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MONATSHEFTE

KUNST WISSENSCAAFT

HERAUSGEBER DR. GEORG BIERMANN

IL JAHRGANG 1909

VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG

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I. Abhandlungen.

Otto Weigmanr, Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. ae Sammlung in München, an mit 10 Abb. . . . . 1 Wilhelm V&ge, Der Meister des Blaubeurer ‘Hodhaltars und seine , Madonna, mit 11 Abb. 11 Kurt Freise, Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag, mit 13 Abb.. . 22 Frida Sottmüller, Zur Donatello-Forschung, mit 4 Abb.. . . . . 38 Leo Beer, Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik der italienischen Früh- renaissance. . ....86 Karl Borinski, La Chastelaine de Vergy in | der Kunst des Mittelalters, mit 5 Abb. . . . 58 Otto Hettner, Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo. Mit einem Anhange über Signorelli und Correggio, mit 9 Abb.. . . . er: TA Hens Jantzen, Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts, mit 6 Abb. 5 # A +. 188 Friedrich Sarre, Rusafa-Sergiopolis, mit 13 Abb. . . . . 95 Hermann VoB, Charakterköpfe des Seicento: Der Meister des sterbenden Cato, mit 5 Abb. 108 E. A. Stiickelberg, Germanische Frühkunst, mit 32 Abb. . . . 117 Otto Hettner, Zeidhnerishe Gepflogenheiten bei Michelangelo. Mit einem n Anhange über Signorelli und Correggio, (Fortsetzung) mit 8 Abb.. . . . ee‘... 194 E. Mauceri, Piccolo Arte Siciliana. Le Figurine di Caltagirone, mit 7 Abb. . + + + . + 149 James von Schmidt, Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz. Die Ausstellung der „Staryje Gody“ in St. Petersburg, mit 22 Abb.. . . . . 161 Leandro Ozzola, Ji Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo, mit 5 Abb. 198 August Feigel, San Pietro in Civate, mit 11 Abb.. . . . 206 Gustav Keyssner, Hans von Marees. Ein Epilog zu den Ausstellungen i in München u. Berlin 221 Otto v. Falke, Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz, mit 5 Abb. . . . . . . . 234 Paul Lafond, Alonso Cano, mit 11 Abb. . . . . 242 Paul Gustav Hübner, Studien über die Benutzung. der Antike in der Renaissance, mit | 9 Abb. .... 267 William Cohn, Fujiwara no o Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit, mit 18 Abb. 281 Kurt Freise, Bathsebabilder von Rembrandt und Lastmann, mit 5 Abb.. . . . 302

Martin Wackernagel, Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen, mit 3 Abb. 319 Bruno Schulz, Über den Ursprung der Stalaktiten und einiger anderer mittelalterliher Bau-

motive, mit 15 Abb. . . . 329 Paul Ferd. Schmidt, Der Meister des Berliner Martin und Hans. von n Heilbronn, mit 11 Abb. 338 L. M. Richter, French sixteenth century portraiture with special reference to the new Francois

Clouet in the Louvre, mit 13 Abb.. . . . a a> st + 1350 Eduard Firmenic-Richartz, Ist die Kölner Wicken- Madonna eine Fälschung? ods ct oe 369 Enrico Mauceri, Pietro Novelli (I! Monrealese) mit 9 Abb. Gil 379 Wilhelm Vöge, Ein Steinrelief des Hans Schwarz im Germanischen Museum zu | Nürnberg,

mit 3 Abb.. . . . . 393 George A. Simonson, A Connecting-Link between Tiepolo and ‘the Guardi Family, mit

1 Abb. . . . Ara al 4 e 2 1050 Emil Schaeffer, Die Bildnisse des Piero Carnesecchi, mit 2 Abb. RE 405 Konrad Escher, Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im Werk eines französischen

Künstlers, mit 3 Abb.. . . . 413 =duard Firmenich-Richartz, Ist die Kölner Wicken- Madonna | eine Fälschung? (Fort-

setzung und Schluß) mit 5 Abb.. . . . . . 420 G. J. Kern, Karl Blechen in Berlin: Die Zeit vor der italienischen Reise, hit 10 Abb. . . . 432 Friedrich Wolff, Zwei mittelalterlihe Plastiken des Märkischen Museums, mit 3 Abb.. . 447

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IV Inhalt

G. J. Kern, Karl Blechen in Berlin: Die Zeit vor der italienischen Reise (Fortsetzung und Schluß), mit 14 Abb. a

Wilhelm Suida, Studien zur lombardisdien Malerei des XV. Jahrhundens, mit 19 Abb.

August Schmarsow, Melozzo Entdeckungen in Rom.

Moriz von Rauch, Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Helbroin, mit 9 Abb.

Ernst Kühnel, Palastanlagen im islamischen Abendlande, mit 4 Abb. a

Philipp Maria Halm, Ein unbekanntes Gemälde Wolf Hubers, mit 1 Abb.

Hans Vollmer, Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen, mit 8 Abb. .

Leandro Ozzola, Opere di Salvator Rosa a Vienna, mit 9 Abb.

II Studien und Forschungen.

Wilhelm Suida, Zur Dugentomalerei, mit 4 Abb. . . . .

Burkhard Meier, Uber den Basler Altar des Konrad Witz, mit 1 Abb.

Hermann VoB, Nochmals der wiederaufgefundene van Dyck im Museum zu Palermo

Anton Reichel, Zwei Alttiroler Tafelbilder der Landesbildergalerie in Graz, mit 2 Abb. .

Emil Schaeffer, Noch einmal das Bildnis des Vincenzo Cappello, mit 1 Abb.

Detlev. v. Hadeln, Zu Lottos Natività der venezianischen Akademie .

Robert Corwegh, Die St. Barbarasäule zu Breslau, mit 1 Abb.

Willy F. Stords, Die Zeichnungen des Hausbuchmeisters

Curt Glaser, Eine Zeichnung Hans Holbeins des Älteren nach einer italienischen Plakette mit 3 Abb..

H. Pupp, Zu Francesco Furini. . .

Adolf Gottschewski, Der Modellkopf \ von der Hand Michelangelos im Besitz des Pietro Aretino . Sy en ot be

Hermann VoB, Nochmals der Meister ‘des sterbenden ‘Cato. mit 2 Abb.

Elfried Bock, Zeichnungen von Hans von Kulmbadı für ein Kaiserfenster, mit 1 Abb.

Adolf Gottschewski, Das Pisa-Relief des Museo Pio-Clementino = RI &

Hermann VoB, Ein Frühbild des Hausbuchmeisters? mit 1 Abb.

E. Waldmann, Die Handzeichnungssammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen, mit 5 Abb.

Julius Vogel, Lukas Cranach in Wien

G. Eugen Lüthgen, Ein Kopf des Meisters der Matmorfiguren: V. Kölner Domaltar; mit M Abb.

E. Firmenich-Richartz, Die Bedeutung Kölns für den Metallschnitt des XV. Jahrhunderts

Helmuth Th. Bossert, Dürers Aufenthalt in Straßburg. : S Sx. Ge e en. ET

Th. Asher, Der Meister der Lyversberger Passion . A

Heinz Braune, Der Name des Meister der Holzhausenbildnisse

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Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2

Heft 1

Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphischen

Sammlung in München Von Otto Weigmann

Die kleine Ausstellung, die im letzten Halbjahr in der Kgl. Graphischen Samm- lung die Bestände an italienischen Zeichnungen des XV. und XVI. Jahrhunderts zum ersten Male in übersichtlicher Anordnung vereinigte, hatte sich in den Kreisen der Fachgenossen einer lebhaften Anerkennung zu erfreuen. Es erscheint deshalb an- gezeigt, mit einigen Worten auf die wissenschaftlichen Ergebnisse hinzuweisen, die im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung stehen.

Wenn diese systematischen Ausstellungen, die in chronologischer Folge die Mappenschätze der Sammlung zur öffentlichen Kenntnis bringen sollen, auch in erster Linie für das große Publikum bestimmt sind, so verfolgen sie doch auch den Zweck, die Fachkreise zu erneuter Mitarbeit anzuregen, die vielen noch schwebenden Fragen allmählich in bestimmterer Form zu beantworten. Eine sorgfältige Vorbereitung, ver- bunden mit einer gewissenhaften Revision der seitherigen wissenschaftlihen Be- urteilung, muß allerdings die unerläßliche Grundlage bilden.

Man ist heutzutage den traditionellen Inventarbenennungen gegenüber skepti- scher geworden; und wenn auch die Zweifelsucht vielfach gar zu üppige Blüten treibt, eine erneute kritische Sichtung wird dank dem sich stetig mehrenden und verbessern- den Vergleichsmaterial im allgemeinen doch mehr Abschreibungen als Mehrungen an dem vorhandenen Stammkapital wohlklingender Meisternamen zu verzeichnen haben. Es darf ja auch nicht verhehlt werden, daß die systematische Arbeit auf dem Gebiete der Zeichnungen verhältnismäßig jungen Datums ist und sich erst allmählich festere Anhaltspunkte für eine präzise Beurteilung gewinnen lassen. Daß demnach der Mangel an objektiven Kriterien in diesem überaus schwierigen Sondergebiete oft durch ein mehr oder minder ausgeprägtes subjektives Empfinden ersetzt werden muß, ist leider nicht zu leugnen, zumal in Sammlungen, bei denen das Fehlen genauerer Inventare die Prüfung der Provenienz der einzelnen Blätter unmöglich macht.

Der weitaus größte Bestandteil der älteren Münchener Zeichnungen entstammt, wie aus einer jüngst erschienenen Geschichte!) der Sammlung des näheren zu ersehen

1) H. Pallmann. Die Kgl. Graphische Sammlung zu München 1758—1908. München. Bruckmann. 1

2 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 2. FRA BARTOLOMMEO

Abb. 1. FRA BARTOLOMMEO. Studie zu einem männ- CRE $ sji „Anna selbdritt“ O lichen Heiligen 279><204 mm O Uffizien, Florenz

ist, dem ehemaligen Mannheimer Kabinett. Die meisten Blatter, über deren Er- werbungszeit und Ort keinerlei Angaben erhalten sind, gehòren Meistern des XVII. und XVIII. Jahrhunderts an, deren systematische Bearbeitung noch immer aus Mangel an brauchbarem Abbildungsmaterial kaum durchzuführen ist. Immerhin nennt die

graphische Sammlung auch aus den kunstgeschichtlich bevorzugten Epochen eine an- sehnliche Zahl von bedeutenden Blättern ihr Eigen.

Seit der letzten umfassenden Publikation Münchener Zeichnungen durch Wilhelm Schmidt, deren letzte (9.) Lieferung im Jahre 1900 erschienen ist, hat die Forschung mancherlei Resultate zu verzeichnen, die im folgenden in kurzer Zusammenfassung dem Urteil der Fachgenossefi unterbreitet werden sollen, zunächst nur in dem be- schränkten Umfange der erwähnten Ausstellung. Nach genauer Prüfung werden sich folgende Zuschreibungen der Schmidtschen Publikation kaum aufrecht erhalten lassen:

Andrea del Sarto, Bl. 137, „Jüngling ein Schwert ziehend“, Bl. 138: „Frau mit Garnspule“. Beide Blätter sind für den Meister selbst zu unbedeutend und manieriert und können nur einem schwachen Nachahmer zugeteilt werden.

Weigmann. Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphisch. Smig. in München 3

Michelangelo. BI. 90a, Christus, das Kreuz haltend. Die Zeichnung ist zu gering, vergl. die völlig unorganische Bildung der linken Schulter um als Studie zu dem Christus in Se Maria sopra Minerva gelten zu können; auch ist das Be- wegungsmotiv Schrittstellung anstatt des festen Stehens gänzlich verschieden. In der Armstudie Bl. 176b (oben) will Schmidt eine Studie zu dem linken Arm Gott- vaters in „Erschaffung Adams“ (Sixt. Capelle) erkennen. Diese Beobachtung läßt sich aus Qualitätsgründen ebensowenig rechtfertigen, wie etwa ein Versuch, die schulmäßige Handstudie (Bl. 176a) mit dem David, oder den Torso (Bl. 90 b links) mit der plastischen Gruppe „Der Sieg“ im Museo nazionale in Florenz in Ver- bindung zu bringen. Noch weniger kann das schwache Blatt „Berglandschaft“ (Bl. 54) Anspruch erheben, als Ori- ginal zu gelten.

Die auf BI. 174 wieder- gegebene Zeichnung nach der antiken Gruppe der 3 Grazien in Siena ist willkürlich auf den Namen Antonio Polla- juolos getauft. Die Strich- führung ist für ein Original

dieses temperamentvollen, hastig arbeitenden Meisters ÿ co res À zu lahm und unsicher; audi pn), 3 FRA BARTOLOMMEO. Skizze zu „Verlobung der weist dieRückseite desBlattes, hl. Katharina“ en die von derselben Hand

gezeichnet eine Episode vom Trajansbogen wiedergibt, in ihrer freieren Auffassung auf eine viel spätere Zeit hin, etwa auf den Kreis des Caravaggio, in dessen Schule Auf- nahmen nach antiken Denkmälern sehr in Übung waren.

Audi der angeblihe „Masaccio“ (Bl. 133a), „Vier Männer im Gespräch“, kann als Rôtelzeichnung keinesfalls dem frühen Quattrocento angehören. Das Blatt scheint sich vielmehr der eleganteren Formensprache des del Sartoschen Kreises zu nähern. Die altertümlichen Kostüme legen allerdings in Verbindung mit der von alter Hand geschriebenen Benennung die Vermutung nahe, daß wir eine Kopie nach einer wahrscheinlich verlorenen Komposition Masaccios vor uns haben.

Desgleichen ist das wirkungsvolle Blatt (Bl. 76) von Guglielmo della Porta „Studie für das Denkmal des Papstes Paul III.“ in der Peterskirche in seiner ganzen zeidhnerischen Anlage es sind nur Teile des Monumentes mit Skizzierung der an- grenzenden Architekturstücke gegeben nur als eine Studie von fremder Hand nach dem berühmten Werke anzusehen.

+ «

4 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Die als „alte italienische Schule“ (Bl. 155a) publizierte „Steinigung des Stephanus“ stellt sich als eine überzeichnete Kopie des späten XV. Jahrhunderts nach Fra Angelicos Fresko in der Nikolauskapelle des Vatikan dar.

Bl. 113, „6 Apostel“ von Schmidt Perugino selbst zugeschrieben, ist wohl nur eine schwächere Schulkopie eines der Predellenbilder der Madonna in Sta Maria Nuova in Fano; sie wiederholt die rechte Hälite der „Gürtelspende“, deren ganze

sisi Komposition auch noch in einer ass, mn um Federzeichnung der Albertina in ens | > Wien (vergl. Knapp, Perugino, S. 51) vorliegt. Die in BI. 14 als ,un- bekannter Italiener“ wiederge- gebene ,Szene vor einem Richter“ | wird neuerdings mit größerer Ent- schiedenheit von einigen Fachge- nossen als Frühwerk Peruginos bezeichnet; wenn Schmidt eine freie Anlehnung an Pollajuolo in ihr er- kennen wollte, so sei zur Bestärkung dieser Ansicht auf eine ganz ähn- liche Komposition dieses Meisters im British Museum (s. Berenson, The Drawings of Florentine Pain- ters Pl. XVIII) hingewiesen.

Bl. 134, „Matyrium eines Hei- ligen“, angeblih von der Hand Benozzo Gozzolis, hat Schmidt

| selbst noch als Kopie nach einem | Werke des Friauler Künstlerkreises, | vermutlich des Giovanni Antonio da Pordenone, bezeichnet. | BI. 13, Andrea Mantegnas k 1 „Tanzende Muse“ wurde, ebenso = M wie das ängstliche Blatt „Der auf- erstandene Christus zwischen Andreas und Longinus“ (Inv.-Nr. 3060 von Kristeller (A. Mantegna 1902, S. 464) leider mit Recht aus der Reihe der eigenhändigen Arbeiten gestrihen. Die Argu- mente, die zugunsten der Originalität des erstgenannten Blattes vorgebracht werden, wie: Verschiedenheit des Gesichtsausdruckes, Ausführung auf tekturartig zusammen- gestücktem Papier, werden entkräftet durch die Beobachtung, daß die Zeichnung, die eine ganz einheitliche Linienführung zeigt, die Mittelfigur des Parnaßbildes im Louvre in so peinlich genauer Kopie wiedergibt, daß selbst die nur im Original verständliche Überschneidung der rechten Hand getreulich übernommen ist. Die Härte der Aus-

Abb. 4. FRA BARTOLOMMEO. Studie zur hl. Katharina O 269-177 mm

Weigmann. Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphisch. Smlg. in Miinchen 5

Abb. 5. FRA BARTOLOMMEO. Studie zu einem lautenspielenden Knaben Riickseite von Abb. 4 D 177x269 mm

fiihrung, die eine technisch sehr geschickte Hand verrat, läßt auf die Arbeit eines Stecherkopisten schließen.

Nicht aufrecht zu erhalten ist ferner die Zuteilung der „Berglandschaft“ (Bl. 54) an Tizian. Nach Morelli (Die Galerien zu München usw. Leipzig 1891, S. 151) liegt hier eine typische Zeichnung von Domenico Campagnola vor.

Der Zusammenhang der Kreidezeichnung „Männliches Porträt, Kniestück“ (Inv.- Nr. 2948) mit dem Tizianschen Gemälde (Nr. 172)') in der Dresdener Galerie, auf welchen handschriftlichen Notizen zufolge G. Pauli zuerst hingewiesen hat, ist wohl in dem Sinne zu interpretieren, daß eine späte, ziemlich ungeschickte Hand das Bild unter Vornahme einiger Abänderungen (Weglassung der Palme) kopiert hat. Die auch im Bilde auffallend großen Hände des Dargestellten sind in der Zeichnung noch stark vergröbert, die technische Ausführung (vergl. die unverstandene Bildung des linken Auges, die verstümmelte rechte Hand) ist eine so geringe, daß man den Namen des großen Meisters kaum auszusprechen wagt. Auf noch niedrigerer Stufe steht das weibliche Pendant zu dieser Zeichnung.

Aus dem reichen Bestande von Blättern Fra Bartommeos müssen als zweifel- haft ausgeschaltet werden: Bl. 36, Profilkopf einer Nonne. Durch ungeschickte Über- zeichnung Verdoppelung der Konturen, schlechte Modellierung der Wangen- und Nasenpartien, verküinmerte Mundbildung ist das ehedem vielleicht eigenhändige Blatt derartig in seiner Wirkung zerstört, daß man höchstens noch die nur angedeuteten Gewandteile für original ansehen kann. Gleichfalls seiner Schule muß der weibliche en RER mit leichter Wendung des Körpers nach rechts (Berenson a. a. O. 454.

1) Veral, Klassiker der Kunst, Bd. III, S. 142.

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6 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Inv.-Nr. 34576) zugewiesen werden, der einen dem Meister gänzlich fremden Typus und verdrieBlichen Gesichtsausdruck zeigt. Die „Kreuznahme“ (Inv.-Nr. 2164, Berenson 458) will sich in ihrer steifen Linienführung und harten Modellierung keiner der Stil- epochen Fra Bartolommeos einreihen lassen; manche Züge gemahnen an die Art Albertinellis. Auch die heilige Familie, Inv.-Nr. 3144, mit Anklängen an das Motiv der Madonna del Sacco, mutet in seinem Werke fremdartig an; man ist geneigt, eher an einen schwachen Gefolgsmann Andrea del Sartos zu denken.

Neben diesen negativen Resultaten sind erfreulicherweise auch einige positive, kaum zu bezweifelnde Ergebnisse zu verzeichnen. Erst in jüngster Zeit hat Dr. Frizzoni in einem, früher Fra Bartolommeo zugeschriebenen, von dem Unterzeichneten der Schule von Parma zugeteilten Blatte „Musizierende Engel“ (Inv.- Nr. 2660) einen Entwurf Gaudenzio Fer- raris zu dem Engelkonzert in der Kuppel der Madonnenkirche zu Saronno (1534) er- kannt (vergl. Rassegna d’Arte 1908. Nr. 11).

Das vielumstrittene Blatt: „Diana ver- treibt Satyrfamilien in den Wald“ (Schmidt, Nr. 177), das früher Maturino genannt, von Morelli (a. a. O., S. 153) dem Giovanni Antonio Bazzi, von Robert Cust (G. A. Bazzi, London 1906, S. 393) vermutungsweise dem Girolamo Genga zugeschrieben worden war, wurde neuerdings mit überzeugenden Gründen als Werk eines erst wieder entdeckten man- tuanischen Meisters Lorenzo Leombruno (1489 bis nach 1537) bezeichnet (vgl. Carlo Gamba. L. Leombruno. Rassegna d'Arte 1906, S. 65—70, 91—96). Der Gegenstand Abb. 6. FRA BARTOLOMMEO. Studie zu der Darstellung wird wohl als Allegorie aus-

einem hl. Petrus 373x216 mm zulegen sein, etwa in dem Sinne: „Die Keuschheit siegt über die Laster“.

Zu dem Bilde „Der hl. Franziskus“ von Francesco Bassano d. J. im kunsthisto- rischen Hofmuseum in Wien (Nr. 288): besitzt die Sammlung in einer malerisch breiten Tuschzeichnung (Inv.-Nr. 2972) einen freien, signierten Entwurf (vergl. Zottmann, Zur Kunst der Bassani, 1908, S. 52, Taf. X). Die beiden leider stark retouchierten, leicht getönten Kreidezeichnungen von der Hand des Jacopo Bassano „Moses am Felsen- quell“ (Inv.-Nr. 2964) und „Heimkehr Jakobs“ (Inv.-Nr. 2965) sind nach Zottmann (a. a. O., S. 43, Taf. XI u. XIII) Entwürfe für die gleichstofflihen Bilder in der Dresdener Galerie (Nr. 256) und im Dogenpalast.

Weigmann. Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphisch. Smig. in Miinchen

Die im vorigen Jahre von der graphischen Sammlung geschenkweise erworbene große Zeichnung (Inv.-Nr. 198, 1907) „Vermählung der hl. Katharina“, wurde von dem Verfasser als Karton zu dem bis vor kurzem in Volterra (Palazzo Ricciarelli) befindlichen Gemälde Sodomaserkannt. Eine genauere Unter- suchung mit Nebeneinanderstellung bei- der Werke wird erst nach Beschaffung

Abb. 8. ANDREA DEL SARTO. Aus- schnitt aus „Madonna in Glorie mit 4 Heiligen“. Pitti, Florenz. Nach einer Aufnahme von Anderson in Rom O

Abb. 7. ANDREA DEL SARTO. Studie zu einem hl. Bernhard 320><154 mm

einer brauchbaren Photographie des Gemäldes erfolgen können.

Bei den Originalen Fra Bartolommeos konnten nach eingehendem Studium folgende Zusammenhänge mit bekannten Gemälden des Meisters festgestellt werden: daß die hier abgebildete Figur eines stehenden Heiligen (Abb. 1, Inv. Nr. 2177) nicht, wie Knapp will, zur „Erscheinung Mariae vor St. Bernhard“ (1506) gehört, sondern eine Studie zu der großen Komposition: „Anna selbdritt“ in den Uffizien ist, lehrt ein Vergleich mit dem Bildausschnitt (Abb. 2). Die kleinen Abweichungen in der dortigen Auffassung (vergl. die veränderte Haltung der rechten Hand) beweisen nur um so mehr, daß wir es bei diesem bedeutenden Blatte mit einer Original- studie, nicht mit einer Kopie nach dem Bilde zu tun haben.

Die Skizze zu einer größeren Komposition „Maria

8 | Monatshefte für Kunstwissenschaft

sitzend, rechts drei weibliche, links drei männliche Heilige“ (Knapp), Inv. Nr. 2163, Abb. 3, ist wohl ein erster Entwurf zur „Verlobung der h. Katharina“ im Palazzo Pitti. Eine Aktstudie auf der Rückseite dieses Blattes kann gleichfalls als eine erste unverwendete Studie zu diesem Bilde -- das Schreitmotiv kehrt dort in der Figur des h. Georg wieder angesehen und als Gegenstück zu der in der Albertina befind- lichen Aktstudie zum h. Bartolomäus des gleichen Bildes aufgefaßt werden. Ferner gehören zweifellos zu derselben Komposition der hier abgebildete Profilkopf einer Nonne (h. Katharina) sowie die auf der Rückseite befindlihen Studien zu einem die Laute spielenden Engel (Abb. 4 u. 5).

Die bei Knapp (Fra Bartolommeo della Porta, Halle 1903) nicht erwähnte vor- zügliche Studie zu einem h. Petrus (Inv. Nr. 2170, Abb. 6) entspricht in der Gesamt- haltung und gebieterishen Handbewegung am meisten der linken Figur auf der „Ver- lobung der h. Katharina“ im Louvre. Doch kehren ähnliche Motive bei Fra Barto- lommeo zu oft wieder (vergl. das Verlobungsbild im Pitti, Salvator mundi ebenda), als daß man hier eine bestimmte Beziehung annehmen könnte. Die von Morelli (Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München usw., Leipzig 1880, S. 116, Nr. 12)') als Fälschung erklärte Studie (Inv. Nr. 2162, „Kniende Magdalena“) wurde im Hinblick auf ihre nicht geringe Qualität wieder in ihre Rechte eingesetzt und mit dem Bilde „Madonna mit 6 Heiligen“ in San Marco“ resp. zu den hh. Katharina und Magdalena im Museum in Lucca in wahrscheinliche Beziehung gebracht. Ebenfalls nur in losem Zusammenhang mit gemalten Werken stehen die bei Schmidt, Tafel 35, publizierten Puttenstudien. Knapps Bemerkung (a. a. O., S. 299), daß die Zeichnung (Inv. Nr. 2174) „zwei Engel zu Salvator mundi“ darstelle, muß dahin korrigiert werden, daß nur der obere Knabe auf Inv. Nr. 2169 eine ähnliche Stellung wie der enblem- haltende Putto auf dem Salvator mundi-Bild einnimmt; eher könnte man bei Bl. 2174 (Putti mit einer Rückenfigur) an eine erste Studie für die „Mater misericordiae“ im Museum in Lucca denken.

Aus den noch unbestimmten Blättern wurde dem Werke des Andrea del Sarto eingereiht die hier abgebildete Rédtelzeicinung (Abb. 7), eine Studie zu „Madonna in Glorie mit 4 Heiligen“ im Palazzo Pitti. Die Unmittelbarkeit der Niederschrift, die Klar- heit in der Faltengebung, deren Struktur in der Zeichnung deutlicher zutage tritt als im Bilde (vergl. den Ausschnitt, Abb. 8), lassen in dem Blatte ein unzweifelhaft eigen- händiges, vorzügliches Werk des Meisters erkennen. Es stellt sich der erst vor kurzem publizierten Studie zum Tanz der Salome im Scalzo (Dessins du Musée du Louvre IV. Serie, Alinari, Tafel 176) als zeichnerisches Gegenstück zur Seite.

Ein aus den Mappen der „Unbekannten Meister“ hervorgeholtes Blatt: ein sitzender Magister in nachdenklicher Haltung (vergl. Abb. 9), wurde der toskanischen Schule des XV. Jahrhunderts einverleibt und zu den früher Maso Finiguera zu- geschriebenen Zeichnungen in den Uffizien (vergl. Sidney Colvin, A Florentine picture Chronicle, London 1898, Fig. 22—25, 40, 49, 50, 64 und 67) in Beziehung gesetzt,

1) Viele der dort gegebenen Anregungen sind nidıt mehr nachzuprüfen, da jede nähere Beschreibung fehlt und die Identifizierung infolge der Auseinandernahme der Klebebände nicht mehr möglich ist.

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10 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

wobei die Frage, ob die inzwischen erfolgte Zuteilung jener Zeicinungen an die Schule Antonio Pollajuolos nicht mehr Berechtigung hat, vorläufig offen gelassen wurde.

Ob das hier abgebildete Blatt von Correggio (Abb. 10), dessen Zusammen- hang mit dem Zwickelfresko „Die hh. Matthäus und Hieronymus“ in San Giovanni zu Parma (vergl. Thode, Correggio, Abb. 39) in die Augen fällt, als eigenhändiges Werk anzusehen ist, mag vorerst unentschieden bleiben. Wenn auch der jugendliche Matthäus stark an den Christustypus der Krönung Mariae (Bibliothek in Parma) erinnert, so sind in der Linienführung doch Unebenheiten und Flüchtigkeiten (vergl. die unruhig gebrochene UmriBlinie des linken Armes des Evangelisten, die unverstandene starke Drehung des Oberkörpers) zu bemerken, die bei einem Meister wie Correggio be- fremden müssen.

Daß in dem wirkungsvollen getuschten Blatte von Federigo Barocci (Inv. Nr. 2575): Johannes, zum Kreuz emporblickend, eine Studie zu einer gemalten Kreuzigungs- gruppe vorliegt, deren Komposition in einem Stiche von Gisbert van Veen erhalten ist, daß die beiden anmutigen Engelgruppen (Inv. Nr. 2799 und 2807) mit den Fresken Lodovico Caraccis in der Kathedrale von Piacenza nahe verwandt sind, mag hier nur nebenbei Erwähnung finden.

Die vielen noch ungelösten Fragen hier näher zu erörtern, ist nicht der Zweck dieser Zeilen, die lediglich die neueren Forschungsresultate registrieren wollen. Es sei nur noch darauf hingewiesen, daß eine weitere Klärung von einem in Aussicht gestellten Aufsatz des erfahrenen Kenners Ad. v. Beckerath in Berlin zu erwarten ist.

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Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine

Madonnen Von Wilhelm Vöge

Das Kaiser-Friedrih-Museum (Berlin) bewahrt eine überlebensgroße Madonna aus Lindenholz'), die angeblich aus Kaisheim ist und in Augsburg erworben wurde. Sie hing früher in der Höhe zwischen den Fenstern; im Neubau verhüllt sie der Dämmer zwischen den Türen; so wurde sie wenig beachtet, obschon zwei edle Namen an ihr haften. Gregor Erhardt, der Augsburger, soll sie ge- schnitzt, der ältere Holbein sie bemalt haben. Allerdings, das sind wahr- scheinlih Fechtnamen, ihr in den Kunsthandel mitgegeben.

Sie gehörte offenbar, als Mittel- stük, zu einem großartigen Altar, zum Hochaltar einer Karmeliterkirche. Sedis Mönche in weißen Kutten, zum Teil mit schwarzen Kapuzen, bergen sich knieend unter ihrem Mantel. Doch während die zarte Madonna von Ra- vensburg °), mit rührendem Augenauf- schlag, mit einem Blick, der alles be- greift und alles entschuldigt, den Mantel über ihre Schutzbefohlenen breitet, ist die Augsburger Madonna in Gedanken ganz bei ihrem Kinde, das sie auf den Händen trägt; sie sinnt in die Gemeinde, über die Mönche hinweg. Und auch das Kind blickt, mit ausruhendem Blick, auf die An-

Abb. 1. Detail: Schutzmantel-Madonna D dachtigen: wie als erspähte es rechts O Berlin, Kaiser Friedrich- Museum

1) Höhe 2,16m; aus einem Stamm; im Antlitz der Madonna wie am Leibe des Kindes sind einzelne Holzstreifen, zur Ausfüllung von Rissen, eingesetzt; sie sind mit Stoff überlegt; der Leinenüberzug scheint hier, wie meiner Beobachtung nach, sehr häufig, nur an solchen Stellen verwendet zu sein, wo das Holz Schäden zeigte.

2) Im Kaiser-Friedrih-Museum; die Vermutung, daB dieses von J. Veth gepriesene Werk eine Arbeit Friedridi Schramms von Ravensburg sei, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, vgl. K. A. Busl in Kepplers Archiv f. christl. Kunst, VII, Stuttgart 1889, S. 62.

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Abb. 2. Squtzmantel-Madonna op

Berlin, Kaiser Friedrich- Museum

in der Ferne einen Schwarm eben Hinzu- tretender, spreizt es die drallen Finger, den

Segen zu geben (vgl. Abb. 1, 2 und 7).

Also hier ist ein Doppeltes, die Gottes- mutter auf der Mondsichel und das Schutz- mantelmotiv; etwas Zwiespältiges; die zwer- gigen Gestalten unten lenken ab, beschweren das großzügige Altarbild mit ihren Winzig- keiten. Andererseits wurde eben durch sie die Schlichtheit in das Faltenwerk, die Ruhe in die Silhouette gebracht. Denn, indem der Mantel zu den Seiten gerade niederfiel, er- hielt in der Mitte das Kleid mit seinen ein- fachen Langfalten das Wort. Selbst die Mond- sichel, unten zwischen den Gruppen, mußte, auf der Spitze schwebend, der Senkrechten sich anbequemen. Kam so in die unteren Teile von selbst eine gewisse Geradlinigkeit, so war es die feinfühlige Hand des Meisters, die sie auch in den oberen —- trotz einer ge- wissen schönen Bewegtheit des Motives klingen ließ, im wagrecht Hingegossenen des Knabenkörpers, im Lauf des langen Schleier- tuchs.

Obwohl die Berliner Statue aus Augsburg kommt, ist nicht bemerkt worden, daß in Augsburg selbst, im Maximiliansmuseum, ein Madonnenbild von gleihem Wuchs und aus- gesprochener Ähnlichkeit bewahrt wird (Abb. 4 und 5).') Die letztere fiele noch mehr ins Auge, hätte die Augsburger Madonna nicht gelitten”), und u. a. ihr Kopftuch eingebüßt. Es zog sich, wie bei der Berliner Figur, von der linken Schulter zur rechten, wie eine Wolke am Kopfe hängend.

Zudem: die Augsburger Statue ist störend

1) Aus dem St. Ulrichskloster; ich bin der Museumsverwaltung zu Dank verpflichtet für die Erlaubnis zu den Aufnahmen.

?) An der rechten Mantelseite ist der lang herabfallende Saum in der ganzen Breite der Bor- düre, von etwas oberhalb der Hand bis unten, wo er sich umbiegt, abgeschnitten.

W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 13

übermalt.') Statt mit leichter Hand der Form zu folgen, ließ der Restaurator die Brauen geradlinig und hart über der Nasenwurzel absetzen. Was übler ist, er füllte den oberen Saum des Mundes nicht, so daß der dachartig abfallende Zug der Oberlippe nicht herauskommt, obschon er, unter der dicken Tünche sogar, sich abzeichnet!

Die beiden Madonnengesichter sind breitstirnig, eigen flach, kantig und haben doch einen Anflug von Lieblichkeit; eine leichte Schiefheit haben beide. Es ist wie ein Ausgleiten der Form, mit dem Neigen des Hauptes zusammenhängend: die kleinen, ungemein säuberlich erbohrten Nasen- löcher stehen schräg, bei der Ber- linerin auch der Mund ein wenig. Von dem üppigen Haar hat sich ein dünne Locke abgezweigt; sie schmiegt sich an die Schläfen, um hinter den Ohren herabzugleiten (Abb. 1, so auch in Augsburg); diese, halb von den Haaren verdeckt, machen sich doch durch ihr Ab- stehen bemerkbar. °)

Die vollen, weichen Hände, mit fleischigen, vorn spitz zulaufenden Fingern, sind nicht sehr durchgebil- det, doch voll Verständnis für or- ganische Formen, für die Weichheit des Lebens.

Sollte der Meister dieser beiden Madonnen nicht ein Augsburger Kind gewesen sein? Man muß vor- sichtig bei solchen Schlüssen sein. Sein Hauptwerk hat uns der Meister nicht in Augsburg, sondern in un- mittelbarer Nähe von Ulm hinter- lassen: den Hochaltar von Blau- beuren.*) Dieser ist immer als eine der großartigsten Schöpfungen der Ulmer Schule angesehen worden. Und davon braucht man —- um jener Madonnen willen nicht abzugehen. Denn Ulm ist der älteste, einflußreichste Sitz der shwäbischen

Abb. 3. Detail aus der Anbetung der Könige O Blaubeurer Hochaltar

!) Unter dem Anstrich des Mantels liegt noch die alte Vergoldung. Die dicke Farbschicht der Tünche ist an manchen Stellen, z.B. am rechten Arm des Kindes, geborsten und abgeblattert. Die Figur scheint nicht wie die Berliner aus einem einzigen Stück zu sein, wahrscheinlich ist an der linken Seite ein schmales Stück angesetzt.

*) Auch hier ist eine gewisse Schiefheit bei der Augsburgerin, das recite Ohr steht etwas mehr ab als das linke.

3) Karl Baur, Der Hochaltar und das Gestühl im Chor der Klosterkirche zu Blaubeuren, m. einl. Text von M. Bach. Blaubeuren o. D.

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Altarplastik großen Stiles gewesen.’) Seine Bildschnitzer haben schon früh auch nach

Augsburg geliefert.) Ja, wir wissen, daß eben zu der Zeit, in der jene beiden Kolossalmadonnen entstanden, in den Jahren, als der Blaubeurer Altar errichtet wurde, zwei Ulmer Bildhauer nach Augsburg ver- zogen: 1491 Adolf Dawher, etwas später, 1494, sein Schwager, jener selbe Gregor Erhardt, dessen Name an der Berliner

° Statue hängt. |

Einen Augenblick lockt es uns wohl, alles mit einander, alles mit Erhardt zu verknüpfen, in ihm den Meister jener beiden Madonnen, wie des Blaubeurer Altares zu vermuten. Doch paßt nicht dazu, was man sonst von Erhardt weiß oder ahnen kann. Herberger und nach ihm Mader haben in dem Mörlingrabmal?) mit einiger Wahr- scheinlichkeit ein Erhardtsches Hauptwerk vermutet.) Das Mörlingrabmal aber geht mit jenen Madonnen und dem Blaubeurer Altare nicht zusammen.

Sicher scheint mir nur, daß der Meister des Hochaltares jene beiden groBen Statuen schuf, Mittelstücke ähnlich großartiger Ma- rienschreine wahrscheinlich alle beide! So wird uns in diesen Werken der Zusammen- hang der beiden großen Zentren von Ulm und von Augsburg lebendig.°)

Vielleicht überzeugt am raschesten ein Vergleih der Madonnenköpfe auf den Flügeln des Altars (Abb. 3 vom rechten). Es ist das Gesicht, das wir schon kennen; mit flachliegenden Augen, wie geplättet, in einem kleinen Faltenringe hängend (wie in

= = 1) M. Schuette, Der schwäbische Schnitz- Abb. 4. Madonna = altar, Straßburg 1907. S. 110.

Augsburg, Maximiliansmuseum °) M. Schuette a. a. O., S. 117, Anm. 2.

3) Ebenfalls im Augsbrg. Maximiliansmuseum.

4) Vgl. Felix Mader, Studien über den Meister des Mörlindenkmals (Gregor Erhardt?), Die christliche Kunst, HI. Jahrg. München 1906, S. 18ff. Mader schreibt zwar dem Meister des Mörlingrabmals ganz heterogene Dinge zu.

») Meines Wissens wurde bisher nur der Altar in S. Maria zu Wippingen v. J. 1505 mit dem Blaubeurer Hochaltar als stilverwandt zusammengebracht (von M. Schuette, a. a. O. S. 156), von der Sürlinfrage abgesehen.

W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 15

Berlin selbst die des Kindes); ein plattes Griibchen, gerade groß genug, daß eines Kindes kleiner Finger darauf ruhen kann, bezeichnet das Kinn; Grübchen die volle, weiche Hand der Frau. Mit des Messers Schärfe ist der innere Rand der Ohrmuschel heraus- gehoben; wozu etwa die Seitenansicht des Berliner Kindes (Abb. 7) zu vergleichen wäre, das von vorn gesehen, im Ausdruck, dem leidıt Verträumten, dem kindlichen Zug um den aufgesperrten Mund, an den zierliheren Knaben auf der Anbetung der Könige so auffallend erinnert.

Die Flügelreliefs des Altars, diese Anbetung, gegenüber auf dem linken Flügel die Anbetung des Kindes mit possierlicien singenden Engeln sind sichtlih von dem Meister'), der die großen, goldstrahlenden Statuen des Schreines schuf), herausleuchtend aus ihrer Mitte in Gold und mildem Weiß’), die Madonna von Blaubeuren; überflattert von der reizendsten Engel- gruppe ein rauschendes Bild (Abb. 6 und 11).

Die Engel und einige der Heiligen rihten den Blick nach unten, mit jenem sinnenden Zug, der diesem | Meister eigen ist, übrigens Abschat- tungen hat, mehr Feuer (bei dem Täufer) oder mehr Phlegma (bei dem Evangelisten). Die Madonna aber legt das Haupt zurück, so daß der Blick ins Weite geht, mit leicht auseinander- strahlenden Augensternen. Und so das Kind; es denkt an Segnen nicht, hält, leicht träumerisch, wie die Mutter, die Frucht in der Hand. Die Erfindung ist hier minder altargerecht, als bei der Berliner Statue; ein freierer Zug ist in der Blaubeurer Gruppe, ein schwungvollerer; sie nimmt uns empor, irdisch und hoheitsvoll in einem.

In leicht gerundeten langen Linienzügen streben die Falten des Mantels den

Abb. 5. Madonna. Detail O

Augsburg, Maximiliansmuseum

1) Gehilfenhände zugestanden.

2) Links der Madonna stehen Johannes d. T. u. der hl. Benedikt, rechts Johannes d. E. u. Scholastica.

3) Die zutage liegende weiße Grundierung der Vergoldung; bei der von Hofrat Baur geleiteten, kürzlich beendigten Reinigung der Altar Skulpturen ist verständiger Weise von einer Neuvergoldung Abstand genommen worden.

16 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Körper hinauf, um ungehemmt durch wagrechte Schichtungen, in jenen des Schleiers, den Langfalten des fliegenden Engelkleides, fortzuschwingen, während unten die Kurve der Sichel die Bewegung aufnimmt, sie teilend, weiterleitet.

Es scheint, daß jede Madonna des Meisters ihren eigenen Klang hatte, so sehr er sich selbst in jeder verriet. Auch die Blaubeurin hat das Sinnende; die Lider sind aufgeschlagen und drücken dennoch auf die Augensterne. Wer weiter vergleicht, wird die Figur in einigem der Berliner, in anderem der Augsburger Statue be- sonders nahe finden, während manches allen Dreien gemeinsam ist, z. B. das offene Mündchen des Kindes, das die Zähne sehen läßt, die feinen Rillen am Halse der Madonna.') Im übrigen ist das Blaubeurer Kind dem in Berlin am engsten verwandt, im Kopf, dem kräftigen Gelock, dem kräftigen Körper, an dessen Leib, in Nabelhöhe, eine, in Augsburg nicht vorhandene, Abplattung auffällt, der Beule eines Kessels gleich. *)

Das Antlitz der Blaubeurer Madonna anderer- seits steht dem der Augsburgerin am nächsten; nur diese zwei haben die eigen aufgestülpte Oberlippe, so daß zwischen Nase und Mund eine dreieckige Grube sich bildet. Und selbst- verständlich bietet die in ihren Mantel gehüllte Augsburger Figur die besten Vergleichspunkte für die Falten. Die wulstigen, an den Enden sich spaltenden, gekehlten Rücken sind charakte- ristisch?), am Halse der geschweifte Umschlag des Mantels. Der letztere war vergoldet, mit- samt seinen breiten Bordüren, wie der in Blau- beuren.

Am Schreine des Hochaltars fehlen die kleinen Statuetten, die zwischen den großen Figuren an den Pfeilern und der Rückwand standen. Doch sind die Hauptfiguren von wunder- barer Erhaltung, die Bemalung unberührt, von

Abb. 6. Madonna O ; Biaubourer Hodialiat leichter Politur; erst mit der Lupe gewahrt man

1) Die Partie am Halse ist bei der Augsburgerin übergangen.

2) Das edle, in die Mondsichel gebettete weibliche Antlitz ist am Blaubeurer Altar wie in Berlin von einem Stirntuch mit feingetollten Säumen vielfah umwunden.

») Auf dem rechten Oberschenkel.

W. Voge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 17

die Altersrisse in den nackten Teilen, der Vergoldung. Man kann, wenn irgendwo, an diesem Altar die Gepflogenheiten der spätgotishen Bemaler studieren. Bei den großen, mit der Fernwirkung rechnenden Statuen des Schreines blieb dem Pinsel manches überlassen; das Geäder auf den Händen z. B., das bei den Apostelbüsten der Predella dagegen der Schnitzer selbst gab. Die Nasen sind rot überhaucht, von unten her, zeitblomisch.

DaB die fliegenden Engel (Abb. 11) von der Hand sind, welche die Statuen schuf, ist besonders den beiden unteren vom Gesicht zu lesen. Das gleiche scheint von den Haupffiguren des bekrönenden Aufsatzes zu gelten, den Statuen Johannis und der mater dolorosa. Ihnen zu Füßen sind in den Blätterknollen des Geästs wie in Blumenkelchen oder Körben die Halbfiguren der vier Kirchenvater an- gebracht. An diesen fallen größer auf- getane, schöner ausgerundete Augen auf, die unten an den Büsten der Schild- halter, auf den Schmalseiten des Schrei- nes, ähnlih wieder begegnen. Zwar tut die Statue des hl. Benedikt im Schreine dar, daß auch für diese Typen wie für die der Apostel auf der Staffel das Kopfideal des Madonnenmeisters die Unterlage bot, daß, wenn schon mehrere Hände sich beteiligt haben, von einem Scheiden verschiedener Geister, einem Herausschälen verschiedenartiger Indivi- dualitäten hier nicht wohl gesprochen werden kann.

Am Fußgestell der Madonnenstatue Abb. 7. Schutzmantel-Madonna. Detail ist, wie man weiß, das Wappen des O Berlin, Kaiser Friedrichh- Museum Stifters, des Abtes Heinrich Ill. Fabri (oder Schmid) angebracht. Er selbst erscheint in halber Figur, halb Porträt, halb die Lieblingszüge unseres Meisters tragend, ober- halb der Anbetung der Könige; ihm gegenüber sein Schutzherr, Graf Eberhard im Bart.!) Fabri saß bis 1495; der Altar fällt in seine letzten Jahre; es scheint, daß er die Bildwerke noch fertig sah. Denn bei der Reinigung derselben ist kürzlich auf der Rückseite des rechten Flügelreliefs mit der Anbetung der Könige die Jahreszahl 1493 neben einer flüchtigen Pinselskizze zutage gekommen.) Inzwischen soll ein zweites Datum, 1494, auf der Rückseite des Altares entdeckt sein. Zwar, wenn es richtig ist, daß an einem Schlußstein des Chorgewölbes, mit Fabris Wappen, die Jahreszahl 1497

1) Vgl. dazu Klemm, Württemb. Baumeister u. Bildhauer, Stuttgart, 1882. 2) Gütige Mitteilung des Herrn Hofrat Baur der mich, wie Herr Werkmeister Mögle beim

Studium des Altares in jeder Hinsicht förderte. 9

18 Monatshefte für Kunstwissenschaft

steht, möchte man annehmen, daß der Hochaltar erst um diese Zeit oder etwas später aufgerichtet sei: | Immerhin, für die Schnitzereien gibt jenes Signum von 1493 einen festen An- halt. Auch arbeitet am Portal der Blaubeurer Klosterkirhe von 1499 bereits ein geringerer Nachahmer unseres Meisters, dessen Scholastika für seine mater dolorosa zum Vorbild nehmend! Also die Skulpturen des Hochaltars sind nicht „um 1500“, sondern gleichzeitig mit J. Sürlins d. J. Blaubeurer Gestühl, das, laut der Inschrift, 1493 gearbeitet wurde | r (ganz oder zu einem Teil). „In den Krö- nungen mit ihren gewundenen Fialen, ihren Ästen und Zweigen, in den Blattformen der Baldachine und des Maßwerks“ fand Weizsäcker „unverkennbar verwandte Ziige“ am Gestühl und Altar.!) Er und M. Schuette?) schlossen, daB auch der Schrein, mit der flimmernden Zone seiner Baldachine, aus Sürlins d. J. Werkstatt sei. Ja, er ver- mutet es auch für die Statuen, des alten Ergezingers These aufnehmend. Doch be- tont er, wie unsicher hier das Gelände ist. Denn das (Euvre des jüngeren Sürlin ist ununtersucht; was seine fast zerstörten Büsten?) am Blaubeurer Gestühl an An- klängen bieten, ist nicht schlagend; un- berührt geblieben ist anscheinend die Sta- tuette eines Propheten, die oben an seinem Blaubeurer Levitenstuhl von 1496 steht. Der Kopf zeigt Ähnlichkeiten mit denen des u | Hochaltars, im Munde besonders, und über- Abb. 8. TILMANN RIEMENSCHNEIDER zeugt doh nicht. Von den Holzfiguren, Madonna von Creglinger Marienaltar die jetzt an der Ulmer Münsterkanzel O Phot. DR. STOEDTNER stehen und angeblich von Sürlins d. J. Vespertolium stammen, erinnert die eine im Arrangement des Mantels an die Augs- burger Madonna.‘) Im ganzen hat gerade durch den Nachweis der groBen Madonnen in Augsburg und Berlin die Sürlinhypothese an Wahrscheinlichkeit eingebiiBt. Denn nach allem, was wir sonst über ihn erfahren, sind Gestühle, Kanzeln und ähnliches seine Sphäre

1) Repertor. f. Kunstw. XVIII, S. 61.

*) A. a. O. S. 120.

3) Vgl. W. Bode, Gesch. d. deutschen Plastik S. 182; die Büsten sind vor der Erneuerung im vorigen Jahrhundert abgegossen, einige waren wie abgeraspelt.

4) Rudolf Pfleiderer, Das Münster zu Ulm, und seine Kunstdenkmale, Stuttgart 1905, Taf. 18, 7.

W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 19

gewesen. Ist anzunehmen, daß er ein berühmter Madonnenmeister war, der nach Augsburger Klöstern exportierte?

Jene Ähnlichkeiten wird man auch aus der Gemeinsamkeit der Schule oder des Lehrers begreifen. M. Schuette nimmt an, daß Sürlin d. A. der Lehrer auch des Blaubeurers war, wie er ja sicher der des Sohnes gewesen ist. Zu untersuchen wäre zwar, ob hier nicht eher ein anderer Ulmer in Frage kommt, der edle Tiefenbronner (von 1469)!

Die hohe Bedeutung der Blaubeurer Skulpturen SARI u für die Forschung liegt, denke ich, in der Fülle von Perspektiven, die sie eröffnen, nicht nur nach Augsburg, auch nach Ravensburg, ja nach Franken hin, auf den jungen Riemenschneider. Einzelne Köpfe des Altares kommen denen der Ravensburger Mantelmadonna (Berlin, K.-Friedrih-Mus.) ganz nahe.!) Andere streifen so auffallend an die des jugendlichen Riemenschneider, daß ich an persönliche Beziehungen glauben möchte, sei es, daß Riemenschneider bei dem Blaubeurer oder etwa mit ihm bei einem Dritten gearbeitet hat.

Unser Wissen in diesen Dingen ist noch auf einer kindlichen Stufe. Wir lassen die großen Meister auftreten wie das Muysterienspiel seine Propheten, unvermittelt. Woher die Kunst des alten Sürlin war, woher Stoß, oder Adam Kraft, wir fragen kaum danach. |

Riemenschneider entnahm dgelegentlid die Idee zu seinen Kompositionen Schongauerschen Stichen,?) auch sonst mag Schongauer ihm etwas gewesen sein.?) Doch scheint mir sein Kopfideal mit dem Schongauerschen nicht viel zu tun zu haben. Was wäre verschiedener als Schongauers gereimte Lippen und Riemenschneiders ver- sagender Mund. Man sehe dagegen, wie sehr die Creglinger Maria (Abb. 8) und die Blaubeurer sich ähneln. Schongauers Köpfe haben solch hochliegende Brauen gar nicht, vielmehr gern schlank gezeichnete, niedrig laufende, wie sie fest umgrenzten Naturen eignen.

Übrigens sind zwischen den zahlreichen, aber auf wenige Typen gehenden IE Madonnen Riemenschneiders und den paar uns be- kannten aber immer anders erfundenen -— des

1) Zu vgl. z. B. der des Evangelisten Johannes auf der Predella mit dem jugendlichen Lockenkopf links auf der Madonnengruppe.

2) Amüsant ist der Fall des Verkündigungsaltars in Bibra, den zwar Tönnies nur als eine Schularbeit gelten lassen will: die Madonna (mit der feinfühligen Hand) geht auf Schongauers berühmtes Blatt B. 3, der Engel dagegen auf den großen Verkündigungsengel B. 1 Zug um Zug zurück.

7 A ~

Abb. 10. Tilmann Riemenschneider 3) Vgl. dazu Tönnies, Leben und Werke des Würz- M von Minnerstadter burger Bildschnitzers Tilmann Riemenschneider, Straßburg,

D x O Phot. DR. STOEDTNER Heitz, 1900, S. 47.

20 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 11. Engelgruppe Blaubeurer Hochaltar

Blaubeurers auch Ähnlichkeiten der Anordnung. Riemenschneider läßt das Kind auf der linken Hand der Mutter gern mehr aufrecht und mehr im Profil sitzen etwa, wie die Augsburger Statue des Blaubeurers es zeigt, -— auf ihrer Rechten dagegen mehr nach dem Beschauer zu und mehr nach hinten über, wie bei der Madonna des Blaubeurer Altars; ja er gibt das Kind auch ganz ähnlich lebendig, querüber auf beiden Händen, wie bei der Berliner Statue des Blaubeurers und verwendet den herab- gleitenden Kopfschleier ähnlich als Unterlage für den Kinderkörper (Madonna des Würzburger Doms).

Und dazu kommt die Verwandtschaft gewisser männlicher Typen, etwa des Johanneskopfs von Tilmanns Münnerstadter Altar (Abb. 10) oder des Nicolaus in Ochsenfurt und etwa des Benedikt vom Blaubeurer (Abb. 9).

Dieses Einbetten, dieses Überdachen des Auges durch eine Schrägfalte, resp. den schräg herabsteigenden Knochen —, dieses Fallen des Lippensaumes usw. ist zu ähnlich, um nicht verwandt zu sein.

Nach Tönnies wäre für Riemenschneider gerade die Selbständigkeit seiner Formensprache von allem Anfang an charakteristisch. Doch sollte der aus Osterode Zugewanderte in unserem Falle der Gebende gewesen sein? es ist kaum anzunehmen, obwohl die Daten das gestatten würden. Der Blaubeurer vertritt in der Durchbildung des Nackten ja auch die ältere Stufe. Auch muß, falls die Ravensburger Mantelmadonna um 1480 entstand, in Ulm schon in den siebziger Jahren ungefähr

W. Voge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 21

wie am Blaubeurer Altar gearbeitet sein. Trotz der Ähnlichkeiten ist aber auch der Gegensatz der beiden Naturen fühlbar. Der Blaubeurer ist die derbere Besaitung. Von der Madonna seines Hochaltars möchte man glauben, daß sie auch wohl einmal herzhaft lachen könne; der Junge, mit der angebissenen Frucht in der Hand, ist gewiß ein Tausendsassa. Riemenschneiders Kinder dagegen leiden an angeborener Wohl- erzogenheit. Die Männer des Blaubeurers sind selbstbewußter; Riemenschneider ent- deckte den Charme des Altruistishen. Man kann sagen, daß er in seinen Köpfen der Spätgotik das ehrlichste Gesicht gegeben habe; sie war aktionslos, hatte keine dramatische Kraft. Riemenschneiders Männerköpfe sagen das offen; Riemenschneiders des Gegendonatello.

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Gemalde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Grant

im Haag Von Kurt Freise (Haag)

Der Initiative des Direktors des Museum Boymans in Rotterdam, des Herrn F. Schmidt-Degener ist es zu danken, daß während der Monate September und Oktober die Gemälde-Sammlung von Herrn Dr. Hofstede de Groot (Haag) im Museum Boymans leihweise ausgestellt war. So konnten sich auch weitere Kreise von Kunst- freunden an der schönen Sammlung erfreuen. Der Kunsthistoriker, dem die meisten Bilder Dr. Hofstede de Groots noch besonderes Interesse bieten, hatte Gelegenheit, an dieser Stelle mit Muße die Sammlung zu studieren. Damals neigte sich aber die Reisezeit bereits sehr ihrem Ende zu. Die Zahl der ausländischen Besucher wird somit wohl doch nicht besonders groß gewesen sein, sodaß ich glaube, durch die photographische Wiedergabe der einzelnen Gemälde manchen Wünschen nachzukommen. Für die mir hierzu freundlichst erteilte Erlaubnis spreche ich Herrn Dr. Hofstede de Groot auch an dieser Stelle meinen Dank aus.

In der Sammlung Dr. Hofstede de Groots erwartet man wohl zunächst Bilder von den drei ganz Großen: Rembrandt, Fabritius und Vermeer, mit denen der Name Hofstede de Groot eng verknüpft ist Wenn nun auch nicht alle drei Meister in

seinem Hause mit Originalen anzutreffen sind, so sind doch Rembrandt durch ungefähr

achtzig Handzeichnungen und ein kleines Gemälde der Saskia sowie Carel Fabritius vertreten. Dieser äußerst seltene Maler dazu mit einer ganz hervorragenden Porträt- studie eines alten bärtigen Mannes (Abb. 1), die fraglos das wertvollste Stück der Sammlung ist. Mit diesem Bild will ich deshalb auch meine Anmerkungen zu den Reproduktionen beginnen. Erst vor nicht allzulanger Zeit tauchte dies Gemälde im Londoner Kunsthandel auf, um eine unerwartete, wertvolle Bereicherung des nur zu kleinen noch erhaltenen CEuvre von Carel Fabritius zu bilden. Die erste Nachricht von dem „neuen Fabritius“ traf hier im Haag Anfang 1907 ein und kam von den Kunst- händlern Dowdeswell & Dowdeswells. Wie gewöhnlich stand man auch in diesem Falle dem nackten Berichte eines plötzlich wieder aufgefundenen Gemäldes von einem Meister wie Fabritius etwas skeptisch gegenüber, verhielt sih zum mindestens erst abwartend. Die bald danach eingetroffene Photographie rief jedoch rasch eine Anderung hervor. Denn schon aus ihr konnte man erkennen, daß hier eine wirkliche Künstlerhand am Werke gewesen war. Außerst flott und dabei mit sicheren Strichen waren die Züge des alten Herrn auf dem Malbrett festgehalten. Die Modellierung des Kopfes war ausgezeichnet; klar und deutlich. Die Stoffbehandlung trotz des geringen Aufwandes an technischen Mitteln vorzüglich. Eigentümlich berührte die Art des Bild- ausschnittes: daß die Hutkrämpe rechts und links vom Bildrahmen überschnitten war, und daß der Hut oben bis hart an den Rand des Bildes hinanreicht. Der Kopf füllt so ganz die Fläche, strebt gewissermaßen über die Begrenzungslinien hinaus und wirkt dadurch größer. Der ziemlich gleichmäßig helle Hintergrund war für Fabritius ebenso

K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 23

charakteristisch wie die angedeuteten technischen Eigentümlichkeiten. Alles in allem: schon auf Grund der Photographie hielt man die Zuschreibung an Fabritius für wahr- scheinlich richtig. Dann kam das Bild selbst nach dem Haag zur Ansicht. Es sollte aber den Weg nach London nicht wieder zurückmachen. Die auf Grund der Photo- graphie gehegten Er- wartungen wurden vom Original noch weit über- troffen. Im hellen Zim- mer bekommt das auf schwarze, dunkelbraune und gelbliche Töne ge- stimmte Bild warm leuchtendes Eigenlicht. Aber ganz anders ist dieWirkung diesesLich- tes als diejenige von Rembrandtschem Licht.

Nichts halbdunkles, nichts schummrig-poeti- sches, nichts so seelisch erregendes oder dra- matisch packendes hat dieses Licht, dafür aber Wärme, ruhige helle Wärme, von der Wohl- behagen ausgeht. Hin- zu kommt ein kleiner Stich ins Grünliche, der dem mehr zum hellen Ocker neigenden Gelb noch eine für Fabritius besonders charakteristi- sche Note gibt, die wir auf dem Rotterdamer Porträt am ausgepräg- testen wiederfinden, die aber auch das Porträt des A. de Notte in Amsterdam hat, sowie der gegen- wärtig im Mauritshuis im Haag ausgestellte Krieger aus der Petersburger Samm- lung P. Delaroff. Diesem Bilde, das ohne Frage zum höchsten gehört, was die holländische Kunst geschaffen hat, steht der Fabritius Dr. Hofstede de Groots am nächsten. Mit diesem Krieger hat er vornehmlich auch die Wärme des am Rock vorkommenden Braun gemeinsam. Bedenken über die Richtigkeit der Zuschreibung waren angesichts aller für Fabritius charakteristischen Eigentümlichkeiten ausgeschlossen.

Abb. 1. CAREL FABRITIUS: Porträtstudie eines älteren Herrn O Holz 27<22 cm

24 - Monatshefte für Kunstwissenschaft

Aus einem auf der Rückseite des Bildes befindlichen Zettel geht hervor, daß sich das Gemälde früher in der Sammlung Matthew Anderson in Jesmond Cottage bei Newcastle befunden hat; Waagen, der diese Sammlung beschrieben hat’), muB es bei seinem Besuche übersehen oder aus irgend einem andern Grunde nicht erwähnt haben. Von der Existenz des Bildes im XVIII. Jahrhundert legt ein anderes Dokument Zeugnis ab. Als Herr E. W. Moes den Kopf zum ersten Mal sah, war er ihm schon bekannt, aber (als freilich nicht unangefochtenes) Bildnis des Amsterdamer Dichter-Kaufmannes Roemer Visscher, das von J. Stolker angeblich nach einem Gemälde von Frans Hals gezeichnet war. Diese Zeichnung kam vor auf der Versteigerung J. Stolker in Rotterdam am 27. März 1786 und diente als Vorlage für den hier abge- bildeten Stich von P. H. L. v. d. Meulen in dem Buche von Jacobus Scheltema „Anna en Maria Tesselshade, de Dochters van Roemer Visscher, Amsterdam 1808“ (Abb. 2). Nach der Unterschrift ist das Originalgemälde von Frans Hals und nach der Bezeichnung rechts oben unter R. Visschers Wappen und Altersangabe im Jahre 1618 vollendet worden. Ware nun J. Stolker nicht als „Porträtfälscher“ be- kannt, ja sogar berüchtigt, so könnte diese Zeichnung, bezw. der nach ihr angefertigte Stich, Anlaß zu Be- denken geben. So wurde aber schon vor Kenntnis des Originales jener Stolkerschen Nachzeichnung so- wohl von E. W. Moes °) wie von J. F.van Someren?) die Authentizität als Porträt Roemer Visschers so gut wie abgesprochen. Keinem Zweifel unterliegt es aber, daß die Stolkersche Zeichnung nur auf unser Gemälde von Fabritius zurückgehen kann, und da- Abb. 2. Angebl. Porträt R. VISSCHERS mit ist Frans Hals als Maler ausgeschlossen. Daß Stich von P. H. L. v. d. MEULEN ; a

nach einer Zeichn. v.J.STOLKER der Dargestellte alte Herr Roemer Visscher sei, ist deshalb unmöglih, weil dieser 1620 gestorben

ist, und Fabritius erst um 1624/1625 geboren wurde. Nun bleibt aber doch noch ein Punkt zu beachten: das Gemälde zeigt nur den Kopf und ein Stück der Brust, während Stolkers Zeichnung fast die ganze Figur gibt. Wir fragen uns also, ob das Original ursprünglich größer war, oder ob das noch vorliegende Bild von dem Zeichner willkürlih ergänzt wurde. Vielleicht ist letzteres der Fall. Denn da der Dargestellte nicht R. Visscher sein kann, so hätte z. B. das Blatt mit der Unterschrift von einem von R. Visschers sogenannten „Sinnepoppen“: „Elck wat wils“ gar keinen Sinn (von der Armlichkeit des als Tisch dienenden Stein- postaments ganz zu schweigen. Das Wappenschildchen oben rechts ist aus dem

ı) Galleries and Cabinets of Art in Great Britain... London 1857, S. 480 ff. ?) Iconogr. Batava. Nr. 8546, 2. 5) Gegraveerde Portretten van Nederlanders. Amsterdam 1890.

K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 25

Abb. 3. HERCULES SEGERS: Hochtal Holz 29,5x53,5 cm

nämlichen Grund als sicher absichtliche Zutat zu dem gezeichneten „Porträt R. Visschers“ anzusehen. Dagegen sprächen die Haltung der Arme und Hände nicht gegen Fabritius. (Vergl. das „Porträt des A. de Notte in Amsterdam). Nicht unbeachtenswert für eine doch etwa mögliche Beschneidung des ursprünglich größer gewesenen Originales scheint mir aber die Andeutung des Mauerwerkes links auf dem Hintergrund zu sein. Denn die Vorliebe des Fabritius für eine Mauer als Hintergrund äußert sich auf fast allen anderen Gemälden von ihm. Kontrollierbare, aber unwesentlihe Abweichungen von dem Original können am Rock festgestellt werden und im Gesicht; von der Warze auf der linken Wange der Zeichnung ist auf dem Ölgemälde nichts zu entdecken. Vielleicht fügte sie Stolker in der Absicht hinzu, seinem Phantasieporträt R. Visschers der nach irgend einer Überlieferung etwa dort eine Warze gehabt haben soll mehr „Wahrheit“ zu verleihen. Die viel zu lang geratene Nase ist natürlich auf die Schwädhe des Nachzeichners zurückzuführen. Solche Nebenumstände machen ein Gemälde gewiß nur historisch interessanter. Der Genuß an seiner Schönheit bleibt davon unberührt. So, wie das Bild im Museum Boymans aufgehängt war, in unmittelbarer Nähe von dem bekannten großen männlichen Brustbild, dessen außerordentliche Herbheit in der Auffassung uns so seltsam und gewaltig packt, trug es zur Erkenntnis der künstlerischen Persönlichkeit des unglücklichen Delfter Meisters wesentlich bei. Durch Einzelvergleichung fallen Besonderheiten immer leichter ins Auge. Die Strenge und Wucht, die dem Hauptwerk des Museum Boymans eignet, ergreift uns neben der Ruhe, die sich in dem „Porträt des R. Visscher“ ausspricht noch gewaltiger. Wir empfinden angesichts der Gegenüberstellung der beiden Gemälde unmittelbarer, daß Carel Fabritius' Stärke doch nicht allein darin lag, Stimmungen mehr idyllischer Art bildlim zum Ausdruck zu

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Abb. 4. JACOB VAN RUISDAEL: Waldweg | Holz 29,7><37 cm

bringen, wie man aus den Genredarstellungen und aus den anderen Porträts an- zunehmen geneigt ist.

Hohen künstlerischen Wert und großes kunsthistorisches Interesse vereinigt auch das wohl mit Recht an zweiter Stelle zu besprechende Gemälde in sich, das „Hochtal“ von Hercules Segers (Abb. 3), des frühholländischen Landschaftsmalers, der wie Fabritius zu den Malern aus dem Kreise Rembrandts gehört, die trotzdem aber wirklich selbständige künstlerische Persönlichkeiten im vollsten Sinne des Wortes waren. Des einen Porträts nannte man früher fälschli Rembrandt, einzelne von Segers Land- schaften führten bis in die jüngste Zeit hinein nicht mit Unehre diesen größten hollän- dishen Namen, dessen Träger selbst von dem ihm befreundeten Segers sogar noch lernen konnte und auch gelernt hat. Und doch sind Segers’ Landschaften so charakte- ristisch, daß sie von demjenigen, der sich einmal aufmerksam in sie vertieft hat, nicht verkannt und nicht mit solchhen von Rembrandt verwechselt werden können.

Ih kann in diesem Zusammenhang nicht ausführlich über Segers’ Stellung in der holländischen Kunstgeschichte sprechen, sondern muß mich auf die Charakteri- sierung des hier abgebildeten „Hochtales“ beschränken. Dies Gemälde ist zunächst deshalb wichtig, weil es als einziges Bild in der Gruppe der Darstellungen von Ge- birgslandschaften voll bezeichnet ist und zwar in derselben Weise wie das eine Bild in Berlin, so, wie uns auch des Malers Handschrift aus den Urkunden bekannt ist. Segers’ Alpenlandschaften gehören wegen der noch altertümlichen kompositionellen Hülfsmittel mit silhouettenartigen Versatzstücken im Vordergrund, mit den Kulissen im

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Abb. 5. JAN VAN GOYEN: Vor dem Gewitter | Holz 40,7><61,7 cm

Mittelgrund, bisweilen auch durch die kräftige Betonung der Lokalfarben der älteren, dur einen Mann wie Gilles van Coninxloo in Amsterdam gepflegten Richtung an. Es ist deshalb nicht gar zu verwunderlich, wenn unser Gemälde von seinem früheren Eigentümer für einen Jodocus de Momper gehalten wurde. Trotzdem müssen diese Gemälde von Segers wenn auch weniger als seine Flachlandschaften damals in gewissem Sinne modern gewirkt haben. Das heißt, es findet in ihnen, im Gegensatz zu den Werken der ganz in dem romantisch-italienisierenden Stil schaffenden und stark mit vlämischen Elementen durchsetzten Künstlergeneration des ausgehenden XVI. und beginnenden XVII. Jahrhunderts, doch schon das Naturell desHolländers seinen Ausdruck, des holländischen Malers, dessen Auge nicht im Anschauen großer Gebirgskompo- sitionen künstlerisch sehend geworden ist, sondern unter dem Eindruck der besonders gearteten Atmosphäre des wasserreichen Flachlandes, in der alle Farben erhöhte Leuchtkraft und Durchsichtigkeit besitzen.

Aber auch mit unseren modernen Augen betrachtet finden wir in Segers' Ge- mälden moderne Züge, auf technischem Gebiete, das heutzutage in bestimmten Maler- kreisen ja auch eine hervorragende Rolle spielt. „Wo Segers Laubbäume anbringt, charakterisiert er sie meist durch derbe kleine Tupfen, die an die Pointille-Manier moderner Impressionisten erinnern.“ So Bode zu den berühmten Radierungen von Hercules Segers. Nicht nur auf die Bäume auf Radierungen paßt diese Kennzeichnung. Auf dem Hochtal der Sammlung Hofstede de Groot können wir genau das gleiche Ver- fahren beobachten, nur mehr strichelnd als tupfend und zwar bisweilen unter Anwendung von ungebrochen nebeneinandergesetztem Rosa, Gelb und Grün; besonders deutlich ist das in dem Turm links von der Mitte und auf dem Wege zu sehen. Überhaupt ist das

28 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Kolorit auf diesem Bilde von einem Reichtum, der eher an Rubens als an Rembrandt denken läßt. Dieser verwandte ja auch geradezu Fleischfarbentöne in seinen späten Landschaftsbildern; Rosa und Gelb spielen da auch eine Rolle und geben seinen Ge- mälden einen besonderen Farbencharakter. Rembrandtschen Landschaften gegenüber- gestellt, entbehrt dieses Hochtal von Segers des einheitlihen Gesamttones, dem sich alle Lokalfarben völlig unterordnen. Wir haben hier braunen Vordergrund, grüne, gelblihe und rosa Töne verschie- denster Abstufungen im Mittelgrund, die weiter nach hinten zu ins Blau auslaufen: ganz nach der Regel der älteren Richtung. Aber nicht so hart fühlbar, auch trotz der sehr starken im Original aber doch weniger als auf der Reproduktion Vor- dergrundskulisse links vorn. Die drei Gründe sind doch innerlicher miteinander verbunden; wie dis- kret raumbildend wirkt vor allem auch der ebenfalls zu den Requi- siten der „Alten“ gehörende Fluß, der sich in leichten Zickzacklinien nach vorn schlängelt. Überaus zart ist der Übergang des fernsten in duftigem Blau schimmernden Gebirgs- zuges zum Himmel. Das Bild, dessen Abmessungen nur gering sind, ge- winnt den Betrachter nicht auf den ersten Blick für sidi genau so wie die holländische Landschaft und holländisches Wesen überhaupt. Aber es gehört zu den Kunst- Abb. 6. PIETER DE HOOCH: Junge Frau mit Kavalieren Werken, die langsam und stetig, beim Wein Holz 50,2<37,5 cm Mehr und mehr den Beschauer fesseln, die ihn dann immer wieder zu sich ziehen, ihm immer neue leise Schönheiten offenbaren: daß er im Bilde von Menschenhand die Natur so schaue, wie sie ein Künstler sah.

Bevor ich zu der Landschaft übergehe, die wohl von der Mehrzahl der Be- trachter als die „schönste“ sofort herausgefunden und bewundert wird, will ich bei einem kleinen Bilde von Jacob van Ruisdael kurz verweilen (Abb. 4). Es zeigt einen nach vorn führenden breiten Landweg, der rechts und links mit hohen Bäumen bestanden ist. Diese bilden eine dunkle Silhouette vor dem Abendhimmel, den die eben unter- gegangene Sonne in zarten rosa-gelblihen Tönen erscheinen läßt. Für Ruisdael ist der Ton ziemlich warm, in den Schatten durch Nachdunkeln leider ein wenig schwer

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K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 29

geworden. Aber man muß an das Bild einen andern Maßstab anlegen als sonst bei Ruisdael. Denn es ist ein sehr frühes Werk des Meisters, womöglich das früheste bezeichnete des damals 17 bis 18jährigen Künstlers, wenn die letzte, undeutliche Ziffer der Jahreszahl 164.. als 5 richtig gelesen wird und nicht vielmehr eine 8 ist.

Volle künstlerische Reife zeigt das einige Jahre früher, 1639 entstandene, aber von einem 43 Jahre alten Künstler herrührende Gemälde von Jan varı Goyen mit der Schilderung eines Naturvorganges, dessen Stimmungsgehalt ganz unmittelbar auf den Beschauer wirkt (Abb. 5). Über einer weiten stillen Wasserfläche, der Mündung eines Flusses, auf dem links im Vorder- grund ein paar Fischer im Kahn ihre Netze ziehen, kommen vom Hintergrund dunkle Gewitterwolken herangezogen. Sie verdüstern die schon ziemlich tief stehende Sonne, deren Licht ganz fahl- gelb für wenige Augenblicke noch nach unten hin einen Ausweg findet. Rechts liegt in der Nähe des Ufers eine Fischer- flotte still vor Anker, ebenfalls in den etwas stumpfen fahlen Schein getaucht. Die Segel hängen unbeweglic an den Masten und spiegeln sich darunter in der wie bleiern erscheinenden Wasserfläche. Nicht lange wird es mehr dauern, dann durch- zuckt jene Wolken da ein jäher Blitz und zerreißt ihre gewaltigen Massen: mit krachendem Donner geht dann der Tanz los, kommt Leben in diese unheimliche Ruhe vor dem Sturm. Die bildliche Ver- mittlung durch van Goyen geschah auf die einfachste Weise. Ohne an technisches Experimentieren zu denken, malte er mit einer in unermüdlicher Arbeit gewonnenen Routine die bei ihm allerdings nie geistlos wurde! dieses Wasser, die Boote und den prachtvollen Wolkenhimmel dariiber. Der Erhaltungszustand des Bildes ist tadellos; kein Riß, keine nachgedunkelten oder ver- dorbenen Stellen stören: es kann wie ein modernes Bild ohne jeglichen historischen oder technischen Apparat von jedem voll genossen werden, dem das Anschauen eines solchen Naturschauspieles seelisch etwas bedeutet. (Das Bild ist auf Holz gemalt mit dem Monogramm und der Jahreszahl 1639 bezeichnet. Auf der von Fred. Muller & Co. im Jahre 1903 inszenierten van Goyen-Ausstellung war es Nr. 21.)

Ein wieder kunsthistorisch sehr bemerkenswertes Gemälde ist das Interieur mit einer jungen Frau und Kavalieren beim Wein von Pieter de Hooch (Abb. 6). Eine vollständige Bilderpublikation der Werke Pieter de Hoochs fehlt leider noch immer und

Abb. 7. JACOBUS VREL: Interieur D Holz 63><47,5 cm

30 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

ebenso eine erschöpfende Würdigung seines künstlerischen Entwicklungsganges, der uns in seinen wesentlichen Zügen freilich geläufig ist, nachdem auch die frühesten Bilder von seiner Hand als sole erkannt worden sind. Dieser Gruppe von Früh- werken (in Rom, Petersburg, Mainz [bei St. Michel] und Dublin)'), deren einzig bezeichnetes Stück die National-Gallery in Dublin besitzt, gehört Dr. Hofstede de Groots Pieter de Hooch an. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie stark Pieter de Hooch wie so viele holländische Maler schon von frühester Zeit an das Problem des Lichtes interessiert hat. Wie bei anderen so wurden auch bei ihm diese Lichtstudien in den ersten Jahren seiner Malerlaufbahn häufig mit künstlichen Beleuch- tungseffekten betrieben. Im verdunkelten Innen- raum werden die Wir- kungen einer brennen- den Lampe oder Kerze auf den davon ge- troffenen Figuren und Gegenständen studiert und festgehalten, wozu sorgfältiges Beobachten erforderlich ist noch dazu, wenn die Auf- gabe, wie hier vonPieter de Hooch, etwas kom- pliziert gestellt wird, | indem er es nicht bei oF Gelehrter in seinem Studierzimmer en pony eve belabi, Holz 44,5><39,3 cm Sondern gleichzeitig drei

einführt. Davon sind

zwei selber nicht sichtbar, sondern nur in ihrer Wirkung zu erkennen. Die dritte, sichtbare, die Kerze rechts oben am Kamin dient mehr der spielerischen Erzeugung von Reflexen auf den von ihrem Licht getroffenen Tellern auf dem Kamingesims. Die zweite, am wenigsten starke, ist das nicht sichtbare Kaminfeuer, das das Gesicht und den pur- purnen Rock des im Vordergrund sitzenden Kavaliers etwas aufhellt. Andernfalls wäre

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Abb. 8. GERRIT DOU: Jung O

1) Jiingst hat Herr Dr. Hofstede de Groot in Philadelphia in der Sammlung J. G. Johnson noch ein derartiges, den Soldaten im Wirtshaus in der Villa Borghese in Rom nahestehendes Frühwerk entdeckt, das bisher als G. Camphuysen ging.

= oe Ah DIESER

K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofsteed de Groot im Haag 31

er ganz zur Silhouette vor dem dritten, dem eigentlichen Hauptlicht, auf dem Tisch geworden. Die Wirkung dieser, von eben jenem Kavalier für unser Auge verdeckten Lichtquelle selbst, die von der Wein einschenkenden jungen Frau im Mittelpunkte des Bildes aufgefangen wird, ist umso stärker. Dies doch nur reflektierte Licht hat eine so intensive eigene Leuchtkraft, daß es auf die photographische Platte wie ein helles Fenster bei einer Stubenaufnahme wirkte. Man sieht es deutlich auf der Photographie. Mit dem Studium solcher verschiedenartigen Beleuchtungseffekte legte P. de Hooch den Grund zu seinen späteren erstaunlich feinen Beobachtungen des Sonnenlichtes und seiner Schattenwirkungen im Zim- mer, die uns seine Interieurszenen aus seiner Blütezeit so unschätzbar machen. Das will schnell erhascht sein und kann nicht mit solcher Muße wie das gleichmäßig bren- nende und an seinem Platze fest- stehende künstliche Licht studiert werden. Später macht de Hooch es sidi dann leider um so be- quemer, wenn er wieder ein dunkles Zimmer darstellt, aber in ihm selber kein Licht mehr sein läßt, sondern dies nach draußen verlegt, indem er einen Ausblick auf eine grell von der Sonne beschienene Häuser- fassade gibt. Hier stehen sich ohne Übergang stärkstes Hell und Dunkel unvermittelt und unab- hängig von einander gegen- über. (Vgl. z. B. das Bild in Amster- dam Nr. 1249.) Diese Art der Be- leuchtung erforderte natürlich viel weniger Studium; die je nach der Stellung des Lichtes und der Fi- Abb. 9. JAN STEEN: Wirtshausszene Holz 35><27,5 cm guren verschiedenartigen Licht- und Schattenwirkungen kamen in diesem Falle nicht in Betracht, es konnte ganz schematisch „aus dem Kopf gemalt“ werden. Deshalb stehen die Anfangswerke, wo man den aufstrebenden jungen Künstler der Lösung dieser Probleme nachgehen sieht ohne daß seine Bemühungen gleich von einem vollen Erfolge gekrönt wären —, wo man ihn nach und nach aber zur Meisterschaft gelangen sieht, auf einer viel höheren Stufe als die seiner späten, nur zu sehr zu bedauernden Verfallszeit.

Jacobus Vrel steht zu den großen Delfter Meistern insofern in Beziehung, als seine Straßenbilder lange unter die Werke Vermeers gerechnet wurden. Dieser Um- stand, sowie die völlige Unkenntnis seiner Lebensverhältnisse, die Rätsel, die er in

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Abb. 10. N. DE GISELAER: Vier musizierende Kavaliere Holz 38,7><64,5 cm

Verbindung mit Koedijck zu lösen aufgab,') haben ihm in der kunstwissenschaftlichen Welt zu einer gewissen Bekanntheit verholfen, ohne daß über ihn die Forschung ab- geschlossen wäre. Daß seine Bilder auch von den Sammlern begehrt und bisweilen sogar sehr teuer bezahlt werden,”) beweist, wie das kunsthistorische Interesse für Vrel auch bereits auf die Sammler übergegangen ist; es ist aber nicht zu leugnen, daß ihm auch als Künstler Beachtung geschenkt werden darf. Seine Straßenbilder entbehren nicht eines eigenartigen Reizes durch die in ihnen wehende kleinbürgerliche Luft. In einer süddeutschen Stadt wäre daraus vielleicht Kleinstadtromantik geworden hier im Norden gibt es das jedoch nicht. Es bleibt ihnen hier nur der rein spießbürgerliche Zug eigen, in dem ja aber auch eine gewisse Poesie liegt. Fast noch höher als seine Gassenbilder stehen vielleicht die Interieurs, z. B. so ein Bild wie das der lesenden alten Frau am Kamin, das sich früher in der Sammlung Adolphe Schloß in Paris befand. Hier könnte man beim Suchen nach einem ihm verwandten modernen Künstler etwa auf den Namen Hammershöi kommen an dessen Kunst Vrels Werke freilich nicht heran- reichen, vor allem weil in ihnen das Sonnenlicht unberücksichtigt geblieben ist. Aber sie nähern sich doch in gewissen Punkten ihres Empfindens, dessen stille Beschaulichkeit uns moderne Menschen als Gegensatz zu unserem hastigen Leben angenehm berührt. Aud den Grundzug des Bildes von Vrel in der Sammlung Hofstede de Groot (Abb. 7) bildet die Beschaulichkeit des stillen Ruhestündchens am warmen Herd, das sich der alte Mann dahinten im Zimmer gönnt. Es ist das auch ein wesentlicher Zug in der Kunst des Leidener Kleinbürgermalers Quiringh van Brekelenkam, dem früher das hier abge- bildete Stück auch zugeschrieben wurde. Nicht etwa, weil es für Brekelenkam zu

1) Hofstede de Groot, „Die Koedijk-Rätsel und ihre Lösung“, Jahrbuch der kgl. preuB. Kunstsammlungen. 1903. Heft I.

2) Das StraBenbild der Versteigerung Hoogendijk 1907 erzielte einen Preis von 2700 Gulden.

K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 33

Abb. 11. P. P. RUBENS. Skizze zweier Gefangenen O Holz 35,7>50,7 cm

gering wäre, mußte es diesem abgesprochen werden, sondern weil es die stilistischen Eigentümlichkeiten Vrels aufweist. Am meisten in die Augen fallend ist die starke perspektivische Verkürzung des Raumes (deren Vorliebe in Vrels Straßenbildern am deutlicisten zum Ausdruck kommt), das kühle, auf Braun gestimmte Kolorit, der von vorn gesehene Kamin mit dem weißen Gesims und den weißen Kacheln, das Beiwerk von Hausgerätschaften, die auf diesem Bild durch ihre große Mannigfaltigkeit und verschiedentlichste Anbringung in dem Zimmer beinahe etwas Unruhe in das Bild bringen. Das Sujet selbst, eine einzelne am Kamin sitzende männliche oder weibliche Figur, hat Vrel des öfteren gemalt. Weisen die Straßenbilder von ihm auf einen Aufenthalt in Amsterdam hin, so deutet dieses Brekelenkam entschieden nahestehende Bild mehr nach Leiden (woher auch Koedijck stammt), ohne daß sich aber sicheres dazu sagen ließe. Hier können nur Urkunden Klärung schaffen.

Die Leidener Malerschule des XVII. Jahrhunderts selbst ist in der Sammlung Hofstede de Groot durch ihre drei berühmtesten Meister, Rembrandt, Jan Steen und G. Dou vertreten. Das Bild von Gerrit Dou ist ein von Dr. Hofstede de Groot vor nicht langer Zeit wieder ans Licht gezogenes Werk (Abb. 8). Wenn man die Abbildung sieht, sollte man nicht meinen, daß es auf einer Londoner Auktion als unbekannte hollän- dishe Schule verzeichnet wurde, noch dazu, da es voll bezeichnet ist. Die Nachfrage der Sammler nach Dou dürfte in jüngster Zeit aber doch etwas abflauen, trotzdem seine berühmten Feinmalereien in den Öffentlichen Galerien immer noch das Entzücken aller Damen bilden, und trotzdem man gerade vor seinen Bildern immer wieder Ge- legenheit hat zu sehen, wie tief in dem Museen besuchenden Publikum der verkehrte Glaube herrscht, Kunstwerke müßten aus nächster Nähe durch die Lupe betrachtet werden. Man müßte eigentlich gerade unter die feingemalten Bilder das oft und

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34 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 12. JAN FYT: Jagdstilleben Leinwand 84x105 cm

doch nutzlos zitierte Wort Rembrandts setzen: „Der Geruch der Farbe könnte Euch lästig werden“. (Mir kommt dabei der Gedanke, daß die Anbringung von derartigen, zum Betrachten von Kunstwerken anleitenden Sprüchen vielleicht nützlicher wäre als die jetzt in vielen Galerien nur dekorativen Zwecken dienenden Künstlernamen.) Ein guter Dou wirkt auch ohne Lupe; man kann sich an der guten Stoffbehand- lung, an der sorgfältigen Modellierung, an der Akkuratesse der Zeichnung auch so erfreuen, ohne über die Schwierigkeiten und die dazu erforderlich gewesene Arbeits- ausdauer nachzudenken. Dieser junge Gelehrte in seinem Studierzimmer ist ein ganz charakteristisches Bild für Dou und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Es hat den kühlen Ton Douscher Bilder, der durch ein zinnoberrotes Siegel, das rechts von dem Bücherbort herunterhängt, angenehm belebt wird.

Der andere große Leidener nächst Rembrandt, Jan Steen, wird in Holland selbst, besonders auch von einem Kreise von Malern, darunter Jozef Israels, viel höher geschätzt, als bei uns in Deutschland, wo sich gerade die nicht zum „Publikum“ gehörenden Kunst- liebhaber in ihrem Urteil über Jan Steen etwas zu sehr durch die freilich nicht weg- zuleugnende Ungleichheit in der Qualität seiner Gemälde beeinflussen lassen. Das von Dr. Bredius vorbereitete große Prachtwerk über den Meister, das eine Fülle von un- veröffentlichten Meisterwerken Steens in englischen Privatsammlungen bringen wird, und die von Prof. Dr. Martin geplante ausführlihe Monographie werden wohl sicher Ge- legenheit geben, das Urteil über diesen größten „Genremaler“ neu und fest zu formu- lieren. Vor allem wird dies erweitert werden müssen, d. h. die dem Publikum so

K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 35

„amüsanten“ Bilder müssen einmal alle mehr nach der anderen, rein künstlerischen und auch artistischen Seite hin untersucht werden. Das Hauptgewicht muß einmal im Einzelnen mehr auf sein großes Beobachtungsvermögen, auf seine Charakterisjerungs- kunst, auf seine Phantasie und Erfindungsgabe gelegt werden, worin ihm außer Rem- brandt kein anderer Holländer gleichkommt; auf sein Kompositionstalent; ferner darauf, daß er wenn auch seltener als Porträtist wie als Landschafter treffliches zu leisten vermag. Man muß ihn einmal weniger unter dem Gesichtswinkel des Humo- risten und Anekdotenerzählers, des scheinbaren Karikaturisten betrachten, sondern an die rein künstlerische Analyse seiner zahlreichen Bilder gehen. Sein Oeuvre, das von den schlechtesten bis zu den besten, nur bei genauester Vergleichung mit dem Original zu erkennenden Kopien und Fälschungen getrübt ist, muß erst einmal in einer gründ- lich gereinigten Ausgabe bildlich vorgeführt worden sein. Als Kolorist und als Zeichner muß Jan Steen Bild für Bild durchstudiert werden. Das kleine Gemälde der Sammlung Hofstede de Groot (Abb. 9) erhebt nicht den Anspruch, in dieser Weise für seinen Schöpfer nach allen Seiten hin einzustehen. Es gibt mehr einen Einzelzug des Künstlers wieder und kann eher als Studie aufgefaßt werden. So eine Figur wie der im Trunke ein- geschlafene junge Mensch zeigt den scharfen Beobachter, der das Gesehene mit wenigen charakteristischen Strichen und Farben lebenswahr festzuhalten weiß.

Es bleibt Rembrandts bekanntes Porträt der Saskia’) noch zu nennen, über das sich eine eingehende Besprechung aber wohl erübrigt, zumal es mir hier mehr darauf ankommt, weniger bekannte Gemälde im Bilde vorzuführen. Man glaubte zu- erst in der dargestellten jungen Frau Rembrandts Schwester erkennen zu sollen, bis man sich darüber einig wurde, daß sie doch größere Ähnlichkeit mit der jungen Saskia hat. Ob das Bildchen aber als Studie zu einer der badenden Nymphen auf dem kleinfigurigen Gemälde „Diana und Aktäon“ beim Fürsten zu Salm-Salm in Anhalt benutzt wurde, wie Bode andeutet, wage ich nicht zu entscheiden.

Auch wieder sehr interessant, als besonders gutes und von den übrigen Bildern abweichendes Werk eines ebenfalls in Leiden geborenen und sehr selten vorkommen- den Meisters, sind die vier musizierenden Kavaliere von N. de Giselaer (Abb. 10). Für gewöhnlich malte er nur Ärchitekturen, entpuppt sich hier aber als ein gar nicht unbe- gabter Gesellschaftsmaler in der Richtung des Duyster etwa. Nur ist das Bild nicht so glatt, wie dessen Arbeiten, auch natürlicher und angenehmer, sowie viel farbiger. Der links vorn sitzende Sänger trägt stark rote Hosen, einen weißseidenen mit goldenen Litzen besetzten Rock, weiße Strümpfe mit roten Strumpfbändern. Sein Gegenüber rechts ein warm grünes Kostüm; die Oberfläche der Laute ist ockerfarben. Dagegen treten die beiden anderen Figuren etwas zurück, was recht gut ist. Denn anderenfalls hätte de Giselaer die Klippe der Buntfarbigkeit vielleicht doch nicht ganz überwunden. Auf dem unteren Verbindungsbrett der beiden Vorderbeine des Stuhles, auf dem der Lautenschläger sitzt, ist das Bild in großen Antiqualettern voll bezeichnet. Das Bild wurde auf der Versteigerung Jos. Monchen u. a. in Amsterdam bei Fred. Muller am 50. April 1907 erworben und war Nr. 81 des Versteigerungskataloges.

1) Abgebildet in Bodes Rembrandtwerk, Bd. III, 67 u. bei Rosenberg, Klassiker d. Kunst, Rem- brandt. 2. Aufl., S. 97; auf S. 124 in der eben erschienenen, v. W. R. Valentiner bearbeiteten 3. Aufl.

36 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

Von der Besprechung der beiden nicht hollandischen Bilder, einer Skizze von Rubens (Abb. 11) und eines schönen farbenreichen Jagdstillebens von Jan Fyt (Abb. 12) sehe ich ab. (Das letztere Bild wurde auch auf der Versteigerung J. Monchen er- worben; Nr. 80 des Kataloges.) Die Reproduktionen mögen hier genügen.

Dagegen bitte ih zum Schluß noch um Gehör für ein Gemälde von Michiel Sweerts, dem holländischen Le Nain, wie ihn Martin in seiner grundlegenden Ab- handlung über Sweerts') genannt hat. Sweerts Werke, die bis vor kurzer Zeit noch fast alle falsche Namen trugen oder unbeachtet in den Galerien hingen, sind von Martin zum ersten Mal ge- sammelt und zur Grundlage einer über die künstlerische Persönlichkeit dieses Malers AufschluB gebenden Studie ge- macht worden. Sweerts, der lange in Rom war und sich dort vielen frem- den Einflüssen zugänglich zeigte, schloß sich auch später, nach seiner Rückkehr in die Heimat an bestimmte Künstler an. Am glücklichsten war er wohl in den Gemälden, die unter der Einwir- kung Terborchs entstanden sind. Zu dieser Gruppe ‘gehòrt der hier abge- bildete Jünglingskopf (Abb. 13). Er ist im ganzen in kühlen sepiabraunen Tönen gehalten, sorgsam weich und vertrieben gemalt und von fast etwas

sentimentalem Ausdruck. Gerade dieser

7 Gesichtsausdruck, dann die technische

Behandlung des langen weich fließen-

Abb. 13. MICHIEL SWEERTS, Kopf eines Jünglings den Haares, ganz besonders aber der

g Leinwand 24,5x18 cm rosige Ton der Fleischfarbe sind für

| Sweerts als Maler stark ins Gewicht

fallende Momente. Das Bild trug früher nämlich nicht den Namen Sweerts, sondern

wurde als solches erst von Dr. Hofstede de Groot bestimmt, als er das Bild auf einer

Pariser Auktion im Jahre 1907 sah und gleich erwarb. Die Art und Weise des Bild-

ausschnittes (unten rechts) machen es wahrscheinlich, daß das Gemälde in seiner jetzigen Gestalt nur ein Fragment einer größeren Komposition darstellt.

Die eben betrachtete Sammlung ist die eines Kunstgelehrten. Man erwartet daher vielleicht mehr als sonst, daß sich in ihr die persönliche Eigenart des Besitzers

ı) „Michiel Sweerts als schilder. Proeve van een Biografie en een Catalogus van zijn schil- derijen.“ Oud-Holland 1907, Heft 3.

K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 57

widerspiegele. Ein Kunsthistoriker geht bei der Auswahl fiir seine eigene Sammlung von ganz anderen Gesichtspunkten aus, wie der nicht faciwissenschaftlich gebildete Sammler. Und es wird ihm meistens wohl weniger darauf ankommen, ein möglichst vollständiges Bild der gesamten Kunstgeschichte in charakteristischen Werken zusammen- zustellen wie es die großen öffentlichen Sammlungen tun —, sondern er wird in erster Linie solche Stücke bevorzugen, die ihn auch als Mann der Wissenschaft inter- essieren, von Künstlern und aus Zeiten, über die er eingehender arbeitet und ge- arbeitet hat, Kunst, in die ihn seine speziellen wissenschaftlihen Studien tiefer als andere haben einsehen lassen, und die selbst wieder durch seine Studien anderen ver- mittelt und näher gebracht wurde. Das trifft für die eben betrachtete Sammlung Dr. Hofstede de Groots gewiß zu. Denn die meisten Bilder gehören Künstlern an, zu deren Kenntnis die Forschungen Hofstede de Groots wesentlich beigetragen haben. Daß in einer solhen Sammlung „kunsthistorischen Charakters“ mit „interessanten“ Bildern das rein Asthetische dabei aber sehr wohl auch auf seine Rechnung kommen kann, das dürften schon die hier wiedergegebenen Reproduktionen dartun.

F

Zur Donatello-Forschung

Von Frida Sdottmüller I.

Niccolo da Uzzano: Supino hat im Katalog des Museo Nazionale als Gewährsmänner für die Zuweisung der Büste an Donatello und die Bestimmung auf Uzzano als den Dargestellten nur Semper und von Tschudi angeführt. Semper spricht schon in seiner ersten Monographie’) ausführlii von dem großen Staatsmann und seinem Bildnis. Es befand sich damals noch im Palazzo Capponi, jenem Rusticabau in der Via de’ Bardi, der durch Erbschaft von den Uzzani auf die Capponi gekommen war. Sempers Zeugnis stützt sih auf einen Brief des Grafen Luigi Passerini, dem jedoch der „Wert eines Dokuments“ n. m. D. nicht zukommt. Er gibt Niccolos Todes- datum 1429/30 statt 1432 an und erwähnt noch eine andere Büste Niccolos Bruder Bernardo -- auch von Donatello, die „kürzlich veräußert worden“ sei.*)

Allein schon Bettini nennt in seiner Guida*) nur die berühmte Büste Niccolos, und gleiches gilt von Carlieris „Ristretto delle cose più notabili della citta di Firenze von 1745“. Er berichtet: Palazzo del Senator Conte Ferrante Capponi, fatto edificare dal famoso Nicolö da Uzzano, col disegno di Lorenzo di Bicci, entro del quale si vede il busto di esso Niccolo opera insigne di Donatello con inscrizione adequata a si potente Cittadino; siccome appie della Scala un Leone di porfido che è creduto opera singolare degli antichi Etruschi.‘) - -

Vasari hat keine Terrakottabüste Donatellos erwähnt, nicht einmal die von S. Lorenzo, wo er doch alle Reliefs und Statuen der Kirche nennt; deshalb kann sein Verschweigen der Uzzanobiiste nicht die Zweifel stützen, die gegen Autor und Dar- gestellten lautgeworden sind.”) Freili auch Bocchi und Cinelli haben sie in den Belezze di Firenze nicht erwähnt. Sie schien ganz ohne Tradition zu sein, ein merk- würdiger Fall bei einem Kunstwerk von dieser Ausdruckskraft. Durch Carlieris Notiz von 1745 ist dieser Einwand zunichte geworden.

IL.

Die Taufe Christi in Arezzo. Im Dom von Arezzo, in der ersten, ziemlich dunklen Kapelle des linken Seitenschiffs, steht der sechseckige Taufbrunnen aus rotem Kalkstein. Dem Konsolfries aus weißem Marmor am oberen Rand entspricht unten ein

1) Wiener Quellenschriften 1875, p. 150 1 u. 263.

*) Semper verschweigt leider das Datum des Passerini-Briefes.

») 4. Aufl. 1862, p. 65: „Vi si vede il busto di Niccolo di mano di Donatello.“

4) Das Zitat ist aus der 5. Auflage, die Marco di Beauvau gewidmet ist; ältere sind mir leider z. Z. nicht zugänglich; nur die 7. von 1767 Giuseppe Riccardi zugeeignet —, die von ein paar Stiländerungen abgesehen, die Stelle wörtlich wiederholt und überhaupt wenig ,Beridi- tigungen“ bringt. Wahrsceinlich ist ja die Notiz aus den ersten Aufgaben übernommen und die Tradition durch sie noch weiter zurückzuverfolgen.

5) cf. Schubring: Donatello p. 196.

F. Schottmiiller. Zur Donatello-Forschung 39

Abb. 1. DONATELLO. Taufe Christi

E) Arezzo Dom

schmales Profil aus gleichem Material. In den vorderen Feldern je ein Marmorrelief mit mehreren Figuren, hinten drei Wappen. Der Stil verrät die erste Hälfte des Quattrocento. Der Taufstein ist ursprünglich reicher im Architektonischen gewesen: Von seinen sechs Säuldien werden fünf 1568 neu hergestellt; sie standen wahrscheinlich

40 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

an den Ecken, zwischen dem damals verkröpften Sockel und Gebälk; so daß das Ganze ähnlich aussah wie der Hauptteil von Benedetto da Maianos Kanzel in S. Croce. Gelegentlich anderer Aufstellung (1613 und 1620) wird er seine heutige, einfache Form erhalten haben.

Von künstlerishem Wert sind heute nur die Reliefs, und unter ihnen steht das mittelste, die Taufe Christi, unbedingt? am höchsten. Schon Vasari erwähnt es, und ihm folgend, weisen es die Ciceroni') von Arezzo dem angeblichen Bruder Donatellos, Simone, zu. Nur v. Fabriczy*) hat kürzlich auf das „entschieden Dona- telleske“, „den engen Anschluß an den Meister“ hingewiesen. Man darf n. m. D. noch weitergehen und in dem Relief eine zum größten Teil eigenhändige Arbeit des Florentiners sehen. Schon v. Fabriczy betont ja die ,einfach würdige Komposition“ und das charakteristische Stacciato. Die Qualität entspricht der Madonna in Wolken bei Quincy-Shaw in Boston und der Grablegung Christi am kleinen Tabernakel in S. Peter. Das Aretiner Relief ist aber wahrscheinlich etwas früher entstanden schon in dem Ausgang der zwanziger Jahre. Es steht in der Mitte zwischen dem Georgs- relief von Or San Michele und der Schlüsselweihe im South Kensington Museum, in Landschaftsdarstellung, wie im Figürlihen. Und da die dunkle, kleine Kapelle eine gute Aufnahme unmöglich macht, muß hier auf die charakteristischen Einzelheiten noch im Besonderen hingewiesen werden: Die Verästelung der großen Stämme im Vorder- grund, wie die zarte Angabe der baumbewachsenen Hügel weiter hinten, erinnern sehr an das Londoner Relief. Auch die Wolkenzeichnung, die phantastische Löwen- kopf-Sonne, der naturalistische Schilfkolben am hinteren Ufer (zwischen Johannes und Christus), die z. T. nur eingeritzten, so charakteristischen Profile der assistierenden Engel und die feine Andeutung der Füße Christi, die doh vom Wasser überspült sind, das alles spricht für Donatello selbst. Donatellesk im engsten Sinne ist auch die Illusion des Räumlichen und die Auffassung der Szene; sie ist polar verschieden von der nur wenig älteren Ghibertis. Sehr viel menschlicher, sehr viel intimer hat Donatello hier erzählt. Statt der gleichsam offiziellen Engel, die sich in Siena und an der Tür des Baptisteriums zum schwingenden Kranz wie zu einem großen Nimbus zusammen- schmiegen, lugen in Arezzo kräftige, gefliigelte Knaben gespannt zwischen den Bäumen hervor; und nicht der mittelalterliche Gottessohn wird vom Propheten hier getauft, hier steht der Mensch dem Menschen gegenüber, doch beide unter dem Eindruck eines heiligen Vorganges. In den derben Proportionen, in der Zeichnung der Füße u. a. erinnert das Relief an die wenig ältere Geißlung Christi, wo ja audı die Erzählungs-

1) Memorie istoridıe per servire di guida al Forestiere in Arezzo Firenze 1819, p. 85: Il fonte battesimale che ha de Bassirilievi esprimenti alcuni fatti della vita di nostro Signore, e pregiato lavoro di Simone, Fratello di Donatello che lo esegui nel 1339.

Nuova Guida per la Citta di Arezzo . . . . v. Oreste Brizi. Arezzo 1838, p. 53; I Bassiri- lievi del Fonte Battesimale che rappresentano in parte la vita di Jesu scolpiti nel 1339 da Simone, fratello di Donatello.

Ubaldo Pasqui: La Cattedrale Aretina e suoi monumenti. Arezzo 1880, p. 81: Langerer Bericht, dessen Inhalt im Text angegeben; bei ihm fehlt die Datierung 1339. Das Buch soll alle in Frage kommenden Urkunden beriicksiditigt haben.

2) Jahrbuch der pr. Ksts. 1908, Beiheft p. 2 und Cicerone 9. Aufl., p. 190.

F. Schottmiiller. Zur Donatello-Forschung 41

weise etwas ganz Neues ist, doch steht jene in der Durchbildung der Form auf höherer Stufe. Das Relief von Arezzo ist nicht nur flüchtiger in der Arbeit, was ja nicht gegen Donatello spräche, ein paar schwache Einzelheiten deuten auf die Mitarbeit eines Gehilfen hin.

Die figurenreichen Reliefs zur Seite: Die Taufe des Donatus durch den Mönch Hilarion und Bischof Donatus tauft einen Ungläubigen sind von ganz anderer Art. Die Schilderung ist ziemlich temperamentlos, ja beinahe nüchtern, aber alle Formen sind sehr zierkch behandelt, und viele Typen klingen an die Antike an; einige Profil- köpfe, zumeist aber die entschiedene Faceansicht. Statt der breiten, flachen Falten der Taufe Christi ziehen sich die Gewänder in schmalen, zierlihen Parallelen zum Boden hin. Die Architektur entspricht der Zeit um 1430, den Anfängen der Renaissance, und gleiches gilt ja fiir die Taufe Christi.

Ihre Superiorität ist schon Vasari auf- gefallen. Einzig sie hat er erwähnt: „Per lo battesimo similmente del vescovado d'Arezzo lavorà (Simone) in alcune storie di bassorilievo un Cristo battezzato da S. Giovanni.“!) Aber die Guiden von Arezzo haben seine Angabe auf alle drei Reliefs bezogen, nur von Fabriczy nicht; er erkannte hier zwei verschiedene Stile, und will Simones Hand zumeist in den Donatus- Reliefs sehen.

Vasaris Kapitel ,Filarete e Simone“ ist an Verwechslungen und Irrtümern besonders reih. Schon Milanesi erkannte in dem angeb- lidhen Bruder Donatellos zwei Künstler, die wahrscheinlich beide unter ihm gearbeitet haben, ohne doch mit ihm verwandt zu sein: Simone Ghini, der Goldschmied, half ihm bei der Grab- platte für Martins V.?), der andere: Simone di Nanni Ferrucci, ein Steinmetz aus Fiesole, ist vielleicht identisch mit Simone, dem Bruneleschi-Schüler.?) Ihm pflegt man alle Stein- arbeiten zuzuschreiben, die Vasari unter dem Kollektivnamen Simone nennt. Die urkund- lien Notizen über ihn hat v. Fabriczy an der schon mehrfach zitierten Stelle kürzlich zusammengestellt, aber nur ein Werk Simones ist sicher bezeugt: der große Marmor-

Abb. 2. MICHELOZZO (?) S. Donatus’ Taufe O

Arezzo Dom

1) Milanesi II, 460.

2) E. Mintz unterscheidet sogar zwei florentinische BronzegieBer in Rom: Simone di Giovanni di Simone Ghini (1404 bis nach 1480, der nach 12—15 Jahren nach Florenz zurückkehrte) und Simone di Giovanni di Giovanni (1410 bis nach 1470), der wahrscheinlich zeit seines Lebens in der ewigen Stadt verblieb (Mélanges d'Archéologie et d'histoire 1884, p. 290--302); s. auch Munoz-Lazzarini: Filarete p. 122.

3) Milanesi II, 385.

42 Monatshefte für Kunstwissenschaft

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Abb. 3. SIMONE DI NANNI FERRUCCI UND JACOPO Di BARTOLOMEO: Marmorrahmen (obere Hälfte) Florenz, S. Marco

rahmen von 1433 im großen Refektorium von S. Marco. Die Renaissancearchitektur erscheint hier noch im Stadium tastender Versuche; mit der antiken Ornamentik sind die antiken Proportionen noch nicht wieder gefunden. Auf schmalen Pilastern mit einem Rankenfries und geringer Profilierung ruht als dünnes leicht verkröpftes Gebälk- stück ein ebensolches Ornament und eine steile Zahnschnittleiste; ihr liegt ein gotisch- spitzer Giebel auf. Der figürliche Schmuck beschränkt sich auf den segnenden Gott- vater im Giebelfeld und vier Cherubim.

Vasari schreibt dem „Donatello - Bruder“ Simone neben den Taufreliefs noch Arbeiten in Florenz und Rimini, dem „Bruneleschi-Schüler“ Simone solche in Florenz und Vicovaro zu. Sind diese Plastiken soweit sie noch erhalten und nicht bereits als falsche Zuschreibung erkannt sind!) von gleichem Stil und wie stehen sie zu dem urkundlich gesicherten Tabernakelrahmen? Die Frage erhält eine merkwürdige

') Z.B. die Madonna in Or San Michele von Simone di Franc. Talenti.

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F. Schottmüller. Zur Donatello-Forschung 43

Abb. 4. Nach DONATELLO: Pieta i Florenz, Privat-Besitz

Antwort: Fast keine von diesen angeblichen Arbeiten Simones hat mit dem Stil der anderen etwas zu tun; und wo sich eine Verwandschaft erkennen läßt, wie zwischen dem Marmorrahmen von S. Marco und den Eckfiguren am Tempietto zu Vicovaro, da vermag sie mit Sicherheit nur die gleiche Stufe des künstlerischen Könnens aus der Übergangszeit zur Renaissance zu erweisen, nicht aber die Hand desselben Meisters °). Und schlieBlich ist der Tabernakelrahmen selbst ein sehr schwacher Zeuge fiir das Können Simone Ferruccis. Er hat ihn weder allein noch nach eigenem Entwurf ge- fertigt, vielmehr zusammen mit Jacopo di Bartolomeo da Settignano nach einer Zeich- nung ihres gemeinsamen Lehrers Ghibertis. Doch so viel läßt sich mit Sicherheit er-

*) Auch die Simone zugewiesenen Reliefs in Rimini, werden eher Ciuffagni zu nennen sein.

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44 Monatshefte für Kunstwissenschaft

kennen, der figürlihe Schmuck am Rahmen ist derber und primitiver; die Donatus-Reliefs zierliher und doch renaissancemäßiger in Einzelform und Proportion. Simone Ferrucci, der Meister des Tabernakels, kann die Reliefs in Arezzo nicht geschaffen haben.

Für diese Annahme spricht auch ein weiteres: Simone war in Ghibertis Werk- statt, als der Taufbrunnen entstand. Stilkritische Überlegungen wiesen ja für ihn auf etwa 1430 hin, und die oben erwähnte Angabe aus zwei alten Führern auf 1339 scheint eher für solche Datierung als gegen sie zu sprechen: Am Aretiner Taufstein wird wie an dem von Empoli (1443) das Datum 1429 angebracht gewesen sein, und die vierte C ist irrtümlich für eine X gelesen worden. Wer Guiden-Literatur kennt, weiß auch, wie gedankenlos solche oft voneinander abgeschrieben, so daß der einmal gemachte Fehler immer wiederkehrt.

Mit Bernardo Rossellino, dem Meister des Misericordia-Reliefs von 1433, und mit dem Schöpfer des Royzelli-Grabmals in S. Francesco zu Arezzo haben die Donatus- Reliefs nichts gemein. Ihr Stil weist auf einen Donatello-Schüler hin, und das Wahr- scheinlichste ist, daß Donatello in den zwanziger Jahren den Auftrag für den Aretiner Taufstein erhalten und wie am Brancaccigrabmal in Neapel den Entwurf und das Relief für die Schauseite geschaffen hat, alles übrige aber seiner Werkstatt über- ließ. Er teilte sie damals mit Michelozzo; von ihren Gehilfen ist Pagno di Lapo zu- meist bekannt, jedoch von ihm keine eigene Arbeit aus jenen Jahren nachzuweisen. Wahrscheinlicher klingt deshalb die Zuweisung des Aretiner Brunnens und der Donatus- Reliefs an Michelozzo. Denn auch sein Stil strebt in einer fast klassizistischen Weise harmonische Schönheit an. Ahnliche Typen wie in Arezzo finden sich an den Tugend- gestalten der Gräber Coscia und Brancacci. Aber in den Reliefs vom Aragazzidenkmal sind alle Formen sehr viel wuchtiger und bewegter, und so lange sie für eigenhändige Arbeiten des Michelozzo gelten; muß man für die Donatus-Reliefs auf die Fixierung ihres Schöpfers verzichten, darf aber den Taufstein wie er früher gewesen als Arbeit aus Donatellos Werkstatt von 1429 bezeichnen.

II.

Ein verschollenes Relief der Pieta. Ein monumentaler Zug ist in dem kleinen Tonrelief der Pieta, und seine geschlossene Komposition, wie Ausdruckskraft und Typen verraten ohne weiteres die Herkunft aus Donatellos Kreis. Es befindet sich heute in florentinischem Privatbesitz. Ich erfuhr seinen Schlupfwinkel ohne nähere Angaben --- von Herrn Professor Schmarsow und danke ihm an dieser Stelle noch einmal für seine Liebenswürdigkeit.

Die obere recite Ecke ist abgebrochen und wieder angesetzt, andere Bruch- stellen sind nur in den Narben erhalten. Manche Einzelheiten, so die Muster auf Marias Ärmeln und Johannis’ Schultern sind durch den Abdruck aus einer abge- brauchten Form sehr flau geworden; ja, die Andeutung von Marias linker Schulter nicht mehr erkennbar. Farbspuren fehlen, doch künstliche Schmutzfärbung beweist, daß hier ein altes Stück vorgetäuscht werden sollte. Es ist aber nur der moderne Abdruck einer alten Komposition. Merkwürdig primitiv wirkt die doppelte Parallelität der Arme, auch die Länge der verdeckten ist unverständlich; sehr interessant und edit

F. Schottmüller. Zur Donatello-Forschung 45

donatellesk hingegen erscheint die Geste von Johannis’ linker Hand, obwohl sie m. W. sonst nicht bei Donatello vorkommt. Man mag zweifeln, ob die Komposition eine Zusammenfügung donatellesker Motive sei, oder ob sie aus der Werkstatt des Meisters stammt. Ich meine, man darf sich für letzteres entscheiden, denn trotz der entschiedenen Mängel --- hält unser Relief dem Vergleich mit gesicherten Werken stand. Besonders nahe steht ihm die Grablegung am Tabernakel in S. Peter, dort finden wir einen verwandten Christus-Typus: Maria und Johannes hingegen erscheinen noch energischer im Ausdruck und großzügiger in den Formen als in Rom. Deshalb darf als Entstehungszeit die Mitte oder das Ende der dreißiger Jahre gelten.

Die Maße sprechen ebenso sehr für einstige Verwendung an einem Sarkophag wie in einem kleineren Altar. Der Grund über den Köpfen ist beim Original durch gemalte oder eingeritzte Zeichnung belebt gewesen. Vielleicht war dieses ein Marmor- relief; die Flächenbehandlung klingt ja an das Stacciato an. Doch kann es auch nur Terracotto, und die Werkstattsvergr6Berung nach einer Plakette von Donatello gewesen sein. Wir wissen ein gleiches ja vom Silberrelief der Sammlung Schnütgen in Köln,’) das klein in Bronze, groß in gebranntem Ton im Berliner Museum vorkommt, und von der Madonnenplakette mit ausgeschnittenen Konturen im Louvre,*) deren Komposition, vergrößert und vergröbert, das Tabernakel der Via di Pietra Piana schmiickt. Auch das Tonrelief der Madonna mit zwei Engeln in der Prateser Galerie stimmt mit einer schönen Plakette der Sammlung Dreyfus) überein, doch ist die Zu- weisung der kleinen, vergoldeten Bronze an Donatello zweifelhaft.

1) Bode: Florentiner Bildhauer, p. 102. 2) Schottmüller: Donatello, p. 106,1; v. Fabriczy L'Arte IX, fasc. VI. 3) Abb. in Les Arts, Aug. 1908, p. 15.

ST” PANS EN Baden

Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik der italienischen Frührenaissance

Von Leo Baer

reg M Jahre 1476 gründeten drei Deutsche gemeinsam | in Venedig eine Druckerei, Bernhard, Maler von Augsburg, Erhard Ratdolt, ebenfalls aus Augsburg, À und Peter Loeslein von Langenzenn in Baiern. Aus dieser Offizin gingen eine Anzahl Bücher her- LT Ia vor, die wegen der Vorziiglichkeit ihres Drucks, der vollkommenen Schönheit des Buchschmucks und der muster- gültigen Sorgfalt in der kritischen Abfassung ihrer Texte zu den hervorragendsten Erzeugnissen der Buchdruckerkunst gezählt werden. Das so erfolgreiche Zusammenarbeiten dieser drei Männer war leider nicht von langer Dauer. Bereits 1478 schied Peter Loeslein aus der Firma aus, und noch im selben Jahre folgte ihm Bernhard, der Maler, um eine Druckerei auf eigene Rechnung zu gründen. Ratdolt führte nun allein die Druckerei weiter, erst bis zum Jahre 1486 in Venedig und dann bis zu seinem 1527 erfolgten Tode in seiner Vaterstadt Augsburg. Zahlreich sind die Werke, die während Ratdolts langjähriger Druckerzeit bei ihm erschienen; aber nie wieder haben sie an künstlerischer Vollkommenheit jene wenigen Drucke erreicht, die während der Zusammenarbeit mit seinen beiden Landesgenossen aus seiner Offizin hervorgegangen sind. Diese Beobachtung muß uns veranlassen, die Rolle, die Peter Loeslein

Abbildung 1

L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik 47

und Bernhard in der Druckerei gespielt haben, nicht zu unterschätzen. In welcher Weise sich die drei Männer die gemeinsame Arbeit eingeteilt haben, geht aus dem Kolophone einer im Jahre 1477 in ihrer Druckerei erschienenen Ausgabe von Appianus, Opera') her- vor. Ratdolt war der Drucker (wahrscheinlich auch der Gießer der Typen), Loeslein der Korrektor, und Bernhard wird einfach als „Pictor“ bezeichnet. Nun hat schon Passa- vant?) die Vermutung ausgesprochen, daß Bernhard die herrlichen Initialen und Bor- düren gezeichnet habe, die die Hauptzierde dieser Drucke bilden; auch Lippmann hat sich gelegentlich?) in diesem Sinne geäußert. Beide nahmen jedoch irrtümlicher Weise an, daß Bernhard ein Italiener gewesen sei, was sie hauptsächlid aus dem ausge- sprochenen Renaissancestil der Bordüren und Initialen schließen zu dürfen glaubten. Es ist ihnen dabei offenbar entgangen, daß sich Bernhard z. B. in Müllers Kalen- darium von 1476 ausdrücklih als „Bernadus pictor de Augusta“ bezeichnet hat. Im Gegensatze zu Passavant und Lippmann spricht Butsch‘) diesem Meister jeden Anteil an dem Buchschmuck der Ratdolschen Drucke ab, was er damit zu begründen sucht, daß Bernhards Ausscheiden im Jahre 1478 keinerlei Einfluß „weder in qualitativer noch in quantitativer Beziehung auf die ferneren Erzeugnisse des großen Meisters (Ratdolts)“ gehabt hätte. Diese Ansicht teilt auch G. R. Redgrave in seiner vorzüg- lichen Monographie über Ratdolts venezianische Druckertätigkeit.”) Er bezweifelt sogar, daß das ,Pictor“ oder „Maler“, das Bernhard immer seinem Vornamen beisetzt, eine Berufsbezeichnung sei; „Maler“ komme häufig in Deutschland als Nachname vor. Wir können dieser Behauptung Redgraves nicht beistimmen. Im Gegenteil die Berufs- bezeichnung tritt in den deutschen Urkunden des XV. Jahrhunderts bei Künstlern und Handwerkern öfters direkt hinter den Vornamen, ohne den Nachnamen überhaupt zu erwähnen; man legte offenbar dem letzteren damals nur geringen Wert bei und nannte die Künstler und Handwerker einfach nach ihrem Berufe. Was den vorliegenden Fall betrifft, so wird Bernhard in der einzigen bekannten Urkunde, in der sein Name vor- kommt, einem venezianishen Testamente aus dem Jahre 1483°), ausdrücklich als „Bernardus de Augusta pictor“ bezeichnet, eine Wortstellung, die keine andere Deu- tung zuläßt, als die, hier „Pictor“ als Berufsbezeichnung aufzufassen. Aber auch Butschs Einwurf läßt sich leicht wiederlegen. Wenn man die Ratdoltschen Drucke sorgfältig auf ihren Buchschmuck hin durchgeht‘), so werden einem bald wesentliche

1) Hain 1307.

*) Peintre-graveur I, 134—135.

») Bucher, Geschichte der technischen Künste, Stuttgart 1875, I, 422f. Lippmann hat an anderer Stelle (Jahrbuch d. K. Preuß. Kunsts. V, 11f.) den Maler Jacobo de’ Barbari mit dem Rat- doltsen Buchschmuck in Beziehung zu bringen versucht. Redgrave hat jedoch (Erhard Ratdolt, London 1899, S. 11) diese Vermutung als unhaltbar erwiesen.

‘) Bücherornamentik der Renaissance, München 1878, I, S. 4—5.

5) Redgrave, Erhard Ratdolt and his work at Venise. (lllus‘rated Monographes issued by the Bibliographical Society, No. I.) London 1899, S. 10f.

6) 1482 (1483). 3 Januarii. T.s Ego Joannes Romung de Auqusta partibus Alemanie. ... volo esse meos fideicommissarios . .. Bernardum de Augusta pictorem . . . (Sez. Not. Bel- loto Francesco, B.a 377 Test.o 113). Publiziert von Ludwig im Jahrb. d. K. Preuß. Kunsts. XXIII (1902). Beiheft, S. 57, Anm. 2.

*) Vgl. die Zusammenstellung bei Redgrave a. a. O., S. 26 u. 27.

48 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Unterschiede in der Ausstattung der Bücher vor und nach Bernhards Austritt in die Augen fallen. In den Jahren 1476—78 finden wir fast bei jedem Drucke neue Bor- düren und Initialen, immer eine prächtiger als die andere. Noch im Anfange des Jahres 1478 erschien eine herrliche Bordiire') und ein neues Initialenalphabet.*) In dieser Hinsicht tritt aber nach Bernhards Ausscheiden aus der Firma eine bedeutsame Anderung ein. Damit soll nicht etwa behauptet werden, daß nach 1478 überhaupt Ratdolts Tätigkeit erlahmt sei. Er bringt noch immer eine große Anzahl neuer Typen- alphabete heraus, verwendet auch eifrig die alten Bordüren und Initialen, deren Holz- stöke er, um Abwechslung zu schaffen, in verschiedenen Farben (besonders rot und gold) wiederholt abdruckte. Dagegen ist sein neuer Buchschmuck recht ärmlich im Vergleich mit dem der vorhergehenden Jahre. Noch einmal verwendet er im Jahre 1482 eine neue Bordüre.”) Diese steht jedoch künstlerisch lange nicht so hoch als die älteren Zierleisten und zeigt die stilistishen Merkmale eines ganz anderen Meisters. Sie enthält ziemlich verschrobene, maureske Knotenornamente, die plump und mit wenig Stilgefühl über den Raum verteilt sind. Ich glaube in ihr die Hand eines Künstlers zu erkennen, der später die Bordüre für die 1494 in Venedig erschienene Ausgabe der „Arithmetica“ des Luca Pacioli‘) gezeichnet hat. Außerdem kommen während Ratdolts venezianischer Druckertätigkeit überhaupt keine neuen Bordüren zur Verwendung. Ähnlich verhält es sich mit den Initialen. Im „Fasciculus temporum“ vom Jahre 1480°) bringt er eine neue Initiale ,G“.*) Diese ist jedoch nur einem Zierbuch- staben nachgezeichnet, der sich in einer ein Jahr früher in Venedig bei dem Buch- drucker Georg Walch erschienenen Ausgabe’) desselben Werkes findet, wie überhaupt der Ratdoltsche „Fasciculus“, sowohl textlich, als in seiner Ausstattung nur eine ziem- lich getreue Kopie dieser früheren Ausgabe ist. Noch weniger künstlerishen Wert hat eine ganz kleine Initiale „S“,°) die in „Euclides, Elementa“ vom Jahre 1482°) auftritt und ganz roh nach dem Muster früherer Initialen entworfen ist, wie die stilistische Unbeholfenheit beweist, das Werk eines ganz unbedeutenden Formschneiders. Das ist alles, was Ratdolt in den späteren Jahren seiner venezianischen Tätigkeit von neuem Buchschmuck herausgebracht hat. Wie hilflos er nach dem Austritte Bernhards war, zeigt sich darin, daß er dort, wo sein alter Initialenvorrat nicht ausreichte, und er durch den Text gezwungen war, mehrmals denselben Buchstaben auf einer Seite zu drucken, einfache Lombarden (schmucklose große Metallbuchstaben)!°) verwendete,

1) Abg. bei Redgrave a. a. O., Tafel VI. 2) Vgl. Redgrave a. a. O., Tafel VIII. *) In Müller, Calendarium. Hain 13777. Redgrave a.a.O., S. 26, Borders 7 bezeichnet sie als „poor work“. Abg. Prince d’Essling, Livres à figures vénitiens, T. 1, Florence et Paris 1909. S. 242.

') Hain 4105.

5) Hain 6926.

‘) Abg. Redgrave a.a.O., Tafel IV.

‘) Hain 6924,

*) Vgl. Redgrave a. a. O., S. 27, Nr. 6.

") Hain 6693.

10) Siehe Redgrave a.a.O., S. 27, Nr. 7—10.

L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik 49

was den Gesamteindruck des, teilweise mit Initialen geschmückten, Blattes sehr nach- teilig beeinfluBte. Auch die eigentlichen Illustrationen der späteren Ratdoltschen Drucke tragen keinen künstlerischen Charakter zur Schau und dürfen nicht mit dem durchaus originellen und monumentalen Buchscimuck der 70er Jahre in eine Linie gesetzt werden.’) Meist sind es nur einfache, lineare Diagramme (zur Illustration mathemati- scher und astronomischer Werke). Dort, wo wirkliche Bildholzschnitte vorkommen, sind diese durchgängig nach Illustrationen früherer, bei anderen Druckern erschienenen Ausgaben derselben Werke kopiert.°) Derartige Arbeiten konnte jeder auch nur handwerklich geschulte Formschneider ausführen. Und,‘ daß von diesen in den 80er Jahren des XV. Jahrhunderts eine große Anzahl in Venedig ansässig waren, darüber sind wir hinlänglich unterrichtet.

Wenn wir durch unsere bisherigen Ausführungen erfahren haben, daß Bernhard von Beruf aus Maler gewesen ist, und daß ferner die künstlerisch schöpferische Tätig- keit in der Ratdoltschen Offizin nur so lange Bestand hatte, als er selbst an der Firma beteiligt war, so dürfen wir wohl nicht länger mit der Ansicht zurückhalten, daß nur _er der Schöpfer jenes künstlerischen Buchıschmuckes gewesen sein kann. Wir sehen uns also der eigentümlichen Tatsache gegenübergestellt, daß ein deutscher Künstler als erster den typograpischen Renaissancebuchschmuck geschaffen und verwendet hat. Wohl finden wir schon in einigen früheren venezianischen Drucken, die bei Wendelin von Speier und Jenson erschienen, vereinzelt Holzschnittbordüren und Initialen, die man als Vor- läufer ansehen könnte. Diese scheinen uns aber erst nachträglich auf die gedruckten Seiten eingepreßt worden zu sein,?) um dem Miniator als Vorzeichnung für die farbige Ausmalung zu dienen, so daß es nicht möglich ist, diesen Buchschmuck genau zu datieren. Jedenfalls wurde in den Ratdoltschen Drucken erst in zielbewußter Weise der Holzschnitt zur Verzierung von Büchern verwendet. Hier tritt das typographische Ornament zum ersten Male als selbständiger und in sich abgeschlossener Buchschmuck auf und macht die Tätigkeit des Miniators, dem bisher immer die Ausschmückung der Bücher übertragen worden war, vollkommen überflüssig. Daß der deutsche Maler Bernhard diesen Schritt getan hat, erscheint nicht mehr so merkwürdig, wenn wir diese Ornamente nacheinander, wie sie chronologisch entstanden sind, betrachten.

1) Butschs (Bücherornamentik I, 5) öfters wiederholte Behauptung, daß Ratdolt Clichés be- nützt habe, hat schon Redgrave a.a.O., S. 15 widerlegt. In Ratdoltschen Drucken kommen nie zwei gleichartig gezeichnete Initialen auf einer Seite vor. Wohl finden sich gleichartige Initialen auf der Vorder- und Rückseite desselben Blattes. Wir wissen jedoch, daß im XV. Jahrhundert nicht, wie in unseren heutigen Druckereien, beide Seiten zu gleicher Zeit zum Abdruck kamen, sondern daß sie nacheinander gesetzt und gedruckt wurden. Daß Ratdolt gezwungen war, Lom- barden zu verwenden, ist ein weiterer Beweis dafür, daß ihm der Gebrauch von Clihés unbekannt gewesen ist. Auch zeigt sein Buchschmuck durchgängig den Charakter von Holz- und nidıt von Metallschnitten.

2) Siehe S. 6, Anm. 8.

3) Daß diese Bordiiren nicht zu gleicher Zeit mit dem Text gedruckt sind, geht daraus hervor, daß sich in mehreren Exemplaren desselben Druckes verschiedenartige Bordüren finden; bei manchen Exemplaren sind sie überhaupt weggeblieben. Ahnlich verhält er sich mit den Ini-

tialen. (Vgl. S. 4, Anm. 5.) å

50 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Zuerst zeichnete Bernhard im Jahre 1476 für die beiden Ausgaben von Müllers Kalen- darium') ein Alphabet in einfachem Linienschnitt.*) Längliche, mehrlappige Blätter mit ausgezackten Spitzen, die sich meist an den Enden einrollen, schmiegen sih um den Buchstabenkörper, der aus Baumästen gebildet zu sein scheint; teilweise hängen kleine, ebenfalls ausgezackte Blüten von den Ästen herab und füllen den leeren Raum in der Mitte der Buchstaben aus. Das ganze macht noch einen durchaus gotischen Eindruck und erinnert lebhaft an einige in frühen deutschen Drucken vorkommende Initialen, besonders an solche, die in der Offizin des Ulmer Buchdruckers Johann Zainer ver- wandt worden sind. Nur sind Bernhardts Buchstaben viel freier und sicherer ge- zeichnet. Ein eigenartiges Raum- und Stilgefühl beherrscht diese Formen und verrät sofort die Hand eines echten Künstlers. Der deutsche Charakter der Initialen, der schon Pollard*) aufgefallen ist, darf uns jedoch nicht dazu verleiten, dieselben dem Meister abzusprechen, der die in den Ratdoltschen Drucken vorkommenden Renaissance- Ornamente geschaffen hat. Daran hindert uns der Vergleich mit der für dasselbe Buch entworfenen Bordüre®), die in jeder Beziehung, sowohl technisch als auch stilistisch, mit den Initialen übereinstimmt. Wir finden hier wieder dieselben in Linienmanier gezeichneten, gotish anmutenden Blatt- und Blütenformen. Aber das Ganze durch ` weht bereits ein Hauch vom Geiste der Renaissancekunst. Die Seitenleisten sind kan- dellaberartig aufgebaut: Pflanzenranken scheinen aus zierlihen Vasen herauszuwachsen, ähnlich wie wir es bereits in der Antike und besonders in der Pilasterornamentik der Renaissancearchitektur finden. Diese offenbare Anlehnung an die Formen der ange- wandten Plastik, die hier zum ersten Male zu beobachten ist, ist für die Entwickelung des venezianischen Holzschnitts von der größten Bedeutung gewesen. Denn gerade die Vorliebe für Verwendung plastischer Motive gibt diesem eine ganz eigenartige Stellung in der Geschichte der graphischen Künste und bringt ihn in eine gegensätz- liche Richtung zu allen anderen Schulen.®) Mit Recht hat Redgrave*) auf die Ahnlich- keit unserer Bordüre mit der Ornamentik der Illustrationen des Poliphilo hingewiesen; sie erscheint tatsächli als eine Vorahnung jener so oft gepriesenen Musterleistung venezianischer Buchkunst. Die beiden kleinen Vignetten, die den unteren Ab- schluB der Bordüre bilden, leiten mit ihren eigentümlichen Schlingmotiven schon zu den späteren Arbeiten Bernhards über. Freilich technisch unterscheiden sich jene wesentlih von seinen Erstlingswerken. Er arbeitete von nun an in der sogenannten Sgraffito-Manier, die er wahrscheinlich als erster‘) in die typographische Bücherorna-

1) Hain 13776 u. 13789.

*) Redgrave a. a. O., S. 27, Nr. 1, abg. Tafel III.

3) Italian Book Illustrations, London 1894, S. 10.

1) Abg. Redgrave a.a.O., Tafel II und Essling a. a. O., I, 241.

*) Vgl. Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten, S. 126.

‘) Erhard Ratdolt a. a. O., S. 7.

‘) Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Vorrang, diese Art der Ornamentik eingeführt zu haben, römischen Druckern gebührt. Eine in diesem Stil gehaltene Titeleinfassung findet sich in einem Exemplar des 1465 von Sweynheim und Pannartz in Subiaco gedruckten Lactantius (Hain 9806), das Lippmann (Jahrbuch d. K. Preuß. Kunsts. III, 7) gesehen hat. Einige Initialen, die Bernhards Arbeiten sehr ähnlich sind, zeigt auch ein Exemplar des bei denselben Druckern 1470

L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik 51

mentik einführte. Durch sie gab er erst dem Buchscimuck der Frührenaissance sein charakteristisches Gepräge. Diese Bordüren und Initialen bestehen aus einem schwarzen (bei Rotdruck natürlich rotem) viereckigen Block, aus dem sich die Zeichnung in weißer Farbe abhebt. Durch den dunkeln Grund erhalten jene Schmuckstücke einen graden äußeren AbschluB, und es wird ihnen außerdem dank ihrer vorherrschend schwarzen Farbe ein besonderer Nachdruck verliehen. Besonders für die Initialen eignet sich diese Art der Ornamentik in hervorragendem Maße. Durch den gradlinigen Abschluß passen sie sich den ruhigen Formen der Antiqua besser an, als die offene gotische Initiale, die mit ihren unregelmäßigen Konturen immer die Harmonie des Druckbildes zerreiBt. Die besondere Betonung durch die schwarze Farbe, wodurch die Zierbuch- staben sofort ins Auge fallen, ist deshalb zweckmäßig, weil dadurch die Initialen ihre Aufgabe, die Kapitel- und Abschnittanfinge zu bezeichnen, in ausreichendem Maße erfüllen können, ohne daß diese Textabschnitte durch das, den typographischen Ein- druck störende, „Einrücken“ der ersten Textzeile noch besonders markiert zu werden brauchen.!) Damit nun der schwarze Hintergrund nicht allzu aufdringlich wirkt, hat Bernhard die Fläche durdı Ornamente belebt, die den weiß ausgesparten, sehr kräftigen Buchstabenkôrper umgeben und die Fläche ziemlich gleichmäßig überspinnen. Zunächst hat er hierbei regelmäßige, meist spiralenförmig ineinandergeschlungene Pflanzenstengel verwendet, die in der Mitte in ebenfalls stark stilisierten Blüten endigen. Die Blüten- stengel treten sehr stark hervor und beherrschen durch ihre ruhigen Linien das Ganze.’) Gerade in dieser durch die Stilisierung erreichten Hervorhebung der Hauptlinien, die sich regelmäßig über den ganzen Raum verteilen und dem Ornament eine außerordentliche Ruhe verleinen, haben wir ein besonderes Charakteristikum der Renaissanceornamentik zu erblicken. Übrigens ist das hier verwendete Hauptmotiv nichts weiter als eine Ab- leitung von der sogenannten Schlingornamentik, die in der Miniaturmalerei schon seit den Zeiten der merovingischen Kunst?) sehr verbreitet gewesen ist und auch bei der malerischen Ausschmückung früher italienischer Inkunabeln mit Vorliebe Verwendung gefunden hat. Vornehmlich die venezianischen Erstdrucke haben fast durchgängig der- artige mit Schlingornamenten verzierte, gemalte Bordüren und Initialen, wobei die Zierformen meist aus einem blauen Untergrunde weiß ausgespart sind. Wenn Bern- hard sie von diesen Vorbildern übernahm, so liegt die Vermutung nahe, daß er viel- leicht selbst vor seinem Eintritte in die Druckfirma als Miniaturmaler mit der Aus- schmückung von Inkunabeln beschäftigt gewesen sei. Nimmt man das an, so würde

erschienenen Sueton (Hain 15115) in der Rylands-Library in Manchester. Da jedoch dieser Buch- schmuck in der Mehrzahl der erhaltenen Exemplare nicht vorkommt, muß man annehmen, daß er in die oben angeführten Bücher erst nachträglich mit der Hand eingefügt worden ist. Und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß dies erst Ende der 70er Jahre auf die von den Ratdoltschen Drucken ausgehende Anregung hin geschehen ist.

1) In neuster Zeit hat man auch die störende ästhetische Wirkung des „Einrückens“ er- kannt und ist in den Erzeugnissen modernster Typographie wieder darauf zurückgekommen, die Kapitelanfänge nur durch viereckig abgeschlossene Initialen zu bezeichnen.

2) Diese Initialen sind besonders wirkungsvoll, wenn, wie das in der Regel gesdiehen ist, der Buchstabenkern mit der Hand rot ausgemalt wurde.

3) Die sie von der Antike übernahm.

52 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

auch die erstaunliche Sicherheit, mit der er, ein deutscher Künstler, die italienische Renaissanceornamentik handhabte, eine einfachere Erklärung finden. Dieser Gruppe von Buchornamenten gehören drei Initialensätze und ebensoviele Bordüren an, die in der 1477 gedruckten Ausgabe von Appianus Opera’) (siehe Abbildung 1 und Initiale I, S. 46), in Dionysius, De situ orbis desselben Jahres?) und in Melas Cosmographia von 1478?) (siehe Initiale V, S. 53), zuerst Verwendung gefunden haben. Aber schon im selben Jahre macht Bernhard wieder neue Versuche. Bereits einige Initialen in Appianus, Opera‘) (Siehe Initiale D, S. 56) veraten einen ganz andersartigen und durchaus selbständigen Stil. Eine Bordüre und Initialen desselben Charakters finden sih auch in Cepio, Gesta P. Monici vom Jahre 1478.°) (siehe Abbildung 2). Das eigentümliche dieser Ornamentik besteht darin, daß bei ihr die Pflanzenstengel dünner werden und nicht mehr so sehr in die Augen fallen. Dagegen treten in den Zier- stücken jener Gruppe kleine, stilisierte Blättchen und Blüten stärker hervor, die als weiße Punkte erscheinend in gleichmäßiger Verteilung tupfenartig die ganze Fläche bedecken und nur wenig schwarzen Zwischenraum freilassen. Hier hat Bernhard vielleicht den schönsten, und jedenfalls den harmonischsten Buchschmuck geschaffen, der jemals zur Verzierung gedruckter Werke benutzt worden ist. Ihm ist es zuzu- schreiben, wenn man so oft die Zierformen der Ratdoltschen Drucke als vorbildlich gerühmt hat. Und auf ihn hat auch William Morris zurückgegriffen, als er daran ging, den Grundstein zu unserer modernen Buchkunst zu legen. Die letzte Zier- leiste, die Bernhard für die Ratdoltsche Offizin zeichnete, sie findet sich in der „Ars moriendi“ von 1478°) (siehe Abbildung 3) mutet uns wieder mehr „deutsch“ an. Eichenblätter und Eicheln bilden das ornamentale Beiwerk. Der Künstler scheint hier bestrebt gewesen zu sein, die verschlungenen Stengel, die Blätter und die Früchte in gleichem Maße zur Geltung zu bringen und durch strenge, fast über- triebene Stilisierung die Raumfüllung noch konsequenter durchzuführen. Den Kranz in der Mitte der unteren Leiste, der zur Aufnahme eines Wappens bestimmt ist, aber lange nicht so elegant wirkt, als die gekreuzten Wappenschilder des „Cepio“, hat er aus der Miniaturmalerei übernommen. Im ganzen erscheint diese Bordüre etwas schwerfällig und steht nicht auf der gleichen künstlerischen Stufe, wie die älteren Erzeugnisse von Bernhards Bücherornamentik.

1) Hain 1307. Vgl. Redgrave a. a. O., S. 26, Borders Nr.2u.3, S. 27, Nr.2. Abg. Redgrave T.I u. IX und Essling a. a. O., I, 217 u. 218.

2) Hain 6226. Vgl. Redgrave S. 26, Borders Nr. 5. Abg. Essling a. a. O. I, 244.

3) Hain 11016. Redgrave S. 27, Nr. 5. Abg. T. VIII.

4) Vgl. Redgrave a. a. O., S. 27, Nr. 3. Abg. Tafel V u. VI.

*) Hain 4849. Vgl. Redgrave a. a.0., S. 26 u. 27, Nr. 3. Abg. Redgrave T. V u. Essling a.a.O., I, 243.

6) Hain 4392. Vgl. Redgrave S. 26, Borders Nr.6. Abg. Redgrave T.VI u. Essling a. a. O., I, 251. Von der großen Initialenserie (Redgrave S. 27, Nr. 2), deren übrige Buchstaben der vorigen Gruppe angehören, ist das I bereits in dieser Art gezeichnet.

BER Bernhards Lebensschicksale vor

und nach seiner Tätigkeit in der

Ratdoltschen Druckerei besitzen wir

nur spärliche Nachrichten. Daß er

j in Augsburg geboren ist, scheint festzustehen. Er muß aber schon ziemlich früh ausgewandert sein. Denn in dem um 1460 von Thoman Burgmair angelegten Augsburger Hand- werkerbuche') kommt sein Name nicht mehr vor. Wahrscheinlich ist er, wie wir es schon oben vermutungsweise ausgesprochen haben, vor seiner Tätigkeit als Drucker und Formschnittzeichner in Venedig als Miniaturmaler beschäftigt gewesen. Nach seiner Trennung von Ratdolt im Jahre 1478 gründete er sofort auf eigene Rechnung eine neue Druckerei, aus der aber nur ein Buch, Basilius, Liber ad juvenes”) hervorgegangen ist. Ob dieses Buch Ornamentschmuck enthält, konnte ich leider nicht ausfindig machen, da mir ein Exemplar des- selben nicht erreichbar war.*) Es ist dies auch an

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') Vgl. Vischer, Studien zur Kunstgeschichte, Stuttgart 1886, S. 479.

2) Hain 2694.

) Proctor (An index to the early printed books in the British Museum, I, London 1898, S. 295) stellt überhaupt die Existenz dieses Druckes in Zweifel und vermutet eine irrtümliche Angabe von Hains Quelle. Hain selbst hat das Buch auch nicht gesehen. Redgraves

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Abbildung 2

54 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

und für sich ziemlich belanglos, da wir in diesem Drucke offenbar nur einen mit unzu- reichenden Mitteln unternommenen Versuch zu erblicken haben, der nicht den gewünschten Erfolg hatte und deshalb auch gleich wieder aufgegeben wurde. Womit sich Bernhard dann beschäftigt hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls war er noch 1483 in Venedig ansässig, was die oben erwähnte Urkunde!) beweist. Nicht wahrscheinlich ist es, daß er weiter für Ratdolt gearbeitet hat. Denn, da er eine Konkurrenzdruckerei errichtet hatte, so kann man daraus schließen, daß er sich nicht freundschaftlih von seinem früheren Kompagnon getrennt habe. Auch hat, wie wir oben nachgewiesen haben, in diesen Jahren die Ratdoltsche Offizin nichts hervorgebracht, was auf der künstlerischen Höhe von Bernhards beglaubigten Arbeiten steht. Aus diesem Grunde möchten wir ihm auch nicht, wie Passavant*) vermutet, die Holzschnitte des 1482 bei Ratdolt erschienenen Hygius’) zuweisen. Die in dieses Buch eingedruckten Darstellungen von Sternbildern sind nur rohe Kopien nach älteren Planetenbüchern‘), mit denen wir Bernhards Werk nicht belasten dürfen. Ebensowenig können wir Nagler beipflichten, der?) in Bernhard den mysteriösen Meister b der Mallermi-Bibel und des Poliphilo vermutet. Davon hält uns schon die Überzeugung ab, daß der Meister b bloß ein Formschneider war, der nadh den Entwürfen verschiedener Künstler gearbeitet hat. Dagegen müssen wir Bernhard in erster Linie als Zeichner ansehen. Ob er seine Entwürfe auch selbst auf den Holzstock übertragen hat, ist zum mindesten zweifelhaft, übrigens für die Be- urteilung seiner künstlerischen Fähigkeiten nicht von Belang. Noch unbegründeter er- scheint uns Naglers®) Vermutung, daß unser Meister der bekannte venezianische Buch- drucker Bernardinus de Vianis von Vercelli gewesen sei, der erst von 1495 an in Venedig nachweisbar ist. Die Hypothesen, ihn mit einem Bernardinus Pictoricus aus Perugia zu identifizieren‘) oder ihm einen „b“ bezeichneten Augsburger Holzschnitt mit der „Dornenkrönung“ zu geben“), weist Nagler selbst als unhaltbar zurück. Wichtiger und interessanter ist folgende Notiz Naglers”): „Wir haben von einem sehr schönen Holzschnitte mit der Madonna und dem Kinde Kunde, auf dem der Name des Meisters stehen soll. In der Auffassung und Zeichnung erinnert das Blatt an die paduanisch- venezianische Schule, und nach der Sicherheit der technischen Ausführung zu urteilen, kann dieß nicht das einzige Blatt des Künstlers sein.“ Ein voll bezeichneter, figür- licher Holzschnitt unseres Meisters wäre freilich für die Kenntnis seiner Kunst von der

a. a. O., S. 10) Behauptung über Butschs Charakteristik der Druckausstattung dieses Buches beruht auf einem Mißverständisse des deutschen Textes.

1) Vgl. S. 2, Anm. 1.

*) Peintre-graveur I, 135.

3) Hain 9062.

1) Zum Teil sind sie offenbar von einer in Kupfer gestochenen Planetenfolge kopiert worden, die Lippmann in den Veröffentlichungen der „Internationalen Chalkographischen Gesell- schaft“ 1893, Tafel Biff. herausgegeben hat.

*) Nagler, Monogrammisten I, 714.

9) Nagler, Monogrammisten I, 714.

7) Monogrammisten I, Nr. 1804.

5) Monogrammisten I, 719, Nr. 1614.

P) Monogrammisten, I, 714.

Abbildung 3

größten Wichtigkeit und würde uns vielleicht auch in die Lage versetzen, ihm andere vene- zianische Holzschnitte zuzuweisen. Die An- gaben Naglers, der selbst das Blatt nicht ge- sehen hat, sind jedoch so unbestimmt, daß wir gezwungen sind, uns jedes Urteils zu enthalten, bis wir den Holzschnitt selbst wieder aufgefunden haben. Übrigens ist es uns nicht unwahrscheinlich, daß Bernhard in der späteren Periode seiner Tätigkeit, das heißt nach seinem Austritte aus der Druckerei, über- haupt das Entwerfen von Buchzierrat auf- gegeben und sich seinem eigentlichen Berufe, dem des Malers, wieder zugewandt habe. Wir kennen eine Anzahl Bilder aus dem Ende des XV. und dem Anfange des XVI. Jahrhunderts, die einen merkwiirdigen Mischstil deutscher und italienischer Kunstweise zur Schau tragen, so daß es uns schwer fällt zu entscheiden, ob wir sie einem in Italien arbeitenden deutschen Künstler oder einem von deutscher Kunst beein- flußten Italiener zuweisen sollen. Ein kürzlich von dem Berliner Kaiser Friedrich - Museum aus der Sammlung Kann erworbenes Porträt’)

') Vgl. Amtliche Berichte aus der Königlichen Kunstsammlung, Berlin 1908, S. 123.

56 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

ist ein charakteristisches Beispiel dafür. Vielleicht gehören Bernhards Bilder zu dieser Gruppe. Aber das ist nur eine Vermutung, die sich vorerst nicht durch sichere Gründe belegen läßt und nur ganz allgemein die Richtung andeuten soll, wie wir uns Bernhards Tätigkeit als Maler vorzustellen haben. Weiter können wir in dieser Frage erst kommen, wenn sich noch urkundliche Notizen über diesen Meister finden sollten, und wenn vor allem einmal Sein eigentlicher Familienname bekannt werden würde.

{{IE Spuren von Bernhard, des Malers, Persönlichkeit, ja beinahe alle Daten seines Lebens, sind fast ganz in Vergessenheit geraten. Aber die Erzeugnisse seiner künstlerischen Wirksamkeit haben anregend und befruchtend gewirkt auf die Entwicklung der Bücherornamentik aller Kulturvölker bis in die neuste Zeit. Für die künstlerische Ausstattung der italienischen Drucke blieb sie in den beiden letzten Jahrzehnten des XV. Jahrhunderts vorbildlit, sogar fast allein maßgebend. Und als Erhard Rat- dolt im Jahre 1486 wieder nach Deutschland zurückkehrte, um in seiner Vaterstadt Augsburg eine Druckerei zu entrichten, da brachte er die alten Stöcke der von Bern- hard entworfenen Initialen und Bordüren dorthin mit. Von nun an verwendete er sie öfters in seinen zahlreichen, meist lithurgischen Drucken, die in der neuen Offizin herauskamen.!) Diese Erscheinung ist von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung gewesen. Wir finden in den Ratdoltschen Drucken zum ersten Male italienische Re- naissanceornamente auf deutschem Boden; es ist dies überhaupt der erste Schritt zur Verpflanzung der Renaissancekunst nach Deutschland, ein Vorgang, der eine so ein- schneidende Wandlung in der Entwicklung der deutschen Kunst herbeiführen sollte. Man mag über den Wert der Renaissancekunst verschiedener Meinung sein und ohne weiteres zugeben, daß sie, als sie von den Epigonen des XVI. Jahrhunders mißbraucht wurde, für die deutsche Kunst verhängnisvoll geworden ist. Aber das läßt sich jeden- falls nicht bestreiten, daß damals, bei ihrem ersten Auftreten, die Renaissanceorna- mentik von den deutschen Künstlern und auc von den allergrößten mit Be- geisterung aufgenommen wurde. Und das ist auch leicht begreiflich. Die Gotik hatte sih überlebt. Man war müde geworden, immer wieder dieselben Formen zu sehen, die zwei und ein halbes Jahrhundert fast unbeschränkt die deutsche Kunst beherrscht hatten. Selbst die gezwungen unruhige, in ihrer wilden Unregelmäßigkeit fast sensa- tionshaschende, spätgotische Fischblasenornamentik konnte keine neuen Lösungen mehr bringen. Unter diesen Verhältnissen tauchte die Renaissanceornamentik mit ihrer „gött- lien Ruhe“ auf, jene abgewogenen Formen, die durch überlegene Sicherheit in der Beherrschung von Linie und Raum mit jedem Zug den ästhetischen Bedürfnissen eines stilsuchenden Zeitalters entgegenzukommen schienen. Vornehmlic in der Ausstattung des gedruckten Buches, wo es galt, auch die durch die Erzeugnisse der mit reicheren Mitteln arbeitenden Handschriftenmalerei verwöhnten Augen zu befriedigen, und wo man daher von jeher auf eine möglichst stilvolle Gestaltung des Druckbildes den größten Wert gelegt hatte, fand die Renaissanceornamentik einen günstigen Boden.

1) Bereits in der Druckankiindigung von 1486 (abg. in Burger, Monumenta Germaniae et Italiae typographica, Tafel 5) findet sich eine solche Initiale.

L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Biicherornamentik 57

Die Ratdoltschen Initialen und Bordüren mit ihren einfachen Pflanzen- und Bandmustern, die sich weiß ausgespart aus dem schwarzen Grunde hervorheben, blieben 30 Jahre lang für die Renaissanceornamentik der deutschen Buchkunst vorbildlich, bis sie im zweiten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts durch reicher mit figürlidien Motiven belebte Zierstücke, die man dem venezianischen Hochrenaissancebuchschmucke nachbildete, er- setzt wurden. Aber auch in den anderen Ländern, in den Niederlanden, in Frank- reich und Spanien finden wir analoge Entwicklungen. Selbst die berühmten Initialen, die Geoffroy Tory um das Jahr 1536 für den Pariser Verleger Estienne entwarf, sind eigentlich nichts weiter als Variationen der von Bernhard erfundenen Motive. In der Folgezeit ist man immer wieder auf dieselben zurückgekommen, wo man bestrebt war, ein harmonisches Zusammenstimmen von Druck- und Buchschmuck durchzuführen. Als William Morris im Jahre 1891 die Kelmscott-Press gründete, um in zielbewußter Weise eine allen ästhetischen Ansprüchen gerecht werdende Buchkunst zu schaffen, da nahm er sich vor allem jene Bordüre Bernhards mit dem maiglöckchenartig auf den schwarzen Grund gestreuten Blumen- und Blattornamenten zum Vorbild, die wir in unserer dritten Gruppe beschrieben haben. Die moderne Buchausstattung wandelt in Morris’ Bahnen. Noch heute greift jeder Drucker von Zeit zu Zeit zu ähnlichen Bordüren und Initialen. Er wei wohl, daß keine andere Ornamentik sich so gut den ruhig abge- wogenen Linien der Antiqua anschmiegt. Keiner ahnte jedoch wohl, daß diese Formen zuerst ein deutscher Meister in Italien ersonnen hat.

La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters

Von Karl Borinski

Unsere in Heft 10 des ersten Jahrgangs der Monatshefte vorgetragene Deutung des ,Giorgione“ zugeschriebenen Halbfigurenbildes im Buckingham Palace und der Casa Buonarroti auf die Novelle von der Kastellanin von Vergy erfahrt eine innere Stiitze durch die Beliebtheit des gleichen Vorwurfs bereits in der Kunst des Mittel- alters. Das von uns erwähnte altfranzösische Fabliau, zuerst von Méon 1808, jetzt (1892) sehr sorgfältig mit einer historischen Schlüsseleinleitung von G. Raynaud in der Romania (XXI, 145—193) herausgegeben, erfreute sich solcher Beliebtheit, daß acht Handschriften aus dem XII. und XIV. Jahrhundert, sieben aus dem XV. und XVI. für den Text benutzt werden konnten. La chastelaine de Vergy und ihr todestreuer chevalier steht unmittelbar neben Tristan und Isolde, dem Kastellan von Coucy (bei uns durch Uhlands Ballade bekannt), der Dame von Fayel in der formelhaften Anführung berühmter Liebespaare (um nur Hervorstechendes zu erwähnen z. B. bei Froissard im Paradis d’amour und Prison amoureuse, Poésies publ. par A. Scheler I, 30, 217). Auch in Italien nennt Boccaccio (Decamerone III, 10) unmittelbar neben Guglielmo Guardastagno, dem italienischen Castellan von Coucy, „la dama del Vergiü“, von der Dioneo und Fiammetta sangen. Sogar in den letzten Jahrhunderten kann Raynaud den Stoff noch lebendig nachweisen. Die Anspielungen auf ihn sind sogar auf dem heutigen französischen Vaudeville-Theater noch nicht erloschen.

Ein in der Gesellschaft und zumal der hohen Gesellschaft eines reichen und kunstblühenden Landes wie Burgund so beliebter Erzählungsstoff, der noch dazu vermutlich (vgl. Raynaud a. a. O. III, p. 151—55) auf einen dortigen Hofskandal zuriickgeht, kann nicht ohne sofortige Spuren in der bildenden Kunst geblieben sein. Indem wir die Blicke der bez. Spezialisten namentlich auf Teppichen, Schiisseln (Arrazzi, Fajencen) u. ä., die ja nicht selten ikonographische Rätsel aufgeben, dafür interessieren möchten, exemplifizieren wir hier zur Probe auf eine Reihe von Elfenbeindarstellungen, die eine soeben in reicher Ausstattung vorliegende englische Veröffentlichung ') dar- bietet. Wir bezeichnen sie nach ihrer Reihenfolge mit A B c d E, wobei die großen Buchstaben die größeren, aus mehreren Feldern bestehenden Darstellungen treffen, die kleinen die nur aus einem Felde bestehenden. Es handelt sich nach der Einleitung des Herrn Dr. L. Brandin (p. 14f)) um ein Elfenbeinkästchen des XIV. Jahrhunderts, gegenwärtig in Case F im Mediaeval Room des British Museum. Nur wenig soll sich von ihm unterscheiden ein Elfenbeinkästchen aus gleicher Zeit im Louvre, das M. Emile

1) The chatelaine of Vergy: a romance of the XIIIth century: translated by Alice Kemp- Welch: the french text from the edition Raynaud: introduction by L. Brandin Ph. D. Chatto and Windus: publishers. London 1907. Herr Dr. Max Maas in Miinchen, dem wir den Hinweis ver» danken, hat uns die Abbildungen bereitwilligst zur Verfügung gestellt.

K. Borinski. La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters 59

Molinier in seinem Catalogue du Musée du Louvre beschreibt. Auf ihm soll jedoch eine abschlieBende Darstellung zugefiigt sein, die Szene wie der Herzog ins Kloster geht, vorgeführt durch seinen Kniefall vor einem Geistlichen, der ihn segnet und mit einem Kreuze beschenkt. Verschiedene Fragmente aus Szenenfolgen des gleichen Stoffes verzeichnet der Catalogue de l'Exposition retrospective de l'art francais au Trocadero in 1889 p. 18, No. 122 und 123.

Da der genannte englische Herausgeber es unterläßt, die detaillierte Szenenfolge seines Elfenbeinkästchens nadı dem Texte des Fabliau (bis auf zwei von selber klare Szenen!) zu erklären, sich eher durch Allgemeinheiten in der Unterschrift darum herum- drückt, wollen wir vor einem Publikum, das die fast wörtlich mit dem Fabliau über- einstimmende Novelle eben genossen hat, dies nachzuholen versuchen:

A. Das Eröffnungsbild der englischen Publikation, offenbar der Deckel des Kästchens: acht Szenen in gotischem MaBwerkornament, je zu zwei nebeneinander- gereiht und durch parallele Stäbe von einander geschieden. Man muß alsbald scheiden zwischen den vier Szenen links und den vier rechts. Denn die ersteren (1, 2, 5, 6) führen das Liebespaar vor, kenntlich durch die regelmäßige Assistenz des für seine Rendezvous so wichtigen Hündchens. Dieses fehlt auf den vier letzteren (3, 4, 7, 8) durchaus, die der Herzogin und dem Herzog gewidmet sind.

1) Der Ritter der Dame mit dem Hündchen auf dem Schoß kniend seine Liebe gestehend (rechte Hand auf dem Herzen, die linke, ebenso wie sie, aus- breitend).

2) Die Huldigung des nun neben ihr Sitzenden ist angenommen, der Bund wird durch die rechten Hände besiegelt. Die erhobene ausgebreitete Linke der Dame scheint zu fordern (die Verschwiegenheit), bezw. abzuwehren (den Verrat des Liebes- geheimnisses). Das bereits dramatisch engagierte Hündchen springt fröhlih an ihr hinauf.

60 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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27 A

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5) Gartenszenerie, durch einen Baum geteilt. Links kost sie das Hiindchen,. offenbar in Erwartung seiner, rechts entlaBt sie es zu seiner bedeutungsvollen Aufgabe.

6) Die Liebenden auf dem Lager in inniger Umarmung.

3) Die Herzogin, durch ihre Krone genau kenntlim gemacht, sucht den Ritter zu verführen. Der Künstler wird hier drastischer, als sein poetisches Original, wo sie ihn nur beschwatzen will, durch das hinter ihnen bereite Lager, welches die Szene ganz zu der biblischen zwischen Joseph und der Frau Potiphar stempelt.

4) Die Herzogin (gekrönt) dem Herzoge, dessen damals modische Tracht schon etwas Geistliches ankündigt, ihre Lüge insinuierend und mit der rechten Hand auf der Brust beteuernd, welche er mit beiden Händen ablehnt.

7) Hier hilft sich der Künstler sehr merkenswert. Statt der künstlerisch nicht darstellbaren Auseinandersetzung zwischen dem Herzog und dem Ritter läßt er jenen ihn einfach mit dem Schwerte bedrohen und diesen durc einen Fußfall in die Forderung des Herzogs willigen.

8) Der Herzog vom weisenden Ritter an der Hand (im Dunkel!) an den Ort des Rendevouz geführt.

E. Die letzte Abbildung der englischen Publikation, eine Breitseite (Rückseite) des Kästchens, vier Felder, durch die gleichen Stäbe geteilt. Daß sie der Editor nicht verstanden hat, entnimmt man schon aus der Anordnung. Denn die Szenenfolge (1, 2, 3, 4) bringt die unmittelbare Fortsetzung zu der des Deckels und gehört an die zweite Stelle nicht. an den Schluß.

1) Szene im Garten der Chatelaine. Ein Baum trennt den (dahinter versteckten) Herzog vom Ritter, der auf das an ihm heraufspringende Hiindhen deutend, diesem folgt.

2) Die Liebenden treffen sich in zärtliher Umarmung im Garten (von zwei Bäumen eingeschlossen). Das Hiindchen hat offensichtlich zu ihr hingeleitet. Auch hier scheidet sich die linke von der rechten Hälfte. Denn

K. Borinski. La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters 61

3) führt wieder in das herzogliche Ehegemach. Der Herzog, dessen legere Beinhaltung seine Kapitulation vor seiner (gekrönten) Frau anzeigt, beschwört sie mit Handschlag und aufgehobenem Zeigefinger nichts zu verraten, was sie mit der Hand auf dem Herzen bekräftigt.

4) kann kaum erklärt werden, wenn man nicht auf den altfranzösischen Text zurückgeht. Und auch in diesem wird einem erst nach einigem Besinnen die Stelle deutlich, die dem Künstler bei der Szene vorgeschwebt hat. Sie ist keineswegs sehr dramatish. Es handelt sich in ihr nur um die Botschaft, die der Herzog an die Damen seines Hofes und in erster Linie an seine Nichte erläßt, sie zu sich einzuladen. Ed. Raynaud v. 684 sq.:

. + . Que li dus tint cort mout pleniere, Si qu'il enovia par tout querre

Toutes les dames de la terre

Et sa niece tout premeraine

Qui de Vergi est chastelaine.

Der Künstler hat als echter mittelalterlidier Epiker diese Szene zur Motivierung des Erscheinens der Chatelaine am Hofe nicht missen mögen. Ein gegürteter Bote, der Tracht (besonders des Haares!) und der Ähnlichkeit nach ihr Ritter, übergibt ihr kniend einen groß gesiegelten Brief, den sie, nachdenklich die Augen abwendend, zögernd (kaum zufassend) annimmt.

Nun mußte die Hauptszene zwischen den beiden Rivalinnen die Peripetie der kleinen Tragödie kommen. Jedoch sie fehlt. Der Künstler hat sich offenbar die Charakterisierung der beiden Feindinnen, von denen die eine die andere durch ein hingeworfenes Wortchen zu Tode kränkt, nicht zugetraut zumal in seinem spröden Material. Er hilft sich damit, sn

c) bloB die groBe Damencour durd einen Reigentanz von Frauen zwischen festlichen Musi- kanten darzustellen. (Eine der Schmalseiten des Kästchens.) In den beiden mittleren Frauen darf man nach Ähnlichkeit und Haarputz (Diadem der einen, Krone der andern) wohl die beiden Rivalinnen erkennen.

Nun folgt erst

B, die bei dem englischen Herausgeber gleih auf den Deckel folgende vordere Breit- seite des Kastchens. Daß es die vordere ist, und vom Künstler gleich als sole geplant war, erkennt man an dem quadratischen Plättchen für das Schlüsselloch, nach dem sich die angrenzenden Kompositionen richten. Die Einteilung der Felder erfolgt im Übrigen wie bei E durch die parallelen Stäbe:

1) zeigt die Chatelaine bereits vom Feste entfernt in ihrem Gemache hin-

62 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

gesunken, die Zofe und ein ungeheures, an seine verhangnisvolle Bestimmung mahnendes Schwert neben ihrem Lager.

2) Der Ritter findet sie bereits todt und zieht das Schwert, um sich vor den Augen der die Hände entsetzt ausbreitenden Zofe zu erstechen.

3) Der Herzog aus einem Burgtor in die Szene tretend recht virtuos hinter dem die Felder scheidenden Stabe! —- zieht links das Schwert aus der Brust des hinsinkenden Freundes und schreitet rechts auf

4), das Schwert geschultert, zum Rachewerk an seiner Frau. Dies erfolgt auf

d), der anderen Schmalseite des Kästchens: indem er ihr, den Tanz unter- brechend die Damen lösen ihre Hände vom Reigen, die Musikanten senken ihre Hörner den Kopf mit dem Schwerte grade- u zu absägt:

ee cis “i Quar el chief li a embatue IS SONOMA MOA L'espee qu'il aportoit nue, ap ETES TT VUE Sans parler, tant estoit iriez . . . (v. 917 ff.) M | Der Künstler hat das damit ausdrücken wollen, daB er ihn, statt aller Anrede, die Schuldige mit der Linken gleich an den Haaren packen läßt. Die umstehenden Damen, auch sogar der linke Musikant machen mit den Händen Gebärden des Entsetzens und blicken teils scheu zu Boden, teils wenden sie das Antlitz ab. Unser zierlicher Figurenkünstler zeigt über- haupt viel Sinn für Bewegung und Ausdruck. Seine Erfindungsgabe in der Ausnützung und resoluten Supplierung der Situationen des Poems durd die Mittel seiner Kunst haben wir namentlid auf dem Deckel bewundern können. Allein es fehlt ihm, dem mittelalterlimen Erzähler, epischen

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K. Borinski. La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters 63

Motivierer und Zustandsschilderer, jede dramatische Ader. Sonst hätte er sich nicht gerade die beiden Höhepunkte der dramatischen Aktion, Peripetie und Katastrophe, völlig entgehen lassen. Wie sticht, von aller Beziehung auf Technisches abgesehen, allein hierin der Renaissancekünstler von ihm ab, der allen Pulsschlag der romantischen Geschichte in ihrer Katastrophe zu sammeln verstand! In den drei Hauptpersonen, wie sie sich nach geschehenem Verrat zusammenfinden, spricht auf dem Renaissance- bilde der Sinn der Erzählung wie eine ewige Idee zu uns: die beiden „wahrhaft Liebenden“, noch im Tode aufrecht einander angehörend, und der unglückliche Mittler ihres Unglücks; drei Opfer unsichtbarer Bosheit, die es alle drei mit einander gut, nur allzu gut gemeint haben. |

STUDIEN UND FORSCHUNGEN

ZUR DUGENTOMALEREI ‘)

von Wilhelm Suida

Einer Anzeige von Auberts äußerst fleiBiger und exakter Arbeit hatte ich gerne eine erneute Überprüfung seiner Ausführungen in Assisi vor den Originalen vorangehen lassen. Sein System der parallelen Linien einer gleihmäßigen Berück- sichtigung der ornamental dekorativen Teile wie der figürlihen Szenen der Wandgemälde von S. Francesco führt Aubert dazu, das Wesent- lihe der Entwicklung, wie es aus keinem zweiten Denkmal der Dugentomalerei mit solcher Klar- heit erkannt werden kann, noch genauer zu präzisieren, als dies bisher gelungen war. Von den ältesten Fresken im Langhause der Unter- kirche leiten Teile der Dekoration des rechten Querschiffes der Oberkirche, deren speziellen gotisierenden Charakter Aubert zuerst genau präzisiert, zu der schon von Thode als einheit- lich erkannten Cimabuegruppe. Für die Datierung ins letzte Drittel des Dugento und für die Be- ziehung auf den Florentiner Cimabue, fügt Aubert den von Thode und Strzygowski an- gegebenen Gründen nach äußerst sorgfältiger Untersuhung des gesamten Materials noch weitere hinzu. Damit wendet sich Aubert gegen Wickhoff, der das Datum um 1253 vorgeschlagen und Cimabue ausgeschaltethatte. Dieser Cimabue- abschnitt mit feinsinniger Würdigung des Meisters ist der Kern von Auberts Buch.

Nach Untersuchung des Verhältnisses Cima- bues zur römischen Kunst widerspricht Aubert der von Hermanin und Wickhoff geäußerten Ansicht, die Malereien des Langhauses der Ober- kirche seien ròmisch. Er findet, daß die alte Beziehung auf „Nachfolger Cimabues“ richtiger sei. Daß der Bruch zwischen Altem und Neuem dann mit den Bildern der Eingangswand (Pfingst- fest und Himmelfahrt) den Isaakszenen, dem Doktorengewölbe sich vollzieht, sieht Aubert ebenso wie Thode. Aubert zweifelt aber, ob diese Werke sowie auch die Franzlegende dem jungen Giotto zugeschrieben werden dürfen. Namentlich zu dem nach Auberts Annahme „ersten beglaubigten* Werke Giottos, dem Altar von S. Peter, findet Aubert keine Beziehungen, eher, wie er selbst sagt, zu späteren Arbeiten (offen- bar meint er hier die paduanischen Fresken). Das römische Altarwerk ist aber weit davon entfernt, für 1298 beglaubigt zu sein, die älteste Quelle (Grimaldi), die eine Entstehungszeit nennt,

*) Rezension von Andreas Aubert: Die malerische De- koration der San Francescokirdie in Assisi, ein Beitrag zur Lösung der Cimabuefrage; Kunstgeschichtlicie Mono- graphien VI. Leipzig, Hiersemann 1907,

sagt „um 1320“. Ein stilistisch mit den Assisi- fresken noch eng zusammenhängendes, zugleich doch auf spätere Arbeiten vorbereitendes Ge- mälde, das Thode zuerst für Giotto in Anspruch nahm, den fünfteiligen Altar des Museo del l'Opera di S. Croce zu Florenz erwähnt Aubert nicht. Die Ahnlichkeit der beiden Madonnen dieses Altars und der Eingangswand der Ober- kirhe von S.Francesco ist doch sehr auffallend. Ih füge hier eine kleine Abbildung dieses wichtigen Altarbildes bei nach eigener, leider unvollkommener Aufnahme, da dasselbe bisher nirgends reproduziert wurde; nur das Mittel- stück ist in Sirens Giottomonographie abgebildet (Abbildung 1).

Da Aubert in der Frage der Zusammenstellung und chronologischen Anordnung von Cimabues ceuvre und Gelegenheit nimmt, sich mit den von mir früher!) geäußerten Ansichten aus- einanderzusetzen, so sei es mir gestattet, bei diesem Punkte etwas zu verweilen. Wir stimmen völlig überein, daß die Madonna Ruccellai nicht von Cimabue stammt. Mein Streben ging nun in erster Linie dahin, die Werke nachzuweisen, welche die schlagend- sten Analogien mit der Madonna Ruccellai haben: das Kruzifix in Paterno (das nach der ganz verretouchierten, entstellenden Abbildung in

meinem Aufsatze nicht zu beurteilen ist), das ‘Kruzifix in der Carmine und die Madonna in |

Crevole. Später konnte ih noch ein kleines Triptycion der Gallerie von Budapest hinzu- fügen.?) All diese Zuschreibungen, die sich auf engste formale und technische Übereinstimmungen in den genannten Bildern gründen, sind leider von den Forschern, die sich mit dem Gegenstande seither beschäftigten, wie mir scheint, nicht über- prüft worden. Die Frage der Zuschreibung an Duccio, die auch Aubert wie so viele andere befürwortet, müßte meines Erachtens doch nom sehr genau untersucht werden, wobei man die von mir zusammengestellten Bilder nicht mehr beiseite schieben dürfte.

Nun aber ein Wort zur Entwicklung des Madonnentypus im Speziellen. Im Verlaufe der letzten Jahrzelinte des Dugento läßt sich eine Wandlung außer in der Behandlung der Detail- formen namentlich in der Anordnung und Ge- staltung der Engel sowie in Form und räum- lier Wirkung des Thronsessels Mariae kon- statieren. Ist nun auch eine allmählidie Ver-

1) Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen 1905, Heft I. „Einige florentinische Maler aus der Zeit des Uberganges vom Ducento ins Trecento“. I.

2) Alcuni quadri Italiani primitivi nella Galleria na- zionale di Budapest L'Arte 1907.

W. Suida.

Zur Dugentomalerei 65

Abb. 1.

GIOTTO, Altarwerk Museo dell’ Opera di S. Croce, Florenz

vollkommnung der Komposition zu erkennen, so wäre es doch gewagt, ein Bild, das eine primi- tivere Kompositionsform aufweist, deshalb auch unbedingt früher zu datieren, als ein zweites, das im Kompositionellen entwickelter ist. Na- mentlih, wenn es sich um Erzeugnisse ver- schiedener Schulen handelt, ist die Fixierung ihres chronologischen Verhältnisses zu einander sdrwer möglich. Ich habe in meinem früheren Aufsatze versucht, einige Typen nebeneinander zu stellen, daraus aber den SchluB auf chrono- logische Folge gezogen, was unvorsichtig war. Ich glaubte, die Madonna Ruccellai vor Cimabues Madonnen in Assisi und Florenz setzen zu müssen, weil die Komposition eine primitivere ist. Aubert kehrt trotzdem das chronologische Verhältnis um, und ich glaube, er hat darin Recht. Auch darin stimme ich ihm bei, daß er den Kompositionstypus der Madonna Ruccellai für persönliche, aus der fortlaufenden Reihe heraustretende Leistung eines Künstlers be- trachtet.

Im allgemeinen scheint es mir möglich, drei Typen zu konstatieren: für den ältesten ist die Beifügung der kleinen Engelfigürchen in einer mehr äußerlich dekorativenWeise charakteristisch: anfangs sind sie ganz vom Throne getrennt (bei Guido da Siena, auf dem Petrusaltar in der Akademie von Siena, bei Coppos Bild von 1261), dann werden sie allmählid mit diesem ver- bunden. Sehr deutlich ist die Erinnerung an die ältere Form der lose vor den Goldgrund gestellten Figürchen noch in einem Madonnen- bilde bei H. O. Miethke in Wien (Abbildung 2), das nun trotzdem aber gewiß nicht sehr früh zu datieren ist, sondern etwa um 1300, und

nicht in Toskana, sondern etwa in den Marken oder in Bologna entstanden sein dürfte. Wich- tiger für die Erkenntnis der Entwicklung des Typus in Toskana ist ein wohlerhaltenes und bedeutendes Madonnenbild in S. Michele zu Rovezzano bei Florenz (Abbildung 3), das uns zeigt, wie die seelisch am Vorgange teilnehmenden Engelchen die Thronlehne anfassen und auf Mutter und segnendes Kind weisen. Die Ma- donna in Rovezzano, auf welche ich schon früher hinwies, die gleidiwohl aber von Aubert unbe- rücksichtigt blieb, ist als nächste Stufe nach Coppos Madonna von 1261 sehr wichtig. Ich glaube, hier dürfen wir unbedenklic als En- stehungszeit etwa 1265 annehmen. Diesen Typus übernimmt Cimabue in seiner Madonna in der Kirche der Servi zu Bologna, die ich mit Thode und Aubert für authentisch halte. Von da bis zur grandiosen Komposition von S. Trinita mit der Engelwacht ist nun allerdings ein großer Schritt. Und es ist gewiß berechtigt, zwischen der Servimadonna, die auch kaum viel vor 1270 entstanden zu denken ist, und der Trinitamadonna einen größeren zeitlichen Unterschied anzunehmen, da beide Bilder verschiedene Entwicklungsstufen eines Künstlers repräsentieren. Daher glaube ih nicht, daB Aubert mit der Annahme, die Trinitamadonna sei früh, vor den Assisifresken, entstanden, Recht behalten wird. Vor 1280 un- gefähr kann ich mir sie nicht entstanden denken.

Der primitive Typus mit den kleinen über die Thronlehne gebeugten Engelchen lebt in Pisa fort, wo z.B. das groBe von zwölf Legendenszenen umgebene Madonnenbild im Museum (Fot. Alinari 9880) in verhältnismäßig später Zeit ihn noch aufweist. Weiter ent-

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66 Monatshefte für Kunstwissenscaft

Abrede stellen. Jedenfalls hat er sich dann aber der florentinischen Neuerung gegenüber merk- würdig ablehnend verhalten und hat sich auf einen isolierten Standpunkt begeben, auf welchen ihm niemand nachfolgte. Denn die späteren Sienesen erkannten die Größe von Cimabues Komposition. Die Altartafel in der Stadtgallerie von Citta di Castello (Klass. Bilderschatz Nr. 1615) sowie die von demselben Sienesen (ich glaube Meo da Siena) stammende Madonna der Na- tional Gallery (unter Cimabues Namen) zeigen aufs getreueste Cimabues Typus; auch die Maesta Simones erweist sich kompositionell als Weiter- bildung dieses Schemas. Ich weiß, was man mir hier einschalten wird: meine ganze Deduk-

Abb. 2. Obe.italienische Maler gegen 1300 Madonna m O H. O. Miethke, Wien

wickelt wird dieser Typus auf eine eigentiimliche Weise in Siena: Duccios kleine Madonna mit den drei Franziskanern und die Madonna in Crevole zeigen über den Vorhang oder über Wolkenbänke gelehnte kleine Himmelsboten, weldie dem Motiv nach als genreartig natu- ralistisch umgestaltete Fortbildungen der Ge- stalten auf der Madonna von Rovezzano bei- spielsweise leiht zu erkennen sind. Diese genreartig dekorative Anordnung der Engel schwebt dem Meister der Madonna Ruccella, vor, als er in dem großen monumentalen Bilde je drei kniende Engel übereinander zu Seiten des Thrones der Himmelskönigin aufreiht. Früher | | TEE t vi war ich geneigt, daraus den Schluß zu ziehen, pe A ir o er könne Cimabues große Neuerung (die großen |

stehenden Engel) noch nicht gekannt haben; Abb. 3. Toskanische Meister um 1265. Madonna jetzt will ich diese Möglichkeit doch nicht in O S. Michele, Rovezzano

Burkhard Meier. Uber den Basler Altar des Konrad Witz 67

Iriesier di "née Bundes

Altar bei geschlossenen Flügeln

tion sei eine neue Bekräftigung der Autorschaft Duccios an der Madonna Ruccellai! Möge man die von mir mit dieser zusammengestellten Bilder genau überprüfen. Ich will nicht sagen, daß es unmöglich sei, daß damit die Jugend- werke Duccios gefunden seien.

Noch ein Wort über die Form des Thron- sessels! Die beiden Typen sind: en face und von der Seite gesehen. Der gerade von vorne gesehene Thron wird allmählich in perspekti- vischer Verjüngung gezeichnet, bei dem seitlich dargestellten fällt die Absicht auf perspektivische Verkürzung fort. Alles deutet nun darauf hin, . daß die seitliche Darstellung, wie sie die Ma- donnen in Bologna, in Assisi, im Louvre (wohl aus der Werkstatt Cimabues) und in S. Maria Novella aufweisen, eine vorübergehende Phase der Entwicklung bezeichnet, daß man nachher aber, wie dies Meos Madonnen ebenso wie Giottos Ognissantibild beweisen, wieder an den älteren Typus der Frontalansicht anknüpfte, um bei stetig wachsender Kenntnis der Perspektive diesem ganz ungeahnte Möglichkeiten abzuge- winnen.

Bleiben auch noch so manche Fragen offen, ist auch von erneuten ergänzenden Unter- suchungen noch manche Aufklärung zu erwarten, so wird Auberts äußerst fleißig und liebevoll durchgeführte Untersuchung doch immer ihren

Miaria der Verkänd

Wert behalten. Wir können nur wünschen, daß gerade für das Dugento und Trecento durch so gründlihe Arbeiten der Boden allmählich ge- festigt werde.

Die Ausstattung von Auberts Buch, größten- teils mit guten Lichtdrucktafeln nach Carlofortis Aufnahmen aus Assisi verdient volles Lob.

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UBER DEN BASLER ALTAR DES KONRAD WITZ.

Von Burkhard Meier-Braunschweig.

Die erhaltenen 11 Tafeln des Altars haben mehrfach verschiedene MaBe. Daniel Burckhardt schreibt dies dem Zufall zu und stellt ein mitt- leres Maß fest. Das ist unrichtig.

Denn wenn man die Maße nimmt, wie sie sind, so gelangt man zu einer sicheren Rekon- struktion des Altars, die teilweise die bisherige Vermutung bestätigt, in einigen Punkten aber richtig stellt. Es gibt 4 verschiedene Bildgrößen: 100><80, 100>< 68, 86><80, 86><68 cm. Abwei- chungen von 1—2 cm kommen vor. Der be- quemen Ubersicht halber stelle ich die Tafeln mitden genauen MaBen imFolgenden zusammen:

68 Monatshefte für Kunstwissenschaft

David und Abisay 100><80 cm Sabochay und Banaias 100><80 , Christoforus 9x8 Priester des alten Bundes 100x68 Ecclesia 85><80 Synagoge 84x79 Salamon und Königin von Saba 86><80 Esther und Assuerus 84><78 Verkündigungsengel 85x68 Melchisedek und Abraham 84x68 Caesar und Antipater 84x68 ,

Die Tafeln mit einer Höhe von 100 cm bil- den die untere Reihe, die von 86 cm Höhe die obere, die Tafeln mit einer Breite von 80 cm sitzen zunächst den Angeln, die von 68 cm Breite an der äußeren Seite. Ich nehme dabei mit Burkhard an, daß sämtliche Tafeln von den Flügeln des Altars stammen, ebenso, daß die Bilder mit Architektur an die Außenseite, die Bilder mit Teppichgrund an die Innenseite ge- hören. Die Tafel mit dem hl. Christoforus will schlecht als einzige Landschaft zu den übrigen Tafeln passen, die Maße weisen ihr aber einen bestimmten Platz der Außenseite zu; man muß sich darein fügen, will man nicht ein zweites Flügelpaar annehmen. Wir werden am Schluß sehen, daß es mit dieser Darstellung vielleicht seine besondere Bewandtnis hat.

Es ergibt sich also eine Anordnung wie sie die beigegebenen Abbildungen zeigen.

Eine Erörterung macht das Kreuzensteiner Bild „Salomon und die Königin von Saba“ not- wendig. Es wurde von Stiaßny (Preuß. Jahr- buch 1906) wegen seines Teppichgrundes, der keine Stange wie die anderen Tafeln der oberen Reihe aufweist, in die untere Reihe verwiesen. Nach Maßen und Komposition kann diese Tafel nur an die ihr von mir zugewiesene Stelle ge- hören, sie ist das Gegenstück zu „Esther und Assuerus“ und fügt sich mit den anderen 3 Tafeln zu einem wundervollen Rhythmus zusammen. Der Hintergrund ist in Zeichnung und Technik von denen aller anderen Tafeln völlig verschie- den, ihm fehlen merkwürdigerweise auch die Beischriften. So echt auch sein Aussehen auf dem Lichtdruck ist, muB er von einer, wahr- scheinlich modernen, Erneuerung herrühren, die auch sonst den Charakter des Bildes verändert haben mag; namentlich erscheinen die Figuren weniger körperlidi und mit dem Hintergrund enger verbunden als auf den Basler Tafeln. Eine endgültige Entscheidung kann man natür- lich nur vor dem Original treffen.')

') Nach gütigem Schreiben aus dem Kabinet Sr. Exz. des Grafen Wilczek ist freilidi von einer Erneuerung des Hintergrundes dort nichts bekennt und auch nidits be-

Die Richtigkeit der Rekonstruktion wird z. B. unterstützt durch die Beobachtung, daß die über- einander angeordneten Tafeln: „Esther und As- suerus“ und „Sabochay und Banaias“ einen Hinter- grund mit völlig gleihem Muster haben, was bei die auderen Stücken gewiß auch der Fall gewesen ist.

Die perspektivischen Linien der Gehäuse, in denen die Figuren der Außenseite stehen, gehen nach der Mittelachse des Altars zu, wenn auch mit größter Willkürlichkeit. Dies ist für die Unterbringung des Mannes mit Messer und Buch von Wichtigkeit, seinen Maßen nach könnte er auch auf die andere Seite gehören, dem Bau seines Gehäuses nach gehört er zu dem Flügel, auf dem die Synagoge steht. Er scheint also in innerlicher Beziehung zu ihr zu stehen und wird nicht den Apostel Bartolomäus darstellen, obwohl der kurze gekräuselte schwarze Bart und der weiBe Mantel sonst typisch für den Apostel sind. Er ist der Priester des alten Bundes, aber sein Messer ist das Symbol der Beschneidung, nicht das Opfermesser wie Burck- hardt meint. In den Passions- und Propheten- spielen !) wird es in diesem Sinne gebraucht. Burckhardt hat darauf hingewiesen, daB sich Witz inhaltlich an das Speculum humanae sal- vationis angelehnt hat. In dem Speculum des XIV. Jahrhunderts, welches Lutz und Perdrizet publiziert haben (Mühlhausen 1907) und das ursprünglich aus Schlettstadt stammt, jetzt in München ist, sind, wie in allen anderen Exem- plaren des Speculum, je 3 Szenen des A. T. oder der antiken Sage einem Ereignis des N. T. gegenübergestellt. Diese Regel hat auch Witz befolgt, allerdings mit Abweichungen.

„Abisay, Sabochay und Banaias bringen David Wasser“ und „die Königin von Saba huldigt Salomo“, zusammen 3 Tafeln versinn- bildliihen die Anbetung der Könige. Das Spe- culum ist um die dritte Parallelform verlegen, sie wird ersetzt durch ein Ereignis des N. T. „die Könige erblicken den neuen Stern“. Witz, der nicht unter dem Zwange des Schemas steht, läßt diese Szenen fort.

„Abraham vor Melchisedek“ weist auf die Einsetzung des Abendmahles hin. Im Speculum gehören noch dazu „Manna“ und ,Passahlamm*. Auch Bouts in seinem Löwener Abendmahls- altar hat diese 3 Szenen gemalt. Die beiden leeren Felder der Innenseite können also sinn-

merkt worden. Das Bild wurde 1896 aus dem Wiener Kunsthandel erworben und läßt sich nicht weiter zurück- verfolgen.

') Weber ,,Geistl. Schauspiel und kirchl. Kunst“ S. 92, hier audı eine Bemerkung über die Judenhüte auf dem Fihnchen der Synagoge S. 130 und 139.

Burkhard Meier.

Uber den Basler Altar des Konrad Witz 69

Linker Flügel, Innenseite

gemäß durch ,Manna“ und „Passahlamm“ ein- genommen sein.

„Esther und Assuerus“ und „Caesar und Anti- pater“ versinnbildlichen, wie Christus Gottvater seine Würden zeigt. Bei Esther hinkt der Ver- gleich, sie ist die Vertreterin des leidenden Israel.

Im Speculum fehlt wieder die dritte Parallel- stelle aus dem A. T., sie ist ersetzt durch „Maria zeigt Christus ihre Brüste“. Witz übernimmt wiederum nur die beiden legitimen Parallel- szenen. Es wird hierdurch noch wahrschein- licher, daß das leere Feld des rechten Flügels durch ein Gegenstück zum Abendmahl besetzt war, für das eben 3 (bei Bouts sogar 4) Parallel- szenen vorhanden waren.

Nur die Verkündigung ist nicht ersetzt, viel- leicht, weil der Raum für die im Speculum vor- handenen 3 Bilder nicht ausreichte, vielleicht auch weil diese Darstellung auf der Außenseite von Flügelaltären so oft wiederkehrt. Es sind dem- nach folgende Ereignisse in das N. T. über- tragen, dargestellt.

Die Verkündigung der Geburt in 2 Feldern Die Anbetung der Könige sud ig Die Einsetzung des Abendmahls 2

Es bleibt schließlih noch ein Feld zu be- setzen, das Gegenstück zum Christoforus. Denn die Gegenstücke zum Engel und Priester des

Rechter Flügel, Außenseite

alten Bundes, sind ja ohne weiteres gegeben. Was soll der Christoforus hier? Das Speculum kennt ihn nicht. Christoforus ist der Heilige gegen die Pest.) Im Jahre 1439 herrschte die Pest verheerend in Basel. ?)

Es ist verlockend, sie mit Christoforus in Be- ziehung zu setzen und so erstens eine Erklärung für seine Darstellung, zweitens das Jahr 1439 für die Entstehung des Altars zu gewinnen. Nach Wackernagel ist die Darstellung der Toten- tänze an den Wänden der Kirdhhöfe zu Pre- digen und in Klingenthal ebenfall unmittelbar auf die Einwirkung der Pest zurückzuführen.

Warum sollen nicht auch Konrad Witz oder seine Auftraggeber unter dem Eindruck der Seuche gehandelt haben?

Interessant ist, daß der Altar inhaltlich in keiner Beziehung zu der Biblia pauperum Wei- gel-Felix steht,*) vielleicht ein Beweis mehr, daB Witz nicht der Autor dieser Zeichnungen ist, wenn man dem auch entgegenhalten mag, daß der Künstler bei beiden Werken nach ge- nauer Vorschrift gearbeitet haben kann.

1) Siehe Detzel ,christl. lkonographie" mit Belegen. Otte nennt den Christoforus nur als Beschützer vor

schnel'em Tod. „Gesch. der Stadt Basel Bd. I.

2) an Wackernagel 1907 S.

3) ne wieder abgedruckt durdı Schnütgen in der Ztsch. f. christl. Kunst 195 S. 625.

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

NOCHMALS DER WIEDERAUFGEFUNDENE VAN DYCK IM MUSEUM ZU PALERMO

Die ,Pietà“ des Palermitaner Museums, die Herr Landsinger in Heft 11 des vorigen Jahr- ganges veröffentlicht hat, wird als eigenhändige Arbeit Van Dycks bei vielen Kennern des Meisters Zweifel erregt haben. Herr Landsinger wußte oder erwähnte nicht, daß zwei andere Exem- plare des gleichen Bildes existieren, das eine bei Mr. Francis Bartlett in Boston, das andere, eine in mehreren Punkten abweichende Variante, zu Antwerpen in der St. Antonius-Kirche. Cust hält das Antwerpener Gemälde für ein Original, worin ihm jedoch Scheffer in seinem neu er- schienenen Buche (in den „Klassikern der Kunst“) wohl mit Recht widerspricht. Von den beiden Gemälden in Boston und Palermo kenne ich das erstere nicht durch Autopsie; das andere ist mir zwar bekannt, doch habe ich mich von seiner Authentizität nicht überzeugen können. Nach der Abbildung scheint das Bild in Boston ebenso

eine ziemlich mäßige und harte Kopie zu sein.

Ob den drei Bildern überhaupt ein Original des Meisters als unmittelbares Vorbild zugrunde lag oder ob ein Schüler lediglih das Münchner Gemälde variierte, möchte ich nicht entscheiden. Jedenfalls steht von den drei Exemplaren das Antwerpener dem Meister am nächsten. Die charakteristischen Unterschiede der beiden an- dern Gemälde bestehen in einer größeren Breiten- ausdehnung und Hinzufügung des (in München angedeuteten) weinenden nackten Engels. Das scheint dafür zu sprechen, daß ein Schüler sich die Komposition so zurecht legte. Denn gerade das neue Format ist dem Gesamteindruck wenig günstig; und der hinzugetane Engelputto ist eine schwache Gestalt.

Ich glaube somit, daß an Van Dyck selber nicht gedacht werden darf. Allein Herr Land- singer sah ganz richtig, als er den Geist des Meisters in der Komposition des Bildes erkannte und auf die Verwandtschaft mit dem Gemälde

in München hinwies. Hermann Voss

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Heft 2

Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo

Mit einem Anhange über Signorelli und Correggio Von Otto Hettner

Die folgenden Untersuchungen sind in der Art entstanden, daß ich mich für meine eigenen malerischen Arbeiten mit der Frage zu beschäftigen hatte, wie es möglich sei, in befriedigender Weise Studien fliegender, stürzender und ähnlicher Figuren auszuführen. Als ich die Methode kennen gelernt und sie sich mir gut be- währt hatte, war ih dann zwar persönlich sofort überzeugt, daß sie von Michelangelo, Signorelli u. a. angewandt worden sei, in der Folge aber, um nicht nur die Wahr- scheinlichkeit der Anwendung auf deren fertigen Werken zu zeigen, vielmehr einen positiven Beweis meiner Überzeugung zu finden, wurden einige in diesen Kreis ge- hörige Studienblätter einer Prüfung unterzogen. Dabei kam ich unvorgesehen zu kritischen Anmerkungen, die sich auf die Frage der Echtheit einiger Zeichnungen er- strecken, und schließlich zu Seitensprüngen, die sih ganz unerwartet aber natürlich ergaben. Ich veröffentlidie meine Beobachtungen in der losen Folge ihrer Entstehung.

DIE METHODE

Die Methode wurde mir von einem Pariser Modelle gezeigt, das sie aus dem Atelier Léon Bonnats kannte. Unter den zeitgenössischen Malern ist sie nicht ganz allgemein geübt, auch zuweilen nicht in Fällen, in denen das Resultat wesentlidı ge- fördert worden wäre.

Durch die Beschreibung meiner persönlichen Erfahrung wird die einfachste Erklärung und durch die Tatsache der Anwendung zunächst der Beweis der Mög- lichkeit geboten.

Das Bild sollte zwei in der Luft schwebende Figuren darstellen: die eine sich aus der Höhe niedersenkend (Abb. 1), die andere aufwärts sdiwebend (Abb. 2).

Zu 1. Die Gesamterscheinung dieser Figur wurde so gezeichnet: das Modell lag im Kreuz quer über einem Schemel. Die Füße berührten den Fußboden. Kopf und Arme hingen frei nach unten. Ich stand auf einer Leiter, die ca. 1!/, m seitlich vom Schemel entfernt war, meine Augenhöhe ca. 4 m hoch.') Aus dieser schrägen Ober-

1) Dem Freskomaler gibt sein Gerüst zu derartigen Installationen bequeme Gelegenheit.

72 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

sicht zeichnete ich meine Studie nach dem liegenden Modelle, also auf den unteren Teil meines Blattes die den Fußboden berührenden Füße, auf den oberen die nach oben gewendete Brust- und Bauchpartie, auf den linken den Kopf, auf den rechten die Beine.

Ih befand mich oben, das Modell sich unten. Die für das Bild gewünschte Ansicht war: der Beschauer unten, die Figur oben. Ich hatte also mein Blatt herum- zudrehen, um sie zu erhalten.

Zu 2. Die Studie der Gesamterscheinung wurde so gezeidinet: das Modell lag rücklings auf einem Tische, ihn von der Mitte der Oberarme und den Kniekehlen ab überragend. Ich zeichnete, auf dem Fußboden stehend, so, daß ich das Modell aus geringer Obersicht und von den Waden zum Kopfe verkürzt sah. Da ich dieses Mal, um meine Figur in den Sinn der Bewegung des Fliegenden zu bringen, nicht, wie im ersten Falle, die Ebene oben mit der Ebene unten, sondern die Ebene oben mit der ver- tikalen Richtung zu vertauschen hatte, drehte ich mein Blatt so, daß seine untere Seite zur rechten, die linke zur unteren wurde.)

Ich besaß so Studien, in deren jeder der Zusammenhang der Erschei- nung, die Verhältnisse der Teile zu Abb. 1. OTTO HETTNER: Studie einander nebst den Verkürzungen ge-

löst, meine Arbeiten aber damit, wie ich sofort erkannte, noch nidıt am Ende waren. Denn erstens fehlte den Figuren der Charakter des Schwebens, da ich nach liegenden Modellen gezeichnet hatte, zweitens hatte ich die Richtungen verwechselt, in Fall 1: unten mit oben, in Fall 2: unten mit rechts, wodurch die Einheitlichkeit der Beleuchtung zerstört war.

Die weitere Arbeit setzte darin ein, die durch die Anwendung der Methode entstandenen Schwächen_oder Fehler festzustellen und die Mittel zu deren Verbesserung zu finden.

Ich kann mit dem Berichte, wie sich mein Arbeitsgang in diesem Sinne gestaltete, zurücktreten, da dies mustergültig bei Michelangelo verfolgt werden kann.

ANWENDUNG DER METHODE BEI MICHELANGELO

„Ein besonderer Unstern hat über den Zeichnungen Michelangelos gewaltet. Als Herzog Cosimo nach des Meisters Tode einem Bevollmächtigten in Rom auftrug, ihm einige Zeichnungen Michelangelos zu verschaffen, lautete die Antwort, es sei nur mög-

1) Die Augenlinie war auf die Waden gerichtet. Bei der Drehung wurde sie zum Hori- zonte. Der unterste Teil der Figur sollte diesen überschneiden.

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 73

lih gewesen, zwei kleine Kartons zu erhalten, denn seinen ganzen Besitz an Zeich- nungen habe Buonarroti noch selbst in zwei Malen hintereinander kurz vor seinem Tode verbrannt. Als Motiv fir diese Vernichtung unbezahlbarer Schatze hat schon Vasari die Scheu Buonarrotis angegeben, die Zeugen der unsäglichen Mühsal seines Werdeprozesses den Augen der Nachwelt preiszugeben. Vasari VII, 270: „Abruciö gran numero di disegni, schizzi e cartoni fatti di man sua, accio nessuno vedessi le fatiche durate da lui e i modi di tentare l’ingenio suo per non apparire se non perfetto.“ Michelangelo in den Gesprächen von S. Silvestro: „Die wahre Regel bleibt es, viel Miihe zu verwenden und dennoch mühelos Aussehendes zu schaffen.“ (Stein- mann, Die sixtinishe Kapelle. Anhang I. Die Hand- zeichnungen Michelangelos. Seite 589.)

Auf einigen Blattern Michelangelos kann jedoch der „modo“, den ich beschrieb, vollständig übersehbar nachgewiesen werden.

Es darf nicht erwartet werden, derartige Zeich- nungen zu finden, auf denen Kisten, Tische oder Stühle dargestellt sind. Wenn diese Angabe der Situation bei einer wirklich stehenden, sitzendenoder liegenden Figur den Sinn hat, entweder durch deren senkrechte oder wage- rechte Linien als Hilfe für die Aufzeichnung zu dienen, oder nötig ist, um Felsen, Wolkenmassen oder dergl. zu markieren, so wird sie bei Studien des hier beschriebenen Gebietes als unnütz, bei Beginn die Illusion, beim Durch führen die weitere Arbeit störend, vermieden werden.

Studien zum gekreuzigten Haman

Viele Maler schlagen ihr Modell wirklich ans Kreuz. Gerade für dieses Problem bietet aber die Methode unerwartete Möglichkeiten.

Zum Haman existieren folgende Zeichnungen:

I. und II.!) Studie für zwei Gekreuzigte. Feder- zeichnung im British Museum. B. Berenson II, 84 n. Abb. 2. OTTO HETTNER: Studie 1487. Ph. Braun 23. Steinmann, Abb. 27. (Abb. 3.)

Ill. Flichtige Studie zum Haman. Federzeichnung im Louvre. Ph. Giraudon 1389. B. Berenson II, 103 n. 1590. Steinmann, Abb. 29. (Abb. 4.)

1) Die Beschreibungen der Zeichnungen sind aus Steinmann, Seite 596, aber in anderer Anordnung, übernommen. Ich sage Herrn Prof. Steinmann für die liebenswürdige Überlassung seines für diese Arbeit in Betracht kommenden Abbildungsmateriales (Abbildungen 3, 4, 6, 8, 11 und 12) auch hier meinen verbindlichsten Dank.

74 Monatshefte für Kunstwissenschaft

IV. Studie für den Torso Hamans, das linke Bein und den rechten Fuß. Samm- lung Malcolm im British Museum..... B. Berenson (II, 116 n. 1690) gibt dies Blatt einem Schüler ....!) Ph. Braun. Beaux Arts 68. Auch Morelli (Kunstchr. 1892, p. 422) hielt die Zeichnung für unecht,?) die aber jedenfalls auf ein Original Michel- angelos zurückgeht. Steinmann, Abb. 31. (Abb. 6.)

V. Verso der vorigen Zeichnung: Leichte Skizzen fiir den Oberkòrper Ha- mans.) (Abb. 7.)

VI. Aktstudie für Kopf und Oberkörper Hamans im Teyler-Museum von Haarlem. Auf demselben Bjatte - Detailstudien für die linke Hand und den rechten Arm Hamans und fir die rechte Hand Gott Vaters in der Erschaffung Adams. Die beiden letzteren sind aufgeklebte Ausschnitte. Verso: Kreide und Rotel (flüchtige Skizzen.) $ Marcuard, p. 11; p.-13 und Tav. IX) qualifiziert dies Blatt als eine der herrlichsten Zeichnungen Michelangelos, während es B. Berenson (II, 114 n. 1670) in die Schule Michelangelos versetzt.’) Vielleicht ist Daniello da Volterra der Urheber der Zeichnung, der die Kopie eines Auferstehenden aus dem Jüngsten Gericht in den Ufficien (n. 238) in ganz ähnlicher Technik ausgeführt hat. Steinmann, Abb. 30. (Abb. 8.)

VIII. Kopie (von IV) in Windsor (Ph. Braun, 120). (Abb. 9.)‘)

DIE ENTWÜRFE UND DAS PROBLEM

Steinmann nennt die Zeichnungen: „Studie“, „flüchtige Studie“, „leichte, flüch- tige Skizzen“.

1) Bernhard Berenson: The drawings of the Florentine painters II. S. 116, Nr. 1690: „Ich bin der Ansicht, daB es eine Kopie von einem intimen Nachfolger Michelangelos nach dem Fresko und nicht nach einer Zeichnung ist. Eine Skizze von dem Meister würde schwerlich diese müh- samen Wiederholungen des Beines enthalten haben.“

*) Unter den bei Besichtigung Braunscher Photographien von Morelli ausgesprochenen kurzen Bemerkungen: „Michelangelo, Studie für den Torso Hamans. Braun, Beaux-Arts 68 ‚nein‘.“

») Durch die freundliche Vermittelung von Herrn Dr. G. Biermann verschaffte mir Herr Cambell Dodgson, dem ich meinen besten Dank ausspreche, die Originalphotographie Donald Macbeth dieses Verso. Herr Dodgson schrieb dazu, daß die dem Museumsstempel am nächsten stehende Zeichnung schwarze Kreide sei, die anderen Rötel. -- Die erstere ist sehr verwischt, Ich habe sie nicht sicher enträtseln können. Auf jeden Fall gehört sie nicht zu dem Haman. Die anderen sind Studien, die einen für dessen Oberkörper, speziell für den linken Arm und diese Seite des Thorax, die andere für eine Variante des linken Armes. Sie sind auf die Breitseite des Blattes gezeichnet. Abb. 7 zeigt sie im Ausschnitt.

*) Davon war mir keine Photographie zugänglich.

5) „Studie für den oberen Teil des Haman in der Eckkappe, für beide Hände, sein Ohr und die rechte Hand des Ahasver“ (diese ist auf dem Fresko gebeugter im Armgelenk, die Finger- stellung anders. Die Bestimmung Marcuards und Steinmanns, daß sie zu dem Gott Vater der Erschaffung Adams gehöre, ist zutreffend) „Michelangelo zugeschrieben, aber nicht von seiner Qualität. Es sind getreue Kopien nach dem vollendeten Gemälde, von irgend einem geschickten und sorgsamen Schüler gemacht, der durchaus mit seines Meisters Arbeitsweise vertraut war. Die getrennte Skizze für das Ohr erzählt seine eigene Geschichte. Der Kopist löst sich, in seinem Eifer, es richtig herauszubringen, von Michelangelos Form los und macht den Lappen zu fleischig.“

°) Ich habe meine Untersuchungen leider nur an Photographien madhen können. An den Originalen hätten sie vielleicht in einigen Details zu genaueren Resultaten geführt.

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MICHELANGELO: Entwiirfe zum Haman

Abb. 3.

76 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Es besteht im allgemeinen Unklarheit in der Anwendung dieser Benennungen. Zwar wird stets „Studie“ als Begriff von „Bild“ getrennt, als „Studie“ die Vorarbeit, als „Bild“ deren Resultat, das fertige Werk, bezeichnet, jene aber zerfällt in zwei scharf zu scheidende Teile, deren zweiter erst die „Studien“ sind. Der Künstler ent- wirft die Komposition: die der gesamten Erscheinung, der Gruppen, der einzelnen Figuren. Er legt darin den Willen zum Werke zuerst fest, wie er dann im Bilde vollendet wird. Dabei durchlebt er den glücklichsten Moment seines Schaffens, den der Inspiration. Darnach erst beginnt er die Studien, d. h. er will das erfassen lernen, was er nodi nicht beherrscht und besitzen muß, um den Entwurf zur Realisation, zum Bilde ausgestalten zu können.

I und II (Abb. 3) sind Entwürfe zum Haman.!) Der erste, linke wurde etwas zögernd begonnen, die Wendung des Kopfes auf der Achse der Schultern, namentlich die Stellung zum Schlüsselbein, nicht ganz unbefangen gezeichnet. Auch der rechte Oberschenkel ist zaudernd, noch unfrei, bedacht konstruktiv. Aber schon beim Torso und dann beim linken Bein war die Feder im Fluß. Und dann, nachdem so die In- spiration erwacht war, frei von jedem Calcul, der wundervolle, in rasender Hast hin- gesetzte Entwurf daneben. Ein Minute begeisterter Konzentration, und fertig die Figur, die ganze Pracht des nach vorne übergesunkenen Oberkörpers, der eingezogene Leib, das willenlos hängende linke, das krampfhaft gebeugte rechte Bein.

III (Abb. 4) ist dann in der Tat eine flüchtige Studie. Die Inspiration ist ver- flogen. Das Modell tritt in Funktion. Die Stellung ist verändert. Mit dem Modelle beginnt die Beeinflussung des Ingeniums von außen. Es nimmt nach ungefährer An- gabe des Künstlers eine Stellung ein. Der Künstler läßt sich verleiten. Die Stellung gefällt ihm, obgleich eine dem Entwurfe fremde Bewegung und Form in der vor ihm befindlihen Erscheinung ist.

Im Gegensatze zu den freien Entwürfen sehen wir nun die Sorge des Studiums einsetzen. Während die Formenerscheinung der ersten Zeichnungen aus Überlegungen über die Konstruktion entstanden war, bestand sie diesmal vor dem Künstler, und er hatte in ihr die Konstruktion verstehen zu lernen. Kein Muskel ist anatomisch über- legt, um dadurch die Silhouette oder Lage der Glieder zu finden, die Silhouette ist nach der Natur abgezeichnet und dann die feststehende Form durch die Schraffierungen, die stets im Sinne der Modellierung gehalten sind, belebt worden: statt konstruktiv zu entwickeln, Konstruktion hineingebracht.

Diese flüchtige Studie ist in der Methode gezeichnet, die ich erklärt habe. Ich unter- lasse hier den Beleg, da die große Studie der Malcolm-Sammlung (IV., Abb. 6) dazu reicheres Material gibt, und deren Beschreibung zugleich auf die erste zurückwirken wird.

Diese große, ausführlihe Studie zeigt wiederum eine andere Stellung und zwar, kombiniert mit dem Blatte des Teyler-Museums (VI, Abb. 8), die definitive des Fresko (Abb. 5). Die augenfälligste Veränderung ist, daß sich die Bewegung nicht mehr nach der linken Seite wendet, sondern nach rechts.

1) Schon die Tatsache, daß die linke Figur an einen Baum gebunden ist, beweist ilıre Zugehörigkeit.

: Studie zum Haman

MICHELANGELO

Abb. 4.

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78 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Das Problem hatte sich geformt. Die Figur war in ihrer allmählichen Ent- wickelung in den Rahmen der Komposition getreten, die Komposition in den der ganzen Decke. Das Motiv des Haman im Bilde: er dreht sich „dispettoso e fiero“!) nach dem Gemache des Ahasver. Der Henker kauert in der Türe. Und es ergab sich aus der Anlage der Decke erstens, daß das Gemach nicht nach der Längswand der Kapelle, sondern nach dem Inneren zu d. h. hier rechts liegen mußte, denn so entsprach es als Linie und Fläche dem des Holofernes in der diagonal entgegengesetzten Eckkappe und der Ahasver auf dem Lager dein Holofernes, zweitens, daß die Grundlinie des Haman von links unten nach rechts oben gehen mußte, um den Gleichklang der Linie zum David der anderen (schon früher ausgemalten) Eckkappe der Eingangswand zu schaffen. (In der vierten Eckkappe verkriecht sich die Masse in die dunkele rechte Ecke, die Gruppe der Innenseite schließt nach der Mitte zu durch eine Senkrechte ab, die als Form den Mauern auf dem Haman- und dem Holofernes- Bilde entspricht. Das Licht um die Schlange hält den Gleichklang zu der hellen Masse des Haman.) Die Gründe zur Veränderung wurden also bestimmend durch ihre gegenseitige Be- stätigung.

Die schönste Zeichnung (II) fügte sich schon nicht in die Komposition des Einzelbildes, noch weniger in dieses neue Problem ein. Dieser Haman, ganz in sich zusammen ge- sunken, hätte teilnahmlos, nicht „fiero“, nicht revoltierend, in der Gruppe gestanden. Dieser Entwurf stammt vom Bildhauer Michelangelo, der das Ereignis in eine Figur konzentrierte. Abb. 5 MICHELANGELO: Haman. Detail Der Oberkörper war also in seiner In-sich-

aus Ener E AANE ree SIEH, zusammen-Gesunkenheit gar nicht für den

scien Kapelle O | , Maler zu verwerten. Das Motiv der Beine konnte er beibehalten, er hatte ihm nur, wie der ganzen Figur, den Sinn der Be- wegung nach der anderen Seite zu geben, d. h. das linke statt des rechten zu beugen. Dies war (stets noch umgekehrt) ähnlich, aber weniger frei, im ersten Entwurfe (Abb. 3) vorhanden, es wurde nach einer zufälligen Modellstellung, in der sich das tatsächliche Liegen des Modelles zu empfindlich aufdrängte, in Zeichnung III (Abb. 4) skizziert. Und schon hier finden wir prinzipiell die Lösung. Daß der rechte Arm (der dem

1) Justi, Michelangelo, zitiert in Bezug auf den Haman (Seite 58), Dante, Purg. XVII. 25 ff.

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 79

linken der veränderten Figur entspricht) anders, noch nicht nach hinten, verkürzt ist, hat seinen Grund im Liegen des Modelles. (Das wird im weiteren erklärt) Der hauptsächliche Unterschied im Probleme des Oberkörpers von I, II und III einerseits, und der definitiven Lösung IV und VI (Abb. 6 u. 8) anderseits, ist der: auf I, Il {und III) sind die Oberarme am Baume festgebunden (bei I der rechte lose oder frei), auf dem Fresko und im Stadium der Studie auf der Kombination von IV (V) und VI ist der Haman durch die Hände festgenagelt. Damit verschwindet das kleinlich Müh- same der Bewegung. Und deren Inhalt wird jetzt der: „Wie ein Titan“ (Justi) wirft er sih nach dem Gemache, aus dem heraus er Ahasvers Gebot vernimmt, herum mit der letzten Kraft des Sterbenden und dem Hasse des Gemarterten, ,die schauer- liche Affung eines heiligen Todes“ (Justi).

DIE DEFINITIVEN STUDIEN Der Gang der Arbeit

Die Stellung des Haman kann ein Modell im Stehen nicht geben, da es bei der starken Drehung das Gleichgewicht verlieren würde. Michelangelo wendete die beschriebene Methode an.

Das Modell lag rücklings auf einer Bank, die Beine überragten sie von den Kniekehlen ab, das rechte war gestreckt, der Fuß auf einer niederen Kiste oder dergl. auflehnend, das linke gebeugt, so, daß der Fuß auf dem Boden aufstand. Dem Sinne der Bewegung nach links entsprechend lag das Modell auf der linken Seite stark auf. Das rechte Bein, dessen Fuß als festgenagelt gedacht war, konnte dieser Tendenz nicht folgen, lag also ebenfalls, so weit es nicht von der Drehung mitgerissen werden konnte, auf. Das Modell hob den linken Arm nach oben und mußte, um so längere Zeit beharren zu können, sich an einem herunterhängenden Stricke fest- halten, den rechten beugte es nach hinten, so weit es die Bank zuließ. Der Kopf war nach links gerichtet. So wurde es vom Gerüste herab aus etwas rechtsseit- licher Obersicht, den Augenpunkt auf die Mitte des Körpers eingestellt, gezeichnet. {Studie 1. Hauptzeichnung auf IV. Vorderseite des Blattes der Malcom-Sammlung im British Museum. Abb. 6.)

Die Ansicht bot fast vollkommen die Gesamterscheinung. Die Verschiebung zwischen Thorax und Becken stellte sich ganz sinngemäß dar. Aber die festaufliegenden Teile: die Rückenmuskeln, das Gesäß, die rechte Kniekehlung, der linke Oberschenkel, waren durch das Aufliegen breitgequetscht. Der Kopf konnte zwar nach links gedreht werden, aber die Bank verhinderte die notwendige Freiheit der Neigung; sie hemmte ebenfalls das energische Zurückbeugen des rechten Armes, da die Funktion des Schulter- blattes durch das Aufliegen eingeschränkt war. Die Hand und der Unterarm des linken Armes waren durch das Hängen am Stricke gar nicht zu benutzen.

Zu diesen in Folge der Methode sich ungenügend oder unrichtig darstellenden Partien, also dem Ober- und Unterkörper, mußten Ergänzungsstudien unternommen, in ihnen dem Motive der Bewegung bis in seine letzten Konsequenzen nachgegangen werden. Bei jedem Teile wurden nun einzeln alle Möglichkeiten durchdacht und er-

80 Monatshefte für Kunstwissenschaft

probt. Je mehr der Sinn das sich nach links Hinüberbäumen, das ReiBen an den durchnagelten Gliedern trotz des ungeheueren physischen Schmerzes, das sich fast Loszerren-wollen wurde, desto intensiver wurde die konzentrierteste Anstrengung aller Muskeln. Vielleicht hat selten so sehr ein Problem den Geist des Meisters beschäftigt.

Das rechte Bein war gewissermaßen der Hemmschuh der Bewegung; nadı dem stehenden Modelle konnte es nicht studiert werden; um die Spannung doch beobachten zu können, wurde dem liegenden der Fuß an einen von außen kommenden Strick angebunden, an dem es zog (eingezeichnet in Studie 1); dann wurde der Fuß einzeln nach dem sitzenden, das die Ferse hob, gezeichnet. So war die für das Motiv notwendige Spreizung der Zehen ausgedrückt. (Studie 2 auf demselben Blatte. Abb. 6, unten.)

Komplizierter war die Erfassung der richtigen Bewegung des linken Beines. Die gebeugte Lage war schon bei dem ersten Entwurfe (entsprechend der anderen Rich- tung der Komposition noch auf der anderen Seite) entschieden worden, nicht deren Sinn. Soll dargestellt werden, daß der linke Fuß an einem erhöhten Punkte fest- genagelt ist, wird das Bein durch die Wendung des Oberkörpers sehr wenig in Mit- leidenschaft gezogen. In ihm liegt dann der ruhige Punkt, denn die Beugung hat vor der momentanen Kraftanstrengung stattgefunden. Soll aber auch hier volle, momen- tanste Aktion dargestellt werden, muß es frei sein. So ist es auf dem Fresko: der Fuß ist nicht durchnagelt; das Querholz, an dem der andere befestigt ist, bietet auf dieser Seite den leeren Platz. Und die Bewegung wird nun die: das freie Bein ist dem energischen Elan der Geste folgend wuchtig nach oben gezogen und unterstützt diese, indem es sich mit dem Fuße von dem seitlichen Aste des Baumes abstößt.

Das Bein wurde zuerst im Zustande der Ruhe (das Motiv des angenagelten Fußes) nach dem liegenden Modelle auf der Hauptstudie angelegt, am Rande rechts unten nach dem Stehenden, das den Fuß an die Wand lehnt, ausgeführt (Studie 3, Abb. 6), dann am selben Rande oben bewegt (das Motiv des freien Fußes), indem der Stehende sich von der Wand abstemmte, gezeichnet. (Studie 4, Abb. 6.)

Eine andere Serie von Studien mußte an den Oberkörper gewandt werden. Auch hier wird die Kraft allmählich gesteigert. Das liegende Modell hatte die Bauch- partie klar, die höheren Partien aber ganz ungenügend für die Bewegung zum Aus- drucke gebracht, das stehende konnte sie geben, aber ebenfalls nicht ganz einheitlich. Es wurde so installiert, daB es an zwei seitlich befestigten Stricken zog. So waren nicht die Hände selbst, aber die Arme, die gespannte Brust, der frei gewendete Kopf zu verwerten.

Alles zerrt nach links und an der festen rechten Hand. Würde der linke Arm, der Tradition der Crucifissi folgend, die Richtung des rechten fortsetzen, so wäre die Wendung des Kopfes und des Körpers nach der anderen Seite fast frei, und die Figur hätte ausschließlich jene Tendenz. Aber der Contraposto war in ungeheuerer Kühnheit in einem weiteren Hemmnisse eben durch die Richtuug des linken Armes, der nach vorn geht, erfunden. Er schiebt sich als Schranke vor. Zur Motivierung wurde sie dem Äste gegeben. Das Problem reifte allmählih. Auf der Studie nach dem liegenden Modelle und auf der ersten Anlage der ausführlichen Studie zum Ober-

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Studien zum Haman

MICHELANGELO

Abb. 6.

82 | Monatshefte für Kunstwissenschaft

körper (Studie 5, VI. Teyler-Museum, Abb. 8) steht der Arm noch etwas seitlicher als auf der definitiven Lösung (auf der selben Studie, dem entsprechend der Kopf noch weniger tiberschnitten). Als deren Idee entstanden war, wurde sie sofort geprüft (Studie 6, V. Malcolm-Sammlung. Verso. Hauptzeichnung.) Als neue Frage ent- wickelte sich, ob bei veränderter seitlicher auch die steile Richtung aufzugeben sei. (Studie 7. Unter der eben genannten Zeichnung.) Diese horizontale Lage war dem Ursprunge des Problems zuwider. Das Hemmnis wäre von neuem geschwächt worden.

Der rechte Arm war zuerst steiler projektiert (Studien 5 und 6, VI. Teyler- Museum, V. Malcolm-Sammlung. Verso.) Die Bewegung kann sich erst voll entfalten, wenn er im rechten Winkel zum Rückgrat steht. In diesem Sinne wurde er ver- ändert, so das Motiv des Contraposto ganz rein. (Studie 5.) An diesem Punkte an- gelangt, zog Michelangelo die letzte Konsequenz. Bei der äußersten Kraftanstrengung wird schließlih der linke Arm fast bis zum Brechen durchgedrückt, wobei sich die Innenseite etwas nach oben dreht und sich die Schulter hebt (Studie 8), auf der rechten Seite wird die Bewegungsmöglichkeit aufs äußerste gesteigert, wenn die Schulter er- hoben nach vorn geschoben wird. (Studie 8, VI. Teyler-Museum, oben rechts auf- geklebter Ausschnitt.)

Um die Hände in der Stellung des Gekreuzigten studieren zu können, mußte das Modell die freien Arme strecken. Diese mögen auf einer Stütze aufgelegen haben. (Studien 8 und 9, auf dem eben genannten Blatte.)

Die Zeichnungen.

IV. Malcolm-Sammlung. Vorderseite, Abb. 6. In die erste Studie (der Gesamt-

erscheinung) sind die Resultate der späteren Studien teilweise eingetrager worden. Der Kopf, den das liegende Modell nur unfrei geben konnte, ist in zwei Linien, dem Kontur des Schädels und dem der Kinnlade, flüchtig angelegt, ebenso der Hals und der linke Arm, die rechte Schulter und der Arm bis zum Biceps, die letzteren dann nach der sechsten Studie (V. Verso. Malcolm-Sammlung, Abb. 7) frei korrigiert, der Unterarm zugefügt, und zwar zu dünn im Verhältnis zu der Figur. Am Biceps ist oben ein senkrechter Strih. Er merkt entweder die Ungültigkeit der äußeren Linie an, oder, daß hier genaueres Studium nötig sei. Der Rückenmuskel (unter der Achsel) war durch das Liegen hervorgedrückt, der Thorax gepreßt. Die sechste Studie gab die Erscheinung des aufrechten Menschen. Darum auf der ersten Studie, um den ur- sprünglichen Kontur als falsch zu markieren, eine dicke Eintragung des richtig ge- fundenen. Der linke Arm bot eine ganz ungenügende Bewegung. Sein Ansatz (die Brust- und Rückenmuskeln) wurde ausführlih gezeichnet. Er ist nachträglich mehrfach übergangen worden. Durch die ruckweise Entwicklung dieses Armmotives wurde diese Partie sehr verquält, es sind mehrere sich widersprechende, spätere Ein- tragungen darin zu erkennen. Die feste Form des Biceps ist der sechsten Studie ent- nommen, die Schulter durch einen neuen Kontur stärker gewölbt, der durch die später in das Motiv gekommene Innendrehung des Armes stärker vorwärtsstrebende Rücken- muskel dementsprechend geändert worden, indem er verbreitet und dann durch Schraffierung der Masse angeschlossen wurde. Das Gesäß zeigt dünne äußere und

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O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 83

dicke innere Konturen: die ersten sind die nach dem liegenden Modelle richtig an- gelegten, die zweiten die aus den Ergänzungsstudien gewonnenen. Zuerst die rechte Seite, auch nach dem liegenden, in der früher beschriebenen Situation der Anspannung des Beines. Die ursprüngliche Angabe der ungeschwellten Muskeln des Oberschenkels und der auf der Bank breitgequetschten Kniekehlung (die äußeren dünnen Konturen) ist deutlich zu erkennen.

Die Detailzeichnung unten neben der Mitte (Studie 2) zeigt einzeln den Fuß. Die Zehen spreizen sich gegen einen festen Körper. Unterhalb des äußeren Knöchels geht eine Linie steil nach innen. Sie stellt die Beugung dar, die beim Stehen oder Sitzen stattfindet. Diese Situation wird ferner durch die senkrechte Richtung der Zeichnung bewiesen.

Daß die beiden Randzeichnungen für das linke Bein (Studie 3 und 4) nach dem aufrechten Modelle studiert sind, ist am augenfälligsten durdı die Richtung der Geschlechtsteile erkenntlich. Man ver- gleihe es als Gegensatz mit der Studie der Gesamterscheinung daneben (und mit der früher besprochenen III. Louvre. Abb. 4, deren Entstehung auch dadurch angegeben ist. Der Zweck der oberen Randzeich- nung war, die angespannte Muskulatur des Beines zu beobachten. Es war also nicht nötig, das Augenmerk auf die Ver- teilung von Licht und Schatten zu richten, und wir finden diese nur da angegeben, wo sie die Deutlichkeit unterstützen. Zu- fällige Umstände mögen dazu geführt nanen y Cab: MAS ONE BIER. Vori: der Abb. 7. MICHELANGELO: Studie zum Hama anderen Seite her, wie zu der Gesamt- “Detail l i ansicht und auch zu der vorigen Studie (3) beleuchtet war. Als in erstere aber die neue Erkenntnis übertragen wurde, wurden in sie fälschlih auch die Schatten der anderen in die belichtete Seite des Schenkels übernommen. Daher wirkt er so platt. Das Fresko hat denselben Fehler. Der dike innere Kontur der Hauptstudie wurde nach dieser ergänzt. Mit der dritten Studie mußte auch dessen Fuß verworfen werden. Es scheint keine Detailstudie für ihn zu existieren.) Sie wird nach einer ähnlichen Situation wie die vierte Studie gemacht worden sein. Er ist auf der Hauptzeichnung ohne genaues Abkopieren nach dem Modelle (denn die rasche Linie ist in mehrfachem Ansatze des Stiftes gesucht),

ı) Allerdings weiß ich leider nicht, was die „flüchtigen Skizzen“ auf dem Verso des Blattes aus dem Teyler- Museum darstellen.

84 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

aber typisch fiir das Motiv der freien Bewegung und des AbstoBens zugefiigt. Der Unterschenkel hat eine dem entsprechende freie Korrektur erhalten.

Die Hauptzeichnung des Oberkörpers (VI. Teyler-Museum, Abb. 8, Studie 5) zeigt neben den späteren Formen noch die ursprüngliche Anlage des steileren rechten und des mehr nach außen stehenden linken Armes. Daß dieses ältere Motiv zuerst für endgültig gegolten hatte, beweist die sorgsame Behandlung der linken Gesichts- hälfte, die von der Hand des nach innen gewendeten Armes ganz verdeckt werden müßte. Sie war also zeitiger wie dieser entstanden. Die Hand ist ohne Modell, in nicht definitiver Fingerstellung, zu klein, in dünnen Strichen, ungefähr an ihren Platz gesetzt worden. Ihre Ausführung war im Zusammenhange nicht möglicı, da sie das Modell, das einen Strick hielt, falsch bot, ihre spätere Eintragung nicht, da auf ihrer Stelle schon das Gesicht gezeichnet war (Rötel wird beim Radieren schmierig). Eine Linie quer durch die Nasenspitze gibt vielleicht den Überschneidungspunkt an. Das rechte Ohr sitzt falsh an. Dadurch ist die Backe etwas zu schmal. Die Verkürzung war zuerst nicht sicher erfaßt. Es ist mehrfach daran herumkorrigiert worden. Ansatz und Verkürzung sind auf der kleinen Detailstudie über dem Kopfe gefunden.!)

Das Verso des Blattes der Malcolm-Sammlung (V. Abb. 7, Studie 6) zeigt den rechten Arm noch steil, den linken schon nach innen gedreht, aber noch nicht in der vollen Anstrengung. Die ganze Partie des Rumpfes war verändert. Darum ist hier nur sie eingehend behandelt. Die doppelten Konturen an der Schulter, innen, bezeugen den Moment der Entwicklung: die erste die tiefere, die zweite die heraufgezogene Lage.

Auf der Hauptstudie (5) des Teyler-Museums (VI.) ist der rechte Arm im zweiten Stadium dargestellt, also die Schulter noch tief. Deren Abstand vom Ohre ist größer als auf dem Fresko. Ergänzen wir sie nach der erhobenen, vorgedrehten Schulter der achten Studie, oben rechts auf dem Blatte, so erhalten wir die definitive Erscheinung. Am Rande unten links ist eine kleine konstruktive Zeichnung der rechten Hand (ohne Modell. Die Fingerstellung noch anders als auf der definitiven Lösung). Nach dieser ist sie auf der Hauptstudie rasch angelegt. Wir sehen aber darunter den Kontur einer anderen Daumenstellung: den der den Strick haltenden Hand. Zu den Studien oben (8 und 9), der wie gekreuzigten Hände ist zu bemerken, daß die der linken Hand nur den Armansatz aufweist: der Arm war auf der Hauptstudie gelöst worden; der rechte war auf dieser falsch, wurde also nun gleichzeitig mit der Hand endgültig studiert.

Die Echtheit der Blätter der Malcolm-Sammlung und des Teyler-Museums.

Wenn auf zwei inhaltlich ganz zusammengehörigen Studienblättern so ein- dringlih der Gang der Arbeit verfolgt werden kann, kommt es mir fast wie ein Scherz vor, deren Echtheit noch besonders beweisen zu müssen, oder wie ein Scherz, sie anzuzweifeln.

Nur einer sehr oberflächlichen Beobachtung kann entgehen, daß sie teilweise ganz andere Details enthalten wie der Haman der Sistina. Ich verweise als augen-

1) Das Ohrläppchen erscheint nur infolge der Untersicht besonders fleischig. Auf dem Fresko ist es identisch. Vergl. Anm. 5, Seite 74.

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Studien zum Haman

MICHELANGELO

Abb. 8.

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86 Monatshefte für Kunstwissenschaft

falligste Beispiele auf dem Blatte der Malcolm-Sammlung, auf der Vorderseite: auf die andere Lage des rechten Armes, die Randzeichnung des Beines im Zustande der Ruhe, den in senkrechter Richtung stehen- den Fuß, auf dem Verso: auf den steileren rechten Arm und die kleine Studie des linken ohne Untersicht, auf dem Blatte des Teyler-Museums: abgesehen von den den vorigen ähnlichen Unterschieden, namentlich auf das Vorhandensein der linken Gesichtshalfte.

Die spezielle Methode verlangte die Teilung in zwei Studiengruppen. Die Vorderseite des Malcolm-Blattes zeigt die eine, das des Teyler- Museums die andere, das Verso des ersten deren Ergänzung, so daB wir schon darin eine Logik finden, die schwerlich die zufällige Nebeneinanderstellung von Kopieen nach dem Fresko bieten wiirde.

Diese Ansicht fallt also ganz zusammen.

Das Blatt in Windsor (Abb. 9) zeigt (in schlechter Qualität) ohne einige spezielle Merkmale der Stu- dienmethode dieselbe Erscheinung wie die Vorderseite des Malcolm- Blattes. Schon diese Tatsache hatte genügen müssen, letzteres nicht als Zeichnung nach dem Fresko anzu- sehen, denn da sie als solche ganz unvollkommen und „mühsam“ wäre, würde sie nicht als Vorlage für eine Wiederholung gedient haben. Abb. 9. Kopie nach der Michelangeloschen Studie Es bleibt also die Frage offen,

(Abb. 6) O ° ob beide Blätter, das in Windsor

und das der Malcolm-Sammlung auf

eine Originalstudie Michelangelos zurückgehen. Deren Vergleich ergibt bedeutsame Resultate. Ich spreche nicht über die Qualität, derentwegen das erste allgemein verworfen wird. Darauf basierendes Urteil ist individuell und momentan. Das Blatt in Windsor enthält ausschließlih die später durch die Ergänzungen er- haltenen inneren Konturen, die für die Entstehung notwendigen äußeren, nach dem

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 87

liegenden Modelle gezeichneten, fehlen. Das Vorhandensein der Randzeichnungen ist, ohne deren Ursache zu verstehen, als Tatsache aufgenommen. Und da der Kopist ein ordentlicher Mann war, hat ihn die auf seinem Originale sich aus der Methode erklärende ,Flüchtigkeit“ der Füße geärgert. Er hat sie verbessern wollen. Darum übertrug er widersinniger Weise aus der ersten Ergänzungsstudie die für die Beugung des Fußes charakteristishe Linie in die Gesamtansicht und präzisierte an deren linkem Fuße die suchenden Linien, indem er die feste Form des ruhenden der unteren Randzeichnung in spinnemageren Strichen einfügte. —- In welcher Auffassung ein Schüler eine Studie seines Meisters wiederholt, zeigt diese Kopie. In der Tat hat er keinen Grund, die Korrekturen und Mühseligkeiten, die er auf dem Vorbilde findet, abzuzeicinen. Es kommt ihm auf die definitive Form an. Das andere Blatt trägt dagegen die Merkmale der Entstehung. Es wäre also, wenn ihm durchaus die Echtheit abgesprochen werden soll, nur möglich, es als bewußte Fälschung, in die die spezielle Methode der Entstehung mit hineingeheimnist worden wäre oder als eine „Chinoiserie“ aufzufassen. Daran hat aber kein Kritiker des Blattes gedacht.

Es ist ausschließlich wegen der Qualität angezweifelt worden. Daß diese nicht die Klarheit und Einheit anderer Studien des Meisters aufweist, erklärt sich aus den besonderen Umständen des Werdeganges: ein bequem liegendes Modell für einen revoltierten Titanen, der Zeichner auf einem Gerüste, gezwungen, es nach unten über seine rechte Schulter hinüber zu beobachten, wodurch eine mechanische Behemmung der zeichnenden Bewegung entsteht, die zu kleinen, unfreien Strichen zwingt; ein Ab- setzen der Arbeit, um nach anderen Modellkombinationen Ergänzungsstudien vorzu- nehmen, deren zwei spätere gar nodi das Verso aufweist, und so die Beziehung zu dem Blatte des Teyler-Museums deutlich macht, und dann ein überlegendes Eintragen der neuen Erfahrungen in die Gesamtansicht. So verbürgen gerade die Gründe die Echtheit, derentwegen sie bisher abgesprochen werden konnte. Nicht von Michelangelos Hand wäre eine einheitliche Studie zum Haman.

Dieselbe Tatsache, daß wir die intimsten Momente des Werdeganges verfolgen können, macht seine Autorschaft der Zeichnungen auf dem Blatte des Teyler-Museums zweifellos. (Schluß folgt.)

BONNIE

Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts

Von Hans Jantzen

Was uns gewöhnlich als Gesamtbild von der Blütezeit holländischer Malerei des XVII. Jahrhunderts gegeben wird, enthält stets irgendwie den Hinweis auf die Verschiedenart der Darstellungsinhalte, deren Reichtum und Besonderheit der Aus- bildung keine andere Malerei in gleihem Maße vorher und gleichzeitig gekannt hatte. Dabei ist die Anteilnahme, die man der holländischen Malerei schenkt, den einzelnen Bildgattungen in gewissen Grenzen ziemlich gleichmäßig zugewandt. Bis auf eine Ausnahme. Man findet wohl das Historienbild, Allegorische Darstellung, Porträt, Schützenstück, Gesellschaftsstück, Genre, das Marinebild, die Landschaft und das Still- leben genannt, aber selten das Architekturbild. Wenn es auch keineswegs ganz an Literatur fehlt Woltmann und Wörmann haben in ihrer Geschichte der Malerei die hauptsächlichsten Architekturmaler aufgenommen, ferner gibt es ein paar kleinere Aufsätze von Bode!) und Hofstede de Groot’), und kürzlich ist Gustav Glück in seiner Publikation der Sammlung Alexander Tritsch näher auf das holländische Architektur- bild eingegangen allein diese wenigen Äußerungen sind mehr gelegentlich der Behandlung bestimmter Bilder oder Bildergruppen entstanden. Im Ganzen haben weder die einzelnen Künstler noch das Architekturbild als Bildgattung einen Platz in der holländischen Kunstgeschichte erhalten. Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert, daß etwa in einem Buche wie Bodes „Rembrandt und seine Zeitgenossen“ die ver- schiedensten Arten holländischer Bilder aufgeführt werden, aber kein Architekturbild. Und geradezu auffallend ist, wenn bei einem Thema, wie es Professor Martin gelegentlich seiner (auch in diesen Heften veröffentlichten) Antrittsvorlesung aufgestellt hat: „Über den Gesdimack des holländischen Publikums im XVII. Jahrhundert mit Bezug auf die damalige Malerei“ das Architekturbild völlig außer Acht gelassen wird, obwohl sonst wiederum alle übrigen Bildgattungen angeführt sind.?) Gerade für dies Thema, meine ich, bedeutet es eine empfindliche Lücke, wenn das Architekturstück nicht herangezogen wird. Hier wäre es unbedingt wichtig, zu wissen, daß die Holländer neben ihren Landschaften, neben ihren Gruppenporträts audı jene Dar- stellungen von Kirchen besaßen, wie kein anderes Land sie aufzuweisen hatte.

Der Grund weshalb das Architekturbild für eine Charakteristik der Erscheinungen holländischer Barockmalerei bisher so vernachlässigt wurde, liegt keineswegs darin, daß die Künstler jener Darstellungen etwa schlechter gemalt haben als die Landschafter oder die Maler der Seestücke, der Stilleben oder der Genreszenen. Es sind Namen unter ihnen wie Gerard Houckgeest und Emanuel de Witte, den man getrost neben

1) Bode, Studien zur Geschichte der holländischen Malerei 1884, S. 214 ff, wo das Werk des Dirk van Delen zusammengestellt ist. Vgl. auch Graphische Künste XIII, 1890, S. 89 über die Architekturbilder der Sciweriner Galerie.

?) Einleitung zu Utrechtsche Kerken, Teekeningen en Schilderyen van Pieter Saenredam met Tekst van Dr. C. Hofstede de Groot. 1899.

3) Monatshefte für Kunstwissenschaft 1908, Heft 9.

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Abb. 1. JAN VAN VUCHT, Kircheninneres O Schwerin, GroBherz. Galerie

einem Pieter- de Hooch nennen kann. Nur sind die guten Arbeiten der Architektur- maler seltener, wenigstens so weit sie bekannt sind. Aber man weiß, alle Bilder, und selbst die besten, verschwinden, solange eine Zeit an ihnen nichts zu sehen hat. Schon daraus erklärt sich, daß z. B. in den Öffentlichen Galerien selten ein holländisches Architekturstück von unmittelbarer Wirkung anzutreffen ist.

Holland allein hat dieser Bildgattung entscheidendes Gepräge gegeben. Weder Frankreich, noch Italien oder Deutschland besaßen Darstellungen, die sich vergleichen ließen. Deutschland nur besaß vielleicht Anfänge, die zu höchsten Schöpfungen einer Architekturdarstellung hätten führen können. Es genügt, an Altdorfers Geburt Mariä in der Augsburger Galerie zu erinnern, ein Bild, das von allem, was sonst auf- zuweisen wäre, den 150 Jahre später in Delft und Amsterdam gemalten Kirchenstücken am nächsten steht. Die Eindringlichkeit der Raumerfassung Altdorfer gebraucht noch jenes ungeheure Schwungrad, den dichten Engelkranz, der in die Tiefe hinunter und wieder zur Höhe empor wirbelt die erstaunlich optisch-subjektive Orientierung, das in schmalen Streifen fließende Licht und selbst Zufälliges, wie bestimmte Farben, alles dies läßt unmittelbar an Emanuel de Witte denken.

Was dagegen in Italien an Architekturdarstellungen erscheint (die Intarsien eingerechnet) gehört einem viel weiteren Kreise an, und vor allem die Prospektmalerei des italienischen Barock ordnet sich einem anderen Probleme unter, das mit dem engeren Begriff des Architekturbildes nichts zu tun hat. Es entsteht damit die Frage,

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Abb. 2. PIETER SAENREDAM, Neue Kirche in Haarlem

O Zeichnung im Amsterdamer Rijsprentenkabinett

was denn die Holländer in der Blütezeit ihrer Malerei unter Architekturbild ver- standen?

Houbraken, dessen Ausdrücke die des XVII. Jahrhunderts sind seine „Groote Schouburgh“ stellte er um die Wende zum XVIII. Jahrhundert zusammen sagt, wenn er von Architekturmalern spricht, daß sie „Ansichten von Tempeln und Kirchen“ malen. Um zum Beispiel de Witte als Architekturmaler zu bezeichnen, wird gesagt: „er stellte das Innere von Kirchen dar.“ Und derselbe Ausdruck wiederholt sich bei den übrigen Künstlern dieser Reihe.') In der Tat haben die Maler auf der höchsten Entwicklungsstufe der genannten Bildgattung fast ausschließlich Kirchenräume gemalt. Und auch auf früheren Stufen der Entwicklung ist das holländische Architekturbild im Wesentlichen: Kirchenstück. Andererseits hat schon das XVII. Jahrhundert weder Maler wie die Brüder Berckheyde oder Jan van der Heyde noch Pieter de Hood und andere zu den Architekturmalern gerechnet. (Abgesehen davon, daß die Berckheyde vereinzelt auch Kirchenstücke gemalt haben). Houbraken charakterisiert die Kunst des Gerrit Berckheyde einmal als „die Darstellung angenehmer Landschaften mit Häusern, großen Gebäuden und Kirchen, sowie auch perspektivischer Ansichten der beiderseits mit Bäumen bepflanzten Heerengracht und Kaysersgracht, die er mit zahlreichen kleinen Figuren staffierte“.) Also das Landschaftlihe wird durchaus in den Vordergrund gestellt. Man muß dies betonen, da auch aus dieser Charakterisierung des noch oft

1) Houbraken-Wurzbach (Wiener Quellenschriften) S. 54, 62, 123, 396. °?) Ebenda S. 362.

H. Jantzen. Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts 91

als Architekturmaler genannten Berckheyde hervorgeht, daß das XVII. Jahrhundert seinen Bildern eine gesonderte Stellung zuwies.')

Für das Architekturbild ergibt sidi demnach auf der höchsten Entwicklungsstufe, die zeitlih etwa das dritte Viertel des XVII. Jahrhunderts umfaßt, als wesentlicher Inhalt die Darstellung des Kirchenraumes. Zu Beginn des Jahrhunderts war das Problem weiter gefaßt, wie es schon ein erster Blick auf das Gegenständliche lehrt und wie es auch in der sprachlihen Benennung zum Ausdruck kommt. Das Architekturbild wird sprachlich als „perspectyff stuck“ oder ein- fach als „perspectyff“ begriffen, also ganz allgemein als ein Bild von starker per- spektivischer Wirkung. Es spielt noch ein wenig die Auffassung der Perspektivmalerei des XVI. Jahrhunderts hinein, deren auf stärkste Panoptikumillusion berechnete Kunst- stücke in ihrer Wirkung auf das Publikum van Mander gelegentlich der Biographie des Hans Vredeman so amüsant zu schildern weiß. Man malte zu Beginn des neuen Jahrhunderts zwar schon vorwiegend Kirchen- räume, aber doch nicht wirklich gesehene Kirchen, sondern beliebig erdachte Räume, deren perspektivishe Tiefenwirkung die Hauptsache war und denen gegenüber das Publikum sich verhielt, wie heute noc jene Galeriebesucher, die eine Perspektive durch die hohle Hand betrachten. Ferner malten diese Architekturmaler Gebäude- gruppen, Höfe, Säulenhallen von derselben bestimmten perspektivischen Wirkung wie Abb. 3. PIETER SAENREDAM, St. Bavokerk ihre Innenräume. Auch die Bewertung dieser A SEE Rini SOR S Arbeiten entsprach der angedeuteten Auf- fassung zu dieser Zeit auf merkwürdige Weise. Man suchte gleichsam die per- spektivishe Wirkung quantitativ zu fassen, indem man die Anzahl der dargestellten Pfeiler und Säulen berechnete. So verpflichtet sih der Architekturmaler Jan van Vucht

1) Die Berckheyde werden erst in einer Geschichte des StraBenbildes ihren richtigen Platz einnehmen. Wer sich einmal mit hollandischer Malerei des XVIII. Jahrhunderts beschäftigen wird, hat das Straßenbild notwendig als selbständige Bildgattung zu behandeln, dessen lange und interessante Entwicklung vom XV. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit sich verfolgen läßt und das für die Kenntnis hollandischer Malerei des XVIII. Jahrhunderts geradezu in erste Linie zu rücken ist.

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bei der Regelung einer Schuldabzahlung im Jahre 1635 unter anderem „een perspectyff stucken varı twaelf pilaertgens“ zu liefern, und ferner zu einer bestimmten Zeit „een stuck van acht ende veerstich pilaertgens“.')

Mit dem vierten Jahrzehnt setzt eine streng sachliche Auffassung des Kirchen- raumes ein. Der Haarlemer Pieter Saenredam, der vor allem hierher gehört, ist der sachlichste aller holländischen Architekturmaler. Er zuerst macht genaueste Aufnahmen bestimmter Kirchen, und von ihm sind daher auch eine Menge Zeichnungen erhalten, die alle mit größter Sorgfalt gearbeitet sind. Schon die Art, wie er genaueste Kontrolle über seine Arbeiten führt, charakterisiert die Persönlichkeit Saenredams, denn nicht nur die Jahreszahl, die Angabe des Gegen- standes findet sich stets bei ihm, sondern selbst das volle Tagesdatum. Auf seinen Zeichnungen vergißt er selten, den Ab- stand des Augenpunktes vom Boden an- zugeben. Oft kommen noch Notizen hin- zu, die sich auf die Geschichte der Zeich- nung beziehen, ob er ein Bild darnach gemalt habe, wann dies geschehen sei usw. Saenredam verdanken wir daher auch eine Fülle von architekturgeschichtlich wichtigen Darstellungen. So kennen wir, um nur ein Beispiel zu nennen, die zer- störte Utrechter Marienkirche, eine der bedeutendsten und schönsten omanischen Kirchen Hollands, vorwiegend aus Zeich- 3 nungen und Gemälden Saenredams. er ona | Aber nicht Saenredam gibt die höchste CR Entwicklungsstufe, sondern eine Gruppe von Malern, die um die Jahrhundertmitte in Delft arbeiten: Gerard Houckgeest, Hendrik varı Vliet und Emanuel de Witte. Jetzt ist nicht mehr sachliche Genauigkeit das Entscheidende, sondern die stärkste unmittelbare Raumwirkung. Während bei Saenredam der sachlich gegebene architektonische Charakter des Raumes noch unbedingt zur Geltung kommt, ist dergleichen bei den Delftern nicht zu suchen. Man fragt nicht mehr, in welcher Kirche bin ih? Es bleibt nur die Stimmung des Raumes unter der bestimmten Bedingung der Stunde und der Beleuchtung. Der Kirchenraum wird in allen seinen zufälligen Erscheinungen gegeben, die Lichteffekte fast bis zur völligen Zerstörung der Architektur ausgenutzt. Schon im XVII. Jahrhundert waren diese packenden Kirchenstücke de Wittes berühmt und der Künstler wird auch bei Houbraken als der bedeutendste Architekturmaler genannt.

Abb. 4. HENDRICK VAN VLIET, Deliter Kirche

Amsterdam, Rijksmuseum

1) Vgl. Oud Holland 1891, S. 40 ff.

Abb. 5. GERARD HOUCKGEEST, Neue Kirche in Delft z Brüssel, Galerie

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Abb. 6. EMANUEL DE WITTE, Inneres der Amsterdamer Oude Kerk O Amsterdam, Oude Kerk

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Es ist selbstverständlich, daß die Verschiebungen des gegenständlichen Interesses im Laufe des Jahrhunderts sich entsprechend der Problementwicklung des Architektur- bild& gestalteten, worauf hier nicht eingegangen werden soll. Festzustellen war nur, daß das Kirchenstük im Kernpunkt jener Entwicklung steht. Aber noch bleiben zwei Fragen: warum ist das Architekturbild im wesentlichen Kirchenstück und wie erklärt sich diese Bildgattung als Erscheinung gerade der holländischen Malerei?

Da ist zunächst die Tatsache, daß im Jahrhundert des Barock keine Malerei wie die holländische in gleihem Maße eine prinzipielle und intensive Auseinander- setzung mit dem Raume bedeutet. (Denn der Barockstil hat die allgemeine Tendenz, die bildenden Künste zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem Raume zu zwingen, wobei in verschiedenen Ländern eine Kunst die Führung nimmt: in Italien die Archi- tektur, in Holland die Malerei.) Fragt man, wo innerhalb dieser Tatsachen dem Maler der Raum am wirksamsten sich aufdrängen mußte, so wird die Antwort lauten: zuerst in der freien Landschaft (als ungeformter Raum), die den unmittelbaren Eindruck unendlicher Raumkontinuität weckte. Und andererseits in der Architektur (als geformter Raum), und deren durchgebildester Erscheinung: der Kirche, die wiederum den Raum als etwas unmittelbar Gegebenes zu Sinnen führte.

Das holländishe Architekturbild als Kirchenstück erklärt sich so als Problem einer Raumdarstellung, die ein faßbares, bestimmt durchgebildetes und den Beschauer allseitig umschließendes Raumvolumen zu bewältigen sucht. Ganz anders in Italien, wo die Architekturmalerei nicht wie im Norden das die Form erfüllende Raumvolumen darstellen will, sondern die Form selbst als plastische Begrenzung des Raumes. Diese Malerei hat daher ein vom Norden prinzipiell unterschiedenes Verhältnis zum Innen- raum überhaupt. Sie ist Darstellung einzelner Bauglieder oder AuBenarchitektur.

Nach dem Gesagten war es also weder nötig, daß Holland besonders schöne Kirchen noch daß es eine besonders entwickelte Architektur besaß, um doch die Heimat des Architekturbildes zu werden. Landschaft und Kirchenstück sind polare Gegensätze innerhalb der Gesamtentwicklung der holländischen Malerei, soweit sie auf Darstellung des Raumes ausgeht, und dies wird bestätigt, wenn der Nachweis geführt wird, daß die Entwicklungsabschnitte für das Kirchenstiick im großen und ganzen dieselbe Geltung haben sowohl für die Landschaft wie für das Seestück, den Wohnraum und jede andere Bildgattung.

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Abb. 1. RUSAFA-SERGIOPOLIS. GrundriB der Stadtanlage

O Aufgenommen von E. Herzfeld

Rusafa-Sergiopolis Von Friedrich Sarre

Zu den bemerkenswertesten wissenschaftlicien Ergebnissen meiner, in Begleitung von Dr. Ernst Herzfeld während der Wintermonate 1907/8 unternommenen Studien- reise nach Syrien und Mesopotamien gehòrt die Untersuchung der Ruinen von Rusafa- Sergiopolis.')

Der Ort liegt eine Tagereise vom mittleren Euphrattal entfernt an der von Sura (in der Nähe des heutigen el Hammam) in direkt nord-südlicher Richtung nach Cholle, dem heutigen Suchne, und dann SW. nach Palmyra-Tudmur führenden Kara- wanenstraBe, die von Diocletian chaussiert sein soll. Der Weg ist seit Jahrhunderten

1) Eine eingehende Behandlung des gewonnenen Materials wird eine in Vorbereitung befindliche Publikation der gesamten wissenschaftlihen Resultate der Reise bringen. An dieser Stelle sollen vorläufig nur die hauptsächlichsten Ergebnisse der Untersuchung von Rusafa mit- geteilt werden, in teilweiser Übereinstimmung mit einem auf dem Internationalen Historiker- Kongreß in Berlin (August 1908) gehaltenen, nicht veröffentlichten Vortrage.

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Abb. 2. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Nordtor, mittlerer Teil der Säulenfassade O

verlassen und vom Verkehr ausgeschaltet. Rusafa liegt heute im Gebiet der Aneze- Beduinen, die hier zeitweilig im Friihjahr, wenn die Steppe Futter bietet, mit ihren Herden lagern. Sie sehen Fremde in Rusafa, mit dessen Ruinen sie abergläubische Vorstellungen von Dämonen verknüpfen, nicht gern, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie einen Besuch gelegentlich mit Gewalt zu verhindern suchen würden. Dieser Umstand und weil im größten Teil des Jahres kein Wasser vorhanden ist, erklärt es, daß Rusafa trotz seiner verhältnismäßig kurzen Entfernung vom Euphrattal wenig bekannt ist, und daß die meisten Forschungsreisenden ganz von einem Besuche abstehen mußten. Auch die drei Reisenden, denen wir bisher einige wertvolle, sich teilweis ergänzende, Beobachtungen über Rusafa verdanken, Bernhard Moritz,’) der Dane J. Östrup °) und der Franzose Victor Chapot,*) die in den Jahren 1884, 1893 und 1901 in Rusafa waren, hielten sich nur stundenweise dort auf. Chapot ist der einzige gewesen, der ein paar photographische Aufnahmen der Ruinen angefertigt hat. So dürften die von Dr. Herzfeld und mir vorgenommenen Untersuchungen einen wesent- lichen Fortschritt in der Kenntnis der Ruinen von Rusafa bedeuten.

Das hohe Alter des an einer bedeutenden Heer- und Karawanenstraße gelegenen

1) Verhandl. der Ges. für Erdkunde zu Berlin. XIII (1886). S. 174 ff. |

*) Historisk-topografiske Bidrag til Kendskabet til den syriske Ørken. Akademiebericht. Kopenhagen 1895.

3) a) Bulletin de Correspondance hellénique. Paris 1904 (XXVII). p. 280ff. b) La Frontière de l'Euphrate. Paris 1907. S. 328 ff.

F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 97

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Abb. 3. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Nordtor, östlicher Teil der Säulenfassade O

Ortes erhellt aus seiner Erwähnung in assyrischen Urkunden, im zweiten Buche der Könige (19, 12) und bei Jesaja (37, 12); aber zu höherer Bedeutung, als in altorien- talischer und klassischer Zeit, gelangte Rusafa erst dadurch, daß hier im Beginn des IV. Jahrhunderts unter dem Kaiser Galerius Maximinianus der heilige Sergius den Märtyrertod erlitt.) Nach der Legende”) waren Sergius und sein Bruder Bacchus Vorsteher der Leibwache des Kaisers, der gerade in Syrien im Felde lag; sie wurden als Christen denunziert, weigerten sich, dem Jupiter zu opfern, und während Bacchus in Barbalissus, dem heutigen Meskene getötet wurde, schleppte man Sergius nach Sura, dann nach Rusafa und enthauptete ihn hier. Der Schauplatz des Martyriums wird in christliher Zeit ein besuchter Wallfahrtsort und empfängt den Namen Sergiopolis. Daneben erlischt der alte Name nicht, wird neben dem griechischen von den syrischen Christen beibehalten und später von den Arabern unter wenig veränderter Form wieder aufgenommen. Der Ort wird nach der Synode von Ephesus im Jahre 431 Sitz eines Bischofs und gehört als solcher zur Provincia Euphratensis, deren Hauptstadt Hierapolis, die Residenz eines Erzbischofs ist; schon zu dieser Zeit hören wir von einer angeblich von Constantin gegründeten Basilika des heiligen Märtyrers und von hohen Mauern, die sie umgaben. Sergiopolis-Rusafa spielt politisch in den Kämpfen zwischen den Ghassaniden und den Königen von Hira, zwischen Ostrom und Persien eine gewisse Rolle, die teils mit der geographischen Lage des Ortes an einer wichtigen Handelsstraße, teils mit den reichen Schätzen des Sergius-Klosters zusammenhängen mag. Der Kaiser Anastasius scheint dem Wallfahrtsorte Wohltaten erwiesen zu haben,

1) Nach Wetzer und Welte's Kirchenlexikon nicht vor dem Jahre 305. *) Analecta Bollandiana. Tom. XIV. p. 373 ff. Passio antiquior S S. Sergii et Bacchi.

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Abb. 4. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Nordtor O Detail vom westlichen Teil der Säulenfassade

ebenso Justinian, der nach dem nicht ganz einwandfreien Zeugnis des Procop (De aedificiis II) die bescheidenen Lehmmauern durch feste Steinmauern ersetzte, eine ständige Garnison hier stationierte, Kirchen und allerhand andere Gebäude errichtete.

Auch die persischen Sasanidenkönige schenkten dem Heiligtume ihre Gunst. Als Chosro I. Anushirwan, der Zeitgenosse Justinians, während seines ersten Römer- feldzugs das benachbarte Sura eroberte, gab er auf Bitten des Bischofs Candidus von Sergiopolis 12000 Gefangenen die Freiheit zurück; zwei Jahre später sandte er freilich, als das vom Bischof versprochene Lösegeld nicht gezahlt wurde, eine Exekutionstruppe nach Sergiopolis, die nach dem Bericht des Procop wegen Wassermangels wieder abziehen mußte. Im Gegensatz hierzu spricht der Kirchenhistoriker Evagrius') von einem Wunder des Heiligen. Als der König nach Auslieferung aller Kirchenschätze auch noch den silbernen Sarg mit den Gebeinen des Märtyrers verlangt hätte, da hätten sich plôtzlich die Mauern der Stadt mit himmlischen Heerscharen belebt und eine eilige Flucht des feindlichen Heeres veranlaßt.

Der zweite Chosro, Chosro Parviz, der bekanntlim dem christlichen Glauben zuneigte, erwählt sich den heiligen Sergius gleichsam zu seinem Schutzpatron. Er sendet das mit Edelsteinen besetzte goldene Kreuz, eine Weihgabe Justinians und der Theodora, das sein Großvater entwendet hatte, wieder zurück und begleitet seine

') Historia ecclesiae lib. 4. c. 28; lib. 6. c.21.

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F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 99

Abb. 5. RUSAFA-SERGIOPOLIS, AuBenansicht der Sergius-Basilika D

wiederholten Gaben mit Briefen, in denen er den Schutz des Heiligen sowohl in politischen wie in rein persönlichen Angelegenheiten erbittet.!)

Auch zu islamischer Zeit bleibt Sergiopolis-Rusafa ungestört als Wallfahrtsort bestehen; und trotzdem die Stadt unter dem Omajjaden-Chalifen Hisham (724— 743 n. Chr.) und unter seinen Nachfolgern Walid II. und Jezid Ill. zeitweilig ihrer gesunden Lage wegen Residenz ist, erhält sich der christliche Glaube des größten Teils der Be- völkerung.

Diese Omajjaden errichten hier, vor allem Hisham, den die Nachricht seiner Wahl zum Chalifen in Rusafa erreicht, eine Reihe von Bauten und legen Zisternen an. Hisham stirbt in Rusafa und soll ebenso wie andere Omajjaden hier begraben sein. Nach dem Sturz der Omajjadenfamilie werden hier sowohl wie in Damaskus im Jahre 750 die Gräber der verhaßten Rivalen von den triumphierenden Abbasiden zerstört und die Leichname geschändet. Auch unter den Abbasiden ist Rusafa, dessen gesunde Lage bei Epidemien besonders geschätzt wird, zeitweilig Chalifenresidenz. Emin, ein Sohn Harun al Rashids wurde hier geboren. Noch in der Mitte des XI. Jahrhunderts residiert ein Bischof in Rusafa, bei dem der gelehrte christlidie Bag- dader Arzt Ibn Batlan auf seiner Reise nach Agypten zu Gast ist; die Bewohner leben hauptsächlich, wie er erzählt, von dem Schutz und dem Geleit, die sie den vorüber- ziehenden Karawanen gewähren; °) erst der verheerende Mongoleneinfall Hulagus vom Jahre 1247, die sich daraus ergebende Vernichtung des Handels und die allgemeine Ver- armung Syriens veranlassen die Bewohner, die Stadt zu verlassen und in westlich gelegenen syrischen Städten Zuflucht zu suchen. Seit dieser Zeit ist Rusafa-Sergiopolis unbewohnt, und dadurch sind seine Denkmäler bewahrt worden vor friedlicher Zerstörung.

Die Gebäude von Rusafa, die in einer Höhe von ungefähr 1—1'/, m verschüttet sind, sind aus jenem schiefrigen Gips errichtet, der die Formation des mittleren Euphrattales bildet. Er ist wie Marienglas durchscheinend, weiß mit gelben und rôtlidien Schichtlinien, läßt sich leicht mit dem Messer bearbeiten und nimmt in der

*) Jakut. II. 784, 13 ff. Herausg. von F. Wistenfeld.

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Abb. 6. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Grundriß der Sergius-Basilika

C Aufgenommen von E. Herzfeld

Verwitterung einen metallishen Gold- und Silberton an, der die Ruinen, besonders im Sonnen- und Mondlicht, mit einem eigenartigen Glanz und Schimmer umgibt. Die durch Wall und Graben beschiitzte Mauer umgibt ein unregelmäßiges Viereck von ungefähr 350 und 250 m Seitenlänge (Abb. 1); nur die bedeutendsten Gebäude, darunter zwei größere Kirchen und mehrere Zisternen, liegen innerhalb der Mauer, hinter der die Bevölkerung während einer Belagerung Schutz fand, während im Umkreise auBerhalb gelegene Steinruinen und Schutthügel die weitere Ausdehnung der Stadt bezeichnen. Möglicherweise ist eine zweite äußere Befestigung, wie wir sie von Hatra und Haragla kennen, vorhanden gewesen. Der Anlage des römischen Lagers entsprechend, enthält jede Seite des Mauervierecks ein Portal; das aber in der Nord- und Süd-Mauer nicht in der Mitte, sondern den beiden Hauptkirchen gegenüber angelegt ist. Nach außen springen aus der ca. 4 m hohen Mauer kleinere und größere rechteckige oder auch im Grundriß dreieckig geformte Türme in ungleichen Abständen vor und sind nur an den vier Ecken durch Rundtürme ersetzt. Im Innern sind der 1 m starken, zweigeschossigen Mauer Arkadenbögen vorgelegt, die durch Öffnungen mit einander verbunden, einen fortlaufenden Wehrgang bilden, von dem aus sich Schießscharten nach außen hin öffnen; eine Befestigungsart, die uns von der Aurelianischen Mauer in Rom bekannt ist. Die Frage, ob diese Arkadenmauer orientalischen Ursprungs ist, kann hier nicht erörtert werden. Aurelian sowohl wie Hadrian, der Cilurnum

Abb. 7. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Sergius-Basilika ti Innenansicht mit Apsis

Abb. 8. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Sergius-Basilika g Südwand des Mittelschiffs

102 Monatshefte für Kunstwissenschaft

in der Bretagne in dieser, sonst im Occident ungewöhnlichen Weise befestigt hat,') haben sich lange im Orient aufgehalten.

Von ganz besonderem Interesse ist das schon erwähnte Nordtor (Abb. 2—4), dem ein rechteckiger, durch Turmbauten flankierter Vorhof vorgelagert ist, eine Pracht- anlage von ungewohnlich reicher Wirkung. Vor der dreitorigen Fassade tragen 6 Säulen über architravartigen Kämpferstücken 5 Bogen von verschiedener Spannweite. Ein auf Tierkonsolen ruhendes Sima-Gebälk darüber bildet den oberen Abschluß dieser stark östlih empfundenen Architektur, deren Einzelformen, die reichen korinthischen Kapitelle, das Profil des Kämpfers, die Bogen mit Weinlaubranke, Mäanderzahnschnitt und Palmettenmotiven aus den Abbildungen ersichtlich sind. Wir werden später darauf zurückkommen.

Von größter Bedeutung ist die Hauptkirche von Rusafa, die im S.O. gelegene Basilika des Heiligen Sergius. Der äußere Anblick (Abb. 5) der Ruine wird durch rohe, später hinzugefügte massive Anbauten gestört; man erkennt aber auch hier schon die drei großen, auf Kreuzpfeilern ruhenden und aus zwei Steinreihen bestehenden Bogen des

rundbogige Fensterreihe, an der außen und innen auf Konsolen ruhende Säuldien vorgekragt sind. In seiner ersten Anlage ist das Ge- bäude eine dreischiffige Pfeiler- basilika mit Narthex, hufeisenför- Abb. 9. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Stuckfries in der Miger Apsis und zwei seitlichen = Apsis der Sergius-Basilika quadratischen Räumen (Abb.6). Be- Fu merkenswert sind die Fenster der Apsis (Abb. 7) und die zahlreichen Türöffnungen des nördlichen Seitenschiffs. Die Formen der Pfeilerkapitelle und dann vor allem die Zugänge von den Seitenschiffen zum Diakonikon und zur Prothesis, drei von Säulen getragene, reich profilierte Bogen- stellungen zeigen große Übereinstimmung mit der Fassade des Nordtores und erinnern an ähnliche Anlagen, wie z. B. die Porta aurea in Spalato. Die kleinen Seitenräume neben der Apsis sind dreigeschossig, und zeigen im obersten Geschoß merkwürdige, von Säulen getragene Ecknischen, wie sie in ähnlicher Weise bei dem von Strzygowski untersuchten Roten Kloster von Sohag in Oberägypten vorkommen.*) Daß aber hier, wie es dort der Fall ist, eine Kuppel die Bedachung gebildet hat, scheint technisch ausgeschlossen zu sein. Ein späterer Umbau der Sergius-Basilika füllte die sechs großen seitlichen Bogen des Mittelschiffs und den Eingangsbogen vom Narthex durch je zwei kleinere, auf Säulen ruhende Bogen aus (Abb. 8). Hierbei verwandte man ältere Werkstücke aus

1) L. Homo: Essai sur le règne de l'empereur Aurélien. Paris 1904. p. 289. *) Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte. Leipzig 1903. Abb. 81, 82.

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F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis. 105

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Abb. 10. RUSAFA-SERGIOPOLIS, GrundriB der Zentralkirche G Aufgenommen von E. Herzfeld

Stein und auch gebrannte Ziegel; die neuen Kapitelle in der Form von sogen. Bossen- kapitellen fertigte man aus einem rosigen Kalkstein; sie zeigen mit ihren zwei Blatt- kränzen die geschlossenere Formgebung einer späteren Zeit und sind deshalb besonders interessant, weil auf ihnen, teilweis von rechts nach links geschrieben, Inschriften an- gebracht sind. Die eine, mehrere Male vorkommende Kapitellinschrift lautet: „émi Zepyiov Érrioxbrtov tod ovvyevods Mapwwriov rod Xwpenıoxönov“.

Es wird also als Bauherr ein Bischof Sergios, der Zeitgenosse eines Erz- bischofs (von Hierapolis) Maronios genannt. Eine zweite, nur einmal, links neben der Apsis vorkommende Kapitellinschrift tragt auf den drei sichtbaren Seiten die Worte: äyıos Zéeyios näcı. In der Wölbung der Apsis, deren fächerförmige, in den Stein gegrabene Verzierungen beweisen, daß an einen Mosaikschmuck nicht gedacht werden kann, sind Spuren einer späteren, in Stuck ausgeführten Verzierung vorhanden. Es handelt sih um einen sehr reizvollen ornamentalen Fries mit palmettenartigen Gebilden (Abb. 9), dessen Verwandtschaft mit den Stuckdekorationen des Klosters Deir es-Suriani in der sketischen Wüste auffallend ist!) Auf den mesopotamischen Ursprung der hier in Ägypten vorkommenden und aus dem Jahre 913/14 stammenden

') J. Strzygowski: Mschatta. Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunstsammlungen. 1904. Abb. 109. 8

104 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 11. Rusafa-Sergiopolis, äußere Apsiswand der Zentralkirche

Formen hat Strzygowski (a. a. O. S. 341 ff.) hingewiesen, und die Richtigkeit seiner Hypothese wird durch den Fries von Rusafa erhartet. Wir möchten diese Stuck- dekoration in die Mitte des XI. Jahrhunderts setzen. Zur selben Zeit, im Jahre 1048, spriht der schon erwähnte Bagdader Arzt von den vergoldeten Stuckdekorationen einer Kirche, die Constantin, der Sohn der Helena, gebaut hatte. Ohne Zweifel ist mit dieser Kirche die Sergius-Basilika gemeint, und der erwähnte Stuckfries in der Apsis ist ein Rest der von Ibn Batlan gesehenen Stuckdekoration. Als Erbauungszeit kann natürlich für die Sergius-Basilika die Zeit Constantins nicht in Frage kommen; ihr Stil, wie er in den ornamentalen Formen der ersten Bauperiode zum Ausdruck kommt, ist derselbe wie der des Nordtores.

Es sei darauf hingewiesen, daß Strzygowski, welcher auf Grund der von Chapot hergestellten Aufnahme der Sergius-Basilika, die er wiedergibt, an eine einheitliche Entstehung des Gebäudes zu denken scheint, „den massiven orientalischen Bau mit dem bezeichnenden Stiitzenwechsel“ als orientalischen Typus der römischen Säulen- basilika gegenüberstellt, und seine Verwandischaft mit dem mittelalterlichen Kirchenbau geltend macht.')

In der Sergius-Basilika von Rusafa mit ihren vielen seitlichen Eingängen möchte ici die Gemeindekirche des Wallfahrtsortes erbliken, während die zweite, größere Kirchenanlage von sehr ungewöhnlichem, zentralem GrundriB im NW. des Mauer- vierecks vielleicht als Martyrium, als die Grabeskirche des Heiligen, zu betrachten ist. Die Erhaltung ist bis auf die Apsidenwand eine ziemlich schlechte, trotzdem ist es Dr. Herzfeld gelungen, auch ohne Grabung aus dem hier und da noch anstehenden Mauerwerk den GrundriB mit Sicherheit zu erkennen (Abb. 10). Wir werden an ähnliche merkwürdige Zentralbauten Nord-Syriens, an das ovale Oktogon von Con- stantina, dem heutigen Wiransheher, an Kalat Sem’an, das Heiligtum des Simon Stylites, und an die justianische Kirche in Kasr ibn Wardan erinnert. Der dreischiffige basilikale Typus ist auch hier noch unverkennbar; die wiederum im GrundriB und AufriB hufeisenförmig gestaltete Apsis in syrischer Weise mit drei Achteckseiten aus-

1) Die Schicksale des Hellenismus in der bildenden Kunst. Neue Jahrbücher des klassisch. Altertums. 1905. S. 19 ff. |

F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 105

Abb. 12. RUSAFA-SERGIOPOLIS, innere Apsiswand der zer

gebaut und von den üblichen rechteckigen, mehrstöckigen Seitenräumen flankiert; auch diese haben wiederum kleine hufeisenförmige Apsiden und bilden so selbständige Martyrien, die nach außen rechteckig aus der Apsidenwand vorspringen (Abb. 11). Das Mittelschiff ist kleeblattförmig gestaltet und wird umgeben von den beiden Seiten- schiffen und dem Narthex, die gleichsam einen Umgang bilden und der Kleeblattform entsprechend mit je drei Achteckseiten vorspringen. Die geringe Stärke der Mauern läßt die Vermutung nicht zu, daß das Mittelschiff mit einer Kuppel überwölbt war, auch die Kleeblatt-Vorbauten können nicht wie die Apsis mit steinernen Halbkuppeln überwölbt gewesen sein. Am besten ist, wie gesagt, die Apsiswand erhalten, an der sih im Süden ein umfangreicher Anbau angliederte. Außerordentlich reich sind die Schmuckformen des Inneren (Abb. 12). Ein Gesims umzieht den Bogen des Apsis und umgibt sie unterhalb der Wölbung; auch die Pfeilerkapitelle mit Guirlanden zwischen den Akanthusblättern sind besonders prächtig. Diese Formen stimmen genau mit den uns schon vom Nordportal und von der ersten Periode der Sergius-Basilika bekannten überein.

Diese Übereinstimmung kommt am besten in der Umrahmung der kleinen Seitenapsiden zum Ausdruck (Abb. 13). Hier wiederholen sich die aus einer Vase emporsteigenden Weinlaubranken, der Zahnschnitt in Mäanderform, dieselben paarweis angeordneten und durch gesprengte Palmetten getrennten Pfeifen; die Mitte bildet auch hier das von einem Blattkranz umgebene Kreuz. Diese Ornamentation ist ein präg- nantes Beispiel für den hellenistisch-orientalischen Stil, wie er sich seit dem Il. und III. Jahrhundert in dem östlichen Mittelmeergebiet entwickelt, und bei dem an die Stelle der plastischen Durchbildung rein dekorative, auf dem Kontrast von Hell und

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Abb. 13. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Zentralkirche, Apsisdekoration im Diakonikon ©

Dunkel berechnete Wirkungen treten; die in der Antike übliche Modellierung der Ornamente ist einer flächenhaften Behandlung gewichen, bei der sich die Zeichnung hell von dem dunkelen, ausgestochenen Grunde abhebt.

Wir übergehen die unbedeutenden Gebäuderuinen und Zisternen, die sich sonst innerhalb des Mauervierecks befinden, und erwähnen nur noch kurz eine außerhalb, im Norden gelegene kleine Kirche; eine Zentralanlage mit Vorhalle und hufeisenförmiger Apsis (Abb. 14). Die Kreuzarme sind mit massiven Tonnengewölben, die quadratischen Eckräume mit Kuppeln gedeckt, während über dem quadratischen Mittelraum, wie der schuttfreie Boden und der Mangel jedes Ansatzes von Eckzwickeln zeigen, keine Steinkuppel-Wölbung vorhanden gewesen sein kann. Eine geradlinige Verdachung oder eine Holzkuppel sind hier anzunehmen. Eine Holzkuppel scheint mir sehr möglich zu sein; wissen wir doch, daß in Antiochia die Steinkuppel des Oktogons Constantins, als sie im Jahre 526 durch ein Erdbeben einstiirzte, durch eine hdlzerne Kuppel ersetzt wurde. Die bei unserem Zentralbau vorkommenden Pfeilerkapitelle mit ihren bossenartigen Dreiblattkränzen | stimmen mit den Kapitellen vom Umbau ls mes der Sergius-Basilika auffallend überein, so OF" UL Mh i ge k , À

daB eine gleiche Erbauungszeit angenommen werden kann.

Abb. 14, RUSAFA-SERGIOPOLIS, Zentralkirche Welcher Zeit gehören diese Denk-

vor der Nordmauer o n + : i 5 Aufgenommen von E. Herzfeld Mäler von Rusafa, die beiden Hauptkirchen

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F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 107

und die Befestigung an? Wer ist der Bauherr dieser einen gemeinsamen Charakter tragenden, imposanten Ausgestaltung des Sergius-Heiligtums, dessen erste Griindung vielleicht noch auf Constantin zurückgeht? Wir kennen den Zeitpunkt der Gründung der ersten Sergiuskirche am Märtyrerorte selbst nicht, wohl aber den einer Kirche des Heiligen in Eitha, der in das Jahr 354 fällt. Vielleicht trägt eine Stelle bei Georg von Cypern (883) zur Klärung dieser Frage bei; sie lautet: „Zepywoünolıs tou Araoramovmolıs, i oruegov ‘Parragé, Evia Euaprignoev 6 yros Xégyios.“

Wenn hiernac der Ort den Namen Avaoramovno)ıs führte, d. h. wegen besonderer, vom Kaiser Anastasius empfangener Gunstbezeigungen nach ihm genannt worden ist, so liegt die Vermutung nahe, daß es der Kaiser Anastasius (491 —518) gewesen ist, der vor Beginn der Perserkriege, also in dem Jahrzehnt von 491 bis 501, nach einheitlihem Plan die beiden Hauptkirchen und die Befestigung des Wallfahrts- ortes herstellen ließ, die Procop dem Justinjan zuschreibt. Dieser letztere Kaiser mag dann bei der systematisch vorgenommenen Verstärkung der östlichen Reichsgrenze auch die fortifikatorischen Anlagen von Rusafa ausgebessert haben; die ursprüngliche Maueranlage mit dem nördlichen Prachttor geht auf eine frühere, mit der Errichtung der Kirchen zusammenfallende Zeit zurück und zeigt einen von den justinianischen Befestigungen ') vollständig abweichenden Charakter. Der Umbau der Sergius-Basilika dürfte 100 bis 200 Jahre später sein, aus dem VI. bis VII. Jahrhundert stammen. Dafür spricht die Formgebung der Kapitelle, dafür die beiden auf ihnen befindlichen griechischen Inschriften. Vielleicht gelingt es, den hier genannten Bischof Sergios von Sergiopolis und den gleichzeitigen Erzbischof Maronios von Hierapolis zu identifizieren und damit den Umbau der Basilika sicher zu bestimmen. Der gleichen Zeit gehört im Norden außerhalb des Mauervierecks die kleine Zentralkirche an.

Einen Teil der Reste der Chalifenbauten werden wir nicht innerhalb des Mauer- vierecks es blieb mit seinen Heiligtümern auch zu islamischer Zeit wohl hauptsächlich der christlichen Bevölkerung reserviert sondern außerhalb, unter den vielen, hier liegen- den Schutthügeln zu suchen haben. Eine systematische Untersuchung und Ausgrabung der Ruinen von Rusapha-Sergiopolis dürfte nicht nur für die christliche, sondern auch für die islamische Kunstgeschichte von nicht geringer Bedeutung sein. Auch die Schwierigkeiten der Wasserversorgung könnten durch regelmäßig zwischen dem Euphrat und Rusafa hin und hergehende Kameltransporte gehoben werden.

1) Sicher aus Justinians Zeit stammen die mächtigen Befestigungen des östlidı von Rusafa am Euphrat gelegenen Ortes Halebije-Zenobia, dessen Ruinen von Dr. Herzfeld und mir gleidı- falls aufgenommen und untersucht worden sind.

F

Abb. 1. Der Tod des Cato Ci

Catania, Museo dei Benedettini

Charakterköpfe des Seicento

Von Hermann Voss III Der Meister des sterbenden Cato.

Als Ausgangspunkt zur Aufstellung dieses Kiinstlers wahle ich ein Bild des Museums zu Catania, das den Tod Catos darstellt. Jeder, der dies Gemälde mit der Turiner „Gefangennahme Simsons“ vergleicht, wird erkennen, daB hier die unmittel- barste Beziehung zu Matthäus Stomer vorhanden ist: nicht nur, daß die gesamte Bild- wirkung infolge des verwandten Herandränges der Leute von der Seite auf einen nackt hingelegten Mann bei ähnlichen Relationen der Figuren zur Bildfläche, ähnlichem Arrangement des Vorhangs, des Lagers usw. in auffallender Weise mit dem Simson zusammengeht, man fasse auch die Einzelheiten in der Zeichnung, Kostümierung, Ge- bärdensprache der Personen ins Auge und man wird nach den bloßen Abbildungen leicht urteilen, beide Darstellungen müßten von einer Hand herrühren.

Allein die Autopsie der beiden Gemälde korrigiert diese zuweitgehende Meinung schnell und gründlih. Es ist das Kolorit und die Technik, wo die außerordentlichen Unterschiede liegen. Im Gegensatz zu Stomer gibt sich das Gesamtkolorit des Cata-

H. Voss. Charakterköpfe des Seicento III 109

Abb. 2. MATTHAUS STOMER, Gefangennahme Simsons

Turin, Pinacoteca Reale O

neser Bildes eher kühl, die Technik ist weitaus trockener und entfernt sidi ganz von niederländischen Vorbildern. Die am meisten hervortretenden Töne wären -etwa ein Weinrot (im Vorhang), ein Graublau, weiter Orange, Hellblau und (bei Cato) ein röt- lihes Karnat. Leider ist der Zustand des Bildes wie bei vielen Gemälden der Insel sehr schlecht; die Farbe ist noch blasser denn ehemals; breite Sprünge durchziehen die Oberfläche der Malerei.

Ein näheres Eingehen auf die Zeichnungsweise weist ebenfalls auf bedeutende Abweichungen von der Art des Stomer hin; an die Stelle der niederländischen Sorg- falt tritt eine breitere, weniger ängstliche Behandlung, zumal der Gewandungen und Draperien, aber auch des Anatomischen. Sehr eigenartig ist die gleichsam in breiten Tupfen oder Flecken arbeitende Technik, in der etwa die Füße des Knaben, sowie die Gesichter und Hände der Übrigen gegeben sind; an ihr kann man den Meister mit am sichersten wiedererkennen.

Ganz deutlich von der gleichen Hand wie der sterbende Cato rührt her eine halb- figurige Darstellung mit Tobias, der den blinden Vater heilt, ein farbig und technisch absolut übereinstimmendes Bild des gleihen Museums. Entfernt sich schon jenes erste Gemälde nmierklich vom Stile des Stomer, so erscheint in diesem die Verbindung mit ihm noch um ein Beträchtliches lockerer. Der Künstler hatte bereits in jenem Gemälde gewagt die bei Stomer unentbehrlihe Kerzenbeleuchtung wegzulassen; er führt nun- mehr ein scharfes, von der linken Seite kommendes natürliches Licht ein, das durch dunkle Wolken hervorbricht. Eigentümlich wirkt, wie auf der Wange des Engels

110 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

{und ebenso auf der des Tobias) sich die Helligkeit scharf gegen den Schatten abzeichnet, wie beim Engel Schlagschatten hinter den Locken und dem Ohr (in Dreiecksform) hervortreten, und das Profil sidi im Dunkel verliert. Wie auch bei Stomer gelegent- lich, neigen sich die Köpfe voll Spannung vor; doch ist die Bewegung von größerer Heftigkeit als bei dem niederländischen Meister. Die Köpfe der Gestalten selber, ob- gleich ursprünglich an Stomersche Typen angelehnt, verraten doch eine starke persön- lie Note; zumal ein Gesicht wie das des Tobias liegt von dem niederländischen Vor- bild weit ab. Ebenso ist die Behandlung des Raumes eine andere, freiere, von der etwas monotonen Art Stomers angenehm abstechend. Letzte Residuen jenes nun über- wundenen Einflusses erkennt man nod in Einzelheiten wie etwa der Art, in der die Haare und das runzelige Fleisch der Alten gebracht sind (cfr. den Kopf des Vaters des Tobias mit dem des Nikodemus in Darmstadt). Ebenso verraten die Drapierungen der Gewänder in ihren großen, etwas laschen, dabei ausgezeichnet charakterisierten Falten noch den Stil des Vorbildes; allerdings möchte ein so prachtvoll studierter Ge- wandwurf wie der des Vater Tobiae bei Stomer nirgends zu finden sein.

Mit großer Bestimmtheit erkenne ich die künstlerischen Charakteristika der beiden Cataneser Bilder wieder in einem umfangreichen und sehr auffälligen „Christus unter den Schriftgelehrten“ der Münchener Pinakothek, der früher für einen Honthorst galt, neuerdings aber als „holländische Schule von 1620“ 1) angesprochen wird. Die (entfernte) Beziehung zu Honthorst war also längst beachtet worden; und der Katalog verfolgte die richtige Spur, als er (in einer kurzen Bemerkung) auf die oben besprochene Unterredung Christi mit Nikodemus (Darmstädter Museum) hinwies. Denn die Fäden, die sich von Stomer zum Meister des Sterbenden Cato hin- und herüberspinnen, haben in der Tat auch dieses Bild mit jener Darmstädter Darstellung verwoben. Freilich er- laubt uns die jetzt so erweiterte Materialkenntnis nicht mehr dem Verfasser des Kata- logs zuzustimmen, wenn er das Darmstädter Bild dem gleichen Meister geben will: jene nächtliche Unterredung mit ihrem typischen Kerzenschein, mit all den charakteris- tischen Köpfen und Akzessorien Stomers und ihrem engen Verhältnis zu der Neapler Serie ist nunmehr keinen Augenblick mehr aus dem Werke des Niederländers wegzu- nehmen. Auch wird man die Ähnlichkeiten in diesem speziellen Falle nicht mehr ganz so schlagend finden, und gerade die Gegenüberstellung wird noch stärker auf die beträchtlichen Unterschiede beider Meister hinführen. Denn tatsächlich tobt in diesen so lebhaft agierenden Händen, diesen erregten, gelegentlich verzerrten Gesichtern, eine Leidenschaft, ein inneres Feuer, das sih nur mühsam mit den fast phlegmatischen Requisiten des nordischen Lehrers begnügt.

Was vor allem gänzlich von Stomer abweicht, ist auch hier Technik und Kolorit. Die etwas runzelige Beschaffenheit der Oberfläche erinnert lebhaft an die Cataneser Bilder, ebenso die gemischten, kühlen Töne, die dem gelbrötlichen Gesamtton, dem intensiveren Helldunkel des Niederländers entgegengesetzt sind. Auch im Gewandstil

1) Versuchsweise, nach Vorschlag von Dr. Buchheit, im neuesten Katalog ,Baburen“ ge- nannt. Indessen scheint mir die Ahnlichkeit mit dem Stiche dieses Caravaggioschülers mehr eine allgemeine zu sein.

H. Voss. Charakterköpfe des Seicento III 111

Abb. 3. Meister des sterbenden Cato, Tobias heilt seinen blinden Vater D Catania, Museo dei Benedetti

bemerkt man sehr deutlich die charakteristischen Unterschiede der beiden Künstler; der Meister des Cato verzichtet auf die exakt durchmodellierten, wulstigen, sehr stark stofflih empfundenen Gewänder des Vorbildes: seine Draperien sind linearer, mehr auf den Gesamteindruck und die Monumentalität der Wirkung gearbeitet, wie man es an dem Gewande des jugendlichen Jesus beobachten kann.

Ich glaube aus all diesen Unterschieden, die nicht bloß individuell, sondern typisch sind, folgern zu dürfen, daß dieser zweite Meister nicht Niederländer, sondern Sizilianer war. Die Technik ist es, die ein Künstler, der lange im Auslande arbeitet, am wenigsten ablegt; er kann in den Gegenständen, den Typen, den Kompositionen, ja im Temperamente sich aufs engste an seine neue Umgebung anscließen (wie das bei Stomer tatsächlich der Fall ist): im Technischen verleugnet er den Ausländer niemals gänzlih. Eben diese Technik aber ist es, die in den wenigen Bildern des Catomeisters durchaus italienisch ist; nicht so sehr in Komposition oder Typen liegen die beim ersten Anblick maßgebenden Verschiedenheiten, sondern in dem technisch-koloristischen Ge- samteindruck. Es kommt eines hinzu, das mich in dieser Ansicht bestärkt. Denn außer den durch Stomer vermittelten Honthorstschen Zügen offenbaren die 3 Bilder einen andern, sehr vernehmlich sich meldenden Einfluß, den des Caravaggio. Der Künstler muß die Werke, die der große lombardische Meister während seiner „Ver- bannung“ in Sizilien geschaffen hatte, gekannt und studiert haben. Ich möchte das Münchner Bild in Beziehung setzen, seinen kompositionellen Eigentümlichkeiten nach,

112 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

zu der im Museum zu Messina befindlichen „Geburt Christi“ Caravaggios,!) einem durch gleichzeitige Quellen wohl beglaubigten Werk des Lombarden. Das Herein- dringen der Hirten, die Anordnung ihrer Köpfe in verschiedenen Höhen und Neigungen, das Vorstrecken der Hälse entspricht in außerordentlihem Maße dem, was das Münchner Bild in den Schriftgelehrten gibt; auch das Herankommen der Gestalten aus dem Dunkel stimmt beiderseitig zueinander. Dabei handelt es sich um Züge, die so in den Werken Stomers nicht vorkommen; dieser gibt eine größere Gleichmäßigkeit in den Kompositionen und vermeidet so kühne diagonale Bewegungen und Verkürzungen, wie sie uns schon in dem Tobiasbilde, mehr aber noch in dem Münchner Gemälde auf- fallen. Auch für seine Typen hat der Künstler von Caravaggio mancherlei gelernt; seine Modelle sind interessanter und noch bedeutend rassenechter als jene des Nieder- länders; die Auffassung ist breiter, monumentaler, ohne die beim Nordländer unerläß- lichen Stillebeninteressen. Einige Köpfe, wie der des Schriftgelehrten links von dem Mann mit dem Turban scheinen direkt aus dem Siracuser Gemälde Caravaggios (Begräbnis von S. Lucia, in S. Lucia f. l. m.) genommen zu sein: der starr dastehende Jesus ist in seiner echt südlichen Monumentalität angelehnt an den in ähnlicher Pose gebrachten Christus auf Caravaggios Auferweckung Lazari im Museum zu Messina.

Die Frage, ob vielleicht ein persönliches Verhältnis zwischen dem Catomeister und dem Lombarden bestand, muß mit Wahrscheinlichkeit verneint werden, denn Cara- vaggio weilte sehr früh, um 1608, in Sizilien, während unser Künstler, der offensicht- lich zunächst an Stomer angeknüpft hat, seine Schulung erst mehrere Dezennien später genossen haben kann. Dazu kommt, daß sich der lombardische Meister in Sizilien überhaupt nur kurze Zeit und an verschiedenen Punkten aufgehalten hat, mithin in dieser wilden Periode seines Lebens wenig dazu angetan war, Schüler auszubilden Nur der ihm längst vertraute Lionello Spada, sein Gehilfe und „Compagno di vizi“, sowie (nach Hackert) Mario Menniti (den er gleichfalls seit Rom kannte) begleiteten ihn und blieben nachher noch auf der Insel zurück.

Ob aber unser Künstler vielleicht mit Lionello Spada bekannt geworden ist? Ich möchte diese Frage, ohne sie doch mit Wahrscheinlichkeit bejahen zu können, wenigstens aufgeworfen haben. Nur einen Hinweis auf eine solche Beziehung wage ich mit Vorsicht zu geben; eine dem Spada attribuierte „Judith“ des Museums zu Bologna (Nr. 671) besitzt, wie ich schon früher bemerkt hatte, starke Beziehungen zum Meister des Cato. Ob das Bild gar in das „Werk“ unseres Künstlers aufzunehmen ist? Sicher hat der Stil für Spada manches Befremdliche, umsomehr als eine stilistisch viel einwandfreiere Judith in Parma (Galerie) recht abweichend ist allein die Ge- fahr einer Täuschung ist bei dem bisherigen mangelhaften Material zu groß, um hier ein bestimmtes Urteil zu erlauben. Immerhin möchte ich auf das leider in dem dunklen Korridore der bologneser Galerie aufgehängte Bild aufmerksam gemacht haben, da es für künftige Untersuchungen über die Person des Meisters wertvolle Anhaltspunkte bieten könnte. Ein anderes Gemälde weise ich dem Meister mit Sicherheit zu, näm-

!) Leider ist über das Schicksal dieses herrlichen, eindrucksvollen Gemäldes ebensowenig etwas bekannt geworden, wie über das andere Bild Caravaggios ebenda, die Auferweckung desLazarus.

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Charakterköpfe des Seicento III

H. Voss.

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114 Monatshefte für Kunstwissenschaft

lih die „Anbetung der Könige“ in Rouen, dort Farinato genannnt. In Farben und Typen sind hier die Beziehungen zu dem Münchner Bild besonders eng. Leider bin ich vorläufig nicht in der Lage eine Abbildung dieses interessanten Werkes zu bringen.

Einstweilen besteht wenig Aussicht den auf stilkritishem Wege gefundenen Meister mit einem der überlieferten Namen in Einklang setzen zu können. Die sizilische Kunstgeschichte bietet sowohl in ihrer Gesamtheit wie ganz vornehmlich in dem uns hier interessierenden Teile noch schwierige Probleme; und die Menge der eingewanderten oder verzogenen Meister, über die nur ungenügendes Material vorliegt, hindert noch besonders die Erkenntnis der Zusammenhänge.

Es kommt als weitere Schwierigkeit hinzu, daß die hier besonders in Frage kommenden Archive von Messina sich in keinem besonders erfreulihen Zustande befinden, und daß die Erhaltung der Gemälde eine durchgehends mangelhafte ist abgesehen davon, daß vieles, was wichtig wäre, nicht mehr aufzufinden ist, da es unbekannt, wann und wie den Weg ins Ausland genommen hat. Nur ein syste- matisches Vorgehen der lokalen Forschung verspricht uns unter diesen Umständen eine größere Klärung, deren das gesamte hier behandelte Gebiet noch dringend bedarf.')

Mit einem Blicke auf besondere Eigentümlichkeiten der sizilianischen Kunstge- schichte, die durch unsere Untersuchung neue Beleuchtung erhielten, möge geschlossen werden. Keine italienische Landschaft bietet so wenig wie diese das Bild einer inko- härenten, von äußeren Einwirkungen abhängigen Entwicklung. Wie es bei Werken des Trecento und Quattrocento hier oft schwierig fällt Einheimisches und Fremdes zu sondern, so erhält die sizilishe Malerei auch bis ins Seicento keinen völlig einheit- lichen, abgeschlossenen Charakter. Daß nordische Künstler, so schnell sie sich der sizilischen Umgebung assimilierten, doch eben so leicht gelehrige Schüler fanden, lehrte schon das Beispiel Novellis; noch lehrreicher ist vielleicht das Beispiel des Catomeisters, da das Vorbild sich hier keineswegs an Bedeutung mit einem Manne wie van Dyck vergleicht, dessen Kunst wohl auch an anderen Orten und auf noch größere Künstler Eindruck gemacht hätte.

Interessant ist übrigens, daß nicht nur ein direkter nordischer Einschlag in Sizilien zu verzeichnen ist, sondern, daß einheimische Künstler in fast unerklärlicher Weise Stoffgebiete kultivierten, die uns immer wie Domänen der nordischen Kunst erscheinen, und zu denen die südliche Augensinnlichkeit sonst nicht besonders dispo- niert ist. Ich spreche hier vor allem von der Stillebenmalerei, die z. B. von Scilla eifrig gepflegt ward und von dem auffallend bevorzugten Helldunkelstile.

Es wäre jedoch irrtümlich diese gewisse Internationalität auf Konto des XVII. Jahr-

1) Es bedarf bei diesen vor Monaten geschriebenen Zeilen kaum eines Hinweises darauf, daß nadı der Erdbebenkatastrophe die Aussiciten auf eine soldıe Klärung geringe geworden sind. Der Professor an der Accademia Peloritana Virgilio Sacca, der sidı im besonderen mit den Meistern des Seicento in Messina beschäftigt hat, gehört zu der Zahl der seit dem Unglück Vermißten. Audı der verdienstvolle Messineser Lokalhistoriker Baron Arenapiena scheint der Katastrophe zum Opfer gefallen zu sein. Ein Brief Enrico Mauceris in Siracusa übermittelt mir diese sdimerzlidien Nachrichten, die für die sizilische Wissenschaft und für die Erforschung der sizilisdien Kunstgesdhidite sciwere, auf lange unersetzlihe Schläge bedeuten.

H. Voss. Charakterköpfe des Seicento III 115

hunderts zu setzen. Wo sie sich nicht direkt durch die insulare Lage und die Handels- beziehungen Siziliens erklärt, ist sie eine charakteristische Äußerung der aus Kontrasten der Rassen und der nationalen Traditionen gemischten Kultur der Insel: man bedenke, es ist das Land, in dem normannischer Burgen- und Tempelbau neben dem orna- mentalen und figürlihen Stil der byzantinischen Mosaiken, d. h. also Nördliches neben Östlihem gepflegt ward (von arabischen Einklängen zu schweigen). Es ist ganz im Geiste dieser eigentümlichen Tradition, wenn in späteren Jahrhunderten nordische Technik und südliche Formenwelt (sehr grob gesagt) durch einen Sizilianer, Antonello da Messina, verschmolzen wird. Man darf nicht vergessen, daß kaum eine Land- schaft auf Grund ihrer Rassenmischung und Tradition so geeignet war, in einem ent- scheidungsvollen Moment wie diesem als Trait-d’union zwischen Norden und Süden zu dienen wie Sizilien. . | ha

= Eine andere Betrachtung legt das Beispiel Siziliens nahe: die allgemeine Ein- teilung der Kunst der europàischen Lander in Perioden, so notwendig sie ist, bedarf für die einzelnen Nationen und deren Atome, die Landschaften, eines Korrektivs es genügt nicht ganz obenhin von einem Aufsteigen der Entwicklung bis zur Hoch- renaissance und einem darauffolgenden Abflauen zu sprechen. Die Neapolitaner und Sizilianer haben ein starkes Empfinden dafür, daß nicht das „goldene Zeitalter“, sondern die darauffolgenden beiden Jahrhunderte die Zeit ihrer höchsten lokalen Kunst- blüte waren genau wie umgekehrt die lokale Dekadenz in Toscana sehr stark empfunden wird, so interessante Erscheinungen auch hier die Kunst des Seicento gezeitigt hat.

REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT

Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlic für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, Liebigstraße 2. Zweigredaktionen: Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 44.

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Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill b«i London, Lyon Road.

Für Paris: Dr. R. MEYER-RIEFSTAHL, Paris 45 rue d'Ulm.

Denkmäler deutscher Kunst

in neuen Original-Lichtbildern und Photographien

Kritiken:

Monatshefte für Kunstwissenschaft (Prof. Dr. Schubring) „Dr. Stoedtner führt uns hier die deutsche Kunst in einer Reichhaltigkeit und Vollständigkeit vor, für die es keinen Vergleich gibt. Er hat seit Jahren unverdrossen Deutschland mit dem Automobil abgefahren, von keinem Eisenbahnstrang oder Bädekerstern ge- fesselt, Bekanntes und Unbekanntes ein- gesammelt und zu einem Thesaurus nie peannler Größe aufgetiirmt. Am ver-

lüffendsten ist die Masse der Holzplastik, die über alle Erwartung reich und edel sich bietet... Ich stehe nicht an, diesen Katalog als Nachschlagebuch neben Dehios Reisebuch zu stellen; diese beiden Hand- bücher werden dem neuen Studium der deutschen Kunstgeschichte zugute kommen.

Prof. Dr. Clemen - Bonn: „Voll auf- richtiger Bewunderung habe ich Ihren eben pun eer Katalog über deutsche Kunst durchgesehen. Es steckt ein er- staunliches Stück Arbeit in dieser Zu- samen lung: .. Sie haben sich um die deutsche Kunstgeschichte durch diese Sammlung ein ganz erhebliches Verdienst erworben. .. Die Diapositive zeichnen sich angenehm durch den warmen Ton und die bräunliche Färbung aus, die Bilder sind kontrastreich und doch in den Schatten gut und weich durchgezeichnet. Ich darf sagen, daß Ihre Aufnahmen alle amerikanischen Diapositive, die ich hier und an anderen Universitäten angetroffen habe, ohne Ausnahme übertreffen. Es gibt überhaupt schwerlich eine Anstalt, die ein so reiches Material wohlgeordnet zur Verfügung stellen kann wie die Ihrige.*

Dr. Quilling: „.. den ich für eine kunstwissenschaftliche Leistung ersten Ranges halte“.

Kritiken:

Kunst für Alle: „Die Dr. Stoedtnerschen Aufnahmen genießen den Ruf, daß sie außer ihrem Hauptzweck, der wissenschaft- lichen Brauchbarkeit, auch den höchsten künstlerischen Anforderungen in bezug auf richtigen Aufnahmestandpunkt, Ab- wdvung der Lichtverhältnisse usw. ent- sprechen”.

Dr. E. W. Bredt: „Ein ganz ausgezeich- netes Werk, das ich oft benutzen werde". Berliner Tageblatt (Fritz Stahl): Dr.St. berichtet in seinem Katalog über die von ihm aus eigenen Mitteln unternommene Aufnahme aller deutschen Werke, dieschon sehr weitgediehen ist. Die Lichtbilder sei- ner Anstalt sind über den Kreis der deut- schen Abnehmer hinaus rühmlich bekannt. Abbildungen im Katalog, die z.T. noch nie richtig publizierte und schwer zugängliche Monumente prächtie wiedergeben, bezeu- gen die photographische Meisterschaft des unsthistorisch gebildeten Herausgebers. Der Katalog inseinem textlichen Teil dürfte die vollständigste Aufzählung der Kunst- schätze Deutschlands sein, die bisher existiert. Gerade an dieser Arbeit ersieht man, daß der Gedanke, der zu der Begrün- dung des „Vereins für Kunstwissenschaft* geführt hat, schon lange in der Luft lag*. Prof. Dr. Weese: „Der glückliche Um- stand, daß er nach historischen Gesichts- punkten geordnet ist, macht ihn gerade für die Universitätsvorlesung wertvoll. Sie erleichtern und beleben durch dieses Buch die Disziplin in mustergültiger pä- dagogischer Form“. TäglicheRundschau(Dr.WillyPastor): „Besonders anzuerkennen ist, daß ein moderner Lichtb'idkünstler die Auf- nahmen machte, dem es auch auf eine gute Bildwirkung ankommt.

III m2 aage: Altchristliche, byzantinische und italienische Kunst in Lichtbildern

°° ** bearbeitet von Professor Dr. LIETZMANN und Professor Dr. SCHUBRING ©. e ee

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Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2

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Heft 3

Germanische Frühkunst Von E. A. Stücelberg

Bis in die letzten Jahre hinein wurden unzählige Denkmäler des Frühmittel- alters als romanische angesprochen; es durfte bereits als Fortschritt begrüßt werden, als man begann, einzelnes als vorromanisch auszusondern. Aber über viele Denk- mäler blieben die Meinungen geteilt und die Datierung schwankt noch außerordentlidh.') Es erscheint daher dem Verfasser die Veröffentlichung charakteristischer und reich- haltiger Funde ein Schritt zum Ziele zu sein. Die Erreichung des Zieles wäre: das VL, VIE, VII., IX. Jahrhundert in der Kunstgeschichte mit Denkmälern aller Kunst- gattungen zu bevölkern.

In den nachfolgenden Zeilen sind hauptsächlich die Monumente, die auf dem Gebiet der heutigen Schweiz erhalten sind, im besonderen die Funde des Verfassers in Disentis zugrunde gelegt. Gänzlich abgesehen ist von den Grab- und Kleinfunden alemannischer, burgundischer, frinkischer und langobardischer Nekropolen.

Die monumentale Kunst des germanischen Frühmittelalters beschränkt sih, wie es bis jetzt scheint, auf Bauwerke kirchlichen Charakters. In der Kirche, im Kloster und in deren Dependenzen haben wir die Monumente zu suchen. Die Militärarchitektur hat selten künstlerischen oder bleibenden Charakter und ähnliches gilt vom Zivilbau. Die Hütte aus Holz und Lehm, das kunstlose Haus aus rohem Brudhstein, unter- mischt mit antiken Spolien, sind nicht erhalten geblieben; mitsamt ihren primitiven Zier- raten sind sie überall der Zeit zum Opfer gefallen. Geblieben sind nur da und dort Reminiszenzen an uralte Baugewohnheiten.

Bei der kirchlichen Architektur sehen wir als Grundlage die spätantike oder altchristliche Tradition; der griechische oder lateinische Priester, Missionar, Mönch bringt mit den Büchern, Lehren, Zeremonien auch die dem christlichen Tempelbau eigenen, wohldurchdachten und vielfach ausprobierten Bauformen mit. Je nach dem Klima, dem

1) Wir denken an die auffallenden Diskrepanzen in der Datierung bekannter Denkmäler zu Pavia (Fassaden von S. Michele und Ciel d’Oro), von Mailand (S. Ambrogio, Altar, Ciborium), von Monza (Schatz), von Cividale. Bald wird das VII. oder VIII. Jahrhundert, bald die Karolinger- oder Ottonenzeit, bald das XII. oder XIII. Jahrhundert als Datum angegeben. Während des Druckes dieser Zeilen ist Haupt’s ausgezeichnetes Buch über die Baukunst der Germanen (Leipzig 1909) erschienen. A

118 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 1. Vier kleine Langhausfenster | | Moutier-Granval :

verfügbaren Baumaterial und lokalen Bedürfnissen entstehen Varianten derselben Grundgedanken. Auf dem Gebiet der Schweiz, das politisch und kirchlich hauptsach- lim von Westen, von den Franken beherrscht wird, wo aber von Norden der Alemanne, von Süden der Langobarde, von Osten der Bajuware Eingang gefunden hat, kreuzen sich die verschiedensten Einflüsse. Und durch das Frankenreich gelangt den Rhein entlang das iro-schottishe Mônchstum von Luxeuil bis S. Gallen, von hier über Disentis bis Bobbio.

Schon im Frühmittelalter besaß die Schweiz hunderte von Gotteshäusern; allein die Diözese Chur nannte zwischen 820 und 830 rund 230 Kirchen und 5 Klöster in ihren Grenzen ihr eigen. Darunter befanden sich auch Taufhäuser.‘) Der Typus dieser Gebäude war die polygone Zentralanlage, wie sie in Oberitalien noch häufig erhalten ist. In der Schweiz steht noch ein Bau dieser Art, das Baptisterium von Riva San Vitale, innen ausgebaut als Oktogon mit vier Nischen oder Conchen und einer Apsis. Es ist kein Zweifel, daß rationelle Ausgrabungen am richtigen Orte uns diesen GrundriB noch an mehreren Orten der Schweiz, wo Johanneskirchen oder -Kapellen nachgewiesen sind, bringen würden.

Die übrigen Gotteshäuser des Frühmittelalters waren einschiffige Langhaus- bauten; sie bestehen aus einem von West nach Ost gestreckten Rechteck, einem Schiff, an dessen Ostende sich die Apsis in der Ein- oder Mehrzahl anschließt. Der Haupt- eingang ist an der Westseite in der Mitte der Giebelmauer zu suchen. An den Nord-

1) Vgl. des Verf. Gesch. der Reliquien I, Regest 33.

& = ET ti nn e gie —-— “n =—==N N _—_ _————

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E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 119

und Südmauern befinden sich spärliche Öffnungen in beträchtlicher Höhe. Es sind Fenster von hochrechteckiger Form, oben im Halbkreisbogen geschlossen. Den Typus dieser Fenster zeigt noch ein Bild (Abb. 1) der abgebrochenen Abteikirhe von Moutier Granval im Jura (Bistum Basel); denselben Typ (Abb. 2) sehen wir noch an einer mittel- alterlichen Kirche bei Disentis (S. Gada).') Zu dem bescheidenen Maßstab solcher Fenster passen die Stuccodekorationen (Abb. 3—5), die wir als Rahmen oder Bekrönungen solcher Öffnungen im Kircheninnern ansehen; auch die kleine Zahl der ausgegrabenen Rahmen stimmt zur nachweisbaren Spärlichkeit dieser

Abb. 3—5. Fensterdekorationen aus Stucco LI Ehem. Marlinskirche zu Disentis

Abb. 2. Drei kleine Langhausfenster

O S. Gada bei Disentis

frühmittelalterlichen Fenster. Den Verschluß dieser Öffnungen haben wir uns so zu denken, wie er sich in der Krypta von Lenno -— um das der Schweiz zunächst gelegene Denkmal zu zitieren erhalten hat: ziemlich unregelmäßig durchbrochene Steinplatten. Die Apsiden scheinen im Frühmittelalter keine Öffnungen gehabt zu haben *); wie klein sie noch in der romani- schen Zeit an altertümlihen Bauwerken sind, zeigt das Beispiel von Prugiasco?°), einem Kirchlein nah an der Heerstraße von Disentis nach Biasca-Bellinzona (Abb. 6). Das Baumaterial der Mauern bestand in

1) Wir haben auf der Photographie die leider zugemauerten, ursprünglichen Fenster einge- zeichnet; das Langhaus der Klosterkirche Münster besaß nur 4 Fenster.

?) Vgl. die erhaltenen Apsiden der Mutter- gottes-Kirche zu Disentis.

3) Ein Relief mit einem Pfau von früh- mittelalterlihem Schema ist außen neben diesem Fensterchen eingemauert; wir wagen keine Da- tierung dieser Arbeit, glauben aber, daB es sich um eine Spolie von einem Bau handelt, der älter als der heutige romanische ist.

120 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Abb. 6. Fensterdien zu Prugiasco

der Westschweiz'), d. h. da wo ròmi- sche Steine oder Vorbilder vorlagen, aus sauber zubehauenen kleinen Qua- dern, anderwärts und meistens aber aus rohen Brudhsteinen.?)

Der Grundriß der Apsis zeigt die Tendenz der Raumvermehrung, welche sich schon in der Multiplikation der Conchen oft geäußert hatte: man beschränkt sich nicht auf den Halbkreis, sondern nähert sich dem Dreiviertels- kreis, man stelzt den Bogen oder bildet Hufeisen.) Diese Form wird sowohl bei tragenden wie bei zierenden Bögen im AufriB der Bauten beliebt; die früh- mittelalterlidien Buchmalereien zeigen uns haufig den Hufeisenbogen der zeit- genössischen Baukunst. Den gestelzten Bogen finden wir zu Wimmis usw., den Hufeisenbogen in der Grabzelle des hi. Placidus und Sigisbert, in der

Marien- und in der Martinskirche zu Disentis (6 mal), in der Klosterkirche zu Münster

(4 mal), zu Müstail (3 mal).

Das Außere der frühmittelalterlihen Kirchen auf Schweizerboden scheint durch-

Abb. 7. Blendbogen auf Halbsäulen

aus einfach gehalten ge- wesen zu sein‘); schwach

1) Moutier-Granval, Pay- erne.

2) Disentis, Krypta, Mar- tins- und Marienkirche.

3) Das Hufeisen als Grund- riBform ist im frühmittel- alterlichen Orient Regel; vgl. Revue Archéologique 1908, Taf. XII, Fig. 1 und 4, auf spanische Beispiele (S. Mi- gnel de Escalada und S. Jago de Pennalba) weist mich Prof. Dr. Haupt-Han- nover hin. Die Hufeisen in GrundriB und Aufbau von Germigny sind bekannt; vgl. Michel Histoire de l'Art I. p. 525, Haupt p. 187 ff.

Taufhaus von Lenno 4) Vereinzelte in Malerei

E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 121

Abb. 8. Vertiefte Felder als AuBendekoration O Ehem. Muttergotteskirche in Disentis. (F. Columban O. S. B. fec.)

vertiefte Felder, oben durch Böglein geschlossen, zieren die Flächen. Eigentlich archi- tektonische Gliederung fällt weg, schematisierende flache Einteilung tritt an die Stelle der antiken Dekoration. Analoges können wir an frühmittelalterlichen Reliefs auf Sarkophagen, Transennen usw. beobachten; die spätantike Gliederung in säulengetragene Bogen (Abb. 7) oder Giebelstellungen verschwindet mehr und mehr aus dem Formen- schatz, um Lisenen und flachen Böglein Platz zu machen. Unsere Blenden oder ver- tieften Felder (Abb. 8—10) findet man z. B. an der Marienkirche von Disentis (VIII. Jahrhundert), der Klosterkirche von Münster (VII. Jahrhundert), zu Wimmis, Schönenwerd, am Georgsturm des Basler Münsters (vor 1019) und an unzähligen Türmen des karolingischen Typs und der romanischen Stilepoche. Eine Datierung dieser Türme, die in prächtigen Beispielen in den Bistümern Chur, Como, Mailand, Sitten, Lausanne sich erhalten haben, steht noch aus. Das Erd- geschoß pflegt völlig schmucklos

ausgeführte ornamentale Dekora-

tionen bei Zemp. Das Kloster S. Abb. 9. Vertiefte Felder als Außendekoration Johann zu Münster p. 23 und 24. O Münster in Grb.

122 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

zu sein, die Öffnungen sind in den unteren Stockwerken spärlich und bestehen nur aus Schlitzen, wie in der Militärarchitektur. Erst vom dritten Boden an finden wir Fenster, gekuppelt und umrahmt von den vertieften, oben mit Böglein abschließenden Feldern. Eine genauere Erforschung der- jenigen Türme dieses Typs, die in Gegenden stehen, die nicht durch Erdbeben heimgesucht worden sind, wird zweifellos manchen dieser Bauten das Prädikat vorromanisch eintragen; wir denken hierbei z. B. an Mals in Vinschgau und S. Satiro in Mailand.

Weitere Außendekorationen des Früh- mittelalters bestanden in Inkrustationen; Italien, Frankreich und Deutschland besitzen noch alte Proben dieser Technik, die stellenweise bis tief in die romanische Epoche, ja in noch späteren Zeiten erhalten blieb. Wenn man in Disentis die quadratischen, dreieckigen, runden und anders geformten dunkeln und hellen Guß- platten besieht, denkt man unwillkürlich an die karolingische Außendekoration von Lorsch, an die auvergnatisch-romanischen Kirchen von Le Puy (Kathedrale, S. Michel und die Polygonkapelle des sog. temple de Diane), in Issoire, Clermont und Firminy. Eine chemische Untersuchung ergab, daß die frühmittelalterlichen Platten von Disentis auf keinen Fall als Bodenbelag gedient haben, wie schon behauptet worden ist.

Die Innendekoration frühmittelalter- licher Gotteshäuser bestand aus Mosaik, Malerei und Stuccozierden.

Bedeutende Reste eines Mosaik- bodens der Martinskirche von Disentis sind erhalten; er bestand aus einem Feld von grünlichen Steinwürfeln (Talgserpentin), in | welches Figuren und Inschriften mit weißen marmorartigen Steinwürfeln (zuckerför- migem Dolomit) eingesetzt waren. (Abb. 11.) Außerdem waren noch kreisförmige Stein- scheiben, konzentrisch umlagert von zwei Reihen verschieden-großer Keilsteine und umrahmt von weißen Würfeln in das Pa- Abb. 11. Vom Mosaik der Martinskirche Disentis viment eingelassen. Drei Exemplare sind beinahe komplett vom Verfasser wieder zusammengestellt worden. Über die Malerei in den frühmittelalterlichen Kirchen .kann nur das wiederholt werden, was Zemp über

Abb. 10. Vertiefte Felder als Außendeko- ration Münster i. Grb.

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E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 123

Münster beibringt'); diese Kirche des endenden VIII. Jahrhunderts enthält noch einen ganzen Zyklus vielfiguriger Szenen in rechteckigen Feldern. Der Stil steht der Spät- antike näher als der Romanik. Auch eine originelle Ornamentik bieten die Funde von Münster. Ein beliebtes Motiv war der Mäander‘), dessen farbige Bandflächen in mannigfaltigen Brechungen und Verschiebungen sich durch die karolingische Zeit bis in die romanische hinein erhalten.

Eine bedeutende Rolle spielte im Frühmittelalter die Dekoration mit Stukko- reliefs; in dieser Beziehung bedeuten die Funde von Disentis eine Art Offenbarung. Sie sind, um Clemen*) das Wort zu geben „von höchster Wichtigkeit als Verbindungs- glied von Norditalien nach Gallien herüber; sie berühren sich außer mit den lango- bardischen auch mit einer Menge von merovingischen und karolingishen Denkmälern.“ Die von Griechen und Römern verwendete Stukkotechnik reicht also von der Spät- antike (S. Vitale, Ravenna) hinein ins germanische Mittelalter. Stukkosarkophage in Paris und Wanddekorationen zu Germigny sind Zeugnisse für die Kunstübung der Merovinger und Karolinger in dieser Technik. Und in Italien besitzen wir die wohl- erhaltenen Stukkoreliefs von Cividale und S. Ambrogio in Mailand, erstere meines Erachtens sicher Werke des VIII. Jahrhunderts. Die Stukkotechnik ist für das X. Jahrhundert in S. Gallen literarisch, für eine frühe Epoche in Basel durch zwei Fundstücke (von 1907) be- legt.) Für das XII. Jahrhundert wurden die schönen Beispiele von | Münster neuestens der Wissenschaft erschlossen?); von Hildesheim Abb. 12. Rosette, kennen wir das Rezept für Stukkobereitung. farbig. Stucco von

Was die Disentiser Fundstücke®) tausende von Fragmenten Disentis = auszeichnet, ist der glückliche Umstand, daß sie weder bestoßen, noch verschliffen oder abgescheuert, noch rauchgeschwärzt, noch übermalt oder restauriert sind. Sie sind in ihrer Epidermis tadellos erhalten, allerdings in kleine Stücke zerbrochen. Nur wenige Sockelstücke ?) sind einmal weiß iibertiincht worden. In jedem Fall gehören die Frag- mente zu Kirchen, die nur kurz gedient haben. Es waren Martinskirchen, deren erste 670, deren zweite zwischen 823 und 831°) zerstört worden zu sein scheint. Sowohl die erste wie die zweite besaß Stukkaturen figürlicher und ornamentaler Art.

Die im oft durchwühlten Bauschutt der Kirchenruinen im östlichen Klosterhof zu Disentis zerstreuten Fragmente auszugraben, zu verlesen, zu ordnen, zusammenzusetzen

1) Das Kloster S. Johann zu Münster. Genf 1906, p. 25.

2) Vgl. Schweiz. Archiv f. Volkskunde 1907, p. 118—119

3) Zuschrift vom 29. Okt. 1908.

4) In der ältesten Fundschicht der hinteren Krypta vom Verf. ausgegraben und dem Histor. Museum Basel überwiesen.

5) Zemp a. a. O. Genf, 1908; über die Hildesheimer Stukkaturen vgl. Blume, Althildes- heimer Baudenkm. (1908), p. 14.

6) Des Verfassers vorläufige Berichte in der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertums- kunde 1906, 1907 und 1909.

7) Vgl. Schweiz. Archiv für Volkskunde 1907, p. 107—108, Fig. 5—6.

8) Disentis gehörte offenbar zu den damals zerstörten Kirchen, über deren Verlust der Bischof klagt; vgl. oben Anm. 1.

124 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Abb. 13-15. Reliefköpfe mit gemalten Haarbüscheln, Augen, Mund, Wangen

war der Zweck von vier arbeitsreichen Reisen in das alte Bergkloster. Aber bevor der Verfasser die Frucht seiner Mühen durch eingehende Veröffentlihung ernten konnte, publizierte ein anderer, der in Disentis nicht gesät hatte, die Funde.!)

Wo die Stukkaturen im Inneren der Kirche einst ihre Stelle hatten, kann nicht mehr ausgemacht werden. Sie sind so zahlreich, daß sie sich offenbar auf den ganzen Innenraum, nicht nur auf die östlichen Teile erstreckten. Die weiche Masse war bald auf die Steinmauer, bald auf einen hölzernen Rost appliziert; in nassem Zustand wurde er dann teilweise bemalt, al fresco wie die Wände der Katakomben.’) Die Polychromierung erstreckt sich hauptsächlich auf die figürlichen Darstellungen, auch auf ein großes Kreuz, auf Rosetten (Abb. 12) und Trauben. Weitaus die Mehrzahl der Ornamente aber war von jeher und ist unbemalt, d. h. weiß. Der Schreiber hat sofort nach der Ausgrabung, d.h. als die Fundstücke noch feucht waren und intakte Poly- chromie besaßen, farbige Aufnahmen erstellt; dies erwies sich als nötig, denn nadh wenig Wochen waren die Farben schon arg verblaßt.) Die Farbenskala war eine beschränkte: fleischrot, lachsfarben (saumon), zinnober, dunkelrot, dunkelbraun, blau- grau, blau, ockergelb, dunkelgrau bis schwarz, rußschwarz (leicht verwischbar) und leuchtendes grasgrün (nur auf einem Fragment), Die Malerei ersetzte viele Einzel-

1) Der Verfasser hatte eine endgültige Publikation auf den Abschluß der Arbeit d. h. auf 1908 verschoben, da er Farbentafeln der hohen Kosten wegen nicht vor Beendigung der Sortierung und Zusammenstellung ausführen lassen wollte. Die Funde sind durch den Verfasser in Vitrinen ausgestellt worden; eine genaue Registrierung derselben wird 1909 stattfinden. Wir konnten uns diese Bemerkungen nidıt versagen, da die Tendenz des Organs des Landesmuseums (1908 p. 55) dahin geht, uns unsern Anteil an der Arbeit zu Disentis abzuerkennen.

3) J. Wilpert. Die Malereien der Katakomben. Freiburg 1903, p. 4 ff.

3) Die 1907 aufgenommenen Kopien, welche der 1908 erschienenen Farbentafel Rahns zugrunde liegen, können nur den letzten Zustand wiedergeben. Die Tafel selbst ist in den Farbentönen durchaus nicht getreu.

E. A. Stiickelberg. Germanische Frihkunst 125

heiten, die von der Plastik nicht angedeutet waren: z. B. die Haare, die Augen, die Nasenfliigel, Nasenlöcher waren großenteils nur durch Pinselstriche angedeutet, Mund und Ohren nur durch Farbe angegeben. Die Röte der Wangen pflegt durch ein spär- liches Dreieck (Abb. 15) von roter Farbe dar- gestellt zu werden, deren Konturen durchaus nicht abgeschwädt waren. Bei den Ge- wändern ist oft nur die Tiefe der Falten mit rot oder schwarz ausgemalt, der Stoff im übrigen weiß gelassen. Dasselbe gilt von den Schriftzonen, bei denen rote oder schwarze Farbe in die Furchen der vertieften Buchstaben gebracht ist, während das Feld weiß blieb. Einzelne Inschriften sind bloß aufgemalt gewesen, wie denn das Relief sich da und dort in Malerei verlor. Die Figuren hoben sich von gemaltem Hintergrunde ab; dasselbe gilt von den weißen Halbsäulen. Ein Ornament, bestehend aus Kassetten, Rinnen und Schalen, war nur in den Ver- tiefungen farbig: die Rinnen gelb, die Schalen graublau ausgemalt. Ein Gitterornament war farblos und nur am oberen Rand mit einer roten Borte eingerahmt. An den Kapitellen war nur diskretes Rot oder blaugrau stellenweise aufgetragen; an den glatten Halbsäulen bald rote, bald schwarze Tupfen.')

Auf den Gewändern waren häufig Ornamente aufgemalt: allerlei Kreuze, schwarz | oder rot, in den verschiedensten Formen, die von der Kunst des Frühmittelalters gezeitigt werden, treten auf (Abb. 17). Bald sieht man ankerartige Kreuzenden, bald Tupfen, von denen die Schenkel umwinkelt sind, Einzelheiten, wie sie sich genau auf merovingischen Münzen wiederholen. Auf einen Gewandteil, der als Stab bzw. als Stola, und einem Fragment, das als Manipel angesehen wird, sieht man kleine aufgemalte Kreuze. Auch Rosetten aus rohen Strichen kommen vor, daneben Gruppen Abb. 17. Gemalte Kreuze S. Martin Disentis von drei runden Tupfen, wie sie in

Buchmalereien so häufig auftreten. Die plastischen Stuccozierden von Disentis bestanden aus menschlichen Figuren von verschiedenem Maßstab; die größten Köpfe entsprechen ungefähr den Verhältnissen

Abb. 16. Köpfe mit gemalten Augen

ey Getupfte Säulen (Nachklang des Porphyrs) sind in vielen Miniaturen (Einsiedeln, S. Gallen, Basel, Genf) zu finden.

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126 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 18—21. Der Haarschopf auf irischen Miniaturen Basel

der Natur, andere sind etwa zwei Drittel oder Hälfte der Lebensgröße. Die Gesichter traten im Profil, in Vorderansicht oder in Dreiviertelsdarstellung aus der Wand hervor; sie springen kräftig aus, relativ stärker als die übrigen Körperteile, die sich oft nur wie ausgesägte Bretterteile von der Wand abheben. Die Nasen sind meist wie Klötzchen in das Gesicht aufgesetzt; das Kinn stets sehr stark ausgebildet. Alle Köpfe sind bartlos. Das Haar!) ist als brauner Schopf, der gescheitelt ist (Abb. 13—14), zusammengefaßt und umrahmt, bis tief an den Hals herabreichend, nach frühmittelalterlicher Art (vgl. die irischen Miniaturen Abb. 18—21 und das Beinkästchen mit Runeninschrift in London) das Gesicht. Die Augen sind groß, rot oder schwarz gezeichnet, mit mehr oder minder kräftig ge- gebenen Augenbrauen. Zwei Köpfe haben geschlossene Augen, stellen also Schlafende oder Tote dar. Einer der mittelgroßen Köpfe ist mit einer zweiten Schicht Stucco bedeckt worden, damit er stärker heraustrete; diese Auflage oder Maske mit dem Negativabdruck des unteren Gesichtes hat sich erhalten. Die kleinsten Köpfe haben Haare, die durch Furchen (nicht nur durch Pinselstriche) in Büschel geteilt sind (Abb. 22); sie ähneln durchaus merovingischen Münzbildern.*) Die Köpfe sind sämtlich roh und verraten barbarische, freilich ungleiche Mache (Abb. 23); dasselbe gilt von den Händen und Füßen (Abb. 24). Erstere, ebenfalls in verschiedenen Proportionen vorhanden, zeigen weißen oder fleischfarbenen Ton und rote Konturen. Die Fingernägel sind sehr ungleich, ebenso die Fingerspitzen; erstere sind bald lang, bald beschnitten, bald stumpf, letztere in einzelnen Fällen spitz, meist aber plebejisch stumpf, d. h. sich gegen die Enden zu erweiternd. Ein Händchen hält eine Kugel, eines einen gelben gekrümmten Stab (Pedum?), eine Hand ist an die rechte Wange gedrückt und gehört offenbar einer trauernden oder klagenden Figur an. Mehrere große Hände halten dicke, rund- liche Stämme oder Schriftrollen, einige zeigen die Gebärde der Rede, Anrede oder des lateinischen Segens, während andere flache, von innen gesehene Hand-

!) Paulus Diaconus IV, 21. 2) Vgl. z. B. M. Prou in Revue Numis- matisque 1906—07, Taf. VIII, n. 124 und 119.

E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 127

Abb. 23. Stuccoköpfe aus S. Martin Disentis

flächen von betenden Gestalten (Oranten) stammen dürften. Ein paar Finger berühren den Oberrand eines Evangelien (oder Regel?-)Buches (Abb. 25).

Alle Füße sind nackt, viele mit einer roten Kreislinie, welche den Knöchel an- deutet, versehen, und mit einigen roten Schnüren, welche auf Sandalen weisen, nach

Art der irischen Buchmalereien ausgestattet; die meisten Füße sind im Profil, wenige en face dargestellt. Die Zehen sind äußerst roh und ungeschickt gebildet. Über die Proportionen der Figuren kann nichts gesagt werden, da keine zusammenhängenden Frag-

mente vorliegen und keine Möglichkeit vorhanden 1906. ist, nur eine vollständige Gestalt zu rekonstituieren. Fest steht bloß, daß verschiedene Meister an der Abb. 24. Hand und Fuß. Disentis Stukkatur der beiden Martinskirchen beteiligt waren und daB sowohl das VII. und VIII. Jahrhundert als Ent- stehungszeit in Betracht kommt. Das künstlerische Niveau von Disentis steht in bezug auf die Köpfe, den Faltenwurf und die Feinheit der Ornamente unter demjenigen von Cividale.

Damit sind wir an den Schmuckformen angelangt. Eine Zusammenstellung der diesbezüglichen Fragmente von Disentis ergäbe eine eigentliche Grammatik des frühmittel- alterlichen Ornaments. Um dieselbe richtig zu verstehen, müssen wir die ethnographische Zusammensetzung eines Mônchsklosters jener Zeit kennen lernen. Die Gründungs- geschichte nennt uns irisch-fränkische Mönche und Gründer sowie einen einheimischen rätischen Wohltäter. Die Listen der Gebetsverbrüderungen') zeigen uns, daß auch in der folgenden Zeit Rätier mit lateinischen Namen und Germanen

“tp U6.

1) Gedruckt in Mon. Germ. L. C. p. 173. Abb. 25. Finger. Disentis

128 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

verschiedener Stämme (wohl Longobarden, Alemannen und Franken) nebeneinander den Disentiser Mönchskonvent ausmachten. Wüßten wir es nicht schon aus anderen Quellen, so würden uns diese Listen über die Freizügigkeit der damaligen Klosterbewohner auf- klären. Solange die irische Regel in Disentis herrschte, dürfte irischer Einfluß, auch in bezug auf Bücher und Kunst, später mit der Benediktinerregel italienischer Einfluß sich eingestellt haben.')

Als Traditionen der Antike, die aus Italien*), wohl auf dem Weg des Lucus magnus (Lukmanier)*) aus Como, Mailand, Pavia‘) und anderen Zentren kamen, sind die Techniken des Mosaiks, des Wandbelags (Inkrustation) und des Stuccos zu be- trachten; hierher gehört auch die Beimengung von Ziegelmehl bei einem Stück gestampften Kryptabodens. AntikeTraditionen sind die Halbsäulen mit ihren Basa- menten und Kapitellen. Diese Halbsäulen sind ent- weder glatt, in diesem Fall gelegentlich mit Tupfen bemalt, oder spiralig ge- kehit (Abb. 26). Eine kleine Säule ist rund, spiralig gekehlt und enthält einen Holzkern; sie ist vielleicht als Osterleuchter anzu- sprechen.Die Kapitelle sind vereinfachte Komposita- typen; primitive Voluten kehren überall wieder, Abb. 26. Haibsäulen, Basamente und Kapitelle aus Stucco. Disentis Selten gezähnte Blätter

(Akanthus). Bei den Basa- menten fehlt die Kehle zwischen dem unteren und oberen Wulst; an seiner Stelle findet sich ein dritter, größerer Wulst. Der Antike gehört ferner an das Alphabet der

1) Der Zeitpunkt des Übergangs fällt in die erste Hälfte des VII. Jahrhunderts (nach Greith und A. Malnory, Quid Luxovienses Monachi etc., Paris 1894), und nicht, wie Rahn meint, in die Zeit der Klosterrestauration im VIII. Jahrhundert; die irishe Zuwanderung auf dem Kontinent hielt noch lange an.

°) „Die Langobarden rezipieren und konservieren in Oberitalien römische Traditionen.“, Stephani, Der ältere deutsche Wohnbau I, p. 247.

3) Neben dem Septimer war der Lukmanier im Mittelalter der meist begangene Bündner PaB. F. Güterbock in Quellen und Forschungen aus ital. Archiven XI, p. 2; vgl. dazu Motta in Boll. storico della Suizzera ital. 1906, p. 1.

*) Die Kirche Ciel d'oro in Pavia, sowie das Erzb. Mailand besaßen Grundeigentum im Bleniotal d. h. nahe bei Disentis, an der Lukmanierstraße.

E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 129

CONTI

Abb. 27. Gemalte Buchstaben Disentis

t

Inschriften, die Form der Leitern mitsamt ihren spärlichen Ligaturen; alle in Größe und Technik sehr verschiedenen Inschriften zeigen mehr oder weniger antike Formen (Abb. 27), niemals barbarische Korruptionen. Das O ist stets rund, niemals eckig; das C dagegen findet sich in Rätien in eckiger Gestalt seit dem VI. Jahrhundert. Die Hastae der Lettern laufen in Füßchen aus. Am Schluß einer monumentalen Kapital- inschrift von vertieften, 9 cm hohen Buchstaben fand sich ein nur aufgemalter Zierrat von irischem Charakter (Abb. 28). Dem antiken Ideenkreise gehört noch die Gewohn- heit an, Bogen mit zierlichen Rahmen zu schmücken. Solche Archivolten findet man auf den altchristlichen Sarkophagen, Elfenbeintafeln, am Grabmal Theoderichs (jetzt im Museum von Ravenna’), in Disentis, in Cividale, in Mailand (Ciborium von S. Ambrogio). Barbarischen, d. h. germanischen Charakter aber haben sozusagen alle einzelnen Ornamente; sie be- ruhen groBenteils auf dem Kerbschnitt?), der für die Bearbeitung des weichen Holzes. des nassen Stuccos?) wie weichen Steines sich besonders eignete (Abb. 3—5, 29). Ein frühmittelalterliches Holzmöbel mit derartigem Dekor hat sich im Schatz von Sancta Sanctorum ge- funden, romanische und gotische Holzmöbel mit Kerb- schnitt sind in Sitten, spätere überall‘) anzutreffen. Schmuckformen in Kerbschnittmanier sind in Disentis zum Teil rein z. B. bei dreierlei Streifen und zweierlei 1908 Feldern mit Gitterornament zum Teil vermischt mit Abb. 28. Irischer Zierrat. Disentis Zierformen andern Ursprungs zu finden. In letzterem Fall bilden Böglein, die aneinandergereiht sind, oder wie bei der Hecke sich über- schneiden, oder Kreise, die aneinandergeschoben sind, die Umrahmung für Sterne, Rosetten, Lilien oder Feuerräder, die aus Kerben bestehen. Eine Beschreibung all dieser Ornamente hat keinen Zweck; wertvoller wäre eine genaue Aufnahme und Rekonstitutionen aller Muster.

1) A. Haupt in Zeitschrift für Geschichte der Architektur I (1907). Abb. 5—7 und 12.

2) Dieselben Formen wie in Disentis an neuzeitlihen Holzwerken, vgl. Zeitschr. des Vereins f. Völkerkunde 1908, Fig. 4, 5, 7—9, W. Oldenburg, Träsniderimönster.

3) Tischler waren Gypser (Stephani das älteste deutsche Wohnhaus I, p. 240), daher die- selben Formen in Holz und Stucco.

‘) Beispiele im Museum zu Chur, zu S. Moritz und im Volkskundemuseum Basel.

130 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 29. Stucco mit Kerbschnittmotiven Disentis

Im folgenden sei nur eine knappe Ubersicht iiber die Disentiser Ornamente geboten.

Von den sechs Fensterbogen bzw. deren inneren Umrahmung bietet einer nur gemalte Keilsteine, einer eine mäanderartige Reihung von Hacken, wie sie gleich im Inselreih, ähnlih nur in frühmittelalterlihen Handschriften vorkommt. Vier Bogen zeigen Kerbschnittdekoration, bei einem davon legt sich an der Schrage ein Seil, bei einem Riemenwerk an. Ein Bogen, der reichste, ist auBen mit ausgeschnitte- nem Zierat versehen, mit kleinen Nischen, wie sie analog bei mehreren Streifen oder Zonenornamenten zu Disentis vorkommen (Abb. 30).

Die Zierden in Streifen- oder Zonenform bestehen aus Inschriftbändern, die in Stucco über den Figurenbildern vortraten. Die Inschriften sind 1—3 zeilig; die Lettern vertieft, meist schwarz, selten rot ausgemalt und von verschiedener Größe. Bei einer Inschrift ist der Buchstaben mit einer schwarzen Masse ausgefiillt. Die Schriftzonen sind nach unten glatt abgegrenzt, nach oben in einem Fall mit einer dichten Krabben- reihe bekrönt.

Weitere Zonenornamente: Zwei verschiedene Kerbschnittbänder'), eines von einem Rahmen stammend, der senkrecht, d. h. im rechten Winkel emporstieg. Es finden sich ferner: drei (oder mehr) verschiedene Reihungen von Bogen, darüber kleine Nischen, rechteckige Kerben oder Perlen samt Nischenbekrönung.

Sehr häufig sind Perlschniire oder genauer gesagt Reihungen von Halbkugeln (Abb.30);

1) Abg. Schweiz. Archiv f. Volksk. 1907, p. 106 —107, Fig. 2—4.

E. A. Stiickelberg. Germanische Frühkunst 131 z sie kommen auch in der Westschweiz, z. B. an einem frihmittelalterlicien Steintympanon zu St. Ursanne im Jura vor. (Abb. 31.) Reihungen von Kreisen, in denen sich das sog. Feuerrad findet, sind ebenfalls in Fragmenten vorhanden. Erwähnt seien ferner die Zonen von zwei übereinanderliegenden Blattranken, welche, wie ein Ansatz an einem Kapitell lehrt, von Kapitell zu Kapitell in stattlicher Breite liefen; bekrönt war dieser Streifen mit kleinen Nischen, unten gesäumt von einer Perlreihe. Ein Zonen- ornament, aus gekehlten Hacken, die grau ausgemalt waren, ähnelt einem Mäander; wir bezeichnen es der Kürze halber als falschen Mäander. Eine andere, breitere Zone, in sehr vielen Bruchstücken vorhanden, bestand aus Riemenwerk; die Riemen oder Bänder sind glatt und nicht doppelt gefalzt, wie bei den Langobarden. Einige wenige Riemenfragmente von einem zweiten Orna- ment zeigen einfache Falzung. Genannt seien endlich Reihen von großen, grau ausgemalten Nischen, die irgendwo die Be- krönung bildeten, genannt die ebenfalls wirksame Hecke. Bereits berührt wurden die Krabben, die in kletternder Funktion bei den Langobarden besonders häufig, in horizontaler Linie seltener angebracht wur- den; in Disentis finden wir sie einmal über > x einer Schriftzone, einmal über einer Perl- 3 907 reihe, in Münster an einer Schräge aus Marmor.

Ornamente, welche ganze Felder, wahrscheinlich den Sockel, vielleicht auch Transennenwände bedeckten, liegen in enormer Zahl vor; es sind gitterartige Motive, mit quadratishen oder rauten- förmigen, in Kerbschnitt ausgeführten Ver- tiefungen!). Ein anderes feldbedeckendes Motiv besteht aus kreuzförmig angeordneten nae \ 3 Rinnen, in deren Zentrum jeweilen Schalen x SE ur angebracht sind; Feldornament war auch Abb. 31. Perlreihe. Lünette in S. Ursanne ein Geschrénke *).

Unbestimmten Charakter, d. h. nicht näher zu bezeichnen in Hinsicht auf ihre einstige Bestimmung sind folgende Fragmente: Stucco mit grau ausgemalter Kanellierung (von einem Pilaster?), ein Drechslermotiv, der sog. bäton rompu, gelb konturiert, Zick- zackmuster, Haken, paarweise angeordnet (wie an merovingischen Kapitellen), rot be- malte Lilie (Ende eines Kreuzendes?), weiße Palmetten, Palmetten mit gelben und 1) abg. a. a. O. p. 107—108, Fig. 5—6.

2) abg. a. a. O. p. 108, Fig. 7.

Abb. 30. Ausgeschnittener Oberrand. Stucco Disentis O

132 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 32. Riemenwerk und nordisdes Gewürm Münster

sole mit weißen Kleeblattern, Trauben’), teilweise flach und schematisch (als Drei- ecke), teilweise naturalistisch (mit reliefierten Beeren), rot bemalt, große Rosetten, acht- blätterig, grau oder gelb ausgemalt, Kreise mit eingeschriebenem Viereck, bunt bemalt. Ein Fragment stammt von einem großen roten Reliefkreuz?) und zeigt an den Enden runde Ansätze, den Schmuck vieler langobardischen Altar- und Vortragkreuze, die in Stein nachgebildet sind.

Fassen wir unsere Beobachtungen über die Dekorationen des Kircheninnern von Disentis zusammen, so ergiebt sich zunächst antike Tradition, die in einem Kloster, so nahe bei Italien und an einer großen HeerstraBe nicht verwundern kann. Es ergeben sich irische Spuren, bei den Figuren in Köpfen, Haartracht, Wangen, Kostüm (Falten- wurf, Drei-Tupfen-Motiv, Sandalenschnüre), im Ornament (Hacken, Zierat am Inschriften- band), im allgemeinen Reichtum an Formen. Unter den germanischen Kunstformen lassen sich viele mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmten Stämmen zuweisen. Die ungefalzten Riemenknäuel und die gepaarten Hacken möchten wir als frankisch, die Kerbschnittzierden, die Krabben, Rosetten, Feuerräder, Hecken, Seile als langobardisch in Anspruch nehmen.

Es bleibt noch übrig, von der Einteilung und Ausstattung des Kircheninnern mit Einbauten zu reden. Von den Altären hat sich nichts erhalten, wenn wir absehen vom Deckel eines kleinen Steinkästchens, das als Inhalt eines Altarsepulcrums an- gesehen werden kann. Als Altarfronten oder Antependien sind schon frühmittelalter- liche Marmortafeln zu Münster und Chur betrachtet worden. Sie scheinen uns aber sämtlich Reste der Cancelli, d. h. der Altar- und Chorusschranken zu sein; da sie schon öfters veröffentlicht sind*), verzichten wir auf nähere Schilderung. In Disentis sind nur

1) Einzelne Trauben, als Füllung eines Netzornamentes auf einer Marmortransenna zu Münster. abg. a. a. O. Taf. I, Fig. 6; andere Trauben in einem Rankennetz analog zu Chur, abg. a. a. O. Taf. III, Fig. 2.

?) Eine Rekonstitution in der Zeitschr. f. schweiz. Kirchengeschichte Il, 1908, p. 223.

5) Von Jak. Burckhardt, Molinier, Kuhn, Zemp, dem Verf. u. a.

E. A. Stiickelberg. Germanische Frühkunst 133

faustgroße Knollen marmorähnlichen Steines, der zu Cancelli mag gedient haben, aus- gegraben worden; der Dolomit ist wie Zucker im Erdreich zergangen. Vielleicht haben auch einzelne Schranken aus Holzgerüsten mit Stuccoverkleidung bestanden; das würde sowohl die Vielheit der Feld- und Rahmenornamente, wie überhaupt die Menge der nach so viel Jahrhunderten noch vorhandenen Bruchstücke erklären. Ein glattes Stuccosäulchen, das gefunden wurde, mag auf den Transennen der Disentiser Martins- kirche gestanden haben. Die ganze Einrichtung des Chorus mit seinen Brüstungen zu Moutier, Chur, Münster und Disentis mag ungefähr so ausgesehen haben wie die- jenige von S. Maria in Cosmedin!) oder Leprignano?). Die Schranken von Münster enthalten neben langobardishen Ornamenten charakteristische nordische Figuren, wie das Gewürm (Abb. 32).

In den Chorschranken staken rechts und links die Brüstungen der Ambone; diese sprangen konvex gegen das Chorusinnere vor, während im konkaven Teil der Leser oder Prediger stand. Nur in der Westschweiz haben sich frühmittelalterliche Ambone gefunden; zwei wohlerhaltene Exemplare mit typisch fränkischer Ornamentik, die der langobardischen sehr nahe steht, wurden in S. Maurice im Wallis und in Romainmötier ausgegraben. Ein drittes Stück stammt aus Balma. Die spätgotische Nachahmung eines frühmittelalterlihen Ambons von der Gestalt derjenigen, die an den Taufbecken eingebaut sind, steht, als uralte Kanzel angesehen, in der Columbans- kirche von Andermatt. Die Tradition schreibt den Monolith den Stiftern von Disentis zu.

Nod seien die frühmittelalterlihen Baufragmente genannt, die sich zerstreut, und nicht immer in ihrer Bedeutung sichergestellt, in der Schweiz finden. Erwähnt seien die Platte mit dem Scheibenkreuz zu S. Ursanne*), die kleinen Kapitelle im Museum von Locarno‘), kleine Baufragmente zu S. Maurice, zwei karolingische Kapitelle zu Basel?) und die Platte von Herznach®); das letztgenannte Monument fällt bereits in die Jahre um 960, wir erwähnen es bloß, weil noch typisch fränkisches Riemenwerk daran zu sehen ist. Spätlangobardische Ornamente finden sich in großer Zahl an den Frag- menten im Pfarrgarten von S. Vittore zu Muralto und im Museum von Locarno; ebenda ist auch eine Zeichnung erhalten, welche das einstige Hauptportal der genannten S. Viktorskirche wiedergibt. Auch diese Stücke dürften noch ins erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung zurückgehen ‘).

1) Restitution Mazzantis in Revue de l'Art Chrétien IX, PI. XII.

2) Vgl. H. Grisar a. a. O., Fig. 4 des Sep. Abdrucks.

3) Vgl. des Verf. Aus der christi. Altertumskunde. Zürich 1904.

4) Schweiz. Archiv f. Volkskunde 1907, p. 81, p. 120, Fig. 29a.

5) Abg. in Basler Zeitschr. f. Gesch. u. Altertumsk. V, 1906. Taf. III u. IV.

6) Abg. in des Verf. Denkm. z. Basler Gesch. 1907, Taf. VI.

7) Die Krypten des Frühmittelalters (S. Maurice, Chur, Disentis, Zürich) übergehen wir, weil durch keinerlei Kunstformen ausgezeichnet; nur in der Westgruft von St. Gallen sind jonisirende Kapitelle zu erwähnen. Die sehr zahlreichen frühmitt. Steinsärge (S. Maurice, Lausanne, Moutier, S. Ursanne, Basel, Augusta Raurica) sind ohne Schmuck.

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Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo

Mit einem Anhange über Signorelli und Correggio Von Otto Hettner

Zeichnungen zum jüngsten Gerichte, Engelgruppe oben rechts

I.!) Studie für einen der Engel oben rechts mitten über der Säule. Rechter Arm oben rechts in der Ecke noch einmal wiederholt.

(Drei weitere Studien werden hier nicht besprochen.) Verso mit zwei Studien für denselben Engel (eine von Steinmann nicht erwähnte Studie für die Beine dieses Engels, unten)

II und zwei anderen für den Engel mit dem Essigshwamm. „Berenson sieht hier mit Unrecht eine Kopie.“*) Kreidezeichnung im British Museum. Vorderseite: Ph. Braun 18. Berenson II. 115, n. 1684. Steinmann 63 A, Abb. 62 (Abb. 11). Verso: Originalphotographien von Donald Macbeth. Steinmann 63B, Abb. 63 (Abb. 12).

I. DER ENGEL OBER DER SAULE.

Auf den mir bekannten Entwürfen zum Jüngsten Gerichte kommt der „Engel über der Säule“ noch nicht vor. Die Beziehung mit der Zeichnung auf dem Blatte des British Museum, Steinmann, Nr.75A, Abb. 75, B. Berenson, II. 92 n. 1536: PI. 144. Originalaufnahme D. Macbeth („ganz oben wohl Studie für einen der Engel mit den Marterwerkzeugen,“ Steinmann) ist sehr entfernt. Die Dokumente für seine Entstehung beschränken sich also ausschließlich auf das, was wir auf dem zuerst genannten, doppelt bezeichneten Blatte des British Museum finden. Die fünf hierauf bezüglichen Zeichnungen gehören schon alle in den Kreis des Studiums. Keine stimmt ganz mit der Figur des Fresko überein. Auch ihre Kombination ergibt sie nicht vollständig.

Die Bewegung der Figur auf dem Fresko (Abb. 10) ist diese: Der Engel schwebt von hinten rechts nach vorn der Mitte zu. Der Kopf wendet sich seitlid nach unten. Der linke Arm und die Hand haben eine sprechende Geste nach der Richtung, nach der der Engel schaut. Mit dem rechten Arme und der Hand schiebt er den über ihn weg fliegen wollenden Engel zur Seite. Das linke Bein ist nach hinten gestreckt, der Unterschenkel nach oben gebeugt, das rechte nach unten und der Unterschenkel so

1) Steinmann, Seite 605 (in anderer Anordnung).

?) „Eine fliegende Figur mit ausgestrecktem Arme, eine andere..... Keine von ihnen bin ich imstande im „Jüngsten Gerichte“ zu identifizieren. Sie mögen daher entweder Kopieen von nicht verwerteten Originalskizzen oder Vergrößerungen leichter Andeutungen des Meisters sein. Dieser letzteren Annahme wird durch die Tatsache einiges Gewicht gegeben, daß, während ich, wie gesagt, nichts diesen Skizzen Gleiches im Fresko finden kann, ein oder zwei schwebenden nicht ungleiche Figuren sich in der Malcolm-Skizze für dieses Werk unterscheiden lassen. Derselbe Kopist hat übrigens mindestens noch eine erhaltene Zeichnung gemacht. Sie befindet sich in Oxford und ist nach der Figur in der untersten linken Ecke des „Jüngsten Gerichtes“, die im Begriffe aufzustehen, zurücblickt, gezeichnet.“

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 135

Abb. 10. MICHELANGELO. Detail aus dem Jüngsten Gericht Engelgruppe oben rechts O

gebeugt, daB er zu dem Oberschenkel des anderen parallel ist. Es ist von einem vorderen Engel überschnitten, nur das Knie ist sichtbar (mit einem Gewande übermalt)

Der Gang der Arbeit. (Abb. 11 u. 12.)

Die Arbeit begann mit der großen Studie der Gesamterscheinung nach dem liegenden Modelle. Der Leib war auf dem Tische breitgedrückt: er wurde so ge- zeichnet, später korrigiert und dem entsprechend auch der obere Kontur geändert. Um diese Modifizierungen erfassen zu können, war eine zweite Studie, diesmal am freien Torso, nötig. Es ist die obere auf dem Verso nach dem Knieenden aus Obersicht. Das Blatt war auf die linke Breitseite gedreht. Kopf und Arme konnten in dieser Stellung nicht studiert werden und sind ohne Modell, das Blatt aber in der gewöhn- lichen Richtung liegend, später frei ergänzt worden. Auf der darunter befindlichen Zeichnung ist der Ring um die linke Hand auffällig. Links daneben ist eine zweite Skizze des Armes mit diesem Ringe. Der Kopf und die rechte Schulterpartie sind rasch, ohne Sorge, daß sie in einer anderen als der projektierten Stellung waren, hingesetzt worden. Dagegen ist das Augenmerk ganz ersichtlich auf die Muskeln der

136 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

linken Schulter konzentriert gewesen. Für die erste Studie hatte das Modell bequem mit der Brust ganz fest aufgelegen. Dadurch war der Arm bewegungslos. Auch diese Skizzen des Verso sind nach dem liegenden Modelle gezeichnet, dieses war aber weiter nach vorn gerückt, so, daß die Brust frei war, und hielt sich, um überhaupt wenigstens auf einige Minuten eine Beobachtung zu ermöglichen, mit der Hand an einem herunterhängenden Ringe fest. Das ist noch verhältnismäßig leicht, wenn die Kraft in die Schuiter gelegt wird. Auf der ersten Skizze sind ihre Muskeln ge- schwellt, der Biceps wenig. Die momentane, richtige Bewegung des wie freien Vor- streckens legt in ihn die Kraft. Auf der zweiten ist nur schnell in ein paar Strichen nichts anderes als seine stärkere Wölbung markiert worden. Das rechte Bein konnte nach dem Liegenden in der gewünschten Stellung gar nicht gezeichnet werden. Es lag, statt sich nach unten zu neigen, platt auf dem Tische auf. Eine Aufsicht auf einen halb Knieenden, d. h. das linke Bein knieend, das rechte gebeugt und auf dem Fuße aufstehend, konnte dazu die Möglichkeit geben. Es ist jedoch dazu kein Dokument erhalten. Einen Versuch nach dem ganz Knieenden zeigt der Verso unten Dafür wurde das Blatt vorher so gedreht, daß die Richtung der Schenkel derjenigen der anderen Zeichnungen entsprach (also auf die rechte Breitseite). Er ist für das linke Bein zwar flüchtig verwendet worden, war aber für das rechte und für eine Er- fassung des Zusammenhanges untauglih. Dann wurde die erste Studie wieder vorgenommen. Nun drehte der Zeichner zeitweise sein Blatt, zunächst die linke Seite nach unten, in die Ansicht der Obersicht, und trug, wahrscheinlich direkt nach dem Modelle, die Linien ein, die den Torso runden. Dann drehte er die obere Seite des Blattes nach unten und korrigierte nach dem auf dem Rücken Liegenden, und zwar aus zu starker Profilansicht, das linke Bein. Daher erklärt sich der unorganische Ansatz in der Kniekehle. Eine Ansicht auf die beiden Sehnenbänder und in die Kehlung müßte vorhanden sein. Der Fehler ist auch auf dem Fresko nicht voll- kommen verbessert worden. Zu dem rechten Arme und der Schulter, die in dieser Lage wegen des Tisches nur ganz ausdruckslos gegeben werden konnten, oben eine Spezialstudie nach dem sitzenden, nach vorn sich überbeugenden Modelle.

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Ich hatte Mühe, diesen Gang der Arbeit klar erkennen zu können und mußte mich besonders davor hüten, die Art in den Studien sehen zu wollen, die ich in einem solchen Falle angewandt hätte, und mir deren Spuren vorzusuggerieren. In der Tat war meine Vorstellung vom Arbeitsgange in einigen Punkten zuerst anders, als ich ihn erklärt habe. Zu dem endgültigen Verständnisse bin ich durch eine genaue Beobachtung der Strichführung gekommen.

Ich habe das Folgende in der Praxis und theoretisch genauestens geprüft und gebe hier die Resultate. Die begründende Darlegung gehört nicht in meine Arbeit.

Je nach der Art des zu ziehenden Striches wird die Hand in eine andere Lage gebracht, unter Umständen die strichziehende Bewegung durch Zuhilfenahme des Armes unterstützt. Die einfachst zu ziehende, freieste Linie, da sie mit der natürlichsten Handstellung ausgeführt wird, ist die von unten-innen nach oben-außen, resp. als

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Abb. 11. MICHELANGELO. Studien zum Jüngsten Gericht

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138 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Rückstrid von oben-außen nach unten-innen gehende, während die komplizierteste die dieser entgegengesetzte Diagonale ist, da dazu die Hand über das Gelenk nach innen gedreht werden muß. Daraus geht hervor, daß die freiesten Linien des linkshändigen Zeichners die unfreiesten des rechtshändigen sind und umgekehrt. Da die Bewegung zur Strichführung eine Zirkeldrehung der Hand ist, so haben wirklich freie Linien, d. h. solche, deren Form nicht durch das zu zeichnende Objekt bedingt sind, eine kleine Tendenz zur Rundung. (Wir finden sie am ausgeprägtesten bei Schraffierungen, oft auch in der Art, in der ein Kontur in mehrere Linien aufgelöst ist.) Daher ergibt sich, daß die freieste Diagonale Tendenz zur Wölbung, die ihr entgegengesetzte zur Höhlung, die vertikale zur Ausbiegung, die horizontale, je nach der Handstellung, in der sie gezogen ist, zur Höhlung oder Wölbung hat; die gewölbte ist besonders bei langen die gebräuchlichere. Aus diesem Grunde kann bei einer Linie trotz gleicher Richtung entschieden werden, mit welcher Hand sie gezogen ist.

Es wird sich, je ausgesprochener der Charakter eines Künstlers ist, desto sicherer eine individuelle Handhabung des Stiftes zeigen. So wird sich z. B. eine Vorliebe für Strichführung von innen nach außen oder von außen nach innen oder auch Maniriertheiten, wie übertriebene Anwendung unfreier Diagonalen (wie zu Kreuz- strich), feststellen lassen. Deren scharfe Beobachtung kann zur Bestimmung von Zeich- nungen ausgenutzt werden. Einen Anhalt dazu bietet ein Vergleich mit der Hand- schrift. Der Schreiber der Steilschrift wird eine stärkere Tendenz zu vertikaler und - horizontaler Lage haben als der schräger Schrift.

Die Zeichnungen

Wenn wir das Verso dieses Blattes auf die Strichführung hin prüfen, finden wir, daß in seiner gewöhnlichen Ansicht nur die untere Studie zum „Engel über der Säule“, deren Ergänzung am Rande und die Kopf- und Armpartie der oberen Studie derselben Figur rechtshändig gezeichnet erscheinen. Die andere Partie der letzteren zeigt so die vollkommene jinkshändige Tendenz: die freien Striche von links nach rechts und gewölbt.) Von der oberen Schmalseite, die im übrigen linkshändige Richtung zeigt, und von der rechten Breitseite her angesehen, sind die freien Diago- nalen gehöhlt. Von der linken Breitseite her zeigt sie aber die typischen Tendenzen

1) Ich war nicht wenig erstaunt, als ich im Zusammenhange mit meinen Beobachtungen auf die Stelle bei Julian Kiaczko in den ,Florentiner Plaudereien“ aufmerksam gemacht wurde: „Ein anderer nicht minder seltsamer Zug: dieser unermüdlicher Arbeiter (Michelangelo) . ... war linkshändig.“ Herr Professor Steinmann war so gütig, mich diesbezüglich auf die Stelle der „Autobiografia di Raffaello di Montelupo“, Vasari (Editione Sanzoni IV, pag. 553) aufmerksam zu machen: „Qui si puo metere ancora come io disegno con la mano manca, e una volta sendo a Roma a disegnare l'arco di Trasi da Coloseo, passò Michelagnolo e fra Bastiano del Piombo, si fermorono a vedere, e perché l'uno e l’altro era mancino naturale, inperò non facevano niente con la mancina, salvo le cose di forza.“ In der Anmerkung: „Queste parole spiegano come riguardo Michelagnolo si debba intendere questa particolarità (Gaye).“ Michelangelo hat also rechtshändig gezeichnet und gemalt. Wie verhält es sich aber bei solchen Marmorarbeiten, die Kraft ver- langen, wie das Zuschlagen eines Blockes? Sollte er da nicht den Hammer in der linken, den Meißel in der rechten Hand gehalten haben? Ich glaube davon am „Matthäus“ der Akademie in der Richtung der Riefungen Anzeichen zu finden.

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Abb. 12. MICHELANGELO, Studien zum Jüngsten Gericht

140 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

des Rechtshandigen. So also wurde sie gezeichnet. Sie zeigt die Ansicht des Modelles aus Obersicht. Zu der Beinstudie unten lag das Blatt auf der rechten Breitseite. Darauf weist uns sogleich die sichtlich knieende Stellung; wird sie mit der eben be- sprochenen verglichen, ergeben sich entgegengesetzte Tendenzen.

Auf der Hauptzeichnung der Vorderseite können wir drei verschiedene Strich- richtungen feststellen. Diese beweisen, daß die Gesamterscheinung zuerst in der ge- wöhnlichen Ansicht des Blattes aufgezeichnet, zuzweit von der linken Breitseite her, also nach der Obersicht auf das Modell, resp. nach der entsprechenden Studie des Rückens und der Oberschenkel, zudritt von der oberen Schmalseite her, also nach auf dem Rücken liegendem Modelle, die Kniepartie und das linke Bein korrigiert worden sind.

II DER ENGEL MIT DEM ESSIGSCHWAMME Der Gang der Arbeit. Die Zeichnungen

Die Identifizierung der beiden Zeichnungen mit dieser Figur des Fresko halte ich für nicht sicher. Die Stellungen sind wesentlich verschieden. Auf jeden Fall aber sind es Studien für eine aus Untersicht gesehene, herabschwebende Figur, deren Ansicht so beredhnet ist, daß die flüchtigere Skizze richtig in der gewöhnlichen Lage des Blattes, die ausführlichere von der rechten Breitseite her anzusehen ist.

Die untere wurde nach dem liegenden Modelle aus erhöhtem Standpunkte von hinten her gezeichnet. Die Strichrichtung ist der des unteren „Engels über der Säule“ genau entgegengesetzt. Wenn wir das Blatt auf die obere Schmalseite herumdrehen, beobachten wir die normale Linienführung. Besonders die runden Linien sind zu prüfen. Sie wären anders herum, also gehöhlt, nicht so sicher ausgefallen. Da aber, wo sie in der wirklihen Ansicht des Studiums, durch die Form des Objektes bedingt, gehöhlt gezeichnet sind, sind sie unsicher oder in zwei Striche aufgelöst: der den Armmuskelansatz an die linke Schulter bedeutende, die der beiden Angaben des Schädels.

Die andere Studie ist in der uns geläufigen Ansicht, d. h. diesmal das Blatt trotzdem auf die rechte Breitseite gedreht, gezeichnet worden: aus Obersicht nach sitzendem Modelle. Die gerundete Linie unter dem rechten Arme (die äußerst rechte des Körpers) ist der Kontur des nach vorn kommenden Beckens. Die Strichführung hat dieselbe Tendenz wie die der Beinstudie des „Engels über der Säule“ und zu dessen Obersichtsstudie entgegengesetzte.

Die Echtheit des Blattes. Sie ist durch die Logik der Zeichnungen bewiesen.

ANDERE FIGUREN DER SIXTINISCHEN KAPELLE

An den sehr spärlichen Resten der Zeichnungen wurde gezeigt, daß Michel- angelo die beschriebene Methode angewendet hat. Die Gesamterscheinung sehr vieler Figuren der Kapelle ist durch sie erhalten worden.

Die Möglichkeiten für die Spezialstudien sind so mannigfaltig und bei Michel-. angelo so individuell genial, daß die nachträgliche Reflexion sie höchstens vermuten

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 141

kann. Wir haben an einigen Beispielen verfolgen können, wie er sich mühte, welche beschwerlihen Wege er ging, wie er seine Vorstellung beherrschte, so sehr, daß er Studien zu unternehmen wagen konnte, die ihr im Sinne direkt zuwider waren, um der Idee der Bewegung die letzten Konsequenzen abzugewinnen.

Ich beschränke mich also auf die Beschreibung, wie die Gesamterscheinung zu einigen Figuren studiert worden ist.

FIGUREN DER DECKE

Die Trennung des Lichtes von der Finsternis: rücklings liegendes Modell. Obersicht.

Die Erschaffung der Sonne und des Mondes: Gott Vater fortfliegend, von hinten gesehen: das Modell kauert auf der Erde. Gott Vater von Engeln umgeben: auf der Erde sitzendes Modell, im Momente des sich Aufrichtens. Obersicht.‘

Gott scheidet Wasser und Erde: gleicher Studiengang wie der der beiden mit dem „Engel mit dem Essigschwamme“ in Zusammenhang gebrachten Zeichnungen, die mit diesem Gott Vater viel eher übereinstimmen. Gegen diese Beziehung spricht jedoch, daß ein Zeitraum von dreißig Jahren zwischen dem Deckenfresko und dem Jüngsten Gerichte liegt, zu dem die andere Engelsstudie desselben Blattes gehört. Die Studie wurde umgedreht. Wenn man die Figur vom Eingange der Kapelle aus ansieht, hat man den Eindruck des Liegenden, so, wie ihn Michelangelo von seinem Modelle hatte.

Die Erschaffung Adams: Gott Vater: liegendes Modell. Obersicht. Durch diese Lage wurden die Arme ausdruckslos. Es sind Spezialstudien dazu auf einem Blatte des Teyler-Museums (Steinmann 30, Abb. 12. Marcuard, Tav. VI. B. Berenson, Il, 81 n. 1466) erhalten, zu der rechten Hand auf dem Haman-Blatte desselben Museums (Abb. 8). Diese am aufgerichteten Modelle studiert. Zu dem Engel über der linken Schulter Gott Vaters auf dem ersten der beiden Blätter eine Studie, zu der das Modell bäuchlings gelegen hat. Der Engel unter Gott Vater: das Modell lag. Obersicht.

Die Erschaffung Evas: die Bewegung der Eva wird am stehenden Modelle in einer raschen Skizze in ihrem Zusammenhange erfaßt worden sein. Das Modell kann die Stellung nur ganz momentan geben, wird dann besonders sofort den Rücken wölben müssen. Das widerspräche aber dem Transcendentalen der Geste. Eine aus- führliche Studie konnte nach dem sitzenden Modelle erhalten werden. Dann wurde das Blatt auf die rechte Ecke unten gedreht. Wir erhalten diese Ansicht, wenn wir die Photographie auf die linke untere stellen.

Die Vertreibung aus dem Paradiese: der Engel: liegendes Modell, dann Studie gedreht.

FIGUREN DES JÜNGSTEN GERICHTES

Ih führe nicht alle Figuren des Jüngsten Gerichtes, die mit Anwendung der Methode entstanden sind, einzeln an und wähle nur die charakteristischsten und die, bei denen neue Varianten vorkommen, heraus.

Engelgruppe oben links: der Engel auf dem Kreuz ist aus Obersicht nach liegendem Modelle studiert, sein rechtes Bein lag auf einem Balken auf. Zu dem

142 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

links daneben auf der anderen Seite des Kreuzbalkens schwebenden, saß es auf der Erde und wurde wieder aus Obersicht gezeichnet, der oben, der die Hände über die Kreuzung schlingt und das Kreuz auf seinem Rücken fort trägt, nach knieendem Modelle, das mit der Brust auf einem Schemel auflag, aus halber Obersicht.

Engelgruppe oben rechts (Abb. 10): der Engel, der unter der Säule diese erfaßt, aus Obersicht nach dem mit vorgebeugtem Oberkörper sitzenden Modelle.

Sehr erstaunliche Kombinationen sind zu den aus der Charonsbarke, rechts, herausstürzenden Verdammten angewandt worden (Abb. 13). A. sitzt auf dem FuB- boden. B. liegt seitlich davor platt auf dem Bauche und biegt den linken Unterschenkel nach oben, das rechte (nicht sichtbare) Bein wahrscheinlich seitlich. C. sitzt auf der anderen Seite auf der Erde. Die Gruppe wurde fast aus Obersicht von der linken Seite her gezeichnet. Es gibt davon eine Zeichnung (Mailand, Bibliotheka Ambrosiana. Ph. Braun 10 [Abb. 14)), auf der wir deutlich den beschriebenen Zusammenhang erkennen. Die unkon- struktive Behandlung macht zweifel- los, daß sie kein Original ist. Es ist aber keine Kopie nach dem Fresko, sondern nach einer Studie Michel- angelos. Wir sehen darauf sogar die Schlagschatten der Figuren auf dem Fußboden. Ein anderes Blatt Abb. 13. MICHELANGELO. Detail aus dem Jüngsten (im Typus der Weimarer Kopien nach

Gericht. Charonsbarke o dem Fresko. Der Aufbewahrungsort

ist mir unbekannt) zeigt B. in Ver-

bindung mit D. Eine besondere Studie dieses Zusammenhanges wurde sicher unter-

nommen. Dazu lag B. auf seiner linken Seite auf einem Tische auf, D. stand dahinter

und griff, wie wenn er ihn aufheben wolle, dem anderen unter den Leib und den

linken Oberschenkel. So konnte auch die Beckenpartie von B., die am Liegenden

unfrei war, studiert werden. Wir erhalten die Ansicht dieser Zeichnung, wenn wir

die Photographie auf die rechte Seite drehen. Daß das erwähnte Blatt eine Kopie, und

zwar nach dem Fresko ist, wird dadurch bestätigt, daß die Originalstudie, in die Richtung der vollendeten Gruppe gedreht, linkshändig erscheinen würde.

So bleiben auf dem „Jüngsten Gerichte“ und auf der Decke schlieBli keine Figuren übrig, die nicht ein ganz ausführliches Modellstudium zur Basis haben. Eine große Zahl ist in der allgemein üblichen Art studiert worden. Es ist an den Stellungen deutlich erkennbar, wie stets ein Niveau des Fußbodens vorhanden war, wie es durch

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 143

Stühle, Kisten u. dgl. variiert wurde, wie sich das Modell über den Rand eines Tisches nach unten bog, platt lag und so oft in vollkommener Verkiirzung gezeichnet und endlich, wie bei sehr vielen die beschriebene spezielle Methode an- gewandt wurde. Durch wie unsäg- lih mühevolle Arbeit Michelangelos Erkennt- nis und deren Erfolg erhalten wurden, wie er „seine Schöpfungen seinem Genius abge- rungen hat“,!) ist hier von neuem beleuchtet. Die Idee der Methode fand er vor, er hat sie bis auf das AuBerste entwickelt.Festzustellen, wann und von wem sie zuerst benutzt wurde, ist die Aufgabe des Historikers. Reliefs sind hierfür ebenfalls in Be- tracht zu ziehen, da ihr Wesen, wie das des Bildes, die Illusion der Tiefe durch Verkürzung in den Raum ist. Auch bei Rund- plastiken finden wir, daß Figuren nach lie- gendem Modelle ge- arbeitet und dann an- ders gerichtet wurden. Abb. 14. Kopie einer Studie Michelangelos zum Jüngsten Gericht So der „sterbende Sklave“ des Julius-Grabmales in Louvre.?) Die anatomische Richtigkeit der Crucifissi ist sicher auch in der Skulptur oft dadurch gelöst worden, daß die Arme des liegenden Modelles durch seitliche Stricke gespannt waren.

1) Adolf Gottschewski übersetzt so sehr glücklich das vasarische „tentare l'ingenio suo*. („Zu Michelagniolos Schaffensprozess“, I. Jahrgang dieser Monatshefte, Seite 855.)

2) Justi, Michelangelo, Seite 227. „Nun aber wäre in allen diesen Zuständen die aufrechte Stellung unmöglih. .... Wenn also die Lösung nicht ganz natürlich und überzeugend ausge-

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144 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 15. SIGNORELLI. Detail aus: i condannati alle pene infernale

ANWENDUNG DER METHODE BEI SIGNORELLI UND BEI CORREGGIO

Signorelli

Die Methode ist zu dem Fresko in Orvieto ,i condannati alle pene infernale“ (Abb. 15) angewandt worden. Ich hatte keine Gelegenheit, Zeichnungen zu den be- treffenden Figuren zu prüfen, weiß übrigens nicht, ob solche erhalten sind.

A. Das Modell lag. Aus Obersicht gezeichnet. Blatt umgedreht. B. Das Modell kauerte auf der Erde. !/, gedreht.

C. Das Modell lag auf der Seite. Der Zeichner stand.

D. Das Modell saß. Obersicht. Umgedreht.

E. Zwei Modelle saßen hintereinander. Schräge Obersicht.

Im Getümmel unten ganz rechts stürzende Figur: das Modell lag bäuchlings. Obersicht. Umgedreht.

Während Michelangelo die Lichtführung, trotz der oft durch das Herumdrehen der Blätter verschobenen oder durch die Kombination mehrerer Modellstellungen ver- schiedenen Beleuchtungen dann klar zur Einheit gestaltete (nur Kleinigkeiten wie die beim Haman nachgewiesene mögen sich auch sonst eingeschlichen haben), finden wir bei Signorelli diese Konsequenz nicht gezogen. Die umgekehrt gezeichneten Figuren

fallen ist, so mag dies damit zusammenhängen, daB er (Michelangelo) zum Teil nach einem Modell gearbeitet hat, dem er eine horizontale Lage, ruhend auf der linken Körperseite, gegeben hatte. Versetzt man die Figur in diese Lage, so gibt die obere Hälfte das harmlose Bild eines Schläfers.“ l

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 145

haben die Beleuchtung der Studie auf dem Fresko beibehalten und fügen sich in dessen Licht- und Schattenverteilung nicht vollkommen ein.

Auch der Idee der Bewegeng ist er nicht so ernst nachgegangen. Ich bin sehr sicher, daß ihm stets die Studie der Gesamterscheinung vollkommen genügt hat. Ebenso wird ersichtlich, daß diesen Figuren kein Entwurf vorausgegangen ist, in dem deren Idee des Stürzens erfaßt worden wäre. Es genügte ihm, eine bizarre Ver- kürzung am liegenden oder sitzenden Modelle zu erhaschen und diese in die Luft zu plazieren. Besonders C. ist im Sinne ganz verfehlt.

Correggio

Die Methode izt ausgiebig für die Kuppel in Parma angewandt worden. Der Christus z. B., der aus der Höhe herunterschwebt, liegt sehr bequem auf einer Bank.

Die Engelsgestalt in einem Zwickel des Domes zu Parma mit dem heiligen Bernhard (Abb. 16) und der „Ganymed“ im Hofmuseum in Wien (Abb. 17)

Zu dem „Ganymed“ sagt G. Gronau’): „Einen Zweifel an der Echtheit hat meines Wissens zuerst H. v. Tschudi geäußert (Correggios mythologische Darstellungen in ‚Die graphischen Künste‘, Wien 1880, S. 8—9). Er wies darauf hin, daß der Ganymed fast getreulich mit einer der Engelsgestalten in einem der Zwickel des Domes von Parma mit dem heiligen Bernhard übereinstimmt. Daher hält er ihn für das Werk eines Nachahmers, etwa eines der Caracci. Auch Ricci (S. 339) bezweifelt die Eigenhändigkeit: es sei unmöglicı, daß ein Maler wie Correggio sich selbst so sklavisch wiederholt habe. Ich halte trotz so gewichtiger Stimmen mit Meyer und Venturi (Rivista d'Italia III, 5, S. 93) unbedingt an der Echtheit fest, schon wegen der trotz nicht günstiger Erhaltung erkennbaren Qualität der Malerei. Auch ist die Über- einstimmung in Einzelheiten nicht so sklavisch, z. B. die Kopfhaltung nicht unwesentlich verschoben, der Gesichtsausdruck bemerkenswert verschieden. Den Umstand, den Ricci hervorhebt, daß das Gewand, wie bei dem herabschwebenden Engel dort, auch hier aufwärts flattert, statt nach unten, wie es richtig wäre, mag sich aus einem künst- lerischen Moment (damit das Beinmotiv nicht unklar würde) erklären lassen. Endlidı möchte ich nicht so sicher behaupten, daß der ‚Ganymed‘ unbedingt die spätere der beiden Figuren sei. Ist unsere Vermutung richtig, daß Correggio noch nach 1530 an der Domkuppel gemalt hat, zu deren allerspätesten Teilen die Zwickel gehören, so würde sich das Verhältnis leicht verschieben. Für die Entstehung des ,Ganymed‘ ist die Übereinstimmung seines Kopfes mit dem Christus der ‚Madonna della Scodella‘ bestimmend. Zuletzt spricht für den ‚Ganymed‘, daß er das Gegenstück zur ‚lo‘ ist, was durch das genaue gleiche Höhenmaß der Bilder bewiesen wird.“

In der Tat stimmen die Stellungen der beiden Figuren nicht ganz überein. Eine sehr wesentliche Verschiebung der Kopfhaltung kann ich nicht bemerken. Bei dem Engel ist die Verkürzung vielleicht etwas stärker als bei dem „Ganymed“. Die etwas schrägere Position ist nur scheinbar im Vergleich zu dem linken Arme. Denn dieser

1) Correggio. Deutsche Verlagsanstalt. 1907. Anmerkung Seite 165.

146 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

ist verschieden. Auf dem Fresko ist das Innere der Hand nach unten gewendet, auf dem „Ganymed“ greift sie nach innen zu (in das Gefieder des Adlers). Die Füße sind auf dem Fresko gestreckt, auf dem „Ganymed“ gebeugt, der linke Unterschenkel auf dem Fresko etwas mehr nach unten geneigt, der rechte Oberschenkel hier sichtbar, auf dem „Ganymed“ fehlt er ganz.

Beide Figuren gehen auf dieselbe Studie zurück. Das Modell lag bauchlings auf einer Bank. Es drehte den Kopf seitlich. Der linke Arm hing herunter, wobei die natürlihe Bewegung die Wendung der Hand und des Armes nach innen ist; die rückwärts, d. h. nach unten auf der auf- gerichteten Figur, ist für den Liegenden unfrei, fast unausführbar, weil die Kante der Bank in der Adhselhöhle und an dem Oberarme die Drehung verhindert. Die Unter- schenkel waren beide nadı oben gebeugt und konnten nur dann längere Zeit in der Stellung verbleiben, wenn sie auf ihrem Schwerpunkte ruhten, also annähernd im rechten Winkel zu den Oberschenkeln. Ebenso war die Streckuny der Füße eine auf die Dauer unmégliche Anstrengung für das Modell.

Correggio zeichnete diese Ansicht mit etwas Untersiht und Verkürzung nach hinten. Dadurch konnte er von dem rechten Beine des Modells nur den unteren Teil des Unterschenkels von der Wade ab sehen. Den Oberschenkel sah er gar nicht.') Diese Studie wurde dann auf die rechte Schmal- seite des Blattes gedreht, um die bezweckte Abb. 16. CORREGGIO. Detail aus dem Dome Ansicht zu bieten. Es waren Ergänzungs-

zu Parma o Studien nötig, um die gewünschte Bewegung

von Hand und Arm, die für das Schweben

der Figur ausdrucksvollere, tiefere Neigung des linken Unterschenkels, das Strecken

der Füße und endlich eine Ansicht des links von dem linken Oberschenkel notwendig sichtbar sein müssenden rechten Oberschenkels zu erhalten.

Diese Studien sind sicher unternommen, denn wir finden deren Resultat auf der Figur des Engels in Parma. Auf dem „Ganymed“ aber nicht. Der „Ganymed“ zeigt vielmehr genau die Stellung, die das Modell zu der ersten Studie der Gesamt- erscheinung inne haben mußte, ganz, ohne nur ein Zeichen der weiteren Entwicklung zu tragen.

Können es künstlerische Gründe sein, die dies rechtfertigen? Als Bewegung

1) Der Fall ist dem des Michelangeloschen „Engel über der Säule“ sehr ähnlich,

O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo - 147

des Schwebens ist der Engel fraglos richtiger. Nur die Beibehaltung des linken Armes der Studie der Gesamterscheinung ist für den „Ganymed“ glücklich. Die Hand greift so wirklich in das Gefieder des Adlers. Bewogen also den Maler kompositionelle Gründe, bewußt die richtigere Bewegung aufzugeben, um eine schönere Form- oder Flächenverteilung zu erhalten?!) Wenn wir den „Ganymed“ nach dem Engel ergänzen, wird die kleinliche helle Spitze zwischen den Schwanzfedern des Adlers und dem linken Schenkel durch den anderen Schenkel günstig ausgefüllt, ferner dessen äußerer Kontur eine erfreuliche dritte Parallele zwischen den äußeren Konturen des Schwanzes und des linken Oberschenkels einfügen, die schrägere Lage der Beine die etwas ge- waltsame Ecke des Knies mildern und glück- liher mit der Richtung des linken Armes harmonieren, endlich die gestreckteren Füße die peinliche Parallelität des äußeren Konturs der linken Sohle zum Rahmen aufheben. Die Enwicklung, die der Engel nach Ab- sdiluB der Gesamtstudie durchgemacht hat, wäre also auch für den „Ganymed“ von guten Folgen gewesen. Der Maler des Engels kann ihn also sicher nicht später wie diesen gemalt haben.

Aber vorher? Dann wäre also die Erkenntnis und die ausführlichere Arbeit erst verspätet bei der zweiten Figur gekommen? Das ist an sich von einem so erfahrenen Praktiker und einem Künstler wie Correggio nicht anzunehmen und am wenigsten in diesem Falle. Der „Ganymed“ ist ein Tafel- bild und die schwebende Bewegung das Hauptmotiv der einzigen Figur. Und hätte Abb. 17. CORREGGIO (?) Detail. „Ganymed“ er sie selbst dafür so ungenügend akzep- tiert, so wäre sie gewiß für den Engel, der als unbedeutende Nebenfigur in dem Gewimmel der Gruppierung, dazu in der Höhe des Zwickels, fast verschwindet, genügend gewesen.

Es scheint also wenig wahrscheinlich, daß der „Ganymed“ von Correggio sei Er kann ebenso wenig, wie H. v. Tschudi und Ricci annehmen, dem Fresko entnommen sein. Er ist vielmehr von einem Nachahmer mit strenger Benutzung der correggioschen Studie zur Gesamterscheinung des Engels gemalt worden, und das ohne Einsicht von deren bedingten Unzulänglichkeiten, wenigstens ohne den Trieb sie aufzuheben.

Auf dieser Studie war der Kopf gewiß der eines gleichgültigen Modelles, der

1) Ich muß eingestehen, daß meine Kritik und diese Untersuchung ausschließlich an Photo- graphien gemacht sind. Ich kenne weder Parma noch Wien, und Gronau sagt sehr Gutes über die malerischen Qualitäten des „Ganymed“.

148 Monatshefte für Kunstwissenschaft

konstruktiv, ohne einen Ausdruck oder Typus zu suchen, angelegt war. Für das Tafelbild konnte er so nicht genügen. Und so kann die Übereinstimmung mit dem Christus auf der „Madonna della Scodella“ in dem anderen Sinne gedeutet werden, daß ihn der Nachahmer verwertet hat. Daß der „Ganymed“ im Höhenmaße mit der „lo“ übereinstimmt, beweist nicht, daß Correggio das Gegenstück gemalt habe. Das Gewand ist in der Gruppierung mit dem Fresko identisch, nicht in den Details. Da ist die Faltung durch die Klaue des Adlers richtig dazu erfunden. Es war auf der Correggioschen Studie auf keinen Fall im Zusammenhange mit der Figur aufgezeichnet, da es am liegenden Modelle nicht die Bewegung nach oben (resp. seitlich) haben konnte. Die Übereinstimmung läßt vermuten, daß es vielleicht von Correggio nadh- träglih in die Zeichnung eingetragen wurde und es der Nachahmer also vorfand Denn hätte er es dem Fresko entnommen, so wäre bei dieser Gelegenheit wohl auch anderes zum Vorteil seines Bildes daraus entlehnt worden.

PICCOLA ARTE SICILIANA

LE FIGURINE DI CALTAGIRONE Di E. Mauceri

Caltagirone, detta anticamente Calatagirone e chiamata un tempo col nome augusto di ,regina delle montagne“ è una delle poche citta siciliane d’ordine secon- dario particolarmente caratteristiche. —- Essa non solo, per vari secoli, dal’ 600 in qua, ha prodotto una fabbrica fiorente di majoliche, la piü ricca che mai sia esistita in Sicilia, ma è pur famosa per aver dato i natali ad una famiglia di artisti, artisti ge- niali e prodigiosamente fecondi che da natura trassero le più felici attitudini a rap- presentare costumi locali, quei costumi che oggi al soffio potente dei nuovi tempi sono quasi interamente scomparsi.

Vo dire dei Bongiovanni e Vaccaro, nomi celebri di popolani le cui terrecotte han varcato oramai le soglie di varie collezioni artistiche del mondo, lasciando in ogni città di Sicilia il posto delle vecchie case patrizie e borghesi, dov’eran destinate ad allie- tare i signorili salotti.

Se il trapanese Giovanni Matera ebbe il vanto di saper dare, in piccolissime proporzioni, figurine di legno sapientemente vestite ed atteg- giate con grazia di espressione e vivacità di movimento, a Salvatore Bongiovanni, nato da poveri sarti l'anno 1769, spetta il merito di aver creato a Caltagirone un vero afelier di figurine di terracotta, nelle quali vivono, ora contadini

x : l | CALTAGIRONE. Villa Flora O nei diversi aspetti della loro vita agreste, Ora ingresso con i vasi di Giacomo Bongiovanni

venditori di ogni genere, principalmente di frutta,

e di erbe, ora briganti nel loro leggendario costume, ora donnicciuole intente a bistic- ciarsi o ad accapigliarsi, ed ora artigiani, occupati nelle loro modeste e spesso umili faccende.

Il Bongiovanni, nei suoi lavori non si valeva mai di alcuna forma, ma ogni volta bensi modellava di getto dal vero il gruppo caretteristico che voleva ritrarre, dando vita alla rozza creta e completando con la coloritura i particolari delle vesti dei suoi umili personaggi.

Si dice ch'egli, a tale scopo, si fermasse quà e nel paese e nei dintorni osservando diligentemente i tipi e le macchiette più caratteristiche che gli si presenta- vano allo sguardo e che poi, con grande fedeltà, riproduceva nella informe materia Ma stanco finalmente di tal vita ed anelando alla grande arte, alla quale si sentiva irresistibilmente chiamato, nello scorcio del 1786, Salvatore si recò a Roma dove si diede a studiare bene il disegno; avvenne però che stretto, poco dopo, da dure ne-

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in capo a due anni, a tornare alla KORY Ra Te ONT, sua diletta Firenze, dove fu professore SER > en di scultura all'Accademia, e dove mori il 20 gennaio 1842 per un sinistro accidente capitatogli ad opera di ignoti malviventi e forse di suoi nemici!). L'arte di figurinaio intanto non si spense con l'assenza di Salvatore da Caltagirone, ma fu continuata con grande alacrità dal fratello Giacomo, nato nel 1772, e proseguita poi dal nipote Giuseppe Vaccaro, figlio di una sorella dei Bongiovanni che fir- mava sempre „Bongiovanni e Vaccaro“; ed è stata tenuta in onore sino ai

1) Su Salvatore Bongiovanni scrisse una pregevole memoria il valente archi- tetto caltagironese G. B. Nicastro ,Sulla vita e sulle opere di Salvatore Bon- . giovanni“ Firenze 1864.

Caltagirone-Villa Flora O Un vaso di Giacomo Bongiovanni

cessità, dovette tornare in patria e riprendere le piccole opere figuline ch'egli scherzando chiamava „la fab- brica dei costumi“.

Nel 1791 usci di nuovo dalla sua Isola, e si recò a Firenze invitatovi da un giovane amico, tal Giuseppe Spedolo da Treviso, che in quel tempo studiava presso i fratelli scultori Pietro e Giovanni Pisani. Pur essendo allora lagrimevole lo stato dell’arte di Do- natello e di Michelangelo nell'Atene d'Italia, dove tenevano il primato un Foggini, un Ticciati e un Piemontini, il nostro Salvatore ebbe tuttavia modo di segnalarsi, di vincer premi ed as- sumere commissioni importanti; ma contrariato poscia da gelosie ed ini- micizie, dovette allogarsi a Volterra Caltagirone -Villa Flora O in lavori di alabastro, riuscendo solo Un vaso di Giacomo Borgiovanni

E. Mauceri. Piccola arte siciliana 151

nostri tempi, oltre che da Giacomo Azzolina, altro fine temperamento di ar- tista, dai figli di Giuseppe Vaccaro, cioè dal defunto Salvatore e dal vivente Giacomo.

* = * Caltagirone possiede un’elegante villa pubblica, dove in uno dei viali e disposta in bell’ordine, una lunga serie di vasi da fiori di terracotta decorati di scene mitologiche e po- polaresche a rilievo, opera del vecchio Giacomo Bon- Caltagirone-„Casino“ Giuseppe Bongiovanni e Vaccaro giovanni; ma disgrazia- © BEIDEN tamente, a lungo andare, la città ha perduto il meglio della produzione artistica dei Bongiovanni e Vaccaro esulata in ogni angolo del mondo.

Gli amatori ne han fatto una grande incetta, ed è raro oggi vedere nel paese buoni e scelti pezzi. In occasione dell'Esposizione Agricola di Palermo, avvenuta nel 1902, si formò una discreta collezione di figurine raccolte nelle case signorili e bor- ghesi di quella città, e che fu esposta nel padigli- one della mostra retrospet- tiva, ma poi nessun altro tentativo di tal genere si è fatto, e la bella regina delle montagne non può vantare, chè ne avrebbe il diritto, un piccolo Museo di majoliche e di terre- cotte che in quell’ambiente eserciterebbe certo una grande forza suggestiva e parlerebbe la vita dei secoli trascorsi e della migliore attività dei suoi figli.

Nel ,casino di com- pagnia“ si ammirano due

Caltagirone-,Casino“ Giuseppe Bongiovanni e Vaccaro ous nai g Gruppe in terracotta gruppi caratteristici e pieni

152 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Benedetto Papale-Presepe

di molta verita, rappresen- tanti ciabattini, opera di Giuseppe Vaccaro, firmati »Giuseppe Bongiovanni e Vaccaro di Calatagirone“; anche nel palazzo Munici- pale si conservano altre figurine dello stesso artefice; ma quante sone le scom- parse o smarrite; quante sono andate a rallegrare altri lidi ed altra gente lontana?

* A *

In tale ambiente ar- tistico era ben naturale che la vecchia, gloriosa tradi- zione non si perdesse e

che altro simpatico e valoroso artista sorgesse, questa volta sotto l’umile saio di S. Francesco di Paola: Padre Benedetto Papale. Amico del defunto pittore Francesco Vaccaro, che nelle chiese caltagironesi profuse a piene mani ogni fior di gentilezza e di buon gusto, e di Salvatore Marino, altro cuore di artista, egli fin dai primi

teneri anni si volse ai puri regni dell'arte, e senza alcun maestro, con la sola madre natura aperta ai suoi occhi ,nuotanti nel sogno“ quella natura che nel paesaggio caltagironese diviene altamente maestosa e sublime; col solo suo gran cuore nel quale si ripercuotono i più dolci sensi, i più soavi palpiti e fremiti di gentile poeta, divenne artista, e l'arte che nelle sue nobili mani acquista tutto il profumo e l'ingenuo candore di un Primitivo, l’arte che per lui è amore, sospiro dell'anima e vita, dedicò con sin- cero sentimento di cristiano di altri tempi a noi lontani, al divino figlio di Nazareth, rappresentandolo nel momento solenne della Natività in grembo alla vergine natura.

Fra i tanti presepî da lui creati, famoso è quello di Modica, nel quale ogni particolare, dalla mon- tagna rocciosa al prato erboso, dalla soave figura di Maria a quella dei poveri pastori, tutto è movi- mento, verità e gentilezza.

Egli è perciò che il Majelli, il poeta forte e

Giacomo Vaccara o Cont a dino dall’asinello

E. Mauceri. Piccola arte siciliana 153

geniale che al nobile vecchio ha dedicato pagine stupende e versi armoniosi, parlando di lui esclama:

„Egli adora la natura per istinto, e solo da essa ripete l’arte sua, ch'è quella dei paesaggi a rilievo. Nei quali egli infonde tutta l'anima con lunga cura amorosa, con ingenuità che sorprende, con verità che commuove.“ Ed Achille Guberti, gran cuore di Romagnolo ed elegante scrittore, innamorato

della Sicilia, discorrendo di P. Benedetto, così si esprime:

nBenedetto Papale lavora con la passione di chi è convinto di far < cosa bella, buona ed anche utile; lavora con l'eccitamento efficacissimo di quel Sursum corda ch'è il fine, cui dovrebbe mirare ogni artista vero.“

Molto ha lavorato, durante il corso della sua vita, il venerando vegliardo, e le sue opere sono sparse in varie città di Sicilia e fuori. Ed anche oggi ,questo nobil vecchietto, questo figlio di un falegname, cosi fiero nella sua schietta umiltà, così instancabile nella quiete operosa del suo lavoro ,sebbene giunto al suo settanta- duesimo anno, si vede intento nella sagrestia della sua chiesa tutta linda ed odorosa, al compimento di un presepe che forma l'ammirazione di chi l’osserva.')

Così Caltagirone con P. Benedetto Papale si riafferma nobilmente nella piccola, simpatica arte, espressione sana e sincera del sentimento popolare. Ma chi in avvenire, coi nuovi tempi, ne seguirà le orme?

1) Leggasi su P. Benedetto la recente pubblicazione dal titolo „P.Benedetto Papale ed i suoi critici‘ Caltagirone 1907.

F

STUDIEN UND FORSCHUNGEN

ZWEI ALTTIROLER TAFELBILDER DER LANDES-BILDERGALERIE IN GRAZ.

Von Anton Reichel.

In der Gemäldegalerie des steiermärkischen Landesmuseums „Joanneum“ in Graz befinden sih zwei Tafelbilder (Katal. Nr. 12 u. 13), die bisher trotz der Beachtung, die ihnen seitens der lokalen Kunstforscher geschenkt wurde, noch keine Bearbeitung erfahren haben. Ihre Be- deutung rechtfertigt zur Genüge den Versuch, ihre kunstgeschichtliche Stellung zu fixieren.

AufSeite8 des Grazer Galerie-Kataloges (1903) lesen wir:

„12. Michael Pacher, geb. zu Bruneck zwischen 1430 und 1440, gest. 1498. St. Stanis- laus auf der Bahre. Holz, 44—44. (Geschenk Ign. Graf Attems 1861.)“ (vd. Abb. 1.) und

nid. Michael Pacher. Martyrium des heil. Stanislaus von Polen. Holz 44—44. (Geschenk Ign. Graf Attems 1861.)“ (vd. Abb. 3.)

Dazu ist zu bemerken, daB die beiden Bilder keine Signatur tragen und daß beide auf der Rückseite Bemalung aufweisen, und zwar ge- wahren wir auf der Rückseite von Nr. 12 das Symbol des Evangelisten Lukas (Stier mit auf- geschlagenem Buch) und auf der von Nr. 13 das Symbol des Evangelisten Markus (Löwe mit Buch); beidemale auf gepresstem Goldgrunde.

Zur Geschichte der beiden Bilder sei weiter erwähnt, daß sie aus dem Besitze der Grafen Attems stammen. Wie mir Herr Dr. Ignaz Graf Attems die Liebentwirdigkeit hatte mitzuteilen, brachte dessen Großvater, der Herr Ignaz Graf Attems (+ 1861) und sein UrgroBvater, Ferdinand Graf Attems (+ 1821), die Sammlung zusammen, aus der die beiden Tafeln von 1819—1861 unter Wahrung des Eigentums, seit 1861 als Geschenk an die Grazer Gemäldesammlung kamen. Auf- zeichnungen über die Bilder, welche Aufschlüsse über ihre Herkunft geben könnten existieren nicht.

Die Darstellungen der beiden Tafeln werden heute als der Stanislauslegende angehörig ge- deutet; diese Bestimmung erfolgte vermutlich vom Galeriedirektor Professor Schwac, da sie im ersten gedruckten Führer (Sciwach, 1898) als solche genannt werden. Diese Benennung wurde auch von Dr. E. Dietz, der anläßlich der Neu-

aufstellung der Galerie einen nur zu wenig be- rücksichtigten Katalog verfaßte, beibehalten. Von 1819—1898 erscheinen dagegen Nr. 12 als „hlg. Evangelist Lucas auf der Bahre“ und Nr. 15 als „Tod des Evangelisten Markus“, während als Künstler Grünwald genannt wird.’)

Zur Beurteilung der Frage, inwieweit diese Angaben den Tatsachen entsprechen, stehen uns keine anderen Kriteren zur Verfügung als die, die uns die Bilder selbst an die Hand geben. Auf diese wollen wir daher zuvörderst unser Augenmeik lenken.

Tafel Nr. 12. In einer gotischen Halle ge- wahren wir eine Tragbahre mit einem Todten, um die sich knieende und stehende Gestalten gruppieren, während von oben herab drei Engel schweben. Der in grauen Tönen gehaltene Raum ist schräg gegen den Beschauer gestellt und läßt vor- und zurücktretende Partien er- kennen, die im Hintergrunde mit Spitzgewölben geschlossene Nischen zeigen. Die Quaderstruktur ist mit hellen Strichen auf dem dunklen Grunde verdeutlicht. Das Licht fällt rechts durch ziem- lih hoch angebrachte Fenster in den Raum. Ungefähr in der Mitte des Hintergrundes ge- währt eine weite, bogengekrönte, geöffnete Tür freie Aussicht auf eine mit einem Torturm ab- geschlossene StraBe, deren Giebelhäuser rote und grüne Dächer erkennen lassen, und die von kleinen roten und weißen Figiirchen belebt wird. In einer Nische des Hintergrundes befindet sich ein Altar. Der Fußboden des Raumes ist mit abwechselnd bräunlichroten, grünen und weißen Steinfließfen in regelmäßiger Musterung belegt und weist kräftige Schlagschatten der darauf- stehenden Figuren und Gegenstände auf.

In der Mitte der Bildfläche steht, der schrägen Richtung der Halle folgend, eine braune, ziem- lim roh gezimmerte Bahre, auf der ein mit bischöflichen Insignien bekleideter Todter ruht; sein Kopf liegt auf einem weißen Polster, der Körper ist mit einem schwarzen, mit einem goldenen Kreuze versehenen Bahrtuche bedeckt. Überaus kühn erscheint die vollendete Wieder- gabe der sich perspektivisch verjüngenden Bahre und das von rückwärts ebenfalls in scharfer Verkürzung gesehene Gesicht des Todten. Rechts von der Bahre stehen fünf in weiße, faltenreiche Gewänder gekleidete Männer; der äußerste rechts mit roter Mütze und ebensolcher Ver-

1) Vgl. das Inventar der Grazer Galerie.

A. Reichel. Zwei Alttiroler Tafelbilder der Landes-Bildergalerie in Graz 155

brämung vor einem Stehpulte während ein dunkel gekleideter sechster mit ge- falteten Händen zu Häupten des Todten kniet. Links gewahren wir drei Ge- stalten in ähnlicher Kleidung wie die rechts, u. z. der erste in voller Seiten- ansicht dargestellt, die beiden anderen in perspektivischer Verkürzung, vom ersten überschnitten. Den Vordergrund der Darstellung nimmt ein am Boden kauernder Krüppel ein. Ein grellrot gekleideter Mann steht mit dem Aus- druck des Schreckens und Entsetzens zu Füßen der Bahre und stellt das Bindeglied mit einer zweiten Gruppe von Figuren, drei von oben herab- schwebenden Engeln (violett, grün und rot) dar. Die unvermutet auftauchende Erscheinung übt auf die untenstehen- den Personen ihre Wirkung aus, die sih in den Mienen jedes einzelnen wiederspiegelt. Das charakteristische Spiel der Hände und die Mienen, die ein volles Aufgehen im Geschehnis des Augenbliks zum Ausdruck bringen, scheinen mit souveräner Sicherheit Abb. 1. MICHAEL PACHER g wiedergegeben. St. Stanislaus auf der Bahre

Stilistish mit dieser Tafel stimmt völlig überein Tafel Nr. 13.

Auch hier bringt der Künstler eine Halle zur Darstellung, in deren Vorder- grunde ein Priester kniet, gegen den ein Bewaffneter einen Schwertstreich führt. Die Halle, deren Quader- struktur mit dunklen Strichen auf hellerem Grunde veranschaulicht ist, scheint durch eine Rundbogenstellung abgeschlossen, die den Blick in einen kreuzgewölbten Vorraum eröffnet. Eine Türe vermittelt auch hier die Aussicht ins Freie; kleine Gestalten in ge- spreizten Stellungen bevölkern den Hintergrund. Rechts gewährt eben- falls eine Bogenstellung, durch die das Licht in den Raum fällt, einen Ausblick auf eine Mauer. Der Boden ist mit schachbrettartig rot und grün alternierenden SteinflieBen belegt. Ganz im Vordergrunde rechts gewahren wir in starker perspektivischer Verkürzung den Altartisch mit einem Aufsatz und Heiligenfiguren darauf in der Rück- ansicht. Auf den Stufen des Altars kniet ein mit rotem Mantel und weißer Tunika bekleideter Bischof, dessen Abb. 2. MICHAEL PACHER O Mithra vor ihm auf der Altarstufe steht:

Martyrium des heil. Stanislaus von Polen fiber seinem Haupte erblicken wir einen

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perspektivish verjüngten, kreisrunden, brett- artigen Nimbus. Links vom Priester steht eine ro- buste Männergestalt mit rot und weißer, turban- artiger, hornartig gekriimmter Kopfbedeckung, engem, dunkelviolettem Wams und Beinkleidern, gelben Lederstiefeln, der mit beiden Händen ein breites Schwert auf das Haupt des Knieenden nie- derfallen läßt. Hinter ihm links erkennen wir einen groBen, bärtigen Mann, mit grünem, rot- verbrämtem Gewande und charakteristisch ge- formtem Spitzhut. Eine dritte Gestalt in einer eisernen Rüstung wird durdı die beiden eben beschriebenen stark verdeckt. Rechts hinter dem Knieenden gewahren wir eine Gruppe von fünf Mönchen, die leicht als dieselben, wie die auf der erst beschriebenen Tafel erkannt werden können; sie starren mit dem Ausdruck des Ent- setzens auf den Vorgang im Vordergrunde, während der bärtige Mann links mit neugierigen Blicken über die Achsel des Henkerknechtes das Ereignis verfolgt.

Betrachten wir die Darstellungen der beiden Tafeln als Bestandteile eines zusammengehörigen Ganzen, so können wir ungefähr folgenden Vor- gang herauslesen. Ein heiliger Bischof, der eben mit seiner Assistenz in der Kirche die heilige Messe liest, wird überfallen und vom Henker auf den Stufen des Altars niedergemacht; eine zweite Szene zeigt uns den Todten auf der Bahre, umgeben von betenden Mönchen; da plötzlih schweben drei Engel von oben herab als Verkünder der dem Todten zuteil gewordenen göttlichen Gnade. Die Reihenfolge der Grazer Aufstellung ist also falsch; sinn- gemäß geht Nr. 13 vor Nr. 12.

Die Szenen beziehen sidı zweifelsohne auf die Legende des heiligen Stanislaus Szepanow von Krakau; dieser machte sich durch wieder- holte Ermahnungen dem ehebrecherischen König Boleslav derart verhaßt so berichtet die Legende —, daß er endlich flüchten mußte. Die Häscher des Königs überfielen ihn aber in der Kirche des heiligen Michael bei Krakau und ermordeten ihn während er die Messe celebrierte (im Jahre 1079). Boleslav verlor später sein Reich und mußte flüchten; in Ossiach in Kärnten trat er ins Kloster und starb auch daselbst.!)

Die Darstellung des Stanislauslegende ist in der mittelalterlihen Kunst ziemlic selten. H. Detzel?) berichtet zwar von einer Darstellung des Lebens und des Martertodes des Heiligen auf einem Flügelaltar in der protestantischen Kirche von Mühlbach in Siebenbürgen; die An-

) Vincent Kadłubek. Ein historisch-kritischer Beitrag zur slavischen Literatur, aus dem Polnischen des Grafen I. M. Ossolinski von Sam. Gottl. Linde. (Warschau, 1822).

*) H. Detzel. Christliche Ikonographie.

gabe scheint aber nach der von mir eingezoge- nen Erkundigung als falsh. Dagegen ver- merkt die Kunsttopographie des Herzogtums Kärnten (1889) S. 255 in Ossiach ein Gemälde, in dessen Mitte der goldgerüstete König Boleslav steht und in dessen Seitenfeldern Szenen aus dem Leben des Königs und die Ermordung des heiligen Stanislaus dargestellt sind. Die Tafel trägt dielnschrift: „rex boleslavs anno MLXXXIX®. Schwieriger gestaltet sich die Beantwortung der Frage nach dem Künstler der beiden Bilder. Die ursprüngliche Zuweisung der Tafeln an Grünewald wie es wohl richtig statt Grün- wald heißen sollte fällt heute, da das Schaffen Grünewalds soweit bekannt vollständig vorliegt ’) als gegenstandslos weg. Wir stehen also vor der Alternative, ist die Nennung Pacers rich- tig oder nicht? Der Name Pacers und seiner Werkstatte wurde im Laufe der Zeit zum Schlag- wort?) zum Deck- und Sammelnamen fiir das stilistisch und geographisch ziemlich eindeutig umschreibbare Kunstschaffen einer ganzen Künstlergeneration, deren Tätigkeit zwischen Bruneck und Bozen im weiten Umkreise zu verfolgen ist. Müssen wir also zur Vervoll- ständigung des Bildes jener genannten Kunst- etappe eine ganze Reihe von Künstlernamen aufführen®), so kann es doch keinem Beobachter entgehen, daß die ganze Künstlergruppe vom Brunecker Meister Michael Pacher überragt wird; er erscheint durch die großzügige Auf- fassung seiner Sujets, der perspektivischen Kühn- heit seiner Konzeption uud durch den Glanz des Kolorits als deren natürliches Haupt.

Ein abgeschlossenes Urteil über sein Werk wird wohl noch lange nicht gefällt werden können; doch sehen wir heute namentlich durch die Ausscheidung seiner beiden Namensgenossen Friedrich und Ernst, bedeutend klarer und kön- nen das typische des Stils mit einiger Sicherheit erfassen.')

Suchen wir für die Grazer Tafeln nach stilis- tisch analogen Werken, so fallen uns die vier Tafeln der Wolfgang-Legende vom sogen. Kirchenväteraltar in Augsburg vor allem auf.)

1) H. A. Schmid. Die Gemälde und Zeichnungen von Matthias Grünewald. . .

2) Bau Repertorium für Bd. XXIII. S. 38.

*) H. Semper. „Die Brixner Malerschule des XV. und XVI. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zu Michael Pacher. Zeitschrift d. Ferdinandäums (Innsbruck). III. F. 3. Heft.

„Die Sammlung alttiroler Tafelbilder im erzbischöf- lichen Klerikalseminar zu Freising.“ Oberbayr. Archiv f. vaterländische Geschichte. Bd. 49. S. 452 ff.

‘) Semper a. a. O. ,

Karl Atz. Kuastqeschichte von Tirol und Vorarlberg. (2. Aufl. 1909). ms oe RUE

Stiassny. Repert. . 8.38. |

5) C. Srömpen. Repert. (1895). S. 114f. „Der Kircien- väteraltar Michael Pachers in der k. Gemäldegalerie in Augsburg und der k. Pinakothek in München.“

Kunstwissenschaft.

A. Reichel. Zwei Alttiroler Tafelbilder der Landes-Bildergalerie in Graz 137

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Groß, plastisch und als bedeutsam hervorgehoben stehen die Hauptfiguren soweit als möglidh in den Vordergrund gerückt und nehmen fast die ganze Höhe der nahezu quadratischen Bilder ein, während die Nebenfiguren, perspektivisch verkürzt und kleiner, in den Hintergrund ge- drängt erscheinen. Ausblike auf spezivisch deutsch-südtirolische StraBenansichten geben den dargestellten Vorgängen einen interessanten Hintergrund, der das dargestellte Geschehnis nicht als eine losgelöste Szene erscheinen läßt, sondern eine zeitlich und Ortlich bestimmte Folie bietet.!)

Die stilistische Verwandtschaft der Grazer Tafeln mit den Augsburger Bildern läßt sich im Großen wie auch in allen Details nachweisen. Die für Michael Pacher charakteristischen mantegnesk gespreizten Figfircien*) beleben hier wie dort den Hintergrund. Mit fast robuster Rücksichtslosigkeit erscheinen die den Vorgang verdeutlihenden Geräte und Gegen- stände in das Bild gestellt; der Altar, von schräg rückwärts gesehen, die Bahre in kühner Verkürzung bedeuten kompositionelle Probleme, die auf den starken norditalienischen Einfluß hinweisen. Mit diesen Requisitien gliedert der Künstler den Raum, teilt die Massen und über- zeugt uns von der räumlichen Anordnung der Szene. Die Analogien dafür geben uns die Vorstellung des vor dem Altar liegenden Heiligen der St. Wolfgang-Legende. Augsburg, Inv. Nr. 2599b; die Disputation des heiligen Wolf- gang. Inv. Nr. 2600c.

Wenden wir uns Einzelheiten zu. Da fallen uns vor allem die fast alt-flandrisch anmutenden glattrasierten, mit vielen Runzeln bedeckten Köpfe der Männer auf. Bei all diesen scheint die dreiviertel Profilansicht bevorzugt; besonders charakteristish erscheinen die Augen: über engen Augenschlitzen wölben sich mondsichel- förmig geschweifte Lider, während radiale Fält- chen vom Augenwinkel ausstrahlen. Der mehr schmale Mund läßt leicht nach abwärts gezogene Mundwinkel erkennen, die Lippen sind häufig leicht geöffnet, die Nase etwas hängend. Alles das sind Charakteristika, die Semper für die Malweise Michael Pachers eigentümlich erklärt; man werfe nur einen vergleichenden Blick auf die genannten Wolfgangbilder in Augsburg, auf die Darstellungen der Kirchenvàter?), auf die Bilder des St. Wolfganger Altarwerkes und auf andere.

Das deutsche Element in der Kunst Pachers

offenbart sich augenfällig in der Behandlung

: ALL Hermann Voss, Ursprung des Donaustiles. 9 Semper a. a. O. 3 Vgl. auch die Kirchenväter Tafeln im Ferdinandäum in Innsbruck. Semper a. a. O. Til. 7.

des Faltenwurfes; er flieBt aber trotz den Anklängen an die knittrigen Formen doch recht frei, in groBen Formen und wird den darunter liegenden Körperformen gerecht. Im Gegensatz dazu muB man sich an die romanische Freude am lebhaften Ausdruck erinnert fühlen, beim Studium der mannigfach variierten Gesten und Gebärden der Hände. Die Finger häufig etwas lang reden eine ausdrucksvolle Sprache und lassen dem Forscher recht deutlich er- scheinen, wie sehr diese Kunst nordischen und südlichen Einflüssen zugänglid, beiden die Wage hält und wie groB die Individualität des Meisters war, der beide Strömungen zur Ein- heit zu zwingen wußte,

Es erübrigt noch zu erörtern der hohe Licht- einfall, wie ihn Semper (a.a. O. S.42) auf der Tafel der Geburt Chuisti beschreibt; er weist auf die Vorliebe für Lichtprobleme, die auch den Grazer Tafeln nicht fehlen.

Den Rahmen der Vorgänge bildet eine groB- zügige gotische Architektur, deren Anologie mit Werken der Hand M. Pachers allenthalben er- kennbar ist, deren Übereinstimmung so weit geht, daB wir selbst die Art und Weise, wie die Quaderlagen zur Wiedergabe gelangen z. B. auf der Tafel des predigenden hl. Wolfgang in St. Wolfgang wiederfinden.

Michael Pachers Geist schuf jedenfalls den Augsburger Kirchenväteraltar. Während aber nun C. Strompen die vier Kirchenväter als Originalwerke M. Pachers gelten läßt, glaubt er in den vier Wolfgangbildern, die sich stilistisch mit den großen Bildern decken, die Hand eines M. Pacher auBerordentlich nahe stehenden Shü- lers oder Gehilfen erkennen zu müssen. Friedrich Pacher, dessen Stil wir aus einer Taufe Christi kennen‘) und der beglaubigt am St. Wolfganger Altarwerke beteiligt war, kann es nicht sein. Übrigens sind die Übereinstimmungen der Wolf- gang Bilder in Augsburg mit den Augsburger Kirchenvätern und den Tafeln des St. Wolf- ganger Altars so evidente, daB es mir nicht berechtigt erscheint, bei den Augsburger Tafeln an der Hand Michael Pachers zu zweifeln einem Zweifel, aus dem uns auch kein Gewinn erwüchse. Wohl dürfte aber der Umstand, daß wir auf den großen Tafeln, den für das plastische Empfinden Michael Pachers eigentümlichen brett- artigen Nimbus wiederfanden, den wir auf den Kirchenvätertafeln kennen gelernt haben, ein Moment sein, das eher für die Autorschaft Michael Pachers spricht, als wider sie.

Auch auf Parallelerscheinungen im Gebraudi des Kostümes scheint mir ein Hinweis am Platze.

1) Semper. Oberbayr. Arch. 49. S. 506.

158

Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

C. Strompen erwähnt nämlidi, daB auf der Darstellung der Disputation des hl. Wolfgang der Ketzer mit seinem Genossen in der ge- briuchlihen mittelalterlicien Weise als solcher gekennzeichnet sei. Dazu muB bemerkt werden, daß es eine eigene Ketzertracht wohl nicht ge- geben hat. Wohl wurden aber noch im XVI. Jahr- hundert öffentliche Mädchen und Juden ziemlich gleichmäßiger Verachtung ausgesetzt und ver- schiedene Kleiderverordnungen sorgten dafür, daB sie als soldhe kenntli waren. So be- stimmte eine Kirchenversammlung im Jahre 1314 ausdrücklich, daß die Juden einen hornartig gebogenen Hut von gelber oder gelbroter Fär- bung tragen mußten.) Der hornartige Hut ist uns bereits bekannt; wir fanden ihn sowohl auf dem von Strompen angeführten Bilde als auch auf der großen Tafel. (Kat. No. 13.) Der Maler scheint jedenfalls das Bedürfnis empfunden zu haben, den Widersacher der Religion hier den mit dem hl. Wolfgang disputierenden Ketzer, da den Henkersknecht und seine Genossen auch äußerlich zu kennzeichnen, wobei sich ihm die Judentracht, der naturgemäß das Attribut der Verächtlickeit zukam, ungezwungen als nächstliegend aufdrängen mußte; in diesem Sinne wird wohl auch Strompens Bemerkung auf- zufassen Sein.

Die auf die Rückseiten der Grazer Tafeln gemalten Symbole der Evangelisten Markus und Lukas machen es nahezu gewiß, daß die beiden Tafeln einer Serie von vier zusammengehörigen Bildern angehörten in denen wohl Reste eines Altarwerkes zu erkennen sein werden. Trugen die beiden fehlenden Tafeln die Symbole der Evangelisten Matthäus und Johannes (Engel- Adler) auf ihren Rückseiten und halten wir an der üblichen Reihenfolge der Evangelisten fest, so ergeben sich zwei Aufstellungsmöglichkeiten für die vier Tafeln, aus denen man die Lage unserer beiden Tafeln bestimmen kann. Ordnen wir nämlich die 4 Evangelisten in umstehender Reihenfolge

Matthäus

Johannes

') Herm. Weiss. Kostiimkunde, Geschichte d. Traditen und der Geräte vom XIV. Jahrhundert bis auf die Gegen- wart (1872). Bd. IH. 1. Abt. S. 147.

oder aber so:

Matthäus

Johannes

In beiden Fällen müssen wir eine Szene vor der Enthauptung und eine nadı dem Wunder an der Bahre des Heiligen erwarten.

Vielleicht gestattet ein glücklicher Fund, das hochbedeutende Altarwerk in seiner ursprüng- lichen Gestalt wiederherzustellen. |

Ein Versuch die Grazer Tafeln zu datieren muß zwar von vorneherein gewagt erscheinen; soll er aber doch unternommen werden, so könnten wohl die Jahre von 1489—1490, in denen Michael Pacher am Kirchenväteraltar der Allerheiligen Kapelle des Domes in Brixen gearbeitet hatte ') wegen der vielfadien stilisti- schen Verwandtschaft des Werke, als die mut- maBlicie Entstehungszeit der Bilder bezeichnet werden.

g

NOCH EINMAL DAS BILDNIS DES VINCENZO CAPPELLO.

Vor ein paar Wochen durfte ich die Leser dieser Zeitschrift auf ein Bildnis des venetia- nischen Patricier Vincenzo Cappello hinweisen?) das, eine Copie Cristofanos dell’ Altissimo nach einem datirbaren®) und von Ridolfi!) be- schriebenen Portrait Tizians ist. Das Orginal glaubte ich verloren und schloB darum meine wenigen Zeilen über die Kopie in den Uffizien mit dem zwar aufrichtigen, aber von keiner Hoffnung getragenen Wunsche, es möchte irgendwann und irgendwo noc einmal zum Vorschein kommen. Hätte ich mich fleiBiger umgetan, so wäre meine kleine Studie nicht in ein Gebet an den Gott des Zufalls, sondern in ein vergnügtes „Heureka“ ausgeklungen und die Notiz im Handumdrehen ein „Artikel“ ge- worden. „Mea culpa, mea maxima culpa“...

1) C. Strompen a. a. O.

“) s. Monatshefte für Kunstwissenschaft. 1908. 1. Jahr- gang. Heft 12, p. 1117f.

3) Nadi einem Briefe Aretinos wurde es 1540 gemalt, s. lettere di Pietro Aretino. In Parigi MDCIX. Il. Bd., p. 189 (tergo).

‘) Ridolfi: „Le maraviglie dell’arte.“

In Venetia MDCXLVIII. vol.l. p. 181.

E. Schaeffer.

Denn Tizians Portrait des Vincenzo Cap- pello braucht die Kunstgeschichte nicht ins Verlustkonto zu buchen; es existiert ,incog- nito“, wie ich vorausahnte, und Jean Guif- frey hat es bereits vor drei Jahren mit anderen Gemälden aus der Sammlung des Barons Schlichting zu Paris in der Zeitschrift „Les Arts“) als Bildnis des Andrea Doria von Tizian abgebildet. „Le Portrait du Titien“ meint Guiffrey „est sans doute, ä en juger par le visage plus fatigué du modele posterieur a celui de Sebastian del Piombo; toutefois, ce dernier, ayant été peint en 1557 (sic!) et Andrea Doria était mort en 1560, c'est entre ces deux dates qu'on en doit placer l’éxecution...“ Von all’ dem bleibt allein das Todesjahr des Andrea Doria als zu Rechte be- stehen. Denn Sebastiano starb bereits anno 1547 und malte, laut Vasari,”) das Portrait des gewaltigen Genuesen unmittelbar nach einem Bildnis des Pietro Aretino, das dieser bereits im Jahre 1526?) seiner Vaterstadt schenkte . . . In Tizians Portrait, das „absichtlich auf einen etwas sciweren grauen Ton gestimmt scheint“, ist, immer nad Guiffrey, Dorias Antlitz durch den näm- lichen „Ausdruck von Trauer und Ent- . täuschung“ verdüstert, der auch an seinem von Piombo gemalten Bildnis so ergreifend wirkt. DaB die beiden Manner sonst audi nicht einen Zug in ihrem Angesichte miteinander ge- mein haben, einander nicht im min- desten ähneln, fiel Guiffrey, nach dessen Chronologie zwischen den Entstehungs- daten beider Gemälde nur ein Zeit- raum von höchstens drei Jahren liegt, seltsamer Weise nicht auf.

Vergleiht man dagegen das Portrait der Sammlung Schlichting, auf das überdies Ridolfis Beschreibung vortrefflich paßt, mit Altissimos Kopie, so erkennen wir in Tizians Modell ohne groBe Mühe den venetianischen Prokurator Vincenzo Cappello. Vielleicht nicht auf den ersten Blick. Denn Altissimo kopierte und das könnte den etwas veränderten Gesichts- ausdruck „seines“ Cappello erklären nicht das Original, sondern die Kopie des „museum

rl IE rn oe,

1) „Les Arts.“ Février 1906, Nr. 50, p. 1, Abb., u. p. 2 (Text)

‘) Vasari: Le vite etc. ed. Milanesi vol. V. (Sebastian p aziano) p. 5/6. „Dopo ritrasse Sebastiano Andrea are

3) Ubaldo Pasqui. Nuova Guida di Arezzo. Arezzo 1882, p. 102.

Nodi einmal das Bildnis des Vincenzo Cappello

159

Jovianum“, über deren Art und künstlerische Qualitäten wir ja nichts mehr wissen. Zudem hatte er, gleich vielen Kopisten, die Angewohn- heit, Einzelheiten der Tracht nach seinem Gut- dünken zu verändern und die unvenetianisch herbe Zeichnung der Nase ist ebenso charak- teristisch für seine Manier wie die Behandlung der Wangenpartien, die straff gespannt sein

TIZIAN, Vincenzo Cappello (Paris, Sammlung Baron Schlichting)

sollen und trotzdem schlaff und verfallen wirken.?) Aber Haltung und Richtung der beiden Häupter stimmen vollkommen mit einander überein, die Schädelform, der Mund, die Frisur der spär- lichen weißen Haare, die Art, wie die linke Gesichtshälfte sidi gegen den Hintergrund ab- setzt und endlich die Falten des Feldherrn- mantels, all’ dies hat Altissimos Portrait mit Tizians Bildnis gemein?) und der Schluß, daB

') In einer Monographie über die Portraitsammlung Cosimos I., werde ich Gelegenheit haben, diese allgemein gehaltenen Behauptungen über die Kopien Altissimos im Einzelnen zu beweisen.

*) Ih kann den Vergleich auf die Farben leider nicht ausdehnen, da ich das Pariser Bild nur aus der Repro-

duktion kenne und Guiffreys Angaben dafür zu allgemein gehalten sind.

160

Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

hier wie dort das nämliche Modell dargestellt sei, ergibt sich danach leicht.

Tizian malte das Portrait Vincenzo Cappellos, wie wir aus Aretinos Brief an Niccolö Molin erfahren, im Jahre 1540 und dieses Datum er- wirkt dem Gemälde zu seiner künstlerischen noch eine beträchtliche historische Bedeutung. Denn von den Admiralsbildnissen, die während der Hochrenaissance und im seicento zu Ve- nedig gemalt wurden, ist es wohl das älteste. Von diesen „Vorbild“ im wörtlicısten Sinne gingen Tintoretto und seine Nachfahren aus. Ihre Meergebieter aber geben sich ungleich pathetischer, die Blike sprühen Funken, die Geberden dräuen. Und doch neben der schweigenden Wucht, neben der inneren GroB- heit des Cappello dünkt ihre Rhetorik ärm- lich, Theaterfeldherren scheinen sie neben diesem Schlachtenlenker. Denn der Menschenschilderer, der hier vielleicht zum ersten Male den Typus gestaltete, hat ihn ausgeschöpft in all’ seinen Tiefen. Wie beinahe stets war Tizian auch in diesem besonderen Falle, für die Künstler nach ihm ein Ausgangspunkt und zugleich ein unerreichbares Endziel. Emil Schaeffer.

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ZU LOTTOS NATIVITA DER VENEZIANISCHEN AKADEMIE

Es ist daran gezweifelt worden, daB die kürzlih für die venezianishe Akademie er- worbene Nativita ein Werk Lottos sei. Ich teile diesen Zweifel nicht, schlieBe mich viel- mehr dem Urteil Frizzonis, Fogolaris und Sini- gaglias an, die diese Nativita für ein späteres Werk Lorenzo Lottos halten.

Tatsächlih hat das Bild jedoch etwas der venezianischen Malerei der ersten Hälfte des Cinquecento fremdes, vor allem die starken Kontraste von Hell uud Dunkel. Nächtliche Finsternis herrscht in dem Raum; nur von dem Kinde in der Krippe geht blendendes Licht aus, das grelle Strahlen auf Maria, Josef, den knienden Stifter und die vom Himmel herabsteigende Engelschaar wirft. Nun deutet dieses Fremd- artige aber nicht auf eine spätere Entstehungs- zeit, auf das siebzehnte Jahrhundert, wie man glaubte, sondern auf eine Beeinflussung Lottos

durch das Werk eines Fremden, eines Nieder- länders.

„Alla maniera ponentina“ nannte ein venezia- nischer Zeitgenosse Lottos !) ein Altarbild Coti- gnolas in Cremona, ebenfalls eine Geburt Christi und ebenfalls „cun el puttino che illumina le figure circumstante“. Es kann kaum zweifel- haft sein, daB es vor allem dieser Lichteffekt war, der Cotignolas Bild die Bezeicinung nach niederländischer Art (alla maniera ponentina) ein- trug, die nun gleichfalls auf Lottos Nativita paßt.

Es gibt eine Reihe niederländischer Dar- stellungen der Geburt Christi, die nach Boden- hausens *) Annahme auf ein verschollenes Ori- ginal Gerard Davids zurückgehn. Entweder das Original oder eine der Wiederholungen, deren beste nach Bodenhausen diejenige des Wiener Hofmuseums ist, muB Lotto zu Gesicht gekommen sein. Man kann allerdings nicht von Kopie reden, dazu sind der Abweichungen zu viele. Rechts und Links sind vertauscht und Nordisches ist in venezianische Formensprache übersetzt. Aber Übereinstimmungen, wie vor allem der Effekt des vom Kinde ausgehenden Lichtes, die unitalienische Haltung der knienden Maria, die paarweise schräg von oben in der Bilddiagonale hereinschwebenden Engel, die Wahl der Farben, besonders des dominierenden, im Lichte auf- leuchtenden Scharlachs zeigen, daß Lotto hier durch Gerard David angeregt wurde.

Wir wissen, daB Lotto nicht nur dies eine Mal eine derartige „nativitä finta di notte“ ge- malt hat. Das Bild der venezianischen Akademie hat Sinigaglia *) wohl richtig mit dem von Vasari‘) bei Tommaso da Empoli erwähnten identifiziert. Außerdem nennt Marcanton Michiel im Hause des Domenego dal Cornello zu Bergamo eine ähnliche Geburt Christi,’) zwei weitere, 1544 entstandene, Lottos Recinungsbuch.°) Offenbar fanden diese Transkriptionen ins Venezianische den gleichen Beifall in Italien, den, nach den zahlreichen Kopien zu schließen, Gerard Davids Original im Norden gefunden hat. Hadeln.

1) Marcanton Michiel, Notizia d’opere del disegno. Ed. Frimmel. . 44.

E. von Bodenhausen, orrara David, S. 124 f. Bollettino d'Arte Il, p. 298 ff.

i beige a Mil. V. p. 200 È.

0. 6) Il Libro a Conti di Lorenzo Lotto in Le Galerie Nazionali Italiane I. p. 162 und 171.

Diesem Hefte liegen Prospekte der Firmen JOSEPH BAER & Co., Frankfurt ajM. und J. H. ED. HEITZ (Heitz & Mündel), Straßburg ijE. bei, auf die wir hiermit besonders aufmerksam machen,

Verantwortlich fiir die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, Leipzig, LiebiqstraBe 2. Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.

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Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz

Die Ausstellung der „Staryje Gody“ in St. Petersburg Von James v. Schmidt

Die Elite der Gemälde alter Meister, die sich im Petersburger Privatbesitz befinden, sollte die Leihausstellung vereinigen. die in den Monaten November und Dezember vorigen Jahres von der Kunstzeitschrift „Staryje Gody“ (Alte Zeiten) veranstaltet wurde. Der Plan erwies sich als nicht vollständig durchführbar, weil einzelne der bedeutendsten und bekanntesten Sammlungen Petersburgs aus triftigen Gründen der Ausstellung fern bleiben mußten. Es gelang aber vollgültigen Ersatz aus der Diaspora, besonders aus dem Bilderbestande der kaiserlichen Palais, zu schaffen, so daß dem Unternehmen der Name einer Eliteausstellung durch die Qualität und Manigfaltigkeit ihres Materials gesichert blieb!). Der Reichtum der Ausstellung erschwert die Berichterstattung, auch wenn diese nur die Hauptstücke erwähnt, umso mehr, als für die bisherige Bearbeitung des Stoffes nur ein kleiner Kreis von Kräften zur Verfügung stand. Die erste Redaktion der Ergebnisse, die recht hastig erledigt werden mußte, liegt in der Doppellieferung der Staryje Gody pro November-Dezember 1908 vor. In ihr bespricht Alexander Benois die gesamte Malerei des Barock und Rokoko, Ernst von Liphart die Italiener vom XIV. bis zum XVI. Jahrhundert (mit einem Exkurs über Tiepolo) und die Spanier des XVII. Jahrhunderts, Sergei Makowski die russischen Gemälde, Alexander Trubnikow die niederländischen Landschaften, Baron Nik. Wrangell die niederländischen Porträts und Sittenbilder; die Besprechung der nordischen Renaissance einschließlich der altspanischen und altfranzösischen Bilder war faute de mieux dem Schreiber dieser Zeilen übertragen worden.

Im Folgenden knüpfe ich öfters an die genannten Artikel der Staryje Gody (mit dem abgekürzten Hinweise „St. G. S. x.“) an. Zur leichteren Agnostizierung der einzelnen Bilder führe ich neben den Namen der Besitzer auch jeweils die Nummer des Ausstellungskataloges an; ein „Abb.“ neben der Nummer verweist auf die Repro-

1) Die Bilder, die nicht aus Petersburg und seiner nächsten Umgebung kamen, waren so gering an Zahl, daß die Ausstellung trotz einiger Ausnahmen eigentlich nur Petersburger Privat- besitz brachte. 12

162 Monatshefte für Kunstwissenschaft

duktion in dem genannten Hefte der Staryje Gody. Übrigens ist der gesamte Bestand der Ausstellung (466 Nummern) photographiert worden.

| | Die Benennungen des Kataloges waren unabhängig vom Galerienamen und Be- sitzertaufen aufgestellt worden; natürlich erwiesen auch sie sich öfters als korrektur- bedürftig. Unberiicksichtigt müssen im Folgenden die interessanten Handzeich- nungen der Ausstellung bleiben, die nach anderen Gesichtspunkten besprochen sein wollen. |

x à *

Unter den italienischen Trecentisten herrschten durch Zahl und Bedeutung die Sienesen; die einzige Ausnahme bildete eine Madonna (Nr. 38, Abb., Bes. P. P. Weiner), die Ad. Venturi Tommaso da Modena getauft hat'). Von den siene- sischen Bildern hat E. v. Liphart (St. G. S. 703) eine ausdrucksvolle nur im Tone etwas schwere Kreuzigung unter beson- derem Hinweis auf die charakteristische Bildung der Nase mit der hangenden Spitze und andere Analogien mit der Maesta von Siena Duccio zugewiesen (Nr. 44, Abb., Bes. Fürst A. G. Gagarin); diese Zuweisung wird wohl ebenso auf An- klang rechnen dürfen, wie die Bestimmung einer in der’ unteren Hälfte stark ver- stoBenen Madonna (Nr. 40, Bes. W. D. Durdin) auf Lippo Memmi (St. G. S. 704), fiir den sie alle charakteristischen Merk- male aufzuweisen scheint. Bei der Ver- schiedenheit der Typen fällt es schwer mit v. Liphart (a. a. O.) die gleiche Hand

rai rata = in einer entzückenden kleinen thronenden Abb. 1. LIPPO MEMMI zugeschrieben Madonna (Nr. 13, unsere Abb. 1, Be- Madonna in Trono s sitzer Fürst A. G. Gagarin) zu erkennen.

Dieses wunderbar erhaltene Bildchen er- hebt durch seine Feinheit und farbige Schönheit Anspruch auf einen bevorzugten Platz. Großzügiger, trotz der fast gleichen Größe möchte ich sagen monumentaler, wirkte eine

') Vgl. v. Liphart St. G. S. 715.

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 163

Krönung Mariae (Nr. 15, Abb., Bes. Baron P. Meyendorff), für die v. Lipharts Benennung Simone Martini (St. G. S. 704), der Richtung nach entsprechend sein dürfte.

Das äußerlich stattlichste Stück aus dem Quattrocento war eine Madonna della cintola (Nr. 4, Bes. S. K. H. Herzog Georg M. von Leuchten- berg), die unzweifelhaft aus der Werkstatt des Domenico Ghirlandaio stammte. In der Ausführung war sie recht un- gleichmäßig, infolge der ver- schiedenen beteiligten Hände. Wieviel deren es gewesen sind bleibt wohl strittig; die im wesentlich einheitlihe obere Hälfte war bedeutend erfreu- lier als die Apostelgruppe in der unteren, bei der v. Liphart (St. G. S. 704), wie ich glaube ohne genügenden Grund, an Mainardi zu denken geneigt ist. Aus überflüssiger Vorsicht war der hl. Augustin mit dem wasser- schöpfenden Knaben (Nr. 14, Bes. J. K. H. Prinzessin Eugenie von Oldenburg) bloB als Schulbild registriert worden, die Land- schaft, die Raumverteilung, die Gewandbehandlung und beson- ders die frische Naivetät des Knabenkopfes erwiesen dieses Bild als echte Arbeit des Fra Filippo Lippi. Im Vorüber- gehen erwähne ich zwei Tondi aus der Werkstatt des Lo- renzo di Credi (Nr. 12, Abb., Abb. 2. RAFFAELLINO DEL GARBO (oder Filippino Lippi?) 19, Bes. Fürst Kotschubei), die Verkündigung Mariae an O durch ihre verschiedenen Ten- denzen und die verschiedenen in ihnen abgespiegelten Einflüsse interessant waren, ferner eine von G. Poggi auf Giusto di Andrea’) bestimmte Madonna (Nr. 32, Abb., Bes. P. P. Weiner). Als Raffaellino del Garbo war eine in den Farben leuchtende

a) Vgl. v. Liphart, St. G. S. 705. Der Name Andrea di Giusto in der Unterschrift der Tafel und im lllustrationsverzeidhnis beruht natürlich nur auf Druckfehlern!

164 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Verkündigung Mariae (Nr. 25, Bes. S. K. H. Herzog Georg M. v. Leuchtenberg, unsere Abb. 2) katalogisiert; später sprach von Liphart (St. G. S. 706) den sehr beachtenswerten Gedanken aus, ob es sich nicht um ein Frühwerk Filippino Lippis handele. Meine Vermutung, eine anbetende Madonna von außerordentlich feiner Modellierung des Kopfes (Nr. 39, Bes. Graf A. A. Golenischtschhew-Kutusow) könnte eine Arbeit des Carrandmeisters, alias Giuliano Pesello, sein, fand durch v. Lipharts Beobachtungen Bestätigung (St. G. S. 712); ob sie für die Rechtfertigung der Zuschreibung genügt, bleibt abzu- | warten. Für eine Pietà von großer Schönheit der Farbe (Nr. 41, unsere Abb. 3, Bes. S. K. H. Großfürst Kon- stantin) lehnt v. Liphart (St. G. S. 706) gewiß mit vollem Recht den bisherigen Namen Mantegna ab; ob aber der ober- italienische Ursprung des Bildes über- haupt zu leugnen ist, bleibt für mich fraglich. Weder die technischen Beobach- tungen über die Untermalung noch die Vergleihung der Typen sind für mich ganz überzeugend. Ich vermag in dem Bilde auch nicht den starken Einfluß Botticellis zu erkennen, noch genügende Ahnlichkeit zwischen dem Christus und Sellaios Gekreuzigtem in S. Frediano’), auf die v. Liphart trotz der zugestan- denen geringeren Qualität des letzt- . genannten Bildes Gewicht legt, um an florentinischen Ursprung zu glauben. Das arg verriebene, dennoch aber sehr stim- mungsvolle Bild eines Schmerzensmannes zwischen zwei weiblichen Heiligen (Nr. 8, Abb., Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) hat den Anspruch auf den bisherigen Namen Ambrogio Borgognone be- Abb. 3. Oberitalienisch (?) XV. Jahrhdt. hauptet. Von den späten Quattrocen- Pietà o tisten imponierte Perugino durch das außerordentlich fein modellierte und in

der Farbe sehr warme Brustbild des hl. Sebastian (Nr. 292, unsere Abb. 4, Bes. Marchesa Camponari), das an Tiefe und Wahrheit des Ausdruckes alle anderen analogen Dar- stellungen übertreffen dürfte. Die in verschiedenen Wiederholungen vorkommende Magdalena (ebenfalls Brustbild; Nr. 250, Bes. S. K. H. Herzog Georg M. v. Leuchten- berg) war ein jedenfalls eigenhändiges Stück von gutem Ausdruck. Von Pinturicchio

1) Abb. bei H. Mackowsky. J.-B. K. Pr. K.-S. 1899. S. 192.

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 165

gab es eine kleine, zarte, nur etwas restaurationsbedürftige Madonna in wunderschön geschnitztem echtem Rahmen (Nr. 31, Bes. M. P. Botkin) !).

Für Piero di Cosimo nimmt v. Liphart (St. G. S. 707) ein Madonnentondo (Nr. 55, Abb., Bes. Fürst Kotschubei) entschieden in Anspruch, besonders wegen der Durchführung des Interieurs und der in- timen Lichtbehand- lung. Die Typen schei- nen mir nun nicht sehr dieser Attribution zu entsprechen, was aber nihts zu beweisen braucht. Hinweisen möchte ich noch auf die niederländischen Einflüsse, die in der Lichtbehandlung und derLandschaftdraußen im Hintergrunde zu erkennen sind. Ein authentisches Werk Pieros nennt v. Lip- hart (St. G. S. 707) auch das Frauenpor- trät (Nr. 278, unsere Abb. 5, Bes. Fürst Kotschubei), das im Katalog allerdings un- ter Hinzufügung eines energischen Frage- zeichens den Namen Raffael trug, auf den die Ahnlichkeit in Hal- tung und Anlage mit dem Frauenbild der Uffizientribuna, der „falschen Madd. Doni“, Abb. 4. PERUGINO. St. Sebastian führte. Die Qualitäten des Bildes, das manche Härten besitzt, lassen die Äblehnung des großen Namens natürlich erscheinen, es ist aber m. E. in solchen Fällen methodisch unzureichend die Ablehnung nur durch ein reines Qualitätsurteil zu begründen. Ebenso halte ich v. Lipharts positive

1) Abb. Les Tresors d’art en Russie 1902. T. 15, mit dem Rahmen.

166 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Argumente fiir seine Bestimmung, die Hinweise auf die Modellierung in lichten Schatten im Lokaltone „sans trace de rouge“ nicht für ausreichend um die Autorschaft Pieros zu begründen. Ungleich überzeugender wirken v. Lipharts Ausführungen (St. G. S. 710) zugunsten der Urheberschaft Leonardos für eine nicht ganz vollendete Madonna (Nr. 283, unsere Abb. 6, Bes. Frau M. Benois), von der der Pal. Colonna zu Rom eine ungleich schwächere Replik besitzt, die allgemein für einen Lorenzo di Credi gilt. Das Kolorit der Madonna Benois gewinnt durch die überall durchschimmernde schwärzlihe Untermalung ein „notturno“, wie v. Lip- hart sehr zutreffend sagt, das Leonardos älteren far- benfreudigerenZeitgenossen fremd wäre. Die Gewand- behandlung weist viel Ver- wandtschaft mit der Ver- kündigung der Uffizien auf. Hinsichtlich ihrer Qualitäten muß man v. Liphart Recht geben bei dem Satze, daß sie die größten Anspriiche auf den Namen Leonardo erheben darf, solange die unendlich schwächere Mün- chener Madonna diesen er- lauchten Namen trägt '). Also unbegründet er- wiesen sich alle Zweifel an der Echtheit der, wie sich herausstellte, signierten Ma- Abb. 5. PIERO DI COSIMO (?) donna von Cima (Nr. 215, Frauenporträt F; Abb., Bes. Fürst Kotschubei, Faks. des Restes der Signatur St. G. S. 715), von der die Sammlung Schlichting eine archaischer anmutende Vari- ante besitzt?); ein drittes Exemplar, wieder mit veränderten Hintergrund besitzt die National-Gallery [Nr. 300°). Als störend erwiesen sich an ihr nur die scharf

1) Müller-Walde hat sich, wie Al. Benois berichtet, für die Echtheit ausgesprochen; vgl. v. Liphart St. G. S. 711.

2) Abb. Les Arts Nr. 18. Juni 1903. p. 1. Danach erscheint der Kopf des Kindes ubermarney sein. ») Abb. in Sir Edward Poynters Katalog von 1899. Vol. I, p. 109,

J. v. Schmidt.

Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 167

geputzten Fleischtöne, während die gut erhaltene satte Färbung der Gewandung die Echtheit bezeugte. Die etwas manierierte Haltung des Kindes muß auf den Einfluß der jüngeren mit dramatischeren Mitteln arbeitenden Generation zurückgeführt werden,

gegen deren Tendenzen sich der alternde Cima sonst so ablehnend ver- hielt. Über das Porträt eines bärtigen Mannes (Nr. 298, Abb.), das Ti- zian zugeschrieben wird, äußert sich v. Liphart (St. G. S. 711) als Be- sitzer mit begreiflicher Zurückhaltung, die aber doch wohl grundlos sein dürfte. Sehr interessant sind die Mitteilungen über die schwarze nur leicht mit Weiß gemischte Un- termalung des Bildes, die bei einer kürzlih er- folgten Rentoilierung zu- tage getreten war. In Venedigs klassische Zeit gehörte auch das rätsel- hafte Bild einer weißge- kleideten sitzenden Frau, die eine silberne Schale in der Hand hält, halb Porträt, halb Allegorie (Nr. 231, Bes. Fürst Jus- supow). Die Landschaft ist total übermalt und dieFigur argdurch Putzen undRetuschenmißhandelt worden. Den Namen Lotto vermag ich gleich v. Liphart (St. G. S. 715)

Abb. 6. LEONARDO DA VINCI zugeschrieben Madonna D

nicht anzuerkennen, denn es fehlt dem Bilde jede Nervosität; ebensowenig kann ich es . allerdings mit v. Liphart für eine späte Kopie nach Palma oder Giorgione halten. Am ehesten dürfte darin eine total ruinierte Arbeit des Sebastiano del Piombo zu sehen sein, die dann wohl eher bald nach seiner Übersiedelung nach Rom, als nom in Venedig entstanden sein könnte, worauf etliche klassisch-kühle Züge der Modellierung

168 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

deuten. Ein Männerporträt von Tintoretto (Nr. 275, Abb., Bes. Baron N. E. Wrangell) entsprach diesem Namen in jeder Beziehung; weniger genießbar war die Himmelfahrt der Jungfrau von Paolo Veronese (Nr. 277, aus dem Großen Palais zu Zarskoje Selo); trotz mancher Schönheiten im Einzelnen muß ihre Färbung doch schwer und schroff genannt werden, auch wies die Haltung einzelner Figuren Gewaltsamkeiten auf.

Unter den lombardischen Gemälden aus dem Cinquecento interessierte eine schön erhaltene Madonna (Nr. 234, Bes. Marchesa Campanari), am meisten. Für Gaudenzio Ferrari nimmt sie v. Liphart (St. G. S. 714) mit Bestimmtheit in Anspruch. Man könnte aber doch wohl eher an eine geringere, von Leonardo, nach dem die Madonna direkt kopiert ist, in stärkerem Grade abhängige Kraft denken !). Der Name Bernar- dino de’ Conti entsprach dem Grundcharakter eines Jünglingsporträts (Nr. 252, Abb., Bes. P. W. Ochotschinski); sein heutiges Aussehen dürfte es aber zumeist einer mehr als gründlichen Restauration verdanken. Über die ursprünglichen Qualitäten des Bildchens mit dem bekränzten Jüngling, das als Boltraffio aufgeführt war (Nr. 216, Bes. S. H Prinz Peter v. Oldenburg) täuschte vielleicht nur der schlechte Zustand der Farbe; man hätte es für eine schwache Nachahmung halten können,

Nicht ans Ende des XV. Jahrhunders, wie der Katalog meinte, sondern ins XVI. hinein gehörte ein kleines Tondo mit einer stehenden Madonna zwischen Heiligen (Nr. 220, Bes. S. K. H. Herzog Georg M. v. Leuchtenberg), das vielleicht Ridolfo del Ghirlandaio zugeteilt werden könnte, wenn man heute schon schärfer zwischen ihm und Granacci zu unterscheiden wüßte.. Pontormo gehört nach v. Liphart (St. G. S. 709) eine tief empfundene weibliche Halbfigur der trauernden Magdalena (Nr. 254, Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin); Franciabigio werden von ihm (St. G. S. 708) zwei Predellenstücke (Nr. 33, 34, Bes. Baron Bagge af Boo) ver- mutungsweise zugeteilt, die aber m. E. für ihn zuviel umbrische Elemente aufweisen.

Von den drei Bildern aus der Bronzinigruppe war das in den gewohnten kühlen Tönen gehaltene aristokratisch diskrete Frauenporträt von Angelo Bronzino (Nr. 261, Bes. P. P. Durnowo) sicher authentisch. Weniger bestimmt konnte man sich über eine merkwürdige Madonna mit ausgesprochen individuellen Zügen (Nr. 229, aus dem großen Palais zu Zarskoje Selo) äußern, von der eine Replik in Florenz unter dem Namen Allessandro Allori vorhanden sein soll. Bei Manchen ließen ihr hartes Kolorit, die stillebenhafte Durchführung des Beiwerks, auch einige Züge in der Land- schaft den allerdings unbegründeten Verdacht auf niederländischen Ursprung aufsteigen. Die Bezeichnung Cristofano Allori für einen jugendlichen David (Nr. 272, Bes. Jos. Lehmann) konnte trotz unleugbarer koloristischer Anklänge kaum befriedigen. Nach Haltung und Mache dürfte er später anzusetzen sein.

Unter den nicht gerade zahlreichen Bildern aus dem Seicento befand sich dodh manch treffliches Stück, so z. B. die Domenico Feti zugeschriebene Schindung des ` Marsyas (Nr. 204, Abb. Bes. J. S. Ostrouchow), die durch große Wärme des Inkarnates

') Die Figur der Madonna kehrt wieder auf zwei Bildern der Mailänderausstellung des Burlington F. A. C. 1898. Nr. 59, 60. Album pl. XVII; nach der Beschreibung auch in einem Bilde in Apsley House, cf. Ev. Wellingtons Katalog von 1900. Bd. I, Nr. 73 (schwarz).

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 169

und delikate graue Modellierung ausgezeichnet war, und der schwungvolle Raub der Oreithyia von Fr. Solimena (Nr. 207, Abb., Bes. Dr. K. RauchfuB). Gegen die bereits von Waagen’) vorgeschlagene Attribution einer lebensgroßen Landsknechtsszene (Nr. 248, Bes. Gräfin Sollohub, an PietrodellaVecdia, die E. v. Liphart unab- hängig von Waagen erneuerte, erhoben sich kostümgeschichtliche Einwendungen, ohne daß ein neuer Vorschlag gemacht wurde. Ob sie genügend begründet sind? Bemerkenswert waren im Typus des würdigen Chiromanten die deutlichen Reminis- zenzen an Köpfe auf dem Barberinibilde Dürers. Das Bild mag übrigens durch die Aus- fihrlichkeit des Bei- werks für die Geschichte der okkulten Wissen- schaften nicht uninter- essant sein. Nicht so sehr künstlerisches, als historisches Interesse er- regte das Selbstporträt einer Malerin vor der Staffelei, unverkennbar florentinish, um 1630 der Tracht nach, schwer braun im Gesamttonund von fahlem Inkarnat. Wen mag es darstellen? (Nr. 235, Bes. I. K. H. Prinzessin Eugenie von Oldenburg). Gegeniiber dieser geringen Anzahl wirklich interessanter Sticke aus dem Seicento erschien die Vertretung des Settecento umso glanzvoller. Zunächst seien zwei Porträts genannt; das eine von rötlich-braunem Kolorit stellt einen Gelehrten dar (Nr. 274, Bes. S. J. Schidlowski) und wurde von verschiedenen als Ghislandi angesprochen; das zweite, viel anmutigere, ein junger Abbate (Nr. 235, Abb., Bes. I. K. H. Prinzessin

Abb. 7. G. B. TIEPOLO. Alter Mann

1) Gemäldesammlung der K. Ermitage usw. S. 433.

170 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Eugenie von Oldenburg) nennt Benois (St. G. S. 731) gleich von Liphart (mündliche Mitteilung) als Arbeit Ant. Dom. Gabbianis. Den Ton gab in dieser Sphäre der Ausstellung Giovan Battista Tiepolo an. Von seinen kleineren Bildern müssen in erster Linie die prächtige farbenglühende Madonna (Nr. 201, Bes. Fürst Jussupow) und der feine S. Rochus (Nr. 212, Bes. E. v. Liphart) genannt werden. Den lebensgroßen alten Mann im Turban, der offenbar von Rembrandt beeinflußt ist, (Nr. 259, unsere Abb. 7, Bes. J. P. Balaschew) hat zuerst E. v. Liphart für einen Tiepola erklärt auf Grund einer Radierung in den ,Acque forti del Tiepolo‘ und analoger Bilder in Madrid (St. G. S. 716).’) Al. Benois hält es für ein viel späteres Pasticcio nach jener Radierung (St. G. 1909, Januar, S. 56). Ich bekenne Benois’ Argumentation nicht folgen zu können. Die An- sichten der beiden Autoren gingen auch über eine sehr interessante Verkündigung Mariä (Nr. 210, Bes. W. D. Durdin) auseinander. Nach v. Liphart (St. G. S. 716) wäre es eine von G. B. Tiepolo vollendete Arbeit Lazzarinis, Benois sieht sie (St. G. S. 725) für einen Domenico Tiepolo an. Der Tod der Sophonisbe (Nr. 258, Bes. E. C. Cavos) von ausgesprochen dekorativem Charakter kommt für G. B. Tiepolo selbst nicht mehr in Betracht. Benois (St. G. S. 725) will sie seinem Kreise belassen und etwa einem seiner fast ganz vergessenen Nachfahren wie Disiani oder Pittoni zu- weisen. v. Liphart dagegen (St. G. S. 717) schließt im Hinblick auf das schwärzlich- grau angehauchte Kolorit die Tiepolosphäre vollständig aus, geht aber, glaube ich zu weit, indem er sie nur einem ganz indifferenten Malermeister zuschreibt. Die glanz- vollsten Arbeiten des großen Tiepolo auf der Ausstellung waren die drei großen dekorativen Panneaux (Nr. 246, 260, Abb., Bes. E. C. Cavos, 267, Bes. M. N. Benois), die aus dem Palazzo Mocenigo in Padua stammen. Diese Panneaux kamen, im Haupt- saal der Ausstellung ihrer Bestimmung gemäß in die Wanddekoration eingeordnet, zu vorzüglichster Geltung. Ihre farbigen Hauptfaktoren, die Figuren, sind von Tiepolos Hand, die auch die Skulpturen an den reichen architektonischen Kulissen ausgeführt hat, die übrige Architektur läßt den Pinsel Ant. Canales erkennen. Die zahlreichen römischen Reminiszenzen darin, machen die Entstehung der Bilder bald nach Canalettos Rückkehr aus Rom 1721 °) wahrscheinlich, wie auch die Tradition berichtet (Benois, St. G. S. 725). Aus dem Umkreis Tiepolos aus früherer und späterer Zeit sind noch der sonnige Hirtenknabe von Piazzetta (Nr. 87, Abb., Bes. weil. Großfürst Wladimir) und die Plafondskizze mit dem Triumphe des hl. Dominicus (Nr. 195, Abb., Bes. K. v. Wolff) zu nennen; diese ist nach Benois (St. G. S. 725) vielleicht dem Dom. Tiepolo zuzu- schreiben, v. Liphart (St. G. S. 717) hält sie für ein Werk Piazzettas. Von Antonio Canales sonstige Arbeiten sind noch die mit viel Brio vorgetragenen beiden Ansichten von Venedig (Nr. 203, 209, Abb., Bes. E. G. Schwartz) zu nennen. Glänzender als Canaletto trat Fr. Guardi auf in der kühlen, silbrigen Rialtoansicht (Nr. 297, Bes. Fürst Jussupow) und einem farbig blühenden Durchblick auf einen Hof, der mit dem des Dogenpalastes eine entfernte Ähnlichkeit besaß (Nr. 211, Abb., Bes. J. P. Balaschew).

1) Wie ich von anderer Seite höre, befindet sich ein analoges Stück bei Dr. Gust. Frizzoni. Anscheinend ähnliche Stücke bei F. H. Meißner, Tiepolo, KnakfuB' Monographien XXII, S. 12, Abb. 8 und in der Galerie R. Kann, cf. Bodes Edition.

*) Cf, O. Uzanne, Les deux Canaletto, p. 62.

Bunbiznary aiq "syopunyayef [AX SƏP Jajsiayw Jaıpsıueds ‘8 ‘qqy

172 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Die nähere Bestimmung der drei als altspanisch katalogisierten Gemälde konnte aus Mangel an Vergleichsmaterial und speziellen Sachkennern nicht gefördert werden. Als unzweifelhaft spanischen Ursprungs blieb nur der schmale Einzug Christi in Jerusalem (Nr. 10, Bes. Fürst G. G. Gagarin) bestehen, eine ziemlich handwerksmäßig gemalte, aber durchaus nicht uninteressante Darstellung. Die spanische Herkunft eines Altarflügels mit den Heil. Magdalena und Johannes Ev. (Nr. 5, Abb., Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) beruht auf einer unsicheren Tradition und beiläufigen Meinungs- äußerungen einiger Autoritäten, die das Bild nur unter sehr ungünstigen Verhältnissen gesehen hatten; es wird von anderen für süddeutsch gehalten, wogegen das schwere Kolorit und gewisse Einzelheiten der Modellierung zu sprechen scheinen. Für das außerordentlich flüssig gemalte Kreuzigungstriptychon (Nr. 240, unsere Abb. 8, Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) !) wird sich die spanische Herkunft erhärten lassen, unbe- schadet der Anerkennung starker niederländischer Einflüsse; diese treten doch nicht genügend stark hervor um das Werk einem in Spanien tätigen Niederländer zuzu- weisen. Am wenigsten käme ein Künstler aus der Richtung Pieter Aertsens dafür in Betracht, woran der verstorbene Neustrojew dachte, dessen Autorität ich s. Zt. folgte °). Über den Christus von Juan de Juanes (Nr. 50, Bes. Fürst Kotschubei), die beiden Morales (Nr. 49, 56, Bes. I. K. H. Prinzessin Eugenie v. Oldenburg) und die beiden Ribera (Nr. 48, Bes. E. G. Schwartz, Nr. 53, Bes. Gräfin Mussin-Puschkin), von denen der zuletzt genannte farbig sehr anziehend war, ist nichts besonderes zu berichten. Von ungewohnter Seite zeigte sich Ant. Pereda mit der signierten und 1660 datierten ausdrucksvollen büßenden Magdalena (Nr. 52, Bes. Gräfin E. W. Schuwalow, Faks, d. Sign. St. G. S. 718); das Beiwerk nahm auch hier natürlid den entsprechenden Raum ein. Das interessanteste spanische Stück aus der klassischen Zeit waren die durch edle Farbengebung bedeutenden Apostel des Greco von 1618, von denen im Madrider Privatbesitz eine etwas schmalere Replik vorhanden ist?) (Nr. 54, Abb., Bes. P. P. Durnowo). Durch seine schwer melancholische Färbung wirkte ein lebensgroßer Kruzifixus wahrhaft imposant (Nr. 16, Abb., Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin); bisher Alonso Cano zugeteilt, wird er durch v. Liphart mit guten Gründen Zurbaran zu- geschrieben (St. G. S. 718). Eine schöne Velasqueztradition verriet das in seinen Tönen bald fahle bald schillernde Porträt Karls II. von Spanien (Nr. 51, Bes. B. J. Chanenko), bei dem es dahingestellt bleibe, ob es den Namen Claudio Coello mit Recht trägt.

* * *

Keines der altniederländishen Gemälde *) der Ausstellung war vor dem Ende des XV. Jahrhunderts entstanden. Auch eine Mater dolorosa, das Fragment einer

1) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1902. Tafel 125; sehr vershwommen.

?) Les Trésors d'art en Russie 1902. Text russ. S. 278, 295, franz. S. XXIII. Der Seh- fehler beruhte, wie ich jetzt glaube, auf einer falschen Interpretation der Frau mitten im Vordergrunde des rechten Flügels. Der Galeriename des Bildes ist übriges Pedro Campania. Nach der gen. Reproduktion meinte A. de Beruete (ein Gespräch) einen Spanier als Autor annehmen zu müssen.

3) Cossio, El Greco I, p. 368, 572. II, Taf. 87. Ein weiteres Exemplar abgeb. in Les Arts Nr. 58, Oct. 1906, p. 18.

4) Bei diesem Thema, wie bei den altdeutschen Bildern, habe ich für diesen Bericht eine

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister im Petersburger Privatbesitz 173

Kreuzigung (Nr. 29, Abb., Bes. J. S. Ostrouchow), die bei näherem Zusehen besonders in der Landschaft stark von Memling beeinflußt erschien, muß trotz etlicher Archaismen in diese Zeit versetzt werden. Ebenso erwies sich ein anfangs älter anmutender Hieronymus im Gehäus (Nr. 7, Bes. B. J. Chanenko), der etwas barbarisch in der Zeichnung, aber sehr reizvoll in der Farbe war, als Werk eines späten van Eyck- Nachahmers. Sehr schön war in Farbe und Zeichnung das Diptychon mit der Anbetung der Könige (Nr. 9, unsere Abb. 9, Bes. B. J. Chanenko), das ich voreilig Gerard David zugeschrieben habe (St. G. S. 667), während es nach Friedländers Urteil auf Grund der Reproduktion einem anonymen Brügger Meister um 1490, der von Hugo v. d. Goes beeinflußt war, gehört; Friedländer verweist mich auf ein nahe verwandtes Bild in der Sammlung Chaix-d’Est-Ange'). In einem trotz mangelhafter Erhaltung sehr interessanten zwölfjährigen Christus im Tempel (Nr. 301, Bes. Graf A. A. Golenisch- tschew-Kutusow) wird man mit Friedländer einen echten Hieronymus Bosch vermuten dürfen. Für wahrscheinlich hollandisch halte ich zwei Altarflügel mit Märtyrerszenen (Nr. 42, Bes. B. J. Chanenko). Für eine schöne, in der Farbe harmonische Madonna (ohne Nr., Bes. W. N. Issakow) könnte vielleiht Isenbrant als Autor in Frage kommen. Zwei Altarflügel mit Szenen aus der Geschichte Joachims und Annas (Nr. 26, 27, Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow) sollen den früher G. v. d. Meire benannten Berliner Bildern *) nahestehen, die mir nicht erinnerlich sind.

Das hervorragendste niederländishe Bild aus dem XVI. Jahrhundert war die fein beseelte Enthauptung der hl. Katharina (Nr. 416, Bes. Graf A. A. Golenisch- tschew-Kutusow) 3), die lange unter dem Sammelnamen Barend van Orley ging; nach dem iibereinstimmenden Urteile von Friedlander und Hulin de Loo (miindliche Mit- teilung) gehört dieses Kapitalbild einem Brüsseler Anonymus um 1520, den man, wie ich in Staryje Gody vorschlug, nach ihm vielleicht einstweilen den Brüsseler Meister der hl. Katharina benennen könnte. Die Richtung des Meisters des Todes Mariä war durch drei Madonnen vertreten. Von diesen ist eine (mit dem hl. Joseph (Nr. 24, Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) ‘) den Bildern im Wiener Hofmuseum (Kat. 1896, Nr. 685) und in der Ermitage (Kat. Nr. 469) verwandt, steht aber auch dem letzteren in der Qualität nach. Die zweite (Nr. 419, Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow) °) wiederholt einen Typus, von dem, wie mir Friedländer schreibt, ein viel besseres Exemplar aus der Sammlung Alb. Langen ins Germanische Museum zu Nürnberg übergegangen ist. Die dritte (Nr. 11, Bes. P. P. Weiner) ist nach Friedlander von einem Prototyp des Meisters des Todes abgeleitet, das in verschiedenartigen Variationen wiederholt ist, deren beste sich bei Herrn M. Kappel in Berlin befindet. Unserem

ganze Reihe, im folgenden jeweils notierter, liebenswürdiger briefliher Mitteilungen Herrn Direktor J. Friedländers benutzen dürfen, für die ich hier nochmals meinen wärmsten Dank ausspreche.

1) Abb. Les Arts, Nr. 67. juillet 1907, p. 14.

3) Nr. 527 und 542 im Katalog des Kaiser Friedrich-Museums.

3) Recht gute Abb. mit Detail, Les Trésors d'art en Russie 1903. Tafel 136, 137.

1) Flaue Abb. Les Trésors d'art en Russie 1902. Tafel 126.

5) Abb., Les Trésors d’art en Russie 1903. S. 369.

174 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 9. Brügger Meister um 1490. Anbetung der Könige

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 175

Abb. 9. Brügger Meister um 1490. Anbetung der Könige

176 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Bilde steht das Exemplar auf der Auktion bei Fr. Miller vom April 1907 (Nr. 9 des Kataloges, Mabuse) ganz nahe, abweichend ist das Exemplar der Auktion Guidi (Faenza 1902, Kat. Nr. 140, ebenfalls Mabuse), auf das mich Friedlander aufmerk- sam macht.

Unter den niederländischen Porträts aus dem XVI. Jahrhundert zogen ein bisher für deutsch geltendes Greisenbildnis (Nr. 281, Bes. Fürstin Kuguschew), das durch einzelne Züge an Lucas v. Leyden gemahnte, und ein sehr feines Frauenporträt (Nr. 284, Abb., Bes. B. J. Chanenko), nach Friedländer holländisch um 1560, die Aufmerksamkeit am meisten auf sich. Durch ein wahrscheinlich nicht zugehôriges Memento mori mit falschem Dürermonogramm wurde ein anderes kleines Frauenporträt (Nr. 18, Bes. I. K. H. Prin- zessin Eugenie von Oldenburg) zu einem Diptychon ergänzt; das Porträt selbst erinnert in manchen Zügen an B. Bruyn d. J. Von späteren Bildnissen war das Brust- bild einer Dame (Nr. 313, Bes. Baron P. Meyendorff) und die Kniefigur eines älteren Mannes (Nr. 393, Bes. J. A. Wsewoloshskoi) vom Katalog dem älteren Franz Pourbus zugeteilt worden, doch wohl ohne Berechtigung. Beide interessanten und flott vor- getragenen Stücke wären der näheren Bestimmung wohl wert. Unter dem Namen Herri met de Bles waren sehr verschiedene Dinge zu sehen. Als ziemlich sicher echt bezeichnet Friedlander die schöne Landschaft mit der Opferung Isaaks (Nr. 399, Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow)'). Viel weniger sicher erscheint die bles- artige phantastische Landschaft mit Odysseus und Kalypso (Nr. 401, Abb., Bes. W. A. Schtschawinski), deren Figuren an Floris erinnern. Nichts gemeinsames mit diesen beiden hatte die dritte Bles genannte Landschaft mit Rittern und Reisigen (Nr. 405, Bes. P. W. Ochotschinski), die im allgemeinen den Eindruck macht bedeutend später entstanden zu sein. Roelant Savery war mit zwei untereinander recht verschiedenen bezeichneten Landschaften vertreten, von denen die kleine von 1614 (Nr. 410, Abb., Bes. Baron N. Wolff, Faks. d. Sign., St. G. S. 694) von entzückendem Farbenglanz war. Als R. Savery galt früher auch das ihm entschieden nahestehende Paradies, das „P. D. M.FE.... 1649“ bezeichnet ist (Nr. 435, Bes. Graf A. A. Golenischtchew-Kutusow) *) Gegen die Zuteilung einer farbig sehr wirkungsvollen Landschaft an Josse de Momper (Nr. 407, Bes. E. Garcia-Mancilla) waren keine Einwendungen zu erheben. Es erübrigt noch eine bisher unbekannte Kneipenszene von Pieter Aertsen (Abb. 444, Abb., Bes. W. K. Nikolajewski) zu nennen, die zwar nichts neues bietet, aber durch die volle Bezeichnung mit Monogramm, Marke und Datum: 14. April 1556 (Abb. St. G. S. 671) eine authentische Bereicherung für Aertsens CEuvre bedeutet. Eine virtuos gemalte signierte (Faks. St. G. S. 677) Jagdszene von Otto van Veen (Nr. 409, Bes. Alexander Benois) leitete nun zu Rubens über.

* ie x Bei Rubens erlebte man nach den gehegten Erwartungen eine Enttäuschung.

Die beiden von weil. Al. Neustrojew entdeckten Skizzen (Nr. 354, 355, aus dem Palais

1) Abb., Les Trésors d'art en Russie 1903. S. 370. 2) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1903. Tafel 138. Daß Prahow das Monogramm , dort und Text S. 432 falsh und unvollständig liest wird niemand wundern.

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 177

Abb. 10. JORDAENS. Flucht nach Ägypten

zu Gatschina) erwiesen sich als Gehilfenarbeit. Historisch sind sie durchaus wert- voll, denn sie repräsentieren Varianten von zwei Entwürfen fiir Whitehall: der glück- lihen Regierung Jakobs I. (Wien, Akademie Nr. 628) und der Erhebung Karls I. zum Könige von Schottland (Ermitage Nr. 572)'), sie werden nicht nur für die Erforschung der Entstehungsgeschichte der Malereien von Whitehall Bedeutung haben, sondern wohl auch für die Frage der Arbeitsorganisation in Rubens’ Atelier, da ihre indi- viduelle Mache und Färbung näheren AufschluB über ihren Autor erhoffen lassen. Mit geringerer Sicherheit konnte die Echtheit der Skizze zu einer Beweinung Christi (Nr. 376, Abb., Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin) ?) bestritten werden, doch scheint Baron N. Wrangell (St. G. S. 688) zu voreilig für die Echtheit einzutreten und über die unleugbaren Ungeschlachtheiten der Komposition und Härten der Zeichnung zu rasch hinwegzugleiten. Von der Wiener Beweinung (Kat. 1896, Nr. 839) sowohl wie von der Antwerpener (Kat. Nr. 319) scheint mir die Skizze kompositionell viel zu stark abzuweichen, um sie mit Baron Wrangell als Entwurf zu einer von ihnen betrachten zu können. Wahrscheinlich ist sie eine Schülerskizze nach einem dieser beiden Bilder, denn gerade in den Änderungen und Zutaten erscheint sie unverhältnismäßig schwach. Ein repräsentatives Stück der Rubenswerkstatt war die große Kalydonische Jagd

') Abb. Staryje Gody, Februar 1909. bei S. 88. 2) Größere aber schlechte Abb. Les Trésors d'art en Russie 1905. Tafel 83. 13

178 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

(Nr. 432, aus dem Englischen Palais zu Peterhof), angeblich eine Vorlage für einen Gobelin. Die Ausführung war natürlich sehr ungleichmäßig. Eber und Hunde ver- rieten Snyders’ Hand; recht gut war die Atalante, doch nicht gut genug um Baron Wrangells Verdacht (St. G. S. 689) auf eigenhändige Ausführung durch Rubens zu bestätigen; der herkulisch-riipelhafte Meleager war bedeutend geringer, die Landschaft mit Reitern usw. war von ganz handwerksmäßiger Gesellenarbeit.

Jordaens’ schöne Flucht nach Agypten (Nr. 300, unsere Abb. 10, Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) nannte Waagen mit Recht ungewöhnlich edel in der Auffassung und gediegen in der Ausführung; es ist die gelungenere Variante eines Bildes in der Galerie Matsvanszky und scheint, nach Rooses’ Beschreibung einem weiteren Exemplar dieser Komposition bei Me Bosschaert du Bois in Antwerpen, das bezeichnet und 1641 datiert ist, kompositionell näher zu stehen.') Ein Männerporträt aus der Zeit stellte weder Snyders vor, noch stammte es von Jordaens (Nr. 370, Bes. E. G. Schwartz), welche Bezeichnungen Bar. Wrangell (St. G. S. 689) beibehalt. Ganz richtig spricht Wrangell dem Pastorale (Nr. 312, Bes. P. P. Weiner) mindestens die Ausführung durdı Jordaens ab.

Der Teniers d. J. zugeschriebene Hirtenknabe (Nr. 343, Bes. Fürst Jussupow) war wahrscheinlich echt trotz der gefälschten Signatur unter der aber Reste der echten durchzuschimmern schienen; dagegen mußte der Name Teniers bei einem Knaben in Pilgertracht (Nr. 305, Bes. Frau M. Ratkow-Roshnow) abgelehnt werden; auch die Zu- schreibung der Landschaft dieses Bildes (Wrangell, St. G. S. 687) an Lucas v. Uden stand nur auf sehr schwachen Füßen. Für den Jäger mit falschem Teniersmonogramm (Nr. 307, Bes. L. N. Benois), schlug P. V. Delarow (cf. Wrangell St. G. S. 687) den Namen Wildens vor, der allgemein mit Befriedigung aufgenommen wurde.

Unter den Erben van Dycks trat C. Janssens van Ceulen mit einem außer- ordentlich distinguierten Männerporträt, das voll bezeichnet und 1653 datiert ist (Faks. St. G. S. 677; ohne Nr., Abb., Bes. P. N. Issakow) besonders hervor. Diskreter in der Wirkung war ein anderes Männerbildnis aus dieser Richtung, in dem ich nad Ana- logien mit dem Frankfurter Bilde (Nr. 143) in der Geschmeidigkeit der Pinselführung, der Farbengebung und einem sinnend-lyrischen Element der Auffassung die Hand Pieter Franchoys erkennen zu dürfen glaube (Nr. 309, unsere Abb. 11, Bes. J. P. Balaschew). Ich hatte die Genugtuung, P. P. Semenow-Tianschanski und P. V. Delarow dieser Attribution im allgemeinen zustimmen zu hören. In den Zusammenhang dieser Gruppe gehört allem Anschein nach ein weiteres Männerporträt von vlämischem Charakter, (Nr. 397, Abb., Bes. Baron Paul Korff) das „Stom fe. 1649“ (Faksimile St. G. S. 684) signiert war. Meine Nachforschungen in der mir zugänglichen recht begrenzten Literatur haben mich nur bis zur Frage geführt, ob es sich nicht vielleicht um jenen rätselhaften vlämischen Matth. Stoom handeln könnte, den Woermann in Anlaß der Dresdener Bilder seines holländischen Namensvetters nennt.”) Die richtige Agnostizierung der

1) Abb., Les Trésors d'art en Russie 1902. Tafel 122. Waagen, Gemäldesammlung d. K. Ermitage usw. S. 424. Th. v. Frimmel, Bl. f. Gemäldekunde Ill, S. 39 mit Abb. des Bildes der Sig. Matsvanszky. M. Rooses Jordaens, sa vie et son œuvre p. 110.

-) Katalog der Dresdener Galerie 1908. S. 596. Nr. 1850.

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 179

Abb. 11. PIETER FRANCHOYS zugeschrieben Männliches Bildnis O

drei Bilder von Justus Sustermans geht auf E. v. Liphart zurück. Die Porträts eines Ehepaares, wie ich höre sicher Federigo Ubaldo della Rovere und Claudia de’ Medici (Nr. 394, 396, Abb., Bes. Graf Reutern-Nolcken) waren durch das schwere Kolorit weniger anziehend, als das mit wirklich vornehmer Repräsentation durch- geführte Urteil Salomonis (Nr. 253, Bes. E. N. Wolkow). Ein imposantes Stück der vlämischen Barockmalerei war die bezeichnete Allegorie (eines Ehebundes?) von Gérard de Lairesse (Nr. 273, Abb., Bes. J. J. Muirhead), von schöner, klarer Farben- gebung. Die vlämische Landschaftsmalerei war hauptsächlidı durch Marinen vertreten; unter ihnen übertrafen Andries van Eertveldts mit dem Monogramm bezeichnete

180 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

Abb. 12. ANDRIES VON EERTVELDT: Schiffe

Schiffe (Nr. 361, unsere Abb. 12, Faks. St. G. S. 700, Bes. J. P. Balaschew) durch ihr Kolorit und die duftige Feinheit der Atmosphäre weitaus alle übrigen, z. B. das monogrammierte und 1620 datierte Seestü von Adam Willaerts (Nr. 345, Faks. d. Sign. St. G. S. 699, Bes. S. J. Schidlowski) und den ebenfalls bezeichneten Sturm von Bonaventura Peeters (Nr. 371, Bes. P. G. Mjakinin). Ejn Meierhof von Jan Siberechts (Nr. 340, Abb., Bes. N. D. Jermakow) zeichnet sich durch die Fülle von Licht und die Feinheit des stillebenmäßig intim durchgeführten Vordergrundes aus.

x % *

Die Holländer waren auf der Ausstellung nicht so überwältigend zahlreich ver- treten, als der.traditionelle Ruf Petersburgs als Holländerstadt par excellence erwarten ließ. Es erklärte sih das zum Teil daraus, daß die Galerie Semenow-Tianschanski und die zurzeit zu einem Gastspiel in Holland weilende Sammlung Delarow ihr fern bleiben mußten. Immerhin war doch so viel vorhanden, daß die Beschränkung des Berichtes auf das Wertvollste und Interessanteste hier noch dringender erscheint, als bei den anderen Schulen. Über die als Abraham Bloemaert katalogisierten Bilder wurde viel debattiert. Als sicher konnte nur die arg verrestaurierte bezeichnete Hirtenszene von 1654 gelten (Nr. 321, Bes. Fürst Argutinski-Dolgorukow. Faks. d. Signatur St. G. S. 688; Stich von Matham cf. Wrangell St. G. S. 687). Bei dem Sündenfall (Nr. 373. Bes. N. D. Nikiforow)

Abb. 13. REMBRANDT: Studie

182 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

einigte man sich darauf, ihn fiir eine Kopie von unbekannter Hand nach J. Saenredams Stich einer Komposition Bloemaerts zu erklären (cf. Wrangell a. a. O.) Die beiden Monats- bilder oder Allegorien der Jahreszeiten (Nr. 428, Abb., 439, Bes. Graf A. A. Golenischtschew- Kutusow) habe ich (St. G. S. 671) in Ubereinstimmung mit der Majoritat der Petersburger Kenner für Bloemaert in Anspruch genommen, seiner Sphäre teilt sie auch Friedlander nach der Reproduktion urteilend zu, allein es gibt Zweifler, denen sich Bar. Wrangell (St. G. S. 675) anschließt, die in diesen Bildern Bloemaert heterogene Erzeugnisse sehen. Bloemaerts Schüler Gerard v. Honthorst waren zwei Bilder zugeteilt, von denen der psalmierende David (Nr. 171, Bes, Pater Amaudru) in der Farbe ausgesprochen vlämi- sches Gepräge zur Schau trug. Das Bild mit den drei allegorischen Figuren in genre- hafter Auffassung, die aus unerfindlihen Gründen Glaube, Hoffnung und Stärke benannt wurden (Nr. 430, Bes. Frau W. J. Mjatlew) hätte als Honthorst gelten bleiben können, wenn sich die Reste einer versteckten Signatur, neben denen das Jahr 1638 deutlich zu lesen war, irgend auf diesen Namen hätten deuten lassen. Sollte für dieses Stück vielleicht Dirk van Baburen in Betracht kommen können? Die Reproduktion eines von Th. v. Frimmel publizierten Bildes') scheint das nicht auszuschließen. Leider bin ich auf dieses Bild zu spät aufmerksam geworden, um die Signaturreste mit einer authentischen Bezeichnung Baburens vergleichen zu können. Ein anderer Bloemaert- schüler Poelemburg, war durch eine Landschaft mit Nymphen von gewohnter Qualität (N. 346, Bes. W. B. Skarjatin) vertreten.

Von den ausgestellten Werken Rembrandts war ein Teil der Fachwelt (nicht aber der Petersburger Gesellschaft) schon bekannt. Die tiefsinnigen späten Portraits eines Ehepaares (Nr. 289, 291, Bes. Fürst Jussupow) waren 1898 in Amsterdam zu sehen’). Weniger, nur durch die Reproduktion, dürfte die kleine bezeichnete Halbfigur Christi (Nr. 290, Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin)?) bekannt sein. Sie ist dem analogen Bilde im Kaiser Friedrich Museum aus der Galerie R. Kann entschieden verwandt, erscheint aber im Ausdruck pathetischer und weniger farbig. Ein Novum im Oeuvre Rembrandts war die delikate Studie nach dem als vornehmer Orientale aufgeputzten alten Harmen (Nr. 299, unsere Abb. 13, Bes. B.J. Chanenko)‘). Die Breite der Pinselführung ließ hyper- kritische Geister an der Echtheit des Bildes zweifeln, wozu sonst gar kein Grund vor- handen war. Wenn auch Vortrag und tonige Haltung um 1630, wo das Bild dem Augen- schein nach anzusetzen ist, ungewohnt erscheinen, braucht man bei Rembrandt doch nicht vor unerwartet friihem sporadischem Auftreten einzelner technischer Handgriffe, die erst in späteren Zeiten charakteristisch werden, zurückzuschrecken. Zwei angebliche Selbst- porträts bestanden die Probe nicht. Das anscheinend ganz frühe von den beiden (Nr. 265, aus dem Palais zu Gatschina) erwies sich als Kopie nach dem Typus beim Fürsten Lubomirski in Lemberg, von dem ein anderes Exemplar auf der Jubiläums-

1) Helbings Monatsberichte I. S. 136 ff.

2) Abb. Hofstede de Groot, Rembrandtausstellung, T. 34. 35. Bode, Rembrandtwerk, Bd. 7, S. 41. 45. Rosenberg, Klassiker der Kunst. Bd. 2, S. 231. 232.

3) Abb. Bode, Rembrandtwerk. Bd. 8, Nr. 591. Les Trésors d'art en Russie 1906. Tafel 27; schlecht!

') Abb. Les Trésors d'art en Russie. 1906. Tafel 27. Schlecht!

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 183

ausstellung bei Fr. Müller 1906 vorhanden war'); weshalb Baron Wrangell (St.G.S.681) es Paudiss zuweisen will, ist mir nicht recht verständlich. Das zweite, das ganz spät

hätte sein müssen, glaub- te P. P. Semenow-Tian- schanski mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit als eine Arbeit des Aert de Gel- der zu erkennen (miind- liche Mitteilung), eine Be- stimmung, die bei näherem Studium des Bildes immer mehr gewann.

Von den Rembrandt- schülern war Nicolaes Maes am besten und reichsten vertreten, aller- dings mit Ausschluß der charakteristischen Genre- szenen seiner zweiten Pe- riode. In die erste Zeit seiner Tätigkeit in Rem- brandts Werkstatt, etwa in das Jahr 1650, muß das Porträt des kleinen Titus von Ryn (Nr. 398, Abb., Bes. Gräfin Sollohub) versetzt werden, da der Knabe im Alter hödıstens von adit Jahren dargestellt ist. Im Inkarnat und im Blick sind gewisse Härten spürbar; als entscheidende Note des Kolorits wirkt das leuchtende Rot des Mantels. Wenn die groß- artige Verspottung Christi (Nr. 239, unsere Abb. 14, Bes. Gräfin Mussin-Pusch- kin) wirklich Maes gehört, so müßte sie ungefähr

Abb. 14. N. MAES (?) Verspottung Christi

gleichzeitig mit dem Titusbildnis entstanden sein, da sie noch ganz rembrandtisch ge-

1) Das Lubomirskishe Exemplar abgeb. Bode, Rembrandtwerk. Bd. 8, Nr. 346. Das zweite Exemplar Nr. 106 des Kataloges der Ausstellung 1906, Abb. im Album.

184 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

halten ist. Allein fast scheint es, als wenn dem trockenen Ingenium Maes’ mit dieser Zuteilung allzu große Ehre geschieht. Die Auffassung ist wahrhaft groß, das Helldunkel meisterhaft, der Vortrag außerordentlich flüssig, die Farbengebung selten harmonisch und kraftvoll, besonders im leuchtenden Inkarnat. Auf Maes deutet in der Farbenskala des Bildes nur wieder das überall, aber nirgends aufdringlich durchbrechende Rot. Inzwischen ist es aber auch nicht gelungen, einen anderen Namen mit größerer Wahrscheinlichkeit vorzuschlagen. Ein imposantes Beispiel von virtuoser Ausführung aus Maes’ Barockzeit bildete der Knabe als Ganymed von 1678 (Nr. 326, Abb., Bes. S. K. H. Herzog Georg M. von Leuchtenburg). Ein wahrscheinlich etwas früher anzusetzendes Männerporträt (Nr. 356, Bes. A. N. Markowitsch) trat dagegen in der Wirkung zurück. Die Benennung F. Bol ließ sich für einen Joseph mit der Potiphar (Nr. 459, Bes. B. J. Chanenko) nicht aufrecht erhalten. Ein gutes, voll bezeichnetes Bild von 1656 (Faks. St. G. S. 682) von G. v. d. Eeckhout waren die Engel bei Abraham (Nr. 349, Bes. S. J. Schidlowski). Widerspruch erregte die Zuteilung einer fast ganz grau in grau gemalten Auf- erweckung des Lazarus von recht unerquiclicher Haltung an Benjamin Cuyp (Nr. 353, Bes. Baron N. E. Wrangell), bei der gelegentlich an eine viel spätere Nach- ahmung gedacht worden ist. Eine recht imposante flott gemalte, etwas von treffender Charakteristik an Jan Victors erinnernde') Portraitgruppe (Nr. 243, Abb., aus dem Großen Palais zu Zarskoje Selo) brachte nach langem Rätseln eine große Überraschung: sie erwies sich als voll bezeichnete und 1654 datierte Arbeit des seltenen Danzigers Daniel Schultz oder Schültz, wie er sich auf dem Bilde schreibt. Die auf dem nadh- gedunkelten Grunde außerordentlich schwer lesbare Signatur wurde erst spät entdeckt und nur bruchstückweise entziffert; erst später hat mein Kollege an der Ermitage Baron Harald Koskull als erster den Namen richtig gelesen. Über dieses Bild wird bei anderer Gelegenheit ausführlicher zu reden sein.

Unter den holländischen Portraits trat ein voll bezeichnetes und 1644 datiertes Frauenbildnis von Jan Verspronck besonders hervor, das bei der schönen Erhaltung wegen der sympathischen lebendigen Auffassung, der frishen Mache und seinem großen koloristishen Reiz den besten Schöpfungen des Meisters angereiht werden muß (Nr. 247, Abb., Faks. d. Sig. St. G. S. 676; aus dem Palais in Gatschina). Ein Hauptstück der Ausstellung, das mit großer Meisterschaft gemalte Portrait eines Knaben (Nr. 364, unsere Abb. 15, Bes. B. J. Chanenko), von selten flüssigem Vortrage, schönster Farbe, herrlicher Lichtbehandlung und tiefer Beseelung mußte einstweilen unbenannt bleiben. Wenn man bei ihm auch nicht gleich, wie enthusiastische Dilettanten taten, an den Delfter Vermeer denkt, so verlocken seine außerordentlichen Qualitäten doch dazu, beim Suchen nach dem Meister sehr hoch zu greifen. Ein anspruchsloses Frauen- porträt von Jan Langnouwer war voll bezeichnet und 1640 datiert (Nr. 392, Faks. St. G. S. 684. Bes. S. J. Schidlowski). Das angenehme Brustbild eines rothaarigen Mannes war als Hendrik v. d. Vliet katalogisiert, gehört aber eher, wie auch C. Hof- stede de Groot (mündliche Mitteilung) meint, Willem v. d. Vliet (Nr. 269, Bes. Gräfin

1) Waagen. Gemäldesammlung der K. Ermitage usw., S. 364. Auch Baron N. N. Wrangell war unabhängig davon diese Ähnlichkeit aufgefallen, St. G. S. 685.

J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 185

E. W. Schuwalow)'). In stilistischer und kostümgeschichtliher Beziehung war eine Familiengruppe (Nr. 390, Bes. Jos. Braz) recht interessant, die, von wem ist mir un- bekannt, auf Bart. Meyburg getauft worden war. Die Blüte des holländischen repräsentativen Porträts vertraten ein schwarzgekleideter älterer Herr von Abraham v.d. Tempel (Nr.447, Abb., Bes. Fürstin Kuguschew), mit einer nicht schlecht gefälschten van Dycksignatur, und ein im Vortrage sehr erfreulicher junger Mann von Jan van Neck, voll bezeicinet und datiert 1644 (Nr. 303, Abb., Bes. Jos. Braz) Als Kaspar Netscher passierten zunächst zwei Frauenporträts, die sich erst später als signierte Arbeiten Adriaen v. d. Werffs von 1682 herausstellten (Nr. 313, 329. Bes. P. P. Durnowo). Ohne die Signatur hätte man vielleicht auf die von Netscher abweichende Handform und den ihm fremden Fleischton gar nicht geachtet. Zwei respektable Männer- bildnisse von Konstantin Netscher (Nr. 315, 320. Bes. P. P. Weiner) waren voll bezeichnet. Eine Dame in Rot (Nr. 318. Bes. Baron N. E. Wrangell) erschien für Eglon v. d. Neer fast zu lebhaft in Farbe und Haltung.

Die beiden häuslichen Szenen von Pieter de Hood (Nr. 276, sig., Faks. St. G. S. 691; 375. Bes. Fürst Jussupow) repräsentierten seine zweite Periode sehr gut, besonders das an erster Stelle ge- nannte. Der alte Inventarname Ter- bord für einen sehr flotten Lauten- spieler (Nr. 241, aus dem Palais zu Abb. 15. Holländische Schule: Knabenbildnis Gatschina) mußte von Anfang an fallen, ohne daß Ersatz für ihn gefunden wurde. Außerst anziehend in Licht und Farbe war das Bild eines jungen Offiziers (Nr. 350, Abb., Bes. J. P. Balaschew). Eine in den Gesichtszügen geringfügig veränderte Replik dieses Bildes besitzt das Mauritshuis unter dem Namen Duyster, die früher A. Palamedes hieß und von Bode für Jakob A. Duck in Anspruch genommen wurde’). Als Duck war auch das Bild der Ausstellung kata- logisiert, später aber, wenn ich nicht irre auf P. V. Delarows Vorschlag, auf Pieter Codde getauft und als soldier auch von Baron Wrangell (St, G. S. 691) besprochen

1) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1902. S. 287. Text. russ. S. 284. 302. franz. S. XXIV.

2) Abb. in Hanfstaengls Malerklassikern, Bd. V, der Haag und Haarlem S. 20. Cf. La- fenestre et Richtenberger, La Hollande, p. 74 (Nr. 408). Bode, Studien z. Gesch. d. Holl. Mal. S. 139.

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worden. Daß von allen diesen Namen der Liste der Duysters vorzuziehen ist, beweist der Vergleich mit den bezeichneten Trictracspielern der Ermitage (Kat. Nr. 1254). Die drei signierten Bilder von Adriaen v. Ostade (Nr. 327. 363, Abb. 369. Bes. J, P. Balaschew) wurden erst während der Ausstellung als solche erkannt; sie waren als Pieter Quast, bzw. Cornelis Bega hergeliehen worden. Die beiden zuletzt ge- nannten zeichneten sich durch die große Feinheit des silbrigen Kolorits aus. Die Frau mit dem Papagei von Gerard Dou (Nr. 319, Abb., bez., Bes. Fürst N. N. Gagarin) ließ trotz angenehmer Farbigkeit infolge der übermäßig glatten Mache kühl. Dous Nachfolger L. de Moni war durch einen erfreulichen bezeichneten Fischhändler vertreten (Nr. 324, Faks. St. G. S. 691. Bes. Frau A. W. Besrodny). Die Bezeichnung Pieter van Slinge- landt für eine köstliche Gelehrtenszene (Nr. 327. Bes. Fürst S. N. Troubezkoi) fand allseitig Beifall. Als Kuriosum erwähne ich die ganz dilettantisch, halb a la Terborch halb a la Steen gemalte Genreszene mit der Bezeichnung ,JK.... yckenborg fecit“ (Nr. 383. Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow, Faks. d. Sign. St. G. S. 687), ehe ich als Spätlinge der holländischen Genremalerei die drei feinen, echt rokoko- mäßigen Bilder von Cornelis Troost nenne (Nr. 448. Bes. Fürst Jussupow. 449, Abb., Faks. d. Sign. St. G. S. 692. Bes. J. S. Ostrouchow. 450. Bes. Barond’ Hogguére).

Unter den holländischen Landschaften war manche schmerzliche Lücke zu ver- zeichnen, nicht nur wegen des gänzlichen Fehlens mancher Namen, sondern auch infolge geringer Qualität des Vorhandenen. So war Jakob v. Ruisdael beispielsweise nur durch zwei Landschaften aus ganz später Zeit (Nr.302. Bes. N. A.Loviton. 304. Bes. J. P. Balaschew) vertreten. Eine schöne Uferlandschaft führte den Namen SalomonRuisdael (Nr. 335. Bes. J. P. Balaschew), der aber bestritten wurde. Über die meisten Land- schaften unter Jan van Goyens Namen läßt sich wenig berichten. Bald Goyen selbst, bald einem seiner Schüler in der Art des J. P. Schoeff (Trubnikow St. G. S.696) wurde ein großes Landstraßenbild mit Bäumen (Nr. 344, Abb., aus dem Palais in Gatschina) zugeteilt; die Reste der halb weggeputzten Signatur (Faks. St. G. S. 696) lassen sich, wie P. P. Semenow-Tianschanki zuerst sah, am ehesten zu P. Molyn ergänzen, einem Namen, der auch der stilkritischen Betrachtung nicht fern liegen dürfte. Die Land- schaft mit dem Turm von Albert Cuyp (Nr. 341, Abb., Bes. P. W. Ochotschinski) zwar unzweifelhaft echt, aber nicht hervorragend; ähnliches muß von der Straßenland- schaft Corn. Deckers (Nr. 348. Bes. Fürst A. G. Gagarin) gelten. Unter den Land- schaftern ist hier auch Isaak v. Ostade zu nennen, von dem ein sehr feiner und stimmungsvoller Fernblick auf eine flache Landschaft ohne Staffage (Nr. 365. Bes. Fürst N. N. Lwow) zu sehen war. Recht zalılreich waren die Winterlandschaften vorhanden. An der Spitze stand als ein wirkliches Glanzstück die selten gut erhaltene, in Licht und Farbe wunderbar schöne Eisbahn von Aert v. d. Neer (Nr. 425, unsere Abb. 16, Bes. Frau M. P. Danzas), die neben dem gewohnten Monogramm die auffallend späte Datierung 1669 trug'). Eine zweite Winterlandschaft von ihm war gut, aber geringer (Nr. 316. Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow). Von sonstigen

1) Das späteste Datum, das ich bei Bode, Rembrandt und seine Zeitgenossen, 2. Aufl. S. 155 und v. Wurzbadi, Niederländ. Künstlerlexikon, Bd. Il, S. 222 erwähnt finde, ist 1649.

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Abb. 16. AERT V. D. NEER: Eislandschaft mit Schlittschuhläufern

Bildern dieser Art sind neben einem guten Avercamp (Nr. 423. Bes. S. J. Schid- lowski) i und ; einem monogrammierten Rundbildchen von Maerten Hulst (Nr. 358. Faks. St. G. S. 697. Bes. J. N. Gerard), drei aus verschiedenen Sammlungen zusammen- gekommene Arbeiten eines höchst interessanten älteren Anonymus zu nennen, deren Stil besonders durch die sozusagen gefiederte Wiedergabe der bereiften Aste charak- terisiert wird (Nr. 413, 420, Abb. Bes. Maslow. 417. Bes. W. A. Schtschawinski). Die beste von den italianisierenden Landschaften gehörte Adam Pynaker (Nr. 358. Bes. Jos. Braz). Um die Zuteilung eines in schweren braunen Tönen gehaltenen Bildes mit mit Waldlandschaft und Figuren (Nr. 347. Bes. Fürst W. N. Argutinski-Dolgorukow) an Carel du Jardin wurde viel gestritten; die Verteidiger dieser Attribution schoben alles Befremdlihe im Aussehen des Bildes auf mangelhafte Erhaltung. Von den Marinen waren neben zwei Stücken von Pieter Mulier d. A. (Nr. 314, 427. Bes. N. D. Nikiforow) eine Strandansicht von Jan Vermeer v. Haarlem d. A. (Nr. 380. Bes. P. W. Ochotschinski), die nicht unbestritten blieb, und ein guter Jan v. d. Capelle (Nr. 442 aus gleichem Besitz) bemerkenswert. Die Tiermalerei war nur durch einen Hühnerhof von Melchior d’Hondecoeter (Nr. 436. Bes. M. u. E. von Thörner) ver- treten. Das Stillleben fehlte ganz, wenn man nicht das stilllebenmäßig ausgeführte, vollbezeichnete und 1655 datierte, ziemlich große Küchenenterieur des seltenen Philips Angel als Ersatz gelten lassen will (Nr. 443, Faks. St. G. S. 689. Bes. Hildebrandt).

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188 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Abb. 17. CH. ANT. COYPEL: Achill und die Flußgötter

Vermutlich altfranzösisch, etwa vom Anfang des XVI. Jahrhunderts war eine Be- gegnung Joachims und Annas (Nr. 6, Abb. Bes. P. P. Weiner). Ganz entzückend fein war das kleine Bildnis einer jungen Dame von Corneille de Lyon (Nr. 293. Bes. Gräfin E. W. Schuwalow)').

Eine Glanzseite der Ausstellung bildeten die Franzosen des XVII. und XVIII. Jahr- hunderts. Die heroische Historie war durch den farbig leuchtenden Achill im Kampfe mit den Flußgöttern von Charles Antoine Coypel vom Jahre 1737 prächtig vertreten (Nr. 262, unsere Abb. 17, Bes. P. P. Durnowo). Die heroische Landschaft blieb mit Nicolas Poussins Raub der Prosepina (Nr. 208, Abb. Bes. Alexander Benois) in der Wirkung dagegen nicht zurück. Weniger angenehm waren die drei Landschaften von Claude Lorrain (Nr. 200, Abb., Bes. A. G. Tschitschagow. 274, 294°), Bes. Fürst Jussupow). Gute Porträts jener Zeit waren der Tambourinschläger (Nr. 257, Abb., Bes. P. P. Weiner), für den Benois (St. G. S. 728) als Autor Rob. Tournieres oder Pierre Gobert vorschlägt, der aber von anderen für Nic. de Largillieres in Anspruch ge- nommen wurde, und ferner die Wiederholung des Herzogs Philipp von Anjou aus Pierre Mignards Gruppenbild der Familie des Großdauphins (Nr. 249. Bes. wie oben).

Nicht weniger als drei vorzügliche Werke Watteaus haben auf der Ausstellung

1) Flaue Abb. Les Trésors d'art en Russie, 1902. Tafel 124. 2) Abb. Les Trésors d’art en Russie, 1901. Tafel 58.

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das Licht der Welt aufs Neue erblickt, was ihr Entdecker, Alexander Neustrojew, nicht mehr hat miterleben diirfen. Am interessantesten von ihnen war die Ruhe auf der Flucht nach Agypten (Nr. 296, Abb., aus dem Palais zu Gatschina) von ganz vandyckischer Palette und ungeheur dekorativem Schwung der Pinselführung. Dieses in jeder Beziehung wichtige Bild stammt aus der Galerie des Grafen Brühl und ist von Marie Jeanne Renard du Bos gestochen. Repliken sollen sich in den Museen von Angers und Quimpere befinden'). Als höchst pikanter Kontrast wirkten daneben die feinen, äußerst zart gemalten Gestalten der italienischen Komödie (Nr. 286, Abb., aus dem Palais in Gatschina), deren Andenken durch einen Stich im Gegensinne von A. V. Tho- massin fils bewahrt worden war’). Das dritte Bild von Watteau war eine weibliche Kostümfigur mit dem drolligen Titel: La femme moscovite (Nr. 78, aus dem großen Palais zu Zarskoje Selo). Von anziehender Farbigkeit war der famose Brauttausch von Lancret (Nr. 289, Abb. Aus dem Palais von Gatschina), ebenfalls eine Entdeckung Neustrojews; die Komposition ist durch einen Stich Larmessins bekannt*]. Der zweite Lancret der Ausstellung, , Amusements champêtres“ (Nr. 288, Abb. Bes. Fürst Jussupow) galt eine Weile unberechtigter Weise fiir einen Pater. Im Zusammenhang mit den Bildern Lancrets bespricht Benois (St. G. S. 729, Anm. 3) zwei in ihrer Skizzenhaftig- keit sehr pikant wirkende Bilder (Nr. 168, Abb.; 170. Bes. J. J. Poplawski), die ihn venezianische Einflüsse erkennen lassen, und wirft die Frage auf, ob sie nicht von Ch. J. Flipart herrühren könnten.

Einen weiteren Haupttreffer bedeutete für die Ausstellung Boucher. Seine Galatea (Nr. 287, unsere Abb. 18, aus der Kais. Akademie d. Künste), ein Geschenk Falconets vom Jahre 1767, war bisher als Plafondbild in einem halbdunkelen Saal des Akademiegebäudes verwendet worden (Nr. 287, Abb.). Jetzt trat das dekorative Raffine- ment des breit gemalten Bildes ans Licht. Geradezu faszinierend wirkt der Gegensatz der kräftigen Töne des Vordergrundes mit der sehr leibhaftigen Halbfigur des Pygmalion zu dem perversen Hautgoüt der grünlichen Töne in Wolken und Frauenleibern, die in der visionären Sphäre Galateens und Aphroditens die Hauptfläche der großen Lein- wand füllen. Fast unbegreiflich schien es, daß derselbe Pinsel die realistisch hand- greifliche Erotik des Bildes Herkules und Omphale (Nr. 285. Bes. Fürst Jussupow) ge- schaffen habe; bereits 1777 empfand man, daß dies Bild mehr an Lemoyne als an Bouchers gewohnte Art erinnere‘). Zwei Schäferszenen aus dem Todesjahre Bouchers 1770 (Nr. 72, Abb.; 77. Bes. J. N. Danzas) wirkten recht flau. Hubert Robert ist bekanntlich eine Petersburger Spezialität und es fiel daher nicht schwer, eine exquisitive Serie seiner Ruinenphantasien zusammenzubringen (Nr. 1, 2 aus dem Großen Palais zu Zarskoje Selo; 3, Abb.; 461—463. Bes. P. P. Durnovow), die daneben auch die Dekoration der Ausstellungsräume in vornehmster Weise vervollstandigte. Ganz überraschend wirkte

') Benois, St. G. S. 728, Anm. 1. Vgl. auch Josz, Watteau, p. 183, 184. Abb. des Stihes Mantz Watteau (1892), p. 157.

*) Benois, St. G. S. 729. Mantz, Watteau, p. 182. Abb. des Stiches, p. 181.

5) Vgl. Benois, St. G. S. S. 729. Anm. 4.

1) Cf. Benois, St. G. S. 731. mit Anm. 2. A. Michel, Boucher, Catalogue, p. 12, 167. Sehr schlechte Abb. Les Trésors d'art en Russie 1906, Tafel 96.

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Abb. 19. TAUNAY: Konzert im Palais Royal

neben diesen das meisterhafte Interieur der Grande Galerie du Louvre von 1796 (Nr. 75, aus dem Großen Palais zu Zarskoje Selo), das trotz seines augenschein- lichen Realismus, wie Benois (St. G. S. 733) nachweist, ein reines Phatasieprodukt ist. Das in der gewöhnlichen Manier gehaltene Gegenstück, die Ruinen des Louvre (Nr. 78) fiel dagegen ab. Licht und liebenswürdig war die Parkterrasse (Nr. 80. Bes. Fürst Jussupow), in der Motive aus dem früheren Parke von Marly verwendet waren. Greuzes Erste Furche (Nr. 97, Abb., Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) trug zwar in allen Figuren die unausstehlichste Rührseligkeit zur Schau, überraschte aber durch die un- gewöhnliche Bedeutung der flüssig gemachten Landschaft in der Komposition. Unter den französischen Rokokoportraits verdient der Mann mit dem Weinglase von Anton Pesne (Nr. 453. Bes. Jos. Braz) erwähnt zu werden. Mme. Vigee-Lebrun, die in Petersburg 1792--1801 sehr viel porträtiert hat, war durch drei angenehme Bild- nisse: der Fürstin Dolgoruki (Nr. 64. Bes. Fürst Dolgorukow), der Gräfin Skawronski (Nr. 71. Bes. S. K. H. Großfürst Nikolaus Michailowitsch) und des Fürsten Gagarin (Nr. 266. Bes. Fürst N. N. Gagarin) gut vertreten. Das bezeichnete Konzert im Palais Royal von Taunay (Nr. 91, unsere Abb. 19, Bes. W. A. Wereschtschagin, Faks. d. Sign. St. G. S. 732) wirkte ganz überraschend durch die ausgezeichnete Behandlung von Licht und Farbe, die das Fortieben einer alten guten Tradition merken ließ.

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Im Gegensatz zu Benois (St. G. S. 732) glaube ich das Nachwirken dieser Tradi- tion auch in den Bildern Leopold Boillys bemerken zu können; am stärksten im eleganten Billardspiel von 1808 (Nr. 94. Bes. Fürst Jussupow'), selbst noch in den Politikern in den Tuilerien von 1832 (Nr. 68. Bes. Dr. K. RauchfuB) am wenigsten freilich in den gezierten Mädchen vor der Staffelei von 1800 (Nr. 65. Bes. Fürst Jussu-

pow’). Ein Napoleon von David und

Rae FRY BE: be m4 7 ein Talleyrand von Prudhon (Nr. 104, 78. x ie. È VE SD Bes. S. K. H. Nikolaus Michailowitsch) a Cee Re ließen kühl, wenn auch das zweite ganz

Re CA i s N x 6 9 interessant in der Farbe war. Sehr schén

waren die vornehmen Bildnisse des Kanz- lers Fiirsten Kotschubei und seiner Ge- mahlin von Gérard (Nr. 84, 86. Bes. P. P. Durnowo).

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* * *

Das älteste deutsche Bild der Aus- stellung war eine Begegnung Joachims und Annas (Nr. 28, unsere Äbb. 20, Bes. Graf A. A. Golenischtshews Kutusow), das Friedländer nach Süddeutschland um 1450 versetzt; es trägt ein sehr geschickt gefälschtes Schäufelinmonogramm (Faks. unter der Abb. St. G. bei S. 664). Eben- falls ins XV. Jahrhundert gehörte anschei- nend eine vermutlich oberdeutsche Kreu- zigung (Nr. 21. Bes. Baron N. E. Wrangell), in deren oberer Hälfte sich der Gekreu- zigte von einem erst neuerdings (nach Entfernung einer in recht alter Zeit drauf- gemalten Landschaft) zutage getretenen Goldgrund abhebt, während in der unteren Abb. 20. Süddeutscher Meister um 1450 die vom unteren Bildrande abgeschnittenen

Begegnung Joachims und Anna Halbfiguren der Maria und des Johannes

vor einer ausführlich geschilderten Land-

schaft stehen. Eine Lukrezia (Nr. 424. Bes. M. P. Fabricius) war eine brave Arbeit der Kranachwerkstatt. In die Nachfolge Holbeins gehört wohl ein ver- sehentlich als niederländisch katalogisiertes Frauenporträt (Nr. 432. Bes. Frau S. E. Jewdokimow). Erst nach der Eröffnung erhielt die Ausstellung in einem meisterhaften

1) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1906, Tafel 130. 2) Abgeb. Les Trésors d'art en Russie 1901 (unter Benois’ Redaktion) Tafel 48 recht gut und nochmals, aber schlecht 1906 (unter Praciows Redaktion), Tafel 134.

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Greisenportrait, das offenbar aus der Umgebung Diirers stammt (ohne Nr., Abb. Bes. P. J. Issakow), eines ihrer besten Stücke.

Das Zwischenalter der deutschen Malerei war durch einen nicht ganz zweifel- losen, jedenfalls unbedeutenden Elsheimer (Nr.321. Bes. S.K.H. Großfürst Konstantin), dessen Sujet (eine Nymphe bekränzt einen Jüngling), ich nicht zu deuten weiß, und eine ebenfalls nicht hervorragende Allegorie des Winters von Rotten- hammer (Nr. 344. Bes. Graf A.A.Golenischtschew- Kutusow) vertreten.

Aus, dem XVIII. Jahr- hundert kam neben zwei Bildnissen von Joseph Kreutzinger (Nr. 171, 176. Bes. Fürst J. S. Ga- garin) besonders das in Haltung und Farbe .vor- treffliche Porträt der Frau Loder von Fr. Aug. Tisch- bein(Nr.88, unsereAbb.21, Bes. J. O. Peters) in Be- tracht. Die ältere Gene- ration dieser Malerdynastie vertrat Johann Heinrich! durch eine signierte mytho- logische Szene von 1757 (Nr. 67. Bes. A. N. Mar- kowitsch). Auf Vertretung der deutschen Romantik Abb. 21. FR. AUG. TISCHBEIN: Frau Loder und des Biedermeiertums mußte verzichtet werden, weil das Beste von dem in Petersburg aus jener Zeit Vor- handenen bereits auf der Deutschen Jahrhundert-Ausstellung zu sehen gewesen war.

x * *

Unter den wenigen englischen Bildern war die Kreidestudie zum Porträt der Fürstin Dorothea Lieven von Lawrence (Nr. 69. Bes. S. K. H. Großfürst Nikolaus Michailowitsch) weitaus das bedeutendste Stück. Der Name Lawrence war für das kleine sympathische Bildnis der Lady Newborough (Nr. 61. Bes. Baron P. Korff) vom Katalog richtigerweise nicht mehr genannt worden. Ein Männerporträt von Raeburn (Nr. 93.

Bes. M. P. Romanow) war von durchschnittlicher Qualität. Gegen den englischen Ur- 14

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sprung eines Schauspielerporträts (Nr. 270. Bes. H. E. Gambs) wurden wohl nicht genügend begründete Zweifel erhoben; eine genauere Diagnose dieses nicht uninteres- santen Bildes von schwerer brauner Färbung und breitem Vortrage wäre sehr zu wünschen. Für eine Landschaft (Nr. 58. Bes. P. A. Saburow) wurde der Name Gains- borough ziemlich einhellig abgelehnt. In der Farbe sehr kräftig und in der Haltung angenehm wirkte eine Genreszene von Wheatley (Nr. 60, Abb. Bes. P. P. Weiner).

* * *

Als ein bedeutsames kunsthistorishes Novum muß die Tatsache verzeichnet werden, daß auf der Ausstellung der Staryje Gody die russische Malerei zum ersten Male in den allgemeinen Zusammenhang der europäischen Kunstgeschichte eingegliedert erschien. Die aus dieser Eingliederung resultierenden allgemeinen und prinzipiellen Gesichtspunkte an dieser Stelle zu formulieren würde zu weit führen, weil die ganze russische Schule des XVIII. und vom Anfang des XIX. Jahrhunderts für die europäische Kunstwissenschaft leider noch immer eine terra incognita ist’); auch wäre das Material der Ausstellung dazu nicht ausreichend, da ihr Programm alle Bilder, die auf einer der jüngsten russischen retrospektiven Ausstellungen, besonders der großen Historischen Porträtausstellung von 1904, zu sehen waren, ausschloß.

Das Anfangsstadium eines konsequenten Realismus vertrat Iwan Argunow im Porträt der Frau Tolstoi von 1768 (Nr. 106, Abb. Bes. Graf A. N. Ignatjew, Faks. der seltsamen Signatur St. G. S. 736). Die gleich darauffolgende Höhe war durch die beiden Dioskuren Lewizki und Borowikowski glanzvoll vertreten. Lewizki, der Epiker unter ihnen, weiß bei aller Objektivität dem Modell gegenüber sein Bild doch in eine unabhängige Farbenpracht zu kleiden, wie das Porträt eines Unbekannten (Nr. 280, Abb. Bes. Fürst I. N. Soltykow), in dem der vorzüglich gemalte blaue Mantel koloristisch dominierte. Dieser seiner besten Zeit, bevor er noch dem Einfluß des älteren Lampi unterlag, gehörte auch das Bildnis einer jungen Gräfin Woronzow (Nr. 107, Abb. Bes. A.K. Boldyrew) an. Lyrik der Auffassung und der Farbe ist die Domäne Borowi- kowskis, der daher auch als Frauenmaler exzelliert, wie in dem subtilen in Weiß, Lichtgelb, Lichtrosa, gebrochenem Violett und zartem Blau komponierten Porträt der Frau Skobejew und dem ihm in der farbigen Stimmung verwandten Porträt der Frau Nowossilzew (Nr. 295, unsere Abb. 22; 115. Bes. P.P. Weiner‘). Robustere Töne schlägt Borowikowski in dem markigen Johannes d. Theologen (Nr. 108, Abb. Bes. P. M. Romanow) an, der von seinen gewohnten religiösen Bildern auf das erfreulichste absticht. Der be- deutendste Meister in der um Lewizki und Borowikowski gescharten Plejade ist Fedor

1) Von der verschwindend geringen einschlägigen Literatur in ausländischen Sprachen nenne ich Kap. 43 im Bd.3 von Muthers Geschichte der Malerei des XIX. Jahrhunderts (S. 324 ff.), an der Alexander Benois wesentlichen Anteil hat und die Aufsätze von Denis Rome über Borowikowski und Fedotow in der Gazette des Beaux-Arts 1907 u. 1908.

*) Abb. beider Staryje Gody 1907 bei S. 312 u. 324. Näheres über beide bei Sergei Makowski ebenda S. 314. Das Porträt der Frau Skobejew war ausgestellt auf der Russischen Ausstellung des Salon d'Automne 1905 (Nr. 98, Abb. Kat. S. 23) und auf der Russischen Kunst- Ausstellung, Berlin 1906 (Nr. 78).

Abb. 22. WLADIMIR BOROWIKOWSKI: Frau Skobejew

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Rokotow, dessen Lebenslauf und Werdegang noch wenig geklart sind. Seine kraf- tigen, silbrig-grauen Porträts der Fürstin Orlow (Nr. 127. Bes. Fürstin Obolenski), obwohl quasi eine Kopie nach Lewizki!), doch von großer Selbständigkeit, und der Fürstin Gagarin (Nr. 117, Abb. Bes. J. S. Gagarin) bewiesen aufs neue seine große Bedeutung. Wenezianow erschien im Porträt des jungen Bibikow (Nr. 152. Bes. N. W. Bibikow) noch ganz als Schüler Borowikowskis, die Heuernte (Nr. 164. Bes. W. B. Chwoschtschinski) dagegen bekundet schon den Bahnbrecher des russischen Genres. Einen bisher unbekannten Schüler Wenezianows lernte man durch die bezeichneten, schlicht und lebendig gemalten Soldaten in der Regimentsschneiderei von Denissow kennen (Nr. 147. Bes. B. N. Ryshow, Faks. d. Sig. St.G S. 742). Von der Wandlungs- fähigkeit der Sprache Orest Kiprenskis konnte man sich durch zwei Porträts über- zeugen lassen, ohne daß man das Proteische seiner Natur so weit zu steigern brauchte, sie beide für Selbstporträts zu halten, wie der Katalog tat und wogegen Sergei Ma- kowski (St. G. S. 741) sehr berechtigte Zweifel erhebt, (Nr. 136. Bes. S. S. Botkin; 160. Bes. N. A. Loviton, Abb. St. G. 1908 bei S. 400). Der ungleichmäßige Tropinin war durch einen malenden Knaben (Nr. 133. Bes. E. G. Schwartz) sehr vorteilhaft ver- treten. Sehr kräftig, temperamentvoll und farbig frisch erschien ein berittener Baschkir von Orlowski, den man von dieser Seite nicht zu kennen pflegt (Nr. 129. Bes. W. S. Chudekow). In Sylvester Schtschedrins Bildern dokumentierte sich die russische romantische Landschaftskunst; es waren weniger die in Ton und Licht warmen An- sichten der Engelsburg und der Petersburger Börse (Nr. 163. Bes. S. K. Makowski. 156. Bes. A. E. Meißner), als die anspruchslose italienische Fischerbarke (Nr. 161. Bes. Fürst W. N. Argutinski-Dolgorukow), die den Geist des paysage intime atmend, die Aufmerksamkeit auf sich zog. Karl Brüllow war unbedeutend und unzureichend ver- treten, dagegen erwies sich Pawel Fedotow, der der sozialsatirischen Zuspitzung seiner Bilderthemen seinen Ruhm hauptsächlich verdankt, wieder als wirklicher Maler in zwei intim aufgefaßten Frauenporträts (Nr. 153, 154. Bes. N. P. Werner). Daß das un- gewöhnliche malerische Ingenium Alexander Iwanows an dem unfruchtbaren pro- grammatischen Grübeln über sein Lebenswerk, die „Erscheinung Christi‘, zu Grunde ging, wurde auch durch die Ausstellung in schmerzlicher Weise belegt. Nicht nur übertraf der eine von den zahllosen Entwürfen jene öde Maschine im Rumjanzowmuseum in Moskau um ein bedeutendes (Nr. 141. Bes. M. P. Botkin)?), sondern dieses war erst recht bei den Einzelstudien der Fall, deren Endzweck doch immer jenes unglückselige Monumentalstück blieb. Sie offenbarten die Größe von Iwanows malerischem Können, sei es als Landschafter in der Campagnastudie (Nr. 143. Bes. Alexander Benois) oder als Aktmaler, wie in den badenden Knaben (Nr. 144, Abb. Bes. M. P. Botkin) und in dem fast pleinairistisch anmutenden Rückenakt eines etwa elfjährigen Mädchens’) von farbiger Raffiniertheit, bei größter Einfachheit der Haltung (Nr. 144, Abb., Bes. W. B. Chwoschtschinski).

1) Vgl. Baron N. Wrangell, Staryje Gody, 1909, Jan. S. 31.

2 Abb. Les Trésors d'art en Russie. 1902. Tafel 17.

5) Woher der Katalog und S. Makowski (St. G. S. 742) es trotz der Haartracht für einen Knaben halten, bleibt mir unklar.

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Die Mannigfaltigkeit des Materials bedingte für diesen provisorischen Bericht eine Ungleichmäßigkeit und Lückenhaftigkeit der Bearbeitung. Eine Würdigung der ganzen Ausstellung nach den Gesichtspunkten der wissenschaftlichen Kritik wird sich erst im Laufe der Zeit durch das Zusammenwirken der verschiedensten Faktoren er- möglichen lassen. Einstweilen läßt sich nur die Tatsache feststellen, daß die Staryje Gody mit ihrer Ausstellung ein großes und reiches Material der kunstgeschichtlichen Forschung zur Verfügung haben stellen können.

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Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo

di Leandro Ozzola

Uno dei problemi più importanti che offre la pittura della rinascita in Sicilia è senza dubbio la ricerca dell'autore del maestoso dipinto rappresentante il Trionfo della Morte, che si vede nel Palazzo Sclafani in Palermo (Fig. I, ll) L'attribuzione comune della critica odierna è ancora quella accennata da uno scrittore locale della fine del seicento !) e accettata dal Rosini nella sua Storia della pittura °), che sia cioè opera d'uno sconosciuto fiammingo °).

Sarebbe inutile ripetere qui gli argomenti con cui il Di Marzo ha definitivamente confutato le vecchie attribuzioni ad artisti come Vicenzo di Pavia, lo Zingaro, Antonio Crescenzio *). Accettanto le conclusioni dello Janitschek *) egli ammette che il dipinto sia opera di due mani, una fiamminga del maestro principale e una secondaria d'un aiuto locale, e aggiunge di suo l'ipotesi che l'aiuto si possa identificare in Riccardo Quartararo, pittore palermitano °).

Lasciando da parte la quistione molto secondaria del cooperatore, resta sempre da vedere chi sia il misterioso artista, che ha concepito e diretto l'opera. La ragione, secondo me, per cui dal Rosini in poi gli storici dell’arte si sono dovuti accontentare dell'attribuzione vaga d'un ignoto fiammingo senza poter mai fare un nome solo dei numerosi artisti a noi noti, sta nel fatto che il dipinto presenta realmente qualche carattere dell'arte fiamminga, senza però appartenere al campo vero e proprio di quell'arte, ma piuttosto a una regione da essa influenzata, e da poco tempo scienti- ficamente esplorata, intendo dire l’arte spagnuola.

Confrontando il dipinto palermitano con la tavola di San Giorgio del Louvre,

') Di Marzo Gioacchino La pittura in Palermo nel rinascimento. Palermo 1899. p. 161. 2) Storia della pittura in Italia. Pisa 1841. III. 32 e 50.

*) Crowe e Cavalcaselle non accettano questa attribuzione e seguono la tradizione locale che l'attribuiva ad Antonio Crescenzio (Hist. of painting in North Italy II. 110); la sua opera firmata pero, la copia dello Spasimo di Raffaello, basta a togliere ogni importanza all’attri- buzione. Il Cavalcaselle nota che la leggenda delle relazioni fra l'ignoto fiammingo autore del Trionfo all'ospedale di Palermo è imitata da quella simile di Memling a proposito dell'ospedale di Bruges. Più recentemente Franz Diilberg lo ascrisse a un ignoto olandese verso l’ano 1450 (Giubileo). Cf. Frühholländer in Italien. Egli lo confronta con una Apocalisse di un miniatore olandese con cui però non ha relazioni caratteristiche.

4) Cf. Di Marzo op. cit. p. 162 e segg.

5) Janitschek. Zur Charakteristik der palermitanischen Malerei der Renaissance Zeit. Repertorium etc. Band 4. Heft. S. 363. Stuttgart 1876. Le conclusioni sono riportate dal Di Marzo op. cit. p. 169 e segg.

9) Di Marzo op. cit. p. 175 L'opinione dello Janitshek fu evidentemente originata dalla presenza nel dipinto dei due rittratti del pittore coll’appoggiamano e pennello, e del dis- cepolo che gli regge il vasetto del colore.

L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 199

(Fig. II, IV) attribuita al catalano Jaime Huget dal Sanpere y Miquel’) e dal Bertaux più giustamente a un artista anteriore a cui l'Huguet s'ispirò, risultano evidenti molte affinità e derivazioni. Il pannello in cui è rappresentato lo sterminio degli uccisori del Santo, che fra il turbinio delle folgori cadono al suolo esterrefatti o rovinano a terra dai loro cavalli, presenta nella concezione di movimento e di agitazione delle figure qualche cosa di più che una fortuita somiglianza di scena col Trionfo della Morte. Naturalmente le figure del Trionfo, più tarde, hanno forme meno povere. In tutti e due i dipinti poi, le folle sono collocate sopra piani inclinati, salenti verso il fondo del quadro, uso costantemente osservato dall'Huguet nei suoi quadri.

Il disegno nel Trionfo presenta la durezza che si vede in tutte le opere dell'Huguet e della sua scuola, e molte delle figure del dipinto di Palermo sono mal piantate sul terreno e hanno quella forma agitata e contorta che si riscontra nelle opere sue’). |

I colpiti dalle folgori nel pannello dell’esterminio del quadro di Sarı Giorgio esprimono il loro languore di morte con strane contorsioni del corpo e con carat- teristici scorci dei visi, dagli occhi spenti, dalle labbra socchiuse, che lasciano scorgere i denti, nelliidentico modo dei colpiti dalle frecce della Morte nel dipinto di Palermo).

Il carattere più individuale dell'Huguet è la sua concezione della figura: una vera e propria espressione anatomica. Nel Trionfo della Morte, oltre lo scheletro umano, che cavalca *), e quello meno logico del cavallo, si nota una magrezza

1) Sanpere y Miquel. Los Quatrocentistas Catalanes (Barcellona, 1906) II p. 275 e segg., e la biografia dell'Huguet p. 16 e segg. Il dipinto di S. Giorgio era già in casa Roccabruna a Barcellona. La tavola di S. Giorgio secondo E. Bertaux rimonta all'incirca al 1430, mentre la prima tavola dell’Huguet (SS. Abdon e Senen. Tarrassa Fig. V) è del 1460. Cf. E. Bertaux. Le Maitre de S. George (La Revue de l'Art anc. et mod. 1908 p. 346). Egli trova anche i punti di passaggio fra la prima e la seconda tavola in altre da lui pubblicate. (Cf. art. cit. ivi). L'in- fluenza che l'autore del S. Giorgio ebbe nell'arte catalana è pure quivi dimostrata; perciò, sebbene egli creda che il maestro di S. Giorgio possa essere un franco-fiammingo o franco-olandese, è più logico ritenerlo un catalano. A proposito infatti del quadro di S. Giorgio del Louvre e di quello di Tarrassa (SS. Abdon e Senen) dell'Huguet, documentato e dadato (1460) il Bertaux cosi si esprime: certo che la tavola di Tarrassa contiene dei particolari che sono dei veri impresti tolti al maestro di S. Giorgio“.

°) Anche la tecnica coloristica con cui è eseguito il Trionfo della Morte, tanto sugosa da lasciare scorgere ancora i rilievi filamentosi delle pennellate concorda con la tecnica della tavola di S. Abdon e Senen dell'Huguet, della quale il Miquel dice che per rendere i colori più caldi e sugosi usò per stemperarli un mezzo ora impossibile a spiegare (Op. cit. II p. 25). Sulla tecnica del Trionfo della Morte cfr. il Di Marzo (op. cit. p. 173), dove sono riferite le varie opinioni di chi crede il dipinto ad affresco e di chi, col Janitschek, lo ritiene a olio.

3) Ciò risulterà anche più evidente dal confronto specifico del viso del cavaliere caduto all'estremità inferiore a destra del Trionfo della Morte con quello del cavaliere che porta lo scudo sulla testa, a sinistra, in alto nella scena della decollazione di S. Giorgio. Nulla toglie al confronto la differenza d'espressione: di strazio nel guerriero che muore di morte violenta, e di languore nel giovane che muore fra i piaceri.

4) Iconograficgmente la Morte in forma di scheletro umano che lancia dardi nell'arte spagnuola trova un precedente, per es., nella figura dipinta ad affresco nella chiesa di Celon

200 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Fig. I. Il Trionfo della Morte (particolare) Palazzo Sclafani Palermo D

scheletrica anche in tutte le figure dei morti. La stessa concezione anatomica si riscontra anche nei visi delle altre figure. Per fare un confronto tipologico specifico si possono mettere a riscontro i due visi del giurista Bartolo e del Re col turbante che gli sta accanto nel Trionfo di Palermo (sotto le gambe anteriori del cavallo) e il

(Asturias). V. riproduzione in Museo Espafiol de Antigiiedades. VI. 59. A proposito della figura della Morte forse non è fortuita la somiglianza fra il suo vestito aderente e stracciato con quello pure aderente e stracciato di uno dei vecchi che flagellano S. Giorgio, nel quadro più volte citato.

L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 201

Fig. II. Il Trionfo della Morte (particolare) Palazzo Sclafani. Palermo DI

sivo d'uno dei cavalieri nella scena della decollazione di San Giorgio, quello cioè che sta in alto del quadro, a destra del solo veduto di profilo con la mano al viso. In tutte e tre queste magre e ossute teste si nota il contorno e il disegno tagliente, le occhiaie sviluppate in larghezza, il bulbo dell'occhio segnato così fortemente che pare quasi staccato dall’occhiaia, gli zigomi enormemente pronunciati, du erughe laterali alla bocca e profondamente incise, e più caratteristische ancora le labbra dagli orli rilevati, con l'inferiore sporgente, e socchiuse in modo da lasciar scorgere i denti. Non meno caratteristica nel viso del giurista Bartolo (e in altri) è la forma dell'o- recchio, voltato di prospetto, e la sua attaccatura all'osso zigomatico, ripetuta nelle figure della tavola di S. Giorgio, Cf., per es., quella che sporge sopra il vecchio che

202 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

tiene in mano il turbante, a destra, nel pannello del principe in trono.') Identico è nei due quadri che stiamo esaminando (e nella tavola di SS. Abdon e Senen dell’Huguet) il modo di trattare le barbe e i capelli, queste fluenti, a filamenti, quelli a bioccoletti serpentini.) Anche le mani flosce, dalle dita cilindriche, spesso aggranchiate a uncino, del dipinto di Palermo si ritrovano nella tavola del Louvre.?)

Tipologicamente considerate le figure del Trionfo della Morte hanno riscontro con altre figure dell'Huguet. Oltre i vecchi, comuni a tutti i quadri dell'artista cata- lano +), il tipo virile all'estremità sinistra sotto il ritratto del pittore è d'una corri- spondenza assoluta col tipo dei Santi Abdon e Senen della sua tavola di Tarrassa viso scarno allungato con i caratteristici baffetti spioventi e mancanti nel mezzo, e la barbetta rada e bipizzuta attaccata alla punta del mento.

Un altro dei caratteri dell'arte dell'Huguet, già notato dal Miquel, è la sua qualità di animalista.®) Nel Trionfo della Morte si riscontra appunto lo sfoggio di tale gusto: oltre lo scheletro del cavallo della Morte, appaiono logicamente poco necessarii i due cani del giovane signore nel fondo del quadro a sinistra, e addirittura superflui gli altri due cagnolini.‘) Una somiglianza specifica è fra le forme del cavallo che trascina San Giorgio e la parte posteriore del cavallo della Morte. In tutte e due è eguale l’impostatura leggermente di scorcio, ed eguale il profilo esterno delle coscie magre e arcuate con identica attaccatura della coda a insenatura e identico ed esage- rato rilievo della colonna vertebrale. Ora se si pensa che uno dei cavalli è scorti- cato e l'altro no, la somiglianza non può apparire fortuita o superficiale. Un'altra concordanza fra le opere dell'Huguet e il Trionfo di Palermo è nella concezione del fondo. Qui nulla delle minute e complesse vedute dei quattrocentisti fiamminghi:

1) Un confronto di eguale valore si potrebbe ripetere per i motivi grafici degli scorci. dall’Huguet così spesso usati contrariamente all'abitudine della sua scuola e di quella fiamminga. Un primo viso in scorcio all'in su si vede nella decollazione di San Cosma e Damiano, della tavola di S. Abdon e Senen, l'unica documentata (Chiesa di S. Michele di Tarrassa).

2) Non dovrà fare difficoltà contro la nostra attribuzione il trovare nel Trionfo dei gio- vani cavalieri coi capelli lunghi, poichè la moda dei capelli corti cominciata col 1461 in Bor- gogna non distrusse completamente quella dei capelli lunghi, sappiamo se fu seguita in Sicilia. Cf. Sanpere y Miquel op. cit. II p. 25 e nota 1.

3) I piedi della Morte, soli scoperti nel dipinto di Palermo, hanno le dita a forchetta come quelli, per non citarne altri, di San Giorgio flagellato.

4) I vecchi che si vedono,in questa pittura si trovano pure nel quadro di S. Giorgio. I due monaci a sinistra con le enormi barbe bianche, fluenti, filiformi, su cui piovono i lunghi baffi trovano un perfetto riscontro nel vecchio che spinge il cavallo nel Martirio di S. Giorgio, nel tiranno, e in due manigoldi nella scena della flagellazione.

* A questo proposito noteremo ch'egli ama introdurre animali nei suoi quadri tavolta anche senza nessuna necessità logica. Oltre i leoni, orsi, lupi del Martirio di Sant’Abdon e Senen, si noti il mulo carico dei barili in altro pannello dello stesso quadro, il cavallo che trascina S. Giorgio e il cavallo del centurione nella stessa scena, e i cavalli della scena dell’ester- minio degli uccisori di S. Giorgio, tutti nello stesso quadro, dove pure si vede in un altro pan- nello un cagnolino bianco ai piedi del principe.

©) In questi cagnolini, oltre la stessa durezza di disegno, si nota quella specie d'inse- natura all'attaccatura dell'orecchio, che si ritrova nel cagnolino ai piedi del principe nel quadro di San Giorgio. |

L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 203

op

Bf

Fig. III. Ignoto catalano. Tavola di S. Giorgio Fig. IV. Ignoto catalano. Tavola di S. Giorgio (particolare). Parigi. Louvre = . (particolare). Parigi. Louvre D)

‘l'orizzonte altissimo riduce il fondo a una bassa e folta siepe di vegetazione mono- tona, formata da masse tondeggianti e uniformi di foglie lanceolate, che si ripetono costantemente. Tutto ciò dimostra nell'autore un paesista molto rudimentale.!) Anche l'architettura gotica della fontana che si vede nel dipinto del Trionfo della Morte ha un riscontro nelle forme gotiche del trono del tiranno, nel quadro di San Giorgio del Louvre.

1) L'Huguet fu dei primi nella scuola catalana a sopprimere i fondi dorati e a sosti- tuirvi quelli di paesaggio. Cf. Sanpere y Miquel op. cit. II. 277 e 19—20. La rudimentalità del paesista, nel Trionfo della Morte è documentata dalle sua rappresentazione schematica delle nuvole a nastri araldici serpentini, che si ritrovano anche in altri quadri spagnuoli del quattrocento.

204 Monatshefte für Kunstwissenschaft

l costumi stessi delle figure, che forse piü d’ogni altro elemento hanno servito all’attribuzione tradizionale del- l'ignoto fiammingo, trovano dei riscontri nelle opere dell'Huguet. Oltre i vestiti dei giovani cavalieri, simili a quelli della pittura italiana di quel tempo’), l'ele- mento più caratteristico del vestiario maschile, che si trovi nel dipinto del Trionfo della Morte è quello strano tur- bante sormontato da un cono e cinto da una corona da conte. Ora tale tur- bante per l'appunto si ritrova nella tavola dei Santi Abdon e Senen (l'imperatore nella scena della decolazione) e nella tavola di San Giorgio del Louvre, nelle due scene della flagellazione e della condanna a morte.

L'unica indicazione scritta che si trovi nel dipinto del Trionfo della Morte è data dalle parole ,Bartolus de Xaxxuferratu lux juris civilis“ °) tracciate su un libro aperto, che giace sopra una figura. Questo è il celebre giurista del secolo XIV (1313—1359 ?) di Sassoferrato nelle

ini.

Fig. V. Jaime Huguet. Tavola dei SS. Abdon e Senen (particolare). S. Michele di Tarrassa

1) Ad ogni modo noteremo che le maniche strette fino al gomito e a sbuffo dal gomito alla spalla, che si vedono in questi giovani, si riscontrano più specialmente nell’arte catalana. Cf. Sanpere y Miquel: riproduzioni da Luigi Borassà e Benedetto Martorelli; op. cit. I, 151, 188 e 189. Più difficile è un riscontro per i costumi delle donne, che popolano la parte destra del grande dipinto palermitano, non trovandosi nei quadri dell’Huguet elementi di confronto. Ci limiteremo perciò a paragonarle con le figure femminili di altri pittori spagnuoli e catalani. Per il costume della donna mediana delle tre più in alto, la sua scollatura angolare, e in parte la sua acconciatura, cf. la donna nella Pittura murale d’una casa particolare di Toledo del secondo terzo del secolo XV (Museo Esp. des Ant. tom.IV p. 192). Per le altre, cf. la Salome nel festino di Erode di Luigi Borassà (Tavola di S. Giovanni Batta. Museo d'arte decorativa di Parigi).

Il berretto bicuspidale, che si nota in capo alle donne del Trionfo, fu usato, secondo il Miquel, dalle donne spagnuole dal 1460 al 1480 (op. cit. Il. p. 152 e 153). Si trova rappresentato p. es: (più acuto però), nella tavola di Sant'Antonio abate, della chiesa omonima di Barcellona, che il Miquel attribuisce al Vergòs (op. cit. II p. 50. 52).

Il ventre sporgente delle donne del Trionfo di Palermo era una caratteristica di bellezza comune nel Nord e in Catalogna. Nella pittura di questa regione appare da Luigi Borassà in poi.

*) I! Di Marzo lesse col Janitschek: „de Haixferratu“; ma io ho potuto constatare che la prima lettera è una x come la terza e la quarta, a cui segue un u. La scrittura essendo minuscola l'h sarebbe evidente, dovendo lasta sorpassare le linee. L'ultima della parola, dan- neggiata, può essere tanto un u quanto un o; ma dato che la finale di Xaxxu è u si può sup- porre eguale la lettera finale. La desinenza in u siciliana non dice nulla sulla patria del pittore perchè questi scriveva come sentiva pronunziare. Più concludente invece per la storia del dipinto è la forma delle lettere che ha tutti i caratteri della gotica spagnuola, grossa angolosa e

L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 205

Marche, che professò legge in Perugia. Egli era comunemente chiamato „lucerna juris“ ancora alla fine del seccolo XV, e in Spagna si era decretato che la sua opinione fosse legge dove questa mancasse.!) Forse per l'autorità che godeva in quello stato l’autore del Trionfo lo ha messo qui come il rappresentante della scienza.

Riguardo alla cronologia del dipinto, in mancanza di notizie storiche siamo costretti a ricorrere all'ipotesi comunemente accettata ch'esso appartenga alla seconda metà del secolo XV, confermata specialmente dalle testimonianza che possono offrire i costumi in esso rappresentati. Purtroppo però non sappiamo se in quel tempo o mai l’Huguet venisse in Sicilia.*) Allo stato presente delle cognizioni occorre dunque limitarsi a concludere che il Trionfo della Morte deriva dalla stessa fonte a cui ha attinto l'Huguet (la tavola di S. Giorgio), e presenta affinità cosi specifiche con l’opera sua e quelle a lui ascritte, da poterlo togliere all'attribuzione tradizionale dell'ignoto fiammingo per classificarlo tra i lavori di quel pittore, o almeno tra quelli della scuola catalana più prossimi ai suoi.) ricamata; molte lettere infatti hanno delle appendici svolazzanti. Cfr. per es: quelle che si vedono dipinte o incise nei quadri di Paolo Vergòs riprodotti dal Sanpere (II. p. 153, 160, 171 e 173).

1) Cfr. p. es. Mazzuchelli Gli scrittori d'Italia. |

2) Nei documenti della sua patria è rammentato la prima volta il 1448 e l’ultima nel 1483. Dal ritratto inserito nel Trionfo della Morte l'autore del dipinto dimostra un'età intorno ai cinquanta anni. Ammettendo che nel 1448 l'Huguet potesse avere una venticinquina d'anni, il dipinto di Palermo, se fosse suo, cadrebbe intorno al 1473. Ora appunto dal 1467 al 1475 nei documenti di Barcellona che lo riguardano è una lacuna di otto anni. Che il pittore catalano abbia potuto fare una dimora a Palermo non è ipotesi molto arrischiata, purtroppo però è sempre un'ipotesi.

3) Determinare chi sia lo scolaro che regge il piattello del colore è anche più difficile, sebbene si possa riscontrare la sua mano nella esecuzione materiale delle quattro figure di giovani che stanno attorno alla fontana, più deboli di disegno e d'un tocco più grossolano delle altre. L'ipotesi del Di Marzo che lo identifica col Quartararo per un confronto col quadro dei Santi Pietro e Paolo è un po’arrischiata: basta osservare nei due dipinti l'enorme distanza che corre fra le due concezioni del piano su cui posano le figure e dei paesaggi. Il Quartararo in questo deriva da una scuola immensamente più progredita. Per altre derivazioni della pittura Siciliana dall'arte spagnuola cf. il mio articolo: L'arte spagnuola nella pittura siciliana del secolo XV. (Rassegna Nazionale. Firenze. 10 gennaio 1909.)

F

San Pietro in Civate Von August Feigel

San Pietro in Civate wird gewiB den meisten Kunstfreunden und gar manchem aus dem engeren Kreise der Fachgenossen unbekannt sein. Obwohl schon Sdhrift- steller aus dem XVIII. Jahrhundert auf die Schénheit der Kunstwerke, die in dem ein- fachen Bau verborgen sind, und auf ihre Bedeutung für die Kenntnis anderer berühmter Denkmäler hinwiesen, und in neuerer Zeit Lokalforscher sich lebhaft mit ihnen be- schäftigten, nahm man in kunsthistorischen Kreisen wenig Notiz von diesen literarischen Hinweisen und von den Kunstwerken selbst.) Diese unverdiente Zurücksetzung mag wohl hauptsächlih durch lokale Verhältnisse bedingt sein: Civate liegt fern ab von den großen Verkehrswegen, die nach Italien führen und das Kirchlein, das einsam, hoch oben im Gebirge liegt, ist nur mit Mühe zu erreichen. Wenn ich nun den Lesern die Reproduktionen meiner Aufnahmen darbiete, so muß ich zugleich ihretwegen um Nachsicht bitten. Es sind Photographien, die ich unter schwierigen Verhältnissen und nur mit den bescheidenen Hilfsmitteln, wie sie einem Touristen zur Verfügung stehen, hergestellt habe.?)

Civate liegt in der Alta Brianza an der Bahnstrecke zwischen Como und Lecco. S. Pietro thront hoch über dem kleinen Orte. Ehemals war es die Kirche eines Benediktinerklosters, dessen Gründung in hohe Zeit, vielleicht in Karolingerzeit, hinauf- reicht.) Heute sind die Klostergebäude fast ganz verschwunden. Außer einer kleinen, interessanten Kapelle San Benedetto, die wohl als Taufkapelle diente, ist nur nom S. Pietro, die ehemalige Klosterkirche, erhalten. Es ist ein einschiffiger, saalartiger Bau mit Ost- und Westapside. Daß diese doppelchérige Anlage nicht ursprünglich

!) Literatur über Civate: G. Longoni: Memorie storiche della chiesa ed abbazia di San Pietro al Monte. Milano 1850. F.de Dartein: Etude sur l'architecture lombarde etc. Paris 1865—82. S.35ff; S.515. Barelli: San Pietro ai monti di Civate. In: Rivista archeologica della provincia di Como. Heft 20. Dez. 1881. Magistretti: Archivio storico lombardo. 1896. S. 323f. und 1898, Heft XVII, S. 80f. Als Anhang ist ein Brief des P. Giuseppe Allegranza vom 2. Juli 1760 abgedruckt, der als Erster Beziehungen Civates zu S. Ambrogio in Mailand feststellt. Vergleicie ferner Venturi: Storia dell’ arte italiana. Bd. Il. S. 382f. Abbildungen: Das AuBere der Kirche in: Monti: Storia ed arte nella provincia ed antica diocesi di Como. Como 1902. S. 455. Rivoira: Le origini della architettura lombarda. Roma 1901. Bd. 1. S. 283. Fig. 369. Ferner über interessante Stuckkästchen gefunden in S. Pietro: Giov. Basenga: Antiche Capselle Liturgighe in Brianza. In Rivista archdologica della provincia die Como. Heft 48/49. 1904. S. 107 f und T.1. Vor allem aber ist heranzuziehen: Dartein a. a. O. Tafel 19 u. 20, wo Grundrisse und Einzelheiten der Ornamentik gut wiedergegeben sind.

2) Da in diesem Aufsatze nicht alle meine Aufnahmen von S. Pietro in Civate veröffentlicht werden können und auch die Klischés nidıt in der wünschenswerten Schärfe ausgefallen sind, so bin ich gerne bereit, auf Verlangen Originalabzüge der Platten anfertigen zu lassen. Eventuelle Anfragen an meinen Namen, Darmstadt, GroBherzogi. Museum, werde ich an meinen Photo- graphen weitergeben.

*) Rivoira a. a. O. S. 283 glaubt daß die Kirche 860 gebaut ist.

A. Feigel. San Pietro in Civate 207

"Abb. 1. S. PIETRO IN CIVATE Eingangswand O

geplant, sondern die Folge späterer Veränderung ist, dafür hat der Bau selbst un- trügliche Zeichen. Schon Dartein’) erkannte, daß die heutige Westapsis jüngeren Datums ist. Aus dem schlechten Mauerverband und dem Fehlen der Pilasterdekoration, die sih auf den übrigen Bau samt der Ostapsis erstreckt, ist mit Sicherheit dieser Schluß zu ziehen. Die Ostapsis wurde bei dieser Veränderung durch eine Türe durchbrochen und der so geschaffene Haupteingang durch Mauerzüge und eine breite Treppe mit dem tiefer liegenden Gelände verbunden. Hand in Hand mit dieser baulichen Veränderung, und zwar bedingt durch dieselbe, geht die Innenausstattung der Kirche. In der seit- herigen Apsis erstand eine Eingangshalle, während man in der neuen Apsis den Altar und ein prächtiges Ciborium errichtete. Den ehemaligen Triumphbogen schloß man mit einer Mauer, die sich nach unten durch Säulenstellungen in 3 Arkaden öffnet. (Siehe Abb. 1). Zu Seiten der Türe wurden Mauern eingezogen, sodaß man 2 kleine Seitenkapellen erhielt, deren Apsiden jedoch nach außen hin nicht sichtbar sind. Diese beiden eingezogenen Mauern setzen sich nicht bis zur Triumphbogenwand fort, sondern 2 Säulen treten an ihre Stelle. Durch 2 ungefähr 1 m hohe Platten werden die beiden Säulen mit denen der Triumphbogenwand verbunden (Abb. 2 und 3).°) All diese struktiven Glieder werden nun die Träger einer überaus schönen und bis heute einzig dastehenden Dekoration. Säulen, Kapitelle, Basen und Platten bestehen aus

1) a. a. O. S. 37. Bei einem Nachtrage zwar schließt sich Dartein dem Ergebnis der „Untersuchungen“ Barellis an, der die beiden Apsiden für gleichzeitig hält. Vergl. jedoch dazu die Kritik Magistrettis in seinem Aufsatze im Arch. stor. lomb. 1896.

2) Für die Überlassung der Aufnahme No. 2 bin ich Herrn Prof. Goldschmidt zu Dank verpflichtet.

208 Monatshefte für Kunstwissenschaft

hartem, schwer zu bearbeitenden Granit, wie er dort oben bei der Kirche gefunden wird. Auch der geschickteste MeiBel könnte diesem Material nur wenige einfache Ornamente ab- gewinnen. Die Künstler halfen sich, indem sie den Kern nur im Rohen zurichteten und ihn mit einer Stuckschicht überzogen, aus welcher mit Messer und Schabeisen die or- namentalen Gebilde herausgearbeitet wurden. Alle ornamentalen Teile: die Basen, die Riefelungen der Schäfte, die Kapitelle, die . Arkadenbogen,dieVerzierungen des Triumph- bogens, das horizontale Band mit dem Lamm in der Scheibe, die beiden Platten mit den prächtig stilisierten Fabeltieren, Greif und Chimäre: alles das ist aus ‚Stuck geformt. Aus demselben Material ist das Ciborium, dessen 4 Seiten mit reich figurierten Szenen nämlich Kreuzigung, Frauen am Grabe, Christus zwischen Petrus und Paulus und Christus thronend in der Mandorla, getragen von 2 Engeln, geschmückt sind. (Siehe Abb. 4-8). Und steigen wir hinab zur Krypta, so bemerken wir, daß die drei großen Platten, die den Treppeneingang umgeben, ebenfalls ganz mit Stuckornamenten überzogen sind (Abb. 9). In der Krypta selbst finden wir außer den reich ornamen- tierten Pilastern und Kapitellexn, welche denen der Oberkirche entsprechen, und einem horizontalen Gesimsband noch 3 Szenen in Stucco, die die großen Flächen der Schild- bogen ausfüllen, nämlich die Darbringung im Tempel, den Tod Mariä und darunter eine, leider sehr zerstörte Kreuzigung, mit Maria, Johannes, Longinus und Stephaton VEDA 10).

Zu diesem reichen plastischen Schmuck gesellt sich eine ebenso umfangreiche wie bedeutende, malerische Dekoration, die größ- tenteils den Vorzug guter Erhaltung hat. Das größte und wirkungsvollste Fresko schmückt die Mauerwand, die den ehe- maligen Triumphbogen schließt. Der Vor- wurf ist aus dem 12. Kapitel der „Geheimen Offenbarung genommen.“ Ein großer ge- flügelter Drache, dessen mächtiger Körper schlangenartig endet, und aus dessen Halse 7 kleinere Köpfe hervorwachsen, bedroht app 3. S. PIETRO IN CIVATE o das Kind. Die Mutter liegt nach Art byzan- Chimäre, Platte am Eingang

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v~ Abb. 2. S. PIETRO IN CIVATE Blik durch die Vorhalle

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A, Feigel.

San Pietro in Civate

tinischer Geburtsdarstellungen auf einem mit dunklen Streifen verziertem Lager. Die Strahlen der Sonne umkleiden sie. Der Mond ist zu ihren Füßen. Dasselbe Kind, das unten der Drache bedroht, wird oben dem thronenden Gotte dargebracht. Und rings um den Thron sind die Scharen der Engel. An ihrer Spitze bekämpft der ge- wappnete Michael mit langem Speere den Drachen. Dieser reißt mit seinem Schwanze ein „Dritteil der Sterne“ vom Firmament. Jedoch seine Untergebenen, kleine Teufel- chen, sind schon besiegt. Sie stürzen in die Tiefe.

Audi die anderen Fresken sind der Apocalypse entnommen. In die Zwickel der Kreuzgewölbe der Eingangshalle sind in prachtvoller Ausnutzung des Raumes 4 Tubablasende Engel (Abb. 11), die 4 Para- diesesflüsse und die 4 Evangelistensymbole hineinkomponiert. Die merkwürdigste und ikonographisch interessanteste Szene jedoch ist in der 1. Travee des Eingangs. Dar- gestellt ist das himmlische Jerusalem nach Kap. 21 und 22 der geheimen Offenbarung. Dieses Thema ist wohl mit Rücksicht auf

Abb. 5. S. PIETRO IN CIVATE Ciborium, Vorderseite

bb. 4, S. PIETRO IN CIVATE Ciborium O O Phot. Montabone, Milano

die Gewohnheit, die Eingangshalle als Paradies zu bezeichnen, ge- wählt. Christus mit dem Lamm zu seinen Füßen, von dem der Lebensstrom ausgeht, thront in der himmlischen Stadt. In der einen Hand trägt er einen langen Stab (wohl das goldene Rohr nach Kap. 21, 16), in der andern Hand hält er ein Buch, auf dem die Worte geschrieben sind: Qui sitit, veniat (Kap. 22, 17). Rechts und links wachsen 2 Bäume hervor (Kap. 22, 2). Das Ganze wird umschlossen von 12torigen

210 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Mauer, die mit Türmen bewehrt ist. In dem Dunkel der Tore stehen die Namen der Edelsteine, aus denen die Stadt gebaut ist. Unter diesen Namen erscheint je ein Kopf, unter denen man wohl die 12 Stämme Israels oder die Wache haltenden Engel verstehen kann.

Audi sonst an anderen Stellen der Kirche finden sich, außer Ar- beiten der Renaissance, noch mannigfache Reste früherer Zeit, von denen ich leider keine Auf- nahmen zur Verfügung habe. So “Abb. 6. S. PIETRO IN CIVATE © sind an den beiden Längswänden

Ciborium, rechte Seite (Detail) des Eingangs 2 interessante litur- gische Szenen, die für eine ein- gehende Behandlung von S. Pietro in Civate wichtig sind. In den kleinen Apsiden der beiden Seitenkapellen kann man noch flügelüberdeckte Cherubime feststellen. Von der malerischen Dekoration der Krypta ist nur noch eine der klugen Jungfrauen vor- handen. Sie tragt eine groBe, gekriimmte Fackel, an welcher die Olflasche hangt, die genau die Form der bekannten Ampullen von Monza hat. Auch in der kleinen Kirche S. Benedetto sind noch einige Reste der Malerei erhalten, so an dem“ Altar der Kopf des hl. Benedikt. Aus dieser nackten Aufzählung kann der Leser ermessen, welche Fülle von Stoff noch vorhanden ist und daß es sich verlohnen würde, genaue Untersuchungen anzustellen.

Welcher Zeit und welcher Richtung gehören nun all diese Kunstwerke an? Ich gestehe, daß ich auf diese Fragen noch keine vollständig befriedigende Antwort geben kann. Klar ist es, daß bei dem Werden dieser Kunst in weitem Maße die Kräfte eines starken byzantinischen Einflusses wirksam waren. Die Formensprache ist in ihren einzelnen Elementen voll- ständig Byzanz entlehnt. Wer denkt bei dem thronenden Christus auf der Rückseite des Ciboriums Abb. 7. S. PIETRO IN CIVATE nicht an viele der byzantinischen Ciborium, Rückseite o

A. Feigel. San Pietro in Civate 211

Elfenbeinschnitzereien? Wie der Mantel iiber die Schultern geschlagen ist, wie er am Oberarm eckig gebrochen eine ,Dachfalte“ bildet, sih auf dem Kissen des Thrones staut und dann längs des Beines herabläuft, für all das finden wir ähnliche Beispiele in Byzanz. Die überraschendste Verwandtschaft mit dieser Kunst zeigen die Köpfe. Der edel geschnittene Kopf Christi mit den weich fließenden Locken, dem spitzen Barte, dem schmalen Nasenrücken und den großen ausdrucksvollen Augen, könnte ebensogut auf einem elfenbeingeschnitzten Buchdeckel byzantinischer Herkunft sein. Auch die vollen, fleischigen Köpfe der Frauen und Engel weisen auf Ostrom. Auf dieselbe Quelle geht die Typik der Engel des großen Fresko zurük. Man braucht daraufhin nur den ge- wappneten Michael mit seinen flau- | migen Flügeln zu betrachten. Auch die Art und Weise, wie der Maler sich hilft, um die große Anzahl der Streiter glaubhaft zu machen durch Übereinanderreihung der Kö- pfe und Heiligenscheine beruht auf dem byzantinischen Kompositions- schema. Freilich bin ich nicht in der Lage mitzuteilen, ob die Ikono- graphie dieses großen Gemäldes vollständig mit byzantinischen Dar- stellungen übereinstimmt. Das Ma- terial ist hierfür noch zu wenig | ~- bekannt. Auf dieVerwandtschaft des ‘bb. 8 S. PIETRO IN CIVATE o

gebarenden Weibes mit Maria in Ciborium, linke Seite (Detail) Geburtsdarstellungen wurde schon

oben hingewiesen. Vielleicht wollte man durch diese Annäherung die Identifizierung des apokalyptischen Weibes mit der Muttergottes offenkundiger gestalten. Ich vermute, daß dieser Zug nicht der byzantinischen Tradition angehört, denn das Malerbuch vom Berge Athos!) verlangt eine ganz andere Darstellung, ungefähr in der Art, wie sich der Meister der Fresken von Saint-Savin*) seiner Aufgabe erledigte. Auch die Ge- staltung des Drachens als „dicke Schlange, aus deren Hals eine Reihe von sechs kurzen Köpfen hervorwädhst“, scheint nicht auf Byzanz hinzudeuten; denn diese ist, wie Frimmel meint, für Italien charakteristisch.) Auch eine solche Kleinigkeit, wie die Haltung des frontal sitzenden Engels bei dem Besuch der Frauen am Grabe, wie er zu diesen spricht, ohne im kunstvollen Kontrapost auf die Tücher im Sarkophage hin- zuweisen, läßt unsern Schluß rechtfertigen, daß wir trotz aller Byzantinismen in der Einzelausführung den Künstler nicht für einen Griechen halten. Wenn wir der Anregung Frimmels folgen wollen, so müssen wir annehmen, daß die Werke in Civate von einem italienischen Meister geschaffen wurden. Es sei hier die

') Vergl. die Aufgabe von Schäfer, S. 251. 3) Abb.: André Michel, Histoire de l'art Bd. 1, 2, Fig. 410. 3) Frimmel: Die Apokalypse in den Bilderhandschriften des Mittelalters. Wien 1885. S. 35f.

212 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Hypothese aufgestellt, daB dieser Kiinstler aus der Schule von Monte Cassino stammt. Denn mit dieser Annahme können wir die Charakteristik dieses Meisters die wir oben gegeben haben, mit dem Kunstcharakter, so wie er jetzt für Monte Cassino in An- spruch genommen wird, vereinbaren. Beziehungen des Benediktinerklosters von Civate mit der Centrale in Monte Cassino sind ja leicht erklärbar. Daß wir den Künstler außerhalb des Nordens von Italien zu suchen haben, dafür sprechen seine Werke selbst. Denn wo könnte man in Oberitalien Skulpturen ähnlicher Vollendung finden, wo doch um 1100, die Zeit die ich für Civate annehme, das Interesse für plastische Gestaltung erst anfängt sich zu regen? Zu diesen Wahrscheinlichkeitsgründen sei auch noch der Hin- weis auf einige Ähnlichkeiten in der Zeichnung, Haltung und Stellung der Engel des großen Fresko mit den Engeln des jüngsten Gerichtes von S. Angelo in Formis hinzugefügt.

Den meisten Forschern, die sich mit S. Pietro in Civate beschäftigten, und an ihrer Spitze Giuseppe Allegranza, ist es sofort klar geworden, daß zwischen dem ‘Ciborium in S. Pietro und dem von S. Ambrogio in Mailand Beziehungen be- ständen; jedoch wurden diese noch nie genauer untersucht. Im architektonischen Aufbau entsprechen sich die beiden Ciborien vollständig: wie auf den Rundbogen die skulptierten Platten sitzen, die nach oben giebelförmig und mit Krabben besetzt ab- schließen, wie in die Ecken, wo zwei Platten aneinanderstoßen, Säulchen treten, auf deren Kapitell ein großes Akanthusblatt sitzt, wie diesen Säulchen Träger untergeschoben sind, in Civate sehr schön gearbeitete Evangelistensymbole, in S. Ambrogie Adler: alles das ist ganz gleich. Beide Werke können nicht unabhängig voneinander entstanden sein. Dieser Schluß wird noch zwingender, wenn wir bedenken, daß sie aus demselben Material aus Stuck bestehen, und daß ihre Form einzig in ihrer Art ist; sämtliche andere er- haltenen Ciborien und solche auf Miniaturen reproduzierten sind anders aufgebaut, entweder kuppel- oder pyramidenartig mit geradem Gebälke auf den Säulen. Jedoch trotz all dieser Übereinstimmungen, ist es durchaus sicher, daß beide Ciborien nicht von einer Hand stammen, ja daß ihre Meister ganz verschiedenen Schulen und vielleicht weit auseinander liegenden Zeiten angehören. Die stilistischen Verschiedenheiten können nicht scharf genug betont werden. Hier in Civate größere Eleganz und Flüssigkeit in der Linienführung, aber Abhängigkeit von Byzanz. Dort in S. Ambrogio alles härter, unbeholfener sowohl in der Faltengebung als auch in der Darstellung des Körpers, jedoch größere Freiheit und Unabhängigkeit von der byzantinischen Kunst. Die weit- gehende Abhängigkeit des Civatener Künstlers von Byzanz brachte ihn ja vielfach in Vorteil gegenüber dem mehr selbständigen Bildhauer von Mailand. Er hatte den sicheren Boden einer alten Tradition unter sich und zwar einer künstlerischen Schule, die einen großen Wert auf monumentale Wirkung legte und deren Werke immer, auch bei noch so trockener Formengebung groß wirkten. Dies sichere Gefühl für Komposition und Raumausnützung dringt hier gewaltig durch. In der Tat, wie die Flügel der Engel, die die Mandorla halten, die Fläche füllen, wie der thronende Christus unge- zwungen Petrus und Paulus überragt, wie diese ganz selbstverstandlich tief in die Zwickel hinabsteigen, wie überhaupt die Größe der Figuren zu den Flächen abge- stimmt ist, das alles erscheint bei weitem glücklicher als bei den überfüllten Mailänder

A. Feigel. San Pietro in Civate 213

Abb. 9. S. PIETRO IN CIVATE D

Platte am Eingang zur Krypta

Platten. Diese Überlegenheit des Civatener Künstlers legt den Gedanken nahe, daß das Ciborium von S. Pietro dem in S. Ambrogio vorangehe und es inspirierte. Und trotzdem wird man diesen Schluß nicht wagen dürfen, und zwar gerade wegen der starken Abhängigkeit unseres Künstlers von Byzanz, denn der Aufbau des Ciboriums ist ganz und gar ungebräuchlih in der oströmischen Kunst. Hier finden wir meistens Kuppeln oder pyramidenartige Dächer mit dem Kreuze bekrönt. Von letzterer Art war auch das Tabernakel von Monte Cassino, das wir ja aus der Beschreibung kennen. Die Form der giebelförmig geschlossenen Frontispizien, wie wir sie in Mailand. und Civate finden, ist eine Weiterentwicklung jener Art, wie sie im VIII. Jahrhundert in der ravennatischen Kunst gebräuchlich war.!) Da es anzunehmen ist, daß der Civatener Künstler, der doch ganz erfüllt ist von Erinnerungen an die byzantinische Kunst, auch das Ciborium in ihrem Geiste geschaffen hätte, wenn nicht in seinen Gesichtskreis ein Werk von so imponierender Größe, wie das Mailänder Tabernakel, getreten wäre, so liegt es nahe zu behaupten, daß er eben durch dieses zu seiner Schöpfung inspiriert wurde. Daß er eine ihm nicht geläufige Form kopierte, beweist noch eine Einzel- heit seines Ciboriums. Die Ecksäuldhen des Mailänder Baldachins haben nicht nur den Zweck, die tote Ecke zwischen je zwei zusammenstoßenden Platten auszufüllen, sondern sie nehmen auch mit dem großen, muschelförmigen Akanthusblatt auf ihren Kapitellen

1) Zum Vergleich heranzuziehen ist das Frontispiz von S. Maria in Valle. Abb. bei Cattaneo: L'Architettura in Italia usw. Fig. 40.

214 Monatshefte für Kunstwissenschaft

tuenden Stützpunkt. Der Krabbenkranz in Civate kann jedoch einen solchen Stützpunkt vollständig entbehren, da er ununterbrochen bis zu den tragenden Evangelistensymbolen hinabreicht. Und doch setzt der Künster auf jedes Säulchen ein großes Akanthusblatt als Bekrönung, das aber hier keine Funktion mehr auszuüben hat. Auch die Form der Krabben scheint unserm Meister nicht zu liegen, er nimmt das für diesen Zweck wenig geeignete Akanthusblatt, während die Krabben am Mailänder Ciborium eine logische Weiterbildung jener im VII. Jahrhundert gebräuchlichen Form sind, die aus dem „laufenden Hund“ sich entwickelt hat. Aus all diesen Gründen glaube ich schließen zu dürfen, daß der Künstler von Civate eine ihm bisher fremde Kunstform nachahmte, d. h. daß er das Ciborium von S. Ambrogio sich zum Vorbild nahm. Diese Erkenntnis ist für das Letztere selbst nicht ohne Interesse. Denn gelingt es uns für die Neu- ausstattung von S. Pietro in Civate einen einigermaßen sicheren Zeitpunkt zu finden, so ist damit ein terminus ante quem für das Mailänder Ciborium gegeben, dessen Datierung ja bekanntlich vom IX. bis zum XIII. Jahrhundert schwankt.

Für die zeitliche Festlegung der Kunstwerke von S. Pietro sind andere Be- ziehungen zwischen ihm und S. Ambrogio wichtig. Auf der Kanzel dieser Kirche finden wir nämlich dieselbe Chimäre, die in Civate auf der einen Platte des Eingangs steht (Abb. 3) und zwar in der ornamentierten Füllung unter der ,Agape“ auf der Rückseite des Ambo.!) Aber hier ist das dreiköpfige Tier nicht in der klassisch ein- fachen, klaren Form dargestellt, wie in Civate, sondern es ist ganz versteckt unter dem Rankengewirr, das gleicimaBig Figur und Hintergrund überzieht. In dieser Art, Figür- lies mit vegetabilem Flechtwerk zu verbinden, steht der Verfertiger dieser Platte in enger Verwandtschaft mit dem Künstler, der die ornamentierten Platten des Krypta- einganges von S. Pietro schuf (Abb. 9). Die Ähnlichkeit der Rankenführung, Blatt- zeichnung ist trotz der Verschiedenheit des Materials, hier der leicht bildsame Stuck, dort der spröde Marmor, so groß, daß man mindestens an Schulverwandtschaft, wenn nicht an die Identität der Künstler denken muß. Dieser Ornamentik begegnen wir in S. Ambrogio allenthalben an den Kapitellen der Kirche, und besonders an den Por- talen.und in der Vorhalle. Zweifellos hängen all diese Ornamentstücke mit dem Neubau S. Ambrogios, der im ersten Viertel des XII. Jahrhunderts im Gange war, zusammen. Im Grunde genommen läßt sich diese Art der Ornamentierung weit zurückverfolgen: von den Platten in S. Marco in Venedig und zu Torcello (Abb. Cattaneo: Fig. 163 165) bis zu den Werken des ravennatischen Kunstkreises. Das Neue, Charakteristische jedoch ist, daß die Gesetzmäßigkeit der Linienführung, die die ordnende Hand des Künstlers durch Symetrie und rythmische Wiederholung gleicher Muster erstrebte, hier aufgehoben ist. Die Ranken werden von vegetabilem Leben beseelt, sie wachsen wirklich, folgen nicht mehr dem Zwange geometrischer Linienführung, sondern füllen so wie sie es wollen, die ganze ihnen zu Gebot stehende Fläche aus. Selbst vor den Leibern der Tiere machen sie nicht mehr halt, sondern umspinnen sie mit ihren Asten. Die Blätter selbst sind nicht mehr starr in einer Fläche ausgebreitet, sie wachsen in die Tiefe, sie suchen sici gegenseitig auf, haken sich ineinander ein und umklammern sich. Merk-

') Abbildungen bei: Dartein, a. a. O. Tafel 36 und Romussi: S. Ambrogio. Fig. 35.

A. Feigel. San Pietro in Civate 215

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# À Abb. 10. S. PIETRO IN CIVATE D Krypta, Kreuzigung und Marientod

wiirdig jedoch ist, daB die Einzelform, so viel Leben auch in ihr pulsiert, noch nicht der Natur abgelauscht ist; es ist die typische Blattform, die aus der byzantinischen Ornamentik sich entwickelnd in die romanische Kunst überging. Die Kunst brauchte noch ungefähr 100 Jahre, bis sie auch dies letzte von der Natur für sich eroberte. Die Gothik kam hiermit ans Ziel. Jedoch der Grund für diese letzte Phase der Ent- wicklung wurde schon in der Zeit gelegt, mit der wir uns beschäftigen.

Woher stammen nun diese Motive? Haben die Comacini denn es ist kein Zweifel, daß sie es waren, die diesen neuen Stil am meisten kultivierten, in ihrer Heimat am üppigsten zur Blüte brachten und ihn von da nordwärts, zumeist in die Bauhütten des Rheines und der Sachsengaue einführten haben sie diesen Stil von selbst erfunden, oder von außen her Anregungen dazu erhalten? Ich glaube, daß uns S. Pietro in Civate zur Lösung dieser Frage einen Anhaltspunkt gibt. Denn dasjenige, was eine Platte von Torcello von Platten in S. Ambrogio oder Civate unterscheidet, nämlich die lebendige Kraft der Ranken, ist dem Wesen nach in einfacher, klarer Form von dem Hauptmeister, der die Dekoration der Eingangshalle schuf, vorgebildet worden. Denn die Stuckornamente, des Triumphbogens und der 3 Arkadenbogen setzen sich nicht aus den sonst üblichen lose nebeneinander gereihten, ornamentalen Gebilden zu- sammen, sondern auch hier kommen die einzelnen Aste aus verschiedenen Richtungen, haken sich zusammen und bilden dann erst gemeinsam das Ornament. Auf diese

216 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Weise sind die einzelnen Glieder miteinander verwachsen und so wird eine starke Illusion treibender Krafte erzeugt. Die Ornamentik der Eingangshalle von S. Pietro, die in ihrer einfachen und sauberen Ausführung an Erzeugnisse der Goldschmiedekunst erinnert, erscheint wie ein Fremdkörper inmitten der mehr handwerklichen Kunst der Comasken. Schon Dartein erkannte diese Sonderstellung, und suchte sie durch die Annahme byzantinischer Ent-- lehnungen zu erklären. Diese Hypothese hat viel Wahr- scheinlichkeit für sich, da sie ja dem entspricht, was wir für den Charakter des Civa- tener Hauptmeisters ange- führt haben. Diesem möchte ich nur noch hinzufügen, daß wir bei einer genaueren Kenntnis der Geschichte der ornamentalen Kunst in Süd- italien wohl ähnliche Ten- denzen ermitteln künnen!). In diesem Falle würde denn Civate als wichtiger Vermitt- lungspunkt für jenen starken byzantinischen Strom erschei- nen, der von Süden kommend sih dann im Norden ver-

breitet. Die Entstehungszeit der

Innendekoration von S. Pietro in Civate ist nach der oben versuchten Charakteristik der Ornamentik ungefähr fest- gelegt. Für die Platten des Kryptaeingangs müssen wir

` Abb. 11. S. PIETRO IN CIVATE D das 1. Viertel des XII. Jahr- Gewölbemalerei der Eingangshalle hunderts annehmen. Klar

ist es ferner, daß der Ver-

fertiger dieser Platten, sicherlich ein Lombarde, zeitlich dem Künstler, der die

Dekoration der Eingangshalle schuf, folgte, da letztere Arbeiten durch die bau-

') Vergleiche den Elfenbeinkasten der Sammlung Saltyng, London; Abb. bei Molinier. Les ivoires S. 152. Der untere Fries setzt sich aus herzformigen Gebilden zusammen, die aus sich einhakenden, von verschiedenen Seiten kommenden Ästen hervorwachsen. Die Herzen sind so aneinandergereiht, daß je 2 durch ein S-förmiges Glied verbunden sind, also ganz ähnlich dem horizontalen Ornamentfriese der Eingangswand von S. Pietro. Molinier hält den Kasten für italienische Arbeit unter stark byzantinischen Einfiuß, er denkt dabei an Rom als Entstehungsort.

A. Feigel. San Pietro in Civate 217

lien Veränderungen zunächst bedingt waren. Daß die Tätigkeit des Lombarden jüngeren Datums ist, wird auch aus folgendem Grunde wahrscheinlich. Die Platte mit dem Marientod (Abb. 10), die wegen ihrer unbeholfenen Ausführung sicherlich nicht dem fremden, sondern dem einheimischen Künstler zuzuschreiben ist, verdeckt ein Fenster, das durch die Treppe, welche außen an die neugebrochene Tür angelegt wurde, verdunkelt und deshalb wertlos geworden war. Mithin wurde diese Arbeit erst nach den fertiggestellten baulichen Veränderungen vorgenommen. Als Anfangs- termin für die künstlerische Tätigkeit des fremden Meisters glaube ich die 90er Jahre des XI. Jahrhunderts annehmen zu dürfen und zwar aus folgender Überlegung. Im Jahre 1093 wurde Arnolfo de'Capitani zum Erzbischof von Mailand gewählt aber nicht vom Papste bestätigt. Dieser ließ ihn durch seinen Legaten absetzen. Arnolfo zog sich in ein Kloster zurück, wo er zwei Jahre blieb; Papst Urban Il. rief ihn 1095 nach Mailand als Erzbischof zurück; er starb am 24. September 1096 und wurde in Civate beigesesetzt. (Longoni: a. a. O. S. 51). Der Schluß liegt nun nahe, dab er die 2 Jahre seines Exils in Civate verbrachte; und auf seine Veranlassung könnte die Neuaus- stattung der Klosterkirche zurückgehen. Die offenkundige Anlehnung an das Ciborium von S. Ambrogio ist dann wohl auf einen Wunsch des Erzbischofs zurückzuführen.

Die Bedeutung von S. Pietro in Civate für eine noch zu schreibende Geschichte der oberitalienischen Ornamentik im XI. und XII. Jahrhundert ist oben dargelegt worden. Ich möchte seine Bedeutung auch noch nach einer anderen Seite hin skizzieren. Wer sich mit der Geschichte der romanischen und den Anfängen der gotischen Skulpur be- schäftigt, erkennt bald einen wie großen Anteil an der Entwicklung der Plastik dieser Epoche die byzantinische Kunst genommen hat. Bis jetzt mußte man sich begnügen als Träger solcher Einflüsse zumeist Werke der Kleinkunst, wie Elfenbeintafeln, an- nehmen. So stark auch die Wirkung dieser Vorbilder auf die abendländischen Künstler gewesen sein mag, so ist doch mit dem Hinweise auf diese allein die gewaltige Ent- wicklung der Plastik im XII. Jahrhundert noch nicht erklärt. Die Monumentalfiguren des Ciboriums von Civate füllen diese Lücke aus. Von besonderer Bedeutung er- scheinen mir jedoch diese Skulpturen auch für unsere deutsche Plastik. Allenthalben kann man nachweisen, einen wie großen Anteil die Comacini an dem Werden unserer rheinishen Dome hatten. Auch für Sachsen müssen die Beziehungen mit Ober- italien rege gewesen sein. Da nun mit dem Einsetzen einer lebhafteren Bautätigkeit in jener Epoche zugleih auch das Erwachen einer neuen Plastik verbunden ist, so kann man annehmen, daß die Comacini, die vielfah Anregungen zu der neuen romanischen Ornamentik von Oberitalien mit herüberbrachten, auch Teil hatten an dem Wiedererwachen der Plastik. Unsere Vermutung bekommt eine um so sichere Grund- lage, wenn wir bedenken, daß die ersten Denkmale rheinischen (ich denke an die Platten von Gustorf) und besonders der sächsischen Skulptur aus demselben Material, nämlich aus Stuck bestehen, den wir in Civate fanden und der auch anderwärts in Oberitalien vielfache Verwendung fand. Erst durch die Annahme solcher Beziehungen wird das unvermittelte Auftreten von relativ hochstehenden Arbeiten, wie die Platten von Gustorf oder die Skulpturen von Gröningen und Gernrode, erklärt.

STUDIEN UND FORSCHUNGEN

DIE ST. BARBARASAULE ZU BRESLAU

Die mittelalterliche Kunst Schlesiens und vor allem Breslaus war bisher nicht dem weiteren Kreise der Gelehrten bekannt. Die Lokal- forschung eines Alwin Schultz, Luchs und Lutsch hat in zerstreuten, teilweise schwer zugänglichen Schriften schon eine große Arbeit geleistet, doch erst eine umfassende Publikation wird der All- gemeinheit die Augen öffnen für die Schönheiten schlesischer Kunstbetätigung.

Die Beziehungen mit den großen Kunst- zentren') Italiens und Deutschlands sind zum Teil durch Veröffentlihungen über schlesische Malerei aufgedeckt, weniger hat man sich mit der Plastik beschäftigt.

Zwar weiß man, daB im Dom sich die Grab- platte des Bischofs Johann IV. Roth befindet mit der Inschrift „gemacht zu Nurinberg fon mir peter Fischer im 1496 iar“; zwar verraten Epi- taphien an St. Elisabeth ihre Anfertigung nach Entwürfen Dürers, aber von größerem Interesse ist es, was das Land selbst an bodenständiger Kunst für die Menschheit geleistet hat. Auch da ist uns neben den Werken selbst Rühmliches in Urkunden erhalten. Im XV. Jahrhundert ließ sich der Magistrat von Danzig den Meister Martin Frey aus Hirschberg kommen, und schle- sische Meister wirkten in Polen zumal in Kalisch.

Die Holzplastik wird von Kennern der Lü- becker gleidigestellt; so seien ihrer hohen Be- deutung wegen der Marienaltar aus St. Elisabeth (nah Schultz 1470—1480) und der Stanislaus- altar aus St. Maria Magdalena (1508) genannt.

Aus dem Fehlen an gutem Sandstein erklärt Schultz das Fehlen großer Steinskulpturen; aber nach meiner Ansidit ist er mit diesem Urteil, sowohl gegen das Material, wie gegen die Kunst, zu streng.

Die Steinbildnerei blühte im XIMI., XIV. XV. Jahrhundert, und eine ganze Reihe von be- zeichneten Werken ist uns erhalten. Joducus Tauchen, ein Liegnitzer Kind, der sich im Aus- land in seiner Kunst gebildet hatte, sei vor allem genannt. Von ihm stammt das Sakra- mentshäuschen in St. Elisabeth (1453), der Chor

1) Näheres bei Alwin Schultz: Schlesiens Kunstleben im XV.- XVII. Jahrhundert. Publikation des Vereins für Gesdiidite der Bildenden Künste zu Breslau. Breslau 1872.

der Sandkirhe und sogar eine Reihe Erz- denkmäler.') |

Dieses Sakramentshäuschen hat dem Kunst- werk, das ic vorführen will, im Aufbau zum Muster gedient, wenn auch die jiingere Nach- ahmung ihr Vorbild durch Formenschönheit übertrifft.

Diese sogenannte Barbarasäule befindet sich heute an einem Strebepfeiler der gleichnamigen Kirche eingebaut.

Hier hat sie auch A. Schultz gesehen, der

‘ihr das Prädikat ausstellt, daß sie „weniger

durch Schönheit der Figur als durch zierliche Formen des Sockels und des Baldachins vor- teilhaft wirkt“.

H. Lutsch?) lobt den „brav gearbeiteten Faltenwurf“, stellt einen „spätmittelalterlichen idealisierten Typus“ fest und erkennt schon die Bedeutung der Plastik an, indem er ihr zwei Sternchen als Auszeichnung verleiht.

Ehe wir dieses Werk ästhetisch würdigen und einigermaßen in die anderen noch vor- handenen Bildwerke einzureihen suchen, möchten wir seine Entstehungszeit festlegen.

Die St. Barbarasäule befand sich nämlich bis zum Jahre 1863 nicht an der Kirche St. Barbara, sondern an der Ecke Reusche- und Nikolaistraße.

Erst nach Abbruch des Hauses wurde sie 1865 an die gleichnamige Kirche verlegt und so erhalten. An seiner alten Stelle zeigen uns das Werk die Bilder von A. Wöffl (Schlesisches Museum N. 745—744) und eine Zeichnung C. F. Bach (+ 1829).*)

Das Haus, an dem die St. Barbara stand, war ein Hospital, und über seine Bauzeit ist die Ansicht schwankend. In dem Verzeichnis der

1) Näheres bei A. Schultz. Diss. de Jodoco Tauchen. Viat. 1864, und Zeitsdirift des Vereins fiir Geschichte und Altertum Schlesiens, X. 131.

) H. Lutsch, Kunstdenkmäler der Stadt Breslau. 1886. S. 244.

3) Diese Zeichnung ist veröffentlicht in Robert Becker: Aus Alt-Breslau (Sdiriften des Vereins für Geschichte der Bilden Künste zu Breslau). Breslau 1%0. Die Jahreszahıl auf dem A. Wölfflsdien Gemälde (Nr. 743), nämlich 1867, darf uns nicht zu dem Schlusse veranlassen, daß die Barbarasäule noch in diesem Jahre an seiner alten Stelle gestanden habe. WOlffl hat oftmals auf Grund vorhan- dener Zeichnungen im Auttrage von Kunstfreunden Archi- tekturstücke von Alt-Breslau gemalt, lange nec der NiederreiBung; so für Conrad Fischer das „Leinwandhaus“ im Jahre 1841, Eine fliicitige Sikzze der Barbaraecke be- findet sih noch im Breslauer Privatbesitz, wahrscheialidi aus dem Jahre 1857.

R. Corwegh. Die St. Barbarasäule zu Breslau

219

Kunstdenkmäler der Stadt Breslau (S. 116) ist das Jahr 1461 genannt; Stenzel') wieder er- wähnt an dieser Ecke ein Haus mit Erker aus dem Jahre 1488. -

In die Jahre zwischen 1461 und 1500 fällt die Schaffung der Bildsäule. Allerdings scheint sie nach 1469 entstanden zu sein; denn erst 1469 huldigte Breslau dem König Matthias Corvinus von Böhmen, und unterhalb der Fiale der rechten Seite ist der böhmische Löwe im Wappenschild angebracht. Daß man die heilige Barbara für ein Hospital (ein solches befand sid in dem Hause) und für eine Ecke gewählt hatte, an der die Reisenden, wenn sie das Tor durchschritten, zuerst vorbei mußten, ist aus der Bedeutung der Heiligen,?) einer der 14 Not- helfer, als Schützerin der Reisenden in Schlesien erklärlich, und zweitens gehörte das Hospital zur Gemeinde St. Barbara. In dem Baldachin über der Hauptfigur sind die heilige Elisabeth, die oft in Verbindung mit St. Barbara vor- kommt, mit der Figur eines knieenden Bettlers, und auf der anderen Seite die heilige Hedwig, das Modell einer Kirche haltend, verewigt.

Auf einem dreieckigen Säulchen mit feiner MaBwerkverzierung erhebt sich ein Laubsockel, der in seiner Mitte des Meisters und Stein- metzen Monogramm GSV trägt. Auf diesem Sockel steht St. Barbara über der liegenden Figur eines Mannes, umrahmt von zwei Fialen, deren Abschluß nach unten Wappenschilder bilden. Das Schild der rechten Seite zeigt den böhmischen Löwen mit dem gespaltenen Schweif, das der linken einen Männerkopf auf umge- kehrter Krone; vielleicht das Haupt St. Johannis des Täufers, des Schutz- und Wappenpatrons der Stadt. Auch im heutigen Wappen, seit Mitte des XVI. Jahrhunderts in dieser Form, bildet er das Mittelstück. Über der Barbara erhebt sich der aus dem Dreieck entwickelte Baldachin nach unten schwer in seiner Orna- mentik, sich leicht und frei nach oben ver- jüngend. An zwei Dreiecksflächen trägt er die Gestalten der St. Elisabeth und St. Hedwig auf Laubsockeln unter kleinen Baldachinen. Nach oben schließt der Aufbau mit einer Kreuzblume ab. Als Eckpfeiler erdacht, ist die Säule in allen ihren Teilen einfach und sinngemäß.

Der Wert beruht in den Figuren. Nach alten Zeitungsberichten aus den Jahren 1863— 1865 soll man bei der Versetzung des Werkes mit der

1) Stenzel: script. rer. Sil. Ill. 1843. S. 251.

*) Ober die heilige Barbara: Dr.S. Peine: St. Barbara, Leipzig 1896; Detzel: Christlihe Iconographie, Frei- burg i. B. 1894; Wessely: Iconographie, Leipzig 1874; Hans Lutsch: Zur Würdigung des künstlerischen Schmuckes der St. Barbarakirche, Breslau 1898.

Barbara barbarish umgegangen sein. In der

Tat fehlt ihr der rechte Unterarm mit Hand, sonst

kann man ihre ganze Schönheit bewundern. Die ihr zu Füßen liegende Männergestalt soll

Die St. Barbarasäule zu Breslau

den Vater der Heiligen darstellen, den nach ihrer Hinrichtung ein Blitz zu Boden streckte. Über ihm erhebt sich die Heilige schlank und frei aus dem reichen Gefält ihres aufliegenden hochgegürteten Gewandes, in der Haltung mit Stand- und Spielbein fein ausbalanziert. Die Gewandfalten umschlieBen ganz schlicht ihre Gestalt, die Formen des Körpers leicht ver- ratend. Reicher gefältelt ist nur der Mantel am

220

Monatshefte für Kunstwissenschaft

rechten Arm und der linke Armel. Die linke Hand stützt sich auf den Turm, der die Ge- stalt der Legende nach als St. Barbara charak- terisiert.

Das Gesicht ist von breitem Eirund mit kleiner Nase, fein geschnittenem, lächelndem Munde. Auch die Augen sind klein nach unten blikend. Die Wangenflächen sind sehr breit und hochgewölbt, ein Charakteristikum schlesi- scher Kunst. Sie werden von leicht gelocktem Haar umrahmt, das die hohe Stirn, die stark gewölbt ist, freiläßt. Auf dem Haupte trägt die Heilige die Märtyrerkrone. Die Ruhe in der Haltung, im Faltenwurf gibt der Gestalt ihren besonderen Reiz. Sie macht sie zur schönsten der schlesischen Plastik jener Tage. Bei beiden anderen Heiligen verdecken die reichen Schüssel- falten der Gewandung die Körperformen, auch hat die Haltung das spiralförmig Gedrehte spät- gotischer Figuren.

Aber auch bei ihnen verrät der feine Ge- sihtsausdruck, das leichte leonardeske Heiligen- lächeln, die Hand des gleichen Meisters.

Wenn man das Werk bewundert, stößt so- fort die Frage auf, wer war der Meister, sind andere Schöpfungen von ihm vorhanden?

Die erste Frage ist leider nicht zu beant- worten, zur zweiten folgendes: A. Schultz nennt neben der heiligen Barbara als bedeu- tendere Leistungen schlesischer Kunst die Figu- ren vom ehemaligen Odertor zu Glogau (1505—1506 entstanden). Diese Gestalten stellen St. Barbara '), Maria mit dem Kinde und St. Nico-

1) Nach einem Nachwort von A. Schultz soll nicht St. Barbara sondern S. Catharina die Gestalt am Odertor in Glogau sein. Abgebildet als Taf. Il. in A. Schultz: Schlesiens Kunstleben. Das alte Odertor in der Zeitschrift „Schlesien“ Jahrg. I. von Prof. R. Knòtel.

laus dar. Nur das nackte Kinderkörpercen ist überraschend schön in Formensprache und Hal- tung. Das Gesicht der h. Barbara verträgt nicht den Vergleich mit unserem Werk und auch die Gewandung ist willkürlicher, spielerischer in ihrem Gefält.

Nahe verwandt unserer Figur ist hingegen die Maria mit dem Kind am Westportal von St. Maria-Magdalena, neben dem h. Christoph von 1506. Leider habe ich wegen der Höhe, in der sich die Figur befindet, vergeblich ver- sucht Jahreszahl und Steinmetzzeichen zu ent- decken. Das Kind ist arg zerstört, Maria aber auf Halbmond und Wolken stehend, gleicht in Haltung und Gesichtsausdruck unserer Barbara, auch die Krone ist gleich. Die Falten des Man- tels sind allerdings bewegter und lassen nicht den Körper erkennen. Der gleichen Werkstatt, von schwächerer Hand, gehört die Maria mit Kind auf Mond und Wolken stehend (an der Westecke der Sakristei von St. Maria-Magda- lena) an. Sie hat der Maler Jacob Beinhard 1499 gestiftet.

Leider ist die photographishe Aufnahme beider Figuren infolge ihres hohen Platzes nidıt möglich gewesen.

Möge das Bild der St. Barbara den Wunsch nach Abbildung anderer Werke schlesischer Kunst wachrufen. An St. Elisabeth, St. Maria Magdalena befinden sich eine große Reihe von Werken heimischer Kunst, zumeist datiert, an deren Hand sich Geschichte und Werdegang der Plastik dieser Gegend leicht studieren lieBe. Vielleiht ist die Zeit nicht ferne, wo man Breslau, Schlesien und ihre Kunst entdeckt.

Robert Corwegh.

Diesem Hefte lieven Prospekte der Firmen JOSEPH BAER & CO., Frankfurt und LOESCHER & CO., Rom bei, auf die wir hiermit besonders aufmerksam machen.

Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, Leipzig, Liebigstraße 2. Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig.

ONAT SHEP TES

BESKUN STWISSENSCHAF rig

Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2

Hans von Marees Ein Epilog zu den Ausstellungen in Miinchen und Berlin

Von Gustav KeyBner

„sein Bild war vielfach entstelit worden; von den einen, die ihm eine fibergroBe Bedeu- tung beilegten, ohne doch hinreichende Beweise für ihre Meinung beibringen zu können von den andern, die in seiner Laufbahn nichts weiter zu sehen vermochten, als den gänzlichen Schiff- bruch eines Menschen, der nicht nach Maßgabe seiner Kräfte, sondern nach den Anspriichen seines Ehrgeizes gelebt hätte.“

C. Fiedler über H. v. Marées').

Nach einem Wort Nietzsches entsteht der Ruhm, wenn die Dankbarkeit Vieler gegen Einen alle Sham wegwirft. Wir sind in diesen Monaten Zeugen der Entstehung eines Ruhmes, und das Schauspiel, das sich uns dabei bietet, ist wohl geeignet, uns jenen Ausspruch des Zarathustra-Dichters ins Gedächtnis zu rufen. Die „Scham“, welche in diesem Falle die Vielen oder vielmehr die lautesten ihrer Wortführer wegwerfen, ist der besonnene Respekt vor der Tatsächlichkeit dessen, was wirklich war und ist, und die Scheu vor allzu starker Rede, vor den letzten, schrankenlosen Steigerungen des Lobes.

Der erste, der zur Münchner Marées-Ausstellung öffentlich das Wort ergriff, war Adolf Hildebrand °). Seine Proklamationen so darf man seine zweimaligen AuBe- rungen wohl bezeichnen hatten etwas Imposantes und Fortreißendes; hier pries ein großer Künstler das Schaffen und Wollen des Einzigen, der unter seinen Zeitgenossen ihm Lehrer und Vorbild gewesen, aus voller künstlerischer Überzeugung und mit echter menschlicher Wärme. Dieses Klanges durfte man sich freuen, auch ohne mit jeder einzelnen Wendung und Folgerung einverstanden zu sein. Viel unerfreulicher wirkten von vornherein die Unbedingtheiten und Superlative, die Julius Meier-Graefe in seinem Aufsatz über Marées (in knapperer Form dem Münchner Katalog beigegeben, ausführlicher in der „Kunst für Alle“ 1909 [Bd. XXIV], 1. März-Heft publiziert) den Lesern zuschleuderte. Die immer rauschender instrumentierten Hymnen, in denen dann die jäh erwachte

1) Schriften über Kunst, 1896, S. 376.

2) Münchner Neueste Nachr. 1908, Nr. 608; 1909, Nr. 17. 16

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Marées-Begeisterung der Kritik sich ergoB, sind sachlim für das Thema Marées ziemlich belanglos. Als Stilübungen haben sie gewiß ihren Wert, und sie werden einst noch erbaulicher zu lesen sein, wenn erst die Hosiannah-Rufer von heute es zeit- gemäßer und interessanter finden, in den Schrei „Ans Kreuz mit ihm!“ auszubrechen. Denn mande Erfahrung lehrt es uns einer gewissen Sorte hysterischer Tages- kritik sind die vier Tage, die zwischen Palmsonntag und Karfreitag liegen, fast schon eine zu lange Frist.

Aber heute ist heut; und wer heute nicht mit Meier-Graefe Marces den „größten Meister deutscher Kunst“ nennt, kommt leicht in den Verdacht, als wolle er schon am _Palmsonntag ,Kreuzige! kreuzige!“ rufen. Seis drum! Lange, bevor der Ruhm des Malers der „Hesperiden“ eine öffentliche Sache wurde, hat es eine kleine stille Gemeinde gegeben von solchen, die von Zeit zu Zeit aus München hinauspilgerten zu der Marées- Kollektion in SchleiBheim. Nicht ungetrübt von äußeren Dingen (die Bilder sind ja dort draußen so erbärmlich beleuchtet!), war es doch ein tiefer, unvergeBlicher Genuß, hier in stillem Beschauen einem großen, hochstrebenden Geist, einer wunderbar die Natur erfassenden und umwandelnden Kunst sich nähern zu dürfen. Ein Genuß, in dem etwas von tragischer Ergriffenheit mitklang: denn die Offenbarungen jenes Geistes, die Schöpfungen dieser Kunst waren zum größten Teil Ruinen, trugen das furchtbare Merkmal einer rätselhaften Selbstzerstérung. Wer von der kleinen Gemeinde, die kein äußeres Band, keine Tageslosung der Mode zusammenhielt, hätte damals geahnt, daß es einmal so etwas wie ein Marées-Dogma geben würde, eine Marées-Orthodoxie, die ihren Gläubigen die Autosuggestion auferlegt, die Trümmer als vollkommene Werke zu bewundern, das, was uns vor Augen steht, allem zum Trotz, was bisher der Kunsterfahrung als Norm galt nicht nach der künstlerischen Leistung und nach dem Verhältnis der Leistung zur Absicht, sondern allein nach der Absicht ihres Schöpfers anzusehen und einzuschätzen! Nicht die Pietät gegen einen großen und unglücklichen Künstler wird verletzt, wohl aber die Pietät vor den Tatsachen gewahrt, wenn man jenem im Werden begriffenen Dogma gegenüber sich klar bleibt, daß Marées nur wenige Werke vollendet und vollkommen hinterlassen hat, und wenn man sich klar zu werden versucht, wieweit die Ungunst der äußeren Verhältnisse, wieweit ein inneres Verhängnis die Schuld an seinem Scheitern trug und was an seiner Kunstübung und -lehre geeignet ist, allgemein als Norm und Vorbild zu dienen.

x * *

Es ist Meier-Graefes dankenswertes Verdienst, in jahrelangem, unermidlichem Nachforschen die weit verstreuten, oft wohl schon halb vergessenen und verlorenen Arbeiten Marées, soweit sie nicht in der Schleibheimer Sammlung und im Besitz der Familie Marées, Adolf Hildebrands und der Witwe Conrad Fiedlers gesichert waren, wieder aufgespürt und für eine einheitlidie Betrachtung gerettet zu haben. Diese Bemühungen kamen nicht allein dem großen Werk über den Künstler zugute, das Meier-Graefe demnächst herausgeben wird, sondern auch der Ausstellung, die die Münchner Sezession im letzten Winter veranstaltete und die dann noch nad Berlin wanderte, wo die Aufstellung und das Arrangement besonders der letzten großen

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Arbeiten, der Triptychen, noch günstiger und wirkungsvoller gewesen sein soll, als in München. Einen ganz einzigartigen, tiefen Eindruck mußte aber jeder auch in den Räumen der Münchner Sezession empfangen. Eines Künstlers Erdenwallen spielte sich hier, wie in einer autobiographischen Dichtung, in seinen eigenen Werken vor uns ab, von den ersten Lehrjahren, mit ihrem redlichen, unbekümmert fröhlichen Bemühen, zu dem Stadium, da sicher erworbenes, reiches Können sidi einer Vollendung nähert, die hundert andern als Ziel und Gipfel genügt hätte, während für Marées nun erst ein neues Erkennen, ein neues Suchen und Ringen beginnt; über diese zweite Lern- und Werdezeit zu einer kurzen Episode gliicklidien raschen Schaffens, im schönsten Gleich- gewicht der Kräfte und Ideale, und dann die letzten anderthalb Jahrzehnte dieses kurzen Lebens mit ihrer unermüdlichen Arbeit, die immer weniger sich selbst genug tun kann, weil die Außenwelt ihr die Bedingungen des vollen Sichauswirkens versagt und die nach innen gedrängte Glut allmählich das Mark der schöpferischen Kraft auf- zehren muß.

Wie Marées Entwicklungsgang bis zu den Neapler Fresken, der glücklichsten, blühendsten Schöpfung seines Lebens aufzufassen, wie die biographische und allgemeine Bedeutung der bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Werke abzuschätzen sei, darüber wird bei allen, die den Maler überhaupt für eine ernst zu nehmende, große Persön- lichkeit ansehen, Übereinstimmung herrschen.

Die Gabe eines klaren, scharfen Blicks und bildmäßigen Sehens verrät sich schon in den frühen Jugendarbeiten, die im übrigen auf wirkliche Eigenart keinen Anspruch machen können. Zum selbständigen Künster reift er rasch in München heran; die dort entstandenen Porträts und Bilder wie die „Rast der Diana“ und die „Pferdeschwemme“ sind Zeugnisse dieser ersten Reifeperiode. Erst beim Vergleich mit den späteren Arbeiten lassen sie erkennen, daß sie noch mit einer gewissen Naivetät gemalt sind, daß Marées noch nicht das feste Kunstprinzip gefunden hatte, in dessen Dienst erst ihm sein und alles Kunstschaffen organish und gesetzmäßig wurde.

In Italien, während seines ersten dortigen Aufenthalts (1864—1870), ging ihm dies Prinzip nach und nach auf, wachgerufen durch die Macht der Eindrücke, die aus Kunst und Natur auf ihn eindrangen. „Von großen Dingen soll man schweigen oder groß reden“: ihn trieb es, all dem Großen, das ihn umgab, mit der Sprache großer Kunst, aber in seinem eigenen Idiom, zu antworten. Langsam, sozusagen Silbe für Silbe, in mühsamem Ringen bildete er sich diese Sprache.

Was er so gefunden und was er von Früherem aufgegeben, kann man sid vielleicht am klarsten anschaulich machen, wenn man die „Rast der Diana“ von 1863 und die ,Abendlicie Waldszene“ von 1870 nebeneinander betrachtet und zwischen diese Endstücke ein paar Mittelglieder der Reihe hält. Das Entscheidende ist die Art, wie die beiden Grundelemente, mit denen alle nicht rein lineare Flächenkunst ihre Wirkungen hervorruft wie Hell und Dunkel über die Bildfläche verteilt werden. In der „Rast der Diana“ sind die Flecken der hellen, leuchtenden Farben über die Massen der dunklen, glühenden, mit leichter, spielender Bewegung hingestreut wie Juwelen oder bunte Blumen über eine tieffarbige Samtdecke. Die ,abendlihe Wald- szene“ zeigt Hell und Dunkel in großen geschlossenen Flächen gegeneinandergesetzt,

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statt des Geschmeides oder der Guirlande eine feste Architektur, statt des labilen Gleichgewichts ein sicheres Ruhen auf breiten Fundamenten. An den zwischen diesen beiden Bildern liegenden Arbeiten, die meist über den Entwurf nicht weit hinaus- gediehen sind, läßt sich die Entwicklung, die sich natürlich nicht in korrekter Gerad- linigkeit vollzog, verfolgen. Die Mitte des Wegs mag etwa die „Römische Landschaft“ in Schleißheim (gemalt 1868) bezeichnen. Mit ihrem in die Ferne sich verlierenden Hintergrund nimmt sie fast schon die entschiedene Weiträumigkeit der letzten Phase vorweg; nur wirken die Figuren des Vordergrunds noch nicht so energisch als raum- gliedernde Faktoren. Doch wird dies Bild vielen, denen das ceuvre Marées nicht nur das corpus juris der Raumkunst ist, besonders lieb sein wegen der zauberischen Schön- heit seiner Stimmung. In dem Silbergrau, mit dem sein Kolorit durchwebt ist, in der traumhaften Ruhe der Gestalten liegt eine fast musikalische Wirkung. Wenn eine spätere Arbeit des Meisters als „Erinnerung an Rubens“ bezeichnet wird, so darf man dieser den Namen „Huldigung für Giorgione“ geben. In einer AuBerlichkeit: dem unbefangenen Nebeneinanderstellen bekleideter und nackter Figuren, erinnert freilich die „Waldszene“ noch direkter an den Maler des „Konzerts“ im Louvre (heiße dieser nun Giorgione oder nicht) und des „Gewitters“ im Palazzo Giovanelli; aber die Gior- gioneske Stimmung ist jetzt verklungen, im verglühenden Abendhimmel, im Dämmern der Baummassen, von dem der nackte Leib des sitzenden Mannes sich in gedämpftem Leuchten abhebt, ist fast eher etwas von deutscher Romantik. So sicher und groß die Trägerin dieses Stimmungsgehaltes, die Flächendisposition, behandelt ist, noch hat Marees den letzten Schritt nicht getan; noch ist nicht der Raumeindruck, die ideale Illusion des Dreidimensionalen, zur vollen entscheidenden Wirkung gebracht.

* * *

»Marees betrachtete die Arbeit an der Bildtafel als Surrogat fiir die Wand- malerei“, so lesen wir in K. v. Pidolls Marées-Erinnerungen.') Es war das ausschlag- gebende Verhängnis in seiner Existenz, daß er nur einmal in seinem Leben, statt am „Surrogat“, an der Wandmalerei selbst seine Kräfte versuchen und bewähren durfte; ein Glück und Trost für uns Nachlebende, daß es doch wenigstens dieses eine Mal geschah. In voller Manneskraft, im 36. Lebensjahre, stand Marces, als ihm die Mög- lichkeit gewährt wurde, einen Raum mit Wandmalereien ganz nach seinem Sinn und Belieben zu schmücken.

Von diesen Fresken im Bibliotheksaale der Zoologischen Station zu Neapel konnten sich bisher diejenigen, die nicht in Neapel selbst gewesen sind, nur einen schwadchen Begriff machen nach den ziemlich ungenügenden Photographien, die vor einigen Jahren in der „Kunst für Alle“ (XVII, S. 169 ff.) reproduziert wurden.) Die großen Olstudien

1) Aus der Werkstatt eines Künstlers. Erinnerungen an den Maler Hans von Marées aus den Jahren 1880—81 und 1884—85, S. 40. (Ich zitiere nach der ersten, als Manuskript gedruckten Ausgabe, Luxemburg 1890.)

*) Jetzt liegt auch ein großes Tafelwerk vor: Hans von Marees Fresken in Neapel. Text von Paul Hartwig (Berlin, Cassirer).

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in preuBischem Staatsbesitz, die zu den Hauptdarbietungen der Marées-Ausstellung gehörten, geben nun, nadı Maßstab und Farbe, einen annähernden Begriff von der wirklichen Erscheinung der einzelnen Bilder. Die Raumwirkung also das, was dem Maler selbst als das Oberste galt wird man freilich immer nur in jenem Saale selbst ganz empfinden können.

So einfach das Stoffliche der Darstellungen, so reich ist die formal-künstlerische Erfindung. Das Stofflidie: die harte, schwere Arbeit der Fischer, die friedlichere des Landbebauers; der ruhige, unbewußte Naturgenuß plaudernder Frauen und spielender oder schlafender Kinder, das beschauliche Ausspannen geistig arbeitender Männer in der Feierabendstunde nach vollbrachtem Tagwerk. Das Formal-Künstlerische: das Thema des „Raums an sich“ erscheint vierfach variiert: als Unendlichkeit von Meer und Himmel auf dem Bild mit dem Ruderboot in voller Fahrt; als weite, aber durch mächtige Felsenkulissen bestimmt abgegrenzte Landschaft in der Vorbereitung zur Fahrt; als naturgeschaffenes Architekturgebilde eines schattig lichten Haines; eingefangen und -gegliedert zwischen den Mauern, Treppen und Winkeln eines von Menschenhand ge- schaffenen Gebäudes wohlgemerkt des ins Freie greifenden Vorbaus, nicht eines Innenraums, der die Illusion der Weite, auf die es dem Maler durchweg ankam, nicht im gleichen Maß ermöglicht hätte. Nirgends aber drängt sich die formale Absicht dem Beschauer unmittelbar auf; die struktive Idee ist gleichsam das Knochengerist, das einem lebendigen Körper die Grundproportionen und festen Halt gibt, ringsum aber von blühendem Fleisch bekleidet ist. Noch ist das Bild nicht, von der Phthise der Abstraktion ausgesogen, zum hageren Gerippe der ,Bildkonstellation“ abgemagert.

Bliken wir von den in einem glücklihen Wurf konzipierten und in ein paar arbeitsfrohen Monaten vollendeten Neapler Fresken zurück auf das vom Künstler seit seinem ersten Einzug in Italien Geleistete und vorwärts auf das, was er in den folgenden vierzehn Jahren noch geschaffen hat, so kommt uns das Fragmentarische, Trümmerhafte seines Lebenswerkes besonders deutlich und schmerzli zum Bewußt- sein. Von den auch nicht allzu zahlreichen, aber desto meisterhafteren Porträts ab- gesehen: in den Jahren von 1864—73 eigentlich kein ganz ausgeführtes Bild, nachher fast lauter unvollendete oder nach einem Augenblick der Vollendung wieder und wieder in Angriff genommene, verquälte, halbzerstörte Arbeiten. Ganz von selbst ergibt sich der Eindruck: in des Malers Innerem lagen schwere Hemmungen, über die ihn nur äußere Antriebe: das Belebende eines Auftrags, der Zwang zu raschem Ausführen, der in der Freskotechnik liegt, hinwegreißen konnten. Die Hemmungen nun lähmten ihm nicht etwa Arbeitskraft und -freude an sich. Im Gegenteil vielmehr meint Meier-Graefe !): „Das Manko ist bei Marées ebenso groß wie sein Wert. Es wurzelt im Grunde in einem bis zum Pathologischen gesteigerten Schaffensdrang, der selbst den unentbehrlihen künstlerischen Selbsterhaltungsinstinkt übertraf.“ Darin liegt siher viel Richtiges. Wenn wir hören, wie Marees mit seinen Studien und Ent- würfen, ja mit fertigen Arbeiten umging, achtlos und selbstzerstörerisch, so wird es uns ganz klar, daß ihm das Werk fast gleichgültig war gegenüber dem Ärbeiten.

') Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst (Stuttgart, 1904) S. 435.

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Von der Elternfreude, der naiven Verliebtheit, mit der der normale Kinstler einer neuen Schöpfung seiner Hände gegenübersteht und die Goethe so liebenswiirdig-offen- herzig in dem „Geständnis“ des West-Gstlihen Divans !) beschreibt, hat Marées gewiß sehr selten etwas empfunden. Wäre diese Disposition aber in einer pathologischen Steigerung des Schaffensdranges begründet, so müßte sie doch wohl in einem über- hasteten Fortstürmen von Entwurf zu Entwurf, in einem Abnehmen der Vertiefung in die einzelne Arbeit sich äußern. Statt dessen sehen wir ihn wenigstens in seiner letzten Periode immer wieder zu den gleichen Werken zurückkehren und diese solcher Art nach und nach entstellen, ja vernichten.

Nein, was ihm ein unbefangenes Schaffen und freudiges Vollenden unmöglich machte, was ihn vor der Schwelle des „Fertigmachens“ vorzeitig festhielt oder weit über sie hinaus zerrte, das war die überwache Bewußtheit seines künstlerischen In- tellekts. Was wir aus Conrad Fiedlers schöner Schrift über seinen Freund °), aus Karl v. Pidolls wertvollen Marees-Erinnerungen von der besonderen Eigenart seines Kunst- betrachtens und -schaffens erfahren, läßt sich nicht knapper und bezeichnender aus- sprechen als in den Worten Pidolls: „Hans von Marées betrachtete die künstlerische Tätigkeit als einen zusammenhängenden Entwicklungs- und ErkenntnisprozeB, welcher die Ausbildung des Sehvermögens und das unmittelbare Erfassen der uns um- gebenden Welt durch das äußere und innere Gesicht zum Gegenstande hat ..... Diesen Vorgang selbst pflegte er, seinem Wesen nach, als intellektuelle Arbeit zu bezeichnen“ (Pidoll, S. 84f.).

Wir wollen gewiß nicht in die etwas kindlichen Vorstellungen verfallen, die sich Laien so oft von dem „naiven“ Schaffen des Künstlers machen. Zur Meister- schaft gehört sicherlich die volle Klarheit über das, was der Künstler erreichen will, und über die technischen Mittel, mit denen er es erreichen kann; seine „Naivetät“ be- ruht in der seinem Willen entrückten spezifischen Empfänglichkeit für die Eindrücke der Außenwelt und in dem ebenfalls unwillkürlichen ersten Reagieren auf diese Eindrücke, in dem sich schon der schöpferishe Keim eines neuen Werkes regt. Aber etwas anderes ist es, mit bewußter Sicherheit und klarer Absicht die naiv empfangenen Eindrücke ordnen und gestalten, etwas anderes, die eingeborenen Normen der künst- lerischen Empfänglichkeit selbst analysieren, aus ihnen allgemeine, ausschließliche Formeln bilden, diese Formeln zu Forderungen steigern, denen nicht die eigene, noch irgend eines andern Künstlers Kraft genug tun kann. Marées besaß jene zuerst um- schriebene gesunde BewuBtheit in hohem Maße. Als vornehmer, sachlich denkender Mensch immer bereit, ja sich verpflichtet fühlend, mit den eigenen Erkenntnissen auch die Freunde und Schüler und damit die ganze Kunstübung zu fördern, von der Natur mit der Gabe bedacht, sich klar, prägnant und durchaus nicht abstrakt auszudrücken, war er innerhalb der Schranken seiner sich stofflich immer melır verengenden Kunst unerschöpflich in technischen Ratschlägen und Aufschlüssen, in richtung-

') Ausg. 1. H. Bd. 5, S. 11.

2) Zuerst gedruckt als Text zu der nicht im Budihandel erschienenen Mareces- Mappe 1889. Jetzt in: „Conrad Fiedlers Schriften über Kunst. Hgg. von Hans Marbach“ (Leipzig, 1896), S. 369— 462.

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gebenden Hinweisen auf die Grundwahrheiten und letzten Ziele aller Kunst. So ist das kleine Buch K. v. Pidolls eine wahre Fundgrube für praktische „Malerästhetik“ !) und für die Psychologie des Künstlers. Wie es bald allerlei Handwerkeinzelheiten des Ateliers mitteilt, bald von des Lehrers Streben und Ringen erzählt (übrigens nie in krausem Durcheinander, sondern klug und übersichtlich disponiert), das gibt dem Leser etwas von dem gleichzeitigen Empfinden sachlidien Vergnügens und persönlicher Er- griffenheit, wie es Aufzeichnungen der Renaissance, etwa von Lionardo oder Dürer, in uns wecken; und man kann sich vorstellen, daß junge Maler von all den Angaben über Zeichnen, Entwerfen, Zusammenstellung der Palette, Behandlung des Mal- grundes usw. usw. viel zu ihrem Nutzen beherzigen mögen, ganz abgesehen davon, wie unentbehrlich diese Dinge für eine Einzelanalyse der Maréesschen Kunst sind.

Aber neben dieser gesunden künstlerischen Bewußtheit steht wie das Gespenst einer schleichenden tödlichen Krankheit die Spekulation. So hat Marées die Feindin selbst bezeichnet in einer von Fiedler mitgeteilten Briefstelle, die man geradezu als den Schlüssel zu dem Problem dieses tragischen Künstlerdaseins bezeichnen darf. Die Stelle lautet (wann sie niedergeschrieben ist, gibt Fiedler nicht an doch wohl nach 1873): „Es mag bis jetzt schon so die beste Art gewesen sein, meine Kräfte im Stillen zu üben und meine Erfahrungen nach manchen Seiten hin zu bereichern. Bleibts jedoch so, so muß es zur Verzettelung und endlich zur Erlahmung führen. Der Hauptfeind der Kunstausübung bleibt doch immer die Spekulation, und auf die bleibt man doch immer angewiesen, wenn keine äußere Veranlassung zur Herstellung eines Werkes vorliegt. Den bestimmten Anforderungen von Ort und Gelegenheit läßt sich bis zu einem gewissen Grad Genüge leisten, in der alleinigen Konkurrenz mit den Werken der Schöpfung muß man sich ewig als Stümper fühlen und die eigenen Taten verwerfen“ (Fiedler, S. 412f.).

Es hat etwas Erschütterndes, den Leidenden selbst so unzweideutig sein Leiden bezeichnen zu hören, gleich einem Arzt, den sein eigenes Wissen eine Krankheit, die ihn befallen, als unheilbar erkennen läßt. Wir vernehmen, daß der Maler nur dann sich wirklich produktiv fühlen konnte, wenn er vor eine bestimmte Aufgabe gestellt wurde das zeigt, wie sehr und ausschließlih er zum Raumkünstler berufen war und daß er selbst das Übermaß des Reflektierens als einen ungesunden Ersatztrieb für das zurückgedrängte frische Schaffen empfand. Andere Hemmungen mögen in seiner nervösen, schwächlichen Konstitution gelegen haben, von der Floerke °) berichtet und die auch ein brieflicher Seufzer (bei Fiedler, S. 412) erraten läßt („Idh habe das eigene Geschick, daß eine jede künstlerische Phase bei mir mit dem größten körperlichen Un- behagen, ja oft mit Schmerzen verbunden ist, wie bei einer schwangeren Frau“), und in einer gewissen körperlichen Ungeschicklichkeit, die gleichfalls Floerkes kritischer, aber nicht feindseliger Blick an ihm bemerkt hat. Doch das wesentliche bleibt, in un- heilvoller Verbindung mit der so eng bedingten Ergiebigkeit der freien Produktivität,

1) In dem so betitelten inhaltreichen Buche von Herm. Popp („Maler-Asthetik“. Straßburg, 1902) ist denn auch Pidolls Schrift ausführlich berücksichtigt. 2) Gust. Floerke, Zehn Jahre mit Böclin (München, 1901), S. 171 f.

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die „Spekulation“. Hat sie ihn anfangs zur vollen Klarheit über seine eigenartige Anlage und über das innerste Wesen der ihm gemäßen Kunstgattung geführt, so rückte sie ihm allmählich sein Ziel in immer unerreichbarere Fernen.

In den ersten italienischen Jahren hatte er den entscheidenden Schritt vom mehr malerischen zum mehr körperlichen, räumlichen Sehen getan. Die Erkenntnis, die er sich dabei gewonnen, hat er viel später in die endgültigen Worte gekleidet, die eigent- lich in allem, was sich zur Formanalyse seiner Kunst sagen läßt, nur noch umschrieben und variiert, aber nicht mehr wesentlich vertieft und erweitert werden können: „Soviel wir von der sichtbaren Welt mit Einem Blicke umspannen können, ist in seiner Grund- form allemal eine horizontale Fläche, von welcher einzelne Gegenstände vertikal in das Himmelsgewölbe aufragen. Aus dieser Art der Betrachtung ergibt sich für jede natür- lime Gesamt-Erscheinung ein Netz von führenden und begleitenden horizontalen und vertikalen Linien, in welchem die einzelne Erscheinung hauptsächlich durch die Modi- fikation ihrer Lage auf den Gesichtssinn wirkt“ (Pidoll, S. 29f.).

Liest man bei Pidoll weiter, so erstaunt man über die Folgerichtigkeit, mit der aus diesem theoretischen System Schritt für Schritt eine praktische Lösung der Auf- gabe: Darstellung der menschlichen Figur im Raum, hauptsächlich in der Landschaft, entwickelt wird. Erscheint auch in der Schilderung dieses Werdeprozesses die Farbe ganz ausgeschaltet, so spielt sie doch in den übrigen Ausführungen Pidolls eine so große Rolle, daß schon die Theorie des Malers deutlich zeigt, was seine Bilder erst recht bestätigen: der Übergang vom rein malerischen zum betont plastischen Sehen bedeutete nicht etwa eine Wandlung vom Maler zum Plastiker, und es ist nichts von einem inneren Zwiespalt, einem künstlerischen Widerspruch, wie er aus solcher Wand- lung hätte hervorgehen und zurückbleiben können, in seinem Schaffen nachzuweisen. Die Fläche so zu behandeln, daß sie dem Beschauer die Illusion der Raumvertiefung aufzwingt, war stets und ausschließlich sein Ziel: „der Künstler solle die Fläche zum Raume umschaffen“ (Pidoll S. 43). Und wenn es „nicht die Farbe an sich war, was für ihn den Maler ausmachte, sondern die Farbe als Mittel zur Formen-Gestaltung und Raumbildung“ (ebenda S. 21), so steht auf dem Boden dieser Anschauung nicht nur eine besonders plastisch gerichtete Malerei, sondern jede, die nicht auf bloße Flecken- wirkung hinarbeitet. Erinnern wir endlich noch daran, daß von bildhauerischen Ver- suchen Marces gar nichts bekannt, daß seine Art, zu zeichnen, so eminent male- risch, wie entschieden unplastisch ist, daß seine gemalten Figuren nie als bunte Statuen in luftlosem Raum dastehen, sondern immer das bewegte Spiel des Lichts um ihre atmenden Körper zu weben scheint. Nein, hier ist kein wunder Punkt, keine brüchige Stelle in Marées Seele und Werk.

Was seinen Arbeiten zum Verhängnis wurde, war eine überstiegene, Unmög- liches fordernde Auffassung dessen, was er „Illusion“ nannte. Das Kunstwerk soll, das war seine Forderung, ohne den täuschenden Schein der Wirklichkeit hervorzurufen, auf den Beschauer mit der zwingenden Bedeutsamkeit und Inkraft eines großen, tiefen Natureindrucks wirken, eines Eindrucks, wie ihn nur das zu reinem, bildnerischem Sehen geschulte Auge in ganzer Stärke empfangen und vermitteln kann. Und wie bei solchem Sehen Form und Farbe nicht mehr als zwei verschiedene Faktoren

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empfunden werden, so handelte es sich beim Schaffen fiir Marées ,nicht um eine mehr oder minder glückliche Verbindung von Form und Farbe, um eine sogenannte Vollendung des Getrennten nach beiden Seiten hin, sondern um das beiden Gemein- same, um einen Bildaufbau, der Beides als Eines gibt, wie in der Natur. Dieses Gemeinsame erkannte Marées in der Bildkonstellation.“ Diese von Hildebrand in dem zweiten der oben genannten Aufsätze gegebene Formulierung ist gewiß richtig; ebenso gewiß aber ist, daß Marées sich nicht mit der „Bildkonstellation“ begnügte oder daß er doch mit dem Worte immer tiefere, sozusagen mystische Beziehungen verband, denen er nicht mehr Genüge zu tun vermochte. Fiedler und Pidoll be- richten, wie seine Bilder, besonders die großen, durchaus als Wandmalereien ge- dachten, im ersten Stadium der Arbeit, der Ausführung in Ei-Tempera, eine Voll- endung und Schönheit erreichten, daß sie jeden Betrachter zu voller Bewunderung hinrissen und jene Forderung der „Illusion“ ganz und gar zu erfüllen schienen. Aber dann geschah das Seltsame und Traurige: Die Wirkungen, die er mit der von ihm meisterhaft beherrschten Ei-Malerei erreicht hatte und die, nach Pidolls Urteil, über die mit den Kalkwasser-Farben der eigentlichen Fresko-Malerei erreichbaren noch hinaus- gingen, hätten ihm vielleicht genügt, wenn sie von einer festen Wand aus, bedingt und getragen durch einen bestimmten Raum, zu ihm gesprochen hätten. Vor dem Mittelding zwischen Wand- und Tafelbild, das die großen Triptychen darstellten, regte sih in ihm aber doch wieder der Kolorist, den nach einem größeren Umfang der Farbenskala verlangte, als ihn die Ei-Tempera bot und wie ihn eben nur die Firnis- Ölmalerei ermögliht. Und so „tränkte er die Ei-Malerei mit einem Firniß, der sie allerdings für kurze Zeit besonders frisch und kräftig erscheinen ließ, aber doch bald das Oberflächen-Licht der Eifarbe in transparente Qualitäten verwandelte, die eine ein- gehende Umarbeitung erforderten. Hiebei mußten die Bilder Zustände durchlaufen, welche mannigfach mit Zerstörung verbunden waren, wenn sie in abermaliger Steige- rung der lebensvollen Wirkung zu neuer Schönheit auferstehen sollten“ (Pidoll, S. 82). Diese Auferstehung ist ihnen versagt geblieben; und daß nicht sein allzu früher Tod sie vereitelte, sondern der rettungslose Zustand der Arbeiten selbst und die immer tiefere Verstrikung des unglüclichen Künstlers in „Spekulation“ und Experimentieren, machen ein paar Jahreszahlen ganz zweifellos: das eine der von Pidoll (S. 53f.) an- geführten Werke, das Helena-Triptychon, wurde 1880—81, das Hesperiden-Bild 1884— 85 in Tempera begonnen und zu jener Vollendung gebracht, die der dann einsetzenden Ölübermalung zum Opfer fiel; Marces aber starb im Sommer 1887. Was die Zer- störung noch gründlicher machte, war ein schlimmes Erbe der „Idealisten“, denen im übrigen Marées so fern wie nur möglich steht: der Hochmut gegen das „Metier“. Er verschmähte es, „den Widerstand, welchen das Material der gestaltenden Hand ent- gegensetzt, durch handwerksmäßige Übungen und Geschicklichkeiten überwinden zu wollen. Daraus entstehe, sagte er, die Mache um der Mache willen“ (Pidoll S. 50f.). Daß eben durch handwerksmäßige Übung die Geschicklichkeit der Alten, die er der Routine der Neueren gegenüberstellte, jene Höhe erreichte, „daß sie auch für den Sachverstän- digen ein ewiges Geheimnis bleibt“, bedachte er nicht. Und so wurde einerseits der Bereitung der Farbe in seinem Atelier nicht genügend Sorgfalt zugewandt,

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andrerseits suchte er mit der Olfarbe zu operieren wie mit der Eifarbe und dem Zeichen- stift und vergewaltigte so das völlig verschiedenartige Material (Pidoll, 82f.). * *

So haben, um es noc einmal zusammenzufassen, die Ungunst der äußeren Umstände, der grüblerishe Zug in Marées Wesen und technische Mängel zusammen- gewirkt mit dem Erfolg, daß nach den Neapler Fresken kein größeres Werk mehr vollendet oder unzerstört aus Marees Hand hervorgegangen ist. Natürlich sind die Ab- stufungen im Zustand des Unfertigen oder nachträglich Verdorbenen in der Reihe dieser späteren Arbeiten sehr verschieden, und gar manche in der Durchführung weit, aber noch nicht zu weit vorgeschrittene Bilder und besonders auch die Entwürfe in Pastell und in Zeichnung gewähren einen reinen, ungetrübten Genuß. Allen ohne Ausnahme aber kommt es zugute, daß sie einem groß angelegten und immer dem rein Künst- lerischen zugewandten Geist entstammen. Es rettet so der character indelebilis der Größe Werke für unser Empfinden, die sonst unerträglich peinlich wirken würden; und es ist ein tragischer Genuß, aus Ruinen die edle Intention, die einst in ihnen Gestalt gewonnen, herauszuempfinden. Aber zu unrichtiger Auffassung der Tatsachen, zu Begriffsverwirrung und Heuchelei muß es führen, wenn das Unzulängliche und Ruinöse übersehen, weggeleugnet oder gar als normal erklärt wird.

Messen wir doch z. B. die „Hesperiden“, wie wir sie heute vor uns sehen, mit dem Maßstab, den Marées selbst uns in die Hand gibt! Wo bleibt bei diesem immer noch in gewissem Sinne harmonischen, aber durch und durch kranken, leichenhaften Kolorit, bei diesen seltsam in die Länge gezogenen Körpern mit den verkümmerten Extremitäten, bei diesen maskenhaften Gesichtern wo bleibt da die „Illusion“ im Maréesschen Sinn, die „Natürlichkeit“, die für ihn im ,Parallelismus der Darstellung mit den Gesichtseindrücken der lebendigen Welt“ (Pidoll S. 50) bestand? Das Morbide des Kolorits hat sicher einen großen Reiz: nur gewiß nicht den, den Marées selbst ihm gewünscht hätte. Diese Figuren von ich weiß nicht wieviel Kopflängen mögen dem an Gestalten des Greco gewöhnten Auge normal erscheinen; wie wenig sie dem Formen-Ideal ihres eigenen Urhebers entsprechen, erkennt man, wenn man sie mit einem nicht verquälten Bild aus der gleichen Periode vergleicht, wie den „drei Jüng- lingen“ von 1883 in der SchleiBheimer Gallerie, von denen besonders der stehende noch durchaus das „Gewächs“ der Menschen auf den Neapler Fresken zeigt. Hier ist der Körper nicht nur dazu da, um durch die oder die Bewegung eine bestimmte Funktion in der räumlichen Gliederung des Bildganzen zu vollziehen, er erscheint auch in seiner gesunden Kraft als ein in sich vollkommenes Gebilde und darum doppelt tauglich und würdig, in der idealen Welt des Marcesschen Idylle seinen Platz aus- zufüllen.

Wie weit man nun die Mängel und Zerstörungen in den spätesten Marees zugibt oder nicht, das ist nicht allein Sache des persönlichen Geschmacks. Und an sie erinnern, ob man auch diesen Werken viel schuldet an Genuß und Erkenntnissen, ist nicht Abfall und Undank, nicht die kleinliche Eitelkeit, Nein zu sagen, wo tausend andere Ja rufen. Die Folgerungen, die aus der unbedingten Anerkennung des letzten

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Marees, aus der Erhebung dieser trümmerhaften Werke zum allgemein giltigen Kanon sih ergeben, lassen den Einspruch als Pflicht erscheinen. Es sei zunächst nom ein- mal daran erinnert, daB weder Fiedler, der treue Freund und tiefblickende Kenner, noch Pidoll, der begeisterte Schüler und tüchtige Maler, das hinterlassene Lebenswerk des Meisters als etwas Vollkommenes, schlechthin Vorbildliches betrachtet haben. Besonders Fiedler hat Marées als einen Gescheiterten angesehen, als einen, der am Leben und an sich selbst scheitern muBte’). Heinrich Wölfflin, der als der erste Fachgelehrte in einer Fachzeitschrift (Ztschr. f. bild. Kunst, Jan. 1892) Marées in eindringender, groB- zügiger Weise gewürdigt hat (was um so bedeutungsvoller war, als Fiedlers und Pidolls Schriften damals noch nicht der Öffentlichkeit gehörten), hat in seiner Analyse die groBe Bedeutung des Kiinstlers dargetan, ohne den Zustand seiner Werke zu beschönigen. Julius Meier-Graefe schrieb noch 1904 in seiner ,.Entwicklungsgeschichte“ „Wir können uns heute kaum noch vorstellen, wie die Tafeln einst waren... Was davon geblieben ist, gießt brennendes Weh in die Seele des Überlebenden.“ (S. 431). Das brennende Weh hat sich unterdeß gemildert; heute sagt derselbe Meier-Graefe: „Keine seiner Übermalungen hat nicht tatsächlidı eine Verbesserung, eine höhere Realisierung angestrebt und erreicht“. (Kunst für Alle, XXIV, S. 263).

Die letzten Konsequenzen nicht nur für die rein ästhetische Einschätzung, sondern auch für die vorbildliche, kanonische Bedeutung der Maréesschen Spätkunst hat Hildebrand gezogen. „Seine Bilder sind immer neue Konstellationen, immer neue Resultate seiner Einsicht in die Geheimnisse der künstlerischen Anordnung. Je größer die Tragweite der Konstellation für die Wirkung, desto entbehrlicher werden alle Details. Die Vollendung des Bildes ist schon in der Anordnung gegeben, die sogenannte Ausführung würde nichts Wesentliches dazu beitragen. Es ist dies derselbe Fall wie bei den angehauenen Figuren Michelangelos.“ Hildebrand predigt hier eine Genüg- samkeit, die ein bedenkliches Ideal für jüngere Künstler werden könnte und die nie- mals die Sache großer Meister gewesen ist, auch seine eigne sowenig wie die Marees. Michelangelo hat seine angehauenen Figuren nicht deshalb unvollendet gelassen, weil er schon in diesem Stadium das Wesentlihe der künstlerischen Arbeit vollbracht zu haben glaubte, sondern weil äußere Umstände ihm Einhalt geboten oder die Aufgabe verleideten. Die Wirkung, die von diesen abbozzi ausgeht, ist nicht allein darin be- gründet, daß wir aus ihnen die „Konstellation“ schon klar herauslesen können, sondern in viel stärkerem Maß darin, daß wir einem Werden zusehen, daß die Meisterschaft jedes Meißelhiebs uns völlig sicher werden läßt über die Vollkommenheit des Gebildes, das sich da vor unseren Augen aus dem Stein lösen will. Und wie hier unsere Phantasie gezwungen wird, gleichsam an der Vollendung des Werks mitzuschaffen, so bei den letzten Marées, das, was einmal vollkommen war, aus den Schichten, die

1) Man lese z. B. folgende Sätze (Fiedler, a. a. O. S. 399): „Und nun beganı für ihn der eigentlihe tragische Konfiikt, der Kampf seines dem höchsten Ziele zugewendeten Wollens gegen die Unzulänglichkeit seiner Kräfte. Diesen inneren Feind sollte er niemals überwinden.“ (S. 400:) „Wer mochte im Grunde mehr als er selbst die inneren Hindernisse erkennen, an denen seine Leistungen scheitern mußten, nodi ehe der Prozeß künstlerischer Gestaltung bis zu einem klaren überzeugenden Abschluß durchgeführt war.“ Und ähnlich viele andere Stellen.

232 Monatshefte für Kunstwissenschaft

sih begrabend und zerstörend darüber gebreitet, wieder herauszulösen. Wenn die „Anordnung“ eines Bildwerks schon seine Vollendung bedeutete, so wäre die Arbeit, die Hildebrand selbst auf die Durchbildung etwa seiner „Selene“ gewandt hat, über-- flüssig und darum verwerflich, denn ein geschlossenes Kunstwerk soll nichts Über- flüssiges enthalten. Die ,Augensinnlichkeit“ des Künstlers ist eben doch kein so ein- faches Ding, daß sie nur durch Richtungslinien und Tiefenbewegung in der körperlichen Erscheinung der Dinge angesprochen und zum Produzieren aufgeweckt würde; das ganze innere Leben der Körper und Gegenstände, wie es an der Oberfläche sich in Licht und Schatten selbst modellierend offenbar wird, drängt sich dem Künstler ent- gegen, daß er ihm Form und Ewigkeit gebe.

Hildebrand selbst spricht die Befürchtung aus, es könnten Künstler, die lern- begierig an Marées herantreten, in die Gefahr kommen, „dem Stimmungsgehalt der Maréesschen Bilder direkt nachjagen zu wollen und sich einzubilden, daß man dies erreiche, wenn man auch wieder so einfache Vorwürfe zur Gestaltung bringe wie er.“ Die Gefahr ist vielleicht insofern nicht so wesentlich, als an Leuten, die bei Marées nicht mehr sehen, als nur die „Stimmung“ und die Stoffwahl, kaum sehr viel verloren wäre. Viel besseres wird bedroht durch die Gefahr, die in der stark doktri- nären Betonung der „Bildkonstellation“ liegt und darin, daß Werke als Vorbilder aufgestellt werden, in denen der Bildkonstellation oder vielmehr dem technischen und theoretischen Experimentieren sehr vieles geopfert wurde, was ihr Schöpfer selbst gar nicht hatte opfern wollen. Mit der starken Betonung der „Entbehrlichkeit der Details“ ist es doch nicht ganz in Einklang zu bringen, daß Marées, wie Pidoll (S. 23f.) erzählt, „nicht müde wurde zu erinnern, daß in der Darstellung alles auf oft geringfügige Modifikationen ankomme, auf Kenntnis und Beherrschung der Formen beruhe, welche nur durch große Erfahrung, durch Beobachtung und Studium zu gewinnen seien.“ Liest man dergleichen bei Pidoll und bei Fiedler, so erhält man den Eindruck, als sei Marées selbst doch ein noch besserer Lehrer, ein größerer Pädagoge gewesen, als seine Werke und deren Verherrlicher von heute. Wenigstens sollte jeder Künstler, der nach Hildebrands Rat „von Marees lernt, in die künstlerishe Wirkung der Konstellations- bedingungen einzudringen“, sich auch jene Mahnung gegenwärtig halten. In ihr liegt das beste Korrektiv gegen die einseitige Hervorhebung und Überschätzung formaler Kunstgesetze. Die Erkenntnis vom Wesen des bildnerischen Sehens, die Einsicht in die Bedingungen und Wirkungen des künstlerischen Gestaltens, das solchem Sehen am unmittelbarsten entspringt und entspricht Erkenntnisse und Einsichten, denen Adolf Hildebrand mit der ganzen Stärke besonnener Leidenschaft eine beherrschende Stellung mitten im Kunstschaffen und -betrachten unserer Tage erkämpft hat sie teilen das in gewissem Sinn tragische Los aller Wahrheiten, selbstverständlich und einseitig zu sein und allmählich oft in verhältnismäßig kurzer Zeit erstarrend und lähmend zu wirken, wenn sie, weil neugefunden, in ihrer Selbstverständlichkeit überschätzt und trotz ihrer Einseitigkeit zu allgemein angewandt werden. Die Lehre von den raum- bildenden und -gestaltenden Werten in der Kunst hat viel Klärung gebracht und ist intellektuell kaum hoch genug zu schätzen. Bedenklich kann sie werden, weil sie nur zu geeignet ist, scion in das erste Aufquellen der künstlerischen Produktion den

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kristallisierenden und damit erstarrenden Tropfen der BewuBtheit zu gieBen, die naiv empfangliche Liebe zur Schönheit der Dinge auf ein kühlbewußtes Suchen nach dem »kiinstlerisch Brauchbaren“ herabzudämpfen. Die heutige Entwicklung der Münchner Plastik gibt Stoff zu solchen Gedanken. Man beginnt allzu sehr die Kunst als etwas Lernbares zu empfinden, als etwas, was man richtig machen kann, wenn man die richtigen Regeln weiß; und die Regeln sind nicht schwer zu behalten.

Für Marées war die Kunst etwas, woran man nie auslernen kann, ein ewiges Ringen mit der unerschöpflichen Lebens- und Erscheinungsfülle der Natur. Ihm würde vieles von dem, was heute in unmittelbarer Nähe seines Bannkreises gemeißelt und gemalt wird, nicht als künstlerisch im höchsten Sinn erscheinen, sondern als dekorativ. Wie er das Wort verstand, lehrt eine Briefstelle, die Fiedler (S. 452) mitteilt und die vielleicht gehaltvoll und nachdenklich genug ist, um hier noch zum Schluß wiederholt zu werden:

„Hier [in Paris] haben die beiden Sklaven von Michelangelo mein Interesse am meisten in Anspruch genommen. Und zwar scheint es mir nicht der Typ zu sein, wodurd sie zuerst ins Auge fallen, sondern vielmehr durch [so!] die Glaubwürdigkeit der Darstellung. Man erkennt sofort, wo die knochigeren und wo die fleischigeren Teile sind; dadurch vergißt man das Material, das Handwerk, man sieht Lebendiges. Und das ist das erste Erfordernis eines Bildwerkes, wenn es mehr als dekorativ sein soll. Die Natur erregt unter allen Umständen Teilnahme, und nicht die Vollkommen- heit des Vorbildes, sondern die Vollkommenheit des Verständnisses macht eine Sache : zum Kunstwerk.“

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Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz Von Otto v. Falke

Das Innsbrucker Museum besitzt ein sehr hervorragendes Denkmal muslimischer Metallkunst: ein Kupferbecken von 23 cm Durchmesser, das außen und innen mit Figuren und Ornamenten in Zellenschmelz bedeckt ist und dessen Entstehung vor dem Jahre 1144 durch eine arabische Inschrift sichergestellt ist. Die photographischen Auf- nahmen (Abb. 1 und 2) geben nur ein undeutliches Bild, weil mit der im Gebrauch abgeriebenen Vergoldung der Kupferzellen die klaren Umrisse der Zeichnung ver- schwunden sind. Die am Rand entlang laufende Inschrift ist von Karabacek gelesen worden; sie besagt, daß das Becken dem Rukn ed daula Daud ibn Sokman ibn Ortok, einem Emir von Amid und Hisn Keifa gehört hat. Dieser Ortokide war einer jener zahlreichen seldschukischen Emire, die zur Kreuzzugszeit in Syrien und Meso- potamien ein kriegerisches Kleinfürstendasein geführt haben, bis Nureddin und Saladdin das yanze Gebiet wieder zusammenfaßten. Seine Sitze waren Amid, gleich dem heutigen Diarbekr, und Hisn Keifa, eine Burg am oberen Tigris, etwa halbwegs zwishen Amid und dem durch seine Metallkünste berühmten Mossul gelegen. Nach Karabacek währte die Regierung des Rukn ed daula Daud bis zum Jahr 1144.

Das Becken ist also zu derselben Zeit entstanden, als fern im Westen am Rhein und der Maas der Kupfergrubenschmelz, das heißt die spezifisch weströmische und weiterhin germanische Emailtechnik im Gegensatz zur oströmischen des Zellen- schmelzes, unter den Händen Eilberts von Cöln, Gottfrieds von Huy und ihrer Nach- folger seine romanische Neublüte erlebte.

Die Innsbrucker Ortokidenschüssel, das einzige datierte Denkmal. muslimischer Schmelzkunst aus dem Mittelalter, ist zuerst 1874 von Karabacek (Beiträge zur Geschichte des Mazjaditen; Leipzig) kurz besprochen und neuerdings von Gaston Migeon in der Gazette des Beaux Arts (Februar 1906) und nochmals in seinem Manuel d'Art Musulman (1907, S. 156) veröffentlicht worden.

Über die kunstgeschichtlihe Bedeutung der Schüssel haben Karabacek und Migeon sich im wesentlichen gleichlautend geäußert. Beide betrachten sie als ein wichtiges Beweisstück für den chinesischen Einfluß auf die vorderasiatishe Kunst im Mittelalter. Die Worte Karabaceks lauten: „Das in doppelseitigem prachtvollem Email cloisonné ausgeführte unschätzbare Kleinod persischer Kleinindustrie gibt die glänzende Bestätigung zu den durch persische Dichtungen und arabische Chroniken zu uns gelangten Nachrichten über den Einfluß Chinas auf die mittelalterlihe Kunst in Vorder- asien. Er war für die Emailtechnik bahnbrechend, während bei den figürlichen Darstellungen zumeist einheimische und occidentalische Motive vorherrschend geblieben sind.“ Auch Migeon erkennt in den figiirlichen Bildern byzantinische Elemente, leitet aber die Technik ebenso entschieden von China ab.

Diese Auffassung ist auf den ersten Blick ganz einleuchtend. Sie gründet sich ausschließlih auf die Technik des Zellenschmelzes auf Kupfer, und diese ist heute

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Abb. 1. Innenseite des Ortokidenbeckens

fast ausschließlich als eine ostasiatische Spezialität bekannt. Chinesische Cloisonné- geräte älterer Arbeit sind in vielen Sammlungen zu sehen und als moderne Export- ware kommt der Kupferzellenschmelz jahraus jahrein in Massen aus China und Japan zu uns herüber.

Chinesische Einflüsse auf die mittelalterliche Kunst des Westens, sogar des Abendlandes, sind auch sonst festgestellt worden. In den letzten Jahren hat namentlich Dr. M. Dreger in seiner ,Entwicklungsgeschichte der europäischen Weberei und Stickerei“ und weiterhin in „Kunst und Kunsthandwerk“ (1905 und 1906) die ost- asiatischen Anregungen für die italienischen Seidenmuster der Frühgotik sehr hoch eingeschätzt und ihnen einen erheblichen Anteil an der Entfaltung des Naturalismus in der gotischen Ornamentik zugeschrieben. Damit würde China in der größten Evolution der christlichen Kunst des Mittelalters eine aktive Rolle gespielt haben; denn

256 Monatshefte für Kunstwissenschaft

der friihgotische Naturalismus in der Flachornamentik italienischer Seidenstoffe ist von der gleihen Tendenz in den plastischen Zierformen der Baukunst nicht wohl zu trennen.

Es ist daher nicht unnütz, die chinesischen Einflüsse bei der Ortokidenschüssel nachzuprüfen, da sie solche schon für die erste Hälfte des XII Jahrhunderts be- weisen soll.

Daß in der muslimischen Kunst des späten Mittelalters, insbesondere in der persischen, chinesishe Elemente in Mengen zu finden sind, ist eine offenkundige und allerseits anerkannte Tatsache. Weniger klar aber ist das Verhältnis zwischen Ost und West im frühen Mittelalter, das heißt vor der Mitte des XIII. Jahrhunderts. Der Untergang des Khalifats bildet den Wendepunkt. Das mongolische Großkhanat, das ihm das Ende bereitete, hat zwar Ost- und Westasien nur vorübergehend zusammen gezwungen, aber die Vereinigung hat lange nachgewirkt. Der Nimbus der Über- legenheit, den die Siegeszüge der Mongolen dem Osten verliehen hatten, war damals auch der Kunst Chinas zu Gute gekommen.

Um das hundert Jahre ältere Ortokidenbecken von China ableiten zu können, darf man sich nicht bloß auf die technische Gleichartigkeit mit den chinesischen Email- arbeiten der Mingzeit berufen, sondern man müßte ältere oder mindestens gleichalte Kupferzellenschmelze aus China ins Feld führen. Solche aber sind nicht vorhanden. Die ältesten datierten Zellenschmelze Chinas reichen nicht weiter als bis ins XIV. Jahr- hundert zurück und in größerer Zahl sind alte Stücke erst aus der Mingzeit erhalten, namentlich aus der Regierungszeit Tsching-tai (1450—56). Und es ist kein Zufall, daß ältere Denkmäler fehlen. Die chinesischen Quellenschriften, die zuletzt Dr. Stephen W. Bushell in seinem Handbuch Chinese Art (London 1904, II. Band, S. 71) besprochen hat, stimmen darin überein, daß der Zellenschmelz keine in China alteinheimische Kunst war, sondern daß er erst im späteren Mittelalter aus Byzanz und durch Mohamme- daner eingeführt worden ist. Die Übertragung aus Byzanz wird in die Il. Hälfte des XII. Jahrhunderts verlegt, in die Zeit, als unter Kubilai Khan, dem Gründer der Yuan- dynastie ein lebhafter Verkehr und Austausch zwischen Ost und West im Gange war. Bei Bushell ist des Längeren ausgeführt, daß auch in den chinesischen Namen des Zellenemails die sarazenisch-byzantinische Abkunft der Technik zum Ausdruck kommt. Nirgends findet sich eine Andeutung, daß China den Zellenschmelz schon im XII. Jahr- hundert gekannt oder geübt hätte.

Es ist somit unmöglich, das Innsbrucker Becken aus Ostasien herzuleiten; es kann nur in dem Sinne mit China in Beziehung gebracht werden, daß es uns eine greifbare Vorstellung gibt, wie die Schmelzwerke ausgesehen haben mögen, welche die Mohammedaner nach China eingeführt haben und denen Ostasien die Anregung zu seiner eigenen Schmelzkunst verdankt.

Sucht man nach der Quelle, aus welcher der Kupferzellenschmelz in die Gegend von Mossul gelangt sein kann, so müssen wir uns nach der alten Heimat und dem Hauptsitz der Zellentechnik wenden, nach Byzanz.

Man könnte einwenden, daß Byzanz nur durch seinen Goldzellenschmelz berühmt ist und daß die Existenz byzantinischen Kupferzellenschmelzes bestritten wird.

O. v. Falke. Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz 237

Abb. 2. Unterseite des Ortokidenbeckens

Rundweg abgeleugnet hat sie Johannes Schulz (Der byzantinische Zellenschmelz, Frank- furt a. M. 1890, Seite 76), obwohl Labarte in der ersten Ausgabe seiner Geschichte der gewerblihen Künste ein vollwertiges Beweisstück vorgeführt hatte. Es ist eine große Bildplatte mit dem Drachentöter Sankt Theodor und griechischer Inschrift, die aus der Sammlung Basilewsky in die Petersburger Eremitage gekommen ist. Sie ist abgebildet von Labarte im II. Band des Albums der Histoire des arts industriels (Tafel 105) und mit besseren Farben von Alfred Darcel (Collection Basilewsky Il. Tafel 14). Kondakoff, der in seinem bekannten Werk über die Sammlung Swenigorodskoi die Frage des Kupferzellenschmelzes sonst nicht berührt, hat die Theodor- platte ohne weiteres als byzantinische Arbeit anerkannt und dem XII. bis XIII. Jahr- hundert zugeschrieben. Labarte erwähnte ferner die etwa halbmeterhohe Kupfer- schmelztafel mit der stehenden Figur Christi im Museo Kircheriano in Rom, gibt hier 17

238 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 3. Ausschnitt aus dem Agramer Reliquiar der Sammlung Figdor Halbe Naturgröße o

aber selbst die Möglichkeit italienischer Arbeit zu. Das wird wohl das Richtige treffen. Der Christustypus ist zwar ganz byzantinisch, ähnlich den Christusfiguren auf den Goldemails zweier Buchdeckel im Schatz von San Marco (abgeb. Labarte Album II. Tafel 102 und 103); technisch aber ist die in Trastevere ausgegrabene Schmelztafel des Kirchermuseums mit der im Westen üblichen Mischung von Gruben- und Zellen- schmelz ausgeführt. Daß in Rom romanischer Kupferschmelz gemacht worden ist, ergibt sih aus den allerdings unscheinbaren Schmelzresten am alten Altar der Peterskirche, auf die mich Professor Haseloff aufmerksam gemacht hat.

Der Theodorplatte lassen sich nur wenig wirklich byzantinische Kupferzellen- schmelzarbeiten anreihen, immerhin genug, um die Zweifel an der Pflege dieser Technik in Byzanz zu beseitigen. Der Vatikan besitzt im Christlichen Museum ein zweiteiliges Kupferkreuz, vorn und hinten mit Zellenschmelz bedeckt. Griechische Beischriften sind vorhanden und zwar in derselben etwas unbeholfenen Zeichnung, die auch die Schrift- züge der Theodorplatte aufweisen. In der Form und Ausstattung ähnelt das Kreuz des Vatikans einem Goldschmelzkreuz im South Kensington Museum, früher in den Sammlungen Debruge-Dumenil und Hope (abgeb. Kondakoff, Seite 177), also einem bekannten byzantinishen Typus. Weit bedeutender ist ein rechteckiger Reliquienkasten mit flachem Deckel, der aus dem Dom zu Agram in die Sammlung Figdor in Wien übergegangen ist. Die langgestreckte Form läßt hier nur die Abbildung eines Aus- schnittes der Vorderseite zu. (Abb. 3.) Die Vorderseite zeigt auf Rankengrund acht Rundfelder mit den Brustbildern Christi zwischen Maria und Johannes, daneben Heilige, alle mit grob gezeichneten griechischen Beischriften. Auf den Schmalseiten sind die Erzengel dargestellt (Abb. 4), die Rückseite ist nur ornamental ausgestattet, der Schmelz- belag des Deckels zum Teil zerstört.

Die farbige Erscheinung und die Technik des Reliquiars sind einerseits der

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Theodorplatte, andererseits dem Ortokidenbecken und somit auch den späteren chine- sischen Zellenschmelzwerken vollkommen gleichartig. Bemerkenswert ist das Rankenwerk, das die Bildfelder umgibt. Es ist dasselbe, ziemlich steife wurmartige Geringel, das auf dem Ortokidenbecken so chinesisch anmutet, weil es nur in China mit dem dort allein fortlebenden Zellenschmelz sich bis zur Gegenwart unverändert erhalten hat. Seine Vorstufen sind im byzantinischen Goldemail bis ins Xl. und X. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Die byzantinische Herkunft des Agramer Reliquienkastens bedarf keines Beweises; die Typen der Heiligenbilder sprechen deutlich genug. Man braucht sie nur mit verwandten Darstellungen auf Goldemail, etwa der Rundbilder- folge der Sammlung Swenigorodskoi (abgeb. bei Kondakoff und bei Joh. Schulz a. a. O.) zu vergleichen. Zur näheren Ortsbestimmung der byzan- tinischen Kupferzellenschmelze liegen bisher keinerlei Anhaltspunkte vor; es ist sehr wohl möglich, daß sie nicht in der Hauptstadt selbst, sondern in einem provinziellen Betrieb des oströmischen Reiches entstanden sind. Datiert ist das Agramer Reli- quiar nicht und es braucht nicht not- wendig älter zu sein, als das Orto- kidenbecken von 1144. Trotzdem läßt sich aus den figürlihen Dar- stellungen erweisen, daß das letztere rer na DURANENI- Abb. 4. Schmalseite des Agramer Reliquiars der Sammlung Figdor D Die ‚sechs Rundfelder auf der o Halbe Naturgröße Rückseite enthalten zweimal einen Adler mit seiner Beute in den Klauen, zweimal einen Greifen, der ein Tier niedergerissen hat und zwei Paare menschlicher Figuren, eins in Umarmung, das andere musizierend. Auf der Vorderseite entsprechen diesen Rundbildern drei Adler und drei Greifen mit ihrer Beute. Zwischen den Runden füllen den Raum außen und innen Tänzerinnen, abwechselnd mit Palmbäumen, die von Vögeln und löwenähnlichen Tieren flankiert sind. Auf der Innenseite ist eine der Tänzerinnen durch eine Akrobatengruppe ersetzt. Von diesen Bildern könnte ein Teil einheimischen, das heißt orientalischen Ursprungs sein; die Greifen und die Palmen zwischen symmetrischen Tierpaaren gehören zu dem alten persisch-sarazenischen Formenschatz. Sie waren aber auch der ost- römischen Ornamentik schon längst vollkommen geläufig. Die von vorn gesehenen Adler sind ebenfalls gemeinsames westôstlidies Gut. In der oströmischen Kunst treten die streng en face stilisierten Adler schon sehr frühzeitig auf; ich erinnere an den byzantinischen Goldschatz von Pietrossa aus dem V. Jahrhundert, weiterhin an den

240 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Adlerstoff der Brixener Kasel und Verwandtes. Der Islam hat ein Beispiel des X. Jahr- hunderts in den Adlern auf dem marmornen Brunnenbecken aus Medinet ez Zahra, jetzt im Museum von Madrid (abgeb. Migeon, Manuel S. 73) aufzuweisen, von späteren Seidenstoffen abgesehen.

Für die seltsame Akrobatengruppe, die den regelmäßigen Wechsel der Palmen und Tänzerinnen unterbricht, ist ein byzantinisches Vorbild kaum nachzuweisen. Auf islamitishen Mossulbronzen dagegen sind ähnliche Darstellungen vorhanden; doch ist zu beachten, daß die Tracht der Akrobaten auf dem Innsbrucker Becken nicht orientalisch, sondern antikisierend ist.

Alle übrigen Figuren des Beckens gehen un- mittelbar auf byzantinishe Vorbilder zurück. Die Tänzerinnen tragen nicht nur antike Gewandung, sondern sie kehren auch mit allen wesentlichen Kenn- zeiten auf einem vollkommen gesicherten byzan- tinischen Denkmal wieder. Auf den Goldschmelz- platten der Krone des Kaisers Konstantin Monomadı im Pester Museum (abgeb. bei Bock, Reichskleinodien II, bei Kondakoff, S. 246, Abb. 75 und in den Chefs d'œuvre d'orfèvrerie, Budapest 1884, II. Band), sind zwei Tanzerinnen in genau derselben Haltung und Bewegung dargestellt, mit dem antiken Motiv der hoch über den Kopf geschwungenen Schärpen, mit der gleihen Gewandung, mit demselben Umschlag des unteren Gewandsaumes über dem emporgeworfenen Bein (Abb. 5). Die Herzmusterung der Kleider ist im Goldzellenschmelz von Byzanz auch sonst oft zu sehen (vgl. Kondakoff Tafel 9 und 11). Hier ist die Nachbildung ganz offenkundig und auch die Priorität ist für Byzanz gesichert, denn die Monomachkrone Abb. 5. Goldschmelztafel von der ist zwischen 1042 und 1054 gearbeitet, also ein Jahr-

Monomachkrone o hundert vor dem Becken des Rukn ed daula Daud

von Hisn Keifa. Das Mittelbild stellt offenbar des Pseudo-Kallisthenes Sage von der frevelhaften Himmelfahrt Alexanders des Großen dar, die in der christlihen Kunst der romanischen Zeit als Symbol des Hochmuts ver- wendet wurde (Beispiele sind zusammengestellt von Graeven in den Bonner Jahr- büchern, Band 108, S. 269). Der König spannt hungrige Greifen oder Adler vor seinen Wagen und läßt sich, während er ihnen an Stangen Köder vorhält, in die Lüfte tragen. Alle typischen Einzelheiten sind auf dem Becken vorhanden; es scheint aber, daß der sarazenische Verfertiger den Sinn seiner Vorlage nicht mehr verstanden hat. Denn die Räder des Wagens stehen mit dem letzteren nicht mehr in Verbindung, sie sind als lose Scheiben seitlid ins Ornament geraten; auch einer der Köder hat sich von der Stange entfernt. Daraus ist zu schließen, daß der muslimische Emailleur

O. v. Falke. Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz 241

unmittelbar nach einem byzantinischen Original in unfreier Nachbildung gearbeitet hat. Die Erinnerung an derartige Becken lebte ja auch im Westen nach in den Limousiner Waschbecken aus Kupfergrubenschmelz des XII. Jahrhunderts, deren Verzierungen, unter denen Tänzerinnen mehrfadı vorkommen, in ganz ähnlicher Weise ange- ordnet sind.

Das Ergebnis ist, daß das Ortokidenbecken unmöglich als Beweis für früh- mittelalterliche Einflüsse aus China dienen kann. Es weist im Gegenteil auf den Weg vom Westen nach dem Osten, auf dem nicht allein die Technik des Zellenschmelzes, sondern audi was wichtiger ist die oströmische Ranke nach China gekommen ist, die dort im stilisierten Pflanzenornament noch Jahrhunderte hindurch eine wichtige Rolle gespielt hat. Darf man aus dem Einzelfall allgemeine Schlüsse ziehen, so ist im frühen Mittelalter die byzantinisch-sarazenishe Kunst der gebende, Ostasien der nehmende Teil gewesen.

Alonso Cano par Paul Lafond

Une erreur trop commune est de vouloir juger les hommes des temps passés comme nous le faisons de nos contemporains. Le point de vue change suivant les époques. Chaque siècle trouve une formule pour exprimer les idées de vérité et de justice. Tel principe que nous tenons pour absolu aujourd'hui le semblera peut-être moins à nos petits fils. Trois cents ans nous séparent de l'Espagne de Philippe IV, large fossé qu'il nous faut non pas combler, mais franchir en nous dépouillant de nom- breuses conventions contemporaines, pour étudier Alonso Cano qui est la complète expression de son temps, de l’âme de sa patrie ardente et voluptueuse.

Chez lui, le sang maure et le sang castillan violemment mélés, mais non con- fondus et unis, luttent et se contredisent sans trêve ni merci. De l'arabe, il a la sen- sualité; de l'espagnol, l'orgueil. Rien ne peut maîtriser son tempérament qui éclate comme une fusée; ainsi que son pays, il est durement contrasté. Quel désaccord, a première vue, entre son caractère et son talent. Dans ses actes, il se montre violent, exalté, tragique, implacable; dans ses productions, doux, mélancolique, tendre, mysti- que même; mais de ce mysticisme presque d’ascete, qui n'a rien à voir avec celui fait de ‘religiosité d’alcove que va bientôt inaugurer Murillo.

Alonso Cano a l'esprit chevaleresque, le mépris de la souffrance, l'horreur du factice et du théatral comme tous ses compatriotes, mais de plus qu'eux, il a le gout des gestes nobles, l'instinct des draperies harmonieuses et surtout de la beauté qu'il sent exister par elle-même et pouvoir par conséquent jouer un rôle et non un des moindres dans le domaine de l'art.

Chez cette individualité puissante, généreuse, riche, loyale, dévouée, mais toute proche de la nature, le ressort est violent et la détente subite. Il est avant tout l'homme du premier mouvement, tout d'une pièce, presque un impulsif, au moins un instinctif auquel les nuances et les complications du sentiment sont totalement étrangères.

Les sens dominent chez lui; peu accessible aux idées le vague et l'abs- traction ne sont pas son fait, il lui faut des formes palpables; aussi cet être d'une violence sans pareille, aux terribles sursauts, témoigne d'une piété d'enfant; il est possédé de transports de dévotion voisins de l'extase, qui le font se courber en se frappant la poitrine aux pieds des autels, se prosterner ravi devant une image de la Vierge ou la figuration d'un Saint. Ses sentiments de ce côté étaient poussés si loin, qu'il évitait de fröler un pénitent du S! Office ou un juif, considérant comme une souillure le plus léger attouchement avec un condamné de l'Eglise ou avec un infidèle. Cette répulsion était si profonde que si par hasard, pendant son absence, un de ses domestiques recevait dans sa maison un hérétique, il le chassait impitoyablement et faisait immédiatement laver le sol des pièces que le mécréant avait foulé.

On pourrait à propos d’Alonso Cano rééditer le mot du Pape Paul III au

P. Lafond. Alonso Cano 243

sujet de Benvenuto Cellini avec lequel il a plus d’un point de contact: «Les hommes uniques dans leur profession ne doivent pas étre soumis aux lois.»

Néanmoins, ce violent est un contemplatif; ce tapageur, un silencieux. Dans ces Castilles retardées dans leur évolution par les guerres contre leurs conquerants de jadis, seul peut-étre de sa race, il est pitoyable. Sa charité est sans bornes.

Apres avoir vide son escar- | celle entre les mains des pauvres, il leur donne encore une ceuvre de son intelligence, une ebauche, un dessin crayonne a la hate dont ils trouveront facilement la vente. Quoi de plus noble, de plus pro- fondément chretien!

Un autre témoignage de sa bonté, c'est l'intérêt et l'affection qu'il porta constamment à ses ap- prentis, à ses aides, à ses élèves, venant à leur secours dans les difficultés de l'existence, les recom- mandant chaudement aux per- sonnes capables de leur fournir des travaux, inspirant leurs ou- vrages, leur en procurant le modèle, les retouchant et les achevant même.

Au point de vue technique Alonso Cano est un des meilleurs peintres qu'aît produit l'Andalousie. Nul n'a plus fidèlement dessiné, ni poussé plus loin l'éxécution des extrémités; les pieds et les mains de ses personnages sont impec- cables. Ses nus sont d'un modelé des mieux ressentis, sans exagé- rations ni soulignements intempes- tifs; ses draperies témoignent d'une liberté et d'une élégance encore inconnues aux écoles espagnoles. Son coloris manque peut-être parfois de puissance, quand il s'abandonne, car il est journalier, mais il demeure toujours riche, chaud et lumineux. Pas un maitre de son pays n'a autant simplifié ses compositions, souvent même, elles se réduisent à une seule figure; le décor y tient toujours fort peu de place, le pittoresque de l'instant en est soigneusement banni ou réduit à sa plus simple expression. Il a l'horreur de la violence du geste, c'est un artiste en dedans, à l'inverse d'autres que Yon peut qualifier d'artistes en dehors.

A. CANO: La Vierge adorant son divin fils Madrid, Musée du Prado D

244 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Il s’est créé une sorte de type de beauté féminine qui donne a ses Vierges et a ses Saintes, un air de famille. Toutes montrent un large front, des yeux voiles et quelque peu vagues, un nez droit, des joues pleines, la bouche petite et le menton rond. Son procédé, emprunté jusqu'à un certain point à Venise, comme d'ailleurs celui de la plupart des maîtres andalous, est des plus simples, des moins secrets. Il fait d'ordinaire surgir ses figures en clair sur des valeurs brunes, avivant les lumières d'une sorte de blanc crayeux à l'instar de Zurbaran, usant pour les ombres des étoffes, d'un bleu assombri et pour les fonds, d'une sorte d’ocre rougeâtre tirant sur le brun.

Quelque étrange que la constatation en puisse paraître, Alonso Cano est sans contredit, le moins naturaliste des maîtres espagnols de son temps, celui dont les tendances se rapprochent le plus du style florentin de la grande époque et même du caractère antique.

Chez Alonso Cano, le sculpteur est encore au-dessus du peintre; ses statues et ses bas-reliefs sont d'une forme et d'une correction irréprochables.

L'antiquité, qu'il ne connaissait cependant que fort imparfaitement, l'a gardé de l'exagération de mouvements habituelle à la sculpture ibérique. Dans ses figures, la recherche des formes pures et nobles, la simplicité des attitudes, la sobriété des gestes, le naturel de l'aspect, l'élégance des ajustements, ont été une nouveauté ignorée de l’école espagnole. Tout cela joint au sentiment de la vie, à l'expression religieuse que le maitre possédait au suprême degré, lui a fait produire des œuvres dignes de la plus profonde admiration.

Nous ne pouvons, à notre grand regret, adresser à l'architecte, les mêmes éloges qu'au peintre et au sculpteur. Ses fastueux retables, malgré un certain sens de- coratif, restent lourds, communs et hors de proportion. Ils se ressentent de ce déplorable baroquisme qui devait bientôt règner en maitre incontesté dans la péninsule et c'est cependant par eux que l'artiste établit sa réputation. Il s’exerca aussi dans la gravure, mais on ne connait de lui qu'une seule estampe, excellente à la vérité, laissant regretter qu'il n'ait pas plus fréquemment manié le cuivre. C'est un Saint François d'Assise de dimensions des plus réduites.

Alonso Cano naquit à Grenade le 19 mars 1601, ainsi qu'il appert des registres de la paroisse de San Ildefonso il fut baptisé. Il était donc le cadet d'un an de Velazquez, celui de trois ans de Zurbaran. Son père, Miguel Cano, constructeur de retables, était originaire du bourg d’Almodovar del Campo, dans la Manche; sa mere, Maria de Almansa avait vu le jour dans le village voisin de Villarobledo, de la même province.

Manuel Cano enseigna à son fils son métier touchant à l'art par bien des côtés, puisqu'il consistait à élever ces autels à plusieurs corps, en bois assemblés, peints et dorés que l'on rencontre dans la plupart des églises d'Espagne, véritables monuments d'architecture, montant bien souvent jusqu'à leurs voûtes. L’artisan, des plus experts, ne tarda pas à se rendre compte des grandes dispositions de son fils pour le dessin et cest probablement pour lui en faciliter l'étude qu'il quitta Grenade et vint avec les siens se fixer à Séville le peintre Juan de Castillo lui avait assuré qu'il trouverait à s'occuper avantageusement. Alonso Cano entra alors dans l'atelier du célèbre

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A. CANO: Deux rois Goths Madrid, Musée du Prado O

sculpteur Martinez Montafies, son compatriote, un des plus grands artistes non seulement de l'Espagne, mais du monde entier, que son père avait sans doute connu a Grenade et qui, lui aussi, était venu s'établir dans la capitale de l'Andalousie. Le jeune homme fut en méme temps, un des fidéles habitués de l'académie de Pacheco, il étudia le dessin et la peinture, aux cötes de Zurbaran et de Velazquez avec lesquels il ne tarda guère a se lier. Il convient d'ajouter qu'il recut encore les conseils de Juan de Castillo, coloriste brillant et dessinateur facile qui travaillait, lui aussi, à Séville, alors la ville la plus peuplée la plus éclairée de toute l'Espagne, son principal port se pressaient les galiotes et les caravelles chargées des richesses du Nouveau Monde.

Peut-étre l'enseignement du fougueux et exubérant Montafies aurait-il poussé son élève dans la voie d'un naturalisme rude et exagéré, si les conseils de Pacheco ne l'eussent prémuni contre ses violences et dirigé vers des horizons moins contrastés. Il est cependant difficile d'admettre que les objurgations du beau-pere de Velazquez aient suffi à amener ce résultat et il n’est pas défendu de penser que la vue et l'étude des chefs-d'œuvre antiques rapportés d'Italie et réunis par les ducs d’Alcala dans leur palais de Séville, connu sous le nom de la Casa de Pilatos, n'y aient contribué en grande partie. Plusieurs historiens Palomino entre autres se basant sur la correction de son dessin et la suavité de son coloris, veulent qu’ Alonso Cano ait fait le voyage d'Italie. S'il est le plus italien des artistes espagnols, il faut cependant reconnaître qu'il n'a jamais quitté sa patrie et que s'il a écouté et suivi les enseigne-

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ments des maitres florentins ou vénitiens, il ne les a connus que par les gravures burinées d’apres leurs ouvrages; il ne les a étudiés que sur les quelques rares toiles brossees par eux, apportees de son temps en Andalousie ou dans les Castilles. Son mérite, c'est de s'être élevé au-dessus des préjugés et de l'intolérance nationale et d'avoir, grâce à ces productions d'un autre peuple, entrevu une beauté supérieure élargissant les horizons de l'art.

Les premiers ouvrages d’Alonso Cano furent cinq volumineux retables élevés par lui à Séville, trois dans le collège de San Alberto; deux autres, dans le monastère des religieuses de Ste Paule. Lourds et communs, ils ne méritent guère d’eloges au point de vue architectonique et leur aspect massif est peu fait pour plaire.

Le premier retable du collège de San Alberto montrait un grand bas-relief du Christ au calvaire, accompagné des Saintes femmes; le second, une magnifique statue de Sainte Thérèse et diverses peintures figurant quelques épisodes de la vie de la grande réformatrice; enfin, le troisième, représentait l'Education de la Vierge par Ste Anne, environnée de différents personnages sacrés.

Les retables latéraux de l'église du monastère de Ste Paule renferment: le premier, une statue de Saint Jean Baptiste, un bas-relief du Baptême du Christ, deux anges présentant la tête du Précurseur dans un plat, ainsi que d'autres sujets qu'il serait trop long d’enumerer; le second, comprend S! Jean Baptiste assis, un medaillon figurant le Miracle de la chaudiere d’huile bouillante et dans les entre-colonne- ments, huit peintures se rapportant a ce saint.

Alonso Cano avait environ vingt-cinq ans lorsqu'il exécuta ces importants ouvrages; son talent atteignait ainsi du premier coup son apogée. Jamais son ciseau ne fut plus expert, plus ferme, son pinceau plus suave, plus chaud.

Sur ces entrefaites, en 1628, le père de notre artiste fut chargé de dresser les plans d'un grand retable destiné a l'église de Lebrija, petite ville située sur la route de Murcie a Alicante. L’année suivante, ses projets ayant été agréés et le traité qui en était la conséquence passé avec D" Diego Martinez, fondé de pouvoir de la fabrique de l'église, le constructeur se mit au travail. La mort vint sans doute l'arrêter, puisqu'en 1630, l'entreprise passa aux mains de son fils qui l’acheva six ans apres en 1636.

Le prix convenu et arrêté d'avance pour cet ouvrage avait été de 500 ducats; Alonso Cano en recut 250 en surplus, soit que des adjonctions aient été ultérieurement decidees, soit pour tout autre motif. .

Toujours est-il que cette derniere somme lui fut allouée, apres une expertise faite sur les lieux, par les sculpteurs Martinez Montafies, mandataire de notre artiste et Geronimo Velazquez, représentant de la paroisse de Lebrija.

La partie sculpturale de ce retable consiste en une statue de la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras, placée dans une niche, au-dessus du tabernacle, dont Palomino fait les plus grands éloges et en un Christ en croix, au milieu de l'attique, accompagné a droite et a gauche, des figures de Saint Pierre et de Saint Paul.

Malgré qu'en ait dit Ponz, dans son Viaje en España, ces différents morceaux, comme l'ensemble d'ailleurs du retable, n'ont pas ete peints, dorés et estofados par

P. Lafond. Alonso Cano 247

Alonso Cano lui-même, mais par Pablo Legato qui jouissait alors en Andalousie d'une véritable notoriété. C'est à ce dernier, que sont dus deux Apostolados célèbres à Séville: l’un, au palais archiépis- copal; l'autre, longtemps attribué à Herrera el Viejo, dans l'église de la Miséricorde.

Alonso Cano exécuta ensuite à Séville, plusieurs ouvrages qui mirent le comble à sa réputation.

Il peignit pour la paroisse San Martin, un Christ en croix, un Saint Etienne, un Saint Lau- rent, une Ascension et une Résurrection; pour la chapelle des Mercenaires déchaussés, une Sainte Anne avec la Vierge enfant; pour l'église du Mont Sion, une composition représen- tant le Purgatoire; mais non pas, comme le prétend Palomino, les peintures du grand retable qui sont de Juan de Castillo; il se pourrait néanmoins qu'il ait dessiné les plans de cet autel et même que les sculptures en aient été taillées sous sa direction.

La chartreuse de S' Maria de las Cuevas acquit à la fin du XVIIIe siècle de nombreuses toiles d’Alonso Cano; d'abord, huit scènes empruntées à l'Ancien Testament, dont elle décora les murs de son réfectoire: Adam et Eve chassés du Paradis terrestre; Adam travaillant et Eve élevant leurs enfants; la Mort d'Abel; Joseph et la femme de Putiphar; Le Sacrifice d'Abraham; David portant la tête de Goliath; L'archange Raphaël et Tobie; Jésus et la Samaritaine; puis, un tableau représentant la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras, assise sur des nuées, devant laquelle Saint Pierre et Sainte Claire sont agenouilles; enfin, un Christ en croix. On voit encore de lui, dans la chapelle de l'ancienne maison professe des Jésuites, transformée au XVIII siècle en Université littéraire, un Saint Jean Baptiste et un Saint Jean l'Evangéliste.

Les autres villes d’Andalousie tinrent, elles aussi, à posséder des ouvrages d’Alonso Cano. La chartreuse de Paular lui demanda un Saint Michel; la chartreuse

A. CANO: Le Christ en croix Madrid, Académie San Fernando O

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de Jerez, un Saint Pierre et un Saint Francois à qui un ange présente un verre d'eau; la cathédrale de Cordoue, une Annonciation et une Conception de la Vierge; l'église San Francisco de la même ville, un Ecce Homo.

Parmi ses sculptures, signalons à Séville trois statues de l'Immaculée Conception: une premiere, en pierre, jadis au-dessus du porche de la chapelle des Sceurs de la Conception; une seconde, en bois, sur le grand retable de l'église San Andres; une troisième, sur l'autel principal de l'église Sta Lucia; puis, un Saint Jean l’Evangeliste placé dans la chapelle des religieuses de Sta Ana.

Entre temps, notre artiste trouva le moyen d'avoir un duel avec le peintre Llanos y Valdes qui devait cependant avoir le tempérament pacifique et accommodant, car des élèves du terrible Herrera, c'est celui qui supporta le plus longtemps les rudesses et les emportements de son maitre.

Dans cette rencontre, Alonso Cano plus aguerri au maniement de l'épée que son adversaire, le blessa serieusement et se vit dans la necessite de quitter Séville en hâte. Il s'enfuit à Madrid; c'était en 1637 et trouva un refuge auprès de son ancien condisciple de l'atelier de Pacheco, Velazquez, tout puissant à la Cour, qui le présenta au comte-duc d’Olivares, dispensateur souverain des faveurs et au dominicain Juan Bautista Mayno, ancien maitre de dessin du roi, alors qu'il était prince des Asturies. Grace a ces hautes protections, il ne fut pas, ainsi que le prétend Palomino assez mal renseigné à son égard, comme on en aura d'autres preuves plus loin, nommé maestro mayor des palais royaux, dignité qui échut à Juan Gomez de Mora; mais il obtint le titre de peintre du roi et la charge de professeur de peinture de l'Infant D" Baltasar Carlos. Dans cette situation qui demandait tant de tact et de prudence, il ne sut maitriser sa nature et il traita son royal éléve avec si peu de menagements que l'héritier de la Couronne fut obligé de s'en plaindre a son père. Cela n'empêcha pas que vers la même époque, Alonso Cano fut chargé de la de- coration d'une partie du catafalque dressé dans l'église San Gil, lors des cérémonies de la Semaine Sainte; il prit part ensuite, à la construction de l'arc triomphal élevé à la porte de Guadalajara à l'occasion de l'entrée solennelle à Madrid, de la seconde femme de Philippe IV, l’archiduchesse d'Autriche Maria Ana qui avait antérieure- ment épouser son malheureux élève l'Infant D" Baltasar Carlos, si inopinement enlevé en quelques jours, à Saragosse.

Au milieu de ces succès, Alonso Cano eut cependant un déboire des plus sen- sibles. En 1643, il s'était rendu à Tolède pour briguer la place de maestro mayor de la primatiale des Espagnes, qui fut donnée le 13 Aout de la même année, a Felipe Lazaro de Gayti. Cela ne veut pas dire qu'il ne fut pas hautement apprécié dans la cité impériale, puisqu’en 1650, il y fut appelé pour donner son opinion sur l'Ochava que l'on venait d'élever dans la basilique métropolitaine; témoin surtout le Saint Bernard et la Vierge qu'il peignit pour le grand retable de la chapelle du convent des capucins de l'antique cité, qui fait partie aujourd'hui de la collection laissée par l'Infant D" Sebastien de Bourbon à ses héritiers.

D'un dessin impeccable, d'une coloration blonde, vaporeuse, exquise, dont rien ne peut donner une idée, cette composition, au moins naïve, montre sur un autel des

P. Lafond. Alonso Cano 249

plus simples, une statue de la madone, l'Enfant Jésus dans les bras, aussi pres de la réalité que possible, telle que l'on comprend ces figurations de l'autre côté des Pyrénées, s'animant et pressant son sein d'où jaillit une fusée de lait qui s'en va tomber dans la bouche entrouverte du Saint agenouillé en avant. Malgré l'étrangeté du sujet, il est impossible d'imaginer plus de noblesse et plus de dignité dans l'attitude et l'expression du fondateur des Do- minicains, plus de vérité et de grandeur dans les draperies de son froc.

Nous sommes au temps ou Alonso Cano produisit ses plus nombreux ouvrages, tant en pein- ture qu’en sculpture.

Il peignit d'abord plusieurs toiles pour la célèbre église de San Isidro el Real de Madrid: une Vierge avec l'Enfant Jésus dans les bras; un Saint Ignace placé à l'entrée de l'oratoire du Bon Secours; un Couronnement de Marie et divers Saints dans la chapelle de l'Immaculée Con- ception; enfin il exécuta pour le grand retable, une Vierge Imma- culée, reléguée depuis, dans une des pièces de la sacristie et rem- placée sur l'autel par une statue de la Mère du Christ triom- phant, de son élève Josef de more . A. CANO: La Vierge et l'Enfant Jesus

Il ne faudrait pas confondre ` Cathédrale de Seville DO la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras, de San Isidro el Real, avec celle du musée du Prado cataloguée sous le titre de la Vierge adorant son divin fils, dont la grande collection madriléne possède une copie ou une variante provenant du musée de Fomento bien inférieure à la première. Dans cette composition, la jeune mère, son abondante chevelure tombant sur les épaules, la tête nimbée d'une couronne d'étoiles, vêtue d'une robe rose recouverte d'un manteau bleu, assise sur une éminence dans la campagne, porte dans ses bras son fils qu'elle contemple amoureusement. En plus de ses qualités habituelles, Alonso Cano témoigne ici d'une pureté d'expression et d'une simplicité de sentiment rares dans l'école espagnole. | Poursuivons la revue des travaux du maître à Madrid. Il exécuta encore pour l'église de Santiago, un Bon Pasteur placé alors sur la porte du Sagrario et un Saint

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Francois a qui un ange présente un verre d’eau, sur un des retables collateraux. Depuis longtemps l'ange a disparu; mais comme l'artiste avait déjà traité ce sujet pour la chartreuse de Jerez, la toile de l'église de Santiago ne pouvait être qu'une variante de celle du monastère d’Andalousie. Il peignit pour l'église San Gines, une Annonciation, un Saint Joseph et le Christ assis sur une pierre au Gol- gotha, accompagné de sa mère, de la Madeleine et de l'apôtre bien aimé, attendant qu'on ait dressé le gibet; c'est la une de ses compositions les plus émotion- nantes et les plus parfaites.

De la même époque date pro- bablement l’energique Saint Jérôme nu, un crucifix dans les mains, priant dans le désert, tandis qu'un ange des- cendant du ciel fait vibrer à son oreille la trompette annonçant le Jugement dernier. Cette toile, d'une puissance rare dans l'œuvre d’Alonso Cano, se trouve au musée du Prado qui a aussi recueilli un petit Christ ala colonne, peint pour le couvent des Carmes et transporté, à la fin du XVIIIe siècle, à l'Escurial. Fort beau, d'une ordon- nance noble et simple, d'un coloris chaud et vigoureux, il n'est que la première pensée d'un plus grand, de dimensions à peu près nature, retrouvé A. CANO: L'Immaculée Conception par un amateur aux environs de Cadiz, Cathédrale de Grenade O depuis quelques années au musée de

Pau. Il montre le fils de Dieu, n'ayant pour tout vêtement qu'un linge autour des reins, attaché au pied d'une colonne, les mains ramenées derrière le dos, la tête retombant sur la poitrine; en avant, au milieu de taches de sang, sont étalés sur le sol les vétements du divin martyr.

A côté du Christ à la colonne, il convient de faire une place au Christ mort, étendu sur une pierre, qu'un ange à l'expression douloureuse embrasse de ses ailes éployées. Cette toile, une des plus accomplies du maitre, jadis au Palais royal de Madrid, est aujourd'hui au musée du Prado. C'est encore dans la grande galerie nationale espagnole que se trouve le Saint Benoit, provenant aussi du Palais royal, où, selon Cean Bermudez, il se trouvait dans la sacristie de la chapelle. Le fameux fondateur de l’abbaye du Mont Cassin est représenté à mi corps, en robe sombre, les mains devotement croisées sur la poitrine, devant une table sur laquelle sont posés un crucifix et la crosse abbatiale; en extase, il contemple le signe divin apparaissant en haut à droite, dans une gloire resplendissante, terminée par un globe environné d’anges. |

P. Lafond. Alonso Cano 251

C'est sans doute comme peintre du roi qu’ Alonso Cano brossa les deux toiles, encore au Prado, antérieurement dans la salle des portraits de l'ancien Alcazar de Madrid, qu'on a prétendu être les effigies plus ou moins fantaisistes des anciens rois goths de Tolède. Pour notre part, nous serions plutôt disposés à retrouver dans ces personnages des fous ou des bouffons de Cour, déguisés en souverains.

C'est encore pendant son séjour à Madrid, que le maitre peignit pour l'église San Miguel, une Sainte Cathe- rine disparue en 1750 et pour les Carmes pénitents, dont il a déja été question à propos du Christ a la colonne, une Madeleine dont on a également perdu la trace. Cest aussi a la méme époque qu'il entreprit la décoration picturale de l'église de Getafe, petite ville voisine de la capitale, figurant divers épisodes de la Vie de la Madeleine, ainsi que d'autres toiles consacrées à l'En- fance du Christ et à la Vierge de la Paix, brossées pour le même sanctuaire. Il exécuta en- core pour l'église St Philippe de Néri de Cuenca, une Naissance du Christ et une Sainte Tri- nité; pour le chœur de la cha- pelle des Carmélites déchaussées d'Avila, un Christ à la colonne, digne de ses ainés; pour l’église San Diego d’Alcala de Henares,

; à i A. CANO: La Vierge au rosaire un Saint Francois et un Saint palais archiépiscopal de Grenade O

Antoine, ce der nier laissé inachevé fut fini par Bartolome Roman. Tous deux ont été transferes au ministère de Fomento.

D’autres peintures d'Alonso Cano ont trouvé place à l'Académie San Fernando: un quatrième Christ à la colonne, variante de ceux dont il a été question et peut être le meilleur de tous; un Christ en croix, d'une construction impeccable noble et douloureux; un Christ mort dans les bras de sa mere, le groupe pitoyable, rejeté a l'extrémité droite de la toile s'enlevant sur un ciel lugubre, d'un effet dramatique des plus puissants; un Jésus, l'Agneau pascal dans les bras plus grand que nature, qui étonne un peu dans les salons de l'Académie, mais qui devait faire un tout autre effet au sommet du retable duquel il a du être enlevé; une Mort deSaintBruno, montrant le fondateur des Chartreux sur sa couche mortuaire, que n'aurait pas

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desavoue notre Lesueur; enfin une Vierge noire, assise sur un tröne au milieu de rochers, qu'entourent des moines en adoration, des musiciens en surplis coupés a mi- corps, jouant de divers instruments ou chantant. Cette dernière composition d'une ampleur magistrale, est superbe de noblesse et d’expression.

En fait de sculptures, citons un Christ en croix, pathetique et douloureux, un chef d'œuvre, exécuté pour la chapelle des Bénédictins de Montserrat.

Est-elle de lui la statue d'Elie que l'on voit à Tolède, dans l'église de San Tome c'est douteux, quoique cette noble ef majestueuse figure de prophète assis et endormi, la barbe et les cheveux longs, vétu d’une ample robe laissant passer les pieds nus, soit des plus remarquables.

Signalons, en Allemagne, a la Pinacotheque de Munich, une toile fort impor- tante: Sant Antoine de Padoue recevant la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras; a la Pinacotheque de Dresde, un Saint Paul apötre; au musée de Berlin, une belle figure de Sainte Agnes; en Russie, au musée de l'Ermitage, une Madone et un Enfant Jésus. A Londres, dans la galerie de Grosvenor House, se trouve un Saint Bernard tenant l'Enfant Jésus, dont Murillo, selon Louis Viardot, n'a pas de- passé l'admirable couleur; en Ecosse, au musée de Glasgow, une Vierge triomphante.

A la vente Salamanca qui a eu lieu a Paris, à l'hotel Drouot, au commence- ment de l'année 1875 il a été attribué à Alonso Cano un paysage accidenté d'un très beau caractère dont nous n'oserions cependant pas affirmer l'authenticité.

La femme d’Alonso Cano fut trouvée en 1645 morte dans son lit, criblée de coups de couteau. Palomino sur la foi de racontars plus ou moins suspects à lui rapportés, en 1700, par les héritiers de D" Rafael Sanguineto, prétend que l'artiste fut accusé de ce crime. Les soupçons seraient d'abord tombés sur le modèle ordinaire du maitre, un italien, puis sur le maitre lui-même, épris d’une autre femme. Il aurait alors précipitamment quitté Madrid pour se réfugier au monastère de Porta Coeli. près de Valence, il aurait exécuté de nombreux travaux.

En quittant plus tard le couvent valencien, croyant l'affaire assoupie, il serait tombé dans les mains de la justice et aurait été soumis à la torture; mais, sur l'ordre de Philippe IV, on aurait épargné sa main droite; cette main avec laquelle il tenait le pinceau et maniait l'ébauchoir. D” Jose Pellicer, dans ses Annales, fait mention de ce proces criminel, qui d'après lui, aurait eu lieu en 1644, un an avant la date donnée par Palomino pour celle du crime et dit que le malheureux Alonso Cano, malgré son innocence, subit la torture.

Qu'y a-t-il de vrai dans tout cela? Il est bien difficile de le savoir. D" Lazaro Diaz del Valle qui connut l'artiste et donne des détails circonstanciés sur sa vie, ne dit rien de cette grave affaire. Cean Bermudez de son cöte, si meticuleux et si renseigné d'ordinaire, assure n'avoir, malgré toutes ses recherches, trouvé aucune trace de ce procés criminel qui, selon lui, n'est très probablement qu'une fable.

Ce qui est hors de conteste, c'est le mauvais caractère d'Alonso Cano, sa hauteur, son orgueil, son manque de sociabilité, témoin sa condamnation à une amende d'une centaine de ducats, en 1647, pour s'être refusé en qualité de major- dome de la hermandad des peintres de Notre Dame des Douleurs, établie dans le

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collège San Tomas, d'assister à la tête de sa confrérie, à la procession de la Semaine Sainte, en compagnie des alguaziles du roi et des argentiers de la Cour. Remarquons, qu'il eût été tout au moins étrange a moins que ce ne fût un hommage rendu que trois ans seulement aprés avoir subi la torture pour un crime d'assassinat, Alonso Cano se fût trouvé président d’une association d'artistes, honneur des plus apprecies et des plus prisés. Ce refus d’assistance du maitre a cette proces- sion dont nous venons de parler, fut la source de démélés et de proces sans nombre. Alonso Cano, il convient de le re- connaitre, ne fut, en la circonstance, que le défenseur des droits et des prerogatives de ses confréres, se refusant a étre confondus avec des artisans ou des agents subalternes. D'ailleurs, cette question de la di- gnité de l'art, déjà défendue par le Greco, soutenue depuis par Matias de Toros, Josef Donoso, Vicente Carducho et même encore, au XVIIIe siécle, par Luca Giordano, fut tou- jours consideree comme primordiale par les artistes espagnols.

Mais, revenons en arriére pour nous occuper des travaux d’Alonso Cano a Valence. Ils consistent en peintures et en sculptures disse- minees dans divers édifices religieux de la ville, particulierement dans la chartreuse de Porta Coeli qui a A. CANO: Portrait d’un Dominicain O renfermé jusqu’a sept toiles de lui Aranjuez, anc. coll. de Don Sebastien de Bourbon des plus importantes, tant pour leurs dimensions que pour leur mérite: L'Enfant Jésus entouré de Séraphins, Saint Jean Baptiste, Saint Jean l'Evangéliste, Le Christ en croix, Le Christ à la colonne, sujet particulièrement affectionné par l'artiste, puis les portraits d'une vénérable carmélite et d'une certaine Inez Moncada qui vécut dans le désert. Le Saint Jean l'Evangé- liste de la chartreuse de Porta Coeli est-il le mème que le Saint Jean à Pathmos, aujourd'hui au musée du Prado? D" Pedro de Madrazo, le savant rédacteur du catalogue de la galerie nationale espagnole le suppose, sans cependant l'affirmer. Il a raison d'en rester aux conjectures, car Alonso Cano, comme nombre d'artistes espagnols, s'est souvent répété. Dans la composition du Prado, le Saint parvenu a un âge avancé, est représenté dans l'île de Pathmos, assis sur un rocher, en train d'écrire son célèbre Apocalypse, les yeux levés vers le ciel apparait la femm poursuivie par le dragon à sept têtes. |

Alonso Cano peignit encore à Valence, un Baptême du Christ ur Sainte

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Trinité, pour le grand autel de l'église San Juan de la Ribera; un Saint Vincent préchant, pour un des retables latéraux de l'église sous le vocable du Saint séra- phique. Il tailla aussi dans le bois un magnifique Crucifix, de grandeur naturelle pour la paroisse del Socos. C'est toujours de Valence que provient le Christ en croix, de dimensions reduites, avec un buste de la Vierge, au pied du gibet, incon- testablement du maitre, faisant aujourd'hui partie de la collection d'un amateur de Toulouse. Enfin, le musée provincial de Valence a recueilli d’Alonso Cano une tres belle toile représentant le Crucifiement et une seconde, moins importante, un En- fant Jésus.

L'âge et le besoin de tranquillité qui en est la conséquence ordinaire il ap- prochait de la cinquantaine deciderent Alonso Cano 4 solliciter un benefice du chapitre de la cathedrale de sa ville natale.

La prétention de prime abord semble étrange, surtout chez un homme qui a été accuse d’avoir assassine sa femme et a peut-étre méme a ce propos subi la torture; mais il ne faut pas oublier que le crime est loin d’avoir été prouve; puis vu les mœurs du temps, l'ambition du maitre est moins étonnante qu'elle ne le parait.

Une charge de musicien était vacante au chapitre de la metropole, notre artiste n'eut pas de peine a faire admettre aux chanoines qu'il y aurait tout avantage pour l'église, à donner cette place à un artiste d'un autre genre qui s'occuperait plus utile- ment de l'ornementation et de la décoration de la basilique et qu'en sa qualité d'architecte, de sculpteur et de peintre, il remplirait à merveille cette triple fonction. Les chanoines n'ignorant pas ses mérites et trouvant son raisonnement juste, le pré- sentérent en conséquence à l'agrément du souverain qui, par une ordonnance royale du 11 Septembre 1651, l'accepta à condition qu'il se fit ordonner dans l'année.

Le 20 Mars suivant, Alonso Cano prit possession de son canonicat. Il établit même son atelier dans le premier étage de la tour de la cathédrale. Le chapitre l'avait dispensé de l'assistance journalière au chœur a part bien entendu, les jours fériés pour ne pas mettre d'entraves a ses travaux.

On ne sait pourquoi, sans doute par suite de son caractere atrabilaire, l'année s'écoula sans que le nouveau dignitaire de la cathédrale de Grenade eit recu les ordres. Usant de patience, les chanoines lui octroyerent un second délai, mais comme Alonso Cano s’entetait et ne témoignait pas la moindre intention de se faire recevoir même sous-diacre, le chapitre se facha et demanda à Philippe IV de déclarer la place libre. Le roi, par une cédule du 29 Aout 1659, décida que si le prébendé récalcitrant ne se soumettait pas dans un délai très court, le poste serait déclaré vacant. Alonso Cano nett pas été Alonso Cano s'il se fût soumis, il s’obstina et la vacance fut déclarée. Ce résultat, auquel il eût cependant bien s'attendre, le surprit et lat- terra. Il s'en prit au provisor de la cathédrale qui lui répondit que sa mauvaise vo- lonté était cause de tout et que l'on allait même sans délai pourvoir à la place re- devenue libre. Il comprit qu'il n'y avait plus à tergiverser et se mit en quête d'un évêque qui voulut bien lui confèrer les ordres sacrés. Après ce qui lui était arrive, c'était difficile, beaucoup s'y refusèrent, enfin, l'évêque de Salamanque qui le con- naissait et n'ignorait pas que son cœur valait mieux que sa tête, consentit à l'or-

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donner sous-diacre. Par une nouvelle cédule royale du 14 Avril 1658, il rentra en possession de sa prébende avec les arrérages échus du jour de sa premiere instal- lation et en jouit depuis lors jusqu'à son dernier jour. Son activité ne se ralentit pas dans cette stalle de chanoine que d’aucuns auraient pu considerer comme une retraite. Il travailla au contraire plus que jamais, sans étre pour cela devenu plus calme et plus pacifique. En voici une preuve: dans un différent avec un Auditeur de la chancellerie, au sujet du paiement d'une statuette de St. Antoine de Padoue que celui-ci lui avait com- mandée, il jeta violemment son œuvre par terre, la piétina et la réduisit en miettes plutôt que de la lui livrer. De son installation définitive dans son canonicat datent de nombreux ouvrages, disséminés de tous côtés dans sa ville natale, qui peuvent être mis au nombre de ses meilleurs. Passons d’abord en revue les peintures. Ce sont, dans la cathédrale d'abord, sept grandes compositions qui décorent le chœur: La Conception, la Présentation, la Nativité d'un côté; la Visitation Ja Purification et Ascension de l'autre, avec ] An- A. CANO: Saint Bruno nonciation au milieu; puis, quatre plus petites placées Chartreuse de Grenade p sur l'autel lateral de Jésus Nazareen, figurant: La Voie douloureuse, Saint Au- gustin, Jesus et sa Mere; dans la chapelle de la Trinité, se trouve: Le Père éternel soutenant sur les genoux, son fils mort; dans une des sacristies, une Immaculée Conception. Le palais archiépiscopal ren- ferme une Vierge au rosaire, l'Enfant Jésus dans les bras. Il peignit pour la chapelle del Angel, des religieuses franciscaines, une vingtaine de toiles qu'il serait trop long d’enumerer ici, consacrées à la Vie de la Vierge, dont huit de grandes dimensions. Il brossa pour l'église San Diego plusieurs compositions hors de pair parmi lesquelles une Immaculée Conception entourée d'anges et de chérubins tient le premier rang; pour l’église des Augustins, un superbe Ecce Homo; pour celle des Carmes dé- chaussés, un Saint Jérôme et une Madeleine; pour la chapelle de la Chartreuse, une autre Madeleine; enfin pour l'église Ste Catherine de Zafra, quatorze toiles représentant le Sauveur et les Douze Apôtres que A. CANO? St François d'Assise Cean Bermudez ne craint pas de mettre en parallèle Musée de Agen a avec les productions de Paul Veronèse.

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Mais arrêtons cette énumération qui deviendrait fastidieuse et passons aux sculptures.

La cathédrale en renferme de nombreuses, d'abord: deux têtes plus grandes que nature d'Adam et d’Eve; puis, les bustes des plus expressifs, taillés en plein bois de chêne et peints, de Saint Jean Baptiste et de Saint Paul; une Vierge au rosaire au haut du grand lutrin; enfin dans la sacristie, les statues de l'Immaculée Con- ception et de la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras.

Sur la porte de la chapelle del Angel il placa un très délicat Ange Gar- dien; à la Chartreuse se trouvent une Vierge avec l'Enfant Jésus, une Immaculée Conception, sujets fréquemment répétés par l'artiste et un Saint Bruno debout, sur un rocher, revétu du froc et du manteau de son ordre, le capuchon rabattu sur le cou, les mains jointes sur le haut de la poitrine, une mince couronne de cheveux autour du crâne, l'air extatique, les yeux levés vers le ciel, la bouche légèrement entrouverte. C'est là, très certainement, une des plus nobles créations de la statuaire espagnole.

Signalons ensuite, dispersés dans les édifices religieux de Grenade: un Saint François de Paule contemplant un crâne qu'il tient dans la main droite, la main gauche ramenée vers la poitrine, debout, en longue robe serrée à la ceinture par une cordelière, aux manches bouffantes jusqu'aux coudes, étroites jusqu’ aux poignets, la tête tournée de gauche à droite, longue, chauve à la barbe en pointe; une Made- leine pénitente, les cheveux épandus sur les épaules, une croix de bois grossière dans la main droite, un crâne sur un rocher à ses côtés; enfin un petit Saint Antoine de Padoue d'un demi mètre environ de hauteur, en costume de capucin. Ce dernier serait l'œuvre la plus exquise et la plus délicate de l'auteur si l’on ne connaissait son fameux Saint François d'Assise, trop célèbre pour qu'il soit utile de le décrire, figure ascetique de moine enveloppée dans un froc grossier, cousu d'innombrables pièces d'un aspect si saisissant et si profondément religieux. Ce morceau hors de pair est assurément antérieur aux années 1662—1663, époque à laquelle Pedro de Mena tailla son Saint François d'Assise du trésor de la cathédrale de Tolède, inspiré par celui de son maitre et qu'a popularisé en France, la copie qu'en a faite Zacharie Astruc. De ces figurations de Saint François d'Assise, il convient de rapprocher une statuette du fondateur de l'ordre séraphique, faisant à Paris partie de la collection du peintre Ignacio Zuloaga; une seconde, décorant à S! Jean de Luz, l'oratoire de D" Tirso de Olazabal; enfin, une dernière statuette de religieux franciscain, au masque de nègre, léguée au musée d'Agen, par le comte de Chaudordy, qui semble bien devoir être donnée à Alonso Cano.

Appelé à Malaga pour décorer le chœur de la cathédrale, Alonso Cano peignit d'abord un grand tableau de la Vierge au rosaire, assise sur un trône, au milieu d'une Cour de saints et de saintes; mais estimant que son ouvrage n'était pas apprécié a sa juste valeur, il s'en tint et refusa obstinément, malgré les instances les plus pressantes, de continuer l'œuvre commencée.

Citons aussi de lui, une délicate statue de l'Immaculée Conception, posée sur la porte principale de l'église de l'Incarnation.

P. Lafond. Alonso Cano 257 Encore a Malaga il brossa pour le compte de D" Andres Cascantes, chanoine- chantre de la cathédrale de Séville, le beau tableau de la Vierge l'Enfant Jésus dans les bras, place dans cette merveilleuse basilique. L’eglise San Nicolas de Murcie montre une œuvre sculpturale du maitre d'un charme et d'une élégance ex- quises, c'est un Saint Antoine de Padoue au- dessous duquel on lit lin- scription que voici:

»A Devocion del Ilustri- simo señor D" Alonso de San Marti, abab de Alcala la Real, el racionero Alonso Cano faciebat. Granada.« Cest-a-dire —. Fait a Grenade par le chanoine Alonso Cano, aux frais et débours de D" Alonso de San Marti, abbe de Alcala la Real.«

Epris avant tout de re- alite ainsi que tous ses compatriotes, comme il a déjà été dit et redit; Alonso Cano fut un portraitiste de premier ordre ommec

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A. CANO: Saint François d'Assise > Jean de Luz, coll. de Don Tirso de Olazabal

en temoignent les rares effigies sorties de son

A. CANO: Saint Francois d'Assise Paris, coll. de Don. Ign. Zuloaga O

pinceau, toutes d'une jus- tesse de coup d'œil, d'une habileté de main, d'une perfection d'éxécution dignes de Velazquez et de Zurbaran. Comme eux, il poursuit ses modèles jusqu'au tréfond de leur être, ne négligeant rien de ce qui explique leur tempérament, n'oubliant rien des indications physionomiques.

Les deux portraits de femme, peints par lui a la chartreuse de Porta Celi, que nous avons déjà cités, ont disparu; mais, à défaut de ceux-ci, il reste celui de D" Fr. Antonio Enriquez, évêque de Malaga, dans le chœur de l'église Ste Domingo de cette ville; le sien propre, est-ce le même qui se trouvait jadis chez le marquis de Javalquinto? ayant fait partie de la galerie du duc de Montpensier, au palais de San Telmo à Séville: celui du célèbre poëte dramatique Calderon de la Barca, de l'ancienne collection du roi Louis Philippe, dispersée au feu des enchères à Londres, enfin, le portrait d’un moine dominicain appartenant au duc d'Ansola et provenant de la galerie de son grand père l'Infant D" Sebastien de Bourbon. Ce gros moine, si éclatant de santé, aux chairs rebondissantes, au triple menton aux plis graisseux, aurait peut être, en France, patrie de Rabelais et de Lafontaine, prêté à quelque

258 Monatshefte für Kunstwissenschaft

ironie; il n'en a rien été dans sa patrie; le maitre espagnol l'a rendu et interprété avec une rare noblesse, ne voyant que l'âme sous cette enveloppe grossière. Quelle lumière chaude et vaporeuse, quelle entente des valeurs décelée par la blancheur du capuchon faisant valoir les tonalités vives du visage apaisées par les teintes du froc.

On a accusé Alonso Cano de s'être beaucoup servi d’estampes pour l’arrange- ment de certains de ses ouvrages. L'imitation des gravures burinées d'après les compositions des autres maîtres était, il faut bien en convenir, asses fréquente chez les artistes de son temps, mais nous ne croyons pas quon puisse le lui reprocher plus qu'à nombre de ses contemporains.

Nous ne nions pas que son Saint Jean à Pathmos rappelle un peu le Saint Jérôme de J. Ribera; sa Madeleine avec le Christ de la galerie Estherhazy de Vienne et sa Marie Madeleine de la chapelle San Miguel de Grenade, le Noli me tangere de Corrège, du musée du Prado; son Christ mort, la toile de Paul Veronese sur le même sujet de la galerie de l'Ermitage de St Petersbourg; sa statue de la Vierge de la Soledad, celle d'une si sublime expression de Becerra; mais ce ne sont peut-étre la que des rapprochements involontaires, conséquence de sujets analogues, et, apres tout, Alonso Cano, comme notre Moliere, a-t-il pris son bien il l'a trouvé. Toujours est-il que c'est de notre temps seulement, que l'idée a pu venir de lui en tenir rigueur.

Peu d'artistes ont montré autant de conscience et de soin que lui, dans la preparation de leurs ouvrages. Jamais il ne livra un plan d’architecture, ne brossa une toile, ne modela une statue, sans avoir exécuté préalablement de nombreux des- sins, exquisses ou projets. Il est de toute l'école espagnole le maitre qui a laissé le plus grand nombre de croquis, la plupart a la plume, sur papier blanc rehausse de teintes de lavis. Ces dessins n'en sont pas moins fort rares aujourd'hui.

En ce genre, le musée du Louvre montre un projet de retable a la plume, lavé de bistre, provenant de la collection Standish, comprenant les quatre figures allégoriques de la Force, la Douceur, la Charite et la Foi; les deux premières assises sur l’archivolte qui surmonte l'autel et les deux autres, sur les frontons qui les couronnent.

La célèbre collection Malcolm d'Oxford en possède deux, également a la plume et au bistre, ayant fait partie de la galerie Robinson et provenant des cartons du peintre espagnol Madrazo. Le premier, cintre par le haut, portant au bas d'une ancienne écriture »de mano de Alonzo Cano« représente la Vierge donnant la chasuble a S! Ildefonse; le second, la Vierge les bras levés, enveloppée de longues draperies flottantes, montant au ciel, portée par une troupe d’anges et de cherubins ailés, premiere idée d'une composition fréquemment répétée par l'artiste.

Alonso Cano mourut a Grenade, non pas en 1676 comme le prétend par erreur Palomino, mais le 5 Octobre 1667, après avoir fait son testament devant le notaire royal Pedro de Urrea. Il s'éteignit doucement avec les secours de la religion, mais en donnant en même temps un dernier témoignage de son amour pour la beauté. Comme on lui présentait un crucifix à baiser, le trouvant laid, il le

P. Lafond. Alonso Cano

259

repoussa et s'en fit composer un de deux bouts de bois réunis qu'il tint devotement

dans ses mains jusqu'à son dernier soupir.

Alonso Cano fut inhumé dans le cimetière des prébendés de la cathédrale. Le maitre laissa de nombreux élèves qui honorerent grandement l'école de

Grenade dont Pedro de Moya et lui sont les protagonistes.

Parmi les principaux

disciples d’Alonso Cano il nous faut citer, pour la sculpture: Pedro de Mena, Diego et Josef de Mora et Jose Risuefio; pour la peinture: Alonso de Mesa, Miguel Geronimo Cieza, Sebastian de Herrera Barnuevo, Pedro Atanasio Bocanegra, Ambrosio Martinez,

Sebastian Gomez, Juan Nufio de Guevara.

oo loro

Signature de l'artiste

ESSAI DE CATALOGUE DE L'ŒUVRE D’ALONSO CANO 1) I. PEINTURES

1. Adam et Eve chassés du Paradis terrestre Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Seville.

2. Adam travaillant la terre et Eve élevant leurs enfants. Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Seville.

3. Adam et Eve après le péché. Coll. de Sir John Stirling Maxwell. Angleterre.

4. Les Ames du Purgatoire? Musée de Séville.

1) Ce catalogue est loin d’ötre definitif; ainsi que son titre l'indique, il n'est qu'un simple essai de liste des productions du maitre. Il mentionne nombre de peintures et de sculptures qui a un moment donné ont figuré dans

des églises, chapelles, édifices religieux et autres, `

elles ne se trouvent plus aujourd'hui; soit, qu'elles aient été détruites, égarées ou transportées ailleurs, le plus ordinairement dans des collections publiques parfois elles sont désignées, sons des attributions erronnées. Ce travail n'a qu'un but, donner un premier aperçu approxi- matif de l'œuvre d’Alonso Cano.

Explication des Abréviations employées dans cet Essai de catalogue: H. Hauteur. L. Largeur. Fig. = Figure. Gr. nat = Grandeur naturelle. P. nat" = Petite nature. Demi nat" = Demi nature. Ancienn' = Anciennement. Anc. = Ancienne. Coll. = Collection. ? = Attribution incertaine.

5. L’Ane de Balaam. Anc. Coll. du roi Louis Philippe.

6. L'Ange Gardien. Eglise del Angel. Monjas Franciscanas. Grenade.

7. L’Annonciation. Cathédrale de Cordoue.

sacristie.

8. L’Annonciation. Eglise San Gines. Ma- drid.

9. L'Annonciation. Fig. gr. natre. Cathé-

drale de Grenade.

10. Apparition de Saintes à un religieux do- minicain. Musée del’Ermitage. St Petersbourg.

11. Apostolado-en treize tableaux. Fig. gr. natre à mi corps. Eglise Sta Catalina de Zafra. Monjas dominicanas. Grenade.

12. L’archange Raphaël et le jeune Tobie. Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville.

13. L’Ascension. de Grenade.

14. L'Ascension. Anciennt Eglise San Martin. Séville.

15. L’Assomption. Londres.

16. L'Atelier de St Joseph. Anc. Coll. Aguado. Paris.

17. Le Baptéme du Christ. de la Ribera. Valence.

Fig. gr. natre. Cathédrale

Collection Fred. Cook.

Eglise San Juan

260

Monatshefte für Kunstwissenschaft

18. Le Bon Pasteur. Anciennt Eglise San- tiago. Académie San Fernando. Madrid.

19. Le Christ. Eglise del Angel. Monjas fran- ciscanas. Grenade.

20. Le Christ assis sur une pierre, a la montée du calvaire accompagné de la Vierge, de St Jean et de la Madeleine, attendant que l'on dresse le gibet. Eglise San Gines. Madrid.

21. Le Christ en croix. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville.

22. Le Christ en croix. Eglise del Carmen Descalzado. Madrid.

23. Le Christ en croix. h. 2,21—I. 1.07-toile. Fig. de gr. natre. Anciennt Eglise San Martin. Musée de Fomento. Madrid.

24. Le Christ en croix. Anciennt Chartreuse de Porta Coeli. Valence.

25. Le Christ en croix. Valence.

26. Le Christ en croix. Peut-étre Anciennt Eglise des Bénédictins de Montserrat. Académie San Fernando. Madrid.

27. Le Christ mort. Peut-être Anciennt Eglise San Martin de Séville. Musée de Lyon.

28. Le Christ mort. Cathédrale de Grenade.

29. Le Christ et la Vierge assis et conversant, domines par un Ange. Eglise del Angel. Grenade.

30. Le Christ a la colonne. Peut-étre An- ciennt Eglise des Carmelites d'Avila. Académie San Fernando. Madrid.

31. Le Christ à la colonne. h. 0,41—1. 0,27-toile. Fig. demi natre. Anciennt Eglise del Carmen Delcalzado. Musée du Prado. Madrid.

52. Le Christ a la colonne. Anciennt Char- treuse de Porta Coeli. Valence.

33. Le Christ à la colonne, chapelle des Calices. Cathédrale de Séville.

34. Le Christ à la colonne. h. 1.65—l. 1,03- toile. Fig. gr. natre. Musée de Pau.

35. Le Couronnement de la Vierge. San Isidro el Real. Madrid.

36. David portant la téte de Goliath. Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville. |

Musee provincial.

Eglise

37. Ecce homo. Eglise San Francisco. Cordoue.

38. Ecce homo. Eglise des Augustins chausses. Grenade.

39. L’Enfant Jesus. Musée provincial. Valence.

40. Enfant endormi. Eglise del Angel. Grenade. 41. L'Enfant Jesus et le petit St Jean. Musée de l'Ermitage. St-Petersbourg.

42. L'Enfant Jésus entouré d’archanges et de séraphins. Anciennt Chartreuse de Porta Coeli. Valence.

43. Evéque donnant la communion ä une jeune fille. Anc. Coll. Soult. Paris.

44, L’Immaculée Conception. Cathédrale de Cordoue.

45. L'Immaculée Conception. Isidro el Real. Madrid.

46. L'Immaculée Conception. Grenade.

47. L'Immaculée Conception. Grenade.

48. L'Immaculée Conception. Diego. Grenade.

49. L'Immaculée Conception accompagnée d'anges et de séraphins. Eglise San Diego. Grenade.

50. Jésus remettant les clés à Saint Pierre. Anc. Coll. Aguado. Paris.

51. La Jeunesse du Christ en plusieurs tableaux. Eglise paroissiale de Getafe.

52. Jésus mort soutenu par un ange h. 1,78— I. 1,21-toile. Fig. gr. natre. Anciennt Palais— royal. Musée du Prado. Madrid.

53. Jésus et la Samaritaine. Fig. p. natre. Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville.

Eglise San Cathédrale de Cathédrale de

Eglise San

54, Joseph et la femme de Putiphar. Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Seville.

55. La Madeleine. Casino del Rey. Escurial.

56. La Madeleine. Eglise del Carmen Calzado. Grenade.

57. La Madeleine. Fig. a mi corps. Anciennt Chartreuse de Grenade.

58. La Madeleine au desert. Angel. Monjas Franciscanas. Grenade.

59. La Mort d'Abel. Fig. p. natre. An- ciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville.

60. La Madeleine pénitente. Anc. Coll. Aguado. Paris.

61. Le Martyre de Saint Sebastien. Coll. Aguado. Paris.

62. Mort de St Bruno. Fig. en pied de gr. natre, Académie San Fernando. Madrid.

63. La Naissance du Christ. Fig. en pied de gr. natre. Eglise St Philippe de Neri. Cuenca.

64. La Nativité. Fig. gr. natre. Cathédrale de Grenade.

65. Noli me tangere. Anciennt Collection Estherhazy. Musée de Buda-Pesth.

Eglise del

Anc.

P. Lafond. Alonso Cano

261

66. Paysage accidenté? h. 0,45—1. 0,63-toile. Anc. Collection Salamanca. Madrid.

67. Le Pere Eternel soutenant son fils mort dans les bras. Cathédrale de Grenade.

68. La Purification. Cathédrale de Grenade.

69. Portrait de l'auteur. Anc. Collection de Javalquinto. Madrid.

70. Portrait de l’auteur. Anciennt Collection du duc de Montpensier. Palais de San Telmo. Séville.

71. Portrait de Calderon de la Barca. Collection du roi Louis Philippe.

72. Portrait d'une Carmélite. Anciennt Char- treuse de Porta Coeli. Valence.

73. Portrait d'un Dominicain. ‘h. 0,72—1. 0,60- toile. Fig. en buste de gr. natre. Anc. Collection de Dn Sebastien de Bourbon. Aranjuez.

74. Portrait de Dn Fr. Antonio Henriquez évéque de Malaga. Eglise Sto Domingo. Malaga.

75. Portrait de Iñez Moncada. Anciennt Char- treuse de Porta Coeli. Valence.

76. La Présentation au Temple. de Grenade.

77. Le Purgatoire? h. 0,51 —1. 1,22 bois. Peut-étre Anciennt Eglise du Mont Sion. Musée provincial de Séville.

78. La Purification.

79. La Résurrection. Martin. Séville.

80. Le Rosaire. Anc. Coll. Lebrun. Paris.

81. Un roi Goth. h. 1,65—I. 1,25-toile. Fig. en pied de gr. natre. Musée du Prado. Madrid.

82. Deux rois Goths. h. 1,65—1. 2,27-toile. Fig. en pied de gr. natre Musée du Prado. Madrid.

83. Le Sacrifice d'Abraham. Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville.

84. St Antoine. h. 2,91 l. 1,65-toile. Fig. de gr. natre. Anciennt église San Diego de Alcala de Henares. Musée de Fomento. Madrid.

85. St Antoine de Padoue, la Vierge et l'En- fant Jésus. h. 1,60 —1. 1,09-toile. Musée de Munich.

86. St Augustin. Cathédrale de Grenade.

87. St Bernard, l'Enfant Jésus dans les bras. Grosvenor house. Londres.

88. St Bernard et la Vierge. h. 2,71—1. 1,82- toile. Fig. en pied de gr. natre. Anciennt Eglise des Capucins de Tolède. Collection de Dn Luis de Bourbon, duc d'Ansola. Madrid.

Anc.

Cathédrale

Cathédrale de Grenade. Anciennt Eglise San

89. St Bonaventure. Eglise San Diego. Gre- nade. .

90. St Benoit abbé. h. 1,66 1. 1,23-toile. Fig. a mi corps de gr. natre. Anciennt Palais Royal. Musée du Prado. Madrid.

91. Ste Paule (épisodes de la vie de) —en huit tableaux. Anciennt Eglise de las Monjas de Sta Paula. Séville.

92. St Etienne. Anciennt Eglise San Martin. Seville.

93. St Francois. Fig. en pied de gr. natre h. 2,91 I. 1,65-toile. Anciennt Eglise San Diego de Alcala de Henares. Musée de Fomento. Madrid.

94, St François auquel un ange présente un verre d'eau. Anciennt Chartreuse de Jeres.

95. St Francois 4 qui un ange présente un verre d'eau. Eglise Santiago. Madrid.

96. St Francois en extase Ecoutant un con- cert céleste. Eglise San Diego. Grenade.

97. St Ignace de Loyola. Eglise San Isidro el Real. Madrid.

98. St Jacques. Anc. Coll. Soult. Paris.

99. St Jean Baptiste. Eglise de l'Université littéraire. Séville.

100. St Jean Baptiste. de Porta Coeli. Valence.

101. St Jean Baptiste. Anc. Coll. Livry. Paris.

102. St Jean l'Evangéliste. Eglise de l'Uni- versité littéraire. Séville.

103. St Jean l'Evangéliste. h. 1,29 —1. 0,97- toile. Fig. à mi corps de gr. natre. Anciennt Char- treuse de Porta Celi. Valence. Musée du Prado. Madrid.

104. St Jean l'Evangéliste. Paris.

105. St Jérôme. Eglise del Carmen Calzado. Grenade.

106. St Jérôme pénitent. h. 1,77 1. 2,09-toile. Fig. en pied de gr. natre Musée du Prado. Madrid.

‘107. St Joaquin. Fig. à mi corps de gr. natre. Eglise del Angel. Monjas Franciscanas. Grenade.

108. St Joseph. Anciennt Eglise San Gines. Madrid.

109. St Laurent. Anciennt Eglise San Martin. Séville.

110. St Michel. Paular.

111. St Paul apôtre. Musée de Dresde.

112. St Pierre. h. 0,53 1. 0,42-toile. Anc. Collection de Dn Sebastien de Bourbon. Aranjuez.

Anciennt Chartreuse

Anc. Coll. Soult.

Anciennt Chartreuse de

262

113. St Pierre. Anciennt Chartreuse de Jeres.

114. St Pierre d’Alcantara. Eglise San Diego. Grenade.

115. St Vincent préchant. cisco. Valence.

116. Différents Saints. Anciennt Colegio San Alberto. Séville.

117. Différents Saints. Real. Madrid.

118. Différents Saints. Fig. a micorps. Eglise San-Diego. Grenade.

119. Ste Agnés. Anc. Coll. du roi Louis Philippe. Musée de Berlin.

Eglise San Fran-

Eglise San Isidro el

120. Ste Anne. Fig. a mi corps. Eglise del Angel. Monjas Franciscanas. Grenade. 121. Ste Anne et la Vierge. Anciennt Eglise

des Mercenarios Descalzos. Séville.

122. Ste Therese (Episodes de la vie de). Anciennt Colegio San Alberto. Séville.

123. Ste Thérèse guérissant un enfant malade. Anc. Coll. du roi Louis Philippe.

124. Le Sauveur. Fig. à mi corps. Eglise de Sta Catalina. Monjas Dominicanas. Grenade.

125. La Trinité. Fig. à mi corps. Eglise St Philippe de Neri. Cuenca.

126. La Trinité. Eglise San Juan de la Ri- bera. Valence.

127. La Trinité. Eglise de San Diego. Gre- nade.

128. La Vie de la Madeleine —en plusieurs tableaux. Eglise paroissiale de Getafe.

129. La Vie de St Jean-Baptiste en plu- sieurs tableaux. Eglise de las Monjas de Sta Paula. Séville.

130. La Vie de la Vierge—en huit tableaux. Eglise del Angel. Monjas Franciscanas. Gre- nade.

131. La Visitation. Cathedrale de Grenade.

132. La Vierge son fils mort dans les bras. Académie San Fernando. Madrid.

133. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras et St Jean Baptiste (Copie de Raphaël). An- ciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville.

134. La Vierge et l'Enfant Jésus, St Pierre et Ste Claire agenouillés à leurs pieds. Anciennt Char- treuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville.

135. La Vierge avec l'Enfant Jésus. Eglise San Isidro el Real. Madrid.

136. La Vierge de la Paix. Eglise paroissiale de Getafe.

Monatshefte für Kunstwissenschaft

137. La Vierge adorant son divin fils. h. 1,62 J. 1,07-toile. Fig. en pied de gr. natre. Musée du Prado. Madrid.

138. La Vierge adorant son divin fils. h. 1,62 l. 1,07-toile. Fig. en pied de gr. natre. Variante du précédent. Anciennt Musée de Fomento. Musee du Prado. Madrid.

139. La Vierge noire entourée de religieux et de musiciens. Académie San Fernando. Madrid.

140. La Vierge avec l'Enfant Jésus. de l'Ermitage. St Petersbourg.

141. La Vierge avec l'Enfant Jesus. Collection of the Earl of Northbrook. Angleterre.

142. La Vierge avec l'Enfant Jésus dite la Vierge au rosaire. Palais archiépiscopal de Grenade.

143. La Vierge avec l'Enfant Jesus. Coll. du roi Louis Philippe.

144. La Vierge. Fig. a mi corps. Cathedrale de Grenade.

145. La Vierge dite du rosaire. de Murcie.

146. La Vierge. Fig. en pied de gr. natre. Eglise paroissiale de Marchena.

147. La Vierge. Fig. a mi corps. Eglise del Angel. Monjas Franciscanas. Grenade.

148. La Vierge triomphante. Musee de Glas- gow. Ecosse.

149. La Vierge triomphante accompagnée de Saints et de Saintes en adoration. Cathédrale de Malaga.

150. La Vierge de Belem. Fig. à mi corps. Cathédrale de Séville.

151. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras. Eglise San Francisco. Grenade.

152. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras apparaissant à St François. Académie de Cadiz.

153. La Vierge dite del Regalo. Eglise San Diego. Grenade.

154. Vision de St Jean l'Evangéliste.

Musée

Anc.

Cathédrale

Coll.

Wallace. Hertford House. Londres.

155. Vision de l’Agneau. Anc. Coll. Soult. Paris.

156. Vision de Dieu. Anc. Coll. Soult. Paris.

157. La Voie douloureuse. Fig. a mi corps. Cathedrale de Grenade. 158. La Voie douloureuse.

San Alberto. Seville,

Anciennt Colegio

P. Lafond. Alonso Cano

263

II. SCULPTURES

1. Adam et Eve. Bustes colossaux-chéne. Cathédrale de Grenade.

2. L'Ange gardien. Statue marbre. Eglise del Angel. Monjas Franciscanas -— sur le porche Grenade.

3. Deux Anges portant sur un plat la tête de St Jean Baptiste. Groupe. Eglise de las Monjas de Sta Paula. Séville.

4. Le Baptême du Christ. Bas-relief. Eglise de las Monjas de Sta Paula. Séville.

5. Le Christ en croix. Statue bois. del Socos. Valence.

6. Le Christ en croix. Statue. Eglise de los Padres Benedictinos. Madrid.

7. Le Christ en croix. Statue. Eglise parois- siale de Lebrija.

8. Le Christ en croix avec un buste de la Vierge au pied de la croix. Statuette bois. Anciennt dans une église de Valence. Collection Desnaux. Toulouse.

9. L'Immaculée Conception. ciennt Eglise Ste Lucie. Séville.

10. L’Immaculde Conception. Eglise St André. Séville.

11. L'Immaculée Conception. Statue pierre. Anciennt Eglise de las Monjas de la Concepcion. Séville.

12. L'Immaculée Conception. Statue. Cathe- drale de Grenade.

13. L’Immaculée Conception. Statue. Eglise de l'Incarnation. Malaga.

14. Le Miracle de la chaudiere d’huile bouil- lante. Medaillon. Eglise de las Monjas de Sta

Eglise

Statue. An-

Statue bois.

Paula. Séville.

15. St Antoine de Padoue. Statuette bois. Grenade.

16. St Antoine. Statue. Eglise St Nicolas. Murcie.

17. St Bruno. Statue. Chartreuse de Grenade.

18. St Francois d’Ässise. Statuette bois. Col- lection Odiot. Paris.

19. St François d'Assise. Statuette bois. Collection T. de Olazabal St Jean de Luz.

20. St François d’Assise. Statuette bois. Collection I. Zuloaga. Paris.

21. St Francois d'Assise tête de nègre)? Anc. Coll. Chaudordy. Musée d'Agen.

22. St François de Borja? Buste. Université de Séville.

23. St François de Paule.

Statue. Grenade.

24. St Ignace de Loyola? Buste. Université de Séville.

25. St Jean Baptiste. Statue. Eglise de las Monjas de Sta Paula. Séville.

26. St Jean l'Evangeliste assis. Statue. Eglise de las Monjas de Sta Paula. Séville.

27. St Jean l'Evangeliste. Statue bois. Eglise de las Monjas de Sta Ana. Séville.

28. St Paul. Buste. Cathédrale de Grenade.

29. St Paul. Statue. Eglise paroissiale de Lebrija.

30. St Pierre. Statue. Eglise paroissiale de Lebrija.

31. Le Prophète Elie ? Eglise San Tome. Tolède.

52. Différents Saints. Statues. Anciennt Co- legio San Alberto. Séville.

33. Différents Saints. Statues. Andres. Séville.

34. Ste Anne assise donnant une leçon de lecture à la Vierge enfant. Groupe. Anciennt Colegio San Alberto. Séville.

35. Ste Madeleine. Statue. Grenade.

36. Ste Thérèse. Statue. San Alberto. Séville.

37. La Vierge dite au Rosaire. de Grenade.

38. La Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras. Cathédrale de Grenade.

39. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras. Groupe. Chartreuse de Grenade.

40. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras. Groupe. Eglise paroissiale de Lebrija.

41. La Voie douloureuse. Bas-relief. ciennt Colegio San Alberto. Séville.

III. DESSINS

1. Dessins divers au nombre de vingt cinq. Institut Jovellanos. Gijon.

2. La Vierge donnant la chasuble à St Ilde- fonse. h. 0,183 1. 0,810 à la plume lave de bistre. Anc. Collections Madrazo et Robinson. Collection Malcolm. Londres.

3. L'Assomption. h. 0,247 1. 0,197 à la plume lavé de bistre. Anc. Collections Madrazb et Robinson. Collection Malcolm. Londres.

4. Projet de retable Figures allégoriques. h. 0,605 I. 0,301 à Ja plume lave de bistre. Musee du Louvre.

V. GRAVURE 1. St François d'Assise. Eau-Forte.

Eglise San

Chartreuse de Anciennt Colegio

Cathédrale

An-

STUDIEN UND FORSCHUNGEN

DIE ZEICHNUNGEN DES HAUSBUCH- MEISTERS.

Dr. H. Kehrer veröffentlicht im Februarheft 1909 der Zeitschrift für bildende Kunst „eine neue Zeichnung vom Meister des Hausbuches auf der Veste Coburg“, die zweifelsohne von der Hand des Meisters ist. Dargestellt ist die Anbetung der hl. drei Könige in rund. Er weist mit Recht auf die eklatanten Beziehungen zu Schongauers Stich B. 6 (Anbetung der Könige) hin. Dieselben Vermutungen sind bereits an anderer schwer zugänglicher Stelle bei einer Veröffentlichung der Zeichnung in den „Staryje Gody“ (Mai 1508, S. 302—305) von Dr. M. Geisberg gemacht!) und ausführlich be- gründet worden. Die Berechtigung der Zuschrei- bung weist Geisberg im einzelnen nach durch die Übereinstimmung in Typen und geistigem Gehalt mit Stichen und Zeichnungen des Meisters. Den Stich des Meisters L. 10, die Schongauersche Darstellung B. 6 und die Koburger Zeichnung bespricht er nacheinander in ihren Beziehungen und kommt zu dem Schluß: „Beide Darstellungen (L. 10 und die Zeichnung) sind fraglos zwei ver- schiedene Konzeptionen desselben Themas (sc. Anbetung der Könige), wobei in beiden Fällen ein und dasselbe Prototyp zugrunde liegt“. SchlieB- lich knüpft er an die Tatsache der „wörtlichen“ Übernahme der Monstranze aus Schongauers Stich B. 6 den berechtigten Schluß, daß dies ein neuer Beweis dafür sei, daß der Hausbuchmei- ster kein Goldschmied war sonst hätte er doch gerade hier sein eigenes Handwerk ver- werten können.

Dr. Kehrer reiht die Zeichnung als Nr. 5 den früher entdeckten „allgemein als echt anerkann- ten“ Zeichnungen des Meisters an, jedoch, ohne daß man erfährt, welches die 4 früheren seien. Nach den Literaturangaben (S. 112, Anm. 1) zu schließen, fehlen die von Kämmerer (Jahrb. XVII), Valentiner (Jahrb. XXIV) und Springer (Jahr- buch XXVI) angeführten. Ich stelle daher die na den bisherigen Forschungsergebnissen in Betracht kommenden Zeichnungen nochmals voll- ständig zusammen,

Sicher echt sind:

! Herr Dr. M. Geisberg hatte die Liebenswürdigkeit, mir einen Separatabdruck seines Aufsatzes zu übersenden.

1. Liebespaar. Berlin. Kupferstichkab. Sil- berstiftzeichnung. Lippmann, Zeichnungen alter Meister im kgl. Kupferstichkabinett zu Berlin V.E. Lehrs, Jahrb. XX. 177. Auch sonst allgemein anerkannt und vielfach abgebildet.

2. Prinzessin Kleodelinde mit 2 Drachen. Dresden. Kupferstikab, Federzeichnung rund. Entwurf zu einem Glasgemälde. Lehrs, Jahrb. XX. 181. Springer, Jahrb. XXV. 142. Katalog der kunsthist. Ausstellung Düsseldorf 1904. 2. A. p. 199.

3. König und Page als Wappenhalter. Dres- den. Kupferstichkab. Federzeichnung rund. Ent- wurf zu Glasgemälde. Rückseite: König und Königin mit Papagei. Wasserzeichen: Großer Ochsenkopf mit großen Ohren und lange Stange mit Stein. Wörmann, Handzeichnungen alter Meister im kgl. Kupferstichkab. zu Dresden 1896. T. 9 u. 12.—. Friedländer. Rep. XX. 72. Lehrs, Jahrb. XX. 180 („Mainzer Gruppe im weiten Sinn“). Springer, Jahrb. XXV. 142. Katalog der kunsthist. Ausstellung Düsseldorf 1904, p. 199 („dem M. d. H. zugeschrieben‘).

4. Johann von Soest übergibt Philipp dem Aufrichtigen von der Pfalz sein Werk. Heidel- berg. Univ.-Bibl. Cod. pal. germ. Nr. 87. Kolo- rierte Federzeichnung. Datiert 1480. Valen- tiner, Jahrb. XXIV, 291 ff. Springer a. a. O. bezweifelt seine Urheberschaft. Geisberg Rheinlande IV, 136 u. Staryje Gody 1908, 303 tritt mit Recht entschieden für die Echtheit ein. Auch Bock (Hessen-Kunst 1908, S. 32) hält die köstlihe Miniatur nach Stil und Qualität für zweifellos echt.

5. Ein schreitender Mann. Berlin. Kupfer- stidhkab. Federzeichnung auf bräunl. Papier.

Lippmann, Zeichnungen alter Meister. XIX A. Springer, Jahrb. XXV. 142. 6. Die Ermahnung. Berlin. Kupfersichkab.

Federzeichnung. Lippmann, a. a. O. XIX. A. Springer, Jahrb. XXVI. 68. Jetzt auch abge- bildet in Federzeichnungen altdeutscher Meister aus dem Besitz des königl. Kupferstichkabinettes zu Berlin. Mit Einleitung von J. Springer. Bin. 1909.

Der Jüngling, auf den der Vater seine Hand legt, erinnert neben mandiem andern (besonders der freien und lockeren Haarbehandlung) an

W. F. Storck. Die Zeicinungen des Hausbuch-Meisters

niederlandische Vorbilder, vgl. Lippmann, Handz. XXHIG und XVF.

7. Anbetung der hlg. drei Könige. Koburg. SchloB. Federzeichnung in rund auf grundier- tem Papier. Studie für Glasgemälde. Was- serzeichen: lateinisches Kreuz über sockelartigem Bau. Freie Kopie nach Schonganer B. 6. Geisberg op. cit. Kehrer. Z.f.b.K. 1908/09, S. 112/113.

8. Große Kreuzigung. Paris. Bibliotheque nationale. Federzeichnung. 0,405 : 0,300 m Ver- öffentliht von der Dürer-Society 1906. Jahr- gang IX. Taf.V. Text von Peartree. „Techni- cally the soft broken pen strokes, whic serve both for outlines and for filling in the slight shadows, are an exact analogy of the method employed in the Masters engraved work.‘ 1) Dr. R. W. Valentiner und Prof. Dr. J. Springer halten nach schriftlicher Mit- teilung die Zuweisung an den Hausbuch- meister für zweifellos richtig.

Werkstattarbeiten größeren Stils:

1. Mittelalterlihes Hausbuch im Besitze des Fürsten von Waldburg-Wolfegg. (Hg. von Essen- wein. Fft. 1887). Die Zeichnungen sind sicher unter persönlicher Mitwirkung und Leitung des Meisters entstanden. Sie atmen alle seinen Geist, sind aber nicht alle von seiner Hand. Die Qualitätsunterschiede der einzelnen Blätter sind doc z. T. recht groBe. Sogar bei den Planeten- bildern, die von der Internat. Chalkograph. Ge- sellschaft 1895 von Lippmann mustergültig publi- ziert sind, scheinen neben dem Meister noch . zwei andere Hände tätig gewesen zu sein.

Über die Entstehungen aus Stichen des E. S.

(auf BI. 3a, 24b—25a) vgl. Kammerer Jahrb. XVII. 155. Anm. 1 und Lehrs ibid. XX. 181.—.

Die reiche Literatur kann hier auf die haupt- sächlichsten Angaben beschränkt werden:

Harzen. Archiv fiir die zeichn. Kiinste I. 1860.

Rotberg. Kulturgeschichtlihe Briefe. 1865.

Lübke. Altes und Neues. Studien und Kri- tiken. 1891, p. 136 —149.

Hachmeister. Der Meister des Amsterdamer Cabinets. Heidelberg, Diss. 1897. S. 20—25.

Bock (Hessen-Kunst 1908, p. 32) halt die Zeichnungen fir ,Jugendarbeiten von nicht ent- fernt so großer Bedeutung wie seine Stiche“.

Beth (Jahrb. XXIX. 275) halt nur die Planeten- bilder fiir eigene Arbeiten des Meisters (gegen- fiber Lehrs mit Hachmeister).

2. „Historie vom Herzog Herpin von Burges und seinem Sohn Lewe.“ Berlin, kgl. Bibl. m.

265

germ. fol. 464. Federzeichnungen. Rhein- franke, in Ulm ausgebildet, dann am Mittelrhein tätig, vielleicht in der Werkstatt des Hausbuch- meisters. Beth, Jahrb. XXIX. 264—275.

Zweifelhaft, bzw. der Richtung des Meisters angehörend:

1. Tanzende Bauern. Basel. Öffentl. Kunst- sammlung. Kräftige Federzeichnungen. Vala- bregue, Gazette des Beaux-Arts, 1896, p. 232. 3e per. XV. Kämmerer, Jahrb. XVII, 156, Anm. 4. Handzeichnungen schweizerischer Meister des XV.— XVIII. Jahrhunderts. II. 16 (Schongauer-Schüler, vielleiht B. S. [Barthel Schön], der oft nach Stichen des Hausbuchmei- sters arbeitete). °)

2. Weibliche Figur mit Schleier. Lilie. Musée Vicar 936. Braun 313 (Schongauer). Kämmerer, Jahrb. XVII. S. 156. Anm. 4. Lehrs Jahrsb. XX. findet keine Beziehungen.

3. Frau mit Rosenkranz. Erlangen. Univ. Bibl. Kämmerer, Jahrb. XVII, 156. Bock, Hessenkunst 1908, 32.

4. Wappenzeichnung. Wien Albertina. Fe- derzeichnung. Jungfrau und Ritter halten zwei Schilde. Ornamentale Rankenumfassung. Schönbrunner-Meder 680. Valentiner, Jahrb XXIV, 209. „Der Frauentypus erinnert aller- dings an Nürnberg“.

5. Reiterzug. Berlin. Kupferstichkabinett. Federzeichnung. Lippmann, Handz. XXVI. A. (Nürnberger Meister um 1480.) Die Typenbildung der Reiter verrät Anklänge an Striche und Bilder des Hausbuchmeisters (cfr. z. B. L. 13, 44, 65 und die Freiburger Bilder). Der sich vom Pferd zum Gespräch herabbeugende bärtige Mann hat etwas von der Art des Joseph, wie er uns in den Strichen so oft begegnet. Der vor diesem stehende Landsknecht ist zu vergleichen mit dem auf dem Planeten Saturn (Hausbuch BI. 11 a) sich vornüber beugenden Knecht, der eine Schind- mäbre abdeckt. Auch die Pferde sind ähnlich steif und hölzern, wie im Hausbuch. Über die Bildung der Bäume vgl. das, was Beth a. a. O. über die Zeichnung der Bäume in der Herpin- Handschrift sagt.

1) Ich verdanke diese Angabe der gütigen Nachricht des Herrn Prof. V. von Loga.

2) Bei Hefner-Alteneck, Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften usw. Fft. 1884, sind zwei Zeichnungen ab- gebildet (V. T. 359) die tanzende Bauern darstellen und nach der Bemerkung des Herausgebers aus der groß- herzo |. Kunstsammlung zu Weimar stammen (Martin Schongauer zugeschrieben). Soweit sich nach den dürftigen Umrißzeichnungen bei Hefner-Alteneck urteilen läßt, ge- hören diese mit den Basler Zeichnungen stilistisch und inhaltlich zusammen.

266

6. Madonna. Kolorierte Zeichnung als Titel- blatt eines Lehnsbuches des Bischofs Matthias von Speier. 1465.

Kopialbuch Nr. 300. Landesarchiv Karlsruhe. Von Valentiner Jahrb. XXIV. p. 300 abge- bildet und besprochen. Mittelrheinisch.

Ohne Zweifel werden in Kabinetten und

Galerien noch manche Zeichnungen unseres Meisters zu finden sein, die beitragen zum über

Verständnis dieses genialen Künstlers,

Monatshefte für Kunstwissenschaft

dessen Name immer noch ein dunkler Schleier liegt.

Zusatz. Herr Prof. Dr. Jaro Springer teilt mir soeben mit, daß er die beiden Dresdener Zeich- nungen (s.0.2u.3) jetzt nicht mehr für echte Ar- beitendes Meisters hält. Nach „ihrem groben und plumpen Strich“ möchte er sie nur unter die Werkstattarbeiten einreihen. Die Heidelberger Zeichnung (s. o. Nr. 4), gegen deren Zuschreibung er sich im Jahrb. XXV. zweifelnd geäußert, hält S. jetzt für sicher echt. Willy F. Storck.

REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT

Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, Liebigstraße 2.

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Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma FRANZ HANFST/ENGEL, MÜNCHEN bei, den wir besonderer Beachtung empfehlen.

Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2

Heft 6

Studien über die Benutzung der Antike

in der Renaissance Von Paul Gustav Hübner

Für die Erforschung des Einflusses der Antike auf die Renaissance werden immer sole Fälle von Anlehnungen an antike Originale wertvoll sein, wo sich unab- hängig von dem stilistischen Beweise der Übereinstimmung zwischen antikem und modernem Motiv nachweisen läßt, daß ein Exemplar des Typus zu der in Frage kommenden Zeit den Künstlern zugänglich war. Der Beweis aus den Objekten allein genügt nur, wenn es sich um genaue Kopien von unbedeutenden Künstlern handelt, die alle Einzelheiten des Vorbildes wiedergeben, oder wenn die fremden Elemente nicht genügend verarbeitet sind und die stilistische Einheitlichkeit des Kunstwerkes stören. Wenn der Künstler sidi das Original ganz zu eigen gemacht hat, wird meistens die Behauptung der Abhängigkeit sich nur als bescheidene Vermutung geben dürfen; und es bleibt immer die Möglichkeit, die Übereinstimmungen als zufällig gleiche Einzel- produkte einer im ganzen gleichartigen Entwicklung oder wenigstens als selbständige Weiterbildungen eines ähnlichen von der Antike übernommenen Typus anzusehen. Wenn sich dagegen das Original, dessen Nachahmung behauptet wird, in einer Antiken- sammlung der Renaissance nachweisen läßt, wird man der Abhängigkeit ebenso gläubig gegenüberstehen, wie etwa einer Nachbildung des Laokoon nach 1506. Die Inventare und Periegesen jener Zeit, die Skizzenbücher italienischer und niederländischer Künstler stellen ein wertvolles Urkundenmaterial dar für den Nachweis der Wirkung antiker Monumente. Bei den nachfolgenden Bemerkungen spielt es eine Hauptrolle.

I. DER ISAAK DES BRUNELLESCHI In der eleganten Gestalt des Isaak auf dem Konkurrenzrelief des Ghiberti hat man schon längst eine Nachbildung der Antike vermutet. Erst kürzlich hat Grünwald das Original in dem Münchener Ilioneus zu finden geglaubt’). Er findet Übereinstimmungen „in der jugendlichen Schönheit des nackten

) Österr. Jahrbuch XXVII, 1908, S. 155 ff. 19

268 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Körpers, auch in der Haltung und Stellung der Oberschenkel -- der rechte mehr vertikal, der linke etwas mehr schràg vorgesetzt sowie in der Lage der Schultern, deren rechte erhoben, die linke gesenkt ist, in der bis ins Detail entsprechenden Bildung der Beckengegend.“ Die Verschiedenheiten sind jedoch groß: Die Unterschenkel des Isaak sind gekreuzt, die des Ilioneus liegen nebeneinander; die antike Figur ist bedeutend mehr nach links und vorn gebeugt und in den Hüften stark gedreht; Brust und Bauch sind eingezogen, während sie beim Isaak herausgedrückt sind; endlich geht der rechte Arm nach oben, der linke seitwärts, um sidi an der Aktion des rechten zu beteiligen; bei Ghiberti sind beide Arme auf den Rücken gebunden. Die ganze Ähnlichkeit ist, daß beide Male ein nackter knieender Jüngling dargestellt ist, der sich nach rechts neigt. Daß Ghiberti zur Bildung des Körpers die Antike zum Vorbild gehabt hat ist wohl sicher; nackte knieende Jünglinge mit leichter Neigung in den Hüften gibt es und gab es damals auf antiken Reliefs, Gemmen und als Freistatuen in Menge. Die Über- einstimmung aber speziell mit dem Ilioneus ist so gering, daß er die beiden Kunst- werke an sich betrachtet selbst als beliebiges Exemplar des eventuell vorbildlichen Typus ungünstig gewählt sein würde.

Aber der Ilioneus hat eine Geschichte. Er wird von Aldrovandi 1550 in der Sammlung Rodolfo Pio da Carpis erwähnt. Ein Stück dieser enorm reichen Sammlung, (ihre Beschreibung nimmt bei Aldrovandi über 25 Seiten, also etwa den achten Teil seines Werkes ein) das „Letto di Policleto“, kam mit mehreren anderen in den Besitz Alfons II. von Ferrara. Das ,Letto“ stammte aus dem Besitz Giovanni Gaddis, der es von dem Erben Ghibertis erworben hatte. Da nun auch der Ilioneus von Carpi nach Ferrara verkauft wurde, könnte er ebenso aus dem Besitz Gaddis und weiterhin aus dem Ghibertis stammen.

Der Schluß, daß eine Antike, deren Geschicke später mit denen einer anderen verknüpft sind, auch die früheren Schicksale dieses anderen Stückes geteilt habe, ist bedenklich; er wäre zulässig, wenn man nachweisen könnte, daß die Sammlung Carpi im wesentlichen die frühere Sammlung Gaddi und diese wieder die Sammlung Ghiberti umfaBte; daß ist im allgemeinen nicht anzunehmen, da die Sammlungen des XV. und XVI. Jahrhunderts, soweit man nach den Inschriften urteilen kann, in den seltensten Fällen en bloc verkauft oder vererbt wurden. Außerdem fehlt jede Nachricht über das Dasein des Ilioneus vor 1550, abgesehen von der vermeint- lien Anlehnung Ghibertis an den Torso. Die entfernte Ahnlichkeit des Ghibertischen Isaak mit der Münchener Figur und die entfernte Möglichkeit, daß diese im Besitz des Künstlers gewesen ist, geben zusammengenommen wohl keine so große Wahr- scheinlichkeit, daß man die Ergebnisse der Untersuchung in den Tatsachenbestand der Renaissancegeschichte aufnehmen möchte.

Im Gegenteil, die ausgesprochen männliche, harte Muskulatur des Isaak weist auf ein anderes Vorbild als den zarten Knaben in München hin; eher als der Ilioneus könnte noch der muskulöse Satyrtorso der Uffizien, den Schlosser herangezogen hat’), Vorbild gewesen sein; man wird in einem der zahlreichen nackten jugendlichen Torsi

') Österr. Jahrbuch XXIV, 1903, S. 151.

G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 269

mit der praxitelischen Hüftbeugung das Vorbild zu suchen haben; Kopf und Arme können gefehlt haben, die Stellung der Unterschenkel ist sicher nicht antik.

Im Relief des Brunelleshi hat man in dem Hirten links die „gleichsam pro- grammatische“ Darstellung des Dornausziehers erkannt, den Sixtus IV. 1471 dem römischen Volke schenkte. Auch der andere Hirt mit der Strigilis geht wohl auf ein antikes Motiv zurück, ebenso in letzter Linie der sih am Kopfe kratzende Widder '). Dagegen folgt der Abraham, vor allem in seiner Gewandung, durchaus gotischen Traditionen. In dem Relief stehen die Ausläufer der Gotik und wiederauflebende Antike nebeneinander. Welchem Element gehört nun der Isaak an? Ist er ein ein- faches Weiterentwicklungsprodukt des Trecento oder verdankt er der Antike seine Entstehung? Man ist wegen der harten, eckigen Bewegung besonders der Beine geneigt, die Abstammung von der Antike ohne weiters zu verneinen und die Figur für die primitiv unbeholfene Darstellung wilder Angst zu halten, die dem Temperament des Künstlers entsprang. C. v. Fabriczy z. B. kommt zu dem Schluß, daß in dem „Isaak die erste Aktfigur der modernen Kunst vor uns steht, geschaffen ohne An- lehnung an die Antike, aber mit der Absicht und im Bewußtsein der Überwindung der schwierigen Aufgabe“ ?). Aber wo sind die Vorarbeiten des Trecento, auf denen Brunelleschi weiterbaute, wenn er diese Figur entwarf? Sie fehlen. In der Beobachtung des bewegten nackten Körpers hat die Gotik fast nichts geleistet.

Man. kann ja beobachten, wie in einer ziemlich unabhängigen Kunstentwicklung die Bewegungsprobleme auftauchen: In der griechischen Plastik findet sich bekanntlich der erste Versuch zu einer Drehung des Körpers bei den gefallenen Agineten, wo der Körper noch am Nabel wie abgebrochen und falsch angesetzt erscheint; dieser Fehler ist auf den Olympiametopen und in Myrons Diskobol noch nicht überwunden; erst im Parthenonwestgiebel ist die Biegung des Körpers vollkommen naturgetreu aufgefaBt °). Und erst die Pergamener stellen den Körper in den mannigfachsten Drehungen und Biegungen dar und bringen Figuren mit drei Drehungsachsen hervor, die dem Isaak des Brunelleschi entsprechen‘. Hier geht also eine jahrhundertelange Entwicklung voraus, bis man sich diese Probleme stellt und Jahrzehnte gehören dazu, sie zu lösen. Und das bei einer Kunst, deren Hauptaufgabe die Darstellung des Nackten war.

Soll man glauben, daß die Gotik aus sich selbst ganz unvermittelt nackte Figuren hervorbrachte, die der griechischen Kunst erst nach Jahrhunderten gelangen? Das wäre eine erstaunliche Frühreife, für die jede Erklärung fehlt.

Außerdem verfügen die Künstler der Giebelgruppen von Agina über einen an- sehnlichen Schatz von anatomischen Kenntnissen, die Brunelleshi abgehen; in den steifen, leblosen Oberschenkeln und dem unausgebildeten Unterkörper des Isaak zeigt Brunelleschi, wie eng die Grenzen seines Könnens sind.

Man wird von selbst den Schluß ziehen, daß hier ein Zurückgreifen auf die

1) Venturi, Storia dell’ arte italiana VI, S. 128; Fabriczy, Filippo Brunelleschi (1892) S. 14 ff.

2) Fabriczy a. a. O. S. 16.

3) Julius Lange, Darstellung des Menschen in der älteren griechischen Kunst (1899) S. 69 ff.

1) Z. B. der Perser in Aix, Reinach Répertoire de la statuaire II, 198, 3; der Perser im Vatikan, Clarac Musée de sculpture 859, 2153 Reinach Repertoire I, 525, 2.

270 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

antiken Monumente vorliegt, an denen die Künstler jederzeit sole Bewegungsmotive in vollkommener Ausbildung studieren konnten.

Den Weg zur Auffindung des unmittelbaren Vorbildes weist die beistehend reproduzierte Zeichnung aus dem Skizzenbuche des Lambert Lombard und seiner Schüler im Besitze des Herzogs von Arenberg in Brüssel’). Das Album enthält über 700 ausgeschnittene und aufgeklebte Zeichnungen, unter denen ein kleiner Teil von Lombard selbst herrührt; darunter eine Gruppe von Antikenzeichnungen, die aus seiner römischen Zeit stammen; Anhaltspunkt sind zwei bezeichnete und aus Rom 1538 datierte Zeichnungen der Löwen- und Ebergruppe des Herkulessarkophags Savelli- Torlonia °). Mit diesen Blättern stimmt unsere Zeichnung (auf fol. 100) in Technik und Stil überein; sie gehört offenbar auch zu den römi- schen Studien. Eine Victoria verzeichnet auf einem Schilde einen Sieg; zu ihren Füßen kniet ein gefesselter Barbar. Dieser Gefangene entspricht in der Haltung dem Isaak: beide knieen mit dem linken Knie auf dem Boden, während das rechte im spitzen Winkel gebeugt ist; der Oberkörper macht eine halbe Drehung nach links; der Kopf wendet sich nach hinten; die Arme sind auf den Rücken gebunden; die Überein- stimmung geht soweit, daß auch der Isaak das linke Knie etwas über die Basis hinaussetzt. Abweichend ist die stärkere Neigung des Isaak nach rechts und das Aufsetzen der Zehen des linken Fußes; den Fuß des Gefangenen hält die Victoria mit ihrem Tritt an der Erde fest.

Das antike Original der Skizze Lombards Abb. 1. Isaak aus dem Konkurrenz. fat, wahrscheinlich auch als Zeichnung, Brunelleschi

relief des BRUNELLESCHI vorgelegen. Es ist das Relief vom Sockel der rechten

inneren Säule von der Nordseite des Constantins- bogens. Leider ist eine genaue Konfrontierung mit dem Originale nicht mehr möglich; das Relief hat sehr gelitten: heut fehlen viele Teile der Figuren und ihre Oberfläche ist zerstört, so daß nur noch die Umrisse erkennbar sind. Nach der (auf demselben Blatte aufgeklebten) Zeichnung des linken Sockels, der jetzt nodı gut erhalten ist, zu schließen, ist die Skizze auch in den Details ziemlich getreu; soweit man die Zeichnung des rechten Sockels kontrollieren kann, stimmt sie; nur die Flügel der Victoria sind hier weggelassen; die Haltung des Gefangenen ist jedenfalls genau wiedergegeben. Die Zeichnung ist wohl als bessere Reproduktion des ursprüng- lihen Originals zu betrachten als eine Photographie des jetzigen Zustandes.

1) Die Kenntnis dieses Skizzenbuches verdanke ich mein. hochverehrten Lehrer A. Goldschmidt.

?) Fol. 66v.: „1538 Roma Lambertus Lombardus fecit“; fol. 67r: „Lambertus Lombardus 15358“, auf der Keule „1538 Roma“.

Der Sarkophag bei Robert, Die antiken Sarkophagreliefs IIl, 1, no. 126; dort auch die Geschichte des Monuments.

G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 271

Zugleich ist sie eine Urkunde für das Interesse, das man diesem stets zugäng- lien Monument entgegenbrachte, von dem auch zahlreiche Nachbildungen der Reliefs im Hauptdurchgang Zeugnis ablegen. Von Nachbildungen der beiden Säulenbasen ist mir außer den beiden Lombardzeichnungen nur eine Riccio zugeschriebene Plakette des Berliner Museums (Nr. 714) bekannt, welche die Victoria mit dem Gefangenen des linken Sockels darstellt.

Aus dem antiken Vorbild erklärt sich die Figur Brunelleschis vollkommen. Gegeben war das Temperament des Künstlers, das nach starker Bewegung verlangte; das antike Relief lieferte ihm ein für die darzustellende Handlung geeignetes Motiv; aber die Ausführung des Motivs stellte Aufgaben, denen seine anatomischen Kennt- nisse nicht gewachsen waren; da wo das Vorbild ihn im Stich ließ, mißlang der Körper; denn die Flauheit des Unterkörpers erklärt sich wohl einfach daraus, daß der Barbar mit Hosen bekleidet ist.

Die Nachbildung des Brunelleschi steht höher als z. B. die etwa gleichzeitige Nachahmung eines ähnlichen Bewegungs- motives im Livre d'heures des Duc de Berry '!); dort ist die dem Perser von Aix entlehnte Haltung des Adam in keiner Weise aus der Aktion zu erklären; hier stimmt die Bewegung so gut zur Handlung, daß man eine Disharmonie nicht empfindet.

Hinter seinem Konkurrenten Ghiberti aber bleibt Brunelleshi in der Darstellung des Körpers zurück, ebenso wie in der Fähigkeit die Handlung zu konzentrieren und in der technischen Ausführung des Gusses*); er stellt sich zu hohe Aufgaben; er eilt der Entwicklung voraus. Ghiberti knüpft an Produkte der Antike an, die seiner Stilstufe etwa Abb.2. Barbar vom Con-

entsprechen der im Isaak nachgeahmte Typus wird ins stantinsbogen o vierte oder fünfte Jahrhundnrte gehôren und es gelingt ihm, a Gene.

das Vorbild zu erreichen *). Brunelleschi ahmt die kompli- zierten Gebilde der späten Antike nach, die etwa dem Stile Michelangelos entsprechen. Auch die damaligen Kritiker schätzten die festgegründeten Kenntnisse Ghibertis höher als die unfertige Frühreife Brunelleschis; und doch schließt sein mächtiges Vorwärts- drängen die stärkeren Keime neuen Lebens in sich; denn in der Folgezeit überwiegt der Drang nach Bewegung bei weitem die Freude an ruhiger Größe.

So knüpft auch Donatello, als er zwanzig Jahre später die Abrahamgruppe am Campanile entwirft, an den Isaak des Brunelleschi an: von der linken Seite gesehen entspricht der Knabe in der Stellung der Figur des Konkurrenzreliefs. Die Drehung

1) Nachgewiesen von A. von Duhn in der Festschrift für Anton Springer (1885) S. 5.

3%) Venturi a. a. O. Fabriczy a. a. O.

3) Ahnlich urteilt Julius von Schlosser, Osterr. Jahrb. XXIV, 1903, S. 156: ,Aber es ist schon ein Künstler, der die Antike nicht mehr äußerlich, nicht mehr ängstlich und unfrei kopiert, sondern der sie, wenn auch noch einigermaßen nach Schülerweise, versteht und in ihrem Sinne bildet“. S. 159: „Aber Ghiberti eignet sih das Antikische nicht mehr äußerlich, phantastisch zu, sondern als eine innere Erfahrung.“

272

Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

des Oberkörpers und des Kopfes ist wohl wegen des Zwanges der Frontansicht schwächer; daß die ganze Figur matt und leblos wirkt, liegt wohl am Ungeschick des Gehilfen Rosso. Noch einmal, hundert Jahre später, scheint der gefangene Barbar vom Con- stantinsbogen auf die Renaissance stilbildend eingewirkt zu haben: Eine ganz ähnliche

Abb. 3.

Amor aus dem Triumph der Keuschheit von LUCA

SIGNORELLI

London, Nat. Gall.

Stellung nimmt der gefesselte Amor ein auf dem Triumph der Keuschheit von Luca Signorelli aus Palazzo Pe- trucci in Siena, jetzt in der National Gallery in Lon- don!). Schon Vischer hat auf die Ähnlichkeit dieser Figur mit gefesselten Kriegs- gefangenen auf antiken Re- liefs und Wandgemälden hingewiesen. Und entschlieBt man sich einmal, die zarte Gestalt des Liebesgottes mit dem greulichen Bar- baren in der Zeichnung zu vergleichen, so scheint in der Tat ein Zusammen- hang vorzuliegen; die Bein- stellung, die Stellung der Arme und die Bewegung des Körpers im allgemeinen sind gleich. Aber alles Ge- waltsame, Ungestüme der Bewegung ist verschwun- den; der Körper dreht sich in den Hüften fast gar nicht und der Kopf neigt sih nur etwas nach hinten zu einem schmerzlichen Blick

auf die grausamen Peinigerinnen. Hier spricht ein dem antiken mindestens ebenbürtiger Künstler zu uns, der das Vorbilds einen Zwecken vollkommen unterordnet. Der Zu- sammenhang ist jedoch nicht so sicher, daß man darauf den lockenden Vergleich mit der Nachahmung Brunelleschis gründen könnte.

1) Gemalt 1506 oder 1509. Vischer, Luca Signorelli (1879) S. 273ff. Mancini, Vita di Luca Signorelli (1903). S. 146 ff.

G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 273

IL RAFFAEL UND DIE SAMMLUNG GRIMANI

Auf dem Sieg Josuas über die Amoriter in den Vatikanischen Loggien bemerkt man vor der Reiterfigur des Josua, der Sonne und Mond stillstehen heißt, unter den Kämpfenden die Gruppe zweier Krieger: ein Israelit holt von oben mit der Lanze zum StoBe aus gegen einen rückwärts zu Boden gestürzten Feind, der sich mit dem Schilde zu decken sucht. Der Angegriffene ist eben hingestürzt; die Rechte die den Schwertgriff umklammerte, hat sich gespreizt, um sich aufzustemmen; das rechte Bein ist zum äußersten gekrümmt, während das linke balanzierend schwebt.

Diese Figur ist die Umarbeitung eines antiken Motives, das uns im zurück- fallenden Gallier in Venedig erhalten ist. Die Ähnlichkeit des Motivs ist wohl nicht zu leugnen; außerdam läßt sich der Beweis führen, daß die Venediger Statue zu der Zeit, als Raffael diese Fresken entwarf, sich in Rom befand.

Das Stück gehörte der Sammlung des Kardinals Domenico Grimani!) an, einem Museum, dessen Bedeutung für die Monumente der ersten Jahrzehnte des Cinquecento im allgemeinen wohl erkannt ist, dessen Einfluß im einzelnen aber sich der Beobachtung entzogen hat, weil man keine Details über den Bestand der Sammlung hatte.

Die Antiken standen im Palazzo di San Marco, wo der Kardinal z. B. 1505 den Venezianischen Gesandten eine große Menge antiker Statuen zeigte, wo auch Albertini viele Marmorwerke erwahnt*). Müntz schildert die Sammlung als die be- deutendste im Anfang des Jahrhunderts; doch weist er kein Stück ihres Bestandes nach ë). Erst Wickhoff hat erkannt, daß die Gallier in Venedig zum Bestande des Museums gehörten; im Anschluß daran hat kürzlich Grünwald eine plastische Nach- bildung des zurückfallenden Galliers aufzuzeigen versucht ‘); im übrigen herrscht über das Schicksal der Sammlung Unklarheit. Im Katalog der Antiken in Venedig’), wo man zuverlässige Auskunft über die Provenienz der Stücke sucht, finden sich irrige Angaben, und doch sind die auf die Sammlung bezüglichen Dokumente in einer älteren Beschreibung der Marciana publiziert °).

Sie geben eine genaue Vorstellung von dem Museum von Bronzen und Marmor- statuen, das sidi Domenico Grimani in Rom angelegt hatte und das er im Testament vom 15. August 1523, zusammen mit dem berühmten Brevier, seiner Vaterstadt ver- machte. Bis dahin befanden sich die Kunstwerke offenbar in Rom; denn Marcanton Michiel, der 1521 im Palast Grimani in Venedig seine Notizen machte, berichtet dort

1) Die Daten seines Lebens bei Chevalier Repertoire des sources historiques, Bio- Bibliographie I (1905) pag. 1894. Geboren in Venedig 1460, Zum Kardinal ernannt 20. September 1493, 1508 Kardinal von San Marco, gestorben 27. August 1523. Einiges über die Geschichte der Sammlung bei Lanciani, Storia degli scavi di Roma I, pag. 138 f.

?) Albertini, De mirabilibus urbis Romae fol. 61v, 62v: „in palatio Pauli Veneti multa signa marmorea posuit Rev. Do. de Grimanis“, 83v, 86r.

3) Müntz, Raphael pag. 590.

4) Jahrbuch der Kunsthist. Samml. des Allh. Kaiserhauses XXVII (1908) pag. 148 f.

») Dütschke, Antike Bildwerke in Oberitalien V (1882).

6) Bei Valentinelli, Marmi scolpiti del Museo Archeologico della Marciana di Venezia (1866) pag. VIII f.

274 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

nur von Gemälden. Zur Zeit des Testaments waren die Skulpturen eben erst nach Venedig transportiert worden und standen noch in Kisten verpackt im Kloster Santa Chiara in Murano. Dort wurde ein Inventar aufgenommen, welches von Marmorbild- werken über 25 Köpfe, etwa 8 Statuen und ebensoviele Reliefs enthält‘. Es hat leider sehr allgemeine Bezeichnungen und ist deshalb für die Feststellung der einzelnen Stücke ziemlich unbrauchbar. Die Skulpturensammlung wurde 1525 vom Dogen Andrea Gritti in der Chiesetta des. Palastes aufgestellt, wo sie 1581 noch erwähnt wird. Man scheint jedoch mit dem Vermächtnis etwas sorglos umgegangen zu sein; denn 1586 sind die Statuen bis fast auf die Hälfte zusammengeschmolzen, befinden sich auch nicht mehr an ihrem ausgezeichneten Platze. In diesem Jahre bot nämlich Giovanni Grimani der Stadt eine neue große Antikensammlung zum Geschenk an; und bei dieser Gelegenheit entstand ein Verzeichnis des alten Be- standes, welches nur 12 Köpfe und 5 Sta- tuen kennt‘). Es sollte vermieden werden, daß die Statuen verwechselt und bestoßen (strabalzate) würden; daher ist dies Inventar erfreulich genau und ermöglicht sichere Identifizierungen. Es stammt von den Bild- hauern Alessandro Vittoria und Angelo dalle due Abb. 4. Krieger vom Sieg Josuas über die Amoriter in den Regine, welche dann auch Loggien des Vatikan n die Stücke restaurierten, so wie sie im Inventar von 1593 *), zusammen mit den etwa hundert Antiken der Sammlung Giovanni Grimani, wiederkehren. Mit Hilfe dieser Inventare lassen sich aus dem Bestande des Archaeo- logischen Museums in Venedig die wichtigsten Statuen herausfinden, die Domenico Grimani besaß, und die man bis 1523 in seinem Palaste in Rom sehen konnte. Es sind folgende: 1) die Gruppe einer Aphrodite mit Eros auf Delphin *), 2) der Apollo mit aufgestütztem linken Bein 5),

1) Abgedruckt bei Valentinelli a. a. O. pag. VIII, Anm. 2, im folgenden als no. I zitiert. 2) Valentinelli pag. XII, Anm. 1, im folgenden als II zitiert.

5) Valentinelli pag. XXXIIIff., im folgenden als III zitiert.

4) Dütschke no. 93. Abbildung mir unbekannt. Inv. II 15, I 25, III 24.

») Dütschke no. 197. Abbildung unten, nach Arndt-Amelung Einzelaufnahmen antiker Skulpturen Serie VI. Inv. Il 16 „Un torso d’Apollo nudo senza il brazo destro senza la gamba sinistra dal genocchio in giuso senza il piè destro“; wohl einer der Torsi in Inv. I; Inv. II 17 „Una statua di giovane nuda di piedi 3 in circa, tiene un arpa nella mano, et la faretra ai piedi con una biscia avolta nel tronco“.

G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 275 3) der schreitende Odysseus’),

4) der ins Knie gesunkene Gallier °);

5) der zurückfallende Gallier °),

6) höchstwahrscheinlich auch der tot ausgestreckte Gallier *).

Die drei letztgenannten Statuen sind Stücke einer Kopie des Attalosweih- . geschenkes auf der Burg von Athen, deren einzelne Figuren in den Museen von Venedig, Neapel, Rom, Paris, Aix zerstreut sind, deren Zusammengehörig- keit nach Stil, Größe und Material aber feststeht `).

Da die Geschichte der Gruppe eine Voraus- setzung für den ange- tretenen Beweis ist und in einem späteren Ab- schnitte auf ein Stück der Kopie zurückzukommen sein wird, ist es nòtig, wenigstens auf die Fund- geschichte näher einzu- gehen ô).

DaB die einzelnen Bestandteile der Gruppe an demselben Orte zum | Jiu Vorschein gekommen sein Abb. 5. Gallier aus der Smig. des Kardinals GRIMANI, Venedig

ı) Dütschke no. 176, fälschlih Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12902. Inv. Il 14; einer der Gladiatoren im Inv. I; Ill 15.

2) Diitschke no. 208, fälschlih Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12905. Inv. II 13; einer der Gladiatoren im Inv. I; Inv. Ill 18.

5 Dütschke no. 217, fälschlih Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12904. Unten nach dem Minchener AbguB; die Photographie verdanke ich meinem Freunde Georg Dehn. Inv. II 12 „Un Torso d’un giovine nudo con Ja testa e con la cossia sinistra senza brazzi, et senza la gamba destra longo tre quarte sino al sentar tutto tondo e bello“; einer der Torsi oder Gladiatoren in Inventar I; Inv. III 5 ,una statua di huomo nuda distesa over cuffa di lunghezza di piedi 3 in circa tiene la mano destra in terra, et la sinistra elevata in alto“.

4) Dütschke no. 209, falschlich Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12906. Er wird in Inventar II nicht erwähnt und läßt sich unter den Gladiatoren und Reliefs des Inventars | nicht herausfinden; erst im Inventar III no. 13 taucht er auf. Dod ist er zweifellos mit den beiden andern zusammengehörig und vielleicht bis 1592 im Besitz der Familie geblieben.

©) Zusammengestellt von Heinrich Brunn, Annali del Istituto Archeologico Germanico 1870 pag. 2%ff. Eine übersichtlihe Zusammenstellung aller Figuren (mit Ausnahme der in Aix) findet sich bei Overbeck, Griechische Plastik, 4. Aufl. Bd. Il. Fig. 189.

6) Uber die Schicksale der Neapler Statuen vgl. Michaelis im Jahrbuch des Deutschen Archaeologischen Instituts VIII (1893) pag. 116f.

276 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

müssen, ist klar; man wird auch nicht ohne Grund von der Annahme abgehen, daß sie zur selben Zeit gefunden wurden. Für die Auffindung der Figuren in Neapel, Rom und Paris existieren sichere Zeugnisse. Das erste ist ein Brief des Filippo Strozzi an Giovanni di Poppi aus dem September 1514, den ich im Wortlaute hierher setze, weil er zugleich ein Zeugnis ist für die Bedeutung, die man dem Funde beimaß:

„Direte anchora al Magnifico che sua madre è la più fortunata donna mai fusse, che li danari che la per dio li fruttono più perché se li prestassi a usura; et questo perche murando a certe monache una cantina vi hanno trovate sino a questo di circa a 5 figure si belle quanto ne sian altre in Roma. Sono di marmo di statura mancho che naturale, et sono tutti chi morti e chi feriti, pure separati. Evi chi tiene che sian la historia delli horatii et curiatii; non ne scrivo più particulari perchè in breve spero el Magnifico li abbia a vedere, e li piaceranno ').“

Die Mutter Lorenzos, Alfonsina Orsini, be- wohnte damals den Palazzo Medici bei San Eu- stachio, der später in den Besitz der Margarete von Osterreich kam. Bei ihr („apud aedem divi eustachii in uno domo mulieris cujusdam de Ursi- norum familia“)°) sah im Winter 1514/15 auch Claude Bellievre aus Lyon sechs Figuren, welche die Geschichte der Horatier und Curiatier dar- stellten; eine siebente dazugehörige befand sich im Vatikan. Seine Beschreibungen sind sehr präzis, und man kann mit Sicherheit die vier Neapler Stücke, den Gallier im Louvre, den Perser im Vatikan erkennen; die siebente ist verschollen. | Kardinal Grimani wird wie der Papst im Laufe der Ausgrabung (der Fund wurde ja, wie der Brief zeigt, beim Baue eines Klosters gemacht) Gelegen- Abb. 6. Apollo aus der Schindung heit gefunden haben, seine drei Stücke zu erwerben.

a ee Unter diesen befand sich der zuriickfallende

Gallier. Raffael wurde bald darauf, am 27. August

1515 *), zum commissario di antichità ernannt und hat natürlich den Torso öfters ein- gehend betrachtet, ungefähr zu der Zeit, als er die Ausmalung der Loggien leitete. Der Marmor war, wie aus den Beschreibungen der zitierten Inventare hervorgeht, unergänzt: es fehlten die Arme bis auf kurze Stümpfe, das rechte Bein ganz und das linke zur Hälfte.

1) Nach Gaye, Carteggio II, pag. 139. °) Der Bericht ist publiziert von Kliigmann in der Archaeologischen Zeitung 34 (1876) pag. 35. *) Lanciani, Storio degli scavi di Roma I, pag. 166.

G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 277

Der gestürzte Krieger auf dem Loggienbilde ist eine archaeologish durchdachte und künstlerisch empfundene Ergänzung und zugleich eine Korrektur des Originals. Daß die Ergänzung im allgemeinen dieselbe ist wie die jetzt vorhandene des Restau-

rators vom Ende des Jahrhunderts, kann nicht Wunder nehmen, da die stehengebliebenen Reste die Richtung der Arme und Beine be- zeichneten. Ohne Zweifel steht die Raffaelische Ergänzung künstlerisch viel höher; ganz abge- sehen von den groben Mißverhältnissen der plumpen Extremitäten am Marmor ist im Fresko das Bewegungsmotiv energischer und richtiger ausgebildet. Raffael hat empfunden, daß der Körper, um auf dem rechten Arm und Bein ruhen zu können, mehr auf die rechte Seite gedreht werden muß und der rechte Unter- schenkel sich bis zum äußersten beugen muß, damit der Fuß auch nur in die Nähe des Schwer- punktes der Figur kommt; um die Ungleich- wichtigkeit zwischen Ober- und Unterkörper aus- zugleichen, hat er das linke Bein weit ausge- streckt und ist sogar vom Gegebenen abge- widien, indem er den Körper etwas stärker krümmte und den Kopf dieser stärkeren Kurve folgen ließ.

Noch ein anderes Stück des Attalosweih- geschenkes hat Raffael inspiriert: der sterbende Gallier in Neapel!) ist das Vorbild zu dem sterbenden Ananias auf dem bekannten Teppich geworden. Nod Marten van Heemskerck hat ihn bei seinem Aufenthalt in Rom, 1532—36, auf der Mauer des Hofes im Palazzo Medici, wo ihn Alfonsina Orsini hatte aufstellen lassen, gesehen *). Bei der Nachbildung Raffaels ist wie im vorigen Fall Steigerung der Bewegung und Zuspitzung der Handlung zu bemerken. Die Stellung ist im allgemeinen dieselbe; doch sind

Abb. 7.

Apollo aus der Sammlung des Kardinals GRIMANI, Venedig Eigentum der Verlagsanstalt, Bruck- mann, München O

alle Bewegungen der GliedmaBen, die im Original nur leise angedeutet sind und als Streckungsunvermögen der erschlaffenden Muskeln empfunden werden, gesteigert worden und erscheinen jetzt als Zuckungen des sterbenden Körpers. Der plötzlich von der Hand

1) Guida ‘del Museo Nazionale 1908 no. 302. Phot. Denkmäler 481b. Clarac Musée de sculpture 858B, 2158. *) Ansicht des Hofes im Berliner Skizzenbuch I fol. 5; abgeb. Michaelis a. a. O. pag. 121.

Alinari 11095. Brunn-Bruckmann,

278 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Gottes Getroffene neigt nicht wie der langsam verblutende Soldat das Haupt zur Erde, sondern hat das verzerrte Gesicht dem Himmel zugewandt, aus dem die Strafe auf ihn herabfiel.

Aud in dem zugreifenden Jüngling, der dem Ananias gegenüber kniet, möchte ich einen Attaloskrieger erblicken; den am Oberschenkel verwundeten Gallier im Louvre ') aus casa Medici; auf der angeführten Skizze Heemskercks sieht man einen Künstler, der gerade diese Figur ab- zeichnet.

Man erwartet, daß noch von anderen Figuren des Museums Grimani künstlerische Änregungen ausgegangen sind; in der Tat ermöglichen die Nach- richten über den Bestand der Samm- lung es, die Entstehung einiger anderer Raffaelischer Figuren aufzuklären.

Auf dem Siege des Apoll über Marsyas in der Stanza della Segnatura hat man in dem Satyr schon längst eine antike Figur erkannt. Es ist wahrscheinlih die Marsyasstatue der Sammlung Valle-Capranica, die circa 1550 auf einem Stiche Kocks erscheint, 1584 von Ferdinando dei Medici er- worben wird und jetzt in den Uffi- zien steht *).

Der Apollo, welcher in seiner etwas unbequemen Art zu sitzen ein nicht völlig verarbeitetes Vorbild ver- muten läßt, ruft das antike Motiv des Hochauftretens ins Gedächtnis. Nun befand sich im MuseumGrimani (cfr. oben, no. 2) ein Apollo mit aufge- stitztem linken Fuß, allerdings als Torso: ihm fehlten der linke Unter- schenkel, der rechte Fuß, der rechte Arm bis auf einen Stumpf, die linke Hand und der obere Teil der Lyra. Ob der Torso sitzen oder stehen sollte, darüber konnte man bei flüchtiger Betrachtung im Zweifel sein; doch hat man in ihm sicher schon damals den göttlichen Sänger gesehen, der wie in der Farnesina die Götter beim Mahle ergötzt. Raffael behielt das Motiv des hoch aufgestützten Fußes bei und

Abb. 8. Zeicinung von G. F. Penni © Wien Albertina

1) Phot. Giraudon. Clarac Musée de sculpture 280, 2151. *) Dütschke, Antike Bildwerke in Oberitalien II Uffizien no. 251. Phot. Alinari 1254. Clarac 541, 1157.

G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 279

versetzte den Gott, vielleicht weil er das Motiv so verstand, in jene unbequeme Sitz- stellung, der man die Abstammung von einem Standmotiv noch anmerkt. Im übrigen änderte er die Aktion dem dargestellten Momente gemäß; Apollo hat im Wettstreit gesiegt und wird mit Lorbeer gekrönt; Marsyas soll geschunden werden. Die Augen träumen nicht in die Ferne, die Hand greift nicht in die Saiten; Hand und Blick sprechen den Befehl aus, die grausame Strafe an dem Unterlegenen zu vollziehen. Hier liegt also eine weitgehende Umformung des Gegebenen vor, die aber, wie es scheint, zum Teil auf unrichtiger Auffassung des antiken Originals beruht.

Es ist interessant, daß sich in einem späteren Werke Raffaels und seiner Schüler, der Hochzeit Amors und der Psyche in der Farnesina, eine ganz enge Anlehnung an die Grimanische Statue findet; der Apollo ganz links ist eine Rückenansicht des antiken Marmors. Das Gewand im Fresko verschleiert etwas das ursprüngliche Motiv, welches sich in der Vorstudie im Besitz der Albertina mit aller Deutlichkeit zu erkennen gibt'). Diese Zeichnung stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Giov. Franc. Penni, der auch die Figur im Fresko ausgeführt hat. Sie ent- spricht in den gegebenen Teilen genau dem Marmor; die Er- gänzungen sind ungefähr dieselben wie die heute vorhandenen von Alessandro Vittoria; nur die Lyra ist etwas anders aus- gefallen. Das Gewand, welches auf dem Gemälde um den linken Arm gewickelt und um den Unterkörper geschlagen ist, findet sich schon leicht angedeutet. Dieser Umstand sowie die individuellen Einzelheiten des Körpers und der äußere Habitus der Figur beweisen, daß es sich nicht um eine rein zeichnerische Ergänzung vor dem Marmor handelt, sondern um eine Akt-

: i : i i Vermählung Amors studie. So wird diese Zeichnung zu einem lehrreichen Dokument mit Psyche in der aus dem Umformungsprozeß, den der Künstler mit dem antiken Farnesina o Original vornahm. Er machte sich vielleicht eine zeicinerische Notiz vor dem Torso, ließ dann im Atelier das Modell die Stellung der Statue ein- nehmen und fixierte die gewählte Ansicht; den nackten Körper umkleidete er mit Gewand und übertrug ihn auf das Gemälde.

Es ist gewagt, aus diesen vereinzelten Nachahmungen einen allgemeinen Schluß auf das Verhältnis Raffaels zur Antike überhaupt zu ziehen. Man könnte aus dem Gegensatz zwishen dem Apollo in der Stanza della Segnatura und dem Krieger auf dem Loggienbilde folgern, daB das archaeologische Verständnis der Monumente und die Kraft der Phantasie in der Auffassung der antiken Werke zugenommen hat und infolgedessen der Anschluß an die Antike überhaupt enger geworden ist was mit den von Pulszky gewonnenen Resultaten annähernd übereinstimmen würde *]. Jeden-

Abb. 9. Apollo aus der

1) Fischel, Raphaels Zeichnungen (1898) no. 263. ?2) Carl von Pulszky, Beiträge zu Raphaels Studium der Antike. Diss. Leipzig 1877,

pag. 48 ff.

280 Monatshefte für Kunstwissenschaft

falls lassen die beiden Nachahmungen des Apollo Grimani und die Nachbildungen der Attaloskrieger die Distanz zwischen Meister und Schüler erkennen: Raffael verarbeitet das Vorbild völlig und geht darüber hinaus; Penni begnügt sich damit, es erreicht zu haben.

Der Apoll auf dem Farnesinafresko liefert einen Beweis dafür, daß die Mitteilungen Vasaris über die Götterversammlung und die Hochzeitsfeier der Psyche wôrtlid zu nehmen sind: „E nella volta fece il Concilio degli Dei in cielo; dove si veggono nelle loro forme molti abiti e lineamenti cavati dall’ antico, con bellissima grazia e disegno espressi: e così fece le nozze di Psiche con ministri che servon Giove, e le Grazie che spargono i fiori per la tavola ')“.

1) Ed. Milanesi IV, pag. 367.

Abb. 1. MITSUNAGA. Aus dem „Leben des Bandainagon“: Der Brand Kokka, Heft 182 o

Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst

und ihre Zeit Von William Cohn

Die Nebeneinander- und Gegenüberstellung der Maler Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu bietet für das Verständnis der ganzen japanischen Kunst eine Reihe höchst instruktiver Aufklärungen. Ihre Werke repräsentieren die zwei wichtigsten Stile der japanischen Malerei zwei in ihrem Wollen prinzipiell entgegengesetzte Stile. Mit- sunaga ist ein echter und hochbedeutsamer Meister der Yamato-Tosaschulen, Sesshu der kraftvollste Vertreter der chinesisch beeinflussten Richtung. Die Künstler sind aus zwei in ihrer Struktur ganz verschiedenen Kulturstufen herausgewachsen. Hier Fuji- wara-Kamakuraperiode, dort die Zeit der Ashikagashogune Japans Gotik und Renaissance.

Fujiwara no Mitsunaga war ein Kind der Übergangstage von der Fujiwara- zur Kamakuraperiode. Die Fujiwarazeit setzte ein mit dem Aufkommen der Fujiwarafamilie unter den Kaisern Uda und Daigo um das Ende des IX. Jahrhunderts. Die Kaiser waren damals zu vollständiger Ohnmacht verdammt ohne dass an ihrer Existenz etwa gerüttelt wurde. (Diesen Ruhm hat ja Japan: immer standen die Nachkommen einer einzigen Familie als Herrscher an des Landes Spitze. Aber wie nirgends in der Welt war der angestammte Herrscher dauernd so machtlos) 250 Jahre lang, bis um die Mitte des XII. Jahrhunderts, leiteten die Fujiwara die Staatsgeschäfte und das Land befand sich gut. Fast völliger Friede. Keine Bürgerkriege verheerten das Insel- - reich, wie späterhin bis zum Aufkommen der Tokugawa um 1600 fast ohne Unter- brechung. Handel und Industrie konnten blühen. Reiches religiöses Leben entfaltete

282 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 2. MITSUNAGA. Aus dem „Leben des Bandainagon“: Die Verhaftung Kokka, Heft 176 D

sich aller Orten. Vor allem aber nahmen Literatur, Malerei, Plastik und Kunstgewerbe einen glänzenden, für die Zukunft Japans ungeheuer bedeutungsvollen Aufschwung.

Die gesamte Kultur der Fujiwaraperiode zeigt eine deutlich nationale Richtung. Man begann die indischen und chinesishen Gedanken nun mit Erfolg innerlich zu verarbeiten oder abzustoßen. Man besann sich auf sich selbst. Ein Feudalzeitalter brach an. Das bedeutet nichts anderes, als daß die alten japanischen Traditionen der Familienherrschaft wieder gegen den von China geliehenen Einheitsgedanken auflebten. Gleich in den Anfang dieser Epoche fiel die Aufhebung des Verkehrs mit China, Sugawara no Michizane, der berühmte Minister und Gelehrte, riet im Jahre 895 keine diplomatischen Gesandtschaften mehr nach China zu senden, ja jeden Verkehr mit dem Festlande aufzugeben. In China hatten gerade die Wirren der sinkenden Tangdynastie und der 5 Dynastien eingesetzt. In Japans goldenem Engizeit- alter (901—22) wurde die erste offizielle japanishe Gedichtsammlung, das Kokinshu, auf Befehl des Daigo Tenno herausgegeben. Die jaganischen Kata- und Hiragana-Alphabete entstanden, während man bisher nur mit phonetisch gebrauchten chinesischen Charakteren schrieb. Eng damit hängt das Aufkommen einer natio- nal-japanischen Prosaliteratur zusammen. Wie die Frauen zuerst die Kanaal- phabete gebrauchten Onnaji, Frauenschrift werden sie genannt so waren sie auch die Schöpfer der japanischen Prosa, die jetzt im X. und XI. Jahrhundert eine nie wieder erreichte Höhe erstieg. Um das Jahr 980 kam das Kagero Nikki heraus, um 1000 das Genjimonogatari der Frau Murasaki Shikibu und das Makura no Soshi der Frau Sei Shonagon.

Aud der Buddhismus hörte damals auf, ein Fremdkörper innerhalb des japa- nischen Geistesleben zu sein. Immer untrennbarer verschmolz er mit dem Shintoismus. Japan begann sich seiner eigenen buddhistischen Heiligen zu rühmen. Selbständige japanische Sekten erstanden. Gerade in die Zeit Mitsunagas fallen die Gründungen einer ganzen Anzahl höchst einflußreiher Orden. Im Jahre 1124 stiftet Ryonin die Yuzu-Nembutsushu, 1175 Honen Shonin die Jodoshu, 1224 Shinran die Shinshu, 1253

W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 283

Abb. 3. MITSUNAGA. Aus dem „Leben des Bandainagon“: Die Schlägerei Kokka, Heft 1 | o

Nichiren die Nichirenshu, um nur einige zu nennen. Vor allem der Amidaglaube, der Glaube an das Paradies des Westens, an das Land „Bliss“, in dem Amida mit ihrem Gefolge von 25 Bodhisattwas unter Sphärenmusik die frommen Seelen empfängt, ist jetzt verbreitet und teilt Kunst und Literatur von seiner schönen Sehnsucht mit. Die ganze verhältnismäßig optimistishe Färbung des japanischen Buddhismus dürfte ein Produkt der Fujiwaraperiode sein.

Wir wollen das Erwachen des Nationalen in der japanischen Volksseele nicht weiter verfolgen, ein so reizvolles Thema es auch wäre. Nur einige wichtige Faktoren, die die Yamatomalerei verständlicher machen, sollten aufgezeigt werden. Es lag mir daran, darauf hinzuweisen, dass in der Fujiwarazeit die gesamte japanischeKultur sich zu einer kräftigenSelbständigkeit gegenüber fremden Einflüssen durchringt; eine Selbständigkeit, die sogar in der Kamakuraperiode noch stärker wird und ihren Höhepunkt in der Abwehr der Mongoleneinfalle unter Kublai Khan in den Jahren 1274 und 1281 erreicht. Man kann also mit ziemlicher Sicher- heit annehmen, daß der eigentümliche Stil der gleichzeitigen Yamatomalerei so ge- nannt als Gegensatz zu den fremdländischen Richtungen in seinem Wesen autod- thon ist. Natürlich, die Grundlagen auch des Yamatostils müssen bis zu einem gewissen Grade chinesisch sein. Ein wichtiger Teil aller ostasiatischen Kultur geht ja auf China zurück, das wieder selbst eine Fülle von Anregungen aus Süden Indien, und Westen Babylonien, Assyrien, Griechenland, Persien verarbeitet. Die Verhältnisse sind denen in Europa ähnlich, wo einmal Griechenland, Rom und Italien ein Ausgangs- punkt aller Kultur waren. Es handelt sich darum, nicht nur immer das Gemeinsame der ostasiatischen Schöpfungen herauszufinden, sondern die speziellen Entdeckungen

der einzelnen Völker kräftig zu betonen. Besonders wenn es sich zeigt, daß die 20

Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 4. MITSUNAGA. Aus dem „Jigoku-zoshi“: Marterort für Fleischesser Selected Relics. Band 10 D

speziellen Entdeckungen in einem Stile das Wesentliche ausmachen. Um hier schon vorzugreifen: jene weltfreudige und frische Erzählungsweise, jene reiche Beweglichkeit, jene besondere Raumanschauung, jene schillernde und frohe Farbigkeit des Yamatoye dürften ein neues und originales Geschenk der japanischen Künstlerseele sein.

So viel von den nationalen Geistesstr6mungen, die erst die Möglichkeit zu dem Aufkommen der Yamatomalerei gaben. Nun zu dem engeren Milieu unseres Yamato- meisters. Fujiwara no Mitsunaga dürfte während der Kämpfe der damals einfluß- reichsten Familien Japans, der Fujiwara, der Taira und Minamoto aufgewachsen sein. Als Knabe sieht er die seit Menschengedenken die Geschicke des Landes leitenden Fujiwara in den Staub sinken (1158). Der Jüngling mag den kurzen Traum der Herr- schaft der Taira, die die üppigen Feste der Fujiwara wiedererstehen lassen, mit auf- horchenden Sinnen durchkostet haben. Der Mann sieht die Taira fallen und erlebt den Beginn der ernsten Tage von Kamakura. So wechseln Krieg und Frieden Zeiten rauschender Freuden und rauhen Kriegsgetümmels. In Mitsunaga scheinen die Schat- tenseiten des ihn umgebenden Treibens am stärksten wiederzuklingen. So ist seine Kunst von ernster und dramatischer Art. Niemals gibt er sich jener anderen Richtung des Yamatostils hin, die sentimentale Liebesszenen, Hoffeste und Hofzeremonien deko- rativ und in bewegungsloser Gemessenheit behandelt.

Über Mitsunagas persönliche Lebensschicksale ist nur wenig Authentisches be- kannt. Wie ja die Daten fast aller Yamatomeister noch im Dunkeln liegen und die meisten Zuschreibungen noch recht unsicher sind. Sein Name beweist, daß er aus der vornehmsten Aristokratie seines Landes stammt. Ein einziger Bericht vermittelt einen festeren Anhalt über den Wirkungskreis unseres Malers. Er soll im Jahre 1173 für das Midoschloß ein Bild gemalt haben, daß den Kaiser Takakura darstellt, wie er den

W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 285

Abb. 5. MITSUNAGA. Aus dem „Jigoku-zoshi“: Marterort für Betriiger Kokka, Heft 81 O

Hiyetempel in der Provinz Omi und die Kaiserin, wie sie den Hiranotempel in Kyoto besuchen. Fujiwara no Takanobu soll ihm hierbei die Köpfe der Hofchargen ausge- führt haben. Aus diesem Auftrag folgt jedenfalls mit Gewissheit, daß Mitsunaga einer der angesehendsten Maler der Zeit gewesen sein muß. Von seinem Mitarbeiter Taka- nobu weiß man gleichfalls nicht viel. Nur das eben erwähnte Datum, Geburts- und Todesjahr (1142 und 1205) und daß er der Vater des berühmten Fujiwara no Nobuzane ist. Nobuzanes, des Schöpfers eindrucksvoller Porträts, Emakimonos und buddhistischer Gôttergestalten. Mitsunaga lebt also in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts. Sein unmittelbarer Vorgänger, der auch auf seine Kunst bestimmend eingewirkt haben muß, ist Toba Sojo (1053—1140), wohl der erste bedeutsame Yamatomeister. Die dramatische Richtung des Yamatostils, die Mitsunaga pflegt, hat in ihm ihren Schöpfer.

286 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 6. MITSUNAGA. Aus dem „Jigoku-zoshi“: Bishamon tötet Dämone Kokka, Heft 51 O

Die lyrische Richtung der nationalen Malerei vertritt in der Zeit unseres Meisters vor allen Fujiwara no Takayoshi, der erste Direktor des Yedokoro, d. h. der Malakademie, die mit dem Kasugatempel in Nara verbunden war. Mitsunagas Nachfolger diirfte Sumioyoshi Keion gewesen sein, dessen Existens übrigens von Okakura Kakuzo, einem der hervorragendsten modernen japanischen Autoren angezweifelt wird.

Mitsunaga werden vier groBe, je aus mehreren Emakimonos!) bestehende Arbeiten zugeschrieben, außerdem einige buddhistische Kakemonos. Keines der Werke ist wirklich authentisch. Man muß sich aber mit den traditionellen Attributionen begnügen, da man bisher keine besseren hat. Jedenfalls verbindet die vier Bildrollen eine außerordentliche Verwandtschaft, so daß ihre Herkunft von einer Hand wenigstens ziemlich fest steht. Ziemlich fest steht auch, daß die Werke der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts angehören. Und das ist ja schließlich für ein Verstehen schon wichtig und fruchtbringend genug.

Am berühmtesten unter Mitsunagas Werken sind die Illustrationen zu den Anekdoten des Ban-Dainagon im Besitze des Grafen Tadamichi in Sakai (Abb. 1—3).

1) Emakimonos sind sehr lange, 30—40 cm hohe Papierstreifen, die der Länge nach um einen Elfenbein- oder Holzstab gerollt werden. Zur Besichtigung rollt man sie auf und legt sie vor sich hin. Die vorliegenden Reproduktionen geben immer nur Abschnitte. Die Yamatomeister malten in weitaus den meisten Fällen Emakimonos. Daneben kommen nicht zu vergessen Setzschirme und Kakemonos im Yamatostil vor. Die Emakimonos sind europäischen Buchillumi- nationen zu vergleichen. Beide hatten übrigens zur selben Zeit ihre Blüte.

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Abb. 7. MITSUNAGA. Aus dem „Jamai-zoshi“: Ein Albino auf der Straße Kokka, Heft 210. D

Uber Zeit und Verfasser des zugrunde liegenden Textes kann ich nichts Naheres be- richten. In den Literaturgeschichten von Florenz und Okasaki wird nichts darüber gesagt. Jedenfalls handelt es sich um ein Tage- oder Skizzenbuch aus der Heian- periode (792—1186), wie solche vielfach bekannt sind. So z. B. das Tosanikki und das Makura no Soshi. Ich bespreche nur die Teile der langen Bildrolle, die besonders charakteristish sind und am besten reproduziert erscheinen. Zuerst ihr Inhalt: Herr Ban-Dainagon Dainagon ist ein alter Hoftitel hat ein großes Verbrechen be- gangen. Er hat das Tor des kaiserlichen Palastes angesteckt. Auf dem ersten Bildteil sehen wir eine sich drängende, erschreckte Menge vor Rauchwolken und züngelnden Flämmchen (Abb. 1). Die nachste Szene zeigt eine Militärabteilung, die zur Verhaftung des Verbrechers abgeschickt ist. Dieser sucht die Schuld von sich abzulenken und auf andere zu schieben (Abb. 2). Inwiefern die Schlägerei der dritten Szene mit der Brandstiftung zusammenhängt, konnte ich nicht feststellen. Das stilistische Haupt- moment des Ban-Dainagon-emakimonos ist die Konzentrierung auf reichste Be- wegung. Es herrscht eine fast verwirrende Unruhe auf der ganzen Rolle. Man findet schlechterdings keine einzige Figur, die irgendwie den Eindruck ruhigen Sich- gebens macht. Alles zappelt, hoppst, rennt, biegt sich nach rechts und nach links, blickt nach oben und nach unten, agiert mit Händen und Füßen. Vor jedem Kunst- werke sollte man wartend stehen, sollte man sich vorerst des Urteils enthalten. Erst muß klar und unzweideutig erfaßt sein: was will der Künstler, worauf legt

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Abb. 8. MITSUNAGA. Aus dem „Gaki-zoshi“: Marktszene Kokka, Heft 208 o

er den Hauptakzent. Mitsunaga erzählt seine Geschichte unter ausdrücklicher Be- tonung reih bewegter Menschenmassen. Nun ist Beschränkung auf das Hauptziel eins der ersten Gesetze der bildenden Kunst. Deshalb müssen viele Momente der Wirklichkeit negiert werden, um ein einziges klar zur Anschauung zu bringen klarer als das Leben es je zu bieten vermag. Mitsunaga will uns von der Erregung seiner Gestalten überzeugen. So stellt er uns eine ungeheure Fülle treffender und überraschender Bewegungsmotive vor Augen. Es würde zu weit führen, sie hier ein- zeln zu verfolgen. Man müßte Figur für Figur durchgehen. Und in der Tat, es gibt nichts Reizvolleres, als die Aktionen einer jeden Gestalt in Gedanken nachzuschaffen. Was wird aber alles zugunsten dieser Bewegungskunst negiert? (Und den meisten Beschauern fällt gerade das, was der Meister bewußt hintenansetzte, zuerst ins Auge.) Da sind verrenkte Körper, da sind die unmöglichsten Hände und Füße, verkrüppelt, verzerrt, zu klein und zu groß, und alle nach demselben Schema gearbeitet. Doch je tiefer man sih in das Emakimono versenkt, um so deutlicher erkennt man, daß alle diese Mängel in gewisser Weise sogar Vorzüge bedeuten. Die Vernachlässigung der Einzelzeichnung läßt das Detail in einem größeren Ganzen aufgehen. So kann inten- sives Massenleben kräftiger zum Ausdruck gebracht werden. Wir kennen ja diese Auffassungsart aus modern-europäischer impressionistischer Malerei. An die Köpfe von Mitsunagas Gestalten wird sich im allgemeinen der stärkste Vorwurf knüpfen. In der Tat sind sie kaum besser fortgekommen als die Extremitäten. Es handelt sich bei den dramatischen Werken in der ganzen Yamatokunst nur selten um den einzelnen Menschen. Selten ist, wie wir es in Europa gewohnt sind, eine einzige Persòn- lichkeit Mittelpunkt der Komposition. Immer gilt es der Darstellung eines Haufens von Menschen, einer Masse. Jede Figur ist gleichwertig, aber auch in gleicher

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Weise unbetont. Der Meister saugt sich nicht an den Gesichtern fest. Er sucht ihnen nur Einheitlichkeit mit dem Körper zu verleihen.

Mitsunaga arbeitet immer mit scharf hingesetzten Umrissen. Niemals ist die Linie zu Flecken aufgelöst, wie man es auf chinesischen Bildern so oft finden kann. Die Bewegung der Figuren wird von einem reißend über das Papier eilenden Pinsel geschaffen. Die Figuren sind mit ausgeschriebener Hand niedergeschrieben, könnte man sagen. Damit ist auch ein leises Ver- hältnis zur Kalligraphie angedeutet. In der Yamatokunst ist dieses Verhältnis aber nicht eben viel stärker als etwa auf Handzeichnungen Rembrandts. Von wirklichen kalligraphischen Elementen darf man erst in der chinesisch beein- flußten Kunst des XV. Jahrhunderts sprechen, besonders bei Meistern der Kanoschule.

. Ebenso interessant wie die Illustra- tionen zum Leben des Ban-Dainagon sind die zum Jigoku-zoshi, zu dem Hôllenbuch (Abb. 4—6). Florenz er- wähnt das Emakimono in seiner Lite- raturgeschichte. Drei Abschnitte der Rolle, die sich im Besitze des Herrn Masuda befindet, lege ich vor. Auf dem ersten schleppen Teufel nackte Bonzen, die sich an dem buddhistischen Fleischverbot vergangen haben, heran, um sie in siedendes Wasser zu werfen. Ein tierköpfiger Dämon trägt zwei sich mit Füßen und Händen wehrende Mensch- lein mit rasender Schnelligkeit herbei. Ein anderer, im Äußeren einem Ni-o ähnelnd, macht sich die Sache leichter. pp, 9. SESSHU. Winterlandschaft Der sündige Herr muß selber laufen; Selected Relics. Band 10 und da er keine sonderliche Lust dazu hat, zerrt ihn der Teufel recht tüchtig. Auf der anderen Seite der Marterort selbst. Der Maler denkt offenbar an heiBe Sprudel, wie es solche vielfach in Japan gibt. Eine Anzahl Sünder brühen schon; Köpfe, Hände Füße gucken aus dem Wasser heraus. Dahinter gebirgiges Land. Die Art der Landschaftsauffassung erinnert überraschend an die des italienischen Trecento. Unsere zweite Szene spielt in dem Teil der Hölle, in welchem die Betrüger und Fälscher bestraft, werden. Drei anmutig anzuschauende Gesellen bereiten alles Nötige zur Folterung vor. In dem Feuer werden Eisenklötze zum Peinigen der Verbrecher glühend gemacht. Ein Oberteufel mit drei Augen,

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herabhängenden Brüsten und einer furchtbaren Schnauze scheint die Arbeit zu beauf- sichtigen. Das letzte Stück erzählt von einer Niederlage der Dämonen: Friedlich in einer Bergeinöde vor seiner Strohhütte sitzt ein Bonze. Das kleine Tischchen vor sich. Auf dem Tischchen ein Kasten mit heiligen Schriften. Er studiert das Saddharma- pundarika-sutra, das japanische Hokekyo, das Lotus des wahren Gesetzes. Da stürmen durch die Lüfte beflügelte ‘Geister heran, um den Frommen zu stören. Doch Vaisra- vana, der japanische Bishamonten, er- scheint auf Wolken, den Gläubigen zu schützen. Seine Pfeil töten einen der Angreifer nach dem andern.

Eine Fülle von inhaltlichen Fragen drängt sich vor diesen Höllenbildern auf. Wie steht es um den Zusammenhang der Buddhistischen Hölle mit der christ- lich-danteschen? Wie verhält sich die Ikonographie aller dieser Dämonen zu der der indischen Garudas, Nagas und Yakshas usw. Der Versuch, auf alle diese Fragen einzugehen, würde zu weit führen. Daß engste Zusammenhänge bestehen, ist jedenfalls sicher. Nur das sei hier betrachtet, was die Bilder zu Kunstwerken macht. Die Gemeinsam- keiten mit dem vorigen Emakimono sind klar zu erkennen. Wieder rapideste Bewegung. Wie die Dämonen vor den Pfeilen Bishamons durch die Lüfte fliehen, ist mit großer Kraft heraus- gebracht. Wie wird diese Kraft noch verstärkt durch die friedliche Ruhe, die über der Einsiedlerhütte liegt (Abb. 6). Nicht minder temperamentvoll schleppen die beiden Teufel ihre Opfer heran. Überzeugend ist das Tragen und Sich- wehren sichtbar gemacht (Abb. 4). Die am Feuer hingelagerten Gestalten (Abb. 5) wirken ebenfalls äußerst unruhig durch ihre flackernden Linien. Das ist Mitsunagas Pinselstrich mit seinem kurzatmigen Lauf, seiner ungeheuren Nervosität, seiner nie rastenden Hast und mit seiner suggestiven Kraft.

Aus den beiden letzten Emakimonos, dem Gaki- und Yamai-zoshi') will ich nur noch zwei Bildteile anführen, die besonders lebendige und inhaltlich interessante Straßen- szenen wiedergeben: Hier ein Albino, der von Voriibergehenden verspottet wird

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Abb. 10. SESSHU. Herbstlandschaft Selected Relics. Band 10

1) Gaki-zoshi, d. s. die Geschichten von den hungrigen Teufeln; Yamai-zoshi, Kranken- geschichten.

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Abb. 11. SESSHU. Landschaft o Selected Relics. Band 4

(Abb. 7); dort buntes Marktleben, in das sich durstige Ungeheuer verirrt haben (Abb. 8). Mit diesen Darstellungen aus dem Treiben des Volkes greift Mit- sunaga bereits den in Europa so bekannten Ukiyoyemeistern vor.

Tun wir jetzt noch einen Blick auf die räumlichen Eigenschaften unserer Emakimonos. Im ersten Augenblick dürfte es scheinen, als fehle ihnen jegliche einheit- lihe Durchführung des Raumes. Dem ist aber nicht so. Eine ganze Reihe von per- spektivischen Prinzipien läßt sich aus den szenischen Anordnungen herauslesen. Auf fast allen Blättern ist deutlich zu erkennen, daß die vorderen Gestalten, also die dem Beschauer näheren, kleiner sind als die hinteren, die dem Beschauer ferneren. Wir haben also genau das entgegengesetzte Verhältnis, wie es in Europa Brauch ist. Brauch ist, sage ich; denn die europäische Perspektive ist durchaus nicht die einzig mögliche. Dann: Entweder sind die Figuren einfach übereinandergesetzt, um eine klare Gliederung der Menschengruppen zu erzielen. Oder der Maler blickt von schräg oben und hinten auf die Bühne herab ebenfalls aus einem wirklichkeits- unbekümmerten Klarheitsstreben heraus. Anßerdem, auf keiner unserer Szenen ist ein Horizont zu sehen. Bald agieren die Menschen ohne jede Milieuangabe im Leeren, bald haben wir eine bescheidene Angabe des Terrains und Wolkenstreifen in der vordersten Raumschicht als Ersatz für den Horizont und als Abschluß nach vorne zu. Diese Momente sind in der ganzen Yamato-Tosakunst wiederzufinden und noch eine ganze Anzahl hierhin gehöriger mehr, zu deren Anschauung unsere Beispiele keine Gelegenheit bieten. Ich will jetzt nicht versuchen, dem Ursprung und der Synthese dieser Raumgedanken nachzugehen. Nur die Existenz ganz bestimm- ter, vollberechtigter Raumgesetze sollte konstatiert werden. Noch eines: Daß diese Gesetze so wenig auf wissenschaftlihe Eroberung der Wirklichkeit gerichtet sind, kommt daher, daß japanische Malerei immer eine Kunst der Sug- gestion ist und nicht eine Kunst der Naturnachahmung. Die Phantasie des Beschauers soll aufs regste zur Mitarbeiterschaft herangezogen, soll aber auch in die Welt des Künstlers gezwungen werden.

Fujiwara no Mitsunaga ist ein Maler, in dem echter Japanergeist zum Aus-

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druck kommt, ein Maler, der die Ideale der Yamatoschulen mit besonderer Kraft ver- tritt. Reiche Phantasie, eine ausgeprägte Freude an der Beobachtung des umgebenden Lebens, an der Beobachtung von Hoch und Niedrig (man denke an die Höllenbilder und an die Straßenszenen), lebhafteste Vorliebe für Farben und ein tiefer Drang seine Geschöpfe nie rasten und ruhen zu lassen sind seine bestechendsten Eigenschaften. Mitsunaga ist ein Meister der Massendarstellungen. Die Yamatoschulen kultivieren ja dieses Motiv schon an sich gerne; aber unser Maler bewältigt es am vorzüglichsten. Er dürfte darin sowohl Toba Sojo, wie Sumiyoshi Keion übertreffen. Im Einzelnen setzt immer wieder die Kraft und Intensität in Erstaunen, mit der es Mitsunaga gelingt, das Hinweisen, das Beifallsklatschen, das Zuschauen, das Sich-umwenden, das Neu- gierig-heranstürzen, das Angstlich-sich-abwenden usf. herauszubringen.° Eng hiermit hängt seine auffallende Beherrschung überraschender Verkürzungen zusammen. Das beweist deutlich, daß den japanischen Maler die Bewältigung von Verkürzungsproblemen wohl beschäftigt. Alles in Allem Mitsunagas Kunst steht in vollem Gegensatz zu der unseres zweiten Malers, Sesshus, der sein Größtes und Bestes Chinas gewaltiger Kultur zu verdanken hat.

Sesshu ist der feinste künstlerische Extrakt der Ashikagazeit (1333—1573). Immer komplizierter wird es, die in Japan herrschenden Geistesstr6mungen zu erfassen, je weiter wir in der Zeit vordringen. Die Seele der Ashikagaperiode nachempfinden zu wollen, möchte eine besonders schwierige Aufgabe sein. Drei Momente bilden, scheint es, die Grundpfeiler des Zeitabschnittes, der seinen Namen nach den damals regierenden Shogunen aus der Familie der Ashikaga erhalten hat: Die fortgesetzten Bürgerkriege mit ihren Folgen, die erneute Verehrung alles Chinesischen und schlieBlih der übermächtige Einfluß der Zensekte. Auch die Kamakurazeit, die Fujiwara- und Ashikagaperiode verbindet, war reich an Kriegen. Aber damals hielt man den Krieg für die notwendige, ja für die einzig würdige Beschäftigung des Adels. Es war ebenso, wie in dem höfischen Mittelalter Europas, das ja noch viele andere Gemeinsamkeiten mit der Kamakurazeit aufweist. So den Minnedienst, den Bardensang, die Rittergeschichten und die religiöse Sehnsucht. Seit dem Anfang des XIV. Jahr- hunderts aber hatten die lange Dauer und die furchtbaren Verwüstungen aller Orten die Kriege unerträglich gemacht. Hinzu kommt, daß die Sitten des Krieges naturge- mäß immer roher, die Soldateska immer zuchtloser wurden. Die gleichzeitige Literatur ist voll von Klagen über die Unsicherheit und Verödung des Landes. Der zweite Punkt: Der Verkehr mit China, lange fast gänzlich unterbrochen, wurde wieder reger. Anfangs vor allem durch die chinesische Einwanderung. Die Angriffe der Mongolen gegen China veranlaßten auch viele Künstler zur Überfahrt nach Japan. Sie brachten die chinesische Kunst der Sung- und Yüan-, das ist der Mongolen- dynastie, in das Inselreih. Um 1360 wurden dann die Mongolen aus China verjagt. Es begann die Zeit der Mingkaiser, nicht gerade bedeutsam für die bildende Kunst, um so mehr aber in Politik und Literatur. China stand in den Augen Japans wieder so gewaltig da, daß der Ashikagashogun Yoshimitsu um 1390 eingewilligt haben soll, einen Tribut an China zu bezahlen, um vom chinesischen Kaiser als König von Japan anerkannt zu werden. Nicht nur auf das zeitgenössische China blickte Japan

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Abb. 12. SESSHU. Landschaft © Selected Relics. Band 4

voller Verehrung, sondern auf die ganze glorreiche Vergangenheit des Landes der Mitte. Und Japan war jetzt in ganz anderer Weise gerüstet, sich in Chinas Kultur einzuleben als früher in der Suiko- und Naraperiode (VII. und VIII. Jahrhundert). Denn es hatte eine fünfhundertjährige eigene Geistesentwicklung hinter sich. Wir kommen zu dem Hauptpunkt. Die Zensekte zog die gesamte japanische Intelligenz in ihren Bann. Schon in der Kamakurazeit begann der Aufstieg der durchgeistigten Lehre Bodhidharmas. Und je ungünstiger die Zeitverhältnisse wurden, je mehr die frische Naivität des Japaners dahinsank, je mehr der EinfluB von China sich geltend machte, um so weiteren Boden gewann die Zenphilosophie. Ich will hier nur einige Hin- weise geben. Taoistische, neokonfuzianistische Gedanken vermischen sich in der Zen- philosophie mit buddhistischen. Der Geist steht im Weltganzen am höchsten. Durch- geistigte Schönheit ist das Lebensprinzip des Universums. Sie atmet in dem Silber- schein des Mondes, in dem Perlenstaub des Wasserfalles, in dem Schleierdunst der Atmosphäre, in den ziehenden Wolken, in dem Wandern des Bächleins und im Da- hinbrausen des Stromes. Der Mensch sollte alles Nichtige ablegen und sich von allen Außerlichkeiten unabhängig machen. Der Sieg über seine Gelüste ist das Erhabenste, was er erstreben kann. Von dem Trubel der Welt sollte er sich zurückziehen und nur den Geheimnissen der Natur und seines geläuterten Herzens lauschen. So wird ihm der äußere bunte Flitterschleier von den Dingen der Welt abfallen und ihre innere Schönheit sich enthüllen. Die geistige aus der Tiefe leuchtende Schönheit in schlichter Einfachheit anschaulich zu machen, ist das hohe Ziel der Kunst. Ohne diese Ge- danken, die die Zensekte und ihre Zweige, die Rinzai- und Sotosekte in Japan predigten, wäre die Kunst der Ashikagazeit unverständlich. Es ist klar, daß die naive Yamato-Tosakunst alle diese Ideen nicht zum Ausdruck zu bringen vermochte. Solchen Zielen entspricht eine weltfremde romantische Kunst, die durchgeistigte, meditierende Gestalten schafft, die Seele und Stimmung der Natur zu erfassen sucht, So wurde die edle Sungmalerei Chinas zum hehren Vorbild für den japanischen Bildner. Er blickte sehnsüchtig zu ihr auf, wie der Mensch des italienischen Quattro- und Cinquecento zur Antike emporsah.

294 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Schon im XII. Jahrhundert wurde in Japan hier und da in chinesishem Sung- stile gemalt. Wirkliches Heimatsrecht in Japan erhielt das Karaye, d. h. das Chinabild, erst mit den Meistern Cho Densu (1352—-1432) und mit Josetsu (cr. 1394 1428). In Josetsus Atelier arbeiteten, so wird erzählt, als Schüler Shubun, Sesshu und Kano Masa- nobu. Diese drei Meister gründeten die drei wichtigsten japanischen Malersculen chinesischen Einflusses: die Shubunschule, auch ältere chinesische genannt, die Sesshu-, auch Unkokuschule genannt und die Kanoschule.

Über die Maler der Ashikagaperiode und ihr Oeuvre sind wir viel besser orientiert, als über die der vergangenen Fujiwara- und Kamakurazeit. Sesshus Leben ist mit einiger Klarheit zu übersehen, wenn auch von einer chronologischen Einordnung seiner Werke noch nicht die Rede sein kann. Der Künstler ist im Jahre 1420, also unter dem Shogunat des kunstsinnigen Ashikaga Joshimochi, der selbst Maler war, geboren. Schon mit 13 Jahren trat er in ein Kloster der Zensekte ein. Doch das Studium der buddhistischen Schriften ent- sprach nur wenig der Neigung des Jünglings. Unwiderstehlih zog es ihn zur Malerei hin. Trotz des Unwillens seiner Lehrer ließ er nicht von seiner Leidenschaft ab. Später finden wir ihn in dem Kloster Shokokuji zu Kyoto, als Schüler der Maler Josetsu und Shubun. Denn auch diese Meister waren wie fast alle Künstler der Ashikagazeit Bonzen. Malende Mönche wem kommt da nicht Fra Angelico in den Sinn, der Malermönch von St. Marco in Florenz. Im Jahre 1465 oder 1468, also als gereifter Mann, verließ Sesshu Japan zu einer längeren Reise nach China. Mochte ihn nun innere Abb. 13. SESSHU. Goldfasan und Kiefer Unzufriedenheit dazu veranlaßt haben oder

Kokka, Heft 60 è war es für einen Maler überhaupt Sitte,

nach China zu gehen, dem Lande der maB-

gebenden Kunst. Wie etwa für einen Dürer die Italienreise das größte Ereignis seines Lebens war. In China herrschte damals der Mingkaiser Hsien-tsung. Die Malerei der Mingzeit konnte dem hochstrebenden Geiste Sesshus keine neuen Bahnen weisen. In der Tat ist die chinesische Malerei des XV. und XVI. Jahrhunderts mit wenigen Ausnahmen Dekadenzkunst. Sie steht auf demselben Niveau, wie z. B. die

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W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 295

italienische Malerei nach dem Tode Michelagniolos. Die Vasari, die Caracci, die Bas- sani, die Domenichini waren am Ruder. Unzahlige Werke wurden in den Malfabriken Chinas hergestellt. (Vor den chinesischen Gemälden der Berliner Akademieausstellung, die fast nur Werke aus der Mingzeit enthält, sollte man das alles nicht vergessen.) Un- befriedigt, so wird berichtet, sucht Sesshu nun von der Natur allein zu lernen. Wenn es auch unleugbar ist, daß unser Meister einige auffallend naturwirkliche Landschaften gibt, die fast an Hiroshige mahnen, so ist doch diese Behauptung nur bedingt zu nehmen. Viel verständlicher wäre die Angabe, daß er die Kunst der Sungzeit studiert, die so unendlich viel höher steht als die der Ming- dynastie. Von den großenSungmeistern er- scheinen Ma Yüan, Hsia Kuei, Liang Kai, Mu-chi und Yen Hui am meisten auf ihn eingewirkt zu haben. Sesshu bekleidet in China die Stelle eines höheren Priesters an einem Tempel. Später reist er im Lande umher und besucht viele berühmte Örtlich- keiten. Es werden wohl jene landschaftlich hervorragenden Gegenden an den Flüssen Hsiao und Hsiang gewesen sein, die den chinesischen Landschaftern die Anregung zu einer stereotypen Folge von acht Landschaften gegeben haben. Inzwischen ist der Kaiser Hsien-tsung auf unsern Künstler aufmerksam geworden. Sesshu erhält den Auftrag, den Zeremoniensaal des kaiserlichen Palastes aus- zumalen. Eine solche Auszeichnung war für einen japanischen Künstler unerhört. Der Herrscher des als Wiege aller feineren Kultur angestaunten China hält einen japanischen Maler für würdig, sein Schloß mit Fresken auszuschmücken. Nicht zuletzt auf diesem Auftrag beruht Sesshus so großer Ruhm in Japan. Hochangesehen kehrt der Meister in Abb. 14. SESSHU. Falke

Jahre 1469 oder 1470 in seine Heimat zu- Kokka, Heft 210

ruck. Dort griindet er den Tempel Unkokuan

in Yamaguchi und lebt in ihm viele Jahre. | Nach diesem Tempel wird Sesshus Schule auch Unkokuschule genannt. Doch er sollte sich nicht der ungestörten Ruhe des Alters erfreuen. Er wird vor dem Daimyo von Suwo aus irgend einem Grunde verleumdet

296 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

und daraufhin nach Otoyoshi verbannt.

Dort stirbt er im Kloster Daikian, hochbetagt

im Alter von 86 Jahren. Sein Einfluß auf die japanische Kunst war ungeheuer. Viele

Abb. 15. SESSHU. Hakadıo Kokka Heft 214 ©

Schüler hatten sich um ihn gesammelt. Die hervorragendsten waren Sesson und Shugetsu. Sesshu war eine höchst komplizierte Natur. Heute würde man ihn vielleicht dekadent nennen. Bevor er an die Arbeit ging, so wird erzählt, pflegte er sich erst ordentlich Begeisterung anzutrinken. Beim Trinken spielte er die Flöte oder sang japanische und chine- sische Lieder. Dann ergriff er plôtzlich den Pinsel und schuf sein Werk in einem Zuge. Der Meister hat ein äußerst umfangreiches Oeuvre hinterlassen. Doch viele Zuschrei- bungen sind noch strittig. Ich habe nur einige typische Beispiele ausgewählt, um die ver- schiedenen Arten seiner Malweise einigermaßen charakterisieren zu können. Schufen Mitsu- naga und die Yamatomeister vor allem illustrierende Emakimonos, so geben Sesshu und die Ashikagamaler weitaus zum größten Teile wandschmückende Kake- monos. Daneben kommen auch Fusuma- malereien, Setzschirme und Emakimonos vor. Waren Mitsunagas Schöpfungen reichfarbig, so sind Sesshus meist monochrom. Die Re- produktionen vermitteln also hier eine adae- quatere Vorstellung der Originale, als es bei den bunten Blättern Mitsunagas möglich war. Ich bespreche zuerst zwei Kakemonos einer Serie von vier Landschaften aus dem Be- sitze des Marquis Kuroda, die die vier Jahres- zeiten darstellen sollen eines der belieb- testen Motive chinesischer Landschaftskunst. Jedes Stück hat ein mittleres Format, wie es auch in Europa allgemein gerne genommen wird. Außerdem zwei Abschnitte eines Land- schaftsemakimonos aus dem Besitze des Fürsten Mori, das 40 cm hoch und sehr lang ist.

Winter und Herbst sind die Titel der beiden Kakemonos (Abb. 9 und 10). Im Winter sitzt der einsame Eremit in seiner Hütte und genießt den Anblick der schneebedeckten Bergwelt. Im Herbst liegt er verträumt in seinem Boot und angelt. Beide Motive sind in der chinesischen und chinesisch-japanischen Kunst immer wieder

W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 297

zu finden. Stimmen sie doch so recht zu dem naturbegeisterten und weltfernen Ideal der Zensekte. Auf beiden Werken ein enger Bergkessel. Dicht vor uns bauen sich die mächtigen, zackigen Felsen auf. Und gewaltige Baume mit weit ausladendem Geäst nehmen den letzten Rest von Luft. Das ist die Weise der nördlichen Schulen Chinas, die der dramatischen Richtung im Yamatoye entsprechen dürfte. Die südlichen Schulen Chinas lieben weich sich neigende Hügel und offneres Gelände keine heroischen, sondern lyrische Stimmungen. Das Winter- bild ist weit ernster gehalten als die Herbst- szene. Kein befreiender Ausblick, kein Laut mildert den Druck der aufgetürmten Mauern. Auf der Herbstszene stürzt ein Gießbach brausend heran auf der einen Seite Öffnet sich das Tal und läßt das Auge frei und er- löst in die endlose Ferne schweifen. Solche effektvollen Nüancen gelingen nur einem Sesshu, dem größten Meister des Karaye. Auch der wuchtige Aufbau der Landschaften in seiner großen Einfachheit und vor allem die luftperspektivischen Wirkungen. Denn ähnlich wie in der europäischen Malerei ist auch in der chinesisch beeinflußten die Fein- heit der Tiefenwirkungen ein wichtiges Ele- ment des ästhetischen Eindrucks. Allerdings wird die Tiefe mehr durch die Beobachtung atmosphärischer Erscheinungen, durch Ab- schattierung der chinesischen Tusche hervor- gerufen, als durch voluminös modellierte Fels- formationen, durch räumlich klare Verbin- dungen, durch nach hinten führende Wege oder Ströme. Man beachte wie die Nebel um die Berge spielen, wie die Bäume allmählich immer mehr in der Luft verschwinden Abb. 16. SESSHU. Bodhidharma

und schließlich kaum noch bemerkbare Selected Relics. Band 15 Schatten bilden.

Die beiden eben besprochenen Landschaften sind in ihrem Gerippe typische Bei- spiele chinesisch-japanischer Landschaftsmalerei. Keine Naturausschnitte, sondern komponierte idealistishe Szenen nach Stilprinzipien, wie sie etwa einen Claude Lorrain bestimmten. Das schließt, wie sich von selbst versteht, nicht Naturstudien aus. Im Gegenteil, vorerst sind alle Details aus der Natur genommen. Und der Maler muß den Aufbau des natürlichen Geländes mit besonderer Intensität studieren und dessen Stimmungsgehalt nachzuempfinden suchen, um dann aus eigener Phantasie so überzeugende Landschaftsstücke schaffen zu können. Die Kompositionsweise solcher

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Werke ist weder in Europa, noch in China und Japan sehr mannigfaltig. Bald hat sih ein gewisses Schema herausgebildet. Und nur dem Größten gelingt es, dieses Schema mit kraftvollem Leben zu erfüllen. Sesshu sprengte sogar bisweilen das Schema. Die beiden anderen Landschaftsbeispiele beweisen das. Die Rolle, zu der sie gehören, gilt als des Meisters bedeutendstes Werk. Sie ist datiert und stammt aus der Spät- zeit des Malers, als er 67 Jahre alt war. Hier versteht man den Ausspruch der ja- panischen Quelle, daß Sesshu die Natur zur Lehrmeisterin nahm. In der Tat sind so naturwirklihe Landschaften in der Kunst der früheren Ashikagazeit vielleicht einzigartig. Es muss sich direkt um eine Arbeit nach der Natur handeln. Schon die größere Greifbarkeit, in die das Ganze für den Beschauer gerückt ist, zeigt das. Noch mehr aber gewisse Details. Im Allgemeinen spielt das Detail in der chinesisch beein- flußten Landschaftsmalerei fast gar keine Rolle. Der Blick des Malers ist auf das Ganze gerichtet, auf die Stimmung. Wo ein Detail mehr in den Vordergrund treten soll, wird es fast immer sehr schematisch gegeben. Auf Sesshus Rolle von 1497 aber sind die Einzelheiten überraschend frei behandelt. Das Wasser nicht nach dem be- kannten Wellenshema. Der mächtige Felsvorsprung führt, auffallend scharf durchmo- delliert, in die Tiefe. Die Raumtiefe selbst ist so hervorragend durchgeführt dies- mal nicht nur durch athmosphärische, sondern auch durch lineare Mittel wie höchstens noch bei einigen Landschaften Kano Motonobus. Der Charakter der Bäume ist per- sönlicher gefaßt, als man es sonst gewohnt ist. Eine Pagode ragt hervor. Daneben findet sich natürlich Schematisches genug. So die Zeichnung einiger Felspartien, der Häuser, der verschwimmenden Berge.

Sowohl die Landschaftsserie, wie das Landschaftsemakiono sind einfarbig. Einige zarte Farbenandeutungen auf den Jahreszeitenbildern verändern den Charakter des Monochromen kaum. Monochromie symbolisiert so recht die Sehnsucht nach Inner- lichkeit, Selbstentsagung und Einfachheit der Künstlermönche aus der Ashigagazeit. Es ist, als wenn alle AuBerlichkeit abgelegt ist und nur die Seele spricht. Einfarbig- keit ist eigentlich ein falscher Ausdruck. Denn eine der feinsten Eigenschaften der Ashikagamalerei ist gerade der Reichtum an Nüancen, die sie aus der Schwarz-weiB- und Schwarzbraunskala herauszuholen weiß. Und wieder steht Sesshu an der Spitze. Eine wunderbare Tonigkeit liegt über seinen Landschaften. Vom tiefsten vollsten Schwarz gleitet er bis zu dem leisesten Verklingen der Halb- und Vierteltöne.

Noch drei Tier- und drei Figurenkakemonos, sämtlich bezeichnet, ziehe ich her- an. Drei verschiedene Auffassungsarten. Der Goldfasan (Abb. 13) auf dem Kiefern- stamme ist farbig. Man vergleiche diese Farbigkeit mit der auf Mitsunagas Werken. Keine bunte Farbenfreude, sondern gemessene Zurückhaltung. Das reich variierte Schwarz behält den Hauptakzent und wird durch ein dreifach gestuftes Rot belebt. Von monumentaler GroBartigkeit ist der monochrome Falke (Abb. 14). Die GroB- zügigkeit wird durch die sichere Raumfüllung, durch die Einfachheit der Körperbe- handlung, durch die imponierende Silhouette und das geschickt untergeordnete Beiwerk erreicht. Der Eindruck des weichen Gefieders ist nur durch Aussparen vermittelt, Einige Pinselspritzer suggerieren die Umgebung. Auf dem letzten Vogelbilde (Abb. 15) ein Hakacho auf einem Zweige ist die Einfachheit noch gesteigert. Die wenigen

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Details durch Aussparen. Ein paar Ziige zaubern einen Zweig hervor. Die Zierlich- keit des Vogels wird betont, während bei dem Falken Kühnheit und Kraft zu uns sprechen. Dort eine glänzende leuchtende Tönung, hier eine matte, stumpfe. Das ist die echte Symbolik der japanischen Tiermalerei, daß man vor dem einem Werk sagen kann, es stelle etwa kühne Kraft, vor dem anderen, es stelle zierliche Grazie dar. Die literarischen und tradionellen Ver- knüpfungen sind für den ästhetischen Wert nur sekundär.

Zum Schluß drei Figurenbilder. Da blickt uns Bodhidharma (Abb. 16), der Gründer der Zensekte, mit seinen liderlosen Augen durchdringend an. Zahllos sind diese Bod- hidharmaköpfe, diese Dokumente des Zenein- flusses, in der Ashikagazeit. Ein besonders schönes Original von Soami, einem Zeit- genossen Sesshus, haben wir in Berlin in der Sammlung Gustav Jakoby. Sesshus Dharma offenbart die Macht konzentriertester Linienkunst in ihrem letztem Höhepunkt. Mit überraschend wenigen Linien und Wischern ist die Büste in den Rahmen ge- setzt, völlig rund. Gerade die Sparsamkeit der Mittel macht es, daß uns die aus diesem Kopfe sprechende Persönlichkei geradezu aufgezwungen wird. Sold eine ideale Heiligengestalt kann an edler Innerlichkeit Dürers Aposteln an die Seite gestellt werden. Die zweite Figurendarstellung (Abb. 17) zeigt die lieblihe Kwannon, die gnaden- reihe Göttin. Wurde in der Fujiwarazeit Amida, die Herrin des Paradieses, besonders verehrt, so jetzt Kwannon. Eine große Ver- änderung in der künstlerischen Auffassung der buddhistischen Gottheiten im Vergleich zu früher hat stattgefunden. Keine gnosti- pp. 17. SESSHU. Kwannon o schen Begriffsgestalten mehr, sondern wirk- Selected Relics. Band 15 liche Menschen in landschaftlicher Umgebung.

Eine lieblihe Frau ist das eigentlihe Thema geworden. Der Bildraum ist außer- ordentlich überfüllt. Vermutlich unter dem Einfluß der chinesischen Mingmalerei. Aber die Überfüllung ist klug in den Dienst des Motivs gestellt Auf einem über- hängenden Felsen sitzt Kwannon. Unter dem Felsen stürzt ein Gießbach dahin, der

von ganz ferne herkommt; sechs Windungen sind zu verfolgen. Ein mächtiger Drache 21

300 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

ringelt sich unter dem Göttersitz hervor. Von allen Seiten drängen hohe Felsen und eine knorrige Kiefer entfaltet ihr zackiges Geäst. Die Wirkung des Bildes beruht auf dem überraschenden Gegeneinander der weichlinigen Kwannongestalt in ihrem lichten Gewande und mit dem leuchtenden Heiligenschein zu der wuchtig gezeichneten fast grausigen Umgebung. So wird die Göttin zur Friedens- bringerin, zur Weltenberuhigerin. Ebenso überfüllt ist die Darstellung Jurojins, des Gottes der Langlebigkeit, eines der berühmten sieben Glücksgötter (Abb. 18). Hier wird in tief- sinniger Weise das Verwobensein des Zen- menschen mit der Natur symbolisiert. Denn Niemand anders als ein frommer Eremit steht vor uns, trotz seiner besonderen Attribute. Von Kiefern-, Bambus- und Umezweigen um- rankt, einen sich anschmiegenden Hirsch zur Seite, lehnt der alte Mann an einem Kiefern- stamm. In sein durchgeistigtes Gesicht hat Grübeln und Meditieren tiefe Runzeln gegraben. Vor diesem Werke darf man nicht an Tiefen- wirkungen und verschwimmende Fernen denken; denn der Eindruck eines Gobelins, eines Teppichs ist viel eher beabsicht. Trefflih paßt dazu die Komposiion, die alles ineinander verwebt, die Bildfläche teppichartig füllt und doch die Gestalt deutlich hervortreten läßt.

Sesshu ist einer der bedeutendsten Maler, die Japan hervorgebracht hat, jedenfalls der größte Landschafter. Er ist ein ganz strenger und ernster Meister. Seine Landschaften atmen immer heroischen und dramatischen Geist und verlieren sich fast nie in lyrisch-sentimentaler Stimmungsmacherei. Sie werden auch nie genrehaft. Denn etwa auftretende Menschen Abb. 18. SESSHU. Jurojin verschwinden meist in der Umgebung. Auch

Kokka. Heft 111 die Figurendarstellungen fügen sich dieser

Strenge. Sesshu bevorzugt das ideale Einzel-

porträt. Weder jene humoristischen Gruppen, wie Hanshan und Shite’) oder die wein- kostenden Eremiten ') noch die die vielfigurigen Idyllen, die die vier Hauptbeschäftigungen der Weisen behandeln '), dürften den Meister zur Gestaltung angeregt haben. Dieselbe Schlichtheit bei den Tierbildern. Fast alle Werke Sesshus sind monochrom. So ver- langte es das Wollen der Zeit. Aber Sesshu weiß wie nur wenige, einen überraschen-

1) Beliebte Motive der chinesisch beeinflußten Schulen.

W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 301

den Reichtum an Tönen der Schwarzweißskala zu entlocken. Die Japaner schätzen an dem Meister den Pinselstrid am höchsten. Auch zu uns spricht Sesshus Genius über- zeugend aus seinen kühn hingeworfenen, im Ausdruck fast überspannten Linien.

Ich bin mir bewußt, auch nicht im entferntesten Mitsunagas und Sesshus Man- nigfaltigkeit und Bedeutung zur Anschauung gebracht zu haben. Dazu ist vor allem der Rahmen eines Aufsatzes zu eng. Und dann lag es auch gar nicht in meiner Ab- sicht. Ich wollte viel mehr den Gegensatz zwischen Yamato- und chinesisch beeinflußter Malerei in ihren wichtigsten Vertretern charakterisieren. Mit- sunaga ist ein SproB aus ritterlicher Familie, Sesshu ein Bonze. Jener erzählt bunte und phantastische Geschichten, läßt Menschen agieren, deren karikaturnahe Gesichter nur physische Tätigkeit verraten. Dieser schafft durchgeistigte Idealgestalten. Dort Japaner aus allen Klassen des Adels und des Volkes, in Zeittracht und auf den Straßen ihrer Städte. Hier chinesische Eremiten inmitten der Großartigkeit der Natur. Aber für Sesshu ist die Menschendarstellung überhaupt nicht mehr der einzige Stoff- kreis, sondern die ideale Landschaftsmalerei beherrscht neben Tiermotiven weitaus zum größten Teil sein Streben. Bietet Mitsunaga miniaturistische Emakimonos in reichem Kolorit, so gibt Sesshu vor allem wandschmückende monochrome Kakemonos. Und sogar seine Emakimonos haben den illustrierenden Charakter verloren. Sesshus Raum weitet sich nach Prinzipien, wie sie auch in Europa üblich sind. So lehrt es ja das chinesische Vorbild. Mitsunaga und die Yamatoschulen wenden die „umgekehrte Per- spektive“ an. Jener arbeitet mit kräftigem Pinsel in wuchtigen Zügen, dieser mit feinerem Pinsel, gleichsam illuminierend. Das sind die auffallendsten Stildifferenzen, die sich auf unsern Beispielen verfolgen jieBen.

Und noch Eines: Mitsunaga und Sesshu bezeichnen die historisch wichtigsten Perioden japanischer Malerei, europäischer Gotik und Renaissance vergleichbar. Nach diesen Zeilabschnitten ist die Schöpferkraft des japanischen Genius zu ermessen. Da- mals wurden die Grundlagen zu allen kommenden Stilen gelegt. Ebensowohl zu Korins Dekorationsstücken und zu Okyos Realismus, wie zum Ukiyoye. Ohne die Kenntnis dieser Perioden ist ein wahres umfassendes Verständnis der japanischen Malerei unmöglich. Dabei sei nicht vergessen, daß trotz der imponierenden Großartig- keit Sesshus ein Schöpfer wie Mitsunaga für die Japanische Kunst unendlich viel be- deutsamer erscheint. Ist doch Mitsunaga ein echtes Produkt seines Landes, ein Ver- kinder japanischen Wollens tind Fühlens. Sesshu aber bleibt der Interpret fremder Errungenschaften und fremder Größe. Er ist ein Japaner, der chinesisch fühlt, wie etwa Thorwaldsen ein antik empfindender Germane sein dürfte.

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Abb. 1. PIETER LASTMAN: Bathseba bei der Toilette Holz 42><63 D St. Petersburg, Sammlung Zabielsky

Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman Von Kurt Freise (Haag)

Um es gleich vorweg zu sagen: es kommt mir in diesen Zeilen nicht darauf an, wieder einmal eine neue „Entlehnung“ Rembrandts bei Lastman festzustellen. Wenn ich aber doch ein Gemälde mit der Darstellung der Bathseba bei der Toilette von Pieter Lastman (in der Sammlung Zabielsky in St. Petersburg) den beiden Bildern gleichen Gegenstandes von Rembrandt (in der Sammlung Jhr. Steengracht im Haag und in der Sammlung La Caze im Louvre) gegenüberstelle, so geschieht das in der Absicht, zunächst zu zeigen, eine wie viel höhere Stufe Rembrandts Schépfungen gegenüber dem Machwerke des einst so gefeierten „Akademikers“ aus der sogenannten vor-Rembrandtischen Amsterdamer Zeit bedeuten. Das wird ohne größere Schwierig- keiten deutlich gemacht werden können. In zweiter Reihe aber als Hauptsache möchte ich dann die beiden Bathsebabilder von Rembrandt für sich losgelöst von der Arbeit Lastmans betrachten, gegen einander abwägen und der eminenten Höherent- wicklung, die sich bei Rembrandt, ich möchte sagen von Bild zu Bild vollzieht, einmal in diesen beiden Gemälden, die zeitlih durch elf Jahre von einander getrennt sind, näher nachgehen. Gleichzeitig kann dann diese Betrachtung der Bathsebabilder Rembrandts auch gewissermaßen als eine Ergänzung der Ausführungen Dr. Valentiners über des Meisters Susannadarstellungen in der „Zeitschrift für bildende Kunst“ N. F. XIX, 1907/08

K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 303

Abb. 2. L. BRAMER: Nadhzeichnung eines Gemäldes von P. Lastman in der Sammlung Zabielsky in St. Petersburg D O Amsterdam, Rijksprentenkabinet

S. 32—38 angesehen werden, insofern als das Susannathema artistisch-künstlerisch mit dem Thema Bathseba in Zusammenhang steht. Beide Male handelt es sich um die Darstellung einer im Mittelpunkte der Handlung stehenden weiblichen Aktfigur.

Die äußere Veranlassung zur gemeinsamen Beharidlung dieser drei Bathseba- darstellungen gab mir die Auffindung des hier zum ersten Male abgebildeten Gemäldes ` von Lastman in der Sammlung Zabielsky (Abb. 1), das bisher für versdiollen galt und nur ungenügend aus einer rasch hingeworfenen Kreideskizze danach von Leonard Bramer (Abb. 2) bekannt war’). Diese Zeichnung gab das Original sehr oberflächlich wieder. Sie ließ aber doch schon das erkennen: daß „diese Bathseba von Rembrandts Lehrer offensichtlich das Prototyp gewesen ist für Rembrandts Gemälde in der Sammlung

1) Diese Zeichnung, die ich hier auch erstmalig abbilde, befindet sich im Rijksprentenkabinet in Amsterdam und ist dort zusammen mit 55 anderen Nadhzeidinungen von derselben Hand nach Gemälden in ein Album geklebt, über das E. W. Moes in Oud Holland XIII (1895) auf Seite 182ff. geschrieben hat. Die Zuschreibung der Zeichnung an L. Bramer rührt von Dr. Hofstede de Groot her (Oud Holland XIII, Seite 240). Ich selbst wurde auf das Gemälde hingewiesen durch eine Beschreibung desselben von P. v. Semeonoff im Katalog seiner Gemäldesammlung (1906, Seite XXXI). Meine erste Vermutung, daß dies Bild das Original zu jener Nachzeichnung von Bramer sei, fand ich durch die mir auf meine Bitte von Herrn Zabielsky freundlichst zugesandte Photographie bestätigt.

304 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Steengracht. Das Arrangement des Parkes, die Wasserpartie, die Gebäude im Hinter- grund stimmen in vielen Punkten überein. Natürlich ist es selbstverständlich, daß Rembrandts Darstellung in jeder Beziehung besser ist, nicht zum wenigsten in der Auffassung der nackten Frauenfigur, in der man selbst auf Bramers flüchtiger Skizze das Unbeholfene und Gesuchte, das Lastman eigen ist, erkennt.“ Mit diesen Worten wies Dr. Hofstede de Groot seiner Zeit auf die enge Beziehung zwischen Lastmans Gemälde und dem Rembrandts vom Jahre 1643 in der Sammlung Jhr. Steen- gracht hin !).

Durch das Vorhandensein einer direkten Nachzeichnung Rembrandts nach dem Gemälde der Susanna mit den beiden Alten von Lastman in der Sammlung P. Delaroff in St. Petersburg °), das ebenfalls eine weibliche Aktfigur zur Trägerin der Handlung hat, und von dem Dr. Valentiner in seinem oben zitierten Aufsatz ausging, gewinnt die eben angeführte Beziehung zwischen den beiden ersteren Bildern an Bedeutung. Man geht wohl nicht fehl, wenn man der Steengrachtschen Bathseba von Rembrandt noch eine speziellere Stellung im Œuvre des Meisters, zunächst in der Gruppe mit weiblichen Nacktfiguren, einräumt. Sie weist nicht nur Berührungspunkte mit dem Bathsebabild Lastmans auf, sondern zeigt auch noch leise Anklänge an dessen notorisch von Rembrandt kopiertes (wenn auch gleichzeitig korrigiertes) Susannabild der Sammlung P. Delaroff, dessen Nachwirkung in Rembrandts Darstellungen des gleichen Motivs von Dr. Valentiner feinsinnig beleuchtet wurde. Die von Rembrandt 1643 gemalte Bathseba bei Jhr. Steengracht wäre nun die erste Weiterbildung in einem Gemälde des durch Lastman angeregten Susannathemas vom Standpunkte des mehr Künstlerischen aus. Bei der Susanna galt es, das jählings im Bade überraschte und vor der Gier der alten Lüstlinge zitternde Weib darzustellen; beim Bathsebathema die Frau, die vor unkeuschen Blicken sich sicher wähnend ihren Körper im Bewußtsein seiner Schönheit schmücken läßt. Bei Lastman fand Rembrandt aber auch hierfür, wo es sich also um ein ganz anderes Haupt-Bewegungsmotiv handelt, ein direktes Vorbild, eben die Bathseba der Sammlung Zabielsky. Eigene Vorstudien zu seinen Bathsebabildern finden sich unter den erhaltenen Zeichnungen Rembrandts seltsamer- weise nicht. Mag sein, daß sie verloren gegangen sind; es ist sogar wahrscheinlich. Sollte Rembrandt aber dennoch ohne solche an die Ausführung der Gemälde gegangen sein, so ist es nur so zu erklären, daß ihm eben die zahlreichen Studien für seine beiden Susannabilder auch für die Bathsebagemälde ausreichten. Jedenfalls gehen die Spuren der ersten Susanna Rembrandts vom Jahre 1637 (im Mauritshuis im Haag, Abb. 3) nicht allein auf die Susanna von Lastman bei Delaroff zurück. Es läßt sich vielmehr auch schon auf diesem Susannabilde im Mauritshuis die Beschäftigung Rembrandts mit Lastmans Bathseba der Sammlung Zabielsky aus einigen Berührungs- punkten im Beiwerk der beiden Gemälde annehmen.

So ist doh wohl die urnenförmige Vase auf Lastmans Bathseba als Vorbild

1) Oud Holland XIII, 240.

2) Gegenwärtig leihweise ausgestellt im Kaiser Friedridi-Museum in Berlin. Abgebildet in der „Zeitschrift für bildende Kunst“ N. F. XIX, 190708 und in den ,Amtlichen Berichten aus den königl. Kunstsammlungen“, Dez. 1908.

K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 305

Abb. 3. REMBRANDT: Susanna O Haag, Mauritshuis

für die ähnlihe auf Rembrandts Susanna im Mauritshuis im Haag anzusehen, nur daß Rembrandt mit mehr Geschmack den klaglich wirkenden dünnen Blumenstengel weglieB, und das bei Lastman nur aus einem rechteckig glatt behauenen Steinblock bestehende Postament durch eine Skulptierung belebte, die ihrerseits ganz von weitem noch die halb sphinx- halb schwanartige Brunnenfigur auf Lastmans Susannabild ahnen läßt. Die Kleidungsstücke neben Susanna sind auch ganz ähnlich angeordnet wie die

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der Lastmanschen Bathseba, ganz anders wie die auf seinem Susannabild. Eine weitere Berührung der Susanna im Mauritshuis mit dem Lastmanschen Bathsebagemälde findet sich in der Hintergrundarchitektur: hinter der Baumkulisse kommt die SchloB- fassade mit einem Terrassenanbau davor ähnlich wie auf der Batlıseba in der Sammlung des Herrn Zabielsky zum Vorschein; Rembrandt fühlte aber hier noch nicht das Bedürfnis, auch im Hintergrund durch entsprechend gewählte Architektur die Raum- wirkung zu heben, wie er es später durch Einführung von Rundbauten tat, die übrigens bei Lastman sehr häufig, wie auch hier auf dem Bathsebabild, vor- kommen.

Rembrandts Beschäftigung mit der Lastmanschen Bathseba ist durch diese kleinen Übereinstimmungen angedeutet. Sichergestellt wird sie durch seine Dar- stellung der Bathseba bei Jhr. Steengracht im Haag (Abb. 4), die eine nicht zufällige Verwandtschaft mit dem Lastmanschen Bilde zeigt. Dieses stammt aus dem Jahre 1619, aus einer Periode, wo er bereits einige Zeit auf der Höhe seiner Künstlerlaufbahn stand, wo er seinen eigenen Stil wenn man bei ihm für Stil nicht lieber Manier sagen will gefunden hatte. Rembrandt malte seine erste Bathseba 1643, also noch vier Jahre vor der zweiten Fassung der Susanna (in Berlin); sie ist daher auch noch als eine Zwischenstufe zwischen diesen beiden anzusehen. Darauf will ich jedoch nicht mehr eingehen, sondern hier nur, wie oben gesagt, ihr Verhältnis zu der Bathseba Lastmans einerseits und andererseits zu der zweiten Bathseba Rembrandts selber vom Jahre 1654 untersuchen. Zwischen Lastmans Gemälde und dem ersten von Rembrandt liegt eine Welt: die ganze künstlerische Umwertung der holländischen Malerei, die auf Rembrandt zurückzuführen ist und doch sind die einzelnen Fäden zwischen der Zeit, da Lastman seine Bathseba und Rembrandt die seine malte, nicht abgeschnitten, sondern nur weitergesponnen worden. Dort haben wir den äußerlih und ober- flächlich fühlenden Maler, der zu seinem Gegenstand in kein inneres Verhältnis tritt und ihn daher auch nicht auszuschöpfen vermag. Hier steht der tiefe, intensive Beobachter des Lebens und der Natur, der die darzustellende „Geschichte“ nicht nur innerlich völlig erfaßt, sondern auch aus sich selber bereichert und da setzt das rein Künstlerische ein kompositionell und zeichnerisch in die prägnanteste Form, sowie malerisch in den ausdrucksvollsten Ton der Farben und Valeurs zu einander bringt. Der Maler stellt mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln für das Auge wahrnehmbar das dar, was seine empfängliche Seele aus den Vorgängen des Lebens, aus der Natur usw. herauszulesen imstande ist. Er vereinigt als Künstler die beiden Elemente -— technisches Können und künstlerisches Schauen und Empfinden in sich, die gesondert entweder nur zum Artisten bezw. Handwerker, oder zum nur Nadh- empfinden, nicht aber zu eigenem schöpferischen Gestalten befähigen. Auf unsere beiden Gemälde bezogen: Rembrandt, der sein Gemälde von innen aufbaut, mußte vor allem die Hauptfigur auch kompositionell in den Mittelpunkt rücken. Bathseba, die Trägerin der Handlung, wurde für ihn damit auch das Zentrum für Farben und Licht, die sich hier zusammenfinden, um nach außen zum Beschauer weiter gegeben zu werden. Bei Lastman, der zur ersten Kategorie, den Artisten bezw. Handwerkern zu rechnen ist, spürt man nichts von einer solchen künstlerischen Durcharbeitung; bei

K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 307

Abb. 4. nr a Bathseba bei der Toilette Haag, Sammlung Jhr. Steengracht

ihm sitzt Bathseba rechts, dicht vorn; die Zehen des linken FuBes werden fast vom untern Bildrand berührt. Mit dem Licht des Frauenkörpers rivalisiert das daneben auf dem Sitz liegende weiße Gewand, wetteifern die durch den schroffen Gegensatz mit tiefstem Schatten noch besonders grell leuchtenden Arme der den Fuß Bathsebas waschenden Dienerin, sowie der sehr unorganisch in der Luft schwebende auf dem Delphin reitende Putto in der Mitte des Bildes. Lastman ließ sich bei seiner Komposition eben von ganz anderen Gesichtspunkten leiten als Rembrandt. Er hatte sein äußerliches Linienschema, in das er die Figuren einordnete, ohne dabei auf den Inhalt und die koloristische Einheit besondere Rücksicht zu nehmen. Rembrandt ging umgekehrt von der prägnantesten Wiedergabe des Themas durch die künstlerischen Ausdrucksmittel aus. Dabei war Lastmans Kompositionsschema in diesem Falle gar nicht einmal so einfach. Die handelnden Personen sind rechts in ein rechtwinkliges Dreieck hinein- komponiert, dessen Hypotenuse sich mit der einen Diagonalen des Gemäldes deckt. Dieser hell beleuchteten Dreiecksmasse entspricht links eine im Schatten liegende andere, deren Hypotenuse mit der zweiten Diagonalen zwar nicht ganz zusammenfällt, ihr aber in kleinem Abstande parallel läuft. Den so durch die beiden Hypotenusen gebildeten stumpfen Winkel halbiert die Senkrechte der Delphinfontäne. Diese Senkrechte wird wiederholt in den Säulen der SchloBterrasse. Für die Natürlichkeit der Bewegungen der Figuren war die Einzwängung in dies Schema verhängnisvoll; mußte es sein bei

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einem Maler von der geringen Phantasie und von so schwachem Verständnis für die Funktionsmöglichkeiten der Glieder und Gelenke des menschlichen Körpers; bei einem Manne, der nicht künstlerisch-anatomisch fühlte und dachte, sondern stets abhängig vom Modell war, das er aus dem gleichem Grunde nicht voll auszunutzen verstand und auch nur äußerlich-unvollkommen abzuschreiben vermochte. Der Blick in das geheimnisvolle Zusammenspiel der einzelnen Körperteile blieb ihm versagt. Daher die Unbeholfenheit in der Figur der Bathseba. Die sitzt nicht fest; man hat das peinliche Gefühl, als ob sie nur balanziere und jeden Augenblick das Gleichgewicht verlieren könne. Das linke (Stütz)bein ist nur ganz ungenügend als solches charakterisiert man vergleiche das bei Rembrandt damit! Und das andere, von der Dienerin gehaltene würde schwer herunterfallen, sobald diese es loslieBe. Bei Rembrandt hingegen ruht dies Bein fest auf dem Knie der Alten und trägt auch sein Teil zur Festigkeit der ganzen Figur bei. Der gleiche Umwandlungsprozeß ist auf Rembrandts Bild bei den Armen, dem Ober- körper vorgenommen. Dieser ist bei Rembrandt fast gerade aufgerichtet; nur ganz leise neigt er sich nach vorn, um in dem rechten Arm eine Stütze zu finden. Bei Lastman knickt der Oberkörper gleichsam um; es entsteht ein gefährlicher Winkel zwischen dem Rumpf und dem gehobenen Bein. Der rechte Arm, der hier eigentlich stützen müßte, ist auch wieder Ecken und Winkel bildend gebeugt, und die Hand greift bedeutungslos ins Haar, während der andere freibleibende Arm auch nur einen Verlegenheitsgestus macht. Noch mehr kommt hinzu: Bathseba ist die Trägerin der Handlung, auf sie muß also auch die Aufmerksamkeit des Beschauers in erster Linie gelenkt werden. Aus diesem Grunde wohl blickt sie bei Rembrandt aus dem Bild heraus gerade zum Beschauer, festen, ruhigen, stolzen Auges. Dessen Blick gleitet dann von ihrem Kopf aus weiter: über die goldenen Haarsträhne, dem Strich des Kammes folgend dessen leisknisterndes Geräusch man zu vernehmen meint und dann die leichtgeschwungenen Armlinien der im Helldunkel stehenden Dienerin entlang zu dieser selbst. An die Stelle der häßlichen Alten bei Lastman, die den feinen stimmungsbildenden Reiz des Haarkämmens auch nicht im Entferntesten auf- kommen läßt, hat Rembrandt eine junge Dienerin gebracht. Eine Negerin; ihr Inkarnat ordnet sich so von selbst dem Gesamtton unter. Ahnliche störende Kontraste bei der andern Magd auf Lastmans Bild, wo das Waschen des Fußes ebenfalls nicht so ruhige, weniger auffällige Bewegungen gestattet wie das Beschneiden der Nägel durch die stille bejahrte Frau zu Füßen der Bathseba bei Rembrandt. Daß dieser die beiden Dienerinnen in ihrer Beschäftigung die Rollen tauschen ließ, erklärt sich wohl leicht aus dem feineren Empfinden Rembrandts, der auf solche starken, aber billigen Kontrastwirkungen zwischen der Person und ihrer Tätigkeit absichtlich verzichtete. DaB er an Stelle des Fuß- waschens das Nägelschneiden setzte, scheint mir in erster Linie mit dem Bestreben nach Beruhigung der Handlung, insbesondere bei den nebensächlichen Figuren, innerlich begründet zu sein. Außerlicher wenn auch nicht unmöglich ist die Zurückführung auf Tintoretto, der dies Motiv des Nägelschneidens bei seiner „Susanna nach dem Bade“ im Salon Carré im Louvre bereits gewählt hat ').

1) Vergl. hierzu auch Valentiner, Rembrandt und seine Umgebung, Seite 84. Über die Deutung der Darstellung dieses Bildes von Tintoretto sind Zweifel möglidı. Thode nennt es in

K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 309

Abb. 5. REMBRANDT: Bathseba

0 Paris, Louvre

Natürlich mußte aus solchen künstlerischen Riicksichten auf die Gesamtstimmung auch das Beiwerk mehr zurücktreten, im Einzelnen wie im Allgemeinen. Der auf dem Delphin reitende Putto war vollends ganz unmöglich. Dagegen behielt Rembrandt den Pfau als Raumfüllung der rechten unteren Ecke noch bei. Zieht man alles zusammen in Betracht, womit Rembrandt als künstlerischer Beobachter seine Bathsebadarstellung

seiner Tintoretto-Monographie ,Susanna nach dem Bade“, der Katalog des Louvre „Susanna im Bade“. Ich habe lieber eine Bathsebadarstellung darin sehen wollen, da die Susanna ihre beiden Mägde doch wegschickt, um „Balsam und Seife“ zu holen; zum Bade selbst kommt es nach dem Bibeltexte strenggenommen nicht. Valentiner erwähnt in seiner Bearbeitung des Bandes „Rem- brandt“ (Klassiker der Kunst) das Bild auch als „Bathseba“. Auf der mir vorliegenden Abbildung ist hinten rechts nur ein Greis sichtbar, das wäre dann David; aber der Katalog des Louvre gibt an, daß im Hintergrund bei einem Tische die beiden Greise sichtbar seien. Dann müßte es sich jedenfalls doch um eine Susannadarstellung handeln.

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bereichert und vertieft hat, so erscheint das Werk seines Lehrers doppelt leer und unbeholfen.

Und doch bedeutete für Rembrandt —- den damals 37 jährigen diese Bath- seba in der Sammlung Steengracht noch nicht die endgültige Lösung dieses Themas. Das letzte Wort darüber sprach der Meister erst elf Jahre später es war zugleich das letzte Mal, daß er überhaupt den ganzen nackten weiblichen Körper in einem Ölgemälde darstellte (Abb. 5). So sehr man nun für gewöhnlich geneigt ist anzunehmen, das berühmte Gemälde der Sammlung La Caze im Louvre sei nur um des Aktes willen gemalt, so ist doch sehr bezeichnend für Rembrandt, daß er daraus auch zugleich ein Seelengemälde von unendlicher Tiefe im Ausdruck schuf. Ich kann mir nicht denken,

daß er wie es früher geshah das biblishe Motiv nur als Vorwand für die Darstellung des Aktes wählte. Die Zeiten, wo der Künstler zu diesem Mittel greifen mußte, waren vorüber -— anderenfalls hätte sih Rembrandt über solche

Bedenken dem Publikum gegenüber hinweggesetzt. Bei seinem ersten Bathsebabilde spielte das äußere Beiwerk, die Umgebung immerhin noch eine gewisse Rolle: bei der Konzipierung des späteren Bildes tritt an die erste Stelle das psychologische Moment, die innere Handlung. Das Beiwerk, das nicht unbedingt zur Sache gehört, das die tiefere Bedeutung nicht klären hilft, verschwindet völlig. Das geht natürlich Hand in Hand mit der Entwicklung in die Tiefe beim Menschen Rembrandt, durch welche seine „ursprünglichen Ideen“ ebenfalls einfacher, großzügiger, allgemein menschlicher geworden sind und daher auch eine andere äußere Umkleidung erheischen, wenn kein Mißklang zwischen Inhalt und Form entstehen soll. Gewiß: „die ganze Ent- wicklung Rembrandts, die uns so reich scheint [und es auch ist], spielt sich zuletzt in der äußeren Umkleidung seiner ursprünglichen Ideen ab“, wie Valentiner seinen Aufsatz beschloß. Vielleicht könnte man aber auch übertragen sagen: sie spielt sich in der allmählichen Entkleidung von ihren nicht absolut notwendigen Umhüllungen ab. Denn künstlerische Entwicklung ist gleichbedeutend mit gesteigerter Prägnanz und Knappheit im Gebrauche der Ausdrucksmittel. Der Größte sagt das Meiste mit dem Wenigsten. Die späte Bathseba zeigt Rembrandt bezüglich der Behandlung des nackten weiblichen Körpers, der Haut, des Fleischtones auf dem Gipfel der Entwicklung. Und wir können beobachten, wie der Meister den Umwandlungsprozeß, den er einst mit der Lastmanschen Darstellung vorgenommen hatte, jetzt, nach einem Jahrzehnt, mit seiner eigenen Arbeit wiederholte. Natürlih in anderem Maßstabe Wer will kürzer und zugleich doch in- haltsreicher als hier in dem Louvrebilde die ganze Bathsebageschichte bildmäßig wieder- geben! Wie tat es Rembrandt? Eine Figur, die lebensgroße nackte Frau beherrscht fast gänzlich die quadratische Leinwand. Die Toilettenszene ist auf das Beschneiden der Nägel des Fußes beschränkt. Von der damit beschäftigten alten Dienerin ist nur das Nôtigste zu sehen, Hand, Kopf und Büste, und das ist noch obendrein in den Schatten und in die untere linke Ecke gerückt. Das Haarkämmen durch die zweite Dienerin ist ganz weggelassen. Im Körper der Bathseba aber liegt noch größere Ruhe und Stetigkeit als vordem, noch stärker trägt dazu jedes Glied sein Teil bei, ohne daß es auf den ersten Blick so scheinen möchte. Das linke Bein stützt noch mehr; durch das Über- legen des andern Beines auf das Knie des linken wird die Festigkeit vermehrt und

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diesem selber noch mehr Eigenruhe verliehen, Unabhängigkeit von der Dienerin gegeben. Sie könnte ganz fehlen, ohne daß der sicheren Lage der Beine auch nur geringer Abbruch getan würde, was früher nicht der Fall war. Den gleichen Zweck erfüllt die aufs Knie gelegte rechte Hand. Die Momente des ruhigen und sicheren Lagerns häufen sich an dieser Stelle. Der Gestus der linken Hand der Bathseba auf dem Bild bei Jhr. Steengracht wird überflüssig; sie und der Arm können besser als weitere Stütze verwandt werden. Wie eine schlanke Säule ruht der kraftvolle Arm auf der breiten Basis der Hand und die rechte Begrenzungslinie des Körpers, die früher noch nicht in ihrer ganzen organischen Zusammensetzung deutlich zum Ausdruck gebracht werden konnte, weil sie zur Hälfte vom Oberarm verdeckt war, läßt hier die Form und kom- pakte Masse des Rumpfes in größter Plastik erscheinen: alle Elemente, auf denen die Bewegung und der innere Zusammenhang der körperlichen Lebensfunktionen beruhen, treten offen zutage. Glied für Glied baut sich der Torso auf. Es gibt keine Stelle, wo die Gelenkbewegung unklar wäre, wo der geheimnisvolle Mechanismus des mensch- lichen Körpers durch mißverstandene oder verdeckte Formen verwischt würde. Deshalb wirkt dieser Körper so lebenswahr, so beruhigend; deshalb so statuarisch und monu- mental man kann immer wieder hinsehen, nie wird einen das Gefühl über- kommen, daß irgendwo eine Ermattung der Glieder eintreten und dadurch eine andere Stellung eingenommen werden könnte, die das Bild mit einem Male um seine ganze künstlerishe Wirkung brächte. Der Gedanke an ein posierendes Modell vollends ver- mag überhaupt nicht aufzukommen.

Der Kopf wendet sih im Gegensatz zu der ersten Fassung nicht mehr zum Beschauer, sondern ist unbekümmert um diesen nach links gerichtet. Er soll eben nicht mehr als erster die geistige Verbindung zwischen Beschauer und Bild herstellen. Denn der ganze Bildgedanke überhaupt ist gegen früher modifiziert. Es ist nicht mehr nötig, irgend ein Hauptmoment aus der neben- sächlicheren Umgebung herauszusondern und intensiver zu betonen. Die ganze Figur, die Trägerin der Handlung allein wirkt hier durchaus als Gesamterscheinung. Innerhalb derselben hat Rembrandt aber natürlich doch nicht auf eine verschiedene Wertverteilung der einzelnen Faktoren verzichte. An der wichtigsten Stelle: wo die Knie und die rechte Hand in der Mitte des Bildes zusammentreffen, hält Bathseba den Brief, der sonst kaum unsere Aufmerksamkeit besonders auf sich lenken würde, wenn er nicht durch die Zurückdrängung des übrigen Beiwerkes auf fast ein Nichts der einzige und außerdem auch der hellste Gegenstand wäre, der auch äußerlich dem Ganzen den Sinn gibt, der den Bildinhalt erklärt, der diese abgeklärte Bathsebageschichte durch die nackte Frauenfigur so gut wie allein ermöglicht. Er ist Ursache, der Grund für die ganze Handlung. Durch ihn erklären wir uns den Ausdruck im Blick der Bathseba, der mechanisch den Verrichtungen der alten Dienerin zu folgen scheint, in Wirklichkeit aber weit darüber hinwegschaut und ganz wo anders weilt. Und obwohl die Augen der Bathseba nicht auf uns gerichtet sind sie ziehen uns dennoch in ihren Bann, wir folgen ihnen in die Vergangenheit und ungewiß fragend in die Zukunft. Die ganze Bathsebatragôdie um die Schönheit des Weibes ersteht vor unserm geistigen Auge und wird uns künstlerisches Erlebnis. Ich meine, daß Rem-

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brandt seiner Darstellung nicht den Beginn des Bibeltextes zugrunde legte: , ... es begab sich, daß David um den Abend aufstund von seinem Lager und ging auf das Dach des Königshauses und sah vom Dach ein Weib sich waschen und das Weib war sehr schöner Gestalt. Und David sandte hin und ließ nach dem Weibe fragen .. .“, sondern vielmehr den letzten, 27. Vers des 11. Kapitels 2. Samuelis: „Da sie aber ausgetrauert hatte, sandte David hin und ließ sie in sein Haus holen, und sie ward sein Weib und gebar ihm einen Sohn. Aber die Tat gefiel dem Herrn übel, die David tat.“ Dieser Text verlangte mehr als die gewöhnliche unbefangene Toiletten- szene als Hauptinhalt des Bildes. Denn diese Worte bergen einen viel, viel schwereren Inhalt, sie setzen die ganze Bathsebageschichte voraus, Bathsebas Ehebruch mit David, den Tod ihres Mannes Urias und die Trauer um ihn. Erst nachdem sie ausgetrauert hatte, sandte der König wieder zu ihr hin zum zweiten Male —-, um sie zu seinem Weibe zu machen. Von einem Briefe sagt der Bibeltext zwar nichts. Der ist künstlerische Zutat, er enthält die Worte, mit denen David Bathseba wieder zu sich entbietet. Die Toilette ist nun aber nicht mehr das gewohnte tägliche Bad von früher. Jetzt gilt es, den schönen Leib für den König, dem sie sich schon einmal hingab und von dem sie sich bereits Mutter fühlt, zu schmücken! Und während ihr die alte Frau, die man links kaum bemerkt, dabei behilflich ist, ziehen in der Erinnerung des schönen Weibes noch einmal die vergangenen Wochen vorüber. Träumerisch sinnend sitzt sie da und vermag ein banges Ahnen für die nächste Zukunft, das sich der glück- verheißenden Botschaft des Königs zugesellt und den Blick des leicht gebeugten Hauptes umflort, nicht zu verscheuchen. Denn: „die Tat gefiel dem Herrn übel, die David tat.“ ... „Und der Herr schlug das Kind, das Urias’ Weib David geboren hatte“ ... „Am siebenten Tage aber starb das Kind.“

Liegt nun in Rembrandts Gemälde nicht ein tieferer, allgemeiner gefaßter Sinn? Wie auch die Bathsebageschichte keinen eigentlichen Einzelfall bedeutet, sondern typisch aufzufassen ist? Ist diese Bathseba Rembrandts nicht zugleich auch das Sinn- bild der Schönheit des Weibes, ihrer berückenden, beglückenden, aber auch das Ver- hängnis in sich bergenden Macht? Ist es nicht echt rembrandtisch, wenn er so die Aufgabe auffaßte, die Schönheit des Weibes darzustellen, und dem äußerlich einfachen und selbst prosaischen Motiv diesen tieferen Inhalt zu geben? Wenn er um dies Weib, trotz des koketten Schmuckes von Halskette und Armreif und trotz der üppig sinnlichen Fülle ihrer Formen, dennoch die ganze Keuschheit seiner wahren Künstlerseele wob?

Bisher haben wir nur Komposition und Inhalt des Gemäldes betrachtet und auf uns wirken lassen. Wir richteten unsere Aufmerksamkeit also in erster Linie auf das Verstehen des Bildgedankens und seiner künstlerischen Lösung durch die dem Maler, abgesehen von der Farbe, zu Gebote stehenden Ausdrucksmöglichkeiten. Soll zu dem tiefen Eindruck, den wir auf diese Weise schon gewannen, noch das köstliche Genießen des Werkes hinzukommen, so müssen wir selbstverständlid auch seine Farben und Töne uns sich wirken lassen. Dann erst wird sich unserer Einsicht in den künstlerischen Aufbau des Bildes noch der rein sinnliche Genuß an dem farbigen Element desselben zugesellen. Und erst dann werden wir uns ganz in den Bannkreis des Gesamtkunstwerkes hineingezogen und von ihm gefesselt fühlen.

K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 313

Das Bathsebabild der Sammlung Steengracht hat sogut wie keine Lokalfarben; es ist bis auf ein bischen Griin (Gewand der Bathseba), BlaBlila (Kleid der alten Dienerin) und das goldblonde Haar Bathsebas in einem dunkelbraunen Gesamtton gehalten. Die Farbenskala des Bathsebabildes im Louvre ist ebenfalls nicht umfang- reich. An lokalen Farben kommen nur Rot, Goldgelb und Weiß in Betracht. Die nackte Bathseba sitzt auf einem roten Pfühl, auf dem rechts ein weißes Laken liegt, links, mehr im Hintergrund, ein reiches barockgemustertes Goldbrokatgewand. Das rotbraune Haar schmückt eine Korallenkette, um den Hals trägt sie an schwarzem Band ein goldenes Medaillon; den rechten Oberarm umschlingt eine goldene Spange. Alles andere verliert sich in schokoladebraunen Halbtönen.

Diese knappen Angaben werden denen, die das Original kennen, genügen, um sich den farbigen Eindruck des Gemäldes wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, wenn sie ihrer überhaupt bedürfen. Denjenigen aber, die noch nicht selber vor dieser Bathseba standen, würde auch die ausführlichste Wortbeschreibung der Farben keine annähernd richtige Vorstellung geben können.

Ih bin am Ende und glaube am besten schließen zu sollen mit dem Hinweis, noch einmal die besprochenen drei Gemälde nach einander zu betrachten: die Bathseba Lastmans, Rembrandts Bathseba bei Jhr. Steengraht und endlih die im Louvre befindlihe Dann wird man fühlen, welche künstlerische Tat durch Rembrandt in einem Zeitraum von 1619 1645— 1654 geleistet worden ist.

STUDIEN UND FORSCHUNGEN

EINE ZEICHNUNG HANS HOLBEINS DES ALTEREN NACH EINER ITALIENISCHEN PLAKETTE

Unter den zumeist ornamentalen Entwürfen im Stile der italienischen Renaissance, die sich auf den Rückseiten einer Reihe von Silberstift- porträts des älteren Holbein im Berliner Kupfer- stidıkabinett finden, ist der auffallendste ein Sturz des Phaéton') auf der Rückseite eines Porträts des Hans Schwarz. Ich hatte in meiner Monographie über den Meister die Komposition als eigene Erfindung des Künstlers auffassen zu sollen gemeint, da das stürzende Pferd („nicht steigende“, wie es in meiner Beschreibung in- folge eines Druckfehlers heißt) in der Haltung an das des Paulus in der Darstellung seiner Bekehrung auf dem Augsburger Bilde der Paulus- basilika erinnert, ebenso wie das zweite Pferd an das des Begleiters des Paulus dort. Wenn ich jetzt das italienische Vorbild der Holbeinschen Zeichnung namhaft machen kann, so zeigt es sich, daB ich den gleichen Fehler beging wie Stoedtner ?) und nach ihm Weis-Liebersdorf’°), die die Abhängigkeit der Darstellung des stürzen- den Paulus von dem Stich des Hausbuchmeisters (Lehrs 41) behaupteten. Ich nannte ihnen gegen- über andere Beispiele ganz ähnlicher Beinstellung zusammengebrochener Pferde +), die weder mit Holbein noch mit dem Hausbuchmeister in Zu- sammenhang stehen, und ebenso zeigt es sich nun, daß das ähnliche Motiv auf der Phaöton- Skizze nicht mit dem früheren Bilde Holbeins zusammenhängt, sondern auf eine eigene Quelle zurückgeht. Die originale Komposition, der Holbein seine Studie entnommen hat, findet sich nämlich auf einer in 2 Fassungen vorkommen- den Plakette des Moderno.’) Daß Holbein diese kopierte kann keinem Zweifel unterliegen. Die Übereinstimmung erstreckt sich, soweit die Kopie reicht, bis in alle Einzelheiten. Ob die eine

1) Nr. 235 des Verzeichnisses der Handzeichnungen in meiner Monographie über Hans Holbein den Alteren. Leipzig 1908.

*) Hans Holbein, der Altere. I. Teil. 1743—1504. Ber- liner Dissertation. 1896.

*) Das Jubeljahr 1500 in der Augsburger Kunst. Miinchen 1901. .

‘) A. a. O. S. 74, Anm.

*) Katalog der italienischen Bronzen in den königl. Museen zu Berlin. 1904, Nr. 759 urd 760. Abbild. auf Tafel LIII.

oder die andere Form der Plakette, die mit landschaftlihem oder die mit architektonishem Hintergrund Holbein vorgelegen habe, läßt sich nicht entscheiden, da nicht die ganze Kompo- sition wiedergegeben, sondern nur ein Teil der Gruppe, die zwei vorderen Pferde mit dem stürzenden Phaéton, ein Rad, der umgeschüttete Becher, herausgenommen ist, und auch die orna- mentalen Motive im architektonischen Hinter- grund der einen Plakette sich nicht anderweit bei Holbein nachweisen lassen. Immerhin ist es für die Beurteilung des Holbeinschen Re- naissanceornamentes überhaupt nicht ohne Be- lang, daß gerade diese wichtige Studie als eigene Erfindung ausscheiden muß. Die Plakette des Moderno war ganz gewiß nicht das einzige Originalwerk der italienischen Renaissance, das in Holbeins Hände kam.

Für die Bestimmung der Zeit gibt die Vorder- seite des Holbeinschen Blattes, die sich einiger- maßen sicher datieren läßt, wenigstens einen terminus post, da man wohl annehmen darf, daß die flüchtige Skizze der Rückseite nicht früher da war als das ausgeführte Porträt der Vorderseite. Hans Schwarz ist im Jahre 1492 oder 1493 geboren !), und da er als etwa sech- zehnjähriger Jüngling dargestellt ist, wird die Zeichnung nicht viel später als 1508 entstanden sein. Natürlich ist es sehr wohl denkbar, daß die Skizze der Rückseite erst später hinzu kam, und das Zusammentreffen mit dem Porträt des Hans Schwarz ein rein zufälliges ist.

Daß Holbein aber auch schon in früherer Zeit ein Werk der italienischen Kleinplastik kannte, läßt sich an einem anderen Falle er- weisen. Der Profilkopf des Pilatus mit dem spitzen Hute, der in der Zeit um 1500 mehrfach in Holbeinschen Passionsdarstellungen wieder- kehrt, so in der Vorführung Christi vor Pilatus vom Kaisheimer Altar *), in der Dornenkrönung im oberen Felde der Paulusbasilika des Augs- burger Museums und auf dem Kreuzigungs- bilde ebendort, zeigt eine auffällige Über- einstimmung mit dem Porträt des byzantinischen Kaisers Johannes VIII. Palaeologus auf der be- kannten Sciaumiinze des Pisanello.") Bei der

') Vgl. Habidı im Jahrb, der königl. preuß. Kunstss. XXVII. S. 30. 1906.

*) Münden. Alte Pinakothek, Nr. 194.

3) Friedlaender: Die italienischen Schaumiinzen. Jahrb. der königl. preuB. Kunstss. I. S. 99. 180. Abgeb. auf Tafel I.

C. Glaser. Eine Zeichnung Hans Holbeins d. A. nach einer italienischen Plakette 315

folgerichtigen Entwicklung des Holbeinschen Pilatustypus, wie sie sich von der Donaueschinger Passion über den Frankfurter Altar zu dem aus Kloster Kaisheim und den verwandten Werken verfolgen läßt, und die auch mit der allgemeinen Entwicklung der Typen völlig übereingeht, fällt es nicht leicht, an das Dazwischentreten eines fremden Vorbildes zu glauben, doch erscheint die Beziehung zwischen der Medaille und Hol- beins Pilatus zu schlagend, um vernachlässigt werden zu dürfen. Man muß annehmen, daß Holbein, dessen Skrupellosigkeit in der Ver- wendung fremder Vorbilder ja oft erwiesen werden konnte, hier das Bildnis des Griechen- kaisers in demselben Sinne verwandte wie seine eigenen Porträtstudien. Ein ähnlicher Typus mag ihm vorgeschwebt haben, und beim Suchen nach einem geeigneten Vorbilde denn der Gestaltungskraft seiner Phantasie allein ver- traute Holbein nicht allzusehr fiel ihm eben dieses Bildnis in die Hände. Die Eigentümlichkeit daB bei anderen Einstellungen des Kopfes die Ähnlichkeit mit dem Profil, das als Ausgang diente, fast ganz verloren geht, teilt dieser Pilatus mit anderen Holbeinschen Typen. Immerhin läßt auch dieser Umstand darauf schließen, daß nicht die volle plastische Vorstellung eines selbst ge- sehenen Menschen dem Typus zur Grundlage diente.

Ein dritter Fall von Verwendung einer italieni- schen Vorlage läßt sich nicht ebenso einwand- frei beweisen wie die beiden ersten, immerhin ist es wahrscheinlich, daß der sehr charakte- ristische Papsttypus, den Holbein mehrfach ver-

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MODERNO: Sturz des Phaéton O Bronzeplakette

HANS HOLBEIN D. A.: Sturz des Phaéton D Silberstiftzeichnung

wendet '), und der am besten auf dem Frank- furter Blatt mit Porträtstudien in Silberstift °) studiert werden kann, auf ein italienisches Me- daillenporträt zurückgeht. DaB Weis-Liebersdorf irrt, wenn er eine Ähnlichkeit mit Alexander VI, feststellen zu können meint ë), scheint mir sicher. Mit GewiBheit das Vorbild Holbeins nachzuweisen. ist jedoch in diesem Falle nicht möglich. Es gibt mehrere Medaillen, die zum Vergleich heran- gezogen werden könnten, und die Möglichkeit, daß Holbein aus einer Reihe von Papstporträts seinen Typus geformt habe, ist nicht von der Hand zu weisen. Die charakteristische Form des Auges mit der hochgeschobenen Braue, die Art, wie die Tiara aufsitzt und das Ohr bedeckt, er-

1) Weltgerichtsfenster in Eichstätt. Paulusbasilika. Entwurf eines Allerheiligenaltares, Frankfurt, mein Ver- zeichnis der Handzeichnungen Nr. 67.

°) Verzeichnis Nr. 98. Neuerdings vortrefflich publi- ziert als Nr. 3 der Handzeichnungen alter Meister im Städelsdien Kunstinstitut. A 80.5.8;

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Monatshefte fir Kunstwissenschaft

FRANCESCO FURINI: Hylas und die Nymphen

innert an die Medaille Sixtus IV. von Guazzalotti.') Mund und Kinn kehren in sehr ähnlicher Bildung auf einer Plakette Pauls II.*) wieder. In keinem von beiden Fällen ist die Ähnlichkeit eine schla- gende, und der auffallende Höker der Nase des Holbeinschen Papstes scheint eine sole ge- radezu absichtlich verdecken zu sollen. Es ist sehr wohl denkbar, daß in diesem Falle die Medaillen nur benutzt wurden, um auf ihrer Grundlage einen allgemeinen Typus des Papstes zu gestalten, wie er etwa in der damaligen Vor- stellung lebte. Ein solches Umbilden gegebener Formen ließ sich gerade für die fragliche Zeit (um 1500-1508) auch in anderen Fällen als charakteristisch für Holbeins Typenbildung er- weisen. Man lese auf Seite 60 meines Buches nach, was von dem Kopf des Mannes ganz rechts auf der Münchener Anbetung der Könige à) und seinem Verhältnis zu der zugehörigen Studie im Basler Skizzenbuche‘) gesagt ist, und man wird finden, daB das Verhältnis des Holbeinschen Papstkopfes zu den genannten Medaillen an- nähernd das gleiche ist. Beweisen läßt es sich allerdings nicht, daß gerade diese oder nur eine

1) Friedlaender: Die italienischen Shaumünzen. Jahrb. der königl. preuß. Kunstss. II, S. 233. 1881. Abgeb. auf Taf. XXIV, Nr. 10.

*) Königl. Museen zu Berlin.

Nr. 331. 3) Pinakothek, Nr. 205. +) Verzeichnis Nr. 94.

Sammlung James Simon,

von ihnen Holbein zum Vorbild dienten, aber ein italienisches Medaillenporträt der Art war ihm sicherlich bekannt, denn die Ähnlichkeiten sind zu groß, um lediglich zufällige zu sein.

Curt Glaser. 9

ZU FRANCESCO FURINI.

Wie Italien im XVII. Jahrh. keine besondere Rolle mehr in der allgemeinen Weltgeschichte spielte, so büßte es auch seine Führerschaft in der Malerei ein, die unmittelbar nach dem höch- sten Aufschwung, gleich der Plastik, einer völli- gen Erschöpfung anheim fiel und dem ddesten Manierismus huldigte. Selbst als von der Aka- demia in Bologna aus, eine allerdings rein ver- standesmäßige Erneuerung eingeleitet wurde, waren es nur einzelne Meister, deren Schaffen über die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus Ein- fluB zu gewinnen vermochte. Freilich, Italien hatte seine Anziehungskraft knineswegs ver- Ioren. Nach wie vor kamen ausländische Künstler. Aber sie kamen nicht der Seicentisten wegen. Für sie lagen die Anknüpfungspunkte noch immer im Cinquecento. Die Selbständig- keit aber, mit der sie diesem, als Vertreter einer neuen Aera gegenübertraten, ließ sie nicht mehr wie früher als Italiener nach Hause kehren; sie blieben was sie waren, Vlamen, Franzosen,

H. Popp. Zu Francesco Furini

317

Deutsche, Spanier. Das machte sie in den Augen und dem Urteil der Nachwelt besonders groß, so daB man bei der Seicentokunst mehr an sie denkt wie an die italienischen Elektiker.

Das XVIII. Jahrh. mit seiner Vorliebe für sinnlihe Grazie dachte noch anders. Ihm gal- ten die feinen, weichen, süß - sentimentalen Florentiner mit ihren geistig wohl weniger be- deutenden, dafür körperlich reizvolleren, voll- saftigeren Gestalten, den delikaten Linien und Lichtwirkungen, als die bevorzugtesten Meister. Ihre Werke waren am besten bezahlt, in Stich- und Schabkunst weit verbreitet. Das XIX. Jahrh. das eine außerordentlihe Wertschätzung des Selbständigen, Individuellen charakterisiert, be- handelte diese Meister, wie die italienischen Seicentisten überhaupt, geradezu verächtlich. Wohl weniger aus tiefgrändiger Kunstauffassung heraus, als der Mode wegen. Gleichviel, selbst die Kunstgeschichtsschreibung hat der histo- rischen Unbefangenheit ermangelt. Außer Burk- hardt, der den Italienern dieser Epoche eine kaum mehr als summarische Würdigung zu Teil werden läßt, kommt im Grunde nur Woermann in Frage, der denn auch die Basis für die Be- handlung dieser Zeit in den ,Kunstgeschichten“ bildet. Umso dankenswerter, daB L. v. Buerkel in einer vornehmen Publikation (Francesco Fu- rini. Mit 12 Tafeln und 38 Textabbildgn. Jahrb. d. Allerh. Kaiserhauses, Bd. 27, Heft 2. Wien.), die Aufmerksamkeit auf einen der liebenswür- digsten und delikatesten jener in Vergessenheit geratenen Meister gerichtet und damit den ersten energischen AnstoB zu erneuter Beschäftigung mit der Seicentokunst gegeben hat.

Ein Vergleich der Liste, die Baldinucci, der BiographFurinis, von dessen ouevre gibt, mit dem

was Buerkel emsig erforscht und in eingehender Analyse vorgeführt hat, läßt bedeutende Lücken zu Tage treten. Vieles scheint wirklich ver- loren gegangen zu sein. Sicherlich ist aber Manches in englischen Privatsammlungen ge- borgen oder vielmehr verborgen. England zeigte ja für Furini stets das lebhafteste Inter- esse. Reynolds besaß Bilder von ihm, auch Gainsborough. Mit Recht weist Buerkel darauf hin, daß ein weiteres Eindringen in diese Kunst- periode erkennen lassen wird, „welch wichtige Anregungen die französischen und englischen Maler der folgenden Zeit von Furini empfangen haben.“

Als verloren bezeichnet Buerkel jenes nadı Baldinucci hochberühmte Bild „Hylas von Nym- phen geraubt“, dessen letzte Spur er 1780 im Hause des Conte Galli-Tassi in Florenz findet und leider nur nach Eredis Stich reproduziert.

Unsere Abbildung stellt das Bild (2,60><2 m) dar, das aus dem Hause Tassi in den Besitz des Baron Paolo Zezza kam und erst 1889 bei der Auktion im Palazzo Gattai-Budini in Flo- renz von einem Engländer Mc. Auslin erworben wurde. Es befindet sich jetzt in Schottland.

Die letzten zwanzig Jahre sahen überhaupt eine stattliche Reihe von Werken Furinis auf dem Markt: 1875 eine Caritas in Rom, 1879 der Kopf einer Andromeda (Sammlg. Capponi Florenz), 1886 eine büßende Magdalena (Kollek- tion Artaria Wien), 1887 eine heilige Veronika (Kollektion Penthe Wien), im gleichen Jahre eine Sofonisbe (Galerie Scalambrini Rom), 1894 eine heilige Katharina (Sammlung Marchese Mansi Lucca), 1895 eine büßende Magdalena (Samm- lung Wymetal Köln), 1902 eine ruhende Venus (Galerie Panciaticchi Florenz). H. Popp.

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Heft 7 1909

Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen Von Martin Wackernagel

Mit dem Regierungsantritt Papst Leos X. (März 1513) verknüpft sich in Raffaels künstlerischer Tätigkeit zeitlich vielleicht auch zum Teil ursächlih die verhängnis- volle Wendung zum großen Werkstattbetrieb, durch den der allgemeine Charakter seiner letzten Jahre so sehr verunglimpft ist.

Von den vatikanishen Wandgemälden gehören diejenigen des dritten Saales, der „stanza dell’ incendio“ (beg. 1514) in der Ausführung fast völlig, aber auch in der Komposition zum großen Teil offenbar Schülerhänden an.') Aber auch schon in den Bildern des noch unter Julius II. begonnenen Heliodorzimmers machen sich an verschiedenen Stellen Inkongruenzen und Abweichungen von Raffaels eigener Art bemerkbar, die der Annahme einer alleinigen Autorschaft des Meisters für den ganzen Saal entgegentreten, und den Betrachter auffordern, zur Gewinnung einer reinen An- schauung vom Werk Raffaels, alle die fremden Bestandteile auszusondern.

Mit einer derartigen Aussonderung der Schülerarbeit waren in ganz besonders radikaler Weise schon Crowe und Cavalcaselle in ihrer Raffaelmonographie °) voran- gegangen; sie hatten ausgedehnte Teile aller Bilder nicht nur in der Ausführung, sondern auch im detaillierten Entwurf teils dem Gio. Francesco Penni, teils Giulio Romano zugewiesen.

Eine neuere diesen letztgenannten Raffaelschülern im besonderen gewidmete Arbeit (Dollmayr, Raffaels Werkstätte) °) hat freilich die meisten dieser Zuweisungen unhaltbar gemacht und, da Nachrichten über andere namhafte Gehilfen Raffaels in diesen Jahren nicht erhalten sind, die ganze Arbeit mit geringen Einschränkungen doch wieder dem Meister selbst zurückgegeben, die unleugbaren stilistischen Ungleichheiten partiellen mehr oder weniger ungeschickten Restaurationen auf Rechnung gesetzt.

Dagegen glaube ich aber nochmals auf die schon von Crowe und Cavalcaselle bemerkte Schwierigkeit hinweisen zu müssen, daß Raffael wirklich sollte imstande gewesen sein in der kurzen Zeit die ihm unter dem beständigen Drängen des un-

1) Dollmayr. Raffaels Werkstätte. (Jahrbuch d. ah. Kaiserhauses 1895, p. 248ff.) ?) II, p. 114, 123 ff.

3) a. a. O. p. 241 ff. 23

320 Monatshefte für Kunstwissenschaft

geduldigen Papstes gegönnt war, den ganzen Freskenschmuck des Saales allein zu entwerfen und auszuführen.

Als Julius I]. am 20. Februar 1513 starb waren nachweislich vollendet außer der Decke, die jedenfalls nicht Raffael, vielleicht in allen ihren Teilen dem Peruzzi angehört!) die beiden Bilder des „Heliodor“ und der „Messe von Bolsena“. Im Fenstergewände unter diesem letzteren Bild steht das Datum 1512, im neunten Jahr des Pontifikats: also vor dem 1. November, dem Anniversar der Krönung. Aber auch das dritte Wandbild, die Begegnung mit Attila war jedenfalls schon entworfen; auf einer in Oxford bewahrten Zeichnung *) zeigt der Papst die bärtigen Züge Julius II. an Stelle des bei der Ausführung eingefügten Porträts Leos X.

Andererseits sind die letzten Bilder in der Segnatura frühestens im Sommer 1511 ausgeführt worden. Bei der „Verleihung der Decretalen“ ist Julius bereits mit seinem weißen Bart porträtiert, in dem er zuerst bei seiner Rückkehr vom Bologneser Feldzug 28. Juni 1511 den erstaunten Römern erschienen war’). Ende August wird nach einer Briefstelle des mantuanischen Gesandten das Porträt des jungen Federigo Gonzaga in die Schule von Athen noch nachträglich eingefügt ‘).

Besten Falls konnte also im Spätherbst dieses Jahres mit den Vorarbeiten für das Heliodorzimmer begonnen werden; die Malerei selbst kann aber vor Ablauf des Jahres schwerlich in Angriff genommen gewesen sein.

Eine eigentliche Berechnung der möglichen Arbeitsleistung Raffaels in dem gegebenen Zeitabschnitt bleibt freilich ausgeschlossen, schon deshalb, weil über die weiteren in den gleichen Zeitraum fallenden Arbeiten sichere Nachrichten fehlen, namentlich aber, weil wir überhaupt über fast Alles was an praktischen Realien der Entstehung der älteren Kunstwerke zugrunde liegt gänzlich im Ungewissen bleiben, solange nicht die in den Quellen beiläufig gegebenen Hinweise in dieser Richtung systematisch gesammelt sind.

Wir können somit die äußere Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsteilung bei den Fresken der Heliodorstanze nur schätzungs- und vermutungsweise aufstellen. Es bleibt die Beurteilung der Bilder selbst und der (wie bereits gesagt) an ihnen hervortretenden Ungleichheiten. Dabei möchte ich aber die Frage nach dem eventuellen Anteil Giulio Romanos und Pennis ganz beiseite lassen. Sicher waren diese beiden im Jahre 1512 schon in Raffaels Werkstätte beschäftigt, aber nur als noch durchaus unreife und unselb- ständige Gehilfen, die, wenn sie je etwas allein auszuführen bekamen, sich völlig an die Vorlage und Art des Meisters anschlossen. Es ist also von geringer Bedeutung zu wissen ob gewisse Härten der Zeichnung, gewisse Buntheiten im Kolorit eher mit Cavalcaselle auf das Konto dieser Schüler, als mit Dollmayr auf das späterer Restauratoren zu schieben sind. Das Werk bleibt in seinem Charakter immer raffaelisch, wie ein Musikstück immer den Charakter des Komponisten behält, auch wenn es von einem Schüler mangelhaft vorgetragen wird. Dies gilt, wie wir zeigen

1) Dollmayr. Zeitschrift f. bild. Kunst 1890, p. 292f.

*) Abgeb. z. B. in Klaczko, Rome et la Renaissance. Jules II. bei p. 392. #) Vgl. Klaczko a. a. O., 285.

4) Steinmann, d. Sixtin. Kapelle II, p. 116°); 120.

M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 321

werden, für das ganze Heliodorbild und für den größten Teil der „Messe von Bolsena“. Hier aber finden sich nun auch Partien, in denen, wie mir scheint, fremde Klänge von einer, mit der raffaelischen durchaus nicht übereinstimmenden selbständigen künstlerischen Eigenart auftreten.

Die zwei beigegebenen Teilaufnahmen zeigen, die eine (Abb. 1), eine Gruppe von Zuschauern aus der linken Bildhälfte, die andere (Abb. 2) die knieenden Schweizer- gardisten rechts vorn. Die Unterschiede in der ganzen Malweise und Auffassung treten schon auf den ersten Blick deutlich hervor: Bei den Schweizern eine ruhige sorg- fältig beobachtende Zeichnung mit feinlienigen aber deutlichen Umrissen und sehr zarter Modellierung in gleichmäßig hellem Licht. Auf der anderen Seite, bei der Frauengruppe, eine breite schwungvolle Manier, die unter Vermeidung aller linearen Mittel nur die hauptsächlichen Formen in einer kräftigen aber weich gerundeten Plastik wiedergibt; ein ausgesprochener Freskostil mit deutlich konstrastierenden Licht- und Schattenmassen von einheitlicher, geschlossener Fernwirkung.

Trotzdem ist es beim Anblick des Originals nicht diese Partie sondern die Schweizergruppe und überhaupt die Bildhälfte rechts, die zuerst die Blicke fesselt, und das zwar dank ihrem auffallend reichen und warmen Kolorit, dem gegenüber die linke Bildhälfte mit einer gewissen kalten Buntfarbigkeit behaftet scheint.

Es ist durchaus natürlich, daß für uns moderne Betrachter mit unsern, durch die neue pleinairistische Malerei geschulten, darum besonders für koloristische Reize empfänglichen Augen die ausgesprochen malerischen Vorzüge der rechten Bildhälfte besonders ansprechend und einleuchtend sein müssen. Nun aber wird wie in der genannten Arbeit von Dollmayr ohne Weiteres angenommen, daß auf diese kolo- ristischen Vorzüge auch gerade Raffaels letztes Streben hier aus gegangen sei, und daß die für unsere Anschauung am meisten fesselnde Partie in ganz besonderem Maß noch den Stempel seines eigensten Kunstvermögens bewahrt habe, sei es als allein völlig eigenhändiger, sei es als allein von aller Übermalung verschonter Teil.

Dagegen glaube ich nun darlegen zu können daß: einmal die von einem fälschlidı hereingebrachten Gesichtspunkt aus verurteilten und miBachteten Teile des Freskobildes in ihrer ganzen Auffassung, Formengebung und Malweise auf das engste mit den übrigen sicher raffaelischen Bildern verknüpft sind und sich als ein festverkettetes Glied innerhalb seiner in den Stanzen sich vollziehenden Stilentwicklung darstellen, daß andererseits die uns bestrickenden malerischen Reize der rechten Bildhälfte Raffaels Kunstweise jedenfalls in diesen Jahren noch völlig fernliegen, und auf eine hier hereingezogene fremde nach ihrer koloristischen Feinheit anscheinend in Venedig geschulte Künstlerpersönlichkeit deuten.

Was oben zur formalen Charakteristik der Figurengruppe in der linken Bild- hälfte bemerkt wurde ist in vollem Umfang zutreffend auch für alle anderen zeitlich benachbarten Malereien Raffaels, die Tafelbilder nicht ausgenommen.

Gleich der hier besonders ins Auge fallende jugendlihe Kopf der stehenden Frauenfigur in seiner für den Gefühlsausdruck besonders wohl geeigneten schrägen Profilansicht mit der einfachen sanftgebogenen Kurvenlinie von Stirn und Nase, dem wenig eingesenkten Auge, dem fleischigen Mund mit etwas vorgeschobener Oberlippe

322 Monatshefte für Kunstwissenschaft

ist ein echt raffaelischer Typus, der mit allen den genannten Einzelzügen an verschie- denen Stellen sich wiederholt. Er findet sich zuerst völlig ausgebildet bei dem schwebenden Engel zu äußerst rechts in der Disputa; er kehrt wieder z. B. in einem Tafelbild, dessen Entstehung wohl noch etwas später als die „Messe von Bolsena“ anzusetzen ist, der sog. „Madonna del pesce“ in Madrid und da sogar in zwei Varianten: beim kleinen Tobias und beim Engel der ihn geleitet.

Und wenn wir auch zu den anderen Köpfen in der linken Hälfte des Bolsenabildes, genauere Ana- loga nicht so leicht auffinden, so bieten sich doch in der allgemeinen malerishen Behandlung dieser Köpfe genugsam Anknüpfungs- punkte an Raffaels eigensten Stil. Die Art etwa wie gewisse männ- lihe Köpfe unter den Zuschauern auf dem Bolsenabild mit breiten Lichtern und starken Schattentiefen energisch belebt und in Wirkung gesetzt sind, läßt sich an vielen Stellen der raffaelischen Malereien wieder beobachten; ich nenne nur den Aristoteles aus der Schule von Athen als Gegenstück zu dem auh im Typus nahe überein- stimmenden bärtigen Mann, der sih oben im Bolsenabild über die Brüstung lehnt. Auch wie die Haare behandelt sind, als geschlossene Masse mit breit aufgetragenen oder derb gestrichelten Lichtern, in der Silhouette vielfach kraus gelockt, oder in ungeordneten buschigen Strähnen gleichsam ausgezackt läßt sich bis in die Bilder der Segnatura zurückverfolgen. Die massige Gewandbehandlung z. B. bei der hockenden Frau im Vordergrund stimmt aufs Nächste überein mit der Gewandbehandlung bei den drei Tugenden unter der „Jurisprudenz“.

Es ist stets das Interesse an der kraftvollen plastischen Form und an der reichen Bewegung was künstlerisch die Figurengestaltung Raffaels bestimmt. Und in dieser Richtung entwickelt sidi auch sein Stil zu immer größerer Breite und Kraft: das zier- jihe und graziöse Element, das noch in der „Schule von Athen“ und im „Parnaß“ stark weiterlebte, wird schon in den Wandbildern unter der Jurisprudenz und jeden- falls im Heliodorzimmer völlig ausgeschaltet.

Abb. 1. Zuschauergruppe aus der „Messe von Bolsena“

M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 323

Abb. 2. Gruppe der Schweizergardisten aus der „Messe von Bolsena“

Eine solche Anschauung mußte aber von Anfang an auch das Interesse für die farbige Schönheit und die selbständige Rolle der Farbe im Bild unterdrücken.

Raffael würde gewiß Lionardos Anschaung durchaus zugestimmt haben, wie sie im „Trattato della pittura“!) ausgesprochen ist, daß nämlich der Maler seinen Ruhm zu suchen habe in der feinen und plastisch wirkungsvollen Modellierung, wo- gegen die farbige Schönheit des Bildes doch nur dem Farbenfabrikanten Ehre mache.

Es scheint nun geradezu eine veränderte ästhetische Akkomodation der Augen zu erfordern, wenn man von der Betrachtung der linken Bildhälfte zu der rechten sih hinüberwendet.

Beim Anblick der Schweizergruppe wird es sofort klar, daß der Maler dieser Partie künstlerisch auf einem ganz anderen Standpunkt steht, mit andersgearteten Augen beobachtet, anderen Problemen nachgeht.

Ihm liegt es fern, das Ideal der klaren, einfachen Form in Plastik und Bewegung aufzusuchen, sein Auge bleibt vielmehr ruhig haften an all den delikaten Einzelreizen der Oberfläche, an den vielfachen fast unmerklichen Hebungen und Senkungen, an den feinen Gegensätzen des stofflihen Charakters, vor allem aber an den farbigen Quali- täten; für ihn ist die Farbe nicht nur gefällige Überkleidung der Form, sondern ein wesentliches Element der Darstellung.

Wie fein und eingehend ist aber auch die Zeichnung aller Einzelheiten an diesen Köpfen, der Mund, die Augenpartie, das Haar. Und das ist keineswegs nur

1) II, 123 ed. Ludwig. (Quellenschriften für Kunstgesch. XV) p. 172,3.

324 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

durch die Porträthaftigkeit dieser Köpfe begründet. Auch Raffael hat einzelne Porträt- köpfe in den Fresken dargestellt, von denen besonders die Sänftenträger des Papstes aus der Heliodorszene sich gut zur Vergleichung darbieten. Aber auch bei diesen Porträts hält er durchaus fest an der großzügig einfachen, alle linearen Details ver- schmähenden Formangabe, und an der kontrastreichen Modellierung mit lebendig herausgeholten Lichtern und breiten Schatten.

Gerade solchen lauten Kontrasten von Hell und Dunkel geht der Meister der Schweizergruppe geflissentlidi weit aus dem Wege, er modelliert seine Köpfe in gleihmäßig hellem Licht vermittelst fein nuancierter Farbtöne. Der Gedanke, zwei helle fast schattenlose Profilköpfe vor einen gleichmäßig hellen Grund zu setzen, mußte einem Raffaelschüler wie eine Verachtung der elementarsten malerischen Regeln er- scheinen. Ihn aber reizte ganz augenscheinlich gerade ein solches rein koloristisches Problem. Und auch dies ist ein unverkennbares Zeugnis seines Zusammenhangs mit der venezianischen Kunstweise, wie ja überhaupt die ruhige beschauliche Auf- fassung dieser Gruppe, die, völlig handlungslos durch ihre bloße innerlich lebens- volle Präsenz und Zuständlichkeit eine solche Rolle im Bild zu spielen vermag, nur in venezianishen Gemälden ihres Gleichen findet. Besonders an die ebenso in ruhiger Seitenansicht erscheinende knieende Stiftergruppe auf Tizians Pesaromadonna wird man erinnert.

Fassen wir zusammen: das Freskobild der Messe von Bolsena ist in seiner ganzen linken Bildhälfte raffaelischen Ursprungs, sei es vom Meister selbst, sei es durch von ihm völlig beherrschte Schüler ausgeführt. Ebenso in der rechten Bild- hälfte die freilich etwas übermalte Gruppe der Prälaten im Hintergrund und der Kopf des Papstes; dagegen bricht schon in dessen Gewandung das reiche warme Kolorit hervor, das dann weiter in der ganzen Schweizergruppe so glänzend sich offenbart, und mit den anderen genannten Eigenschaften als Merkzeichen eines dem Raffaelischen Kunstkreis fernstehenden anscheinend venezianischen Mitarbeiters zu erkennen ist.

Dieser venezianisch anmutende Charakter in den letztgenannten Stücken ist auch in früheren Besprechungen der Stanzenbilder nicht unerwähnt geblieben !). Man er- klärte diesen Umstand durch Annahme einer starken Beeinflussung Raffaels durch den seit 1511 in Rom ansässigen Sebastiano del Piombo und schob die scheinbar graduellen in Wahrheit wie ich gezeigt zu haben glaube prinzipiellen Abweichungen in den anderen Teilen den Schülern zu.

Springer, der hauptsächlich und wie es scheint zuerst einen solchen Einfluß Sebastianos auf Raffael in der „Messe von Bolsena“ statuiert hat °), konnte sich dabei noch berufen auf zwei Porträtbilder, die trotz ihres sehr ausgesprochen venezianischen Charakters noch unter Raffaels Namen gingen, die sogen. „Fornarina“ in der Tribuna der Uffizien und den ,Violinspieler“ in der ehemaligen Gallerie Sciarra (jetzt bei A. Rothschild, Paris). Beide sind seitdem unter allgemeiner Zustimmung ihrem wahren Urheber Sebastiano wieder zuerkannt worden.

1) Klaczko (a. a. O. p. 413) „on dirait une page du Titien“. Springer, Raffael und Michelangelo (Ill. Aufl.) I. 289. 2) a. a. O. I. p. 291 2.

M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 325

Wie sollte aber überhaupt Raffael Sebastianos Einfluß empfangen, ja dessen Art mit seiner eigenen so völlig entgegengesetzten bereits geradezu vertauscht haben, zu einer Zeit, wo Sebastiano in Rom mit bemerkenswerten Leistungen selbst noch kaum hervorgetreten war? | |

Eine Hinneigung Raffaeis zu der Art des Venezianers finden wir allerdings unverkennbar (wenn audi in sehr eingeschränkten Maß) bei den Porträts des „Castiglione“ und der „donna velata“, doch sind diese beiden erst 1515, also drei Jahre nach der Messe von Bolsena ent- standen ’).

In den venezianisch gearteten Teilen dieses Freskobildes muß aber scheint mir ganz ebenso wie bei den beiden Porträts der sogen. „Fornarina“ und des „Violinspielers“ statt des angenommenen Einflusses des Se- bastiano auf Raffael die eigene Hand und Arbeit Sebastianos selbst erkannt werden.

Um diese Aufstellung beweiskräftig zu machen, müßte nun die Übereinstimmung der Schweizerporträte aus dem Bolsenabild mit be- glaubigten Porträts des Sebastiano aus der gleichen Periode dargelegt werden; jedoch ist es mit dazu geeignetem Vergleichungsmaterial sehr knapp bestellt.

Was zunächst in Betracht käme, wären die Fresken, die Sebastiano im Jahre 1511

=.

gleich nach seiner Ubersiedelung nadh Rom in | HK der Gartenloggia der Villa Farnesina ausgefiihrt hat. Doch stehen diese schon ihrem Inhalt und

Abb. 3. Detail aus der ,Verleihung der

o Decretalen“ Wesen nach kleine mythologische Szenen

von vorwiegend dekorativem Charakter °) fern, namentlich aber sind sie später vermutlich um die Mitte des XVII. Jahrhunderts, als die noch leergebliebenen Wand- flächen neben Raffaels Galatea mit Landschaftsbildern ausgeshmückt wurden so gründlih und schonungslos übermalt worden, daß darin kaum ein originaler Pinsel- strih mehr zutage liegen dürfte °).

Dagegen besitzen wir ein wohlerhaltenes Porträt Sebastianos aus demselben Jahr 1512 wie das Bolsenabild, die erwähnte sogen. Fornarina der Uffizien das

1) Das bisweilen für Sebastiano in Anspruch genommene elegante Jünglingsporträt der Gallerie Czartoryski, Krakau (sogen. Herzog von Urbino) gehört vielmehr in die nächste Umgebung Raffaels wenn nicht diesem selbst und in die Zeit der „donna velata“.

2) S. die Beschreibung bei Bernardini. Sebastiano d. Piombo. Bergamo 1908. p. 22/3.

3) Der neueste Biograph Sebastianos P. d’Achiardi. (Roma 1908) p. 62 anerkennt solche Obermalung nur beim Kyklopen, und rühmt auffallenderweise bei den Lünetten die „vaghezza del colorito“. Leider existieren keine Photographien dieser Fresken.

326 Monatshefte für Kunstwissenschaft

einer Vergleichung sich nur insofern etwas entgegensetzt, als es eine Dame darstellt, und weil es als Tafelbild in Öl ausgeführt ist.

Wir vergleihen darum zunächst dieses Bild Sebastianos mit einem gegen- ständlich nahe entprechenden, und (wie schon bemerkt) auch in der Farbengebung ihm angenäherten Werk Raffaels, dem Porträt der „Donna velata“. Dabei fallen uns sogleich wieder die nämlichen Gegensätze ins Auge, die wir zwischen Raffaels Porträt- köpfen aus dem „Heliodor“ und den Schweizern des Bolsenafreskos beobachteten.

Obgleih auch Raffael für ein solches Tafelbild begreifliher Weise mehr ins Detail geht als bei dem breiten vereinfachenden Freskostil der Stanzenbilder, setzt sich doch seine weiche Formengebung und Modellierung die alle linearen Abgrenzungen vermeidet, auch hier wieder in denselben charakteristischen Gegensatz zu der klar und scharfkantig zeichnenden Art des Venezianers.

Ebenso finden sich auf Seiten Raffaels die entschiedenen Licht- und Schatten- kontraste als beliebtes Wirkungsmittel, während Sebastiano seinen Kopf wieder ganz im hellen Licht stehen läßt und so sich die Möglichkeit feiner detaillierter Darstellung der Augenpartie und der Lippen sichert und die Gesamtformen des Gesidits mit durchsichtigen Helldunkeltönen gestaltet. Es verhält sich also das Damenbildnis Sebastianos zu Raffaels Donna velata genau so, wie die Schweizer in der „Messe von Bolsena“ zu den Sänftenträgern im „Heliodor“.

Nur ein Detail kann ich noch namhaft machen, das die Zusammengehörigkeit dieser Schweizerporträts mit der „Fornarina“ Sebastianos bestätigt: die eigentiimlich feine Darstellung des Haars mit den zierlichen, einzelne Haare heraushebenden Lichtern; sie findet sich in genauester Übereinstimmung bei den beiden genannten Werken Sebastianos, wogegen Raffael mit derselben Übereinstimmung im Fresko wie im Tafel- bild das Haar als geschlossene dunkle Masse (bisweilen mit einzelnen breiten Licht- effekten belebt), darstellt.

Die ausführende Hand des Sebastiano, die wir in einem nicht unbedeutenden Teil der Messe von Bolsena wahrgenommen haben, läßt sidi in den andern Wand- gemälden dieses Saales nirgend weiter nachweisen; dagegen scheint es, daß bereits im letzten Bild der Stanza della Segnatura dieser Künstler Gelegenheit gefunden habe, ein erstes kleines Probestück seiner Porträtkunst abzulegen.

Bei dem Wandbild der „Verleihung der Decretalen“ (s. Abb. 3), das nach dem darin aufgenommenen bärtigen Porträt Julius II. frühestens im Sommer 1511 begonnen sein kann hebt sich inmitten der verschiedenen Porträte und Idealkòpfe von deutlich raffaelischem großzügigem Charakter, schon durch die verkleinerten Por- portionen und die eigentiimlich zierlihe Formengebung der Kopf des jugendlichen Prälaten zur linken Seite des Papstes (also vom Beschauer aus rechts) als etwas Besonderes und Fremdartiges heraus und erinnert zugleich an die Schweizerportrate in der Messe von Bolsena. Eine nähere Vergleihung etwa mit dem en face gestellten Kopf des jüngsten Schweizers zeigt, daß Stil und Ausführung in der Tat bis in alle Einzelheiten hinein übereinstimmen. Beide Köpfe zeigen diese auf- fallende überaus minutiös ausgestaltete Modellierung der Augenpartie; wo die Augen in eine flache Mulde hineingesetzt scheinen, aus der sie in kräftig gewölbter Gestalt

M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 327

aufsteigen, während der untere Rand der Mulde durch einen feinen Lichtstreifen herausgehoben ist. Weiter die Modellierung der Wangen und die Zeichnung der Lippen: lauter vollkommene Gegenstücke, die ebenso nahe zusammengehen als sie von der Formgebung der Raffaelishen Köpfe sich entfernt halten.

Sebastiano kam nach Rom, veranlaßt durch den reichen Bankherrn und Mäcen Agostino Chigi, der ihn auf einer Geschäftsreise in Venedig kennen gelernt hatte; doch war seine malerische Tätigkeit in der eben erbauten Villa Agostinos, der Farnesina, keine ausgedehnte Vasari behauptet auch’), Sebastiano habe die Gunst des lebens- frohen Kunstfreundes ebenso sehr durch seine gesellschaftlichen, insbesondere musi- kalischen Talente sich erworben als durch seine Malerei.

Es entstanden also 1511 als erstes römisches Werk die schon genannten Lünettenbilder. Das größere Wandbild mit dem verliebten Polyphem das ihm eben- falls zugeschrieben wird, kann aber nicht vor der Galatea Raffaels °) auf die es Rück- siht nimmt, also nicht vor 1514 entstanden sein. Es ist ebenso wie die Lünetten völlig übermalt *) und beinahe abstoBend in der Färbung.

Über Sebastianos äußeres Leben und seine Tätigkeit während der ersten römischen Jahre fehlen alle Nachrichten. Es steht so jedenfalls nichts der Annahme im Wege, daß er zunächst Anschluß an Raffael gesucht habe ‘) und als guter Porträtist als welcher er von Anfang an in Rom sich einen Namen machte von diesem beim Drängen der Arbeit für die Ausführung der Porträtgruppe der Schweizerwache im Bolsenabild beigezogen wurde, nachdem er bereits den einen Porträtkopf in der noch unvollendet gebliebenen Decretalenszene ausgeführt hatte.

Bildnisse von Zeitgenossen erscheinen in den Wandgemälden der Stanzen (im Gegensatz zu Fresken des XV. Jahrhunderts) ziemlich selten; sie heben sich auch stets schon durch die notwendigerweise eingehendere und schärfere Zeichnung deutlich aus der Mitte der Idealköpfe heraus.

Zur Aufnahme soldier Porträts in die Wandbilder der päpstlichen Gemächer konnten offenbar nur besondere Wünsche des Bestellers Veranlassung geben.

Ebenso wie er es besonders verlangt haben muß in den Szenen des „Heliodor“ und der „Messe von Bolsena“ aller historischen Logik zum Trotz in päpstliher Würde mit dargestellt zu sein, wird er selbst auch verfügt haben, das die eine oder andere Persönlichkeit seines Hofes aus besonderer Gunst und Sympathie hier mit dargestellt und verewigt werden sollte.

Die Porträte der fünf Schweizergardisten verdanken nun ihr Dasein vielleicht der besonderen Freude des Papstes an den auffallenden nordischen Typen in dieser von ihm wenige Jahre zuvor erst begründeten Leibwache. Andererseits muß aber auch mitgewirkt haben die besondere Gunst in die sich die Schweizer als Nation eben beim Papst gesetzt hatten: ihrer bewaffneten Intervention, die mit der Erstürmung von

1) ed Milanesi. V. 566.

3) S. auch Vasari a. a. O. ,dopo avendo Raffaello fatto una storia di Galatea, vi fece Bastiano un Polifemo allato a quella.“

3) Bernardini a. a. O. p. 24.

4) Einen solcien AnschluB an Raffael nimmt auch d’Achiardi (a. a. O. p. 10) an.

328 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Pavia im Juni 1512 abschloß, hatte er die langerstrebte Vertreibung der Franzosen aus der Lombardei zu verdanken; das goldene Prunkschwert samt Herzogshut im Zürcher Landesmuseum und die in verschiedenen kantonalen Rathäusern und Museen der Schweiz noch erhaltenen Ehrenbanner kamen damals als Geschenke des erfreuten Papstes an die Teilnehmer jenes glänzenden Feldzugs*). So mußte denn auch die schweizerische Palastgarde in diesem Sommer 1512 besonders hoch in Gunsten stehen, und es begreift sih daß gerade damals einige ihrer ausgewählten Vertreter in einem Wandbild des Heliodorzimmers Aufnahme fanden.

Weiter ist es dann auch sehr wohl glaublich, daß Raffael, wenn er sich entlasten mußte, gerade eine solche Uniformen-Gruppe mit Porträten gemeiner Soldaten am ehesten abtreten mochte, und daß umgekehrt gerade diese Partie einen Porträtmaler und ausgesprochenen Koloristen wie Sebastiano ganz besonders ansprechen konnte.

1) Vgl. dazu R. Durrer, die Geschenke Papst Julius II. an d. Eidgenossen (in d. Zürcher Zeitschrift „Wissen und Leben“ I. (1908), p. 193ff. S. auch Pastor. Gesch. der Päpste III, 713ff.

+

Uber den Ursprung der Stalaktiten und einiger

anderer mittelalterlicher Baumotive Von Bruno Schulz

„Orient und Occident Sind nicht mehr zu trennen.“ Goethe.

Als man in Europa anfing sich mit der Kunst des Islam zu beschäftigen, war es natürlich, daß der Eindruck des Fremdartigen zunächst so stark war, daß man sie als etwas durchaus Einheitlihes und von der gewohnten Formenwelt Abweichendes auffaBte und infolgedessen die durch zeitliche, örtliche und andere Verhältnisse bedingte Verschiedenheit innerhalb der orientalihen Formen ebensowig wahrnahm, wie die Zusammenhänge, die zwischen den fremden und den heimischen und bekannten Formen bestanden. So kam es, daß zwei Irrtümer sich festsetzen und lange erhalten konnten: der Glaube an ein unverändertes Fortbestehen der orientalischen Kunst durch die Jahr- hunderte, also an das Fehlen einer Entwicklung in ihr, und die Überzeugung von ihrer unbedingten Originalität. Heute kennen wir die Entwicklung, die die islamische Kunst wie jede andere durchgemacht hat, wenigstens in den großen Zügen, und nehmen auch mehr und mehr die Übergänge wahr, die von der älteren Kunst zu den eigentlich arabischen Formen hinführen. Naive frühere Erklärungsversuche, wie die Ansicht, das farbige Flachornament der arabischen Wände stamme vom orientalischen Teppich der auf den Fußboden gehört und nicht an die Wand oder gar vom Beduinenzelt das schwarz ist und überhaupt keine senkrechten Wände hat müssen dabei dem Nach- weis einer allmählichen Ab- leitung der islamischen For- men aus denen der voris- lamischen Kunst weichen.

Welchen Anteil nun die einzelnen vorislamischen Kulturzentren an der Ent- stehung der mittelalterlichen Kunst in Orient und Occi- dent gehabt haben, darüber herrscht zurzeit lebhafter Streit. Der kann meines Erachtens nur dadurch seiner Entscheidung näher gebracht werden, daß die mittelalterlihen und die

330 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

vormittelalterlihen Einzelmotive konstruktiver wie formaler Art in ihrer Entwicklung verfolgt werden, diese vorwärts, jene rückwärts, und die Zusammenhänge der mittel- alterlihen mit der älteren Form, wo sie sich ergeben, auf diese Weise im einzelnen klargestellt werden, wozu als Voraussetzung eine genaue Aufnahme und Untersuchung der einzelnen Baudenkmäler gehört. Dann erst wird sich uns das Bild des Gesamt- vorganges aus sehr vielen Einzelheiten zusammengesetzt klarer zeigen.

Für das Motiv der so- genannten Stalaktiten, eine Form, die ja wie kaum eine zweite der Kunst des Islam ausschließlich und eigentümlich angehört, ist meines Wissens dieser Nachweis bisher nicht geführt worden, und man ist deshalb vielleicht geneigt, ge- rade dies Motiv noch als eine durchaus selbständige arabische Erfindung anzusehen. Wie aber auch für diese eigentümliche islamische Form die Entwick- lung aus bekannten älteren In: Konstruktions- und Dekora- nr en tionsformen, und zwar aus spätrömischen, nachgewiesen werden kann, das soll in Folgendem zu zeigen versucht werden.

Die Form der eigentlich sogenannten Stalaktiten, die in der späteren Entwicklung der islamischen Kunst zu den mannigfaltigsten Zwecken, zu Gesimsen, Säulenkapitellen u. dergl. benutzt werden, ist ursprünglich eine Form des Übergangs aus dem quadratischen GrundriB}zur poly- gonalen oder runden Kuppel und besteht als solche in mehreren Reihen kleiner, spitz- bogiger, polygonaler Halbkuppeln übereinander, die in wechselnden Formen und nach oben zunehmender Anzahl zu einem Pendentif angeordnet werden (Abb. 1)!). Diese zusammengesetzte Form hat sich jedoch erst später?) aus einer älteren einfacheren Über- gangsform gebildet, welche den Übergang zum Achteck direkt durch eine einzige Halbkuppel in jeder Quadratecke vermittelt. Die neuere ist also nur eine Häufung und wiederholte Anwendung der älteren Form: die dort zur einmaligen Abstumpfung des rechten Winkels angewandte Halbkuppel wird hier mehrere Male über- und nebeneinander zur immer weiteren Abstumpfung des Polygonwinkel verwandt. Neben den späteren eigentlichen Stalaktiten hat sich auch die ältere Form noch lange

ı) Nach Franz Pascha, die Baukunst d. Islam im Handb. d. Arch. II, 3, 2. Darmstadt 1896 S. 52. *) Nach Franz Pascha, a. a. O. erst am Ende des XII. Jahrh. n. Chr.

B. Schulz. Uber d. Ursprung d. Stalaktiten u. einiger and. mittelalterl. Baumotive 331

erhalten (Abb. 2)'). Eins der ältesten bis jetzt bekannten Beispiele des Vorkommens der einfachen Übergangsform zeigt die kirzlich von F. Sarre”), im Frühjahr 1898 von ihm und mir aufgenommene Moschee-Ruine Makam Ali am Euphrat (Abb. 3). Dort ist der Übergang aus dem Quadrat zum Achteck durch vier in die Ecken gestellte spitz- bogige Halbkuppeln hergestellt, die mit je einer Muschel ——— ~ in Stuck dekoriert sind. Dieser Muschelschmuck tritt auch später noch immer wieder bei den Stalaktiten auf (vgl. Abb. 1).

Schon diese wiederkehrende Dekoration der Halb- kuppel mit der Muschel kann auf die Vermutung eines

x SS Zusammenhanges fiihren, der zwi-

schen diesem ältesten islamischen Kuppelübergang und der römischen ?) »Conche“, der mit Halbkuppel über- deckten Halbkreisnische der spätrömi- scien Kunst, besteht, da hier die Halbkuppel ebenfalls als typischen Schmuck die Muschel zeigt; und das umsomehr, als die Anwendung der Halbkreisnische in der römischen Kunst der ersten nachchristlichen Jahr- hunderte gerade auch zur Lösung derselben Aufgabe beliebt ist, einen quadratischen Raum mit einer Kuppel zu überdecken. Die Kuppel wird (rund oder als acht- seitiges Klostergewölbe) auf ein regelmäßiges Achteck gesetzt, das aus dem Quadrat durch Einstellung von vier Halbkreisnischen in seine Ecken entwickelt wird (Abb. 4a). Der Grundriß des Raumes bleibt dabei zwar nicht mehr wirklich quadratisch, schmiegt sich aber eng dem Quadrat an.

Und nun läßt sich in der Tat die Ent- wicklung nachweisen, die von dieser römi- schen in die Quadratecke gestellten Halbkreis- o nishe zu der schwebenden Halbkuppel der Abb. 7. früharabischen Kunst hingeführt hat. Sie ver- läuft in zwei Abschnitten; zunächst werden die gemauerten Wandungen der Halbkreisnische bis zum Halbkuppelkämpfer durch freistehende Säulen ersetzt, und dann werden diese Säulen weggelassen, und die schwebende Halbkugel bleibt als rudimentäre Form übrig.

Der erste dieser Entwicklungsabschnitte ist durch eine große Anzahl von Bei- spielen allgemein für die Wandnische der spätrömischen Kunst belegt: Die Conche so-

Abb. 5.

Abb. 6.

1} Nach Franz Pascha a. a. O. S. 18.

2) F. Sarre, Makam Ali am Euphrat, im Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunstsammlungen. 1908. Heft II.

3) „Römisch“ ist hier und im Folgenden natiilich nicht als „stadtrömisch“ oder „italisch“ zu verstehen, sondern als der gesamten römischen Reichskunst angehörig, ohne daß die Frage, woher das Motiv in diese Kunst Eingang gefunden habe, hier berührt werden soll.

332 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

wohl wie die Rechtecknische (Aedicula) erhält ihre typische immer wiederkehrende formale Ausbildung zunächst durch zwei die Nische flankierende Pilaster mit Gebälk darüber (das bei der Conche auch aus einer bloßen Archivolte bestehen kann [Abb. 5)). An Stelle der Pilaster treten dann der kräftigeren plastishen Wirkung wegen zwei frei vor die Wand gestellte Säulen, „prostyle“ Conche (Abb. 6) und „prostyle“ Aedicula (Abb. 7), (wobei auch die Bogenumrahmung der Conche immer die Form eines vollständigen Gebälkes aus Epistyl, Fries und Geison annimmt. Um Platz zu gewinnen ohne an schattenwirkender Reliefhöhe zu verlieren, wird dann die Säulenfront der Conche oder Aedicula fast bis an die Wandfläche zurückgeschoben, und dazu das Ganze in eine Ausnischung der Wand gestellt (Abb. 8 u. 9). Diese Ausnischung erhält gar keine formale Ausbildung, und die Nische, zu deren Umrahmung Säule und Ge- balk eigentlich da sind, kann ganz fortfallen, d. h. ganz in diese größere nicht umrahmte Ausnischung aufgehen, so daß die Form der unsprünglichen Nische nur durch die beiden Säulen und das Gebälk darüber angedeutet wird (Abb. 9).

Die Ausnischung der Wand, in die so Conche oder Aedicula hineingestellt wird, wird dabei entweder bis über die Verdachung in die Höhe gezogen (Abb. 8a) oder endigt tiefer und schließlich schon in Höhe der Epistyl-Unterkante (Abb. 8b). Beispiele dafür sind namentlich in Baalbek zahlreich vorhanden.

Diese in der geraden Wandfläche besonders herzustellende Ausnischung, in die die Säulen hinein- gestellt werden, ist nun beim quadratischen Raum in den einspringenden Ecken schon vorhanden, und so ergibt sich als Endform dieses ersten Entwicklungs- abschnittes die Anordnung, wie sie im Grundriß auf

Abb. 9. Abb. 4b und in den Ansichten auf den Abb. 10 und 11 dargestellt ist.

Die in diesen Darstellungen niedergelegte Annahme von der Existenz einer solhen aus zwei Säulen und einer Halbkuppel darüber bestehenden Zwischenform zwischen der römischen Conche und der älteren arabischen Ecklösung ist von mir zu- nächst rein hypothetish ohne Kenntnis eines wirklich noch vorhandenen Beispiels dafür aus Analogien abgeleitet worden. Sie findet nun aber überraschend exakte tatsächliche Bestätigung in, so viel mir bis jetzt bekannt, drei Beispielen an weit voneinander ge- legenen Orten: Zwei davon bildet Strzygowski') ab, die Kuppelkonstruktionen im

1) Strzygowski, Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte, Leipzig 1905, Abb. 78, 80 u. 81.

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B. Schulz. Uber d. Ursprung d. Stalaktiten u. einiger and. mittelalterl. Baumotive 335

roten Kloster zu Solhag in Oberegypten und in der Kirche von Kodscha Kalessi in Kleinasien. Und ein drittes Beispiel für dieselbe Art des Überganges ins Aditeck hat F.Sarre, wie er in einem auf dem internationalen Historiker-Kongreß dieses Jahres gehaltenen Vortrage erwähnte, in der Sergius- Basilika zu Rusafa-Sergiopolis am Euphrat in zwei die Apsis der Basilika flankieren- den turmartigen dreigeschossigen Räumen gefunden (Abb. 12). Wie die weitere for- male Ausbildung des Motivs dort im Einzelnen gewesen ist, läßt sich leider nicht vollständig erkennen. Da die Wand- flächen Reste von Putz zeigen, scheint Stuck dabei zu Hilfe genommen worden zu sein, wohl in denselben einfachen für die syrische Kunst um etwa 500 n. Chr. eigentümlichen Formen, die die Säule und die Konsole zeigen. Kodscha Kalessi setzt Strzygowsky ins IV. Jahrhundert. Daß die formale Ausbildung des Motivs auch mit den noch kanonischen Formen des III. Jahrhunderts in fast klassischer Weise möglich ist, zeigen Abb. 10 u. 11.

Der zweite Entwicklungsabschnitt des Motivs, die Entstehung der Ecklösung von Makam Ali (Abb. 3) aus dieser Form dur Weglassen der Säulen und ihrer Konsolen hat nun zwei ganz gleichartige Parallelen in der Entwicklung zweier an- derer Formen, des Bogenfrieses, der bei den romanischen Bauten des Abendlandes eine so häufige Verwendung findet, und des Zickzackfrieses, wie er uns in der Prachtfassade von Mschatta (im Kaiser Friedrich-Museum in Berlin) erhalten ist’). Alle drei Formen, die ältere Stalaktiten- form, der Bogenfries und der Zickzack Abb. 14. sind auf gleihe Weise, durch Fortfall der Säulen, aus der mit Säulen dekorierten römischen Wandnische entstanden: Die nebeneinander aufgereihten und durch ihre Bogengebälke miteinander zu einer Blendarkade verbundenen Conchen, wie sie uns in der Dekoration der Porta aurea in

1) Vgl. B. Schulz, Bogenfries und Giebelreihe in der röm. Baukunst, im Jahrbuch d. Kgl.

deutschen Archäol. Inst. Bd. XLI. 1906. Heft 4, S. 221. ji

336 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Spalato (Abb. 13) erhalten sind, haben durch Weglassen der Säulen unmittelbar den mittelalterlichen Bogenfries ergeben. Genau ebenso ist es eine Reihe von nebeneinander- gesetzten durch ihre dreieckigen Giebel miteinander verbundenen Aediculen, die nach Weglassen der Säulen das Motiv von Mschatta (Abb. 14) ergeben haben. Die beiden bis jetzt bekannten hauptsächlichsten monumentalen Beispiele für diese Vorstufe der Dekoration von Mschatta die meisten anderen gehören der Sarkophagplastik an sind zeitlih und räumlich sehr weit voneinander getrennt: das Grabmal des Sampsi- geramus zu Homs-Emera am Orontes aus dem Jahre 78 n. Chr. und die Vorhalle des

Klosters Lorsch im Rheintal

(Abb. 15)!), ein Bau Karls

des Großen. Beide Beispiele

zeigen eine Reihe von Aedi-

culen mit Dreiecksgiebeln in

gegen die klassischen redu-

| zierten Formen. Beide haben auch das miteinander und mit Mschatta gemein, daß die ganze Fläche, auf .der die Giebelreihe sitzt, mit gleichmäßig verteiltem Orna- ment überzogen ist, hier in beiden Fällen mit einem einfachen geometrischen Muster mit unendlichem Rapport, dort in Mschatta mit reichen Pflanzen- und Abb. 15. Tiermotiven in eigenartigen

persischen Formen.

Zu diesen drei aus der römischen Wandnische abgeleiteten Motiven muB als viertes noch das Motiv der zur Wanddekoration verwandten Arkade gerechnet werden, die ja nicht bloß die Vorstufe für die Entstehung des Bogenfrieses gewesen ist, sondern als Zwerggallerie und als Blendarkade einen selbständigen Fortbestand in der mittel- alterlichen Kunst gehabt hat; und als fünftes noch das Motiv der sogenannten ein- geblendeten Ecksäule, das ebenfalls in der mittelalterlichen Architektur im Morgen- und Abendland eine große Rolle spielt, denn auch dies hat sich aus der Conche entwickelt, dadurch, daß die Ausklinkungen der Wand, in die die Conchensäulen bei der Anord- nung nach Abb. 8 hineingestellt werden, möglichst gering bemessen, also schließlich auf den Raum beschränkt werden, den die Säulen selbst einnehmen.

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So muB fiir alle diese fiinf Motive als erwiesen gelten, daB sie aus dem ròmi- schen Wandnischen-Motiv sich entwickelt haben, daB diese Entwicklung ohne Einschlag

') Nach Essenwein, A., Die Ausgänge der klassischen Baukunst (Handb. d. Archit. Teil Il. Bd. 3, erste Hälfte, Darmstadt 1886).

B. Schulz. Über d. Ursprung d. Stalaktiten u. einiger and. mittelalterl. Baumotive 337

eines fremden Motivs nur durch Variation und Kombination Bereicherung durch Häufung und Vereinfachung vor sich gegangen ist, daß also für die Entstehung dieser mittelalterlichen Formen, wenn sie auch hauptsächlich an orientalischen Beispielen verfolgt werden kann, doch nicht etwa irgend etwas Altmesopotamisches oder sonst Urorientalishes maßgebend gewesen ist, sondern allein das hellenisch-römische System von Säule und Gebälk in seiner schier unerschöpflichen Anpassungs- und Veränderungs- fähigkeit.

Der Meister des Berliner Martin

+ und Hans von Heilbronn :: Von Paul Ferd. Shmidt

I.

Die Holzstatue des heiligen Martin im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin (Kat.- Nr. 362) hat schon einmal die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Friedrich Haack hat sie mit dem Laurentius des Germanischen Museums (Kat.-Nr. 315) zusammengebracht und gegen die Zusammenstellung mit der „Nürnberger Madonna“ entschieden, und mit Recht, protestiert!). Aber er hat die Spur nicht weiter verfolgt und auch weitergehende stilistische Schlüsse unterlassen; es blieb also bei der Berliner Benennung: „Schwäbisch um 1510“°) (Abb. 1. Die Aufnahme ist ungünstig, die richtige Ansicht wäre von unten).

Da es sih um ein Werk ersten Ranges handelt, verlohnt es sich, zunächst bei ihm zu verweilen und sich nach genauerer Kenntnis seiner Art um verwandte Schöpfungen umzusehen. |

Der heilige Martin ist ungefähr in LebensgrôBe als Standfigur dargestellt. Er beschäftigt sich damit, den Mantel mit seinem Schwerte zu teilen; gemaB dem strengen Charakter der siiddeutschen Stand- oder Schreinfigur, dem hier noch immer ein Rest gotisch-architektonischer Gebundenheit anhaftet, ist aber nicht eigentlich die Bewegung gegeben, sondern ein Augenblick des Innehaltens mitten in der Geste. Dieses fixierte Bewegungsmoment liegt im plastischen Charakter des Künstlers, dessen Tempo über- haupt ein allegro ritardando ist.

Prüft man die ganze Figur durch, so ergibt sich eine vollkommene Konsequenz dieses plastischen Charakters. Das Standmotiv mit dem leicht seitwärts gesetzten Spiel- bein (man denkt fast an Lysipps Apoxyomenos) ist gut und körperlich überzeugend; es liegt etwas Adliges, ja Königliches in seinem Auftreten. Und die vornehme Ge- lassenheit des Mannes findet ihren krönenden Ausdruck in dem Haupte, das leicht und frei getragen wird und mit unerschrockenem Ausdruck ein wenig zur linken Seite ge- wendet, dem Nahenden fest entgegenblickt.

Während sich dergestalt als kennzeichnende Merkmale der Figur gelassene Festig- keit und eine vornehme Selbständigkeit offenbaren, spiegeln auch die rein formalen Details ihren Charakter wieder. Die Bewegung der Arme dient der Entfaltung des einen großen Gewandmotives: der Mantel, von der Linken an einem Zipfel empor- gehalten, bildet ein System bauschiger Falten, deren Kurven zusammenlaufen und in

') Repertorium XXIX, S. 245. Der hl. Martin ist aus Lindenholz, unbemalt, 163cm hoch, mit unbedeutenden Ergänzungen (Schwert und linker Fuß); der Laurentius ebenfalls jetzt un- bemaltes Lindenholz, 157 cm hoch.

2) Daß von Nürnberger Art, wie der Skulpturenkatalog des Germanischen Museums meint, keine Rede sein kann, ergibt sih aus dem Folgenden von selbst.

P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 339

einer groBen edlen Linie den Rhythmus des Standmotives begleiten. Selbst die Faltelung des linken Armels und des herabhängenden Mantelendes zur Rechten ist in die Kurve einbezogen; die Geberde des Heiligen letzten Endes nur dekorativ wirksam. Die Faltengebung hat aber innerhalb des bedeutenden Hauptmotives etwas heimlich Er- regtes; die Bauschen gleichen einem Plateau, das von tiefen Schluchten durchschnitten wird, ihr Rand ist knitterig wie bei einem Seidenstoff und endet in muldenförmigen Zungen. In wirksamen Gegensatz gegen diese zeichnen sich unterhalb der Faltenzüge Schenkel und Knie klar durch den gefütterten Mantel- stoff hindurch ab. Das Haupt ist energisch gebildet, von vierkantigem Typus, Kinn und Stirn als ent- schiedene Kriterien des Willensausdruckes fassen das Gesicht zusammen; Kinn und Mund, Nase und Brauen wölben sich aus ihrer Umgebung in plastischer Be- tonung heraus besonders eigentümlich der Mund, dessen ganzer Bau die Erhöhung des Schließmuskels namentlih an den Mundwinkeln unterstreicht. Die Augen blicken kühn und ruhig unter starker Brauen- wölbung hervor; und den Eindruck eines Mannes, dem das Herrschen selbstverständliche Lebensbetätigung ist, der gelassen über die Umwelt verfügt, vollendet die geringelte Lockenfülle, die den Kopf umgibt, voll- endet auch etwas scheinbar so Nebensäcliches wie die Schuhe, die mit breiten Flächen, als „Kuhmäuler“, auf der Erde haften, ihrem Träger festen Stand ver- bürgend. |

Man braucht gar nicht bis ins XV. Jahrhundert zurückzugehen, um die Gestalt des Martinus als Gegen- satz zum gotischen Ideal zu empfinden. Auch die spätesten Figuren Riemenschneiders sind ängstlich und haltlos neben ihr, die des Krafft bäurisch, und alle ihre Genossen von den schwäbischen Altären des XVI. Jahrhunderts scheinen nur schwankende Gestalten neben der gesunden Fülle des Martinus. Will man Abb. 1. Der hl. Martin. Berlin, seinesgleicien sehen, so muß man sich zu den besten Kaiser Friedrih- Museum Schöpfungen von Vischer und Stoß und zur „Nürn- berger Madonna“ bemühen. Erst in den großen Schöpfungen der deutschen Renaissance- plastik findet man diesen Geist stolzer Größe und des Selbstbewußtseins wieder, der so außerordentlich kontrastiert gegen das unterwürfige Zusammenknicken der gotischen Figuren. Zwei Weltalter stehen da gegeneinander, diein ihrer plastischen Gesinnung wenig miteinander gemein haben, wenn sie auch ihre Formeln auf denselben Ursprung zurückführen, auf das kirchliche Heiligtum. Die einen, die Gotiker, möchten die Himmels-

340 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

sehnsucht durch Abkehr von irdishem Gewaltausdruck und durch hochaufstrebende Altarbauten verewigen; ihr feinster Schöpfer ist Tilman Riemenschneider, der Zarte. Die andern aber, die Modernen, ergreifen von dem Irdischen Besitz und von der Herrlichkeit menschlicher Schönheit: sie wurzeln fest in der Realität, sie stellen das plastische Gewissen der neuen Zeit dar, die nicht abstrakte Heilige, sondern lebendige Menschen zu schauen wünscht. Sie erleben die Schöpfung des Menschen als Ganzes noch einmal. Aus diesem lebensfrohen, plastisch fühlenden Geschlecht ist der Meister des Berliner Martin.

Seine Charakteristika sind so eigentümlich und verraten so viel Persönlichkeit in der gesteigerten Geistigkeit und dem hoheitsvollen plastischen Idealis- mus der Figur, daß man unschwer weitere Werke seiner Hand erkennt. Eines hat Haack schon mit glücklihem Blick in dem Laurentius des Germanischen Museums entdeckt; neben diesem steht aber ein als Petrus ergänzter heiliger Mönch (Kat.-Nr. 329), der demselben Meister gehört. Beide Statuen vereinigen Merkmale mit denen des heiligen Martinus zu nahezu unumstößlichen Beweisen der nämlichen Abstammung und sollen deshalb zusammen untersucht werden. (Abb. 2 u. 3.)

Angefangen von der freien männlichen Haltung, haben sie hier auch im einzelnen Verwandtschaften mit dem Martin. Das linke Bein schiebt sich unter den Gewändern spielbeinartig vor, das Knie ist nach innen gedreht; die Füße stecken sicher in den näm- lihen breiten Kuhmäulern. Die Faltenbehandlung variiert das System des Martin nach zwei Seiten, und ebenso variiert Kopf- und Handbildung dessen Stil in leise abklingender Weise. Beim Laurentius ist alles knapper, klarer; vorweg das Gewand, bei welchem Abb. 2. Laurentius. Nürnberg, Ger- die Täler weniger tief in die Stoffmassen einschneiden,

O manisches Museum die Motive übersichtliher und magerer sind. Aber

es ist die nämliche bildnerische Gewohnheit wie beim

Martin, welche Bauschnester an den Biegungen eingräbt, die jene kleine Mulden z. B. am Knie wie absichtslos einstreut, um die Flächen zu beleben; es ist die namliche Be- handlung der Armel, um das Handgelenk ein wenig trichterförmig geöffnet, vom Ell- bogen in luftiger Kurve weit herabhängend. Das alles bis ins einzelnste ist auBer- ordentlich gleich im plastischen Gefühl, aber beim Laurentius noch weniger entwickelt. Martin ist voller und rauschender im Gewand, selbstbewußter im Auftreten. Dagegen verraten die Köpfe weniger Entwicklungsdifferenz. Der Nürnberger ist vielleicht etwas

P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 341

weniger kompliziert in der plastischen Struktur; die Bildung derber, die Nase breiter: aber im ganzen und in den Einzelheiten, wie dem Munde, den Stirnknochen und Kinn, dem Lockenkranz wirkt er völlig wie ein Bruder des aristokratischeren Mantelteilers. Auch die Hände mit ihrer klaren Artikulierung und dem Reichtum an gut beobachteten Fältchen, Sehnen und Adern, bezeugen die Blutsver- wandtschaft der beiden Figuren. Daß die des Nürn- bergers weniger energisch zugreifen, liegt an den verschiedenartigen Motiven.

Beim Mönch wiederum erscheinen die Elemente der Unruhe und der seidenartigen Bauschung im Ge- wande des Martin gesteigert. Alles steuert bei ihm auf Extreme hin: das Motiv des gerafften Kleides in der untern Partie wird wiederholt, aber wirbelartig um das linke Bein herum verstärkt; die Säume schwellen und winden sich, werden selbständiger (selbst die Schuhe nehmen an dieser Bewegung teil); die Massigkeit des Stoffes nimmt zu, die Ärmel stauen sich und fallen lang herunter. Aber an der Identität des plastischen Ursprungs beider Figuren läßt nichts einen Zweifel aufkommen: die Bauschigkeit hergestellt durch Eintiefungen, die kleinen Mulden, die ge- schlängelten freien Säume an den Gewändern, deren Differenzen die verschiedene Tracht bedingt (Mantel resp. Kutte); die gleihen Hände, deren Energielosig- keit die nämliche ist wie beim Laurentius; die Köpfe, deren gleichförmige Grundbildung im einzelnen wohl nicht mehr der Hervorhebung bedarf, und bei denen die Abweichungen nur zu dem Eindruck der gleichen Entstehung beitragen können. Statt der Locken fallen bei dem Mönche einzelne Haarbüschel schlicht herab; und die Individualisierung ist hier stärker als der idealistishe Zug, was zum Teil wohl der erhaltenen Bemalung zuzuschreiben ist. Dennoch erkennt man, wie nahe bei gleichbleibender Grundform der Typus sich leicht vom Heroischen ins Individuelle (cum grano salis!) abwandeln läßt. Die hohe Kunst des Meisters verbürgt doch immer jenen Grad von Idealität, der zu monumentaler Skulptur am besten eignet. Die hoheitsvolle Weltlichkeit, die bei allen drei Statuen aus ihren Augen blickt, stempelt sie nicht nur zu Repräsentanten einer Weltanschauung, die man Renaissance zu nennen pflegt, sie zeichnet sie auch vor der Masse der späteren schwäbischen Altarskulpturen aus, die über einen bloßen kräftigen Realismus nicht hinaus- kommen. Hier dagegen herrscht der Wille, den Statuen ein höheres geistiges Ansehen zu geben (welches niemals dem bloßen Realismus gelingt), und die Fähigkeit, die wertvolle Persönlichkeit als solche, als monumentale Individualität, zur Erscheinung zu bringen.

Abb. 3. Mönch. Nürnberg, Ger- manisches Museum D

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Mit solchen für einen deutschen Altarfigurenbildner nicht gewöhnlichen Quali- täten verbinden sich fast noch ungewöhnlichere: die Gabe, seine Typen sinngemäß zu variieren, und die Möglichkeit, sich formal zu steigern. Die Entwicklung von der härteren Flächenhaftigkeit des Laurentius zu der klassischen Fülle des Berliner Martin und von diesem zu dem barock (barock wie Hans Leinberger) anmutenden Bewegtheit des Mönches ist gar nicht zu verkennen. Eigentümlich ist, daß an dieser Entwicklung die Gewandung in viel stärkerem Maße Teil hat als Köpfe, Hände und selbst Haltung. Und daß die plastischen Motive, der stilistischen Wand- lung entsprechend, des Meiste Reichtum an Form und Ausdruck beweisen, ist leicht zu überblicken. Das Maß an innerer Energie ist ebenso verschieden bei den drei Heiligen wie ihre Gewandmotive und Details.

Wie weit die drei Statuen zeitlich auseinander liegen, ist bei dem Mangel an allen Daten nicht mög- lih zu sagen. Bei versprengten Stücken der Art muß überhaupt die Stilvergleihung nahezu alle übrigen Hilfsmittel ersetzen. Der Denkmälerbestand ist aber so zerstreut, daß wir auch mit dieser den Grund legen- den Arbeit noch nicht sehr weit gediehen sind.

Behält man die Wandlungsfähigkeit des Meisters im Auge, so wird es nicht überraschen, wenn wir ihm nun auf Grund der gewonnenen Stilkenntnis auch eine so scheinbar abweichende Figur zuschreiben, wie den jugendlihen Diakonen, der den beiden Nürnberger Figuren nahe benachbart im Kirchensaal des Ger- manischen Museums steht (Abb. 4)'). Der von spät- gotischen Statuen so abweichende ruhige Stand mit Abb.4. Jugendlicher Diakon. Nürn- der leichten Andeutung des Spielbeins; die ‚Haltung

berg, Germanisches Museum der beiden Hände, die dem Lorenz entspricht, mit

demselben scheuen, ja zaghaften Zulangen der Finger; das Faltensystem unterhalb der rechten Hand; die langen röhrenartigen Ringellocken: alles ist an der Gestalt dem Lorenz verwandt, nur in einem unentwickelten Stadium stehend und ins Flachrelief übersetzt. Daß das Gesicht beim ersten Anblick so auffällig abweicht, ist kein Gegenbeweis: unter seiner mädchenhaften Lieblichkeit verbirgt sich derselbe Knochenbau, und die weiche sorgfältige Modellierung entspricht derselben Lust an charaktervollen Wölbungen wie bei den andern. Dieses überaus anmutige Relief füllte ursprünglich wohl den Seitenflügel eines Altars.

Noch um etwas älter erscheinen zwei Diakonenfiguren im Darmstädter Museum),

ı) Kat.-Nr. 301, Höhe 172 cm, Lindenholz (?), unbemalt. 2) Lindenholz, unbemalt, Höhe 102 und 104cm. Sie stehen im Chor des gotischen Kirchen- raumes.

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deren Zusammengehörigkeit beim ersten Blick auffällt (Abb. 5). Der Stil des Paares ist wesentlich härter als der des Lorenz, und es bedarf vielleicht einiger Abstraktion, dieselbe Hand hier zu erkennen. Gleichwohl sind die Familienmerkmale nicht von der Hand zu weisen, nur ist ihre Plastizität und Kraft im ganzen geringer; als früheste Versuche des Künstlers sind sie etwas unreif und herb ae Das Faltensystem der Dal- matika geht über Andeutungen kaum hinaus, die Energie des vierkantigen Schädels ist in den Anfängen stecken geblieben; aber selbst hier ist die Klaue des Löwen nicht zu verkennen in dem freien Blick; und Haltung, fingernde Hände, Kopfwendung, Lockenschwall und Armelfall am Handgelenk verraten so sehr die nämliche Abstammung, daß die Unterschiede nicht als stilistische, sondern nur als entwicklungsgeschicht- lihe betrachtet werden können. An diesen sechs Figuren prägt sich einmal der persönliche Charakter eines Meisters dur verschiedene Wandlungen der Zeit in typischer Zeichnung aus: er macht die allgemeine Stilwandlung von der gotischen Jugendlickkeit bis zu der reifen Männlichkeit des XVI. Jahrhun- derts mit, behält aber unverrückt sein = körperliches Ideal bei. Er entfaltet nur Abp. 5. Zwei Diakonen alle Reichtümer, die von Anfang an in seinen Motiven liegen; wie er denn von Anfang an der Reifezeit innerlich angehört. Für unsere Stilkenntnis bedeutet diese Entwicklungsreihe eine wesentliche Be- reicherung. Stilistische Reifeunterschiede sind noch nicht Unterschiede der ausführenden Hand. Es ist kein Privileg der anerkannten Großen, sich wandeln zu dürfen; wenn es allerdings auch ein Kennzeichen für Große ist, sidi wandeln zu können. Und der Meister des Berliner Martinus ist ein Großer. Seine Menschen leben, sie führen ein starkes, männliches und adeliges Eigenleben. Wer so über gewöhnliches Maß hinaus- ragende Menschen gestalten kann, der ragt selber, nicht durch die Qualität seiner Ge- schöpfe, sondern durch seine Schöpferkraft über die andern hinaus. Vielleicht beugt er sih nur dem größten Charakterbildner Veit Stoß; unter den schwäbischen Bildhauern ist nicht einer, der es mit ihm aufnehmen könnte in der Blütezeit der Altarplastik.

. Darmstadt, Museuin

IL.

Die Frage nach der Herkunft dieser Kunst und nach verwandten Werken führt uns nach Heilbronn, zu dem Hochaltar der Kilianskirche, den, nach den über- zeugenden Darlegungen Marie Schuettes, im Jahre 1498 Meister Hans von Heilbronn

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Abb. 6. Schrein des Hochaltars in der Kilianskirche zu Heilbronn

An diesem groBen und harmonischen Altar ist die Ausgleichung

schwäbischer Formschönheit und fränkischer Beseelung angebahnt; ganz dem Charakter

| verfertigt hat’).

Heilbronns entsprechend, das unter einem echt schwäbischen Himmelsstrich liegt und

dennoch seiner Bevölkerung nach halb zu Franken rechnet (Abb. 6—8).

Es ist die-

selbe Harmonie wie bei dem Meister des Berliner Martinus, um wenige Nüancen

1907, S. 128,

Christl. Kunstblatt 1892, S. 106.

Straßburg, Heitz & Mündel

1) Marie Schuette, Der schwäbische Schnitzaltar.

182 ff. Tonnies

S. 165 ff.

1900

StraBburg,

Tilman Riemenschneider.

Abb. 7. Aufsatz des Kiliansaltars in Heilbronn

346 Monatshefte für Kunstwissenschaft

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Abb. 8. Flügel vom Kiliansaltar in Heilbronn

schwäbischer. Die Frage ist die: genügen diese :Nüancen, um die Verschiedenheit der Hände davon abzuleiten oder ist der Martinusmeister einfach Hans von Heilbronn?

Halt man sich die Entwicklungsreihe des Martinusmeisters vor Augen, so er- scheint die Verwandtschaft zwischen ihm und Hans sehr groß: zwischen dem Werk des Berliner als Ganzen und dem Kiliansaltar fiir sich. Unverhohlene Erdentreue, Gegenwartssinn, Festigkeit bis zu Kiihnheit und Trotz gesteigert im Charakter der Menschen; das Schleifende im Standmotiv; vierkantige Kopfform mit den tiefliegenden Augen, dem vorgebauten Munde, dem vielgelockten reichen Haar; Handbildung und Greiflust; im Gewandstil die Einsenkung der Tiefen und das Gewirr der Nester über dem Schoß. Aber die detaillierte Betrachtung löst die Stilparallelen alle zur bloßen Ähnlichkeit auf und läßt in der Entwicklungreihe des Martinusmeisters nirgends Platz für den Kiliansaltar. Um es vorwegzunehmen: Hans von Heilbronn ist nicht nur um

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einige Grade „schwäbischer“, sondern auch um ein paar Nüancen „gotischer“ als der Meister des Martinus es von Anbeginn ist. Ä Schwäbischer ist am Kiliansaltar vor allem die größere innere Ruhe der Men-

schen; trotz ihrer scharfblickenden Augen leben nicht einmal die dis- putierenden Kirchenväter in der Pre- della so sehr in ihren Gedanken wie schon die Darmstädter Diakonen, die frühesten im Werke des Mar- tinusmeisters. Sie sind träger im Denken und gleichmütiger in der Empfindung. Schwäbischer ist auch die lebhaftere Aktion der Hände, die nicht innere Erregung, sondern ledigih der echt schwäbischen Freude am Formenspiel schöner Hände entspringt. Man gehe alle schwäbischen Schnitzaltäre durch, und man wird staunen, wie ihnen gegenüber Riemenschneider und selbst Stoß die Hände verhältnis- mäßig nebensächlich behandeln. Der ungemeinen Varationslust schwäbi- scher Hände und speziell derer am Kiliansaltar stehen die des Berliner Meisters gegenüber, die nie so fest zupacken, die den Motivenreichtum des Heilbronners nicht kennen. Der Berliner legt eben auf andere Dinge geistigen und formalen Nachdruck. Nur der hl. Martin besitzt ein wenig von der herrlihen Ausdrucksfülle und nervösen Beweglichkeit der Heilbronner Hände. Es zeigt sich hier gleichzeitig eine ähnliche Form- gebung und eine Art psychischer Differenzierung, die in ihrer Ver- bindung schon für sid allein

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iV VN + son num um mn») IF Abb. 9. Kreuzigungsgruppe hinter der Bernhardskirche in Stuttgart O

den Schluß auf nahe persönlihe Verwandtschaft der Meister nahelegen. „Gotischer“ zeigt sidi Hans von Heilbronn in der Empfindung wie im Detail. Die stärkere Ausbiegung, das unsichere Stehen seiner Figuren weist ebenso wie der kleinliche Knitterstil der röhrenartigen Falten, die von keinem durchschwingenden Motiv beherrscht werden, auf ein höheres Alter des 1509 gestorbenen Meisters. Seinen

348 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Gestalten haftet noch ein starker Rest spätgotischer Unsicherheit an. Der Martinus- meister hat die schwache Stelle im Kanon der schwäbischen Schreinfiguren erkannt: die falsche Hebung der Schulter an der Spielbeinseite !). Gelingt es ihm nun auch nicht, den Körper richtig zu biegen und die Schulter der Standbeinseite zu senken, so stehen seine Menschen doch wenigstens gerade auf ihren Füßen, und die verhängnis- volle Hüftenschiebung ist vertusdit. Das ist eine der Aufgaben, die der schwungvollen Drapierung zufallt. Die Heilbronner Statuen können schon dieser Drapierung wegen nicht von derselben Hand wie der heilige Martin stammen; die konsequente Entwick- lung von den Darmstädter Figuren bis zu dem Mönch in Nürnberg bezeugt laut genug die revolutionäre Gesinnung ihres Meisters, der auf einen bewußt dekorativen Falten- stil etwa im Sinne des Moosburger oder Breisacher Hochaltares hinarbeitet; ein Stil, der die Gewandung zu plastischen Kombinationen in großartigen Liniensystemen ver- wendet, darunter aber den Körper nicht verhüllt, sondern Teile von ihm zwischen dem Faltenmeer um so plastischer heraushebt °).

Will man gegenüber dieser fortgeschrittenen Gesinnung des Martinusmeisters das im Altertümlichen Beharrende des Hans von Heilbronn, aber auch seine Größe er- kennen, so haben wir noch ein späteres Werk von ihm, den urkundlih von ihm stammenden Kalvarienberg hinter S. Leonhard in Stuttgart von 1501?) Zum Unter- schied gegen den holzgeschnitzten Altar ist dieses Werk in graugelbem Sandstein ge- hauen (Abb. 9). Aber der Gewandstil und die gotisierende Tendenz sind hier die gleichen wie am Kiliansaltar. Die Ruhe der Gestalten wächst durch ihre Teilnahme an dem er- schütternden Vorgange ins Monumentale, und trolz ihrer ausgebogenen Haltung geben ihnen die größer gedachten Gewandmotive erhöhte Würde, die den Schmerz zu stummerem Pathos dämpft. Diese Gruppe wirkt bedeutender als die im Heilbronner Altar. Der Gegenstand war auch lockender und plastischer. Die Kreuzigungsgruppe, in das Stäbchengewirr des Heilbronner Aufsatzes verbannt und als schlecht beleuchtetes Akzi- dens wohl yeringern Händen überlassen +), wird in Stuttgart zur Hauptsache und kann sich hier in mächtiger Geschlossenheit aufbauen, den gegliederten Felsen zur Unterlage. Der anatomisch ziemlich gut durchgebildete Körper des Gekreuzigten zeigt noch die gotish dünnen Beine und die starke Einschnürung der Weichen; der Kopf voll edler Hoheit, mager, aber ohne Schmerzverzerrung. 7

Der Stuttgarter Kalvarienberg ist nicht der einzige gewesen, den Hans von Heilbronn schuf. In Heilbronn selbst hat ein solcher gestanden, von dem nichts mehr Kunde gibt, als ein verstiimmelter Christuskopf in grauem Sandstein, unbemalt, im

1) Vgl. dazu die feine Formalanalyse der gotischen Ponderation bei M. Schuette a. a. O., S. 91 f.

2) Ein schönes Beispiel für den rein dekorativen Faltenstil des XVI. Jahrhunderts in schwäbischer Mundart ist die Gruppe des „Meisters mit den Langfalten“, die Felix Mader in „Die christlihe Kunst“, III. Jahrgang, Heft 7 abbildet und ohne Grund dem Meister des Mörlin- Epitaphs zuschreibt.

3) Schuette a. a. O. S. 128, 184. H. Wagner, Die Kreuzigungsgruppen zu Frankfurt a. M., Wimpffen und Mainz. Darmstadt 1886, S. 24 ff.

4) D. h. die Ausführung, die bei den Flügeln und den Figuren des Aufsatzes flauer ist; der Entwurf ist durchaus einheitlih und Werk des Meisters Hans, wie schon die Ähnlichkeit der beiden Magdalenen beweist.

P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 349

Historishen Museum in Heilbronn [respektive!] (Abb. 10). Er wurde im vorigen Jahre beim Abbruch eines Hauses aus dem Zement geschlagen, mit dem er verbaut war, und ins Museum gerettet; andere Köpfe aber sind spurlos verloren gegangen’). Der sichelförmige geöffnete Mund mit der Bartkurve, der feine Nasenrücken, die hodh- gezogenen Brauen mit den tiefeingebetteten Augen, der tiefgelegte Liderschlitz (der übrigens der Madonna des Kiliansaltares entspricht), die Anordnung der schweren, mit Stricken vorn gebundenen Dornenkrone, selbst die seitlih auf die Schultern herab- fallenden Locken wiederholen sich bei dem Stuttgarter Christus. Die überaus feine und schöne Arbeit dieses Bruchstückes läßt den Verlust des übrigen schwer empfinden. Der Kopf gehört zu den ergreifendsten und formal ausgereiftesten Skulpturen der deutschen Spätgotik.

III

Das bisher übersehbare Material dieser Unter- suchung verteilt sich nun folgendermaßen, chronologisch geordnet, unter die beiden Meister:

Hans von Heilbronn.

1. Kiliansaltar in Heilbronn. 1498.

2. Kalvarienberg in Stuttgart. 1501.

5. Kalvarienberg in Heilbronn, von dem nur der

Christuskopf vorhanden ist. Ungefähr dieselbe Zeit. Abb. 10. Christuskopf. Heilbronn

4. Der gänzlich zerstörte Speierer Ölberg, von Histor. Museum = dem die Stuttgarter Chronik berichtet; 1505 von Meister Hans visiert, 1509— 1511 nach seinem Tode von Lorenz von Mainz und Heinrich von Speyer ausgeführt.

5. Ölberg in Lauffen a. Neckar, am Chor der Regiswiediskirche; bis zur völligen Unkenntlichkeit verstümmelt, scheidet er aus der Betrachtung aus. 1507.

1509 stirbt Meister Hans.

Martinusmeister.

u. 2. Die beiden Diakonen im Darmstädter Museum.

. Der jugendliche Diakon (Nr. 301) im Germanischen Museum.

. Heiliger Laurentius (Nr. 315) im Germanischen Museum.

. Heiliger Martin im Kaiser Friedrih-Museum zu Berlin (Nr. 362). . Der Mönch im Germanischen Museum (Nr. 329).

Die Berliner Statue ist dort „Schwäbish um 1510“ benannt und mit der Datierung sicherlich das Richtige getroffen. Wie weit die frühesten Arbeiten vor dieser

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1) Die meisten Verstiimmelungen des Kopfes sind ganz frisch, sie rühren von den Hammer- schlägen her, mit denen er befreit wurde. Die Sorglosigkeit, mit der die kostbarsten Funde an so alten Kulturstätten behandelt werden, berührt etwas befremdlich; mit einiger Aufmerksamkeit hätte ohne Zweifel sehr viel mehr gerettet werden können.

3£0 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Zeit zurückgehen, darüber fehlt jeder Anhalt, wie es auch bisher nicht gelungen ist, frühere Werke des Hans von Heilbronn aufzufinden. Er setzt sogleich mit dem Reife- werk des Heilbronner Altars ein und schafft weiterhin eine Reihe umfangreicher und bedeutender Arbeiten, ja der bei den Zeitgenossen hochberühmte Speierer Ölberg ist nach seinem Tode erst von andern ausgeführt worden. All das und die Überlieferung seines Namens, der gleich mit zwei Arbeiten verknüpft wird, beweisen, daß auch von den Zeitgenossen seine Bedeutung richtig eingeschätzt wurde. Von den schwäbischen Bildhauern nach Multscher und Syrlin ist er zweifellos der bedeutendste. Weder der Blaubeurer einschlieBlich der schönen ihm jüngst von Vöge!) zugeteilten Skulp- turen noch der Geislinger Meister, weder Yvo Strigel noch Christoph von Urach oder’ der Nördlinger und Rothenburger (Schuette, S. 133) können sich mit ihm an monumentaler Kraft und an Würde seiner Gestalten messen. Der Einschlag fränki- scher Geistigkeit erhebt ihn über sie und steigert die natürliche Formenfülle des Schwaben zu edler Hoheit. Übrigens zeigt auch der architektonische Aufbau eine be- ruhigtere Feierlichkeit und strengeres Maß der führenden Architektonik als die meisten Altäre schwäbischer Herkunft. Wohl bei keinem anderen sind die Verhältnisse, in denen Schrein und Aufsatz, Breite und Gesamthöhe, Figuren und Ornament, alle mit- einander stehen, so rhythmisch durchgebildet, so durchsichtig. Und dasselbe gilt von dem glücklich komponierten Kalvarienberg in Stuttgart. Es ist nicht anders, als ob die spätgotische Empfindung in diesen Werken ihre Erregung in strenge Linien bannte und den Ausdruck klassischer Ruhe suchte.

Der Meister des Berliner Martinus stellt uns äußerlich keine so günstige Bilanz seines Schaffens auf. Wir haben eben erst sein Werk zusammengesucht. Nun zweifle ich nicht, daß bei genauerer Kenntnis der unendlich verstreuten Denkmäler (zu der hoffentlih die Publikationen des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft uns ver- helfen werden) noch mancherlei seinem Werke hinzuzufügen sein wird. Schwerlich aber wird es gelingen, sein Wirken an so großartigen Gesamtwerken zu demonstrieren, wie bei Hans von Heilbronn. Keine seiner Statuen ist datiert; und keine fügt sich mit anderen zusammen, sieht man von den beiden Darmstädter Figuren ab. Ich kann Haack’) leider nicht zustimmen, wenn er den Nürnberger Lorenz mit dem Martin in einem Altare unterbringen möchte. Der Unterschied von 6 cm Höhe will natürlich nichts be- sagen. Aber der Martinus ist, nicht etwa bloß in der Gewandung, um so viel Jahre stilistisch hinter dem Martin zurück wie dieser hinter dem Nürnberger Mönch; es ist unwahrscheinlich, daß sie in einem Schrein sich miteinander darstellten.

Jedenfalls aber haben wir lauter Einzelfiguren vor uns, schöne Bruchstücke von verschiedenen Altären, die uns gerade kein vollständiges Bild von dem Können des Meisters geben. Wer weiß, wo diese drei oder vier Altäre einstmals standen, wann sie zerstückelt, zerstört, wohin die Bruchstücke gekommen sind. Was aber ihre, vor- läufig auf sechs, beschränkte Zahl uns zeigt, bildet die interessanteste Parallele zu Meister Hans.

In den Monatsheften für Kunstwissenschaft, II. Jahrg. 1909, Heft 1, S. 11. 2) Repertorium XXIX, S. 246.

P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 351

Vielleicht gewinnt man eine lebendigere Vorstellung von dem Verhältnis dieser beiden Bildhauer, wenn man sie sich als Brüder denkt. Das gemeinsame Blut gehört der Heilbronner Rasse an mit ihrer Vereinigung von fränkischer Energie und schwäbi- scher Sinnlichkeit’). Sie sind beide gleich weit entfernt von der Inbrunst und dramati- schen Spannung der Franken (Riemenschneider, Stoß), wie von der trägen Sinnlichkeit und der liebenswürdigen Behaglichkeit der Schwaben (Blaubeurer Meister) 2). Aber sie haben süddeutsches Temperament genug, die stattlihe Form mit Leben und Geist zu sättigen: wie ungeduldig halten sich ihre Gestalten im Zaum, wie bedeutend erscheint ihre monumentale Würde durch diese Zurückhaltung, die sie sich freiwillig auf- erlegen! Solh eine gemäßigte Bewegung erscheint naturgemäß als Produkt einer Mischung der Stammescharaktere von Schwaben und Franken. Die Art dieser Meister ist darum nicht schulartig übertragbar, sie knüpft sich rein an ihre Persönlichkeit und wirkt wie ein einmaliges Ereignis. Vielleicht ist darum auch ihre Briderlichkeit mehr als bloß bildlih zu nehmen. Für die Heilbronner Zuständigkeit des Martinusmeisters sprechen die Verwandtschaften mit Hans überaus beredt. Die Herkunft seiner Statuen ist nicht bekannt, außer der der beiden Darmstädter, die wahrscheinlich aus Wimpffen stammen?). Dies würde ohne weiteres auf Heilbronn als Ursprungsort weisen.

Was die beiden Künstler nun am stärksten unterscheidet, sind ihre Entwick- lungslinien, die sie innerhalb der sich gleichbleibenden Rassemerkmale auseinanderführen. Der Altere ist zweifellos Hans von Heilbronn. Er kann sich von dem kleinlichen, fast motivlosen Faltengeknitter und der falschen Schulterstellung (schwäbischer Art) nicht lösen; er bleibt gotisch selbst in dem edlen Kalvarienberg von Stuttgart, bei dem die Ansätze zu einer Neuorganisation etwa von der Art des Kalvarienbergs am Frank- . furter Dom nicht vollendet werden. Der Martinusmeister ist der Elastischere. Weniger von der gotischen Tradition beschwert, weil jünger, hat er sein beschränktes Figuren- problem entwickeln können, so weit wir sehen, von der zarten Linienhaftigkeit spätgotischen Falten- und Formgefühls, von einer fast graphischen Ausdrucksweise bis zu der üppig bewegten schillernden Plastizität des Barocks von 1525, bei der das Gewand den stärksten Akzent im Gesamtaufbau erhält und an Stelle der statischen Aneinanderreihung von Standbildern oder Szenen der Altarschrein gefüllt wird mit einer Komposition von stärkster dekorativer Einheitlichkeit, gegliedert und bestimmt von rhythmisch bewegten Gewandmassen (Moosburger Altar). Man hat für diese letzte Phase der deutschen Schnitzkunst Worte eines überlegenen Tadels gefunden, der, wie an dieser Stelle so auch bei dem Knorpelwerk des XVII. Jahrhunderts, bei Bernini, Borromini und so vielen andern verwandten Erscheinungen moralische Negation an

1) Einen verwandten Künstlercharakter derselben Rassemischung konnte der Verfasser schon einmal analysieren, in dem irrtümlich so genannten „Bohnensack“, dem Baumeister des Maulbronner Paradieses am Anfang des XIII. Jahrhunderts („Maulbronn“. Straßburg 1903, S. 45 ff.). (Daß der Name Bohnensack ihm nicht zukommt, hat Dr. Hamann im Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunst- samml. 1909, nachgewiesen.)

2) Etwas anders natürlich ist die Frage ihrer Schulung, die gerade auf Ulm und Riemen- schneider weist. Vgl. unten S. 353.

3) Nach freundlicher Mitteilung von Herrn Direktor Back. | 25

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die Stelle von Verständnis setzte. Es ist aber nicht einzusehen, warum eine bewegte Form minder wert sein soll als eine ruhige, bei gleicher künstlerischer Höhe; zumal wenn die bewegte von höherer dekorativer Einsicht diktiert ist. Schaltet man den persönlichen Geschmack und die eventuelle Abneigung gegen „das barocke Wesen“ aus, so ist das eine unbestreitbar: daß die Entwicklung, wie sie im Wesen des ober- deutschen Schnitzaltars enthalten war, zu einer immer stärkeren Ausarbeitung des Dekorativen führen mußte. Der Schnitzaltar war eine Einheit, die für den bestimmten Platz im Kirchen- oder Kapellenchor gearbeitet wurde. So lange man noch mit techni- schen Widerständen zu kämpfen hatte, fiel der Nachdruck wohl oder übel auf die aus- geführte Einzelheit, auf die isolierte Figur oder Gruppe. Als man aber sein Metier beherrschen gelernt hatte, geriet ganz von selbst das Detail, als selbstverständlich Ge- lungenes, vor der Komposition des Altars selbst ins Hintertreffen: zum Vorteil des Eindruckes, den man von Anfang an beabsichtigt hatte. Mit isolierten Figuren kann man kein Gerüst von der Kompliziertheit des spätgotischen Altarbaues füllen; die wür- den nur immer wieder als Säulen wirken, wie schon an den Portalen der frühgotischen Dome. Es ist darum ein wahrhaft selbständiges und bedeutendes Verdienst der deutschen Bildner des beginnenden XVI. Jahrhunderts, den Sinn der Gewandung als dekoratives Mittel begriffen und mit Energie durchgeführt zu haben. Nicht aus Freude an barockem Schwulst ließen sie die Faltenmassen die Körper umwuchern, sondern deshalb, weil sie nur solche Gewandmassen mit der Freiheit disponieren konnten, die der Gesamtrhyth- mus verlangte. In dem Zusammenklang von Architektur und Plastik geht die Plastik rettungslos verloren, wenn sie sich auf den körperlichen Ausdruck versteift !) Es gibt aber einen übergeordneten Ausdruck der Plastik, die ihr gleiches Stimmrecht mit den unerbittlihen Linien der Architektur verleiht: das ist die Überlegenheit der rhythmi- schen Masse, der dekorativen Fassung. Diese dekorative Einbeziehung von Architektur und Plastik in ein malerisches Dritte ist das, was man gemeinhin barock nennt; es ist eine ganz bestimmte Ausdrucksform künstlerisch hochentwickelter Zeiten und mitnichten eine Entartung der vordem so blühenden Kunst. Daß die Spätmeister der deutschen Schreinkunst wundervoll mit den Massen umzugehen verstanden und wußten, wie man einen Altar in die Kirche stellen müsse, verleiht ihnen eine unschätzbare Überlegen- heit über alle jene KompromiBler des folgenden Jahrhunderts, die durch die undekorative, bloß ornamentale Kunst der oberitalienischen Renaissance aus ihrem natürlichen Ent- wicklungsgange gerissen wurden; es schlägt von ihnen eine Brücke zu den großen Bildnern des XVIII. Jahrhunderts.

Daß von dem Meister des heiligen Martin nur die eine Figur und nicht ein ganzer Altar der letzten dekorativen Richtung erhalten blieb, ist ein schwerer Verlust für unsere Erkenntnis der Stilentwicklung. Diese Statue (des Möndhs) stellt sich durch die nach der rechten Seite hin orientierten Gewandmassen als zu der linken Seite eines Altars gehörig dar; sie macht als isolierter Teil eines untrennbaren Ganzen keine so gute Figur wie der mehr für sich bestehende Martin. Die letzte Konsequenz des barocken Stils kann der Altar, zu dem der Mönch gehörte, freilich noch nicht gezogen

1) Wenigstens für die nordische Kunst.

P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 353

haben: dazu gehen die Wogen der Faltenmassen nicht hoch genug. Aber er war schon das größte Stück dieses Weges gegangen (vielleicht finden sich gar noch vor- geschrittenere Arbeiten von ihm)!), und es genügt, aus der erreichten Entfernung auf den Heilbronner Altar seines glückliheren Bruders zurückzublicken, um zu erkennen, daß es eine weite Kluft gibt zwischen der dekorativen Souveränität der Skulptur bei dem Einen und der noch so ganz gotisch berührenden Ehrfurcht des Altern vor der allein seligmachenden Architektur, welche die Figuren großmütig in ihren Nischen und Winkeln duldet. Der wohl etwas früher entstandene Blaubeurer Hochaltar *) ist schon bedeutend freier in der Einordnung und Zusammenstellung der Figuren, die den Ge- samteindruck wirklich beherrschen. Der Besigheimer Altar

von Christoph von Urach (um 1520) gibt dann die reife dekorative Entfaltung in schwäbischer Auffassung, in einer anmutig naiven Mischung ornamentaler Teppichkunst und malerisch geordneter Plastik, gesättigt mit süßer poesievoller Sinnlichkeit.

Man fragt nicht ganz umsonst nach der künstlerischen Herkunft der Heilbronner; wobei man sie freilich nicht durch- aus voneinander trennen kann, wie ihr verschiedenes Alter es eigentlich erfordert. Auf schwäbischer Seite weisen Spuren verwandter Formbildung auf eine Berührung mit der Ulmer Schule, wie sie im Blaubeurer Altar uns als gereifte Schön- heit entgegentritt. Die Flügelreliefs des Heilbronner Altars, an sich schwädter und keine eigenhändige Arbeit des Meisters, wohl aber als sein geistiges Eigentum bis auf weiteres an- zuerkennen sind in der Art der Darstellung mit dem Landschaftshintergrunde, in Reliefbehandlung und selbst Kopf- bildungen von den weit besseren Flügeln in Blaubeuren beein- Abb-11. Chorknabe =

; ; : ee (von H. Backofen?) fluBt; man vergleiche die drei Anbetungen des Christkindes. O Würzburg, Dom Ja das ganze Schema des Aufbaus ist das gleiche, von den fünf Schreinfiguren mit der erhöhten Madonna bis zu der Art der Dreiteilung des Aufsatzes und der mit Büsten gefüllten Predella. Vergleicht man schlieBlich die maß- geblichen Schreinfiguren miteinander, so verstärken namentlidı bei den Madonnen und dem Johannes und Stephan gewisse Ähnlichkeiten in den Faltenzügen und den Be- wegungsmotiven (der Kinderhaltung usw.) den Eindruck, daß die Ulmer Schule, die den Blaubeurer Altar gearbeitet, nicht unbeteiligt sei an der Entstehung des Heil- bronner Stils.

Eine direkte Beeinflussung gerade durch den Altar von Blaubeuren anzu- nehmen, ist gar nicht einmal nötig, da zweifellos schon früher eine Anzahl ähnlicher

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1) Sollte die Madonna des Germanischen Museums (Kat.-Nr. 371) etwa nicht bayrisch sein, sondern in diesen Zusammenhang gehören? Die naturalistish derbe Bildung ihres Kopfes und des Kindes erlaubt allerdings nicht, an den Martinusmeister zu denken; wohl aber läge die Gewandbildung in seinem Entwicklungswege.

2) Zwischen 1493 und 1497 „oder etwas später“, vgl. Vöge a. a. O. S. 17f.

354 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

Arbeiten derselben Werkstatt bestanden hat. Der Martinusmeister ist nicht mehr von der Ulmer Schule beeinflußt *).

So erscheint in der Tat auch hier das Wort Vöges glänzend gerechtfertigt, daß „die hohe Bedeutung der Blaubeurer Skulpturen in den Perspektiven liegt, die sie er- öffnen.“ Und abermals ist es hier wie dort Riemenschneider, dessen Name als zweiter Pate bei der Entstehung des Heilbronner Stils in Erinnerung kommt. Zwar die Mar, als ob er der Schöpfer des Heilbronner Altares sei, ist endgültig aufgegeben. Aber es gibt Elemente in der Kunst der beiden Brüder, deren ursächlicher Zusammenhang mit dem jungen Riemenschneider nicht von der Hand zu weisen ist. Am meisten kann man es bei den frühern Arbeiten des Martinusmeister spüren: die zarten lang- fingrigen Hände mit den zaghaften Griffbewegungen, das Lockenhaar mit seinen vielen gekerbten Ringeln, die trocken knittrigen Falten und die zarte Verträumtheit bei den Darmstädter und Nürnberger Diakonen lassen sich sehr gut aus einer Beeinflussung durch Riemenschneider erklären. Man vergleiche sie nur mit Figuren aus Münnerstadt oder der Rothenburger Jakobskirche. Ihre von dem reifen Stil des Martinusmeisters abstechende Befangenheit findet die beste Erklärung in der Abhängigkeit von dem Würzburger, dessen dünne Körperlichkeit von dem Schüler später überwunden wurde. Und noch bei dem Kiliansaltar finden sich Erinnerungen an solche Aufnahmezeit: die jugendlichen Heiligengestalten, die in dem Schrein über den äußern Statuenbaldachinen stehen und von Marie Schuette mit einigem Zweifel als Totnan und Coloman ge-

1) Dagegen steht er in naher Beziehung zu den Werken, die Dehio im letzten Heft des Jahrbuchs der Kgl. PreuB. Kunstsammlungen (XXX, 2, S. 139) als Arbeiten Hans Backofens ver- öffentlicht hat. Leider erschien diese höchst aufschluBreiche und weite Perspektiven erdffnende Studie erst, als mein Aufsatz bereits im Druck lag; ich kann also nur wenige Worte hinzufügen, möchte aber nicht unterlassen, meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, daß Dehios Ansicht über die Barockplastik Deutschlands um 1500 sich nahezu mit dem deckt, was ich hier darüber geäußert habe. Die Verwandtschaft des Martinusmeisters mit Backofen läßt sich in sehr vielen Teilen verfolgen. Namentlich sind der Nürnberger Diakon mit Henneberg, Martinus und Laurentius mit Jakob von Liebenstein und der Mönch mit dem Gemminger-Denkmal zu vergleichen. Ab- gesehen davon, daß diese Backofenchen Arbeiten jedesmal etwas entwickelter sind als die entsprechen- den Holzfiguren, sind Faltenwurf, Hände, Köpfe (mit den breiten Kinnladen und dem vorgebauten Munde), teilweise auch die Standmotive so verwandt, daß man in Zweifel gerät, ob hier nur ein Schüler Backofens oder er selber dahinter steht. Bei dem augenblicklichen Mangel an zuverlässigem Vergleichsmaterial lasse ich dies dahingestellt und bemerke zu dem Zusammenhange mit Hans von Heilbronn no“ Folgendes: Einzelne Motive Backofens sind offensichtlich beeinflußt von dem (älteren) Heilbronner Altar; besonders auffällig die Hände mit Büchern (die Linke des Henneberg und des Laurentius im Heilbronner Schrein völlig identisch); die Gekreuzigten stehen mit dem Stuttgarter Kruzifixus, und die Statuetten namentlich beim Henneberg mit den Heilbronner Figuren in Verbindung. Bemerkenswert ist das von Dehio S. 146, A. 5 berührte Verhältnis zu Riemen- schneider; es scheint fast, als ob der EinfluB des Würzburger Meisters durch Vermittlung Hans von Heilbronns zu erklären ist, als dessen Schüler Backofen erscheint. Für den Zusammenhang mit Würzburg spricht die Steinfigur eines buchhaltenden Chorknaben im Würzburger Dome, auf die mich Dr. Rohe in München aufmerksam madite (Abb. 11); sie ist augenscheinlich von derselben Hand, die denzKanonikus Lutern in Oberwesel schuf (Dehio, Abb. 10), also wohl von Backofen selbst. In seine Nähe gehört auch das Grabmal des Herrn von Ingelheim und seiner Frau in Handschudisheim bei Heidelberg, 1519 (abgeb. bei H. Schweitzer, Grabdenkmäler S. 67 ff.); außer bei den Figuren finden sidı auch im Ornament Anklänge an die Bischofsstäbe Backofens.

P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 355

kennzeichnet werden, fallen durch eine feine Reserviertheit auf, die wieder Riemen- schneiderisch anmutet !).

In welcher Weise diese verschiedenen Kunstströmungen aufeinander eingewirkt haben und wo das geschehen ist, kann vorläufig nicht ausgemacht werden. Darf man mit Vöge annehmen, daß in Ulm „schon in den siebziger Jahren ungefähr wie am Blaubeurer Altar“ gearbeitet wurde, und mit M. Rohe’), daß Riemenschneider in seiner Jugend (also vor seiner Ubersiedlung nach Würzburg 1483) in Schwaben gewandert sei, so würde sich die gemeinsame Herkunft von der Schule Ulms her leicht erklären, die auch Vöge für Meister Dill vermutet. Die Heilbronner hätten dann von dem früh- reifen Genie ihres Arbeitsgenossen Riemenschneider noch ihren besonderen Anteil profitiert.

1) In diesen Zusammenhang gehört eine Figur, die man wohl als Schularbeit des Meisters Hans ansprechen darf, und die eine gewisse Anlehnung an Riemenschneiders Art zeigt. Es ist ein hl. Johannes, aus Lindenholz, von einer Kreuzigungsgruppe, 67 cm hoch, im Germanischen Museum (Kat.-Nr. 340) und von dem alten Katalog ebenso wie vom Klass. Skulpturenschatz (Nr. 72) als Schule Riemenschneiders bezeichnet, von Tönnies (S. 243) schon ganz aus seiner Nähe entfernt. Sie sieht dem händefaltenden Johannes im Heilbronner Altaraufsatz in allen wesentlichen Stücken so auffallend ähnlich, daB sie als eine freie Kopie danach bezeichnet werden muß.

2) Nach mündlicher Mitteilung Dr. Rohes.

French sixteenth century portraiture with special

reference to the new Francois Clouet in the Louvre By L. M. Richter

The portrait of Pierre Qutte by Francois Clouet which has been recently acquired by the Louvre throws new light on the still somewhat nebulous question of the French 16!" century portraiture. With it, we are now in the possesion of a picture which not only bears the signature of its author: „Fr. Janetu Opus PE. OVTTIO. AMICO. SINGVLARI AETATIS SVE 63. 1562“, but which actually brings before us a special friend of the artist who lived in his close vicinity at Paris. Dr. von Frimmel was the first to draw attention to this interesting work’), which he discovered in the collection of a private gentleman in Vienna. He tried in vain, however, to identify the name of Petrus Qvttio among the scientific and literary contemporaries of the artist; subsequently M. H. Stein was fortunate enough to find it in the registers of the Paris municipality, changed into Pierre Qutte and refering to a well known apothecary who owned a famous Botanical garden in the neighbourhood of Paris, which served him in his profession.

Compared with other works of Fr. Clouet this portrait is to be considered one of his best achievements: the intelligent look of a thinking man which characterizes the face of P. Qutte makes it moreover more attractive than the portraits of some of the empty-looking courtiers whom the artist as court-painter was so often compelled to portray. The well drawn hands, the open book, with illustrations of various plants, referring to the profession of the sitter, the curtain on the left, with its remark- able tints of shadows and lights, qualify the painter as an artist of high standard, who fully deserved the praises, that Ronsard the poet, has bestowed upon him.

There is only one more signed work extant of Fr. Clouet. It is the life-size portrait of Charles IX (painted in 1563): at the Vienna-Gallery °), with which Catherine de Medici*) is known to have commissioned Fr. Clouet on the eve of the kings engage- ment with Elisabeth of Austria. The effects of his extravagant tastes and self- indulgence, since he had come to the throne, as Charles IX can already be traced on this portrait: especially if we compare it with an earlier coloured drawing at Dresden where the future king of France still looks a bonny boy, who might be credited with the good qualities which he was said to have possessed before he came under the evil influence of his mother. This drawing is reproduced with slight variations as portrait in oil at Chantilly; which would seem a proof that Fr. Clouet,

1) Blatter für Gemäldekunst von Dr. Th. von Frimmel 1907.

2) A miniature-copy of it is in the Louvre; probably by Clouet himself.

3) The small effigy of Catherine di Medici at Vienna is also proved to be authentic by the fact that M. F. Mazerolle found the account of it in the Clairembault MS. No. 233, p. 2992, Bibl. Nat. Paris.

L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 357

CHARLES IX (drawing at Dresden)

Fig. 2.

(new acquisition of the Louvre)

Fig. 1. Portrait of PIERRE QUTTE by FRANCOIS CLOUET

358 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

as his father Jean, used original drawings for subsequent copies in oil; and this probably for no other reason than to save the sitters the tediousness of sitting again. Among the Howard-collection at Chantilly, for instance we can trace several such original drawings, which we find repeated either by their respective authors, or by lesser hands, in other collections. Thus the portrait of an unknown man ') at Hampton- court with a volume of Petrarch in his hand attributed to Jean Clouet’); the portrait of Louis de Nevers at the Lochis-Gallery (Bergamo) formerly given to Holbein *); the portrait of Claude de Guise’) at the Pitti-Gallery, can all be traced back, to original drawings at Chantilly. But in perusing French crayons and portraits of the 16 cen- tury we must not fail also to examine, what was done in France in the line of por- traiture before the advent of Jean Clouet. We shall then be in a better position to Classify the numerous French drawings of that time which have come down to us, and to fix more approximately the date of their origin, und their respective authors.

There are three names which stand out as the most important in the pre- Clouetion time: Fouquet‘), Bourdichon and Perréal. Of Jean Fouquet there are, as we know, several authenticated portraits and ,crayons“ in the Louvre, in Berlin, and in London. Bourdichon ist better known as a miniature-painter, although reference is made in contemporary literature to his portraits; as to Perréal all the annals and chronicles of his time combine in praising his portraiture. There is a letter, written by Louis XII from Italy, which refers to the „visages-portraites of Jehan de Paris (Perréal) pour monstrer aux dames de par decas, car il n'en a point de pareils“. Unfortunately these apparently much appreciated portraits by Perréal have been lost sight of. Yet it would seem that others have come down to us, if only we were able to recognise and identify them.

There is an engraving’) at the head of an „Epistola Consolatoia“ addressed to Mary Tudor, which M. Renouvoir rightly maintained to be engraved from an original portrait by Perréal who at that time was courtpainter to Louis XII. The engraving is accompanied by the following note, which is not without historical interest °): „Maria Francorum Alba Regina non sic sed pullata depingenda veniebat, verum hanc atratam pictor non viderat“ considering that the young widowed Queen, after the death of her aged husband, was compelled through the intrigues of Louise of ‘Savoy, to leave France rather suddenly, lest in case of a doubtfoul progeny, she should step in between Francis and the throne.

A portrait at Troyes, catalogued in the „Galerie des portraits nationaux“ is very similar to the above --- mentioned engraving and is apparently a later copy of the

1) L. Dimier, French 16th cent. painting.

?) G. Frizzoni, Catalogue raisonné of the Bergamo Gallery.

*) There are pencil-notes on the back of the Guise-drawing which might derive from the artist himself.

‘) A drawing representing a Popal Legate; Heseltine-collection; Exhibited al the Pavillon Marsan, 1904.

*) Engraved by H. Estienne 1515 Paris.

5) Inv. Reserve 2707, Melanges, B. 99. Bibl. Nat. Paris.

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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 359

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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 361

same original; there are moreover several drawings which evidently refer to the same original portrait, all with the same characteristic lock of hair portruding on the left side, underneath the coquettish cap: for instance in the Ashmolian museum at Oxford; in the Album of Madame de Boisy at Aix, and in the Receuil Destailleur at Chantilly.

All these above mentioned effigies of Mary Tudor, sister of Henry VII, cor- respond in their style and their conception with another French portrait of the same period, attributed to Perréal, which is in the so-called Clouet-room at Chantilly. It represents Francis at the age of twenty when he had just succeeded Louis XII. M. Anatole Gruyer (the late much lamented director of the Musée Condé) describes this portrait as representing Francis, still as Monsieur d’Angouleme; whilst M. Dimier not without reason assigns it to the year 1515 when Francis was already King. ve» . The portrait seems a subtile interpretation of |" character and fascinates by its extreme probity. |<

There is an undeniable affinity between this thick! ine {sd ash T ii

picture and the portraits of the donors on the | 7. eG | creftian: pi triptych of Moulin. Compared with the much Les FORCE

more elaborate portrait of Francis I in the Louvre (which dates about ten years later) by Jean Clouet, we notice a great difference of style and |: N'quariteypaities efdiui make between the two effigies: the earlier portrait 2 fee touteila gaule vous | betrays the realistic tendency so characteristic of sirio edi peinesr ci French portraiture, whilst the later portrait Fig. 7. Frontispiece of the MS. of the

y Jean Clouet is more conventional and studied, GALLIC WAR representing great care being bestowed on accesories, as is the FRANCIS I. (Brit. Museum) case in his portrait of Oronce Fine.

What gives however great importance to the earlier portrait at Chantilly !), is the circumstance, that it has been reproduced as a miniature-portrait on the frontis- piece of the cebrated Manuscript, called the „Gallic War“ °), wherein Francis I, after the Victorious battle of Marignan, gloried in being represented in colloquy with Caesar. The young monarch apparently also wished to have reproduced in the same MS., headed by his own effigy, the miniature-portraits of his seven Preux, the valliant

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1) It is quite unlikely, as M. Dimier rightly states, that an effigy for this MS. should have been reproduced from a portrait where Francis I still should figure as M. d’Angouleme.

3) A free translation of the Commentaries of Caesar in 3 Volumes which are now scattered: the 1st being at the Brit. Museum: the 2nd at the Bibl. Nat. at Paris; and the third at the Musee Conde at Chantilly. According to an inscription at the end of the 3d vol. this memo- rable MS. was commissioned by Francois Moulin, preceptor of the King, to Albert Pigghe and terminated with the collaboration of Gottfried le Battave painter in 1520.

362 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Fig. 8. JACQUES RICARD, master of artillery under LOUIS XII D (Musée CONDÉ, Chantilly)

Knights who had fought for him. These seven miniatures which we find in the 2nd Vol. of the said MS. can be traced, as M. Bouchot already stated, to original drawings most of them at Chantilly which have been acquired by the duc d’Aumale from Lord Carlisle in 1889; they have been, much commented upon and alternately attributed to Jean Clouet by M. Bouchet; to Jean Perréal’) by M. de Maulde; and lately even to Gottfried le Battave (the authenticated illustrator of the MS. of the Gallic War) by M. de Melly °), who all accept as a foregone conclusion that drawings and miniatures must be by one and the same hand. In my opinion there is little doubt, however, that the miniatures*) only, are by Gottfried le Battave; whilst the drawings themselves, from which the miniatures are exact copies seem to be by an earlier hand, and most probably by Jean Perreal who has been identified, as the Maitre de Moulin since the memorable exhibition at the Pavillion Marsan. *)

We have seen above, that Gottfried le Battave reproduced the miniature of Francis I, on the frontispiece of the Manuscript in question, from an already existing portrait of the King painted by Perréal, and there is certainly no tangible reason, why he should not have availed himself in the same way of the already existing

') Gazette des Beaux-arts 1895 pp. 256—273.

*) Gazette des Beaux-Arts, May 1907.

°) The Duc d’Aumale was the first to state that these miniatures of the seven Preux were by the hand of G. le Battave.

1) Roger Fry, French painting in the middle Ages Quarterly Review 1904 Oct.

L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 363

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Fig. 9. The Marechal de Chabannes, Seigneur de Palisse O Musée CONDE

drawings of the seven Preux, probably by the same author for his other miniatures. Another proof of the probability of this statement is the fact that there are in the same MS other reproductions of the head of Caesar, and of several well-known Roman heroes, which the artist likewise copied from old cameos and medals. To judge by their age and their dress, the personnages depicted on the original drawings at Chantilly, evidently date, as also the early portrait of Francis I, from the years 1514—1515 when Perréal who had been court-painter to Louis XII, had the same dignity conferred upon him by his successor, nearly two years before Jean Clouet appeared on the scene.

Round this group of original drawings we would like to range some others, likewise at Chantilly (and from the Howard collection), which betray the same style and are therefore apparently of the same period: the drawing of Jean Ricard, master

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364 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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O (Musée CONDÉ, Chantilly)

of Artillery at Marignan; a drawing !) representing a man whom M. Bouchot identified with Anne of Montmorency, (the great Constable of France), but who more probably is meant for a courtier of the time of Louis XII, if not for the king himself; a drawing representing Erasmus, the great contemporary of Luther which has become famous since M. Moreau Nelaton °) has identified on its margin, the hand-writing of

1) We note on the back of this drawing the following pencil notes: robe tannee damas; saye velour cramoise. Propoint de satin bleu; les cheveux tanne brun-evidently notes by the artist with reference to the execution of a picture in coulours. This handwriting differs entirely from that mentioned above on the J. Clouet-drawing; but is somewhat similar to signatures we possess of Jean Perréal in the Comptes De Lyon, and the Bibl. Nat. at Paris where Perreal speaks of his „croions qui n’est que demy couleurs.“

°) Portraits de la cour des Valois.

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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 365

Catherine de Medicis an interesting fact which proves that this drawing, with others on which the same handwriting is to be discerned, must have made part of the Queens’ private collection during her lifetime. Erasmus was born about 1467; he must therefore have been 48 years of age in 1515; and this ‘is the age of the man represented on this drawing.

With regard to portraits in oil, which from reasons mentioned above, might be attributed to Perreal, we note a portrait in the Louvre representing Guillaume de Mont- morency, whom our artist is known to have portrayed; another of the same personnage when younger at Lyons; and yet another in Lord Sackvilles collection, evidently a copy by Cormeille de Lyon. A small portrait of Philip le Bel (father of Charles V), in the Northbrook Collection seems also to recall a lost original of our master; we find a later drawing after it in the „Recuil d’Arras“. According to M. Bouchot it is analogous to some early drawings at Chantilly one of them representing the Comte de Ligny!), known to have been a patron of Perreal. Considering the fact that our artist acted as maitre- Fig. 11. ERASMUS o de-plaisir to the court of Louis XII (Musée CONDÉ, Chantilly) at the time when Philip le Bel was entertained at Lyons by the French King on his way to Spain it seems quite possible that a portrait of this Prince should have been painted by the master on this occassion. There is yet another portrait attributed to Perréal in the Salting collection at the present moment exhibited at the Burlington Fine arts Club, which also is said so represent Mary Tudor.

It would lead us here too far, to mention still further portraits and drawings which, to judge from their manner of execution, appear to belong to the time anteriour to Jean Clouet a period which, as it may seem, has not yet been

1) This drawing, together with another representing Lescueur Bourdillon, (formerly errone- ously given to Lucas van Leyden) are probably copies after lost original portraits by Perréal.

Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 367

sufficiently investigated. Yet, already the few examples we have noted enable us to come to the following conclusion: that the peculiar style of the French sixteenth cen- tury „Crayons“ which so much fascinate amateurs and art-students at the present moment, could not have been imported, as hitherto generally supposed, by Jean Clouet, but has on the contrary much more probably originated on French soil. For, when Jean Clouet came to Tours, the home of the great Fouquet, he probably found many works of this great master to guide him there. But on the other hand, the foreign artist had no doubt brought over with him, something of the art of Holbein, which he adapted to, and amalgamated with French elegance and grace in his „Crayons“. Subsequently under Francois Clouet, born and bred in France, that peculiar art of French portraiture attained the final development which we perceive in the portrait of Pierre Qutte, an acquisition for which we heartily congratulate the „Amis du Louvre“.

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REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FOR KUNSTWISSENSCHAFT

Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, LiebigstraBe 2. Zweigredaktionen: Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, UhlandstraBe 44. Fiir Miinchen: Dr. W. WORRINGER, Miinchen, GeorgenstraBe 99.

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Heft 8

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Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung?

Von Eduard Firmeni-Ridartz

Eine gefallene Größe in ihrem Ansehen zu restituieren bleibt ein undankbares und schwieriges Unternehmen. Anklagen finden gewöhnlich weit eher Glauben wie Apologien, auch wenn diese keineswegs auf Gefühlswerten beruhen, sondern reinsach- liche Beweisgründe ins Feld stellen. Gegenüber den letzten sensationellen Enthüllungen auf dem Gebiete der Kölner Kunstgeschichte, die fast allenthalben begierig aufgenommen wurden, können vollends historische und stilistische Betrachtungen keine zwingende Entscheidung herbeiführen. Eine solche ist nur durch den experimentellen Eingriff in den Bestand jener Werke erreichbar. Diese Darlegungen sollen daher nur zur Klärung der Frage beitragen, indem sie auf die starke Unwahrscheinlichkeit der neuen Annahmen hinweisen und ihre inneren Widersprüche aufdecken.

„Der Madonna mit der Wide“ im Wallraf-Richartz- Museum und einigen ver- wandten Gemälden wird jeder dokumentare Wert als Schöpfungen alter Meister der niederrheinischen Schule abgesprochen, da sie nach äußeren Indizien mit modernen Mal- mitteln hergestellt erscheinen. Sie werden jetzt als Produkte der ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnet, die vielleicht aus harmloser Absicht hervorgingen, sih aber der Typik, Formbildung, Kompositionsart und Farbengebung kölnischer . Werke aus der Zeit der reifen Gotik um 1400 bis zu vollkommener Täuschung an- schließen. Man wird ohne weiteres zugeben, daß eine solche Wiedererweckung längst erstorbener Anschauungen und Traditionen zu Kunstwerken voll innerem Leben neben genialer Intuition auch der genauen umfassenden Denkmalkenntnis bedarf und erst durch eine feinsinnige langjährige Vertiefung, ein restloses Aufgehen in hochgeschätzte Vorbilder ermöglicht wird. Derartige selbständige Leistungen in fremdem Geiste stehen auf einer anderen Stufe als Restaurationsarbeiten oder Kopien, die Vorhandenes ge- schickt ergänzen oder genau wiederholen.

Zur Erklärung dieses seltsamen Phänomens, daß erst das neunzehnte Jahrhundert den allerkostbarsten Nachtrag dem Wirken der altkölnischen Zunftmeister hinzugefügt habe, beruft man sich nun auf die deutsche Romantik, die sich mit Inbrunst in das Mittelalter hineinträumte, als die entschwundene Jugend der Nation, in der ihre höch-

sten Ideale zwar herb und einseitig doch in voller Frische und Ursprünglichkeit künst- 27

370 Monatshefte für Kunstwissenschaft

lerische Gestalt empfingen. Die für die heimische Kultur somit wiedergewonnene Ver- gangenheit regte zunächst die Auffassung und Vorstellungskraft an zu einer recht eigen- mächtigen Deutung des geistigen Gehaltes der überkommenen Werke. Das Wesen und die besonderen Bedingungen mittelalterlicher Produktion, die Art des technischen und handwerklichen Betriebes erschlossen sich nur allmahlich. Eine ganz moderne Senti- mentalität des Empfindens, die Überschwänglichkeit, die den Romantikern eigen, und stets mit einfloß, läßt namentlich in Dichtung!) und Malerei kaum einen Zweifel über die Zeit und die Art der Entstehung dieser Erneuerungsversuche aufkommen.

Dabei übersieht man noch, daß einzelne der jetzt als echt angefochtenen Tafel- bilder nachweislich schon bekannt waren, ehe noch jene Bestrebungen einer Repristi- nation der altheimischen Kunst zugleich mit der deutschen Erhebung zu den Befreiungs- kriegen einsetzte. Sie tauchten weit früher auf, als die Prinzipien der französischen Revolution sich ausbreiteten und eine neue Weltanschauung die Reste des Mittelalters verächtlich wegfegte.

Kaum die imposanten Massen des Kölner Domes hielten damals diesem Ansturm stand. Als ,témoignage d'un art, qui n'existe plus“ wurde das Innere zeitweise pro- fanen Zwecken eingeräumt, nachdem man Portalskulpturen und Glasgemälde entfernt, die innere Ausstattung zum Teil vernichtet hatte. Durch die Säkularisation (Dekret vom 9. Juni 1802) stieg die Gelegenheit billigen Erwerbs an altem Kirchenschmuc ins Un- gemessene. Zweiundvierzig Kirchen und Klosterkapellen sind damals in Köln nieder- gerissen worden.

Die Verschiedenartigkeit und die Menge der Erzeugnisse, die nach und nach ans Licht traten, machten es unmöglich, sogleich die Bedeutung eines jeden Werkes annähernd richtig zu erfassen oder gar den Gang der Entwicklung mittelalterlicher Kunstübung zu überschauen; auch mangelte es fast an allen Vorkenntnissen. Die Schätzung erreichte oft nur den Materialwert. Gelegentlich sind Tafelbilder altdeutscher Meister sogar zu Fensterläden und Tischplatten verarbeitet, als Brennholz verwandt worden oder sie dienten zur Reparatur an Taubenschlag und Hühnerstall. An den Hauptwerken haftete immer noch ein gewisser alter Ruf, der letzte Nachklang früherer Veneration. „Die meisten hatten schon vor hundert und bundertfünfzig Jahren dem neuen Geschmack in der Kirchenverzierung weichen müssen und waren in Neben- kapellen, Kapitelsäle, Sakristeien und Schatzkammern versetzt worden, wo sie zwar wenig betrachtet aber meistens gut erhalten wurden.“

Sulpiz Boisseree vergleicht die Ausbeute in diesen Jahren der Bergung unschein- barer Schätze nach einem ungeheuren Schiffbruch. „Wieviel Köstliches konnte in dem Sturm untergegangen sein; wie vieles konnten die bewegten Wellen noch an den Strand spülen.“ (Sulpiz Boisseree I. Stuttgart 1862. S. 29.)

Unruhe, Besorgnis und freudige Überraschung wechseln. Zu einer ausgebreiteten systematischen Betrachtung der Denkmäler lag das Material noch ungesichtet, für eine ruhige Würdigung des Wiedergewonnenen oder eine Vertiefung in Formen und Stil,

1) Vgl. etwa L. Tiecks: „Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter“ (1803) oder Clemens Brentanos: „Chronika eines fahrenden Schülers“ (1804).

E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 371

ursprüngliche Technik und Zersetzungserscheinungen des Alters zum Zweck einer sub- tilen Nachbildung fehlten einstweilen MuBe und Fähigkeiten.

Woher sollte man audi die Richtschnur nehmen all’ diese Stücke, die sich täg- lich mehrten in allgemeine historische Zusammenhänge in ungefähr richtiger Folge ein- zuordnen? Beim ersten Bekanntwerden solcher Schöpfungen, die so fremd und eigen- artig, streng gebunden nach Prinzipien der Linienführung und dabei naiv in ihrer Anschaulichkeit waren, erhob sich jedesmal ein Raten und Mutmaßen über den Ursprung des Stils, dessen Ausbreitung und die Zeitgrenzen seiner Herrschaft. Gänzlich schiefe Vorstellungen, widersprechende Urteile drängen und überstürzen sich. Spärliche Hin- weise in Epen und alten Chroniken auf eine Kunstblüte in Köln wurden willkürlich zur Datierung der eindrucksvollen Hauptwerke der Malerei herangezogen. Friedrich Schlegel!) sprach die kühne Annahme aus, die Bilder der Lyversberger Passion, deren Ursprung nicht über 1460 zurückreicht, ständen im Zusammenhange mit einer Erwäh- nung kölnischer Maler im Parzival des Wolfram von Eschenbach (+ um 1230). Ferdi- nand Wallraf bezeichnet noch 1816 den Clarenaltar als „uraltdeutsch, aus dem Ende des 12. Jahrhunderts“, obwohl er hätte bemerken müssen, daß die architektonische Gliederung des Rahmengeriistes der Bilderfolge, ebenso Maßwerk und Ornament der Hochgotik angehören. |

Der Blick war noch ungeschärft, selbst für elementare Unterscheidungen, ja man scheint kaum beachtet zu haben, daß gemeinsame Stilgesetze sämtliche bildenden Künste verbinden und jene Prinzipien, welche den Aufriß und die Gliederung der Bauwerke bestimmen, ebenso im gesamten Linienzug, auch in der Körperbildung und Gewand- behandlung. der Figuren zur Geltung kommen. Eine vergleichende Bezugnahme auf die mannigfachen rheinischen Kirchenbauten verschiedener Epochen mit ihrem bildne- rischen Schmuck hätte die Forscher davor bewahrt, indem sie doch an der „eigenen vaterländischen Erfindung der gotischen Baukunst“ festhielten, für gotische Malereien die Benennung „byzantinisch-niederrheinisch“ einzuführen. °)

Und selbst diese Annahme einer allgemeinen stabilen Gleichheit der gesamten christlich-mittelalterlichen Malerei, deren Gebilde sich allenthalben nach geheiligten Tradi- tionen des Ostens wiederholen, bis der nordische Realismus endlich neue Ziele setzte, bezeichnet schon eine höhere Stufe kunsthistorischer Erkenntnis. Es war die Ent- deckung Sulpiz Boisserées, der diese Anschauungen in einem Schreiben vom 13. Februar 1811 Friedrich Schlegel mitteilte und bei seinem Besuch (3. Mai 1811) auch Goethe darlegte.

Bis dahin hatte man jene Gemälde für die älteren gehalten, „welche mit den Werken der Brüder van Eyck einige Ähnlichkeit hatten, aber unvollkommener in der Zeichnung und Ausführung waren, überhaupt suchte man das höhere Alter nur in der größeren Unvollkommenheit, nicht aber in einer ganz verschiedenen Auffassungsweise und Gestaltung der Köpfe und Gewänder“. (S. 36.) „Die erste, wiewohl bei uns

1) Friedrich Schlegel: „Europa“, eine Zeitschrift 1803,04, vgl. Fr. Schlegels Ansichten und Ideen von der christl. Kunst. Neudruck. Bonn 1877. S. 183f. Ferdinand Wallrafs ,Aus- gewählte Schriften“. Köln 1861. S. 327.

2) Erst Passavant (Kunstreise 1833, S.404 und Kunstblatt 1833, Nr.10) wendet sich gegen die Bezeichnung ,byzantinisch-niederrheiniscie Schule“.

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Deutschen zum Teil noch unverständliche Kunde der in dieser Weise nie geahndeten, fremden griediischen Kunstweise gab uns die Maria mit dem Kinde auf Goldgrund, welche Melchior bei der kranken Nonne fand.“ „Es mußte erst eine Reihe verschiedener Vorstellungen in dieser Art entdeckt werden, um das ganze Wesen derselben in Ausdruck, Gestalt und Farbe zu erkennen; die drei Tafeln, Christus am Kreuze mit der Maria und den zwölf Aposteln (aus der Vorhalle der St. Lorenzkirche), die ich bald nach jenem Muttergottesbilde fand, waren sehr will- kommen. Dieses Werk, welches in Köpfen und Gewändern gleich die größte Mannig- faltigkeit darbot, war hinreichend, uns über die Art, welcher es mit jenem alten Mutter- gottesbild angehört, die Augen zu Öffnen; diese meist bärtigen alten und jugendlichen Köpfe, die außer einigen wenigen aus dem Leben gegriffenen Zügen, alle ein all- gemeines höheres, aus dem Geist der christlichen Kunst hervorgegangenes Gepräge tragen, noch mehr aber die mit künstlerischem Wohlgefallen geworfenen Falten der Gewänder, deuteten ganz klar auf die neugriechishe Weise und erinnerten uns an altitalienische Bilder (Halbfiguren der Apostel auf Goldgrund angeblich aus S. Luigi in Rom), die wir in Paris im Restaurationssaal gesehen haben“.

„Kunstkenner, welche die neugriechischhen Gemälde von Giotto gesehen haben, versicherten, daß sie in Farbe und Zeichnung große Übereinstimmung mit den Tafeln des Heisterbacher Altars um 1450 haben.“

„Man mußte sich also überzeugen, wovon man bisher nicht die geringste Ahnung gehabt hatte, daß die ältere kölnische Malerei vor den Brüdern varı Eyck, wie die gleichzeitige italienische sich ursprünglich auf alte Überlieferung byzantinischer Vorbilder stütze ...“ „Nicht nur in der Darstellung der Geschichten und in den von Jahrhundert zu Jahrhundert überlieferten Zügen der Hauptpersonen derselben, sondern auch in der Zeichnung und ganzen künstlerischen Behandlung scheint von den frühe- sten Zeiten bis ins 14. Jahrhundert die vollkommenste Einheit und Gleichheit in der Malerei und Bildhauerei durch die ganze Christenheit geherrscht zu haben.“ (Sulpiz Boisserée I, S. 35 u. 97f.)

Das Kunstwerk aber, welches als das allererste die Aufmerksamkeit der Boisserée auf eine milde ausgeglihene, dem scharfen eckigen Realismus noch vorausgehende Stilweise hinlenkte, war die Nürnberger Madonna mit der Erbsenblüte, eine Schwester der heiligen Jungfrau mit der Wicke jenes Tafelbild der kranken Nonne, das wie das Kölner Flügelaltärchen jetzt als moderne Fälschung hingestellt wird. Jeden Zweifel an diesem Ausweis beseitigt die Beschreibung, weldie Amalie von Hellwig ver- faßte und über deren Richtigkeit Sulpiz selbst gewacht hatte’).

1) Friedrich Schlegels „Deutsches Museum“ II, 1813, „Beschreibung altdeutscher Gemälde von Amalia von Hellweg“. S.268. „Aus derselben Zeit nämlich der ersten Hälfte des XIV. Jahrh. steht ein kleines 1'/, FuB breites 1*/, Fuß hohes Madonnenbild an Zartheit der Form und Aus- druck jener Veronika nicht nach, auch stimmt der Goldgrund wie das rote grüngefütterte Gewand mit dem erstbeschriebenen überein, jedoch ist an diesem übrigens sorgfältiger ausgeführten Bilde die Carnation blasser und die Zeichnung unvollkommen, ja das Kind liegt in krüppelhafter Gestalt in den auch verzeichneten Händen der Maria.“ Germanisches Museum zu Nürnberg Nr. 4. Auf Nußbaumholz. Passavant, Kunstblatt 1841. Nr. 8. Waagen: Kunstwerke und Künstler in Deutschland I. Leipzig 1843. S. 171. Lithographie von J. N. Strixner 1832.

E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 373

Wollten wir den jüngsten Urteilen folgen, welche dieses Gemälde in seinem gesamten Bestand als ein modernes Machwerk erklären, dem jeglicher Urkundenwert abgeht, so sind wir genötigt ganz absurde Konsequenzen zu ziehen, die alle Erfah- rungen, ja jede gesunde Überlegung einfach auf den Kopf stellen.

Geschickte Fälscher verfügen über eine Auslese originaler Vorbilder, die dem Sammeleifer wie der registrierenden Wissenschaft fremd blieben. In raffinierter Nach- bildung gehen sie auf die feinsten Nuancen zeitlicher und örtlicher Stilentwicklung ein, als die wenigen Forscher, die soeben anfangen, sich diesen Denkmälern zuzuwenden, erst allgemeine völkerumfassende Zusammenhänge wahrnahmen. Diese Imitatoren arbeiten mit erstaunlicher Präzision und einem umfassenden, auf Reisen zusammen- geholten Apparat bloB um die Zahl „byzantinisch-niederrheinischer“ Stücke zu mehren. Kein großer Meistername konnte ihren Ehrgeiz locken, denn erst eine spätere Zeit ver- knüpfte ihre eigenen Elaborate mit dem gepriesenen Meister Wilhelm. Auch miihten sie sich nicht um irdischen Lohn, denn dem Angebot entsprach nicht die Nachfrage; sie begnügen sich stillschweigend mit dem Bewußtsein, werdende Kenner getäuscht zu haben und selbst diesen Triumph wissen sie so vorsichtig zu verbergen, daß er ein volles Jahrhundert im Verborgenen bleibt und erst heute, bei der Umwertung aller Werte, „der Weisheit letzter Schluß“ wird.

Um diese Voraussetzungen gläubig hinzunehmen, bedarf es exakter Unter- suchungsergebnisse, die absolut keine andere Deutung zulassen. Doch noch mehr! Am 6. Dezember 1815 schrieb Sulpiz Boisseree einem Kölner Freunde Dr. Schmitz: „Du weißt, daß wir unter dem Spott und Gelächter unserer Mitbürger eine Menge Bilder aus Staub und Nässe, aus Speichern und Kellern geradezu vom Verderben gerettet haben. Daß wir durch unsere Leidenschaft die Dinge erst in Wert gebracht, auf die früher Wallraf und die kölnischen Künstler selbst nichts hielten’).“

Bei der Taxation der Erbschaft des Baron Hüpsch (+ 1805) wurden 463 Ge- mälde auf nur 434 fs. 50 c., bei einer Revision auf 569 fs. 50 c. eingeschätzt?). In der Liste der Altertümer dieser Sammlung, deren Zurücklassung und Schenkung an die Stadt Köln man von der Munifizenz des Erben, des Landgrafen Ludwig X. von Hessen- Darmstadt erwartete, wird von diesen Bildern summarisch gesagt: „Die vom Herrn Baron von Hüpsch hinterlassenen Gemälde sind durchgehends ohne viele Bedeutung. Die ganze Taxe derselben steigt etwas über 160 Thir. Es findet sich aber außer den gut Erhaltenen und Guten, die man wandern lassen muß, manches und wohl doppelt von unsern kölnischen Meistern, worauf zwar kein Kunst- und Liebhaber- preis sondern höchstens nur einiger Lokalwert haftet, um die Zeitfolge der stadtkölnischen Maler daraus zu ergänzen.“

Es folgt der Hinweis auf die Bestrebungen Wallrafs, der „alle, selbst gering- fügige Monumente des alten Geschmacks und Kunstfleißes in unserer Stadt aufsammelt.“ Als bescheidene Zugabe hoffte man für diesen eine malerische Hauptleistung Stephan

1) Vgl. auch den Brief J. Bertrams an Sulpiz Boisserée vom 11. Mai 1811. a. a. O. I. S. 125. Benno Rüttenauer in ,Rheinlande“ VII. 1907. S. 137.

2) Adolf Schmidt: Baron Hüpsch und sein Kabinett. Darmstadt 1906. S. 169 u. 251. Justus Hashagen in ,Rheinlande“ VII, 1907. S. 88.

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Lochners aus der Katherinenkirche der Deutsch-Ordensritter und eine umfängliche Kollek- tion, in der fast alle führenden Meister der Kölner Schule trefflich vertreten waren, umsonst zu erlangen.

Nur allenfalls ein recht bedingtes lokalhistorisches Interesse gestand man also den Altarschreinen und Votivtafeln, den Andachtsbildchen und Porträts zu, deren ver- staubte Massen in den Speichern und Kreuzgängen wie bei allen Tròdlern unveräußer- lich lagerten. Für das köstliche Triptychon jetzt in der Sammlung des Geheimrat Hölscher (Düsseldorfer Ausstellung 1904, Nr. 11), das in feingeschnitztem gotischen Rahmen die Anbetung der Könige nebst Heiligengestalten enthält, Bilder, in denen ein zartes Empfinden sich in erlesenem Farbengeschmack und zierlicher Ornamentation aus- spricht, zahlte Jean Claude von Lassaulx im Beginn des Jahrhunderts zwei Kronentaler. Altvlämische Stücke, die man Hubert van Eyck und Hemmelink benannte, erreichten damals ganz andere Preise. Die Brüder Boisserée schätzten sich glücklidi während der napoleonischen Kriegswirren eine Perle Brabanter Kunst, das Altärchen des Dierick Bouts (jetzt in der Münchner Pinakothek Nr. 107—109) um 200 Louisd’or zu erlangen; es waren früher tausend Dukaten dafür gefordert worden. Den heiligen Lukas (eben- dort Nr. 100), angeblich von van Eyck, kaufte Sulpiz in Brüssel im September 1814 für 1500 fs.

Von der Münchner Veronika, dem Kleinod der niederrheinischen Bestände ihrer Galerie ist Herkunft, Zeitpunkt und Preis des Erwerbes unbekannt. Das Gemälde be- fand sich noch nicht in der Sammlung, als diese 1810 von Köln nach Heidelberg über- führt wurde!); es wird erst 1812 erwähnt und später häufig voll Bewunderung u. a. von Goethe beschrieben. Als Malgrund ist abweichend von niederrheinischer Gepflogen- heit ausnahmsweise Lindenholz?) verwandt. Das visionäre Abbild des dornengekrönten Erlösers, von der Heiligen in mildem Kummer ausgebreitet und von lebhaften Engel- kindern im Gesang verehrt, mußte in dieser Fassung und Vollendung über die Sphäre lokalpatriotischer Interessen weit hinauswirken. Mit der Tradition hat sich ein inten- sives persönliches Empfinden verbunden. Die beiden Antlitze, die so verschiedenartig uns aus dem Gemälde anblicken, sind absichtlich in scharfen Kontrast gesetzt. Ein hoch- gespannter Idealismus abstrahiert in Konfiguration und Maßstab in eigentümlicher Weise von der Realität und füllt die Tafel eng mit dem wesentlichen Gegenstand andächtiger Betrachtung, um zugleich in warmem Kolorit und anmutigen Einzelbildungen breit und zwanglos wie zufällig malerische Reize über die Bildfläche auszugießen.

1) H. Hüffer: „Die Gemäldesammlung der Brüder Boisserée im Jahre 1810* in den Annalen des histor. Vereins f. d. Niederrhein, Heft 62. 1896. S. 1f. Das Verzeichnis der Gemälde, über deren Versendung Sulpiz Anweisungen gibt, nennt aus dieser Stilepoche: das Rundbild der Madonna mit Heiligen (jetzt München Nr. 2), Catharina und Elisabeth auf rotem Grunde (Nürnberg Nr. 2 und 3) und eine Tafel mit 4 Aposteln (Nürnberg Nr. 5).

*) Kgl. ältere Pinakothek zu München Nr. 1. Lithographie von Strixner. Die Angabe der Holzart des Malgrundes verdanke ich der gütigen mündlichen Mitteilung des Herrn Konser- vator Dr. H. Braune. Auch die Echtheit der Veronika ist angezweifelt worden. K. Pearson, Die Fronica, S. 73 f. kennt keine deutsche Darstellung des Hauptes Christi auf dem Schweißtuche mit der Dornenkrone vor 1460. Er meint daher, daß „das Münchner Bild entweder neueren Datums ist oder daß eine spätere Zeit dem älteren Bilde Dornenkrone und Blutstropfen hinzugefügt habe*.

E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 375

Ein Werk dieser Art war vorzüglich geeignet, gerade die ungeheure Schwierig- keit kongenialen Einlebens in die Vorstellungsreihen der mittelalterlihen Kunst zu ent- hüllen. Es ist nicht leicht aus erborgten Teilstücken eine neue Komposition im Sinne der Primitiven glaubhaft zusammenzufügen. Erst eine Übersicht der Bilderkreise und Darstellungen macht erkennbar, wie die natürlihe Erscheinung sich jedesmal dem geistigen Gehalt unterordnet und anpaßt, welche Ausdruckselemente die alte Kunst- übung hervorhebt, welche organischen Bindeglieder und Funktionen sie übersieht und ausläßt.

Alle diese historischen Tatsachen und kritischen Erwägungen werden nun viel- leicht, trotz ihrer Beweiskraft, von dem sachverständigen Techniker abprallen, der sich kurzer Hand vor den Malereien auf den schlichten Augenschein beruft. Und in der Tat, besonders die Nürnberger Tafel kann bei einer Untersuchung nur geringes Ver- trauen erwecken. Eine breit aufgesetzte harte Farbenschicht, in der nur an wenigen Stellen eine höchst zweifelhafte Rißbildung sichtbar wird, die unsere Bedenken noch vermehrt, deckt die Flächen. Die Gesamthaltung ist trüb und dunkel, mit bräunlichen Schattenpartien, durchaus abweichend von der lebhaften und klaren Farbenstimmung altkölnischer Meister. Auch sind es weniger einzelne Zusätze, z. B. die Feldblumen, die Bordüre am Halsausschnitt der heiligen Jungfrau, welche störend wirken; die male- rische Durchführung im ganzen ist ziemlich einheitlich, entspricht aber nicht der Übung ` niederrheinischer Werkstätten. Dagegen läßt sich der intime Anschluß an hochgotische Ausdrucksformen in der Körperbildung, Haltung, dem Typus der Köpfe unmöglich leugnen. Der Charakter der Stilphase bleibt durchaus gewahrt, in der die gotische Malerei von der linearen Ausbreitung der Figuren in einer Fläche schiichtern zu einer Modellierung der Formen, zur Andeutuny der Plastizität der Gestalten auch in der Zeichnung verkürzter Gliedmaßen gelangt. Das Vorbild statuarischer Werke der Hodh- gotik ist in dem Tafelbild unverkennbar, sowohl in der Geschlossenheit der Silhouette wie der Haltung und der einheitlichen allerdings auch recht summarischen Gewand- behandlung. | | Diese auffallende Diskrepanz erklärt sich jedoch vollkommen durch die Annahme einer weitgehenden Überarbeitung in neuerer Zeit, bei der nur die Formenbezeichnungen in ihren wesentlichen Zügen erkennbar gewahrt blieben. Die Erfindung der Kompo- sition, die Auffassung und die Wiedergabe der Körper im einzelnen, selbst die Art der Versehen bei den Verkürzungen (z. B. der Arme) geht so rein und unmittelbar aus dem Stil der Hochgotik hervor, daß diese unmöglich dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts angehören können. Ebenso wäre die Vermutung a limine abzuweisen, daß es sich bei dem Nürnberger Stück um eine genaue Kopie handelt, die etwa als Ersatz für das verschwundene Original substituiert wurde.

Die Lithographien J. N. Strixners nach deutschen und altniederländischen Gemälden der Boisserée-Galerie liefern den besten Maßstab, in welcher Beschränkung auf sorgsam beachtete Außerlichkeiten die Romantiker die Weise alter Meister aufzufassen und nadizubilden vermochten. Man kann den künstlerischen Wert und die Bedeutung dieser Blätter voll anerkennen aber kein Kenner wird die ihrer Zeit vielbewunderten Reproduktionen mehr als Grundlage stilistischer Analysen benutzen. Deren Urheber

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unterlagen stets der Gefahr Fremdartiges einzumischen. Und doch entstanden diese Steinzeichnungen durch hochbegabte Künstler in dauerndem Verkehr mit den Originalen, unter der beständigen Aufsicht und Obhut der feinsinnigen Eigentümer, nach dem vertieften Studium von mehr als einem Jahrzehnt. Heute stört den Betrachter jene schulgerechte Korrektheit (ein Erbteil des Klassizismus), welche überall die Zeidinung der Originale kontrolliert und die strenge Gebundenheit der gotischen Linienführung abschwäct. Bei allem Fleiß fehlt diesen Enthusiasten ein geschmeidiges Anpassungs- vermögen; sie wissen nicht sic in die wechselnden Tendenzen der Stilisierung ein- zuleben, welche die Naturwiedergabe bei ihrem steten Fortschreiten bestimmen oft auch ablenken. Diese Nachbildungen erscheinen fast ebenso zeitlos wie die naiven Ritter- geschichten romantischer Dichter. Die Gesichtszüge und Glieder der Figuren werden auf Grund eingewurzelter Begriffe nach ihrer naturgemäßen Struktur schärfer akzentuiert; Körperformen und Bewegungsfunktionen, die im alten Original unberücksichtigt blieben, werden betont. Nach moderner Vorstellung stehen die Gestalten fester auf ihren Füßen, lösen sich deutlicher vom Grunde ab. Die Gewandung wird in massigen Falten als schwerer Wollstoff gegeben und die Köpfe zeigen bei konventioneller Gleich- förmigkeit den Anflug jener fatalen schläfrigen Sentimentalität.

Der Lithograph mußte eben den modernen bon sens in Geschmacksdingen berück- sichtigen, durfte nicht durch auffällige Härten und Mängel abstoßen, zumal da das große Lieferungswerk !) gerade dazu bestimmt war, erst Propaganda für die Galerie ` und die wiederhervorgezogenen alten Meister zu machen; deren Weltfreudigkeit, schlichte Einfalt und fromme Inbrunst man in einer Bilderauslese recht ins Licht zu stellen gedachte.

Dies Bestreben, die Reste der Vorzeit bei der Mitwelt zur Geltung zu bringen, das alte Erbe annehmbar zu machen, hier auszugleichen, dort Wirkungen zu steigern leitete auch die Wiederherstellungsarbeiten innerhalb der Gemäldesammlung. Immer wieder sollte die prangende ungebrochene Leuchtkraft der Farben der Primitiven staunendes Entzücken beim Besucher hervorrufen. Man verfuhr beim Reinigen und Ergänzen, den Übermalungen und dem Zusammenstimmen durch Lasuren sowie dem Aufsetzen neuer Goldgründe durchaus nicht immer mit der nötigen Gewissenhaftigkeit. Nicht das Aufdecken und Sichern der vorhandenen Teile war der Hauptzweck dieser Bemühungen sondern die Erreichung eines möglichst harmonischen und starken Gesamt- eindrucks.

„Könntest Du nur einmal die Farbenpracht in unserem Saal sehen und wenn Du recht toll und voll wärest von all’ den Herrlichkeiten hinaustreten auf den Balkon und Deine Blicke ausruhen lassen an dem Schloß und den grünen Bergen“ schrieb Sulpiz aus Heidelberg 20. Oktober 1812 an B. Haussmann in Hannover. Bei besonnenen Kennern war das Ergebnis gründlicher Prüfung nicht eben die gewünschte helle Be- geisterung für diese Art alte Kunstwerke zu erneuern und aufzufrischen.

Dieser rücksichtslose Eingriff, der mit der beabsichtigten Verjüngung schwere

ı) „Sammlung altniederl. und oberdeutscher Gemälde der Gemäldesammlung der Brüder S. u. M. Boisserée und Joh. B. Bertram. Lithographien von J.N.Strixner. 38 Lieferungen. 1821 f.

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Schädigung brachte, ja den Urkundenwert der geretteten Denkmäler sogar in Frage stellte, trübte schon bei den Zeitgenossen die Verdienste der patriotishen Sammler und erregte ernste Bedenken, die sich mitunter voll Entrüstung äußern. So schrieb H. G. Hotho: „Den Herren (Sulpiz und Melchior Boisserée) kommt auf gelegentliche Beschäftigung mit Glasmalerei der Einfall, die flandrischen Meister hätten der Wirkung früherer Glastafeln nachgestrebt. Das gleiche Feuer, dieselbe Kraft seien durch Alter und Reinigung nur verloren. Das müßte sidi wieder ersetzen lassen. Gesagt, getan! Melchior besonders macht sich ans Werk. Blaue Gewänder werden grell übergangen, rote zur höchsten Glut gesteigert. Selbst Gesichtern und Händen bleibt eine rosige Tiinche nicht erspart. Damit können das feine Lehmgrau des Bodens, das saftige Wiesengrün nicht mehr stimmen; Mittelgründe, Gewässer noch weniger. Sie erhalten zu ihrer Stärkung Asphalt. Unter so grober Hülle muß jede Zartheit verschwinden. Das jeden Meister bezeichnende Kolorit ist zerstört. Wer von anderen Tafeln her den Farbeneinklang und Reiz belobt, steht halb als Tor halb als Lügner da.“ (Die Maler- schule Huberts van Eyck 1855, II. S. 45.)

Es bedurfte späterhin in München vielfacher Anstrengungen, einer überlegenen Kunstfertigkeit und hingebender Sorgfalt um die Hauptstücke der Sammlung in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen.

Die Brüder hatten anfangs in lebhafter Ungeduld und Entdeckerfreude selbst mit Hand angelegt um die neuerworbenen Schätze „unter der Kruste hundertjährigen Schmutzes“ hervorzuholen. Ihr Faktotum Maximilian Fuchs scheint sich gelegentlich nicht einwandfreier Putzmittel bedient zu haben. So wurde die „beschwerliche tiefe Reinigung (des Dombildes) von seinem so dick eingefressenen Unrate von unserem geschickten Fuchs mit jedem nur auf Öl unschädlich wirkenden Reinigungsmittel scharf und kühn“ durchgeführt. (Wallraf.) Derselbe Künstler nahm sich 1808 viel Zeit mit der Wiederherstellung von Rogers Epiphanienaltar aus der Columbakirche (Münchener Pinakothek Nr. 101—103).

Ober die Technik der Alten wagt man noch kein Urteil, da Kenntnisse und Erfahrungen allzu gering sind. Sulpiz meint, daß seine Sammlungsstücke ausnahmslos „alle Eigenschaften der Ölmalerei besitzen“, jedoch sei es möglih, daß man vor van Eycks Erfindung „eine unbekannte Bereitung der Farben mit Wachs, Eiweis u. dergl. hatte, die nach so langer Zeit nicht von der Ölmalerei unterschieden werden konnte“ (a. a. O. I. S. 102).

In Heidelberg wurden die Gemälde zuerst dem Kopisten Epp anvertraut, später dem ehemaligen Landschaftsmaler C. Koester. „Durch ihn wurden wir erst mit feinerer Unterscheidung der Farben, Vorkehrungen rücksichtlih der Reinlichkeit usw. bekannt.“ Sulpiz bittet Goethe „gelegentlich unseren kleinen Maler Koester als ein Gegenstück zu Fuchs anzuführen; er restauriert unvergleichlich besser als dieser, ist auch eigentlich mehr Künstler Fuchs hingegen mehr Dekorateur“ (a. a. O. II. S. 71).

Mit dem Galeriedirektor Georg v. Dillis einigten sidi die Boisserée in lebhafter Aussprache (der Praktiker duldet keinen Widerspruch!), daß die Bedeutung der Alt- niederländer wesentlich in ihren Farbenwerten, dem unerreichbaren Glanz, der Leucht- kraft und Pracht des Kolorits, den ungebrochenen Lokalfarben und den Schillertönen

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beruhe. Seit 1815 versenkte sich dann Melchior in die Geheimnisse solcher Wirkungen. Er studierte emsig die technische Literatur, zu der auch Koester einen schätzbaren Beitrag lieferte!) und machte Versuche „über die Haltbarkeit besonders der durchsichtigen Farben, über ihre Mischung untereinander, ihre Verbindung mit Ölen und Firnissen sowie über die Reinigung und das Austrocknen der Öle“ (a. a. O. II. S. 157).

Diese Forschungen und Experimente und deren Erfolge blieben jedoch in engem Kreis und dienten einzig den vorgezeichneten Zwecken. Es waren Anfänge und Sulpiz selbst schreibt hierüber: „Und was läßt sich nicht erwarten, wenn einmal talentvolle Maler diese Bilder von Eyck, Hemmling, Schoreel usw. in Hinsicht der Farben- behandlung und überhaupt des Technischen studieren. Bis jetzt (2. Oktober 1819) ist noch nichts der Art geschehen, wie denn im allgemeinen unsere Sammlung noch keinen direkten Einfluß auf die Künstler ausgeübt hat“ (a. a. O. II. S. 252).

Fälscher verdanken ihr raffiniertes Verfahren wohl auch selten den Sammlern, obwohl immerhin geistige Beziehungen walten; der Betrüger geht gewandt auf die Betrachtungsweise und Schwächen seiner Opfer ein. Zwischen dem ehrwürdigen historischen Monument und dem jungen Falsifikat bestand stets ein strenger schon begrifflicher Gegensatz; Indolenz bleibt hier ausgeschlossen, beide fanden nie im Prinzip die nämlihe Schätzung. War das Unterscheidungsvermögen der Forscher gegenüber den Kennzeichen bestimmter Denkmalgruppen noch gering, so werden auch die Imitationen nur in bescheidenem Maß nach Stil und Faktur dem Original nahe- kommen und schwerlich heute den Fernstehenden noch durch subtile Feinheiten einer intimen Angleichung irreleiten.

So darf die bestimmte Erwartung ausgesprochen werden, daß auch das miB- handelte Nürnberger Madonnenbild, das schon an der Schwelle einer methodischen Betraditung der altkölnischen Malerei stand, nach Entfernung der dicht verschleiernden Hülle sich als Original ausweisen wird und seine kunsthistorische Position behauptet. (Fortsetzung folgt im nächsten Hefte.)

1) Koester: Über Restaurierung alter Ölgemälde. Drei Hefte 1827/1830.

Ey

PIETRO NOVELLI

(Il Monrealese) Di Enrico Mauceri

Un pittore che nel ‘600 impresse nuova e gagliarda vita all’ arte siciliana allora bamboleggiante dietro le orme del valoroso toscano Filippo Paladino, fu Pietro Novelli, meglio conosciuto col soprannome di Monrealese, essendo egli nato nella lieta e bella cittadina normanna il 2 Marzo 1603.

Eppure, non ostante tal merito, egli è poco noto fuori di Sicilia, come in generale è quasi sconosciuta tutta l'arte che lungo il corso del sec. XVII si svolse nell’ Isola, arte piena di ricchezza, di fasto e di splendore decorativo ’).

Le chiese siciliane di quel tempo presentano, invero, una tale eleganza di barocco che difficilmente se ne incontra l'eguale: ai dipinti a fresco smaglianti di colore si unirono festosamente gli stucchi animati da agile fantasia, quegli stucchi che inghir- landarono di gloria il genio di Giacomo Serpotta, aggiungendovisi ancora quella esuberante e nello stesso tempo equilibrata decorazione policromica in pietra dura che forma oggi la nostra ammirazione.

Ma, oltre al grande Serpotta, uno scultore rimasto ingiustamente oscuro, scultore e decoratore pieno di talento, è Gioacchino Vitaliano che in Palermo, nella cappella del Rosario in S. Zita e nella chiesa di Casa Professa, die' prove bastevoli della sua non comune abilità.

Figlio di artista, il Monrealese °) ben presto dimostrò le sue rare attitudini e il suo svegliato ingegno nella sua stessa patria dove ancora giovanissimo compiè vari lavori come alcuni affreschi nella chiesa di S. Maria dell’ Orto; altri in una cappella della chiesa del monastero di S. Castrenze per la quale esegui anche una tela rap- presentante la Sacra Famiglia; ed altri ancora nella volta della chiesa dell’ Itria ©).

Passato indi a Palermo, si vuole sia stato allievo del pittore trapanese Vito Carrera; ma chi gli svelò un mondo a lui affatto sconosciuto fu il grande Antonio Van Dyck che fin dal 1622 era in Palermo, e nel 1624 esegui un ritratto di Sofonisba Anguissola e molto probabilmente anche quello del Vicerè Emanuele Filiberto ‘).

A questo primo periodo di ondeggiamento fra le vecchie tendenze scolastiche e gl'influssi della vivissima luce vandyckiana, appartiene il piccolo quadro „La morte del Giusto“ (m. 0,66><0,80) acquistato dal Museo Naz. di Palermo, dove le tonalità calde del volto della Vergine di carattere fiammingheggiante contrastano con le tinte

1) Il chiaro Hermann Voss lamenta a ragione la poca cura che finora si è avuta dell’ arte siciliana del '600 e perfino dello stesso Pietro Novelli. In ,Monatsheften für Kunstwissen- schaft“ p. 987.

2) Il padre Pietro Antonio, oltre che pittore, fu musaicista, e mori nella peste del 1625 in Monreale dove si additano alcuni suoi lavori.

3) A. Gallo. Elogio storico di Pietro Novelli. Palermo, 1828, p. 2.

1) Cfr. C. Matranga. Dipinti di Antonio Van Dyck e della sua scuola nel Museo Naz. di Palermo. In „Boll. d'Arte del R. Ministero della P. Istruzione“.

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Abb. 1. PIETRO NOVELLI. La morte del Giusto. Palermo. Museo Nazionale O

scure del fondo. Ancora un passo e vedremo il giovine pittore interamente sug- gestionato dal poderoso mago di Anversa, al quale molto probabilmente fu stretto da vincoli di amicizia; e forse non fu estraneo alla commissione da parte dell’ oratorio del Rosario di S. Domenico, del quale era confrate, di quella bellissima pala, che è una delle opere più grandiose del sommo artista fiammingo.

Il primo periodo della carriera del Novelli è ancora alquanto oscuro. Certamente Palermo gli offri un campo di grande operosità in un tempo in cui vennero sorgendo nuove chiese, nuove corporazioni e confraternite, ed il gusto dell’ arte vieppiù affina- vasi dopo i mirabili esempi dati dal Van Dyck.

Le incertezze intanto non mancano, data la perdita di alcune opere d' arte e quella dei documenti.

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Abb. 2. PIETRO NOVELLI. La Pentecoste. Palermo. Oratorio del Rosario in S. Domenico

Il nostro Pietro nel 1626 fu incaricato dal Senato palermitano per l'esecuzione di una certa opera di pittura nel ciborio della grotta di S. Rosalia in monte Pellegrino, come risulta da notizie ricavate dagli atti dell Archivio Comunale; il che dimostra in qual conto fosse già egli tenuto !):

M'o Pietro Novello.

A 18 di marzo ni facemo esito di onze dodici pagate per tavola a M'° Pietro Novello antecipate a buon conto di onze 22—24 per le quali si obbligò mettere l'oro nel ciborio della gloriosa Santa Rosalia nella grotta in monte pellegrino pittura e musaico finto e compire bene e magistralmente tutte altre opere dichiarate nel contratto obbligatorio in notar Nuntio panetteri a 14 di marzo 9 Jn® 1626 e capitoli in esso

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1) Esito di danari pagati per servitio della fabrica della cappella della gloriosa S. Rosalia nella grotta in monte pellegrino.

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inserti, e dette opere deve dar spedite fra mese uno del di di detto contratto e se li pagano antecipate stante l avermi dato pleggeria, nell’ officio di Spettabili Giurati di questa Città di scontarle con detti servitii e come per partita di tavole in questa a f. 34 onze 12.

M'° Pietro Novello.

A di detto (24 aprile) ni facemo esito di onze sei pagate per tavola a M'° Pietro Novello a compimento di onze 18 comprese onze 12 pagateli nel mese di marzo oo prossimamente passato e dette onze 18 sono a buon conto di onze 22—24 per le quali si obbligo mettere l'oro nel ciborio della gloriosa Santa Rosalia nella grotta in monte pellegrino come in detta partita di onze 12 è stato dichia- rato e conforme la partita di Ta- vola in questo a foglio 36 onze 6 (da un volume di conti dell’ Arch. Comunale di Palermo. A. 1626, f. 13—14).

Agostino Gallo, unico biografo finora del valoroso artista !), chiama »di seconda maniera“ quel periodo circoscritto al tempo anteriore alla gita a Napoli e a Roma, quando il Monrealese fu attratto da altri grandi astri: dal Caravaggio, dal Velasquez, dallo Spagnoletto e dal Domenichino.

Ma tale seconda maniera non sarebbe, invece, che la prima, non Abb. 3. PIETRO NOVELLI. La Vergine col Bambino. Potendosi tenere in calcolo i primi

Palermo. Museo Nazionale o conati giovanili che hanno carat- tere puramente scolastico °).

E qui sorge un punto oscuro sulle vicende della vita del pittore. Quando si recò egli a Roma? Nel 1630 era ancora in Palermo e compiva per il convento del Carmine il quadro di S. Andrea Corsini). Secondo il Gallo, la partenza avvenne fra il 1631 e il 1632, e ciò non sarebbe improbabile, ma non posso allora ammettere che

1) Precedentemente, il Mongitore si era occupato del Novelli-Memorie dei pittori, scultori, architetti e artefici in cera siciliani (mss. nella Bibl. Comunale di Palermo 29. c. 63.)

2) Il Matranga (a. c.) parla anch’ egli di seconda maniera a proposito del quadro del Ponticello, assegnando ad esso gli anni 1630—1633. In vece, secondo il mio avviso, bisogna ascriverlo ad un tempo anteriore.

3) v. C. Matranga in „L'Arte“. Anno X fasc. VI, p. 448, dove è riprodotto il dipinto.

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l affresco del refettorio in S. Martino delle Scale sia stato eseguito nel 1629!) Esso presenta invero quel fare largo, quelle ombreggiature forti, quell’ insieme di grandiosità che formano le caratteristiche della sua seconda maniera (la del Gallo), tutta compenetrata dello spirito michelangiolesco attinto alle fonti del Domenichino, e di quello dell’ arte spagnuola.

Può darsi che nel 1629 il Novelli ne abbia ricevuto a commissione, ma che poi sia stato rimandato il lavoro ad altro tempo; certo dovette essere eseguito dopo il suo ritorno da Roma.

* * x

Fra i quadri di carattere vandyckiano son da ricor- darsi la Vergine col Bambino fra S. Rosalia ed il Battista; l'Annunciazione; S. Casimiro re coronato dal Bambino, tutti e tre nel Museo Nazio- nale di Palermo; la Pente- coste nell’ Oratorio del Ro- sario in S. Domenico’). - - Esaminandoli uno per uno, vediamo che le teste sem- brano tolte di peso dal grande pittore di Anversa, a cui l autore si ispira anche nella leggerezza delle tinte diafane, nel chiaro delle carni, nel rosso e nel verde mare delle vesti.

Ma un grande muta- Abb. 4. PIETRO NOVELLI. La Risurrezione. Piana dei Greci. mento nell’ arte del Monrea- Sissa Gia nement g lese avviene al suo ritorno da Roma. Nella città eterna era ancora vivo il ricordo della visita del Velasquez, e allora il nostro pittore ebbe occazione di eseguire per

1) Il Gallo registra tale data come sicura per via di documenti, ed aggiunge: „Tale fresco che sente dell’ entusiasmo di Michelangelo, come solea dire il Cav. Puccini ... „Ma se così è, dove nel 1629 il Novelli avea visto qualcosa di Michelangelo?

Anche I’ ab. Giuseppe Bertini scrive che l'anno 1629 è certo da un registro di conti nell’ archivio di quel Monastero. V. Ortolani. Biografia degli uomini illustri della Sicilia. Napoli MDCCCXVIII tomo II. |

*) I primi due sono riprodotti in ,L’ Arte“ v. E. Mauceri. Esposizione di opere del Monrealese. Anno V fasc. V—VI.

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Abb. 5. PIETRO NOVELLI. L’ Eterno fra Angeli. Piana dei Greci. Chiesa di S. Demetrio

Casa Colonna i due grandi ritratti di Marcantonio III Colonna e d’ Isabella Gioeni, moglie di Marcantonio V Colonna col figlio Lorenzo Onofrio.

Certo è che Pietro nel Velasquez trovò |’ anima sua e credo che nessun altro meglio di lui abbia saputo interpetrare il grandissimo Spagnuolo.

A Napoli molto probabilmente fu in rapporti col Ribera, il cui capolavoro, la Pietà della Certosa di S. Martino, dovette recargli grande impressione’). Cosi avviene che il Novelli acquista carattere e fisonomia del tutto spagnuola, e sebbene negli affreschi non si mantenga sempre tale e circoli fra le sue teste un del soffio del Domenichino, pure nelle tele si manifesta quasi sempre fedele ai modelli del Velasquez e dello Spagnoletto °).

1) Fu forse in quella occazione che esegui i due quadri (oggi nel Museo Nazionale di Napoli) rappresentanti uno la Trinità e 1’ altro Giuditta ed Oloferne.

2) Il Frizzoni ha notato i segni della reazione dell’ arte spagnuola sull’ italiana, special- mente in due pittori: nel milanese Nuvoloni, detto il Panfilo, e soprannominato il Murillo lom- bardo, e in Pietro Novelli. Egli cosi scrive: ,Pietro Novelli si compiace con successo di emulare il Velasquez nel maneggio del pennello e negli effetti del chiaro e dell’ oscuro ne’ colori“. In »Archivio Storico dell’ Arte“ VI (1894) p. 194.

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Abb. 6. PIETRO NOVELLI. S. Benedetto. Monreale. Monastero dei Benedettini

Al suo ritorno in patria il Monrealese da prova di straordinaria, prodigiosa atti vita. Nel giro di pochissimi anni compie le opere pit celebri e più forti del suo pennello: nel 1634 i poderosi affreschi del „Paradiso“ nell’ antico ospedal grande, oggi caserma della SS. Trinita, dei quali non si conservano che pochi frammenti nel Museo Nazionale !); attorno allo stesso tempo, la superba e colossale decorazione della volta della chiesa di S. Francesco dei Chiodai, di grande effetto coloristico, anch’ essa dis- graziatamente in molta parte rovinata dal terremoto del 1823; altra nel cappellone della chiesa di S. Maria dei Latini, detta anche del Cancelliere; ed altra ancora a Piana dei Greci, nella chiesa di S. Demetrio, dove le teste hanno nobile, dignitosa compostezza e maestà di espressione.

Nella chiesa del Cancelliere sono rappresentati i primi momenti della fondazione della Regola benedettina.

A. d. S. Placido e S. Mauro condotti dai loro padri Tertullo e Canzio al cospetto di S. Benedetto in Montecassino; a sinistra, il Santo veste monaco S. Romano nella solitudine di Subiaco; in alto, sulle arcate del Coro, S. Benedetto predica alle

turbe in Montecassino; nella volta, la Vergine, tra l' Eterno e il Cristo, incorona di rose S. Scolastica.

1) Assicura il Mongitore che nell’ affresco si leggeva al suo tempo la firma dell’ autore e la data 1634. Di tale composizione che rappresentava Santi in gloria nel Paradiso, si vedono nel Museo Nazionale di Palermo alcuni lucidi del pittore Giuseppe Patania (Sala Novelli 1—29— 38).

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Nella chiesa di S. Demetrio, in Piana dei Greci, è rappresentata la Risur- rezione; in alto, l’ Eterno fra i due Arcangeli Michele e Gabriele; ai lati gli Apostoli e quattro santi Greci: S. Basilio, S. Gregorio il teologo, S. Atanasio e S. Giovanni Crisostomo.

Si ascrive, secondo il giudizio del Gallo, al Novelli la grande decorazione della volta della chiesa della Badia Nuova dove in tredici quadri sono raffigurati episodi riferentisi all’ ordine di S. Francesco. Jo credo però che tale attribuzione sia in- fondata, e che il lavoro sia stato eseguito da un allievo, forse magari su cartoni for- niti dal Maestro.

Nel 1635 il Novelli fu incaricato dal Monastero di S. Martino delle Scale ad eseguire una grande tela rap- presentante S. Benedetto e I’ istituzione degli ordini no- bili guerrieri.

Il Santo di Norcia addita il libro della sua regola, mentre consegna la spada a Sancio III re di Castiglia. Ritto in piedi è Gomez Fer- nandez, gran maestro dei cavalieri di Alcantara, e gli stanno vicini Alfonso I di Portogallo e Dionisio re dello stesso Stato. Dall’ altro canto si vedono le figure di S. Mauro, S. Odone, S. Romu- aldo, S. Roberto, S. Pier Abb. 7. PIETRO NOVELLI. Mosè. Palermo. Museo Nazionale Celestino e il B. Bernardo

Tolomeo.

In basso si legge: D. P. Benedicto, P. O. D Seraphinus Gonzales de Panormo, devotionis causa P. anno 1635.

Il quadro ha sofferto per i restauri; fortunatamente però un altro dello stesso soggetto, anch’ esso grandioso, ma di assai migliore conservazione, non ci fa tanto rimpiangere il grave danno. Quest’ ultimo è oggi collocato nella scala dell’ ex Monastero dei Benedettini in Monreale, ma ornava un tempo il Refettorio. Qui S. Benedetto distribuisce il pane ai vari capi della riforma del suo ordine ed ai cavalieri che ne seguirono la regola. Sono notevoli le figure di S. Romualdo e di

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Abb. 8. PIETRO ‘NOVELLI. La Comunione di S. Maria Egiziaca. Palermo. Museo Nazionale D

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S. Gregorio come pure quella che pare sia il ritratto del pittore. Certamente, come nel dipinto di S. Martino, i vari personaggi sono presi dal vero e non potrebbe essere diversamente data tutta quella potenza di vita che traspare dall’ atteggiamento, dalle mosse, dallo sguardo di ognuno di essi’). I rapporti con quello di S. Martino delle Scale sono evidenti nelle figure, massimamente in quelle dei Cavalieri vestiti alla stessa guisa con mantello bianco e croce rossa, ed anche nelle tipiche faccie volte verso il riguardante.

L’ altro quadro esistente in S. Martino delle Scale, la Vergine col Bambino fra S. Benedetto e S. Scolastica dove la figura del Santo di Norcia ha tanti rapporti con quella del Mosé nel Museo Nazionale, sebbene guasto dal tempo, manifesta grande forza e vigoria di pennello tanto da potere stare a lato al S. Benedetto.

Parimenti nel novero dei suoi capolavori bisogna includere i due quadri di Casa Professa: I Santi Eremiti nel deserto; S. Filippo d' Argirò che esorcizza un energumeno °). Nel primo S. Paolo è intento a discutere con i suoi compagni, uno dei quali ha in mano il libro degli Evangeli, ed un altro un teschio. Tutte e cinque le teste senili sono improntate a vigoria d'espressione; esse insieme con quelle del quadro di S. Benedetto in Monreale, costituiscono quanto di meglio si sia potuto creare nell’ arte italiana di quel tempo.

A Ragusa Inferiore, nella raccolta civica, è notevole una grande tela rappresen- tante l Assunta (detta „la Madonna della legaccia“) proveniente dall’ ex convento dei Cappuccini dello stesso paese, di conservazione freschissima, dove fra le varie e belle teste spicca anche quella del pittore come nel quadro di S. Benedetto in Monreale °’).

Nel 1637 il Novelli dipinse il grande quadro della Comunione di S. Maria Egiziaca (un tempo chiamata S. Maria Maddalena)‘) proveniente da S. Domenico, dove si mescolano ricordi del Domenichino e dello Spagnoletto, e nello stesso anno die’ mano, insieme con altri tre pittori del tempo, Vincenzo La Barbera, Gerardo Asturino e Giuseppe Costantino, a decorare a fresco tre saloni a pianterreno del Palazzo Reale di Palermo’) che da apposenti, ossia magazzini di munizione, furono adattati a sede del General Parlamento. Il Novelli, giusta il documento pubblicato dal Meli, aveva a dipingere ,otto istorie con li soi guarnimenti attorno di architettura et anco attornu la porta et archi et pingere attornu li finestri et anco depingere una finestra finta et anco tuttu il dammusu di pittura con grutteschi et uno tabellone et anco una fama nello menzo di d. dammuso“. E infatti sembra che il nostro pittore

1) A proposito del quadro di Monreale il Gallo ne assegna |’ esecuzione intorno al 1635 e ciò in base ad un documento. o. c. p. 45 in nota.

2) Di questi due dipinti che vorrei veder qui fotografati riesce difficile una riproduzione a cagione del loro collocamento. |

3) Altre due tele novellesche fan parte della stessa collezione e rappresentano una S. Pietro in atto di asciugare il sangue sgorgante dal seno reciso diS. Agata, e I’ altra il martirio di S. Agnese. Ambedue però sono di esecuzione alquanto più scadente.

t) Gallo o. c. p. 52.

>) Cfr. G. Meli „Sulle tre stanze del Pallazzo Reale di Palermo dipinte da quattro valoroso pittori nel 1637—38, in Archivio Storico Siciliano. Nuova Serie. Anno II fasc. III, IV. p. 422.

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Abb. 9. PIETRO NOVELLI (?) Affresco. Palermo. Chiesa della Badia Nuova

di sua mano abbia atteso a tale lavoro come si puö vedere dalla rappresentanza della Fama che offre tutte le caratteristiche della sua maniera.

Nel 1640, anno in cui diede il S. Pietro di Alcantara per la chiesa della Gancia, gli fu commessa un’ altra opera a fresco, cioè la decorazione della cappelletta dei Vicere nello stesso Palazzo Reale dove dovea rendere sei pannelli relativi alla vita di S. Francesco di Assisi e di S. Antonio di Padova. Ma io credo che abbia ragione il Gallo’) nel ritenere che il pittore abbia solo fornito i cartoni e che un suo

1) o. c. p. 58 Lo stesso a. il documento da un R. dispaccio di pagamento di Onze 10 con la data 4 Giugno 1640 nell’ Archivio della R. Segreteria di Stato.

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allievo abbia eseguito |’ affresco. La figura di S. Francesco sente molto delle opere del Monrealese non quella della Vergine e specialmente del Bambino modellato in- felicemente che non possono appartenere alla di lui mano.

* i *

‘Nel 1643, sotto Filippo IV, il nostro Pietro fu scelto ad architetto del Regno. Egli, nella sua gioventù, aveva appreso architettura dal cav. Carlo Ventimiglia, dotto matematico del tempo, e sembra che abbia pure esercitato tale nobilissima arte, seb- bene non abbiamo esempî sicuri da additare intorno all’ opera sua. E che sia così, risulta dal fatto che sin dal 1636 era successo allo Smiriglio nella qualità di archi- tetto del Senato !).

Con la nuova carica di funzionario dello Stato, fu necessario al Novelli di imprendere un giro per le piazze forti dell’ isola, ma ciò non pertanto egli non smise di continuare l'esercizio dell’ arte sua prediletta.

Proprio nell’ anno stesso della regia nomina, si obbligò a Messina con quel Senato a dipingere a fresco il coro maggiore della Cattedrale ,dal musaico insino al cornicione delli stalli di legname °“ ma non arrivò, chi sa per quali circostanze, ad iniziare nemmeno il lavoro. Si crede che nel 1646 abbia dipinto il grandioso quadro della Pietà per la chiesa di Saladino (trasportato di poi a S. Chiara), ma molti e ra- gionevoli dubbi si sono manifestati intorno alla autenticità del dipinto che si distacca completamente dal suo modo di fare.

Sua opera, invece, pare che sia lo Sposalizio della Vergine nella chiesa di S. Matteo, compiuta alla vigilia della morte, dove si legge: Opus componi fecit Franciscus Crispaldi an Sal. MDCXLVII.

Ma quando il Novelli avera già raggiunto l'apice della fortuna e della gloria gli accadde un sinistro accidente che fu causa della sua fine immatura. Erano scop- piati i torbidi del 1647, quando Palermo tentò di scuotere il mal governo spagnuolo Il Novelli, nella sua qualità d'ingegnere della R. Corte, seguiva a cavallo il Capitan di Giustizia D. Pietro Branciforte, allorchè una turba di sediziosi in Piazza Bologni si fece avanti con sassi ed archibugi; durante il trambusto fu esploso un colpo di moschetto che andò a ferire il pittore al braccio destro e tale ferita al terzo giorno gli cagionò la morte *). Fu sepolto nell’ oratorio del Rosario in S. Domenico, ma oggi nessuna memoria rimane della sua tomba.

1) V. Giuseppe Taormina in Sicilia Artistica ed Archeologica. a. II. 1888 p. 22. fasc. II e III.

In un atto del Senato si parla di Pietro Novello Ingegniero. Gli si attribuiva un tempo Porta Felice, ma essa fu architettata invece da Mariano Smiriglio ed il Novelli solo ebbe la vigilanza sulla costruzione. V. Sicilia Artistica ecc. a. II fasc. I p. 7.

2) V. contratto pubblicato dal Di Marzo nel volume „Di Antonello da Messina e dei suoi congiunti“. Palermo, 1903, p. 151.

3) Discordi sono gli scrittori intorno alla data della morte: il Bertini la segna nel 25 Agosto, il Gallo nel 17, il Salinas nel 27 (Breve guida del Museo Nazionale di Palermo, 1901, p. 80).

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Il Monrealese ebbe grande celebrita nel suo tempo e formö una scuola di ca- rattere regionale durata per tutto il corso del sec. XVII che forse mai nella pittura si era vista così estesa e cosi sparsa per tutta l'isola, scuola dalla quale uscirono va- lorosi allievi come Andrea Carrega e Giacomo Lo Verde che alcune volte gareggiarono con lo stesso maestro.

Il Novelli nacque artista, dalla fantasia feconda, dall’ anima aperta al senso della bellezza; egli ritrae il vero dalla natura, ma lo fa senza mai cadere nel volgare o nel goffo; le teste dei suoi personaggi esprimono la nobilità e la fierezza tutta propria della sua indole. Avviene così ch'egli, pur essendo inspirato dall’ arte del Van Dyck e del Velasquez, rimane siciliano in ogni atteggiamento, in ogni fisonomia delle sue figure.

Oltre che artista tenace e produttivo, egli fu uomo d'ingegno straordinario. Coltivò l’arte dell’ incisione, e nelle feste solenni di Palermo egli era chiamato a dare disegni di archi trionfali e di altre opere sontuose e di grande effetto !). La carica ottenuta d'ingegnere della R. Corte dimostra com’ egli dovesse essere conosciuto per la sua abilità nell’ architettura militare. Ma la sua fama è legata principalmente alla sua qualità di pittore, ed oggi la critica deve rendergli meritata giustizia per aver saputo, in un tempo di sdolcinature e di infiacchimento arcadico, saputo elevare l'arte a nobile altezza.

OPERE DEL MONREALESE QUADRI

Palermo. Collez. Scalea. Bambino fra Santi.

Palermo. Museo Nazionale (N. 1). La morte del Giusto.

Palermo. Museo Nazionale (N.110). La Ver- gine col Bambino fra S. Giovan Battista e S. Rosalia (dall'Oratorio del Ponticello).

Palermo. Museo Nazionale (N. 449). ritratto (?)

Palermo. Museo Nazionale (N. 1028). S. Casi- miro re adorante la Vergine.

Palermo. Museo Nazionale (N. 337). La Ver- gine, il Bambino e S. Anna.

La Vergine col

Auto-

Palermo. Museo Nazionale (N. 1023). S.Andrea.

Palermo. Museo Nazionale (N. 450). L'An- nunciazione (da S. Martino delle Scale). Palermo. Museo Nazionale (N. 144). Mose.

Palermo. Museo Nazionale (N. 1022). S. Pietro Martire.

Palermo. Museo Nazionale (N. 114). S. Pietro liberato dall’ Angelo.

Palermo. Museo Nazionale (N. 112). La Co- munione di S. Maria Egiziaca (da S. Domenico).

9 V. Matranga, a. c. in L'Arte, p. 448.

Palermo. Duomo. S. Ignazio e S. Francesco Saverio dinanzi alla Vergine.

Palermo. Duomo. S. Francesco di Paola. Palermo. Oratorio del Rosario

in S: Domenico | La Pentecoste.

Palermo. Chiesa del Carmine. S. Andrea Corsini.

Palermo. Casa Professa. I Santi Eremiti nel deserto.

Palermo. Casa Professa. S. Filippo d’Argiro.

Palermo. Chiesa di S. Antonio. Il Santo Titolare.

Palermo. Chiesa diS. Giuseppe. S. Gaetano.

Palermo. Chiesa di S. Maria degli Angeli.

S. Pietro d'Alcantara.

Palermo. Chiesa di S. Matteo. Lo Sposalizio di Maria Vergine.

Monreale-Monastero dei Benedettini. S.Bene- detto che distribuisce i pani.

S. Martino delle Scale. S. Benedetto.

S. Martino delle Scale. La Vergine col Bambino fra S. Benedetto e S. Scolastica.

Piana dei Greci. Chiesa di S. Antonio. S. Antonio. Alcamo.

Chiesa del Salvatore. S. Teresa.

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Alcamo. Chiesa diS. Oliva. Il sacrificio della Messa.

Alcamo. Chiesa di S. Francesco di Paola.

S. Benedetto. Vicari. Chiesa Madre. S. Rosalia.

Catania. Museo Benedettini. S. Cristoforo. Ragusa Inferiore. Collez. municipale. L’Assunta.

Ragusa. Inferiore. Collez. municipale. S. Pietro e S. Agata.

Ragusa. Inferiore. Collez. municipale. Il mar- tirio di S. Agnese.

Napoli. Museo Nazionale. Giuditta e Oloferne.

Napoli. Museo Nazionale. La Trinita.

Roma. Galleria Colonna. N.2 ritratti. Mar- cantonio III Colonna e Isabella Gioeni.

Roma. R. Galleria Corsini. S. Giacomo. Dalla collezione Tesorone.

AFFRESCHI

Palermo. Cappella di S. Anna in Casa Pro- fessa. La cupola.

Palermo. Oratorio del Rosario in S. Domenico. Nella volta: Incoronazione della Vergine.

Palermo. Chiesa di S. Francesco dei Chiodai.

Nella volta: Avanzi della decorazione figurata rappresentante fatti della vita di S. Francesco di Assisi.

Palermo. Chiesa di S. Maria del Cancelliere. Nel Cappellone: Episodi della vita di S. Bene- detto.

Palermo. Palazzo Reale. Sale del Parla- mento.

Palermo. Palazzo Reale. Cappelletta dei Vicerè. Episodi della vita di S. Francesco di Assisi e di S. Antonio.

Palermo. Badia Nuova. Decorazione della volta. (Attribuzione discutibile.)

Palermo. Museo Nazionale. Frammenti (N. 194—196) del grande affresco „Il Paradiso“ nell’ antico Ospedale.

Palermo. Museo Nazionale. Frammenti da una Cappella in S. Giovanni degli Eremiti.

S. Martino delle Scale. Refettorio. Nella volta: Daniele nella fossa dei Leoni.

Bagheria. Villa principi Valdina.

Piana dei Greci. Chiesa di S. Demetrio Cappellone.

Piana dei Greci. Chiesa dell’ ex convento. dei Cappuccini. L’Annunciazione.

Ein Steinrelief des Hans Schwarz im Germanischen

Museum zu Niirnberg Von Wilhelm Vöge

Das Relief der ,Madonna mit dem Cherub“ (Abb. 1), das ich Hans Schwarz zuweisen möchte, ist von kleinen, fast winzigen Abmessungen (H. 11, Br. 6,25 cm); die Abbildung gibt es etwas vergrößert; es hat gelitten, von Feuchtigkeit und anderen Unbilden; doch zeigte seine Oberfläche wohl von vornherein gewisse Unebenheiten; denn der poröse Kalkstein hat kleine kornartige Einsprerfgungen; er war nicht aus- gesucht. Zwar, ein Moderner würde gerade nach ihm gegriffen haben, und man könnte selbst denken, daß auch Schwarz die kleinen Tupfen nicht als störend empfunden habe. Ihm war gewiß auch als Menschen das Glatte zuwider. „Er kennt den Reiz des un- berührten Gusses, ein da und dort stehen- gebliebener Gußfehler verschlägt ihm wenig. Bisweilen beläßt er selbst die Gußhaut, den Eindruck des Impressio- nistischen betonend“, bemerkt Habich zu seinen Medaillen.

Wie Habich, der feinfühlige Inter- pret des Schwarzschen Œuvres gesagt hat’), wurzelt des Meisters Medaillenstil in der Plastik, im Schnitzen und Kerben. Allerdings kann man die selbständigen plastischen Arbeiten desselben fast an den Fingern einer Hand aufzählen; es sind, Reliefs in Holz, alle von kleinerem Maßstab. Das einzige, dem Meister bis- her zugewiesene Steinrelief, ein Brust- bild Kaiser Maximilians im Wiener Hof- museum, will Habich (a. a. O. S. 42f,) anscheinend nur als Werkstatt gelten lassen.

Doch Schwarz hat sicher in Stein gearbeitet; er würde sonst nicht auf

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') Studien zur deutschen Renaissance- Abb. 1. HANS SCHWARZ. Die Madonna mit medaille II, Jahrbuch der k. preuB. Kunstss. dem Cherub O

XXVII, S. 30 ff. O Nürnberg, Germanisches Museum

394 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Abb. 2. HANS SCHWARZ. Anna selbdritt D Berlin, Kaiser Friedrih-Museum

Holbeins d. A. beiden Porträtzeichnungen im Berliner Kabinett „Hanz Schwartz der Steinmetz“ genannt werden’).

Das Nürnberger Relief ist zwar ohne Signatur, doch legitimiert es sich aus- reichend durch Erfindung und Formensprache. Schon der kleine verkürzte Tellernimbus mit dem Strahlenradchen erinnert auffallend an den des Christkinds auf dem Berliner Medaillon mit der Anna selbdritt im Kaiser Friedrih-Museum (Abb. 2).

Schwarz liebt die kleinen perspektivischen Hülfen, die der Raumillusion, wie der plastischen dienen. Dahin gehören auch die verkürzt gegebenen Cherubsköpfe zu Füßen der Madonna wie unter der Annengruppe; die verkürzte rechte Hand der Anna, wie die der Madonna in Nürnberg und die Art, wie sie den Knaben faßt.

Sehr ähnlih sind auch die schlanken Kurven der Mantelfalten bei beiden Gestalten, ihr Übereinanderlaufen, Sichüberkreisen; für gewisse straffere Linien unten am Gewande der Madonna mag man das Medaillon bei Figdor vergleichen (Abb. 3); dem fröhlichen Wellengang der dünnen langen Lockensträhne, die sich unten einrollen, wieder auf dem Berliner Medaillon verfolgen. Das merkwürdige Relief bei Figdor, dessen photographishe Aufnahme ich der Güte des Besitzers verdanke, bringe ich hier vor allem wegen des Mädchenkopfes ganz rechts °.)

1) Die Inschrift rührt auf dem einen Blatt, das den Künstler „als einen dem Knabenalter noch nahestehenden Jüngling“ zeigt, wie auch Habich annimmt, wahrscheinlich von Holbein selbst her. *) Wo das Relief der Beweinung Christi, das 1886 bei Lempertz in Köln für 12000 M.

W. Voge. Ein Steinrelief d. Hans Schwarz im Germanischen Museum zu Nürnberg 395

Sein volles, zusammengedrüctes, fast kantiges Oval mit dem breiten Kinn, dem gekniffenen Mund (dessen Winkel sich nach oben ziehen), das Näschen, die winzigen Augen, deren fette Lider den Blick kaum durchschlüpfen lassen, alles erinnert an das Gesicht der Nürnberger Madonna.

Die Rahmung des Nürnberger Täfelchens endlich bietet ähnliche Motive, wie die Schwarzsche Grablegung von 1516, früher bei Felix, so die Bogenlaibung, die sich über den Kämpfern perspektivish zusammenzieht, so die in einer geriefelten Hülse sitzenden Pilasterkapitelle, die unten breit aufsitzende, spitz zugeschnittene Blätter verkleiden.

Arbeiten von Hans Schwarz möchte man auch unter den deutschen ‘Plaketten vermuten; doch gibt es nur wenige, die man als augsburgisch ansprechen kann, zumal aus dieser Zeit; denn das meiste ist späteren Datums. Der Augsburger Frührenaissance möchte ich die „Madonna mit sechs Engeln“ zurechnen (Molinier, Les plaquettes, Nr. 690), nächst den Vischerschen Orpheusplaketten die schönste deutsche Plakette überhaupt, ein erfrischendes Werk, unter so vielen Erborgtem. Idı nenne es augs- burgisch gerade um seiner Verwandtschaft mit den Schwarz’schen Arbeiten willen. Doch glaube ich nicht, daß man weiter gehen und diese Tafel ihm selbst zuschreiben soll.

versteigert wurde (P. v. Eye und P. E. Börner, die Kunstsammlung von E. Felix, Leipzig 1880, Taf. XVIII) sich jetzt befindet?

Abb. 3. HANS SCHWARZ. Der Jüngling und

die drei Frauen O O Wien, Sammlung Figdor

A Connecting-Link between Tiepolo > and the Guardi Family +

By George A. Simonson

In a back-number of th e Burlington Magazine (July, 1907). I briefly referred to a discovery which I then had the good fortune to make, of a black and white study by Giambattista Tiepolo, which derives a peculiar interest from the fact that there is affixed to it a contemporary inscription, in the writing of one of the Guardis from Mastellina (Val di Sole, Trentino). Though the inscription upon this drawing of Tiepolo who, I may be permitted to recall the fact, became the brother-in-law of the celebrated Venetian landscape-painter Francesco Guardi, by marrying his sister Cecilia, does not enlighten us on the effect of this interesting family alliance upon the personal relations subsisting between these two masters, it would seem to allow the inference that Tiepolo was on an intimate footing with a kinsman of Guardi. Such a document, however slight the incident may be which it chronicles, deserves, I venture to think, to be preserved, more especially when it is no longer within reach of the art student.

The drawing of Tiepolo in question is now in the possession of Miss Sarah Cooper Hewitt of New York, who, by kindly placing at my disposal a photograph of it, enables me to reproduce it. It is commonly said that when works of art stray to the New World, their return to our hemisphere is very rare. When, like Tiepolo's study, they have historical as well as artistic claims to our attention, it seems more than ever desirable to take time by the forelock, whenever feasible, and to keep photographic records of them, lest they be completely lost sight of on the other side of the Atlantic. This is an additional reason for rescuing from oblivion the subject which we reproduce.

Though it is primarily with the endorsement upon Tiepolo's study that we are here concerned, a few remarks concerning its theme and intrinsic merits may not be out of place. The reader who scans it, will hardly fail to recognise in its main- d'œuvre a good example of Tiepolo's finished sepia drawings, heightened with white. Tiepolo has frequently represented cognate allegorical subjects in his fresco paintings and it may be that the composition which we are discussing, was a preparation for adorning the ceiling of some Venetian palace. The subject represented in it, which exhibits his usual creative imagination and bold execution, seems to have been utilised by Tiepolo more than once, as M. Henry de Chennevrières, the author of ,Les Tiepolo“, describes another composition exactly corresponding to that of the annexed repro- duction. „Au centre de nuages égayés de petits génies“, he writes'), „Venus remet Cupidon entre les mains du vieux Temps, tout surpris de ce dépôt“. In the Bischoffsheim

1) See M. Henry de Chennevrières-Les Tiepolo, (Les Artistes célèbres) Paris, 1896 (commencement of page 20).

George A. Simonson. A Connecting-Link between Tiepolo and the Guardi Family 397

collection in London, I may add, there is a large fresco painting, also by Tiepolo to which the above description applies.

Besides Venus and Time, with the putto in his arms, there are several other figures visible in Tiepolo's drawing and the overcrowding of the picture with them seems to furnish a sufficient clue for supposing that it is an early work of the painter. There is, however, only internal evidence to settle this question by.

I will now pass on to the inscription, which is inserted in the blank part of the drawing, to be more precise, in the extreme left-hand top corner of it. As un- fortunately the process of reproduction on a much reduced scale has, if not effaced, rendered the text hard to read, I transcribe it in full for the convenience of the reader. It runs as follows:

Lo fece il Tiepolo e me lo dono Juseppino Guardi.

This inscription may have been added when Giuseppe Guardi parted with the study, aS a guarantee of authenticity, or because he felt proud of owning a work by the great master. Already in 1719, it may be observed, when Tiepolo married Cecilia, he was a promising artist. Concerning Giuseppe Guardi we have but little information. From the genealogical tree of his family!) we learn that he was a contemporary of Francesco Guardi's father (Domenico).

1) See the authors monograph on Francesco Guardi. (Methuen & Co., London). Appendix I.

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I will complete this discussion by stating the provenance of the drawing of Tiepolo. Its former owner was the Spanish artist Raimondo de Madrazo, whose grandfather was an intimate friend of Goya, and whose family possessed drawings by Tiepolo and Guardi as well as by Goya. One of the drawings of this collection (it has now passed into other hands) is a fascinating landscape by Guardi, enclosed in black and white arabesque work, which almost betrays Tiepolesque influence.

Postscriptum. I take this opportunity of bringing to the notice of your readers an important new work on G. B. Tiepolo, just published, which cannot fail to be of deep interest, as its author is the eminent historian of Venice, Sig. Pompeo Molmenti, to whose fruitful collaboration with the late Dr. Gustav Ludwig the world already owes the standard book on Carpaccio.

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STUDIEN UND FORSCHUNGEN

DER MODELLKOPF VON DER HAND MICHELANGELOS IM BESITZE DES PIETRO ARETINO

In der Sammlung von Briefen des Pietro Aretino (Lettere. Parigi. 1609. Vol. II, S. 40 f.) befindet sich auch ein solcher an Vasari!), in dem der Autor von einem Tonkopfe spricht, von der Hand Michelangelos, den ihm der Herzog Alessandro geschenkt hatte. Er preist ihn mit Ausdrücken höchster Bewunderung: „Wie ich beim Öffnen des Kistchens, das mir durch die Giunti geschikt wurde, den Kopf eines der Schutzheiligen des ruhmvollen Hauses der Medici erblickte, war ich vor Staunen eine Weile reglos. Wie ist es nur môglich, daß Seine Exzellenz der Herzog Alessandro, um einem seiner Diener eine Freundlichkeit zu erweisen, sich dazu ver- stehen konnte sich seiner zu berauben? Ich habe Scheu das Werk zu betrachten, zu loben, so ehrwürdig und wunderbar ist es: was für ein Bart, was für Haarlocken, wie ist die Stirn geformt, was für Augenbrauen und was für Augenhöhlen, wie ist das Ohr gemacht, weldi Nasenprofil und welch Schnitt des Mundes! Man kann gar nicht sagen, wie er den Ausdruck faßt, der dem Kopf das Leben gibt; man kann sich nicht denken, worin es liegt, daB er zu blicken, zu schweigen und zu hören scheine; man sieht die Ehrwürdigkeit des sakrosanten Alters über seine Züge gegossen und dodh ist es nichts als Ton, vom kundigen Finger in wenigen Zügen geformt.“

Grimm (Michelangelo. 4. Aufl. Vol. II, pag. 499) hat zuerst auf diesen Brief aufmerksam gemadht, da er aber den Passus „uno de gli avocati della gloriosa casa dei Medici“ mißverstand, indem er meinte es müsse sih um ein Mitglied der Familie Medici handeln, während die „avocati“ die Schutzheiligen des Hauses sind, kam er zu keinem Resultat. In dem Briefe wird der Bart bewundert; sollte der bärtige Papst Clemens dargestellt gewesen sein? Jedenfalls wäre dies das einzige Porträt gewesen, daß Michelangelo gemacht hätte. Schließlich zieht Grimm die Mög- lichkeit in Erwägung, daß es sich gar nicht um ein Werk Michelangelos, sondern um eine der

1) Der Brief Aretinos ist vom 15. Juli 1558 datiert; das Datum ist sicher falsch, worauf Grimm und Frey hin- gewiesen haben, und wahrscheinlich unachtsam für die Drucklegung eingefügt worden; denn Herzog Alessandro, auf den der Inhalt offenbar berechnet ist, war schon am 5..6. Januar 1537 ermordet worden.

Büsten Alfonso Lombardis handelte, die Vasari in Rom gekauft hatte. Man möchte Aretino so- viel Verständnis zutrauen, daß er die nüchternen Schöpfungen Lombardis nicht mit einem solchen Enthusiasmus gepriesen hätte.

Karl Frey (Quellen und Forschungen. I. S. 21) kommt auf diesen Brief ebenfalls zu sprechen. Er erkennt, daB es sich nur um den Kopf eines hl. Cosmas’ oder Damians handeln könne; da er aber als feststehend annimmt, daB Michel- angelo „allenfalls Wachsmodelle in kleinem MaB- stabe bosselte, nicht aber Tonabozzi“, so nimmt er den als Originalarbeit des Michelangelo dem Aretino gesandten Kopf für eine Kopie oder einen AbguB, den etwa Tribolo gefertigt haben mag.

Nun können wir aber aus einer Aussage Vasaris deutlicher sehen, was es für eine Be- wandtnis mit diesem Kopfe hatte. Im Leben Michelangelos (VII, S. 203) erzählt er, der Meister habe bei seinem Fortgange von Florenz den Bild- hauern, welche die noch zu fertigenden Statuen ausführen sollten, Tonmodelle gefertigt; an an- derer Stelle spricht er sich etwas genauer über die Arbeitsteilung bei einer der Heiligen-Figuren aus. Montassali erhielt den hl. Cosmas in Auftrag: „Der Frate ging mit größtem Eifer ans Werk und machte ein großes Modell jener Figur, das in vielen Teilen von Buonaroti überarbeitet wurde, ja Michelangelo bildete mit eigener Hand den Kopf und die Arme aus Ton, und diese werden heute von Vasari in Arezzo als An- denken an einen so groBen Mann aufbewahrt und zu seinen teuersten Schätzen gerechnet“. (VI, pag. 634).

Diese Darstellung wird man durchaus als glaubwürdig ansehen müssen; man wird auch nicht einwerfen können, daß Vasari den Kopf des hl. Cosmas als eigenhändige Arbeit des Meisters bezeichnet, weil er ihn besitzt. Er wird seinen Besitz erstrebt haben, weil er eben eine eigenhändige Schöpfung Michelangelos war. Wir wissen also, daß der Kopf des einen „avocato“ der Medici von Michelangelo eigen- händig ausgeführt war und in den Besitz Vasaris kam. Beim Modelle des hl. Damian, den Raffaello da Montelupo ausführte, wird Michelangelo in analoger Weise, wie beim Cosmas verfahren sein, und der von ihm modellierte Kopf des Modells zum hl. Damian ist eben der „Kopf eines der Schutzheiligen des Hauses Medici“ den Aretino

empfing. Adolf Gottschewski.

Monatshefte für Kunstwissenscm aft

Meister des sterbenden Cato, Jesus unter den Schriftgelehrten O Museum in Worcester (U. S. A.)

NOCHMALS DER MEISTER DES STERBENDEN CATO

Eine Nottaufe bei einem Meister des iiber- lieferungsreichen italienischen Seicento dieser Vorgang ist bisher ohne Präzedenz gewesen. Vor einigen Monaten war ich so kühn, in die- ser Zeitschrift einem Künstler aus dem Sci- cento den Notnamen „des sterbenden Cato“ beizulegen, ohne in das rein stilkritisch kon- struierte Gebäude mehr als vier Gemälde mit Sicherheit einfügen zu können.

Das wichtige und interessante Bild, mit dem ih heute das Oeuvre des Malers bereichern möchte, habe ich, wie voraus bemerkt sei, im Original nicht gesehen; es befindet sihim Museum zu Worcester (U.S. A.) und ward vor nicht langer Zeit in Europa erworben. DaB aber eine Arbeit des Catomeisters vorliegt, läßt sich nach der mir durch die Güte Dr.W.Valentiners übermittelten guten Photographie bestimmt behaupten, wie denn auch schon die äußerliche, durch den Stoff

bedingte Ähnlichkeit mit dem Münchner Gemälde so unmittelbar in die Augen fällt, daß sie auch von den Händlern bemerkt wurde, die das Bild nach Amerika gebracht haben.

In der Tat scheint das Gemälde in Worcester nichts als eineinsBreitformatübertrageneVariante des Münchner Exemplares zu sein. Bei der Figur des jugendlichen Jesus begonnen, die in beiden Darstellungen wenig abweicht, bis zu den meist kurz anliegenden Bärten, den gestikulierenden Händen, den Füßen und Beinbekleidungen der Schriftgelehrten ist der Stil beider Bilder lacher- lich übereinstimmend. Einzelne Typen verraten geradezu, daB dasselbe Modell für sie benutzt wurde, selbst zu den Büchern, mit denen sie dispu- tieren, scheinen dieselben Atelierrequisiten ver- wandt zu sein. Der linkssitzende Mann in Wor- cester entspricht fast vollständig demSchriftgelehr- ten rechts auf dem Münchner Exemplar. Auch die malerischen Eigentümlichkeiten, die Art der Schatten, das Verschwinden der Köpfe im Halb- dunkel, ist von ganz verwandter Art.

E. Bock. Zeichnungen von Hans von Kulmbadı für ein

Kompositionell erinnert das Breitbild mit der etwas wirren Anordnung der Köpfe stärker an ein anderes Werk des gleichen Malers: die Hei- lung des blinden Vaters des Tobias in Catania. Auch sonst herrscht mit dem letzteren Bilde eine weitgehende Übereinstimmung, die einen neuen Beweis für die Zusammengehörigkeit dieser Gemälde bildet.

In einem tieferen Sinne ist der „Zwölfjährige Jesus“ von Worcester wohl keine große Bereicherung der Vorstellung, die wir von dem inter- essanten Meister bisher hatten. Die Münchner Variante ist ohne Zweifel kompositionell und dem Ausdrucke nach glücklicher; die Cataneser Bilder haben ebenfalls vor dem aus Europa entführten Schatze in Worcester ihre Vorzüge. Der Hauptmangel des Mei- sters, sein Kleben am Modell, macht sih nirgends so fühlbar wie gerade in dem neu hinzugekommenen Bilde, so sehr uns dieses als „Probe aufs Exempel“ und der Seltenheit des Meisters wegen willkommen ist.

Hermann Voss.

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ZEICHNUNGEN VON HANS VON KULMBACH FÜR EIN KAISERFENSTER

Unter den Kulmbach-Zeichnungen des Berliner Kupferstichkabinetts, die durch neuere Ankäufe und Zuweisungen auf eine beträchtlihe Zahl gestiegen sind, befinden sich drei Blätter, die eine besondere kunstgeschichtlihe Be- deutung zu haben scheinen. Es sind drei zum Teil aquarellierte Feder- zeichnungen, auf denen Wappenhalter und Heilige dargestellt sind, einzeln unter Ar- kaden aus großblättrigen Ranken stehend, wie sie von Kulmbachs Gemälden bekannt sind. Ich gebe eine kurze Beschreibung:

1. Oben links: ein Orientale mit dem Wappen von Granada, rechts: die heilige Elisabeth.

Unten links: ein Landsknecht mit dem Wappen von Slavonien, rechts ein anderer mit dem vom Elsaß. Größe: 225:125 mm; Inv.-Nr. 4278.

2. Oben links: die heilige Walpurgis, rechts: ein Orientale mit dem Wappen von Kärnten. Unten links: ein Landsknecht mit dem Wappen von Burgund, rechts ein anderer mit dem von

gelehrten O

Kaiserfenster 401

Krain. GròBe 225:125 mm; Inv.-Nr. 4279 (siehe die Abbildung).

3. Oben links: ein Engel mit dem Wappen von Steiermark, rechts ein Heiliger mit könig- lihen Attributen.

Unten links: eine Frau in einer großen Haube

Meister des sterbenden Cato, Jesus unter den Schrift-

München, Altere Pinakothek

mit dem Wappen von Dalmatien, rechts der heilige Ulrih oder Arnulf (Bischof mit einem Fisch als Attribut). Größe 224:125 mm; Inv.- Nr. 4280.

Der Zusammenhang der Blätter besteht darin, daB es sidi um Wappen der kaiserlichen Erb- lande und um Heilige des Hauses Habsburg handelt. Wir müssen also auf einen Auftrag des Kaisers Max schließen.

1514 gab Maximlian dem Rat von Nürnberg den Auftrag, dasKaiserfenster imChor vonSt.Se- bald zu erneuern, und gleich darauf stiftete Mark- graf Friedrich von Brandenburg-Bayreuth eben- falls ein Chorfenster dorthin. Beide wurden im | 29

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Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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E. Bock. Zeichnungen von Hans von Kulmbach für ein Kaiserfenster

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Lauf des folgenden Jahrzehnts von dem Glas- maler Veit Hirschvogel ausgeführt und sind an der ursprünglichen Stelle erhalten. Auf beiden sind, umgeben von ihren Wappen, paarweise die Stifter mit Angehörigen und Vorfahren dar- gestellt; über ihnen Schutzheilige. Anordnug und Ausführung lassen einen nahen Zusammen- hang der Fenster auch im Entwurf vermuten. Nun ist Kulmbachs Gesamtskizze zum Mark- grafenfenster bekannt. Sie befindet sich im Dresdner Kupferstichkabinett !). Dagegen ist der Urheber des Maximilianfensters nicht mit Sicher- heit festgestellt, und ich möchte die Vermutung aussprechen, daB unsere drei Kulmbach-Zeich- nungen Studien für dasselbe darstellen, die bei der Ausführung nicht verwendet worden sind. Ich wüßte auch keinen anderen kaiserlichen Auf- trag, der in Betracht kommen könnte. Es er- geben sich dann zwei Möglichkeiten. Entweder

1) Woermann, Handzeichnungen alter Meister im königlichen Kupferstichkabinett zu Dresden, 1896, Mappe Il, Tafel 7.

ist Kulmbach nach diesen ersten Versuchen selb- ständig zu der endgültigen Fassung gelangt, bei der die Wappen nur einen einfassenden Schmuck für die Stifter und Heiligen bilden, und hat für das Markgrafenfenster dieselbe Idee bei- behalten, oder aber die großzügige Lösung des früheren Auftrages ist auf einen Anderen, Größe- ren zurückzuführen. Dürers Name ist längst mit dem Maximiliansfenster in Verbindung gebracht worden '), und die gemeinsame Arbeit beider hätte auch bei diesem späten Datum nichts Unglaubhaftes. Noch lange, nachdem Kulmbach selbständig geworden war, hat ja Dürer den Freund unterstützt. Gerade das Berliner Kupfer- stikabinett hat die bekannten Belege dafür. Wie Kulmbachs Tucheraltar auf Dürers Kom- positionsskizze von 1511 zurückgeht, so liegt der groBen ,Laurea“-Zeidinung Kulmbachs für den Triumphzug des Kaisers Max von 1518, nach- weislich ein Auftrag an Dürer zugrunde. Elfried Bod.

1) Thausing, Dürer. 2. Aufl. (1884), II. pag. 120.

REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT

Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, Liebigstraße 2.

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Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. Agent exclusif pour la France: FREDERIC GITTLER, editeur, Paris, 2 rue Bonaparte.

Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig

bei über das Werk des HERZOGS ADOLF FRIEDRICH ZU MECKLENBURG: „INS

INNERSTE AFRIKA“. Das interessante Werk über die hervorragende Forschungsreise

eines deutschen Fürsten dürfte auch bei den Lesern der „Monatshefte für Kunst- wissenschaft“ lebhaften Interesse begegnen.

Abonnements - Einladung

auf die in der Herderschen Verlagshandlung zu Freiburg i. Br. erscheinende 7 s für christliche Altertumskunde und Römische Quartalschri für Kirchengeschidite. Unter Mit- wirkung von Fachgenossen herausgegeben von Dr. A. de Waal, Rektor des Kollegiums

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einnimmt, ist die Zeitschrift ein Dokument für die Kunstweise des Mittelalters überhaupt, das weit melır als lokales Interesse beanspruchen darf.“ (Kunst für Alle, 1908, Heft 2.)

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Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2

Heft 9

Die Bildnisse des Piero Carnesecchi Von Emil Schaeffer

I.

Ein grauer Januartag im Vatikan. Durch hohe Gänge eilen verängsteten An- gesichtes die Kleriker in den Saal vor dem päpstlichen Gemache, wo sie mit aufgeregter Ungeduld der Arzte harren. Es stehe schlecht, sagen die, sehr schlecht um den siebenten Clemens. Als er den heiligen drei Kénigen zu Ehren die Messe celebrierte, habe ihm die feuchte Kirchenkühle ein hitziges Fieber gebracht und wenn die Lungen davon ergriffen würden, so . . . . ein Achselzucken vollendet den Satz... Flüsternd drängen sih die Cardinale um das Bett des leidenden Völkerhirten, und während die ihm Nächsten mühsam ihre Tränen zurückhalten, sinnen andere schon über den Namen jenes Glücklichen, auf dessen Haupte binnen kurzer Frist die dreifache Krone schimmern sollte. Auch das Denken des Kranken ging ähnliche Pfade und härtere Pein als das Fieber schuf ihm die Vorstellung, daß nach seinem Tode keiner vom Geschlechte des Magnifico dem heiligen Kollegium angehören, im nächsten Conclave kein Cardinal de’ Medici sitzen würde. Das aber sollte nicht sein! Darum ließ der Papst seinen Neffen Ippolito nach Rom entbieten und drückte auf das widerstrebende Haupt des Jünglings, der von den Küssen der schönen Giulia Gonzaga und dem Titel eines Herzogs von Florenz träumte, das Barett eines Cardinals der römischen Kirche. Clemens gesundete wieder; Ippolito jedoch, der „närrische Teufel“ '), wie seine Heiligkeit ihren Liebling nannte, durfte das verhaßte Purpurgewand nicht mehr abstreifen.

Ungefähr fünfundzwanzig Jahre später hat Giorgio Vasari in einem Deckenfresco der „sala di Clemente VII.“ des Palazzo della Signoria zu Florenz diese ungewöhn- liche Creierung eines Cardinals geschildert und in den „Ragionamenti“, jenen endlosen Dialogen zwischen „messer Giorgio e Principe“, die das gemalte Ruhmes-Epos der Familie Medici erläutern, die Scene auch mit hinreichender Ausführlichkeit beschrieben. Seinem Gebieter, dem Herzog Cosimo, dem er die Höflinge nennen will, die damals um den Papst waren, sind all’ diese Männer aber wohlbekannt, sofort erinnert er sich vor den Bildnissen ihrer Namen, und fordert nur über das Porträt eines Jünglings Auskunft, der, kaum dem Knabenalter entwachsen, sich freilich sonderbar genug in

1) S. Pastor, Geschichte der Päpste. Freiburg i. Br. 1907. Bd. IV. 2. Teil, p. 543. 30

406 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

dieser Versammlung der Graubärte ausnimmt. „Es ist Messer Piero Carnesecchi, der. voreinstens Sekretär des Papstes war“ bedeutet Vasari, den Fragenden „damals, in seiner Jugend wurde er gemalt und ich habe jenes Bildnis für meine Arbeit benutzt“ 1)... Wie Cosimo diese Erklärung aufnahm, hat uns Vasari leider nicht über- liefert. Vielleicht, daß er seinem Giorgio einen Schritt vom Wege des getreuen Chronisten verziehen und auf das Porträt Messer Pieros in dieser Umgebung gern verzichtet hätte; vielleicht aber blickte er auch nachdenklich zu dem gemmenhaft feingeschnittenem Jünglingsantlitz empor und sann mit ernstem Lächeln den seltsam verschlungenen . Wegen nach, auf denen das Schicksal die Menschen ihrer Bestimmung zuführt. Denn Piero Carnesecchi, dieser Florentiner aus edelstem Geblüt, den Papst Clemens unter seiner Gnaden Fülle schier erdrückt, den er zum Tischgenossen und zum vertrautesten Freunde erhoben, den er endlich mit dem eigenen Namen beschenkt hatte, so daß er nunmehr Pietro Medici de’ Carnesecchi hieß, er stand, als Vasari die Fresken der sala di Clemente VII. malte, bei vielen gut katholischen Christen im Geruche arger Ketzerei, und wehe dem Prälaten, dem es beigekommen wäre, mit freundlichen Worten im Vatikan seiner zu gedenken. Und doch hatten dort, so lange Clemens herrschte, die ältesten Würdenträger um sein, des Jüngsten Wohlwollen geworben, dem alle Welt eine Zukunft voll Macht und Herrlichkeit prophezeite Als ihm jedoch anno 1534 der Tod seinen Gönner Clemens raubte, begab sich der kaum sechsundzwanzigjährige Piero sofort aller Politik und zog, Freunde und Feinde in Erstaunen setzend, die ämterlose Behag- lichkeit eines stillen Gelehrtendaseins dem nervenaufreibenden Wettstreit um die Gunst des neuen Papstes vor. Schüchternen Wesens und lärmendem Prunk abhold, kostete es ihn keinen Kampf, von Rang und Einfluß Abschied zu nehmen. Er wandte sich zuerst nach seiner Heimat Florenz, wo ihm der Vater noch lebte, und späterhin nach Neapel; dort wurde er bald ein werktätiges Mitglied jener in Rom mehr als unbeliebten Gruppe von Reformkatholiken, die in Juan de Valdes ihr Haupt verehrte und zu der, neben ihrer Schwägerin Vittoria Colonna, auch jene von Ippolito de’ Medici einstens hoffnungslos umworbene Giulia Gonzaga gehörte, mit der Piero bald eine mònchisch- unsinnliche, allem Begehren entrückte Liebe verband. Wieder in Florenz, ließ er sich von Bernardino Ochino mit Luthers Meinungen vertraut machen, was einem Zu-ihnen- sich-Bekehren ziemlich nahe kam, und da er besorgte, um solcher Studien willen in dem glaubensstrengen Florenz Cosimos I. mißliebig zu werden, übersiedelte er nach Venedig, weil die Serenissima, als einzige der Regierungen Italiens, Fremden gegenüber sich niemals zum Büttel der eben neu organisierten Inquisitation hergab. Die freilich hatte Pieros Tun lange schon wachsamen Blickes verfolgt und bereits im Jahre 1546 wurde ihm eine der Form nach allerdings noch höfliche Aufforderung zugestellt, er möge vor dem heiligen Officium in Rom erscheinen, um über sein Tun und Lassen Rechenschaft abzulegen. Piero gehorchte und nach monatelangem Hin und Her endete die ganze Angelegenheit ohne eigentliche Entscheidung. Gleichwohl schien es Piero ratlich, aus

1) Vasari: „Le vite etc.“ ed. Milanesi. Vol. VIII. p. 167 (Giornata seconda. Ragionamento quarto). P.: „il giovane non la ritrovo.“ V.: „Vostra Eccellenza non s’affatichi, perche è M. Piero Carnesecchi, segretario gia di Clemente, che allora fu ritratto quando era giovanetto, ed io dal ritratto l'ho messo in opera...

E. Schaeffer. Die Bildnisse des Piero Carnesecchi 407

GIORGIO VASARI: Clemens VII. ernennt Ippolito de’ Medici zum Cardinal

O Florenz. Palazzo della Signoria

der engeren Machtsphäre des Vatikans sich freiwillig zu verbannen und für einige Jahre nach Frankreich zu gehen, wo er, am Hofe Caterinas de’ Medici wohl gelitten, auch den angesehensten Hugenotten persönlich näher trat Nach einem Exil von sieben Jahren hoffte er, wieder unangefochten in Venedig leben zu können. Aber Paul IV., der anno 1555 den Thron des heiligen Petrus bestieg, hatte ein gutes Gedächtnis für Häretiker und citierte Piero zu neuerlicher Verantwortung vor seinen Richterstuhl. Solcher Aufregung war die zarte Gelehrtenphysis nicht gewachsen, Piero erkrankte und bat Herzog Cosimo, beim Papste für seine Rechtgläubigkeit einzutreten. Cosimo, über- zeugt von der Unschuld seines Adoptiv-Verwandten, willfahrte ihm gern. „Wenn er uns“ so ließ er dem Papste vermelden „in Fragen der Religion irgendwie ver-

408 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

ANDREA DEL SARTO: Bildnis des Pietro Carnesecchi O Florenz. Palazzo Pitti

dächtig wäre, so würden wir nicht allein nicht zu seinen Gunsten sprechen, sondern selbst seine . Verfolgung in die Hand nehmen, weil wir in solchen Dingen unseren eigenen Söhnen nichts verzeihen täten“ ... Trotzalledem wurde nur eine Vertagung des Prozesses um zwei Monate erreicht, und als der Kranke auch zum neuen Termin sich nicht einfand oder nicht einfinden wollte, wie man im Vatikan argwöhnte, ließ Paul IV. in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln und Piero am 6. April 1559 als einen der Ketzerei Überführten zum Verlust aller ihm von Clemens VII. verliehenen Beneficien, seines Vermögens und zur Auslieferung seiner Person an die weltliche Gewalt ver- urteilen. Da wandte noch einmal, zum letzten Male, ein gnädiges Schicksal das Außerste

E. Schaeffer. Die Bildnisse des Piero Carnesecchi 409

von seinem Haupte. Der vierte Paul erlag der Bürde seiner vierundachtzig Jahre und Cosimo I. erwirkte bei dem neuen Papste, dem vierten Pius, der ohnehin zur Milde gegen Häretiker neigte und in dem Staatssekretär von einstens nur einen unvorsichtigen, aber im Grunde harmlosen Gelehrten erkannte, für Piero die Erlaubnis, sich in Rom per- sönlich rechtfertigen zu dürfen. Wie kaum anders zu erwarten, wurde er dieses Mal ohne Makel befunden und in den Vollgenuß seiner Pfründen wieder eingesetzt. Vier Jahre später aber fand nochmals ein Conclave statt, und als Piero den Namen des zum Pontifex Gewählten erfuhr, hat ihn wohl ein Zittern befallen. Denn Cardinal Michele Ghislieri, der nun Pius V. hieß, hatte im Prozeß unter Paul IV.den verdammenden Spruch wider Pietro Carnesecchi gefällt und mußte ob dessen Aufhebung umso erzürnter gewesen sein, als er für seine Person felsenfest an die ketzerische Gesinnung des Flo- rentiners glaubte. Er sollte diese bald bewiesen haben: In Neapel starb Pieros Freundin Giulia Gon- zaga. Pius, der sofort ihre Papiere sequestieren ließ, fand unter ihnen, was er zu finden hoffte -- eigen- händige Briefe Carnesecchis, die erzählten, wie er Calvinisten zur Flucht vor der Inquisition verholfen und die Fliehenden noch mit Geld unterstützt habe. Piero war noch zu Lebzeiten Giulias nach Florenz zurückgekehrt, weil er sich vor dem Hasse des Papstes nur im Schatten des Medicäer-Thrones geborgen DOMENICO PULIGO: Bildnis des Pietro Carnesecchi wähnte. Ein totbringender Irrtum: o Florenz: Uffizien denn als Fra Tommaso Manriquez

in Florenz erschien und in aller Form des Rechtes von Cosimo I. die Auslieferung Pietro Carnesecchis an das heilige Officium forderte, willfahrte ihm der Herzog. Cosimo unter- handelte nämlich mit dem Papste wegen des Titels eines „Großherzogs von Toscana“, den ihm der heilige Vater als einem getreuen Sohn der Kirche verleihen sollte, und da Pius wußte, wieviel dem Herzog an dieser Auszeichnung gelegen war, so mußte ihn Fra Tommaso in diskreter Form auf die Möglichkeit eines Causal-Zusammen-

410 Monatshefte für Kunstwissenschaft

hanges zwischen der Erfüllung seines Wunsches und dem Gewähren des päpstlichen Anliegens hinweisen. Cosimo, als Medici ein Meister im politischen Schachspiel, zauderte keinen Augenblick, einen Bürger zu opfern, um den Großherzog zu retten. Piero wurde unter sicherer Bedeckung nach Rom gebracht und hier begann jetzt die gräßliche Komödie eines Prozesses, in dem der Kläger auch der Richter und das Urteil vor dem ersten Verhöre schon gefällt ist. Sich selbst wollte Piero entlasten, aber die Namen seiner Schützlinge und Gesinnungsgenossen konnte ihm auch die Folter nicht entreiBen. Zu spät erkannte Cosimo, daß diese Sache nicht, wie er viel- leicht angenommen hatte, zum Scheine geführt wurde, vergebens wandte er sich in zwei eigenhändigen Schreiben zu Gunsten Pieros an den Papst, umsonst traten Gio- vanna d’Austria und der Cardinal von Trient für den Angeschuldigten ein. Pius schwur, lieber wolle er einen zehnfachen Mörder begnadigen als diesen verruchten Ketzer, und so wurde denn am ersten Oktober des Jahres 1567 den Römern ein grausliches Spektakel geboten. Sie sahen, wie Pietro Medici de’ Carnesecchi, den sie voreinstens den eigentlichen Papst geheißen hatten, aus seinem Kerker auf die Engelsbrücke geschleppt wurde, wo ihm der Henker zuerst das Haupt vom Nacken herunterschlug und den Körper sodann am Schandpfahl verbrannte. Es war ein ehrlidier Handel gewesen. Cosimo hatte einen Menschen, dessen letzte Zuflucht er bedeutete, einen Untertan, der des Herzogs eigenen Namen führen durfte, an seine Mörder verkauft und nach einer Anstandsfrist von zwei Jahren erhielt er von Rom die Bezahlung, den Titel eines „Granduca di Toscana“ ... IT.

In den ,ragionamenti“, wo sich Vasari gern als „messer Giorgio“, als den Träger einer goldenen Ritterkette gibt und am liebsten nur von seiner Leistung spricht, hat er den Künstler nicht genannt, dem er die Vorlage für das Fresco-Porträt des Piero Carnesechi verdankte. Als Historiograph des italienischen Kunstschaffens aber hat er auch einem lustigen Freunde und Nachahmer des Andrea del Sarto, dem Domenico Puligo eine Biographie gewidmet, aus der wir erfahren!), daß „von den vielen Bildnissen, die Domenico schuf und die alle vortrefflich und von großer Ahn- lichkeit sind, das Porträt des Monsignore messer Piero Carnesecchi, der damals ein außerordentlich schöner Jüngling war, ihm am vorziiglichsten geriet“. Dieses Hauptwerk Puligos nun, das einzige zum mindesten von seinen „vielen Bildnissen“, dessen Modell Vasari nennt, gilt als verschollen. Mit Unrecht. Es hängt als „Porträt eines Unbekannten“ in den Uffizien zu Florenz, und so bietet sich denn die Möglichkeit, eine Künstler- Persönlichkeit zu rekonstruieren, die uns bisher, da wir keine authentischen Bildnisse von Puligos Hand besaßen, nur ein Begriff war, eine Gesamtbezeichnung für alle Porträts aus dem ersten Drittel des florentiner Cinquecento, in denen die Art des Andrea del Sarto mit größerem oder geringerem Talent nachgeahmt schien °). Und

1) Vasari: vol. IV. p. 465 (vita di Domenico Puligo): „Fra molti ritratti che Domenico fece di naturale, che tutti sono belli e molto somigliano, quello è bellissimo che fece di Monsignore messer Piero Carnesecchi, allora bellissimo giovinetto“.

* Auch das Bildnis Carnesecchis gelangte auf diese Weise, als man in den florentiner Galerien vor wenigen Wochen einige Porträts aus der Schule des Andrea auf den Namen

E. Schaeffer. Die Bildnisse des Piero Carnesecchi 411

diese Aufstellung seines CEuvre diirfte um so leichter gelingen, als Puligo, obschon ein Schiller des Ridolfo Ghirlandajo, zeitlebens nur an einer einzigen, der sartesken Malweise festhielt 1). Daß im Bildnis der Uffizien aber wirklich der Giinstling Clemens VII. dargestellt ist, lehrt auch ein flüchtiger Blick auf jenen Jüngling im Fresco des Palazzo della Signoria, den uns Vasari ausdrücklich als Piero Carnesecchi vorstellt. Mehr noch, Puligos Porträt war ganz gewiß seine Vorlage: denn die Stellung des Hauptes mit dem matten, doch etwas zum Rötlichen neigenden Blond der Haare haben beide Bildnisse mit einander gemein, ebenso das dunkle Barett und das schwarze Untergewand; auch dessen violetter Überwurf kehrt im Fresco wieder, nur hat ihn Vasari, wahrscheinlich, um in die düstere Farbenskala eine helle Note zu bringen, mit weißen Aufschlägen versehen. Ist nun aber das Gemälde der Uffizien wirklich von Puligos Hand? Das läßt sich freilich durch kein Dokument erweisen, aber man überlege: Wir besitzen ein authen- tisches Bildnis Pietro Carnesecchis; Domenico Puligo hat ein solches geschaffen und das uns erhaltene Porträt zeigt alle Merkmale, die Vasari und Raffaello Borghini als Charakteristika der Bildnisse Puligos anführen °). Hat jedoch Puligo dies Porträt gemalt, und wir dürfen nach alledem kaum daran zweifeln, so kann dies nur im Jahre 1527 geschehen sein, als Piero vor dem „sacco di Roma“ aus dem Vatikan in die Vater- stadt flüchtete, deren Boden er seit den Tagen der Kindheit ebensowenig betreten hatte wie Puligo jemals die römische Erde. Und da dieser bereits im September des nämlichen Jahres von der Pest hinweggerafft wurde, so ist Carnesecchis Porträt, nach Vasaris Zeugnis sein „vortrefflicistes“, zugleih eine der letzten Arbeiten Puligos gewesen.

Einen neunzehnjährigen Jüngling, der das Amt eines päpstlichen Geheimsekretärs ausfüllen konnte, mochte die Natur mit einem gewiß nicht alltäglichen Intellekt begnadet haben, den darzustellen die Kunst eines Puligo freilich nicht ausreichte. Sein Piero ist nur

. un giovan delicato Galante e come proprio una donzella *) . . .

Aber der Freund des Papstes ist damals noch von einem Größeren gemalt worden und zwar von dem Meister aller, die zu jener Zeit in Florenz den Pinsel führten, von Andrea del Sarto. Denn auch der Jiingling in dem herrlichen Porträt des Palazzo Pitti, das, wegen der halbgeistlihen Tracht des Modells, als Bildnis eines Laienbruders der Abtei von Vallombrosa gilt, ist, wie aus einem Vergleich mit

»Puligo“ taufte, zu seinem richtigen Cartellino. Vordem hieß es „Selbstbildnis des Andrea del Sarto“ und als solches wurde es noch von Alinari photographiert, später „Scuola di Andrea del Sarto“.

1) Vasari: IV. p. 463 „.. il suo (d. h. Puligos) colorire e la bell’ aria delle teste facevano piacere l’opere sue; tenne sempre il medesimo modo di fare e la medesima maniera che lo fece essere in pregio, mentre che visse.

*) Borghini: „Il Riposo.“ In Firenze MDLXXXill. Libro terzo. p. 395. „li suo dipignere fu con dolcezza non molto tinto; ma come da una certa nebbia velato con gratia, e rilievo.“

3) Sonett des Francesco Mauro an Carnesechi. S. „Delle rime piacevoli“. In Vinegia. Parte prima MDCXXVII. p. 95. (Citiert bei Agostini: „Pietro Carnesechi e il movimento Valdesiano.“ Firenze 1899.)

412 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

Puligos Bilde zu erhellen scheint, kein anderer als Messer Pietro Carnesecchi: die Farbe der dunklen Augen, der Ton der mattblonden Haare, der breite Riicken der leicht gebogenen Nase, das flache ein wenig zurücktretende Kinn, der starke, aber etwas kurze Hals, das mädchenhaft feine Oval der rechten Wange, die leise auf- geworfenen Lippen all’ dies gleicht in beiden Bildnissen einander so vollkommen, daß man getrost aus diesen vielen Übereinstimmungen schließen darf, Puligo und Andrea del Sarto haben das nämliche Modell porträtiert. Freilich, „si duo idem faciunt“ .... Andrea besaß eine Feinfühligkeit in seelischen Dingen, die man bei dem stumpfen Domenico vergeblich suchen würde, die feminine Schönheit Pieros kam seiner eigenen Art entgegen, und da ein gelungenes Porträt Carnesecchis den Maler gewiß beim Papst Clemens empfahl, so hat Andrea mit dem ganzen Aufgebot seines Könnens ein Bildnis geschaffen, dem sich in grandioser Conception und Meisterschaft der Durchführung nur wenige zur Seite stellen dürfen: Andrea läßt den Körper Pieros eine leise Wendung machen, sein Antlitz hingegen bleibt groß und ruhig dem Beschauer zugekehrt und dieses ernste Vor-sich-Hinblicken verleiht dem Bilde eine tragische Hoheit, die wir, das totgeweihte Haupt betrachtend, wie einen Ausfluß göttliher Sehergabe Andreas empfinden. Nordisch versonnen blicken Pieros Augen, leise Schwermut ist um seine Lippen und wir glauben es diesem Verwandten von Shakespeares Dänenprinzen, daß er sich im bunten Treiben des Fürstenhofes einsam und nur in selbstgezimmerter Traumwelt heimisch dünkte. Seine Hände, ganz durch- geistigt und bleich, wie oft die Hände bei den letzten Sprossen alter Geschlechter, halten die sorgsam gefalteten Handschuhe. Eine Nebensächlichkeit, die aber doch, wenngleich erst in zweiter und dritter Linie, für die Identität ihres Besitzers mit Pietro Carnesechi spricht. Denn niemals zeigte er sich anders vor der Öffentlichkeit und selbst, als er sich zum letzten furchtbaren Gang rüstete, hielt seine Rechte in den

bebenden Fingern keine Bibel, nicht den Crucifixus, wohl aber die sorgsam gefalteten Handschuhe . ...

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Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im Werk eines französischen Künstlers

von Konrad Escher

Bei Anlaß seiner Studien über „die Architekturen Raffaels in seinen Fresken, Tafelbildern und Teppichen') wiederholt Max Ermers, was schon bekannt war, daß Raffael im Karton mit der Heilung des Lahmen die acht gewundenen Säulen kopiert habe, welche zur Konfession von St. Peter gehörten, und die sich heute an den Loggien der Kuppelpfeiler befinden, weist aber auch?) darauf hin, daß ihm Jean Fouquet darin vorangegangen sei. An dieser Stelle seien zwei Miniaturen be- sprochen, welche zu den ,Antiquités judaiques des Josephus“ gehören, welche Jean Fouquet im Jahre 1470/1 illustrierte. Diese liegen in der Prachtpublikation von Paul Durrieu vor.*) Es handelt sich hauptsächlih um die Szenerie auf der Darstellung des Einfalls des Pompejus in den Tempel von Jerusalem, wobei er sich weigerte, den Tempelschatz anzutasten (Durrieu, Taf. XIV), und in zweiter Linie um diejenige beim Einzug des Herodes (Ders., Taf. XV). Die erstgenannte Miniatur zeigt vorn das Ge- metzel, welches die Römer unter den Juden anrichten, als Mittel- und Hintergrund die höchst bemerkenswerte Darstellung des Tempels. Das Allerheiligste bezeichnet, von Schranken umgeben und auf Stufen erhöht, die Altarmensa, die mit einem roten Tep- pich und einem weißen Tuch geschmückt ist, und an deren Rückseite sich das niedrige Retabulum erhebt. Dahinter tragen vier Säulen die goldene Arca, d.h. den Reliquien- schrein. Auf großen blauen Säulen stehend, hält ihn zu beiden Seiten je ein goldener sechsflügeliger Engel, die Cherubim der mosaischen Bundeslade. Chorschranken um- geben das Allerheiligste auf allen vier Seiten, lassen aber vorn den Zugang frei. Weiße Marmorstreifen teilen die Schranken in einzelne Rechtecke und diese wieder in Rauten; grüne Serpentin- und rote Porphyrstücke bezeichnen die Flächen. Hinter den zwei Fronten der Chorschranken, d. h. zu beiden Seiten des Zugangs stehen je zwei goldene Säulen, welche vergoldete Leuchterengel tragen und durch grüne Draperien, an Querstangen befestigt, miteinander verbunden sind. |

Um diese Chorschranken bilden nun die acht gewundenen Säulen von ver- goldetem Metall einen weiteren Bezirk, indem sie die Rückseite und die Seitenfluchten begleiten. Alle tragen ein gemeinsames, reich profiliertes, aber unverziertes Gebälk. Über dem Altarraum schwebt ein Kronleuchter.

Dass Fouquet wirklich die erwähnten acht früher zum Hauptaltar gehörigen Säulen kopiert hat, beweist ein Vergleich.) Hier wie dort gliedern Ringe den Schaft in vier Zonen, von denen die erste und dritte schräge Kanellüren, die zweite und vierte den zierlihen Schmuck der Weinranken mit Vögeln und Putten, die sich im

1) Straßburg 1909, p. 9.

2) p. 94 und Note 1.

3) Les antiquites judaiques et le peintre Jean Fouquet. Paris 1908. 4) Enrico Mauceri. Le colonne tortili. L'Arte I, p. 578.

414 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Geäste tummeln, aufweisen. Den FuBpunkt jeder Zone bezeichnen zwei Reihen auf- rechtstehender Blätter, hintereinander angeordnet. Das Kapitell ist komposit; über dem Korb, dessen Blattschmuck sehr vergröbert ist, liegt das Volutenpolster, und auf diesem der Abakus; auf der Miniatur sind aber die Ecken desselben stärker ausge- bogen, als bei der Marmorsäule, und die Mitte bezeichnet eine Rosette. Die acht Säulen in St. Peter stimmen ungefähr in den Maßen und genau in der Gliederung mit der berühmten Säule der Pietäkapelle zusammen, an welcher Christus gegeißelt worden sein soll. Wie auch das Säulenpaar der Sakramentskapelle sind sie als Spolien eines antiken Baues zu betrachten, und galten als Teile des salomonischen Tempels. Was lag näher für Fouquet, als diese hochverehrten Überreste zu kopieren? Ihm ist Raffael. im XVII. Jahrhundert Bernini gefolgt, als er über der Confessio seinen ehernen Koloß errichtete. | |

Wenn diese Tatsache allein noch nicht genügen würde, um einen Aufenthalt Fouquets in Rom zu beweisen, so führt Durrieu!) als zweites Zeugnis eine Stelle in Filaretes Traktat an, welche lautet: „Il quale (Fouquet) fece a Roma papa Eugenio e due altri de’ suoi appresso di lui, che veramente parevano vivi proprio. I quali di- pinse insù uno panno collocato nella sagrestia della Minerva. Io dico così perchè a mio tempo gli dipinse.“ Diese Notiz ergibt zugleich das Datum für den Aufenthalt Fouquets: zwischen 1433 und 1447.

Das zweite literarishe Zeugnis ist ein Brief des Francesco Florio”), worin er sih von Fouquets Kunst so begeistert zeigt, daß er ihn über die antiken Künstler stellt, und um nicht beim Adressaten den Verdacht leerer Lobrednerei zu erwecken, weist er auf dasselbe Porträt Papst Eugens IV. in Sta. Maria Minerva hin.

Um eine genaue Kopie des Innern von St. Peter kann es sich aber bei der Miniatur selbstredend nicht handeln, sie zeigt vielmehr eine höchst eigenartige Mischung franzö- sischer Kunst mit römischen Eindrücken. Die Kathedralen der Heimat gaben ihm das Vor- bild für den Altar mit Retabulum, für den auf Säulen erhobenen Reliquienschrein dahinter, der das Retabulum überragt, ferner für die durch Draperien verbundenen Säulen mit den Engelstatuen.*) Vorbilder, von denen er nicht abweichen modite. In Rom sah er fast in jeder Kirche Chorschranken vor dem Konfessionsaltar; diejenigen auf der Miniatur zeigen in der Dekoration Verwandtschaft mit denen von S. Clemente. Auch die Che- rubim könnte er vielleicht römischen Eindrücken verdanken. „Aus der Säulenhalle stieg man in die Konfession hinunter. Hier waren neben und auf silbernen, nachher goldenen Schranken, silberne und goldene Leuchter, silberne Säulen und Bögen mit den kost- barsten Behängen und goldenen Cherubim von Hadrian I. und Leo Ill. mit steigen- der Pracht aufgestellt“.! Was dem Nordländer aber das Interessanteste schien, waren

') op. cit. p. 85.

2) Durrieu, op. cit. p. 83 und Note 4.

3) Vergl. Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l'architecture française II, p. 26, 29, 30, 42, 46.

') Beschreibung der Stadt Rom von Platner, Bunsen, Gerhard und Rôstell II, 1, p. 88. Leider ist die Schilderung unklar und entbehrt des Quellennachweises. Allerdings bleibt zweifel- haft, ob F. im XV. Jahrhundert diese Cherubim noch gesehen hat. Vorbilder konnte er auch in der Heimat finden.

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416 Monatshefte für Kunstwissenschaft

die Spiralsäulen; er hat sie sogar in ähnlicher Anordnung und gleicher Zahl auf der zweiten in Frage kommenden Miniatur wiederholt, den Altar aber viel einfacher ge- staltet, die Chorschranken dagegen außerhalb der Säulen aufgestellt.

Hat sich nun Fouquet in Zahl und Anordnung der Spiralsäulen genau an das Bestehende gehalten? Durrieu nimmt es an’): „dans l'antique basilique détruite pour faire place a l'œuvre architectural de Bramante e de Michel-Ange, elles étaient grou- pées pour constituer un portique qui était placé devant la Confession de Saint Pierre, c'est-à-dire qu'elles étaient utilisées d'une manière analoghe à l'emploi qui en est fait dans notre miniature.“

Ob mit Recht? Es ist zu untersuchen, ob Fouquets Miniatur wirklich ohne weiteres als zuverlässige Quelle für die Topographie des alten St. Peter angesehen und benutzt werden darf. Zunächst hat der Maler die Marmorsäulen in metallene umgewandelt; er hat die Confessio und das Ciborium durch einen französischen Altar- aufbau ersetzt, die Chorschranken in einem anderen Sinne verwendet, als es der litur- gishe Brauch in Rom verlangte. Die Anzahl der Säulen entspricht allerdings der heute vorhandenen und bei Raffael gegebenen; aber die älteren Zeugnisse, schriftliche sowohl als Pläne (welch leiztere allerdings z. T. auf den ersten basieren mögen) reden zunächst von 12 Spiralsäulen und lassen sie ferner als doppelte Portikus vor der Con- fessio aufgestellt sein. Cancellieri?) spricht wie Alpharanus von duodecim Columnae elegantissimae, frontem majoris Altaris complectentes, et Sancta Sanctorum consti- tuentes. Ahnlich die Beschreibung Roms.?) „Die Türen (der Chorschranken) waren wahrscheinlich an der Säulenhalle vor der Konfession angebracht, welche in der Chronik dem ersten Bau Constantins zugeschrieben wird, und nach ihr aus porphyrnen und andern gewundenen Marmorsäulen bestand. Die erste bestimmte Nachriht davon finden wir im Leben Gregors III. im VIII. Jahrhundert. Dieser setzte neben die alten sechs Säulen, sechs gewunden geriefelte Alabastersäulen, von denen drei rechts und drei links standen, so daß der mittlere Eingangsbogen größer gewesen sein muß, als die andern Säulenweiten. Der Exarch Eutychius hatte sie ihm für diesen Zweck be- willigt: ohne Zweifel wurden sie also von einem Öffentlichen Gebäude genommen. Das Gebälk über den Säulen war von Leo III. mit Silberblech belegt, worin auf der einen Seite die Gestalten des Heilandes und der Apostel, auf der anderen die der Mutter Gottes und anderer heiliger Jungfrauen gebildet war. Über dem Gebälk standen silberne Leuchter und Lampen, 700 Pfund schwer.“ Eine zur Portikus mit 12 Säulen erweiterte Ikonostasis vor der Confessio gibt Ciampini*}, nimmt auch Geymiiller*) an und rekonstruiert Burger vor dem durch Sixtus IV. restaurierten Konfessionstabernakel.®) Vom Hauptaltar im mittelalterlichen St. Peter sagt die Beschreibung Roms’): „Den

1) op. cit. p. 35.

°) Citiert bei Ermers, op. cit. p. 92.

3) p. 87.

*) De sacris aedificiis synopsis historica. Taf. XV.

*) Die ursprünglichen Entwürfe für St. Peter in Rom. Taf. 45. 6) Jahrbuch der königl. preuB. Kunstsammlungen 28, p. 97.

7) ib. p. 128.

K. Escher. Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im Werk ein. franz. Kiinstlers 417

Schule Raffaels. Die konstantinishe Schenkung im Konstantinssaal des Vatikans

Hauptaltar hatte Calixt Il. erneuert.') Seit dieser Zeit blieb seine Gestalt unver- ändert, und er überlebte die Abtragung dieses Teils der Kirche, bis er unter Cle- mens VIII. in den Altar der Konfession in den vatikanischen Grotten eingeschlossen wurde. Wie früh ein marmornes Tabernakel an die Stelle des metallenen Ciboriums getreten, ist unbekannt; dasjenige, was man im XVI. Jahrhundert über diesem Altar sah, war aus der Zeit Pauls II.“ (vielmehr das Tabernakel Sixtus’ IV.).

Behielt nun der Hochaltar bis zu seiner Schleifung im XVI. Jahrhundert die Portikus der 12 Spiralsäulen bei, oder wurde ihre Zahl im Laufe der Jahrhunderte etwa durch Calixt II. vermindert und die Anordnung verändert? Burger stützt sich bei seiner Rekonstruktion nur auf die früher zitierte Stelle der Beschreibung Roms; Grimaldi, dem wir doch zahlreiche, wenn auch ungenaue Zeichnungen alter Monumente des St. Peter verdanken, scheint keine doppelte Portikus, überhaupt keine Säulen- stellung abgebildet zu haben. Daß aber wirklich eine Veränderung vorging ob im Mittelalter oder erst in neuerer Zeit, bleibt fraglich, bis neues Quellenmaterial den Aufschluß erteilt beweist das Fresco Francesco Pennis °) im Constantinssaal des Vatikans, das die Schenkung des Kaisers an die Kirche zum Gegenstande hat. Der

1) regierte 1119—1124. 2) Von Patzak dem Raffaellino del Colle vindiziert. Villa Imperiale bei Pesaro, pag. 225 ff.

418 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Ort der Handlung kann kein anderer als St. Peter sein. Das Fresko entstand kurz nach 1520, zu einer Zeit, wo der Maler noch das ganze alte Langhaus sehen konnte, ebenso die Konfession mit Altar und Säulen. Die Säulen des Langhauses tragen Ge- bälk, das sich unter dem Triumphbogen über einer vortretenden Säule verkröpft. Jenseits folgt das breite Querschiff, die Apsis ist mit einem Mosaik geschmückt. Über der Konfession steht das Tabernakel, das die übliche römische Form zeigt: auf vier Säulen das Gebälk und Giebeldach und davor erhebt sich auf den Chorschranken die Ikonostasis, bestehend aus den Spiralsäulen, die in ihrer Gliederung genau denen an den Loggien entsprechen; sie sind also mit denen Fouquets und Raffaels identisch. Ihre durch die Chorschranken bedingte Anordnung ist auch maßgebend für ihre Zahl. In der Fronte sind deren vier sichtbar, rechts in der Seitenflucht eine, verdeckt sind deren drei; d. h. ihre Zahl beläuft sich auf acht, und sie sind einfach und nicht dop- pelt angeordnet. Auf dem Gebälk stehen, wie üblich, Leuchter. Das Fresko Pennis stellt als den letzten Zustand des Konfessionstabernakels und der Chorschranken mit den alten Spiralsäulen dar.

Gehören diese aber zu der Gruppe von 12 Spiralsäulen, von denen schon im VIII. Jahrhundert die Rede ist? Oder ersetzen sie jene, und aus welcher Periode der Basilika stammen sie? Auf alle diese Fragen ist leider noch keine Antwort zu geben; vielleicht gehen sie auf Calixt II, also ins XII. Jahrhundert zurück, und sind vielleicht Kopien jener älteren Gruppe. Jedenfalls sind sie älter als das Quattrocento, da in diesem Falle eine Notiz ihre Aufstellung erwähnen müßte, und der Rekonstruktions- versuch Burgers für das Sixtustabernakel ist also an Hand des Freskos Pennis zu korrigieren.

Somit ist der weitere Schluß zu ziehen, daß Fouquet diese Aufstellung gesehen hat; allein anstatt sechs der Säulen der Wirklichkeit entsprechend und dem liturgischen Brauch gemäß vor dem Altar anzuordnen, versetzte er deren vier an die Rückseite desselben, je zwei stellte er in der seitlichen Flucht auf. (Miniatur Taf. XIV.) Ent- weder geschah es mit Absicht, um den Ausblick auf den Altar und sein Zubehör nicht zu behindern, oder nach dieser Reihe von Jahren, welche zwischen dem römischen Auf- enthalt und der Illustrierung des Kodex liegt, hat sich die Erinnerung an das, was er gesehen, getrübt; die Säulen hat er freilich genau kopiert; aber es ist leicht möglich, daß er nur eine einzige in seinem Skizzenbuch festgehalten hat; oder es waren schlieB- lich persönlihe Wünsche der Besteller, ein ganz spezieller Auftrag, der ihm verbot, die französischen Kirchenrequisite, vielleicht das getreue Abbild einer damals existie- renden Ausstattung einer Kathedrale, mehr oder weniger den römischen Reminiszenzen zu opfern. Fouquets Miniatur gibt also kein treues Abbild der Konfession von St. Peter, wie sie im XV. Jahrhundert aussah; nur die Zahl und Form der Säulen, sowie ihre Verbindung durch den Architrav entsprechen der Wirklichkeit; aber trotz dieser Ein- schränkung beansprucht das Bilden hohen Wert als früheste bis jetzt bekannte Kopie der Columnae vitineae, und somit als Zeugnis des Interesses und der Verehrung, die ihnen der nordische Maler widmete; an ihnen mag er sich ganz besonders gefreut haben, sei es wegen des eigentlichen künstlerischen Eindrucks, sei es wegen der Be- deutung, die ihnen die Legende gab; sonst finden wir wenigstens in den jüdischen

K: Escher. Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im Werk ein. franz. Künstlers 419

Altertümern erstaunlich wenig Erinnerungen an Italien. (Schlacht der Juden gegen die Kanaaniter und Bestrafung der Rotte Kohra, Taf. IV, zeigt eine Kapelle in Form einer renaissancemäßig gebildeten Pfeilerhalle. Bei der Gnade des Cyrus gegen die Juden, Taf. XI, erscheint links ein Torbogen mit Reliefs an der Attika und in den Zwickeln. Vielleicht haben italienische Eindrücke die Flußlandschaft auf Taf. VII bestimmt: David erhält die Nachricht von Sauls Tod.)')

1) Erwähnt sei noch die Darstellung der Vermählung Mariae im Livre d’heures d’Etienne Chevalier. Ein Triumphbogen vermittelt den Eingang zum Tempel. Er darf als Kopie desjenigen des Septimius Severus auf dem Forum in Rom angesehen werden; zu beiden Seiten des Haupt- bogens stehen wieder 2 der Colonne tortili, ein deutlicher Beweis dafür, welchen Eindruck diese Werke auf den Künstler machten. Abb. siehe Eugene Muentz, La Renaissance en Italie et en France. Paris 1885 zu pag. 492.

Anmerkung: Inneres der alten Peterskirche in den Grandes Chroniques, Paris Bibl. Nat. Manuscrits francais 6465, gemalt gegen 1460, für Karl VII. (abgeb. J. Klaczko, Rome et la Renaissance. Jules II. Paris 1898 bei pag. 40 und 41. Daselbst ist der Aufenthalt Fouquets in Rom in die Jahre 1444—1447 verlegt. Auch Klaczko weist p. 44 auf das Freskobild der kon- stantinishen Schenkung, gelangt aber bezüglidı der Wertung als Quelle zu andern Resultaten als der Verfasser.)

Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung?

Von Eduard Firmenih-Ridartz (Fortsetzung und Schluß.)

Dem Nürnberger Bilde der Madonna mit der Erbsenblüte ist das stilverwandte Kölner Marienaltärchen ') in jeder Hinsicht weit überlegen. Zunächst hat das Triptychon eine unvergleichlih bessere Erhaltung voraus. Alle Fleischpartien bei der innig zu. sammengeschmiegten Gruppe des Mittelstückes, die Muttergottes in Halbfigur, an der der Jesusknabe liebkosend aufstrebt, ebenso die Köpfe und Hände der langgestreckten Gestalten der heiligen Jungfrauen Barbara und Catharina an den Innenseiten der Flügel sird in ihrem wesentlichen Bestande pür und klar in Farbenauftrag und Ton, zeigen in den Flächen eine so durchaus einwandfreie alte Rißbildung, daß es schwer verständlih wird wie ruhige Fachleute den Urkundenwert dieser Gemälde in ihrem Gesamtumfang ableugnen konnten. Gerade wegen dieses zartvertriebenen Schmelzes der Karnation, der Originalität der Figurenverbindung und vornehmlich als reine Ver- körperung des fraulichen deutschen Marienideals sland das Werk bisher bei allen Kennern in hohem Ansehen. Die „Madonna mit der Wicke“ galt als eine der voll- endetsten Leistungen der nordischen Tafelmalerei im Mittelalter und diente neben der Münchener Veronika als Ausgangspunkt und Kanon stilkritischer Untersuchungen wie einer historischen und ästhetischen Würdigung der Ziele und Erfolge der Kölner Schule zu ihrer Blütezeit.

Mit der Ausstoßung und Verwerfung dieses Ecksteins reißt eine klaffende Lücke in den einheitlihen Verband der Entwicklung; im Vergleich mit den parallelen Er- scheinungen in Burgund, am Oberrhein, in Schwaben und Westfalen verarmt die Produktion in der hochberühmten niederrheinischen Zentrale fast völlig. Mit dem ab- sprechenden Urteil über jenen Flügelaltar und verwandte Arbeiten stellt man Eigenart und inneres Wachstum der Kölner Kunstübung gänzlih in Frage. Was dort unan- gefochten aus dem Beginn des XV. Jahrhunderts noch übrig bleibt, erscheint mit einem Mal derbhandwerklih und minderwertig oder vereinzelt, abgebrochen, ohne Folge- richtigkeit und selbständige Bedeutung.

Mit Berufung auf zahlreihe Denkmäler bestimmte man das Wesen der nor- dischen Tafel- und Buchmalerei seit dem XIV. Jahrhundert nach seinem Gehalt dahin, daß Vorstellungen aus der höfischen Sphäre besonders dem Minnedienst jener über- feinerte Kultus zarter schwärmerischer Gefühlsanwandlungen auf die Wiedergabe der Ereignisse der Heilsgeschichte und die Schilderung transzendentaler Zustände über- tragen wurden. Bei lyrischer Gesamtstimmung äußert sich ein weiches erregtes Empfinden in geschmeidiger süßer Anmut.

In einem Brennpunkt des religiösen Lebens mußte das Andachtsbild dem Hang

1) Wallraf-Richartz-Museum Nr. 13. Mittelstück Nußbaumholz, die Flügel aus Eichenholz. Farbenlichtdruk Fischer & Franke, Berlin; Lichtdrucke Nöhring, Lübeck; Photographie E. Hermann, Köln.

E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung ? 421

zur Gefühlsseligkeit und gesteigerten Inbrunst entgegenkommen. Die Darstellungen hatten den Zweck starke Empfindungen bei den Gläubigen zu wecken. Neben der rührenden Aufforderung zur Compassio durch Veronika erwartet man in Köln vor allem die künstlerische Erfassung des Marienideals und der mystischen Beziehungen der jungfräulichen Mutter zum Jesusknaben. Diese Verkörperung stand im Mittelpunkt sehnender Wünsche und einer gleichgerichteten Phantasietatigkeit. Es war die vor- nehmste Aufgabe, in der alle Bestrebungen zusammenflossen.

Eine vielstimmige Resonanz zeugt für den Eindruck einer eminenten künstlerischen Tat; selbst in veränderten Stilformen steigen noch Anklänge an die vertraute Kom- position in der Erinnerung späterer Maler auf.

Ahnlih wie die Nürnberger Madonna stehen auch die Bilder des Kölner Marienaltärchens auf einer Kunststufe, bei der „die Seele ganz und der Körper kaum erst ins Leben tritt“. Die hohen Intentionen übersteigen das gesicherte Darstellungsvermögen. Selbst die Halbfigur im Mittelstück berührt noch als etwas Ungewohntes. Sie erhebt sih auf der Basis der übereinandergelegten Arme in fast zylindrischer Form und erfüllt so sehr die Bildfläche, daß deren oberer Rand den Nimbus zum Teil abschneidet. Über die organische Verbindung der Glieder, ihre Verhältnisse und Funktionen blieb der Urheber noch häufig im unklaren. Als Gnadenbild sollte die Maria mit dem Beschauer unmittelbar in Beziehung treten. Auf ihn ist der Blick der unter schweren Lidern nur halb geöffneten Augen gerichtet. Das leise Neigen des Hauptes sollte die strenge Frontalität mildern. Den Ver- kürzungen, die durch die Verschiebung bedingt werden, ist ea der Maler noch nicht recht gewachsen. So bleibt das Antlitz a. Attares zu Niederwildungen flach ausgebreitet, ohne die volle Vorstellung körperhafter Rundung. Die Gesichtshälften entsprechen sich nicht mehr; die Nase und der winzige gespitzte Mund stehen nicht ganz an ihrer Stelle. Solche Mängel in der Auffassung der Formen, die sich als Reste eines reinlinearen Flächenstiles erweisen, bleiben un- verständlich bei einer reifen Neuschöpfung aus dem Zeitalter der Romantik.

Das Hauptbestreben des Künstlers richtete sidi sodann darauf, den Körper des Christkindes mit dem der Mutter in engen Konnex zu setzen, ihn in den Gesamtumriß einzuordnen und doch auch die Selbständigkeit und Bedeutung des Gottessohnes wirksam hervorzuheben'). Dabei mußten alle Verkürzungen und Überschneidungen vermieden werden. Die Art, wie der Meister diesen Zweck erreichte, indem er den Knabenleib mit vorgestreckten Armen in der Seitenansicht darbietet, entspricht durchaus

1) Auf die neuen Darstellungsformen und die Wahl einzelner Motive wirkte vielleicht anregend das Vorbild berühmter plastisher Werke. Beziehungen zu Frankreich-Burgund sind evident. Es sei hier nur bemerkt, daB schon bei der silbernen Madonnenstatue der Jeanne d'Evreux von 1329 aus St. Denis (jetzt Galerie d’Apollon du Louvre) Maria das nackte Kind mit ihrem Mantel unten umhüllt auf dem Arm trägt, und dieses sich vorbeugend mit aufwärts gestreckter Hand an das Kinn der Mutter greift. -- Photo. Giraudon.

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dem Wesen der hochgotischen Kunst. Nur ein eindringliches Verständnis für deren Gebundenheit und Prinzipe der Formengebung konnte diese Lösung finden.

In engbemessener Raumschicht stehen auch die langaufgeschossenen dünn- gliedrigen Gestalten der heiligen Jungfrauen auf den Flügeltafeln, mit schweren Gewand- stücken in langherabsinkenden Falten behangen. Eine konsequente Stilisierung ab- strahiert von der natürlichen Erscheinung mit einer Einseitigkeit und einem Zielbewußt- sein, die einem modernen Praktiker nicht ohne weiteres zugetraut werden dürfen.

An den AuBenseiten ist nach dem Grundsatz einer gleihmäßigen Flächenfüllung die Gruppe der Peiniger in wenig moderierter Symetrie rings um den Erlöser als Schmerzensmann angeordnet.

Für diese reinformalen Gesichtspunkte bei der Genesis aller Kompositionen und Gestaltungen besaßen nun die Romantiker nur geringes Verständnis bei ihrer Würdigung und Wiedergabe älterer Stilarten. Wie vollkommen J. N. Strixner sie in seinen litho- graphischen Reproduktionen noch außer acht ließ, lehrt der Vergleich mit den Original- gemälden. Manche Härten der altdeutschen Meister und Abweichungen von der offen- sichtigen Naturwahrheit verletzten sogar die noch wenig eingewöhnten Augen und einen Geschmack, der seine Schulung dem Klassizismus dankte.

Die Übermalungen am Clarenaltar und dem für die Kgl. Museen zu Berlin neu- erworbenen Altarschreine angeblich aus St. Gereon dienen oft ausschließlich der An- näherung an moderne Forderungen !). Nach besserem Wissen sollen die neuen Zusätze deuten, vermitteln, abschwächen und ausgleichen. Echte primitive Bestandteile werden zugedeckt durch „Verschönerungen“ im Sinne einer angemaßten Korrektheit oder jener sentimentalen Gefühlsweise. Die überschlanken Figuren werden ein wenig verbreitert, Haltung und Bewegungen motiviert und abgerundet. Man gelangte nicht etwa durch Einleben in fremde Stilgesetze zu extremen Konsequenzen, man wünschte vielmehr psychische Ausdruckswerte zu gewinnen ohne den Kontakt mit der Realität aufzugeben.

Die Anempfinder stehen hilflos vor jeder umfassenden Aufgabe, wenn der un- mittelbare Anschluß fehlt und sie selbständig im Charakter eines alten Stiles etwas Neues hervorbringen sollen. Ein unerquickliches Gemisch erborgter Motive und schwer zu unterdrückender zeitgemäßer Formanschauungen und Tendenzen ist gewöhnlich das Ergebnis solcher Versuche. Als Beweisstücke nenne ich (abgesehen von den unglück- lichen älteren Versuchen einer Wiederherstellung des malerischen Kirchenschmucks in den Rheinlanden) in Köln die Bildtafeln, Maria mit dem Kinde und Heilige, mit welchen

') Die früheren jetzt durch Reinigung entfernten Ergänzungen und Zusätze an den Berliner Tafeln hielten sich jedoch auf der Grundlage einer umfassenden Restauration. Der Goldgrund wurde erneuert, einzelne Köpfe ersetzt. Wesentliche Bestandteile der ursprünglichen Arbeit blieben hingegen stets sichtbar, so daß an die Aufdeckung einer im Stil abweichenden primären Schicht in gesamtem Umfang wie beim Clarenaltar gar nicht zu denken war. Die unberührten Köpfe zeigen genau die nämlidie RiBbildung wie die Fleischpartien „der Madonna mit der Wicke“. Das bedeutende Werk nahm eine bevorzugte Stelle auf der Düsseldorfer Ausstellung 1904 ein (Nr. 12) Photo. Bruckmann. Die Übermalungen der Darstellung „Maria mit dem Kinde im Kreis versammelter Heiligen“ bei H. Felix (Leipzig) sollten sich ebenfalls dem Urbild angleichen; Köpfe und Figuren des Marienaltares (Galerie Weber, Hamburg Nr. 4) wurden von Franz Becker modernisiert. |

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424 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

der vielgeriihmte J. A. Ramboux die leeren Nischen des Antependiums aus Sta. Ursula füllte, eines Meisterwerkes der niederrheinischen Grubenschmelzkunst um 1175, jetzt im Kunstgewerbe-Museum, und die Malereien an den Seitenwänden des Albinusschreines in Sta. Maria in der Schnurgasse (Düsseldorfer Ausstellung 1902 Nr. 504). Auch der begabte C. B. Beckenkamp vermag in seinen glatten sauberen Kopien diesen inneren Zwiespalt nicht ohne merklichen Rest auszugleichen.

Unmöglich konnten diese Kräfte dazu hinreichen, was selbst beim Clarenaltar nicht gelang, disparate Elemente in einem Guß zu verbinden, allenthalben aufgelesene Motive zusammenzufassen und aus ihnen Kompositionen zu läutern, die ihren festen Platz folgerichtig innerhalb der Entwicklungsreihe einnehmen.

Überragende Kunstwerke pflegten in alter Zeit weite Kreise um sich zu ziehen. Es war nicht immer Gedankenarmut, wenn man angebahnte Wege nicht verließ und an Bekanntes anknüpfte. Diese Gesinnung entsprach dem Zweck der Andadhtskunst. Doch dabei entstanden nicht bloße Wiederholungen, neues aus eigener Erfindung drängte sich ein; man veränderte, schaltete frei mit dem ererbten Schatz, so daß von der gesamten ursprünglichen Erfindung zuletzt nur eine unvergeßlihe Wendung, ein beredter Zug oder der künstlerische Ausdruck für die beherrschende Stimmung übrig bleibt. Allmählich verblaßend erhielten sich die edelsten Inspirationen langdauernd und wurden Gemeingut.

Kein Verständiger wird deshalb nach Feststellung solcher Verbindungslinien etwa das Dombild für ein modernes mixtum compositum unter Benutzung eines Gemäldes des Glorifikationsmeisters (Aachen) und eines Kupferstiches des „maître aux banderoles“ (Lehrs 1, Dresden) proklamieren oder den Epiphanienaltar des Roger van der Weyden aus St. Columba aus dem Grunde anzweifeln, weil dessen Mittelgruppe sih noch im Domfenster von 1508 wiederfindet. Auf eben diesen „Meister der hl. Sippe“ wirkte an anderer Stelle (Altar der sieben Freuden Maria, Collection Dollfus, Paris) faszinierend Stephan Lochners köstliche Darbringung im Tempel, eine Komposition, die sich früher schon ein Werkstattgenosse des Meisters des Marienlebens angeeignet hatte. Die Übereinstimmung der abhängigen Stücke untereinander galt bisher als Gewähr ihrer Schulzusammengehörigkeit oder doch als Hilfsmittel zur Umgrenzung der Einflußsphäre ausgezeichneter Meister.

Jede methodische Beweisführung wird abgeschnitten, wenn man dies Verhältnis willkürlich umkehrt und in jenen Analogien die Spuren der Fälscher erblickt, die das überkommene Material in einer Auslese verfeinerten.

Auc die Konzeptionen des Kölner Madonnenmalers stehen nicht vereinzelt. Es sind Glieder einer langen Entwicklungskette. In den Leistungen benachbarter Schulen werden ähnliche Ziele verfolgt. Apart und präziös veranschaulicht Jean Malouel den Seelenbund in der Halbfigur der heiligen Jungfrau, die mit gekreuzten weichen Armen das Christkind ans Herz preñt !).

Die nämlichen Intentionen leiteten Meister Conrad von Soest 1404, als er

1) Die Bestimmung Jean Malouel ist nicht gesichert. Lyon Collect. Edouard Aynard, Ex- position des Primitifs francais. Paris 1904 Nr. 13.

E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 425

am linken Flügel des Altarschreines zu Niederwildungen das Kosen der ruhenden Mutter mit dem neugeborenen Jesus vorführte. Die verwandte Auffassung beweist wie vollkommen eben diese Lösung dem damaligen Formensinn wie den künstlerischen Fähigkeiten beim Zusammenordnen einer Gruppe entsprah. Kein Zug deckt sich völlig und doch bedingt die Übereinstimmung der Prinzipien wie der beliebten Aus- drucksmittel eine ganz ähnlie Kon- figuration. Vergl. Abbildung 1.

Sind es in diesen Fällen die um- fassenden Zusammenhänge oder allge- meine Grundbedingungen der Kunstübung, welche die annähernde Gleichheit des bildnerischen Gehaltes der Kompositionen verursachen, so stand in Köln die Per- sönlichkeit eines Meisters von weitreichen- dem Ruf hinter dem mustergültigen Werke. Diesem Vorbilde werden ganze Gestalten oder einzelne Motive unmittelbar ent- nommen. Besonders die statuarischen Ge- wandfiguren an den Flügeln kehren häufig wieder. Schon die Gleichartigkeit der stark vergröberten Typen weiblicher Heiligen auf den Tafeln in Nürnberg, Berlin und Darmstadt’) spricht für feste Schultraditionen. Wenn die Originale uns fehlten, könnte man wohl aus solchen Abwandlungen ihre einstige Bedeutung feststellen. Abb. 3. Meister des Marienlebens: Maria mit

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Andere Nachwirkungen des be- O Kaiser Friedrih-Museum, Berlin liebten Andachtsbildes können nicht be- stritten werden, entziehen sich aber der Ausnutzung selbst eines phantasiereichen Imitators. Eine Rekonstruktion des Urbildes aus weitverstreuten Reminiszenzen, eine Vereinigung

in Betracht: a) Die beiden Flügeltafeln im Germanischen Museum zu Nürnberg Nr. 2 und 3. Sta. Catharina und Elisabeth. Die Erstere ist eine vergröberte Variante der entsprechenden Kölner Figur von der Hand des Hauptmeisters. Restauriert. Tannenholz. Lithographien von Strixner und Schöninger 1832. b) Altar in reichgeschnitztem Rahmen mit den Heiligenfiguren Barbara, Catharina, Gregorius, Gereon, Helena, Anno, Stephanus und Elisabeth, außen „Die Ver- kündigung“. Neuerwerbung für das Kaiser Friedrih-Museum zu Berlin aus der Samm- lung des Baron Brenken zu Wewer vormals beim Grafen Haxthausen. (Franz Kugler: Gesch. d. Malerei I, 279 Anm.) Die hl. Elisabeth ist der Figur in Nürnberg mit kleinen Änderungen nachgebildet. Sta. Barbara schließt sich in vergrößertem Maßstab den Flügelbildern des Kölner Triptychons an. Eichenholz. c) Im GroBherzogl. Museum zu Darmstadt Nr. 160. Die Votivtafel des Joh. Rost de Cassel und der Aleid Cleingedank. Entstand bald nach 1409. Der Anschluß der entsprechenden Heiligenfiguren an das Kölner Marienaltärchen gibt einen Anhalt zu dessen

426 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

der Glieder, die erst wieder in ihre originäre Form zurückversetzt werden müßten, erfordert Fähigkeiten und Kenntnisse, über welche die Romantiker nachweislih noch nicht verfügten.

In erster Linie kommt ein Gemälde in Betracht, vor dem mehrfach der Name Stephan Lochner genannt wurde. Es rührt auf jeden Fall aus der Kölner Schule und entstand um 1440'). Ein fortgeschrittener Künstler hat sich der Komposition „der Madonna mit der Wicke“ bemächtigt und versucht eine verjüngte Weiterbildung. Er vermeidet die Verschiebung der Züge im Antlitz der hl. Jungfrau, indem er dies nur etwas seitwärts beugt und die Frontansicht beibehält. Auch in der Körperbildung des Kindes ist vieles verändert; doch die Hand der Maria, die zierlich mit gespitzten Fingern eine Wicke darbietet, erweist durch präzise Abschrift den direkten Anschluß. Zwar das Tafelbild ist shwer beschädigt, durch Übermalungen alteriert. Nach Angabe des Besitzers Kommerzienrat Wittich in Darmstadt war es Philipp Veit, der die Er- gänzungen unternahm, Krone und Nimben mit überreicher ornamentaler Zier versah und die Gewandung der Madonna vollständig und ohne Rücksicht in Ölfarben aus- führte. Auch die Feldblumen sind in ihrer heutigen Gestalt moderne Zutat; dagegen blieben alle Fleischpartien fast unversehrt und wurden nur durch einzelne kleine Retouchen ausgebessert. Die gesundentwickelte Rißbildung bringt den sicheren Beweis für die Echtheit der wesentlichen Bestandteile des Stückes. Abbildung 2.

Es folgen weitere Beispiele von Entlehnungen. Als der Meister des Marien-

lebens nach der Mitte des XV. Jahrhunderts in seiner Frühzeit es unternahm, mit der fremden Technik die herbe, weit schärfer distinguierende Ausdrucksweise aus Brüssel und Löwen auch in Köln einzubürgern, verschiebt die angestammte zartsinnige Gefühls- weise ihm oft das Konzept. Bei dem Marienbilde, das aus dem italienischen Kunst- handel ins Kaiser Friedrih-Museum kam (Nr. 1235B) wirkt merkbar noch die ferne Erinnerung an „die Madonna mit der Wicke“ nach. Abbildung 3. Freilich, die scharfumrissene eckige Formenbezeichnung und den entscheidenden Gesamteindruck bestimmen bekannte Vorlagen von Roger van der Weyden und Dierick Bouts. Doch das Haupt der Jungfrau neigt sich nicht wie bei diesen vlämischen Gemälden zum Kinde herab; es dreht sich mit eingedrücktem Kinn schräg seitwärts zum Beschauer, auf dem der Blick der schwermütigen graublauen Augen aus schmalen Lidspalten ruht. An Stelle einer Abspiegelung des vertieften Raumes steht der traditionelle Goldgrund mit gepunzten Mustern. Aus der Beschränkung auf erprobte Motive und dem gleich- bleibenden Sentiment „glaubt man immer die zurückziehende Schwerkraft der Ver- gangenheit zu spüren“. (Carl Justi.) Datierung spätestens im ersten Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts. Die Votivtafel hat gelitten und wurde durch spätere Zusätze beeinträchtigt. Eichenholz. Die kleinen Fliigelbildchen auf Eichen- holz im gotishen Haus zu Wörlitz Nr. 1251, 1267: Barbara und Catharina auf Goldgrund; Rückseiten: Agnes und Dorothea, Figurenreste auf schwarzer Folie gehören höchstens noch der- selben Kunstprovinz an.

1) Düsseldorfer Ausstellung 1904 Nr. 16. Eichenholz. Ludwig Smeibler im Repertorium XXVII, S. 556 „ein bisher unbekanntes ausgezeichnetes Werk, durch alte Restauration stark beeinträchtigt; nodı vorwiegend in Art „Wilhelms“, doch schon auf Stephan hindeutend.“ Eine größere veränderte Wiederholung befand sich in der Kölner Sammlung Weyer Nr. 108.

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428 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Die Verspottung Jesu in starker Kontrastwirkung an die Außenseiten der Flügel des Kölner Triptychons breit hingesetzt, wurde im Aufbau der Gruppe und den heftig ausfahrenden eindringlichen Hauptmotiven schon in einem niederdeutschen Schrotblatt reproduziert !). Solche Metallschnitte, in denen gelegentlich berühmte Darstellungen anklingen, empfahlen sich zu Zwecken der Buchillustration *). Die Platten bewahrten zähe Widerstandskraft und wanderten oft weit von einer Offizin zur anderen. Das fragliche Blatt ist ein unbeschriebenes Unikum und daher ist es höchst unwahrscheinlich, daß ein Abdruck um 1820 einem Fälscher vorlag.

Von entscheidender Wichtigkeit für den historischen Nachweis eines Falsifikates sind die Umstände und Verhältnisse, unter denen die Arbeit zuerst in das Licht wissenschaftlicher Betrachtung tritt. In Sachen der „Madonna mit der Wicke“ war trotz aller Bemühungen kein einziger zuverlässiger Belastungszeuge aufzutreiben. Im Gegenteill Bei dem Versuch einer Begründung des vernichtenden Urteils über die zusammengehörigen Gemälde kam man nicht ohne schwere Verdächtigungen hoch- geachteter Männer aus, denen man ,Schalksstreiche“, Arglist, Betrug und grobe Ver- nachlässigung ihrer Ehrenpfliciten zur Last legte.

Der vielberufene Flügelaltar befand sich noch nicht in Ferdinand Wallrafs Sammlung, als diese 1817 zum ersten Male inventarisiert wurde. Seine Provenienz ist unbekannt, wie bei fast allen kleinen altkölnischen Stücken. Die älteste kurze Beschreibung enthält das Nachtragsverzeichnis, welches nach dem Tode des Stifters (t 18. März 1824) begonnen, im Januar 1826 fertig vorlag. Die alten Gemälde waren meist in üblem Zustande.?) „Die Madonna mit der Wicke“ ist nachweislich unter der Aufsicht des Mathias Joseph de Noöl von dem belgischen Bilderrestaurator A. Lorent im September 1828 wiederhergestellt worden. Der erste Konservator des Wallrafianums gilt als verständiger gewissenhafter Lokalforscher und Kunstfreund, dem später J. D. Passa- vant beim Studium der niederrheinischen Malerschule manche Unterweisungen entlieh. Ein Betrug, bloß aus miBleiteter Künstlereitelkeit inszeniert, konnte damals weder über- sehen noch schweigend hingenommen werden‘). Eine junge, erst kürzlich unter- schobene Fälschung wäre von dem erfahrenen Restaurator bei seiner Arbeit erkannt worden. Für den Unbeteiligten lag kein Grund vor, den Tatbestand zu verleugnen. Die feinen Tafelbilder standen inmitten einer reichhaltigen stilverwandten Masse, die sih nun zum ersten Male ausbreitete. Das Madonnenbild war noch nicht der Gegen- stand allgemeiner Bewunderung; nur wenige hätten den Verlust bemerkt, wäre es

') Sammlung W. L. Schreiber. Auktionskatalog Gilhofer & Rauschburg XXVIII, Wien 1909, Nr. 56. Tafel XVII. „Der Cicerone“ I, 2 1909, Abb. S. 57.

*) Vergl. Ernst Voulliéme: Der Buchdruck Kölns bis zum Ende des XV. Jahrhunderts. Bonn 1903. XXIV. Publ. der Gesellschaft f. rhein. Geschichtskunde.

») Vergl. Professor Dr. J. Hansen: „Der Meister Wilhelm und die Kölner Malerschule.* Kölnische Zeitung Nr. 31 (10. Jan. 1909), 36, 41. Der Marienaltar wird in de Noéls Verzeichnis vom September 1826 als Werk „Meister Wilhelms“ allerdings nicht als „ruinös“, sondern als „rein“ charakterisiert, was aber eingreifende Wiederherstellungsarbeiten und Ergänzungen in der oben bezeichneten Weise nicht ausschließt.

1) In Köln denkt man sich den Vorgang etwa wie den mysteriösen Fall, von dem Goethe in seiner „italienischen Reise“ zum 18. November 1786 berichtet. (Hempel, 24. Bd. S. 127-8.)

E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Falschung? 429

Abb. 5. Meister des Paradiesgartens: Federzeichnung D München

damals nach reifliher Prüfung aus der Reihe der historischen Denkmäler aus- geschieden.

Und welches sind nun die Indizien, die mit absoluter Bestimmtheit die Ent- stehung der Bilder des Triptychons im XIX. Jahrhundert nachweisen sollen? !)

Entgegen der oft wiederholten irrigen Behauptung muß zunächst ausgesprochen werden, daß der Zustand der Gemälde keineswegs so gleichmäßig und einheitlich ist, wie man dies bei einem Falsifikat neueren Ursprunges erwartet. Die Mitteltafel aus Nußbaumholz ist gespalten, die Fuge ward zusammengepaßt und ausgefüllt. Aus- gesprungene Farbenstückchen z. B. an der linken Hand des Christkindes wurden ersetzt. Einige Retouchen an den gestreckten Fingern der Hand Marias, welche die Feldblume hält, ebenso seitwärts an ihrer Stirn ergeben sich sogleih als modern. Die breit- aufgetragenen Farbenmassen des stumpfen braunvioletten Mantels der Madonna, der über den Unterkörper des Knaben gebreitet ist und auch den Kopf der hl. Jungfrau deckt, kontrastieren mit dem zart und verschmolzen behandelten Inkarnat. An dem Gewand und blauen Futter sind gleichfalls Stellen ausgebessert und die dunklen fetten

1) Aus der nach Abschluß dieser Studie (Pfingsten 1909) stark angeschwollenen Literatur zur „Madonna mit der Wicke“ hebe ich hervor: Jos. Poppelreuter in der Zeitschr. f. chr. K. XXI. Heft 11,12. Alfred Hagelstange: Köln. Zeitung Nr. 1324. Heinz Braune: Köln. Volkszeitung Nr. 285. Karl Voll: Köln. Volkszeitung Nr. 304. Kunstchronik 10. April 1909 und Süddeutsche Monatshefte Juli 1909. W. Bode im „Cicerone“ I. Juli 1909. Referierend: Köln. Zeitung Nr. 251. Frankfurter Zeitung Nr. 71. Köln. Volkszeitung 244 und 610 (Dr. Heribert Reiners).

430 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Pinselzüge, welche Gefältel und Schatten andeuten, fallen ganz augenscheinlich aus dem Zusammenhange. Die unregelmäßig zerrissene Farbenfläche des Mantels, die wie eine vielgeteilte Kruste aufsitzt, bot zunächst Anlaß zu Zweifeln, die man dann auf das gesamte Gemälde übertrug, da man die den geleimten Kreidegrund bloßlegenden Spalten dieser Partien, Schrumpfungen der Farbensubstanz, welche Lücken in eine zähe Masse rissen, auch in der Wickenblüte wiederfand.

Neben der höchst indifferenten Gewandbehandlung bei der Halbfigur des Mittel- stückes entsprechen die großzügigen Faltenlagen und herabsinkenden Stoffbauschen der statuarischen Gestalten an den Innenflügeln durchaus der einheitlihen und klaren Anordnung der Hochgotik. Der grüne Mantel der hl. Barbara ist zum Teil über- gangen und in seinem Farbenwert verändert; das Rad der hl. Catharina und die Kronen beider Martyrerinnen sind weitere unwesentliche Zusätze.

Trotz subtiler Untersuchung ist es nicht gelungen die Herstellung des Gold- grundes zu voller Evidenz als modern nachzuweisen. Ebenso fehlt dafür der aus- reichende Beweis, daß die abweichende Rißbildung ausschließlich durch die Anwendung bekannter moderner Malverfahren ihre Erklärung findet. Die Übereinstimmung des Verhaltens der fraglichen altkölnischen Tafelbilder beim Zersetzungsprozeß mit ruinòsen modernen Gemälden, bei denen Asphalt als Bindemittel verwendet war, läßt sich nicht konstatieren. Solche Schrumpfungen und gewaltsame Trennungen der aufgetragenen Farben findet man außer bei kölnischen, westfälischen und burgundischen, auch bei altniederländischen Bildern, ohne daß der Charakter der Farbe in seiner Klarheit durch chemische Veränderung getrübt wäre !).

Den Ausschlag für die Echtheit der wesentlichen Bestandteile des Werkes gibt der technische Befund der Fleischpartien. Der Vergleich mit einzelnen Arbeiten jener Epoche, auf welche eine ähnliche Sorgfalt beim dünnen Auftrag der Farben und dem Verschmelzen der Töne verwandt wurde, muß überzeugen.

Das nämliche dichte Netz dünner sich verästeinder Haarrisse, welches sich an den Fleischpartien der „Madonna mit der Wicke“ ausgebildet hat, breitet sih auch über die gesamte emailartige Farbenflache des miniaturfeinen Paradiesbildchens im städtischen Museum zu Frankfurt. Abbildung 4.

Die Echtheit der idyllischen Darstellung des umschlossenen Gartens mit den anmutigen Gruppen zierlicher Heiligenfiguren wird überdies noch durch eine Feder- zeichnung von demselben Urheber in der Kgl. graphishen Sammlung zu München (Nr. 19736) beglaubigt. Die am Boden hockende Gestalt einer Heiligen oder Sibylle, die mit gesenktem Köpfchen in einem Buche blättert, während ihr weites Gewand sich in rundlichen Faltenzügen um sie ausbreitet, gehört in ähnlichen Zusammenhang.

') Ahnliche Sprungbildung und Reißungen, welche sogar Stellen des geleimten Kreide- grundes bloßlegen, findet man beispielsweise auf der altkölniscıen Tafel Nr. 5 im Germanischen Museum mit 4 Apostelfiguren, auf dem kleinen Kreuzigungsbilde bei Amtsgerichtsrat Clemens in Aachen, den Tafeln mit Szenen der Jugendgescidıte Jesu im Erzbischéfl. Museum zu Utrecht vormals Seydel, Köln) und auf dem Profilbildnis des Jean Il roy de France angeblich von Girard d'Orléans um 1359. NuBbaumholz. Bibliothèque nationale, Paris. Exposition des Primitifs 1904, Nr. 1.

E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 431

Abbildung 5. Den spitzdetaillierenden Pinsel vertritt diesmal die Feder, die mit winzigen gehäuften Strichen punktierend Hell- und Dunkelwerte angibt.

Den von der normalen Beschaffenheit alter Temperamalereien abweichenden Zustand „der Madonna mit der Wicke“ oder verwandter Tafelbilder in England hat früher schon Waagen!) und Ernst Berger °) beachtet und eine Erklärung aus der von der gewöhnlichen Tafelmalerei abweichenden Tedinik versucht, ohne aber die Echtheit dieser Gemälde irgend in Frage zu stellen.

Diese Maßnahmen der alten Meister bei der Bereitung der Farben und ihr Malverfahren im besonderen sind durchaus nicht so einheitli durch Werkstattbrauch geregelt und so durchsichtig in ihrer Anwendung, daß sich hieraus umfassende Schlüsse ableiten lassen. Wir wissen, daß einzelne Meister in fortgesetzten Versuchen ihre Farbentechnik vervollkommneten und ihre Rezepte sorgsam als Geheimnisse hüteten °).

Das Studium der Rißbildung alter Gemälde ist von unleugbarem Werte und liefert meist die sichersten Kriterien zu deren Bestimmung sowie zur Umgrenzung von Übermalungen. Negative Folgerungen sind aber auch hier gefahrlich; man kann nicht einzig auf Grund einer ungewöhnlichen Rißbildung Schöpfungen als unecht abweisen, deren historische Bedeutung sich aus ihren künstlerischen Qualitäten und der stilkritischen Analyse ganz deutlich ergibt. Mit einem Hinweis auf das Ausbleiben der normalen Craquelage und mit einem bedenklichen Kopfsciütteln über die Entwicklung tiefer gewundener Furchen oder jener vielteilig gebrochenen Kruste läßt sich schließlich sogar die Originalität des Genter Altares, der Madonna Rolin Jan van Eycks und der Veronika des Meisters von Flémalle anfechten.

Wer bis zum Gehalt und Wesen eines Kunstwerkes vordringt, fiir den bedarf es keiner Rechtfertigung „der Madonna mit der Wicke“. Die vereinigten Gemälde beantworten selbst die an sie gerichtete Frage. Ein heller reiner Klang geht von den Kompositionen und Gestaltungen aus und diese innere Ausgeglichenheit bleibt uner- reichbar für eine Arbeit, die abgeleitete Formen und entlehnte Motive aufreiht und deren Endzweck nur die Täuschung ist.

ı) Waagen kennzeichnet ein altkölnisches Flügelaltärchen der Sammlung Beresford Hope: „das feinste und ausgezeichnetste Spezimen einer Miniatur in Tempera auf Holz, welches ich bisher von altdeutscher Kunst dieser Periode gesehen habe“... „Die Ausführung ist überaus weich, die bräunlichen Töne im Weiß deuten auf den Gebrauch von Ambrafirnis.£ (Treasures IV, London 1857, pag. 1%.)

2) Ernst Berger: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik III, S. 210. „Dabei ist zu bemerken, daß Bilder auch in gemischter Technik d. h. teils in Gummitempera teils in Ol- farben gemalt wurden, was sich in deren ungleichen Erhaltung ausspriht. Das Fleisch der Wilhelmschen Madonna ist ungemein hell und klar, dagegen zeigt die blaue Draperie um den Kopf Sprünge und Krusten; noch auffallender ist dies an dem bräunlich-roten Gewand zu sehen, welches sich im Laufe der Zeit sehr geändert haben muß; ursprünglich wird die Farbe viel satter und leuchtender gewesen sein, so daß ich nicht anstehe zu erklären, dieser Teil des Bildes sei mit dem Farbstoff Folium (Tournesol, Purpur der Miniaturmaler [Theophil. c. XL]) gemalt. Die Sprünge im Gewand und besonders in der Blume sprechen deutlich für die Verwendung des Bernsteinfirnisses (Vernition)“.

3) Vergil. Charles Lock Eastlake: Materials for a history of oil painting. London 2 vol. 1847 und 1869.

Karl Blechen in Berlin

Die Zeit vor der italienischen Reise !) Von G. J. Kern

Blechen zählte siebzehn Jahre. Die Post hatte ihn Kottbus und dem Eltern- hause entführt. Als Lehrling des Berliner Bankhauses von Selchow u. Co. finden wir ihn wieder. Die Eindrücke der neuen Umgebung ließen zunächst der Sorge um die Zukunft keinen Raum, sie erwachte aber im nüchternen Einerlei des Alltags. Die bange Ahnung stieg in Blechen auf, daß er sein Glück als Kaufmann nicht finden werde. Der Beruf, den er halb widerwillig, unter dem Drängen der Eltern, ergriffen, wurde ihm verhaßt. „Alle Mußestunden“ widmete er der Kunst‘), zeidinend saß er noch häufig vor seiner Lampe, wenn die Turmuhr der Parochialkirche Mitternacht verkündete’). Jahre gingen dahin.

Die Lehrzeit bei Selhow war abgelaufen, das Vaterland forderte sein Recht. Um das Jahr 1819 diente Blechen als Einjährig-Freiwilliger beim Königl. Garde-Pionier- Corps zu Berlin‘). Wie er aussah, schildert uns Toelken, der ihn persönlich kannte °). Seine Ausführungen ergänzt ein später entstandenes geistreiches Selbstbildnis Blechens in der National-Galerie®) (Abb. S. 433). Schlank und ebenmäßig gewachsen steht er vor uns. Unter geschwungenen Brauen schauen zwei dunkle Augen sinnend in die Welt. Rotes welliges Haupthaar und ein roter kurzer Backenbart umrahmen ein schmales Gesicht, leise Melancholie spielt auf den feingeschnittenen Zügen.

Das Soldatenleben verringerte nicht die Liebe Blechens zur Kunst, die Pflicht hinderte ihn, seiner Neigung zu folgen. Nähere Nachrichten über die Dienstzeit fehlen ‘), wir erfahren nur, daß Blechen nach Ablauf des Jahres zu Selchow als Volontär zurück- kehrte °) und bald darauf eine besoldete Stelle als „Kassenführer und Disponent“ in dem Bankhause von A. Koehne annahm °). Die Beförderung entriß ihn der Not, doch machte sie ihn nicht glücklich. Durch Sold gekettet an eine Beschäftigung, die er verachtete, fühlte er sich unglücklicher denn je; er sah die Hoffnung dahinschwinden, sein Ziel zu erreichen.

') Die Ausführungen sollen bereits auf eine größere Monographie des Verfassers über Karl Blechen hinweisen, die im Laufe des nächsten Jahres im Verlage von Klinkhardt & Biermann erscheinen soll. Die Red.

*) Autobiographische Skizze Blechens i. d. Akademie der K., Berlin, datiert „d. 27. May 1835“; der Akademie eingereicht bei der Ernennung zum ordentlichen Mitgliede. Wird im folgen- den als ,Selbstbiographie“ zitiert.

3) Das häufige Arbeiten zur Nachtzeit legte mit den Grund zu einer Geisteskrankheit, die Blechen später befiel. Siehe Gesuch der Frau Professor Blechen an S. M. den König um Be- willigung einer Lebensrente. Entwurf im Besitz von C. Brose, Berlin, von Prof. Hotho redigiert.

4) Selbstbiographie.

5) Sekretär an der Berliner Akademie. (Berlinische Zeitung vom 12. Juni 1841.)

6) Olskizze, National-Galerie, Kat., Nr. 878.

7) Die Stammrollen der Kompagnie sind nicht mehr erhalten. Gef. Mitteilung vom Kom- mando des Garde-Pionier-Bataillons.

8) Selbstbiographie.

*) Desgl.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise. 433

Der Zufall wollte, daß Blechen den Sekretär Schumann von der Aka- demie kennen lernte) Dem leutseligen Manne schüttete er sein Herz aus. In Skizzen, die ihm der junge ,Kaufmann“ vorlegte, erkannte Schumann Regungen eines beaditenswerten Talents. Er riet ihm, zur Vervollkomm- nung seiner Technik, in freien Stunden den Unterricht an der Akademie zu besuchen und verschaffte ihm eine Frei- stelle *). Vermutlid in der Landschafterklasse des Pro- fessors P. Lütke, in dessen Atelier wir ihn bald darauf antreffen 3). Am 28. August 1822 schrieb sich Blechen als Schiller in die Listen der Akademie ein t). Künstlerische Fortschritte, der ständige Ver- kehr mit Gesinnungsgenossen hatten den Widerwillen gegen die geschäftliche Tätigkeit ge- steigert, der Entschluß war gereift: Blechen kündigte, ob- schon bar jeglicher Mittel, 1823 der Firma Koehne den Dienst, um sein Leben der Kunst zu widmen ^).

Der Name Lütke ®) hatte einen guten Klang, kein ge- ringerer als Gottfried Shadow zollte ihm Anerkennung ^). Die Berliner Presse verglich ihn mit Ruisdael °), erwies ihm also die höchste Ehre, die sie einem Landschafter erweisen konnte. Von dem alten Ruhm ist wenig übrig

KARL BLECHEN: Selbstbildnis (Ölstudie)

National-Galerie, Berlin

2) Desgl.

8) „Nach einem Vermerk vom Januar 1823 war er P. Lütkes Atelierschiller*. Festschrift zur Jubelfeier der Kgl. akad. Hochschule f. d. b. K. zu Berlin 1896. Text von Dr. Seeger. S. 86. Wird im folgenden als „Festschrift“ zitiert.

1) Daselbst.

5) Daselbst.

5) Betr. P. L. Lütke siehe Festschrift S. 84, 85. Die Schreibweise des Namens schwankt zwischen „Lütke“ und ,Lüttke“ Der Künstler signiert „Lütke“ (Ansicht von Tivoli, StadtschloB Potsdam).

7) Festschrift, S. 85.

8) „Herr Lütke ist unser Ruisdael“, Berlinische Zeitung vom 27. Okt. 1826 (Nr. 252).

434 Monatshefte für Kunstwissenschaft

KARL BLECHEN: Der Liebethaler Grund

D National-Galerie, Berlin

geblieben. Lütke hat seine Verdienste, auch sie sind vergessen worden. Eine bloße Erwägung sichert Lütke das Anrecht, in den Annalen der deutschen Kunstgeschichte genannt zu werden. Er warf 1816 (!) die Frage auf: „In wiefern lassen sich die lokal- grünen Farben der Natur unbeschadet der Wirkung und Täuschung in einem Land- schaftsbilde anwenden, und wo mag die Gränze dieser Anwendung liegen?“ !) Er begnügte sich nicht mit einer theoretischen Beantwortung sondern versuchte mit Farbe und Pinsel eine Lösung zu finden. Das Bild stellte eine ideale Land- schaft „im vaterländischen Styl“ vor. Es ist verschollen, gewissen Ersatz bietet

1) Katalog der akad. Ausstellung von 1816, Nr. 17.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 435

KARL BLECHEN: Motiv aus der sächsischen Schweiz (Olstudie) D Bes.: C. Brose, Berlin

eine 1824 gemalte Ansicht von Tivoli’). Neben den Prospekten seines Lehrers Hackert mutet das Werk Lütkes mit seinem gedämpften Licht und seinen von Reflexen aufgehellten Schatten wie das Werk eines Pleinairisten an. Die älteren Bilder Lütkes unterscheiden sidi kaum von Hackerts „Veduten“. In einer Landschaft von Glienicke, datiert 1803 °), ahmt Lütke Ruisdael und Hobbema nach, in einem Bilde des Nemisees ) Claude Lorrain und Jan Both. Im akademischen Unterricht befolgte Lütke streng die Methode Hackerts, für den Akademieprofessor blieb Hackerts „Anweisung“ *) das Evan- gelium der Kunst. „In den Wintermonathen“ übten die „Eleven nach Zeichnungen des Lehrers“ die verschiedenen Charaktere der Bäume’), in den „Sommermonathen“ erprobten sie die erlernten Manieren an Motiven aus der Natur‘). Fortgeschrittene durften ausnahmsweise Bilder des Lehrers kopieren. Ahlborn’), wie Blehen Schüler Lütkes, erzählt mit Stolz, daß er die Solfatara mit dem Golf von Bajae, das erste größere Werk des Meisters kopiert und es „binnen acht Tagen für eine ziemlich hohe Summe“ verkauft habe. Im Zeichnen kamen die wenigsten über die berüchtigten Hackertschen Schnörkel hinaus. Die Baumstudien °) Blechens aus dieser Zeit bilden keine Ausnahme, auch sie zeigen den nüchternen kraftlosen Hackertstil.

1) Datiert, StadtschloB zu Potsdam.

*) Daselbst.

3) Akademie d. K., Berlin. Abgeb. im Kat. d. Jahrh.-Aust. 1906, Bruckmann, Nr. 1088.

4) „Über Landschaftsmalerei. Theoretische Fragmente“, hersgg. von Goethe. S. Goethes Werke, Deutsche Nationalliteratur. Hist.-krit. Ausg. Band 27, S. 272 ff.

5) Festschrift, S. 84.

6) Daselbst.

7) Leben des Malers Wilhelm Ahlborn von W. Sander, nach Ahlborns Tagebuch dar- gestellt. 2. Aufl. Nördlingen 1892. S. 7 u. 9.

8) Handzeichnungen Blechens in der National-Galerie.

436 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

C. C. DAHL: An der Elbe (Abend, Olstudie)

O National-Galerie, Kristiania

Dresden und die sachsische Schweiz erfreuten sich als Ziel von Studienfahrten bei den deutschen Landschaftern großer Beliebtheit. Aus dem unfernen Berlin wurden häufig Reisen dorthin unternommen. Natur und Kunst hatten dieses Land mit Schätzen reih beglückt. Das malerische Stadtbild, das sich in den Fluten des Elbstromes spiegelte, Dresdens Kirchen und Paläste, seine Sammlungen lockten die Künstler in Scharen an. Zur Galerie mit den Werken Ruisdaels und Everdingens pilgerten die Landschaftsmaler, auf Goethes Wegen, wie zu einem Heiligtum. Und wenige Meilen vor den Toren der Stadt lag das Wunderland: die sächsische Schweiz mit ihren zer- klüfteten, senkrecht aus der Ebene aufsteigenden Felsen, ihren düsteren Schluchten, Höhlen und brausenden Wasserfällen.

Im Juni!) 1823 schnürte Blechen sein Ränzel und brach nach Dresden auf. In der Tasche trug er ein Handschreiben des Stadtrat David Friedländer an seinen Freund, den Maler Professor Christian Claussen Dahl °).

1) Prof. Dr. L. v. Donop, Der Landschaftsmaler Karl Blechen. Mit Benutzungen von Auf- zeichnungen Theodor Fontanes. Berlin 1908, S. 16. Ohne weitere Quellenangabe. Eine Reise B.s nach Dresden ist für die Monate Juli, August und September durch Skizzen Blechens und das Tagebuch des Malers C. C. Dahl bezeugt, vergl. Anm. 2.

*) Andreas Aubert, Professor Dahl. Et Stukke af Aarhunderts Kunst og Kulturhistorie, Kristiania, 1893. S. 197. Dieses Werk, enthaltend das Tagebuch Dahls, und sein Ergänzungsband „Den nordische Naturfolelse og Professor Dahl, Kristiania 1894“, die wir in folgendem als Aubert,

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 437

Dahl gehörte zu den gefeiertsten Landschaftsmalern, mit Berlin verbanden ihn enge Beziehungen.') Als er im September 1818, von Kopenhagen kommend nach Dresden fuhr, verweilte er auf der Durchreise zehn Tage in Berlin. Bei Friedlander hatte er gastlihe Aufnahme gefunden, dur Buchhorn in den Berlinischen Künstler- verein eingeführt, eine Reihe Maler, unter ihnen Hampe, Völcker und Weitsch kennen gelernt. In den folgenden Jahren kamen wiederholt Bilder Dahls nach Berlin: die berühmte Schloßruine von Tharandt zierte 1820 die Ausstellung des Kunstvereins, sechs andere Werke 1822 die akademische Ausstellung. Die Malerin und Schrift- stellerin Amalie von Helvig hatte aus Dresden Bilder Dahls nach Berlin gebracht, um sie Freunden und Bekannten zu zeigen.

Wo immer Werke Dahlis erschienen, entstand Verwunderung. Benoni Fried- länder, der Sohn des Obengenannten, schreibt Dahl auf eine Anfrage über die Aufnahme seiner Bilder in Berlin, Schinkel, Lütke, Zimmermann u. a. hätten die Werke in der Ausstellung des Kunstvereins gesehen und sidi sehr darüber gewundert. In Dresden nahmen die maßgebenden Kreise Dahl zunächst nicht ernst. Ludwig Richter erzählt, daß Dahlshe Werke bei ihrem ersten Erscheinen in Dresden von den älteren Akademikern mit Kopfschütteln und mit Lächeln empfangen wurden’).

Nicht allein der Wunsch, Dahl kennen zu lernen, führte Blechen in sein Haus an der Elbe 33%). Es wohnte dort noch ein anderer berühmter Maler, der mit Dahl befreundet war, der Professor Caspar David Friedrich $). |

Friedrichs Name bedeutete eine Parole. Unter den Berliner Künstlern gab es wohl niemand mehr, der nicht für oder gegen ihn Partei ergriffen hätte. Heinrich von Kleist wagte es schon 1810, für Friedrich einzutreten, als er die Meereslandschaft mit dem Mònd in Berlin ausstellte °).

Kleist hatte 1811 sein trauriges Ende gefunden, seitdem hatte sich wie in der Politik in der Kunst manches geändert. Die Romantik herrschte über den Rationalismus auf der ganzen Linie, an die Pforten der Berliner Akademie klopfte Tieck an. Mit Schrecken nahm Lütke das Umsichgreifen der mystischen Tendenzen wahr ‘), sein Wider- spruch konnte die Entwicklung nicht aufhalten.

Dahl I und II zitieren, geben ganz neue Gesichtspunkte für die Beurteilung der Blechenschen Kunst. Den Namen Blechens verändert Dahl in „Bleken“.

1) Aubert, Dahl I. S. 59, 60, 70, 71, 174, 175. Über Tharandt s. auch S. 440, Anm. 1.

3) L. Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. IV. Aufl. Frankfurt a. M. 1886. S. 53.

5) Aubert, Dahl I, S. 177.

4) Daselbst S. 179. Friedrich wohnte in dem Hause seit dem Jahre 1820.

5) In den Berliner Abendblattern vom 13. Oktober 1810 findet sich ein lesenswerter Auf- satz „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft*. Die Kenntnis der Stelle und Identifizierung des Bildes verdanke ich einer freundl. Mitteilung von Aubert. Über Brentanos Autorschaft und die Bearbeitung, die der Aufsatz durch Kleist erfuhr, der Artikel ist mit cb unterzeichnet siehe R. Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe, Berlin 1901, S. 262 ff.

6) Er schilt in einem Bericht von 1815 über seinen Schüler Wiese: „es scheint, als habe derselbe mehr Behagen an den jetzt herrschenden mistischen Prinzipien in den Kompositionen als an den ungekünstelten und gefälligen Wahrheiten der Natur, daher ist er auch ein großer Verehrer seines ersten Lehrers, des Herrn Friedrich in Dresden.“ (April 1815.) In einem anderen

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438 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

KARL BLECHEN: Mondnacht

o Bes.: C. Brose, Berlin

Dem Beispiele anderer folgend schloß sich Blechen den Künstlern an, die sich um die Fahne Tiecks scharten. Alle Werke Blechens, die auf die Dresdener Reise zurückgehen und viele der späteren stehen unter dem Einfluß der Dresdener Roman- tiker. Bald übernimmt Dahl, bald Friedrich die Führung Blechens, Dahl blieb ihm ein treuer Ratgeber bis an sein Ende.

Das unvollendet gebliebene Hauptwerk Blechens (Abb. S. 434), das dem Besuche Dresdens und der sächsischen Schweiz seine Entstehung verdankt, vereinigt in sich die Einflüsse der beiden Dresdener Künstler. Nach der Bezeichnung der 1823 datierten Skizze stellt das Bild!) den „Liebethaler Grund“ dar, „gesehen von der Lohmühle nach der Rabentaufe“. In seiner Empfindung, Farbe und Technik entspricht es Bildern wie etwa Dahls Waldba von 1819 aus der Dresdener Galerie oder der norwegischen Landschaft Dahls von 1822 in der Hamburger Kunsthalle, in der Zeichnung Werken Friedrichs wie dem „Kreuz im Gebirge“ des Grafen von Thun und Hohenstein (Teschen, Böhmen) von 1808 oder dem um 1814 gemalten Felsental der Bremer Kunsthalle ?).

Schriftstück (April 1816) heißt es mit Bezug auf Wiese: „da ich ihm in dieser Art von Produktion nicht ferner nützlich sein kann, so werde ich ihn auch künftig nicht weiter als einen Eleven auf- führen“. Festschrift, S. 85.

1) Skizze und Bild in der National-Galerie. Das Bild trägt im Katalog von 1908 die Nummer 620.

2) Kat.-Nr. 111. Erst kürzlich von F. Bechley, Berlin, erworben. In der Hamburger Kunst- halle ein ähnliches Bild, das ebenfalls zum Vergleich herangezogen werden kann. Das Bild in Bremen ist, laut freundlicher Mitteilung Auberts, kurz vor 1814 entstanden.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 439

Blechens ,Liebethaler Grund“ erfüllt alle Forderungen, die Carus als Sprecher des Tieckschen Kreises an das Werk des Landschafters stellt’). Es ist ein ,Erdleben- bild“ ganz im Sinne der Romantiker: Zwischen Felsen gleitet über Klippen der Bach zu Tal, Regenwolken verhüllen den Himmel. Am Horizont ein heller Streifen, der letzte Gruß des Tages. Flackernde Lichter huschen über den Wasserspiegel. Keines Menschen, keines Tieres Laut unterbricht die feierliche Stille. Man hört nur das Plätschern des Wassers und das Säuseln des Windes.

Bach und Felsen erzählen die Geschichte von Jahrtausenden, im Rauschen der Bäume spüren wir den Odem Gottes. So ist ein „Moment des Erdlebens“, eine „Szene in ihrem inneren Sein“, l ihrer inneren Bedeutung nach festgehalten, und aus „einem Gefühl“ die „Stimmung aller Theile“ des Kunstwerkes abge- leitet ?).

In Farbenstudien, die Blechen nach der Natur malte, bekennt sich noch offener als in diesem Werke der Schüler Dahls. Die schon von Lichtwark gerühmte Studie nach Bergen der sädisi- KARL BLECHEN: Der Maler auf der Studienreise schen Schweiz”) (Abb. S. 435) o Bes.: C. Brose, Berlin könnte fast von Dahl selbst ge- malt sein. In ihrer Auffassung stimmt sie mit Studien Dahls überein wie der Ansicht vom Golf von Neapel vom 5. Januar 1821“), der Skizze des Vesuvs bei Gewitter- stimmung vom 15. Januar 1821) und der Aussicht auf die Elbe vom 30. Mai 1822 °) (Abb. S. 436). Blechen hatte Dahls Studien in Dahls Atelier studiert, sie lagen dort, in Mappen aufgestapelt, zu Hunderten °). |

Genau wie bei Dahl stehen bei dem jungen Blechen neben Ausschnitten aus der Natur, Farbenstudien voll warmen zitternden Lebens, „Kompositionen“: Bilder oder Bildentwürfe, die mit der Natur kaum Berührungspunkte gemein haben.

Bei Blechen nehmen die Kompositionen häufig einen grotesk-phantastischen Charakter an. Ein kleiner, braun in braun gemalter Entwurf °) (Abb. S. 438), bezeichnet

1) Carus, Briefe über Landschaftsmalerei, 1835,

2) Daselbst, Seite 254—257.

3) Lichtwark, Studien Bd. II, Seite 137.

*) Kristiania, National-Galerie. Vergl. Jahrh.-Aust. Kat. Bruckmann, Nr. 321.

5) Kristiania, Nat.-Gal., Handkatalog der Jahrh.-Aust. Nr. 303.

6) Kristiania, Nat.-Gal., Handkat. d. Jahrh.-Aust. Nr. 317.

*) Aubert, Dahl I, S. 175. Dahl hatte von seiner italienishen Reise allein zweihundert ausgeführte Handzeichnungen mitgebracht. Vergl. Dahl II. S. 109.

8) Besitzer C. Brose, Berlin. Ich mödıte schon an dieser Stelle Herrn C. Brose, der mir aus dem Nachlaß seines Vaters eine Reihe von Blechenschen Skizzen, Studien, Bildern und Briefen, betreffend Blechen, zur Verfügung stelite, meinen verbindlichsten Dank aussprechen.

440 Monatshefte für Kunstwissenschaft

KARL BLECHEN: Entwurf zu einer Theater-Dekoration

O National-Galerie, Berlin

„Dresden 18. July 23“, führt uns in stürmischer Nacht hinaus an das Ufer eines Berg- sees. Der Mond bescheint kahle Felswände, sein fahles Licht zittert auf unruhigen Wellen. Vor der Mondscheibe die schwarze Silhouette einer zerstörten Burg. Am Ufer steht sinnend ein Greis mit langem wallenden Bart: eine Bürgersche Ballade. Die Ruine läßt die Herkunft des Motivs erkennen, sie erinnert an Tharandt und an das gleichnamige Bild Dahls vom Jahre 1819').

Die Skizze Blechens zum „Liebethaler Grund“ gehört zu einer Reihe von Zeichnungen, die in den malerischen Schluchten der sächsischen Schweiz entstanden sind. Das Ränzel auf dem Rücken, auf dem Kopf den hohen Hut’), wanderte Blechen mit dem Skizzenbuch durch den Plauenschen ?) und Ottowalder *) Grund Zwischen moosumsponnenen Blöcken rauscht der Bach, der Himmel lugt von oben durch die Tannen. Dresdens stolze Bauten zogen das Auge des Malers an: von der Elbbrücke, der Hofkirche und Frauenkirche nahm Blechen flüchtige Skizzen

!) Kristiania, Nat.-Gal. Näheres über das Werk bei Aubert, Dahl II, S. 64. 2) Aquarell im Besitz von C. Brose, Berlin. Der rote Backenbart ist deutlich zu erkennen. 5) Angetuschte Bleistiftzeichnung, bez.: „Plauenscher Grund d 28 July 23.“ Berlin, Nat.-Gal. 1) Federzeichnung, bez. ,Ottowalder Grund 10 Aug. 1823“ und Federzeichnung, bez. „Ottowalder Grund 19. Aug. 1823“. Die Schriftzüge verraten noch eine „kaufmännisch geschulte Hand“. Beide Zeichnungen in der Nat.-Gal.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 441

auf. Eine Reihe sorgfältig ausgeführter Zeichnungen nach Architekturmotiven brachte ihm ein längerer Aufenthalt in Meißen ein’). Der Dom, in Norddeutschland eines der schönsten erhaltenen Denkmäler’ der „vaterländischen“ Bauweise, fesselte sein besonderes Interesse, wie er schon 1803 Runges Begeisterung erweckt hatte °). Runge meinte da- mals, vielleicht erfinde er noch einmal eine neue Baukunst, die wäre aber „gewiß mehr eine Fortsetzung der Gothischen wie der Griechischen“ °).

Der Akademie und ihrem Geiste entfremdet kehrte Blechen nach Berlin zurük. Er scheint den Besuch im Atelier Lütkes bald aufgegeben zu haben, mußte er doch empfinden, daß er ihn nicht weiter fördern konnte. Der Ernst des Lebens trat aufs neue an Blechen heran, da seine kleinen Ersparnisse erschöpft waren. Mit der Herstellung von Theaterdekorationen dachte er sich durchzuschlagen, als ein unerwartetes Ereignis ihn mit einem Mal der Sorgen um den Unterhalt befreite.

Arbeiten des jungen Künstlers, die Schinkel vorgelegt wurden, er- regten dessen lebhaftes Interesse °). Als sich die Verwaltung des neu errichteten Königstädtishen Thea- ters “| an ihn mit der Bitte wandte, ihr einen Dekorationsmaler zu emp- fehlen, schlug er Karl Blechen vor’). „Um eine gewisse Existenz zu erlangen“ nahm Blechen die Stelle an 6), |

Das Repertoire umfaBte Spieloper, Lustspiel, Schwank und Posse. Die meisten Stücke sind heute nicht mehr dem Namen nad bekannt, nur Boildieus und Scribes „Weiße Dame“ wird noch gegeben, Körners grünen Domino kennen wir aus der pucratungescucile. Die Theaterzettel “) des Königstädtischen Theaters aus der Zeit

1) Eine Reihe meist datierter Zeichnungen nach Dresdener und MeiBener Motiven im Be- sitz der Berl. Nat.-Gal.

2) Runge, Hinterlassene Schriften, II, 220; vergl. A. Aubert, Runge und die Romantik, Berlin, P. Cassirer, 1909. Seite 62.

3) Selbstbiographie.

4) Über das Königstädtische Theater siehe „Berlin 1688—1840. Geschichte des geistigen | Lebens der preußischen Hauptstadt von Ludwig Geiger, II. Bd. 1786—1840, S. 501 ff.

5) Selbstbiographie.

6) Daselbst.

7) Vergl. Bericht über die Sitzung der kunstgeschichtl. Gesellschaft vom 10, Januar 1908 in der Kunstchronik vom 31. Januar 1908.

KARL BLECHEN: Interieur O National-Galerie, Berlin

442 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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KARL BLECHEN: Skizze zu einem gepanzerten Ritter O National-Galerie, Berlin

vom 4. August 1824 bis zum 7. August 1827 geben in ihren Angaben betreffen die Dekorationen eine willkommene Übersicht!) über die Stücke, für die Blechen Entwürfe angefertigt hat. Sein Name wird häufig erwähnt, nach den Vermerken hat Blechen für etwa dreißig Stücke Dekorationen ausgeführt.

Im Theaterleben von damals spielt der Zauber eine große Rolle. Aus Titeln von Opern wie „i Uhr oder der Ritter und die Waldgeister“ des Eng- länders Lewis, Kotzebues „Kluge Frau im Walde“ hören wir Webers „Freischütz“, die Oper der Zeit, heraus. Die erste Aufführung, die sie in Berlin erlebte, fand im Königlichen Schauspielhaus am 18. Juni 1821 statt?) Das Publikum geberdete sich

1) Nach v. Donop. Karl Blechen, S.21, nicht ganz vollständig, es fehlt an der Möglichkeit einer Nachprüfung. *) S. den Theaterzettel des Königl. Schauspielhauses vom 18. Juni 1821.

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G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 443

wie toll. „Alles“, schreibt Karoline Bardua!) „war davon elektrisiert. Gleich nach der ersten Vorstellung hörte man die Jungen auf der Straße Melodien daraus pfeifen und singen. Solchen Success hat wohl selten eine Oper erlebt. Wollte man Plätze haben, mußte man den Einfluß aller Theaterautoritäten in Bewegung setzen und sich lange gedulden, ehe man das Gewünschte erreichte. In allen musikalischen Gesell- schaften ward aus dem Freischütz musiziert. Wohin man sah und hörte: Freischütz! Auf der Ausstellung erschien ein lebensgroßes Bild: Agathe auf ihrem Betstuhl knieend am Morgen ihrer Hochzeit °). Überall tauchte die schaurig romantische Gestalt Samiels °) auf, in allen Straßen spielten Orgeln den Jungfernkranz und ‚hier im ird'schen Jammer- tal‘. Es herrschte eine allgemeine Freischützmanie“. Sie ist ein Gradmesser für die Stimmung der Zeit, geboren aus der Reaktion gegen den nüchternen phantasiefeind- lien Rationalismus. Die Not der Zeit hatte das deutsche Mittelalter, die deutsche Mystik heraufgeführt. Die Phantasie des Volkes belebten bunte Bilder aus der deutschen Vergangenheit: Die machtvollen Gestalten der mittelalterlichen Kaiser und Päpste stiegen in seiner Erinnerung auf. Das Andenken an die Römerfahrten, Kreuz- züge wurde wach, an Fehden, Turniere und Fastnachtspiele. Aus den zerstörten Burgen drang Waffenlärm, Orgelklange mischten sich in den Schrei der Nachtvögel, die im Gemäuer der Ruinen nisteten. Zu den Mönchen, Einsiedlern, frommen Pilgern gesellten sic Zauberer, Hexen, Vampyre und andere spukhafte Gestalten, sie wohnen im Dunkel der Wälder und Höhlen und lauern in stürmischer Nacht, wenn die Blitze zucken und der Donner rollt, dem Wanderer auf. | Ausgeführte Dekorationen Blechens sind kaum erhalten, eine Reihe von Ent- würfen bewahrt die National-Galerie, andere sind im Privatbesitz verstreut. Künstlerisch ist den Arbeiten schwer beizukommen. Sie stellen eben nur Unter- lagen für Kunstwerke dar, und diese Kunstwerke gehen in gleicher Weise den Re- gisseur wie den Maler an. Auch der kleine Maßstab erschwert die Beurteilung. Der Zusammenhang mit Schinkel fällt sofort in die Augen; wir müssen uns mit einer Gegen- überstellung der Entwürfe Blechens mit entsprechenden Arbeiten Schinkels begnügen. Daß Schinkel, schon damals mit großen Plänen beschäftigt, MuBe und Lust gefunden, Blechen persônlid zu unterrichten, ist nicht wahrscheinlich, wir vermuten ihn vielmehr in der Werkstatt von Wilhelm Gropius, der im Sinne Schinkels tätig war. Gerade damals erlernte der Maler und Sänger am Königstädtischen Theater Wilhelm Krause bei Gropius die Dekorationsmalerei*). Erst vor einigen Jahren,

1) W. Schwarz (Wanda v. Dallwitz), Jugendleben der Malerin Bardua, nach einem Manuskript ihrer Schwester, Breslau 1874. Seite 265 ff.

2) Wohl identisch mit dem Bilde von Eduard Gleich, Katalog der akad. Aust. von 1826, Nr. 329: „Fräulein Henriette Sonntag, als Agathe in Webers Oper der Freishütz. Nach dem Leben gemalt, ganze Figur in Lebensgröße“. „Eine Szene aus dem Singspiel der Freischütz“ behandelte auch die Landschaft „eigener Erfindung“ von Heinrich Stürmer, die 1822 auf der akademischen Ausstellung ausgestellt war. Katalog Nr. 93.

3) Siehe folgendes Heft.

4) Raczynski (-v. d. Hagen), Geschichte der neueren deutschen Kunst, 1841; Rosenberg, Berliner Malerschule, 1879, und Aubert, Dahl I, S. 196. Übrigens war Krause, wie Aubert nachweist, in Dresden Schüler Dahls.

yyy Monatshefte für Kunstwissenschaft

1822, war eine Folge von Dekorationsentwürfen des Malers Gropius in farbigen Ab- bildungen erschienen !). Sie gehörten zum „neuen Styl“, der alte, der „italienische“ Stil, Verona und Genossen, galten als überwunden.

Unter der Intendantur des Grafen Brühl hatte sih auf dem Gebiete der Theatermalerei eine umfassende Reform vollzogen. Die Seele der Bewegung war Schin- kel. Sie nahm ihren Anfang °) mit den „perspektivisch-optischen“ Dar- stellungen, die er fūr die seit 1807 von W. Gropius veranstalteten Weihnachtsausstellungen anfer- tigte. Die Ansichten Schinkels von Palermo, Konstantinopel, Jerusalem, dem brennenden Moskau ?), die bei künstlicher Beleuchtung einer staunenden Menge vorgeführt wur- den, sind Vorstufen für die Deko- rationen zur Zauberflöte, mit denen Schinkel 1815 an die Öffentlichkeit trat. Sie bedeuten einen Bruch mit allem Früheren. Daß die Oper nach ihrer ersten Aufführung in Berlin am 18. Januar 1816 in kürzester Frist zwölfmal vor über- fülltem Hause gegeben werden KARL BLECHEN: Entwurf zu einem Denkmal konnte, verdankte die Intendantur

den neuen Dekorationen’). An diesen Werken gemessen, erscheinen die Blechenschen Dekorationen künstlerisch wenig bedeutend. In Blechens Entwürfen für das Zauberreich überwiegt das Kuriositätsinteresse, das historische und ethnographische Empfinden die Stimmung‘), Blechen fehlt Schinkels kühne den Weltenraum umspannende Phantasie und die Beherrschung des Mittels. Angstlich tastet er umher, der Geist einer verknöcherten Philologie sitzt zwischen den Mauern seiner Burgen, Wagner, nicht Faust, blättert in den Pergamenten. Bei der Schilderung der Wirklichkeit hat Blechen auch als Dekorationsmaler Wert-

1) Entwürfe von Schinkel waren bereits früher in Abbildungen herausgegeben worden.

2) Uber Schinkel als Dekorationsmaler siehe Aufsatz von A. G. Meyer i. d. Zeitschrift Berliner Architekturwelt, Jahrgang VI, Heft 11, 12; vergl. dazu A. v. Wolzogen, Schinkel als Architekt, Maler und Kunstphilosoph, Berlin 1864.

3) Abbildg. bei Hermann Ziller, Schinkel, Velhagen & Klasing, 1897, S. 14.

1) Vergl. H. Makowsky. Karl Blechen, Museum, Band 8.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 445

volles geschaffen. Zum Besten gehört der Entwurf eines Biedermeier-Interieurs !) (Abb. S. 441). Das Blatt ist in seiner Anspruchslosigkeit von intimem Reiz: kühles Tageslicht fällt, durch einen Vorhang gedämpft, in den kleinen Raum, es wird zurückgeworfen von reinlichen Steinfliesen und hellen Wänden. Eine von Pilastern eingerahmte Wandnische nimmt das Sofa auf, vor dem ein runder dreibeiniger Tisch steht, ein Kachelofen mit „antiker“ Bekrönung, ein Sekretär, ein Tafelklavier, ein paar Stühle mit altväterisch zurückgebogenen Lehnen machen den Raum behaglich. Die treffliche perspektivische Konstruktion des Raumes, die einer mathematischen Prüfung Stand hält, ordnet sich ganz dem künstlerischen Zweck unter.

Von den figürlihen Entwürfen Blechens ragt der Entwurf zu einem Theater- vorhang mit drei Musen °) durch die Geschlossenheit der Komposition hervor, die Zeichnung eines gepanzerten, weit ausschreitenden Ritters?) erhebt sich zu monu- mentaler Größe (Abb. S. 442). Eine Vorahnung Hodlers.

Etwa gleichzeitig mit der Skizze des Ritters mag ein Entwurf Blechens für ein Denkmal‘) entstanden sein, dessen Sockel die Jahreszahl 1825 tragf*). Die Skizze zeigt den Erdball zwischen zwei weinenden Frauen in antiken Gewändern, in einer er- weiterten Fassung (Abb. S. 444) umgeben fünf klagende Frauen die Erdkugel. Der Sinn der Darstellung ist nicht ganz klar. Es liegt nahe, in ihr eine künstlerische Huldigung an die Helden des griechischen Freiheitskrieges ®) zu vermuten, der damals die ganze ge- sittete Welt zur Begeisterung für das mutige Griechenvolk hinriß, aber der Deutung im einzelnen stehen Schwierigkeiten im Wege‘). Die formale Lösung der Aufgabe macht Blechens architektonishem Sinn alle Ehre. Der Rhythmus der Komposition, die Anmut der Verhältnisse und Linien durften den Neid selbst der Bildhauer vom Fach erregen.

') Nat.- Galerie.

2) Melpomene, Polyhymnia, die dritte vermutlich Thalia. In der Nat.-Galerie.

*) Daselbst.

4) National-Galerie, Handzeidinungenkatalog Nr. 155, daselbst angeführt als ,Grabdenkmal*.

*) Schwer leserlich, wurde von Dr. B. Schröder, Berlin, entziffert.

e) In das Jahr 1825 (auf den 1. Dezember) fällt der Tod Alexanders von Rußland, der den Griedien Rettung brachte. Belagerung Missolonghis Mai 1825 bis April 1826.

*) Wenn die fünf Frauen (nicht vier, wie im Katalog der National-Galerie angegeben) die fünf Erdteile darstellen, so fragt sich, wer, bzw. was unter den beiden Frauen des anderen Entwurfes. zu verstehen ist. Eine dekorative Skizze in Öl (Nat.-Gal., angeführt im Hand- zeichnungs Katalog unter Nr. 223 als „Grabdenkmal im Gestrüpp“) gibt das Denkmal in ver-

shwommenen Umrissen wieder. (Fortsetzung folgt im nädisten Hefte.)

Cy

STUDIEN UND FORSCHUNGEN

DAS PISA-RELIEF DES MUSEO PIO-CLEMENTINO

Im Heft 1,2, Seite 43, des I. Jahrganges dieser Zeitschrift hat Ernst Steinmann ein Relief des Museo Pio-Clementino reproduziert und seinen Inhalt auf Grund einer analogen Darstellung Vasaris in der Sala di Cosimo im Palazzo Vecchio zu Florenz richtig gedeutet, zugleich auch auf Grund stilistischer Untersuchung den Känstler in der Per- son des Bartolommeo Ammanati bestimmen zu können geglaubt. Es ist Steinmann dabei ent- gangen, daß Vasari eine Beschreibung des Re- liefs selber gibt und auch den Namen des Künst- lers nennt. Er schreibt im Leben des Pierino da Vinci: „Er begann darauf eine Szene in Marmor, von einer Elle Höhe und 1'/ Ellen Länge, in halbem und flachem Relief; der Gegen- stand ist die Stadt Pisa, welche von dem Her- zoge wiederhergestellt ist. Auf dem Werke ist dieser selber bei der Wiederherstellung der Stadt anwesend und beschleunigt sie durch seine Gegen- wart. Rings um den Herzog sind seine Tugen- den abgebildet, und sonderlich eine Minerva, welche die Universität und die von ihm in der Stadt Pisa wieder aufeıweckten Künste ver- körpert; und sie ist rings umgeben von vielen Übeln und den von Natur vorhandenen Mängel der Gegend, die als Feinde sie von allen Seiten belagern und heimsuchen. Von allen diesen ist

dann die Stadt durch die genannten Tugenden des Herzogs befreit worden. Alle die Tugenden rings um den Herzog und alle die Übel rings um Pisa waren in sehr schöner Manier und in sehr schönen Bewegungen von Vinci in seinem Relief dargestellt; aber er ließ es unvollendet, zum großen Bedauern des Beschauers wegen der Vollkommenheit der fertigen Teile.“

Die Identität des von Vasari beschriebenen Stückes mit dem Relief des Museo Pio-Clemen- tino wird nicht bezweifelt werden können; die Maßangaben in Ellen, wie immer von Vasari als ungefähre GròBenbezeichnung gegeben, ent- sprechen ziemlich der wirklichen Größe von 73 zu 106 cm. Stilistisch hängt das Pisa-Relief durchaus mit dem Ugolino-Relief zusammen, wobei man aber nicht an das aus abgenutzter Form gewonnenen Stucco des Museo Nazionale zu Florenz mit seinen verschwommenen Formen, sondern an das Bronzeoriginal zu denken hat. Nach Vasari hat Pierino das Relief nicht voll- endet; heute präsentiert es sich als fertige Arbeit, es ist aber nicht schwer die scharfkantige und ekige Formgebung des spätren Fertigstellers zu erkennen. Das von Steinmann auf dem Relief erkannte Porträt Ammanatis dürfte, da seine diese Feststellung begründende Autor- bestimmung nicht zutrifft, nicht als solches an- gesehen werden können.

Adolf Gottschewski.

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REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FUR KUNSTWISSENSCHAFT

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Heft 10

Zwei mittelalterliche Plastiken des Märkischen

Museums Von Friedrich Wolff

Die Sammlung kirchlicher Altertümer im Märkischen Museum enthält der Mehr- zahl nach Stücke von mittlerem und geringem Werte, die ihre Aufnahme in eine öffent- lie Sammlung weniger wissenschaftliher Kritik als dem Zufall verdanken. Mitten unter sie aber hat dieser Zufall auch einige wenige Denkmäler getragen, die nicht nur zum besten gehören, was die Provinz Brandenburg in ihren Kirchen besaß, und nach diesem Maßstab gemessen sein wollen, sondern weit über ihn hinaus im allgemeinen kunstgeschichtlihen Zusammenhang volle Würdigung verdienen.

Im Jahre 1876 kam aus der Kirche St. Nikolai in Spandau eine Figur der Maria mit dem Kinde, die jetzt an einem Pfeiler der groBen Halle im Neubau des Museums ihren leidlich günstigen Standort gefunden hat, während sie bei den bisherigen Aufstellungen mit den denkbar schlechtesten Plätzen an Pfeilern zwischen Fenstern sich hatte begnügen müssen. So blieb sie all die Zeit hindurch unbeachtet und auch dem kundigen Auge entzogen. Es ist eine Statue aus feinkörnigem Sandstein, 1,54 m hoch. Die Art ihrer jetzigen Aufstellung entspricht wohl der ursprünglichen, denn die Rück- seite ist, mit Ausnahme des Hinterkopfes, flach und grob behauen. Die Haltung der Gestalt ist ruhig, nur leise geschwungen. Die Last ruht auf dem linken Fuß, der rechte ist ohne Beugung des Knies zur Seite gestellt. Die Verhältnisse von Ober- und Unterkörper sind wohl erwogen, die Erscheinung im ganzen scimäcitig mit ihren steil abfallenden Schultern; die flache, doch leise schwellende Brust der eher mädchen- als frauenhaften Madonna wirkt deutlich hervor unter dem kollerartig anliegenden Untergewand. Der fast eiförmige Kopf ist mit der Masse des Rumpfes durch die Konturen des senkrecht auf die Schultern fallenden Kopftuches vereinigt. Das weiße Tuch liegt leicht auf dem blonden Haar, in der Bewegung seiner gewellten Säume die Linien der dünnen Haar- strähne begleitend. Haar und Kopftuch zusammen bilden in ihrer graziösen Bewegt- heit den Gegensatz zu den kantigen, härtlihen Formen des Gesichts, in dem die Plastik nur die Hauptverhältnisse feststellt, während die Durchbildung in den Einzel-

heiten der Malerei überlassen ist. Charakteristisch für dieses Gesicht ist die leicht ge- | | 35

448 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

bogene Nase und das stark nach vorne gezogene leicht gerundete Kinn; die flache Stirn, der Nasenrücken und das Ende des Kinnes liegen nahezu in einer Schicht. Der Typus der Züge läßt fast an ein slavisches Modell denken, ein Eindruck, der durch die starken Backenknochen noch verstärkt wird, die Ober- und Untergesicht und Wangenflächen, plastisch fast übergangslos, in große getrennte Flächen zerlegen. Wie das Gesicht entbehren auch die Hände der Weichheit und zarteren Durchbildung, ja die Konturen der Finger erscheinen noch härter und schärfer. Als dünn und knochig wirken audi die eng an den Leib genommenen Arme mit ihren schwachen Gelenken durch die Ärmel hindurch. So ist die ganze Masse der Gestalt eng und ohne Ein- schnitte zusammengehalten. Nur das Kind ist, wie zur Betonung seiner selbständigen Existenz, abgerückt und in eine etwas geneigte Achse gestellt, daß ein tiefer Einschnitt zwischen seinem Körper und dem der Mutter entsteht. Sein Kopf ist runder als der der Maria, mit kurzen, braunen Léckchen bedeckt, die einzelnen Partien des Gesichts und der Hände doch ein wenig elastischer und minder scharf als bei der Mutter durch- gebildet.

Im Gegensatz zu den graden Umrißlinien des Oberkörpers ist der Unterkörper der Figur belebt vom reichen Faltenzug des Mantels. Das Gewand darunter stößt in parallelen scharfrippigen Falten, nur unten in einer Knickung gebrochen, auf den Boden auf. Rechts entstehen die parallelen Stufenfalten des Mantels, indem ihn die Linke, die das Kind trägt, nach oben zieht.

Den Wert dieser reizvollen Figur erhöht die Erhaltung ihrer alten Bemalung. Das Untergewand der Madonna ist goldbraun mit etwas dunkleren Borten besetzt. Der Mantel in seinem Blaugrün, dessen Pracht jetzt etwas verblaßte über das Ganze verstreute goldene Kreise und Quadrate erhöhten, zusammen mit dem Fleischrot des Futters bildet eine kompakte Masse tiefer, schwerer Farben, die gleichsam als Sockel wirkt für die hellere obere Hälfte, die von dem lichteren Braun des Unterge- wandes bis zum Weiß des Kopftuches sich immer weiter aufhellt. Das Kind trägt ein Kleid von dunklem Violett, mit braungoldenen Sternen und Säumen verziert, wird also durch die Farbe mit der Hauptmasse zusammengehalten. Die Bemalung der Gesichter ist, von Augen und Augenbrauen abgesehen, fast nur angedeutet in einem gelbbräunlichen Fleischton mit griinlichen Lichtern. Lippen- und Wangenrot sind hel und nur leicht angedeutet.

Eine rund um den Kopf der Maria über der Stirnlinie hinlaufende Rille deutet darauf hin, daß diese vielleicht eine Krone trug, mit deren Befestigung dann wohl auch ein 5 cm tiefes konisches Loch im Scheitel in Zusammenhang steht.

Dem 14. Jahrhundert verdankt die Spandauer Nikolaikirche hervorragende Teile ihrer inneren Ausschmückung, die erst bei der Einführung der Reformation verloren gegangen sind. Die Akten einer Kirchenvisitation von 1541 nennen allein fünf Altäre, deren Stiftung im XIV. Jahrhundert erfolgte, deren vier in der ersten Hälfte!). Ist die Aufzählung richtig, so wurden allein im Jahre 1330 zwei Marienaltäre errichtet, deren

1) Urkundliche Geschichte der Stadt und Festung Spandau, bearbeitet von Dr. Otto Kuntze- müller, Spandau 1881, S. 150ff.

F. Wolff. Zwei mittelalterliche Plastiken des Markischen Museums 449

einer „beatae Mariae virginis et privatarum horarum“ in der Marienkapelle, der heutigen Sakristei unter dem Patronat des Rates stand, während der zweite als Frühmessealtar privater Stiftung seinen Ursprung verdankte. Der Marien- kult stand danach in großem Flor. Um die- selbe Zeit oder nicht viel später muB die Auf- stellung unserer Marienfigur erfolgt sein, ver- mutlih wohl auch in der Marienkapelle.

Diese Figur weist auf einen der Wege, auf dem um diese Zeit und gewiß noch lange nachher Kunstwerke in das Landöstlih der Elbe kamen, in allen den Fällen, in denen man sich mit der mäßigen, wenn überhaupt vorhandenen provinziellen Produktion nicht begnügen wollte.

Die Nikolaikirche war schon im XIII. Jahr- hundert im Besitz des Benediktinerinnen-

Nonnenklosters und dieses Verhältnis bestand.

nad Kaiser Karl IV. Landbuch auch in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts noch fort.) Durch sein Bistum Brandenburg oder audi direkt unterhielt das Kloster wohl eine starke Verbindung auch in Dingen der Kunst zum Erzstift in Magdeburg.

Im Querhaus des Magdeburger Domes im nördlichen wie im südlichen Schiff steht je eine Figur der Maria aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts.?) Die größere der beiden an einem Pfeiler des südlihen Querarms, aus Sandstein, übertrifft die Spandauer Madonna um fast !/, m.*) Von diesem Unterschied und einigen wenigen Abwandlungen und Bereiche- rungen im unwesentlichen Detail abgesehen, ist die Verwandtschaft der beiden Figuren so erstaunlich, daß der Schluß, sie müßten beide

Märkisches Museum, Berlin o Orig.-Aufn. v. Dr. Fr. Stoedtner-Berlin

aus derselben Werkstatt, ja aus derselben Hand hervorgegangen sein, zwingend erscheint. Zunächst ist die Erscheinung fast dieselbe. Hier wie dort der ein wenig lange Unter- körper, der etwas kurze Oberleib. Die größte Ahnlichkeit in der charakteristischen

1) Fidicin, Kaiser Karl IV. Landbuch der Mark Brandenburg, S. 30.

2) Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 100. Schnaase, Geschichte der bildenden

Künste, Bd. VI, S. 50f. 3) Höhe 1,82 m.

450 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Bildung des Kopfes mit den breiten Flachen, den hohen Augenbrauen, der leicht gebogenen Nase, dem vorgezogenen Kinn. Das Standmotiv völlig gleich, ebenso die Art, wie das Kind getragen wird und wie es sich hält, sein ein wenig un- sicher balancierendes Sitzen auf dem untersten Teil des Unterarms mit völlig ge- radem Rücken. Das Kind scheint der Doppelganger des unsrigen. Auch das Gewand ist im Faltenmotiv identisch, nur daß in Magdeburg nicht die Hand, die das Kind trägt, den Mantel hinaufzieht und die vier Wellen des Seitenumrisses verursacht, sondern die miissige Rechte, in der die Spandauer Madonna einen Apfel halt. Die Faltengebung läßt die völlige Übereinstimmung bis in die S-förmigen Lagerungen im AufstoBen des Unterkleides, bis in die Wellen und Spiralen im Kopftuch verfolgen. Auch die Magdeburger Figur steht noch im Schmuck der schönen, alten Bemalung, die Farbenstellung ist hier und dort dieselbe. Nur ist aus dem Blaugrün des Mantels in Magdeburg ein Grünlichgrau geworden, das das Gesamtverhältnis der Farben nicht ändert. Völlig gleich sind beide Figuren in den Borten des Mantels, in denen helle Quadrate mit fünf dunklen dominoartig angeordneten Punkten die dunkleren Streifen unterbrechen. Reicher ist die Magdeburger Figur durch einen Kleeblattsaum am Unter- gewand Marias, durch einen gemalten Brustshmuck am Kleid des Kindes. Wie sie überhaupt in ihrer besseren Erhaltung!) mit der lebhaft wirkenden Goldmusterung der Gewänder und des Kopftuches glänzender wirkt.

Ich halte die Magdeburger Maria für die jüngere der beiden. Die Durchbildung des Gesichts und der Hände ist formenreicher, mehr am Detail verweilend, gefälliger Die Hände sind voller und rundlicher, an Übergängen reicher, nicht mit der gleichen Unbedenklichkeit Flächen gegen Flächen gesetzt. Aber gerade darum steht die Figur in Magdeburg auch an Frische und Kraft des Eindrucks hinter der naiveren, mehr archaistischen Spandauer Madonna zurück. Besser, lebendiger erscheint die Beziehung von Mutter und Kind in Magdeburg; aber auch das spricht dafür, daß diese Figur die etwas spätere ist.

Ohne weiters kann man sagen, daß die Spandauer Maria nicht nur das beste erhaltene Stück Steinplastik des XIV. Jahrhunderts ist, das auf brandenburgischem Boden seinen Standort fand, sondern daß sie zu den reizvollsten Denkmälern der Zeit und nicht nur in der norddeutschen Tiefebene -— gehört, die ein Museum besitzen kann. Ein glücklicher Zufall hat sie bewahrt. Man hat ihr, wie die Überlassung an das Museum bezeugt, keine Beachtung geschenkt, selbst nicht zu einer Zeit, in der man weit weniger wertvolle Stücke, wie die dem XVI. Jahrhundert angehörigen Fi- guren der Maria und des Johannes vom Triumphkreuz der Nikolaikirche zurückforderte. Sie hat jedenfalls schon seit der Einführung der Reformation in einem stillen Winkel gelegen und verdankt wohl gerade die Erhaltung der schönen alten Farben der Un- beachtetheit, in der sie blieb, bis die Neuaufstellung der Sammlungen sie hervor- treten ließ.

* * x

') Der Figur im Märkischen Museum sind leider beide Fußspitzen abgeschlagen worden, auch war der Kopf des Kindes jahrelang vom Rumpf getrennt.

F. Wolff. Zwei mittelalterlihe Plastiken des Märkischen Museums 451

Und nodi einen zweiten kostbaren Schatz besitzt das Museum, den wie den ersten die Neuordnung erst ans Licht gebracht hat: die wundervolle, überlebensgroße') Figur eines Bischofs. Sie steht nicht fern von der Madonna an der Schmalwand der großen Halle.

Für dieses ausgezeichnete Werk, das 1890 in die Sammlung kam, war bei den früheren Aufstellungen niemals ein Platz zu finden gewesen. Auch der heutige ist leider sehr ungünstig. Das Licht fällt scharf von der Seite ein, so daß die eine Hälfte in schwerem, unge- teiltem Schatten steckt. Für die Aufnahme gelang es nur ungenügend, ihn aufzuhellen. Der Putz der Wand ist überdies im Ton fast gleich der Farbe des grau gewordenen Eichenholzes und verschluckt alle Feinheiten des Umrisses.

Die Figur stammt aus der Marienkirche zu Witt- stock. Dort residierten seit dem Ende des XIII. Jahr- hunderts die Bischöfe von Havelberg in fürstlicher Hof- haltung auf der Burg als Herren des Gebiets. Durch sie kam die unbedeutende Landstadt in den Besitz einer Reihe von Denkmälern, die andernfalls dorthin sich nicht verirrt hätten. Die Bischofsfigur kam in die Berliner Sammlung mit einer Anzahl minderwertiger Stücke, die Bergau noch in den achtziger Jahren nur ganz nebenher als „mehre in Holz geschnitzte Statuetten“ inventarisiert hatte.?) Es ist erstaunlich, daß ihre Be- schädigungen nadı so langen Jahren der Vernachlässigung nicht zahlreicher sind.°)

Groß und einfach stellt die Gestalt sidi dar. Es scheint, als halte sie im Schreiten still, als verharre der Bischof sinnend nur einen kurzen Augenblick. Doch ist die Bewegung in völliger Abgeschlossenheit gegeben. Der Körper ist kraftvoll aufgerichtet, fest umgrenzt die ganze Erscheinung wie die Form des rechteckigen Werks- tückes. Die geringe Ausbiegung der linken Hüfte bleibt Dom in Magdeburg o fast unbemerkt. Alles ist machtvoll, doch leicht in Ein- ©'19--Aufn. v. Dr. Fr. Stoedtner-Berlin fachheit gegeben. Der Bischof ist ein Mann von starker Brust, ein wenig hochgezogenen Schultern, von großen, doch nirgends plumpen Maßen. Das Verhältnis von Ober- und Unterkörper, von Kopf und Rumpf ist völlig richtig.

1) Höhe 1,96 m.

2) R. Bergau, Inventar der Bau- u. Kunstdenkmäler der Prov. Brandenburg. Berlin 1885, S. 788.

5) An gröberen Beschädigungen sind die Verstiimmelung der linken Hand, der Verlust eines Stückes vom Hinterkopf und der Krümme des Pedums zu beklagen. Die Nase, der ein kleines Stück fehlte, wäre besser geblieben, wie sie war. Die vorgenommene Ergänzung stört.

452 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Einzig der Kopf ist nach vorn und um ein weniges nach links aus der Achse geneigt, eine fast unmerkliche Bewegung der Vertikalen, die doch genügt, Rhythmus in den Oberleib zu bringen, der sonst in seiner Unberührtheit von allem Nebensachlichen

Märkisches Museum, Berlin O Orig.-Aufn. v. Dr. Fr. Stoedtner-Berlin

im Gegensatz steht zum Unterkòrper mit seinen diago- nalen, stark bewegenden Faltenziigen. Links fallt eine fast ungebrochene Linie steil von der Schulter, ent- lang dem angedrückten Oberarm bis zu den Füßen, im unteren Teil durch den welligen Umriß der Kasel ein wenig bewegt. Rechts bildet der Bischofsstab, in dessen Richtungstendenz der Arm und die gesenkte Hand einbezogen sind, eine nicht minder sichere Be- grenzung. Der volle Holzstamm scheint erhalten.

Von höchster Kraft und Fülle des Ausdrucks ist der Kopf. Beim ersten Anblick glaubt man seines Bildnischarakters gewiß zu sein. Ein Porträt scheint angestrebt und sicher erreicht. Diese Wirkung spricht sidi aus, ohne daß die naturalistische Durchbildung der einzelnen Form zur Hauptsache geworden wäre. Im Gegenteil ist die Behandlung von Haar und Bart fast schematisch. Aber dieser kraftvolle, entblößte Hals, die Stirn, die ein wenig eingesenkte Nase, der ruhende Blick, das alles scheint voll persönlichsten Lebens. Die Oberflächenwirkung der Haut, die Lagerung der Muskeln ist in voller Entfaltung des Könnens gegeben. Mund und Augen haben etwas Scharfes, Gealtertes, sie geben vor allem den Zug von Müdigkeit und Verlorenheit im Anblick der Gestalt.

Die Mitra ist nur niedrig, in ihren Dimensionen zurückgehalten, um vom Kopf selbst nicht abzuziehen. Sie lenkt vielmehr noch stärker das Schwergewicht auf die wenig hohe Stirnfläche, die das ganze dominiert, auf den Ausdruck des Geistigen in des Bischofs Er- scheinung.

GroBe Kunst der Stoffcharakterisierung spricht sich in der Schilderung des Gewandes aus. Die Alba mit ihren starken, parallel-diagonalen Rippenfalten ist als schwer und lastend geschildert. Die dinnere Kasel im Gegensinn über der Brust zu kurzen Falten

gezogen, endigt fast schleierartig fein in zarten Lagerungen ihres Saumes am linken

Schenkel.

Es ist die Frage welches die Heimat dieser prachtvollen Figur voll starken, tiefen Lebensausdruckes ist, die in ihrer Zeit in allererster Reihe steht. Woher kam sie da von einer Entstehung am Ort nicht die Rede sein kann in die Residenz

F. Wolff. Zwei mittelalterlihe Plastiken des Märkischen Museums 453

der norddeutsch-binnenlindischen Bischöfe, unter denen die Förderer solcher Kunst nicht allzu dicht gesäet sind?

Der starke nordfranzösische Einfluß auf den Künstler dieser Figur ist wohl unver- kennbar. Die Größe und Ruhe des Aufbaus, diese Gebundenheit in der Achsenent- wicklung weist auf einen Künstler, dem die großen Meister und Werke der architektoni- schen Plastik nicht fremd waren. Andrerseits scheint es mir ausgeschlossen, an fran- zösishhen Ursprung zu glauben. Vielmehr möchte ich vermuten, daß sie in ihrer zeitlichen Stellung um 1350 zu den ältesten Zeugen der allmählich einsetzenden Strö- mung gehört, die von den Ländern am Niederrhein und der unteren Maas hinüberzog in die Gebiete der Ostsee und ihr Hinterland, nach Lübeck und dem deutschen Nord- osten, eirie Strömung, die alle Stilwandlungen überdauernd vom XIV. bis ins XVI. Jahr- hundert reicht. | |

Unsere Figur scheint mir auf eine niederrheinische Gruppe von Künstlern hinzu- weisen, die von Frankreich her starke Impulse empfing und ihrerseits wieder im Laufe der Entwicklung solche Anregungen weiter gab für um 1400 entstehende Werke, wie die Apostel am Portal des Südturmes des Kölner Domes, um nur eins zu nennen.

Es ist ein Künstler, der sich von aller Ziererei und Übertreibung noch völlig frei hält, der diesen Eindruck mannlichsten Ernstes zu schildern vermochte. Nichts wandelt diesen Bischof an von äuBerlicer Demut. Stammt diese tektonische Klarheit von jenseits der französischen Grenze, so ist in dieser Einheit von Kraft und Hoheit, in diesem sichtlihen Interesse am Bildnismäßigen ein Schritt über die nordfranzösischen Vorbilder hinaus getan.

Ist die Figur am Niederrhein zuhause, so ist sie an ihren Aufstellungsort wohl sicher über Lübeck gelangt. Es ist natürlih, daß die Beziehungen Wittstocks zum Haupt der Hanse lebhaft waren, obwohl weder Havelberg noch Wittstock zum Bunde gehörten. Wie Lübeck auch weiterhin das Haupteinfallstor der Einflüsse von Westen her wurde, ist es dies jedenfalls vom ersten Einsetzen der Strömung nach Osten gewesen. Etwa anzunehmen, daß wenigstens Lübeck die Heimat des Bischofs ist, schließt ein Blick auf die gleichzeitigen Holzbildwerke der Zeit aus.

Er überragt alles, was in diesen Ländern vorhanden ist auc was als Fremdgut außer Zweifel steht bei weitem. Er findet seinesgleichen nur in dem Besten der Zeit. Und er erscheint, wie die Steine, die elementare Kräfte von fern- her in dieselben Länder trugen, als Findling innerhalb weiter Strecken, die der selb- ständigen Entwicklung der Plastik um diese Zeit nicht günstig waren. Der Freude an seinem prachtvollen Anblick kommt nur das Interesse gleich für die Tatsache, daß wir wenn meine Annahme zutrifft so früh schon Werke des westländischen Holz- bildhauers denselben Weg nach Osten einschlagen sehen, den die Metallplastik, wie wohl heute nicht mehr bezweifelt wird, um weniges früher schon gegangen war.

F

Karl Blechen in Berlin

Die Zeit vor der italienischen Reise ') Von G. J. Kern (Fortsetzung und Schluß)

Die Tätigkeit Blechens als Theatermaler konnte nicht ohne nachhaltigen Einfluß auf seine Landschaftsmalerei bleiben. Die Folgen treten bald zutage.

Auf die Ausstellung des Jahres 1826 hatte Blechen neun Landschaften gesandt. Der Katalog führt sie als Werke „eigener Erfindung“ auf. Leider summarisch, wo- durch eine Identifizierung der einzelnen Bilder erschwert wird. Anscheinend, nadı dem Datum ihrer Entstehung und nach Zeitungsberichten, war die Winterlandschaft mit dem verkrüppelten Baum °) ausgestclit, die sidi heute im Besitz der National-Galerie befindet (Abb., S. 455). Das Werk ist bezeichnet „C. Blechen 1825.“ Ein Motiv aus der sächsischen Schweiz, im Sinne einer Schweizer Landschaft heroisiert. Die Vorstellung von „echten“ Schweizer Landschaften schöpfte der Künstler aus Schweizer Bildern und Veduten, die den Kunstmarkt überschwemmten. Blechen hatte früher selbst Schweizer Prospekte kopiert, eine Wiederholung dieser Art bietet eine Landschaft Blechens in Öl bei C. Brose.

In dem Bilde der Winterlandschaft von 1825 fällt der riesenhafte kahle Baum ins Auge. Er versperrt den Zugang zum Tal. Wie ein Polyp im Meerwasser die Fangarme streckt er rotgraue narbige Zweige in die kalte Winterluft aus. Aus der Ferne schimmert durch den Nebel das einsame ®) Licht einer Hütte, bleiche Lichtstrahlen wirft der Mond über beschneite Felsblöcke:

„Furchtbar gähnt Gespenst'ge Nebelbilder wallen, Der düstre Abgrund, welch ein Graun! Belebt ist das Gestein!

Das Auge wähnt Und hier husch, husch!

In einen Höllenpfuhl zu schaun! Fliegt Nachtgevögel auf im Busch! Wie dort sich Wetterwolken ballen, Rotgraue narb'ge Zweige strecken

Der Mond verliert von seinem Schein! Nach mir die Riesenfaust!“

In Webers „Freischütz“, in der fürcherlihen „Wolfschlucht“, hatte Blechen die Motive für sein Bild gefunden. Die Wolfschlucht selbst aber, wie sie Blechen vor Augen stand, gibt ein anderes Werk des Künstlers wieder. Es ist unter der Bezeichnung

1) Die Ausführungen sollen bereits auf eine größere Monographie des Verfassers über Karl Blechen hinweisen, die im Laufe des nächsten Jahres im Verlage von Klinkhardt & Biermann erscheinen soll. Die Red.

°) Es wird vom Referenten der Berlinischen Zeitung ein Bild mit einer „strippigen Eiche“ erwähnt, die ihm zu kahl schien „in Hinsicht ihrer Zweige“.

3 Das Wort „der einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes“, das Brentano bezw. Kleist (s. oben) auf Friedrichs Mönch am Meer anwendet (Berliner Abendblätter vom 13. Oktober 1810) findet durch Blechens Bild eine wôürtlihe Auslegung!

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 455

KARL BLECHEN: Beschneites Tal

Nat’onal-Galerle, Berlin

„Gebirgslandschaft mit Vampyrjagd“ bekannt'). Der Titel geht auf eine Verwechslung °) mit dem Bilde zurück, das in Böttichers Inventar *) Blechenscher Arbeiten die Nummer 130 trägt, während unser Bild der Nummer 5 des Verzeichnisses entspricht *).

Hugo von Blomberg hat als erster, 1867, in dem Buche „Der Teufel und seine Gesellen in der bildenden Kunst“, den Sinn des Blechenschen Werkes erklärt, kürzlich wies von Donop in seiner angeführten Schrift über Blechen auf die entlegene Stelle hin. Die Blombergsche Interpretation ergänzte eine Erklärung, die unabhängig davon gefunden ward°). Die Landschaft ist also dem siebenten Auftritt des zweiten, die Staffage und Handlung dem zehnten Auftritt des dritten Aufzuges aus Webers Freischütz entnommen, die drama- tishe Szene des Freischusses aus der heiteren Gegend, in der sie sich auf der Bühne

1) Besitzer Herr v. Decker, das Werk auf Schloß Boberstein bei Hirschberg in Schlesien.

2) Die herrschende Verwirrung betr. dieses Bild scheint der Katalog der Blechen-Aus- stellung von 1881/82 angestiftet zu haben, der es (bei Nr. 173) unter diesem Titel anführt. Vergl. die Beschreibung Lichtwarks, Studien Bd. II, Seite 139 u. 140.

3) F. von Boetticher, Malerwerke des XIX. Jahrhunderts, Bd.]. Dresden 1891. Art. Blechen.

4) Ober den Verbleib der Landschaft die Bötticher in seinem Buche ,Malerwerke des XIX. Jahrhunderts“, Artikel Blechen, unter Nr. 5 anführt, konnte nichts Näheres ermittelt werden. Eine ausführlichere Beschreibung bringt L. Pietsch, „Wie ich Schriftsteller geworden bin, Er- innerungen aus den fünfziger Jahren“, Bd. I, Berlin 1898, S. 170 ff. Danach war das Bild 1855 in der Berliner Kunstakademie ausgestellt.

à) S. Bericht über die Sitzung der Berliner kunstgeschichtlichen Gesellschaft vom 10. Januar 1908. Die Stelle bei H. v. Blomberg war mir leider entgangen.

456 Monatshefte für Kunstwissenschaft

abspielt, in die finstere Wolfschlucht verlegt. Durch einen RiB im Gewölk bescheint der Mond gigantische Felsen und einen Fluß, der träge zwischen ihnen dahinschleicht. Ein Regenschauer geht hernieder. Max kniet vor einem Strauch, vorn am Ufer des Flusses, die Biichse an der Wange, hinter ihm steht Samiel, der Unhold, halb Mensch, halb Fleder- maus, und streckt die Kralle nach seinem Haupte aus. Ein Pulverwölkchen wirbelt auf, der Schuß fiel: scheinbar getroffen bricht Agathe zwischen den Bäumen am jenseitigen Ufer zusammen. Über dem Wald flattert die „weiße Taube“. Kaspar bleibt unsichtbar, der Eremit, ein feister Zwerg, steht am Felsen unterhalb seiner Klause und glotzt scimunzelnd zu Samiel herüber, dem er das leuflische Handwerk verdorben hat. ——

Der Tag dämmert, die Szene verwandelt sich. Durch das Tor einer Ruine schweift der Blick über bewaldete Höhen (Abb., S. 457). Am dunkelblauen Himmel flimmert der Morgenstern, von hellen Streifen des Frührots heben sich scharf die Umrisse eines zinnenbekrönten mittelalterlihen Schlosses ab. Auf dem Weg, der zur Ruine hinauf- führt, eine seltsame Staffage: ein Ritter in Renaissance-Tracht, ringend mit einer schwarz gekleideten Edeldame. Zwischen Vögeln und Ungeheuern auf einem Felsblock hockend, schaut aus der Höhle eine Eule dem Kampfe zu. Durdi den Torweg ringelt sih eine Schlange'). Wie auf einen Schrei hin wendet sie ihren Kopf zur Gruppe zurück. Was bedeutet die merkwürdige Darstellung? Nach dem Vorangegangenen fällt die Antwort nicht schwer. Sie stellt eine Verbindung innerlih verwandter Motive aus den drei damals bekanntesten romantischen Opern dar: Webers Freishütz, Mozarts Zauberflöte und Don Juan. Die Eule ist die „große Eule“ der Wolfsschucht, der Vogel mit dem „gesträubtem Gefieder“ und den „feurig rädern- den Augen“, das Reptil die Verfolgerin Taminos, die beiden Kämpfenden sind Anna und Don Juan; aus dem Hause des Komturs ist eine Ruine, aus der Freitreppe des Palastes ein Felsenpfad geworden Annas Schreie klingen mit den Hilferufen des unsicht- baren Tamino zu einem Duett zusammen”). Eine fürchterlidie, Grauen erregende Vision.

1) Sie blieb unausgeführt. 2) In der Staffage, zumal der Tierstaffage, klingt die schaurige Musik aus der Wolfs- schluchtszene des Freischiitz nach, die die Worte begleitet:

„Milch des Mondes fiel aufs Kraut! Ist sie tot, die zarte Braut! Uhui! Uhui! Uhui! Uhui!

Spinnweb' ist mit Blut betaut! Eh’ nodi wieder sinkt die Nacht, Uhui! Uhui! Ist das Opfer dargebracht!

Eh’ nodi wieder Abend graut Uhui! Uhuil Uhuil“ Uhui! Uhui!

Uberschrieben ist die Einleitung zu dem Finale von Karl Maria v. Weber: ,Unsichtbare Geister- stimmen“. Der Originalstext von Kind lautet etwas anders und zwar ohne die Überschrift (ich zitiere hier nach C. F. Wittmann, Einführung zur II. Aufl. des Textes, Ph. Reklam jun., S. 20):

„Ein Rabe. Milh des Mondes fiel aufs Kraut! Eule. Ist sie tot die zarte Braut!

Waldvögel (schreien). Uhui! Waldvögel (wie oben). Uhui! Zweiter Rabe. Spinnweb’ ist mit Blut betaut! Alle. Eh’ nodi wieder sinkt die Nacht, Waldvögel (wie oben). Uhuil Ist das Opfer dargebracht!

Dritter Rabe. Eh’ noch wieder Abend graut Waldvögel. Uhui! Uhuil Uhuil“ Waldvögel (wie oben). Uhui! Der Chorus

Hinquayojsey) nz ajnıpsıpoy ‘upa, ‘WnasnW-[2HUIPS O (Bunutpraz12p2J) SBM Ul HIS :TIMNIHIS ‘J ‘M uapegsarm ‘ayajsuy xg :'sag o oumy :NIHIITA TUYM

458 Monatshefte für Kunstwissenschaft

In der Komposition des Werkes treten Einflüsse Schinkels zutage. Der Tor- bogen, der das Fernbild umrahmt, ist Eigentum Schinkels. Er verwendet ihn in Bildern und Dekorationen zur Steigerung des räumlichen Eindruckes, zugleich als wirk- samen dekorativen Abschluß. Eine Zeichnung Schinkels von Sion oder Sitten in Wallis (Abb., S. 457) ist typisch für Schinkelsche Kompositi- onen dieser Art und hat wohl direkt das Vorbild für die Blechensche Komposition abgegeben. Es mag zum Vergleich auch auf Schinkels Ansichten von Stralau (Schinkel- Museum, Berlin) hingewiesen wer- den. Anklänge an Schinkel verrät in Blechens Bild auch das Schloß auf der Bergkuppe, es erinnert in seinem Aufbau, seiner Lage und Beleuchtung an das „Schloß mit dem Hirsch im Hofe“, das Schinkel nach einer Erzählung von Clemens Brentano gemalt hatte !).

Das bisher unbekannt ge- bliebene Werk Blechens ist nach Wiesbaden verschlagen worden, es gehört heute Exzellenz von Am- stetter °). Zu Lebzeiten des Künst- lers soll das Bild ,als eines der KARL BLECHEN: Mönch in Extase besten Werke“ Blechens gegolten O National-Galerie, Berlin

haben; es wurde auf den Rat der Maler Schirmer und Eduard Hildebrand durch eine GroBtante der Gattin des heutigen Besitzers, eine Gräfin von Lüttichau (geborene Durtu) unmittelbar vom Künstler er- worben ?) und scheint nie auf eine Ausstellung gekommen zu sein. Die Käuferin starb 1901, im 94. Lebensjahre*). Zur Untersuchung der Beziehungen zwischen Blechens

der Tiere deutet darauf hin, daß Blehen den urspriinglihen Kindschen Text benutzte. Eine genaue Übereinstimmung zwischen Bild und Operntext findet aber ebenfalls nicht statt. Bei Blechen fehlen die Raben. An ihre Stelle treten andere Vögel und Ungeheuer, die dem nilpferdartigen Untier verwandt sind, das in einer malerischen Paraphrase der Szene auftritt, die den Pater Medardus von E. T. A. Hoffmann in den Kellergrüften des Klosters zeigt. Vergl. S. 459 und Abb. S. 458.

1) National-Galerie. Wagnersche Sammmlung Nr. 292; über die Beziehungen zu Brentano; s. Jordans Katalog der National-Galerie von 1855. S. 109.

°) Gütige Mitteilungen Ihrer Exz. Freifrau v. Amstetter, Wiesbaden, die auch die Wieder- gabe des Werkes in zuvorkommender Weise gestattete.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 459

Dekorations- und Tafelmalerei bietet es von allen Bildern Blechens wohl die wichtigsten Anhaltspunkte.

Die Streifziige des Malers durch das Gebiet der romantischen Literatur erstrecken sich über die romantische Oper hinaus. Er kennt seinen Shakespeare !), liebt den Dichter des Faust’), er vertieft sich in die Schriften von E. T. A, Hoff- mann. Mit ihm durchirrt er finstere Gebirgsschluchten *), steigt hinab an Orte, ,wo das Grauen die Seele erstarren macht“. Mit ihm dringt er ein in das unterirdische Gewölbe des Klosters, wo Pater Medardus ‘) Befreiung von seinen Sünden sucht. Eine Ölstudie, braun in braun, zeigt den Armsten, wie er von schreck- lichen Visionen gepeinigt, durch die dunklen Gänge enteilt. Die Finger seiner erhobenen Hände sind wie vom Krampf gespreizt, die Züge von Entsetzen entstellt: die weit aufge- rissenen Augen heften sich auf die grelle Flamme einer umstürzenden Tonlampe, aus der Finsternis des Hintergrundes taucht der Kopf eines nilpferdartigen Ungetüms auf?)

1) Katalog der Blechen-Ausstel- lung i. d. Nat.-Gal. 1881/82. Nr. 196: „Romeo und Julia bei Pater Lorenzo“ (Sepia) und Nr. 197: „Lorenzo in der Tür seiner Zelle“ (Sepia).

*) Blechens Verehrung für Goethe bezeugt am besten der Umstand, daß er aus Goethes Tagebuch der italienischen Reise einen Auszug anfertigte. Vergl. de KARL BLECHEN: Klosterhalle mit Mönchen (Studie) Schrift von Prof. Dr. L. v.Donop. „Der o National-Galerie, Berlin Landschaftsmaler Karl Blechen. Mit Be- nutzung von Aufzeichnungen Theodor Fontanes“, Berlin 1908, mit dem Referat von Uhde-Bernays in der Zeitschrift „Monatshefte für Kunstwissenschaft 1908, S. 932ff. Ich behalte mir vor, auf das Verhältnis Blechens zu Goethe bei anderer Gelegenheit ausführlicher zurückzukommen. Pausen Blechens nach Figurinen Retzschs zu Goethes Faust in der National-Galerie.

3) Landschaft mit einem Mönch in Extase. Bes.: National-Galerie, als Leihgabe be- findet sih das Werk im Museum zu Halle.

4) Aus E. T. A. Hoffmann, Die Elixiere des Teufels.

5) Ölstudie (braun in braun) bez. „C. Blechen 1826“. Die umstürzende Tonlampe ist von Blechen offenbar in malerischer Absicht hinzugefügt. Das Ungetüm nur schwach erkennbar.

460 Monatshefte für Kunstwissenschaft

In flüchtigen Skizzen wird das ganze Heer der Unterwelt lebendig. Da schwirren durch die Luft ,langgedehnte Roßgerippe“, „deren Haut zur Schabracke geworden“ '), Männer mit Vogelköpfen °) torkeln tastend umher, Ahasver stürzt sich von der Klippe ins Meer’).

Zwischen alten Bäumen im Tal liegt das Kloster. Mönche ziehen hin in feier- licher Prozession, die Kirche füllt sich, Orgelklänge brausen durch die weihrauch- duftenden Hallen. Das Te Deum ist verklungen, die Dämmerung senkt ihre Schatten über Wald und Feld, der Mond kommt hinter den Bergen herauf. Grabesstille Da springt ein Mensch über die Kirchhofsmauer. Er hat eine Laute unter dem Arm. In wilden Sätzen jagt er über die beschneiten Gräber. Jetzt steht er, wie angewurzelt, am Standbild der Madonna: Don Juan. Das Standbild des Komturs suchen wir vergebens, ein Ge- spenst im Kreuzgang, in weiße Laken gehüllt, tut dem Maler bessere Dienste ‘).

In Gedanken an den Tod feiert der Weltschmerz seine Tri- umphe. Das Grab bedeutet ihm Erlösung von irdischem Leid, Be- freiung der Seele, Unsterblichkeit. „Unsterblichkeit“, ruft Tiedge aus, „nur Du weilest auf Kirchhöfen auf Gottesäckern; das Gewühl der Städte, wo man es auch findet, sind nicht Deine Hallen . . .”)“ Die Klosterruine spinnt das Grabesthema aus: Chorin®) wird die Devise. Wir treffen Blechen in Eberswalde’) bei Chorin. Schinkel schwelgte im Anblick seiner Ruinen®), von S. L. Hesse, Blechens Freund °), gab es auf der akad. Ausstellung des Jahres 1826

KARL BLECHEN: Klosterkirchhof (Lith.)

1) Aus E. T. A. Hoffmann, Elixiere, Nat.-Gal., Bleistiftskizze.

?) Desgl.

») National-Galerie, Tuschzeichnung.

t) Lithographie Blechens, bez.: „C. B. 1827“.

°) Aus einer Besprechung des Bildes „Der Kirchhof“, den C. F. Lessing 1826 auf die akad. Ausstellung sandte. Berlinishe Zeitung vom 21. Oktober 1826.

5) Altes Cistercienser Kloster in der Mark.

‘) Vergl. Blechens Bild „Das Walzwerk in Neustadt-Eberswalde“, Nat.-Gal., Katalog von 1908: Nr. 763.

*) Zeichnungen Schinkels nach der Ruine im Schinkel-Museum zu Berlin.

°) „Kgl. Baukondukteur“. Wird in Briefen der Frau Prof. Blechen (Besitzer C. Brose.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 461

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KARL BLECHEN: Ruine mit alten Bäumen (Lith.)

eine Zeichnung der Ruine von Chorin’). Ob Blechen die Ruine gemalt hat, wissen wir nicht, das Thema Chorin kehrt bei ihm ständig wieder. Gothische Kirchen, Abteien mit Wasser und Wald. Die Ruine auf einer Lithographie Blechens, bez. „1828 C. B. inv. & fec.“ *) (Abb.), erinnert auch in Einzelheiten (Fenster) an Chorin. Eine unheimliche, fast dämonishe Wirkung geht von dem Blatte aus. Schinkel hat nie solche Akkorde angeschlagen, und doch erscheint er wiederum als Lehrer Blechens in der Lithographie mit der Unterschrift: „Versuch die lieblihe wehmutsvolle Sehn- sucht auszudrücken, welche das Herz beim Klange des Gottesdienstes aus der Kirche herschallend erfüllt, auf Stein gezeichnet von Schinkel ?.)“

Berlin) mehrfach als Freund der Familie erwähnt. Nach dem Tode Blechens leistete er der Frau in geschäftlichen Dingen Beistand.

1) Kat. Nr. 364: „Das Kloster Chorin, nach der Natur gezeichnet“.

% Mit der Rohrfeder gezeichnet.

3) Abgebildet bei M. Schmid, Kunstgeschichte des XIX. Jahrhunderts, 1904, Seemann, Bd. I, S. 242.

462 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

KARL BLECHEN: Müggelseelandschaft mit Semnonenlager O National-Galerie, Berlin

Die Tätigkeit Blechens als Dekorationsmaler am Königstädtischen Theater fand im September 1828 einen jähen Abschluß. Wenn wir zwei Gehilfen Blechens, Siemering und Bils, Glauben schenken wollen, kam es so'): Blechen hatte für die Aufführung einer Oper die Dekoration zu einem Festsaal gemalt. Die Farbe mißfiel der Sängerin Sonntag °). Sie stellte Blehen schroff zur Rede und er erwiderte in schroffer Weise. Schon war es um ihn geschehen. Die Demoiselle duldete keinen Widerspruch, die Direktion mußte sich dazu verstehen, Blechen kurzer Hand zu ent- lassen, wollte sie es nicht mit der Primadonna verderben, die ihr allabendlich die Kassen füllte. Von neuem begann für Blechen der Kampf um das Dasein und um die Kunst.

Um das Tragische seiner Lage zu verstehen, müssen wir weiter zurückgreifen. Vor drei Jahren, im November 1824, hatte der Künstler, im Besitz einer „Lebens- stellung“, mit Henriette Dorothea Boldt, Tochter des Mobilienhändlers Johann Friedrich Boldt, die Ehe geschlossen °). Was der Frau, die älter war als er, an Jugend, Schön- heit, Bildung und an materiellen Gütern fehlte, ersetzte sie durch häuslichen Sinn und echte edle Herzensgüte. Die Kosten des Haushaltes bestritten die Einnahmen des Mannes und der kärgliche Verdienst der Frau, den der Betrieb einer kleinen Weib- näherei im Hause abwarf. Der gesellige Verkehr war, schon der Kosten wegen, auf ein geringes Maß beschränkt. In engere Fühlung mit Künstlern brachte Blechen der

1) Beleg Brief von Prof. A. Hagen an H. F. W. Brose vom 17. Okt. 1857. Bes.: C. Brose.

2) Uber die Sängerin Sonntag s. L. Geiger, Geschichte des geistigen Lebens der preußischen Hauptstadt, Bd. II, S. 502 ff.

3) Kirchenbuch der Jerusalemer Kirche zu Berlin.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise. 463

KARL BLECHEN: Naturstudie zur Landschaft mit dem Semnonenlager i. d. National-Galerie zu Berlin. Federzeichnung. Hochschule f. d. b. K., Berlin

häufige Besuch des Berlinischen Kunst-Vereins, zuweilen unterbreitete er dort dem Urteil der Fachgenossen Arbeiten seiner Hand’). Einen Freund fand Blechen in dem Kunsthändler Sachse. Kein Name leuchtet heller in Blechens Leben als der seine, er hat Blechen auch in Zeiten der größten Not nicht verlassen. Frau Blechen nennt Sachse später in einem Briefe?) ihren und ihres Mannes ,Lebensretter“. Die übrigen Freunde kommen gegen Sachse weniger in Betracht. Unter den Bekannten Blechens finden wir einige interessante Erscheinungen. Von Schinkel war bereits die Rede. Da ist ferner Bettina von Arnim *), die sich lebhaft für Blechen interessiert, der kunst- sinnige Bankier C. F. Brose‘), der Verlagsbuchhändler Decker‘), die Kunstgelehrten Minutoli °) und Hotho °). Fürst Pückler, Bettinas verzärtelter Liebling, der große Garten- künstler, scheint Blechen persönlich gekannt zu haben, in den sechziger Jahren noch

1) v. Donop, Karl Blechen, S. 26. Er wurde nach v. D. mit Ahlborn und Krause im Dezember 1826 als Mitglied aufgenommen.

®) An Sachse, vom 24. August 1840. Im Besitz von C. Brose.

3) Briefe Bettinas an Sachse betr. K. B. vom 21., 25. Juli und vom 18. August 1838; Besitzer C. Brose. Bettina nennt Blechen einen „großen genievollen Mann“.

4) Er legte später eine Sammlung Blechenscher Werke an, von der der größte Teil, ca. 60 Arbeiten, 1881 in den Besitz der National-Galerie gelangte. Vergl. Kat. der Nat.-Gal.

5) Brief R. Deckers an einen ungenannten Adressaten vom 24. Juli 1846 (Bes.: C. Brose) und mündliches Zeugnis des Herrn v. Decker in Dittersdorf (Schlesien), Sohnes des oben Genannten.

6) In einem Briefe an Sachse vom 25. Juli 1840 spricht Minutoli von Blechen als seinem verewigten Freunde (Bes.: C. Brose). Blechen war zwei Tage vorher, am 23. Juli, gestorben.

7 Verwandte sih nach dem Tode des Meisters für die Frau, der er u. a. bei der Ab- fassung ihres Gnadengesuches an den König behilflich war. Vergl. einen undatierten Brie B. G. Hothos an Sachse und einen Brief der Henriette Blechen an Sachse vom 1. August 1840 aus

dem Besitz von C. Brose, Berlin. a

464 Monatshefte für Kunstwissenschaft

KARL BLECHEN: Ölstudie zur Landschaft mit dem Semnonenlager in der National-Galerie zu Berlin Hochschule f. d. b. Künste, Berlin

sprach er mit dem Kottbuser Geheimrat Liersch „oft und gern“ vom Maler Blechen, der seiner Lausitz und „Kottbus selbst“ entsprossen war. Auf diese Gespräche geht indirekt die Gründung der BlechenstraBe in Kottbus zuriick'). Es ist anzunehmen, daß Pückler, der aus Muskau °) bei Kottbus stammte, Blechen in Bettinas Salon ein- geführt hat.

Der Allgemeinheit des Berliner Publikums wurde der Name Blechen erst 1828 bekannt. In der akademischen Ausstellung drängten sich die Besucher vor einem großen Bilde zusammen. Der Katalog *) führte als Maler Karl Blechen an, als Titel: „Blik von den Mügelbergen bei Köpenick gegen Süden. Staffage: Semnonen rüsten sih zum Aufbruch gegen den Andrang der Römer“ (Abb. S. 462). Man erinnerte sich nicht, je ein ähnliches Werk gesehen zu haben.

Der Blick schweift über eine flache mit Kieferngruppen und Buschwerk bestandene grüne Mulde hinüber zu den Gestaden des Miiggelsees. Vom Horizont zieht blau- schwarzes Gewölk herauf, Wolkenschatten wandern über die Landschaft. Kriegerisches Treiben herrsht auf dem Plan, Zelte sind aufgeschlagen, Stimmengewirr erfüllt die Luft und der Schall von Hammerschlagen. Die Semnonen mit roten Schöpfen und Bärten, in Tierfelle gehüllt, treffen Vorbereitungen zur Schlacht. Wer zum Kampfe gerüstet, pflegt mit Genossen des Rates oder der Ruhe. Am Abhang eines Hügels lodert zwischen dunklen Kiefern ein Feuer.

1) Akten der Stadt Kottbus betr. die Herstellung der BlechenstraBe. Über die Beziehungen Schinkels und Püclers zu Bettina von Arnim siehe „Bettina v. Arnim (1765—1859). Ein Er- innerungsblatt zu ihrem 100. Geburtstag“ von Conrad Alberti, Leipzig, 1885.

2) Über die Tätigkeit Schinkels in Muskau s. A. v. Wolzogen, Aus Schinkels Nachlaß, Berlin 1862. Bd. II. S. 265.

3) Nr. 121.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 465

KARL BLECHEN: Motiv von der Insel Rügen o Bes. Dr. C. Loewe: Berlin

Nichts lag Blechen ferner, als eine „Begebenheit“ schildern zu wollen. Als er eines Tages durch die Müggelberge schlenderte, mag ihm beim Anblick der alten wetterharten Kiefern die Erinnerung an die Urbewohner des Landes, die Semnonen, in den Sinn gekommen sein. Schon als Kind hatte er von ihnen gehört, hier standen sie um ihn herum, lagen zu seinen Füßen im Sande. Aus dieser Stimmung heraus entstand die Staffage.

Die Entwicklung der Komposition läßt sich über die erhaltenen Vorarbeiten, Schritt für Schritt verfolgen, der Vergleich bietet zudem eine günstige Gelegenheit, die Arbeitsweise Blechens kennen zu lernen. Eine Federzeichnung aus dem Besitz der Hoch- schule f. d. bild. Künste (Abb., S. 463) trägt von Blechens Hand die Bezeichung „Original“. Wir wandern auf weichem Wiesenteppich über den Rücken eines Hügels, begleitet von einem Kiefernwald, der sich an seinem Abhange hinzieht. Durch das Grün der Bäume lugt aus dem Tal der sonnenbeschienene Müggelsee herauf. Eine Farbenstudie (Abb., S. 464), gleichfalls im Besitz der Hochschule, beseitigt den Hügel, zieht den Wald zu Baumgruppen, kulissenartig, auseinander und drängt den See an den äußersten Horizont. Der Himmel leicht bewölkt, Barbaren und Zelte geben die Staffage. Und nun das Bild: Vorn eine Sandbank, die sim nach der Tiefe hin in flachem Bogen öffnet. Der unterste Punkt der Abschlußlinie in der Mitte der Bildbreite, symmetrisch zur Mitte zwei lagernde Krieger, deren Gestalten sich in die Kurve der Böschung einfügen. Als Eckpfeiler der Komposition Semnonengruppen vor hohen Bäumen; der Himmel hat sich verfinstert,

466 Monatshefte für Kunstwissenschaft

KARL BLECHEN: Sturm auf dem Meere O Kunsthalle Hamburg

phantastisch beleuchtete Haufenwolken rücken gegeneinander, schon kommen über dem See ihre Vorposten ins Gefecht. Eine Darstellung von theatralisch-dramatischer Wirkung. Claude Lorrain und die Bühne waren Blechen zu Hilfe gekommen. Kugler erzählt !), daß in der Oper ,Armide“ die vergrößerte Kopie einer Landschaft Claudes als Deko- ration für die Szene benutzt wurde, in der Rinald im Zaubergarten Armidens ent- schläft. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis audı dieses Werkes: nur der Theater- maler konnte aus dem Motiv einen Claude, nur Blechen aus Claudes Arkadien eine Müggelseelandschaft gestalten. In Einzelheiten überrascht das Werk durch seine Wahrheit und die Kraft seiner Darstellung. Den Bäumen des Bildes entströmt der Duft märkischer Kiefern, dem Boden der „Erdgeruch“ der märkischen Scholle. Fontane stand ergriffen vor dem Bilde °), das Bild trat vor ihn hin, als dem „dichteren Gehölz“ der Miiggelberge Pirol, „der nordische Wundervogel“, zuflog *).

Über den künstlerischen Vorzügen dürfen die Schwächen des Werkes nicht übersehen werden. Die Perspektive entbehrt der Einheit, die anatomische Zeichnung einzelner Figuren hinterläßt ein peinliches Gefühl der Unsicherheit, das Kolorit ist bunt und hart. Freilich, „es konnte nur mit einer so reichen Phantasie für schroffe Gegen- sätze gelingen, dem Schroffen Poesie abzugewinnen“. Die Kritik aus dem Jahre 1828 *)

ı) Karl Friedrih Schinkel, eine Charakteristik seiner künstlerishen Wirksamkeit von Franz Kugler, Berlin 1842, S. 127 ff.

2) Vergl. v. Donop, Karl Blechen, S. 32 ff.

3) Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg. IV. Teil, 7. u. 8. Aufl., 1907, Seite 107 ff. 3) Berlinische Nachrichten vom 31. Oktober. Daß die Worte „schroffe Gegensätze“ sich

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 467

C. J. VERNET: Schiffbruch O Miinchen, Alte Pinakothek

der wir diese Stelle entnehmen, nennt Blechen „unseren Ossian in der Malerei“; sie trifft mit der Bezeichnung das Wesen seiner Auffassung.

Mit Ossian verbindet sich die Erinnerung an das schottishe Hochland und an die Insel Rügen. „1828“ ist ein Ölbild Blechens nach Kreidefelsen der Riigenschen Küste (Abb., S. 465) datiert!). Das Werk zieht die Summe des Könnens, das der Schüler Dahls in ständigem Kampfe mit der Natur errungen hatte. Hier ist, vielleicht zum ersten Mal, das Prinzip der Dahlschen Studie bewußt auf das Bild übertragen. Von einer „Studie“ kann bei der Ausführung nicht mehr die Rede sein der Keil- rahmen allein spricht gegen die Annahme einer „Studie“ im Blechenschen Sinne °). Ein ganz anspruchsloses Motiv: Kreidefelsen, durchsetzt von kleinen Brocken härteren Ge- steins, auf der Kante eine kümmerliche Grasnarbe, darüber ein dunkler Wolkenhimmel. Die Malerei mutet vollends modern an. Der Pinsel, der Bleiweiß mit Terra di Siena, mit Ultramarin, dunklem und lichtem Oker zu silbrigem Grau vermischt, eilt an der Felsen-

auch auf die Ausführung des Bildes beziehen, geht deutlich aus der Bemerkung hervor „da ist weder von dem raumschaffenden Duft die Rede* usw.

1) Besitzer Dr. jur. C. Loewe, Berlin. Die Kenntnis des Werkes verdanke einer güt. briefl. Mitteilung von H. v. Tschudi.

2) Die Grenzen zwischen „Studie“, „Vedute“ („Prospekt“) und „Bild“ sind häufig schwer wieder zu erkennen. Heute ist aber „Bild“, was damals unbedingt nom „Studie“ war. Der Begriff „Bild“ hat in den letzten hundert Jahren eine völlige Umwandlung erfahren wie der Begriff „romantisch“ und andere Begriffe ihren Inhalt geändert haben. Diesem Umstand sollte m. E., soweit die Raumverhältnisse es irgendwie gestatten, auch beim Hängen der Werke in den Museen Rechnung getragen werden.

468 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

KARL BLECHEN: Olstudie zum ,Venusfest“ in Posen O Hochschule f. d. b. K., Berlin

wand verlorenen Sonnenstrahlen nach, dringt in die Risse des poròsen Gesteins und hiipft behend über die abgestürzten Blöcke. Ein Aquarell nach den Felsen bei Stubbenkammer zeigt Blehen noch im Banne C. J. Vernets !). Blechen schilderte das Meer, ehe er es gesehen hatte. Wie sein Kollege Wilhelm Krause. Man behalf sich, wenn es nicht anders ging, mit Stichen nach Vernet. Das Wrack an der Klippe, von schäumender Brandung umtost, war seit hundert Jahren das beliebteste Motiv. Die Wogen auf dem unvollendeten Hamburger Bilde Blechens (Abb., S. 466) stammen von Vernet, das Riff mit dem Leuchtturm ist wohl dem abgebildeten „Schiffbruch“ Vernets aus der Münchener Pinakothek, entnommen. Noch andere Einflüsse machen sich geltend, Théodore Gudin, ein neuerer französischer Marinemaler *), der sich allgemeiner Wertschétzung erfreute, hat an dem Bilde Blechens seinen Anteil.

Es überrascht, Blechen als Maler idyllischer Kompositionen kennen zu lernen.

Et in Arcadia ego! ,Venusfest“.*) In der Lichtung eines Haines, vor dem bekränzten Standbilde der Venus, hat ein Verkauf von Liebesgöttern an Mädchen und junge Frauen stattgefunden. Die glücklichen Besitzerinnen treiben auf blumiger Wiese Kurzweil mit den Putten. Ein paar von den losen Gesellen sind ihren Herrinnen entflohen und tummeln sich im Laub der Bäume. Um den Verkäufer stehen Frauen und Mädchen trauernd herum, sie kamen zu spät, sind in ihren Hoffnungen betrogen worden. Mit einer Gebärde des Bedauerns weist der Mann eine schnell herbeieilende

1) Claude Joseph Vernet (1712—1789). 2) Jean Antoine Théodore Gudin (1802—1880). 3) Im Besitz der Nat.-Gal.; als Leihgabe im Kgl. Regierungsgebäude in Posen.

G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 469

Schöne auf den leeren Käfig hin. Grinsend schauen hinter einem Baume Faune dem Spiele zu.

Das Thema des Erotenverkaufs gehört zu den bevorzugten Motiven der klassizistischen Kunst. Es ist hellenistischen Ursprunges. Das 1759 entdeckte berühmte Fresko von Gabiae!) wurde zu Anfang des XIX. Jahrhunderts sogar in Porzellan nach- gebildet). Die anmutige Erzählung fand durch Goethe ihren Weg in die romantische Oper. Goethe hatte sein bekanntes Lied „Liebesgötter auf dem Markte“ für die Zauber- flöte gedichtet, es sollte von dem Vogelhändler Papageno und von Papagena gesungen werden *). Möglich, daß die Erzählung auf diesem Wege in den Bereich Blechens gelangte.

Die Landschaft trägt, als Ganzes, einen südlichen Charakter, Einzelheiten er- innern an die Heimat des Malers, märkische Kiefern nehmen sich, hat man sie erst entdeckt, wunderlich neben den Agaven des Bildes aus. Über den Ursprung der Komposition besteht kein Zweifel. Der Claude der Bühne gab auch diesem Werke sein Gepräge. Bei einer gewissen stilistishen Verwandtschaft ist es entschieden un- freier als das Semnonenbild. Auf Fontane wirkte es „unreifer, unfertiger t)“, aus dem Grunde verlegte er seine Entstehung vor das Jahr 1828. Fontane dürfte Recht behalten, wenn er mit der Datierung nicht hinter die dunklen Bilder von 1826 zurückgeht. |

Mit dem Venusfest spiegelt die Sehnsucht Blechens nach Italien ein unschein- bares kleines Bild aus dem Besitz des Berliner Malers Alexander Brendel. Es stellt einen Entwurf für eine italienische Phantasielandschaft dar und ist bezeichnet: „C. Blechen 1827“. Ein Bach, der in Kaskaden vom Berge herabstürzt, eine ansteigende staubige Landstraße, flache Dächer im Sonnenschein: die Gegend von Trient.

Italien! wie ein Zauberwort klang es in Blechens Ohren. Goethe hatte 1786 in Italien geschrieben: „ein neues Leben fängt an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, was man teilweise in und auswendig kann“, Blechen hatte die Stelle aus Goethe notiert, 1828 durfte er sie auf sich selbst anwenden. Ein erneuter Besuch bei Dahl 5) gab ihm neue künstlerische Anregung, praktische Ratschläge Dahls für die geplante große Reise hieß Blechen hoch willkommen. Im September 1828 trat er mit seinem Schüler und Freunde Leopold Schlösser die Fahrt nach Italien an.

1) Abbildung bei Wolfgang Helbig, Die Wandgemälde Campaniens 1868, Nr. 824. Vergi. die hübsche antike Statuette des Mädchens mit den beiden Liebesgöttern im Nest im alten Museum zu Berlin. 1829 für die Sammlung erworben. (Verzeichnis der Skulpturen, Nr. 95).

2) Gruppe der MeiBener Porzellanmanufaktur. Abbild. bei Hans Kraemer, Das XIX. Jahrh., Bd. I, S. 168.

3) Das Lied „gehört zu dem Ende 1794 oder 1795 begonnenen Entwurfe eines zweiten Teiles der Zauberflöte“. Zuerst veröffentlicht in Voss’ ,Musen-Almanach für das Jahr 1896“ unter der Überschrift „Die Liebesgötter auf dem Markt“. S. Goethes ges. Werke, Deutsche National-Literatur. Hist.-krit. Ausg., Bd. 82 (Düntzer), S.28, Anm.

4) v. Donop, Karl Blechen, S. 34.

5) Aubert, Dahl I, S. 197.

Studien zur lombardischen Malerei = des XV. Jahrhunderts

Von Wilhelm Suida

I. Die erste Hälfte des Quattrocento

Die lombardische Kunst der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts ist noch recht wenig bekannt. Als ein Faktor von Bedeutung für die spätere Entwicklung wird sie noch gar nicht in Rechnung gezogen. Eine umfangreiche Arbeit über dieses Gebiet, welche P. Toesca vorbereitet, wird wohl an Stelle der zusammenhangslosen kärglichen Bemerkungen, die sich heute in den Handbüchern weiterschleppen, eine klare Darstellung der Entwicklung auf breiterer Basis setzen können. Es wird sich dann zeigen, daß die Lombarden, wenn sie auch keinen dem Pisanello ebenbürtigen Künstler besaßen, doch ihre selbständige Bedeutung schon in dieser Zeit beanspruchen dürfen. Sehen wir, wie in einer sonst vorzüglichen neuen Publikation über Vincenzo Foppa (Siehe II. Kapitel) dieser als „Begründer der lombardischen Schule“ schon im Titel des Buches gefeiert wird, die anziehenden und den beiden Autoren der Monographie ja auch so wohlbekannten Malereien der älteren Lombarden aber nur hie und da mit einer flüchtigen Bemerkung gestreift werden, so fühlen wir uns umso mehr verpflichtet, für sie eine Lanze einzulegen, als wir dabei willkommene Gelegenheit finden, auf manche bisher unbeachtete weit verstreute frühlombardische Bilder die Aufmerksamkeit zu lenken. Für das allgemeine kann ich mich sehr kurz fassen, da wir Toescas Arbeit bald erwarten dürfen, und nach seinem Aufsatze über Michelino da Besozzo und Giovannino de’ Grassi (in L'Arte 1905) eine in jeder Beziehung wohlfundierte Beant- wortung so mancher Fragen zu erhoffen berechtigt sind.

Für bald nach 1400 entstanden halte ich die schönen Deckenmalereien und das Schutzmantelbild in der Friedhofskapelle in Locarno (die Wandfelder tragen Malereien aus dem XIV. Jahrhundert). Manches gemahnt an die Fresken in Runkel- stein, so sehr ist nordischer Einschlag darin zu verspüren. Ohne daß ich sie gerade- wegs für lombardisch halte, möchte ich doch auch auf die wenig beachteten Fresken der Krypta des Doms von Parma hinweisen, die so entschieden oberitalienischen Charakter tragen. In Ligurien, wo damals die lombardischen, speziell pavesischen Künstler über die einheimischen und toskanischen Kräfte entschiedenes Übergewicht errangen, existiert aus dieser Frühzeit wenig. Eine auf der linken Seite etwas ver- kürzte Tafel der Anbetung der Könige (Abb. 1) im Besitze des Marchese Cesare Imperiali de’ principi di S. Angelo gewinnt dadurch an Interesse 1).

Der lombardische Charakter der Fresken von Lionardo da Bisuccio in S. Gio- vanni Carbonara in Neapel ist jüngst *) mit Recht wieder betont worden allerdings hatte denselben, so viel ich weiß, niemals jemand geleugnet. Farbig mit dem domi-

1) Vgl. mein Buch über Genua pag. 72f. 2) Bolletino d'Arte 1909.

W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 471

Abb. 1. Ligurischer Meister vom Anfange des XV. Jahrhunderts, Anbetung der u

Im Besitze des Marchese Cesare Imperiali, Terralba bei Genua

nierenden Lichtblau und gelb gemahnen die Wandgemälde in Neapel schon an viel spätere Erzeugnisse der lombardishen Kunst (z. B. Bramantino). Gerade in ihrer Farbe haben mich zwei Tafeln, die vor einigen Jahren als Legat Marenzi in die Galerie von Bergamo kamen, und dort der venezianischen Schule zugeschrieben werden’), sehr

ı) Abb. in Frizzoni, Le Gallerie dell’ Academia Carrara a Bergamo. (Monografie Illustrate Bergamo 1907 pag. 124 und 125.

472 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

an die neapolitanischen Fresken erinnert. Idi möchte diese beiden Marterszenen der hl. Apollonia und Lucia daher als dem lombardischen Kunstbereich zugehörig betrachten.

Als ein erfreuliher Weise erhaltenes Beispiel bezeugen uns Lionardo da Bisuccios Fresken in Neapel, daß die lombardischen Maler der letzten Viscontizeit den künstlerischen Eroberungszügen der maestri comacini folgten, was uns doppelt inter- essiert, wenn wir bedenken, daß damals der Toskaner Masolino in dem kleinen lombardischen Flecken Castiglione d’ Olona seine umfangreichen Wandgemälde aus- führte, daß ferner der Veronese Pisanello zur Ausschmückung des Castello di Pavia berufen ward, wenn wir dieser Nachricht des Cesare Cesariano und des Anonimo Morelliano Glauben schenken diirfen!). Die auf Stefano Breventano zurückgehende Notiz, im Castell seien Darstellungen von Jagdszenen und Tieren gewesen, hat mich auf die Vermutung gebracht, daß eine Zeichnung der Budapester Nationalgalerie (Schönbrunner-Meder, Albertinapublikation Nr. 751), auf welcher ein Jagdabenteuer des deutlich porträtähnlich charakterisierten Herzogs Giangaleazzo Visconti dargestellt ist, mit den Fresken des Castells von Pavia in irgendeinem Zusammenhang stehen könnte (Abb. 2). Jedenfalls scheint das Blatt auf die Hand eines lombardischen Künstlers des beginnenden XV. Jahrhunderts zurückzugehen.

Ein anderes Bruchstück eines lombardishen Wandgemäldezyklus der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts ist uns sodann, wie ich glaube, in einer Zeichnung des Dresdener Kupferstich-Kabinets erhalten (phot. Braun, Dresden 94): Reiter mit Gefolge auf dunkelgrünem Grunde, die Tiere von vorzüglicher Beobachtung. Der Stil dieses Blattes ist dem Budapester gegenüber weiter vorgeschritten und nähert sich dem der Zavattari-Fresken von 1444 im Dom von Monza.

Außerst wichtig ist das Weltgerichts-Fresko in Campione, das die Signatur zweier Künstler, Lanfranco und Filippo de’ Veri da Milano trägt’). In den Kreis der gleichen Künstler möchte ich eine für das Kaiser Friedrih-Museum neuerworbene Krönung Mariae, welche Schubring *) Michelino nennt, setzen.

Ergänzend aber zu den wenigen erhaltenen Zyklen von Großmalereien des beginnenden Quattrocento treten dann die Miniaturen. Ich habe systematische Nach- forschungen nach dieser Richtung noch nicht angestellt, gewann aber aus den mir bekannt gewordenen Beispielen die Überzeugung, daß wir sie für ein richtiges Bild von frühlombardischer Maierei nicht entbehren können. Für besonders wichtig und entzückend durch die Feinheit der Ausführung halte ich zwei Handschriften der Pariser Nationalbibliothek. Ms. ital. (7245) 131, vita degli impcratori Romani, von 1431 datiert,

1) Vgl. Crowe und Cavalcaselle D. A. 6. Bd. 480 note 14. Malaguzzi Valeri, Pittori Lombardi del Quattrocento pag. 88f.

>) Vgl. Malaguzzi Valeri, Rassegna d'Arte 1908, VIII. 167 f.

*) Rassegna d'Arte 1908, VIII. 181, mit Abbildung. Da ich das Bild im Original noch nidit gesehen habe, äußere ich mich hier mit aller Vorsicht. Daß aber Michelino nicht der Autor ist, ergibt ein Vergleich mit dessen einzigem bezeichneten Bilde in der Galerie von Siena, auf das ich (Repertorium 1902) zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt habe. Toesca hatte ganz Recht, ein Fresko der Madonna zwischen den hl. Nazaro und Celso in S. Maria presso S. Celso in Mailand in unmittelbare Nähe des Michelino zu setzen.

W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts #73

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Abb. 2. Lombardischer Meister vom Beginn des XV. Jahrhunderts, Jagdabenteuer des Giangaleazzo Visconti, Handzeichnung Budapest, Nationalmuseum

für Filippo Maria Visconti gemalt, und Ms. ital. 81 (8375) der Dittamondo des Fazio degli Uberti, von Andrea Morena da Lodi fiir Cristoforo de Cassano im Jahre 1447 geschrieben, mit herrlichen Miniaturen von derselben Hand wie die Lebensbeschreibungen der römischen Kaiser. Nach der Erinnerung schien mir den Pariser Miniaturen ver- wandt ein sehr feines kleines Bildchen der Madonna zwischen zwei Heiligen mit vier schwebenden Engeln und Stifter, vorzügli erhalten, das ich kürzlid in der Kunsthandlung Böhler in München sah.

Von einem Miniaturisten könnte auch ein reizendes kleines Altärchen aus- geführt sein, untriiglich lombardische Arbeit, um 1440 etwa, in der Galerie von Lille (Nr. 994). Anf dem Mittelfelde sehen wir im unteren Streifen Maria thronend zwischen Sebastian und Antonius dem Eremiten, darüber Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes dem Evangelisten, dem Täufer und einem Diakon. Auf dem linken Flügel sind übereinander St. Georg zu Pferde und Christoforus zu sehen, auf dem rechten St. Martin zu Pferde und die Schreckenszene aus dem Leben des hl. Giuliano. Die Farben sind ziemlich kühl, weinrot, zinnober, lila, stahlblau, Taubengrau, gelb und weiß. Die Figürchen rufen insbesondere die Genreszenen des Palazzo Borromeo ins Gedächtnis, die man früher, wohl irrigerweise dem Michelino zuschrieb; scheint

474 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

doch in der Tat zwischen diesen Fresken und denen der Zavattari in Monza eine nähere Beziehung zu bestehen. Ich möchte es nicht versäumen, hier auch zwei jugend- lihe Köpfe mit Kronen, Freskobruchstiicke im Palazzo Trivulzi, zu nennen.

Schon in die zweite Hälfte des Jahrhunderts reicht die Tätigkeit des Cremonesen Cristofano Moretti, dessen einziges bezeichnetes Werk die thronende Madonna im Besitze von Comm. Bassano Gabba in Mailand ist. Der reiche gotische mit Heiligen- statuetten verzierte Thron erinnert noch an des Leonardo da Bisuccio Fresken, die schlanke Gestalt Mariae aber mit dem feinen Gesichte, der langen schmalen gebogenen Nase, macht den Eindruck einer Aristokratin neben den derberen gedrungeneren Gestalten der anderen Lombarden. Ich vermag vorläufig kein zweites Werk des Cristofano anzugeben. Eine kleine Tafel der Madonna mit heiliger Nonne und Karthäusermönc als Donator in der Galerie Crespi wird ihm irrigerweise zugeschrieben 1). Von diesem anonymen Meister des Crespibildes aber stammt, wie ich glaube, ein schönes dreiteiliges Altarbild in der vatikanischen Galerie, das als vollständig erhaltenes Beispiel eines frühlombardishen Altars ein ganz einzigartiges Inteiesse für uns hat. Ich sah das Bild nodı als „scuola di Giotto“ ausgestellt, in der Literatur fand ich es nirgends erwähnt (Abb. 3). Im Mittelfelde sehen wir die Krönung Mariae in einer an Gentile da Fabriano erinneriden Art dargestellt, links die Geburt Christi mit dem Bade des neugeborenen Kindes, darüber die Verkündigung an die Hirten, rechts die Anbetung der hl. drei Könige. Medaillonartige, spitz zulaufende Bekrönungsstücke zeigen das Monogramm Christi und die Verkündigung in Halbfiguren. Die Farben sind gedämpft und stehen unter einem olivegrünen Gesamtton, so daß der koloristische Charakter allein schon auf die Lombardei weist. Daß unser Maler auch Einflüsse von Seiten der venezianischen Kunst erfahren hat, das lehren die namentlich an Antonio Vivarini gemahnenden männlihen Typen. Daß die Crespi-Madonna und der vatikanische Altar von demselben Künstler herrühren, ergab sich mir aus der Ähnlichkeit der Typen, des nackten Kindes (besonders in der Anbetung der Könige), der Gewandbehandlung, sowie auch der Farben.

Von einem anderen Künstler, vermutlich einem Pavesen, rührt dann eine kleine thronende Madonna in der Fürstlih Czartoryskishen Sammlung in Krakau her (Nr. 243 Inv.). Maria trägt einen dunkelgrünen Mantel, das rotgewandete Kindchen hält eine Schwalbe in der Hand, während an den Pfosten des Thrones zwei Schwalben- nester kleben. Selten ist in der älteren Kunst die noch heute herrschende italienische Volksauffassung, nach der die Schwalbe der Madonna geweiht ist, so anmutig zum Ausdrucke gekommen. Die Halbfigur Gottvaters im spitzgiebeligen Tympanon und die Verehrung des Christkindes durch Maria und Josef in der Predella treten ergänzend zum Mittelbilde hinzu. Das Bild könnte einem der in Genua tätigen Pavesischen Maler angehören (schon um 1460).

Ein Zeugnis dafür, wie Foppas Madonnendarstellung aus der älteren lombar- dischen Kunst herauswächst, bietet dann ein kleines Bild von selten vorzüglicher Er-

1) Abb. Venturi, La Galleria Crespi, Mailand 1900, pag. 220. Auch Venturi lehnt die Zu- schreibung an Moretti ab und äußert die sehr ansprechende Vermutung, daß das Bild einst eine Zelle der Certosa bei Pavia geschmückt habe.

W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 475

LITI?

Abb. 3. Lombardischer Maler um 1450, Altarwerk Rom, Vatikan O

haltung, das sich in meinem Besitze befindet (Abb. 4). Auf rotem Polster sehen wir Maria sitzend in weinrotgemustertem Unterkleid und schwarzblauem Mantel mit Gold- saum und weißem Futter. Das dicke Kindchen hält eine Rose und riecht daran. Maria aber scheint durch dieses kindliche Spiel mit der Blume des Leidens von schwermütigen Ahnungen ergriffen. Der aufs delikateste mit Ornamenten versehene Goldgrund (Bogen und Schleifen sind plasisch gehöht) schließt sih mit den Figuren zu einer unlösbaren, höchst reizvollen Einheit zusammen, und dies umsomehr, als wir durciwegs das alte schöne Gold erhalten haben, das in seinem zarten Schimmer mit den anderen Farben so weih zusammenklingt. Von diesem Bilde zu Foppas Madonna der Sammlung Noseda ist es nur ein kleiner Schritt.

Eine andere Seite dieser frühlombardischen Malerei lernen wir in den Werken eines in Ligurien tätigen Pavesen kennen:

476 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Donato de’ Bardi (t 1451) wird immer eine der merkwürdigsten Erscheinungen der lombardischen Kunst bleiben. Es ist nicht so sehr zu verwundern, daß Cavalcaselle und Crowe in Unkenntnis der von Alizeri veröffentlichten Lebensdaten des Künstlers dessen einzig bezeichnetes Gemälde, die Kreuzigung im Museum von Savona !), statt um 1450 erst um 1490 an- setzen. Durch die zweite, von mir in S. Giuliano d’ Albaro bei Genua aufgefundeneKreu- zigungstafel läßt sich dann über die Entwicklung der Kunst Donatos einiges sagen. Die Haupttatsache scheint mir das Eintreten toskanischen Einflusses zu sein. An Do- menico Veneziano und Fra Filippo Lippi denke ich ins- besondere. Die Übermittlung toskanischerErrungenschaften und Detailformen an Vin- cenzo Foppa dürfte wohl Donatos Werken zuzuschrei- ben sein. Sehen wir uns dessen Johannes und Maria auf der Kreuzigung in S. Giuliano an, so sind wir

\ geradezu überrascht, so „fop- | peske“ Typen vor Foppa En rn re Lernen zi ae SESE] schon zu finden. Im Œuvre

Foppas aber sind sie nicht Abb. 4. Lombardischer Maler um 1450, Madonna in den Arbeiten der fünfziger

Im Besitze des Verfassers o

Jahre (Kreuzigung von 1456 und Madonna Noseda), sondern erst etwas später nachzuweisen. 1461 in Genua konnte Foppa Werke Donatos gesehen und studiert haben. Vergleiche man beispielsweise die kniende Heilige auf Donatos Kreuzigung (Abb. 5) mit der Mutter in der Trajans- szene (Zeichnung in Berlin)*). Erstaunlich entwickelt und weit vorgeschrittener als

1) phot. Brogi 11633, Abb. Genua pag. 72.

?) Für den Einfluß Donatos in Ligurien ist dann ein Kreuzigungsbild der Pinakothek von Savona (phot. Brogi 11634) nicht ohne Interesse; die schwebenden Engel weisen den gleichen Typus auf, der Johannes ist aber aus Mantegnas Stich der Grablegung kopiert. Als ein Werk

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auf Foppas Frühwerken sind die landschaftlichen Hintergründe auf Donatos Bildern. Alles in allem ist Donato Conte de’ Bardi eine der erstaunlichsten Erscheinungen in der lombardischen Kunstge- schichte und wohl geeignet, den hohen Rang der Maler- schule von Pavia schon in der ersten Hälfte des XV. Jahr- hunderts zu dokumentieren. Die Christusgestalt Donatos ist wohl die früheste nach bestimmten Maßverhältnissen dargestellte Aktfigur in Ober- italien. Diese bedeutsame kunsttheoretische Basis in Donatos Schaffen würde ge- nügen, an einen Zusammen- hang mit Foppa zu denken, selbst wenn die ganz direkte Ahnlichkeit der Typen nicht vorhanden wäre. So ist es schwer zu verstehen, warum Name und Werke Donatos von Foppas neuen Biographen gar nicht erwähnt werden, trotzdem ich an einigen Stellen!) schon meine Über- zeugung ausgesprochen habe, Foppa müsse von seinem älteren Pavesischen Kunst- genossen viel gelernt haben.

* * x

II. Vicenzo Foppa

Durch Constance Jocelyn Ffoulkes und Monsignore Ro- dolfo Majocchi hat Vincenzo Foppa eine auf griindlichsten Vorarbeiten basierte, monu-

Abb. 5. DONATO DE’ BARDI, Kreuzigung

mental angelegte Mono- S. Giuliano d' Albaro bei Genua O

aus der Zeit Donatos, das namentlich mit dem Stifterportràt auf der Kreuzigung in S. Giuliano einige Ahnlichkeit aufweist, nenne ich das dem Giovanni Bellini zugeschriebene Profilbildnis eines jüngeren Mannes im Palazzo Rosso zu Genua (phot. Noack 6617).

1) „Genua“ Leipzig 1906, pag. 75, Monatshefte für Kunstwissenschaft 1908, pag. 440.

478 Monatshefte für Kunstwissenschaft

graphie erhalten’). Der Fleiß und die Gewissenhaftigkeit, mit denen ein überraschend reiches dokumentarisches Material hier gesammelt und erstmalig publiziert wird, verdienen uneingeschränkte Anerkennung. Die mitgeteilten Dokumente enthalten sehr viel mehr als trockene biographische Notizen. Wie viel erfahren wir durch sie über allgemeine künstlerische Verhältnisse der Lombardei, über Arbeitsweise und Arbeitsteilung an Altären und Wandgemälden, über Geschmack und Wünsche der Auftraggeber. Auch wissen die Autoren geschickt eben durch die Dokumente das richtige Verhältnis zwischen dem Speziellen und dem Allgemeinen zu fixieren. Nachdrücklicıst warnen sie davor, was nicht oft genug geschehen kann, auf wenige, heute gerade gangbare Namen, fast alle erhaltenen Bilder einer Schule und Epoche zusammenstopfen zu wollen; berichten doch die Dokumente über so viele Künstler, für welche der verbindende Faden zwischen Name und erhaltenen Werken verloren ist oder noch nicht aufgefunden wurde.

Nicht so ganz vermag ich der Stilkritik der beiden Autoren beizupflichten. Mit der im Bude vorgeschlagenen Reihenfolge der Werke Foppas kann id mich nicht in allen Punkten zufrieden geben, und auch die Unterscheidung zwischen eigenhändigen Arbeiten und solchen der Schüler fordert hin und wieder zur Diskussion heraus. So möchte ici hier in Übereinstimmung mit F. Malaguzzi Valeri ° die Madonnenbilder der Sammlung Crespi und des Museo Poldi sowie die Verkündigung des Museo Borromeo für eigenhändige Arbeiten halten. Gerade bezüglid der Verkündigung stimme ich nach neuerlich vorgenommener genauer Be- sichtigung vollständig Frizzonis Ansicht bei, daß wir in ihr ein sehr bedeutendes eigenhändiges Werk Foppas besitzen. Dagegen stehe id anderen neueren Zu- schreibungen skeptisch gegenüber: ich kann mir nicht vorstellen, daß die Anbetung des Christkindes in Versailles bei Abbe Lefevre (die allerdings eine Namensaufschrift trägt) und die Kirchenfahne in Orzinuovi bei Brescia späteste eigenhändige Arbeiten sind, auf welche die Gesamtentwicklung des Künstlers hinausliefe. Da mir beide Werke aber nur aus der Abbildung bekannt sind, wage ich kein endgültiges Urteil. Eine durch Malaguzzi Valeri eingeführte Madonna der Sammlung D. Fellow Platt in New York, die auch ihm nur aus der Photographie bekannt ist, hat gewiB mit Foppa selbst nichts zu tun. Sie scheint das Werk eines anderen gleichzeitigen Lombarden zu sein. Eine kleine Tafel mit dem Sebastiansmartyrium bei Ant. Grandi in Mai- land wird von Ffoulkes und Majocdi richtiger als von einem Foppa nahestehenden Schüler ausgeführt betrachtet, während Malaguzzi eigenhändige Ausführung an- nehmen möchte.

Um eine Klärung der Frage der chronologischen Entwicklung zu erleichtern, stelle ich im folgenden dem Schema, des Ffoulkes und Majocchi (pag. 266f.) geben, ein anderes gegenüber und werde dasselbe durch kurze Erläuterungen begründen, auch

1) Vincenzo Foppa of Brescia, founder of the lombard school, his life and work, by Constance Jocelyn Ffoulkes and Monsignore Rodolfo Maiocchi, D. D. Rector of the collegio Borromeo, Pavia. Based on research in the archives of Milan, Pavia, Brescia and Genoa, and on study of all his known works. With 90 illustrations 15 in Photogravure, and 97 documents. London, John Lane the Bodley head. New York: John Lane Company MCMIX.

2) Rassegna d'Arte 1909, pag. 85.

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keineswegs vergessen anzugeben, welche Bilder ich im Original nicht gesehen habe, weil ihre Einordnung natürlich durchaus hypothetischen Charakter trägt.

1. Frühzeit bis nach 1460

Madonna und Kind mit Engeln, Sammlung Noseda, Mailand.

Madonna und Kind, Sammlung Crespi, Mailand.

Madonna und Kind, Sammlung Trivulzio, Mai- land.

Kreuzigung, Bergamo, datiert 1456.

Madonna und Kind, Sammlung Davis, New Port U. S. A. (letztere mir nur aus der Photographie be- kannt.)

Daß die Kreuzigung in Bergamo auf eine Bekannt- schaft Foppas mit Werken des Jacopo Bellini schließen lasse, ist von Ff. und M. ge- wiß richtigbeobachtet worden. Aus der Madonna Noseda entnehmen wir dazu noch, daß die (in Brescia selbst vorhanden gewesenen) Male- reien des Gentile da Fabriano auf Foppas Ausbildung nicht ohne EinfluB gewesen sein mögen. Anderseits sind es gewiß auch Arbeiten lombar- discher Meister, die auf des Brescianers Phantasie wirk-

ten, wie ich oben schon aus-

zuführen hatte. Zu Gunsten Abb. 6. V. FOPPA, Alter Mann, Rötelzeichnung Städelsches Institut, Frankfurt a. M. O

einer fixen Idee der Ableitung

Foppas aus dem venezianisch-veronesischen Kunstkreise scheinen mir Ff. und M. an der älteren lombardischen Kunst allzu achtlos vorüberzugehen. Verglichen mit späteren Arbeiten Foppas zeigen die genannten Gemälde Züge zarter Empfindsamkeit. Die Körper sind schmächtig, die Gesichtsteile klein, der Blick der Augen sanft. Erfahren

480 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

auch plastische Durchbildung und Gewandbehandlung eine stete Steigerung, so fehlen doch große Motive noch ganz.

2. Werke bis um 1470

Christus, Sammlung Conway, Addlington Castle.

Verkündigung, Sammlung Vittadini, Arcore.

Ein Bischof und ein Abt, Sammlung Trivulzio, Mailand.

Madonna del latte, Sammlung Johnson, Philadelphia U. S. A. (mir nur aus der Reproduktion bekannt).

Madonna mit segnendem Kinde, Castello, Mailand.

Die Gestalten werden allmählich voller und breiter, die Gesichtsteile größer. In der Madonna des Castello begegnet uns zum ersten Male der breite, eigentlich unschöne Typus, den dann etwas gemildert, auch die Madonna des Breraaltars zeigt. Das Kind dagegen findet gerade in den Frühwerken seine Gespielen, auch ist die räumliche Beziehung der Gottesmutter zur architektonishen Umrahmung keine klare. Aus diesen Gründen nehme ich eine ziemlich frühe Entstehung an. Die langgezogenen sanft bewegten Heiligengestalten des Fürsten Trivulzi möge man mit denen des Brera- altars vergleichen, um sich zu überzeugen, daß sie in eine frühere Epoche Foppas gehören, nicht Spätwerke sind, wie unsere Autoren annehmen. Sofern diese genannten erhaltenen Werke ein Gesamturteil gestatten, können wir sagen, daß die Probleme der Verkürzungen sowie der perspektivischen Raumdarstellung, die in späteren Arbeiten so sehr in den Vordergrund treten, den Künstler noch wenig beschäftigen. Vollentfaltet tritt uns Foppas Stil erst in der dritten Gruppe von Werken entgegen, der ich folgende Malereien beizähle:

3. Die Zeit bis 1490

Altarwerk, Madonna, drüber Stigmatisation des hl. Franz, zu Seiten Heilige, Brera Mailand, zugehörige Predella in Arcore, Sammlung Vittadini.

Madonna mit Kind, Sammlung Frizzoni, Mailand.

Madonna mit Kind, Berlin, Kaiser Friedrich-Museum (nicht ausgestellt).

Hl. Hieronymus, Bergamo, Academia Carrara.

Hl. Gregor und Bartolomäus, Sammlung Sarasin Warnery, Basel (mir nur aus Reproduktion bekannt).

Johannes Baptista und Stigmatisation des hl. Franz, Fresken, Castell, Mailand.

Martyrium des hl. Sebastian, Fresko, Brera.

? Madonna mit zwei Heiligen, Fresko von 1485, Brera.

Die Kirchenväter, Capella Portinari, S. Eustorgio, Mailand.

Madonna und Heilige, Altar von 1489, Savona, Museum.

Altarwerk, S. Maria di Castello, Savona, datiert 1490.

Bezüglich des Breraaltars scheint mir unserer Autoren Annahme, die Stigmati- sation des hl. Franz gehöre nicht dazu, unzutreffend. Als Grund geben sie an, es sei nicht denkbar, daß über dem Haupte der Madonna ein anderer Heiliger seine Stelle gefunden hätte. Oft kommt das nicht vor, das ist richtig, aber bisweilen doch: so in dem Poliptychon zu Quarona (piemontesisch Anfang des XVI. Jahrhunderts) an dessen

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Intaktheit niemand zweifeln wird, wo über Maria der hl. Johannes Baptista steht (Abbildung in Rassegna d'Arte 1909 pag. 83), oder in dem Altar des Paolo da Venezia und Stefano Piovano im oratorio di S. Martino zu Chioggia (fot. Alinari 20843). Damit fällt auch die von Ff. und M. vermutete spätere Entstehung der Stigmati- sationsszene. Die Berliner Madonna von Ff. und M. ganz früh angesetzt, ähnelt im Typus derjenigen von 1489 in Savona, sowie den weiblichen Heiligen des Breraaltars, auf dem uns zuerst die schweren, massiven Formen begegnen, die auch diesem Bilde zu eigen sind.

Nicht ohne Zögern habe ich das Madonnenfresko von 1485 in der Brera in obige Liste aufgenommen. Es ist als Werk Foppas allerdings bisher nie bezweifelt worden, seitdem die alte Zuschrei- bung an Bramantino als irrig er- kannt worden war. Körper und rechter Arm Mariae stimmen fast genau mit der Madonna Frizzoni überein, das Kind in der Haltung mit dem der Berliner Madonna. Die Typen aber haben ihre schla- gendsten Analogien in den Wand- bildern der Capella di S. Pietro Martire in S. Eustorgio. Sehr mit Recht, wie ich glaube, nehmen Ff. und M. an, dieselben seien von einer Compagnia von Künst- lern ausgeführt worden. Aud darin stimme ich vollständig bei,

daß sie für eigenhändige Arbeit dos ‘Fonte ander Kenelle-inir:die Abb. 7. Lombardische Holzschnitzerei vom Anfange des PP P XVI. Jahrhunderts. Pieta =

Kirchenväter unter der Kuppel O Locarno, Madonna del Sasso (Kloster) halten. Diese können aber un-

möglich aus den 60er Jahren stammen, sondern passen in sein CEuvre kaum vor den 80er Jahren '). Die meisterhafte Verkürzung und Raumillusion sind früher nicht gut möglih. Und sehen wir uns doch auch die Legendenszenen unten an. So freie Landschaftsbilder, wie das bei der Ermordung des Petrus Martyr, sollen nur um wenige Jahre später als Mantegnas viel strengere Eremitanifresken gemalt sein? Das Brera- fresko von 1485 ist aber stilistisch so enge mit den Legendenszenen der Portinari- kapelle verknüpft, die nicht von Foppa sind, daß ich geneigt bin, dasselbe audi aus - Foppas (Euvre zu streichen. Wie der Autor des schönen Werkes dann heißen mag, das können wir einstweilen noch nicht sagen. Einen Typus, den wir in dem Schergen

ı) Der Dominikaner Gaspare Bugati (+ 1583) gibt betreffs der Kapelle nur die allgemeine Angabe, daß 1468 beim Tode des Pigello Portinari alles vollendet gewesen sei. Es ist aber gar nicht ausgemacht, daß seine Angabe, selbst wenn sie auf heute verlorenen Dokumenten basierte, sich auch auf die Malereien bezog und nicht etwa nur auf dem Bau.

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bei der Ermordung des Petrus Martyr wiederfinden, weist auch der hl. Paulus bei Cav. Noseda auf. Ich glaube, er ist ein Werk desselben, vorläufig anonymen Künstlers, nicht Foppas. Ff. und M. haben ganz recht, wenn sie die Malereien der Portinarikapelle noch als ein großes Rätsel der lombar- dischen Kunst bezeichnen, dessen sichere Lösung allerdings infolge der späteren Übermalungen kaum zu erhoffen ist.

4. Spätwerke nach 1490

Beweinung Christi, Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.

Madonna mit Kind, Museo Poldi, Mailand.

Christus, Sammlung Cheramy, Paris (mir nur aus der Reproduktion bekannt).

Madonna, Museo Poldi, Mailand.

Anbetung der hl. drei Könige, Natio- nal Gallery, London.

Verkündigung, Sammlung Borromeo, Mailand.

Martyrium des hl. Sebastian, Castello, Mailand.

Von der großartig ernsten Pieta aus S. Pietro in Gessate (in Berlin), führt eine Brücke zu dem wundervollen Ma- donnenbilde des Museo Poldi. Farbig ist es sehr verschieden von Foppas an- deren Werken. Da es aber in Formen- gebung und seelischem Charakter so durchaus zu ihnen stimmt, möchte ich doch an der Autentizität nicht zweifeln. Für den Christus der Sammlung Che- ramy ist es nicht ohne Interesse, daß Andrea Solario in seinem frühesten mir bekannten Bilde, das vor der Reise nach Venedig entstanden sein muß (wenig

nach 1490), ihn zum Muster nahm. Abb. 8. Lombardischer Maler um 1500, Madonna Solarios Bild befindet sich im Besitze.

Sammlung des Freiherrn von Tucher, Wien O

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von Mr. Charles Butler in London. Die prachtvolle Verkündigung der Galleria Borromeo steht zeitlich dem Londoner Epiphaniasbilde sehr nahe. Ist es mir hier nicht möglich, die Zweifel der beiden Autoren zu teilen, so kann ich anderseits als Spätwerke die der Abbildung nach recht shwachen Gemälde in Versailles und Orzinuovi nicht gelten lassen. Da ich beide im Original nicht gesehen

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habe, kann ich allerdings kein endgültiges Urteil fällen. Es wären äußerst schwachliche, wenig anziehende Gebilde, in denen für uns Foppas Kunst ausklänge, wenn Ff. und M. mit ihrer Zu-

* sammenstellung recht hätten. Wogegen meine Gruppe von Spätwerken eine letzte würdige Manifestation des ins monumentale gesteigerten Geistes des Quattrocento an der Schwelle des neuen Jahrhunderts darstellt.

x * *

In meiner Liste fehlen einige Bilder, deren chronologische Einordnung mir schwer möglich schien: so das reizende Fresko der Wallace Collection, ferner die mir im Original nicht be- kannte Pieta bei Sig. Bernasconi und die Madonna bei Mr. Berenson, welche, nach der Abbildung zu schließen, in den Köpfen durch Restaurierung stark Abb. 9. Lombard. Maler des XV. Jahr- verändert sein muß. Von Zeichnungen halte ich hunderts, Madonna ie die Berliner Traianszene für möglicher Weise, den ia aufgestützten Alten in Frankfurt für gewiß echt (um 1490). Vergleihe man dom Typus, Form der Hand, Gewandung usw.! (Abb. 6).

Sehr richtig haben Ff. und M. beobachtet, daß die Pietà von 1509 in S. Giovanni Evangelista zu Brescia von einem sehr nahen Schüler Foppas herrühre, nicht von Civerchio, mit dessen Namen in jiingster Zeit viel Unfug getrieben wird. Eine weitere Arbeit dieses Foppaschülers fand ich in einem Seitenraum des Klosters der Madonna del Sasso über Locarno, die Fliigelbilder der klagenden Frauen und die Liinette mit Gottvater von einem Altar, dessen Schrein eine ebenfalls noch erhaltene, vor- zügliche bemalte Holzgruppe des von Engeln ge- stützten Christus auf dem Grabe enthielt (Abb. 7).

Durch Wickhoff ist in die Literatur auch ein Gemälde der Madonna mit Engeln in der Sammlung Exellenz Baron Tuchers als Werk Foppas eingeführt worden’). Die Verschiedenheit

1) Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst

Abb. 10. Lombardischer Kupferstecher des 1908, pag. 25. Die AuBerung Wickhoffs, das Bild XV. Jhrh., Die beiden Einsiedler entstamme „der spätesten und reifsten Periode

O Wien, Hofbibliothek Foppas“, entbehrt jeder Begründung.

484 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

von Foppas Werken ist aber so groB, daB sein Name unbedingt auszuschlieBen ist. Manche Details in dem außerordentlich reizvollen Bilde (Abb. 8) erinnern an den Altar des Marco Longobardo und Giovanni Auroni von Cantü bei Donna Eva Brambilla in Mailand (aus Assiano bei Cusago, Abbildung in Rassegna d'Arte 1907, pag. 96), die Farben sind aber viel lebhafter, entsprechen in der Wahl denen Foppas, die Qualitàt ist eine höhere als in genanntem Altar. So ist die Madonna Tucher einstweilen noch ein anmutiges Rétsel der lombardischen Malerei.

Zu den von Ff. und M. erwähnten Bildern gleichzeitiger Lombarden und ano- nymer Schiller Foppas lieBe sich manches zufiigen. Der thronenden Madonna in Dijon nahe verwandt scheint mir das Altarwerk der zweiten Kapelle links in S. Pietro in Gessate; von demselben Maler wie die Madonna auf dem Goldthron in der Sammlung Cook stammt ein ganz ähnliches Bild bei Sir Martin Conway in Addlington Castle. Auf ein kleines foppeskes Madonnenbildchen (Abb. 9) in der Sammlung von Herrn Carl Franze in Tetshen (Böhmen) möchte ich bei dieser Gelegenheit ebenfalls hinweisen; es ist arg übermalt; das Kind erinnert auch an jenes von Butinone auf der Predella in Treviglio.

Schwierig ist eine sichere Beantwortung der Frage nach dem Autor des vor- trefflichen Porträts des Francesco Brivio im Museo Poldi. Seit Morelli schreibt man es allgemein Ambrogio de Predis zu. Mir ist immer noch Foppas Autorschaft wahr- scheinlicher. Als ein Spätwerk, dessen stilistische Beziehung zum Sebastiansmartyrium im Castell nicht übersehen werden kann, hätten wir es dann aufzufassen.

Habe ich früher einmal den Stich des Giovanni Maria da Brescia „die Gerechtig- keit des Traian“ in Vergleih zu Foppas Werken gesetzt, so möchte ich heute auf einen anderen anonymen Stich (Passavant V. pag. 189, 101; Bartsch XV. p. 182, 32) hinweisen, zwei Einsiedler darstellend, der mich immer an Foppas Werke erinnerte, ohne daß ich geradezu behaupten möchte, er sei nach dessen Entwurf gefertigt. Die heigefügte Abbildung ist eine verkleinerte Reproduktion des in der Wiener Hof- bibliothek aufbewahrten Exemplars (Abb. 10).

* * *

Auf einen lombardischen Zeitgenossen Foppas, dessen Tätigkeit in die 60 er und 70er Jahre fallen dürfte, möchte ich noch die Aufmerksamkeit lenken. Durch das Bild der Predigt eines Dominikaners in den University Galleries in Oxford (Nr. 24) wurde ich zuerst auf ihn aufmerksam (Abb. 11). Dort ist das Bild dem Jacopo Bellini zugeschrieben: nicht nur die Typen sondern insbesondere auch die Farben beweisen aber untrüglich die lombardische Provenienz. Rosa und graue Gebäude, deren Zeichnung den Raumeindruck bestimmt, stehen vor goldenem Grunde. Die Figuren haben fahle gelbliche Karnation und ziegelrote, braunrote, graulila, schwarze und gelbe Gewänder. Blau fehlt in dem Bilde. Von derselben Hand, gleich in Typen und Farben, stammt dann ein Predellenbildchen der Geburt Mariae im Louvre (Nr. 1660). Die Wöchnerin im Bette, das Bad des neugeborenen Kindes, der heimkehrende Joachim, all das ist mit jener naiven Unmittelbarkeit geschildert, die den frühlombardischen Werken eigen ist. Das Hauptwerk unseres Anonymus aber, eine Serie von zwölf Bildern mit der

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Abb. 11. Meister der Thomaslegende, Predigt eines Dominikaners O University-Galleries, Oxford

Lebensgeschichte des hl. Thomas von Aquino fand ich dann in Wien im Besitze Sr. k. und k. Hoheit des Erzherzog Thronfolgers Franz Ferdinand. Diese Gemälde, über welche ih an anderer Stelle ausführliche Mitteilungen zu machen hoffe, stammen aus altem estensischen Besitze. Nach seinem Hauptthema möchte ich unseren Anonymus einst- weilen den „Meister der Thomaslegende“ nennen.

Dieser „Meister der Thomaslegende“ ist keiner der führenden Geister. Daß es aber neben Foppa noch sehr große lombardische Künstler gab, die wir heute nicht mehr kennen, das bezeugt die prachtvolle Porträtzeichnung angeblich des Francesco Sforza in den Uffizien (die ehemals falschlich Bramantino zugeschrieben wurde, Abb. 12). Solch ein Werk gibt doch zu denken über den allgemeinen Stand der lombardischen Malerei schon in der Francesco Sforza Zeit. Das Blatt erinnerte mich immer an einzelne Kriegerköpfe in der Auferstehung im Collegio Castiglione zu Pavia, in den Fresken die laut Inschrift 1475 gemalt wurden, möglicherweise von Bonifacio

486 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 12. Lombardischer Meister des XV. Jahrhdts., Porträtzeichnung angeblich des Francesco Sforza Uffizien, Florenz

Bembo. Allerdings ist die Qualität der Uffizienzeichnung höher. Ja man wird über- haupt nicht vieles in der frühlombardischen Kunst finden, das sich diesem Blatte an die Seite stellen läßt.

III. Butinone und Zenale.

Über die beiden Künstler aus Treviglio ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Butinone lernte man dadurch als einen Künstler kennen, der bei mäßiger Begabung infolge einer großen Empfänglichkeit für äußere Eindrücke sich bald den

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Paduanern und Mantegna, bald Foppa, Bramante oder Zenale nähert. Seine Werke, durch auBerliche, fast zufällige Merkmale miteinander verbunden, sind bisweilen äußerst reizvoll, so daß wir unwillkürlich unter größeren Namen nach dem Autor suchen, bis gewisse Eigentümlichkeiten in Zeichnung und Kolorit uns plötzlih zum Bewußtsein bringen, niemand anderer als Butinone könne der Autor sein.

Ganz anders steht die Sache bei Zenale. Nur durch die Macht älterer falscher Attributionen und Erzählungen ist es möglich, daß einige ihm heute noch ganz hete- rogene Arbeiten zuschreiben, ein echt be- zeichnetes, wenn auch schlecht erhaltenes Bild aber nicht anerkennen wollen. Es gibt nicht viele Künstler, deren beglau- bigte, über mehrere Jahrzehnte sich ver- | | teilende Arbeiten stilistisch so wenig von- | e da : = einander abweichen. Dennoch ist es nicht [SERRE À überflüssig, hier noch einige Worte über RES Zenale zu sagen:

Was den Altar zu Treviglio betrifft, so habe ich schon früher!) den Anteil der beiden Künster an demselben zu be- stimmen versucht und bin in der damals vorgenommenen Einteilung durch eine er- neute Besichtigung nur bestärkt worden. Danach sind von Zenale die Heiligen links, der hl. Martin, Auferstehung und zwei Kirchenväter der Predella, von Butinone der Rest. Berenson hat meine Einteilung fast genau übernommen, Malaguzzi Valeri hat (in Anlehnung an Seidlitz) mehrmals °) gegen dieselbe opponiert, mir aber im Vorjahre mündlich erklärt, daß er nach erneuter Untersuchung in dem Hauptpunkte Abb. 13. Lombardischer Meister des XV. Jhrhd. bezüglich des hl. Martin mir beipflichte. cut mit Gelbelung NRE Derselbe Forscher scheint mir in einem O Sammlung Charles Loeser, Florenz sehr fleiBigen Aufsatze über die Fresken der Capella Griffi?) wieder dem Butinone zu viel zuzuweisen. So erkennt er zwar, daß einzelne Gruppen in den Fresken mit den Taten des Ambrosius nur von Zenale sein können, gibt demselben aber nicht auch den prächtigen Ambrosius zu Pferde in der Lünette sowie die beiden Reiher, die in ihrer ruhigen Größe gegen Butinones knittrig kleinliche Art so auffallend kontrastieren. Malaguzzi hat sich in blindem Glauben an Morelli lange da- gegen gewehrt, die bezeichnete Verspottung Christi der Galleria Borromeo als Werk

1) Repertorium für Kunstwissenschaft 1902. 2) Rassegna d'Arte II, 189, III, 104. 3) Rassegna d'Arte VII, pag. 145ff.

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Zenales anzuerkennen. Heute zweifelt wohl niemand mehr, daß dieses Bild, wenn es auch arg gelitten hat, noch immer genug charakteristishe Eigentiimlichkeiten von Zenales Art aufweist. Einige von Malaguzzi neuerdings!) versuchte Zuschreibungen an Zenale halte ich für sehr fragwürdig. Was es mit einem kleinen, nach der Repro- duktion recht unbedeutenden Madonnenbilde bei Signor G. Tirigallo in Treviglio auf sidi hat, kann ich nicht sagen, da mir das Original nicht bekannt ist; die zwei Tondi im Museo Poldi (der hl. Ambrosius und Hieronymus) halte ich aber einer Gruppe von Bildern zugehörig, die einem vorläufig anonymen Künstler angehören, der von Zenale und Foppa beeinflußt erscheint. Über diesen Künstler hoffe ich an anderer Stelle aus- führliher zu sprechen. So sehr ich mich bemüht habe, weitere Arbeiten Zenales ausfindig zu machen, so war es mir doch bisher nicht möglich, solche zu entdecken. Von einem ihm nahestehenden Künstler rührt gewiß das schöne Bild eines lesenden hl. Lorenzo im Besitze der Gräfin Anna Amadei in Wien her. Der Heilige ist in ein tiefleuchtendes dunkelgrünes Brokatgewand gekleidet, die Bordüren am Halse und der Heiligenschein sind plastisch erhaben in Gips gearbeitet, eine Eigentümlichkeit, die auch in dem Altar zu Treviglio vorkommt.

Ein schon früher von mir erwähntes Madonnenfresko in S. Vittore al teatro zu Mailand möchte ich hier neuerlich nennen, da der Autor desselben in Zenales Um- gebung zu suchen sein dürfte. Und dasselbe darf man auch von einer interessanten Federzeicinung sagen, deren Besitzer, Herr Charles Loeser in Florenz, die Güte hatte, die Photographie zur Verfügung zu stellen, die der beigefügten Repro- duktion zugrunde liegt (Abb. 13). Bei eingehender Betrachtung des lombardischen Dekorationsstiles dürfte sih der Autor der Loeserschen Zeichnung noch genauer be- stimmen lassen. Es ist ein Architekt, der hier seine Phantasie walten läßt; die im Hintergrunde in kleinen Figuren beigefügte Geißelung Christi ist vollständig Nebensache.

Da über Zenales Kunst noch immer viel Unklarheit herrscht, füge ich hier die ungefähr chronologisch geordnete Liste der Werke, die ich für eigenhändig halte, ein:

1485 Altar in Treviglio, Heilige links, St. Martin, Auferstehung, zwei Kirchenväter

1489—93 Fresken der Gapella Griffi. Ambrosius zu Pferde, die beiden Reiher und einzelne Figurengruppen in den Historienbildern, namentlich dem zur rechten Hand vom Eingang zur Kapelle (mit dem kuppelbekrönten Zentralbau auf dem Berge).

Portrait des Bischofs Novelli, Gal. Borromeo, Mailand.

1502 Verspottung Christi, Gal. Borromeo, Mailand.

Vorzeichnungen zu einigen Chorstuhlfüllungen, S. Bartolommeo, Bergamo.

Altarwerk der Madonna mit Heiligen und Donatoren, Ambrosiana.

Hl. Michael und Donator, Sammlung Frizzoni Salis, Bergamo.

Zu untersuchen wäre noch, ob in den Freskomalereien in der Kirche S. Maria delle Grazie Zenales Hand sich feststellen ließe. Mir schienen einige der sehr hoch angebrachten Medaillonbilder weiblicher Heiligen im Mittelschiff auf Zenale zu weisen.

!) Rassegna d'Arte VII, 163.

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War mir leider eine Bereicherung von Zenales Oeuvre diesmal nicht möglich, so freue ici mich umsomehr, auf einige bisher den Forschern entgangene Werke Buti- nones hinweisen zu können, deren besonders gute Qualität geeignet ist, das Bild dieses Künstlers in sympathischer Weise zu ergänzen.

Und da beginne ich gleich mit dem anmutigsten Werke, das ich von ihm bringen kann: einem Mädchenkopf en face im Besitze der Contessa Sola-Busca in Mailand (Abb. 14). Als ich vor Jahren das Bild zum ersten Male sah, erinnerte es mich an Bramante. Die metallisch gedrehten Locken, die harte Farbengebung hat aber Buti- none ebenso auf der Berliner Pieta, die ja auch ihrerseits auf Bramantes Einfluß hindeutet. Ähnliche Typen, wohl nur etwas weniger anmutig, gleiches Perlenstirnband und auch verwandtes Kolorit findet man in Butinones bezeichnetem Bilde auf Isola Bella. Auch entspricht der Typus mit dem kleinen Munde, der schmalen Nase, den melancholischen Augen völlig dem Butinones. Neu ist, daß wir Butinone als ersten von der älteren Generation das Thema des jugend- li schönen Facekopfes behandeln finden, das von Leonardo und Bramante (Fries der casa Silvestri) angeregt, in dem Kreise Boltraffios so häufig variiert wurde.

Ein besonders schönes Exemplar aus der Gruppe kleinfiguriger Bilder Butinones befindet sich im Be- È sitze des Fürsten Liechtenstein, auf der gleichnamigen \

Burg bei Mödling (Niederösterreich). Es stellt die Abb.14. B.BUTINONE, Mädchenkopf Vorführung eines jugendlichen Heiligen vor den Contessa Sola Busca, Mailand Richter dar (vielleicht des hl. Martin). Die zierliche

graugrüne Architektur, die in lebhaft farbige Gewänder gekleideten Figürchen, rufen sogleich jene anderen der Predella in Treviglio, sowie dem Klappaltärchen des Castello Sforzesco verwandten Bildchen der Galleria Borromeo, der Museen von Pavia und Bergamo ins Gedächtnis, die, von mir zuerst eingeführt, nun allgemein als Werke Butinones anerkannt werden.

Da die beiden Gestalten des hl. Lodovico und Bonaventura in der Ambrosiana meines Wissens noch nicht publiziert wurden, möchte ich nicht versäumen, sie hier in Abbildung mitzuteilen. Dieselben stehen ganz besonders stark unter Zenales Einfluß, werden aber von dem neuen Katalog der Ambrosiana mit vollem Rechte Butinone zu- gewiesen. Das Mittelstück, dem sie als Flügel angegliedert waren, ist nicht mehr nach- zuweisen (Abb. 15, 16).

Wohl das anmutigste Madonnenbild Butinones, vom Jahre 1500 datiert, ist bis heute der Aufmerksamkeit der Forscher entgangen. Es befindet sich in = der Nonnenkirche S. Sofia zu Mailand und ich freue mich, hier eine M. V. Abbildung davon geben zu kônnen (Abb. 17). Die Inschrift auf einem Cartellino rechts lautet:

VIGI NATI LIA VITAT

490 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Die Farben des Bildes sind tief und leuchtend und gemahnen in ihrem goldigen Tone an jene des Madonnenbildes bei duca Scotti. Indem ich dieses nenne, möchte ich erwähnen, daß der Meister des Todes Mariae auf einem Madonnenbilde der kaiser- lichen Galerie zu Wien das Christkind Butinones kopiert hat. Offenbar befand sidı der Altar, dessen Mittelstück die Madonna des duca Scotti bil- dete, in einer Mailänder Kirche. Die zeitlihe Reihenfolge der Madonnen Butinones ist, wie ich glaube, folgende:

Altar der Brera datiert 145 ., bezeichnet,

Altar Treviglio 1485 bez. datiert,

Gemälde auf Isola Bella, bezeichnet,

Gemälde bei duca Scotti,

Gemälde in S. Sofia, Mai- land, datiert 1500,

Neu erworbenes Madon- nenbild der Brera.

Durch H. Cook!) wurde auch ein Madonnenbild bei Sir Herbert Jekyll in London dem Butinone zugeschrieben. Ich kann da nicht beistimmen. Ich glaube, der Autor ist einer jener Maler von Pavia, die in Ligurien tätig waren. Zu dieser Abb. 15, 16. B. BUTINONE, Die h. Bonaventura u. Ludwig Annahme veranlaßt mich ein-

o Ambrosiana, Mailand mal die stilistishe Beziehung

zu Lorenzo de’ Fasoli (der

aber selbst als Autor nicht in Betracht kommt), andererseits der Umstand, daß in

Ligurien noch ein zweites, hier in Abbildung beigefügtes (Abb. 18) Madonnenbild

existiert, das der Familie Bisso gehört, ehemals unter dem Namen des Carlo Crivelli im Palazzo Bianco zu Genua leihweise ausgestellt war.

Eine große Tafel der Herabkunft des hl. Geistes, die in den Typen sowohl zu Foppa als auch zu Butinone Beziehungen aufweist, ohne doch von einem derselben zu sein, befindet sich im Besitze von Mr.Fontaine in Lille. Das Bild war in der Samm- lung Cernuschi, wurde mit derselben im Jahre 1900 in Paris versteigert, und war dem Bramantino zugeschrieben, bezeichnet indes nur die Basis, von der aus dieser geniale

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1) Burlington Magazine 1903.

W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 491

Künstler sidı zu seinem wunderbaren Pfingstfeste in Mezzana erhob. Das Bild in Lille ist mir nur aus einer vom Besitzer freundlichst zur Verfügung gestellten Photographie bekannt.

IV. Stilfragen.

Nicht ohne Zögern bringe ich einige allgemeine Fragen der Stilentwicklung der lombardischen Quattrocentomalerei hier zur Erörterung. Ich bin dabei gezwungen, mit Begriffen zu operieren, die ich in ihrer allgemeinen Gültigkeit auf breiter Basis der Geschichte der gesamten Künste erst zu erweisen haben werde. Auf eine größere Arbeit ästhetisher Art muß ich daher als systematische Begrün- dung der folgenden Bemerkungen hinweisen.

Daß ich mich in den Er- örterungen in erster Linie auf Foppas Werke beziehe, hat seinen Grund einmal darin, daß der äußere Anlaß zu der obigen Abhandlung ergänzende Randbemerkungen zur Monographie von Ffoulkes und Majocchi waren, sodann aber auch in dem Umstande, daB von den uns bekannten Quattrocentomeistern Foppa der bedeutendste und ein- zige ist, dessen Tätigkeit und Werdegang wir durch etwa ein halbes Jahrhundert an erhaltenen Werken studieren können. Wie weit er Bahnbrecher oder Führer war, das können wir heute in mehreren Fällen nicht mehr mit Sicherheit entscheiden.

Der noch im Banne des Abb. 17. B. BUTINONE, Madonna (1500) Dekorativen stehenden Übergangs- o S. Sofia, Mailand richtung gehören Foppas Früh- werke an, Goldgrund, prächtig ornamentierte Nimben sind ihnen eigen. Intensive Studien, die Körper in ihrer plastishen Rundung darzustellen, durch die Anwendung der Gesetze der Linearperspektive die lllusion des Raumes zu erwecken, die Figuren portraitartig individuell durchzubilden, werden später allmahlich die Basis seines künst- lerishen Schaffens.

Was war davon in der älteren lombardischen Malerei vorgebildet? Es sind

492 Monatshefte für Kunstwissenschaft

zwei in ihrer stilistischen Grundlage voneinander verschiedene Richtungen in ihr zu beobachten. Der einheitgebende Faktor der einen Richtung ist die Linie (dekorative Einheit), der anderen die Form (plastische Einheit). Wie durch diese stilbildenden Fak- toren die Behandlung der Details bestimmt wird, das näher auszuführen und in größerem Zusammenhange zu begründen, muß ich mir für eine andere Stelle vorbehalten. In den Werken der florentinischen Künstler des beginnenden Quattrocento tritt zuerst in der neueren Kunst die plastische Form mit allen Feinheiten der Detailierung als stilbildendes Element auf. In den Werken der Florentiner fand Donato de’ Bardi diese neue Kunst- anschauung, der auch er huldigte. Ich zweifle nicht, daß Vincenzo Foppa durch des Pavesen Werke, die er 1461 in Genua kennen lernen mußte, Anregungen nach dieser Richtung erhielt. Jacopo Bellini konnte auf diesem Pfade nicht sein Führer sein. Er ist der beste ausgesprochenste Vertreter einer Kunstrichtung, die aus dem Dekorativen des Trecento direkt in die malerische Freiheit der späteren Venezianer ihren Weg suchte. Der künstlerische Werdegang von Jacopos großem Sohne Giovanni Bellini gibt uns die Lösung für das stilistische Problem der Kunst des Vaters. Eine fast bis zur Selbstverleugnung gehende Unterordnung unter die plastisch formalen Gesetze des Gestaltens, wie sie ihm in der Kunst Mantegnas entgegentraten (schon hier von feinem malerischen Empfinden durchdrungen), war die Vorstufe zu Gio- vanni Bellinis reifsten Werken, durch die er die Blütezeit der venezianischen Malerei einleitete. Jacopo Bellini konnte dem Foppa nicht mehr Abb. 18. Pavesischer Maler v. An- geben, als er selbst besaß. Und wenn auch manches fange des XVI. Jahrhdts. in des Brescianers Frühwerken auf Jacopo hinweisen Madonna, propr. Bisso, ehe- mag, Foppas eigentliche künstlerishe Tat war in mals im Palazzo Bianco zu Genua ausgestellt o des Venezianers Werken nicht vorgebildet. Wir haben daher das Recht zu glauben, daß der Ein- druck von Donatos Werken eine gewisse Bedeutung dafür hatte, Foppa auf das Studium der Einzelgestalt, sowie der Maßverhältnisse des menschlichen Körpers hinzu- weisen. Derartige Studien, durch theoretische Arbeit vertieft, wachsen später bei dem Künstler zu solcher Bedeutung, daß Lomazzo ihrer ausdrücklich gedenkt; ein geistiger Austausch mit Bramante habe dabei eine Rolle gespielt, so berichtet er, gleichwohl sei Foppa dabei seine eigenen Wege gegangen und habe seine Forschungen in einem Traktat niedergelegt, dem Dürer für seine „Unterweisung der Messung“ einiges ent- nommen habe.

W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 493

Die theoretisierenden Bestrebungen haben schon bei Donato de’ Bardi eine Rolle gespielt, wie sich sicher behaupten läßt; „aus der Mass gemacht“ sehen seine Gestalten aus. Allerdings spielen perspektivische Raumkonstruktionen, Verkürzungen, bei ihm noch keine Rolle, wenn man nach den beiden bisher allein nachweisbaren erhaltenen Werken ein allgemeines Urteil wagen darf. Foppas Sinn für Raumkonstruktion zeigt nun schon das von 1456 datierte Kreuzigungsbild. Ob später eine direkte Beziehung zu Mantegna eintrat, ob Foppa, ohne abhängig zu sein von dem größeren Vicentiner, parallel zu ihm seinen Weg fand, bis er indirekt Kunde von dessen Bestrebungen durch Bramante (seit Mitte der 70er Jahre in der Lombardei, vorher sicher bei Man- tegna) und Butinone (siehe III. Kapitel) erhielt, das können wir heute nicht mehr kon- statieren, da Foppas datierte Werke, insbesondere die Freskenzyklen der entscheidenden Jahre verloren sind. Erhalten blieb nur der Schmuck der Portinarikapelle, über dessen Entstehung kein Dokument Auskunft gibt. Die Kirchenväter daselbst sind sicher von Foppa. In ihrer plastischen Wucht, meisterhaften perspektivischen Verkürzung und ein- fachen, großartigen Haltung scheinen sie eine volle Verwirklichung seiner Bestrebungen zu sein keineswegs frühe Versuche nach dieser Richtung. Die Annahme, Foppa sei vor 1468 so weit gekommen, scheint mir ganz unhaltbar (s. oben). In weniger als 12 Jahren ist dem Künstler nicht eine Entwicklung zuzutrauen, wie sie zwischen dem Kreuzigungsbild in Bergamo und den Kirchenvätern liegt. Vielleicht war die fixe Idee, die Kirchenvater müßten vor 1468 entstanden sein, hauptsächlich Schuld daran, daß Ffoulkes und Majocchi in den mit Recht oder Unrecht nach 1468 angesetzten Werken Foppas keine Spur einer Entwicklung mehr finden konnten.

Wohl lassen die Kirchenväter das Ziel jahrzehntelanger Arbeit erkennen, deren Errungenschaften in den einzelnen Etappen nachzuweisen uns aber die Lückenhaftig- keit des Materials verwehrt. Nur vermutungsweise ließ sich die Reihenfolge der er- haltenen Werke bestimmen. Sehr schwer, ja teilweise unmöglich ist es zu sagen, welche Neuerungen Foppa der lombardischen Kunst gebracht habe, wann dieselben zuerst bei ihm auftauchen und wie weit er Gebender, wie weit Empfangender im Verhältnis zu Butinone, Zenale und Bramante gewesen sei. Daß der von Ffoulkes und Majochi ihm beigelegte Ehrentitel „Founder of the Lombard school“ geradeswegs falsch ist, brauche ich nach dem bisher Gesagten kaum mehr zu betonen.

Nach den heute erhaltenen Beispielen scheint es, daß Foppa der Schöpfer des spezifisch lombardischen Poliptychons sei. Der einheitgebende Faktor desselben ist die Architektur. Der Rahmenaufbau lenkt als Schaufassade den Blick in Räume, in denen die gemalten Figuren oder Szenen sich bewegen. Die mit großer Kenntnis der Perspek- tive auf den Bildtafeln gemalte Scheinarchitektur setzt in ihren Detailformen die Motive des Rahmenwerks fort, wodurch dieses letztere als Teil eines architektonischen Ge- füges (nicht als dekorative Flächenbegrenzung) sich deutlich erweist, das wiewohl pla- stisch ausgeführt, sich doch in seiner Funktion für das Ganze von den gemalten Schein- architekturen nicht unterscheidet. Es ist daher der Verlust des alten Rahmenwerks für das lombardische Altarwerk unersetzlih. Der Altar in Savona ist ein Ganzes, die Tafeln vom Bergamoaltar in der Brera sind, wiewohl vollzählig erhalten, doch nur ihres Zusammenhanges beraubtes Stückwerk. Unter der Herrschaft des den Lombarden

494 Monatshefte für Kunstwissenschaft

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Abb. 19. Mailändischer Maler (1452). Votivbild des Matteo Attendolo Bolognini Besitzer Julius Böhler, München

eingeborenen architektonischen Geistes hat sich das dekorative Gefüge der älteren Zeit in das architektonisch lombardische Poliptychon verwandelt, um als solches trotz Leonardo bis an das Ende des Quattrocento lebensfähig zu bleiben und endlich durch Bramantinos wieder von architektonischem Geiste getragene Bildtafeln abgelöst zu werden. Dessen Pfingstfest in Mezzana ist die cinquecentistische Vereinfachung von Foppas Poliptychon.

Und wie im Altarwerk, so läßt sich auch in den Wandgemälden der architek- tonische Geist als herrschend erkennen. Leider sind die einst so zahlreichen Fassaden- dekorationen in der Lombardei fast spurlos verschwunden. Einige Künstler, wie Troso da Monza, die gerade in ihnen ihre spezielle Lebensarbeit fanden, sind dadurch für

W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 495

uns zu bloßen Namen. geworden. Um so wichtiger sind die wenigen Kapellenräume, die in ihrer Gesamtdekoration, wenn auch zumeist in wenig gutem Zustande erhalten blieben. Die Capella Portinari bei S. Eustorgio und die Capella Griffi in S. Pietro in Gessate zu Mailand sind die künstlerisch hervorragendsten unter ihnen. In beiden An- lagen finden wir das Bestreben, den Raum durch perspektivisch vorziigliche Schein- architektur zu erweitern. In der Capella Portinari sind es gerade die vier von Foppa gemalten Medaillons, die röhrenförmige Öffnungen in die Kuppelträger schneiden. In der Capella Griffi ist es ein gemaltes Balkengerüst, das den Kuppelraum scheinbar durchbricht, und auf dem dann die Engelgestalten stehen.

Wieder ist es Bramantino, der in seinen Fresken den Schritt ins Cinquecento tut, Luini und andere folgen ihm. Der große Genuese Luca Cambiaso nimmt das architektonisch konstruktive Raumerweiterungsprinzip auf, und legt damit die Basis für die genuesisdie Kunst des XVII. Jahrhunderts. Daß aber dieses Hauptelement der Barock- kunst schon in der lombardischen Quattrocentomalerei vorbereitet wird, dürfte das In- teresse der Forscher an letzterem so lange vernachlässigten Gebiete erhöhen.

Nachtrag.

Die Freundlichkeit des Herrn Julius Böhler in München ermöglicht es mir, eine Reproduktion des oben erwähnten (Seite 473) in seinem Besitze befindlichen früh- lombardischen Bildes beizufügen. Die Inschrift, wenn auch vielleicht später hinzu- gefügt oder erneut, gibt über den Besteller des Bildes sowie die Veranlassung und Zeit seiner Entstehung in folgenden Worten Auskunft: Spectabilis ar strenuus vir Matthaeus de Attendolis Bologninus Ticinensis Arcis praefectus creatus Sancti Angeli Comes a Francisco Sfortia Mediolani duce anno MCCCCLII commendantibus Sanctis Johanne Evangeliste et Antonio abbate ab Deipara clientelam recipitur. Das Bildchen ist vorzüglich erhalten und von freudigster Farbenpracht. Blau, karminrot, taubengrau und zinnober, gelb und weinrot klingen mit dem Goldgrunde hell zusammen.

Das ganze Bildchen mit dem zarten Pflanzenteppich des Vordergrundes, dem merk- würdigen Rundthron, den in Gewandzipfel endenden Engelchen, den symetrisch bewegten Greisen, dem gebunden steifen Porträt ist eine späte liebliche Blüte einer Kunstsprache, welche vorwärtsdrängende Geister eben damals schon als veraltet anzusehen sich be- rechtigt fühlen mochten. Die Vermutung einer näheren Beziehung zu den Pariser Miniaturen gründet sich auf mein Gedächtnis. Doch muß ich erwähnen, daß es eine gute Reihe von Jahren her ist, daß ich die Codices studierte.

REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT

Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstraße 2. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. Zweigredaktionen: Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 4. Für Münden: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, München, Holbeinstr. 1.

Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16. Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill bei London, Lyon Road. Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2.

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Diese alphabetisch nach Städten geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariats- Wegen Beteiligung wende man sich an Klinkhardt & Biermann in Leipzig.

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Heft 11

Melozzo-Entdeckungen in Rom

Von August Schmarsow

In den Köpfen italienischer Kunsthistoriker regt sich seit einigen Jahren das Verlangen irgend ein neues Werk von Melozzo da Forli hinzu zu entdecken, um doch über den Bestand, den ein deutscher Forscher vor mehr als zwanzig Jahren festgestellt hatte, nun endlich einmal hinauszukommen. Namentlich in Rom tritt dieser eifrige Wunsch von Zeit zu Zeit immer wieder hervor. Noch im letzten Heft der römischen Fachzeitschrift „L’Arte“ (XII, IV, Juli-August 1909) hat eine Dame, Lisa von Schlegel, das Gemälde der Galleria Nazionale im Palazzo Corsini mit S. Sebastian und zwei knieenden Stiftern als Eigentum des Forlivesen verfochten, während ein Nordländer gegen sole Taufe Einspruch erhoben (1906, Repert. f. Kwsch. 107), ein andrer, der es längere Zeit vorher gekannt, bis dahin sich schweigend dazu verhalten hatte, in der guten Hoffnung, die Meinungen würden sich schon allmählich abklären. Dann aber ließ Corradi Ricci, der jetzige Generaldirektor selbst, zwei von ihm aufgefundene Bruchstücke unter dem Namen Melozzo in der Galerie der Uffizien aufstellen und in Photographien mit dem Namen des großen Quattrocentisten veröffentlichen, der in den Tagen des ersten Rovere, Sixtus IV. so herrliche Meisterwerke in Rom geschaffen hat. Die beiden Tafeln sind auf beiden Seiten bemalt, und enthalten auf der einen nur die unteren Hälften großer Heiligenfiguren, während auf der andern die Verkündigung in ganzen, aber viel kleineren Figuren zu sehen ist, ein Umstand, der die Belegung beider, offenbar nicht gleichzeitig entstandener Seiten mit dem nämlichen Künstlernamen keineswegs ohne weiteres annehmbar erscheinen läßt. Nicht lange ist es her, daß auch Antonio Mufoz, der die frühere Melozzoforschung nachgeprüft hat, ein Bildnis der Galerie zu Faenza, in dem man Kardinal Roverella erkennen will, als eine Arbeit des Melozzo da Forli in Anspruch nahm. Als Neuestes aber wurde mir in Florenz gesprächsweise mitgeteilt, daß im Pantheon. ein Wandgemälde zum Vorschein gekommen sei, das die Verkündigung darstellt, und daß sich sowohl Adolfo Venturi als Corradi Ricci für Melozzo als dessen Autor entschieden hätten. Die Freilegung der verbauten Altarnische soll schon vor Ostern erfokt sein, wurde jedoch geheim gehalten, so dab die Fachgenossen, die nach Rom kamen, nichts davon erfuhren. Jetzt ist der Anblick erreichbar, wenn man über das Vorhandensein, hinter dem Bretterverschlag einer Kapelle

rechts vom Eingang, Bescheid weiß. 37

498 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

So mag es dem Verfasser jenes deutschen Werkes über Melozzo da Forli, das schon im Herbst 1885 erschienen ist, vergönnt sein, ein Wort über diese Neuent- deckungen mitzureden. Haben doch die römischen Lokalforscher allmählich eingesehen, daß er auch da als scharfsichtiger Kenner seines Meisters geurteilt hatte, wo man seinem Auge und seiner Kritik zunächst keinen Glauben beimessen wollte, z. B. in der Zu- schreibung des thronenden Papstes Marcus in der Basilica di S. Marco, in der Kapelle neben der Apsis. Er darf somit auch heute wohl nodi für berechtigt gelten, in den Meinungsverschiedenheiten über die neuen Taufen heimischer Autoritäten ein ent- scheidendes Votum abzugeben, und hätte es, wie langes Schweigen über den ersten Fall bezeugt, gern in der Stille getan, wäre er bei den öffentlichen Zuschreibungen an verantwortlicher Stelle um Rat gefragt worden.

Beginnen wir mit der Prüfung des Neuesten, der Verkündigung im Pantheon, S. Maria la Rotonda. Der untere Teil des Nischenfeldes über dem Altar ist als Hof- raum oder geschlossener Garten unter freiem Himmel gedacht, ein ziemlich schmaler Vordergrund für die zwei Personen, durch eine hinten gemalte Wandvertäfelung mit Pilastern und horizontalem Gebälk darüber, Porphyr- und Serpentinplatten in den Zwischenräumen abgegrenzt. So bleibt das Rundbogenfeld für den Himmel und die links hereinschauende Halbfigur Gottvaters übrig. Ohne Zweifel hat der links an- kommende, ein Knie beugende und seine Botschaft ausrichtende Engel die Veranlassung gegeben, den Namen Melozzo auszusprechen; denn durch seine Engel in der Sakristei von S. Peter kennt ja heute den Meister von Forli die Mehrzahl derer, die ihn bewundernd zu nennen weiß und nicht mehr wie Vasari mit Benozzo Gozzoli, dem Florentiner zusammenwürfelt, der als Nachfolger des Fra Angelico in Rom gearbeitet hat. Die Madonna, die rechts auf einem hölzernen Schemel kniet, ist es gewiß nicht gewesen, solche Taufe herauszufordern; denn die Wenigsten kennen überhaupt eine der weiblichen Gestalten des Forlivesen, würden also über seinen „Typus“ der heiligen Jungfrau gar keine Rechenschaft zu geben vermögen.

Der Kopf des Engels mit seinem Lockenschmuck ist das eigentliche Vergleichs- stück, das zuerst in Frage kommt. Er ist ganz in Profil genommen, mit einem kräftigen Haarschopf über der Stirn und im Nacken, um die Ohren und am Halse frei. Der Profilansicht nach rechts gemäß ist das Antlitz in ganz flachem Relief durchmodelliert, wie auf einer Medaille. Und suchen wir unter dem schlanken Hals nach Schlüsselbein und Schulterbreite, nach der Körperhaftigkeit der Brust hinter dem Arme, so stoßen wir auf einen befremdenden Mangel an Fülle und Leibhaftigkeit, den die berühmten Engel Melozzos gewiß nicht mit ihm teilen. Und nehmen wir gar den Flügel mit goldenen Schuppen oben, seine heraldisch dekorative Behandlung hinzu, d. h. wieder in flächenhafter Ausbreitung der Form und ornamentaler Umschreibung mit Linien, wo der Forlivese die Kurvatur eines wirklichen Flügels, sei es auch einer Gans, eines Schwanes, genug eines bestimmten Naturvorbildes zugrunde legt, bevor sein buntes Farbenspiel im treulich beobachteten Gefieder beginnt, da merken wir überall: dies ist westumbrisch, zwischen Rom und Perugia, zwischen Rieti und Orvieto gewachsen. Wer unbefangen den Maler zu bestimmen sucht, erkennt vielleicht wie ich auf den ersten Blick: er kommt von Lorenzo da Viterbo her, d. h. mittelbar von Benozzo

A. Schmarsow. Melozzo-Entdeckungen in Rom 499

Gozzoli, und vermag diese Unterlage seiner Schulgewohnheit nicht zu verleugnen, selbst wenn er in Rom auch andere Künstler gesehen hat und ihnen nachzueifern versucht. Auf die nämliche Herkunft von Benozzo Gozzoli und Lorenzo da Viterbo weist die Pilasterordnung, deren Kapitelle so gar nichts vom eifrigen Antikenstudium des Piero della Francesca haben, geschweige denn von der sauberen Wiedergabe spät- römischer Einzelformen, wie Melozzos Fresko in der Vatikanischen Pinakothek sie auf- weist oder seine gemalte Marmorkuppel in Loreto. Auf Lorenzo da Viterbo geht auch der Gottvater zurück, der eher etwas vom hausbackenen Wesen eines Fra Filippo oder Fra Diamante mitbekommen hat, wie die beiden in Spoleto erscheinen, als von der Wucht und Majestät auch nur der Apostelkòpfe oder des auffahrenden Christus aus Sti Apostoli, die man als Vergleichsstücke aus dem Werk des Forlivesen in Rom zunächst herbeiziehen müßte. Keine kühne Verkürzung in der Halbfigur des Segnenden, kein würdiger Charakter in dem Kopf Jehovahs.

Und die derbe Gottesmagd vom Lande, die ungeschickt und vierkantig dahin kniet auf der schräggestellten hölzernen Fußbank, sagt uns schließlich, wer dieser Maler aus dem Patrimonium Petri sein mag, sein muß. Sie trägt denselben Kopf, nur in Wandmalerei etwas vergrößert und verbreitert, wie die Annunziata in der Kapelle ihrer Bruderschaft in S. Maria sopra Minerva, in dem Bilde der nämlichen Szene mit dem kleineren Stifterbildnis des Kardinals Torquemada und seinen Schützlingen, den heirats- fähigen armen Mädchen, neben ihm, die ihre Säckchen mit der bescheidenen Mitgift bekommen haben. Der anerkannte Meister dieses Altargemäldes in den Minerva ist ‚Antonatius Romanus; er hat auch das Wandbild in der Altarnische des Pantheon dicht daneben gemalt. Nur steht er hier stärker unter dem Einfluß des Melozzo da Forli, den er doch so wenig zu erreichen vermag, weil ihm die Körperkenntnis gebricht. Die Schrägstellung des Schemels und der darauf knieenden Maria verrät auch, daß er gewisse perspektivische Kompositionsregeln dieses Vorbildes wie des Piero della Francesca zu befolgen sucht. Es ist das namliche Regulativ radialer Anordnung, auf das sich die ganze Schlüsselübergabe Peruginos in der Sixtinischen Kapelle aufbaut. Gewisse Faltenmotive in den Gewändern so des Engels wie der Madonna könnte man auf den Forlivesen zurückführen, noch sicherer vielleicht einige Farbenzusammen- stellungen in den Stoffen der biblishen Tracht. Aber dies Verhältnis des römischen Zunftmeisters zu dem Fremden ist längst bekannt und eingehend in dem Buche über Melozzo dargetan worden, wie andrerseits die Herkunft von Lorenzo da Viterbo.

Damit genug, das Wandgemälde, das man in S. Maria Rotonda zutage gefördert hat, gehört Antoniasso Romano und niemand anders! Wie steht es nun mit dem Bilde der Galleria Nazionale, dem hl. Sebastian mit seinen Stiftern?

Die nackte Gestalt des Heiligen, auf erhöhter Erdschwelle stehend, wie er an einen Baumstamm, mit den Händen rückwärts, festgebunden gegen den landschaftlichen Hintergrund und den freien Himmel sich abhebt, besitzt doch wohl nun den Grad der Körperkenntnis und jene etwas schwerfällige Wucht des Knochenbaues, die wir soeben von Melozzo da Forli ausgesagt haben? Ohne Zweifel, wer diese Gestalt im Palazzo Corsini mit dem Wandbilde in S. Vito e Modesto vergleicht, die leider nicht im selben Maßstab wie es sich gehörte aber doch bequem daneben im letzten Hefte der

500 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

Arte abgebildet ist (XII, 308f.), der muß die künstlerische Überlegenheit der ersteren anerkennen. Das wäre aber nodi kein vollgültiger Beweis, daß Melozzo sie gemalt haben müsse, wenn jene andre von Antoniasso herrührt. Die Leistungen des letzteren sind sehr ungleich unter sich, da er eigentlich als Unternehmer an der Spitze einer Werkstatt steht und sehr verschiedene Gehilfen beschäftigt, wie es hernach Pinturicchio in den Gemächern des päpstlichen Palastes, wie in den Kapellen römischer Kirchen getan. Er arbeitet sogar selbst in früheren Jahren kontraktlich als Genosse neben Melozzo d. h. gewiß unter der Oberleitung dieses „Pictor Papae“, wie z. B. in den Salen der Bibliothek unter Sixtus IV., im Erdgeschoß des alten Palastes. Aber auch dieser Sebastian in der Galleria Nazionale, der aus S. M. della Pace stammen soll, steht den Jünglings- und Engelsgestalten des Forlivesen unzweifelhaft näher als der umbrische Gabriel im Pantheon. Hier ist die Schulterbreite, die Fülle des muskulösen Halses, der runde Kopf mit großem vollem Oval, und der wallende Lockenschmuck, der vom Scheitel in der Mitte über Ohren und Nacken herunterwallt. Hier ist auch der runde Schnitt der Augenhöhlen, die geradabsteigende Nase, die geschwellten Lippen, das festgefügte Kinn. Und dennoch liegt in den Augen etwas Blödes, in den Nasenflügeln etwas leblos Starres, wie im Schnitt des Körperumrisses, z. B. an den gefesselten Oberarmen, in dem Einziehen der Taille in Nabelhöhe, in der Schmalheit der Ober- schenkel, besonders über dem Knie links, etwas Hölzernes, Dürftiges, das bei Melozzos _eigenhändigen Arbeiten in der Zeit römischer Meisterschaft befremden würde. Ähnlich aber steht es mit den beiden Stifterfiguren, die unten in Profil ganz symmetrisch ein- ander gegenüber knieen, mit den Kappen auf den gefalteten Händen wie lang- weilig! Würde Melozzo damals noch sie in kleinerem Maßstab zu geben sich herbei- gelassen haben? befangen in mittelalterlicher Devotion war er gewiß nicht. Und gerade die Ähnlichkeit mit der knieenden Figur des Bartolommeo Platina vor Sixtus IV. im Fresko der Bibliothek, aber in verkleinertem Maßstabe, ist kein Beweis für die Autor- schaft Melozzos selber, sondern spricht gerade für den unselbständigen Nachahmer, der das Vorbild im Vatikan selbst entstehen sah: Antonazzo Romano. Nun aber kommt noch ein dritter Faktor hinzu: die Landschaft und ihr Himmel. Das ist beides ganz westumbrisch, mit den konventionellen Hügeln links und rechts 4 la Perugino und Pinturicchio oder Fiorenzo, das weite Flußtal in der Mitte, und das mager, büschel- artig belaubte Frühlingsbäumchen links, ja sogar mit den oben gekräuselten unten gerad- linigen Wolkenstreifen, durchweg wie die ganze stumpfe Temperamalerei dieser Teile westumbrish! Das kann aus dem Atelier Antoniassos erst in einer spätern Phase seiner Wirksamkeit als Unternehmer hervorgegangen sein, und damit datieren wir alles an der Pinselarbeit, die Fertigstellung des Bildes in Farben, auf eine Zeit nach dem Weggang Melozzos aus Rom, der einige Zeit vor dem Tode des Papstes (+ 1484) zugleich mit dem Abzug des Nepoten Girolamo Riario in seine Herrschaft Forlì, erfolgte. In dieser Erkenntnis der westumbrischen Technik des Bildes liegt vielleicht auch die Erklärung des Sachverhalts, wenn wir andrerseits den Widerspruch zu der in vielen Stücken so vortrefflidien und Antonazzo überlegenen Gestalt des Heiligen selber berück- sichtigen. Gerade wenn das Bild aus S. M. della Pace stammt, dem Kirchlein das Sixtus IV. zu Ehren des Friedens mit Neapel gestiftet, aber nicht mehr vollendet hat,

A. Schmarsow. Melozzo-Entdeckungen in Rom 501

kommen wir auf die gleiche Periode des Übergangs aus dem Pontifikat Sixtus IV. zu dem Innocenz VIII. Schon die Marmorumrahmung des Kruzifixes, die James von Schmidt auf ihren richtigen Autor zurückgeführt hat, ist nicht mehr unter dem Rovere, sondern erst unter dem Cibo vollendet. Da wird es mit Altären, die andre Stifter außer dem Papst selber übernahmen, nicht anders gegangen sein. Die Bestellung des Sebastianbildes mag beim Beginn des Neubaues an den Maler des Papstes Sixtus, Melozzo da Forli, gekommen sein, vielleicht schon nicht ohne Abfindung mit dem römischen Lokalmeister Antonazzo. Als aber der Forlivese mit dem Herrn seiner Vaterstadt, Girolamo Riario, davonging und nach dem Tode des Papstes nicht wieder nach Rom zurückkam, da wird die Fertigstellung des Bildes, das Melozzo mit der Hauptfigur angefangen hatte, dem städtischen Lieferanten zugefallen sein, der einen westumbrischen Gehilfen in der Art des Fiorenzo di Lorenzo mit der Ausführung der Malerei betraute, während er selbst vielleicht das Wichtigste für die Besteller, die Bildnisse der beiden, zu zeichnen übernahm. So wenigstens würde sich die innere Ungleichmäßigkeit des Ganzen und die besondere Verquickung dreier Beiträge: Hauptfigur, Bildnisse und Land- schaft, mit der sich die ganze zutage liegende Pinselarbeit verbindet, zwanglos und natürlich genug erklären, ja sogar die Datierung der Malerei als solcher, die sich dem kritischen Blick notwendig ergibt: nach Melozzos Aufenthalt in Rom, wenn auch unmittelbar darnach, wo unter Innocenz VIII. die Bevorzugung der Westumbrer, des Perugino in erster Linie beginnt und dann des Pinturicchio weiter. Mir scheint daraufhin ließe sich eine Ver- ständigung zwischen den einander widersprechenden Ansichten erzielen. Gegen den Versuch aber dem Bilde der Galleria Nazionale in Rom den Namen „Melozzo da Forli“ allein zu belassen, muß ich Einspruch erheben; denn seine Art von Tafelmalerei ist seit dem Aufenthalt in Urbino und der Gemeinschaft mit Justus von Gent eine ganz andre. Würde es sich um ein Frühwerk handeln, so läge die Sache anders; aber dazu würde wieder die Zeichnung des hl. Sebastian nicht stimmen. Daß man sich darüber selbst in Rom nicht klar ist, hat m. E. eine ganz törichte Entdeckung des Cicerone verschuldet, die in einem solchen Handbuc aller Romfahrer unglaubliche Verwirrung stiften mußte. Ich weiß nicht, von wem die Angabe, resp. das vermeintliche Kennerurteil herrührt, die Wandmalerei in dem Grabmal des Diego Coca in S. M. sopra Minerva sei ein Werk des Melozzo. Genug, Bode hat sie drucken lassen und durch soundsoviel Auflagen wiederholt, während doch jeder, der mit der umbrischen Malerei in den siebziger und achtziger Jahren wirklich vertraut ist, hier vielmehr eine Vorstufe zu Signorelli und einen Verwandten des Bartolommeo della Gatta erkennt, aber niemals den Forlivesen, für den der Zuschnitt der Figuren, die Hagerkeit des Weltrichters und seiner Posaunenbläser, die nichtssagende Schwäche des Porträtkopfes am Rande ganz unmöglich erscheinen zu jener Zeit, wo das Grabmal des Bischofs von Calahorra entstanden sein kann. Doch das sind alte Sünden; sie rächen sich indes an der Generation, die mit solchen Irrtümern aufwächst.

Minder verhängnisvoll ist der Mißgriff von Antonio Mufoz mit dem Bildnis in der Galerie von Faenza. Gerade in den Jahren, als ich mit Melozzo-Studien beschäftigt war, bin ich auch häufiger nach Faenza gekommen, um die Gemälde des Marco Palmezzano zu vergleichen. Damals habe ich das Porträt des sog. Roverella bei jedem

502 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

Besuch gesehen; jetzt sah ich es nach langer Zeit wieder; aber der Einfall, daß diese schwache Durchschnittsware aus den Marken ein Melozzo sein könne, ist mir nie gekommen: ich hätte gemeint, mit solcher Zumutung eine Blasphemie gegen den Forlivesen zu begehen, und so glaube ich noch heute, aufs Neue angesichts des Werkes mit dem ausdrücklichen Anspruch, den Muñoz dem Bilde verliehen. Es gehört einem braven Manne zweiten, dritten, vierten Ranges, wie etwa Marco Palmezzano, Giovanni Santi und der ältere Utili von Faenza sein mochten ohne daß es mir in den Sinn käme es einem dieser genannten beizumessen. Aber es trägt die Wahr- zeichen der verschiedenen Einflüsse, die sich von Venedig und Ferrara her damals mit ostumbrischen begegneten, während im XVI. und XVII. Jahrhundert hier Bologna und und Florenz miteinander um den Vorrang streiten oder an der tonangebenden Stelle sidı ablösen. Als das Bildnis des Roverella entstand, war die Zeit des Marco Palmezzano in Forli und des Bellini-Schülers Niccolö Rondinelli von Ravenna, während der jüngere Utili, der fast alle Bilder, die in Faenza unter Vater und Sohn verteilt sind, gemalt zu haben scheint, sich ganz deutlich an Florentiner, sogar ans Verrocchio-Atelier anschließt.

In diesen Umkreis zwischen der Bellinischule von Venedig her und der heimischen Art der Romagna gehören auch die beiden Bruchstücke, die Corrado Ricci in der Florentiner Galerie hat aufstellen lassen. Die beiden Seiten sind sehr verschiedenartig im Stil der Zeichnnng, wenn auch verwandt im technischen Charakter der Ölmalerei. Da die Verkündigung in einem Altarwerk oder an ähnlicher Stelle im Kirchenraum immer oben zu sitzen pflegt, so ist nicht denkbar, daß die unteren Hälften der beiden großen Heiligenfiguren, die auf ihrer Rückseite zu sehen sind, gleichzeitig mit jener, etwa als die Außen- und die Innenseite je eines beweglichen Flügels, in Gebrauch gewesen seien; sondern die Heiligenfiguren wurden zerschnitten und deren untere Hälften für neue Bilder verwertet, sei es aus welchem Grunde immer: sie sind die älteren Bestandteile, und das beweist auch ihr Stil; sie sind echte Quattrocentoarbeit, und zwar von großem, etwas derbem Zuschnitt. Die Verkündigungsfiguren sind das Werk eines Faltendrechslers, in der Farbe entschieden venezianisch gesonnen, nicht ohne Anklänge an Bellinischüler des spätern Nachwuchses, etwa eines Altersgenossen des Cima da Conegliano, d. h. eines angehenden Cinquecentisten, und bei der Zurück- gebliebenheit der Provinz im Vergleich zur Zentrale Venedig selbst, wohl sicher Arbeit des XVI. Jahrhunderts. Viel größeren Anspruch als diese Verkündigungsfiguren erheben können, noch zum allerletzten Spätwerk Melozzos({ 1494) gerechnet zu werden, besitzen m. E. die unteren Hälften der beiden Einzelgestalten auf der anderen Seite, für die Periode der Vollkraft unmittelbar in Frage zu kommen. Aber können solche Heiligen ohne Köpfe, ohne Oberkörper, ohne Träger des Charakters und des Ausdrucks, bis auf eine herabhängende Hand etwa oder ein Beiwerk kirchlichen Ornates uns genügend sagen, web Geistes Kinder sie seien? Wüßten wir urkundlich, diese abgeschnittenen Unter- körper seien von Melozzo gemalt, so würden sie ja für Zeichnung, Faltenmotive, Farbentechnik noch immer einen gewissen Beitrag zur sicheren Kenntnis liefern; aber so mit der Zuschreibung allein, was haben wir daran? Ich vermag nur zu bekennen, die Verkündigung in Florenz ist ebenso wenig von Melozzo selbst, wie die im Pantheon zu Rom, und der Generaldirektor der italienischen Museen, der sie für Werke des

A. Scimarsow. Melozzo-Entdeckungen in Rom 503

Forlivesen ausgibt an öffentlicher Stelle, vor den Augen der Welt, muß die Verant- wortung dafür zu tragen wissen. Bis auf jene Bruchstücke, die dem genießenden Publikum nichts, sondern höchstens dem Fachgelehrten bei vergleichenden Studien intimster Art etwas zu bieten vermögen, zerfließen alle diese Neuentdeckungen angeblich authentischer Werke Melozzos fast in nichts; fast, sage ich nur noch in Rücksicht auf die Zeichnung ‘zum Sebastian in Rom, die er geliefert haben mag: sie würde uns den Weg zu einer ähnlichen Gestalt des Giovanni Santi im Altarbild aus S. Francesco in Urbino besser bereiten als der bisherige Besitz es vermochte. Aber das ist auch das AuBerste, was ih zugestehen kann. Alles übrige beruht auf Selbsttäuschung derer, die durchaus finden wollen. Der Wunsch ist der Vater all dieser Entdeckungen gewesen !). Während man aber so auf der einen Seite nicht genügend historische Kritik walten läßt, um von voreiligen Namengebungen zu ruhigerer Stunde wieder Abstand zu nehmen, und nicht eifrig genug darnach trachten kann, das Werk des großen Forlivesen zu bereichern, gewinnt auf der anderen Seite die Skepsis gegen anerkannte Hauptwerke, wie z. B. die Allegorien aus dem Schloß von Urbino (in London und Berlin), immer mehr Boden. Man sucht den Anteil des italienischen Quattrocentisten zu schmälern zugunsten seines Mitarbeiters Justus von Gent, dem man immer größeres Eigentumsrecht an der Ausführung nicht nur, sondern auch an der Erfindung dieser Gemälde zuerkennen möchte. Den Übergang bilden dabei die Bildnisse berühmter Männer aus dem Studio des Herzogs Federigo, die sich teils im Louvre zu Paris, teils im Palazzo Barberini zu Rom befinden, an beiden Stätten erst neuerdings recht zugänglich geworden. Ich habe von eifrigen Studien des Hugo van der Goes und seiner Zeitgenossen ausgehend, wie auf Grund des Abendmahls von Justus in Urbino s. Z. meine Ergebnisse über die Verteilung des Eigentumsrechts im einzelnen dargelegt; ich vermag also in jenen Abirrungen italienischer Forscher zugunsten des Vlamen nur eine gewisse Ironie des Schicksals zu erblicken, die für manche frühere Versündigung am Germanischen im eigenen Lande, nun mit dem Gegenteil bestraft. Bis dahin gehen diese Schmälerungen am Werke Melozzos nur in der Stille von Mund zu Mund. Erst wenn man sie eines Tages drucken läßt, wird man sich damit abzufinden haben. Der Senatore Morelli hatte s. Z. eine Art Monroedoktrin in der Kunstgeschichte auf- gebracht, nur Italiener verstiinden etwas von der Kunst ihres Landes, den anderen Nationen sei der Sinn für das Allerheiligste darin nicht gewachsen, d. h. man sperre sie besser aus, sie sollten nur die Erzeugnisse ihrer eignen Heimat studieren. Ich hoffe, es bleibt dem Deutschen, der ein Buch über Melozzo schrieb, in dem auch die Abrechnung mit Justus von Gent, wie mit Antoniasso Romano, mit Piero della Francesca und Pietro Perugino, wie mit Marco Palmezzano gegeben ward, erspart, solchen Verwechs- lungen der Ingenia zweier Nationen gegenüber mit aller Schärfe Einspruch zu erheben.

1) Dagegen besitzt die Zeichnungssammlung der Uffizien einen herrlidien Apostelkopf von Melozzos Hand, der unter dem Namen Luca di Leida ging, als ich ihn unter den Blättern der niederländischen Schule erkannte, und mit seinem richtigen Autornamen in der Kunsthistorischen Gesellschaft für photographische Publikationen veröffentlichte, auch das ist schon lange her (1900).

Meister Hans Seyfer, Bildhauer und :: Bildschnitzer in Heilbronn ::

Von Moriz von Rauch in Heilbronn

Von dem Bildhauer „Meister Hans von Heilbronn“ ist bekannt, daß er den Entwurf zum Speyerer Ölberg gemacht und die Kreuzigungsgruppe bei der Stuttgarter Leonhardskirche geschaffen hat; neuerdings ist er auch als der Meister des Hochaltars in der Heilbronner Kilianskirche erkannt worden. Da der Schöpfer dieser hervor- ragenden Werke der deutschen Stein- und Holzplastik den Meistern ersten Rangs bei- zuzählen ist, so soll in dieser Arbeit versucht werden, ein genaueres Bild von der Tätigkeit des Meisters Hans’) zu gewinnen.

Der verdienstvolle Forscher in der württembergischen Kunstgeschichte, A. Klemm, bringt den Bildhauer Hans von Heilbronn mit dem in Heilbronn tätigen Steinmetzen Hans von Mingolsheim zusammen, spricht aber doch die Vermutung aus, es seien in Heilbronn vielleicht zwei Meister Hans zu unterscheiden °). Diese Vermutung ist richtig: der Steinmetz Hans von Mingolsheim war schon zu Anfang des Jahres 1473 tot; von seiner Tätigkeit in Heilbronn steht nur der Bau des Karmeliterklosters urkundlich fest; den Chor der Kilianskirche, der im Jahr 1487 fertig wurde, hat nicht Hans von Mingolsheim sondern der fürstlih württembergische Baumeister Albrecht Georg gebaut ?).

Über den Bildhauer Meister Hans findet sidi im Heilbronner Betbuch ‘) von 1501—1503 folgender Eintrag: „Meister Hans, bildhauer (korrigiert aus: bildschnizer), ist bürger worden und ist fur sein persone sein leben lang gefryet bet, torehut, wadı und frondienst; und so er bettbare gutt kaufen wurdt, davon soll er thon wie ein ander burger; und wan er in mytaller zeit hinwegk ziehen will, so soll er alle sein habe und gutt veranzalen nach der stat ordnung. Actum uf donrstag nach Pangracii anno etc. im 1502°).“ Im Jahr 1507 gab „Meister Hans Bildhauer“ dem Betbuch zu- folge 7 x) Bet von bürgerlihem Gut, namlich von einem Krautgarten, das Betbuch von 1508 nennt ihn nicht mehr. Seinen Familiennamen erfahren wir durdı ein später nodı zu erwähnendes Schreiben des Speyerer Domkapitels von 1506, worin dieses den Heilbronner Rat bittet, den „Meister Hans Sufer, Bildhauer, Bürger zu Heilbronn“, dem das Kapitel einen Ölberg zu machen verdingt habe, Steine hiefür brechen zu lassen; der Heilbronner Stadtschreiber schreibt in einem gleichfalls noch zu erwähnenden Schriftstück von etwa 1506 den Namen „Seyfer“.

1) Die von mir benützten Meister Hans betreffenden Akten und Urkunden des Heilbronner Archivs werde ich im 2. Band des Heilbronner Urkundenbuchs teils wörtlich teils im Auszug drucken.

*) A. Klemm, Württembergische Baumeister und Bildhauer bis 1750 (Württemb. Viertel- jahrsh. für Landesgeschichte 1882), S. 119— 121.

3) Die Belege hiefür werde ich in einer Arbeit über die Heilbronner Kilianskirche bringen.

4) Die Betbticher befinden sich nicht mehr auf dem Heilbronner Archiv sondern im Unter- geschoß der Heilbronner Friedenskirche.

5) 19. Mai 1502.

M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heibronn 505

Daß Hans Seyfer im Jahr 1502 Bürger in Heilbronn wurde, schließt natiirlich nicht aus, daß er sich schon früher dort aufhielt; aber ein geborener Heilbronner war er shiwerlich. Zwar kommen ähnlihe Namen wie Seyfer in Heilbronn vor (so 1474 ein Zimmermann Hans Scheipfer und 1490 ein Hans Syfer !)), aber der Eintrag über Meister Hansens Bürgerannahme im Betbudı macht es wahrscheinlich, daß er ein Fremder war, und seine nodı zu erwähnenden Brüder hätten, wenn sie Heilbronner gewesen wären, keine Sitzbewilligung nötig gehabt.

Die früheste Steinskulptur, die wir von Meister Hans kennen, ist die Stuttgarter Kreuzigungsgruppe °) von 1501, als deren Schöpfer „der kunstreiche Meister des Speyerer Ölbergs“ genannt wird; Johann Jakob Gabelkofer schreibt nämlidı in seiner Chronik von Stuttgart *).

„Anno 1503 starb der ehrenfest und fürnehme Jakob Walter gen. Küehorn von Fewerfeld d. älter; anno 1525 starb die ehrsame fraw Clara Magerin, Jakob Kuhehorns hausfrau. Die haben gestiftet des künstliche cruzifix uff den kirchhof zu St. Leonhard außerhalb des chors stehend; ist alles von steinwerk und ist das kreuz so artlidı und meisterlih gehawen, daß noch vihl von guetem gesicht und verstand nicht alsobald eigentlidi wissen und urteilen mögen, ob der stamm von stein oder holzwerkh seie. Welcher stamm uff einem stein im darzu elaborierten berg stehet, darauf 2 weibsbilder in lebensgrößen knieen und den salvatorem am kreuz hangend anbetten. Am börg herumb sind ebenmäßig in stein gehauen allerhand kräuter wie auch insekten von schlangen, egeBen ‘), item todenköpff und beiner. Der kunstrich meister, so den ölberg zue Speyer im thuem*) gemacht, hat diB werck auch geförtigt und zwar laut eingehauener jahreszahl 1501.“

Eigentiimlich ist es, daß sowohl Maria als Johannes als Magdalena Kleidungs- stiicke von sich gefaßt halten; bei der am Kreuz knieenden Magdalena ist dies etwas manieriert. |

Im XIX. Jahrhundert hat wohl zuerst J. D. G. Memminger in seinem Werk über Stuttgart und Ludwigsburg °) auf die Stuttgarter Kreuzigungsgruppe hingewiesen, „die von vielen bewundert werde“; bald darauf erschien in einem englischen Werk eine Beschreibung der Kreuzigungsgruppe mit Abbildung 7). In neuester Zeit sind die Figuren der Gruppe nach der Stuttgarter Hospitalkirche verbracht worden, wo die Mittelgruppe, Christus mit Magdalena, jetzt unter dem Chorbogen aufgestellt ist, während die Figuren von Maria und Johannes, bei deren Ausführung man eine geringere

1) Dieser hatte damals eine Streitigkeit mit dem Pfleger des Kaisersheimer Hofs in Heilbronn.

2) Abbildung in den Kunst- und Altertumsdenkmalen Wiirttembergs, Atlas des Neckar- kreises; Beschreibung u. a. bei Wilhelm Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 184.

3) Mitgeteilt von A. Klemm in der Besond. Beilage des Staatsanzeigers für Württem- berg 1875, S. 88.

1) Eidechsen. Auch zwei Schnecken sind zu sehen, wie auf verschiedenen später zu erwähnenden Werken des Meisters. 6) Dom.

6) J. G. D. Memminger, Stuttgart und Ludwigsburg mit ihren Umgebungen (1817), S. 292, *) Dibdins biographical, antiquarian and pitturesque tour III (1821), S. 118 ff. mit einem Stich der Gruppe von B. Mitau nach einer Zeichnung von G. Lewis.

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künstlerische Hand beteiligt glaubte, sich in einem Nebenraum befinden'}. Am ur- sprünglichen Standort beim Chor der Leonhardskirche sind jetzt Kopien aufgestellt.

In Heilbronn bekam „Meister Hans Bildhauer“ am 30. März 1505 von dem dort ansässigen Albrecht Dinkelsbühl, früherem kurpfälzishen Keller zu Weinsberg, den Auftrag „ein steinernes Kreuz zu machen und zu St. Barbara vor dem Sülmer Tor an unser Frauen Weg aufzurichten“; bei der Schließung des Vertrags waren außer den zwei Heilbronner Bürgermeistern Konrad Erer und Thomas Engelhard und Wolf Feurer gen. Weikmar auch die zwei Baumeister (d. h. die Baudeputierten des Rats) Michel Hüngerlin und Klaus Sandreuter zugegen. Die Höhe des Kreuzes wurde auf 13 oder 14 Schuh festgesetzt, die Länge des „Herrgotts“ auf über 5 Werkschuh; das Kreuz sollte auf einen steinernen Fels zu stehen kommen, „wie das Muster anzeigt“, das Fundament sollten die städtischen Baumeister machen lassen. Dem Bildhauer, der den Stein auf seine Kosten brechen lassen mußte, wurden für sein Werk zwanzig Gulden Rheinisch zugesagt, dazu Eisen und Blei; die Hälfte des Gelds sollte er während der Arbeit erhalten, die andere nadı Fertigstellung des Werks, die auf Jakobi 1505 festgesetzt wurde’). Ein Rest dieses von Meister Hans gefertigten Werks ist ohne Zweifel der künstliche Fels, der an der Südostecke des Bläßschen Gartens beim Frauen- weg steht; man sieht noch den Anfang des Kreuzesstamms aus dem Felsen aufragen; im Jahr 1540 wird „das heilige Kreuz“ vor dem Sülmertor erwähnt °’).

In einer abschriftlidi erhaltenen Lauffener Chronik findet sich folgender Ein- trag $: „Anno 1507. Inn diesem jahr ist der öhlberg gemacht worden; davon zu bauen m. Hanßen steinmetzen zu Heyltpronn 80 gulden; und kost sonsten uffzurichten sehr viel.“ Dieser Ölberg befindet sich, sehr verstümmelt, auf der Südseite der Regis- windiskirche zu Lauffen a/N. in einem rippengewölbten Einbau. In felsiger Landschaft kniet Christus, die drei Jünger schlafen, einer ist ganz hingestreckt; von hinten drängen sidi durch eine Gartenpforte die Häscher herzu, die Kriegsknechte haben antike Ge- wandung. Daß es sich beim Lauffener Ölberg trotz der Bezeichnung „Steinmetz“ um den Bildhauer Hans Seyfer handelt und nicht etwa um den Steinmetzen Hans Schweiner, den Erbauer des Heilbronner Kiliansturms, ist mit Sicherheit anzunehmen.

Wir kommen nun zu einem der Hauptwerke von Hans Seyfer, dem Olberg zu Speyer’). Am 17. Januar 1504 brachten im Speyerer Domkapitel der Custos und der Sänger vor: „das ein person verhanden were, begerte ime cruytzgang ein oleberg uffzurichten und 200 gulden ungeverlihen daran zu geben; so es myn hern gefiel,

1) Vgl. über die neue Aufstellung Christliches Kunstblatt 1905, S. 214—221.

2) Vertrag von Quasimodogeniti 1505 (Heilbronner Archiv, Or.).

3) Untergangsurteil von 1540 (Heilbronner Archiv).

4) Benützt von A. Klemm (Württ. Viert. für Landesgesci. 1882, S. 120; den wörtlichen Auszug aus der Chronik verdanke ich Herrn Stadtpfarrer Fischer in Lauffen.

>) Vgl. Albert Sdiwartzenberger, der Ölberg zu Speyer (Speyer 1866). Es ist nötig, daß ich die den Ölberg betreffenden Einträge des Speyerer Domkapitelprotokolls genau mitteile; denn Schwartzenberger in seinem ausführlihen Werk hat zwar das Protokoll benützt und die Einträge z.T. wörtlich mitgeteilt, aber einige der wichtigsten sind ihm entgangen. Das Domkapitel- protokol! liegt in Karlsruhe auf dem Großh. General-Landesarchiv; ich zitiere die dortigen Protokoll- bände Nr. 6937 und 6938 mit Speyerer Protok. I und Il.

M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 507

wolten sie die person nennen etc.;“ darauf begehrten die Kapitelherren ,die viesirung des olebergs zu sehen !).“ Am 18. März 1504 brachte dann der Sänger als Seelwärter des verstorbenen Domherrn Wiprecht von Finsterlohe*) abermals vor, „so min hern wolten ein oleberg im crutzgang ufrichten, wolten sie?) 200 gulden darzu stuern“; darauf erfolgte der Beschluß: „Sint myn hern willig, den uffzurichten und das gelt anzunemen, und wollen allerhant viesirungen besichtigen, damit sie ein erlichs werg ufrichten mochten zum zierlichsten und andechtigsten ‘). Welche Künstler Visierungen eingaben, ist nicht überliefert; am 6. November 1505 findet sich die Notiz: „antreffen den oleberg wollen myn hern die visierung, so durch den meinster Hansen von Heyl- pronnen°) inen ubergeben, behalten, bitz sie das werck und pauw angryffen®).“ Am 9. Januar 1506 wurden der Dekan, der Custos und die Domherren Hans Krandı und Walter Vilbil „zu dem oleberg verordnet, mit dem wergkmeinster zu reden und handeln °)“, und am 3. Februar beschloB das Kapitel: antreffen des oleberg zu bauwen sol man gen Heylpronnen schicken nach dem meynster und mit im überkomen werden, damit das werck ein furgang habe und verpracht werd®).“ Am 13. Februar erhielten die Verordneten den Auftrag „mit dem werckman von Heylpronn, doch mit rath anderer werckleut, der ding verstendig, zu handeln?.“ Am Tag darauf „haben die deputierten heren mit dem meynster uberkomen, doch ein bedacht darzu genommen uff das, so er begert 1800 gulden und etlih weyn und korn etc.;“ die Verordneten wurden nun (es handelte sich offenbar nur noch um die Höhe der Meister Hans zu bewilligenden Geldsumme) beauftragt „berumpter meynster rat zu pflegen '°)“; eine deshalb beabsichtigte Sendung nach Straßburg wurde verschoben, „bytz der meynster von Mentz kompt!'). Unter dem Meister von Mainz ist wohl der auch später beim

1) Speyerer Protok. I, Antoniustag 1504.

*) Er starb am 6. Aug. 1503 (Archiv des histor. Vereins für Unterfranken 33, S. 22).

3) Die Seelwärter.

4) Speyerer Protok. I, 18. März 1504.

5) Zwischen den Städten Speyer und Heilbronn gab es mancherlei Familien- und sonstige‘ Beziehungen, z. B. war der damalige Heilbronner Bürgermeister Konrad Erer mehrere Jahre in Speyer ansässig gewesen, nachdem der dortige Zweig der Patrizierfamilie Erer erloschen war. Im Speyerer Domkapitel waren mehrere Heilbronn benachbarte Adelsfamilien (Gemmingen, Ehren- berg, Helmstatt) vertreten; im Jahr 1497 hatte das Kapitel Steine aus Heilbronn bezogen. Zu Stuttgart, wo Hans Seyfer die Kreuzigungsgruppe gemacht hatte, hatte das Kapitel künstlerische Beziehungen: der Schreiner Hans Ernst, der 1504 das hintere Gestühl im Kreuzchor des Speyerer Doms machte (Speyerer Protok. I, Samstag nach Kreuzerfindung, 18. Nov. und 23. Dez. 1504) ist jedenfalls identisch mit dem Hans Ernst von Böblingen, der 1490 einen Teil des Chorgestühls in der Stuttgarter Hospitalkirche ausführte (Ed. Paulus, Neckarkreis, S. 20 und 559); Hans Ernst machte 1504 auch das Schreinerische an der Speyerer Orgel, als Orgelmacher wird Meister Wolf- gang genannt; anfangs 1507 wurde Hans Grünbeck, Kapellan und Organist zu Stuttgart, wegen der Speyerer Orgel beschrieben (Speyerer Protok. I, Mittwoch nach Convers. Pauli 1507).

6) Speyerer Protokoll I, 6. Nov. 1505.

+) Speyerer Protok. I, Freitag nach Dreikönigstag 1506.

8) Speyerer Protok. I, 3. Febr. 1506.

®) Speyerer Protok. I, 13. Febr. 1506.

10) Speyerer Protok. I, 14. Febr. 1506.

11) Speyerer Protok. I, 27. Febr. 1506.

508 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Speyerer Ölberg zu Rat gezogene Mainzer Werkmeister Niklaus zu verstehen, in Straß- burg sollte vielleicht angefragt werden, was der dortige Ölberg gekostet hatte, der im Jahr 1488 von Nikolaus Röder von Diersburg gestiftet worden war!) Am 9. März 1506 erstattete dann der Domherr Walther Vilbil mit dem Fabrikmeister Niklaus Buer dem Kapitel Bericht von Mainz „nadı welcher relation beschlossen, meynster Hansen gen Heylpron widder zu schryben, alher gen Spyer zu kommen, mit im entlichen zu überkommen des olebergs halben °)“. Drei Tage darauf brachte der Steinmetz Meister Heinrich, des Stifts Werkmann, dem Kapitel „ein visirung des olebergs und grundbaws etc.“ mit dem Begehren, „in nit so gar umbsunst am weg lassen gen, sunder in zu bedenken, so man den bauw verdingen wolt“; Meister Heinrich erhielt den Bescheid, sic: nach Rückkehr des Dekans an das Kapitel zu wenden >’).

Zwischen Meister Hans und den Verordneten des Stifts kam es zum AbschluB; denn am 24. April 1506 schrieben der älteste Kanoniker und das Domstift zu Speyer an den Heilbronner Rat: nachdem sie dem Meister Hans Syfer, Bildhauer und Bürger zu Heilbronn, einen Ölberg in der Speyerer Domkirche zu madıen verdingt hätten inhaltlic: eines Kerbzettels, bäten sie den Heilbronner Rat, daß er den Meister Hans Steine hiezu brechen lasse‘). Der Rat antwortete am 12. Mai, es seien in Heilbronn so viele fürgenommene notdürftige Bäue an der Pfarrkirche und von sonderlichen Personen vorhanden, daß die Steine nicht ohne große Kosten gebrochen werden könnten; deshalb habe sidı die Sache bisher verzogen und sie könnten die Steine nicht mehr zum früheren Preis geben; das Kapitel möchte die langsame Ankunft Meister Hansens, des Briefzeigers, entschuldigen; der Rat habe ihn aufgehalten 5). Am 15. Mai schrieb das Kapitel, das des Rats Antwort offenbar noch nicht erhalten hatte, noch einmal an den Heilbronner Rat, er möchte Meister Hans behilflih sein, daß die Steine so bald wie möglidı gehauen würden, damit „das angefangene Werk vollendet und vollbracht werde °)“.

Obwohl demnach Meister Hans im Frühjahr 1506 schon in Tätigkeit am Ölberg ‘war, gab es noch nachträglich eine Schwierigkeit wegen der Bürgschaft: am 27. Juni berichtete der Eflinger Pfleger des Speyerer Domkapitels, Meister Hans Meyerhoffer, dem Kapitel „antreffen burgschaft meynster Hans Seyfern, bildhauern, wie das die- selbigen ‘) zu EBlingen ernennt nit hebig oder gnugsam zu solicher burgschafft weren etc.“; das Kapitel beschloB, der Pfleger solle, „damit das werck ein furgang gewinne“, dem Bildhauer fünfzig Gulden anzahlen und diesem solle geschrieben werden,

') An diesem Straßburger Ölberg, der früher vor der Thomaskirche stand und jetzt in einer Kapelle am Münster aufgestellt ist, sind Christus und die drei sdilafenden Jünger befangene Figuren, unter den Kriegsknechten und Reisigen dagegen befindet sich eine Reihe von lebens- wahren Gestalten mit Porträtköpfen (Straßburg und seine Bauten, herausg. vom Architekten- und Ingenieurverein für ElsaB-Lothringen (1894), S. 225).

*) Speyerer Protok. I, 9. März 1506.

3) Speyerer Protok. I, 12. März 1506.

*) Schreiben von Freitag nach Georgi 1506. (Heilbronner Archiv, Or.)

») Sdireiben von Dienstag nach Cantate 1506. (Heilbronner Archiv, Konz.)

*) Schreiben von Freitag nadı Cantate 1506. (Heilbronner Archiv, Or.)

°) Die Bürgen des Hans Seyfer.

M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 509

daß er andere Bürgen setze’). Was für Beziehungen Meister Hans Seyfer zu EBlingen hatte, ist nicht bekannt.

Erst 2'/, Jahre später °) erhalten wir wieder eine Nachricht über Meister Hansens Tätigkeit am Speyerer Olberg, für dessen Altar und Kapelle übrigens ein im Dezember 1506 verstorbener Domherr schon zwei ewige Messen stiftete 9): am 21. Dezember 1508 begehrte „Meister Hans Seyfer, Bildhauer“, Bescheid vom Domkapitel, „wes er sich halten solt mit den VIII jungern, die do nit im gediengzettel bestimpt“; er erhielt zur Antwort, er solle das Werk nadı dem Gedingzettel und der Visierung, die er dem Kapitel übergeben habe, aufrichten ‘). Meister Hans hatte offenbar gewünscht, außer den meist auf den Ölbergen Dargestellten drei schlafenden Jüngern Petrus, Johannes und Jakobus und dem Verräter Judas audı die acht übrigen Jünger anzubringen. Zugleich bat Meister Hans das Kapitel um ein nahe beim Stift gelegenes Haus, für das er sich Zins zu geben erbot, und um eine Geldhilfe, „das er sih doben mog fordern und herab komen uf den fryling ô)“; diese für den Frühling beabsichtigte Verlegung seiner Wohnung von Heilbronn nadı Speyer scheint Meister Hans ausgeführt zu haben; denn am 5. März 1509 beschloß auf sein nochmaliges Anbringen das Domkapitel, den „Meister Hans, Werkmann des Ölbergs“, zu einer Behausung zu helfen, und der Fabrikmeister wurde angewiesen, ihm 50 Gulden zu leihen®); noch am 13. März war von der Meister Hans anzuweisenden Wohnung die Rede ‘).

Am 21. März findet sich dann im Domkapitel-Protokoll der Eintrag: „meister Lienhard werckman des olebergs °)“; Meister Hans war nämlich, anscheinend unerwartet, gestorben. Am 27. März sagt das Protokoll: „Antreffen den oleberg, als meinster Hans tots abgangen und ein merglidı gelt zuvorweg hat, ist meinster Lenhart, sin bruder °), für mein hern erschin, meiner hern meynung zu versten begert; hat man nichts mogen handeln, dwil meinster Lorentz von Heydelberg !‘), der burgen einer, nit

1) Speyerer Protok. I, Samstag nach 26. Juni 1506.

2) Von Corporis Christi 1507 bis zum 4. November 1508 ist im Protokoll eine Lücke.

3) Schwartzenberger a. a. O., S. 14.

4) Speyerer Protok. II, Thoma 1508.

5) Speyerer Protok. II, Thoma 1508.

©) Speyerer Protok. II, Montag nach Reminiscere 1509.

*) Speyerer Protok. II, Dienstag nach Oculi 1509.

8) Speyerer Protok. II, Mittwoch nach Lätare 1509.

9) Meister Lienhard war also der von Simonis (Beschreibung aller Bischoffen zu Speyer, S. 377) ohne Namen erwähnte Bruder des ersten Werkmeisters am Olberg (nicht, wie Schwartzen- berger [a. a. O., S. 12] meint, Meister Lorenz).

10) Diesen Meister Lorenz von Heidelberg (er wohnte dort, wie aus dem Protokoll vom 12. April 1509 hervorgeht), bezeichnet Schwartzenberger (a. a. O., S. 11) unrichtigerweise als „von Mainz“, wobei er ihn wohl mit dem später zu nennenden Meister Niklaus von Mainz ver- wechselt. Da Meister Lorenz nicht von Mainz war, fällt auch die Vermutung von Georg Dehio (Jahrbuch der Kgl. Preußischen Kunstsammlungen XXX [1909], S. 152) über einen Anteil der Werk- statt Meister Hans Backoffens zu Mainz am Speyerer Ölberg. Môglidierweise ist Meister Lorenz von Heidelberg identisch mit einem Meister Lorenz, den das Speyerer Domkapitel im Jahr 1497 nach Heilbronn schickte wegen Steinen „für etliche im Domstift aufzurichtende Gebäue“ (Schreiben vom Dienstag nach Misericordia domini 1497 im Heilbronner Archiv). Über einen Meister Lorenz Lechler von Heidelberg, der 1486 in der dem Speyerer Domkapitel gehörigen Dionysiuskirche zu

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inheymsch ist; darüff meinster Lenharten befollen, uff die ostern die burgen mit ime zu bringen und weyters mit mein heren zu handeln, und wollen den grundtbau hie- zwischen austern laBen') und sunst umb rath suchen °)“. Da Meister Lienhard an Ostern nicht erschien, befahl das Kapitel am 12. April 1509 den Fabrikmeistern, sich nadı Heidelberg zu begeben „und mit meinster Lorenzen und ander burgen zu handeln, si derselbigen ë) ledig zu machen‘)“ Am 15. April erhielten die Fabrikmeister den Auftrag, sie sollten „meinster Lenhart beschicken, mit des rath das fundament des ole- bergs uffuren und uf das man auch wyters des wercks halben mit ime handeln moge °).“ Als aber Meister Lienhard erschien und das Kapitel am 24. April seine Meinung des Ölbergs halber zu hören begehrte, „nachdem das fundament nit wol zu setzen sy onn rat des ihenen, der den uberbauwe wyters uffuren sol“, antwortete Lienhard: „er mag nit wol raten, dwil er nicht wissens, wie mein heren den bauw ußfuren wollen und ob man sich wol mit ime lassen genugen etc.“ Das Kapitel beschloß darauf, Meister Lienhard solle möglichst bald den Meister Lorenz mit sich bringen „so mog man dan audı anderswo rat haben und der burgschaft und der uBfurung halben handeln®).“ Meister Lienhard und die Bürgen sagten sich nun auf einen bestimmten Tag in Speyer an und der Fabrikmeister Niklaus Buer erhielt am 26. April Befehl vom Kapitel, sid nach Mainz zu begeben und das dortige Dom- kapitel zu bitten, daß der Werkmeister Meister Niklaus (jedenfalls der Mainzer Dom- baumeister Niklaus Eseler ‘)) ebenfalls auf jenen Tag nach Speyer gesandt werde, „rath zu schlagen, wie man das werck des olebergs volfuren mocht“; auch sollte Buer den abwesenden Dekan benachrichtigen ®). Über die Verhandlung, die am 4. Mai 1509 stattfand, berichtet das Protokoll: „Haben mein herrn mit rath meinster Niklaus von Meintz, werckmeister, mit meyster Lorenzen und Hans Glesern °), den burgen, des olebergs halben gehandelt und nach mancherley unterredung und handlung zuletzst sih mit meinster Lorentzen vertragen und entschlossen, dwil solid werck nit mocht oder kont in altem geding ußgefürt werden, das er sich des wercks underziehen solt, dasselbig regiren, von grunt uffuren und ufsetzen, mit maß und bildwerck nadı not- turft versehen solt; deßhalben er und meinster Heinrich, meiner heren werckman, den namen des wercks haben solten, doch mit einer maß !‘); also ist das wergk in meyner

EBlingen als Bildhauer tätig war, vgl. A. Klemm a. a. O., S. 100, wo auch ein kurpfalzischer Bau- und Büchsenmeister Lorenz Lacher erwähnt wird.

1) Den Grundbau bis Ostern anstehen lassen.

*) Speyerer Protok. II, Dienstag nach Judica 1509.

5) Der Bürgen.

*) Speyerer Protok. II, 12. April 1509.

*) Speyerer Protok. II, Quasimodogeniti 1509; statt „des wercks halben“ hieB es zuerst: des uberbauws halben.

5) Speyerer Protokoll II, 24. April 1509.

3 Vgl. A. Klemm a. a. O., S. 118.

») Speyerer Protok. II, Donnerstag nach Misericordia Domini 1509.

®) Der Bürge Gleser (nicht Glese) scheint nach dem erwähnten Protokoll vom 12. April 1509 wie Meister Lorenz in Heidelberg gewohnt zu haben; demnach hatte Meister Hans audi hier Beziehungen.

10) Der Sinn ist wohl: zu gleichen Teilen.

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heren kosten usserhalb des ersten gedings widder angfangen und sol meinster Lorentz vlei ankeren und ein insehens haben, damit solichs forderlich ein fürgang hab !).“ Einige Tage nach dieser Verhandlung, am 7. Mai 1509, wurde der erste Stein am Ölberg gelegt im Beiwesen des Dekans und anderer’).

Zehn Monate später, am 18. März 1510, begehrten die Fabrikmeister einen Zug *) zum Ölberg; am gleichen Tag verhandelte das Kapitel, ob das Dadi von Blei oder Schieferstein zu machen sei‘). Das Protokoll vom 5. September 1511 berichtet wieder etwas von Meister Lienhard: „Meinster Lenhard steinmetz anbracht, die fabricken- meynster hetten ime abgekondet, das hauß zu raumen zu meyner hern gebrauch, und mit wein und ander kosten zu reichen weren sie ihme herdt°); begert, dwil das werck nuh zusammen gieng und noch umb ein klein zyt zu thun, man solt ime und siner geschwyen behausung gennen und kosten reychen, wie bisher, uf 6 wochen, so wolt er viyB ankeren, so viel an ime, das werk zu fertigen und zusammen zu bringen; darnadı so mogen myn heren der arbeyt nach mit ime und siner geschweyen wyters

zu handeln. Ist fabrickmeynster befollen, hiezwischen Galli das best zu thun mit -1/, fuder weyns und ein malter korns oder vier und ime zu sagen, das er mehe vlyB ankere dan bitzher und das meyn hern nach ußgang des ziels kein kosten mehe haben wollen, darnodı zu richten; und dies ist ime auch capitulariter furgehalten und gesagt worden: versehen sich, so es zu sim abscheyt komme, er, meinster Lenhart, und sein geschwyhen sollen den kosten auch zu hertzen nemen °).

Gegen Ende des Jahres 1511 wurde der Ölberg fertig; diese Jahreszahl stand auf dem Oberbau °). Am 18. April 1512 wurde beschlossen, ihn mit einer Einfassung („Gerembs“) von Steinwerk zu befrieden, für die Meister Heinrich Entwürfe vorlegen sollte®). Dieser hatte übrigens am 22. Januar 1512 das Kapitel gebeten, „syn arbeit, so er am oleberg fur andern °) gethon, gunstiglicheren zu bedenckhen !°).

Es ist nun die Frage, ob Meister Hans von Heilbronn als Meister des Speyerer Ölbergs anzusehen ist oder, wie es nach dem Protokoll vom 4. Mai 1509 scheinen könnte und wie Schwartzenberger angenommen hat !'), Lorenz von Heidelberg und der Speyerer Werkmann Heinrich. Daß ein so berühmtes Werk wie der Speyerer Olberg von zwei Meistern gemacht sein soll, von denen man sonst kein einziges Kunstwerk kennt, ist an sich unwahrscheinlich, auch kamen beide so zu sagen zufällig zur Mit- arbeiterschaft: Meister Lorenz, weil er des verstorbenen Hans Seyfers Bürge war, und

1) Speyerer Protok. II, 4. Mai 1509.

2) Speyerer Protok. II, Montag nach Cantate 1509.

3) Flaschenzug.

4) Speyerer Protok. II, 18. März 1510.

5) Hart.

6) Speyerer Protok., 5. Sept. 1511.

*) Sichtbar auf einer der noch zu erwähnenden Göttinger Handzeichnungen (Abb. 1).

8) Speyerer Protok., Quasimodogeniti 1512.

9) Vor anderen (nicht: für andere).

10) Speyerer Protok., 22. Jan. 1512.

1) A, Sciwartzenberger a. a. O., S. 12 (ebenso in seinem neuen Werk, der Dom zu Speyer [2 Bd. Neustadt a/H. 1903], wo in Bd. II, S. 419—29 der Ölberg behandelt wird).

512 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 1. Der Speyerer Olberg vor seiner Zerstörung

Meister Heinrich als Werkmann des Domkapitels. Dagegen arbeitete Meister Hans bereits im Mai 1506 am Olberg und schon damals drängte das Kapitel auf Vollendung des „angefangenen Werks“; müssen wir nun nicht annehmen, daß er, als er im März 1509 vom Tod ereilt wurde, mit den Statuen, deren Material aus den Heilbronner

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Vorderansicht des Speyerer Olbergs

Abb. 2.

Sandsteinbrüchen er zur Hand hatte, fertig war und daß es sich bei seiner Über-

siedlung nach Speyer nur noch um die Aufstellung des Werks handelte? Angenommen

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ch nichts oder nicht viel für den Ölberg gearbeitet gewesen,

dann denkbar, daß man schon 3 Tage nach der Beratung vom 4. Mai 1509,

durch welche die Vollendung des Werks den Meistern Lorenz und Heinrich übertragen wurde, zur Legung des ersten Steins geschritten wäre? Bei dieser Beratung vom 4. Mai handelte es sich neben der dem Kapitel sehr wichtigen finanziellen Auseinander-

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Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 3. Seitenansicht des Speyerer Olbergs

setzung mit des verstorbenen Hans Seufers Biirgen offenbar um das Legen des

“, also um technische

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und architektonische Fragen, nicht um bildhauerische; dazu stimmt auch die Beiziehung

des Mainzer Dombaumeisters Niklaus.

Heinrich wird etwas erwähnt

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Fundaments, um d

Weder von Meister Lorenz noch von Meister ie Bildhauer waren; wäre es Heinrich gewesen '),

überhaupt nötig gehabt, den Ölberg einem Fremden,

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ätte dann das Kapitel

1) Auch bei Meister Heinrichs erwähntem Anbringen vom 12. März 1506 handelte es si

ichen Ölbergs war damals das

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Kapitel mit Meister Hans schon so gut wie einig.

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M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 515

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Abb. 4. Seitenansicht des Speyerer Olbergs

dem Hans von Heilbronn, zu übertragen? Wenn es im Protokoll vom 4. Mai 1509 heißt, „Meister Lorenz solle das Werk mit Maß- und Bildwerk nach Notdurft ver- sehen“, so bezieht sich dies nicht auf die eigentlichen Olbergskulpturen, sondern auf den Uberbau, der tatsächlich mit gotischen Fialen und dergl. sowie mit Brustbildern verziert wurde (Abb. 1). Und wenn die Meister Lorenz und Heinrich ,den Namen des Werks haben“ sollten, so stellt sie dies nicht etwa in Gegensatz zu Hans Seyfer, dem bisherigen Meister, sondern zu dessen Bruder Meister Lienhard, der nach Hansens Tod zuerst zum Werkmann des Ölbergs gemacht worden war, aber dann die Voll- endung des Werks nicht übernehmen wollte. Daß Meister Lienhard, der Bildhauer

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516 Monatshefte für Kunstwissenschaft

war, trotz der Übertragung des Werks an die Meister Lorenz und Heinrich doch noch an der Vollendung mitgearbeitet hat, ist ein weiterer Beweis dafiir, daB jene mit den Skulpturen des Olbergs nichts zu tun hatten.

Offenbar haben Meister Lienhard und seine ,Geschweihe“ (jedenfalls Hans Seyfers Witwe) das „Zusammenbringen des Werks“, d. h. die Aufstellung der Olberg- Statuen in den von den anderen Meistern geschaffenen architektonischen Rahmen besorgt und Meister Lienhard mag an den Statuen fertiggestellt haben, was etwa sein Bruder unvollendet gelassen hatte. Als Schöpfer der Ölbergskulpturen aber kommt Lienhard, obwohl eine Quelle vom Ende des XVI. Jahrhunderts als Vollender des Ölbergs „den Bruder des ersten Werkmeisters“ nennt!), nicht in Betracht; denn er war offenbar kein bedeutender Meister und traute sich selbst wenig zu; in Heilbronn, wohin er sich spätestens 1513 wendete, wird kein bildhauerishes Werk von ihm erwähnt; „Meister Lienhard Bildhauer“ wurde dort am 16. Mai 1514 gegen ein jähr- liches Sitzgeld von 1 Gulden auf 4 Jahre als Einwohner angenommen mit der Be- stimnung, daß er sich allein an das Bildhauerhandwerk halte ohne Beschwerung des Maler- und Schreinerhandwerks. Er blieb dauernd in Heilbronn und war später als BiichsengieBer für den Rat tätig; im Jahr 1526 nennt er sich: Lienhard Seyfer, Büchsen- gießer; er wird noch 1535 erwähnt °).

Wir dürfen also die Skulpturen des Speyerer Ölbergs mit Gewißheit dem Meister Hans zuweisen; er allein kann gemeint sein, wenn als Schöpfer der Stuttgarter Kreuzigungsgruppe „der kunstreiche Meister“ des Speyerer Ölbergs genannt wird. Wer Meister Hans nicht als solchen gelten läßt, müßte ja auch die Stuttgarter Kreuzigungsgruppe dem Lorenz von Heidelberg oder dem Speyerer Werkmann Heinrich oder dem Meister Lienhard zuschreiben! Was die Kosten des Speyerer Ölbergs betrifft, so gibt Simonis an, er habe „auf 3000 Gulden“ gekostet*); das war für damalige Zeiten eine ungeheuere Summe; wenn wir aber bedenken, daß Meister Hans im Jahr 1506 1800 Gulden nebst Korn und Wein verlangte, daß 1509 der Wechsel in der Bauleitung eintrat und das Werk erst Ende 1511 fertig wurde, so dürfte die Angabe von Simonis doc richtig sein.

Der Ölberg +) (Abb. 1, 2, 3 und 4) stand im Domkreuzgang und bildete ein Sechseck mit 4'/, Meter langen Seiten; auf schmucklosem Unterbau erhoben sich sechs durch Spitzbogen verbundene Pfeiler, die einen mit gotishem Zierrat und Brustbildern versehenen Oberbau trugen. Im Inneren dieses Zentralbaus befand sich ein felsiger Berg mit vielen verschiedenartigen Pflanzen und Tieren (Schnecken, Eidechsen, Frösche, Schlangen, Hasen, Eichhörnchen, Schildkröte und Greif); den oberen Teil des Bergs bildete der von einem Zaun umschlossene Garten Gethsemane, hier waren die Statuen

1) Simonis, Beschreibung aller Bischoffen zu Speyer (1584), S. 377 (mitgeteilt bei Schwarzen- berger a. a. O., S. 63—64).

2) Heilbronner Archiv.

3) In seiner erwähnten Chronik von 1584 (Schwarzenberger a. a. O., S. 64).

4) Vgl. die ausführlichen Beschreibungen von A. Schwartzenberger in seinen erwähnten Werken über den Ölberg und über den Speyerer Dom (nach den noch zu erwähnenden Göttinger Handzeichnungen).

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des knieenden Christus, des Engels mit Kelch und Kreuz und der drei schlafenden Jünger. Zu dem Garten führte außen am Berg ein Weg hinauf, auf dem die Häscher einzeln hinaufstiegen, so daB auf jeder der sechs Seiten des Bauwerks unten eine Gruppe der Hascher und oben die Hauptgruppe sichtbar war. Judas, der vorderste der Aufsteigenden, hatte gerade den Garten Gethsemane erreicht; die ihm folgenden Kriegs- knechte in der Tracht vom Anfang des XVI. Jahrhunderts zeigten derbsten Realismus und viel Humor; z. B. hatte ein Hakenschiitze eine eiternde Wunde am Knie, auf der eine Fliege saß; in der zuunterst stehenden Gruppe von römischen Soldaten war ein voll- ständig Gepanzerter mit Kommandostab, dessen ruhige, an eine Grabfigur erinnernde Haltung zu den lebhaften Bewegungen der übrigen in seltsamem Gegensatz stand.

Der Speyerer Olberg war im XVI. und XVII. Jahrhundert ein viel bewundertes Werk. Der Heidelberger Dichter Theodor Reysmann beschreibt ihn in seinem 1531 erschienenen lateinischen Gedicht Pulcherrima Spirae summique in ea templi enchromata voll Begeisterung und sagt, selbst die knidische Aphrodite und der Zeus in Olympia müßten dem Ölberg weichen !); Simonis sagt 1584 in seiner „Beschreibung aller Bischoffe zu Speyer“ vom Ölberg, „man möge an Schönheit, Art und Kunst in der Teutschen Nation nicht leichtlih deBgleichen finden °)“; dann hat der Jesuit Johann Armbruster in dem 1654 in Frankfurt erschienenen Parnassus societatis Jesu den Ölberg in lateinischen Hexametern besungen und im Jahr 1683 schrieb der Magister Hoffmann über ihn `).

Im Jahr 1689 wurde der Ölberg, der beim Brand des Doms nur wenig gelitten hatte, von den Soldaten des allerchristlichsten Königs zerschlagen und, was noch etwa vorhanden war, zerstörten ihre Enkel, die französischen Freiheitsmänner, im Jahre 1794 $). Die spärlichen Reste der Statuen sind jetzt im Pfälzishen Museum zu Speyer unter- gebracht ^); die Universitäts-Gemälde- und Kupferstihsammlung in Göttingen besitzt aber sieben, mit jenen Resten übereinstimmende Handzeichnungen ®) vom Ölberg, die uns immerhin ein Bild geben von der Schönheit und Originalität dieses zerstörten Werks von Meister Hans Seyfer. Bei der im letzten Drittel des XIX. Jahrhunderts ins Werk gesetzten Wiederherstellung des Ölbergs ist die Naivetät und Frische der Original- skulpturen nicht zum Ausdruck gebracht worden.

Bei seiner Annahme zum Heilbronner Bürger im Jahre 1502 wurde Meister Hans zuerst als „Bildschnitzer“ bezeichnet, was dann allerdings in „Bildhauer“ korrigiert wurde. Einen Auftrag, bei dem es sich offenbar um eine Holzschnitzerei handelte, erhielt er etwa im Mai 1506 ?): die Kerzenmeister sowie Brüder und Schwestern der

1) Theodor Reysmann und sein Lobgedicht auf Speyer, herausg. von Gustav Bossert (Speyer 1907), S. 231—233.

2) Schwartzenberger a. a. O., S. 63.

3) Schwartzenberger a. a. O., S. 18.

+) Schwartzenberger a. a. O., S. 17.

5) Sie waren, während ich diesen Aufsatz schrieb, nicht zugänglich.

©) Nach Photographien von diesen sind die Abbildungen 1—4 gemacht; die Photographien sind mir durch Herrn Professor Dr. Wilhelm Meyer in Göttingen gütigst zur Verfügung gestellt worden. Ein Teil der Göttinger Zeichnungen ist schon veröffentlicht in einem Aufsatz von S. J. Zimmern über den Olberg zu Speyer (Baudenkmale der Pfalz II (1889—92), S. 14—23.

?) Der (ausgestrichene) Vertragsentwurf auf dem Heilbronner Archiv ist undatiert; auf der

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Abb. 5. Die Reliefs vom Heilbronner Hochaltar

St. Anna-Bruderschaft in der Heilbronner Kilianskirche verdingten „dem ersamen und berumpten meister HanBen Seyfer, bildhower zu Haylpronn, ain tafel auf sant Anna altar zu schneyden und zuzurüsten“ inhaltlih einer Visierung; da Meister Hans 34 Gulden verlangte, die Kerzenmeister der Bruderschaft ihm aber nur 32 Gulden boten, so wurde verabredet, daß sie ihm, wenn er das Täfelein „ihres Gefallens“ machen werde, die strittigen zwei Gulden noch geben sollten; bis St. Anna Tag sollte „die obgedacht Tafel auBgemacht und mitt dem schnytt (ausgestrichen: und bilder ')) zugerust und auf den altar gesetzt werden.“ Ob diese Holzschnitzerei ausgeführt wurde, ist nicht bekannt; vielleicht fiel sie der Erneuerung der Kilianskirche im Jahre 1784 zum Opfer, bei der man u. a. „ein Cruzifix von Holz in colossalischer Größe“

Rückseite befindet sich ein gleichfalls undatiertes Konzept über eine andere Sache, dessen Original am Donnerstag nach Kreuzerhöhung 1506 ausgefertigt wurde. 1) Skulpturen.

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M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 519

Abb. 6. Der Hauptaltar in Sciwabach D (Nach einem Klischee aus Berthold Daun, Veit Stoß, Verlag von Karl W. Hiersemann, Leipzig 1903)

(angeblich mit Fehlern gegen die Anatomie) entfernte und die Kilianskirche wie auch die Deutschordenskirche „von überflüssigen, mittelmäßigen Gemälden säuberte !)“.

Der berühmte, seit 1784 zum Schutz gegen den Holzwurm mit Bleiweiß über- strihene Hochaltar °) der Heilbronner Kilianskirche galt seit Heideloff als Werk Tilman Riemenschneiders, was jetzt ziemlich allgemein abgelehnt wird®). Heinrich Merz hat in seinem Aufsatz „Der alte Hochaltar in der Kilianskirche zu Heilbronn und der Kruzifixus auf dem Kreuzberg bei der Leonhardskirche in Stuttgart)“ die Vermutung ausgesprochen „beide hohe Kunstwerke seien von der Hand desselben Meisters Hans

1) Friedrich August Webers kleine Reisen (Gotha 1802) I, S. 161—166 und 171.

+) Photographien in Folio von Hch. Schuler mit Erläuterungen von W. Lübke (1891); Ab- bildungen (doch ohne Gesamtbild) in den Wirttemb. Kunst- und Altertumsdenkmalen, Atlas des Neckarkreises, und (ohne die Flügel) bei Marie Schütte, der Schwabische Schnitzaltar (StraB- burg 1907).

3) Vgl. namentlich Eduard Tönnies, Tilman Riemenschneider (Straßburg 1900), S. 165—166.

4) Christliches Kunstblatt 1892, S. 106—108.

520 Monatshefte für Kunstwissenschaft

von Heilbronn“, wobei Merz namentlich auf die Ähnlichkeit der Christusfiguren in der Dornenkrone und der Art der Bindung, im Haupthaar, in der Leibesgestalt und im Lendentuch hinwies. Schon vorher hatte Eduard Paulus in den Württembergischen Kunst- und Altertumsdenkmalen gesagt, der Heilbronner Hochaltar rühre „am Ende“ von Hans von Heilbronn her'), später schrieb aber Paulus den Altar wieder Riemen- schneider zu’). Bestimmt hat neuerdings Marie Schütte in ihrem Werk über den Schwäbischen Schnitzaltar den Heilbronner Hochaltar dem Meister Hans von Heilbronn zugewiesen; sie sagt, der Altar „trage Zug um Zug die Handschrift des Meisters vom Stuttgarter Kalvarienberg“ und vergleicht „die kraftvolle Charakteristik der starken Menschen des Heilbronner Hochaltars“ mit der noch gesteigerten, derben Charakteristik, die in allen Beschreibungen des Speyerer Ölbergs, des letzten und berühmtesten Werkes von Meister Hans, hervorgehoben werde*). Die Zuweisung Schüttes hat Zustimmung gefunden‘) und der Heilbronner Hochaltar darf bestimmt als ein Werk Hans Seyfers bezeichnet werden.

Hinsichtlich der vier Flügelreliefs ergibt sich allerdings eine Schwierigkeit: diese Reliefs (Abb. 5), von denen die links die Geburt Christi und die AusgieBung des heiligen Geists, die rechts die Auferstehung Christi und den Tod Marias darstellen, haben namlich in der Komposition auffallende Ahnlichkeit mit den Reliefs auf dem Hauptaltar zu Schwabach, auf denen die gleichen, unter sich nicht zusammenhängenden Begebenheiten dargestellt sind (Abb. 6). Die Heilbronner Reliefs sind von 1498, denn diese Jahreszahl *) findet sich am Schluß einer auf der Grabplatte des Auferstehungs- reliefs angebrachten, sonst unleserlihen hebräischen Inschrift, die Skulpturen des Schwabacher Altars aber, der im Jahre 1506 bei Michel Wolgemut bestellt wurde und 1508 aufgestellt war, gelten als Werke des Veit Stoß bzw. seiner Werkstatt °). Die Ahn- lichkeit der Heilbronner und der Schwabacher Reliefs, namentlich der die Geburt Christi und den Tod Mariasdarstellenden, ist so groß, daß an einem Zusammenhang nicht zu zweifeln ist; die Heilbronner Reliefs sind frischer und natürlicher: so sind die un- motiviert gedrehten Gewandfalten ‘) des Christus auf dem Schwabacher Auferstehungs- relief in Heilbronn nicht vorhanden und die sterbende Maria liegt in Heilbronn natür- licher da als in Schwabach. Die Heilbronner Reliefs dem Veit Stoß oder seiner Werk-

1) Eduard Paulus, Neckarkreis (1889), S. 252.

2) In der von Paulus herrührenden Beschreibung des Altars in der neuen Heilbronner Oberamtsbesdireibung II (1903), S. 18—20.

3) Marie Schütte, der Schwäbische Schnitzaltar, S. 128 und 182—184.

') Vgl. E. Gradmann im Staatsanzeiger für Württemberg 1908, S. 169 und Paul Ferdinand Schmidt, der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn (Monatshefte fiir Kunstwissen- schaft 1909, S. 338—355); die Abhandlung Schmidts erschien, als ich meine Arbeit eben abschloB.

5) DaB es eine Jahreszahl ist, ist sicher, denn das Wort vor der sehr deutlici geschriebenen Zahl bedeutet „Jahr“ (E. Nestle, Besondere Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg 1878, S. 265—269. Eine hebräische Inschrift ist auch auf dem Blutaltar der Rothenburger Jakobs- kirche (Tönnies, Riemenschneider, S. 119).

5) Berthold Daun, Veit Stoß und seine Schule (Leipzig 1903), S. 72ff. und Fritz Traugott Schulz im Anzeiger des Germanischen Museums 1508, S. 89ff.

7) Daun a. a. O., S. 77.

M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 521

statt zuzuweisen !) und Hans Seyfer auf den mittleren Teil des Heilbronner Hochaltars mit den Rundfiguren zu beschränken geht nicht an; denn gerade auf den Reliefs zeigt sidi die beim Speyerer Olberg hervorgehobene derbe Charakteristik des Meisters Hans, namentlich auf dem Auferstehungsrelief, das andererseits manche Ähnlichkeiten mit dem ebenfalls Hans Seyfer zuzuweisenden °) Steinrelief des Ölbergs in Heilbronn hat; und auf dem idyllischen Relief der Geburt Christi am Heilbronner Hochaltar ist auch die für Meister Hans charakteristische Vorliebe für Tiere und Pflanzen zum Ausdruck gebracht, es fehlt nicht einmal die sowohl bei der Stuttgarter Kreuzigungsgruppe als auf dem SpeyererÖlberg vorkommendeSchnecke. Von der Stoßschen Werkstatt ist natür- lich nicht anzunehmen, daß sie die um 10 Jahre älteren Heilbronner Reliefs nachgemacht hatte; dies wäre höchstens dann denkbar, wenn etwa ein Schüler Hans Seyfers in die Stoßsche Werk- statt übergegangen wäre. Eher wäre es möglich, daß auch die Schwabacher Reliefs der Seyferschen Werkstatt ent- stammen, sei es daß Wohlgemut, der den Schwabacher Altar übernommen hatte, die Reliefs in Heilbronn machen ließ oder, was mehr für sich hätte, daB Veit Stoß, der im Jahre 1507 scdiwer Gesellen bekam °), einen Teil der ihm von Wolgemuth übertragenen Skulpturen bei Seyfer bestellte. Eine weitere Möglichkeit wäre, daß die Heil- Abb. 7. Ölberg an der Heilbronner Kilianskirche bronner und die Schwabacher Reliefs

auf eine gemeinsame Quelle, etwa eine Zeichnung von Stoß zurückgehen. Be- ziehungen zwischen Veit StoB und Hans Seyfer sind mir sehr wahrscheinlich; denn wenn auch Meister Hans, über dessen Geburtsort und Bildungsgang wir nichts wissen, von Lübke *), Bode *), Tönnies °) und Schütte’) übereinstimmend der schwäbischen Schule zugewiesen wird, so scheint er mir doch auch fränkische Elemente aufgenommen zu

1) In dem Aufsatz „Der Meister der gotischen Flügelaltäre in Heilbronn und Öhringen“ von Ernst Kapff (Heilbronner Unterhaltungsblatt vom 16. Mai 1907) werden diese beiden Altäre für Veit StoB in Anspruch genommen.

2) Vgl. unten S. 522.

3) Daun a. a. O., S. 78.

4) In seinem schon angeführten Text zu den Schulerschen Photographien des Heilbronner Hodhaltars.

5) Wilhelm Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 181—182.

6) Tönnies a. a. O., S. 166.

7) Schütte a. a. O., S. 184,

522 | Monatshefte für Kunstwissenschaft

haben’) und namentlich im Relief von Veit StoB abhängig gewesen zu sein?). Wenn es sich so verhält, so wäre es auch für den Fall, daß die Schwabacher Reliefs der Seyferschen Werkstatt entstammen, erklärlich, daß sich viele Stoßsche Motive auf ihnen finden. Eine Vermischung schwäbischer und fränkischer Elemente ist bei einem in Heilbronn tätigen Künstler sehr naheliegend; denn die Reichsstadt hatte zwar eine fränkische Bevölkerung und stand kirchlih unter dem Bistum Würzburg, politisch aber gehörte sie zu Schwaben. Meister Hans verbindet auch alte und neue Elemente: während auf zwei Säulchen des Heilbronner Hochaltars sich durchschneidende Spitz- bogen angebracht sind von einer Form, wie man sie in der Spätgotik nicht mehr erwartet, erscheinen auf der Bischofsmütze des Ambrosius ein nackter Sebastian und ein Bogenschütze, die nichts Gotisches mehr an sich haben.

Fragen wir nach weiteren Werken von Hans Seyfer, so dürfen wir ihm mit Sicherheit das kleine Steinrelief des Olbergs an der nördlichen Außenseite des Chors der Heilbronner Kilianskirche zuweisen (Abb. 7); dieser Olberg war, nach dem linken der darunter befindlihen Schildchen zu schließen, eine Stiftung der angesehenen und reichen Heilbronner Familie Burger gen. Dinkelsbiihl*). Der Heilbronner Ölberg beschränkt sich auf Christus und die drei schlafenden Jünger, die ähnliche Stellungen haben wie auf dem Lauffener Ölberg; Judas und die Häscher fehlen, der Engel wird dadurch entbehrlich, daß der Kelch oben auf einem Fels steht; man sieht einen reichen Stadthintergrund wie auf dem Auferstehungsrelief des Heilbronner Hochaltars; der den Garten Gethsemane umschließende Zaun ist dem Zaun auf diesem Relief ganz gleich. Die auf den Stuttgarter und Speyerer Werken sowie auf dem Heilbronner Relief der Geburt Christi zutage tretende Vorliebe für die Anbringung von allerhand Getier zeigt sich auch auf dem Heilbronner Olberg-Relief: wir sehen 2 Schnecken, 2 Frösche und 1 Eidechse, die bei dem kleinen Maßstab des Reliefs etwas komisch wirken. Das Relief erinnert an die Stoßschen Ölberg-Reliefs in Krakau und in Nürnberg ‘) (letzteres ist von 1497). In der Heilbronn benachbarten ehemaligen Reichsstadt Wimpfen ist an der Südseite der evangelischen Pfarrkirche eine rippengewölbte Kapelle an- gebaut, die früher einen Ölberg enthielt; der einzige Rest davon ist der weiden- geflochtene Zaun des Gartens Gethsemane, auf dessen Gleichartigkeit mit dem Zaun des Heilbronner Ölberg-Reliefs Georg Schäfer hingewiesen hat; Schäfer glaubte die beiden Ölberge der gleichen Werkstatt zuweisen zu können’).

1) Die Heilbr. Madonna erinnert an die Riemenschneidersche des Stadelsch. Mus. in Frankf. a/M.

2) S. unten S. 522. Man vergleiche auch die auf dem Marienaltar zu Krakau (Abbildung bei Daun, Veit StoB und seine Schule, S. 7) und auf der Heilbronner AusgieBung des heiligen Geistes gleichermaßen vorkommende auffallende Erhöhung der Figuren des Hintergrunds.

3) Das Schildchen zeigt deren Wappen, eine Rose innerhalb eines von zwei Dreiecken gebildeten Sterns (später hatte die Familie ein anderes Wappen, nämlich einen mit drei Rosen belegten Schrigrechtsbalken); das Schildchen rechts ist wohl das Wappen von des Stifters Frau; die Schildchen, die auf unserer Abbildung nicht zu sehen sind, sind abgebildet bei A. Klemm a. a. O., S. 120; Klemm hielt sie für Steinmetzzeichen.

4) Abbildungen bei Daun, Veit StoB und seine Schule, S. 31 und 47.

5) Georg Schäfer, ehemaliger Kreis Wimpfen (Kunstdenkmale im Großherzogtum Hessen), S. 41—44 mit 2 Abbildungen der Ölberg-Kapelle.

M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 523

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Abb. 8. Olberg an der Neuffener Kirche m (Nach einem Klischee im Besitze des Schwäbischen Albvereins)

Eine große Ölberg-Darstellung befindet sich an der Öhringer Stiftskirche, die Figuren sind aber derart überstrichen, daß von den Gesichtern fast nichts zu sehen ist. Durch eine Lücke des Gartenzauns, der auch hier mit dem des Heilbronner Ölberg- Reliefs gleichartig ist, sieht ein Neugieriger mit groteskem Gesicht der Gefangennehmung zu; hinter Judas und den ihm zunächst folgenden Häschern drängen sich, ähnlich wie in Lauffen, viele römische Krieger durch die Gartenpforte; ich halte die Urheberschaft von Meister Hans beim Öhringer Ölberg für sehr wahrscheinlich.

Zwei weitere große Ölberg-Darstellungen sind an den Kirchen des Städtchens Neuffen (Oberamt Nürtingen) und des benachbarten Dorfs Beuren; diese beiden Ölberge sind fraglos von dem gleichen Bildhauer gearbeitet und es ist mir wahrscheinlich, daß es Hans Seyfer war, der in der württembergischen Hauptstadt Stuttgart bekannt war und zu dem nahe bei Neuffen gelegenen EBlingen, vielleiht auch zu dem noch näher gelegenen Urach’), Beziehungen hatte. Der Neuffener Olberg*) (Abb. 8), in einer

1) S. unten S. 527. 2) Genaue Beschreibung bei Stadtpfarrer Metzger, die Stadtkirche in Neuffen (Neuffen 1905),

524 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

rippengewölbten Kapelle an der Westseite der Neuffener Kirche, ist von dem in kniender Stellung abgebildeten Aberlin Schech, wahrscheinlih einem Weingärtner, gestiftet und mit der Jahreszahl 1504 bezeichnet; mit der Stifterstatue sind 15 Personen auf ihm angebracht. Die Apostel Johannes und Jakobus haben ähnliche Stellungen wie auf dem Speyerer Ölberg, während Petrus mehr dem Petrus des Heilbronner Ölbergs ähnlich ist; der Boden ist wie beim Speyerer Ölberg mit vielen verschieden- artigen Pflanzen bedeckt, dagegen sind keine Tiere zu sehen. Unter den Häschern können eirizelne den originellen Gestalten des Speyerer Olbergs an die Seite gestellt werden, namentlich der über den Zaun hereinstürmende Kerl mit dem gierig grinsenden Gesicht. Der Beurener Ölberg ist ganz ähnlich angelegt wie der Neuffener, den er an Größe noch übertrifft; einzelne Figuren sind stark ergänzt.

Von einem Ölberg bei der sog. Klosterkirche zu Adelberg (Oberamt Schorndorf) sind die großen, schönen Figuren des betenden Christus und der drei schlafenden Jünger!) erhalten, sowie der tröstende Engel, der, wie der Engel des Speyerer Olbergs, ein Kreuz hält. Der Gedanke an Meister Hans liegt bei diesem Ölberg um so näher, als auf ihm eine Eidechse, eines der Lieblingstiere des Meisters, angebracht ist.

Mit Bestimmtheit möchte ich für Hans Seyfer einen sandsteinernen Christuskopf (Abb. 9) des Heilbronner Historischen Museums?) in Anspruch nehmen; dieser Kopf wurde vor wenigen Jahren bei Grabarbeiten im ehemaligen Amtshaus des Heilbronner Predigers (jetzt Klostergasse 4) aufgefunden, leider ist er, namentlih an der Nase, beschädigt; der edle Ausdruck erinnert stark an den Christus der Stuttgarter Kreuzigungs- gruppe, auch die Dornenkrone stimmt überein.

Eduard Tönnies schreibt „dem Meister des Heilbronner Hochaltars“ das hölzerne Brustbild des hl. Kilian im Sakramentshäuschen der Heilbronner Kilianskirche zu”). Wenn diese Annahme von Tönnies richtig ist, liegt es nahe, auch beim Sakraments- häuschen selbst an Meister Hans zu denken; dieses hübsche Werk‘), bei dem der Sakramentsschrank in origineller Weise von Wendeltreppchen flankiert wird, ist gestiftet

S. 36—40, und (von demselben) in der Besond. Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg 1904, S. 250—253. Daß die Ölberge in Neuffen und Beuren auf Hans Seyfer zurückgehen, ist mir zur Gewißheit geworden, seit ich den jedenfalls der gleichen Werkstatt wie jene zuzuweisenden Olberg in GroBsüBen (O;A Geißlingen) gesehen habe; auf diesem sind auch die für Seyfer dharakteristischen Tiere (5 Schnecken, 2 Frösche, 2 Eidechsen, 1 Schlange, 1 Vogel) zu sehen; unter den Großsüßener Ölberg sind in einer Nische die drei Frauen mit dem (modernen) Leichnam Christi dargestellt.

1) Abbildungen von Christus und Petrus in einem Aufsatz über den Adelberger Ölberg im Christlichen Kunstblatt 1866, S. 185—186.

2) Katalog (Historischer Verein Heilbronn, Heft VIII, 1903—6), S. 107 (IX D 57). P. F. Schmidt in seinem erwähnten Aufsatz (a. a. O., S. 348—349) schreibt den Heilbronner Christuskopf ebenfalls dem Meister Hans zu. Man vergleiche den Heilbronner Christuskopf mit der Abbildung des Christuskopfs der Stuttgarter Kreuzigungsgruppe im Christlichen Kunstblatt 1892, S. 104.

5) Tönnies, Riemenschneider, S. 166. Der etwas mürrisch aussehende Kilian ist auf den Schulerschen Photographien des Heilbronner Hochaltars mit abgebildet.

1) Abbildung bei Heinrich Titot, Beschreibung der evangelischen Hauptkirche zu Heilbronn (Hibr. 1833.)

M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 525

Abb.9. Christuskopf im Heilbronner Historishen Museum

von einem in kniender Stellung daneben abgebildeten Angehörigen der Heilbronner Patrizierfamilie Hünder, wahrscteinlih von dem im Jahre 1513 verstorbenen Eber- hard Hünder.

Tönnies bringt auch die Büsten der vier Kirchenväter im Städelschen Museum zu Frankfurt a/M. mit dem Heilbronner Meister in Verbindung!) und Wilhelm Bode hat auf die Ähnlichkeit der Heilbronner und Frankfurter Kirchenväterbüsten mit denen an der Kanzel der Wiener Stefanskirche hingewiesen; diese sind von 1512 und werden Anton Pilgram von Brünn zugeschrieben °).

Neuestens bringt Paul Ferdinand Schmidt den Meister Hans von Heilbronn mit dem Meister der Holzstatue des hl. Martin im Berliner Kaiser Friedrich-Museum in Verbindung ?).

Für möglich halte ici Hans Seyfers Urheberschaft beim ehemaligen Hochaltar der Öhringer Stiftskirche , von dem aber nur der Mittelschrein erhalten ist; dieser Altar war, nach den darin aufgehängten Wappen von Hohenlohe und Württemberg zu schließen, eine Stiftung des Grafen Kraft VI. von Hohenlohe (gest. 1503) oder

1) Tönnies a. a. O., S. 167.

2) Wilhelm Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 200—201.

3) P. F. Schmidt, Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn (Monatshefte für Kunstwissenschaft 1909, S. 338—355).

4) Abbildung bei Ernst Boger, die Stiftskirche zu Öhringen (Württembergisch Franken, N. F. II, 1885) und in den Württemb. Kunst- und Altertumsdenkmalen, Atlas des Jagstkreises, Taf. 94.

526 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

seiner Gemahlin Helena (gest. 1506), einer Tochter Graf Ulrichs des Vielgeliebten von Württemberg-Stuttgart; im Jahr 1501 wurde zur „Wiederherstellung“ des Altars ein AblaB verliehen!. Wie im Heilbronner Mittelschrein stehen in Öhringen je zwei Heilige unter reichen Baldachinen rechts und links von der etwas erhöht stehenden Madonna, deren Schleier vom Christuskind gefaßt wird.

Beim Hochaltar der Schloßkirche zu Winnental bei Winnenden °), der im Auf- bau und auch in den Reliefs an den Heilbronner Hochaltar erinnert, könnte man ver- sucht sein, das auf dem Altar vorkommende, verschlungene Monogramm J. S. mit Johann Seyfer aufzulösen; aber erstens erscheint dieses Monogramm zu unbedeutend für eine Kiinstlersignatur*) und dann ist wahrscheinlici der Winnentaler Altar, der mehrfach Renaissanceformen zeigt, erst nach Hans Seyfers Zeit entstanden.

Die schöne Holzstatue des zum Kreuz aufblickenden Johannes‘) in der Domini- kanerkirche zu Wimpfen erinnert etwas an die Art Hans Seyfers. Auch die Kreuzigungs- gruppe neben der evangelischen Pfarrkirhe zu Wimpfen”) hat manches mit Hans Seyfers Stuttgarter Kreuzigungsgruppe gemein: man vergleiche die Gestalt des Christus und die Gewandung der Magdalena. Es ist mir deshalb wahrscheinlich, daß irgend ein Zusammenhang besteht zwischen Hans Seyfer und dem im Jahre 1519 verstorbenen Mainzer Bildhauer Hans Backoffen von Sulzbach “), der die zwei Kreuzigungsgruppen in Frankfurt a/M. geschaffen hat und dem auch die Wimpfener Gruppe zugewiesen werden muß‘). Die Gruppe auf dem Frankfurter Domkirchhof ist von 1509, die auf dem dortigen Peterskirchhof von 1511, die Wimpfener Gruppe wird als später als die auf dem Domkirchhof erklärt °); daß bei der Wimpfener Gruppe teiweise Heilbronner Sandstein verwendet wurde °), ist bei der kleinen Entfernung Wimpfens von Heil- bronn naheliegend, daß aber auch bei beiden Frankfurter Gruppen zum Teil Heilbronner Steine verwendet wurden!), ist doch auffallend.

Suchen wir nach Schülern von Meister Hans Seyfer, so wird als solcher sein schon erwähnter Bruder Lienhard anzunehmen sein. Ein Bruder Lienhards und also auch Hans Seyfers war der bald Schreiner bald Bildhauer genannte Peter Seufer; er erhielt im Jahre 1513 Sitzbewilligung in Heilbronn und heiratete Ottilia Holzwartin von dort, die im Jahre 1531 als Witwe unter dem Namen ,Ottilia Bildhauerin“ erwähnt wird!!). Ob ein zu Lebzeiten des Meisters Hans und noch im Jahr 1527 in Heilbronn

1) Boger a. a. O., S. 77.

2) Gesamtabbildung bei M. Schütte a. a. O., Taf. 79; gute Abb. der Reliefs in den Wiirttemb. Kunst- und Altertumsdenkmalen, Atlas des Neckarkreises.

3) M. Schütte a. a. O., S. 215.

1) Abbildung bei Georg Schäfer, Kreis Wimpfen, zwischen S. 104 und 105.

5 Vgl. Georg Schäfer a. a. O., S. 78—87 mit Abbildung.

‘) Von welchem Sulzbach er war, ist nicit bekannt. P. F. Schmidt in seinem erwähnten Aufsatz (a. a. O., S. 354) spricht die gleiche Vermutung aus.

‘) Wolff-Jung, die Baudenkmäler zu Frankfurt a/M. II (1898), S. 366—390.

9) Wolff-Jung a. a. O., S. 386.

P) Georg Schafer a. a. O, S. 79.

10) Wolff-Jung a. a. O., S. 367 und 380.

1) Dies und das Folgende aus Betbüchern und sonstigem ardiivalisdien Material in Heilbronn.

M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Eildschnitzer in Heilbronn 527

erwähnter Schreiner Niklaus Sufrit ebenfalls ein Bruder des Hans Seyfer war, wäre deshalb wissenswert, weil im Jahre 1499 als die Heimat eines vielleicht mit ihm identischen Heilbronner Söldners Niklas Syfried Würzburg angegeben wird. Der Schreiner Niklaus Syfrit ist jedenfalls identisch mit einem Niklaus Schreiner, den der Heilbronner Rat im Jahre 1519 zum Büchsenmeister annahm; im Jahre 1531 war er tot und scheint einen Sohn Mathis Syffert, der gleichfalls Schreiner war, hinterlassen zu haben.

Als Schüler von Hans ist vielleicht der Heilbronner Bildhauer Michel Viktorin oder Lang anzusprechen; dieser nicht unbedeutende, aus Schlesien stammende Meister, der seit 1503 in Heilbronn nachzuweisen ist, machte u. a. im Jahre 1525 das schöne Grabdenkmal der Familie von Plieningen in der Kirche zu Kleinbottwar!); im Jahre 1522 scheint er mit Meister Hansens Bruder Peter Seyfer zusammengewohnt zu haben.

In einem undatierten Schriftstück des Heilbronner Archivs wird neben ver- schiedenen Schreinern ein Stoffel Geiger genannt und als „Meister Hansen des Bild- hauers Knecht“ bezeichnet. Es wäre möglich, daß dieser Stoffel identisch ist mit dem Bildhauer Stoffel oder Christof zu Urach ?), dessen erstes beglaubigtes Werk der Uracher Taufstein von 1518 ist. M. Schütte hat dem Christof von Urach, der in Stein und Holz gearbeitet hat, den Hochaltar in dem nicht weit von Heilbronn gelegenen Besigheim zugewiesen *); die schöne, sorgfältig frisierte Königstochter der Besigheimer Mittel- gruppe könnte sehr gut von einem Schüler des Meister Hans ausgeführt sein, denn sie scheint mir den zwei Sibyllen des Heilbronner Hochaltars nahe zu stehen, auch der mit Pflanzen bewachsene felsige Boden, auf dem die Besigheimer Mittelgruppe steht, erinnert an Seyfer, der sogar die Einzelfiguren des Heilbronner Hochaltars zum Teil auf solchen Boden stellte. Der Besigheimer Altar erinnert iibrigens in manchem an den Winnentaler.

Da Meister Hans vielleicht den Christof von Urach als Schüler hatte und wahr- scheinlich selbst in kleinen Orten der Uracher Gegend (Neuffen, Beuren) tätig war, so möchte ich auf eine Möglichkeit bezüglich der Herkunft des Meisters hinweisen: sollte Meister Hans Seyfer selbst aus Urach stammen und vielleicht mit dem Steinmetzen Hans von Aurach“) identisch sein, als dessen Heimat doch wohl die württembergische Residenz Urach zu betrachten ist? Hans von Aurach war an zwei Orten der Heil- bronner Gegend tätig, nämlich in Öhringen beim Umbau der Stiftskirche (urkundlich 1491) und in Wimpfen beim Umbau der Pfarrkirche (inschriftlich 1493 und 1497°)), also gerade in zwei Städten, wo auch eine Tätigkeit Hans Seyfers als wahrscheinlich zu bezeichnen ist‘); die erwähnte Wimpfener Ölbergkapelle steht in struktivem Zu-

1) Abbildung im „Deutschen Herold“ 1907, Nr. 8.

2) Vgl. über ihn A. Klemm in Ed. Paulus Schwarzwaldkreis, S. 516.

5) M. Schütte a. a. O., S. 127; Abbildungen Taf. 4 und 5.

4) Vgl. über ihn A. Klemm in den Württemb. Vierteljahrsh. für Landesgeschichte, S. 125 und (berichtigend) S. 201. Ein Hans von Uradı war 1492 als Kirchenmeister in Gmünd ansässig (E. Gradmann, Jagstkreis, S. 368.)

5) Das bei diesen Jahreszahlen erscheinende Steinmetzzeichen ist nicht das des Bernhard Sporer sondern das des Hans von Auradı, wie Klemm a. a. O., S. 201 nachgewiesen hat (Figur 100 bei Klemm).

5) Vgl. S. 522, 523 und 525.

528 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

sammenhang mit einer Vorhalle, an der das Steinmetzzeicien des Hans von Aurach angebracht ist!) Von einer bildhauerischen Tätigkeit des Hans von Aurach ist aller- dings nichts bekannt, während Bernhard Sporer von Leonberg, sein Mitarbeiter beim Öhringer und Nachfolger beim Wimpfener Kirchenbau, Baumeister und Bildhauer war °). Sporer, dessen Lehrmeister Albrecht Georg den Chor der Heilbronner Kilianskirche erbaut hat, war nach einem Schreiben des Grafen Kraft von Hohenlohe vom 1. De- zember 1498°) damals Einwohner von Heilbronn, während Hans von Aurach in diesem Schreiben, also am Ende des Jahres, in dem der Heilbronner Hochaltar vollendet wurde, als „zu Hall“ bezeichnet wird. Dies ist die letzte bestimmte Nachricht, die wir von Hans von Aurach haben; unmöglidı wäre es nicht, daß er zur Bildhauerei übergegangen wäre und sich, nachdem er sich im Jahre 1502 fest in Heilbronn nieder- gelassen, Hans von Heilbronn genannt hatte. A. Klemm bezieht auf Hans von Aurach folgende Nachricht: „pauch waren die Steinmetzmeister Hansen von Öhringen und Michel Pley in den Jahren 1480 bis 1520 Mitglieder der Bauhütte in Nürnberg 4)". Wenn diese sehr unbestimmte Angabe wirklih auf Hans von Aurach zu beziehen ist, so kann, falls ihre Jahreszahlen richtig sind, Hans von Aurach mit dem 1509 verstorbenen Hans von Heilbronn nicht identisch sein, für den andererseits die Beziehungen zu Nürnberg gut stimmen würden’).

1) Georg Schäfer a. a. O., S. 41—42.

2) Vgl. E. Paulus, Neckarkreis, S. 127—128 und 578. In Heilbronn wird Sporer meistens Bernhard von Leonberg genannt.

3) Heilbronner Archiv.

*) C. Heideloff, die Bauhütten des Mittelalters in Deutschland, S. 33.

5) Vgl. S. 521—22,

Palastanlagen im islamischen Abendlande Von Ernst Kühnel

Wenn wir die Geschichte der mohammedanischen Fürstenpaläste bis auf ihre Anfänge zurückverfolgen, so kommen wir mit sicheren Nachrichten kaum über die erste Abbässidenzeit hinaus. Die einfache Lebensführung des Propheten und der großen Khalifen berechtigen zu der Annahme, daß erst mit der Glanzentfaltung am Hofe der Omayaden jene prunkvollen Residenzbauten entstanden, deren beispielloser Luxus die Phantasie der Schriftsteller beschäftigte und zu der Entstehung unzähliger Sagen und Märchen den ersten Anstoß gab. Das früheste derartige Denkmal, von dem wir historishe Data besitzen, war das „goldene Haus“ in Fostät, dem alten Kairo, das im Jahre 669 von ‘Abd-el-Aziz ben Mo‘awia errichtet wurde. Die Resi- denzstadt selbst, Damaskus, hatte wahrscheinlid eine Reihe ähnlicher Paläste auf- zuweisen, für die wir, was die Disposition der Anlage betrifft, die unmittelbaren Vor- bilder im syrischen Haurän suchen müssen, wo’ unter den Ghassaniden die dort seB- haft gewordenen südarabischen Stämme einen sehr eigenartigen und zurzeit der islämischen Eroberung hochentwickelten Architekturstil ausgebildet hatten (vgl. Mschatta). In Mesopotamien war neben den Ruinen der alten Lakhmidenhauptstadt Hira, in einer Region, die ebenfalls von sabäisdien Flüchtlingen aus dem Yemen bewohnt wurde, über dem Grabe des großen ‘Ali das gelehrte Küfa emporgeblüht, das in Künsten und Wissenschaften mit Bacra wetteiferte und um die Mitte des achten Jahrhunderts auf kurze Zeit Sitz des Khalifats wurde, ehe die Abbässiden ihre neue Residenz, Baghdäd, bezogen. Wir haben Kunde von drei Palästen in Hira: der eine as-Sadir, wird nur kurz genannt, der zweite, al-Khawarnaq, wurde von dem Fürsten Nu‘màn als Jagd- schloß für den persischen König Bahräm Gir erbaut und später von den Khalifen noch bisweilen zu demselben Zwecke bezogen, und von einem dritten, al-‘Okhaidir, sind kürzlich interessante Ruinen nachgewiesen worden’). Wir können vermuten, daß diese vermöge ihrer altarabischen Traditionen einen besonders starken Einfluß auf die Schloß- bauten von Küfa, Baghdäd, Raqqa und Sämarrä ausübten und sich neben den im Euphrat-Tigris-Gebiet vorherrschenden rein persischen Elementen als wichtigste Ingre- dienz durchsetzten. Und die mesopotamischen Denkmäler wiederum waren der wesent- liste Faktor in der Ausbildung des maghribinischen Stiles, der in den Ländern des Sonnenunterganges sehr bald zu einheitlihen und charakteristischen Formen gelangen sollte, nachdem die Errichtung des westlichen Khalifats in Cordova die endgültige politishe Trennung vom Orient herbeigeführt hatte.

In Qairùan, der ältesten der afrikanischen Residenzen, sah schon Edrisi, der sie um 1130 besuchte, nur noch Ruinen von Cabra, dem Sitz der Regierung, und von den einst weltberühmten Schlössern von Raqqâda mit ihren herrlichen Gärten, in denen die Aghlabiten Hof gehalten hatten. Ebenso sind die Paläste von Mancüria und Abbässia, die vor den Toren gelegen waren, spurlos verschwunden.

1) cf. L. Massignon, Les chäteaux des princes de Hirah. Gaz. des Beaux-Arts, 1909, avril. 39

530 | Monatshefte für Kunstwissenschaft

Tahert (Tiaret), die Hochburg der ibaditischen Berbern, die im VIII. und IX. Jahr- hundert sehr aufgeblüht war, und Sidjilmaésa am Rande der marokkanischen Sahara, wo die Sofriten ,nach dem Vorbilde von Küfa“, wie es ausdrücklich heißt, imposante Bauten aufgeführt hatten, weisen keine Erinnerung mehr an ihre Vergangenheit auf, und auch in Fés, das, 806 gegründet, unter den Idrisiden schnell zu hoher Bedeutung gelangte, sind aus dieser ersten Epoche keine profanen Denkmäler erhalten.

Zu Beginn des X. Jahrhunderts wurde vom Mahdi ‘Obeidallah an der tunisischen Küste die Hauptstadt der Fatimiden, Mehdia, angelegt, deren hochragender Königs- palast angeblidi eine Front von 360 Fenstern aufwies, und fast gleichzeitig bauten die in die Wüste vertriebenen Ibaditen in Sedrata bei Wargla ihr neues Jerusalem auf, das freilidi schon im folgenden Jahrhundert zerstört wurde, aber in seinen geringen Trümmern immerhin wichtige Anhaltspunkte für die Kunstgeschichte des Maghrib bietet. Bei einem dort erhaltenen Palast bemerkt man die typische Anordnung der Säle um einen Innenhof und das erste Beispiel einer Stuckdekoration der Wände in Motiven, die auf textile Vorbilder schließen lassen !).

In Spanien hatte bis dahin Cordoba die Führung behalten; doch sind die Nach- richten über den Khalifenpalast spärlicher, als man erwarten sollte. Medinat ez-Zahra, das ‘'Abderrahmän III. im Jahre 936 anlegen ließ, war wohl das prächtigste und aus- gedehnteste LustschloB in der ganzen islämischen Welt. Leider fehlen uns auch hier konkrete Angaben über die Disposition der verschiedenen Komplexe. Wir erfahren nur, daß ein Brunnen mit reihem bildnerischen Schmuck im Harimshofe stand, und daß eine Moschee vorhanden war. Ebenso ist von der architekturgeschichtlich inter- essanten Einrichtung von Kuppelpavillons hier zuerst die Rede. Wie bei Baghdad, so gab es auch bei Cördoba einen Palast namens Rucäfa.

Im XI. Jahrhundert wurde mit der Auflösung des Khalifats in die kleineren Reiche der berberischen Taifa-Könige die Verschmelzung des gesamten Westens an- gebahnt, die dann von Marokko aus die Murabtin (Almoraviden) und die Muwahdin (Almohaden) vollzogen, und die als die politische Vorbereitung des sog. „maurischen“ Einheitsstiles zu betrachten ist, den wir zu dem eigentlich „arabischen“, für Ägypten und Syrien charakteristishen, in Gegensatz zu stellen gewohnt sind. Damals war unter den Berberfamilien, die im Maghrib die Staatsgewalt inne hatten, die der Ziriten die mächtigste. Sie residierten sowohl in Granada, wo sie sich auf dem später al- Bayasin geheißenen Hügel einen stattlicien Palast errichtet hatten, wie auch in Tunis, wo sie ursprünglich als Statthalter der Fatimiden saßen. Sie machten sich dort selbst- ständig, verloren aber bald ihre Autorität an die Hammäditen, einen Zweig ihres Hauses, der von seiner Qal‘aa aus das mittlere Nordafrika beherrschte. In der Qal‘aa Hammäd sind die Ruinen von drei Palästen nachgewiesen worden, von denen aber der eine wegen seiner rein turmartigen Konstruktion hier nicht in Betracht kommt. Beylié hat dort erfolgreiche Ausgrabungen unternommen, deren Resultate uns in einer kürzlich erschienenen Publikation °) vorliegen. Sie sind deshalb von besonderem Werte,

1) Vgl. Saladin, Manuel d'art musulman, Paris 1907, Fig. 152, 153. *) L. de Beylie, La Kalaa des Beni Hammad. Paris 1909.

E. Kühnel. Palastanlagen im islämischen Abendlande 531

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Der SEEPALAST in der Qal‘aa Hammad, nach der Publikation von Beylié O (Paris, E. Leroux, 1909)

weil wir an ihnen zum ersten Male die Dreiteilung konstatieren, die den Residenz- bauten im Maghrib eigentümlih war. Der erste Komplex, gewöhnlich Meëuar genannt, enthielt die Räume für die öffentliche Rechtsprechung und die allgemeinen Audienzen, der zweite, mit den Amtslokalen der Minister und den Sälen für feierliche Empfänge, war der eigentliche Sitz der Regierung (Diwan), während der dritte, der Harim, aus den Privatgemächern des Königs und den Frauenkemenaten bestand. Die einzelnen Teile waren gewöhnlich streng von einander geschieden, der mittlere regelmäßig der größte und prunkvollste, mit einem Wasserbassin in der Mitte, während der letzte um einen offenen Hof gruppiert wurde. Bei unebenem Terrain lag der Mešuar stets am tiefsten. Gärten wurden vornehmlich vor dem Eingang und im Anschluß an den Harim angelegt. Mit diesem waren auch die Bäder verbunden, die nirgends fehlten, während die zugehörige Moschee in der Regel von außen zugänglich und wohl nur die Frauen- tribüne durch einen gedeckten Gang vom Palastinneren aus zu erreichen war. Alle diese Bauten waren verhältnismäßig niedrig, ohne Fassadendekor, und von scheinbar ganz willkürlicher Anordnung; sie unterschieden sich darin wesentlich von derartigen persischen Anlagen, die oft mehrere Stockwerke hoch und stets unter Berücksichtigung der Symmetrie und der Außenwirkung aufgeführt waren. Die Normen des abend- landischen Schemas finden sich größtenteils bereits in den beiden Palästen auf der Qal‘aa, deren Grundrisse die übrigens in einzelnen Teilen noch der Nachprüfung

532 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

und Vervollständigung bedürfen hier wiedergegeben sind. Der untere, Dar el- Bahar, ist in gerader Linie von Osten nach Westen angelegt, Die eigentümliche Pro- filierung der vorderen MeSuarwände führt man auf Mesopotamien zurück, ohne daß sie sich dort in derselben Form vorläufig nachweisen ließe. Die langgezogenen, schmalen Räume sind für jene Epoche charakteristisch. Nach Beylies Aufnahme scheint der Zugang zu den Empfangsräumen doppelt gewesen zu sein; man sollte nur einen, und zwar den südlihen Durchbruch vermuten. Der große Mittelhof wurde von einem Wasserbassin eingenommen; ein Detail, das wir bereits im sassanidischen Persien finden und das sicher von dorther importiert war’). In der Flucht kleiner Zimmer an der Südseite wird man unschwer die Amtslokale der höchsten Regierungsbeamten erkennen, die natürlich nie im Königspalast selbst wohnten, sondern ihn nur zur Er- ledigung ihrer Dienstobliegenheiten aufsuchten. Die strenge Trennung von Diwän und Harim wird durch die Anordnung der Säle im Westbau deutlich. Rechts und links öffnet je einer auf den zweiten Komplex, während die drei mittleren bereits zu den intimen Gemächern gehören. Zu diesen gelangt man auf einem schmalen, ehedem von der Eunuchenwadhe besetzten Gange, der an den Bädern vorbei in mehreren Krümmungen den Frauenhof erreicht. An ihn scheinen sidi nach Norden weitere Räume angeschlossen zu haben, von denen bisher noch keine klare Vorstellung gewonnen werden kann.

Auf dem anderen Plane interessieren uns besonders die Bauten V und VI, deren Zusammenhang allerdings nach dem vorliegenden Grundrisse fraglich erscheinen möchte; die Verbindung durch einen Torvorbau des Harim wäre jedenfalls ein überraschendes Kuriosum. In V ist diesmal der Thronsaal mit Gewißheit zu bestimmen. Wir müssen es dahin gestellt sein lassen, ob die Konstruktionen um IV noch zur Mesuargruppe gehörten oder irgend einen selbständigen Zweck erfüllten. In VII hätten wir allerlei Nebengebäude zu suchen, während VIII, an der höchsten Stelle des ganzen stark an- steigenden Burgbezirkes, ein unabhängiger, vielleiht von einem Verwandten des Sultans bewohnter Palast gewesen sein dürfte. Die Mauerungen über den Zisternen sind vorläufig ohne Belang, ebenso die Gärten, die nicht sehr ausgedehnt gewesen sein können. Eine Moschee ist bisher nicht festgestellt worden; man wird sie suchen müssen, denn es ist nicht anzunehmen, daß der Hof die zwar in der Nähe gelegene, aber doch unverbundene große Djam‘a ständig benützt habe. Zwei Lustsitze der Hammäditenstadt, von denen in den Quellen die Rede ist, das FriedensschloB (dar as- salam) und die Bräuteburg (qacr ‘arüsain) lassen sich bislang mit Bestimmtheit nicht nachweisen.

Von der Qal‘aa aus wurde im Jahre 1067 Budjia (Bougie) gegründet und mit prunkvollen Palästen geschmückt, von denen die alten Schriftsteller das „Perlenschloß“ (qacr el-l‘ul‘ua), die „Sternenburg“ und ,Qacr Amimün“ wegen ihrer leuchtenden Kuppeln und ihrer kunstvollen Dekoration besonders rühmend hervorheben. Sie wurden zu Anfang des XVI. Jahrhunderts vollständig zerstört, und die Ansichten, die uns

1) Man vergleiche die analoge Disposition eines Wasserbeckens mit einem Audienzsaal in dem von Khosroes II. erbauten Schlosse Amarat-i-Khosrou in Qacr-i-sirin (de Morgan, Miss. scientif. en Perse, t. IV.), sowie die Nachrichten über mesopotamische Paläste.

E. Kiihnel. Palastanlagen im islamischen Abendlande 533

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Das GROSSE RESIDENZSCHLOSS in der Qal‘aa Hammad, nach der Publikation von Beylie O (Paris, E. Leroux, 1909)

davon Beylié nach der Kopie eines alten Manuskripts mitgeteilt hat, sind zu phantastisch, als daß sie uns die nötigsten Aufschlüsse geben könnten.

Unterdessen hatten in Spanien besonders die Emire von Sevilla eine rege Bau- lust betätigt, von der uns leider auch nur noch Namen überliefert sind, und in Zaragoza war die sog. Aljaferia entstanden, die außer der zugehörigen Moschee so gut wie ganz untergegangen und verbaut ist. Yüsuf ben Tesfin, der durch die Gründung seines großen Reiches schlieBlim der Kleinstaaterei ein Ende machte, hatte im südlichen Marokko eine neue Hauptstadt angelegt, Merräkes. Der streng soldatische Geist, den er allenthalben einführte, verschmähte die prunkenden Wohnungen und begnügte sich mit der Errichtung starker Festungen, die auch als Residenzen dienen mußten. So entstanden die Burgen von Merräkes, Tlemsén, Toledo, und die Qacba Djelüd in Fés. Aber schon seine Nachfolger wichen von diesen Prinzipien ab Edrisi sah in Merräkes außer anderen Palästen das in Quadern errichtete „Felsenschloß“ (Dar al- Hidjär) und vollends um die Mitte des XII. Jahrhunderts brachte die Almohaden- bewegung eine Rückkehr zu ästhetischer Kultur unter neuen, günstigeren Bedingungen, und damit einen schnellen Aufschwung der Luxusbaukunst. ‘Abdelmümin und besonders Yaqüb el-Mancür beschäftigten in allen größeren Städten tüchtige Architekten, und die Statthalter bemühten sich, in der Pflege von Künsten und Wissenschaften mit ihren

534 Monatshefte fir Kunstwissenschaft

Fürsten zu wetteifern. In Marokko schoß plötzlich eine ganze Reihe neuer, bliihender Orte aus dem Boden empor; Granada erhielt in der Unterstadt einen glänzenden Regierungspalast, dessen kostbares Material und kunstvolle Gartenanlagen Weltruhm erlangten, und den Lustsitz Qacr S‘aid mit einem künstlihen See für Naumachien und Regatten; Sevilla hob sich zu neuer Bedeutung und bekam außer zahlreichen mili- tärishen und religiösen Gebäuden seinen „Alcäzar“, den im Jahre 1200 der Bau- meister Djalübi für König Muhammed en-Nacr vollendete und den später Peter der Grausame so gründlich umbaute, daß er eigentlich nur noch für den dhristlich-maurischen Mudejarstil in Betracht kommt. Der groBe Patio mit dem anstoBenden Gesandtensaal einerseits und die Zimmer um den kleineren Puppenhof andererseits bezeichnen aber noch ungefähr die Scheidung in einen offiziellen und einen privaten Teil, Der MeSuar hat hier eine reich dekorierte Innenfassade mit dem frühesten Beispiel eines holz- geschnitzten Vordaches, das seitdem typis wird bei andalusischen und marok- kanischen Bauten. :

Die größte Palastanlage jener Zeit war die von Merräkes, im wesentlichen das Werk des Sultans Yaqüb el-Mancùr und 1196 vollendet’), später aber groBenteils zerstört und erneuert. Sie wurde bis in die neueste Zeit von vielen europäischen Gesandtschaften und einzelnen Reisenden besucht, aber niemals von architektonischen Gesichtspunkten aus beschrieben, so daß wir als den zuverlässigsten Bericht noch immer den eines intelligenten arabischen Schriftstellers aus dem XVI. Jahrhundert, des sog. Leo Africanus, benützen müssen. Er erwähnt die dicken Mauern der Burg aus porösem Kalkstein und die Anordnung der Komplexe, die in ihrer Gesamtheit eine Stadt für sich, mit eigener Moschee und Medersa, bildeten. An den Kasernen der Armbrust- und Bogenschützen, dem Arsenal und den Stallungen vorüber erreichte man einen prächtig ausgestatteten kleinen Palast, der offenbar für hohe Gäste bestimmt war, dann die Hauptwache und den großen Mesuär für allgemeine Audienzen. An diesen schloß sich der Regierungsbau mit dem Ratssaal für die Empfänge der fremden Ge- sandten und der Harim des Sultans, auf den noch ein besonderes Wohnhaus für die erwachsenen Prinzen folgte. Der übrige Raum bis zur Umfassungsmauer wurde von einem Park ausgefüllt, der eine große Fontäne mit reichem plastischen Schmuck und eine zoologishe Sammlung aufwies. Del Puerto?) unterscheidet später ältere und neuere Bauten, nennt den amtlichen Teil als den größten, mit einem Teich von vierzig Ellen Länge und zehn Ellen Breite, und bemerkt in jedem Patio einen Brunnen.

Fés, dessen Architektur und Kunstgewerbe schon zu Edrisi's Zeit sehr hoch stand *), gelangte im XIII. Jahrhundert unter den Meriniden zu großer Entfaltung, zu- mal nach der Gründung der Königsstadt Fas Djedid (1276). Von dem außerhalb der Mauern gelegenen Qacr Beni Merin, mit Moschee und Gräbern der Fürsten, sind noch einige Trümmer stehen geblieben‘). Über den Residenzpalast selbst, der wesentlich unter

1) Vgl. den „Rûdh el-Qarthas“ von 1326. (v. Dombay, Gesch. d. mauritan. Könige. Agram 1794—97. I, S. 218f.)

?) Mision historial de Marruecos. Sevilla 1708.

3) Edrisi, Descript. de l'Afrique etc. Edn. Dozy et de Goeje. Leyde 1866. p. 86.

') Gaillard, Fes: une ville de l'Islam. Paris 1905.

E. Kühnel. Palastanlagen im islämischen Abendlande 535

Skizze der Palastdisposition in der ALHAMBRA

andalusischen Einflüssen entstand, werden wir später noch zu handeln haben. Die gefährlichste Rivalin von Fés war damals Tlemsén, wo die Zeiäniden ihren glänzen- den Hof hielten und außer vielen religiösen Gebäuden einen ,Meëuar“ (der Ausdruck ist als pars pro toto des Regierungssitzes zu verstehen) aufführten, von dem heute nur noch die Burgkapelle die ursprünglihe Form bewahrt. Die Meriniden erbauten vor Tlemsén um 1300 eine gewaltige Lagerstadt, Mehallat el-Mancüra, die u. a. auch einen „Siegespalast“ enthielt‘), Im östlichen Maghrib war Tunis, das seit 1206 unter den Hafciden stand, ein Mittelpunkt geistiger und künstlerischer Tätigkeit geworden. Der berühmte Palast von Abu Fahr in der Ariana, mit großem Wasserbecken, Pavillons und Gärten fiel bei der Eroberung durch Karl V. der Zerstörung anheim.

Die eigentliche Metropole des islämischen Abendlandes aber wurde im XIV. Jahr- hundert Granada, wo die Nacriden das von ihrem Ahnherrn Muhammed I. begonnene Riesenwerk der Alhambra zur Vollendung brachten. Die älteren Teile sind bis auf die Qacba, in der die Leibwachen einquartiert waren, untergegangen, und was wir jetzt als den in aller Welt bekannten Königspalast bewundern, geht fast ausschließlich auf die Sultane Yüsuf I. und Muhammed V. zurück. Die beigegebene Grundrißskizze mag die ursprüngliche Disposition, die durch mancherlei Ein- und Umbauten jetzt völlig entstellt ist, in großen Zügen darstellen. Der Mesuar hat diesmal einen inneren Hof mit Brunnen und reicher Fassade, an der sich wiederum das reich geschnitzte Vordach findet, das auch über dem alten Eingangstor vorkommt. Man steigt auf einer Treppe zu dem höher gelegenen Myrtenhofe hinauf, um den die Amtsstuben der Veziere und die Empfangsräume lagen. Die ,Segenshalle“ und der „Gesandtensaal“ erinnern noch

1) W. et G. Marcais, Les monuments arabes de Tlemcen. Paris 1903.

536 Monatshefte für Kunstwissenschaft

heute an ihre ehemalige Bestimmung. Das Wasserbassin kennen wir an dieser Stelle bereits aus früheren Analogien. Die Trennung von dem Löwenhofe, um den sich die Privatgemächer gruppierten, war durch einen jetzt zugemauerten Korridor bewerk- stelligt. Wie der Teich für den Diwan, so ist der Springbrunnen für den Harim charakteristisch. Eine derartige Anlage mit speienden Löwen wird schon in einem der ersten Märchen aus Tausendundeiner Nacht geschildert. Die Pavillons lassen sich ebenso weit zurückverfolgen. Die Bäder lagen etwas tiefer, auf dem Niveau des Meëuar, die Fürstengruft (Rauda) nach der jetzt durch die Marienkirche ersetzten Moschee zu, die mit dem Harim verbunden war. Weitere Konstruktionen, die gegenwärtig bloßgelegt werden, leiteten zu dem sog. Frauenturm über, einem kleinen Prinzenpalast (?), zu dem ein hübscher Kunstteich gehörte, Auf dem Burghügel befand sich noch ein weiterer Palast von bescheidenen Dimensionen, aber ebenfalls mit einem länglichen Bassin, der dem gänzlichen Verfall nahe ist. Über der Alhambra thront das Lust- schloß Djnin al-Arif, dessen kunstvolle Park- und Wasseranlagen, Terrassen und Kas- kaden wir erst im XVII. Jahrhundert in den persischen Villen aus der Zeit des großen Abbäs wiederfinden. Noch großartiger sollen die hydraulischen Vorrichtungen der Wasserburg ‘Ain ed-dam‘a gewesen sein. Zwei weitere Sommersitze der granadiner Fürsten, Dar el-‘Arùsa (vgl. Qal‘aa Hammad) und Qacr el-Hidjär (vgl. Merräkes) werden nur noch durch unförmliche Ruinen bezeichnet !). In Malaga hatten die Nacriden einen Palast, über den uns nähere Details fehlen.

Nach der Kapitulation von Granada (1492) fand die maurische Kunst Anda- lusiens am marrokkanischen Hofe ihre letzte Zuflucht, nachdem die Beziehungen zwischen beiden Ländern in den letzten Jahrhunderten immer enger geworden waren. Zunächst nahm Fös das große Erbe Spaniens auf. Von dem Königs- palast besitzen wir Beschreibungen aus dem XVI. Jahrhundert von Marmol und Torres*). Der letztere erwähnt das reiche Material von Marmor, Jaspis und Alabaster, die Teiche und Brunnen, und die zugehörige Moschee. Golius, der im Jahre 1622 nach Marokko reiste, nahm den hier wiedergegebenen Plan des Harim auf denn nur um diesen handelt es sih den zuerst Windus in der „Reise nach Mequinetz von Kapt. Stuart“ (Hannover 1726) mitteilte. In i haben wir einen ähn- lichen Pavillon wie im Löwenhofe, hier Qubbat ed-dheheb (goldene Kuppel) genannt, gegenüber den anderen, in w eine Fontäne, die ihr Wasser in ein längliches Becken (x) ergießt. Rechts schließt sich der königliche Garten an. Die ganze Abteilung heißt noch heute Där es-Sultän im Gegensatze zum Där el-Makhzen (Palast der Behörde), wo die Minister sich aufhalten, einem rechteckigen Hof mit Pavillon für den Herrscher, und zum Mesuar, wo der Fürst die Abgesandten der Stämme empfängt, um von ihnen den Tribut entgegenzunehmen, und wo er Öffentlich Recht spricht. Später er- baute Mulay ‘Abdallah bei Fés das LustschloB Dar ed-Debibägh, wo er 1757 starb, und Mulay Hasan verband Altstadt und Neustadt durch den Palast und die Gärten von Djelüd. Er restaurierte auch alle früheren Bauten und errichtete manche von

1) Vgl. „Stätten der Kultur“, Band 12: Granada.

2) Marmol Carvajal, Descripción de Africa. Granada 1573. Diego de Torres, Relación del origen y suceso de los Xarifes. Sevilla 1586.

E. Kühnel. Palastanlagen im islämischen Abendlande 537

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Der Harim im Sultanspalast zu FÉS (Aufgenommem 1622, publiziert 1726) D

Grund auf neu, so den Palast der Lalla Amina, mit eigenem MeSuar und Bethaus. Einzelne marokkanische Fürsten residierten mit Vorliebe in Meknés, das seine Physiog- nomie hauptsächlich dem tatkräftigen Mulay Ism'aïl verdankt. Die Königsburg mit ihren riesigen Gärten bildet dort eine Stadt für sich. Del Puerto (s. o.) zählte darin vier Moscheen. Eine klare Vorstellung von der Gliederung vermögen wir uns aber aus den Beschreibungen nicht zu bilden.

Algier und Tunis kamen als Seeräuberstaaten sehr unter türkischen Einfluß. Die Palastbauten, die dort entstanden, sind deshalb nicht als eine Fortbildung maghri- binischer Traditionen zu betrachten. Sie sind gewöhnlih mehrstöckig, so daß im UntergeschoB die Empfangsräume lagen, während sich um den oberen Hof bezw. den oberen Galeriegang die Gemàcher des Harim reihten. Doch läßt sich, wenigstens in Tunis und Constantine, eine Nachwirkung der älteren Disposition noch häufig nachweisen.

Wir haben in diesem Zusammenhange Sizilien außer Acht gelassen, da es seit 965 politish und auch kunstgeschichtlih zu Ägypten gehörte. Aus der ersten Epoche, da es den Aghlabiten von Qairüän gehorchte, sind uns keine Denkmäler erhalten.

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STUDIEN UND FORSCHUNGEN

EIN FRÜHBILD DES HAUSBUCHMEISTERS?

Es befindet sic nicht etwa in einer unbe- kannten Privatsammlung noch irgendwo im Aus- land, sondern unter den paar oberdeutschen Ge- mälden des Cölner Wallraf-Richartzmuseums. Offenbar hat es, bescheiden und unauffällig in Format (91><55 cm) wie wenig hervorstechend im Charakter, bisher keine andere als flüchtige Be- achtung gefunden. Die zurückhaltende Bezeich-

nung des Katalogs „Schule des Martin Schon- gauer“ mag dazu beigetragen haben.

Allein das Gemälde, das den Tod der Maria darstellt, verdient diese Teilnahmlosigkeit nicht. Es hat ein prachtvolles, harmonisches und dabei mannigfaches Kolorit; die Bettdecke aus schwar- zem Brokat mit goldenen Lichtern gibt einen satten, eigenartigen Kontrast mit dem Weiß und Dunkelblau der sterbenden Maria, dem Rot des Johannes, dem Gelb und Zinnober des vorn links hockenden Apostels. Dazu hat die Kom- position in ihrer Zusammenballung der Figuren der oberen Hälfte und der küh- nen, lediglich durch den Leuchter ge- füllten Leere unten doch etwas beson- deres, eigenes, das den Meister des Bildes als eine Persönlichkeit, keinen Nachahmer erweist. Von Schongauers berühmten Kupfer „Tod Mariens“ (B. 33) sind wir meilenweit entfernt.

Daß der Künstler der Art des viel- genannten mittelrheinishen Meisters näher steht, scheint mir der erste, flüchtige Blick darzutun. Der Eindruck ist dann zunächst: eines der vielen Werke aus seiner Werkstatt! Ich gestehe, daß meine erste Meinung ebenfalls diese war. Aber während man gewöhnlich ein Bild im Anfange zu hoch einschätzt, wenn man den Stil eines berühmten Künstlers darin erkannt zu haben glaubt, so gewinnt die Cölner Tafel bei genauerer Betrach- tung. Was darin, im Vergleich mit an- deren Arbeiten des Hausbuchmeisters, =| allzu mager, kunstlos und hart erschien, stimmt im Gegenteil gerade zum Ver- trauen. Denn die gewisse Armut der Komposition (die übrigens durch die Pracht der Farbe völlig ausgeglichen wird) ist keineswegs schülerhafte Dürftig- keit: eben die nicht eigenhändigen und die Werkstatt-Arbeiten wie die Mainzer Marienlebenserie bemühen sich „reich“ und abwechselnd zu erscheinen man vergleiche die Cölner Darstellung mit der entsprechenden in Mainz, um zu sehen, daß es sich bei uns um die echte Kraft einer „primitiven“ Entwicklungsstufe, in Mainz aber um die Ausschweifungen einer ungenügsamen Werkstatt handelt.

Ich bin mir bewußt, daß diese Argu- mentation keinen überzeugen wird, bei

E. Waldmann. Die Handzeichnungs-Sammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen 539

dem der Anblik der Abbildung Bedenken hervorrufen sollte. Vielleicht aber ist es über- haupt nur vor dem Original selber möglich sih von der unbedingten Zugehörigkeit der Tafel zum Œuvre des Meisters zu über- zeugen; die auBerordentlihe Leuchtkraft und Schönheit der Farben sprechen beredter als alles andere zugunsten der Zuschreibung. Vor der Reproduktion erinnere ich an Gewandmotive wie die Fältelung des Tuches über den beiden Armen des hl. Petrus, die charakteristischen Linien des Kopftuches der Maria, vor allem aber an den so absolut typischen Hausbuchmeister- schädel des Petrus, an den Ausdruck des Apostelkopfes rechts von ihm (am Rande) und an die gefalteten, überaus sensitiven Hände der Maria. Diese selber, übrigens eine Gestalt von ergreifender, herber Empfindung, könnte Be- denken erregen. Und dennoc kommt der Typ ganz ähnlidi in den graphischen Arbeiten des Künstler vor, so auf dem Blatte „Arma Christi“, Besonders auf die geradeLinie der (falsch ver- kürzten) Nase, auf den kleinen, knollenartigen Mund, die gerundeten Augendeckel würde ich für die Zuschreibung Gewicht legen. Und auch die eigentümlich verschobene Haltung der Figur scheint mir bezeicinend fur die Empfindung unseres Meisters.

Auf Einzelheiten die zugunsten seines Stiles sprecien, wie den Leuchter, die Fliesenmusterung des FuBbodens, die kleine Gruppe in der Mitte oben (wie Maria gen Himmel getragen wird) u. a. sei nur flüchtig hingewiesen. Solche kleinen Züge können eine Zuweisung allenfalls probabler machen, aber beweisen kann man mit ihnen aller- höchstens, daß man sich in der Nähe des mittel- rheinischen Meisters befindet, nicht aber, daß das Bild wirklich von seiner Hand herrührt. Zwingender ist es schon, daß die Technik die charakteristische Strichelmanier seiner übrigen sicheren Bilder aufweist. Gerade hier handelt es sich um Eigentümlichkeiten, die von der Schule nicht allgemein aufgenommen worden sind.

Wie gleich zu Anfang betont worden ist: die Tafel unterscheidet sich von anderen des Künstlers durch eine gewisse Primitivität. Das läßt auf ein relativ frühes Datum schließen. Eine ungefähre Entstehungszeit anzugeben möchte ich nicht wagen dazu liegt die Chrono- logie dieser noch immer kleinen Bildergruppe allzusehr im Argen. Jedenfalls gehört der „Tod Mariae“ unbedingt vor die bisher bekannten Bilder, d. h. vor die Sigmaringer „Auferstehung“ und die ,Kreuztragung* in Venedig, von den übrigen gar nicht zureden. Mit anderen Worten: es würde sich um ein Frühbild unseres Meisters handeln, das uns die Entwicklung seines Stiles

aus dem ungefähren Umkreis der Schongauer- Schule anschaulicı macht.

Ob sich diese Ansicht, die einstweilen nur vermutungsweise geäußert werden kann, be- stätigen wird, hängt von dem weiteren Verlauf der Forschungen über den mittelrheinischen Künstler ab, der augenblicklich wie wenig andere „primitive“ Deutsche im Vordergrunde des wissenschaftlichen Interesses steht.

Hermann Voss.

2

DIE HANDZEICHNUNGS-SAMMLUNG SMIDT IN DER KUNSTHALLE IN BREMEN.

Das Kupferstichkabinett der Bremer Kunst- halle hat in diesem Jahre einen beträchtlichen Zuwachs zu seiner Sammlung von Handzeich- nungen alter Meister erhalten. Die Sammlung Dr. H. Smidt (früher Konstanz, jetzt Bremen) ist dem Kabinett von ihrem Besitzer geschenkt worden. Es sind im ganzen 59 Blatt, viele dar- unter von kunstgeschichtlicher Bedeutung und guter Provenienz. Da es bei einem Übergang von Kunstwerken aus Privatbesitz in ein öffent- lies Museum oft zu geschehen pflegt, daß die interessierten Forscher und Liebhaber nicht Kennt- nis davon erlangen, und da auf diese Weise dann ein in jahrelanger Wanderung durch Kunst- handel und Privatsammlung bekannt gewesenes Blatt plötzlich als vermißt angesehen wird, sei hier mit einigen Worten eine kleine Anzahl der uns am wesentlichsten dünkenden Stücke bekannt gemacht. Doch vorher einige Bemerkungen über Art und Entstehung der Sammlung.

Der Besitzer, Herr Dr. Hermann Smidt, ist Mediziner. Er war 25 Jahre dirigierender Arzt der Nervenheilanstalt Bellevue-Konstanz und hat in seinen MuBestunden sich mit alter und moderner Kunst beschäftigt und ein besonderes Interesse dem Gebiet der Handzeichnungen zu- gewandt. In den letzten Jahren widmete er sich fast ausschlieBlich dem Studium der japanischen Farbenholzschnitte und brachte auch hier eine bedeutende und für die Geschichte dieses neuer- dings übrigens einmal wieder unterschätzten Kunstzweiges sehr wichtige Sammlung zusammen. Die Handzeichnungen alter Meister wurden von ihm sämtlich im Laufe der letzten 20 Jahre er- worben, auf Auktionen, bei Händlern oder aus Privatbesitz, und zwar mit nicht gerade erheb- lien Mitteln. Man kann ja heute, wenigstens in Deutschland, immer noch die Zeichnungen auch berühmter Meister um sehr billiges Geld

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Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

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Abb. 1.

haben, wenn man sich die Mühe macht, aus Konvoluten von Hunderten wertloser Blätter die zwei guten herauszusucien eine Tatsache, welche sich die Sammler in noch nicht genügen- dem Umfange zunutze machen und der auch die Kabinette manche schöne Erwerbung verdanken könnten. Daß eine gute Zeichnung von Rem- brandt für den hundertsten Teil der Summe ver- kauft wird, die ein früher Abdruck einer mittel- mäßig seltenen Radierung auf Auktionen erzielt, ist gar kein seltener Fall.

Der weitaus größte Teil der Smidtschen Hand- zeichnungen ist niederländischen Ursprungs, dann folgen einige deutsche sowie einzelne Franzosen und Italiener. Außer den von uns abgebildeten Blättern ragen unter den Niederländern hervor einige der bekannten bildmäßigen Zeichnungen von Jan van Goyen aus den 50er Jahren, eine sehrlebendigeBildniszeichnungvonJanLievens, sowie ein sehr bedeutendes Blatt vonCornelis

REMBRANDT: Hamann vor Esther und Ahasver O Federzeicinung.

149: 170 mm

Bega, eine Rötelzeichnung einer Bauerngesell- schaft von einer Kraft und Sicherheit, die man sonst an Bega nicht häufig findet und die um vieles ausdrucksvoller ist, als manches seiner Gemälde. Die Komposition steht dem Bilde des Leipziger Musenms (Kat.-Nr. 635) nahe. Ferner sei noch Pieter Molyn mit einer an Goyen heran- reichenden Diinenlandschaft von 1653 genannt.

Das interessanteste Blatt unter den deutschen ist ein Gottvater von Hans von Kulmbac, eine Federzeichnung, Hände und Gesicht aqua- relliert.!) Daneben von großem Interesse eine Schlachtendarstellung von Melchior Feselen, eine große Federzeichnung mit der Szene des Mucius Scaevola im Vordergrunde. Die Italiener sind fast ausschließlich durch spätere, nachklas- sische Meister, z.B. Cambiaso, repräsentiert; die

1) R. StiaBny beabsichtigt, laut brieflicher AuBerung an den ehemaligen Besitzer, dieselbe gelegentlich zu publi- zieren,

E. Waldmann. Die Handzeichnungs-Sammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen 541

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Abb. 2. PAUL POTTER: Auf der Weide

Franzosen, abgesehen von einer feinen Rötelstudie eines Knaben von J. J. de Boissieu, durch Kiinstler des Rokokko, die bisher in der Bremer Sammlung ganz fehlten. °

An erster Stelle veröffentlichen wir von den wichtigeren Blättern eine Federstudie von Rem- brandt (s. Abb. 1). „Hamann vor Esther und Ahasver“ (149:170 mm). Eine Zeichnung mit bräunlicher Tinte, das Papier ist mit einigen nichts bedeutenden Rötellinien überzeichnet. Auf der Rückseite befindet sich eine Tuschzeichnung mit der gleichen Darstellung von irgend einem Stümper, die auf der Vorderseite stark durch- schimmert.

Das Blatt stammt, laut Bezeichnung, aus der Sammlung Samuel von Festetics, ging dann in die Sammlung J.C.v.Klinkosch über und wurde 1889 aus derselben versteigert, von Gutekunst 1890 dann weiterverkauft für M.80. Im Katalog Klinkosch (Nr. 709) ist sie beschrieben als Ahasver, Esther und Mardochai. Die Deutung auf Hamann ist aber richtig, die Darstellung schließt sich eng an die Bibelstelle Esther VII, 7 an, wo es heißt, nachdem Esther dem König Ahasver den mit ihnen zu Tische sitzenden Hamann als einen Missetäter bezeichnet hat: „Und der König stund auf vom Mahl und vom Wein in seinem Grimm

Kreidezeichnung. 128: 195 mm und ging in den Garten am Hause. Und Ha- mann stund auf und bat die Königin Esther um sein Leben, denn er sahe, daß ihm ein Unglück vom Könige schon bereitet war.“ Kein Zweifel, daß dies gemeint ist. Und wie schlagend ist die Charakteristik! Die wenigen Linien der Skizze drücken alles aus, den Zorn des Königs und den abgewandten unerbittlichen Haß der Esther, und vor allem dieses klägliche winselnde Jammern des Schuldigen. In dieser Eindeutigkeit und der vollkommenen Ausdeutung des Vorgangs zeigt sih Rembrandts Meisterschaft. Das Zusam- menziehen zweier dicht aufeinander folgen- der Momente ist so vollkommen gelöst, daß das Erzählte mit einer sicheren Gegenwart plötzlich vor einem steht. Ein Zweifel an Rembrandts Urheberschaft ist meines Erachtens nicht möglich. Zeichnerisch steht das Blatt einer Gruppe von Arbeiten nahe, die einen sehr schnellen Strih mit kreuz und quer fahrenden Linien sowie sehr zerhackte, eckige Formen- behandlung aufweisen. Zum Vergleich mögen besonders folgende Blätter dienen: Die Be- schneidung Christi!) in Dresden und Judith mit

1) Hofstede (Die Handzeichnungen Rembrandts. Haar- lem 1906), Nr. 211. Reproduziert in der Handzeicinungs- publ. des Dresdner Kab. Mappe VIII. Taf. 5.

Abb. 3. GUERCINO: Toilette der Venus

ihrer Magd nach Ermordung des Holofernes!) in Louvre, die beide in die Mitte der 30er Jahre gehéren, ferner Christus bei Nikodemus?), ein Blatt in der Albertina, das etwas später sein mag, und die Witwe vor dem Propheten Elisa?) in der Sg. Liechtenstein in Wien, das aus der Spätzeit des Meisters stammt. Nach Vergleich mit diesen Arbeiten ist es wahrscheinlich, daß man die Bremer Zeichnung etwa zwischen 1635 und 1645 anzusetzen hat.

Neben diesem Rembrandt verdient dann das meiste, ja, kunsthistorisch eigentlich ein noch größeres Interesse ein vollsigniertes Blatt von Paul Potter (Abb. 2), eine Kreidezeichnung (128: 195 mm), ehemals in der Sammlung W. Mitchell befindlich. Dem Namen ist auch das Datum 1640 beigefügt. Es handelt sich also um die Arbeit eines 15jährigen Knaben, um eins der allerersten Werke Potters überhaupt und zwar ist sie so vortrefflich, daß man gegen das Datum

1) Hofstede, Nr. 599. Reproduziert im Handzeichnungs- werk (Lippmann u. Hofstede) III. 14.

*) Hofstede 1403. Reproduziert: Handzeichn. alter Meister (Schönbrunn und Meder). Nr. 763, als: „Ein Mann Gottes bei Heli.“

5) Hofstede 1502. Reproduziert ebenda, Nr. 853.

Monatshefte für Kunstwissenschaft

Zeichnung in Feder und Sepia. 269: 402 mm Bedenken haben müßte, wenn nicht auch sonst Proben von ganz fabelhafter Frühreife des sehr jung gestorbehen Künstlers (1625—1654) vor- handen wären: Zwei Bilder gleichfalls aus dem Jahre 1640.') Die Bremer Zeichnung fügt sich der kleinen Gruppe der frühen Arbeiten gut ein, sie ist ein wenig ungeschickt komponiert mit dem etwas unübersichtlichen Hintereinander der beiden Tiere, und zeigt im übrigen auch die trockene Ängstlichkeit des jungen Künstlers, der nichts auslassen möchte. Aber dennoch enthält dieses Erstlingswerk schon den ganzen Potter in seinem wesentlichsten, den Autodidakten, seine große Andacht vor der Natur und seine intime Vertrautheit mit dem Leben der Weiden, der Bäume und der Tiere draußen. DaB dieses Blatt so gar nicht zusammengehen will mit der be- kannten, auch in Wurzbachs niederländischem Künstlerlexikon an hervorragender Stelle ge- nannten Jagddarstellung aus dem Jahre 1641, auf der man neben Namen und Datum auch das Alter des Verfertigers, allerdings um 2 Jahre zu niedrig angegeben, findet, wird dem Kenner

1) W. Bode:

Rembrandt und seine Zeitgenossen. S. 168/69.

E.Waldmann. Die Handzeichnungs-Sammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen 543

Abb. 4. BOUCHER: Liegendes Madchen

Potters nicht entgehen. Es liegt eben daran, daB jene Frankfurter Zeichnung absolut nichts mit Potter zu tun hat. Die Echtheit der Bremer Zeichnung kann fiiglich nicht bezweifelt werden, die Signatur stammt von derselben Hand wie die Darstellung, und der kurze harte eckige Strich in der Tierdarstellung ist für ihn charakteristisch.

Das Blatt von Guercino, die „Toilette der Venus“, das wir an dritter Stelle veröffentlichen (Abb. 3), ist zwar nicht bezeichnet, doch dürfte die traditionelle Attribution an diesen von Goethe so hochverehrten Bolognesen kaum auf Wider- spruch stoBen. Die nächsten Parallelen zu diesem Blatt in Feder und Sepia (269:402 mm) bieten eine Rötelzeichnung von „Diana und Aktäon“ in der Albertina und die ebendort aufbewahrte „Bathseba im Bade“), sowie die Anbetung der Könige, die ehemals Tiepolo besaß und die von Bartolozzi radiert wurde. Hier wie dort die gleiche schöne Behandlung im Licht, mit dem feinen Spiel der Schatten, der lichten Halb- schatten, und der auf nackte Körper fallenden Schlagschatten, hier wie dort dieselbe Art der Komposition und die gleiche Feinheit der Körper- bewegung; auch dann dieselbe Eigentümlichkeit

1) Abgebildet bei Schönbrunn und Meder unter Nr. 191 und Nr. 660.

Rötelzeichnung. 263: 341 mm

z.B. in der Zeichnung der Füße mit den bieg- samen langen Zehen. Die Technik ist insofern bemerkenswert, als mit der Feder in die noch nasse Tusche hineingezeichnet ist eine ,Auf- lösung“ des Linearen im wahrsten Sinne des Wortes. Seinem Stil nach gehört das Blatt etwa in die 40er Jahre des XVII. Jahrhunderts, es ist ein Hauptblatt für diese Blüteepoche des Meisters. Die Zeichnung stammt aus den Sammlungen Edward Bouverie und Habich, aus der es 1899 bei Gutekunst versteigert wurde.

Von den Franzosen des XVIII. Jahrhunderts bilden wir einen liegenden weiblichen Akt von Boucher (Abb. 4) ab, in Rötel, weiß gehöht (263 : 241 mm), eine ruhende Gefährtin der Diana. Sie hat ihre nächsten Verwandten in dem nackten liegenden Madchen und der Venus mit Amoretten der Albertina‘). Der leichte rieselnde Strich in der Modellierung des Fleisches bei starker Mar- kierung einiger besonders sprechender Punkte, welche die dominierenden Schärfen geben, sowie die kräftigen Schraffen des Grundes sind sehr charakteristisch für die besten Zeichnungen dieses Künstlers, dessen Studien im übrigen ja von ziemlich ungleicher Qualität sind.

Besonders interessant ist dann ein Blatt von

1) Abgebildet ebenda, Nr. 276 und Nr. 1260.

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Abb. 5. LANCRET: Kavalier

Lancret (Abb. 5), eine Studie nach einem Ka- valier in schwarzer und weißer Kreide auf blau- grauem Papier (247:195). Es ist ein Herr, im Begriff sich einzuschenken, in lebhafter Bewegung des ganzen Körpers. Lancret hat an dem Motiv herumstudiert und -gebessert, die Haltung der Beine war ursprünglich anders, man sieht noch die Linien der Vorzeichnung. Es ist hier der- selbe Fall von Arrangementstudium wie in einer Berliner R6telzeichinung'), wo er auch die gleiche Haltung auf verschiedene Weise versucht hat. Dieses Berliner Blatt hat übrigens im Bewegungs- motiv ein halb Knieender mit ausgestreckten

') Abgebildet in der Handzeicinungspublikation des Berliner Kabinetts. XXIV. F.

Monatshefte für Kunstwissenschaft

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Kreidezeichnung. 247 : 195 mm

Armen groBe Ahnlichkeit mit unserer Studie Nur ist dort die Manier des Stiftes sehr leicht und fließend, fast ohne energische Betonung des Striches. Daß aber Lancret auch im Rôtel ge- legentlich die scharfe, starke Führung des Instru- ments nicht fremd war, zeigt ein anderes Ber- liner Blatt, eine Studie einer Frau mit Blumen. 1) Die Bremer Zeichnung stammt aus der Samm- lung J. W.-London., die 1897 von Helbing ver- steigert wurde.

Diese wenigen Stichproben mögen eine Vorstellung geben von der Vielseitigkeit und Bedeutung sowie von der künstlerischen Quali- tät der nun dem Bremer Kabinett zugefallenen

1) Abgebildet ebenda, Nr. XXV. G.

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J. Vogel. Lucas Cranach in Wien.

545

Smidtschen Handzeichnungen. Es ist erfreulich, daß das Schicksal jene Privatsammlungen, die einen gewissen Ruf haben, doch allmählich, direkt oder auf Umwegen in die Öffentlichen Kabinette führt. Mit der Sammlung Beckerath ist es so gegangen, nun mit der Sammlung Smidt, die ihrerseits Bestandteile älterer be- rühmter Sammlungen „rettete* vielleicht wird es auch mit der letzten großen Sammlung mit der Kollektion Lanna im groBen und ganzen so gehen. Ganz möglich aber wird das nur durch die Hilfe privater Kunstfreunde sein. E. Waldmann.

2

LUCAS CRANACH IN WIEN

Lucas Cranachs d. A. Aufenthalt „in Österreich“ wird durch die bekannte Anekdote bezeugt, die Scheurl in seiner Lobrede auf den Künstler mit- teilt: Cranach habe einstmals „in Österreich“ Trauben auf einen Tisch gemalt, mit solchem Erfolg, daß in seiner Abwesenheit eine Elster beständig herbeiflog und, unwillig über die Täuschung, mit Schnabel und Klauen das neue Werk zerhackte. Der Begriff „Österreich“ ist natürlich, selbst wenn man ihn geographisch so eng wie möglich auffaBt, sehr dehnbar, wenn es auch an sich sehr nahe liegt an Wien zu denken. Verschiedene Werke weisen mit Ent- schiedenheit auf den österreichischen Aufenthalt hin, so die beiden um 1500 und im Jahre 1502 entstandenen Holzschnitte mit der Kreuzigung Christi (vonFlechsig, Cranach, Studien I zu S. 8 u. 9 in Nachbildungen gegenübergestellt; vgl. auch Friedlander im Jhrb. d. preuß. Kunsts. 1902S. 228 ff.) die wegen der darauf vorkommenden Gestalten ausgeprägt magyarische Typen nach Flechsig in der Nähe der ungarischen Grenze, sagen wir allgemein an einem Orte entstanden sein werden, wo solche nichtdeutsche Gestalten dem Auge des Künstlers besonders auffielen. Sicher ist auch mit Recht betont worden, daB das aus dem Jahre 1505 stammende Bildnis des Professors an der Wiener Universität Dr. Johann Stephan ReuB eigentlich nur in Wien gemalt sein kann. Hierher weist auch die von Dörnhöfer in dem Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommission für Kunst und historische Denkmale II (1904) S. 175 ff. zum

ersten Male veröffentlichte und als Cranach er- wiesene „Kreuzigung“ in der Galerie des Schotten- stiftes in Wien, eine figurenreiche Weiterbildung der , SchleiBheimer „Kreuzigung“ vom Jahre 1503. Holzschnitte, die in Wien entstanden sein müssen, hat Dodgson im Jahrb. der preuß. Kunstsml. 1903 S. 284 ff. nachgewiesen und besprochen. Der Aufenthalt Cranadis in Wien steht demnach auBer allem Zweifel. Interessant ist es, daB er auch literarisch einwandsfrei beglaubigt ist, durch das Zeugnis keines geringern als des Philipp Melanchthon, das mir mein Freund Ernst Kroker, dem es bei Gelegenheit seiner Lutherstudien über die Bearbeitung der Lutherschen Tischreden unter die Hände gekommen ist, in dankenswerter Weise mit der Befugnis es an dieser Stelle zu veröffentlichen, mitgeteilt hat. Es findet sich abgedruckt im Corpus Reformatorum XX, 593 f. und lautet unter Nr. CCLXI. De Luca pictore Wittenbergensi: „Lucas Cranadı pictor hat auf ein zeit mit dem Bischof von Maintz geeBen. Da waren im kleine Fischlein fürgesetzt worden, die hatten dem Lucas Maler sehr wol geschmeckt, darüm er auch viel geeBen hat, das sich yderman darüber verwündert hatte Vnd wie auch der Bischof solches gesehen hat, hat er in gefragt, ob er kranck wer geweBen? Sagt Lucas Maler: Ja warlich ich bin sehr kranck gewesen. Da hat er in gefragt, ob es auch lang wer? Antwort er widerum: Fur 32 Jaren lag ich sehr krank zu Wien in Österreich.“

Die hübsche Geschichte, die Cranachs Gesund- heit im übrigen das beste Zeugnis ausstellt, hat Melandithon im Jahre 1557 in einem seiner Collegs erzählt, aufgeschrieben hat sie ein ge- wisser Vendenheimer, ein junger Nürnberger. Wann sie Melanchthon erfahren hat, vor allem wenn der Künstler mit dem Bischof von Mainz gemeinsam gespeist hat, wissen wir nicht. Die 32 Jahre lassen also leider keine Schlüsse nach rükwärts zu. Wien ist nun quellenmäßig un- zweifelhaft ebenso beglaubigt wie ein Er- eignis im Leben des damals dreißigjährigen Künstlers: daß er längere Zeit in der Donau- stadt ernstlich krank gewesen ist. Möchte die Lutherforshung noch mehr sole Zeugnisse zutage fördern! Julius Vogel.

REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, en straße 2.

Verantwortlich für die Redaktion: Dr.

Zweigredaktionen:

RMANN UHDE-BERNAYS.

Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Charlottenburg, Knesebeckstraße 32.

Für München: Dr. HERMANN UHDE-BERN

Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödlin Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill bei London, Lyon Road. Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2.

YS, München, Holbeinstr. 1. bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16.

Firmentafel der Monatshefte firKunstwissenschaft

Diese alphabetisch nach Städten geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariats-

handels geben.

Aachen. Ant.Creuizer vorm. M. Lempertz. An- u. Verkauf, sowie Versteigerung erstklassiger Gemälde und Anti- quitäten. Kunstverlag. Wissen- schaftlich. Antiquariat. Spezial- kataloge auf Wunsch.

Amsterdam. 146 Singel.

R. W. P. de Vries. Seltene Bücher. Kupferstiche. Porträts. Handzeich- nungen. Buch- und Kunstauktionen.

Berlin. Amsler & Ruthardt. Kgl. Hofkunsthindler. Speziali- tat: alte u.neue Graphik. Hand- zeichnungen. Kupferst.- Aukt.

H Unter den Lin-

Ludwig Glenk, sen 59." Geer. 1886. Antiquitäten. China, Japan, Per- sien. Islamische Kunst. Alte Gemalde, Pastelle, Miniaturen, Kupferstiche, Lithographien. Bedeutendste Adolf Menzel-Sammlung. Japanische Far- benholzschnitte. Illustrierte Bücher. Ankauf wertvoll. Stücke zu gut. Preis.

Paul Graupe, Kochstraße 3. Seltene Biicher / Manu- skripte / Kupferstiche / Exlibris / Stammbiicher etc. / Ankauf / Verkauf.

Edmund Meyer, Antiquariat, Potsdamerstr. 27 B. Bucher für Bibliophilen Kunst etc.

Bonn. Math. Lempertz Buchhandlung und Antiquariat

(Inhaber: Peter Hanstein.)

Auktionshaus fur Antiquitaten, Gemälde und Bücher. Anti- quarisches Bücherlager von ca. 600000 Bänden, über welches fachwissenschftl. Katalogeersch. Budapest. Könyves Kälman. Unga- rische Kunstverlags-A.G., Nagymerò

u. 37—39. Kunstverlag. Verkauf von Reproduktionsrechten hervorragend. Schöptungen ungarischer Künstler. Hervorragender Kunstsalon mit stän- dig wechselnden Kunstausstellungen,

Darmstadt. Müller & Rühle. Großherzoglich hessische Hof- kunsthandlung. Kais. russ. Hofl.

Dresden. Galerie Ernst Arnold. Inhaber L. Gutbier.

Permanente Ausstellung in 11 Salen: Gemalde, Skulp- turen, Radier. alter Meister.

Franz Meyer, Struvestraße 2, I.

Kupferstiche, Radierungen, Holz- schnitte, Handzeichnungen alter und neuerer Meister. An- und Verkauf sowie Taxation von Einzelblättern und ganzen Sammlungen.

Emil Richter, Hofkunsthändler. H. Holst. Spezialität Alte und Neue Graphik. Handzeichnungen. Per- manente Gemälde - Ausstellung.

v. Zahn & Jaensch, Waisenhausstr. 10. Größtes Dresdener Buch- und Kunst- antiquariat, Kataloge gratis. (Nr. 218 Kunstbl. u. Kupferst., Nr. 220 Histor. Architektur. In Vorber.: Alte Drucke, Kat. f. Bücherfr. Napoleonica, Kultur- hist. Blatt., Kostimkunde, Stammbüch.

FrankfurtahM.josephBaeraCo., Buchhandlung u. Antiquariat, Hoch- str.6. Spez.: Kunstu. Kunstwissensch. Seltene Drucke. Handschr. m. Miniat.

Rudolph Bangel, begr. 1868, Kaiser- str. 66, Übernahme v. Kunstwerk. all. Art z. Auktion od. freihänd. Verkauf, 736 Kataloge. Ständige Kunstausstell.

= Philipp Bode, weserstrabe 24. Übernahme von Kunst- sammlungen in Kupfer- stichen, Gemälden, Anti- quitaten etc. z. Versteigerung.

Frankfurter Kunstverein. Gemäldeerster moderner Meister

und der Frankfurter Schule. Permanente Ausstellung.

A. Voigtländer -Tetzner, Kunsthandlung für alte und 9 moderne Graphik. 9 o Mainzer Landstraße 19. o

Max Ziegert, Hochstraße 3.

Kupferstiche, Handzeichnungen Autographen, Holzschnittwerke Porträts, Ansichten, Inkunabeln Übernahme v. Aukt.-Aufträgen. Karlsruhe, À. Biclefeld’s Hof- buchhdig. Kupferst., Holzschn., Handzeichnungen, Manuskripte.

Wegen Beteiligung wende man sich an Klinkhardt & Biermann in Leipzig.

Köln. xv.Eisner & Spieckermann. Minoritenstraße 21. Kunst-Sortiment- Antiquariat. Galerie- und Sammel- werke, Kunstgewerbe, Kunstausstellg.

_] M Heberle (H. Lempertz’ e e

Söhne)G.m.b. H., Friesenplatz 15. Auktionshaus für Kunstgegenstände, Gemälde, Münzen,

—Math. Lempertz’ Buch-

handlung und Antiquariat. (In- haber Peter Hanstein.) Kunst- Auktionshaus für Antiquitäten, Gemälde, Stiche, Münzen etc. Leipzig. P.H.Beyer & Sohn. Moderne Gemälde, Kleinplastik, Handzeichnungen. Speziell neue Graphik (Max Klinger, O. Grei- ner, Menzel, Boehle, Zorn etc).

C.G. Boerner, Kupferstiche, Handzeichn.,Autograph., Manuskr., Holzschnittb., Erstausgab., Ubernahme

anz. Sammlg.z. Auktion.

Karl W. Hiersemann. Antiquariat und Verlag fiir Kunst und Kunstgewerbe Architektur, Archacologie etc. Groß. Lag.v. Biblioth.- Werk., Zeitschr. Ori- ental. Handschr. u. Miniaturen, Japan. Farbenholzschn., sow. eine Sammlg. v. Palmblatt-Manuskript.aus Siid-Indien.

Pietro Del Vecchio. Hof kunst- handlung. Ausstellung von Wer- ken erster Meister. Kunstsorti- ment. Moderne Graphik.

Miinehen, Pfandhausstr. 8. Hermann Einstein.

Kgl. bayr. Hoflieferant

Antiquitaten u. Gemalde.

—Galerie Helbing. "1."

ganzer Sammlungen, wie einzelner guter

Stücke behufs Auktion und freihän- digen Verkaufs. Ständige Ausstellung erstklassiger Antiquitäten, Kunst- gergenstände, Olgemalde alter und neuerer Meister, Kupferstiche etc.

-Moderne Galerie

Theatinerstraße 7 (Arco - Palais) Gremälde u. Zeichnungen

moderner Meister. Eröffnung November.

HOLLÄNDISCHE KUNSTHANDLUNG

GERBRAND OLIE mannshaus).

HAMBURG

Bergstraße 16—18, hochparterre, (Her- Ausstellung von Orig.-Gemälden und Radierungen holländischer Meister.

7 4 di a \ Herausgeber: DR: GEORG BIERMANN

Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2

Æ 27

Heft 12 | 1909

Ein unbekanntes Gemälde Wolf Hubers Von Philipp Maria Halm

Dem umfangreichen Werk Wolf Hubers an Zeichnungen steht nur eine sehr geringe Zahl von Gemälden gegenüber. Ich reihe den vollkommen gesicherten in Feldkirch, Berlin (Sammlung v. Kaufmann und Kaiser Friedrih-Museum), Wien (Hof-Museum), Kremsmünster und St. Florian ein weiteres an, das bisher nicht die verdiente Berück- sichtigung gefunden hat. Es ist eine ,Heimsuchung Mariä“, die mir unter den Öl- gemälden aus dem „Kunstbesitz eines bekannten norddeutschen Sammlers“, gelegentlich der jüngsten Auktions-Ausstellung bei Hugo Helbing, sogleich als unzweifelhaftes Werk des Passauer Malers aufgefallen war. Die beifolgende Abbildung überhebt mich einer eingehenden Beschreibung sowie der näheren Beweisführug für meine Behauptung. Nur ergänzend will ich erwähnen, was die Netzätzung an Farbe schuldig bleibt: Elisabeth trägt eine Jacke in dem gleichen schmutzigen Grün, wie es uns z. B. am Nikodemus der Feidkircher Beweinung und an dem einen Engel der dazu gehörigen Predella mit dem Vera-Ikon begegnet'). Ferner sprechen das Rostrot des Gewandes der das Gepäck tragenden Dienerin und die Mischung von Gelb und Orange im Habit des greisen Zacharias, dann die geblauten weißen Kopftücher der beiden heiligen Frauen nicht weniger deutlich für Hubers Hand als die mit der liebevollsten Sorgfalt durch- studierte, etwas zu schwer im Grün gehaltene Baumkulisse links und die duftige Fern- sicht rechts mit den blaugrünen Rundtürmen an der einsamen Bucht. All das ist echt huberisch und läßt kein Bedenken über die Zuweisung an unsern Meister aufkommen. Der neue Wolf Huber steht dem im Januarheft der „Amtlichen Berichte aus den könig- lichen Kunstsammlungen“ (1909, S. 87) von Voss veröffentlichten Bilde der „Flucht nach Ägypten“ desselben Meisters am nächsten, wenigstens was die Szenerie, die räumliche Tiefenwirkung und die Stellung und Größenverhältnisse der Figuren zur Landschaft anlangt. Wenngleich ich die Flucht nur nach der dort gebotenen Abbildung zu beurteilen in der Lage bin, glaube ich nichts destoweniger noch auf weitere Beziehungen zwischen beiden Bildern hinweisen zu dürfen. Der Kopf Mariens ist beide Male völlig der gleiche und deckt sich auch aufs engste mit jenem der Wiener Kreuzerhöhung, in

1) Über die von Riggenbach, „Der Maler und Zeichner Wolfgang Huber“, bestrittene Zu- sammengehörigkeit vgl. Halm, Zu Wolf Huber und der Kunst des Donaustils in „die christliche

Kunst“ V (1908) S. 78. à

548 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

deren Nähe, wie es Voss für die Flucht nach Ägypten annimmt, ich auch die Heim- suchung setzen möchte. Ganz die sonnige Stimmung jenes Bildes breitet sich auch über den neuen Huber, nur nicht in solcher Ausdehnung, Die Maße des Bildes im Kaiser Friedrih-Museum sind mir z. Z. unbekannt, aus der engen stilistischen

| | | -= Verwandtschaft en Vite a ‘desselben mit dem > ‘=? = ' Heimsuchungsbilde

~ und dem allgemei- nen Verhältnis von Höhe zur Breite wage ich den Schluß, daß beide Bilder ursprünglich zu einem und dem- selben Altar gehört haben und daseine vielleicht die Rück- seite des anderen gebildet hat !). Da- für spricht auch die gleihe Herkunft, denn wie die Flucht nach Ägypten ge- hörte auch die Be- gegnung der hei- ligen Frauen zur vielbesuchten

Sammlung Lipper- WOLF HUBER: Mariä Heimsuchung. München, Bayerisches Nationalmuseum heide; merkwürdig

genug, daß das charakteristische Bild bisher als Huber unerkannt geblieben. Die Erhaltung der Tafel ist im großen ganzen gut, da und dort ist etwas zu viel geputzt worden, dodh blieb das Bild größtenteils und glücklicherweise an allen wesentlichen Stellen von Über- malungen verschont, so daß das leuchtende Kolorit nirgends Einbuße erlitt. Am deutlichsten erkennt man die Hand des Restaurators an dem stumpfen Grau der Architektur rechts und dem matten Himmel mit den weißen Gebirgsschroffen über der Landschaft des Hintergrundes. Das anmutige Werk gelangte in den Besitz des Bayerischen Nationalmuseums.

n

1) Das Bild der Heimsuchung mißt in der Höhe einschlieBlich einer schmalen angestückelten Leiste 0,55 m, in der Breite 0,56 m. Da es neu gerostet wurde, der Zustand des Gegenstiickes nach dieser Seite hin mir aber nicht bekannt ist, muB ich die Frage, ob es sich um eine aus- einandergesägte Tafel handelt, vorerst noch offen lassen.

Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen.

Von Hans Vollmer.

Es ist auffallend, wie wenig bekannt die alte Kopenhagener Gemäldegalerie in den Fachkreisen des Auslandes ist. Man weiß wohl von diesem oder jenem bedeuten- den Stück, das nach der dänischen Hauptstadt verschlagen ist, aber ein klares Gesamt- bild über den Bestand der Sammlung hat man nicht. Mitschuld an dieser auch von Deutschland geteilten mangelhaften Kenntnis dieser wertvollen Galerie ist deren unbe- greifliche literarische Vernachlässigung seitens der Gelehrtenwelt des Auslandes. Eine zusammenhängende Besprechung der Kopenhagener Galerie hat außerhalb Dänemarks nur Clement de Ris in einem Aufsatze der Gaz. d. beaux-arts 1875 gegeben, dessen ober- flächlicher Charakter aber schon von Sigurd Müller (Kunstchronik XI, 825) eine scharfe und berechtigte Zurückweisung erfuhr. Seitdem ist nirgends wieder im Zusammenhang über die Kopenhagener Galerie geschrieben worden, eine Tatsache, die in einigem -Widerspruch steht zu der hohen Bedeutung der Sammlung, die sich vor allem dadurch auszeichnet, daß sie einen Überblick von seltener Vollständigkeit über die holländische Kunst des XVII. Jahrh. gewährt. |

Über die Geschichte der Kopenhagener Gemäldegalerie in Kürze folgendes: der Grundstock zu der Sammlung wurde unter König Friedrich V (1746—66) gelegt, der durch seinen Intendanten Gerhard Morell in Holland einen reichen Schatz holländischer Bilder ankaufen ließ, zu einer Zeit, als die Niederlande die sämtlichen großen europäischen Kunstsammlungen mit ihren heimischen Kunstschätzen zu füllen sich ge- zwungen sahen.

Eine wertvolle Bereicherung erfuhr die Sammlung unter Friedrich VI. (1808—39) durch die Erwerbung der beiden Sammlungen Bodendick und West. Unter dem Regnum Friedrihs VI. wurden auch die bis dahin auf den königlichen Schlössern verstreuten Gemälde in Christiansborg zu einer Galerie vereinigt und dem Besuch des Publikums zugänglich gemacht. Friedrichs Nachfolger Christian VIII (1839 48) ließ die Bildersäle des Schlosses mehr zweckentsprechend herrichten und gleichzeitig eine kritische Auslese unter der großen Masse der Gemälde treffen. Die große Feuersbrunst vom 3. Oktober 1884, der Christiansborg zum Opfer fiel, machte die Galerie obdachlos. 1889—96 wurde nach Dahlerups und Georg Möllers Plänen ein neues Museum erbaut, dessen obere Etage zur einen Hälfte die alte Gemäldesammlung aufnimmt.

Ein vorzüglicher beschreibender kritischer Katalog, verfaßt von Karl Madsen unter dem Titel: „Fortegnelse over den kongelige Malerisamlings billeder af aeldre malere“ (Kopenhagen 1904), reich illustriert und mit Nachbildungen der Signaturen, orientiert über etwa ein halbes Tausend Gemälde alter Meister, unter denen die Holländer des XVII. Jahrh. sowohl quantitativ wie qualitativ obenan stehen.

Um eine Betrachtung der italienischen, deutschen und französischen Schulen vorwegzunehmen, sei zuerst das kleine, früher, und auch von Crowe und Cavalcaselle, auf Lorenzo Monaco getaufte Predellenfragment genannt, mit der Verkündigung in der

550 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Abb. 1. FILIPPINO LIPPI: Begegnung Joachims mit Anna

Mitte, rechts einer betenden Nonne, vermutlich der Stifterin, links dem hl. Benedikt, ein wenig bedeutendes Stück, jetzt einfach „Florent. Schule XV. Jahrh.“ genannt, das zudem durch mangelhafte Erhaltung die Tafel ist der Länge nach einmal zerbrochen und dann schlecht wieder zusammengefügt worden seine geringen ursprünglichen Reize fast völlig eingebüßt hat. Die Taufe auf Monaco, jenen unselbständigen Ausläufer der Giottoschule in Florenz, der die Kunstrichtung des Trecento in das Quattrocento herüberträgt, hat alle Wahrscheinlichkeit für sich. Der Mantegna genannte, auf dem marmornen Sargdeckel sitzende Christus, der von zwei hinter ihm knienden Engeln betrauert, die Wundmale in seinen Händen weist, hat, wie schon Fr. Portheim (Jahrb. d. kgl. preuB. Kunstsammlgn. VII 224) erkannte, „mit Mantegna nichts als die wohl später hinzugefügte ungewöhnliche Namensbezeichnung gemein“. Kalt, bunt und geleckt in der Farbe, will auch der fast modern berührende, süBliche Ausdruck der Köpfe wenig zu dem ehernen Stil Mantegnas passen. Der mit dem Gemälde überein- stimmende anonyme Stich B. 7 ist bekanntlich schon lange in die spätere Schule des Meisters verwiesen worden. Besser ist Florenz mit dem bezeichneten und 1487 datier- ten Bilde des Filippino Lippi, der Begegnung Joachims und Annas vertreten, das zwar alle Manieriertheiten der Formgebung des späten Lippi zeigt, durd die Lieblichkeit seiner Frauentypen aber für manches entschädigt. Ein klaffender Riß in der Länge der Tafel und einige grobe Übermalungen, besonders auffällig in dem scharlachroten Mantel Joachims, beeinträchtigen leider etwas den Eindruck. Die kleine Anbetung der Könige, von Rumohr (Schorns Kunstblatt 1825, S. 345) als echte Jugend-

H. Vollmer. Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen 551

arbeit Raffaels beschrieben, ist jetzt als freie, ungefähr gleichzeitige, übrigens recht schwache Kopie der Raffaelschen Predella im Vatikan erkannt. Unangenehm glasig in der Farbe, scheint die kleine Tafel starke Übermalungen erlitten zu haben; das Gewand der Maria z. B. hat alle Struktur eingebüßt, von anderen Formlosigkeiten nicht zu reden. Wür- diger wird die Kunst des italienischen Cinquecento repräsentiert durch das schöne Männerporträt auf grünem Hintergrund No. 162, von der Hand eines unbekannten oberitalienischen, vielleicht venezianischen Malers, im Geschmack des Lotto oder Moretto, oder Stücke wie die prachtvoll frische kleine Skizze des Tintoretto zu dem Gemälde der Kanaanäischen Hochzeit in Sta Maria della Salute.

Sobald man die Schwelle des XVII. Jahrh. überschritten hat, häufen sich die Namen. Von dem großen Salvator Rosa bewahrt die Galerie u. a. ein Hauptstück: Jonas’ Predigt in Niniveh, aus Schloß Frederiks- borg stammend (gest. von J. M. Preisler), ein Bild von starker eindringlicher Wirkung, obgleih zu viel mit den Händen agiert wird. Von Giordano sieht man zwei Gegen- stücke, einen läppisch erzählten Bruder- mord des Kain und eine Beklagung der Leiche Abels durch das erste Elternpaar, wo der schöne blonde Akt der jammernden Eva für die weinerlihe Gestalt Adams entschädigen muß. Das Parisurteil, ein Thema recht nach dem Herzen des Fa Presto, verrät, wie die bekanntere Berliner Abb. 2. CARLO CIGNANI: Joseph u. Potiphars Redaktion, in den Reizen seines Helldunkels Weib a auf dem leuchtenden Inkarnat der Frauen- körper den Einfluß Veroneses. Zwei wirkungsvolle Gegenstiicke von Bartolommeo Manfredi, Soldaten bei einer Wahrsagerin und Musizierende Mädchen mit Soldaten, in lebensgroBen Halbfiguren, zeigen die kontrastreiche, auf Illusionswirkung ausgehende Vortragsweise des Caravaggio, der selbst in der Galerie mit einem Prachtstiick: Würfeinde Soldaten, vertreten ist. Carlo Cignanis großes Joseph- und Potipharbild ist wohl nur alte Kopie oder Atelierwiederholung, immerhin ein Stück von sehr anständiger Qualität. Dieselbe Komposition kommt noch einmal vor auf einem Bilde mit gleichfalls ungefähr lebensgroßen Figuren im Besitz des Sammlers J. J. Lichtmann in Wien, das vermutlih das Original zu der Kopenhagener Redaktion vorstellt (vgl. Frimmel, Blätter für Gemäldekunde II, 1906, S. 125 6). Das kleine Hochovalbild des Cignani mit der Tarquinius- und Lucrezia-Szene zeichnet sich durch eine Fülle der feinsten koloristischen Delikatessen aus. Die venezianishe Schule des XVIII. Jahrh.

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wird durch ein hübsches Stück des G. B. Piazetta, die Halbfigur eines Mädchens mit einer Henne im Arm, sowie durch einen stattlihen Tiepolo repräsentiert, eine Abend- mahlsdarstellung mit jener für die Zeit charakteristischen aufgelösten Komposition, die an die Stelle der allzuwenig plastische Bewegungsmöglichkeit bietenden Gruppierung der Gesellschaft um den Tisch herum das malerisch bewegte Chaos setzt und die Gruppe der Jünger kniend, dicht ge- drängt um den stehenden Christus sich scharen läßt. Die Deutschen sind durch nicht weniger als acht echte Arbeiten des älteren Cranach gut, aber einseitig in Kopen- hagen vertreten; davontragen fünf, außer dem Monogramm, ein Datum. Von 1521 datiert das kleine Parisurteil, No. 73. Ein reizendes Stück ist die Tafel von 1530 mit Venus und dem von Wespen ge- stochenen Amor. Schreiend, die Wabe in der Hand, sucht der Kleine Hilfe bei Venus, die indeB gelassen lächelnd wenig Notiz von dem Schmerz Amors nimmt; oben eine In- schrift mit der Moral auf die Geschichte. No. 74 stellt eine Allegorie auf die Melancholie dar, wie sie Cranach öfters darzustellen liebte; ähnliche Stücke finden sich bei dem Earl of Crawford (abgebildet in Illustrated Catalogue of Early German Art, London 1906, Tafel 25) und in Southam Delabere bei Cheltenham in Süd-England. Das Kopenhagener Exemplar ist 1532 datiert. Eine geflügelte, sonst aber gut bürgerlich bekleidete Frau sieht, indeB sie achtlos an einem Stabe schnitzt, drei nackten Putten zu, die eine große Kugel auf dem Boden durch einen Reifen durchzurollen suchen. Der Ahne dieser Darstellungen ist natürlich Dürers berühmter Kupferstich von 1514. Von 1535, also zwei Jahre jünger als das denselben Gegenstand behandelnde bekannte Braunschweiger Stück, datiert das große Halbfigurenbild des Herkules bei der Omphale, das leider stellenweise krud über- malt ist, um die klaffenden Längsrisse der Tafel zu verdecken. Offenbar stark übermalt

Abb. 3. JAC. CORN. VAN AMSTERDAM: Begegnung Davids mit Abigail

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Abb. 4. PIETER AERTSEN: Küdienstück

ist auch No. 79, eine Verlobung der hl. Katharina, in lebensgroßen Halbfiguren; der Kopf der Maria scheint ganz modern zu sein, ebenso das Untergesicht der Katharina, die Halspartien des Kindes usw. Endlich von Cranach eine amüsante Hirschjagd, undatiert, aber signiert, sowie die beiden Bildnisse eines Ehepaares auf olivgrünem Hintergrund, letztere leider zu hoch hängend, um eine genaue Prüfung zuzulassen. Die kleine Kreuzigung No. 80 wird durch ihre schwache Zeichnung und unangenehme Buntheit als Schulstück gekennzeichnet. Ein anonymes, recht interessantes männliches Porträt ist No. 347, ein mandolinespielender Jüngling in schwarzem Kostüm und Barett, offenbar schwäbische Schule, Ambergersche Richtung.

Aus dem XVII. Jahrh. ist das sehr distingierte weibliche Halbfigurenbild von Peter Lely hervorzuheben, das an Noblesse der Auffassung hinter keinem varı Dyck zurücksteht. Lely, eigentlich Pieter de Faes geheißen, ein geborener Soester, hatte sich während eines 37jährigen Aufenthaltes in England, wo er Hofmaler zweier Könige war, an den Meisterwerken seines großen vlämischen Vorgängers so stark inspiriert, daß er auf den ersten Blick in der Tat oft mit van Dyck verwechselt werden kann. Die deutsche Bildniskunst des XVIII. Jahrh. vertritt der seinerzeit auch in Däne- mark beschäftigt gewesene Hamburger Balthasar Denner mit einem feinen kleinen Damenbildnis.

Frankreichs Kunst wird in der Kopenhagener Galerie nur durch ein einziges bedeutenderes Werk repräsentiert, ein großes Figurenbild des Poussin: Der Herr erscheint Mose im brennenden Busch (Gest. von Vernesson), eine übrigens auch mit Poussin- sciem Maßstabe gemessen temperamentlose, in der Empfindung schwächliche Konzeption. Von altspanischer Kunst sei die lebensvolle Porträtgruppe des außerhalb seiner Heimat selten anzutreffenden Jose Antolinez erwähnt, eine Gesellschaft von Astronomen und Mathematikern mit einem lieblichen, in Kirschrot gekleideten blonden Mädchen im Vor- dergrund, das mit einem Hiindchen spielt.

Wir kommen nunmehr zu den alten Niederländern und eröffnen ihre Revue

554 Monatshefte für Kunstwissenschaft

mit der ein berühmtes stilistisches Kuriosum darstellenden Tafel No. 63, einer Anbetung der hl. Familie durch den knienden Stifter, an der zwei Meister aus zwei ganz ver- schiedenen Jahrhunderten tätig waren. Die linke Bildhälfte mit dem von dem hl. An- tonius assistierten Stifter wurde lange Zeit Jan von Eyck benannt, dann von einer so gewichtigen Seite wie der James Weales für Hubert van Eyck in Anspruch genommen, um in neuerer Zeit endlich ziemlich allgemein (auch von Karl Voll) dem Petrus Christus zugewiesen zu werden. Die höchst großartige Stilisierung der Köpfe, für die sich in dem sonstigen Werke des Christus keine Analogien finden, und in der sich trotz des relativ kleinen Maßstabes der geborene Monumentalmaler verrät, spricht viel für die Wealesche Zuweisung, der nachgewiesen hat, daß diese Tafel zusammen mit einer Statue des hl. Antonius sidi am 9. März 1426 in Huberts Werkstatt befand). Viel- leicht hat Otto Seeck das Richtige getroffen, als er ein Schulverhältnis zwischen dem älteren varı Eyck und Petrus Christus konstituierte und annahm, daß die Kopenhagener Tafel „noch unter den Augen Huberts und vielleicht nicht ganz ohne seine Mitwirkung von Christus gemalt sei“*). Die rechte Hälfte des Bildes ist völlig deckend im XVII. Jahrh. mit einer hl. Familie im Stile des van Dyck übermalt worden. Frimmel?) will in diesem ,Frevler“ mit ziemlicher Sicherheit den Antwerpener Peeter van Avont (t 1632) erkennen, der Rubens und van Dyck viel kopierte, und dessen Weichheit des Inkarnats und Grazie seiner Darstellung, Vorzüge, die auch unser Bild aufweist, schon von seinem Zeitgenossen Cornelis de Bie gerühmt wurden.

Aus dem XVI. Jahrh. sind nur einige wenige aber recht bemerkenswerte Stücke zu erwähnen. Von Pieter Breughel d. A. drei braun untermalte Studienköpfe in Tempera: ein kleines mannliches Bildnis und die Karikaturen eines alten verhungerten Ehepaares, das einen fetten Mönch in dessen feiste Wangen beißt; von Jacob Cornelisz van Amsterdam ein meines Wissens in der Literatur bisher kaum beachtetes, charakteristisches Bild, die Begegnung Davids mit Abigail darstellend (I. Sam., 25. Kap.), das auch von Scheibler in seinem Verzeichnis der Gemälde Jacobs nicht mit aufgeführt wird‘) und das ich nur in Wurzbachs Niederl. Kstlerlex. erwähnt fand; von Pieter Aertsen ein prach- tiges Küchenstück mit lebensgroßen Figuren aus der letzten Zeit des Meisters, mono- grammiert und 1572 datiert; von Marinus van Roemerswaelen eins seiner bekannten Geldwechslerehepaare, sehr ähnlih dem Madrider Stück (Wiederholung in Antwerpen), bez. Reymerswale Marinus me fecit Ao (es folgt unleserlihe Zahl [1540?]), stark manieriert in den Formen und gläsern in der Farbe, aber die Richtung gut kenn- zeichnend. Leider finden sich stellenweise rohe Übermalungen, so namentlich im Kopf des im Hintergrunde sichtbar werdenden Knaben, der auf dem Madrider Exemplar ganz fehlt, und von dem Wurzbach (Niederländ. Kstlerlex. II, 102) vermutet, daß er überhaupt erst in späterer Zeit dazugemalt sei’) Ein amüsantes Bild ist die Ver-

1) Vgl. Zeitschrift f. bild. Kst. N. F. XI. 254,5.

3) Vgl. Kunstchronik. N. F. XII 258.

3) Blätter f. Gemäldekunde. I. 70.

4) Jahrb. d. kgl pr. Kunstsammlungen. (1882). III. 13.

») Vgl. Ober die Geldwechslerbildnisse des Massys und des Marinus den Aufsatz von F. de Melu in der Gaz. d. beaux-arts. 3 Per. t. XI (1908) p. 215 ff.

H. Vollmer. Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen 555

Abb. 5 MAR. VAN ROEMERSWAELEN: Geldwechslerehepaar

sammlung der fünf klugen und fünf tôriditen Jungfrauen von dem Genter Lucas de Heere aus der Zeit seines englischen Aufenthaltes (1570 datiert), mit mannigfachen moralisierenden Pointen gespickt.

Der eigentliche Schwerpunkt der Sammlung aber liegt bei den Niederländern des XVII. Jahrhunderts. Um mit den Vlamen zu beginnen, so ist Rubens selbst mit einem prachtvollen „Salomonischen Urteil“ vertreten, das in die zweite Periode des Meisters gehört, welche mit der Antwerpener Kreuzabnahme anhebt und mit dem Jahr 1625 etwa schließt, und die Max Rooses in seiner Geschichte der Malerschule Antwerpens folgendermaßen charakterisiert: „In dieser Periode erlangt die Farbe all- mählich die Oberhand über das Helldunkel, die Bilder werden sonniger und durch- geführter, die Umrisse sind deutlich gezeichnet.“ Ursprünglich für die Ausschmückung eines Gerichtssaales bestimmt, wurde das Gemälde später vom Grafen Rantzau an König Christian IV. geschenkt, der eine dieseSchenkung bezeugende Inschrift auf dasBild setzen ließ.

Ein schönes Beispiel Rubensscher Bildniskunst bewahrt Kopenhagen in dem imposanten Halbfigurenporträt des Abtes Matthäus Yrsselius (+ 1629) in weißer Schaube auf kirschrotem Grund. Das Bildnis ist kurz nach dem Tode des Dargestellten, aber unzweifelhaft nach einer Studie nach dem Leben gemalt worden und gehörte ursprüng- lich zum Grabmal desselben in der Abteikirche von S. Michael in Antwerpen. Eine herrliche, erst kürzlich erworbene braun untermalte Skizze für die Brüsseler Kreuz- tragung ergänzt das Bild des vlämischen Malerfürsten in willkommener Weise. Die handfeste Kunst des Jordaens ist mit drei Hauptstücken glänzend vertreten. Eine

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Susanna im Bade, die kokett und die Situation wenig ernst nehmend, sich lachelnd dem Beschauer zuwendet, indes die beiden Alten eben hinten über die niedrige Brüstung einsteigen; der üppige blonde Frauenakt gehört mit zum besten, was man von Jordaens sehen kann. Dann eine Allegorie auf den Überfluß, wie sie Jordaens öfters gemalt hat, mit drei kraftstrotzenden weiblichen Akten im Vordergrund, Nymphen, die das Füllhorn des besiegten Achelous schmücken, während von oben Herkules mit Dejanira auf dieses Stilleben von Frauenfleisch und köstlich gemalten Früchten herunter- blicken, eine jener zwanglosen Versammlungen nackter Naturmenschen, in denen man den robusten Pinsel Jordaens’ uneingeschränkt bewundern kann.) Umso fühlbarer bringt das dritte Bild die Grenzen Jordaensscher Kunst zum Bewußtsein: eine Dar- stellung des „Lasset die Kindlein zu mir kommen“. Was hier von vornherein jede Stimmung nimmt, ist die denkbar weihelose Lokalität, in die die Szene verlegt ist. Man stelle sich vor! Christus sitzt auf dem oberen Podest einer bildeinwärts führen- den Treppe, die die gesamte Bildbreite einnimmt, so daß die Segnung der Kinder auf den Treppenstufen vor sich geht. Einige maBlos erregte Zuschauer riskieren Arme und Beine, indem sie die steinernen Treppenwangen erklimmen, um des Schauspiels habhaft zu werden. Eine Farbenskizze zu einer Gefangennehmung Christi fordert in ihrer unökonomischen Komposition mit der ungebührlich breit sih machenden Petrusszene im Vordergrund zu ähnlicher Kritik heraus. Welch einen Gegensatz bietet zu dieser lärmenden Kunst das stille Emmausbild Rembrandts, die edelste Perle der Kopenhagener Sammlung! Aus demselben Jahre (1648) wie das berühmte Pariser Stück stammend, mit dem es vieles gemeinsam hat, von dem es im Format aber abweicht (dort Hoch-, hier Längs- format), steht es doch trotz aller seiner Schönheiten dem Louvrebild in jeder Beziehung nach; undenkbar daher, daß es, wie Bode in seiner Geschichte der holländischen Malerei annahm, nach der Pariser Redaktion entstanden sein sollte, die die letzte höchste Lösung des Themas bringt. Schon daß dem Mysterium zwei unbeteiligte Zuschauer beigegeben sind an stelle des einen Knaben dort, wird als ablenkende Tautologie empfunden. Was das Louvrebild aber vor allem voraus hat, ist die wunder- bare in den Dienst der Stimmung gestellte Lichtführung, während hier gesuchte Inter- essantheiten der Beleuchtung (unsichtbar gemachte Lichtquelle, indem das Licht in der Hand der Alten gerade durch den Oberkörper des eines Jüngers verdeckt wird) eher stimmungstörend als stimmungfördernd wirken. Auch von dem Weltentrückten, Visio- nären im Antlitz Christi ist auf dem Kopenhagener Bild noch kaum etwas zu spüren. Für die ebenso diskrete, wie eminent ausdrucksvolle Gebärde des Erstaunens bei den Jüngern wußte Rembrandt dagegen auch später nichts Vollkommneres mehr zu geben, wie denn überhaupt nur dieser Vergleih mit Rembrandt selber das Bild herunter- zusetzen vermag. Unter den Rembrandtschülern findet man von dem wenig gekannten Bernard Fabritius, der in der älteren Literatur häufig mit seinem berühmteren Namens- vetter Carel zusammengeworfen wird, eine bez. und 1668 datierte Darstellung im Tempel, wie alle Arbeiten Barents etwas trocken und einförmig grau in der Farbe,

1) Eine von dem Gemälde nur wenig abweichende Aquarellstudie zu der Kopenhagener Abundantia des Jordaens gelangte vor kurzem bei Fred. Muller in Amsterdam zur Versteigerung. Vgl. Monatshefte f. Kunstwissenschaft, I. Jahrg., 1908, S. 709.

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Abb. 6. RUBENS: Urteil Salomonis

sonst aber von tüchtigen Qualitäten. Aert de Gelder ist mit einem durch reiche Psycho- logie wie wunderbaren Tonreichtum gleich ausgezeichneten Halbfigurenbilde: Mardochai vor Esther und Ahasver zur Stelle (bez. und 1685 dat... Von Ferdinand Bol bewahrt die Galerie ein großes Hauptwerk, die drei Frauen am Grabe Christi. „Da traten bei sie zwei Männer mit glänzenden Kleidern. Und sie erschraken und schlugen ihre Augen nieder zur Erde“. Ein Frühwerk des Meisters aus seiner geschätztesten Helldunkelperiode (1644 dat.), ist dasselbe noch ganz im geistigen und malerischen Geschmack des jungen Rembrandt gehalten, unter empfindlihem Mangel an Ökonomie im Ausdruck der Gebärdensprache leidend, aber andererseits mit einer Fülle von Ton- schönheiten ausgestattet, namentlich in den blaulich silbrigen Gewändern der Engel, die, als Vision unbedeutend, durch malerische Reize ersetzen, was ihnen an innerlicher Größe gebricht. Ein seltener Meister ist Hendrik Terbrugghen (geb. 1587 zu Deventer), von dem die Galerie ein Hauptstück besitzt, eine Dornenkrönung Christi in lebensgroßen Figuren, die den Einfluß des Caravaggio zeigt, unter den Terbrugghen in Italien geriet. Mit manchen koloristishen Kruditäten behaftet und ungeschickt im Aufbau, insofern die Hauptfigur des Gemarterten vollkommen versinkt, verfügt das Bild doch über eine starke geistige Ausdrucksnote. Terbrugghens Lehrmeister, Abraham Bloemaert, der Begründer der Schule von Utrecht, ist gleichfalls in Kopenhagen gut zu studieren, wo sich drei bezeichnete Arbeiten, mythologische Szenen, von ihm befinden.

Ganz besonders zahlreih sind die holländischen Landschafter beisammen. Cornelis Vroom, der große Vorgänger des Jakob Ruisdael und eigentliche Bahnbrecher

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der Haarlemer Landschaftsmalerei ist mit zwei Arbeiten vertreten, darunter einer Wald- lichtung mit hügeliger Ferne und düster bewölktem Himmel, einem Bilde, das in seiner ernsten schwermütigen Stimmung unmittelbar Ruisdaelsche Phantasien vorwegnimmt.!) Salomon von Ruisdael bewundert man in einer kleinen Flußlandschaft und einer herr- lien, vollbezeichneten und 1659 datierten Landschaft mit einer Reisegesellschaft im Vordergrund und begleitenden Kavalieren, die ihre Pferde tränken. Hervorragende Stücke sind von Jakob varı Ruisdael eine prächtige Hirschjagd, von Isaak varı Ostade die kleine Winterlandschaft mit holzbeladenem Wagen im Vordergrunde. Allaert van Everdingen ist mit einer glänzenden Suite von fünf Arbeiten vertreten, die wohl ge- eignet sind, einem wieder Respekt vor diesem häufig etwas unterschätzten Meister einzuflôBen. Von dem fruchtbaren Jan Wynants sieht man eine treffliche, im Kolorit äußerst frische Waldlichtung mit Staffagefiguren von Ph. Wouwermann, von dem seltenen Anthonie van Beerstraten eine mächtige, etwas hart und lichtlos gemalte Winterlandschaft mit der imposanten Stadtvedute von Haarlem im Hintergrund (bez. u. 1664 dat.).

Aus der Reihe der Amsterdamer Landschafter seien nur Aert van der Neer (zwei hübsche Mondscheinlandschaften) und Jan Hackaert hervorgehoben, dessen stattliche Baumallee mit Ausblick auf eine sonnige italienische Hügellandschaft an die berühmte Eschenallee des Amsterdamer Reichsmuseums anklingt, aus der Reihe der Utrechter Jan Both mit einer prachtvollen, sonnendurchfluteten, mit Hirten- und Tierstaffage belebten Szenerie. Von den Vertretern der arkadischen Landschaftsmalerei trifft man wie in jeder größeren Galerie so auch in Kopenhagen natiirlich Poelenburg, von seinen Nachfolgern Dirk van der Lisse, Abrah. van Cuylenborch, Barthol. Breen- berch, Moses van Uytenbrok u. a. Unter den Landschaftsbildern vlämischer Prove- nienz fiel mir eine kleine Winterlandschaft des Joost de Momper mit einer in bläu- lier Ferne verschwimmenden Stadt am FluBufer besonders günstig auf. |

Unter den Stilleben sind namentlich ein trefflicher Willem Kalf und ein Frucht- stück des Pieter Claesz zu bewundern, sowie ein köstlich zart gemaltes Früchteensemble des dem Clasz sehr ahnlich sehenden, nicht eben häufigen Marten Boelema gen. de Stomme, während das große Stück des C. Gysbrechts mit seiner etwas aufdringlichen, rot-grün gemusterten Tischdecke im Vordergrunde farbig weniger harmonisch wirkt Abraham van Beijeren präsentiert sich mit einem seiner breit hingestrichenen Fischstücke, Joris van Son mit ebenso trefflihen wie seltenen Blumenstücken.

Das Architekturbild eine Spezialabteilung sozusagen des Stillebens vertreten seltene Meister, wie der bis 1703 in Haarlem tätige Isaak varı Nickele (zwei köstliche gotische Kircheninterieurs, bez. und datiert 1681 u. 1695) und der angebliche Franz Hals-Schüler Dirk varı Delen (Straßenansicht von 1636). Eine Seltenheit aller- ersten Ranges besitzt die Galerie in dem 1628 dat. Prozessionsbild des Jacob Isaaksz van Swanenburgh, der einzigen bisher bekannten durch Signatur beglaubigten Arbeit dieses Meisters, der als der erste Lehrer des jungen Rembrandt interessiert. Gegen- ständlich von größtem Interesse durch die dargestellte Lokalität eine naturgetreue

1) Abgeb. bei Frimmel, Blätter f. Gemäldekunde 1907, II, S. 77.

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Kopie der römischen Piazza di S. Pietro aus der Zeit um 1610, bevor Bernini seine Kolonnaden dort aufstellte it das Bild an sich ohne höhere künstlerishe Ver- dienste. *)

Einige vortreffliche Stücke bieten die Tiermaler: vor allem Jacob van der Does, der Freund des Karel du Jardin, unter dessen starkem Einfluß Does’ durch stofflihe Wahrheit sich auszeichnenden Tierbilder ent- standen sind; hödıst reizvoll und poetisch empfunden ist die ruhende Hirtin mit ihrer gelagerten Lämmerherde. Von Paul Potter sieht man ein hübsches, wenn auch bescheidenes Bildchen: Kiihe auf der Weide. Ein kleiner Albert Cuyp, Reiter auf dem Felde, hat in den linken Bildpartien leider sehr gelitten. Von P. Berchem fielen mir zwei lebensvolle Pferdebilder auf, ebenso ist die Berchemschule gut vertreten.

Weniger vollzählig und nicht in gleicher Qualität findet man die Genremaler beisammen. Die beiden Jan Steens sind wenig bedeutend: Der Geizhals, an dessen Fenster der Tod anklopft, zwar echt und bezeichnet, aber trocken und grau in der Farbe. Manche amüsante Pointen bietet dagegen der Einzug des siegreichen Saul in Jerusalem von 1641 késtlih darauf die Figur des eitlen, sich blahenden Triumphators auf dem Wagen. Ein

Abb. 7. JORDAENS: Abundantia

1) Abb. bei Frimmel, BI. f. Gemälde- kunde 1906, II, S. 61. Ein zweites _ Werk des Swanenburgh hat Frimmel in einem dieselbe Lokalität darstellenden Gemälde der Augsburger Galerie nach- gewiesen, das dort als Dirk varı Delen

katalogisiert ist. (Vgl. Blätt. f. Gemälde- | kunde 1895 Il., S. 94.) Abb. 8. C. P. BERCHEM: Bäumender Schimmel

560 Monatshefte für Kunstwissenschaft

trefflicher Gerard Dou behandelt das beliebte Thema der ärztlichen Konsultation. Zwei Gegenstüke von der Hand des älteren Egbert van Heemskerk, ein Bauern- gelage und eine Gerichtsverhandlung, in goldbräunlihem Gesamtton gehalten, ver- raten einen Spötter, dessen Art an Hogarthsche Satire gemahnt, und von dem die Geschichte wohl wahrscheinlich klingt, er habe Karl II. in so fataler Situation porträtiert, daß die Sache dem Maler beinahe den Kopf gekostet hätte. Pieter de Hoochs musizierende Gesellschaft in zwei Varianten zu genießen gehört zu den Juwelen der Sammlung; ebenso sind sehr reizvoll die beiden Gegenstücke des Thomas Wyck, den Hof eines Wirtshauses und ein Kücheninterieur mit Mutter und Kind darstellend, die Einflüsse von Adr. von Ostade her zeigen. Der überaus seltene Maerten Stoop ist mit zwei Bildern zur Stelle: das eine, etwas flüchtig gezeichnet, stellt die räuberische Plünderung eines herrschaftlichen Besitzes dar; das andere eine lustige Gesellschaft in der Art des A. J. Duck, von dem die Galerie gleichfalls zwei Arbeiten bewahrt. Ein delikates Bildchen ist die musizierende Dame in zitronenfarbenem Mieder und rosarotem Rock von Jacob Ochtenwelt aus Rotterdam (1663), dem Mitschüler Pieter de Hoochs bei Cl. Berchem; nicht ganz so fein die beiden Eglon van der Neers: Herr mit drei Damen im Walde und Musizierende Dame im Zimmer. Von Neers berühmtem Schüler, Adr. v. d. Werff, sieht man ein reizendes Stück, ein junges Mädchen betrachtet eine Blumenvase, das sich von der sonstigen geleckten porzellanartigen Maltechnik Werffs glücklich entfernt. Von vlämischen Sittenbildern sei der kleine Teniers, eine auf ein feines Silbergrau gestimmte Versuchung des hl. Antonius, und das sehr hübsche Interieur des Jan Siberechts erwähnt, eine häusliche Szene darstellend, mit Bildern im Bilde ausgestattet, in denen Siberechts, wie neuerdings nachgewiesen, eigene Arbeiten kopiert hat.!)

Die trefflih vertretenen „Gezelschalschilderen“ aus der Umgebung des Franz Hals: David Vinckboons, Palamedes, Dirk Hals, Pieter Potter und wie sie heißen (auch von dem wenig gekannten Christoffel Jacobsz van der Laenen oder Lamen aus Brüssel findet man ein interessantes Interieur von 1630, mit einer gemalten Bilder- galerie) führen uns endlich auf das Kapitel der Bildnismalerei, daß, wenn auch der Franz Hals’ und varı Dycks entbehrend, doch so glänzende Stücke aufzuweisen hat wie den erwähnten Yrsselius des Rubens und das herrliche kleine Bildnis einer älteren Dame von Terborch.

Ein glücklicher Zufall ist es, der den kunstbeflissenen Besucher der dänischen Hauptstadt in den Stand setzt, seine Studien in der alten Gemäldegalerie an Ort und Stelle noch weiter ausdehnen und vertiefen zu können, indem Kopenhagen in der kleinen, aber auserlesenen Sammlung des Grafen Moltke-Bregentved eine Galerie besitzt, deren Schwergewicht wie das der Staatsgalerie bei den Holländern des XVII. Jahrhunderts liegt, und die daher wie geschaffen dazu ist, eine Ergänzung jener zu bilden.

1) Vgl. Frimmel, Blätter f. Gemäldekunde 1907, HI., S. 18 u. 19.

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Fig. 1. S. ROSA: La Giustizia che si rifugia fra i contadini. Vienna. Galleria Imperiale. o

Opere di Salvator Rosa a Vienna

Di Leandro Ozzola

L'arte di Salvator Rosa fino al principio dell’ ottocento ha avuto cosi larga fortuna che innumerevoli sono le copie e le imitazioni delle sue opere eseguite in quei tempi, non di rado segnate anche con la sua sigla o col suo nome’). Perciò l'opera dello studioso, invece che alla ricerca di pitture smarrite sotto il nome d'altri artisti deve quasi esclusivamente rivolgersi alla critica delle attribuzioni false per sgombrare dagli errori l'odierno selvaggio campo rosiano.

Questo il lavoro principale che ho dovuto compiere anche nelle gallerie di Vienna.

Nel mio volume su Salvator Rosa (Heitz. Strassburg, 1908) ho dovuto far men- zione di parecchi quadri di queste collezioni semplicemente sulla scorta delle fotografie; sono perciò molto lieto di poter ora affermare che lo studio degli originali ha confer- mato pienamente le mie prime conclusioni’).

1) Per dare un'idea di queste imitazioni basta scorrere la vasta produzione delle imitazioni da opere del Rosa e dalle sue stampe eseguite nel sei e sette cento. Qui citeremo solo le stampe edite dal Boydell nella seconda metà del settecento, le copie delle stampe del Rosa per opera del Sandrart, del De Polly e di Carlo Antonini (Roma 1780).

3) Altrettanto devo dire a proposito dei quadri delle pinacoteche di Monaco e di Dresda. Nella prima sono attribuiti al Rosa tre opere. La prima: I Soldati di Gedeone (n. 1242) è una copia, come si può dedurre dal colorito freddo e fuligginoso (in contrasto assoluto con le tona- lità calde del Rosa) e dalla fattura stentata delle macchiette. I due Paesaggi (n. 1243, n. 1244) sono deboli imitazioni (Fig. 2 e 3).

La Tempesta (Fig. 4) della Galleria di Dresda (n.468) come quella della Galleria di Berlino (n.421) non ha col Rosa che una lontana somiglianza nelle macchiette: tutte e due sono del secolo

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Fig. 2. SCUOLA DI S. ROSA. Paesaggio. Monaco. Pinacoteca

Nel mio libro (Aggiunte) ho accennato al quadro della Galleria Imperiale di Vienna (no 528) rappresentante la Giustizia che si rifugia tra i contadini, (Fig. 1) opera descritta dal Baldinucci.

E' perciò inutile che io qui ripeta quello che ho già scritto, sia sull’ autenticità della pittura, sia sui caratteri di essa. Uno di questi, il più evidente, è la derivazione delle macchiette dalle figure del Bamboccio e del Cerquozzi. Dall’ originale, nel calore delle tinte, si rivela un' affinità forse maggiore col Van Laar (cf., per es., di questo artista il quadro della stessa galleria, rappresentante un’ osteria, n. 1241).

Il Ribera, oltre che nella figura della Giustizia, come abbiamo gia notato, è rammentato nell’ asino ragliante che si vede a sinistra (cf. dello Spagnoletto lo stesso motivo nel Baccanale della Galleria di Napoli). I genietti sopra la Giustizia possono

posteriore nel quale soltanto fu acquisita alla pittura una tale riproduzione del mare in burrasca. Nessuna delle due però è italiana. Il Ritratto di uomo con una scimmia sulle spalle (Fig. 5) della Galleria di Dresda (n. 469) è già stato riconosciuto dalla stessa direzione della Galleria per attribuzione errata. E’ inutile aggiungere che non posso che confermare le attribuzioni alla scuola o agli imitatori di tutti i quadri cosi segnati nelle due gallerie.

Notiamo ancora che i due Paesaggi della Galleria di Monaco (n. 1247, n. 1248) ascritti al Torreggiani non hanno nulla di comune con quelli dello stesso artista che si trovano nella Galleria Doria di Roma; sono di un imitatore qualunque del Rosa. Neppure possono essere attribuiti al Torreggiani i due bei Paesi della Galleria Schleissheim, che portano il suo nome (n. 668, n. 669), e che, dal tocco e dalla concezione del cielo, paiono eseguiti sotto l'influenza del Tintoretto, mentre i costumi indicano i primi anni del settecento.

L. Ozzola. Opere di Salvator Rosa a Vienna 563

Fig. 3. SCUOLA DI S. ROSA: Paesaggio. Monaco. Pinacoteca

trovare un riscontro, nell’ opera del Rosa, in, quelli della stampa n. 111 del mio ca- talogo. Dalla fotografia già si poteva intravedere la bellezza dell’ opera, che è delle piü riuscite del nostro artista.

Poche infatti, anche di quel periodo molto fecondo e accurato che fu il tos- cano, si possono paragonare a questa. La scena ha una grandiosita solenne per la larghezza luminosa della massa bianca delle nuvole sapientemente contrapposta a quella scura dell’ ombra che avvolge tutta la parte sinistra. In questa fusione delle due masse di chiaroscuro in contrasto, sta anche la ragione del legame logico ed estetico del fantastico col reale completamente ottenuto. La parte in ombra poi, dalla tonalita generale marrone, & d'una trasparenza veramente atmosferica. Il dipinto rappresenta in grado altissimo tutte le qualita pittoriche del Rosa. Lo studio della modellatura, appare profondo nella struttura della casa, degli animali, e di quel magnifico albero scrupo- losamente riprodotto dal vero in tutta la sua efficace fisonomia individuale. Con questo dipinto, secondo noi, é finito l'elenco delle opere autentiche del Rosa nelle collezioni pubbliche di Vienna.

Nella stessa Galleria Imperiale, è attribuito al nostro artista un quadro rappre- sentante un Guerriero (n. 516). (Fig. 6). Già ho accennato ad esso nel mio libro rifiutando questa attribuzione. L'opera infatti non ha di comune col Rosa che il colorito, più freddo però e fulliginoso, e il soggetto. Del resto il tipo, la concezione del panneggio e la modellatura tradiscono all’ evidenza un lontano e debole imitatore !).

1) Il panneggio, come abbiamo già notato, nella parte inferiore è troppo semplificato, 42

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Fig. 4. IGNOTO: (Sec. XVIII.) Tempesta di mare. Dresda. Pinacoteca

Il n. 523, sempre della Galleria Imperiale, rappresenta una Battaglia, di grandi dimensioni, e porta la segnatura del Rosa due volte, una col monogramma, a sinistra, e l’altra col cognome rovesciato, a destra; di più reca la data, MDC. XLV. Nonostante tutto questo apparato, il massimo che si possa concedere a questo quadro è che si tratti di una copia. Il dipinto, secondo la data, apparterrebbe a quel periodo toscano, del quale conosciamo molto bene la vivacità coloristica, lo studio del modellato e la cura dei particolari; tutte cose che in questa Battaglia sono contraddette nel modo più assoluto. I colori sono freddi e affumicati, i gialli non hanno quella nota calda che è propria del nostro artista, vi sono le violenti lumeggiature a lui care. Le figure, e i cavalli in ispecie, sono d'una modellatura vuota e legnosa (cf. p. es. quello bianco nel mezzo, e quello sotto). Il n. 525 rappresenta San Guglielmo, legato mani e piedi, che fa penitenza nel deserto. (Fig. 7.) Una stampa del Rosa tratta lo stesso soggetto in modo simile. Un’ altra del Prenner supposto originale riproduce questo (Dresda. Kupf. Kab.; A. 836, 3, pag. 240)!). Ciononostante il quadro della Galleria Imperiale non può essere considerato come tale. La tecnica è d'una debolezza estrema, il tocco a colpetti è in contrasto con quello largo rosiano, come il colorito freddo e scuro. La composizione poi geometrica, a linee angolari fa pensare più a una imitazione che e una copia. Si può perciò ritenere che il quadro e la stampa dell’anonimo della Kupf. Samm. di Vienna siano tutte derivazioni dalla stampa del San Guglielmo del Rosa.

Ultimo della Galleria Imperiale, attribuito al nostro artista, è un Paesaggio

nella manica grossolano e sparbato, nella sciarpa infantile. Gli occhi poi sono d’ una scorrettezza eccezionale.

1) Una terza stampa di anonimo con questo soggetto, e qualche variante, si può vedere nel Kupf. Samm. della Biblioteca di Vienna. (M. I. vol. 42, p. 4.)

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566 Monatshefte für Kunstwissenschaft

Fig. 8) con rovine (n. 526). La concezione di rovine e antichità romane di questo quadro potrebbe più facilmente essere avvicinata all’ arte d'uno scolaro del Nostro, il Ghisolfi, se la tecnica lo permettesse. Il debole dipinto però, fosco nel colorito, stentato nella fattura, non può essere ascritto che a un imitatore del Ghisolfi’).

Il più curioso dei problemi offerti dalle attribuzioni al Rosa è presentato da un grande quadro della Galleria Harrach (n. 268), il Martirio di San Bartolomeo. Il santo è legato ad un albero per le braccia, ed intorno stanno i carnefici. In basso, a destra, si vede il monogramma del Rosa. Il dipinto non solo sarebbe degno di lui, ma secondo noi, è perfino superiore alle sue forze, non troppo grandi, di pittore di figure al naturale. A ogni modo presenta tali differenze dalla sua maniera, che è impossibile poterlo annoverare fra le sue produzioni. Gli splendori rosei viola della nuvola bianca, e il violaceo delle altre, sono toni sconosciuti alla tavolozza rosiana. Il bianco e il celeste del manto del San Bartolomeo sono rispettivamente più vivi e più freddi di quelli del nostro artista, e la trasparenza rossastra delle figure del secondo piano mostra una abilità di tono nelle sfumature, supreriore alle sue abitudini tecniche. Lo stesso modellato del Santo non ha affatto quel pesante giallo che già i contemporanei criticavano nel Rosa, ma presenta una finezza squisita di ombre e una grande ric- chezza di tinte, insieme con le solite trasparenze violacee. Perfino il tipo del soldato che si vede nel secondo piano è più gentile di quello usato da Salvatore. L'opera s'avvicina all’ arte di Luca Giordano e può essere un’ imitazione dal Rosa di lui o della sua scuola?).

Difficoltà minori presenta, a essere ritenuto come una copia, il quadro della stessa galleria Harrach, in cui è figurato il pentimento del Figliuol Prodigo (n.283). Lo stesso soggetto è rappresentato in un altro quadro, pure attribuito al Rosa, della Galleria dell’ Ermitage (Fig. 9), gia descritto nel mio libro, e ritenuto con dubbio una copia sulla scorta della riproduzione fotografica’). Comunque sia, quello di Vienna non è un originale. Tutta la modellatura è cosi stentata che non lascia dubbi sul giudizio del dipinto, specialmente se si osserva la gamba del uomo, schematica e leg-

1) Le tre macchiette che dovrebbero ricordare il Rosa non ne hanno la vivacità del colore, e delle lumeggiature, la disinvolta modellatura.

®) Questa ipotesi sorge spontanea dal fatto che non è possibile pensare a un’ imitazione del Rosa superiore alle sue forze da Luca. Salvatore era anche più vecchio del Giordano di 12 anni. Di più è comunemente noto quale versatile e abile imitatore sia stato il Giordano; basterebbe a provarlo il quadro di Esaü e Giacobbe, che porta la sua firma, nella stessa Galleria Harrach. Il dipinto si distingue dallo Spagnoletto solo per un più intenso rosseggiare delle carni. Per questa caratteristica, e per l affinità di qualche tipo, è da ritenere del Giordano anche la Morte di Seneca della Pinacoteca di Monaco (n. 1281) sebbene porta firma del Ribera e la data (1645); mentre non si può attribuire a Luca, come si legge nel Catalogo, la Morte di Seneca della Galleria di Dresda (n. 487) che si deve ascrivere invece alla scuola del Solimena, se non a lui stesso.

°) A favore dell’ autenticità dell'esemplare di Pietroburga starebbe questo fatto, che nel 1775 l'originale del Figliuol prodigo era pubblicato in stampa dal Boydell come esistente nella Galleria di Houghton. In quella stessa Galleria, secondo la segnatura d'un’ altra stampa edita dal Boydell, nel 1777 si trovava quel Capobanditi (Pascariello) che ora è all’ Ermitage, e che io ho riprodotto nel mio libro. Vien fatto naturalmente di pensare che il Figliuol prodigo della Galleria di Pietroburgo provenga anch’ esso da quella di Houghton.

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568 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Fig. 9. S. ROSA: Il Figliuol prodigo. Pietroburgo. Ermitage

nosa e i piedi e le dita di essi d'una scorrettezza e durezza possibili solo in un debole copista.

I due Paesaggi di questa galleria attribuiti al Rosa (n. 265, 267) sono pesanti e stentate imitazioni dai colori verdastri e freddi. Le macchiette non presentano mai quelle vivaci lumeggiature angolari sulle spalle, o laterali sul contorno, con cui il Rosa soleva rilevare le sue piccole figure. Nel Paesaggio n. 267 poi l'acqua è eseguita in una maniera affatto primordiale.

Nella Galleria Lichtenstein un altro Paesaggio porta il nome del Rosa (n. 182). Non è piu della serie affumicata e verdastra che abbiamo finora esaminato, ma anche esso non ha col nostro artista altra affinità che quella della composizione. Il colore e le macchiette non presentano punto la sua maniera. Il cielo è azzurro limpido, pallido, le nuvole grigiastre, il mare azzurro, grigio: una tavolozza fredda e una fattura leccata da seguace della corrente lorenesiana.

Finalmente nella Pinacoteca dell’ Accademia è ascritta alla scuola del Rosa una

L. Ozzola. Opere di Salvator Rosa a Vienna 569

Battaglia (n. 237) che piu giustamente deve essere attribuita in genere all’ arte napole- tana. Vi sono dei chiaroscuri cosi violenti che ricordano piu il Giordano che il nostro artista *). |

1) Per curiosita notiamo che vi & anche quell caratteristico cavaliere orientale visto di tergo con la lancia nella destra (qui perd con la veste celeste rigata di bianco) che, come ho gia notato nel mio libro, si trova di frequente nella scuola napoletana; p. es. nel Rosa (Battaglia Galanti) in un anomino della Galleria Corsini di Firenze e nel Coppola, in una Battaglia d’ una collezione privata di Roma.

Ein Kopf des Meisters der Marmorfiguren

vom Kölner Domaltar

In Köln wurde bei dem Abbrudh eines spät- gotischen Hauses, Ecke am Hofe Unter Gold- schmied, ein bemerkenswerter Fund gemacht. Zwei Bruchstücke von Marmorskulpturen, die wie Ziegelsteine in die Wand eingemauert waren, kamen unter dem Abbruchsgemäuer zutage. Eines, ein stark beschädigter Torso einer barocken Ritterfigur, ist kunsthistorisch wertlos. Das andere Stück ist der Kopf einer gotischen Madonna aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts.

Schon das Material des Kopfes, weißer Mar- mor, läßt den möglichen Entstehungskreis des Werkes eng begrenzt erscheinen. Da sich im Mittelalter in den Rheinlanden Marmor nur bei dem plastischen Schmuck des Hauptaltars im Dom nachweisen läßt, lag es nahe, diesen Kopf mit der Domplastik in Verbindung zu bringen. Die stilistische Verwandtschaft des Kopfes mit den erhaltenen Figuren des Domaltares stellt es außer Zweifel, daß es sich in beiden Fällen um Arbeiten ein und desselben Meisters handelt. Audi die ganze Art, wie der Kopf gefunden wurde, gibt genügend starke Anhaltspunkte, an eine Verbindung mit der Domplastik zu glauben.

Der im Norden seltene Marmor findet eine zureichende Erklärung in der Vorliebe des Auf- traggebers, des Erzbischofs Wilhelm von Gennep, für dieses edle Material. An der plastischen Ausstattung des Domes hatte der Erzbischof einen bedeutenden Anteil. Während seiner Re- gierungszeit von 1349—61 erhielt der Dom die Statuen Christi, Mariae und der Apostel an den Pfeilern des Chores. Auch wurde in seinem Auftrage der Hochaltar des Domes ausgeführt, der in der auffallenden Verbindung von schwar- zem und weißem Marmor für seine Zeit prunkvoll wirkte. Daß der Erzbischof den Altar erbauen ließ, geht aus der Koelhoffschen Chronik hervor, in der es S. 242 mit Bezug auf Wilhelm von Gennep heißt:

„He dede machen dat hoiche altair in dem doym van swartzen marmelsteyn ind dede dat selve sich zieren mit den silveren bilden, die men un tzer zyt siet.“

Dieser Altar des Wilhelm von Gennep hat sich in seiner ursprünglichen Gestalt nur bis ins XVII. Jahrhundert erhalten. Schon 1633 wurde er durch das Denkmal des h. Engelbert ver- baut. Dann, in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts begann sich der Kölner

eine blinde Zerstörungswut gotischer Kunst- werke zu bemächtigen. 1767 wurde das Innere des Domes von dem Italiener Johann Syrus und seinen Gehilfen dem Geschmack der Zeit ent- sprechend restauriert. Dabei wurde 1770 der Hochaltar vollständig verstümmelt und durch einen kuppelförmigen Aufsatz verunstaltet. Zwei Jahre vorher hatte man das neben dem Hoch- altar stehende Sakramentshäuschen zerschlagen, das, wie man vermuten kann’), auch von dem Meister des Domaltares herrührte.

Die zerbrochenen und abgeschlagenen Bruch- stücke wurden als Schutt in den Rhein gefahren. Von diesen Stücken gelang es dem jungen Wallraf einige zu retten. Diese kamen später in das Wallraf-Richartz-Museum; andere, die dem Untergang entgingen, in die Sammlung Schnütgen in Köln.

Man könnte darnach vielleicht glauben, daß der Kopf vom Domaltar selbst stamme. Allein, es ist das unmöglich. Denn der Altar war von niedriger, sarkophagartiger Form ohne Überbau. Er war von allen Seiten zugänglich. Denn an der Vorderseite hatten die Canoniken, an der Rückseite der Erzbischof, mit dem Gesichte dem Volke zugewandt, zu zelebrieren. Eine Figur, in der Größe wie sie nach den Proportionen des Kopfes anzunehmen ist, war auf diesem Altar unmöglich.

Wahrscheinlicher ist es, daB es sich um das Bruchstück einer einzelnen Skulptur handelt, die vielleicht als alleiniger Schmuck eines Altares, einer Säule oder des Sakramentshäuschens ge- dient hat und die in derselben Zeit wie der Domaltar dem Vandalismus zum Opfer gefallen ist. So erscheint es nach dem Schicksal der Domskulpturen nicht merkwürdig, daß sich der Kopf in dem Gemäuer eines alten Kölner Hauses fand. Vielleicht könnte man sogar darin einen Hinweis finden‘, ihn mit der Domplastik zu- sammenzustellen.

Der Kopf hat eine Höhe von 17cm und mit den das Gesicht eng umrahmenden Haarmassen ungefähr die gleiche Breite (Abb. 1). Durch dieses quadratische Größenverhältnis ist der Eindruck des Gedrücten von Anfang an bestimmt; um so mehr als auch das Gesicht ähnliche Porportionen auf-

1) Vgl. Pfeilschmidt, Geschichte des Doms zu Köln. S. 45.. Halle 1842,

G. E. Lüthgen. Ein Kopf des Meisters der Marmorfiguren vom Kölner Domaltar 571

weist(10>11 cm). Um die flache, nur wenig ge- wölbte Stirn zieht sich das welligeHaar, das sih in breiten Locken fest an die vollen Wangen an- schmiegt, die Oh- ren völlig ver- deckend. Über das Haar zieht sich ein dickes Kopttuch insprö- der etwas unge- lenker Faltenge- bung, im Stoff- charakter einem dicken Flanell- tuche ähnelnd. Haar und Kopf- tuch werden von einem Reif um- wunden, der frü- her in eineKrone endigte. Denn daß eine Bekrö- nung des Kopfes vorhanden war, geht schon aus der Tatsache hervor, daB der Stein ober- halb des Reifes nur ganz roh bearbeitet ist. Es muß sich um eine ähnliche Form der Krone

Abb. 2. Köln, Wallraf-Richartz- Museum O

Abb. 4. Köln, Wallraf-Richartz~Museum

Abb. 1. Köln, Kunstgewerbe-Museum

gehandelt haben wie sie bei der h. Cäcilie des Domaltares sich noch erhalten hat (Abb. 2). Die

| mit der Spitze ein wenig nach oben gebogene

Nase ist klein und an dem Stirnansatz ohne Einsattlung. Im dem vollen, fleischigen Gesicht liegen ein paar weiche, mandelförmige Augen. Durch eine zarte Betonung des an den Nasen-

Abb. 3. Köln, Wallraf-Richartz- Museum

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rücken angrenzenden Stirnbeines sowie des unteren Augenlides gewinnt der obere Teil des Gesichtes ein starkes individuelles Gepräge. Die kleinen Tränensäckchen unter den Augen, die sich in gleicher Weise bei fast allen Skulpturen des Domaltares wiederholen, tragen nicht wenig dazu bei. Auch der untere Teil des Gesichtes hat solche in der Eigenart des Künstlers moti- vierte, prägnante Merkmale. Der schmallippige in den Mundwinkeln ein wenig zum Lächeln eingezogene Mund, das spitzige, vorspringende Kinn mit dem den Ansatz eines Doppelkinnes verratenden Übergang zum Halse und der form- lose, plumpe Hals.

Die Locken des Haares fallen in regelmäßigen, ziemlich tief eingeschnittenen Wellenlinien herab. Starke Spuren alter Vergoldung haben sich hier, gerade in den tiefen Rillen, die die einzelnen Locken von einander trennen, erhalten.

Leider ist der Kopf ein wenig beschädigt. Auf der Stirn hat einstmals jemand in roher Weise ein Kreuz einzumeißeln versucht. Die Nasenspitze, ein Teil der Unterlippe und des Kinnes ist abgeschlagen.

Trotzdem wurde der Kopf vom Kölner Kunst- gewerbe Museum neu erworben. Denn daB es sih um ein Werk des Meisters der Domaltar- skulpturen handelt ist evident. Alle charakte- ristishen Merkmale des Kopfes nämlich, die quadratischen Proportionen, die eigenwillige Be- handlung der Augenpartien, des Mundes und Kinnes, der plumpe Hals kehren bei den Heiligen des Altares aufs genaueste wieder (vergl. Abb. 3). Auch die stofflihe Behandlung des Kopftuches, das wahrscheinlih kapuzenartig vom Mantel aus über den Kopf gezogen war, wodurch auch der schwere Stoff gerechtfertigt erscheint, ist ganz verwandt (Abb. 3 u. 4). Dabei entspricht die Faltengebung auf die man allerdings nur . aus den spärlihen Beispielen am Kopftuch schließen kann, durchaus dem Formgefühl dieses Meisters, der in großen Zügen wenige, aber vollkommen klar durchgearbeitete Motive zu geben pflegt. Auch zeigt sich eine gleiche Art der technischen Bearbeitung des Steines, die bei den Locken des Haares in beiden Fällen fast identisch ist (Abb. 3). Hinzu kommt noch, daB die Reste der Vergoldung, die sich im Haar finden, auf ein und dasselbe Verfahren der Arbeit sowie auf ein und denselben künstlerischen Geschmack hinweisen. Als Beispiel mag eine

Figur der Sammlung Schnütgen dienen !). Es ist

') Vgl. Schnütgen, Zeitschrift f. dhristl. Kunst. 1909. H. 1 u. 2. Dort auch Abb. Taf. 1. Sdinütgen weist auf eine Figur der Dreikönigengruppe, die sich in seiner Sanım- lung befindet hin, deren formaler Charakter vollkommen der des Madonnenkopfes entsprechen soll.

Monatshefte für Kunstwissenschaft

ein Prophet, dessen -Kopf- und Barthaar erheb- liche Spuren der ursprünglichen, partiellen Ver- goldung zeigt, genau in der Art wie der Kopf der Madonna.

Da die noch erhaltenen 28 Figuren des Dom- altares, die alle aus einer Werkstatt stammen, unterschiedlihe Formcharaktere aufweisen, ist es notwendig, die Gruppe näher abzugrenzen, zu der der Kopf gehört. Für die Domskulpturen sind sicherlich zwei, wenn nicht gar drei ver- schiedene Hände in Anspruch zu nehmen. Der Meister der künstlerisch bedeutendsten Arbeiten ist auch der Meister des Madonnenkopfes. Nach der im Mittelalter üblichen Schaffensart scheint er der führende Meister der Werkstatt gewesen zu sein.

Es ist anzunehmen, daB er, nachdem ihm der Auftrag zu Teil geworden ist, mit der Arbeit begonnen hat. Soviel sih aus der formalen Entwicklung, wie sie in den 28 Skulpturen zu verfolgen ist, herauslesen läßt, sind die frühesten Arbeiten zugleich die künstlerisch ausgeglichen- sten. Drei Arbeiten sind noch vollkommen durch den Charakter der Frühgotik bestimmt, Als prägnannte Beispiele dieser Gruppe weise ih auf eine Heilige ohne Attribut, und eine hl. Dorothea des Wallraf-Richartz Museums hin (Abb. 3), dann auf die Figur aus der Dreikönig- gruppe der Sammlung Schnütgen und zuletzt auf den Madonnenkopf des Kölner Kunstgewerbe Museums (Abb. 1).

Die Gestalten dieses Meisters sind nodi von geringer Körperlichkeit, die Körperformen sym- bolisieren sich in der Hauptsache in den Gewand- falten. Die Bewegung der Figuren ist im Kontra- post übertrieben, weil sie anatomisch durchaus unverstanden ist. Die Gliedmaßen, Arme und Hände sind eng an den Körper gepreßt; sie sind noch in die Blocform des Steines hineinge- zwungen. An Bewegungsfähigkeit der Glieder dachte der Künstler noch nicht.

Trotzdem geht ein großer, einheitlicher Zug durch diese Arbeiten; denn alles kleinliche Detail ist vermieden. Ein einziges festumgrenztes Ziel schwebte dem Meister vor: durch die Reinheit einer auf Naturalismus verzichtenden Formen- gebung die höchste Innerlichkeit des Ausdruckes zu erreichen. Hier spricht noch die Kunstauf- fassung der Frühgotik, die die körperlichen Formen nur darstellt, um sie als Symbole eines Gedankens oder Gefühles zu benutzen.

Anders die zweite Gruppe (Abb. 2 u. 4). In ihr beginnt sich schon das naturalistische Streben, das zur Plastik der Spätgotik führt, schüchtern anzukiindigen. Die Funktionen des Körpers kommen in ihren charakteristischen Bewegungs- tätigkeiten stärker zum Ausdruck. Dadurch ge-

G. E. Liithgen. Ein Kopf des Meisters der Marmorfiguren vom Kölner Domaltar 573

winnt die Geste in den Handlungen des Einzelnen an Bedeutung und Vertiefung. Der Körper wirkt in seiner materiellen Substanz durch das Gewand hindurch; er wird zum Träger des Gewandes, zur Hauptsache.

Im einzelnen läßt sich dies an einer Fülle von Beispielen nachweisen. Das Haar, das der Meister der ersten Gruppe mehr in seine einzelne Locken zerlegte, wird jetzt als Masse behandelt; die langen, glied- und kraftlosen Finger werden knochiger, und zugleich plumper, ja oft eckig; die Hände erhalten Adern, das Gesicht auf der Stirn und an den äußeren Augenwinkeln Falten und Fälten. Vor allem aber: es wird die ganze Haltung freier. Der Kopf sitzt locker auf einem beweglichen Halse, die Schultern dehnen sich zur Seite und bieten starke Ansatzflächen für muskulöse Arme. Die vom Hals zu den Hüften in runder Linie abfallenden Schultern sind endlich verschwunden.

Eine ganz neue Beobachtung des Lebens und der Lebenstätigkeiten hat eingesetzt und be- ansprucht naturgemäß einen bedeutenden Teil der Schaffenskraft des fortgeschritteneren Künst- lers. Diese neue Beobachtung des körperlichen Lebens absorbiert gleichsam einen Teil seiner künstlerischen Gestaltungskraft und bewirkt da- durch zunächst ein gewisses Nachlassen der Innerlichkeit des Ausdruckes, das aber durch Lebendigkeit und Energie der Bewegung reichlich ersetzt wird.

Wie sich in dieser zweiten Gruppe nochmals eine Abgrenzung zweier Meister vornehmen läßt, das zu zeigen, würde hier zu weit führen. Auch sind hier die Unterschiede gering und für die allgemeine Entwicklung der rheinischen Plastik weniger bedeutsam als daß es sich lohnte, hier des Näheren darauf einzugehen.

G. Eugen Lüthgen.

„Die Bedeutung Kölns für den Metallschnitt des XV. Jahrhunderts”

In meiner Studie „Ist die Kölner Wicken- Madonna eine Fälschung“ (Monatshefte für Kunstwissenschaft II, 9, S. 428) wies ich auf Ana- logien hin, welche die Darstellung ‘an den AuBen- seiten des vielbesprochenen Triptychons mit einem Schrotblatt ,Die Verspottung Jesu“ (Samml. W. L. Schreiber, Nr. 56) verbinden. Schon die häufige Verwendung der Metallschnitte zum Buchscimuck Kölner Drucke zeugt dafür, daß diese Vervielfältigungsart dort besonders ge- pflegt wurde.

In seiner Untersuchung „Die Bedeutung Kölns für den Metallschnitt des XV. Jahr- hunderts“ (Studien zur deutschen Kunstgesch., Heft 114, Straßburg 1909) hat nun Wilhelm Molsdorf die Beweisgründe zusammengestellt, die bei einer Gruppe vorzüglicher Schrotblätter für die Kölner Provenienz sprechen. Er beruft sih zunächst auf das Kölner Wappen an der Brunnenmauer auf dem Blatt „Christus und die Samariterin“ (Wilh. Schmidt Nr. 33), einem in den Darstellungsmitteln schon reif entwickelten Metallschnitt. Er weist dann auf die eng- gehäuften Stadtbilder im Hintergrund einiger Dar- stellungen hin, bei denen Kölner Bauten kennt- lim werden. Weiter zieht der Verfasser Über- einstimmungen im dekorativen Beiwerk wie der technischen Durchbildung heran, um die Zu- sammengehörigkeit dieser Arbeiten darzutun.

Auf ein keineswegs unwichtiges Hilfsmittel zur Bestimmung des Ursprunges einzelner dieser Blätter soll hier noch kurz hingewiesen werden auf die wiederholte Anlehnung an Kölner Tafel- bilder in einzelnen Motiven, Figurenverbindungen oder der gesamten Komposition.

Bei der Darstellung der Kreuzigung (Bouchot Nr. 24) ist die Gruppe der Trauernden dem Gemälde desselben Gegenstandes von dem führen-

den Hauptmeister um 1410 (bei Amtsgerichtsrat Clemens in Aachen, Aldenhoven Tafel 26) im Gegensinn entnommen, ebenso auch die Figur eines Shädiers am Kreuze. Die Art der An- reihung von Szenen zur Vorführung des ge- samten Verlaufs der Passion, die Ausstaffierung der Kriegsknechte mit römischen und orien- talischen Rüstungen und Kleidungsstücen ist in Köln besonders beliebt und findet sich ganz übereinstimmend auf niederrheinischen Gemälden. Unmittelbar überzeugt der Zusammenhang der Darstellung „die Verkündigung des Erzengels Gabriel“ (Originalplatte Paris, Victor Gays, Bouchot Nr. 57, Schreiber 2865) mit Stephan Lochners monumentaler Fassung dieser Szene. Der enge AnschluB gerade bei einem so oft dargestellten Vorgang wirkt beweiskräftig für den Ursprung des Metallschnittes. Er kann ge- radezu als Reproduktion der AuBenflügel des „Dombildes“ im Gegensinn gelten. Nur deko- rative Einzelheiten z. B. die Haltung der Flügel des Erzengels, sein Spruchband, der Nimbus der Madonna sind verändert; hinzugefügt wurde die ausführliche Schilderung des Gemaches d.h. die enggedrängte Aufreihung aller Bestandteile eines Interieurs zur Belebung des Grundes. Mit solhem Beiwerk kontrastiert die Bedeutsamkeit und immanente Größe der beiden Figuren. Durch diesen unmittelbaren Zusammenhang werden jene Metallschnitte augenfälliger und überzeugender noch lokalisiert wie durch sonstige Anhaltspunkte. Weder jene figurenreiche weit- ausholende Schilderung noch die groBgedachten prägnanten Gestalten sind Erfindungen des Form- schneiders. Sie stammen von berühmten Mal- werken und bewahrten in abgeleiteter Form verblaßte Spuren ihres ursprünglichen Stiles. E. Firmenich-Richartz.

Ey

Dürers Aufenthalt in Straßburg

Man mag sich zu der Hypothese von Dürers Arbeiten und Verweilen in Basel in den Jahren 1492—1494, wie sie Daniel Burckhardt an ver- schiedenen Orten!) darzulegen versucht hat, stellen wie man will, in einem wird man ihm, glaube ich, nur schwer beipfliditen können, näm- lich darin, daß er den Dürerschen Aufenthalt in Straßburg 1494 schlechtweg für nicht geschehen erklärt 2), obwohl derselbe, wie man bisher all- gemein annahm, sehr gut begründet erschien. Trotzdem ist bis jetzt von niemanden, soweit ich die Literatur übersehe, darin eine andere Än- sicht geäußert worden, so daß ich es für nötig er- achte, meine Meinung über diesen für die künst- lerishe Entwicklung des jungen Dirers nicht unwichtigen Punkt in kurzen Worten darzulegen.

Über Dürers erste Reise wissen wir aus seiner von ihm selbst angelegten Familiendhronik so gut wie gar nichts; es heißt nur, daß er 1490 nach Ostern hinweg von Nürnberg zieht und 1494 nach Pfingsten wieder heimkommt, um sich am 7. Juli desselben Jahres mit Agnes Frey zu verheiraten. Aus Christoph Scheurls Lobrede auf Anton Kreß (1515), der voller Glaube bei- gemessen werden muß, zumal sie zu Lebzeiten und unter den Augen Dürers gedruckt ist, und wir audi ihre Angaben völlig bestätigt finden, ergeht ferner, daß Dürer 1492 nach Durchwande- rung Deutschlands in Kolmar bei den Brüdern Martin Schongauers ankehrt und von diesen freundlih empfangen wird®). Wo er sich in den Jahren 1490—1492 herumgetrieben hat, ist uns nicht bekannt; Daniel Burckhardt schlägt für diese Zeit einen Aufenthalt im Osten‘) vor. Mir dünkt es wahrscheinlicher, daB Dürer, was ja wohl auch mit dem Ausdrucke Scheurls „per- agrata Germania“ gemeint ist, sich in den großen Kunstzentren wie Augsburg, Köln *), Ulm °) usw.

1) Daniel Burckhardt: Albrecht Dürers Aufenthalt in Basel 1492—1494 (1892); ferner: Diirer und der Meister d. Bergmannschen Offizin. Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 28 (1907) p. 168ff. Ihm tritt entgegen Werner Weisbac: Die Basler Buchillustration d. XV. Jahrh. (1896); ders.: Der junge Dürer (1906).

2) Daniel Burckhardt: Martin Schongauer und seine Brüder in ihren Beziehungen zu Basel. Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 14 (1893) p. 162.

3) A. Caspare et Paulo aurifabris et Ludovico pictore, item etiam Basileae a Georgio aurifabro, Martini fratribus susceptus est benigne atque humane tractatus.

+‘) Diirers Aufenthalt in Basel p. 10 ff.

5) In Köln hatte Dürer sogar einen Vetter, Niklas Unger, der bei Dürers Vater das Goldschmiedehandwerk erlernt hatte. Vgl. Lange u. Fuhse p. 5 u. 109. Auch Thode (Jahrb. 10 [1889] p. 10) denkt an Köln.

©) In Ulm besaß Dürer einen guten Freund, den Maler

umgesehen hat !). Scheint es schon nadı reiner Überlegung kaum zweifelhaft, daB Dürer dar- nach wohl etwas länger in der weitberühmten Schongauerschen Werkstatt zu Kolmar, die nach dem Tode Martins (1491) von dessen Bruder Ludwig in den alten Traditionen fortgeführt wird, verweilt, so wird uns diese Überlegung zur GewiBheit, wenn wir uns die verschiedenen Handzeichnungen, die in jener Zeit entstanden sein mögen, näher betrachten; in ihnen drückt sich nämlich so hervorstechend der Einfluß Schon- gauerschen Geistes auf Dürers Schaffen aus, daB man nicht umhin kann, diesen auf einen zeitlich ausgedehnteren und nicht nur ganz flüchtigen und kurzen Besuch Dürers in dieser Werkstatt zurückzuführen ?). Doch auc nicht allzulange darf man sich Dürers Verweilen in Kolmar vor- stellen; er wird sich ein paar Monate dort auf- gehalten haben, um dann noch 1492 für längere Zeit nach Basel überzusiedeln, wo er von einem Bruder Martin Schongauers namens Georg, der, wie wir jetzt durch die Forschungen Daniel Burckhardts wissen, ein ziemlich bedeutender Goldschmied gewesen zu sein scheint, aufge- nommen wird. Noch für das Jahr 1492 haben wir ein sicheres Dokument für Dürers Anwesen- heit in Basel; es ist der bekannte Holzschnitt „Heiliger Hieronymus“, der 1492 bei Kessler er- scheint. Für ausgeschlossen halte ich es auch nicht, daB Dürer in kleinerem Umfange an den weiter ihm von Burckhardt zugeschriebenen Holz- schnitten mitgearbeitet hat. Denn sie zeigen sehr viel Dürer Verwandtes, und es haben auch die Zeichnungen *) dieser Epoche manches mit

Konrad Merkel, mit dem er 1510 noch in Briefwechsel stand. Ob diese Freundschaft wohl schon aus dieser seiner ersten Wanderschaft herrührte? Vgl. Lange u. Fuhse p. 80.

1) Die Behauptung Sandrarts (Teutshe Akademie tom. II, p. 222), daß Dürer ,sich vier Jahr in Niederland aufgehalten“, bedarf wohl keiner Widerlegung.

*) In diese Zeit gehören etwa: Madonna unter einem Baldachin thronend (L. 300), Louvre Paris; Selbstbildnis und heilige Familie (L. 429/430), Universitätsbibliothek- Erlangen, von W. v. Seidlitz zuerst zirka 1487 angesetzt (vgl. Jahrb. d. preuß. Kunsts. 15 [1894] p. 23); Dame im Schleppkleide (L. 346), Sammlung Bonnat-Paris, von Lipp- mann zirka 1494 angesetzt; ferner der friihe Kupferstich: Madonna mit der Heusdirecke (B. 44).

*) Herr und Dame zu Pferd (L. 3), Kupferstichkabinett- Berlin, von anderer Hand falsch „1496“ datiert; Belisar oder nach neuester Bezeichnung „Paulus auf dem Wege nach Damaskus“ im Kupferstichkabinett-Berlin, von Lipp- mann um 1494 angesetzt (vgl. Jahrb. d. preuß. Kuusts. 18 (1897) p. 181ff.). Franz Bock hält die Zeichnung für einen Grünewald (vgl. die Werke des Matthias Grünewald [1904] p. 64); Ein Reiter (L. 209) im British Museum-London; Schreitendes Liebespaar (Kunsthalle-Hamburg); Vgl. S.

576 Monatshefte für Kunstwissenschaft

dem Meister der Bergmannschen Offizin ge- mein !).

Man mag noch einen groBen Teil des Jahres 1493 Dürers Aufenthalt in Basel zuerteilen; das ganze Jahr 1493 hindurch war er jedenfalls nicht dort, denn gerade in den zwei „1493“ datierten Zeichnungen °) und in dem Selbstporträt®) aus demselben Jahre zeigt sich plötzlich etwas völlig Neues, mit einer Tätigkeit in Basel meiner An- siht nach Unvereinbares. Die Formensprache macht eine auffällige Wandlung durch: vom fleischlosen zum vollen; die Körper runden sich, besonders die früher ziemlich dürren, langen, Spinnenfinger werden wohl proportioniert und fleischig. Auch die Gesichtstypen unter- scheiden sich ausnehmend von denen Basels und Schongauers. Bei welchem Meister Diirer da- mals weilte, wird natürlidiı mathematisch genau nicht zu erweisen sein, zumal uns die historische Überlieferung für dieses Jahr bis jetzt im Stiche läßt; mir drängt sich jedoch die Vermutung immer stärker auf, daB dies bei dem „alten Straßburger Meister“, den Burckhardt zu leugnen sucht, gewesen sein könnte. Gehen wir jedoch zuvor auf die Gründe ein, die Burckhardt be- stimmen, den Straßburger Aufenthalt im Jahre 1494 für nicht geschehen zu betrachten. Der Hauptgrund ist natürlih, daB „zwischen der ungemein reichen Tätigkeit, die der junge Meister in Basel entfaltete, und welche sicher in die ersten Monate des Jahres 1494 reichte, und hin- wiederum der Ankunft Dürers in Nürnberg ein Aufenthalt in einer Straßburger Werkstatt kaum mehr Platz finde ‘).“ Nun teilt aber das von Wilboldt Imhoff*) angelegte Kunstinventar °) von 1573 folgendes mit:

M. Montagu Peartree, Jahrb. d. preuß. Kunsts. 25 (1904 p. 119 ff.)

1) Vql. auch Hans Koegler: zu Diirers Aufenthalt in Basel (Rep. f. Kunstw. XXX [1907] p. 199 ff.).

1) Nackte Frau stehend (L. 345), Sammlung Léon Bonnat- Paris; Jesusknabe mit Weltkugel (L. 450), Temperamalerei auf Pergament. Albertina-Wien.

3) Selbstporträt 1493, Sammlung Leopold Goldschmidt- Paris früher Eugen Felix-Leipzig, von Pergament auf Leinwand übertragen.

*) Burckhardt, a. a. O. p. 162.

*) Hier folgt der Wichtigkeit halber ein kurzer Stamm- baum dieser Familie.

Hans Imhoff I Wilibald Pirkheimer

| Hans Imhoff Il m Felicitas Pirkheimer

Wilboldt Imhoff (+ 1580) |

| Wilibald, Philipp, Karl, Hans, Katherina, Anna | IE O | Hans Hieronymus, Paul | “) Im Namen Gottes des Herrn wirdt Inn diss puech

No. 31. Ein Alter Mann In ein tefelein ist zu Straspurg sein meister gewest. auf pergamen. 4 fl

No. 32. Ein weibspild audı In ein tefelein olifarb, So darzu gehoertt. gemalt von Im zu Straspurg 1494. 3 fl.

Diese für Burckhardt ziemlidı ungünstige Quelle wird von ihm nun folgendermaßen er- klärt: Dürer wohnt in Basel bei Georg Schon- gauer; kurz vor seiner Abreise fertigt er zum Andenken die beiden unter Nr. 31 und Nr. 32 genannten Gemälde an und nimmt sie dann nach Nürnberg mit. Unterdessen (zwischen 10. Juli 1494 und 2. Juni 1495) zieht Georg Schongauer nach Straßburg; dies erfährt Dürer und setzt später gelegentlich, was ja öfters bei ihm vor- kommt, etwa folgende Inschrift auf die Bilder:

No. 31. Georg Schongauer, Goldschmied zu Straßburg, ist mein Meister gewesen.

No. 32. Apollonia, seine Hausfrau. Gemalt von mir Albrecht Dürer. a. D. 1494.

Wilboldt Imhoff liest nun bei seiner Inven- tarisierung diese Beischrift und deutet sie, als ob Dürer 1494 in Straßburg gewesen wäre.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten. Erstens ist Georg Schongauer, man kann es wenden und drehen, wie man will, eben 1494 noch kein alter Mann’), denn zwischen 1445—1468 geboren, hat er damals ein Alter von mindestens 26 höchstens aber 49 Jahren erreicht. In keinem Falle verdient er also die Bezeichnung „alter Mann“; übrigens ist bis jetzt kein triftiger Grund vorhanden, das Maximalalter anzunehmen; viel naheliegender erscheint es mir sogar, daB Georg Schongauer, da er 1482 zum ersten Male in Basel auftaucht, dort als junger Meister von etwa 25 Jahren eingewandert ist. Wir kämen somit auf ein Alter von zirka 37 Jahren. Dod gebe ich gerne zu, daB dieser Einwand allein nicht genügen würde, Burckhardt zu wider- legen.

Dazu kommt zweitens noch ein viel wich- tigeres Beweisglied: es wird mir nämlich mög- lich sein, zu beweisen, daB eine solche Inschrift, wie sie Burckhardt konstruiert hat, gar nicht existiert haben kann; sondern alles, was von dieser Inschrift übrig bleiben wird, wird, wie wir nachher sehen werden, höchstens die Jahres- zahl 1494 auf Nr. 32 sein, und das ist nicht

von mir Wilbaldten Im Hoff dem Eltern aufgezeichnet vnd geschrieben, was Ich für Antiquitaett auch andere Kunst vnd gemel hab, Auch wie Ich sole wirdig vnd Schecz (1573 1574).

1) Unwahrscheinlich bei den damaligen Verhältnissen, wenn auch nicht unmöglic,, kommt es mir vor, daß ein so betagter, alteingesessener Meister (nach Burckhardt) seine Stadt verläßt, um in eine ziemlich entfernte Aber- zusiedeln, wo er nicht einmal das Bürgerrecht besitzt.

re ici MIN

H. Th. Bossert. Dürers Aufenthalt in Straßburg

einmal ausgemacht. Wäre nämlich auf Nr. 31 und Nr. 32 die von Burckhardt angenommene Beischrift gestanden, wie erklärte es sich dann, daB das Inventar von 1580‘), das sonst sich nicht genug tun kann mit dem Zusatze „von Dürer's handt“ sagt: „hat ein alter maister von Straßpurg gemacht“, und daß das Geheimbüchlein von 1633 °) nur den Gegenstand nennt und nicht den Maler ?

Ferner wie erklärt es sich, daB zu Nr. 32 das Inventar von 1580 bemerkt: „Ein Weibs bildt. Inn ein tefelein von Ölfarben gemalt umb 3 fl.? Das Inventar von 1580 ist völlig abhängig, sogar im Ausdruck, von dem von 1573; nur ist es kritikloser, und dort, wo das Inventar 1573 die Autorschaft Dürers in der Schwebe läßt, behauptet es dieselbe. Somit ist natürlich in unserm entgegengesetzten Falle auch nicht gesagt, weil eben gerade das Inventar von 1580 sich so kritiklos erweist, daB Nr. 31 und Nr. 32 nicht trotzdem von Dürer herrühren könnten. Nur die Inschrift kann nicht auf Nr. 31 und Nr. 32 gestanden haben, denn wenn sie sich darauf befunden hätte, wäre den nachfolgenden In- ventaristen, denen es außerdem vielmehr wie dem Verfasser von 1573 auf einen möglichst guten Verkauf der Bilder ankam, niemals Zweifel an der Autorschaft Dürers aufgestiegen, zumal dieselben auch Dürers Handschrift ausgezeichnet kennen mußten. Bei den Zahlen ist aber eine sole Unterscheidung der Hand fast unmöglich; überhaupt braucht nicht einmal diese, wie wir gleich sehen werden, vorhanden gewesen sein. Wie erklart sich nun aber der Text des Inventars von 1573? Ganz einfach; als Wilbodt die Bilder zwischen 1564 und 1574 erstand im ersten Inventar von 1564 finden sie sic nodi nicht hatten diese natürlih ihre Tradition. Der Verkäufer sagte etwa: die hat Dürer gemalt, als er in Straßburg war, und der Dargestellte, der als Künstler jedenfalls leicht zu erkennen war, ist damals sein Lehrer gewesen. Als Wilboldt dann die beiden ins Inventar eintrug, fügte er diese Erzählung nebst der Jahreszahl °), die auf Nr. 32 stand, zur Erläuterung bei. Vielleicht ist der Gang auch ein andrer gewesen, und scheint

1) Nach Wilboldts Tod wird von seinen Söhnen (vgl. Stammbaum) am 11. April 1580 ein neues Inventar auf- genommen.

2) Geheim Biichlein fiir mich Hans Hieronymum Imhoff 1633—1649. Zu alldem vgl. auch die Mitteilungen d. K. K. Zentralkommission z. Erforsch. u. Erhalt. d. Baudenkm. Bd. V (1860): Inventare d. Imhoffschen Kunstkammer zu Niirnberg v. Anton Springer, p. 352 ff.

4) Daß diese wahrscheinlich vorhanden war, ergeht daraus, daß, wenn sie nicht vorhanden gewesen wäre, und Wilboldt anderweitig gewußt hätte, daß Dürer 1494 in Straßburg war, er diese Zahl wohl schon bei Nr. 31 angebracht hätte.

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mir folgendes am ehesten glaubhaft. Wilboldt bemerkte an Nr. 32 die Jahreszahl 1494 und da er leicht!) wissen konnte, daB Dürer 1494 in Straßburg bei einem alten Meister, der zudem auf dem Bilde noch dargestellt war, gewesen, schrieb er das zur Erklärung in sein Inventar. Wenn die Beischrift schon auf den Bildern viel genauer gestanden hätte, warum hätte dann Wilboldt diese nicht ebenso genau in sein Buch eingetragen? Er hätte dann wenigstens sicher nicht von einem alten Mann gesprochen, sondern von Georg Schongauer, zumal das ganze In- ventarium von 1573 die Tendenz hat, einen kunstgeschichtlihen Kommentar zu den „Anti- quitaetten“ zu bilden.

Wenn aber, wie wir nunmehr gesehen haben nur die Jahreszahl 1494 auf Nr. 32 gestanden haben kann, dann ist auch die Beweisführung B.'s kaum haltbar. Denn dann war es kein Versehen Wilboldts, das von den nach folgen- den Inventaristen in anderer Form übernommen wurde, sondern der Aufenthalt Dürers in StraB- burg war Wilboldt eine bekannte Tatsache, die ihm aus den schon oben erwähnten Grün- den geläufig sein konnte und mußte. Ich sehe daher nicht ein, warum ich den Straßburger °) Aufenthalt Dürers 1494 verwerfen sollte ?).

Und nun, nachdem dies gesichert ist, komme ich auf meine frühere Vermutung, daB Dürer sich schon Ende 1493 vielleicht in Straßburg, jedenfalls kaum in Basel befunden habe, zurück. Gesprochen habe ich bereits davon, in welcher Hinsicht eine Umgestaltung der Körperformen in jener Zeit stattfand; ih könnte noch hinzufügen, daß mit den natürlihen Proportionen auch eine an- mutigere und elegantere Haltung und Stellung der Gestalten Hand in Hand ging. Man möchte fast sagen, daB schon hier sich leise italienischer Einfluß bemerkbar machte, der vielleicht damit zu erklären wäre, daB irgend einer von Dürers Ateliergenossen oder sein Lehrer selbst in Italien geweilt hätte. Eines ist jedenfalls sicher: der

ı) Wilboldts Vater und seine beiden Großväter be- sonders waren mit Dürer äußerst befreundet; auch stammen die meisten Dürermanuskripte aus Imhoffschem Besitze; könnte darunter nicht auch Aufzeichnungen über diese Zeit gewesen sein? Man könnte z. B. an das Gedenk- bud erinnern.

2) Das Inventar von 1580 führt ferner auf: „Ein tafel von Olfarben mit vil weibern. Von einem Meister von Strassburg gemacht. Sollte das Bild nicht auch in einer Beziehung zu Diirer stehen?

3) Ich verstehe nun nicht, wie Burckhardt, nachdem er den Straßburger Aufenthalt Dürers zu gunsten Basels gestriien hat, worauf es ihm doch hauptsäclich nach eigener Aussage ankam, folgendes anmerken konnte: In das Frühjahr 1494, welches bis jetzt der etwas unbequeme Straßburger Aufenthalt ausfüllte, kann nunmehr in zwang- losester Weise eine kurze Reise Dürers nach Venedig verlegt werden.

578

Schongauer Einfluß ist in dem Jahre 1493 ziemlich gering und tritt fast völlig in den Hintergrund. Läßt uns dies schon ohne weiteres auf einen Lehrer schließen, der von Schongauer unab- hängig ist, so wird unser Schluß dadurch nur bestätigt, daß wir wissen, daß der Straßburger Meister ein alter Meister war und somit min- destens mit Schongauer gleichalterig wenn nicht älter als jener. Auffällig berührt es uns ferner, daß Dürer 1493 plötzlich auf Pergament +) zu malen beginnt, und daß eben die im Imhoffschen Inventar erwähnten Bilder auch auf demselben Stoffe ausgeführt waren.

Hier angelangt, fragt man sich unwillkürlich, ob es wohl möglich wäre, den Namen des StraB- burgers ausfindig zu machen; doch hier versagt selbst die Hypothese *), und werden wir uns

1) Vielleicht haben wir den Straßburger Meister unter der Zahl der Handschriftenillustratoren zu suchen; auch Burckhardt findet das Auftauchen des Pergamentes be- achtenswert und führt es auf eine Basler Gewohnheit zurück.

*) Vgl. das Verzeichnis der Straßburger Künstler von Seyboth (Rep. f. Kunstw. XV, p. 37ff.). Die sonst so

Monatshefte für Kunstwissenschaft

wohl auch in Zukunft, falls keine neuen Urkunden ans Tageslicht gefördert werden, mit den eben gewonnenen Resultaten zufrieden geben müssen. Schließlich ist diese Epoche auch nicht in dem Grade für das Verständnis Dürerschen Frühkunst wichtig, wie diejenige, die darauf folgte. Bald nach seiner Hochzeitsfeier tritt Dürer seine erste, so oft bestrittene Italienfahrt an, bei der sich ihm ganz andersartige und viel tiefergehende Eindrüke bieten, als auf seiner ersten Reise durch Deutschlands Gaue.

Helmuth Th. Bossert.

ansprechende Vermutung Robert Fischers (Studien z. Kunst- gesch. 1886, p. 415), daß eine Begegnung zwischen Dürer und dem Hausbuchmeister 1494 in Straßburg stattgefunden habe, und daB eben der Hausbuchmeister der „alte StraB- burger Meister“ sei, finde ich gerade für diese Zeit aus den Handzeichnungen nicht zu belegen. Zweifelsohne steht jedoch die Frühkunst Dürers eine Zeit lang in ab- hängigem Verhältnis zum Hausbuchmeister, wie dies be- sonders Hachmeister einleuchtend dargetan hat. Hoffent- lich können meine Forschungen über die Hausbuchmeister- gruppe, worüber demnächst eine größere Arbeit erscheinen wird, zu einer weiteren Klärung dieser Fragen beitragen.

ui

Als man seinerzeit den Meister der Lyvers- berger Passion seines Ruhmes entkleidete und ihm sämtliche Bilder nahm bis auf die Passion, um sie dem Meister des Marienlebens zu geben, ist man entschieden zu weit gegangen. Man ist auch zum Teil davon abgekommen, indem man die Linzer Altartafeln unserm Meister wieder zugeschrieben hat.

Es ist ja gewiß miBlich, einem Meister Bilder zuzuschreiben, von dem man nichts kennt als eine Serie völlig übermalter Bilder. Die Lyvers- berger Passion ist offenbar, wie man durch die Übermalung erkennen kann, sehr stark beschä- digt gewesen; bei der Restaurierung hat man die Figuren des Bildes zum Teil in willkürlicher Weise verändert und Gestalten und Landschaften auf den alten Goldgrund gemalt.

Als Beispiele seien folgende Übermalungen angeführt:

Nr. 148. Die Landschaft ist zum Teil auf den Goldgrund übermalt.

Nr. 149. Die Inschrift A. S. K. T. ist offen- bar ein neuer Zusatz.

Nr. 152. Durch Knie, Arme und Kreuz sieht man den Goldgrund.

Nr. 153 und 154. Die Landschaft ist über den Goldgrund und die Punzierung gemalt; eben- falls Arm und Fahne Christi.

Es sei mir gestattet, hier auf vier Bilder hin- zuweisen, die nach erfolgter weiterer Unter- suchung nach meinem Ermessen dem Meister der Lyversberger Passion zugeschrieben werden müssen:

1. Das Bild 131 des Kölner Museums, Cru- cifixus mit Maria, Johannes und Magdalena. Der Crucifixus ist genau gleich dem der Passion, auch die derben Gesichtsziige des Johannes und der Magdalena sprechen zugunsten der Annahme.

Es sei hier auf eine AuBerlichkeit hingewiesen, die nicht nur bei unserm Meister, sondern auch bei den Roger van der Weyden und Memling zugeschriebenen Bildern als Charakteristikum dienen kann, nämlich das eingemauerte Kreuz. Ich habe dieses bisher nur auf den Bildern Rogers und seiner Schüler wie Memling, sowie denen unsres Meisters gefunden. Sämtliche andern deutschen (z. B. Meister des Marien- lebens, Schongauer, Dünnwegge, Lochner, Meister Wilhelm usw.) und niederländischen (z. B. Meister von Flémalle, Gerard David, Jan van Eyck, Petrus Cristus, varı der Goes, Antonello da Messina usw.)

Der Meister der Lyversberger Passion.

Meister umgeben den FuB des Kreuzes mit Holzpflöcken und Stainen.

Die beiden mir bekannten Ausnahmen: die Kreuzigung bei Flamm in Aachen und das gleiche Motiv im Brüsseler Museum Nr. 627, die jetzt der Schule des Meisters des Marienlebens resp. ihm selbst zugeschrieben werden, wären danach als Schulbilder aus der Schule des Meisters der Lyversberger Passion zu bezeichnen, eventuell als Jugendwerke des Meisters des Marienlebens aus der Zeit, wo er nodi von seinem Lehrer, dem Meister der Lyversberger Passion beein- fluBt wurde.

Danach kann man also wohl das Bild Nr. 131 auch unserm Meister zuschreiben.

2. Nr. 29 der alten Pinakothek in München: Krönung Mariae. Wer die Bilder in der Martins- kirche zu Linz kennt, wird nicht zweifeln, daß diese Komposition von demselben Meister her- rührt.

3. Nr. 30 derselben Galerie: Anbetung der Könige. Wie die Tafeln der Passion zeigt dieses Bild in der Mitte eine gute Gruppierung, in der Ecke eine Anhäufung von Menschen. Man findet hier dieselben Typen wieder, die sich auf der Passion und vor allem den Linzer Tafeln finden. Man darf dabei nicht vergessen, daß die Münchener Tafel eine achtmal so große Fläche besitzt wie die einzelnen Bilder des Linzer Altars und daß dadurch wohl der etwas härtere Ausdruck in den männlichen Gesichtern auf dem großen Bilde zu erklären ist. Absolut über- einstimmend ist aber die Gottesmutter, deren schwere, niedergeschlagenen Augenlider, leicht- gebogene Nase, kräftiger Mund und stark ent- wickeltes Kinn sich viermal auf den Linzer Tafeln wiederfinden.

Zwei Außerlichkeiten mögen den Beweis vervollständigen: einmal hat der Diener auf der rechten Bildseite fast denselben Pokal in der Hand, den der analoge Diener auf dem das gleiche Motiv behandelnden Linzer Bild trägt. Andererseits paßt die Bildgröße genau zu der Lyversberger Passion, so zwar, daß vier Bilder der Passion haarsdıarf unser Bild decken:

Breite Höhe Münden: 132 cm 185 cm Cöln: 66 92 ,

Man könnte sich also wohl denken, daß die Passionsbilder die Flügel zu der Münchener Tafel gebildet haben.

43

580

Monatshefte fiir Kunstwissenschaft

Firmenich-Richartz schreibt in dem Katalog der Düsseldorfer Ausstellung 1904 über das Linzer Bild: ,In der Anbetung der Magier sind Motive derselben Darstellung, Nürnberg, Ger- manisches Museum benutzt.“ Dieses Nürnberger Bild des Meisters des Marienlebens (nach Escherich, „Die Schule von Köln“, übrigens ein spätes Werk des Meisters) ist nun weiter nichts als eine ziemlich genaue Kopie des jetzt in München befindlichen Rogerschen Bildes mit der- selben Darstellung. Dieses Bild Rogers ist be- stimmt nach 1450 entstanden, da Roger bis dahin in Rom war; also vielleicht 1452. Andererseits ist der Linzer Altar vor 1461 gemalt, da in diesem Jahr der Stifter starb. Ist es da anzu- nehmen, daß der Meister des Marienlebens zu- erst das Rogersche Bild benutzt hat und von diesem dann der ,Lyversberger“? Ich denke eher umgekehrt. Es scheint mir sicher, daß der „Lyversberger“ bei Roger gelernt hat. Es finden sih nämlich auf dem Linzer Bild neben dem Hauptmotive auch die Motive der Rogerschen Flügelbilder Verkündigung und Darstellung im Tempel wieder, ferner die Geburt Christi fast genau nach dem Middelburger Altar, der ja auch Anfang der fiinfziger Jahre entstanden ist. Sollte nun nicht anzunehmen sein, daß der „Lyversberger* den Rogerschen Altar, der dann eben noch nicht in Columba, Cöln, war, ebenso wie den Middelburger, in Flandern gesehen und danach seinen Linzer Altar zusammengestellt hat?

Später hat er dann das Motiv für sein großes jetzt in München befindliches Bild benutzt, dessen Flügel eben die Lyversberger Passion darstellen. Wenn ich noch einer Vermutung Raum geben darf, so möchte ich sagen, daß der Meister der Lyversberger Passion eben jener Meister Christophorus ist, der nach einer alten Chronik der Cölner Karthause für diese im Jahre 1471 ein Bild malte. Daß die Lyvers- berger Passion aus der Karthause stammt, ist ja bekannt.

4, Die Heimsuchung aus der Sammlung Crom- bez, Paris.

Das Bild ist eine recht genaue Wiederholung der von der Weydenschen Komposition, die jetzt in Turin befindlich ist. Der Typus der Maria ist durchaus der gleiche wie der auf dem Linzer Altar. Maria hat, wie auch auf dem wohl gleichzeitig entstandenen Crucifixus strah- lenförmigen Nimbus. Das Bild ist daher wohl als ein Werk zu betrachten, das er gleich im Anschluß an seinen Brüsseler Aufenthalt etwa Mitte der fünfziger Jahre vollendet hat; es kann schon deshalb nicht dem Meister des Marien- lebens zugeschrieben werden, weil es doch aus-

geschlossen erscheinen muß, daß ein Maler, der als Schüler Rogers eine recht gute Wiedergabe seiner Heimsuchung gibt, bald darauf eine in mancher Beziehung minderwertige Leistung wie die im Münchner Marienleben sollte fertig ge- bracht haben. Ist schon der Schritt von Rogers Köpfen mit den derben Zügen zu den nadı Kölner Art verfeinerten auf dem Bilde bei Crom- bez sehr groß, so ist der von diesem zu dem im Marienleben mindestens noch einmal so groß. Die auf der Rückseite befindliche Madonna mit Heiligen gehört wohl auch demselben Meister an, wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß z. B. der Typus der Catharina mit den geschlitzten Augen und der kurzen Oberlippe an den Meister des Marienlebens erinnert.

Wir haben nach Obigem im Meister der Lyversberger Passion also wohl denjenigen Maler zu sehen, der in erster Linie nieder- ländische Auffassungs- und Malweise in Köln eingeführt hat. Als sein Schüler hat wohl nicht nur der Meister des Marienlebens sondern auch der des Georgs- und Hyppolytaltars zu gelten. Vor allem die Flügel dieses Altargemäldes haben große Ähnlichkeit einerseits im Figürlichen mit der Lyversberger Passion, andrerseits im Land- schaftlichen mit dem Crucifixus Nr. 131 im Kölner Museum.

Eine sehr ähnliche Darstellung der Hippolyt- legende --- also von der „Taufe“ des Kölner Bildes an findet sich übrigens im Brügger Stadtmuseum. Die Kompositionen sind den Kölnern sehr ähnlich aber primitiver, vor allem in der Landschaft.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß der Meister die jetzt in Berlin befindlichen Tafeln eines Triptychons des Petrus Cristus gekannt hat. Wenigstens findet sich in der Landschaft seiner großen Anbetung der Könige große Über- einstimmung mit der in der Geburt Christi des Petrus Cristus.

Da unser Meister seine Bezeichnung nun ein- mal nach der Passion trägt, wäre es audi wünschenswert, zu wissen, wieviel wohl von dem, was jetzt auf den Bildern zu sehen ist, auf ihn und seine Kunst zurückzuführen ist. Natürlich ist es ja ganz ausgeschlossen, die guten Übermalungen abzukratzen, da man ja nur Ruinen übrig behalten würde, analog dem Claren- altar. Vielleicht würde aber hier die Röntgen- röhre helfend eingreifen können.

Ich habe in Gemeinschaft mit Herrn B. Jost hier, der in liebenswürdigster Weise seine Rönt- genapparate und sein schönes Radiumpräparat (t Gramm chemisch reines Radiumbromid!) zur Verfügung stellte, einige Versudie auf einer

Th. Asher. Der Meister der Lyversberger Passion 581

selbst präparierten Holztafel mit mir gerade zur Verfügung stehenden Olfarben gemacht. Folgende Resultate wurden erzielt:

1. Mit Radium läßt sich bei auf Holz ge- malten Bildern nichts ausrichten, da die Strahlen zu intensiv und mannigfaltig sind und durch das Holz zu sehr nach allen Seiten abgelenkt werden. Dahingegen würden sie zweifellos bei auf Leinwand gemalten Bildern sehr gute Dienste leisten, da die Radiumstrahlen in dünnen Schichten vorzüglich differenzieren.

2. Röntgenstrahlen geben mit einigen Farben

gute Bilder, wenn man möglichst weiche Röhren anwendet. Einige Versuche ergaben, daß alle Bleifarben, wie Kremser Weiß, Chromgelb, Mennige sehr deutliche Bilder geben, während alle anderen, wie lichter Ocker, Terra di Siena, Preußisch Blau, Zinnobergrün, Florentiner Lack und Eifenbeinshwarz sowie Bronze mehr oder weniger schwache Bilder geben. Viel- leicht würde das Verfahren auch bei der Madonna mit der Wickenblüte Neues zutage fördern. Weitere Versuche sind beabsichtigt.

Th. Asher.

Bin ee ee te

ur Soglia Sane copta = et

Der Name des Meisters

Das Werk dieses tüchtigen Meisters der deut- schen Renaissance wurde zum ersten Male 1896 von Herrn von Marcuard') zusammengestellt, der damals seine Identität mit Melchior Feselen vermutete. Weder Feselen aber noch Wolf Huber, wie man jüngst angenommen hat, kann der Maler dieser Bilder gewesen sein, da eine Anzahl von ihnen, die zuverlässig von der gleichen Hand sind, das Monogramm C. v. C.?) tragen. Es sind dies diePorträts 1. eines im Besitz derFrau v. Gün- derode in Höchst, 2. u. 3. zwei im Palazzo Torri- giani inFlorenz,4. u. 5. zwei in der National Gallery of Ireland, 6. das Porträt der Margareta v. Rein im Dessauer Amalienstift, auf dessen Zugehörig- keit zu dem Porträt des Georg Weiss in der alten Pinakothek mich Herr Sekretär Beckmann freundlichst aufmerksam machte. Durch die Gleichheit des Arrangements der Vorderseiten, wie auch der Wappendarstellungen auf den Rückseiten, der Maße, der Jahreszahl 1533 usw. stellte sich diese Annahme als zweifellos richtig heraus. Vermutlich war auch das Bild der Pina- kothek signiert, doch ist die Stelle der Rückseite, die bei dem Dessauer Bild das Monogramm zeigt, abgehobelt worden. Sowohl Georg Weiss als seine Gattin Margareta v. Rein gehörten nach Sibmacher zum Frankfurter Patriziate, wie denn überhaupt alle Porträts des Meisters, soweit sie bestimmbar sind, Frankfurter Persönlichkeiten darstellen, mit Ausnahme jenes Hans v. Schönitz, den wir uns am Hofe Albrechts von Brandenburg in dem benachbarten Mainz zu denken haben. Sämt- liche Bilder sind zwischen 1529 und 1551 datiert. Ihr Stil hat m. E. mit Bayern nicht viel zu tun. Er

1) Die Litteratur siehe bei Gebhardt, Martin Hess; Rep. XXXI. S. 443. Abbildungen der meisten Bilder bei v. Marcuard, das Bildnis des Hans v. Schonitz und der Maler Melchior Feselen, München 1896.

2) Abbildungen bei Nagler, Monogrammisten Bd. V. Nr. 1184.

der Holzhausenbildnisse.

erscheint mir vielmehr durchaus als „rheinisch“, und auch H. Voss hat die Verwandtschaft des Schönitzbildes mit Aldegrever erkannt. Übrigens tragen auch die recht scharf charakterisierten Hintergrundslandschaften der Bilder, die alle die gleiche Gegend zeigen, doch wohl eher rheini- schen Charakter, etwa den der Binger Gegend, und die Ähnlichkeit der Vedute mit Passau scheint mehr eine zufällige zu sein.

Ih glaube, es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß wir den Maler, der durch einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hindurch Frank- furter Patrizier porträtierte, zunächst in Frankfurt selbst suchen müssen. Da löst sich denn das Monogramm C. v. C. zwanglos in Conrad von Creuznach auf, den einzigen Maler in Frank- furt a. M., dessen Lebenszeit mit den Daten der Bilder in Einklang zu bringen ist. Wir wissen über ihn vorläufig nur wenig zu berichten, da wir auf die näheren Angaben Gwinners!) angewiesen sind. Danach hieß der Maler mit Familiennamen Faber, wurde 1537 unter die Bürger aufgenommen und starb kurz vor dem Jahre 1553, in dem seine Witwe erwähnt wird. Wir dürfen oder müssen wohl annehmen, daß er schon längere Zeit am Ort gewohnt hat, bevor er Aufnahme in die Bürgerschaft fand, wie ja audı das Porträt eines Gliedes der Frankfurter Familie Knoblauch das Datum 1529 trägt. Zweifellos werden aus den

Archiven noch bestimmtere Angaben zu gewinnen

sein. Da mir selbständige Archivforschung von hier aus nicht möglich ist, kann ich nur die Hoff- nung aussprechen daß die Frankfurter Lokal- forschung sich des neugewonnenen Künstlers annehmen und bald Greifbareres über Conrad Faber von Creuznach zutage fördern wird.

Heinz Braune.

1) Fr. Gwinner, Kunst u. Künstler, Frankf. a. M. 1862.

REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FUR KUNSTWISSENSCHAFT Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, LiebigstraBe 2. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS.

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