langärmelige, bis auf die Füße herabfallende Gewänder gekleidet; ihr Haupt verhüllt ein schleierartig Tuch, das um die rechte Schulter geworfen, gleich- zeitig als Mantel dient; darunter sieht eine wohl von der Gürtung herrührende Schleife hervor. Der Bau öffnet sich mit der Front gegen den Beschauer. Es ist ein kuppelgekrönter, dreiteiliger, von gerillten Säulen getragener Aufbau, in dessen mittlerem Zwischenraum sich ein Altar erhebt; darüber schwebt eine Ampel. An den Außensäulen sind Vorhänge emporgebunden. Eine dreigeteilte Treppe vermittelt vom Beschauer aus den Aufgang. Ähnlich gewandete Frauen, drei an der Zahl nehmen die Gegenseite ein, wie ihre Genossinnen vor säulengetragene Rundbogenarkaden gestellt, die Arme Orantinnen gleich gegen den Himmel erhoben. Von dem abgeschlagenen rechten Arm der mittleren Orantin und dem gleichfalls abgebrochenen linken ihrer 'Нокззе реп Genossin ab- gesehen, ist der Reliefschmuck unbeschädigt geblieben (Abb. ı u. 2).

Die Darstellungen beziehen sich offenbar auf jene Frauen, die am Morgen nach Christi Grablegung sich zur Grabstätte aufmachten, den Leichnam des Herrn mit wohlriechenden Spezereien zu salben; während Johannes (206; ı) nur Maria Mag- dalena erwähnt, nennt Matthäus neben ihr noch „die andere Maria (Maria Jacobi?) (286; т), Marcus Maria Magdalena, Maria Jacobi und Salome (166; 1), Lucas außer- dem Johanna und noch andere, nicht mit Namen angeführte Frauen; (24; 1), diese läßt er im Innern der Grabhöhle von zwei Engeln erwarten, die ihnen die Auf- erstehung des Herrn künden. Während Johannes sich hierin Lucas anschließt, begnügen sich Marcus und Matthäus mit einem einzelnen Engel, wobei der letz- tere Evangelist überdies der Grabeshüter Erwähnung tut.

Den beiden, dem Tempelbau nahenden Frauen, die eine’ Anlehnung an das Evangelium des Matthäus vermuten lassen, hat der Schnitzer auf der Gegenseite, wohl zentral-symmetrischer Anordnung zuliebe, dem Evangelium Marci folgend, eine dritte Genossin hinzugesellt. Die den Hintergrund gleichmäßig verdeckenden Arkadenarchitekturen lassen es als möglich erscheinen, daß der Künstler, anknüp- fend an den Evangelisten Lucas, die Darstellung eines einzigen Momentes be- absichtigte, dessen Zweiteilung nur durch kompositionelle Gründe veranlaßt wurde Doch scheint mir immerhin nach der in Darstellungen der Frauen am Grabe all- . gemein vorherrschenden Benützung des Matthäusevangeliums eine inhaltlich ge- wollte Szenentrennung vorzuliegen; dergestalt, daß wir auf der einen Hälfte der Pyxis den Weg der Frauen zum Grabe, auf der anderen ihr Gebet zu erblicken haben.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919. Heft 4 6 81

Der Anschluß ап das Evangelium des Matthäus kommt in den einzelnen Werken bald mehr, bald weniger deutlich zur Geltung. Es überwiegt die Begrüßung der beiden Frauen durch einen vor dem Grabbau befindlichen Engel. Auf einem Elfenbeinrelief der Münchener Nationalbibliothek, das mit den Frauen am Grabe die Himmelfahrt Christi verbindet, erblicken wir drei Frauen an der Zahl!). Auf einem zu Achmim gefundenen Fragment eines pallium pontificium eine einzelne ). Auf den Elfenbeinreliefs*), den Ciboriumssäulen von San Marco‘), dem Rabulas- evangeliar®) begegnen wir daneben den Grabeshütern; dagegen fehlen sie auf den von den Ampullen zu Monza“) und damit den von dem Mosaik der Anastasis ab- hängigen Schöpfungen durchwegs. Was die Komposition jener Szene in der alt- christlichen Kunst betrifft, so können wir diesbezüglich drei Hauptgruppen unter- scheiden: Eine ältere historisierende Gruppe, welche von einem Pyxidenfragment des Brit. Museums abgesehen, die Frauen von der gleichen Seite dem ihnen gegen- über vor dem Grabbau befindlichen Engel nahen läßt. Bei der zweiten mehr repräsentativen Gruppe bildet die Rotunde der Anastasis, häufiger noch das so- genannte tegurium den Mittelpunkt der Komposition. Der Engel wird hier im Gegensatz zu den älteren Darstellungen, auf denen er der Frauen vor dem Bau- werk harrt, hinter das Grabmal versetzt. Eine dritte Gruppe, die mit jener repri- sentativen Tendenz, bei der noch immer das erzählende Moment durchsickerte, eine rein zentral-symmetrische Komposition verbindet, deren Glieder sämtlich unter- einander korrespondieren, wird durch unsere Pyxis und eine andere, die sich zu Sitten im musée де Valere befindet“, vertreten (Abb. 3—6).

Auf jenem zu Mailand, in San Nazaro e Celso befindlichen Sarkophag), der die älteste Darstellung der Frauen am Grabe trägt, sehen wir sie in der oben ge- schilderten, auf allen Darstellungen wiederkehrenden Tracht dem die Szene ab- schließenden schilderhausartigen Grabbau zuschreiten; darüber das Brustbild eines Engels. Auf der um 430 entstandenen Tür von Santa Sabina°), auf deren syro- palästinensischen Ursprung von Ainalow 1) aufmerksam gemacht wurde, werden die Frauen von einem geflügelten Engel begrüßt. Er steht vor einem säulen- getragenen Bogen, der in eine Backsteinwand gebrochen, durch emporgebundene Vorhänge als Eingang in die Gruft gekennzeichnet ist. Sonst thront der Engel meist auf einem Felsen; auf jüngeren Darstellungen im Rabulas - Kodex, auf der Рухіз von Sitten, dem erwähnten pallium pontificium auf einem Sarkophag. Ersteres gilt auch von einer Säule des Ciboriums von San Marco, dessen syro- palästinensische Herkunft Gabelentz’’) wahrscheinlich gemacht hat. Auf einem Felsen sitzend, empfängt ein Flügelengel die Frauen; ihnen zu Füßen liegen die Grabhüter. Der Grabbau wurde wohl aus Raummangel fortgelassen. Der ener Darstellung zugrundeliegende Typus der dem Grabbau seitlich nahenden, von einem sitzenden Engel empfangenen Frauen, der für die weitere Ausgestal- (x) Garrucci: VI, 459 (4).

(a) R. Forrer: Römische und byz. Seiden-Textilien, Т. XVII, Fig. IX. (Straßburg 1891.)

(3) Garrucci: VI, 459 (4), 449 (a), 450 (а), 446 (3).

(4) VI. 497 (1).

(5) Ill, 139. у

(6) УІ, 433 (8). 434 2, 4—7), 433 (1).

(7) Marius Besson: Les antiquités du Valais PL VI—VII. (Freib. 1910) - danach Abb. 3—6 meines Aufsatzes. (8) Garrucci: VI, 315 (5).

(9) VI, 499 (6).

(zo) Ainalow: Die hellenistischen Grundlagen der byzant. Kunst (s. Wulff, Rep. f. K.-W., p. 46). (1903.) (11) von der Gabelentz: Mittelalter. Plastik in Venedig. (Leipzig 1903.)

tung der Szene bis zu den Monzeser-Ampullen herab уоп ausschlaggebender Be- deutung geblieben ist, läßt sich auf die erwähnte Elfenbeintafel der Münchener Nationalbibliothek zurückleiten. Mit den Frauen am Grabe ist hier die Auf- erstehung Christi in Verbindung gesetzt, die eine mit dem Relief der Türe von Santa Sabina!) verwandte Auffassung erkennen läßt. Ein kurzgelockter Jüng- ling, gekleidet in eine Tunika mit darübergeschlungenem Mantel, sitzt vor dem Portal des Grabbaues, in der für alle späteren Darstellungen charakteristischen Art, die Rechte gegen die seitlich nahenden Frauen belehrend erhoben. Die Wächter lehnen schlafend am Grabgebäude: einer doppelgeschossigen Architektur mit quadratischem Untergeschoß, über dem sich eine kuppelgekrönte, reichgeglie- derte Rotunde erhebt. In der Anordnung der Gestalten, ihrer Auffassung, steht jenem Relief ein im Mailänder Domschatz befindliches fünfteiliges Dyptichon?) zu- nächst, wenn auch in der bedeutend jüngeren, gegen die Mitte des 5. Jahrhunderts entstandenen Darstellung gewisse Änderungen stattgefunden haben. Der Grabbau wurde vereinfacht, der Sockel rund gestaltet, die Kuppel wie auf dem Sarkophag von San Nazaro e Celso, dem Dyptichon Trivulzi®), der Londoner Pyxis‘), dem Rabulasevangeliar, durch ein Zeltdach ersetzt; die Zahl der Frauen wurde auf die Normalzahl verringert. Auf dem älteren Dyptichon der Sammlung Trivulzi spielt sich die Szene ähnlich wie auf der Tür von Santa Sabina vor der Back- steinwand des Grabes ab; über dem quadratisch zu denkenden Sockel erhebt sich wiederum ein Rundbau, zu dessen Seiten wir die Grabeshüter niederstürzen sehen. Ein ähnlicher mehrgeschossiger Bau nimmt die Mitte eines als im Brit. Museum befindlich erwähnten, von einem Kästchen herrührenden Elfenbeinreliefs ein, zu dessen Seiten Wachen und Frauen in symmetrischem Übereinander verteilt sind. Mit dem Dyptichon Trivulzi haben die Krieger die für die Sarkophagreliefs typischen Judenmützen gemein. Der auf einem zugehörigen Relief dargestellte Selbstmord des Judas wird auf den Ciboriumsäulen von San Marco wie auf dem Dyptichon des Mailänder Domschatzes auf übereinstimmende Weise geschildert, während die Kreuzigung Christi an die Tür von Santa Sabina erinnert.

So schließt sich der Kreis, der die geschilderten Werke untereinander verbindend, auf die Herkunft der Darstellungen der Frauen am Grabe von einem gemeinsamen allmählich abgewandelten Vorbild schließen läßt. Daß wir dafür das syro-palästi- nensische Kunstgebiet namhaft machen müssen, ergibt sich aus den Beziehungen der Elfenbeinreliefs zu der Türe von Santa Sabina und den Ciboriumssäulen von San Marco, worauf ich bereits durch Herausgreifen einzelner, gemeinsamer Züge aufmerksam zu machen suchte, Sie alle verraten noch die Herkunft aus dem malerischen hellenistischen Relief. Das Dyptichon Trivulzi, die Elfenbein- tafel des Mailänder Domschatzes entsprechen den Reliefs von Santa Sabina überdies in der Übereinanderstaffelung der Szenen, wozu bei ersterem die Über- einstimmung in der rahmenden Welle hinzutritt. Die etwas gedrungenen Propor- tionen, die wunderbare Modellierung der Formen, das stofflich Weiche der von wenigen Faltenzligen gefurchten Gewandung haben die Gestalten sämtlicher Re- liefs mit der Kirchentüre wie mit den Ciboriumssäulen gemein. Unter sich werden die Elfenbeinreliefs durch die gleichmäßige Gestaltung der Grabrotunde als eine doppelgeschossige Architektur zu einer eigenen Gruppe zusammengeschlossen.

(x) Garrucci: VI, 499 (1). (2) VI, 450 (2). (3) VI, 499 (2). (4) УІ, 446 (3).

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Steht das Evangeliar des Syrers Rabula kompositionell über das Dyptichon des Mailänder Domschatzes hinweg noch mit der Auferstehungstafel zu München im Zusammenhang, so vermittelt es durch die Einführung eines eingeschossigen zentralen Grabbaues zwischen dem Sarkophag von San Nazaro und dem Mosaik von San Apollinare nuovo in Ravenna). In der Auffassung des Engels, die es mit diesem teilt, den Attributen von Engel und Frauen, leitet uns die Miniatur des Evangeliars zu den Monzeser Ampullen über. An Stelle des schlichten Jünglings der Reliefs ist ein prachtvoll gewandeter, langgelockter, nimbierter Jüng- ling getreten, wie auf dem Ciborium in Venedig und der Türe von Santa Sabina geflügelt, in der Linken ein goldenes Skeptron haltend. Salbgefäße verschiedener Form in Händen nahen ihm die ebenfalls nimbierten Frauen.

Den Mosaiken von St. Apollinare nuovo in Ravenna!) liegt ein palästinensisches Perikopenbuch zugrunde, woraus sich auch die den Monzeser Ampullen verwandte Komposition der Frauen am Grabe erklärt. Dem links von dem in der Bildmitte befindlichen Grabbau hier einer umsäulten, kuppelgetragenen Rotunde thro- nenden Engel nahen von der rechten Seite die Frauen, noch ohne Behälter in den Händen. Ein Mosaik der Anastasis mag das gemeinsame Vorbild für die ravenn. Kirche und die Ampullen abgegeben haben. Wenigstens steht es bezüg- lich der letzteren fest, daß sie mit verkürzten Wiederholungen der Mosaiken ein- zelner Wallfahrtskirchen geschmückt wurden, in denen sie, mit dem daselbst ge- brannten Öl gefüllt, an Pilger verteilt zu werden pflegten. An Stelle der Grabes- rotunde ist hier das schon von Aetheria Silvia erwähnte, über dem Grab Christi. errichtete tegurium getreten: ein ciboriumartiger Bau, dessen durch silberne Gitter verbundene Säulen ein in ein Kreuz mündendes Kegeldach tragen. Der von den Ampullen vertretene Typus wir wollen ihn zum Unterschied von der durch die älteren Werke veranschaulichten syro-palästinensischen Richtung nach seinem Ursprungsort als jerusalemitisch bezeichnen hat für die Folgezeit weitgehende Bedeutung erlangt. Wir erkennen ihn unter den Miniaturen eines Reliquiares aus dem Schatze der Kapelle Sancta Sanctorum wieder, das den Ereignissen der Passion: den Frauen am Grabe, der Himmelfahrt und der Kreuzigung auch diese in engem Anschluß an die Ampullen und gleichzeitig an das Rabulas- evangeliar, Geburt und Taufe Christi gegeniiberstellt. Über dem Kegeldach des tegurium schwebt die Kuppel der Anastasis-Rotunde, durch ihren von Fenstern durchbrochenen, nach unten abschließenden Ring an den Kuppelbau des Mosaiks von San Apollinare nuovo erinnernd. Eine im Gouvernement Perm gefundene Silberschüssel?), die sich heute in der Eremitage zu Petersburg befindet, gibt uns in den Medaillonbildern der Himmelfahrt, der Frauen am Grabe und der Kreuzigung die von den Ampullen veranschaulichten Typen, nach Technik, Gestalt und Tracht, in persischer Umgestaltung wieder. Nach der engen Anlehnung der hier ver- körperten Szenen an die vorbildlichen Kompositionen der Ampullen stünde uns nichts im Wege, ein die Kreuzigung und darunter die Frauen am Grabe im An- schlusse an die Ampullen!) schilderndes Amulett‘) nach seiner einen Ägypter (ABAM OYN) als Eigentümer nennenden Inschrift, als in Ägypten entstanden, anzunehmen; dafür sprechen auch trotz der überaus genauen, auch auf das Ge- staltliche sich beziehenden Annäherung an die Ampullentypen einzelne Abweichungen (1) Garrucci: Ш, 25x.

(2) Smirnov: Orientalisches Silber, T.XV, p. 38.

(3) Garrucci: VI, 434 (2, 4, 6), 435 (1).

(4) Schlumberger: Quelques monuments byzantins inédits р. 186—87 (Вух.-2.: В. П, 1893).

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von denselben. Zudem ist die Architektur des ſtegurium völlig mißverstanden worden. Das bereits erwähnte koptische Fragment eines pallium pontificium justinianeischer Zeit müssen wir der älteren, erzählenden Richtung zuweisen.

Der für den Ampullentypus charakteristische repräsentative Zug, der sich in der Gruppierung der Gestalten um das als Bildmittelpunkt behandelte Grab äußert, führt zu jener Umwandlung der Darstellung der Frauen am Grabe, wie sie in der Pyxis zu Sitten und der Pyxis der ehemaligen Sammlung Pierpont Morgans zum Ausdruck gelangt. Auf diesen wir wollen sie als Pyxiden- typus bezeichnen sehen wir die Frauen von den entgegengesetzten Seiten mit Salbgefäßen in der Hand, einer phantastischen, das Zentrum der Komposition einnehmenden Architektur nahen. Mosaiken der zur Kirche St. Ambrogio in Mailand gehörenden Kapelle des heiligen Viktor!) lassen uns in aneinander ge- reihten, von vorspringenden Flügeln eingefaßten Pavillons die Ansätze von kirch- lichen Innenarchitekturen erkennen. In dem Mosaik von Hagios Georgios?) in Saloniki ist noch der Zusammenhang mit der hellenistischen Bühnenarchitektur lebendig. Dagegen wurde im Kuppelmosaik von San Giovanni in Fonte zu Ra- venna®) die Kennzeichnung der Basilika auf die Gruppierung in Muschelnischen eingeordneter Priesterstühle um den Altar eingeschränkt. Auf der Pyxis P. Morgans wird der Altarraum von einem in der Fläche ausgebreiteten Ciborium überdacht. Auf der Sittener Pyxis sehen wir einen Engel mit einem Kreuzstab in Händen unter einem Muschelbaldachin thronen, wie es sich ähnlich auf dem fünfteiligen Dyptichon von Murano“) ), auf dem Dyptichon der Sammlung Crawford‘), auf der ägyptischen Danielpyxis des Brit. Museums findet“). Die dem Beschauer zu- gekehrten Gestalten der Apostel, die auf die Frauen des Sittener Behälters folgen, der glatzköpfige Paulus (Abb. 4) und Petrus (Abb. 5) ihre Typen sind gegen Ende des 4. Jahrhunderts zur Ausprägung gelangt gehen in der Art ihrer Gegen- überstellung auf die von Syrien ausgehenden Lehrszenen Christi zurück. Kata- kombenmalereien und Sarkophagskulpturen haben zu ihrer Verbreitung im Westen das Ihrige getan. Hier dürfte es.sich um Gegenüberstellung der Apostel als Ver- treter der heiden-christlichen und juden-christlichen Kirche handeln: Allegorische Kontrastierungen, wie sie im 5. Jahrhundert siehe das Mosaik der Eingangs- wand von St. Sabina) und jenes des Triumphbogens von St. Maria Maggiore), an Umfang gewinnen. Ähnlich aufgefaßt begegnen wir den Aposteln in Ver- bindung mit Christus auf dem oben erwähnten, aus Murano stammenden Dyptichon. In seiner „hellenistischen und koptischen Kunst“ hat Strzygowski die Beliebtheit ähnlicher Apostelgestalten für Ägypten nachgewiesen ). Auf den Holzkonsolen zu Bawit finden wir sie auf genau die gleiche Weise wiedergegeben: In lehrender Pose, das Pallium über die rechte Schulter geschlagen, in der vom Uberwurf ver- hüllten Linken ein Evangelienbuch, die Rechte belehrend erhoben, das linke Bein vorgesetzt. Für die Wachen am Grabe kommt als Gegenstück der Fußsoldat am

(1) Rep. f. K.-W., р. 48 (1903).

(2) Wulff: a, a. O., р. 345. Fig. 309.

(3) Wulff: a. a. O., р. 342, Fig. 307.

(4) Garrucci: II, 456. |

(5) Strzygowski: Hellen. u. kopt. Kunst in Alexandria, Fig. ба, 63 (Wien 1903).

(6) Dalton: Catalogue of the early christian antiquities. Pl. X, a, b. (London 1907.) (7) Wulff; a. a. O., p. 333, p. gor. | (8) Wulff: а. a. O., Т. XX, 1.

(9) Strsygowski: Hellen. u. kopt. Kunst, р, 39—41, Fig. 25.

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Aachener Kanzelrelief in Betracht. Beiderseits unter dem Topfhelm Köpfe mit Glotzaugen und wulstigen Lippen, die Wangen aufgequollen; über dem Schuppen- panzer, der an Oberarm und Hüfte mit Lederstreifen besetzt ist, bauscht sich das Sagum, der Soldatenmantel. Die Beine stecken in hochgeschnürten Sandalen. Speer und Rundschild, letzterer mit sternférmigem Muster verziert, bilden die Bewaffnung. Für die Sechszahl der Krieger läßt sich ebensowenig unter den altchristlichen Dar- stellungen der Frauen am Grabe eine Parallele erbringen, wie für deren Verknüp- fung mit den drei Oranten unseres Reliquienbehilters.

Es handelt sich hier jedenfalls um eine Freiheit der Darstellung, die uns die Entstehung der Pyxiden außerhalb Syriens und Palästinas anzunehmen zwingt. Einen Fingerzeig geben uns die Orantinnen. Im hellenistischen Alexandrien ge- schaffen, wurden sie im Lauf der allmählichen Überwindung hellenistischen Stil- gefühles durch die Brutalität des Kopten samt anderen durch die Kunst des helle- nistischen Ägyptens geschaffenen Typen von ihm aufgenommen und assimiliert. Während die Orantinnengestalten im Westen im Laufe des 4. Jahrhunderts zurück- zutreten beginnen, behaupten sie in der koptischen Kunst den Platz, den sie in jener Alexandriens eingenommen hatten. Wir finden sie auf Stoffen!), besonders häufig auf Grabstelen?). Wir finden sie allseits in der gleichen Gewandung, mit der gleichen Gebärde, mit den gleichen Einzelzügen in der Durchbildung von Antlitz und Gestalt, wie auf unserer Pyxis. Nicht anders verhält es sich mit der Orantin eines zu Achmim gefundenen Kammes?): Die Züge roh und flüchtig aus- geführt; große, herausquellende Augen. Während die Oranten in den Katakomben Roms ihre Arme mit leicht eingezogenem Oberarm in einem stumpfen Winkel von sich strecken, setzt hier unserem Behälter entsprechend der Oberarm fast in einer Senkrechten zur Schulter an, wobei die Hände, was bei den Oranten- darstellungen anderer Kunstgebiete nie der Fall ist, über ihren Kopf hinausragen, um gleichfalls die Hintergrunds-Architekturen zu überschneiden. Die Kleidung der Orans ist in den Katakomben, auf den Sarkophagen eine durchaus andere. „Der ägyptische Typus zeigt die Brust von einem halbrunden Teil bedeckt, während an den beiden Seiten schmale Falten herabfallen. Eigentümlich ist es auch, daß der Leib, durch Bogenfalten hervorgehoben, nicht wie im Byzantinischen durch Steilfalten verdeckt ist.“ Nur die Schrittstellung, die Durchprägung der Beine durch die zwischen ihnen sich sammelnden Längsfalten lassen noch an das helle- nistische Prototyp denken. Jene Übereinstimmung zwischen den Orantendarstel- lungen auf Kamm und Pyxis wird durch die Ähnlichkeit des architektonischen Rahmens zu einer völligen gemacht. Hier wie dort sind die Frauen vor Arkaden getreten, deren zweiteilige Bogen auf den durch Streifen markierten Kapitellen ge- rillter Säulen ruhen.

Nach alledem stünde uns nichts im Wege, die Pyxis Pierpont Morgans im von koptischer Gesinnung überwucherten Ägypten entstanden zu denken. Damit würde die gleiche Herkunft für den Sittener Behälter wahrscheinlich gemacht, dessen Frauen Zug für Zug den Ampullenträgerinnen der Morganschen Pyxis entsprechen, während die Apostelgestalten in den Heiligen der Steinpfeiler und Holzkonsolen aus

(х) Forrer: a. a. O., Т. IX, 8. (з) Crum: Coptic monuments. T. 8684—8701. (Kairo 1902.)

Strzygowski: Ein Grabrelief mit der Darstellung der Orans in der Sammlung Golenischeff, T. XIII. (Ebrengabe für de Rossi.) (3) Strzygowski: Die christl. Denkmäler Ägyptens, р. 35, Fig. 5. (Röm. Quartalschrift XII, 1898.) Bezüglich der syrischen Herkunft der weiblichen Tracht siehe Wulff, Altchr. u. Ьу. Kunst I, 8. 131.

Bawit, die Krieger їп den preziösen Figuren der Aachener Kanzel ihr Gegenstück finden’). Neben die historisierende syro-palästinensische Richtung der Dyptichen und die durch die Ampullen verbreitete jerusalemitische Gruppe, in der sich der erzählende und repräsentative Charakter die Wage halten, müssen wir somit eine dritte Pyxidengruppe ägyptischer Herkunft (koptischer Arbeit) setzen, in der der repräsentative Charakter dominiert.

Die Gestalten der nach denselben technischen Prinzipien gearbeiteten Menas- pyxis des Brit. Mus. (Dalton: Christ. ant. Nr. 296, T. IX) Haltung und Gewan- dung der Frauen, Tracht des Leibwächters nicht zu vergessen der Gruppierung der Figuren um den Baldachin, bieten für die Pyxis J. P. Morgans, wie jene zu Sitten, ein tertium comparationis.

Die Wandlung der Komposition an den Grabespyxiden, die flüchtige Ausführung des Blattrahmens, wie auch die Behandlung des Gestaltlichen weist auf das späte 6.—7. Jahrhundert. Die auf einen indifferenten Hintergrund projizierten Figuren sind durchaus flichenhaft aufgefaßt. Roh durchgeführt, von derben Zügen, ermangeln sie einer Artikulation der Glieder, deren Extremitäten unnatürlich vergrößert sind. Konturen, Falten wirken wie eingraviert. Hand in Hand damit geht die jedes räumlichen Eindruckes entbehrende Scheinarchitektur.

(1) Strzygowski: Hellen. u. kopt. Kunst,

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ERWERBUNGEN DER HOLLÄNDISCHEN MUSEEN WÄHREND DER KRIEGSJAHRE Von OTTO HIRSCHMANN

CIV 00000000000 000000000000 900000000000 000000000000 000000000000 HOCH 000000000000000000000000000000000000000000000000 А

A. Das Rijksmuseum in Amsterdam. Mit zwölf Abbildungen auf sechs Tafeln

er je nach dem entlegenen Alkmaar in Nordholland gepilgert ist, der hat Wi Auge vor allem an dem bunten Durcheinander des Freitagmarktes mit. seinem Gerolle von gelben und roten Käsekugeln ergötzen wollen. Die Kunst- historiker aber waren es ihrem Gewissen schuldig, sich von diesem frohmtitigen Bilde zu trennen, um ihre Aufmerksamkeit dem stattlichen Waaggebäude zuzu- wenden, das Rathaus mit seiner kleinen Sammlung zu besuchen und endlich die Schritte nach der Laurentiuskirche (Groote Kerk) zu lenken, vor deren geschlos- senen Türen man es aber in der Regel genug sein ließ. Nur die ganz „Zünftigen“ mögen die Mühe nicht gescheut haben, sich die Türen durch den Küster öffnen zu lassen, weil sie wußten, daß dieses Kircheninnere zu den schönsten des Landes zählt und daß im Seitenschiff ein wichtiges Zeugnis altholländischer Kunst geborgen war: sieben Tafeln eines unbekannten Meisters mit Darstellungen der sieben Werke der Barmherzigkeit. So kam es, daß diese ansehnlichen Gemälde nicht die all- gemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkten und daß nur wenige ihre Bedeutung‘ kannten. Erst durch die Utrechter Primitivenausstellung von 1913, in der sie einen der größten Anziehungspunkte bildeten, wurden weitere Kreise mit dem Meister von Alkmaar, wie der Urheber der Barmherzigkeitsbilder getauft wurde, vertraut, und seither ist dieser auch im Diskussionsbereich der Literatur geblieben. Kürzlich sind die sieben Holztafeln nun durch das Rijksmuseum angekauft worden, wo sie vermöge ihrer gegenständlichen Gefälligkeit bestimmt sind, Lieblinge auch des großen Publikums zu werden. Den Kunsthistoriker aber fordern sie in dieser neuen Umgebung zu erneutem Studium heraus und zu einer Auseinandersetzung mit dem, was über sie und ihren unbekannten Meister vorgebracht worden ist. Ein paar beschreibende Bemerkungen, die den durch die Abbildungen (Abb. 1—7) vermittelten Eindruck ergänzen, mögen vorausgeschickt werden. Die sieben Dar- stellungen sind auf Eichenbretter von je тот cm Höhe und 55,5 cm (die beiden äußersten Tafeln 54 cm) Breite gemalt. Diese stehen in alten Rahmen, auf denen unten holländische, auf die verschiedenen Wohltaten bezügliche Inschriften mit gotischen Charakteren angebracht sind. Auf der ersten Tafel, von links nach rechts gezählt, der Hungrigenspeisung, befindet sich im Hintergrund auf der Abbildung eben erkennbar unten auf der Brüstung einer Vortreppe ein kleiner Löwe, der ein Wappenschild mit einem Meisterzeichen (Monogramm? Hausmarke?)

von folgender Zusammensetzung hält: Auf dem zweiten Bild, der Labung der Durstigen, steht auf der vordern Säulenbasis des Vordaches das für uns so wertvolle Datum: Anno mccccc en lili; auf der hinteren Säulenbasis ist

das Wort „Gloria“ zu entziffern. Die Jahreszahl ist oben auf dem Rahmen des Mittelstückes (Tote begraben) in der alten, gber nicht ursprünglichen Inschrift „gheschildert anno 1504“ wiederholt. Leider haben die Tafeln stark gelitten; der schlechte Erhaltungszustand bildet an sich schon, wenn je Einwände dagegen erhoben werden sollten, eine genügende Rechtfertigung für die Aufnahme dieses Kirchenschatzes in ein öffentliches Museum, wo ihm die nötige Sorge zugewendet

werden kann. Die zwei Bretter, aus denen jede der Tafeln zusammengesetzt ist, haben sich in ihrer Fuge gelöst, und diese läuft jetzt als klaffender Spalt mitten durch die Bilder hindurch. Dazu kommen noch verschiedene Holzsprünge. Schlimmer als diese Schäden sind aber die absichtlichen Verstümmelungen, denen die Tafeln, wahrscheinlich zur Zeit des großen Bildersturms, ausgesetzt gewesen sind. Diese letzte Vermutung wird durch den Umstand nahegelegt, daß die Zerstörungswut sich mit besonderer Gründlichkeit gegen die geistlichen Figuren auf dem Mittelstück gerichtet hat; die Köpfe dieser Mönche sind gänzlich weggeschabt. Aber auch manche der weltlichen Figuren, vor allem jene mit porträtmäßigem Charakter, sind durch Kratze übel zugerichtet worden. Das alles weist darauf hin, daß die Be- schädigungen nicht in blinder Wut, sondern mit absichtlicher Überlegung geschehen sind. Später hat man versucht, dieSchäden durch plumpe, sofort ins Auge fallende Übermalungen wieder gut zu machen. Dem allen gegenüber steht aber die erfreu- liche Tatsache, daß die Teile, an denen sich die fanatische Hand nicht vergriffen hat, von absoluter, auch durch keine Firnisse getrübten Reinheit und Unberiihrt- heit sind. Hier erleben wir eine Augenweide ohnegleichen, von der zu hoffen ist, daß sie durch die unumgfingliche Restauration, der die Tafeln unterzogen werden müssen, nicht beeinträchtigt werde.

Was die Barmherzigkeitsbilder so anziehend macht, ist neben ihrer milden Farbenpracht vor allem der behagliche, leicht verständliche Ton der Erzählung, den der Meister getroffen hat. Mit einer naiven Fabulierfreudigkeit fügt er Be- obachtungen aus seinem Alltagsleben, von der Straße, aus der Krankenstube zu- sammen, unter dem Vorwande, die sieben heiligen Pflichten zu illustrieren. Ob- schon als Kirchenbild gedacht, überrascht doch gerade die weltliche Unbefangen- heit der Auffassung. Christus, der sich auf allen sieben Darstellungen unter die Be- dürftigen mischt, hat keinen Glorienschein; da er unbemerkt bleiben will, hat er sich durch einen solchen nicht verraten wollen! Das Fehlen einer festen formalen Über- lieferung für diese freien Straßen- und Innenszenen lud den Maler dazu ein, am Leben Anschluß zu suchen und nötigte ihn, seine eigene Erfindungsgabe spielen zu lassen. In der Gegenüberstellung von menschlicher Armut und Hilflosigkeit einerseits, wohl- versorgter Bürgerbehäbigkeit und ruhiger Gebefreude andrerseits fand er ein dank- bares Feld für die Entfaltung seiner Fähigkeiten. Wie sehr hier seine Stärke liegt, belegen die reizenden Kleinfigurenszenen der Hintergründe; der Leiermann mit seinem Hündchen, die mit dem Marktkorb heimkehrende Dienstmagd, der blinde Bettler mit seinem voraustastenden Sohn, der Arzt am Krankenbett, das sind ab- gerundete Genrebildchen von einer Drastik und dabei Zartheit, wie sie von seinen Zeitgenossen nicht erreicht, von einer spätern Kunst kaum übertroffen worden ist. Hingegen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die unvermeidliche Häufung der Figuren in den Vordergrundszenen dem Maler viel Mühe verursacht hat; wo sich keine Gelegenheit zu ausladenden Bewegungen bot, entstanden Gruppen von erstaunlicher Steifheit, wie auf dem Bild der Krankenpflege. Ebenso- wenig war er ein Meister in der Einzelcharakteristik; seine Typen sind von einer etwas blöden Eintönigkeit, die nur durch die leicht karikierten, drolligen Bettler- figuren unterbrochen wird. Unter diesen allerdings befinden sich Jammergestalten, die in ihrer derben Tragikomik schon den großen Breughel ahnen lassen. Was für ein ergötzlicher Einfall z. B. dieser hungrige Vagabund, der sich sein ihm wie ein Äffchen auf den Schultern sitzendes Knäbchen mit einem Band um den Kopf festgebunden hat! (Abb. 1.)

Es ist versucht worden, den Urheber dieser sehr persönlichen Kunstwerke zu

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ermitteln. Schon vor ihrer Ausstellung in Utrecht hat A. W. Weißman!) die Alkmaarer Bilder für Jacob Cornelisz von Amsterdam in Anspruch nehmen wollen, auf Grund des verwandten Christustypus und der durch van Mander überlieferten Tatsache, daß Jacob Cornelisz ebenfalls die sieben Werke der Barmherzigkeit ge- malt hat (die aber, wie van Mander hinzufügt, im Bildersturm bis auf einige Reste untergegangen sind). Die etwas oberflächliche Beweisführung bedarf keiner Wider- legung. Wohl aber ist im Auge zu behalten, daß der Alkmaarer Meister dieselbe Hausmarke führt, wie Jacob Cornelisz (zwei durcheinander gezogene A? Vgl. S. 88), und daß auch dessen Neffe, Cornelis Buys, sich ihrer noch bedient. Cornelis Buys war in Alkmaar tätig. (Nachweisbar 1541—1546.) Dessen Vater, Buys Cornelisz, der Bruder von Jacob Cornelisz, war nach van Manders Überlieferung ebenfalls schon ein guter Maler gewesen. Er könnte, wenn man eine Hypothese spinnen will, der Alkmaarer Meister sein. Durch Binder), der auf die sieben Tafeln aus- führlich eingeht, ist die Vermutung geäußert worden, der unbekannte Alkmaarer Meister sei der durch van Mander als erster Lehrer Scorels genannte Willem Cornelisz in Haarlem. Von mehr als einer Möglichkeit kann aber auch hier nicht gesprochen werden, und auf jeden Fall muß Binders Hypothese, Willem Cornelisz sei vielleicht identisch mit Buys Cornelisz, zurückgewiesen werden’).

Während also die Versuche, den Urheber der Alkmaarer Bilder namentlich fest- zustellen, zu keinem annehmbaren Ergebnis führen, können über seine Schul- zugehörigkeit keine Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ob die Tafeln in Alk- maar selbst‘) oder in dem benachbarten Haarlem entstanden sind, auf jeden Fall ist ihr nordholländischer Charakter offenbar. Die Beziehungen, die sie mit der unter dem Einflusse Geertgens stehenden Haarlemer Schule verbinden, sind so unverkennbar, daß wir sie hier nicht ausführlich darzulegen brauchen“). Der Maler braucht darum noch nicht, wie Binder daraus schließt, selbst ein Haarlemer ge- wesen zu sein. Manche Züge, so die Unbefangenheit des Erzählungstones und der auf eigenen Beobachtungen fußende Wirklichkeitssinn einerseits, die formalen Mängel andrerseits, können als Provinzialismen gedeutet werden. Solche wären bei einem tüchtigen Lokalmeister, was die Vorzüge anbetrifft, erklärbar, was die Schwächen angeht, wenig befremdlich.

Ein Großer in seiner Zeit ist der Alkmaarer keineswegs gewesen, weder ein Bahnbrecher, noch ein hervorragender Träger des höchsten Kunstniveaus. Sein Werk behauptet aber seine Geltung als liebenswürdige Zeitschöpfung und als durch

(1) Vergl. Eiseviers Geillustreerd Msandschrift XXI, 1911, Band XLI, 8. 14

(2) M. J. Binder, Studien zur Entwicklungsgeschichte des Malers Jan Scorel. Tübinger Diss. 1908, 8. 24.

(3) Wer Buys Cornelisz heißt, der heißt nicht zugleich Willem Corneliss. Buys war in dieser Fa- milie offenbar ein Vorname, Der Sohn von Buys Cornelisz heißt Cornelis Buys(zoon); Buys ist hier

ursprünglich Patronymicum.

(4) Die Tafeln haben, soweit die Nachrichten über sie zurückreichen, stets in der Laurentiuskirche in Alkmaar gehangen ‚An Ort und Stelle werden sie beschrieben im Tegenwoordige Staat usw. XV, Nederlanden se deel (1742), 8. 389. In der „Kronijcke van Alckmaer“ des С. van der Woude (1645 und spätere Ausgaben), die nur sehr summarisch auf die Stadtbeschreibung eingeht, sind die Bilder nicht erwähnt,

(5) U. a, hat Binder (a. a. O., 8. 23f.) sich damit bemüht, dabei aber die Mitteltafel, die doch die besten Vergleichspunkte bietet, außer Acht gelassen. Man vergleiche hier vor allem den Madonnen- und den Johannestypus, sowie die charakteristische Beinstellung Christi (vergleichbar mit Geertgens Berliner Johannes).

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seine Qualitäten, Vorwurf und die feststehende Entstehungszeit wichtiges Denkmal einer uns nur aus Fragmenten bekannten blühenden Kunstepoche.

So wenig, wie die Versuche, für den Alkmaarer Maler einen Meisternamen zu finden, gelungen sind, so wenig glücklich scheinen mir die Bemühungen, die ge- macht worden sind, ihm auf stilkritischem Wege andere Werke zuzuschreiben. Valentiner’) hat ein kleines Verzeichnis aufgestellt, in dem er diese Zuschreibungen zusammenfaßt und im ganzen sechs Bilder für den Meister in Anspruch nimmt. Von diesen kann ich eine „Anna Selbdritt“ (New York, Kunsthandel), da sie mir auch nicht aus einer Abbildung bekannt ist, nicht berühren. Die Zuschrejbung des »Martyriums einer Heiligen“ (Sig. John G. Johnson, Philadelphia, Kat. 1913, Nr. 351) glaube ich hingegen auf Grund der mir geläufigen Photographie dieses Bildes be- streiten zu müssen. Auch mit der Annahme eines zeitlichen Unterschiedes möchte ich es noch nicht wagen, den wohl in der Typik einigermaßen verwandten, aber von so ganz andern räumlichen Vorstellungen ausgehenden Maler des Martyrium- bildes als Alkmaarer Meister anzusprechen. Ferner nennt Valentiner zwei Altar- flügel im Amsterdamer Rijksmuseum (Kat. Nrn. 45, 46), den zwölfjährigen Jesus im Tempel und die Beschneidung darstellend. Bei dieser Attribution stoßen wir zu- gleich auf die Autorität Friedländers?). Trotzdem meine ich in aller Bescheidenheit einwenden zu dürfen, daß man auf Grund der jetzt bestehenden direkten Vergleichs- möglichkeit die Zuschreibung auch dieser beiden Tafeln an den Alkmaarer wird fallen lassen müssen. Hier sind es vor allem koloristische Differenzen, die stärker als die Gemeinsamkeiten ins Auge springen. Das Gleiche gilt für zwei ebenfalls durch Friedländer?) für den Meister in Anspruch genommene, aber bereits durch Valentiner wieder preisgegebene Stifterflügel des Rijksmuseums (Nr. 48). Ein wei- teres Bild im Rijksmuseum, das Valentiner anführt, eine Darstellung im Tempel, ist nicht zu identifizieren). Bei dem letzten in diesen Zusammenhang gertickten Bild, dem „Christus in der Vorhölle“ der Sammlung Hoschek in Prag (Kat. 1907, Nr. 78), war es wiederum Friedländer, der an den Meister von Alkmaar dachte; lieber, als bei den Amsterdamer Zuschreibungen, würde ich, soweit mir die ungenügende Katalogreproduktion ein Urteil gestattet, hier glauben, der Attribution folgen zu können.

Wir müßten uns also unter Ausschaltung der für mich mangels eigener An- schauung noch offen gebliebenen Fragen vorläufig damit bescheiden, die sieben Werke der Barmherzigkeit als Ausgangspunkt und Ende von dem Schaffen des Alkmaarer Meisters zu betrachten. Das ist wohl kein schönes Ergebnis. Es ist verdienstvoller, aufzubauen, als Leistungen anderer anzufechten. Hier ist die Auf- stellung des bisher entlegenen und in seiner Isolierung nicht leicht zu beurteilen- den Kunstwerkes in einem öffentlichen Museum mit der sich bietenden Gelegen- heit ruhigen Studiums und Vergleiches der Anlaß geworden, jene zweite, undank- barere Arbeit zu tun. Möge es nicht auf mutwillige Weise geschehen sein.

Über die weiteren Neuerwerbungen müssen wir uns kürzer fassen. Eigene Mittel standen den holländischen Staatsmuseen in diesen Jahren nicht zu Gebote, да die betreffenden Kredite nach der Mobilisation durch den Minister gestrichen worden waren. Trotzdem haben aber die Sammlungen des Rijksmuseums durch

(1) W. К. Valentiner, Aus der niederländischen Kunst. Berlin 1914, Anhang 8. 201.

(а) Vergl. W. Martin, Kat. der Sig. Hoschek. Prag 1907, S. 49.

(3) Vermutlich denkt Valentiner an die Beschneidung Christi (Kat.Nr. 52), die Friedländer inzwischen für Jan de Cock in Anspruch genommen hat.

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Geschenke sowie durch das Eingreifen der Vereinigung „Rembrandt“ die dem Staat für Ankäufe verwendete Gelder auf eigenes Risiko rentenlos vorschießt noch einige weitere nennenswerte Bereicherungen erfahren. Eine von diesen, das kleine, auf so legendenhafte Weise zum Vorschein gekommene Predikantenbildnis

von Frans Hals, ist bereits im Cicerone besprochen worden (Jahrg. 1916, S. 233). _

Sodann ist ein Regentenstück des Cornelis van der Voort zu nennen Es stammt aus dem Amsterdamer Rathaus und stellt die Vorsteher des Binnengasthuis (eines Krankenhauses) vor’). Offiziell will es nur als Leihgabe betrachtet sein; diese Leihgabe ist aber wie etwa die von Rembrandts Nachtwache und vieler anderer der belangreichsten Stücke des Museums, die ebenfalls Eigentum der Stadt Amsterdam sind wohl bleibender Natur, so daß es zu den festen Beständen der Sammlung gerechnet werden darf. Bei der Reinigung sind die Initialen des Künstlers und die Jahreszahl 1617 zum Vorschein gekommen. Den gewissenhaften und dabei doch so kraftvollen Bildnismaler van der Voort lehrt die Gruppe uns von seiner besten Seite kennen, wennschon die außergewöhnliche Frische, durch die uns die große Leinwand überrascht, zu einem erheblichen Teil auf die Rech- nung des Restaurators zu setzen ist. Von dem bisher im Museum nicht ver- tretenen Hendrick Terbrugghen bekam dieses zwei sowohl gegenständlich wie in ihrer Durchführuhg außerordentlich charakteristische Werke geschenkt in den halbfigurigen Darstellungen des lachenden und des schwarzseherischen Philosophen, Demokrit und Heraklit (Abb. 8 und 9). Beide sind voll bezeichnet und datiert 1628, also ein Jahr vor dem Tode und 14 Jahre nach der Rückkehr des Meisters aus Italien entstanden. Aber ihr künstlerischer Ahne, Caravaggio, ist in ihnen noch so lebendig, als wäre ihm der Utrechter Terbrugghen tagszuvor begegnet. Der weitgehende Realismus, mit dem dieser unter dem Vorwand, zwei antike Weise zu schildern, nur seine Modelle mit den Zufälligkeiten ihrer schmutzigen Hände und des von der bleichen Körperhaut sich absetzenden gebräunten Halses abgemalt hat, mag einen Sandrart abgestoßen haben; andrerseits hat aber doch die Anek- dote von einem Ausspruch des Rubens entstehen können, wonach dieser gesagt habe, Terbrugghen sei der einzige wirkliche Maler gewesen, dem er in Holland begegnet sei. Ein in jeder Beziehung merkwürdiges Stück ist das Stilleben von Johannes Torrentius (Abb. то), das В. W. F. van Riemsdijk im Bredius-Feest- bundel ausführlich besprochen hat. Bredius selbst hatte Torrentius ein Schriftchen gewidmet, in dem er die aus den Archiven rekonstruierten Lebensumstände des unglückseligen Malers wiedergab und mit dem Wunsche schloß, es möchte auch noch einmal ein Werk von ihm zutage kommen. Glückliche Umstände haben in der Tat ein solches auftauchen lassen in der Form dieses Stillebens. Dieses ist aber nicht allein als Dokument von Bedeutung, sondern es liefert auch den Beleg, daß Torrentius mehr als ein gewöhnlicher Maler war. Wichtig ist das Datum 1614, das mit dem Monogramm des Künstlers auf dem Bilde steht. Es wird schwer fallen, in der Zeit ein zweites mit solcher Empfindlichkeit und technischer Voll- endung gemaltes Stilleben nachzuweisen. Diese subtile Technik mit ihren eigen- tümlich verblasenen Konturen hat zusammen mit andern Anhaltspunkten уап Riems- ФЕ zu der sehr einleuchtenden Hypothese geführt, das Bild sei mit Hilfe der Camera obscura gemalt worden. Auf jeden Fall hat Torrentius also nicht nur die gewagt-galanten Bildchen geschaffen, deretwegen er verfolgt worden ist, sondern er ist, wie dieses Stilleben uns lehrt, ein durchaus ernst zu nehmender, fortschritt-

(х) Vergl. J. Six in Oud Holland 1918, XXXVI, S. 243 fl., mit Abbildung. 92

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lich gesinnter Künstler gewesen. Ein zweites Unikum wurde mit dem Werk eines Monogrammisten НУВ erworben. Das sehr anziehende, um die Mitte des 17. Jahrhunderts entstandene Gemälde gibt den feierlichen Aufzug eines Dok- toranden mit noch andern akademischen Personen vor der Universität in Leiden wieder in der warmen Beleuchtung eines Spätnachmittags. Bei der Beantwortung der Frage nach seiner Schulzugehörigkeit bleibt man schwanken zwischen Jan Steen und dem frühen Pieter de Hoogh. 1885 war es in Amsterdam sogar als Delfter Vermeer versteigert worden; wenn diese Annäherung auch. etwas kühn war, gab sie doch die ungefähre Richtung an. Es geschieht darum nicht aus- schließlich auf Grund der übereinstimmenden Initialen, wenn die Direktion des Mu- seums in dem Monogrammisten einen Hendrick van der Burgh vermutet, der seit 1639 wiederholt in den Büchern der Delfter St. Lukasgilde vorkommt. Vielleicht ist er auch identisch mit einem Maler gleichen Namens, der 1658 in Leiden als Meister eingetragen wurde und am т. Mai 1659 diese Stadt wieder verlassen hat. Und 1664 kommt in Delft wieder ein Hendrick van der Burgh vor, der, wie ausdrücklich vermerkt steht, „wieder“ in die Gilde eingeschrieben wird!). Allerdings, ob es sich bei allen diesen Erwähnungen eines sehr verbreiteten Namens stets um den gleichen Mann handelt, ist vorläufig nicht zu beweisen. Mit einem feinen, miniaturartig auf eine Silberplatte gemalten Jünglingsporträt von dem Leidener Dirck Druyf (voll bezeichnet und datiert 1659) ist einer jener tüchtigen Bildnis- maler vergegenwärtigt worden, an denen das damalige Holland so reich war. Von einem andern sehr selten vorkommenden Maler, Hendrick Potuyl, der Stilleben in der Art des Cornelis Saftleven geschaffen hat, ist dem Museum ein Bild mit dem Innern einer Scheune und allerlei Gerät geschenkt worden. Eine ebenfalls als Geschenk erworbene Landschaft von Jan Both von verhältnismäßig kleinem Format (Abb. 11) bedeutet insoweit eine Bereicherung, als sie frischer gemalt und in kühleren Tönen gehalten ist als die manchmal schon etwas konventionell ge- malten großen Bilder dieses Künstlers; es ist denn auch vermutlich in die frühere Zeit seiner kurzen Entwicklung zu setzen.

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Für die kunstgewerbliche, zugleich auch die Bildwerke umfassende Abteilung des Rijksmuseums, das so unglücklich untergebrachte „Nederlandsch Museum voor Ge- schiedenis en Kunst“, wären die Kriegsjahre magere Jahre gewesen, wenn nicht eine besonders reiche Schenkung, die der Fayencesammlung Loudon, den Aus- fall mehr als aufgewogen hätte. Diese hervorragende, 447 Stücke zählende Samm- lung von ausgesuchten Werken der Delfter Fayencemanufakturen füllte eine große Lücke. Obschon durch manches gute Exemplar vertreten, konnte man diese Er- zeugnisse einer nationalen Kunstindustrie bisher im Ausland vor allem im Musée du Cinquentenaire in Brüssel besser kennen lernen als im Rijksmusenm. Das ist nun anders geworden. Ein unvergleichlicher Reichtum von Farben und Formen füllt die bei dem peinlichen Raummangel leider nur allzu eng aufeinander stehenden Vitrinen eines großen Saales. Erst wenn einmal eine feiere Aufstellung möglich sein wird, können diese Schätze zu voller Geltung kommen. Sie nach Gebühr zu würdigen, würde mehr Raum fordern, als in einer kurzen Übersicht statthaft ist, weshalb wir uns mit dieser Andeutung begnügen müssen).

(x) Vergil. Obreens Archief І, S. 6, 7, 42, 45, 70; У, 8. 221, 222. (2) Eine ausführliche Würdigung dieser Schenkung durch E. Neurdenburg findet man in einer gut ülustrierten Artikelserie der Zeitschrift Oude Kunst I (1915), S. 3398., 3838., 4118.; П (1916), 8. 18.

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Unter den Einzelerwerbungen ist als wertvollste ein gotischer Apostelkopf (Abb. 12) hervorzuheben. Technische und physiognomische Besonderheiten ver- raten unzweideutig eine französische Arbeit des 14. Jahrhunderts. Man glaubt aber mehr als nur solche allgemeine Anhaltspunkte für die Datierung und die Herkunfts- bestimmung dieses scharfgeschnittenen und fein durchgeistigten Kopfes zu haben. Im Jahre 1840 wurden nämlich in Paris, an der Stelle, wo die Kirche Saint-Jacques- l'Hôpital gestanden hatte, die Fragmente von vierzehn Heiligen- und Apostelfiguren ausgegraben. Die fünf besterhaltenen kamen in das Cluny-Museum. Sechs weitere waren derart verstümmelt, daß man glaubte nichts Besseres tun zu können, als sie wieder zu verscharren. Drei Köpfe wurden im Giebel eines Hauses angebracht, das nach diesen „Aux statues de Saint-Jacques“ genannt wurde. Von dort sind sie wahrscheinlich in den Handel gelangt. Einen dieser zuletzt genannten drei Köpfe meint man nun hier vor sich zu haben. Und ein Vergleich mit den im Musée Cluny bewahrten Aposteln macht diese Vermutung in der Tat beinahe zur Sicherheit. Von den Apostelfiguren aus Saint-Jacques-l’Höpital weiß man, daß sie im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts aufgestellt worden sind, und sie werden sogar mit einem Künstlernamen in Verbindung gebracht, dem eines Robert de Launoy, der 1318 und 1327 in den Rechnungen der Bruderschaft von Saint-Jacques erwähnt wird. Auf jeden Fall bedeutet dieser charaktervolle und dabei vortrefflich erhaltene (wie es scheint, allerdings etwas nachgearbeitete) Apostelkopf eine außer- ordentlich glückliche Erwerbung für die noch kleine, aber in den letzten Jahren vortrefflich ausgebaute Abteilung von außerholländischer Kunst im Nederlandsch Museum. Die holländischen Bildwerke sind durch die Eichenholzgruppe einer Be- weinung Christi aus dem Ende des т. Jahrhunderts bereichert worden. Es sind vor allem Beziehungen zu der Kunst Geertgens dem wir vielleicht ganz zu Un- recht eine so zentrale Stellung geben —, durch die Nationalität und Datierung dieser ausdrucksvollen Gruppe bestimmt werden. Von den wenigen Erwerbungen, die das Museum außerdem noch hat machen können, verdient endlich noch ein Stück alter italienischer Ledertapete (340 >< 310 cm) ihres eleganten Granatapfel- musters wegen, in Gold auf lichtblauem Grunde gearbeitet, herausgehoben zu werden.

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ZUR ZEITFOLGE per KRAKAUER MARMOR- WERKE DES VEIT STOSZ уоп FELIX DETTLOFF

D: folgenden Zeilen verfolgen lediglich den Zweck, die Stoß - Literatur von einigen Irrtümern zu befreien, die, nicht ausgemerzt, die Stoß-Forschung zu immer neuen Fehlschlüssen von weitgehender Bedeutung führen dürften. Zum Ausgangspunkt für meine Untersuchung nehme ich unter den Marmorgrabmälern vom Ende der Krakauer Periode des Veit Stoß die Grabplatte des Erzbischofs Zbigniew Olesnicki im Dom zu Gnesen. Berücksichtigt sollen nur die beiden letzten Stoß-Monographien von Loßnitzer und Daun werden, da sie besonders das Buch Loßnitzers den Ansichten früherer Forschungen in weitgehendem Maße Rechnung tragen ).

Der Erzbischof von Gnesen und Primas von Polen, Zbigniew Olesnicki, starb am 2. Februar 1493 auf dem erzbischöflichen Schlosse zu Lowicz. Sein Leichnam wurde nach Gnesen überführt und im dortigen Dom am 28. Februar des gleichen Jahres zur letzten Ruhe getragen, u. zw. „sub Crucifixi imagine intrando chorum“, wie die Gnesener Kapitelakten?) verzeichnen, also unter dem Triumph- kreuz. Loßnitzer und nach ihm Daun glauben nun in Anlehnung an eine Notiz bei Korytkowski®), die für den Verstorbenen bei Veit Stoß bestellte schöne Grab- platte sei kurz nach des Erzbischofs Tode „in der Marienkapelle des Domes auf- gestellt worden“ (Loßnitzer), von wo sie nach dem Brande im Jahre 1613 auf ihren jetzigen Platz im südlichen Seitenschiff geschafft und auf der Längsseite liegend schräg in die Mauer eingelassen worden wäre, wie wir sie noch heute sehen.

Dem ist nicht so. Schon Korytkowski .spricht in seinen Lebensbeschreibungen der Gnesener Erzbischöfe sein Bedenken aus, ob das Grabdenkmal jemals in der Marienkapelle untergebracht gewesen wäre. Das Dekret der Gnesener Kapitel- akten vom 4. März 1493, auf das sich diese Mutmaßung beruft, lautet wie folgt: „Ut locetur lapis in capella. . Venerabilis dominus Jacobus Krzyżanowski, cano- nicus gnesnensis, a praefatis dominis obtinuit locare lapidem olim Reverendissimi Domini Jacobi, Archiepiscopi gnesnensis, iuxta voluntatem suam in capella beatis- simae virginis Mariae in ecclesia gnesnensi, et quod dislocetur lapis fundatoris ad nutum domini сапопісі“*).

Der Erlaß ist etwas unklar. Zunächst weiß man nicht recht, welche von den damals bestehenden vier Kapellen, die der Mutter Gottes geweiht waren oder doch wenigstens ihren Altar hatten, gemeint ist. Bestimmte Anzeichen sprechen jedoch dafür, daß es die sog. Mansionarienkapelle war, die einige Jahre vorher vom Vor- gänger des Oleśnicki, dem Erzbischof Jakob von Sienno, instand gesetzt und aus- geschmückt worden war. Darauf würde der Schreibfehler „olim... Jacobi (statt »„Sbignei“) Archiepiscopi“ deuten, ebenso die Ermächtigung für den Gnesener Dom-

(:) М. Loßnitzer, „Veit Stoß“. Leipzig 1912. B. Daun, „Veit Stoß“, II. Aufl., Leipzig 1916. Dem Werke Loßnitzers gegenüber stellt sich das Daunsche Buch vielmehr als eine neue Inventarisierung der Stoß-Werke dar, denn als eine Entwicklungsgeschichte der Kunst des Meisters. Der Versuch des Verfassers, „die jüngste Stoßforschung von haltiosen Hypothesen zu reinigen“, muß so ziemlich als gescheitert angesehen werden.

(2) „Monum. med, aevi hist. polon.“, tom. ХШ. Krakau 1894, Nr. 2368.

(3) J. Korytkowski, „Arcybiskupi gnieZniefiscy“, Bd. П. Posen 1888, S. 490.

(4) Acta deer. capit. gnesn. Ms. Ш, fol. 187.

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herrn Jakob Krzyżanowski, den Testamentsvollstrecker des Oleśnicki, den Grab- stein des „fundator“, als welcher Jakob von Sienno infolge seiner ; vielen Zuwen- dungen an die Kapelle wohl gelten konnte, von seinem Platze rücken zu dürfen. Es ist dies um so wahrscheinlicher, da der letztgenannte Erzbischof außer dem Grabstein in der Marienkapelle, den er sich bei Lebzeiten hatte legen lassen, eine große, noch heute erhaltene Bronzeplatte nach seinem 1480 erfolgten Tode erhielt.

Wie dem auch sei, die Olesnicki-Platte hat nie in der Marienkapelle gelegen !). Denn abgesehen von dem Umstande, daß für ein Grabmal von dieser Größe die Marmorplatte mißt 2,92:1,73 m neben dem Denkstein für Jakob von Sienno in der kleinen, die Hälfte der heutigen Lubienski-Kapelle ausmachenden ehemaligen Mansionarien-Kapelle kaum noch Platz gewesen wäre, wäre eine Übertragung des gewaltigen Steines etwa zwei Jahre später schwer zu verstehen. Und doch lesen wir in den Kapitelakten von 1496 unter dem 18. Februar: „. . . . [domini decre- verunt], quod olim corpus Reverendissimi Sbignei Archiepiscopi Gnesnensis trans- ponetur et translocetur sub imaginem crucifixi et ponetur simul cum lapide“ ). Was hat dieser Kapitelerlaß zu bedeuten? Der Erzbischof war ја bereits „sub imagine crucifixi“ bestattet worden. Anscheinend soll er nun aus der gemeinsamen Gruft für die Erzbischöfe und Prälaten, die sich am Eingang zum Domherrnchor befand, am gleichen Orte in ein gemauertes Grab überführt werden, das mit dem eben aus Krakau angekommenen Grabstein zugedeckt werden sollte. Die Stelle, wo dieser Grabstein noch 1649 lag, bezeichnet genauer ein Autor des 17. Jahrhunderts, Damalewicz: „Extat illius effigies ad crates presbyterii sculpta in marmore, hoc circumscripta epitaphio: Sbigneo de Olesznica . . .).

Es: steht demnach fest, daß der Grabstein für den Erzbischof Olesnicki erst um den 18. Februar 1496 in Gnesen ankam, was die Veranlassung zu dem obigen Kapitelerlaß gab, und daß er gleich unter das Triumphkreuz auf die neue Grabstätte des Verstorbenen gelegt wurde, wo ihn noch Damalewicz 1649 sah. Irrtümlich nehmen also Loßnitzer und Daun an, die Platte wäre bereits nach dem Brande von 1613 an ihre jetzige Stelle versetzt worden, was übrigens Loßnitzer zu einem zu weit gehenden Vergleich mit der Aufstellungsart des Grabsteins des Paul von Polhaym in Passau und vieler polnischer Renaissance-Grabsteine ver- leitet hat. Auch die irrige Annahme Polkowskis*), man hätte den Stein erst nach dem verheerenden Dombrande von 1760 aus dem Chor entfernt, darf nicht un- erwähnt bleiben. In diesem Falle wäre wohl das Grabmal nicht so gut erhalten oder überhaupt nicht auf uns gekommen, da damals der Fußboden des Chores durch das herabstürzende Gewölbe kurz und klein geschlagen wurde. Die Uber- führung geschah wohl um 1721, als für das neue Chorgestühl mehr Platz im Chor- raum gewonnen werden mußte. |

Unleugbar ist schon kurz nach dem Tode des Oleśnicki an Veit Stoß der Auf- trag ergangen, die Grabplatte für den Erzbischof herzustellen, jedoch nicht von

(1) Aufgestellt, wie Loßnitzer meint, sollte sie nicht werden, Eine Aufstellung in der heute geübten Weise widerstrebte dem mittelalterlichen Brauch in Polen, Die Grabplatte lag am Boden.

(2) „Monum. med. aevi hist. polon.“, tom. ХШ, Nr, 2456. °

(3) St. Damalewicz, „Series Archiepiscoporum Gnesnensium“, Krakau 1649, S. 270f. Daß der Leich- nam des Erzbischofs in einem gemauerten Grabe ruhte, geht aus einer weiteren Notiz an der gleichen ‚Stelle bei Damalewicz hervor, wo es heißt: „Cui Nicolaus Kotwicz .. . hos іп tabula ad crates supra sarcophagum appendit elegos . . . . |

(4) L Polkowski, „Katedra gnieZniefiska“, Gnesen 1874, S. 143.

seiten seines Nachfolgers, des Kardinals Friedrich Jagiełło, wie Loßnitzer meint. Der Kardinal hatte gar keine Veranlassung zu einer solchen Ehrung des Olesnicki, zumal dieser nach König Kasimirs Tode als Primas durch persönliches Eintreten für den Piasten Janusz von Masovien der Wahl des Johann Albrecht, des Bruders Friedrichs, zum König von Polen nicht unbedeutende Schwierigkeiten bereitet hatte. Außerdem nennt die Umschrift auf dem Grabstein ausdrücklich als den Besteller die „familia sanctocruciria, Dambno vulgo nuncupata“, also das Geschlecht „Debno“, aus dem der Verstorbene stammte, und in dessen Namen der Testamentsvollstrecker Jakob KrzyZanowski seinerseits mit dem Domkapitel über den Ort verhandelte, an dem das Grabmal niedergelegt werden sollte’).

Was war nun wohl der Anlaß zu einer so langen Verzögerung in der Aus- führung des Grabsteines für Zbigniew Olesnicki? Anscheinend doch in erster Linie die Arbeit an dem Baldachingrab für den am 7. Juli 1492 verstorbenen?) König Kasimir für den Krakauer Dom, das die verwitwete Königin Elisabeth dem Meister in Auftrag gegeben hatte. Daun meint zwar, wegen der am Tumbendeckel an- gebrachten Jahreszahl 1492 „verdient die Annahme, daß der König selber bei Leb- zeiten das Monument bei Veit Stoß bestellt hat, vor anderen Vermutungen den Vorzug“. Besonders die Annahme Loßnitzers, daß die Königin das Grabmal nach Kasimirs Tode hat errichten lassen, findet Daun unwahrscheinlich, da sonst „das Modell und die Ausführung in Stein in der kurzen Zeit von einem halben Jahre gearbeitet worden sein müßte.“

Und doch ist die Vermutung Loßnitzers richtig, wie eine Stelle in der „Chronica Polonorum“ des Miechowita, die 1521 in Krakau im Druck erschien, beweist. Der Chronist berichtet dort?) ausdrücklich: „[Casimirus rex]. .. in dextra parte sacelli novi sanctae Crucis, per reginam Elizabeth consortem eius constructi, sepultu- ram accepit. Cuius opera mausoleum est superpositum marmoreum ... .“ Muß denn übrigens die Jahreszahl durchaus das Datum der Vollendung des Tumben- deckels bedeuten? Brachte doch später Peter Vischer an einer ähnlichen, dem Beschauer in die Augen fallenden Seite seines Sebaldusgrabes die stolze In- schrift an: „Ein Anfang durch mich Peter Vischer 1508“. Außerdem konnte auch mit der Jahreszahl 1492, die fast um die Hälfte größer ist als der Name des Meisters, mangels jeder anderen Legende zugleich das Todesdatum des Königs an- gedeutet sein.

Während Veit Stoß mit der Ausführung des großen Wawelmonumentes vollauf beschäftigt ist, bekommt er im Jahre 1493 zwei neue Aufträge zur Schaffung von Marmorwerken: einen, den wir bereits kennen, von der Familie des eben ver- storbenen Erzbischofs Oleśnicki, den anderen von dem in Krakau lebenden italie- nischen Humanisten Philippus Callimachus für dessen Freund, den kujawischen Bischof Peter von Bnin‘). Den letzteren Auftrag hat Stoß früher ausgeführt, da er nicht allzu umfangreich war, wie wir gleich sehen werden.

(1) Man hielt bis in die jüngste Zeit die Form „familia etc.“ nach Vorgang des oben erwähnten Damalewicz für den Ablativ, übersetzte also „aus der Familie Debno stammend“. Die erste richtige Übersetzung ins Polnische gab der um die "Gnesener Geschichtsforschung hochverdiente, leider zu früh verstorbene ehem. Professor am dortigen Priesterseminar, Dr. Thaddäus Trzcifiski. Das mittel- alterliche Latein in Polen (so z. В. der Chronist J. Długosz) hat zur Bezeichnung der SE stets „ex familia“.

(з) Nicht am 7. Juni, wie Daun a, а. О. П, S. 30 angibt, und nicht in Troki, wo er erkrankte, son- dern in Grodno.

(3) Lib. IV. р. CCCKXVL

(4) Die Italianisiorung dieses Namens durch Daun, а. а. О. Ц, 8. 35, in „Pietro Bnina“ darf dem

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919, Heft 4. 7 97

Der Bischof Peter von Bnin hat im Dom zu Wiloclawek ein Tumbengrab іп der Art der italienischen Ouattrocento-Wandgräber!). Die Stirnwand nimmt eine Tafel ein, auf der zwei in dalmatikaartige Gewänder gekleidete Knaben folgende In- schrift tragen: „Petro de Bnino Vladislaviensi pontifia(!) religioso et sapienti positum procuratione Callimachi experientis amici concordissimi anno MCCCCLXXXXIIL“ Diese Legende hat bis dahin allgemein die Veranlassung gegeben, das Inschrift- datum für das Todesjahr des Peter von Bnin anzusehen und das ganze Grabmal für eine Stiftung des Callimachus auszugeben.

Nun ist aber der kujawische Bischof nach den Kapitelakten von Włocławek erst am 7. März 1494 auf Schloß Raciąż gestorben und am 25. d. М. im Dom zu Włocławek bestattet worden“). Wenn man also dem feinfühligen Humanisten Callimachus nicht die beispiellose Geschmacklosigkeit zutrauen will, er hätte seinem Freunde bei dessen Lebzeiten gewissermaßen einen in Marmor gemeißelten Nekrolog zum Geschenk gemacht, muß man eine andere ursprüngliche Bestimmung der Inschrifttafel annehmen, zumal das gewöhnliche „mortuo“ fehlt etwa als Widmungstafel, als Ehrung eines Humanisten an den andern und als einen außergewöhnlichen Freundschaftsbeweis (., amici concordissimi“). Dann aber muß auch ihre Einfügung in den Gesamtaufbau des Grabmals erst nach dem Tode des Peter von Bnin geschehen sein, d. h. mit andern Worten, daß die Grabplatte mit der Gestalt des Bischofs sowie die Seitenwände der Tumba entweder 1494 oder im nächsten Jahre fertiggestellt und mit der Inschrifttafel zu einem Ganzen verbunden wurden.

Ob wohl für die Anlage Callimachus verantwortlich gemacht werden darf? Es unterliegt keinem Zweifel, da er doch die Erlaubnis zur Einfügung seiner Wid- mungstafel in den Grabmalsaufbau geben mußte. Der Stifter oder Besteller des Grabsteins selbst war wohl nicht er, sondern der Nachfolger des Peter von Bnin auf dem kujawischen Bischofsstuhl, Krzestaw von Kurozweki. Es geht das aus jenem Dokument der Krakauer Konsularakten hervor, wonach Veit Stoß sich am то. Januar 1496 verpflichten muß, den Krakauer Bürger Friedrich Schilling schadlos zu halten, da dieser sich verpflichtet hatte, dem Bischof einen ebenso guten Grab- stein bei Stoß zu bestellen, wie der war, „den ег ут (dem Bischof) vorarbeit hat“). Der Meister hatte also für Bischof Krzestaw bereits einen Grabstein gearbeitet, und dies konnte nur der für Peter von Bnin gewesen sein.

Damit ist aber auch ein ziemlich genaues Datum für die Ausftitrung des Grab- steines und der Tumbawände gegeben. Krzeslaw Kurozwecki konnte, weil sich

italienischen Humanisten durchaus nicht in die Schuhe geschoben werden; sie ist eine freie Erfindung Dauns. Callimachus selbst hat ihn nie so genannt, da er wußte, daß mit dem „de Bnino“ (polnisch „= Впіпа“) nur die Herkunft des Geschlechtes seines Freundes aus dem in der Nähe von Posen liegenden Städtchen Bnin bezeichnet wurde. Zum Unterschied von anderen des gleichen Namens nannte sich die Familie des Bischofs „Mosiński“ nach ihrem Besitz, dem ebenfalls bei Posen liegen- den Städtchen Mosina (deutsch Moschin). Die polnischen Namen auf „ski“, die eigentlich Adjektive sind, bezeichnen eben die lokale Herkunft, во „Oleśnicki“ == „von Oleśnica“, „Bniński“ == „von Bnin.“ |

(т) Woher Daun die falsche Nachricht hat, das Grabmal hätte einen „baldachinartigen Überbau“, ist schwer zu verstehen, da er doch eine gute Abbildung des Grabdenkmals beifügt. Es wäre interessant zu erfahren, wie sich der Verfasser den Baldachin über einer schräg an die Wand gestellten Tumba vorstellt,

(2) Monum. med. aevi hist. polon., tom. XIII, Nr.1317.

(3) Loßnitzer a. а. O., Anh. II, S. XXIII, Nr. 41.

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seine Präkonisation їп Rom lange hinzog, erst am 4. Januar 1495 als Bischof in Wioclawek einziehn'), Zu Anfang dieses Jahres erst hat also Stoß die Schaffung des Grabmals in Auftrag erhalten. Auf Betreiben des Callimachus ist dann wohl die Arbeit schnell von statten gegangen, wahrscheinlich sogar mit Hintansetzung der Arbeiten an dem Olesnicki-Grabstein, der knapp vor dem Wegzug des Veit Stoß aus Krakau fertig war, da er um den 18. Februar 1496 in Gnesen ankam )).

Diese Aufträge, deren Vollendung sich bis in die letzte Zeit von Stoßens Kra- kauer Aufenthalt hinzog, machen es verständlich, weshalb der Meister von einer Ausführung des bei ihm bereits bestellten Grabmals für den Bischof Krzesiaw ab- stehen mußte. Sie machen es auch erklärlich, weshalb der Meister den Jorg Huber von Passau zur Hilfeleistung nach Krakau kommen ließ. Wie weit sich diese erstreckte, ist bei dem Mangel an völlig gesicherten Werken des Passauer Bildners bis dahin einwandfrei festzustellen nicht möglich gewesen.

Auch der Zeitpunkt, von dem an Huber in Krakau weilte, läßt sich nicht mit aller Sicherheit festlegen, da die Angabe A. Grabowskis*), der Passauer wäre be- reits 1494 als Neubürger in Krakau aufgenommen worden, unrichtig ist. Huber nimmt das Krakauer Bürgerrecht erst am 22.Juni 1496 an‘), also nicht lange nach dem Wegzug des Veit Stoß. Vorher scheint er als Geselle bei dem großen Meister gearbeitet zu hahen. Man darf wohl wenigstens mit einiger Sicherheit annehmen, daß Jorg Huber von Stoß zur Mitarbeit an den Marmorwerken herangezogen wurde, als sich die Aufträge für diese Arbeiten mehrten, also etwa im Jahre 1494. Nur dadurch erklärt es sich, daß der Krakauer Meister besonders im letzten Jahre seines Aufenthaltes in der polnischen Königsstadt den großen an ihn ergangenen Aufträgen hat gerecht werden können. |

Jedenfalls hatte aber Loßnitzer recht, als er eine Mitarbeit Hubers an den Marmorwerken in Wioclawek und Gnesen annahm, was Daun in seinem jüngsten Werk bestreitet, u. zw. recht kategorisch. „Loßnitzers Annahme der Beihilfe Hubers (sc. am OleSnicki-Grabstein) entbehrt jeder Begründung. Zuerst mußte doch nachgewiesen werden, daß Huber 1493 schon in Krakau ansässig war“®). Das letztere hat Loßnitzer nicht behauptet, da er ausdrücklich sagt, Huber wäre „eben noch vor der Beendigung des Werkes in Krakau eingetroffen“). Die Behauptung, Huber wäre bereits vor 1494 in Krakau ansässig gewesen, hat da- gegen Daun selbst in der ersten Auflage seines Buches aufgestellt, wo er be-

(1) Monum. med. aevi hist. polon., tom. XIII, Nr. 1329.

(з) Veit Stoß verließ Krakau Ende Januar oder Anfang Februar 1496. (Loßnitzer a. а. O., Anh. U, 8. XXIII, Nr, 42.)

(3) Bei Loßnitzer, S. 187, Anm. 229.

(4) Jan Ptaßnik, „Cracovia artilcum“, Krakau 1917, Nr. 1262: „Jorge Hwber von Passaw, eyn bild- schnitczer i. h. pro littera portanda fideiussit Martinus pictor et Stanislaus glaser ad Pasce proximum; dedit 1/, mr.“ Uber Hubers Krakauer Aufenthalt teilt mir Herr Professor Dr. Ptagnik freundlichst noch folgendes mit: Nach Stoßens Wegzug von Krakau eröffnete Huber eine eigene Werkstatt, die anscheinend zu keiner Blüte kommen konnte. Bis zum Jahre 1503 bleibt er ständig in Krakau. In den Jahren 1504—1508 kommt sein Name in den Krakauer Akten nicht vor. Erst 1509 verkauft Huber den Nachlaß seiner Frau. Dieses ist die letzte Nachricht, die wir von dem Meister aus Krakau haben, es sei denn, daß das Inventar eines 1530 entfiohenen Malers Jorg den Passauer betrife. Durch diese archivalischen Feststellungen Ptaßniks wird somit ein guter Teil der Huber-Hypothesen Loßnitzers hinfällig.

(5) Daun П, 8. 35.

(6) Loßnitzer, 8. бт.

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hauptet, das Baldachingrab für König Kasimir wäre bereits in dessen Todesjahre 1492 vollendet gewesen. „Die schnelle Errichtung ... des Denkmals erklärt sich durch den Arbeitsanteil eines Passauer Meisters, Jörg Huber“ ). Die Spitze des Geschosses wendet sich also gegen ihn selbst. Huber kann demnach in der Tat an allen Marmorgräbern des Veit Stoß mitgearbeitet haben, wenigstens teilweise.

Die Schaffenszeit von 1492 bis Ende 1495 ist eine besonders beachtenswerte Episode im künstlerischen Schaffen des Veit Stoß. Weder vor dieser Zeit noch später in Nürnberg hat er wieder in Marmor gearbeitet. Da diese Episode aber für seine Stilentwicklung von nicht geringer Bedeutung war, ist sie wohl wert, daß man ihr größere Beachtung schenkt.

(т) Daun I, 5. 101.

DIE STAMMTAFEL DER FAMILIE SCHONGAUER | Von DR. EMYL MAJOR (Basel)

Se kurzem erscheint ein „Wappenbuch der Stadt Basel“, in welchem die ein- zelnen Wappen jeweils von einer Stammtafel des betreffenden Geschlechts begleitet sind’). Vom Herausgeber dieses Werkes gebeten, eine Stammtafel der im 15. Jahrhundert auch zu Basel vertretenen Familie Schongauer zusammenzustellen, haben wir uns mit Vergnügen dieser Arbeit unterzogen. Im Hinblick auf die Be- deutung der Künstlerfamilie der Schongauer halten wir es indessen für angezeigt, diese zum ersten Male angezeigte Stammtafel auch weiteren Kreisen der Kunst- gelehrten zugänglich zu machen, um so mehr als wir auf Grund neuer archiva- lischer Forschungen zu Basel in der Lage sind, verschiedene Irrtümer zu ver- bessern und einiges Neue beizubringen. Wir verweisen auf die beigefügte Stammtafel?). Um eine vollständige Nachprüfung derselben zu ermöglichen, bringen wir sowohl die von uns benutzten literarischen Quellen (in chronologischer Reihen- folge) wie auch die urkundlichen Belege aus Basel im folgenden zum Abdruck:

1. BIOGRAPHISCHE LITERATUR. Tonjola, Basilea sepulta, 1661, S. 184. Gérard, Ch., Les artistes de l’Alsace pendant le moyen-àge, Colmar 1872—73. Goutzwiller,Ch., Le musée de Colmar, Martin Schongauer et son école, Colmar 1873. Kindler v. Knobloch, J., Das goldene Buch von Straßburg, Wien 1885—86, 8. 329. Burckhardt, Daniel, Die Schule Martin Schongauers am Oberrhein, Basel 1888.

Martin Schongauer und seine Brüder in ihren Beziebungen zu Basel. (Jahr- buch der kgl. preuß. Kunstsammlungen, Bd. XIV, Berlin 1893, 8. 158—164).

Bach, Max, Schongauer-Studien. (Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. ХУШ, 1895, 8. 253—269). Neues über Martin Schongauer. (ibidem, Bd, XXII, 1899, 5. 111—114).

Waldner, Eugen, Urkundliches über Colmarer Maler des 15. Jahrhunderts. (Zeitschr. f. Geschichte des Oberrheins, Bd. XIV, 1899, S. 69—74).

"Waltz, A., Bibliographie des ouvrages et articles concernant Martin Schongauer, Mathias Grünewald et les peintures de !'апсјеппе école allemande а Colmar. (Mitteilungen der Schongauer-Gesellschaft, Jahrgänge 1893 1902, Colmar 1903, S. 147—188. 254 Nummern.)

Maier, Aug. Rich., Niclaus Gerhaert von Leiden, Straßburg 1910. Brun, C., Schweizerisches Künstlerlexikon, Bd. Ш u. IV, Frauenfeld 1913 u. 1917. Werner, Anton, Augsburger Goldschmiede, 1913, S. 8.3)

Die Augsburger Häusergeschichte, ein Beitrag zur Topographie Alt-Augsburgs. (Manu- skript im Stadtarchiv zu Augsburg, 8. 175) “).

Merian-Mesmer, Genealogische Manuskripte im Staatsarchiv zu Basel.

Zu den in dieser Literatur veröffentlichten Nachweisen haben wir noch folgen- des zu bemerken: a) Ludwig Schongauer.

„Anno Domini 1479. Uff Conrade eodem anno hat ain Ratt Ludwigen schongawer Maller, das Burgerrecht geschenckt allso das er nun го unser ingesessner Burger sein . . soll.“ (Bürger- aufnahmebuch von Ulm. Max Bach, Repertorium 1895, 8. 256). Ы

Da Ludwig Schongauer eine Ulmerin, die Tochter eines Ulmer Bürgers, zur Frau genommen hat, so hat er offenbar durch diese Heirat, die demnach 1479 er- folgt ist, das Ulmer Bürgerrecht erworben.

(1) Herausgegeben von W. R. Staehelin; die farbigen Wappentafeln nach Zeichnungen von Carl Roschet in Basel.

(2) Das dem „Wappenbuch der Stadt Basel“ entnommene Wappen ist in halber Größe wiedergegeben. (3) Laut gütiger Mitteilung vom Stadtarchiv zu Augsburg. |

b) Jörg Schongauer.

Jorge Schönegower von Colmar hat das burgreht kauft vf Mitwoch nach 8. Jacobstag vnd wil dienen zur Steltzen“. (Bürgerbuch der Stadt Straßburg vom Jahre 1494. J. Kindler v. Knobloch, Das goldene Buch von Straßburg, 1885—86, 8. 329).

Diese Stelle ist in der ganzen Schongauer-Literatur unbeobachtet geblieben und auch in der eingehenden Schongauer-Bibliographie von A. Waltz, Colmar 1903, nicht erwähnt.

c) Martin Schongauer.

„Anno domini M°CCCC°LXVII Caspar Schongouwer кие le(gavit) XIII denarios р(го) se Gertrude uxore et liberis eorum.“

„Martinus Schongouwer Pictorum gloria legavit у В p(ro) Anniversario suo et addidit 19 В 7 A ad eege paternum aq habuit minus A. obiit in die purificatione Мапе || anno LXXX VIV.“

(Anniversarienbuch des St. Martinsstiftes zu Kolmar, Stadtbibliothek zu Kolmar).

Der Ausdruck „legavit“ ist gemäß dem Brauche des 15. Jahrhunderts durchaus im Sinne von „Stiftung“ und nicht von „Vermächtnis“ zu verstehen; demnach be- ziehen sich auch die Jahreszahlen wie Max Bach im Repertorium, Bd. XVIII, S. 258 auf Grund einer Mitteilung von Archivar Dr. Waldner zu Kolmar, ferner da- selbst, Bd. XXII, S. 112 erklärt „lediglich auf die Zeit der Jahrzeitsstiftung und nicht auf den Tod des Stifters.“

Die Einträge besagen daher:

1. „Im Jahre 1468 stiftete der Goldschmied Caspar Schongauer 14 Pfennige zu einer Jahrzeit für sich, seine Gattin Gertrud und ihre Kinder.“ Er sowohl wie seine Gattin und die Kinder waren 1468 noch am Leben; Caspar wird sogar erst 1481 zum letzten Male genannt, wie Waldner nach- weisen konnte (Zeitschr. f. Gesch, des Oberrheins, Bd. XIV, 8. 698.).

„Martin Schongauer, der berühmte Maler, stiftete 5 Schilling zu einer Jahrzeit für sich und fügte Se väterlichen Jabrzeit 19 Schilling, 7 Pfennige hinzu und hatte eine kleinere Jahrzeit, im Jahre 1488. Er starb am a. Februar.“

Da nun Martin im Juni 1489 als Bürger von Breisach genannt wird, so ist die Stiftung dieser Jahrzeiten in Zusammenhang mit seinem Wegzug von Kolmar zu bringen, d. h. der Meister wolite, als er, offenbar noch im Jahre 1488, Kolmar ver- ließ, seine kirchlichen Verhältnisse daselbst geordnet wissen.

Der Vollständigkeit halber sei, wenn auch nur vermutungsweise, angeführt, daß Martin möglicherweise der Pate seines gleichnamigen Neffen, des Sohnes von Ludwig Schongauer war, so daß in den 1480 er Jahren ein kurzer Aufenthalt Martins zu Augsburg anläßlich der Taufe seines Patenkindes nicht unmöglich wäre.

In diesem Zusammenhange sei auch der in Vergessenheit geratenen Stelle in der Einleitung zu den „Accuratae Effigies Pontificum maximorum“, Straßburg, Bernhart Jobin 1573, gedacht, wo Jobin oder vielmehr Johann Fischart schreibt: „So doch mehr dann gewiß, das ein Hochteutscher Martin Schön genant, nach dem er zu dem stechen durch seine zwen Lehrmeister, deren einer Luprecht Rüst ge- heissen, vmb das 1430. Jar ist angewiesen gewesen, solche kunst erstlich hab іп ein übung, гий упа gang gericht')“. Ist auch das Jahr 1430 unhaltbar, so braucht darum doch der Name des Kupferstechers Luprecht Rüst nicht gerade aus der Luft gegriffen zu sein. Im Jahre 1470 z. B. erwarb ein Goldschmied namens Wil- helm Rusth aus Göppingen (Württemberg) das Bürgerrecht zu Straßburg‘).

(1) Siehe Wilhelm Wackernagel, Johann Fischart von Strassburg und Basels Antheil an ihm, Basel 1870, 88. 49—50, 153. (2) Siehe Ch. Gérard, Les artistes de l’Alsace, Bd. п, 8. 239.

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U. URKUNDLICHES AUS BASEL.

In der Hoffnung, vielleicht im Staatsarchiv zu Basel noch da und dort etwas Neues zu finden, haben wir alle in Frage kommenden Akten durchgenommen und durchgepriift und geben dieselben anbei in getreuem Wortlaut und mit genau festgestellter Chronblogie wieder. Als wichtigsten Neufund dürfen wir die Stelle bezeichnen, aus der hervorgeht, daß auch Paul SES sich in Leipzig aufgehalten hat (v. sub 1490. Nov. 4).

1482. Sept. 2. ,Lune ante nativitatis marie: Item do hat meister Jorg schongower der goldsmid meister Heinrich von Werd, vollen gwalt geben ettlich schuld nemlich 111+ [= 3 h guldin an gold von Thoma smid von genff gütlich vnd rechtlich ze fordern vnd Inzebringen.“ (Gerichtsarchiv. Urteilsbuch A 34).

1485. Juni 28. „Item Jorig Schonouwer [sic] von Colmar emit Ciuilegium et Juravit vt moris est. Actum vigilia petri et pauli Anno etc. lxxxv.“ (Ratsbücher Ат, Rotes Buch, fol. 236.)

1485. Juni 28. „Jeorgius Schongower von Colmar Emit Ciuilegium vff vigilia peti et pauli Ао Ixxxvo et Juravit vt moris est.“ (Öffnungsbuch VI, fol. 855.)

1485. „Item anno 1485 Jor vnoder Hanns Hiltprand der zit der жар meister hett Jerg Schon- gouwer von Colmar der hußgenossen geselschafft vnd sumfft gekaufft.“ (Hausgenossenzunft 4. Ein- trittsrodel, pag. aa b.)

1487. Januar 16. „Martis post Hylary: .... Hanns murer wirt zem Sylberberg vnnd Lucia sin eefrowe“ verkaufen „dem Erbern meister Jörgen schangower dem goltschmid bürger zu Basel“ und „appolonia siner eefrowen vnd Ir beider erben ... das huß vnnd hoffstat genant zem vordern tantz!) mit der prifeten, vnnd allen andern sinen begriffen rechten vnd zugehorungen, als das In der statt Basel vff ysingassen zwüschen dem huß теш rotten Salmen ze einer уппа dem geßlin by dem huß zem rößlin zer andern sytten gelegen ist, Stost binden ап das huß zem hindern tantz ... vmm 1110 упа хх Rinisch guldin, deren sich die verkouffere bekannten bezalt sin Seitten der kouffer .. (Ge- richtsarchiv. Fertigungsbuch B 1a, fol. 1 b.) \

1487. Dez. 20. „Jouis vigilia thome apostoli: Zwischen ludwig 88 vif ein уппа meister Jorgen dem Goldschmid zum tanntz annders teyls Sodann hannß murer am Drittenteyl als ludwig Sylberberg begert daß meister Jörg In vmb die zweybundert vnnd zweintzig guldin schuld | so Er Im noch by dem koff des huses zum tanntz schuldig were vBrichtten solte Dawider aber Meister Jörg anntwirt | Hannß murer hette Im den stuel in der luttkirchen zue Sannt Marttin | zusampt dem huß zu koffen geben meint Im solichen stuel vor vnd Ee vertigen solte | Des aber hannd murer Im nit gestendig“. . . . Es wird erkannt, „daß man beiderteylen angebotten kuntschafft heren vnd darnach furer das recht were gescheen, vnd das ouch meister Jörg ludwig silberberg vmb die 110 vnd xx SR vBrichtten solte.“ (Gerichtsarchiv. Urteilsbuch A 36).

1488, Jan. 10. „Jouis post trium regum: Zwüschen meister Jorgen dem goldschmid УН ein | vnnd lienhart silberberg am andern teylen, Als meister Jorg vff kuntschafft gezogen hat, Ist Erkannt, daß man Im die beren, vnnd füro das recht werde bescheen solte.“ (Gerichtsarchiv. Urteilsbuch А 36).

1488. Jan. 15. „Martis post Hilarii: Item als meister Jörg der goldschmid vff ein vnd Hannß murer andersteils des stuels halben zue Sannt Marttin aber vor gericht erschynen“, ward erkannt, „daß desselben meister Jörgen frowe solle vnd moge In denselben stuel ston, vnd destminder nit sol упа mog hanß murers frow ouch dar Inn zu stende gewaltsami haben.“ (Gerichtsarchiv. Urteils- buch A 36).

1488. Jan. 17. „Jouis post Hylary: Testis productus per magistrum zschangower aurifabrum contra Jobannem murer. Item anna Steinmetzin hat geseit wie sy In vergangnen tagen daby vnd mit gweßt, Das meister Jörg der Goldschmid, упа Hannß murer, koffs einB worden syen von des Huses wegen genant zem tantz, vnd das meister Jörg deßmals fragte, wie es ein gestalt hette vmb den Stuel In der kilchen zue Sannt Marttin, Daruff anntwürtte Hannß murer, Er hette kein gwalt vntzit In der kilchen zu uerkoffen, aber alle die recht vnnd gerechtikeit So Er zue, dem Stuel oder daran haben möcht, das wolt Er Im och zue dem koff deß husses geben vnnd volgen lassen“. (Gerichtsarchiv. Kundschaften D 14, S. 14 b.)

1489. März 12. „Jouis post Inuocauit: Item paulus schongower von Colmar der goldschmid- knecht | git vollen gwalt hanns kopffdrayer Burger ze basel | von matheus rüdler von zwikow och ein goldschmid yetz zue friburg | Im brißgow wonend | xiiii Rinischer guldin Inzebringen güttlich oder rechtlich etc.“ (Gerichtsarchiv. Urteilsbuch A 37).

(т) Das Haus „zum Tanz“, in der Kunstgeschichte bekannt durch die spätere Bemalung Hans Hol- beins d. J., liegt an der Eisengasse Nr. 20. (a) Das Datum „14. Januar“ bei Burckhardt ist in „17. Januar“ zu verbessern.

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1489. März 26. „Jouis ante letare: ... in gericht komen sind die Erbaren paulus schongouwer der Goldschmid eins“ und der Vertreter des Goldschmieds ,Matheus Rudler“ zu Freiburg i. Br. andernteils, Rechtshandel zwischen Paul Schongauer und Matheus Rudler, dem Goldschmied zu Frei- burg i. Br. (Gerichtsarchiy, Urteilsbuch A 37).

1489. März 26. „УЯ donrstag nach oculi“. In dem Rechtshandel „zwüschen Matheus Rudler dem Goldtschmid eins vnd paulsen Schongouwer dem Goldtschmid zu Basel, anders teils“ stellt letzterer ale Bürgen „den Erbaren Meister Jorgen Schongouwer den Goldschmid Burger zu Basel sinen Bruder.“ (Gerichtsarchiv. Vergichtbuch С 14.) )

1489. Juni 15. „УП montag nach Trinitatis: Da gitt gwalt Martin Schonngouver der Moler Burger zue Brisach Paulo einem Brueder | zue Gerspach®) allerley ке hanndeln.“ (Gerichtsarchiv. Urteils- buch A37). e

1490. Okt. 30. ,Sabbato post Symonis et Jude: Meister Jörg Songower der goldschmid burger zu Basel“ hatte den „Albrechen Jenow von Jienff“ auf 8 Jahre als Lehrknaben aufgenommen. Sie hatten durch einen Notar zu Genf einen Vertrag schreiben lassen, wonach beide sich verpflichteten, falls Uneinigkeit unter ihnen entstünde, sich dem Schiedsspruch zweier ehrbaren Männer von Basel zu unterwerfen. Dieser Fall trat ein und sie nahmen zu Schiedsrichtern „meister Hannsen von Nurenberg“*) und , Wolffgang den goldschmid.“*) Diese bestimmten, daß Meister Jörg dem Albrecht Jenow die 1'/, Jahre, die ihm dieser an den 8 Jahren noch zu dienen schuldig sei, nachlassen und ihn ledig sprechen solle Albrecht Jenow ist demnach Ende April oder anfangs Mai 1484 zu Jörg Schongauer in die Lehre getreten doch mit der Bedingung, daß Albrecht Jenow die übrigen x'/, Jahre nicht in Basel fertig lernen solle und dem Meister Jörg für diese 1'/, Jahre eine Entschädigung von 14 Guiden geben solle. Albrecht verpflichtete sich diese Summe abzuzahlen und setzte dem Meister als Unterpfand sein väterliches Erbe und Gut in Genf. (Gerichtsarchiv. Vergichtbuch C14.)

1490. Nov. 4. „Donrstag nach allerheiligen tag: . . . in gericht kommen sind die Erbaren Hanns Hardegk, als volmechtiger Anwald Mathiß Rudiers des Goldtschmids zue friburg Im Brißgouw eins vnd Paulus Schongouwer der Goldschmid des anndern teils | уппа offnet der obgemelt Anwald ettlich Clag stuck nemlich wie der obgemelt Mathiß ettlicher zuesagung kunst halb So Er paulsen abkoufft hett zue costen vnd schaden kommen were ouch ettlich kleider vnnd werckzug hinder paulsen in behaltnüß wise zue libtzig gelaBen®) die Im Pauls опе recht vertriben hett alles nach lutt eins bericht zedels in recht verhorrt mit beger Im deren vffrichtung ze erstatten etc. Dartzue paulus reden ließ wie Er zue verruckten zytten dem Cleger hett müßen burgschaflt geben zue recht. Es wird erkannt, daß „Mathiß Rudier in zilii tagen den nechsten .... in eigner person hie zue Basel vor gericht erschinen sin Clag widerumb anheben paulus Schongouwer sin gegenannttwurtt darzue fürwennden, vnnd alsdenn bescheen laßen was recht syo | wa aber Mathis Rudler in solicher zytt nit erschin alsdenn mogen paulus Schongouwer vnnd sin brueder meister Jorg vmb das Sy ver- meinen Sy von mathißen lidig ze erkennen, witter anrüffen darumb alsdenn ouch bescheen sol was recht ist,“ (Gerichtsarchiv. Urteilsbuch A 38.)

1490. Nov. 11. „Donrstag ante Othmari: Zwischen Mathis Rudler dem Goldschmid von Friburg Па Brißgouw ein wnnd Paulsen Schongouwer dem Goldschmid des anndern teils. Alsdenn Mathiß in recht erschinen ist... “. Mathis Ruder setzt zu seinem Bürgen ein Peter, von Wissenburg, Bürger zu Basel. (Gerichtsarchiv. Urteilebuch A 38.)

1491. Mai 19. „Dornstag ante spiritus domini: Da gitt gwalt meister Jorg Schongouwer, meister paulin sinem brueder zue Brisach sine Erbrecht daselbs vnnd allenthalben sin schulden in ze ziechen in der besten form.“ (Gerichtsarchiv. Urteilsbuch A 39.) °)

3492. Febr.3.(?) „Item post purificationis b. est Sabina filia Jos luxenhofer et clare eius ux. patrui Jerg goltschmid zem thantz Jungkfro margreth de andlou uxor Jacob yselis.“ (Taufregister von St. Theodor zu Basel, Original im Britischen Museum su London, Kopie im Staatsarchiv zu Basel.)

1492. Juli 14. „Sabbato post Heinrici Intperatoris: . .. . Bartholome Ruttenzwig der moler... . wnnd Agnes sin Eefrouw“ verkaufen „dem Erbaren meister Jorgen Schongouwer dem Goldsmid Bur- gere zue Basel“ und „siner Eefrouwen ..... ein zweyteil garttens mit reben vnnd dem hußlin dar Inn . . . . in der Nuwen vorstatt’) .. . . vmb drye vnnd viertzig guldin Rinischer.“ (Gerichtsarchiv. Fertigungsbuch В 13, fol. 61 b.)

(т) Das Datum „26. April“ bei Burckhardt und Bach ist in ,26. Marz“ su verbessern.

(a) Gersbach, Dorf im südlichen Schwarzwald, zwischen Zell und Todtmoos gelegen.

(3) == Hans Schaltendorfer, Maler.

(4) = Wolfgang Öder L

(5) Demnach hielt sich Раш Schongauer um 1488 als Geselle zu Leipzig auf.

(6) Das Datum „25. Mai“ bei Burckhardt ist in „19. Mai“ zu verbessern. Das Datum „Dornstag nach Corpus Domini, 9. Juni“ bei Bach beruht auf falscher Lesung.

(7) Neue Vorstadt, heute Hebelstraße genannt.

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1492. Sept. 24. „Item 2a ante michahelis B. est magdalena filia Cosme Ertzbergers et Anne coni., Patr. mgr Adam brun, Agnes filia Johs. plorers et appolonia ух, Georii aurifabri.“ (Taufregister von St. Theodor zu Basel, Original im Britischen Museum zu London, Kopie im Staatsarchiv zu Basel).

1493. Nov. 14. „Meister Jörg der golldschmid, УН Dornstag nach Martini hatt der obg[enannt] geschworen sin lip vod gut nit ze empfrömden ouch der vorstatt Sannt Alban on erloubung eyns Rats nit ze komen.“ (Ratsbücher N 3. Aechterbuch, fol. 9b).

1494. Januar 28. „Zinstag ante purificationis: Da gibt gwalt Meister Jörg Schongawer der gold- већина В. zu Ваве! Veltin gilgenstein die Schueld, So Im Ludwig Schongawers seligen Erben zue Colmar schuldig ist, guetlich oder rechtlich ze erfordern darinn ze quittieren, ze gewinn verlust vnd allen rechten Inn der besten form.“ (Gerichtsarchiv. Urteilsbuch. A 40.) 1)

1494. Juni 4. „Vogt besserung . . uff mitwuchen noch medardi im 94 . . .: Item meister Jörg schongower der goldschmid vorbesirt [== verbessert] ii friden gegen meister hans von öringen dutt 10%“ (Ratsbücher N. п. Schuldbuch, fol. 192.)

1494. Juli 9. „Mittwoch nach Vdalrici: Da gibt gwalt Meister Jörg Schönngawer der goldschmid Heinrich vonn Werd dem goldschmid bürger sue basell Inn Inn allen sinen Sachen, bie zue Basel Es sye schulden In ze ziehenn oder annders was das sin wurdt ze uertretten guetlich oder rechtlich zue gewynn verlust vnnd allen rechten Inn der bestenn form.“ (Gerichtsarchiv, Urteilsbuch A 40.)

1494. Juli то. „Dornstag ante Heinrici: . . . Meister Jörg Schonngawer der goldschmid bürger zue Basel уппа fraw Appolonia sin Eefraw“ verkaufen dem Goldschmied Hans Nachbur zu Basel das Haus ,zuem vordern tantz ... vmb 11142 [== 350] guldin.“ (Gerichtsarchiv. Fertigungsbuch В 13, fol. 150.) |

1494. Juli 10. „Dornstag ante Heinrici: . . Meister Jörg Schongawer der goldschmid b. zu b. [== Bürger zu Basel] уппа frou Appolonia sin Eefrou“ verkaufen dem Maler Caspar Koch und seiner Gattin Agnes „ein zwei teil gartenns mit reben vnnd dem hußlin dar Inn . . . Inn der nuwen vorstatt .. . vmb zivıız guldin.“ (Gerichtsarchiv. Fertigungsbuch В 13, fol. 154 b.)

1495. Aug. 17. „Montag post assumpcionis: Da hatt Herri der glaser minem Herrn dem Schult- heysen glopt vnnd versprochen, Meyster Jergenn Schongower von Stroußburg xx guldin von wegen Caspar Malers sins stiff Suns on allenn sinen costen vnnd schaden zu den nechsten vierzechen tagenn Nechstkomende, ze vberannttwurtten vnnd zue zeschicken.“ (Gerichtsarchiv. Vergichtbuch С 15.) )

ш. URKUNDLICHES IN KOLMAR.

Laut gütiger Mitteilung vom Stadtarchiv zu Kolmar sind neue РИТИ Einzelheiten über die Familie Schongauer seit den Aufsätzen von Bach und Waldner nicht mehr zutage getreten. Insbesondere ist über die im Jahre 1558 zu Basel getraute und daselbst nach 1572 verstorbene Margaretha Schongauer trotz dankenswerten Nachsuchens vonseiten der Archivverwaltung in Kolmar nichts auf- zufinden gewesen.

IV. URKUNDLICHES IN AUGSBURG.

Im Gegensatz zu Kolmar wäre in Augsburg noch ein reiches genealogisches Material über die gesamte Familie der Schongauer weniger die bekannten Künstler als andere Mitglieder betreffend zu sammeln und zu verarbeiten. Die Archivverwaltung war so gütig, uns hierüber folgende Mitteilungen zu machen:

„Eine weitere Ergänzung oder gar abschließende Durchfübrung des Stammbaumes der ganzen Familie Schongauer, soweit sie in Augsburg ansässig war, ist uns nicht möglich, da in unserem Bürgerbuche von 1288 bis 1680 viele Mitglieder der Familie de Schongawe und Schongauer genannt werden, die auf Ihrem Stammbaum nicht verzeichnet sind, und auch in den Registern zu unseren Steuerbüchern seit 1346 fortwährend der Name Schongauer vorkommt, der auch noch in unseren andern gleichzeitigen Beständen, wie Missivbüchern, Literaliensammiung, Urkundensammlung, Bau- meisterbüchern usw. eingehend verfolgt werden müßte,“

Vielleicht regen diese Zeilen einen Genealogen oder Historiker an, sich dieser gewiß nicht undankbaren Arbeit zu unterziehen.

(x) Das Datum „4. Februar“ bei Burckhardt und Bach ist in „28.Januar“ zu verbessern. (3) Das Datum „2. Juni“ bei Burckhardt ist in „17. August“ zu verbessern.

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PELADAN, L’art et la guerre. (Е. de Boccard, Paris ı rue de Medicis.)

Der bekannte französische Kunstschriftsteller Pé- ladan hat in diesem Buch eine Reihe seiner Kriegs- aufsätze vereinigt, die nur zum Teil sich mit Kunstfragen beschäftigen. Eine Anzahl dieser Artikel, die zuerst in der Revue bleue erschienen, sind dem französischen Kunstleben während des Krieges gewidmet. In dem letzten Abschnitt sind unter dem Gesamttitel: „Der Krieg gegen die Meisterwerke“, vierzehn kieine Betrachtungen über die bauptsächlichsten Kunststätten Frankreichs zusammengestellt, die durch den Krieg am schwer- sten gelitten haben. In diesen Aufsätzen führt Péladan in der schärfsten Form den Kampf gegen das geistige Deutschland. Alle jene Be- schimpfungen, die Bergson, Boutroux, Lavisse u. a. zuerst geprägt haben, nimmt er auf und sucht sie zu überbieten. Aber nicht das interessiert den Kunsthistoriker. Péladan ist tief in der Vergangen- heit seines Landes verankert, ist mit allen gei- stigen Überlieferungen seines Volkes eng ver- wachsen und hat alle seine wissonschaftlichen Ge- danken und seine dichterischen Gesichte aus seinem heimatlichen Boden empfangen. Infolge dieser Vertiefung des Nationalempfindens litt er, als er wahrnahm, daß seine Zeitgenossen sich ihrer Ver- gangenheit nicht würdig zeigten, indem sie die Denkmäler ihrer Vorfahren vernachlässigten. Aus dieser doppelten Empfindung heraus der Ehr- furcht vor der Vergangenheit und der Empörung über die Fahrlässigkeit der Gegenwart hat er 1912 und 1913 ein Verzeichnis sämtlicher Kirchen Frankreichs zusammengestellt, das zuerst im Figaro und dann in Buchform bei Boccard in Paris er- schien. Aus diesem Verzeichnis ergibt sich die für das französische Unterrichtsministerium be- schämende Tatsache, daß von 1938 Kirchen in Frankreich nur 372 inventarisiert worden sind, während Augagneur am 17.1. 1911 in der Kammer erklärt hatte: „Alle künstlerisch wertvollen Kirchen sind inventarisiert.“ Nach Ausbruch des Krieges stellte Péladan seine Angriffe gegen das franzd- sische Unterrichtsministerium ein und erhob be- sonders nach den Beschießungen von Reims und Ypern den Vorwurf des Kunstvandalismus gegen Deutschland. Seine Aufsätze über Löwen, Mechein, Soissons, Courcy, Arras und Reims sind eine Auf- reihung von maßlosen und grotesken Beschimp- fungen der Deutschen. Zwischendurch aber ent- schlüpfen ihm die unvorsichtigsten Geständnisse

/

über das Verhältnis der Franzosen zu ihren Kirchen- bauten, die angeblich für jeden Eingeborenen das stolze Symbol der schöpferischen Volkskraft dar- stellen. |

Auf Seite 174 schreibt Peladan: „Das große französische Publikum ermißt die Verluste von Arras nicht. Wir bewundern nur außerhalb un- seres Landes. Wer hat nicht Freunde, die Reims und Chartres niemals gesehen?“

Auf Seite 322: „Keine drei Meilen kann man auf unserm gesegneten Boden gehen, ohne auf ein Meisterwerk aus Stein zu treffen. Unglück- licherweise sind Anlage und Ausbildung in dieser Beziehung noch in den Anfangsgründen und die Zeit ist noch nicht gekommen, in der die große Masse das Wesentliche des klassischen Archi- tekten erfaßt,“ und auf der folgenden Seite: „Wir gingen wohl nach Nürnberg, um seine malerischen Reize zu bewundern, aber, seien wir offen, nach Arras gingen wir nicht.. . . Gestehen wir unser Bedauern, Arras nicht genug geliebt zu haben...“ und auf S. 240 heißt es: „Alle Franzosen leiden unter dem Einfall (der Deutschen), aber nur wenige empfinden das Unglück der Baudenkmäler, die Schmach der Meisterwerke.“ Jedoch man sollte glauben, daß wenigstens die Besten des Volkes, der Präsident, die Minister, die Beamten den Kunstsinn, den alle französischen Journalisten dem ganzen Volk zuschreiben, besitzen und vor den Baudenkmälern ihrer Vergangenheit das Verant- wortungsgefühl haben, das der Stolz auf die Werke der Väter jedem mitgeben sollte. Aber man lese, wie Péladan über die Fürsorge urteilt, die die staatlichen und städtischen Behörden den Kunst- werken zuteil werden lassen. „In der Stadt läßt man die Meisterwerke verkommen aus Furcht vor Verantwortung und auch aus administrativer Unentschiedenheit“ (S. 272). „Man versichert, daß die Stadtbehörden für die Rettung der Kunst- werke die Unterstützung des Staates verweigert haben“ (S. 273). Diesen vereinzelten Kiagerufen folgt ein ganzes Kapitel, das den Titel trägt: „Veut-on sauver les statues de Reims?“ (S. 301-3 10), in dem Péladan sich bitter über die Gleichgültig- keit und Fahrlässigkeit der französischen Regie- rung beschwert, die nach den ersten Beschießungen nichts für den Schutz der Kathedrale von Reims getan hat. „Keine Zensur kann die Feststellung verhindern, daß keiner im Parlament ein Wort für den Schutz der Statuen in Reims gefunden hat... die Deutschen haben das Grab von St. Mihiel nach

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Metz überführt und wir können die Portalstatuen von Reims nicht in einen nahegelegenen Keller transportieren!“ In dem folgenden Kapitel stellt der Verfasser die Berichterstattung über die Be- schädigung einer der wertvollsten Skulpturen, „Le sourire de Reims“, an den Pranger, die mehrfach offiziell als unauffindbar bezeichnet wurde und schließlich in einem Keller unter zusammengekehr- tem Schutt wiedergefunden wurde, allerdings erst nach mehrfachen Reklamationen der Kunstfreunde (8. 315). Zu diesem Verhalten paßt die Erklärung eines Abgeordneten, die Péladan zitiert (S. 317): „Nicht zwei unter meinen Wählern denken an die Statuen von Reims.“ „Gegenüber einem so schuldvollen Verhalten,“ schreibt Péladan 8. 317, „muß man wohl gestehen, daß die Barbaren nicht immer diejenigen sind, die zerstören. Die gleiche Bezeichnung trifft auf diejenigen zu, die Kunst- werke nicht zu erhalten wissen.“ Gegen Ende des Buches heißt es: „Les fonctionnaires de l’art séfusent le service et se lavent les mains devant les désastres esthétiques“ (8. 357).

Diese Geständnisse genügen uns. Wir nehmen sie ad acta und werden diese gerechten und sach- lichen Äußerungen eines nationalistischen Fran- zosen von nun an denjenigen Franzosen entgegen- halten, die die Balken in ihren eigenen Augen nicht sehen wollen. Otto Grautoff.

ALFRED GERSBACH, Geschichte des Treppenbaus der Babylonier und Assyrier, Ägypter, Perser und Griechen. Mit 67 Abbildungen im Text. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz und Mündel) 1917. УШ, 1085. 4°.

(Zur Kunstgeschichte des Auslandes Heft 114.)

Gersbach untersucht, einer Anregung Josef Durms folgend, zum ersten Male zusammenhängend die Geschichte des Treppenbaus im Altertum bis zu den Griechen.

In der Architektur der Babylonier und Assy. rier spielt der monumentale Treppenbau eine bedeutsame Rolle, namentlich die Freitreppen und Rampen (Zikurrat), welche zu der Plattform der hohen Terrassen hinaufführten, auf denen die Königspaläste und Tempel standen. Treppen im Innern der Paläste und Wohngebäude, die es ge- geben haben muß (vgl. Herodot I, 180: nf, Oixtéwy тосорбфо тв хай тєтоооброу), ließen sich nicht nachweisen, waren also vermutlich aus Holz- In Ägypten läßt sich der Treppenbau des alten Reiches nur noch aus den Pyramiden und Totentempeln erkennen. Auffallend und für die

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Benutzung sehr unbequem ist, daß die Wende- punkte der Treppen keine horizontalen Eckpodeste ` zeigen, sondern jeder Lauf auf seine ganze Länge in derselben Steigung von Wand zu Wand durch- geht; jeder folgende Arm setzt seitlich vom vor- hergehenden einige Zentimeter höher an. Frei- treppen und Verbindungstreppen sind bei den großen Tempel- und Grabbauten auch im mitt- leren neuen Reich und in der Spätzeit in Übung geblieben. Zu den Grabkammern der Pyramiden gelangte man auf engen, verzweigten, horizonta- len und steigenden oder abwärts führenden Gängen. Eine Entwicklung des Tempelbaues hat es in Persien nicht gegeben, da die Altäre im Freien standen, dagegen stand der monumentale Treppen- bau im Dienst des Königtums in Grabdenkmälern und Palastbauten in hoher Blüte; die Perser haben os verstanden, die Errungenschaften der Asayrier und Babylonier weiter zu entwickeln. Der mo- numentale Treppenbau der Griechen ist für zahl- reiche Treppenanlagen späterer Kulturvölker bis auf unsere Zeit vorbildlich geblieben. Als eine Eigentümlichkeit seien die zwischen die Stylobat- stufen gelegten oder in sie eingehauenen Geh- stufen (Abb. 52a und b) erwähnt. Die bei- gegebenen Abbildungen tragen wesentlich zum Verständnis der Abhandlung bel.

Bremen. Thomas Otto Achelis.

PAUL SCHULZE, Alte Stoffe Ein Leitfaden für Sammler und Liebhaber. Bibliothek für Kunst- und Antiquitäten- sammler. Berlin W. 62. Richard Carl Schmidt & Co., 1917.

Das reiche und charakteristische Reproduktions- material des Schulzeschen Leitfadens ist sum Teil der Königlichen Gewebesammlung in Krefeld, deren verdienstvoller Konservator Prof. Schulze ist, zum anderen Teil der „Kunstgeschichte der Seidenweberei“ von Prof. Otto von Falke und dem Lessingschen Tafelwerk ,Die Gewebesamm- lung des königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin“ entnommen.

Auch in Methode und Resultaten begegnet sich der Verfasser mit den Autoren der beiden vor- erwähnten, umfangreichen und fachwissenschaft- lich anerkannten Werke.

Schulzes Text ist historisch aufgebaut. In ägyp- tischen Gräbern entdeckte Mumienhüllen sind wie die vorgeschichtlichen Gewebe, die man in Pfahl- bauten gefunden hat, ohne Musterung, demnach obne Bedeutung fürdie stilgeschichtliche Forschung.

Erste Dokumente einer differenzierteren Technik sind Gewandmuster, die man auf frühassyrischen

und griechischen Weandplatten abgebildet sieht. Zeitgenössische Berichte erweisen die textiltech- nische Provenienz der dargestellten, einfachen Borten-, Rosetten- und Palmettenmusterungen. Der Webstuhl mit der Hochkette, wie er auf einem altgriechischen Vasengemälde des 5. Jahr- hunderts zu sehen ist, muß sowohl zur Herstellung der in Gräbern des 4. Jahrhunderts vor Christi in Tenisjusk (Südrußland) gefundenen, altgriechischen Stoffe, wie der etwas jüngeren, sogenannten kop- tischen Erzeugnisse gedient haben. Im Gegensatz zur allgemein geltenden Meinung glaubt Schulze wie Falke nicht in diesen frühen, griechische Formanschauung enthaltenden, sondern erst in späteren, primitiveren und ungeschickteren Webe- reien selbständig koptische Produkte erkennen zu dürfen, wie sie dem niederen Niveau, der früh- koptischen Kultur entsprechen. Schulse schließt sich in den meisten seiner Stilbestimmungen Falke und der modernen Textilforschung an, die ja be- kanntlich, dank reicherer Materialanhäufung und tieferer, technischer Einsicht von früheren, aus rein theoretischen, ideologischen Gesichtspunkten gewonnenen Resultaten stark abweicht.

Einer Gruppe von Seidenstoffen mit Kreis- mustern und figürlichen Darstellungen, die früher als sassanidisch betrachtet wurde, weist Falke aufs schlagendste die Herkunft aus Alexandrien nach.

Uberhaupt steht Schulze auf dem Standpunkt, daß die ältesten Seidenstoffe hellenischen Ursprungs sind, und daß der Anfang der Seidenweberei keines- wegs im Osten zu suchen sei. Es ist dabei schwer aus dem Buche festzustellen, ob diese Ansicht Schulzes als gegensätzlich zur Strzygowskischen Theorie vom ostasiatischen Ursprung der meisten Ornamentmotive, selbst der noch von Rieg! als griechisch bestimmten, bewegten Ranke aufgefaßt werden muß oder ob Schulze nur die erste Fa- brikation der Seidenweberei in eine hellenische Geschichtsperiode verlegt haben will, ohne sich auf Erörterungen über den Ursprung dieser frühe- sten griechischen Musterungen einzulassen. Seiden- stoffe aus Antino zeigen deutlich drei aufeinander folgende Stilrichtungen, rein griechische, griechisch- ägyptische und griechisch-persische Musterungen.

Durch neuere Forschungen ist, wie Schulze mit- teilt, auch die Zugehörigkeit einzelner, als persi- schen Ursprungs betrachteter Stücke zur spätantiken Kunst unzweifelhaft geworden.

Erst in der früh-islamischen Entwicklung treten rein persische Seidenmusterungen hervor, ebenso wirken persische Vorbilder auf die Muster chine- sischer Seidengewebe.

Die byzantinischen Seidenstoffe sind in ihren großartigen Elefanten- und Adlermustern ihrerseits vom Orient beeinflußt.

Selbständige italienische Erfindungen werden wiederum im 14. und 15. Jahrhundert von chine- sischen Einflüssen durchkreuzt,

Die Spätgotik spricht sich in der Umwandlung der Tierdarstellungen und Lotosblume und der Betonung des Granatapfelmusters aus. Stärkeres Auftreten der Sammettechnik fordert dekorative, in breiten Flächen wirkende, großstilige Bemusterung.

In Deutschland erlebt die Regensburger Seiden- industrie, der es auf Verbilligung der Erzeugnisse ankam und die infolgedessen kein bestes Roh- material verwenden konnte, eine kurze Blüte.

Schulses Leitfaden zeigt schließlich Übergang und Entwicklung der französischen Seidenindustrie bis zu den unbegrenzten Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts.

Neben der Klarlegung der Stileigentümlichkeiten macht der Verfasser exakte Angaben über das ver- wendete Material, was denjenigen Sammlern, For- schern und Kunstgewerblern willkommen sein dürfte, denen die großen Sammelwerke nicht stetig zugänglich sind. Eine noch schärfere Um- reißung des entwicklungsgeschichtlichen Bildes und eine klarere Hervorhebung des eigenen Stand- punktes des Verfassers wäre wünschbar, aber der allzu breiten Fülle des Materials gegenüber schwer durchführbar gewesen. Sascha Schwabacher.

LEHNER, Das Provinzialmuseum in Bonn, Heft II: Die römischen und frän- kischen Skulpturen. Bonn, Friedr. Cohen.

In rascher Folge erscheinen die wissenschaft- lichen Veröffentlichungen des Bonner Provinsial- museums, Cohens Führer durch die neuere Ab- teilung, 1913, und Gemäldekatalog, 1914, folgten 1915 Lehners Führer durch die Antikenabteilung, ı917 der zweite Teil der Abbildungen der Bild- werke, soeben der zugehörige Katalog.

Das hier zur Besprechung vorliegende neue Heft der Abbildungen liefert, gemeinsam mit dem 1905 erschienenen ersten Hefte, das unentbehr- liche Qlustrationsmaterial zum Katalog der Stein- denkmäler. Dieser Katalog, der auf 512 eng ge- druckten Selten nicht weniger als 1453 Denk- miler aufzählt, wird swar durch die Trennung des Textes von den photographischen Abbildungen stark entlastet. Anderseits wäre seine Benutzbar- keit wesentlich erhöht worden, wenn die Illustra- tionen, etwa nach dem Vorbilde von Haug-Sixts Römischen Inschriften und Bildwerken Württem- bergs, den Beschreibungen jeweils angefügt wären,

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Die nun einmal getroffene Anordnung hat den großen Nachteil, daß die Abbildungen, zumal da sie weder Unterschriften tragen, noch in der Reihe der Katalognummern aufeinander folgen, nur unter größerem Zeitaufwande mit dem Katalogtext ver- glichen werden können. Immerhin muß man es dankbar begrüßen, daß die Bilderhefte billig ein- zeln käuflich sind. Dem Kunsthistoriker ist das neue Heft besonders wegen der größtenteils erst- maligen Wiedergabe der wichtigen fränkischen Grabmäler wertvoll. Baum.

LUISE STRAUS, Zur Entwicklung des zeichnerischenStils in der Cöl- ner Goldschmiedekunst des XII. Jahr- hunderts. Studien zur deutschen Kunst- geschichte H. 202, 1917.

Nachdem v. Falke in seinem grundiegenden Werke über die rheinischen Schmelzarbeiten in großzügi- ger Weise das erhaltene Material der Cölner Schule zusammengefaßt und die Arbeiten unter verschie- dene Werkstattgruppen und Meister, wie Eilbertus, Fridericus und Godefroid de Claire verteilt hat, versucht L. Straus unter Heranziehung der gleich- zeitigen Buch- und Wandmalerei den Stil der ausführenden Künstler und ihre Beteiligung im ein- zelnen schärfer zu scheiden. Sie kommt hierbei zu der Ansicht, daß die „meisten großen, zum Tell auch die kleineren Denkmäler der Goldschmiede- kunst Arbeiten verschiedener Hände sind“. Im ersten Teil der Arbeit finden wir eine sehr ein- gehende Analyse der Ornamentformen. Verfasserin unterscheidet das geometrische und Rankenorna- ment, das vegetabilische und endlich das Tierorna- ment. Bei letzterem, 3. B. am Heribertschrein (8.21), orientalische Vorbilder verwendet zu sehen, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Der zweite Teil des Buches ist der Betrachtung des figürlichen Stiles gewidmet. Es wird hier unterschieden zwischen einem streng statuarischen, einem geknitterten, be- wegten und einem weich fließenden Stil. Besonders eingehend ist dabei die stilkritische Untersuchung des Heribertschreines. L. Straus nimmt hier im Gegensatz zu Falke zwei verschiedene Meister an. Sie hält Godefroid de Claire nur für den Schöpfer der Randplatten des Daches und führteinen neuenMeister, vielleicht einen Schüler Godefroids für die Apostel der Seitenflächen ein. Die Gründe hierfür sind jedoch nicht zwingend genug, die Ansicht Falkes zu entkräften. Auch von Eilbertus wird ein Schüler abgesondert. Die Frage nach der Persönlichkeit des Fridericus bleibt unentschieden. An dem mit seinem Namen bezeichneten Maurinusschrein in

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Cöln hatte schon Falke (8, 43) die Arbeit verschie- dener Hände festgestellt. Die Verfasserin hilt die Möglichkeit offen, daß Fridericus der Meister des flieBenden Stils ist.

Anzuerkennen ist auf jeden Fall die Art der Pro- blemstellung und der Versuch, unter Berücksichtigung verschiedener Kunstgattungen zu einer schärferen Scheidung des Stiles unter den Cöiner Goldschmiede- arbeiten des 12. Jahrhunderts zu gelangen. Nur hätte eine solche Arbeit mit einer umfassenderen Kenntnis des Materials und der Technik unter- nommen werden müssen. W. F. Volba ch.

WILHELM WAETZOLDT, Dürers Be- festigungslehre. Julius Bard, Berlin 1917. 92 S. in 8°,

Der Verfasser hat in seiner doppelten Eigen- schaft als Soldat und als Kunsthistoriker die 1527 in Nürnberg erschienene Abhandlung Dürers über die Befestigungskunst wissenschaftlich zu erörtern versucht. Er stellt die Bedeutung dieses ersten deutschen Buches über Festungsbau in der alten und der neuen Literatur über Kriegswesen fest, die beträchtliche Originalität der Dürerschen Ge- danken, wie das vor allem auch neuere Militär- schriftsteller wie Colmar von der Goltz (1867) und Max Jähns (1888) schon hervorgehoben haben. Denn in gewissem Sinne geht das sogenannte „Neupreußische System“ noch auf die Erd- bastionierung Dürers zurück, die der Meister im Hinblick auf die damals drohende Türkengefahr an Stelle der alten eteinernen Mauer- und Turm- befestigungen für sein Nürnberg in Vorschlag brachte: diese vertikal sich entgegenstellenden Steinmauern mußten jetzt, nach der durchgreifen- den artilleristischen Umbildung des Kriegswesens, den horizontalen Erdbastionen weichen.

Wichtiger für den Nichtmilitär als diese ein- gehenden Facherörterungen aus der Befestigungs- ehre, deren Inhalt der Verfasser unserer kleinen Neu- publikation auch gewissenhaft wiedergibt, erscheinen die Einblicke in das universal gerichtete Geistes-

` schaffen des Meisters, der in der Tat für die

deutsche Renaissance das gleiche bedeutet wie Lionardo da Vinci für die italienische. Dürers Ingenium zeigt die beiden Komponenten des Ge- fühlemäßig-Religiösen und des Verstandesmäßig- Exakten, das sich mit Vorliebe mit den Aufgaben der Technik und der Mathematik abgibt. Unlängst hat Max J. Friedländer in einem grundlegenden Aufsatz über „Dürers Denken und Gestalten“ (Kunst und Künstler, Dezember 1917, Jahrg. 16, H. 3, 8. 85 ff.) aus dem damaligen Sprachgebrauch, wie er sich auch in den Dürerschen Schriften äußert,

den rationalen Renaissancecharakter Albrecht Dürers sehr gut entwickelt: „Kunst“ bedeutet für ihn, ganz im Sinne des italienischen Ausdrucks „arte“, die Theorie oder das bewußte Schaffen aus der Erkenntnis. Sie steht unbestritten höher als die überlieferte Handwerksübung des Alltags, so wie sie der Malermeister oder der Steinmetz aus- übt, für die das deutsche Wort „Gebrauch“ ge- nommen wird. Dürers universal gerichtete Natur zielte auf eine solche rationale Beherrschung der sichtbaren und der praktischen Welt hin. Seine Kunst läßt sich niemals aus elner , Aesthetik des reinen Gefühls“ ganz begreifen. Der Ver- stand in seiner vollen Bewußtheit spielt in ihr die Führerrolle. Dieser wäre heute vielleicht genau so wie Lionardo Ingenieur und natur- wissenschaftlicher Erkenntnistheoretiker geworden. Op das nun zum Schaden oder Nutzen seiner bil- denden Kunst gewesen ist, das freilich liegt auf einem anderen Feld der Erörterung.

Diesem wesentlichen Rationalismus der Dürer- schen Schaffensphantasie entspricht auch sein in der Befestigungslehre enthahener „Bebauungsplan einer Idealstadt“, das erste in der deutschen Kunst- geschichte vorkommende städtebauliche Projekt überhaupt und darum von besonderem Interesse: die praktischen und volkswirtschaftlichen Fragen sind in ihm bis zur letzten Einzelheit durch- gearbeitet. Künstlerisch - plastische oder archi- tektonisch - räumliche Gedanken aber, wie sie später die italienischen und vor allem die großen französischen Barockmeister auf dem Gebiet des Stadtbaus entwickelt haben, finden sich hier noch

gar nicht. Alles erinnert noch stark an den Pian eines Feldlagers: in der Mitte das große Quadrat des fürstlichen Schlosses, um das herum sich in gleichmäßigen Parallelen die Rechteckblöcke

der Bürgerhäuser anordnen, durch schmale Lager-

gassen geschieden. Dürers raumdisponierendes Gefühl hält sich in diesem Bebauungsplan noch an das Einfachste, das Nächstliegende, an die schlichte Nebeneinanderordnung gleichwertiger Baublöcke wie in den Kolonistenstädten der römi- schen Provinzen und des ostelbischen Deutsch- tums des Mittelalters. Bereits der nächste deutsche Stadtbautheoretiker, der Straßburger Daniel Speckle, gibt in seiner 1580 erschienenen „Archi- tectura. Von Festungen“ an Stelle des koordi- nierenden Schachbrettsystems den sternférmig einem großen Zentralplatze subordinierten Plan, wie er schon bei den Italienern Filarete (Plan der Phan- tasiestadt Sforzinda, 1460—1464) und Francesco di Giorgio Martini (Trattatb di architettura ci- vile е militare, um 1480) das Stadtbauideal bildet. Allein man muß die große Entwicklung der deut- schen Renaissance-Baukunst bedenken, die zwischen dem rational-ornamentalen Dürer und dem bereits barock-plastischen Speckle liegt, der aus jener südwestdeutschen Stilecke stammte, von der sich die lebendige plastische Erneuerung der gesamten deutschen Kunst überhaupt vollsog, nicht in dem rationalistischen Sinn, welchem die Befestigungs- lehre des Ingenieurs Dürer entsprungen war, son- dern in dem rein gefühlsmäßigen Sinn des ger- manischen Barock.

Fritz Hoeber.

DER CICERONE.

XI, 7.-

В. HOETGER: Der Bildhauer und der Plastiker. (5 Abb.) i

P. WOLF: Die Kleinwohnung eine Forderung künitiger deutscher Baukultur. (7 Abb.)

DERKUNSTBESITZDERDEUTSCHEN FÜRSTEN Ш. H. Posse: Der Kunstbesitz des sächsischen Königshauses. IV. F. R. Uebe: Kunstschätze der Herzöge von Anhalt.

JAHRBUCH DES KUNSTHISTOR. IN- STITUTES DER k. k. ZENTRAL-KOM- MISSION FUR DENKMALPFLEGE.

XI, Heft 1—4.

L. v BALDASS: Unbekannte niederländische Bil- der in Wien und Budapest. (7 Taf., п Abb.)

E. TIETZE-CONRAT: Die Bronzen der fürstlich Liechtengteinschen Kunstkammer. (75 Abb.)

R. ERNST: Die Krumauer Madonna der k. k. Staats- galerie. (4 T., 23 Abb)

Beiblatt: К. KOVAC: Nikolaus Ragusinus und seine Zeit,

M. ZWEIG: Die gräflich Althanschen Gartenpaläste in Wien. (25 Abb.)

DAS KUNSTBLATT.

U. з. |

W. FRIEG: Eberhard Viegend, (4 Abb). FELIX MÜLLER: Mein Werden. (1 Taf., 5 Abb.) P. W.: Paul Seehaus. (8 Abb.)

M. RAPHAEL: Die Gestaltung des Menschen in der Malerei.

N. SCHWARZKOPF: Der neue Sinai.

ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST. 54, 6. | W. WAETZOLD: Mengs als Kunsthistoriker.

H. DÜTSCHKE: Über Dierick Bauts und das Wesen germanischer Kunst. (2 Abb.)

Ј. BAUM: Karl und Maria Caspar. (14 Abb)

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. 54. Jahrg., Neue Folge XXX, Nr. 21. | C. GLASER: Berliner Ausstellungen.

FR. DÜLBERQG: Charley Toorop oder über Dar- reichung und Ichform. (4 Abb.)

Dasselbe 22. A.L. MAYER: Münchner Brief. Dasselbe 23.

О GRAUTOFF: Die Neuerwerbungen des Louvre während des Krieges,

H. TIETZE: Die Italiener in der Wiener Hof- bibliothek.

H. ZIMMERMANN: Rheinische Tonmodel und frühe Kupferstiche. (a Abb.)

W. F. VOLBACH: Über die Beziehungen de gotischen Model zu den frühen Kupferstichen.

Dasselbe 24. J. MEIER-GRÄFE: Theodor Reinhart. (1 Abb.) C. GLASER: Der neue Kurs.

OUDE KUNST. IV, 6. P. C.KORTEWEG: Gres-Kruiken. (10 Abb.)

а. Ј. BETTINK: Oude Zegels der Stad Haarlem (7 Abb.)

с. DE GEUS: Tegels en Tegeltableaux. (19 Abb.) H. LEVY: De Veilingen.

XII. Jahrgang, Heft 4.

· Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, . Telefon Nord 429. Verlag, Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monats- hefte für Kunstwissenschaft KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2,

Telefon 13467.

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SCHLESWIGSCHE TAUFSTEINE , Em ве. TRAG ZU DEN ANFÄNGEN DER DEUTSCHEN PLASTIK

Mit neun Abbildungen auf fünf Tafeln Von KURT FREYER

E ist nicht der Zweck dieser Studie, die Lokalforschung um unbekanntes Ma- terial zu bereichern, das ist für dieses Thema durch die Arbeit von Sauer- mann!) erschöpfend geschehen —, sondern es sollen einige unscheinbare Werke aus den Anfängen der mittelalterlichen Plastik Deutschlands auf ihre kunstwissen- schaftliche Bedeutung hin untersucht werden. Es soll an ihnen eine wichtige Strömung aufgezeigt werden, die hier, an der Peripherie der damaligen deutschen Kultur, deutlicher in Erscheinung tritt, als in den von der Kunstgeschichte bevor- zugten Kunstzentren. Auf diese Art kann auch ein kleiner und scheinbar un- bedeutender Ausschnitt für die Gesamtgeschichte der Kunst nutzbar werden.

Es handelt sich um einige frühe Taufsteine und verwandte Arbeiten der Stein- bildhauerei im Gebiet des heutigen Schleswig. Die cimbfische Halbinsel, von der die ersten Germanen ihren Ausgang nahmen, die in die Geschichte Europas mit- wirkend eingriffen, muß in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine künstlerische Kultur von nicht geringer Bedeutung besessen haben. Das bezeugen die zahlreichen, im Boden des heutigen Schleswig-Holstein gefundenen Metall- arbeiten von künstlerisch wie technisch hoher Vollendung. Sie führen fast bis in die Wikingerzeit hinein. Dann aber, während Deutschland die hohe Kunstblüte der karolingischen und ottonischen Epoche erlebt, bleibt in der Kunstgeschichte Schleswig-Holsteins ein fast leeres Blatt. Die beiden wichtigsten Kulturströme jener Zeit, die antike Tradition und das Christentum, hatten es nur an der Ober- fläche berührt. Es war schon damals zu sehr Kampfgebiet, als daß es in Ruhe diese Kulturwerte hätte aufnehmen und verarbeiten können. Und was vielleicht an Kirchenbauten und Kirchengerät mit der Christianisierung durch Ansgar hier geschaffen oder wenigstens importiert wurde, ist in jenen Kämpfen wieder unter- gegangen. Ebenso ist auch von Kunstschöpfungen der eingesessenen germanischen Bevölkerung nichts erhalten, selbst die wenigen Runensteine zeigen nicht, wie viele in Skandinavien, gravierte oder reliefierte Darstellungen. Auch als im elften Jahrhundert in Schleswig unter Knud d. Gr. und seinem Sohne Waldemar І, im zwölften Jahrhundert in Holstein unter den Schauenhurgern eine neue Stärkung des Christentums erfolgt und eine neue Kultur erwacht, bleibt die künstlerische Tätigkeit, zunächst noch auf bescheidene architektonische Werke beschränkt. Und auch weiterhin, als die Architektur zu bedeutenderen und sogar ganz hervorragen- den Leistungen fortschritt, hat sie nicht, wie es in den meisten Gebieten Deutsch- lands geschah, die Plastik zu wesentlicher Mitwirkung herangezogen. Das Land selbst lieferte nur mit Mühe das Rohmaterial hierzu und der Stil des bald ein- dringenden Backsteinbaues bot zu plastischem Schmuck des Gebäudes wenig Ge- legenheit, Erst mit der beginnenden Gotik, in den von der Architektur losgelösten Holzbildwerken, hat die schleswig-holsteinische Plastik ihre höchste Blüte erlebt.

Dennoch sind es hauptsächlich Werke in Stein, mit denen die Geschichte der schleswig-holsteinischen Plastik in ersten zaghaften Anfängen beginnt, einige Tauf- steine und Portaltympana, die in die Zeit von der Mitte des zwölften bis zum An- fang des dreizehnten Jahrhunderts zu setzen sind. Wir können das Material, das

(1) E. Sauermann, Die mittelalterlichen Taufsteine der Provinz Schleswig-Holstein. Lübeck 1904.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg., 1929. Heft 5/6 8 113

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für uns hier in Betracht kommt, in drei Gruppen sondern, von denen jede eine bestimmte Kunstanschauung und entsprechende geistige Verfassung zum Ausdruck bringt. Die beiden ersten Gruppen führen wir mehr des Vergleiches wegen vor, während die dritte Gruppe diejenige ist, auf die diese Untersuchung sich haupt- sächlich richtet.

Die erste Gruppe sei dargestellt an eihem Taufstein aus Norderlügum, Kreis Tondern (Taufstein A, Abb. 1). Er zeigt eine Anzahl Figuren, ohne rechten Zu- sammenhang nebeneinander aufgereiht, einen sitzenden König mit Kreuz und Buch, mehrere stehende Gestalten, einen Löwen, einen Drachen, alles in ganz flachem Relief, Es ist eigentlich noch gar kein Reliefstil, überhaupt kein plastischer Stil, sondern eine Art Umrißzeichnung mit vertieftem Grund. Noch deutlicher wird

diese Kunstanschauung vielleicht an einem Portaltympanon zu Sörup, Kr. Flens-

burg (Abb. 2), das Christus zwischen Petrus und einem anderen Heiligen darstellt. An beiden ist charakterisch, daß die Figuren absolute Frontalität und Starrheit der Haltung bewahren, daß die Umrisse aufs äußerste vereinfacht sind, daß die ein- zelnen Personen in keiner Beziehung zueinander stehen, so daß auch keine geistige Regung an ihnen sichtbar wird. Hatten wir in der Komposition des Taufsteins die einfache Reihung, so hier die starre Symmetrie, zeigte sich dort ein Streben nach möglichst weitgehender Flächenfüllung („horror vacui“), so hier ein völliger Mangel an rhythmischer Ausgestaltung der Bildfläche, bei beiden also die Unfähigkeit oder die Abneigung, die Akzente zu verteilen und zu variieren, kurz, diese Gruppe hat durchaus die charakteristischen Züge aller primitiven Kunst. Die Werke tragen weder den Stil einer bestimmten Epoche, noch offenbart sich in ihnen eine bestimmte volkliche oder lokale Eigenart. Und was sie an geistiger Eigenart zum Ausdruck bringen, ist, trotz des offenbar christlichen Inhalts an dem Tympanon, die Unbeholfenheit und geistige Gebanntheit des primitiven Menschen.

Anders verhält es sich mit der zweiten Gruppe. Als erstes Beispiel diene der Taufstein В (aus Sörup, Kreis Flensburg, Abb. 3). Es kommt an diesem zu- nächst nur das Relief der Kuppe in Betracht, während die Plastik des unteren Teiles erst bei der dritten Gruppe zu behandeln sein wird). Hier haben wir be- reits einen ausgesprochenen Reliefstil, nicht eine erhöhte Zeichnung. Der Bildner dieses Werkes versucht schon, wenn auch unbeholfen, den Formen reliefmäßige Verkürzung zu geben und hat schon ein Gefühl für plastische Körperlichkeit. Er beschränkt sich nicht nur auf die groben Umrisse, sondern geht bei Gesichts- und Faltenbildung etwas mehr ins einzelne. In die Körper ist, bei aller Einfachheit der Bewegung, doch schon etwas organisches Leben gekommen, sie sind nicht mehr starr, sondern mit einer gewissen stillen Bewegtheit erfüllt. Daher bringen diese Figuren auch schon, wenigstens in Andeutung, seelisches Leben zum Aus- druck und treten in geistige Beziehung zueinander: die Personen zu den Seiten des Kruzifixus haben deutlich klagende Gebärde, die Heiligen drei Könige schreiten andächtig auf die thronende Madonna zu oder reiten in lebhaftem Trabe dem Sterne nach, Herodes schaut in majestätischer Haltung dem Kindermord zu. |

In diese Gruppe gehört auch das vielumstrittene Tympanon am Südportal des Schleswiger Domes (Abb. 4). Der Streit um die Datierung dieses Werkes und um die Deutung seiner Inschrift!) ist für unser Problem hier ohne Bedeutung.

(1) Vgl. R. Haupt, Die Peterstüre am Dome zu Schleswig, Ze, der Ges. f. schleswig-holsteinische Ge-

schichte, Bd. 47 (1917), S. 28. Im Gegensatz dazu F. Beckett, Aarböger f. Nord. Oldk. og. Hist. 1908, 8. 117 fl.

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Jedenfalls ist es um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, also etwa ein halbes Jahrhundert früher als der Taufstein B anzusetzen. Noch mehr als bei diesem ist hier in der Zeichnung der Einzelteile und in der Bewegung der Figuren eine reiche Durchbildung erstrebt. Und noch deutlicher sehen wir hier die Fähigkeit, die ge- gebene Fläche in bestimmtem Rhythmus zu gliedern. Bestand dort innerhalb der einzelnen Szenen im wesentlichen noch die unvariierte Symmetrie (Kreuzigung) oder Reihung (Anbetung), so ist hier, obgleich es sich doch um ein Repräsenta- tionsbild (der thronende Christus, umgeben von den Evangelistensymbolen, zwei Heiligen und einem Stifter), handelt, die starre Symmetrie durch ein fein ab- gewogenes Gleichgewicht ersetzt und die Fläche durch die Verteilung der ein- zeinen Reliefabschnitte und den Verlauf der Linien, z. B. der Arme, der Falten und des Schriftbandes, rhythmisch belebt. Dementsprechend ist hier auch eine lebhafte äußere und innere Beziehung der Figuren hergestellt. Nur wird diese noch allein durch die Neigung der Körper und die Bewegung der Hände her- gestellt, während die Köpfe noch, in Vorderansicht gestellt, starr aus dem Bilde herausblicken. Auch kommt der Ausdruck der Gesichter nicht über eine gewisse milde Gleichmäßigkeit hinaus.

Ein Relieffragment im Flensburger Museum (Abb. 5, aus Bjerning, Kreis Haders- LA leben stammend), mag, obwohl es als Holzbildwerk nicht ganz zu diesem Thema gehört, dazu dienen, die Reihe dieser Gruppe zeitlich und stilistisch noch ein wenig weiter zu führen. Es stellt, von links nach rechts, dar: einen Stifter, Christus als Weltenrichter zwischen zwei Engeln mit Kreuz und Schwert, die Szene der Seelen- wägung (erst ein Engel mit einer Seele, dann einer mit der Wage, deren eine Schale ein kleiner Teufel herabzuziehen sucht), schließlich eine Reihe von Teufeln, die die Verdammten dem Höllenrachen zuführen. Schon der in der Ikonographie jener Zeit nicht häufig vorkommende Inhalt mit der mehr dramatischen Handlung verlangt eine stärkere physische Bewegtheit und seelische Belebung, die zu ge- stalten der Künstler nur unternehmen konnte, wenn er über eine größere bildne- rische Freiheit verfügte als seine Vorgänger. In der Tat ist im Vergleich zu den vorigen Werkerf die plastische Durchbildung hier weit feiner und sicherer. Das ist nicht nur der Erleichterung, die die Holztechnik gewährt, zu danken, sondern ganz offenbar ist die stilistische Absicht dieses Werkes bereits auf feinere Durchformung der Einzelheiten in Gesichts- und Faltenbildung, auf reichere Modellierung der Körper, auf lebhaftere Bewegtheit der Umrisse gerichtet. Wie beim Taufstein B ist auch hier durch eine obere und untere Begrenzung der Reliefraum deutlich fest- gelegt, innerhalb dessen das Relief nicht mehr als eine einzige Fläche sich ent- wiekelt, sondern bereits durch leichte Überschneidungen und, bei den Engeln zu den Seiten Christi, sogar Schrägstellungen nach der Tiefe zu durchgebildet ist. Die Figuren stehen fest auf dem Boden und bewegen sich mit Freiheit und Lebhaftig- keit; mit dem betenden Verdammten, den der eine Teufel auf dem Rücken trägt, ist für jene Zeit geradezu ein Virtuosenstück an Beweglichkeit geleistet. Die plötz- liche Rückwendung der Köpfe ist hier nicht mehr, wie bei dem Schleswiger Tym- panon, ein Zeichen von Unbeholfenheit, sondern dient der Lebhaftigkeit des Aus- drucks, und in der grinsenden Mimik der Teufel kommt es hier auch zum ersten Male zu einer geistigen Belebung der Gesichter. So zeigt dieses, wohl schon ins dreizehnte Jahrhundert zu setzende Werk deutlich, wohin der Weg dieser Gruppe führt.

Um schließlich die geistige Eigenart dieser Gruppe durch Weiterführung noch deutlicher zu machen, sei ans Ende dieser Reihe noch ein Grabstein im Flens-

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burger Museum (Abb. 6, wie der Taufstein В und das frühe Tympanon stammt auch er aus Sörup), gesetzt. Hier lassen die leichte Neigung des Kopfes und die zarte Bewegung der Hand bereits das Gefühl für feinste Nüancen und die indivi- duelle Beseelung der gotischen Kunst ahnen.

Wenn wir, um diese Gruppe in die allgemeine Geschichte der Kunst jener Epoche einzustellen, uns nach verwandten Werken umsehen, so brauchen wir uns zunächst vom Ausgangspunkt nicht weit zu entfernen. In Dänemark finden wir am Portal der Frauenkirche zu Aalborg einige Reliefs, die in der Grundanschauung dem Schleswiger Tympanon sehr nahestehen. Auf Bornholm stimmt der Reliefschmuck mehrerer Taufsteine sehr weitgehend mit unserem Taufstein B überein. Vor allem aber finden wir in Schweden eine Reihe 'ganz ähnlicher Taufsteine. Schon Sauermann (a. a. O., S. 32) hat wahrscheinlich gemacht, daß der Taufstein В, zu- sammen mit einem ganz ähnlichen in Borby, aus Schweden eingeführt ist. Roosval!) hat dann diese ganze Gruppe von Taufsteinen, der auch die Bornholmer zugehören, nach Gotland lokalisiert, einem Meister Sighraf, der sich auf einem der Bornholmer Taufsteine nennt, zugeschrieben und um 1220—30 datiert. Auch für das Schles- wiger Tympanon sind ähnliche Beziehungen zu Schweden (Lund) angenommen worden. So bildet also unsere zweite Gruppe ein Teilgebiet der nordischen Kunst und unterscheidet sich von den verwandten nordischen Werken hauptsächlich da- durch, daß sie ihnen an Feinheit der Formbildung und Freiheit der Belebung etwas nachsteht. Sie charakterisiert sich also dadurch als Ausläufer dieses nordi- schen Kunstkreises. Dieser aber hat seinerseits offenbar seinen Ursprung in der gleichzeitigen Plastik Deutschlands. Denn wenn wir uns vergleichend dorthin wenden, so fügt sich diese Gruppe ohne Schwierigkeit in die Hauptströmung der deutschen Plastik jener Zeit ein. Nicht so deutlich, wie man nach den regen Handelsbeziehungen erwarten sollte, sind die Übereinstimmungen mit der Plastik des Rheinlandes und Westfalens. Die des Rheinlandes, für die als Vergleichs- werk am ehesten ein Tympanon vom Wormser Dom (Christus zwischen Maria, Heiligen und Stifter) in Betracht kommt, erschwert die Vergleichung durch ihre viel höher stehende Reife und Verfeinerung. Von der Plastik Westfalens wären am ehesten die allerdings sehr frühen Externsteine (1115) und der Taufstein von Freckenhorst (1129) heranzuziehen. Stärkere Übereinstimmung finden wir mit sächsischen Werken, so z. B. mit dem Altaraufsatz im nördlichen Querschiff des Erfurter Domes und den Stuckreliefs an der Stiftskirche zu Gernrode. Letztere haben besonders nahe Beziehung zu dem Schleswiger Tympanon und da sie, nach Goldschmidt), um 1170—80 anzusetzen sind, das Schleswiger Tympanon in der Entwicklung etwa zwischen den genannten westfälischen und dem Gernroder Werk steht, erhalten wir so auch eine Bestätigung unserer Datierung des schles- wiger Reliefs auf die Mitte des zwölften Jahrhunderts, eher später als früher. Von jenen deutschen Werken unterscheidet sich unsere Gruppe dadurch, daß sie in der Formbildung wie im Ausdruck doch - einfacher, gröber, weniger sensibel ist. Man merkt, daß man sich hier an der Peripherie der Kultur befindet. Die Überein- stimmungen sind aber wesentlicher und weisen auf die Hauptzüge unserer Gruppe hin. Nach diesen kann man sie nun als Ganzes so charakterisieren:

Gewiß enthält die zweite Gruppe noch manche primitive Elemente. Es fehlt

(1) J. Roosval, Dopfunten fran Vagnhärad. Utställiningen af äldre kyrklig Konst i Strängnäs 1910, S. 228. Hier auch zahlreiche Abbildungen der schwedischen Taufsteine. (2) A. Goldschmidt, Studien zur Geschichte der sächsischen Skulptur. Berlin 1902, 8. 88.

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noch durchaus die letzte Freiheit des plastischen Gestaltens, die organische Durch- bildung, die Tiefe der individuellen Beseelung. Aber doch geht sie weit über den Stand jener ersten, rein primitiven Gruppe hinaus und es geht nicht an, hier nur von „schemenhafter Gebundenheit und einer primitiven Gestaltungsweise“ (Sauer- mann, S. 32) zu sprechen. Schon allein mit der Tatsache, daß, im Gegensatz zur ersten Gruppe, hier der Mensch doch bereits als bewegter Organismus, als han- deindes und empfindendes Wesen aufgefaßt ist, werden wir weit über jede primi- tive Anschauung hinausgeführt und erkennen in der Art, wie jene Auffassung ge- staltet wird, selbst hier, an der äußersten Grenze, ein letztes Nachwirken der künstlerischen Tradition der Antike, wie es durch das ganze Mittelalter hindurch, bald mehr, bald weniger merkbar, lebendig geblieben ist. Und nicht weniger deut- lich kommt hier, ebenfalls im Gegensatz zu jener primitiven Gruppe, der Geist des Christentums zum Ausdruck: das stille, fast innige Zusammenwirken der Personen, die beseelten Gesten und Kopfwendungen auf dem Schleswiger Tympanon und dem Flensburger Holzrelief, die ausdrucksvolle Klage der Nebenfiguren auf der Kreuzigung am Taufstein B, schließlich die zarte Geste auf dem Flensburger Grab- stein, das alles ist durchwirkt von der milden Gesinnung des mittelalterlichen Christentums und von seiner Grundanschauung: der Beherrschung des Leibes durch die Seele.

Eine Kunstanschauung und ein geistiges Wesen von ganz anderer Art finden wir in der dritten Gruppe, für die zunächst drei Taufsteine anführen: zu St. Johann auf Föhr (C, Abb. 7 u. 7a), zu Munkbrarup, Kreis Flensburg (D, Abb. 8 u. 8a) und zu ASchottburg, Kreis Hadersleben (E, Abb. 9). Alle drei Taufsteine sind aus dem heimischen Material, Granit, und sind auch, wie Sauermann wahr- scheinlich gemacht hat, in heimischen Werkstätten, ohne wesentliche Beeinflussung von Norden oder Süden her, entstanden. Der Taufstein C, dessen Sockel fehlt, zeigt zwei Darstellungen: erstens einen Mann, der von zwei Löwen erfaßt wird, und zweitens: zu den Seiten eines einfach stilisierten Baumes je ein löwenartiges Ungeheuer, aus dessen Rachen ein Kopf und ein nach dem Baume greifender Arm hervorkommen, jedes Tier angegriffen von einem Mann mit Schwert, beide Darstellungen in streng symmetrischer Anordnung. Bei Taufstein D zeigt die Hauptszene wieder einen Löwen, der einen Mann mit Schwert angreift, während von beiden Seiten Männer mit kurzen Lanzen auf ihn eindringen. Daneben ein Bewaffneter, der ins Horn stößt, und unter zwei Arkaden die Halbfigur eines Königs und eine geteilte Palmette. Zwischen den Figuren sind noch baumartige Gebilde und Ranken angebracht. Bei Taufstein E ist die Kuppa selbst nur mit Halbkreisbogen und einer in Dreiblätter auslaufenden Wellenranke geschmückt, die Kuppa aber umstellt von vier Männern, die sich an den Händen fassen; drei von ihnen wenden den Kopf nach außen zurück, der vierte steht ganz nach außen gerichtet. Die Sockelplatten tragen an den Seiten das gleiche Ornament wie die Kuppa von E, an den Ecken Köpfe, zum Teil Tierköpfe, die einen Menschen ver- schlingen. Hierher gehört auch, wie die weitere Analyse zeigen wird, der Sockel von Taufstein B (Abb. 3). Seine Ecken sind mit vier Figuren besetzt: einem Löwen, Petrus, einem nackten Menschen und einem Bischof. In den Feldern sind vier Reliefs: ein Löwe, ein Pfau, der aus einem Kelch trinkt, zwei gegenständige, pickende Vögel und ein Drache.

Was den Inhalt dieser Darstellungen betrifft, so hatte Sauermann (S. 62), im Anschluß an A. Goldschmidt (Albanipsalter), eine Deutung im Sinne der christ- lichen Symbolik angenommen. Die Kämpfe mit dem Löwen sollen die in den

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Psalmen enthaltene Anschauung vom Kampfe des Menschen mit der Sünde sym- bolisieren. In höchster Not (der fast vom Löwen verschlungene Mensch in С) ruft er um Hilfe (der Hornbläser) und findet Rettung durch Ritter, die das Un- geheuer angreifen, oder durch Könige. Bei E könnten die vier Figuren an die Paradiesesflüsse erinnern, in dieser Bedeutung kommen solche Figuren später ja oft an den norddeutschen Erztaufen vor. Ähnliche Deutung wie die Darstel- lungen ап С und D erhält die am Sockel von В (nach Sauermann, 5. 29): der sitzende Ecklöwe als die Macht des Guten, angegriffen von den beiden Ungeheuern auf den benachbarten Reliefs, und auf der andern Seite die Eckfigur des nackten Menschen als Symbol der befreiten Seele zwischen den Symbolen der Gerechtig- keit (pickende Vögel) und der Gläubigkeit (Pfau am Quell).

Wie schon Sauermann diese christlich-symbolischen Deutungen nur „mit allem Vorbehalt“ (S.61) gegeben hat, so wollen auch wir sie zunächst nur als eine Mög- lichkeit zum Verständnis dieser sonderbaren Darstellungen annehmen und vorerst auf dem Wege der formalen und geistigen Analyse das Wesen dieser Werke tiefer zu erfassen suchen.

Ganz offenbar herrscht in dieser Gruppe eine ganz andere Auffassung von pla- stischer Gestaltung als in der vorigen. Der flache, streng gebundene Reliefstil ist hier aufgelöst, das Relief ist nicht mehr fest eingespannt zwischen Rückwand, deutliche obere und untere Begrenzung und einheitliche, ideelle Vorderfläche, son- dern es entwickelt sich kräftig von der Tiefe her nach vorn. Ganz deutlich läßt sich bei D erkennen, daß das Relief eigentlich in drei Schichten angelegt ist: die pflanzlichen Gebilde in einer ganz flachen Schicht, der Hauptteil der Darstellung in kräftigerer Erhebung, und schließlich greift die Darstellung bei der Figur des Angegriffenen, die wohl als die Hauptfigur gedacht ist, sogar tiber den eigentlichen Reliefraum hinaus und geht fast ins Rundplastische über. Auch bei C geschieht dieses Übergreifen aus der eigenen Relieffläche in den benachbarten Teil des tek- tonischen Aufbaus: die Füße der menschlichen Figuren überschneiden die untere Reliefgrenze und überdecken die Arkadenreihe des Sockels. Eine ähnliche Er- scheinung, wenn auch nicht so ausgeprägt, zeigt sich auch am Sockel des Tauf- steins В: auch hier greifen die Adler über die Begrenzung ihrer Relieffläche hin- aus, nähern sich die vier Eckfiguren der Rundplastik, und wenn wir die symbo- lische Deutung des Inhalts annehmen, so ergibt sich auch hier die Erscheinung daß von einem einheitlichen Inhaltskomplex ein Teil in Flachrelief, der andere in Rundplastik gebildet ist. Ganz rundplastisch aber sind bereits die Figuren am Taufstein E, und zugleich ist die Ornamentik der Kuppa als versenktes Relief modelliert, auch dies eine weitere Bereicherung der Reliefschichtenbildung. Noch durch andere, schon recht fortschrittliche Mittel wird die Tiefenvorstellung des Reliefraumes an den Taufsteinen C und D verstärkt: es werden reichere Über- schneidungen hergestellt, die formbildende und in die Tiefe führende Funktion ein- zelner Teilstücke wird ausgenützt, z. В. des Gürtels in C und D, der rechten Tatze des Löwen in D, und die Figuren erhalten deutlichere und für die plastisch-räum- liche Gestaltung wirksamere Wendungen. Die stärkere Plastizität äußert sich auch in den Einzelteilen: im Gegensatz zur zweiten Gruppe haben hier die Körper und Körperteile etwas massiges, das Gewand ist nicht feinlinig gefältelt, sondern als dicker Mantel gebildet, der wulstige Röhrenfalten wirft, die Augen sind nicht als Einschnitte geformt, sondern treten kugelig hervor. So geht diese Gruppe, was das plastische Empfinden anbetrifft, nicht nur abseits von dem üblichen Stil jener

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Zeit, sie führt auch entschieden über die beiden vorigen Gruppen hinaus und weist, indem sie den Weg zur eigentlichen Plastik beschreitet, in die Zukunft.

Anders scheint es bei dieser Gruppe mit der Körpergestaltung zu sein; sie macht zunächst einen primitiveren Eindruck. Gerade die Bildung der Augen und der Gewandfalten, so sehr wir sie als im plastischen Sinne fortgeschritten empfanden, wirkt doch zunächst entschieden gröber und roher, die Gesichter sind ohne feinere Detaillierung nur mit einfacher Angabe der Hauptteile gebildet, fast wie in der primitiven ersten Gruppe. (In dieser Beziehung weicht der Sockel des Taufsteins B von der Art der dritten Gruppe ab, hier scheint die Detaillierung etwas feiner, ebenso wie an der Kuppa desselben Taufsteins, zu sein). Aber wie sich später zeigen wird, ist diese Vergröberung der Formen weniger auf Primitivität des Form- gefühls zurückzuführen, als auf das Streben nach einem einfach-kraftvollen Aus- druck. Denn andererseits sind djese Körper doch organischer empfunden als die der zweiten Gruppe: sie sind richtiger proportioniert und ihre Glieder stehen in festem Zusammenhang miteinander, es ist entschieden mehr Sinn für die Funktion der Gelenke vorhanden, die Köpfe haben verschiedenartige Wendungen und Nei- gungen, die Hände greifen fest zu, die Füße treten fest und sicher auf, während sie bei der zweiten Gruppe, abgesehen von dem späteren Holzrelief, fast in der Luft hingen. Besonders bemerkenswert ist das kühne Feststehen der Figuren am Taufstein E, zumal im Zusammenhang mit ihrer entschiedenen Halsdrehung, wäh- ‘rend das Schweben des Angegriffenen am Taufstein D gewiß Absicht ist und die Hilflosigkeit ausdrücken soll. So ist auch in dieser Beziehung die Primitivität dieser Gruppe nur scheinbar, sie verfügt gegenüber den beiden ersten über größere Freiheit und Sicherheit der Körperbewegung.

Ähnlich verhält es sich mit der Komposition: auch sie scheint recht primitiv zu sein mit ihrer starren Symmetrie in C, ihrer weitgehenden Flächenfüllung in D. Aber auch hier wird die Primitivität bis zu einem gewissen Grade aufgehoben, und zwar in C durch die Intensität der Bewegung, die ihr die Starrheit nimmt, in D durch das lebhafte rhythmische Linienspiel, das die stumpfe Eintönigkeit des horror vacui ausgleicht.

Diese Art der formalen Gestaltung ermöglicht auch eine größere Freiheit und

Lebhaftigkeit des geistigen Lebens (oder richtiger: sie hat darin ihre Ursache). Bei der zweiten Gruppe bestand, wie wir sahen, der geistige Ausdruck hauptsächlich in einem feinen und stillen Gefühl, das nur in den klagenden Figuren der Kreuzi- gung (bei B) und in den Teufeln des Holzreliefs zu größerer Lebhaftigkeit kam. Hier aber sind die Gesten zwar einfach und grob, aber doch entschieden, wie von einem starken inneren Wollen motiviert. Es kommt zwar nicht zu Gefühls- äußerungen, aber doch zu lebhaften Aktionen. Viel enger als bei den meisten Werken der zweiten Gruppe treten hier die Figuren in Beziehung zueinander, und nicht nur zueinander, sondern auch sogar zur Außenwelt, sei es zum Beschauer, wie vielleicht in E, wo diese Bewegung dann eine Art suggestiver Bedeutung hätte, sei es zu einer geheimnisvollen Ferne, wie in D, bei der Figur links vom Löwen. (Wir werden eine tiefere Erklärung des Ausdrucks dieser eigentümlichen Rückwendung später versuchen.) Aber trotz aller Aktivität bleibt allen Hand- lungen eine gewisse Schwere, etwas Ungetiimes eigen, und vor allem nimmt der Ausdruck der Gesichter nicht teil an dem geistigen Leben der Figuren, die Ge- sichter bleiben immer gleichmäßig starr und voll einer ernsten Ausdruckslosigkeit. Dieser Gegensatz zwischen der starken Willenhaftigkeit der Aktion und der dumpfen

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Schwere der die Aktion begleitenden Gesamtstimmung gibt für den geistigen Gehalt dieser Werke den Grundton an.

Wenn ich nun versuchen will, den geistigen Gehalt dieser Gruppe zu erfassen, so bin ich mir wohl bewußt, daß wir hier, wie immer in solchen Fällen, letzten Endes auf Vermutungen, die im Intuitiven ihren Ursprung haben, angewiesen sind. Aber darin beruht ja nicht nur die Schwäche, sondern auch die Stärke der Kunst- wissenschaft, indem sie so Erscheinungen zu erfassen vermag, die dem materiellen

Experiment oder der rein logischen Analyse unzugänglich bleiben. Auch schließt

das intuitiv gewonnene Resultat eine Bestätigung und Begründung durch sach- liche Argumente nicht aus. Diese werden wir um so mehr erstreben, als das Resultat gerade in diesem Falle leicht den Verdacht einer unwissenschaftlichen Tendenz erregen könnte. Es ist nämlich unsere Meinung, daß die Eigenart dieser Gruppe auf das ursprüngliche geistige Wesen der Nordgermanen, vor seiner Beeinflussung durch das Christentum und die südliche Kultur, zurückzuführen ist. Deshalb halte ich es für nötig, ausdrücklich zu betonen, daß mit dieser Feststellung nicht, wie es bei den Seeßelberg, Haupt, Thode geschieht, eine völkisch-dünkel- hafte oder gar chauvinistische Theorie bekräftigt werden soll, sondern daß ich in dieser Zurückführung der künstlerischen Erscheinung auf die geistige Eigenart eines bestimmten Volkes nur ein wissenschaftliches Mittel sehe, das Wesen einer solchen Kunsterscheinung genauer zu bestimmen.

Machen wir uns zu diesem Zwecke kurz die geistige Situation klar, wie sie zur Zeit der Entstehung dieser Werke (um 1200) in den nordischen Ländern herrschte i). Zwar war damals das Christentum bereits weit nach Norden vorgedrungen, hatte wohl auch schon bei den unteren Schichten des Volkes Eingang gefunden und war gerade im zwölften Jahrhundert durch eine gewisse Verfeinerung und Ver- tiefung des Gefühls in seinem eigentlichen Wesen wirksamer geworden. Die große Zeit der heidnisch-germanischen Kultur, die Wikingerzeit, war zu Ende gegangen. Aber doch war die germanische Geistesart mit ihrer besonderen ethischen und künstlerischen Anschauung noch nicht erloschen. Im Gegenteil: zahlreiche Er- scheinungen gerade in jener Zeit sprechen dafür, daß man sich damals wieder be- sonders lebhaft den Anschauungen oder zum mindesten den geistigen Schöpfungen der Vorfahren zuwandte: es entstehen die letzten Werke der eddischen Gedichte und es beginnt die Aufzeichnung des Gesamtwerkes. Die Taten der alten Helden werden durch die neu entstehende dänische Geschichtsschreibung (Saxo u.a.) dem Volke nahe gebracht und werden vom Volke selbst lebendig erhalten in ihren Volksliedern und -Sagen (den „Folkewiser“). Und sogar im politischen Leben er- wacht noch einmal der alte Wikingergeist, jetzt in Verbindung mit dem Christen- tum, in den Roskildebrüdern. Vor allem aber liefert die bildende Kunst, in der Ornamentik der Holzschnitzereien an den nordischen Stabkirchen, in der Metall- arbeit auf Waffen und Schmuckstlicken, in den irischen Buchillustrationen ein an- schauliches Beispiel für die lebendige Erhaltung der germanischen Anschauungs- weise gegenüber dem sonst. fast ganz Europa beherrschenden antik - christlichen Dekorationsstil.

So flutet also der allgemeinen europäischen Geistesströmung hier von Norden her eine rein germanische entgegen und es wird uns nun nicht mehr verwunder- lich sein, wenn wir am südlichsten Rande dieser nordischen Länder an unseren

(z) Hauptsächlich nach A. Olrik, Nordisches Geistesieben. Heidelberg 1908, und A. Bugge, Die Wikinger. Halle a. 8. 1906.

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Taufsteinen, obgleich es Gegenstände des christlichen Kultus sind, Gestaltungen germanischer Prägung begegnen.

Betrachten wir, um dies näher zu begründen, zunächst noch einmal den Inhalt dieser Darstellungen. Diesen\hatten wir früher unter Vorbehalt auf die christliche Symbolik zurückgeführt. Daß diese zum mindesten als Anregung mitgewirkt habe, sei als möglich zugegeben. Solche inhaltliche Motive wandern ja von Land zu Land und werden, oft ohne tieferes Verständnis für ihre Bedeutung, übernommen, wenn sie aus irgendwelchen Gründen hierzu geeignet erscheinen. Es sei hier daran erinnert, daß das an unseren Taufsteinen vorkommende Motiv des von einem Tiere tiberfallenen Menschen letzten Endes auf den Orient zurückgeht und viel- leicht erst nachträglich biblische Deutung erfahren hat!). Aber selbst wenn wir zu- geben, daß wahrscheinlich ein Priester diese symbolischen Themen der christlichen Kunsttradition entnommen und dem Künstler angegeben hat, ist damit die Frage nach der Bedeutung dieser Darstellungen noch nicht entschieden. Ist es doch schon bedeutsam, daß bei der Auswahl der Themen hier nicht, wie bei den Werken der zweiten Gruppe, die idyllisch-legendäre Seite der christlichen Stoffe, sondern die dramatisch-mystische erfaßt wurde. Aber wenn wir nicht aus anderen Bei- spielen (Albanipsalter) wüßten, daß es sich hier um christliche Motive handelt, so würden wir gewiß, der ganzen Erscheinung dieser Werke nach, rein germa- nische Inhalte vermuten. Geht es uns doch ebenso bei vielen Werken der früh- germanischen Kunst. Um nur ein besonders drastisches Beispiel zu erwähnen: die Zeichnung auf dem Runenstein von Oersted a. Fühnen (с. 1160) zeigt ebenfalls einen Mann im Kampfe mit einem Löwen und macht ebenfalls den Eindruck einer rein germanischen Darstellung, bis uns die Inschrift darüber belehrt, daß es sich hier um Samson handelt). Übrigens befindet sich eine ähnliche Samsondarstellung an einer Säulenbasis des Söruper Portals (Abb. 2). So ist es, selbst bei Annahme des christlichen Inhalts unserer Darstellungen, wohl recht wahrscheinlich, daß der Künstler bei der Ausführung weniger an den „Kampf des Menschen mit der Sünde“ ‘oder ähnliche ebenso tiefsinnige wie unanschauliche Symbolik gedacht hat, sondern eher an die Kämpfe Thors oder Sigurds. Daß es sich dabei um Gegenstände des christlichen Kultus handelt, ist kein Hindernis. Haben wir doch aus jener Zeit christliche Kreuze und sogar Taufsteine mit unbedingt heidnischen Darstellungen (Bugge, a. versch. О.) und auch an der Holzkirche von Hyllestad (um 1200) finden wir die Geschichte von Sigurd Fafnisbani dargestellt ).

Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, daß sogar die Tracht der Figuren auf unseren Taufsteinen, der bis zu den Knieen reichende, gegürtete dicke Rock (C und D) oder der glatt anliegende, ungegürtete lange Mantel (E) die altgerma- nische Tracht ist; sie kommt ebenso an germanischen Krieger- und Helden- gestalten auf nordischen Bildsteinen vor (Abbildungen bei Bugge, S. 196, 197). Bei der zweiten Gruppe dagegen trugen die Figuren даз komplizierte, feinfältige Ge- wand, das seinen ersten Ursprung in der römischen Toga hat.

Solche Kämpfe mit Ungeheuern, wie sie unsere Taufsteine zeigen, waren also dem Künstler aus der altnordischen Kunst, besonders auch aus der Ornamentik, geläufig und so begegnet sich hier die Erinnerung aus seiner eigenen Götter- und Heldenwelt mit dem, was der christliche Auftraggeber von ihm verlangte: Beson-

DI Е. Seeßelberg, Die früb-mittelalterliche Kunst der germanischen Völker. Berlin 1897, S. 14. (2) L. Wimmer, De Danske Runemindesmaerker. Kopenhagen 1903—4, Bd. IV, 2, S. 180 ff. (3) L. Dietrichson und Н, Munthe, Die Holsbaukunet Norwegens. Berlin 1893, В. 25.

TIT

ders das Ideal des „Drachentöters“ (Sigurd Fafnisbani) beherrschte ја am stärksten die altgermanische Anschauung und war gerade in jener Zeit, im elften bis zwölften Jahrhundert, wieder allgemein lebendig geworden. „Dieses Bild scheint untrennbar von den Denkmälern der frühen christlichen Zeit: es findet sich auf Webearbeiten im Königsgehöft zu Drontheim, in Schnitzereien der Holzkirchen Telemarkens, oder in Eisen gehämmert auf einer westgotischen Kirchentür und eingehauen in zahl- reiche Runensteine ..... Die Gedichte, die am deutlichsten die sittliche Hoheit

` Sigurds hervorheben, gehören der christlichen Zeit ап... und die Wiederholung

des Drachenkampfes kommt überall in den Wikingersagas vor, den späten Nach- klängen des alten Heldenlebens. Der Mensch im Kampfe gegen das tibergewaltige Ungeheuer ist das Ideal der Zeit.“ (Olrik, S. 111— 112). Zugleich aber hatte sich die Gestalt Sigurds mit der christlichen Idealgestalt des siegenden Christus oder des heiligen Michael verschmolzen.

Wie also auch die inhaltliche Deutung unserer Darstellungen sein mag, das Wesentliche ist, daß ihr Hauptthema, der Kampf, der Hauptinhalt der germanischen Mythologie und des germanischen Lebens ist und daß dies in einer charakteristisch germanischen Auffassung dargestellt ist.

Das charakteristisch- germanische Wesen äußert sich auch schon in der formalen Gestaltung. Was wir als die wesentlichen Formerscheinungen dieser Werke fest- gestellt haben: die Vorherrschaft der plastischen Form über die Gesetzmäßigkeit des tektonischen Gebildes, die unbedenkliche Durchbrechung der Reliefgrenzen, die wuchtige Massigkeit der Körper, die Abneigung gegen die Verfeinerung der Einzel- heiten, die Bewegtheit der Komposition, das sind zwar an sich Erscheinungen, die, entsprechend variiert, auch andere Kunstgebiete und -Epochen charakterisieren (man könnte z. B. an das Barock im Gegensatz zur Renaissance erinnern), aber daß sie gerade hier und zu dieser Zeit auftreten, neben den Werken der zweiten Gruppe mit ihrer Ruhe, Klarheit und Gesetzmäßigkeit, das veranlaßt doch zu der Annahme, daß hier ein anderer Geist am Werke ist, der Geist des nordgermani- schen Menschen, der auch sonst auf unbeschränkte Willkür, auf wuchtige Tat, auf intensive Bewegtheit des Lebens gerichtet war, dem der Sinn für die Nüance fehlte und die Fähigkeit, „die Zwischentöne des Daseins aufzufassen“ (Olrik, S. 24).

Noch mehr aber als die äußere Form ist die Gesamterscheinung dieser Ge- stalten und ihr seelischer Ausdruck charakteristisch für ihre germanische Geistesart. Sie treten auf, ganz wie die altgermanischen Götter und Helden, mit einer schwer- fälligen Robustheit, wild und unholdmäßig einherschreitend, es fehlt ihnen ebenso- sehr die „harmonische Schönheit“ der Antike, wie die milde Zartheit des Christen- tums, sie sind nicht, wie die meisten Figuren der zweiten Gruppe, erfüllt von einer stillen Gefühlsmäßigkeit, sondern es herrscht in ihnen, gleichwie in den durch keine christlichen Tugenden gehemmten Wikingern, eine mächtige Energie der Seele, eine Willenhaftigkeit, daß sie treffend die Schilderung illustrieren können, die Olrik (S. 46) von den Helden der germanischen Dichtung gibt: „Es sind Men- schen, deren Wille eine ungeheure Macht ist. Ihr Ich ist ein Granitblock: man kann ihn zerspalten oder zerschmettern, aber nicht biegen.“

Aber neben dieser Willens-Intensität hatten wir noch eine andere Eigenschaft in dem geistigen Wesen dieser Gestalten festgestellt. Es ist, als ob sie ihr Wollen nicht frei auswirken könnten, sondern irgendwie in ihrem Handeln gehemmt wären, wie von einer höheren Macht beherrscht. Hier müssen wir noch einmal auf jene Figuren hinweisen, die mitten im Schreiten oder im festen Aufstehen den Kopf zurückwenden und mit starrem Blick ins Leere schauen. Es ist da in ihrer seeli-

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schen Bewegung eine Scheidung eingetreten: der Körper dringt, gleichsam von blindem Wollen getrieben, vorwärts, die Seele aber ist gebannt, wie hypnotisiert hat nicht mehr die volle Herrschaft über den Körper. Das ist eine Auffassung. die durchaus im Gegensatz steht zu der christlichen Anschauung von der Herr- schaft der Seele über den Leib, es besteht hier eine Unerlöstheit der Seele, und dies ist auch der Grund, warum die Seele hier nicht in dem Ausdruck der Ge- sichter lebendig zu werden vermag.

Übrigens kommt dies Motiv deg im Schreiten rätselhaft zurückschauenden Men- schen auch sonst öfter in der mittelalterlichen Plastik Europas vor, auch an Werken, die sonst einer anderen Kunstauffassung entsprechen (das beste Beispiel bieten wohl die Apostelfiguren im Kreuzgang der Kathedrale von Toulouse). In der Tat wirkt dann dieses Motiv immer ganz eigentümlich fremdartig, vielleicht hat es auch in diesen Fällen, aus sonst verborgenen Tiefen der Volksseele wieder auftauchend, seinen Ursprung in der gleichen Geistesrichtung, wie bei unseren Tauf- steinen.

In dieser seelischen Gebundenheit, wie sie unsere Figuren zeigen, kommt: die Grundidee der altgermanischen Lebensanschauung zum Ausdruck, der Schicksals- glaube: Sieg oder Niederlage im Kampf, das Ende des Lebens ist dem Menschen vorausbestimmt und er hat dagegen keine Gewalt. Aber dieser Glaube macht den Germanen nicht fatalistisch und lebensmüde, sondern stärkt nur seine Hingabe an das Leben und läßt ihn in trotziger Festigkeit den Kampf aufnehmen.

Auch den dritten Hauptzug des germanischen Wesens glauben wir in unseren Darstellungen wiederzufinden. Der Germane hat eine deutliche Ahnung vom Leid der Welt, die zuletzt in dem großen Weltuntergang ihr Ende finden wird. „Das Lied der Vorzeit vom Götterhelden enthält keinen Jubel, wie das der Christen am Pfingstmorgen; es enthält nur düstern, verbissenen Ernst“ (Olrik, S. 25). Stellen wir die Teufel des Flensburger Holzreliefs (Abb. 5) mit ihrer grotesken Heiterkeit den Figuren unserer Taufsteine gegenüber, so wird an diesen, auch ohne daß es sich an einzelnen Gesten bestimmter feststellen ließe, der Ausdruck der Schwer- mut, der „verbissene Ernst“ ganz offenbar.

So wird gegenüber dieser heidnisch-germanischen Gesamtstimmung der christ- liche Inhalt dieser Darstellungen ganz bedeutungslos. Es ist fast umgekehrt wie bei dem Hauptwerk der altgermanischen Dichtung, der Voluspa. Während dort der heidnische Stoff in einzelnen Stimmungsnüancen eine christliche Färbung an- genommen hat, ist hier der christliche Stoff ganz mit germanischem Geiste erfüllt. Daß der Künstler trotzdem den südlichen Anregungen nicht unzugänglich war, zeigt sich auffallenderweise in der Ornamentik (an der Kuppa von E und an den Sockel- platten von D und E), die nicht die germanische Bandverschlingung, sondern eine durchaus ruhig-harmonische, antikisierende Wellenranke darstellt.

Das Verhältnis der drei Gruppen zueinander, der primitiven, der christlichen und der germanischen, ist nicht so aufzufassen, daß sie scharf getrennt aufeinander folgen oder verschiedene Stufen der Entwicklung darstellen. Zeigte doch schon der Taufstein B (Abb. 3), daß die zweite und dritte Gruppe an einem Werke gleich- zeitig auftreten können. Die Frage der Datierung und ebenso der Lokalisierung dieser Gruppen ist also durchaus von sekundärer Bedeutung. Ebensowenig ent- sprechen sie genau drei verschiedenen Volksschichten, wenn auch nicht zu ver- kennen ist, daß die primitive Gruppe mehr die Geistesart der untersten Volks- schicht, die christliche mehr die der Führer und der Geistlichen widerspiegelt. Sondern es sind eben drei verschiedene geistige Richtungen, die in diesen Gruppen

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zum Ausdruck kommen. Sie schieben sich tibereinander und vermischen sich, wie sie wohl auch in den einzelnen Menschen durcheinander gewirkt haben. Und wie im einzelnen Menschen, so ist auch in der Kunst bald die eine, bald die andere Richtung deutlicher hervorgetreten. Für uns ist es zwar von besonderem Interesse, daß neben den beiden ersten Gruppen auch die dritte noch so entschieden auf- getreten ist und sich bis in verhältnismäßig so späte Zeit erhalten hat. Aber jene Zeit umfaßte sie alle und enger, als es die wissenschaftliche Analyse empfinden läßt.

Allerdings ist es nicht die dritte, sondern die zweite Gruppe gewesen, die für die weitere Entwicklung entscheidend war. Diese hat in der mittelalterlichen Holzplastik ihre Fortsetzung gefunden und ist durch formale wie geistige Verfeine- rung zu immer reinerer Ausprägung und höherer Vollendung gelangt, während die dritte Gruppe allmählich abgestorben ist.

Dennoch darf die Bedeutung der dritten Gruppe nicht unterschätzt werden. Zwar haben eine Anzahl Forscher es unternommen, das germanische Element in der mittelalterlichen Kunst aufzuspüren, aber da die meisten von ihnen hierbei eine unwissenschaftliche Tendenz verfolgten, hat ihre Arbeit nicht die richtige Wirkung gehabt. Auch bezogen sich ihre Untersuchungen zumeist mehr auf Orna- mentik und Architektur als auf die Plastik. Es würde zu weit führen, unsere dritte Gruppe tiber den hier gegebenen engen Kreis hinaus noch weiter zu verfolgen. Nur auf einige verstreute Beispiele sei kurz hingewiesen. Die nächsten verwandten Werke finden sich am Dom zu Lund, wo an zwei Säulen der Krypta je eine männ- liche und eine weibliche Figur in eben der rückgewandten Haltung angebracht sind, wie an unserm Taufstein E. In Westfalen finden sich mehrere Beispiele verwandter Werke, so der Taufstein zu Bochum, das Tympanon an St. Petri zu Soest, das Relief an der kath. Kirche zu Beckum. In Limburg a/Lahn ist das Grabmal des Konrad Kurzbold von sechs Säulen getragen, die mit ähnlichen wuch- tigen Figuren besetzt sind, einige von ihnen ebenfalls rückgewandt und dadurch ап die Säulenfiguren von Lund erinnernd. Ganz nahe steht unseren Darstellungen, auch dem Thema nach, die bekannte Tiersäule der Freysinger Krypta. Und schließ- lich finden sich zahlreiche Beispiele dieser Art an der EES beson- ders den Kapitälen jener Zeit, bis nach Oberitalien hinein.

Nur einen kurzen Hinweis sollten diese Beispiele geben. Es эйе eine lohnende Aufgabe der Forschung, diese germanische Strömung in der mittelalterlichen Kunst deutlicher herauszuarbeiten. Denn solche Zurückführung von Kunsterscheinungen auf geistige Richtungen ist eins der besten Mittel, die äußere Erscheinung auf das geistige Wesen hin zu deuten. Dies aber scheint mir die Hauptaufgabe der Kunst- wissenschaft zu sein und dazu versuchte diese Arbeit einen kleinen Beitrag zu liefern.

MARCO BENEFIAL, EIN BAHNBRECHER DES KLASSIZISMUS Von FRIED. NOACK

п seiner Geschichte der Akademie 8. Luca zu Rom nennt der Franzose Jean

Arnaud den Rafael Mengs „die Seele der Wiedergeburt der italienischen Malerei im 18. Jahrhundert“ und fügt an einer andern Stelle erläuternd hinzu, er sei die „bedeutendste Triebkraft des ersten künstlerischen Reformversuchs geworden, der am Beginn dieses Jahrhunderts von den wohlbekannten Berühmtheiten ins Werk gesetzt wurde, die den Glanz der Akademie S. Luca begründet haben.“ Damit scheint mir in wenigen Worten die Rolle treffend umschrieben zu sein, die unser Mengs in der künstlerischen Entwicklung gespielt hat, an deren Ende Carstens und die Meister der napoleonischen Zeit stehen. Denn er hat ja nicht den Ita- lienern etwas Neues gebracht, nicht ihnen neue Wege eröffnet, sondern schloß sich nach dem Gebot seines Vaters als Schüler in Rom einer Richtung an Se- zession würden wir sie heute nennen die damals noch mühsam um ihre An- erkennung kämpfte und ihre mächtigen Gegner gerade in der altehrbaren Akademie fand, die unter dem Schutz des heiligen Malerpatrons und der Hierarchie das Feld der künstlerischen Tätigkeit unumschränkt zu beherrschen gewohnt war. In den Dienst dieser, nicht von ihm erdachten Reformbewegung trat Mengs, als er fast noch ein Knabe von dem gestrengen Ismael zu dem Maler Benefial in die Akt- schule geschickt wurde. Sorgsam hielt ihn der Vater von jeder Berührung mit anderen Künstlern fern, nur die Werke der großen Meister der Vergangenheit, die Antiken und Raffaels vatikanische Fresken durften ihm Vorbilder sein. Was Wun- der, daß der zu unermüdlicher, gewissenhafter Arbeit erzogene Jüngling, dessen Künstlerseele bei seinem Einzug in die ewige Stadt ein unbeschriebenes Blatt ge- wesen war, sich völlig dem Einfluß des einzigen lebenden Meisters hingab, der mit Wort und Tat auf ihn einwirken konnte. Und Marco Benefial war ganz der Mann dazu, um als Kämpfer gegen die Barockmode und den Manierismus seiner Zeit die Jünger der Kunst anzutreiben und anzufeuern. Er war selber als halb- wüchsiger Junge schon unter die Leitung eines Lehrers gekommen, der aus der Bologneser Schule nach Rom verpflanzt, allen Eifer eines überzeugten, zielsicheren Meisters darauf wandte, die Malerei aus der manieristischen Verflachung auf ihre reinen Quellen zurückzuführen, indem er über die Caracci und Domenichino auf Raffael und die Antike zuriickgriff. Diesen von Bonaventura Lamberti gewiesenen Weg ist Benefial durch ein langes Künstlerwirken unverrückbar und durch Un- gemach und Widerwärtigkeiten nicht beirrt getreulich weitergegangen und hat es noch erleben dürfen, daß mit Hilfe der zähen, ernsten Arbeitskraft seines deutschen Schülers die Reform, die ihm selber viel Bitternis bereitet hatte, zum glänzenden Sieg auch in der Akademie S. Luca gelangte.

Wenn wir uns daran erinnern, daß Mengs’ gleichgesinnter Freund und Berater, Winckelmann, sich nicht genug tun konnte in scharfem Spott gegen die französi- schen Modeaffen in der bildenden Kunst seiner Zeit, so klingt die Tatsache wie ein kulturgeschichtlicher Witz, daß der Mann, der den jungen Mengs aus dem Bann der französischen Mode herausgeführt hat, selber dem Volk Ludwigs XIV. entstammte. Benefials Vater war ein schlichter Tüllweber, der in St. Jean de Luz bei Bayonne geboren um 1680 nach Rom gekommen war und dort eine Tochter des Landes, Maria Mattei geehelicht hatte. Aus dieser Ehe entsprang am 25. April

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1684 Marco Giovanni Antonio Benefial, dessen Wiege in dem volkstümlichen Stadt- teil Trastevere stand. Als Kind siedelte er mit den Eltern іп das römische Fremdenviertel über, zuerst in die Via delle Colonnette, wo ein Jahrhundert später der Klassizist Canova seine berühmte Werkstatt hatte, und dann in die alte Künstlergasse Margutta am Fuß des Monte Pincio. Vierzehnjährig trat Benefial als Schüler bei Lamberti ein, dessen sorgfältiger Erziehung er nach seiner eigenen Versicherung alle seine Fortschritte verdankte; durch ihn wurde er ein vollkom- mener Zeichner und ein guter Kolorist. Er war noch nicht 20 Jahre alt, als er, noch in der Werkstatt des Lehrers, 1703 einen S. Filippo Neri malte, der zwar von der üblichen Ausstellung in der Vorhalle des Pantheons zurückgewiesen wurde, aber nach seiner Schaustellung in einem Kaufladen der Nachbarschaft dem jungen Künstler sofort Bestellungen für die Dome von Macerata und Jesi verschaffte. So prägte sich bereits in dem ersten Auftreten Benefials der Gegensatz gegen die Modeherrschaft aus. Sie verlegte ihm noch für eine gute Weile die Wege, denn nach Vollendung der genannten Arbeiten auswärts trat wieder eine Stockung ein, und der Jüngling, der mit frischem Wagemut am 13. Februar 1706 sich mit Chiara Girolama Pozzi aus Lucca einen eigenen Hausstand gegründet hatte, mußte froh sein, wenn er mit kleinen Heiligenbildern für einen Vergolder das tägliche Brot erwerben konnte. Es folgten harte Priifungsjahre. 1711 mußte Benefial aus Not sich zu einem Vertrag mit dem mittelmäßigen Maler Francesco Germisoni ver- stehen, der durch gute Beziehungen größere Aufträge erhielt, die selbständig aus- zuführen er nicht fähig war. Dem Abkommen gemäß malte Benefial statt seiner und erhielt dafür die Hälfte des Lohnes, während die Werke unter dem Namen des Partners gingen. In ein gleiches Verhältnis trat er später zu Filippo Evange- listi, der zur Dienerschaft des Kardinals Corradini gehörte und diesem Gönner seine Aufträge verdankte, die er größtenteils durch Benefial ausführen ließ, bis dieser, der unwürdigen Abhängigkeit müde, um 1750 dem Pakt ein Ende machte. Der Bruch erfolgte, als Evangelisti die Bestellung auf ein Altarbild des М. Gregors für die durch Benedikt XIV. erneuerte Kirche S. Pietro e Marcellino bekam, Diese beiden Dienstverhältnisse, zu denen der Künstler sich herbeilassen mußte, sind die Ursache, weshalb für einige der ihm zugeschriebenen Werke die Urheberschaft zweifelhaft ist.

Zwischendurch lächelte unserm Meister das Glück. Zuerst als Papst Clemens XL Albani in der Lateransbasilika die Medaillonbilder der Propheten malen ließ. 1718 durfte Benefial das Gemälde des Jonas, am ersten Pfeiler des Mittelschiffs rechts, ausführen. Das kräftige, lebendig bewegte Werk fand nicht allein den Beifall des Papstes, der den Künstler mit dem Orden des goldenen Sporns aus- zeichnete, sondern zog auch neue kirchliche Aufträge nach sich; es folgte in dem- selben Jahr eine Schmerzensmutter für eine Kapelle der Nonnen der Sette Dolori in Trastevere sowie eine umfangreiche Arbeit im Dom zu Viterbo. Die dortigen Gemälde, то Medaillons mit Heiligengeschichten aus der Legende der Märtyrer Stephanus und Laurentius, werden zu seinen besten Leistungen gezählt. Es ist nur zu verständlich, daß die Erfolge den nunmehr zum Mann gereiften Künstler mit Zuversicht auf die Güte der von ihm vertretenen Sache wie mit Vertrauen auf die eigene Kraft erfüllten; war ihm doch auch nach der Arbeit für die Late- ransbasilika eine Anerkennung aus den Kreisen der Berufsgenossen geworden: die Künstlerbruderschaft der Virtuosi al Panteon, die vorzugsweise die kirchliche Kunst und das Andenken des großen Urbinaten pflegte, hatte ihn am. 13. Februar 1718 in ihren Bund aufgenommen. So glaubte Benefial sich stark genug, um öffentlich

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mit Nachdruck gegen die alten Perücken der Lukasakademie auftreten zu können, die starr an der Barockmanier in handwerksmäßiger Gewohnheit festhielten und ihre Vorherrschaft durch Erweiterung ihrer vom heiligen Stuhl verliehenen Vorrechte zu befestigen suchten. Er war so kühn, daß er sich zu der Unklugheit verleiten ließ, als Wortführer an einem unmittelbar gegen die Monopolgeliiste der S. Luca-Leute gerichteten Vorstoß teilzunehmen. Es war diesen nämlich gelungen, vom Papst die Bestätigung neuer Privilegien zu erlangen, die ihr Übergewicht über die Nicht- akademiker unter der römischen Künstlerschaft, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, sichern konnten. Danach soliten öffentliche Aufträge für Kirchen und dergl. nur an Akademiker gegeben werden, höchstens noch an solche Außenstehende, die von der Lucas-Zunft als fähig für bedeutendere Arbeiten bezeichnet wurden; auch sollte die Erteilung von Unterricht in der Malerei ausschließlich den Akademie- genossen gestattet sein, und zuguterletzt wurde den Außenstehenden eine regel- mäßige Abgabe an die Akademie auferlegt. Gegen eine solche Trust - Tyrannei, die nicht nur das künstlerische Wirken, sondern auch den Broterwerb der nicht- akademischen Künstler von der Gnade der Vertreter der alternden Mode abhängig machte, empörten sich die davon bedrohten Fachgenossen und einigten sich unter eifriger Mitwirkung Benefials am 22. August 1723 in einer Zusammenkunft, die in den Räumen der Sapienza stattfand, zu gemeinsamem Einspruch. Sie wurden bei dem neuen Papst, Innocenz XIIL, vorstellig und setzten die Aufhebung der gefähr- lichen Privilegien glücklich durch. So war wieder freie Bahn für die Fortentwick- lung der Kunst geschaffen, aber es liegt auf der Hand, daß die Partei der Alten dem unbequemen Widersacher Benefial den Streich nicht vergaß und Vergeltung übte, wie sie nur konnten. Sie waren immer noch mächtig genug, um ihm zu schaden. Konnten sie nicht verhindern, daß einsichtige Kunstfreunde unter dem römischen Patriziat, wie vor allem Graf Nicola Soderini, ihm ihre Gunst zu- wandten, daß ihm erhebliche Aufträge zuteil wurden, 2. В. die Ausschmückung einiger Säle des Palazzo Chigi in Siena 1723, die Ausführung der beiden schönen Bilder aus dem Leben der hl. Margarete von Cortona (Kapelle Boccapaduli in S. Maria in Araceli) 1729, des S. Saturnino (Kapelle neben dem Hochaltar von S. Giovanni е Paolo) und der durch eine prächtige nackte Christusg estaſt aus- gezeichneten Darstellung der Geiselung um 1731 (erste Kapelle rechts in 8. Fran- cesco delle Stimmate), die den Meister auf der Höhe seines Könnens zeigen, so haben sie durch Jahre hindurch die Pforten der Akademie S. Luca ihm zu ver- schließen vermocht. Erst das allmähliche Absterben der alten Richtung ermög- lichte seine Aufnahme, die endlich am 3. September 1741 unter der Präsidentschaft ‘des Bildhauers Giov. Batt. Maini erfolgte, als Benefial bereits das 57. Lebensjahr überschritten hatte. Einige Monate später kam der junge Mengs nach Rom und wurde sein Schüler in der am Corso unweit des Goethehauses gelegenen Werkstatt.

Für Meister Marco waren aber die Mißhelligkeiten und Reibungen mit der Aka- demie noch nicht zu Ende. Es mag eine Mitgabe seiner französischen Abstam- mung gewesen sein, daß er einen gepfefferten Witz liebte und seiner Zunge freien Lauf ließ, auch wenn er einen für andere verletzenden, geistreichen Einfall hatte. Seine eigenen Verehrer und Schüler gaben zu, daß er ein böses Mundwerk besaß, und davon machte er allenthalben ungescheut Gebrauch, wenn es sich darum handelte, die Schwächen der herrschenden Barockmode ins rechte Licht zu setzen. Er konnte es auch nicht unterlassen, seinen schneidenden Witz an der Kunst der gegnerischen Partei in der Akademie zu üben, wenn er in ihrem Auftrag abwech- selnd mit den Genossen das sonntägliche Aktzeichnen der Lukasschüler leitete,

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anstatt sich auf die Empfehlung des Studiums nach der Natur und den klassischen Mustern zu beschränken. Im Juni und Juli 1755 war die Reihe dieses Unterrichts an ihm, nachdem er wiederholt schon akademische Ämter bekleidet und bei den Wahlen zur Präsidentschaft 1749 und 1754 einige Stimmen erhalten hatte. Was er im Aktsaal des Kapitols vor seinen Schülern über die manieristische Kunst- übung der Gegner zum Besten gab, mag den Beifall seiner Zuhörer gefunden haben; da es aber von ihnen hinausgetragen wurde und den von Benefials Witz Getroffenen zu Ohren kam, so lebte der alte Groll gegen ihn auf. Die Schwer- gekränkten versammelten sich zur Abwehr und setzten am 27. Juli 1755 einen Erlaß der Akademie durch, der den rücksichtslosen Kritiker wegen seines „wenig anständigen und die Akademie selbst verunehrenden“ Betragens für immer als unfähig zur Bekleidung von Ämtern erklärte. Der Wortlaut des Beschlusses wurde an der Tür des Aktsaals angeheftet, damit er allen Schülern bekannt würde, was für den schon 71jährigen Meister eine harte Demütigung war. Den Freunden Benefials schien die Abwehr der von ihm Verspotteten doch auch gar zu weit zu gehen, und es dauerte nur ein Vierteljahr, bis der damalige Princeps der Akademie, Paolo Pannini, die Aufhebung des feindseligen Erlasses herbeiführte. Das geschah durch Beschluß der Akademie vom 16. November 1755. Jedoch wenn auch férm- lich dem verdienten Künstler eine Genugtuung gewährt war, so ist es in der Sache bei dem Ausschließungserlaß vom Juli geblieben, denn wir sehen von da an Benefial nicht wieder unter den Vorstandsmitgliedern und Beauftragten der Lukasakademie, während er 1754 noch Rektor der Kirche S. Luca und Fremden- direktor gewesen war. Der peinliche Vorfall hat damals in Rom und darüber hinaus starkes Aufsehen erregt, wie aus den Schriften ersichtlich ist, die zur Ver- teidigung des Meisters und gegen die feindlichen Akademiker im Druck erschienen sind; sie legen auch Zeugnis dafür ab, wie heftig der Streit der beiden gegen- sätzlichen Richtungen im damaligen Rom gewesen ist.

Marco Benefial hat allerdings erwarten dürfen, daß Anhänger und Verehrer nachdrücklich für ihn eintraten, denn seit seiner Aufnahme in die Akademie hatte er noch durch eine Reihe tüchtiger Werke zu deren Ansehen und Glanz bei- getragen. In dem Jahrzehnt nach seiner Zulassung in den geheiligten Kreis der römischen Malerzunft entstanden u. a. das Deckengemälde „Aufnahme des Herkules in den Olymp“ im großen Audienzsaal des. spanischen Botschaftspalastes, wofür ihm am 30. November 1744 200 Scudi ausgezahlt wurden, das umfangreiche Fresken- werk im Chor des Domes von Cittä di Castello, welches ihn von 1747 bis 1749 beschäftigte, das Deckenbild im Hauptsaal des Palastes Massimi zu Arsoli und um

1750 die ebenfalls zu seinen besten Leistungen gerechnete Marter der hl. Agnes |

für die neue Trinitarierkirche in Via Condotti. In jene Zeit, da Mengs bei Benefial in die Schule ging, fällt auch der durch den Maler Düntzel vermittelte Ankauf zweier Ölgemälde, „Tod der Agrippina“ und „Gewissensbisse des Nero“ für August IIL von Sachsen-Polen. Unter den zahlreichen Schülern des Meisters, von denen uns etwa ein Dutzend namentlich überliefert ist, war nämlich Mengs nicht der einzige Deutsche; auch der Sachse Karl Diintzel (oder Tünzel), + 1747 in Rom, hat als Pensiondr der polnischen Majestät zu Benefials Füßen gesessen, gleichzeitig mit dem Düsseldorfer Lambert Krahe, der neben seinem Meister 1750 ein Altarbild für die Trinitarierkirche zu malen bekam, während der Nürnberger Johann Justin Preisler schon um 1730 den Unterricht desselben genossen hat. Keiner der Benefialschüler hat es aber zu solchem Ruhm und die Lehren des Meisters zu so allgemeiner Anerkennung gebracht wie Rafael Mengs. Der Lehrer

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hat noch die Freude erlebt, daß sein bester Schüler bei seiner Rückkehr nach Rom 1752, noch nicht 25 Jahre alt, in die Akademie S. Luca aufgenommen, mit künstlerischen Aufträgen überhäuft wurde und die vielbeneidete Ehre genoß, von der ersten Autorität unter den römischen Mäcenen, dem Kardinal Alessandro Albani, zur Ausmalung der Decke im Hauptsaal seiner Villa auserkoren zu werden. Aber gesehen hat Benefial das Mengssche Deckenbild des Parnaß, welches 1761 die Bewunderung von ganz Rom erregte, nicht mehr; der Greis hatte das Unglück, das Augenlicht zu verlieren, und wäre wohl im Elend zugrunde gegangen, hätte nicht sein getreuer Gönner Graf Soderini ihm ein Jahresgehalt von 300 Scudi an- gewiesen. Auch aus den Beziehungen zu Dresden erwuchs dem vom Mißgeschick Verfolgten, der seit dem 1759 eingetretenen Tod seiner Lebensgefährtin hilflos geworden war, ein Beistand; der Erbauer der katholischen Hofkirche zu Dresden, Gaetano Chiaveri, der nach Rom zurückgekehrt war, hat Benefial als Hausgenossen in Villa Malta zu sich genommen, bis er selbst 1762 nach Foligno übergesiedelt ist. Zwei Jahre darauf ist der blinde Greis zur Ruhe eingegangen, am 9. April 1764; in seiner Pfarrkirche S. Maria in Via, unweit Piazza Colonna, hat man ihn be- stattet. Rund 20 Jahre später haben dankbare Schüler und Freunde ihm ein wür- diges Denkmal gestiftet; sie ließen von Vincenzo Pacetti seine Büste nach dem im Soderinischen Besitz befindlichen Selbstbildnis anfertigen und gleichzeitig im Pantheon aufstellen, als dort im März 1784 die Büsten Mengs’ und Winckelmanns ihren Ehrenplatz fanden. So stand das Marmorbild Benefials unter der antiken Wölbung des Pantheons im Angesicht von Raffaels Grab bis zum Jahre 1819, vereint mit den Bildnissen der beiden Deutschen, denen er im Kampf um das Ideal der klassische& Kunst mutig und unerschütterlich vorangegangen war.

Quellen: Luigi Lanzi, Storia pittorica dell’ Italia, Firenze 1834, II, 198 ff.; Forcella, Iscrizioni delle Chiese e d' altri edifici di Roma dal secolo XI fino ai giorni nostri, Roma 1869—1884, I, 100; Archiv für die zeichnenden Künste, IX, 385; Missirini, Memoria per servire alla Storia dell’ Acca- demia di S. Luca, Roma 1823, р. aaa ff., 237, 255; Giornale Arcadico, 1828, XXXVII, 298 ff.,319 —321; Nibby, Itinéraire de Rome et de ses environs, Rome 1877, p. 8, 9, 47, 83, 210, 301; Lettera di un amico ad un accademico, Livorno 1757; Risposta alle riflessioni critiche sopra le differenti scuole di pittura del Sig. Marchese d’Argens, Lucca 1755, р. 17; Mancini, Istruzione Storico-Pittorica per visitare le chiese e palazzi di Citta di Castello, 1832, I, 23, 43, 274, 299 ff.; Bottari-Ticozsi, Raccolta di lettere sulla pittura, scultura ed architettura, Milano, 1832—1825, У, 5—39; Moroni, Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica, XIII, 237; XLVI, 89, 190; XLVII, 204; LI, 278; LXXVII, 190; LXXVI, 13; LXXX, 307, 321; LXXXIV, 143; СП, 164, 203; Boccardo, Nuova Enciclopedia Italiana 1877, Ш, 620; Magni, Basilio, Storia dell’ arte italiana, Ш, 640; Anto- logia Romana 1784, X, 326f.; —. Giornale Belle Arti 1784, Nr. 13; Magazzino Toscano, 1756, Ш, 336; Romagnoli, Ettore, Cenni Storici-Artistici di Siena, 1840, р. 29; Chracas, 1750, Nr. 5181; Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, III, 321, Aufsatz von Friedr. Noack, mit Verzeichnis seiner Werke; Archiv 8. Luca; Archiv der Congregasione Virtuosi al Panteon; Vat. Lat. 7897, fol. 21; Pfarrbücher 5. Мапа del Popolo, 8. Lorenzo in Damaso, 5. Andrea delle Fratte, 8. Fran- cesco di Paola, 8. Lorenzo in Lucina, 8. Maria in Via.

Ке ак EEE ү SEHEN .. ſ— EH Monatshefte für Kunstwissenschaft. XII. Jahrg. 1919. Heft 5 6 9 129

EIN ATELIERBILD DES MICHIEL VAN

M U S S С H E R Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln Von HANS SCHNEIDER

as Benützen oder Nachahmen eines großen Meisterwerks durch andere, gleich- | zeitige oder spätere Künstler ist immer еіп zum mindesten gewagtes Ехрегі- ment, das dann meistens der Anlaß zu einer Vergleichung wird, die nicht zugunsten des Imitators auszufallen pflegt. Wer nur die äußerlichen Effekte und Kunstformen sieht, begreift das Wesentliche nie und wird so auch niemals etwas schaffen können, was ein Konfrontieren mit dem Vorbild auszuhalten vermag.

Auch bei der Nachfolge des Jan Vermeer varı Delft ist das nicht anders. Die Unmenge all der Maler, die sich bei seinen Werken Rat geholt hat, ist über eine oberflächliche Anlehnung nicht hinausgekommen. Die Namen eines, Cornelis de Man oder Dirck Jan van der Laen wären hier als typische Vertreter zu nennen!). Pieter de Hooch aber war kein Schüler oder Nachachmer, sondern ein gleich- gesinnter Kamerad. Er hatte Vermeer erst selber Wesentliches gegeben, bevor er von ihm zu nehmen begann. Bei Metsu und ter Borch liegt der groBe Reiz derjenigen unter ihren Bildern, die stark an Vermeer denken lassen, darin begrün- det, daß diese Meister sich erst vom Geist von dessen Werken hatten durchdringen und erfüllen lassen, bevor sie dann aus dieser Stimmung heraus zu schaffen be- gannen.

Im Hinblick auf diese Sachlage gewinnt das hierbei abgebildete Gemälde (Abb. ı) besonders an Bedeutung. Denn was den Beschauer wohl auf den ersten Blick am meisten frappieren wird, ist der unzweifelhaft sehr starke Einfluß, den das bekannte_ Atelierbild des Delfter Vermeer (Wien, Sig. Czernin, Abb.2) auf den Maler unseres Stiickes ausgeübt haben muß. Wir fanden es in Baseler Privatbesitz (Leinwd. 772< 65:/, cm). Auf der unteren Querleiste der Staffelei ist es voll bezeichnet: „М. у. Musscher Pinxit 1690.“

Vielleicht das Wesentlichste an Vermeers Meisterwerk, die Farbe, war auch für unsern Maler der stärkste Eindruck. Aus seinen übrigen Bildern kennen wir seine Vorliebe für schwere dunkelrote und braune Töne, die den Gesamteindruck be- stimmen. Auch seine landschaftlichen Ausblicke und Akzessorien bilden hierin keine Ausnahme. Hier hat nun aber das Vorbild aufklärend und erhellend gewirkt. Nicht nur finden wir dieselbe lebhafte Farbenskala Blau-Gelb-Grün-Schwarz im Vorhang und Blau- Gelb-Rot im Tischteppich wieder, sondern auch die eigenttim- liche von Vermeer dabei verwendete tüpfelnde Technik wird nachgeahmt.

Sonst kommt allerdings das komplementiire Farbenpaar Blau-Gelb nirgends mehr im Bilde vor. Auf dem Marmorboden aus weißen und hellrosa Fliesen liegen zwei in hellem gelblichen Leder gebundene Folianten. Gegen das Graubraun der Tür- verkleidung stößt rechts am Bildrand das harte Kalkweiß der Rückwand, die nicht nur durch eine Landkarte von West-Europa und Nord-Afrika, sondern auch noch durch eine Geige, je einen roten und blauen Köcher u. a. m. belebt ist. Der Maler selber sitzt in einem kastanienbraunen Hausrock vor der Staffelei. Nachlässig trägt

(1) Von С. de Man ist vor allem an den bekannten „Gelehrten“ der Sammlung J. Porges in Paris zu erinnern, Daß D. J. van der Laen immer noch als ein sehr betrüglicher Vermoer-Nachahmer zu erscheinen vermag, beweist ein in „Les Arts“ (1917 Nr. 162) publiziertes Bild, bei dem noch neuer- lich von J. Six in einem interessanten Aufsatz (Oude Kunst IV, 8. 32ff.) die Autorschaft Vermeers ernstlich erwogen und vorgeschlagen wird.

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er seine braune Mütze, worunter lange dunkelblonde Locken hervorkommen. Das Modell, ein noch sehr junger Mann, ist ganz in schwarzen Samt gekleidet; sein schwarzgrauer Mantel hängt ihm über den linken Arm, der lässig auf der Stuhl- lehne aufliegt, während er mit der Rechten den braungelben Hut im Schoße fest- hält. Das schwarz und weiß gefleckte Hündchen neben ihm scheint ein kleiner Liebling des Malers gewesen zu sein; wir finden es auf sehr vielen seiner Bilder wieder.

Bei gleicher „Situation“ es handelt sich um einen ganz analogen Raum wie bei Vermeer ist nun vor allem charakteristisch, worin und wie van Musscher von seinem Vorbild abweicht. Wenn wir ein so stark inspiriertes Werk wie das seine betrachten, so verstehen wir mit einem Male auch, was um nur einige Kleinigkeiten, die scheinbar Nebensache sind, zu nennen etwa das am Rücken schwarz und weiß geschlitzte Wams Vermeers für den Gesamteindruck bedeuten kann, oder warum der Künstler gerade dieses Fliesenmuster angebracht hat. Während es bei Vermeer lustig zuckt und flackert, legen sich bei van Musscher wie ein schwerer Gitterrost die dunklen Platten über die hellen. Die ebenfalls in gelbes Schweinsleder gebundenen Folianten werden hier koloristisch beinahe be- deutungslos, da sie nicht mehr, wie dort, mit dem Blau eines Gewandes zu kon- trastieren haben. Man beachte ferner, was die kleine Verschiedenartigkeit der Balkenlage an der Decke für die Verdeutlichung des Raumes bedeutet; ferner auch wie van Musscher in einer beinahe „horror vacui“ zu nennenden Weise die Rück- wand, den Tisch und sogar zum Teil den Fußboden mit einer Menge von Gegen- stünden bedeckt!). Dagegen vergleiche man dann die Klarheit bei Vermeer, wo іп meisterlicher Beschränkung nur durch wenige Möbelstücke der Raum verdeutlicht wird. Aller Kleinkram fehlt; nur eine Folge kleiner Stadtansichten auf der Land- karte wird zwar geduldet, ist jedoch streng zusammengeordnet und von beinahe architektonischer Funktion im ganzen Bildgetiige. Gegenüber dem pikanten und überraschend ausladenden Umriß der Personen des Vermeer haben hier die als große dunkle Massen wirkenden Figuren von Maler und Modell einen viel ruhigeren, stumpferen Ausdruck, wobei die dunkle, im Schatten liegende Rückseite des Bildes auf der Staffelei ein essentiell mitbestimmendes Wort spricht.

Schließlich wäre noch die Verschiedenheit des gedanklichen Inhalts, des Stimmungs- gehaltes bei unserm Bilde zu bemerken. Wir berühren damit wohl den wesent- lichsten Unterschied gegenüber Vermeer. Da hier die Anordnung von Porträtist und Modell vertauscht sind, können wir dem Maler selber ins gutmütig freundliche Angesicht schauen, während er den jungen, in lässig eleganter Haltung sitzenden Herrn abzukonterfeien beschäftigt ist. Es strahlt eine biedere Gemütlichkeit aus und bedingt so die Grundstimmung dieser Porträtsitzung.

Zwischen den Entstehungsterminen beider Biider liegen etwa zwanzig Jahre, da dasjenige Vermeers etwa um 1670 gemalt sein dürfte). Dies erklärt manche Be-

(1) Die drei Gipsabgüsse nach Pseudoantiken, die auf dem Tische stehen: ein Fechter in der Art des sog. „borghesischen“ im Louvre, ein sentimental zur Seite geneigtes Frauenköpfchen in der Art der bekannten Wachabiiste in Lille, und eine sitzende Kinderstatuette, sind wahrscheinlich alle nach Originalen des F. Duquesnoy gemacht. Seine Werke haben sich in den Künstlerateliers großer Wert- schätzung und weitgehender Verbreitung erfreut. Nicht nur die alte Kunstliteratur (Passeri, Malvasia, Baldinucci usw.), sondern auch zahlreiche Gemälde (von G. Dou u.a.) belegen diese Tatsache vollauf а) E. Plietzsch, Vermeer van Delft, Leipzig, 1911, 8. 79. Ist letzteres wohl einmal in van Musschers. Besitz gewesen? Von seinen Schicksalen wissen wir nur, daß es 1675 bei Vermeers Tode im Besitz seiner Witwe war, die es dann zur Deckung von Schulden an ihre Mutter abstand. Woher und wann

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sonderheiten der Art und Weise, worin sich der spätere Musscher von seinem Vorbild unterscheidet und worin er sich nicht nur daran anlehnt, sondern es in seiner Art auch zu übertreffen bestrebt ist: Klarheit der Lichtführung ohne ge- heimnisvolles Helldunkel, Einfachheit des Raumes und der Bewegung und schlieB- lich auch die Farbengebung, die hier heller und frischer ist, als sie das sonst bei unserm Meister zu sein pflegt, wenn auch der Gesamteindruck schließlich nicht ganz so licht fröhlich ist wie beim Wiener Bild.

Daß wir hier wirklich ein Porträt des damals vierundvierzigjährigen M. v. Musscher vor uns haben, läßt sich nicht bezweifeln. Ein Blick auf seine gesicherten Selbst- bildnisse genügt, um uns eingehender Beweisführung zu entheben !). Wen das Modell darstellt, wissen wir nicht; ein Sohn des Meisters kann es nicht sein“).

Von dem bisherigen Schicksal des Bildes, das erst etwa ein halbes Jahrhundert in der Familie des heutigen Eigentümers nachzuweisen ist, haben sich allerlei Spuren entdecken lassen. Vielleicht ist es mit einem Stück zu identifizieren, das 1699, wo nach dem Tode von v. Musschers zweiter Frau ein Inventar aufgenommen wird, sich in der „Schildercamer“ befand ') und damals von den Taxatoren J. Glauber (Maler) und J. P. Zomer (bekannter Experte) auf fl. 125.— geschätzt wird, während es dann auf der Auktion von Bildern aus des Künstlers Nachlaß (1706) nur fl. 100.— aufbringt); 1733 wird noch fl. 80.— dafür bezahlt und ein Jahr später ist sein Preis sogar bis auf fl. 40. gesunken“). Nach freundlichen Hinweisen von Dr. C. Hofstede de Groot konnten wir es noch in Auktionen der siebziger Jahre des 18. Jahr- hunderts wiederfinden“). Von da ab verlieren wir seine Spur; denn ob es, wie Moes (a. a. O.) vermutet, mit dem Bilde der Versteigerung J. Meitland (183 1) iden- tisch sei’), möchten wir nicht ganz so sicher annehmen. Auf die Ausstellung in Manchester (1856) wurde nämlich von Sir Humphrey de Trafford ein Gemälde ge- liehen, das den Künstler mit seiner Frau im Atelier dargestellt haben soll. Könnte es sich da nicht vielleicht um ein und dasselbe Bild handeln?

Es läßt sich nämlich bei van Musscher eine geradezu auffällige Vorliebe für Atelier-

es in gräflich Czerninschen Besitz gelangt ist, darüber sind bisher keine Angaben publiziert. Nach ТЬ. v. Frimmels „Lexikon der Wiener Gemilde-Sammlungen“ in voce Czernin ist diese Galerie егес um 1800 geformt worden.

(1) Vgl. Moes, Iconografia batava Nr. 5239. Einen noch schlagenderen Beweis wie das Selbstbildnis von 1692 in [den Uffisien liefert uns das große schöne Schabkunstblatt van Musschers (drei ver- schiedene, 26. 7. 1685 datierte Zustände im К.-К. Amsterdam). Die von Moes а. а. О. weiterhin noch erwähnten Selbstporträts in Versailles und Antwerpen waren mir nicht erreichbar.

(а) Der Maler, der erst 1678 geheiratet hatte, konnte 1690 noch keinen erwachsenen Sohn haben; vgl. Hofstede de Groot, Arnold Houbraken, Haag 1893, S. 149.

(3) Bredius, Künstler-Inventare Ш, S. 988, Nr. 3: „Het pourtrait van den rendant in sijn schilderkamer“; vgl. auch Nr. 4. Eine Reihe der in unserm Bilde dargestellten Aubstattungsgegenstinde sind in den beiden Inventaren aufgeführt. Alle modellierten Stücke uud Gipsabgüsse z. B. werden zusammen auf 8. 110.— taxiert. |

(4) Amsterdam, ха. April 1760, Nr. 11: „Een schilder in zijn kamer“ (Ное I, до).

(5) Amsterdam, 21. Januar 1733, Nr. aa: „Een stuk van М. Mutscher (sic!) in zijn schilderkamer“ (Ное І, 377), ebendort 2. April 1734, Nr. 22: „De schilderkamer van М. Mutscher (sic!) wear in hy Imanr zit te Portretteoren“ (Hoet I, 408).

(6) Verst, Н. Esser, Amsterdam, 19. Oktober 1774, Nr. 17; Verst. Daniel Marshag u. a., Amsterdam, 30. Oktober 1775 und Verst. ebendort 1. Oktober 1778 für fl. 40.— an Gouree. Nicht nur die Maß- angaben, sondern auch die ausführliche Bildbeschreibung der Kataloge lassen deutlich unser Bild wiedererkennen.

(7) London, 30. Juni 1831: „His portrait at the easel“ für £ 87 an Johnson (Art Seales II, 311).

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darstellungen wahrnehmen. So führen uns von seinen äußerst seltenen Handzeich- nungen zwei ins Atelier. Das eine Blatt zeigt den Maler mit Frau in der Werk- statt (Abb. з), das andere den Künstler allein!). Leider ist das in diesem Zusammen- hang jedenfalls sehr interessante Selbstbildnis bis jetzt noch nicht wieder bekannt geworden, das sich in einer Auktion des 18. Jahrhunderts befunden hat). Aber sein Bestes in dieser Hinsicht hat unser Meister wohl in jenem schönen Bildnis des jüngern Willem van der Velde gegeben (Abb. 4), worin er, frei von jedem Vorbild, seinem Freund und Kunstbruder ein unvergleichliches Denkmal gesetzt hat“).

Die bisher allgemein gültige Meinung hat stets van Musschers Bedeutung als vor- wiegend in seinen Porträts liegend bezeichnet. Aber gerade diese wirken für unsern heutigen Geschmack vielfach eher langweilig. Wenn wir uns hier nun aber speziell länger mit seinem Atelierbild beschäftigt haben, so geschah das nicht etwa in der Absicht, von neuem einen, übrigens sehr billigen Beweis für die alte Tatsache liefern zu wollen, daß es nicht immer dasselbe wird, wenn zwei dasselbe tun. Vielmehr möchten wir auf eine andere, bisher bei van Musscher eigentlich noch gar nicht nach Gebühr gewürdigte Seite seines Könnens hinweisen. Wenn man bedenkt, was und wie zu Ausgang des 17. Jahrhunderts in Holland gemalt wurde, so verdient es das eben besprochene Ateliergemälde selbst in seiner Bedingtheit durch Vermeers Vorbild als sehr glückliche Schöpfung besonders hervorgehoben zu werden. Im Hinblick auf die vielen von ihm gemalten Bildnisse in Innenräumen, wovon eines der allerschönsten seit 1914 dem Mauritshuis im Haag gehört (Abb. 5), kommt man zur Überzeugung, daß van Musscher für ‚seine Zeit ein ganz hervor- ragender Interieurmaler gewesen ist.

(х) Nacheinander in den Auktionen van der Willigen (Haag, 1a. August 1874, Nr. 181) und С. Schöffer (Amsterdam, 30. Mai 1893, Nr. 282); bes.: М. у. Musscher 1665 (23 >< 25cm). Seither іп der Samm- lung Р. Langerhuyzen +, die im Frühjahr 1919 durch die Firma Fred. Muller & Co. in Amsterdam versteigert werden wird. Das Blatt zeigt den Maler vor der Staffelei sitzend bei der Arbeit und er- innert in der Gesamtanlage der Komposition stark an das Ateliergemiilde des A. v. Ostade in Dresden. Es ist vor allem durch die Unmenge der dargestellten Requisiten an Malgeräten, Abgüssen und Ko- stimen sehr interessant für die Kenntnis des damaligen Malbetriebs. Das in Abb. 3 wiedergegebene Blatt im К.-К. Amsterdam mißt aa >< 21 cm. |

(2) Versteigerung Valckenier-Hooft (Amsterdam, 31. Aug. 1796, Nr. 26). „Man blickt durch eine offene Nische in ein Atelier. Links steht in seidenem Kleid und mit einer Mütze auf dem Kopfe der Künstler an einen Stuhl gelehnt und hält Palette, Pinsel und Malstock in der Hand, Rechts von ihm auf dem Tisch ein Globus und Gipsabgüsse, sowie eine goldene Sackuhr, Bücher und Musikinstrumente. Weiterhin steht eine Staffelei, ein Kunstschrank und anderes Beiwerk. Von oben hängt ein Gobelin herunter. Auf dem Rand der Nische liegen einige Skizzenbücher. Die Beleuchtung ist sehr angenehm und alles sehr sorgfältig ausgeführt.“ Holz, aa << 18 duim (== ca. 561/, >< 46 cm).

(3) London, Gall. Lord Northbrook, Kat. 1889, Nr. 136. Man beachte auch hier die Gipsabgüsse über der Tür. Die verstümmelte Datierung wird in allen Katalogen als 165. wiedergegeben. Da van Musscher aber erst 1644 geboren ist, kann das Bild also nicht in den fünfziger Jahren gemalt sein. Die Identifizierung des Dargestellten mit W. у. d. Velde, die übrigens nicht gesichert ist, geschah auf Grund der vielen am Boden liegenden Schiffszeichnungen. W, v. d. Velde wohnte bis zu seiner Übersiediung nach England (um 1673) in Amsterdam. 1686 hat er sich nochmals kurze Zeit dort aufgebalten. |

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RAPHAEL MENGS / EIN DEUTSCHES KÜNSTLER- SCHICKSAL Von OTTO GRAUTOFF

n diesen Zeiten nationaler Abgeschlossenheit ist es besonders reizvoll, Stunden der Betrachtung einem deutschen Künstler zu widmen, der, aus dem protestan-

tischen Norden stammend, in die Ferne gewandert ist und eine Zeitlang von Peters- burg bis Madrid die Welt in Atem gehalten hat. Den direkten Anlaß zu einer Beschäftigung mit dem Malerfürsten Raphael Mengs bietet eine kleine Schrift, die ein jüngerer Gelehrter, Ulrich Christoffel ), kürzlich herausgegeben hat. Christoffel wird kaum durch den Weltkrieg zu seiner Arbeit angetrieben worden sein, son- dern vielmehr von der Bewegung, die schon vor dem Kriege den Klassizismus zu einem zeitgemäßen Thema gemacht hat. In Rom und Paris, in Petersburg und Berlin hat im letzten Jahrzehnt das Verlangen nach Synthese dem Klassizismus eine neue Aktualität abgewonnen. Auch Raphael Mengs mußte von dieser Be- wegung notwendigerweise in die Höhe getragen werden. Der Krieg aber fordert diesem Künstler gegenüber eine neue Einstellung. In der Beschäftigung mit ihm gelangen wir zu neuen allgemeinen Schlußfolgerungen.

Raphael Mengs ist ein typischer Vertreter derjenigen Deutschen des Nordens, die allein durch ein kategorisches: ich soll und ich muß das Ziel zu erreichen vermögen, das sie selbst als notwendig erkannt oder das ihre Führer und Erzieher ihnen vorgeschrieben haben. Durch die konzentrierte Kraft des Willens versuchen sie einem abstrakten -Ideal nahe zu kommen, das sie aus Erkenntnissen und aus einer intuitiven Einfühlung in die menschliche Natur abgeleitet haben, Darin er- scheint Raphael Mengs als ein norddeutscher, ja, ich möchte gern sagen, als ein preußischer Typus (obwohl die Örtlichkeit seiner Herkunft dazu in leisem Wider- spruch steht), dessen tragische Problematik in dieser Weltkatastrophe so drama- tisch in Erscheinung tritt. Im Norddeutschen überwiegt das Gefühl den Willen.

Sein Gefühl ist reich, weit und von drängender Kraft. Dieses Gefühl hat sich bald in starken Heldengesingen, bald in zarten Traumbildern und zu anderen Zeiten in gewaltigen seelischen Entladungen erleichtert. Das Geftihl unseres Ge- schlechtes wurde durch die unerhörte Steigerung technischen und wirtschaftlichen Geschehens angezogen und fortgerissen. In denjenigen wirtschaftlichen und poli- tischen Welteroberungsplänen, die wir alldeutsch nennen, hat sich die Schöpferkraft der norddeutschen Phantasie entladen. Das waren solange unschuldige Träume- reien einiger Überspannter, bis kühle Theoretiker und nüchterne Praktiker ihre Realisierung ins Auge faßten und durch die Zwangsjacke des Militarismus ihre Ver- wirklichung betrieben.

Die aktive Leistung des Norddeutschen ist immer gegen seine ursprüngliche Natur durchgesetzt worden. Sollte der Preuße aktiv in den Daseinskampf der Menschen und Völker eingreifen, so hatte er, der isolierte Individualist, der ego- zentrische Träumer im Interesse der Erweckung, der Spannung und des Zusammen- schlusses seiner Kräfte zu einer gemeinsamen Leistung dringender als andere Völker eine harte Disziplin, einen rauhen Antrieb, den kategorischen Imperativ und eine Organisierung seiner Willenskräfte erforderlich. Da im Norddeutschen der Wille nicht über dem Gefühl steht, da in ihm auch nicht Wille und Gefühl sich in glücklicher Ausgeglichenheit befinden, kann sein Wille nur durch den Appell an

(x) Christoffel, Der literarische Nachlaß des Raphael Mengs. Basel 1918.

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das verdammte Pflichtgefühl dazu getrieben werden, dem Ideal zuzustreben, das sein Gefühl erträumt. Franzosen haben den starren und unbeugsamen Militarismus nicht nötig, weil sie von Natur aus kriegerisch sind. Die Deutschen sind isolierte Träumer und müssen erst durch den harten Paradeschritt und straffe Disziplinie- rung ihrer Kraft künstlich zu einem einheitlichen und kriegerisehen Volk gedrillt werden. Ihre natürliche Sendung ist nicht Weltherrschaft, sondern Ichherrschaft. Zu derartigen Gedanken wird man angeregt, wenn man sich in dieser Zeit mit einem verirrten Künstler wie Mengs beschäftigt.

Raphael Mengs litt unter der Zartheit eines kränklichen Körpers und hatte, wie Christoffel betont, eine weichgestimmte Seele. Er wollte und sollte seinem Gefühl nicht unterliegen. Schon Ismael Mengs bestimmte, daß sein Sohn die abstrakte Komposition Raffaels mit der Anmut Correggios vereinen sollte und nannte ihn daher Anton Raphael mit Vornamen. Raphael Mengs hat sich diese väterliche Forderung in früher Jugend zu eigen gemacht und ist diesem abstrakten Ideal sein Leben lang nachgestrebt. Christoffel faßt die Problematik seines Wesens in fol- gende Charakteristik zusammen: „In allen prinzipiellen Fragen, wo bewußte Über- legung den künstlerischen Willen leitete, vertrat er die akademische Richtung. Im ungebundenen Verkehr mit Schülern ließ er sich als impulsive Natur öfters gehen und erzählte von der Palette und ihren Geheimnissen, den gemalten Dingen einen sinnlichen Reiz zu geben ganz im Sinne seiner Zeit.“ Der Zwiespalt seiner Natur, der in diesen Worten gut zum Ausdruck kommt, gibt allen literarisch - kritischen und bildlichen Darstellungen des Meisters das Gepräge. Christoffel stellt am Ende seiner Schrift, die im allgemeinen nur den schriftlichen Nachlaß des Künstlers be- handelt, zwei Bilder des Meisters einander gegenüber. Den Parnaß im Prado und die Verkündigung in der Wiener Galerie. Er sagt über das erstere:

„Es war wahr, daß Mengs in diesem „Parnaß“ alle Erkenntnisse, die ihm das Studium der antiken Kultur und der antiken Kunst vermittelt hatte, alle Regeln, die er aus der Erfahrung gesammelt hatte und alle Technik, die ihm angelernt war, hineinverarbeitet hatte und daß die Bewunderer seiner Kunst hier einmal erfahren konnten, was vollkommene Schönheit, geschmackvolle Mannigfaltigkeit, ideale Harmonie zu bedeuten hatten. Das ganze Bild ein einheitliches Gesetz, die Gruppen abwechslungsreich, die Figuren von Anmut, Würde und Wahrheit.“

Und über das zweite: |

„Zwei Monate hatte Mengs über das Bild nachgedacht und am Entwurf ge- arbeitet, und als er nun zum Pinsel griff und den Grund zu präparieren begann, trafen ihn seine Freunde, eine Sonate des Corelli singend und pfeifend, bei der Arbeit an und hörten, daß er gesonnen wäre, das Gemälde im Sinne des berühmten Komponisten zu verfertigen. Das Bild bewahrte das Musikalische der Stimmung, aus der es entstanden und rührte die Sinne in dieser sanften, angenehmen Weise. Wenn die Hauptgruppe auch in einer Ebene komponiert war und der Gottvater- glorie deutlich das Kreisschema unterlag, so war das Gerade und Berechnete doch malerisch verdeckt und das Ganze jedenfalls mit bereicherter Anschauung und er- fahrenem Künstlertum gemalt. Der Reichtum an Zufälligkeiten bei den zarten Engelsköpfchen und Körperchen, die das harte Urteil über die raflaelitischen erst erklärten, schien unerschöpflich und die Verkürzung des Gottvaters erinnerte ап die kühnsten Traditionen.“ |

Jedes der beiden Bilder läßt eine Seite vom Wesen des Meisters in Erscheinung treten. Ich habe Christoffels feinsinnige Interpretation der zwei Gemälde auszugs- weise hier wiedergegeben, weil in ihr die abstrakten Tendenzen des Meisters und

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die Art seiner Konkretion sinnfällig herausgearbeitet worden sind. Allein der junge Gelehrte scheint, wie es Biographen zuweilen geht, sich so sehr in seinen Helden vertieft zu haben, daß er rücksichtsvoll vor dem letzten abschließenden Urteil über den Künstler zögert. Formalästhetisch und kunsthistorisch ist den Aus- führungen Christoffels wenig hinzuzufügen. Es sei denn, daß man seine Betrach- tungen ins allgemeine hinein weiter fortführen will, wozu allerdings gerade die Ab- schnitte über Kunsttheorie im 17. und 18. Jahrhundert und über den Klassizismus reichliche Gelegenheit bieten würden. Allein diese Probleme machen einem größeren Kreise das Künstlerschicksal des Raphael Mengs nicht interessant. Von allgemeiner und prinzipieller Bedeutung dagegen ist die Frage, ob der Weg, den Mengs’ Natur in der Kunst eingeschlagen hat und den der Künstler auch als Theo- retiker in seinen Schriften und als Lehrer seinen Schülern empfahl, in dieser Zeit, in der jedes Volk an einem Kreuzweg seiner Entwicklung steht, von neuem unserem Volke empfohlen werden soll

Raphael Mengs ist ein Vergessener. Diese kleine Schrift aber ruft uns wieder einmal ins Gedächtnis, daß ein deutscher Künstler hier durch die äußerste An- spannung seiner Willenskräfte, durch die unermüdliche Stählung seiner Energie Außerordentliches geleistet hat. Raphael Mengs hat sich durch unerhörte Energie zu einer Bedeutung erhoben, die das ganze gebildete Europa von Madrid bis Peters- burg mit Achtung anerkannte. Allein seine Leistung ist das Ergebnis seines Willens und einer Vergewaltigung seiner Natur, in der das Gefühl ursprünglich dominierte, Ihm schwebte eine Synthese im Sinne der Hochzeit der Antike, im Sinne Raffaels und Poussins vor. Er wollte Abstraktes und Konkretes zu einer übergeordneten Einheit zusammenfügen, wollte a priori Erkanntes, Abstraktes, eine Idee mit stärk- stem Gefühl beleben und schwellen. Raffaels Transfiguration, Poussins Baccha- nale, Ingres’ Frauenbad und Cézannes Trinker sind Werke restloser Harmonie, in denen das Abstrakte vom Konkreten nicht mehr zu trennen ist, weil in glücklichem Gleichgewicht schwebende Seelen in ihnen alle Gegensätze in auflösender Einheit darzustellen vermochten. Diese heitere Schönheit ist zu allen Zeiten nur unter dem heiteren Himmel des Südens entstanden. Diejenigen Künstler des rauhen Nordens, die sich unterfingen, der verführerischen Schönheit des Südens nach- zueifern, zu sein wie sie, haben Verrat an ihrer Seele verübt und haben alle Schiff- bruch gelitten. Vielleicht gelang ihnen wie Raphael Mengs durch die äußerste Anspannung ihres Willens, durch die unerbittliche Disziplinierung ihrer Kräfte, durch ein trotziges „du sollst und du mußt“ ein äußerlicher Schein dessen, was sie wollten, eine künstliche Synthese; aber die Hohlheit und Falschheit ihres Pathos strafte sie mit Vergessenheit. Die künstlerische Weltstellung des Raphael Mengs ist in nichts zerfallen und übrig bleibt nur ein problematischer Mensch, der sich unendlich mühte, seine natürlichen Anlagen zu unterdrücken, um ein in heiteren Harmonien ausgeglichener Südländer zu werden. Hinter der straffen Disziplinierung seines Wesens, unter der Zwangsjacke, die er sich freiwillig übergezogen hat, ver- nimmt man die Seufzer seiner geknebeiten Natur in Briefnotizen und Aussprüchen, von denen Christoffel eine stattliche Reihe veröffentlicht.

Die kleine Schrift ist gerade in dieser Stunde instruktiv. Sie enthüllt die Fragen der Knebelung des norddeutschen Wesens. Wohl lassen sich von dem nord- deutschen Wesen durch abstrakte Forderungen künstliche Leistungen erpressen, die eine Zeitlang als echte Früchte des norddeutschen Wesens gelten mögen, aber es kommt immer der Zeitpunkt, da die Falschheit und Verirrung dieser Leistungen deutlich wird. In diesen Stunden der Erschütterung wird die Seele des Volkes

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vielleicht ganz von selbst zur Selbstbesinnung geführt und sich ihrer wahren Sen- dung bewußt. Nicht seelische Ausgeglichenheit in formaler Harmonie ist die Sen- dung derer, die unter den schweren Wolken Norddeutschlands auf dem kargen Boden der preußischen Mark leben, sondern durch den Kampf des Gefühls mit der Realität der Offenbarung seelischen Erlebens, wie sie augenblicklich vor allem, den bildenden Künstlern vorausschreitend, Dichter wie Carl Hauptmann, Fritz von

Unruh, Goering und Walter Hasenclever uns schenken.

MISZELLEN

NACHTRAGLICHES ZU PAUL UND JOSEF HANNONG

Von ERNST POLACZEK

ј= Augenblicke, да ich mich anschicke, Straß-

burg zu verlassen, greife ich nach den längst schon bereitliegenden Abschriften einiger Aktenstücke des Straßburger Bezirksarchivs, die mich in ein Lieb- lingsgebiet des kunstgewerblichen Schaffens dieser uns nun verlorenen Stadt zurückführen, und breite ihren Inhalt vor den Lesern dieser Blätter aus’).

1.

Im Jahre 17бо war Paul Hannong gestorben. Kein Zweifel, daß ihm unter den drei aufeinander folgenden Besitzern der keramischen Unterneh- mungen, mit denen sich der Name Hannong ver- bindet, die größte Bedeutung zukommt. Er bat die Fabriken in Straßburg und Hagenau technisch, künstlerisch und kaufmännisch zu ihrer Flöhe emporgeführt, er ist auch der Begründer der Frankenthaler Fabrik gewesen. Nach seinem Tode sank, was die künstlerische Erfindungskraft betrifft, die Leistungsfähigkeit der Fayenceunter- nehmungen um ein Bedeutendes. Mag unter Josef Hannong die Menge der Erzeugung ge- stiegen sein, mag sich ihr Verbreitungsbezirk ver- größert haben, ihre künstlerische Bedeutung ver- mehrt sich kaum. Josef Hannong wirtschaftet im wesentlichen mit dem von seinem Vater ererbten Formenvorrat. Nicht allevorhandenen Formen wer- den von ihm verwertet; in der Ablehnung zeigt sich sein Zusammenhang mit der allgemeinen Stil- und Geschmackswandlung. Manche galten ihm wohl als veraltet; aber nur wenige im neuen Ge- schmacke des Rokoko treten hinzu.

Über die Mannigfaltigkeit der Formen, die unter Paul Hannong bereits gewonnen war, geben außer den Beständen der Museen zwei von mir unter Notariatsakten aufgefundene Verzeich-

(3) vgl. Cicerone I, 8. 385 u. 447; П, 8, 397.

nisse der Lagerbestände Aufschluß, die unmittel- bar nach seinem Tode in den Fabriken zu Hagenau und Straßburg „durch Charles Lavarenn den bur- ger und marchand Fayencier zu Strassburg nach dem heutigen wahren werth aestimiert und an- geschlagen worden sind“. Seltsamerweise ist, trotzdem der gleiche Sachverständige an beiden Orten das Inventar aufgestellt hat, Einteilung und Bezeichnung der Warengruppen jeweils verschie- den; vielleicht, weil die Lagerverwalter die Waren in Straßburg anders als in Hagenau geordnet hatten. In dem Hagenauer Verzeichnis folgen einander:

das weiß gebrante Fayance

das fein gemahlte Fayance

das schlecht gemahlte Fayance

das rau gebrante Fayance

das ungebrante Fayance.

In dem Straßburger Verzeichnis sind die Ab-

teilungen folgendermaßen betitelt: Feiner wahr gut mit Nr. ı farben Nr. а cfein Rubi wahr mit farben Gutte gemeine wahr mit farben Nr. 3 Gemein Rubi wahr mit farben Barisser wahr gut mit farben gemein Nr. 4 Barisser Rubi wahr mit farben gemein Hagenauer schlecht wahr.

In Hagenau waren also beträchtliche Mengen unfertiger und halbfertiger Ware vorhanden, wäh- rend das Straßburger Lager nur fertige Waren, diese jedoch in sieben verschiedenen Qualitäten auf- weist. Vielleicht ist daraus zu schließen, daß da- mals Hagenau allein Sitz der Fabrikation war, daß die fertigen Waren nach Straßburg gebracht und von dort aus vertrieben worden sind . Welche

(з) Damit würde übereinstimmen, daß in den Fundamenten der Straßburger Fabrik fast ausschließlich Porselianscherben,

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Bedeutung die in dem Straßburger Verzeichnis angewandten Gattungsbezeichnungen: Rubi wahr, Barisser wahr und Barisser Rubi wahr haben, ist mir unbekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um die Qualität der Malerei. Die reicheren Form- stücke, größere Gefäße und Figuren, kommen nur

in den höher bezahlten ersten beiden Gruppen .

vor. Rubi ist offenbar nach phonetischer Ortho- grapbie geschrieben; was dieses Wort bedeutet, ist mir völlig rätselhaft, wie übrigens auch sqnst der ein schlechtes elsässisches Französisch nach dem Gehör aufnehmende und selbst mit sehr mangelhafter Kenntnis des Französischen ausge- stattete Schreiber des Verzeichnisses uns manches Rätsel aufgibt. Was ist z. B. ein Cubidon (Cupido?) und was ein Rodambur? Nach ihrer Stellung im Verzeichnis und nach ihrem Preis vermutlich kleinere Gefäße, vielleicht Deckelschalen i) oder ähn- liches. Bottaol ist gleich pot-a-oile, Bottachamber barisser ist gleich Pariser pot-de-chambre, Botaburi an barock gleich potpourri en baroc, Kruben sind Gruppen, ein Cumbotir alanget ist ein Compotier а languettes, ein Surdu ein Surtout (Tafelaufsatz), ein Sossier an bado eine Saucitre en bäteau (in Form eines Kahnes), für das Wort Botasuger kommt an anderer Stelle Zugerbücksen Ortho- graphie ebenfalls mangelhaft vor. Sio ist mit sceau gleichzusetzen. Unter den deutschen, stark dialektisch gefärbten Bezeichnungen sind viele

von herzhafter Frische und Kraft: Bartbecken und

Bartschüssien, Sänftfäßlen und Pfeferbücksen, Millich Krug und Lichtstöck und Spielkumben, Zibelschärben und Blumenschärben, halbschöbige, halbmaßige und maßige Krug muten uns diese Ausdrücke nicht erdgeboren und urtümlich an? Französische und deutsche Bezeichnungen gehen ziemlich wild durcheinander: Cuvetten und Lavor Kanthen, d. h. Waschbecken und die dazugehörigen Kannen, ports de mouchettes, d. h. Schalen für Lichtputzscheren und Savonettes, d. з. Seifenschalen finden sich höchst friedlich neben butter Kübelein und brühe schüßelein und Aderlaßschüßelein, Apotheker Häfelein und Bomaden Hifelein. In beiden Verzeichnissen überwiegt natürlich das Gebrauchsgeschirr, Platten und Teller, Aufsätze, Schüssein und Kannen für die Tafel, Körbe für Blumen und Obst, Lichthalter und Schreibzeuge, Gefäße! für den Waschtisch und solche noch heimlicheren Charakters u. dgl. Daneben aber

aber nur wenige Fayencefragmente und zwarfast ausschließ- lich solche aus der blauen Periode gefunden worden sind, (x) Friedrich H. Hofmann-München sprach die Vermutung aus, es könne sich vielleicht um ein Gefäß nach der Art von Rothenburg der gelegentlich vorkommenden deutschen Beseichnung für Rouen handeln.

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finden sich da und dort in überraschend großer Menge die heute besonders begehrtenFormstückeder Fabrik: Gruppen und einzelne Figuren, diese leider ohne nähere Bezeichnung, Hunde, Bären, Hirsche, Schweine also Teile von großen Jagdgruppen, wie deren eine kürzlich im Kgi. Kunstgewerbe- museum in Berlin als Leihgabe ausgestellt war; Schildkröten, marquasins (d. s. Frischlinge); Tau- ben, Enten, Gänse, Schnepfen, Rebhühner (Бегагі!), Fasanen, Auerhähne und welsche Hähne werden unter der Überschrift: Geflichels zusammengefaßt; Wildschweinköpfe; Krautköpfe, Krautschalen, Ribschallen, d.s, Rübenschalen und grüne Schalen, d. h. aus Blättern gebildete Schalen. Es folgt allerlei Obst und Gemüse, z. B. Äpfel, Birnen, Citronen, Pomeranzen, Trauben, Melonen, Spargel und Artischocken; ferner Rosen und Tulpen. Die nicht seltenen Schalen und Teller mit plastisch gebildeten Früchten und Gemüsen fehlen in den Verzeichnissen, wenn diese illusionistisch-natura- listischen Geschmacklosigkeiten nicht etwa unter den „obskörb“, mit denen die Reihe der einzelnen Obstsorten eröffnet wird, zu verstehen sind. Die Bezeichnung „Blat mit Eyer“ bezieht sigh offen- bar auf die Teller mit geviertelten Eiern, von denen х. В. das Straßburger Kunstgewerbemuseum zwei Exemplare besitzt. Gruppen, Figuren, Tierstücke gehören heute zu den großen Seltenheiten. Die reichsten Sammlungen dieser Art sind im Schloß Favorite bei Baden-Baden und im einem west- filischen Schloß. Mit diesen alten Beständen kann sich, was in Straßburg durch miihevolle Sammeltätigkeit vereinigt worden ist, nicht ent- fernt vergleichen. Von einem recht erheblichen Teil der Modelle sind mir Ausformungen über- haupt noch nicht bekannt geworden.

In dem Straßburger Verzeichnis sind bei einer Reihe von Gegenständen die verschiedenen Grö- Sen durch Nummern unterschieden, und zwar so, daß jeweils die größten Stücke einer Form mit Nr. x bezeichnet sind. Von Platten sind e B. acht, vonKrautköpfen vier verschiedene Größen genannt. Auf den Stücken selbst finden sich derartige Be- zeichnungen jedoch nur ganz ausnahmsweise, während Josef Hannong bekanntlich eine syste- matische Nummernbezeichnung seiner Ware bis über хооо durchgeführt hat.

Schließlich einige Textproben, zuerst aus dem Straßburger Verzeichnis:

Feiner wahr gut mit Nr. т farben

Sallattier: Ff в. а. 9 dito Nr. ı 1 19 8 dito Nr. 2 1 12 7 dito Nr. 3 18 8

Figuren 4 Kruben: 3 6 dito ligente 3 12 as dito stöhente 8 8 ı2 dito kinder 2 8 Gediers 5 fögel з 4 16 schweyn 6 8 8 hirsch 3 4 25 hund 3 15

Aus dem Hagenauer Verzeichnis: ane weiß gebranntem Fayance

ı Terine so rund 33 3 dito “ава 283 6 dito a 64 sp 4 dito а 4d ІВ 44 14 ovale dito à 3 d 38 64 5 Sourtout а 3B 44 Ih 68 8d 5 piramides 2 38 44 th бр за П.

Die Geschichte des Ausgangs der Josef Hannong- schen Porzellanfabrikation in Straßburg und Ha- genau ist bekannt. Ein auf breiten, aber nicht genügend tiefreichenden Grundlagen aufgerichtetes Industrieunternehmen war unter dem Ansturm der Gläubiger, vor allem der Erben des ohne sein Wissen mit einer Riesensumme beteiligten Kar- dinals de Rohan, zusammengebrochen. Mündliche and schriftliche, ja selbst gedruckte Unschulds- beteuerungen vermochten den Fabrikanten Josef Hannong nicht zu retten. Zwischen seinen Ver- sprechungen und seinen tatsächlichen Leistungen klaffte ein ungeheurer Abstand. Der wohlwollende Beurteiler des Falls wird ihn einen Optimisten, der skeptischer Denkende wird ihn Hochstapler nennen. Die verschiedenen Verkäufe seines Be- sitzes an Rohstoffen, halbfertiger und fertiger Ware hatten nur ein sehr dürftiges, von seinen Hoff- nungen ungeheuer weit entferntes Ergebnis.

Nachdem in Hagenau, wie in Straßburg bereits verschiedene Verkäufe stattgefunden hatten, wurde im Jahre 1782 nochmals ein „Inventarium über Herrn Joseph Adam Hannong des Porcellan-Fabri- canten und Frsun Mariae Francisca gebohrene Arroy beeder Eheleuthe und Bürger allhier in Straßburg derzeit active Nahrung besitzend und zu zahlende passive Schulden errichtet“. Dieses im Straßburger Bezirksarchiv unter Notariatsakten aufbewahrt entbält u. a. ein Verzeichnis der Schuldner Josef Hannongs, aus dem zu entnehmen ist, wehin der Absatz des Straßburger Porzellans gerichtet war. Weichen nun auch die Angaben des Inventars von den Mitteilungen, die er selbst

in früheren Denkschriften machte, beträchtlich ab, so scheint doch auch nach dem zweifellos ver- trauenswürdigen Verzeichnis der Schuldner min- destens Josef Hannongs Bemühung, seinem Por- zellan einen großen Markt zu eröffnen, bewiesen. Nicht so freilich das Gelingen dieser Bemühungen. Mit der größten Summe, steht nächst dem Bruder des Fabrikanten in der Liste jener K.Jollait vonHam- burg, der, wie ein früher vonmirveröffentlichterVor- trag beweist i), die Monopolvertretung der Fabrik für Norddeutschland hatte; sonst finden sich deutsche Schuldner von größeren Beträgen noch in Lud- wigsburg, Frankfurt und Mainz, französische in Paris, Lyon, Montpellier, Döle und Marseille. Auf- fallend ist der bedeutende Absatz nach Italien, besonders nach Genua, Mailand und Livorno, ebenfalls erheblich der Verkauf an Abnehmer in der Schweiz; Genf und Neufchätel werden ge- nannt; außerdem wird besonders eine auf die Berner Messe zum Verkauf geschickte Sammel- ladung von 17 Kisten genannt, fiir die Hannong den Gegenwert nur zum Teil erhalten habe. Unter den Schuldnern finden sich mit unbe- deutenden Beträgen auch mehrere Arbeiter der Fabrik. Sie seien hier genannt: Sr. Cortant, Tourneur de la manufacture, Sr. Coussi, mouleur de la manufacture, Destoir, Peintre de manufacture, Пепе, Peintre de la manufacture, Dauber, mouleur de la manufacture, Hr. Frank, Dreher von hier, Hr. Hermann, der Dreher dahier, Rrutsler, der Arbeiter in der Manufacture, Sr. Lachet, der Commis in der Manufacture, Hr. Sieffert, der Mahler in der Manufacture, Hr. Schaal, der Mahler, Hr. Walter, der Mahler. Vielleicht ist es möglich, sie in anderen Fabriken

nachzuweisen. Josef Hannong selbst behauptet ja

gelegentlich, Arbeiter aus Meißen herangezogen zu haben. Ein Jacob Gusi, wohl ein Vorfahre des oben genannten Coussi, war unter den Arbeitern Paul Hannongs. Söhne und Enkel sind ihm in der Hagenauer Fabrik gefolgt. (Vgl. Hanauer,

Les fayenciers де Hagunau, 1907, 8.60.) Ein

Bernhard Destoir aus Straßburg hat sich 1765 in Hagenau verheiratet (ebenda S. 62). Ein Maler Johann Christoph Walter aus Meißen ist noch 1789 nachweisbar. :

Im Augenblick der Inventaraufnahme war weder die Masse der Fabrikationsbehelfe, noch die der fertigen Ware bedeutend. Das Hagenauer Inventar

(з) Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, Neue Folge 25 (1910), Seite 640. |

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verzeichnete sehr viel bedeutendere Vorräte, In Straßburg sind etwa 600 Zentner überwiegend weiße Porzellanerde, von Farbwaren außer geringen in Porzellantöpfen verwahrten Resten zwei Fäß- lein Kobalt, je eines mit ordinairer Smalte und mit Braunstein und eine Kiste mit gestoßenem Weinstein vorhanden gewesen, Unter den Fabri- kationsbehelfen werden Gips- und Steinformen genannt. Unter den halbfertigen und fertigen Waren überwiegen durchaus Kaffee- und Tee- tassen, glatt und gerippt, mit und ohne Hand- haben, z. T. blau gemalt, z. T. vergoldet; auch Quirlanden werden als Zierat erwähnt. Fast alles wird ausdrücklich als ae oder зе choix bezeichnet, Dann folgen Lichtstöcke, Senf-, Pomaden- und Apothekerhäflein, Teller, Schalen, Platten, Bidets und Nachtgeschirre, Butterkübel und Kühlgefäße, Schreibzeuge, Blumenkrige und Blumenscherben, kurz, das fibliche Gebrauchsgeschirr, von dem das Straßburger Kunstgewerbemuseum reichliche Pro- ben besitzt. Von den stattlichen Stücken Kron- leuchtern, Büsten u. dgl. die das Hagenauer In- ventar nennt, war in Straßburg damals wenigstens nichts mehr vorhanden. Zwischen all dem Por- sellan wird unvermittelt „ı Offen en Fayance weiß und vergoldet, mit ı Palmbaum“ genannt. Den

interessantesten Teil des Verzeichnisses bilden die Figuren. Sie waren 2. Т. in einem Wandschrank, der in Anwesenheit von Zeugen durch einen Schlosser geöffnet werden mußte, Die meisten Figuren waren „obnausgemacht“, d. h. unvoll- endet. Eine 16 Zoll hohe Kinderfigur wird hervor- gehoben, ein Endymion, mehrere Bacchus- und Bacchantengruppen mit Leoparden und mehrere Exemplare der schlafenden Venus nebst Kanapee und Glasglocke, wie sie ebenfalls das Straßburger Museum besitzt. Der gleichfalls in mehreren Aus- formungen erwähnte Theseus mit Minotaurus entspricht wobl der prachtvollen Gruppe des Breslauer Kunstgewerbemuseums. An anderer Stelle wird dann noch ohne nähere Bereich, nung eine größere Zahl von Biekuitfiguren er- wähnt, Der Gesamteindruck dieser Inventarauf- nahme ist der einer sehr großen Unordnung. Zum Teil durch Josef Hannong selbst, zum andern Teil durch seine Angestellten scheinen die anfangs zweifellos vorhandenen Vermögenswerte nach und nach verringert worden zu sein. Der dunklen Punkte gibt es viel in den einander folgenden Vermögensaufnahmen und Zwangsverkäufen, und das Gesamtergebnis auch dieses Inventars von 1782 war ein beträchtlicher Fehlbetrag.

REZENSIONEN nn

KARL SCHMALTZ, „Mater ecclesia- rum“ Die Grabeskirche in Jeru- salem. Studien zur Geschichte der kirchlichen Baukunst und Ikonographie in Antike und Mittelalter (Zur Kunst- geschichte des Auslandes, Heft 120). Straßburg, J. Н. Ed. Heitz, 1918. XI, 511 Seiten, 14 Tafeln und ein Textbild.

Pastor Schmaltz in Schwerin legt hier die Er- gebnisse tastender und sucherder Forschung im Anschluß an einen Studienaufenthalt am deutsch- evangelischen Institute für Altertumskunde vor. Er hat die gesamte Literatur, Quellen und ein- schlägigen Denkmäler sehr gewissenhaft durch-

gearbeitet und verglichen, sein Buch faßt die ge-.

samte bisherige, eine ganze Bibliothek bildende Forschung zusammen und darf als eine in Zu- kunft unentbehrliche Grundlegung über den ge- samten Arbeitestoff gelten. Tabellen der Ge- schichte der Grabeskirche eröffnen das Buch: dessen erster Teil die Quellen behandelt. 8. prüft zuerst die Schriften bis zur Kreuzfahrerzeit und sucht aus ihnen eine Vorstellung der Schöpfung Konstantins und ihrer Schicksale zu gewinnen. Dann zieht er die Darstellungen des Grabes und der Grabeskirche heran und gebt näher auf den Lateransarg, das Pudenzianamosaik, den Estrich von Madeba und die Medaille des Vatikan ein, denen er den Schluß entnimmt, daß die Rund- kirche über dem Grabe selbst ein wirklicher Kup- pelbau war. Einen solchen mit Umgang geben auch die Mailänder fünfteiligen Buchdeckel. Auf anderen bekannten Elfenbeinreliefs, die das Grab quadratisch mit runder Kuppel (auf einer Fens- trommel) zeigen, hält er mit Schönewolf die Wiedergabe für einen hellenistischen Idealtypus; vielleicht führt jetzt mein Armenienwerk welter. Eine Nachbildung nach der Änderung des Grabes durch Modestos sieht er auf einem Kästchen in der Sammlung Spitzer. Die angeblichen Nach- bildungen in Bauwerken, wie 8, Stefano in Bo- logna u. a,, ergeben keinen wesentlichen Ertrag. im allgemeinen findet S, das Ergebnis der lite- rarischen Quellen durch die monumentalen de- stätigt. Zum Schluß werden die Veränderungen durch die Kreuzfahrer und in der Folgezeit be- sprochen.

Der zweite Hauptteil des Buches behandelt, vom Kreusfahrerbau ausgehend und zurückschlies- send, die einzeinen Teile der Grabeskirche. Zu-

nächt die Grabeskirche selbst. Aus den Verun- staltungen der Jabrbunderte wird Chor und Quer- schiff im Übergangsstii mit Kuppel festgestellt. Die Zeichnungen des Franziskaners Horn, der 1725—1744 in Jerusalem lebte, leisten gute Dienste, Der Beschreibung, die auch die Südfassade, den Turm und die Mosalken umfaßt, folgt die kunst- geschichtliche Untersuchung und damit erst be- ginnt 8. 188 der Teil, der das Buch für den Kunst- forscher wertvoll macht. S. trägt den reichsten Vergleichsstoff herbei und schafft so über Vogüé und Dehio weit hinausgehende Grundlagen. Den unmittelbaren Anschluß der Grabeskirche an St. Gilles, einem Hafenplatz für Pilgerfahrten an der Rhönemündung, lehnt er ab, findet dagegen unabweisbare Beziehungen zu St. Sernin in Tou- louse. Beim Beginn des Kreuzfahrerbaues in Jerusalem um 1130 mochten Chor, Querschiff und Kuppel, um die es sich bei dem Vergleiche han- delt, vollendet gewesen sein. Besonders auffallend ist die Anlage von Emporen an der Nord- und Südseite der Vierungskuppel und die dadurch be- dingte Einteilung der Fassade mit zwei Fenstern im Obergeschoß. Eine Verkürzung der Kreuz- arme liegt in Conques vor. Die Anwendung des Spitzbogens führt 8. auf provengalischen Einfluß zurück, wobei zu beanstanden ist, daß er diese Art Bogen im Orient als von wesentlich orna- mentalem Charakter ansieht. Das Kreuzgewölbe über dem Vorraum des Chores leitet er auf einen normannischen Einschlag, ebenso den Laufgang über den Doppelsäulen des Chorhauptes, die Pfei- lerbildung auf Aquitanien zurück. Man möchte besonders bei Besprechung der Vierungskuppel wünschen, daß S. die armenischen Kirchen ge- kannt und von den Einzelheiten der Grabeskirche etwas mehr Aufnahmen hätte geben können. Auch die Südfassade der Grabeskirche ist ohne eingehendere Kenntnis des Armenischen kaum vollständig zu enträtseln. 1147—49 etwa erbaut sind in die, wie ich „Orient oder Rom“ ausführte, nach „ihrer heutigen Gesamterscheinung doch offenbar nicht konstantinische Fassade“, einzelne Teile vom ursprünglichen Bau eingegliedert. Diese Aufstellung hat mancherlei Widerspruch erfahren und 8. klärt nun die Frage dadurch, daß er auch für die Fassade nach den in Betracht kommen- den Vorbildern sucht. Er verweist auf die ähn- lich als Scheinwand vor das Bauwerk gestellten Schauseiten in Aquitanien und findet dort auch Einzelheiten eines der Friese wieder. Für das

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Doppeltor unten verweist er auf die Porte Mitge- ville von St. Sernin in Toulouse in provengalischer Ausführung. Das Bogenband, das die Fenster- nischen des Obergeschosses umzieht und für das 8. keine genaue Analogie beizubringen weiß, wird als fortlaufendes Band und in der Tiefendunkel- Unterarbeitung mit dem Jagdfriese von Achthamar zu vergleichen sein. (Vgl. „Die Baukunst der Armenier“, 8.291 f., Abb. 334 u. 574). Den Wirbel- wulst und die Polsterreihung um die Portale sieht 8. für lokale Einschläge an. Schließlich stimmt er aber doch bezüglich des einen der „antiken“ Friese mit mir überein. „Aller Wahrecheinlich- keit nach haben wir in ihm noch ein Überbleibsel des konstantinischen Gründungsbaues vor uns; waren doch, als die Kreuzfahrer ihren Bau be- gannen, wie ausdrücklich bezeugt wird, von ihm noch beträchtliche Ruinen vorhanden.“ Der Fries der Schmersenskapelle sei das Werk eines Stein- hauers aus dem Languedoc oder der Provence, angeregt durch das antike Hauptgesims. End- lich setzt 8. den Turm als nordfranzösischen Ein- dringling in die Zeit von Fulchers, des Schöpfers der Kreusfahrerkirche, Nachfolger, Amalrich (1158 bis 1180), der aus der Gegend von Noyon stammte. Die Untersuchung des Kreusfahrerbaues als Ganzes genommen füllt so in sorgfältigster Art die Lücke, die ich 1901 so sehr empfand. Die Grabeskirche erscheint danach auf das Engste verbunden mit den großen Wallfahrtskirchen im Süden Frank- reichs,

Der nächste Abschnitt ist der Anastasisrotunde gewidmet. 8. beschreibt zunächst ihr und des Grabes Aussehen sur Zeit der Kreusfahrer und geht dann vom Wiederherstellungsbau des Mono- machus auf den des Modestos über, dabei die Untersuchungen von Vincent verwendend. Er hätte mit einem Blick in mein „Amida“ den Seiten- hieb 8. 256 unterlassen können, Vielleicht wird 8. auch in der Einschätzung der Zeit des Mode- stos anderer Ansicht werden. Für den Gründungs- bau kommt er zu einer reinen Rotunde etwa in der Art des Marneions und des Konstantingrabes del der Apostelkirche in Кре,

Der vierte Abschnitt geht den Gelgothakapellen und ihren Mosaiken nach. Sehr eingehende Unter- suchungen über die Geschichte der von Quare- simus u. a. beschriebenen Szenen des Abend- mahis, der Kreuzabnahme, der Auferstehung, Himmelfahrt, des Opfers Abrahams und mehrerer Eliasszenen führen S. auf die Möglichkeit, diesen Schmuck in die Zeit des Modestos zurückzuleiten. Die Untersuchung der Helenakapelle und der übrigen Nebenbauten führt auch ihn darauf, die

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Kapelle selbst für die Kreusfindungsstätte des vierten Jahrhunderts, d. h. eine damals bereits verwendete Unterkirche der Basilika Konstantins anzusehen und die darin und sonst benutzten Kapitelle auf den Modestosbau zurückzuleiten.

Mit allen diesen Untersuchungen macht 8. den Weg frei für die Hauptfrage nach dem Aussehen der Schöpfung des großen Konstantin am heiligen Grabe. Erhalten ist davon die sog. „Propyläen- mauer“, die 8. nach langwierigen Erwägungen für die Fassade, nicht das Atrium der Basilika erkennt. Er bestimmt die Größe der Grabes- kirche mit 37 & 66,54 m, ihre Mittelschiff breite mit mindestens 11 m. Erst jetzt kommen die aus der Kritik der Schriftquellen erzielten Ergeb- nisse zur Nutzanwendung, vor allem Eusebios’ dunkler Bericht. Wie Schmalz zur Annahme einer fünfschifigen Emporenbasilika mit Innennarthex, eingebauter Apsis, Querschiff und Vierungskuppel gelangt, muß man bei ihm selbst nachlesen. Auf die Kuppel kommt er 8. 46 £. durch Ausdeutung des Wortes „Hämisphärion“, das Eusebios verwendet, Ich verweise noch auf Leo Diac. X, 10 (vgl. meine Baukunst der Armenier, 8. 593) und Chorikios von Gaza (Boissonade, 8. 85f.). Unter den Belegen für die Bauform einer Basilika mit Kuppel wären neben der Agsamoschee und 8. Agostino in Spo- leto noch die armenischen Beispiele und die Sophienkirche in Sofla aufzuzäblen. Armenien gibt zum Verständnis dessen, was В, will, über- haupt erst den Schiüssel (vgl. mein Armenien- werk, 8. 834 f. und 860 f., wo ich bereits auf das vorliegende Werk, das mir teilweise in Korrektur vorlag, verweisen konnte). Der folgende Ab- schnitt „Mater ecclesiarum“, der die Entstehung und Ausbreitung der Kreuskuppelbasilika behan- delt, durfte zusammen mit meinem Armenienwerke wohl einige Wirkung auf jene Kunstforscher aus- üben, die glauben, immer noch Wissenschaft treiben zu können, ohne die Tatsachen des christ- lichen Ostens genau zu kennen, Mein „Ursprung der christlichen Kirchenkunst“ wird die Ergeb- nisse in gemeinverständlicher Art zusammenfassen. 8. schließt seinen Band mit einem gegen Heisen- berg gerichteten Abschnitte über die Elemente antiker Religion im Konstantinsbaue.

Die umfassende Arbeit des protestantischen Pfarrers, die ich nur in Schlagworten andeuten konnte, ist ein würdiges Seitenstück zu den Be- mühungen des katholischen Pfarrers Mommert, der vor etwa zwanzig Jahren ähnliche Wege ging. Dazwischen liegen die Forschungen von Heisen- berg, Baumstark, Vincent und Jeffery. Der Kunst- historiker wird damit rechnen müssen, daß sich

Abschließendes nie dürfte sagen lassen, so lange den heutigen Tatbestand und die literarischen Quellen nicht Ausgrabungen großen Stiles er- gänzen. Sie waren bisher in Jerusalem ebenso- wenig möglich wie in Konstantinopel. Wenn auch zu bedauern ist, daß die frische Tätigkeit ‚des evangelischen Institutes durch die Kriegs- entscheidung ein jähes Ende fand, so erweckt die heutige Lage doch die Hoffnung, daß nun erst die Arbeiten werden beginnen können. Der Worte sind genug gewechselt. Hoffentlich ge- lingt es, die am Besitze der Grabeskirche beteiligten Kirchen zu überzeugen, daß es eine Verpflichtung aller Christen ist, nunmehr mit vereinten Kräften und dem Spaten in der Hand das Mögliche zu tun, um Klarheit zu erreichen. Daß das aber nicht nur eine Angelegenheit der Kirchen, sondern vor allem auch der Kunstforschung ist, hat Schmaltz neuerdings schlagend bewiesen. In Jerusalem laufen die Fäden der christlichen Kunstentwick- lung bis zum Ende der Kreuzzüge zusammen. Je mehr wir von den national verschiedenen Kunst- strömen der östlichen Christenheit erfahren meine Arbeiten über Kleinasien, Ägypten, Mschatta, Amida, Altai-Iran und Armenien suchten den Weg zu bahnen desto dringender wird ein genauer Einblick in die große Vermittlerrolle, die Jerusa- lem ‘als geheiligter Mittelpunkt der Wallfahrer und Gläubigen der gesamten Christenheit sufiel. Schmaltz hat das kunstgeschichtliche Problem der Grabeskirche Konstantins, wie ich es den Kunst- historikern 1901 nahezubringen suchte, mit aller Entschiedenheit aufgegriffen. Hoffentlich werden die Herren, die heute für Jerusalem verantwort- lich sind, uns bald mit einer Weiterführung der so entschieden begonnenen Arbeiten erfreuen.

J. Strzygowski.

GEORG STUHLFAUTH, Die „ältesten Porträts“ Christi und der Apostel. Berlin 1918. Hutten-Verlag. 26 S. 8°. Mit zwei Abbildungen auf eigner Tafel. Preis до Pf.

Im Jahre 1910 wurde bei der Aushebung eines Brunnens zu Antiochia am Orontes ein kostbarer Silberfund gemacht, als dessen Hauptstück ein Kelch auf niedrigem Fuße, im ganzen 19 cm hoch, gilt. Dieser gelangte mit anderen Stücken des- seiben Fundes in den Besitz der Brüder Kou- chakji in Paris, die bald nach Kriegsausbruch im Jahre 1914 außer anderen Gegenständen ihrer archäologischen Sammlung auch den kostbaren Kelch sicherheitshalber nach New York schafften.

Nach amerikanischen Vermutungen soll dieser Kelch ein altchristliches Denkmal von einzigartiger Bedeutung sein: seine Herstellung wird noch in die Apostelzeit verlegt, und die Reliefs, die in reichem Rebengerank den thronenden Christus mit zwölf andern Figuren zeigen, werden als die älte- sten und echten Christus- und Apostel- bildnisse angesprochen. Diese Einsicht ging vom Amerikaner Gustavus A. Eisen aus, der eine vorläufige mit einer Tafel und vier Text- illustrationen versehene Studie über unsern Kelch im „American Journal of Archaeology“ П, Serie, Ва. XX, 1916, 8. 426—437 unter dem Titel „Pre- liminary Report on the great Chalice of Antioch containing the earliest Portraits of Christ and the Apostels“ veröffentlichte. Eine eingehende Publi- kation über den Kelchfund versprach G. A. Eisen für das Jahr 1917 ob jedoch sein Versprechen schon in Erfüllung gegangen ist, wissen wir in Deutschland infolge der Absperrung von der übrigen Weit nicht.

Eisens vorläufige, eben zitierte Veröffentlichung reichte indessen Ып, dem Kelchfunde zu einem Ansehen zu verhelfen, das er zweifellos nicht verdient. Die übertriebenen Auffassungen Eisens darüber fanden auch Widerhall in Deutschland; man vergleiche den Aufsatz von М. „Der große Silberkelch von Antiochia mit Christus- und Aposteldarstellungen“ in der „Kunstchronik“ 1917, Nr. 32, 8. 348—350 und die darauf beruhende anonyme Mitteilung „Der große Silberkelch von Antiochia. Die älteste Christus- und Aposteldar- stellung“ in der Sonntagsbeilage Nr. aa zur „Vos- sischen Zeitung“ Nr. 278 (3. Juni 1917), 8. 86f; ferner vgl. die Besprechung des Fundes von W. F. Volbach in „Germania“ Korrespondenz- blatt der Römisch-Germanischen Kommission des kaiserl. Archäologischen Instituts 1018, Heft I, 8. 23—25 (wo aber der Kelch in die zweite Hälfte des IV. Jahrhunderts datiert wird).

Der Kelchfund aus dem. Orontes-Gebiete gab auch meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. а. Stuhlfauth, dem rühmlichen Vertreter für christliche Altertumskunde und kirchliche Kunst an der Berliner Universität, Anlaß zu der hier zu besprechenden Studie, die zuerst in kürzerer Form im „Protestantenblatt“ 1918, Nr. 16 bis 18 erschien. Hier entwickelt der Verfasser in ruhigem und überlegenem Tone die Grundsätze, nach denen die kultur- und kunstgeschichtlich so wichtige Forschung über die Porträts Christi und der Apostel anzustellen ist und die betreffenden Darstellungen zu beurteilen sind, um sichere Resultate zu er- langen, Im Anschluß an verwandte altchristliche

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Denkmäler erbringt Prof. Stuhlfauth den Nach- weis, daß der immerhin äußerst kostbare Kou- chakji-Silberkelch, den er nur aus Photographien oder Beschreibungen kennt, als ein Werk des fünften, wenn nicht gar des beginnenden sechsten!) nachchristlichen Jahrhunderts anzusehen ist; da- nach kann es sich hierbei keineswegs um die ältesten Bildnisse Christi und seiner Jünger han- deln. Die Behauptung, der Kelch stelle die echten und authentischen Christus- und Apostelbilder dar, läßt sich als eine gefährliche Illusion des Herrn Eisen erweisen.

8. 9—ıo, Anm. 1 über den spät-, mittel - und neugriechischen Sprachgebrauch von (xa3-) otogsty == malen, vgl. auch meine Anmerkungen im Repertorium für Kunstwissenschaft Bd. LU (1916) 8. тоз,

Athen-Berlin, Nikos A. Bees (Béns). MAX KAHN, Die Stadtansicht von Würzburg im Wechsel der Jahr- hunderte. Gesellschaft für Fränkische Geschichte. Neujahrsblätter, ХП. Heft. München. Leipzig 1918. Verlag von Duncker & Humblot.

Die wenigen Monographien, die sich mit der Bau- und Kunstgeschichte Würzburgs beschäftigen, haben den reichen Quell, der in den zahlreichen Stadtansichten seit dem ausgehenden 15. Jahr- hundert für die Entwicklungsgeschichte der Stadt geflossen ist, gar nicht oder nur wenig benützt. Erst Mader in seinem monumentalen Werk der Kunstdenkmäler von Unterfranken XII, Stadt Würz- burg, hat in der Einleitung wenigstens einige der alten Stadtansichten veröffentlicht. Es ist zweifellos ein großes Verdienst des Verfassres, einmal alle diese Ansichten Würzburgs, von denen ihm 69 bekannt geworden sind, in ge- schlossener Folge zusammengestellt zu haben und os ist ungemein lehrreich, feststellen zu können, daß in ihnen das Gefühl für die malerische und künstlerische Schönheit des Würzburger Stadt- bildes, das heute gewissermaßen Gemeingut aller Bildungsgrade geworden ist, nur langsam und sporadisch zum Ausdruck kommt. Nur das älteste Blatt von 1493 aus Hartmann Schedels Welt- Chronik ist wirklich monumental empfunden, es besitzt auch, wie Verfasser nachgewiesen hat, be- reits eine relativ große Treue der Darstellung der türme- und kirchenreichen Stadt, die von dem stolsen Schloß der Fürstbischöfe überragt wird.

(1) Meines Erachtens ist die Datierung ins beginnende VL Jahrhundert wahrscheinlicher.

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Den Spuren des Künstlers, in denen die einen bald den Meister Wolgemut, die anderen dessen Stiefsohn Pleydenwurff erkennen wollen, sind die zahlreichen Nachfolger nicht gefolgt. An die Stelle des prächtigen Aufbaues des ganzen Städte- bildes tritt in der Folge eine Art Vogelperspektive, die wohl einen Überblick und sogar einen Ein- blick in die ganze Stadtanlage gewährt, aber jeg- liches Gefühl für künstlerische Wirkungen hint- anstellt. Gerade ein so bedeutender Künstler wie

Hans Rudolf Manuel Deutsch, der das Bild Würz- `

burgs für die 5. deutsche und erste lateinische Ausgabe von Sebastian Münsters Cosmographie geschaffen hat, mußte diesen Canon formen, der nun bis ins ı8. Jahrhundert hinein immer wiederkehrt. Der Reizlosigkeit der Darstellungen des Städtebildes selbst wird aber durch ein ge- wisses Maß künstlerischen Beiwerks, namentlich einer oft reizvollen Wiedergabe der Landschaft und manchmal ganz vorzüglicher kostüm- und kulturgeschichtlich interessanter Schilderungen für den heutigen Beschauer ein erfreuliches Gegen- gewicht gegeben.

Zwischen hinein fallen Blätter, die sich angenehm durch eine besondere Auffassung abheben. So das reizende Blatt von der Hand Wenzel Hollars und die malerisch empfundene große Ansicht der Stadt vom Steinberg aus in der Topographia Franconiae von Matthäus Merian, die in ihrer künstlerischen Bedeutung nicht hoch genug ein- geschätzt werden kann und zugleich das beste Blatt des ganzen großen Werks bildet.

Neben der Vogelperspektive des Manuel Deutsch hat dieses Blatt von da an den größten Einfluß auf die meisten Darstellungen Würzburgs in den nun seit dem 18.Jahrhundert zahlreich erscheinen- den Reisewerken, Einblattdrucken und losen Folgen von Städteansichten. Der Flut im 18. folgt eine zweite größere im 10. Jahrhundert. Eines der besten Blätter stammt von der Hand des bekannten Malers und Radierers J. A. Klein, das er 1811 im jugendlichen Alter von 19 Jahren für den betrieb- samen Unternehmer Friedrich Thomin schuf, der bekanntlich in Würzburg auch eine feine „Por- zellänmahlerey“ ins Leben gerufen hat, in der u.a. allerlei Ansichten von Würzburg auf Tassen und sonstigen Geschirren entstanden sind. Wäh- rend Klein aber den schon von Merian aufge- nommenen Blick vom Steinberg, der ohne Zweifel das eindrucksvoliste Bild von Würzburg bietet, künstlerisch neu creiert hat, gab F. Richter in seiner von Hammer 1816 gestochenen Zeichnung einer der Hauptsache nach mehr malerischen Darstellung des Stadtbildes den Vorzug. Das

prachtvolle große Blatt, das Würzburg von der Südseite aus darstellt, ist mit der Hand koloriert. Auch Ludwig Richter schuf ein ganz ausge- zeichnetes stimmungsvolles Blatt für das „male- rische und romantische Deutschland“,

Das weitaus reifste Blatt, das, den berühmten Blick von Osten auf Würzburg bietend, die Stadt in Abenddämmerung in feinem Dunst verschwim- men läßt, während die Feste Marienberg der Gralsburg gleich in violetten Tönen sich hoch- ragend vom goldenen Abendhimmel sbhebt, hat der hervorragende Landschaftsmaler August Geist geschaffen.

Eine Stadt von solch hervorragend malerischen Stimmungswerten wie Würzburg mußte auf ästhe- tisch fühlende Menschen zu jeder Zeit ihren Ein- fluß ausüben. Etwas von diesem Einfluß ist bei einer größeren Zahl der Bilder trotz aller zur Schau getragenen Lehrhaftigkeit, hier mehr, dort weniger, immer zum Durchbruch gekommen. Auch Verfasser hat sich in seiner Schilderung ihm nicht entziehen können und ist so der Gefahr der Trockenheit, die die Behandlung seines Themas nur zu leicht in sich schließt, glücklich entgangen. Getragen von einer begeisterten Liebe zum schönen Würzburg, läßt er das Bild der Stadt durch mehr als vier Jahrhunderte an uns vorübergleiten.

Nicht nur dem Kenner Würsburgs wird Kahns Buch einen wertvollen Überblick über die Ent- wicklung des Stadtbildes dieten, sondern auch jedem, der sich mit der Frage der Stadtentwick- lung und ihrer graphischen Darstellung überhaupt im Laufe der Jahrhunderte beschäftigt.

Zwölf von Konrad Triltsch in Dettelbach aus- geführte vorzüglich gelungene Reproduktionen der wesentlichsten Blätter, die man allerdings noch gerne vermehrt sähe, erhöhen den Wert des Werkchens, das bei Architekten, Knnstgelehrten und Kunstkennern sicherlich überall eine freund- liche Aufnahme finden wird. A. Stöhr.

WALTHER DEXEL, Untersuchungen über die französischen illuminier- ten Handschriften der Jenaer Uni- versitätsbibliothek vom Ende des 14 bis zur Mitte des ı5. Jahrhunderts. Mit хо Lichtdrucktafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz und Mündel) 1917. VL 52 S., ro Tafeln. 4°.

Dexel untersucht in seiner Dissertation sieben französische Handschriften, 14./ 13. Jahrh. der U.B. Jena, welche mir aus der Zeit meiner Wirksam-

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919, Heft 5/6

keit an dieser Bibliothek wohlbekannt sind. Die Hiss. sind bisher so gut wie unbekannt geblieben, weder in sprachlicher noch in kunsthistorischer Beziehung sind sie untersucht; Mylius und Neitzel- Kanold geben nur kurze übrigens von D. nicht erwähnte Notizen.

Die kunsthistorische Würdigung dieser Hoss., die durch die Art der Anordnung des Bildschmuckes, die bei allen ähnlich gestaltete Ornamentik zu- sammengehören, steht in D.s Arbeit im Mittel- punkt des Interesses. Es sind mit Ausnahme der Legenda aurea wissenschaftliche Werke, deren französische Übersetzung meist auf die Anregung Königs Karl V. von Frankreich zurückgeht. An allen Bänden findet sich das Wappen von Nassau- Vianden, so daß der Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige sie wahrscheinlich aus den Hän- den der Grafen von Nassau erhielt.

Zu dem Glücksrad in dem Valerius Maximus (8. то), vgl. Franz Boll, Neue Jahrbücher XXXI (1913), 8. 130 A. 1 mit der dort angeführten neueren Literatur. Daß auf dem Titelblatt der aristo- telischen Probleme neben Aristoteles Hippokrates erscheint, ist nicht verwunderlich (vgl. S.21A.3), wenn man sich erinnert, daß in dieser Schrift manches aus Hippokrates vorkommt, vgl. Christ, Geschichte der griechischen Literatur“, 8. 410.

| Thomas Otto Achelis.

JULIUS MEIER-GRAEFE, Cézanneund sein Kreis. Ein Beitrag zur Entwick- lungsgeschichte. München 1918. Verlag R. Piper & Co.

Unvergeßlich trotz oder wegen ihrer relativen Kleinhat und Beschränkung ist die Sammlung Gagnat! An den hellen Wänden hängen in un- säglicher Süße und doch voller Hoheit in goldenen Rahmen, vom Meister selbst gehängt, die späten und reifsten Werke Renoirs. Alle Räume sind erfüllt und durchflutet von der schimmernden Pracht der lebensgroßen Akte des verwundeten Mädchens und so mancher anderer. Noch im Schlafzimmer hängen jene traumhaften Rosen, wie sie kein Sterblicher je schöner gemalt. Keine Bilder sonst! Nur im Vorzimmer ein oder zwei Cézanne!

Im Vorzimmer des neuen schönen Buches Meier-Gräfes über Cézanne hängt umgekehrt ein Renoir. Nicht aus Koketterie (wie vielleicht bei Gagnat der Cézanne), sondern aus einem innern Bedürfnis heraus. Dem Bedürfnis, noch einmal mit einem Blick sich zu versenken in diese lichte und harmonische Welt, die so unbegreiflich selbst

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verständlich, scheinbar mühe- und problemlos ge- schaffen ist, deren Ziel so ausschließlich la delec- tation (um die einfache Definition Poussins zu gebrauchen), der reine optische Genuß, ist. Erst dann beginnt die Auseinandersetzung mit der zäh und bis zuletzt unsäglich schwer erkämpften und ebenso schwer erringbaren Kunst Cézannes und seiner Probleme, Daß Renoir und Cézanne im gleichen Lande nebeneinander lebten, ist das gleiche antithetische Wunder, wie bei Raffael und Michel- angelo, bei Rubens und Rembrandt (wenn auch hier Zeit und Ort etwas differieren). Welche Art mehr vorwärts schafit, fördert der quellend Intuitive oder der Problematiker (grob gesagt) ist schwer zu entscheiden: im Kunsthaushalt sind beide notwendig, bedingen vielleicht einander. Das Sicheinfüblen in das Kunstwollen der Ver- treter der zweiten Reihe, der Michelangelos, Rembrandts, Grünewalds und Grecos ist sicherlich schwieriger, dornenvoller, aber gerade deshalb vielleicht. auch reizvoller.

Meier-Graefe geht den Problemen keinesfalls aus dem Wege. Nur behandelt er sie in seiner bekannten nonchalanten Art so, daß der oberfläch- liche Leser gar nicht merkt, daß es überhaupt welche sind und zwar meist recht gut gestellte und ebenso gelöste. Dem Kunstphilologen oder -isthetiker, der die Schwere und Wichtigkeit eines Problems nach der mehr oder minder großen Ver- wickeltheit der Phraseologie mißt, ist diese Be- handlung natürlich ein Greuel. Und doch kann man aus den knappen Abschnitten, aus der etwas summarischen Zusammenfassung für den Gesamt- _entwicklungsgang Cézannes, aber auch für die einzelnen Stationen, vieles lernen und an die formal noch impressionistischen, aber doch struktiv aufbauenden Bemerkungen M.-G.s anknüpfen,

Zusammenhänge festzustellen oder zu konstru- ieren, ist eine dankbare Aufgabe. Aber es kann auch Fälle geben, wo der Mut, eine Kluft als Kluft zu lassen, als einen Sprung, ein Absurdum noch mehr zu begrüßen ist. Zwischen den An- fängen des , Anarchistens“ Cézanne und seiner nur revolutionierenden Zeitgenossen ist tatsächlich eine Kluft und ebenso zwischen diesen Anfängen, diesen hingeschleuderten schwarzen Fetzen und Klumpen, und den organischer Form vollen Werken seiner späteren Zeiten, in denen das prometheische Bild- nerische den zyklopischen Drang des Beginnens kaum mehr ahnen läßt (während, wieM.-G. richtig bemerkt, bei van Gogh die „Fortsetzung nie die Unsicherheit des Beginns verschweigt“).

Auch die schwierige Frage, wie Cézanne zu dem eigentlich schulmäßigen Impressionismus steht, den

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er ja Anfang der siebziger Jahre in Auvers zu- sammen mit Pissarro gewissermaßen „lernt“, be- handelt M.-G., etwas sprunghaft, aber doch ein- gehend und geistreich. Es ist das Problem, wie aus der analysierenden, auflösenden Methode der Impressionisten (die allerdings auch noch einer näheren Untersuchung bedürfte) bei Cézanne ein Zusammenfassendes, Konstruktives, eine Synthese entsteht, die etwas ganz Neues, Fruchtbares ent- halt und zugleich doch „museal“ wird, d. h. in gewissem Sinne an die Tradition anknüpft, an Greco (den C. freilich kaum oder nur wenig gekannt), an Veronese später undnoch mehr an die Hintergründe Poussinischer Landschaften. M.-Gr. zeigt das in mehreren Abschnitten, worunter vielleicht der wertvollste der achte ist, der in einer fast tech- nisch exakten Untersuchung über Cézannes Pinsel- führung und Modellierung mit Farbe und Ton Auskunft gibt im Vergleich zu der Technik der Früheren bis auf Delacroix. Diese Modellierung differenziert, aber sie verweichlicht nicht auflösend (wie Monets) und sie mechanisiert nicht (wie der der Neo-Impressionisten), sondern baut, organisiert, verräumlicht, ja geometrisiert. Und vermeidet doch, da sie sich auf die impressionistische Nu- ance stützt, das Verflachen in das Dekorative, Ornamentale, Kunstgewerbliche.

Bekannt ist der Ausspruch Cézannes, den Ber- nard zitiert: „Alles in der Natur formt sich nach Kugel, Konus und Zylinder“ einen Satz, den die Neueren begeistert aufgegriffen und 2. Т. schematisiert haben. Wie er sich in dem Werk Cezannes manifestiert, wann dieses Schichten „zylindrischer Körper“ beginnt und wie dieses System besonders in seinen letzten Bildern (z.B. in den Badenden) sich auf die gesamte komposi- tionelle Bildstruktur ausdehnt, davon bekommt man noch keine rechte Vorstellung. Und doch ist diese Frage für die Weiterentwicklung des Stils Cézannes auf seinen Kreis und weiterhin von außerordentlicher Wichtigkeit, (M.-Gr. behandelt den „Kreis“ Cézannes, obwohl es im Titel steht, in diesem Sinn überhaupt nicht, auch hat er im engeren Sinne als Schule, etwa wie Raffael und sein Kreis kaum existiert, Die Ausstrahlung ist, vielmehr ähnlich wie die Michelangelos auf die Manieristen unpersönlich, aber um so intensiver.) Auch über den Cézanneschen Alters- stil erfahren wir aus den sonst so reichen und schönen Abbildungen nur wenig.

M.-Gr. bat sich, seitdem er sein kleines Büch- lein über Cézanne geschrieben, der Kunst dieses großen, vielleicht größten Meisters der a. Hälfte des 19. Jahrhunderts um ein Beträchtliches genähert

\

(wie die meisten von uns, die irgendwie die Ent- wicklung des neuen Kunstwollens mitgefühlt haben). Das merkt man in seinem neuen Buch deutlich, Daß er dabei nicht Apostat wird, wie so manche, und etwa einen Cézanne vom expressionistischen Standpunkt aus schreibt (was natürlich an sich auch eine Berechtigung hätte), ist nur anzuerkennen. Daß er aber trotzdem er der führende deutsche Schriftsteller des Impressionismus fühlbar von den impressionistischen Tendenzen und Göttern abrückt, ist doch wohl der mächtigen Strö- mung der Zeit zuzuschreiben. Ein abschließendes Werk über Cézanne nach deutschen Begriffen mit Oeuvre-Katalog usw., wie M.-Gr, es für Marées gemacht hat, werden wir wohl in absehbarer Zeit kaum erhalten. Den Franzosen liegt eine derartige Arbeit nicht und wir werden froh sein, wenn wir uns mit unserer eigenen Kunst beschäftigen dürfen. Aber an einer Kunst, die, wenn sie auch in französischem Boden wurzelt, doch in ihrer Idealität und ihrer Melodik übernational ist, uns zu freuen, kann man uns nicht verbieten. Und so begrüßen wir dieses Buch und versuchen aus den (fast 150) Tafeln das farbige Bild uns zurück- zuerobern, das uns bezauberte und unsere Erinne- rung festhält. Walter Friedlander (Freiburg).

ALFRED LICHTWARK. Eine Aus- wahl seiner Schriften. Besorgt von Dr. Wolf Mannhardt. Mit einer Ein- leitung von Karl Scheffler. 2 Bände. Berlin, Bruno Cassirer Verlag 1917.

Für den zünftigen Kunsthistoriker bedeutet die Klassifizierung der wissenschaftlichen und musealen Tätigkeit Lichtwarks Verlegenheit. Weder sind die Schriften dieses wegen seiner kunstpädagogi- schen Absichten recht vielen Fachgenossen un- sympathischen „Schulmeisters“, noch die Bemer- kungen des wegen seiner „kopflosen Modernitäts- sucht“ getadelten „dilettantischen“ Museumsleiter nach дет Wunsche eines Bureaukratiamus, der hoffentlich vom Sturmwind der anbrechenden Be- freiung gründlich fortgeblasen werden wird. Nun, Alfred Lichtwark hat keinen Wert darauf gelegt, der edien Sippe der deutschen Kunsthistoriker an- zugehören. Er kaufte im stillen, mit einem über ganz Deutschland gespannten Netz von persön- lichen Beziehungen gerüstet, und daher zu Zeiten, als die hervorragenden Bilder noch im Privatbesitz versteckt waren, sehr billig während die Kollegen später ein Vielfaches zu gönnerhaften Kunsthindlern trugen. Er schrieb im stillen, kleine präzise Essays mit ihrer knappen treffenden Ausdrucksweise über

allgemeine Themata und er lächelte, ja, Lichtwark konnte lachen über die Selbstgefälligkeit der in der Kunstwissenschaft üblich gewordenen Publi- kationssucht der gleichgiltigsten und nichtigsten „Entdeckungen“,

Wie bescheiden nahm sich Lichtwarks „Ent- deckung“, des Meisters Bertram aus, als er ihn in einer rhetorischen Glanzleistung allerersten Ranges beim Jubiläum des germanischen National- museums in Nürnberg der deutschen Wissenschaft vorstellte. Unvergeßlich dieses ironische Schmun- zein der Mundwinkel, als ibm Erich Schmidt, der Meister akademischer Redekunst, emphatisch dankte. Die Durchsicht der Korrekturbogen für den Museumsanzeiger gab mir staunende Erkennt- nis von der Fähigkeit Lichtwarks, ohne jede Aus- schmückung das Sachliche hervorzuholen. In dieser Scheu hat er große Ähnlichkeit mit Wölfflin. Unterdessen sind lange Jahre vergangen, und die Forschungen über die Meister Fraricke und Bertram haben weitergeführt, wie es Lichtwark auch angenommen hat. „Das unfruchtbare Besser- wissen seiner jüngsten Beurteiler‘ so äußert sich deutlich Carl Georg Heise in seinem Buche über norddeutsche Malerei hat vielleicht ver- hindert, daß der Herausgeber den Aufsatz in der prägnanten Form jener Rede (weiche übrigens auch S. 63ff. des Bandes der „Deutsche der Zu- kunft“ gedruckt ist) in diese Auswahl aufnahm. Der „Kunsthistoriker“ Lichtwark kommt in den beiden Bänden nur auf fünfzig Seiten zum Wort, die allerdings eine mustergiltige Auslese geben: die schon ganz den künftigen Erzieher voraus- deutende Einführung in das Werk Rembrandts, eine schlichte und doch in ihrer Verteidigung des Protestantismus gegen den Vorwurf, er sei unkünst- lerisch, männliche Äußerung über Dürer, und die Arbeit über die deutschen Landschaftsmaler 1800 bis 1850, die eine Fülle von Anregung und Auf- munterung enthält. Die überlegenen Artikel über Museumsbauten und Museumspolitik, und die prachtvolle, wie ein Selbstbekenntnis des Verfassers orientierende Biographie Brinckmanns geben den Auftakt zu diesem Kapitel.

Durchaus genügend! Denn Lichtwarks eigent- liche Bedeutung beruht in den im ersten Bande zusammengefaßten erzieherischen Schriften, die das Bild des klugen und guten Menschen Licht- wark bewahren sollen. Diese Mahnungen zur künstlerischen Selbsterziehung haben Lichtwarks Namen bekannt gemacht in seinem Vaterlande, aber lange noch nicht bekannt genug, wie er өз verdient. Wohl ist Lichtwarks berühmtester Essay über den „Deutschen der Zukunft“ jetzt nur mehr

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,

die idealistisch ausgesprochene Vision einer natio- nalen Empfindung, der man den Unterton der Un- zufriedenheit deutlich anmerkt. Dennoch wird er späteren Zeiten als ein erhebendes Dokument gelten für das Vorhandensein einer selbständig gerichteten Persönlichkeit in einer Zeit, in weicher es der überraschenden Armut Deutschlands an ihnen ge- brach. Desgleichen die lebendigen Schilderungen der deutschen Königsstädte, deren kulturhistorische Wichtigkeit ebenfalis einmal der Geschichts- schreiber des Deutschen Kaiserreiches dankbar empfinden wird. An dieser Stelle sei nur noch nachdrücklich auf die Unterhaltung mit einer Ober- klasse über MeisterFranckesChristusalsSchmerzens- mann verwiesen als auf ein nachahmungswürdiges Beispiel pädagogischer Einsicht bei musealen Füh- rungen.

Einer allgemeinen Verbreitung der beiden Bücher steht leider ihr hoher Preis entgegen. Es wird so viel von der „Schutzfrist“ gesprochen gibt es bei Schriften von solcher dem ganzen Volke vorbildlichen Art nicht einmal , Ausnahmegesetze 2“ In kleinen Heftchen verbreitet, ließe sich eine mächtige Wirkung gerade der Lichtwarkschen Methode denken. Muß er erst dreißig Jahre tot sein, um in Deutschland populär zu werden? Sollen bis dahin seine Weisungen nur in der Stille fort- klingen 2

Karl Schefflers menschlich herzliche Einfühlung in die Persönlichkeit seines Hamburger Stammes- genossen Lichtwark kann nachgerühmt werden, daß sie sich zu dem Tone erhebt, wie ihn Licht- wark bei der Charakteristik Brinckmanns ange- schlagen hat. Sie bezieht auf Lichtwark das wunder- volle Wort Gottfried Kellers über Goethe aus dem grünen Heinrich: „Es war die hingebende Liebe an alles Gewordene und Bestehende, weiche das Recht und die Bedeutung jeglichen Dinges ehrt und den Zusammenhang und die Tiefe der Welt empfindet.“ Ich kann es mir nicht versagen, zur allgemeinen Beachtung und zur besonderen Beherzigung jener Kunstschriftsteller, die sich heute die künstlerischen Führer der Nation zu sein vor- kommen, auch den Schluß des Zitates herzusetzen: „Diese Liebe steht höher, als das künstlerische Herausstehlen des Einzelnen zu eigennützigem Zwecke, welches zuletzt immer zu Kleinlichkeit und Laune führt sie steht auch höher als das Genießen und Absondern nach Stimmungen und romantischen Vorurteilen. .“ Discite moniti!

Hermann Uhde-Bernays.

HERMANN SCHMITZ, Berliner Bau-

meister vom Ausgange des 18.Jahr-

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hunderts. Mit 386 Abbildungen. Berlin, Verlag für Kunstwissenschaft, 1914.

Die klassizistische Baukunst, die wir heute end- lich wieder nach ibrem Werte su schitzen wissen, gehört zum größten Teile Berlin und seiner Um- gebung an. Die kühle Verstandesklarkeit, die norddeutsche Sachlichkeit ihrer Meister verstand am besten das auszudrücken, was im Wesen des Stiles lag, und zu den negativen Vorzügen ge- sellte sie durchaus positive und raumschöpferische.

Ihre Entwicklung hat Hermann Schmitz in einem stattlichen Quartbande sum Gegenstand seiner Darstellung gemacht; ausgehend von dem Ge- danken der Verwandtschaft unserer architektoni- schen Bestrebungen mit denen jener Epoche, und mit der Absicht, Architekten und Bauliebhabern ein Handbuch norddeutscher klassizistischer Bau- kunst zu geben. Dementsprechend ist der Nach- druck auf die Abbildungen gelegt, die in reicher Fülle und ausgezeichneter Qualität zumeist von erheblichem Umfang, den wesentlichen Teil der Publikation ausmachen. Man gewinnt von ihnen einen fesselnden Eindruck der wahrhaften archi- tektonischen Qualität jener Leistungen des Außen- und Innenbaus, der Dekoration, der Möbel und des Kunstgewerbes. Und wenn der Text nichts wäre als nur eine gefällige Erläuterung der großen Tafeln, so wäre der Wert dieser Arbeit schon einleuchtend genug.

Das ist er aber keineswegs. Er gibt eine Bau- geschichte von Knobelsdorff bis Schinkel in sorg- fältiger Sachlichkeit und mit Abschweifungen auf die Gebiete des Stadtbaus und Kunstgewerbes. Die Knappheit des Ausdrucks, die Beschränkung auf das rein Tatsächliche erlauben ihm eine Zu- sammendrängung des gewaltigen Stoffes auf 70, zum größten Teil noch mit Abbildungen ver- sehenen Seiten. Diese Bescheidung kleidet den Herausgeber eines derartigen Abbildungswerkes wohl, aber sie läßt ein lebhaftes Bedauern in uns aufkommen, daß Schmitz die Fülle des Stoffes nicht ausführlicher verwertet hat oder verwerten konnte. In jedem der Abschnitte über die Haupt- künstler steckt eine interessante Monographie.

Doch soll man dem Verlag Dank wissen für die kostspielige und mühsame Durchführung dieser Veröffentlichung. Die Aufnahmen waren oft schwer und mit großen Kosten zu beschaffen. Was vor- liegt, ist mustergiltig; architektonische Abbildungs- werke haben freilich an sich schon einen ieb- haften Reiz durch ihr Material, vorausgesetzt, daß sie über ein so solides Reproduktionsverfahren und so ausgezeichneta Aufnahmen verfügen.

Schmitz knüpft seine Darstellung ап das Rokoko von Knobelsdorff an und zeigt, wie die glück- Hchen Seiten dieser friderizianischen Kunst in der Architektur der Nachfolger bis zu Gents hin lebendig fortwirken: das Gefühl für malerische Gruppierung, die plastische Gliederung der Mauer, das konstruktive Raumgefühl. Bei Legeais und noch mehr bei Gontard meldet sich der von Dresden herüberkommende klassizistische Einfluß stärker; bei Erdmannsdorf, dessen erste maß- gebende Bauten in Dessau und Wörlitz entstan- den, hat er völlig gesiegt. Die Sorgfalt seines Details steht in starkem Gegensats zu der Skizzen- haftigkeit des Rokoko noch bei Knobelsdorff; und das Äußere der Erdmannsdorfischen Bauten zeigt vielfach schon die vollendete Schlichtheit und Flächigkeit des Klassizismus mit einem großen Reis.

Auch Langhans, der ein spezifisch Berliner Baumeister ist, und dem die Hauptstadt eines ihrer schönsten und monumentalsten Werke ver- dankt, das Brandenburger Tor, ging noch von barocker Tradition aus. Italien und Palladio führten ihn seiner eigentlichen Bestimmung zu, das Klassische in Berlin heimisch zu machen. David Gilly wirkte mehr ins Breite, in den weiten Landstrichen der Mark und angrenzender Pro- vinzen, und mit technischen und konstruktiven Verdiensten. Sein Sohn Friedrich Gilly knüpfte die Verbindung mit Paris enger und erweiterte den Horizont der nordischen Baukunst durch seine kühnen und monumentalen Pläne, die leider so wenig zur Ausführung kamen wie das Beste von Ludwig Catel und Н. Chr. Genelli, und wie die großzügigen stadtbaulichen Ideen von P. J. Krahl.

Die Erfüllung der Gillyschen Gedanken brachte weniger Schinkel, der bei seinem ersten Auf- treten als Schüler Gillys noch zu jung war, und den die ungünstige Zeit nötigte, sich zehn Jahre lang von praktischer Ausführung, ja von der Architektur überhaupt fernzuhalten, als viel- mehr Heinrich Gentz, wenn auch nur in beschei- denem Maßstabe. Denn nicht in großartigen Mo- numenten konnte sich sein Talent offenbaren solche erlaubten die harten Zeiten nicht mehr als vielmehr in kleinen Bauten wie in der (leider abgerissenen) Münze, dem Lauchstädter Theater und anderen wenig umfangreichen Bauten in und um Weimar. Zu seinem Schönsten und zum Besten, was der Klassizismus überhaupt gegeben hat, gehört die Inneneinrichtung des Weimarer Schlosses; von einer bezaubernden Anmut der Räumlichen und Dekorativen und einer Reinheit des Stils, wie sie selbst in dem stilstrengen Klassi-

zismus, mit solcher Wärme gepaart, ‚selten er- schienen ist.

Überblickt man als Ganzes die klassizistische Bewegung jener Zeit, so ordnet sich die Archi- tektur in die gesamte Kulturerscheinung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als eines der erfreulichsten Glieder ein. Mit Recht wurde seit je der Name eines Mannes als des großen den- kenden Anregers mit ihr verknüpft. Klassizistische Kunst und Philosophie gab es auch vor Winckel- mann, vor allem in Frankreich; aber or ist os, der die Kunst der Griechen als Erster nicht nur in ihrer ästhetischen Bedeutung entdeckt und als Muster aufgestellt bat, sondern der der ganzen Kultur seiner Zeit die Richtung auf antike Bil- dung gab. Der bildenden Kunst, insonderheit der Malerei, gereichte diese Einseitigkeit nicht zum Segen; es wurde eine Kunst der Gebildeten, des gelehrten Inhaltlichen und des mangelhaften Könnens. Die Poesie aber schöpfte unvergleich- liche Anregung aus Winckelmann, die Ästhetik wurde auf eine bedeutendere Basis gestellt; am glücklichsten paßte sich die Architektur der neuen Lehre an. Theorie und inneres Bedürfnis fielen bei ihr unmittelbar zusammen. Ihre Entwicklung führte so folgerichtig zu immer reineren Formen, daß die schließlich errungene Größe und Sach- lichkeit niemals als Produkt einer Theorie er- scheinen wird (wie das bei der Malerei der Fall ist), sondern als organisches Gewächs, aus innerer Notwendigkeit geboren. Die griechischen Formen des Außenbaues und der Dekoration wirken da- bei nicht willkürlich, nicht herbeigeholt aus einem philosophischen Bedürfnis, sondern so natürlich und angemessen, daß sie fast als etwas Sekun- däres zurücktreten gegenüber dem rein Architek- tonischen: den Proportionen, der Raumgestaltung, dem Ausdruck des inneren Charakters,

Das aber ist der schönste Ruhm jener Bau- meister; wodurch sie uns so nahe treten, daß sie das Wesen über die Form stellten; daß sie den griechischen Baustil in seiner möglichsten Rein- heit annahmen, nicht um des Griechischen willen, sondern weil er das natürliche Gewand zu ihren Ideen lieferte. Der am strengsten dorisch emp- findende Friedrich Gilly ist auch der Deutscheste unter ihnen; ein früh vollendeter, genialer Jüng- ling, ein Schicksalsgenosse der größten Roman- tiker Novalis, Runge, Fohr, Heinrich von Kleist; erfüllt vom Geiste seiner Zeit und von höchster Romantik, eine Feuerseele, die unauslöschlichen Eindruck bei all ihren Zeitgenossen hinterließ, die aber ohne tiefere Wirkung dahinging, weil

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es ihr nicht vergönnt war, ihre Ideen in Werken

selber hinzustellen.

In Friedrich Gilly berühren sich Klassizismus und Romantik, Deutschtum und Hellenengeist aufs innigste; eine Verbindung, die des Flöchsten fähig und würdig war. Das beweisen seine gewaltigen Entwürfe, voran der des „Nationalheiligtums“, des Denkmals Friedrichs des Großen. Und hierin ist er der Bruder im Geiste von Asmus Jakob Carstens, des so lange seiner klassizistischen Form wegen als undeutsch und weltfremd Verkannten, des herrlichen deutschen Mannes mit dem Auge des Griechen und der Seele des Gotikers. Gilly und Carstens sind die höchstentwickelten Reprä- sentanten der deutschen Kunst ihrer Zeit, und es ist ein tiefes inneres Gesetz, das sie beide zur klassischen Form greifen läßt; ein Gesetz, dessen geheimste Motivierung wir nur auf geistesgeschicht- lichem Wege begreifen lernen können, auf dem Wege von Dürers „Messungen“ über Leibniz, Ismael Mengs und Winckelmann bis zu Goethes apodiktischer Kunstrichterei; und das sich nur in genialen Ansätzen erfüllen konnte, nicht aber in der Diesseitigkeit großer Kunstwerke: denn was ihre Nachfolger leisteten, Cornelius und Schinkei vor allem, liegt so weit ab von dem echten Wege jener Großen, ist so stark durch- setzt von Intellektualismus, Bildung und miß- deuteter, d. h. oberflächlich begriffener Romantik, daß wir ihre Werke nicht als Erfüllung der Sen- dung von Carstens und Gilly anerkennen können. Diese beiden Bahnbrecher und Führer gingen ohne Erben ihrer Aufgabe dahin.

Paul Ferd. Schmidt.

MAX PICARD, Expressionistische Bauernmalerei. Mit 24 Taf. Delphin- Verlag Miinchen 1918.

Das vorliegende, vom Verlage mit 24 Licht- drucktafeln kostbar ausgestattete Werk sucht an bäuerlichen Hinterglasmalereien aus Münchener privaten Glasbildersammlungen die seelische Ten- denz aufzuweisen, aus der diese naive und herz- warme Kunst ihren Gehalt zog. Das Buch ist aus der Skepsis gegenüber unserer gegenwärtigen Kunst- entwicklung entstanden, der es die Identität von Kunstboden und Kunstäußerung nicht gelten lassen will, und in deren Kunstwollen es nicht natür- lichen Drang, sondern künstliches Bestreben sieht, Dem wird die Urwüchsigkeit der bäuerlichen Hinter- glasmalerei als seelisches Beispiel gegenübergestellt und als Muster. Man erinnert sich gerne daran, daß die Glasmalerei bereits einmal für die Ent- wicklung der deutschen Malerei (erst kürzlich bat wieder Hagen mit Recht in seinem vor allem durch seine neuen Aufnahmen bedeutungsvollen Grünewaldbuche bei Piper &Co. aufdie Zusammen- hänge von Grünewalds malerischem Stil mit der alten Glasmalerei aufmerksam gemacht) bestim- menden Einfluß gewann.

Rein sachlich ist mit dem Buche, das in einer geistvoll aphoristischen Sprache geschrieben ist, eben darum schwer zu rechten, weil es sich ja gar nicht als sachlich-wissenschaftliche Arbeit gibt. Es interessiert sich als eine gedankenvoile An- regung, deren wirklichen Kern oder Nichtkern erst umfangreiche und intensive Bearbeitung in das rechte Licht zu rücken vermöchte. L. Brieger.

, v

DER CICERONE.

XI, 8.

KARL SCHWARZ: Hugo Krayn. (то Abb.)

С. E. UPHOFF: Die Soslalisierung der Kunst. desgl., 9. | g THEODOR DAUBLER: César Klein. (ro Abb.) OTTO GRAUTOFF; Die Auflösung der Einzel- form durch den Impressionismus.

KURT GERSTENBERG: Revolution in der Archi- tektur.

ANZEIGER FUR SCHWEIZERISCHE

ALTERTUMSKUNDE.

XXI, І.

Е. МАЈОЕ: Die prähistorische (gallische) Ansied- lung bei der Gasfabrik in Basel. (3 Taf., ı Abb.)

W. CART: Encore des inscriptions d’Avenches. (4 Abb.)

S. NEUBERGER u. TH. ECKINGER: Grabungen der Gesellschaft Pro Vindonissa. (5 Abb.) W. BLUM: Der Schweizerdegen. (3 Taf.) Р. N. CURTI: Gotische Spitzen. (5 Abb.)

S.HEUBERGER: Zur Baugeschichte Königsfeldens, (a Abb.) | E.STAUBER: Die Hochwachtbei Langnau. (1 Abb.)

Н. MORGENTHALER: Kulturgeschichtliche No- tizen aus den solothurnischen Sockelmeisterrech- nungen des XV. Jahrh.

KUNST UND KÜNSTLER. ХУП, Heft VI,

A. DRESDNER: Kopenhagen. I. (19 Abb.) J. ELIAS: Nach der heroischen Zeit. (15 Abb.)

K. SCHEFFLER: Die Nationalgalerie und die moderne Kunst.

C.GLASER: Kunstversteigerungen a (aAbb.) Ein Billet Manets.

desgl., Heft VII.

M. J. FMEDLAN DER: Originalität.

FR. SARRE: Eine persische Kopie von Peruginos „Beweinung Christi“. (4 Abb.)

А. DRESDNER: Kopenhagen IL (то Abb.)

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT.

54. Jahrg., Neue Folge, XXX, 25.

К. SIMON: Zu Grünewalds Aufenthalt in Frank- furt a/M.

desgl., 26,

М. LEHRS: Model-Kopien nach frühen Kupfer- stichen.

О. GRAUTOFF: Eine Geschichte der französischen Denkmalpflege.

deagli., 27. Architektur - Fragen.

K. SCHAEFER: Neue Beiträge zur hanseatischen Kunstgeschichte des Mittelalters aus Schweden.

Münchener Brief.

desgl., 28.

W. v. BODE: Öffentlichkeit des Kunstsammelnas. Ө. KAUFFMANN: Kidler Brief.

DIE KUNST.

XX, 7.

E. PLIETZSCH: Ferdinand von Rayski. (11 Abb.) Н. VOSS: Hans Meid als Zeichner. (то Abb.)

О. GRAUTOFF: Aufbauendes Kunstgefühl und künstlerische Zerstérung»tendenzen in Frankreich. I.

а. J. WOLF: Julius Exter. T., 7 Abb.)

H. GRABER: Die Wandgemälde Heinrich Alt- herrs in der Züricher Universität. (5 Abb.)

W. BURGER: Ludwig Enders. (29 Abb.) J. Е. HANSELMANN: Josef Zeitler. (5 Abb.)

W. v. DEBSCHITZ: Die Lazarettarbeiten in Han- nover. (13 Abb.)

BERLINER MÜNZBLÄTTER. XL, 207/208.

E. BAHRFELDT: (4 Abb.)

M. v. BAHRFELDT: Die Goldmünzen Octavians aus der Zeit vom Vertrage von Puteoli bis zur Schlacht von Actium.

Р, SCHMIDT - NEUHAUS: Deutsche Notgeld- scheine im Weltkriege.

desgl.,. 209. Е. BAHRFELDT: Ein brandenburgischer Pfennig des Königs Wenzel.

M. v. BAHRFELDT: Die en Octavians aus der Zeit vom Vertrage von Puteoli bis zur Schlacht von Actium (Schluß). WILLI PIEPER: Das Ersatzgeld der Kriegs- gefangenenlager und deren Arbeitskommandos in Westfalen und im Rheinlande.

Dänische Mittelaltermünzen.

MEDEDEELINGEN VAN DEN DIENST VOOR KUNSTEN EN WETENSCHAP- PEN DER GEMEENTE S-GRAVEN- HAGE.

De Gemeentelijke Ereplaquette. (1 Abb.)

Werk van Havermann.

KNUTTEL, Damesportretten van David Biles en Alma Tadema, (3 Abb.)

Teekeningen van David Bles. (3 Abb.) W. MOLL: Eene verzameling schilders-brieven,

151

DAS KUNSTBLATT.

Ш, 4.

HANS POELZIG-Sonderheft. (26 Abb.) P. WESTHEIM: Architektur.

F. LANDSBERGER: Hans Poelzig Die Per- sönlichkeit.

W. MÜLLER-WULCKOW: Vom Werden archi- tektonischer Form. (Zu Poelzigs Konzertsaalskizzen.)

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST 54. Jahrg., Neue Folge Bd. XXX, 7/8.

A. E. POPP: Steigerung, Akzentuierung und apho- ristische Formensprache als Kunstmittel der Agypter. (15 Abb.)

W. WEISBACH: Der Manierismus. (15 Abb.)

Ө. GLÜCK: Ein Reiterbildnis im Museum zu Boston. (9 Abb.) ~

L. JUSTI: Valentiners Vorschläge zur Umgestal- tung der Museen. (4 Abb.)

MITTEILUNGEN DES KUNSTHISTOR. INSTITUTS IN FLORENZ. Dritter Band, 1./ a. Heft: Winter 1919.

Inhalt: Josef Strzygowski, Leonardo-Bramante- Vignola im Rahmen vergleichender Kunstforschung. (Mit 12 Abbildungen.) Georg Gronau, Über die

Entstehungszeit eines Studienblattes von Michel- angelo. (Mit 4 Abbildungen.) L. Planiscig, Alessandro Vittorias Vorbild zu einem Bronzerelief des Giuseppe di Levi. (Mit 6 Abbildungen.) Paul Schubring, Vespasiano da Bisticci.

NEUE ВӦСНЕВ..........................

KARL M.SWOBODA: Römische und romanische Paläste. Eine architekturgeschichtliche Unter- suchung. Mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften in Wien. (Kunstverlag Anton Schroll & Co., а. m. b. H., in Wien.) Geh. М. 28.—. BRUNO TAU T: Die Stadtkrone. Mit Beiträgen von Paul Scheerbart, Erich Baron, Adolf Behne. (Eugen Diederichs Verlag in Jena.) Кап. М. 10.—. PAUL WESTHEIM: Die Welt als Vorstellung. Ein Weg zur Kunstanschauung. (Verlag Gustav Kiepenheuer, Potsdam-Berlin.)

NÜRNBERGER BURGERHAUSER und ihre Aus- stattung. Bearb. von Dr. Fritz Traugott Schulz, Mit zahlreichen Abbildungen nach photogr. Auf- nahmen des Verfassers u. Zeichnungen von Archi- tekt H. Dennemark. (Verlag Gerlach & Wiedling, Wien.) Komplett in 13 Lieferungen. ZEICHNUNGEN EINES KINDES. Mit einer Ein- führung von Adolf v. Hildebrand. (Verlag von F. A, С. Prestel, Frankfurt a/M., 1919.)

XII. Jahrgang, Heft 5/6.

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, Telefon Nord 429. Verlag, Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monats- hefte für Kunstwissenschaft KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2,

Telefon 13467.

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ÖSTLICHER KUPPELBAU, RENAISSANCE UND ST. PETER “zit Abbidungen Von HEINRICH GLUCK-Wien

ei der Frage nach dem Ursprung des christlichen Kultbaues stand das Problem

des zentralen Kuppelbaues neben dem der Basilika seit jeher im Vordergrund. Dabei steht dem Bemiihen, die Entwicklung der christlichen Kunst im Abendlande von der großen Kunstblüte des kaiserzeitlichen Rom abzuleiten, eine Richtung gegenüber, die über die engen Grenzen des Abendlandes hinausblickend auch den christlichen Boden des Ostens in Rechnung stellt, ja ihn geradezu als den aus- schlaggebenden erkennt. Seit Strzygowskis Fragestellung „Orient oder Rom“ hat man sich allmählich damit abfinden müssen, wenigstens die Gebiete des öst- lichen Mittelmeeres für die Ursprungsfragen heranzuziehen. Freilich blieb auch da noch manches ungeklärt, insoweit sich die Erkenntnis ergeben mußte, daß die Grundlagen der hellenistischen oder reichsrömischen Kultur des Ostens allein keinen vollen Schlüssel für die folgende Entwicklung boten, ja diese selbst erst einer Er- klärung bedurften. In seinem neuesten Werke, „Die Baukunst der Armenier und Europa“!) hat nun Strzygowski auf Grund seiner langjährigen Arbeiten den Kreis noch weiter gezogen und für die Forschung jene Grundlagen beigebracht, die das Problem des christlichen Kuppelbaues betreffen. Im Mittelpunkt der Frage steht die Kuppel über dem Quadrat, dessen letzte Voraussetzungen Strzygowski im Holzbau sieht, der den Norden Eurasiens von Skandinavien über Südrußland bis nach Indien durchzieht. Im Iran, an dessen Grenzen der Holzbau mit dem Ziegel- bau in Berührung tritt, ist dann die durch Ecknischen (Trompen) aus dem Quadrat vermittelte Kuppel die in der volkstümlichen Bauweise herrschende Form. Von hier aus übernimmt sie das armenische Christentum und gestaltet sie monumental aus. Durch die Freistellung und Vergrößerung des iranischen Kuppelquadrats er- gibt sich die Notwendigkeit einer Sicherung gegen den Seitenschub des Gewölbes, die durch kreuz- oder strahlenförmige Anordnung weiterer mehr oder weniger selbständiger Raumeinheiten (Strebenischen, Kreuzarme, in deren Winkel dann auch weitere quadratische Räume eingefügt werden können), erzielt wird. Dies ist der leitende Gedanke, der also von der Kuppel über dem Quadrat ausgehend die Entwicklung der armenischen Baukunst des ersten Jahrtausends beherrscht, und von dort aus sich über Osteuropa und den Balkan ausbreitet und im Wege der Völkerwanderung bis ins Abendland vordringt.

Gegenüber dieser mit dem Christentum in die Wege geleiteten iranischen Wöl- bungskunst steht nun die heidnisch römische, die auf ganz anderen Grundlagen ruht, und deren Entwicklung mit dem Auftreten des Christentums jäh abbricht. Über die Voraussetzungen dieser Wölbekunst, die bis zu dem prähistorischen Steinbau des westlichen Mittelmeerbeckens zurückführt, werde ich in einer Arbeit über „Die Bäder von Konstantinopel und ihre Stellung in der Bauentwicklung des Morgen- und Abendlandes“ ausführlich zu handeln haben, hier sei nur auf die grundsätzlichen Unterschiede hingewiesen, die den römischen Wölbungsbau und im

(z) Die Baukunst der Armenier und Europa. Ergebnisse einer vom kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise, planmäßig bearbeitet von Josef Straygowaki, unter Benützung von Aufnahmen des Architekten Thoros Thoramanian, Mitarbeiter: Assistent Dr. Hein- rieh Glück und Leon Lissitzian, Mit 828 Abbildungen samt einer Karte. Kunstverlag Anton Schroll а Co., Wien. (Bd. IX / X der Arbeiten des kunsthistorischen Institutes der Universität Wien.)

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919, Heft 7. 11 | 153

BI

besonderen den Kuppelbau von dem iranischen unterscheidet. In Rom ruht die Kuppel nicht auf dem Quadrat, sondern auf der runden Umfassungsmauer, deren massige Dicke an sich dem Seitenschub der Kuppel standhält (Pantheon, Bäder- kuppeln, s. Taf. 50, Abb. ı), ohne daß durch Anfügen von Teilräumen das Raumbild zergliedert wird. Dem Einheitsraum in Rom steht also eine Raumvielheit in Iran gegenüber. Wo, abgesehen von der Kuppel, wie bei den römischen Bädern und Palästen, mehrere Einheitsräume aneinander gereiht werden müssen (Taf. 50, Abb. 1), wird allerdings die Masse als Trägerin der Wölbung überflüssig, da die Verstrebung eine gegenseitige ist, und überdies bei der neben der Kuppel herrschenden Ver- wendung des Kreuzgewölbes der Wölbungsdruck auf einzelne Punkte verteilt werden kann. Dadurch entsteht wohl eine Gliederung der Baumasse, die grund- sätzlich verschieden ist von der östlichen, wo (im Zusammenhang mit Kuppel und Tonne) die Mauer Trägerin der Wölbung bleibt. Dem römischen Gliederbau steht also der östliche Mauerbau gegenüber.

Diese Wesensunterschiede vorausgesetzt, erscheint die Frage nach dem Ursprung des christlichen Kuppelbaues!) in klarem Lichte. Die strahlenférmigen, vom Quadrat ausgehenden Kuppelbauten des frühmittelalterlichen Abendlandes haben mit dem römischen Kuppelbau nichts zu tun. In dem Maße, als sich die Haupt- entwicklung im Abendlande auf Grund des Langhauses (Basilika Romanik Gotik) abspielt, in dem Maße erkennen wir die mittelalterlichen Kuppelbauten als die gegen Westen vorgeschobenen Ableger einer Entwicklung, deren große Schichte im Osten liegt, ähnlich wie dort die Basilika immer mehr zurücktritt, um schließ- lich nur in vereinzelten Vertretern die westliche Art festzuhalten. Dort blieb die alte iranische Art der Kuppel über dem Quadrat die herrschende. Armenien bildet mit seiner großen Blüte des Kuppelbaues das Zentrum und den Vermittler der iranischen Form innerhalb des christlichen Erdkreises. Daneben steht der isla- mische Kreis, der im Gefolge der Türken das iranische Element zunächst im Iraq, in Syrien und Ägypten, dann aber mit Seldschuken und Osmanen in erneuertem Vorstoße nach Kleinasien und bis Konstantinopel trägt?).

Ohne hier auf diese mittelalterliche Entwicklung des Ostens und Westens ein- gehen zu können, sei nur die Existenz und das Fortleben des iranischen Kuppel- baues im armenisch - christlichen und im islamischen Kreise bis zu jener Zeit im Auge behalten, wo in der italienischen Renaissance ein erneutes, großzügiges Auf- leben des Kuppelbaues zu verzeichnen ist, wie es seit den Tagen des alten Rom das Abendland nicht gekannt hat. Seit Brunelleschi erleben wir in der Entwick- lung der Renaissance einen wachsenden Kampf der Zentralidee mit der Über- lieferung des Langhauses, der in dem Hauptdenkmal der abendländischen Christen- heit, in St. Peter, seinen Höhepunkt erreicht, um schließlich im Barock (Gesù) seinen typischen Ausgleich zu finden.

Es entsteht die Frage, wie denn dieser große Umschwung zu erklären ist. Vom Standpunkte der geläufigen europäischen Kunstforschung liegt es nun freilich nahe, dieses große Durchschlagen der Zentralidee womöglich allein auf das Konto des

(1) Ich sehe hier ganz von jener christlichen Art ab, die die Kuppel nicht auf die Umfassungsmauern, sondern auf eingestellte Stützen setzt; siehe darüber in meinem vorbereiteten Werke über die Bäder Konstantinopels.

(2) Über das Werden und die Ausbreitung der islamischen Kuppel über dem Quadrat und die damit zusammenhängenden Raumformen werde ich in meinem Bäderwerk handeln; vgl. inzwischen Diez, Die Kunst der islamischen Völker, Index unter Kuppel.

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„Rinascimento“ und des Humanismus zu setzen, wobei freilich erst nach dem tat- sächlichen Erreger des Baugedankens zu fragen wäre, der das Wiederaufleben veranlaßte. Ferner ist ja damit zu rechnen, daß für die Renaissancearchitekten die Frage, ob heidnisch-römisch oder christlich nicht sonderlich in Betracht kam, und daß gerade aus christlicher Zeit Vorbilder genug vorhanden waren und im Einzelfalle auch nachgewiesen sein mögen, die ein Aufgreifen der alten Über- lieferung möglich machten. Wo aber lag der Anlaß dieses Aufgreifens und genügt dieses allein zur vollen Erklärung des Wesens der Zentralbauten der Renaissance?!) ` Um einen Boden für die Beantwortung dieser Frage zu finden, gehe ich im An- schluß an Strzygowskis Aufsatz „Leonardo - Bramante- Vignola im Rahmen ver- gleichender Kunstforschung“ X., Ztschr. des kunsthist. Instituts in Florenz 1918), von dem Plane Bramantes für St. Peter aus, der die Zentralbauidee der Renais- sance in ihrer höchsten Ausbildung verkörpert (Taf. 50, Abb. 2). Es handelt sich um eine Anlage, deren Zentrum von einer auf einem Pfeilerquadrat ruhenden Kuppel eingenommen wird. An sie schließen sich in den Hauptachsen vier lange, rund abgeschlossene Kreuzarme, in deren Winkel in den Diagonalachsen je zwei quadra- tische Kuppelräume eingefügt sind, die die Kreuzform zum Quadrat ergänzen. Dies das Hauptschema. Wie fügt sich eine solche Anlage in die Entwicklung ein und im besonderen: wie verhält sich dieser Bau zu den Denkmälern der Antike?

1. (Technik.) Wie in den römischen Bädern und Palästen haben wir es mit einem Gliederbau zu tun, der den Druck der Wölbung auf ein System von Stützen leitet, die Mauermasse soweit als möglich auflöst. Trotz dieser allgemeinen Über- einstimmung ist aber in der Renaissance doch ein selbständiges Vorgehen in bezug auf die Konstruktion festzustellen. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Kuppel Die erste große Kuppelkonstruktion in der Renaissance, die Florentiner Domkuppel, ist als Rippenkuppel eine gotische. Als Kuppel ohne Lehrgerüst erscheint sie schon den Zeitgenossen als ein Wunder. Der Bramanteentwurf läßt nach den auf Bramante geprägten Münzen zu schließen?) wohl eine formale Anlehnung an die Pantheonkuppel erkennen, die dortige auf die runde Vollmauer berechnete Konstruktion wäre aber schwerlich auf das Vierstützensystem der Peterskirche an- wendbar gewesen?).

Die ausgeführte Kuppel Michelangelos und die folgenden Barockkuppeln schließen konstruktiv tatsächlich an die Florentiner Kuppel an. Während die römische Kuppel also vom Rund als Basis ausgeht, rechnet Renaissance und Barock mit vier ins Quadrat gestellten Stützen als Trägern. Mag auch die Einführung eines Tambours (в. Taf. т bei Geymiiller, nach Serlio) schließlich eine Konstruktion der

(х) Man ist geneigt, bei Feststellung von Entwicklungen immer das als das wesentliche zu sehen, was Beziehungen zu mehr oder weniger zufällig bekannten vorhergegangenen Erscheinungen zuläßt. Eine objektive, allseitig befriedigende Lösung eine Erklärung der Erscheinung hängt da meist vom Zufall ab, vieles bleibt unerklärt. Zur objektiven Feststellung des Wesens der Denkmäler benützt Strzygowski in seinem neuen Werk eine von ihm bereits vielfach angewendete Einteilung nach Weeensbegriffen, an die auch ich mich im folgenden halte, um aus der daraus gewonnenen Einsicht die historischen Schlüsse zu ziehen. |

(а) Siehe Geymüller, Die ursprünglichen Entwürfe für St. Peter, Taf. I.

(3) Interessant sind aber immerhin die Studien in dem von Geymüller dem Bramante, von D. Frey (Bramantes St. Peterentwurf und seine Apokryphen, 8. 11, 13, 15) neuerdings dem Sangallo zu- geschriebenen Blatte, ОЕ. 7945, wo durch Einstellung von je zwei Säulen zwischen die vier Trage- pfeiler zusammen mit den den Pfeilern vorgelegten Säulenpaaren versucht wird, ein gleichmäßig rundes Auflager für den Kuppelkreis zu gewinnen.

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Schale nach Art der Pantheonkuppel ermöglichen, so ist doch durch die Notwen- digkeit einer Überleitungskonstruktion aus dem Viereck ins Rund des Tanibours ein Moment gegeben, das in den römischen Großkonstruktionen kein Vorbild hatte. Auch die Gewölbe der Kreuzarme sind nach den Pilasterstellungen des Grund- risses zu schließen keine Kreuzgewölbe, wie sie die Antike zur Deckung solcher oblonger Räume (s. Abb. ı) verwendete und die dort zum guten Teil die Auf- lösung in den Gliederbau zur Folge hatten, sondern Gurttonnen oder Stichkappen- gewölbe!). Es ist also die sonderbare Tatsache festzustellen, daß wohl äußerlich das allgemeine Konstruktionssystem der Antike, nicht aber eigentlich die dasselbe bedingende Wölbungsart übernommen wird. Damit liegt der Schluß nahe, daß es nicht die tote Antike war, die nun plötzlich den Anlaß zu derartigen Konstruktionen gab denn das hätte. ja ebensogut Jahrhunderte früher geschehen können son- dern daß die Wiederentdeckung der Antike erst dann einsetzte, als von außen her in der Entwicklung der italienischen Baukunst ein Anstoß vorlag, der mit ähn- lichen Prinzipien rechnete. Was die Konstruktionsart und die Aufnahme des Gliederbaues anlangt, so setzt sich ja in den neueren Arbeiten immer mehr die Erkenntnis durch, daß die an der flachen Holzdecke des Basilikalbaues festhaltende italienische Überlieferung, die mit der flachen Wand mehr als Raumabschluß denn als konstruktives Element rechnet, allmählich und zwar schon in der „Proto- renaissance“ durchsetzt wird von dem nordischen Geiste der Gotik, die ja den Gliederbau am reinsten verkörpert und auf den Wandbau geradezu auflösend wirkt. Erst mit dem Eindringen dieses nordischen Gliederbaues mögen die Grundlagen für das Interesse an den alten römischen Gliederbauten geboten worden sein. Doch soll hier darauf nicht näher eingegangen werden, bedeutet doch das Einströmen der Gotik nur den einen Anstoß in der italienischen Entwicklung, der aber allein nicht genügt, um diese und in unserem besonderen Falle das Geltendwerden der Zentralidee voll zu erklären.

2. (Zweck.) Bei der künstlerischen Beurteilung des Bramanteentwurfes wird man sich vor Augen halten müssen, daß die Zentralidee für den Zweck des christ- lichen Kirchenbaues sicherlich nicht die geeignetste ist; zeigt doch die Bau- geschichte der Peterskirche selbst immer wieder den Kampf gegen sie bis zum endgültigen Kompromisse. Schon daraus wird deutlich, daß sie rein künstlerisch, eben als Idee, in die Entwicklung eintritt, daß wir es nicht mit einem aus der italienischen Eigenentwicklung überlieferten, sondern von außen zugetragenen oder angeregten Gedanken zu tun haben. Denn im italienischen Mittelalter spielt der Zentralbau als zwecklicher Kirchenbau kaum eine Rolle). Auch die Antike kann vom zwecklichen Standpunkte schwerlich. als unmittelbarer Anreger in Betracht kommen. Der monumentale Tempelbau hielt die Langform bei, das Pantheon war als ursprünglich den Göttern und dann den Heiligen geweiht eine wenn auch recht mächtige Ausnahme, wobei noch die Ansicht, daß es das Caldarium eines Bades sei, vor Augen zu halten ist“). Die Bäderkuppeln selbst entsprachen eben

(7) Vgl. die Rekonstruktion bei Geymiiller.

(2) Vielfach ist ja der ursprüngliche Zweck solcher Zentralbauten nicht als der einer Kirche nach- zuweisen, vielmehr handelt es sich meist um die Umwandlung früherer Baptisterien oder Grabbauten oder Bädersäle, die als solche nicht mehr in Betracht kamen, zu Kirchenräumen (z. В. Ба. Co- stanza, S. Lorenzo). Nur in einer Richtung war die Zentralidee für St. Peter naheliegend, nämlich als Grabbau für den Apostel. Doch scheiterte diese Idee Bramantes bereits an dem Widerstande des Papstes.

(3) Vgl. darüber die bei Durm, Die Baukunst der Etrusker und Römer (Handbuch der Architektur), Б. 550 zusammengestellte Literatur.

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einem ganz anderen. Zweck als dem eines Gotteshauses. Vom Standpunkte des Zweckes liegt es also nahe, die. Anregung Gort zu suchen, wo der Zentralbau als Zweckbau lebendig in Übung war.

3. (Gestalt) Was die Gestaltung der Einzelglieder, aus denen sich der Bau zusammensetzt, anlangt, so ist die Übernahme aus der Antike offenkundig. Pilaster, Säulen, Gebälke u. dgl. sind sicherlich in Anlehnung an die alten Vorbilder vor- zustellen. Selbst die Gewölbe sind, wenn auch nicht in ihrem konstruktiven Wesen, so doch in Aufteilung und Schmuck in antiker Gebahrung gedacht (so die Abstufung der Kuppel im Sinne der des Pantheons, s. oben). Ja, die Übernahme geht so weit, йай wir die Grundrißform von Einzelräumen geradezu als eine Wiederholung der in den römischen Thermen und anderen Bauten vorhandenen Raumformen erkennen. Man vergleiche etwa die Räume in den Quadratecken des Bramantenplanes mit den Eckräumen der Diokletianthermen, deren unmittelbare Einwirkung auf die Renaissancearchitekten ja durch die Planaufnahmen Peruzzis und Sangallos festgelegt ist’).

Alle diese Gestaltmotive machen aber noch nicht das Wesen des Baues aus, wie etwa auch die antiken Momente in der Plastik und Malerei der Renaissance nur Äußerlichkeiten sind, die aber trotzdem keine Verwechslung des antiken und des Renaissancebildwerkes zulassen.

4. (Form.) Das Wesen des Baues wird aber sofort klar, wenn wir uns fragen, wie diese Einzelheiten in eine: Gesetzmäßigkeit, in eine Form gebracht sind. Man halte den Grundriß einer römischen Thermenanlage (Taf. 50, Abb. 1), neben den Bramanteentwurf! Die Konzeption der Gesamtanlage ist durchaus verschieden. Schwerlich wird je ein antikes Gebäude nachzuweisen sein, das die Anordnung von St. Peter zeigt. Die Art, wie die Einzelteile des Baues miteinander in Be- ziehung gebracht sind, ist in beiden Fällen eine durchaus andere. Hier ein Zen- trum, dem sich alles übrige in allseitiger Symmetrie stufenweise unterordnet, dort (in den Thermen) eine Beiordnung der Einzelheiten, eine Aneinanderreihung, die freilich auch nicht einer Gesetzmäßigkeit entbehrt, der aber die aliseitige, bis zur letzten Einzelheit notwendige Bindung fehlt. Mögen die einzelnen Gestaltmotive noch so sehr übereinstimmen, der konzipierende Geist ist in beiden Fällen ein durchaus verschiedener. Auch Gotik und Frührenaissance konnten darin nicht ausschlaggebend gewesen sein. Der Unterordnung der einzelnen Raumteile unter den Mittelraum entsprechend strebt die Raumbildung zum Einheitsraum, ohne ihn freilich ganz zu erreichen. Auch im Aufbau mußte diese Gesetzmäßig- keit zur Wirkung gelangen. Die auf Bramantes St. Peter geprägten Münzbilder 3) zeigen den Bau als eine plastisch-kubisch durchgearbeitete Masse mit der beherr- schenden Kuppel als Mitte, der sich das übrige unterordnet. Der Außenbau er- scheint allseitig gleichmäßig gegliedert (vgl. San Pietro in Montorio), ohne eine besonders hervorgehobene Schauwand. Als ein besonderes Merkmal des Strebens nach Monumentalität tritt die überragende und beherrschende Stellung der Kuppel nach außen hin in Kraft. Während die Pantheonkuppel im Mauerzylinder versinkt und auch die folgenden christlich - mittelalterlichen Bauten bei Benützung eines flachen Kegeldaches die Kuppel im Außenbau nicht zur Geltung kommen lassen, tritt mit Brunelleschi die Kuppel zum erstenmale bewußt durch Anwendung der Doppelschale am Äußeren in Erscheinung. Auch bei Bramante wird dieses Streben

(т) Peruzsi: Uff. 22, Sangallo: Uff. 104 v.; abgebildet bei Frey, а. a. O., Fig. 3 und Taf. I. (a) Siehe Abbildung bei Geymüller, Tafel І.

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trotz seines äußerlichen Anschlusses an die Linie der Pantheonkuppel durch die Einführung des Tamburs deutlich. Die Peterskuppel Michelangelos und der Barock halten an dem Prinzip fest. Weder Altertum noch mittelalterliche Überlieferung, noch auch die Gotik soweit sie nicht im allgemeinen die Betonung des Außen- baues angeregt haben mochte können für diesen Wandel in Betracht kommen. Wo liegt der Erreger?

5. (Inhalt.) Man hat die Kuppel und den Zentralbau als den vollendetsten Aus- druck des Machtgedankens empfunden. Daß die Kuppelidee für eine solche Aus- wertung im Sinne der Macht sich besonders eignet, ist nicht zu leugnen, sie aber aus diesem Geiste heraus genetisch zu erklären, ist nicht angänglich !). Für die Renaissance kommt nun allerdings der Machtgedanke in sehr starkem Maße in Betracht und gerade St. Peter ist der vollendetste Ausdruck des verweltlichten Kirchentums, das sich in großzügiger Weise manifestieren wollte. Als einer Zen- trale der Christenheit mochte für diesen Bau diese besondere Form passend er- scheinen. Sicherlich lag auch in dem Geiste dieser Zeit das Streben nach freier Erfindung und viele Handzeichnungen und Entwürfe der Meister lassen erkennen, wie die schöpferische Phantasie nach eigener Gestaltung sucht. Wie aber die Phantasie so schöpferisch sie immer sein mag doch immer nur das Produkt verschiedener schon vorhandener Faktoren sein kann, so lassen auch jene Ent- würfe und mit ihnen der Bramanteplan immer wieder die einzelnen Züge erkennen, deren Ineinandergreifen das Neue schafft. Schließlich spricht die so stark aus- geprägte Form der Zentralidee bei Bramante (Kreuz im Quadrat) schwerlich für die Annahme, daß sie aus der bloßen irrealen Phantasie entsprungen sei?). Eher noch scheinen da Entwürfe, wie sie von Leonardo erhalten sind ), auf eine rein spielerische Phantasiebetätigung mit Zugrundelegung geometrischer Figurenkompo- sitionen auf dem Reißbrett zu deuten (siehe unten). Auch auf diesem Wege ist also eine Erklärung der Erscheinung in vollem Maße nicht möglich.

Fassen wir nun das Ergebnis dieser freilich nur auf die Hauptzüge be- schränkten Wesensuntersuchung zusammen, so ergibt sich in Bezug auf die Zentralidee: Mag technisch besonders was die Kuppelkonstruktion der Renais- sance anlangt, eine Erklärung aus den europäischen Voraussetzungen heraus (Gotik als Anregung zur Aufnahme des antiken Gliederbaues) bis zu einem gewissen Grade möglich sein, so bleiben doch als ausschlaggebende Momente die Über- leitung von Quadrat zum Rund durch den Hängezwickel (schon bei Brunelleschi) und das Vierstiitzensystem immer noch unerklirt. Wie ferner zwecklich die Zentralidee im abendländischen Kirchenbau keine eigentlichen Vorbilder hat, so ist auch ihre inhaltliche Erklärung als ein dem Machtausdruck dienendes Moment nur von beschränkter Gültigkeit, es sei denn, daß gerade die Fremdartigkeit, die dem Zentralbau in der abendländischen Entwicklung zukam, den Anlaß zu seiner repräsentativen Verwendung gab. Mögen schließlich die gestaltlichen Einzelglieder

(x) So ist es z. B. verwunderlich, daß gerade bei den altorientalischen Völkern, in deren Hofkunst der Machtgedanke wie nirgends zum Ausdruck kommt, dieses Element nicht monumental ausgestaltet wird, trotzdem es in der volkstümlichen Bauweise vorhanden war; siehe Perrot et Chipiez II, aoıf. (2) Man könnte zwar einwenden, daß die Kreuzform aus der Idee des Christentums an sich nahe lag; da bliebe aber immer noch der Schritt von dem gewohnten lateinischen Kreuz des Langbaues zu dem gleicharmigen griechischen Kreuz des Zentralbaues und noch dazu seine Einordnung ins Quadrat zu erklären.

(3) Siehe Strzygowski, Armenien, 8, 866ff.; Frey, Bramantes St. Peter-Entwurf, S. 76.

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den europäischen und vor allem den antiken Voraussetzungen entnommen sein, so ist zu bedenken, daß gerade sie am wenigsten das Wesen treffen und nur von einer die AuBerlichkeit der Erscheinung als Wesentliches betrachtenden An- schauungsweise als wesensbestimmend aufgefaßt werden konnten. In keiner Weise bestimmen sie die Form, jene Wesenheit, die in der Gesamtanordnung von Grund- und Aufriß am deutlichsten zum Ausdruck kommt und deren Ziel wie das der Architektur überhaupt die Raumbildung ist. Darin aber liegt auch der Kern- punkt der Frage nach den Grundlagen des Zentralbaues in der Renaissance’).

Wenn nun hier versucht wird, den äußeren Anstoß für den Wandel aufzuweisen, der mit dem Eintreten der Zentralidee in der italienischen Renaissance festzustellen, aus der europäischen Überlieferung aber nicht endgültig zu erklären war, so darf wohl daran erinnert werden, daß Italien das ganze Mittelalter hindurch im Süden (Sizilien) und Westen (Spanien), vor allem aber im Osten (Byzanz) von orienta- lischer Kultur umgeben war, deren große Bedeutung von der allgemeinen Ge- schichte längst erkannt, von der auf dem engen Boden Vasaris bauenden italie- nischen Kunstgeschichte aber nur zum geringsten Teile in Betracht gezogen wird. Man wird sich vor Augen halten müssen, daß ganz Italien im 15. Jahrhundert von Griechen überschwemmt war, ja, daß diese Griechen die Grundlage des Humanis- mus bildeten, und daß mit den Türken in Konstantinopel eine Machtzentrale ent- stand, die die Ausführung von Riesenideen ermöglichte, wie sie Männer wie Michel- angelo wohl planten, aber nie ausführen konnten.

Aber nicht nur die nächste Umgebung Italiens ist in Betracht zu ziehen, ist doch Byzanz an sich schon ein Problem, bei dem der Widerstreit bei den engeren Fachleuten und eine sehr verschwommene Allgemeinvorstellung bei den Abendland- Kunsthistorikern die Vorstellung von einem recht unsicheren Boden erweckt, den zu betreten oder gar zur Erklärung abendländischer Erscheinungen heranzuziehen jene Gelehrten nicht wagen. Auch da hat nun das Armenienwerk Strzygowskis

(х) Bevor ich versuche, für die aus der obigen Zergliederung sich ergebenden Fragen eine Lösung zu suchen, muß mit einigen Worten auf die Methode eingegangen werden, die heute in der euro- päischen Kunstwissenschaft gerade von den hervorragendsten deutschen Gelehrten gepflegt wird, und deren Ursprung mit der Persönlichkeit A. Riegls verknüpft ist. Es ist jene Methode, die als Reaktion zu dem Semperschen Materialismus etwa in folgenden Worten Riegls ihren Grundsatz hat: „Die ge- samte Kunstgeschichte stellt sich ja dar als ein fortgesetztes Ringen mit der Materie; nicht das ` Werkzeug, die Technik ist dabei das Prius, sondern der kunstschaffende Gedanke (sonst auch: „das Kunstwollen“), der ein Gestaltungsgebiet erweitern, seine Bildungsfähigkeit steigern will.“ Wie die extreme Verfolgung der Semperschen Ideen, so mußte auch die der Rieglschen in eine Sackgasse führen, indem jede der einander ausschließenden Methoden für sich nicht genügt, um das Ziel jeder Wissenschaft zu erreichen, nämlich: die Erscheinungen zu „erklären“, nicht bloß festzustellen. Denn den Wandel der Erscheinungen durch den Wandel eines (anzunehmenden) „Kunstwollens“ erklären zu wollen, bedeutet einen Zirkel, da dann immer noch die Frage offen bleibt, worin überhaupt der Wandel begründet sei, Wenn aber jede Entwicklung eines (äußeren oder inneren) Anstoßes bedarf, so ist es eben Hauptziel der Wissenschaft, diesen zu suchen. Ein Buch wie Wölfflins „Grund- begriffe der Kunstwissenschaft“ dringt wohl mit äußerster Feinbeit in das Wesen zweier Kunst- perioden ein, ist aber weit davon entfernt, den Wesenswandel zu erklären. Der Grund dafür, in dem methodischen Weg schon das Ziel zu sehen, mag vor allem darin liegen, daß die europäische Kunst- geschichte (besonders jener schon einigermaßen durchgeackerten Perioden, die durch den Humanismus bestimmt werden), den jeweiligen Anstoß zu den Entwicklungswandlungen immer nur in Europa selbst suchte, ohne damit freilich ganz auskommen zu können. Das aus diesem Gesichtskreise heraus Un- erklärliche bleibt unerklärt und man hilft sich bequemerweise damit, einen Wandel in dem „Kunst- wollen“ festzustellen, ohne den ursächlichen Entwicklungszusammenbang gefördert zu haben.

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Grundlagen geschaffen, die auf der Basis der großen, an datierten Monumental- bauten verfolgbaren armenisch-christlichen Entwicklung geradezu die Umkehrung jener geläufigen Ansicht bedeutet, nach der Byzanz das Ausstrahlungszentrum für die ganze christliche Baukunst des Ostens bedeutet. Die Typen des byzantini- schen Kirchenbaues erscheinen nicht nur stilistisch, sondern oft auch durch histo- rische Verbindungen (die armenischen Kaiser!) bezeugt als meist nur schwache Ableger der armenischen Entwicklung. Bezeichnend für die Übernahme ist der Anteilnahme des byzantinischen Bodens an westlicher Kultur entsprechend daß gerade die armenischen Typen die eigentliche Herrschaft erlangten, die am ehesten dem Langhausgedanken entsprechen (Kreuzkuppelkirche), während der reine, in hohem Maße ausgebildete strahlenförmige Zentralbau der Armenier sich in Byzanz nicht durchschlagend festsetzen konnte.

Gerade der letztere aber ist es, der in der Hochrenaissance, wie es scheint, von Norditalien (Mailand) aus!) bestimmend wird, und zwar einmal vom Achteck, dann aber auch vom Quadrat ausgehend. Die Handzeichnungen Leonardos?) geben da- für die Belege. Strzygowski hat sie a. a. O.!) herangezogen und das Auftreten der zweiten Art, die die Kuppel auf vier Stützen stellt und das Umfassungsquadrat durch vier Konchen kreuzförmig durchsetzt, mit Leonardos mutmaßlichem Auf- enthalt in Armenien in Verbindung gebracht. Damit wäre die Möglichkeit ge- geben, für das Geltendwerden dieser besonderen Form des reinen Zentralbaues in Italien einen unmittelbaren Anstoß vonseiten Armeniens anzunehmen, während das christliche Byzanz der späteren Zeit wohl für Einzelheiten wie Vierstützen- system, Pendentiv und Tamburkuppel, schwerlich aber für die reine Zentralform als lebendiger Anreger in Betracht kommen konnte. Hier liegt mir aber nicht so sehr daran, der Einflußnahme des noch christlichen Byzanz auf die italienische Bauentwicklung nachzugehen, die ja schon bei Brunelleschi (z. B. in der Aufnahme des Pendentivs!) mitzusprechen hatte, sondern neben die von Strzygowski vor- gebrachte Möglichkeit einer direkten Anregung armenischer Vorbilder auf Leonardo eine zweite zu stellen, die gerade in der Zeit ihre größte Wirksamkeit haben mußte, in der Bramante den Zentralbau der Peterskirche in Angriff nahm.

Mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 betritt der Osten mit erneuerter Kraft und ohne das Hemmnis kirchlicher Überlieferung und der Zu- stände eines ersterbenden Reiches den europäischen Boden. Mit dem Islam werden den Elementen ganz Vorderasiens bis nach Indien die Tore geöffnet. Ein Reich- tum an Formen und eine Großzügigkeit strömt herein, die allem überlegen ist, was die alternde byzantinische Kultur geleistet hatte und Kuppel und Zentral- bau erstehen damit in einer Blüte, die durch Jahrhunderte versunken war. Frei- lich hat man bis nun die Bedeutung der osmanischen Baukunst damit abzutun ge- sucht, daß man die osmanische Moschee als die Nachahmung der Sophienkirche erklärte. Daß diese ein Vorbild abgab, ist nicht zu bestreiten, wie aber war es möglich, daß nach jahrhundertelanger Unterbrechung das erste fremde Volk, das den Boden Konstantinopels betritt, sich an eine solche Leistung wagen konnte? Die Machtmittel allein können diese Tat nicht erklären. Erst wenn man erkennt, daß die Eroberer eine Überlieferung mitbrachten, die hochentwickelt genug war, um die vorgefundene Anregung ohne Schwierigkeiten aufnehmen zu können, wird man diese Übernahme richtig werten lernen, nicht als eine bloße „Nachahmung“,

(т) Frey, а. a. О. (а) In dem angeführten Aufsatze: Leonardo-Bramante-Vignola.

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sondern als eine willkommene Anregung zur Fortführung einer Tradition, die im- stande war, tiber das Objekt der Anregung selbst hinauszugehen und die letzten Konsequenzen zu ziehen.

In der ganzen vörhergehenden bis auf die kleinasiatischen Seldschuken und über diese bis nach Persien zurück verfolgbaren Entwicklung ist deutlich ein wachsen- des Streben nach Vergrößerung und Vereinheitlichung desInnenraumes zu erkennen. Die Schwierigkeit bestand dabei darin, bei der Übertragung der persischen Hof- moschee (Medresentypus)*) mit den vier axial gestellten Iwanen in die nieder- schlagsreicheren Gebiete den viereckigen Hof durch einen gedeckten Raum zu er- setzen. In dem Maße, als dazu die von den Grabbauten her gewohnte Kuppel verwendet wurde, mußte das ursprüngliche Hofquadrat?) entsprechend verkleinert werden und konnte kaum die Spannweite der Iwane tiberschreiten. Diese traten als Kreuzarme um das Quadrat. Mit dem Verklimmern der Eingangs- und Seiten- iwane, bzw. dem räumlichen Zusammenziehen der letzteren mit dem Mittelraum, entsteht ein Typus (Taf. 51, Abb. то), der im 14. und im 15. Jahrhundert vor allem im seldschukischen und frühosmanischen Kreise große Bedeutung gewinnt und bis nach Spanien wirksam war. An einen mittleren Hauptraum schließt sich hinten chorartig vortretend ein zweiter Kuppel- (oder Tonnen-)Raum, der in ‘den älteren Bauten (Taf. er, Abb. 8, то) der Größe nach noch fast gleichwertig mit dem ersteren behandelt wird, allmählich aber auch zurücktritt und dann meist nur von einer Halbkuppel! eingedeckt wird (Taf. 51, Abb. 9). Typisch gehört dazu die offene, fünfteilige Vorhalle mit betonter Kuppel im Mitteljoch, wie denn auch die Haupt- kuppel hier gegenüber der damals geläufigen christlichen Art, die das Kuppelrund durch ein flaches Kegeldach verbirgt, auch im Außenbau als beherrschendes Mo- ment eingeführt wird. |

Schon bei diesem Stadium wird man an die Anfänge des Kuppelbaues in der italienischen Renaissance zu denken haben. Die bewußte Auswertung der Kuppel für den Außenbau durch Brunelleschi mag von dieser Entwicklung aus angeregt sein. Das dazu verwendete Mittel, das Aufführen einer doppelten Schale, ist in den persischen Kuppeln seit dem 12.Jh. durchaus geläufig?). Mag für dieses Moment eine Anregung für Italien bestehen oder nicht, so lassen doch die ersten Kuppelbauten Brunelleschis noch andere wesentliche Züge erkennen, für die die europäisch-christ- liche Entwicklung schwerlich Anhaltspunkte liefert. So muß die 142930 be- gonnene Capella dei Pazzi (Taf. 51, Abb. 7) bei Beschränkung des Gesichtskreises auf die abendländische Welt ein Rätsel bleiben. Ein Mittelquadrat mit Kuppel, das durch zwei Tonnen breiträumig erweitert ist, und an das sich ein kleineres Kuppelquadrat chorartig anschließt, Pendentiv, Faltenkuppel, Tonne, eine fünfteilige offene Vorhalle mit Mittelkuppel, Bogen über Säulen, goldener Schnitt, das sind etwa die Hauptelemente, die Brunelleschi hier (bzw. in seinen anderen Bauten) einführt. Manche dieser Züge, wie Pendentiv, Faltkuppel und Tonne sind schon durch die ganze Linie der byzantinischen Kunst zu verfolgen und ihr Aufkommen in Italien leicht erklirlich, wenn man an das Einströmen griechischer Künstler und Gelehrter im 15. Jahrhundert denkt. Dagegen stößt eine Erklärung der eigen- artigen Raumanordnung der Pazzikapelle sowohl aus der italienischen, wie aus der

` (1) Siehe Diez, Kunst der islamischen Völker, S. 968. ~

(2) Siehe noch die Sirtscheli-Medrese, Diez, a. a. O., S. 116.

(3) Siehe Diez, a. a. O., Abb. пз, 213, Taf. Ш u. a, Über die Entstehung der persischen Doppel- kuppel werde ich in meinem Bäderwerke handeln.

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östlich-christlichen Entwicklung heraus auf Schwierigkeiten. Hier aber tritt die Italien von drei Seiten umgebende islamische Entwicklung ergänzend ein. Der „queroblonge“ Kuppelsaal ist eine in der islamischen Baukunst dieser und der vorhergehenden Zeit weitverbreitete Raumform. Das bekannteste Beispiel ist der zwischen 1333 und 1390 erbaute Saal der Abencerragen in der Alhambra, dessen Faltkuppel in Bezug auf die Pazzikapelle besonders bemerkenswert ist i). Ähnlich zeigt der gegenüberliegende Schwesternsaal einen beiderseits durch weite Bogen mit Schmalräumen in Verbindung stehenden Kuppelraum, dem ganzen dreiteiligen Schema ist eine die ganze Fassadenbreite einnehmende Vorhalle gegen den rück- wärtigen Garten vorgelegt. Die Säulenvorhallen mit betonter (gekuppelter) Mitte sind іп den Höfen großzügig verwertet). Arabische Mathematik wird gleichzeitig zum Kulturgut Europas (gpldener Schnitt!) Noch deutlicher ist das Schema der Pazzikapelle in den Bauten der oben skizzierten frühosmanischen Entwicklung vor- handen: Kuppelbreitsaal mit chorartiger Erweiterung und fünfteiliger Mittelkuppel- Vorhalle ergeben enge Parallelen. Bei Beibehaltung des Grundschemas sind die mannigfachsten Varianten möglich.

Wenn ich nun hier neben diese Bauten Taf. 51, Abb. 9 die Atik Ali Dschami von Konstantinopel stelle, die (1497) zwar schon nach der Pazzikapelle entstan- den ist, so geschieht dies weniger, weil sie deren Schema am deutlichsten ent- spricht, als vielmehr darum, weil sie zugleich am klarsten erkennen läßt, daß in diesem Typus bereits die Voraussetzungen gegeben sind, uin den letzten kon- sequenten Schritt zur Übernahme des Typus der Sophienkirche zu tun: Der Chor- raum lehnt sich mit einer Halbkuppel in der ganzen Breite an das Mittelquadrat an®), damit entsteht eine Art Mittelschiff, an das sich die Seitenarme wie in der Sophia noch durch eine Arkadenstellung getrennt anreihen‘). Vergleicht man mit diesem Grundriß die Anlage der Moschee Bajesid IL (Taf. 51, Abb. 11), so ist die Fortführung des Schemas und seine Anpassung an die Art der Sophienkirche ohne weiteres deutlich. Die Ergänzung zum Quadrat konnte keiner Schwierigkeit unter- liegen, war sie doch ebenfalls schon in der Entwicklung vorbereitet (Abb. то). Der große Schritt bestand nun in der Auflösung der Seitenwände der Kreuzarme, d. h. in der Verbindung der Einzelräume zum Gesamtraum. Die letzte Folgerung und vollständige Zentralisierung über die Sophienkirche hinaus geschah schließlich durch die Weglassung der trennenden Seitenarkaden und die vollständige Öffnung ‘von Halbkuppelräumen auch zu beiden Seiten des Mittelquadrats (Abb. 12).

So ist ersichtlich, wie hier tatsächlich eine geschlossene, folgerichtige Entwicklung vorliegt, die ihre Reife dem Zusammenströmen christlicher 'und islamischer Fak-

(0) Siehe Uhde, Baudenkmäler in Spanien und Portugal, I, Taf. 8; Diez, a. a. O., 8. 176.

(2) Siehe Uhde, a. a. O, Taf. 14.

(3) Vgl. die Daud Pascha Dschami (Gurlitt, Die Baukunst Konstantinopels, Taf. ХСП, 15a), die vor den Toren der Stadt, bereits vor deren Eroberung (1359—89), erbaut worden sein soll, die ich aber, als in den Einzelheiten nicht feststehend, nicht heranziehe.

(4) Nach Gurlitt (S.63f.) scheinen die beiden Pfeiler in einer späteren Zeit eingezogen; umsomehr käme dann das Streben nach Raumeinheit zur Geltung. Es mag aber bemerkt werden, daß der Grundriß, wie er Taf. 5ı, Abb. 9 erscheint, wahrscheinlich der Anlage der ersten großen, von Mo- hammed II., dem Eroberer, an Stelle der Apostelkirche erbauten Moschee entspricht, die ein Erdbeben (1117 d. H.) scheinbar so völlig zerstört hat, daß der heutige Bau schwerlich etwas damit zu tun hat; Hadikat ul Dschewami (cit. bei Djelal Essad, Constantinople, de Byzance а Stamboul, franz. Ausgabe, Paris 3909, S. 214f) berichtet nämlich, daß „die beiden Porphyrsäulen zerstört wurden, und daß man die Kuppel dann erst auf vier Pfeilern errichtete.“

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toren auf dem Boden Konstantinopels verdankt. Betrachtet man hingegen die Aus- bildung des Zentralbaues in der Renaissance, so wird man bei aller Beachtung dessen, was das Abendland selbst mitzusprechen hatte, entdecken: sie ist gar keine Entwicklung in dem Sinne, daß der italienische Boden selbst, aus sich heraus in einer folgerichtigen Linie von einer Form zur anderen gelangt. Wie kann aus dem Schema einer Pazzikapelle das Schema einer Peterskirche werden! Die Lösung liegt eben darin, daß diese Schemen nicht jeweils „von einem genialen Geiste neu erfunden wurden“, sondern daß sie Übernahmen aus einem fremd- artigen Strome sind, in den sie sich tatsächlich entwicklungsgemäß einreihen. Das Abendland hatte sie nur seinen eigenen Anforderungen unterzuordnen.

Kehren wir nun zur Peterskirche zurück: Wie die Pazzikapelle als Raumform einem Entwicklungsstadium der islamischen Architektur entspricht, in dem die Monumentalisierung noch nicht vor sich gegangen ist, so mag es naheliegen, die Anregung für die Peterskirche in dem bereits während des 15. Jahrhunderts aus- gebildeten monumentalen Raumbau des Islam zu suchen. Konstruktiv ist dort das Stützenquadrat mit seiner Überleitung durch Hängezwickel in das Rund und seiner Verstrebung durch peripherisch im Quadrat angeordnete Räume in einer großzügigen und lebendigen Entwicklung vorweggenommen. Insoweit dieser Schritt der osma- nischen Baukunst nichts anderes als den Übergang vom Waridbau zum Gliederbau bedeutet, mag sich, von dort aus angeregt, damit erst ganz die Entdeckung und Übernahme des antiken Gliederbaues in der Hochrenaissance erklären!).

Auch was den Zweck aflangt, so widerstreitet die islamische Entwicklung nicht der Aufnahme des Zentralbaues. Gilt es doch nur, einen großen, gedeckten Raum zu schaffen statt des in den günstigeren Klimaten üblichen Hofes, und war doch die Kuppel die geläufige Art der Bedachung. Nur konnte es, der Reihenanordnung beim Gebete entsprechend, kein Rundraum sein, die Verbindung des Quadrats mit der Zentralidee war vielmehr eine besondere Vorausetzung für die Eignung des Kuppelbaues als Moschee. Hier hat diese Form nicht nur zweckliche Berechti- gung, ihre Monumentalisierung, d. h. ihre inhaltliche Steigerung ist vielmehr auch um so naheliegender, als die Kuppel durch Brauch und Überlieferung boden- ständige Geltung hat. Die große, absolutistische Macht, die sich in den Händen der türkischen Sultane vereinigte, schuf hier während des ı5. Jahrhunderts bis nach Indien eine große Anzahl solcher Riesenbauten. Wenn wir zunächst ganz von Form und Gestaltung absehen mußte die Zentralidee als solche nicht schon fruchtbar werden für eine benachbarte Entwicklung, in der der Machtgedanke der Alleinherrschaft sich immer mehr durchrang? Sollten derartige Schöpfungen glanz- volisten Machtausdrucks auf die italienischen Künstler und Gelehrten, die Kon- stantinopel und den Orient besuchten, ohne Eindruck geblieben sein? Aller- dings, es gab ja auch in Italien solche Riesenbauten und gerade was St. Peter anlangt, war immer wieder das Bemühen rege, das Pantheon in Rom und San Lorenzo in Mailand als direkte Vorbilder namhaft zu machen. Doch abgesehen davon, daß die Frage berechtigt ist, ob diese oder etwa die Konstantinopler Moscheebauten mit der Peterskirche mehr grundsätzliche Verwandtschaft haben, und zugegeben, daß diese Denkmäler nicht ohne Einwirkung bleiben konnten, wie

(х) Dieser Schritt scheint vor allem an die Person des Bramante nach seiner Ubersiedlung nach Rom geknüpft. Selbst Leonardo und gerade darin folgt er der christlich-armenischen Entwicklung (siehe Strzygowski, a. a. О.) kann sich vom Wandbau nicht losmachen und noch bei Michel- angelo bleibt die plastische Gliederung der Wand noch an die Fläche gebunden (Laurentiana).

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kam es denn, daß diese seit Jahrhunderten vor aller Augen stehenden Denkmäler jetzt erst geradezu wiederentdeckt wurden, daß frühere, gewiß auch monumentale Schöpfungen wie die Dome zu Pisa, Mailand und Florenz ganz andere Bahnen gingen und daß auch in der Folge die Zentralidee im Abendland keine dauernde Geltung behielt? Hier konnten nur mächtige äußere Anregungen entscheidend wirken. Solche waren, gerade was die Architektur anlangt, in der hochgespannten Machtsphäre eines Muhammed II., Bajisid II. und Suleiman des Großen gegeben, unter denen Persönlichkeiten wie Haireddin (um 1500) und Sinan (1489—1578) für einen bis nach Indien reichenden Kulturkreis das verwirklichen konnten, woran ein Michelangelo innerlich zugrunde ging.

Wie man immer mehr zu erkennen beginnt, daß der Wiedergeburt der Antike in Plastik und Malerei zum guten Teil erst durch die Anregung des nordisch- gotischen Naturalismus der Boden bereitet wurde, so dürfte auch hier deutlich geworden sein, wie erst der östliche Anstoß die Wiederentdeckung der eigenen alten Zentralbauten, der antiken Gestalt, mit sich brachte. Es wäre gentigendes Ziel dieses Aufsatzes, diesen Gedanken, wie es Strzygowski in bezug auf die öst- lich christliche Entwicklung tat, hier auch in Bezug auf den islamischen Kreis nur überhaupt zur Diskussion gestellt zu haben. In unserm besonderen Falle (St. Peter) gilt es aber noch, die Möglichkeit engerer Beziehungen festzustellen. Denn wenn Technik, Zweck und Idee wohl zu Übereinstimmungen mehr all- gemeiner Art führten, und die gestaltliche Übernahme der alten abendländischen Einzelheiten zur Erklärung nicht ausreichten, so erübrigt noch, auf die formale (Raum-)Anordnung näher einzugehen, durch die das bauliche Wesen am reinsten zum Ausdruck kommt und am besten gefaßt werden kann.

Die Übereinstimmungen des Konstantinopler Moscheentypus (Taf. 51, Abb. eck mit dem Bramanteentwurf, nämlich Vierstützenkuppel, Kreuzform im Quadrat und diagonal angeordnete Nebenkuppeln, mögen ja für eine oberflächliche Beurteilung genügend erachtet werden genügten doch auch bisher Pantheon und S. Lorenzo! Doch besteht ein bedeutender Unterschied darin, daß in dem Moscheetypus die Kreuzarme fehlen und dadurch eine viel stärkere Raumeinheit zustande kommt als bei dem Bramanteentwurf. Nun muß freilich bedacht werden, daß diese Raum- einheit eben erst eine letzte, durch die Sophienkirche angeregte und durch die Monumentalisierung gegebene Folgerung der osmanischen Baukunst bedeutet. In der ganzen vorhergehenden Entwicklung, die ja von Kreuz und Quadrat ausging, bleibt zwar die Kreuzform immer mehr oder weniger latent, erst die Monumenta- lisierung mittels der armenisch-byzantinischen Stützeneinstellung führte zum Auf- geben der die Kreuzarme als selbständige Raumteile seitlich begrenzenden Mauern und zur Bildung des kreuzdurchsetzten quadratischen Einheitsraumes. Doch er- hielt sich in jenen Zweckbauten, in denen eine räumliche Vereinheitlichung und Großräumigkeit nicht benötigt war, die alte Form mit den Kreuzarmen weiter’). Über die typische Verwendung des kreuzdurchsetzten Fünfkuppelquadrats in den großen türkischen Bäderbauten wird in meinem angeführten Werke zu sprechen sein?). Hier sei nur als einer der ältesten türkischen Profanbauten Konstantinopels der 1466 errichtete Tschinili-Kiöschk (Taf. 50, Abb. 4) als ein Beispiel beigebracht,

(х) Ja, selbst im monumentalen Moscheebau schlägt sie immer wieder durch. So in den Seitenflägeln der Bajesidie іп Adrianopel und in der Selimie in Konstantinopel (Gurlitt S. 66, 67; Abb. 130 und Tafel тот.

(2) Vgl. inzwischen Strzygowski, а.а, О., S. 864, der ein frühes Beispiel aus Ani in Armenien abbildet.

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bei dem ähnlich wie bei Bramante die den Durchmesser des Kuppelraumes an Länge weit iibertreffenden Kreuzarme das Quadrat durchsetzen. In dem chor- artigen Vorspringen des Hauptarmes über die Quadratseite könnte man sogar eine engere Übereinstimmung erblicken. Was die Raumbildung im ganzen anlangt, muß aber gesagt werden, daß der Bramantegrundriß zwischen einem solchen Typus und dem der Monumentalmoscheen die Mitte hält, einen Ausgleich bedeutet. Denn wenn auch im Tschinilikiöschk die Grundrißanordnung als Schema der der Peters- kirche entspricht, so ist doch noch ein viel stärkeres Festhalten an der Selbstän- digkeit der Einzelräume (Raumaddition) festzustellen, in dem vor allem die vier Diagonalräume nur durch Türen zugänglich sind, ja selbst die Kreuzarme bei dem Fehlen einer sie einheitlich bedeckenden Tonnenwölbung in mehrere Einheiten zerfallen, ohne daß freilich im Raumbild!) der Eindruck der durchgehenden Kreuz- arme verschwindet. Aber auch in dem 40 Jahre späteren Bramanteplan ist die Vereinheitlichung durchaus nicht viel weiter, als es beim ersten Blick auf den Grundriß scheinen könnte. Die Diagonalräume kommen trotz der Auflösung der Wände der Kreuzarme im Sinne des antiken Gliederbaues für den Eindruck des Gesamtraumes nicht in Betracht). Gegenüber dem erst im 16. Jahrhundert voll ausgeprägten Monumentaltypus der Moschee aber (Taf. 57, Abb. 12) steht der Petersplan in Bezug auf Raumeinheit noch immer entschieden zurück, ja, es ist geradezu verwunderlich, daß S. Lorenzo oder auch das Pantheon nicht mehr Ein- fluß gerade in dieser Beziehung genommen haben. Umso mehr wird man er- kennen müssen, wie dieser Großbau im Banne einer Entwicklung steht, die selbst erst eines letzten Anstoßes bedurfte, um zur Raumeinheit zu gelangen.

Die Heranziehung des Tschinili-Kiöschk soll durchaus nicht in dem Sinne aufgefaßt werden, daß ich ihn etwa als direktes Vorbild eines Renaissancebaues, oder gar des Bramantegrundrisses gelten lasse. Es genügt, ihn als Vertreter einer leben- digen Entwicklung zu sehen, die in Italien selbst keine Voraussetzungen hatte. Bestimmte, historisch im einzelnen belegbare Beziehungen festzustellen, mag erst einer weitschauenderen Einzelforschung überlassen sein. Was den Kiöskbau an- langt, so sei nur auf die Möglichkeit engerer Beziehungen zu dem Villenbau (Villa rotonda) und den Gartenpavillons der Spätrenaissance und der folgenden Zeit hin- gewiesen. Als eine wohl ohne weiteres einleuchtende Übernahme eines türki- schen Vorbildes durch einen Barockarchitekten möchte ich hier our den 1548 von Bernardo Tasso erbauten Mercatorio nuovo in Florenz (Taf. 50, Abb. 5) der 1415 vollendeten Ulu Dschami in Brussa (Taf.50, Abb. 6) gegenüberstellen, deren Kuppel- halle als die typische Form der tiirkischen Kaufhallen (Besestane) immer wieder- kehrt). An der Florentiner Kaufhalle sei noch die Anbringung kleiner Brunnen- nischen an den Eckpfeilern erwähnt, ein Brauch, der an öffentlichen Gebäuden der Türken gang und gäbe ist.

(1) Vgl. Gurlitt, Taf. 67b.

(2) Man vgl. die Rekonstruktion bei Geymüller oder auch das heutige Raumbild.

(3) Siehe die Grundrisse der beiden alten Kaufhallen in Konstantinopel, des nach Hammer 1461 er- bauten Sandal Besestan und des nach Hammer unter Suleiman errichteten großen Besestans bei Gurlitt, Die Baukunst Konstantinopels, Abb. 101, 102.

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BEITRÄGE ZUR ITALIENISCHEN PROFAN-

KUNST *) Mit zwei Abbildungen auf zwei Tafeln Von Prof. Dr. WALTER ВОМВЕ

П. EIN SIZILIANISCHER TRISTAN-ZYKLUS.

m Jahre 1904 erwarb das Londoner South Kensington-Museum zum Preise von тоо aus dem Florentiner Kunsthandel eine Decke mit figürlichen Relief- stickereien und gotischen Inschriften in sizilianischem Dialekt, einst im Besitze der Grafen Guicciardini. Eine ähnliche Decke fand die Gräfin Maddalena Guicciardini in ihrer Villa zu Usella unweit Prato vor etwa zwanzig Jahren bei einem plötz- ‘lich eingetretenen Wettersturz auf ihrem Bett. Von den Darstellungen gefesselt, brachte sie das Stück nach Florenz und zeigte es dem ausgezeichneten, inzwischen verstorbenen Paläographen Cesare Paoli, der die Inschriften entzifferte und jeden- falls sofort die hohe Bedeutung des Fundes erkannte. Die Decke kehrte darauf nach Usella zurück, erhielt einen geschnitzten hölzernen Rahmen, und diente fortan als Rückenlehne eines Diwans in einem der Wohnräume der Villa. |

Professor Pio Rajna, der vorzügliche Kenner alter Ritterromane, wurde durch Paoli in Kenntnis von dem Funde gesetzt und erfuhr später durch Freunde, daß im Londoner South Kensington-Museum ein Gegenstück vorhanden sei, die eingangs erwähnte, 1904 angekaufte Decke und widmete beiden Stücken eine sehr ein- gehende Untersuchung, deren in der Zeitschrift „Romania“ veröffentlichte Ergeb- nisse?) wohl kaum deutschen Kunstfreunden bekannt geworden sind und daher an dieser Stelle, soweit sie für die kunsthistorische Würdigung der kostbaren Arbeiten von Belang sind, noch einmal kurz zusammengefaßt werden sollen.

Die Maße der Londoner Decke betragen 3,20 m Länge bei 2,77 m Breite. Um einen mittleren Körper, der in sechs paarweise angeordnete Abteilungen zerlegt wird, läuft an drei Seiten ein Randstreifen von der Breite einer dieser Abteilungen. Jede der sechs inneren Abteilungen enthält eine figürliche Szene, und mit figür- lichen Darstellungen sind auch die Randstreifen geschmückt. Hierzu gesellt sich eine ornamentale Verzierung, die zwischen schmalen Leisten vier zentralsymme- trisch angeordnete dreizipflige, ahorn-ähnliche Blätter zeigt. Das ganze System er- innert an ein aus zwei Flügeln bestehendes Tor. Die Randstreifen enthalten acht Szenen, zwischen denen Blattwerk und Blüten sich hinziehen. Wir unterscheiden einen Eichenzweig mit Früchten, zwei Weinschößlinge mit Trauben und an fünf Stellen eine unbestimmbare Pflanze mit schön geschwungenen Ranken und sechs- blättrigen Blüten. Die dreifache Richtung der Szenen und der erklärenden Bei- schriften zeigt deutlich, daß die Decke für ein Bett bestimmt war und daß die breiten Randstreifen am Bettrande herabfielen, da nur so für den Beschauer die Darstellungen und die Inschriften leicht ablesbar waren. Gegen eine Verwendung als Tischdecke spricht das für einen solchen Zweck nicht geeignete hohe Relief der Stickerei und die weiße Farbe des Stückes.

Die Decke in Usella ist nur fragmentarisch erhalten und mißt im Rahmen 2,455 m Länge bei 2,125 m Breite. Es fehlt ihr der rechte Randstreifen, ferner der äußerste Rand des linken Streifens sowie zwei der oberen Bildfelder; diese barbarische Ver- stimmelung ist ohne Zweifel ein Werk der Bauern von Usella, die es für nötig

(x) Der erste dieser „Beiträge zur italienischen Profankunst“ erschien in den „Monatsheften für Kunst- wissenschaft“, IX. Jahrg., 1916, Heft X, S. 362—376. (а) Nr. 168, Octobre 1913 (Tome XLII), р. 517—579.

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hielten, die Decke den weit geringeren Ausmaßen eines neuzeitlichen Bettes-an- zupassen. Den vierzehn bildlichen Darstellungen der Londoner Decke fügt die Decke von Usella nur acht hinzu.

Die Inschriften der Decke von Usella lassen sich folgendermaßen entziffern:

Randstreifen, von oben nach unten gelesen: I СОМУ :') LVMISAGERI EVINVTV : ATRISTAINV П. cou: Tr: et GVIRNAL*) SIPARTERV DALLVRRE FERAMONDI, Ш. COMV: Tr: et GVIRNALI:SOVINVTI: ALLVRRE MARCV IV. COMV: LVRRE: MARCV : FECHI®a) : CAVALIERI : TRISTAINV

Die Inschriften der Bildflächen, rechts unten beginnend und links fortfahrend, ergeben: V. COMV:Tr: VAI: NELLA ISOLA: Per CVmBACTIRI LOCV: VI, COMV: LUAMOROLDV VAI: ALLAISOLECTA 5) УП. COMV: LVAMOROLDV CVMBACTIV:CV TRISTAINV : ACVALLV УШ. COMV: TRISTAINV : CVMBACTIV : CVLLV: АМОВОГ DO) et SPECIARV: LILAnCI

Die Inschriften der Londoner Decke ergeben folgenden Wortlaut: Randstreifen von der Ecke rechts unten nach dem benachbarten Mittelsttick, dann nach rechts oben aufsteigend und schlieBlich auf der anderen Seite absteigend:

IX. COMV: LURRE : LANGVIS‘) : MANDA: Рег LVTRABVTV : In CORNVALIA X. СОМУ : [LIMJISSAGIERI : SOVINVTI: AL[LV]JRRE: MARCH : Per LVTRIBVTV DI SECTI ANNI‘) ХІ. COMV: LURRE : LANGVIS: CVMANDA : CHIVAIA : LOOST : CORNVAGLIA ХП. COMV: LVAMOROLDV FABANDIRI: LVOSTI: In CORNVAGLIA ХШ. COMV: LVAMOROLDV: EVINVTV : INCORNVVALGIA: CVn XXXX GALEI: XIV, COMV:T?) DAI: LVGVAnTV ALLVAMOROLDV DELA BATAGLIA XV. СОМУ ; LVAMOROLDV : FASVLDARI: LAGENTI ХУІ COMV: LVAMOROLDV VAI: In CORNVVALGIA

Die mittleren Bildfelder ergeben in gleicher Abfolge wie bei der anderen Decke, d. h. von rechts unten nach links unten und dann ebenso aufwärts:

ХУП. COMV:TRISTAINV:ASPECTA:LVAMOROLDV®):ALLAISOLADIL VMARV SANCA

VINTVRA ` ХУШ, COMV: TRISTAINV ВУСТА : LAVARCA: ARRETV : МТУ : ALLVMARV

ХІХ, COMV : LVInFA : DELVAMOROLDV : ASPECTAVA LVPATRVNV ХХ. COMV: TRISTAINV FERIV LVAMOROLLDO In TESTA

ХХІ. SITATI®) DEIRLANDIA |

XXII. СОМУ LVAMOROLDV FERIV: TRISTAINV ATR[A]DIMENTV 10)

Wir haben die Decke zu Usella vorangehen lassen, weil sie Darstellungen der Tristansage enthält, die unzweifelhaft zeitlich vor denen der Londoner Decke liegen. Wenn wir der literarisch überlieferten Abfolge der einzelnen Szenen nachgehen, so ergibt sich folgendes Bild:

(1) Die Interpunktion wird hier durch Doppelpunkt, ähnlich dem Original, wiedergegeben.

(2) Hier scheint am Ende des Wortes ein V (GUIRNALU) versehentlich fortgelassen zu sein.

(аа) == ќесе, Eine ähnliche Form ist „pachu“ S. 103 Anm. a.

(3) Vielleicht auch ISOLOCTA oder ISOL DE TR. zu lesen.

(4) Die Schreibweise AMOROLDO kehrt ähnlich auf der Londoner Decke (XX) wieder: AMOROLLDO. (5) Das s ist durch ein oben angehängtes Komma ausgedrückt.

(6) Die in eckige Klammern eingeschlossenen Buchstaben sind beim Auseinandertrennen der Decke beschädigt worden (в. Anm. 10).

(7) Oben neben dem T schelnt ein Minuskel-R, wie es sonst mehrfach vorkommt, gestanden zu haben. (8) Wahrscheinlich AMOROLDV und nicht AMOROLDO zu lesen.

(9) Der erste Buchstabe ist beschädigt, jedoch wohl mit 8 richtig wiedergegeben.

(10) Der eingeklammerte Buchstabe ist beim Zertrennen anscheinend verloren gegangen.

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1 (Ш). Comu Tristainu et Gu[vjirnal[i] si parteru da lu ге Feramonti. 2 (1). Comu lu misageri е vinutu a Tristainu, 3 (Ш). Comu Tristainu et Guvirnali so vinuti allu тте Marcu. 4 (IX). Comu lu rre Languis manda per lu trabutu in Cornvalia. 5 (IV). Comu lu rre Marcu fechi cavalieri Tristainu. 6 (X). Comu li missagieri so vinuti allu rre Marcu per lu tributu di secti anni. 7 (XI). Comu lu rre Languis cumanda chi vaia lo osti [in] Cornuvalgia. 8 (XII). Comu lu Amoroldu fa bandiri lu osti in Cornuvalgia. 9 (XV). Comu lu Amoroldu fa suldari la genti. то (XVI). Comu lu Amoroldu vai in Cornuvalgia. 11 (ХШ). Comu lu Amoroldu ё vinutu in Cornuvalgia сип XXXX galei. їз (XIV). Comu Tristainu dai lu guantu allu Amoroldu de la bataglia. 13 (У). Comu Tristainu vai nella isola рег cumbactiri locu. 14 (XVII). Comu Tristainu aspecta lu Amoroldu alla isola dilu шага Sanza Vintura. 15 (VI). Comu lu Amoroldu vai alla isolecta. 16 (XVIII). Comu Tristainu bucta la varca arretu intu allu maru. 17 (XIX). Comu lu infa de lu Amoroldu aspectava lu patrunu. 18 (УП). Comu lu Amoroldu cumbactiu cu Tristainu ас[а]атайч. 19 (УШ). Comu Tristainu cumbactiu cullu Amoroldo et speciaru li lanci. 20 (XX). Comu Tristainu feriu lu Amorolldo in testa. 21 (XXI). Comu lu Amoroldu feriu Tristainu a tr[a]dimentu. aa (XXI). Sitati de Irlandia.

Hier sind unter Nr. 8 und 9 die Darstellungen XII und XV auf den Randstreifen der Londoner Decke nebeneinander gestellt, obgleich sie durch ХШ und XIV unter- brochen werden. Die Richtigkeit dieser Aufeinanderfolge ergibt sich aus dem Um- stande, daß wir auf XV eine Posaune finden, zu der auf XII der Posaunenbläser gehört, und in Bildfeld XV, inmitten des Blattwerkes, das Zelt. Weitere Ano- malien der Abfolge sind vielleicht auf Ungenauigkeiten der Stickerinnen zurück- zuführen, die ihre Vorlagen nicht richtig aneinander gereiht haben. Jedenfalls er- geben sich für Usella die Reihen 2, I, 3, 5, 13, 15, 18 und 19, für London 4, 6, 7, 8, 9, 10, II, 12, 14, 16, 17, 20, 22, 21. Des weiteren ergibt sich, daß der An- fang des Zyklus verloren gegangen ist, die Szenen am Hofe von Gaules und der Selbstmord der Tochter des Königs Feramonte.

Der Charakter der Inschriften ist rein gotisch; ein Umstand, der neben den sti- listischen Gründen für die Entstehung der Arbeit in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts spricht. Die dargestellten Helme, Schilde und Trachten zeigen keine besonderen Merkmale; an den Schilden ist eine Einbuchtung des oberen linken Randes, an den Kostümen der Männer die eng anschließenden Ärmel und Hosen, ein sehr kurzes Kamisol und vor allem der „Becchetto“ auffallend, eine strickartige, mit Knoten versehene Verlängerung der Kapuze, die fast bis zur Erde reicht und in Florenz um die Mitte des 14.Jahrhunderts zuerst auftaucht. Die vor- kommenden Throne, auf denen König Marke und König Languis sitzen (3-Ш, 6-X und 7-XI), zeigen zwei gedrehte gotische Säulchen, die durch einen gleichfalis goti- schen Bogen verbunden sind und über dem Kanäl je ein Häuschen mit Türen, bedeckten Altar und Giebeldach tragen. Bemerkenswert ist ferner die „Sitati d' Irlandia“, der Königspalast des Languis(22-XXI), der gotische und nicht gotische Elemente enthält.

Gewisse Anhaltspunkte für die Datierung liefert die Familiengeschichte des Guicciardini, für die wahrscheinlich die Decken ausgeführt wurden. Die drei Jagdhörner aus dem Wappen der Familie figurieren regelmäßig auf dem Schilde Tristans (13-V, 14-ХУП, 19-УШ, 20-XX) und wegen der Enge des Raumes öfter an Zahl verringert, auch auf dem Harnisch des Ritters, ebenso trägt Amoroldo

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die Lilien der Acciajuoli auf dem Schilde (15-VI, 18-VII, 20-XX), auf dem Panzer (10-XVI, 12-XIV, ar-XXII) und auch auf der Fahne des Schiffes das ihn nach „Cornovaglia“ führt. Der Gedanke, daß die beiden Bettdecken Hochzeits- geschenke und daß die Hörner und die Lilien die Wappen der Neuvermählten waren, liegt nahe. In der Tat hat um die Wende des 14. zum 15. Jahrhundert, genau im Jahre 1395, Piero di Luigi Guicciardini eine gewisse Laodamia Acciajuoli geheiratet, die zwei Jahre später starb!), Dadurch wäre eine genaue Datierung der Decken möglich, wenn die Lilien das eigentliche Wappen der Acciajuoli wären; das ist aber nicht der Fall. Die drei Lilien sind nur ein Anhängsel des Wappens; sie erscheinen auf einer Fahne die übrigens der auf dem Schiff sehr ähnlich ist zwischen den Pranken eines aufsteigenden Löwen. Die Lilien selbst wurden vom König von Neapel dem „Gran Siniscalco“ Niccolo Acciajuoli bewilligt. Daß sie das eigentliche Wappen darstellen, ist nicht anzunehmen. Dazu kommt, daß die Lilien sich nicht nur dort finden, wo Amoroldo auftritt. Sie finden sich auch auf den Schilden der Krieger, die sich anwerben lassen (9-XV); eine der auf dem Schiffe festgestellten ähnliche Fahne ist in 11-XII bemerkbar, wo Amoroldo zwar in der Inschrift genannt, aber nicht dargestellt wird. Dieselbe Fahne treffen wir aber in der Szene 4-IX als Abzeichen des Königs Languis, also an einer Stelle der Erzählung, wo Amoroldo noch nicht auftritt, woraus sich ergibt, daß die Lilien das Wappen Irlands sind, und nicht des Amoroldo selbst.

Dieselben Lilien finden sich auf einer dritten Decke, die durch eine Ausstellung alter Spitzen und Gewebe im Florentiner Lyzeumskub im März 1911 weiteren Kreisen bekannt wurde und der Marchesa Lucrezia Azzolino gehört. Auch diese Decke ist in Reliefstickerei gearbeitet, mit dem Unterschiede jedoch, daß nur weiße Fäden zur Anwendung gelangten, und daß ihr Erhaltungszustand ein weit schlech- terer ist. An vielen Stellen kommt die Watte der Füllung zum Vorschein, andere Stellen sind grob ausgeflickt. Außer diesen Abnutzungsspuren weist die Decke noch eine besonders schwere Beschädigung auf: Von den drei Einfassungen, deren ursprüngliches Vorhandensein wir annehmen müssen, ist nur die untere noch er- halten, die rechte fehlt ganz, und von der linken ist nichts übrig geblieben als ein Streifen von etwa einem Drittel der ursprünglichen Breite. Außerdem ist fast die ganze obere Hälfte der Decke abgeschnitten worden und verloren gegangen. Die ursprüngliche Breite betrug etwa 3,80 m, die Länge 4,15 m; wenn wir die Ein- fassungen abrechnen, so erhalten wir 2,20 zu 3,40 m. Demnach dürfte auch diese Decke einst als Bettdecke gedient haben. Die Einfassungen sind in ähnlicher Weise wie die beiden zuerst betrachteten Stücke mit Figuren, Blattwerk und gotischen Schriftzügen verziert. Deutlich lassen sich auch hier Weinranken mit Trauben, Pflanzen mit sechsblättrigen Blüten und Eichbäume mit Eicheln unterscheiden. Die Mitte ist jedoch in anderer Weise ausgestaltet. Rings herum läuft zwischen zwei schmalen Streifen eine Inschrift, und Figuren weist nur ein Rundbild in der Mitte auf, das mit dem gewohnten Schlingpflanzenmotiv eingerahmt ist.

(т) Aus den autobiographischen Notizen des Piero Guicciardini in Filza XXVII des Familienarchivs teit Rajna den Anfang mit, der wörtlich so lautet: „Ricordanza sia, che primo di di giugnio 1396 [1395] Jo menai a chasa per mia legitima Moglie la laudomia figliuola fu di messer do- nato di Jacopo aciajuli, е паса di madonna onesta figliuola fu di charlio degli strozi; la quale laudomia fu molto da me amata е simile da tuta la chasa, perché fu savia ө discreta е perfetisima giovane, е niente nel suo grado dischiatava. Ma iddio al mio parere tropo tosto me la tolse.“ Später hat Piero die Notiz hinzugefügt; „era suta mia donna promessa insino del mese di marzo 13932.“

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg., 1919. Heft 7 12 169

Die am Anfang und Schluß zerstörte Inschrift ergibt, soweit sie noch vorhanden ist, folgenden Wortlaut:

.. . V1) ABENI:LVPACHV®) : SILEDISTINATV | JNCOnTRA : FVRTVNA : NVLLV : HOMV : POGI | RI: BIATV : ACQVI: LVBENI: E: DISTIN ...

der sich in die gebräuchliche Schreibweise so tibertragen läßt:

. . & а beni lu pachu, si 1 ё distinatu. Incontra furtuna nullu homu giri. Biatu acqüi®) lu beni ё distin[atu].

Ohne weiteres verständlich sind die Worte auf dem unteren Randstreifen: CVR- TISIA, LA GVLA, ASTINENCIA, denen drei gekrönte weibliche Figuren ent- sprechen, Cortesia und Astinenza stehend und Gola (die Schwelgerei) an einem reich bedeckten Tische sitzend. Der linke Randstreifen, von dem, wie oben be- merkt, zwei Drittel abgeschnitten sind, zeigt nur noch die Köpfe dreier anderer gekrönter Frauengestalten, dazu von links nach rechts die Aufschriften: CARITA VANAGLORIA, SAPIENCIA, und neben der Carita einen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln, den „Caladrius“ der mittelalterlichen Bestiarien, der einem Kranken da- durch, daß er ihm den Kopf zuwendet, Genesung verheißt: „et assumit omnes in- firmitates eius infra se et volat in aera solis et comburit infirmitates eius et dis- pergit eas et sanatur infirmus‘). Darum gilt der „Caladrius“ als Symbol der reinen und tugendhaften Liebe, und darum kann er hier neben der Caritas erscheinen, Von Tiersymbolen sind auch die übrigen Tugenden und Laster begleitet; so finden wir neben der „Vanagloria“ den Pfau, neben der „Sapiencia“ den Hund mit Hals- band, neben der „Curtisia“ den Adler oder den Falken, neben der „Gula“ den Fuchs, neben der „Astinencia“ das Kamel’).

Das nur noch etwa zur Hälfte vorhandene Rundbild der Mitte zeigt die untere Hälfte zweier Figuren, links einer männlichen, rechts einer weiblichen, die einander zugewandt sind und sich wahrscheinlich umarmen. Die fragmentarisch erhaltene Beischrift ergibt links „VALLIA“ und rechts „VNDA“. Die erste Beischrift kann, wie Rajna vorschlägt, in „Cornvallia“ oder „Cornovallia“, die zweite in „Isotta la biunda“ ergänzt werden. Es ist zwar dagegen einzuwenden, daß man mit „Corno- vallia“ zunächst König Marke in Zusammenhang zu bringen pflegt, während sein Neffe Tristan gewöhnlich „di Leonois“ oder „di Leonis“ genannt wird, aber Tristans Beziehungen zu dem Lande Cornwall sind so enge, daß man ihn wohl „Tristano di Cornovallia“ nennen darf, wie es іп der Tavola Ritonda wirklich geschieht“). Da Isotta durch unwiderstehliche Mächte sich zu Tristan hingezogen fühlt und den König Marke meidet, so wäre es sinnlos, sie mit dem Gatten in zärtlicher Umarmung darzustellen. Rajna kommt daher zu dem Schlusse, daß hier Tristan

(х) Von diesem Buchstaben ist nur die zweite Hälfte erhalten.

(а) Pachu ist zu lesen: „рас[с]іч“ gleich „pazzo“. Eine ähnliche Form bietet ,fecbi“ in: „comu lu тте Marcu fechi cavalieri Tristainu“ auf der Decke in Usella 5 (IV). (3) Acqui ist gleich: a cui. (4) S. Mann, Der Bestiaire divin des Guillaume le Clerc, t. 6, f. 2, in „Französische Studien“, Hell- bronn, 1888, р. 40.

(5) Ahnliche Tiersymbole bieten die sogenannten „Tovaglie Perugine“, über die in meinem Aufsatze „Alte Peruginer Gebildwebereien“, Cicerone 1914, 8. 77—84 u. 107—115 näheres zu finden ist.

(6) La Tavola Ritonda o T Istorla di Tristano, Ed. Polidori, Bologna, 1864, р. 100 und 111.

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und Isotta wiedergegeben sind und daß die Decke ftir ein Hochzeitsbett ausgeführt wurde. Des weiteren ergibt sich aus der tibereinstimmenden Sprache der Bei- schriften, dem gleichen Charakter der Schriftzüge, der Wiederkehr bestimmter Pflanzenmotive und Eigentümlichkeiten der Kleidung, wie z. B. der gedrehten Schnur mit Troddel bei der Figur Tristans, die Herkunft auch dieses Stückes aus Sizilien; nur ist der Stil hier ein wenig weiter vorgeschritten, so daß als Zeit der Entstehung der Anfang des Quattrocento angenommen werden darf. Die Lilie aber, die auf den beiden Decken der Guicciardini als Wappen Irlands erschien, ist hier überall als in regelmäßigen Abständen wiederkehrendes Schmuckmotiv ver- wendet.

Was nun die Hörner auf den Guicciardini-Decken betrifft, so liegt es nahe, daß der Name „Cornovaglia“ enge sprachliche Beziehungen zu „Corno“ hat, und nichts hindert uns, mit Pio Rajna anzunehmen, Patrizierstolz habe sich dieses Umstandes bemächtigt, um den Stammbaum des Geschlechtes bis zu dem sagenhaften Tristan hinaufzuführen, wie die Mailänder Crivelli Wilhelm von Orange als ihren Ahnherrn ansahen und wie eine Anzahl Patrizierfamilien aus der Trevisanermark ihr Ge- schlecht auf Persönlichkeiten des karolingischen Sagenkreises zurtickfiihrten’). Hierauf fußend, stellt Rajna die verführerische Hypothese auf, daß die beiden Guicciardini-Decken ein Geschenk der Acciajuoli an ihre Verwandte Laodamia zur Hochzeit mit Piero di Luigi Guicciardini waren. Dieser Letztere war nach Ga- murrini ein vollkommener Kavalier, der „datosi negli anni giovanili in tutto, e per tutto a gli esercizi cavallereschi, se ne passò per praticargli in Germania, dove fece comparire tutte le maraviglie di natura“), was freilich durch die autobiographischen Notizen Pieros widerlegt wird®). Auf enge Beziehungen des Genannten zu Deutsch- land läßt allerdings der Umstand schließen, daß er 1416 von Kaiser Sigismund zum Conte Palatino ernannt wurde.

Schließlich hat Rajna auch noch die Inventare der Familie Guicciardini durch- gesehen und unter dem 31. August 1579 die Notiz gefunden: „3 coltre da letto imbottite con refe tané“, welche Madonna Caterina de’ Bardi ne’ Guicciardini „man- dava in serbo con molt’ айта roba, dentro a forzieri е cassoni, alla Badessa di Sta Felicità.“ Hier ist, wohlgemerkt, von drei und nicht von zwei Decken die Rede; vielleicht war die dritte jene aus dem Hause Azzolino. Am Ende: seiner scharfsinnigen Untersuchungen angelangt, erwähnt Rajna noch eine ihm von Attilio Schiaparelli mitgeteilte, auch mir längst bekannte Notiz aus dem Florentiner In- ventar des Bartolomeo Boscoli von 1386; „una coltre ciciliana di drappo cum armi et dipinture a рїй colori, braccia 7“, woraus sich ergibt, daß schon im Jahre 1386 mit Wappen und bildlichen Darstellungen geschmückte Bettdecken sizilianischer Herkunft in Florenz nachweisbar sind,

Wenn es auch nicht gelungen ist, etwas Sicheres über die literarische Quelle unseres sizilianischen Tristan-Zyklus zu ermitteln, so verdanken wir Pio Rajna doch den wichtigen Hinweis, daß wahrscheinlich ein toskanischer Prosatext dem sizilia- nischen Trecentokünstler vorlag, der diese fesseinden Darstellungen aus der alten Heldensage entwarf.

Von den in ihrer Gewissenhaftigkeit vorbildlichen Untersuchungen Pio Rajnas aber darf das Wort Friedrich Nietzsches gelten, der ja selbst ein großer Philologe

1) Novati, in „Romania“, ХІХ, р, 191—2 Anm. und Rajna in „Romania“, IV, p. 169 ff. (2) Gamurrini, p. 443. (3) Rajna, Romania, XLII, p. 576.

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war: „Philologie nämlich ist jene ehrwürdige Kunst, welche von ihrem Verehrer vor allem eins heischt: beiseite gehn, sich Zeit lassen, still werden, langsam werden als eine Goldschmiedekunst und Kennerschaft des Wortes, die lauter feine, vor- sichtige Arbeit abzutun hat und nichts erreicht, wenn sie es nicht lento erreicht. Gerade damit aber ist sie heute nötiger als je, gerade dadurch zieht sie und be- zaubert sie uns am stärksten, mitten in einem Zeitalter der „Arbeit“, will sagen: der Hast, der unanständigeu und schwitzenden Eilfertigkeit, das mit allem gleich „fertig werden“ will, auch mit jedem alten und neuen Buche: sie selbst wird nicht so leicht fertig, sie lehrt gut lesen: das heißt langsam, tief, rück- und vor- sichtig, mit Hintergedanken, mit offengelassenen Türen, mit zarten Fingern und Augen lesen.“

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DER MEISTER VON ALKMAAR

Von MAX J. FRIEDLÄNDER

tto Hirschmann hat hier (S. 88 ff.) über Erwerbungen des Rijksmuseums berichtet und ist dabei auf die Folge der Barmherzigkeiten aus der Laurens- kerk von Alkmaar zu sprechen gekommen, die seit einiger Zeit zum Bestande der Amsterdamer Galerie gehört. Seine Angaben über diese holländischen Bilder von 1504, die als Seltenheit wegen ihrer gesicherten örflichen und zeitlichen Stel- lung eine kunstgeschichtliche Beachtung verdienen, die sie durch ihre Kunstwirkung allein nicht erreichen würden, sind ausführlich, aber negativ. Er erwähnt Ver- suche, den Autor dieser Folge anderswo wiederzuerkennen, lehnt aber die Ergeb- nisse solcher Bemühung fast vollständig ab. Da er sich auch auf meine Äuße- rungen bezieht, sie aber nur mittelbar und unvollständig kennen gelernt hat, stelle ich zusammen, was ich über den Meister von Alkmaar zu wissen glaube und an mehreren Orten mitgeteilt habe.

Im Besitze des Barons Maurice de Rothschild zu Paris befindet sich ein Doppel- porträt, ein alter Herr mit dem goldenen Vließ und seine Gemahlin, dem Stil nach ein Werk des Meisters von Alkmaar. Mit Hilfe des bekannten Arras-Kodex (Photo-Giraudon, Nr. 462, 463) habe ich festgestellt, daß Johann, der erste Graf von Egmond und sein Weib Magdalena von Wardemberghe dargestellt sind. Da der Stammsitz der Egmond-Familie unmittelbar bei Alkmaar lag, wird die stil- kritische Bestimmung bestätigt. Johann starb in hohem Alter 1516. Das Dip- tychon mag mit der Amsterdamer Folge ungefähr gleichzeitig entstanden sein. Diese Zuschreibung habe ich in der Kunstchronik (1914/15) Nr. 4, Sp. 50, ver- öffentlicht.

Ein gutes Werk des Meisters, das Hirschmann, ohne es zu kennen, zitiert, kam 1909 aus englischem Privatbesitz in den Münchener Kunsthandel, dann zu Herrn van Gelder in Uccle bei Brüssel. Wo es sich gegenwärtig befindet, ist mir un- bekannt. Auf der 59 cm hohen, 42 cm breiten Tafel ist Anna Selbdritt dargestellt in der Mitte und in mittlerer Höhe; vorn: links der hl. Franciscus stehend, rechts ein hl. Diakon mit dem Schwert, sowie zwei knieende Nonnen als Stifterinnen, oben und verhältnismäßig klein, sitzend: links Johannes d. T., rechts die hl. Cäcilie, mit Buch, Schwert, Orgel und Falken.

Dieses Bild sieht ein wenig altertümlicher aus als die Folge der Barmherzigkeiten.

Der unbedeutende Altarflügel aus der Hoschek-Sammlung (wo jetzt?), den Hirsch- mann aus der unzureichenden Abbildung des Hoschek-Katalogs kennt und mit leichtem Zweifel aufzunehmen geneigt ist, stellt Christus in der Vorhölle dar. Er ist 63,5:cm hoch, 27 cm breit.

Von den Bildern im Rijksmuseum habe ich niemals, wie H. irrtümlich meint, die Beschneidung Christi Nr. 52 mit dem Alkmaarer in Verbindung gebracht dies ist das Bild, das ich als „Jan de Cock“ im Jahrbuch d. pr. Ksts. 1915, S. 87 publiziert habe wohl aber die unter Nr. 45 und 46 katalogisierten, beiderseitig gemalten Flügel. (Die Beschneidung Christi und die Auferstehung, Christus als Kind im Tempel und Christi Rückkehr aus der Vorhölle) Diese Tafeln sind ver- gleichsweise groß und deshalb etwas leer, vorgeschritten und manieriert im Ver- hältnis zu der Reihe aus Alkmaar, offenbar etwas später entstanden. Die Typen mit dem lästig schielenden Blick, die starken Schlagschatten, auch Handform und

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Faltenspiel sind aber charakteristisch genug. Ich zweifle nicht, daß sich der Alk- maarer Stil in dieser Weise auslebte. |

Die Stifterflügel, die in Amsterdam unter Nr. 48 verzeichnet sind, habe ich hin- zugezogen.

Das Bild in der Johnson-Sammlung Martyrium eines Heiligen Nr. 351 des Katalogs der Johnson-Galerie habe nicht ich dem Meister gegeben. Es ist hollän- disch, aus der Zeit um 1510, hat einige Züge mit dem Alkmaarer gemein, weicht aber in anderem wesentlich ab. Valentiner, der bei Katalogisierung der Johnson- Sammlung meine Vorschläge sorgfältig beachtet und zitiert hat, nennt mich in diesem Falle nicht.

Das bißchen Material, das uns zum Aufbau einer Geschichte der altholländischen Kunst erhalten ist, sollte mit besonderer Vorsicht behandelt werden.

~

Nachschrift. Gerade die Vorsicht, zu der Friedländer aufruft, machte mich ängstlich, die verschiedenen hier genannten Stücke als Erzeugnisse einer Hand zu betrachten. Ich verkenne keineswegs die engen Beziehungen, die sie verbinden, wie ich denn auch F.s scharfsichtige Aufstellung als solche nicht angefochten haben möchte. Bloß wollte ich dabei stehen bleiben, von einer Alkmaarer Gruppe, statt von einem Meister zu sprechen. Ich glaube nicht, mich dabei einer unziem- lichen Rechthaberei, die mir schlecht anstehen würde, schuldig zu machen. Daß meine Kritik negativ war, habe ich selber unangenehm empfunden und ausgesprochen. Doch konnte dies kein Grund sein, sie zu unterdrücken, um so weniger als nicht sie, sondern eine Besprechung der Neuerwerbungen des Rijksmuseums mein Aus- gangspunkt gewesen war.

Einige Bemerkungen F.s geben mir zu einer kurzen Rechtfertigung Anlaß:

F. sagt, daß ich die „Anna Selbdritt“ zitiere, ohne sie zu kennen. Das muß auf Dritte ohne daß es natürlich so gemeint sein kann den Eindruck machen, als ob mir eine Fahrlässigkeit vorgeworfen würde. Tatsächlich zitiere ich das Bild eben nur, um zu sagen, daß ich es nicht kenne und darum nicht berühren könne.

Daß F. die Beschneidung Christi (Rijksmus. Nr. 52) mit dem Alkmaarer Meister in Verbindung bringe, habe ich weder gemeint noch geschrieben. Ebensowenig habe ich den Namen F.s bei dem Bild der Smig. Johnson, in dessen Ablehnung er einstimmt, genannt; ich spreche lediglich von der Zuschreibung durch Valentiner. Pa Vorbehalte richten sich gegen Sätze, die nicht ausgesprochen worden sind.

Der wertvollen Ergänzung, die F. mit dem Porträtpaar des Barons de Roth- schild der Liste Valentiners hinzufügt, kann, dank einem freundlichen Hinweise von G. Gronau, eine weitere angegliedert werden: ein Altarflügel mit der Darstellung der Emmausgänger in der Smig. Cremer in Dortmund (Nr. 1234, Abb. im Katalog, Textband S. 24). Die Zuschreibung dieser Tafel an den Alkmaarer Meister, der Gronau zustimmt, geht nach der Katalognotiz ebenfalls auf F. zurück. (Daß dieser das Bild in seinen vorstehenden Ausführungen nicht selbst herbeizieht, erweckt den vermutlich verkehrten Eindruck, daß er die Attribution nicht mehr auf- recht erhält.) Hirschmann.

PFÄLZISCHE BAROCKMALER AUF DER HEIDELBERGER PORTRÄTAUSSTELLUNG

IM JAHRE 1914 Mit zehn Abbildungen auf vier Tafeln Von KARL LOHMEYER

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йг die Pfalz und ihre Fürstenhäuser tätige Porträtmaler der Barockzeit“ war

die Hauptgruppe einer Ausstellung benannt, die im Sommer 1914 in den Räumen des Städtischen Sammlungsgebäudes Unterkunft gefunden hatte und die dann der Krieg jäh unterbrach.

Sie war nur aus Heidelberger Kunstbesitz zusammengestelit worden, Privat- personen hatten ihre Familienstücke der Öffentlichkeit dargeboten, aber noch über- raschender war das Ergebnis des reichen Besitzes der Sammlungen selbst an der- artigen Kunstwerken, die hier zum ersten Male, wenn auch vorerst nur zum kleineren Teil gezeigt werden konnten, hatten sie doch bisher, unbeachtet und in schlechtem Zustande im Dachgeschoß des Sammlungsgebäudes aufgestapelt gestanden.

Nun war eine Anzahl dieser Gemälde wieder hergestellt und in bezug auf die Künstler bestimmt worden und da hatte es sich gezeigt, daß sich gerade unter den eigentlichen Pfälzer Malern des Barocks eine Reihe von wenig oder gar nicht mehr bekannten Meistern mit guten und charakteristischen Werken darzubieten imstande war, und auch das Ausland hatte sich mit klangvollen Namen dazugesellt, deren Träger für die glänzenden Hofhaltungen der Pfälzischen Fürstenhäuser im 17. und 18. Jahrhundert herangezogen worden waren, hatte doch die Kunst bei allen Pfälzer Linien des Hauses Wittelsbach, vom Heidelberger Hofe über Düsseldorf nach Mannheim, Zweibrücken und München hin immer eine besondere Zuflucht gefunden und die Städte, in denen sie aufblühte, zu wahren Kunstzentren gestaltet.

Zuerst war es der Heidelberger Hof des 17. Jahrhunderts, der Hof des durch weise Sparsamkeit wieder nach den 30 jammervollen Kriegsjahren Herr seiner Revenüen gewordenen Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, der die von ihm be- schäftigten Maler in wirkungsvollen Werken zeigen konnte und da darf es uns nicht wundernehmen, wenn vorerst bei den vielfachen Beziehungen, die das Fürsten- haus darch Glauben und Sitte mit Holland verbanden, niederländische Namen er- scheinen. Р l

Anselm van Hulle, der sonst noch wenig bekannte seltene Genter, der auch 1648 auf dem Friedenskongreß von Münster den Kurfürsten Karl Ludwig selbst abkonterfeit hatte, war so mit einem in flotten Pinselstrichen hingeworfenen Por- trät des Kurpfälzischen Gesandten Joachim Camerarius vertreten, dessen Bestimmung durch einen erhaltenen Stich von de Jode aus dem Jahre 1656 gelungen war und Corn. Janssens van Ceulen hatte ein bisher unbekanntes, die noch frische Schulung van Dycks nicht verleugnendes Porträt (Tafel 57) der Schwester des Kurfürsten in jungfräulicher Schönheit geliefert, der nachmaligen Kurfürstin und Stammutter des englischen und preußischen Königshauses, Sophie von Hannover.

Zwei bisher dem A. Paillet zugeschriebene Bildnisse eines Herrn von Coppet und Gemahlin, der in Heidelberg im 17. Jahrhundert ansässig gewesen sein sollte, konnten vermittels der zum Vorschein kommenden Signatur als durch die Monu- mentalität des psychologischen Griffs und durch die vertriebene Farbengebung be- langreiche Werke (Tafel 54) des in Heidelberg am Hofe selbst tätigen, auch von van Dyck beeinflußten, und später zum Engländer gewordenen Lübeckers Gott-

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fried Kneller festgelegt werden“), und ein anderer Heidelberger Hofmaler Johann Baptist de Ruel, besonders tätig für die geistlichen rheinisch- fränkischen Staaten, hatte zwei wacker gemalte, merkwürdigerweise bisher dem Kaspar Netscher zugeschriebene, tiberlebensgroBe Porträts des Melchior Friedrich Freiherrn von Schönborn und seiner Gemahlin geliefert, der Eltern der durch ihre Bau- und Kunstfreudigkeit ausgezeichneten Bischöfe von Würzburg, Bamberg, Trier und Speier. Durch ein unbeachtetes, großes, verschlungenes Monogramm aus den Buchstaben ]. В. К. konnte die einwandfreie Urheberschaft des Künstlers erwiesen werden. Der Meister Netscher aber, dem, wie gesagt, diese so ganz und gar nicht zu ihm passen wollenden Werke bis dahin zugeschrieben waren, der in Heidelberg selbst geborene Holländer, war mit einer ganzen Reihe von Werken vertreten, aus denen ich hier das Familienbild in sonniger Heidelberger Landschaft, eine Neu- erwerbung der Sammlungen selbst, hervorheben möchte, das uns den Meister von einer anderen Seite kennen lehrt. Er ist sowohl in der Darstellung der Figuren erheblich von seiner gewöhnlichen Art abgewichen, aber ganz besonders befremd- lich scheint für ihn die hochstehende Qualität des landschaftlichen, die prächtige, fast monochrom wirkende bräunliche Färbung des Vordergrundes und vor allem der dazu abgestimmte goldgelbe, in wunderbarer Leuchtkraft gegebene Himmel, der wohl eher an einen Meister in der Art des A. Cuyp erinnern könnte, so daß ich trotz der vollen Signatur dafür eintreten möchte, daß zwei Hände, eine für die Figuren usw., also Netscher, und eine für das landschaftliche dabei tätig waren.

Von dem durch die Zeitlage bedingten, verhältnismäßig einfachen Hofhalt des Kurfürsten Karl Ludwig in Heidelberg kommen wir zu einer der prunkvollsten Hofhaltungen Europas in der Barockzeit überhaupt, an die von Düsseldorf mit ihrer katholischen Neuburger Linie der Wittelsbach, die die alte Kurlinie ablöste. Es sind die Zeiten des Kurfürsten Johann Wilhelm, des populären „Jan Wellem“, der Niederrheiner, wie ihn Grupellos Meisterhand auf dem Markte in Düsseldorf uns verewigte, die Zeiten des vielgeschmähten, prunkliebenden, aber doch für alles Große empfänglichen Pfalzgrafen, an dessen Hof die Kunst Italiens, getragen durch die Familientradition der florentiner Medici, der Sippe seiner italienischen Gemahlin sich mit der der Niederlande die Hände reichte und wahre Orgien feierte; denn wie alles überschwenglich, abenteuerlich und fast am menschlichen Unvermögen scheiternd, war, was dieser Fürst plante, nicht zum wenigsten seine Politik, vermittels der er sich zum Kaiser von Armenien aufschwingen wollte, so war es auch die Kunst, die besonders noch in der Architektur schier unmögliches unter ihm erstrebte; sein gigantischer Schloßbauplan für Düsseldorf, den der Vene- tianer Graf Matteo Alberti nach der Zerstörung des Heidelberger Schlosses für ihn entwarf, „pour replanter Heidelberg“, zeigt so recht, wie zügellos am Düssel- dorfer Hof die Künstler ihren Schäffenstrieb entfalten durften.

Johann Wilhelm war eben auch einer jener phantasiereichen, in schrankenloser Kunstbetätigung überquellenden Wittelsbacher, wie sie alle hundert Jahre einmal geboren wurden, der seinen Ruhm darin setzen wollte, für seine und seines Hauses Herrscherwürde in einem ungeheuren Palastbau, der alles bisher Ge- schaffene übertraf, einen monumentalen Ausdruck zu finden, wie es dann in dem zu Ende gehenden Jahrhundert dem Zweibrücker Karl IL August in seinem märchenhaft großen Residenzschlosse Karlsberg bei Homburg in der Pfalz wirklich

(z) Vgl. den Aufsatz von Dr, Fritz Krauß „Meisterporträts in Heidelberg“ in den Frankfurter Nach- richten vom 12. Juli 1914.

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auch kurze Zeit gelang, das kaum erbaut und noch nicht vollendet, die Stürme der französischen Revolution als Tyrannensitz so gründlich hinwegfegte, daß es heute schwer fällt, im dichten Waldesdickicht auch nur einige Steine von diesem Wun- derbau, der in seiner Ausdehnung Versailles selbst übertraf, zu finden, welch letz- teres, den eigenen Tyrannensitz, die Revolution unlogischerweise, zum Glücke verschonte.

Und dasselbe schließlich wie diese beiden Fürsten seines Hauses hat dann in unseren Tagen König Ludwig IL von Bayern in seinen zahlreichen phantastischen Schloßbauten erstrebt und es ist kein Zufall, daß gerade diese drei, den Sinn für das Normale verloren habenden Wittelsbacher in den verklärenden Sagen des Volkes leben und sogar selbst seine Lieblinge geworden sind, der „Jan Wellem“ für die Niederfheiner und der „Bayernludwig“ für seine Hochgebirgler, während der Pfälzer noch heute voll Scheu von dem Zweibrücker Herzog zu erzählen weiß, von seinem ungeheuren Schloß, in dem alles auf die Zahl тооо eingerichtet ge- wesen sein soll und von dem von exotischem Getier, von Affen und Papageien im Sommer wimmelnden Parkgehege um es herum, das im guten deutschen Land den Süden vorzaubern sollte.

Und nun zurück zu den Hofmalern, die den Glanz dieser Hofhaltungen zu schil- dern hatten, zuerst nach Düsseldorf.

Hier lernen wir neben dem etwas trockenen Johann Spilberg (1619—1690) vor allem in Heidelberg Jan Frans van Douven in zahlreichen Werken, voll von Feuerglut, kennen, der seit 1682 aus dem Geldernschen an den Düsseldorfer Hof berufen wurde und dort 1727 starb.

Er ist so recht der Schilderer der selbstbewußten Persönlichkeiten dieses glän- zenden Hofstaates geworden und, da ihn der Kurfürst, stolz darauf, einen solchen Künstler zu besitzen, gerne an andere Höfe auslieh, auch der eigentliche Fürsten- maler der Zeit, interessant wegen seiner breiten Malart, die merkwürdig mit der seiner Zeitgenossen, vor allem der zierlichen Eleganz seines hochbezahlten Kollegen vom Düsseldorfer Hof, Adriaen van der Werff, kontrastiert und mit der er, der malerischen Wirkung halber, auf alle kleinlichen Effekte verzichtet und merk- würdig keck pastose Lichter auf die immer in auffallend herausleüchtenden Farben gegebenen, malerisch drapierten und nie fehlenden Mäntel seiner dargestellten Fürsten setzt.

Von seinem Herrn, dem Kurfürsten Johann Wilhelm und seiner Gemahlin wies die Heidelberger Veranstaltung fünf Bilder auf, ein rassiges Jugendporträt mit der alten Aufschrift „Der große Beschützer und Liebhaber der Künste“ und zwei weitere in älteren Jahren. Das malerisch wertvoliste galt bis dahin als franzö- sischer Meister und sollte Philipp von Orleans abschildern, während sein Gegen- stück als Liselotteporträt vielfach publiziert und so sehr populär geworden war, da es doch in Wirklichkeit Anna Maria Aloysia von Medici, die zweite Gemahlin des Kurfürsten darstellte.

Neben diesen Werken von Douven prägte sich vor allem ein jugendlicher Kaiser Josef IJ. mit seinem gelbglühenden Mantel ein und ließ es wünschenswert erscheinen, einmal in einer größeren Arbeit und Ausstellung die Werke Douvens vereinigt zu sehen, was wichtige kunst- und kulturgeschichtliche Ergebnisse für die oft ver- kannten Bestrebungen der Düsseldorfer Pfalzgrafen zu geben verspräche.

Ein als van der Werff bisher bestimmtes merkwürdiges Bild des pfälzischen Hofnarren Perkeo stellte sich während der Veranstaltung im Vergleich mit Werken desJohann Georg Dathans (geb. 1703 in Mannheim) auf der Darmstädter Barock-

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ausstellung als zweifelloses Werk des letzteren Künstlers heraus (Tafel 56), wodurch auch die Verwendung eines Teils des Schwetzinger Schlosses als Hintergrund ver- ständlich wurde, da Perkeo nie in Düsseldorf gewesen ist, sondern erst von dem Nachfolger und Bruder Johann Wilhelms, dem Kurfürsten Karl Philipp aus Tyrol, wo er Statthalter war, über Neuburg nach Heidelberg und Schwetzingen mit- gebracht wurde.

Damit kommen wir zum Mannheimer Hof und den daselbst nacheinander tätigen Künstlern dieser Art, über die die Heidelberger Ausstellung zum erstenmal eine in sich abgeschlossene Übersicht zu geben vermochte.

Den neuen freundlichen Herrn mit der ungeheuren herabwallenden Allonge- perücke schildert uns in aller Fürstenherrlichkeit und im entwickeltsten Barock- pomp der 1694 zu Paris geborene, 1731 in Mannheim verstorbene dortige Hof- maler Paul Goudreaux, als würdiges Gegenstück zu dem bisher allein bekannten Porträt mit dem Mohrenknaben in der alten Pinakothek in München.

Des Fürsten zweite Gemahlin, die schöne Polin Therese Katarina, Prinzessin Lubomirska, hat uns ein anderer, zum Mannheimer Hof in Beziehungen getretener Franzose Jean Raoux, geb. 1677 in Montpellier, gest. 1734 in Paris, in einem neuentdeckten und bestimmten, den französischen Meisterwerken dieser Epoche un- bedingt beizuzählenden Gemälde von erstem Rang und faszinierender Wirkung (Tafel 54) überliefert und damit ein feines Gegenstück zu seinem berühmten Damen- porträt im Museum in Lyon geschaffen. In seinen silberschimmernden, perlgrau und weißlichen Tönen ist es zu einer wahren Symphonie in Weiß geworden.

In seiner frühesten und besten Zeit konnten wir denn auch den in Heidelberg mit 15 Gemälden vertretenen Johann Georg Ziesenis studieren, der wie in der kurze Zeit nach der Heidelberger Veranstaltung eröffneten Darmstädter Porträt- ausstellung auch hier einen besonderen Anziehungspunkt abgab.

Hier war es vor allem das kleine Porträt des kurpfälzischen Geheimen Confe- rentiale-Ministers, Reichsfreiherrn Heinrich Wilhelm von Sickingen aus den 40er Jahren des Jahrhunderts (Tafel 55), das in seiner aufs feinste abgestimmten Farben- kultur, in der schlichten, zurückhaltenden Art des Dargestellten im verschossenen lilaroten Schlafrock auf grünem Sessel, in seiner stillebenhaften, eindringlichen Aus- führung und psychologischen Vertiefung einen außerordentlichen Eindruck auslöste, der es weit über die sonstigen Gemälde von Ziesenis emporhob, die hier sowohl wie in Darmstadt von einer so starken Verschiedenheit in der Qualität waren, daß man unwillkürlich vor einem Rätsel zu stehen vermeinte. Ich werde zum Schluß dieser Ausführung noch darauf zurückkommen.

Nach den Signaturen der zahlreichen in Heidelberg befindlichen Werke des Meisters aus seiner Frühzeit war Ziesenis mindestens von 1745—1758 in Mann- heim und zugleich auch zeitweise am Hof der Zweibrücker Linie tätig. Er muß aber noch weit früher und unmittelbar nach seiner weiteren Ausbildung in Düssel- dorf schon in Mannheim als ganz junger Mann (geb. 1716) gewesen sein, da es nach einem erhaltenen Stich der Augsburger Meister Jos. und Joh. Klauber fest- steht, daß ihm bereits der Kurfürst Karl Philipp, unter dem er also auch schon tätig gewesen sein muß, zu einem schönen, leider bisher noch nicht wieder zum Vorschein gekommenen Bilde gesessen hat. Verschwunden ist auch bisher das Vorbild zu einem weiteren Kupferstich, der den Heidelberger lutherischen Pastor Christian Brünings in seiner Bibliothek sitzend darstellt und mit dem der Meister einen ähnlichen Griff wie mit dem Sickingenbild getan zu haben scheint. Trotz aller Nachforschungen bei Nachkommen in der Pfalz hat auch hier das Original

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bisher nicht wieder beigebracht werden können. Welch ein Unterschied im un- gewöhnlich malerischen Können dieses Barockmalers zeigt sich schon selbst in dem unzulänglichen Stich in der geradezu überraschend eindringlichen, lebens- vollen Auffassung des Dargestellten, die wir dann ganz und gar in dem geradezu ergreifenden Bildnis des alten, in seinem Lehnstuhl zusammengesunkenen Sickingen bewundern müssen!), welch ein Unterschied im Vergleich mit den großen repräsen- tativen Fürstenbildern der Zeit und des Meisters Ziesenis selbst, wie uns seine umfangreichen 1758 gemalten Porträts des Kurfürsten Karl Theodor und seiner Gemahlin mit dem Mannheimer Stadtbild als Hintergrund beweisen, während wieder in dem trotz aller repräsentativen Art meisterhaft die ruhige Würde des Kirchen- fürsten atmenden späten Werke seiner Hand (Tafel 57), dem Kurfürsten Maximilian Friedrich von Köln, den er wohl von Hannover aus im Schlosse von Münsteri.W. gemalt haben könnte, erneut sein großes Können glänzend zutage tritt.

In diese spätere Zeit gehört dann auch noch das interessante kleine Brustbild Friedrichs des Großen im blauen Samtrock, in dem wir das früheste erhaltene aus- geführte Gemälde zu sehen haben, zu dessen нез der König selbst einmal eine Sitzung gewährt hat.

Allein Ziesenis war es nämlich vergönnt, den Fürsten nach der Natur zu malen der ihm bei seiner Schwester, der regierenden Herzogin von Braunschweig in Salz- dahlum auf deren Bitte zu diesem Porträt, wenn auch nur kurz, saß. In dem vor- liegenden, vorläufig noch auf nicht ganz geklärte Weise in die Pfalz gekommenen und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Grafen Graimberg, der 1810 die Heidel- berger Sammlungen begründete, auf einem Landsitz bei Heidelberg erworbenen Ge- mälde?) müssen wir so unbedingt das eigentliche Vorbild sehen, das der Mann-

(1) Vgl. Dr. Friedr. Plietzsch „Die Heidelberger Porträtausstellung“. Vossische Zeitung vom 3. Juni 1914. (2) Da sich in den Heidelberger Sammlungen außer diesem Ziesenis aus späterer Zeit noch weitere Werke der Flannöverschen Epoche des Meisters, vor allem das Bildnis des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig befinden, so muß daran gedacht werden, ob sich nicht in dem Heidel- berger Bild das erste Porträt für die braunschweigische Herzogsfamilie selbst, das verschwunden ist, erhalten hat. Ende 1806 flüchtete nämlich Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Oels nach dem durch das Hinzuschlagen zu dem Königreich Westfalen bedingten Zusammenbruch seiner Staaten mit seiner Familie zu seiner Schwiegemutter, der Markgräfin Amalie von Baden, nach Bruchsal, wobei es wohl anzunehmen ist, daß er versucht hat, einiges für ihn Wertvolle zu retten. Und da liegt nichts näher, als daß dabei das Bild seines Vaters, das sich ja auch in Heidelberg merk- würdigerweise von der Hand von Ziesenis befindet und das von der Herzogin Philippine Char- lotte von Braunschweig so geschätzte Bildnis ihres Bruders, Friedrich des Großen war, von dem sie in ihrem bekannten Briefe an denselben vom 27.2.1764 erklärt, daß dieses Porträt das liebste und kostbarste Denkmal sei, was sie ihrer Nachkommenschaft hinterlasse (Hannoverland 1914, Augustheft 8. 194 [Dr. F. Thimme]). Die Markgräfin Amalie wohnte später auf dem Rohrbacher Schlößchen bei Heidelberg und dazu stimmt wieder die erst jetzt (1917) zutage getretene Notiz des Grafen Graim- berg, des Begründers der Heidelberger Sammlungen im Jahre 1810, daß er dies Bildnis Friedrich des Großen auf einem Landsitz bei Heidelberg selbst erworben habe. Eine weitere alte Kopie des Bildes, ebenfalls aus dem Besitz des Grafen Graimberg stammend, befindet sich auch in Heidelberg im Besitz der Frau Hofgoldschmied Trübner.

An Literatur über dieses Friedrichsbild und die Skizze auf der Darmstädter Ausstellung aus Han- nover ist zu nennen: D. D. Fiorillo: Geschichte der zeichnenden Künste in Deutschland, Bd. Ш, Hannover 1918, 5. 391. J. Lulves: Das einzige glaubwürdige Bildnis Friedrichs des Großen, Hannover und Leipzig 1913, und zwei weitere Sonderdrucke der Theod. Schulzeschen Buchhandlung, desselben Verfassers von 1914. Friedr. Thieme: Das Bildnis Friedrich des Großen im Provinzialmuseum in Hannover. Hannoverland 19:4, Aprilheft und Augustheft. У. С. Habicht in der Kunstchronik 1914

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heimer kurfürstliche Stecher E. Verelst 1770 für seinen Kupferstich benutzt hat, unter den er stolz die Worte setzt: „Peint par Mr. Zicenis c'est unique pour qui le Roy c'est assis pour se faire peindre.“ Alle späteren Gemälde im Schloß in Berlin, im Wittumspalais zu Weimar sind schwächere und ganz schwache Atelier- wiederholungen des Heidelberger Originalbildes unter Anfügung der ganzen Figur.

Ziesenis verwandt in der naturalistischen Kraft seiner dargestellten Persönlich- keiten ist ein anderer, zusammen mit ihm in Kurpfalz tätiger, den Künstlerlexiken unbekannter Mannheimer, Johann Philipp Hoffmeister, zeitweilig auch Uni- versitätsmaler in Heidelberg. Von ihm hängen noch zahlreiche Bilder in Heidel- berger Familien und auf der Ausstellung war er durch sein wohl aus den 30er Jahren stammendes Porträt des Mannheimer Stadtdirektors J. L. Lippe (F 1737) gut vertreten, während das ihm gleichfalls wegen seiner vollen Signatur „J. P. Hoff- meister pinxit 1770“, wenn auch der weicheren Malweise halber mit Vorbehalt zugeschriebene Porträt der jugendlich schönen „maitresse en titre“ des Kurfürsten Karl Theodor, der zur Gräfin Heydeck erhobenen Tänzerin Josefa Seyfert, der Künstler starb erst 1771, so daß die Möglichkeit eines Spätwerks bestand doch wohl dem gleichfalls in Mannheim tätigen und erst später durch Friedr. Walter daselbst urkundlich festgestellten, dem vorliegenden Werke nach als Künstler durch- aus beachtenswertenSohnJohann Peter Hoffmeister zugeschrieben werden muß.

Gegen die Werke eines Ziesenis und der Hoffmeister fallen die Bilder von Heinrich Karl Brandt, einem Schüler von Meytens und der Wiener Akademie (geb. daselbst 1724) und lange Jahre Hofmaler in Mannheim und Akademieprofessor entschieden ab und gerade er war von allen jetzt wieder genannten Malern des Mannheimer Kreises der einzige, der dem Rufe nach der Kunstgeschichte bekannter geblieben war. Seine Malerei hat im Vergleich etwas Trockenes und vielfach bereits vom Klassizismus Angekränkeltes, der Gipskopf der Akademie schaut bereits nur zu deutlich aus den Dargestellten heraus. Das tut er auch leider bei den späteren Werken eines anderen Mannheimer Akademieprofessors, des in Tirol geborenen und in der Hauptsache in Italien weitergebildeten Franz Anton von Leydensdorf, der in seinen früheren Werken ein nicht gewöhnliches Können verrät, wie es uns sein treffliches Porträt des Grafen Franz Spaur, das wir auf der Darmstädter Ausstellung sahen und vor allem sein schalkhaft lebensprühendes Bild im Kreise seiner Familie (Tafel 55), und ein weiteres frühes Selbstporträt mit gelbflammendem Mantel, beide in Heidelberg, beweisen. Diesem Kreise gehört denn auch Johann Wilhelm Hoffnaas (+ 1795 in Mannheim), ein Mengsschiiler, ‘an, der sich als Akademieprofessor, auf den Gipskopf selbst gestützt, in einem Selbstporträt darbietet, sowie die Maler Jakob de Lose und J. G. Koch, alles Neu- erscheinungen, wie sie bei der Heidelberger Veranstaltung zutage traten.

Von dem letzteren war ein feines Werk in dem Bildnis der jugendlichen Eleo- nore Magdalena Brenner vorhanden, gemalt 1772, noch voll Grazie, in delikatester Behandlung des Stofflichen, als ein farbiges Meisterstück, das ihn noch ganz in den Bahnen alter Tradition wandelnd kennen lernen ließ, so daß man wünschte, mehr von diesem Meister einmal zu sehen. Auch er ist der Kunstgeschichte völlig unbekannt, nur Fuessiy weiß zu melden, daß im 18. Jahrhundert ein Maler Koch in Mannheim mit Beifall Bildnisse und Miniaturen malte.

Ganz befremdend als Außenseiter in diesem Kreis mit seiner breiten und kräf-

und Hannov. Courier vom 10. Juni 1914. К. Lohmeyer: Meisterporträts aus Heidelberger Besitz. Ausstellungskatalog 1914.

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tigen Malweise wirkte ein sonst ebenfalls noch nicht vorgekommener, um 1770 in Mannheim tätiger Russe, Johann Georg Bochdanoff, mit seinem Bilde des kur- pfälzischen Münzmeisters Anton Schäfer (gemalt 1768), von dem man auch nur be- gierig sein könnte, weitere Werke zu finden (vgl. Tafel 56).

Von den übrigen Ausländern, die in dieser Zeitspanne in Mannheim oder für den Mannheimer Hof arbeiteten, waren der daselbst 1783 verstorbene Joseph Fratrel (geb. 1730 in Epinal) und der Italiener Pompeo Batoni mit seinem bekannten Bilde des Kurfürsten Karl Theodor vertreten.

Johann Heinrich Tischbein hatte einige gute Werke, besonders ein duftiges Porträt der Kurfürstin Elisabeth Auguste von der Pfalz, geliefert, während ein dem 1812 in Heidelberg verstorbenen Joh. Friedr. August Tischbein zugeschriebenes großes Pastell der Großmutter des Komponisten Hans von Bülow sich als ein allerdings überraschend guter Daniel Caffé durch Feststellung von Kurzwelly. und im Vergleich mit des Malers Werken auf der Darmstädter Ausstellung ergab.

Von Friedrich Oelenheinz war in Heidelberg neben einem Porträt des Kur- fürsten Karl Theodor wohl sein reizvollstes Werk (Tafel 57), das als Kammer- mädchen der Gattin dieses Kurfürsten am Frühstlickstisch und zugleich als dessen Geliebte Luise St. George von altersher bezeichnete und früher dem Joh. Wilh. Hoffnaas zugeschriebene Gemälde von 1782 laut voller Signatur zu sehen, das in Wirklichkeit nach einem Schabkunstblatt von Jacobé 1785 ein Wiener Stuben- mädchen in all seiner naiv prickelnden Koketterie meisterhaft darstellt, als wiir- diges Gegenstück zu dem Schokoladenmädchen von Liotard in Dresden, worauf einmal mit vollem Recht hingewiesen wurde’).

Auch aus der ersten Zeit, als der Kurfürst nach der Erbschaft des Bayernthrones noch mit seinem Wohnsitz zwischen München und der Pfalz wechselte, waren die künstlerischen Vertreter dieser Art und Epoche vollzählig in guten Qualitätsbildern vorhanden, Anton Hickel mit dem großen Porträt des Gesandten von Lehrbach in leuchtend rotem Rock, Franz Ignaz Oefele mit einem Bildnis seines Bruders, Johann Georg Edlinger mit zwei prächtigen, neugefundenen Werken aus der Familie Zwackh zu Holzhausen und der ihm verwandte Moritz Kellerhoven mit dem 1792 gemalten kraftvollen Bildnis des als General vergessenen, als Suppen- künstler auf uns gekommenen Grafen Rumford. G. P. Mayer, sonst unbekannt, schließt dann den Reigen der zum Mannheimer Hofe in Beziehungen getretenen

Künstler mit einem feinen, 1793 gemalten Bildnis der Prinzessin Augusta Wilhel-

mine von Hessen-Darmstadt, die damals in Mannheim wohnte.

Es bleibt uns noch übrig, einen kurzen Blick auf die Künstler zu werfen, wie sie am Zweibrücker Hof tätig waren, der naturgemäß bei seiner Pariser Orientie- rung vielfach Franzosen den Vorrang gab. Von solchen war ein schöner Henri Millot vorhanden, den Pfalzgrafen und Zweibrücker Herzog Gustaf Samuel dar- stellend, der durch den Stich dieses Porträts von Holdenwanger von 1721 bestimmt werden konnte. Von den übrigen Werken ist dann besonders das treffliche Selbst- porträt des alten Konrad Mannlich (Tafel 57), des Ahnherrn der Zweibrücker Hofmalerdynastie, hervorzuheben, der gewöhnlich seiner Münchener Museums- und literarischen Tätigkeit berühmteren Sohnes halber sehr zu Unrecht vergessen wird und auch in Darmstadt im Gegensatz zu diesem nicht vertreten war. Er malt gerade mit grimmig behaglicher Miene ein Spottbild auf die Künste.

Als ein wertvolles Bestimmungsmittel zur Festlegung der Künstler haben sich

(т) L. Oelenheinz: Friedrich Oelenheinz, Leipzig 1907, 8. 9. | | 181

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die überaus zahlreichen Stiche der Zeit ergeben, wozu die sehr umfangreiche Stich- sammlung des Heidelberger Museums gerade aus dieser Epoche ein nicht zu unter- schätzendes Arbeitsmaterial dargeboten hat. Man muß sich immer wieder wun- dern, was alles gerade damals im Stiche festgehalten wurde. Suchte der vor- nehme Bürger und Geistliche sich durch eine derartige Reproduktion seines Gemäldes seinen Freunden zu überliefern, so hatte der reichere Adlige und Fürst noch ein anderes Mittel, um seine Verwandten und Amtshäuser zu beglücken, und das bringt mich auf die befremdliche Verschiedenheit an Qualität der Werke, die demselben Meister zugeschrieben sind und auf die höchst nötige Vorsicht, die gerade bei Zu- weisung von Originalen an einen Künstler in dieser malfreudigen Zeit am Platze ist; wie ich es schon bei Ziesenis andeutete, bei dem mir diese Tatsache plötzlich das Erscheinen eines erstklassigen Meisterwerkes’unter ledernem Durch-

schnitt noch besonders aufgefallen ist.

Da kam es mir nun häufig, auch bei meinen archivalischen Forschungen, vor, daß, wenn dem dargestellten Fürsten das einzige als Original anzusprechende, von dem Meister mit Liebe voll und ganz nach dem Leben geschaffene Werk gefiel, er es oft zu ganzen Dutzenden gleich auf einmal nachbestellte, um seine Cousine in Darmstadt, den Vetter in Weimar oder eins seiner Amtshäuser damit zu erfreuen oder zu schmücken. Derartige Kopien wurden dann im Ramsch in aller Eile im Atelier des Künstlers, der natürlich mit der wachsenden Verzehnfachung immer mehr jedes eigene Interesse verlor, vielfach von Schülern, die daran halfen und lernen sollten, gefertigt und gingen schließlich unter dem Namen des betreffenden Originals in alle Welt, sind als solches auf uns gekommen oder neu bestimmt worden und hängen dazu noch gerade vielfach in Fürstenhäusern, wo man geneigt ist, Originale eben zu suchen, so dem Meister das bitterste Unrecht zufügend.

Das ist dann der Grund, aus dem heraus uns diese verschiedenartige Qualität oft das Bild der Barockmaler selbst verzerrt hat und noch verzerrt, eine Tatsache, die man nicht genug beim Bestimmen von Werken dieser Zeitspanne beachten kann, ehe man wirklich sicher ist, das eigentliche Original festzuhaben, was oft gar nicht so einfach ist. Hier können gerade kleinere Veranstaltungen, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, den Malerkreis eines Hofes, eben eines Kunst- zentrums, wie sie in der Barockzeit förmlich als die Knoten eines Netzes Deutsch- land überzogen, vorzuführen, erst noch manche Klärung bringen und so recht be- langreich werden.

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REZENSIONEN.

JOHNNY ROOSVAAL, Die Stein- meister Gottlands, eine Geschichte der führenden Taufstein werkstätte des schwedischen Mittelalters, ihre Voraus- setzungen u. Begleiterscheinungen. Ver- öffentlicht von der kgl. Akad. d. schönen Wissenschaften, Geschichte und Alter- tumskunde. Stockholm 1918. XII, 244 5. mit LXVI Lichtdrucktafeln und 270 Textabbildungen.

Der bekannte Verfasser des Buches „Die Kirchen Gottlands“ 1911 und zahlreicher Aufsätze über die mittelalterliche Kunst Schwedens legt hier die Einzeluntersuchung eines Denkmälerstoffes vor, dessen Reichhaltigkeit den Festländer überrascht: neben den Runensteinen stellen sich in Schweden die Taufsteine als eine derart reichhaltige Gruppe dar, daß ganz bestimmte, bei uns nicht wirksame Gründe vorausgesetzt werden müssen, die diese Fülle ermöglicht haben. Es sind die gleichen „Steinmeister“, die auch im Kirchenbau tätig waren. R. setzt die katalogartige Vofihrung voraus; sie wird geliefert durch die im Erscheinen begriffene Inventarisation „Sveriges Kyrkor“, an der neben К. selbst Sigurd Curman tätig ist.

Ausgehend von der 1885 in meiner „Ikono- graphie der Taufe Christi“ gegebenen Neben- einanderstellung von Taufritus und Darstellung der Taufe Christi legt R. zuerst den Übergang vom Untertauchen zum Begießen dar. Die ältesten Taufsteine seien schon für das 6. Jh. bezeugt (Armenien liefert, nebenbei gesagt, noch ältere Belege vgl. meine „Baukunst der Armenier“ S. 242. Dort und „Altai-Iran“ 8.59. auch über Bronze- kessel. Spuren der Taufstelle im Westteil der zerstörten Tempelkirche von Medinet Habu). Es wird ihre Einrichtung bis in die Zeit der Refor- mation verfolgt. Die Vorführung der englischen Taufsteine erschließt die Tatsache, daß die Gruppe dort fast so stark vertreten ist wie in Schweden; in ihrem vierseitigen Typus stehe sie wohl im Zusammenhang mit Nordfrankreich, ebenso die cylindrischen Bleifigurentaufen. Die Rund- und Kelchsteine finden sich am Severn und im Süd- innern. Seit 1200 setzt eine bauliche Durchbil- dung ein, die allmählich in rein gotische Formen übergeht. Die französischen-beigischen Taufbecken gehen von der Faßform bis zu den bekannten Kunstwerken von Lüttich, Tournay und Namur; es folgen die deutschen und holländischen, wobei

als rein deutsche Schöpfung der runde, figuren- reiche von Löwen getragene, wahrscheinlich in Metall entstandene Typus gilt. Daneben wurden Taufsteine aus Namur und Gottland eingeführt. Den Nachweis für letztere Tatsache sucht u, а. das Buch zu erbringen.

Während die Denkmäler für Deutschland aus den Inventaren zusammengesucht werden mußten, liegt für Südschweden bezw. Dänemark der aus- gezeichnet illustrierte Atlas von Tynell über die Taufsteine von Schonen vor, eine Arbeit Macke- prangs ist zu erwarten. Wir betreten erst bier den Boden der eigenartigen skandinavischen Gruppe mit dem dänischen Hauptvertreter des 12. Jahrhunderts dem Löwenkessel, der in wenig- stens hundert Exemplaren auftritt, wobei Löwen am Granitkessel mit der geometrischen Ranke das Kenn- zeichen bilden. Es folgt die am Stein kenntliche gottländische Einfuhr ohne Schmuck in Muschel- und Becherform,der wieder einheimische Bildungen in Granit anzuschließen sind, Die Bronze-Tauf- becken bleiben beiseite, der nationale Kern ent- hüllt sich in den massigen Granitschalen mit Löwenschmuck. Norwegen bietet einiges im Süden, die Hauptmasse aber war wohl in Holz gebildet und ist verloren.

In Gottland selbst läßt sich die älteste Gruppe _in ibrer „wilden“ Art unter dem Meisternamen Hegwaldr zusammenfassen und entgegenstellen einer anderen, in der Byzantinisches („Byzantios- Gruppe“) vorwiegt. Für Hegwaldr sind am Fuße vier Tierfratzen bezeichnend, die mich an die Schlittenköpfe aus Oseberg erinnern. Das Gefäß in Becherform ist mit Flachbildern in Bogen- stellungen versehen. Hegwaldrs Werk umfaßt die Jahre 1125—1160. Die Darstellungen gehören der Genesis, der Jugend und dem Leiden Christi an. Die für die Untersuchung gebotene Masse von Darstellungen wird jetzt erst im Vergleich zu wirken beginnen, Reicher noch als Hegwaldr, der die Bogenfelder ohne Hintergrund vollpfropft und Knotenwerk beifügt, ist der sog. Byzantios. Während Hegwaldr Nordwestdeutschland und den Typen der Reichenau und von Fulda folgt in der Malerei liegt in Oefraby eine verwandte Apsisausstattung vor verwendet der Anonymus (1150—1185) byzantinische Typen und tritt gegen Hegwaldr unselbständig zurück. Architektonische Gleichförmigkeit bildet den Grundzug; auch die Fassade der gotischen Kirche von Vänge rührt von diesem „Byzantios“ her. Andere Beziehungen

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führen auf die Bauhütte von Lund. Dem von R. angenommenen Strom Lombardei-Lund wird wohl ein anderer von Armenien und dem Süd- osten her über Rußland führender (vgl. mein Armenienwerk) an die Seite treten auch in einzelnen figürlichen Darstellungen wie der Jagd. Im Übrigen weisen die Darstellungen aus dem Neuen Testament in Einzelziigen, wie ganze Dar- stellungen (Deesis, Hetoimasia) auf Byzanz, wobei gottländische Kirchenmalereien (Garde) die An- regung geboten haben mögen. Seine Schüler „Semi-Bysantios“, „Majestatis“ und Sighrafr setzen die Richtung fort. Es treten englische Einflüsse dazwischen, so an dem Taufstein von Barlingbo mit seinen Evangelisten-Symbolen. R. verbindet das Beispiel von Botkyrka auf dem Festlande mit anderen Tatsachen englischen Einflusses im Mälar- tale, die schon mit dem Runenmeister Asmundr im 11. Jh. beginnen.

Um 1165 setzt eine Ausfuhr von Taufsteinen aus Gottland ein, die R. mit der Besprechung der ‘Gruppe „Anonymus Majestatis“ vorzuführen be- ginnt. Die Vorliebe dieses Meisters für dle Dar- stellung der Majestas domini eint sich mit einer ausgedehnten, zwischen byzantischer und ger- manischer Art vermittelnden, wahrscheinlich in der Hauptsache im Bauschmuck verankerten Tätigkeit. Beziehungen zu Hegwaldr verhindern nicht, den Steinmeister ganz im Darstellen d.h, der menschlichen Gestalt befangen zu zeigen; in den fünf Gruppen, die К, bildet, überwiegen die Taufsteine ohne Bogenstellungen. Der dritte Byzantiosschüler Sighrafr ist durch einen von ihm signierten Taufstein in Bornholm längst be- kannt, Er ist der reifste und zwischen 1175—1210 anzusetzen. Ein klarer Reliefstil und die Neigung zur Feierlichkeit, die ihn bisweilen als „Klassi- cisten“, besser archaischen Meister im altorient- lichen Sinne erscheinen lassen, zeichnen seine Taufen ebenso wie seinen Bauschmuck in Lund und Gröttlingbo aus. Malereien der sog. Вјегевјб- Schule in Schonen stehen ihm nahe. Es scheint, daß er in seiner Eigenart durch französische Ein-

flüsse bestimmt wurde. 1

Mit dem 13. Jh. verschwindet das bisher vor- herrschende Sandsteinmaterial, Wisby tritt zu- gleich mit der Anwendung des gottländischen Kalksteines bestimmend hervor, Einen „Meister Calcarius“ kennzeichnet (1220—1255) das Ab- schwenken vom religiösen Zwang; er beginnt noch mit naiven biblischen Darstellungen, geht aber dann auf reine Rankensteine über, wie sie in Süd- und Westskandinavien im Zusammen- hang mit England beliebt waren. Damit setzt die

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Zeit des völligen Verzichtes auf jeden darstellen-

den oder zierenden Schmuck ein, die Taufsteine nehmen die Gestalt eines Pokals an und behalten diese Form bis gegen 1300. Dann macht die bilderfeindliche Zeit wieder wie in der Kirchen- ausstattung der Freude am Schmuck Platz, Zum Schluß geht R. noch auf die Taufsteine von Schonen (für die bald die, das oben erwähnte Tafel- werk von Tynell ergänzende Bearbeitung zu er- warten ist) und von Westschweden ein. Ein Register schließt den stattlichen nnd vorzüglich ausgestatteten Band, der mit den Arbeiten von Rydbeck über Lund, Ekhoff über die Stabkirchen und Lindblom über die gotische Malerei in Schweden und Norwegen eine Reihe von Forschern am Werke zeigt, denen ein feiner künstlerischer Sinn zur Feststellung von Werten verhilft, die im nationalen und wissenschaftlichen Sinne nicht ohne weitgehende Folgen bleiben werden. Es ist nicht eigentlich große, sondern mehr Volks- kunst, um die es sich bei den Taufsteinen ähnlich wie in den in Anderbergs Studien zu- sammengestellten Triumphkreuzen handelt. Aber gerade durch diese Zugehörigkeit zu einer Unter- schicht, die offenbar noch unmittelbar an die heidnigche Zeit und die Holzkunst anknüpft, er- halten diese Denkmäler ihre Bedeutung. Roosval hat ein eigenes, schon in dem Buche über die Kirchen von Gottland bewiesenes Geschick, Denk- mäler, die an sich bescheiden und anspruchslos sind, durch hingebende Liebe und gründliche Beobachtung auch für den verwöhnten Kunst- forscher genießbar, ja durch Einführung von Persönlichkeiten anregend ins Licht zu setzen. Er führt also, was er mit seinem Buche über die Kirchen Gottlands begonnen hatte, die Vor- führung einer im Kern bodenständig-volkstüm- lichen Kunst, mit dem vorliegenden Werk über die Taufsteine eifrig vertiefend fort. Je mehr wir erkennen, daß der Norden auf dem europäischen Festlande durch eigene Kraft zu der wunderbaren Blüte der Gotik geführt haben dürfte und weder eine versteinerte Scholastik, noch ein solches Rittertum ist, vielmehr in erster Linie dem im Holzbau entwickelten Kunstempfinden des Nordens selbst Ausdruck gibt durch die handwerkliche Wirtschaft der kleinen Stadt ermöglicht —, achten wir auf jede Spur dieser Nordart, die sich in Holz so selten, wohl aber in Steinübertragungen er- haiten hat. Kann man auf Grabsteinen die Nach- wirkung des altheidnischen Schmuckes am deut- lichsten beobachten, so bilden die Taufsteine eine Gruppe, die am Fuße zwar an diesen Überliefe- rungen festhält, am Gefäß selbst aber dem christ-

lichen Darstellungskreise in Erweckung der Er- lösungshoffnung Eingang verschafft. Die beid. nische Überlieferung wird (wie die hellenistische Nudität im koptischen Ägypten) in die Rolle des Unreinen, die Anfechtungen des Teufels gerückt. R. macht 8.143 aufmerksam auf das Portal von Vinnerstad, ein Beispielderschwedisch-romanischen Steinbaukunst des 12.]h., das eine Zwischenform der Holz- und Steinkunst liefert und zusammen mit einer „Bestiarius-Schule“ u. a. eine wichtige Zukunftsarbeit im angedeuteten Sinne voraussehen Wenn wir erst einmal beginnen werden, planmäßig der Forschung der nordischen Holz- kunst nachzugehen in Italien von den longo- bardischen Steinsachen aus, ähnlich auf dem Balkan (vgl. „Altai-Iran“ S. 280f.) und in der Schweiz dürfte (wie übrigens in Indien aus den Stupen von Barahat, Santschi und Amravati aus) die der nord- und ost-arischen Entwicklung zugrunde liegende Holzkunst in das Licht der Geschichte treten. J. Strzygowski.

HANDZEICHNUNGEN SPANISCHER MEISTER. 150 Skizzen und Entwürfe von Künstlern des 16. bis 19. Jahrhunderts. Ausgewählt u. herausgegeben von Aug. L. Mayer. Verlag Karl W. Hiersemann, Leipzig. Preis M. 400.—.

Die Freunde spanischer Kunst werden die neue Veröffentlichung, die mit allen Mitteln einer vor- geschrittenen Technik bewerkstelligt wurde, mit aufrichtiger Genugtuung begrüßen, denn sie ist die erste ihrer Art, die einiges von dem noch un- gehobenen Schatz der spanischen Kunstgeschichte ans Tageslicht zu fördern versucht, Die Auswahl der ıso Blatt umschreibt im großen drei Jahr- hunderte spanischen Kunstschaffens und macht im einzelnen in erster Linie mit solchen Künst- lern bekannt, die bisher nur zum Teil der Wissen- schaft geläufig waren. Wenn man von Greco ein Blatt, von МигШо vier Blatt und gar von Velasquez elf Blatt unter den 150 zu sehen bekommt, во wird man in dieser verschiedenartigen numerischen Berücksichtigung dennoch keinen Maßstab der persönlichen Bewertung der Künstler von seiten des Herausgebers finden können. Vielmehr be- weist die Zusammenstellung im ganzen immerhin, daß der Verfasser nicht so sehr bemüht war, Ur- teile festzulegen als vielmehr das künstlerisch Be- deutsame so vielgestaltig als möglich zur An- schauung zu bringen. Gerade die weniger be- kannten spanischen Künstler erscheinen zum Teil in vollkommen neuer Beleuchtung und es kann

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919. Heft 7

schon jetzt gesagt werden, daß gerade auf Grund der hier vereinigten Proben sich der Spezial- forschung ebenso wichtige wie Erfolg versprechende neue Gebiete erschließen werden.

Einleitung und erläuternder Text bilden einen wesentlichen Bestandteil der kostbaren Publikation. Der letztere ist besonders wertvoll durch die kriti- schen Hinweise mit einer Reihe wichtiger Lite- raturangaben. Im übrigen verdient, wie bei allen derartigen Luxuspublikationen, auch der Verlag für sich besondere Anerkennung, da er es an äußeren Mitteln nicht hat fehlen lassen, um hier endlich auch für die spanische Kunst eine Grundlage zu

schaffen, deren Bedeutung für die Forschung nicht

geleugnet werden kann. Das Material dieser Ver- öffentlichung ist den reichen Beständen fast sämt- licher großen Sammlungen entnommen und man möchte hoffen, daß der Erfolg des Unternehmens bald zur Herausgabe einer neuen Folge spanischer Handzeichnungen verlockt. Biermann.

F.SCHOTTMÜLLER,Bronze-Statuet- ten und Geräte. Berlin, R. C. Schmidt. 1918. Mit 123 Abb. im Text. Preis M. 8.—.

WALTER STENGEL, Nürnberger Messinggerät. Mit 82 Abb. S.-A. aus Kunst und Kunsthandwerk 1918. Verlag Artaria, Wien. | DERSELBE, Die Merkzeichen der Nürnberger Rotschmiede. Nürnberg 1918. S.-A. aus „Mitteilungen aus dem German. Museum“ 1918/19.

Cui bonum? Das Buch leidet unter einer fal- schen Themastellung, denn es ist ganz unmöglich, auf 130 Seiten die Geschichte der bronzenen Klein- kunst seit den Tagen der Ägypter bis in den Be- ginn 19. Jahrhunderts anschaulich zu schreiben, zumal wenn diese 130 Seiten noch durch 123 meist halbseitige Abbildungen in Anspruch genommen werden! Wen hier der Vorwurf trifft, ob Ver- fasserin oder Verleger, ist nicht ohne weiteres zu erkennen. Beide haben sich von ihrem Stand- punkt aus ohne Frage alle Mühe gegeben, aber es ist eben ein verfehlter Plan, ein so gewaltiges Thema in miniatur behandeln zu wollen, ein Febler, der eine prinzipielle Ablehnung verlangt. Sollte die Bronze-Kleinplastik im Rahmen der „Bibliothek

für Kunst- und Antiquit&tensammler“ nicht fehlen,

dann war die Beschränkung etwa auf Italien oder Deutschland unbedingt erfordert, und dann wäre die Verfasserin vielleicht in der Lage gewesen, uns ein so brauchbares Buch wie den Porsellan-

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band von Schnorr von Carolsfeld oder den Möbel- band von Robert Schmidt zu liefern, die derselben Sammlung angehören und ihr Thema auf mehr als der doppelten Seitenzahl in energisch ein- dringender Weise behandeln.

Man kann sich von dem Bronzeband leicht eine Vorstellung machen, wenn man bedenkt, daß der Ersgu8 unter Кап d. Gr. mit 10 Zeilen und die Tätigkeit des Hi. Bernwart mit 20 Zeilen abgetan wird. Desgleichen wird die Dinanderie nur er- wähnt, ebenso die Nürnberger Messingbecken usw. Im Kapitel „Mittelalter“ erscheinen fast nur deutsche Werke, bei „Italien“, das bedeutend sorgsamer behandelt wird, werden die Plaketten mit dem Hinweis auf einen anderen Band dieser Sammlung übergangen. '

Das Kapitel Vischer ist auch nicht gerade glück- lich geraten. Von Hermann Vischer, dem Be- grinder der Nürnberger Hütte, heißt es schlank- weg, daß er den Taufbrunnen für St. Sebald, der völlig unbezeichnet und stilistisch schwer zu prä- zisieren ist, geschaffen habe; ebenso werden Grab- platten in Meißen, Posen und Bamberg ohne weiteres für ihn in Anspruch genommen, als ob wir eine hinreichende Bürgschaft dafür hätten. Bei der Beurteilung des Sebaldusgrabes nimmt die Verfasserin sogar an, daß Peter d. Ä. bald nach 1500 selber in der Lombardei gewesen sei, eine Meinung, die längst abgetan ist und nur von Alexan- der Mayer (wenn ich nicht irre) ohne stichhaltige Begründung wieder aufgebracht ist. Die Söhne gelten der Verfasserin lediglich als untergeordnete Gehilfen! Ich gebe darauf nicht näher ein, da ich die ganze Frage erst kürzlich hier behandelt habe und infolge einer neuen Urkunde, die neulich be- kannt geworden ist, in anderem Zusammenhang darauf zurückkomme. Ein Druckfehler ist es, wenn das Todesjahr Peter Vischers d. J. um 100 Jahre zu früh angesetzt wird. Ich lasse andere Kleinig- keiten und möchte lieber zu den Abbildungen dieses Kapitels einige Bemerkungen machen.

Zuerst zu Peter Vischers bekanntem Selbstbildnis am Sebaldusgrab. In der Zeitschrift Kunst und Kunsthandwerk 1918, S. 213—265 behandelt näm- lich Walter Stengel das Nürnberger Messing- gerät, das ihm anläßlich der Metallbeschlagnabme unter die Hände gekommen ist, in einer grund- legenden Darstellung. Hier macht er zu dem Selbst- bildnis mit dem Schurzfell eine hübsche Be- merkung, die verdient, vordem fast unvermeidlichen Zeitschriftentode bewahrt zu werden. Er sagt: Das Schurzfell sei der erste Lohn des Lehrbuben gewesen, und es habe für das Handwerk eine symbolische Bedeutung besessen, denn es wurde

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einem Zunftgenossen, der sich etwas zuschulden kommen ließ, untersagt, fernerhin den Schurz am Leibe zu tragen, bis er seinen ehrlichen Namen wieder hergestellt habe, Die zweite Abbildung Schottmfillers im Vischerkapitel betrifft den sich kratzenden Hund, der in mehreren Sammlungen erhalten ist; hier macht die Verfasserin die rich- tige Bemerkung, daß der Hund nach einem Stiche des Hausbuchmeisters (gemeint ist Lehrs Taf. 78) gegossen sei eine Feststellung, die bisher meines Wissens nirgends ausgesprochen war und mir nur durch briefliche Mitteilung von Professor Felix Dettloff in Posen, dem Verfasser des Buches ‚über den Entwurf zum Sebaldusgrab von 1488, bekannt war.

Ich gehe auf die weiteren, ganz gleich gearteten Kapitel des Schottmüllerschen Buches nicht näher ein, da es mir wertvoller erscheint, die Aufmerk- samkeit wenigstens in aller Kürze auf den Stengel- schen Aufsatz nochmals hinzulenken. Daß Nürn- berg immer eine Zentrale des Messinggusses ge- wesen war, obwohl es nicht über die Rohmaterialien verfügte, wußten wir schon lange. Bereits die Meisterlisten, die С. G. von Murr in seinem Journal zur Kunstgeschichte veröffentlicht hatte, ferner die Erwähnungen bei Conrad Celtes und bei dem Meistersinger Hans Rosenplüt hatten das erkennen lassen und verständlich gemacht, weswegen Her- mann Vischer, der Ahnherr des Geschlechts, sich gerade nach Nürnberg gewandt hatte. Aber erst der Stengelsche Aufsatz läßt das Handwerk der Nürnberger Rotschmiede zur vollen Geltung kommen, allerdings weniger für die Gotik als für die ganze Folgezeit. St. behandelt nacheinander mit Hilfe von 8a Abbildungen die Gewichtmacher, die Wagmacher, die Geschmeidmacher, die Hand- laternen, das Beckschlägergewerbe, das umfang- reiche Kapitel der Leuchter, der Aquamanilien, der Lampen, der Wärmpfannen, Schüsselringe, Kronleuchter, Türklopfer und anderes, was druck- technisch leider nicht genügend hervorgehoben ist und daher leicht übersehen wird. Dabei fallen auch mancherlei Bemerkungen über die Vischer- hütte, von denen ich die symbolische Bedeutung des Schursfelles bereits hervorgehoben habe. Interessant ist auch Stengels Bemerkung über die Beziehungen der Vischer zu Thüringen und Sachsen. Er sagt, daß zwischen Nürnberg und Sachsen eine Art lockeres Kartell bestanden habe, das auf alte Tradition schließen lasse. Auch wurde z.B., ob- gleich das Nürnberger Handwerk ein geeperrtes (d. h. nur Söhnen von Bürgern der Stadt zugänglich) war, im Jahre 1697 hier ein Meistersohn von Ег- furt zu einem Gesellen gemacht. Diese Bemerkung

ist insofern von Bedeutung, als stilistische Be- ziehungen zwischen Nürnberg und dem Osten reichlich vorliegen. Erfurt, Naumburg, Merseburg, Meißen, Altenburg usw. bergen neben echten Vischerwerken zahlreiche andere, die sich eng mit ihnen berühren und ihrerseits darauf hinweisen, daß zwischen Nürnberg und Sachsen lebhafte Be- ziehungen bestanden haben.

Stengel hat noch ein zweites Mal das Wort zu diesem Thema genommen. In einer Arbeit über die Merkzeichen der Nürnberger Rotschmiede stellt er als Ergänzung der zuerst besprochenen Ab- "handlung hier eine Liste der Meisterzeichen der Nürnberger Rotschmiede zusammen. Da es bis- ber völlig an Hilfsmitteln zur Bestimmung solcher Messingguß-Signaturen fehlte, lat die Arbeit freudig zu begrüßen; denn man begegnet diesen Zeichen auf Profan- und Kirchenleuchtern, Weihrauch- fässern, Wirmbecken, Gewichten usw. überall in Deutschland, da das Nürnberger Messinggerät nach allen Richtungen der Windrose ausgeführt wurde.

Der Zeichenzwang scheint in Nürnberg um 1626 eingeführt zu sein, so daß wir aus den Meister- zeichen keine Aufklärung für die frühere Zelt, z. B. die klassische Periode der Vischer, erwarten dürfen. Wichtig ist, daß die Nürnberger Rot- schmiede keineswegs das gleiche Zeichen zeit- lebens behielten; manche wechselten mehr als einmal, indem sie х. В. im Erbwege oder durch Kauf das Zeichen eines anderen übernahmen! Das ist für den Historiker dieses Gewerbes eine schmerz- liche Lage; besonders schlimm ist es, daß sogar die dem Markenbild beigefügten Initialen häufig nicht dem Meisternamen entsprechen. Ganz bös wird es aber teilweise um 1800, denn damals war der alte Sittencodex des Handwerks soweit ge- lockert, daß gleichzeitig zwei Meister mit fremdem Namen zeichnen konnten: So schlug seit 1820 ]. Ө. Brunner mit der Fahne des ]. A, P. H. Stum skrupellos dessen Anfangsbuchstaben auf, ebenso wie ein Jahr zuvor U. Ötdörfer das Hufeisen mit den Initialen J. В. mißbrauchte.

Der Abhandlung ist ein Messingblech mit Marken der Nürnberger Rotschmiede als Abbildung bei- gegeben. Das Markenverzeichnis führt in alpha- betischer Ordnung 214 Markenbilder (teilweise mit Abbildungen) auf, und nennt darunter die Meister, die sich dieses Zeichens bedient haben.

Hubert Stierling.

EMILE ZOLA, Briefe an Freunde. Leipzig, Kurt Wolff Verlag, 1918.

Über den Menschen Cézanne ist wenig bekannt. Ergänzend zu dem Bild des scheuen, sensitiven

Sonderlings, der ein Einsiedlerleben, das allein der Kunst gehört, in Aix geführt hat, treten Zolas Jugendbriefe. Der kaum 20jährige Schrift- steller kommt aus der Provinz nach Paris, haust unter Entbehrungen in kleinen Zimmern, bekritzelt die Wände mit Gedichten, wenn sein Papier aus- gegangen ist und sucht nach einer bescheidenen Bureautätigkeit, um die äußere Möglichkeitzu haben, sein Leben der Kunst zu weihen. Den Jugend- freunden Baille und Cézanne, mit denen er einen romantischen Lebensbund geschlossen hat, schreibt er zwischen 1859 und 1862 schwärmerische Briefe, in denen viel von himmlischer und irdischer Liebe, von Lebensglück, Verzweiflung, Dichtung und bildender Kunst die Rede ist.

Ein leidenschaftliches, zähes Ringen um Kunst, der Wille das Höchste zu erreichen, oder Kunst gänzlich zu entsagen, ein unermüdliches Arbeiten ist das gemeinsame Band zwischen Zola und Cézanne. Cézanne mußte sich jahrelang die Er- laubnis zum Studienaufenthalt in Paris erkämpfen, wenn aber seine Kräfte erlahmen, seine Leistungen seinen Forderungen nicht entsprechen, ist er immer auf dem Sprunge die Flinte ins Korn zu werfen und ins Bankhaus seines Vaters einzutreten. Zola träumt von gemeinsamer Arbeit, von einem „schönen herrlichen Buch, das Cézanne mit schönen berrlichen Zeichnungen illustriert,“ damit sie in „dieser unzertrennlichen Brüderlichkeit des Genies“ in der Nachwelt fortleben. Ein Buch über Liebe möchte er Cézanne widmen, der es besser schreiben könnte als er, da sein „Herz jünger und wärmer ist.“ Auch findet er ihn dich- terischer veranlagt als sich selbst. „Du schreibst mit dem Herzen, ich mit dem Verstand. Du glaubst felsenfest an das, was du vorbringst; bei mir dagegen ist’s oft nur ein Spiel eine glänzende Lüge.“

Seine Freundschaft schärft seinen Blick für Cézannes Eigenart und Hartköpfigkeit. „Cézanne etwas beweisen wollen, hieße die Türme von Notre-Dame überreden, eine Quadrille zu tanzen!.. Er ist aus einem Stück gehauen, hart und rauh anzufassen. Nichts beugt ihn, nichts kann ihm ein Zugeständnis abringen, Er möchte nicht ein- mal seine Gedanken erörtern. Ег verabscheut die Diskussion, zunächst, weil das Sprechen er- müdet, und dann, weil er ja, falls sein Gegner recht behielte, seine Ansicht ändern müste. Im übrigen ist er der beste Junge der Welt,“ Cézanne selbst erspart er bei seinem Schwanken den Vorwurf nicht „Dir fehlt die Festigkeit! Du hast Angst vor der Anstrengung, wie sie auch sei, in Gedanken wie in Taten. Dein großer Grund-

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satz ist, alles ruhig gehen zu lassen, alles der Zeit und dem Zufall zu überlassen.“ Andererseits entzückt ihn Cézannes Bereitschaft, im Winter

auf der gefrorenen Erde sitzend zu malen, ohne

sich um die Kälte zu kümmern.

Mehrfach erwähnt Zola Ce&szannes Briefe, die zumeist von Versen begleitet sind. Er hebt sie auf und liest sie immer wieder, ег hat sie jedoch, wie Vollard!) mitteilt, vernichtet. Jeder Hinweis darauf wird vermißt, eine Einleitung und Anmer- kungen fehlen, sie wären besonders bei den Briefen an den Journalisten Roux, mit dem Zola zusammen die Dramatisierung der „Myste- res“ vorbereitet, notwendig. Rosa Schapire.

FELIX WITTING, Michelangelo da Caravaggio. Eine kunsthistor. Studie. Zur Kunstgesch. des Auslandes. Heft 113. Straßburg, J. H. Ed. Heitz, 1916.

Es ist bedauerlich, daß dieser Untersuchung über Caravaggio kein Abbildungsmaterial beige- geben worden ist, was wohl allein aus den Zeit- verbiltnissen zu erklären ist. Es wäre besonders wertvoll gewesen, wenn den Lesern Gelegenheit gegeben worden wäre, die Thesen und kritischen Erörterungen Wittings an Abbildungen nachzu- prüfen, zumal es eine neue und gründliche Dar- stellung dieses Begründers der Schule, der Ribera und Zurbaran angehören, nicht gibt. Da viele Umstände die weitere Durchdringung und Auf- klärung des Barockzeitalters nunmehr wohi für unabsehbare Zeiten hindern werden, müssen wir uns mit den Fragmenten begnügen, die die deutsche Wissenschaft bisher zusammengetragen bat. Felix Witting hat in der vorliegenden Studie wenigstens einen Katalog der Werke von Caravaggio zusammengestellt, der, wenn auch nicht ganz vollständig, so doch die Hauptwerke des Meisters aufreiht. Auch die Urkunden über das Leben des Künstlers geben eine gute Hand- habe für weitere Arbeiten. Die Darstellung der künstlerischen Entwicklung ist in drei Abschnitte klar gegliedert und auf kaum 60 Seiten zusammen- gedrängt. Wihrend dem flüchtigen Beobachter der Stil Caravaggios demjenigen Guido Renis oder der Carraccis gegenüber fremd erscheint, erkennt derjenige, der Kunstwerke innerbalb des Rahmens einer ganzen Zeit sieht, daß der Zeitwille der Steigerung und Verklärung in Caravaggio in anderer Form Ausdruck gefunden hat. Wie organisch Caravaggio mit seiner Zeit verwachsen ist, wie sehr er Gestalter des barocken Kunst-

(а) Ambroise Vollard: Paul Césanne. Paris 1915, 188

Willens ist, wird aus der Darstellung Wittings überzeugend klar, der Caravaggios Entwicklung von den ersten Jahren an verfolgt, in denen er in Mailand unter Michelangelo Amerighi lernte, in Venedig von Giorgione begeistert war, in Rom unter Guiseppe Cosari d’Arpino arbeitete. Ein besonderer Wert des Buches liegt in der aus- führlichen Behandlung von Caravaggios Werken in Malta und Sizilien. Otto Grautoff.

KEHRER, HUGO, Francisco de Zur- baran. Mit einem Titelblatt u. 87 Ab- bildungen. München, Hugo Schmidt Ver- lag. 8°. (M. 35.—.)

Nachdem uns um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts die Spanische Kunst voll zum Be- wußtsein gekommen ist, hat es nicht allzulange gedauert, bis die beiden größten Namen Velazquez und Murillo, in vollgültigen deutschen literarischen Bearbeitungen, Gemeingut unserer Kunsthistoriker und nach der Kunst strebenden Laien geworden sind. Darauf folgten wohl Goya und letzthin Theotocopuli-Greco. Neuerdings ist die Reise nach Spanien für die Fachwelt beinahe zu etwas Ge- wöhnlichem geworden und auch der Laie weiß natürlich bedeutend mehr über die spanische Malerei als in den vier angegebenen Namen be- schlossen liegt. Mit dem vorliegenden Buch tritt nun ein fünfter Meister in die Reihe jener, über die sich der Deutsche Kunsthistoriker, der nicht Spezialist ist, bequem und genau orientieren kann, vom Laien zu schweigen. Für den Spezialisten mag hier vielleicht nur das geboten sein, was ihm, dem Kundigen, nicht mehr neu war, und auch dem nicht auf’s Spanische eingestellten Kunsthistoriker war Zurbarän selbstverständlich keine terra incognita mehr. Aber hier findet man in einem. grundlegenden Werk alles beisammen: das geschaffen zu haben, ist wohl das Hauptver- dienst, und ein großes, des bewanderten und geschätzten Verfassers.

Zurbarän galt, unter den diesseits der Pyrenäen bekannten Spaniern, als der für sein Volk typischste, der viel weniger als die obengenannten seine Kunst auf der Grundlage einer breiteren Welt- kultur aufatũtat. Biättert man die Abbildungen des Kehrerschen Buches durch, so findet man, daß bei diesem Meister doch nicht eine solche Einheit vorherrscht, wie der Betrachter, der nur die außerhalb Spaniens befindlichen Werke kennt, wobl vermuten mochte. Ganz abgesehen von der Heraklestatenfolge, die ganz aus der Art des Meisters schlägt, finden wir einen merkwürdigen

Wechsel zwischen hartem, realistischem Vortrag, wie wir ihn aus den Berliner und Dresdener Werken kennen und einem weichen, an Murillos vaporosostil gemahnenden, wie ihn scheinbar der „Mercedacier S. Miguel del Pozo“, der „Christus sich an seiner Dornenkrone verwundend“, die „Maria mit den beiden Knaben“, der seine Kleider ablegende „Christus“ u. and. aufweisen. Auch in den Typen fallen die Abstände auf zwischen den scharf charakteristischen, gleichsam aus dem Tag photographierten, den weicher, rundlichen idealisierten, und schließlich den verlängerten, verzerrten, transcendental in der Art des Theo- tocopuli (dessen Einfluß Kehrer aber von vorn- herein ausschließt) willkürlich umgeschaffenen.

Auf die meisten der sich so einstellenden Fragen geht der Verfasser ein, auf manche vielleicht nicht. Durch eingehende, beredte Charakterisierung der Bilder stellt Kehrer die Künstlerfigur des Zurbaran, wie sie sich ihm offenbart, kraftvoll und nach- drücklich dar. Dem Zug der Zeit folgend vergißt er auch nicht auf die Beziehungen der Neueren, namentlich Courbets, und der Neuesten auf diesen alten Meister einzugehen. Als Voraussetzungen seiner Kunst werden, abgesehen von dem Urvater Michelangelo Amerigbi Ribera, Ribalta, Ruelas, F. Herrera und Montañés festgestellt, seine Groß- taten in den mönchischen Bildern um das Ende der dreißiger Jahre erblickt, die Beeinflussung des Spätstils durch Murillo zwar nicht beklagt doch auch nicht verneint. Ein raisonnierendes Ver- zeichnis (nach Standorten eingerichtet) umfaßt 157 vom Verfasser als echt anerkannte Gemälde, nebst einigen Zeichnungen. Endlich werden noch eine Anzahl Urkunden und eine Bibliographie geboten.

Die 88 Rasterdrucke, eine besonders willkommene

Li

Gace, da ohnehin und insbesonders jetzt Zurbarán `

Photographien nicht leicht zu beschaffen waren, sind angesichts der Schwierigkeiten, die der Auf- nahme in vielen Fällen entgegenstanden, sowie der Schwierigkeiten, die der Krieg dem Chemi- graphen und Drucker schufen, nur zu loben; wie man überhaupt Verfasser und Verleger seinen be- sonderen Dank zollen muß, daß sie uns in diesen Zeitläuften ein solches Werk übergeben haben. H. W. Singer.

LUDWIG v. SYBEL, Mosaiken römi- scher Apsiden. In der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“, Bd. ХХХУЦ, Heft 3/4, (1918), 5.273 318. (Dazu 1—2 Abbild. Die erste auf besonderer Tafel.)

Zu ihrem Nachteil ist diese Arbeit nur in der angeführten Zeitschrift erschienen und nicht auch

wenigetens als Separatabdruck daraus. Die Monats- hefte haben es sich von Anfang an zum festen Grundsatze gemacht, nur in Buchform veröffent-

lichte Arbeiten zur Anzeige zu bringen; wenn sie aber:

bei у. Sybels Abbandlung eine Ausnahme machen, so beruht dies auf der besonderen Bedeutung dieser Arbeit, Denn diese bietet sehr ansprechende neue Forschungsergebnisse, auf welche man die Aufmerksamkeit der Beteiligten zu lenken ver- pflichtet ist. |

Nach einer kurzen Einleitung über die Anfänge der Kirchenmalerei bespricht der Verfasser die Mosaiken der römischen Kirchenapsiden, gruppiert nach den zugrunde liegenden Haupttypen, die drei Abteilungen bilden. Diese sind: ı. Der aufrufende Herr (Die Gesetzgebung, Legis datio). 2. Der

thronende Herr (Maiestas Domini). 3. Das

Kreuz als Haupttypus. Der Verfasser glaubt, durch seine Untersuchungen bewiesen zu haben, „daß die Kompositionen des Mittelalters nicht der christlichen Antike schuld gegeben werden dürfen, sondern daß sie als Schöpfungen der Nachantike anerkannt sein wollen, solche aber wie die Apsiden von 8. Clemente, S. Gievanni im Laterano, 8. Мапа mag- giore als eigenste Hervorbringungen des 12. und 13. Jabrhunderts, so sehr sie auch geschichtlich bedingt waren. Was das 3. Jahrhundert grund- legend schuf, das wirkte fort, nach diesem Faden spannen die Spätantike und das Mittelalter weiter; die Entwicklung der Kultusreligion lieferte immer neuen Einfluß in das Gewebe. Damit die Malerei aber von dem in seinem Pathos doch so schlichten „aufrufenden Herrn“ der ersten römischen Bischofs- kirche bis zu Torritis überernährten Kompositionen gelangen konnte, hat sieeinetausendjährige wechsel- volle Geschichte durchmachen müssen.“ Gewiß brauchen diese Behauptungen und das muß nachdrücklich betont werden im einzelnen noch weitere Stützen und Ausführungen; jedoch reicht das schon Gebotene für entwicklungsgeschichtliches Betrachten und Verstehen der römischen Kirchen- spsiden hin. In nicht wenigen Punkten gewinnt у. Sybel seine Ergebnisse auf vollkommen andere Weise als Wilpert in seinem monumentalen Mosaik- werk und weiß geradezu die Bahn für richtigere Anschauungen und wissenschaftlichere Behandlung der römisch-christlichen Malerei zu brechen. Un- angenehm wirkt auf mich die Stellung, die von Sybel in der vielerörterten kunsthistorischen Frage „Orient oder Rom?“ genommen hat. Er hat sich bekanntlich zugunsten der ewigen Stadt aus- gesprochen und bemüht sich dauernd, einer Lehre, deren Haltlosigkeit sich täglich offenbart, Geltung, zu verschaffen! Interessant ist die auf 8. 291

189

Anm. ı angeführte mittelalterliche Sage, nach дег durch Konstantin den Großen selbst von der Tribuna der Lateransbasilika eine Gesetzesverkündigung stattgefunden haben soll. Folkloristisch und auch sonst wäre es von Belang, diese Sage auf ihre Quelle hin zu untersuchen.

Athen-Berlin. Nikos A. Bees (Béns).

GÜNTHER GRUNDMANN, Gruft- kapellen des achtzehnten Jahrhun- derts in Niederschlesien und der Oberlausitz. Studien zur deutschen Kunstgesch., Heft 193. Straßburg 1916.

Behandelt sind die Friedhofskapellen, die sich die reichen Familien von Görlitz, Hirschberg, Schmiedeberg, Landeshut und Zittau erbaut baben, eingeschossige Bauten, die im Innern die Grab- monumente bergen, Gruftanlagen, die vor allem durch die prunkvollen Fassaden wirken. Das Thema des Buches ist also eng begrenzt, es ist in der Hauptsache ein Nachtrag zum schlesischen Denkmälerinventar. Die Arbeit verdient aber dennoch mit einigen Worten des Lobes hier an- gemerkt zu werden, weil sie zeigt, wie aus einem engen Stoff lokaler Kunst eine brauchbare Dis- sertation gemacht werden kann. Wertvoll sind weniger die ästhetischen Erörterungen, die Be- handiung der kunstwissenschaftlichen Probleme, die Analyse der Entwicklungstypen nach Raum- form und Rörperform. Sie erscheinen allzusehr als Schularbeit und sind bei diesen immerhin be- scheidenen Raumgebilden, die vielmehr als Monu- mente wirken wollen, nicht recht angebracht. Wertvoll sind die historischen Nachrichten und die rein kunstgeschichtlichen Darlegungen wie

190

die Einfügung der Gruftkapellen in den größeren Zusammenhang der schlesischen Lokalschulen, der Nachweis einzelner Architekten, die Entwick- lung der Ornamentik in den schönen Eisengittern. Als wichtigere Beiträge sind hervorzuheben die Nachrichten über den Baumeister Martin Frantz und die Baumeisterfamilie Jentsch.

Adolf Feulner.

ALEX. у. GLEICHEN-RUSSWURM, Der Ritterspiegel. Verlag von Jon Hoffmann, Stuttgart.

Gleichen -Rußwurm zeichnet die Entwicklung der mittelalterlich ritterlichen Kultur, wie sie aus morgenländisch höfschen und geistigen Elementen und der primitiven, stolzen Eigenart europäisch germanischer Stämme zusammenwächst. Er nimmt im Gegensatz zu der populären deutsch - philolo- gischen Auffassung, die die Liebe zur Maria in germanischer Frauen- und Priestervereinigung

wurzeln läßt, an, daß der viel überschwänglichere,

mystisch gesteigerte Minnedienst des Mittelalters, das Domnoy, wie der spätere Marienkult zu uralt orientalisch gnostischen Ideen rückwärtsleite.

Das fast überstilisierte, überempfindsame Buch trägt eine Fülle von Material zusammen, gibt eine sehr minutiöse, für unsern Instinkt allzu ästheti- sierende Darstellung des ritterlichen Lebens im romanischen Mittelalter und die sprachgeschicht- liche Aufdeckung mancher aus dem Kulturkreis des Languedoc stammender Wortableitungen.

Es ist schade, daß Gleichen-Rußwurm fast ganz auf die Darstellung der damaligen Umwelt, der Welt der Bürger und Bauer, des natürlichen Bodens und seiner wirtschaftlichen und ideellen Struktur, verzichtet hat. Sascha Schwabacher.

DER CICERONE.

XI, то. L. BURCHARD: Neue Bilderbücher. (10 Abb.)

A. BEHNE: Werkstattbesuche I.: Fritz Stucken- berg. (4 Abb.)

J. KIRCHNER: Dekorative Wandmalerei. (6 Abb.) desgl. XL, 11.

A. VENITZ: Die Wohnform in der künftigen Siedlung. (6 Abb.)

F. HOEBER: Architekturaufgaben der Gegenwart.

J. BAUM: Die Bildwerke der Sammlung Schnell in Ravensburg. (24 Abb.)

DAS KUNSTBLATT.

Ш, 5.

L. COELLEN: L. Feininger. (8 Abb.) W. FRING: Wilhelm Morgner.

В. SCHAPIRE: Franz Nölken. Abb.)

V. WALLERSTEIN: Vom Wesen der Zeichnung. (x Taf., 6 Abb.)

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT.

54. Jahrg., Neue Folge, XXX, 10. G. RING: Ausstellung der Neuerwerbungen im Berliner Kupferstichkabinett.

С. GLASER: Die neuen Briefmarken. G. DAVID; Jan Sluyters. desgl., 29. |

Н. TIETZE: Die Demokratie und die Künstler. desgl., 30. L. JUSTI: Offener Brief an Karl Scheffler.

DIE RHEINLANDE.

19. Jahrg., Heft 3/4.

K. K. DUSSEL: Heinrich Eberhard. (5 Taf., 6 Abb.) F. HOEBER: Ein neues Ledermuseum in Offen- bach am Main. (11 Abb.)

J. OSWALD: Jakob Burkhardts Beziehungen zum Niederrhein.

ZEITSCHR. FURCHRISTLICHE KUNST. XXXU. Jahrg., Heft т. F. WITTE: Neue Zeiten Neue Ziele. (6 Abb.)

OUDE KUNST. IV, 7. P.C.KORTEWEG: Gres-Kruiken. (1 Taf., 6 Abb.) Mr. H. SJABOB: Een oud Begrafenisbord. (1 Abb.) H. A. W. SPECKMAN: Rembrandts ets „De Alchi- mist“. (2 Abb.) W. E. van DAM vanISSELT: Twee oude Portretten Hasselaer? (4 Abb.)

desgl., IV, 8.

A. STARING: Het Portretminiatuur in Neder- land. (12 Abb.)

М. О. van HUFFEL: Engelsche Prenten. (5 Abb.)

А. WILLEMSE: Oud-Limburgsch Aardewerk (6 Abb.)

WASMUTHS MONATSHEFTE FUR BAUKUNST III. Jabrg., Heft 8/10.

F.STAHL: Landhaus Wiegand in Dahlem, Arch. Prof. Р. Behrens. (22 Abb.) °

W. UNUS: Der Garten des Bildhauers K. Milles auf der Insel Lidingd. (xx Abb.)

M. EISLER: Das Landhaus. (29 Abb.)

Bauinsp. W.JAKSTEIN: Die Gestaltung des Export- Schlachthauses Altona. (13 Abb.)

Oberbaurat Prof. STURZENACKER: Der Neubau des Kurhauses Baden-Baden. (2 Doppeltaf., 20 Abb.) desgl., 11/12.

Е. STAHL: Architekt Oskar Kaufmann, Berlin.

Das Haus der Volksbühne in Berlin. (2 Taf., 54 Abb.)

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. Jahrg. XXIL, Heft 7/8.

W.MICHEL: Neue Gemälde von Carl Schwalbach. a Taf., 9 Abb.)

H. SCHULZE: Erich Waske-Berlin. (1 Taf., 5 Abb.) W. MICHEL: Über die Natur im Kunstwerk.

V. C. HABICHT: An die junge Kunst. (2 Abb.) C. GURLITT: Neueste Kunst,

FR. SERVAES: Haus Waltrud von Bruno Paul. (6 Taf., 27 Abb.)

W. MICHEL: Kulturelles Lesungswort. L. KRAFT: Materialismus und Kunst. (7 Abb.)

A.ROESSLER: Wiener Kinstlervereinigung „Freie Bewegung“. (2 Taf., 9 Abb.)

GLEICHEN-RUSSWURM: Bilderbuch und Illu- stration. `

DIE BILDENDEN KÜNSTE.

П, da,

GUSTAV KLIMTS PERSONLICHKEIT. Nach Mitteilungen seiner Freunde. (7 Abb.)

G. GLÜCK: Gustav Klimt. (4 T., 9 Abb.)

R. OLDENBOURG: Toni von Stadler. (5 Abb.) Н. TIETZE: Jan Štursa. (18 Abb.)

Е. M. HABERDITZL: Zwei Altarbilder von Michael Pacher. (2 Taf.)

desgl., 3.

H. TIETZE: Einführung in die moderne Kunst.

M. DVORAK: Die Ausstellung der Neuerwerbungen der Staatsgalerie. (6 Abb.)

191

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t е

А. Е. POPP: Ferdinand Hodler. (1 Taf., 13 Abb.) E. H. ZIMMERMANN: Zeichnungen von Romako und Makart. (1 Taf., 10 Abb.)

desgl., 4.

Die Kunst im neuen Staat.

H. TIETZE: Zwei Tote: Kolo Moser Ernst Stöhr, (2 Taf., 12 Abb.)

M. EISLER: Ein Friihwerk von Kolo Moser, (6 Abb.) F. TIETZE-CONRAT: Künstlers Erdenwallen im Spiegel der österreichischen Barockkunst. (9 Abb.)

A. TIETZE: Die Zeichnungen von Johannes Itten. (3 Taf., 7 Abb.)

DIE KUNST.

XX, 8.

G. J. WOLF: Carl Hans Schrader-Velgen. (1 Taf., її Abb.)

H. W. SINGER: Ludwig Richter, der Landschafts- maler. (1 Taf., 14 Abb.)

R. CORWEGH: Walter Klemm. (11 Abb.)

О. GRAUTOFF: Aufbauendes Kunstgefühl und künstlerische Zerstörungstendenzen in Frankreich. II.

H. SCHMITZ: Die Gartenstadt Staaken. (1 Taf., 34 Abb.)

Е. K.: Vorschläge zum sparsamen Bauen. Н. MUTHESIUS: Vom Garten des Kleinhauses.

NEUE BUCHER...

KARL THYLMANN: Holzschnitte (Furche-Verlag, Berlin NW 7). Geb. М, 6.—.

A. MATTHAEI: Deutsche Baukunst in der Re- naissance- und Barockzeit bis sum Ausgang des 18. Jahrhunderts. a. Aufl. Mit 63 Abbildungen im Text. (Verlag von B. G. Teubner, Leipzig.) Kart. M. 1.60, geb. M. 1.90.

JULIUS BAUM: Deutsche Bildwerke des то. bis 18, Jahrhunderts. Katalog der Altertimersammlung in Stuttgart. (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Berlin.) M. 75.—.

ALBRECHT DÜRERS SCHRIFTL. NACHLASS, Herausgegeben von E. Heidrich. Mit einem Ge- leitwort von Н, Wölfflin. 3. unveränderte Aufl. Mit 16 Bildbeilagen. (Verlag Julius Bard, Berlin.) In Pappbd. М, 9.—.

GIORGIO VASARI, KünstlerderRenaissance. Lebensbeschreibungen der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance. Aus- gewählt und übertragen von E. Jaffé. 4. Auflage. Mit 32 Vollbildern. (Verlag Julius Bard, Berlin.) In Pappband М. 9.—.

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OTTO GRAUTOFF: Formzertrümmerung u. Form- aufbau in der bildenden Kunst. (Berlin, Verlag Ernst Wasmuth, A.-G.) M. 8.—.

GUSTAV PAULI: Paula Modersohn-Becker. Mit farbigem Titelbild und 58 Tafeln. (Kurt Wolf Verlag, Leipzig.)

BERNHARD SCHMID: Die Bau- und Kunstdenk- mäler der Provinz Westpreußen. Mit 472 in den Text gedruckten Abbildungen und зх Beilagen, (Danzig, Verlag des Provinzialverbandes von West- preußen. Kommissionsverlag von A, W. Kafemann, а. m. b. Н. 1919.

KARL WOERMANN: Geschichte der Kunst. 3. Bd. Christliche Frübzeit und Mittelalter. (Bibliogra- pbisches Institut, Leipzig und Berlin.)

PAUL WESTHEIM: Oskar Kokoschka. Das Werk Kokoschkas in 62 Abbildungen. (Verlag Gustav Kiepenheuer, Potsdam / Berlin.)

JACOB BURCKHARDT : Die Kultur der Renaissance in Italien. 12. Aufl. a Bände. (Alfred Kröner Verlag, Leipzig) Geh. M. 21.—, geb. M. 28.—.

XII. Jahrgang, Heft 7.

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, Telefon Nord 429. Verlag, Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monats- hefte für Kunstwissenschaft KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2,

Telefon 13467.

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DAS SCHICKSAL DER KREUZLEGENDE DES DANIELLO DA VOLTERRA

Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von ERNST STEINMANN

І Entstehungsgeschichte.

rei Ruhmestitel hat sich Daniello Ricciarelli da Volterra in einem Leben voller

Mühsal und Arbeit als Maler, als Bildhauer und als Mensch errungen. Für Elena Orsini schmückte er die Kreuzkapelle in S. Trinita de’ Monti in Rom mit einem großen Freskenzyklus aus. Für Katharina de’ Medici goß er das mächtige Bronzepferd, das Heinrich II. von Frankreich als Reiter tragen sollte. Durch seine menschlichen Eigenschaften erwarb er sich die Freundschaft des Ben Mannes seiner Zeit, des Michelangelo Buonarotti.

Daniello da Volterra war wie sein großer Freund melancholischen Tempera- ments, und der Gesellschaft der Menschen zog er ‘die Einsamkeit vor. Der Genius hatte ihn nur leise berührt, und alles Schaffen wurde ihm zur Qual. Immer wie: der brachte er seine Auftraggeber zur Verzweiflung durch die Saumseligkeit, mit der er arbeitete. Immer wieder mußte Michelangelo eingreifen, um sein Ansehen bei Päpsten und Kardinälen wieder herzustellen.

Hat ihm das Leben harte Arbeit, viel Verdruß und wenig Freude gebracht, so ist es im Tode seinem Andenken nicht besser ergangen, ja so schlecht, daß wir uns heute von dem Kunstcharakter dieses Mannes, der so unablässig schuf und so Ungewöhnliches erreichte, kaum noch eine Vorstellung zu machen vermögen. Fast alles, was ihm .als Maler oder als Bildhauer gelungen ist, ging auf die еве oder andere Art zugrunde.

Als Denkmal der Freundschaft für einen früh verstorbenen Freund, Lionardo Piatesi, stellte Ricciarelli seine Marmorbüste in San Michele in Florenz auf; sie ist verloren gegangen!). Sich selbst hatte er das Grab in S. Maria degli Angeli in Rom bestimmt, und 'ег wollte diese Stätte mit der Marmorstatue des heiligen Michael geschmückt sehen, die er für das Portal der Engelsburg begonnen, aber nicht vollendet hatte. Schon Bottari fand von Grab und Denkmal keine Spur mehr übrig).

Man hätte meinen sollen, wenigstens das mächtige Pferd aus Bronze, das in Rom nicht weniger bewundert wurde als die Reiterstatue Marc Aurels, hätte den Namen seines Schöpfers in saecula saeculorum lebendig erhalten müssen! Schon Andrea Fulvio hatte dieses Pferd im Jahre 1588 in den Antichita di Roma zugleich mit den bertihmtesten Antiken stechen lassen. Antonio Tempesta stach einige Jahrzehnte später das Pferd noch einmal mit einem selbst erfundenen Reiter, als es noch im Hof des Palazzo Rucellai stand und den wackeren Deutschen, Heinrich von Pflaumern, so begeisterte, daß er ausrief, das Bildwerk sei zu köstlich für den Innenhof eines Palastes, es sei wert und würdig, den glänzendsten Platz einer großen Stadt zu schmücken.

Zum Unglück für das stolze Monument sollte dieser Wunsch in Erfüllung gehen. In den dreißiger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts wurde das eherne Pferd nach Frankreich geschafft. Im Jahre 1639 erhielt es auf der Place Royale in

(x) Vasari, ed. Milanesi VII, 63 und Anm. 2. (з) Vasari ed. Giovanni Bottari. Roma 1760, Ш, 143, Anm. 3.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919. Heft 8/9 14 193

Paris mit Ludwig XII. als Reiter den wiirdigsten Platz. Aber am 12. August 1792 fiel es wie nacheinander alle Königsdenkmäler Frankreichs dem allzu stürmi- schen Freiheitsdrange des französischen Volkes zum Opfer, das von Königen und Tyrannen nichts mehr wissen wollte. Der Nachruhm Ricciarellis, des Bildhauers, war damit für alle Zeiten zerstört?).

Und nicht besser als dem Bildhauer ist es dem Maler Ricciarelli ergangen. Einige Reliquien seiner Kunst haben sich noch in Rom im Conservatoren Palast, im Palazzo Farnese, in der Sala Regia im Vatikan, in S. Trinita de’ Monti erhalten, und einige Tafelbilder seiner Hand finden sich noch in Volterra, in Florenz und Paris und vielleicht auch noch anderen Ortes. Aber das Hauptwerk seines Lebens, an das er nach dem Zeugnis Vasaris sieben lange Jahre seiner besten Kraft ge- wandt hatte, eben jene Kreuzlegende für Elena Orsini, ist bis auf ein armseliges Trümmerstück zugrunde gegangen.

Nur von jener unerschütterlichen Treue, die Ricciarelli dem Einsiedler am Масе! de’ Corvi bis auf den letzten Tag gehalten hat, besitzen wir noch heute in der Bronzebüste Michelangelos ein schönes und rührendes Denkmal. In mehr oder weniger gut gehaltenen Abgüssen ist sie in Italien, Frankreich und England bis auf diesen Tag zu sehen?).

Es gab im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert keinen Römer und Рот. fahrer mit künstlerischen Interessen, der an den Fresken der Kreuzlegende in S. Trinita de’ Monti nicht sein Auge erfreut hätte. Michelangelo gehörte zu den ersten und Goethe zu den letzten, die hier dem ausgezeichneten Künstler An- erkennung und Bewunderung bezeugt haben?). Es gibt keinen Romführer, der diese Gemälde nicht der Beachtung der Reisenden empfiehlt; es gibt kaum eine Betrachtung über die Kunstschätze Roms, in der nicht wenigstens der Kreuz- abnahme Erwähnung geschähe.

Ausführlicher als alle Späteren hat schon Vasari diese Fresken beschrieben “)). Wir erkennen sofort, daß er in der Ausschmiickung der Orsinikapelle das Haupt- werk seines Freundes Daniello sah, in dem er hoffen durfte, sich bei Mit- und Nachwelt nicht nur als Maler, sondern auch als Bildhauer einen Namen zu machen. Denn ebenso reich, wie Wände und Gewölbe mit Gemälden geschmückt waren, ebenso glänzend waren die Stuckarbeiten, mit denen der Künstler seine Kapelle bedacht hatte. Wir sehen noch heute am Tonnengewölbe der Sala Regia im Va- tikan, mit welchem Geschmack und mit welcher Anmut Daniello da Volterra gerade die dekorative Plastik zu behandeln verstand.

(1) Über die Entstehung und die Schicksale des Bronzepferdes von Daniello da Volterra vgl. Anatole de Montaiglon, Notice sur l'ancienne statue équestre ouvrage de Daniello Ricciarelli et de Biard le fils etc. Paris 1874 u. E. Steinmann, Die Zerstörung дег Königsdenkmäler in Paris, Leipzig 1917, 8. 4—7. (2) Е. Steinmann, Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, Leipzig 1913, Tafel 54—63.

(5) Bury an Goethe, Rom den 14. Juni 1788: Sind Sie ehmals auf Trinità vom Daniel gerührt worden, во versichere ich, wird diese Ruhe und vernünftige Grazie Ihnen alles leisten, was Sie sich wünschen. Vgl. Otto Harnack, Zur Nachgeschichte der italienischen Reise, in Schriften der Goethe- Gesellschaft, Bd. У (Weimar 1890), 5. 30.

(4) Ed. Milanesi VII, 8. 52—56. Ricciarelli hat mit seinen Schülern auch noch die Roverekapelle in 5. Trinità de’ Monti ausgemalt und hier eine der besten Porträtdarstellungen angebracht, die wir von dem alt gewordenen Michelangelo besitzen. Die Fresken sind sehr verblaßt und vielfach beschä- digt noch heute erhalten. In 8. Agostino hatte Ricciarelli noch einmal die Kreuzfindung durch die heil. Helena und andere Heilige gemalt. Die Fresken sind heute spurlos verschwunden. Vgl. Vasari ed. Milanesi VII, 8. 59. |

194

Für den Zeitpunkt, wann die Fresken in der Orsinikapelle entstanden sind, gibt eine Quittung, die Milanesi erwähnt, wenigstens einen Anhaltspunkt“). Sie wurde im Jahre 1541 ausgestellt und gibt wohl den Zeitpunkt an, als alle Fresken oder wenigstens ein Teil derselben vollendet war. Sieben Jahre hatte noch nicht so leicht ein Maler in Florenz oder Rom auf die Ausschmiickung einer Familienkapelle verwandt. Michelangelo hatte viel weniger Zeit gebraucht, um die Deckenbilder der Sixtina zu malen und wenig mehr, um das Jüngste Gericht zu vollenden. Aber eine solide Freskotechnik erforderte sehr viel Zeit und sehr viel Mühe. Riccia- relli hat beides aufgewandt vielleicht mehr als jemals ein anderer Freskomaler. Und doch sollte dies Denkmal seiner hohen Kunst und seines unendlichen Fleißes den Wechsel der Zeiten nicht überdauern. Der Weitruhm, den von den Fresken der Orsini-Kapelle vor allem die Kreuzabnahme Christi genoß, sollte der ganzen Kreuz-Legende zum Verhängnis werden.

Der Name der Stifterin bestimmte die Wahl des Gegenstandes. Daniello da Volterra sollte die Erlebnisse der Kaiserin Helena, der Mutter Konstantins des Großen, schildern, wie sie nach Jerusalem wallfahrtete, um Christi Kreuz zu finden. Ein umbrischer Maler hatte diesen Gegenstand bereits in Rom in der Apsis von Santa Croce in Gerusalemme behandelt, und Piero della Francesca hatte sich mit seiner Schilderung der Kreuzabnahme in San Francesco in Arezzo einen unsterb- lichen Namen gemacht.

Über dem Altar der Kapelle sah man in einem prächtigen Rahmen, der mit den schönsten Stuckornamenten verziert war, jene Grablegung Christi, in der schon die Zeitgenossen nicht mit Unrecht den Geist und die Größe Michelangelos wieder- fanden. In der Lunette über dem Altargemälde sah man rechts und links vom Fenster zwei Sibyllen gemalt, die Vasari die besten Malereien in der ganzen Kapelle genannt hat.

Ein wunderbar reiches und phantastisches Rahmenwerk gliederte das Gewölbe der Kapelle, Hier nahm die Erzählung der Kreuzlegende ihren Anfang. Man sah zuerst, wie die drei Kreuze gezimmert wurden, die für Christus und die beiden Schächer bestimmt waren. Im zweiten Gewölbefelde erschien die heilige Helena und befahl den Juden, ihr die Stätte anzuzeigen, wo die drei Kreuze verborgen waren. Dann sah man im dritten Felde, wie der Mann, der das Geheimnis kannte und es nicht verraten wollte, in einen Brunnen geworfen wurde. Im vierten Felde endlich zeigte der Wissende reuig die Stätte an, wo die drei Kreuze vergraben waren. „Alle diese vier Darstellungen,“ schreibt Vasari, „sind über alle Begriffe schön und mit einer Sorgfalt sondergleichen ausgeführt.“

An den Seitenwänden der Kapelle setzte sich die Erzählung der Kreuzlegende in vier größeren Gemälden fort. In der Lunette über dem Fries sah man, wie die heil. Helena die drei Kreuze ausgraben ließ. Darunter an der Wand hatte Daniello die Heilung eines Kranken dargestellt, der das heilige Kreuz berührt.

Ein anderes Kreuzwunder hatte Ricciarelli in der Lunette der rechten Kapellen- wand geschildert; hier bewies das wahre Kreuz Christi seine Kraft, indem es einen Toten zum Leben erweckte. Vasari riihmt die Kunst, mit welcher hier das Nackte an dem Auferstehenden behandelt ist, und die Kunst des Ausdruckes höchsten Ver- wunderns in den Gesichtern aller derer, die den Toten zu neuem Leben er- wachen sehen.

Ebenso wie in Arezzo, so schloß auch in Rom der feierliche Einzug des Kaisers

(1) А. а. O., 5. 53, Anm. 1. 195

Heraklius in Jerusalem die Erzählung ab. Die Perser hatten das Kreuz Christi aus Jerusalem entführt; Heraklius hatte es ihnen in siegreichem Feldzug wieder abgenommen. Man sah ihn in höchster Demut, barfüßig und nur mit dem Hemde bekleidet, das kostbare Holz nach Jerusalem zurückbringen. Aber ein glänzendes Gefolge drängte sich hinter ihm her, und vor ihm und um ihn knieten Männer, Frauen und Kinder, die wiedergewonnene Reliquie anzubeten.

Eine Fülle köstlicher Stuckornamente und .dekorativer Figuren müssen dieser Kapelle einen wahrhaft festlichen Glanz gegeben haben. Zwei Karyatiden füllten die Lücken rechts und links vom Altar und trugen das Gesims. Allegorische Frauengestalten in Chiaroscuro ausgeführt, schienen die Gemälde der Seitenwände der Kapelle zu tragen, und an den Schmalwänden unter dem Eingangsbogen hüteten S. Francesco di Paola, der Protektor der Kirche, und der würdige Hiero- nymus in Kardinalstracht das Heiligtum.

Wie es scheint, hat Daniello da Volterra versucht, dem Gedächtnis seines Freundes in Florenz durch Zeichnungen zu Hilfe zu kommen, als dieser sich be- mühte, von den Gemälden der Orsinikapelle eine möglichst anschauliche Beschrei- bung zu geben. Zweimal nämlich beschreibt Vasari Dinge, die in den ausgeführten Fresken entweder anders behandelt sind oder überhaupt fehlen. So läßt er in der Kreuzabnahme Maria, ohnmächtig zusammenbrechend, von Maria Magdalena und anderen Frauen gestützt werden. Tatsächlich war die Mutter Gottes so in einer Zeichnung Ricciarellis dargestellt, die sich einmal wie uns Bottari wissen läßt in der heute leider in alle Winde zerstreuten Sammlung von Mariette befand und später in der Sammlung Denons wieder auftauchte'). Im Gemälde selbst sehen wir Maria, von einer der Frauen gestützt, bereits ohnmächtig am Boden liegen.

Noch deutlicher erkennt man, daß Vasari seine Beschreibungen nach Skizzen seines Freundes machte, bei seiner Schilderung von zwei Stuckreliefs, die unter jenen beiden Schutzheiligen an der Eingangswand der Kapelle angebracht gewesen sein sollen. Schon Sandrart, dessen Teutsche Academie im Jahre 1675 in Nürnberg erschien und Montfaucon, der sein Diarium Italicum im Jahre 1702 herausgab, haben nur eine solcher Darstellungen gesehen und beschrieben“). Und so scheint sich Bottaris Behauptung, daß tatsächlich nur ein Relief ausgeführt worden war, zu bestätigen?).

Aber auch dieses Relief ist von Montfaucon und Bottari anders als von Vasari beschrieben worden. Man sah hier Satyrn, welche die Figuren, die Ricciarelli in der Kapelle gemalt hatte, auf einer Wage zusammentrugen. Das Gewicht erwies sich als richtig, und der Ruf des Künstlers war gerettet. Die wohlgesinnten Satyrn aber jagten die übelgesinnten von dannen. Unter dem Relief las man den griechi- schen Spruch: Wir verlachen das Leben, jetzt aber scheint es am lächerlichsten‘).

Vasari läßt in seiner Beschreibung Michelangelo und Sebastiano del Piombo als Richter erscheinen. Sie fehlten im ausgeführten Relief. Er beschreibt endlich die zweite Darstellung mit den kurzen Worten, man sähe hier Michelangelo, wie er

(x) Bottari, a. a. O., Ш, 133, Anm. 1, So war die Maria auch in der Kreuzabnahme von Filippino- Perugino in der Akademie in Florenz dargestellt, die überhaupt mit dem Fresko des Daniello da Vol- terra die interessantesten Vergleichungspunkte bietet. Abb. bei W. Bombe, Perugino, 8. 131.

(2) Sandrart П, 2, S. 141; Bernardus de Montfaucon, Diarium Italicum, Parisiis 1702, 8. 228/229.

(3) Bottari an Mariette. Roma 25 Settembre 1746: Jo nella nota 1 (seiner Vasari- Ausgabe III, S. 135) mi son male spiegato dicendo: „L’altro bassorilievo non v’e piu” е doveva dire: „non vi е stato mai.“ Raccolta di lettere sulla pittura, scultura ed architectura. Roma 1764, Tom. IV, 392.

(4) Гедошеу piov, уду de yedovdtatos.

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sich im Spiegel betrachtet“). Diese Zeichnung also scheint niemals in Stuck aus- · geführt worden zu sein jedenfalls war sie schon verschwunden, als Montfaucon die Kapelle besuchte.

Vielleicht ist es Ricciarellis Freund, der gelehrte Monsignor Giovanni della Casa gewesen, der dem Künstler die Anregung für das Satyrrelief mit dem griechischen Motto gegeben hat)). Den Sinn dieses etwas unklaren Gleichnisses haben schon die Zeitgenossen so gedeutet, daß Daniello da Volterra auf diese Weise zum Aus- druck bringen wollte, daß er glaube, in siebenjähriger harter Arbeit seiner Pflicht Genüge getan zu haben, und daß ihm das Urteil der Mißgünstigen daher wenig

Kopfzerbrechen bereite. „Wir lachen über das Leben, jetzt aber erscheint es uns

am lächerlichsten“, das heißt in diesem Falle: das Urteil der Menschen war mir immer gleichgültig, nach einer solchen Arbeit aber ist es mir noch gleichgültiger geworden.

Von dem merkwürdigen Relief hatte sich Mariette, der beabsichtigte, dem Leben und Wirken Ricciarellis eine besondere Studie zu widmen, eine heute verschollene Zeichnung anfertigen lassen. Im September 1746 schrieb ihm Bottari, diese Zeich- nung in guter Hut zu halten, denn das Original sei schon so zerstört, daß man nicht mehr erkennen könne, was es darstelle “).

П. Die Legende.

Früh schon verdunkelte der Ruhm der Kreuzabnahme alles übrige, was Riccia- relli in der Orsini-Kapelle gemalt hatte. Man glaubte nicht mit Unrecht, in diesem Gemälde die Zeichnung Michelangelos wiederzufinden und behauptete, der große Florentiner müsse bei dieser gewaltigen Leistung seinen Freund mit Rat und Tat unterstützt haben‘). Montfaucon behauptet, es sei nicht leicht, diesem Gemälde in Rom überhaupt ein ähnliches Freskogemälde an die Seite zu stellen“). Rogissart und Deseine wuBten bereits in den Jahren 1709 und 1713 von einer großen Anzahl von Kopien zu berichten, die beständig von diesem Bilde ausgeführt wurden). Tatsächlich hat es Giovanni Battista Cavalieri auch im Cinquecento bereits zweimal gestochen, zum erstenmal im Jahre 1566").

Richardson allerdings, dessen vielgelesener Traité de la peinture im Jahre 1728 in Amsterdam erschien, glaubte dem Maler der Orsini-Kapelle herbe Vorwürfe

nicht ersparen zu können. Ihm schien die Komposition der Kreuzabnahme aller

Harmonie zu entbehren, und er fand die Farben dunkel und unangenehm. Die

(1) A. а. O., S. 35: Nell’ айга e Michelagnolo che si guarda in uno specchio: di che il significato ё chiarissimo.

(2) Für Giovanni della Casa malte Ricciarelli das doppelseitige Gemälde David und Goliath, das heute im Louvre bewahrt wird. Vgl. Seymour de Ricci, Description raisonnée des peintures du Louvre, Paris 1913, I, 115, Nr. 1462.

(3) Bottari, Lettere sulla pittura etc. Roma 1764, Tom. IV, 8. 381 und 392.

(4) Vasari ed. Bottari Ill, 133. Molti credono, non senza fondamento, che v’ abbia avuto mano Michelagnolo |

(5) A. a. O., 228: Cui vix parem in udo caemento depictam Romae repereris.

(6) Rogissart, Les délices de l'Italie. Leiden 1709, Ш, 119. Francois Deseine, Rome moderne. Leiden 1713, I, 88. Auch Deseine erwähnt zwei Basreliefs. Er scheint sich aber in seiner i auf Vasari und nicht auf seine eigenen Augen verlassen zu haben.

(7) Pietro Zani, Enciclopedia metodica delle belle arti. Parma 1821, Vol. VIII, 2, S. 173—174 bat die Stiche nach der Krouzabnahme gesammelt, unter denen der des Franzosen Dorigny vom Jahre 1710

der bedeutendste ist (Tafel 58, Abb, 1). Leider scheinen die verloren gegangenen Fresken der Orsini-

Kapelle niemals gestochen worden zu sein. Vgl. auch Nagler, Künstler-Lexikon, Bd. 13, S. 119. | 197

Gottesmutter, die am Boden hingesunken war, schien ihm in dieser Lage wenig . anständig. Die Frau, die sich zu ihr beugte, hätte das Taschentuch an die Augen, aber nicht an die Nase drücken müssen. Im Gesicht des Johannes vermisse man überdies jeden Ausdruck der Teilnahme. Ist es nicht seltsam, daß Keyßler, der Deutsche, und Prunetti, der Italiener, gerade dies abgeschmackte Urteil ihren Lesern wiederholen zu müssen glaubten?!)

Einige Jahrzehnte später stand der Franzose Raguenet in der Orsini-Kapelle in San Trinitä de’ Monti. Er hat seine Eindrücke im Jahre 1765 veröffentlicht?), in demselben Jahre, in dem auch Lalandes berühmte Beschreibung Italiens erschienen ist?). Beide Männer stimmen überein in dem uneingeschränkten Lob, das sie der Komposition des Bildes erteilen, aber sie haben von dem Kolorit völlig auseinander gehende Eindrücke erhalten. Lalande behauptet, das Gemälde sei „fast gänzlich erloschen“. Raguenet stimmt einen Hymnus gerade auf die Schönheit und Har- monie der Farben an. „Das Kolorit dieses Gemäldes,“ schreibt er, „gehört zu dem Schönsten, was man sehen kann. Die Gewänder der Magdalena und der Marien beglücken das Auge. Das Bleiweiß, der Lack, das Ultramarin bringen eine Farben- mischung hervor, die zugleich lebendig nnd doch zart ist und die in ihrem Wechsel entzückt. Das ganze Werk, obwohl al fresco ausgeführt, ist so zart und glatt ge- malt, wie die schönsten Ölgemälde.“ Wie war es nur möglich, daß Bottari fünf Jahre früher in seiner Vasari-Ausgabe bemerken konnte, daß die Farben der Kreuz- abnahme sehr gelitten hätten, und daß nur noch wenig von ihnen übrig sei, das man unberührt gelassen habe?

Es scheint, daß Raguenet seine Beschreibung mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf geschrieben hat. Er war hingerissen von diesem „Meisterwerk der Malerei, dessen Schönheit auch die rohesten Gemüter überwältigen müsse.“ Er fühlte sich selbst als Teilnehmer an der Handlung, als ein tiefergriffener Zuschauer mitten unter den Jüngern und Frauen. Aber wird man solche Begeisterung nicht gerechtfertigt finden müssen, wenn man liest, was ein so kühler Beobachter und ein so vortrefflicher Künstler wie Wilhelm Tischbein noch am 24. Januar 1783 in seinem Tagebuch aufgezeichnet hat?*) „Mein erster Gang,“ so schreibt er, „war am frühen Morgen auf die Treppe der Trinit de’ Monti, um von der Höhe Rom zu begrüßen. Auch hatte mich die ganze Nacht die heißeste Sehnsucht nach dem Freskobilde von Daniel Volterra in der Kirche della Trinita getrieben, um mich einmal wieder an einem durchaus gut gezeichneten Bilde zu laben. Es stellt be- kanntlich die Abnehmung Christi vom Kreuze vor. Die wohlgezeichneten Männer und die schöne Gruppe von Frauen, welcher der in Ohnmacht sinkenden Mutter Maria mit so vieler Sanftheit zu Hilfe kommen, ergötzten mich unendlich; lange stand ich davor, um aller der Kenntnis nachzuspüren, womit dieses Bild gemalt ist, und um es mir im Gedächtnis zu erhalten.“

Raguenets Schilderung der Kreuzabnahme Ricciarellis hat aber noch ein anderes

(т) Richardson (Jonathan), Pére et Fils, Description de divers fameux tableaux, dessins, statues, bustes etc. qui se trouvent en Italie. Amsterdam 1738, I, 114 und Ш, 528. Das Buch ist nur in französischer Sprache erschienen. Vgl. Johann Georg KeySlera „Neueste Reisen etc.“ a, Aufl. 1751. I, 617 und Michelangelo Prunetti, Saggio pittorico. Roma 1786, 8. 128,

(2) De Raguenet, L’éducation du jeune comte D. B. im Anhang: Observations nouvelles sur les ouvrages de peinture, de sculpture et de architecture, qui se voyent à Rome. Londres 1765, 8.тоой. (з) (De la Lande), Voyage d’un Francois en Italie fait dans les années 1765 et 1766. Venise 1769, IV, 8. 21—23.

(4) Wilhelm Tischbein, Aus meinem Leben, ed. Schreiber, Braunschweig 1861, II, 33.

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Interesse. Er scheint der erste französische Romschriftsteller gewesen zu sein, der seinen Lesern die Legende vermittelt, Poussin habe die Transfiguration Raffaels, den hl. Hieronymus des Domenichino und die Kreuzabnahme des Daniel da Volterra die drei schönsten Gemälde Roms genannt.

Diese Legende sollte den Fresken der Orsini-Kapelle in San Trinità de’ Monti das Dasein kosten. Es lohnt sich daher die Mühe, nach ihrer Quelle zu forschen. Baglione erwähnt in seinem kurzen Leben Domenichinos nur in aller Kürze die Kommunion des hl. Hieronymus und nennt Poussin überhaupt nicht!).

Bellori aber erzählt, Poussin habe den hl. Hieronymus des Domenichino und die Transfiguration Raffaels einander gleichgestellt und beide Gemälde als die größten Ruhmestitel der Malerei bezeichnet*). Andrea Sacchi habe diesem Urteil beigestimmt. Malvasia wiederholte in der Felsina Pittrice fast mit denselben Worten, was er bei Bellori gelesen hatte“). Die Kreuzabnahme des Daniello da Volterra aber wird hier noch mit keinem Wort erwähnt. Sie tritt wahrscheinlich zuerst bei einem französischen Autor auf, in den Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres von André Félibien. Die erste Auflage dieses Buches erschien in Paris im Jahre 1666, die zweite im Jahre 1696‘), die fol- genden in den Jahren 1706 und 1725. Man sieht, das Buch hatte einen für da- malige Zeiten unerhörten Erfolg. Hier heißt es nun im Leben des Domenichino, daß Poussin die Transfiguration Raffaels, die Kreuzabnahme des Daniello da Vol- terra und den heiligen Hieronymus für die drei schönsten Gemälde Roms erklärt habe. Félibien hat also willkürlich wir wissen nicht, auf welche Quelle sich stützend die Erzählung Belloris erweitert und das Lob Poussins von Raffael und Domenichino auch auf Daniello da Volterra ausgedehnt.

Dann begegnet uns der Ausspruch Poussins fast mit denselben Worten wie bei Felibien bei Roger de Piles in seinem Abrégé de la vie des peintres wieder, einem Buch, das gleichfalls mehrere Auflagen erlebte, von denen die erste im Jahre 1699 in Paris erschien’). Damit war die Poussin-Legende, die also französischen und nicht italienischen Ursprunges ist, in Frankreich eingeführt. Lacombe hat sie in seinem Dictionnaire portatif des Beaux Arts, das im Jahre 1752 erschien, weiter verbreitet’). Raguenet endlich, der Félibien oder Piles oder Lacombe oder alle drei benützt hat, führte dann, wie es scheint, den angeblichen Ausspruch von Poussin über die drei Hauptgemälde Roms zuerst in die Rom-Literatur ein ).

(1) Le vite de’ pittori, scultori, architetti ed intagliatori etc. Napoli 1733, S. 266.

(2) Gio. Pietro Bellori, Le vite de’ pittori, scultori, ed architetti moderni Roma 1672, I, 308: Onde quest’ opera (die Kommunion des Ы. Hieronymus) donando quanto può produrre lo studio e contri- buire un gran genio, con ragione Nicolò Pussino rapito dalla sua bellezza solova accompagnarla unitamente con la transfigurazione di Raffaele in San Pietro in Montorio, come le due рій celebri tavole per gloria del pennello. L'istesso confermava Andrea Sacchi.

(3) С. С. Malvasia, Felsina Pittrice. Bologna 1678 IV, 316.

(4) Quérard, La France littéraire, Paris 1829, Ш, 85. Dank der freundlichen Bemühungen des Herrn Dr. Otto Hartig war es mir möglich, die zweite Ausgabe Félibiens vom Jahre 1696 zu benutzen.

(5) [Roger de Piles], Abrégé de la vie des peintres avec des réfiexions sur lours ouvrages, Paris 1699, S. 324. Otto Grautoff gibt in seinem prächtigen Werke über Poussin (München 1914, I, 77 und 78), den auf Daniello da Volterra erweiterten Ausspruch Poussins wieder, ohne den Quellen weiter nach- zugehen. Meine Forschungen haben ergeben, daß Poussin nur die Verklärung Raffaels dem Hiero- nymus Domenichinos gleichgestellt hat (Bellori), und daß erst Félibien die Kreuzabnahme Ricciarellis hinzufügte.

(6) Lacombe, Dictionnaire portatif des Beaux Arts. Nouvelle édition. Paris 1753, 8. 234.

(7) Raguenet, Observations nouvelles etc. 8. 100.

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Man weiß, wie skrupellos die Fremdenführer in Rom mit Schlagworten operieren, man weiß, wie gern sie, auf irgendeine möglichst berühmte Autorität sich berufend, den Wert irgendeines Kunstwerkes über alle Werte erheben. Und wie dankbar eignet sich das Publikum solche Weisheiten an, wie schnell und gläubig werden sie weitergegeben! Und so finden wir die Poussin-Legende in ihrem wesentlichen Inhalt bald auch in deutschem Munde wieder. Schon im Dezember 1767 nannte Christian Traugott Weinlich in seinen Briefen über Rom die Kreuzabnahme in Trinita de’ Monti eines der drei Hauptgemälde von Rom!). Auch Volkmann weiß in seinen historisch-kritischen Nachrichten von Italien, die im Jahre 1777 in Leipzig erschienen, zu berichten, daß die Kreuzabnahme von Volterra „unter die drei vor- nehmsten Gemälde von Rom gesetzt werde“). Deutlicher noch drückte sich Friedrich Leopold von Stolberg im Jahre 1792 aus“). Wahrscheinlich schrieb er in einem seiner Römischen Briefe nur nieder, was damals alle Romführer und Lohnbedienten ihren Schutzbefohlenen zu erzählen wußten: „Poussin habe erklärt, die Verklärung Christi von Raffael, der Hieronymus von Domenichino und die Kreuz- abnahme von Volterra wären die schönsten aller Gemälde.“ Hier also ist das Lob Poussins nicht nur von Raffael und Dominichino auch auf Volterra übertragen worden, auch die Beschränkung auf Rom ist gefallen. Diese drei Gemälde wären jetzt schon um es im Stil der modernen italienisch-amerikanischen Reiseführer auszudrücken: the three most beautiful pictures in the world!

Und nun wurde die von Félibien bewußt oder unbewußt gefälschte Poussin- Legende kritiklos in die landläufigen Kunstgeschichtswerke aufgenommen. Wir finden sie wieder in Landons vielgelesenen, vielbändigen Schriften‘), in Lanzis Geschichte der italienischen Malerei“) und in Naglers Künstlerlexikon “). Der ver- meintliche Ausspruch Poussins galt mit Recht als einer der höchsten Ruhmestitel Ricciarellis. Er war vor allem in Frankreich jedem geläufig, der etwas von Kunst verstand oder zu verstehen glaubte. Der Name des Daniello da Volterra wurde auf einmal mit den Namen Raffaels und Domenichinos genannt. Aber solch ein unverdienter Ruhm, den er selbst wohl erstrebt, aber kaum beansprucht haben würde, sollte dem Hauptwerk Ricciarellis zum Verhängnis werden. Durch die Poussin-Legende ist die Kreuz-Legende dem Untergang geweiht worden!

Ш. Die Zerstörung.

Früh schon richtete sich die Begehrlichkeit der Mächtigen auf das herrliche Freskogemälde in S. Trinita de’ Monti, mit dem man nicht nur den Namen Da-

(з) Chr. Traugott Weinlich, Briefe über Rom. Dresden 1782, I, 8. 19. Eine andere Fassung der Legende findet sich noch bei John Northall, Travels through Italy. London 1766, 8. 293.

(a) J. J. Volkmann, Historisch-kritische Nachrichten von Italien. Leipzig 1777, D 366 P. Tadelt Richardson die Verwirrung, so lobt Volkmann die Ruhe, mit der 17 große Figuren in dem nicht großen Raume angebracht sind. |

(3) Friedrich Leopold Graf zu Stollberg, Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sizilien. Leipzig 1794, Bd.IV, 8.325. Stollberg bezog den Ausspruch Poussins nicht auf das Fresko in S. Trinità de’ Monti, sondern auf ein Tafelgemälde der Kreuzabnahme, das aus dem Kloster von 8. Maria del popolo in den Besitz von Angelica Kaufmann gelangt war. Den Beweis für diese kühne Behauptung ist er schuldig geblieben. Weiteres über dieses Tafelgemälde siehe unten.

(4) С. Р. Landon, Vies et oeuvres des peintres les plus célébres de toutes les écoles, Paris 1811. Vie de Daniel de Volterre, 8.5. Desgl. in den Annales du musée.

(5) Lanzi, Storia pittorica della Italia. Bassano 1809, Tom. I, S. 149.

(6) Naglers Künstlerlexikon. München 1843, Bd. 13, 8. 119. |

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niellos, sondern auch den Namen Michelangelos verband. Schon Sixtus V. soll seine Hand nach Ricciarellis Kreuzabnahme ausgestreckt haben. Montfaucon er- zählt!), der gewalttätige Papst habe befohlen, die ganze Wand, auf die das Ge- mälde gemalt war, in den Vatikan zu schaffen. Nur mit Mühe gelang es den Be- schwörungen der Mönche, Se. Heiligkéit von einem so unheilvollen Beginnen ab- zubringen. | |

Zwei Jahrhunderte gingen vorüber, und vor dem immer wachsenden Ruhm der Grablegung schienen die übrigen Fresken der Orsini-Kapelle mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Aber auch die Grablegung muß die alles zerstörende Macht der Zeit an sich erfahren haben, trotz des Entziickens Raguenets über ihre herrlichen Farben. „Man geht sie zu sehen,“ schrieb Richard im Jahre 1766 in seiner Beschreibung Italiens“), „mehr um ihres alten Ruhmes willen, als wegen ihrer gegenwärtigen Schönheit.“ Trotzdem blieb in Frankreich das Ansehen dieses Gemäldes unangetastet bestehen, und durch die zahlreichen Kopien, die sich dort noch heute erhalten haben, wurde die Erinnerung an das Meisterwerk Ricciarellis lebendig erhalten.

Es war ein seltsames Beginnen von Gregoire, dem früheren Bischof von Blois, als er in dem ersten seiner berühmten Berichte über den Vandalismus, den er am

31. August 1794 in der Nationalversammlung in Paris vortrug, seinen Zuhörern er-

zählte, die Römer hätten nach der Eroberung von Sparta in der Poikile eine ganze Wand aussägen lassen, um sich ein herrliches Freskogemälde zu eigen zu machen’). Indem er gegen die Zerstörung von Kunstwerken im eigenen Lande eiferte, forderte er zum Kunstraub in fremden Ländern auf und wählte das Vorgehen der Römer in Griechenland gleichsam als klassisches Beispiel.

Wie schnell die Saat aufging, die Gregoire ausgestreut hatte, sollte die Welt nur allzu schnell erfahren. In Frankreich selbst deutete man sich das Gleichnis Gregoires seltsamerweise sofort auf Ricciarellis berühmtes Freskogemälde in Rom. „Das Nationalmuseum,“ klagte der citoyen Varon noch in demselben Jahre in einem Bericht über die Kunstschätze im Département Seine-et-Oise, „das Nationalmuseum besitzt nicht eine einzige Komposition des Daniello da Volterra und weiß nicht, wo sie zu suchen. Könnten wir nicht von den Mauern Roms jenes erhabene Fresko von S. Trinità de’ Monti herunterreißen, dem die Nachwelt den Rang eines der drei Meisterwerke der Malerei zugewiesen hat?“)

Hier also klingt mitten im Getümmel der Revolution wie ein erschreckendes und warnendes Motiv jene unglückselige Legende wieder an. Hier wird wieder von den drei Meisterwerken gesprochen, die in Rom bewahrt wurden, und zum erstenmal findet der Wunsch seinen Ausdruck lange noch ehe Bonaparte den Fuß nach Italien gesetzt hatte wenigstens eines dieser Meisterwerke zu besitzen.

Jener Friede von Tolentino, den Pius VI. am ıg. Februar 1797 unterzeichnen mußte, beraubte die römischen Kirchen und die päpstlichen Sammlungen ihrer herr- lichsten Schätze. Auch die Verklärung Christi in San Pietro in Montorio und der hl. Hieronymus іп S. Girolamo della carità zählten zu den 100 Meisterwerken, die Pius VI. auszuliefern hatte. Die Meisterwerke Raffaels und Domenichinos wurden

(х) А, а. О., 8. 228.

(a) Richard, Description d'Italie. Dijon 1766. У, 476: „On va le voir plus sur son ancienne répu- tation que sur sa beauté actuelle.“ " |

(3) (Renard), Rapporte de Henri Grégoire ancien évéque de Blois sur . . les ехсёв du vandalisme, Caen - Paris 1867, 8. 56. `

(4) Paul Lacroix, Un dilettante de la Terreur in Revue universelle des arts XIV, (1861), S. 383.

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im Triumph nach Paris entführt. Die Grablegung Christi des Ricciarelli blieb wohl nur deshalb in Rom zurück, weil es nicht ohne weiteres möglich war, ein Fresko- gemälde aus der Wand herauszusägen. Aber Bonapartes ganzer Kunstraub in Italien war sozusagen auf Reklame eingestellt. Es kam weniger darauf an, das Schönste, sondern vielmehr das Berühmteste zu besitzen. Der Name, der Klang, der glänzende Schein bedeuteten alles. Die beiden Meisterwerke der Malerei, sagten sich die Franzosen, sind aus Rom nach Paris geschafft worden. Sollte es nicht auch möglich sein, das dritte Meisterwerk zu besitzen und den Manen Poussins ein glänzendes Opfer darzubringen?

Da gab die Ermordung des Generals Duphot an der Porta Settimiana in Rom, noch ehe das Jahr 1797 zu Ende ging, dem Direktorium in Paris den langgesuchten Vorwand, die französischen Truppen in die Residenz des Papstes einrücken zu lassen und Pius VI. abzusetzen. Der fast allgemeinen Plünderung der römischen Kirchen ist damals auch S. Trinità de’ Monti zum Opfer gefallen. Gleichzeitig aber war der Augenblick gekommen, das Weltmuseum in Paris nun auch mit dem dritten Meisterwerk der Malerei zu schmücken, von dem man seit Félibien und de Piles in allen Kunstgeschichten und Romführern gelesen hatte. Das Verhängnis, das die Poussin-Legende langsam über Ricciarellis Kreuz-Legende herauf beschworen hatte, schien nunmehr unabwendbar geworden zu sein.

Die französischen Kommissäre, die im Februar 1798 in Rom erschienen und den Auftrag hatten, Rom eine neue Verfassung zu geben, die Stadt bis aufs letzte aus- zusaugen und den neuen Kunstraub zu leiten!), beauftragten den Bürger Lovati, einen Künstler oder Handwerker völlig unbekannten Namens, das äußerst schwie- пре Werk zu beginnen und Ricciarellis Fresken auszusigen*). Denn man wollte nicht allein die Kreuzabnahme besitzen; die Bilder aus der Kreuz-Legende, die an den Seitenwänden gemalt waren, sollten das Mittelbild nach Paris begleiten.

So sollten sich die Greuel des Vandalismus, denen Frankreichs herrlichste Kunst- werke bereits zum Opfer gefallen waren, in Rom erneuern. Mit lauter Stimme verlangte damals der General Pommereul, daß sämtliche Fresken in den Stanzen Raffaels aus den Wänden herausgesägt und nach Paris geschafft würden“)!

Auffallenderweise hat sich kein einziger authentischer Bericht erhalten über das, was im Herbst und Winter 1798/99 in S. Trinita de’ Monti vor sich gegangen ist. Fernow berichtete bereits am 10. Oktober 1798 dem Teutschen Merkur ganz einfach die Tatsache, die Kreuzabnahme des Daniello da Volterra nebst den Seitengemälden seien aus der Mauer ausgesägt, um nach Frankreich geschafft zu werden‘). Und was

(т) Es befanden sich unter ihnen Gelehrte von europäischem Ruf wie Monge und Daunou, der unter Napoleon I. Direktor der Staatsarchive wurde. Als besonderer Kommissar für Kunstangelegenheiten hat in diesen Jahren Giambaptiste Wicar, der bekannte Gründer des Musée Wicar in Lille, eine wenig rühmliche Rolle gespielt. Immerhin bat ihn Fernow unter den französischen Kommissaren noch als einen der ehrlichsten bezeichnet. Teutscher Merkur 1798, Ш, 282. Vgl. über „Monsieur Rapinat“ ferner J. A. Koch, Moderne Kunstchronik ed. Jaffé. Innsbruck 1805, 8. 55/56.

(2) Über diesen verhängnisvollen Auftrag gibt allein eine Instruktion Auskunft, die der Minister des Innern am 11. Mai 1801 dem Citoyen Dufourny auf seine Reise nach Italien mitgab: II existe a l'é- glise de la Trinité du Mont, qui est de fondation francaise, une fresque superbe de Daniel de Volterre; le sciage de ce monument avoit été prescrit par le commissaire civil; le citoyen Lovati en étoit chargé. Ce travail se faisait lentement et avec peu de soin; il est & craindre méme que les injures du temps n’ayent totalement abimé ce beau monument etc. Vgl. Montaiglon et Guiffrey, Correspondence des directeurs de l’Académie de France à Rome. Paris 1908, Bd. ХУП, 8. 297.

(3) De l'art de voir dans les Beaux-Arts. Paris an 6 de la République (1798), 5. 315.

(4) Teutscher Merkur 1798, Ш, 285. Bericht vom 1. Oktober.

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die Deutschen in Wielands Merkur lasen, das lasen die Franzosen gleichzeitig in Millins Magazin encyclopédique*). Aber beide Berichte eilten den Tatsachen weit voraus.

Das wenige, was wir heute noch aus der Vorgeschichte dieser Katastrophe fest- stellen können, ist folgendes. Bereits in einer Antwort auf ein Schreiben vom 9. Mai 1798 schrieb der Minister des Innern, Letourneux, an den Minister des Äußern, Talleyrand, daß es wünschenswert sei, die Kreuzabnahme des Daniello da Volterra іп S. Trinità de’ Monti aus der Mauer auszusägen und nach Paris bringen zu lassen. Er bat Talleyrand, von den Kommissaren in Paris diesbezügliche Auf- klärungen zu verlangen).

Am 15. Juli aber berichteten die Kommissare aus Rom, es käme als Sitz für die französische Akademie nach der Villa Medici vor allem Kirche und Kloster von S. Trinita de’ Monti in Frage, und man könne dann auch das Meisterwerk des Daniello da Volterra an seinem Platze lassen“). In einem Schreiben vom 3. August stimmte Talleyrand diesem Vorschlag in allen seinen Teilen zu.

Dann wird des Freskogemäldes in S. Trinita de’ Monti erst wieder in einem Schreiben von Reboul, Kommissariatsagenten bei der französischen Armee an Francois de Neufchateau, den neuen Minister des Innern, Erwähnung getan. Dies Schreiben ist datiert vom 27. Januar 1799“). Hier heißt es unter anderem über den Kunstbesitz der Franzosen in Rom: „Die Französische Republik besitzt in Rom eine Fülle von Meisterwerken, die nicht nach Paris abgeführt werden können. Aber man kann sie in den weiten Räumen des Palazzo Farnese unterbringen. So werden sie für alle Zeiten ein Gegenstand der Bewunderung und des Studiums der Künstler sein. Unter diesen Kunstwerken befinden sich die Fresken des Dome- nichino in S. Luigi de’ Francesi und in San Gregorio. Dazu gehören auch die noch berühmteren Fresken des Daniel da Volterra in S. Trinità de’ Monti. Alle diese Meisterwerke befinden sich in Klöstern, die heute aufgehoben sind. Man muß sich beeilen, sie der Nachlässigkeit einiger meer zu entreißen, die schlecht genug bezahlt sind.

„Die Arbeiten der Entfernung der Fresken des Daniel da Volterra in S. Trinitä de’ Monti haben bereits begonnen. Ich schätze mich glücklich, mit allem Eifer die Vollendung der Arbeit zu überwachen.“

Man möchte aus diesem Schreiben schließen, daß Reboul den besten Willen ge- habt hat, die Fresken des Daniello da Volterra zu retten. Man sieht ja sogar, daß er beabsichtigte, seine unerwünschte Fürsorge auch den Fresken Domenichinos in San Gregorio und S. Luigi de’ Francesi zuteil werden zu lassen. Aber er hat sich jedenfalls in der Wahl des Mannes gänzlich vergriffen, dem er eine so verantwor- tungsvolle Aufgabe übertrug. Das Unerwartete, das Schreckliche wurde Ereignis und der Rest ist Schweigen. In den nächsten jahren wird in den französischen Berichten aus Paris soweit sie veröffentlicht wurden der Fresken des Da- niello da Volterra nicht mehr Erwähnung getan. Wir müssen andere Quellen be- fragen, um zu erfahren, was denn in S. Trinita de’ Monti eigentlich vor sich ge- gangen war.

Im Jahre 1800 erschien in Erfurt eine kleine anonyme Schrift, betitelt „Der

(х) Magazin encyclopédique ГУ, 6 (1798), р. 550. In beiden Berichten findet sich ausdrücklich an- gegeben, daß auch die веков der Seitenwände der Kapelle nach Frankreich abtransportiert werden sollten.

(2) ESCHER des directeurs XVII, 156.

(3) Correspondence des directeurs XVII, 163. Der Bericht ist unterzeichnet von Florens.

(4) Correspondence des directeurs XVII, 8. 229—230.

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Kampf um Europens Stiefel“, in dem die Eroberung Italiens durch die Franzosen

und die traurigen Schicksale des schönen Landes ausführlich behandelt werden’).

Hier liest man auch schwere Anklagen gegen den Kunstraub der Franzosen in Italien, und sie gipfeln in einem Schrei der Entrüstung fiber die Art, wie von den Eroberern die Fresken Ricciarellis in S. Trinita de’ Monti behandelt worden seien: „Das erhabene al fresco-Gemälde des Daniel da Volterra,“ so heißt es hier, „die Kreuzabnehmung, wo besonders die herrliche Gruppe des Vordergrundes, die Mutter des Erlösers in Ohnmacht liegend, unübertreff lich schön. dargestellt war, sägten die Franzosen aus der Wand heraus und, ach, zerbrachen es und auf diese Art gingen unzählige Gemälde, Statuen und andere Kostbarkeiten unter ihren un- geschickten Händen zugrunde, deren Verlust unschätzbar ist. Lange wird der Genius der Kunst über den Trümmern der verwüsteten Meisterwerke trauern, und die Nachwelt wird die Horden verfluchen, durch deren Hände diese Muster der Schönheit zugrunde gingen.“

Liest man die Worte, die zehn Jahre später Pietro Palmaroli über die Behand- lung der Fresken Ricciarellis fallen ließ, als er in den Memorie encyclopediche Romane über seine eigene Restauration der Kreuzabnahme Rechenschaft abzulegen versuchte, so wird man zugeben müssen, daß die Empörung des unbekannten deutschen Schriftstellers berechtigt war). Hier erfahren wir zum ersten und einzigen Male, wie denn die Arbeiten eigentlich verlaufen waren, von deren Beginn Reboul im Januar 1798 so vertrauensselig nach Paris berichtet hatte. „An ein Werk von so hoher Verantwortung,“ schreibt Palmaroli, „war man herangetreten, ohne auch nur die Anfangsgründe der Kunst zu kennen, ohne auch nur einen Funken

` von Genie zu besitzen. Da man die ganze Sache auf eine lächerliche und für das

ganze Bauwerk höchst gefährliche Art und Weise begann, so ereignete sich das, was sich ereignen mußte. Es wurde nämlich eine Seitenwand der Kapelle in der ganzen Dicke der Mauer einfach ausgesägt. Der Pfeiler, der das Gewölbe trug und nicht genügend durch Stützen gesichert war, brach zusammen, das Gewölbe der Kapelle stürzte ein und infolgedessen auch ein Teil des Haupt- gewölbes. Und da man sich nicht die Mühe gab, die Kapelle wenigstens sofort auf andere Weise zu bedecken und vor den Unbilden der Witterung und dem hereinströmenden Regen zu schützen, da überdies die Soldaten, die im Kloster untergebracht waren, den Trümmerhaufen benutzten, um dort ihre Bedürfnisse zu verrichten, so wurde auch der Kreuzabnahme solcher Schaden zugefügt, daß dies herrliche Werk in kurzem zu sein aufgehört haben würde, wenn ich nicht das Geheimnis gefunden hätte, seine Farben wieder herzustellen.“

Palmaroli also erzählt mit dürren Worten, wie sich in S. Trinita de’ Monti die Katastrophe zugetragen hat, die Ricciarellis glorreiche Malereien in einen Haufen von Schutt und Trümmern verwandeln sollte. Es erübrigt sich jeglicher Kommentar zu dieser Beschreibung eines Mannes, der berufen wurde, wenigstens das Allerletzte noch zu retten. Durch eine frevelhafte Leichtfertigkeit, durch eine geradezu himmel- schreiende Vernachlässigung der selbstverständlichsten Voraussetzungen wurde die Kreuz-Legende in S. Trinita de’ Monti zerstört. Der Ruhm der Kreuzabnahme, ein entstellter Ausspruch Poussins, die schrankenlosen Gelüste, die eine schranken- lose Macht gezeitigt hatte, führten das Verderben dieser Fresken herbei, in denen Daniello da Volterra seinen Kräften gemäß dasselbe gegeben hatte, was Michel- angelo in der Decke der Sixtina gab. Was bedeuten solchen Tatsachen gegenüber

(т) Der Kampf um Europens Stiefel. Ein Gemälde aua der Bildergalerie unserer Tage. Erfurt 1800, 8.7. (a) (Guattani), Memorie encyclopediche Romane sulle Belle Arti. Tomo У (1810), 8. 127.

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die schönen Worte des Agenten Reboul, er schätze sich glücklich, ап der Voll- endung der Abnahme der Fresken mit allem Eifer teilnehmen zu können? Diese Worte wurden am 27. Januar 1799 geschrieben, Palmaroli begann sein verspätetes Rettungswerk im Jahre 1809. Volle zehn Jahre hatte man S. Trinità de’ Monti sich selber preisgegeben! Wie hätten Wind und Wetter und alle Mächte des Unterganges in dieser Zeit die Zerstörung nicht vollenden sollen, die Menschen- hände so frevelhaft begonnen hatten?

Die Raubsucht der französischen Kommissare und Agenten, ja selbst der ober- sten Heerführer in Rom war im Jahre 1798 so groß gewesen, daß sich die niederen Offiziere protestierend im Pantheon versammelt hatten und weder durch Güte noch durch Gewalt zu bewegen gewesen waren, dem Höchstkommandierenden Massena, in dessen Taschen die schönsten Kameen und Medaillen des Vatikans verschwun- den waren, weiter Gehorsam zu leisten!). Die reichsten und ehrwürdigsten Kirchen und Klöster in Rom wurden damals aufgehoben. S. Maria degli Angeli, S. Maria dell’anima, S. Maria in Aracoeli, S. Pietro in Montorio, S. Sabina auf dem Aventin, S. Lorenzo in Damaso um von vielen nur einige zu nennen wurden damals völlig ausgeplündert, zum Teil verkauft, zum Teil erbarmungslos sich selbst über- lassen. Aber auch in Kirche und Kloster von S. Trinita de’ Monti hat sich der Vandalismus keineswegs allein auf die Orsini-Kapelle beschränkt.

Im Jahre 1809 sandte Charles de l’Estache, Verwalter der französischen Nieder- lassungen in Кош, die inzwischen in der Hand des Kardinals Fesch vereinigt wor- den waren, einen ausführlichen Bericht über S. Trinità de’ Monti nach Paris ). „Kirche und Kloster,“ so schreibt er mit bemerkenswerter Offenheit, „befinden sich zurzeit in einem Zustande fast völligen Verfalles. Sie sind während der letzten

römischen Revolution auf eine geradezu hassenswerte Weise geplündert, ausgeraubt

und fast zerstört worden. Kirche und Kloster bieten heute ein entsetzliches Bild jener Anschläge dar, die nur der Geist der Zerstörung und einer ganz unersättlichen Habsucht auszuführen vermochte.“

„Was ist aus der kostbaren Sammlung von Kameen und Medaillen geworden, dem „Museum“, das der berühmte de la Chausse, der Verfasser des „Museum Ro- manum“ dem Kloster vermacht hatte??) Irgendwelche französische oder vielleicht sogar englische Trödler werden ihr Geschäft damit gemacht haben. Und was ist mit den herrlichen Bibliotheken hier und in S. Luigi de’ Francesi geschehen? Die Kardinäle von Polignac, de la Rochefoucault, de Bernis hatten ihre Bücher hierher gestiftet. Die Gelehrten Magnan, Jacquier und Le Sueur haben hier gearbeitet‘). Die besten Bücher sind geraubt, zu Spottpreisen verschleudert oder dem Unter- gange durch Feuchtigkeit preisgegeben worden.“

Non est in tota laetior urbe locus hatte einst Montfaucon in dieser Bibliothek in großen Lettern gelesen und hier die kunstvolle Sonnenuhr des Klosterbruders Magnan mit Erstaunen betrachtet“). Alles,

(т) Richard Duppa, A brief account of the subversion of the papal government. 1798. Second edition. London 1799, S.67. Über den Raub Massénas in der Vatikanischen Bibliothek vgl. Le Grelle in Camillo Serafini, Le monete e le bolle plumbee pontificie del Medagliere Vaticano. Milano 1910,

(2) Correspondence des directeurs XVII, 8.418, 419, 423.

(3) Romanum Musaeum sive Thesaurus eruditae antiquitatis . . opera et studio Michaelis Angelo Causei (de la Chausse). Romae 1746. Zwei Bände in Folio.

(4) Vgl. über diese Gelehrten die Anmerkungen von Jules Quiffrey, Correspondence des directeurs de Académie de France à Rome ХУД, 424, Anm. 3 und 4. Веі dem Franziskaner Jacquier hatten sich auch die Gelehrten aller Nationen getroffen. Auch Goethe stattete ihm im Januar 1787 einen Beauch ab. (5) А. a. O., 8. 229. i

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\ alles ist zugrunde gegangen! „Sogar die glänzende Apotheke des Klosters, die Weinlich noch im Jahre 1767 bewundert hatte!), wurde, wie Antonino Sala auf- gezeichnet hat, zusammen mit dem ganzen Kirchengerät der Piemonteser Kirche im Mai 1799 öffentlich versteigert“).

Und wie sah es im Jahre 1809 in der Kirche S. Trinita de’ Monti aus? Auch hier gibt uns L’Estache Aufschlüsse, die uns den Zustand der Verwahrlosung der Kirche mit plastischer Deutlichkeit vor Augen stellen. Chor und Schiff der Kirche waren soweit sie noch Schutz vor Wind und Wetter boten den Künstlern der französischen Akademie einfach zur Einrichtung von Ateliers überlassen worden. Der prächtige Hochaltar, ein Meisterstück des Jean de Champagne, an dem die Gläubigen vor allem das Relief der Dreieinigkeit bewundert hatten, der wie Keyßler erzählt von einem Tabernakel mit kostbaren Marmorsäulen und vielem Lazuli gekrönt war, war ohne weiteres zerstört worden“). Zerstört wurden auch jetzt noch die übriggebliebenen Stuckarbeiten des Daniello da Volterra, obwohl sie, wie L’Estache ausdrücklich versichert, vollkommen gut erhalten waren‘). Im Chor der Kirche hatte sich der Direktor der Akademie ein Atelier eingerichtet, um ein Kolossalgemälde für den Kaiser Napoleon zn malen. Jüngere Künstler hatten sich das Schiff der Kirche durch Seitenwände abgeteilt, und in der Orsini- Kapelle von einst war Palmaroli beschäftigt, an der einzig übrig gebliebenen Re- liquie Ricciarellis, der Kreuzabnahme, seine neuentdeckte Kunst zu erproben, ein Fresko auf Leinwand zu übertragen. So vollzog sich an den Fresken der Orsini- Kapelle, die Vasari gewiß nicht mit Unrecht als ein köstliches und ruhmreiches Werk seines Meisters gepriesen hatte, das bittere Verhängnis mit unerbittlicher Konsequenz. Sogar die, welche wie L’Estache den Mut hatten, das Geschehene zu verurteilen und das noch Erhaltene zu retten wünschten, ließen geschehen, daß auch das Letzte noch zerstört wurde. Man argwöhnt, daß Palmaroli selbst die Reste der herrlichen Stuckarbeiten zerstören ließ, weil sie ihm bei seinem Expe- riment, die Kreuzabnahme auf Leinwand zu übertragen, hinderlich sein mußten. Man würde heute dankbar sein, wenigstens die Kreuzabnahme noch, wenn auch verblaßt und durch tausend Unbilden geschädigt, im alten Rahmen am alten Platze zu sehen. Aber niemand wußte damals noch, was aus dem großen Trümmer- haufen von S. Trinita de’ Monti werden würde°). Die Orsini-Kapelle selbst war ein Schutthaufen. Schleunige Entfernung des einzig übrig gebliebenen Fragmentes schien allein noch Rettung bringen zu können.

Palmarolis Vorschlag, das Übriggebliebene der Grablegung durch Übertragung auf Leinwand zu retten, wird daher ohne Schwierigkeit Zustimmung gefunden haben.

(1) Briefe über Rom I, 19.

(2) G. A. Sala, Diario Romano degli anni 1798—99 ed. Giuseppe Cugnoni in den Miscellanea della К. societä Romana di Storia Patria Roma 1886, Ш, 40. Баја, dem wir die traurigsten Einzelheiten über die Plünderung der römischen Kirchen verdanken, hat sich über S. Trinità de’ Monti aus- geschwiegen.

(3) Venuti, Descrizione topografica di Roma moderna, Roma 1766, I, 152. Deseine, Rome moderne, Leide 1713, I, 84—86. KeyBlers Neueste Reisen (1751), I, 617. Über diese und andere Arbeiten des Jean de Champagne vgl. Lami, Dictionnaire des sculpteurs sous le regne de Louis XIV. Paris 1906, 8. 83. Jean de Champagne war im Jahre 1679 in Rom,

(4) Correspondence des directeurs XVII, 421: Daniel, qui fit aussi des superbes stucs qu’on vient de détruire, quoiqu’ils furent parfaitement conservés., ` (5) Erst Ludwig ХУШ. ließ 5. Trinità de’ Monti durch den Architekten Mazois wieder herstellen. Die Kirche wurde am 25. August 1816 neu geweiht. Vgl. Giuseppe Melchiori, Guida metodica di Roma. 1836, S. 321.

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Die unerhörte Behandlung der Orsini-Kapelle scheint den Römern überhaupt ver- schwiegen worden zu sein. Wahrscheinlich war der Zutritt zu S. Trinità de’ Monti einfach gesperrt. Elisabeth von der Recke schrieb am то. November 1804 in ihr Tagebuch, was schon der Erfurter Anonymus behauptet hatte, die Kreuzabnahme Christi sei beim Aussägen zerbrochen'). Sie scheint die Kirche nie betreten zu haben. In Paris aber war der Plan, auch das dritte der drei Meisterwerke der Welt im Musée Napoleon auszustellen, auch im Jahre 1810 noch keineswegs auf- gegeben worden’). Der Kaiser selbst hatte noch am 12. September 1808 durch Daru an Denon den Befehl übermitteln lassen, aus der Kirche von S. Trinita de’ Monti die Kreuzabnahme Daniellos fortzuschleppen als eine der berühmtesten Schöpfungen der Kunst?).

Pietro Palmaroli hat damals auch die Sibylien Raffaels in S. Maria della pace mit Erfolg gereinigt und im Jahre 1816 mit Marcucci zusammen ein Buch über Farben herausgegeben. Später ist sein Name auch in Deutschland viel genannt worden. Er hat wie alle berühmten Bilderrestauratoren Bewunderer und Feinde gehabt. Koch spricht in seiner modernen Kunstchronik ziemlich verächtlich von Palmarolis „Flickerkunst‘“*). Im Jahre 1826 wurde der. Künstler nach Dresden berufen, und was er dort geleistet hat, ist von Carl August Böttiger in der Dresdener Abend- zeitung mehrfach erörtert worden’). Über die Wiederherstellung der Kreuzabnahme hat Palmaroli in seinem Schreiben an Guattani soweit er wolite und konnte Rechenschaft abgelegt. Es gelang ihm das, was die Italiener Intonacato nennen, d. h. die Tünche mit der Malerei so zu erweichen, daß er sie von der Mauer ab- lösen konnte, um sie dann mit einem starken Leim auf Leinwand zu befestigen. Die Wiederherstellungsschreiben an diesem neuen Tafelgemälde wurden in einer Wachsmalerei ausgeführt, deren Geheimnis Palmaroli sich vorbehielt. |

Sei es nun, daß das Fresko in seinen Farben bereits so mitgeriommen war, daß an eine wirklich erfolgreiche Wiederherstellung überhaupt nicht mehr gedacht werden konnte, sei es, daß das gefährliche Experiment Palmarolis der Ablösung einerseits und der Übermalung andererseits die Erwartungen nicht rechtfertigte Tatsache ist, daß kein Sachverständiger die Abnahme und Erneuerung der Kreuz- abnahme geriihmt hat als Palmaroli selbst.

Das Resultat muß auch den Franzosen so wenig befriedigend erschienen sein, daß von einer Überführung der Trophäe nach Paris nicht mehr gesprochen wurde. Die Ruine dieses in aller Welt berühmten Gemäldes würde im Musee Napoleon, den Blicken aller Welt preisgegeben, vielleicht zu peinlichen Erörterungen Anlaß gegeben haben. Man würde gefragt haben, auf welche Weise dies Bild denn so

(х) Tagebuch einer Reise . . . durch Italien 1803—1806 ed. Böttiger. Berlin 1815, 1, S. 310.

(2) Almanach aus Rom für Künstler und Freunde der bildenden Kunst, herausgegeben von F. Sickler und С. Reinhart, Leipzig 1810, I,290: „Es ist für Paris bestimmt, und da es bekanntlich das dritte Hauptgemälde Roms war, so wird es daselbst neben der Transfiguration von Raffael und dem heiligen Hieronymus von Domenichino die Dreizahl der vorzüglichsten Gemälde ergänzen.“ Hier. also er- scheint die Poussin-Legende noch einmal in reinster Gestalt. Auch den Lesern der Zeitung für die elegante Welt wurde am 18. Mai 1810 mitgeteilt, die Restauration Palmarolis sei gelungen, und das ` Gemälde solle bald nach Paris gebracht werden. Bd. X (1810), S. 792.

(3) Lanzag de Laborie, Paris sous Napoléon VIII, 302.

(4) Ed. јаве, S. 79.

(5) Artistisches Notizenblatt’ der Abendzeitung 1828, Nr. 6: Noch ein Wort über Palmaroli, Nr. то, - 12 Zeugnis für Palmaroli. Zitiert nach J. Sillig: C. A. Béttigers kleine Schriften, Dresden 1837, 8. LIX.

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zugerichtet worden sei? Eingeweihte würden beunruhigt worden sein durch den Gedanken, was denn aus dem Freskenzyklus geworden sei, dessen Hauptbild plötz- lich als Ruine in Paris gezeigt wurde? Und die Antwort wäre gewesen, daß alles zugrunde gegangen sei, und daß die Zerstörung eines der merkwiirdigsten Fresken- zyklen der späten Renaissance niemand anderes verschuldet habe, als die schranken- lose Begehrlichkeit der französischen Machthaber in Rom.

Das Gemälde von Ricciarelli-Palmaroli wurde also ins Kapitolinische Museum gebracht, wo damals die herrenlos gewordenen Gemälde aus zerstörten Kirchen und aufgehobenen Klöstern soweit sie nicht gestohlen oder versteigert waren gesammelt wurden!). Hier wurde das Bild im Juli 1813 von Johann Gottlieb Quandt gesehen. Quandt hat sich in der Kunstgeschichte einen Namen gemacht als Übersetzer von Lanzis Geschichte der italienischen Malerei. Er ist überdies der Verfasser einer Reisebeschreibung durch Italien“). Er urteilt über die wahllos aufgehäuften Bildwerke nicht weniger absprechend, als es zwei Jahre vor ihm E. v. Uexkyll in seinen „Fragmenten über Italien“ getan hatte“). Am wenigsten aber sagte ihm die wiederhergestellte Kreuzabnahme Ricciarellis zu, und er wieder- holte sein Urteil später in der Ubersetzung Lanzis mit den Worten: „Die Restau- ration ist dem so trefflichen Palmaroli nicht gelungen, weil gies Bild so beschä- digt war.“

Denselben schmerzlichen Eindruck eines großen, aber N zerstörten Kunstwerkes, den Quandt gehabt hat, haben alle Beschauer nach ihm erhalten bis auf den heutigen Tag. Speth sah das Bild im Jahre 1816 schon wieder in S. Trinita de’ Monti: „Der jetzige Zustand des Bildes läßt über die Wahrheit und Natur seiner Färbung kein Urteil mehr zu,“ schrieb dieser rückhaltlose Bewunderer der Kunst Palmarolis ).

Die einzig übriggebliebene Reliquie aus der Orsini-Kapelle war noch jahrzehnte- lang der Gegenstand vieler Erörterungen und sogar eines Prozesses gegen die französische Regierung, der von Luigi Passerini, dem rechtlichen Patron der Kapelle, angestrengt worden war’). Er behauptete, das Bild sei widerrechtlich an die Nonnen vom Herzen Jesu verkauft worden, denen Ludwig XVIII. das von ihm wieder hergestellte Kloster samt der Kirche übergeben hatte. Passerini gewann den Prozeß, und im Jahre 1855 wurde die Kreuzabnahme wieder in die Orsini- Kapelle zurückgebracht, das heißt, in die vierte Kapelle links vom Eintretenden. Wann und warum sie von ihrem rechtmäßigen Platz wieder entfernt wurde, wissen wir nicht. Das viel geprüfte Bild ist heute in der ersten Kapelle links vom Ein- gang, rechts an der Mauerwand aufgehängt worden. Wenige nehmen sich noch die Mühe, das einst so berühmte Gemälde eines Blickes zu würdigen. Nie- mand kennt seine trauervolle Geschichte, niemand weiß mehr, daß die Kreuz-

(1) Eine andere Sammelstelle solcher Findlinge legte der vortreffliche Gaetano Marini von allen böheren päpstlichen Beamten im Vatikan 1. J. 1798 der einzig Übriggebliebene in den Gemächern des Präfekten der Bibliothek an. Vgl. seinen von Battifol zuerst publizierten Bericht im Bulletin de la société nationale des Antiquaires de France 1889, S. 110. Vom Jahre 1798 datiert überdies die Auflösung einer großen Anzahl der vornehmsten römischen Privatsammlungen.

(а) Streifereien im Gebiete. der Kunst auf einer Reise von Leipzig nach Italien im Jahre 1813. Leipzig 1814, II, 160.

(3) Fragmente über Italien in Briefen an einen Freund 1811. (Als Manuskript gedruckt) 8. 46: Schlechteres sah ich nicht leicht etwas, einen Pietro Perugino und einen Sassoferrato (S. Sabina) ausgenommen.

(4) Die Kunst in Italien München 1819. Ш, 95.

(5) Vasari ed. Milanesi VII, 53, Anm. т.

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abnahme einst das Hauptstiick der Kreuz-Legende Ricciarellis war, daß dies Ge- mälde einst die Altarwand der Orsini-Kapelle schmückte und zu Unrecht aus der vierten Kapelle in die erste versetzt worden ist!).

Auch Palmarolis an entlegenem Orte gedrucktes Zeugnis über den Untergang des ganzen Freskenzyklus ist der Vergessenheit |anheimgefallen. Es gibt Kunst- schriftsteller, die ihren Lesern noch heute die Kreuz-Legende des Daniello da Volterra als vorhanden vorführen. Selbst Milanesi weiß im Jahre 1881 von den Gewölbegemälden noch zu berichten, sie seien übermalt worden). Lafenestre und Richtenberger führen noch im Jahre 1903 die ganze Kreuz-Legende als erhalten auf?), obwohl schon Melchiorri in seinem Romführer von 1836 zu berichten wußte, alle Fresken der Orsini-dapelle seien elend zugrunde gegangen).

IV. Reliquien.

Es würde die Mühe lohnen, einmal die Zeichnungen zu sammeln, die sich in den Museen Europas von Ricciarellis großem Freskenwerk erhalten haben und die Kopien der Kreuzabnahme zu befragen, in wieweit sie unsere Vorstellung vor allem von den Farben der ursprünglichen Komposition zu bereichern vermögen. Aber solche Studien können erst unternommen werden, wenn in der erneuerten Welt dem Forscher wieder die Türen offen stehen werden. Heute muß es ge- nügen, einen Wegweiser für solche Fahrten der Zukunft aufzurichten.

Mariette, der für eine Abhandlung über die Kunst des Daniello da Volterra reiches Material zusammengebracht hatte, erwähnt im Abecedario achtzehn Zeich- nungen Ricciarellis, die auf der Auktion Tallard für 465 livres verkauft wurden. Diese Zeichnungen bezogen sich nicht allein auf die Kreuzabnahme, sondern auch auf andere Kompositionen in der Orsini-Kapelle und auf die Himmelfahrt Mariae in der Rovere-Kapelle, gleichfalls in S. Trinità de’ Monti’).

In Basans Auktionskatalog der Sammiungen von Mariette, die im Jahre 1775 in alle Winde zerstreut wurden, werden vier Zeichnungen Ricciarellis aufgeführt: Die Kreuzabnahme Christi, zwei Blätter mit Armstudien, und die Darstellung im Tempel). Alle diese Blätter wurden damals von dem Sammler Lempereur erworben. Die Kreuzabnahme wird man mit einer in Bister auf blauem Papier ausgeführten Zeichnung identifizieren dürfen, die sich im Besitz von Vivant Denon befand und іп Amaury-Duvals großem Werk reproduziert wurde”) (Tafel 58, Abb. 2). Obwohl die Zeichnung in der Reproduktion einen Teil ihres Charakters eingebüßt hat, erkennt man doch noch deutlich die Hand Ricciarellis und den Geist Michelangelos. Diese Zeichnung, die nacheinander Mariette und Denon zwei der größten Kunstkenner

(1) Ich selbst bin in vergangenen Jahren durch die Aufstellung der Kreuzabnahme in der ersten Kapelle getäuscht worden und habe hier und nicht in der vierten Kapelle nach den Spuren der Kreuz- Legende gesucht und nichts gefunden.

(2) A. а. O., 8. 53, Anm. 2: Le pitture a fresco sono state ritoccate,

(3) La peinture en Europe. Rome. Le Vatican, les églises. Paris 1903, 8. 197/98.

(4) Gli altri lavori vorher ist von der Kreuzabnahme die Rede che il pittore aveva fatti in questa insigne capella degli Orsini sono tutti miseramente periti. Melchiorri, Nuova guida metodica di Roma, 8. 322.

(5) Abecedario in Archives de l’art français УШ (1857—58), S. 394.

(6) Е. Basan, Catalogue raisonné des differents objets de curiosités dans les sciences et arts qui com- posoient le Cabinet du feu Mr. Mariette. Paris 1775. Vgl. auch М, J. Dumesnil, Histoire des plus célèbres amateurs francais: Pierre-Jean Mariette (1694—1774), Paris 1856, S. 230.

(7) Amaury-Duval, Monuments des arts du dessin chez les peuples tant anciens que modernes, re- cueillis par le baron Vivant Denon etc. Paris 1829, II, Pl. 80.

Monatshefte für Kunstwiseenschaft, XII. Jahrg. тото, Heft 8/9. 15 | 209

Frankreichs besessen haben, dürfte dieselbe sein, nach der Vasari in Florenz seine Beschreibung des Fresko in S. Trinita de’ Monti verfaßt hat.

‘Im Juni 1802 waren in Paris im Musée central des arts drei Rötelzeichnungen für die Kreuzabnahme ausgestellt. Sie bezogen sich auf die zusammenbrechende Maria und auf zwei der Frauen, die ihr zu Hilfe kommen. Wahrscheinlich werden diese Zeichnungen noch heute in den reichen, wenig erforschten Schätzen der Hand- zeichnungensammlung des Louvre bewahrt‘), Die Zeichnung, die Mariette von dem Relief Daniellos in der Orsini-Kapelle machen ließ, muß sich in einem der Sammelbände befunden haben, die damals gleichfalls versteigert wurden.

Drei Zeichnungen Ricciarellis zur Kreuzabnahme, in Rötel ausgeführt, finden sich in den Uffizien in Florenz*), andere im Teyler-Museum in Haarlem und wohl noch in anderen Handzeichnungssammlungen der europäischen Museen.

Schon Rogissart und Deseine wußten in ihrer Beschreibung des modernen Rom von den vielen Kopieen zu berichten, die von der Kreuzabnahme Riccia- rellis gemacht worden sind. Es ist natürlich, daß die meisten dieser Kopieen nach Frankreich gingen, wo das Gemälde durch den vermeintlichen Ausspruch von Poussin zu so hoher Berühmtheit gelangt war. So konnte Alexandre Lenoir in seinem Мизёе des monuments frangais in den Jahren 1793/94 auch eine große Kopie der Kreuzabnahme bergen, die aus einem Franziskanerkloster stammte. „Diese Kopie, die gut gemalt ist,“ heißt es im Katalog, der dem Unterrichts- ministerium am 2. Oktober 1794 vorgelegt wurde, „ist um so wertvoller, als das Original, das als Fresko gemalt ist, durch die Feuchtigkeit fast völlig zugrunde ge- richtet ist“ ). Also schon im Jahre 1794 hatte man in Frankreich von der Erhal- tung der Kreuzabnahme in Rom keine allzuhohe Vorstellung. Warum ist man dann nur so begierig gewesen, das Fresko nach Paris zu schleppen? In das Musée des monuments francais wurde auch noch eine andere Kopie der Kreuz- abnahme gerettet und dort wieder hergestellt. Sie stammte aus dem Spital de la Pitié. Eine Kreuzabnahme Ricciarellis aber eine völlig veränderte Komposition befand sich auch im Palais Royal‘), |

Auch der Herzog von Richelieu besaß in seinem Schloß unter seinen Schätzen eine Kopie des berühmten Bildes“). Sie wird heute im Museum von Tours be- wahrt. Eine andere Kopie befindet sich im Museum von Toulouse“). Eine so große Anzahl wie es scheint guter, alter Kopieen läßt erkennen, welch hohes Ansehen dies Gemälde von jeher in Frankreich genossen hat. Sicherlich läßt sich die Zahl solcher Kopieen in Frankreich aber noch vermehren.

(1) Notice des dessins originaux, esquisses peintes, cartons etc. exposés au musée central des arts dans la galerie d’Apollon en Messidor de Гап X de la République Francaise П, S. 22, Nr. 75—77. Ricciarellis Zeichnungen im Louvre und in den Uffizien habe ich vor Jahren bereits zu sammeln versucht. Meine Aufzeichnungen von damals stehen mir zurzeit nicht zur Verfügung.

(2) Vgl. Р. Nerino Ferri, Catalogo della Raccolta di disegni antichi е moderni nella galleria degli Uffici di Firenze. Roma 1890, 8. 121 und 122.

(3) Catalogue historique et chronologique des peintures et tableaux réunis au depot national des mo- numents francais par Alexandre Lenoir, abgedruckt in Revue universelle des arts, Bd. XXI (1865), 8.71. (4) Lacombe, Dictionnaire portativ des Beaux Arts, Paris 1753, 8. 733. Gestochen in Lieferung 24 der Ausgabe der Gallerie des Herzogs von Orléans von Couché. Das Gemälde, das Christus auf der Erde liegend, das Haupt im Schoß der Mutter ruhend, darstellt, wurde im Jahre 1792 an den Grafen von Suffolk verkauft. Vgl. Waagen, Kunstwerke und Künstler in England und Paris. Berlin 1837, LS 514. Я

(5) Paul Уйгу, Le musée de Tours. Paris 1911, 8. XLIV, Nr. 277: Copie réduite exécutée au XVI. siècle, d’aprés la fresque de la Trinité.

(6) Suan, Notice des tableaux exposés dans le musée de Toulouse. Toulouse 1850, S. 10, Nr. 15.

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In Rom befand sich einmal eine besonders schöne Kopie der Kreuzabnahme, die für ein Werk von Ricciarellis eigener Hand gehalten wurde, in dem heute zer- störten Kloster der Augustinermönche in S. Maria del Popolo. Niemand anderes als Goethe nahm an der Wiederentdeckung des schönen Bildes durch seinen Freund Wilhelm Tischbein so freudigen Anteil, daß er das Ereignis in seinem Tagebuch vermerkt. „Während meiner Abwesenheit,“ so schrieb er am 16. Juni 1787, „hatte Tischbein ein Gemälde von Daniello da Volterra im Kloster an der Porta del Popolo entdeckt; die Geistlichen wollten es für tausend Skudi hergeben, welche Tischbein als Künstler nicht aufzutreiben wußte. Er machte daher an Madame Angelika durch Meyer den Vorschlag, in den sie willigte, gedachte Summe auszahlte, das Bild zu sich nahm und später Tischbein die ihm kontraktmäßige Hälfte um ein Namhaftes abkaufte. Es war ein vortreffliches Bild, die Grab- legung darstellend, mit vielen Figuren.“ Eine von Meyer damals sorgfältig her- gestellte Zeichnung ist noch vorhanden). |

Angelika Kaufmann muß in der Tat die größte Freude an ihrem neuen Besitz gehabt haben, mit dem sich dauernd die Erinnerung an ihre schönsten Tage in Rom und an ihren größten Freund verband. Als Goethe Rom bereits verlassen hatte, war der Verkauf endlich perfekt geworden. „Das Bild ist anjetzo ganz mein,“ schrieb Angelika am 5. August 1788 an Goethe’). Wie und auf was Art es ist in das Haus gekommen . . ist Ihnen, glaube ich, schon bekannt. Ich konnte den Gedanken nicht erdulden, einen solchen Schatz von mir zu lassen . und nun haben wir das Bild, welches man ein Meisterstück nennen kann, ganz unser; das lasse ich nicht von mir, solange ich lebe. Es wird in dem großen Saal mit allem decorum aufgestellt werden. Der Merkur muß weichen und kommt in die Mitte von dem Saal, die Venus und der Adonis kommen auf die Seite, wo der Ganymed und der Apollino steht. Das Gemälde bleibt in seinem Kasten und es sollen es nur die sehen, die sehen können. Ich erzähle Ihnen alles so genau, weil ich weiß, daß er Ihnen Vergnügen machen wird. Lieber Freund, wann werden wir es wieder zusammen sehn?“

In einem Brief an Goethe vom 21. September kommt Angelika noch einmal auf die Aufstellung ihrer neuen Erwerbung zurück. „Der Saal ist nun in Ordnung,“ schreibt sie. „Daniel di Volterra ist aufgestellt in seinem Kasten, wo das große Architekturbild, so von Zucchi gemalt, gehangen“).

Ihre Absicht, den Schatz niemals wieder von sich zu lassen, hat die Künstlerin nicht ausgeführt. Tischbein, der glühende Bewunderer Ricciarellis, der Entdecker der Kreuzabnahme in S. Maria del Popolo, soll das Gemälde später zurückgekauft und mit sich nach Neapel genommen haben‘). Als nach der Flucht des Königs Ferdinand und der Eroberung Neapels durch die Franzosen Tischbein mit den Brüdern Hackert Neapel am 20. März 1799 verließ, hat er dort das schöne Bild zuriicklassen müssen.

(1) Diese aquarellierte Feder-Umrißzeichnung des Schweizers Heinrich Meyer, über dessen Freund- schaftsverhältnis zu Goethe Max Hecker ausführlich gehandelt hat (Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer, herausgegeben von Max Hecker. Erster Band 1788—1797, in den Schriften der Goethe- Gesellschaft Bd, 32), stellt die Gruppe der hingesunkenen Maria dar, der drei Frauen zu Hilfe kommen (Tafel 59, Abb. 3). Sie wird noch heute im Goethe-Nationalmuseum bewahrt. (Vgl. Chr, Schuchardt, Goethes Kunstsammign., Jena 1848, I, 332, Nr. 36). Der Direktor des Goethe-Nationalmuseums, Dr. Hans Wahl, hatte die Güte, eine Aufnahme der schönen Kopie für mich herstellen zu lassen; er gab mir auch über alle Einzelheiten bereitwilligst Auskunft. Größe des Blattes 68 >< 94 cm.

(2) Otto Harnack, Zur Nachgeschichte der italienischen Reise, a. a. O., 8. 46.

(3) Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 5, S. 59.

(4) Francis A. Gerard, Angelica Kauffmann. London 1892, 8. 221.

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So sagen die einen. Wahrscheinlicher aber ist es, daß Angelica’s Gemälde identisch ist mit einer Kreuzabnahme Daniellos, die sich im Jahre 1803 im Palazzo Farnese in Rom befand!). König Ferdinand von Neapel hatte in Rom eine größere Anzahl von Gemälden aufkaufen lassen, die damals im Palazzo Farnese provisorisch auf- gestellt wurden. Angelica Kaufmann hatte bei diesen Ankäufen geholfen; es ist wahrscheinlich, daß sie sich damals ihres Besitzes entäußert hat. Jedenfalls erwähnt Nagler Daniellos Kreuzabnahme in der Königlichen Sammlung zu Neapel und läßt uns wissen, daß die Komposition von dem Fresko in 8. Trinita de’ Monti wesentlich verschieden war?). |

Das ist die Geschichte vom Entstehen und Vergehen der Kreuz-Legende des Daniello da Volterra in S. Trinita de’ Monti. Während Vasari noch dem ganzen Freskenzyklus ‘eine gleichmäßige und gerechte Beurteilung zuteil werden läßt, hat sich später, besonders nach dem angeblichen Ausspruch von Poussin, die Aufmerksamkeit ausschließlich und allein der Kreuzabnahme zugewandt. Diese wurde beschrieben, gelobt und getadelt, diese wurde in Kupfer gestochen und in Öl kopiert. Von den übrigen Gemälden ist kaum noch die Rede, obwohl Vasari die Gewölbefresken über alle Begriffe schön genannt hat und die beiden Sibyllen über der Kreuzabnahme höher bewertete als alle übrigen Malereien der Kapelle.

Durch Ес еп wurde der Ausspruch Poussins willkürlich von Raffael und Do- menichino vielleicht auf eine mündliche Überlieferung sich stützend auf Ricciarelli ausgedehnt. Durch ihn und de Piles wurde die Legende in ganz Frank- reich verbreitet und seitdem in die gelesensten Bücher über Kunst in Frankreich, Italien und Deutschland aufgenommen. So wußte jeder gebildete Franzose, als im Jahre 1798 die Verklärung Christi und die Kommunion des hl. Hieronymus in den Louvre gelangt waren, daß das dritte Meisterwerk der italienischen Malerkunst noch in Rom zurückgeblieben war. |

Auch dieses noch an die Seine zu schleppen, wurde also den Kommissaren der siegreichen französischen Armee am Tiber aufgetragen. Um die Kreuzabnahme zu besitzen, wurden alle Malereien der Kreuz-Legende zerstört. Aber auch die Kreuzabnahme wurde schließlich nur noch als Ruine geborgen, und als solche ließ man sie endlich in Rom zurück. | |

So geschah es auf eine wunderliche Weise, daß die Franzosen auch das Haupt- werk des Malers Ricciarelli in Rom zugrunde richteten, nachdem sie bereits im Jahre 1792 das Hauptwerk des Bildhauers in Paris zerstört hatten. Wir haben damit eigentlich jede Vorstellung vom Kunstcharakter Ricciarellis verloren. Daniello da Volterra teilt in diesem Sinne das Schicksal seines Landsmannes Giulio Mazzoni, der für Karl VIII. von Frankreich, den Gründer von S. Trinità de’ Monti in Rom, in St.-Denis ein ehernes Denkmal gearbeitet hatte. Auch dieses nie genug zu preisende, nie genug zu beklagende Meisterwerk der italienischen Renaissance ist im Schicksalsjahre 1792 dem Schmelzofen überliefert worden.

(1) Vgl. A. Filangieri di Candida, La galleria Nazionale di Napoli in Le gallerie Italiane У (1902), S. 315. (a) Künstler-Lexikon, Bd. 13, 8. 119 —І20. Über die Flucht Tischbeins aus Neapel finden sich im Magazin encyclopédique 6¢.année Tom. IV (1800), S. 116 Einzelheiten, die seinen Biographen ent- gangen sind. Hier ist auch die Liste der Gemälde alter Meister abgedruckt, die er mit sich nahm. In Rinaldis’ vortrefflichem Katalog der Gemäldegalerie von Neapel habe ich die Kreuzabnahme Riccia- rellis vergeblich gesucht. In Rom hat sich eine Skizze der Kreuzabnahme beim Prinzen Giulio Palla- vieini erhalten. Vgl. Lafenestre et Richtenberger: Rome. Paris 1905, S. 246. Eine Kopie befand sich auch in Parma in Casa Boscoli. Vgl. Campori, Raccolta di cataloghi etc. Modena 1870, 8. 385.

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DER PLASTIKER DES HAMBURGER PETRI- (GRABOWER) ALTARES uno SEINE KUNST. LERISCHE HERKUNFT. von ALFRED ROHDE-Hamburg

Mit vierzehn Abbildungen auf drei Tafeln,

1. Meister Bertram von Minden.

ind die Gemälde des Hamburger Petri- (Grabower) Altares für uns eine Über-

raschung, so sind sie es doch nur im Vergleich mit der nordischen Kunst. Ver- glichen mit böhmischer Kunst, müssen wir einsehen, daß sie durch ihre typische Darstellung, die nicht den geringsten Ansatz zu individueller Gestaltung zeigt, weit hinter ihren Vorbildern im weiteren Sinne zurückbleiben ). Das setzt ihren Wert keineswegs herab. Größer aber ist unsere Überraschung, wenn wir den Altar- schrein öffnen. Eine Welt zeigt sich uns mit einem Reichtum plastischer und architektonischer Gestaltung, den wir, nach den Gemälden zu urteilen, nie geahnt hätten. 44 Propheten, Apostel und Heilige stehen in zwei Reihen rechts und links von einer einfachen, symmetrisch angeordneten Kreuzigung; eine Predella bringt sitzende Kirchenfürsten und eine Verkündigung, die obere Randleiste zeigt aus Dreipässen hervorlugende Jungfrauen und Propheten. Reiche Architektur gliedert und vereinigt das Ganze. Die erste Frage ist, wenn man nach den Gemälden die Plastiken betrachtet, die, ob ein und derselbe Meister solche Gemälde und zu- gleich solche Plastiken von so individueller Durchbildung schaffen kann. Licht- wark?) sagt: „Bertrams Werke sind wiederum das einzige sichere Beispiel aus · dem 14. Jahrhundert, daß ein Künstler zugleich den malerischen und den bild- hauerischen Teil eines Altarwerkes ausgeführt hat.“ Ein Beweis hierfür liegt nirgends vor, auch das einzige Zeugnis über Meister Bertram (Bernd Gyseke) bringt

(x) Der Verfasser hatte in einer 1914 abgeschlossenen, infolge der Kriegsereignisse erst 1916 ver- öffentlichten Dissertation auf die Verwandtschaft des Malers des Hamburger Petrialtares mit Böhmen bingewiesen und nachzuweisen versucht, daß im Prager Malerkreis insonderheit dem der Burg Karl- stein die Wiege seiner Kunst liegt. Neuerdings geht Heubach in einer Untersuchung „Die hamb, Malerei unter М. Bertram und ihre Beziehungen zu Böhmen“ im Jahrbuch der k.k. Zentralkommission 1918 annähernd denselben Weg. Auch Heise billigt in seiner Zusammenfassung des norddeutschen Materials, die er in seiner „Norddeutschen Malerei“, Leipzig 1916, gibt, diese Verwandtschaft. Die beiden erwähnten Arbeiten können hier um so eher ausgeschaltet werden, als sie beide den Plastiker Bertram ja nicht berücksichtigen. Nur ein prinzipieller Unterschied sei festgestellt. Heubach hält an der Identifikation des Meisters Bertram mit den Gemälden fest, ebenso Heise, ohne daß dieser aber eine Begründung gibt. Ich halte Bertram eher für den Plastiker. In dem Augenblick, wo man aber die Identifikation Heubachs und Heises falien läßt, kann der Maler die Höhe der Prager Kunst noch miterlebt haben und mag dann in den 70er Jahren nach dem Norden gegangen sein (1375 war Kaiser Karl in Lübeck!). Ich habe nachzuweisen versucht (Der Hamburger Petrialtar und Meister Bertram, Marburger Dissertation 1916), daß der Londoner Apokalypsenaltar wohl überhaupt nicht nach Ham- burg gehört, sondern tatsächlich ein böhmischer Altar ist aus dem Kreise des Theoderich, an dem unser Meister mitgearbeitet hat. Im deutschen Norden wirkte dann der Meister mit seinen malerischen Ideen vom Süden revolutionär. So kommt es, daß seine Spuren noch auf Jahrzehnte zu fühlen sind, bis er in Meister Franke, der mit Henselinus von Straßburg wie Heise möchte wohl nichts zu tun hat, einen neuen Vollender und zugleich Bahnbrecher einer neuen malerischen Idee findet, doch darüber bei anderer Gelegenheit.

(2) Lichtwark, Meister Bertram. Hamburg 1905, 8. 41.

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hierüber nichts. Der Gegensatz zwischen Malerei und Plastik am Petrialtar ist aber so groß, daß die Stellung Lichtwarks in dieser Frage heute kaum noch An- hänger findet.

Die bessere Bemeisterung des Kubischen ist sicher kein Grund, beide Künste Malerei und Plastik voneinander zu trennen, wenigstens nicht in der Zeit primi- tiver, fast handwerklicher Betätigung, mit der wir uns hier beschäftigen. Der Wesensunterschied der beiden Kunstzweige liegt einzig und allein in der Bemei- sterung des Dreidimensionalen. Und das bedarf für uns einer weiteren Einschrän- kung: der Plastiker lernt aus seinem Ideenkreise heraus und wird, wenn er auf der einen Seite so wundervoll plastisch gestaltet, nicht dieses auf der anderen Seite, nämlich bei den Gemälden, ganz ausschalten und z. B. das schematische Pausverfahren des Cennino Cennini anwenden, auf diese Weise alle Falten negieren und rein flächenhaft gestalten. Das widerspricht einfach seiner Kraft. In der plasti- schen Behandlung der Skulpturen liegt nun aber der ganze Wesensunterschied ver- borgen, nicht, daß die Gemälde etwa malerisch zu nennen sind: sie sind nur un- plastisch. Wenn also, vor dieser Schwierigkeit stehen wir, Plastiker und Maler eine Person sein sollen, so kann die kubische Behandlung der Skulpturen weit besser sein als die der Gemälde, diese haben aber und das haben wir jetzt zu unter- suchen stilkritisch mit den Plastiken völlig identisch zu sein.

Betrachten wir einmal den Harvestehuder Altar!) der Hamburger Kunsthalle. Auch hier haben wir Plastik und Malerei an einem Altar vereinigt. Jedoch welch ein Unterschied zwischen ihm und dem Petrialtar. Die Szene der Geburt Christi ist in der plastischen Gruppe gegeben. Ganz im Sinne der Gemälde möglichst personenarm. Rechts steht der alte Joseph, in dem man mit Leichtigkeit den Isaak oder den Joseph der Gemälde des Petrialtares wiedererkennt, links ruht, gegen zwei Kissen, die auf einer Schlafrolle liegen, gelehnt, Maria, zwischen den Händen das (jetzt verlorene) Christuskind haltend. Die Lücke zwischen den Per- sonen füllt eine Krippe mit einem Ochsen und einem Esel aus. Die Falten des Gewandes sind flach, fast nur etwas ausgekehlt behandelt. Die Gesichter sind ausdruckslos und mechanisch. Das männliche Gesicht ist von einem Vollbart um- geben und hat viereckiges Format, das weibliche ist oval gebildet und von herab- wallendem Haar umrahmt, das die Ohren verdeckt; in sich ist die Gruppe durch- aus nicht geschlossen, jede Figur steht für sich, keine kümmert sich um die andere, nur Joseph scheint in einer Handlung begriffen zu sein, ohne aber in ihr zu leben. Ebendieselbe Schlaffheit und tote Starrheit in der Bewegung finden wir ja auch in den Gemälden. Hier liegt der einzige Unterschied zwischen Malerei und Plastik in der Behandlung des Dreidimensionalen und wir können und müssen sagen, daß der Harvestehuder Altar das Werk ein und desselben Meisters ist. Er ist bald nach dem Petrialtar, vielleicht noch vor 1390 entstanden; dafür spricht folgendes: Das Zusammengehen von Malerei und Plastik beweist, daß hier der Maler des Petrialtares, also der Meister von 1379 beides geschaffen hat. In der Art der Faltengebung zeigt sich eine deutliche Anlehnung an den Meister der Plastiken des Petrialtares. Da aber die typische Bildung der Köpfe (z.B. des Joseph) durch- aus identisch geht mit denen des Meisters der Gemälde, wird .man schließen müssen, daß hier der letztere von seinem Mitarbeiter am Petrialtare gelernt hat. Die Datierung nach dem Petrialtar auf Grund des plastischen Mittelstücks ist umso

(1) Hamburger Kunsthalle. 1390 (?), siehe Lichtwark, a, a. O., S. 385—393. Seit der Entdeckung Bertrams galt er als dessen Werk.

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wichtiger, als man, von den Gemälden ausgehend, leicht zu einer Datierung vor dem Petrialtar kommen würde, da die Figur weit gröber, die Nase klobiger, über- haupt das ganze Bild nachlässiger gemalt ist. Da der Altar nur sehr geringe Dimensionen hat und für ein Kloster gemalt ist, so ist diese Flüchtigkeit immerhin zu verstehen.

Anders als beim Harvestehuder Altar ist es beim Petrialtar. Was diese Pla- stiken von den Gemälden unterscheidet, ist, daß sie ständig ein Freimachen von jeder typischen Darstellung und ein Streben nach individueller Bildung zeigen. Ein Kopf wie der des Ezechiel oder der des Jeremias läßt sich einfach mit keinem Kopf der Gemälde in Parallele stellen. Der Kopf ist bis in alle Einzelheiten hin- ein fein modelliert; durch die Art, wie die Augenbrauen und das Jochbein aus der Gesichtsfläche herausquellen, wie die Nase durch Kurven, Verdickungen, Verdün- nungen geformt, wie die Stirn hoch, rund und voll gearbeitet ist, wie der Bart sich in feinen Kräuseln um das untere Gesicht legt, kommt in das Ganze ein Zug von unglaublicher Straffheit hinein, für den wir bei den Gemälden keinen einzigen Beleg finden. Auch die heiligen drei Könige haben nicht die geringste Ähnlich- keit mit denen der Anbetung der Könige, obgleich die Könige der drei Hamburger Altäre trotz mancher Verschiedenheiten im einzelnen doch sich sehr nahe sind. Es liegt deshalb kein Grund vor, wenn die Plastiken von dem Meister der Ge- mälde sein sollten, warum die Könige des plastischen Werks!) nicht diese Ver- wandtschaft zeigen sollten. Ebenso steht es mit der Verkündigung. Wenn die Plastiken und die Gemälde von einem Meister wären, dann wäre es absolut nicht zu verstehen, warum die Verkündigung der Predella in ihrer Auffassung so gänz- lich verschieden ist von den sämtlichen Altären, die dem Meister Bertram im weiteren Sinne gefaßt mit mehr oder weniger Recht zugeschrieben werden. Der Petri-, der Harvestehuder, der Buxtehuder (und der Londoner) Altar stellen jedesmal wieder die vor einem Betschemel knieende Madonna dar, die Predella zeigt die thronende Madonna. Immer auf den Gemälden neigt Maria den Kopf zum Engel hin, nirgends findet sich die gerade und erhabene Haltung und der majestätische Gestus der rechten Hand wie bei den Plastiken. Stets hat der Engel ein Bein (das rechte) lang gestreckt, während er mit dem anderen kniet, der Engel der Plastiken kniet mit beiden Beinen. Den Thron der Madonna rechtfertige man nicht damit, daß die anderen Figuren der Predella auch auf Thronen sitzen, dann müßte logischerweise auch der Engel sitzend dargestellt sein, wogegen er aber auf einem grünen Hügel kniet. Gerade in ihrer einfachen Darstellung lag es sehr nahe, die Verkündigung analog der der Gemälde des Petrialtares zu bilden,

(т) Daß die Plastiken unter sich nicht einheitlich sind, schließt, was schon von anderen bemerkt wurde, auf Restauration; so stammen die Köpfe des Micha und des Hosea aus dem 16. Jahrhundert, wie in den Mitt. des Ver. f. Hamb. Gesch. 1908, 8. 135 bemerkt wird, von Jost Rogge. Diese Zu- schreibung darf als durchaus zutreffend bezeichnet werden, denn das J. К. der Restaurationsbemerkung, J- К. AO. 1596 kann nur einen Namen bedeuten. Die beiden Köpfe sind danach die einzigen Zeug- . nisse für den bisher nur als Namen bekannten Meister Rogge, der ı580 Bürger von Hamburg wurde. Die beiden Köpfe sind von außerordentlich großer Bedeutung, da sie stilistisch den Meister als einen Ausläufer der Brüggemannschen Auffassung zeigen. Über Rogge vergl. Lappenberg, Zeitschr. Bd.V, · 8. 256 und Mitt. 1908, S. 119; Laurent, Zeitschr., Bd. I, S. 166; Staphorst, Hamb. Kirchengesch., Bd. I, Teil 4, S. 524f. Am Altar haben schon zu Bertrams Zeit seine Schüler nitgearbeitet, besonders am Gewande der einzeinen Personen, das oft schematisch und gleich fällt, so z. В. ist das Gewand und die Stellung des Hosea nichts anderes als die Kopie des benachbarten Daniel.

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die beide Figuren ohne weitere Umgebung nur ein winziges Stück grüne Erde

ist zu sehen nebeneinander knieend wiedergibt. Und dann der Meister, der die gotische Architektur so fein bis in alle Einzel- heiten hinein ausmeißelt mag manches auch spätere Restauration sein und

so reich mit Fialen, Krabben und Fensterchen mit Rosetten ausgestaltet, malt nicht jene plumpen Türmchen, jene schmucklosen Rundbogenfenster oder dürftigen Krabben an dürren Stengeln, wie wir sie auf dem Baldachin des Bildes Isaak und Esau sehen. Wohl aber ist es möglich, daß der Meister der Bilder von seinem Mitarbeiter sich hat beeinflussen lassen!), und daß man so die Baldachine, die oft so ganz unorganisch im Bilde schweben, erklären kann. Gerade das Problem des Baldachins ist auf den Bildern so ganz anders, viel rückständiger gelöst als bei den Plastiken,

Mit der Trennung von Malerei und Plastik beim Petrialtar tritt natürlich hinter den Namen des Meisters Bertram ein Fragezeichen. Absolut kann man diesen Namen nicht vom Altar trennen. Es fragt sich nur, ob er mit dem Meister der Plastiken oder dem der Gemälde zu identifizieren ist. Bei den Aufträgen, die Meister Bertram oder Bertrammus pictor, wie ihn die Kämmereirechnungen nennen, von der Stadt bekommt, scheinen mir, wo es sich um selbständige Arbeiten han- delt, die Plastiken vorzuwiegen. Der Name pictor oder maler sagt ja zu jener Zeit nichts, denn in diesem Ausdruck waren sowohl Maler als auch Bildschnitzer eingeschlossen. Heißt es in der ältesten Malerrolle von 1375 (Rüdiger, S. 91): „Vortmer де malere scolem ere belde snyden unde howen laten van gudene ekene holte usw.“, so mag es ja noch zweifelhaft sein, ob das snyden hier plastisch schnitzen be- deutet oder wegen des laten nur auf die Holztafel als Material, auf das gemalt wird, zu beziehen ist. Keinen Zweifel läßt jedoch die Rolle von 1458 (?) zu, die besagt: „Vortmer wellik maler de snedene bilde malen wil edder brede platwerk usw.“ Hier wird also der „Maler“, der geschnitztes Werk anfertigt, von dem „Maler“, der Tafelwerk, also Gemälde, malt, unterschieden, aber für beide der Ausdruck Maler angewandt. Brüggemann, der ausgesprochen Bildschnitzer ist, wird in den Ur- kunden „pictor et caelator“ genannt und in dem Worte „Bildensnyder“ wirkt diese Zweiheit noch nach. Selbst wo Bertram sich als Maler tätig zeigt, handelt es sich meistens um Aufarbeiten und Anmalen von Plastiken: so bei der heiligen Maria ante milderdor, dem Engel super domum consulum, dem Roland, der heiligen Maria stante ante valvam Lubicensem in muro. Dann schafft er neu einen heiligen Chri- stopherus und einen Salvator, da es ausdrücklich heißt: ad faciendum et depingen- dum, so kann gar kein Zweifel darüber sein, daß wir es hier mit Plastiken zu tun haben. Die einzige Stelle, die auf Bilder schließen ließe: ad faciendum tres yma- gines, ist ebenfalls zum mindesten unklar, da auch das Wort ymago im 14. Jahr- hundert genau so wie pictor sowohl Gemälde als auch Plastiken bezeichnen kann. Auch hat Lappenberg?), der noch kein Bild des Meisters kannte, also in dieser Frage noch unvoreingenommen war, auf Grund der Kämmereirechnungen Meister Bertram für einen Bildschnitzer gehalten: „seine bisher bezeichneten Werke lassen in dem hier angeführten nicht eine flache Tafel, sondern ein Bildschnitzwerk, das er entworfen, geschnitten und gemalt hatte, vermuten.“

: (х) Der einzige ältere Forscher, der am Petrialtar die Trennung des Malers vom Bildhauer andeutet, ist Aldenhoven. Er begründet sie nicht und führt sie auch nicht durch, aber er sagt doch deutlich genug, daß beim Petrifiltar der Maler viel vom Bildhauer gelernt mabe: Zugleich bringt er den Maler in sehr engen Zusammenhang zur böhmischen Kunst.

(2) Lappenberg, а. a. O., S. 244/45. Reincke, Zeitschr. f. Hamb. Gesch., Bd. ХХІ, 8. 112.

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Die Beibehaltung des Namens Bertram für die Plastiken kann immerhin auch nur eine sehr lose und unbestimmte sein. Sie hat die eine Voraussetzung, daß man dem Chronisten unbedingt Glauben schenken darf. Wenn aus den Kämmerei- rechnungen hervorzugehen scheint, daß Bertrammus pictor ein Bildschnitzer war, so machen wir die zweite Voraussetzung, daß Bertram von Minden und Bertram- mus pictor ein und dieselbe Person sind, eine Voraussetzung, die sich völlig ein- wandfrei keineswegs bekräftigen läßt, die aber immer gemacht ist und die man ernstlich wohl nicht in Abrede stellen wird. Unter diesen Voraussetzungen mag die Möglichheit aufkommen, daß Meister Bertram der Meister der Plastiken ist. Macht man nur die erste Voraussetzung, so könnte man sogar soweit gehen zu behaupten, daß Meister Bertram möglicherweise nur der vielleicht künstlerisch wenig begabte Besitzer einer großen Werkstatt war, in der neben vielen ein hervorragender Maler die Gemälde des Petrialtares und neben vielen ein hervor- ragender Plastiker den bildnerischen Teil des Petrialtares ausführte. Bertram lieferte dann den Stempel, der den Altar als aus seiner Werkstatt hervorgegangen kennzeichnete. In diesem Sinne schrieb dann der Chronist: „de se makede hetede mester Bartram уап Mynden.“ Einen besonderen Wert lege ich auf die Fest- haltung des Meisters Bertram für die Plastiken nicht, wenngleich ich sie der Klar- heit halber durchführe. In der Forschung bringt uns diese Identifikation, wie wir sehen werden, vorerst noch keinen Schritt weiter, sie kann deshalb nur eine Frage der Museumskatalogisierung sein.

Und doch scheint die archivale Forschung wieder zur Geltung zu kommen. Finden wir für die Gemälde in Westfalen keinen Anhaltspunkt, so finden wir sie für die Plastiken in Minden selbst. Der Klappaltar des Domes zu Minden!) trägt in einigen Teilen seine Fertigstellung erstreckt sich vom 13. bis ins 15. Jahrhun- dert die Züge des Meisters Bertram, und auch die Figuren am Westportal der Busdorfkirche zu Paderborn?) zeigen besonders in dem hervorstehenden Joch- bein und dem zweigeteilten Bart Petri die Züge des Hamburger Meisters. Sonst finden sich keine Parallelen in Westfalen, so daß man aus diesen Zusammen- hängen wenig schließen kann. Die Frage der künstlerischen Herkunft des Meisters der Plastiken ist überhaupt weit komplizierter als die des Meisters der Gemälde; denn sie fällt im Grunde genommen mit der Frage der Herkunft des Schnitz- altares zusammen. Es muß schon auffallen, daß der ganze Süden bei dieser Frage von vornherein ausschaltet, denn in Frankreich, Italien und Böhmen gibt es im 14. Jahrhundert so gut wie gar keine Schnitzaltäre, und es nimmt wunder, daß wir, je weiter wir nach Norden kommen, desto mehr Altäre aus früher Zeit finden: so in Mecklenburg und in Holstein. Und oft zeigen diese die typische Anlage wie auch bei Bertram: in ein oder zwei Reihen stehen Apostel und Heilige oft sogar wie bei Bertram unter zweiseitigen Baldachinen rechts und links v von einem Mittel- bild, das entweder eine Maria oder eine Kreuzigung zeigt.

П. Bertrams künstlerische Herkunft.

Aus der schwachen Verwandtschaft mit dem Mindener Altar wird man nicht der archivalen Forschung zuliebe auf ein Schulverhältnis zu dem Meister dieses Altares schließen, zumal unsere Identifikation doch nur eine mehr oder weniger hypothetische ‚sein kann. Ebenso negativ sind die Resultate, wenn man öster- reichische oder französische Plastiken vergleicht.

(х) Abb. Inventarverzeichnis Westfalen, Bd. ХШ. Taf. 23—25. (а) Abb. Inventarverzeichnis Westfalen, Bd. IX, Taf. 93.

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Jedoch im deutschen Norden, der wohl die eigentliche Heimat wie des Backstein- baus so auch der Holzplastik war, finden wir an einer Stelle Plastiken, die uns veranlassen werden, hier Bertrams ersten Wirkungskreis zu suchen: es ist dies das alte Zisterzienserkloster Doberan 1). Schon Lichtwark glaubte Beziehungen des Meisters zum Laienaltar gefunden zu haben?), jedoch sind diese so ober- flächlicher Natur, daß man sie lieber leugnen möchte. Wenn hier in einem Relief Abrahams Opfer in der Weise dargestellt wird, daß Isaak auf dem Altare liegt, Abraham im Begriff ist, seinen Sohn zu töten, aus den Wolken ein Engel sein Schwert packt, während in einem Baum ein Widder hängt, und der Meister der Gemälde des Petrialtares dieselben Momente benutzt, so haben wir in beiden Fällen die Gleichheit auf den biblischen Text zurückzuführen, ohne von einer Abhängig- keit reden zu können, oder nun daraus schließen zu wollen, die Plastiken des Laienaltares seien von dem Hamburger Meister. Außerdem darf man nicht ver- kennen, daß z. B. Adam und Eva von Doberan in ihrer schwammig - schlaffen Körperbehandlung selbst hinter den Akten der Hamburger Gemälde zurückstehen, ganz zu schweigen von einem fein durchgebildeten Körper wie dem des Christus am Kreuz der Plastiken.

Dem Laienaltar gegenüber steht im Chor der Kirche der Hauptaltar und neben diesem®) das kostbare Sakramentshaus. Diese steil aufsteigende Monstranz, aus Eichenholz geschnitzt und vergoldet, ist 11,60 m hoch und aus feinen Bögen, Fialen und Strebepfeilern in strengster Hochgotik zierlich und leicht zusammen- gesetzt. Die beiden unteren Etagen sind von einem Kranz von Figuren umgeben, die man erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich wieder zusammenfand. Bei der Restauration von 1847 fehlten von ı2 Figuren nicht weniger als fünf. Eine Figur fehlt heute noch und ist durch den heiligen Bernhard ergänzt. Die heutige Anordnung ist die des то. Jahrhunderts, da es nur feststand, daß die sitzenden Figuren unten angebracht waren. Die stehenden Figuren sind Maria, Johannes Evangelistus, Paulus, Jakobus der Ältere, Gregor, Johannes Baptistus; die sitzenden sind Debora, Bernhard, Melchisedek, David, Abel, Benedikt. Das Sakramentshaus, das wie die besten Doberaner Plastiken aus den боег Jahren des 14. Jahrhunderts stammt darüber weiter unten zeigt nun mit dem

(x) Die wichtigste Literatur ist bei Schlie, Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg, 1900, Bd. III, S.511—68r viel gestreift und auch zusammengestellt. Eine gute, zu- ` sammenfassende Behandlung der künstlerischen Entwicklung Doberans liegt nirgends vor, auch Schlie gibt trotz der Ausführlichkeit nur eine allerdings durchaus zuverlässige Inhaltsbestimmung der Werke, auf die ein Inventarverzeichnis sich ja ohne Zweifel zu beschränken hat. Die meisten anderen Aufsätze beziehen sich auf die geschichtliche und kulturhistorische Entwicklung des Klosters. Lisch’s große Zahl von Aufsätzen ist im Mecklenburgischen Jahrbuch erschienen (der letzte erschien im 39. Bande). Ludwig Dolberg veröffentlichte seine Aufsätze in den Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Zisterzienserorden (vom 10. bis zum 19. Bande). Besonders sei hingewiesen auf den im 10. Bande erschienenen Aufsatz (8. 398—414, 553—557), „zur Kunst der Zisterzienser mit besonderer Rücksicht auf deren Werke in ihrer Abtei Doberan.“ Wir können natürlich den Doberaner Kunstkreis nur insoweit berücksichtigen, als er stilistisch mit Bertram im engsten Zu- sammenhang steht und müssen uns daher auch an manchen Stellen, wo wir im Gegensatz zu Schlie usw. stehen, einer eingehenderen Begründung enthalten. Die nötigsten Photographien können wir nach eigenen Aufnahmen geben; eine Beschränkung im Sinne unserer Aufgabe war natürlich auch hier notwendig.

(2) Lichtwark, a. a. O., S. 161 ff.

(3) Links, wenn man vor dem Hochaltar steht, etwas vor den Altar gerückt. Eine Gesamtaufnahme gibt Schlie, a. а, О., 8.598. Das Sakramentshaus ist das erste seiner Art in Deutschland.

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Petrialtar eine Verwandtschaft, die von der allgemeinen Anordnung bis in alle Einzelheiten hineingeht. Schon die Trennung in sitzende und stehende Figuren ist charakteristisch. Sind die stehenden Figuren fast rundplastisch behandelt, so beanspruchen die kleineren sitzenden einen größeren Raum, sind daher breiter und flächiger geworden.

Von Doberan ausgehend wird uns die ganze Mystik klar, von der die Predella des Petrialtares durchzogen ist. „Ich bin noch nicht in der Lage,“ sagt Licht- wark!) einmal, „auf die Fragen, die die thronende Versammlung der Predella anregt, eine Antwort zu geben. Doch habe ich den Eindruck, daß es sich bei der Auswahl um das Bekenntnis eines Mystikers handelt.“ Die Anwesenheit des heiligen Bernhard fällt ihm auf wie auch die Auslassung des heiligen Franziskus. „Wer die Sprüche aneinanderreiht, hat das Bekenntnis eines Menschen vor sich, für den es keine äußere Sicherheit gibt, der das Heil nicht in einer mechanischen Richtigkeit der Lebensführung sucht, sondern im Zustand der Seele, der das Wirken der Gnade anerkennt und der sich bescheidet, das Tiefste nicht zu be- weisen. „Ein Stück theologischer Psychologie.“ Und wie sehr sind die Doberaner Spruchbänder von demselben Geiste durchweht wie die der Predella des Petrialtares! „Habe sanitatem et fac omnia quae vis“, dieser Predigt von der Gesundheit der Seele, die uns das Spruchband des Augustinus bei Bertram zeigt, steht ein „qui sanat mentes humiles cibet esurientes“ der Maria von Doberan gegen- über. Das „nescimus quo fine claudemus in hoc exilio“ zeigt dieselbe Auffassung von der Welt als Verbannung, als Sündental wie das „hostia fit munda qui tollit crimina nostra.“ Dieses „Munda qui tollit crimina nostra“ spiegelt ein Stück Doberaner Geschichte wieder. Die materielle wie künstlerische Blüte des Zister- zienserklosters fällt in die Jahre vor 1368. Aber mitten in diese Zeit fallen wütende Kämpfe völkischer Elemente, die mit erbittertster Todfeindschaft voll unglaublicher Barbarei und Rohheit ausgeführt wurden. Es ist die Schattenseite dieses erhabenen Glanzes, den noch heute jeder spürt, der den herrlich weit- und hochräumigen Backsteinbau betritt. Und die Männer, die jahrzehntelang die schmachvollsten Verbrechen begangen haben, waren niedersächsische und wendische Mönche des Klosters selbst. Diese Parteikämpfe haben den Künstler zu einem „hostia fit munda qui tollit crimina nostra“ veranlaßt, das er Johannes dem Täufer in den Mund legt, ein Spruch, der nicht als Symbol des Täufers aufgefaßt werden kann. Nur schwach, aber aus demselben Geiste heraus, vergleicht der Hamburger Meister die Welt mit einem „Exilium“, aber auf dem Spruchbande des heiligen Ambrosius, während der Täufer, aus seiner Person heraus logischer entwickelt, die Welt an ein „facite fructum dignum penitentie“ ermahnt. Von Doberan kom- mend, kann die Anwesenheit des heiligen Bernhard in der Predella des Petri- altares nicht mehr auffallen, denn er ist zusammen mit Benedikt, der auch in der Hamburger Predella neben ihm sitzt, einer der Heiligen der Zisterzienser, und in Doberan nehmen beide die erste Stelle unter den Heiligen ein. Die Doberaner Kirche hatte deren fünf: Bernhard, Benedikt, Johannes Evangelistus, Johannes Bap- tistus und Maria; und sehen wir uns die Hamburger Predella an: sie sind alle vor- handen mit Ausnahme des Evangelisten Johannes, der aber im Hauptaltar zu finden ist, und noch dazu sind die Heiligen insofern ziemlich vereinigt, als sie auf der rechten Hälfte angeordnet sind: neben Maria sitzt Johannes der Täufer, Benedikt neben Bernhard. Die Maria, obwohl neben dem Verkündigungsengel, ist nicht die

(x) Lichtwark, a, а. O., S. 319.

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Jungfrau Maria der Verkündigung. Der Doberaner Meister stellt sie bekrönten Hauptes, die Hände gefaltet, aufrecht stehend dar, auch Bertram fühlt in ihr die Schutzheilige, wie die anderen Figuren sitzt sie daher auf dem Thron, erhaben, gerade, voll Würde, ohne sich um den Engel zu kiimmern.

Der heilige Bernhard des Doberaner Sakramentshauses wird umstritten. Er ist im 19. Jahrhundert geschaffen und an die Stelle einer unauffindbaren Figur gesetzt. Da die oberen Figuren neben dem Papste Gregor fiinf Vertreter des Neuen Testa- mentes bringen, so möchten Schlie und vor ihm Dolberg den heiligen Bernhard „aus Gründen typologischer Komposition, wovon dies Tabernakel ebenso beherrscht ist wie der Altar“, durch eine alttestamentliche Figur ersetzt wissen. Wir hätten dann auch in der unteren Reihe den heiligen Benedikt neben fünf Vertretern des Alten Bundes; das wäre wohl anzuerkennen, wenn wir uns so nicht eine Un- stimmigkeit zuschulden kommen ließen. Unter den Figuren, wie sie Schlie wünscht, würden wir nämlich nur vier Schutzheilige der Kirche finden, nämlich die beiden Johannes, Maria und Benedikt; es wäre unverständlich, warum gerade der wichtige Bernhard fehlen sollte, zumal sie alle auf den Außenflügeln des Hauptaltares vor- handen waren (hier tritt zu ihnen der heilige Andreas). Da der Künstler nun einmal wohl aus klerikalen Gründen verpflichtet war, den heiligen Gregor an- zubringen aus klerikalen Gründen schließen wir daraus, weil er in der oberen Reihe des Hochaltares ebenfalls vorhanden und den Aposteln vorangestellt ist so mußte er, um Bernhard nicht auszulassen, eine alttestamentliche Figur fallen lassen; denn es ist, wie wir noch sehen werden, völlig unmöglich, Gregor etwa zum Bernhard umzutaufen, wie man erst später den Abel richtig erkannt hat, der vorher als heilige Agnes fungierte. Den heiligen Bernhard möchten wir daher als gesichert hinnehmen, und es scheint uns müßig, mit Schlie zu raten, welcher von den vielen Aposteln, ob Salomo, ob Moses usw. hier gestanden haben. Frag- lich muß es allerdings bleiben, ob die Rekonstruktion des Bernhard von 1847 an- gebracht und ob sie richtig war. Aus Analogieschlüssen mit Bertram möchten wir behaupten, daß der heutige Bernhard im ganzen als verfehlt angesehen werden muß. Da das Tabernakel heute nur als Kunstgegenstand anzusehen ist, das keinerlei Nutzzweck verfolgt, so hätte man besser getan, diese Stelle freizulassen wie auch die gänzlich fehlenden Spruchbänder bei David, Jakobus und Paulus nicht zu er- gänzen; dazu kommt noch, daß die ganze farbige Restauration, so reich und prächtig sie dem Laien auch erscheinen mag, durchaus unerfreulich ist.

Die Predella des Petrialtares nennt Lichtwark das Bekenntnis eines Mystikers, und dieser Mystiker ist Bertram selbst. War bei dem Hauptteil des Altares die Anordnung und Auswahl der darzustellenden Figuren vom Auftraggeber vor- geschrieben, so war dem Meister in der Predella eine größere Freiheit geboten. Denn weder Bernhard noch Benedikt, noch die meisten anderen Figuren der Pre- della begegnen uns in Hamburg irgendwo wieder: sie sind von Bertram selbst hierher gebracht worden!). Und wo finden wir in dem Hauptteile des Altares

(1) Es wäre nicht unmöglich, daß Bertram selbst ursprünglich Klosterbruder von Doberan war, da die Zisterzienser stets bedeutende Pfleger der Kunst (mit Ausnahme der Malerei allerdings) waren und ihre Brüder selbst sich oft künstlerisch betätigten. Doch ist dies nur eine Vermutung, die sich schwerlich tiefer begründen läßt und die wir deshalb auch nicht weiter verfolgt haben. Immerhin hat er nach den bestehenden Nachrichten auch in Hamburg noch sehr enge Beziehungen zur Kirche gehabt: so erwähnt er im Testament die Brüderschaft des Heiligen Leichnams, dessen Vorsteher Lammespringhe er zu seinem Testamentsvolistrecker einsetzte. Die Veranlassung zu seinem ersten Testament ist eine Wallfahrt nach Rom, die er um seiner Seele willen machen will. In den Käm-

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jene Mystik, von der die Predella durchzogen ist und die in ihrer Absonderlichkeit eine schwere Kluft zwischen Predella und Altar aufreißt, so daß man, wenn nicht stilistische Gründe widersprächen, geneigt wäre, hier zwei Meister zu scheiden? Diese Kluft rührt eben daher, daß unten der Meister selbst schaltet und waltet, während ihm oben ein Auftraggeber den Weg weist. Will man daher Bertram in seiner ureigensten schöpferischen Veranlagung kennen lernen, so muß man sich der Predella des Petrialtares zuwenden.

Diese ganze geistige Verwandtschaft des Hamburger Künstlers mit dem Dar- stellungskreis von Doberan braucht natürlich nicht ohne weiteres als Schulverhältnis mit einem Doberaner Meister ausgelegt zu werden, zum mindesten weist sie aber auf eine wenn auch noch so kurze Anwesenheit des Meisters in Doberan hin.

Diese verstärkt sich erst überzeugend zu einem Schulzusammenhang, wenn wir die Figuren des Sakramentshauses mit denen des Petrialtares vergleichen. Die Scheidung von sitzenden und stehenden Figuren in ein Unten, und Oben haben wir schon als übereinstimmend bemerkt. Ähnlich steht es mit den Baldachinen!): die sitzenden Figuren haben einen einfachen, flächigen Bogen, während die stehen- den Figuren von einem zweiseitigen Baldachin überragt sind. Der Doberaner Baldachin ist dem von Hamburg in seiner Anlage durchaus gleich. Die beiden Seiten bestehen aus je einem dreipässigen Bogen, der in Doberan steiler gezogen ist als in Hamburg, die Spitze des Bogens findet seine Fortsetzung in einem Stengel, der zwei Paar Krabben und eine Schlußkrabbe aufweist. Bei dem ersten Krabbenpaar wird die Vertikallinie der ganzen Anlage durch eine starke Horizon- tale scharf und schroff unterbrochen. Der hier beginnende zweite Teil des Bal- dachins, in den das untere Krabbenwerk hineinwächst, besteht aus einfachem Maß- werk, das in Hamburg aus nebeneinander gestellten gotischen Fenstern, in Doberan aus einfachen Stäben gebildet ist; bei beiden ist aber auch hier der ruhige Verti- kalismus vollkommen übereinstimmend. Dieses Maßwerk ist dann wieder von scharfen Horizontalen begrenzt, die einen Kranz regelmäßig gebildeter, hochstehen- der Krabben trägt. Die Ecke, in der die beiden Seiten des Baldachins zusammen- treffen, ist verdeckt durch ein schlankes Türmchen, das in eine zierliche, mit kleinen Krabben reich besetzte Kreuzblume ausläuft, deren Ende zugleich wieder die Mitte des obersten Kranzabschlusses markiert. Wenn man die Architektur des Doberaner Sakramentshauses mit anderen des 14. Jahrhunderts vergleicht, so wird man sehr wesentliche Unterschiede finden. Der Doberaner Hochaltar kommt weniger in Betracht, da sich die untere Reihe, die der Zeit des Sakramentshauses entspricht, der Baldachinbildung der oberen Reihe anschließen mußte. Am näch- sten steht noch der Grönauer Altar des Lübecker Museums). Wenn wir die Mitte des flächigen Baldachins vörziehen würden, so hätten wir in der Bildung des Vertikalismus, in der Trennung von Unter- und Obergeschoß die gleiche An- lage, die nur durch den Dreiecksgiebel und durch das Gestänge über dem oberen Kranzabschluß etwas verwischt erscheint. Auch die Art, wie bei dem Sakraments-

mereirechnungen erhält er oft den Titel Magister, vielleicht darf man auch hieraus einen Schluß auf seine geistige Stellung, die weit über die eines einfachen Handwerkers hinauszugehen scheint, machen, wenngleich sich der Titel Magister wobl in erster Linie auf seine Amtstätigkeit in seiner Zunft bezieht, (1) Diese sind leider auf den Aufnahmen nicht vollständig zu sehen, daher ist auch die Gesamt- aufnahme bei Schlie zu Rate zu ziehen.

(2) Abb. Schäfer, Jahresbericht des Lübecker Museums 1913, 8. 15. Auf ihn und seine Bedeutung für die Datierung anderer Altäre wurde ich von Herrn Direktor Schäfer freundlichst aufmerksam ge- macht. Er konnte auch mehrfach zu diesem Zweck herangezogen werden.

haus das Brett, das die einzelnen Figuren trennt, durch eine schlanke Fiale ver- deckt ist, stimmt mit Hamburg überein, wenn auch die Einzelheiten sich dadurch unterscheiden, daß in Doberan die Fiale bis zur ersten Querleiste hochgezogen ist, während sie beim Petrialtar nur bis zum Anfang des Baldachins geht und hier eine neue Fiale ansetzt. Der Grönauer Altar 2. В. wie auch der Doberaner Hoch- altar bilden die Trennungsleiste wie einen Strebepfeiler und setzen erst die Fiale beim Ansatz des Baldachins auf. |

Wie die Architektur, so zeigen auch die Figuren selbst eine innige Verwandt- schaft. Im Gewande des Doberaner Meisters zeigt sich oft jene fast rechtwinklige Brechung, die wir bei Bertram so häufig finden und die so interessante Ab- wechselungen in die Eintönigkeit nebeneinander gestellter Figuren bringt. Quer- falten mit hohen Kämmen wechseln ab mit lang herabfallenden Falten, die oben schmal ansetzen und unten breit aufstoßen. Meistens ist nur ein Fuß etwas zu sehen, während sich der andere unter dem Gewande verbirgt; auf diesem hervor- stehenden Fuß bricht sich das Gewand und bildet eine Querfalte. Eine weitere merkwürdige Falte läuft bei lang herabfallenden Gewändern von der Hüfte zum Schritt und markiert so den Ansatz des Oberschenkels. In Doberan finden wir diese Falte, die wir am Hochaltar nie finden, z. B. bei Jakobus dem Älteren und Gregor; Bertram bringt sie unter anderem bei Jakobus dem Älteren und Daniel. Wenn man die ganze Figur betrachtet, so ist der Schwung der gebogenen Stellung in Doberan noch nicht in dem Maße vorhanden wie beim Petrialtar, aber der charakteristische Gesichtsausdruck, der stets etwas von Energie und Betätigung zeigt, durch das hervorstehende Jochbein, den trotz des ihn umwallenden Bartes ` doch sichtbaren, häufig geöffneten Mund, das offene, sehende Auge, die faltige, denkende Stirn, zeigen doch schon eine unverkennbare Verwandtschaft mit Bertram. Man braucht nur den Johannes Baptistus von Doberan anzusehen und mit einem Gesicht wie dem des Ezechiel oder einem Gewande wie dem des Jesaias bei Bertram zu vergleichen. Für einen besonderen Vergleich möchten wir den heiligen Gregor herausgreifen, da dieser für uns am fruchtbarsten ist. Die Anwesenheit des Gregor in der Predella, so befremdend sie anfangs sein mag, kann uns nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, daß er in Doberan zweimal vorkommt. Die beiden Gregore in Doberan von zwei verschiedenen Meistern!) zeigen uns zugleich, daß es für die Darstellumg dieses Papstes keinen zwingenden Normaltypus gab wie für die Apostel. Daher stellt der Meister des Hochaltares: seinen Gregor als stolzen Papst dar mit reichem Ober- und Untergewand, von der Tiara gekrönt, als Papst trägt er ein glatt rasiertes Gesicht. Wie anders der ruhige und be- scheidene Gregor des Sakramentshauses. Nur der Schlüssel erinnert uns daran, daß wir vor dem Nachfolger Petri stehen. Im übrigen ist er bärtig wie die Apostel. Einen weiteren Schritt tut noch der Gregor des Meisters Bertram. Hier ist auch noch der Schlüssel fortgefallen, und der versonnene Kirchenfürst will weiter nichts, als möglichst .eindringlich auf sein Weisheitssprüchlein, „gracia non negligit quos possidet“ hinweisen. Stünde nicht zu seinen Füßen in weißen Lettern „sanctus Gregorius“, wir würden ihn kaum für Gregor halten; zugleich zeigt aber die weitere Verwandtschaft, daß die Doberaner Figur richtig bestimmt ist. Bei beiden Pla- stiken teilt sich das Obergewand in der Höhe der Brust nach unten schräg aus-

(1) Allerdings sind diese beiden Meister sehr verwandt, wohl infolge der Gemeinsamkeit des Klosters. Es ist hier nicht der Platz, auf diese schwierige Frage weiter einzugehen. Die schärfsten Gegen- sätze, die eine Scheidung beider bedingt, werden noch berührt.

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einander, um Schulter und Nacken legt sich ein Tuch mit Querfalten. Das Gesicht ist von wallenden Haarlocken umgeben. Als Kopfbedeckung dient eine Mütze, nicht die Tiara der Päpste, und unter ihr sehen wir bei beiden Figuren gleich ge- bildete, nach oben gekrümmte Haarlocken hervorkommen. Das lange Untergewand mit der aufstoßenden, gebogenen Falte vergleicht man am besten mit dem Ge- wande Joels bei Bertram.

Die Datierung des Sakramentshauses schwankt. Schlie möchte es sogar vor 1350 ansetzen; als eine Grenze dürfen wir 1368, das Vollendungsjahr der Kirche, an- sehen. Die innige Verwandtschaft mit Bertram bringt uns eine ziemlich sichere Datierung des Doberaner Sakramentshauses. Wir haben keinen zwingenden Grund, an der Identifikation des Bartram van Mynden mit dem Bertrammus pictor der Kämmereirechnungen zu zweifeln. Danach wird aber Bertram zum erstenmal 1367 in Hamburg erwähnt. Wir haben also 1367 als die äußerste Grenze nach der einen Seite hin anzunehmen. Nach der anderen Seite werden wir 1360 annehmen, denn noch im Petrialtar entfernt sich der Schüler nicht allzuweit von seinem Lehrer, so daß wir nicht mehr als 20 Jahre als Zwischenraum annehmen möchten. Das Doberaner Sakramentshaus ist demnach zwischen 1360 und 1367 entstanden, Gleichzeitig haben wir uns den Umbau des Hochaltares zu denken. Man kann Schlie durchaus beipflichten, wenn er die oberen Partien des Hochaltares wegen ihrer sehr mittelalterlichen Formen noch in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts setzt. Die untere Apostelreihe muß ebenfalls schon vor 1367 hinzugekommen sein, weil auch sie unverkennbar auf Bertram eingewirkt hat. Dieser Meister der Dobe- raner Apostel versucht nämlich noch mehr Bewegung und Brechung in die Figuren zu bringen dadurch, daß er sie nicht statuarisch nebeneinander stellt. Er läßt sie schreiten, sie ein Bein vor das andere stellen oder die Beine nach hinten kreuzen, wodurch sich das Gewand auch mehr auf dem gebogenen Knie bricht. Sein Kopf hat dadurch auch noch etwas Charakteristisches, daß er flach schräg nach hinten abgeschnitten ist. Beides finden wir am Sakramentshaus nicht, wohl aber später sehr häufig am Petrialtar. Da die Apostel des Doberaner Hochaltares aber weder mit den Figuren des Hochaltares, noch mit denen des Sakramentshauses stilistisch identisch sind, werden wir für Bertram folgendes schließen: Er hat in den 6oer Jahren des 14. Jahrhunderts bei dem Meister des Doberaner Sakramentshauses ge- lernt; an der Ausarbeitung der Figuren hat er selbst einen regen Anteil gehabt, der sich besonders in den Gewandpartien, aber auch in einzelnen Köpfen (Jakobus der Ältere, Paulus, Johannes der Täufer) sehr bemerkbar macht. Hier in Doberan hat Bertram auch jene beiden Eigenarten des Meisters der Apostel angenommen, von denen schon die Rede war.

Der Petrialtar hat als Krönungsleiste einen eigenartigen Abschluß, der sich sonst bei keinem Altar findet: aus Kreisen kommen Propheten und Jungfrauen heraus, von denen die Köpfe, Schultern und Hände zu sehen sind, die sich auf breite Bänder stützen. Genau dieselbe Erscheinung haben wir am Chorgestühl der Dobe- raner Kirche ebenfalls als Bekrönung, hier des Baldachins 1). Diese Bekrönung des Petrialtares können wir ebenfalls auf Intentionen des Meisters selbst zurück- führen; denn nachdem er die mittleren Kreise mit den fünf törichten und den fünf klugen Jungfrauen gefüllt hat, bringt er in den übrigen Kreisen, um auch diese zu füllen, zehn Propheten an, trotzdem er diese schon im Hauptteil seines Werkes angebracht hat. _

(х) Schlie, a. а. O., 8. 591.

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Wer der Meister des Sakramentshauses war, wissen wir nicht; aus der Voll- kommenheit seiner Kunst heraus zu schließen, daß er ein Lübecker gewesen sei, erscheint uns unbegründet, da wir aus dieser Zeit kein Werk dem seinen an die Seite stellen können. Auch die Baugeschichte der Kirche weist, nachdem sich die Gestalt des Baumeisters Peter Wiese aus Lübeck als sagenhaft herausgestellt hat, keinerlei Beziehungen zu Lübeck auf. In manchen Teilen, wie beson- ders im Polygon des Kapellenkranzes mit seiner Überdachung, ist die Verwandt- schaft mit Schwerin, Wismar und Rostock weit größer als mit der Lübecker Marien- kirche. Aber der Kirchenbau selbst braucht ja noch nicht notwendigerweise einen Schluß auf die Plastiken der inneren Ausstattung zuzulassen. Wir werden uns daher bescheiden, die Frage des Sakramentshausmeisters noch offen zu lassen, vielleicht, daß hier einmal eine eingehende Bearbeitung des Doberaner Materials und der in kleineren und größeren Aufsätzen sehr zerstreuten Literatur eine ‘be- friedigende Lösung bringen könnte. Für unseren Meister können wir aber die sehr wichtige Folgerung ziehen, daß er aus einer echten Plastikerschule hervor- gegangen ist; denn in Doberan finden wir immer nur die enge Vereinigung von Plastik mit architektonischen Formen, die sechs gemalten Heiligen auf der Rück- seite des Hochaltares, die aber heute nicht mehr vorhanden sind, sind die einzigen Gemälde!) an den bedeutenden Kunstwerken der Kirche. Die Verbindung des Meisters mit Doberan bedeutet für uns demnach eine nicht genug zu unter- streichende Bestätigung für die Trennung des Malers und des Bildhauers am Petrialtar.

(z) Zwei kleine Triptychen befinden sich noch im Seitenschiff der Kirche: ein Kreuzigungsaltar, der sehr zerstört ist, der möglicherweise schon aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stammt, und der sog. Mühlenaltar aus der ersten Hälfte des ı5. Jahrhunderts, ebenfalls sehr zerstört. Abb, bei Schlie, 8. 606/607.

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Monatshefte für Kunstwinsenschaft, XII. Jahrg. 1919. Heft 8/9

JACOB UND MORITZ DE CARMES / FRANKEN.

THALER WIRKER IM DIENSTE DES HERZOGS CHRISTOPH VON WÜRTTEMBERG ми einer Abbildung auf einer Tafel Von Н. GÖBEL

ie gewaltige Welle der Religionskämpfe, die in den Niederlanden in der ersten

Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzt und mit dem rücksichtslosen Vorgehen Herzog Albas einen Höhenpunkt erreicht, bringt auch Deutschland eine Fülle tüchtiger gewerblicher und künstlerischer Kräfte, die es vorziehen, fern der Heimat, ein von Gewissensnöten freies Dasein zu führen. Deutsche Fürsten und Städte nehmen die Ankömmlinge zumeist freudig auf; sie versprechen sich mit Recht eine Hebung der einheimischen Betriebe und damit verbunden eine Förderung der sozialen Kräfte des Landes. Hand in Hand geht die Erstarkung einzelner Landes- fürsten, die Sucht nach größerer Prunkentfaltung, die Vorliebe für prächtige Tex- tilien. Die gewirkten Wandteppiche beherrschen das ganze 16. Jahrhundert. Die Bedeutung, die im 18. Jahrhundert dem porcelaine de Saxe zukommt, trifft in noch weit höherem Maße auf die zwei Jahrhunderte zurückliegende Zeitspanne für die Wandteppiche zu. Der Wert reicher Tapisserien ist ein so allgemein anerkannter, daß sie vielfach in Gestalt von Zahlungsmitteln gebraucht werden. Kaiser und Könige belohnen treue Dienste mit Wirkteppichen; machen Kriegszüge die Auf- bringung größerer Mittel nötig, erhält der Darlehensgeber ganze Teppichfolgen als Pfand oder Zahlung; kurz, die Wirkteppiche nehmen vielfach den Rang gutkredi- tierter Wertpapiere ein.

Deutsche Fürsten, die in engerer Fühlung mit Kaiser Karl bzw. dem spanischen Hofe stehen, verfallen bald dem immer stärker werdenden Bestreben, durch An- käufe von Wirkteppichen ihren Hofhaltungen eine größere Würde, ihren Festen ein vornehmeres Gepränge zu verleihen. Die alten Manufakturen Brüssels werden mit Bestellungen überschüttet; Antwerpen, der Hauptstapelplatz des gesamten flä- mischen Tapisseriehandels, erlangt eine nie dagewesene Blüte. Erst die scharf einsetzende Verfolgung Albas bringt dieses hochentwickelte Kunstgewerbe zum Stocken. Die Auswanderung beginnt. Der Audenarder Wirker Franz Steinbach läßt sich 1566 in Kassel nieder ). Von 1561 an ist Remigius Delator für Herzog Albrecht von Preußen titig*). Seger Bombeck arbeitet in Leipzig und Weimar, andere Wirker in Wesel, Frankenthal und sonstigen Orten. Namentlich Frank- furt a/M. scheint eine starke Anziehungskraft auf die auswandernden Flämen aus- geübt zu haben. Der Handel mit Teppichen, der schon im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts in Frankfurt einsetzte*), nimmt um 1560 einen lebhaften Aufschwung.

Christoph von Württemberg, 1544 mit der kunstsinnigen Anna Maria von Ans- bach vermählt, beginnt, dem Zuge der Zeit folgend, schon früh mit der Beschaffung von Wirkteppichen. Er versteht es, in verhältnismäßig kurzer Zeit seinem, durch den Schmalkaldischen Krieg schwer erschütterten Herzogtum ein neues, festes Ge- füge zu verleihen. 1553 erhält Christoph, gegen Anerkennung der Lehnshoheit Österreichs und Zahlung der Summe von 250000 Gulden die kaiserliche Zusiche-

(1) Landgräfliche Hessische Tapetenwirkereien zu Kassel im 16. und 17. Jahrhundert von Drach, in Bayerische Gewerbezeitung 1889, Nr. 4.

(з) Die Kunst am Hofe der Herzöge von Preußen von Hermann Ehrenberg, Berlin und Leipzig 1899. (3) Auf der Frankfurter Messe erschien 1424 „einer mit eim deppich“ in Bücher, die Berufe der Stadt Frankfurt a/M. im Mittelalter (Leipzig 1914), 8. 38.

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rung des erblichen Besitzes seines Landes. Schon іп den nächsten jahren setzen die künstlerischen Bestrebungen des Herzogs ein. In einem Schreiben vom 12. Juli 1557 an Christoph Haller, wohl einer der großen Kunstmakler seiner Zeit, teilt er ihm mit, daß er diesmal von den angebotenen Brüsseler „Tapissereyen“ absehen wolle, da er inzwischen anderweitig günstige Angebote erhalten habe’).

Es scheinen durch Beauftragte des Herzogs Verhandlungen mit einem näher gelegenen deutschen Markte ‘angebahnt zu sein. Die klare Bestätigung gibt das undatierte Schreiben wohl aus dem Jahre 1565 Christophs an seinen Oberrat Balthasar Eisslinger, dem ein leider nicht mehr vorhandenes Verzeichnis der „tapessereien“ beigefügt ist, die in Frankfurt a/M. dem Herzog zum Ankauf zur Verfügung stehen. Eisslinger erhält den Auftrag, den Handel in der alten Kaiser- stadt zu möglichst günstigen Bedingungen abzuschließen. Der Preis beläuft sich für die brabantische Elle auf Taler. Das Angebot geht von einem nicht näher bezeichneten „Kauffman“ aus, der wohl zugleich „Tapitsier“ ist, zum min- desten aber in Frankfurt eine Anzahl Wirker beschäftigt. Denn Eisslinger soll „vleis fürwenden, ob ег deren einen, so solche Tapesserei machen kan, mit herauf bringen kennte.“

Die Absicht des Herzogs, sein neues Stuttgarter Schloß mit reichen Wand- teppichen zu schmücken, tritt noch deutlicher in dem weiteren Verlauf des Schrei- bens hervor. Er wünscht, daß der von Eisslinger anzuwerbende Wirker „etliche portionen allerley seiten mit sich brechte.“ Der Oberrat wird beauftragt, sich genau über Technik und Preis zu unterrichten und das Ergebnis in einer ein- gehenden Niederschrift festzulegen, „damit man sich vollgends desto stattlicher mit dem, so er mitbringen würde, In hanndlung einlassen khent“. Zugleich über- weist Christoph seinem Oberrat die nicht unbeträchtliche Summe von 337:/, Taler, um die Mission zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen. Balthasar Eisslinger hat Erfolg. Der Wirker Jacob de Carmes (von Karmisch, de Karmess, de Carmer) und der Patronenmaler*) Nicolaus van Orley treten in den Dienst des Herzogs.

Der Anstellungsvertrag des ersteren, auf den häufig Bezug genommen wird, ist nicht mehr vorhanden. Es geht auch nicht klar hervor, von welchem Orte aus Meister Jacob nach Stuttgart übersiedelte. Ез muß Frankfurt oder Frankenthal gewesen sein. De Carmes erhält für seinen „abzug“ 50 Gulden, den gleichen Be- trag, der für die Kosten seiner Herkunft bewilligt wurde. Seine Verwandten wohnen als Bäcker und angesehene Bürger in Frankenthal, der neuen flämischen Kolonie, die sich zum großen Teil aus Frankfurter Emigranten zusammensetzt. Sicher ist, daß Jacob de Carmes seine Kunst in Brüssel erlernt hat; die ganze Art seiner vollendeten Technik spricht für diese Annahme. Daß de Carmes zuvor als Bürger in Cöln a/Rh. ansässig gewesen war, wie die Beschreibung des Stadt- direktionsbezirkes Stuttgart 1856, Seite 117 angibt, trifft nicht zu, wenigstens sind Nachforschungen in dieser Hinsicht bisher erfolglos geblieben. Der Wirker muß spätestens 1566 in den Dienst des Herzogs getreten sein. Das erste Aufmaß der von ihm fertiggestellten Arbeiten erfolgt bereits am 7. Februar 1567 und umfaßt viele Hunderte von brabantischen Quadratellen. Die einzige Auskunft, die das von 1560 an geführte Stuttgarter Taufbuch gibt, betrifft die Taufe der am 22. April-1569 geborenen Johanna уап Orley, der Tochter des Nicolaus van Orley und seiner

(1) Aus Hofsachen, В. 51. Decrete Hz. Christophs 109. 2. 57. Württ. Geh. Haus- und Staatsarchiv,

Stuttgart. (2) Patronen sind die zunächst in kleinem Maßstabe entworfenen dann in natürlicher Größe über-

tragenen Vorlagen für die ausführenden Wirker. 227

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Frau Maria. Als Taufpaten fungieren Kapellmeister Philipp Weber und Johanna

v. Carmisch, die Gattin unseres Wirkers 1),

Etwas später wird Jacob де Carmes in den Ratsprotokollen Frankenthals erwähnt. Er tritt am 6. November 1569 als Taufzeuge bei Jacob de einem, Sohne des Frankenthaler Bäckers auf?).

Von da an verschwindet der Name des Wirkers bis 1574 völlig aus den Franken- thaler Urkunden. Es ist zweifelsfrei, daß Jacob de Carmes in der Zeit von 1566 bis 1571 seinen Hauptwohnsitz nach Stuttgart verlegt hat, ohne jedoch die Ver- bindungen mit der Frankenthaler Wirkerkolonie aufzugeben.

Der Patronenmaler „Nicolaus von Orley usz Prüssel“ verläßt 1566 seine Vater- stadt zusammen mit dem Maler Jan de Witte. Beide folgen einer Einladung Herzog Christophs nach Stuttgart, um der ihnen drohenden Proskriptionsliste Herzog Albas zu entgehen. Die Tätigkeit de Wittes soll in Deckenmalereien bestanden haben. Er wendet sich später nach Cöln und von da nach Frankenthal, wo er 1575 zuerst erwähnt wird. Nicolaus уап Orley ist von Anfang an als Patronenmaler tätig. Die Art der Abrechnung mit de Carmes, die zugleich die Lieferung der Patronen umfaßt, zeigt, daß уап Orley in einem gewissen Vertrags-, zum mindesten Ge- schifts- oder Freundschaftsverhältnis zu dem Wirker gestanden haben muß. Es sind noch mehrere Quittungsbelege des Malers vorhanden, die stets die volle Unterschrift: „nicolaus van orlay“ und seine Handzeichen orNlay tragen. Er er- hielt am Stuttgarter Hofe jährlich 20 Gulden für „behausung und beholzung“; die Vergütung für seine Patronenmalerei erfolgte am Schlusse seiner Tätigkeit durch Aufmaß. Es liegt eine Quittung Orleys vom 4. August 1571 vor, in der der Maler den Empfang von 1284 Gulden 27 Kreuzer bestätigt „für alle Arbeit уппа Pa- tronen belangendt, so zu der Thapisterey geherig Etlich Jarn allhie zu Stuttgarten veruertigen уппа gemacht.“ 1570 scheint die Tätigkeit van Orleys der Haupt- sache nach beendet zu sein; das ihm am 26. September des gleichen Jahres auf Verfügung der Herzogin-Witwe gezahlte Abzugsgeld beläuft sich auf ıo Gulden.

Vergebens versuchte Herzog Christoph im Dezember 1568 die Begnadigung van Orleys bei Herzog Alba durchzusetzen“). Nach dem kurz darauf erfolgten Tode Christophs (28. Dezember 1568) knüpft van Orley Verbindungen mit Straßburg an und kauft sich von Stuttgart aus in die Zunft „zur Steltz“) (Zunft der Maler, Bild- hauer, Goldschmiede usw.) ein. Am 14. Oktober 1570 wird ihm das Straßburger Bürgerrecht verliehen. Die weiteren Lebensschicksale des Malers sind wenig ge- klärt. Ob der 1603 erwähnte Frankenthaler Wirker Eberharde de Orle in ver- wandtschaftlichen Beziehungen zu unserem Maler steht, war bisher nicht fest- zustellen’). Die Frankenthaler Ratsprotokolle erwähnen Everhard van Orley erst- malig am 28. Oktober 1590°).

Die Grundlage zur Beurteilung der umfangreichen Arbeiten des Jacob de Carmes bildet die Abrechnung vom 12. März 15717).

(1) Mitteilung des Ev. Kirchen-Register-Amts Stuttgart.

(2) Monatsschrift des Frankenthaler Altertumsvereins 1906. Genealogische Nachrichten über das Ge- schlecht (de) Carmer von Dr. A. von den Velden,

(3) Arch. gen. du Royaume à Bruxelles, secretairie allemande, cart. no LXIX.

(4) Straßburger Bürgerbuch (III. 166); nach Auskunft des Archives der Stadt Straßburg.

(5) Dr. M. Meyer, Geschichte der Wandteppichfabriken des Wittelsbachischen Fürstenbauses, 8. 37. (6) Monatsschrift des Frankenthaler Altertumsvereins, Jabrgang 1908, Seite 45: Die Wandteppich- fabrikation in Frankenthal im 16. und 17. Jahrhundert, von Joh. Kraus.

(7) Württembergisches Geh. Haus- und Staatsarchiv, Altes Schloß.

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Eine wörtliche Wiedergabe dürfte an dieser Stelle zu weit führen.

In gedrängter Kürze seien die wesentlichen Arbeiten der de Carmes nach den betreffenden Räumen unter Anlehnung an den Wortlaut der Abrechnung aufgeführt.

L Abrechnung auf Grund des Aufmaßes vom 7. Februar 1567.

I. Stube des oberen Ganges an der Ritterstube.

2 Wandteppiche „an die Brusthäfer gehörig“:

Schöpfung der Welt; Sündenfall und Austreibung, ferner nicht näher bezeichnete Wirkereien „vff die Bännckh vnd In die Eckh der vennster gehörig“, insgesamt 97 Quadrat-Ellen.

Anstoßende Kammer.

4 Wandteppiche: Die Arche Noah mit dem Ein- und Auszug der Tiere; Abraham zieht aus seiner Väter Land; Melchisedeck zieht ihm nach der Schlacht mit Brot und Wein entgegen, insgesamt 217 Quadrat-Ellen, 3 Fuß.

Die anstoßende Erkerstube über der Kirche.

Enthält wahrscheinlich 3 Wandteppiche: Sara gibt Abraham ihre Magd (Hagar); Gott verspricht Abraham die Mehrung seines Samens; die Männer Gottes kommen zu Abraham, um Sodom zu verderben, vergebliche Bitte Abrahams, Zerstörung Sodoms, insgesamt 75 Quadrat-Ellen 1 Fuß.

Große Stube von der Ritterstube aus gerechnet, an dem Erkerstüb- chen gelegen.

Wahrscheinlich 7 Wandteppiche: Abimelech nimmt Abrahams Weib; Abraham verläßt Hagar; Gott befiehlt Abraham, seinen Sohn zu opfern; Abraham läßt seinen Knecht schwören, für seinen Sohn Isaak nur ein Weib aus seinem (Abrahams) Geschlecht zu wählen; der Knecht bringt die Erwählte (Rebekka) in das Haus der Mutter Isaaks; Esau verkauft seine Erstgeburt, Jakob empfängt den Segen des Vaters; Jakobs Traum von der Himmelsleiter, insgesamt 108 Quadrat-Ellen, 3 Fuß.

An die vorige Stube anschließende Kammer.

5 Wandteppiche: Jakob kommt zu Laban und dient um dessen zwei Töchter 14 Jahre; Jakob schickt Boten zu Esau, Zusammentreffen mit Esau; Dinas Tochter wird geschändet; Joseph träumt, seine Brüder beteten ihn an; der Hofmeister Pharaos kauft Joseph, des Hofmeisters Weib liebt Joseph, insgesamt 220 Quadrat- Ellen,

Eckstube gegenüber der Pfarrkirche.

4 Wandteppiche: Joseph erklärt im Gefängnis dem obersten Schenken und Bäcker des Königs den Traum; Pharaos Traum und Josephs Auslegung, Pharao entläßt Joseph mit Ehren aus dem Gefängnis; Jakob schickt seine Söhne nach Ägypten, sie erkennen ihren Bruder; Jakob zieht nach Ägypten zu seinem Sohne; insgesamt 145!/, Quadrat-Ellen.

Anstoßende Kammer.

6 Wandteppiche: Moses wird nach der Geburt ausgesetzt; Moses erschlägt einen Ägypter; der Herr erscheint Moses im feurigen Busch; Moses und Aaron verrichten Wunder vor Pharao; Pharaos Plagen; Moses zieht mit seinem Volk aus Ägypten, zusammen 254 Quadrat-Ellen, 2 Fuß.

AnstoBendes Gemach.

6 Wandteppiche: Pharaos Untergang im Roten Meer; die Kinder Israels murren wider Moses; der Manna- und Wachtelregen; Moses streitet gegen Amalek; Moses empfängt die zehn Gebote; der Tanz um das goldene Kalb, zusammen 117 Quadrat- Ellen.

Die Wandteppiche in der ersten und in der Erkerstube hatten anfänglich weder

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Wappenschilde noch erklärende Schrifttafeln, die erst auf Befghl Herzog Christophs nachträglich eingefügt wurden. Die Vergütung für die 12 Wappenschilde (an sechs Wandteppichen) beläuft sich auf 7 Gulden 12 Kreuzer; für die sechs Schrifttafeln auf die gleiche Summe.

П. Es folgt nunmehr die „Abrechnung упа abmessung mit Meister Jacob de Carmes. In volgenden gemachen, mit der Tapecerey, so verbronnen sein, vff dem Obern gang“.

Die alte Markgräfin Stube enthält 6 Wandteppiche: Moses und Aaron in der Wüste, zusammen 73?/, Quadrat- Ellen, außerdem 58:/, Quadrat-Ellen Wirkteppiche auf den Bänken und an den Fensterpfeilern, in Gestalt von Verduren, die durch Tiere belebt sind.

Eckstube am Altan, gegenüber der Kanzlei. mit 5 Wandteppichen: Moses und Bileam, insgesamt 66 Quadrat-Ellen; ferner Bank- und Zwischenfensterwirkereien mit 55% Quadrat-Ellen.

Anstoßende Kammer mit 6 Wandteppichen aus der Geschichte Josuas, mit 275°/, Quadrat-Ellen; über dem Kamin ein Wirkteppich mit dem Wappen Christophs und seiner Gattin, mit zwei entsprechenden Schrifttafeln mit 14°/; Quadrat-Ellen Inhalt. „So sein der quadrirten schillt an die Camin tuecher Württemberg und brandenburg. 4. usw.“

Die anstoßende Kammer, die sechste von der Ritterstube an gerechnet, enthält 5 Wandteppiche, die den Kampf Gideons gegen die Amalekiter behandeln, mit 2497/, Quadrat-Elien Inhalt; der Wirkteppich über dem Kamin umfaßt 14½ Quadrat-Ellen.

Die siebente Stube nach dem Tiergarten hinaus weist 7 Wandteppiche mit nur 61°/, Quadrat-Ellen auf, die Begebnisse aus der Geschichte Sauls, Samuels und Davids schildern. Die Wirkteppiche auf den Bänken, an den Fensterpfeilern „sambt einem stückhlin, so an das Brustäfer ge- hörig, vnnd kein Bankh darunder“ messen 65!/, Quadrat-Ellen.

7. Kammer von der Ritterstube an gerechnet:

5 Wandteppiche mit der Geschichte Davids und Goliaths, insgesamt 256!/, Quadrat-Ellen; Wirkerei über dem Kamin rail, Quadrat-Ellen.

8. Kammer.

6 Wandteppiche, darstellend Begebenheiten aus der Geschichte Sauls und Davids, zusammen mit 275!/„ Quadrat-Ellen; der Wirkteppich über dem Kamin enthält 12 Quadrat-Ellen.

Die anschließende Stube „Herzog Wolffgangen gemach“ genannt enthält 7 Wandteppiche „mit der historia von Dauidt, Aurias (Uria) und Berseba“, mit 791/; Quadrat-Ellen; die Bank- und Fensterpfeilerwirkereien messen 88®/, Quadrat- Ellen.

Ш. Zum SchluB ,,volget die Tapetzerey vff dem vndern gang wie nachsteht, vnd nit verbronnen, sonder an denn stücken gewesen vnd erst hernacher gemacht worden sein.“

Im großen Saal über der Küche und in den anstoßenden drei Stuben finden sich 38 nicht näher bezeichnete Wandteppiche mit 4ır!/, Quadrat-Elien Inhalt; außer- dem 69 Wirkereien für die Bänke und 22 Fensterpfeilerteppiche, mit zusammen 385 Quadrat-Ellen.

Die anstoßenden weiteren drei Kammern umfassen 17 Wandteppiche (673'/, Quadrat-Ellen), sowie drei Wirkereien über Kamine mit 31 Quadrat-Ellen.

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Die Endabrechnung vom 12. März 1571 umfaßt nicht weniger als 139 Wand- teppiche, sowie zahlreiche Bank- und Fensterpfeilerwirkereien.

Die Schlußsumme der drei Abteilungen der Abrechnung beläuft sich für die Wirk- teppiche auf 4630'/, brabantische Quadrat-Ellen, die an Jacob de Carmes und seinen Sohn Moritz die Elle mit 2 Gulden 16 Kreuzer, insgesamt mit 10495 Gulden 14 Kreuzer vergütet werden. Für die Patronen kamen nur 3276°/, Quadrat-Ellen zu je 48 Kreuzern, insgesamt also 2651 Gulden 24 Kreuzer zur Verrechnung. Besonders vergütet werden die Kartons für die Wappenschilde des Herzogpaares, die Schrifttafeln und „Caritas“ in der Mitte der unteren Bordüre mit 87 Gulden 36 Kreuzer. Der Grund der wesentlich geringeren Zahl der Quadrat-Ellen der Patronen liegt darin, daß die Bordüren nicht jedesmal voll zur Verrechnung kommen. Bei dem Aufmaß werden nur die oberen und unteren breiten Bordüren voll mit gemessen, dagegen nicht die Schmalseiten, „so mit im verglichen Das Im um das halbtheil sol bezahlt werden, vsser vrsachen, das er dieselben fort brauchen, vnnd nit allwegen УН ain news gemalt werden müssen.“ Jacob de Carmes quittiert am 4. September 1571 über den Betrag von 12337 Gulden 7 Kreuzer. Die Summe ergibt mit den an van Orley gezahlten 1284 Gulden 27 Kreuzer, zusammen 13621 Gulden 34 Kreuzer, den Endbetrag der Abrechnung vom 12. März 1571. Es geht klar hieraus hervor, daß de Carmes außer seinem Wirkerlohn und sonstigen klei- neren Anweisungen, noch den Betrag von 1336 Gulden 57 Kreuzer (2621 fl. 24 Kr. 1284 8. 27 Kr. == 1336 8. 57 Kr.) für die Lieferung von Patronen, zuzüglich 8: Gulden 36 Kreuzer für das Malen der Wappen, Kartuschen und Schriften erhält. Die 1336 Gulden stellen nicht ein reines Mehrverdienst des Wirkers dar, sondern sind die Vergütung für die von de Carmes gelieferten Kartons der Borduren sowie der Wappenwirkereien und Verduren. Wir haben hier schon den rein rechne- rischen Beleg für die Art der Arbeitsteilung. der de Carmesschen Manufaktur. Van Orley entwirft und zeichnet hiernach im großen Maßstabe lediglich die figürlichen Innendarstellungen. Im übrigen besitzt de Carmes einen reichen Vorrat von Pa- - tronen verschiedener Art für Wirkteppiche von mehr untergeordneter Bedeutung. Die Entwürfe zu den Bordüren stammen zweifelsohne von einer anderen Hand als der van Orleys. Die Annahme findet ihre stilistische Bestätigung durch einen Blick auf „Sauls Tod“. Die Bordüre ist typisch Brüsseler Arbeit іп der Formen- gebung der Zeit um 1550. Jacob de Carmes hat die Patronen durch einen flämi- schen Spezialisten und nicht in Deutschland anfertigen lassen. In den kleinen Nebenrechnungen findet sich der Beleg: „Für sein annsprach der Raisen halb In das Nider Landt nach den Patronen usw. 50 Gulden.“ Die Wappenschilde des fürstlichen Paares, die Kartuschen mit den zugehörigen Inschriften sind von einem Frankenthaler Maler gefertigt worden. Die „quadrirten Schillt an die Camin tuecher würtemberg vnd Brandenburg“ werden „mit 3 Batzen Mahlerlohn“ für das Stück, die großen Kartuschen mit 17 Kreuzer, die Schrift für dieselben mit je 4 Batzen, die kleinen Wappenschilde mit ro Kreuzer und die „ІІ schriften“, die Jacob de Carmes ,,zu Franckhthal hat mahlen lassen, so In den grosse Saal gehörig; für jeds 2 bz“ an den Wirker vergütet. Wir treffen hier die typische Arbeitsteilung der Brüsseler Manufakturen. Nicht derselbe Künstler entwirft den gesamten Wand- teppich. Die Arbeit verteilt sich an eine Reihe von Spezialisten. Die Hauptbild- darstellung liegt in unserem Falle in einer Hand: in der des Nicolaus уап Orley. Es ist dies in den mit allen Hilfsmitteln reich versehenen Brüsseler Manufakturen durchaus nicht immer der Fall. Die großen Gestalten des Vordergrundes und die Hauptdisposition werden von einem hervorragenderen Maler entworfen. Ein Spe-

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zialist zeichnet die Figuren in großem Maßstabe auf unter oberflächlicher Angabe der ungefähr in Frage kommenden Farben, die richtig zu wählen und abzustimmen

Sache der betreffenden Wirker ist. Für das Pflanzenwerk des Vordergrundes `

dienen eine Reihe kleiner Kartons, die der Wirker, wie es ihm passend erscheint, bzw. nach Wunsch des Auftraggebers, einschiebt. Die zweite Kulisse, die mittel- großen Figuren, stammt nicht immer von dem Maler der großen Gestalten des Vordergrundes. Typisch ist die Behandlung des Hintergrundes, von dem häufig die Schönheit und der Reichtum des Wirkteppichs abhängt. Während dieser in dem ersten Drittel des тб. Jahrhunderts mit der Figurendarstellung zumeist noch einheitlich entworfen und ausgearbeitet wird, zeigt sich schon um 1540 das Be- streben, durch Einschiebung kulissenartiger Darstellungen zu wirken. Landschafts- bilder, vielfach mit den eigenartigen flämischen Bauernhäusern mit hohem Stroh- dach, dem davorliegenden Weiher, dem Gatter mit dem charakteristischen kleinen Pförtchen mit Schrägbalken, überhängende seltsame Felsen mit Burgen und Schlös- sern, wechseln, in der Regel durch einen breiten Baumstamm getrennt, mit den beliebten italienischen Ruinenlandschaften mit umgestürzten Obelisken und Schaf- herden. Kurz, schon die Bilddarstellung erfährt eine recht weitgehende- Arbeits- teilung. Ähnlich verhält es sich mit den Bordüren, die gewöhnlich von Spezia- listen bearbeitet werden, von denen einige wiederum nur Blumen und Früchte, andere ornamentale oder figürliche Teile entwerfen. In unserem Falle stammt die Bordüre aus Flandern; die Wappen und Schrifttafeln jedoch von der Hand eines Frankenthaler Malers, der leider nicht namentlich angegeben ist. Es kommt der Zeit nach vielleicht Daniel de Weerdt in Frage. |

Von besonderer Bedeutung ist die Art des Werkstattbetriebes des Jacob de Carmes und seines Sohnes Moritz. Ein Blick auf die in so kurzer Zeit ausgeführten tausende von Quadrat-Ellen genügt, um klarzustellen, daß die Wirker mit einer starken Arbeitsteilung vorgegangen sein müssen. Die Methode entspricht durchaus dem von altersher geübten Brauch. De Carmes ist der Generalunternehmer, der seine Arbeit an verschiedene kleinere Unternehmer verteilt. Die schwierigsten und verantwortungsvollsten Folgen werden unter der persönlichen Aufsicht Jacobs in Stuttgart gearbeitet; die einfacheren Wirkereien, so die für die Kamine, die zahl- rechen Fensterpfeilertapisserien, die verschiedenen Verdüren und sonstige kleinere Stücke entstehen in Frankenthal. Die Namen dieser, von de Carmes in Franken- thal bzw. Stuttgart beschäftigten Wirker eingehend festzustellen, war durch die Schwierigkeiten der heutigen Zeitlage bisher noch nicht möglich. Die Klärung stößt in Stuttgart schon deshalb auf Hindernisse, da die im Taufbuch von 1560 an vorkommenden flämischen Namen in der Regel weder Beruf noch sonstige An- gaben anführen und erst ein Vergleich mit den Frankenthaler Urkunden eine Klä- rung schaffen kann. Jedenfalls steht es zweifelsfrei fest, daß de Carmes einen be-

trächtlichen Teil der, für Stuttgart bestimmten Wirkereien in Frankenthal arbeiten

ließ. In der zweiten Hälfte des Monats November 1569 reist Meister Jacob nach Frankenthal und trifft mit einer viele Zentner wiegenden Ladung am ı. Dezember in Stuttgart wieder ein. Der Wagemeister Borrcht Haff stellt den Schein aus, der einigermaßen auf die Anzahl der Wirkteppiche schließen ließe, wenn das Ge- wicht der Gefährte bekannt wäre. Der Fuhrlohn, den de Carmes in Rechnung stellt, beläuft sich auf die verhältnismäßig hohe Summe von g Gulden то Kreuzer. Ausführlicher ist das „Verzaychnus was Ich Jacob de Karmes von wegen der Fürst- liche Tapetzerey von Frankenthal herauff gehn Stuttgart geführt.“ Der Wirker bricht am 21. November 1570 in Stuttgart mit seinem Fuhrknecht auf; es folgen

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fa.

nun die tageweise genau angegebenen Kosten für ,morgensuppen“, „malzeyth“ und „nachtmal“ des Fuhrknechtes, ,,Stallmiit, habern“ (Hafer) und dergleichen. De Carmes kommt am 23. abends in Frankenthal an, um am nächsten Mittag schon wieder die Rückreise anzutreten. Die Gesamtunkosten belaufen sich auf 5 Gulden 38 Kreuzer. Es scheint also, daß diesmal schon ein Gespann zum Transport der Wirkereien ausreichend war, während nach den Kosten zu urteilen im Jahr zuvor de Carmes seine Reise mit zwei Gefährten angetreten hat.

Von Bedeutung ist die Klärung, ob die an de Carmes gewährte Vergütung von 2 Gulden тб Kreuzer lediglich den reinen Wirkerlohn für die brabantische Quadrat- Elle darstellt, oder ob noch sonstige Nebenleistungen in dem Betrage enthalten waren. Die Lieferung von Wolle und Seide Gold- und Silberfäden wurden nicht verwandt ist zweifellos in dem Preise mit enthalten. Eine besondere Verrechnung findet sich in keinem Beleg, ebensowenig die. Reisekosten zur Bei- schaffung dieser Materialien. Der Preis von 2 fl. 16 kr. entspricht ungefähr dem Ansatz, der für gute Brüsseler Wirkteppiche einschließlich aller Nebenunkosten um 1570 gerechnet wird. Geringer ist dagegen die Vergütung, die 1569 der Aude- narder Wirker Franz Steinbach in Kassel erhält. Ihm wird für die Quadrat-Elle nur ein Gulden zugebilligt; die Beschaffung von Wolle und Seide ist dagegen Sache des Landgrafeh. Der erheblich niedrigere Ansatz hat seine Begründung darin, daß der Audenarder Wirker entsprechend dem heimischen Brauche ein in der Kett- fädenzahl gröberes und in der Farbengebung weniger reiches Gewirk herstellt, d. ћ. erheblich schneller arbeiten kann als die de Carmes; die zwar auch basse- lissiers sind, aber in einer ungleich feineren und wesentlich schwieriger durch- gebildeten Technik vorgehen. Es scheint, daß in Frankfurt bzw. in Frankenthal stets ein beträchtliches Lager an Wolle und Seide vorhanden war. Wenigstens läßt der Brief des Landgrafen Wilhelm vom 31. März 1587 hierauf schließen. Er beauftragte Franz von Steinbach, fünf oder acht Pfund Bumbardische (Lom- bardische) Seide in Frankfurt zu kaufen. Sofern diese dort nicht zu erhalten sei, solle er sich an die „Töppichmacher zue frankkenthall“ wenden, die solche Ware vorrätig hätten. Schon mit den ersten Jahren seiner Gründung hat Frankenthal zahlreiche Tuchweber (Arrasmacher, Hondskotweber, saietteurs usw.) aufzuweisen, Die Verarbeitung der deutschen Wolle, die übrigens schon um 1500 in verschie- denen flämischen Wirkereizentren neben der besseren spanischen, englischen und französischen Ware ihrer größeren Billigkeit halber beliebt ist setzt in der jungen Kolonie früh ein. Jacob Carmes stößt also mit der Anlieferung dieser Materialien auf keine Schwierigkeiten. Anders verhält es sich mit der Beschaffung des Papiers zu den von Nicolaus van Orlay auszuarbeitenden Patronen. Es muß ein gutes, starkes und zugleich zähes Papier verwandt werden, das der, durch das basse-lisse-Verfahren bedingten wenig liebevollen Behandlung gewachsen ist. Am 29. Dezember 1569 trifft die letzte Sendung „Papir zu den Patronnen aus Antorff“ (Antwerpen) ein. Die Lieferung ist Sache des Wirkers; ein Zeichen mehr für seine Stellung als Generalunternehmer. Insgesamt kostet „das Regal Papier zun Patronen“ 33 Gulden 36 Kreuzer. |

Die Arbeiten der de Carmes gingen im großen und ganzen glatt und ohne we- sentliche Störungen vor sich. Kleine Änderungen, wie das nachträgliche Einsetzen der Wappenschilde und Schrifttafeln in die ersten angefertigten Folgen sind nicht von ausschlaggebender Bedeutung. |

Die einzige etwas größere Änderung: „Ап erstgemelter Brusttäfer, sein anfengk- lichs. Daran herumber Blaw lustin gemacht. Völche aber vnserm gnädigen Fürsten

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упа herrn seeliger nit gefallen, Derwegen solche wiederumb herab than Vnnd ап- derer an die Statt gemacht worden, Im, für sein macherlohn vnnd Uncosten allso mit Im vberkommen gegeben. II fl.“, bei den ersten Folgen be- zieht sich anscheinend auf die Ersetzung der um den Außenrand der Bordüren laufenden blauen Leiste, durch eine reichere Ausführung, in Gestalt eines zier- lichen, von Wellenlinien umflossenen, mit vierblättrigen Blümchen gezierten Stabes (s. Sauls Tod).

Der in dem zweiten Teile der Abrechnung erwähnte Brand bringt keine Schwie- rigkeiten. Die Patronen sind vorhanden. Lediglich von den vier verbrannten „Kamintuecher“ können nur noch deren drei wieder gewirkt werden, „da der ein Patron hinweg kommen.“ Herzog Christophs Tod bringt die Tätigkeit der Wirker nicht ins Stocken, seine Witwe Anna Maria fördert in jeder Weise die Lieblings- arbeiten ihres verstorbenen Gatten. Der Name Herzog Ludwigs erscheint lediglich in einer Quittung уап Orleys vom 7. Februar 1569. Die Abrechnung von 1571 erwähnt zwar den Sohn Moritz de Carmes; die Hauptperson ist aber nach wie vor Meister Jacob. Die Quittung der Schlußauszahlung trägt lediglich den Namen des Vaters.. Nach Beendigung der Stuttgarter Tätigkeit scheint sich Jacob de Carmes nach Frankenthal zurückgezogen zu haben, wo er zu Beginn des Jahres 1574 stirbt und seiner Witwe Anna (Johanna) van Wuertsfeld und seinen fünf Kindern Moritz, Maria, Magdalena, Anna und Isaak außer mehreren Häusern und sonstigen Ver- migensstiicken eine größere Anzahl Wandteppiche hinterläßt). Moritz de Carmes, der Ende 1571 bereits die väterliche Manufaktur übernommen zu haben scheint, ist seit dem 3. Februar 1566 Bürger von Frankenthal. Er bleibt in Verbindung mit dem Württembergischen Hofe und übernimmt 1574/1575 umfangreiche Auf- träge für das Stuttgarter Schloß. Außer der an ihn gezahlten Summe von 3997 Gulden 55 Kreuzer „von der verbronnen Tapisserei wieder zu machen und alher zu antworten“, werden noch 798 Gulden in der gleichen Landschreiberrechnung er- wähnt „für Tapisserei, so er in dem newen runden Thurnober- und understuben gemacht auch etwas in dem langen Sal erlengert“. Eine nähere Bezeichnung der einzelnen Stücke ist nicht mehr vorhanden; die Angabe „und alher zu antworten“ genügt aber, um uns zu zeigen, daß der Betrieb in Stuttgart mit dem Jahre 157! ein Ende gefunden hat. Moritz de Carmes führt seinen Auftrag in Frankenthal aus und sendet seine Arbeit von dort nach Stuttgart. Der Wirker wird häufig in den Frankenthaler Ratsprotokollen genannt; er scheint einen guten und ausgiebigen Trunk geliebt zu haben und war anscheinend“ kein Anhänger des puritanischen Lebens der jungen flämischen Kolonie. Nachdem er mehrfach von Rat und Kon- sistorium seines etwas liederlichen Lebenswandels halber ermahnt wurde, scheint man schließlich die Absicht gehabt zu haben, ihm kurzerhand das Betreten von Schankstätten zu untersagen. Es kommt jedoch nicht zur Ausführung dieses Ver- bots, da Moritz geltend macht, daß er häufig mit durchreisenden, vornehmen Ge- schäftsfreunden pokulieren müsse, um zu einem Abschlusse zu kommen. Von größeren Arbeiten unseres Wirkers berichten die Frankenthaler Ratsakten nichts. 1576 ist Moritz de Carmes in Speyer tätig; wenigstens kann er der Vorladung des Rates vom 30. Januar 1576 nicht Folge leisten „overmits det hy in zeker dienste naemlik in den bruloofte van den broeder van den biscop уап Spiers (Markwart von Hattstein), aldus hij de tapitserien hanghen mogt ende vmhangen“. Es scheint, daß Moritz de Carmes im vorliegenden Falle keine neuen Wirkereifolgen geliefert,

(т) (Protokolle des Frankenthaler Rates vom то. und 17. Mai 1574 bzw. 23, Januar 1576.) 234

sondern lediglich vorhandene Stücke zu einem festlichen Wandschmucke zusammen- gestellt hat. Wesentlicher ist ein Vermerk vom 17. Juni 1583: Moritz wird vor dem Rate angeklagt, weil er sich weigert, „Patronen“, die er im schlechten Zu- stande gegen Bezahlung ausgeliehen hat, wieder zurückzunehmen.

Moritz stirbt am 18. Oktober 1587, anscheinend kinderlos. Seine Witwe Adriana Zanders verheiratet sich am 24. August 1588 mit Joos Liessens.

Eine wertvolle Ergänzung der urkundlichen Belege bringt ein Wandteppich, der ıgı8 im deutschen Kunsthandel auftauchte. Die Tapisserie hing ehedem im alten Stuttgarter Schloß. Herr Landeskonservator Professor Gradmann teilte mir liebens- würdigerweise diese wesentliche Angabe mit, die ihm der spätere Besitzer persön- lich machte. Gegenwärtig befindet sich das Stück in Schweden. Der Teppich ist einschließlich der Borduren 4,50 m hoch und 5,40 m breit. Die Mitteldarstellung bringt den Tod Sauls, zum Teil in überlebensgroßen Figuren, zur Darstellung. Nicolaus van Orley hält sich völlig an die üblichen Traditionen der Brüsseler Patronenmaler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die klare, wuchtige Glie- derung italienischer Vorbilder, wie die der Folgen des Scipio und ähnlicher Motive der Schule Giulio Romanos, ist bereits stark abgeschwächt. Van Orleys Dar- stellung ist wenig glücklich gruppiert. Das Ganze macht einen unklaren und etwas zerfahrenen Eindruck. Deutlich erkennbar ist die Absicht, den Schwerpunkt des Bildes, Sauls und seines Waffentrdgers Tod, durch zwei seitliche große Gruppen zu fassen und so wirksamer zu gestalten. Der Zweck wird nicht erreicht. Haltung und Zeichnung mancher Figuren sind steif, bisweilen unrichtig; der Hintergrund verleugnet dagegen nicht die gute alte Brüsseler Tradition. Vorzüglich wirkt die turmreiche Stadtmauer, dahinter bewaldete Bergzüge mit festen Schlössern. Voll- endet ist die Durchbildung des Baumschlages.

Das Ganze ist das Erzeugnis eines routinierten Patronenmalers, der seinem Stoffe gegenüber schon etwas gleichgültig geworden ist, und dessen Können nicht in vollem Maße der gestellten Aufgabe gewachsen erscheint. Der Wirkteppich macht auf den ersten Blick ganz den Eindruck einer Brüsseler Arbeit um 1560. Vor- züglich ist die Behandlung des Beiwerks, namentlich der Pflanzen, und verschie- dener Einzelheiten der Rüstungen. Besondere Beachtung verdient die Ausführung der Bordüren, in der Abrechnung „die lusten“ genannt, die den besten Erzeug- nissen Brüssels ebenbürtig sind. Der Entwurf stammt, wie schon erwähnt, nicht von van Orleys Hand. Jacob de Carmes brachte die Patronen aus den Nieder- landen, wohl zweifelsohne aus Brüssel mit. Der Wirker scheint einen größeren Vorrat an Bordüren besessen zu haben. In einer Bemerkung, gelegentlich der Ausführung der Wirkteppiche für den großen Saal und die anstoßenden Kammern heißt es: „Was die Lusten darzu betrifft. Hatt Meister Jacob de Carmes für sich selbsten gehabt, dadurch anderer lustten auch gewürckt worden.“ Die in Franken- thal gemalten Wappenschilder, rechts das des Herzogs Christoph, links das seiner Gemahlin Anna Maria von Ansbach, und die Schrifttafel sind etwas willkürlich eingefügt und stehen nicht auf der Höhe der sonstigen Austiihrungen. Von beson- derer Bedeutung ist die Caritas in der Mitte der unteren Bordüre. In der Abrech- nung wird angegeben: „So sein der Caritas acht, so In die lusten obgemelte gemach. gemacht sein, Cost Jedes vom mahler zu mahlen 40 kr thut 5 fl 20 kr.“ Es ist nicht klar, wer der Entwerfer war, ob ein Brüsseler Maler oder ein Fran- kenthaler Künstler. Eines dürfte sicher sein, ursprünglich befand sich die Figur nicht in der Bordüre, vielmehr scheint ein auf der linken Seite noch vorhandenes Rollwerk ein Blütenbüschel umschlossen zu haben. Die Wesensähnlichkeit mit den

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beiden seitlichen Figuren, wohl Glaube und Stärke, ist unverkennbar. Es scheint, ein Frankenthaler Künstler hat die Figur der Caritas anderen Bordüren im Besitz des Jacob de Carmes entnommen und als unteres Mittelstück eingefügt.

Die Technik des Tapissiers entspricht völlig den Brüsseler Überlieferungen. Wir finden die gleiche Behandlung der Früchte, des Blattwerkes, der Einzelheiten der Gewänder, dieselbe Art der Darstellung des Fleischtones und des gewellten Haares, das stark an italienische Vorbilder erinnert. Typisch ist der Übergang von hell zu dunkel, die Lösung durch lange, senkrechte Verzahnungen (hachures), die in nur drei bis vier Farbentönen das stärkste Licht bis zum tiefsten Schatten wieder- spiegeln. Die Farbengebung entspricht gleichfalls der Art Brüsseler Tapisserien um 1560. Besonders reizvoll ist die Ausbildung der kleinen, die Außenkante der Bordüre umfassenden Leiste.

Der Teppich war zweifelsohne ein Stück der sechs großen Wirkereien „mit der Historia mit Saul уппа Dauidt“ in der „achten Kammer von der Ritterstube ап“. Die verblüffende Ähnlichkeit mit den Brüsseler Erzeugnissen der Zeit ist umso be- achtenswerter, als zweifelsohne noch manche von ausgewanderten Flämen geleitete deutsche Manufakturen, ganz in dem Stile ihrer Heimat und vielfach nach Brüs- seler Patronen arbeiteten. . Wohl nicht wenige der als Brüsseler und Audenarder Teppiche angesehenen Erzeugnisse dürften deutschen Ursprungs sein, wenn auch der Nachweis nicht immer in völlig einwandfreier Weise zu führen sein wird. Die Nachforschung nach weiteren Arbeiten aus der Manufaktur des de Carmes war bisher ergebnislos. In Stuttgart scheint man, ähnlich wie auch an anderen Orten, wenig liebevoll mit dem künstlerischen Erbe Herzog Christophs verfahren zu sein, Herr Oberschloßinspektor Hoffmeister war so freundlich, mir gelegentlich dieser Arbeit die Mitteilung zukommen zu lassen, daß wohl an Wirkereien aus dem 16. Jahrhundert kaum noch etwas vorhanden sein dürfte. Man fand 1840 bedauerlicherweise kein geeigneteres Packmaterial, um Teile der Aussteuer der Prinzessin Sofie, der Tochter König Wilhelms L und späteren Königin der Nieder- lande, nach dem Haag zu verschicken, als die alten, nicht mehr recht brauchbaren Wandteppiche. Ein weiterer Rest wurde im gleichen Jahre für einen geringen Betrag verkauft. Immerhin sind in Stuttgart noch etwa 55 Wirkteppiche vor- handen, darunter manche von hervorragender Arbeit!).

(х) Besonderen Dank schulde ich bei der Abfassung dieses Aufsatzes Herrn Dr. Е, von Schneider, Direktor des Württembergischen Geh. Haus- und Staatearchives, der mir stets liebenswürdigerwelse die Unterlagen zur Verfügung stellte und mir wichtige Aufklärungen über einzelne in den Urkunden erwähnte Personen gab; der Antiquitätenhandlung J. Klausner und Sohn, Berlin, die mir den Abzug des Wirkteppichs „Saule Tod“ übermittelte, den Herren Oberschloßinspektor Hoffmeister und Pro- fessor Gradmann, dem Stadtarchiv Straßburg und dem Stuttgarter Evangelischen Kirchen-Registeramt, die mir mehrfach wesentliche Mitteilungen zukommen ließen.

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ZUR GESCHICHTE DER KLEIN- очо GROSS. UHRMACHERmFÜRSTBISTUM WÜRZBURG

Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln | Von A. STOEHR

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В" der großen Bedeutung, welche im 17. und namentlich im beginnenden 18. Jahr- hundert die Kleinuhrmacherkunst in England, dann im Verlaufe des 18. Jahr- hunderts in Frankreich und schließlich in der Schweiz erreichte, sind wir nur allzu leicht geneigt, zu übersehen, daß in Deutschland damals nicht nur die Großuhr- macherei, sondern ebensosehr Auch die Kleinuhrmacherei eine nicht minder be- achtenswerte Stellung einnahm. Im Gegensatz zu England, Frankreich und der Schweiz, wo nur der Hauptsache nach London, Paris und Genf eine führende Stellung einnahmen, finden wir in Deutschland diese Kleinkünstler über zahlreiche große und kleine Städte verstreut, ja, es kommt vor, daß sich in an und für sich ganz belanglosen Orten der Sitz eines oder mehrerer Kleinuhrmacher befand, aus deren Werkstatt ausgezeichnete Arbeiten hervorgingen.

Gewöhnlich werden in Süddeutschland als Städte mit bedeutenden Kleinuhr- machern nur Augsburg mit dem benachbarten Friedberg, München, Nürnberg und Fürth genannt.

Aber auch Würzburg kann mit Fug und Recht hier angereiht werden, da es nicht nur eine Reihe tüchtiger Groß-, sondern auch Kleinuhrmacher in seinen Mauern be- herbergte, deren Werke eine solche Bedeutung besitzen, daß wir sie neben die allerbesten Leistungen des In- und Auslandes zu setzen berechtigt sind.

Das Groß- und Kleinuhrmacherhandwerk ist bekanntlich aus der Schlosserei hervorgegangen. Die Meister gehörten der Schlosserzunft an und schlossen sich erst im Laufe der Zeit da und dort, wie 2. В. in Nürnberg schon 1565 zu einem eigenen Handwerk zusammen. So ist es begreiflich, daß auch die Würzburger Uhrmacher hier keine Ausnahme bildeten. Die Würzburger Schlosserzunft umfaBte außer den eigentlichen Schlossern und den Uhrmachern auch noch die Büchsen- und die Windenmacher. Eine Zunftordnung hatte sie schon 1572 erhalten, die dann 1684 eine Erneuerung erfuhr.

Es ist charakteristisch für den damaligen Stand des Uhrmacherhandwerks, daß diese erneuerte Zunftordnung „Satz- und Ordnung des Schlosser-, Frömmwerker auch Püchsen-Uhr und Wintenmacher Handtwerks in der Stadt Wtirtzburg“ noch keine Scheidung von Groß- und Kleinuhrmachern kennt, ja noch nicht eihmal für sie ein besonderes Meisterstück verlangt, während für die Schlosser und die Büchsen- macher sehr genaue Vorschriften darüber getroffen sind. Diese Scheidung muß um 1700 oder wenigstens ganz im Anfange des 18. Jahrhunderts eingetreten sein, denn am т. Dezember 1709 wurde der erste und zugleich auch der bedeutendste der Würzburger Kleinuhrmacher, Johann Henner, als Meister und zwar mit der aus- drücklichen Bezeichnung „Kleinuhrmacher“ in die Zunft aufgenommen.

Wie aus einer nachher zu erwähnenden wiederum erneuerten Zunftordnung her- vorgeht, war für diesen in Würzburg neuen Handwerkszweig am 22. März 1711 wegen des Meisterstückes ein besonderes fürstbischöfliches Dekret erlassen worden. Das mag wohl auch zu der Bitte der Zunftmeister um eine Wiedererneuerung der bisherigen Ordnung den Anlaß gegeben haben. Die fürstbischöfliche Regierung kam ihr denn auch im Jahre 1714 nach und stellte für die Zunft eine neue, zahlreiche Artikel und eine Vorrede enthaltende Ordnung auf, die dem gesamten Handwerk

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zum Nutzen und Frommen, ebenso aber auch zum Schutz und zur Reinhaltung von allen Schäden zu dienen hatte. Es kann hier nicht die Aufgabe sein, die ver- schiedenen Absätze dieser neuen Ordnung einer Betrachtung zu unterziehen, da sie im wesentlichen nicht von den gangundgäben Handwerkerordnungen abweichen. Wir wollen uns nur mit dem vierten und fünften Absatz des zweiten Artikels be- schäftigen, der von dem neu aufgenommenen Meisterstück der Groß- und Klein- uhrmacher handelt, und für die ersteren lautet: „Ein Großuhrmacher solle zu seinem Meisterstück eine große Stubenuhr mit dem Gewicht und langem Perpendikel ver- fertigen und solle solche Uhr einen Monat lang unaufgezogen gehen, die Stund und Viertel aber auf sieben Glocken lautweis schlagen und repetieren nebst einem Wecker, so ebenfalls auf den sieben Glocken schlaget und weckt, überdies solle die Uhr die Stunden und Minuten auch Sekunden nebst dem Monatstag aufweisen und einer Verreibung, so man es nicht haben wollte, das sie von sich aus schlagen sollte, sondern nur allein repetieren.“

Für die Kleinuhrmacher war folgendes Meisterstück vorgesehen: „Wenn ein Kleinuhrmacher hierher kommen sollte und sich dahier zu setzen verlangen solle, derselbe erstlich seinen rechtmäßigen und gültigen Lehrbrief auch glaubhafte Ur- kunden vorzeigen, daß er zünftig gelernt und fünf Jahre, ein Meisterssohn aber vier Jahre nach seiner Lehrzeit auf sein Handwerk gewandert haben. Alsdann der Beschreibung gemäß, welche in der dahiesigen Schlosserhandwerksladen beständig aufbehalten wird, solle zu seinem Meisterstück eine kleine Sackuhr machen, welche Stunde und Viertel von sich selbst mit einem Werk schlaget, denn wiederum ein besonderes Werk zum Repetieren nebst einer Verreibung, daß die Uhr von sich selbst nicht schlage so es verlangt würde. An dieser vorgeschriebenen Uhr muß alles fleißig und scharf gemacht werden, damit eine solche Uhr Bestand haben könne. Sofern nun einer dieses Meisterstück auf sich nehmen und mit dem Aufriß der Räderzahl wider Hoffen ausstehen sollte, der kann sich bei der Lade anmelden, solle demseiben der Aufriß nebst der Räderzahl aus der Lade mitgeteilt werden. Alles nach Ausweis der hochfürstl, decreti sub dato den 22. Martii 1711.“

Einem Großuhrmacher war für die Anfertigung des Meisterstückes ein halbes Jahr, einem Kleinuhrmacher aber nur vier Monate Zeit gelassen.

Vor Anfang mußte dem Oberrichter eidlich gelobt werden, daß die Arbeit ganz allein und ohne Beihilfe ausgeführt würde.

Die Gebühren waren sehr hoch. Nicht allein das Oberrichteramt erhielt zwei Reichstaler Gebühren, sondern auch in die Meisterlade mußten sechs Reichstaler allein für das Meisterrecht, dann noch zwei Pfund Wachs für die Kerzen und drei Batzen Einschreibgeld erlegt werden. Nur für Meistersöhne oder Gesellen, die beabsichtigten, eines Meisters Tochter oder Witwe zu heiraten, war die Gebühr, für die Meisterlade auf die Hälfte ermäßigt. Bevor aber ein Geselle zum Meister- stück zugelassen wurde, hatte er sich zur „Jahrzeit“ anzumelden, wofür ebenfalls ein Reichstaler und ein Pfund Wachs erlegt werden mußte. Die gleichen Beträge waren bei Beginn der Arbeit für das Meisterstück fällig. Wenn der Geselle aber bei Kasse war, dann konnte er wenigstens durch die Zahlung von zehn Gulden für das Jahr „und also pro rata temporis mehr oder weniger“ die vorgeschriebene „Јаһгғей“ ganz oder zum größten Teil abwälzen. Meistersöhne und Heiratskandi- daten brauchten übrigens auch nur die Hälfte zu entrichten.

Die Annahme als Lehrling war von einer ı4tägigen Probezeit abhängig gemacht. Die Großuhrmacherlehrlinge hatten wie die Schlosser- und Windenmacherlebrlinge drei Jahre, die Kleinuhrmacherlehrlinge aber vier Jahre zu lernen. Die Aufdingung

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kostete zwei Gulden für die geschworenen Meister und !/, Gulden für die Lade, ein Pfund Wachs zu den Kerzen und drei Batzen Einschreibegebühr. Bei der Aufdingung war auch das Lehrgeld zur Hälfte zu zahlen, über dessen Höhe in der Ordnung aber keine Vorschriften enthalten sind. Der Rest mußte dem Meister gegenüber genügsam verbürgt werden. Die Ausstellung des Lehrbriefes nach voll- endeter Lehrzeit war ebenfalls mit den nicht geringen Kosten von 21/, Gulden verknüpft.

Trotz mancherlei Reibereien zwischen den Gesellen der Schlosser und der Uhr- und Büchsenmacher blieb die Zunft in ihrer Gestalt erhalten bis zum Jahre 1787. Zwar waren schon 1775 Anstrengungen zu einer Trennung gemacht worden, aber ohne Erfolg. Erst im Jahre 1787 gelang es, eine Trennung durchzusetzen. Die Uhr- und Büchsenmacher erhielten damals am 1б. Februar eine eigne Ordnung und die neue Zunft wurde zur Sicherung ihrer Lebensfähigkeit über das ganze Bis- tum ausgedehnt.

Die nachstehenden Angaben über die Uhrmachermeister sind aus den im Besitz der Schlosserzunft sowie der Zunft der Uhr- und Büchsenmacher befindlichen, im Historischen Verein für Unterfranken aufbewahrten Zunftbüchern geschöpft. Außer- dem wurden Akten des Gebrechen Amts im Kreisarchiv Würzburg benützt!).

Das wichtigste der Zunftbticher ist ein Quartband, der ursprünglich von seinem Stifter, dem Schlossermeister Martin Dößler als „Artikelbuch des Erbaren Handwerks der Schlosser, so renoviert worden Anno 1636“*) bestimmt worden war, dann aber als Meisterbuch benützt und von den Schlossern bis 1868 fortgeführt wurde. Das Buch ist mit allerlei schönen Malereien, den Zunftemblemen der verschiedenen Abteilungen der Zunft und sinnigen Sprüchlein verziert.

Nach der Trennung im Jahre 1787 führten die Büchsen- und Uhrmacher eine eigene Zunftlade und Bücher, von denen aber nur die Einschreibebücher für die Landmeister und die Lehrlinge in Originalen erhalten sind. Das Meisterbuch liegt in einer vom Stadtmagistrat Würzburg 1824 gefertigten und beglaubigten Abschrift vor, da, wie die Vorbemerkung sagt, das alte unbrauchbar geworden war. Eine solche Abschrift wurde im gleichen Jahre übrigens auch von den beiden Ein- und Ausschreibbüchern der Lehrlinge hergestellt mit der gleichen Begründung, obwohl beide Bücher kaum zu einem Viertel ihres Umfanges benützt waren. Eine Lade der Schlosser von 1661, eine zweite aus dem Beginn des то. Jahrhunderts und die Lade der Uhr- und Büchsenmacher befindet sich im Fränkischen Luitpoldmuseum.

In dessen reicher Sammlung von Taschenuhren und Werken von solchen“), die samt und sonders aus Franken zusammengetragen wurden und zum Teil Geschenke von Würzburger Uhrmachermeistern und Juwelieren sind, befindet sich auch eine Reihe von Taschenuhren, die nicht nur ihrer äußeren prachtvollen Gehäuse, son- dern ganz besonders der technisch vorzüglichen, ebenfalls künstlerisch auf das Feinste durchgeführten Werke wegen, die Aufmerksamkeit erregen. Sie tragen sowohl auf den silbernen Zifferblättern als auch auf dem Werke selbst die Be-

(1) Für die Überlassung der Zunftbücher bin ich dem Vorstand des Historischen Vereins, Herrn Uni- versitätsprofessor Dr. Th. Henner, für die Unterstützung meiner Forschungen im Kreisarchiv Herrn Assessor Paul Glück, jetzt Kreisarchivar in Bamberg, zu Dank verpflichtet.

(а) Das alte Meisterbuch war bei dem Schwedeneinfall 1632 nebst"sämtlichem Zunftbesits vernichtet worden.

(3) Die Namen der Klein- und Großuhrmacher, von denen das Fränkische Luitpoldmuseum Uhren oder Werke besitzt, sind in der Folge mit einem * versehen. Die Taschenubren haben, wenn nicht ausdrücklich anders bemerkt ist, durchweg Spindelgang.

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zeichnung „Johann Henner, Würzburg* (Abb. т). Außer mit diesen Kleinkunst- werken hat Johann Henner sich auch mit dem Bau größerer Werke abgegeben. Vor Jahren befand sich im Kunsthandel eine sechseckige Tischuhr mit verziertem Messinggehäuse, das, mit sechs Fensterchen versehen, das zierliche Werk, das Henners Namen trug, zu betrachten gestattete. Neuerdings ist eine kleine Stand- uhr in schwarzem Gehäuse mit vier Säulen und Messingkuppeldach im Handel aufgetaucht, deren Werk auf der Vorderseite ein vierfaches Zifferblatt und einen Segmentbogenausschnitt zeigt, hinter dem der Pendel schwingt und die Bezeich- nung Johann Henner, Würzburg steht; die Rückseite trägt zwischen gravierten Akanthusranken noch einmal den Namen Johann Henner, Würzburg?).

Dieser ausgezeichnete Meister wurde am ı. Dezember 1709 in die Zunft auf- genommen. Leider verschweigt das Zunftbuch, woher er nach Würzburg ein- gewandert ist. Im Jahre 1753 nahm er seinen Schwiegersohn Johann Trauner als Mitmeister auf, wofür er 8 Pfund 28 Pfennige in die Zunftlade erlegen mußte. Eine Taschenuhr mit der Bezeichnung Henner et Trauner befindet sich im Frän- kischen Luitpoldmuseum. Das Kompaniegeschäft dauerte aber nur noch drei Jahre, denn am 18. Februar 1756 ist Henner gestorben. Er wurde bei den Franziskanern in Würzburg begraben“). |

Der kunstreiche Meister hat ез im Laufe der Zeit zum fürstbischöflichen Hof- uhrmacher gebracht. Unter den zahlreichen Lehrlingen, die in seiner Werkstatt das kunstvolle Handwerk erlernten, befindet sich auch Georg Rumpelsberger, der sich später in Würzburg als Meister niederließ und ganz im Fahrwasser seines Lehrherrn arbeitete. Er wurde 1747 aufgedingt unter der Bedingung, sieben Jahre zu lernen, da er kein Lehrgeld zahlte und mit der drückenden Verpflichtung, die im Ungeltbuch (Einnahmebuch) der Zunft ausdrücklich festgelegt war: „Nach der Freisprechung soll der Jung die erste Uhr der Frau Meisterin zu einem Präsent machen“. Der Tod der Meisterin am 19. März 1750 befreite den Jungen von dieser Belastung ).

Am 12. Juli 1720 hat der aus Friedberg bei Augsburg stammende Ferdinand Engels chalk“) sein Jahr einschreiben lassen und wurde am 22. Januar 1721 Meister. Nach dem Jahre 1727, in dem er einen Jungen, Joseph Böller aus Deising in Ober- bayern, freisprechen ließ, ging er nach Friedberg zurück, woselbst er 1730 ge storben ist. Wie aus einer Klagesache°) wegen Rückgabe des Lehrgeldes hervor- geht, ist der Meister auf- und davongegangen.

(1) Leider verbietet die in keinem Verhältnis zum Gegenstande stehende phantastische Forderung des Händlers ihre Erwerbung für das Fränkische Luitpoldmuseum.

(2) P. Konrad Eubel, Die in der Franziskaner Minoritenkirche zu Würzburg Bestatteten aus dem Adel- und Bürgerstande. Archiv des Hist. Vereins für Unterfranken, 27. В. 1884, S. 64, Nr. 347. 1756, Febr. 19. Georg Homer, Uhrmacher. Der Name ist wohl falsch gelesen, es kann sich nur um Johann Henner handeln, der also auch noch den Vornamen Georg trug.

(3) Hochfürstl. Würzburgische Frag- und Anzeigungsnachrichten 1750. Nach freundlicher Mitteilung von Herrn Dr. med. Max Kahn.

(4) Die Engelechalk sind eine alte Uhrmacherfamilie, Schon Ende des 16. Jahrhunderts finden wir in Prag einen Kleinuhrmacher Johann Engelschalck. Siehe Pierre Dubois, Description et iconographie etc. Paris 1858. Dort ist eine Taschenuhr in Form eines Kreuzes aus der Zeit von ı580—ı600 erwähnt, der Name allerdings falsch gelesen. Gustav Speckhart hat das Verdienst, außer vielen anderen Irr- tümern auch diesen Fehler Dubois richtiggestellt zu haben. Siehe Claudius Saunier und Gustav Speck- hart, Die Geschichte der Zeitmeßkunst. II. Band, S. 342, 343.

(5) К. A. W. Gebrech. Amt 5, Lit. Wf. 80, Nr. 432.

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Der schon genannte Schwiegersohn Henners, Johann Trauner*, wurde am 8. Oktober 1749 Meister. Auch aus seiner Werkstatt sind eine Reihe von tüch- tigen Gesellen hervorgegangen. Seine Arbeiten zeigen die gleiche Sorgfalt wie die seines Schwiegervaters, in ihrer künstlerischen Ausstattung bemerken wir die in- zwischen erfolgte Stilwandlung von Laub und Bandelwerk zum Rokoko. Der Meister starb am 30. August 1772 (Abb. 2).

Der Sohn des schon genannten Ferdinand Engelschalk, Georg Konrad Ignatius Engelschalk, wurde am 18. Mai 1739 von dem Großuhrmacher Urban Schmitt aufgedingt und am 25. September 1744 freigesprochen. Das Meisterrecht erwarb er am 21. September 1754. Wegen seines Meisterstücks kam es zu einem Streit mit den Kleinuhrmachern, der das Gebrechenamt beschäftigte!), da, Engelschalk eigentlich als Großuhrmacher gelernt hatte. Er kam als Kleinuhrmacher tatsäch- lich auf keinen grünen Zweig, denn 1768 reichte er bei der Regierung ein Bitt- gesuch ein, in dem er um die Genehmigung einer Lotterie von Uhren, Silber- und Schmucksachen nachsuchte ).

Trotzdem übertrug ihm der Oberrat den Lehrling des am 30. August 1772 ge- storbenen Johann Trauner zum Auslernen und zur Freisprechung, was letzteres der Meister vorzog, sofort zu tun, „da der Jung vier Jahre gelernt hat“. 1780 war der Meister vollständig „ins Abwesen“ gekommen und gezwungen, der Regierung eine Bitte um Genehmigung der Veranstaltung einer Geldsammlung vorzulegen 5).

So endete der Nachkomme einer berühmten Uhrmacherfamilie.

Erfreulicher ist das Bild, das uns der schon genannte Joseph Rumpelsberger* bietet, der das Meisterrecht am 8. Mai 1760 erwarb und vermutlich 1781 Hofuhr- macher wurde. Seine Uhren zeichnen sich durch die gleiche Sorgfalt wie die seines berühmten Lehrmeisters aus. i

Am 13. November 1772 erscheint der Name des Kleinuhrmachers Konrad Kozzi · bei der Übernahme des Meisterrechts des Großuhrmachers Franz Bernhard Wirth in den Zunftbüchern. 1780 sah er sich veranlaßt, gegen die fortwährenden Ein- griffe der Großuhrmacher in die Kleinuhrmacherei Beschwerde bei der Regierung einzulegen )).

Kozzi starb, 80 Jahre alt, als Pfründner im Bürgerspital in Würzburg’).

Der Kleinuhrmacher Georg Bollermann wurde am 27. Juni 1782 als Meister an- genommen.

1796, am 26. Februar, erhielt Caspar Bollermann* das Meisterrecht als Klein- uhrmacher. Er hatte das Handwerk bei Georg Bollermann seit 1785 erlernt.

Der letzte eigentliche Kleinuhrmacher war Johann Baptist Eyrich“, der 1796, am 19. Mai, Meister wurde. Er war bei Rumpelsberger in der Lehre gewesen. Eyrich hat aber außer zahlreichen Kleinuhren auch schon Großuhren verfertigt, von denen sich, meist mit schön geschnitzten Gehäusen ausgestattete, noch ziem- lich viele in Würzburg erhalten haben (Abb. 3). Eine im Bayerischen National- museum in München aufgestellte mechanische Kunstuhr hat er, wie aus der Auf- schrift hervorgeht, nach einer Erfindung des Kremsmünsterer Paters Apollinaris ausgeführte). Die als Geschenk des Marschalk von Ostheim 1900 in das Museum

(1) K. A W. Gebr. Amt IV. W. 371.

(2) K. A. W. Gebr. Amt VII. W. 7.

(3) К. A. W. Gebr. Amt VIL W. 508.

(4) K. A. W. Gebr. Amt VII. W. 535.

(5) Fränkische Chronik 1809, 5. 743/44.

(6) Dr. Ernst Bassermann-Jordan, Die Geschichte der Räderuhr Nr, 120, Seite 102, Abb, 33, Seite 53.

Monatshefte für Kunstwissenechaft, XII. Jahrg., 1919, Heft 8/9 17 241

gekommene Uhr ist o, 518 m hoch, während das eigentliche Werk nur 5 cm mißt. Das Gestell aus gegossenem Messing trägt einen weiß emaillierten Stundenring, der von zwei getriebenen Löwen gehalten wird und in dem ein Stundenzeiger frei spielend zwischen zwei Messingsäulen mit farbigen Porzellanbekrönungen angebracht ist. Das kleine, runde Werk dient dem Zeiger als Gegengewicht und treibt diesen wie sich selbst, indem es in seinem Innern ein Bleigewicht langsam rotieren läßt. Das Gestell ist bezeichnet: P. Apollinaris Krem. O. S. Aug. Fecit. Das Werk: Р. Apollinaris О. S. Aug. Invenit. Johannes Bapt. Eyrich Кеси.

Die Zeit der peinlichen Scheidung zwischen Klein- und Großuhrmachern ist vor- über, in der Folge hören wir im Meisterbuch nur noch von Uhrmachern schlecht- hin, und nur.hier und da wird ein Großuhrmacher als solcher ausdrücklich genannt.

Der Vollständigkeit wegen mögen hier die Namen der Uhrmacher folgen:

Michael Baunach, Meister 29. Juni 1798. Philipp Franz Eglau, Meister 4. März 1802. Johann Jakob Kreuzer, Meister 4. März 1804. Adam Bollermann, Meister 18. November 1814, Sohn des Georg Bollermann. Joseph Steiner, Meister 8. August 1817. *Anton Kreuzer, Meister 28. August 1817. Joseph Böschel, Meister 19. Juli 1819. , *Friedrich Bollermann, Meister 30. August 1823, Sohn des Georg Bollermann. Johann Wirth, Meister 26. November 1828. Karl Pfeffer, Meister 26. November 1831. Michael Olsan von Werneck erhält als Hebräer mit Genehmigung des Kgl. Staatsministeriums die Erlaubnis zur Ausübung des Uhrmachergewerbes 9. Januar 1832. Joseph Friedrich Thokofen aus Österreich, Meister 29. März 1834. Ignatz Fleischmann aus Heidingsfeld, Meister 5. November 1835. Ludwig Mohr, Meister ı. März 1846. Konrad Neuland, Meister 18. Juli 1846. *Albert Völk, Meister 30. Juli 1847. Sebastian Geist aus Volkach, Meister ı2. April 1848. Andreas Breunig, Meister 28. April 1848.

Mit diesem Jahre schließen die Eintragungen im Meisterbuch der Uhr- und

Büchsenmacher.

* * *

Die Großuhrmacherei wurde in Würzburg seit der Mitte des 15. Jahrhunderts betrieben.

Für die Herstellung einer Uhr auf dem 1456 erhöhten Turm des Grafeneckard- baues, des ältesten Bestandteils des Würzburger Rathauses, wurde damals der Dinkelsbühler Meister Hans Klein, ein geborener Haßfurter, berufen“).

Der Dom in Würzburg scheint 1507 mit einer Uhr versehen worden zu sein. Damals erhielt der Westgiebel ein Uhrtürmchen mit Maßwerk und der Figur St. Michaels als Bekrönung ).

Eine neue, heute noch im Gang befindliche Uhr wurde 1573 von dem Würz- burger Hof- und Stadtschlosser Schmidt nach einer Visierung des Dombaumeisters Hans Lamprecht angefertigt und in dem gewölbten Raum über der Westemporen-

(т) Bernatz, Der Grafeneckartsbau zu Würzburg. W. 1889. (2) Die Kunstdenkmäler des Königreichs Bayern, Unterfranken. XII. Stadt Würzburg, 8. 40.

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kapelle aufgestellt. Sie ist am Gestell mit geschmiedeten Renaissanceblumen уег- ziert und trägt die Inschrift „1573. Georg Schmidt.“ 1698 wurde der Raum be- deutend erhöht und die Uhr mit einem Pendel eingerichtet !).

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts saß dahier sogar ein sehr kunstreicher Meister namens Hans Sycher, der die reizvolle Kunstuhr am Rathaus zu Ochsenfurt vor 1560 ausftihrte *).

Das Meisterbuch von 1636 nennt erst im Jahre 1673 den Namen eines Uhr- machers, Philipp SchloB. |

Ihm folgt dann 1704 Johann Anton Metz; ein Meister von Ruf war Martin Schibani*, der am 3. November 1727 Meister wurde und am 13. Oktober 1759 gestorben ist. Von ihm bewahrt das Fränkische Luitpoldmuseum eine Standuhr mit prachtvoll gearbeitetem Werk, und eine Wanduhr (Telleruhr) mit reich ge- triebenem Zifferblatt, das eine Werk ganz in Messing, das andere in Eisen gebaut. Der Meister hat zahlreiche Schlossergesellen in die Geheimnisse der Großuhr- macherei eingeweiht.

1738, am 6. November, wurde Urban Schmitt, 1740 am 25. September Johann Frantz, 1741 am 12. März Johann Weinmeister* aus Wien und 1745 am 18. Mai Johann Georg Langschwert* als Meister aufgenommen.

Den Namen Weinmeister trägt eine zierliche Standuhr mit graviertem und aus- geschnittenem Zifferblatt, deren Werk leider nicht unberührt geblieben ist. Im fürst- lichen Vorzimmer des Schlößchens im Veitshöchheimer Hofgarten befand sich eine kunstvolle Uhr mit Glockenspiel von Johann Weinmeister in hohem Gehäuse, das mit Nußbaum fourniert und mit vergoldeter Schnitzarbeit verziert war®). Lang- schwert scheint eine große Werkstatt gehabt zu haben. Von ihm stammen eine große Dielenuhr in einem auf das Reichste mit Rokokoschnitzereien und Einlagen ausgestatteten Gehäuse in Privatbesitz, und mehrere schöne Standuhren, von denen eine im Fränkischen Luitpoldmuseum steht. Das Fürstbischöfliche Schlößchen im Veitshöchheimer Hofgarten besaß von ihm eine kunstvolle „Pandille-Uhr“ in einem von Nußbaumholz fournierten und mit gefärbten, eingelegten Blumen verzierten Gehäuse im „Billardzimmer“ ).

1745, am 15. Oktober, konnte der aus Kitzingen gebürtige Cyriakus Fink“ sein Meisterstück vorweisen, nachdem die anderen Großuhrmacher erst allerlei Schwierig- keiten in den Weg gelegt hatten?)

Eine Standuhr mit seinem Namen in teilweise vergoldetem Rokoko- Holzgehäuse bewahrt das Fränkische Luitpoldmuseum.

Wann der Großuhrmacher Franz Bernhard Wirth das Meisterrecht erwarb, ist aus dem Meisterbuch nicht ersichtlich. Wie schon erwähnt wurde, trat er es 1772 an den Kleinuhrmacher Konrad Kozzi ab und zwar um 1000 fl., wie aus einer Beschwerde des letzteren hervorgeht, die er am 12. Juni 1780 bei der Regierung einreichte, weil Wirth, unbekümmert um den Verkauf, weiterhin als Großuhrmacher gearbeitet und sogar Gesellen gehalten hatte. Bei dieser Gelegenheit wird auch der unangenehmen Konkurrenz der Großuhrmacher gedacht, die durch den Ver- kauf von auf dem Handelswege bezogenen Genfer Taschenuhren und anderen

(т) Karl Gettfried Scharold, Geschichte und Beschreibung des St. Kiliansdomes und der Bischöflichen Kathedrale zu Würzburg. Archiv des Histor. Vereins für Unterfranken. IV, 1837, 1. Heft, S. 8off. (2) Kunstdenkmäler des Königreichs Bayern, Unterfranken, Heft Ochsenfurt, S. 179.

(3) ebenda. Ш. Bez. Amt Würzburg, 5. 188.

(4) ebenda, 8. 187.

(5).K. А. W. Gebr. Amt VI. W. 113.

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Fabrikaten trotz des strengen Verbotes den Kleinuhrmachern merklichen Schaden verursachten, aber nicht imstande seien, auch die notwendigen Reparaturen aus- zuführen. Auch über die Juden, die zu Meßzeiten in Würzburg mit Kleinuhren englischen Fabrikates handelten, wird bitter geklagt*).

Durch diesen verbotenen Handel erklärt sich das massenhafte Vorkommen von Genfer упа englischen Taschenuhren bei der unterfränkischen bäuerlichen Bevölke- rung, die mit großer Liebe diese alten Spindeluhren bewahrte und weiter vererbte. Erst in den letzten Jahrzehnten kamen sie wieder zum Vorschein und wurden durch die billigen, aber den modernen Anforderungen an einen Zeitmesser vielmehr entsprechenden Remontoiruhren eingetauscht.

Hier sei auch des außerhalb des Handwerks stehenden Kunstmalers und Mecha- nikers Johann Zick gedacht, der, angeregt durch die Arbeiten des bedeutenden Kunstschreiners Georg Nestfell auf mechanischem Gebiet, er vollendete in den Jahren 1753 und 1760 zwei große Planetenmaschinen sich ebenfalls an den Bau eines derartigen Kunstwerkes machte und es in den Jahren 1754—1760 auch zu- stande brachte. Dieses Planetarium befindet sich heute im Fränkischen Luitpold- museum. Über das kunstvolle und fein durchdachte Werk werde ich demnächst in der Zeitschrift „Frankenland“ eingehend berichten.

Heinrich Keßmann, aus Königheim in Baden gebürtig, hat das Handwerk in Tauberbischofsheim erlernt und wurde am 22. Juni 1761 Meister in Würzburg. Am 27. Oktober 1780 hat Johann Demmel das Meisterrecht erworben. Er scheint ein sehr geschickter Künstler gewesen zu sein, der in mechanischen Spielereien nicht unerfahren war, aber damit keinen rechten Erfolg erzielte. Im Jahre 1798 griff er daher zu dem beliebten Mittel, durch Verlosung von einer Reihe von Kunstuhren sich Geld zu machen und suchte dazu um die Genehmigung der Re- gierung nach. Nach dem Lottoplan sollten sechs Stück große Uhren und eine mit einem künstlichen Flötenspiel zusammen im Werte von 1273 fl. zur Ausspielung gelangen, und dafür 1471 fl. gelöst werden. Bei 700 Losen А 2 Я. 45 kr. mit 1925 fl. Ertrag sollten den glücklichen Gewinnern auch noch Geldpreise winken. Die besten Stücke waren die Uhr mit dem ktinstlichen Flötenspiele, die mit zwei Alabastersäulen und vergoldeten Messinggalerien ausgestattet war, acht Tage ging, schlug, repetierte und die Monatstage zeigte, und eine Sternwartenuhr in lackiertem Gehäuse, Die übrigen hatten teils Alabasterkästen, teils waren sie vergoldet oder grün lackiert. Obwohl der Fürstbischof dem Unternehmen nicht abgeneigt war, sprach sich der Oberrat doch dagegen aus und beantragte eirten freihändigen Ver- kauf, Der endgültige Entscheid fehlt leider in den Akten?).

Am 21. Juni 1772 wurde Johann Baptist Steiner* Großuhrmachermeister. Er hat eine stattliche Reihe von Lehrjungen ausgebildet, wofür er sich aber ganz gehörig zahlen ließ. So mußte ein Junge für die dreijährige Lehre 50 Я., ein anderer sogar тоо Rthir. Lehrgeld erlegen. Der Meister starb 1795.

Die vorhin erwähnten Streitigkeiten zwischen dem Kleinuhrmacher Kozzi und dem Großuhrmacher Wirth führten dazu, daß letzterer am 19. Juni 1781 aufs neue das Meisterrecht erwarb, da er tatsächlich bis dahin sein Geschäft unrechtmäßig ausgeübt hatte.

Am 16. Juni 1792 ist Anton Pracht Meister geworden. Eine große astrono-

(1) К. A. W. Gebr. Amt VII. W. 535. (2) ebenda VII. W. 1402.

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mische Standuhr in weiß und goldenem Gehäuse befindet sich in der Würzburger Residenz im sogenannten Charlottenzimmer.

Im gleichen Jahre, am 16. September, erhielt Andreas Steib das Meisterrecht.

*Leonhard Pfeffer, der die Witwe des Meisters Johann Baptist Steiner ge- heiratet hatte, wurde am 12. Mai 1796 als Meister aufgenommen.

Eine sehr schöne Standuhr aus patiniertem, gelbem Ton, deren rundes Messing- werk mit Glocken-Stundenschlag auf einem lorbeerumkränzten, runden Postament ruht, neben dem eine weibliche Figur in antiker Gewandung lehnt, besitzt das Fränkische Luitpoldmuseum als Vermächtnis der 1918 gestorbenen Frau Rosa Fahrmbacher, geb. Stahel. Das weiß emaillierte Zifferblatt trägt die Bezeichnung „Leonhard Pfeffer in Würzburg (Abb. 4).

Michael Baunach aus Würzburg, der bei Johann Baptist Steiner lernte, ist am 29. Juni 1798 Meister geworden.

Philipp Franz Eglau, ein Кеше des Johann Demmel, erhielt am 14. März 1802 das Meisterrecht.

Johann Jacob Kreuzer* wurde am 4. Juni 1806 Meister; er hatte bei Andreas Steib das Handwerk erlernt. Eine große, von ihm gefertigte Standuhr in mit Bronze- beschlägen verziertem Mahagonigehäuse besitzt das Fränkische Luitpoldmuseum.

Als Großuhrmacher ließen sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Würz- burg nieder:

Kilian Körner aus Bischwind, Meister am 16. Juni 1806.

Adam Manger aus Marktsteinach, Meister ır. April 1807. ,

Caspar Eglau aus Würzburg, Meister 28. Juni 1807. |

\

A * +

Verzeichnis der laut Eintragungen im Zunftbuch seit 1791—1826 in die Zunft aufgenommenen Uhrmacher-Landmeister nebst einigen Ergänzungen für die Zeit nach 1826.

Arnstein: Franz Groß, Meister 18. Oktober 1823.

Dettelbach: Franz Leithmer, Meister 23. August 1798. (Er gehörte‘ zugleich

der dortigem Hammerzunft an.) Geroldshofen: Michael Pflocks, Meister 22. Тайша 1791; Christoph Leiterer, Meister 22. September 1798.

Giebelstadt: Andreas Berger, Meister 23. Oktober 1807; *Joh. Michael Berger, Meister nach 1826.

Haßfurt: Georg Sartorius aus Bamberg, Meister 5- Januar 1798; Benno Cibe- lius, Meister 17. Februar 1823. Heugrumbach: Johann Vierlein, Meister 22. Februar 1791. Hilders: Johann Hohmann aus Simmershausen, Meister 28. Juni 1820. Karlstadt am Main: Georg Hartung aus Urspringen, Meister 7. Juli 1821. Kissingen: Andreas Metz, Großuhrmacher, Meister ı. März 1791; Franz Heil, Meister 20. März 1812.

Kitzingen am Main: Kaspar Kranz, Großuhrmacher, Meister 22. Januar 1794; Georg Kranz, Meister 21. Juni 1802; *Joseph Süßbauer, Meister 20. August 1803; Anton Steiner, Meister 29. Juni 1806; *Karl Keyl, Meister nach 1826.

Königshofen im Grabfeld: Michael Ziegler, Meister 2. Februar 1791; Lukas Dreiz, Meister 4. April 1810; Daniel Ziegler, Meister 30. Dezember 1818.

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Marktbreit am Main: *Joseph Martin Kalle, Meister 26. April 1824; Georg Nußbaum, Meister 20. Februar 1825; *August Hochstetter, Meister nach 1826.

Marktheidenfeld: Melchior Hohmann, Meister 17. April 1793; Michael Greiner, Meister 29. Juni 1794.

Münnerstadt: Mattes Holletzek, Meister 14. Februar 1816.

Neustadt a.d.Saale: Caspar Rheinstein, Meister 15. Juli 1791; Caspar Beng- graf, Meister 21. November 1794; Caspar Benggraf der Jüngere, Meister 17. August 1826.

Nordheim v. 4. Rhön: Martin Ditz, Meister 22. April 1825.

Ochsenfurt: Martin Schmitt, Meister 15. August r80r; Thomas Schmitt, GroBuhrmacher, Meister 26. Juni 1808; Georg Wirth, Meister ?

Rippberg: Leonhard Sachs, Meister 2. Januar 1791.

Simmershausen: Johann Hohmann, Meister тб. März 1791.

Strüth: Georg Ochsner, Meister 8. November 1815.

Sulzfeld a. Main: Andreas Moritz, Meister ІІ. März 1825.

Sulzthal, Landgericht Euerdorf: Georg Weingart, Meister 7. April 1825.

Waldaschach: Valentin Engelbreit, Meister 18. September 1797; Andreas Engelbreit, Meister 5. Febr. 1809; Franz Engelbreit, Meister 19. Mai 1824.

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MISZELLEN

KUNSTWISSENSCHAFT UND KUNSTGESCHICHTS- SCHREIBUNG |

Vorbemerkung des Herausgebers. Die nachfolgenden beiden Beiträge bebandeln von verschiedenen Gesichtspunkten aus Fragen, die heute mehr denn je auch die Ziele dieser Zeitschrift berühren. Ohne endgültige Postulate zu geben, streift jeder von ihnen einen ent- scheidenden Punkt in der Struktur der wissenschaftlichen Disziplin, deren Neuaufbau von Vielen seit langem gefordert, heute durchaus dringend erscheint. Den Lesern dieser Zeit- schrift sei es überlassen, die hier gegebenen Anregungen weiter zu verfolgen oder gar lite- rarisch fortzusetzen. Indem aber diese Zeitschrift solchen Erörterungen grundsätzlich über- haupt Raum gibt, will sie auch ihrerseits dazu beitragen, die Problematik der Kunstgeschichte zu erklären und zur Diskussion zu stellen.

PROBLEMATIK DER KUNSTGESCHICHTE Von V. C. HABICHT

ielleicht stehen wir am Ende der christlich-

germanisch-hellenistischen Kultur, (was ich glaube und worüber ich mich mit Goethes Wort: „Denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zu- grunde geht“ so gut es geht, tröste), vielleicht so- gar aber an einem Anfange rattenkahler Radika- lität (was ich aus heißem Herzen als nicht ereignis- haft erhoffe.) Jedenfalls tun alle Wissenschaften, wie ein jeder Einzelne gut, sich in Apokalypsisstim- mung zu versetzen, hinzustreben auf das Eine, das nottut, und sich zu höchster Kraft zu sammeln. War die Erwartung des jüngsten Tages, wie einst im Mittelalter, eine unbegründete, um so besser. Unsere Wissenschaft ist jung und man merkt ihr die Jugend an; die deutsche Jugend besonders. Von Einigkeit, Zielstrebigkeit und Unterordnung unter einen großen Endgedanken ist keine Rede. Das Problematische, Fragmentarische und Eigen- brödlerische unserer Geistesstruktur lassen es scheinbar nicht zu. Wir konnten es uns auch leisten. Aber nun ist es Zeit, gemeinsam zu handeln. Ich spreche von Kunstgeschichte, nicht von Ästhetik oder Kunstwissenschaft. Ich spreche von der Tatsache, daß die Ziele unserer histo- rischen Wissenschaft, ihre Arbeitsweise und Eigenart klipp und klar feststehen, nicht zum wenigsten dank der unvergeßlichen Meisterleistung Hans Tietzes!) und daß trotzdem von Ье. rafener und unberufener, von vielvermögender und von schwachtönender Seite eine Kunstge- schichte auf eigene Faust getrieben wird. Die

(1) Vai. Н. Tietse: Die Methode der Kunstgeschichte, Leipzig 1913. Erst nach der Ablieferung des Manuskriptes ist mir die Arbeit von O. Wulff: Grundlinien und kritische Erörterungen sur Prinsipienlehre der bildenden Kunst, Stutt- Eart 1917, bekannt geworden, die die Gegensätze auch bo- handelt, aber meine Ausführungen nicht unnötig macht.

zwei mißlichsten Ergebnisse sind diese: angeblich kunstgeschichtliche Arbeiten sind verkappte kunst- wissenschaftliche Betrachtungen (Analysen und Interpretationen) und angeblich kunstwissenschaft- liche Untersuchungen sind subjektive Umdeutungen historisch längst festgestellter Beobachtungen. Zwei Wege sind möglich: einmal kunstgeschicht- liche Untersuchungen und dann kunstwissenschaft- liche Betrachtungen. Die ewige Vermischung ist vom Übel! Jeder entscheide sich nach Veran- lagung, Erziehung und Geschmack meinet- wegen von Fall zu Fall!

Wir brauchen kunstgeschichtliche Untersuch- ungen, dringend!, in Hülle und Fülle! Die un- geheuer reiche Welt der Vergangenheit steht uns noch lange nicht wissenschaftlich begreifbar zu Gebote. Noch lange nicht. Die Menschheit, unsere Wissenschaft nicht allein, hat ein Recht, Positives zu erfahren über Fragen wie: „Welchen Antejl haben die Deutschen am Entstehen der romanischen Architektur?“; „Wer sind die Meister der Dome in Mainz, Speyer und Worms?“ „Welche Kenntnisse der höheren Mathematik be- saßen die großen gotischen Dombaumeister?“; „Wo liegen die Ursachen zur optisch-malerischen Auffassung der Tafelmalerei des Mittelalters?“; „Wer ist Meister Bertram?“; „Wer ist der Haus- buchmeister?“, „Wer hat den Kupferstich er- funden?“ (natürlich handelt es sich um eine Erfindung.) „Wer ist der Meister Е. 8.7“ „Was wissen wir über M. Grün alias Grünewald?“ (aber auch alles!) „Wer ist der Verfertiger der Holz- schnitte der Lübecker Bibel von 14947“, „Wer ist der Erbauer des Ott-Heinrichbaus des Heidel- berger Schlosses?“, „Was haben unsere Barock- architekten und Architekturtheoretiker im Ge-

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samtverlauf der Barockbewegung geleistet?“ und vieles, vieles andere. An die Beantwortung

aller dieser Aufgaben und Fragen mache sich

nicht der heran, den Neigung und Begabung zu kunstwissenschaftlichen Betrachtungen ziehen. Hier handelt es sich um ein: hic Rhodus, hic salta! Mit allem Geist, mit aller Einfühlung, mit allen 6. v. У! Redensarten ist hier nichts getan. Lux in concreto lucet! Man glaube nur ja und gerade nun nicht dies Bereit- stellen des positiven Materiales als Kärrnerarbeit, als Schaffen zweiter Ordnung abtun zu können; als eine Tätigkeit, über die die „wahre“ Aufgabe des Kunsthistorikers erhaben sei. Zum mindesten sei gesagt: Wer heute die wissenschaftlich eindeutige Identifikation des Meisters Е. 8. oder des Hausbuch- meisters erbringt, wer den Geburtsort und die Jugendentwicklung M. Griins alias Griinewalds nach- weist, hat genau, mindestens genau soviel fiir die Bereicherung unserer Wissenschaft getan, wie der, dessen erreichtes Ziel eine befriedigende (letzten Endes natürlich bei unabgeschlossenem Material nur vorläufige) Interpretation eines Stiles oder eines GroBen der Kunstgeschichte gewesen ist.

Das Material ist nicht abgeschlossen; von ganz wenigen Ausnahmen (meist auslindischer Meister) abgesehen. Nein es ist es keineswegs. Die oben genannten Fragen lieBen sich leicht ins Aschgraue vermehren!

Und darum ist es eine heikle Sache mit der Betätigung auf dem kunstwissenschaftlichen Ge- . biete, der anderen Seite, die als notwendig, ja als endgültig durchaus anerkannt wird. Kate- gorien der italienischen Renaissance, bei Leibe nicht des Barocks, soll und kann man weiter aufstellen. Ich rate: „Man gehe vom Häuslichen aus und verbreite sich, so man kann, über die Welt“ (d. h. ich rate hier nach Goethe, dem Weisesten von allen.) Hat man schon das Be- dürfnis, nicht zu schuften und Bausteine beizu- tragen, sondern letzte Fäden aufzuweisen, dann nehme man die hebbaren auf. Es wäre unendlich viel gewonnen, wenn wir etwas über die Kate- gorien des Impressionismus, über die der Romantik, des Nazarenertums, des Klassizismus, des Empire

erfahren könnten. Über Barock geht es schon nicht mehr. Nein, es geht einfach nicht, weil die nötigsten Fundamente zu solchen luftigen Gebäuden fehlen. (Soll man das noch beweisen? Noch, angesichts der Tatsache, daß wir keine Klarheit über die Baugeschichte, deh Meister des Bruchsaler Schlosses besitzen, daß B. Naumann’s Jugend und künstlerische Herkunft (trotz meiner Bemühungen) verdunkelt worden ist, daß man über den ausschweifenden Barock Niedersachsens nichts, aber auch nichts, weiß u. в, w. Lauter Tatsachen, die die Aufsteilung von Synthesen hinsichtlich des deutschen Barocks wenigstens einfach unmöglich machen (vorausgesetzt ein wenig Ehrfurcht und Selbstbescheidung.) Auf an- deren Gebieten, wo genügend Material vorliegt, ist man unnötig spröde. Ich würde os als Ver- dienst ansehen, z. B. etwas über die gotischen und Renaissancekategorien in Hans Holbein d. J. ausgesagt zu hören, oder über die formale Eigen-

‘art A. Graffs, oder über den Stil der deutschen

Keramik u. 8. w. In concreto lucet lux!

Diese Zeitschrift soll ein Vorbild sein. Hic Rhodus, hic salta! In zwei klar geschiedenen Teilen wollen sich die Begabungen und Neigungen trennen und einen. Was bei Einzelnen vielleicht doppelt möglich ist, soll als Leistung, als Arbeit am Gesamtziele klar scheiden. Ich schlage des- halb vor, daß in Zukunft ein 1. Teil die so not- wendigen Bereitstellungen des Materials, die Stofferschließung, also die kunstgeschicht- lichen Forschungen bringt, während ein a. Teilden kunstwissenschaftlichen Abhand- lungen (aber unter Voraussetzung genügenden und zureichenden Materials) Raum läßt. Der Forscher selbst kann sehr wohl und dies sei den Verächtern der Kärrnertätigkeit ausdrücklich ge- sagt auf beiden Gebieten tätig sein.

Ich kehre zum Anfang zurück. Die Zeit brennt uns auf den Nägeln. Verschwenden ist Sünde, Jeder tue, was ег kann. „Ale ich khan“, wie Jan v. Eyck uns tief beschimen sollend und vor- bildlich gesagt hat: „als ich khan.“

ZUR METHODIK DER KUNSTGESCHICHTE Von ALEX. DORNER

A” Wissenschaft hat das Bestreben, in einer

vernunftmäßigen, absoluten göttlichen Ein- "heit den Gegensatz von Gesetz und Willkür be- gründet zu finden. Dieser Gegensatz tritt stärker

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als 2. В. in der Philosophie, in der Geschichte, zumal in der Geschichte der bildenden Kunst zu- tage, wo subjektive Willkür des Künstlers und Zufälligkeiten des stofflichen Materials notwendige

Voraussetzungen sind. In uns liegt die a priorische Tendenz zur Gesetzbildung, um Herr über dieses Chaos zu werden. Das Gesetz entsteht da, wo diese ideelle Tendenz und der gegebene Stoff ein- ander tangieren. Doch unterliegt die Intensität und die Ausdrucksart dieses Bestrebens, wie natür- lich, den Zeitschwankungen:

Man bat früher Kunstgeschichte nach rein ideellen Gesichtspunkten betrieben; man trat mit einem fertigen Gerüst vorgefaßter Ideen an die junge Arbeit heran und warf es über sie wie ein Netz. Was in dessen Koordinaten nicht paßte, wurde nicht gesehen. Das war Wissenschaft, betrieben nach rein ideellem, einseitigem Gesichtspunkt.

Es folgte der Protest, wie er nicht anders folgen konnte, nämlich in Form der reinen, wiederum einseitigen Empirie. Nur detaillierte Tatsachen- forschung hatte Geltung. Man trug reales Bau- material zusammen, vornehmlich zur Rehabilitie- rung der Arbeitsgebiete, die unter dem Koordi- natennetz gelitten hatten. Doch aus der berech- tigten Scheu vor der einseitigen Selbstherrlichkeit der Ideen ward eine Vergötterung der nackten Tatsachen, und so häufte man Berge von Material und hatte den Bauplan nicht, an seiner Hand das Material zu ordnen. Man denke nur an die Streit- frage nach dem Wesen der Gotik, wo wider- sprechende Tatsachen einander entgegengehalten werden, ohne daß überhaupt je eine Aussicht be- stände, daß auf Grund realer Tatsachen allein das

Wesen einesDinges wirklich erklärt werden könnte

In einem Anlauf zur Reaktion erinnert man sich.

der inkommensurablen Größen des Daseins und versucht, ihnen charakteristischerweise durch die- jenige Disziplin .der Philosophie nahezukommen, welche die eigentlich empirisch- mechanische ist, nämlich die Psychologie. Auf Grund ihrer sub-

jektiven Feststellungen wissenschaftlich-objektive |

Tatsachen fundieren zu wollen, mußte von vorn- herein bedenklich machen i).

Auf Thesis und Antithesis folgt die Synthesis. Die Feindschaft von Idee und Realität wird als bloß eingebildete erkannt. Aus ihrer gleichberech- tigten Zusammenarbeit entstehen Gesetze, die durch Tatsachen belegbar auch vor dem Tribunal der Tatsachenforschung Bestand haben. Man sucht Gesetze, nicht allein, weil man das Wesen

(2) An diesen Punkt der Entwicklung der Kunstwissenschaft gehören Woringers „Formprobleme der Gotik“, an diesen Punkt auch all die „gespreisten. dsthetisierenden, pseudo- philosophischen Begriffsverwirrungen“, die, wie Lüthgen in seiner Kritik der Neuauflage von A. Weeses Bamberger Domskuipturen im Rep. 1918, 8. 73 fl. treffend bemerkt, bewirkt baben, daß die Art der Forschung, „die nicht nur geschichtlich auftritt, schon mit dem Schein der Unwissen- schaftlichkeit gebrandmarkt wird.“

der Dinge mit empirischer Forschung allein nicht fassen kann diese Erkenntnis ist nur der An- laß sondern aus dem eingangs genannten tie- feren Grund, weil die synthetische Forschung und Handeln im Sinne synthetischer Weltauffassung die Aufgabe der Menschen überhaupt und mehr denn je diejenige unserer Zeit?) ist.

Um es nochmals zu betonen: Es kann damit nicht gesagt sein, daß die Kunstgeschichte sich auf die Erforschung der Gesetze beschränken solle. Denn einmal basieren die Gesetze zur Hälfte auf der detaillierten Erforschung der Tatsachen, und zum andern scheinen sie in der Geschichte der bildenden Kunst, wie oben erwähnt, einen weniger umfassenden Gültigkeitsbereich zu haben als in abstrakteren Wissenschaften und nur das not- wendige Gerüst zu geben, durch das Einzelerschei- nungen ihren Platz im großen Zusammenhange erhalten.

Gesetze sind kein einseitiges Schema sich wieder- holender Regeln, die empirisch und darum variabel sind. Das würde eine Präponderanz ihrer realen Seite bedeuten und in diesem Sinne kann noch niemand etwas aus der Geschichte gelernt haben. Auch sind andererseits die Gesetze nicht in der einseitigen Reduzierung auf eine geheiligte Grund- idee als Norm aller Erscheinungen begriffen, son- dern sie sollen, obwohl sie die Variabilität der wirklichen Vorgänge in sich fassen, doch Ideen bleiben, das heißt, sie sollen lebendige Gesetze sein.

Als solche müssen sie das Leben und seinen

Kampf reproduzieren. Das tun sie nur, wenn

man als ihren Gehalt gleichberechtigteGegen- sätze annimmt. Nur so ist sowohl Reduzierung auf dualistische Grundideen, als auch unbegrenste Variation möglich; das heißt, das Gesetz erfüllt in der abstrakten Reduzierung auf Ideen seine ideelle Einheit und in der Unendlichkeit der mög- lichen Variationen seine reale Vielheit, ist also Symbol Gottes.

% ы %

Ein Grundgesetz, das diesem Dualismus der

Oleichberechtigung entspringt, ergibt sich aus

folgender Betrachtung:

Wenn das Vorhandensein der Kunst mit dem Augenblicke einsetzt, wo ohne praktischen Zweck geformt wird, und wenn der Gegenstand der Kunst das ganze Dasein ist, зо sind es das Reich der Ideen und das Reich der Wirklichkeit, die den gegenständlichen Inhalt der Kunst ausmachen.

Gesetzt also, der Inhalt der Kunst kombiniere (2) Es ließen sich hierfür Belege beispielsweise aus der

Jüngsten Geschichte unseres Staates nennen, auf die näher einzugeben bier nicht der Platz ist.

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sich aus der Darstellung beider, der Ideen und der Wirklichkeit, so sind zwei Grundarten seiner Darstellung möglich: т. Die Harmonie von Ideen und Wirklichkeit, a. die Diskrepanz beider.

Die erste Gattung ist, soweit solche begrifflich und daher räumlich nebeneinander liegende Kon- struktionen sich mit den praktisch - historischen und daher zeitlich aufeinander folgenden Erschei- nungen decken können, in der reinen klassischen Kunst verwirklicht, wo das Reale zum Typischen idealisiert ist, die zweite in der orientalischen und schon in der primitiven Kunst, wo der Gegen- satz zwischen Wirklichkeit und Idee im abstrak- ten Ausdruck der letzteren und im einseitig realen oder unnatürlich gesteigerten Ausdruck der erste- ren gegeben ist. Abstraktion und Realismus sind also keine prinzipiellen Artgegensätze, sondern zwei entgegengesetzte Gattungen derselben Aus- drucksart, nämlich der zweiten der beiden ge- nannten Kunstweisen.

Daß die Gegensätze der Harmonie zwischen Idee und Wirklichkeit einerseits und ihrer Dis- krepanz andererseits die Gegensätze der Betonung des Seienden und der des Werdenden in sich enthalten, erhellt vielleicht schon ohne weiteres aus dem oben Gesagten, da in einem die glück- selige Vereinigung von Erde und Himmel, im andern die schmerzvolle Spannung zwischen beiden liegt!). Und auch die Gegensätze von Ruhe und Bewegung, von kommensurabler Objektivität und inkommensurabler Subjektivität fließen aus dem- selben Grundgegensatz der Kunstgenera, weil eine Spannung stets nur gefühlsmäßig faßbar, das heißt nicht objektiv verstandesmäßig meßbar ist,

Was zeitlich diesseits der Klassik liegt, ist ein sich immer stärker komplizierendes Durchkreuzen dieser beiden Grundrichtungen, welcher Prozeß hier nicht des näheren durchzugehen ist, da er zur Theorie des genannten Grundgesetzes nichts Neues hinzubringt.

1) Ihr entspringt die Idee des Leidens.

Der Einwurf, daß es demnach seit der Antike nichts Neues gäbe, ist insofern unberechtigt, als einmal jede Kreuzung etwas Neues ist, und außer- dem hier, wie schon betont, ja nur der Zusammen- hang kunsthistorischer Erscheinungen innerhalb des Gerüstes ihrer letzten Grundideen und damit die Klärung des Chaotischen der Geschichte, nicht eine Erschöpfung dieser Erscheinungen in ihrer realen Mannigfaltigkeit gegeben werden kann und soll.

Weil die Gesetze nicht behaftet sind mit dem Zufälligen der wirklichen Geschichte und, wie ge- sagt, ihr Gerüst bilden, so sind sie es auch, die erst die eigentlich befriedigende Antwort auf die Frage nach den letzten Gründen kunsthistorischer Erscheinungen geben. Denn wenn in neuerer Zeit erfreulicherweise begonnen ist, die alleinige Beantwortung dieser Frage durch Nennung tech- nischer Anlässe abzulehnen und die Erscheinungen auf die breitere Basis kultureller Tendenzen zu- rückzuführen, so ist damit der Prozeß der Er- forschung der Quelle nicht beendet. Wenn man der Frage, warum die Gotik so und nicht anders baute, mit der Erklärung der allgemeinen kultur- geschichtlichen Tendenz begegnet, so ist das eigentlich keine befriedigende Antwort, da sie von selbst zu der erneuten Frage verleitet, warum denn die allgemeine Kulturtendenz nun gerade diesen und keinen anderen Weg ging. Die endgültige Antwort gibt dann erst der Flinweis auf die Grund- gesetze künstlerischen Schaffens, wie dasjenige, dessen Inhalt der Dualismus der gleichberechtigt gegensätzlichen Genera war. So würde der auf- gestellte Fall der Gotik sich als ein ganz be- stimmtes Kreuzungsprodukt logisch -konstruktiver Tendenzen klassischen Ursprungs und wesentlich präponderierender transcendental-realistischer Ten- denzen definieren lassen, welche Definition, da sie auf Grund von Gesetzen konstruiert ist, die aus der Harmonie der apriorischen subjektiven Ten- denz zur Gesetzbildung und der objektiven er- forschten Tatsachen entstanden sind, den An- spruch auf Notwendigkeit macht.

,

ERNST BENKARD, Das literarische Porträt des Giovanni Cimabue. München, F. Bruckmann, A.-G. 1917.

Der Untertitel des Buches, „ein Beitrag zur Geschichte der Kunstgeschichte“, gibt erst klar den Inhalt an. In einem Querschnitt durch die Kunstgeschichte, am Einzelbeispiel des viel um- strittenen Cimabue wird versucht, Forschungsart, Quellenbenutzung und Methode der Kunstgeschichte bis zum 18, Jahrhundert darzustellen.

Von der berühmten Dantestelle und ihren viel- seitigen Auslegungen in alten Kommentaren, in unserer Zeit (Wiener Schule gegen Rintelen) geht Benkrad aus. Sie lautet:

О vanagloria dell’ umane posse,

Com’ poco verde in su la cima dura,

Se non ё giunta dell’ etati grosse!

Credette Cimabue nella pittura

Tener lo campo; ed ora ha Giotto lo grido, Si che la fama di colui oscura usf.

Auf diese Dantestelle stützen sich die Kunst- schriftsteller wie Filippo Villani, Lorenzo Gbi- berti п, a. in ihrer Bewertung des Cimabue und bei der Rangordnung der Meister in dem Ent- wicklungsgange der Kunst. Dabei spielt die Kenntnis von Werken des Meisters eine geringe Rolle, das literarische Urteil geht der Anschauung und der Beurteilung der vorhandenen oder über- lieferten Werke voraus. Auch das Cinquecento stellt die biographischen Notizen voran und fügt dann, aus literarischen Quellen gesammelt, eine Aufzählung der Werke an. Hierbei interessieren die Aufdeckungen Benkrads, wie weit in dieser Zeit die Anschauung der Gemälde die Forschung aus literarischen Quellen beeinflußte und stützte.

Jedenfalls beginnt im Cinquecento die litera- rische Legende, weil gedankenlos die quattrocen- tistischen Schriftsteller benutzt werden. Erst Va- sari, dessen Bedeutung der Verfasser in recht helle Beleuchtung setzt, rodet den Wald schiefer Urteile, mit ihm beginnt die Kunstgeschichte ihre Methode zu entwickeln. Auf Grund der For- schung vergangener Dokumente, mehr noch auf Vergleichung und Kenntnis der Werke selbst stellt Vasari in den Vita von 1550 das Werk Cimabues zusammen, das in der Ausgabe von 1568 noch bereichert wird. Cimabue gilt in diesen Viten nicht nur als bedeutender Meister, sondern als erster Maler nicht mehr mittelalterlicher Art. Vasaris Lebenswerk weckte Nachfolge in anderen

Kunstzentren Italiens. Man bestritt dem Floren- tiner das Priorat und die Priorität in der Kunst- entwicklung und führte neue Zahlen und Namen der Kunstgeschichte zu. Siena, Bologna, Pisa und Venedig finden ihre Verteidiger und einzelne durch diese Rivalität hervorgezogene Daten und Namen behalten dauernde Geltung. Jedenfalls wird das Rechy der Erstgeburt der florentiner Kunst endgültig abgetan, damit sinkt für die Folge- zeit Anerkennung und Stellung Cimabues als Bahnbrecher zu Neuem, Im 17. Jahrhundert stehen sich Akademiker, Anhänger der Überliefe- rung Vasaris, und Sezessionisten, die die außer- florentinische Herkunft der italienischen Kunst mit Ablehnung Cimabues verbinden, feindlich

.gegenüber. Das 18. Jahrhundert muß zu diesem

Cimabuestreit Stellung nehmen. Die Darstellung dieser Epoche zeigt die allmähliche Entwicklung kunstgeschichtlicher Methode, sie gibt eine Ehren- rettung Cimabues, wenn auch das Bild italieni- scher Kunst durch Anerkennung anderer Namen und Werke als Vorläufer und Zeitgenossen be-

reichert wird, Mit Lanzi und seinen Ergebnissen schließt das Buch ab, uns für kommende Zeiten auf eine Fort- setzung vertröstend. Doch das Ausgeführte, stellen- weise vorher ganz unbearbeitete Gebiet genügt, um die Grundlage der modernen Kunstforschung und ihrer Wege aufzudecken. Mit der Darlegung der Art der Forschung der Vergangenheit gibt Benkrad ein Urteil über die Forschungsweisen überhaupt und deutet die Wege der Zukunft an. Das schwankende Bild Cimabues in der Kunst- geschichte wird der Prüfstein für die Kunst- geschichte selbst. Scheinbar bringt das sehr be- scheiden und klar geschriebene Buch keine eignen Ergebnisse über Cimabue, aber das Ergebnis soll auch nicht dieser Künstler sein, nur im Anschluß an seine Person hält der Verfasser Gerichtstag über die eigene Wissenschaft, Das ist der Wert des Buches, daß es selbst den Unkritischen, an Gedrucktes Glaubenden kritisch, besinnlich stimmt. Dr. Robert Corwegh- Darmstadt.

LUDWIG BURCHARD, Die hollän- dischen Radierer vor Rembrandt Berlin 1917. Verlag von Paul Cassirer. Mit 23 Abbildungen auf 12 Tafeln. Burchard legt mit seinem Buch nicht nur eine Reihe von sorgfältigen Einzelforschungen vor, sondern er gibt vor allem eine sehr zu begrüßende

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EN ww

Einführung in ein bisher wenig beachtetes, äußerst ansprechendes Gebiet des reichen niederländi- schen Kunstlebens. Die Radierung ist vermöge ihrer vergleichsweise freien Handhabung viel eher als der an handwerksmäßige Übung gebundene Kupferstich dazu angetan, ursprüngliche künst- lerische Werte festzuhalten; sie muß deshalb in einer Zeit, die die Künstlererscheinung Rembrandts vorbereitete, unser Interesse doppelt beanspruchen und wir können erwarten, daß eine Untersuchung ihres Wesens wertvolle Beiträge ergibt zur Klä- rung der vielumstrittenen Frage von den Anfängen einer der blühendsten Kunstepochen unserer Ge- schichte, Es ist ein Verdienst des Verfassers, dies erkannt und das Thema zur Diskussion ge- stellt zu haben. An dieser letzten möchte ich hier mit ein paar Bemerkungen teilnehmen. Wenn ich einige Einwände nicht unterdrücken kann, so wollen diese in erster Linie als freie Mei- nungsäußerungen und nicht als abbrechende Kritik an dem inhaltreichen Buche verstanden sein.

Burchard betont gelegentlich, daß die holländi-

schen Radierer vom Anfang des 17. Jahrhunderts Einzelerscheinungen sind. Diese Feststellung ist im Hinblick auf die gleichzeitige ungeheure Kupfer- stichproduktion unbedingt richtig und muß im Auge behalten werden. Die Zusammenschließung dieser radierenden Künstler in einem Buch er- „weckt aber leicht den Anschein, daß es sich um eine geschlossene Gruppe handelt. Dieser beinahe unausweichlichen Suggestion hat sich denn auch Burchard selbst nicht ganz zu entziehen gewußt. So etwa, wenn er „der“ Radierung das sind also mehr oder minder vereinzelte Leistungen

weniger Künstler einen tätigen Anteil an der.

Formentwicklung in der holländischen Kunst zu- schreibt. Diese Überschätzung ihrer Bedeutung beruht offenbar auf der bestreitbaren Auffassung, daß die Radiertechnik sich seit etwa 1590 „einiger- maßen gleichwertig ihrer älteren Schwester, der Sticheltechnik, zur Seite stellt“. Dieser Satz bleibt, auch wenn er lediglich auf die qualitative Gleich- setzung hinzielt, eine Behauptung. Auch der Aus- spruch, schon um 1630 habe sich „das Verhältnis von Kupferstich und Radierung innerhalb der holländischen Graphik derart umgekehrt, daß für künstlerische Leistungen fast ausschließlich die Radierung in Anwendung kommt“, müßte be- wiesen werden; die bisherige Auffassung war, daß diese Wandlung erst durch das Eingreifen Rembrandts herbeigeführt worden sei.

Die Abhängigkeit der frühen Radierkünstler von der Kupferstichtechnik blieb dies wird durch Burchard überzeugend dargetan lange Zeit eine

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gewollte, da ursprünglich die Sauberkeit des Striches und des Umrisses zum Maßstab für die künstle- rische Bewertung auch der Radierung gemacht wurde. Umgekehrt gibt es aber auch einen Beleg für die Tatsache, daß jene Generationen für den spezifischen Reis der Ätzung, den losen Strich, doch kein ganz geschlossenes Auge hatten; er ist in einer Wechselwirkung der Radierung auf den Kupferstich zu erkennen, wie wir sie schon seit der Mitte des 16. Jahrhunderts verfolgen können: Es gibt Drucke die frühesten mir bekannten von Coornhert, weiterhin besonders im Kreise von Goltzius; auch die durch Burchard als Radierung beschriebene „Bettlerin“ von 1604 nach Vinckboons ist u. a. ein solches Blatt —, die jeder Unbefan- gene auf bloßes Zusehen hin für Nadelarbeiten halten wird und deren ungebundene Stichelführung sich erst bei näherem Studium als gestochen e- weist. Es sind dies also Kupferstiche, die vor- täuschen, Radierungen zu sein. Die Entsch«- dung, ob es sich um einen gestochenen oder ge- ätzten Strich handelt, erfordert oft ein außerordent- lich scharfes Auge. So liegt z. B., wie auch Burchard erkannt hat, den meisten Blättern des jüngern de Gheyn ein mit dem Grabstichel vor- gezeichnetes Gerüstzugrunde; auch für die Hinter- grundschraffuren hat teilweise der Stichel Ver- wendung gefunden. Auch von dem älteren de Gheyn gibt es eine durch Burchard übersehene Radierung, die große Darstellung der Schlacht von Turnhout (Muller 1056), bei der die schematischen Teile, wie Geländeangaben usw., mit Hilfe des Stichels ausgeführt sind. Ebenso sind von dem- selben Künstler bei dem großen Vogelschauplan vom Haag die beiden Verfahren in dieser Weise kombiniert.

Eine Freude ist es, Burchard in seinen Einzel- charakteristiken der verschiedenen Radierer mit ihren vielen vortrefflichen Beobachtungen zu folgen, von Gerrit Pietersz über die de Gheyns, Simon Frisius, Werner van den Valckert, Jan Lijs, Buytewech, Esaias und Jan van de Velde bis auf Hercules Seghers. Höchstens kann man sich stoßen an der merkwürdigen Wiedergabe der Eigennamen, wie Geerit (statt Gerrit), Lasman (Lastman), Esaias vanden Velde neben der Schreib- weise Jan van de Velde, usf. Wollte man den hier angewandten Regeln folgen, müßten wir hin- fort auch von Hanns Holpain sprechen, weil sich dieser einmal so geschrieben hat!

Das Schlußkapitel behandelt Rembrandt und Lievens und versucht, des Erstgenannten Anfänge in der Radierkunst zu beleuchten. Rembrandt be- ginnt als Meister. Das ist von jeher durch viele

als Widerspruch empfunden worden, ohne daß es bisher gelungen wäre, das Rätsel anders als durch den Hinweis auf Rembrandts überragende Kinstler- schaft zu lösen. Burchard meint die Brücke ge- funden zu haben in den zwei Blättern der Be- schneidung Christi und der Ruhe auf der Flucht, die beide durch die Forschung bisher fast ein- stimmig aus dem Werke Rembrandts ferngehalten worden sind. Diese Einstimmigkeit scheint mir allerdings nicht bloß durch „alt eingewurzelte Vorurteile“ verursacht zu sein. Der stärkste Grund, auf den die Zuschreibung der Beschneidung sich berufen kann, ist rdie Bezeichnung „Rembrandt fecit“ in Verbindung mit der zeitgenössischen Verlogeradresse des J. P. Berendrecht. Man über- sehe aber nicht, daß die Künstlerbezeichnung ge- stochen ist und zwar ganz offenbar von der- selben Hand, die die Adresse anbrachte, also nicht von dem Radierer des Blattes selbst. Der sie auf die Platte setzte, braucht nicht gerade in böser Absicht gefälscht zu haben; er kann sich auch mehr oder weniger absichtlich geirrt haben, 80 wie der Name Rembrandts auf unzählige Hand- zeichnungen gewiß meist in guten Treuen gesetzt worden ist. Die mögliche Beziehung zu einer Nummer in Gersaints Katalog, auch wenn sie als solche zu erweisen wäre, sagt nicht viel. Burchard meint nun aber, an Hand einer klug durchdachten, wenn auch in ihren Folgerungen keineswegs überzeugenden Gedankenkette innere Gründe für die Zuschreibung des Blattes an Rem- brandt erbracht, mehr noch, er sagt kurzweg, den „Nachweis“ geliefert zu haben. Das scheint mir nichts für ungut eine Entgleisung. Burchard zieht bei dieser Beweisführung Parallelen und Analogieschlüsse zu Hilfe und geht beinahe ma- thematisch vor auf eine Weise, die bei dem ur- teilsiosen Leser den Eindruck strengster Wissen- schaftlichkeit erweckt. In jüngster Zeit sind ver- schiedentlich Stimmen gegen diese Übertragung von exaktwissenschaftlicher Methode in die Stil- kritik laut geworden. Auch hier führt sie nur dazu, ein logisches Manöver als Beweisführung

erscheinen zu lassen. Der Beschneidung wird -

durch Burchard die Radierung mit der Flucht nach Ägypten (В. 59) angegliedert, ein Blatt, das nach meiner sehr bestimmten und nicht vereinzelt dastehenden Meinung nichts weiter als eine ver- unglückte Nachahmung von der Hand eines stüm- perhaften Dilettanten ist, höchstens dazu angetan, auch auf die bereits verdächtigte Beschneidung (die tatsächlich von derselben Hand zu sein scheint) ein noch bedenklicheres Licht zu werfen. Nehmen wir aber einen Augenblick mit Burchard an, daß

diese beiden Radierungen Erstlingsarbeiten von Rembrandt seien. In welchem Verhältnis stehen ale zu dessen anerkannten frühen Arbeiten um 1630? Dieser sich doch aufdringenden Frage weicht Burchard geflissentlich aus. Mit guten Gründen. Denn es ist hierauf eben schwerlich etwas zu antworten. Suchen wir nach frühen Radierungen Rembrandts, so gibt es dafür kaum einen andern Weg, als von den gesicherten Arbeiten nach rückwärts zu schauen. Von unten her, aus dem Dunkel, kann man wohl, wie Burchard, ein logi- sches Gedankengebäude errichten; dieses vermag aber vor der Kritik nicht standzuhalten, es wäre denn, daß man über den wahren Charakter einer Radierung, wie der Ruhe auf der Flucht, wirk- lich geteilter Meinung bleiben könnte.

Endlich noch zwei Einzelheiten, die der Richtig- stellung bedürfen. Die Selbstbiographie des Con- stantyn Huygens ist nicht vor 1629, dem Todes- jahr des Jacques de Gheyn, niedergeschrieben; in ihr ist von diesem Künstler die Rede „dum in vivis esset“, mit andern Worten, er war damals tot. Das Manuskript, zum mindesten von der be- treffenden Stelle ab, muß demnach nach April 1629 entstanden sein.

Wie kommt der 1647 geborene Joh. Leupenius unter die Radierer vor Rembrandt? Dies ist um so verwunderlicher, als Burchard selbst nach den durch de Vries in Oud Holland veröffentlichten Urkunden verweist, aus denen die Lebensdaten des Leupenius abgeleitet werden können. Die Radierungsfolge, die Burchard erwähnt, ist denn auch keineswegs 1619 entstanden, sondern zwei der Blätter tragen die Daten 1668 und 1671. |

Ein Anhang bringt die Zusammenstellung den Lebensdaten, sowie einen Katalog der bisher un- genügend oder nicht beschriebenen Radierungen der besprochenen Künstler. Daß dieser in Einzel- heiten, vor allem in den Zustandsbeschreibungen, der Vervollständigung bedarf, ist ein bei jeder Neuaufstellung kaum zu umgehender Mangel.

Eine letzte Bemerkung richtet sich an den Ver- leger. Das Buch tritt auf als „zweite durch zwölf Tafeln und ein alphabetisches Regisfer vermehrte Ausgabe“. Von einer ersten Ausgabe ist jedoch nichts bekannt, aber ganz offensichtlich ist der schon 1912 erschienene Hallenser Dissertations- druck damit gemeint, von dem sich diese zweite Ausgabe tatsächlich abgesehen von den oben ge- nannten Anfügungen sowenig unterscheidet, daß sie nicht nur die Druckfehler, sondern sogar einen in der Dissertation versehentlich unausgefüllt ge- bHebenen Verweis (S. 25, Anm. a) ebenso wieder- gibt. Offenbar handelt es sich also um ein und

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denselben Druck. Wenn der Brauch, aus einem Buche durch Hinzufügung von Register und Ab- bildungen eine zweite Ausgabe herzustellen, all- gemein wird, kann noch mancher Autor, dem dieser Genuß sonst nicht zutell würde, die Freude einer Neuauflage seines Opus erleben.

Meine Einwände, es sei hier wiederholt, treffen nicht den Kern von Burchards in ihrer Reich- haltigkeit anregenden Arbeit. Daß sie zu Aus- einandersetzungen herausfordert, ist ein Vorzug, kein Mangel. Über schlechte Bücher kann man sich kürzer aussprechen, ©. Hirschmann.

KARL WOERMANN, Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker. Zweite Auflage. Bibliograph. Institut Leipzig u. Wien.

Es wurde schon der ersten Auflage mit Recht nachgerühmt, daß sie ein ungeheures Material mit großer Genauigkeit und Zuverlässigkeit regi- striere und daß sie im Vergleich zu anderen, mehr familiären Kunstgeschichten wirklich, wie sie sich im Untertitel nennt, eine „Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker“ sei, Dieses Lob muß man der zweiten Auflage in erböhtem Maße zugestehen. Es ist gegenüber der ersten Auflage eine erstaunliche Bereicherung des Materials zu konstatieren. Umfaßte die erste Auflage im Ganzen drei Bände, so liegen von der neuen schon bis jetzt drei fast gleich starke Bände vor, die aber die Darstellung erst bis zum Ausgange des Mittel- alters führen. Berechnet ist die neue Auflage auf sechs Bände.

Die drei bis jetzt erschienenen gliedern sich folgendermaßen. Der erste Band umfaßt in der Hauptsache die Kunst der Griechen und Römer, denen die Kunst Ägyptens und Westasiens, ferner die Kunst Kleinasiens und auch die ägäische Kunst vorangestellt werden. Die Kunst der vor- geschichtlichen Urzeit macht den Beginn des Bandes.

Ein besonderes Verdienst des neuen Woermann sehe ich in dem zweiten Bande. Er enthält zu- nächst die Kunst der Naturvölker. Es folgt die alte Kunst Mexikos und Perus, der Inkas und der Azteken. Den wichtigsten Teil des Bandes aber macht die Kunst Indiens aus, der als kaum weniger wichtig die Kunst Chinas und Japans folgt, wäbrend die Kunst des Islam den Beschluß macht, Daß Wörmann gerade diese Abschnitte erheblich erweitert und auch in den Abbildungen erfreulich verbessert hat nur Indien steht in den Ab- bildungen noch immer nicht auf der Höhe des Möglichen! ist dankbar zu begrüßen. In der

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ersten, 15 Jahre früher erschienenen Auflage waren noch die jetzigen Bände eins und zwei in einen zusammengefaßt und von den rund 600 Seiten dieses Bandes nahm die Kunst Griechenlands und Roms fast 250 Seiten, also beinahe die Hälfte ein, wäh- rend die Kunst Chinas, Indiens, Japans und des Islam, dazu die Kunst der Ur- und Naturvölker, sich mit den übrigen 350 Seiten begnügen mußten. Daß hierin Wandel geschaffen wurde, war höchste Zeit. Wer eine Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker verspricht, ist kaum berechtigt, eine Zeit und ein Volk ostentativ zu bevorzugen, zum wenigsten, wenn er doch wie Wörmann mit dem Anspruch auf erdenkliche wissenschaftliche Objek- tivität auftritt. Ist es nun ein Europäer, der sich die Aufgabe stellt, die Kunstgeschichte aller Zeiten und Völker zu schreiben und wer sonst sollte in der Welt auf solchen Gedanken kommen!!! so mag er ja einen schweren Stand darin haben, diese Geschichte eben nicht von einem europa- zentrischen Standpunkte aus zu schreiben. Aber seine Aufgabe besteht doch ganz entschieden darin, alle europäische Befangenheit abzustreifen. Das läßt sich aber vom Verfasser der ersten Auf- lage nicht behaupten, wenn bei ihm Griechen- land und Rom das Übergewicht halten gegenüber dem geradezu unũbersebbaren Kunstgebiet Asiens! Geht es denn an, die 600 Jahre griechischer Kunstgeschichte so zu bevorzugen? Nach einer Zeit maBloser Uberschitsung der griechisch- römischen Kunst erkennen wir heute mebr und mehr nicht zuletzt dank den epochalen Arbeiten Strzygowskis daß Europa wirklich nur eine Provinz Asiens, und keineswegs die schönete und

reichste, ist. Die zweite Auflage trägt nun, wie

gesagt, diesem Umschwung unseres Denkens Rechnung oder tut wenigstens den ersten Schritt dazu. Die dritte Auflage wird in diesem Punkte sicherlich noch entschiedenere Schritte tun müssen! Der dritte Band, in der Hauptsache dem Mittel- alter gewidmet, lenkt die Betrachtung wieder in ruhigere Babnen. Gleichwohl, auch hier macht sich der Laie kaum eine zutreffende Vorstellung davon, wie sehr selbst das europäische Mittel- alter vom Morgenlande aus bestimmt worden ist, Der köstliche Beginn der italienischen Baukunst in Pisa z. B. ist ohne allerstärkste Einwirkungen aus dem Osten gar nicht zu erklären, worüber mein Buch: „Der Inkrustationsstil in Toskana“ (Berlin 1912 Verlag Dr. Ebeling) die Belege im einzelnen bringt. Ich erwähne es hier, weil die Schrift in Wörmanns Liste übersehen wurde. Merkwürdigerweise gibt es Leute, sogenannte gute Europäer, die sich aus schwerverständlichen

Gefühlsgründen gegen solche Erkenntnisse sträuben. Ist es europäischer Hochmut? Der hat jedenfalls viel Anteil an diesem Widerstande. Und doch ist dieser Hochmut ohne Stütze! Weshalb sollte denn die Kunst des Ostens weniger weitwirkend gewesen sein als die Philosopbie des Ostens oder seine Religion? Wir müssen nur erst den Osten wirklich kennen lernen, dann wird der euro- päische Dünkel sehr schnell verschwinden! Adolf Behne.

ALTFLANDERN. Bilderband mit Text von R. Graul. Zweite Auflage. Roland- Verlag 1918.

DINANT. Denkschrift im Auftrag des Generalgouverneurs von Belgien. Mit zahlr. Abbildungen. Roland-Verlag 1918.

BILDER aus ALTBAYERN. Text von Н. Karlinger. Roland-Verlag 1918.

Drei Veröffentlichungen des sonst durch seine Herausgabe junger Dichtwerke bekannten Münche- ner Verlages von Dr. Mundt, die trotz der ver- änderten Zeitverhältnisse ihren Wert behalten. Die offizielle Denkschrift über Dinant stellt in höchst sorgfältiger dokumentarischer Arbeit und mit völlig erschöpfendem Abbildungsmaterial das gewesene Bild der Maasstadt, die ungewollte Zer-

störung durch den Krieg, ihre alte Kunst (Dinan- derie, Patinir, Herry met der Bles und, leider, auch Wiertz) und Versuche über ihren Wieder- aufbau dar. Der Text stammt hauptsächlich von Karl Heinrich, Grisebach, Graul und Frits Reuter.

Das Bildwerk „Altflandern“ gibt in 200 großen, ausgezeichnet gewählten Aufnahmen eine Uber- sicht über die schönen Bauten des ganzen Bel- giens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts; der Text von R. Graul, mit einem Anhang zu jedem einzelnen Monument, unterrichtet klar und sach- lich über die künstlerische Bedeutung. Das Werk wird seinen Wert zur raschen Orientierung über belgische Baukunst für alle Zeit behalten; es ist vom Verleger mit ausnehmender Sorgfalt zu- sammengestellt und ausgestattet.

Das dritte Bändchen ist ein verkürzter und sehr handlich ausgestalteter Auszug aus dem präch- tigen Werke Karlingers: „Alt-Bayern und bayrisch Schwaben“, im Roland-Verlag 1914 erschienen; eine ganz köstliche Einführung und Erinnerung an Land und Stadt, an Burgen, Kirchen und Dörfer Altbayerns, deren raffiniert schöne Abbil- dungen wohl jedem die Sehnsucht erwecken, dieses kleinodienreiche und großartige deutsche Land kennen zu lernen oder wieder einmal zu durch- wandern. Der Text Hans Karlingers gibt einen kurzen Überblick und Anmerkungen zu den ein- zeinen Abbildungen. | Paul Е. Schmidt.

DER CICERONE.

ХІ, 12. K. EDSCHMID: Rudolf Großmann. (19 Abb.)

С. E. UPHOFF: Künstler, Kunst und Staat.

О. RIESEBIETER: Aus deutschen Fayencefabri- ken. L (18 Abb.)

desgl., 13.

Ј. KIRCHNER: Franz Heckendorf. (ха Abb.) CHR. SPENGEMANN: Kunst, Kinstler und Publi- kum. I. Stellung zur Kunst.

O.RIESEBIETER: Aus deutschen Fayencefabriken. (18 Abb.) (Schluß)

BERLINER MÜNZBLÄTTER. XL, 210. Е. BAHRFELD: Denarfund aus der Prov. Sachsen.

W. PIEPER : Das Ersatzgeld der Kriegsgefangenen- lager und deren Arbeitskommandos.

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. 54. Jahrg., Neue Folge 30.

Н. TIETZE: Max Dvofäks „Idealismus und Natu- rallsmus“ in der gotischen Skulptur und Malerei.

desgl., 31. H. TIETZE: Moderne Kunstbewegung in Wien. G. GRONAU: Gustavo Frizzoni.

О. GRAUTOFF: Französische Anklagen gegen die französische Denkmalpflege.

desgi., XXX, 36.

C. GLASER: Akademie und Sezession.

J. A.BERINGER: Aus dem Karlsruher Kunstleben. desgl., 37.

W. WAETZOLD: Ch. L. v. Hagndorns N tungen über Malerei“.

A. L. MAYER: Zum Kapitel „Aufgaben bayeri- scher Kunstpolitik“.

desgi., 38.

С. Ө. HEISE: Das Erbe Lichtwarks.

desgl., 39.

A.L.MAYER Die „Neue Staatsgalerie“ in München. Е. М. HUEBNER: Brief von Paul Gauguin.

DIE PLASTIK.

1919, 4/5. Stilbestrebungen in der neueren Plastik. (12 Taf.)

255

DAS KUNSTBLATT.

Ill, 6.

тн. DAUBLER: Die Sammlung Bienert-Dresden. (x Taf., 16 Abb.)

W. KANDINSKY: Selbstcharakteristik.

H. KUHN: Für Kandinsky.

W. WOLFRADT: Gegen Kandinsky.

REPERTORIUM FÜR KUNSTWISSEN- SCHAFT. XLI. Jahrg. Neue Folge VI. Heft 6.

L. PLANISCIG: Ein neu aufgetauchtes Bild von Giulio Romano. (2 Abb.)

O. CLEMEN: Kunstgeschichtliches aus Mitau.

DIE KUNST.

ХХ, 9.

а. J. WOLF: Zur Geschichte der Münchner Land- schaftsmalerei. Taf., 24 Abb.)

М. J. FRIEDLÄNDER: Bedenken gegen moderne Kunstlehren.

H. KARLINGER: Zu Kurt Kroners Plastik. (3 Abb.) P. Е. KÜPPERS: Karl Thylmann +. (11 Abb.)

H. STRAUBE: Haus Harnisch in Berlin - Grune- wald. (8 Abb.)

CHR. VOIGT: Die Schönheit des modernen See- schiffes. (17 Abb.)

F. KALKSCHMIDT: Scherenschnitte und Schatten- bilder. (8 Abb.)

DIE CHRISTLICHE KUNST. XV, 7 und 8.

DOERING: Neue Malereien von Ludwig Glötzle. (x Taf., 34 Abb.)

J. A. ENDRES: Dürers Melancholie und Hierony- mus im Gehius.

M. ESCHERICH: Der Meister der Lorher Pinta, (3 Abb.)

ZEITSCHR. FUR CHRISTLICHE KUNST. XXXI. Jahrg., Heft a. | ` WITTE: Die Erziehung des Klerus zur Kunst.

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 54, 9. |

Е. WALDMANN: Notiz zu Rembrandt, (x Abb.)

E. REDSLOB: Beiträge zur weimarer Landschafts- malerei, I. Edmund Kanoldt. (1 Taf., 9 Abb.)

A. RUMANN: Ein unbekanntes Gemilde von Honoré Daumier. Abb.)

Р. FECHTNER: Felix Meseck. (4 Abb.)

F. BENKHARDT: Der Caravaggio des Städel- schen Kunstinstitutes. (5 Abb.)

DIE BILDENDEN KÜNSTE.

Il, 5. H. TIETZE: Der Schuts des öffentlichen Kunst- besitzes.

H. TIETZE: Egon Schiele. (2 Taf., 13 Abb.) A. HANAK: Tagebuch. (1 Taf., 6 Abb.)

FR. OTTMANN: Bildnisausstellung der Wiener Sezession. (9 Abb.)

gen

DEUTSCHE KUNST v. DEKORATION. Jahrg. XXII., Heft 9.

H. TANNENBAUM: Das badische Land im Bild. (2 Taf., 24 Abb.) W. MICHEL: Grundloser Optimismus.

W. HAAS: Der Maler Wolf Röbricht. (1 Tafel, 8 Abb.) К. EDSCHMID: Henry Buergel Goodwin. (1 Taf., 9 Abb.)

M. OSBORN: Arbeiten der Berliner Bildhauerin L. L. Wulf. (1 Таб, 4 Abb.) |

L. KRAFT: Entwürfe von F. Fahrenkamp. (6 Abb.) У. ZOBEL: Garten und Haus. (8 Abb.)

NEUE ВӦСНЕВ..........................

TH. MEISINGER: Junker Hans Heinrich ZuRoden- stein. Eine kunst- und lebensgeschichtliche Unter- suchung. (Selbstverlag des Verfassers, Kommiss.- Verl. von Joh. Waitz, Darmstadt.) M. 3.30.

FRITZ TRAUGOTT SCHULZ: Das Schlauder-

bachische Monument in der Egidienkirche zu Nürn-

berg. Ein Werk von Albrecht Dürer und Loy Hering? Sonderabdruck aus der Festschrift für Gustav von Bezold, Jahrgang 1918 und 1919 der Mitteilungen aus dem Germanischen National- museum. |

КОМО FERDINAND GRAF у. HARDENBERG: Herkunft, Leben und Wirken des Hochfürstlich ` Hessen-Darmstädtischen Oberkabinetts- und Hof- malers Johann Christian Fiedler. Nach alten und neuen Quellen bearbeitet und herausgegeben von der Gesellschaft hessischer Bücherfreunde. Privat- druck in 250 Exemplaren gedruckt, von welchen etwa die Hälfte in den Handel gelangt zum Preise von М. 60.—.

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XII. Jahrgang, Heft 8/9.

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, Telefon Nord 429. Verlag, Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monats- hefte für Kunstwissenschaft KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2,

Telefon 13467.

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LEONARDO ОА VINCI UND SEINE SCHULE

IN MAILAND Mit achtzehn Abbildungen auf fünfTafein Von WILHELM SUIDA

urch die fast grenzenlosen Möglichkeiten seiner Begabung ist Leonardo da Vinci als menschliches Phänomen so interessant, daß seine Spuren zu ergründen immer wieder unternommen worden ist. Eine schrankenlose und niemals wan- kende Bewunderung ist seinen Werken seit dem Tage ihrer Entstehung treu ge- blieben. Und wir wissen heute, daß viele Generationen von Kunstbetrachtern ihre andächtige Bewunderung auch solchen Werken gezollt haben, an denen Leonardo keinen Anteil hat. Bis ins 19. Jahrhundert hinein sind Gemälde des Boltraffio, Cesare da Sesto, Luini und mancher anderen widerspruchslos unter Leonardos Namen gegangen, und den Zeichnungen der Schüler gegenüber waren Leonardos eigenhändige Skizzenblätter fast unbekannt. Seit etwa 50 Jahren hat die kritische Kunstforschung Irrtum auf Irrtum beseitigt. Es blieben einige ganz wenige Ge- mälde als anerkannt echt übrig und auch diese mußten ihren Rang immer wieder gegen Verdächtigungen behaupten, so daß heute einige nach des Verfassers Ansicht echte Bilder von der Mehrzahl der Kunstforscher noch nicht anerkannt werden. Anders steht es bezüglich der Zeichnungen, für deren Sichtung Morelli den Grund gelegt hat und bezüglich deren Autentizität nahezu keine Meinungsverschiedenheiten mehr bestehen. Das letzte zusammenfassende Buch über Leonardo, das in deut- scher Sprache erschienen ist, von W. у. Seidlitz'), spiegelt den heutigen Stand der Forschung getreu wider: Übermäßige Vorsicht in der Zuschreibung von Ge- mälden und Verbannung manches von anderen Forschern jüngst wieder verteidigten und auch von dem Verfasser für eigenhändig gehaltenen Werkes in das Chaos der Anonymen; klare Scheidung der eigenhändigen Zeichnungen vom Schulgut, aber größte Verwirrung bezüglich deren zeitlicher Folge und deshalb gar keine Ver- wertung derselben zu einer Darlegung der Stilentwicklung von Leonardos Kunst; wenig Bezugnahme und teilweise, wie unten zu beweisen sein wird, unrichtige Vorstellung von Leonardos Schülern und gleichzeitigen Künstlern in der Lombardei Aus letzterem Grunde ist von W. v. Seidlitz nicht einmal der Versuch gemacht worden, die Frage zu beantworten, was etwa an Ideen Leonardos noch in Werken der Schüler fortleben könnte. Der Hinweis auf die Lücken des als Zusammenfassung sehr verdienstvollen Buches war nötig, um darzulegen, auf welche Weise vorliegende Arbeit die Er- kenntnis von Leonardos künstlerischem Schaffen zu fördern beabsichtigt.

L Ambrogio Preda.

Das erste Dokument, das uns Leonardos Anwesenheit in Mailand bezeugt, die Bestellung für S. Francesco am 25. April 1483 nennt neben seinem die Namen von Giovanni und Ambrogio de Prederiis*). Während wir von Giovanni Evan- gelista Preda nichts weiter wissen, als daß er 1490 sein Testament errichtet hat und bald darauf verstorben zu sein scheint, sehen wir den Ambrogio von 1482 an die Stelle eines herzoglichen Hofmalers bekleiden, dann nach 1493 durch Bianca

(1) W. v. Seidlitz, Leonardo da Vinci, der Wendepunkt der Renalssance. Berlin 1909. (a) Gerolamo Biscaro, La Commissione della „Vergine delle Roccie“ a Leonardo da Vinci secondo i documenti originali (as aprile 1483) Archivio storico lombardo ser. IV, 13 anno XXXVII 1910.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, ХИ. Jahrg., 1919. Heft 10/11 18 257

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Maria Sforza dem kunstsinnigen Kaiser Maximilian empfohlen und später häufig in dessen Diensten in Tirol tätig. 1509 erscheint der Name zum letzten Male in den uns bekannten Urkunden. Als einer der angesehensten lombardischen Maler der Zeit verband er sich mit Leonardo zu gemeinsamer Arbeit in dem Altar für die Mönche von S. Francesco. Ursprünglich nach der Urkunde von 1483 als ein reicher Aufbau, zu dessen Wirkung sich Malerei und Plastik verbinden sollten, gedacht, vereinfacht sich der Plan, wie aus den späteren Dokumenten hervorgeht, ganz wesentlich. In einer Bittschrift, die zwischen 1491— 94 von Leonardo und Preda gemeinsam an den Herzog gerichtet wurde’), ist nur noch von einer Mittel- tafel und zwei Engeln die Rede. Und in dieser reduzierten Form ist der Altar im Jahre 1508°) wirklich aufgestellt worden und so befindet er sich heute aller- dings nach Verlust des alten Rahmens in der National Gallery in London. Für die Mitteltafel kommt eine Mitwirkung Predas nicht in Frage. Aber auch die beiden Engel darf man ihm nicht so ohne weiteres zuschreiben, denn sie sind voneinander im Kolorit sowie in zeichnerischen Einzelheiten recht verschieden?). Der die Violine spielende, im Typus von Leonardo beeinflußt, hat zart sensitive, sorgfältig durchgeführte Hände und Füße, der andere mit der Laute im Profil da- gegen derb klobige Extremitäten, wobei ganz besonders auffällt, daß FuBstellung und Gewandung beider Engel in solchem Grade übereinstimmen, daß man den einen geradezu für eine im Oberkörper veränderte Nachahmung des anderen er- klären muß. Beide haben dieselbe einseitige Wendung, passen also ihrer Anlage nach gar nicht dazu, eine Mitteltafel beiderseits zu flankieren, sondern müssen dafür bestimmt gewesen sein, beide rechts von dieser ihre Stelle zu finden, wäh- rend zwei andere für die linke Seite zu malen gewesen wären. Infolge Reduzie- rung des ursprünglichen Planes entschloß man sich dann, die beiden fertiggestellten Engel, so schlecht dies auch im Grunde paßte, die Mitteltafel flankieren zu lassen. Der Geigenspieler wendet der Hauptgruppe halb den Rücken, der Lautenspieler aber schaut in der Ferne über die Hauptfiguren weg. Das Verhältnis beider Figuren zueinander betreffend ist noch darauf hinzuweisen, daß der Faltenwurf des Kleides beim Geigenspieler einfacher, klarer, beim Lautenspieler dagegen un- ruhiger, komplizierter, noch weniger motiviert wirkt. In keinem Falle begreifen wir, warum das Gewand so wie von unten aufgewirbelt aussieht, wo doch die Figur ganz ruhig steht, noch dazu in einer gemalten Nische. Dieses Gewandmotiv ist eben nicht für diese Engel erfunden, sondern aus einer Darstellung tanzender Frauen ziemlich gedankenlos übernommen. In der Akademie in Venedig befindet sich eine Zeichnung Leonardos mit drei tanzenden Frauen, deren mittlere ein ganz ähnliches Gewandmotiv aufweist. Diese oder eine ähnliche Skizze Leonardos hat für die Gewandung der Engel als Vorbild gedient. Und dann steht des weiteren außer Frage, daß der Lautenspieler von anderer Hand nach dem Vorbilde des Geigenspielers gemalt wurde. Weiche von beiden ist von Ambrogio de Predis? Diese Frage ist nur zu beantworten, wenn wir das einzige voll signierte Bild des Künstlers, das Bildnis des Kaisers Maximilian I. im Hofmuseum zu Wien genau betrachten. Ein Profilbrustbild vor dunklem Grunde, sehr sorgfältige Modellierung der gelblichen Karnation, das Haar mit zart welliger, leichter Höhung, aber ohne Struktur; nicht schöne, lange, auf die Schultern fallende Locken, sondern Lappen

(1) Е. Motta, Ambrogio Preda e Leonardo da Vinci, Arch. stor. lomb, 1893, XX.

(2) L. Beltrami, in Rassegna d’Arte 1915, Mai.

(3) Dieselbe Beobachtung hat kiirslich F. Bock, Leonardofragen, Бена für Kunstwissenschaft, 39. Bd.. 8. 156 ausgesprochen. |

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von Fell mit halblangen Haaren. Und in der Wiedergabe des Oberkörpers ein Zug, welcher der Gestalt ihr organisches Gefüge und ihre Leichtigkeit raubt: Statt beim strengen Profil zu bleiben und dann natürlich die jenseitige Körperhälfte ganz verdeckt zu lassen, führt der Maler die recht langweilig gemalte und per- spektivisch ganz falsch wiedergegebene Kollane des goldenen Vließes auch an der vom Beschauer abgewendeten Körperseite vor, wie man sie höchstens sehen könnte, wenn der Dargestellte die rechte Schulter so weit als möglich hochzieht und verschiebt. Es liegt darin ein mit geringer Geschicklichkeit versuchter Über- gang aus dem reinen Profilporträt der älteren Lombarden zu jener Verbindung des Profilkopfes mit einem halb dem Beschauer zugekehrten Rumpfe, wie sie für Bernardino de’ Conti eigentümlich ist. |

Die stilistischen Eigentümlichkeiten des Kaiserporträts finden wir so ziemlich in dem lautenspielenden Engel in London wieder, wogegen der violinspielende gar keine Beziehung dazu aufweist. Von wem der letztere, der zugleich teilweise Vorbild für des Ambrogio Preda Lautenspieler wurde, gemalt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Das Dokument würde nur die aus anderen Gründen wenig wahrscheinliche Deutung erlauben, daß Giovanni Evangelista de Predis, von dem wir sonst gar nichts besitzen, den violinspielenden Engel vor 1490 ausgeführt hätte!).

Das zeitliche Verhältnis zwischen dem lautenspielenden Engel und dem Kaiser Max von 1502 ist deshalb unsicher, weil der Engel nach den Dokumenten bald nach 1483 oder auch erst kurz vor 1508 gemalt sein könnte. Immerhin ist eine frühere Entstehung des Engels, etwa in den goer Jahren, wahrscheinlich. Und dann würde Ambrogio Preda aus dem Schwereren, Plumperen eine Wandlung zum Leichteren, Feineren durchmachen. Von einer Beeinflussung durch die Kunst Leonardos kann in den beiden sicheren Werken des Ambrogio Preda im Grunde nicht gesprochen werden.

Mit dem Maximilian lassen sich folgende Bildnisse in Einklang bringen: der so- genannte Francesco Brivio des Museo Poldi, noch etwas schwerer, ernster, aber in Kraft der Durchbildung und Farbenwirkung dem Kaiserporträt überlegen (von Morelli zuerst Preda zugeschrieben). Ein männliches Bildnis in Hannover, von Bode?) zuerst erkannt (ein zweites, kleineres, ebenda erscheint mir zweifelhaft, ist allerdings schlecht erhalten). Das Bildnis einer Frau in mittleren Jahren. im Besitze des Lord Rhoden in Tullymore Park (mir nur aus Photographie bekannt)“), ferner die kraftvolle Zeichnung eines weiblichen Profilporträts nach links in der Ambrosiana. ` |

Diese Bildnisse gehören, wenn unsere oben ausgesprochene Vermutung richtig ist, der schweren Formenbehandlung wegen einer früheren Zeit des Preda rund um 1490 an. Von den Bildnissen der Kaiserin Bianca Maria ist das jetzt bei Wiedener in Philadelphia ehemals in der Sammlung Lippmann befindliche, von Bode als Werk des Preda bestimmt worden‘). Es unterscheidet sich im Cha- rakter beträchtlich von dem bei der Gräfin Arconati Visconti in Paris befindlichen

(1) Zur Zeit Torre’s (Ritratto di Milano 1674) glaubte man, der eine Engel sei von Leonardo selbst: Capella dell’. immacolata concezione di Maria. Ha sull’ altare una vergine madre dipinta da Leonarda da Vinci entro vaga tavola con due angeli dai lati dello stesso pittore, benché tengasi suo uno solo. (a) Jahrbuch der königl. preuß. Kunstf, X, 8. 71f.; vgl. auch Pauli in Ztschr. f. bild. Kunst, Neue Folge X, 1899.

(3) Abgebildet von Е. Hewett in Burlington magazine 1907, dann von Malaguzsi Valeri, La corte di Lodovico il Moro, Mailand 1913, L Tafel bei 8. 514. |

(4) Abgebildet bei Malaguzzi Valeri, 1. с.

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Bildnis, dessen Kopie im Wiener Hofmuseum ist. Es ist sehr fraglich, ob die zweite Redaktion auch dem Ambrogio Preda angehört. Dagegen scheint das Profil- bild des Giangaleazzo Sforza beim General Porro in Mailand sehr gut zu Predas Art zu passen!).

In dem allbekannten Mädchenprofil der Ambrosiana vereinigen sich die Lieb- lichkeit des Modells und eine besondere Sorgfalt der Ausführung und Schönheit der Farben. Lange als Werk Leonardos gefeiert, wurde das Bild zuerst von Morelli dem Preda zugewiesen, wogegen einige, darunter Malaguzzi Valeri, heute wieder geneigt sind, eine Mitarbeit Leonardos anzunehmen, an dessen eigener Autorschaft Bode und Beltrami noch festhalten. Letztere Ansicht kann ich nicht teilen, könnte mir auch schwer vorstellen, worin eine Mitarbeit Leonardos an diesem Bilde bestiinde. Die Anlage ist ein schlichtes Profil, das Gewand ist wenig gegliedert, nur durch die Geschmeide und Ornamente geziert, das Gesicht ‘sehr zart aber ohne eigentlich großen Zug, die Haare als ungegliederte, strähnige Masse. Sehr wirkungsvoll die Perlen und Bänder und das Netzhäubchen. Und alles vor dunkelgriinen, transparenten Hintergrund gestellt. Ist das Bild von Preda, und dies bleibt doch immer am wahrscheinlichsten, so haben glückliche Umstände zusammengewirkt, um hier eines der reizvollsten Werke der lombardischen Kunst entstehen zu lassen. Wer aber im gleichen Saal der Ambrosiana das Bildnis des Musikers auf sich wirken läßt, der wird nach der elementaren Größe von Leo- nardos unvollendetem Bilde, das aller äußeren Reize entbehrt, durchaus geneigt sein, das liebenswürdige Mädchenbildnis als die glückliche Schöpfung des tüchtigen, aber durchaus nicht genialen Ambrogio Preda gelten zu lassen.

Mit dem Mädchenbildnis der Ambrosiana hängen einige Bilder enger zusammen: Ein durch Brand arg beschädigtes Mädchenprofil der Czartoryskigalerie in Krakau?), das man fast für eine Originalwiederholung des ersteren halten könnte; ebenfalls ganz ähnlich ein im Burlington Magazine Nov. 1909 publiziertes Exemplar aus Londoner Privatbesitz (wenn dieses ein echtes altes Bild ist und nicht etwa neueren Ursprungs). Ein Jünglingsprofil, wieder auf grünem Grunde, bei Mrs. Austen in Horsmonden (Kent) und endlich ein Profil einer Frau in mittleren Jahren im Louvre (Nr. 1605). Diese Gruppe von Bildern reiht sich wahrscheinlich zeitlich dem Kaiser Max von 1502 an.

Damit hört die Liste der mir bisher bekannten, einigermaßen sicheren Werke

des Künstlers auf. In allen erscheint Preda als ein am Ubernommenen fest-

haltender, tüchtiger, aber phantasiearmer Maler. Die Qualität des Preda ist sehr richtig von Bode?) und Herbert Cook‘) beurteilt worden, Morelli), der auf den vergessenen Künstler zuerst die Aufmerksamkeit wieder gelenkt hat, hat ihn zweifel- los überschätzt, durch Seidlitz®) aber ist Ambrogio Preda ein Sammelname für überaus zahlreiche und untereinander völlig unvereinbare Bilder geworden, so daß es nötig war, wieder auf den Ausgangspunkt zurückzugehen. Es ist deshalb auch nicht überflüssig, die bekannten Lebensdaten des Künstlers kurz zusammenzustellen: 1479 erscheint er unter den operai della Zecca (Münzamt), seit 1482 ist er Hofmaler

(1) Abgebildet bei Malaguzzi Valeri, im Bollettino d’Arte 1914. `

(2) Abgebildet bei Suida, Bramantino, Jahrbuch der Kunstsammlungen in Wien, XXVI, Seite gar. (3) Gazette des beauxarts 1889. | |

(4) A portrait of а Мивїсїап by Leonardo da Vinci, The Burlington Magazine November 1907.

(5) Ivan Lermolieff, die Galerien Borghese und Doria Pamphili in Rom. Leipzig 18до, 8. 230 8.

(6) W. v. Seidlitz, Ambrogio Preda und Leonardo da Vinci, Jahrbuch der kunsthistorischen Samm- lungen des Kaiserhauses, XXVI,1, Wien 1906.

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des Herzogs Lodovico, 1483 übernimmt er mit Leonardo den Auftrag für S. Francesco. 1492 fertigt er für den Herzog von Sachsen zuerst- eine Zeichnung, dann ein Bild der Bianca Maria Sforza. Diese nahm außer einigen Zeichnungen auch eine Maestä (also ein religiöses Bild) des Preda mit sich, als sie 1493 Mailand verließ. Preda selbst ging mit nach Innsbruck, wo er auch 1494 noch anwesend war. Erst im Juli 1494 ist er sicher in Mailand, wo er einen Hufschlag eines Pferdes erhält ` und in Hofkreisen aufrichtigste Teilnahme findet. 1498 entwirft er Teppiche für den Kaiser, dessen Bildnis von 1502 wir besitzen. Noch 1506 verlangt der Kaiser vom Künstler Entwürfe für reiche Gewänder. ı 509 wird er zuletzt genannt.

* * *

Seit Morelli ist der Name Preda mit dem Brustbild eines Pagen verbunden, das mit dem Legat seiner Sammlung nach Bergamo kam’). Lichte, lebhafte Farben der Gewänder vor schwarzem Grunde, etwas derbe Modellierung der Karnation und auf die Schultern fallendes Haar, dessen Behandlung mit den geschlossenen Ringen am Ende der beim Kaiser Max ziemlich ähnlich ist. Nun gehören aber mit diesem Bilde, was bisher noch nicht bemerkt worden ist, zwei Gemälde der Galerie Borromeo (Saal 1, Nr. 115 und 146) und eine Zeichnung der Ambrosiana, ein prächtiger, großer Jünglingskopf, wieder mit schief aufgesetztem Barett, zu- sammen. Die kleine Madonna mit dem Turban und ein Breitbild der thronenden Madonna zwischen den hl. Paulus und Michael der Galerie Borromeo treten aller- dings neben dem farbenfrohen Pagen infolge der Staubschichte, die sie bedeckt, zurück, besitzen aber alle Merkmale der gleichen Künstlerhand. Ich halte es für gewagt, diese Bildergruppe dem Preda zu geben, wenn auch die Beziehungen zu seiner Kunst zweifellos sehr nahe liegen.

Den signierten Werken Predas zählten fast alle Forscher mit Ausnahme von W. v. Bode das mit einem Monogramm versehene Jünglingsporträt des so- genannten Archinto von 1494 in der National Gallery in London bei?). Dieses Monogramm ist aber durchaus kein Beweis für Predas Autorschaft. Ich kann ein zweites Bild anführen, das ebenfalls ein buchstabenreiches Monogramm aufweist, aus dem ebenso mühelos Ambrogio de' Predis herausgelesen werden könnte. Es sieht so aus: Y. Dieses Bild, heute bei Herrn Carlo Zen in Mailand, ehe- mals Besitz des Conte Giovanni Giovio, gehört in die Mantegnaschule; es ist nicht einmal mailändisch, viel weniger dem Preda zuzuschreiben. Auffallend ist in dem Archintoporträt das beim Kaiser Max nicht zu beobachtende, in fahlem Lichte sich entfaltende Sfumato der Karnation. Der Zusammenhang des Londoner Jüng- lingsporträts mit einem 1914 für die Brera erworbenen?) ist absolut einleuchtend; kein Zweifel, daß dieser Maler des Archintoporträts zu den am frühesten von Leo- nardo beeinflußten Künstlern in Mailand gehört. Er hat für die Anlage des Bildes das alte Schema verlassen und jenes Bildnis des Mädchens mit dem Hermelin von Leonardo, das sich heute in der Czartoryskischen Galerie befindet, zum Vor- bilde genommen. Der schwerfällige, müde, in den Farben bleiche Archinto läßt

(1) Abgebildet bei Malaguzzi Valeri, I. с. І, S. 548; auch М. У. nennt das Bild anonym als Scuola lombarda del sec. XV. |

(2) Abgeb. Jahrb. а. Kunste. des All-Kalserhauses XXVI, Wien, Seite 19. Das Bild befand sich bei der Familie Archinto, bevor es zu Fuller Maitland und dann in die Nationalgalerie kam; die nicht bewiesene Annahme, es sei Francesco di Bartolommeo Archinto, später Gouverneur Ludwigs XII. in Chiavenna, dargestellt, findet sich zuerst bei Litta (Le famiglie celebri).

(3) Malaguzzi Valeri: Un ritratto di Ambrogio de Predis a Brera, Bollettino d'Arte УШ, 1914 Settembre.

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t

allerdings von der Frische und dem unbeschreiblichen Zauber dieses Vorbildes ‘nur mehr wenig spüren. Von einigen Forschern ist die angebliche Ähnlichkeit der Hand des Archinto mit der des Krakauer Bildes als Argument für die Zu- gehörigkeit letzteren Bildes zum Werke des Preda angeführt worden. Vergleicht man aber die Originale, nicht die Reproduktionen, so besteht gerade in den Händen trotz entfernter Ähnlichkeit des Konturs der größte Gegensatz: bei Leonardo eine prachtvoll durchgebildete, auf Grund genauester anatomischer Kenntnisse im reich- sten Muskelspiel dargestellte Hand, beim Archinto ein derartiges Aufhellen der Schatten durch Reflexlichter, daß die Hand ganz ohne Muskeln und energielos erscheint. i

Die sehr sorgfältige Zeichnung einer Hand in der Ambrosiana gehört dem Maler des Archintoporträts an, und mit dieser stimmen technisch drei andere derselben Sammlung, ein geblickt stehender, auf den Stab gestützter Mann, ein sitzender und ein knieender (hl. Hieronymus)!), sowie ein dem letztgenannten ähnliches Blatt in Windsor, dermaßen überein, daß sie von der gleichen Hand ausgeführt sein dürften. Wenn Seidlitz vermutet, diese Blätter seien Proben der in einer Notiz Leonardos erwähnten Nudi, also Aktzeichnungen des Ambrogio Preda, so wäre dies nur zutrefiend, wenn aus anderen Gründen des Preda Autorschaft bei genannten Zeichnungen sichergestellt wäre, Es ist aber das Gegenteil der Fall

Von Preda kennen wir ausschließlich Profilbildnisse; der Maler des Archinto ahmt Leonardos neue Kompositionsform nach. Der ausgesprochen kalte, auf oliv gestimmte Farbenton der genannten Bildnisse ist bei Preda nicht zu finden, des- gleichen steht das Sfumato jener Arbeiten in feinsten Übergängen und Auflösen aller harten Konturen im Lichte im Gegensatz zu der aus dem Kaiser Max ersicht- lichen. Art Predas. |

Zur Londoner Grottenmadonna führen von der Archintogruppe manche Fäden und es hat viel Wahrscheinlichkeit für sich, daß der seit 1494 in engerem An- schluß an Leonardo nachweisbar tätige Maler des Archinto auch unter Leonardos Augen bis zum Jahre 1508 die Ausführung der Tafel für S. Francesco besorgt hatte. Und dann käme als Frühwerk des gleichen Malers namentlich auf Grund der farbigen und Lichtbehandlung die mit Grottenmadonna-Reminiszenzen nicht glücklich durchsetzte Madonna der ehemaligen Sammlung Crespi in Betracht, nach der die Galerie Borromeo eine kleine Wiederholung besitzt (Nr. 31). Das Bild bei Crespi war vom Besitzer Leonardo, von Venturi?) und Malaguzzi Valeri*) dem Preda zugeschrieben worden.

Der Maler der Pala Sforzesca.

Als eine besondere, dem Namen nach noch unbekannte Künstlerpersönlichkeit ist heute wohl allgemein der Maler der Pala Sforzesca anerkannt. Mit scharfem Blick hat Bode schon 1886‘) diesen Künstler in seinen Eigentümlichkeiten erkannt und eine große Kartonzeichnung in London sowie ein Madonnenbild in Berlin (Abb. т) mit dem Altarbilde des Lodovico Moro aus S. Ambrogio ad nemus in der Brera zu-

(1) Abgebildet von Beltrami und Fumagalli, Disegni di Leonardo е della sua scuola alla biblioteca Ambrosiana, Milano 1904, Тау. 4, 5, б und 12; auch in Müller-Waldes unvollendeter Monographie, in der als Abb. 46 auch der Hieronymus in Windsor zu finden ist.

(а) La Galleria Crespi, Milano 1900. Hoepli.

(3) Milano П. Italia Artistica, Bd. 26. Bergamo 1906, Seite 25.

(4) Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen 1886.

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sammengestellt. Nach mannigfachen, durch Morellis fixe Idee über Bernardinos de’ Conti verschuldeten Umwegen müssen sich heute alle zu der klaren Einsicht Bodes bekennen. Denn die von Loeser!) vorgeschlagene, von Seidlitz aufgenom- mene Identifikation des Malers der Pala Sforzesca mit Ambrogio de’ Predis muß ebenfalls abgelehnt werden. Es läßt sich aus den Akten beweisen, daß sie un- möglich ist). Denn im Januar 1494 wurde das Bild bestellt, während sich Preda in Innsbruck befand. Malaguzzi Valeri hat das Auftauchen eines hochinteressanten Bildes der Madonna mit dem Donator und dem hlg. Jakobus aus dem Besitze des Herrn Cora in Turin, in dem alle Kenner der mailändischen Kunst sogleich die Hand des Palameisters erkannten, zum Anlaß genommep, um einige Zeichnungen dem Werke unseres Anonymus anzugliedern ). Jakobsen‘) hat der gleichen Hand wohl richtig die Zeichnung eines Frauenkopfes in der Galleria Borghese zugewiesen, irrt aber, wenn er ein später zu besprechendes Halbfigurenbild des Seminario in Venedig anreihen möchte. Dem Meister der Pala Sforzesca, dessen Name durch eine Laune des Schicksals in dem erhaltenen Dokument der Bestellung des Sforza- altars von 1494 fehlt, schreibe ich noch folgende Bilder zu:

Zwei kleine quadratische Täfelchen mit den Halbfiguren eines segnenden Papstes und der hig. Lucia im Besitze der Duchessa Melzi in Mailand.

Ein unter Zenales Namen im Musée Condé in Chantilly aufbewahrtes Brustbild der Madonna mit gesenkten Augen, Fragment eines größeren Bildes. (Abb. 2.)

Ein Madonnenkopf, Fragment, auf Grund einer Braunschen Photographie (Nr. 6828), im Palais Bourbon 1874 ausgestellt, damals im Besitze des Vicomte de’ Czanay (unter dem Namen des Luini). Der Typus ist dem des Berliner Bildes am näch- sten verwandt). (Abb. 3.)

Ein Kniestück einer im Buch lesenden Madonna mit dein segnenden Kinde, nach der reiferen Lichtbehandlung und etwas schlankeren Formen ein Spätwerk des Malers, ehemals in der Sammlung Carl Moll in Wien (auch in Gronaus Katalog dem gleichen Maler zugeschrieben). Das Motiv dieses Bildes kehrt auf einem aus Boltraffios Kreise stammenden Bilde in Berlin wieder.

‘Endlich dürfte auf Grund der ähnlichen Behandlung der Porträts auf der Pala das Profilbildnis des Camillo Trivulzio (Galleria Borromeo, Mailand) dem Ano- nymus zuzuschreiben sein. (Abb. 4.) e

Bezüglich des von Loeser’) als Ambrogio де Predis publizierten Porträts des kleinen Francesco Sforza in der Sammlung Beattie in Glasgow vermute ich wohl die Zugehörigkeit zum Werke unseres Malers, kann dieselbe aber nicht behaupten, . da ich das Originalbild nicht gesehen habe. Unbekannt ist mir auch ein Madonnen- bild der Sammlung Donaldson, das Pauli dem Künstler zuschreibt®).

Für den anonymen Künstler haben wir ein festes Datum: die Bestellung der Pala Sforzesca im Jahre 1494. Es scheint mir, daß die anderen genannten Bilder nach diesem Zeitpunkte entstanden seien. In der Pala ist der Leonardeske Ein- schlag nur im Typus der Madonna, der Engel und der Kinder, in geringerem Maße in den Kirchenvätern ersichtlich.

(т) Rassegna d'arte, maggio тоот.

(2) Vgl. Malaguzzi Valeri, Bollettino d'arte 1914, Seite зот,

(3) Rassegna d'arte, marzo 1905.

(4) Rassegna d’arte 1910, X, Seite 53 ff.

(5) Rassegna d’arte, maggio 1901.

(6) Allgem. Lexikon der bild. Künstler, hrsg. von Thieme- Becker, unter Conti, VII. Bd., 1922.

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Die Komposition ist von Leonardo gänzlich unbeeinflußt. Das ist dann bei der Madonna Cora und der in Berlin anders; in beiden greift der Eindruck der Kunst Leonardos auf die Komposition über. Für die Madonna Cora könnte man sogar vermuten, es sei dem Maler jene Madonnenkomposition Leonardos mit dem zum Kreuzesstab aufblickenden Christkinde bekannt gewesen, von der wir kein Original- bild, aber mehrere alte Kopieen besitzen’).

Der Meister der Pala Sforzesca muß gegen 1494, aber auch nicht viel früher, mit Leonardo in engere Fühlung getreten sein. In diesem und in den folgenden Jahren mögen jene Zeichnungen weiblicher und männlicher bartioser Köpfe ent- standen sein, deren einige schon von verschiedenen Forschern mit Recht dem Künstler zugeschrieben worden sind. Als besonders charakteristisch nenne ich:

т. In der Ambrosiana alter, bartloser Mann, °/, Profil nach links, in den Konturen nachgezeichnet (Abb. Beltrami-Fumagalli, Fot. Anderson 12821);

2. ebenda jugendlicher Frauenkopf mit doppeltem Perlenhalsband, °/, Profil nach rechts (Albertinapublikation Nr. 916);

3. im Louvre, alter, bartloser Mann, Silberstiftzeichnung, etwas seitlich nach rechts, das linke Auge etwas schief, eine Eigentümlichkeit, die sich auch sonst bei dem Maler findet;

4. ebenda weiblicher Studienkopf en face, runde Schleifen unterhalb der Ohren angebracht, gleiche Haartracht wie auf dem folgenden Blatte (Nr. 388);

5. Rom, Galleria Borghese, Mädchen, Studienkopf mit gesenkten Augen;

6. Berlin, Kinderkopf (Nr. 83), abgebildet von Seidlitz (Jahrbuch der Kunstsamml. Wien XXVI, Abb. 3 des Aufsatzes); e

7. London, Brit. Mus. (ehem. Malcolm), jugendlicher Kopf mit seitlicher Neigung;

8. ebenda, vermutlich auch der Kopf des alten Mannes en face (Abbild. Müller- Walde, Monographie, Abb. 14);

9. endlich die bekannte große Kartonzeichnung zur Madonna Cora im British Museum. |

Bezüglich der Vorzeichnung zum kleinen Massimiliano Sforza der Pala in der Ambrosiana könnte Malaguzzi Valeri recht haben, der nach mündlicher Mitteilung die viel bessere Zeichnung als von Preda gefertigt ansieht, wogegen der anonyme Maler dann bei der Ausführung auf dem Altarbilde an Lebendigkeit und Charakte- ristik zurückblieb. |

Die Madonna der Раја Sforzesca hat noch im Jahre 1520 für das Altarwerk des Albertino und Martino Piazza in S. Agnese in Lodi als Vorbild gedient. Übrigens ist die Haltung der Madonna auch auf des Butinone Altarbild des Palazzo Scotti dieselbe. '

Francesco Napoletano.

Bode hat schon treffend beobachtet, daß sich der Maler der Pala Sforzesca vor allen einem unter den namentlich bekannten Leonardoschülern nähert, dem Fran- cesco Napoletano, daß ihm aber bei seiner schwerfälligen, stumpfen Färbung vor allem etwas fehle, was die Werke des Francesco Napoletano auszeichnet, die Transparenz der Farben, das Helldunkel?).

(1) Zwei derselben abgebildet im Katalog der lombardischen Ausstellung des Burlington Fine Arts Club, London 1898.

(a) Vgl. Jahrbuch der kel, preuß. Kunstsamml. VII, 1886, Seite 336 ff. und der schüchterne Versuch der Identifizierung des Malers der Pala Sforzesca mit Francesco Napoletano bei Jacobsen in Rassegna d'arte 1910, X, Seite 54. Jüngst hat Fr. Bock (Leonardofragen, Repertorium für Kunstwissensch. XXXIX),

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Damit ist eine besondere Eigenschaft der Werke des letztgenannten Künstlers gekennzeichnet. Das mit der vollen echten Signatur „Franciszo Napolitano“ ver- sehene, nach der Reinigung durch Cavenaghi in voller Farbenpracht neu erstan- dene kleine Bild der Madonna zwischen Johannes dem Täufer und Sebastian im Kunsthause zu Zürich (ehemals Sammlung Bonomi Cereda in Mailand) bildet die Basis für die Kenntnis dieses Malers. Wir müssen uns dasselbe etwas näher an- sehen, da eine genaue Analyse des Werkes bisher noch nicht gegeben wurde. Bei der Abbildung in der Rassegna d’arte, die einen sorgfältigen Aufsatz von G. Cagnola!) begleitet, ist unten ein schmaler, oben ein sehr breiter Streifen weggelassen worden. Für Maria ist ein sehr kostbarer Thron errichtet, in einer Stube, die ihr Licht durch ein großes, im oberen Teile mit Butzenscheiben ver- glastes Fenster von links her empfängt. Eine Balkendecke mit bemalten Fül- lungen, ein dunkelgrüner, mit hellen Fransen versehener Baldachin, ein mehr- farbig gemusterter Mosaikfußboden, dazu stillebenartig behandelte Details, wie der Leuchter im Wandschrank links, all diese Dinge würden bei einem Nordländer des 15. Jahrhunderts nicht auffallen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß Meister Francesco, der sich auf dem Bilde selbst Neapolitaner nennt, aus seiner Heimat derartige Elemente mitgebracht hat, wo sie in zahlreichen Werken des 15. Jahr- hunderts begegnen. In der älteren lombardischen Kunst und auch bei Leonardo hat Francesco diese Dinge nicht vorgefunden. Die Figuren haben ihr Gepräge allerdings unter dem starken Eindruck der Werke Leonardos empfangen: schon die Madonna, weniger der riesenhafte Bambino mit viel zu kleinem Kopf, mehr noch der Sebastian. Die Farben der Gewänder sind tief leuchtend, durch metal- lisch wirkende Glanzlichter aufgehellt, so das Blau des Mantels und das helle Futter bei der Madonna. An dem mosaikverzierten Steinthron sind als Trag- figuren kleine bronzefarbene Putti verwendet.

Es kann nicht zweifelhaft sein, daß Morelli recht hatte, dem gleichen Maler die Madonna der Brera (ehem. Galleria Manfrin, Venedig) zuzuschreiben. Die Farben sind ähnlich, nur etwas verblasener, die Lichtbehandlung auch hier auffallend. Das Madonnenbild der Brera scheint um einige Jahre später als das Züricher Bild entstanden zu sein. Für die Komposition des Bildes war Leonardos Madonna Benois (in Petersburg) Vorbild. Nur hat die Maria eine leichte Drehung des Ober- körpers, die auf dem Vorbilde fehlt.

Das Kunsthaus in Zürich besitzt seit wenigen Jahren noch ein zweites Bild. dessen Signatur man auf Francesco Napoletano bezieht. FR- LIA- lesen wir am unteren Rande des Madonnenbildes und zwischen beiden abgekürzten Wörtern sehen wir eine Rübe (ital. „паро“, woraus sich die volle Signatur ergibt?). Die Karnation ist noch bleicher, die Lichtwirkung etwas weniger ausgebildet als

an Jacobsen anknüpfend, mit aller Bestimmtheit die sog. Pala Sforzescagruppe, sowie alle möglichen anderen Bilder dem Francesco Napoletano zugeschrieben, Damit haben wir nach Conti und Preda nun glücklich den dritten irreführenden Sammelnamen. Dieses Chamäleon hätte außerdem noch die Madonnen Boltraffios in Budapest und London sowie das öde Bild im Seminario zu Venedig gemalt! (т) Intorno a Francesco Napoletano, Rassegna d’Arte V, Seite ff.

(2) Vgl. Thieme-Beckers Künstlerlexikon, Bd. ХП, S. 308, ferner Seymour de Ricci, New pictures by Francesco Napolitans, Burlington Magazine XVIII, 1910. Zwei hier dem Werke des Malers hinzu- gefügte Madonnenbilder kann ich nach den Abbildungen nicht sicher anerkennen. Die Madonna bei Salomon Reinach hat das gleiche Vorbild von Leonardo wie die kleine Zürcher Madonna, könnte wohl von Francescos Hand herrühren. Das Madonnenbild der Sammlung M. G. Brauer hat der Abbildung zufolge mit Francesco Napolitano aber garnichts zu tun.

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auf dem voll signierten Bilde des Francesco; die Butzenscheiben finden sich auffallenderweise auch hier wieder. Die Typen sind noch unfreier, noch aus- gesprochener leonardesk. Ich muß gestehen, daß ich es für unvorsichtig halten würde, das zweite Zürcher Madonnenbild dem Francesco Napoletano zuzu- schreiben, wenn es ohne Signatur wäre. Da es aber eine auf den Künstler passende Signatur trägt, darf man es wohl als frühestes Werk in der kleinen Reihe ansetzen (Abb, 5). Die Komposition der zweiten Zürcher Madonna ist nicht Erfindung des Francesco. Das Vorbild der von mehreren Mailänder Malern variierten Komposition fand ich als Ruine im Besitze des ehemaligen russischen Botschafters in Wien, Leon Fürsten Norussoff (vgl. später).

Endlich scheint Francesco der Autor des oft besprochenen männlichen Brust- bildes der Sammlung Cook in Richmond zu sein; dessen Zuschreibung an Preda hat mich nie überzeugen können!). Wohl aber waren es die intensive Leucht- kraft der sehr kühlen Karnation, die vollen, weichen Formen, die Bildung des Mundes sowie der Augen, die mir immer wieder den Namen des Francesco Napo- letano in den Sinn brachten. Auch der an und für sich nebensächliche Butzen- scheibenhintergrund darf dabei nicht übersehen werden. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß dieses nach Art des Antonello da Messina und der Venezianer ausgeschnittene Brustbild von Francesco Napoletano gemalt worden ist. (Abb. 6.)

Damit schließt allerdings die kleine Reihe der mir bisher bekannt gewordenen Bilder des Francesco Napoletano. Über die beiden Madonnenbilder in der Historic society in Newyork?) und in der Sammlung Morison in Boston“) kann ich nichts Sicheres sagen, da ich dieselben nur aus Reproduktionen kenne. Aber ich möchte trotz mancher Berlihrungspunkte doch nicht an Francesco Napoletano selbst denken.

Vielleicht können dem Francesco noch zwei Zeichnungen zugeschrieben werden: ein Frauenkopf in / Profil nach links in Florenz in den Uffizien‘) (Abb. 7) und das Brustbild eines bartlosen Kriegers im Profil nach rechts in der Ambrosiana’). Der Typus berührts ich mit dem des Johannes auf dem Zürcher Bild, wie letz- terer wieder mit dem Jakobus der Madonna Cora. Der Meister der Pala Sforzesca und Francesco Napoletano sind vermutlich Ateliergenossen bei Leonardo gewesen.

Und sollte vielleicht die bekannte Federzeichnung des Jünglings im Profil nach links mit Kappe nebst anderen Studien im Louvre“) nach der Ähnlichkeit mit dem Sebastian in Zürich von Francesco Napoletano sein?

Bezüglich der Persönlichkeit des Malers und seiner vermeintlichen Tätigkeit in Spanien hat С. Cagnole alles bisher Bekannte zusammengestellt. Jener neapolita- nische Künstler, der 1471—81 in Valencia gearbeitet hat, kann mit dem Leonardo- schüler Francesco Napoletano nicht identifiziert werden. Unter einem Francesco pittore, der in der Zeit des Lodovico Moro in Novara und Mailand mehrfach tätig war, wird wohl eher Francesco Merli von Novara gemeint sein. So fehlt uns also

(x) Der Name des Preda ist schon von Pauli und Berenson bezweifelt worden, wird von Н. Cook und Borenius aber festgehalten; vgl. A Catalogue of the printings at Doughty house Richmond and elsewhere in the collections of Sir Frederik Cook Bt. Visconde de Monserrate ed. by Herbert Cook vol. I. Italian Schools by Tancred Borenius, London, Heinemann 1973.

(2) Zugeschrieben von G. Cagnola, aber nur auf Grund der Photographie, Rassegna d’arte V, S. 83. (3) Zugeschrieben von F. Mason Perkins, Abbildung Rassegna d'arte IX, 5. 148.

(4) Abgeb. bei Müller-Walde, Monographie, Abb. 70.

(5) Abgeb. bei Beltrami-Fumagalli, Disegni in Milano 1904, tav. X.

(6) Abgeb. bei Müntz, Léonard, pl. I, 8. 4/5.

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ein ganz sicherer zeitlicher Anhalt. Nur vermutungsweise möchte man ihn nach 1490 beginnen, gegen 1500 das voll signierte Bild in Zürich malen lassen’).

Der Maler der Beschneidung Christi von 1491.

Das früheste datierte Bild, das auf einen leisen Eindruck der Kunst Leonardos in der Lombardei schließen läßt, ist die Tafel der Beschneidung Christi im Louvre zu Paris, die Torre?) in der Kirche S. Maria della Canonica als Hochaltarbild sah und dem Bramante zuschrieb. Das Monogramm N. das in gleicher Form in Bra- mantes Wandgemälden der Casa Panigarola-Prinetti (heute Brera) wiederkehrt, mag die irrige Zuschreibung des Bildes veranlaßt haben. Wir wissen noch heute keine Erklärung für das Monogramm Ж,, da Passavants?) für den ersten Moment sehr ansprechende Vermutung, es sei Cristoforo Lombardino gemeint, wenig wahrscheinlich ist angesichts der Tatsache, daß Cristoforo nur als Bildhauer und dann erheblich später bezeugt ist. Das Bild des Louvre aber hat unzählige Taufen erhalten, zuerst Bramantino, dann Zenale, dann Civerchio. Nun hat Civerchio wohl einiges für sich. Jene etwas stumpfen Männertypen mit kurzer, gerader Nase finden sich noch in Civerchios spätesten Werken. Da aber damit die auffallenden Ähnlichkeiten so ziemlich zu Ende sind, dagegen sowohl Maria als das Christkind und die Märtyrerin einen von Civerchio verschiedenen Typus aufweisen, wird man diesen nicht für den Autor halten dürfen. Und diese Annahme wird zur Gewißheit, wenn wir eine Reihe weiterer Arbeiten kennen lernen, die von unserm Anonymus herrühren. Sehr leicht erkennen wir ihn wieder in einem kleinen Bildchen, das wieder die Beschneidung Christi schildert, im Besitze des Duca Scotti in Mailand. Ein drittes Bild, in dem man unsern Künstler auf den ersten Blick erkennen kann, befindet sich in der Galerie von Bergamo (Nr. 298), wo es ehedem als Arbeit Bolraffios galt (Abb.14). Diese ihr Kind nährende Madonna, von vorzüglicher Erhaltung, ist wohl das feinste Werk unseres Anonymus. Mit dem Louvrebild vergleiche man beispielsweise die Form der Hand, um auch in Details die Attribution bestätigt zu finden. Über dem Louvrebild befand sich ursprünglich eine Lünette mit der Halbfigur Gottvaters, noch in der Zeit als das Bild im Be- sitze der Familie Melzi war. Heute ist über den Verbleib dieser Lünette nichts mehr bekannt. |

Es wäre gewiß übertrieben, wollte man für unseren Monogrammisten eine ' nähere Beziehung zu Leonardo behaupten. Das Kompositionsmotiv der Madonna von 1491 dürfte ja wohl von einem Stich des Mantegna abgeleitet sein. Aber gerade wenn man dieses Vorbild der Komposition zum Vergleich daneben stellt, fühlt man, daß sich ein leonardesker Hauch in die Typen eingeschlichen hat.

Die genannten Bilder sind durch das Datum 1491 für eine sehr frühe Zeit fixiert. Es ist wahrscheinlich, daß wir auch noch eine spätere Phase dieses Künstlers kennen durch eine Gruppe von untereinander wieder eng verknüpften Gemälden.

Mittelpunkt dieser zweiten Gruppe ist die bekannte, ehemals dem Giovanni Bellini, später dem Civerchio zugeschriebene Grablegung Christi in S. Giovanni Evangelista zu Brescia aus dem Jahre 1509. (Fot. Alinari 14662.) Bei dem zeit-

(1) Ein kleines Bild der Madonna in Wolken mit dem hig. Sebastian und Rochus, das 1913 bei Grandi in Mailand war, wurde irrigerweise dem Francesco Napoletano zugeschrieben (auf Pappel- . holz 59 >< 47.5 cm. Der Rochus glich im Gegensinne der Figur auf einem mit AG bezeichneten Stich, dessen einziges Exemplar sich in der Ambrosiana befindet.

(2) П Rittratto di Milano, Seite 273.

(3) Kunstblatt 1388.

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lichen Unterschiede von 18 Jahren, um welche die Pala des Louvre zurückliegt, sind die verwandten Züge beachtenswert. Der Mann mit dem Turban rechts seitlich in Brescia und der knieende Hieronymus im Louvre haben in Kopfform, Auge, Bartbehandlung, Handhaltung und Handform noch immer große Verwandt- schaft. Die Formen der Landschaft mit den überhängenden Felspartien sind ganz ähnliche. Wie ich an anderer Stelle nachzuweisen versucht habe!), besitzen wir von dem Maler von 1509 noch die gemalten Seiten und Hintergrundsfiguren einer Schnitzgruppe der Beweinung Christi auf dem Altar der Unterkirche der Madonna del Sasso bei Locarno. Nach den allein mir bekannten Reproduktionen vermute ich die Autorschaft unseres Künstlers noch für ein Bild, das sich in der 1900 zu Paris versteigerten Sammlung Cernuschi befand. Es schildert wieder die Be- schneidung Christi und ließe sich sehr wohl als spätere Version der Louvre- darstellung erklären. Es scheint in der Tat ein Bindeglied zwischen der Gruppe von 1491 und der von 1509*). (Abb. 16.)

Eine zweite Tafel der Sammlung Cernuschi schildert die Anbetung des Christkindes durch jene halb ins Knie gesunkene Мапа“), wie sie außer bei Francia auch im Kreise der lombardischen Kunst vorkommt (Bilder des Ambrogio Bevilacqua in Dresden und Pavia, Galleria Malaspina). (Abb. 15.) Wenn auch nicht dem gleichen Maler, so gehört sie doch verwandter Richtung an. Die musizierenden Putten auf letzt- genanntem Bilde rufen jene fünf Täfelchen in Erinnerung, welche ursprünglich die Orgelbrüstung in S. Francesco schmückten und heute im Palazzo Sormani Andreani in Mailand aufbewahrt werden. Von Torre und späteren irrigerweise für Arbeiten Bramantinos gehalten“), scheinen die fünf Tafeln nicht alle von einer Hand aus- geführt zu sein. Eine Beteiligung unseres Monogrammisten an der Arbeit ist sehr wahrscheinlich. Immerhin finden sich in dem jugendlichen Sänger- und Musi- kantenchor auch Züge, die nach der Richtung des Zenale und Butinone weisen.

Vicenzo Civerchio.

Die meisten der genannten Gemälde sind neuerdings von Ricci, Berenson u. a. dem Vincenzo Civerchio zugeschrieben worden. Wir müssen uns mit diesem Künstler näher beschäftigen, um zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Vincenzo Civerchio ist sehr darauf bedacht gewesen, daß sein Name nicht vergessen werde. Denn er hat die meisten seiner Werke mit vollem Namen signiert, fast alle übrigen wenigstens mit seinem Monogramm versehen. Das früheste Zeugnis für Civerchios künstlerische Betätigung besitzen wir in dem Altar der Galleria zu Brescia, ehe- mals in der Kirche S. Barnaba, drei Tafeln mit den Hig. Nicolaus von Tolentino, Sebastian und Rochus, darüber die Lunette mit der Piéta. Die am Mantelsaum des Rochus angebrachte Signatur lautet: VINCEN. СЈУ DE CREMA 1495. Die Echtheit der Signatur ist allerdings von Jakobsen") bezweifelt worden, aber wohl mit Unrecht. Der Stil des Bildes allein spricht aufs deutlichste für Civerchio und auch das Datum ist sehr gut möglich, da der Künstler schon 1493 Freskomalereien

(1) Anzeiger für schweizerische Altertumskunde 1912, 5. argf. Nach mündlicher Mitteilung sollen ähnliche Bilder in der Kirche von Mogno bei Fusio (Valle Maggia bei Locarno) erhalten sein.

(2) Im Katalog Bernardino Luini zugeschrieben (Holz 116 >< 89 cm).

(3) Im Katalog Ambrogio Bergognone zugeschrieben (Holz 160 >< 105 cm).

(4) Alte Nachzeichnungen unter dessen Namen im Bande Resta der Ambrosiana; vgl. Suida, Jahrbuch, Wien XXV, 8. 69. 5

5) Е. Jakobsen, Die Gemälde der einheimischen Malerschule in Brescia. Jahrbuch der kgl, preuß. Kunstsamml. XVII, S. aa ff.

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für den Dom in Brescia in Auftrag erhielt (dieselben sind nicht erhalten). Aber das Triptychon mit dem hig. Nikolaus von Tolentino fordert nähere Betrachtung. Es ist nicht vollständig erhalten. Mit dem alten Rahmen sind die Predella und zwei Bilder, vielleicht Halbfiguren der Verkündigung, die ehemals über den Seitenbildern angebracht gewesen sein müssen, verloren gegangen. Gewiß sind auch die seitlichen Heiligen, der Horizontlinie der Landschaft entsprechend, ursprünglich tiefer angebracht gewesen. Von den Figuren zeigt der Johannes der Pieta ganz entfernt, der Sebastian aber sehr ausgesprochen eine Einwirkung der Kunst Leo- nardos, der für Kopftypus und Körperbildung des Heiligen zum Muster genommen ist. Die herkulische Aktfigur läßt auch an Bramantes Argusgestalt im Kastell zu Mailand denken. Ganz überraschend aber ist die Ähnlichkeit mit jener kleinen Federzeichnung Leonardos im Codice Atlantico, von der Müller-Walde, kaum mit Recht, glaubt, sie habe im praxitelischen Sauroktonos ihr Vorbild und habe ihrer- seits wieder das Motiv des Argus im Kastell bestimmt.). Unterscheidet sich der Sebastian schon scharf von den beiden anderen Heiligen des Brescianer Altares, so zeigt ein Vergleich mit allen übrigen Werken, daß er überhaupt gänzlich iso- liert im Schaffen Civerchios dasteht.

Zwei monogrammierte Bilder gehören noch der Frühzeit des Malers an. Der lesende Franziskanerheilige in der Galerie zu Bergamo und die Anbetung des Christkindes, ehemals in Brescia, heute in der Brera. In beiden vielleicht noch vor 1495 entstandenen Bildern ist keine Spur leonardesker Einwirkung zu erkennen Also hätte eine solche vielleicht 1495 begonnen? Das nächste datierte Gemälde ist die Beweinung Christi in S. Alessandro in Brescia, signiert: VINCENTIVS CREMENENS AA MDIIII. Das Bild könnte von Foppa gemalt sein, so gänzlich unberührt ist es von der Kunst des Florentiners. Und aus späteren Jahren be- sitzen wir dann noch eine Reihe datierter Werke Civerchios. Im Dom von Crema steht der Altar mit dem hig. Sebastian zwischen Rochus und Christoforus, dessen Bestellungsurkunde von 1518 noch existiert, signiert: Vincentius civertus cremensis civis Brixie donatus faciebat. Da haben wir einen Мр. Sebastian, der nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit jenem in Brescia hat. In Crema sind dann noch die Seitenfiguren zu einem alten Madonnenbilde im Dom als Arbeit Civerchios durch den Anonimo morelliano bezeugt. Es folgt 1524 der Auftrag auf die fünfteilige Ancona im Dom von Palazzolo, Madonna mit Johannes dem Täufer und Fidelis, signiert 1525, das Begräbnis Mariä im Depöt des Nationalmuseums von Budapest (1531). Das Datum 1539 endlich tragen zwei signierte Bilder, die Piéta in S. Gio- vanni sopra Lecco und die Taufe Christi in der Galerie Tadini in Lovere, letztere signiert: VINCENTIVS CIVERCIVS DE CREMA CIVIS BRIXIE DONATUS FECIT MDXXXVUIL Ebenfalls aus der Spätzeit stammt das monogrammierte Werk, Madonna zwischen Stefan und Georg, heute auch in der Galerie Tadini in Lovere. Die letzte Erwähnung Civerchios fällt in das Jahr 1544. Damals war er krank und hat sein Testament errichtet. Nach der Übereinstimmung mit den signierten Werken halte ich Civerchio noch für den Autor eines sehr Schönen Madonnen- bildes bei Cav. Aldo Noseda in Mailand, wohl noch vor 1500 entstanden (Abb. 17); später, aber wesentlich früher als die Taufe Christi in Lovere ist ein Bild gleichen Gegenstandes am zweiten Altar links in S. Giacomo Maggiore in Crema anzusetzen“). (x) Müller-Walde, Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammi. XVIII, 1897, Abb. 8. 144.

(2) Beide Bilder sind in der Literatur nicht erwähnt. Berenson schreibt noch eine große Zahl von

Bildern dem Künstler zu, von denen mir einige nicht bekannt, einige nicht genügend in Erinnerung sind, mehrere aber in anderem Zusammenhange zu besprechen sein werden,

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Endlich befanden sich in der Sammlung Moll in Wien zwei schön erhaltene Pre- dellentäfelchen, die Verkündigung und die Darstellung des Christkindes im Tempel, welche ich in Übereinstimmung mit dem vormaligen Besitzer und mit Gronau für außerordentlich reizvolle Werke Civerchios halte).

Eine Arbeit Civerchios, die schon durch den Anonimo Morelliano beglaubigt wird, habe ich leider nicht sehen können, die Saaldekoration (Geschichte der Psyche) im Palazzo Carioni (ehemals УШатагсё) in Crema. Ebenda pflegte man auch noch Malereien eines zweiten Palastes, der ehemals der Familie Zurla gehörte, jetzt Eigentum des Dr. Viviani ist, auf Civerchio zurückzuführen. Der Palazzo Zurla ist 1520 erbaut worden. Der früheste und zugleich schönste Teil der erhaltenen malerischen Dekoration befindet sich in einem kleinen Zimmer, die Geschichte des verlorenen Sohnes, signiert D. АУК. BUSSO. 1523; das Ganze ein entzückendes Werk der Raffaelschule. Von demselben Davide Aurelio Busso rührt dann die weniger gut erhaltene Dekoration des großen Saales her. Dem Civerchio aber schrieb man die Malereien eines anderen Gemaches zu, in denen die Geschichte des Kaisers Karl V. in zehn Bildern erzählt wird. Unter dem Bilde des Kaisers „KAROLVS V.“ steht nämlich V. C. MDXL; man las dies Vincentius Cremensis, 1540. Die richtige Deutung aber ist Urbinus Cremensis. Der Autor ist jener Carlo Urbino von Crema, der in demselben Palaste noch 1550 in einer Loggia römische Historien malte, an denen früher die volle Signatur des Künstlers zu sehen war. Die Ansicht aber, die Geschichte Karls V. sei von Civerchio gemalt, ist zuerst von Calvi?) verteidigt und jetzt von M. H. Bernath?) wieder aufgenommen worden. Dieser jüngste Biograph des Civerchio hat zur Klärung mancher den Künstler betreffenden Fragen wesentlich beigetragen. Er sucht durch Zurück- gehen auf die signierten Werke allein einen festen Ausgangspunkt für die Beurtei- lung aller übrigen. In zwei Punkten kann ich nicht beistimmen: der Franziskus in Bergamo ist kein Spätwerk, wie Bernath will, und der Fries der Casa-Zurla- Viviani hat dem Stil nach keine Verwandtschaft mit Civerchio.

Von sehr feiner Qualität ist eine für die Brera vor wenigen Jahren neu er-

worbene Madonna mit Engeln. Ich kann mich nicht überzeugen, daß Civerchio

der richtige Name für dieses außerordentlich reizende Bild ist. Die felsige Land- schaft gemahnt vielmehr an den Monogrammisten Ж. .Ich glaube, wir müssen uns damit bescheiden, dieses wie das schöne Madonnenbild der Sammlung des Freiherrn von Tucher‘) einstweilen ohne Namen zu lassen. Einige Maler des ausgehenden Quattrocento in der Lombardei kennen wir eben noch nicht.

Die zahlreichen, signierten und über mindestens viereinhalb Jahrzehnte sich ver- teilenden Bilder Civerchios lassen ein seiten beständiges Festhalten an denselben Typen erkennen. In der Kompositionsart vollzieht sich eine Wandlung etwa aus

der Richtung eines Foppa in die eines Calisto da Lodi, dessen Art sich die Spät- /

werke Civerchios vergleichen lassen. Und in der ganzen geschlossenen Reihe von Civerchios Arbeiten bleibt der Sebastian auf dem Altar von 1495 eine ganz iso- lierte Erscheinung. Ich weiß keinen anderen Ausweg, als den einen a priori gewiß unwahrscheinlichen: Der Sebastian sei von einem anderen Maler dem Altarbilde eingefügt worden; so wie etwa Lodovico Brea dem Altar Foppas in Savona

(x) Abgebildet bei G. Gronau, Die Sammlung Moll, Cassirer-Helbing 1917. (2) Notizie dei professori del disegno etc. vol. II. (3) Allg. Lexikon der bildenden Künstler (Thieme-Becker), Bd. УП, 1912.

(4) Vgl. W. Suida, Studien zur lombardischen Malerei des 15. Jahrhunderts. Monatshefte für Kunst- |

wissenschaft 1909, Abb. 8. 482.

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U

eine Heiligengestalt eingefügt hat. Suchen wir nach äußeren Zeichen, welche diese Annahme stützen können, so finden wir allerdings, daß der Nimbus bei Sebastian ganz anders aussieht als bei Nikolaus von Tolentino und Rochus.

Der Maler des Triptychons in S. Ambrogio in Mailand.

Mit Civerchio wird von manchen Forschern, so auch von Berenson, noch ein Künstler identifiziert, der in Mailand tätig war und der Richtung des Zenale am nächsten steht. Den beiden Künstlern aus Treviglio, Zenale und Butinone, schrieb man früher das Triptychon der Madonna zwischen den Hlg. Hieronymus und Am- brosius in S. Ambrogio in Mailand zu. Das zweite große Bild dieses Malers des S. Ambrogio-Triptychons ist die Anbetung des Christkindes, die aus S. Maria del Carmine in die Brera kam, schon seit langem, aber ohne Grund, dem Civerchio zugeschrieben wurde, in Malaguzzi Valeris Katalog vorsichtiger. als „maniera del Civerchio“ verzeichnet wird (Abb. 12). Hier ist ein Halbfigurenbild der Madonna mit dem Kinde, das einen Stieglitz hält, im Besitze der Marchesa Trotti Belgioioso in Mailand beizufügen, das höchst wahrscheinlich von dem Maler herrührt. Ganz sicher von ihm sind zwei ganze Heiligengestalten Antonius von Padua (Abb. 13) und Stefanus und zwei Tondi (Ambrosius und Hieronymus) mit Halbfiguren im Museo Poldi, endlich vier Heilige: Franz, Katharina, Johannes Baptista und ein Bischof der Sammlung Bagatti Valsecchi. Etwas derb, aber energisch in der Mo- dellierung, in den Typen eng an Zenale anschließend, ohne merkbaren Eindruck von seiten der Kunst Leonardos, so tritt uns dieser Künstler in allen genannten Bildern entgegen.

Endlich kann ich zur Klarstellung meiner Auffassung von der Kunst Civerchios nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß ich eine ganze Reihe von Bildern, die bisher widerspruchslos als Civerchio galten, nicht für seine Arbeit ansehen kann. Es sind dies: der Schrein mit den Figuren der Verkündigung außen, den Hig. Bene- dikt und Scholastika innen an den Flügeln, in der Morellisammlung in Bergamo; im erzbischöflichen Palast in Mailand die Flügelbilder eines kleinen Tabernakels, im Kastell in Mailand ein Täfelchen mit Szenen der Katharinenlegende (Nr. 251), sowie eine Anbetung des Christkindes (Nr. 315). Auch unter den Wandgemälden der aufgelassenen Kirche S. Agostino delle Monache in der Via Lanzone in Mai- land sehe ich keine eigenhändigen Arbeiten Civerchios.

Der Maler des Seminariobildes in Venedig.

Haben wir uns durch die Erörterung über Civerchio und andere aus dem Kreise Leonardos entfernt, so führt uns die folgende Reihe von Bildern in des Meisters unmittelbare Umgebung zurtick.

Zu den Malern, die nach 1490 in Leonardos. Atelier arbeiteten, gehörte wohl jener, der das merkwürdige Bild der hig. Familie ausführte, das im seminario pa- triarcale zu Venedig aufbewahrt wird’). In der Madonna und dem Kinde hält er sich dabei ganz eng an Leonardos Vorbild (der Grottenmadonna des Louvre), Joseph und die Engel scheinen in leonardesker Manier von dem Künstler frei dazukompo- niert zu sein, wobei ein völliger Mangel an Fähigkeit zu selbständigem Schaffen zutage tritt. Das Kolorit ist ziemlich kühl. Die Versuche, dieses Bild mit irgend- einem der namentlich bekannten Mailänder in Zusammenhang zu bringen, sind ge-

(1) Guida del visitatore attraverso il seminario patriarcale, Venezia 1912. Auf der Rückseite des Bildes sieht man das Wappen der Familie Sforza Pallavicini,

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scheitert. Weder mit Boltraffio'), noch mit dem Meister der Pala Sforzesca*) hat es nähere Berührungspunkte. Wohl aber lassen sich andere Bilder angeben, die von der gleichen Hand herrühren. Am leichtesten wird man unseren Anonymus in der Madonna mit dem Kinde wiedererkennen, die in der Galerie Borromeo als Nr. 72 unter Boltraffios Namen ausgestellt ist. Auch hier hat der Künstler das Christkind der Grottenmadonna übernommen, demselben allerdings die Kopfwendung zum Beschauer gegeben. Von einer Beziehung zwischen Mutter und Kind ist keine Spur. Auch hier bleiche Karnation, sorgfältige Technik, feine, graue Schatten.

Ein drittes Bild, in dem der Seminariomaler auf den ersten Blick wiederzuerkennen ist, befindet sich in der Galerie in Bergamo, Maria mit dem Christkinde und einem Engel, alle drei Gestalten aus der Grottenmadonna entnommen, variiert und recht ungeschickt zusammengestellt. Ein Teppich ist über die Steinbrüstung gelegt, ebenso ohne jede. perspektivische Wirkung wie das Buch auf dem Seminariobild (Bergamo, Galerie Nr. 339). Ob eine kleine, noch nach dem Schema des Bergo- gnone komponierte Madonna mit leonardesken Zügen in der Galerie von Pavia (Nr. 65) als frühes Werk unseres bescheidenen Malers anzusehen sei, lasse ich dahingestellt, möchte aber die Möglichkeit erwähnen: der recht unbedeutende Anonymus gehört zu den Leonardoschülern der Zeit vor 1499.

Der Maler von S. Eufemia.

Ein anderer selbständigerer Künstler hat das Freskobild der thronenden Madonna zwischen der hig. Katherina und dem knieenden Stifter in der ersten Kapelle links in S. Eufemia in Mailand geschaffen. Die Stilstufe des Bildes ist derjenigen der Pala Sforzesca zu vergleichen. Quattrocentesk lombardisch sind der schwere Stein- thron mit seinen Rankenfriesen, die kleinen gewandeten Engelchen mit ihren Musik- instrumenten zu Füßen der Madonna, wie sie gelegentlich schon bei Foppa vor- kommen. Typus Mariae sowie die schirmend über den knieenden Stifter gehaltene Hand sind der Grottenmadonna nachgebildet. Leonardos Einfluß ist zwar in dem Bilde sehr auffallend, er ist aber auf Äußerlichkeiten beschränkt geblieben, berührt den Aufbau des Bildes nicht. Das Wandgemälde ist ziemlich stark abgeblättert, so daß über den ehemaligen farbigen Eindruck nicht viel Sicheres zu sagen ist.

Wie eine Studie zu der Madonna des Freskos erscheint mir die Zeichnung eines Frauenbrustbildes in Windsor“).

So wie formal dürfte auch zeitlich das Wandbild in S. Eufemia der Pala Sforzesca nahestehen. Ein sehr verwandtes Bruchstück einer Madonnenkomposition, wieder ein Wandgemälde, wurde im Jahre 1898 in einem Gang aufgedeckt, der von dem Chorraum nach dem kleinen Klosterhof in S. Maria delle Grazie führt. Ich habe damals (September 1898) den Madonnenkopf, unterhalb dessen noch der oberste Teil des Kopfes des Christkindes sichtbar war, photographiert. Seitlich waren Spuren mehrerer Figuren, vermutlich das Stifterpaar und die Schutzheiligen zu sehen. Heute ist das Wandbild fast ganz zugrunde gegangen. (Abb. тт.)

Als drittes Werk, das vermutlich den Maler von S. Eufemia zum Urheber hat, ist dann das Fragment der großen Madonna: il Madonnone, zu Vaprio d’Adda hin-

(т) Dem das Bild zuerst von Lafenestre zugeschrieben wurde.

(2) Jacobsen, Rassegna d’Arte 1910.

(3) Abgebildet auf pl. 13, Seite 256 bei Е. Müntz, Léonard de Vinci. Paris 1899. Das Fresko von 8. Eufemia selbst wurde einmal sogar von Aug. Schmarsow (Jahrb. der preuß. Kunstsamml. U, 5. 135) dem Leonardo selbst zugeschrieben, was lebhaften Widerspruch auch Morellis herausforderte.

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zuzufügen?). Selbständig in der Erfindung, aber von jener etwas gewaltsamen Bewegtheit der Figuren, wie wir sie noch bei einem anderen Schüler Leonardos zwischen 1490—99 kennen lernen werden, bei Boltraffio. (Abb. ro.)

Manche Fäden führen von den genannten drei Madonnen zu einer weiteren Gruppe von Malereien. |

Aus der Sala abbaziale von S. Antonio in Mailand gelangten die abgenommenen Reste der malerischen Dekoration in das Museo civico, Bilder, die bisher nirgends eingehender besprochen, noch auch den Gegenständen nach erklärt sind. Das Thema ist die Schipfungsgeschichte. Die Wand war durch gemalte Pilaster ge- gliedert, die auf einem Sockel ruhten und einen friesgeschmückten Architrav trugen. Von dem Friesschmuck sind noch sechs durch Rankenwerk getrennte Grisaille- köpfe erhalten, vier jugendliche und zwei in Profil, welche den berühmten so- genannten Karikaturen Leonardos nachgebildet sind. Alle sind von ausgesprochen leonardeskem Charakter und es ist keine Frage, daß von dem Maler dieser Me- daillonköpfe eine große Zahl der sogenannten Leonardozeichnungen herrührt. So entspricht der eine jugendliche, lockenumrahmte Kopf der bekannten, jetzt meist willkürlich dem Boltraffio zugeschriebenen Zeichnung in Venedig?).

Die erhaltenen Kompositionen der Schöpfungsgeschichte schildern: die Erschaf- fung der Himmelskörper (wahrscheinlich) Nr. 1225), Gottvater hier wie auf allen anderen Bildern jugendlich mit braunem Vollbart im Typus Christi dargestellt, er- hebt die Hand und Wolken ballen sich zusammen, die Himmelskörper scheinen sich zu formen. Die jugendliche Bildung Gottvaters hat zur Folge gehabt, daß bei Beschreibung der Malereien die Gestalt immer Christus genannt wurde. Scharen von Engeln umgeben Gottvater hier wie auf den folgenden Bildern. Auf- fallend ist namentlich der Profilkopf des einen Engels gerade neben Gottvater, entspricht er doch genau der Zeichnung im Louvre, die jetzt meistens, so auch von Frizzoni, dem Boltraffio zugeschrieben wird‘). Es folgt die Erschaffung ‘der Pflanzen und Früchte, die dem dahinwandelnden Gotte von Engeln in Körbchen in reicher Fülle dargebracht werden (Nr. 92)°). Rechts im Hintergrunde sieht man, nur teilweise erhalten, noch einmal die Gestalt Gottvaters, wie es scheint, die Bäume erschaffend.

Das nächste Bild schildert die Bevölkerung der Erde mit den Tieren und der Luft mit den Vögeln Nr. 87, endlich das letzte der erhaltenen Historienbilder die Erschaffung der Eva) (Nr. 73). Von Adam sind nur die Beine erhalten, Eva wird von Engeln in Empfang genommen. Neben diesem Bilde ist in kleineren Dimensionen Gottvater, in der Mandorla thronend, zu sehen, von musizierenden Engeln umschwebt: das Ausruhen des Schipfers am siebenten Tage. Außer

(x) Fragment eines größeren Gemäldes, das halb zerstört wurde. als 1796 die französischen Soldaten in der Nähe Feuer anzündeten; vgl. Scuola di Leonardo da Vinci in Lombardia osia Raccolta di varie opere eseguite dagli allievi е imitatori di quel gran maestro disegnate, incise е descritte da Ignazio Fumagalli, Milano 1811.

(2) Nr. 263, abgebildet von Gino Fogolari, i disegni delle Regallerie dell’ Accademia (di Venezia), Milano 1913, Tafel 28. |

(3) Photographie Brogi, Nr. 7375.

(4) Rassegna d'Arte IV, 1904, Seite 114 mit Abbildung. Dieser eichenbekränzte Profilkopf zeigt die allernächste Analogie zu dem efeubekränzten Frauenkopf des Kupferstiches mit der Umschrift ACHA LE-VI, abgebildet bei Müntz, Léonard, Seite 218.

(5) Photographie Brogi, Nr. 7372.

(6) Photographie Brogi, Nr. 7373.

Monatshefte für Kunstwiseenechaft, XII. Jahrg. 1919, Heft ronn, 19 273

diesen Bildern haben sich noch zwei Paare von Frauengestaltén, über gemalten Giebeln lagernd, ehemals über Türen angebracht, erhalten, zwei Sibyllen und die allegorischen Gestalten der Stärke und Gerechtigkeit ).

Der Stil dieser eigentümlichen Malereien ist aus älteren lombardischen Tradi- tionen und starker leonardesker Beeinflussung allein nicht ganz zu erklären, es bleibt, namentlich in den Figuren des Gottvater, aber auch in den Gestalten, weniger den Kopftypen, der Engel etwas, was mich an florentinische Kunst der Zeit, speziell an Filippino Lippi erinnert, Und auch in Rom dürfte unser Maler gewesen sein, seine Engelgestalten verraten den Eindruck derjenigen Melozzos, seine allegorischen Frauengestalten derjenigen Raffaels. Die Entstehung dieser Wandbilder wird im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts anzusetzen sein.

Den Engelfiguren aus S. Antonio reiht sich zwanglos die Zeichnung eines Mädchen- kopfes in der Ambrosiana an. (Abb. 8.) |

Von diesem Anonymus kenne ich aber auch ein Tafelbild. Dasselbe stellt die Madonna mit dem kleinen Johannes und zwei Engeln vor und befindet sich im Bargello zu Florenz (Sammlung Carand), wo es ehemals irrigerweise dem Marco d’Oggionno zugeschrieben wurde. Der Frauentypus gleicht dem uns schon aus den Engelfiguren der Fresken bekannten, und auch der sehr wenig leonardeske Kindertypus hat dort in den geflügelten Cherubimköpfchen seine genauen Analoga. Das Bild verwertet in freier Weise und im Gegensinn die Komposition einer Feder- zeichnung Leonardos in Windsor. (Abb. 9.)

Diese Arbeiten des Malers der Schöpfungsgeschichte setzen außer der Kenntnis der Werke Leonardos die Bekanntschaft mit der florentinischen (Filippino Lippi) und auch mit der römischen Kunst (Melozzo da Forli, Pinturicchio, Raffael) voraus. Man ist versucht zu glauben, dieser Maler habe Leonardo auf seinen Wanderungen nach 1499 begleitet. Es ist wahrscheinlich, daß die Bilder des Malers von S. Eufemia Frühwerke des gleichen Künstlers sind, dessen Wirken wir dann etwa von 1495 bis 1515 verfolgen könnten. Schwerlich wird hier jemals absolut sicherer Boden gewonnen werden.

Das Fresko in S. Eufemia gibt uns Veranlassung, eines in derselben Kapelle hängenden Bildes zu gedenken, das eine freie Kopie des besprochenen Wand- gemäldes ist; von einem Künstler gefertigt, der, von Leonardo fast nicht berührt, in der Art Bergognones weiterarbeitet, ohne dessen Vornehmheit in Typen und Farbenton zu besitzen. Vielmehr ist die Färbung bunt und die Karnation gelb mit häufigem hellen Rot. Diesen Maler erkennt man wieder in einem Altarbild im Kastell in Mailand, die Madonna zwischen dem hlg. Johannes Baptista und Hieronymus sowie einem segnenden Christus der Galleria Borromeo (I. Saal).

Bernardino de’ Conti

Den betrachteten, leider etwas problematischen Künstlerpersönlichkeiten gegen- über haben wir in Bernardino de’ Conti einen durch zahlreiche signierte und mehr- fach auch datierte Werke völlig gesicherten Maler vor uns. Auf Grund der sig- nierten Werke ist Conti schon im Jahre 1886 von Bode?) vortrefflich charakterisiert worden. Wir haben es nicht nötig, uns einen Conti erst zu konstruieren®). Neuer- dings hat G. Cagnola sehr zutreffende Bemerkungen über diesen Künstler ver-

(т) Photographie Brogi, Nr. 7376. (2) Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen VII, 8. 3368. und Gazette des beaux arts 1889. (3) Daß Morelli in seinen Zuschreibungen an Conti geirrt hat, wird heute kaum mehr bezweifelt.

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öffentlicht!) und G. Pauli hat wieder zusammengestellt, was wir an sicheren Daten über den Kfinstler haben’). Von 1496 bis 1506 reicht eine Reihe von voll sig- nierten und meist auch datierten Porträts, dann nach einer mehrjährgen Pause erscheinen zwei Madonnenkompositionen, freie Kopieen der Madonna in der Grotte, auf der vorn die beiden sich küssenden Kinder angebracht sind, vom Jahre 1522 in der Brera (ehemals Sig. Bonomi Cereda) und vom Jahre 1523 im Neuen Palais in Potsdam’). Nach den Bildern, die wir haben, könnte das Geburtsdatum um 1470 angesetzt werden. In mehreren Bildsignaturen bezeichnet sich der Künstler selbst als Mailänder. So in Paris, Sammlung Andrée (ehemals bei С. В. Vittadini): Bernardinus de Comite de Mlo pinxit 1500; Berlin, Ер]. Schloß, der Malteserritter Sixtus Roverius: Bernardinus di Comite de Mediolani pinxit ı501; Varallo, Galerie, männliches Porträt: Bernardini Comitis Mediolanensis opus 1504 (?) (die letzte Ziffer ist nicht ganz deutlich). Nur in einer Signatur auf dem Bilde der Sammlung Sterbini in Rom nennt er sich Bernardinus de Comitibus de Castro Sepii (Castel- seprio, ein Burgflecken im Gebiet von Olona). Lomazzos Angabe, der Künstler sei aus Pavia gewesen, ist demnach ein Irrtum. |

Zur Klarstellung der Werke des Bernardino de’ Conti gehen wir die Liste durch,

die Berenson‘*) zusammenstellt und die auch Morellis Attributionen einschließt.

ı. Arcore, Vittadini, Profilporträt, ist identisch mit dem von Berenson unter Nr. 32 bei Madame Ed. Andrée angeführten Bilde, signiert und datiert 1500. (Abb. 18.)

2. Basel, Kopf Johannes des Täufers, von Berenson selbst mit einem Frage- zeichen versehen; das Bild ist höchstwahrscheinlich von Marco d’Oggionno.

3. Bergamo, Madonna, signiert und datiert 1501. Kopie nach Leonardo.

4. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, Kardinal, signiert und datiert 1499.

5. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, Madonna Nr. 90A, das von Bode mit Recht dem Meister der Pala Sforzesca zugeschriebene Bild.

6. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, eine zweite Madonna (Nr. 214), die gewiß auch nicht von Conti ist. | |

7. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, Porträt der Margherita Colleoni, im Berliner Katalog als Conti mit Fragezeichen, gewiß in die Richtung gehörig, schwerlich von Conti selbst.

8. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, Madonna (Nr. 1433), als Frühwerk mit Frage- zeichen von Berenson genannt.

9. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, Porträt des Alvisius Bexutius, bezeichnet und datiert 1506.

то. Berlin, kgl. Schloß, junger Malteserritter Sixtus Ruverius (della Rovere), be- zeichnet und datiert 1501.

тт. Budapest (Nr. 115), Madonna, es ist das Werk des Boltraffio (vergl. unten), gemeint. |

12. Florenz, Uffizi (444), männlicher Profilkopf, von Morelli richtig als Conti ег- kannt, nachdem es früher als Selbstporträt des Lucas van Leyden gegolten hatte.

13. Hannover, Provinzialmuseum, Porträt des Alberico d’Este, die richtige Be- stimmung geht auf Bode zurück. (Abgebildet von Pauli, Zeitschr. f. bild. Kunst 1899).

14. Isola Bella, weibliches Bildnis und

(1) Rassegna d'arte У, 1905, S. 61 ff.

(a) Allg. Lexikon der bildenden Künstler; Thieme-Becker, Bd. УП, 1912.

(3) Seidel-Bode, Gemälde alter Meister im Besitz 8. М. des deutschen Kaisers, 9. 82. (4) B. Berenson, North Italian peinters of the Renaissance. London 1907.

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ı5. Isola Bella, junger Mann mit Schwert. In diesen beiden Bildern kann ich Contis Eigenart nicht finden.

16. Karlsruhe, Galerie, Madonna, als Spätwerk von Bere genannt; Contis zahlreichen signierten Bildern unähnlich. Gronau hat, wenn ich nicht irre, bei dem Bilde mit größerem Rechte an jenen Pirri gedacht, von dem ein Bild im Museo Poldi in Mailand erhalten ist.

17. Locarno, Kastell, Fresko im Treppenhause, Madonna mit Heiligen und Stifter, von einem früh-leonardesken Maler ohne nähere Beziehung zu Conti.

18. Locarno, Madonna del Sasso, Verkündigungsaltar mit Staffelbild der harrenden Seelen im Fegefeuer; ehemals Hochaltar der 1502 errichteten Kirche der Annun- ziata und durch diesen Umstand datierbar ). Ich glaube, auf Frizzoni geht die richtige Benennung dieses Altarwerks zurück, das, wie die Kirche selbst, vermut- lich von der Familie Rusca gestiftet wurde. Daß Maria im Motiv derjenigen auf Leonardos kleiner Verkündigung im Louvre entspricht, darf bei der notorischen Unselbständigkeit Contis nicht außer acht gelassen werden.

19. London, Mrs. Alfred Morrison, weibliches Porträt, bei Н. Cook, Katalog der Mailändischen Ausstellung des Burlington Fine arts Club 1898 richtig bestimmt.

o. Mailand, Ambrosiana, Madonna mit Landschaft.

21. Mailand, Galleria Borromeo, Profilkopf eines Mannes, gemeint ist der Camillo Trivulzi, den ich eher für ein Werk des Meisters der Pala Sforzesca halte,

22. Mailand, Galleria Borromeo, Madonna (Sala II, Nr. 58), Motiv der Madonna Litta, in der Galerie selbst Conti genannt, was richtig ist. .

23. Mailand, Brera, Madonna mit beiden Kindern, bezeichnet und datiert 1522, aus Leonardo-Reminiszenzen zusammengestückelt.

‚24. Mailand, Brera, die Pala Sforzesca, pach Morelli, von Berenson allerdings mit einem Fragezeichen versehen.

25. Mailand, Museo Poldi Pezzoli, Madonna, das Kind säugend, nach Morelli; freie Replik der Madonna Litta, nicht von Conti, sondern m. E. wesentlich jünger; über die ganze Gruppe vergl. unten.

26. ehemals Mailand, Sammlung Crespi, männliches Porträt, signiert und datiert 1497.

27. Mailand, Pal. Trivulzi, Porträt des Galeazzo Maria Sforza; ich glaube hier gerade so wenig an Contis Urheberschaft, wie bei dem Gegenstück, Lodovico Moro, an die des Boltraffio. Aber ich weiß keinen Namen dafür. Conti ist schon der Zeit nach ausgeschlossen.

28. Monaco, fürstliches Schloß, Profil eines Mannes; ist mir unbekannt.

29. Neapel, Galerie, Madonna mit den beiden Kindern, nach Berenson von 1522; sollte da nicht eine Verwechslung mit dem Bilde der Brera vorliegen?

30. New York, Mr. J. A. Holzer, Bildnis angeblich der Beatrice d’Este; mir unbekannt.

31. Paris, Louvre, Nr. 1605, weibliches Profilbild, m. E. von dem Meister des weiblichen Profilporträts der Ambrosiana, also Preda; vergl. oben.

32. Paris, Sammlung Andrée; vergl. Nr. т.

33. Paris, Contessa Arconati Visconti, Bildnis der Bianca Maria Sforza, von einem bis jetzt unbekannten Maler, weder von Conti noch von Ambrogio de’ Predis, (Abbildung bei Malaguzzi Valeri 1. c., Tafel Seite 518.)

34. Poitiers, Museum der Augustiner, Kopf des Täufers auf der Schüssel, mit Fragezeichen; mir unbekannt.

(1) Vergi. Suida, „Tessiner Maler des beginnenden 16. Jahrhunderts“. Anzeiger für schweizerische Altertumskunde 1012/13. |

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KL

35. Rom, Vatikan, der junge Francesco Sforza, Sohn des Giovanni Galeazzo mit der Aufschrift: Vera imago primo geniti legitime ill”! quon. dni Jo. Gz. mariae sforzie mediolani ducis dum esset etatis annor quingto MCCCCL XXXXVI die XV junii Bernardini di Comitibus opus; frühestes bekanntes Werk des Malers.

36. Rom, Conte Suardi, Porträt der Maria Sforza; das Bild ist mir unbekannt.

37. San Remo, Sammlung Thiem, männliches Profil, von G. Cagnola Rassegna d'arte 1905 zugeschrieben, während G. Carotti das tüchtige Bild dem Boltraffio zuweisen möchte.

38. St.-Petersburg, Madonna Litta, nach Morelli; vergl. später.

39. Turin, Sammlung Cora, das Bild des Meisters der Pala Sforzesca, von Berenson mit einem Fragezeichen dem Conti zugeteilt.

40. Varallo, Profilporträt, schon von Morelli genannt, signiert und 150(4?) datiert.

41. Venedig, Seminario, hig. Familie mit Engeln, ein ganz anderer Maler; vergl. oben.

42. Würzburg, Universitätssammlung, Madonna, sollte nach Berenson ein Spät- werk des Conti sein. Die Attribution überzeugt nicht, wenn auch gewisse Ana- logien allgemeiner Art nicht fehlen; so hat das Kind Ähnlichkeit mit dem von 1501 in Bergamo, die Madonna mit derjenigen von 1522 in der Brera. In ar Farbe ist wenig Verwandtschaft zu Contis sicheren Werken.

Ein echtes Werk, das schon Bode und Seidlitz nennen, fehlt in obiger Liste das weibliche Porträt, das sich in der Sammlung Weber in Hamburg befand (jetzt Besitz Dowdeswell, London), von Berenson als Boltraffio angeführt.

H.Cook hat noch die Verlobung der Caterina in der Galerie von Bergamo (Nr. 168) mit Recht hinzugefügt (vergl. später). G. Pauli nennt einen Fries mit Bildnissen der Familie Sforza in Invorio inferiore bei Arona am Lago Maggiore. Nach den Abbildungen bei Malaguzzi Valeri, La Corte di Lodovico П, 24 ff. ist die Zuschrei- bung nicht ganz überzeugend. Frizzoni nennt für ein sehr anziehendes weib- liches Brustbild der Galerie von Pavia Contis Namen und hat damit wohl das Richtige getroffen. Das Bild wird von Berenson dem Boltraffio zugeschrieben.

Endlich war auf der Exhibition of Early English Portraiture pictures in Burlington Fine arts Club 1909 ein Profilbild eines Ritters aus dem Besitze des Earl of Home zu sehen, das ich mit zahlreichen anderen Forschern für eine Arbeit des Conti halte.

Die ganze Liste des angeblichen Conti mußte durchgegangen werden, da die irreführende Wirkung eines Sammelnamens in der lombardischen Malerei bis heute noch nicht ganz überwunden ist. In seinen Porträts gibt Conti nur ausnahmsweise (vergl. Kardinal, Berlin) das für Preda charakteristische reine Profil, ebenso selten (z. B. Porträt der Galerie Crespi) den Kopf in / Profil, dagegen ist für ihn fast durchgehends eigentümlich jene Verbindung des Profilkopfes mit einem halb dem Beschauer zugewandten Körper, wie wir ihn in des Preda Kaiserbildnis angedeutet sehen. Diese Haltung bringt Conti schon im frühesten Bilde von 1496 im Vatikan. Den Profilkopf vermag unser Maler bisweilen in glücklichen Stunden mit Energie zu ausdrucksvoller Wirkung zu bringen, wie den Kardinal in Berlin oder den Edel- mann der Sammlung Thiem. Schon die Gewandung verrät aber durchgehends die klägliche Phantasiearmut des Malers. Und so ist es begreiflich, daß er sich die Komposition seiner religiösen Bilder fast immer ausborgt. In der Madonna von 1501 (Bergamo), in der Verlobung der hig. Catarina (Bergamo), in den beiden späten Madonnen (Potsdam, und Brera) hat er Anleihen bei Leonardo gemacht. Wo er versucht, auf eigenen Füßen zu stehen, wie im Verktindigungsaltar in Lo- carno, ist es kein Vorteil für das Bild gewesen.

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Es ist ein selten vermiedener Fehler, daß Preda und Conti fast alle mailändi- schen Porträts der Zeit zugeschrieben werden. Als Beweis, daß es anonyme Bildnismaler von hohem Range gab, denen noch nachzuforschen wire,: nenne ich die beiden Bildnisse des Galeazzo Maria und Lodovico Moro der Sammlung Trivulzi, des Kardinals Ascanio Sforza bei Marchese E. Visconti Venosta in Rom und die Serie von fünf Bildniszeichnungen in Bergamo, denen ein Blatt in Padua und eines in Basel anzureihen wären.

Bevor wir die Gruppe der lombardischen Quattrocentisten abschließen, müssen wir noch zwei Namen nennen. Des alten Bernardo Zenale freundschaftliche Beziehungen zu Leonardo werden von Lomazzo (Trattato I) ausdrücklich hervor- gehoben. Von Zenales Werken haben sich leider nur wenige erhalten, so daß wir von Anklängen an Leonardo ein einziges Beispiel finden in dem Madonnen- altar der Ambrosiana, die ebenso wie auf Leonardos Grottenmadonna in Ver- kürzung dargestellte Hand der Maria.

Daß Ambrogio Bergognone nachhaltige Eindrücke von Leonardos Kunst emp- fangen hat, ist zweifellos; sehr schwer ist es aber, einzelne Züge anzugeben, aus denen solcher Einfluß ersichtlich wäre: Gewisse Wandlungen in Körperdarstellung und Farbengebung, aber gar kein Eindruck im Kompositionellen. Es wird Thema des nächstfolgenden Aufsatzes sein, durch Betrachtung der Werke einiger be- deutender Maler die Reihe derer abzuschließen, die schon von 1499 mit Leonardo in Fühlung getreten sind.

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JOHANNES SCHWAIGER, EIN OBERBAYE- RISCHER BAROCKBILDHAUER

Mit vier Abbildungen auf einer Tafel Von ROBERT WEST

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T der Zeit von 1683 bis 1728 ist der Bildhauer Johannes Schwaiger für die Groß- gmainer Pfarrkirche tätig gewesen. Eine Anzahl tüchtiger Arbeiten haben sich hier erhalten. Diese Arbeiten weisen ihn als einen Künstler aus, der zwar kein original schaffendes Genie, wohl aber einer jener sicheren und selbstbewußten Per- sönlichkeiten war, wie sie die Barockperiode in nicht geringer Zahl auf dem Boden des Handwerks emporwachsen sah. In den Baurechnungen der Salzburger Kirchen wird sein Name nur einmal genannt, als er für die Augustinerkirche in Mülln 1687 „geschnitzte Arbeit“ lieferte, die ich jedoch nicht mehr identifizieren konnte. Nach einer persönlichen Mitteilung von Dr. Franz Martin (k. k. Landeskonservatorenamt für das Herzogtum Salzburg) ist das Fehlen von Arbeiten Schwaigers in Salzburg daraus zu erklären, daß es den Kirchenverwaltungen des Erzstiftes Salzburg ver- boten war, bei „Ausländern“ arbeiten zu lassen. Großgmain machte eine Ausnahme, da es eine St.Zenosche Kirche war und Stifte sich an dieses Verbot nicht hielten. Auffallend ist, daß in Reichenhall selbst nichts vorhanden, was mit einiger Sicher- heit ihm zugeschrieben werden könnte. Kirchliche Baurechnungen für diese frühe Zeit fehlen meist, so daß sich zunächst auch archivalisch nichts über ihn ermitteln läßt. Wär bleiben also für die Kenntnis des Meisters vgrläufig auf die Großgmainer Arbeiten angewiesen.

Besser unterrichtet sind wir über sein persönliches Leben. Laut Eintrag im Kirchenbuch wurde Johannes Schwaiger am 17. Juni 1657 zu Reichenhall geboren als Sohn des Salzhausknechts Oswald Schwaiger und der Elisabeth geb.. Es waren bereits zwei ältere Geschwister da, Matthäus, geboren 1653 und Wal- burga, geboren 1655. Drei Schwestern folgten noch in den Jahren 1660, 1664, 1668. Johannes Schwaiger war zweimal verheiratet; die erste Eheschließung ist am 13. November 1684 verzeichnet mit Jungfrau Salome Pichler, die am 8. Februar 1701 starb. Noch im selben Jahr, am 4. Juli 1701, verheiratete er sich zum zweiten- mal mit Jungfrau Elisabeth Fronberger, die am о. August 1730 starb. Er selbst überlebte seine zweite Frau um vier Jahre und starb, siebenundsiebzigjährig, am 10. Mai 17341). Wo er in die Lehre gegangen und ob er irgendwelche Reisen zu seiner Ausbildung gemacht, wissen wir nicht. Damals lebte aber ein Bildhauer Georg Pamber in Reichenhall. Es ist also möglich, daß er in dessen Werkstatt sein Handwerk erlernte. Spuren eines solchen Zusammenhanges könnte man in St. Zeno bei Reichenhall zu finden versucht sein. Dort befindet sich das Epi- taphium des Martinus Sartorius, Salinaris Capellanus archifrater, welcher im Jahre 1679 starb. In der Behandlung zeigen sich gewisse Ähnlichkeiten mit Johannes Schwaigers beglaubigten Arbeiten, es wäre also denkbar, daß der Stein unter Mit- wirkung Schwaigers in der Werkstatt des Georg Pamber entstanden ist, zumal dieser noch 1783 als Bildhauergeselle bezeichnet wird. Pamber erhielt 1672 in Großgmain für ein „Todtencreiz mit einem Crucifix, St. Johannes und Maria Bildt“ 5 fl.), das noch heute in der Sakristei bewahrt wird. Es ist eine, nur etwa o, 80 m

(1) Die obigen Notizen verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Stadtpfarrers Strobl in Reichenhall. (2) Sämtliche hier und im folgenden angeführten archivalische Nachrichten sind durch Dr. Franz Martin veröffentlicht im XI. Band der Österreichischen Kunsttopographie.

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hohe, holzgeschnitzte Kreuzigungsgruppe, eine vorzügliche Arbeit, deren zum Glück erhaltene ursprüngliche Bemalung einen deutlichen Begriff von der durch den Künstler erstrebten Wirkung gibt.

Im Jahre 1675 lieferte ein Reichenhaller Tischler, Hans Georg Stadler, ein Taber- nakel für den Hochaltar, ein schönes Werk, dessen gedrehte, von Reben umwun- dene Säulen mit Kompositkapitellen und gutem Rankenwerk Anklänge an ‘die orna- mentale Richtung sowohl Georg Pambers wie Johannes Schwaigers aufweisen. Diese beiden Arbeiten, die Kruzifixgruppe Georg Pambers und das Tabernakel Hans Georg Stadlers stehen insofern in einem gewissen Zusammenhang mit Schwaigers Arbeiten, als sie das Niveau der künstlerischen Produktion in Reichenhall während der Lernzeit Schwaigers angeben. Mit dem Tabernakel in Einklang stehen mußten auch die ersten selbständigen Arbeiten, welche im Jahre 1683 bei dem „Bildhauer- gsöllen“ Johannes Schwaiger für die Großgmainer Kirche bestellt wurden. Der sechsundzwanzigjährige Geselle lieferte damals „geschnitzte vier neue Altarleuchter“. Es handelt sich hier also ebenfalls um Holzschnitzereien. In der Sakristei be- finden sich vier holzgeschnitzte Leuchterengel, welche im Inventar „um 1700, datiert sind. Für eine Gesellenarbeit erscheint die Handschrift freilich etwas zu ausgeschrieben, aber es darf nicht vergessen werden, erstens, daß Johannes Schwaiger damals bereits sechsundzwanzig Jahre alt war, zweitens, daß gerade frühe Arbeiten eines aus guter Werkstatt hervorgegangenen Künstlers manchmal eine technische Sicherheit, eine Flottheit der handwerklichen Ausführung verraten, welche dem reiferen, sich der Probleme seiner Kunst bewußt werdenden Manne fehlen. Auf dreifüßigem, nfit Akanthusranken verzierten Postamenten steht je ein Engel mit gewundenem Füllhorn, das als Leuchter diente. Der Entwurf entspricht demnach genau dem ornamentalen Formenschatz der Epoche. Die Engel selbst sind in Haltung, Behandlung des Gewandes und der Formen sowie im Kopftypus keineswegs unähnlich den beiden großen Engeln, welche Johannes Schwaiger 1728 für den Gnadenaltar anfertigte und die dann offenbar schon 1739, nach dem Tode des Künstlers vom Tischler Langmayr im Aufbau des neuen Flochaltars geschickt verwendet wurden.

Bald nach 1683 muß Schwaiger Meister geworden sein, denn 1686 wird er in den Großgmainer Kirchenrechnungen als „Bildhauer“ genannt. Er machte damals „underschidliche Sachen zu dem Tabernakel“. Es handelt sich also wohl abermals um Holzschnitzereien. Das Tabernakel wurde damals von demselben Tischler Johann Georg Stadler, welcher das erste, heute in der Sakristei bewahrte, gemacht hatte, durch ein neues ersetzt. 1688 erhält Johannes Schwaiger 10 fl. 30 kr. für „Leuchter und Maykrieg“.

1693, als er ein Mann von sechsunddreißig Jahren war, also eben in die Zeit der Reife und zugleich der frischesten Arbeitskraft trat, erhielt er den Auftrag zu der doppelseitigen Marienfigur des Brunnens vor der Friedhofsmauer (Abb. т und 2). Die Darstellung ist eine so ungewöhnliche, daß es von Interesse wäre zu erfahren, wer den Auftrag zu ihr gab, oder ob Johannes Schwaiger selbst den Gedanken dazu faßte. Die auf der Mondsichel stehende Immaculata ist eine nach zwei Seiten vollständig ausgebildete Statue und zwar so, daß die Haltung der Arme auf beiden Seiten ungefähr die gleiche ist, während das emporblickende Gesicht der einen Seite natürlich die Senkung des Kopfes auf der anderen bedingt. Dieses schwierige Problem ist mit Sicherheit gelöst, die Behandlung aller Formen flüssig und un- gezwungen, so daß der Übergang von der einen Figur zur anderen sich nirgends in störender Weise fühlbar macht. Die absolute Selbstverstindlichkeit des Bild-

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werkes ist überraschend. Die Hände der nach aufwärts blickenden Immaculata ‚sind über der Brust, gleichsam betend, gekreuzt, die Hände der nach unten nieder- sehenden Figur halten die Brüste, aus denen ursprünglich das Wasser in feinen Strahlen zum Brunnenbecken niederfloB. Diesen feinen Gedanken hat eine kiinst- lerisch gröber empfindende Zeit als Verletzung des Schamgefühls empfunden und die Brunnenfigur wird jetzt durch einen dicken Blechkranz verunziert, welcher die Brüste verdeckt, während das Wasser aus im Postament angebrachten Röhren in den Brunnen fließt. Es ist möglich, wenn auch natürlich nicht zu erweisen, daß der Künstler die Idee zu seiner Darstellung einer Legende des heiligen Bernhard von Clairvaux entnahm. Als der Heilige krank lag, erschien ihm die Madonna ‚und heilte ihn mit einem Trank der Milch, die aus ihrem Busen quoll.

Der Brunnen selbst ist älter wie die Marienfigur, er wurde 1646 vom Steinmetz- meister Martin Pfenninger gemacht, das Postament zur Marienfigur wurde von Andreas Doppler, Steinmetz in Viehhausen, angefertigt. Aus den angeführten Preisen Pfenninger erhielt 250 fl., Andreas Doppler für das Postament und Ausbesserung des Brunnens „Verbesserung der Staffeln“ gar 409 fl. 26 kr.) geht hervor, daß es den Großgmainern bei der Anlage des Brunnens darum zu tun war, etwas beson- ders Schönes zu erhalten. Es wäre leicht gewesen, einem Bildhauer aus Salzburg die Arbeit zu übertragen, die Wahl Johannes Schwaigers beweist, daß er sich, wenigstens in seiner engeren Heimat, bereits einen Namen als Bildhauer gemacht hatte.

Von 1693—1711 fehlt es dann, was das Großgmainer Archiv angeht, an Nach- richten über ihn. Es ist aber in dieser Zeit überhaupt nicht viel für die Kirche geschehen, зо daß Johannes Schwaiger wohl während dieser Jahre in Reichenhall und Umgegend tätig gewesen sein kann. Als man 1711 in Großgmain daran ging, einen neuen Altar im Chor aufzusetzen, besann man sich offenbar sogleich wieder auf Johannes Schwaiger und erteilte diesem den Auftrag für die beiden Marmor- figuren des Heiligen Augustin und Rupert (Abb. 3 u. 4) sowie für das Aufsatz- relief des Heiligen Geistes. Die drei Arbeiten sind aus grauem Untersberger Marmor gefertigt, dessen warmer, weicher Ton die malerische Wirkung gut unter- stützt. Der Künstler ist seit der Marienfigur des Brunnens um ein gutes Stück in seiner Kunst vorwärts gedrungen. Er ist reifer und zugleich herber geworden. Der großzügige, malerische Wurf, der sich bereits bei der Madonna ankündigte, ist hier schon zum persönlichen Stil des Meisters geworden, durch welchen er sich zugleich bewußt der barocken Richtung seiner Zeit unterordnete. Der heilige Augustin, ein Greis von wundervoller Erscheinung mit weichem, wallendem Bart, hält in der Rechten ein brennendes Herz, während die Linke den weiten, gebausch- ten Mantel emporrafft, wodurch die Gestalt eine starke Schwingung erhält. Es ist die typische Linie Johannes Schwaigers, die noch nicht zum Schnörkel erstarrt, das Wachsen lebendiger Kräfte zu symbolisieren scheint. Hier am Altar tritt diese lebensvolle, innere Bewegtheit der Gestalt bei geschlossener Silhouette in wirkungs- vollen Kontrast zu den starren Senkrechten des Säulenpaars, das sie umrahmt, während die Maria des Brunnens im wechselnden Spiel von Sonne und Schatten wie eine windbewegte Pflanze über dem Wasser emporwächst. Strenger und herber als Skt. Augustin ist der heilige Rupert, dessen bartloses Gesicht ein Porträt zu sein scheint. Auffallend bei beiden Figuren ist die reichliche Verwendung von Borlöchern und tief eingegrabenen Rillen, durch welche hier im kühlen Dämmer- licht des Chors die Schattenwirkung verstärkt werden muß. Das ovale Relief des Aufsatzes enthält die Taube des heiligen Geistes, umgeben von flott gemeißelten

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Engelsköpfchen. Die Art der Arbeit zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit dem Epitaph in Skt. Zeno vom Jahre 1579, das ich dem Georg Pamber zuschreiben möchte. Schön ist das Gefieder der Taube behandelt, leicht und lustig ragen die zarten Engelsköpfchen aus dem Wolkengrund hervor. Die Behandlung ist jedoch im Sinn der Zeit ganz auf die ornamentale Wirkung berechnet, so daß das in hellem Marmor gehaltene Relief in seiner rotmarmornen Umrahmung im Eindruck einer Wappenkartusche gleichkommt. |

In den zunächst folgenden Jahren scheint der Künstler dauernd für die Groß- gmainer Kirche beschäftigt gewesen zu sein; 1712 erhält er 50 8., ohne daß wir wissen wofür, 1713 macht er um 126 fl. zwei Statuen zu dem neuen Gnadenaltar. Diese sind nicht mehr vorhanden, ebensowenig wie eine, offenbar kleine Marien- figur, für die er 1715 vier Gulden erhielt. Zum letztenmal erscheint sein Name dann 1728, wo er für die Abputzung seiner beiden Statuen St. Rupert und St. Augu- зїп 3 fl. 30 kr. nahm, um 12 fl. die beiden Engel schnitzte, die heute noch am Hochaltar zu sehen sind. Wir haben also in den Engeln der Leuchter von 1683, sofern meine Zuschreibung stimmt, und den Engeln des Hochaltars von 1728 ein Beispiel sowohl der frühesten wie der spätesten Arbeitsweise des Meisters, denn nach 1728 hat er für Großgmain nichts mehr gearbeitet. Die in Großgmain er- haltenen Arbeiten Schwaigers weisen also ein ziemlich lückenloses Bild seiner Künstlerlaufbahn auf. Die Entwicklungslinie ist, wie dies bei mehr handwerks- mäßig arbeitenden Künstlern der Fall zu sein pflegt, keine sehr ausgeprägte. Seine Eigenart kommt zwar klar, aber nur unaufdringlich zu Wort. Er selbst mag sich mehr als Meister seines Handwerks, denn als Künstler betrachtet haben. Das lag im Wesen der sozialen Verhältnisse Deutschlands. Es handelt sich bei Schwaiger um ein starkes Talent, das in der Enge des bürgerlichen Kleinstadt- lebens bis zu einem gewissen Grade verkümmerte, vielleicht auch durch die von der Zunft verliehene wirtschaftliche Sicherheit im Vorwärtsstreben gehemmt wurde. In Werken wie der Brunnen-Maria und dem heiligen Augustin des Gnadenaltars vibriert aber der lebendige Atem eines echten Künstlerwollens, das in äußerlicher, stilistischer Hinsicht eins war mit dem Wollen seiner Epoche, aber doch den eigenen Trieb nach selbständigem Gestalten des persönlichen Lebens nicht ver- leugnete. Diese beiden Werke: Der heilige Augustin und die Brunnen-Maria be- rechtigen Johannes Schwaiger zu einem eigenen, wenn auch bescheidenem Platz in der Geschichte der deutschen Barockskulptur.

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DAS SOGENANNTE ESELWECKGRABMAL VON HANS BACKOFEN Mit einer Tafel Von KARL SIMON

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n der Kirche des Klosters Eberbach im Rheingau befindet sich ein Grabstein, der mit vollem Recht für Hans Backofen in Anspruch genommen worden ist!).

Unter einem mit spätgotischem Laubwerk ausgefüllten Kleeblattbogen steht die Вене рог eines die Hände zum Gebet aneinander legenden Mannes in mittlerem Alter. Das bartlose, von langem, schlichtem Haar umrahmte, mit einem Barett bedeckte Haupt ist leicht zur Seite geneigt. Der Grabstein ist ersichtlich unvoll- ständig, wohl infolge der Höherlegung des Fußbodens; die Füße des Dargestellten fehlen, und auch eine Inschrift ist nicht vorhanden, die vorausgesetzt werden muß. Über dem Kleeblattbogen befindet sich links und rechts je ein Wappen; das linke enthält über einem Dreiberg ein wachsendes Tier, das einem Füllen oder Esel ähnlich sieht und bisher als das Wappen der Familie Eselweck angesprochen worden ist. Das Wappen rechts blieb ungedeutet. Tatsächlich ist aber das linke Wappen das der Frankfurter Patrizierfamilie v. Hynsperg auch Hindesperg das Wappen stellt also eine Hindin dar; und nun läßt sich auch das quer- geteilte Wappen rechts deuten, das einen rechts gewendeten Fisch über einem schräg rechts laufenden Balken enthält. Seinem oberen Ende liegt eine Lilie auf. Ein Carl von Hynsperg war nämlich seit 1458 verheiratet mit Guda von Heringen, und so stellt das (redende) Wappen rechts das der Familie Heringen dar. Die zwei Wappen begegnen dasjenige der Frau nur anstatt mit einer Lilie, mit drei Lilien auf jenem Gemälde des Frankfurter Historischen Museums, das die vierzehn Nothelfer darstellt und von mir seinerzeit frageweise wegen der Ini- tialen J. Н. mit dem Maler Johannes Heß in Verbindung gebracht worden 1363), dem Vater des bekannten Martin Heß.

Dieser Carl von Hynsberg kommt für unseren Grabstein freilich nicht mehr in Betracht, da er schon 1472 gestorben ist. Wohl aber könnte es sich um einen seiner Söhne handeln; ein Sohn des gleichen Namens heiratet 1485, stirbt.ı515, wird aber, wie wir wissen, im Dom zu Frankfurt begraben. Ein anderer Sohn, Johann, „ist nicht wohl bei Sinnen“, stirbt 1504 und wird bei den Karmelitern in Frankfurt begraben.

Wohl aber käme der Bruder dieser beiden in Betracht, Wigand von Hynsperg, dessen Geburtsdatum unbekannt, aber gewiß noch vor das Todesdatum des Vaters zu setzen ist. Er kommt zuerst 1485 vor und scheint seiner Familie viel Not verursacht zu haben. 1495 beklagt sich seine Mutter über ihn, daß er ihren Tisch erbrochen und aus ihm Geld entwendet habe; den Schlosser, der seine Lade aufbrechen sollte, um das gestohlene Gut herauszuholen, bedroht er ‚mit Erstechen, so daß sie bittet, ihn in Haft nehmen zu lassen. Auch sonst „trieb er leichtsinnige Streiche“ (wie sich von Fichard in seinem handschriftlichen Ge- schlechts-Register ausdrückt), hält sich eine Konkubine, Margarete de Lampartier, ist aber 1502 schon verheiratet mit einer „gewissen Kathrina, einer geringen,

(1) Vergleiche Р. Kautzsch: Der Mainzer Bildhauer Н. Backoffen und seine Schule. Leipzig 1911, 8. 42, Tafel X, 33. Bau. und Kunstdenkmäler des Rheingaues, hrsg. v. F. Luthmer I. (1902), 8. 170. С. Schäfer: Die Abtei Eberbach im Mittelalter. Berlin 1901, S. 87. Lotz-Schneider: Die Baudenkmäler im Reg.-Bez. Wiesbaden 1880, 8.89.

(а) Vergleiche Alt-Frankfurt Ш, 1911, 8.63 und Monatshefte für Kunstwissensch. У (1912), Taf. 107.

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berüchtigten Person“. 1502 bedenkt ihn Frau Elisabeth у. Неегїпреп in ihrem Testament, doch soll er nur den Nießbrauch der ausgesetzten Summe haben, es sei denn, daß Wigand „nach Abgang seiner jetzigen Hausfrau sich ehrlich ver- ändere und noch Kinder gewinne“.

1499 hat er sein Frankfurter Bürgerrecht aufgegeben und scheint dann nach Mainz gegangen zu sein, wo er 1508 nachzuweisen ist. 1511 errichtet er dort ein ge- meinschaftliches Testament mit seiner Frau und ist noch im selben Jahre gestorben. In dem Testament bestimmt er, daß er im Kloster Erbach im Rheingau begraben werden solle; seine Leiche sollte von den vier Bettelorden begleitet werden.

Kloster „Erbach“ ist eine Nebenform von Eberbach, das allein gemeint sein kann, da es in dem nahe gelegenen, heute sogenannten Erbach, ein Kloster nicht ge- geben hat. So spricht alles dafür, daß wir in dem erwähnten Grabstein das Denk- mal dieses Wigand von Hynsperg zu erkennen haben. Das noch verhältnismäßig jugendliche Aussehen würde dazu stimmen; auch die dazu gehörige Inschrift ist wenig- stens in einer Abschrift noch erhalten; in einem Epitaphienbuche des Klosters, das der Mainzer Domvikar Helwich 1611— 1616 und 1623 anlegte, und dessen beste Hand- schrift in der Seminarbibliothek in Mainz sich befindet!), ist folgende Inschrift kopiert:

„Anno DniM.D.XI попаз septembris o(biit) circumspectus vir Wigandus Hengsz- berger civis Frangfurdensis, benefactor hujus monasterii c(uius) a(nima) feliciter in pace requiescat, Amen“).

у. Fichard in seinem bereits erwähnten Geschlechts-Register bringt die gleiche Inschrift mit wenigen Abweichungen, fügt aber hinzu, eine alte Abbildung zeige „den Dargestellten im Harnisch in Lebensgröße, mit einem in der Hand haltenden, vor sich auf der Erde aufgestützten Schwerte“; wo sich diese Abbildung befindet, konnte leider nicht festgestellt werden, auch das Staatsarchiv Wiesbaden, dem ich für freundliche Bemühung zu Dank verpflichtet bin, hat nichts ermitteln können. Es wird kaum etwas anderes übrig bleiben als anzunehmen, daß die Abbildung oder die Beschreibung dieser Abbildung ungenau gewesen ist. Fichard führt weiter an, daß in den vier Ecken des Steines oben die Wappen von Hynsperg und von Heringen sich befinden, und das würde ja gerade bei unserem Grabstein zutreffen. Unten sei das Wappen von Breidenbach von Gelnhausen und ein unbekanntes (zwei gekreuzte Spieße, also wohl der Familie Spieß) vorhanden gewesen. Dies würde für unseren Grabstein auf das beste passen, wo der untere Teil fehlt, und

also in der angegebenen Weise zu ergänzen wäre. (Die Mutter der Guda у. Hee- `

ringen war Anna у. Breidenbach aus Gelnhausen.) Darunter hätte sich dann die erwähnte Inschrift befunden, wie es bei anderen Grabdenkmälern Backofens ja gleichfalls begegnet.

Das Grabmal gehört stilistisch eng zusammen mit demjenigen des Kanonikus Petrus Lutern in Oberwesel (gest. 1515). Gewisse Verschiedenheiten erklären sich aus dem hier angewendeten, sehr flachen Relief, für das sonst kein Beispiel bei Backofen vorhanden 151%). Glücklicher noch als dort ist hier der Kopf in den umgebenden Maßwerkbogen hineinkomponiert, eine Lösung, die mit der von Peter Vischer bei der Grabplatte des Petrus Salomon in Krakau (wohl nach 1513‘)

(1) Vergleiche Roth: Die Geschichtsquellen des Niederrheingaues, Ш. Wiesbaden 1880, ne Seite XVII. = (2) Roth, a. a. O., 8. 264. | ол (3) Р. Kautzsch, а. а. О., 8.42, Abb. 28, Tafel IX.

(4) Abb. bei Daun: Peter Vischer und Adam Krafft. 1905, 8. 19. Vgl. dazu K. Simon: Kunstwiss. Beitr, Aug. Schmarsow gewidmet. Leipzig 1907, 8. 169, Anm. 19.

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auf einer Stufe steht. Aus sonstigen stilkritischen Gründen ist aber unser Denk- mal mit Recht früher (um 1514) angesetzt worden als das des Lutern eine Datierung, die durch das jetzt festgestellte Todesdatum des Dargestellten nur be- kräftigt werden kann, wenn wir wohl auch noch etwas weiter hinaufgehen müssen: um 1512. Man hat schon früher von dem „wunderbar geistigen Ausdruck des Porträtkopfes“ gesprochen, durch den sich Lotz unmittelbar an Dürer erinnert fühlte. Da ist es denn nicht ganz ohne Bedeutung, daß Hynsperg ein Mainzer Mitbürger Backofens war, den dieser ganz gewiß persönlich gekannt hat. Und aus dem, was wir sonst über den Dargestellten wissen, formt sich das Bild eines Ungebärdigen, der schon früh sich über Recht und Sitte hinwegsetzt, sich mit seiner Familie überwirft, die Heimat verläßt und die Aussichten auf eine angesehene Stellung in ihr aufgibt, um frei nach Neigung zu leben; ein Eigensinniger, Zügel- loser vielleicht ein „Renaissancemensch“, wenn man so will, in deutscher Aus- gabe wobei es freilich in der Natur der Sache liegt, daß die Urkunden wesentlich nur Ungünstiges berichten.

Der Körper mag früh verwüstet worden sein die eingefallenen Wangen könnten eine solche Deutung nahelegen ein seelisch Wertvolles hat aber der Künstler jedenfalls in Wigand gesehen und zum Ausdruck gebracht. Nach einem durchstürmten Leben Frieden mit Gott das scheint der Ausklang dieses Da- seins zu sein, wenn man Darstellung und urkundliche Nachrichten zusammenhält.

Und über diesen Einzelfall hinaus mag die Meinung ausgesprochen werden, man dürfe bei solchen Darstellungen über dem Künstler und der formalen Lösung der Aufgabe den Dargestellten nicht vergessen, soweit man seiner Persönlichkeit hab- haft werden kann. Bei den von großen Künstlern anderer Völker Dargestellten ist dies selbstverständliche Pflicht und langjährige Übung geworden. Das Modell und seine geistig-seelische Struktur ist eben wichtig auch für die Erkenntnis des Künstlers und der künstlerischen Leistung.

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ZUR KUNSTGESCHICHTSSCHREIBUNG рев MODERNE’) Von WALTER FRIEDLAENDER (Freiburg)

L

en meisten unserer Kunsthistoriker erscheint eine eingehende Beschäftigung

mit der gegenwärtigen und jüngstvergangenen Kunstentwicklung unfruchtbar und „unwissenschaftlich“. Das gilt auch für die innerlich Zustimmenden, nicht nur für die instinktiv Ablehnenden. Diese Scheu kann im Objekt selbst begründet sein. Es wird behauptet und hat den Anschein, als ob das Tempo unserer gesamten Vitalität ein bedeutend hastigeres geworden sei, als das selbst betriebsamer Epochen der Vergangenheit. Daraus würde sich erklären, daß auch die künstlerischen Er- lebnisse unserer Zeit sich vielgespaltener darbieten, sich nicht so leicht auf ein geordnetes Wachstum zurückführen lassen. daß sie daher an und für sich zer- stückelter, absurder, unzusammenhängender erscheinen. Man fürchtet, auf Moden zu stoßen, statt auf gegründete Stile. Die Übersicht des Gesamtbildes und die klare Herausarbeitung der bestimmenden Entwicklungslinien würde dadurch er- schwert und verunklärt zumal bei einer künstlerischen oder pseudokünstlerischen Massen- und Überproduktion, die unleugbar vorhanden.

Doch liegt der eigentliche Grund mehr im Subjektiven. Auch geistvolle und künstlerisch beanlagte Gelehrte, wie etwa Justi oder Burckhardt von reinen Kunstphilologen ganz abgesehen versagen häufig genug ihrer zeitgenössischen Kunst gegenüber, zumal, wo sie entschieden fortschrittlich gerichtet ist. Vielfach im Gefolge einer etwas zurückliegenden, schon antiquierten Kunstanschauung sehen sie die Schönheitsgesetze einer bestimmten Epoche —- Antike, Gotik oder Renais- sance durch fortdauerndes Sichversenken als die allein gültigen an. Danach werten sie die Erscheinungen der Gegenwart, statt umgekehrt von dem ihrer Zeit eingeborenen Kunstempfinden aus die Erscheinungen der Vergangenheit zu be- trachten und zu deuten wie es jedem starken, selbstbewußten Stil selbstver- ständlich war (diese Naivität müßte unserem kritisch - historisch befangenen Zeit- alter viel beneidenswerter erscheinen, als es gemeinhin geschieht). Der kritische Historizismus führt zu einer Geschichtsschreibung, die, wie mit Recht behauptet wurde, noch nie so objektiv war, wie heute. Diese Objektivität, die im Grunde freilich auch nur relativ ist und auf die wir vielleicht ein wenig zu stolz sind, fürchtet man zu verletzen, wenn man sich mit den mit uns gewachsenen künst- lerischen Erscheinungen beschäftigt. Denn hier müssen wir, mitten im Flusse stehend, oft unvermeidlich Richter in eigener, gefühlsbetonter Sache sein. Bei weitem mehr als bei den künstlerischen Ereignissen der Vergangenheit, da dort das Urteil der Nachwelt schon ein mehr oder minder gerechtes Urteil gesprochen hat, zum mindesten aber das ästhetisch und historisch Gleichgültige und Ver- spätete ausgesondert hat. Infolgedessen und durch unser persönlichstes Miterleben scheint uns (wie oft gesagt), der „Abstand“ zu fehlen, der es uns ermöglicht, die bedeutsamen Linien, Bewegungen und Richtungen der Entwicklung zu sehen und die bestimmenden und hemmenden Kräfte zu erkennen. Die bewährte, zum „Ob- jektiven“ führende historische Methode scheint hier zu versagen.

(х) Gelegentlich der zweiten Auflage von Fritz Burger, Cézanne und Hodler. Einführung in die Probleme der Malerei der Gegenwart, 1918 (Delphin-Verlag, München) sowie desselben Verfassers: Einführung in die moderne Kunst (Handbuch der Kunstwissenschaften, Berlin-Neubabelsberg).

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Und doch ließe sie sich auch bei der kunsthistorischen Durcharbeitung der noch lebendigen künstlerischen Bewegung anwenden, wobei freilich die im Subjektiven liegenden Fehlerquellen (die auch bei der sorgfältigsten historischen Forschung der Vergangenheit so gut wie unvermeidlich sind), erkannt und berücksichtigt werden müßten, häufig sogar mit Verzicht auf einen endgültigen Abschluß. Hier, wie bei jeder historischen Untersuchung, bedarf es zunächst der Erfüllung zweier, in sich verketteter Forderungen. Die eine ist die grundlegend vorbereitende, exakt-kritische „archivalische“ Sichtung und Festlegung des vorhandenen zu bearbeitenden Materials. Die Lösung dieser Aufgabe in bezug auf die jüngst vergangene Kunstproduktion begegnet Schwierigkeiten, die vom Laien leicht übersehen, dem methodisch Vor- gehenden ins Auge fallen und von ihm zu überwinden sind. Wir wissen von einer großen Anzahl gleichgültiger Quattrocentomeister die Daten ihrer Erzeugnisse aus den zum Teil noch erhaltenen, in Archiven gehäuften Haupt- und Rechnungs- büchern, Briefen usw. ganz genau und können danach ihre relative Stellung im Kunstleben bestimmen. Aber über die Produkte unserer neueren und neuesten Künstler, über ihren ganzen zeitlichen Zusammenhang und ihre Stellung zueinander herrscht noch eine überraschende Unkenntnis und Verwirrung. Die Deutschen haben freilich, fleißig und sorgfältig wie immer, das Oeuvre ihrer Hauptmeister zusammengestellt und festgelegt so das von Böcklin, Feuerbach, Marees, Leib], auch von Liebermann, Slevogt und hie und da auch von Jüngeren und. Jüngsten. Aber von den europäisch und kunsthistorisch nun einmal wichtigeren Künstlern Frankreichs haben wir vielfach noch keine wissenschaftliche Festlegung ihrer Werke. Nicht einmal von Cézanne, geschweige denn, daß wir die verschiedenen Phasen und Etappen der so einflußreichen Kunst von Matisse auch nur annähernd genau verfolgen könnten. Aus Ausstellungskatalogen, Zeitungs- und Zeitschriftenberichten, aus Traditionen und mündlichen Mitteilungen sich ein Bild einer einigermaßen zuverlässigen Chronologie zu machen, wird mindestens so schwierig, aber auch so fruchtbar „wissenschaftlich“ sein!), wie das Wühlen in Nürnberger Kirchenbüchern oder in den Strafakten römischer Notare. Vielfach sind freilich die Zusammen- hänge schon verschüttet und eine Aufräumung für die Kommenden kann sich sehr schwierig, wenn nicht unmöglich gestalten. Aber erst auf dieser Basis, die man nicht pedantisch einzuengen oder auf Vollständigkeit auszudehnen braucht, wird es möglich sein, die andere Forderung des Historikers zu erfüllen: die Konstruktion, das erkennende Gestalten der historischen Objekte und ihrer genetischen Zu- sammenhänge also die in tieferem Sinne wissenschaftliche, dem Künstlerischen verwandte Tätigkeit. Freilich muß der Historiker hier das selbst tun, was für die vergangenen Epochen die Zeit besorgt hat: das Sichten, das Weglassen des Unbedeutenden, wodurch dann, wie bei einer edlen Zeichnung, die bedeutenden

(1) Die Schwierigkeit wird noch erhöht durch das Verhalten der meisten unserer größeren Universitäts- Bibliotheken. Wenn heute der Phoebus von Н. у. Kleist und Ad. Müller oder die Berliner Abend- blätter von Kleist wieder erschienen, würde außer den zuständigen Landes-Bibliotheken keine andere sich um sie bemühen. Nachträglich werden sie aber als litterar- und kulturgeschichtliche Curiosissima fast mit Gold aufgewogen. Mit systematischer Hartnickigkeit werden auch heute noch ähnliche Blatter. und Blättchen, die gewiß zum großen Teil nichts taugen, aber häufig auch den Beginn einer neuen Bewegung, das Sprungbrett junger Talente darstellen (wenn sie auch oder gerade weil sie oft nur in wenigen Nummern erscheinen können), von den Bibliotheken ferngehalten (die ihren Etat bei einer umsichtigen Auswahl, zumal bei den meist sehr niedrigen Preisen solcher Erscheinungen sicher nicht überlasten würden). Hingegen werden Zeitschriften, die zur Zeit unserer Großväter einmal die führen- den waren, unentwegt weiter gehalten, einem öden Vallständigkeitsprinzip zuliebe, auch wenn sie

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Linien und die inneren Zusammenhänge hervortreten. Hierzu bedarf es eines großschauenden Geistes, aber auch dieser darf der Grundlage nicht entbehren, auf der er seine Gebäude zimmert: Beherrschung des Materials durch Kennerschaft (Autopsie) und durch archivalische Arbeit. Die Wertung ergibt sich aus einer solchen Arbeitsleistung von selbst, da sie ja (hier liegt eine der Fehlerquellen) schon latent durch die getroffene Sonderung und Auswahl des Materials aus- gesprochen wird. II.

Bisher gibt es keine solche methodische, zusammenfassende Kunstgeschichte der modernen Zeit!). Und doch ist das Bedürfnis danach gerade in den weiteren Kreisen des Publikums auffallend groß. Das liegt zum Teil an der immer stärker gewordenen artistischen Zuspitzung, die die moderne Kunstrichtung noch weit hinaus über das l' art pour l'art des Impressionismus genommen hat. Die meisten Erzeugnisse der modernen Kunst sind dem naiven Volk, aber auch dem nicht ein- geweihten und speziell dazu erzogenen Gebildeten Hieroglyphen, eine Scheinsprache, zu der er den Schlüssel nicht kennt. Es soll darin kein Tadel der modernen Be- wegung liegen. Jede abstrahierende und stilisierende Kunst ist wohl im Grunde volks- fremd es ist anzunehmen, daß etwa die Schönheit der ravennatischen Mosaiken auch nur einem kleinen Kreise raffinierter Kenner in ihrem ästhetischen Wert zu- gänglich waren, für die übrigen blieben sie hieratische, d. h. im Grunde unverständ- liche, wenn auch verehrungswürdige Wunder. Infolge einer bestimmten allgemeinen Bildungspropaganda, aber auch des Respekts vor dem nicht ohne weiteres zu taxierenden materiellen Wert der modernen Kunstprodukte ist unser Publikum all- mählich zu einer gewissen achtungsvollen Scheu vor denselben erzogen worden. Sie sind ihm schwer oder gar nicht verständlich, aber er wagt nicht mehr recht über sie zu lachen (wie man es noch naiver z. B. den Werken Böcklins gegen- über lange Zeit hindurch tat), ja nicht einmal mehr, sie zu übersehen. Um so mehr möchte es aber in seinem Bildungshunger, den besonders die deutschen Ge- sellschaftsschichten vor dem Kriege besaßen, mit in die Mysterien eingeweiht sein,

ganz gleichgültig geworden sind. Mindestens die litterarisch und künstlerisch, aber auch sonst kulturell wertvollen Periodica dieser Art müßten auch an anderen Bibliotheken, als der Berliner (die wohl alles wahllos aufsaugt), zugänglich sein. Noch schlimmer steht es natürlich mit den ausländi- schen derartigen Blättern, die vielfach von viel größerer Bedeutung heutzutage sind, als die Revue de deux mondes und ähnliche ehrwürdige Monatsschriften, die in allen Bibliotheken zu finden sind, während die Organe der jungen und fortschrittlichen Generation, wie etwa die Nouvelle Revue Francaise oder das Yellow Book und ähnliche größere und kleinere durchweg fehlen. Dabei findet man gerade hier viel mehr Aufschluß über die kulturellen Strömungen des Auslandes auch in ihren Beziehungen zu Deutschland, Symptomatisch dafür sind z. B. die Cahiers d’aujourd’hui, eine sehr gut ausgestattete Zweimonatsschrift mit Randzeichnungen von Renoir, Matisse u. a., die sich 1013 sehr verstindnisvoll mit Deutschland beschäftigte. Hier findet man auch was für unseren engeren Zweck wichtig einen interessanten Aufsatz von dem bekannten Sozialisten Marcel Sembat über Matisse (April 1913) und einen Hinweis auf eine Selbstdarstellung dieses Künstlers in der Grande Revue vom 35. Dezember ı908, der chronologisch und historisch sicherlich nicht unergiebig sein dürfte.

(x) Muthers Geschichte der Malerei des 19. Jahrhunderts ist eine (nicht zu unterschätzende) unkritische Häufung von Material auf anekdotischer Basis. Meier-Graefes Entwicklungsgeschichte gibt eine Reihe geistreicher Essays zur impressionistischen Bewegung, verbunden mit praktischer Kennerschaft. Im Rahmen des „Handbuches für Kunstwissenschaft“ wird eine Darstellung der Malerei usw. des 19. und 20. Jahrhunderts von Georg Swarzenski angekündigt, der als Historiker wie als genauer Kenner des Kunstmarktes, der Sammlungen gleichen Ruf besitzt. Hier dürfte wohl auch für die neueren Phasen eine methodische Entwicklung zu erwarten sein,

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Aufklärung haben über die scheinbar wirr durcheinander schießenden Richtungen, über die fremd und unverständlich klingenden Kunstphrasen. Daher erklärt sich die auffallende Erscheinung, daß so esoterische und schwer verdauliche Bücher, wie die von Burger, eine solche Massenverbreitung gefunden haben. Ich fürchte, daß nur wenige von den vielen, die hoffen, in diesen Büchern eine bequeme An- leitung und Aufhellung ihres Wissensdranges zu erhalten (eine „Einführung“ will doch darauf hinarbeiten), geneigt sein werden, den verschlungenen und verworrenen Pfaden des Autors, die durch eine philosophische oder pseudophilosophische Phra- seologie noch unzugänglicher werden, bis zu Ende zu folgen. Und daß auch diesen wenigen zwar allerhand Anregung durch Einzelbemerkungen zufließen mag, daß sie aber eine größere Klarheit über das organische Wachstum des neuen Kunst- wollens nicht gewinnen!).

Burger erstrebte und hat erreicht, was die historischen Wissenschaften immer intensiver zu vermeiden gewillt waren: er sagt sich los von jeder festen, nach Objektivität strebenden Methode, die bisher zum Begriff des Wissenschaftlichen gehörte; er setzt dafür einen anarchisch-expressionistischen Subjektivismus, durch den er den Dingen unmittelbar, intuitiv näher zu kommen sucht. Freilich kann er ein überkommenes Einteilungsprinzip doch nicht ganz entbehren und sieht sich genötigt, regional-völkisch und zeitlich-periodenhaft wenigstens in einzeinen Ab- schnitten zu gliedern. Aber gerade hier vermißt man die Grundlage: die strenge Sichtung und Beherrschung des Materials. Sie ist auch für eine formanalytische oder rein ästhetisierende Behandlung wiinschenswerte Voraussetzung; hier, wo diese in einen historischen Rahmen gefaßt werden soll, ist sie geradezu unumgäng- lich. Jeder Versuch, genauere zeitliche Relationen zu schaffen (etwa durch Angabe der annähernden Entstehungsjahre der einzelnen Gemälde), ist von vornherein auf- gegeben. Es scheint ganz belanglos, ob ein Gemälde von Cézanne seiner frühen, mittleren oder späten Zeit angehört. Und doch ist es wichtig, wenn ich etwa das Problem „Tizian“ auch rein ästhetisch fassen will, festzulegen, ob ich den Tizian des Prado-Bacchanals oder den der Münchener Dornenkrönung im Auge habe. Dasselbe gilt auch für den modernen Künstler auch hier ist eine zu- nächst chronologische, aber auch sonstige, kunsthistorisch festzustellende Sicherung des Tatbestandes zu verlangen, die als Voraussetzung vorhanden sein muß, ohne daß sie direkt zu Worte zu kommen braucht. Es sind das eigentlich Selbst- verständlichkeiten, die aber nicht nur in den Arbeiten Burgers, auch in den meisten Schriften und Aufsätzen über neuere und neueste Kunst allzusehr vernachlässigt werden, als pedantisch gelten (da sie ja pedantische, d. h. im höheren Sinne geist- lose Arbeit, erfordern. Aber ihre Nichtachtung und die leicht in Geschwätz aus- artende, weil eben der soliden, materiellen Basis entbehrende ästhetisierende Be- trachtung, gewissermaßen im luftleeren Raum, haben die Kunstschreiberei in jenen Mißkredit gebracht, unter dem sie und nicht nur bei der strengen Forschung zu leiden hat. Denn es entstehen durch diese Unsicherheiten der Chronologie vielfach Lücken und Ungewißheiten in der Filiation, d. h. im pragmatischen Zu- sammenhang und dadurch unter Umständen auch Unsicherheit und Unrichtigkeit in der Wertung. Dazu kommt noch ein anderer begreiflicher und eher verzeihlicher Fehler, der aber freilich auch eine annähernd richtige Wertung verhindern oder arg verschieben kann. Zufällige Lokalgrößen bestimmen mitunter den Eindruck und lassen die in lebendigeren Zentren vielleicht gewonnenen Eindrücke verblassen.

(1) Eine zutreffende Charakteristik der Schreibart Burgers und eine Warnung vor seiner Systemlosigkeit gibt Scheffler: Kunst und Künstler, 1918, Heft 2, S. 79.

Monatshefte für Kunstwissenechaft, XII. Jahrg. 1919, Heft 10/11 20 289

Nur so kann es geschehen, daß von Marc gesagt wird: „Die extensive Energie seiner Farben und Formen gibt seiner Kunst gegenüber der Cézannes eine quel- lende Frische und Stärke... (Burger, Einführung.) Als ob man einen liebens- würdigen, dekorativ-spielerischen Künstler, nur weil er in Münchener und Berliner Künstler- und Literatenkreisen bekannt geworden ist, ihn, einen Anfänger, dessen Abhängigkeit von der Münchener Scholle noch überall durchschimmert und der gerade dadurch dem Verständnis, den Instinkten eines etwas weiteren Publikums entgegenkam, mit dem großen, gereiften und schöpferischen Genius vergleichen darf, der weit über die Grenzen seines Landes hinaus weittragend befruchtete. Das ist fast ein crimen laesae maiestatis. Und so greifen diese Schriftsteller, wie Burger, romantisch-weltfremd, wie die „reisenden Enthusiasten“ bei Е. T. H. Hoff- mann, begeistert und unbekümmert in den großen, farbigen Topf voll zappelnder Gestalten, ziehen ein paar fertige oder Geister, „die sich erst bilden“, bedeutende oder ganz belanglose, wie zufällig heraus, präparieren sie ein bißchen und machen daraus eine mehr oder minder geistreiche Synthese, die freilich meist in irgend- einer Allgemeinheit mündet. Würden uns russische oder serbische derartige Bücher vorliegen (die es vermutlich gibt in Paris hält oder hielt man sich klugerweise von einer derartigen voreiligen Literatur fern von kleinen Propagandabroschuren bestimmter Künstlerkliquen abgesehen, die aber selten in weitere Kreise drangen), so würden wir die Atelier - und Literaturberiihmtheiten von Petersburg und Bel- grad kennen lernen, mit etwas anderem provinziellen Einschlag, aber ‘im wesent- lichen dieselbe Art. Und wie es hier von Nolde heißt, daß in ihm „die Mystik Grünewalds wieder erwacht sei und er die ihm verwandten (!) Franzosen Matisse und Gauguin weit überragt,“ so würde es da etwa von Mestrovit heißen, daß in ihm eine Inkarnation Michelangelos, nur weit über ihn hinaus ins Ur- und eigen- tümlich-Serbische übersetzt, unter uns wandle. Diese jedenfalls allzu subjektive Wertung und die Heranziehung von allerhand Namen, die vielfach rein provin- ziellen, lokalen Charakter haben, ist ein Grund für das Kritiklos-Unanschauliche, das Zerfahren-Unkonstruktive, das speziell auch den beiden Büchern Burgers an- haftet und bei einer „Einführung“, die doch ihrem Sinn gemäß auf wenigen straffen und bedeutenden Linien beruhen soll, besonders beunruhigt.

Diese Wertungs-Naivität, die auch auf die ästhetische Prinzipienlehre, zu der man doch immer zu kommen versucht, übel einwirkt, ist nur möglich, weil die methodische Voruntersuchung fehlt. Doch würde es sich für die jüngstvergangene Zeit wohl nicht nur um eine, sondern um eine ganze Reihe von Einzeluntersuchungen handeln. Um nur einige der wichtigsten Themen als Beispiele zu nennen. Wie und wann ist die heute allgemein als Expressionismus!) bekannte Bewegung ent- standen? Wobei vermutlich besonders jener Kreis zu berücksichtigen wäre, der in Paris aus den Schülern der Moreau-Klasse der Ecole des Beaux-arts sich bildete, zu denen in erster Linie Matisse gehörte und der natürlich durch die Spätwerke Cézannes befruchtet wurde. Welches waren die Vorläufer und Nebenströmungen (wenn man nicht etwa andere, vielleicht auch stärkere Strömungen, als die der Matisse- Gruppe, festzustellen vermag?) Wie verbreitet, verzweigt, verebbt sich der Strom? (wohl am klarsten zu belegen aus den früheren Ausstellungen des Salon d’Automne, der Indépendants und ähnlicher Veranstaltungen, die wohl das meiste Wertvolle und Fortschrittliche neben reinen Experimenten und wertlos Extravagantem in sich ver- (т) Der Name hat sich erst seit 1910, wo er in den Indépendants auftauchte, durchgesetzt, wie Elias, der wohl mit am genausten die künstlerischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte beobachtet hat, kürz- lich nachgewiesen hat

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einigten). Weiter: wie und wann griff diese neue Bewegung auf die Nachbar- länder, speziell auf Deutschland über, deren jüngere und freigeistige Künstler es unaufhaltsam nach Paris zog, wie früher nach Rom? (Das Gleiche gilt auch für Slaven und Skandinavier, Holländer und Engländer.) Die Vorbedingungen, die seelische Disposition, jene Imponderabilien, die erst den Boden zur Befruchtung durch das Neue geben und selbst schon das Neue sind, wären zu ergründen und festzulegen, unter denen dieser Import (um einen solchen handelt es sich doch trotz mancher eventuell unabhängiger und selbständiger Vorstufen) quantitativ außerordentlich reich nach Deutschland strömte. Erst dann wird man das Völkisch-Neue, das über das Provinzielle hinausgeht, durch Vergleich prüfen, das Besondere, Eigenartige, Bedeutende herausheben, erst dann ästhetisch werten können. ПІ.

Auf dieser Basis ungefähr, die allerdings nur auf Grund umfassender äußerer und innerer Kenntnis und mit großer Entsagung zu schaffen ist, denke ich mir eine Geschichte der neuesten Kunstbewegung. Auch sie bleibt freilich immer nur ein Versuch, ein Bruchstück, eine Einführung. Natürlich müßten auch die nicht aus- gesprochen expressionistischen Künstler und Kunstrichtungen berücksichtigt werden. Ebenso müßten eigenartige Erscheinungen in ihrem entfernteren Zusammenhang und gleichzeitig in ihrer Originalität gewertet werden: so Munch (für den wir die Biographie C. Glasers besitzen) in seiner realistisch-psychologischen und doch romantisch - mystischen Darstellung oder Renoir (besonders der späte) in seiner französisch-traditionellen, fast an das Rokoko gemahnenden, aber an stilistischer Größe weit darüber hinausgehenden Kunst. (Beide von B. nur wenig gewürdigt.) Es wäre dann die Frage, ob Cézanne und Hodler wirklich die beiden Gegensätze bilden, um die sich die konträren Energien zusammenballen. Schon daß sie quali- tativ nicht gleichgeordnet sind (was sich freilich nicht strikt beweisen läßt), macht bedenklich, noch mehr, daß auch ihr Einfluß ein sehr ungleicher. Von Cézanne kann man etwas übertreibend sagen, daß sich in Europa kaum einer der Jüngeren und Fortschreitenden Künstler nennen darf, der nicht mit einem Tropfen seines Öls gesalbt wäre, zum mindesten, der nicht ernsthaft mit den Problemen, die dieser grübelnde und doch gottergeben-naive Meister in die Welt geworfen, ge- rungen hat. Dagegen ist Hodler fast provinziell, lokal begrenzt Das Boden- ständige, Schweizerisch-Derbe, was man ihm zum Ruhm angerechnet hat und dem er wohl auch einen großen Teil seines Reizes und seiner Originalität verdankt es erweitert sich nicht zum Übervölkischen, es wird nicht stilbildend. So be- schränkt sich auch sein Einfluß auf ein paar Landsleute und vielleicht noch auf das Plakat. Das liegt daran, daß er nicht in gleichem Sinne, wie Cézanne, in die Zukunft weist. Cézannes Bilder wachsen immer mehr an innerlichem Leben und Jugend, man wird das Gleiche von den Hodlerschen Werken nicht sagen können. Sie erscheinen gewissermaßen erstarrt. Man sieht jetzt, daß diese Kunst vielleicht verblüffend, aber nie so jung und stark war, wie sie sich den Anschein gab. Sie ist eine Abart (aber kein Abschluß) jener Richtung, der in England Blake, Rosetti u. a. angehören (man denke an die Frauengestalten Hodlers), der der zeitgenössische, in seiner Wiener Art mehr spielerische Klimt nicht fern steht und für die sich auch in anderen Ländern, in Belgien wie in Finnland immer lokal bedingt und gefärbt Beispiele finden lassen. Klassizistisch reiner erscheinen daneben in Frankreich Puvis de Chavannes und seine Nachfolger und in neuerer Zeit moderner im Ton der etwas weiche Maurice Denis und verwandte Erscheinungen. Es

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ist jener zeichnerisch dekorative, stilisierende Monumentalstil, den man wohl in seinen abstrahierenden Tendenzen der romantischen und konstruierenden Kunst Cézannes als eine der beiden, die ganze Kunstgeschichte durchziehenden Polaritäten entgegensetzen kann wenn man sich mit einem solchen vereinfachenden Dus- lismus und Gegensatz begnügen will. Aber die Kunst Hodlers, die ja auch im- pressionistisch beeinflußt und romantisch-spätgotisch (Manuel Deutsch, Urs Graf usw.) durchsetzt ist, kann nur ganz im allgemeinen der Cézanneschen Kunst gegenüber-

gestellt werden. | IV.

Eine genauere Untersuchung und vorsichtige Abtastung unter Berücksichtigung auch der wechselseitigen Beziehungen zu den Nachbarkünsten würde vielleicht auch das Problem des Hervorwachsens der neuen Richtung, des sogenannten Ex- pressionismus, aus dem ihm anscheinend diametral entgegengesetzten und feind- lichen Impressionismus erhellen und auf die innerlichen Beziehungen ihrer künst-- lerischen Strukturen klareres Licht werfen. Dann würde sich wahrscheinlich er- geben, daß diese Schlagworte nur cum grano salis und mit großer Vorsicht zu gebrauchen sind, daß sie die Inhalte, die sie decken sollen, nicht genügend reprä- sentieren, vor allem aber, daß sie gar nicht so tödlich feindliche Gegensätze dar- stellen, wie es die Vertreter (und Renegaten) der jüngsten Richtung in ihrem etwas lärmenden und negierenden Überschwange gern wahr haben wollen. Es ist in der Kunstbewertung fast die Regel, daß Saturnus die eigenen Kinder frißt oder vielmehr die Kinder fressen ihren eigenen Erzeuger. So wendet sich der „süße, neue Stil“ der Frührenaissance mit Abscheu ab von der „byzantinischen Manier“ der vergangenen Epoche eines Cimabue, der Klassizismus ist wütender und gei- fernder Feind des Barocks etwa Borrominis (trotzdem beide Stile doch auf den Schultern des Vergangenen stehen). Das neue und mitunter sogar bewußt anders geartete Kunstwollen macht eine natürliche Reaktionserscheinung ungerecht und feindlich, bauscht den Gegensatz, der nicht immer so schroff sein muß, gern und manchmal ungebührlich auf und übersieht fast ganz die blei- benden Werte des Abgelösten oder setzt sie herab. So geht es dem Impressio- nismus, der von manchen Aposteln der neuen Richtung in einer etwas oberfläch- lichen Weise als der Exponent eines einseitig materialistischen Geistes dargestellt wird, während die neue Zeit natürlich ihm gegenüber tief geistig, religiös-mystisch empfindet und ihre Kunst der unmittelbare Ausdruck ihrer tiefbewegten und inner- lichen Seele ist. Eine methodisch gerechte Untersuchung wäre da zur Klärung recht erwünscht (Burger gibt dazu Einführung, S. 81 ff. Ansätze und bemüht sich, nicht allzu einseitig zu sein). Gewiß ist zuzugeben, da Kunst nun einmal das feinste Destillat geistiger Strömungen sein soll, daß der enorme Aufstieg der Technik in jener Periode, die bisher ungewohnte merkantile Betriebsamkeit, das mit dem steigenden Reichtum verbundene Luxusbedürfnis, die „Jagd nach Geld“ zu äußer- lichen Anschauungsweisen führen konnte und mußte, die sich dann auch im geistigen Leben und so auch in der Kunst abspiegelten. Aber die Frage liegt nahe: waren denn diese äußeren Faktoren, Technik, Merkantilismus, abgeschwächt oder ausgeschaltet, als in dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts der angebliche Bruch mit dem Materialistischen, die geistige Vertiefung im Künstlerischen eintrat? Davon war doch keine Rede, im Gegenteil: jene materialistischen Mächte waren doch stärker lebenbedingend als je. Oder war diese unbestreitbare, geistige Reak- tion etwa schon ein Zeichen innerer Unruhe, eine Vorahnung des (wenigstens in Deutschland) Zusammenbruches? Liegt da nicht die Möglichkeit nahe, daß diese

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Reaktion garnicht einen so scharfen Gegensatz zu der vergangenen Epoche bedeutete, daß sie vielmehr nur eine Weiterentwicklung von Tendenzen war, die zum min- desten im Künstlerischen auch in der vergangenen Epoche schon Geltung hatten? Es ist nicht zu leugnen, daß die naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Theo- rien auch auf die allgemeine geistige Struktur von großem Einfluß waren. Die Verbreitung der populär - naturphilosophischen Bücher von Moleschott, Büchner, Vogt und später Haeckel und Ostwald beweist dies, der freilich die leidenschaft- lich getriebene Lektüre Schopenhauers (man denke an den Wagner-Nietzsche-Kreis) und eine Kant-Renaissance gegenüberstand. Auch in der Geschichtsschreibung, besonders in der Taineschen Milieu-Theorie, prägt sich der realistische Zug aus, während die Pragmatik und der Entwicklungsgedanke der Rankeschen Geschichts- behandlung zwar mit den biologischen Theorien des Lamarckismus und Darwinis- mus parallel läuft, aber auch rein geisteswissenschaftlich autonom begründet: ist. Die Einwirkung der positivistischen und realistischen Tendenzen auf die Literatur Milieu, Vererbung, Rasse, Sozialisierung ist bekannt genug, aber selbst bei Zola wird neuerdings und mit Recht auf das Rhetorisch-Romantische, Ideal-Schwärme- rische, Antinaturalistische hingewiesen, das naturgemäß jedem und zumal einem so temperamentvollen Schriftsteller, wofern er sich zum Künstler erhebt, zu eigen sein muß. Aber noch auffallender ist das Gesetz der Alternation. Wie bei manchen Rassen die schwarze Haarfarbe innerhalb derselben Generation ohne Vermischung von außen her in entschieden leuchtendes Rot umschlägt, so finden sich in der gleichen Epoche, ja nicht unhäufig in ein und derselben Persönlichkeit, ein krasser Naturalismus und ein entschieden naturabgekehrter, durchaus subjektiv- transzendent gewandter Symbolismus hart nebeneinander. Neben Zola und Mau- passant stehen Baudelaire, gerade er auch als Kunstkritiker wichtig, mit seinen katholisierend-mystischen Tendenzen, Verlaine und sein Kreis, die formalistischen Parnassiens u. a. Der scheinbar so kühle und verhaltene Realist Flaubert entlädt seine große Künstlerseele in den verschiedenen Fassungen der Tentation. Ibsen, das Paradigma des naturwissenschaftlich - realistisch durchseuchten Dramatikers, schreibt daneben sein Kobold- und Symbolstück Peer Gynt und endet in seinen späten Dramen ganz im fast expressionistisch Vereinfachten, immateriell losgelöst Geistigen. Und neben ihm steht Strindberg, den die heutige Generation auf ihr Schild erhoben hat und nicht mehr zu den „Naturalisten“ rechnet. Und Knut Hamson, dessen atemlose Diktion so stark impressionistisch wirkt, wie vielleicht nur noch die „Kleine Stadt“, Heinrich Manns, der ebenfalls von den Jungen mit- gerechnet wird, wie etwa Fontane zur Zeit der Freien Bühne und des Friedrichs- hagener Kreises. Und auch diese.bergen die Alternation: Naturalismus Sym- bolismus in sich, vor allem ihr Hauptvertreter Hauptmann. Wie kann man da von einer materialistischen,naturwissenschaftlich bedingten Kunstepoche reden, die wesent- lich nur mechanistisch denkt und in der „der Organismus der Seele“ verschwindet?

V. ;

Auch für die bildende Kunst dieser Periode würde sich bei näherem Hinsehen vermutlich Ähnliches ergeben. Die Vertreter der mehr oder minder antinaturali- stischen und (wenigstens im Gegenstand) phantastisch - symbolistischen Richtung sind zahlreich und zum Teil außerordentlich beliebt -— die Praeraphaeliten in England, Moreau in Frankreich, Böcklin (der freilich viel Modellmäßiges, Untiber- setztes in seiner mehr inhaltlichen Phantastik aufweist) und der pedantisch lehr- hafte Klinger, die beide recht eigentlich zu Lieblingen der deutschen Gebildeten

293

na

gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurden. Wichtiger als diese Spätromantiker ist Edvard Munch, dessen Kunst parallel den literarischen Bestrebungen der Freien Bühne und noch mehr denen des nordischen Kreises in ähnlicher Alternation läuft und wie Strindberg zu den heutigen sogenannten expressionistischen Tendenzen überleitet. Aber der Vorwurf des „Materialismus“ und des „naturwissenschaftlichen Geistes“ (vgl. B., Einführung, S. 91 f.) gilt der stärksten und fruchtbarsten Be- wegung jener Zeit: dem Impressionismus. Gewiß benutzt dieser und speziell seine schärfere (aber künstlerisch nicht sehr weittragende) Abart, der Neo-Impressionis- mus oder „Divisionismus“, die neuen Errungenschaften der physiologischen Optik, die Gesetze der Lichtbrechung, die Zerlegung der Farbe in ihre Konträrteile und die Wirkung des Zusammengehens der spektralanalytisch gewonnenen Grundtöne, die sich nicht, wie früher, schon auf der Leinwand, sondern erst im Auge des Be- · trachters mischen. Aber das sind schließlich doch nur technische Hilfsmittel (die zum Teil auch wieder aufgegeben werden) nicht viel anders, als wenn man in der Zeit der van Eyck von der Tempera zur Ölmalerei überging. Mit dem eigentlichen Kunstwollen hat das nicht so viel zu tun. Vom Stofflichen auf die Bedingtheit des Geistes zu schließen, hat man kunstwissenschaftlich doch schon längst aufgegeben und so ist es auch unrichtig, daß, wie B., Einführung, S. 92 sagt, die „künstlerische Logik (des Impressionismus) auf einer dogmatischen Lehre vom Sehen .... optisch-physiologischen Gesetzen und damit auf einer naturwissen- schaftlichen Lehre aufgebaut ist.“ Es könnte freilich sein, daß die Theoretiker durch diese äußeren Berührungen verführt, diese Kunst als eine Art „Wissenschaft der Tatsachen“ ansahen und daß auch ein Teil der Künstler selbst daran glaubte. Aber ihre eigene Produktion straft dem Lügen, sie ist nicht materialistisch und noch weniger naturwissenschaftlich bedingt. Denn gerade die Naturwissenschaft will ja die Struktur der Dinge erkennen, sie will durch die Erscheinung der Gegen- stände hindurch, analytisch, zur Materie, zu letzten einfachen Elementen und deren Gesetzen gelangen. Bei neueren künstlerischen Bemühungen und Versuchen, wie dem Kubismus, könnte man weit eher versucht sein, an naturwissenschaftliche Zerlegungs- und Eindringungsmethoden zu denken. Aber die impressionistische Kunst synthetisch, wie jede wahre Kunst will ja zum mindesten als Ideal die Wiederspiegelung der unmittelbaren Erscheinung mit Hintansetzung der Materie und ihrer starren Gesetzlichkeit. Also genau das Umgekehrte. Ein Baum ist ihr nicht als Sache interessant, nicht in seiner biologisch bedingten Eigentümlichkeit, seiner Struktur, kaum in der Form seines Ast- und Laubwerks, sondern nur als Erscheinung, vermittelt durch die zufälligen Komplexe von Licht und Luft. (Daher die Wichtigkeit des sogenannten „plein air“.) Weiterhin: einem naturwissenschatt- lichen und stofflichen Denken ist genaueste Beachtung des Einzelnen mindestens ebenso wichtig, wie die des Gesamtbildes der Impressionismus aber unter- drückt absichtlich das Detail, er gibt nicht das farbig wiedergespiegelte Netzhau- bild, wie eine photographische Platte, sondern nur das Wesentliche davon; seine Kunst ist recht eigentlich die des Weglassens, sie gibt darin besteht ihr eigent- lich subjektiv Künstlerisches in dieser Abkürzung und Destillation nicht die Erscheinung, sondern nur ihren Geist und Witz. Nur der unfähige oder mittel- mäßige Maler versinkt in der Erscheinung, hat nicht Temperament genug, um sie zu beleben, wie der Akademiker trotz alles Idealismus am Modell hängen bleibt. Der starke Künstler aber wird, auch wenn er Technik und optisches Empfinden des Impressionismus übt, doch immer zum Ausdruck gelangen, jenseits der Materie und somit im Wortsinne Expressionist sein. Es ist durchaus nicht richtig, daß

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Bilder wie die Grande Jatte und noch weniger der Chahut von Seurat, dem inter- essantesten der Neoimpressionisten, sich nur „auf einer neuen Physiologie des Auges gründen“, daß ihre „Wahrheit“ nur das wäre, was „das Auge sieht“, „nichts anderes als ein Farbfleck“ (Burger, a. a. O.). Das betrifft nur die Oberfläche: die flimmernden Farbtupfen. Sie geben aber nicht einen zufälligen Naturausschnitt wieder, sondern bilden eine bewuBte, "nach Horizontale und Vertikale konstruierte und durch Parallelität rhythmisierte Komposition, die nun erst fähig ist, den mo- mentanen Eindruck präpariert, d. h. als geistigen Ausdruck zu vermitteln. Auch hier steckt der Gegensatz zu der neuen Generation (die ja auch nicht immer tot- ernste Vorwürfe, Kreuzigungen usw., sondern auch recht gern Dinge des äußeren Lebens: Badende, Artisten, Turner, Spaziergänger usw. behandelt), nicht so sehr im Materiell-Äußerlichen gegenüber verinnerlichtem Geist, sondern vielmehr in einem optisch, weitläufigeren Weg. Die Jüngeren bemühen sich, den Ausdruck so abgekürzt als möglich direkt zu übermitteln, die Älteren nehmen erst den Um- weg über die Erscheinung. Jene suchen das Bleibende, die Lösung des Rätsels, gewissermaßen das Ding an sich ein Neuidealismus mit formalistisch anders gewandten Mitteln, die nicht durch „Schönheit“, d. h. durch einen bestimmten Kanon festgelegt sind. Die Impressionisten wollen ebenfalls das Essentielle, den geheimen Ausdruck aus der Natur, dem Gegebenen, herausreißen und sie glauben, das Geheimnis in der blitzartigen Erhellung durch die transitorische Erscheinung und in deren Festhaltung und künstlerischen Durchdringung zu fassen. Doch ist auch dies zum Teil nur Theorie. Das Festhalten des Momentanen, das für den Impressionismus als charakteristisch gilt, gibt bei ihren eigentlichen Klassikern, den Führern der Richtung, nicht so unbedingt den Ausschlag. Am meisten noch bei Degas; dessen aufs äußerste verfeinerte und sensible Linie wirklich das Sublime der Erscheinung, den unwägbaren Hauch, zu finden vermag allerdings nach außen hin etwas kühl und reserviert. Aber weder im Werke von Manet, das uns heute so klassisch-abgewogen erscheint, noch in dem Renoirs, der die Tradition des 18. Jahrhunderts aufnimmt und mit Hilfe der neuen Mittel und optischen An- schauung tiberwindet, spielt der Impressionismus in diesem engeren Sinn eine ent- scheidende Rolle. Endlich Cézanne, der Fruchtbringendste, der doch ganz in den Kreisen der sogenannten Impressionisten erwachsen ist und eng zu ihnen gehört, entwächst ihnen so, daß man vielfach schon Bedenken trägt, ihn Impressionist zu nennen, da er schon Vorläufer, qualitativ vielleicht sogar Höhepunkt der neuen Gesinnung ist. Denn er geht (wenn auch oft noch mit impressionistischen Mitteln) über das Transitorische der Erscheinung hinaus in der Konstruktion der Phäno- mene selbst, indem er aus ihrem ästhetisch Wertvollen, aus ihrem ekstatischen Ausdruck, ein neues Gebäude schafft. So sind die maßgebenden Führer dieser Richtung und der künstlerischen Epoche garnicht so tief in dem verankert, was man als Grundlagen des impressionistischen Stiles anzusehen gewohnt ist und heute vielfach als überwunden schmäht. Aber auch bei den dii minorum gentium, bei den Landschaftern Monet, Pissarro und bei den impressionistisch beeinflußten Künst- lern anderer Länder, vor allem bei Leibl, wird man mit einer Erklärung eines Kunstschaffens als materialistisch-naturwissenschaftlich bedingt nicht auskommen können. Jedenfalls kommt man damit den Fragen nicht näher, wie und wann die Expressionismus genannte Bewegung aus der impressionistischen hervorgewachsen ist, was sie von ihr übernommen hat und wie sie sich von ihr unterscheidet. Dazu gehört nach Räumung und Sichtung des Materials eine Untersuchung zunächst nach formalen, der Kunst an sich eigentümlichen Bedingungen, erst dann wird

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man zu den oft unsicheren und schwankenden ,,Weltanschauungs“vorstellungen als trennenden Faktoren schreiten dürfen.

VL

Es liegt mir fern, zu leugnen, daß das „Kosmische“ und die „Weltanschauung“ im tiefsten Grunde Kunst, wie überhaupt alles Geistige, bedingen. Nur sind das außerordentlich schwierige Probleme, deren Auflösung wenn sie überhaupt möglich man nicht dadurch näher kommt, daß man mehr oder minder unsyste- matisch und dilettantisch Aussprüche gerade im Vordergrund des Interesses stehen- der Philosophen (Simmels und Husserls, Schelers oder Bergsons) zur Erklärung der ästhetischen Erscheinungen heranzieht. Es ist nicht zu bestreiten, daß durch das Gemeinsame des Erlebens und der Zeit Parallelitäten zwischen erkenntnis- theoretischen Formulierungen und denen des Künstlerischen existieren und ganz im allgemeinen festzulegen sind. Aber im Grunde sprechen doch Philosophen, deren Probleme das Prinzipielle, Wesen, Idee, Wert an sich, unter Ausschaltung des Einzelnen und real Bedingten umspannnen, und Kunst, die auf lebendige Ge- staltung und Schöpfung des Individuellen und seines ihm und nur ihm innewohnen- den Sinnes hinzielt, eine wesensverschiedene Sprache. Denn bildende Kunst hat ihre autonomen Gesetze, nur daß sie nicht so klar zu fassen sind, wie die des Kontrapunkts und der Instrumentation, und daß wir bei ihrer Erforschung erst in den Anfängen sind. Zur Deutung eines Kunstwerkes muß man sich in den Grenzen halten, die die Kunst selbst darbietet. Wohl ist Kunst, wie jede Form des schöpferischen Bewußtseins, ein Gegenstand der Philosophie in einem methodisch scharf zu fassenden Sinn. Aber es ist ein arger Mißbrauch beiden Seiten gegen- über —, wenn meist noch ohne Kenntnis etwaiger philosophischer Methodik durch zufällige und oft mißverstandene oder falsch angewandte philosophische Begriffe die künstlerischen Erscheinungen zu erklären versucht werden. Wenn dazu noch das Stammeln von ‚Urworten‘ einer Pseudomystik und schlechten Meta- physik kommt, sind Ziellosigkeit und Verwirrung unvermeidbar geworden. Es ist charakteristisch, daß in Perioden eines starken, lebens- und entwicklungsvollen Kunststils die Kunst und ihre literarische Begleitung, die Kunsttheorie, es nicht nötig haben, um sich und ihre Berechtigung zu erklären, zu philosophischen Maximen und mystischen Spekulationen ihre Zuflucht zu nehmen. Die Kunst der Renais- sance hatte neben sich eine regional entwickelte Historiographie und eine kunst- theoretische Literatur, die entweder technich-rezeptlich oder systematisch kunst- wissenschaftlich war (Alberti, Lionardo). Philosophische Anspielungen, besonders in platonisierender Richtung, fehlen nicht, schon um den Connex mit der gepriesenen Antike zu bewahren und Gelehrsamkeit zu zeigen, aber sie spielen neben dem rein Sachlichen und Systematischen keine Rolle. Das eigentliche philosophische Kunst- geschwätz beginnt erst und steigt gleich zu einer absurden Höhe in der Periode des sogen. Manierismus'), d. h. gegen Mitte und Ende des 16. Jahrhunderts, um in der festgewurzelten Barockentwicklung wieder auf ein gesundes Maß zurückzusinken. So irdische und bejahende Kunstkreise, wie die des Rubens oder der Niederländer brauchten ihre Bestätigung nicht im Transzendenten zu holen. Das abfällige Ur- teil, das die nachfolgende Epoche (wie gewöhnlich) gegeri die Kunst des Manieris- mus gefällt hat, das bis auf unsere Zeit noch in der Bezeichnung fühlbar ist, ist sicher nicht berechtigt. Es ist ein fein geistiger und geistreicher, formal-artistischer

(1) Vgl. den (erst während des Druckes erschienenen) Aufsatz уоп W. Weisbach, Der Manierismus, Z. f. b. K. 53, 5. 161 fl.

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Stil, der ja auch allerdings außerhalb des eigentlichen Kreises in solche wundersam ekstatische Erglisse, wie die des Greco, münden konnte. Aber, von ihm, dem abseits Wirkenden, abgesehen, fehlte es doch ähnlich wie heute an einer Persönlichkeit oder an Persönlichkeiten, die führend, bestimmend und durchschlagend die etwas blutleeren, wenn auch künstlerisch interessanten und raffinierten Abstraktionen mit ihrem lebendigen Leben erfüllten. So mußte man sich auf die gewaltigen Geister der jüngsten Vergangenheit zuriickziehen, stand man ja auch unter dem Eindruck ihrer übermächtigen formalen Phantasie. Vor allem (doch nicht ausschließlich) unter der Michelangelos, dessen unkanonische Proportionen man nun in einen neuen, zahmeren, mehr oder minder linearen Stil zurechtwalzte. (Wie man etwa nur in anderer Art die Cézannesche Münze heut vielfach weiterprägt.) So geriet man in eine Sackgasse, aus der scheinbar kein Ausweg, bis sie dann doch von dem zunächst z. T. reaktionären, dann aber immer freieren und lebendigen Barock mit seinem Reichtum an individueller und allge- meiner Bewegung durchbrochen wurde. Der Manierismus brachte aber, vielleicht ver- anlaßt durch eine etwas formale Leere, mit sich eine außerordentlich starke Neigung zum Symbolisieren und zur Allegorie. (Bes. im Norden: Frankreich, Fontainebleau und Niederlande.) Also auch da das Suchen nach Bedeutendem, Kosmischem, Weltanschaulichem, das nicht von innen heraus selbstverständlich aus dem Genius des Schöpfers quillt, sondern durch Interpretation aus andersgearteten Gebieten des Unanschaulichen hineingelegt wird. Und gleichzeitig kann sich die Kunsttheorie (meist von den Künstlern selbst, wie z. B. von Fed. Zuccari, ungeschickt genug gehandhabt) nicht genugtun, um durch Zitate und Auslegungen nicht nur von Plato, Aristoteles, sondern von ganz entlegenen Schriftstellern der Neuplatoniker die Kunstbegriffe zu vertiefen (resp. zu verwässern), ins Transzendente zu über- tragen und in schwiilstigen Worten zu verweltanschaulichen. Abnlich steht es ebenfalls in einer manieristischen Epoche in der bildenden Kunst der deutschen Romantik, die zwar auch eine Fülle von neuen und geistreichen Bestrebungen auf- weist, aber ebenfalls an einem Mangel an wirklich überragender Künstlerpersön- lichkeiten leidet. Auch die Romantik etwas dünn in ihrer keusch linearen Zu- rückhaltung sucht noch über den Bildgedanken hinaus geistige Vertiefung der Linie, poetisch-symbolische Verschwisterung der Künste und der Philosophie. Daher wurde auch damals so überaus viel über Kunst und Weltanschauung gesprochen und geschrieben, ‚ästhetisiert‘.

Es ist heute eine ähnliche Zeit. Auch heute fehlt es an Persönlichkeiten, die --- wenn auch zunächst nur einen kleinen Kreis der Erkennenden führen und mit sich fortreißen. Wir haben ein frisches und hie und da auch geistreiches, wenn auch nicht sehr kraftvolles und individuelles Arbeiten, einen entschieden erkennbaren Stil- willen. Aber ein Hineintragen von außerkünstlerischen Momenten, ein äußerliches Streben nach Mystik und ein frivoles Kokettieren mit letzten Dingen, deren heim- liches Bewußtsein in der Persönlichkeit verankert nur organisch aus ihr heraus- wachsen und sich künstlerisch dokumentieren kann, zeigt die Schwäche manieri-

stischer Epochen, die trotz alles Betriebes und aller Entfaltung doch nicht voller

Figur und Vorstellung stecken. Um so gefährlicher wird die Kunstschreibung, die diese Tendenzen durch schwulstigen Stil und hergeholte philosophische Floskeln noch unterstützt, statt auch auf diesem Gebiete anarchischen Trieben zu entsagen und sich methodisch fester Regelung unterzuordnen..

GENEE 297

MISZELLEN.

EIN UNBEKANNTER" MALER DES BAROCK: J. Е. HABERSTROH

Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel

Von V. CURT HABICHT

........0...0.000080000090000000000000000000000000009000000000000000 000000000000 00000000 000000000000 050 0 8 0 9 50 ос соососоооооооооо

р" Künstler, den ich mit zwei Werken іп die Literatur einführen und auf den ich erstmalig hinweisen will, ist völlig in Vergessenheit geraten. Außer einer kurzen Erwähnung bei Fueßli!), die dazu aus Meusel stammt, findet sich sein Name in den später erschienenen Künstler-Leziken nir- gends mehr. Auch die Darmstädter Ausstellung hat keines seiner Werke gebracht). Es ist der weimarische Hofmaler Johann Franz Haber- stroh, der mindestens von 1703 ab bis zu seinem Tode (1720) in Weimar tätig gewesen ist. Aus der großen Schar der noch unbekannten Barock- maler tritt uns mit diesem Meister keine überwäl- tigende Persönlichkeit entgegen. Aber trotz des mehr handwerksmäßigen Charakters verdient der Künstler Beachtung, ganz abgesehen davon, daß es uns wertvoll sein muß, eine Vorstellung von den Leistungen eines „Hofmalers“, wenn auch nur eines kleinen Hofes der Barockzeit, zu besitzen, Von ikonographischem und formalem Interesse ist besonders das Gemälde): Triumph der Minerva (Sig. Eggert, Hannover.)

Wir sehen in eine seltsame, halb natürliche, halb künstliche Höhlenarchitektur (Abb. ı) hinein, deren Phantastik und Weiträumigkeit zunächst fesseln. In zwei Stockwerken übereinander reihen sich auf Pfeilern und Säulen ruhende Gewölbe in endloser Folge aneinander. Man hat zuerst den Eindruck einer ungeheuren Höhle; bei näherem Zusehen gewahrt шап aber, daß etwas anderes, von Menschenhand Geschaffenes, gemeint sein muß, und zwar eine Grotte. Die gemauerten Pfeiler, die Säulen, die Gewölbe, Treppen, die auf der linken Seite plötzlich aufhörenden (schwarz gegebenen) Architekturteile lassen keinen Zweifel, daß ein künstlich geschaffenes Gebilde dargestellt sein soll. Wir gewahren in beiden Stockwerken zahllose Statuen von Göttern. Nach vorne zu er- weitert sich der Raum und schafft Platz für die

(1) Vgl. Fueßli: Allgemeines Kiinstlerlexikon, Т. 2, Ab- schn. 3, 8. 504. (Zürich 1808.) Die ganze Stelle lautet: Haberstroh, so hieß ein Künstler, der um 1706 zu Mainz schönes Federvieh mit vielem Fleiß sehr natürlich gemalt bat. Meusel: Misc. H. 13, S. 37: In Joh. Georg Meusel: Miscellaneen artist. Inhaltes 13. H. Erfurt 1782, 8. 37 steht: „Haberstroh, dieser hat um 1706 schönes Federvieh zu Mainz mit vielem Fleiß sehr natürlich gemahlt.“

(2) Vgl. G. Biermann: Barock und Rokoko. Leipzig 1914. (3) Auf Leinwand, hoch: 1,02 m, breit; 1,236 m.

208

Hauptdarstellung. Hier erhebt sich rechts im Hintergrunde ein auf vier Säulen ruhender Bal- dachin, unter dem das Standbild einer Göttin steht. Die Vorderseite des Kuppelgewölbes des Bal- dachins schmücken rechts und links grau in Grau gegebene Gestalten (links ein Mann mit Keule, rechts einer in Kriegerrüstung mit Speer) und auf Чөп Schrägen des Bogens lagern Gestalten, die ein rotes Wappenschild mit der Inschrift: „Meiner Feind zind viell“ halten. Die Göttin mit Schild und Speer kann nur Minerva sein.

Vor dem Standbild steht ein goldener Altar mit roter Opferflamme. Mehrere Priester in nächster Nähe, und dann eine große Schar Verehrender und Opfernder, gruppieren sich darum. Im Vorder- grunde wird von einem alten Manne ein weißer, mit Rosen und Blumen bekränzter Stier heran- geführt. Unter der Schar der Verehrer fällt rechts in der vordersten Reihe (vor der Gruppe der Frau und des wasserspendenden Greises) in der Mitte eine Gestalt mit einer Palette in der Linken auf, die auffällig aus dem Bilde heraussieht. Wir dürfen in ihr wohl ein Bildnis des Malers er- blicken. Im übrigen mischen sich die üblichen phantastischen orientalischen Trachten mit zeit- gemäßeren modischen und unter den Trägern und Trägerinnen der letzteren dürften sicher noch weitere zeitgenössische Personen zu erkennen sein.

Im Gegensatz zu der Starre und Leblosigkeit, die der Hauptgruppe anhaftet, zeigen die übrigen Figuren freiere Bewegungen und malerische Werte in ihrer Wiedergabe. Besonders das Paar in der Mitte des Vordergrundes ist gut gelungen. Die Haltung und das Ausschreiten des vom Rücken gesehenen Mannes, dessen Oberkörper entblößt ist und der braunrote Hosen trägt, haben zwar den Zweck einer Repoussoirfigur, wirken aber echt. In feinem Zusammenhange stehen zu ihr die ruhige Haltung der stillenden Frau, das Weiß ihres Untergewandes und das Blau ihres Mantels. Echt gravitätisch barock wirkt auch die orienta- lische Gestalt mit dem Kamel, das ein rotes Zelt auf dem Rücken trägt. Bei der Figur, die einen Esel führt, und den in die Tiefe links folgenden erinnern die hellen, breiten Farbtöne und Farb- Decke an die venetianiscben Vorbilder: Guardi u. a. und stehen in scharfem Gegensatze zu der mehr

miniaturartigen, sorgfältigeren Ausführung der um die Statue versammelten Gestalten.

Im großen und ganzen ist die Farbwahl eine siemlich eintönige. Ein braungrauer Ton herrscht in der dominierenden Architektur vor, der die lebhafteren Farben der Gewänder usw. kaum zur Geltung kommen läßt. Andererseits wird dadurch der phantastische Charakter des Höhlenbildes gut gekennzeichnet.

Der seltsame Vorwurf, besonders auch die eigen- tämliche Umgebung sind nicht als eigene Erfin- dungen Haberstrohs anzusehen. Anregungen von Theaterdekorationen und Aufführungen scheinen die Voraussetzung zu bilden!). Eine direkte Ab- leitung aus diesem in Kupferstichen vorliegenden Gebiete ist aber scheinbar nicht möglich. Dagegen führte mich eine andere Spur auf eine Quelle, die aber zweifellos auch von dieser Seite der Theater- dekoration gespeist worden ist: auf die Kupfer- stiche in der Bibel des Joh. Ог. Kraus ). Hier finden sich in der untereh Kartusche von ВІ. 12 eine in der Stirnfläche ebenso wie in unseren Bildern unvermittelt wie abgeschnitten -— endi- gende Höhlenarchitektur, auf Bl. 64 eine zwei- stöckige, weiträumige Grottenarchitektur mit Säulen und Pfeilern, die mit ovalen Schildern sehr ähn- lich wie bei unserem Gemälde geschmückt sind, und schließlich auf Bl. 77 mehrstöckige Häuser- ruinen, die in der Schilderung der Mauern und Gewölbe an unser Bild erinnern. Leider besitzen wir noch keine Abhandlung über Joh. Ulr. Kraus, obwohl Pinder mit weitem Blicke in seiner Ab- handlung über den deutschen Barock auf die emi- nente Bedeutung dieser Bibelillustrationen hin- gewiesen hat, so daß es nicht möglich ist, fest- zustellen, woher Kraus seine phantastischen Archi- tekturen geholt hat. Die Beantwortung dieser Frage bätte mich bei dieser kleinen Arbeit zu weit geführt. Ich kann hier nur die Vermutung aussprechen, daß Kraus entscheidende Einflüsse von der Bühnen- dekoration empfangen hat. Und so muß ich die Frage, ob Haberstroh bei seinem Gemälde nicht auf die gleiche gemeinsame Quelle zurückgegangen ist, offen lassen, wenn ich auch dazu neige, diese Frage zu bejahen, zumal sein fürstlicher Gönner, (з) Meine dahin gehende Vermutung wurde mir von dem gründlichsten Kenner des Gebietes, Herrn Dr. P. Zucker, bestätigt. Herr Dr. Zucker, dem ich auch hiermit ergebenst für seine freundlichen Auskünfte danke, war aber nicht in der Lage, mir das unmittelbare Vorbild unserer Malerei zu nennen; wie es auch mir nicht gelungen ist, eine be- stimmte, anregende Theaterdekoration in den Kupferstich- veröffentlichungen der Zeit um 1630—1700 ausfindig zu machen.

(2) Historischer Bilder Bibel Erster (—5.) Theil, gez. und

in Kupfer gestochen von Johann Ulrich Kraussen. Augs- burg 1700.

der Herzog Wilhelm Ernst, ein großer Theater- freund gewesen ist ).

Nach dieser Feststellung verliert der Künstler etwas an Interesse, das er beim ersten Anblick seines merkwürdigen Gemäldes zu erwecken ver- steht. Die malerischen Qualitäten sind im übrigen aber auch nur mittelmäßige, über die die erregende Seltsamkeit des Vorwurfs nicht wegtäuschen kann. Hierüber läßt das andere mir bekannt gewordene Bild Haberstrohs, die Portraétminiatur‘) des Her- zogs Wilhelm Ernst (Abb. 2), Bibl. Weimar, Nr. 160, gar keinen Zweifel. Das auf der Rückseite „]. F. Haberstroh рїпх. 1707“ signierte, auf Kupfer ge- malte Bildnis verrät die mehr handwerkliche als künstlerische Auffassung und Wiedergabe so hilf- los deutlich, daß es keiner Hinweise bedarf, wo die Schwächen liegen. |

Die etwas rohe, für die Aufgabe (Miniatur) un- geeignete Vortragsweise und gewisse Härten (Hände usw.) werden gemildert durch eine an- ziehende Farbwahl. Die bräunliche, durch breite weiße Lichter gehöhlte Stahlfarbe der Rüstung der echt barock pompös fließende blaugrüne Mantel, die braune Schärpe, der braune Vorhang, die braunblaue Landschaft und das Weiß der Halskrause und Manschetten verraten einen be- stimmten Geschmack, der wie bei dem Minerva- bilde zu eigenwilligen Wegen leitet.

Über die Lebensdaten und Tätigkeit Haberstrohs konnte ich nur wenig in Erfahrung bringen?). Jedenfalls genügt es aber schon, die Angaben Meusels und Fueßlis zu berichtigen und der Hin- weis mag weiteren Forschungen über den noch un- bekannten Künstler als Anhalt dienen. Zunächst kann es wohl kein Zweifelsein, daß Haberstroh vor-

nehmlich in Weimar tätig war und daß die Angabe

seines Aufenthaltes in Mainz auf einem Irrtum beruht. Außer den oben behandelten Bildern hat Haberstroh weitere Werke in Weimar geschaffen. Zunächst ist da ein Folioband mit Tulpenmalereien zu nennen (Hofbibliothek Weimar fol, 203), dessen erstes Blatt signiert ist: „Haberstroh pinzit 1705, Weimar“. Die übrigen Tulpenmalereien sind nicht bezeichnet, stammen aber wohl z. T. auch noch von Haberstroh her. Eine Reihe von Werken muß gleichfalls im fürstlichen Auftrage entstanden sein. Sie befanden sich im Schloß und sind beim Brande 1774 zugrunde gegangen. Die große Zahl

(3) Vgl. C. Höfer: Weimarische Theaterveranstaltungen zur Zeit des Herzogs Wilhelm Ernst. (Jahresbericht des Großh. Sophienstiftes zu Weimar. Weimar 1914.)

(4) 121, >< 151/, cm,

(5) Herr Bibliotheksdirektor Prof. Dr. W. Deetjen, Weimar hat mich dabei in weitgehender Weise unterstützt. Ich statte ihm auch hiermit meinen besten Dank ab.

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Där den Schluß zu, daß die fürstlichen Gönner des Künstlers Gefallen an seinen Arbeiten fanden. Leider sind uns nur kurze Benennungen über- liefert, die sich in einem Inventar des Hofmalers Klyher’) finden. Es werden dort genannt:

Zwei Feder-Vieh-Stücke mit Hahnen undHünern.

Zwei Feder-Vieh-Stücke.

Zwei Küchen-Stücke mit Fleisch, Kraut, Fisch und andern ESB Wahren.

Drei Stücke mit allerhand Feder-Vieh,

Ein hangendes Rebhuhn und Roth-Specht, und eis hangender junger Haaß mit einen Stahren. (2 Bilder.)

Noch dergleichen zwey Gebäude unterschied- licher todter Vögel. |

Eine hangende wilde Ente, auf einem Brett.

„Ein kleiner sitzender Haase, mit Schlangen und Fröschen.

Zwei hangende todte Rebhübner auf einem Brett (sehr gut).

(з) Vgl. Joh. Anton Kiyher, Hofmaler und Kunst-Cam.: Ausführliche und gründliche Specification deren Kunst- reichen, Kostbahren und sebenswürdigen Gemählden, weiche auf der Schilderey-Cammer der Hoch- Fürsti. Sächsischen Residenz WJLHELMS-Burg zu WEIMAR anzutreffen sind. Weimar 1729.

Ein sitzendes junges Haäßgen (sehr fleißig).

Tier-, besonders Vogelstilleben scheinen eine Spezialität Haberstrohs gewesen zu sein. Das einzige erhaltene Bild, von dem ich noch Kunde erhielt, ist gleichfalls ein 1713 gemaltes Vogel- stilleben ).

Für die Tätigkeit Haberstrohs in Weimar spricht aber vor allem der Eintrag im Totenbuch der Stadtkirchengemeinde. Haberstroh ist danach als fürstlicher Hofmaler am 11. II. 1720 in Weimar be - stattet worden )).

Die Stärke des Künstlers scheint offenbar in seinen Vogelstilleben gelegen zu haben und sie können uns vielleicht mit veranlassen, eine gün- stigere Einschätzung des Künstlers vorzunehmen, wenn sie bekannt werden. Vielleicht geben diese Zeilen den Anlaß, uns eine Vorstellung von der Haupttätigkeit Haberstrohs zu vermitteln und einige dieser Stilleben zu veröffentlichen.

(2) Vgl. Jabrbuch der Bilder- und Kunstblätterpreise П, nach dem auf der Kunstauktion Dorotheum am 21.—28. Nov. 1933 das Bild unter Nr. 348 versteigert wurde. Ich verdanke diesen Hinweis der Redaktion des Allgem. Lexikons der bild. Künstler, Leipzig. (3) Die Feststellung gab mir Herr Prof. Dr. Deetjen.

ZU VEIT STOSS. Eine Erwiderung’).

Von B. DAUN

> Wort der Erwiderung auf Kaemmerers Be- sprechung meines Veit Stoß in den Monats- heften für Kunstwissenschaft (S. 176/177, Jahr- gang 1918), die so recht die Kaemmerersche Art zeigt, hätte ich mir gern erspart, um so mehr, als es Kaemmerer leider nicht unterlassen konnte, darin persönlich zu werden. Wer unparteiisch ist, wird, da Kaemmerer Loßnitzers Veit Stoß mit der neuen Asıflage meines Veit Stoß vergleicht, beide Bücher zur Hand nehmen müssen, um sich selber ein Urteil zu bilden, ob ich die vielen Loßnitzerschen Hypothesen, auf die schon Josephi in der Kunst- chronik 1912/13, Nr. 31, 8. 455 hingewiesen hat, zu Recht widerlegt habe. Mit Kaemmerer hier- über zu streiten, ist hier nicht Raum. Da jedoch einige seiner Angaben, die unrichtig sind und die Tatsachen umkehren, geeignet sind, ein falsches Bild von meiner Arbeit zu geben, und überhaupt den Wert der Kaemmererschen Be- sprechung charakterisieren, muß ich zur Sache

(1) Diese Replik, die bereits Ende August 1018 eingesandt war, konnte infolge redaktioneller Schwierigkeiten erst mit beträchtlicher Verspätung zum Abdruck gelangen.

Der Herausgeber.

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doch das Wort ergreifen, während ich ein Ein- gehen auf alles Persönliche ablehne,

1. In Anm. 1, 8.177 schreibt Kaemmerer: „Der kujawische Bischof, den Daun ‚hartnäckig‘ Pietro Bnina nennt, hieß Pietro Moszynski und stammte nur aus Bnin.“ Nicht ich allein nenne den Bischof „hartnäckig“ Pietro Bnina, sondern die gesamte frühere Stoß-Literatur, ebenso Loßnitzer und vor allem die Grabschrift selber, die ich in Anm. a, 5. 35 noch dazu abgedruckt babe“). Der Bischof war also seinen Zeitgenossen unter dem Namen Pietro Bnina bekannt. Deshalb wollen wir auch weiterhin „hartnäckig“ vom Bnina-Grabmal reden.

a. Auf 5. 177 schreibt Kaemmerer: „Hier stimme ich ihm auch hinsichtlich des Torrigiani- Engels in der Jakobskirche zu Nürnberg bei, den er mit Dehio für Stanislaus Stoß reklamiert, während ihn Loßnitzer als Arbeit des Vaters bezeichnete.“ Das muß den Leser zu der falschen Annahme führen, daß ich Dehios Meinung gefolgt sei, während ge- rade das Umgekehrte zutrifft, denn schon in der (2) Die Grabschrift lautet: Petro de Bnino Viadielaviensi

Pontifia religioso et sapienti positum procuracione Calli- machi Expeietisamiciconcordissimi, Anno MCCCCLXXXXIIL

ersten Auflage meines Veit Stoß (1903) habe ich auf 8. 149 (Abb. 78) diesen stehenden Engel, den Loßnitzer später hypothetisch mit dem Torrigiani- Engel identifizierte, für Stanislaus Stoß in An- spruch genommen. Dehios Flandbuch aber er- schien erst 1008!

3. Die Rosenkranstafel, für die Josephi zuerst . den „Meister der Rosenkranztafel“ aufstellte, ver banne ich durchaus nicht „іп den Orkus der Schul - arbeiten“, wie Kaemmerer behauptet, sondern nach wie vor vertrete ich die Meinung (8. 132): Stoß ist der Meister des Werkes, und Gesellenhände sind daran tätig gewesen.

4. „Daß die Manier des Meisters,“ so schreibt Kaemmerer S. 177, „durch seine zahlreichen Söhne, Gehilfen und Schüler (hier trennt Kaemmerer Ge- hilfen und Schüler!) sich schnell und weithin besonders im Osten verbreitete, zeigen з. В. in der Provinz Posen auf Schritt und Tritt Beispiele, die derselben Beachtung wert sind, wie sie Daun einigen willkürlich herausgegriffenen angedeihen last.“ Zu den letzteren drückt Kaemmerer auch die Glogauer Steinfiguren herab, die in der Qua- lität so hoch stehen, daß sie schon Alwin Schultz in Schlesiens Kunstleben im 15. bis 18. Jahrhun- dert, 1872, 8. 6, ale „schönste“ Statuen Schlesiens bezeichnete. Abgesehen von den untrüglichen, gleichsam handschriftlichen Merkmalen, die für Veit Stoß sprechen (vgl. Anm. 1 aufS. 172), kann die Gegenüberstellung des Kopfes der Ы. Katharina mit dem Engelskopf im Bamberger Altarschrein bei gehörigem Qualltätsgefühl gar keine Zweifel mehr übrig lassen, daß Veit Stoß selber der Meister ist. Die von Kaemmerer herangezogenen Beispiele in der Provinz Posen dagegen sind so gering, daß sie nicht einmal mit der Stoß-Schule selbst etwas gemein haben.

5. Auch Kaemmerers Vorwurf, daß mir, der ich „sonst die Literatur sehr gewissenhaft verfolge“, die Studien, die Patzak überdie Schlesischen Schnitz- werke in der Zeitschrift für christliche Kunst 1916 veröffentlicht hat, entgangen sind, ist völlig miß- glückt, denn Anfang 1916 war der Druck meines Buches bereits begonnen, und im Mai 1916 waren die Aushängebogen gedruckt! Ich möchte wissen, wie ich da Patzaks Studien verwerten sollte! ` 6, Nach Kaemmerers Dafürhalten belastet die Heranziehung der Vischerschen Grabplatten un- nötig. Weil Loßnitzer meinen vielen Gründen, daß die Callimachus-Grabplatte von Vischer ge- gossen ist, keinerlei Rücksicht geschenkt bat und lieber über den Gießer im Ungewissen verhartt, hielt ich, wie ich in Anm. 1, 5. 57 ausdrücklich

hervorgehoben habe, eine noch eingehendere Be- sprechung der Vischerschen Grabplatten, als os in der ersten Auflage geschah, für geboten,

7. An einer anderen Stelle widerspricht sich Kaemmerer selbst. Ich stimme mit ihm völlig darin überein, daß es ein mehr oder weniger vergeb- liches Bemühen bleiben wird, die eigenhändigen von den Gesellenwerken mit voller Gewißheit zu scheiden. Eben darum ist die Trennung von Meister- und Gesellenarbeit beim großen Marien- altar um so aussichtsloser. Daß Veit Stoß, so schrieb ich auf S. 26/27, den größten Teil am Altar eigenhändig ausgeführt hat, ist selbstverstindlich. Aber bei einem Werke von solchem Umfang, wenn auch eine zehnjährige Arbeitszeit darauf verwendet werden konnte, ist eine Heranziehung von mehreren Gehilfenhänden ebenso einleuchtend, nicht nur bei der Bemalung und Vergoldung, son- dern auch bei der Ausführung der Schnitzarbeit. Die Skizzen und Modelle sind natürlich vom Meister gefertigt. Für die Hauptteile des Altars, für die Rundfiguren im Schrein und für die Reliefs der Innenflügel ist der größte Arbeitsanteil des Meisters selbst so gut wie sicher; bei den Außenflügeln werden Gehilfenhände in weiterem Umfange mit- geholfen haben. Die Innenflügel übertreffen, denn auch die Außenflügel, obwohl den letzteren eben- falls der Stempel der Meisterschaft aufgedrückt ist, Was die Schüler nicht zu seiner Zufriedenheit aus- geführt haben, korrigierte Veit Stoß. Dagegen macht Kaemmerer geltend, daß Loßnitzer hier mit Recht eingesetzt habe, Meisterwerk und Gesellen- arbeit zu trennen, was ich für mißglückt halte. Ganze Teile des Altars als selbständige Arbeiten eines Gesellen hinstellen zu wollen, entbehrt jeder greifbaren Unterlage, es müßten denn von dem betreffenden Gesellen ganz bestimmte und be- glaubigte selbständige Werke vorhanden sein. Deshalb ist es rein hypothetisch, wenn Loßnitzer einen „Meister des Gesprengs“ konstruiert, der die oberen Teile, die Kirchenväter über dem Rund- bogen in den Ecken des Schreines, die Krönung mit den musizierenden Engeln darüber und die zur Seite aufgestellten Schutspatrone der Stadt Krakau, den hl. Stanislaus und Adalbert, selb- ständig besorgt habe. Eine solche haltlose Ver- mutung aber weiter noch als Kriterium bei der Beurteilung anderer Werke aufzustellen, muß un- fehlbar zu Trugschlüssen führen,

Aber schon allein die Absätze 1, з und 5 dürften genügen, um zu erkennen, was man von einer Besprechung wie der Kaemmerschen zu halten hat,

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REZENSIONEN

JULIUS BAUM, Deutsche Bildwerke des ro. bis 18, Jahrhunderts. Stutt- gart und Berlin, Deutsche Verlags- anstalt 1917.

Der Titel des Buches ist etwas irreführend. Daß der Katalog der Bildwerke der Altertümer- sammlung in Stuttgart vorliegt, erfährt man erst aus der inneren Umschlagseite. Doch ist das nebensächlich.

Die wichtigsten Bildwerke der Stuttgarter Alter- timersammlung brauchen hier nicht weiter auf- gezählt werden, Der reiche Bestand an Werken der schwäbischen Schule der Gotik, wozu noch einige ausgezeichnete Werke aus Franken und Bayern und einzelne aus den übrigen Schulen kommen, ist bekannt genug. Die nachgotischen Perioden sind schwach vertreten. Es wäre nur zu wünschen gewesen, daß in einem Katalog von diesem wissenschaftlichen Weitblick der Anlage, von der glänzenden Ausstattung und dem Umfang auch die Bestinde an Bildwerken in der Gemälde- galerie und im Landesgewerbemuseum aufgenom- men worden wären. Dem Titel hätte das ent- sprochen und der Reichtum der Stuttgarter Museen an Werken der Plastik wäre noch mehr zur Gei- tung gekommen. Daß die Bearbeitung des greßen Kataloges in die Hände von Julius Baum gelegt wurde, entsprach einem Bedürfnis. Baum hat sich durch seine Mitarbeit am württembergischen Denkmälerinventar, durch sein Buch über die Ulmer Plastik um 1500 und durch eine Reihe von Spezialarbeiten mit dem weiten Gebiet der süd- deutschen Plastik vertraut gemacht, wie wenige. Die Erfahrungen von Jahren auch der Kriegs- jahre in Belgien sind in dem Katalog ver- wertet, mit einer wissenschaftlichen Umsicht und einem sachlichen Weitblick, die vollste Anerken- nung verdienen. Besonders wertvoll ist die große Einleitung zur Geschichte der schwäbischen Plastik, die in knapper Form eine Fülle sehr zerstreuten Materials verarbeitet, die den Bestand des Museums durch den Hinweis auf die entlegensten Werke ergänzt, die die Geschichte der schwäbischen Plastik der Gotik durch eine vorsichtige Zuteilung der Bildwerke an einzelne Meisternamen auf eine neue Basis stellt. Die Technik der Katalogisierung in der Bildbeschreibung, in den Angaben des wissen- schaftlichen Apparates, ist von einer musterhaften Genauigkeit. In der äußeren Form stellt sich dieser Katalog den großen Berliner und Nürn- berger Katalogen würdig zur Seite,

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Trotz dieser Vorzüge können einige Bedenken nicht verschwiegen werden. Sie betreffen nicht den Text, sondern die Abbildungen. Die Qualität einer Reihe von Aufnahmen ist mehr als mangel- haft. Eigentlich sollte man keine Photographie von Plastiken dem Photographen ganz über- lassen; geringe Änderungen in der Ansicht, im Lichteinfall, bedingen Wirkungen, die dem Ori- ginal an sich fremd sind. Sicher bietet auch die Beschaffung des photographischen Materials viele Schwierigkeiten. Aber bei einem Werke von dieser Aufmachung hätten zum mindesten die Figuren, die im Lande oder sogar im Museum selbst sind, mustergültig reproduziert werden müssen. Unbrauchbar sind folgende Abbildungen: Einl. Nr. 9, 13, 32, Кай. 41, 66, 67 (mit deutlich sichtbaren, schlechten Retuschen |), 90, 100, по, 180, 235, 257, 258, 307, 309, 436, 446, 467, 469; fehlerhaft sind viele. Die folgenden kleinen An- merkungen zum Text wollen nicht als als Kor- rekturen, sondern als Anregungen aufgefaßt sein. Die Muttergottes von Mariä Kappel (Nr. 83) rechnet Baum unter die fränkischen Bildwerke und datiert sie um 1440. Außer den im Text genannten Figuren (von denen die Margaretha' in Achdorf in den Kunstdenkmälern von Niederbayern, Heft a, S. 15 abgebildet ist), müßten noch französisch-bur- gundische Werke zum Vergleich herangezogen wer- den. In Abbildungen leicht zugänglich ist der seiner- zeit іп das Kriegemuseum au pauvre diable in Mau- beuge geborgene St. Quintinus (Katl. von Hadeln, Stuttgart 1917, S. 30), der nach Hadeln von der 1339 vollendeten Porte Labon in St. Quentin stammt. Nun entsteht die Frage, ob nicht ein Teil dieser in Deutschland zerstreuten Kleinplastiken aus Ala- baster, die mit der einheimischen Plastik keine Berührungspunkte zeigen, überhaupt französischer Import ist. Nach meiner Ansicht ist die Frage zu bejahen, damit mußte auch die Datierung um ein halbes Jahrhundert hinaufgerückt werden. Die Mutergottes von Braunau (Кач. 358) hat mit Leinberger nichts gemein als den Zeitstil; eine nähere Verwandtschaft mit der Pollinger Madonna von Leinberger besteht nicht. Die Figur ist niederbayerisch, speziell passauisch; ähnliche Bei- spiele sind in der Inngegend und in den angrenzen- den bayerisch-österreichischen Gegenden. Fig. 379 möchte ich, vorbehaltlich einer nochmaligen Autopsie, als salzburgisch ansprechen. Fraglich ist die Datierung einiger Figuren des 17./18. Jabr- hunderts. Кай. Nr. 377 möchte ich mit Rück-

sicht auf den knitterigen, für diese Zeit typischen Faltenstil der Mitte 17. Jh. zuweisen; man darf nur Nr. 459 damit vergleichen. Bei Nr. 452 spricht das eng anliegende Gewand eher für die Zeit um 1600, bei Nr. 471 möchte ich über das erste Viertel des 18, Jahrhunderts nicht hinausgehen. In der süd- deutschen Plastik hat sich vor Mitte des 18. Jahr- hunderts der kleinteilige, brüchige Faltenstil ver- loren, die Formen nehmen bei größter Freiheit der Bewegung eine Fülle und Rundung an, die zum Teil sogar schon damals durch den Einfluß der italienischen Renaissance und sogar der An- tike bedingt ist. Wie weit in die einzelnen Lokal- schulen die neue Stilistik vordringt, darüber fehlen allerdings noch alle Vorarbeiten. Um die Ge- schichte des süddeutschen Barock- und Rokoko- plastik hat sich die Forschung noch nicht an- genommen. Adolf Feulner.

КОМО FERD. GRAF у. HARDENBERG, Herkunft, Leben und Wirken des Hochfürstlich Hessen-Darmstädti- schen Ober Cabinets- und Hof- mahlers Johann Christian Fiedler, nach alten und neuen Quellen bearbeitet und im Auftrag der Gesellschaft hessi- scher Bücherfreunde hrsg. Darmstadt 1919. Verlag Н. L. Schlapp, Darmstadt.

Wenn sonst aus Staatsarchiven, aus Kabinetts- rechnungen neue Forschungsergebnisse ans Licht gezogen, Hunderte von Gemälden vom Staub des Alters und späteren Ergänzungen befreit werden müssen, dann pflegt man den gewonnenen Ergeb- nissen den Schweiß der mühevollen Arbeit in einem schwerfälligen Stil, auf dem Aktenstaub zu lagern scheint, anzumerken. Das neue Fiedler- Buch (noch ist es nicht das Fiedlerbuch, das uns der Verfasser für bessere Zeiten verspricht) zeigt weltmännischen Ton. Lächelnd mit der Grazie und im Stil der Zeit, der Fiedler selbst angehörte, wird uns ein Künstlerleben vorgetragen und in Nebenbemerkungen manches kluge Wort auch zu unserer Zeit gesagt. Zum ersten Male werden Abkunft und Geburtsdatum Joh. Christian Fiedlers aus Pirnaer Kirchenbüchern sicher festgestellt. Die Eltern lernen wir nach Bildnissen kennen, deren Entdeckung gelegentlich der Aufnahme seines Kunstbesitzes der Großherzog selbst machte. Ein Stück Zeitgeschichte bietet die Leipziger Universitätszeit Fiedlers (1715—1720). Eine neu- entdeckte Radierung zeigt den Rechtsbeflissenen Fiedler, den Freund Picanders. Picanders Namens- nennung führt das Bild des großen Thomaskan-

tors, seines Freundes, hoch, läßt die Erinnerung an einen anderen Johann Christian, den unglück- lichen Dichter Günther, wach werden. Dann wechselt die Szene, und Paris der Regence um- fängt den jungen Sachsen, den künftigen braun- schweiger Hofmaler. Nic. de Largilliere und Hyacinth Rigaud sollen ihm dort Lehrer und An- reger gewesen sein. Über Rigauds Beziehungen zu Fiedler erfahren wir wenig, dagegen besitzen wir in einem Bildnis Liselottes, „la Palatine“, die Kopie (Pochade) eines Werkes Largillieres von Fiedlers Hand.

Auf der Rückreise von Paris, um seine Stelle in Wolfenbüttel einzunehmen, berührt Fiedler Darmstadt. Von Freunden bei Hof eingeführt, wird er Ernst Ludwigs von Hessen - Darmstadt landgräflicher Hofmaler und bleibt hier, mehreren Generationen treu dienend, bis an seinen Tod (1725—65).

Dieser zweite Teil des Buches mit den ein- gestreuten Versen des getreuen Buchner, mit der feinen Charakterisierung des vielseitigen Baron Löwenstern, vollendet den kultur- und zeitgeschicht- lichen Hintergrund zum Lebenswerk des Künstlers.

Man vergißt über der launigen Vortragsweise die gewissenhafte Nachforschung nach Todes- datum, Grabstein und nach den Wohnungen des Künstlers, nur empfindet man unbewußt es an- genehm, von einer sicheren und gelehrten Hand durch eine bisher ziemlich unbekannte kunst- geschichtliche Zeit geführt zu werden.

Das Hardenbergsche Fiedler-Buch ist die erste wertvolle Frucht, welches die schöne Ausstellung „Deutsches Barock und Rokoko“ gezeitigt, die wir der Anregung und Arbeit Georg Biermanns verdanken.

Das Buch läßt gerade wegen seines gewandten und klugen Stils eine billigere Volksausgabe erhoffen; denn diese teure Sonderausgabe ging nur in 250 Exemplaren hinaus.

Dieser Wunsch umschließt meine beste Emp- feblung für das Buch.

Robert Corwegh-Darmstadt,

JULIUS v. SCHLOSSER, Die Schatz- kammer des Allerhöchsten Kaiser- hauses in Wien, dargestellt in ihren vornehmsten Denkmälern. Wien, Kunst- verlag Anton Schroll & Co., 1918.

Über den Inhalt der Schatzkammer des Aller- höchsten Kaiserhauses informierten bisher in zu- sammenhängender Weise nur zwei Werke, die beide infolge ihres Umfanges und ihrer Kostbar-

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keit nur in besonders günstigen Fällen dem wissenschaftlichen Arbeiter zugänglich waren: das gewaltige Opus des Kanonikus Bock über die Rleinodien des heil. röm. Reiches deutscher Nation von 1864 und die Publikation von Quirin Leitner mit dem Titel „Die hervorragendsten Kunstwerke der Schatzkammer des Österreichischen Kaiserhauses“ von 1870—73. Beide gingen von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Leitner gab in teilweise sehr guten, aber unseren modernen Ansprüchen auf wissenschaftliche Benutzbarkeit nicht mehr genügenden Radierungen die Haupt- werke der Schatzkammer in ihrem damaligen Um- fang heraus, als sie noch den allgemeinen Charakter der „Kunstkammer“ trug, d.h. alle die weltlichen Kostbarkeiten an Gefäßen aus edlem Metall, Halb- edeisteinen und Kristall, an Uhren usw. noch barg, die seit 1876 von den eigentlichen Kleinodien des alten römischen Reiches und des habs- burgischen Hauses abgetrennt wurden und in den Sammlungen der Hofburg rein museale Aufstellung gefunden haben. Bock dagegen hatte sich auf eben diese Reichskleinodien beschränkt und unter Hinzuziehung aller verwandten Insignien alter Herrschermacht in den germanischen und öster- reichisch-ungarischen Staaten seinen Leviathan geschaffen, der mit seinen vielfach ausgezeichneten farbigen Tafeln noch heute das Standard-Werk über diese interessante, für die Geschichte des Kunstgewerbes unvergleichlich wichtige und teil- weise bis heute ungeklärte Materie bildet.

· In dem neuen Werk, das Julius von Schlosser 1918 herausgebracht hat, ist uns nun endlich eine handliche Publikation geschenkt worden, die im Text und in den 64 Tafeln die vornehmsten Denkmäler der Schatzkammer in ihrem heutigen Bestande behandelt und vorführt.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse Bocks sind natürlich in dem verflossenen halben Jahrhundert durch viele Einzelforschungen gewaltig überholt worden, sodaß dem Verfasser ein bedeutend er- weiterter Überblick über die kunstgeschichtlichen Zusammenhänge der einzelnen Gegenstände zu Gebote stand; von den Resultaten dieser For- schungen hat Schlosser natürlich weitgehenden und, soviel ich sehe, restiosen Gebrauch gemacht und uns damit eine Monographie gegeben, die bei aller Kürze und ohne den Ballast breiter Ge- lehreamkeit das Thema wissenschaftlich erschöpft. Daß damit noch nicht das letzte Ziel aller Er- kenntnis erreicht ist, betont er selbst im Vorwort; er will vor allem „den Boden für weiter einsetzende Forschung ebnen und zu neuen, eindringlichen

und weiter führenden Studien anregen“. Dazu

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ist das Abbildungsmaterial, Gravüren, Lichtdrucke und reichliche Textklischees, vorzüglich geeignet; viele Tafeln bringen sehr erwünschte Detailauf- nahmen der wichtigsten Denkmäler, und vor allem ist die Aufnahme der alten, im Stil oft merk- würdig gut getroffenen Delsenbachschen Kupigr- stiche aus der Mitte des 18. Jahrhunderts dankens- wert, zumal sie eine Reihe der seit der romanti- schen Flucht der Reichskleinodien von Nürnberg nach Prag im Jahre 1796 verschollenen Stücke bestens veranschaulichen. Für die rein wissen- schaftliche Benutzung des Werkes wäre es vielleicht wünschenswert gewesen, wenn der Verfasser sich dazu entschlossen hätte, einige der wichtigsten Vergleichsstücke (z. B. zu dem Karlesibel, zu der Stephanusbursa, zum Reichskreuz, zu den Ge- wändern) im Text mit abzubilden. Unnötig war m.E. die Opferung einer ganzen Tafel für den dem antiken Neapler Original genau nachgebildeten Dreifuß, und unbedingt hätte der Textabb. 35, dem Muster der Adlerdalmatika, eine bessere Aufnahme zu Grunde gelegt werden müssen. Im übrigen

ist die rein technische Ausstattung во gut, wie

man es von einem im letzten Kriegsjahre her- gestellten Druckwerk überhaupt nur erwarten kann, Der Inhalt ist klar gegliedert, In einem einleitenden Kapitel spricht Schlosser anschaulich und mit vollster Beherrschung des kulturhistorisch merkwürdigen Materials von Schatzkammern im Allgemeinen und der Wiener Schatzkammer im Besonderen; das zweite Kapitel gibt die innere Geschichte der eigentlichen Reichskleinodien in einer kurzgefaßten, klar orientierenden Skizze über die Entstehung und die Wandlungen des Herrscher- zeremoniells von Karl dem Großen an. Dann folgt die äußere Geschichte der Kleinodien, gelöst vor allen Hypothesen, wobei besonders auf die durch Karl IV. in bewußt programmatischer Ab- sicht vorgenommenen geschichtlichen Fälschungen hingewiesen wird. Im vierten Kapitel bespricht Schlosser die Form und den Stil der Reichs- kleinodien in historischer Reihenfolge, und gibt schließlich in den beiden letzten Kapiteln einen Über- blick über die Hauptkleinodien des Hauses Habs- burg (die Rudolfinischen Kroninsignien, das Каівегі. Taufzeug usw.) sowie über die Napoleonischen Erinnerungen (die Wiege des Königs von Rom, die Kassette der Kaiserin Marie Louise usw.) Eine wohlgeordnete Literaturangabe schließt den Textband in dankenswerter Weise ab. Wie ge- sagt, ist die bisherige Forschung in weitest- gehendem Maaße berücksichtigt, sodaß auch der Spezialist kaum Ausstellungen an den Ergebnissen Schlossers wird machen können, Wenn ich auf

ein Paar geringfügige Punkte hinweise, во ge- schieht das nicht, um eine anmaßende Kritik zu üben, sondern nur um anzudeuten, wo weitere Forschung einsetzen könnte, bezw. um kleine Irrtümer zu berichtigen. So hätte auf den m.E. bestehenden stilistischen Zusammenhang der Stephanusbursa mit dem Psalter Karls des Kahlen verwiesen werden müssen, so hätte man aber vor allem gerne mehr über die kunstgeschichtliche Stellung der eigenartigen gepreßten Medaillons auf den Schmalseiten derselben Bursa gehört, deren fester Bestimmung der Verfasser aus dem Wege gegangen ist. Daß das spätgotische Fisch- blasenornament auf dem Aufsatz der Bursa etwas mit dem Buchstaben 8 (= Stephanus) zu tun haben soll, scheint mir ganz unwahrscheinlich. Das zum Vergleich herangezogene karolingische Taschenreliquiar in Berlin stammt übrigens nicht aus Engern bei Hertford, sondern aus Enger bei Herford. Das ledergeschnittene Futteral desReichs- kreuzes trägt nicht die Jahrzahl 1491 oder 1497, zwischen welchen beiden Daten der Verfasser die Wahl läßt, sondern mit vollkommener Deutlichkeit die Jahreszahl 1495; die sehr gute Photographie läßt einen Zweifel nicht zu.

Bei dem Kapitel über die Reichskrone möchte ich noch aufmerksam machen auf den bisher scheinbar wenig beachteten Bericht in der Chronik des Thietmar von Merseburg (+ 1018) in der Kgl. Bibliothek zu Dresden, wo bei Gelegenheit der Krönung Heinrichs D in Rom 1014 gesagt wird, daß Heinrich, nach der Krönung „seine frühere Krone über dem Altar des Apostelfürsten aufhängen“ ließ. Also erstlich wieder die Tat- sache einer Votivgabe wie in früheren Zeiten; zweitens aber wäre danach 11 Jahre vor Anfertigung der heute noch existierenden Kaiserkrone Kon- rads U. noch eine andere für Heinrich П. herge- stellt worden.

Alles in allem ist das Werk Schlossers eine vortrefflich gelungene Publikation, die in der großen Götterdämmerung unserer Tage wie ein Scheidegruß wirkt an die vergangene Zeit kaiser- licher Macht und Herrlichkeit. Ihr Nimbus ist untergegangen im kräftigen Anhauch sozialistisch- demokratischen Geistes; wohl aber darf man hoffen, daß auch die neue Zeit soviel Pietät vor einem der ehrfurchtgebietendsten Kapitel der deutschen Geschichte beweisen wird, daß sie diese einzigartige Schatzkammer so bewahren wird, wie sie sie von den gestürzten Mächten übernommen hat. Denn an ihrem unversehrten Bestande ist hoffentlich kein Zweifel!

Robert Schmidt,

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1929. Heft 10/11 3:

ROBERT KOHLRAUSCH, Deutsche Denkstätten in Italien. Neue Folge. Zweite Auflage, mit Bildern von Alfred H Pellegrini. УШ und 332 Seiten. Stutt- gart, Verlag von Robert Lutz, 1919.

Der Verfasser des Buches gehört zu den Deut- schen, die mit aufgeschlossenem Sinn und Ver- ständnis für die Geschichte der Vergangenheit Italien bereisen; ihre Zahl ist nicht so klein, wie der Verfasser in einigen Bemerkungen selber glauben machen möchte, denn er wirdé sonst nicht wagen können, binnen weniger Jahre einen zweiten Band über deutsche Gedenkstätten (so würde man wohl zutreffender sagen) in dem von unserem Volk immer geliebten und ersehnten Lande an die Öffentlichkeit zu bringen. Kohl- rausch ist weder Geschichtschreiber noch Forscher man darf von seiner Schrift keine wissenschaft- lichen Ergebnisse erwarten; dagegen hat er die historische Literatur Deutschlands wie Italiens sorgfältig benutzt und flicht nach Gregorovius’ klassischem Vorbild die Erzählung von Taten und Geschicken unserer Vorfahren in die Schilderung der Örtlichkeiten ein, die dem Besucher An- regung geben, der vielfältigen deutsch-italienischen Beziehungen im frühen und späteren Mittelalter zu gedenken. Der Verfasser hält sich dabei im wesentlichen an den Leitfaden der politischen Ge- schichte, an die Einwanderung und Eroberungen deutscher Stämme seit der Auflösung des alten Römerreichs und an die Kämpfe unserer Kaiser mit Päpsten und Städten um die Herrschaft über die gesegneten Gefilde des Sonnenlandes, während des Kulturlebens und der wechselseitigen Ein- wirkungen auf diesem Gebiet nur beiläufig hier und da gedacht wird. Da die deutschen Kämpfe um den Besitz Italiens keine dauernden Erfolge gebracht, vielmehr für ein unerreichtes Herrschafts- und Machtideal unendlich viel deutsches Blut ge- opfert und mit der Niederlage des römisch - deut- schen Kaisertums geendet haben, so wiegt in Kohlrauschs Darstellung eine düstere Färbung vor, und stets von neuem erklingt die Klage um die nutzlose Aufreibung von deutscher Volkskraft; dabei läßt er dem nationalen Fühlen und Streben des italienischen Volkes durchaus Gerechtigkeit

widerfahren und enthüllt sich als ein warmer,

man könnte wohl auch sagen: schwärmerischer Verehrer des Landes nicht nur, sondern auch seiner Bewohner. Vielleicht findet er hierin nach dem Weltkrieg nicht mehr soviel Zustimmung in seinem Leserkreis wie zuvor, als er zur Zeit des Dreibundes und des italienischen Einheits-

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jubiläums 1911 seinen ersten Band erscheinen Нев. Aber in den Kreisen romantischer und ästhetisch gestimmter Gemüter wird diese neue Folge von Schilderungen deutscher Gedenkstätten auf dem Boden Hesperiens gewiß ebenso viele Freunde finden wie ihre Vorgängerin. Die Darstellungs- weise Kohlrauschs hat viel Anziehendes; er liebt es, poetische und gefühlvolle Saiten anzuschlagen und bietet meist schöne, farbenreiche und an- schauliche Schilderungen von Landschaften und Baudenkmälern; doch verleitet ihn das Streben nach stilistischer Kunstform hier und da zu Über- treibungen und Entgleisungen, während das allzu- starke Betonen des persönlichen Einzelerlebnisses, welches oft für die Sache gleichgültig ist, nicht selten ermüdend wirkt. Auch ist des Verfassers Stil nicht gleichmäßig, zwischen phantasievollen, dithyrambischen Ergüssen sind manchmal trockene geschichtliche Berichte zerstreut. Im ganzen ver- steht es der Verfasser aber, Teilnahme für den Gegenstand zu erwecken und dem Freund der Naturschönheit und der Werke der Kunst Befrie- digung zu gewähren, auch dienen die 24 Ab- schnitte, in denen er Erinnerungen an die Ger- manenschicksale der Völkerwanderung, der Karo- lingerzeit, der sächsischen Kaiser und vornehmlich der Hohenstaufen behandelt, dem künftigen Italien- reisenden, der mit sinnigem Gemüt von der breiten Heerstraße des Fremdenstroms abzuschweifen liebt, als Führung zu genußreichen Wanderungen auf den Spuren unserer Vorfabren. Der Bilderschmuck des Bandes ist wohlgelungen und glücklicher ge- wählt als in dem ersten Band, er gibt in den meisten Fällen ein stimmungsvolles Umrißbild der Gedenkstätten. Fried. Noack,

KARL WITH, Buddhistische Pla- stik in Japan bis in den Beginn des 8. Jahrhunderts n. Chr. Textband mit 28 Abb., Tafelband mit 224 Tafeln nach eigenen Aufnahmen des Herausgebers, Kunstverlag Schroll & Co., Wien 1919.

Das Werk erscheint als Band XI der Arbeiten des Kunsthistorischen Institutes der Wiener Uni- versität (Lehrkanzel Strzygowski) als Ergebnis einer 1913/14 unternommenen Forschungsreise. Trotz der wesentlichen Beschränkungen, die durch die Kriegs verhältnisse auferlegt wurden, bildet das Werk äußerlich und innerlich eine geschlossene Einheit invornehmer Ausstattung. Bei aller Wissen- schaftlichkeit hält es sich fern von fachlicher Trockenheit und ist durchaus bestrebt, in stärkster Entsprechung von Wort und Bild die allgemein

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menschliche Bedeutung des vorgeführten Materials lebendig zu machen.

Dieses Material, das die japanisch- buddhistische Plastik der Suiko-, Hakuho- und Wadozeit umfaßt und eine Grundlage für die folgende Entwicklung des Tempyo gibt, bildet künstlerisch und entwicklungs- geschichtlich einen Brennpunkt der ostasiatischen Plastik überhaupt und ist zum Teile schon aus den Publikationen der Japaner bekannt. Hier han- delt es sich aber nicht bloß darum, diese Werke in geschlossener Vorführung leichter zugänglich zu machen. Ein Hauptziel war es zunächst, das Einzelwerk in seiner plastischen Existenz durch die Wiedergabe mehrerer Ansichten und überlegt gewäblter Detailaufnahmen gewissermaßen zu einer kinematographischen Anschaulichkeit zu bringen und so die Grundlage für die Erfassung seiner künstlerischen Wirkung und für eine stilkritische Analyse zu gewinnen, Einleitend wird die Stel- lung der Plastiken im privaten, öffentlichen und religiösen Leben der Japaner und ihre Einordnung in den Ort ihrer Aufstellung, die alten Tempel, beschrieben, werden die historisch-geographischen Grundlagen für die künstlerische Entwicklung aus- einandergesetzt und der Buddhismus als Gestalter der ikonographischen Typen und als geistiger Erreger des Form- und Ausdruckswillens behan- delt. In acht Kapiteln folgen dann die Beschrei- bungen und Stilanalysen nach zeitlichen und schul- mäßigen Gruppen zusammengefaßt. Als datiertes Hauptwerk bildet zunächst die große Trinität des Toribuchi, der sich die Jumedonokwannon an- schließt, den Ausgangspunkt für die Einstellung der Werke des chinesischen Toristils, für den sich die architektonische Gliederung der Blockmasse und eine den Kern auslösende Silhouettenbildung als konstituierende Merkmale ergeben, die nur in der Kleinplastik einer beweglicheren und stärker malerischen Auffassung weichen (Kap. 1). Gegen- über der aus dem chinesischen Steinstil entsprunge- nen monumentalen Formauffassung des Toristils lassen die um die Kokuzo Bosatzu gruppierten Werke bei gleicher abstrahierender Geistesrich- tung die Grundlagen eines freien Holzstiles durch Auflösung der Masseneinheit zu plastisch-rhyth- mischer Tiefenbewegung erkennen. Diese Differen- zierung des Suikostiles führt W. im Anschluß an die von japanischer Seite geäußerten Ansichten auf die Einwirkung Koreas zurück (Кар. а). Nach diesen beiden Richtungen scheidet W. (Kap. 3) eine weitere Gruppe aus, die nur zum Teil in den Babnen des Toristiles geht, über die koreanischen Formen aber insofern hinausgeht, als eine stärkere Verstoff lichung und ein Streben nach naturalistischer

е Körperhaftigkelt eintritt, Die Quelle dieser natura- listisch barocken Tendenz ist vorläufig nicht mit Sicherheit zu erkennen; W. denkt an die ähnliche Tendenz der Gandharakunst, die vielleicht in den chinesischen Steinskulpturen einwirkte und dort zu einem Mischstil führte, der in Japan sein Aus- klingen findet. Im 4. Kap. wird der Faden des zweiten wieder aufgenommen, infofern das reife Suiko die Fortführung des koreanischen Stiles bis zur formalen Gewinnung der freien Rundkörper- lichkeit bedeutet. Aber auch Tori- und chine- sischer Mischstil finden hier gleichzeitig in einem Ausgleich zwischen abstrahierender Architektonik und malerischer Verstofflichung ihre letzte Aus- wirkung. In der wundervollen Chuguji-Kwannon hat die Suikozeit den Ausdruck ihres Gesamt- bewuBtseins gefunden, Die folgende zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts bedeutet den Bruch mit der architektonischen Strenge und Abstrahierung, Darin ist der Taikwastil (Kap. 5) eine Überlei- tung, in der die neuen Prinzipien organischer Körperlichkeit und freier Bewegtheit wohl schon mit aller Deutlichkeit, wenn auch noch in ver- haltener Strenge, zum Durchbruch gelangen (Koryuji-Kwannon). Mit der in der Mitte des 7. Jahrhunderts datierten Sho- (Tooindokwannon) werden die letzten Schranken durchbrochen. Der naturalistischen Veräußerlichung des Hakuho (Kap. 6) entspricht das Streben nach repräsen- tativer Aufmachung durch plastische Dekoration. Die Grundlage dieses Wandels wird in der Tang- kunst Chinas gesehen. Als die reifste Tat dieser Richtung erscheint am Ende des Jahrhunderts die Jaskushi-Trinität, und diese wird wie die Toritrini- tät geradezu als rein chinesische Leistung ange- sprochen, so daß es sich erklärt, daß in der Folgezeit in Japan die hier durchgeführte Verschmelzung als solche nicht fortgeführt wird. Vielmehr ergab sich für die mittlerweile auf Grund der Suikopro- bleme konsolidierte japanische Künstlerschaft am Ende des Hakuho (Kap. 7) ein abwechslungsreiches Schwanken zwischen idealisierender Verbildlichung und naturgemäßer Anschaulichkeit, ein Archai- sieren unter Anwendung der malerischen und vollplastischen Errungenschaften. Erst im Wado- stil (Kap. 8) erreichen die im Hakuho entwickelten naturalistischen Tendenzen ihre volle Auswertung (in den realistischen Tongruppen des Horiuji- pagode vom Jahre 711), die aber alsbald die Grund- lage für eine neuerliche, bildmäßig dekorative Gestaltung im reifen Wado abgeben und zum Tempyo überleiten. А Was die rein wissenschaftliche Bedeutung der Arbeit anlangt, so besteht sie vor allem in dem

! Bemühen neben dem bisher im Vordergrund

stehenden ikonographischen auch vom künstlerisch formalen Standpunkt aus die Grundlage für eine kritische Sonderung zeitlicher und lokaler Gruppen zu gewinnen. Damit ist erst die Möglichkeit ge- geben, auf die künstlerischen Beziehungen und Zusammenhänge zu anderen Kunstkreisen einzu- gehen. In diesem Sinne konnte das Werk dem- gemäß freilich nur Andeutungen bringen, die keinen Anspruch auf abgeschlossene Gültigkeit machen, vielmehr nur mögliche Wege andeuten sollen. Um so mehr konnte die kulturelle Auf- gabe gelöst werden, durch ein liebevolles Ein- gehen auf die japanische Eigenentwicklung ein intensiveres Verständnis der künstlerischen Werte und ein stärkeres Einfühlen in den Geist der vor- geführten Werke anzubahnen. Nicht zu vergessen ist der praktische Wert des Buches, der darin be- steht, daß dem Forscher, Künstler und Sammler die in Wort und Bild gegebene Anschaulichkeit Abschätzung und Wertung gestattet. H. Glück.

DES PRÄSIDENTEN DE BROSSES vertrauliche Briefe aus Italien an seine Freunde in Dijon 1739—1740. Übersetzt von Werner Schwartzkopfi. Erster Band mit 46 Bildbeigaben. Mün- chen, Georg Müller 1918.

Die Briefe des Präsidenten de Brosses, eine der wertvollsten Quellen für die Kenntnis der europä- ischen Gesellschaft vor der Revolution, waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Im Freundeskreis kursierten sie in Abschriften, ihre amüsanten Schilderungen boten der Dijoner Gesellschaft An- regung genug. Etwa sechzig Jahre nach ihrem Entstehen wurden sie veröffentlicht; wir danken dies der Indiskretion des Herrn de Silyes, eines

- republikanischen Beamten, der Buffons Exemplar

1799 bei einer Durchsuchung fand, und die Briefe der Allgemeinheit übergab.

De Brosses, eine mehr gesellige als schöpferische Persönlichkeit, der seine Amtspflichten wichtiger nahm als seine schriftstellerische Tätigkeit, hatte das Verlangen, seine in Italien gewonnenen Ein- drücke dauernd festzuhalten und zugleich seine

Freunde an seinen Erlebnissen teilnehmen zu

lassen. Im Begriff, Sallust kritisch zu edieren, geht er nach Italien, um die verschiedenen Hand- schriften an Ort und Stelle zu vergleichen. Doch stand er dem Leben viel zu offen gegenüber, um sich allein auf Bibliotheken und Archive zu be- schränken. Er schildert das Leben der Gesell- schaft in Venedig, Florenz, Rom und Neapel so

307

gut wie die Landschaft, er hat ein starkes Gefühl für die Schönheit des Landes, trotzdem ihm die Campagna als „das Abstoßendste und Kümmer- lichste erscheint, das man sich denken kann“. Nichts entgeht seiner Aufmerksamkeit, er interes- siert sich für Damentoiletten und -Frisuren so gut wie für Verfassungsformen und die auf dem Marktplatz zu Bologna aufgeschichteten Zwiebeln, macht kritische Anmerkungen über die Bauart der Städte, über Bilder und Plastik in Kirchen und Museen. und bringt nicht weniger als 600 italie- nische Arien, viele Orchesterkompositionen und Violinsonaten in Abschrift mit.

Seine Reise führt über Avignon und Marseille

nach Genua, Pavia, Mailand, Mantua, Cremona,

Verona, Vicenza, Padua, Venedig, Bologna, Ferrara, Florenz, Livorno, Lucca, Pisa, Siena, Rom und Neapel. Es sei hier allein auf de Brosses Stellung zur bildenden Kunst hingewiesen, Er ist in den Vorurteilen der Periode der Aufklärung und des Rationalismus befangen. Er beklagt „das Unglück“ der italienischen Maler im Mittelalter, „in einem Zeitalter und einem Lande zu leben, das von abergläubischer Frömmigkeit erfüllt war“, so waren sie gezwungen, in Kirchen Heilige zu malen, „die sie nie hatten sehen und kennen können“. (S. 211.) Da die Bologneser Malerschule für ihn, den Be- ‘wunderer Lodovico Сәггассів, an erster Stelle steht, hat er naturgemäß für die Anfänge italie- nischer Malerei wenig Verständnis. Er entrüstet sich über Giottos „Sudelstil“, findet die Mosaiken in San Marco zu Venedig !„erbärmlich“, die Kirche „geschmacklos“ und bewundert allein die vier antiken Rosse. Raffael ist ihm „der Meister der Meister“, und wenn er Michelangelo sehr viel kühler gegenübersteht, so erscheinen er und Giorgione ihm doch als „die Zaren Peter der Malerei, die das Barbarentum aus ihr vertrieben, wobei es allerdings ohne Wildheiten nicht ab- ging“. (8. 165.) Rom ist für ihn nicht nur „die schönste Stadt der Welt, sondern einfach einzig“ (S. 364), es stellt Paris weit in den Schat- ‚ten, ja mit seinem Maß gemessen, wird alles zur „Bagatelle“. Dennoch oder vielleicht gerade des- halb versagen de Bfosse's Schilderungen hier fast gänzlich, die großen Eindrücke überwältigen ihn, er flüchtet nach Neapel und schreibt von dort aus sehr interessante Berichte über die Ausgrabungen von Herculaneum und seine Vesuvbesteigung. Schwartzkopffs Übersetzung liest sich vorzüg- lich, die sehr sorgfältigen Anmerkungen werden auf das Notwendigste beschränkt; es war ein glücklicher Einfall, Abbildungen, die im wesent- lichen aus dem 18. Jahrhundert stammen, zu wählen

308

H und auf diese Weise den Text und die beilagen zur Einheit zu verschmelzen.

Rosa Schapire.

Bild-

HUISRAAD EN BINNENHUIS IN NE- DERLAND IN VROEGERE EEUWEN (Hausgerät und Innenräume frühe- rer Jahrhunderte in Holland) von К. Sluyterman. Haag 1918. Verlag Mar- tinus Nijhoff.

Dieses gut gedruckte, mit etwa 440 Abbildungen ausgestattete Werk will eine systematische Uber- sicht über die Entwicklung der holländischen Möbelkunst, ihre Anordnung im Hause und die weitere dekorative Ausstattung geben, Der Ver- fasser sucht mit Bild und Wort in sehr anzuer- kennender Weise über den Einzelfall hinaus zur Synthese zu kommen, ohne jedoch diese Syn- these, wie es wohl für einen deutschen Forscher verlockend gewesen wäre, zu einer Untersuchung über Stilbildung zu erweitern. Eine solche Ein- stellung liegt der holländischen, ganz auf das tatsächliche Material gerichteten kunstgeschicht- lichen Forschung überhaupt noch fern. Sie be- wegt sich durchaus in der Richtung der archi-

_ valischen Untersuchung, der zum Beispiel ein во

unermüdlicher Gelehrter wie Bredius sein ganzes Leben gewidmet hat, oder der Kennerschaft, die durch das ausgedehnte holländische Sammlertum ihre treibende Kraft erhält.

Ausgezeichnete Kennerschaft und patriotische Kunstliebe zeichnen das Werk Sluytermans aus. Den praktischen Hochschullehrer der Delfter Hoch- schule erkennt man an der geschickten und über- sichtlichen Gruppierung des Stoffes, den zahl- reichen glänzenden Detailaufnahmen, die erst die vorzügliche Materialbehandlung, besonders der Holzarbeiten, ganz zur Geltung bringen. Die Auf- nahmen müssen geradezu als mustergültig be- zeichnet werden, eine sorgsam abgepaßte Beleuch- tung läßt selbst an großen Gegenständen und bei Innenräumen kleine Einzelheiten noch erkennen. Eine besondere Wichtigkeit hat ein solches Werk für Holland, wo noch heute große Möbelfirmen wie Pander im Haag, Middelbeek in Utrecht ihr Hauptverdienst in technisch und formal vollen- deter Wiederholung alter Möbel und Zimmeraus- stattungen sehen, doch ist es auch unseren Kunst- gewerbeschulen angelegentlich zu empfehlen, um den Sinn für Qualität zu erziehen. Zu bedauern ist einzig, daß der Verfasser, wohl in Rücksicht auf die Eigentümer, vermeidet, die zahlreichen Innenansichten näher zu bezeichnen. Bei den

vielen alten Innenräumen, besonders in Amster- dam und im Haag, wäre dies sehr erwünscht ge- wesen, zumal im allgemeinen in Holland eine höfliche Bitte um Besichtigungserlaubnis auf Er- füllung rechnen kann. Einige der glänzendsten Typen, die Sluyterman veröffentlicht, würde man von nun ab leichter mit genauerer Bezeichnung in die Kunstgeschichte übernehmen.

A. К. Brinckmann.

W. у. BODE und W. F. VOLBACH, Gotische Formmodel. Eine verges- sene Gattung der deutschen Kleinplastik. Berlin 1918. G. Grotesche Verlagsbuch- handlung.

Seit dem Jahre 1876, in dem der erste Sammler gotischer Formmodel, der Kölner Domkaplan Dr. Dornbusch, über seine vereinzelten Funde in den Bonner Jahrbüchern berichtete, ist keine Arbeit über das eigenartige Gebiet gotischer Formmodel erschienen. (Die von Dr. D. zusammengebrachte Sammlung ging in das Berliner Kunstgewerbe- museum über.) |

Umso begrüßenswerter ist die vorliegende Pu- blikation, die die einschlägigen Probleme der Technik und Provenienz aufs gründlichste behan- delt und meist einwandfrei löst. Eine eingehen- dere, formalkritische Erörterung der Stilfragen und eine Konfrontierung mit anderen, zeitgenös- sischen, künstlerischen und kunstgewerblichen Arbeiten würde das fundamentale Buch noch be- reichert haben, Dieses kulturgeschichtlich inter- essante Gebiet der volkstümlichen Kunstschépfung der Formmodel ist noch so unbeackert, so daß auch die kunsthistorische Forschung die elementarsten Tatsachen neu zu erfahren hat.

Zur Herstellung wurde die Matrize in feinem Ton geschnitten, der dann gebrannt und mit einem dünnen, aber haltbaren Lack überzogen wurde. In selteneren Fällen kamen Steinformen aus Kalk- stein oder Schiefer vor, die zur Herstellung von kleinen Hausaltärchen aus Stuck oder Papiermasse gebraucht wurden. Wabrscheinlich sind ähnliche Instrumente, wie die von den Siegelschneidern angewendeten, benutzt worden.

Die Größe der gotischen Model beträgt 5—10, selten 15 cm. Bode und Volbach kommen zu dem Resultat, daß die Abgüsse und Abdrücke dieser Model in Papiermasse oder edlerem Stoff dem Schmuck von Span- und Holzschachteln, Holzkästchen, Büchsen und Dosen gedient haben, die im Mittelalter und in der Renaissance neben

den großen Kästen und Truhen im Hausstand eine so wichtige Rolle spielten. Durch einige noch erhaltene Exemplare dieser aus Bildern und Stichen bekannten, kleinen Behältnissen erhält die Annahme der Verfasser einige Bekräftigung, Uns scheint daneben nicht ausgeschlossen, daß einzelne, primitive Tonmodel profanen Inhaltes die Vorfahren der heute noch in Schwaben und Bayern üblichen Lebkuchen- und Weihnachts- gebäckmodel gewesen sind, wie z. В. „Die Frau mit Narr“ (Taf. 7, 2), während freilich komplizier- tere Darstellungen für die, alle feineren Einzel- heiten verschlingende, Teigmasse ungeeignet ge- wesen wären.

Die meist in Mainz und Umgegend gefundenen

` Tonmodel scheinen in der Tat am Mittelrhein entstanden zu sein, wofür auch der Dialekt der mittelhochdeutschen Inschriften spricht. Im 15. Jahr- hundert war ja am Mittelrhein das Zentrum eines blühenden Kunstschaffens, wie Henry Thode und Friedrich Back nachgewiesen haben, und man kann sich die Entstehung dieser besonderen, hand- werklichen Spezialitäten in diesem Kunstkreis gut vorstellen.

Die Künstler der Formmodel dürften Stempel- schneider, also Goldschmiede, gewesen sein, ein Handwerk, aus dem sich in Florenz zuerst die Technik der Niellen und später im Süden wie Norden der Kupferstich entwickelte, dessen Blätter ebenfalls häufig auf die Schmuckkästchen auf- geklebt wurden.

Die meisten, der dem Text in sehr guten Re- produktionen beigefügten, Formmodel sind von erstaunlicher, künstlerischer Reife; die kleinen Szenen sind Muster guter Flichenaufteilung unter ornamentaler Ausnützung des Raumes. Bei den weltlichen und Liebesszenen sind die Frische, Anmut und suggestive Anschaulichkeit von hohem Reiz.

Unter den religiösen Darstellungen wechseln Ereignisse aus der Lebens- und Leidensgeschichte Christi mit mythischen Allegorien ab, wie sie den Ideen der Mystiker vom Ende des 14. Jahrhun- derts entsprachen. In den weltlichen Darstellungen überwiegen Liebes- und Jungbrunnenszenen mit derb spaßhaften und erotischen Motiven.

Die Publikation schöpft ihr fast lückenloses Material aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum, dem Historischen Museum in Frankfurt, den Pro- vinzialmuseen in Wiesbaden und Trier, den Museen in Mainz, Köln, Darmstadt und Friedberg und vor allem aus der reichhaltigen Privatsammlung von Dr. Figdor in Wien, dem das Werk gewidmet ist.

Sascha Schwabacher.

309

ОЕК С1СЕКОМЕ.

XI, 14.

С. E. UPHOFF: Bernhard Hoetger. (ro Abb.) К. EDSCHMID: Gunschmann. (12 Abb.) WALTER BOMBE:. Vom Kölner Kunsthandel. (то Abb.)

desgl., 15.

Е. HOEBER: Die Vergeistigung einer Industrie- stadt. I. (25 Abb.)

W. PASSARGE: Die Stellung des Holzschnitts in der expressionistischen Kunst.

W.BOMBE: Vom Kölner Kunsthandel. Gemälde- studien II. (5 Abb.)

desgl., 16. |

Е. HOEBER: Гле Vergeistigung einer Industrie- stadt IV. (25 Abb.)

O. FREUNDLICH: Janthur als Graphiker. (8 Abb.) М. SAUERLANDT : Ein Schmuckfund aus Weißen- fels vom Anfang des 14. Jahrh. (10 Abb.) desgl., 17.

С. E. UPHOFF: Paula Modersohn. (то Abb.) H. F. SECKER: Neuerwerbungen des Kunstge- werbemuseums in Danzig im Jahre 1918. (36 Abb.) desgl., 18.

CHR. SPENGEMANN: Kurt Schwitters. (8 Abb.) W. C.BEHRENDT: Die sozialen Grundlagen der Wohnbaukunst.

W. KLEMM: Neue Graphik. (7 Abb.)

JAHRBUCH DER PREUSS. KUNST-

SAMMLUNGEN.

XL. Jahrg., X. Heft.

A. GOLDSCHMIDT: Ein mittelalterliches Reliquiar des Stockholmer Museums. (1 Taf., 11 Abb.)

R. OLDENBOURG: Die Plastik im Umkreis von Rubens. (16 Abb.)

L. KAEMMERER: Nordniederländische Buchkunst und ostdeutsche Tafelmalerei im 15. Jahrhundert. (x Taf., 12 Abb.)

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. 54. Jahrg., Neue Folge XXX, 41.

С. Ө. HEISE: Das Erbe Lichtwarks. Р. SCHAPIRE: Paula Becker-Modersohn. desgl., 42.

Ө. У. TERNY: Sozialisierte Kunstwerke aus unga- rischem Privatbesitz.

desgl., 43.

G. v. TERNY: Ausstellung von Kunstwerken aus ungarischem Privatbesitz (II. Teil).

desgl., 44.

A.L. MAYER: Münchener „Neue Sezession 1919".

M. ZIMMERMANN: Das Deutschtum in der Kunst Tirols,

310

desgl., 45.

C. GLASER: Das neue Haus der Berliner National- galerie. |

O.KUTSCHERA-WOBORSKY: Tiepolo und Rom. desgl., 46. :

O, HAGEN: Der historische Dürer.

desgl., 47.

М. HUBNER: Neues über Paul Cézanne.

H. TIETZE: Die Kunstwerke im deutsch-dster-

reichischen Friedensvertrag.

V. A. DIRKSEN: Zwei hamburgische Privat- Sammlungen in der Hamburger Kunsthalle,

DIE RHEINLANDE.

19. Jahrg., 7/8.

P. F. SCHMIDT: Karl Morgenstern. (6 Abb.) H. de FRIES: Von architektonischer Zukunft. О. ZOFF: Russische Kunst.

К. KOETSCHAU: Das junge Rheinland. (1 Taf. ı6 Abb.)

DIE BILDENDEN KÜNSTE.

П, 6.

A.L. MAYER: Unzeitgemäße Betrachtungen über Max Liebermann. Taf., 2 Abb.)

О. KUTSCHERA-WOBORSKY: Die Entdeckung des malerischen Venedigs. (11 Abb.)

F. TIETZE-CONRAT: Johannes Itten: Uber das Beschreiben von Bildern. (4 Abb.)

M. EISLER: Neue Batiken. (4 Abb.) desgl., 7.

L. BALDASS: Die entführten Bilder des Hof- museums. (7 Abb.)

R. EIGENBERGER: Die entführten Bilder der Akademie der bildenden Künste. (8 Abb.)

H. TIETZE: Frauenbildnis von Franz Wiegele (x Abb.)

A. STIX: Tierzeichnungen von Ludwig Heinrich Jungnickel. Taf., 7 Abb.)

R. OLDENBOURG: Joseph Wackerle. (ro Abb.)

DIE PLASTIK. 1919, 6. Н. KARLINGER: Elfenbeinplastik. (8 Taf.)

A. HEILMEYER: Zur Technik der Elfenbein- bildnerei.

desgl., 7.

Р. VOCKE: Häßliche Kunst. DIE CHRISTLICHE KUNST.

XV, 9.

W. 211,8: Joseph Wahl. (1 Taf., 13 Abb.) DOERING: Wettbewerb für eine Amtskette. (8 Abb.

(6 Taf.)

DER KUNSTHANDEL. XI. 7. F. WALDMANN: Graphik.

ZEITSCHR.FÜRCHRISTLICHE KUNST. XXXII. Jahrg., Heft 3.

F. BEITZ: Aus der Werkstatt der Altenberger Kreuzgangfenster. (1 Taf, 2 Abb.)

A. PFEFFER: Schwäbische Schutzmantelbilder aus der Frühzeit des 15. Jahrh. (r Taf, 3 Abb.)

DER KUNSTWANDERER.

хт. Jahrg., 1.

М. J. FRIEDLANDER: Über das Kunstsammeln. С. SCHUCHHARDT: Die Keramik von Susa. (5 Abb.)

W.v.BODE: Wie soll man alte Gemälde restau- rieren?

R. SCHMIDT: Verfälschte Möbel. (4 Abb.)

J. WIDMER: Das künstlerische Genf. Elne Quit- tung Raffaels. (1 Abb.)

A. DONATH: Die Aussichten des deutschen Kunst- marktes.

WASMUTHS MONATSHEFTE FÜR BAUKUNST IV.Jahrg., Heft 3, 4.

P. SCHULZE-NAUMBURG: Ein Gutshof in Mittel- deutschland. (28 Abb.)

G. MÖLLER: Ägyptische Königsgräber. (17 Abb.) FR STAHL: Friedhofskapelle in Trohnau. (9 Abb.)

F.MAY: Rumänische Bauernhäuser aus Holz und Lehm. (14 Abb.)

KUNST UND KUNSTLER. Jahrg. XVIL, 5.

Е. WALDMANN: Bremer Privataammlungen. (x Taf., 20 Abb.)

F. UTITZ: Wien.

F. v. SYDOW: Studien über Schinkel als Kunst- gewerbler. (9 Abb.) `

desgl., 10. , К. SCHEFFLER: Otto Müller. (1 Taf., 7 Abb.)

W. у. BODE: Rahmen und Sockel in Italien zur Zeit der Renaissance. (14 Abb.)

A. L. MAYER: Münchener Zeichner. (7 Abb.)

W. у. BODE: Rahmen und Sockel in Italien II. (9 Abb.)

F.LUGT: Mit Rembrandt in Amsterdam. (14 Abb.) F. AHLERS-HESTERMANN: FranzNölken.(8Abb.) desgl., 12.

К. SCHEFFLER: Die Berliner Sommerausstel- lungen. (1 Taf., 23 Abb.)

Н. MACKOWSKY: Brüderstraße 29.

DIE KUNST.

ХХ, II.

W. Е. STORCK: Die Kunsthalle in Mannheim. (2 Taf.. 21 Abb.)

(10 Abb.)

R. OLDENBOURG: Zur Kunstkritik der Tagespresse.

WOLF: Die Ausstellung der Neuen Münchener Sezession 1919. (12 Abb.)

P. MEBES: Die Aron Hirsch-Stiftung zu Altenhof in der Schorfheide. (ro Abb.)

R. BRAUNGART: Gustav Traub. (xx Abb.) desgl., 12. W. KURTH: Die Ausstellungen der Akademie

der Künste, der Sezession und der Freien Sezes- sion in Berlin. Taf., 18 Abb.)

F. HOFMANN: Uber den Expressionismus als Zeiterscheinung.

G. J. WOLF: Der Radierer Paul Hermann. (1 Tal, 12 Abb.)

A. RÜMANN: Arthur von Ramberg. (4 Abb.)

WOLF: Das Gebäude der Lebensversicherungs- bank Arminia in Miinchen. (1, Taf., 18 Abb.)

WOHLFARTH: Das Gesetz der Stilreinbeit.

DIE GRAPHISCHEN KUNSTE. Јаћгр.. XLII, т.

S. MELLER: Handzeichnungen des 19. Jahr- hunderts aus der Sammlung Paul von Majowski. (a Taf., 16 Abb.)

A. WEIXLGÄRTNER: Кап Sterrer. (2 Taf., 7 Abb.

BERLINER ARCHITEKTURWELT. ХХІ, Heft 1/2.

WEIKERT: Die Baugestaltung der Mietkasernen, (6 Abb.)

ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST 54. Jahrg., Neue Folge ХХХ, 10. UHDE-BERNAYS: Zur Entstehung der neueren deutschen Landschaftsmalerei.

G. у. TERNY: Boccaccio und die niederländische Malerei, (4 Abb.)

K. PFISTER: Die Bildnisschöpfungen Rembrandts. (9 Abb.)

desgl., 11.

Н. DRAGENDORFF: Archäologische und kunst- wissenschaftliche Arbeit während des Weltkrieges in Mazedonien. (16 Abb.)

G. KARO: Deutsche Denkmalpflege lichen Kleinasien 1917/18. (7 Abb.)

TH. WIEGANDT: Denkmalschutz und kunst- wissenschaftliche Arbeit während des Weltkrieges in Syrien, Palästina und Westarabien. (22 Abb.)

FR. SARRE: Kunstwissenschaftliche Arbeit wäh- rend des Weltkrieges in Mesopotamien, Ost-Ana- tolien, Persien und нар ан: (8 Abb.)

DER STÄDTEBAU.

XVI. Jahrg., 1/2.

TH. GOECKE: Neuzeitliche Siedlungsformen. O. ZIELER: Ludwigslust. (5 Taf.)

FR. LANDWEHR: Über die künstlerische Gestal- tung der Stadterweiterung und Neusiedelungen.

im west-

311

OUDE KUNST. IV, 9. | A. STARING: Het Portretminiatuur in Neder- land. (4 Abb.) H. s JACOB: Eenige Specimes van oud-chineesch Brons- en Koperwerk. (4 Abb.) J. W. ENSCHEDE: Hollandsche Marmorpapieren Abb.)

IV, то.

A. O. van KERKWIJK: Nederlandsche Vrede- Penningen. (15 Abb.)

C. de GENS: Tegels en Tegeltableaux. (18 Abb.) IV, тт.

R. v. MARLE: De Ontwikkeling der Italiaanische Schilderscholen. (1 Taf., 7 Abb.)

V. С. HABICHT: Een Bijdrage fot de Kennis ` der nederlandsche Schilderkunst van Omstreeks 1520. (5 Abb.)

IMA BLOK: Tentoonstelling van de Aanwinsten van ’sRijks Prentenkabinett. (4 Abb.)

INTERNATIONALE SAMMLERZEITG. 11. Jahrg., 17. М. ZOIS: Sammler und Sammlungen in Kärnten.

NEUE BUCHER. . . . . . .

CARL ROBERT: Archäologische Hermeneutik. Anleitung zur Deutung klassischer Bildwerke mit 300 Abbildungen im Text. (Weidmannsche Buch- handlung, Berlin.) Preis 200 M. WILHELM WUNDT: Völkerpsychologie. Eine Untersuch. der Entwicklungsgesetze von Sprachen, Mythus und Sitten. Dritter Band: Die Kunst. 3. Aufl. mit 62 Abb. im Text. (Alfred Kröner Verlag, Leipzig) Geh. M. 16.—.) FRIEDRICH KOEPP: Archäologie I. Wieder- gewinnung der Denkmäler. Mit т Abb. im Text und 8 Tafeln. (G. J. Göschen, Berlin.) EMANUEL v. SEIDL: Mein Stadt- und Land- haus. (Alexander Koch, Darmstadt.) ARNOLD v. SALIS: Die Kunst der Griechen. Mit 68 Abb, (5. Hirzel, Leipzig.) Geh. М. 16.—, geb. М. 19.—. | | STUDIEN zur deutschen Kunstgeschichte. BERNHARD PATZAK: Die Jesuitenbauten in Breslau und ihre Architekten. Ein Beitrag zur Geschichte des Barockstiles in Deutschland. Mit 40 Tafeln. ANNI PESCATORN: Der Meister der bemalten Kreuzigungsreliefs. Ein Beitrag zur Geschichte der niederdeutschen Plastik im 15. Jahrhundert. Mit 7 Tafeln. АИ ДА ОТА РИТА ТОРА"

XII. Jahrgang, Heft 10/11.

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover,

Diesem Hefte liegt ein Prospekt des Verlages der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger (Walter de Gruyter & Co.) bei. Wir bitten um Beachtung desselben.

MAX GEISBERG: Das Kupferstich-Kartenspiel der k. u. k. Hofbibliothek zu Wien. Aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Mit 57 Tafeln.

JOHANNES SCHINNERER: Die gotische Plastik

in Regensburg. Mit 8 Tafeln. (Verlag J. H. Heitz, Straßburg.)

Zur Kunstgeschichte des Auslandes:

ROSY KAHN: Die Graphik des Lucas van Leyden. Studien zur Entwicklung der holländischen Kunst im 16. Jahrhundert. Mit 18 Tafeln.

FELIXWITTING : Lancelot Blondeel. Mit 3 Tafeln. (Verlag J. J. Ed. Heitz, Straßburg.)

MARIA GRUNEWALD: Germanische Formen- sprache in der bildenden Kunst. (Verlag J. J. Ed. Heitz, Straßburg.)

MAX J. FRIEDLAENDER: Der Kunstkenner. (Verlag Bruno Cassirer, Berlin.)

GEORG DEHIO: Geschichte der deutschen Kunst. 1. Teil. Ein Band Text und ein Band Abb. (Ver- einigung wissenschaftlicher Verleger.)

Dr. HELMUTH TH. BOSSERT: Ein altdeutsche, Totentanz. (Wasmuths Kunsthefte a. 13 Tafeln, 4 Seiten Text.) (Verlag Е. Wasmuth A.-G., Berlin.) Preis M. 3.60.

MAX FISCHER: Josef Eberz und der neue Weg zur religiösen Malerei. (Goltz-Verlag München.)

WASMUTHS KUNSTHEFTE: Das Mumien- porträt. (Verlag Ernst Wasmuth, A.-G., Berlin.)

LEO PLANISCIG: Die Estensische Kunstsamm- lung, Bd. I. Skulpturen und Plastiken des Mittel- alters und der Renaissance, (Kunstverlag Anton Schroll & Co., Wien.) |

PAUL CLEMEN: Kunstschutz im Kriege. Be- richte über den Zustand der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Maßnahmen zu ihrer Erhaltung, Rettung und Erforschung. Erster Band: Die Westfront. Mit 117 Abbildungen. (Verlag von E. A. Seemann, Leipzig тото.)

BERNHARD SCHMIDT: Die Bau- und Kunst- denkmäler des Kreises Marienburg. т. Die Städte Neutrief und Tiegenhof und die ländlichen Ort- schaften (Heft XIV. der Gesamtreihe). Mit 472 Textbildern und 31 Beilagen. (Verlag des Pro- vinzialverbandes von Westpreußen, Kommissions- verlag von А. W. Kafemann, G. m. b. Н. 1919. Preis М. 18.25.

RUDOLF KAUTZSCH und ERNST NEEB: Die Kunstdenkmäler im Freistaat Hessen. Stadt und Kreis Mainz. Band II, Teil I. (Darmstadt 1919, im Hessischen Staatsverlag.)

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Große Aegidienstraße 4,

Telefon Nord 429. Verlag, Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monats- hefte für Kunstwissenschaft KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2,

Telefon 13 467.

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312

SÜDEN UND MITTELALTER

Von JOSEF STRZYGOWSKI an erinnert sich vielleicht, daß im Jahrgang 1918 dieser Zeitschrift S. rox f. unter dem Titel „Der Zustand unserer fachmännischen Beurteilung“ Mit- teilungen über das befremdende Verhalten der am kunsthistorischen Hofmuseum in Wien vereinigten Schriftleitung der „Graphischen Künste“ gemacht wurden. Daraufhin richtete Julius von Schlosser einen offenen Brief an die Redaktion der Monatshefte, der dann nach der Zurückweisung wieder in den Mitteilungen der „Graphischen Künste“ 1918, S. 48 f. erschien. Ich habe mit der Beantwortung ge- wartet, bis die persönliche Seite amtlich erledigt war, gehe daher erst heute auf das sachlich Fruchtbare des Streites ein.

Schlosser gilt als einer unserer Führer für Vasari und die lateinische Quellen- forschung des Mittelalters. Man wird daher begreifen, daß er einen 1887 in „Cimabue und Rom“ nach allgemeinem Urteil begangenen Fehler noch heute in Erinnerung bringt, obwohl Фе Wickhoffgruppe darin nichts vorzuwerfen hätte ). In jenem Buche wies ich nach, daß Cimabue engere Fühlung mit Rom hatte und sein Schüler- kreis von dort aus jene Bedeutung erlangte, die dann Dante zu der Gegenüber- stellung Cimabues mit Giotto veranlaßt haben mag. Das wichtigste Ergebnis von „Cimabue und Rom“ aber war, daß ich, um die Wurzeln der italienischen Kunst zu suchen, nach Konstantinopel ging und von dort aus immer tiefer in den Osten gezogen wurde, bis ich heute von der Wanderschaft auf dem Umwege über Iran aus dem Norden zurückkehre und die Frage nicht mehr nach dem Ursprunge der italienischen Kunst, sondern dahin steht, ob denn die Wege, die wir, d. h. die Kunstgeschichte, bisher gegangen sind, überhaupt noch zu Recht bestehen.

Schlosser wehrt es auffallend ab, daß der früh verstorbene W. Kallab irgend etwas bei mir in Graz hätte lernen können?); dieser mußte natürlich völlig um- satteln, als er nach Wien zu Schlosser überging. Und in der Tat liegt da der

(1) Vgl. Benkard, „Das literarische Porträt des Giovanni Cimabue“- Vgl. auch Swarzenski, „Die Regensburger Buchmalerei“, 5. ag f.

(э) Das geschieht in so wegwerfender Art, daß ich glaube, trotz der erwähnten Austragung doch noch ein Wort zu dieser Sache sagen zu sollen. Man wird freilich zuerst den Offenen Brief selbst lesen müssen. Die in einer Anmerkung durch den Beisatz „Ihre Exaktheit und Ihr Talent, Tatsachen nach Ihren Wünschen zu modeln“, besonders hervorgehobene scheinbare Feststellung: „Kallab war zwei Jahre 1885—1887 davon eines an der philosophischen Fakultät, in Graz inskribiert“, ist in doppelter Hinsicht falsch. Kallab war erstens (exakt) 1895—1898 und zweitens ohne Entstellung der Tatsachen alle fünf Semester an der philosophischen Fakultät in Graz inskribiert. Laut amt- lichen Ausweises der Universitäts-Quästur in Graz hat er damals bei mir sämtliche Vorlesungen ge- hört. Dazu kamen Seminararbeiten. Im zweiten Jahre seiner Studien, 1896, lieferte Kallab im An- schluß an die zweisemestrigen Ubungen über italienische Plastik eine ihm aufgetragene Seminararbeit „Über Donatellos Stil“. Im Frühjahre 1897 dann im Anschluß an mein Buch „Cimabue und Rom“ eine Arbeit „Geschichte der Raumvorstellung von Cimabue bis Giotto“. Endlich gab ich Kallab im Sommersemester 1897 eine Arbeit über die Landschaft in „Dürers vier Holzschnittfolgen“, wovon er „I. Apokalypse“ ablieferte. Das fünfte Semester gedieh noch in ruhiger Zusammenarbeit, bis Kallab Graz zu Weihnachten verließ. Kallabs Dissertation, ‘mit der er dann in Wien ı899 das Doktorat machte, „Die toskanische Landschaftsmalerei im 14. und 15. Jahrhundert, ihre Entstehung und Ent- wicklung“, knüpft an unsere Grazer Arbeiten an. Bezeichnend ist auch, daß Kallab, wie ich erst aus dem Nekrologe Schlossers 1906 erfuhr, die Bearbeitung der noch ungedruckten Quellenschriften des Mancini vornahm: ich hatte aus Rom eine Abschrift von Mancinis „Alcune considerazioni“ mit-

Monatsbefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919, Heft 12 эз 313

Angriffspunkt jener beiden Richtungen, auf die es dabei ankommt, der alten philo- logisch-historischen, auf die Quellen den Hauptnachdruck legenden und jener, die geneigt ist, die geschriebenen Quellen zunächst einmal ganz beiseite zu schieben und sich ausschließlich an die eigentlichsten „Quellen“ der Kunstforschung, die Denkmäler, zu halten. Es dämmert wohl manchem, daß es grundsätzlich not- wendig werden dürfte, die gesamte Kunstgeschichte von den Kunstwerken aus nachzuprüfen, vor allem auch Lücken im Denkmälerbestande in Rechnung zu stellen und nicht einfach auf Grund der Quellen anzunehmen, daß wir alles wüßten. In dem Augenblick, in dem die Geschichte zur Entwicklungsgeschichte wird, bedarf sie überdies erstens der Wesensforschung, um fachmännisch vergleichen zu können, und zweitens der Erkenntnis der Träger der Entwicklung, die sie auch wieder nur aus den Denkmälern erkennen kann. Die Quellen werden ihr dann nachträglich wertvolle Handhaben in der Hinsicht bieten, auf den Standpunkt ihrer Entstehungs- zeit und die Auffassung des schreibenden Beschauers oder mittelbar auch auf die Kunst seiner Zeit zurückzuschließen. Vorläufig aber müssen wir den Bau, der auf Grund der Quellen errichtet wurde, unter dankbarer Anerkennung der geleisteten Hilfe, beiseite lassen und einen Neubau aus selbst zugearbeiteten Werkstücken be- ginnen. Ich habe dazu schon 1914 in einem Aufsatze „Wandel der Kunstforschung“!) Anregungen gegeben, bin dann 1917 in meinem Altai-Iran-Buche S. 303f. „Eine neue Gesinnung eine Notwendigkeit“ näher auf die Sache eingegangen und habe 1918 in meinem Werke „Die Baukunst der Armenier und Europa“ einen planmäßigen Versuch der neuen Art zu arbeiten vorgelegt. Mein Buch „Ursprung der christ- lichen Kirchenkunst“, das 1919 schwedisch erscheint, wird für die Zeit des Uber- ganges vom Altertum zum Mittelalter Zusammenfassendes bringen und im J. 1920f. hoffe ich in dem Bande des Handbuches, der „System und Methode der Kunst- wissenschaft“ behandeln soll, die Grundfragen des Neubaues, soweit es im engsten Rahmen möglich ist, auseinander zu legen.

Eine der Kernfragen, um die es sich dabei immer wieder handelt, ob auf dem Gebiete der bildenden Kunst ein Zusammenhang zwischen dem Süden (d. Һ. der Antike) und dem Mittelalter besteht, ist seit fünfundzwanzig Jahren Gegenstand der Untersuchung der sog. Wiener Schule gewesen, Wickhoff schrieb 1893 seinen Aufsatz „Die Ornamente eines altchristlichen Codex“?), in dem er das neu auf- kommende lineare Flachornament, das ich 1888 in meinem Werke über „Die Kalenderbilder des Chronographen vom Jahre 354“?) behandelt hatte, als einen von der Anfertigung von Canonestafeln ausgehenden „Schreiberstil“ dem Bilderstil der Purpurcodices entgegenstellte, die er für Kinderbücher ansah. тоот kam dann Riegls „Spätrömische Kunstindustrie“ und die Herleitung des Nordischen aus dem Südlichen, das durch Schlosser 1903 einigermaßen vernünftig zurechtgerückt wurde, in einem Aufsatze „Zur Genesis der mittelalterlichen Kunstanschauung“ ), іп dem er an der Hand der römischen Münzen die allmähliche Änderung des Stiles vor- zuführen suchte. Mit diesem Beobachtungsstoffe konnte man natürlich die Frage ebensowenig in ihrem Kern packen, wie etwa an der Hand des korinthischen

gebracht und einen Teil davon mit Mitgliedern meines Seminars, darunter auch Kallab, durchgesprochen, Solange Schlosser sich wie bisher weigert, den mein Beileid ausdrückenden Brief über Kallabs Tod zu veröffentlichen, läßt sich über seine diesbezügliche Anschuldigung nicht reden.

(1) Zeitschrift für Bildende Kunst L (1914), S. 3f. |

(2) Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen XIV, 196 f.

(3) Jahrbuch des deutschen arch. Instituts, Erg.-Heft L

(4) Ergänzungsband VI der Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung, 8. 7601.

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Kapitells, das Weigand dafür benutzen möchte. Riegl ist dann noch in einem Aufsatze über das Oströmische Kunstwollen!) gegen die Herleitung aus Persien und für Konstantinopel eingetreten.

In meinem „Altai-Iran“ brachte ich diese Frage in einem ausgedehnten Unter- suchungsfelde zur Sprache und nahm u. a. Stellung gegen die verbreitete, auch von Schlosser vertretene Ansicht, daß die Kunst unseres Mittelalters erst durch die getrennten Vorstöße der Germanen und Araber herbeigeführt worden sei. S. 239 heißt es dort: „Mit solchen Ansichten wird man wohl brechen müssen. Es sind vielmehr ganz allgemein die Nomaden und Nordvölker Eurasiens, die den Ausschlag geben, in deren Strom auch die Germanen und Araber einmünden. Mit ihnen ringt sich das auf abstrakte Flächenfüllung lossteuernde Handwerk gegen die von Natur und Einzelform ausgehende hohe Kultur des Südens durch. Nicht Germanen und Araber führen den Umschwung herbei, sondern in letzter Linie die Nomaden und Nordvölker mit ihrer Freude an geometrischen Linien-, Flächen- und Farbenspielen. Das dekorative Element war bei ihnen ausschlaggebend; es kann gar nicht die Rede davon sein, daß Rhomäer und Romanen die neue Kunst ge- zeitigt hätten, der Ausgangspunkt liegt im fernen Osten. Es ist ein völliges Miß- verstehen der Entwicklung, wenn man annimmt, die Germanen des Nordens, wie die Beduinen Arabiens berührten sich in einer ,gewollten’ Abwendung von der Natur; beide waren vielmehr im großen Strome des Weltverkehres jenen Völkern zugeneigt, denen sie durch Rasse bzw. Wirtschaft mehr als den Oasenkulturen nahe- standen.“

Auf diese rein sachliche Auseinandersetzung erwartet man von einer Wissen- schaft, deren Vertreter sich verantwortlich fühlen für das, was sie sagen und schreiben, eine begründete Antwort. Schlosser glaubt sie in den Graphischen Künsten a. a. О. damit zu geben, daß er unter Bezugnahme auf einen Druckfehler. den sich die Orientalistische Literaturzeitung XIV (1911) am Kopfe von Heft Nr. 11 zuschulden hatte kommen lassen, sagt: „Ich bin der letzte, gegen jemanden den Druckfehlerteufel ausspielen zu wollen, ... aber besser, satyrischer und wahrheits- liebender hat sich dieser Schalk niemals benommen als damals, da er aus einem Ihrer ‚Probleme’ ein ‚Phantom’ machte.“ Sehen wir uns die Sache etwas näher an,

Der Druckfehler bezog sich auf eine Auseinandersetzung über „Das Problem der persischen Kunst“, das im letzten Jahrzehnt im Mittelpunkte meiner historischen Arbeiten stand. Um den Leser kurz einzuführen: die Kunstforscher haben bisher über der westarischen Südgruppe, den Griechen, die Ostarier in jenem Teil von Iran übersehen, der nicht von der darstellenden Kunst zuerst Mesopotamiens und dann des Hellenismus abhängig wurde. Die Altperser und Sasaniden des Siidiran, d.h. des eigentlichen Persiens, gehen freilich 2. Т. mit der Kunst des Altertums, der Antike, zusammen. Nicht so der den Nomadengebieten naheliegende Norden des Landes. Seine Vertreter wurden als Volk die Parther, als Dynastie die Arsakiden, als Religion der Mazdaismus, der trotz aller staatlich-dynastischen Ausbeutung durch Achamaniden und Sasaniden doch hier im Norden reine Volksreligion blieb. Diese nordiranischen Völker und ihre Religion sind nun deshalb für den Kunstforscher von ausschlaggebender Wichtigkeit, weil sie entgegen aller Südkunst nordisch darin blieben, daß sie die Darstellung wenigstens grundsätzlich nicht kannten und damit auch gewisser Formen, die mit der Raumvorstellung in der Fläche zusammen- hängen, vollständig entbehrten. Ich gewann die Überzeugung, daß damit der Ur-

(х) Beiträge zur Kunstgeschichte, Е. Wickhoff gewidmet, S. ı f, 315

sprung der eigenartigen Kunstrichtung jenes „Mittelalters“ zusammenhänge, das wir freilich gewöhnlich nur als zeitlichen Begriff anerkennen. In Wirklichkeit müßte „Mittelalter“ ebenso als Entwicklungsbegriff wie „Renaissance“ genommen werden. Man wird das sofort verstehen, wenn ich sage, „Mittelalter“ könne immer nur vom Norden aus entstehen, „Renaissance“ immer nur von Süden her. Da- gegen spricht nicht, daß die islamische Kunst heute noch im orientalischen Süden herrscht, die Renaissance uns im Norden so in den Knochen liegt, daß wir sie kaum loswerden können. Bevor ich im besonderen auf die Frage Süden und Mittelalter eingehe, möchte ich noch einen Augenblick bei meinen letztjährigen Arbeiten, aus denen diese Überzeugung stammt, und der Einschätzung, die sie durch Schlosser erfahren haben, stehen bleiben.

Am Kopfe meines Altai-Iranwerkes wurde ausgesprochen, daß diese Untersuchung auf dem Gebiete der Zierkunst Hand in Hand mit der Erforschung der armenischen Baudenkmäler gegangen und am Kopfe des Armenienwerkes, daß dieses eigentlich der zweite Teil von „Altai-Iran“ sei. Damit war deutlich gesagt, daß das Gesamt- urteil über meinen Weg von der Kenntnisnahme beider Werke abhänge, um so mehr, als schon das gemeinverständliche Buch „Die bildende Kunst des Ostens“ 1925 diesen Zusammenhang ausdrücklich hervorhob. „Altai-Iran“ führte an der Hand eines in Albanien gemachten Schatzfundes aus, daß die geometrische Ranke vom fernen Osten her über Ungarn bis in die Gebiete der österreichischen Alpenländer vorgedrungen und ihr Ursprung in dem Metallwerk der Völker des Altai, am Jenisei und Orchon zu suchen sei, also im wesentlichen bei den türkischen Zeltnomaden. Diesen ostwestlichen Strom kreuze im Gebiete Altai-Iran ein anderer, der sich zwischen Nordwest und Südost, d. h. zwischen der Ostsee und Indien bewege, also im wesentlichen arischen Ursprunges sei. Sein Leitmotiv ist das dreistreifige Bandornament. Beide Zierformen dringen von Altai und Iran aus wechselseitig auch in den anderen Strom ein. In der islamischen „Arabeske“ und Vieleckzier lebe sich dieses Durchkreuzen zweier Rassenäußerungen auf asiatischem Boden aus!), einiges zur Sache lasse sich auch im hohen Norden (Osebergschiff) beobachten.

Das Armenienwerk ergänzt diese ziergeschichtlichen Ergebnisse nach der Seite der Baukunst hin. Das Zelt der Türkvölker freilich tritt zurück. Dafür lege das А arische Holzhaus іп seiner noch in den Holzkirchen der Ukraina, іп den Häusern des Pamir bis heute und in alten Steinbauten des gleichen Gebietes, endlich in Indien zu beobachtenden Eindeckung mit dem Übereckgewölbe einen bisher nicht beachteten, weiten Weg zurück, der dann seine Fortsetzung von Iran über Arme- nien nach dem Westen gefunden habe. Träger dieser letzteren Bewegung sei die Kuppel über dem Quadrat, sowohl die mit Ecktrichtern, wie die über Hänge- zwickeln, die beide schon auf armenischem Boden zur Einfügung der Fenster- trommel übergegangen seien. Ausgangspunkt dieser weit ausgreifenden Unter- suchung sind die altchristlichen Kuppelkirchen Armeniens. Sie übernehmen die Übereckkuppel von Iran durch Vermittlung des iranischen Grundcharakters der armenischen Kultur und der bis 428 herrschenden parthischen Dynastie der Arsa- kiden. Die Schaffung einer vom Abendlande gänzlich verschiedenen Kirchenbau- form wäre dadurch möglich geworden, daß Gregor der Erleuchter und König Trdat ein bis zwei Jahrzehnte früher als Rom eine Staatskirche aufrichteten und die ge- forderte Zweckform aus der landesüblichen Grundgestalt des Versammlungsraumes, eben der Kuppel über dem Quadrat, befriedigten. Grab- und Bäderbau mögen mitgewirkt haben.

(х) Vgl. dagegen außer Riegis Stilfragen auch Schlosser, a. a. O., S. 774.

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Es ist nun außerordentlich bedeutungsvoll zu beobachten, wie sich diese Kirchen- form aus der einfachen Kuppel über dem Quadrat zu den reichsten Formen da- durch entwickelt, daß die Freistellung des einzelnen Baukörpers, die Notwendigkeit seiner Vergrößerung für die wachsenden Gemeinden und die der strahlenförmigen Grundform entsprechende Beleuchtung von oben her das Kuppelquadrat mit ver- strebenden Großnischen in den Achsen zum Ausgangspunkt machten, wie dazu dann die Durchbrechung der Ecken und die Einstellung von Kuppelstützen kam, man bald auch auf den Vier-, Sechs- und Achtpaß überging und alles das schon vor dem 5. Jahrhundert vollendet gewesen sein muß, 4. h. vor der Zeit, in der auch auf Armenien die längsgerichtete Kirche des Mittelmeerkreises und Mesopo- tamiens zu wirken begann. Die darauf auch auf armenischem Boden auftretenden einschiffigen und dreischiffigen, immer aber tonnengewölbten Längskirchen das vollendetste Beispiel in Ererug verschwinden zwar mit dem Ende des 6. Jahrhunderts wieder, aber das Ergebnis dieser Einwirkung ist doch eine Durch- dringung beider auch in Europa immer nebeneinander hergehenden Bauformen, der längsgerichteten und der Kuppelkirche: Kuppelbasilika, Kreuzkuppelkirche, Trikonchos und Kuppelhalle sind das Ergebnis. Die Kuppelhalle ist dann bis auf den heutigen Tag die bevorzugte Kirchenbauform der Armenier geblieben, wie es scheint auf Grund eines Kanons der armenischen Kirche.

Es ist weiter beachtenswert, wie die Goten und die Armenier selbst diese ver- schiedenen Kuppelbauformen, die nur am. Ararat sich eine aus der andern ent- wickeln lassen, nach dem Westen trugen, wie sie zuerst in einzelnen versprengten Beispielen auftreten in Einzelzügen ist die Einwirkung auch im romanischen und gotischen Längsbau zu beobachten —, bis dann Leonardo-Bramante-Vignola und deren Vorläufer die armenische Entwicklung zum zweiten Male, diesmal auf italienischem Boden, zum Ablauf bringen!).

Diese Arbeitsleistung als Ganzes genommen sind nun Kollegen von der Richtung Schlossers geneigt, als dilettantisch auszugeben. Ich vermute, sie haben die Bücher zur Zeit, als sie dagegen zu wühlen begannen‘), und deren Vorläufer „Orient oder Rom“, „Kleinasien“, „Mschatta“ und „Amida“ gar nicht ernstlich im Zusammen- hange durchgearbeitet, sonst würden sie meinen Lebensweg erkannt und schon aus Selbstachtung vorsichtiger in ihren gehässigen Äußerungen gewesen sein“).

Eine in geordneten Bahnen gleitende Wissenschaft bewährt sich in nichts besser als in der Art, in der Neuerscheinungen aufgenommen und beurteilt werden, ob dabei Willkür und persönliche Schwäche das Wort haben oder wissenschaftliche Sachlichkeit ihre Pflicht tut. Dreinschlagen, Totschweigen, Höhnen und Wühlen kennzeichnen ein Fach, das noch nicht über die Kinderkrankheiten hinaus ist und un- verantwortlich sein Wesen treibt. Es hat wohl selten ein Forscher Gelegenheit ge- habt, diese Kehrseite des Gelehrtenlebens so gründlich kennen zu lernen wie der Verfasser, der unverrückbar seinen eigenen Weg ging und sich nie einer Partei anschloß.

(т) Vgl. darüber auch meinen Aufsatz in den Mitteilungen des kunsthistorischen Instituts in Florenz Ш (1919), 8. 11.

(2) Vgl. das Eingeständnis (bezüglich der Akademie der Wissenschaften in Wien) Mitt. 4. graph. Künste a. a. O., Absatz 3.

(3) Vgl. dazu den Ton, den Guyer im Repertorium für Kunstwissensch. ХХХУШ, 193 f. (meine Ant- wort XLI, 1256. mit den bezeichnenden Anmerkungen des Herausgebers der Zeitschrift) und Hersfeld in den Wasmuthschen Monatsheften für Baukunst 1919 anschlägt. Letzterer geht in seinem blinden Eifer so weit, schon im Titel meines Armenienwerkes Entstellungen vorzunehmen, indem er die Zahl der Abbildungen mit 28 statt 828 angibt und das dritte Buch „Geschichte“ verschweigt, um nach- träglich sagen zu können, die Geschichte sei in dem Buche vernachlässigt worden.

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Will man sehen, welche Früchte die heutige Wickhoff-Schule, der Schlosser an- gehört, zeitigt, dann nehme man eine Arbeit her wie die von Swoboda über „Römische und romanische Paläste“. Römische Denkmäler dieser Art sind nicht erhalten. Um trotzdem früh-, mittel- und spätrömische Paläste scheiden zu können, von denen dann alles abhängig gemacht werden soll, muß die Villa herhalten, deren Entwicklung angeblich unter den gleichen stilgeschichtlichen Voraussetzungen ablaufe, daher zu den gleichen Ergebnissen geführt habe. Man sollte meinen, ein solches Dogma müßte erst für den Palast erwiesen sein, bevor man die orienta- lischen Blockbauten von Rom abhängig macht. Der Wahn, stilgeschichtliche Eigen- gesetze in einer Zeit wirksam sehen zu wollen, in der wie beim Übergange von der Antike zum Mittelalter und dieses beginnt schon in hellenistischer Zeit zwei Welten miteinander ringen, hat schon einen Riegl zu Fall gebracht. Daß die Wickhoff-Schule ihre Schüler in den gleichen Abgrund lockt, ist unverantwortlich. Die heilsame Auseinandersetzung der letzten Jahrzehnte über das Wesen von Ge- schichte und Wissenschaft ist an der Masse der Kunsthistoriker geradezu spurlos vorübergegangen. Zwar hat die Wickhoff-Schule dazu das Wort ergriffen; so viel ich sehe, stehe ich nicht allein darin, den Versuch bei aller Anerkennung für den bewältigten Lesestoff für von Grund aus verfehlt anzusehen. Tietze hat in seiner „Methode der Kunstgeschichte“ den Historikern nach dem Munde geredet und so weder diesen noch unserem Fache gedient. Auch hat er die Begriffe des Ästheti- schen und Künstlerischen nach altem Brauch ohne Scheidung gelassen und damit zwar den Philosophen die Hand gereicht, das Fach aber verraten.

Es scheint nun, daß man in der Auseinandersetzung mit dem durch Alter und Besitz verknöcherten Geiste einzelner philosophisch-philologischen und historischen Durchschnittsschulen nicht bald einen besseren Ausgangspunkt finden dürfte als eben in der Forschung über bildende Kunst. Unter den auf dem Boden der ge- schichtlichen Erfahrung arbeitenden Fächern besonders hat sie den großen Vorteil, anschaulich wie die Naturwissenschaften vorgehen, der geschriebenen Quelle das Denkmal selbst entgegenstellen zu können. Es erscheint daher als eine von vorn- herein unbegreifliche Verirrung, daß wir nicht dahin streben, die Quellen, nachdem sie uns geholfen haben, mit ihren unfachmännischen Mitteln einen Notbau zu zim- mern, so viel bzw. so bald als möglich auszuschalten, uns ganz auf die Denkmäler zu stützen und planmäßig Grundmauern für einen fest gefügten Neubau zu legen.

Meine Arbeiten im Oriente haben mich gezwungen, die Denkmäler überhaupt erst zusammenzusuchen und aus vielfach unbeachteten Spuren den durch Ein- seitigkeit völlig auf den Kopf gestellten Entwicklungsverlauf zu erschließen. Im Abendlande liegt der Stoff ausgebreitet da, die letzten Jahrzehnte des vorigen Jahr- hunderts haben sich darauf beschränkt, ihn mit behaglicher Breite auszubauen, archäologisch bzw. historisch zu sichten. Schließlich hat ein Künstler, Adolf Hilde- brand, etwas Bewegung in die träge Masse gebracht, Клер] und Wölfflin sind ihm gefolgt. Nun stehen die Formprobleme, insbesondere die des Raumes, in Blüte. Ich habe dazu, seit 1907 wieder vorwiegend mit dem Osten beschäftigt, nicht Stellung genommen in dem Glauben, daß mein „Werden des Barock“ und die „Bildende Kunst der Gegenwart“ meinen Standpunkt genügend zur Geltung bringen würden, ganz abgesehen von allerhand Aufsätzen. Nach Europa zurückkehrend, finde ich das Fach in Auflösung, glaube aber, es mit den im Osten gewonnenen Einsichten doch zur Einigung bringen zu können. Auf meinem bisherigen Arbeits- gebiete selbst war das nicht möglich, die Herren meinen noch immer, Europa als überhistorisch, ähnlich etwa wie sie es bei Hellas tun, betrachten zu können. Ich

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muß ihnen daher auf ihren eigensten Boden folgen und hoffe, sie werden da nicht mehr grollend ausweichen. In einem Fache freilich, dem jede Ordnung fehlt, ist alles denkbar.

Einen ersten Anlaß zu Auseinandersetzungen mit dem neuen Arbeitsstoffe wird die Kapelle auf der Feste Marienberg zu Würzburg geben, die Frankl für den ältesten erhaltenen Kirchenbau Deutschlands, angeblich 706 erbaut, ansieht'). Man würde auch diesen Sechspaß für einen Ableger des Pantheons erklären?), wenn Würz- burg je römisch gewesen wäre. Auf dem Wege nach dem Osten, den das Suchen genommen hat, wird man erst in Armenien Bauten finden, die klar und deutlich die Urform zeigen und beweisen, daß es sich zwar nicht um einen Vertreter der da- mals üblichen deutschen Bauweise, wohl aber jener Bewegung handelt, die noch 806 in Germigny-des-Prés unzweideutig zutage tritt. GewiB sind, wie schon Frankl schloß, die Bauleute von auswärts gekommen und haben mit solchen Schöpfungen den Anfang monumentaler Baukunst in Deutschland wie bei den Slaven gemacht. Die Würzburger Kapelle ist mit ihren Verwandten für Deutschland ähnlich ein Markstein der Kunstentwicklung wie Spalato*). Sie verdient eine eingehende ver- gleichende Untersuchung. ee ~

Die Frage „Süden und Mittelalter“, die ich als Überschrift genommen habe und die gewöhnlich so beantwortet wird Riegl suchte dafür die wissenschaftlichen Grundlagen zu schaffen —, daß sich das Mittelalter als letzte Kraftäußerung aus der Südkunst, der Antike, entwickle, erscheint nach dem eben Vorgebrachten in einem etwas anderen Lichte: weder nach den Quellen, noch nach begrifflichen Dogmen dürfen wir vorgehen; vielmehr ist es unsere, der Kunstforschers Sache, zunächst ausschließlich nach der aus den Denkmälern stammenden Erfahrung zu urteilen. Der Zeit nach folgt das Mittelalter freilich auf das klassische Altertum, aber dem Wesen nach ist es eine andere Welt, in der schon die alten Mächte, Kirche und Staat im altorientalischen, nicht im griechisch-römischen Sinne über- nommen sind. Die bildende Kunst aber, soviel sie auch gegenständlich an die christliche Antike und den christlichen Semitismus anknüpfen mag, ist doch zum guten Teile vom Geiste Irans und des Nordens bestimmt, zu dem erstens eine Art Wölbungsbau, zweitens die Flächenzier und soweit die Darstellung überhaupt aus Antike und Semitismus übernommen ist drittens die raumlose Darstellung gehört, die sich in Linien und Farben ohne Tiefenanregung auslebt.

Die dauernde Auswirkung dieses nordisch-mittelalterlichen Geistes ist die isla- mische Kunst. Sie bedeutet die Fortführung eines Jahrtausendstromes bis auf unsere Tage. Es wäre wünschenswert, wenn die klassischen Archäologen, wie sie sich der christlichen Antike zugewandt haben, auch mit dieser, im Rahmen des Mittelmeergebietes seltsamsten Erscheinung Fühlung nähmen. Dann wäre eine so einseitige Behandlung der Frage nach dem Wesen der bildenden Kunst, wie sie B. Schweitzer in seinem Aufsatze „Die Begriffe des Plastischen und Malerischen als Grundformen der Anschauung“*) vertritt, undenkbar. Wie kann man neben dem körper- und tiefenhaften Sehen die Linie, also das rein Flächenhafte, tiber- sehen? Wenn auch die antike Kunst davon als ausgesprochene Südkunst wenig weiß, so hätte doch das Hereinziehen Irans in die Untersuchung und die Tatsache, daß

(x) Die Baukunst des Mittelalters, S. тї.

(2) Vgl. zuletzt Repertorium für Kunstwiss, XLI (1919), S. 201.

(3) Vgl. mein „Spalato, ein Markstein der. romanischen Kunst bei ihrem Übergang vom Orient nach dem Abendlande“ (Studien aus Kunst und Geschichte, Fried. Schneider gewidmet, S. 325 f.).

4) Zeitschrift f. Ästh. und allg. Kunstwiss. ХШ (1919), S. 2591.

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die islamische Kunst in ihrer Eigenart vom Norden dieses Gebietes ausgeht, hätten Denkmäler wie Mschatta und das sog. byzantinische Kapitell darauf aufmerksam machen müssen. Achamaniden- und Sasanidenkunst gehen freilich mit dem Süd- strome; die Bedürfnisse der geistlichen und weltlichen Macht waren da entscheidend und fanden ihr Kunstwollen in Mesopotamien auch künstlerisch völlig befriedigt. Aber der Norden muß seinen eigenen Wegen treu geblieben sein, er, der schon in der Schöpfung des Mazdaismus seine Eigenart zur Geltung brachte und dann in christlicher und islamischer Zeit völlig in seiner urspünglichen Art als Vertreter der Linie und Fläche auftritt. Von Armenien und dem Islam aus läßt sich diese Sachlage ganz klar durchblicken.

Dieser auf dem Boden der vergleichenden Kunstforschung gewonnenen Über- zeugung steht eine andere gegenüber, die von einem Mitglied der „Wiener Schule“ 1918 zum Ausgangspunkt einer Studie über den „Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei“!) gemacht wurde: die neuplatonische Philo- sophie und der neue Illusionismus der Spätantike hätten die Verbindung des neuen religiösen Gedankens mit der klassischen Kunst ermöglicht. „Eine Kunst, die die Körper nur als unendlich fließenden und wandelbaren optischen Eindruck kennt, das reale Sein immer mehr zum Spiegelbilde der subjektiven Sensation gestaltet, konnte leicht auch nach einer anderen Richtung hin das Schwergewicht in der künstlerischen Gestaltung auf einen geistigen Subjektivismus verschieben und den Sensualismus der älteren klassischen Kunst durch die Vorherrschaft des Spiritua- lismus ersetzen, auf dem die ganze mittelalterliche Kunst sich aufbauen sollte.“ Diese neue Grundorientierung habe dann auch in erster Linie den Eintritt der germanischen Völker in den Kreis der alten Mittelmeerkunst ermöglicht. Die Her- stellung einer stetigen Entwicklung der mittelalterlichen aus der Südkunst ist nicht bald so offensichtlich versucht worden. In völliger Übergehung alles dessen, was im Orient erarbeitet wurde, wird da entgegen auch Wickhoffs „Schreiberstil“ aus jener späthellenistischen Strömung, die dieser mit einem Schlagworte der Gegenwart als „Impressionismus“ zu kennzeichnen suchte, das Mittelalter her- geleitet. Ich denke, wenn die Kunsthistoriker erst einmal anfangen, sich mit diesen Dingen ernstlich zu beschäftigen, werden sie erkennen, wie unüberlegt hier Groß- stadtbewegungen der bildenden Kunst der Gegenwart zu entwicklungsgeschicht- lichen Annahmen umgebildet werden: Die Wandlung tritt in der bildenden Kunst freilich nicht erst mit der großen Reaktion orientalisch-barbarischer Weltanschauung im diokletianisch-konstantinischen Regime ein?), sondern Jahrhunderte früher. Ihre Spuren machen sich schon in dem flächenfüllenden unteren Wandschmuck der Ara pacis, dann in der auf Tiefendunkel berechneten Umbildung des Bauschmuckes an den kleinasiatischen Riesensärgen geltend und sind in Mschatta eindeutig vorhanden. Man wird darüber in meinen Upsala-Vorträgen „Ursprung der christlichen Kirchen- kunst“ näheres finden; mit der antiken Eindrucksdarstellung (Impressionismus) haben diese Spuren nichts zu tun. Vielmehr sind sie deutliche Kennzeichen des nordisch - iranischen, auf flächenfüllenden Schmuck gerichteten farbigen Dranges. An vorliegender Stelle sei nicht darauf, sondern auf den Versuch des Aufsatzes in der Historischen Zeitschrift, die nordische Blüte der N (Gotik) dem Süden zu unterstellen, eingegangen.

Als primäre Quelle werden dort nicht Boden und Volk angesehen, vielmehr sei die gotische Konstruktion „rein spirituellen Zielen zuliebe ersonnen“. Höhendrang

(1) Historische Zeitschrift, 119. Band. (2) Jahrbuch der Kunsthistor. Sammlungen XXIII (1902), S. 280.

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und Wachstum seien die Folge einer „immanenten Ordnung, die wie das göttliche Gesetz und die es vertretende geistliche und weltliche Autorität im staatlichen und kirchlichen Leben alles regelt und zu einer universellen und ideellen Einheit zusammenfaBt“. Mit solchen Erklärungen betreten wir einen Boden, der eigentlich abgetan sein sollte und etwa dem Böttichers bei Ausdeutung der griechischen Bau- formen (als tektonisch vorbedacht) nahekommt. Eine auf den anschaulichen Tat- sachen der Entwicklung, nicht auf „Quellen“ aufgebaute Forschung wird da auf den fachwissenschaftlichen Weg zurückleiten müssen. Was für Hellas’ Baukunst die Ausgrabungen erwiesen, dürfte im Norden die Ausfüllung jener großen Lücke zutage bringen, die in der völligen Unkenntnis des bis zum Eintritt des Steinbaues dort herrschenden Holzwerkes liegt. Die ältesten skandinavischen Holzkirchen, denen man neuerdings in Schweden durch Ausgrabungen näher zu kommen sucht, und Beobachtungen auf dem Boden der eigenen Heimat dürften darin mit der Zeit Wandel schaffen.

Die genannte Arbeit bezieht sich nun aber vorwiegend auf die Bildnerei und Malerei. Sie sucht nach der hergebrachten Weise auf Grund von Quellen zu zeigen, wie „die überlieferten spätantiken bildlichen Erfindungen aufgelöst und umgestaltet in „Spoglien verwandelt“ und aus ihnen, einer toten Sprache, neue, andersartige Phantasie- gebilde aufgebaut würden. In Wirklichkeit vollzieht sich jetzt, viel großartiger als es einst in Hellas geschehen war, die Befreiung einer arischen Strömung aus den Fesseln semitischer Gebundenheit an gewisse Machtforderungen. Die „Gotik“ unter- wirft die Kunst nicht der Kirche, sondern befreit sie von ihr, setzt dem südlichen Zwang das Sehnen der Nordvölker nach Glauben (Religion) entgegen. Was den Umschwung herbeiführt, ist nicht eine geistige Strömung, sondern ein seelischer Drang, den keine Kirche geben konnte, außer sie wäre selbständig auf nordischem Boden erwachsen.

Es wird gewiß wertvoll sein, die von Anton Schönbach gesammelten und F. Wickhoff zur Bearbeitung überlassenen Auszüge über bildende Kunst aus den Schriftquellen des Mittelalters ergänzend zu veröffentlichen; aber solche Quellen vorschnell zur Erklärung einer nordischen Bewegung in der bildenden Kunst heran- ziehen, bedeutet Ähnliches, wie die altchristliche Kunst aus den Kirchenvätern erklären zu wollen. In den Quellen spricht die gelehrte Oberschicht, in der bil- denden Kunst die herrschende volkstümliche Unterschicht. Die Kirche und ihre Denker konnten die Kunst, soweit sie Zwecken diente und gegenständlich dar- stellend war, in ihren Dienst zwingen, die Kunst selbst ging deshalb doch den ihr von Klima, Boden und Volk, Rohstoff und Werk vorgezeichneten Weg, auf den die Kirche eingehen, den sie selbst aber nicht schaffen konnte.

Die Entwicklung verläuft vielmehr so, daß die in den semitischen Gegenden der neuen iranischen Kirchenausstattung unterworfenen Darstellungen jene raumlose Form annahmen, die dann das ganze Mittelalter beherrschte. Die „Gotik“ da- gegen bedeutet ein Erwachen des Nordens selbst, dem ähnlich, das einst die Griechen erlebten. Jetzt geht dieses Erwachen aus von dem durch die Baukunst geschaffenen Wachstumsempfinden. Die Formkraft, die da am Werke war, hat in ihrer Wurzel nichts zu tun mit kirchlichem Denken. Die Neigung des Nordens zur bewegten Linie, wie sie die Bänder der Bronzezeit, die Bandgeflechte und das Tierornament der Völkerwanderung zeigten, durchsetzte die im Zusammenhange mit der Baukunst neu erwachende Naturbeobachtung bis zu dem Augenblick, in dem die Landschaft hätte die Führung übernehmen sollen und wo in Wirklichkeit jene von Kirche, Hof und Bildung eingeführte neue menschliche Gestalt (der von

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der Antike wachgerufenen Renaissance des Südens) den Eigendrang des Nordens hemmend zurückwarf.

Sobald man den seelischen Glaubensdrang des Nordens von der überlegten Ver- standesarbeit der Südkirche trennt, ersteren als zusammen mit dem Wachstums- empfinden formbestimmend, letzteren als gegenständlich mitbestimmend anerkennt, wird wohl der richtige Weg eingeschlagen sein, einer in einem Jahrtausendstrome wurzelnden, in Rohstoff und Werk von Boden und Klima, in der Erfüllung des Zweckes aber immer noch von den einheimischen Gewohnheiten des völkischen Hausbaues und der Aufrichtung von Versammlungsräumen in Holz abhängigen Bewegung, die schließlich aus eigener Kraft zur Darstellung und Naturbeobachtung führt, gerecht zu werden. Nur muß man freilich an der Hand der Kunstwerke vorgehen und darf diese nicht von vornherein durch die Quellen vergewaltigen wollen. Die Zeiten, in denen aus der Schule von Athen ein gemalter „Überweg“ gemacht wurde, sollten eigentlich vorüber sein; es scheint jedoch, daß die Quellen- forschung sie in einem weit ausgiebigeren Maßstabe am Leben erhalten möchte, wenn sie auch vom autonomen Kunstwerke spricht. In Wirklichkeit bringt sie den Besteller und Beschauer durcheinander mit dem Künstler und seinem Werke. Sie kann nicht die Tat an sich sprechen lassen, muß darüber Berge von zusammen- gelesenem Wissen wälzen (vgl. Tietze) und so vom Einfachen und Wesentlichen, das die Anschauung gibt, ablenken. Die Blüte der christlichen Kunst des Nordens (Gotik) ist in Gestalt, Form und Inhalt besser ohne Thomas von Aquino und seine Vorläufer zu verstehen. Nur durch ihre Entwicklung wird möglich, was später im Süden entsteht und durch die „Renaissance“ umgebildet wird.

Die Kunstforschung hat seit Winckelmann an Stelle der ursprünglichen Künstler- geschichte Kunstgeschichte gesetzt, in der die Quellenkunde wichtige Dienste leistete. Wenn sie heute zur planmäßigen Wesensforschung und zur Entwicklungsgeschichte übergeht, so bedarf sie ganz neuer Methoden, bei denen die schriftlichen Quellen immer mehr zurücktreten und dem Kunstwerke, wie wir es sehen, dann der Kunst, wie sie geworden ist, unbedingt den Vortritt lassen. Ihre Bedeutung kommt erst wieder zur Geltung, wenn wir den Besteller und Beschauer ins Auge fassen.

Wer heute noch in Wesens- und Entwicklungsfragen die schriftlichen Quellen in den Vordergrund rückt, gefährdet die Kunstgeschichte als selbständige Wissen- schaft. Zuerst haben wir es anschaulich mit dem Kunstwerke zu tun und kommen dann durch Vergleich zum Künstler. Seine Persönlichkeit darf nicht einmal in Zeiten, in denen Macht, Großstadt und Besteller alle schöpferische Kraft ertöten, vernachlässigt werden. Dann erst treten wir in die Untersuchung von Schulen, Kreisen und Strömungen, unterscheiden, was sich vorübergehend besonders im Gefolge geistiger Bewegungen regt von dem, was Jahrhunderte alt im Volke wur- zelt oder gar durch Jahrtausende in Boden und Klima unverrückbar verankert ist. Die „Gotik“ ist etwas anderes als die Schulweisheit sich mit allem ihren außer- künstlerischen Wissen träumen läßt. Süden und Mittelalter haben miteinander nichts zu tun. Wer das „Romanische“ und gar die „Gotik“ verstehen will, darf nicht den Anschluß an den Süden und die Antike im Auge haben, nicht die Dar- stellung, sondern den Drang zum Bauraum und dessen raumloser Ausstattung zu- erst, dann das Erwachen des Nordens zu einer ganz neuen Art von Naturbeob- achtung aus dem Wachstum der Bauglieder heraus. Wie dann die nordische Ent- wicklung durch den Süden verhindert wurde, das sollte uns nordische Forscher zu beschäftigen anfangen, nicht daß wir schon das Mittelalter als eine durch die

kirchliche Gesinnung umgestiilpte Antike sehen. Iran und der Norden werden den Schlüssel bieten.

Der Kreislauf geht nicht von der Auffassung und Erfindung der Malerei aus dem Geiste des Griechentums über italienische formal-autonome Bemühungen zum Norden, der damit die subjektive Auffassung, mit der das Mittelalter endete, ver- band; vielmehr haben wir drei im Entwicklungsträger völlig unabhängige Kunst- ströme vor uns, den südlich-griechischen, der die menschliche Gestalt zum Träger der von der Baukunst eingeleiteten Bewegung machte, dann den nördlichen in Iran, der die flächenfüllende, raumlose Zier in die Ziegel- und Steinbaukunst einführte und endlich den nordeuropäischen Strom, dessen Blütenansatz wir in der „Gotik“ geschichtlich erleben und der seinen Träger später in der Landschaft gefunden hätte, wenn nicht die wissenschaftlich rückblickende Art der Italiener in ganz Europa einen Gegenstoß verursacht hätte, der, unterstützt von der vereinigten Dreiheit der kirchlichen, höfischen und Bildungsmacht viel entschiedener durchgriff als alle geistigen Bewegungen des sogenannten Mittelalters. Heute, wo die auf der Entwicklung der letzten Jahrhunderte lastenden Machtschichten, scheint es, zu weichen beginnen, ist es weniger denn je am Platze, über der ewig wechseln- den Zeit und dem Wandelbaren der geistigen Bewegungen, die soweit der Kunst- forscher die Erdgeschichte überblickt nahezu unwandelbaren Voraussetzungen der Entwicklung in Boden und Rohstoff, Klima und Volk zu übersehen und den Norden bei Entstehung der altchristlichen Kunst und der „Gotik“ zu vernachlässigen. Daß man auch für die spätere Zeit Norden und Süden nicht ohne trennenden Maß- stab zusammenwerfen darf, wird ein zweiter Aufsatz behandeln, der gleichzeitig in der Zeitschrift für bildende Kunst erscheint.

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VERSUCH ÜBER EIN LEONARDOPROBLEM

Mit vier Abbildungen im Text Von E. VOIGTLÄNDER

as Thema „Leonardo“ ist so unerschöpflich, unergründlich und geheimnisvoll,

wie fast am ersten Tag. Seitdem dieser Geist, der in seltener Klarheit die Welt durchdrang, über die Erde ging, steht doch sein Geheimnis da, lockend und unlöslich. Seine wenigen Werke bleiben ein Gegenstand immer neuer Forschungen, und es ist weder gelungen, über ihren Bestand, noch ihre Chronologie Einigkeit zu erzielen.

Es soll in Folgendem eine Fragestellung, die man noch kaum anzuwenden ver- sucht hat, einigen Bildern gegenüber, die der Jugendzeit Leonardos!) zugewiesen sind, eingenommen werden. Es handelt sich um die vier, dem Gegenstand nach paarweise zusammengehörenden Bilder der Verkündigung in den Uffizien und im Louvre, sowie um die Madonnen in München und aus der Sammlung Benoit in Petersburg, die als ein Komplex zusammengefaßt, und in der Weise auf ihre künst- lerische Zusammengehörigkeit untersucht werden sollen, daß gefragt wird: können sie künstlerisch einem Urheber zugeschrieben werden? Die vier Bilder sind erst seit der Mitte des то. Jahrhunderts bekannt und Leonardo zugeschrieben, das eine erst seit 1909. Einige Forscher finden alle vier des großen Namens würdig, andere haben zum Teil sehr abfällige Urteile über den Wert gefällt, und können keine zwingende Übereinstimmung mit beglaubigten Bildern Leonardos finden. Das Qualitäts- und Autoritätsurteil hat somit noch keine Einigkeit erzielen können. Daher sei es erlaubt, einmal zu fragen; angenommen, die vier Bilder sind von einem Künstler, in diesem Fall von L., müssen sich, da er das gleiche Thema je zweimal behandelt hat, da nicht auch gleiche künstlerische Probleme in ihnen finden, vielleicht als Varianten oder als Vorstufen und Weiterentwicklungen gleichen oder ähnlichen künstlerischen Gedankens in bezug auf Raumgestaltung, auf das Verhältnis der Figuren zum Bildraum und in der Bildfläche usw.? Dabei muß jedoch unterschieden werden zwischen äußerer Ähnlichkeit der Formen, der Typen, der Zeichnung und innerer Ähnlichkeit in der künstlerischen Organisation der Bilder. Bei äußerer Formenähnlichkeit können so starke prinzipielle Unterschiede bestehen, daß sie die Urheberschaft eines Künstlers ausschließen, was bei den vier Bildern auch möglich sein könnte. Das ist Voraussetzung, und von dieser Problemstellung aus sollen sie ganz rein, der Beschreibung des künstlerischen Tatbestandes folgend, verglichen werden.

Die Verkündigung im Louvre’) ist ein kleines, unscheinbares Bild in niedrigem Breitformat. Die glatten Flächen einer in ihren unteren Teilen sichtbaren Haus- ecke schließen rechts den Schauplatz ab. In gleicher Höhe, wie die in die Ecke des Hauses rechts gestellten Bänke zieht sich nach links eine Steinbrüstung um das kleine Rasengärtchen. Hinter der Brüstung erheben sich dunkle Bäume mit breiten, weichen Konturen, und lassen zwischen sich den Blick auf ganz ferne Berge frei. In dem Hortus clausus kniet links der Engel, rechts von dem ein- fachen Betpult Maria mit über der Brust gekreuzten Armen still in sich versinkend. Im Traktat von der Malerei sagt L. (Nr. 234)°): „Frauen soll man mit schamhaften Gebärden vorstellen, die Beine dicht beisammen, die Arme ineinander gelegt und den Kopf nieder und zur Seite geneigt.“ Es ist, als habe er dabei an dies Ge- schöpf gedacht, das die Anmut und Demut selber ist. Die beiden Figuren sind ganz aufeinander bezogen durch ein festes System von Vertikalen und Horizontalen,

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und von glatten Flächen, die durch ihre Zurückhaltung die Figuren stärker akzen- tuieren. Die perspektivischen Tiefenlinien umarmen gleichsam die ganze Bühne, deren Breitenausdehnung achsial gekreuzt wird von dem starken Zwang in die Tiefendimension, die von den Tiefenlinien des Steinbodenbelags und anschließend von dem Knie der Steinbrüstung ausgeübt wird. Wie ein breiter Gang zieht sich der Weg schräg in die Tiefe. Im Prinzip ist es dieselbe Organisation, die L. in größerem Maßstab im Abendmahl anwandte, wo auch der Breitenvollzug der Kom- position die ruhigen Vertikalflächen die Wage halten, der Schauplatz fest um- schlossen, und doch dem Blick die unendliche Weite in der Tiefe geöffnet wird. Wird wohl auch der Gefühlseindruck Recht behalten, der in der Verkündigung ein Jugendwerk sieht, so ist doch schon dieses das Ergebnis eines Geistes, der mit dem rechnenden, organisierenden Verstand wie mit den Kräften der Seele gleicher-

weise die Welt durchdrang.

In welchem Verhältnis steht nun die Verkündigung in den Uffizien zu dem Louvrebild? Es sind dieselben Bildelemente, der gleiche Gegenstand, ein Breitbild mit zwei sich gegenüberstehenden Figuren, ähnliche Anlage des Schauplatzes mit dem Rasengarten links, der abschließenden Steinbrüstung, der Hausecke rechts den Bäumen und dem Blick in die Ferne. Jedoch befinden sich bei tieferem Ein- dringen diese Bildelemente zueinander in dem Verhältnis einer völligen Atomisie- rung, ohne Neben- und Unterordnung.

Im Louvrebild neigen sich die Körperachsen der Figuren in etwa gleicher Schräge zueinander. Hier steht die steile Vertikale der sitzenden Maria außer Zusammen- hang mit der Schräge des Engels. Es fehlt weiter der Bezug der Szenerie auf die Figuren. Ihre Teile, die hellen Quadern am Haus, die zierlichen Details des Betpultes stehen zu gleichbetont neben den Figuren. Die Gartenmauer hat nach links keinen Abschluß und schiebt sich in nicht zu kontrollierender Weise in die Ecke hinter Maria. Die perspektivischen Tiefenlinien vereinigen sich wohl „richtig“ in einem Augenpunkt, haben aber künstlerisch nichts zu sagen, indem jede nur für sich läuft. Die allerdings „leonardesken“ Einzelheiten der Landschaft haben nicht die Funktion wie im Louvrebild in die Weltweite hinauszuleiten, sondern sie sind ein Bild im Bild, nicht ein Fernbild von dem für den Vordergrund an- genommenen Standpunkt. Diese Landschaft wirkt nur entfernt mit verkleinerten Details, nicht wirklich fern. In dem Frühesten, was wir von L. haben, der Land- schaftszeichnung von 1473 in den Uffizien (SeidlitzI, TafelIV), hat L. schon einen Standpunkt eingenommen, von dem aus er die sich vor ihm ausbreitende Welt in ununterbrochenem Blickzusammenhang aufnahm. Diese Kontinuierlichkeit gehört zu seinem künstlerischen Denken als Kategorie seiner künstlerischen Weltanschauung überhaupt. Von da aus ist es eine Denkunmöglichkeit, etwa auf den Ausweg zu kommen, L. habe in dem Uffizienbild „noch nicht“ die Freiheit errungen, es sei vielleicht eine „unvollkommiene“ Vorstufe zu der Lösung in dem anderen Exemplar. Es sind vielmehr Unterschiede der Geistigkeit. Die Übermalung der Landschaft, die L. in der Taufe Christi von Verrocchio*) vorgenommen hat, sucht dieser die gleiche Funktion zu geben, die sie später bei der Mona Lisa hat, nämlich den „eines an- deren Grades von Realität“, um „den Eindruck des Körperhaften“ für die Figur zu verstärken (Wölfflin). Deutlich klebt auf der rechten Seite des Bildes (Aufzeich- nungen 1913), wo die feste Vorzeichnung Verrocchios stärker durchkommt, der linke Arm Christi mehr am Hintergrund, als auf der anderen Seite, in der L. stärker gearbeitet hat. Eine „harmonisch klingende, den Sinn befriedigende Verhältnis- mäßigkeit der das Ganze zusammensetzenden Teile“ (Traktat Nr. 27) zu erzielen,

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ist das künstlerische Glaubensbekenntnis Leonardos, und sein künstlerischer Maß- stab, der gilt für das Ganze, wie für das Verhältnis der Teile. Die Vorschriften des Traktats sind nur die Formulierungen, die Bilder die anschauliche Verkörpe- rung seiner Idee von der Kunst, und es muß daher gestattet sein, diese Vor- schriften auch auf die Bilder anzuwenden.

Uber die Stellung von Figuren heißt es Nr. 369: „Bei Weibern und jungen Bürsch- lein (oder Mägdlein) dürfen keine auseinandergespreizten und zu offenen Bein- stellungen vorkommen, denn in denselben legt sich Keckheit an den Tag und gänz- licher Mangel an Schamhaftigkeit.“ Nr. 365: „Und wird einer dargestellt, der sitzt, so stelle er das eine Bein etwas hervor und das andere lasse unter den Kopf zurücktreten, der Arm darüber habe die entgegengesetzte Richtung und gehe nach vorn.“ Nr. 366: „Mache die Köpfe nie in gerader Richtung auf die Schultern, son- dern schräg zur Rechten oder zur Linken gewandt, auch wenn sie nach oben oder nach unten oder geradeaus sehen; denn ihre Bewegung soll so sein, daß sie wache Lebhaftigkeit und nicht Schläfrigkeit zeigt. Und mache nicht die hinteren oder vorderen Hälften oder Ansichten der ganzen Person so, daß sich an ihnen der Oberteil allzu geradlinig über den Unterteil gestellt zeigt; willst du das aber doch anwenden, so tue es bei den Alten.“ Nach diesen Vorschriften ist die Maria der Uffizienverkündigung ein Musterbeispiel dafür, wie Leonardo eine Figur nicht haben wollte. Sie zeigt die gerügte offene Beinstellung, die Knie sind in gleicher Höhe, der Kopf steht gerade auf den Schultern, Oberkörper und Beine stoßen in hartem Winkel aneinander. Die Lehren des Traktats laufen darauf hin- aus, die Stellung einer Figur aus einem inneren Zusammenhang der Glieder her- vorgehen zu lassen, bei dieser Figur bewegen sie sich jedes gesondert voneinander Wie L. seine Figuren sitzen läßt, dafür ist die Madonna aus der Anbetung der Könige in den Uffizien das nächste Beispiel; sie entspricht in der feinen Schiebung der Glieder genau den oben mitgeteilten Vorschriften, denen entsprechend auch der Engel der Taufe behandelt ist. Die Drehung in den Hüften bei diesem schiebt den rechten Arm etwas vor, den linken entsprechend zurück und die Neigung des Kopfes bildet wieder ein Gegengewicht. In diesen echten Figuren von L. teilt sich also die Bewegung jedes Gliedes dem ganzen Körper mit, bei der Maria der Uffizienverkündigung fahren sie zusammenhanglos auseinander.

Wenn auch weniger auffällig, so stehen doch auch die Engel in den Verktindi- gungsbildern im Verhältnis von Beispiel und Gegenbeispiel. Im Louvrebild kniet der Engel so, daß er fest von dem aufgestützten Knie gehalten wird, und das Gewicht des Körpers sich in einer sanften Kurve in das schräg zurückgelegte Bein verteilt. Die Figur „verteilt ihr Gewicht zu gleichen, einander gegenüberstehenden Teilen um das Zentrum ihrer Stütze her“. (Traktat Nr. 321.) Dem Engel des Uffizienbildes fehlt diese Elastizität der Gleichgewichtslage und -haltung. Er läßt sein rechtes Bein lang nachschleppen, Oberkörper und Kopf sind geradlinig gestellt, haben nicht die weiche Biegung der anderen Figur. Das Schwergewicht des Körpers hängt über dem leeren Raum zwischen den Knien. Nach dem Traktat Nr. 411 „nimmt die Stellung der gemalten Figuren mehr Überlegung in Anspruch, als die Güte der Figur an sich. Denn diese letztere kann durch Nachahmung einer lebenden Figur erreicht werden. Die Bewegung der Figur aber kann nur aus großer Feinheit des künstlerischen Talentes hervorgehen.“ So sieht die Engels- figur zwar recht ansprechend und wohlgefällig aus, es fehlt ihr aber die über- legte, feine Rhythmisierung und die überlegene Behandlung der Stellung, das Gleichgewicht der organischen Zusammenhänge der Bewegungen, dieL. beobachtet,

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denn für ihn ist die Malerei eine „Wissenschaft“. Die seelische Feinfühligkeit, mit der der Vorgang in dem Louvrebild so unendlich viel zarter und anmutiger erfaßt ist, die sich in dem stillen Neigen der Maria so viel innerlich wahrhaftiger ausspricht als in dem prinzessinnenhaften Erstaunen bei der anderen Figur, hindert nicht, daß in den Gestalten mit wissenschaftlicher Objektivität Beobachtungen und Studien über die Gleichgewichtslage und Verschiebungen der Glieder niedergelegt sind. Bei der Maria der Louvreverkündigung wird das Gewicht durch die leichte Biegung des Rückens gleichmäßig auf beide Knie gesammelt. Die Rücken- und Kopfbiegung beim Engel der Taufe Christi wirft das Schwergewicht auf das lagernde rechte Bein, während das linke aufgestellte durchaus entlastet ist.

Die vergleichende Analyse der beiden Bilder ergibt somit, daß sie prinzipiell von- einander geschieden sind, indem dieselben Bildelemente hier in organischem Zu- sammenhang, dort atomisiert erscheinen. Die äußere Ähnlichkeit, die dazu führte beide Bilder Leonardo zuzuschreiben, wird vollständig als Kriterium aufgehoben,

Abb. 1. Verkündigung (Louvre). Gemeinsames gleichschenkliges Dreieck. Kongruente Dreiecke der Figuren. Kreis um die Engelsfigur, Pause nach Phot. Alinari 23086.

indem es unmöglich ist, daß so verschieden gestaltete Bilder von einem und dem- selben Künstler herrühren.

Dazu kommt noch etwas. In der Verkündigung des Louvre ist eine mathematisch- geometrische Konstruktion von einer Genauigkeit verborgen, die geradezu ver- blüffend ist (Abb. 1). Es ergibt sich, daß das gemeinschaftliche Dreieck der Figuren gleichschenklig ist, und die Einzeldreiecke rechtwinklig und einander kon- gruent, sowie genau symmetrisch zur Mittelachse des Dreiecks wie des Bildes sind. Dazu kommt noch der Kreis um die ganze Engelsfigur. So läßt sich in dem Bild kein Millimeter verrücken, ohne den Zusammenhang des Ganzen zu stören, wäh- rend in der Verkündigung der Uffizien jeder konstruktive Halt fehlt. Die Figuren haben einen zerstreuten Umriß und stehen ohne geometrischen Bezug aufeinander.

Nach diesen Ergebnissen kann die Verkündigung der Uffizien nicht mehr in Zusammenhang mit dem Namen Leonardos genannt werden, da sie künstlerisch das Gegenbeispiel zu dem Louvrebild ist, das allein von seinem Geiste zeugt. Von wem aber das Uffizienbild ist, darüber kann nach Sachlage der Dinge keine Aus- kunft erteilt werden. Es bleibt nur soviel sicher, daß es ein Bild ist, das die

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Einzelheiten seiner Erscheinung aus dem Kunstkreis des Verrocchio und des früheh Leonardo der 70er Jahre entnommen hat, ohne mit Bestimmtheit einem der zu diesem Kreis gehörenden Künstler zugewiesen werden zu können. (Andererseits, ist das ein Friihrenaissancepalast? Stimmen seine schweren Details zu dem zier- lichen Betpult?) Nach unserer Analyse kann auch nicht mehr daran gedacht werden, daß ein Ateliergenosse das Bild unter Leonardos Leitung gemalt haben könnte, da es sicher nicht seinen Beifall gefunden haben würde. Denn: „Es ist nicht immer gut, was schön aussieht“ (Traktat Nr. 95).

Die Madonna Benoits®), seit 1909 allgemeiner bekannt, nun in der Eremitage in Petersburg, ist, ohne daß allzuviel Aufhebens davon gemacht wurde, ziemlich allgemein als Werk Leonardos anerkannt. Er zeigt sich in diesem Bild, das, dem allgemeinen Eindruck nach ein Jugendwerk, mit der Bemerkung auf der Zeichnung der zwei Köpfe in den Uffizien (Seidlitz I, Tafel V): 1478 incominciai le 2 vergini Marie in Verbindung gebracht wird, in der künstlerischen Problemstellung um etwa 20 Jahre seiner Zeit voraus. Schon das inhaltliche Motiv ist neu erfunden, das täppisch unsichere Zugreifen des Händchens des Kindes nach der Blume und der fixierende Blick ist unmittelbar der Art kleiner Kinder abgesehen, und kommt in keiner der Wiederholungen des Bildes so gut beobachtet wieder heraus. Dazu kommt die souveräne Sicherheit der formalen Durchbildung. Die Figur der Ma- donna ist schräg in den Raum gesetzt. Die Art ihres Sitzens ist dieselbe wie bei der Madonna aus der Anbetung der Könige in den Uffizien mit der Unter- scheidung des belasteten und des unbelasteten Beines und verschiedener Kniehöhe. Die rechte Schulter Marias senkt sich etwas nach vorne, dementsprechend geht die linke in die Höhe, und der Kopf neigt sich nach dieser Seite. Das Kind greift mit der rechten Hand nach der Blume (beachtenswert als Beobachtung das ge- kriimmte Zeigefingerchen), die linke Hand sucht Halt an der Hand der Mutter, und dieser Bewegung folgt das Körperchen, während das linke Bein zur Stütze leicht angezogen ist. Diese Motive stimmen also völlig mit den oben mitgeteilten Vorschriften des Traktats über Körperbewegung usw. überein. Sehr wesentlich ist die Schrägstellung der Figuren in den Bildraum, durch die ermöglicht wird, daß der Blick in allmählichem Übergang in die Raumtiefe hinein an den Figuren ent- lang geführt wird. Mutter und Kind sind von einer gemeinsamen kubischen Raum- form umschlossen, und in ihr entfaltet sich die Gruppe in voller plastischer Klar- heit. Ein Vergleich mit dem Madonnenbild von Credi in Dresden (Мг. 13, Gronau, Abb. 9), das eine zeitlich sehr nahe Benutzung des Motivs aufweist, ist sehr ре- eignet, den prinzipiellen Unterschied klarzulegen. Das Motiv ist dort künstlerisch zurückübersetzt auf den Stand der florentiner Kunst der 70er Jahre. Die Madonna sitzt in Vorderansicht mit gespreizten Knien, ihre Körperansicht steht parallel zur vorderen Bildfläche und so der Tiefenentwicklung des Bildes entgegen. Der Blick stößt zunächst an die Knie, dann folgt in einer zweiten Flächenschicht das Kind, und in einer dritten der Körper der Maria. Bei der Madonna Benoit ist das Zimmer wirklich der umgebende Raum, die linke Wand folgt der Schräg- richtung und biegt um in eine Parallelrichtung zur vorderen Bildfläche, begleitet also die Körper. Bei Credi ist die Ansicht des Zimmers viel zu hoch herauf. gerückt, um in motivischem Zusammenhang mit der Gruppe vorn erfaßt werden zu können. Das Bild zerfällt in eine Vorderschicht mit den Figuren und einen dekorativen Hintergrund, der auch anders sein könnte, während bei L. Raum und Figuren eine Einheit bilden. „Die Rundung, die die Hauptsache und die Seele in der Malerei ist“ (Traktat Nr.93), wird erst hierdurch recht wirksam. Credi modelliert

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wohl auch seine Figuren plastisch, durch ihre sprunghafte Erfassung kommt das aber nicht so heraus, wie bei L. Diese Schrägstellung ist das Kunstmittel Leonardos schon bei dem Engel der Taufe Christi, er wendet sie auch bei der Louvreverkün- digung und bei der Anbetung der Könige an. Da schon in der Zeichnung von 1473 die kontinuierliche Raumauffassung bestimmend ist, muß zusammen mit der charak- terisierten Entwicklung des Plastisch-Figürlichen dies als Eigenheit Leonardos von Anfang an angesehen werden. Einen „Fortschritt“ im gebräuchlichen Sinne des Wortes gibt es bei L. nicht, und даћек wird eine Datierung seiner Arbeiten auf

Abb. 2. Madonna Benoit. Pause nach Photographie. Gleichseitige Dreiecke.

Grund eines angenommenen Weitergehens vom Unvollkommenen zum Besseren nie ergebnisreich sein können. Das, was sich bei L. „entwickelt“, ist schon in seinen Anfängen deutlich vorhanden, und was er schuf, sind Wandlungen, neue Seiten seines einzigen Problems der harmonischen Allseitigkeit. Allerdings trügt wohl das allgemeine Urteil nicht, das eine Reihe seiner Arbeiten in einen Komplex als Jugendwerke zusammenfaßt. „Die Wirklichkeit hat sich dem Blick Leonardos als etwas bereits in sich Notwendiges dargestellt. Und diese Notwendigkeit ist nun für L. keine bloße Erfahrungstatsache, sondern geradezu das Axiom seines Erkennens. . (Е. Panofsky, Dürers Kunsttheorie, Berlin 1915, S. 197). Sehen

Monatshefte für Kunstwissenschaft, ХП. Jahrg. 1919, Heft 12 23 329

und Erkennen sind bei L. eins, und so hat er seine Werke gestaltet gemäß der Art, in der sich seine Erfahrung der sichtbaren Welt nach diesem Axiom voll- ziehen mußte, in den. Formen der absoluten Harmonie und der Einheitlichkeit der Raumanschauung, die Raum und Körper in einem Zusammenhang erfaßt.

„Sehr große Anmut von Schatten und Lichtern legt sich auf die Gesichter derer, die unter den Türen dunkler Behausungen sitzen“ (Traktat Nr. 123). So wirkt die Madonna Benoit. Das Licht trifft schräg von oben herein, und so sitzen die Fi- guren in dem Rahmen wie in einem Fenster. Auch bei der Verkündigung im Louvre wirkt die gemalte Umrahmung ähnlich, die man sich übrigens um das ganze Bild herumgeführt denken muß, das oben und unten etwas verkürzt ist. Die Figuren sind innerhalb der einheitlichen Raumentwicklung nur Etappen dieser, nicht Hindernisse, wie bei dem gegensätzlichen Stück in den Uffizien. Da herrscht dieselbe noch Zerstiickelte Raumanschauung, wie auch in dem Madonnenbild von Credi. Erst die Repliken und Varianten der Madonna Benoit, die gegen und um 1500 entstanden sind, nähern sich der Raumanschauung Leonardos, die unterdessen Gemeingut der Renaissance geworden war, wenn sie auch nicht die feine Ab- wägung des Originals erreichen.

Was soll man nach dieser Analyse noch von der Madonna in München halten?“ Ist es denkbar, daß dies Bild aus gleichem Geist sein soll, wie die Madonna Benoit? Die Madonna steht frontal hinter der Balustrade, auf der sich das Kissen mit dem Kind, die Drapierung ihres Kleides und die Blumenvase befinden. An diese vor- dere Raumschicht schiebt sich auch ihr linker Arm mit der Blume. Die Figuren stehen also in zwei verschiedenen Raumschichten. Der in rechtem Winkel auf die Breitenausdehnung der Gestalt treffende Blick kann nicht an ihr entlang die Tiefe gewinnen, wie es bei der schrägen Uberleitung der Madonna Benoit der Fall ist. Das Motiv der Haltung hätte eher dazu führen müssen, die rechte Schulter der Maria zu senken, wenn sie als Körpermotiv so durchgefühlt wäre, wie bei dem anderen Bild. Ebenso neigt sich die Hauptlast des Kindeskörpers nach der Seite des in die Höhe gestreckten linken Beinchens, und es sieht nicht einmal dahin, wohin es greift. Das Motiv ist zweifellos von der Madonna Benoit angeregt, doch wieder, wie das Bild Credis, in die Kunstsprache zurückübersetzt, die L. ver- lassen hatte. Das gilt auch von der Räumlichkeit, die eigentlich keine ist, die nur dekorativen Charakter hat als Hintergrundswand. Das Bild setzt sich aus Relief- flächenschichten zusammen, die hintereinander aufgestellt sind, ein eigentlicher entwickelter Bildraum ist nicht vorhanden. Da die wesentliche Neuerung Leonar- dos aber in dieser zusammenhängenden Raumanschauung besteht, kann das Bild, das auch keine Ansätze zu einer solchen zeigt, nicht von ihm sein, er kann auch keinen aktiven Einfluß auf seine Gestaltung gehabt haben. Für die Landschaft im Grunde gilt dasselbe, wie für die Landschaft der Uffizienverkündigung, sie ist ein interessanter Ausblick aus der Hintergrundswand, aber ohne funktionellen Wert für die plastische Wirkung der Figuren. Wie die Verkündigung, ist das Bild aus Motiven und Requisiten des Verrocchio-Ateliers der 70er Jahre zusammengestellt, und kann aus den angeführten kiinstlerischen prinzipiellen Gründen, auch ohne daß man in das abfällige Qualitätsurteil, das einige gefällt haben, einzustimmen braucht, Leonardo nicht angehören. Am nächsten liegt es nun, die beiden Bilder einer Hand zuzuschreiben, doch kann dies auch nicht mit unbedingter Sicherheit ge- schehen. Die eigentümlich runzlige Sprungbildung des Münchner Bildes findet sich nicht auf dem Bild der Uffizien (Autopsie der beiden Bilder kurz hinter- einander 1913), und weist auf eine andere Farbenzusammensetzung. Die Bilder

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sind und bleiben Rätsel, und mit keinem der uns bekannten Künstler der Zeit sicher zusammenzubringen. Für die einfache, in ihrer Art aber harmonische, be- schränkte Kunst Credis sind sie zu anspruchsvoll. Wir stehen hier vielleicht vor einem Ignorabimus.

Daß Leonardo, wie die ganze Renaissance, Dreieckskompositionen liebt, ist viel zu auffallend, um nicht längst bemerkt worden zu sein. Diese einfache geome- trische Form ist willkommen, um die Figuren übersichtlich und leicht dem Auge faßlich an die Fläche zu heften, und diese damit deutlich als Ausgang der Tiefen- bewegung zu markieren. „Der Spiegel von ebener Oberfläche enthält in dieser seiner Fläche wahre Malerei, und eine vollkommene Malerei, auf einer ebenen Fläche ausgeführt, gleicht der Spiegeloberfläche“ (Traktat Nr. 407; auch 406). Für die ideelle Vorderfläche des Bildes ist der Vergleich mit dem Spiegel gewählt, um ihre Irrealität zu veranschaulichen, und doch ihr Dasein, ihre Funktion im Bild nachdrücklich zu postulieren. Hinter der Fläche erscheint das Abbild der Dinge, hinter der Scheidewand des Bildraumes und des realen Raumes. Bei Leo- nardo ist dies Verhältnis von Fläche und Tiefe (vergl. Wölfflin, Kunstgesch. Grund- begriffe, München 1915, Kapitel П) im Stande eines vollkommenen Ausgleichs. Der Raum dehnt sich als einheitliches Kontinuum aus, die Figuren sind einerseits Etappen in dieser unmerklichen Überleitung in die Raumtiefe, andererseits tiber- sichtlich in der Fläche ausgebreitet. Ebenso wie die Schrägstellung bei L. nicht schon ein barockes Element der Unruhe ist (vergl. Strzygowski, Jahrbuch d. pr. Kunstsamml. XVI (1895), 162, sondern im Gegenteil einzig und allein der Klärung und BloBlegung der Tiefe dient, so hat er für die Fläche gern die Dreiecks- komposition gewählt, um auch hier alles möglichst klar zu haben. Die Madonna Benoit ist jedoch, wie noch nicht bemerkt wurde, in ein gleichseitiges Dreieck eingeschrieben (Abb. 2). Das Schmuckstück an der Brust erhält somit noch eine Bedeutung als Schnittpunkt der Mittellinie des Dreiecks. Bei der Münchner Ma- donna ist wieder keine Rede von einer solchen Konstruktion. Da auch keine der Repliken der Madonna Benoit die Dreiecke mit der Genauigkeit aufweisen, die ja durch die geringste Abweichung gestört wird, so ist vielleicht darin ein Beweis zu sehen, daß das Petersburger Exemplar wirklich das Original ist. Diese verblüf- fende Eigentümlichkeit ist sicher kein Zufall. Schwer denkbar ist es freilich, daß L. sich das Dreiecksschema vorgezeichnet, und die Gruppe hineingepreßt hätte. Ein solches Verfahren hätte mehr den Charakter eines Kunststücks. Die Annahme, daß die geometrische Figur trotz ihrer Genauigkeit das Ergebnis einer freihändigen Treffsicherheit ist, wird dadurch bestätigt, daß auch in Zeichnungen, insbesondere in den der Madonna Benoit verwandten Madonnen durch Gerade an den wichtigen Punkten der Figuren entlang gleichschenklige Dreiecke entstehen. So bilden sich durch Linien an den Außenseiten der Gruppe in dem Entwurf zur Madonna mit den Blumen (Abb. 3) (Gronau, Abb. т, Phot. Anderson 18790, London, Brit. Mus, 1860 6 16 100) und innen durch Gerade an den Armen und an den Füßen des Kindes entlang zwei gleichschenklige Dreiecke, das obere mit der Spitze rechts, das andere mit der Spitze links. Dasselbe gilt von dem auf demselben Blatt be- findlichen kleineren Entwurf. Als Bildmotiv der Madonna Benoit völlig gleichwertig und wie ein Gegenstück zu ihr ist die Zeichnung der Madonna mit der Schale (aus der Sammlung Timbal, Louvre, Seidlitz I, Tafel III) anzusehen. Auf die Neuheit und den Reiz des Motivs hin betrachtet, wie auf die Motive des Greifens, Sitzens, der Verschiebung der Glieder, hat man sozusagen dasselbe von der Zeich- nung, wie von einem ausgeführten Bild. Auch diese Gruppe fügt sich wieder

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einem System von gleichschenkligen Dreiecken ein. Diese Entwürfe sind „rasch und lebendig“ (Traktat 237/8) hingeworfen, in ihnen arbeitet L. aus dem Schatz der Vorstellungen heraus, die er sich durch unablässige Naturbeobachtung er- worben hat, und man kann kaum annehmen, daß sie direkt nach einem Modell entstanden sind, ja man muß in der so genauen und doch so zwanglosen Dreiecks- komposition den Beweis der völlig freihändigen Entstehung sehen. So auf den Bildwert hin betrachtet, läßt sich aus den Zeichnungen Leonardos viel mehr herausholen, als bisher geschehen ist, und sie bereichern sein kleines Werk in un- geahnter Weise. In den Zeichnungen zu einer Madonna mit der Katze geht er

Abb. 3. Madonna mit den Blumen. Brit. Mus. London. (Pause nach Phot. Anderson 18790.) Gleichschenklige Dreiecke.

denselben Problemen der plastischen Körperdarstellung und räumlichen Schräg- entwicklung nach. (Brit. Mus., Vorder- und Rückseite von 1856—6—21— І, Phot. Anderson 18780, 81, Seidlitz I, Taf. XVI, Abb. 5. 88, Samml. Bonnat, Paris, Abb. Seidlitz I, S. 85, Brit. Mus. 1860 6 76 98, Phot. Anderson 18786, Seidlitz I, Taf. XVIL) Auch hier sind in derselben Weise gleichschenklige Drei- ecke mit Zirkel und Lineal festzustellen. Die Probe stimmt dagegen nicht bei der Zeichnung der Uffizien (Nr. 421, Abb. Seidlitz I, S. 93), die nach Morelli von So- doma ist. Einen schönen Einblick in seine Arbeitsweise gibt die Madonnenzeich- nung in Windsor (Abb. 4; Seidlitz I, Taf. I, M.-W. Abb. 49). Zuerst dachte er an eine Madonna, die das Kind still. Dahin gehören der Oberkörper und der nach links blickende Kopf, die in ein gleichschenkliges Dreieck mit der Spitze rechts

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eingefügt sind. Hier kam L. ein anderer Einfall. Er deutet den Unterkörper kniend statt sitzend an, und zeichnet den nach rechts unten blickenden Kopf, der so in Beziehung zu dem von rechts kommenden Johannesknaben gesetzt wird. In diesem Stadium ließ er die Zeichnung stehen. Auch die zweite Komposition ist in einem gleichschenkligen Dreieck aufgebaut.

Das Neue dieser Kompositionen besteht in der Frische der inhaltlichen Motive, in der Schärfe, mit der die Beobachtungen des Sitzens, Greifens, und der Be- wegungen des Kindeskörpers niedergelegt sind, sowie in der Verbindung der plasti-

Abb. 4. Madonnenstudien (Windsor). Aus Seidlitz I, Taf. I herausgepaust. Gleichschenklige Dreiecke.

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schen Probleme mit den räumlichen durch die Schrägstellung, die ein allmähliches Ablesen der räumlich-plastischen Tiefenerstreckung ermöglicht. Das Quattrocento konnte wohl rein plastisch die Glieder ganz schön rund drechseln, aber durch die noch zusammenhanglose Raumanschauung der Plastik noch nicht die überzeugende Sehbarkeit verleihen. |

Das weitere Moment einer Ausbreitung der Komposition und der Körper in strengen geometrischen Formen, die sich als gleichseitiges oder gleichschenkliges Dreieck und als Kreis mit dem Zirkel genau feststellen lassen, ist wichtig als

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künstlerisches Phänomen, kann aber auch bedeutsam werden in Echtheitsfragen, falls diese Eigentümlichkeit sich in den als echt anerkannten Werken Leonardos findet, dagegen nicht in den als zweifelhaft empfundenen und umstrittenen. Ohne näheren Nachweisen vorzugreifen, kann jetzt schon gesagt werden, daß die Sache tatsächlich stimmt für die Bilder, wie für die als Komposition gedachten Zeich- nungen. Entweder wird die ganze Komposition von einer geometrischen Form umschlossen, oder die wichtigen Abschnitte, und meist sind es genau oder fast annähernd genaue gleichschenklige Dreiecke oder Kreise. Der Engel der Taufe Christi kniet in ganzer Figur in einem gleichschenkligen Dreieck auf der Bildbasis, auch wird durch eine Parallele zur Basis ein ebensolches Dreieck für den Ober- körper von der stärksten Ausladung des linken Elibogens an abgeschnitten. Für die Anbetung der Könige ist ja der Gesamtaufbau der Komposition im Dreieck längst bemerkt (Strzygowski), aber auch für Einzelgestalten ist das gleichschenklige Dreieck nachzuweisen, sowohl im Bild wie in den dazugehörenden Zeichnungen. Die Gestalt der Madonna, die ja der Madonna Benoit enge verwandt ist, ist im Oberkörper von einem gleichschenkligen Dreieck umschlossen, dessen Spitze rechts bei der ausgestreckten Hand des Kindes liegt. Für das Bild des Hieronymus im Vatikan ist es ein Kreis, der die Gestalt umschließt. Ein Kreis läßt sich auch um die nach Müller-Walde (S. 105) eng mit dem Hieronymus verwandte Komposition der knienden Madonna in der kleinen Zeichnung in Windsor ziehen (Abb. M.-W. 59, Seidlitz I, S. 74). Außer dem schon bemerkten gleichschenkligen Dreieck (Wölfflin) wird die Gruppe der Anna Selbdritt im Louvre auch noch von einem Kreis um- schlossen. Das Dreieck um die Christusfigur des Abendmahles in Mailand ist gleichseitig und für die Apostelgruppen gelten noch Kreisteile. Für die Entwürfe der Hauptgruppe der Reiterschlacht scheint die Ellipse maßgebend zu sein, und für das Reiterdenkmal ein Kreis. Auch die Mona Lisa sitzt in einem gleich- schenkligen Dreieck. Bei der Madonna in der Grotte ist zwar das die ganze Kom- position mit dem Engel einschließende Dreieck nicht genau gleichschenklig, doch läßt sich ein solches bilden durch Gerade an dem Kopf der Madonna und ihrer rechten, das Kind umfassenden Hand entlang, auf der anderen Seite durch eine Gerade an dem kleinen Finger der linken Hand und dem Kopf des Johannes, Basis ist die Linie an der auf den Boden gestützten Hand des Johannes und dem Gewandzipfel der Madonna. So im Pariser Exemplar. In dem Londoner Bild ist diese entscheidende Stelle durch die Blumen verdeckt, was nicht Leonardos Ge- wohnheit entspricht. Doch kann über diese Feststellungen hinaus der Frage der Grottenmadonna nitht näher getreten werden. Auch der Johannes im Louvre er- gibt in bezug auf seine geometrische Form kein sicheres Resultat. Trotzdem kann man schon sagen, daß das Vorstellen und Bilden seiner Kompositionen in diesen strengen geometrischen Formen die Regel bei Leonardo ist. Freilich konnte und kann an den Originalen selbst nicht nachgemessen werden, was möglicherweise doch noch andere Resultate ergeben würde. Jedoch ganz grundios stimmt die Sache bei den Photographien doch auch nicht, und es bleibt auf alle Fälle sicher, daß L. in seinen Kompositionen, besonders auch in den Zeichnungen, solche geo- metrische Figuren mit annäherndster Sicherheit und Genauigkeit trifft, weshalb diese vorläufigen Beobachtungen, die ja leider der deutschen Forschung an den Originalen zu ergänzen unmöglich ist, nicht vorenthalten werden sollten.

Die Kopien nach Bildern Leonardos pflegen die Genauigkeit der geometrischen Konstruktion eingebüßt zu haben, die ja bei der geringsten Abweichung verloren geht. Dennoch kann man bei Kompositionen, in denen der leonardeske Charakter

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durch eine derartige Form wenigstens annähernd bestätigt wird, auf einen direkten Entwurf von ihm schließen. So ist sicher die so häufige Komposition der Ma- donna mit den Kirschen nicht nur leonardesk, wie so viele andere Bilder, son- dern als sein geistiges Eigentum in das Werk einzureihen. Dem Urbild, sei es Zeichnung oder Gemälde, muß das Exemplar der früheren Sammlung Nemes, Giampietrino zugeschrieben, ziemlich nahestehen (Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XXII, 32, und Kat. der Sammlung Nemes 1911). Annähernd gleichschenklige Dreiecke lassen sich um die ganze Gruppe mit einer Geraden an dem Fuß des Kindes und der Hand der Maria entlang als Basis ziehen, wie um das Kind allein, wohingegen die Variante in der alten Pinakothek in München, Nr. 1042, Schule des Joos van Cleve (Phot. Hanfstängl), die Verhältnisse verschiebt, und dem Urbild ferner steht. Die Dreiecksprobe bestätigt ferner wenigstens annähernd die Vermutung, daß in der Madonna in Augsburg, Mailändisch um 1520 (aus München 1044, Phot. Hoefle, Abb. im Kat., Müller-Walde, S. 96) ein Entwurf Leonardos erhalten ist, in dem wieder die beiden Körper in eine enge plastisch-kubische Raumform gebracht sind, die auch in der wenig geschickten Wiedergabe der Repliken in Bergamo (Nr. 330 von Bernardino de Conti 1501, Abb. im Kat. v. Ricci) und in Koblenz noch zu spüren ist (Beschr. Miiller-Walde, S. 97, Stich von Nikolaus Hoff, 1827). Aus dem Bild der Madonna mit der Wage im Louvre Nr. 1604 läßt sich die deut- liche, wenn auch nicht exakt gleichschenklige Dreieckskomposition der Madonna mit den beiden Kindern herausschälen, die wohl direkt auf Leonardo zurückgeht. Der Engel Michael mit der Wage und die hl. Elisabeth links wären dann Zutaten des Schülers, als der Oggionno (Waagen, Paris, S. 454), Salaino (Passavant, Raphael II, 345), Cesare da Sesto (Mündler, Morelli, Gal. Borghese, S. 212, Berenson, North Ital. Paint., Frizzoni, Arte 1906, S. 410), Luini (Jakobsen, Rep. 1912, S. 288, Seidlitz П, 142, 145) genannt werden (Abb. Miintz, Pl. XVII, Rosenberg 114, 2. Aufl, 125). Die Madonna allein bildet mit den Kindern eine Gruppe ganz im Sinne Leonardos, konzentriert auf den engsten Raum und doch plastisch klar entfaltet in den körper- lichen Motiven des Sitzens und der Bewegung. Auch die schräge Entwicklung der Gruppe in die Tiefe, die Verbindung mit dem dunklen Grund der Felsen und der Ausschnitt, der die Ferne öffnet, zeigen sein künstlerisches Prinzip, so daß wir wohl nicht unberechtigt sind, den Kern der Komposition als sein geistiges Eigentum zu betrachten, und als einen Zuwachs zu seinem Werk, der zusammen mit den Zeichnungen an Wert der Bildmotive den Verlust der Madonna in München und der Verkündigung der Uffizien reichlich ausgleichen kann. Die zwei von dem Schüler hinzugefügten Figuren ziehen die Komposition in die Breite, wodurch wieder die Anschauung einer besonderen flächenhaften Raumschicht für die Figuren entsteht, die den Hintergrund als Dekoration, nicht als Tiefe erscheinen läßt. Auf diese Weise wird die Anlage des Bildes verwischt und das Prinzip Leonardos ver- dunkelt. Schwerer fällt es dagegen in der Komposition einer Madonna, von der eine Zeichnung in den Uffizien (Abb. Rosenberg 109, 2. Aufl, 119) und ein Bild in englischem Privatbesitz (Abb. Art-Journal 1912, S. 17), wie noch andere Wieder- holungen existieren, eine direkte Kopie einer Zeichnung Leonardos zu sehen, viel- mehr wird es sich um eine selbständigere Umbildung hier handeln mit Benutzung von Einzelmotiven und Studien Leonardos, wie sie für das Kind im Londoner Karton der Anna Selbdritt, für die Hand der Madonna in der Grottenmadonna ähnlich niedergelegt sind. Ob zur Madonna Litta?) in Petersburg ein Entwurf Leonardos oder ein verlorenes Original (Müller-Walde, S. 93) existierte, wie für den Kopf die Zeichnung im Louvre (Seidlitz I, Taf. XLII, Rosenberg 99, 2. Aufl. 108)

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als Einzelstudie vorliegt, und für das Kind wahrscheinlich vorhanden war, ist aus der Bildgestaltung des Ganzen nicht zu sehen. Das Verhältnis der Figuren zum Bildraum, in dem sie plastisch stark vorgetrieben erscheinen, die raumlose Be- handlung des Hintergrundes als glatte Wand, auch die unverhältnismäßige Größe des Kindes sprechen dagegen. Auch würde Leonardo, der sich über alle statischen Möglichkeiten Rechenschaft gab, kaum eine säugende Madonna dargestellt haben, die stehend freihändig das schwere Kind auf den Händen trägt. Die Blickrichtung und die Drehung der Schultern des Studienkopfes im Louvre erlaubt nicht, diesen Kopf ohne weiteres auf die Madonna Litta in deren Haltungszusammenhang zu übertragen, er ist offenbar nur als vorhandenes Material benutzt worden. Die zahlreichen leonardesken Bilder stehen auf solche Weise im Zusammenhang mit L., daß mehr oder weniger frei Motive und Anregungen von ihm benutzt werden, doch erlaubt keines der noch vorhandenen Bilder seiner Schüler, direkt eine Kom- position Leonardos aus einem von ihnen zu rekonstruieren.

Mit diesen Fragen würde der Kreis, der sich teilweise um die Madonna Benoit gruppierenden. Zeichnungen und Bildgedanken verlassen werden. Noch müssen einige Worte über die schwierige zeitliche Einordnung der als „Jugendwerke‘“ all- gemein betrachteten Bilder gesagt werden. Mit der Ubersiedlung nach Mailand 1433, durch neue Dokumente nun feststehend (Rassegna d’Arte 1915, Seidlitz, Deutsche Rundschau 1919, S. 284), ist das Schlußdatum gegeben, das 32. Lebens- jahr. Vor dieser Zeit haben wir für die absolute Chronologie die Zeichnung von 1473, den Vermerk 1478 für zwei Madonnen auf der Zeichnung in den Uffizien, eine Bildbestellung 1478 für die Bernhardskapelle des Palazzo vecchio, und von 1481 für die Mönche von S. Donato di Scopeto, beide ohne Angabe des Gegen- standes. Zur Verteilung auf diesen Zeitraum stehen zur Verfügung außer den Zeichnungen‘, der Engel der Taufe Christi, die Verkündigung im Louvre, die Ma- donna Benoit und die Anbetung der Könige, sowie der hl. Hieronymus im Vatikan, der, wie die Anbetung, mit einem der Daten 1478 oder 1481 in Verbindung ge- bracht, aber auch in eine spätere Zeit geschoben wird. Als sicher kann noch gelten, daß der Engel der Taufe Christi nicht aus diesem Zeitraum herausfällt und wohl vor 1476—78 gehört wegen der Beziehung zu ‚Verrocchio. Die Schwierigkeit nun, unter den vorhandenen Bildern eine relative Chronologie herzustellen, und sie in die sicheren Daten einzuordnen, liegt darin, daß L. in jedem der Bilder ein ganz neues Problem in ganz neuer Weise behandelt und löst, so daß die sonst übliche und fruchtbare Methode, eine Entwicklung im Sinne eines Fortschrittes zu suchen, hier versagt. Seine Bestimmung des Wesens der Malerei als einer Ver- hältnisharmonie ist in einem Bild so gut erreicht wie im anderen, und die Sicht- barkeit als ununterbrochener Zusammenhang schon in der Zeichnung von 1473 ge- geben. Die statischen Probleme der Körperhaltung und Bewegung sind immer beherrscht, ein Zurückbleiben des Könnens hinter dem Wollen gibt es bei L. nicht. Jedes seiner Bilder, jede Zeichnung ist ein einsamer Gipfelpunkt, nach dem die Kunst der Zeit sich langsam und allmählich zu richten beginnt. Die formale Ähn- lichkeit des Typus und des Duktus der Zeichnung gestattet jedoch, die Madonna Benoit und die Anbetung der Könige nicht allzuweit auseinander zu rücken, so daß sehr wohl die Madonna eines der 1478 genannten Bilder und die Anbetung das 1481 bestellte Bild sein kann. Vermutung bleibt, daß die Verkündigung als Pre- della zur Anbetung gedacht war. Nach dem, was über die Farben und die Technik der Madonna Benoit gesagt wird, kann die Verkündigung wohl in ihre zeitliche Nähe gerückt werden, jedoch bleibt schwer zu sagen, ob vor- oder nachher.

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Ebenso schwer ist es, dem Hieronymus einen bestimmten Platz anzuweisen, jedoch besteht auch kein Grund, von der allgemeinen Ansicht, daß er vor 1483 entstanden sei, abzugehen, da L. damals die Anatomie nicht weniger beherrschte als später. Jedes Werk Leonardos ist ein in sich ruhender Kosmos, aus dem alle Relationen und Relativitäten geschwunden sind. In ihm ist der Künstler souverän geworden: „Und in der Tat, alles, was es im Weltall gibt, sei es nun in Wesenheit und Dasein, oder in der Einbildung, er hat es, zuerst im Geist und dann in den Händen, und die sind von solcher Vorzüglichkeit, daß sie eine gleichzeitige, in einen ein- zigen Augenblick zusammengedrängte Verhältnisharmonie hervorbringen, wie die (wirklichen, sichtbaren) Dinge tun.“ (Traktat Nr. 19.)

* * *

ANMERKUNGEN.

(т) Uber die Jugendwerke Leonardos haben sich in letzter Zeit speziell geäußert: Thiis, The Flo- rentine Jears of L. and the shop of Verrocchio, London 1913 (Rec. Holmes, Burlingt. Mag. XXIV (1914) 279, Gronau, Rep. f. Kunstwissensch., N. Е. Ш (1915) 139 f.). Cook, La Madonna Benoit et les oeuvres de jeunesse de L. de V., Gaz. d. В. Arts 1914, 8. 379. Bode, L.’s Bildnis der jungen Dame mit dem Hermelin und die Jugendbilder des Künstlers, Jahrb. d. pr. Kunstsamml. XXXVI (1915), 189 f. Bock, Leonardofragen, Rep. N. F. IV. (1916), 153, 218; vergl. außerdem die be- treffenden Kapitel bei Seidlitz, L. d. V., Der Wendepunkt der Renaissance. Berlin 1909.

(a) Verkündigung, Louvre, Paris, Cat. rais. des peintures 1913, Nr. 1602A. h. 0,14, br. 0,59. Aus der Samml. Campana 1861. Seitdem das Bild nun auch im Louvre unter dem Namen L.’s ge- führt wird, ist wohl Übereinstimmung über seine Urheberschaft erzielt, und der Name Lorenzo di Credis endgültig fallen gelassen worden. Nur Liphart, Jahrb. d. pr. Kunstsammi. XXXIII (1912), 203 hat sich in neuerer Zeit noch für Credi ausgesprochen. Die Zeitbestimmung schwankt zwischen 1469 und etwa 1483. Vergl. Seidlitz, L. d. У. І, 71, 392 und Bock, Кер. N. F. IV, 230. Das Bild sieht (nach Aufzeichnungen 1912) unscheinbar aus, zeigt eine nicht allzu sorgfältige Malerei, an Farben ziegelrot bei dem Engel, bei der Maria verdorbenes Hellblau; die Bäume haben dunklen, warmen, braunen Топ. In der farbigen Teilabb. bei Rosenberg, L. d. V., a. Aufl. 1913, ist das Rot des Fußbodens wohl zu rein herausgekommen. Die Ähnlichkeit der Kopfhaltung der Maria mit der des Frauenkopfes der Zeichnung in den Uffizien Nr. 428 (Abb. Müller-Walde, L. d. V., München 1889/90, Nr. 6, Мапе, L. d. V., Paris 1899, Pl. Ш) kann nicht über die völlige Verschiedenheit der Auffassung hinwegtäuschen. Nach Morelli, Seidlitz, Berenson ist die Zeichnung auch nicht von L. (3) Leonardo da Vinci, Traktat von der Malerei. Nach der Übersetz. von H. Ludwig herausgegeben von Marie Herzfeld, Jena 1909. Die Kapitelnummern stimmen mit denen der deutschen Ausgabe von Н. Ludwig, Quellenschr. z. Kunstgesch., Wien 1888 überein.

(4) Taufe Christi von Verrocchio, Florenz, Akademie. Vgl. Seidlitz I, 40f., wo die Ausdehnung der Arbeit Leonardos an dem Bild überzeugend nachgewiesen wird. Außer von Thiis, der den Engel demselben unbekannten Schüler zuweist, der auch die Verkündigung in den Uffizien gemalt habe, wird die Urheberschaft L.’s von niemand mehr angezweifelt, nur bei Michel, Hist. de l'Art IV (1909), 246 wird sie noch abgelehnt. Bock (Rep. N. F. IV, 155) hält die Datierung von Seidlitz auf 1478 für zu spät, Reinach (Art Journal 1912, 9. 6) nennt ein Missale des Florentiner Miniators Attavante von 1483 im Mus. in Havre, in dem das Bild kopiert sei. An sich braucht aus der Zeichnung von 1478 in den Uffizien (Seidlitz I, Taf. V) mit dem allerdings ähnlich bewegten Jünglingskopf nicht ein so enger Zusammenhang zu dem Engel der Taufe hervorzugehen, daß das Datum bestimmt dadurch festgelegt würde. L. kann auch in einem anderen Jahr als in dem der Arbeit an dem Bild einen solchen Kopf freihändig auf das Papier geworfen haben. Das genaue Datum wird sich so nicht fest- stellen lassen, andererseits wird die ahe Tradition wohl recht haben, daß L. das Bild bearbeitet hat, während er noch mit Verrocchio in Verbindung stand.

(5) Verkündigung, Uffizien, Florenz, Nr. 1288, h. O., 99, Nr. a, 10. Als Ridolfo Ghirlandajo aus Monte Oliveto 1867 in die Uffizien, Leonardo wird und wurde das Bild zugeschrieben von Bode, Jahrb. d. pr. Kunstsamml. Ш (1882), 259; XXXVI (1915), 199. (Das Louvrebild wohl etwas früher.)

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Die erste Zuschreibung ап L. stammt von К. Е. von Liphart und Bayersdorfer. Strzygowski, Jahrb. 4. pr. Kunstsamml, XVI (1895), 172. (Louvrebild Vorarbeit, die farbige Ausführung von anderer Hand.) Müller-Walde, L. d. V., S. 38 (Louvrebild früher). Seailles, L. d. V., Paris 1893, 8. 20. Müntz, 8. 50, 506 (mit einiger Zurückhaltung). Guthmann, Die Landschaftsmalerei der toskanischen und umbrischen Kunst, Leipzig 1902, 8. 354 (Louvrebild schlechter komponierte Vorarbeit). Colvin, Selected Orawings from old masters in the Univ. Gal, etc., Oxford V. 2. A. (1903). Ric’ci, Gesch. d. Kunst in Norditalien, Stuttgart тогі. Venturi, Storia dell'Arte Ital. VII, x (1911), 818 (Louvrebild später).— C. у. Liphart, Jahrb. d. pr. Kunstsamml. XXXII (1912), 202.— Bock, Rep. N. F. VI (1916), 227 (Louvrebild später, etwa 1483). Leonardo und Credi unter Ein- fluß Verrocchios von: C. J. H., Burlingt. Mag. X (1906), 192 (Engel von L. Maria von Credi unter Aufsicht Verrocchios). Frizzoni, Arte X (1907), 83 f. Siren, L. d. V., Stockholm 19171, p. 106, It. Kunstchron. N. F. XXII (1911), 410. Holmes, Burl. Mag. XXIV (1914), 284 (Engel von L., das Bild von Credi fertig gemalt). Lorenzo di Credi von Mündler, Zeitschr. f. bild. Kunst II (1867), 391. Brun, Zeitschr. f. bild. Kunst XV (1880), 24. W.Schmidt, Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. (1892), 139; Kunstchron. N. F. XV (1904), 403. Verrocchio von Berenson, Flor. painters 1909 (vielleicht mit Credi). A. Michel, Hist. de l’Art IV (1909), 246 (mit Credi). M. Reymond, Verrocchio, S. 118. Ridolfo Ghirlandajo von Crowe-Cavalcaselle, Gesch. d. ital. Malerei, өй. Jordan IV, 2 (1871), 528 (ed. Douglas IV (1914), 5. 247 (in der Werkstatt Verrocchios). Morelli, Galerie Berlin, 1893, S. at, Rosenberg, L. d. V., а. Aufl., 1913, S. 22. Einem unbekannten Künstler aus dem Atelier Verrocchios von Carotti, Le Opere di Leonardo, Bramante e Raffaello, Milano 1995, S. 83. C. v. F., Repert. XXIX (1908), 40. Beckerath, Rep. XXX (1909), 29: (vielleicht unter Anleitung von L. Das Louvrebild schließt das Uffizienbild aus). Seidlitz, L. d. V., I, 49; preuß. Jahrb. 1916, 5. 510. Thiis, The Flor. Jears of L., 1913 (von gleicher Hand wie der Engel der Taufe Christi). Gronau, Кер. N. Е. Ш (1915), 140 (scheint dazu zu neigen, ев dem Atelier zu überweisen, wenn er auch das Argument der Oxforder Zeichnung für L. stark betont).— Einem Unbekannten von Anfang des 16. Jahrh. von Mesnil, Riv. d’Arte III (1905), 37 (Nachweis eines schweren Zeichenfehlers beim Arm der Maria).

Die Zeichnung zum Arm des Engels in Oxford (publ, von Colvin), die allgemein wegen ihrer Links- schraffierung als von L. herrührend anerkannt wird, und nicht zur Louvreverkündigung paßt, bietet natürlich eine Schwierigkeit, um die man nicht herum kann. Andererseits, kann eine einzelne Detail- zeichnung so ausschlaggebend sein? Die künstlerischen Argumente, die gegen die Urheberschaft Leonardos ап dem Bild sprechen, werden durch die Existenz der Zeichnung nicht umgestofen, die Frage bleibt nur noch offen, ob auch die Zeichnung mitfallen muß? Rätselhaft und auffallend bleibt in dem Bild auch die Technik und Malweise, die sich so bei keinem der Zeitgenossen wieder findet. Auch farbig herrscht die gleiche Zusammenhangslosigkeit wie in der zeichnerischen Kom- position. Engel und Maria haben verschiedenes Rot, das harte metallische Blau ist ohne Wiederholung oder Überleitung an anderen Stellen des Bildes. Credi organisiert da in seiner Verkündigung (Uffizien Nr. 1160) ganz anders (Abb. Hamann, Frührenaissance. Jena 1909); er bringt außerdem, daß die Figuren besser aufeinander bezogen sind, dasselbe Blau bei beiden und dasselbe Grün rechts und links im Bild. So bleibt für dieses Bild nur das negative Resultat übrig, daß es nicht von L. sein kann, und daß es kein künstlerischer Verlust ist, wenn es aus der kleinen Reihe der Werke L.s aus- scheidet. Wird dieses anerkannt, so kann das Bild ja schließlich mit einem dauernden Fragezeichen versehen, sozusagen seinem Schicksal überlassen bleiben, bis ein glücklicher Fund über seine Her- kunft das Rätsel löst, | (6) Madonna aus der Sammi. Benoit (oder Benois) in Petersburg, laut Cook, Gaz. 4. В, Arts 1914, 1, S. 383 f., 1824 in Astrachan von einem Italiener durch M. Sabojnikoff gekauft, seit 1914 in der Eremitage in Petersburg; vergl. außer dem Aufsatz von Gronau, Zeitschr. f. b. Kunst, N. F. ХХШ (1912), 253 ff., der das Material mit der Literatur und den Repliken enthält, sowie die künstlerische Ein- ordnung des Bildes in die Zusammenhänge des Verrocchio-Ateliers, noch Bock, Rep. N. F. IV, 160 (Datierung 1478). Bode, Jahrb. 4. pr. Kunstsamml. XXXVI, 200. Gronau, Rep. М.Е Ш, 140. Liphart, Jahrb. d. pr. Kunstsammi. XXXIII, 204 (gibt die Beschreibung der Farben und der Technik, Datierung 1478). Reinach, Burlington Mag. XXI (1912), 8. 358. Seidlitz, Preuß, Jahrb., Juni 1916; sämtlich der Urheberschaft Leonardos zustimmend. Zurückhaltend äußerten sich nur Р. P. Weiner, Arte XII (1909), (Schule Lal Venturi, Storia dell’ Arte Ital. VII, x (1911), 783

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(von unbekanntem Schüler, der auch nach Zeichnung Verrocchios die Madonna in München u. a, gemalt hat), Thiis, The Flor. Jears of L., 1913, S. 166: Sogliani. Malaguzzi-Valeri, La Corte di Lodovico il Moro II Milano 1915 läßt (laut Rep. М.Е. VI [1918], 224) das Bild nicht gelten.

Den von Gronau genannten 12 Kopien und Repliken kenn ich noch weitere hinzufügen:

13. Madonna in Lützschena, Samml. Speck von Sternburg, Nr. 112, Pappelholz, oben ab- gerundet, Н. 0,58, Br. 0,41,. Aus der Gräfl. Friesschen Sammi. in Wien. (Vergl. Frimmel, Lex. der Wiener Gemäldesamml., Müncben 1913, S. 408 ff., 429.) In der Gal. als Verrocchio. Das Bild ist die genaueste ‘und zeitlich dem Original nächste Kopie. Die Haltung der Figuren ist beibehalten nur ist die Kleidung der Madonna etwas vereinfacht, und ihr Kopf unbelebter, einfacher in der Haar- tracht und ohne das Lächeln. Sie trägt ein rotes Kleid mit gelbgrünen Unterärmeln, der Überwurf um die Knie ist grünblau mit gelbgrünem Umschlag. Der Hintergrund ist zu einer festen, dunklen Wand umgestaltet; wo im Original das Fenster mit der Nische ist, öffnet sich ein Ausschnitt mit einer Landschaft mit der Flucht nach Ägypten. Man sieht, den räumlichen Zusammenhang hat der sonst genaue Kopist auch nicht verstanden. Rechts von dem Knie der Maria ein Wasserglas mit Nelken.

14. Madonna, niederländisch um 1515, Hildesheim, Römermuseum, aus dem Vorrat des Kaiser Friedrich-Mus. in Berlin, Nr. бп, Niederl. Meister, Quinten Massijs verwandt; Н. 0,53, Br. 0,40. Das Exemplar ist wohl als Vorbild für das Bild in Magdeburg (Gronau Nr. 6) zu betrachten, da die Brüstung vorn und der М. Joseph rechts fehlt, der Typus aber verwandt ist. Die Madonna sitzt vor einer Brüstung, dahinter freie Landschaft; über ihr zwei Engel mit einer Krone. Das Bild macht einen sehr guten Eindruck, ist auch farbig von hoher Qualität.

15. Eine weitere Replik des Bildes sah Gronau (nach freundlicher Mitteilung) 1917 bei dem Ge- sandten Baron Tucher in Wien. (Auch für Überlassung der Phot. d. Mad. Benoit sei hier gedankt.)

16. Die Madonna, Francesco Napoletano zugewiesen in der Brera, Mailand, Nr. 278, muß auch in diesem Zusammenhang genannt werden, da sie deutliche Reminiszenzen an die Madonna Benoit aufweist in der Haltung des Kindes und der Armhaltung der Madonna; vielleicht ist jedoch zwischen ihr und dem Original ein anderes Zwischenglied einer ähnlichen Zeichnung Leonardos an- zunehmen, da das Bild ganz mailändischen Charakter trägt. Phot. Вгорі 7026, Abb. Rassegna d'Arte 1905, S. 82. Über Napoletano vergl. Bock, Rep. N. F. IV, 160 f.

(7) Madonna, München, A. Pin. Nr. 1493. Noch unter dem Namen L, im Katalog geführt, doch mit der Bemerkung: Über den Urheber sind die Akten noch nicht geschlossen. Vergl. außer der dort genannten Literatur: Bock, Rep. N. F. IV, 159 (von L.). Bode, Jahrb. d. pr. Kunstsamml. XXXVI (1915), 202 (von L., einige Jahre früher als die Madonna Benoit). Gronau, Вер. N. F. ШІ, 140 (in allen Einzelheiten auf die Tradition der Verrocchiowerkstatt zurückzuführen, und in engem Zusammenhang mit der Uffizienverkündigung). Dagegen Berenson, Florentine painters, 3. Ausg. 1909 (Credi, in Verrocchios Atelier). Liphart, Jahrb. d. рг. Kunstsamml. XX XIII, 210 (vollkommenes Rätsel, weder Credi noch L.). Reymond, Verrocchio, S. 126 (Verrocchio und Werkstatt). Thiis, The Flor. Jears of L. (nordischen Ursprungs).

(8) Auch in der Madonna der Brera in Mailand, Nr. 286, Sodoma zugeschrieben, ist ein derartiger Entwurf Leonardos noch deutlich zu erkennen, wenn auch nicht in allem ganz verstanden. Kat. Ricci 1908, 5. 170. Die Galerien Europas (Е. A. Seemann), Nr. 1296.

(9) Madonna Litta, Petersburg, von den meisten Preda zugeschrieben, so von Bock, Rep. N.F. IV, 219. ~- Harck, Rep. XIX (1896), 421. Möller, Monatshefte f. Kunstwissensch. IX (1916), 316. Pauli, Rep. XXXIV, 83. Seidlitz, Jahrbuch der Kunstsamml. 4. a. Kaiserhauses 1906, Nr. 22; L. 4. V. I, 257, 291, 392. Venturi, Storia dell’ Arte Ital. VII, 1013. Andere denken noch an L. oder eine Kopie nach ihm, во Liphart, Jahrb. d. pr. Kunstsamml. XXXII, 212. Müller- Walde, 8. 93. Müntz, 5. 177, 506.

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MISZELLEN.

ZUR „PROBLEMATIK DER KUNSTGESCHICHTE“

Von WILHELM WAETZOLDT

o.0090000000090990009909000000000000090000000000000000000000000000000000 0000 0000000000000 0000000900090000000000000000000000000000 о

eder einmal wird diesmal von V. Curt

Habicht der Kunstgeschichte vorgehalten, sie sei jung und man merke ihr die Jugend, die deutsche Jugend besonders, an. Abgesehen nun davon, daß doch nicht stets die Wissenschaft wie der Rotwein mit dem Alter besser wird klagt nicht die Jugend heute über die „veraltete“ Wissen- schaft? Der Vorwurf der Jugendlichkeit sollte der Kunstgeschichte nicht immer wieder gemacht werden!

Eine Wissenschaft, die Forscher wie Rumohr und Schnaase, Kugler und Burckhardt, Grimm und Justi, Riegl und Wickhoff gehabt hat, in der Männer von der Bedeutung eines Bode, Clemen, Dehio, Dvořák, Friedlaender, Goldschmidt, Neumann, Schmarsow, Vöge, Wölfflin u.a. noch wirken, ist nicht „Jung“. Sie leidet auch nicht an Kinderkrankheiten, son- dern sie macht höchstens eine Krise ihrer Mannes- jahre durch, die ihr keiner abnehmen kann, ist sie doch eine notwendige Teilerscheinung des Übergangs unseres gesamten Lebens aus einer versinkenden Kulturperiode in eine neu herauf- kommende. Es gibt eine „Problematik der Kunst- geschichte“, darin hat Habicht recht, man wird sie aber nur ganz verstehen, wenn man die Frage nach ihren tieferen geistesgeschichtlichen Wurzeln zu stellen und zu beantworten versucht.

Die Leistung der letzten Generation der großen Kunstgeschichtsschreiber bestand in der Vollendung der Kunstgeschichte als Kinstlergeschichte. Die Meisterbiographen (von Springer bis Justi) waren Söhne einer von Heroenkultus und Persönlich- keitskultur beherrschten, für das Problem der großen Männer erfüllten Zeit. Die natürliche methodische Reaktion gegen dieses Forscher- geschlecht mußte (von Burckhardt vorbereitet) die Hinwendung zur Kunstforschung als Stil- und Formgeschichte sein. An die Stelle der leuchtenden Namen trat das Ideal einer Kunst- geschichte „ohne Namen“. Die großbiographi- schen Aufgaben wurden entwertet zugunsten von Beiträgen zur Entwicklung des europäischen Sehens, der Künstler verschwand hinter dem Künstlerischen. In der Wandlung, die sich hier im Sohdergebiet einer historischen Disziplin voll- zieht, erkennen wir die Tatsache, daß auch an unser stilles Ufer die Welle schlägt, die uns die Stürme auf der hohen See des geistigen und

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kulturellen Gesamtlebens der Nation schicken: eine vorwiegend individualistische Kulturgesinnung wird verdrängt durch eine von Gemeinschafts- idealen beherrschte Humanität. Man mag darüber denken, wie man will und das Absterben der Geniewelt betrauern, vor der Tatsache, daß auf allen Gebieten geistigen und Öffentlichen Lebens die Fragen nach dem Allgemeinen, dem Über- individuellen, auftauchen, lassen sich die Augen nicht verschließen. Die kunstgeschichtliche Vor- wegnahme der politischen Ideale des Sozialismus, des Völkerbundes usw. bilden die Versuche, die Probleme der Zeit-, Länder-, Völker- und Rassen- stile zu lösen. Zugespitzt ließe sich die Verschie- bung in den Fragestellungen zweier Generationen auf die Formel bringen: wie die politische Jugend nicht mehr nach dem großen Menschen fragt, son- dern nach der größeren Menschheit, so beschäftigt х. В. nicht mehr das Problem des Künstlers Dürer, sondern das Problem des deutschen Stiles die kunstwissenschaftliche Jugend. Das nächste me- thodische Ziel der Kunstgeschichte liegt, glaube ich, darin, von der gewonnenen Grundlage reiner Stilforschung zu einem neuen, vertieften Verständ- nis für die Geltung des individual- und kultur- geschichtlichen Momentes in der Kunstentwick- lung zu gelangen.

Aufzuhalten ist diese Bewegung nicht, weil sie gespeist wird aus den großen Krafiquellen einer neuen Geistigkeit. Und ein Ausweg aus den un- leugbar vorhandenen Schwierigkeiten kann doch unmöglich darin gefunden werden, daß auf den Schauplätzen wissenschaftlicher Arbeit, auf den Schreibtischen und in den Köpfen der Kunst- historiker säuberlich geschichtliche und kunst- wissenschaftliche Arbeiten auseinandergelegt wer- den! Unsere Aufgabe muß vielmehr die sein, uns und unsere Schüler so zu erzieben, daß auch die kleinste geschichtliche Studie durchtränkt und erfüllt ist mit dem Sinn für die großen, allgemei- nen Fragen, daß andrerseits kein Versuch zur Lösung eines sog. kunstwissenschaftlichen Pro- blems unternommen werde, der sich nicht auf einwandfreies, genügend vollständiges und kritisch durchgearbeitetes Material stützen kann. Die histo- rische Kleinarbeit verachten doch nur die ganz Dummen und ganz Faulen, und die synthetischen Bemühungen werden doch nur von den ganz

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Kurzsichtigen und ganz Bornierten über die Achsel angesehen um beide braucht man sich nicht zu kümmern!

Daß eine solche als Arbeitsideal vorschwebende wechselseitige Durchdringung und Befruchtung zweier methodischer Verfahren keine Utopie ist, lehren die Leistungen der Meister der Kunst- geschichtsschreibung, etwa die Arbeiten Alois Riegls. Es sollte doch su denken geben, daß so- wohl Tietze seiner „Methode der Kunstgeschichte“ den Namen Riegis vorsetzt als auch Wölfflin mit gleichem Recht in den „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen“ Rieg! als einen Mann verwandter

methodischer Gesinnung nennt. Wenn etwa in unserer reformwütigen und reformgläubigen Zeit der Gedanke an eine Reform der Kunstgeschichte sich ausbreiten sollte, so vergesse man nicht, daß sie nicht eine Frage der Organisation, der Arbeits- teilung oder der Absperrung gegen gefährliche methodische Strömungen sein kann, sondern eine Frage der wissenschaftlichen Arbeiter ist. Haben wir schöpferische Persönlichkeiten, so haben wir auch den Ausweg aus der Problematik der Kunst- wissenschaft, fehlen sie uns in Gegenwart und Zukunft, so nützt uns auch die strengste Methode nichts.

ZUR DATIERUNG DES APOKALYPTISCHEN WEIBES VON

P. Р. RUBENS

Von ADOLF FEULNER

ber das frühere Hochaltarblatt des Domes in

Freising, das apokalyptische Weib von Rubens berichtet die wichtigste Quelle für die ältere Ge- schichte des Bistums, Carolus Meichelbeck (histo- riae Frisingensis tomus II, Augsburg 1729, 8. 360) ganz kurz beim Nekrolog auf den 1612 verstorbe- nen Bischof Ernst, daß dieser Fürst aus dem Wittelsbacher Hause das Bild um 3000 fl. erwor- ben hat. Debet ei Frisinga picturam illam famo- sissimam Агав maioris in Ecclesia Cathedrali, quam celebratissimus Rubensius pinxit, Ernestus vero tribus florenorum millibus comparavit. Ea hodie triginta millibus neutiquam posset comparari. Diese Nachricht erscheint an sich sehr glaubwiir- dig und schon deswegen unantastbar, da Herzog Ernst zugleich Kurfürst von Köln war, nur am Rhein residierte und auch durch seine Wittels- bacher Verwandten (vgl. auch Levin, Jahrb. des Düsseldorfer Geschichtsvereins 1905, S. 97 ff.) Be-

‘giehungen mit Rubens anknüpfen konnte. Sie ist

auch deshalb in die ganze Rubensliteratur auf- genommen worden (z.B. Rooses, Rubens П, 210). Der Katalog der Münchner Pinakothek (1913, S. 125) gibt kurz an: nach Meichelbeck von Herzog Ernst für den Dom von Freising bestellt (was so nicht bei Meichelbeck steht), stilistisch um 1612—15 anzusetzen. Trotzdem ist die Nachricht nicht richtig. Sie klingt an sich schon etwas zu all- gemein und durch die Angabe eines Preises, den

‚Rubens damals nicht einmal für seine Hauptwerke

erhielt, legendenhaft. Schwere Bedenken erweckt auch der Umstand, daß die Ausgabe für das Rubensbild nirgends gebucht ist. Die Rechnungen aus der Zeit des Herzogs Ernst sind noch vor-

handen, sie verzeichnen die geringsten Kosten, aber das große Bild wird nicht genannt. (Mit- teilung von E. Abele, Freising.) Direkte Wider- sprüche gegen diese Angabe aber ergeben sich aus der Geschichte der Renovierung des Domes unter Fürstbischof Veit Adam (vgl. Weinhart, Sammelbl. des hist. Ver. Freising 1898), die durch gleichzeitige Nachrichten und Rechnungen genau festgelegt werden kann. |

Die wichtigsten Daten sind kurz folgende: 1621 wurde mit der Renovierung begonnen. Berater des Bischofs Veit Adam war der Rektor des Münch- ner Jesuitenkollegiums Р. Jakob Keller, der als Bauverständigen den Bildhauer Hans Krumper zu- zog. Am 30. Mai 1621 war das Modell zur Reno- vierung der Domkirche angekommen. Im gleichen Jahre wurden die baulichen Änderungen schon weit fortgeführt. Am 22. Februar 1622 ist vom Visier zum Hochaltar die Rede. Verfertigt wurde der Altar von einheimischen Meistern, und zwar schnitzte der Freisinger Bildhauer Thürr die Seiten- figuren St. Korbinianus und St. Sigismund für roofi., 10 fl. ,Ergetzlichkeit“ und 27 fl. 58 kr. з & Bier- geld. Von Thürr sind auch die Überschläge zum Altar, Visierungen und Modell zum Tabernakel. Beteiligt waren ferner die Bildhauer Daniel Starter von Augsburg und Elias Angermaier, der Maler Schauer von Neustift und andere. Am Neujahrs- tag 1624 wurde der Choraltar im Beisein der Bi- schöfe von Osnabrück und Minden, sowie fünf Prälaten geweiht, bevor er noch ganz vollendet war. Dem Stil des Frühbarock entsprechend war er in Schwarz und Gold gefaßt worden. Diese Fassung gefiel nicht; sie mußte nach einer Reso-

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lution vom 25. Januar 1624 ganz in Gold geändert werden. 1625 wurde am Altar noch gearbeitet. Aus diesem Jahre datieren Rechnungen des Bild- hauers Angermaier, der einzelne Dekorationsstücke lieferte. Vom Altarblatt selbst ist nirgends die Rede. Sicher war es 1623 noch nicht vorhanden, wie aus einem Brief des Bischofs an den Maler Rottenhammer in Augsburg, vom 11. Juli 1623 geschlossen werden darf: „Wir haben eur Ant- wortschreiben, wie und waß gestalt von ihm das begerte quadro für unsern Choraltar allbie zu malen gedacht weret, empfangen, und obwollen uns die fürgeschlagene Figur nit ybell gefielte, und ohne Zweifel wohl aussehen würde, wolten wir doch lieber, weilen das fürnembst und prinzipal Fest ist unsers Choraltars Nativitas Dni, wan dieselbe Figur mit einer schönen neuen Invention, oder da diese yn nit thaugsam, ein Visier, so sich auf alle unser Lieben Frauen Fest applizieren ließe, von ihn ge- macht und uns gegen gebührliche Bezahlung neben einem beileiffigen Yberschlag was selbiges un- gefehr kosten und auf was Zeit es verfertiget wer- den mechte, mit nechster Gelegenheit übersenden wurden.“ Demnach steht fest, daß 1623 noch nicht einmal das Thema für das Hochaltarblatt bestimmt war, und ferner, daß das Gemälde von Rubens noch nicht vorhanden sein konnte. Wein- hart, der zuerst auf diesen Brief aufmerksam ge- macht hat, vermutet, daß das Bild aus dem Nach- laß des Kurfürsten Ernst an Zahlungsstatt ange- nommen worden sei. Bischof Ernst hatte nämlich der Freisinger Domkirche testamentarisch 5000 Reichstaler vermacht, wovon 1618 noch 2000 Taler oder 3000 fl. ausständig waren; an deren Stelle habe die Domkirche das Rubensbild erhalten. Auch das ist unmöglich. Denn das Altarblatt wurde eigens für den Freisinger Dom gemalt, wie schon die Ansicht von Freising unten im Hintergrund zeigt. Es ist als Altarblatt für den Dom bei Rubens bestellt worden, sonst wäre die Ansicht von Freising nicht vorhanden. Ferner ist nicht der Altar für das bereits vollendete Bild langefertigt worden das wäre die weitere Fol- gerung, die aller Erfahrung widerspräche —; denn dann müßte das bei den riesigen Ausmaßen des Altares, der genau in den Chorschluß hineingestellt ist, am proportionalen Verhältnis von Altararchi- tektur und Bildrahmen kenntlich sein. Es ist vielmehr das Altarblatt für den fertigen Altar ge- liefert worden. Einen Beweis dafür bringt auch die Skizze von Rubens zu dem Bilde, die aus den Sammlungen Weber und Nemes in den Besitz von Bousqart (Paris) gekommen ist. (Abgebildet bei Rosenberg, Rubens, Klassiker der Kunst V,

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Stuttgart 1917, 5. 52, oder besser in Galerie Weber, Berlin 1912, Nr. 191, und Vente М. de Nemes, Paris 1913, I, Nr. 62.) Die Skizze auf einer kleinen Eichentafel (o, 72: 0,48) zeigt oben die Abrundung der Ecken, die dem Rahmen des Altarblattes ent- spricht. Rubens rechnete also mit einer gegebe- nen Fläche. Die Maße waren ihm eben geschickt worden. Die Komposition der oberen Hälfte ist von dem Rund der Umrahmung bedingt. Die Skizze stimmt in der Hauptsache genau mit der Ausführung überein; nur sind einzelne Figuren, namentlich der Erzengel Michael verändert, und statt der Landschaft unten ist eine Felspartie kaum angedeutet. Alles Nebensächliche überließ Rubens auch hier seinen Schülern. Lucas van Uden, der die Ansicht von Freising gemalt hat, hat einen Stich frei übersetzt, und zwar die An- sicht in Sebastian Münsters Kosmographie von 1544, die die gleichen perspektivischen Verschie- bungen zeigt. Eine weitere Bestätigung unserer Ansicht, daß das Bild erst nach 1624 entstanden sein kann, bringen folgende unpublizierte Notizen aus dem Kreisarchiv Landshut. In einem Schrei- ben an den Freisinger Kanzler Dr. Bienner vom 10, XII, 1624 kommt die Stelle vor; „Was nun das Plat zu dem Chor Altar alhie betrifft so solle Euch deshalben unser enätliche Resolution da und wann Wir Euch ... die messe Wein (so un- geverlich umb das Neue Jar beschehen mechte) übersenden, zukommen.“ In den Hofkammer- protokollen selbst steht unterm 27. VII. 1623: Pau- maister alhie weiset Visierungen vor wegen eines Choraltares. Conclusum: Irer Fürstlichen Gnaden das Guetachten zu Mahlung eines Plats ze geben. Die erste sichere Nachricht, die vom Vorhanden- sein des Bildes berichtet, stammt von 1632, Meichel- beck erzählt unter ausdrücklicher Berufung auf eine Quelle, daß beim Anmarsch der Schweden das Bild nach Innichen in Tirol gerettet wurde (S. 384). Memorant Frisingenses chartae, com- mode ex ara maiori Basilicae cathedralis fuisse praereptam Matris Apocalypticae efügiem, quam manu celebratissimi Rubenii pictam fuisse alibi rettulimus. Nullum enim nobilius spolium Frisingae sperabat Gustavus. Verum spes cum fefellit. Episcopus noster Vitus Adamus iam antehae sua- dente electore Bavaro etiam seipsum subduxerat Innichingam, Frisingense in Tyroli municipium. Man kann zwischen den Zeilen lesen, daß das Bild damals schon einige Zeit sich in Freising befand.

Aus allem ergibt sich also, daß das Altargemälde 1624 noch nicht vorhanden war, daß es frühestens 1624, nach Rottenhammers Tod, bei Rubens bestellt und nach Vollendung des Altares, aufgestellt sein

konnte. Will man die Überlieferung Meichelbecks retten, so darf man vermuten, daß erst um diese Zeit die Summe von 3000 fl. aus dem Vermächtnis des Kurfürsten Ernst dazu verwendet wurde, Dazu möchte auch der Umstand passen, daß am Altar selbst die Wappen von Bischof Ernst und seinem Nachfolger Veit Adam angebracht sind. Damit rückt das Bild in die unmittelbare Nähe des großen Münchner Engelsturzes von 1622 (Pinakothek Nr. 736), der einen ähnlichen Bildgedanken bringt und in der Komposition viele Übereinstimmungen zeigt, in die Zeit des Medicizyklus, in dem auf dem Bilde der Zusammenkunft der Königin mit ihrem Sohne der Sturz des siebenköpfigen Drachen in ähnlicher Weise dargestellt ist, (Skizze dazu in der Ріпак. Nr. 779.) Beide Bilder zeigen, daß Rubens damals diesen Bildgedanken in sich trug. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß verschiedene Motive schon auf Werken vorkom-

men, die vor 1615 liegen. Die eigenhändige, hellfarbige Skizze zum apokalyptischen Weib, die mit der Vorstudie im Weimarer Goethemuseum (Rooses V, 1454) für die stilistische Einstellung zuerst herangezogen werden muß, widersprechen dieser späten Datierung nicht.

Das große Altarblatt selbst ist eine Werkstatt- arbeit. Die Ausführung hat Rubens seinen Schi- lern überlassen; er hat deshalb auch die Skizze sehr weit durchgeführt. Das Bild erfreut sich aus diesem Grunde keiner hohen Schätzung. In der Münchner Pinakothek, in dieser glänzenden Umgebung von vielen, eigenhändigen Meister- werken, füllt es ab. Wenn es in dem alten Rah- men wäre, für den es geschaffen wurde, als Blick - ziel in dem großen Kirchenschiff, müßte die stili- stische Größe, die barocke Kurve erst zur Geltung

kommen.

GRÜNEWALD UND CIMABUE

Von ROBERT WEST

р" Frage, ob Grünewald in Italien war oder

nicht, kann nicht als endgültig gelöst angesehen werden. Auch die von Hagen angeführten Beweis- gründe für eine Italienreise sind m. E. nicht un- bedingt stichhaltig. Der Mangel an urkundlichen Nachrichten verweist uns zur Beantwortung dieser Frage ganz auf das Zeugnis der Malerei Grüne- walds selbst. Innere Gründe, nicht äußere Indi- zienbeweise, werden auch hier die zuverlässigsten Aussagen ergeben. Interessant sind Hagens Gegen- überstellungen von Bewegungsmotiven bei Grüne- wald, Mantegna und Pesello, aber auch hier kann ich mich schwer entschließen, die Ähnlichkeit für eine absichtliche Wiederholung etwa auf Grund einer Skizze anzusehen. Die vergleichende Kunstgeschichtsforschung lehrt, wie häufig solche Ähnlichkeiten in Bewegung und Stellung auf Bil- dern zeitgenössischer Maler vorkommen. Die Renaissanceepoche vor allem kennt eine gewisse Gleichförmigkeit in der Wiederholung von Be- wegungsmotiven, die der Antike abgelauscht sind. Es ist also wohl denkbar, daß Grünewald, auch obne Vermittlung Mantegnas oder Pesellos, diese oder jene gleichgeartete Zeichnung zu Gesicht be- kommen hätte. Andererseits wird aber ein un- befangener Betrachter weder in der Haltung des heil. Sebastian vom Flügel des Isenheimer Altars noch in dem Schergen der Geißelung eine wirk- liche Ähnlichkeit mit antikisierenden Renaissance- gestalten sehen können. Diese Figuren scheinen

mir viel eher auf fleiBigem Modellstudium zu be- ruhen und ihre Vorfahren auf manchem Bild der älteren deutschen Schulen zu finden. Ferner möchte ich auch nicht glauben, daß Grünewald, wenn er wirklich nach Italien kam, von Mantegna beeinflußt worden wire. Die straffe Diszipliniert- heit der Komposition Mantegnas, die Strenge und Festigkeit seiner Zeichnung, seine modellierende Formbehandlung, die wie aus Erz gegossene Pla- stizität und Harte seiner Gestalten können Grüne- walds ganz auf das Malerische und Expressio- nistische gerichteten Sinn kaum zum Vorbild ge- dient haben. Grünewald stand noch durchaus auf dem Boden der deutschen Gotik, und so wage ich es, die Behauptung aufzustellen, даб ein Auf- enthalt des Meisters in Italien vorausgesetzt dort nicht die Künstler des neuen Stils ihn an- zogen, sondern die großen Koloristen und Aus- druckskiinstler der italienischen Hochgotik: Die Mosaizisten und vor allem Cimabue Es wäre auch durchaus verständlich, daß ein so unabhän- giges, fast bizarr zu nennendes Genie, wie das Grünewalds, in Italien an den ganzen glänzenden Errungenschaften der Renaissance, mit ihrer Be- tonung des Formalen, gleichgültig, fast wider- willig vorbeigegangen wäre, um sich als echter deutscher Querkopf in die Farbenpracht alter Mo- saiken zu versenken und die Ausdruckskunst des letzten byzantinisch geschulten Meisters zu stu- dieren. Es gibt nur eine einzige Kreuzigung, die

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sich mit Grünewalds großer Kreuzigung des Isen- heimer Altars vergleichen ließe, das ist die Kreuzi- gung Cimabues in der Oberkirche von Assisi. Die Tragik des Ereignisses ist auch bei Cimabue nicht wie ein Einzelfall der Geschichte aufgefaßt, sondern wie die Offenbarung der letzten Tragik alles Menschenseins. Auch bei Cimabue werden der Gekreuzigte und die das Kreuz Umstehenden vom Seelensturm des furchtbarsten Geschehens zueinander geweht, aus dem Weltall hervor- geschleudert in die Apotheose des Schmerzes. Die Verwandtschaft beider Werke ist eine rein innerliche. Ich könnte mir denken, daß der er- schütternde Eindruck dieses Werkes alle tragi- schen Kräfte in Grünewalds Seele wachriefen, so daß, als er den Auftrag zum Isenheimer Altar empfing, seine eigene Vision der Kreusigung sich mit zwingender Notwendigkeit loslöste, durch- schauert von der seelischen Erregung des einst Erlebten.

Bei einem Charakter wie dem Grünewalds wer- den sich fremde Einflüsse immer nur in der gei- stigen Auffassung zeigen, niemals in der Über- nahme formaler Motive. Das Formale interessierte ihn nicht. Seine Formensprache dient lediglich dem Ausdruck der Gedanken, darum kann sie stets nur aus ihm selbst hervorgehen. Allein be- stimmte Farbenwirkungen, wie die der gotischen Glasfenster, mögen sich seinem Gedächtnis ein- gegraben haben, so daß er sie jeweilig da repro- duzierte, wo ihm eine solche Farbenerinnerung einer besonderen Stimmung zu entsprechen schien, Nun ist es immer eine unsichere Sache, über die Farbengebung durch Feuchtigkeit verdorbener, ver- blaßter oder übermalter Bilder etwas zu sagen. Auch fehlt mir jetzt leider die Möglichkeit, meine im Frühjahr 1914 gemachten Beobachtungen über

Cimabues Fresken in Assisi durch eine neue Be- sichtigung nachzukontrollieren. Beim ersten An- blick der weißen Kreuzigungsmadonna Grünewalds fiel mir aber die wunderbare weiße Madonna Cima- bues in der Unterkirche von Assisi ein und es sei mir deshalb gestattet, wenigstens meine. Tagebuch; notizen über dieses Werk zum Vergleich mit Grünewalds Madonna hierher zu setzen: „Dieses Fresko (Madonna mit Engeln und dem heiligen Franziekus) ist ganz in weißen, opalisierenden Tönen gehalten. Die Gewänder der Maria, des Kindes und der Engel sind weiß, schillern aber in roten und blauen Tönen, denen viel Gold bei- gemischt ist. Der ganz vorn links stehende Engel hat ein hellblaues Kleid. Dieses Opalgeflimmer ist wunderbar schön es mag aber erst durch das Verblassen und Ineinanderreifen der Töne, eventuell auch durch Absplitterung entstanden sein. Der Hintergrund ist tiefblau. . Franziskus in grauer Kutte, ein überwältigendes, fast tragisches Porträt.“ Wäre es nicht denkbar, daß die Vor- stellung dieser weißen Madonna den ersten An- trieb gegeben bätte zu dem wunderbar leuchten- den Mantel der Madonna Griinewalds? Auch die opalisierenden Töne des Cimabue-Werkes geben zu denken, wenn man sie vergleicht mit den merk- würdig schillernden, in opalisierenden Tönen ge- haltenen Heiligen Grünewalds auf den Seiten- fligeln des Heller Altars,

Sobald sich wieder die Möglichkeit ergibt, den Boden Italiens zu betreten, dürfte es eine lohnende Aufgabe für den Kunsthistoriker sein, die Fäden aufzufinden, welche auch diesen Großen unter den deutschen Malern mit der Kunst jenes Landes verknüpft, dessen klassische Traditionen sich das vorwilhelminische Deutschland durch Jahrhunderte der Kulturarbeit erobert hatte.

FELIX WITTING, LancelotBlondeel. Zur Kunstgeschichte des Auslandes. H. 119. Straßburg, Heitz 1917.

Das Buch Wittings, dessen Titel eine Mono- graphie Lancelot Blondeels verspricht, nimmt man mit freudiger Erwartung entgegen, um es nach kurzer Durchsicht enttäuscht beiseite zu legen. In der Tat enthält es kaum genügenden Stoff für einen mittleren Zeitschriftenartikel: weder von dem durch zahlreiche, sorgsam gesammelte und gesichtete Urkundenfunde Weales genugsam aufgehellten Lebenslauf des Meisters verlautet ein Wort, noch wird Neues über seine Werke aus- gesagt, nochauch das Bekannte nur richtig wieder- gegeben. Aus einem Einleitungskapitel, das All- gemeinstes über das niederländische 16. Jahrh. anmerkt, erfahren wir, daß „Mabuses violettrosa Tönung, in die (sic!) er die herben Erinnerungen an die großen Meister der Vergangenheit zu sanfter Wirkung zu bringen weiß“, eines der „Symptome des erweiterten Horizonts ist, denen die Abkehr von der Realistik der Formen, die Neigung zur Versinnbildlichung der Schönheit in gleichem Sinne entspricht“, daß Blondeels Werke zwar „sprechend“ wirken, doch schon als „Pro- dukte reflektierender Tätigkeit“ anzusehen sind, und dgl. mehr. Von den Werken selbst beschränkt sich W. darauf, ein Bild Lancelots in der Galerie zu Brüssel und eines „in Saint Pierre zu Brügge“ anzuführen, die „als sicher beglaubigte Werke seiner Hand zu gelten haben“. Das Brüsseler Bild, ein Petrus in reicher Architekturumrahmung, ist als Blondeel nicht durchaus gesichert, wird auch von Hymans (Thieme-Beckers Kiinstlerlexikon) mit Zweifel genannt. Brügge hat zwar eine un- gewöhnlich große Reihe von Kirchen aufzuweisen, doch gerade ein bedeutendes St. Pierre mangelt ihm, es ist daher nicht festzustellen, von welchem der in Brügge befindlichen Werke Blondeels W. sprechen will. Im zweiten Kapitel enthüllt УУ, das Motiv seiner Publikation: in der Cap. del Condestable der Kathedrale zu Burgos sah er ein Triptychon, das ihm eine Arbeit Blondeels zu sein scheint. Nachdem er das Werk eingehend be- schrieben und nacheinander Elemente von Gerard David, Hieron. Bosch, dem Maitre des Moulins, Jan van Eyck, dem Meister von Flémalle, und Ro- gier van der Weyden darin festgestellt hat, kommt er zu der Überzeugung, daß es sich um die Jugend- arbeiteines „südvlämischen, französisch beeinfluß-

Monatshefte für Kunstwissenschaft, XII. Jahrg. 1919, Heft 12

` М. Colombe, wird festgestellt,

ten Meisters der НосЬгепаіввапсе“ handeln muß und schließt nach einigen weiteren Allgemeinheiten, daß „die Symptome genügend Gemeinsames mit den beglaubigten Werken Lancelot Blondeels be- sitzen, um das Triptychon in seine Nähe zu rücken“. Wenige Zeilen tiefer ist ihm bereits „der Schluß auf diesen Künstler als Autor des Altarwerks un- abweisbar“, so unabweisbar, daß er ein wesent- lich anderes Bild von Biondeels Schaffen danach entwerfen zu können glaubt, als es bisher der Wissenschaft zugänglich war. Die Bilder in Brügge und Brüssel erscheinen ihm angesichts des Werks in Burgos als „ein bewußter Schritt zur Idealisierung des Schauplatzes, zu dessen Ver- ständnis die Mitwirkung poetischer Phantasie un- bedingt gehört“. Der Hypothesenbau fällt leider jäh zusammen mit der Erkenntnis, daß das Trip- tychon in Wahrheit mit der Kunst Blondeels nicht das mindeste zu tun hat: es ist eine Arbeit aus dem weiteren Kreis der sog. „Blesmeister“, die Friedländer unter der Bezeichnung der „Antwer- pener Manieristen“ gesichtet hat, und zwar gehört es keiner der von Friedländer behandelten Gruppen unmittelbar an. Zum Schluß sucht W. immer ohne Beleg durch Dokumente eine „Entwick- lung“ Blondeels zu konstruieren: aus der „retablo- artigen Vielgestaltigkeit“ seiner späten Werke wird ein Aufenthalt in Portugal geschlossen, ein enger Zusammenhang mit französischer Kunst, mit dem Maitre des Moulins und dem Bildbauer Auch Hieronymus Bosch, der „nach Ausweis seines großen Trip- tychons in der Saint Jean - Kirche zu Gent aus den Einflüssen Rogier van der Weydens .. gleicher- maßen herauswächst“, stellt sich nach W. als „Geistes verwandter“ Blondeels dar. Mit den Kirchen- patronen hat W. augenscheinlich kein Glück: auch das kirchenreiche Gent besitzt keine Johannes- kirche, die Genter Boschbilder befinden sich im Museum und sind keine Triptycha, es bleibt also wieder unerfindlich, welches Werk bezeichnet werden soll.

Ebe er an die Herausgabe eines schlechthin „Lancelot Blondeel“ bezeichneten Bändchens im Rahmen einer angesehenen wis senschaftlichen Buchfolge ging, hatte W. zum mindesten im Thieme Becker unter Blondeel nachschlagen sollen, dann wäre er auf die grundlegenden Aufsätze von Weale im Burlington Magazine (1908,9, XIV, p. 96 u. 160) und in den Annales de le société d’ému-

‘lation de Flandre (1908) hingewiesen worden;

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vielleicht wäre er am Ende auch auf eine neuere Blondeelmonographie von Pierre Bautier (Brüssel, van Oest 1910) gestoßen. An all diesen Stellen wäre er darüber belehrt worden, daß es in der Tat gesicherte Werke des Meisters in Brügge gibt. Das früheste davon ist die Kirchenfahne für die Gilde der Wundärzte und Bader, jetzt in St. Jacques (1523), es folgen die beiden Fahnen für die Gilden der Maler und der Maler und Sattler, beide 1545 vollendet, die eine mit Darstellung der Lukasmadonna jetzt im Brügger städtischen Museum, die andere mit der thronenden Madonna zwischen zwei Heiligen in St. Sauveur. Mit der Fahne von St. Sauveur geht vortreff lich eine weder bezeichnete, noch urkundlich nachweisbare Tafel mit Darstellungen aus dem Marienleben zusammen, die im Chorumgang der Kathedrale von Tournai hängt. Ich glaube, daß man das Fragezeichen, mit dem die Tournaiser Tafel dem Werk des Meisters angefügt zuwerden pflegt, getroststreichen kann: es handelt sich um eine durchaus eigen- händige, besonders sorgsam durchgeführte Arbeit Blondeels. Die Darstellung zeigt im Madonnen- typ wie in dem Landschaftsausschnitt einen ge- wissen Einschlag von Jan van Scorel, besonders offenbart sie eine auffallende, wenn auch etwas äußerliche Verwandtschaft mit Scorels Brüsseler Abendmahlsdarstellang: auch Scorel bringt dort die weiche, den Kern überwuchernde polychrome Architekturverschalung, die mit vielfachen, die Grenzen zwischen Ornamentglied und lebender Er- scheinung verschleifenden Putten und Karyatiden besetzt ist. Man erinnert sich der stilkritisch noch nicht ausgenutzten Tatsache, daß Biondeel und Scorel 1550 gemeinsam mit der Aufgabe betraut den Genter Altar zu restaurieren; eine wechselseitige Beeinflussung der Künstler mag dabei stattgefunden haben. Außer als Maler war Biondeel als Bildhauer, als Zeichner für Holzschnitt und Gobelin tätig; sein Brügger Kamin mit den beinahe lebensgroßen Figuren ist sogar seinem Biographen bekannt, über die beiden anderen noch keineswegs genügend erforschten Sehaffens- gebiete des Meisters gibt das Buch keine Auskunft.

Grete Ring.

MAX J. FRIEDLANDER, Der Kunst- kenner. Berlin, bei Cassirer 1919.

Es müßte ein interessantes Kapitel in einer Geschichte der Kunstwissenschaft ergeben, wenn man nur einmal die Urteile über Kenner und Kennerschaft im 1g. Jahrhundert zusammenstellte. Die „idealistische“ erste Hälfte des Jahrhunderts war der Kennerschaft abgeneigt, weil ihr der

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waren,

Ideengehalt der Darstellung alles bedeutete und die Fragestellung nach dem Autor auf Grund der formalen und technischen Behandlung als etwas Minderwertiges erschien. Es wirkt ergötzlich, ` etwa die wütenden Ausfälle J. A. Kochs in der modernen Kunstchronik 1834 zu lesen, wo er gegen „die superkluge Kennerschaft* und „die Kenner bei den Bilderflickern“ vom Leder zieht. Und noch Herman Riegel, der die Fernowsche Carstensbiographie 1867 neu herausgab, hält es für nötig zu bemerken, daß man dem bei Fernow vorkommenden unglücklichen Wort ‚Kenner‘ etwas zugute halten müsse. „Wissen wir doch, daß man nicht mit sogenannter Kennerschaft, sondern nur mit der Begeisterung eines sich hingebenden Gemiites den bohen Werken der Kunst wahrhaft nahe kommt.“ Die naturwissenschaftliche zweite Hälfte des ı9. Jahrhunderts hat den Kenner dann zu Ehren gebracht. Friedländer will nun die Be- deutung des Kenners innerhalb der Kunstwissen- schaft von heute dartun. Der Aufsatz, impressio- nistisch hingesetzt, ist von einer klugen Skepsis erfüllt. Daß das Kennerurteil im letzten Grunde Gefiihlssache ist, daß es auf Beweggründen be- ruht, die nicht an die Oberfläche des Bewußtseins treten und, soweit sie es tun, nicht mit Worten zu fassen sind, ist einsichtsvoll ausgesprochen. Ganz allgemein gesprochen unterscheidet sich also der Kenner durch das Nicht - Methodische vom Kunstwissenschaftler. Der Kenner ist Wertbe- urteiler, Sachverständiger von Qualitäten. Fried- länder aber spricht nur von einer Kennerschaft, die durch wissenschaftliche Schulung in bestimmte Babnen geleitet ist, von einem in den letzten Jahr- zehnten erst aufgekommenen Beruf des Kenners. „Der Kenner prüft das Kunstwerk mit dem Ziel, den Autor festzustellen.“ „Kenner sind immer Spezialisten“, sagt Friedländer. Das allgemeine Qualitätsgefühbl ist stillschweigend vorausgesetzt. Im Grunde dieser zugeschliffenen Betrachtungen, die stellenweise wie eine Apologie des wissen- schaftlichen Kenners anmuten, spiegelt sich doch nur das Bildnis eines Kenners, nämlich des Autors. Gerstenberg.

FRITZ BÜRGER: Die Gensler, drei Hamburger Malerbriider des 19.Jahr- hunderts, Mit 12 Lichtdrucktafeln (Stu- dien z. dtsch. Kunstgeschichte, Heft 190). Verlag J. A. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), Straßburg 1916.

Der Wert des Bürgerschen Buches, das sich seiner ganzen Art nach als Erstlingsarbeit verrät,

liegtin den ausführlichen und übersichtlichen Kata- logen von den Werken der drei Brüder Gensler. Diesen Katalogen sind auf 68 Seiten kurse Cha- rakteristiken der drei Maler vorangestellt, die im einzelnen einiges neue Material beibringen, hier und da recht feine Bildbeschreibungen und Bild- analysen geben, aber, soweit die zusammenfassende Betrachtung des einzelnen Künstlers oder gar seine Eingliederung in die allgemeine Entwicklung seiner Zeit und seines Kreisesjin Frage kommen, nicht über das hinausgehen, was Lichtwark im „Bildnis in Hamburg“ und in dem Buche über Hermann Kauffmann gegeben hat, ja, diese zu- sammenfassende Betrachtung teilweise nicht er- reichen. So ist gerade bei Günther Gensler das Wesen seiner Bildniskunst nach Eigenart und Einheitlichkeit viel zu obenhin betrachtet, und auch der für alle drei Brüder giltige Wunsch Lichtwarks, es möchte einmal unter Benutzung ihrer Korrespondenz ausführlich geschildert wer- den, was die drei Gensler für ihre Heimat ge- leistet hätten, ist durch dieses Buch nicht erfüllt worden.

Im einzelnen ist zu sagen, daß die Selbständig- keit der Bürgerschen Betrachtungen vor allem in der Einschätzung von Martin Gensler liegt, den er im Gegensatz zu der übrigen Forschung und namentlich zu Lichtwark als den schwächeren Künstler gegenüber dem frühverstorbenen Bruder Jakob anspricht, Daß er auch hinsichtlich der Por- trätkunst Günthers von dem Lichtwarkschen Urteil abweicht, scheint weniger bedeutsam, da ihn hier Schwächen der Malerei über den entwicklungs- geschichtlichen Wert der Günther Genslerschen Bildnisse getäuscht zu haben scheinen. Sonst ist übrigens gerade die Studie über Günther Gensler, weil es sich um den unkompliziertesten der Brüder handelt, am besten geraten; aber schon bei Martin Gensler ist Bürger den schwierigeren Partien der Darlegung nicht gewachsen gewesen. Das gilt zunächst von der Charakteristik des Martin Gens- lerschen Schaffens an sich, in der der Einfluß der Dürseldorferei zwar richtig gesehen, aber des- halb noch nicht richtig erklärt ist, und wo es vor allen Dingen an der Erkenntnis fehlt, daß sich hier der grundlegende Unterschied zwischen echtem Künstlertum und künstlerischem Dilettan- tismus (bei freilich starkem Talent) ausspricht. Es ist überhaupt eine Beobachtung, die bisher viel zu wenig bekannt, geschweige denn aus- gesprochen worden ist, und deren Fehlen auch Bürger den Blick für die klare Wertung mancher Arbeiten Jakob Genslers getrübt hat, daß in dieser Generation, und schon bei den deutschen

Künstlern seit dem Ende des ı8. Jahrhunderts, der Sinn für die Natur und die Fähigkeit einer sachlichen und von keiner Schulregel beeinflußten Wiedergabe des genau und frisch Beobachteten durchaus vorhanden waren, daß es aber, man möchte fast sagen, als unanständig galt, sich damit zu begnügen, wenn man an die Ausfüllung eines Leinwandraumes zwischen vier Rahmenleisten ging.

Ziemlich obenhin wird dann auch die kunst- gewerbliche Betätigung Martin Genslers abgetan. Man erfährt nur, daß er sich mit solchen Dingen befaßt habe, und zwar fast zwei Menschenalter lang. Die Richtung aber, in der diese Beschäfti- gung ging und der Einfluß, den sie auf die Ent- wicklung des Kunstgewerbes, besonders des Ham- burgischen, genommen hat, wird nicht einmal mit einem so treffenden Satze gestreift, wie ihn Lichtwark im Kauffmann-Buche für diese Gensler- sche Tätigkeit gefunden hat. Von einem Versuch, seine kunstgewerbliche und seine künstlerische Tätigkeit auf eine Formel zu bringen, ist vollends nicht die Rede.

Auch das Kapitel über Jakob Gensler beschränkt sich darauf, Einzelanalysen von Bildern zu geben, und ganz allgemein die äußeren Linien der Ent- wicklung nachzuziehen. Hier wird ebensowenig wie bei den anderen Brüdern der Versuch ge- macht, innerhalb der Familienähnlichkeit die ge- schlossene Eigenart der Persönlichkeit nachzu- weisen. Da, wo einmal ein Anlauf zu einer Fest- stellung der besonderen Jakob Genslerschen Stellung innerhalb der ihn umgebenden Kunst genommen wird, trifft Bürger daneben; der Vergleich mit Wasmann trifft nicht zu, weil Wasmann mit ganz anderem Bewußtsein seine Sonderwege als die eigentlichen ansah, die er nur aus Mangel an Energie nicht zu Ende zu gehen vermochte, wäh- rend Jakob Gensler niemals in dem Maße sich von der Überlieferung lossagen wollte und nicht mehr Impressionist war als jeder andere gleich- geartete Künstler seinerzeit, der vor der Natur mit dem Studienblatt und in der sicheren Über- zeugung saß, Vorläufges zu schaffen, das bei endgültiger, bildämäßiger Formung noch der Um- wandlung bedürfte.

So ist das Buch die erwünschte Arbeit über die Genslers, die gleichzeitig ein Beitrag zur Ge- schichte der deutschen Landschafts- und Bildnis- malerei wäre, nicht geworden, und die an sich ganz hübschen Einzelergebnisse werden in ihrer Wirkung noch dadurch beeinträchtigt, daß sie in einer außerordentlich undkonomischen Weise dar- geboten werden, d.h. in einer Weise, die aufjede übersichtliche Gruppierung und auf jede logische

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Entwicklung verzichtet. Daß auch der deutsche Stil und die Interpunktion manchmal zu wünschen übrig lassen, wird wohl mehr auf die Rechnung von Setzer und Korrektor kommen. Es bleibt also noch manches an diesem Stoffe zu tun, Viel- leicht, daß der Verfasser ihn später noch einmal in die Hand nimmt und jetzt, nicht mehr bebin- dert durch Einzeluntersuchungen, die großen Zu- sammenhänge in klaren Linien nachzieht.

H. Friedeberger.

ERNST DIEZ, Churasanische Bau- denkmäler. 1. Band, mit einem Bei- trage von Max уап Berchem. Mit fünf farbigen und 36 schwarzen Lichtdruck- tafeln sowie 40 Textbildern. Verlag von Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) in Berlin 1918. Arbeiten des kunsthistor. Instituts der Universität Wien (Lehrkanzel Strzy- gowski), Bd. VII. |

Der 116 Seiten starke Folioband legt den Haupt- teil der kunsthistorischen Ergebnisse einer 1912 bis 1914 von dem Verfasser in Gemeinschaft mit Hptm. Oskar Niedermayer unternommenen For- schungsreise nach Ostpersien dar und umfaßt die Publikation der aufgenommenen Denkmäler, deren Beschreibung, Inschriften, Baugeschichte, Datie- rung und Bestimmung mit eingehender Heran- ziehung und textlicher Anführung der bisherigen älteren Literatur. Ein in Aussicht gestellter zweiter Band soll die Verarbeitung des vorgelegten Ma- terials in Bezug auf sein künstlerisches Wesen und seine kunstgeschichtliche Einstellung bringen und läßt eine Klärung der auf den Ursprung der islamischen Kunst abzielenden Fragen erhoffen in dem kunstgeschichtlich seit langem von Strzy- gowski vertretenen Sinne, daß es weniger die Kunst des vorislamischen Westens (Hellenismus, Sasaniden) ist, die dauernd bei der Schaffung der islamischen Typen mitwirkte, als vielmehr die starken volkstümlichen Elemente des iranischen Ostens als eines Knotenpunktes zwischen Turke- stan, Zentralasien und Südasien. Freilich standen dort der Erforschung schwerwiegende äußere Umstände im Wege wie die wiederholten Ver- wüstungen durch feindliche Horden und Erdbeben, die geringe Dauerhaftigkeit des Baumaterials und die Schwierigkeiten, die Ausgrabungen, Vermes- sungen und überhaupt dem Besuche der Heilig- tümer entgegengesetzt werden. Gerade dieser Rückstand gegenüber der seit langem nachdrück- licher betriebenen Erforschung West- und Süd- persiens veranlaßte die von dem Leiter des Wiener

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Institutes angeregte Reise. Wurden auch viele der vorgeführten Denkmäler von älteren Reisen- den beschrieben, so geben doch erst die durch Lichtbilder, Grund- und Aufrisse und innerhalb eines kritischen Apparates vorgeführten Neuauf- nahmen des Verfassers eine moderne wissenschaft- liche Grundlage für die entwicklungsgeschicht- liche Verarbeitung. In einem vorangestellten Ab- schnitt wird eine Übersicht über die politischen, geographischen und ethnologischen Grundlagen gegeben und die historische Bedeutung des Landes erläutert, die in den neben Baghdad wichtigsten Kulturzentralen des mittelalterlichen Persien: Merv, Balch, Herat und Nischabur gipfelt. Es folgt die Beschreibung des teils gemeinsam, teils getrennt von Diez und Niedermayer zurückgelegten Weges mit um so wertvolleren kulturgeographischen Schilderungen, als die begangene Route fast durchwegs abseits von den gewöhnlichen Kara- wanenstraßen führte. Sie verlief von Asterabad längs der Turkmenengrenze über Sebzewar nach Meschhed; von hier aus eine Rundtour zu den Denkmälerstätten Sengbest, Turbet-i- Scheich Dscham, Sarachs; es folgt Meschhed. Chargird, Turschiz und dann die Durchquerung der Salz- wüste ab Nischabur, Kischmar über Chur nach Isfahan. Denkmäler des weiteren Weges, der

den Verfasser über Schiras an den persischen

Golf und auf die Insel Bahrein führte, hat D. teilweise in seinem Islambande des Burgerschen Handbuches veröffentlicht. Im vorliegenden Bande folgen die historisch wichtigen churasanischen Monumentalbauten nach Zweckgruppen geordnet Zunächst werden die mehr oder weniger bekann- ten Grabtürme vorgeführt, wobei ein Hauptaugen- merk auf die vollständige photographische Auf- nahme der zum Teil ungelesenen, zum Teil lücken- haft oder unsicher behandelten Inschriften gelegt wurde. Ihnen widmet am Schlusse des Bandes Max уап Berchem eingehende Besprechungen, unter denen für den Kunsthistoriker ein gelegent- lich der Inschrift des Turmes von Kischmar ein- gefügter Beitrag über den Ursprung des Mina- rets von besonderem Interesse ist, in dem das Nachwirken iranischen Heidentums in der Fort- führung ziviler oder religiöser Denkmäler (Votiv- säulen, Feuertürme u. dgl.) und deren allmäh- licher Islamisierung geltend gemacht wird. Es folgen einzelstehende Minarete (Wach- und Sieges- türme), dann die Grabkuppelbauten von Sengbest, Tus, Sarachs, Meschhed und Lenger, deren vom 1a. (10.?) bis zum 18. Jahrhundert reichende Reihe wertvolle Anhaltspunkte für die Gesamtentwick- lung gibt. Die nächste Serie umfaßt kombinierte

а.

Kultbauten (Moscheen, Medresen, Musalla, Klöster), unter denen die von D. entdeckte Moscheeruine von Chargird (12. Jahrh.) mit einem an die Gebets- nischen der Kairiner Moscheen erinnernden Stuck- mihrab und prachtvollen Resten eines zweiflächig ausgeschnittenen Schriftbandes zugleich als ein- ziges bekanntes iranisches Denkmal aus unge- brannten Ziegeln von größter Wichtigkeit ist. Von nicht geringerer historischer Bedeutung ist die wenigstens teilweise Aufnahme (Grabmoschee und Kloster) des Komplexes von Turbet-i-Scheich Dscham an der afghanischen Grenze als der in Persien einzig erhaltenen von den einst häufigen Pflanzstätten des Sufismus; wie dieses Denkmal Beziehungen zu Indien erkennen läßt, so ist die Moschee in Dschadscharm für die architektur- geschichtliche Bedeutung der Türken in Persien und über dieses hinaus von Wichtigkeit. Den Schluß der Denkmälervorführung bildet der Plan eines der vierzehn Rasthäuser, die Emir Ali Schir 1509) an der Pilgerstraße Dschurdschan-Mesch- hed errichten ließ. Der Text des Werkes ist durch Grund- und Aufrisse, Pläne und erläuternde Zeichnungen reich illustriert; die Lichtdrucktafeln enthalten 122 Originalaufnahmen, die nicht nur den Gesamteindruck des Äußern der Denkmäler, sondern auch schwierige Interieur- und vielfach mit Teleobjektiv erzielte Detallaufnahmen von In- schriften, konstruktiven und dekorativen Einzel- heiten wiedergeben, und dadurch dem Forscher wie dem Künstler und Techniker reichhaltige An- regung bieten. H. Glück.

OSKAR HAGEN, Matthias Grüne- wald. R. Piper & Co, München 1919.

„Den Nerv meiner Schrift bildet seine (Огипе- |

walds) Kunst und zwar ausschließlich und allein die innerste Wesensart der Kunstwerke ‚die man nur zu erkennen vermag, wenn man jedes ein- zeine, losgelöst von allen außerkünstlichen Begleit- umstanden, als augensinnlich bestimmten Orga- nismus im Zusammenhang mit dem Ganzen wür- digt.“ Dieser programmatische Satz verheißt das zu Erwartende: Deutung der Form durch Form; Erklärung Grünewalds (der wem kein Rätsel und ein quälendes wäre?) durch Grünewald, circulus vitiosus arg beliebter Tänzelei, historisch-geneti- scher Zielsetzung unserer Wissenschaft ein Greuel. Die Verbeißung wird erfüllt. Im wesentlichen bietet das Buch Interpretationen nach Stoffen: Kreuzigungsdarstellungen, weiteren Passionsbildern und so weiter geordnet. Manches ist gut, manches weniger, wie es eben gehen muß, wenn man ein

Kunstwerk als ein in der Luft schwebendes „los- gelöstes“ Ding ansieht. Zweifellos bat das Buch in diesen ästhetisch-kunstwissenschaftlichen Teilen aber ein Verdienst. (Ich komme darauf zurück.) Leider hat der Verf. trotz des Abschwurs an die historisch-genetische Auffassung auch den Ehr- geiz, Kunstgeschichte zu schreiben. Hier muß ihm fast überall widersprochen werden und es ist auch schon geschehen.

Ein vom Himmel gefallener Genius ist eine menschlich peinliche Sache. Im Text wird zwar Aschaffenburg als wahrscheinliche Heimat an- genommen, in der zugehörigen Anmerkung wird aber alles derart schwankend, daß Aschaffenburg, Grünewald und alle Zeugnisse fallen. Verlockend wird Matthias Gothardt alias Neithardt als der wirkliche Schöpfer der seither Grünewald zuge- schriebenen Werke hingestellt. Mit Kritik natür- lich. Mut ist nur dazu da, das Griinewald- märchen anzuzweiſeln. „Der Namen des Künst- lers spielt dabei keine Rolle.“ Es wird behauptet, daß wir ihn nur nach der durch mangelhafteste Quellenangabe belegten Behauptung J. v. Sand- rarts wissen. Und R. Fäsch: Humanae indu- striae monumenta? Ist da vor Sandrart das Monogramm nicht als: Mattheß Grün (!) von Aschaffenburg aufgelöst und dieser Künstler aus- drücklich als der Schöpfer des Isenheimer Altares („zu Isna unter Milhausen“) bezeichnet worden? Man merkt die Absicht dieses Verschweigens und wird sehr verstimmt. Zülchs zwar nicht ab- geschlossene, aber der Wahrheit der Dinge scharf nahekommende, Untersuchung soll eliminiert wer- den. Ich hoffe vergebens. Vorerst kann es sich nur um eine Zustimmung, nicht um ein Anerken- nen handeln. Ich denke, daß Zülch uns auch dazu noch zwingen wird. Sein Mattheß Grün wird jedenfalls allein unter allen Quellen, nämlich bei Fäsch, mitHeranziehung des Monogramms als der Meister des Isenheimer Altares genannt. Ich verstehe den Grund des Sichsperrens. Dieser Mattheß Grün (Zülchs) wird Bildschnitzer genannt. Ach, wie wenig wissen wir noch vom Mittelalter, wie unzulänglich ist vor allem das Sicheinfühlen der Formalinterpreten? Gibt es nicht einen Pictor Bertram, der Bildhauer war, gibt es nicht einen gewissen Tilmann Riemenschneider, der alsMaler- geselle in Würzburg auftaucht? O Formalanalyse, o Interpretation! Im Text des Buches weiß der Verfasser nach diesen Glaubensbekenntnissen der „wissenschaftlichen“ Anmerkungen nicht, wo er mit dem Kuckucksei: Grünewald (dieser Grünewald ist kein Grünewald, wer es dennoch tut.. . ) hin soll. Er legt es unter Glasmalereien. Der Ge-

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danke ist gar nıcht schlecht. Aber Historie, Ge- netik! Was soll das kümmerliche Glasfenster aus Rothenburg, aus der Zeit um 14002 Man faßt es einfach nicht (besonders 8. 58!) Um 1480! Mittel- rhein! Ja, das fehlt. Trotz Thode und Back. Trotz der selbstredenden Größe eines Hausbuch- meisters. Allerdings, wenn man M. G. N. in Würz- burg und Umgegend sucht! Dann Frankfurt! Gab es da denn nur Holbein d. Ä.? Es kommt die „krankhafte Unrast“ des Meisters! Woher weiß das der Verfasser? Aus der Italienreise, an die niemand mehr glaubt? Nein, es geht nicht. Dieses kümmerliche Bildchen von Pesello! O, es gibt ganz andere Wege. Wie wäre es mit der Stutt- garter Gefangennahme (Tafel 17 der Monatshefte für Kunstwiss., Bd. VII), womit ich nicht einmal etwas Bestimmtes gesagt haben will. Es gibt viel. О Mittelrhein, noch einmal! ,Sandrart spricht zwar von Mainz als Wohnort, aber sein Zeugnis wiegt nicht viel.“ Wer, was wiegt denn?

Die Interpretationen sind ganz fein; abgesehen von den kunstgeschichtlichen Exkursen. Manches erstaunt. Warum fehlen die Farbanalysen und Interpretationen etwa beim Kreuzigungsbilde des Isenheimer Altares („in der leuchtenden, stark- farbigen Pracht lichtgesättigter Gewänder auf der Folie des geheimnisvoil den ganzen Raum durch- tönenden, grünblauen Grundes. H ist doch еіп wenig zu belanglos). Ähnlich auch sonst. Zu- weilen ist die Interpretation überhaupt dünn, etwa die des hi. Antonius S. 104: Sieben Zeilen! Aus- gezeichnet sind Analysen wie die des Stuppacher Bildes. Eine persönliche Bemerkung zum Schluß. Ich schwöre aus innerster Überzeugung auf die Auffassung unserer Wissenschaft, wie sie Tietze vertritt. Nur aus diesen Gründen eines völlig ab- weichenden Standpunktes habe ich an dem vor- liegenden Falle die Schwächen der formalästheti- schen Betrachtungsweise ganz kurz aufgedeckt. Das Buch soll ein Volksbuch sein. Dazu war es noch nicht an der Zeit. Oder man hätte eben nichts als anspruchslose Interpretationen geben dürfen. So ist es ein Zwitter, der weder dem Bedürfnis noch der selbstfestgelegten Fahrt (siehe Eingangssatz) entspricht. У. С. Habicht.

MAXIMILIAN AHREM, Das Weib in der antiken Kunst. Mit 295 Tafeln und Abbildungen. Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena, 1914. Geb. M. 15.—.

In der Einleitung verspricht der Verfasser „mehr als es in der Kunstgeschichte üblich ist, den Blick zu richten auf jenes Agens, das hinter aller Ge-

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staltung liegt. Das Buch will keine Betrachtung bloßer Formen oder Materien sein, sondern eine Darstellung allgemeiner seelischer Kräfte und Ten- denzen, die als bildende Faktoren hinter der durch die Kunst kristallisierten Gestalt stehen.“ Dieses Ziel ist in keiner Weise erreicht der Versuch vielmehr als mißglückt zurückzuweisen. Bei dieser Verquickung von Kunst- und Kulturgeschichte kommt keine zu ihrem Recht. Mit dem Ein- streuen gemeinplätziger Betrachtungen oder ge- legentlicher Zitate ist es nicht getan. Die Dar- stellung klebt am Stofflichen. Die Ausdeutungen der Tanzszenen und mehr noch die der Bildnisse ägyptischer Königinnen lesen sich wie Schilde- rungen eines schlechten Romans. Das „Trotz- köpfchen“ der Frankfurter Athena erweckt in Ahrem das Verlangen, es „in die Hände zu nehmen . . gewiß, daß sie bald in die Heiter- keit einstimmen wird“ (8. 122). Die sog. Flora im Neapeler Museum wird folgendermaßen charak- terisiert: „durch das kaum merkliche Verzögern der Bewegung gewinnt ihre Erscheinung eine sachte Behutsamkeit, die einfach verliebt macht“ (8. 255). Stellen dieser Art lassen sich zum Überdruß häufen und geben eine Vorstellung vom Niveau des Buches,

Schon die Beschränkung des Themas und Her- auslösung der Frau aus dem Gesamtkomplex der bildenden Kunst macht bedenklich, Aber Emil Schaeffer!) hat vor Jahren ähnliche Aufgaben sehr viel glücklicher gelöst. Die Schwierigkeit einer sich an die Allgemeinheit wendenden Darstellung soll gewiß nicht verkannt werden, Vielleicht er- fordert sie vom Verfasser eine noch größere Strenge, Selbstzucht und Durchdringung des Stoffes als Einzeldarstellungen, die sich an den enge- ren Kreis der Fachwissenschaftler wenden. Aber mit Büchern wie dem vorliegenden wird der Ten- denz des Publikums, Kunstwerke nur stofflich auf sich wirken zu lassen, Vorschub geleistet. Es ist dies um so bedauerlicher, als das Buch vor- züglich ausgestattet ist und eine Reihe von Ab- bildungen bringt, die in populären Kunstgeschich- ten zu fehlen pflegen. Rosa Schapire.

A. L. MAYER, Matthias Griinewald. München, Delphinverlag 1910.

Der Minchner Aufenthalt des Isenheimer Altares hat Grünewald eine ungeahnte Popularität ver- schafft, die getragen wird von gleichgerichteten Strömungen der zeitgenössischen Malerei. Neben Hagens stilkritischem Werk erhebt sich aus der

(x) Emil Schaeffer: Die Frau in der venesianischen Malerei 1899 und Das Florentiner Bildnis 1904.

Masse der kleineren Monographien das im besten Sinne populär geschriebene Buch A. L. Mayers. Es wendet sich von vornherein an einen größeren Leserkreis und gibt mit der ebenso geschickten wie einfachen Einteilung guten Aufschluß über Leben, Werke und stilistische Eigenart Grüne- walds, ohne sich auf durchgreifende Analysen einzulassen. Da aber Mayer durchaus selbständig vorgeht, so sind eine Reihe neuer Beobachtungen in sein Werk aufgenommen, mit denen sich die Forschung auseinandersetzen muß.

Mayer vertritt mit Recht die Auffassung, daß der ältere Holbein nicht Grünewalds Lehrer ge- wesen sein könne, sondern daß, wie schon Glaser annahm, der ältere Holbein vorübergehend unter den Einfluß dieses übermächtigen Temperaments geriet. Mayer setzt dafür eine hypothetische Lehr- zeit bei einem Aschaffenburger oder Mainzer Meister und deutet mit dem Altar des mainfrän- kischen Meisters in der Alten Pinakothek genauer, als dies bisher geschah, in die Richtung, aus der Grünewald kam. Mayer betont auch die wich- tige Feststellung Hagens, der zuerst auf den Zu- sammenhang des Grünewaldschen Kolorits mit der Glasmalerei hingewiesen hat. Gegenüber Hagen, der Grünewald als unstät im rastlosen Leben hin- und hergeworfen hinstellt, nimmt Mayer eine dem Werkstattbetrieb der Zeit eher entsprechende Seßhaftigkeit in Frankfurt an, wo Grünewald im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhun- derts nicht nur die Flügel des Heller Altars, son- dern auch die Tafeln des Isenheimer Altars ge- malt habe. Die Frankfurt - Rosdorfer Antoniter könnten ihre Isenheimer Brüder wohl auf Grüne- wald aufmerksam gemacht haben. Dem Einwurf, daß Grünewald dort gemalt haben müsse wegen des Porträts des Abtes Guersi begegnet Mayer von vornherein, indem er leugnet, daß es sich bei dem heiligen Einsiedler überhaupt um еіп Porträt handle, da die Antoniter damals keine Bärte trugen. Die Behauptung, die Mayer mit der bisherigen Literatur teilt, daß es sich bei dem Sebastian um ein Selbstporträt handele, scheint mir gar nicht einwandfrei. Es mag sich um jene Ähnlichkeiten handeln, die bei Dürer jeden Christus- kopf als Selbstporträt ansprechen lassen, um mehr aber nicht. Die „funkelnden“ Augen auf dem Stich bei Sandrart habe ich nicht entdecken können.

Für die beiden großen problematischen Reisen Grünewalds nach Italien und nach den Nieder- landen tritt Mayer ein und möchte für letztere als neues Beweisstück den Hinweis auf gewisse Rothaut- und Indianertypen unter den Engeln

des Engelkonzerts beibringen, die Grünewald in

den niederländischen Hafenstädten gesehen haben könnte. Das überzeugt wenig und ist doch noch immer der gegenüber Grünewald so wenig ge- rechtfertigte naturalistische Standpunkt, daß man nur malen könne, was man einmal mit leiblichen Augen erblickt habe. In der Datierung der Werke weicht Mayer von Schmid und Hagen in einem wesentlichen Punkte ab. Er setzt nämlich die Münchner Verspottung erst an das Ende des ersten Jahrzehnts, weil sie technisch am nächsten mit der Beweinung des Isenheimer Altares zu- sammenginge. Weichheit der Malerei, Fehlen der schwarzen Konturen, vorgeschrittene Farben- verteilung sind die übereinstimmenden Faktoren. Man kann dem durchaus zustimmen und noch hinzufügen, daß die Art, wie die Hände gezeich- net sind, bei der Prinzessin auf dem Cyriaksbild die nächste Verwandtschaft hat. Gegen die späte Datierung spricht allerdings die merkwürdige Er- findungsarmut im Faltenwerk des Mantels Christi. Mayer hat die Tafeln des Isenheimer Altares lange Zeit täglich vor Augen gehabt und kann eine Reihe von Verschiebungen von der ursprünglichen Formgebung anmerken, die bei Schmid noch nicht stehen. Sie zeugen für die ununterbrochen schwin- gende Phantasietätigkeit Grünewalds, die für sein Schaffen so charakteristisch ist. Bei Behandlung der Zeichnungen hat Mayer nichts von den wag- halsigen Hypothesen Hagens angenommen. Die Studie zu einem Schergen von 1513 im Louvre hält Mayer für Donauschule Er hätte nur auch die Zeichnung des höhnenden Priesters näher an- sehen sollen. Sie ist auch in den originalen Stellen meines Erachtens nicht von Grünewald, sondern von einem Meister, in dem sich Grünewaldsche und Burgkmairsche Einflüsse kreuzten. Zum ersten Male sind dieser Grünewaldmonographie dann auch die jüngst entdeckten Zeichnungen in Berlin und Stockholm beigegeben. Überhaupt ist der Ab- bildungsfrage viel Wert beigelegt worden. Es sind eine Anzahl vorzüglicher Einzelaufnahmen vom Isenheimer Altar darunter. Kurt Gerstenberg.

MAX BAUER, Deutscher Frauen- spiegel Bilder aus dem Frauenleben in der deutschen Vergangenheit. Zwei Bände mit 162 Abbildungen. München und Berlin bei Georg Müller. 1917. Unter sehr sorgfältiger Benutzung der vorhan- denen Literatur hat Max Bauer alles zusammen- getragen, was sich auf das Frauenleben der Ver- gangenheit bezieht. Von der Germanin, wie sie sich in Tacitus’ Augen idealisiert spiegelt, führt der Verfasser über die Frau des Mittelalters bis

351

in die Zeit des Rokoko und der Galanterie. Er schöpft aus Frauen- und Liebesbriefen, aus Aus- sagen von Dichtern und Sittenschilderern, aus Zaubersprüchen, aus dem Leben in Burg und Schloß, auf dem Kénigstbron, in Kiiche und Keller, auf der Straße und in der Heimlichkeit des Frauen- gemaches. Die einzeinen Stände zieben an uns vorbei: die Bäuerin, die Nonne, die Städterin, die Frau als Jungfrau und Braut, als gefeierte Künigin Frouwe, die Minnehof hält, als Dienstmädchen Dirne, Zauberin und Ärztin. Damit ist ein um- fangreichstes Kapitel der Sittengeschichte auf- gerollt. Die Stellung der Frau ist ein Gradmesser der Kultur der jeweiligen Epoche, Vermißt wird ein zusammenfassendes einleitendes oder Schluß- kapitel; bei der Überfülle des Stoffes wäre es doppelt notwendig.

Am wenigsten selbständig ist Bauer im Kapitel „die Künstlerin“. Es hätte fehlen dürfen. Der positive Anteil der Frauen an der Entwicklung der bildenden Kunst ist ein so außerordentlich geringer, sie bewegen sich so ganz in den vom Mann längst ausgefahrenen Geleisen, daß man, besonders bei Bauers Abhängigkeit von Guhls veraltetem Buch „die Frauen in der Kunst- geschichte“ (1858) auch nicht einen neuen be- zeichnenden Zug daraus gewinnt. Auf die bloße Aufzählung von Namen kunstbeflissener Frauen kommt es nicht an. Selbst die mythische Sabina von Steinbach, über die die Geschichte längst hinweggegangen ist, wird uns im Zusammenhang mit der herrlichen Plastik am Straßburger Mün- ster nicht vorenthalten. Auch in der Auswahl der Abbildungen zeigt sich Bauers Unsicherheit, so- weit bildende Kunst in Frage kommt. Gewiß wird viel Interessantes abgebildet, aber aus Minia- turen aus der Graphik des 15. und 16. Jahrhun- derts, aus der Profanmalerei der gleichen Epoche und aus Trachtenbildern läßt sich eine in kultur-

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bistorischer Beziehung viel interessanteres Bild zusammenstellen. Auch hätten die vielen An- leihen bei den Holländern des 17. Jahrhunderts vermieden werden können. Bedauerlich ist, daß der Aufbewahrungsort der reproduzierten Zeich- nungen und Ölbilder stets fehlt. Dafür erhöht ein außerordentlich sorgfältiges Register die Brauch- barkeit des Buches, Rosa Schapire,

EUGEN ABELE, Der Dom zu Frei- sing. Ein Führer durch seine Monu- mente und Kunstschätze. Mit 48 Abb. Freising 1919.

Den Dom zu Freising hat Sighart in einer kleinen Monographie 1852 in die Kunstgeschichte eingeführt, die Ergebnisse seiner wissenschaft- lichen Arbeit haben Bezold und Riehl in den Kunstdenkmälern Bayerns ergänzt und verbrei- tert. Seitdem ist kein zusammenfassendes Werk über den Dom erschienen. Inzwischen hat die Einzelforschung eine Menge neuer Ergebnisse gebracht. Die Baugeschichte der gotischen Zeit und des 17. Jahrhunderts wurde geklärt, die Plastik des ı5. und 16, Jahrbunderts wurde neu durch- forscht, die Würdigung der Schöpfungen aus der Barock- und Rokokozeit wurde wesentlich vertieft. Künstler, die in Freising vertreten sind oder waren, wie die Bildhauer Jakob Kaschauer, Erasmus Grasser, Stephan Rottaler, Hans Beierlein, Loy Hering, die Maler Hans Alex Maier, von Candid, Rottenhammer, den Asam ganz zu schweigen, sind uns greifbare Persönlichkeiten geworden. Alle neuen Ergebnisse hat Abele in seinem frisch geschriebenen, populären Führer verwertet, ver- vollständigt und mit Eigenem glücklich durchsetzt.

Durch die übersichtliche Anordnung des Materials,

die von guten Abbildungen begleitet ist, hat der Verfasser der Kunstgeschichte einen dankenswerten Dienst erwiesen. Adolf Feulner.

DER CICERONE.

XI, 19.

G. BIERMANN: Hugo von Habermann, (12 Abb.) F. LANDSBERGER: Impressionismus und Expres- sionismus. I. Zur Apologie des Impressionismus. O. PELKA: Altere Bernsteinarbeiten. (10 Abb.) desgl., 20.

F. LANDSBERGER: Impressionismus und Ex- pressionismus. И. Der neue Ausdruck. (17 Abb.) С. E. UPHOFF: Der organisierte Künstler.

J. УУ. BERRER: Johann Heinrich Eisenträger und

seine Tätigkeit an der landgräfl. Hessen - Kassel- schen Porzellanfabrik. (8 Abb.)

desgl., ar.

Р. Е. SCHMIDT: Max Beckmann. (9 Abb.)

F. LANDSBERGER: Impressionismus und Ex- pressionismus, UI. Die neue Stellung zur Natur. (4 Abb.)

F. NOACK: Lord Bristol, der absonderliche Kunst- freund.

desgi., 22.

FR. LANDSBERGER: Impressionismus und Ex- pressionismus. IV. Zur Kritik des Expressionis- mus. (2 Abb.)

A.BEHNE: Werkstattbesuche. II. Jefim Golyscheff. (4 Abb.)

Н. F. SECKER: Neuerwerbungen der Städtischen

Kunstsammlungen in Danzig 1918. I, Stadtmuseum. (20 Abb.)

KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT. 55. Jahrg., Neue Folge XXXI, т,

С. GLASER: Die Berliner städt. Kunstsammlung. desgl., 2.

FR. RIEFFEL: Ein Grünewald-Bildnis ?

A. TIETZE: Kunstkenner und Kunsthistoriker. desgl., 3. |

M. ENDERS: Breslauer Brief, Brief aus Weimar.

H. TIETZE: Verkauf von Kunstgegenständen aus österreichischem Staatsbesitz.

desgl., 4. | Р. SCHUMANN: Kunstschutz im Kriege. desgl., 5.

C. GLASER: Der Berliner Museumsneubau in Dahlem.

FR. FRIES: Die Neuordnung in der Düsseldorfer Kunsthalle,

desgl., 6. P. MAHLBERG: Vom deutschen Werkbund.

REPERTORIUM FUR KUNSTWISSEN- SCHAFT. XLI, 6.

L. PLANISCIG: Ein neu aufgetauchtes Bild von Giulio Romano, (2 Abb.)

О. CLEMEN: Kunstgeschichtliches aus Mitau.

DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. XXII, 10.

М. OSBORN: Die Wiedererweckung des Wand- bildes. (3 Taf., 10 Abb.)

R. CORWEGH: Ausstellung „Kunst des Jahres“ Darmstadt 1919. (2 Taf., 30 Abb.) M. WAGENFÜHR: Architektonische Entwürfe von L. Hilbersteimer. (1 Taf., 18 Abb.)

J. RENARD: Ein Herrenzimmer von Prof. Hugo Eberhardt. (x Taf., 6 Abb.)

desgl., тт.

A. ROESSLER: In memoriam Egon Schiele. (2Taf., 15 Abb.)

J. KIRCHNER: Bruno Krauskopf Berlin, (8 Abb.)

W. MICHEL: Männerbildnisse von С. Нев. (1 Taf., 5 Abb.)

A. JAUMANN: Architekt Bruno Schneidereit. (1 Taf., 6 Abb.)

desgl., 12.

E. STIX: Moriz Melzer im Bekenntnis zur Kunst. (2 Taf., 8 Abb.)

A. GUNTHER: Sommerausstellung der Кйпайег- Vereinigung Dresden, (1 Taf., 9 Abb.)

МУ. F. STORCK: Hans Thomas Zeichnungen. (2 Taf., 7 Abb.)

W. KURTH: Franz Metzner. desgl., XXIII. Jahrg., 1/2.

К. PFISTER: Münchener neue Sezession 1919. Taf., 14 Abb.)

TH. HAUBACH: Expressionismus,

W. MICHEL: Über Mathias Grünewald. (x Та, 9 Abb.)

К. PFISTER: Richard Seewald. (1 Taf., 6 Abb.) К. SCHWARZ: Wilhelm Lehmbruck. Та, 8 Abb.)

W. MÜLLER - WULKOW: Bernhard Hoetgers Wohnhaus in Worpswede. (3 Taf., 16 Abb.) W. FRANK: Neue Arbeiten von Dagobert Peche, (3 Taf., 42 Abb.)

M.OSBORN: Eine Vierzimmerwohnung von Bruno Paul. (3 Taf., 9 Abb.)

(3 Taf., 27 Abb.)

ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.

55» Jahrg., da, HANS THOMA zum achtzigsten Geburtstag. (1 Taf., ı Abb.)

C. HOFSTEDE DE GROOT: Künstlerische Be- ziehungen zwischen Holland und Deutschland im 17. Jahrhundert. (5 Abb.)

О. FISCHEL: Eine Florentiner Theateraufführung in der Renaissance. (9 Abb.)

Ө. PAULI: Die Sammlung alter Meister in der Hamburger Kunsthalle. (24 Abb,)

H. F. SECKER: Rembrandt und sein Kreis. (12Abb.)

353

BERLINER MÜNZBLÄTTER.

XL., Nr. 213/214.

С. Т. HOFFMANN: Der angebliche Thorner Hoch- meister - Pfennig mit „T“.

Е. BAHNFEL D: Denarfund aus der Provinz Sachsen.

B. DORFMANN: Der Geldumlauf in der Ukraine zur Zeit der deutschen Besetzung.

desgl., 215/216.

С.Е. HOFFMANN: Schivelbeiner und Arnswalder Hochmeisterpfennige.

E. BAHRFELDT: Denarfund aus der Provinz Sachsen (Fortsetzung).

Р. FEILAND: Wie der kurbrandenburgische Bürger während der Jahre 1680—1738 zahlte. W. PIEPER: Das Ersatzgeld der Kriegsgefangenen- Lager in Westfalen und im Rheinland.

WASMUTHS MONATSHEFTE FÜR BAUKUNST IV. Jahrg., Heft 5/6. | P. BEHRENS: Die Gruppenbauweise. (6 Abb.) J. GOETTEL: Gartensiedlung der „Gemeinnützigen Baugenossenschaft Gartenvorstadt Bonn“, (12 Abb.) Н. JANSEN: Einige Siedlungspline. (5 Abb.)

Е. MAY: Rentengutsiedlung Goldschmieden-Neu-

kirch der schlesischen Landgesellschaft bei Berlin. (9 Abb.)

H. MUTHESIUS: Bebauungsplan fiir die Klein- siediung Tannenwalde bei Königsberg. (7 Abb.) Р. SCHMITTHAMMER: Die Siedlung bei Branden- burg a.H. (17 Abb.)

K. SIEBOLD: Wohnkolonie Diineberg bei Ham- burg. (x3 Abb.)

B. TAUT: Drei Siedlungen. (13 Abb.) ZEITSCHR.FÜRCHRISTLICHE KUNST. XXXII. Jahrg., Heft 4.

М. SAUERLANDT: Ein Ottonisches Bronzebecken im städtischen Museum für Kunst und Gewerbe in Halle a /S. (6 Abb.)

F. WITTE: Ein Kriegergedächtnismal für den Dom zu Köln. (1 Taf., 3 Abb.)

desgl., 5.

F. WITTE: Nochmals Stellung der Kirche zur Modernen.

Е. BRITZ: Photographie und christliche Kunst. Taf., 11 Abb.)

DER KUNSTWANDERER.

т. Jahrg., 2. Oktoberheft.

M. J. FRIEDLANDER: Kupferstich-Auktion Vincent Mayer. , |

A. DONATH: Die jüngsten Preise für Meißener Porzellan. (2 Abb.)

M. HEGELMANN: Das Meisterstück eines Mün- chener Renaissance Uhrmachers. (3 Abb.)

а. BOGENG: Deutsche Einbandkunst der Gegen- wart. (4 Abb.)

354

DIE KUNST. ХХІ, 1. G. J. WOLF: Ferdinand von Olivier. (1 Taf., 13 Abb.)

J. A. BERINGER: Zu Hans Thomas achtzigstem Geburtstag. (x Taf., 8 Abb.)

W.: Der Münchener Glaspalast 1919. (1 Taf., 14 Abb.) W. ROTH ES: Parallelen in der Kunst des Mittel- alters und der Frührenaissance zum modernen Expressionismus.

R. BRAUNGART: Alfred CoBmanns Radierungen zu Gottfried Kellers „Landvogt von Greifensee“. (5 Abb.) |

Е. УУ. HOEFFGEN-LENNEP; Jagdschlößchen W. A. В, Hasenclever, Remscheid-Ebringhausen.

DIE CHRISTLICHE KUNST.

XV, 10/11.

Р. ]. VOLLMAR: Zur Paramentenausstellung in Limburg a. 4. Lahn. Taf., ı7 Abb.)

K. GISSINGER: Totenschilde zur Ehrung ge- fallener Krieger.

Н. SCHMIDKUNZ; Stiefkinder der Ausstellungen. W. ZILS: Wilhelm Kamphausen.

desgl, 12.

S. STAUDHAMMER; Neue Werke von Leo Sam- berger. (1 Taf., 22 Abb.)

L. HEILMAIER: Der jugendliche Christus in der altchristlichen Kunst. (r Abb.)

S. STAUDHAMMER: Einheitliche Organisation oder Zersplitterung.

DIE RHEINLANDE.

19. Jahrg., 9/10.

К. EBERLEIN: Drei Wege der Landschafts- malerei. (11 Abb.)

W. COHEN: Hans Schiiz. (5 Abb.)

W. MULLER-WULKOW: Adam Antes. Abb.)

OUDE KUNST.

IV, 12.

C. de GENS: Tegels en tegeltableaux. (6 Abb.) О. v. TUSSENBROEK: Bij het priesterbeeld Shirensher Sanyo. (1 Abb.)

d. VISSER: Een belangrijke vondst. Р. С. KORTEWEG: Gres-Kruiken. desgl., 5. Jahrg., Nr. 1.

R. v. MARLE: De ontwikkeling der italiaansche Schilderkunst II. (11 Abb.)

М. W. d. VISSER: Een tweede belangwekkende vondst. (a Abb.)

A. WILLEMSE: De „Primitiven“ in ons ond Nederlandsch aardewerk. (7 Abb.)

Е. ORBAAN: De bouwmeester Domenico Fontana als eigen kunsthistoriens. (6 Abb.)

(x Abb.) (2 Abb.)

KUNST UND KÜNSTLER.

Jabrg. XVIII., I.

К. SCHEFFLER, FR. AHLERS-HESTERMANN, K EBERLEIN, C. GLASER, G. PAULI, H. PURR- MANN, W.RATHENAU: Hans Thoma zu seinem achtzigsten Geburtstag. (1 Taf., 29 Abb.)

DIE PLASTIK.

1919, 8/9. A. HEILMEYER: Münchener Kunstschau. (12 Taf.)

BERLINER ARCHITEKTURWELT. ХХІ, Heft 3

H. SCHLIEPMANN: Neuer Geist im Bauwesen. (24 Abb.)

М. WAGENFÜHR: Cremer und Wolffenstein +. (38 Abb.)

NEUE BüCHER... . . . . . . .

WILHELM HAUSENSTEIN: Der Isenheimer Altar des Matthias Grünewald. (Verlag von Walther С. F. Hirth, München 1919.)

OVID: Der Götter Verwandlungen. Mit Radie- rungen und Bildern neuerer Meister gewählt und textlich gefaßt von E. W. Bredt. (Hugo Schmidt Verlag, München.)

HEINRICH HAMMER: Innsbruck in seiner bau- geschichtlichen Entwicklung. (Sonderabdruck aus den Forschungen und Mitteilungen zur Geschichte Tirols und Vorarlbergs, ХУІ. Jahrg.) (Innsbruck, Wagnersche Universitäts- Buchdruckerei.)

L. CURTIUS: Das griechische Grabrelief (Was- muths Kunsthefte 3). (Verlag E. Wasmuth A.-G., Berlin.)

URIEL BINN BAUM: Gläubige Kunst. Bücher der Arche. (R. Löwit Verlag, Wien.)

BOGDAN D. FILOW: Die altbulgarische Kunst. Mit 58 Tafeln und 72 Abbildungen im Text. (Paul Haupt, Akademische Buchhandlung, vorm. Max Drechsel, Bern.) М. 55.—.

AUGUST SCHMARSOW: Das Franciskusfenster in Königsfelden und der Freskenzyklus in Assisi. (B. G. Teubner, Leipzig.) M. 1.60.

HEINRICH SCHÄFER: Von ägyptischer Kunst, besonders der Zeichenkunst. Eine Eintührung in die Betrachtung ägyptischer Kunstwerke. 3 Bde. (J. C. Hinrichsche Buchhandlung, Leipzig.) Brosch.

М. 18.—, geb, М. 23.—. |

KARL REICHBOLD: Skizzenbuch griechischer Meister. Ein Einblick in das griechische Kunst- studium auf Grund der Vasenbilder. (F. Bruck- mann, A.-G., München.) Geb. M. 18.—.

| KLINKHARDT&BIERMANN / VERLAG /LEIPZIG

In der Sammlung:

Meiſter der Graphi

Herausgegeben von Dr. Hermann Voß

а erfcheint neu | ҮП Hendrick Goltzius. Von Otto Hirſchmann. IV und 187 Seiten

mit 50 Tafeln. Geheftet Mark 26.—, gebunden Mark 32.—.

Seit Durer und Lucas van Leyden ist Goltzius der erste, der wieder den Anspruch erheben kann, ein Meister des Grab- stichels genannt zu werden. Durch die Entwicklung einer neuen glänzenden Technik wurde er der Wegweiser für die Weiterbildung der gesamten Kupferstichkunst und schuf er im besonderen die Grundlagen für die unvergleichlichen Leistungen der Rubensstecher. Unabhängig davon ist er einer der Hervorragendsten, wenn nicht der bedeutendsten Ver- treter jener interessanten Künstlergruppe, die zugleich am. Ende der entwicklungsgeschichtlich so bedeutsamen romanisti- schen Epoche, wie an der Schwelle des Jahrhunderts von Rubens und Rembrandt steht. Der Verfasser schildert in Groltzius eine vielseitige Kunstlererscheinung und die leicht lesbare Darstellung wird illustriert durch ein reiches Abbil- dungsmaterial, das Kompositions- und Bildnisstiche, farbige Holzschnitte und Zeichnungen des Meisters wiedergibt.

Im Zuſammenhang mit dieſem Buche eröffnen wir eine Subſkription auf einen Oeuvre-Katalog desſelben Meifters, der erſcheinen foll unter dem Titel:

Verzeichnis der graphiſchen Werke von Hendrick⸗Goltzius

(1558 big 1617), mit Benutzung der durch E. W. Moes hinterlaſſenen Notizen zuſammengeſtellt von Otto Hirſchmann. Subſkriptionspreis Mark 30.—

XII. Jahrgang, Heft 12.

Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4, Telefon Nord 429. Verlag, Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monats- hefte für Kunstwissenschaft KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2,

Telefon 13467.

355

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Verlag Ludwig Ey, Hannover

brachte u. а. in den bisher erschienenen Heften:

DICHTUNGEN Francis Jammes + Kasimir Edschmid + Albrecht Schaeffer + Paul Kornfeld Klabund + Norbert Jacques + Paul Scheerbart + Hanns Johst Fritz Usinger + Carl Maria Weber + Peter Alten- berg » Franz Werfel + Paul Claudel Eduard Kehlmann = Hans

Franck

AUFSÄTZE

über Religion, bildende Kunst, Archi- tektur, Musik, Theater, Handwerk von Theodor Däubler + Bruno Таш + Walter Gropius + Heinrich Tessenow + Adolf Behne + Walter Müller-Wulckow + August Halm Fritz Ph. Baader + Wilhelm у. Debschitz * Paul Erich Küppers Joh. Frerking + Heloise v. Beaulieu + Theo- dor Lessing * Karl Ernst

Osthaus Gustav ~- Wameken

GRAPHIK

Bernhard Dörries + Lyonel Feininger * Е. M. Enger! » Ferdy Horrmeyer Wilhelm Plünnecke + Arnold Topp - Otto Ноћи Max Buchartz * Kurt Schwitters

Einzelheft 4 Mark, ganzjährlich 10 Mark, halbjährlich 5 Mark Zu beziehen durch alle guten Buchhandlungen

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(London, Brit. Mus.)

Abb. 1. Michelangelo, Skizze zum Schema der sixt. Decke.

Zu: JOSEPH GANTNER, ZUM SCHEMA DER SIXTINISCHEN DECKE MICHELANGELOS

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Rückseite der Pariser Zeichnung

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Abb. 13. Veit Stoß: „Geburt Mariä“. Relief vom Krakauer Marienaltar,

größtenteils eigenhändig

Abb. 14. Veit Stoß: „Darstellung im Tempel“. Relief vom Krakauer Marienaltar, größtenteils eigenhändig

Zu: М. v. ОВО МАМ, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

M. f. K., XII., 1

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Darstellung im Tempel

Mittelgruppe der rechten Hälfte des Reliefs:

Abb. 18.

Abb. 17. „Die Frau mit den Tauben“ aus dem Relief

des Krakauer Marienaltars:

vom Krakauer Marienaltar,

Darstellung im Tempel,

eigenhändig

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Zu: УУ. у. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

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Abb, 19. Veit Stoß: „Kreuzabnahme Christi“. Relief vom Krakauer Marienaltar, größtenteils eigenhändig

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Abb. 20. Veit Stoß: „Grablegung Christi“. Relief vom Krakauer Marienaltar, Werkstattausführung

Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

Tafel

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Tafel 13

Mittelgruppe der Kreuzabnahme aus dem Relief des Krakauer Marienaltars,

Abb. 21.

eigenhändig

W.v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

Zu:

M. f. K., XII.,

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Tafel

Abb. 22. „Die Kreuzigung“. Relief vom Krakauer Marienaltar, größtenteils von fremder Hand

Abb. 23. Ausschnitt aus der Kreuzigung des Krakauer Marienaltars, eigenhändige Teile

Zu: W. у. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

M. f. K., XII., 1

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Relief vom Krakauer Marienaltar, Werkstattarbeit

„Gefangennahme Christi“.

Abb. 24.

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Relief vom Krakauer Marienaltar, Werkstattarbeit

„Die Frauen am Grabe“.

Abb. 25.

Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS

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Tafel

Waldlandschaft mit Diana und Aktäon von Bartholomäus Dietterlin in der Dresdner Galerie

Zu: K. W. JÄHNIG, EIN BILD VON BARTHOLOMÄUS DIETTERLIN

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Tafel 18

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Abb. 1. Niedersächsischer Meister von 1402: Flügel vom Hochaltar der Jacobi-Kirche zu Göttingen

Zu: KARL SCHAEFER, NORDDEUTSCHE MALEREI

M. f. K., XIL., 2/3

Tafel 19

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Abb. 2. Niedersächsischer Meister um 1410: Altarflügel aus der Ägidienkirche zu Münden in Hannover

Zu: KARL SCHAEFER, NORDDEUTSCHE MALEREI

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Abb. 3. Niedersächsischer Meister um 1410: Gemälde von den Flügeln der goldenen Tafel zu Lüneburg

Zu: KARL SCHAEFER, NORDDEUTSCHE MALEREI

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Tafel 21

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Abb. 4. Schüler Hans Raphons: Wandmalerei im sog. Huldigungszimmer des Goslarer Rathauses um 1520

Zu: KARL SCHAEFER, NORDDEUTSCHE MALEREI

M. f. K., XII., 2/3

Tafel 22

Abb. 5. Hinrik Funhof: Cäcilienlegende. Johanniskirche zu Lüneburg, um 1482

Zu: KARL SCHAEFER, NORDDEUTSCHE MALEREI

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Abb. 6. Hinrik Funhof: Johanneslegende. Lüneburg, Johanniskirche um 1482

Zu: KARL SCHAEFER, NORDDEUTSCHE MALEREI

M. f. K., X II., 2/3

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Abb. 7. Hinrik Funhof: St. Georgslegende. Lüneburg, Johanniskirche, um 1482

Zu: KARL SCHAEFER, NORDDEUTSCHE MALEREI

Tafel 25

Abb. т. Ulrich Voyth von Rieneck, Abb. 2. Johann von Alendorf, + 1467. + 1496. Nach einem Kupferstich bei Salver Nach einem Kupferstich bei Salver

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Abb. 3. Unbekannter Domherr. Um 1500. Abb. 6. Albertus von Bibra, + 1511. Aufnahme von Dr. Leo Bruhns, Würzburg Aufnabme von Dr. Sedlmaier, Würzburg Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER (УП)

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Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER (УП)

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Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER (УП)

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M. f. K, XII., 2/3

Tafel 31

Abb. 1. Signatur von W. van den Broeck auf der Kreuzigung von 1560

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Abb. 2. Kreuzigung von 1560

Zu: THOMAS MUCHALL-VIEBROOK, ALABASTERRELIEFS VON WILHELM VAN DEN BROECK IM MAXIMILIANSMUSEUM IN AUGSBURG

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Abb, 3.

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Tafel 33

Abb. 5. Das Abendmahl

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Zu: THOMAS MUCHALL-VIEBROOK, ALABASTERRELIEFS VON WILHELM VAN DEN BROECK IM MAXIMILIANSMUSEUM IN AUGSBURG

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Zu: OTTO HIRSCHMANN, NEUERWERBUNGEN DER HOLLANDISCHEN MUSEEN

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Tafel 41

Eichenholz 52 x 50,5 Abb. то. Johannes Torrentius, Stilleben

Abb. ı2. Apostelkopf, französisch, 14. Jhdt.

Zu: OTTO HIRSCHMANN, NEUERWERBUNGEN DER HOLLÄNDISCHEN MUSEEN M. f I., XII., 4

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Abb. 8а. Taufstein D (Abwickelung, nach Sauermann)

Abb. 9. Taufstein zu Schottburg (E)

Zu: KURT FREY ER, SCHLESWIGSCHE TAUF STEINE

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Tafel 47

Abb. ı. Der Maler im Atelier (Basel, Privatbesitz)

Zu: HANS SCHNEIDER, EIN ATELIERBILD DES MICHIEL VAN MUSSCHER

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Tafel 50

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Abb. 1. Rom, Caracalla-T hermen Abb, 2. Bramante, Entwurf für St. Peter

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Abb. 5. Florenz, Mercatorio nuovo (1548) Abb. 6. Brussa, Ulu Djami (1421)

Zu: HEINRICH GLÜCK, ÖSTLICHER KUPPELBAU, RENAISSANCE UND ST. PETER

M. f. K, XII., )

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Tafel 51

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Abb. 9. Konstantinopel, Atik Ali Djami (1497)

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Abb. 11. Konstantinopel, Moschee Bajesid П. (1501—7)

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Zu: HEINRICH GLÜCK, ÖSTLICHER KUPPELBAU, RENAISSANCE. UND ST. PETER

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Tafel 52

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Bettdecke mit Darstellungen aus der Geschichte von Tristan und Isolde.

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Abb. 1.

South Kensington-Museum 1!)

London,

BEITRAGE ZUR ITALIENISCHEN PROFANKUNST

WALTER BOMBE,

Zu:

(1) Die beigefiigten arabischen und rémischen Ziffern geben die Abfolge der einzelnen Darstellungen entsprechend der

14 (XVII),

Die vier Mittelfelder sind von rechts unten beginnend abzulesen

te 168 an. daneben 16 (XVIII), oben rechts 17 (XIX), daneben 20 (XX).

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Tafel 53

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5 (IV) gen aus der Geschichte von Tristan und Isolde, Usella bei Prato, im Besitz des Conte Ferdinando Guicciardini

Zu: WALTER BOMBE BEITRÄGE ZUR ITALIENISCHEN PROFANKUNST

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Tafel 57

Abb. 7. Corn. Janssens van Ceulen: Sophie v. d. Pfalz, Kurfürstin von Hannover

Abb. 8. J. а. Ziesenis; Porträt des Kurfürsten Maximilian Friedrich von Cöln

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Abb. 10. J. К. Mannlich: Selbstporträt

Abb. g.

Friedrich Oelenheinz: Kammerzofe

Zu: KARL LOHMEYER, PFÄLZISCHE BAROCKMALER AUF DER HEIDELBERGER PORTRÄTAUSSTELLUNG

M. f. K., XII., 7

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Tafel 58

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Entwurf zur Kreuzabnahme von Daniello da Volterra,

Abb. 2.

Die Kreuzabnahme nach dem Stich von

Abb. ı.

einst im Besitz von Vivant Denon

N. Dorigny 1710

ERNST STEINMANN, DAS SCHICKSAL DER KREUZLEGENDE DES DANIELLO DA VOLTERRA

Zu:

f. K., XII., 8/9

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Tafel 59

Abb. 3. Heinrich Meyer, Gruppe aus der Kreuzabnahme im Goethe-Nationalmuseum in Weimar

Zu: ERNST STEINMANN, DAS SCHICKSAL DER KREUZLEGENDE DES DANIELLO DA VOLTERRA

M. f. K., XII., 8/9

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Verkündigungsengel Maria

Zu: A. ROHDE, DER PLASTIKER DES HAMBURGER PETRI- (GRABOWER) ALTARES UND SEINE KÜNSTLERISCHE HERKUNFT

M. f. K., XII, 8 9

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DER PLASTIKER DES PETRIALTARES U

Gregor der Predella

Törichte Jungfrau (Bekrönung)

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Baldachin

Kreuzigung (Mittelstiick)

А, ROHDE, DER PLASTIKER DES HAMBURGER PETRI- (GRABOWER) ALTARES

Zu:

UND SEINE KUNSTLERISCHE HERKUNFT

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Tafel 62

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DIE DOBERANER PLASTIKER

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Paulus und Jakobus 4. A.

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Hochaltar von Doberan (Detail)

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Zu: A. ROHDE, DER PLASTIKER DES HAMBURGER PETRI- (GRABOWER) ALTARES UND SEINE KUNSTLERISCHE HERKUNFT

M. f. K., XII., 8 9

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Tafel 63

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Wandteppich „Sauls Tod“

Zu: H. GOEBEL, JACOB UND MORITZ DE CARMES

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Tafel 64

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Taschenspindeluhr in reichem, vergoldetem Gehäuse; Werk mit silbernem Klobeneinsatz

Abb. 1.

von Johann Henner

Taschenspindeluhr in getriebenem Silbergehäuse von Johann Trauner

2.

Abb.

A. STOEHR, ZUR GESCHICHTE DER KLEIN- UND GROSSUHRMACHER IM FURSTBISTUM WURZBURG

Zu

M. f. K. XII., 8/9

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Tafel 66

Abb. 2. Maler der Pala Sforzesca: Fragment. Madonna, ehemals Paris. Privatbesitz.

Abb. 3. Maler der Pala Sforzesca: Fragment. Abb. 4. Maler der Pala Sforzesca: Brustbild des Camillo Madonna, Chantilly Trivulzio. Gal. Borromeo, Mailand

Zu: WILHELM SUIDA, LEONARDO DA VINCI UND SEINE SCHULE IN MAILAND

Tafel 67

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Francesco Napoletano

Abb. 6.

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Francesco Napoletano

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Abb. 8.

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Francesco Napoletano

Abb. 7.

WILHELM SUIDA, LEONARDO DA VINCI UND SEINE SCHULE IN MAILAND

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Tafel 69

Abb. 11. Maler уоп 8. Eufemia: Fragment, Madonnenfresso, 5. Maria delle Grazie (Seitengang)

Abb. 13. Maler des Triptychons in S. Ambrogio: Der hl. Antonius von Padua, Museo Poldi, Mailand

Abb. ı2. Maler des Triptychons in S. Ambrogio: Anbetung Abb. 14. Maler der Beschneidung Christi von 1491: des Kindes. Brera, Mailand Madonna, Bergamo, Galerie

Zu: WILHELM SUIDA, LEONARDO. DA VINCI UND SEINE SCHULE IN MAILAND

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Tafel 70

Abb. 15. Mailänder Maler um 1500: Anbetung

Abb. 16. Maler der Beschneidung Christi um 1491: des Christkindes; ehem. Sammlung Cernuschi

Beschneidung Christi (ehem. Sammlung Cernuschi

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Abb. 17. Vincenzo Civerchio: Madonna. Sammlung Noseda, Mailand

Abb. 18. Bernardino Corti: Porträt; Paris, Sammlung Andrée

Zu: WILHELM SUIDA, LEONARDO DA VINCI UND SEINE SCHULE IN MAILAND M. f. K., XII., 10/11

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Tafel 72

Hans Backofen: Grabmal des Wigand von Hynsperg (T 1511). Eberbach im Rheingau, Klosterkirche

Zu: KARL SIMON, DAS SOGENANNTE ESELWECKGRABMAL VON HANS BACKOFEN

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Tafel 73

Abb. 1. Triumph der Minerva. (Sammlung Eggert, Hannover.)

Abb. 2. Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen -Weimar. (Bibl., Weimar.)

Zu: У. CURT HABICHT, EIN UNBEKANNTER MALER DES BAROCK: J. Е. HABERSTROH

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